Grund und Grenzen der strafbaren Beteiligung durch Unterlassen [1 ed.] 9783428586936, 9783428186938

Der Autor beschäftigt sich mit der umstrittenen Frage der Beteiligung durch Unterlassen. Ausgehend von einer an Kant und

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German Pages 606 Year 2023

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Grund und Grenzen der strafbaren Beteiligung durch Unterlassen [1 ed.]
 9783428586936, 9783428186938

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 308

Grund und Grenzen der strafbaren Beteiligung durch Unterlassen Von

Sheng-Yen Feng

Duncker & Humblot · Berlin

SHENG-YEN FENG

Grund und Grenzen der strafbaren Beteiligung durch Unterlassen

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 308

Grund und Grenzen der strafbaren Beteiligung durch Unterlassen Von

Sheng-Yen Feng

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Uwe Murmann, Göttingen Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-18693-8 (Print) ISBN 978-3-428-58693-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist aus meiner Dissertation hervorgegangen, die im Sommersemester 2021 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angenommen wurde. Für die Drucklegung wurden die Lite­raturhinweise nur geringfügig erweitert. An erster Stelle und ganz besonders herzlich möchte ich meinem Doktorvater und langjährigem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Uwe Murmann danken. Nicht nur hat er meine Promotion sorgfältig betreut, mir große wissenschaftliche Freiheit eingeräumt und Vertrauen in meine wissenschaftliche Fähigkeit ­gehabt, sondern mich am Anfang meines Studiums und Lebens in der Bundesrepublik Deutschland mit großer Freundlichkeit begleitet, und mir auch vielfältige Anregungen und Unterstützung gegeben. Ein ausländischer Promovierender kann es wohl kaum besser treffen! Herrn Prof. Dr. Gunnar Duttge wiederum danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie für seine langjährige Hilfsbereitschaft und Unterstützung. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Kai Ambos gilt mein Dank für seine hilfreiche Kritik meiner Thesen und vor allem für die Ermöglichung internationalen wissenschaftlichen Austauschs im Rahmen unseres DoktorandenSeminars. Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Martin Jehle und Prof. Dr. Katrin Höffler haben mich mit großer Hilfsbereitschaft und Ermutigung gefördert. Herz­ lichen Dank auch dafür! Resümee: Das Institut für Kriminalwissenschaften an der Universität Göttingen hat mir die allerbesten Rahmenbedingungen für meine Promotion geschaffen. Auch der freundlichen Ermutigung von Prof. Dr. Wolfgang Schild sowie der Unterstützung und langjährigen Hilfsbereitschaft von Prof. Dr. Luís Greco gebührt mein aufrichtiger Dank. Prof. Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder und Prof. Dr. Andreas Hoyer möchte ich dafür danken, dass die vorliegende Arbeit in die Reihe „Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge“ aufgenommen werden darf. Nicht zuletzt bin ich der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Dank verpflichtet, die mein Studium in der Bundesrepublik Deutschland langjährig in idealer Weise förderte. Ich danke ebenfalls der Göttinger Graduiertenschule Gesellschaftswissenschaften (GGG), die durch das Abschlussstipendium für internationale Promovierende der GGG die letzte Phase meiner Promotion förderte. Der juristischen Fakultät Göttingen und der Juristischen Gesellschaft

8 Vorwort

zu Kassel schulde ich Dank für die Ehre, dass die vorliegende Arbeit mit dem Dissertationspreis der Juristischen Gesellschaft zu Kassel 2022 ausgezeichnet wurde, sowie für den damit verbundenen Druckkostenzuschuss. Ich möchte mich auch bei meinen Freunden bedanken, die mein „bewusstes Leben“ in Regensburg, Göttingen und Lyon geprägt und mir auf unterschiedlicher Weise zur Seite gestanden haben. Mein innigster Dank gilt dabei meiner Frau, Dr. Wei-An Sheng für ihre beständige und unermüdliche Unterstützung, früher in Göttingen und jetzt in Lyon. Sie steht mir immer zur Seite und wir haben ein schönes Leben in Göttingen und Lyon gemeinsam genossen. Schließlich möchte ich mich bei meinen Eltern Hsin-Ta Feng und Yu-Chin Chen herzlich bedanken, ohne deren Geduld und liebe Unterstützung diese Arbeit nicht hätte entstehen können. Deshalb ist sie ihnen gewidmet. Taichung City, Taiwan, im Oktober 2022

Sheng-Yen Feng

Inhaltsübersicht

Einleitung 

27

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Rekonstruktion des Meinungsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Möglichkeit der Teilnahme durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verständnis von instrumenteller Tat­herrschaft als Ursache der Auffassungsdivergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Objektiv-normative Tat­herrschaftstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Pflichtstellungsorientierte Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Andere unselbständige Kombinationstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Wichtige Erkenntnisse aus der kritischen Rekonstruktion des Meinungsstands für die Forschungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 30 34 43 52 64

C. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Erster Teil

Rechtsphilosophische Grundlage 

A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt: Freies Vernunftwesen und sittlich-autonome Person . . . II. Die Elemente des Rechts und das Postulat des Rechtsprinzips . . . . . . . . III. Vom ursprünglichen zum konkreten Rechtsverhältnis, oder: Zur Notwendigkeit einer rechtlich verfassten Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfassungsrechtliche Verankerung des freiheitlichen Rechtsbegriffs . . . B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnissesin einer rechtlich verfassten Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unrecht als Verletzung eines fremden Daseinselements und der Rechtsgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unrecht als Selbstwiderspruch des Täters und der Legitimationsgrund der Unrechtszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unrecht als Rechtsverhältnisverletzung in einer konkreten, rechtlich verfassten Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 77 78 84 104 110 114 115 119 120

10 Inhaltsübersicht Zweiter Teil

Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung 

A. Die strafrechtliche Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Notwendigkeit und Funktionen der Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlinien einer interpersonalen Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Straftat als eine vom Strafrecht interpretierte Handlung . . . . . . . . . .

126 126 126 128 133

B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung . . . . . . . . 141 I. Die sozialontologische Handlungsstruktur des pflichtwidrigen Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Straftheoretische Einführungsbemerkung zum Strafgrund des unechten Unterlassungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Ursprüngliche Abhängigkeit als Entstehungsgrund der Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 IV. Vielfältigkeit der „rechtlich ursprünglichen“ Abhängigkeitsverhältnisse . 163 V. Konsequenzen der Analyse der Handlungsstrukturen für die Bestimmung der Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens  234 VI. Überleitung zur Beteiligungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Dritter Teil

Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre 

A. Die Handlungs- und Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . I. Unrechtstheoretische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normentheoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Straftheoretische Bestimmung des tatbestandsmäßigen Unrechts einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252 252 252 254 259

B. Täterschaft als Verwirklichung der im Tatbestand vertypten Rechtsverhältnisverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 I. Vorüberlegungen: Die Besonderheit des Beteiligungsverhältnisses . . . . . 262 II. Das Verständnis des materiellen Tatbestandsunrechts als Ausgangspunkt für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . 267 III. Variante 1 der Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Täterschaft als Zentralgestalt handlungsmäßigen Geschehens (Roxin) . . 282 IV. Variante 2 zur Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Täterschaft als Herrschaft über den Grund des Erfolgs (Schünemann) . . 312 V. Variante 3 zur Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Verletzung der negativen bzw. positiven Pflicht (Jakobs) . . . . . . . . . . . . 317 VI. Täterschaft als Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer und deren Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer . . . . . . . 356 I. Handlungs-, unrechts- und normentheoretische Analyse des Teilnahme­ unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

Inhaltsübersicht11 II. Die Vernünftigkeit der limitierten Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 D. Ein monistisches interpersonales Täter-Teilnahme-System . . . . . . . . . . . . . . . 379 I. Der erste Schritt: Ermittlung der Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 II. Der zweite Schritt: Ermittlung der Reichweite der Verhaltensnorm . . . . 380 Vierter Teil

Beteiligung durch Unterlassen 

383

A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches: Zweistufiges Abgrenzungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichtverhinderung einer Teilnahmehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Täterschaft bei Verletzung einer Beschützergarantenpflicht . . . . . . . . . . . IV. Die Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters als Grund für die Reduzierung des Schutzzwecks der Garantenpflicht auf die Taterschwerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Überwachungspflicht mit dem Schutzzweck der Erfolgsverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschließende Bewertung konkurrierender Abgrenzungskriterien . . . . . VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

383 383 384 385

B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nebentäterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mittelbare Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mittäterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

433 433 434 454

C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Garantenunterlassen als akzessorischer Rechtsgutsangriff . . . . . . . . . . . . II. Anstiftung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

506 506 507 533



Resümee 

397 404 412 431

550

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 

27

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Rekonstruktion des Meinungsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Zur Möglichkeit der Teilnahme durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Das Verständnis von instrumenteller Tat­herrschaft als Ursache der Auffassungsdivergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Gehilfentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Objektiv-normative Tat­herrschaftstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Potentielle Tat­herrschaftslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Empirisch bemessene potentielle Tat­herrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . 35 3. Normative Tat­herrschaftslehre im Lichte der Erfolgsverhinderungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Normative Gesamtbetrachtungslehre von Rengier . . . . . . . . . . . . . 36 b) Selbständige oder akzessorische Erfolgsverhinderungsmacht (Ransiek und Otto) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Kritische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 IV. Pflichtstellungsorientierte Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Pflichtdeliktslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Grundthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Pflichtinhaltstheorien und nahestehende Abgrenzungskriterien . . . . . 48 V. Andere unselbständige Kombinationstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Entsprechensklausel als Abgrenzungskriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Die „normative Kombinationstheorie“ der neueren Rechtsprechung . 54 3. Andere unselbständige Kombinationstheorien in der Literatur . . . . . . 62 VI. Wichtige Erkenntnisse aus der kritischen Rekonstruktion des Meinungsstands für die Forschungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 C. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

14 Inhaltsverzeichnis Erster Teil

Rechtsphilosophische Grundlage 

77

A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Ausgangspunkt: freies Vernunftwesen und sittlich-autonome Person . . . 78 1. Möglichkeit der transzendentalen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Autonomie als Grund des moralischen Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Das Faktum der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Die Elemente des Rechts und das Postulat des Rechtsprinzips . . . . . . . . 84 1. Kants moralischer Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Der Regelungsbereich des Rechts und die juristische Gesetz­ gebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Transzendentale Freiheit als Grund des allgemeinen Rechts­ gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Erweiterung zur rechtlich-praktischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . 90 d) Die angeborene Freiheit eines Rechtssubjekts . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Recht als gegenseitiges Anerkennungsverhältnis zwischen Vernunftwesen bei Fichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Intersubjektivität als transzendentale Bedingung des Selbst­ bewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Methodische und inhaltliche Würdigung der Deduktion des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 III. Vom ursprünglichen zum konkreten Rechtsverhältnis, oder: Zur Notwendigkeit einer rechtlich verfassten Gemeinschaft . . . . . . . . . . 104 1. Das konkrete Rechtsverhältnis und seine Gestalt in einer Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Pflicht zum Eintritt in einen Zustand des öffentlichen Rechts und die Begründung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Das gegenseitiges Anerkennungsverhältnis von Person, Gesetz und Institution im Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 IV. Verfassungsrechtliche Verankerung des freiheitlichen Rechtsbegriffs . . . 110 B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnissesin einer rechtlich verfassten Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unrecht als Verletzung eines fremden Daseinselements und der Rechtsgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unrecht als Selbstwiderspruch des Täters und der Legitimationsgrund der Unrechtszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unrecht als Rechtsverhältnisverletzung in einer konkreten, rechtlich verfassten Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114 115 119 120

Inhaltsverzeichnis15 Zweiter Teil

Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung 

126

A. Die strafrechtliche Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Notwendigkeit und Funktionen der Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Grundlinien einer interpersonalen Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Menschliches praktisches Vermögen und sein Bewirken . . . . . . . . . . 129 a) Erinnerung an die rechtsphilosophische Grundlage . . . . . . . . . . . . 129 b) Die personale Dimension der Handlung: Freie Entscheidung für oder gegen ein Sollen und die Schwächen der kausalen und finalen Handlungslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Die soziale Dimension der Handlung und ihre Begründung . . . . . 132 III. Die Straftat als eine vom Strafrecht interpretierte Handlung . . . . . . . . . . 133 1. Positive Verletzungsmacht statt negativer Bestimmung einer Straftat . 133 2. Straftat als schuldhafte Übertretung einer Verhaltensnorm und grundlegende Verletzung eines Rechtsverhältnisses zum Opfer . . . . . 134 B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung . . . . . . . . 141 I. Die sozialontologische Handlungsstruktur des pflichtwidrigen ­Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Unzulänglichkeit der naturkausalen sowie finalen Handlungs­ erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Unterlassen als wirkliche Bedingung oder Ursache im Sinne einer Bedingungstheorie der Kausalität? (Puppe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Unterlassen nur als intentionale Zulassung eines unerwünschten Erfolgs durch Nichtvornahme einer erwarteten Handlung? (Kindhäuser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Unterlassen als freie Entscheidung zur Gestaltung eines Anerkennungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Rechtsphilosophische Grundannahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Verletzung der Pflicht ursprünglicher Solidarität zwischen ­Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 d) Verletzung einer Pflicht aus „ursprünglicher Abhängigkeit“ eines Daseinselements von einer bestimmten Person: am Beispiel der Eltern-Kind-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Straftheoretische Einführungsbemerkung zum Strafgrund des unechten Unterlassungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Ursprüngliche Abhängigkeit als Entstehungsgrund der Garanten­ stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Weitere Bestimmungen einer rechtlich ursprünglichen Abhängigkeit . 159 2. Erwiderung auf Einwände gegen den Abhängigkeitsgedanken . . . . . . 161

16 Inhaltsverzeichnis IV. Vielfältigkeit der „rechtlich ursprünglichen“ Abhängigkeitsverhältnisse . 163 1. Ursprüngliche Abhängigkeit aus der einseitigen oder gegenseitigen Übernahme der Schutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Eltern-Kind-Verhältnis und andere autonom begründete familienähnliche Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Übernahme der Schutzfunktion in der bürgerlichen Gesellschaft . 165 c) Übernahme der Schutzfunktion in staatlichen Institutionen: Schutzpflicht von Amtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Begründungszusammenhang: ursprüngliche Abhängigkeit des Bürgers vom Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Die Garantenstellung des Amtsträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Ursprüngliche Abhängigkeit aufgrund einseitiger Risikoschaffung . . 174 a) Überwachungspflicht im Eltern-Kind-Verhältnis und anderen autonom begründeten familienähnlichen Rechtsverhältnissen . . . . 175 b) Die Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz . . . . . . . . . . . 178 aa) Begründungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Insbesondere: Beteiligung als Vorverhalten . . . . . . . . . . . . . . 180 (1) Garantenpflicht bezogen auf die Verhinderung- oder Erschwerung der Tat, zu deren Begehung ein Tatbeitrag vorsätzlich geleistet wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (a) Vorsätzlich täterschaftliches Vorverhalten . . . . . . . . . 181 (b) Vorsätzliche Anstiftung und Beihilfe als Vorverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Sog. „Weiterungstaten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Zuständigkeit für Sachen als Gefahrenquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Allgemeine Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Nichtverhinderung deliktischer Anwendung gefährlicher Sachen durch einen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 cc) Nichtverhinderung einer fremden Straftat in bestimmten Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Insbesondere: Nichtverhinderung einer betriebsbezogenen Straftat in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Begründungsstränge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Garantenstellung aufgrund der Übernahme der Schutz­ funktion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Garantenstellung aus Ingerenz und Verantwortlichkeit für gefährliche Sachen oder Betriebstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 195 cc) Garantenstellung aus Herrschaft über die partielle Unmündigkeit der Untergeordneten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 dd) Das Unternehmen als zu überwachender Gefahrenherd . . . . . 198 b) Betriebsbezogenheit der zu überwachenden Gefahren als Grund und Grenzen der Garantenpflicht von Vorgesetzten . . . . . . . . . . . . 200 c) Zur personellen Reichweite der Garantenpflichten im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Allgemeine Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Inhaltsverzeichnis17 bb) Die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder bzw. des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (1) Der Begründungszusammenhang der Überwachungs­ garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (2) Zur Reichweite der Überwachungsgarantenpflichten . . . . 216 (a) Vertikale Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (b) Horizontale Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 cc) Die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . 219 (1) Der Begründungszusammenhang der Überwachungs­ garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (a) Herrschaft über die Vorstandsmitglieder oder über die Mitarbeiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (b) Übernahme der Überwachungsfunktion in Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (2) Reichweite der Überwachungsgarantenpflicht . . . . . . . . . 225 dd) Die Verantwortlichkeit der Compliance-Beauftragten . . . . . . 227 (1) Begründungszusammenhang der Überwachungs­ garantenstellung eines Compliance-Beauftragten . . . . . . . 227 (2) Reichweite der Überwachungsgarantenpflicht des Compliance-Beauftragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 d) Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 V. Konsequenzen der Analyse der Handlungsstrukturen für die Bestimmung der Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens . 234 1. Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Notwendigkeit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . 234 b) Die begrenzte Leistungsfähigkeit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Garantenstellung auch bei positivem Tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 d) Zur normativen Relevanz der Abgrenzung von selbständigem und abhängigem Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 e) Das normative Kriterium zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Die Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens aus der Reichweite bzw. dem Schutzzweck der Garantenpflicht . . . . 244 3. Erste Kritik an der Pflichtdeliktslehre und an einer bestimmten Variante der Pflichtinhaltstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 4. Vergleich der Verletzungsmacht von Tun und Unterlassen: Erste Kritik an der instrumentalen Tat­herrschaftslehre . . . . . . . . . . . . 246 a) Vergleich der Handlungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Vergleich der Normenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 c) Vergleich aus der Strafmilderungsvorschrift im § 13 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 d) Zusammenfassung und der Einwand gegen die instrumentale Tat­herrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 VI. Überleitung zur Beteiligungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

18 Inhaltsverzeichnis Dritter Teil

Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre 

A. Die Handlungs- und Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . I. Unrechtstheoretische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Normentheoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verletzung einer kontext- und adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm als Voraussetzung für eine Straftat  . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis von Normverletzung und Pflichtverletzung  . . . . . . . . 3. Der Taterfolg als Teil der Straftat und Richtpunkt der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Straftheoretische Bestimmung des tatbestandsmäßigen Unrechts einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung des tatbestandsmäßigen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs zum tatbestands­ mäßigen Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252 252 252 254 254 255 257 259 259 261 262

B. Täterschaft als Verwirklichung der im Tatbestand vertypten Rechts­ verhältnisverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 I. Vorüberlegungen: Die Besonderheit des Beteiligungsverhältnisses . . . . . 262 1. Die individuelle Dimension der Beteiligungshandlung als autonome Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Die soziale Handlungsdimension der Beteiligungshandlung . . . . . . . . 264 3. Zur Notwendigkeit einer Beteiligungsformenlehre . . . . . . . . . . . . . . . 266 II. Das Verständnis des materiellen Tatbestandsunrechts als Ausgangspunkt für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . 267 1. Extensiver Täterbegriff und seine Schwäche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Restriktiver Täterbegriff und materielle Tatbestandsauslegung . . . . . . 269 a) Zurückweisung der formell-objektiven Theorie . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Extrem restriktiver Täter- oder Tatbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 aa) Extrem restriktiver Täterbegriff (Mosenheuer, Hoyer) . . . . . . 272 bb) Notwendigkeit eines restriktiven Tatbegriffs? (Renzikowski, Haas) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (2) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 3. Gemäßigt restriktiver Täterbegriff und materiell-objektive Theorie  . 281 III. Variante 1 der Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Täterschaft als Zentralgestalt handlungsmäßigen Geschehens (Roxin)  . 282 1. Kritik der methodischen Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Notwendigkeit der Entwicklung eines Leitprinzips der Täter­ bestimmung und seine Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Faktizität und Normativität des Täterbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

Inhaltsverzeichnis19 2. Unzulänglichkeit der instrumentalen bzw. faktischen Tat­herrschaft zur Bestimmung des Tatbestandsunrechts bei Herrschaftsdelikten . . . 285 a) Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft . . . . . . . . . . . . 287 b) Willensherrschaft bei mittelbarer Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 c) Funktionelle Tat­herrschaft bei Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 3. Die selbständige Kategorie des Pflichtdelikts und ihre Schwäche . . . 301 a) Keine Notwendigkeit zur Entwicklung der Pflichtdeliktslehre . . . 301 aa) Ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis bei unechten Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 bb) Ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis bei echten Sonderdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) Aufspaltung des einheitlichen Unrechtsbegriffs und ihre Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 4. Täterschaft bei strafbarer persönlicher Erklärung in Abhängigkeit von der Bestimmung der tatbestandsmäßigen Handlung . . . . . . . . . . . 309 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 IV. Variante 2 zur Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Täterschaft als Herrschaft über den Grund des Erfolgs (Schünemann)  . 312 1. Reduzierter Herrschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Fehlen der Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Herrschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 3. Inkonsequente Anwendung des Täterkriteriums der Herrschaft über den Grund des Erfolges beim unechten Unterlassungsdelikt . . . . . . . 316 V. Variante 3 zur Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Verletzung der negativen bzw. positiven Pflicht (Jakobs) . . . . . . . . . . . . 317 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Täterschaft bei Verletzung einer negativen Pflicht . . . . . . . . . . . . . 318 b) Täterschaft bei Verletzung einer positiven Pflicht . . . . . . . . . . . . . 320 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 VI. Täterschaft als Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer und deren Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses als Leitprinzip . 328 3. Die Bestimmung der tatbestandsmäßigen Handlung und des Inhalts des Rechtsverhältnisses zwischen dem Beteiligten und dem Opfer als Ausgangspunkt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 a) Die Verhaltensnorm setzt kein ursprüngliches Abhängigkeits­ verhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer voraus  . . . . 330 b) Der Verhaltensnorm liegt ein ursprüngliches Abhängigkeits­ verhältnis zugrunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 4. Verhaltensnormverletzung, Zurechnung fremden Verhaltens und Erfolgszurechnung bei fremdhändiger Tatbestandsverwirklichung . . . 334 a) Zuständigkeit für fremdes Verhalten und dessen Zurechnung . . . . 334

20 Inhaltsverzeichnis b) Zuständigkeit für das Verhalten des Vordermannes bei mittel­ barer Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zuständigkeit kraft überlegener Pflichtstellung  . . . . . . . . . . . bb) Zur begrenzten Reichweite des Verantwortungsprinzips sowie zur Begründung des Täters hinter dem Täter am Beispiel der Organisationsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Handlungs- und Zurechnungsstruktur bei mittelbarer ­Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeit für die Gesamttat bei Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . aa) Zuständigkeit für die Handlung anderer Mittäter kraft ­autonomer Willensvereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die konstruktive Funktion des § 25 Abs. 2 StGB und ihre Folgen für den Versuchsbeginn der Mittäterschaft . . . . . . . . .

340 340 343 348 349 349 353

C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer . . . . . . . 356 I. Handlungs-, unrechts- und normentheoretische Analyse des Teil­ nahmeunrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 1. Unterscheidung und Abhängigkeit der teilnehmerschaftlichen von der täterschaftlichen Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Teilnahme als mittelbare/akzessorische Rechtsverhältnisverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 aa) Täterschaft und Teilnahme verletzen dasselbe Daseins­ element des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 bb) Die Art und Weise der Rechtsverletzung der Teilnahme . . . . 359 b) Die Notwendigkeit der Selbständigkeit der teilnehmerschaft­ lichen Verhaltensnorm gegenüber der täterschaftlichen und deren flankierender akzessorischer Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . 359 aa) Begrenzte Reichweite der täterschaftlichen Verhaltensnorm . 359 bb) Notwendige Selbständigkeit und flankierender, abhängiger Charakter der teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm gegenüber der täterschaftlichen Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . 361 cc) Keine völlige Selbständigkeit der teilnehmerschaftlichen gegenüber der täterschaftlichen Verhaltensnorm und Kritik am schlichten abstrakten Gefährdungsverbot der teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 dd) Akzessorische Verursachungstheorie oder Theorie des ­akzessorischen Rechtsgutsangriffs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Die den Teilnehmer treffende sekundäre Pflicht und die Reichweite seiner Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 3. Inhalt und Umfang der Verantwortlichkeit der Teilnahme für das tatbestandsmäßige Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 II. Die Vernünftigkeit der limitierten Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1. Das Vorliegen einer vom Vorsatz getragenen und rechtswidrigen Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 2. Wiederbelebung der strengen Akzessorietät? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376

Inhaltsverzeichnis21 D. Ein monistisches interpersonales Täter-Teilnahme-System . . . . . . . . . . . . . . . 379 I. Der erste Schritt: Ermittlung der Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 II. Der zweite Schritt: Ermittlung der Reichweite der Verhaltensnorm . . . . 380 Vierter Teil

Beteiligung durch Unterlassen 

383

A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 I. Grundsätzliches: Zweistufiges Abgrenzungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 II. Nichtverhinderung einer Teilnahmehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 III. Täterschaft bei Verletzung einer Beschützergarantenpflicht . . . . . . . . . . . 385 1. Normentheoretische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 2. Klassische Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 3. Verletzung einer Beschützerpflicht durch positives Tun . . . . . . . . . . . 388 4. Täterschaft des Beschützergaranten nur bei „Beteiligung“ im ­Ausführungsstadium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 5. Bedenken der Vorverlagerung der Strafbarkeit bei der Vorfeld­ beteiligung eines Beschützergaranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 6. Teilnahme durch Verletzung einer Beschützerpflicht  . . . . . . . . . . . . . 391 7. Exkurs: Kritik der Gehilfentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 a) Allgemeine Akzessorietät des Garantenunterlassens? . . . . . . . . . . 393 b) Fehlerhafte Bestimmung der Verletzungsmacht des pflicht­ widrigen Garanten als „negative Entscheidungsmacht“ . . . . . . . . . 396 IV. Die Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters als Grund für die Reduzierung des Schutzzwecks der Garantenpflicht auf die Taterschwerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 2. Garantenpflicht zur Überwachung einer gefährlichen Sache, deren Gefahr für das Rechtsgut vom Eingreifen eines menschlichen Verletzungswillens abhängig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 3. Garantenpflicht zur Überwachung eines vollverantwortlichen ­Handelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 4. Exkurs: Garantenpflichtwidriges Unterlassen als mittelbare Rechtsverletzung. Zugleich eine Kritik der Pflichtdeliktslehre . . . . . . . . . . . 400 a) Unfähigkeit der „klassischen“ Pflichtdeliktslehre zur Erklärung der Teilnahme durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 b) Die Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 II StGB als Rettungsanker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 c) Positive Begründung für garantenpflichtwidriges Unterlassen als akzessorische Rechtsgutsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 V. Die Überwachungspflicht mit dem Schutzzweck der Erfolgsverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

22 Inhaltsverzeichnis 1. Täterschaft bei Eingreifen eines nicht vollverantwortlichen ­Handelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 2. Zuständigkeit für die gefährliche Sache, die unabhängig vom Eingreifen eines menschlichen Verletzungswillens das Rechtsgut gefährden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 3. Geschäftsherrenhaftung: Zuständigkeit des Überwachungsgaranten für die tatbestandsmäßige Handlung des zu überwachenden ­Handelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 a) Begründungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 b) Möglichkeit und Notwendigkeit einer Eingrenzung des Schutzzwecks der Überwachungspflicht nach der Pflichtstellung im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 VI. Abschließende Bewertung konkurrierender Abgrenzungskriterien . . . . . 412 1. Zum Gedanken des Tat­herrschaftswechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 2. Zur Relevanz der Erfolgsverhinderungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 a) Empirische Bestimmung der Erfolgsverhinderungsmacht . . . . . . . 415 b) Normative Bestimmung der Erfolgsverhinderungsmacht . . . . . . . . 416 aa) Unmittelbare Erfolgsverhinderungsmacht bei Otto . . . . . . . . . 416 bb) Rechtliche Verhinderungsmacht bei Ransiek . . . . . . . . . . . . . 418 3. Kritik anderer Varianten der Pflichtinhaltstheorie und nahestehender Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 a) Nichtschlüssigkeit der Unterscheidung zwischen Beschützerund Überwachungsgarantenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 b) Untauglichkeit der Unterscheidung zwischen situationsbezogener und situationsunabhängiger Garantenpflichten bei HoffmannHolland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 c) Unterscheidung zwischen negativer und positiver Pflicht bei Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 d) Die sogenannte Zurechnungstheorie von Haas . . . . . . . . . . . . . . . 426 e) Die Abgrenzung der Beteiligungsformen nach der Reichweite der Sonderverantwortlichkeit bei Freund und Rauber . . . . . . . . . . 429 VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nebentäterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mittelbare Täterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstruktionsmöglichkeit und Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zum Argument der aktuell-faktischen instrumentellen Tat­ herrschaft über ein fremdes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zum Entbehrlichkeitsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einebnung der Unterscheidung von unmittelbarer und ­mittelbarer Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ist die Begründung der mittelbaren Täterschaft über die Zurechnung fremden Verhaltens entbehrlich? . . . . . . . . . . . . .

433 433 434 434 435 437 437 438

Inhaltsverzeichnis23 cc) Ist der Unterschied im Versuchsbeginn ein Argument für die Anerkennung der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 2. Struktur und Reichweite mittelbarer Unterlassungstäterschaft . . . . . . 442 a) Mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen zurechnungs­ defizitären Tatmittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 aa) Begründungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 bb) Insbesondere: Mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen objektiv nicht pflichtwidrigen Tatmittler im Organi­ sationsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 cc) Insbesondere: Mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen sich im Verbotsirrtum befindenden Tatmittler . . . . . . . . 447 b) Mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen vollverantwortlichen Tatmittler – Verantwortung für fremdes Verhalten in einer vertikalen Zurechnungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 aa) Begründungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 bb) Uminterpretation der mittelbaren Unterlassungstäterschaft kraft Organisationsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 III. Mittäterschaft durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 1. Konstruktive Möglichkeit der Mittäterschaft durch Unterlassen . . . . . 454 a) Einwände aus dem Missverständnis der Verletzungsmacht der Garantenunterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 b) Einwände aus der Handlungs- und Zurechnungsstruktur des Unterlassungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 2. Mittäterschaft zwischen einem Garanten und einem Begehungstäter . 458 a) Angewiesenheit auf das Abgrenzungskriterium und Aufwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 b) Beschränkung der Mittäterschaft auf die einheitliche Zurechnungskategorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 c) Mögliche Beispiele und die Notwendigkeit der Annahme der Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 aa) Ermöglichung der vollendeten Erfolgszurechnung zum Garanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 bb) Ermöglichung der Zurechnung der qualifizierenden ver­ haltensbezogenen Umstände zum Garanten? . . . . . . . . . . . . . 461 3. Mittäterschaft durch Unterlassen bei mehreren Unterlassungen, insbesondere am Beispiel der Gremienentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 468 a) Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 b) Begründung der Garantenpflicht sowie das Handlungsunrecht des Garanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 c) Die Erfolgszurechnung zum pflichtwidrigen Unterlassen im Rahmen der Allein- oder Nebentäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 aa) Ablehnung der Erfolgszurechnung durch Anwendung der „modifizierten Conditio-Formel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472

24 Inhaltsverzeichnis bb) Begründung der Erfolgszurechnung mit der Risikoverringerungslehre? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 cc) Versuche, innerhalb der modifizierten Conditio-Formel die Erfolgszurechnung zu begründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 (1) Lösung über die kumulative Kausalität? . . . . . . . . . . . . . 481 (2) Lösung über die alternative Kausalität? . . . . . . . . . . . . . . 482 (3) Lösung über die Kombination von kumulativer und alternativer Kausalität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 dd) Lösung über die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung? . 487 ee) Lösung über die Lehre von der gesetzmäßigen Mindest­ bedingung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 (1) Die erste Kritik: Notwendigkeit der Annahme der Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 (2) Die zweite Kritik: Unzulässige allgemeine „Unterstellung“ ­rechtmäßigen Verhaltens des Dritten . . . . . . . . . . . 490 (a) Unzulässige kontrafaktische „Unterstellung“ bei der Politbüro-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 (b) Unzulängliche „Unterstellung“ rechtmäßiger Handlungen der Einzelhändler bei der LedersprayEntscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 d) Die Begründung der Mittäterschaft bei gleichzeitigen Unter­ lassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 aa) Kausalität des Einzeltatbeitrages für den tatbestandsmäßigen Erfolg als notwendige Voraussetzung für Mittäterschaft? . . . 497 bb) Die Begründung des gemeinsamen Tatentschlusses . . . . . . . . 498 cc) Die Begründung der Übernahme einer wesentlichen Funk­ tion für die Tatbestandsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 (1) Verletzung der Erfolgsverhinderungspflicht als Tat­ herrschaftsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 (2) Mittelbare Täterschaft in Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . 505 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 I. Garantenunterlassen als akzessorischer Rechtsgutsangriff . . . . . . . . . . . . 506 II. Anstiftung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 1. Das Unrecht der Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 2. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Bestimmen“ im § 26 StGB . . 510 a) Schwäche der kausalen oder psychisch-kommunikativen Ansätze . 510 b) Bestimmung als Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr in Richtung auf die Aufforderung zur Haupttatbegehung . . . . . . . 512 c) Kritische Aufnahme anderer mit der Tat­herrschaft vergleichbarer Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 d) Grenze der Hervorrufung des Tatentschlusses: Zur Kritik der Rechtsfigur des „omnimodo facturus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

Inhaltsverzeichnis25 3. Erwiderung auf die Einwände gegen eine Anstiftung durch Unterlassen; Voraussetzungen einer Anstiftung durch Unterlassen . . . . . . . 520 a) Zum ersten Einwand: Verletzungsmacht des Garantenunterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 b) Zum zweiten Einwand: Anforderungen an die Handlungs­ modalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 aa) Verletzung der Garantenpflicht mit Aufforderungscharakter . 521 bb) Zur Nichtbeseitigung einer tatanreizenden Situation . . . . . . . 523 4. Erscheinungsformen der Anstiftung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . 524 a) Nichtverhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses . 525 b) Nichtverhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses nach einer eigenen ungewollten Tatprovokation . . . . . . . . . . . . . . 527 c) Nichtverhinderung der Anstiftung eines Dritten seitens einer vom Garanten zu überwachenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 III. Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 1. Einleitende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 2. Das Unrecht der Beihilfe durch positives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 a) Die unterschiedlichen Bestimmungen des „Hilfeleistens“ in der Rechtsprechung und im Schrifttum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 b) Nichtvollständigkeit einer kausalen Erklärung für das notwendige Bewirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 c) Schaffung und Erhöhung des Haupttatrisikos in Richtung auf die Haupttatbegehung und dessen Realisierung in der Haupttatbegehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 aa) Die Bestimmung der beihilfespezifischen Handlung . . . . . . . 539 bb) Zurechnung des beihilfespezifischen Erfolgs . . . . . . . . . . . . . 541 3. Das Unrecht der Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 a) Das Handlungsunrecht: Verletzung einer Garantenpflicht zur Verringerung des Haupttatrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 b) Das Erfolgsunrecht: insbesondere die Erfolgszurechnung zum Unterlassen der Taterschwerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549

Resümee 

550

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

Einleitung A. Problemaufriss Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage, wie die Beteiligungsform des Garanten zu bestimmen ist, wenn er sich vorsätzlich1 durch sein pflichtwidriges Unterlassen an der Straftat eines Dritten beteiligt. Besondere Schwie­rigkeiten bereiten die Fälle, bei denen der Garant die Straftat eines volldeliktischen Dritten pflichtwidrig nicht verhindert. Diese Frage ist nicht neu, hat aber neuerdings in der Rechtsprechung erhöhte Aufmerksamkeit erfahren. So hat der BGH die Rechtsfigur der Organisationsherrschaft auf das Unterlassungsdelikt übertragen und damit die Täterschaft der Mitglieder des Politbüros begründet.2 Darüber hinaus hat der BGH über die Beteiligungsform der Vorgesetzten in Unternehmen zu entscheiden, nachdem er ihre Garantenpflicht zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten der Untergebenen ausdrücklich bejaht hat.3 Diese vielfach als „Beteiligung durch Unterlassen“ bezeichnete Frage hat in der Strafrechtswissenschaft eine lebendige Diskussion entfacht,4 die freilich nicht zu einem Konsens, sondern zu einer unübersichtlichen Meinungsvielfalt geführt hat.5 Mit Recht konstatiert Claus Roxin trotz der intensiven Bemühungen in der Strafrechtswissenschaft noch in der aktuellen Auflage seiner Habilitationsschrift, „dass die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungen das heute wohl noch ungeklärteste Gebiet der Teilnahmelehre darstellt“.6 Dies lässt sich leicht erklären, denn beim Thema überschneiden sich die Dogmatik des unechten Unterlassungsdelikts einerseits und die Beteiligungslehre andererseits, und wenn in beiden Problembe1  Insofern wird die Frage der fahrlässigen Beteiligung des Garanten in dieser Arbeit außer Acht gelassen. 2  BGHSt 48, 77, 97. 3  BGHSt 57, 42, 45. Die Relevanz der Beteiligungsformen in diesen Fällen betont Krüger, ZIS 2011, 2. 4  Rengier, AT, § 51 Rn. 15: „gehört zu den umstrittensten Fragen des Allgemeinen Teils“. 5  Vgl. die kurze Zusammenfassung verschiedener Meinungen mit Literaturhinweisen bei Hillenkamp/Cornelius, 32 Probleme, S. 172 ff. sowie die eigene Darstellung sogleich. 6  Roxin, TuT, S. 906 Fn. 543.

28 Einleitung

reichen noch zahlreichende ungeklärte Kontroversen herrschen,7 ruft die Verschränkung beider Bereiche zwangsläufig eine hohe Komplexität hervor.8 Die herkömmlichen Lösungsvorschläge orientieren sich denn auch entweder an der Beteiligungslehre beim Begehungsdelikt, vor allem an der Übertragbarkeit der dort vielfach vertretenen Tat­herrschaftslehre9 auf das Unterlassungsdelikt, oder versuchen, ein „eigenständiges“ Kriterium für das unechte Unterlassungsdelikt zu entwickeln, insbesondere das der Pflichtverletzung des Garanten. Schon diese recht knappe Beschreibung der bestehenden Lösungsvorschläge10 deutet aber zugleich an, dass sich eine angemessene Lösung nur dann finden bzw. erarbeiten lässt, wenn die Unrechts- oder Zurechnungsstruktur in den beiden Bereichen grundlegend untersucht wird. Aus der vorläufigen These, dass Täterschaft (formell) die Tatbestandsverwirklichung11 durch eine Handlung voraussetzt und die Beteiligungslehre nichts anderes als die Abgrenzung des Verantwortungsbereichs nach Maßgabe der Verletzungsmacht des einzelnen Beteiligten bedeutet, ergibt sich die für diese Arbeit entscheidende Frage, ob der Garant trotz der Verletzungsmacht des Dritten durch sein pflichtwidriges Unterlassen den in Frage kommenden Tatbestand und das in ihm vertypte (materielle) Unrecht verwirklichen kann. Weder eine beteiligungsspezifische noch eine nur am unechten Unterlassungsdelikt orientierte Untersuchung kann diese Frage sachgerecht beantworten. Gefordert ist vielmehr eine synthetische Untersuchung, also die Entwicklung einer tragfähigen Beteiligungslehre, die die Besonderheit der Verletzungsmacht des Garanten schon konstruktiv einbezieht.12 Die Schwäche der bisherigen Forschungen liegt gerade darin, dass sie ohne vertiefte Begründung von einem unzureichenden Verständnis der Tat­ herrschaft oder des Unrechts des Garanten ausgehen und die Verletzungsmacht des Garanten entsprechend 7  Man erinnert sich noch an den Streit um den materiellen Entstehungsgrund der Garantenstellung, der von Roxin als „[d]as dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeinen Teils“ (Roxin, AT II, § 32 Rn. 2) bewertet wird, und an die Kontroverse um die Anerkennung der Organisationsherrschaft als eine eigenständige Form der mittelbaren Täterschaft. 8  Murmann, ZIS 2010, 390. Siehe auch Krüger, ZIS 2011, 2. 9  Überblick über die neue Entwicklung der Tat­ herrschaftslehre, Roxin, TuT, S. 611 ff. m. w. N. Zu den verschiedenen Varianten der Tat­herrschaftslehre vgl. auch Schild, Tat­herrschaftslehre, S. 33 ff. Neuerdings mehren sich aber die grundlegenden Kritiken an der Tat­herrschaftslehre, z. B. Haas, Theorie, S.  21 ff.; Rotsch, Einheits­ täterschaft, S.  421 ff.; Marlie, Beteiligung, S. 43 ff. Gegen diese Kritiken wiederum Schünemann, FS-Roxin II, S. 807 ff. 10  Exemplarisch Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 622 f.; Mosenheuer, Unterlassen, S. 19. 11  Kühl, AT, § 20 Rn. 2; Murmann, JA 2008, 321. 12  Siehe bereits Murmann, Nebentäterschaft, S. 181 ff. Wegweisend auch Kahlo, Handlungsform, S. 8 Fn. 21.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands29

unterschätzen. Im Folgenden soll diese Schwäche durch eine kurze kritische Bestandsaufnahme bestehender Lösungsvorschläge beleuchtet werden.

B. Rekonstruktion des Meinungsstands Damit die obigen Ausführungen über die Schwäche der bestehenden Forschungen nicht auf eine abstrakte Behauptung beschränkt bleiben, soll hier ein kurzer Überblick über den Meinungsstand zu den interessierenden Fragen gegeben werden,13 der aber zugleich als Einleitung des weiteren Gedankengangs der Arbeit dient. Dabei sollen nicht die einzelnen Lösungsvorschläge und deren Defizite einfach aneinandergereiht und unsystematisch kritisiert werden, wie es in der Literatur häufig getan wird. Stattdessen sind die sachlichen Prämissen und Konsequenzen verschiedener Positionen, insbesondere deren rechtsphilosophische, normtheoretische und dogmatische Grundlagen zutage zu fördern und in die miteinander zusammenhängenden Problemkomplexe systematisch einzuordnen. Eine umfassende Analyse und begründete Kritik an diesen Vorschlägen wird aber erst nach der Entwicklung des eigenen Unrechtsbegriffs und der Beteiligungslehre vorgenommen.

I. Zur Möglichkeit der Teilnahme durch Unterlassen Gedanklich ist zunächst zu fragen, ob Teilnahme durch Unterlassen schon konstruktiv möglich ist. Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber bewusst offengelassen, um in die wissenschaftliche Entwicklung nicht einzugreifen.14 Trotzdem gibt es im Strafgesetzbuch einige Vorschriften wie §§ 8 Satz 1, 9 Abs. 2 StGB, die diese Möglichkeit bereits implizieren.15 Die systematische Auslegung spricht ebenfalls für diese Möglichkeit, denn § 13 StGB wird nur als eine allgemeine Vorschrift der unechten Unterlassungsstrafbarkeit vor den §§ 25 ff. StGB geregelt und das Beteiligungsverhältnis des Garanten bleibt ausschließlich den §§ 25 ff. StGB vorbehalten.16 Auch nach der teleologischen Auslegungen müssen die §§ 25 ff. StGB Anwendung auf die vorsätz­ 13  Vgl.

auch Roxin, AT II, § 31 Rn. 124 f.; Sowoda, Jura 1986, 401 ff. V/4095, S. 8. 15  Krüger, ZIS 2011, 2 f.; Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Noltenius, HdBStrR, § 51 Rn. 91. Wohl auch MK4/Ambos, § 8 Rn. 15; Schönke/Schröder/Eser/Weißer, § 8 Rn. 5. 16  Bottke, FS-Rudolphi, S. 17. A. A. aber NK/Schild, Vor §§ 25 ff. Rn. 5, der darauf hinweist, dass der Gesetzgeber „die zunächst in § 13 vorgesehene Parallelität von Täterschaft und Teilnahme für die Endfassung gestrichen“ habe, und die (notwendige) Heranziehung dwes § 25 StGB für die vorsätzliche Beteiligung durch Unterlassen verneint. Die Streichung beweist aber nur, dass der Gesetzgeber nicht in die wissenschaftliche Entwicklung eingreifen will. 14  BT-Drs.

30 Einleitung

liche Unterlassung finden, da sonst die Straflosigkeit der versuchten Beihilfe oder die fakultative doppelte Strafmilderung bei Beihilfe durch Unterlassen zuungunsten des Unterlassenden ausgeschlossen wäre.17 Gelegentlich wird diese Möglichkeit aber unter dem Einfluss des finalen Handlungsbegriffs bestritten. So hat Armin Kaufmann behauptet, dass das Unterlassen nicht kausal die Begehungstat fördere,18 weil die Handlung als Steuerung äußeren Kausalgeschehen auf das Ziel des Täters hin19 zu verstehen sei und das Unterlassen naturalistisch betrachtet ein „Nichts“ sei. Zum Zurechnungsgegenstand hat § 13 StGB indessen gerade ein pflichtwidriges Unterlassen des Garanten, dessen normative Relevanz auf eine andere Weise begründet werden muss. Dieses reduzierte Verständnis der Handlung kann somit nicht den normativen Sinngehalt des Unterlassens erfassen und muss als überholt angesehen werden.20

II. Das Verständnis von instrumenteller Tat­herrschaft als Ursache der Auffassungsdivergenz Die Untauglichkeit der naturalistischen Betrachtung muss sich auf die Frage der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme durch Unterlassen konsequent auswirken, wenn man die Tat­ herrschaft als eine positive Steuerung des Kausalverlaufs betrachtet.21 Der Garant kann demnach durch Untätigbleiben keine solche instrumentale Tat­ herrschaft, sondern nur die Möglichkeit der Verhinderung einer fremden Tat besitzen.22 Diese physische Erfolgsverhinderungsmöglichkeit ist jedoch eine gemeinsame Voraussetzung aller strafbaren Unterlassungsdelikte und daher kein taugliches Abgrenzungskriterium für die Beteiligungsformen.23 1. Gehilfentheorie Trotzdem stützen die Vertreter der eingeschränkten Gehilfentheorie24 ihre Hauptbegründung auf diese instrumentale Tat­herrschaftslehre. Wenn der Garant pflichtwidrig die vom Begehungstäter mit realer Tat­herrschaft begangene ZStW 118 (2006), 622. Kaufmann, Dogmatik, S. 295. 19  Welzel, Strafrecht, S. 33. 20  Siehe unten S. 130 ff. 21  So etwa Welzel, Strafrecht, S. 201; Roxin, AT II, § 31 Rn. 133; LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 233 im Hinblick auf die Tat­herrschaft beim Herrschaftsdelikt. 22  Roxin, AT II, § 31 Rn. 133. 23  Gallas, JZ 1960, 686 f.; Köhler, AT, S. 538. 24  Zu den folgenden Terminologien LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 231. 17  Hoffmann-Holland, 18  Armin



B. Rekonstruktion des Meinungsstands31

Straftat nicht verhindert, könnte dies folglich grundsätzlich nur als Beihilfe betrachtet werden, weil der tatnähere Begehungstäter mit seiner Tat­herrschaft dem Unterlassenden, der im Vergleich zu ihm nur sog. „potenzielle Tat­ herrschaft“ besitzt, den unmittelbaren Zugang zum Erfolg verstelle. Täterschaft kommt nach dieser Auffassung nur dann in Betracht, wenn der Begehungstäter die reale Tat­herrschaft verliert und der Garant noch imstande ist, den Erfolg zu verhindern25 (sog. Lehre vom Tat­herrschaftswechsel26). Diese Ansicht wird von der strengen Gehilfentheorie mit dem Ergebnis radikalisiert, dass das Unrecht des Garanten grundsätzlich von dem des verantwortlichen Begehungstäters abhängig und deshalb nur akzessorische Beihilfe sei.27 Immer zu überlegen ist aber, ob sich nicht das Unrecht des Garanten unmittelbar aus seiner eigenen Beziehung zum Opfer ergibt und man daher lediglich von einer faktischen Akzessorietät des Garanten reden kann.28 Gegen die Gehilfentheorie wird noch geltend gemacht, dass der Garant gemäß § 13 StGB unabhängig von der Quelle der Gefahr für das Rechtsgut und daher auch unabhängig von der Herrschaft des Begehungstäters für das Ausbleiben des Erfolgs einzustehen habe.29 In methodischer Hinsicht stellen die beide Gehilfentheorien den dynamischen (eingeschränkte Gehilfentheorie) oder statischen (strenge Gehilfentheorie) Vergleich des Herrschaftsverhältnisses zwischen dem Begehungstäter und dem Garanten in den Vordergrund. Man könnte diese Ansichten dahingehend verstehen, dass nur der vollverantwortliche Begehungstäter die positive Entscheidungsmacht habe, ob und wie die Rechtsgutsverletzung stattfindet, während der pflichtwidrig unterlassende Garant, obwohl er ebenfalls vollverantwortlich ist, insoweit nur die negative Hemmungsmacht erlange, die von der positiven und daher relativ überlegenen Macht des Begehungstäters in den Hintergrund gedrängt werde; zu Ende gedacht müsste angenommen werden, dass im Vergleich zum Unrecht des positiven Tuns das des unechten Unterlassens generell schwächer sei. Dieser Befund wird aber unter Hinweis auf § 13 StGB bestritten, dem zufolge das Untewrlassen den Tatbestand auch dem positiven Tun entsprechend verwirklichen muss und eine Strafmilderung des Unterlassens nur fakultativ vorgesehen ist.30 In der Tat handelt es hier 25  Gallas, JZ 1960, 687; Jescheck/Weigend, AT, S. 696; Kielwein, GA 1955, 227; Kühl, AT, § 20 Rn. 230; Puppe, AT, § 32 Rn. 22, 32. Nahestehend auch Baumann/ Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 25 Rn. 48. 26  Puppe, AT, § 32 Rn. 22, 32. 27  Ranft, ZStW (1982), 828 ff.; wohl auch Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, § 13 Rn. 47. 28  Dazu kritisch Bloy, JA 1987, 492 f. 29  Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 296. 30  Ausführlich siehe unten S. 248 ff.

32 Einleitung

um die materielle Begründung des Unrechts des Unterlassens bzw. um die Frage, ob die wirkliche Verletzungsmacht des pflichtwidrigen Garanten auf die negative Hemmungsmacht beschränkt ist Wird kein Vertrauen in die Gehilfentheorien und in die dahinterstehende Prämisse gesetzt, müsste man entweder im Rahmen des unechten Unterlassungsdelikts auf die instrumentelle Tat­herrschaft verzichten und andere Abgrenzungskriterien heranziehen oder den Inhalt der Tat­herrschaft mit anderen normativen Stoffen erfüllen. 2. Subjektive Theorie Mit Rücksicht auf die Untauglichkeit der instrumentalen Tat­ herrschaft wird von einigen Autoren die subjektive Theorie mit folgender Begründung vertreten: Da beim Unterlassen das objektive Gewicht aller Garanten naturalistisch betrachtet gleichwertig sei, nämlich in der Verhinderungsmöglichkeit bestehe, könne die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme nur nach der inneren Einstellung des Täters erfolgen.31 Nichts anderes gilt auch für die Fälle, in denen der Garant pflichtwidrig die Straftat des Begehungs­ täter nicht abwendet, weil die wie auch immer begründete Kausalität des Unterlassens objektiv betrachtet mit der des positiven Tuns gleichwertig bleibe. Entscheidend sei, wie bei einem Begehungsdelikt, ob der Täter sich die Tat zu eigen machen oder sich nur dem fremden Willen unterordnen möchte. Auch die Rechtsprechung folgt seit geraumer Zeit der subjektiven Theorie oder betrachtet sie als ein wesentliches Abgrenzungsmerkmal.32 Jedoch wird diese Lehre in der Literatur überwiegend mit dem Argument abgelehnt, die herkömmlichen Einwände der Unbestimmtheit und Annäherung an ein Gesinnungsstrafrecht bei Begehungsdelikten müssten uneingeschränkt auch für Unterlassungsdelikte gelten.33 Des Weiteren werde die Unbestimmtheit beim Unterlassen aufgrund der Tatsache, dass sich der innere Wille des Täters bzw. sein Interesse an der Tat nur durch die objektiven Tatumstände mittelbar feststellen lasse, sogar viel größer als beim Begehungsdelikt.34 Die Analyse der subjektiven Theorie und der dogmatischen Kritiken daran soll aber weiter vertieft werden. Den Anlass zur subjektiven Theorie bietet die Äquivalenztheorie, die eine Abschichtung nach dem objektiven Gewicht der jeweiligen Handlung ablehnt. Unabhängig von dem Umstand, dass seit der Entwicklung der Lehre des tatbestandsmäßigen Verhaltens oder der Lehre AT11, § 29 Rn. 71; Arzt, JA 1980, 558 f. 2, 150, 151; 4, 20, 21; 43, 381, 396; 54, 44, 51. 33  Haas, ZIS 2011, 392 f. 34  Busse, Täterschaft, S.  158 ff.; Roxin, AT II, § 31 Rn. 139; Schwab, Täterschaft, S. 85. 31  Baumann/Weber/Mitsch, 32  BGHSt



B. Rekonstruktion des Meinungsstands33

von der objektiven Zurechnung die Äquivalenztheorie die Frage der Erfolgszurechnung (zumindest) nicht allein entscheiden kann,35 bleibt die subjektive Theorie die Erklärung schuldig, unter welchen Bedingungen die Kausalität durch Unterlassen normativ der durch positives Tun gleichsteht. Wenn die „Kausalität durch Unterlassen“ richtigerweise als die wirkliche Verletzungsmacht des Garanten zu erfassen ist, wird diese Gleichstellung gerade von den oben dargestellten Gehilfentheorien verneint. Das Vernachlässigen der objektiven Handlungsdimension und die vorschnelle Flucht in deren subjektive Dimension stellen zwar einen wichtigen Einwand gegen die subjektive Theorie dar, sie widerlegen sie aber noch nicht. Denn eine Theorie, die (auch) den Willen des Beteiligten als Teil der Handlung zum Zurechnungsgegenstand macht, verstößt nicht gegen die Prämisse des Tatstrafrechts. Das subjektive Unrecht und dessen Gegenstand, und zwar der Wille einer vernünftigen Person, spielt denn auch im modernen Handlungs- und Unrechtsverständnis eine konstruktive Rolle, seine Einbeziehung in die Beteiligungslehre ist daher nicht unbedingt als „Subjektivierung“ der Täterlehre, sondern als konsequente Anwendung einer umfassenden Handlungslehre auf die Täterlehre zu verstehen.36 Der Vorwurf der Nähe zum Gesinnungsstrafrecht trifft nur eine solche subjektive Theorie, die allein die Einstellung statt den Willen37 des Beteiligten zum Zurechnungsgegenstand sowie zum Zurechnungskriterium macht und jeglichem objektiven Abgrenzungskriterium eine Absage erteilt. Demnach wäre die Abgrenzungsbeurteilung ganz von der Handlung als Willensbetätigung losgelöst und der Beteiligte würde die Definitionsmacht über seine Beteiligungsform erlangen, was der Vorstellung, dass das Recht eine allgemein-objektive Ordnung darstellt, deren Verhaltens- oder Sanktionsnormen vorher objektiv bestimmt sein müssen (Gesetzlichkeitsprinzip, Art. 103 II GG), widerspricht. Die ältere Rechtsprechung, die vermeintlich auf den Willen, tatsächlich aber auf die Einstellung des Beteiligten oder sein Interesse an der Straftat abstellt, setzt sich dem Vorwurf, gegen das Gesetzlichkeitsprinzip zu verstoßen, insofern aus, als sie sich von der objektiven Tatbestandsbezogenheit entschieden distanziert. Im Vergleich dazu berücksichtigt die neuere Rechtsprechung bei der Bestimmung des Willens der Beteiligten auch die objektiven Umstände wie die Stellung in der Organisation oder beruft sich kumulativ oder alternativ auch auf die Tat­herrschaft oder den Willen zur Tat­herrschaft 35  Zur Notwendigkeit einer Beschränkung der Weite der Äquivalenztheorie als Grund für Entwicklung einr normativen Zurechnungslehre grundlegend Frisch, Verhalten, S. 10 ff. Historische Entwicklung siehe Hübner, Entwicklung, S. 26, 125 ff. 36  Schild, Tat­ herrschaftslehren, S. 121, der zutreffend die Beteiligungsformen als Handlungsunrechtstypen begreift. 37  Der menschliche Wille ist notwendig mit einem selbstgesetzten Sollen verbunden siehe unten S. 79 ff.

34 Einleitung

als Abgrenzungskriterium.38 Die Überzeugungskraft der als normative Kombinationstheorie39 bezeichneten neueren Rechtsprechung hängt aber davon ab, ob die in Betracht kommenden objektiven Kriterien die Tatbestandsbezogenheit aufweisen und mit dem subjektiven Kriterium in einem widerspruchlosen Begründungszusammenhang stehen können.

III. Objektiv-normative Tat­herrschaftstheorien Die Schwächen der subjektiven Theorie zwingen zu objektiven Theorien, die sich aber von der instrumentellen Tat­herrschaft verabschieden und andere normative Kriterien in Anspruch nehmen. Inzwischen haben sich die objektiven Auffassungen weitgehend durchgesetzt. 1. Potentielle Tat­herrschaftslehren Ein großer Teil der Literatur befürwortet modifizierte (Unterlassens-)Tat­ herrschaftslehren,40 denen zufolge sich die Täterschaft beim Unterlassen nicht in der tatsächlichen Erfolgsverhinderungsmöglichkeit erschöpft. Es sei deshalb nicht ausgeschlossen, dass selbst bei Vorhandensein eines vollverantwortlichen Begehungstäters der Garant die Tat­herrschaft haben und als Zentralgestalt angesehen werden könne. Entscheidend sei für die Tat­herrschaft des Garanten, inwieweit der Garant bei Erfüllung seiner Garantenpflicht Einfluss auf das Rechtsgutsverletzungsgeschehen hätte ausüben können41 oder das Geschehen tatsächlich beherrscht.42 Bei der Beurteilung des Grades der Einflussmöglichkeit43 oder der sog. potenziellen Tat­herrschaft44 werden verschiedene normative Kriterien herangezogen, deren sachliche Prämisse – 38  Ausführlich

unten S. 54 ff. AT II, § 25 Rn. 22; LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 32. 40  Mit verschiedenen normativen Tat­herrschaftskriterien Dössinger, Haftungsrisiken, S.  453 ff.; Hilgendorf/Valerius, AT, S. 207 Rn. 105; Joecks/Jäger, Studienkommentar, § 13 Rn. 83 f.; LK13/Weigend, § 13 Rn. 94; MK/Joecks, § 25 Rn. 281 (anders nunmehr MK4/Joecks/Schenifeld, § 25 Rn. 286); Ransiek, JuS 2010, 680; Rengier, AT, § 51 Rn. 21; Satzger, Jura 2015, 1063; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor § 25 Rn. 102; Spring, Geschäftsherrenhaftung, S.  263  f.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1211. Die Tat­herrschaftslehre vertretend, aber keine deutlichen normativen Kriterien bietend Busse, Täterschaft, S. 269. 41  Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor § 25 Rn. 102. 42  Rengier, AT, § 51 Rn. 21; Satzger, Jura 2015, 1063. 43  MK/Joecks, § 25 Rn. 281; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1211. 44  LK13/Weigend, § 13 Rn. 94; Rengier, AT, § 51 Rn. 20; Satzger, Jura 2015, 1063; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor § 25 Rn. 102; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1211. 39  Roxin,



B. Rekonstruktion des Meinungsstands35

ebenso wie die den normativen Tat­herrschaftsbegriff weiter konkretisierenden Kriterien – im Folgenden zu untersuchen sind. Anders als die Gehilfentheorien sehen die meisten Vertreter der Lehre von der potentiellen Tat­herrschaft diese Einflussmacht nicht in dem (zeitlichen) Herrschaftswechsel vom Begehungstäter zum Garanten, sondern in den Erfolgsverhinderungsschwierigkeiten des Garanten. Der Grad dieser Einflussmacht sei aber wegen der Eigenschaft des Unterlassens nur hypothetisch zu ermitteln.45 Je leichter der Garant bei Erfüllung seiner Pflicht die Rechtsgutsverletzung hätte verhindern können, desto größere Herrschaftsmacht habe er über das gesamte Geschehen.46 Demzufolge kommt bei einem volldeliktischen Begehungstäter in der Regel nur die Teilnahme in Betracht, weil es für den Garanten viel schwieriger ist, einen entschlossenen menschlichen Wille zu überwinden, als eine Naturkraft oder ein technisches Risiko abzuwenden, es sei denn, dass der Garant dem Begehungstäter physisch oder psychisch überlegen ist oder es dem Garanten wegen der Besonderheit der Umstände im Einzelfall sehr leicht fällt, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, z. B. durch die vorherige Verständigung der Polizei, den Erfolg abzuwenden.47 2. Empirisch bemessene potentielle Tat­herrschaftslehre Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung dieser Verhinderungschancen sind allerdings wegen der Vielfalt der Einzelfallumstände nicht zu unterschätzen.48 Das liegt bereits in der „Natur der Sache“ der hypothetischen Beurteilung.49 Kommt es dabei auf die ex post empirisch festgestellten Einzelfallumstände an, deren Auswahl noch einer vorher festgelegten Regel bedarf, dann läuft die Beurteilung nicht selten auf ein zufälliges Ergebnis hinaus. So wird gegen die Lehre der potentiellen Tat­herrschaft nicht selten eingewandt, dass die stärkere oder schwächere Willensbeschaffenheit des Begehungstäters die Beteiligungsform des Garanten bestimmen würde, auch wenn sie mit der Verletzungsmacht des Garanten nichts zu tun hat oder keine normative Relevanz oder Tatbestandsbezogenheit aufweist.50 Darüber hinaus gibt es vieler LK13/Weigend, § 13 Rn. 70. § 13 Rn. 95; zustimmend Dössinger, Haftungsrisiken, S. 455; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor § 25 Rn. 102; Spring, Geschäftsherrenhaftung, S. 263 f. Im Kern auch F. C. Schroeder, Täter, S.  105 f. 47  LK13/Weigend, § 13 Rn. 95. 48  Vgl. auch Otto, JuS 2017, 292 f.; Roxin, TuT, S. 906 Fn. 540; Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Noltenius, HdBStrR, § 50 Rn. 121. 49  Roxin, TuT, S. 906 Fn. 541. 50  Siehe auch Mosenheuer, Unterlassen, S. 183 f., der konstatiert, dass die Schwierigkeit der Erfolgsverhinderung keine Relevanz für die Tatbestandsverwirklichung 45  Statt

46  LK13/Weigend,

36 Einleitung

auch keine empirisch nachvollziehbare Regel, die die Frage beantwortet, ab welchem Grad der Erfolgsverhinderungsschwierigkeit von einer Täterschaft oder einer Teilnahme auszugehen sei. 3. Normative Tat­herrschaftslehre im Lichte der Erfolgsverhinderungsmacht Um die Schwäche der empirisch-potentiellen Tat­herrschaftslehre zu überwinden, müssten zur Beurteilung der Verhinderungsschwierigkeit weitere normative Hilfskriterien zur Auswahl der in Betracht kommenden Umstände entwickelt werden. Man kann auch von einer Normativierung des Gedankens der Erfolgsverhinderungsschwierigkeit sprechen. a) Normative Gesamtbetrachtungslehre von Rengier Vorgeschlagen werden z. B. von Rengier „die Nähe zum Tatort, zum Schutzobjekt und zur Gefahrenquelle, die Mitwirkung bei der Tatplanung“.51 Diese Hilfskriterien könnten zwar die Umstände im Einzelfall sorgfältig berücksichtigen, sie zeigen aber auch gerade ihre Unschärfe und führen letztendlich wie die neuere Rechtsprechung zu einer wertenden Gesamtbetrachtung.52 b) Selbständige oder akzessorische Erfolgsverhinderungsmacht (Ransiek und Otto) aa) Darstellung Statt mehrere Hilfskriterien aufzustellen, erblickt Ransiek demgegenüber die Tat­herrschaft im Sinne der Erfolgsverhinderungsmacht des Garanten in der Möglichkeit, selbständig den Erfolg abzuwenden. Zur Erläuterung unterscheidet Ransiek zwei Fallgruppen:53 (1) Bei zeitversetztem Tun und Unterlassen, nämlich wenn das garantenwidrige Unterlassen dem positiven Tun des Begehungstäters nachfolge oder vorausgehe. Folge das Unterlassen des Garanten dem positiven Tun des Begehungstäters nach, sei die Möglichkeit habe, sondern nur die Strafzumesseung beeinflussen könne. Ob die Schwierigkeit der Erfolgsverhinderung überhaupt keine Rolle für die Bestimmung der Beteiligungsformen spielt, bleibt jedoch zu untersuchen. Auf jeden Fall kann die Willensbeschaffenheit des Begehungstäters für die Tatbestandsverwirklichung nicht entscheidend sein. 51  Rengier, AT, § 51 Rn. 21. 52  Murmann, GK, § 29 Rn. 95. 53  Ransiek, JuS 2010, 679 f., 680 f.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands37

zur Begründung der Täterschaft des Garanten unproblematisch. Der Garant habe durch die Möglichkeit, das Opfer zu retten, „die Herrschaft über die Abwendung des Erfolgs“.54 Die Verantwortlichkeit des Begehungstäters stehe in diesem Fall nicht der Täterschaft des Garanten entgegen. Denn aus Sicht des Garanten sei die Situation nicht anders, als wenn das Opfer sich der Gefahr versehentlich selbst ausgesetzt hätte.55 Fraglicher werde die Lösung dann, wenn das garantenwidrige Unterlassen dem positiven Tun des Begehungstäters vorausgehe. Denn zum Zeitpunkt der nachfolgenden aktiven Tatbegehung könne die Erfolgsherbeiführung allein von der Entscheidung des aktiv Handelnden abhängig gemacht werden.56 Das spricht aber nach Ransiek nicht gegen die Täterschaft des Garanten, weil zum Zeitpunkt des Unterlassens allein der unterlassende Garant die Möglichkeit habe, den Erfolg abzuwenden.57 Auch der Garant habe also zu diesem Zeitpunkt die Tat­ herrschaft. (2) Umstrittener ist nach der Einschätzung Ransieks die rechtliche Behandlung bei „zeitgleiche[m] Tun und Unterlassen“, also wenn der Garant „nicht verhindert, dass eine dritte Person den Erfolg herbeiführt, indem er auf diesen Dritten einwirkt“.58 Im Unterschied zum Fallgruppe (1) habe der Garant hier „nicht in der Hand, den Erfolg selbständig abzuwenden“; er müsse vielmehr „(gewaltsam) auf den anderen einzuwirken“.59 Aufgrund dieser Notwendigkeit, „erst den anderen hindern zu müssen“, sei der unterlassende Garant in der Regel nur als „Nebenfigur des Geschehens“ anzusehen.60 Ohne eine nähere Begründung führt Ransiek weiter aus, „[d]eshalb“ sei es überzeugender, die Tat­herrschaft des Garanten in dieser Fallgruppe dann anzuerkennen, wenn der Garant nicht nur die faktische Möglichkeit habe, den Begehungstäter an dem positiven Tun zu verhindern, sondern rechtlich auf den Begehungstäter einwirken könne und müsse.61 Das ist Ransiek zufolge dann der Fall, wenn der Garant dem aktiv Handelnden eine verbindliche Weisung geben kann, die Tatbegehung abzubrechen, und diese Weisung faktisch auch befolgt werden würde.62 Ransiek führt insoweit ein Beispiel von Geschäftsherrenhaftung ein: Wenn der Geschäftsführer „die betrügerische Vertriebsmethode seines für ihn tätigen Mitarbeiters“ nicht JuS 2010, 679. JuS 2010, 679 in Bezug auf das Beispiel, dass „die Mutter nach ihrer Rückkehr nicht das vom Vater vorsätzlich vergiftete Kind durch Verständigung eines Notarztes“ rettet. 56  Ransiek, JuS 2010, 679. 57  Ransiek, JuS 2010, 679 f. 58  Ransiek, JuS 2010, 680. 59  Ransiek, JuS 2010, 680. 60  Ransiek, JuS 2010, 680 (Hervorrufung von mir). 61  Ransiek, JuS 2010, 680. 62  Ransiek, JuS 2010, 680 f. 54  Ransiek, 55  Ransiek,

38 Einleitung

verhindert, sei der Geschäftsführer Täter.63 Denn der Geschäftsführer könne faktisch „ohne weiteres“ durch eine entsprechende Weisung den tatbestandsmäßigen Erfolg verhindern;64 rechtlich treffe den Geschäftsführer eine Garantenpflicht nach § 13 StGB, die betrieblichen Gefahrenquellen zu überwachen. Zur Erfüllung dieser Pflicht habe er die Rechtsmacht, einem ihm untergeordneten Mitarbeiter eine entsprechende verbindliche Weisung zu geben.65 Ransieks Argumente für die Tat­ herrschaft des unterlassenden Garanten sind bei zeitversetztem Tun und Unterlassen vergleichbar mit dem Gedanken eines Tat­herrschaftswechsels. Wenn das Unterlassen dem positiven Tun des Begehungstäters nachfolgt, also wenn die Tatbegehung des aktiv Handelnden beendet ist, hat der Garant nach Ransiek die Herrschaft über die Abwendung des Erfolgs, soweit er die faktische Möglichkeit dazu hat. Diese Herrschaftsmacht des Garanten lässt sich als selbständige, also von der Herrschaftsmacht des Begehungstäters unabhängige Erfolgsverhinderungsmacht interpretieren. Da zu diesem Zeitpunkt die Herrschaftsmacht des Begehungstäters ausgeblendet wird, kann Ransiek argumentieren, dass die Situation mit der vergleichbar ist, in denen sich das Opfer versehentlich der Gefahr selbst ausgesetzt hat, oder mit Puppe, einer Vertreterin des Gedankens des Tatherrschaftswechsels: „solange der andere [sc. Begehungstäter] nicht handelt, ist die von ihm ausgehende Erfolgsgefahr genauso zu behandeln, wie eine von Natur aus bestehende Erfolgsgefahr“.66 Diese faktische selbständige Erfolgsverhinderungsmöglichkeit allein ist Ransiek zufolge aber nicht ausreichend für die Tat­herrschaft des Garanten bei zeitgleichem Tun und Unterlassen. Hier führe die Notwendigkeit „erst den anderen hindern zu müssen“ in der Regel zur Teilnahme des unterlassenden Garanten, es sei denn, dass sich der Garant rechtlich dazu verpflichtet und er eine entsprechende Rechtsmacht habe. Die von Ransiek nicht ausdrücklich gelieferte Begründung für diese These könnte es sein, dass die Rechtsgutsverletzung auf die eigenverantwortliche Entscheidung des aktiven Handelnden angewiesen ist. In dieser Hinsicht ist selbst die gewaltsame Einwirkung auf den Begehungstäter ein Versuch mit der Hoffnung, dass der Begehungstäter seine Straftat einstellen werde. Von einer Herrschaft des Garanten über die Erfolgsabwendung kann deshalb nicht die Rede sein. Diese normative Prämisse findet nach Ransiek aber dann ihre Grenze und kann nicht verallgemeinert werden, wenn der Garant gegen den Begehungstäter eine rechtlich verbindliche Weisung zum Unterlassen der Straftat erteilen kann. Ransiek scheint davon auszugehen, dass eine rechtlich JuS 2010, 681. aber nach Ransiek, JuS 2010, 681 Fn. 20, wenn etwa der unterstellte Arbeitnehmer die Abwässer mit „Schädigungsabsicht“ in einen Fluss einleitet. 65  Ransiek, JuS 2010, 681; ferner ders., ZGR 1999, 637; ders., AG 2010, 152. 66  Puppe, AT, § 32 Rn. 32. 63  Ransiek, 64  Anders



B. Rekonstruktion des Meinungsstands39

verbindliche Weisung unabhängig vom möglichen Widerstand des Begehungstäters tatsächlich durchgesetzt würde und der Garant daher rechtlich den Erfolg selbständig verhindern könne. Die rechtliche Tat­herrschaft des unterlassenden Garanten ergibt sich also aus seiner rechtlich fundierten überlegenen Pflichtstellung und Rechtsmacht. Neuerdings hat Otto eine vergleichbare Lösung vertreten,67 die aber bei der Begründung um die Unrechtsstruktur der Teilnahme ergänzt wird. Den Ausgangspunkt bildet das vom Begehungstäter abhängige Unrecht der Beihilfe. Danach entspreche das Unrecht des unterlassenden Garanten dann dem der Beihilfe, wenn sein Tatbeitrag nur mittelbar, also über den Begehungstäter den Erfolg verwirkliche.68 Diese mittelbare oder abhängige Einwirkung des Garanten auf den Erfolg müsse normativer Natur sein, so dass bei der Beurteilung der Abhängigkeit des Beitrags des Garanten vom Beitrag des Begehungstäters nicht nach „dem Gewicht des Einflusses auf den Täterwillen“ oder nach dem zu dessen Änderung nötigen Aufwand zu fragen sei, wie es die potenzielle Tat­herrschaftslehre getan habe; dies seien nur faktische Gegegebenheiten, die „zu willkürlichen Differenzierungen führen können“.69 Vielmehr sei diese normative Abhängigkeit nach der „Art des möglichen Beitrags“70 des Garanten zu beurteilen. Diese qualitative Abgrenzung zwischen mehreren Beteiligten ist Otto zufolge nichts anderes als eine Frage einer Differenzierung der Verantwortungszuweisung,71 und weil die Rechtsordnung von der Eigenverantwortlichkeit der jeweils handelnden Person ausgehe, erscheine es grundsätzlich angemessen, das Handeln eines Garanten, der einen unmittelbaren Einfluss auf den Täterwillen auszuüben unterlässt, nur als Teilnahme und das Handeln des Begehungstäters als Täterschaft zu bewerten, denn der Garant bleibe insoweit „dem Willen des Tatherrn untergeordnet“.72 Wörtlich nähert sich dieser Ansatz zwar dem Kriterium der Willensunterordnung der Rechtsprechung, die Verantwortungszuweisung erfolgt aber in der Tat nach der vom Willen getragenen Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters als Tatherrn. Konsequenterweise müsse der unterlassende Garant aber auch dann als (Neben-)Täter angesehen werden, wenn er neben dem direkten Einwirken auf den Willen des Begehungstäters noch eine andere unmittelbare Erfolgsverhinderungsmöglichkeit habe, z. B. dem Bege67  Otto, JuS 2017, 289 ff. Ob Otto damit seine frühe Auffassung (ders., GK, § 21 Rn. 50) revidiert hat, soll hier nicht entschieden werden. 68  Otto, JuS 2017, 294. Nahestehend Wengenroth, JA 2014, 428, 429, der die Tat­ herrschaft des Garanten auf die unmittelbare Einflussmöglichkeit, den Erfolg zu verhindern, abstellt. 69  Otto, JuS 2017, 294. 70  Otto, JuS 2017, 294 (Hervorhebung im Original). 71  Siehe bereits Otto, GK, § 21 Rn. 44. 72  Otto, JuS 2017, 295.

40 Einleitung

hungstäter mit einer Strafanzeige zu drohen oder das Opfer durch ein rechtzeitiges Anrufen zu warnen;73 denn diese Fälle sein normativ mit denen gleich zu behandeln, in denen der Begehungstäter „nach beendetem Versuch den Tatort“ verlasse und der Garant die Möglichkeit zur Verhinderung des vom Begehungstäter ausgelösten Tatgeschehens habe.74 bb) Kritische Analyse Diese instruktiven Ansätze müssen aber auf unterschiedlichen Ebenen kritisch betrachtet werden. Fraglich ist zunächst, ob sich die Verletzungsmacht oder das Unrecht des Garanten in seiner Erfolgsverhinderungsmöglichkeit erschöpft und innerhalb derselben die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach der Art oder dem Gewicht dieser Möglichkeit zu erfolgen hat. Diese Prämisse ist auf ein Verständnis des Unrechts des unechten Unterlassens zurückzuführen, dem zufolge das Unterlassen darin besteht, trotz dieser Möglichkeit pflichtwidrig nicht durch eine gebotene Handlung den tatbestandsmäßigen Erfolg zu verhindern.75 Will man aber dem Einwand entgehen, die Verletzung der Pflicht zur Erfolgsverhinderung sei bloß formal, müsste das Unrecht des Unterlassens um eine materielle Begründung ergänzt werden. So müsste eine auf der Erfolgsverhinderungsmöglichkeit basierende Ansicht etwa von der materiellen Garantenlehre, die auf der „mittelbaren Herrschaft über den Grund des Erfolgs“ beruht,76 kritisiert werden, weil auch die selbständige Erfolgsverhinderungsmöglichkeit zunächst nur ein Nichteingreifen in die Tatbestandsverwirklichung77 darstellt und die Anforderungen an eine positive Herrschaft über den Grund des Erfolgs nicht erfüllt.78 Schon dieser Streit zeigt aber die Notwendigkeit einer Begründung des materiellen Unrechts des unechten Unterlassens. Auf der Ebene der Abgrenzung von Beteiligungsformen wird die Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters als Abgrenzungskriterium in den JuS 2017, 295. JuS 2017, 295. 75  Exemplarisch SK/Jäger, Vor §  1 Rn.  38; ähnlich Kindhäuser, Handlung, S.  207 ff. 76  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 236. 77  Man erinnert sich auch an die Diskussion um die negative Tat­ herrschaft bei Mittäterschaft. 78  Es sei darauf hingewiesen, dass der Tat­ herrschaftsgedanke Schünemanns nur eine mögliche Spielart der Tat­herrschaftstheorie ist und hier nicht ohne weiteres angenommen wird. Insbesondere müssen die Vertreter der Tat­herrschaftslehre wie Schünemann erklären, weshalb ein schlichtes Untätigbleiben auch den Erfolg tatsächlich beherrschen könnte. 73  Otto, 74  Otto,



B. Rekonstruktion des Meinungsstands41

Vordergrund gerückt.79 Die Eigenverantwortlichkeit des anderen wird auch bei positivem Tun häufig als ein Abgrenzungskriterium angesehen, insbesondere bei der Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung. Dort wird dieses Kriterium trotz möglicher Unterschiede als das (Selbst-) Verantwortungs- oder Autonomieprinzip bezeichnet, dessen Berechtigung und Wurzel im Schuldprinzip und in Art. 1 I, 2 I GG zu finden seien.80 Umstritten ist aber die Reichweite des Verantwortungsprinzips, das auf den ersten Blick nur zum Inhalt hat, dass jeder rechtlich autonom handelt und deshalb für sein Handeln selbst verantwortlich ist. Verbindet man diesen Inhalt mit der Strafrechtsdogmatik, dann läuft die Prämisse darauf hinaus, dass jede Person nur wegen ihres eigenen Unrechts und ihrer eigenen Schuld strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Ob das Prinzip darüber hinaus noch als allgemeines oder besonderes Kriterium zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme oder von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung fungieren kann, wird sehr kontrovers diskutiert.81 In der Tat geht es hier um die Kernfrage der Beteiligungslehre, ob der betreffende Beteiligte trotz der Vollverantwortlichkeit des anderen noch durch seine Handlung die Rechtsverletzung beherrscht82 bzw. inwieweit die Eigenverantwortlichkeit des anderen die Verletzungsmacht der betreffenden Beteiligten beeinflusst hat. Damit das konkrete Interaktionsverhältnis zwischen den Beteiligten und ihr jeweiliges Verhältnis zum Opfer sachgemäß bewertet wird, muss eine dynamische Beteiligungslehre83 deshalb mehrere mögliche normative Kriterien, z. B. Tat­ herrschaft, Eigenverantwortlichkeit, Pflichtstellung usw. in einem übergeordneten einheitlichen Begründungszusammenhang einbinden und dann die Gründe angeben, warum ein bestimmtes normatives Kriterium in dem konkreten Beteiligungsverhältnis im Vordergrund steht und das andere insoweit verdrängt wird oder gar nicht in Betracht kommt. Demnach ist vor der Anwendung dieser normativen Kriterien auf den Einzelfall zunächst zu fragen: Wie ist das Unrecht oder die Verletzungsmacht einer Person zu bestimmen? Was ist der Inhalt und Gegenstand der Tat­herrschaft und ihr Verhältnis zur allgemeinen Unrechtslehre? Ist die Tat­herrschaft faktisch oder normativ zu verstehen? Wo liegen Grund und Grenze der Eigenverantwortlichkeit? Kann oder muss die Eigenverantwortlichkeit in die Tat­herrschaft integriert werden? 79  Die Eigenverantwortlichkeit des anderen als das (allgemeine) Abgrenzungskriterium bei Garantenunterlassen neuerdings MK4/Joecks/Schenifeld, § 25 Rn. 286. 80  Ausführlich in dieser Richtung Renzikowski, Täterbegriff, S.  67 ff., 72 ff. 81  Siehe einerseits Hruschka, ZStW 110 (1998), 586, 587 f., 606 f.; Renzikowski, Täterbegriff, S. 74, 81 ff.; anderseits Greco, ZIS 2011, 10 ff. 82  Zu dieser richtigen Fragestellung Murmann, GA 1998, 86. 83  Insoweit zutreffend Puppe, AT, § 32 Rn. 21: „Die Tat­ herrschaft ist nämlich keine natürliche und unmittelbare Beziehung zwischen der Tathandlung und dem Erfolg, sondern ein gruppendynamisches Verhältnis unter mehreren Tatbeteiligten.“

42 Einleitung

Welche Rolle spielt die Pflichtstellung des jeweiligen Beteiligten bei der Abgrenzung des Verantwortungsbereichs? Werden diese entscheidenden Fragen nicht eindeutig geklärt, wäre die Anwendung dieser normativen Kriterien auf den Einzelfall ebenfalls angreifbar. In diesem Zusammenhang sind Ransiek und Otto eine Erklärung schuldig geblieben, warum eine selbständige Erfolgsverhinderungsmöglichkeit die durch die Eigenverantwortlichkeit begründete Verantwortungszuweisung verändern soll, wenn die Eigenverantwortlichkeit überhaupt ein taugliches Kriterium für die Beteiligungsformen sein soll. Diese Möglichkeit muss nämlich nach dem soeben Gesagten konfliktlos mit dem Verantwortlichkeitsprinzip in einen einheitlichen Begründungszusammenhang eingebettet werden. Das gelingt beiden Ansätzen indessen nicht. Bei Otto wird diese selbständige Erfolgsverhinderungsmöglichkeit von den Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht und bleibt zufällig. Ob der Garant nur vermittelt durch den Begehungstäter den Erfolg unterbinden kann, etwa indem er das Opfer rechtzeitig durch einen Anruf warnt, erweist sich als Zufall und soll die Pflichtstellung des Garanten zum Opfer und die Verantwortungszuweisung nicht beeinflussen.84 Demgegenüber ist die selbständige Erfolgsverhinderungsmöglichkeit bei Ransiek auf eine rechtlich anerkannte überlegene Pflichtstellung und daraus sich ergebende Rechtsbefugnisse beschränkt. Das bei Otto auftretende Defizit der Zufälligkeit wird somit vermieden. Zugleich sind freilich die Schwächen dieser Bestimmung zu benennen. Erstens könnte eingewandt werden, das Erfordernis einer überlegenen Pflichtstellung des Garanten und einer daraus sich ergebenden selbständigen Rechtsbefugnis sei zu eng. Nach Ransiek ist diese überlegene Pflichtstellung bei Aufsichtsgaranten, Leitern öffentlicher Veranstaltungen85 bzw. Vorgesetzten in privaten Unternehmen gegeben.86 Wer sich aber bei der Abgrenzung der Beteiligungsformen an der Pflichtstellung des Betroffenen orientiert und seine Garantenpflicht zur Erfolgsverhinderung annimmt, wird auch dann eine Täterschaft des Garanten bejahen, wenn der Garant gegenüber dem Begehungstäter keine rechtlich anerkannte überlegene Stellung und Rechtsbefugnisse hat. Denn wenn sich 84  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 16. Unglücklich ist das von Otto zur Erklärung dieser Möglichkeit gegebene Beispiel, dass der Garant eine solche Möglichkeit auch durch Anzeigedrohung gegenüber dem Begehungstäters erlange. Denn solange die Drohung nicht die Verantwortlichkeit des Begehungstäters ausschließt und der Begehungstäter rechtlich vollverantwortlich bleibt, kann der Garant gerade nur durch Überwindung des Verletzungswillens des Begehungstäters den Erfolg unterbinden. Eine selbständige, d. h. unabhängig vom Willen des Begehungstäters bestehende Erfolgsmöglichkeit erweist sich als eine Fiktion. 85  Insofern Ransiek, AG 2010, 147, 152. 86  Im Bereich der Unternehmenskriminalität bereits Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 52.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands43

die Reichweite dieser Garantenpflicht auf die Erfolgsverhinderung erstrecke, wie es bei den meisten Beschützergaranten der Fall ist, werde der Erfolg bei Pflichtverletzung dem Garanten zugerechnet.87 Das Erfordernis einer überlegenen Pflichtstellung und einer daraus resultierenden Rechtsbefugnis könnte nämlich zu viel Gewicht auf das Beteiligungsverhältnis zwischen Garant und Begehungstäter legen und das Rechtsverhältnis zwischn Garant und Opfer vernachlässigen. Die Vernachlässigung des Rechtsverhältnisses zwischen Garanten und Opfer könnte aber noch eine weitere Wirkung haben. Die Vertreter des Verantwortungsprinzips mögen einwenden, dass der Arbeitnehmer, auch wenn der Vorgesetzte ein arbeitsrechtlich anerkanntes Weisungsrecht ihm gegenüber habe, doch rechtlich eigenverantwortlich bleibe. Der Arbeitnehmer könne also nicht zugleich freier Täter und beherrschtes Werkzeug sein. Der Konflikt mit dem Selbstverantwortungsprinzip springt hier ähnlich deutlich ins Auge wie bei dem Streit um die Anerkennung der Rechtsfigur der Organisationsherrschaft. Der mögliche Einwand aus dem Verantwortungsprinzip könnte zwar dadurch entkräftet werden, dass man, statt sich auf die überlegene Pflichtstellung des Garanten gegenüber dem Begehungstäter zu konzentrieren, die Pflichtstellung des Garanten zum Opfer mitberücksichtigt. Dann wäre nur die Erfolgsverhinderungspflicht des Garanten, nicht aber seine rechtlich anerkannte überlegene Pflichtstellung oder Rechtsbefugnis entscheidend, auch wenn im Unternehmenskontext die überlegene Organisationsstellung in der Regel eine Erfolgsverhinderungspflicht impliziert.

IV. Pflichtstellungsorientierte Theorien Angesichts der Schwächen der Tat­herrschaftslehren in der Frage der Erfolgsverhinderungsschwierigkeit oder -möglichkeit versuchen die im Folgenden dargestellten Theorien, an dem (eigentümlichen) Unrecht des Garanten, also an seiner Garantenpflichtstellung orientierte Abgrenzungskriterien zu entwickeln, die aber in methodischer oder sachlicher Hinsicht stark voneinander abweichen. Deshalb scheint es angemessener, sich bei der Analyse dieser Theorien statt auf ihre Bezeichnung auf die hinter ihnen stehende methodische oder sachliche Prämisse zu konzentrieren. 1. Pflichtdeliktslehre a) Grundthese Den Ausgangspunkt der Pflichtdeliktstheorie bildet die These, dass Tun und Unterlassen eine unterschiedliche Daseins- oder Handlungsstruktur auf87  Einleuchtend

Murmann, FS-Beulke, S. 190.

44 Einleitung

weisen und eine Tatbestandslehre diesen sachlichen Unterschied reflektieren müsse. Das muss auch Konsequenzen für die Beteiligungslehre haben, wenn die Täterlehre zur Tatbestandslehre zählt.88 Dementsprechend habe das unechte Unterlassungsdelikt einen eigenständigen Tatbestand.89 Die bei positivem Tun entwickelte Tat­herrschaftslehre im Sinne der positiven Steuerung des Kausalgeschehens sei nicht auf das Unterlassen zu übertragen.90 Die Vertreter der Pflichtdeliktstheorie sehen sich deshalb gezwungen, ein anderes, dem Unrecht des pflichtwidrigen Unterlassens gerecht werdendes Abgrenzungskriterium zu entwickeln. Nach der Pflichtdeliktstheorie Roxins zählt das unechte Unterlassungsdelikt zu den Pflichtdelikten, deren Täterschaftskriterium „nicht die faktische Tat­herrschaft, sondern die Verletzung der tatbestandsbegründenden Erfolgsabwendungspflicht und die Erfüllung der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen sei“.91 Unterlasse es der Garant pflichtwidrig, den Erfolg zu verhindern, und seien die anderen notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen ebenfalls erfüllt, sei er grundsätzlich als Täter zu bestrafen, denn der Tatbestand des Unterlassens werde schon dadurch vollständig verwirklicht.92 Demzufolge beschränkt sich die Teilnahme auf seltene Ausnahmefälle, in denen der in Betracht kommende Tatbestand nicht durch Unterlassen verwirklicht werden kann, z. B. beim Eigenhändigkeitsdelikt,93 oder wenn die TuT, S. 764 Rn. 211. Kaufmann, Dogmatik, S. 255; Roxin, TuT, S. 514 f., der aber, anders als Armin Kaufmann, zugleich konstatiert, wenn das positive Tun schon als Pflichtdelikt strafbar sei (etwa bei § 266 StGB), sei die Unterscheidung der Tatbestände nicht sachgemäß. Zwar lasse sich auch hier ein Unterschied in der Seinshandlungsstruktur feststellen, der Tatbestand sei aber „ein normatives Gebilde“, bei dem nur die Pflichtverletzung, nicht aber die äußere Handlungsmodalität entscheidend sei. Neuerdings hat Roxin, FS-Schünemann, S. 524 f.; ders., TuT, S. 914 f. die Unterscheidung der Tatbestände zwischen Tun und Unterlassen noch weiter relativiert, indem er nunmehr behauptet, dass eine aus der bestimmten sozialen Rolle entspringende Sonderpflicht auch beim Jedermann-Delikt eine Täterschaft begründe. 90  Roxin, TuT, S.  515 f. 91  Roxin, AT II, § 31 Rn. 140. Zust. Bachmann/Eichinger, JA 2011, 107; Bloy, JA 1987, 492; Frister, AT, Kap. 26 Rn. 40; NK/Gaede, § 13 Rn. 26; Pariona Arana, ­Täterschaft, S.  212; Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 205; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 13; im Grunde auch Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 146, aber mit der Ausnahme, dass der vom Garanten zu verhindernde Unrechtserfolg nicht ein tatbestandsmäßiger Erfolg oder eine fremde Straftat, sondern nur die Förderung dieser Straftat ist (ebd., S. 143). Für eine „Quasi-Einheitstäterschaft“ mit stark abweichenden Begründungen von den oben genannten Literaturen Grünwald, GA 1959, 111 f.; Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 295, 302. Armin Kaufmann mit ergänzenden Überlegungen folgend neuerdings Kreuzberg, Täterschaft, S. 683. 92  Roxin, AT II, § 31 Rn. 140. 93  Roxin, TuT, S.  534 ff. 88  Roxin, 89  Armin



B. Rekonstruktion des Meinungsstands45

für die Tatbestandsverwirklichung notwendigen besonderen Unrechtselemente, z. B. die Absicht94 bzw. eine bestimmte Eigenschaft95 nicht vorliegen. Eine Beihilfe durch Unterlassen im Sinne des „Unterlassungstäters einer Beihilfe“ komme aber auch dann in Betracht, wenn der Garant es unterlasse, eine rechtswidrige Hilfeleistung des von ihm zu Überwachenden zum Scheitern zu bringen, denn das Unrecht des Garanten dürfe nicht über das des zu Überwachenden hinausgehen.96 In allen diesen Ausnahmefällen erfülle „täterschaftliche Beihilfe“ durch Unterlassen nur eine Auffangfunktion, damit der pflichtwidrige Garant nicht mangels einer Tatbestandsvoraussetzung von der Strafbarkeit befreit werde.97 b) Analyse Die Pflichtdeliktstheorie ist in den folgenden, miteinander zusammenhängenden Punkten kritisch zu betrachten: Erstens ergibt sich aus der Untauglichkeit der instrumentellen Tatherrschaftslehre keine Notwendigkeit zur Entwicklung einer neuen Täterkategorie des Pflichtdelikts: Man könnte wie die oben dargestellten Varianten der Tat­herrschaftslehre den Inhalt der Tat­herrschaft spezifisch für das Unterlassen modifizieren und den instrumentellen Tat­herrschaftsgedanken beim Tun weiter beibehalten. Dann folgt die Abgrenzung der Beteiligungsformen beim Unterlassen gleichwohl einem anderen Abgrenzungskriterium als dem bei positivem Tun. Einen anderen Weg beschreitet das monistische Tätersystem Schünemanns, wonach das oberste normative Leitprinzip von Täterschaft „Herrschaft über den Erfolg“ im weiten Sinne sei, die aber mittels der Typentheorie weiter konkretisiert und in zwei Kategorien Herrschaftsdelikt und Garantensonderdelikt unterteilt werden müsse.98 Diese zwei Alternativen der Pflichtdeliktstheorie nehmen bei positivem Tun aber wie das Herrschaftsdelikt bei Roxin noch die instrumentelle Tat­herrschaft in Anspruch, und beim Tätersystem Schünemanns lässt sich sogar eine Tendenz zur Erweiterung des Gedankens der faktischen Tat­herrschaft erkennen. Wenn man sich aber umgekehrt beim positiven Tun von einem naturalistischen Unrechtsverständnis verabschiedet und einen normativen Unrechtsbegriff wie den der Rechtsverhältnisverletzung entwickelt, der für Tun und Unterlassen gleichermaßen gilt, dann lässt sich ein monistisch-normatives Tätersystem begründen. Es TuT, S.  537 f. § 13 Rn. 26. 96  Roxin, AT II, § 31 Rn. 144. Siehe aber bereits Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 143. 97  Bloy, JA 1987, 494 auch m. w. N.; Roxin, AT II, § 31 Rn. 142. 98  LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 20, 52. 94  Roxin,

95  NK/Gaede,

46 Einleitung

würde sich erübrigen, ein besonderes Abgrenzungskriterium für das unechte Unterlassungsdelikt zu entwickeln, wie Roxin es tut.99 Welches der oben dargestellten Tätersysteme den Vorrang hat, sei den weiteren Untersuchungen in dieser Arbeit vorbehalten. Bereits hier kommt aber ans Licht, dass sich der Streit um die Beteiligung durch Unterlassen als ein Prüfstein der gesamten Beteiligungs- und Unrechtslehre erweist, der in dieser Arbeit nicht außer Acht gelassen werden kann, sondern grundsätzliche Bearbeitung erfordert. Zweitens wird die Pflichtverletzung als ein täterschaftsbegründendes Merkmal ebenfalls in Zweifel gezogen. Nach der Pflichtdeliktslehre erschöpft sich das pflichtwidrige Unterlassen in der Erfolgsverhinderungsmöglichkeit.100 Eine Abschichtung innerhalb dieser Möglichkeit müsste zum Scheitern verurteilt sein. In der Tat lassen sich bei den Lehren, die auf der Erfolgsverhinderungsschwierigkeit bzw. der eigenständigen Erfolgsverhinderung ba­ sieren, eine Reihe von Begründungsschwächen erkennen.101 Sie liefern aber durchaus einige wichtige normative Überlegungen, z. B. die Eigenverantwortlichkeit des anderen oder die überlegene Rechtsstellung des Garanten. Die Pflichtdeliktslehre stellt allerdings diese Überlegungen im Bereich des Pflichtdelikts in Abrede und kommt zu dem Ergebnis, dass der Garant unabhängig von der Art der Gefahrenquelle den Erfolg oder eine fremde Straftat verhindern müsse, auch wenn der aktiv Handelnde vollverantwortlich gehandelt hat. Ob die zu verhindernde Gefahr von einer Naturkraft oder einer eigenverantwortlichen Person ausgelöst wird, spiele für die Täterstellung des pflichtwidrigen Garanten keine Rolle.102 Entscheidend für diesen Streit ist aber gerade, ob und inwieweit innerhalb einer dynamischen Beteiligungslehre die Pflichtstellung oder die Verletzungsmacht der anderen auch auf die Pflichtstellung oder die Verletzungsmacht des Garanten Einfluss nimmt. Diese Einflussmöglichkeit ist nicht ausgeschlossen, wenn man sich bewusst macht, dass es hier um die unterschiedliche Wirkungsweise der Naturkraft einerseits und einer menschlichen Handlung (Kausalität aus Freiheit) andererseits geht.103 Eine (inter)personale Beteiligungslehre oder Unrechtslehre muss diesen Unterschied ernst nehmen und den Grund angeben, warum und inwieweit die vom Willen anderer getragene Verletzungsmacht die Pflichtstellung des Garanten beeinflussen könnte oder nicht. Abgesehen davon ist eine Abschichtung der Pflichtstellung nach anderen Kriterien, z. B. dem Pflichtinhalt oder dem Schutzzweck der Garantenpflicht, durchaus mög99  So

konsequent Murmann, Nebentäterschaft, S. 181 f.; ders., FS-Beulke, S. 188. JA 1987, 491. 101  Siehe oben S. 34 ff. 102  Roxin, AT II, § 31 Rn. 152. 103  Neuerdings Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 638 f. 100  Bloy,



B. Rekonstruktion des Meinungsstands47

lich.104 Die Aufgabe der Vertreter der Pflichtdeliktstheorie liegt nicht nur darin, die Schwäche der Abschichtungsbemühungen aufzuzeigen; sie müssen vielmehr auch positiv begründen, warum die zur Abschichtung angeführten Kriterien keine normative Relevanz aufweisen. Auch die von der Pflichtdeliktslehre anerkannten Ausnahmefälle, in denen der Garant die Hilfeleistung der zu überwachenden Person nicht verhindert, lassen erkennen, dass die Pflichtverletzung allein nicht das Täterunrecht begründet.105 Das sieht auch Roxin nicht anders. Denn wenn Täterschaft als Tatbestandsverwirklichung begriffen wird, müssen auch die anderen Unrechtsbegründungselemente zusammen mit der Garantenpflichtverletzung die Täterschaft begründen.106 Aber gerade in den Fällen, in denen der Tatbestand keine Eigenhändigkeit oder Unrechtsabsicht erfordert und der zu verhindernde Unrechtserfolg nur die Förderung einer fremden Straftat ist, ist der Beihilfetatbestand perfekt erfüllt, wenn der Garant sie pflichtwidrig nicht unterbindet. Roxin gesteht auch zu, dass sich die Reichweite der Garantenpflicht nur auf die Verhinderung der Hilfeleistung des zu Überwachenden, nicht aber auf die Verhinderung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs erstreckt. Hierbei müsste eine Unterscheidung nach dem Inhalt der Garantenpflicht auch für die Vertreter der Pflichtdeliktslehre naheliegend sein. Außerdem kann die Pflichtdeliktslehre in bestimmten Fällen zu Ungereimtheit führen. So könnte z. B. ein Begehungsgehilfe kraft Ingerenz zum Unterlassungstäter erstarken, wenn er nach der Hilfeleistung noch eine Erfolgsverhinderungsmöglichkeit hat. Die Vorschrift über die Beihilfe würde dann aber „auf­ gerollt“.107 Insoweit erweist sich die Kritik, dass die Pflichtdeliktslehre zuungunsten des Garanten pauschal die Möglichkeit der Beihilfe durch Unterlassen ausschließe,108 als berechtigt. Drittens legt die Pflichtdeliktslehre den Akzent auf die unmittelbare Pflichtstellung bzw. den unmittelbaren Zurechnungszusammenhang zwischen dem Garanten und dem Rechtsgut und blendet die Pflichtstellung des Begehungstäters zum Opfer aus. Dies führe dazu, dass der Garant nicht über, sondern nur neben dem Begehungstäter das Rechtsgut oder Opfer verletzen könne. Der Erfolg werde unmittelbar, nicht vermittelt über den Begehungs­ täter dem Garanten zugerechnet. Diese unmittelbare Erfolgsverhinderungspflicht und Erfolgszurechnung lasse somit keinen Raum für Teilnahme­unrecht 104  Siehe

unten S. 48 ff., sowie eigene Begründungen S. 244 ff., 383 ff. JuS 2010, 680. Kritisch auch Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 47, 51 ff. 106  Wohl auch Roxin, AT II, § 31 Rn. 140, 143, wenn er in diesen Fällen von einem Fehlen der Tatbestandsvoraussetzung spricht. 107  Jakobs, AT, § 29 Rn. 105. 108  Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 38 Rn. 69; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 92; Schwab, Täterschaft, S. 176. 105  Ransiek,

48 Einleitung

durch einen akzessorischen Rechtsgutsangriff.109 Demnach sei im Falle der Beihilfe durch Unterlassen der betreffende Garant der Sache nach „Unterlassungstäter einer Beihilfe“.110 Eine solche Bezeichnung ist irreführend, denn wenn das Unterlassen des Garanten das Teilnahmeunrecht verwirklicht, kann er sich nur als „echter“ Teilnehmer strafbar gemacht haben. Die Legitimation der Strafbarkeit der Beihilfe durch Unterlassen lässt sich also nicht dadurch begründen, dass sie einfach kriminalpolitisch eine Auffangfunktion erfülle. Vielmehr muss auch das Unrecht der Beihilfe durch Unterlassen dogmatisch mit der allgemeinen Zurechnungsstruktur der Teilnahme reibungslos vereinbar sein, womit die Pflichtdeliktstheorie aber schwer zurechtkommt. 2. Pflichtinhaltstheorien und nahestehende Abgrenzungskriterien Straftheoretisch stellen die Pflichtinhaltstheorien ebenfalls auf die Pflichtverletzung der Unterlassung ab, sie unterscheiden sich von der Pflichtdeliktslehre aber insofern, als sie eine Abschichtung der Pflicht nach der Art oder dem Inhalt der Garantenpflicht für notwendig halten. Vielfach wird die Unterteilung in Beschützergarant und Überwachungsgarant bei der Funktionstheorie zur Bestimmung der Beteiligungsformen herangezogen. Als Beschützergarant müsse der Garant das Rechtsgut des Opfers vor allen Gefahren „rundum“ schützen. Wenn er dieser Pflicht nicht nachkomme, handele er in Täterschaft, es sei denn, dass andere für die Tatbestandsverwirklichung notwendige Elemente nicht vorlägen. Demgegenüber werde der Überwachungsgarant normalerweise nur als Gehilfe qualifiziert, weil er sich lediglich dafür zu verantworten habe, dass er die in seine Zuständigkeit fallenden „bestimmten“ Gefahren für das Rechtsgut potenzieller Opfer nicht abwende. Werde diese Gefahr wegen Pflichtwidrigkeit des Garanten von verantwortlichen Dritten bewusst zur Tatbegehung ausnutzt, entspreche sein Unrecht normativ nur dem der positiven Beihilfe.111 Diese Unterscheidung wird jedoch vielfach 109  Bloy,

JA 1987, 493; Roxin, AT II, § 31 Rn. 141. AT II, § 31 Rn. 144; Bloy, JA 1987, 497; Bachmann/Eichinger, JA 2011,

110  Roxin,

510.

111  Schönke/Schröder, StGB17, Vor § 47 Rn. 106a f. (weiter vertreten von Schönke/ Schröder/Heine, StGB28, Vor § 25 Rn. 103 f.); Herzberg, Unterlassung, S. 259  f.; ders., TuT, S. 83, 96 f.; Gropp/Sinn, AT, § 11 Rn. 43 f., der ggf. auch den Täterwillen berücksichtigt; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 38 Rn. 73  ff., der beim Überwachungsgaranten kraft Risikoherrschaft danach unterscheidet, „ob der Anteil am Geschehen, den der Garant nicht zurücknimmt, im Falle seiner aktiven Bewirkung als täterschaftlicher Beitrag oder nur als Unterstützung anzusehen wäre“; Krey/Esser, AT, Rn.  1182 ff., 1184; Renzikowski, Täterbegriff, S. 149; Schünemann, Grund und Grenzen, S.  377 f.; Timpe, Strafmilderungen, S. 204 f. Nahestehend LK13/Schünemann/ Greco, § 25 Rn. 235, sie nach der sog. materiellen Garantentheorie zwischen Vorbereitungs- und Ausführungsstadium unterscheiden wollen; Hoffmann-Holland, ZStW



B. Rekonstruktion des Meinungsstands49

mit der Begründung bezweifelt, dass eine klare Unterscheidung zwischen Beschützer- und Überwachungsgarant wegen ihrer Austauschbarkeit weder sprachlich möglich noch normativ berechtigt sei.112 Das sei daran zu erkennen, dass die Überwachungsgarantenpflicht letztlich auch zum Schutz potenzieller Opfer diene.113 Allerdings kann dieser Einwand diejenigen Pflichtinhaltstheorien nicht betreffen, die nur im Ergebnis, aber nicht in der Konstruktion dieser Pflichtabgrenzung folgen. Für die Analyse solcher „materiellen“ Pflicht­ inhaltstheorien sind vielmehr die dahinterstehenden sachlichen Prämissen ausschlaggebend. Es wird angeführt, dass die nähere Pflichtstellung des Beschützergaranten zum Rechtsgut die unmittelbare Zurechnungsbeziehung zwischen dem Beschützergaranten und dem Rechtsgut legitimiere und der Erfolg dem Beschützergaranten auch unabhängig von der Vollverantwortlichkeit des Begehungstäters zuzurechnen sei.114 Insoweit stimmt die Pflicht­ inhaltstheorie mit der Pflichtdeliktslehre überein. Anders verhalte es sich beim Überwachungsgaranten. Das Fehlen einer näheren Schutzbeziehung zwischen dem Überwachungsgaranten und dem Erfolg ermögliche eine mittelbare Erfolgszurechnung und daher eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Eine Teilnahme sei hier wegen eines axiologischen Vergleichs mit dem positiven Tun oder wegen des Eingreifens des Verantwortungsprinzips sogar grundsätzlich anzunehmen. Verhindert der Überwachungsgarant vorsätzlich das Zugreifen des von ihm zu überwachenden gefährlichen Mittels nicht, das später von dem Begehungstäters zur Tötung des Opfers benutzt wird, könne er normativ nur wegen Beihilfe durch Unterlassen bestraft werden, denn auch wenn der Überwachungsgarant bei voller Erkenntnis des Tatplans dem Begehungstäter das Mittel vorsätzlich leihe, liege nur eine Beihilfe zur Tötung vor.115 Dieser axiologische Vergleich wird durch die folgende normentheoretische Begründung bekräftigt: Eine Erfolgsverhinderungspflicht des Überwachungsgaranten anzuerkennen würde nichts anders als die Begründung eines Gebots bedeuten, das Rechtsgut umfassend zu schützen, was auch ein Verbot beinhalten würde, das Rechtsgut zu verletzen. 118 (2006), 636 f. der zwischen situationsabhängiger und -unabhängiger Garantenpflicht unterscheidet. 112  Jakobs, AT, § 29 Rn. 105; Mosenheuer, Unterlassen, S. 179; Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Noltenius, HdBStrR, § 51 Rn. 95; Roxin, TuT, S. 903 Fn. 534; Schwab, Täterschaft, S. 107. 113  Frister, AT, Kap. 26 Rn. 40. 114  Herzberg, Unterlassung, S. 261; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 38 Rn. 72; Krey/Esser, AT, Rn. 1182. 115  Herzberg, Unterlassung, S. 260; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 38 Rn. 73; Renzikowski, Täterbegriff, S. 140 ff., 143 ff.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 150 ff., 152.

50 Einleitung

Nach dem sog. restriktiven Tatbegriff116 verletze aber nur der vollverantwortliche Begehungstäter mit seiner Tötungshandlung das Rechtsgut und das Rechtsgutsverletzungsverbot; das Versorgen mit einem Tatmittel bzw. das Zulassen des Zugriffs auf ein Tatmittel verletze das Rechtsgut gerade nicht, sondern schaffe die Bedingungen für die Rechtsgutsverletzung und verletze nur das Rechtsgutsgefährdungsverbot.117 Würde beim Versorgen bzw. Zugreifenlassen eine Rechtsgutsverletzung bzw. Verletzung einer Erfolgsverhinderungspflicht angenommen, müsste dem extensiven Tatbegriff, der auf einen äquivalenten Kausalgedanken abstellt, gefolgt werden.118 Ob ein restriktiver Tatbegriff vertretbar ist, bedarf noch einer eingehenden Untersuchung. Im Übrigen bleibt zu erklären, wie sich die beiden Verhaltensnormen von Täterschaft und Teilnahme zueinander verhalten, genauer: ob die Verhaltensnorm der Teilnahme wegen des Eingreifens des Verantwortungsprinzips nur das Gefährdungsverbot zum Gegenstand hat und die beiden Verhaltensnormen daher rechtlich unabhängig voneinander bestehen. Abgesehen davon stellt eine solche normentheoretische Analyse ein Mittel zur Verfügung, mit dessen Hilfe sich der Unrechtsunterschied von Täterschaft und Teilnahme in präziserer Weise in den unterschiedlichen Zurechnungsstrukturen manifestiert. Ausschlaggebend ist bei der Abgrenzung der Beteiligungsformen nicht die vage Feststellung, ob der in Betracht kommende Beteiligte die Zentralgestalt ist, aber auch nicht nur die einfache Anwendung irgendeines Tat­herrschaftskriteriums, sondern es ist mit vernünftigen Begründungen, die normative Relevanz aufweisen und einer rational-kritischen Überprüfung zugänglich sind, zu ermitteln, welche der konkretisierten Verhaltensnormen und die daraus resultierende Pflicht der Beteiligte verletzt hat und ob und ggf. inwieweit dem Beteiligten der Erfolg als Zurechnungsgegenstand angelastet werden kann. Die anderen Autoren gehen zwar davon aus, dass die Unterscheidung zwischen Beteiligungsformen nach der Beschützer- oder Überwachungsgaran116  Zum sog. „restriktiven Tatbegriff“ Haas, Theorie, S. 79, wonach die „Tat in ihrer rein objektiven Dimension immer eine Störung der durch den Straftatbestand geschützten Rechtsposition [impliziert]“. Sofern die eigenen Handlungen von mittelbarer Täterschaft (ggf. auch von Mittäterschaft) oder von Teilnahme rein objektiv betrachtet nicht die fremde Rechtsposition stören oder den Tatbestand erfüllen, bedürfte es bei diesen Beteiligungsformen einer zusätzlichen Unrechtsbegründung; Matt/Renzikowski/Haas, Vor §§ 25 ff. Rn. 14 ff.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 68 ff., 71: „Tat ist demnach nur das unmittelbare rechtsgutsverletzende Geschehen.“ 117  Zur notwendigen Unterscheidung der Verhaltensnormen von Täterschaft und Teilnahme und der Teilnahme als Verletzung eines Gefährdungsverbots grundlegend Renzikowski, Täterbegriff, S. 127 ff.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 20. Ihm folgend Marinitsch, Normentheorie, S. 165. 118  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 151.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands51

tenstellung an der schwierigen Abgrenzung beider Arten der Garantenstellung scheitern müsste.119 Bei der Suche nach den normativen Abgrenzungskriterien gehen sie indessen in ähnliche Richtung: Bestimmte Rechtsverhältnisse und eine daraus entspringende Pflichtstellung würden bei der Pflichtverletzung die Täterschaft des Garanten begründen; demgegenüber würden andere Arten der Pflichtverletzung nur zu einer Teilnahmehaftung des Garanten führen. Die Überzeugungskraft dieser näher zu untersuchenden These steht und fällt deshalb damit, ob sie die grundsätzlich unterschiedliche Zurechnungsstruktur zwischen Täterschaft und Teilnahme in überzeugender Weise herausarbeiten und erfolgreich beweisen kann, dass die Verletzung unterschiedlicher Pflichtstellungen mit der jeweils unterschiedlichen Zurechnungsstruktur von Täterschaft und Teilnahme korrespondiert. Des Weiteren stehen diese Spielarten der Pflichtinhaltstheorie vor der Aufgabe, einen vernünftigen Grund anzugeben, warum sich in einem bestimmten Rechtsverhältnis zwischen dem Garanten und dem Opfer grundsätzlich eine Pflicht begründen lässt, dies für eine andere Art des Rechtsverhältnisses aber nicht mehr gilt. Bei Jakobs z. B. muss sich ein Grund erkennen lassen, warum das Abgrenzungskriterium des Quantums der Pflichtverletzung, das bei der negativen Pflicht kraft Organisationszuständigkeit gilt, für die positive Pflicht kraft Institutionszuständigkeit nicht mehr gelten soll.120 Der von Jakobs gelieferten Antwort liegt der Gedanke zugrunde, dass sich das Zurechnungsprinzip oder der Haftungsgrund bei der negativen Pflicht, das „Synallagma“ zwischen Handlungsfreiheit und Erfolgsverantwortung, von dem bei positiver Pflicht unterscheide, bei der die Garantie des Funktionierens der für die Gesellschaft unerlässlichen Institutionen hervorgehoben und eine unmittelbare Zurechnungsstruktur zwischen dem Garanten und dem Schützling angenommen wird.121 Ob dieser Gedanke berechtigt ist, kann jedoch nur durch die Untersuchung der Struktur und Reichweite der einzelnen Garantenpflichten festgestellt werden. Gerade an diesem entscheidenden Punkt knüpfen die starken normativen, die Reichweite oder den Schutzzweck der Garantenpflicht ernsthaft berücksichtigenden Abgrenzungskriterien von Freund122 und Murmann123 an. Soll AT, § 29 Rn. 105; Vogel, Norm, S. 282. zur Beteiligungslehre von Jakobs siehe unten S. 317 ff., 422 ff. 121  Jakobs, AT, 29/105 ff.; ders., Theorie, S. 53  f., 61 f.; zust. Lesch, Beihilfe, S.  307 f.; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 148, 152 Fn. 22; Vogel, Norm, S. 282. 122  MK4/Freund, § 13 Rn. 270  ff. Weitere Konkretisierung des Kriteriums der Reichweite der Sonderverantwortlichkeit mithilfe der Lehre von der objektiven Zurechnung Rauber, Mord, S. 346 ff. Im Ergebnis nahestehend Haas, ZIS 2011, 396: „wofür der Garant verantwortlich ist und was ihm daher aufgrund der Verletzung des 119  Jakobs,

120  Ausführlich

52 Einleitung

aber die Reichweite oder der Schutzzweck der Garantenpflicht sich nicht dem Einwand aussetzen, ein mit beliebigem Inhalt erfüllbares oder tautologisches Kriterium zu sein, müssen weitere Subkriterien zur Bestimmung der Reichweite bzw. des Schuttzwecks hinzugefügt werden. Genauere Kriterien lassen sich in den Ausführungen Murmanns finden: Ziele der Schutzzweck der Garantenpflicht gerade auf die Verhinderung des tatbestandsmäßigen Erfolgs, komme eine Täterschaft bei der Pflichtverletzung in Betracht; bezwecke die Garantenpflicht dagegen nur die Risikoverringerung der Haupttat, werde die Pflichtverletzung eine Teilnahme begründen.124 Diese Ansicht bestätigt wiederum die Vorgehensweise der materiellen Pflichtinhaltstheorie, zunächst den Unterschied in den Zurechnungsstrukturen zwischen Täterschaft und Teilnahme – einerseits unmittelbar auf den tatbestandsmäßigen Erfolg bezogen, andererseits nur auf die Haupttat und mittelbar auf den tatbestandsmäßigen Erfolg bezogen – herauszuarbeiten und dann festzustellen, ob das Unrecht der Garantenpflichtverletzung dem Unrecht der Täterschaft oder dem der Teilnahme entspricht. Aus dieser Analyse ergibt sich, dass mit der einfachen Behauptung, eine Abschichtung der Garantenpflicht sei wegen der unmittelbaren Zurechnungsstruktur zwischen dem Garanten und dem Opfer nicht möglich, die Pflichtinhaltstheorie nicht widerlegt werden kann. Vielmehr gilt es, die hinter dieser Theorie stehenden sachlichen Prämissen der Normentheorie oder Zurechnungsstruktur ernsthaft zu berücksichtigen und ihre Grundvoraussetzung sowie ihre Anwendungskonsequenzen in kritischer Weise zu analysieren.

V. Andere unselbständige Kombinationstheorien Nachfolgend ist noch auf die anderen Abgrenzungskriterien einzugehen, die hier als „unselbständige Kombinationstheorien“ bezeichnet werden, da sie entweder die verschiedenen schon entwickelten normativen Kriterien einfach kombinieren, ohne diese Kriterien in einen kohärenten Zusammenhang zu stellen, oder behaupten, ein neues Kriterium entwickelt zu haben; näher besehen handelt es sich aber nur um eine komplexere Version der normativen Überlegungen, die soeben bereits dargestellt und analysiert wurden.

Erfolgsabwendungsgebots zugerechnet werden kann“; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 130. 123  Murmann, FS-Beulke, S. 189. 124  Murmann, FS-Beulke, S. 189, 191.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands53

1. Entsprechensklausel als Abgrenzungskriterium? Letzteres lässt sich an dem von Schwab vorgestellten Lösungsweg über die Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 StGB verdeutlichen: Ganz von dem herkömmlichen Vorwurf gegen diese Lösung abgesehen, die Entsprechungsklausel könne, insbesondere bei den verhaltensgebundenen Delikten, nur zur Grenzziehung strafbaren Unterlassens, nicht aber zur weiteren Abgrenzung der Beteiligungsformen beitragen,125 lässt sich schon hier feststellen, dass die Entsprechungsklausel an sich kein taugliches Abgrenzungskriterium sein kann, denn zur Beantwortung der berechtigten Kernfrage, ob das Unrecht des Unterlassens dem der Täterschaft oder Teilnahme entspricht, werden von Schwab noch weitere normative Überlegungen zur Bestimmung der Entsprechung des Unrechts herangezogen, die bereits in den oben dargestellten Abgrenzungskriterien zur Sprache gekommen sind. Die Gewährung des Zugriffs auf ein zu überwachendes Gift soll z. B. nach Schwab dem Unrecht desjenigen Gehilfen entsprechen, der dieses Gift positiv dem Täter zur Verfügung stellt.126 Warum das Unrecht aber in diesem Fall nur dem Bei­ hilfeunrecht entsprechen soll, wird bei Schwab nicht einleuchtend dargestellt. Er könnte sich auf die normativen Überlegungen der Pflichtinhaltstheorie zur Überwachungsgarantenstellung berufen, tut dies aber nicht und weist nur einfach auf die unklare Entsprechensklausel hin. Auf diese Weise werden aber die von Schwab tatsächlich vertretenen normativen Überlegungen durch die Entsprechensklausel verdunkelt.127 Wenn Schwab konstatiert, dass beim Zusammentreffen mit einem aktiven Begehungstäter das Verhalten des unterlassenden Garanten in der Regel nur als Beihilfe anzusehen sei, zieht er neben der leeren Entsprechensklausel eben eine materielle Überlegung heran, nämlich dass der Garant „den Erfolg nicht unabhängig vom Begehenden“ herbeiführe, weil die Garantenpflicht nur dann entstehe, wenn der Begehungstäter tatsächlich das Rechtsgut anTuT, S. 904 Rn. 535. Täterschaft, S. 218. 127  Kritisch zur Vagheit der Entsprechensklausel als Abgrenzungskriterium auch Roxin, TuT, S. 904 Rn. 536. Mehr als unklar und zweifelhaft scheint aber auch die Bestimmung des Beurteilungsgegenstands der Entsprechensklausel. Wenn etwa eine Ehefrau einen Angriff gegen ihren Mann nicht durch eine Warnung verhindert, soll das Unterlassen dieser Warnung nach Schwab nur dem Beihilfeunrecht entsprechen, denn das Unterlassen einer Warnung entspreche einer positiven Blicklenkung, die in der Regel nur eine Beihilfe begründe (Schwab, Täterschaft, S. 219). Warum in diesem Fall nur das Unterlassen der Warnung, nicht aber andere mögliche Rettungshandlungen der Ehefrau als Beurteilungsgrundlage des Entsprechens herangezogen werden sollen und warum das Unterlassen der Warnung axiologisch nur der Blicklenkung entsprechen soll, ist nicht einzusehen, soweit die zugehörigen axiologischen Überlegungen nicht ausdrücklich angegeben sind. 125  Roxin,

126  Schwab,

54 Einleitung

greife.128 Wiederum weist diese Überlegung eine Ähnlichkeit mit der sog. strengen Gehilfentheorie auf. Das Abgrenzungskriterium der Entsprechensklausel bei Schwab umfasst nämlich viele unterschiedliche normative Überlegungen, die sich in anderen Theorien ebenfalls finden lassen. Aber solange diese bei der Entsprechensbeurteilung herangezogenen Überlegungen nicht in einen systematischen Begründungszusammenhang eingebettet werden, erlangt das Abgrenzungskriterium der Entsprechensklausel auch keinen selbständigen Wert. 2. Die „normative Kombinationstheorie“ der neueren Rechtsprechung Nicht anders verhält es sich bei der ersten Gruppe der unselbständigen Kombinationstheorien, die verschiedene normative Überlegungen, die einander auf den ersten Blick sogar entgegenstehen, einfach kombinieren: Die neuere Rechtsprechung ist methodisch dieser Linie gefolgt, indem sie die maßgeblichen Abgrenzungskriterien bei der Beteiligung durch Unterlassen in der „innere[n] Haltung des Unterlassenden zur Tat bzw. dessen Tat­ herrschaft“ erblickt, die in einer wertenden Betrachtung der gesamten Einzelfallumstände festzustellen sei.129 Der BGH hat zwar zwei alternative Kriterien herangezogen, nämlich dass für die Täterschaft des Garanten entweder die innere Haltung zur Tat oder seine Tat­herrschaft ausreicht, hat aber den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die Konkretisierung des Kriteriums der inneren Haltung gelegt.130 Wenn „die innere Haltung – insbesondere wegen des Interesses am Taterfolg – als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen“ sei, liege eine Täterschaft nahe. Wenn sich aber der Garant wegen des „bestimmenden Einflusses“ des Begehungstäters dessen Willen unterordnet und „das Geschehen ohne innere Beteiligung lediglich ablaufen“ lässt, sei eine Teilnahme anzunehmen.131 Der BGH hebt hervor, dass die Willensrichtung des Garanten keine bloße Tatsache sei; vielmehr sei deren konkreter Inhalt im Rahmen einer normativen Bewertung festzustellen.132 Damit verlässt der BGH die extreme subjektive Theorie und zieht zur Abgrenzung stärker normative KriTäterschaft, S. 220. NJW 1966, 1763; BGH NStZ 2009, 321, 322; 2012, 379, 380. Neuerdings auch BGH 3 StR 130/18 – Beschluss vom 15. Mai 2018. 130  Das Tat­ herrschaftskriterium wird in der neusten Entscheidung BGH NStZ 2019, 341, 342 sogar nicht mehr genannt. 131  BGH JR 1993 159, 160; BGH NStZ 2009, 321, 322; 2012, 379, 380; 2019, 341, 342; BGH 3 StR 130/18 – Beschluss vom 15. Mai 2018. 132  BGH NJW 1966, 1763. Vgl. auch Sering, Beihilfe, S. 11. 128  Schwab, 129  BGH



B. Rekonstruktion des Meinungsstands55

terien heran. Danach begründet der Wille nach wie vor den Zurechnungsgegenstand, die schlüssigen Zurechnungskriterien sind allerdings nicht mehr die psychischen Tatsachen des Beteiligten, sondern objektiv-normative Elemente. Der Verzicht auf die psychischen Tatsachen des Garanten als Kriterium zur Feststellung der Willensrichtung verdient zwar Beifall,133 denn sonst würde der einzelne Garant die Definitionsmacht über die Abgrenzung von Beteiligungsformen innehaben.134 Es erscheint aber zweifelhaft, ob das Interesse am Taterfolg bzw. die Willensunterwerfung den normativen Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Garanten und seiner Tat zutreffend erklären kann. Der Tat­herrschaftsgedanke, der den Zurechnungszusammenhang zwischen Handlung und Tat in den Mittelpunkt stellt, bleibt eine Alternative dazu. Ganz unabhängig davon kann das Interesse am Taterfolg kein taug­ liches Abgrenzungskriterium sein, weil der Teilnehmer im Grunde ebenfalls ein eigenes Interesse am Taterfolg hat.135 Eine Abschichtung nach der Intensität oder dem Umfang des Interesses scheitert darüber hinaus an den empirisch schwer zu ermittelnden Grenzen. Entscheidender für die Feststellung der inneren Haltung bzw. Willensrichtung ist deshalb das zweite Subkriterium, nämlich die Willensunterwerfung; dessen Tragfähigkeit wird aber wegen ihres mit dem Tat­ herrschaftsgedanken vergleichbaren Inhalts erst im Zusammenhang mit dem Tat­herrschaftskriterium geprüft. Im Vergleich dazu ist das Kriterium der Tat­herrschaft, nämlich dass der Garant „– neben dem aktiv Handelnden – Herr des Geschehens war“,136 in den Ausführungen des BGH über die Abgrenzung der Beteiligungsformen durch Unterlassen eher knapp ausgeführt.137 Ein bildhafter Tatherrschaftsbegriff, wie ihn die Formulierung „Herr des Geschehens“ darstellt, ist aber in133  Aber nur wenn dieser Verzicht in den Entscheidungen auch tatsächlich durchgeführt wird. Das ist aber nicht der Fall, wenn in der Entscheidung BGH NJW 1966, 1763 zunächst abstrakt mehrere Abgrenzungskriterien wie die Tat­herrschaft, die Willensrichtung, der Umfang der Tatbestandsverwirklichung, das Tatinteresse genannt werden, am Ende die Bestimmung der Beteiligungsform jedoch nur auf die psychische Tatsache der „Belustigung“ einer Gastwirtin als Ausdruck einer Identifizierung mit den Begehungstätern abstellt. Kritisch zu dieser Entscheidung Roxin, TuT, S. 643; Sering, Beihilfe, S. 11. 134  Die intersubjektive Dimension der Rechtsordnung bliebe dann ebenfalls unberücksichtigt. 135  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 46. 136  BGH NStZ 2009, 321, 322. 137  Vergleicht man die oben zitierten Entscheidungen, wird deutlich, dass das Kriterium der Tat­herrschaft bzw. des Willens zur Tat­herrschaft zwar vom BGH oft in den Ausführungen über die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe durch positives Tun herangezogen wird, in den Ausführungen über die Beteiligung durch Unterlassen der Tat­herrschaftsgedanke aber, abgesehen von den Entscheidungen über die Garantenpflicht zur Verhinderung der Selbsttötung (dazu Haas, ZIS 2011, 392 m. w. N.), nur selten auftritt.

56 Einleitung

haltsleer und mit irgendeinem beliebigen Inhalt erfüllbar. Dieser Einwand wiegt im Unterlassungsbereich noch schwerer, denn gerade in diesem Bereich wird der Tat­herrschaftsgedanke im Sinne der Geschehensbeherrschung oder -verhinderung mit unterschiedlichen Inhalten kontrovers diskutiert.138 Damit eine rationale Überprüfung erfolgen kann und die Bedenken hinsichtlich der Verletzung des Bestimmungsgebots des Art. 103 II behoben werden können, müsste der BGH bemüht sein, den Inhalt des vom ihm vertretenen Tat­herrschaftsbegriffs genauer darzustellen: Zunächst könnte der BGH die bei positivem Tun näher zu beschreibenden Tat­herrschaftselemente im Unterlassungsbereich heranziehen. Auch bei positivem Tun hat der BGH, insbesondere bei der Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe, eine normative Bewertung der gesamten festgestellten Tatumstände angenommen, wobei der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tat­herrschaft oder wenigstens der Wille dazu maßgebliche Abgrenzungskriterien sind.139 In neueren Entscheidungen scheint die Rolle der Tat­herrschaft im Sinne des Tatbeitrags insofern sogar Vorrang vor dem Kriterium des Tatinteresses zu haben, als der BGH den Schwerpunkt seiner Ausführungen darin setzt, ob „die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betroffenen abhängen“.140 Eine Mittäterschaft setze „unter dem Blickwinkel der Tatherrschaft“ voraus, dass „der Täter durch seinen Beitrag Einfluss auf die Tatausführung nehmen kann“. Ob dies der Fall ist, ist „nach dem Verhältnis seines Beitrags zu der eigentlichen tatbestandsverwirklichenden Ausführungshandlung“ zu bestimmen.141 Auch wenn der BGH nun ausführt, dass es sich „bei der insoweit angesprochenen Tat­herrschaft lediglich um eines der Kriterien [handelt], welche bei der wertenden Gesamtbetrachtung in den Blick zu nehmen sind“ und „[m]it der zitierten Rspr. demnach lediglich die Voraussetzungen der Mittäterschaft für den Fall formuliert werden [sollten], dass dem Kriterium der Tat­ herrschaft im Rahmen der Gesamtwürdigung maßgebliche Bedeutung zukommen sollte“,142 lässt sich feststellen, dass der Tatbeitrag zum Tatgeschehen oder zur Tatbestandsverwirklichung ein wichtiges Subkriterium zur Bestimmung der Tat­herrschaft sei. Dieses Subkriterium des entscheidenden Tatbeitrags tritt jedoch in den Ausführungen über die Tat­herrschaft des Garanten in den neueren ausgewählten Entscheidungen nicht in Erscheinung.143 Dennoch 138  Siehe

oben S. 34 ff. BGH 37, 289, 291. 140  BGH NStZ 2017, 296, 297; NStZ-RR 2018, 40; 271, 272. 141  BGH NStZ-RR 2018, 271, 272. Vgl. auch die eingehende Darstellung dieser Tendenz mit umfassenden Nachweisen bei Roxin, TuT, S. 628 Rn. 26 ff. 142  BGH NStZ 2020, 22 (Hervorhebung von mir). 143  Vgl. BGH NStZ 2009, 321, 322; 2012, 379, 380. Neuerdings auch BGH 3 StR 130/18 – Beschluss vom 15. Mai 2018. In den frühen Entscheidungen wie BGH NJW 139  Grundlegend



B. Rekonstruktion des Meinungsstands57

sollte nicht der falsche Eindruck entstehen, dass der BGH auf das Subkriterium des entscheidenden Einflusses verzichtet hätte, denn dieses Subkriterium wird als entscheidendes Beurteilungskriterium in den Zusammenhang der Willensunterwerfung gestellt. Das hat seinen methodischen Grund. Nachdem der BGH von der früher vertretenen extrem subjektiven Lehre Abstand genommen hat und nun die normative Bewertung der Einzelfallumstände hervorhebt, werden alle Faktoren, die auf die Rechtsfolge Einfluss nehmen können,144 bei der Abgrenzung in Betracht gezogen, ohne dass diese Faktoren präzise der subjektiven oder der objektiven Kategorie zugeordnet werden. Ein entscheidender Faktor könnte daher wegen der Schwierigkeit der Begründung oder der Beweisbarkeit im Einzelfall zufällig als subjektiver oder objektiver angesehen werden.145 Entscheidend für die wissenschaftliche Analyse der Rechtsprechung ist deshalb nicht, welche vom BGH berücksichtigten sachlichen Faktoren nach den Ausführungen des BGH eher als objektive oder als subjektive Abgrenzungskriterien qualifiziert werden können, sondern entscheidend ist, sie herauszufinden und ihre normative Relevanz und ihren systematischen Ort innerhalb der Abgrenzung zu überprüfen. In diesem Zusammenhang erklärt sich auch, warum das vom BGH zur Konkretisierung der Willensrichtung herangezogene andere Subkriterium „Willensunterwerfung“ des Garanten als ein normativ-objektives Kriterium verstanden werden muss, auch wenn sich das Kriterium auf den ersten Blick der subjektiven Theorie annähert. Denn dass der Garant sich dem Willen des aktiv Handelnden unterordnet, kann nicht als ein psychisches Faktum bzw. Gefühl angesehen werden; sonst würde der Garant die Definitionsmacht über die Abgrenzung der Beteiligungsformen innehaben. Der BGH hat gerade die normative Bewertung der Einzelfallumstände hervorgehoben, auch wenn diese normative Bewertung unter dem eher unglücklichen Titel einer Bestimmung der „inneren Haltung“ des Garanten durchgeführt wird.146 Fraglich ist aber, ob der BGH dem Kriterium der Willensunterwerfung einen praktizierbaren Inhalt verleiht. Auf Basis der Ausführungen, dass eine Teilnahme dann anzunehmen sei, wenn der aktiv Handelnde aufgrund des „bestimmenden Einflusses“ das Tatgeschehen beherrsche und der Garant es einfach ablaufen lasse, z. B. der Art und Weise des Tatgeschehens gleichgültig gegenüberstehe,147 müsste sich die Abgrenzung jedenfalls als sehr schwierig erweisen. Denn in 1966, 1763 lässt sich ebenfalls nur eine sehr abstrakte Erwähnung der Tat­herrschaft oder des Umfangs der Tatbestandsverwirklichung finden, ohne dass aber ein konkreter Inhalt z. B. des entscheidenden Tatbeitrags angeboten wird. 144  Kritisch zu dieser an der Rechtsfolge orientierten normativen Kombinationstheorie Sering, Beihilfe, S. 18. 145  Sering, Beihilfe, S. 20. 146  Ebenso Bosch, JA 2009, 655, 657. 147  BGH 3 StR 130/18 – Beschluss vom 15. Mai 2018 Rn. 19.

58 Einleitung

allen Fällen, in denen eine Abgrenzungsproblematik bei der Beteiligung durch Unterlassen überhaupt in Erscheinung tritt, kann man davon ausgehen, dass der Garant das Tatgeschehen einfach ablaufen lässt und dessen näheren Umständen gleichgültig gegenübersteht. Das gilt erst dann nicht mehr, wenn die anderen normativen Überlegungen wie die Schwierigkeit der Erfolgsverhinderung greifen oder die außertatbestandlichen Umstände, die für eine solche Gleichgültigkeit sprechen, z. B. das Entfremdungsgefühl des Garanten gegenüber dem Opfer, mitberücksichtigt werden. Aber einerseits kann nicht festgestellt werden, dass der BGH bereit wäre, sich an der Schwierigkeit der Erfolgsverhinderung zu orientieren, andererseits fehlt den außertatbestand­ lichen Umständen in der Regel normative Relevanz bzw. der BGH müsste sie begründen. Des Weiteren ist der BGH eine Erklärung schuldig geblieben, nach welchem Kriterium von einem bestimmenden Einfluss bzw. einer Willensüberlegenheit des aktiv Handelnden ausgegangen werden darf, wenn er nicht wie die Gehilfentheorie grundsätzlich dem aktiv Handelnden eine überlegene Tat­herrschaft einräumen und auf eine normative Bewertung der Einzelfallumstände verzichten will. Wenn aber insoweit keine allgemeinen Kriterien zur Bestimmung der Willensunterwerfung des Garanten angeboten werden und nur eine Einzelfallbetrachtung möglich ist, kann die das Bestimmungsgebot ernst nehmende und um Systematisierung bemühte Wissenschaft damit nicht zufrieden sein. Denn es ist gerade der Sinn und die Aufgabe der Rechtswissenschaft, ungeachtet der unvermeidbaren Abwägung im Einzelfall nicht voreilig darauf zu verzichten, ein allgemein-vernünftiges, d. h. auch im Einzelfall durch Interpretation praktizierbares Beurteilungskriterium zu entwickeln.148 Die Beobachtung, dass sich die neuere Rechtsprechung tendenziell an der objektiv-normativen Abgrenzungslinie orientiert und dem Kriterium der Willensunterwerfung ein mit dem Tat­herrschaftskriterium vergleichbarer Inhalt verliehen wird, wird von jenen Entscheidungen, die sich auf die Verantwortlichkeit der Mitglieder in formellen Organisationen beziehen, bestätigt. Eine schärfere Kontur des Tat­ herrschaftsbegriffs im Vergleich zu den anderen Entscheidungen wird in der sog. „Politbüro-Entscheidung“149 entwickelt, indem der BGH die von ihm zunächst bei positivem Tun entwickelte Rechts­ figur der „Tat­ herrschaft kraft Ausnutzung regelhafter Abläufe durch bestimmte Organisationsstrukturen“150 auf den Unterlassungsbereich überträgt und dadurch die mittelbare Täterschaft der Mitglieder des Politbüros begrün148  A. A. Bosch, JA 2007, 418, 421, der pessimistisch diagnostiziert, dass jedes abwägungsfeste Abgrenzungskriterium zum Scheitern verurteilt sei und letztlich nur eine Einzelfallabwägung wie die Vorgehensweise der subjektiven Theorie übrigbleibe. 149  BGHSt 48, 77 ff. 150  BGHSt 48, 77, 91. Grundlegend BGHSt 40, 218, 236.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands59

det. Hier hat der Täterwille („will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns“151) zwar einen Platz. Die Begründung für die täterschaftliche Verantwortlichkeit der Mitglieder beruht aber im Wesentlichen auf ihrer Tat­ herrschaft mit der hinzutretenden Besonderheit der Unter­ lassungstäterschaft: Die Mitglieder seien „als Inhaber zentraler staatlicher Macht sowohl Überwachungsgarant als auch Beschützergarant“ und daher verpflichtet,152 die Straftat von Untergeordneten zu verhindern und das Leben ihrer Bürger zu schützen. Dass die Untergeordneten nach den Weisungen der Mitglieder des Politbüros zu handeln hatten, präge das Selbstverständnis und die Willensrichtung der Mitglieder, deren Verantwortlichkeit kraft solcher Organisationsherrschaft „mit größerem Abstand zum Tatort typischerweise“ zunehme.153 Eine die Willensrichtung der Mitglieder prägende Tat­ herrschaft in Form von Organisationsherrschaft knüpft deshalb an die aus der höheren Stellung in der Befehlshierarchie entspringende Pflichtlage des Täters an.154 Dass die Rechtsfigur der Unterlassungstäterschaft kraft Sonderverantwortlichkeit auch auf ein privatwirtschaftliches Unternehmen übertragen kann, ist für den BGH naheliegend.155 Denn der BGH hat bei der Entwicklung der Rechtsfigur der Täterschaft kraft regelhafter Abläufe von vornherein die Absicht gehabt, diese Rechtsfigur auch zur Lösung der Verantwortlichkeitsfrage in Unternehmen heranzuziehen.156 Wenn die Rechtsfigur der Täterschaft kraft regelhafter Abläufe nach dem BGH auch durch Unterlassen möglich ist, gibt es keinen rationalen Grund gegen die mittelbare Unterlassungstäterschaft des führenden Geschäftsherren in Unternehmen kraft Organisationsherrschaft, solange entsprechend der Politbüro-Entscheidung eine besondere Pflichtlage (Garantenpflicht) im Verhältnis zum Opfer und ein „räumliche[r], zeitliche[r] und hierarchische[r] Abstand zwischen der die Befehle verantwortenden Organisationsspitze und den unmittelbar Handelnden“157 vorliegen. Obwohl in der BGH-Rechtsprechung noch keine mittelbare Unterlassungstäterschaft des Geschäftsführenden kraft regelhafter Abläufe bzw. Sonderverantwortlichkeit vorkommt,158 ist diese Form der Täterschaft ernstlich 151  BGHSt

48, 77, 91. 48, 77, 97. 153  BGHSt 48, 77, 97. 154  Vgl. auch Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 16. 155  Schlösser, GA 2007, 169. 156  BGHSt 40, 218, 237; ferner BGHSt 48, 331, 342; 49, 147, 163. Vgl. auch Nack, GA 2006, 343 ff. 157  Zum Abgrenzungskriterium zwischen mittelbarer Täterschaft kraft regelhafter Abläufe und Mittäterschaft BGH NStZ 2008, 89, 90. 158  In der Entscheidung BGH NStZ 2014 318, 321 weist der BGH das Tatgericht aber darauf hin, dass bei Vorliegen eines Vermögensschadens ein Vorstandsmitglied 152  BGHSt

60 Einleitung

zu erwarten, nachdem der BGH die Garantenpflicht des Geschäftsführenden zur Verhinderung einer betriebsbezogenen Straftat des Untergeordneten ausdrücklich bejaht hat.159 Demgegenüber wird in der Leitentscheidung BGHSt 54, 44 ff. das Verhalten des Leiters der Innenrevision einer Anstalt des öffentlichen Rechts, der es auf Weisung des ihm übergeordneten Vorstandsmitglieds Dr. G unterlässt, den Vorstandsvorsitzenden oder den Aufsichtsrat über die Betrugshandlung dieses Vorstandsmitglied zu unterrichten, nur als Beihilfe durch Unterlassen angesehen, weil er „lediglich mit Gehilfenvorsatz gehandelt und sich dem Haupttäter Dr. G ersichtlich untergeordnet hat.“160 Aufgrund welcher relevanten Tatsachen der BGH zu diesem Ergebnis kommt, ist nicht ersichtlich. Der BGH behauptet diese Beihilfestrafbarkeit eher als dass er sie begründet.161 Möglicherweise vertritt der BGH die Begründung der Vorinstanz für die Beihilfestrafbarkeit, dass die betrugsrelevante Entscheidung allein von dem Vorstandsmitglied Dr. G getroffen worden sei und der Leiter der Innenrevision sich lediglich seinem Willen untergeordnet habe und aus falsch verstandener Loyalität gegenüber einem Vorstandsmitglied nicht eingeschritten sei.162 Dass die Alleinentscheidung des Begehungstäters an sich nicht zur Begründung eines untergeordneten Willen des Garanten in der Lage ist, ist jedoch oben bereits dargelegt worden. Normative Relevanz könnte diese Tatsache aber dann erlangen, wenn sie mit der falsch verstandenen Loyalität gegenüber dem Vorstandsmitglied Dr. G. in einen organisatorischen Zusammenhang gestellt wird: Die falsch verstandene Loyalität stellt zwar eine psychische Tatsache und daher kein taugliches Abgrenzungskriterium dar. Sie reflektiert allerdings die sie auslösende objektive Tatsache des untergeordneten Status des Garanten in der Anstalt. Ein untergeordneter und machtbegrenzter Mitarbeiter geht ja im Organisationsbereich nicht selten von einer verbindlichen Weisung seines Vorgesetzten aus. Diese subjektive bzw. psychische Einstellung ist aber nur ein sekundäres Phänomen, das auf die untergeordnete Stellung in der Organisation zurückzuführen ist. Auch die Ausführung über die Alleinentscheidung des Begehungstäters lässt sich in diese Interpretation integrieren, weil die Entscheidungsmacht in der Regel nach der Organisationsstellung zugewiesen wird und die Organisationsspitze gegenüber dem anderen Mitarbeiter deshalb mächtiger ist. Die Vorinstanz LG Berlin und vielleicht auch der BGH könnten das entscheidende Abgrenzungskriterium in der über- bzw. untergeordneten Stellung in der Anstalt ereiner AG wegen Betrugs in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen zu bestrafen sei. 159  BGHSt 57, 42, 45. 160  BGHSt 54, 44, 51. 161  Ransiek, AG 2010, 147, 152. 162  LG Berlin, Urteil vom 03. März 2008 – (514) 3 Wi Js 1361/02 KLs (9/04), Rn. 248.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands61

blicken, auch wenn es dem Scheinkriterium des untergeordneten Willens nachgeordnet wird. Diese (Um-)Interpretation des untergeordneten Willens entspricht durchaus der Ansicht im Schrifttum, wonach die Verantwortlichkeit oder die Beteiligungsformen in Unternehmen nach der Betriebsstellung bzw. der Entscheidungsmacht oder Tat­herrschaft im Unternehmen zu unterscheiden seien.163 Es ist dennoch weiter zu untersuchen, ob und inwieweit die Betriebsstellung oder Organisationsmacht und weitere ähnliche Kon­ struktionen zur Abgrenzung beitragen können. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der BGH wegen der von ihm favorisierten Gesamtbetrachtung aller Einzelfallumstände nicht bereit ist, einer bestimmten Position in der Literatur zu folgen. Eine Tendenz zur Gehilfentheorie oder Pflichtdeliktstheorie lässt sich nicht erkennen.164 Darüber hinaus bleiben das vom BGH vertretene Willenskriterium und das Tatherrschaftskriterium zu unbestimmt und eignen sich nicht als allgemeine Theorie zur Abgrenzung der Beteiligungsformen: Wenn das Willenskriterium als rein subjektive oder psychische Einstellung verstanden wird, gerät es mit der vom BGH selbst vertretenen objektiv-normativen Kombinationstheorie oder dem Tat­ herrschaftskriterium in Konflikt. Auch wenn dem Willenskriterium ein mit dem Tat­herrschaftsgedanken vergleichbarer Inhalt zugesprochen und es als objektives Kriterium angesehen wird, bleibt wegen der an der Rechtsfolge orientierten Gesamtbetrachtung im Einzelfall unklar, warum eine Tat­ sache, sei sie tatbestandsbezogen, sei sie tatbestandsfremd, überhaupt zur Konkretisierung des Willenskriteriums in Betracht gezogen werden oder eine schlüssige Rolle spielen soll. Für das Tat­herrschaftskriterium gilt nichts anders. Der BGH zieht einfach den Tat­herrschaftsgedanken heran, ohne ihm eine scharfe Kontur zu verleihen. Die Tat­herrschaft kraft regelhafter Abläufe bzw. Sonderverantwortlichkeit im Organisationskreis hat zwar einen mit dem von der Literatur vertretenen Tat­herrschaftsgedanken vergleichbaren Inhalt. Die Berechtigung und die Reichweite dieser Rechtsfigur ist aber weiter zu analysieren. Darüber hinaus darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich diese Tat­ herrschaftsform auf den Organisationskreis beschränkt und nicht 163  Statt aller Begründungsunterschiede Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 51 ff.; ders., ZGR 1999, 633; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 102 f.; Schall, ­FS-Amelung, S.  298  ff. 164  In den neueren BGH-Entscheidungen werden die pflichtwidrigen Garanten zwar verschiedentlich als Gehilfen beurteilt. Vgl. BGH NStZ 2009, 321, 322; 2012, 379, 380. Bei diesen Entscheidungen handelt es aber um die sog. Weiterungsfälle, und zwar um die Frage, ob und inwieweit der Garant für die durch seine vorherige Handlung ausgelöste, aber vom Dritten weiter zu vertiefende Gefahr verantwortlich ist. Bei der Garantenpflicht kraft Ingerenz kommen viele Stimmen in der Literatur (außer der Pflichtdeliktstheorie) zur Beihilfestrafbarkeit. Mehr als zweifelhaft ist aber, ob dieses Ergebnis oder seine Begründung auch für die anderen Typen von Garantenpflicht gelten kann.

62 Einleitung

ohne weiteres auf die Garantenpflicht ohne Organisationszusammenhang übertragbar ist. Methodisch ist noch zu bemerken, dass eine an der Rechtsfolge orientierte Gesamtbetrachtung aller Einzelfallumstände an sich nicht unbedingt gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG verstößt. Doch wenn die vom BGH benutzten Kriterien oder Tatumstände zur Konkretisierung der Willensrichtung bzw. Tat­herrschaft unbestimmt sind und klare Auswahl- und Bewertungslinien für diese Tatumstände fehlen, was sich meistens in den eher knappen Begründungen des BGH manifestiert, kann man nicht davon ausgehen, dass diese vom BGH angebotenen Abgrenzungskriterien dem Bestimmtheitsgebot gerecht werden. 3. Andere unselbständige Kombinationstheorien in der Literatur Im Schrifttum lassen sich auch andere Varianten der Kombinationstheorie finden, die sich aber ähnlichen Kritiken aussetzen wie die BGH-Rechtsprechung. Bemerkenswert sind hier die Ansichten von Seelmann und Rengier. Seelmann zufolge muss die Abgrenzung der Beteiligungsformen nach der unterschiedlichen Gewichtung der Eingriffspflicht (Garantenpflicht), d.  h. nach der objektiven „Stellung des Garanten im Verhältnis zu der Stellung anderer für die Abwehr der Gefahr oder die Erfüllung des Vertrauens Verantwortlicher im jeweiligen arbeitsteiligen Zusammenhang“ sowie nach dem subjektiven Interesse am tatbestandsmäßigen Erfolg erfolgen.165 Das objektive Abgrenzungskriterium der Pflichtgewichtung weist eine auffallende Ähnlichkeit mit einigen Varianten der Pflichtinhaltstheorie auf. Die Bewertungslinien dieser Pflichtgewichtung bleiben aber recht abstrakt. Der schlichte Hinweis auf den Vergleich von (möglichen) unterschiedlichen Pflichtstellungen ohne weitere Subkriterien für diese Gewichtung führt letztendlich zu einer Kasuistik wie in der BGH-Rechtsprechung. Die von Seelmann vertretenen sachlichen Prämissen lassen sich nur aus den von ihm dargestellten und diskutierten Beispielen erkennen: Wenn der Begehungstäter selbst Garant sei und der Unterlassende kein Interesse am tatbestandsmäßigen Erfolg habe, z. B. der Vater die Vergiftung des Kindes durch die Mutter nicht verhindere, sei dem Begehungstäter eine Übergewichtstellung zuzuweisen und der Garant nur als Gehilfe anzunehmen.166 Zunächst ist fraglich, warum dem tätigen Garanten eine übergewichtige Pflicht zugeschrieben werden soll, nur weil er über das schlichte Unterlassen hinaus noch aktiv gehandelt hat. In dem Beispiel der Nichtverhinderung der Vergiftung sind sowohl der Vater als auch die Mutter verpflichtet, das Leben des Kindes zu schützen. Die Garanten165  AK/Seelmann, 166  AK/Seelmann,

§ 13 Rn. 94. § 13 Rn. 95.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands63

pflichten sind insoweit gerade gleichwertig. Es bedarf deshalb noch eines weiteren Hilfskriteriums zur Begründung der übergewichtigen Pflichtstellung der Mutter. Hinter der Bewertung steht in diesem Beispiel vielleicht nur der Gedanke, das positive Tun sei schwerwiegenderes Unrecht als das Unterlassen. Oder man könnte bei gleichwertigen Garantenpflichten auf das Interesse am tatbestandsmäßigen Erfolg als zusätzliches Hilfskriterium abstellen, wie Seelmann vorgeschlagen hat.167 Allerdings würde hierbei die Kritik, die an der vom BGH vertretenen Interessentheorie geübt wurde, uneingeschränkt gelten. Die Schwäche des objektiven Kriteriums des Gewichtsvergleichs der Pflichtstellung kann entgegen Seelmann nicht durch das subjektive Interesse kompensiert wird. Dieser „Ausgleich“ ist sogar schädlich, wenn unklar bleibt, ob bei der Abgrenzungsbeurteilung das Interessekriterium im Verhältnis zum Pflichtgewichtskriterium Vorrang hat oder nicht. Seelmann weist weiter darauf hin, dass der Garant als Täter anzusehen sei, wenn der Begehungstäter schuldlos gehandelt habe.168 Hier greift ersichtlich der Selbstverantwortungsgedanke ein. Ob dieser Gedanke als allgemeingültiges Abgrenzungskriterium gilt, wäre zu untersuchen. Zum Mindesten kann man aber feststellen, dass die von Seelmann vorgeschlagene Lösung viele sachliche Gedanken kombiniert, ohne sie in einen kohärenten Begründungszusammengang zu stellen. Rengier versucht demgegenüber, eine Vielzahl von objektiv-konkreten Subkriterien heranzuziehen, um den Einwand der Verletzung des Bestimmtheitsgebots und die Schwächen der subjektiven Theorie zu vermeiden. Die Abgrenzung sei nach dem Tat­herrschaftskriterium vorzunehmen, wobei die folgenden Subkriterien zu berücksichtigen seien: „wie leicht oder wie schwer es dem Garanten möglich gewesen wäre, den Begehungstäter zu stoppen; die Nähe zum Tatort, zum Schutzobjekt und zur Gefahrenquelle; die Mitwirkung bei der Tatplanung“.169 Näher besehen kombiniert Rengier in der Tat den Tat­herrschaftsgedanken i. S. d. Erfolgsverhinderungsschwierigkeit sowie die Tatplanherrschaft im Vorbereitungsstadium und den Kerngedanken der Pflichtinhaltstheorie (die Nähe zum Schutzobjekt und zur Gefahrenquelle). Dieser Kombinationsversuch unter dem Dach der Tat­herrschaft muss jedoch als gescheitert beurteilt werden, denn wenn diese Subkriterien nicht in einen höheren sachlichen Begründungszusammenhang gestellt werden (was heißt Tat­herrschaft?), stellen sie nichts anderes dar als eine einfache Kombination von Merkmalen, die in keinem Zusammenhang oder sogar im Widerspruch stehen, und erfüllen mithin das Bestimmtheitsgebot nicht. Ein von Rengier präsentiertes Beispiel beweist gerade die methodische Schwäche der KombiStV 1992, 416. § 13 Rn. 95. 169  Rengier, AT, § 51 Rn. 21. 167  Seelmann,

168  AK/Seelmann,

64 Einleitung

nationstheorie als solcher:170 Ein häufig abwesender Vater artikuliert zwar seine Ablehnung der Kindesmisshandlung durch die Mutter, verhindert diese Misshandlung aber monatelang nicht, obwohl er jederzeit Zugang zum Kind hat und die Situation durch Einschaltung der Behörde hätte beenden können.171 Mit seiner Kombinationstheorie gerät Rengier in Abgrenzungsschwierigkeiten. Er führt einerseits aus, dass „die häufige Abwesenheit des V und die sichtbare Ablehnung der Misshandlungen eher für eine Beihilfe durch Unterlassen“ sprechen, andererseits komme es jedoch zu einer Täterschaft des Vaters, weil er jederzeit den Zugang zum Kind hatte und durch die Einschaltung der Behörde die Misshandlung leicht hätte beenden können.172 Demzufolge führen die beiden Subkriterien „Nähe zum Tatort bzw. zum Schutzobjekt“ und „Erfolgsverhinderungsschwierigkeit“ zu verschiedenen Ergebnissen und stehen miteinander in Konflikt, denn die Mutter habe näheren (physischen!) Zugang zum Tatort und zum Kind.173 Warum beim Konflikt der Kriterien die Verhinderungsschwierigkeit Vorrang haben soll, ist aber nicht ersichtlich. Die Heranziehung verschiedener Subkriterien trägt daher nicht zu einem klaren Tat­ herrschaftsbegriff bei, sondern, Jakobs paraphrasierend,174 zur „Tat­herrschaftsdämmerung“. Aus den kritischen Analysen der unselbständigen Kombinationstheorien ergibt sich ein wichtiger methodischer Befund: Entgegen diesen Kombina­ tionstheorien ist zunächst ein Leitgedanke mit feststellbarem normativem Inhalt zu entwickeln, und erst danach sind weitere Subkriterien zur Konkretisierung dieses Leitgedankens anzubieten, damit die normative Relevanz dieser Subkriterien gewahrt ist und sie in einem kohärenten Begründungszusammenhang stehen.

VI. Wichtige Erkenntnisse aus der kritischen Rekonstruktion des Meinungsstands für die Forschungsaufgabe Es mag deutlich geworden sein, aus welchem Anlass und mit welchen sachlichen Prämissen die oben erwähnten Theorien zu den verschiedenen Konstruktionen und Lösungswegen gelangen. Statt eine Zusammenfassung gilt es weiterhin, die gefundenen Erkenntnisse in einen höheren Begrün170  Die inhaltlichen Schwächen dieser Subkriterien seien hier vorübergehend ausgeklammert und der weiteren Untersuchung vorbehalten. 171  Rengier, AT, § 51 Rn. 25. 172  Rengier, AT, § 51 Rn. 25. 173  Das ist aber unter normativen Gesichtspunkten bestreitbar, weil sowohl die Mutter als der Vater die gleiche Schutzpflicht hinsichtlich der körperlichen Unversehrtheit des Kindes haben. 174  Jakobs, Tat­herrschaftsdämmerung.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands65

dungszusammenhang zu stellen, damit die Forschungsaufgabe und die Forschungsschritte klar zum Vorschein kommen. In der gesamten Diskussion dringen drei sich aufeinander beziehende Hauptprobleme durch und stehen als Hauptforschungsgegenstände im Mittelpunkt der Arbeit: Das erste ist die Handlungsqualität und die wirkliche Verletzungsmacht bzw. das Unrecht des Unterlassens. Denn wenn die Täterschaft als Tatbestandsverwirklichung angesehen wird, geht es um die Frage, ob und wie der Garant durch sein pflichtwidriges Unterlassen den in Betracht kommenden Tatbestand verwirklicht. Dann muss gedanklich zuallererst geklärt werden, ob und inwieweit das pflichtwidrige Unterlassen eine strafrechtlich relevante Qualität des Bewirkens und daher auch eine mit dem positiven Tun vergleichbare Unrechtsqualität aufweisen kann. Es zeigt sich, dass das Verständnis vom Wesen des Unterlassens, insbesondere von dessen phänomenalem Unterschied zum positiven Tun, Anlass gibt oder sogar dazu zwingt, unter dem mächtigen Einfluss des Naturalismus oder Finalismus von einer instrumentellen Tat­herrschaftslehre in Gestalt der positiven Beherrschung der zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalverläufe auszugehen und verschiedene Varianten der normativen Tat­ herrschaft oder eine selbständige Kategorie des Pflichtdelikts zu entwickeln. Wenn man aber den finalistischen oder instrumentellen Unrechtsbegriff und ein darauf basierendes Tatherrschaftsverständnis überwindet, kommt es zu einem anderen Verständnis des Wesens sowie der Verletzungsmacht des Unterlassens und zu anderen Abgrenzungskriterien. Die Handlungsqualität und die Verletzungsmacht des Unterlassens bilden daher den Urgrund der Auseinandersetzung und den Dreh- und Angelpunkt des hier behandelten Problems. Bei dem zweiten Hauptproblem geht es um die Strukturen und das System des Beteiligungsverhältnisses. Wie bereits angedeutet, kann die Einschätzung der bestehenden Lösungsvorschläge zur Abgrenzung der Beteiligungsformen durch Unterlassen, dass nämlich das Wesen und Unrecht des Unterlassens in einem fundierten Handlungs- und Unrechtsbegriff angelegt ist, als gerechtfertigt angesehen werden. Denn jede Bewertungsnorm muss zum Bewertungsgegenstand in Beziehung stehen und das Unterlassen des Garanten als Zurechnungsgegenstand muss deshalb auch weiterreichenden Einfluss auf das bewertende Zurechnungskriterium nehmen. Dass einige Autoren sich wegen des phänomenalen Unterschieds zwischen Unterlassen und positivem Tun gezwungen sehen, den Inhalt der Tat­herrschaft als Abgrenzungskriterium zu verändern und stattdessen einen anderen, speziell für das Unterlassen geltenden Tat­herrschaftsbegriff zu entwickeln – oder zwar auf der instrumentellen Tat­herrschaft zu beharren, aber ein neues Abgrenzungskriterium der Pflichtverletzung für das Unterlassen anzubieten –, ist ein eindrucksvoller Beleg dafür. Es wäre indes zu überdenken, ob der auf positives Tun zugeschnittene Tat­herrschaftsbegriff nicht zu eng verstanden wird und um eine

66 Einleitung

normative Dimension ergänzt oder justiert werden muss, und ob die zusätz­ liche Entwicklung der Pflichtdeliktslehre nicht das einheitliche Unrechtsoder Tätersystem aufspaltet175 und einige negative Konsequenzen oder Widersprüche heraufbeschwört. Um diese möglichen Einwände zu vermeiden, kann man alternativ zuallererst einen einheitlichen normativen Unrechtsbegriff entwerfen, der das Unrecht von Tun und Unterlassen in einen kohärenten Begründungszusammenhang stellt, und entsprechend ein einheitliches Täterkriterium sowohl für das Tun als auch für das Unterlassen entwickeln.176 Welchem Weg der Vorzug zu geben ist, bedarf noch weiterer Untersuchung. Jedenfalls versteht sich das Täterkriterium beim unechten Unterlassungs­ delikt insoweit als Prüfstein für die Gestaltung des gesamten Beteiligungssystems. Die Strukturierung eines geschlossenen Tätersystems ist allerdings nur eine notwendige Voraussetzung für die gerechte Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen den Beteiligten. Darüber hinaus muss das Tätersystem sich an einem theoriefundierten Leitprinzip orientieren, das aber nur außerhalb des Tätersystems entdeckt werden kann, weil es bereits dessen oberste Idee ist. Wer die Beteiligungslehre als Teil der Tatbestandstheorie interpretiert,177 weil Täterschaft die Tatbestandsverwirklichung ist,178 oder die Beteiligungsformen als Zurechnungstypen179 bzw. als Handlungsunrechtstypen180 deutet, verkennt nicht den engen Zusammenhang zwischen Beteiligungslehre einerseits und allgemeiner Tatbestands- bzw. Zurechnungslehre andererseits. Entsprechend wird das Leitprinzip bei Roxin als „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“ definiert,181 wobei die Rede von „handlungsmäßigem Geschehen“ nur im Sinne von tatbestandsmäßiger Handlung verstanden werden kann. Die enge Verknüpfung zwischen beiden Bereichen setzt sich allerdings im Tätersystem Roxins nicht fort, denn die Lehre von der objektiven Zurechnung, oder genauer bezeichnet: die Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten,182 die heute zutreffend als eine materielle Theorie zur Erfassung tatbestandsmäßigen Unrechts angesehen wird, spielt bei der Abgrenzung

175  So 176  In

Murmann, FS-Beulke, S. 184. dieser Richtung Murmann, Nebentäterschaft, S. 181 f.; ders., FS-Beulke,

S. 188. 177  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 68 ff.; Roxin, TuT, S. 764 Rn. 211. 178  Kühl, AT, § 20 Rn. 2; Murmann, JA 2008, 321. 179  Bloy, Beteiligungsform, S. 293 ff. 180  Kreuzberg, Täterschaft, S.  372 ff. 181  Roxin, TuT, S. 120, 129, 135. 182  Grundlegend Frisch, Verhalten, S. 33 ff. und passim; neuerdings ders., GA 2018, 561 ff.



B. Rekonstruktion des Meinungsstands67

der Beteiligungsformen nur eine recht untergeordnete Rolle.183 Die Aufgabe der Abgrenzung fällt bei Roxin überwiegend der davon getrennten Täterlehre mit ihren unterschiedlichen Kriterien wie Tat­ herrschaft, Pflichtverletzung und Eigenhändigkeit zu.184 Der Grund für die Ohnmacht der Lehre von der objektiven Zurechnung könnte darin liegen, dass auch Teilnahme eine rechtlich missbilligte Gefahr für das Rechtsgut schafft und die Funktion der objektiven Zurechnungslehre darauf beschränkt ist, zu bestimmen, ob der Erfolg überhaupt dem bestimmten Beteiligten zugerechnet werden könne. Dementsprechend müsste eine Abgrenzung nach der Gefahrschaffung zum Scheitern verurteilt sein oder jedenfalls zur Einheitstäterschaft185 führen. Allerdings ist eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach den unterschiedlichen Arten der Gefahrschaffung186 bzw. unterschiedlichen Verhaltensnormen und Zurechnungsstrukturen187 durchaus denkbar und auch von einigen Vertretern der materiellen Pflichtinhaltstheorie vorgenommen worden. Das alles zwingt zu weiterer Untersuchung: Wie verhalten sich allgemeine Tatbestands- bzw. Zurechnungslehre und Beteiligungslehre zueinander?188 Versteht die Beteiligungslehre sich nur als eine Ergänzung der allgemeinen Zurechnungslehre, die das Rechtsverhältnis des Täters zum Opfer zum Gegenstand hat, um eine weitere interpersonale Dimension zwischen mehreren Betei­ ligten?189 Welchen Vorteil und Nachteil würde die Koppelung beider Bereiche haben? 183  Sie wird von Roxin, FS- Stree/Wessels, S. 381 freilich zur Bestimmung des Teilnahmeunrechts fruchtbar gemacht. 184  Inzwischen hat Roxin, TuT, S. 914 ff. neben den drei Täterkategorien „Herrschaftsdelikt“, „Pflichtdelikt“ und „Eigenhändigkeitsdelikt“ noch eine vierte Kategorie „Täterschaft bei persönlicher Erklärung“ entwickelt, wobei sich die Täterschaft stark nach dem materiellen tatbestandsmäßigen Unrecht des jeweiligen Tatbestands bestimmt. 185  So die Einschätzung von Marlie, Beteiligung, S. 220. De lege ferenda für ein beteiligungsformenindifferentes normatives Zurechnungssystem, das auf die Differenzierung zwischen verschiedenen Beteiligungsformen verzichtet Rotsch, Einheitstäterschaft, S.  419 ff.; ders., GS-Heine, S. 313 ff. 186  Im Lichte der Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten Murmann, GA 1998, 80; speziell für Unterlassen ders., FS-Beulke, S. 188, insb. Fn. 41. Vgl. auch MK4/ Freund, Vor § 13 Rn. 476, 478. 187  Für die Unterscheidung der Verhaltensnormen zwischen Täterschaft und Teilnahme Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 305 f.; Renzikowski, Täterbegriff, S. 127 ff.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 17. 188  Umfassend von Atens, objektive Zurechnung, S. 176 ff., 183 ff., 206 ff. Ferner Böhringer, Mittäterschaft, S. 118 ff. Speziell zu mittelbarer Täterschaft von der Meden, JuS 2015, 25 ff. 189  Zur Beteiligung als interpersonalem Rechtsverhältnis zwischen Beteiligten und Opfer grundlegend Köhler, AT, S.  488 ff.; Murmann, Nebentäterschaft, S. 180 ff.; Noltenius, Kriterien, S. 238 ff.; Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 638 ff.

68 Einleitung

Nach der Herausbildung des Leitprinzips bedarf es noch weiterer Subbzw. Hilfskriterien, die, einerlei ob sie allgemeine Geltung beanspruchen oder speziell auf das Unterlassen zugeschnitten sind, sich immer an diesem Leitprinzip ausrichten und die Zuordnung der Sachverhalte zu bestimmten Beteiligungsformen ermöglichen. Zwei Beispiele sollen zur Deutung beitragen: Bei Roxin ist der Begriff Tat­herrschaft bzw. Willensherrschaft konkretisierungsbedürftig und muss weitere Subkriterien, z. B. die Eigenverantwortlichkeit des Genötigten als Grenzlinie der Nötigungsherrschaft, heranziehen.190 Gleiches gilt auch für das Tätersystem Jakobs, in dem sich die Beteiligungsformen im Bereich der Organisationszuständigkeit bzw. negativer Pflicht nach weiteren Hilfskriterien für die Ermittlung der Quantität der Pflichtverletzung bestimmen, etwa nach der intensiven Gestaltung im Vorfeld.191 Weil diese Subkriterien wegen ihrer Nähe zum Einzelfall größeres Entscheidungspotenzial entfalten können, ist ihre normative Relevanz, d. h. ihre Orientierung am Leitprinzip, ihr Verhältnis zueinander und ihre Reichweite kritisch zu überprüfen und in einem kohärenten Begründungszusammenhang zu erklären, damit das mögliche Defizit einer mangelnden Prinzi­ pienorientierung der Kombinationstheorie behoben werden kann. Das dritte Hauptproblem sind die konkreten Erscheinungsformen der Beteiligung durch Unterlassen. Soweit sich die angeführten Begründungen für oder gegen eine bestimmte Beteiligungsform durch Unterlassen auf die Handlungsqualität oder das Unrecht des Unterlassens beziehen, ist die Überzeugungskraft dieser Begründungen nach den vorherigen Forschungserkenntnissen zum ersten oder zweiten Hauptproblem zu beurteilen. Denn die Beteiligungsformen sind die verschiedenen Erscheinungsformen einer möglichen Garantenpflichtverletzung und bringen notwendig ihre Qualität zum Ausdruck. Andererseits weist jede Beteiligungsform aber ihre eigentümliche Zurechnungsstruktur auf, die sich von derjenigen der anderen Beteiligungsformen unterscheidet und einer selbständigen Untersuchung bedarf. Da das Strafgesetzbuch keine spezifische Beteiligungsform für Unterlassungsdelikte vorsieht, muss die konkrete Verletzungsmacht des Garanten die Zurechnungsstrukturen und die Voraussetzungen der in §§ 25–27 StGB vorgesehenen Beteiligungsformen erfüllen. Eine Untersuchung dieser Zurechnungsstrukturen ist unentbehrlich. Insbesondere der Streit um den Grund und die Grenzen der Teilnahme durch Unterlassen bezeugt das Ausgeführte: Die Anerkennung der Teilnahme durch Unterlassen hängt zunächst davon ab, ob die Verletzungsmacht eines Garanten auch der akzessorischen ZurechAT II, § 25 Rn. 48. System, S. 79 f.; ausführlicher ders., Theorie, S. 50 ff. Zu dieser Konkretisierungsbemühung ausführlich Orozco López, Beteiligung, S. 298 ff. 190  Roxin,

191  Jakobs,



B. Rekonstruktion des Meinungsstands69

nungsstruktur der Teilnahme entspricht.192 Während einige Autoren das Unrecht der Teilnahme i. S. d. akzessorischen oder unselbständigen Rechtsgutsverletzung bzw. des Rechtsgutsangriffs als Ausgangpunkt für die Abgrenzung heranziehen,193 stehen die Pflichtdeliktstheorien mit dem Gedanken des akzessorischen Rechtsgutsangriffs in Konflikt, weil „die Garantenpflichten als reine Erfolgsabwendungspflichten keine Zurechnung fremden Handlungsunrechts erlauben“.194 Trotzdem erkennen diese Theorien, wie dargestellt, auch einige Ausnahmefälle an, so dass die Teilnahmevorschriften nur als Auffangtatbestände interpretiert195 oder „aushilfsweise“ angewendet werden könnten.196 Diese Behauptungen belegen letztendlich die Ratlosigkeit dieser Theorien, wie das Unrecht der Teilnahme durch Unterlassen positiv zu begründen ist. Um diesen Streit zu entscheiden, gilt es zunächst eine allgemeine Zurechnungsstruktur der Teilnahme zu entwickeln und dann zu prüfen, ob die konkrete Verletzungsmacht des Garanten dieser Struktur entspricht oder nicht. Würde die Möglichkeit dieser Entsprechung bejaht, müsste weiter gefragt werden, ob das pflichtwidrige Unterlassen des Garanten das spezifische Handlungsunrecht der Anstiftung oder Beihilfe erfüllt. Eine Beihilfe durch Unterlassen wird in der heutigen Literatur überwiegend anerkannt. Denn zum einem kann die Nichtverhinderung oder Nichterschwerung einer fremden Straftat semantisch durchaus als deren Förderung im weiteren Sinn interpretiert werden. Zum anderen werden an das gesetzliche Tatbestandsmerkmal „Hilfeleistung“ neben der Kausalität und der missbilligten Gefahrschaffung197 keine weiteren strengen Forderungen gestellt. Demgegenüber wird die Kon­ struktionsmöglichkeit der Anstiftung durch Unterlassen zugunsten der Beihilfe durch Unterlassen grundsätzlich verneint198 oder nur in extremen Aus-

192  Zutr.

Bloy, JA 1987, 492 f. Ranft, ZStW 94 (1982), 828 ff. 194  Bloy, JA 1987, 493. 195  Bloy, JA 1987, 494. Vgl. auch Pariona Arana, Täterschaft, S. 184, wobei die Akzessorietät der Teilnahme in Subsidiarität umgewandelt wird. 196  Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 24. 197  Zur missbilligten Gefahrschaffung als Begrenzungskriterium für das Beihilfeunrecht Frisch, FS-Lüderssen, S. 548; Kindhäuser, NStZ 1997, 273 f.; LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 5; Murmann, JuS 1999, 550; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 27 Rn. 3; Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 381; ders., AT II, § 26 Rn. 212, 221 ff.; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 8; SK/Hoyer, § 27 Rn. 23. 198  Amelung, FS-Schroeder, S. 175 f.; Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 292; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 26 Rn. 28; Busse, Täterschaft, S. 139; Jescheck/Weigend, AT, S. 691; Kreuzberg, Täterschaft, S. 529; D. Meyer, Anstiftung, S. 156; Mosenheuer, Unterlassen, S. 147 ff., 151; Nitze, Entsprechensklausel, S. 158; NK/Gaede, § 13 Rn. 28; Otto, GK § 22 Rn. 39; Schwab, Täterschaft, S.  60 f. 193  Eingehend

70 Einleitung

nahmesituationen angenommen.199 Die Untätigkeit des Garanten erfülle die aus dem spezifischen Unrecht der Anstiftung sich ergebenden Forderungen wie den geistigen Kontakt, die Unrechtsvereinbarung usw. nicht.200 Im Wesentlichen geht es insoweit um die sachgemäße Erfassung von Zurechnungsgegenstand und Zurechnungskriterium. Es soll zunächst die wirkliche Verletzungsmacht des „Untätigbleibens“ festgestellt werden. Der Vorwurf gegen den Garanten richtet sich ersichtlich nicht einfach auf das „Untätigbleiben“, sondern auf die aus der Pflichtverletzung folgende Rechtsverletzung des Opfers.201 Die berechtigte Fragestellung ist dann, ob diese Verletzung des Opfers das näher zu begründende Unrecht der Anstiftung erfüllt. Bei der Begründung des Anstiftungsunrechts muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Bestimmung des Unrechts nicht darauf zielt, typische Anstiftungsfälle zu beschreiben, sondern die wirkliche Verletzungsmacht des Anstifters zuzuschreiben. Wer die Auslösung des Tatentschlusses durch Interaktion zwischen Beteiligten als Urbild der Anstiftung betrachtet und dementsprechend dieser positiven Interaktion bei der Begründung das Übergewicht zuspricht, nähert sich dem Naturalismus und kommt zu einer Unrechtsstruktur der Anstiftung, die von vornherein nicht für das Unterlassungsdelikt gilt.202 In diesem Zusammenhang ist das von der Literatur angesichts der tätergleichen Strafandrohung formulierte restriktive Unrechtsverständnis einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Erst danach können die Konstruktionsmöglichkeit und die Grenzen der Anstiftung durch Unterlassen festgestellt werden.

C. Methodik Um diese drei eng miteinander verbundenen Hauptaufgaben, das Unrecht des Garantenunterlassens, das Verhältnis zwischen einer allgemeinen Zurechnungslehre und der Beteiligungslehre sowie die Gestaltung der Beteiligungslehre und ihrer Erscheinungsformen sachgerecht zu lösen, soll das Begründungsniveau nicht auf die Dogmatik der Beteiligungslehre beschränkt sein, sondern auf einer höheren Ebene angesiedelt werden. Die Begründungen müssen also auf einen bestimmten rechtsphilosophischen (Un-)Rechtsbegriff als Ausgangpunkt zurückgreifen und die darauf basierenden normentheoretischen Analysen einbeziehen. Da eine solche Vorgehensweise in den einschlä199  Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 4. Ausnahmsweise für eine „unterlassungstäterschaftliche Anstiftung“ im Lichte der Pflichtdeliktslehre auch Bachmann/ Eichinger, JA 2011, 510; Kreuzberg, Täterschaft, S.  529 f.; Roxin, AT II, § 26 Rn. 87. 200  Deutlich Amelung, FS-Schroeder, S. 175 f., 178. 201  In diesem Sinne auch Rengier, AT, § 51 Rn. 29. 202  Zu dieser Warnung bereits Murmann, ZIS 2010, 389.



C. Methodik71

gigen Monographien über die Beteiligungslehre üblicherweise nicht gewählt wird,203 bedarf es einiger kurzer methodischer Bemerkungen, die den Gedankengang der Arbeit beleuchten: Für die Notwendigkeit, einen rechtsphilosophisch fundierten Rechtsbegriff zu entwickeln, sprechen sowohl pragmatische als auch wissenschaftliche Aspekte. In den herkömmlichen Auslegungsmethoden tragen die dogmatischen Begründungen, die sich im Rahmen des Gesetzes bewegen müssen, zwar zu einer präziseren Erklärung der gesetzlichen Rechtsbegriffe und zur systematischen Einordnung dieser Begriffe in ein widerspruchsfreies Rechtssystem bei.204 Sie garantieren somit Sicherheit und Gleichheit bei der Rechtsanwendung, die wiederum der Freiheit der Bürger dienen.205 An ihre Grenzen stoßen sie jedoch dann, wenn das Gesetz für die umstrittenen Fragen nur sehr begrenzte Anhaltspunkte bietet. Dann müssen zur Lösung dieser Schwierigkeit und zur Prüfung der Prämissen Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung des Rechts herangezogen werden.206 Das ist hier insbesondere der Fall in Bezug auf die Prämisse, dass das Unrecht des garantenpflichtwidrigen Unterlassens im Verhältnis zu dem des gleichzeitig bestehenden positiven Tuns in der Regel nur eine untergeordnete Rolle beanspruche. Aus der fakultativen Strafmilderungsvorschrift des § 13 II StGB lässt sich allenfalls folgern, dass das Unrecht des Unterlassens im Vergleich zu dem des positiven Tuns nicht unbedingt geringer ist. Sie besagt jedoch nicht, in welchen Konstellationen das pflichtwidrige Garantenunrecht dem Begehungsunrecht entsprechen soll. Dazu ist noch ein „Zwischenschritt“ zur Bestimmung des Unrechts bzw. der Verletzungsmacht des pflichtwidrigen Unterlassens notwendig. Nichts anders verhält es sich bei der Bestimmung der Beteiligungsformen des Garanten. Denn aus § 25 I Alt. 1 StGB lässt sich zwar ein allgemeiner Täterbegriff schließen, nämlich dass der Täter derjenige ist, der den Tatbestand verwirklicht. Unter welchen Voraussetzungen ein Beteiligter den in Frage kommenden Tatbestand verwirklicht bzw. ob und inwieweit ihm die Beiträge der anderen Beteiligten zugerechnet werden können, bleibt in den §§ 25 ff. StGB unklar. Hier bedarf es einer Analyse der Zurechnungsstruktur der jeweiligen Beteiligungsformen.

203  Vgl.

aber Murmann, Nebentäterschaft, S. 180 ff.; Noltenius, Kriterien, S. 238 ff. systematisierenden Funktion der rechtswissenschaftlichen Arbeit Frisch, Wesenszüge, S. 160 ff. Zu Funktionen der Rechtsdogmatik allgemein Alexy, Theorie, S.  326 ff. 205  Zu dieser „bestimmenden“ Funktion der Dogmatik für gesetzliche Rechtsbegriffe und deren Beitrag zur Verwirklichung der Freiheit Zaczyk, FS-Küper, S. 730 f. 206  Zur Prüfung der Prämisse mithilfe der Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung des Rechts oder anderen Disziplinen als einem wichtigen Charakteristikum der Rechtwissenschaft Hörnle, Strafrechtswissenschaft, S. 190 ff. 204  Zur

72 Einleitung

Gegen die Notwendigkeit einer Heranziehung rechtsphilosophischer oder normentheoretischer Begründungen könnte angeführt werden, dass wir zur Lösung dieser Hauptaufgaben bereits über angemessene dogmatische Mittel verfügen, die trotz der Vagheit der betreffenden Strafvorschriften aus diesen hergeleitet werden könnten. Die hochentwickelten dogmatischen Lehren der Garantenstellung und der Beteiligung seien zur Lösung des hier behandelten Problems ausreichend. Darüber hinaus würden die rechtsphilosophischen oder normentheoretischen Begründungen nicht zu besseren Ergebnissen führen. Dieser mögliche pragmatische Einwand ist allerdings aus verschiedenen Gründen irreführend. Erstens: Auch wenn die Schlüsse aus der hier vertretenen Methodik nicht wesentlich von den herkömmlichen dogmatischen Lösungen abweichen würden, wäre diese Methode in wissenschaftlicher Hinsicht geboten. Der wissenschaftliche Charakter von strafrechtlichen Unter­ suchungen besteht nicht nur in der Aufklärung und Bestimmung der strafrechtlichen Grundbegriffe oder darin, die verschiedenen Sachverhalten den sie passenden Kategorien zuzuordnen, sondern darin, ein Prinzip oder eine Idee zu entwickeln, nach denen diese Grundbegriffe und Kategorien in eine von diesem Prinzip oder dieser Idee bestimmte zusammenhängende Einheit gebracht werden.207 Nach diesem systematischen Begründungsmodell sind sämtliche Konstruktionen strafrechtlicher Grundbegriffe an einen bestimmten Rechtsbegriff als Leitprinzip des Straftatsystems orientiert. Aber auch wer als Strafrechtler diesen wissenschaftlichen Anspruch nicht erheben möchte, müsste an einem bestimmten Rechtsbegriff arbeiten. Hier greift ein inhaltlicher Aspekt der Notwendigkeit einer Rechtsbegründung. Jede juristische Argumentation setzt einen bestimmten Rechtsbegriff voraus.208 Gerade die strafrechtlichen Begründungen müssen sich mit einem bestimmten Rechtsbegriff beschäftigen, denn das noch in weiteren Schritten zu entwickelnde strafrechtliche Unrecht ist formell betrachtet nichts anderes als die Negation des Rechts, und der Rechtsbegriff muss deshalb gedanklich vorher geklärt werden. Materiell betrachtet handelt es sich bei einem Rechtsbegriff um die Normativität interpersonal-äußerer Praxisbeziehungen, die aus bestimmten Teilelementen wie handelnden Subjekten, den diese Praxisbeziehung gestaltenden Handlungen und den Normen als Handlungsgründen der Subjekte bestehen. Nimmt eine strafrechtliche Metazurechnungslehre, die die Straftat insgesamt und die Verantwortlichkeit des Tatbeteiligten bestimmt, diese Elemente als Operationscode auf, bestimmt der zuvor begründete 207  Kant, KrV AA III, S. 538: „Ich verstehe aber unter einem Systeme die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee.“ Zum systematischen Denken eingehend Pawlik, Unrecht, S. 2 ff. Kants Systemdenken zitiert auch Roxin/Greco, AT I5, § 7 Rn. 3, ohne aber die Relevanz der rechtsphilosophischen Begründung auszusprechen. 208  Neumann, Theorie, S. 233.



C. Methodik73

Rechtsbegriff auch mittelbar über diese Elemente den Grund und die Grenze der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Ein rechtsphilosophisch fundierter Rechtsbegriff, der die Legitimität und die Quelle der Normen erklärt und das Wesen einer strafbewehrten negativen interpersonalen Praxisbeziehung mitbestimmt, ist aber für sich allein noch nicht in der Lage, die konkreten strafrechtlichen Zurechnungsstrukturen und das Zurechnungsverfahren in präziser Weise darzustellen. Das hängt damit zusammen, dass ein solcher Rechtsbegriff als oberstes Leitprinzip der strafrechtlichen Begründung noch auf einer sehr abstrakten Begründungsebene bleibt. Die Aufgabe, praktizierte Zurechnungsstrukturen, insbesondere Art und Inhalt der verletzten Normen, den Gegenstand der Norm, die konkret verletzte Pflicht sowie den Grund, Gegenstand und Umfang der Zurechnung mit klarem Begriffsinhalt und deontologischen Begründungen aufzuweisen,209 bleibt einer auf diesem Rechtsbegriff aufbauenden Normentheorie vorbehalten. Zielt die normentheoretische Analyse nur auf die klare Aufweisung der praktizierten Zurechnungsstruktur oder „oftmals lediglich unterbewusst ge­ fasste[r], normative[r] Vorannahmen“,210 bleibt sie rein formell-analytisch und kann im Falle axiologischer Wertkonflikte211 keine Entscheidung für eine bestimmte normative Annahme herbeiführen.212 Der Analyse als solcher muss ein rechtsphilosophisch fundierter Rechtsbegriff zugrunde liegen und sie muss innerhalb des von diesem Rechtsbegriff gleichsam vorgegebenen Wertrahmens ausgeführt werden. Dieser Rechtsbegriff erfüllt dann den Sinngehalt der normentheoretischen Analyse. Andererseits führt diese Analyse zwar wegen ihres formell-analytischen Charakters nicht unbedingt zur Revision einer vorhandenen dogmatischen Rechtsfigur wie der Tat­herrschaftslehre. Sie hat jedoch durchaus die Potenz, den Grund und die Grenze der Zurechnung eines fremden Verhaltens oder bestimmten Erfolgs möglichst präzise darzustellen. Ein rechtsphilosophisch fundierter Unrechtsbegriff, die präzise normentheoretische Analyse und die sich strikt an den Strafvorschriften orientierende Strafrechtsdogmatik treten dann als Trinität in den hier vorgenommenen Begründungen in Erscheinung.

209  Ast, Analyse, S. 201: Die Aufgabe der Normentheorie liege in der Entwicklung bestimmter „Modelle zur Beschreibung normativer Urteile und Urteilszusammenhänge.“ 210  Grosse-Wilde, Normen, S. 242. 211  Dies hat die Diskussion über den Grund der Garantenpflicht deutlich gemacht, in der Verhaltensfreiheit und Schutzbedürftigkeit des Opfers in Konflikt geraten sind (deutlich bei Freund, Erfolgsdelikt, S. 52 ff.); die Entscheidung dieser Frage muss von einer bestimmten Rechtsvorstellung abhängig gemacht werden. 212  Grosse-Wilde, Normen, S. 241.

74 Einleitung

D. Gang der Untersuchung Der gedanklichen Reihenfolge und Methodik entsprechend ist die Arbeit zur Lösung der drei Hauptaufgaben wie folgt aufgegliedert. Wie oben bereits dargestellt, bildet der Rechtsbegriff den Grundstein aller juristischen Begründungen und bereichert sie wesentlich. Deshalb ist es notwendig, ganz am Anfang der Arbeit für einen bestimmten Rechtsbegriff Stellung zu nehmen. Der erste Teil der Arbeit bezweckt dementsprechend die Begründung eines freiheitlichen Rechtsbegriffs und dann die Entwicklung eines darauf abstellenden strafrechtlichen Unrechtsbegriffs. Dabei bilden die Autonomie und das praktische Vermögen einer Person den Ausgangspunkt der Ursprünglichkeit und den Inhalt der Normativität interpersonaler Verhältnisse. Daraus ergeben sich zunächst ein Unrechtsbegriff und in weiteren Schritten auch ein strafrechtlicher Unrechtsbegriff und dessen wichtige Dimensionen. Es wird gezeigt werden, dass im Verhältnis zu anderen strafrechtlichen Unrechtsbegriffen in der Literatur der hier vertretene inhaltlich reichhaltiger ist und seine theoretische Verankerung im Grundgesetz hat. In Anschluss daran wird im zweiten Teil das materielle Unrecht der Garantenpflichtverletzung untersucht. Es wird zunächst versucht, eine strafrecht­ liche Handlungslehre im Lichte des freiheitlichen Rechtsbegriffs zu entwickeln und dann Tun und Unterlassen als zwei Begehungsformen in diese Handlungslehre zu integrieren. Dabei wird die sozial-wirkliche Verletzungsmacht des Garanten, die eine Unrechtsentsprechung zu positivem Tun ermöglicht, in der sozialen Dimension der Handlung erblickt, also in der Verschlechterung des zugeschriebenen Status des Opfers durch unterlassene gebotene Hilfsleistung. Die Verletzungsmacht als solche ergibt sich dann aus der Verletzung der Garantenpflicht, die die Freiheit des Opfers in einem bestimmten Ausschnitt schützen soll. Deshalb ist es geboten, den Entstehungsgrund der Garantenstellung und deren konkrete Typen, insbesondere die Garantenpflicht zur Verhinderung einer fremden Straftat, zu skizzieren. Damit wird auch erklärt, ob und inwieweit der Beteiligte durch sein Unterlassen ebenfalls solche Verletzungsmacht erlangt. Der dritte Teil befasst sich mit der Grundlinie einer interpersonalen Beteiligungslehre, die auf den vorher entwickelten einheitlichen, d. h. Tun und Unterlassen umfassenden Unrechtsgriff und die Handlungslehre zurückgreift und zur Entwicklung eines einheitlich-materiellen Täterbegriffs imstande sein soll. Bevor auf die Beteiligungslehre eingegangen wird, muss allerdings im ersten Schritt die Zurechnungsstruktur der Alleintäterschaft in den Blick genommen werden, denn wer Täterschaft als Tatbestandsverwirklichung ansieht, kann sich einer materiellen Tatbestandslehre, die die Bestimmung des tatbestandsmäßigen Verhaltens und die Erfolgszurechnung umfasst, nicht



D. Gang der Untersuchung75

entziehen. Andererseits stellt sich Alleintäterschaft als „Standardtypus“ anderer Täterschaftsformen dar, daher müssen die Zurechnungsstrukturen dieser Täterschaftsformen eine normativ „hinreichende Ähnlichkeit“ mit der Struktur der Alleintäterschaft aufweisen.213 Die Verknüpfung der Beteiligungslehre mit der allgemeinen Tatbestands- bzw. Zurechnungslehre dient nicht nur zur Bestimmung des Verhältnisses beider Lehren, sondern auch dazu, mithilfe normentheoretischer Analyse zu einem klareren Leitprinzip von Täterschaft zu gelangen, als es in der herkömmlich angenommenen „Zentralgestalt“ gegeben ist. Nachdem diese allgemeine, am Tatbestand orientierte täterschaftliche Zurechnungsstruktur dargelegt worden ist, wendet die Arbeit sich der allgemeinen Beteiligungslehre zu, wobei die Zurechnungsstruktur der Alleintäterschaft jedoch nicht modifiziert, sondern unter Berücksichtigung weiterer Beteiligungsverhältnisse konkretisiert wird. Der Tat­ herrschaftsbegriff wird dann nicht instrumentell verstanden, sondern im Lichte des hier vertretenen Unrechtsbegriffs weiter normativiert und seine Konturen werden durch die normentheoretische Strukturanalyse der Zurechnung fremden Verhaltens und der Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg wesentlich klarer. Anschließend werden das Unrecht und die allgemeine Zurechnungsstruktur der Teilnahme untersucht. Es wird demonstriert, dass die Normentheorie für die Erklärung der Akzessorietät sowie für das Handlungs- und Erfolgsunrecht der Teilnahme fruchtbar gemacht werden kann. Nach der kritischen Auseinandersetzung mit den drei klassischen Tätersystemen ist sodann ein eigenes „monistisches“ Tätersystem zu entwerfen, wobei die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach Maßgabe der vorher begründeten unterschiedlichen Zurechnungsstrukturen von Täterschaft und Teilnahme in zwei Prüfungsstufen vorzunehmen ist. Insoweit versteht sich die Arbeit auch als ein Beitrag zur allgemeinen Beteiligungslehre. Erst im vierten Teil wird die Beteiligung durch Unterlassen spezifisch und detailliert behandelt. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Beteiligung durch Unterlassen nur einen Querschnitt der gesamten Beteiligungslehre und Unrechtstheorie bildet. Eine eingehende kritische Bestandsaufnahme bestehender Lösungsvorschläge ist daher ohne vertieftes Vorverständnis über das Unrecht des Unterlassens und die Zurechnungsstrukturen verschiedener Beteiligungsformen nicht zweckmäßig. Nach dieser Bestandsaufnahme wird festgestellt, dass die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme durch Unterlassen ebenfalls in zwei Prüfungsschritten zu erfolgen hat. Zunächst ist die Verletzungsmacht des Garanten im konkreten Rechtsverhältnis zu bestimmen und dann zu prüfen, ob diese Verletzungsmacht der im dritten Teil entwickelten Zurechnungsstruktur von Täterschaft oder Teilnahme entspricht. 213  Insoweit

Rn. 52.

auch Schünemann, FS-Roxin II, S. 809; LK13/Schünemann/Greco, § 25

76 Einleitung

Anschließend folgt die Untersuchung der besonderen Beteiligungsformen durch Unterlassen, wobei insbesondere auf Möglichkeit und Notwendigkeit der einzelnen Beteiligungsformen durch Unterlassen und auf ihre Zurechnungsstruktur eingegangen wird.

Erster Teil

Rechtsphilosophische Grundlage Es wurde bereits angedeutet, dass eine rechtsphilosophische Begründung für einen bestimmten Rechtsbegriff sowohl in methodischer als auch in dogmatisch-programmatischer Hinsicht unerlässlich ist. Dieser rechtsphilosophische Anspruch kann weiter um die folgende These zur Legitimation von Normen und Pflichten ergänzt werden: Sämtliche Rechtsfiguren im Strafrecht wie die Sanktionsnormen, die Zurechnung einer Pflichtverletzung und letztendlich die Strafe als Reaktion auf eine Straftat müssen gegenüber dem Täter ihre Legitimität aufweisen. Es ist zu begründen, dass der Täter selbst Normgeber und zugleich Normadressat ist, sodass sich die rechtliche Norm und die durch sie begründete Verpflichtung nicht als eine dem Täter heteronom gegenüberstehende Instanz, sondern als seine eigene Leistung begreifen lassen und ihre Legitimität erlangen. Seine Straftat ist dann als Verletzung einer von ihm selbst gegebenen Norm anzusehen und die rechtliche Zurechnung und die Strafe finden ihren letzten Grund gerade im Straftäter.

A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs Ein auf die Autonomie, d. h. Selbstgesetzgebung einer Person gegründeter Rechtsbegriff lässt sich auf Immanuel Kants praktische Philosophie zurückführen.1 Im Hinblick auf die entscheidende Frage, wie der Mensch in praktischen Beziehungen richtig handeln soll, sucht Kant nach einem allgemeingültigen Gesetz, das a priori in Begriffen der reinen praktischen Vernunft gesucht werden muss.2 Dieses objektiv-allgemeingültige Gesetz hat nach Kant seinen Grund im guten Willen des Menschen selbst. Wenn aber der gute Wille des Menschen Grund dieses Gesetzes ist, kann dieses Gesetz nur vom Menschen selbst gegeben werden und nicht vom Anderen. Dieses Verständnis des praktischen Gesetzes setzt notwendig die Freiheit des Menschen 1  Da hier nur ein freiheitlicher Rechtsbegriff konstruiert, nicht aber Kants Kerngedanke treu wiedergegeben wird (was Aufgabe der Philosophen wäre), beschränkt sich die folgende Darstellung nicht auf Kants Arbeit. Gelegentlich werden also auch die Ansichten von Fichte oder Hegel in einen Begründungszusammenhang miteinbezogen. 2  Kant, GMS AA IV, S. 389.

78

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

voraus, unabhängig von fremden Bestimmungsgründen (negativer Begriff der Freiheit)3 und nur nach dem Gesetz, das der freie Wille selbst gegeben hat, zu handeln (Selbstgesetzgebung, positiver Begriff der Freiheit).4 Angesichts der Schlüsselstelle des Freiheitsbegriffs in Kants praktischer Philosophie und Rechtslehre sei im Folgenden dieser Begriff kurz nachgezeichnet.

I. Ausgangspunkt: freies Vernunftwesen und sittlich-autonome Person 1. Möglichkeit der transzendentalen Freiheit Dieses Verständnis der Freiheit mit seinem engen Bezug zum reinen praktischen Gesetz hat Kant in seinen kritisch-philosophischen Schriften schrittweise entwickelt.5 Bereits in der Kritik der reinen Vernunft ist Kant auf die Möglichkeit einer transzendentalen Idee der Freiheit, d. h. „eine Unabhängigkeit dieser Vernunft selbst (in Ansehung ihrer Causalität, eine Reihe von Erscheinungen anzufangen) von allen bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt“ eingegangen. Freiheit wird dort freilich im Wesentlichen als eine spekulative, nicht aber als praktische Frage behandelt:6 Der Mensch hat zwar die Fähigkeit, mit ­seinem Verstand, dem „Vermögen der Erkenntnisse“,7 das Naturgesetz zu erkennen und danach zu handeln; man kann insoweit aber noch nicht von seiner Freiheit ausgehen, weil solches „technisch-praktisches Verhalten im engeren Sinn“8 sich noch dem Naturgesetz unterwirft. Der Mensch ist aber nicht nur eine Erscheinung in der Welt, sondern kann zugleich auch eine Ursache sein, wenn man die These vertritt, dass hinter dem Phänomen der „Produkte“ des Verstandes a priori das „Ding an sich“ als intelligibler Grund steht.9 Dass „der Mensch ein intelligibles Wesen und empirisch unbedingt und frei“ ist, „ergibt sich schon aus […] einer Erkenntnis des Verstandes als nicht-sinnlich affizierter Erkenntnis“.10 Ein solches Verständnis ermöglicht „eine absolute Spontaneität der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen, die nach Natur­ gesetzen läuft, von selbst anzufangen“11 (Kausalität aus Freiheit) und führt GMS AA IV, S. 446. GMS AA IV, S. 447. 5  Eingehende Darstellung und zum Folgenden Hirsch, Freiheit, S. 38 ff. 6  Näher dazu Hirsch, Freiheit, S. 40, Fn. 13. 7  Kant, KrV AA III, S. 111. 8  Terminologisch Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 35. 9  Vgl. Kant, KrV AA III, S. 17. 10  Zaczyk, Unrecht, S. 134. 11  Kant, KrV AA III, S. 310. 3  Kant, 4  Kant,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs79

dazu, dass die Wirkung der menschlichen Handlung nicht nur von dem empirischen Naturgesetz ausgehend interpretiert werden kann.12 2. Autonomie als Grund des moralischen Gesetzes Auch wenn die Möglichkeit der transzendentalen Freiheit in der ersten Kritik nur als eine spekulative Frage behandelt wird und theoretische Philosophie und praktische Philosophie gerade unterschiedliche Gegenstände haben und somit unterschiedlichen Grundbestimmungen folgen,13 hat die kopernikanische Wende der Denkungsart, „die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntniß richten“,14 doch insoweit für die praktische Philosophie eine Bedeutung, als sich das Prinzip am Subjekt selbst orientieren soll.15 In der Grundlegung der Metaphysik der Sitten wird der Begriff der Freiheit mit dem Moralgesetz in einen engen Begründungszusammenhang gebracht. Den Ausgangspunkt bildet aber die Deduktion des obersten Moralprinzips: Nur der gute Wille, der „nicht durch seine Tauglichkeit zu Erreichung irgendeines vorgesetzten Zwecks, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich, gut ist“,16 kann ohne Einschränkung gut sein.17 Dementsprechend liege der moralische Wert der Handlung nicht in der durch die Handlung zu verwirklichenden Absicht, sondern in der (Handlungs-)Maxime,18 hänge also „blos von dem Princip des Wollens [ab], nach welchem die Handlung unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens geschehen ist“.19 Weiterhin erklärt Kant mithilfe des Begriffs der Pflicht die Eigenschaft des guten Willens

12  Dieser Befund ist deshalb für die Bestimmung des Unrechtsbegriffs und die (straf)rechtliche Zurechnung wichtig, weil sich das Unrecht dann schwerlich nur auf die instrumentale Steuerung des Kausalverlaufs der Rechtsgutsverletzung beschränken kann; eine normative Zurechnung wäre nicht zustande gekommen, wenn das Handeln des Menschen nur dem Naturgesetz unterworfen wäre, weil dann die Handlung nur als notwendiges Produkt einer vor der Handlung bestehenden Ursache begriffen werden müsste. Der im Kontext der Schuld diskutierte Determinismus ist demnach zu Recht zurückgewiesen worden. 13  Zaczyk, Was ist Recht?, S. 23, der zutreffend formuliert: „Bei ihr [sc. der theoretischen Erkenntnis der äußeren Welt] sind die Objekte vorgegeben, im Handeln schafft der Mensch seine Welt selbst.“ 14  Kant, KrV AA III, S. 12. 15  Zaczyk, Was ist Recht?, S. 23 f. 16  Kant, GMS AA IV, S. 394. 17  Kant, GMS AA IV, S. 393. 18  Kant, GMS AA IV, S. 420: „Maxime ist das subjective Princip zu handeln und muß vom objectiven Princip, nämlich dem praktischen Gesetze, unterschieden werden.“ 19  Kant, GMS AA IV, S. 399 f.

80

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

mittelbar:20 Der Mensch als ein vernünftiges Wesen hat zwar das Vermögen, „nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Prinzipien, zu handeln, oder einen Willen“,21 der menschliche Wille ist jedoch „nicht an sich völlig der Vernunft gemäß“,22 sondern kann zugleich als Bestandteil der Naturwelt auch von der Neigung bestimmt werden. Nur wenn die Handlung aus Pflicht erfolgt, also aus „Achtung fürs Gesetz“,23 nicht aus Neigung bzw. Selbstliebe (solche Handlung kann freilich ebenfalls pflichtgemäß sein), erlangt sie moralischen Wert,24 denn die Neigung bzw. Selbstliebe verfolgt lediglich einen bestimmten Zweck und kann daher nicht, wie ein Gesetz, Allgemeingültigkeit beanspruchen. Nun ist auf die Wirkungsweise der Vernunft und auf den Inhalt des moralischen Gesetzes einzugehen. Bestimmt die Vernunft wegen der Unvollkommenheit des Menschen seinen Willen nicht notwendig, trifft das Gebot der Vernunft ihn als eine moralische Nötigung oder Verbindlichkeit25 und die Formel dieses Gebots heißt dann Imperativ. Alle Imperative, so Kant, werden „durch ein Sollen ausgedrückt und zeigen dadurch das Verhältniß eines objectiven Gesetzes der Vernunft zu einem Willen an“.26 Kant unterscheidet hier bekanntlich zwei Arten von Imperativen: Der hypothetische Imperativ stellt „die praktische Nothwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel zu etwas anderem“ vor, demgegenüber fordert der kategorische Imperativ „eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objectiv=nothwendig“.27 Die praktische Notwendigkeit des hypothetischen Imperativs ist nur eine subjektive, denn die Handlung wird hier nur als ein Mittel zur Verwirklichung eines bestimmten Zwecks gesetzt und der Imperativ gilt nur bei Verwirklichung dieses Zwecks.28 Der kategorische Imperativ, der sich auf keinen anderen Zweck als nur die Handlung selbst bezieht, „gebietet eine Handlung unbedingt, unabhängig von subjektiven Präferenz oder Absichten“.29 Ihm kommt im Unterschied zum hypothetischen Imperativ objektive Notwendigkeit zu und er gilt „apo­ Freiheit, S. 42. GMS AA IV, S. 412. 22  Kant, GMS AA IV, S. 413. 23  Kant, GMS AA IV, S. 400: „Pflicht ist die Nothwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz.“ 24  Horn/Mieth/Scarano, Kommentar, S. 321. 25  Kant, GMS AA IV, S. 439. Horn/Mieth/Scarano, Kommentar, S. 321. 26  Kant, GMS AA IV, S. 413. 27  Kant, GMS AA IV, S. 414. 28  Horn/Mieth/Scarano, Kommentar, S. 319. 29  Horn/Mieth/Scarano, Kommentar, S. 319. Weitere Formulierung für das Abgrenzungskriterium bei Kant, GMS AA IV, S. 431: „die Lossagung von allem Inte­ resse beim Wollen aus Pflicht, als das specifische Unterscheidungszeichen“. 20  Hirsch, 21  Kant,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs81

diktisch“.30 Diese Unterscheidung ermöglicht für Kant auch die Bestimmung des Charakters des moralischen Gesetzes und seines Inhalts. Gebietet das moralische Gesetz unbedingt und notwendig eine Handlung aus Pflicht, d. h. eine Handlung unabhängig von allem Interesse und aller Neigung und nur aus Achtung fürs Gesetz, muss dieses Gesetz in Form des kategorischen Imperativs den Willen nötigen, nach einer dem kategorischen Imperativ genügenden Maxime zu handeln. Weil eine Handlung aus Pflicht von allem Interesse bzw. bestimmtem Zweck befreit sein muss und keine Bedingung haben darf, kann der kategorische Imperativ zunächst so formuliert werden: „[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“31 Wenn Kant meint, dass eine moralische Handlung ebenfalls zur Erreichung eines Zwecks vollgezogen werden muss, kann dieser Zweck nicht ein subjektiver, sondern muss ein objektiver Zweck sein, der an sich einen absoluten Wert aufweist.32 Nach Kant besitzen aus Neigung zu begehrende oder „durch unsere Handlung zu erwerbende“ Gegenstände nur relativen Wert, und die vernunftlosen Sachen können nur als Mittel behandeln werden. Nur vernünftige Wesen (Personen) kommen als objektiver Zweck in Betracht, „weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d. i. als etwas, das nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet“.33 Damit ist das Dasein des Menschen an sich selbst Zweck! Weil sich dieser Zweck direkt aus dem Dasein des Menschen als vernünftiges Wesen ergibt, muss jeder Mensch daran gebunden sein. Er erlangt dann Allgemeingültigkeit und kann „zum allgemeinen praktischen Gesetz“ dienen.34 Der daraus hergeleitete kategorische Imperativ lautet: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“35 Gilt das moralische Gesetz dem Naturgesetz analog allgemeingültig, muss dieses Gesetz vom Willen selbst gegeben sein; sonst würde der Wille einem anderen Gesetz untergeordnet, dem ein bestimmtes Interesse oder Prinzip zugrunde liegt, und das moralische Prinzip könnte nicht mehr als ein oberstes und absolutes anerkannt werden.36 Darüber hinaus leitet Kant auch diese GMS AA IV, S. 415. GMS AA IV, S. 421. 32  Kant, GMS AA IV, S. 428. Vgl. auch die Interpretation von Timmermann, Kommentar, S. 125. 33  Kant, GMS AA IV, S. 428. 34  Kant, GMS AA IV, S. 428 f. 35  Kant, GMS AA IV, S. 429. 36  Kant, GMS AA IV, S. 432. Vgl. auch Horn/Mieth/Scarano, Kommentar, S. 255 mit zusätzlichen Überlegungen zu den Begriffen des guten Willens und der Handlung aus Pflicht. 30  Kant, 31  Kant,

82

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

Eigenschaft des Willens aus der „Zweck-an-sich-Formel“ ab: Der Mensch an sich ist nach der Formel ein objektiver Zweck und zugleich ein oberstes Gesetz. Liegt der Grund aller Gesetzgebung nach Kant objektiv in der Allgemeingültigkeit des Gesetzes, „subjektiv aber im Zwecke“ und ist „das Subject aller Zwecke […] jedes vernünftige Wesen, als Zweck an sich selbst“,37 dann muss das vernünftige Wesen Urheber dieses Gesetzes sein.38 „Der Wille wird also nicht lediglich dem Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch als selbstgesetzgebend und eben um deswillen allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als Urheber betrachten kann) unterworfen angesehen werden muß.“39 Die Eigenschaft des Willens, nur dem selbstgegebenen Gesetz unterworfen zu sein, heißt dann bei Kant „Autonomie“,40 die der Grund der Würde jedes vernünftigen Wesens ist.41 Erst im dritten Teil der Grundlegung untersucht Kant grundlegend die Möglichkeit der Autonomie und ihr Verhältnis zum moralischen Gesetz. Zunächst zieht Kant den negativen und den positiven Begriff der Freiheit zur Erklärung der Kausalität des Willens eines vernünftigen Wesens heran. Der negative Begriff der Freiheit bedeutet Unabhängigkeit „von fremden sie bestimmenden Ursachen“;42 demgegenüber zeichnet der positive sich inhaltsreicher als Gesetzgebung aus. Die Eigenschaft des freien Willens heißt dann, „sich selbst ein Gesetz zu sein“.43 Und weil der Mensch frei ist, kann er unabhängig von Bestimmungsgründen eines fremden Gesetzes und nur nach der Maxime handeln, die dem selbstgegebenen Gesetz genügt.44 Diese Freiheit als Autonomie kann aber Kant zufolge nicht empirisch bewiesen, sondern lediglich „a priori dargetan“ und vorausgesetzt werden.45 Die Postulat der Autonomie wird demnach im Kontext der Möglichkeit des kategorischen Imperativs um die Argumente, die bereits in der ersten Kritik entwickelt wurden, ergänzt: Die Idee der Freiheit macht den Menschen zu einem Glied 37  Kant, GMS AA IV, S. 431. Timmermann, Kommentar, S. 130: „subjektiv jedoch im ‚Zweck‘ – d. h. im vernünftigen Wesen!“ 38  Horn/Mieth/Scarano, Kommentar, S. 255. 39  Kant, GMS AA IV, S. 431. 40  Kant, GMS AA IV, S. 433. 41  Kant, GMS AA IV, S. 436. 42  Kant, GMS AA IV, S. 446. 43  Kant, GMS AA IV, S. 447. 44  Vgl. Kant, GMS AA IV, S. 448; Timmermann, Kommentar, S. 138. Dass Kant in der Grundlegung einen Schluss von der Freiheit auf das Sittengesetz formuliert, hat Ludwig, DZPhil, 58 (2010) 4, 598–600 mit weiteren Nachweisen festgestellt. Hier sei nur ein Beispiel aufgezeigt, Kant, GMS AA IV, S. 453: „Nun ist der Verdacht […] als wäre ein geheimer Cirkel in unserem Schlusse aus der Freiheit auf die Autonomie und aus dieser aufs sittliche Gesetz enthalten …“. 45  Kant, GMS AA IV, S. 448.



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs83

einer intelligiblen Verstandeswelt, wobei er sich nur dem selbstgegebenen Gesetz unterwirft (Autonomie). Er gehört aber zugleich zu einer Sinnenwelt und seine Handlung wird daher zugleich vom Naturgesetz der Neigung bestimmt. „Weil aber die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt, mithin auch der Gesetze derselben enthält“,46 kann der Mensch als Mitglied der Sinnenwelt auch das Gesetz der Autonomie anerkennen und seine Handlung danach richten. 3. Das Faktum der Vernunft Somit ist der enge Begründungszusammenhang von Autonomie und Moralgesetz bei Kant deutlich zu erkennen. Nach Erscheinen der Kritik der praktischen Vernunft werden die in der Grundlegung entwickelten Grundbegriffe der praktischen Philosophie sowie ihre Deduktion beibehalten und präzisiert, sodass hier nur eine bemerkenswerte Wende im Hinblick auf die „epistemische Reziprozität“47 von Freiheit und Moralgesetz zu dokumentieren ist: „Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselsweise auf einander zurück“; die Frage sei, „wovon unsere Erkenntniß des unbedingt Praktischen anhebe, ob von der Freiheit, oder dem praktischen Gesetze“.48 In der Grundlegung werden zwar der gute Wille, der kategorische Imperativ und die Autonomie als die notwendigen Elemente des moralischen Gesetzes ausgewiesen. Dies setzt aber die Wirklichkeit des Gesetzten voraus, wenn Kant den Zweifel aus moralischem Empirismus oder Skeptizismus gültig entkräften will.49 Diese Wirklichkeit soll durch das Faktum der Vernunft, also „das Bewusstsein des Grundgesetzes“ (des moralischen Gesetzes) und der Verpflichtung, dieses Gesetz „als die oberste Bedingung aller Maximen an[zu]sehen“,50 ausgewiesen werden. Das Bewusstsein des obersten Prinzips ist aber nach Kant keine empirische Gegebenheit,51 sondern ein „Faktum, dessen wir uns a priori bewußt sind und welches apodiktisch gewiß ist“;52 In diesem Zusammenhang weist Kant zusätzlich darauf hin, dass man das Faktum „nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z. B. dem Bewusst­ sein der Freiheit (denn dieses ist uns nicht vorher gegeben), herausvernünf­ teln“53 kann; anderenfalls würde eine intellektuelle Anschauung von (positiGMS AA IV, S. 453. DZPhil, 58 (2010) 4, 597. 48  Kant, KpV AA V, S. 29 § 6 Anmerkung. 49  Höffe, Immanuel Kant, S. 207, 210; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 99. 50  Kant, KpV AA V, S. 31. 51  Kant, KpV AA V, S. 31; Höffe, Immanuel Kant, S. 207 f. 52  Kant, KpV AA V, S. 47. 53  Kant, KpV AA V, S. 31. 46  Kant,

47  Ludwig,

84

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

ver) Freiheit in Anspruch genommen.54 Diese Ausführung ist für die hier interessierte Frage nach der oben genannten Reziprozität entscheidend, denn das oberste Prinzip im Praktischen (oder das Bewusstsein von ihm) kann demnach nicht mehr, wie in der Grundlegung, zunächst aus der Freiheit (oder dem Bewusstsein von ihr) hergeleitet werden, sondern umgekehrt: Erst wenn der Mensch sich des moralischen Gesetzes bewusst ist, lässt sich die Freiheit deduzieren.55 Infolgedessen darf Kant davon ausgehen: Die Freiheit ist die ratio essendi des moralischen Gesetzes, aber das moralische Gesetz ist die ratio cognoscendi der Freiheit.56 Zusammenfassung: Hat der Mensch von äußeren Bestimmungsgründen unabhängig und nur nach den eigenen Handlungsmaximen, die den Grund in seiner reinen praktischen Vernunft finden und dem kategorischen Imperativ entsprechen, gehandelt, ist er Gesetzgeber dieser verallgemeinerbaren Maximen und sittlich frei.

II. Die Elemente des Rechts und das Postulat des Rechtsprinzips 1. Kants moralischer Rechtsbegriff Die vorstehenden Ausführungen über den Begründungszusammenhang zwischen Freiheit und Moralgesetz beziehen sich auf das Verhältnis zwischen dem Handelnden selbst und dem von ihm selbst gesetzten Moralprinzip. Den Ausgangspunkt für die Notwendigkeit des Rechts bildet aber die Tatsache, dass der Mensch nicht allein, sondern mit den anderen „in einer einheitlichen Welt“57 zusammenlebt und sich ihre Handlungen notwendig wechselseitig aufeinander auswirken. Es muss deshalb ein Prinzip gefunden werden, das es ermöglicht, ihre Handlungen zu koordinieren und die Koexistenz der Menschen in einer Gemeinschaft zu ermöglichen.58 Und dieses Prinzip, wenn es KpV AA V, S. 31. DZPhil, 58 (2010) 4, 598; Hirsch, Freiheit, S. 47 Fn. 50 jeweils m. w. N. Vgl. noch Kants eigene Ausführungen (Kant, KpV AA V, S. 29): „Also ist es das moralische Gesetz, dessen wir uns unmittelbar bewußt werden (so bald wir uns Maximen des Willens entwerfen), welches sich uns zuerst darbietet und, indem die Vernunft jenes als einen durch keine sinnliche Bedingungen zu überwiegenden, ja davon gänzlich unabhängigen Bestimmungsgrund darstellt, gerade auf den Begriff der Freiheit führt“ (Hervorhebungen von mir). 56  Kant, KpV AA V, S. 4, Fn. 57  Vgl. Zaczyk, Was ist Recht?, S. 24 mit Hinweis auf Kants Ausführungen in Fn. 15. 58  Das Recht wird dann von Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 81 zutreffend als „Koexistenzbedingung freier Individuen“ bezeichnet. 54  Kant,

55  Ludwig,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs85

sich nicht nur mittelbar auf das Verhältnis des einzelnen Menschen zum Gesetz, sondern unmittelbar59 auf das äußere interpersonale Verhältnis zwischen Menschen bezieht60 und den Charakter der Allgemeingültigkeit besitzt, heißt dann Rechtsprinzip. Das Rechtsprinzip wird von Kant in der Metaphysik der Sitten grundlegend behandelt. a) Der Regelungsbereich des Rechts und die juristische Gesetzgebung „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des Einen mit der Willkür des Anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“61 Zunächst betrifft das Recht nur „das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können.“62 Dieser Einfluss setzt aber das Vermögen einer Person voraus, „nach Belieben zu thun oder zu lassen, sofern es mit dem Bewusstsein des Vermögens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objekts verbunden ist“.63 Dieses Vermögen heißt bei Kant Willkür, die sich anders als der „Wunsch“ immer auf die wirkliche Handlung richtet.64 Im Recht begegnen sich die Menschen deshalb nur in Bezug auf ihre äußere Handlungsfreiheit.65 Der Unterschied zwischen Recht und Moral im Hinblick auf den Regelungsbereich bzw. den Gegenstand wird auch wirksam in deren unterschiedlichen Gesetzgebungen und der entsprechenden Beurteilung der Qualität einer Handlung unter dem Aspekt der Moralität oder Legalität. Kant zufolge gibt es immer zwei Teilstücke der Gesetzgebung, erstens ein Gesetz, welches „die Handlung zur Pflicht macht“, und zweitens eine Triebfeder, „welche den Bestimmungsgrund der Willkür zu dieser Handlung subjectiv mit der Vorstellung des Gesetzes verknüpft“;66 sie ist ein subjektiver Bestimmungsgrund, der das Subjekt motiviert, nach dem Gesetz zu handeln.67 Die Gesetzgebungen sind „in Ansehung der Triebfedern“ weiter zu unterscheiden: Macht eine Gesetzgebung „eine Handlung zur Pflicht und diese Pflicht zugleich zur Triebfeder“, ist sie eine ethische Gesetzgebung. Lässt dagegen Unrecht, S. 147. Rechtslehre, S. 31; Höffe, Immanuel Kant, S. 181. 61  Kant, MdS AA VI, S. 230. 62  Kant, MdS AA VI, S. 230. 63  Kant, MdS AA VI, S. 213. 64  Hirsch, Rechtslehre, S. 45. 65  Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 79. 66  Kant, MdS AA VI, S. 218. 67  Hirsch, Rechtslehre, S. 28. 59  Zaczyk, 60  Zaczyk,

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

eine Gesetzgebung „eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht selbst“ zu, ist sie juridisch.68 Die Qualität einer menschlichen Handlung wird dann entsprechend beurteilt. Während es sich bei der Legalität einer Handlung nur um die Übereinstimmung dieser Handlung mit dem Gesetz handelt, ohne dass die Triebfeder dieser Handlung zu berücksichtigen ist, erfordert die Moralität einer Handlung, dass „die Idee der Pflicht aus dem Gesetz zugleich die Triebfeder der Handlung ist“,69 also Handeln aus Pflicht.70 b) Transzendentale Freiheit als Grund des allgemeinen Rechtsgesetzes Wenn aber das Rechtsgesetz, anders als das Moralprinzip, kein Handeln aus Pflicht verlangt und trotzdem als Gesetz Allgemeingültigkeit in Anspruch nimmt, stellt sich die Frage, ob den in der kritischen Moralphilosophie entwickelten Begriffen wie der transzendentalen bzw. sittlichen Freiheit und dem kategorischen Imperativ trotz der vorgestellten beachtlichen Unterschiede zwischen Recht und Moral bei der Begründung des Rechtsprinzips noch Bedeutung zukommen kann.71 Erinnert man sich an die Reziprozität von (sittlicher) Freiheit und (allgemeingültigem) Moralgesetz, kann man das Rechtsgesetz auch in diesen beiden Dimensionen untersuchen, um das Verhältnis beider Prinzipien zu erklären. Gehen wir von dem allgemeingültigen Charakter des Rechtsgesetzes aus. Ein rechtlicher Imperativ, dem das Rechtsprinzip zugrunde liegt, hat folgenden Inhalt: „[H]andle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle, sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch thätlich eingeschränkt werden dürfe“.72

Da dieser rechtliche Imperativ73 kein Handeln aus Pflicht verlangt, der Adressat des Imperativs dieser rechtlichen Pflicht vielmehr auch dann nachMdS AA VI, S. 219. MdS AA VI, S. 219. 70  Hirsch, Rechtslehre, S. 29. 71  Hier kann dieser Streit ums Verhältnis zwischen Rechtphilosophie und Moralphilosophie bei Kant nicht detailliert nachgezeichnet. Eingehend dazu Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 108  ff.; Hirsch, Freiheit, S. 90  ff.; Ludwig, Personen, S.  197 ff. Vgl. auch Zaczyk, JRE 14 (2006), S. 313 ff. 72  Kant, MdS AA VI, S. 231. 73  Teilweise wird der Imperativcharakter des Rechtsgesetzes mangels der Sollensforderung überhaupt verneint und stattdessen das Rechtsgesetz nur als ein Rechts68  Kant, 69  Kant,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs87

kommt, wenn er z. B. aus Angst vor der drohenden Strafe gesetzmäßig gehandelt hat, wird die hier vertretene These, dass das Rechtsgesetz als kategorischer Imperativ aufzufassen ist, von einigen verneint. Sie gehen davon aus, dass ein kategorischer Imperativ ein Handeln aus Pflicht fordere, was beim rechtlichen Imperativ gerade nicht der Fall ist.74 Diese Interpretation ist freilich nicht überzeugend. Sie steht zunächst den ausdrücklichen Ausführungen von Kant entgegen. Wenn Kant schreibt, „[d]er kategorische Imperativ, indem er eine Verbindlichkeit in Ansehung gewisser Handlungen aussagt, ist ein moralisch=praktisches Gesetz“75 und dass das Rechtsgesetz als ein moralisches Gesetz interpretiert werden soll76, dann muss das Rechtsgesetz ein kategorischer Imperativ sein.77 Zweitens kann nach der zutreffenden Analyse von Hirsch78 ein kategorischer Imperativ ein Handeln aus Pflicht fordern, es aber nicht unbedingt fordern. Sagt der kategorische Imperativ überhaupt nur die Verbindlichkeit in Ansehung gewisser Handlungen aus79 und liegt der kategorische Charakter des Imperativs gerade darin, dass die Pflichterfüllung unabhängig von deren Koinzidenz mit meinem subjektiven Zwecken unbedingt ist,80 dann spricht dies dafür, dass der kategorische Imperativ nur „die Pflichtbefolgung unangesehen des Handlungsmotivs“81 unbedingt fordert. Der kategorische Imperativ kann aber auch nicht immer nur ein Handeln aus Pflicht fordern. Eine solche Forderung liefe auf eine Pflichterfüllung als ­alleiniges Handlungsmotiv hinaus. Er kann dagegen nur fordern, dass die Pflichterfüllung „im Konfliktfall das ausschlagende Motiv“ ist;82 andernfalls grund für den Rechtszwang angesehen. Vgl. neuerdings Horn, Normativität, S. 173. Der Charakter der Verpflichtung gegenüber dem Vernunftwesen ergibt sich bereits aus dem zitierten Text. Die Formulierungen „handele so“ und „weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle“ zeigen in diesem Zusammenhang einfach nur, dass das Rechtsgesetz nicht ein Handeln aus Pflicht fordert. Das Sollen, gesetzmäßig zu handeln, bleibt unberührt. Dazu eingehend und zutreffend Hirsch, Rechtslehre, S. 51 f. 74  In der Sache Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 84. Kersting, Kant über Recht, S. 41 hat später aber diese These aufgegeben und hält jetzt das Rechtsgesetz für eine Version des kategorischen Imperativs. 75  Kant, MdS AA VI, S. 222 f. 76  Kant, MdS AA VI, S. 239: „Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann“ (Hervorhebungen von mir). 77  Diese Analyse findet sich bei Hirsch, Rechtslehre, S. 51. 78  Ausführlich Hirsch, Freiheit, S. 111–117 m. w. N. 79  Kant, MdS AA VI, S. 222, 225. Vgl. auch Hirsch, Freiheit, S. 114. 80  Hirsch, Freiheit, S. 115. 81  Hirsch, Freiheit, S. 117. 82  Hirsch, Freiheit, S. 115 Fn. 178.

88

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

wäre der negative Begriff der Freiheit, also unabhängig von äußeren Bestimmungsgründen zu handeln, gegenstandslos.83 Somit ist das Rechtsgesetz als ein kategorische Imperativ aufzufassen, der ein endliches Vernunftwesen unabhängig von seinen subjektiven Motiven unbedingt verpflichtet, seine Handlung am allgemeinen Rechtsprinzip auszurichten. Anschließend ist auf den Begriff der Freiheit im Verhältnis zum Rechtsgesetz einzugehen. Bereits in der Einleitung der Metaphysik der Sitten erinnert Kant nochmals an die Bedeutung des positiven Begriffs der Freiheit für das Moralgesetz, den er in der Grundlegung und der zweiten Kritik schrittweise entwickelt hat.84 Während aber in beiden letztgenannten Schriften der Begriff des Willens im Vordergrund steht, unterscheidet Kant in der Metaphysik der Sitten zwischen Wille und Willkür und modifiziert den Begriff des Willens geringfügig zwecks Präzisierung.85 „Der Wille ist also das Begehrungsvermögen, nicht sowohl (wie die Willkür) in Beziehung auf die Handlung, als vielmehr auf den Bestimmungsgrund der Willkür zur Handlung betrachtet, und hat selber vor sich eigentlich keinen Bestimmungsgrund, sondern ist, sofern sie die Willkür bestimmen kann, die praktische Vernunft selbst.“86 Wenn eine Willkür durch reine Vernunft bestimmbar ist, ist sie freie Willkür. Eine solche Willkür ist die menschliche, denn sie ist zwar durch sinnliche Antriebe affizierbar, doch kann sie auch „zu Handlungen aus reinem Willen bestimmt“ werden.87 Der negative Begriff der Willkürfreiheit bedeutet, dass die Willkür unabhängig von sinnlichen Antrieben bestimmt ist. Und der positive Begriff von Willkürfreiheit gilt dann, wenn „das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein“ wirksam geworden ist, wenn also der Mensch nach einer Maxime gehandelt hat, die dem allgemeinen Gesetz entspricht.88 Wenn Kant davon ausgeht, dass unbedingte moralische Gesetze auf diesem positiven Begriff von Freiheit gründen bzw. das Gesetz seinen Ursprung im reinen Willen des Menschen hat,89 bestätigt er die Position aus den früheren Schriften über praktische Philosophie: Das praktische Moralgesetz setzt die transzendentale Freiheit oder ihren positiven Begriff voraus. Nun ist das Rechtsgesetz ebenfalls ein moraliFreiheit, S. 115 Fn. 178. MdS AA VI, S. 221: „Auf diesem (in praktischer Rücksicht) positiven Begriffe der Freiheit gründen sich unbedingte praktische Gesetze, welche moralisch heißen, die in Ansehung Unser, deren Willkür sinnlich afficirt und so dem reinen Willen nicht von selbst angemessen, sondern oft widerstrebend ist, Imperativen (Gebote oder Verbote) und zwar kategorische (unbedingte) Imperativen sind“. 85  Dazu Hirsch, Freiheit, S. 139. 86  Kant, MdS AA VI, S. 213. 87  Kant, MdS AA VI, S. 213. 88  Kant, MdS AA VI, S. 213 f. 89  Kant, MdS AA VI, S. 221. 83  Hirsch, 84  Kant,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs89

sches Gesetz90 und muss ebenfalls die Freiheit als solche als Postulat annehmen.91 Zur Konkretisierung dieser These lässt sich ein geltungstheoretisches Argument anführen: Das allgemeine Rechtsgesetz ist zwar gegenüber dem Handlungsmotiv indifferent, es hat als kategorischer Imperativ jedoch allgemeine Verbindlichkeit wie andere moralische Gesetze. Wenn diese Verbindlichkeit ihren Grund in der Autonomie oder transzendentalen Freiheit eines Menschen findet, wie dies in der Grundlegung angedeutet ist, dann setzt das Rechtsgesetz sie notwendig voraus.92 Ein nur auf Klugheit gegründetes Rechtsgesetz kann wegen seiner Bedingtheit keine Allgemeingültigkeit beanspruchen und mangels der Eigenschaft der Selbstgesetzgebung nur als ein dem Gesetz unterworfenes heteronomes, niemals als legitimes begriffen werden. Neben dieser wesentlich in der Grundlegung entwickelten Begründung von Autonomie kommt noch eine Begründung mit Verweis auf das „Faktum der Vernunft“ aus der zweiten Kritik hinzu.93 Kant bemerkt im Zusammenhang mit dem rechtlichen Zwang: „Ein strictes (enges) Recht […] gründet sich nun zwar auf dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze“.94 Bringt man dieses Zitat mit dem „Faktum der Vernunft“ in der zweiten Kritik zusammen, dass die reine praktische Vernunft in der Form der transzendentalen Freiheit wirklich ist, solange der Verpflichtete als autonomes Vernunftwesen sich der Verbindlichkeit des moralischen Gesetzes bewusst ist, liegt es nahe anzunehmen, dass das allgemeine Rechtsgesetz als moralisches Gesetz auch die Autonomie bzw. transzendentale Freiheit als seinen Grund anerkennen muss.95 Man darf daher mit Recht konstatieren: Die transzendentale Freiheit ist die ratio essendi des moralischen Gesetzes;96 unsere Freiheit wiederum kennen wir „nur durch den moralischen Imperativ, […] aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts entwickelt werden kann“. Ein allgemeines Rechtsgesetz als ein moralisches Gesetz ist daher auch die ratio cognoscendi der Freiheit.97 Das Rechtsgesetz ist bei Kant „ein Gesetz der transzendentalen Freiheit für Handlungsfreiheit“.98 90  Kant, MdS AA VI, S. 214: „Diese Gesetze der Freiheit heißen zum Unterschiede von Naturgesetzen moralisch. So fern sie nur auf bloße äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit gehen, heißen sie juridisch […].“ 91  Hirsch, Freiheit, S. 142 f. 92  Kersting, Kant über Recht, S. 27, 33, 35. 93  Hirsch, Freiheit, S. 143 f. 94  Kant, MdS AA VI, S. 232. 95  Hirsch, Freiheit, S. 144. 96  Hirsch, Freiheit, S. 144. Geltungstheoretisch auch Kersting, Kant über Recht, S. 27. 97  Hirsch, Freiheit, S. 144; Zaczyk, JRE 14 (2006), S. 319. 98  Kersting, Kant über Recht, S. 28.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

c) Erweiterung zur rechtlich-praktischen Vernunft Nunmehr lassen sich Recht und Moral, zumal angesichts der Verbindlichkeit, auf einen gemeinsamen Grund, und zwar die reine praktische Vernunft, zurückführen.99 Dies hat freilich noch einen tieferen materiellen Grund, der die Besonderheit des Rechts aber zugleich begreiflich macht. Das Rechtsgesetz bezieht sich auf die Freiheit nur im äußeren Gebrauch, das Moralgesetz hingegen sowohl auf die im äußeren als auch die im inneren Gebrauch. Aber unabhängig von dieser Betrachtungsweise nach der inneren oder äußeren Seite dieses Freiheitsgebrauchs „müssen doch ihre Gesetze, als reine praktische Vernunftgesetze für die freie Willkür überhaupt, zugleich innere Bestimmungsgründe derselben sein“,100 weil „die Freiheit des Subjekts als eines identischen nur eine“ ist und die Vernunft ihren praktischen Gebrauch insgesamt bestimmt.101 Wenn aber einerseits die reine praktische Vernunft der Grund des allgemeinen Rechtsgesetzes bleibt, andererseits das allgemeine Rechtsgesetz angesichts seines interpersonalen Regelungsbereichs noch eine äußerliche Gesetzgebung zulassen muss, damit es nicht als „ein monologischsubjektives Prinzip“102 wie die Moral missverstanden wird, muss die reine praktische Vernunft um eine weitere interpersonale Dimension, die von Kant als rechtlich-praktische Vernunft begriffen wird,103 ergänzt werden.104 Rechtlich-praktische Vernunft als eine Gestalt105 der reinen praktischen Vernunft regelt durch das allgemeine Rechtsgesetz die äußeren interpersonalen Beziehungen und bezieht die anderen bereits konstruktiv in die Vernunft des Ichs ein.106 Insoweit haben die anderen für das Ich eine konstruktive Bedeutung; die Subjektivität des Ichs bleibt aber unberührt. Wird die rechtlich-praktische Vernunft praktisch, wird also das allgemeine Rechtsgesetz im Handeln befolgt, so darf das Ich einen eigenen Teil in der Welt genießen und gleichzeitig mit den anderen in dieser Welt zusammen bestehen. Die Einbeziehung der anderen in die Vernunft und das Beibehalten der autonomen Subjektivität des Ichs hat weiterreichende Konsequenzen im Hin99  Kersting, Kant über Recht, S. 33. Eine völlige Unabhängigkeit des allgemeinen Rechtsgesetzes vom Moralgesetz ist daher zurückzuweisen. Zur Unzulänglichkeit der sog. Unabhängigkeitsthese Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 112 ff. 100  Kant, MdS AA VI, S. 214. 101  Zaczyk, JRE 14 (2006), S. 318. 102  Zaczyk, JRE 14 (2006), S. 319. 103  Kant, MdS AA VI, S. 254. Pointiert auch Zaczyk, JRE 14 (2006), S. 318. 104  Zum Ganzen und Folgenden Zaczyk, JRE 14 (2006), S. 318 ff.; ders., Selbstsein und Recht, S. 61. 105  Zaczyk, JRE 14 (2006), S. 320. 106  Zaczyk, JRE 14 (2006), S. 319 kennzeichnet dies als Gleichursprünglichkeit von innerem Mein und Dein.



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs91

blick auf das Verhältnis zwischen Recht und Moral. Erstens erklärt sich dadurch, weshalb das Recht eine äußerliche Gesetzgebung erlaubt. Das liegt darin, dass die anderen ebenfalls ein Teil der rechtlich-praktischen Vernunft sind und das Rechtsprinzip zusammen mit dem Ich konstituieren. Da aber der Status des Ichs als autonomer Gesetzgeber erhalten bleibt und die anderen es insoweit nicht ersetzen dürfen, muss diese äußere Gesetzgebung dem vom Ich (gemeinsam mit den anderen) selbst gesetzten allgemeinen Rechts­ prinzip entsprechen, um die Freiheit, d. h. die Autonomie des Ichs nicht zu verletzen und somit Legitimität zu erlangen.107 Zweitens lässt sich die Legitimität des äußeren Zwangs, der als ein maßgebliches Abgrenzungsmerkmal zur Moral gekennzeichnet wird, mithilfe der praktischen Rechtsvernunft erklären. Die gegenüber dem Handlungsmotiv indifferente äußere Gesetzgebung eröffnet dem Einzelnen die Möglichkeit, ein allgemeines Rechtsgesetz unter Berücksichtigung der sozialen Umwelt mit den anderen zusammen zu entwerfen. Unter diesem Rechtsgesetz ist die Willkür des einen (d. h. eines jeden) von vornherein durch die Berücksichtigung der Willkür der anderen eingeschränkt.108 Solange der Einzelne noch innerhalb dieses gemeinsam entworfenen Rechtsgesetzes handelt, übt er seine vom Rechtsgesetz zugeteilte Freiheit aus und muss sich vom Zwang des anderen als nackter Macht befreien. Handelt er aber außerhalb dessen, darf der andere ihn zum Richtigen zwingen, denn einerseits verletzt dieser Zwang gar nicht seine rechtlich zugeteilte Freiheit109 und andererseits dient der Zwang letztendlich zur Verhinderung einer gegen die äußere Freiheit der anderen gerichteten Handlung und entspricht dem allgemeinen Rechtsgesetz;110 der Zwang ist dann eine rechtliche Handlung. Die Legitimität des äußeren Zwangs gründet sich auf dem allgemeinen, vom Einzelnen gemeinsam mit den anderen vernünftigerweise gesetzten Rechtsgesetz, und nur aus einer solchen praktischen Rechtsvernunft ist das Zwangsrecht erklärbar.

JRE 14 (2006), S. 320. MdS AA VI, S. 231: „die Vernunft sagt nur, daß sie [sc. Freiheit] in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch thätlich eingeschränkt werden dürfe“. 109  Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 97; noch radikaler formuliert Hirsch, Freiheit, S. 137, das Problem der Zwangsbefugnis stelle sich insoweit gar nicht. 110  Kant, MdS AA VI, S. 231: „[W]enn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hinderniß der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d. i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d. i. recht: mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugniß, den, der ihm Abbruch thut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft.“ 107  Zaczyk, 108  Kant,

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

d) Die angeborene Freiheit eines Rechtssubjekts Auch wenn die anderen an der Entstehung des allgemeinen Rechtsgesetzes teilhaben und insofern als Co-Gesetzgeber begriffen werden können, drängen sie wie bereits angedeutet nicht den Einzelnen zur Unterwerfung unter eine von außen angetriebene, fremde Gesetzgebung. Der Einzelne bleibt ein selbständiger Gesetzgeber. Diese Selbständigkeit resultiert daraus, dass er als ein vernünftiges Wesen als ein Zweck an sich angesehen werden muss und nicht nur als bloßes Mittel zur Verwirklichung eines anderen Zwecks behandelt werden darf. Diese zunächst in der Grundlegung entwickelte Zweck-an-sichFormel muss systematisch, aber in Anbetracht der Besonderheit der Rechtsgesetzgebung ihr Pendant in der Rechtslehre finden. Analytisch erklärt sich das bereits aus der obigen Analyse der rechtlich-praktischen Vernunft: Wenn diese Formel in der Autonomie bzw. reinen praktischen Vernunft eines Vernunftwesens gründet, muss die rechtlich-praktische Vernunft als deren besondere Gestalt diese Formel ebenfalls aufnehmen. Ein Subjekt kann nicht einerseits sittlich als ein Zweck an sich und andererseits rechtlich als eine ­Sache behandelt werden, denn beide praktischen Beziehungen haben denselben Grund im Subjekt als einem einheitlichen Vernunftwesen. Nun geht es beim Recht aber nur um das äußere praktische Verhältnis zwischen Vernunftwesen; die Zweck-an-sich-Formel muss somit vermittelt durch die rechtlichpraktische Vernunft in diesem äußeren Verhältnis verwirklicht werden. Diese Vermittlungsfunktion übernimmt die angeborene Freiheit als ein subjektives Recht a priori jedes Menschen. Kant pointiert, dass jeder Mensch die „Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür) [hat], sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann“. Dies ist das „einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht“.111 Hier wird der Geltungsgrund dieses Rechts in der Menschheit gesehen, die von Kant als Würde definiert wird: Der Mensch darf „von keinem Menschen (weder von Anderen noch sogar von sich selbst) blos als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden“112. Gerade weil „der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst [existirt]“,113 trägt er dieses angeborene Recht in sich und darf im Recht niemals bloß als ein Mittel behandelt werden.114 Jeder Mensch bzw. jede Person115 ist dann Rechtssubjekt dieses ursprünglichen Rechts. MdS AA VI, S. 237. MdS AA VI, S. 462. Eingehend zum Zusammenhang zwischen der Zweck-an-sich-Formel und dem angeborenen Recht Hirsch, Freiheit, S. 77 ff. 113  Kant, MdS AA IV, S. 428. 114  Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 160: Aufgrund der in der Vernunftnatur fundierten Persönlichkeit und Würde. Im Zusammenhang des Strafrechts hat Kant, 111  Kant,

112  Kant,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs93

Aus dieser einzigen angeborenen Freiheit ergeben sich zugleich vier weitere Befugnisse eines Rechtssubjekt, die nach Kant bereits im Rechtsprinzip der angeborenen Freiheit liegen und sich davon nicht unterscheiden.116 Zuallererst wird hier die angeborene Gleichheit genannt, d. h. „die Unabhängigkeit nicht zu mehrerem von Anderen verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann“.117 Aus diesem rechtlichen Gleichheitsverhältnis folgt dann a priori das Verbot einer „Recht-Pflicht-Asymmetrie herstellende[n] Privilegierung“.118 Die erste Implikation dieser ursprünglichen Gleichheit ist „die Qualität des Menschen sein eigener Herr (sui iuris) zu sein“.119 Da jedes Rechtssubjekt vor dem Gesetz mit den anderen in einem Gleichheitsverhältnis steht, unterwirft es sich nur dem von ihm selbst gesetzten Gesetz und kann sein Leben im Umgang mit den anderen dadurch selbstbestimmt führen.120 Diese Qualität ist daher „das rechtliche Pendant zur ­Befugnis autonomer Zwecksetzung“.121 Die dritte abgeleitete Befugnis ist das Recht auf Unbescholtenheit, „weil er vor allem rechtlichen Act keinem ­Unrecht gethan hat“.122 Auf den ersten Blick handelt es sich hier um die Unschuldsvermutung mit dem Inhalt, dass „mir nicht beliebig Straf- und andere ehrenrührige Taten zugerechnet werden, die ich nicht begangen habe“,123 oder mit anderen Worten: Ich kann nur „durch Handlungen, die mir zugerechnet werden können (facta), Unrecht begehen“.124 Nach dieser InterMdS AA VI, S. 331 unmissverständlich ausgeführt: „Richterliche Strafe (poena forensis) […] kann niemals bloß als Mittel ein anderes Gute zu befördern für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines Anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden […]“. Dazu auch Hirsch, Freiheit, S. 75 f. 115  Person ist bei Kant, MdS AA VI, S. 223 „dasjenige Subject, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen (die psychologische aber bloß das Vermögen, sich der Identität seiner selbst in den verschiedenen Zuständen seines Daseins bewußt zu werden), woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst giebt, unterworfen ist.“ 116  Kant, MdS AA VI, S. 238. 117  Kant, MdS AA VI, S. 237. 118  Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 163; vgl. auch Höffe, Vernunft, S. 244; Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 103: eine Gleichheit vor dem Gesetz. 119  Kant, MdS AA VI, S. 237 f. 120  Höffe, Vernunft, S. 244. 121  Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 103. 122  Kant, MdS AA VI, S. 238. 123  Hruschka, JRE 8 (2000), S. 181. 124  Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 104. Höffe, Vernunft, S. 245 f. hat neben der Unschuldsvermutung daraus noch einen weiterreichenden Inhalt deduziert: Wenn ein

94

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

pretation dürfte man behaupten, dass jedes gleiche Rechtssubjekt immer nur für seine eigene Tat und nicht für eine ihm nicht zuzurechnende fremde Tat verantwortlich ist. Es handelt sich also um ein Vorverständnis des modernen Selbstverantwortungsprinzips, das gerade in der Autonomie einer Person seinen Grund findet. Als vierte Implikation ergibt sich schließlich das Recht, gegen die anderen beliebig zu handeln, solange der Einzelne dadurch deren Rechte nicht schmälert.125 Auch dieser Befugnis liegt der Gedanke zugrunde, dass die anderen nicht durch die Handlung des Einzelnen zur Unterwerfung unter eine fremde Willkür gedrängt und somit zum bloßen Mittel werden sollen.126 Insgesamt lassen sich die oben dargestellten Rechte auf die ursprüngliche Freiheit und Gleichheit des Menschen zurückzuführen. Das der Vernunft zugrundeliegende Rechtsverhältnis hat die Freiheit und Gleichheit zwischen zwei Personen zum Gegenstand. Jedes freie Rechtssubjekt steht mit den anderen im gleichen Rechtsverhältnis und hat zugleich eine Verpflichtungsbefugnis gegen die anderen, sofern der andere als ein freies, gleiches Rechtssubjekt respektiert wird. Der gegenseitige Respekt wird dann zur rechtlichen Grundpflicht des Rechtssubjekts, und bei deren Verletzung darf der Rechtsverletzte den Verletzenden zwingen. 2. Recht als gegenseitiges Anerkennungsverhältnis zwischen Vernunftwesen bei Fichte Die bisherigen Ausführungen konzentrierten sich auf Kants moralischen Rechtsbegriff, insbesondere auf seinen Zusammenhang mit der kritischpraktischen Philosophie. Die Stärke des moralischen Begriffs liegt gerade darin, das Rechtsprinzip a priori in die reine praktische Vernunft eines Menschen zu legen und daraus einen allgemeingültigen Rechtsbegriff zu entwickeln. Andererseits ermöglicht aber die rechtlich-praktische Vernunft als eine besondere Gestalt von der reinen praktischen Vernunft auch die Unterscheidung zwischen Moral und Recht, indem sie die anderen als gleichursprüng­ liche Gesetzgeber des Rechtsgesetzes in diese Vernunft einbezieht. Moral und Recht sind bei Kant somit zu trennen; aber dies führt nicht dazu, dass die äußere Sphäre von einem Prinzip, das nicht zur reinen Vernunft gehört, bestimmt würde.127 Der Begriff des bzw. der anderen oder besser: der Gedanke der Intersubjektivität bzw. Gesellschaftlichkeit wird zwar von Kant in Mensch keinen Rechtsakt vornimmt, begeht er auch kein Unrecht gegen jemanden; nur Rechtsrelevantes kann also rechtliche Schuld auslösen. 125  Kant, MdS AA VI, S. 238; Höffe, Vernunft, S. 246. 126  Ludwig, Kants Rechtslehre, S. 103. 127  Bartuschat, Deduktion, S. 192.



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs95

der Rechtslehre ansatzweise entwickelt, eine umfassende Untersuchung über das Verhältnis von Selbstsein (Ich) und Intersubjektivität (anderen) wird aber von Kant nicht geleistet. J. G. Fichte geht insofern noch ein Stück weit über Kant hinaus, indem er in seiner Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre die intersubjektive Anerkennung zwischen Vernunftwesen im Rechtsverhältnis zur notwendigen Bedingung des Selbstbewusstseins erhebt. Im Folgenden wird angedeutet, inwieweit Fichtes Rechtslehre die Kantische Rechtslehre ergänzen oder umgekehrt deren Stärke veranschaulichen kann. a) Intersubjektivität als transzendentale Bedingung des Selbstbewusstseins Im ersten Schritt soll die Deduktion des Rechtsbegriffs in der Naturrechtsschrift von 1796 in aller Kürze nachvollzogen werden.128 Ausgangsprunkt dieser Deduktion ist bei Fichte das Problem der allgemeinen Bedingungen des Selbstbewusstseins des Individuums. Fichte geht davon aus, dass das Ich nur im Wollen, durch seine praktische Handlung und ihre Auswirkung auf die Welt, sich selbst setzen, also selbst erkennen und begreifen kann.129 Dieses Handlungsvermögen heißt bei Fichte freie Wirksamkeit auf die praktischen Beziehung, eine Synthese von Erkenntnis und Wollen.130 Danach muss das Ich als endliches Vernunftwesen in der Reflexion über sich selbst durch sein Handeln sich selbst zum Objekt machen.131 Ist das Ich sich des Objekts (des praktischen Ichs) bewusst, erkennt es sich auch selbst, denn in diesem Fall sind Handeln und Behandeltwerden identisch.132 Aber durch welchen Anstoß kommt das Ich zur freien Wirksamkeit? Nicht aus eigenem Antrieb, denn die Wirksamkeit des Ich als Wollen bzw. Zweck setzt bereits ein Wissen desselben voraus. Zu dem Zeitpunkt, in dem ich mich zur Wirksamkeit entschließe, erkenne ich mich selbst überhaupt noch nicht. Wenn trotzdem behauptet wird, dass ich mich aus mir selbst zur Wirksamkeit entschließen könnte, setzt das zu diesem Entschlusszeitpunkt bereits das Begreifen des Ich voraus.133 Um diesen durch die wechselseitige 128  Eingehend zur Deduktion Zaczyk, Rechtslehre, S.  19  ff.; ders., Struktur, S.  11 ff.; Siep, Idealismus, S. 42–53; Düsing, Intersubjektivität, S. 247 ff., 272 ff. 129  Fichte, GA I, 3, S. 332: „Das praktische Vermögen ist die innerste Wurzel des Ich“. Vgl. auch Zaczyk, Struktur, S. 10. 130  Fichte, GA I, 3, S. 333 pointiert zutreffend, dass Vorstellen und Wollen einander gegenseitig bedingen. 131  Fichte, GA I, 3, S. 329, 334. 132  Fichte, GA I, 3, S. 334: „Sich selbst in dieser Identität des Handelns, und Behandeltwerdens […] heißt das reine Ich begreifen.“ 133  Fichte, GA I, 3, S. 340; Düsing, Intersubjektivität, S. 249.

96

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

Bedingtheit von Wissen und Wollen ausgelösten Zirkel zu vermeiden, ist anzunehmen, dass „die Wirksamkeit des Subjekts mit dem Objekte in einem und eben demselben Momente synthetisch vereinigt [sey…]“.134 Das könne nur dann der Fall sein, wenn das Ich als die Wirksamkeit des Subjekts „sich bestimmend zu Selbstthätigkeit“ und zugleich als deren Objekt durch einen äußerlichen Anstoß zu freier Wirksamkeit bestimmt sei.135 Dieser Anstoß müsse ein Geschehen äußeren Erlebens sein, damit er dem Ich durch Erfahrung zugänglich sei.136 Der äußere Anstoß stellt dann einen Angelpunkt für die Deduktion der Intersubjektivität dar und wird von Fichte als Aufforderung gekennzeichnet. Liegt der Zweck der Aufforderung nun in der Selbstbestimmung zu freier Wirksamkeit, müsse dem Aufgeforderten eine Sphäre zur Selbstbestimmung zugewiesen werden,137 und weil der Aufgeforderte in dieser Sphäre frei sei, könne er also diese Aufforderung auch verweigern, würde sich dann aber selbst nicht finden. Aus dem Endzweck der Aufforderung, eine freie Wirksamkeit eines Vernunftwesens und damit sein Selbstbewusstsein zu ermöglichen, folgt aber zugleich, dass diese Aufforderung nicht durch ein Naturhaftes ausgelöst, sondern nur ebenfalls als eine freie Wirksamkeit interpretiert werden kann. Wenn es also einen Grund für diese Aufforderung geben muss, dann muss dieser Grund auch die Eigenschaft der freien Wirksamkeit, also Verstand und Freiheit eines Vernunftwesens, begreifen können und es dann dazu auffordern. Der Zweck setzt dessen Erkenntnis voraus. Nun ist diese Erkenntnis nur einem freien Vernunftwesen zugänglich, also kann dieser Grund auch nur ein freies Vernunftwesen sein.138 Ohne diese Aufforderung zur freien Wirksamkeit seitens eines anderen gleichen Vernunftwesens könne das Ich sich nicht im Praktischen selbst begreifen und vor der Erlangung des Selbstbewusstseins sei das Ich nichts. Ein anderes endliches Vernunftwesen sei in dieser Hinsicht der Ursprung des Ich. Deshalb kann Fichte formulieren: „[S]ollen überhaupt Menschen seyn, so müssen mehrere seyn.“ Und der Begriff des 134  Fichte, GA I, 3, S. 342 (Hervorhebung im Original). Düsing, Intersubjektivität, S. 250: „sich selbst als theoretisch und praktisch zugleich und in eins erfahren können“. 135  Fichte, GA I, 3, S. 343 (Hervorhebung im Original). 136  Fichte, GA I, 3, S. 342; Zaczyk, Struktur, S. 21; Düsing, Intersubjektivität, S. 251: Die Aufforderung wird als ein Faktum, „ein empirisches Ereignis in Raum und Zeit“ begriffen. 137  Zaczyk, Struktur, S. 20. 138  Fichte, GA I, 3, S. 345; Zaczyk, Struktur, S. 21. A. A. Siep, Idealismus, S. 49 f., 52 f.: Aus der Aufforderung zur freien Wirksamkeit oder der schlichten Zuweisung einer freien Sphäre lässt sich die Vernünftigkeit des Auffordernden noch nicht ableiten. Die Aufforderung an sich impliziere dessen Vernünftigkeit noch nicht. Zur Annahme eines Vernunftwesens bedürfte es noch einer Reflexion des Aufgeforderten als eines Erfahrungsschritts. Dazu gleich.



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs97

Menschen ist danach nicht ein Begriff des isolierten Einzelnen, „sondern der einer Gattung“.139 Die Annahme eines außer dem Ich bestehenden Vernunftwesens und das Bewusstsein seiner Aufforderung vermögen aber die „Bildungsgeschichte“ des Selbstbewusstseins noch nicht völlig zu deuten. Erst wenn der Aufgeforderte den Sinn der Aufforderung versteht und dadurch in seiner äußeren Handlung eine Stellungnahme dazu abgibt, verbinden der Auffordernde und der Aufgeforderte sich miteinander und es entsteht eine umfassende interpersonale Beziehung.140 Der Sinn der Aufforderung liegt zunächst in der freien Wirksamkeit auf den anderen. Wenn das Ich nur durch eine fremde Aufforderung sich selbst erkennen und gleichermaßen der Andere nur durch die Aufforderung seitens des Ich sich selbst begreifen kann, ist die gegenseitige Aufforderung zur Wirksamkeit die Voraussetzung für das Zusammenbestehen von uns. Da der Andere nur dann zur Aufforderung als einer freien Wirksamkeit kommen kann, muss ihm auch eine freie Sphäre zugeschrieben werde. Das Ich kann in seiner zugewiesenen Sphäre selbstbestimmt irgendeinen Zweck setzen und ihn durch die Handlung verwirklichen, es ist insoweit als ein absolutes Ich ein freies Subjekt.141 Gleiches gilt aber auch für den anderen im Hinblick auf seine freie Sphäre. In diesen unterschiedlichen freien Zwecksetzungen und Tätigkeiten unterscheiden sich das Ich und der andere. Sie begegnen sich insoweit als selbständige Subjekte, aber zugleich setzen sie sich gegenseitig durch die Aufforderung und sind durch den Anderen bestimmt.142 Nun wird klar, dass die freie Sphäre des Anderen vollkommen beseitigt würde, wenn meine äußere Freiheit uneingeschränkt wäre (formale Freiheit). Deshalb muss ich meine formale Freiheit um der Freiheit des Anderen willen selbst einschränken, damit er durch seine freie Wirksamkeit mich auffordern und ich daher mich selbst begreifen kann.143 Der zweite Sinn der Aufforderung besteht dann darin, dass der Auffordernde durch die Aufforderung nicht nur dem Aufgeforderten eine freie Sphäre eröffnet hat, sondern zugleich mit der Erkenntnis des anderen Vernunftwesens um die Freiheit des Aufgeforderten willen seine eigene formale Freiheit einschränkt. Begreife ich einmal den Sinn der Selbstbeschränkung, weiß ich auch, dass ich als ein Vernunftwesen behandelt werde und der AufGA I, 3, S. 347 (Hervorhebung im Original). Intersubjektivität, S. 273. Das Begreifen und die Beantwortung der Aufforderung durch den Aufgeforderten kann auch unabhängig von dem Streit, ob die Aufforderung bereits die Vernünftigkeit des Auffordernden impliziert, zutreffend mit Siep, Idealismus, S. 50 als Reflexion des Aufgeforderten bezeichnet werden. 141  Fichte, GA I, 3, S. 349. 142  Fichte, GA I, 3, S. 350. 143  Fichte, GA I, 3, S. 350. 139  Fichte,

140  Düsing,

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

fordernde auch ein gleiches Vernunftwesen sei. Als ein Vernunftwesen muss ich ihn konsequent als ein Vernunftwesen behandeln und meine Freiheit beschränken. Hätte ich kein Wissen von der fremden Selbsteinschränkung bzw. schränkte ich trotz dieses Wissens meine Freiheit nicht ein, „wäre [ich] nicht vernünftig“.144 Die Selbsteinschränkung ist aber Fichte zufolge „bedingt dadurch, dass das andere es [sc. das Individuum] als ein freies behandle“.145 Ich kann also nur den Anderen als ein Vernunftwesen anerkennen, soweit er mich auch als Vernunftwesen anerkennt und vice versa.146 Trotzdem muss ich „allen vernünftigen Wesen ausser mir, in allen möglichen Fällen anmuten, mich für ein vernünftiges Wesen anzuerkennen.“147 Habe ich aber einmal durch die Handlung meine Freiheit um der des Anderen willen selbst beschränkt, werde diese zunächst „problematische“ bzw. hypothetische Anmutung kategorisch, müsse der andere also mich als ein Vernunftwesen anerkennen.148 „Das deducierte Verhältniß zwischen vernünftigen Wesen, daß jedes seine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit der Freiheit des anderen beschränke, unter der Bedingung, dass das erstere die seinige gleichfalls durch die des anderen beschränke, heißt das Rechtsverhältnis“.149 Bei einmal etabliertem Rechtsverhältnis als gegenseitigem Anerkennungsverhältnis vereinigen ich und der entgegenstehende Andere uns durch unsere gegenseitige Anerkennung als Gemeinschaft „in mir, in meinen Bewusstseyn“.150 Hier wird die These Fichtes wiederum bestätigt, dass der Andere immer im Selbstbewusstsein einbezogen ist. Der Begriff von Individualität könne nur ein Wechselbegriff und nur in Beziehung auf die anderen verständlich sein.151 Da dieser Begriff des Rechtsverhältnisses als intersubjektive Anerkennung aus dem Begriff des Individuums deduziert wird und der Begriff des Individuums wiederum die Bedingung des Selbstbewusstseins ist, stellt das Rechtsverhältnis selbst eine transzendentale Bedingung des Selbstbewusstseins dar.152

144  Fichte, 145  Fichte, 146  Fichte, 147  Fichte, 148  Fichte, 149  Fichte, 150  Fichte, 151  Fichte, 152  Fichte,

GA I, GA I, GA I, GA I, GA I, GA I, GA I, GA I, GA I,

3, 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3, 3,

S. 351. S. 351. S. 351. S. 353 (Hervorhebung im Original). S. 353 f. S. 358 (Hervorhebung im Original). S. 354 (Hervorhebung im Original). S. 354. S. 358.



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs99

b) Methodische und inhaltliche Würdigung der Deduktion des Rechtsverhältnisses Dieser Rechtsbegriff ist nach Fichtes eigener Einschätzung a priori aus der reinen Vernunft des Ich deduziert.153 Damit wählt Fichte bei der Deduktion des Rechtsbegriffs ebenfalls eine transzendentale Methode und gründet ihn ähnlich wie Kant auf die reine Vernunft des Menschen. Auch im Hinblick auf den Gegenstand des Rechtsbegriffs und den Inhalt des Rechtsprinzips bestehen große Ähnlichkeiten. Der Rechtsbegriff Fichtes bezieht sich auch nur auf äußere interpersonale Wechselwirkungen zwischen Vernunftwesen durch ihr Handeln.154 Konsequent kommt das Recht erst dann überhaupt in Betracht, wenn die Handlung eines Vernunftwesens irgendeine äußerliche Folge für die Freiheit des anderen hat.155 Darüber hinaus ist das Rechtsprinzip der gegenseitigen Selbstbeschränkung mit dem Kantischen Rechtsprinzip ver­ gleichbar, denn dieses leitet ebenfalls ein Zusammenbestehen der äußeren Handlungssphäre (Willkür im äußeren Gebrauch) aus einem „wechselseitigen Freilassen“ ab.156 Noch etwas anderes kommt hinzu: Wenn ich den Anderen nicht als Selbstzweck, sondern bloß als ein Mittel behandele, indem ich die Grenze des allgemeinen Rechtsgesetzes übertrete und die Willkür des Anderen verletze, bedeutet das nichts anderes, als dass ich, mit Fichte, ihm die Zuschreibung einer freien Sphäre verweigere und den Anderen nicht als ein freies Vernunftwesen anerkenne. Im Vergleich zum Kantischen liegt die Stärke des Fichteschen Rechtsbegriffs darin, dass die Intersubjektivität im Sinne gegenseitiger Anerkennung nicht nur eine konstruktive Bedeutung für die rechtlich-praktische Vernunft hat, sondern darüber hinaus eine transzendentale Bedingung für das Selbstsein als einheitliches Subjekt ist.157 Das Verhältnis der Intersubjektivität zur gesamten Subjektivität wird dadurch deutlicher gemacht. Düsing hat diese Leistung prägnant formuliert: „Die Konstitution eines freien individuellen Selbstbewusstseins, also die Bildung eines in sich einheitlichen und damit handlungsfähigen praktischen Subjekts, das zum Bewusstsein seiner selbst gelangt, bedeutet demnach für Fichte zugleich die Konstitution von intersubGA I, 3, S. 358. GA I, 3, S. 360. Vgl. auch Düsing, Intersubjektivität, S. 276: „Im Recht kann es nicht gehen um actiones internae, die nur dem Individuum selbst introspektiv zugängig sind.“ 155  Fichte, GA I, 3, S. 360. 156  Zaczyk, Anerkennung, S. 29 verwendet in Bezug auf das Kantische Rechtsprinzip die Formulierung „wechselseitig-freilassend“. 157  Zaczyk, Selbstsein, passim versucht zu beweisen, dass das Recht mit seinen unterschiedlichen Horizonten eine konstruktive Bedeutung für das Ich bzw. Selbstsein hat. 153  Fichte, 154  Fichte,

100

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

jektiver Beziehung durch Akte wechselseitiger Anerkennung, die zunächst von formaler rechtlicher und in höherer Entwicklung von sittlicher Bedeutung ist.“158 Das praktische Vermögen kann sich deshalb nicht in der „selbstbezüglich gefasste[n] Autonomie“ des Einzelnen erschöpfen, sondern ist immer auf die Anderen angewiesen; die Selbstbestimmung des Einzelnen ist erst „durch den Begriff der Selbstbestimmung eines anderen“159 möglich. Durch die gegenseitige Anerkennung steht das Ich zwar mit den Anderen in einem Gleichursprünglichkeitsverhältnis, verliert aber nicht seine Stellung als autonomes Subjekt, denn die Anderen haben ihm zugleich eine freie Sphäre zur freien Entfaltung offengelassen. Auch wenn ich das ursprünglich von Fremden entworfene Gesetz etwa durch Diskurs mit anderen annehme, muss die Annahme eine selbstbestimmte Entscheidung sein und das Gesetz dann als Ausdruck meiner Selbstgesetzgebung interpretiert werden können. Die Intersubjektivität dient in dieser Hinsicht nur der Selbstbestimmung des Einzelnen als eigenständigen Subjekts, tritt aber keinesfalls an die Stelle des Einzelnen und dürfte es auch nicht tun, weil ansonsten das Gleichursprünglichkeitsverhältnis zerstört würde. Trotz aller genannten Vergleichbarkeit beider Rechtsbegriffe ist hier aber eine methodische Besonderheit von Fichtes Rechtsbegriff zu dokumentieren, in der man dessen Schwäche erblicken könnte. Bei der Deduktion betont Fichte immer wieder, dass die Aufforderung vom Aufgeforderten als ein äußerliches Ereignis wahrgenommen werden muss und das Rechtsverhältnis nur dann entsteht, wenn der Erste die anderen als Vernunftwesen anerkennt. Das erweckt den Anschein, als würde durch das Hinzufügen des Erfahrungselements oder der Bedingung, die Aufforderung richtig zu begreifen und richtig auf sie zu reagieren, die transzendentale Methode Fichtes insgesamt aufgehoben und das Rechtsverhältnis von der zufälligen Bereitschaft des Aufgeforderten abhängig gemacht. Dies kann nicht der Fall sein. Denn einerseits wird in der gesamten Deduktion immer nach den allgemeingültigen Bedingungen des Selbstbewusstseins gefragt, die bereits methodisch gesehen nicht von der zufälligen Bereitschaft des Aufgeforderten zur Anerkennung des Anderen bestimmt werden kann.160 Fichte schreibt in der Tat deutlich, dass ich allgemein und durchgängig davon ausgehen müsse, dass die anderen auch mich als ein Vernunftwesen anerkennen,161 und insofern liegt es nahe, „eine ursprüngliche Bereitschaft, der gegenseitigen Vernünftigkeit bis zum Beweis des Gegenteils zu vertrauen“ anzuneh-

Intersubjektivität, S. 375 f. (Hervorhebung von mir). Anerkennung, S. 32. 160  Zaczyk, Anerkennung, S. 34. 161  Fichte, GA I, 3, S. 353. 158  Düsing, 159  Zaczyk,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs101

men.162 Und wenn der andere mich einmal als Vernunftwesen anerkannt habe, sei meine Nichtanerkennung als Reaktion darauf unvernünftig. Daraus lässt sich schließen, dass Fichte zufolge zumindest vor der tatsächlich durchgeführten Nichtanerkennung des Anderen das Ich ihn kategorisch163 als Vernunftwesen anerkennen muss, weil anderenfalls das Ich selbst wegen des Selbstwiderspruchs nicht als Vernunftwesen begriffen werden könnte. Es kann hier deshalb mit Siep nicht um die historische Begegnung zweier bestimmter Vernunftwesen gehen, sondern „um die Bedingungen der Möglichkeit und die allgemeinen Strukturen einer ‚vernünftigen‘ Begegnung vernünftiger Wesen in der Sinnenwelt“.164 Daher darf man trotz des hinzugefügten Erfahrungsmoments noch von einer transzendentalen Deduktion ausgehen. Wenn das gegenseitige Anerkennungsverhältnis eine allgemeingültige Bedingung für das Selbstbewusstsein bzw. Dasein aller Vernunftwesen ist, dann muss der Auffordernde auch dann den Aufgeforderten als ein Vernunftwesen anerkennen, wenn Letzterer durch seine Handlung Ersteren nicht als Vernunftwesen anerkannt hat. Denn jede Nichtanerkennung, auch als Reaktion auf eine unvernünftige Handlung, zerstört wegen der gegenseitigen Angewiesenheit nicht nur das Dasein des zufälligen Unvernünftigen, sondern führt notwendig zur Selbstaufhebung. Durch die zufällige, inkonsequente Handlung des Anderen kann das einmal etablierte Rechtsverhältnis als Bedingung für das Zusammenbestehen von Vernunftwesen nicht aufgehoben werden,165 wohl aber wird dadurch sein Inhalt oder seine Qualität unter Bewahrung der Vernünftigkeit des anderen geändert. In dieser Hinsicht stellt die gegenseitige Anerkennung nichts anders als „eine Materialisierung des kategorischen Imperativs“ dar.166 Fichte selbst würde jedoch dieser Interpretation insofern nicht zustimmen, als er dezidiert konstatiert,167 dass es beim Recht um die Erlaubnis zur Rechtsausübung gehe, während die Moral kategorisch eine Pflichtbefolgung fordere.168 Dementsprechend wird einer Ableitung des Rechtsprinzips aus dem Sittengesetz eine Absage erteilt. Die Verbindlichkeit des Rechtsgesetzes resultiert dann nicht aus der sittlichen Einsicht bzw. der reinen praktischen 162  Siep, Idealismus, S. 54. Diese Annahme wird überzeugender, wenn Siep aufweist, dass Fichte die Vernünftigkeit des Anderen auf seine Erscheinung gründe. 163  Fichte, GA I, 3, S. 353. 164  Siep, Idealismus, S. 44. 165  Im Hinblick auf die Straftheorie Fichtes Zaczyk, Rechtslehre, S. 131. 166  Zaczyk, Struktur, S. 22. 167  Fichte, GA I, 3, S. 359. 168  Düsing, Intersubjektivität, S. 276: „Es geht hierbei nicht um den sittlichen Imperativ, daß ich den anderen anerkennen soll und er mich, sondern um die Legitimität, aufgrund deren mein Gegenüber die Anerkennung seiner Freiheitssphäre durch mich einzufordern berechtigt ist und umgekehrt […].“

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

Vernunft, sondern aus dem „Denkgesetz“, der praktischen Gültigkeit des Syllogismus.169 Fichte hat zwar zutreffend die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Recht und Sitten gesehen, aber es wird bereits angedeutet, dass die gegenseitige Anerkennung der Vernunftwesen um der Erlangung des Selbstbewusstseins willen als eine kategorische Pflicht anzusehen ist. Wie könnte Fichte diese Notwendigkeit aufrechterhalten, ohne seine „ursprüngliche Einsicht“, dass die gegenseitige Anerkennung eine transzendentale Bedingung des Selbstbewusstseins sei, zu schwächen? Wenn Fichte bahnbrechend begründet hat, dass das Rechtsverhältnis eine transzendentale Bedingung für das Selbstbewusstsein eines einheitlichen Subjekts ist, dann sind das Rechtsgesetz und das Sittengesetz auf ein Selbstbewusstsein, oder genauer ein und dieselbe reine praktische Vernunft des Subjekts als deren gemeinsamen Grund zurückzuführen. Da das Subjekt notwendigerweise mit den anderen verbunden ist, ist diese reine praktische Vernunft auch eine gemeinsame Vernunft und beansprucht Allgemeingültigkeit zwischen Vernunftwesen. Nur auf dieser Weise kann das Rechtsgesetz allgemeine Verbindlichkeit besitzen. Fichte schreibt zwar auch, dass die Nichtanerkennung als Reaktion auf eine fremde Anerkennung unvernünftig sei. Die Verbindlichkeit ergibt sich aber nach Fichte nur aus der praktischen Gültigkeit des Syllogismus, es liegt deshalb nicht fern, dass nach einigen Autoren hier nur eine Unvernünftigkeit i. S. d. technisch-praktischen Vernunft gemeint ist.170 Dann müsste aber das Recht von der zufälligen Unvernünftigkeit eines Einzelnen bedingt sein, was Fichtes ursprünglicher Ansicht und seiner transzendentalen Methode entgegenstehen würde. Die Unvernünftigkeit der Nichtanerkennung kann nur so verstanden werden, dass sie das kategorische Gebot der reinen praktischen Vernunft verletzt. Den jeweils anderen als freies Vernunftwesen anzuerkennen, ist also eine Grundpflicht der Rechtslehre und nicht nur Gegenstand einer Erlaubnis. Dadurch wird Fichtes Einwand, Rechtsgesetz und Sittengesetz könnten nicht aus demselben Grund hergeleitet werden, zugunsten seiner ursprünglichen Ansicht entkräftet. Es gibt durchaus einen Weg, Recht und Moral auf denselben Grund zurückzuführen und trotzdem ihre Unterscheidung beizubehalten, wie Kant durch seine Unterscheidung der Gegenstände, durch die zwei Arten von Gesetzgebung und durch die Möglichkeit des äußeren Zwangs demonstriert hat. Solange Fichte wie Kant seine Rechtslehre auf ein begründetes Prinzip von transzendentaler Freiheit gründet, können mit Zaczyk beide Rechtslehren „ineinandergefügt“ werden.171 GA I, 3, S. 356. Unabhängigkeit, S. 33: „Der Preis, den Fichte für die Emanzipation des Rechts von der Moral entrichten muss, ist hoch, denn die moralische Unabhängigkeit des Rechts ist nur auf Kosten der Verwandlung eines vernunftpraktischen in einen rationalitätstheoretischen Rechtsbegriff zu erreichen.“ 171  Zaczyk, Anerkennung, S. 29. 169  Fichte,

170  Kersting,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs103

Diesen für Fichte fast alternativlosen Weg hat er leider nicht beschritten und zieht aufgrund der Überbewertung des Erfahrungselements in der Rechtslehre einige nachteilige Konsequenzen im Bereich der Rechtsanwendung.172 Bereits im Zusammenhang mit der richtigen Reaktion des Ich auf die Nichtanerkennung durch einen Anderen weist Fichte darauf hin, dass das Ich in diesem Fall dem Anderen „die Vernünftigkeit nur noch als zufällig zuschreiben“ und ihn für diesen Fall als ein sinnliches Wesen behandeln könne.173 Die Unrechtshandlung ist demnach eine Handlung ohne Rechts­ vernunft und der daran anschließende Zwang gegen das sinnliche Wesen ist nichts anderes als ein „äußerliches Instrument“ zur „Wiedereinigung“ von Sinnlichkeit und Vernünftigkeit in diesem Anderen. Das ursprüngliche Rechtsverhältnis zwischen dem Ich und dem Anderen wird somit in ein Naturverhältnis transferiert.174 Hier muss eine Unvereinbarkeit mit Fichtes eigener ursprünglicher Einsicht diagnostiziert werden, denn wie oben klargestellt, muss ich auch nach der Unrechtshandlung den Anderen als ein Vernunftwesen anerkennen; seine Eigenschaft als Vernunftwesen ist nämlich meine Daseinsbedingung. Die Richtigkeit der These ist nunmehr unter Heranziehung Kantischer Rechtsbegründung deutlicher geworden: Nur wenn wir annehmen, dass derjenige, der sich für die Unrechtshandlung entscheidet, sowohl bei der Entscheidung als auch nach der Unrechtshandlung ein und dasselbe Vernunftwesen ist und bereits bei der Entscheidung das allgemeine Rechtsprinzip richtig begriffen hat, darf davon ausgegangen wird, dass er sich durch diese Unrechtshandlung in einem Selbstwiderspruch befindet. Und nur unter dieser Voraussetzung kann seine Unrechtshandlung nicht als ein Produkt eines sinnlichen Wesens, sondern als eine durch die freie Wirksamkeit ermöglichte Leistung gegen das allgemeine Rechtsprinzip begriffen werden kann. Die Eigenschaft, ein Vernunftwesen zu sein, kann also nicht zufällig sein, das endliche Vernunftwesen kann aber aus Sicht der reinen praktischen Vernunft zufällig von der Neigung bestimmt werden und eine Unrechtshandlung vornehmen. Und nur wenn die Willkür des endlichen Vernunftwesens von der reinen praktischen Vernunft bestimmbar und die Unrechtshandlung als seine eigene Leistung gegen sie anzusehen ist, kann ihm die Unrechtshandlung zugerechnet werden. In dieser Handlungszurechnung vereinigen sich der Handelnde und das Gehandelte. 172  A. A. Siep, Idealismus, S. 58 ff., der davon ausgeht, dass die im Folgenden zu kritisierende Anwendung des Zwangsrechts eine konsequente Folge der Hinzufügung eines Erfahrungselements (Vertrauensverlust) bei der Rechtsbegründung sei. 173  Fichte, GA I, 3, S. 355 f. 174  Köhler, Rechtszwang, S. 110. Gleiches gilt auch für die Straftheorie Fichtes, wenn er die Möglichkeit der „Rechtlosigkeit“ eines Menschen nach der Unrechtshandlung vertritt (Fichte, GA I, 4, S. 59). Kritisch dazu Zaczyk, Rechtslehre, S. 97 f., 104 ff.; Zabel, Lektionen der Freiheit, S. 218.

104

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

Es mag deutlich geworden sein, dass sich die Kantische und die Fichtesche Rechtslehre durchaus ineinanderfügen können, wenn die Letztere ebenfalls auf der Autonomie des Vernunftwesens gegründet wird und ihre Inkonsequenzen dadurch aufgehoben werden. Der rechtlich-kategorische Imperativ fordert dann gegenseitige Anerkennung als freie und gleiche Vernunftwesen unter dem von mir selbst und den anderen gemeinsam gesetzten allgemeinen Rechtsgesetz.175

III. Vom ursprünglichen zum konkreten Rechtsverhältnis, oder: Zur Notwendigkeit einer rechtlich verfassten Gemeinschaft 1. Das konkrete Rechtsverhältnis und seine Gestalt in einer Gemeinschaft Bisher wurde nur die ursprüngliche Verbundenheit des Ich mit den anderen dargelegt und daraus ein intersubjektiver Rechtsbegriff abgeleitet. Wenn aber das Ich nur in einem bestimmten Praxisbereich in Verbindung mit den anderen sich selbst finden kann, muss sich der auf die rechtlich-praktische Vernunft gegründete Rechtsbegriff notwendig auf diejenige Wirklichkeit beziehen, in der das Rechtsverhältnis zwischen Vernunftwesen stattfindet. Ein Vernunftrecht kann demnach nicht ohne Berücksichtigung dieser Wirklichkeit begründet werden; anderenfalls bliebe es abstrakt und wäre nie praktisch geworden.176 Das bedeutet aber nicht, dass der Wirklichkeit bei der Begründung des allgemeinen Rechtsprinzips eine eigenständige Stelle zugeschrieben würde, denn damit würde das allgemeine Rechtsprinzip von zufälligem Sein abhängig gemacht.177 Zu zeigen ist vielmehr Folgendes: Wenn ein handelndes Subjekt fragt, inwieweit es seine Freiheit durch den Begriff der Freiheit des anderen beschränken soll, um dadurch seiner Anerkennungspflicht nachzukommen, muss unbedingt die Wirklichkeit als Beurteilungsgrundlage sei175  Chou, Vorbereitungsdelikten, S. 102; Gierhake, Begründung, S. 109 ff.; Kahlo, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S.  297 f.; Köhler, Strafe, S. 47; Murmann, Neben­ täterschaft, S.  168 ff.; ders., Selbstverantwortung, S. 196  ff.; Noltenius, Kriterien, S.  179 ff.; E. A. Wolff, Abgrenzung, S.  185 ff.; Zaczyk, Unrecht, S. 165. Vgl. auch Frisch, Straftatsystem, S. 146; S. Walter, Pflichten, S. 96. 176  Vgl. auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 196. 177  Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 81. In diesem Sinne auch Gierhake, ZIS 2017, 399 Fn. 70, wenn sie zutreffend konstatiert, dass Verbrechen und Strafen im Zusammenhang mit einer konkreten Rechtsgemeinschaft, mit ihren Strukturen und ihrer Verfasstheit begriffen werden müssen. Weiter heißt es: „Das bedeutet nicht, dass nun ein Perspektivwechsel zwischen begründendem und beschreibendem Vorgehen eingeführt wird. Die konkreten Strukturen sind als Rechtsstrukturen immer schon an die Vernunft gebunden, können aber zugleich durch die Mannigfaltigkeit der Empirie unterschiedlich ausgestaltet sein.“



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs105

ner Handlung miteinbezogen werden. So erklärt sich auch, dass das Subjekt nur dann sein Leben bewusst führt, wenn es in seiner Handlung selbstbestimmt seine praktische Einsicht in Richtiges vollzieht, die von der Kultur oder den Lebensformen der Gemeinschaft, in der es steht, wesentlich geprägt ist. „Recht und Leben [stehen] in einer inneren Verbindung.“178 Das Recht als ein wechselseitiges Rechtsverhältnis in einer bestimmten Gemeinschaft muss also von den Subjekten, aus denen sie besteht, richtig anerkannt und in ihren Handlungen vollgezogen werden – unter der Bedingung, dass dieses Recht die Voraussetzung der Koexistenz dieser Subjekte, die wiederum von den in dieser Gemeinschaft herrschenden Lebensformen wesentlich bestimmt wird, treu reflektiert und damit als Daseinsform der Freiheit bzw. als „Allgemeinheit in Wirklichkeit“ interpretiert werden kann.179 178  Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 81. In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass das allgemeine Rechtsprinzip als Beurteilungskriterium (Kersting, Kant über Recht, S. 17) wegen seiner Offenheit auch die Vielfältigkeit der konkreten Rechtsverhältnisse als Beurteilungsgrundlage in die Berücksichtigung der Handlungsgrenze einbeziehen muss und kein inhaltsleeres Prinzip sein kann. Zutreffend gegen den Vorwurf des Formalismus Noltenius, Freiheit, S. 250: „Der kategorische Imperativ lässt Inhalte zu, die darauf überprüft werden können, ob die Widerspruchsfreiheit des Willens bzw. des konkreten Wollens gegeben ist.“ 179  Ausführlich Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 79 ff., er weist auch auf Hegels Begriffe des objektiven Geistes (ebd., S. 79 Fn. 70) und der bürgerlichen Gesellschaft (ebd., S. 82 Fn. 83) hin. In diesem Zusammenhang bestreitet Pawlik, JZ 2014, 896 freilich die Leistungsfähigkeit der Fichteschen Intersubjektivitätslehre und eines darauf gegründeten Rechtsbegriffs zur Erfassung des in der konkreten sozialen Gemeinschaft herrschenden Ordnungsmusters oder der Lebensformen, die „die Identität eines bestimmten Individuums prägen“. Denn die interpersonale Anerkennung bei Fichte lasse „sich als Auseinandersetzung eines Subjekts mit konkreten anderen Subjekten begreifen“, aber die das bestimmte Individuum prägenden Einflüsse in der Gemeinschaft seien für den Einzelnen „niemals voll verfügbar“, es lasse sich „lediglich ein Teil auf das Verhalten bzw. die Bewusstseinsleistungen distinkter anderer Personen zurückführe“, aber auch dann seien „diese häufig nur Vermittler überindividueller Anschauungen und Mentalität“. Kurz: „Durch die bloße Verdoppelung der in die Analyse einbezogenen Bewusstseinsinhaber“ könnten die das Individuum bestimmenden „kollektiven Prägungen“ nicht angemessen erfasst werden. Es fehle nämlich „eine überzeugende Theorie des objektiven Geistes“! Siehe bereits Pawlik, Person, S.  72 ff.; Jakobs, Norm, S. 36. Die Schlüssigkeit von Pawliks Kritik steht und fällt mit der Frage, ob der objektive Geist gegenüber der Intersubjektivität eine eigenständige, durch Intersubjektivität nicht erklärbare Stelle besitzt. Die Annahme, dass die anderen Subjekte allenfalls „Vermittler“ dieser allgemeinen, das Individuum prägenden sozialen Wirklichkeit seien, impliziert freilich, dass diese Wirklichkeit eine dem Individuum äußerliche, sogar höher angesiedelte Instanz sei. Damit wäre die innere Verbindung des allgemeinen Vernunftgesetzes mit dem Einzelnen als Vernunftsubjekt verneint. Wenn nämlich diese allgemeine soziale Wirklichkeit als ein „allgemeines Handlungsgesetz“ in einer bestimmten Gemeinschaft, und nur als eine konkrete Gestalt eines allgemeinen Rechtsgesetzes angesehen werden muss, so dass diese Wirklichkeit als „objektiver Geist“ bezeichnet werden kann, dann wäre das allgemeine

106

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

2. Pflicht zum Eintritt in einen Zustand des öffentlichen Rechts und die Begründung des Staates Die Subjekte in einer bestimmten Gemeinschaft können zwar mit ihrer praktischen Einsicht einander gegenseitig als freie und gleiche Vernunft­ wesen anerkennen und Rechtsverhältnisse vor dem Eintritt in eine rechtlich verfasste Gemeinschaft (also einen Staat) gemeinsam stiften.180 In diesem sog. Naturzustand ohne austeilende Gerechtigkeit bzw. Privatrecht181 sind diese Rechtsverhältnisse aber nicht gesichert: Ein endliches Vernunftwesen kann zwar dem von ihm und von den anderen gemeinsam gesetzten Rechts­ imperativ gemäß richtig handeln, aber es könnte irren oder wegen anderer empirischer Bedingungen, Reize, Neigungen von ihm abweichen.182 Fehlt eine objektive Bestimmung der Handlungsgrenze und herrscht in diesem Rechtsgesetz dadurch von dem einzelnen Vernunftsubjekt getrennt. Dem widerspricht aber die hier vertretene Kantische Ansicht, wonach der Einzelne als autonomes Vernunftsubjekt Urheber und Träger, nicht aber Vermittler des allgemeinen Rechtsgesetzes ist. Wenn aber sowohl das Ich als auch der Andere Vernunftwesen sind, dann versteht sich der Andere in der transzendentalen Deduktion Fichtes nicht nur als ein konkretes Individuum, oder konkrete Individuen, sondern zugleich als Urheber und Träger des allgemeinen Rechtsgesetzes. Dementsprechend wird durch die Interaktion mit dem Anderen in der bestimmten Gemeinschaft das allgemeine Handlungsgesetz in dieser Gemeinschaft als eine Gestalt des allgemeinen Gesetzes deduziert, gerade weil der Andere Urheber und Träger dieses Handlungsgesetzes ist. Intersubjektivität umfasst nicht nur die Interaktionen zwischen konkreten Subjekten, sondern zugleich auch die Sozietät und ihr allgemeines Rechtsgesetz. Alle als „Allgemeines“ bezeichnete soziale Wirklichkeit kann deshalb nur eine Kristallisierung der vernünftigen Leistungen der Vernunftsubjekte in dieser Gemeinschaft sein. Auch wenn diese Wirklichkeit vom Einzelnen erst in konkreten Interaktionen mit den anderen hergestellt und im Hinblick auf die historische Genese auch nicht von ihm beeinflusst werden kann, kann der Einzelne als endliches Vernunftwesen das allgemeine Gesetz, oder in diesem Zusammenhang, ein Handlungsgesetz in dieser Gemeinschaft, richtig erkennen und begreifen und es dann in seiner äußeren Interaktion mit den anderen durch seine Handlung durchsetzen. Die Legitimität oder die Aufforderung, gemäß dieser sozialen Wirklichkeit als Allgemeinem zu handeln, ergibt sich also nicht schon daraus, dass sie vor der konkreten Interaktion mit den anderen bereits als ein allgemeines Handlungsgesetz in dieser Gemeinschaft durchgesetzt ist, sondern aus der Tatsache, dass diese soziale Wirklichkeit eine konkrete Gestalt der rechtlich-praktischen Vernunft ist, die in dem einzelnen Subjekt, aber auch in dem anderen Subjekt besteht, also „das gemeinsame Bewusstsein“ aller Subjekte ist. Durch die Verbindung der Kantischen moralischen Rechtslehre mit der Intersubjektivitätslehre Fichtes verfügt man daher entgegen Pawlik durchaus über ein Mittel, das Wesen und die Legitimität der allgemeinen sozialen Wirklichkeit als Wesen und Legitimität des „objektiven Geistes“ angemessen zu erfassen, ohne dass sich Subjektivität des Einzelnen oder Intersubjektivität in dieser Wirklichkeit auflösen. 180  Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 72. 181  Kant, MdS AA VI, S. 306. 182  Kahlo, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 295.



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs107

Zustand nur die subjektive Überzeugung des einzelnen Handelnden, sind die durch vorherige Anerkennungsakte zugeschriebenen Freiheitssphären nur provisorisch und nicht gesichert.183 Wenn aber die Anerkennungsverhältnisse in diesem Zustand nicht gefestigt sind, kann die Selbstbestimmung im Praktischen und damit das Dasein des Menschen insgesamt ebenfalls nicht gesichert werden. Deshalb ist der Übergang in einen Zustand des öffentlichen Rechts bei Kant sogar die Pflicht jedes Vernünftigen.184 Nach der hier vertretenen Einsicht kann der Staat rechtsphilosophisch nur aus dem „gemeinsamen Bewusstsein“ bzw. „ursprünglichen Vertrag“185 zwischen Vernunftwesen, also aus der rechtlich-praktischen Vernunft begründet werden. Denn der faktische oder gedankliche Abschluss eines Vereinigungsvertrags zur Verwirklichung eines bestimmten Zwecks, z. B. der Selbsterhaltung des Einzelnen, beruft sich letztendlich auf den Gedanken der Klugheit ohne allgemeine Verbindlichkeit und erlaubt das willkürliche Zurücktreten vom Vertrag.186 Dagegen hat der Staat seinen Grund in der ursprünglichen Verbundenheit von Vernunftwesen und ist nur eine weiterentwickelte Gestalt dieses ursprünglichen Rechtsverhältnisses.187 Die in einer bestimmten Gemeinschaft lebenden Vernunftwesen geben aufgrund der Aufforderung der rechtlich-praktischen Vernunft der von ihnen in dieser Gemeinschaft vollgezogenen interpersonalen Praxis eine rechtliche Form, und zwar die Verfassung, die die Vernunftwesen in eine politische und normative Einheit bringt und sie repräsentiert.188 Dann wird die Pflicht, das objektiv-allgemeine Freiheitsgesetz zu setzen und durchzusetzen, durch selbstbestimmte Willensvereinigung überwiegend von einer Instanz, dem Staat, übernommen,189 dessen Gewalten zur Rechtsverwirklichung aber funktional in gesetzgebende, exekutive und rechtsprechende Gewalt geteilt sind.190 Erst in einer rechtlich gefassten Gemeinschaft, hier einem Staat, können die Freiheit jedes Vernunftwesens oder die Anerkennungsrechtsverhältnisse durch „gesetzliche Zuordnung von Freiheitssphären“, durch die „dem Allgemeinwillen entsprechende Rechtsausübung“ sowie durch die Judikative mit „letztgültige[r]

MdS AA VI, S. 312. MdS AA VI, S. 307. 185  Kant, MdS AA VI, S. 340. Noltenius, Freiheit, S. 276 konstatiert zutreffend, dass hier nicht ein historischer Vertragsschluss, sondern „ein Kontrakt nach der ‚Vernunftidee‘ “ gemeint ist. 186  Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 680. 187  Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 77. 188  Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 83; Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 687. 189  Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 687. 190  Kant, MdS AA VI, S. 313; Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 84. Ausführlich zur Gewaltenteilung im Staat Noltenius, Freiheit, S. 281 ff. 183  Kant, 184  Kant,

108

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

Verbindlichkeit innerhalb der Rechtsverhältnisse hergestellt“ und garantiert werden.191 Das positive Gesetz im Staat ist daher nur die Konkretisierung des Inhalts des Rechtsimperativs;192 es versteht sich als eine „institutionalisierte Daseinsform von Freiheit“193 und hat eine Orientierungsfunktion für die Handlungen der Person.194 Da alle staatliche Gewalt ihren Rechtsgrund im Vernunftwesen hat, geht das positive Gesetz dem Vernunftwesen nicht voraus, sondern muss sich auf dieses zurückführen lassen.195 Daraus folgt wiederum, dass das Vernunftwesen im Staat nicht nur die rechtliche Pflicht hat, sich dem zwar durch Repräsentanten vermittelt gesetzten, aber doch selbstgesetzten positiven Gesetz zu unterwerfen, sondern auch „ein unbedingtes subjektives Recht auf Wahrung des Rechtsprinzips“.196 3. Das gegenseitiges Anerkennungsverhältnis von Person, Gesetz und Institution im Staat Ganz entsprechend dem Rechtsgrund des Staates ist der Zweck des Staates die Sicherung der gegenseitigen Rechtsverhältnisse in einer Gemeinschaft, also die Selbstentfaltung jedes Vernunftwesens in diesem Bereich mit den anderen unter den Rechtsgesetzen. Der Staat muss zunächst dem Bürger die minimalen Daseinsbedingungen in Gestalt eines „Existenzerhaltungs- und -sicherungsanspruch[s]“ gewährleisten.197 Jenseits dieses Bereichs hat das Vernunftwesen aber kein subjektives Recht, und ob der Staat eine Pflicht zur Einrichtung bestimmter Institutionen oder zur Schaffung der Rahmenbedingungen hat, hängt auch von dem jeweiligen Entwicklungszustand der Gemeinschaft ab. Sind das positive Recht und die Institutionen einmal gesetzt, stellen sie sich als eine konkrete Gestalt der praktizierten Anerkennungsverhältnisse dar. In dieser Gestalt wandelt sich aber das wechselseitige Anerkennungsverhältnis zwischen den einzelnen Vernunftwesen zum wechselseitigen Anerkennungsverhältnis zwischen dem Einzelnen und dem positiven Gesetz oder den Institutionen: Der Einzelne befolgt aufgrund der Aufforderung der ZIS 2017, 396. Begründung, S. 73. 193  Gierhake, ZIS 2017, 394. 194  E. A. Wolff, Abgrenzung, S. 198. Orientierungsfunktion statt Steuerungsfunktion deshalb, weil die Person als vernünftiges Subjekt im Grundsatz die Fähigkeit hat, sich am Richtigen zu orientieren. 195  Murmann, Nebentäterschaft, S. 172. 196  Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 691. 197  Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 83; Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 389: ursprüngliches Recht auf gegenständliche Teilhabe. 191  Gierhake, 192  Gierhake,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs109

Vernunft die von ihm selbst mit den anderen gemeinsam gesetzten positiven Gesetze oder die Pflichten aus den Institutionen, die über die Pflichten zwischen den Einzelnen hinausgehen und meistens abstrakt-allgemeine Rahmenbedingungen für bestimmte Rechtsverhältnisse, z. B. für die „Funktionstüchtigkeit der Justizpflege“ ermöglichen.198 Ohne sie kann sich auch der Einzelne gar nicht an einem bestimmten Rechtsverhältnis beteiligen. Im Hinblick auf den Status und den Pflichtinhalt sowie ihre Funktion weisen diese Institutionen eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem Einzelnen auf. Andererseits sind die Institutionen aber kein Selbstzweck, sondern bestehen für ihren Rechtsgrund, also für die Freiheit des Einzelnen in einer Gemeinschaft mit den anderen.199 Die Institutionen sind verpflichtet, sich an den Freiheitsgesetzen zu orientieren und die Subjektivität des Einzelnen zu bewahren. Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass der Einzelne als Bürger und die staatlichen Institutionen – ganz dem ursprünglichen Verhältnis zwischen dem Ich und den anderen entsprechend – in einem vernünftigen Gleichursprünglichkeitsverhältnis stehen; sie konstituieren sich gegenseitig und erkennen sich auch gegenseitig an, ohne ihre eigene Selbständigkeit zu verlieren.200 198  Siehe

Zaczyk, Unrecht, S. 181 ff. Selbstverantwortung, S. 222 sieht insoweit mit Recht eine Zweckableitung von Institutionen aus dem Einzelnen. 200  Deshalb ist die Ansicht von Jakobs, Norm, S. 36 ff., dass eine Person von einer sozialen Norm konstituiert und durch ihre soziale Rolle bestimmt werde, in einigen entscheidenden Punkten angreifbar. Jakobs hat zwar dadurch die notwendige Verbindung des Einzelnen mit den anderen, also seine Gesellschaftlichkeit, plausibel beschrieben. Auch die These, dass die Norm die Person konstituiere, ist nach dem hier vertretenen intersubjektiven Rechtsbegriff zutreffend. Die Konstitution erfolgt aber bei Jakobs nur als „Einbahnstraße“: Nur die soziale Norm konstituiere die Person, nicht aber umgekehrt (kritisch dazu Seelmann, FS-Jakobs, S. 643, er weist mit Recht auf die gegenseitige Anerkennung und Bedingtheit von Person und Norm hin). Das Individuum sei erst dann rechtlich relevant, wenn die Norm ihm eine bestimmte Rolle oder Funktion zuschreibe. Damit verlöre das Individuum als Vernunftwesen aber auch den Status als autonomer Urheber der Norm und seine Subjektivität (vgl. Zaczyk, FS-Jakobs, S. 798 f.). Von einem Gleichursprünglichkeitsverhältnis zwischen dem Ich als Vernunftwesen und der Norm kann nach dieser Ansicht nicht die Rede sein, denn das Individuum ist gegenüber der Norm machtlos. Nur wenn die Gesellschaftlichkeit ursprünglich, d. h. konstruktiv im Begriff des Individuums angelegt ist, also Sein und Sollen im Begriff des Individuums als Vernunftwesen synthetisch vereinigt sind und das Individuum als Vernunftwesen zugleich als Urheber und Adressat der Norm angesehen werden kann, ist die Norm gegenüber dem Individuum nicht eine über ihm stehende, heteronome Instanz und erlangt ihre Legitimität. Ein Grund für die Unzulänglichkeit der Ansicht Jakobs ist die strikte Unterscheidung zwischen Sein und Sollen und entsprechend zwischen Individuum und Person (klarstellend Zac­zyk, Feuerbach, S. 83). Wenn aber nur der Norm die Definitionsmacht für die Eigenschaft als Person zukäme, könnte sie auch die einmal zugeschriebene Eigenschaft als Person aufheben. Die Gefahr einer Entpersonalisierung des Individuums wäre dann naheliegend und drohte sich etwa in der umstrittenen Rechtsfigur des Feind199  Murmann,

110

1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

IV. Verfassungsrechtliche Verankerung des freiheitlichen Rechtsbegriffs Dass das Recht als gegenseitiges Rechtsverhältnis zwischen Vernunft­ wesen in einer rechtlich verfassten Gemeinschaft seinen Grund in der autonomen Person hat, ist nicht nur rechtsphilosophisch von Bedeutung, sondern manifestiert sich auch im Grundgesetz. Die Verbindungsnorm zwischen Rechtsphilosophie einerseits und Verfassungsrecht andererseits ist Art. 1 Abs. 1 GG, die Menschenwürdegarantie, die der Verfassungsgeber in Anbetracht der NS-Unrechtsherrschaft unter Bezug auf bestimmte theologische oder philosophische Traditionen in das GG eingeführt hat;201 ihre Unabänderlichkeit kommt in Art. 79 Abs. 3 zum Ausdruck. Aus der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG als „Grundnorm“202 resultiert zwar die Achtungs- und Schutzpflicht des Verfassungsstaats. Über den Begriff und die Reichweite der Menschenwürde sowie den Inhalt der daraus entspringenden Pflichten ist aber bisher keine Einigkeit erreicht. Nimmt man die hier vertretenen rechtsphilosophischen Ausführungen als Ausgangspunkt, dann ist die Menschenwürde kein „Wert unter vielen“, kein einfaches (relativ schwer) einschränkbares Grundrecht im Sinne eines subjektiven Rechts, aber auch kein Prinzip, das notwendig mit anderen konkurrierenden Prinzipen in eine Abwägung zu bringen wäre.203 Vielmehr versteht die Menschenwürde sich als die Autonomie des Menschen, sie ist „der Grund jeden Wertes“ und zugleich der Geltungsgrund des Rechts und des Staates.204 Mit der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten „Objektformel“, der zufolge der Mensch im Staat nicht zum bloßen Objekt gemacht205 und damit sein Status als Rechtssubjekt grundsätzlich in Frage gestellt206 werden darf, wird nur die negative Dimension der Autonomie des Menschen angedeutet. Im Recht geht es zwar nur um die äußerliche Willkürfreiheit, nicht aber unmittelbar um die sittliche Selbstgesetzgebung oder das Handeln aus Pflicht. Man könnte in der Menschenwürde als Rechtsbegriff somit nur den negativen Begriff der Freiheit von der äußerlichen Nötigung oder dem „Zwang an der Wahl zwischen bestimmten Entscheidungsalternativen“ sehen, wie die Objektformel gezeigt strafrechts zu verwirklichen. Zu diesem Zusammenhang mit dem Feindstrafrecht Gierhake, Zusammenhang, S. 303. 201  Zur Geschichte und zum Bezug zu dieser Tradition Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rn. 1 ff., 7. 202  BVerfGE 27, 344, 351. 203  Insbesondere im Blick auf die Menschenwürde als Prinzip zwecks Inhaltsfestlegung der Menschenwürde als Regel Alexy, Grundrechte, S. 96 f. 204  Murmann, Selbstverantwortung, S. 216. 205  BVerfGE 27, 1, 6. 206  BVerfGE 115, 118, 153.



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs111

hat.207 Der negative Begriff der äußerlichen Willkürfreiheit ist aber nur eine notwendige, nicht die hinreichende Bedingung für die rechtliche Autonomie des Menschen.208 Es fehlt in dieser Formel noch der positiven Begriff von Freiheit, nämlich die Fähigkeit, dem selbstgesetzten Rechtsprinzip entsprechend selbstbestimmt sein Leben zu führen,209 und immer innerlich und äußerlich als Subjekt anerkannt zu sein.210 Das Recht fordert zwar nicht, dass die moralische Pflicht Triebfeder des Handelns sei, trotzdem gilt aber die sittliche Autonomie, d. h. die Selbstgesetzgebung als ein Bestimmungsgrund des rechtlichen Handelns, und erst daraus ergibt sich die Allgemeingültigkeit des Rechtsgesetzes.211 Die rechtliche Würde als Autonomie bzw. Selbstbestimmung kann somit nicht auf eine „ungezwungene Wahl zwischen Entscheidungsalternativen“ reduziert werden, sondern zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, dem selbstgesetzten Rechtsgesetz entsprechend handeln zu können. Der Verfassungsgeber hat sich zwar nicht auf die Kantische Moralphilosophie berufen und eine unkritische Übernahme der Ansicht eines bestimmten Philosophen kann die Aufforderung der Verfassungsinterpretation auch nicht erfüllen.212 Der Gedanke der sittlichen und rechtlichen Autonomie und der Anerkennung als Rechtssubjekt stimmt aber durchaus mit der Vorstellung des Gesetzgebers überein und hat das Potential, „geistige Voraussetzung“ oder „Keime für die spätere Herausbildung der verfassungsrechtlichen Men­ schenwürdegarantie“213 zu werden. Neben der Objektformel greift das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung einen Gedanken auf, der mit dem hier vertretenen vergleichbar ist: „Dem liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten. Diese Freiheit versteht das Grundgesetz nicht als diejenige eines isolierten und selbstherr­lichen, Grundrechte, S. 323. auch Alexy, Grundrechte, S. 324 Fn. 64. 209  Köhler, Recht und Gerechtigkeit, S. 135 f. 210  Enders, Menschenwürde, S. 501 konstatiert zutreffend, dass sich aus dem positiven Begriff der Freiheit bei Kant bereits ansatzweise der Gedanke der innerlichen und äußerlichen Anerkennung des Menschen ergibt. 211  Sofern man sich klar wird, dass rechtliche Freiheit nicht unmittelbar mit der sittlichen Freiheit ineins fällt, sondern mit ihr in einem Begründungszusammenhang steht, dass beide auf denselben Grund der reinen praktischen Vernunft zurückzuführen und doch durch unterschiedliche Arten der Gesetzgebung mit unterschiedlichen Gegenständen zu unterscheiden sind, lässt sich der Vorwurf, die kategoriale Unterscheidung von Moral und Recht zu verschleifen (H. Dreier, GG I, Art. 1 Rn. 15), entkräften. 212  Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rn. 4. 213  Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rn. 5, in Bezug auf Kantische Philosophie bei Rn. 6. 207  Alexy, 208  Vgl.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

sondern als die eines gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums.“214 Dies lässt sich im Lichte des Gedankens innerlicher und äußerlicher Autonomie dahin interpretieren, dass die erwähnte Freiheit als äußerliche Willkür, die mit den Willkür der anderen notwendig konkurriert, gerade im „sittlichen“ Wesen des Menschen, also in der innerlich-sittlichen Autonomie gründet. Die hier vertretene Ansicht könnte sich freilich dem Einwand aussetzen, dass die Berufung auf den vorstaatlichen Naturrechts- oder Metaphysikgedanken verkenne, dass die Menschenwürde ein positiver Rechtsbegriff215 sei und die Verfassung in einer multikulturellen Gesellschaft über eine autonome Entscheidungsmacht hinsichtlich des Inhalts der Menschenwürde verfüge, der insofern sozialen Wandel und einen Wandel der Lebensformen widerspiegeln soll.216 Dieser Einwand greift allerdings zu kurz. Das Verfassungsrecht regelt im Wesentlichen grundlegende praktische Beziehungen zwischen den Individuen und dem Staat und diese praktische Beziehung ist ohne ein bestimmtes vorstaatliches Verständnis nicht erklärbar. Murmann hat insoweit in aller Schärfe erklärt: „Bei allen Spielräumen für unterschiedliche Verfassungsinterpretationen hat die Verfassung doch bestimmte Einsichten aus der philosophischen Tradition […] übernommen und ist auch in der Interpretation der Verfassung damit auf diese Theoriestücke angewiesen.“217 Dann tritt diese Interpretation aber nicht an die Stelle des Verfassungsgesetzgebers, sondern ist nur „ein notwendiger Teil der Inhaltsermittlung des Art. 1 Abs. 1 GG als positives Recht“.218 Wenn die vorstaatliche bestehende Freiheit des Subjekts vom Verfassungsgeber in Art. 1 Abs. 1 GG als der tragende Grund anerkannt und damit in einen rechtlichen Zusammenhang gestellt wird, er-

214  BVerfGE

45, 187, 227 (Hervorhebung von mir). GG, Art. 1 Rn. 20. 216  Maunz/Dürig/Herdegen, GG, Art. 1 Rn. 19 spricht von einer Verdrängung der juristischen Methodik durch eine meta-juristische Offenbarungslehre. In dieser Richtung skeptisch auch H. Dreier, GG I, Art. 1 Rn. 16. 217  Murmann, Selbstverantwortung, S. 215 Fn. 1. Auch Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rn. 3 zur Relevanz des geistgeschichtlichen Rückblicks. 218  Böckenförde, Menschenwürde, S. 416. Im gleichen Sinne Noltenius, Freiheit, S. 310: Die Rechtsphilosophen „weisen auf Prinzipien hin, die in einem freiheitlichen Rechtsstaat und damit auch im Strafrecht Gültigkeit haben“. Auch der Einwand, dass eine „auf einer metaphysischen Ordnung gründende Annahme […] nicht die Konkretisierung der Menschenwürdegarantie im verfassungsrechtlichen Kontext zu tragen [vermöge] und die weltanschauliche Neutralität des Grundgesetzes verletzten würde“ (Maunz/Dürig/Herdegen, GG, Art. 1 Rn. 19), ist entschieden zurückzuweisen, denn das freiheitliche Rechtsprinzip ermöglicht vielmehr wegen seiner Inhaltsoffenheit die Einbeziehung vielfältiger Werte und Lebensperspektiven im Prozess der persönlichen Selbstentfaltung (vgl. Murmann, Selbstverantwortung, S. 215 Fn. 1, S. 218 Fn. 10). 215  Maunz/Dürig/Herdegen,



A. Darstellung des freiheitlichen Rechtsbegriffs113

kennt er das Subjekt auch als Rechtssubjekt mit einer „Rechtsfähigkeit des Menschen als Menschen“219 an. Auch die Behauptung, dass die Art und das Maß des Menschenwürdeschutzes auf die soziale Entwicklung angewiesen und sogar mit den anderen Verfassungsbelangen in Abwägung gebracht werden müssten,220 ist angesichts der damit einhergehenden Relativierung der Menschenwürde hochbedenklich.221 Auch wenn die behauptete Gesamtwürdigung oder Abwägung innerhalb der „Konkretisierung“ des „absoluten“ Achtungsanspruchs erfolgen soll, wäre der Anspruch doch von dieser „Gesamtwürdigung“ abgängig gemacht und würde seine Absolutheit verlieren. Andererseits darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die Anerkennung als ein freies und gleiches Subjekt sich auch in der sozialen Wirklichkeit verwirklichen muss und mit fremden Belangen konkurrieren oder sogar auf sie angewiesen sein kann. Das entspricht dem notwendigen Wirklichkeitsbezug des allgemeinen Rechtsgesetzes und erfordert somit notwendig eine bestimmte Unterscheidung:222 Was veränderbar sein soll und muss, ist nicht die Menschenwürde als Grund des Rechts, sondern sind die für die Selbstentfaltung der Persönlichkeit notwendigen äußerlichen Bedingungen, nämlich Grundrechte oder Institutionen in einer bestimmten Gemeinschaft,223 die sich nach der Beschaffenheit und dem Entwicklungsstand dieser Gemeinschaft bestimmen. Die vorliegend befürwortete Gleichursprünglichkeit von Ich und Sozietät in dem Sinne, dass sie sich gegenseitig konstituieren, ohne einander zu verdrängt, gilt hier uneingeschränkt. Dass der einzelne Mensch notwendig mit den anderen verbunden ist und seine Subjektivität nicht dadurch berührt werden darf, hat das Bundesverfassungsgericht auch im Zusammenhang mit dem Menschenbild des Grundgesetzes grundsätzlich angenommen, ohne das mögliche Spannungsverhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft endgültig zu ent­

Menschenwürde, S. 502 f. GG, Art. 1 Rn. 46 f.: situationsgebundene Gesamtwürdigung bei der Konkretisierung des „absoluten“ Achtungsanspruchs, Rn. 69: ein gestufter, entwicklungsabhängiger Schutz der Menschenwürde in modo. 221  Böckenförde, Menschenwürde, S. 416. 222  Ähnlich wie hier Friauf/Höfling/Enders, GG Art. 1, Rn. 49: die „Unterscheidung zwischen der Würde als unverlierbarem innerem und abstrakt-gleichem Freiheitsgrund und der von Fall zu Fall unterschiedlichen und nur mehr oder weniger möglichen Betätigung äßerer Freiheit […]“. 223  Zutreffend gegen die Abwägungsfähigkeit der Menschenwürde H. Dreier, GG I, Art. 1, Rn. 46: Diese Stimmen für die Abwägungsfähigkeit „beziehen in ihre Argumentation neben diesem Fall (Achtungsanspruch vs. Schutzanspruch) allerdings auch solche Konstellationen ein, die zum thematischen Einzelbereich anderer Grundrechte wie z. B. des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehören und von daher der Absolutheitsthese keinen Abbruch tun können“. 219  Enders,

220  Maunz/Dürig/Herdegen,

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

schärfen:224 „Das Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum-Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.“225 Die äußerliche Freiheit des Einzelnen ist demnach von vornherein um der Freiheit des anderen willen eingeschränkt.226 Dafür, wie diese äußerliche Freiheit im Sinne der Bedingungen zur Selbstentfaltung der Subjekte miteinander zu koordinieren ist, hat der demokratische Gesetzgeber unter Berücksichtigung der bestehenden Lebensformen und zukünftigen Herausforderungen der Gemeinschaft große Spielräume, deren Grenze freilich im das Verfassungsrecht tragenden Grund der Menschenwürde, in der Subjektivität der Person, begründet liegt.227

B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnissesin einer rechtlich verfassten Gemeinschaft Daraus, dass das Recht als interpersonal-gegenseitiges Anerkennungsverhältnis interpretiert wird, nämlich die eine Person die andere als freie und gleiche betrachtet, ergibt sich konsequent auch der Unrechtsbegriff. Wenn eine Person durch ihre Neigung eine mit dem objektiven Rechtsprinzip nicht vereinbare, somit nicht verallgemeinerungsfähige Handlungsmaxime aufstellt und durch seine Handlung diese Maxime zur Verwirklichung bringt, sodass 224  Murmann, Selbstverantwortung, S. 225  f. Zum Spannungsverhältnis treffend Gärditz, Staat, S. 37: „In einer Demokratie stehen Freiheit vor und Freiheit durch Herrschaft in einer dauerhaften, oszillierenden Konkurrenz.“ 225  BVerfGE 4, 7, 15 f. (Investitionshilfe); 45, 187, 227 (Lebenslange Freiheitsstrafe). Vgl. auch BVerfGE 109, 133, 151 (Langfristige Sicherheitsverwahrung): „Die vom Grundgesetz vorgegebene Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums rechtfertigen es, unabdingbare Maßnahmen zu ergreifen, um wesentliche Gemeinschaftsgüter vor Schaden zu bewahren. Erforderlich ist aber auch in diesen Fällen, die Eigenständigkeit des Untergebrachten zu wahren, seine Würde zu achten und zu schützen.“ Weitere Nachweise mit Analysen siehe Häberle, Menschenbild, S.  47 ff. 226  Zutreffend weist Murmann, Selbstverantwortung, S. 220 Fn. 26 darauf hin, dass die Einschränkung der Freiheit des einen angesichts der des anderen nicht als eine „von außen an den Einzelnen herangetragene“ aufzufassen ist, sondern „ihren Grund schon in der Person selbst“ hat. Dass die Freiheit schon im Naturzustand um der Freiheit des anderen willen eingeschränkt ist und nicht erst in der Rechtsordnung im Sinne einer Wandlung „zu einer Form kollektiver Selbstbestimmung“ beschränkt wird, verkennt aber Wilfert, Strafgesetzgebung, S. 99. 227  Böckenförde, Menschenwürde, S. 418 f. Somit versteht sich auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip als eine besondere Ausprägung dieses Grundes.



B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnisses 115

die äußerliche Freiheit einer anderen Person beeinträchtigt wird, erklärt sie insoweit ihre Überlegenheit gegenüber dem Opfer, womit ein Verhältnis der Ungleichheit behauptet wird. Das ursprünglich bestehende Rechtsverhältnis zwischen Täter und Opfer dauert zwar nach der Handlung notwendig fort, dessen Inhalt wird aber dadurch von einem Rechtsverhältnis unter Gleichen zu einem unter Ungleichen umgewandelt.228 Das Unrecht als Negation des Rechts ist ein Sekundärbegriff229 und kann dementsprechend als Verletzung eines bestehenden gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses definiert werden. Auf den ersten Blick scheint ein Unrechtsbegriff als solcher auf die interpersonale Beziehung zwischen Täter und Opfer beschränkt zu sein. Der oben durchgeführten dreistufigen Rechtsbegründung zufolge – mit den Stufen der Autonomie der Person, der interpersonalen Anerkennung und der Anerkennung in einer rechtlich verfassten Gemeinschaft – weist der Unrechtsbegriff aber noch weitere Dimensionen auf, die im Folgenden weiter zu vertiefen sind.230

I. Unrecht als Verletzung eines fremden Daseinselements und der Rechtsgeltung Ein äußerlich wahrnehmbares Verletzungsgeschehen, z. B. die Zerstörung einer fremden Sache, bringt das Unrecht vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck: Der Täter hat durch seine Zerstörungshandlung einen unerwünschten Zustand herbeigeführt. Es liegt daher nicht fern, die objektive Dimension des Unrechts – zumal beim positiven Tun – in der Herrschaft über das zur Rechtsgutsverletzung führende Kausalgeschehen zu erblicken.231 Dieses Unrechtsverständnis überbewertet freilich die empirische Dimension des Unrechts. Die normative Pflichtverletzung hat dann allenfalls noch die Funktion einer Einschränkung der Verantwortung. Normativ oder unter dem Aspekt des interpersonalen Rechtsbegriffs relevant ist aber nicht die kausale Aus­ lösung eines wahrgenommenen Nachteils an einem Objekt,232 sondern die Beeinträchtigung einer bestimmten fremden Freiheitssphäre: Der Eigentümer kann infolge dieser Zerstörungshandlung über sein Eigentumsrecht nicht mehr frei verfügen. Das ursprüngliche Anerkennungsverhältnis zwischen Selbstverantwortung, S. 31. Nebentäterschaft, S. 172. 230  Diese Dimensionen sind zwar bereits in der Kantisch-Fichteschen Rechtsphilosophie enthalten, aber von Hegel in seiner Rechtsphilosophie weiter konkretisiert und vertieft worden (so Gierhake, ZIS 2017, 397); deshalb ist es vernünftig, soweit notwendig auch Hegels Ausführungen heranzuziehen. 231  SK/Jäger, Vor § 1 Rn. 41; Welzel, Strafrecht, S. 100. 232  Murmann, FS-Frisch, S. 1133; Gierhake, ZIS 2017, 394; Köhler, AT, S. 24. 228  Zaczyk,

229  Murmann,

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

Täter und Opfer als freien und gleichen Subjekten wird insoweit, und zwar im Hinblick auf den Achtungsanspruch des Eigentumsrechts, verletzt.233 Die kausale Herbeiführung einer Beeinträchtigung der Sache ist deshalb nur eine (naturhafte) Vermittlung der partiellen Rechtsverhältnisverletzung. Ist im besonderen Rechtsverhältnis notwendig das allgemeine Rechtsprinzip als dessen Grund enthalten, führt die Verletzung eines konkreten Ausschnitts des Rechtsverhältnisses notwendig zur Verletzung des allgemeinen Rechtsprinzips als gegenseitiger Anerkennung, an dem jedes Vernunftwesen, darunter auch der Täter selbst teilhabt. Das (Verbrechens-)Unrecht wird zutreffend von Hegel als Verletzung des Rechts als Rechts bezeichnet. Das Verbrechen verletzt demnach nicht nur das besondere Dasein der Freiheit einer Person, hier das Eigentumsrecht, sondern die Rechtsfähigkeit einer Person und damit auch das Recht als gegenseitiges Anerkennungsverhältnis insgesamt.234 Das Verbrechen ist nämlich die Negation der Allgemeingeltung des allgemeinen Rechtsprinzips.235, 236 Dadurch wird aber deutlich, dass das herkömmliche Verständnis der Rechtsgutsverletzung unzulänglich ist. Wenn Unrecht als Verletzung des 233  Köhler, AT, S. 24; Murmann, GK, § 8 Rn. 8. Insoweit auch Hörnle, FS-Frisch, S. 658; Jakobs, FS-Rudolphi, S. 114 f.; Matt/Renzikowski/Renzikowski, StGB, Einl. Rn. 10: Rechtsverletzung im horizontalen Rechtsverhältnis zwischen Täter und Opfer als Anlass der Strafe 234  Hegel, Rechtsphilosophie, § 95; Köhler, FS-Lackner, S. 17; Murmann, GK, § 8 Rn. 22; Pawlik, Unrecht, S. 55; Seelmann, Anerkennungsverlust, S. 19. Weil der Täter als Person auch an diesem allgemeinen Rechtsprinzip der Anerkennung begründet teilhat, hat er durch das Verbrechen auch sich selbst als Person verletzt (Seelmann, ebd., S. 21). 235  Wenn sich das Rechtsverhältnis und sein Prinzip notwendig auf die sie mitbegründenden anderen, nämlich die Rechtsgemeinschaft beziehen, erweckt die unvernünftige Handlung des Täters wegen seiner Eigenschaft als Vernunftwesen doch den Anschein, dass diese Handlung allgemeingültig sei, und beeinträchtigt in gewissem Maße die Geltung des allgemeinen Rechtsprinzips, wenn der Staat darauf nicht angemessen reagiert. Vgl. Gierhake, Begründung, S. 122 f.; Köhler, FS-Lackner, S. 18; ders., AT, S. 23. Ursprünglich Hegel, Rechtsphilosophie, § 97: „Die geschehene Verletzung des Rechts als Rechts ist zwar eine positive, äußerliche Existenz, die aber in sich nichtig ist.“ „Nichtig“ bedeutet hier widersprüchlich oder „Negation des Allgemeinen im Willen“, vgl. Seelmann, Anerkennungsverlust, S. 21, wo auch ein Hinweis auf die für den Zusammenhang der Normgeltung bedeutsamen Ausführungen von Kant, AA MdS VI, S. 333 gegeben wird: „Wer da stiehlt, macht aller Anderer Eigen­ thum unsicher; er beraubt sich also (nach dem Recht der Wiedervergeltung) der Sicherheit alles möglichen Eigenthums.“ 236  Zur Gefährdung oder Verletzung der Rechtsgeltung als (Teil des) Unrecht(s) Frisch, GA 2019, 194; Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 37; Gierhake, Begründung, S. 123; Jakobs, FS-Frisch, S. 88; Köhler, AT, S. 23; ders., Strafe, S. 47 f.; Murmann, FS-Frisch, S. 1133; Pawlik, Normbestätigung, S. 29 f., 34. Dagegen aber Hörnle, ­FS-Frisch, S.  658.



B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnisses 117

Rechtsverhältnisses definiert wird und diese wiederum nur durch die Verletzung der fremden anzuerkennenden Freiheitssphäre zum Ausdruck kommen kann, kann der Schutzgegenstand des Rechts nur ein bestimmter Ausschnitt des freien Rechtsverhältnisses sein, der zur freien Selbstentfaltung der Persönlichkeit im äußerlichen Handlungsbereich beitragen soll. Das „Rechtsgut“ lässt sich somit als „Daseinselement der Freiheit“ definieren, das sich als notwendige Bedingung der Verwirklichung äußerlicher Willkür einer Person versteht.237 Der Rechtsbegriff des Rechtsguts ist ein Beziehungsbegriff, in 237  Zaczyk, Unrecht, S. 165 ff. Der Streit um die Notwendigkeit der Rechtgutslehre kann hier nicht detailliert wiedergegeben werden, es genügt vielmehr, die möglichen Einwände gegen den hier vertretenen Rechtsgutsbegriff zu entkräften. Die Annahme eines Rechtsgutsbegriffs, dessen Grund in der Vernunft jeder Person liegt, bedeutet nicht die Selbstdesavouierung der positiven Rechtsordnung durch ein vorpositives Vernunftrecht (so aber Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 352; in der Sache auch Gärditz, Staat, S. 44). Denn auch dem positiven Rechtsgesetz als konkreter Gestalt der Entscheidung des Gesetzgebers in einer multikulturellen Rechtsgemeinschaft muss eine bestimmte Grundannahme zugrunde liegen (vgl. auch Gärditz, Staat und Strafrechtspflege, S. 15, 43: „Freiheitsidee“, noch deutlicher bei seiner Schülerin Wilfert, Strafgesetzgebung, S. 99: individuelle Freiheit als Wurzel der Demokratie), die vor dem Staat bereits besteht und die der Gesetzgeber nur als Rechtsgrund übernommen hat. Dann erlangt diese Annahme ihre normative Legitimation und nicht nur ein Vernunftrecht ohne rechtliche Relevanz (a. A. Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 353; Wilfert, Strafgesetzgebung, S. 102). Ein Vernunftrecht ist gerade rechtlich-praktisch! Dieser Grundannahme ist in unserer Rechtsordnung, die sich als Freiheitsordnung versteht, die Freiheitsverwirklichung einer Person, die in der Menschenwürdegarantie von Art 1 Abs. 1 GG verankert ist und sich in Grundrechten mit ihrer subjektiv-objektiven Wirkung weiter konkretisiert und manifestiert. Damit entspricht ein Rechtsbegriff, der als Daseinselement der äußerlichen Freiheit definiert wird, durchaus der Grundannahme des Gesetzgebers und darf sich mit den Grundrechten und anderen verfassungsrechtlich anerkannten Institutionen in einem Begründungszusammenhang verbinden (unzutreffend deshalb Englänger, ZStW 127 (2015), S. 630; Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 354, wenn sie konstatieren, aus dem Verfassungsrecht ergebe sich kein Anhaltspunkt für die Rechtsgutslehre). Eine Kontroverse könnte sich dann nur darauf beziehen, ob dieser Rechtsbegriff mit seiner konkreten Gestalt den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers verletzen würde und damit als „undemokratisch“ zu kritisieren wäre (Pawlik, Unrecht, S. 104; Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 354; kritisch auch Englänger, ZStW 127 (2015), S. 631 ff.). Das ist dezidiert zu verneinen. Der freiheitliche Rechtsgutsbegriff fordert aber, dass nur die äußere Freiheit, nicht aber die innerliche moralische Stellungnahme oder das Gefühl das Schutzobjekt des Rechtsgesetzes sein kann. Welche Art äußerer Freiheit als Daseinselement der Freiheit und inwieweit diese Freiheit durch das Strafgesetz zu schützen ist, hängt von der sozialen Wirklichkeit und auch den Lebensformen der konkreten Gesellschaft und daher von der Entscheidung des demokratischen Gesetzgebers ab. Die Offenheit des Rechtsgutsbegriffs gegenüber konkreter sozialer Wirklichkeit führt notwendig auch zu dessen Unbestimmtheit, und dies wird gewöhnlich als Schwäche der Rechtsgutslehre diagnostiziert. Diese Schwäche ist aber jedem Rechtsbegriff innerlich und kann dadurch aufgehoben werden, dass man den Begriffskern, nämlich die konkreten Daseinselemente der Freiheit einer Person markiert und ihm den Begriffshof, also die

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

dem sich die positive Dimension der äußeren Freiheitsverwirklichung zwischen Vernunftsubjekten manifestiert.238 Die Rechtsgutsverletzung ist somit nicht nur als (kausale) Verletzung wahrnehmbarer bzw. in der Ontologie noch zu begründender „realer“ Güter zu begreifen,239 sondern zunächst als Verletzung eines Daseinselements der Freiheit des Opfers und dann als darin zum Ausdruck kommende Verletzung der Geltung des allgemeinen Rechtsgesetzes, also der Normgeltung. Die „ideelle“ Verletzung der Normgeltung entsteht aber immer vermittelt durch die „tatsächlich durchgeführte“, rechtlich ernst zu nehmende (versuchte) Verletzung des Daseinselements der Freiheit.240 Deshalb muss ein vollkommener Unrechtsbegriff sowohl die Verletzung des Daseinselements als auch die Verletzung der Normgeltung umfassen.241 diese Elemente vermittelnden institutionellen Rechtsgüter hinzufügt (instruktiv Schünemann, ZIS 2016, 662; ders., FS-Neumann, S. 707). Man könnte weiterhin der Auffassung sein, dass sich die institutionellen Rechtsgüter mit dem hier vertretenen interpersonalen Rechtsbegriff nicht erklären ließen, da sie gleichsam das konkrete Rechtsverhältnis zwischen bestimmten einzelnen Subjekten „transzendieren“. Dieser Zweifel wäre nur dann berechtigt, wenn man von einem engeren Verständnis von Interpersonalität ausgeht, und zwar von einem Rechtsverhältnis zwischen beiden oder bestimmten einzelnen Subjekten. Da aber die Begegnungen zwischen Subjekten, als eine Voraussetzung für die Verwirklichung der Freiheit des Einzelnen, nicht nur unmittelbar erfolgen, sondern, insbesondere in einer anonymen, hoch ausdifferenzierten Gesellschaft, sogar notwendig vermittelt über die sozialen oder staatlichen Institutionen, etwa die Institutionen der Urkunde oder der Justiz, kann sich die Interpersonalität nicht nur auf das Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Subjekten, sondern muss sich auch auf diese Institutionen beziehen (ausführlich Zaczyk, Unrecht, S. 172 f., insb. S. 173). Darüber hinaus wird das Basisvertrauen zwischen Subjekten, dass sie sich in einem bestimmten sozialen Bereich wechselseitig als freie und gleiche Subjekte anerkennen, durch die institutionellen Normen gestärkt; im Staat wird es sogar durch die staatlichen Gewalten gesichert (siehe oben S. 106 ff., vgl. auch Zaczyk, Unrecht, S. 181 ff., zu Rechtsgütern des Staates S. 190 ff.). Notwendigkeit und Legitimität der institutionellen Rechtsgüter ergeben sich also daraus, dass sie die Freiheit des Einzelnen in einem bestimmten sozialen Bereich ermöglichen, stärken und sogar sichern. 238  Kahlo, Rechtsgutsbegriff, S. 27. 239  Exemplarisch Hefendehl, kollektive Rechtsgüter, S. 28; ders., JA 2011, 403: kausal verletzbares Rechtsgut. Die normative Dimension der Freiheitsverletzung wird aber zugunsten der Verletzung oder Gefährdung des „Daseinszustands“ eines realen Rechtsguts stark vernachlässigt. Zur Vermeidung uferloser Verantwortung bedürfte es dann der Anerkennung „systemexterner“ Zurechnungsbegrenzungsregeln. 240  Anders Jakobs, System, S. 14, wobei die Rechtsverletzung nur die Funktion der Manifestation der Infragestellung der Norm hat und bei der Unrechtsbegründung keine selbständige Bedeutung gewinnt. Vgl. die treffende Analyse von Hass, Verbrechensbegriff, S. 282. 241  Im Ergebnis auch Gierhake, ZIS 2017, 394; Frisch, GA 2019, 196 Fn. 74 mit dem Hinweis auf die weiteren strafprozessualen Institutionen, die dem Opfer gewisse Rechte oder Befugnisse verleihen. Für einseitige Verletzung der Normgeltung aber Jakobs, FS-Frisch, S. 87. Wohl auch Pawlik, Unrecht, S. 90 f., 107. Demgegenüber für



B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnisses 119

II. Unrecht als Selbstwiderspruch des Täters und der Legitimationsgrund der Unrechtszurechnung In dieser Arbeit wird durchgängig gefordert, dass die strafrechtliche Zurechnung oder die Strafe dem Täter gegenüber legitim sein muss. Diese Legitimität setzt voraus, dass der Täter selbst an dieser objektiv-allgemeingül­ tigen Zurechnung oder Strafe teilhat und als ihr Grund angesehen werden kann. Dies wird in der Begründung der sittlichen Autonomie einer Person dargestellt: Ein endliches Vernunftwesen hat die Fähigkeit, ein objektiv-allgemeingültiges Rechtsgesetz selbst zu setzen und unabhängig von seiner Neigung nach ihm zu handeln. Es ist zugleich Grund und Adressat dieses allgemeinen Rechtsgesetzes. Wenn ein Vernunftwesen subjektiv das Rechtsgesetz erkannt hat oder hätte erkennen können und doch von der Neigung zur Aufstellung einer gegen dieses Rechtsgesetz gerichteten Handlungsmaxime bestimmt wird und sich zu deren Verwirklichung entschließt, gibt es eine Stellungnahme gegen das Rechtsgesetz ab, behauptet also, dass das Rechtsgesetz für es nicht verbindlich sei bzw. dass es das Recht des Opfers nicht zu achten habe,242 und behauptet stattdessen die Allgemeingültigkeit seiner Handlungsmaxime.243 Diese Maxime stammt zwar aus einem Vernunftwesen und erhebt ebenfalls Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Weil sie aber nicht mit dem allgemeinen Rechtsgesetz vereinbar ist, beansprucht sie nur „unwahre, scheinbare“ Allgemeingültigkeit und ist „in sich nichtig“.244 Darüber hinaus gerät das Vernunftwesen mit diesem „Gegenentwurf“ zum von ihm selbst gesetzten und anerkannten Rechtsgesetz auch in Selbstwiderspruch.245 „Er will selbst anerkannt allgemeingültig personal da sein und eine einseitige Rechtsgutsverletzung Schünemann, ZStW 126 (2014), 9; Hörnle, FSFrisch, S. 658: Verletzung der Rechte anderer im Lichte des normativen Individualismus. 242  Jakobs, System, S. 13; Pawlik, Normbestätigung, S. 29 f. Zur Straftat als einer Stellungnahme der Nichtanerkennung der Norm und zur Notwendigkeit einer kommunikativen Straftattheorie als Ertrag einer kommunikativen Straftheorie Frisch, GA 2019, 193 f. 243  Hegel, Rechtsphilosophie, § 139; Köhler, FS-Lackner, S. 21. 244  Hegel, Rechtsphilosophie, § 101: „Allein der Begriff selbst muß überhaupt das Grundprinzip auch für das Besondere enthalten. Diese Bestimmung des Begriffs ist aber eben jener Zusammenhang der Notwendigkeit, daß das Verbrechen, als der an sich nichtige Wille, somit seine Vernichtung – die als Strafe erscheint – in sich selbst enthält.“ Dazu, dass im Verbrechen auch seine Aufhebung mit enthalten ist, Köhler, FS-Lackner, S. 18, insb. Fn. 23. 245  Köhler, AT, S. 48; ders., Fahrlässigkeit, S. 324 ff.; ders., Strafe, S. 56; Gierhake, Begründung, S. 110. Zum Argument des Selbstwiderspruchs als eines Legitimationsgrundes der Strafe in Hegels Rechtsphilosophie vgl. auch Seelmann, Anerkennungsverlust, S. 81 ff. Siehe aber bereits Kant, MdS AA VI, S. 332.

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

negiert zugleich diese Geltungsallgemeinheit in anderer Personalität.“246 Soweit es einmal in einem begründeten Rechtsverhältnis mit dem Opfer steht und auch an der allgemeinen „sittlichen Substanz“ teilgehabt hat,247 ist die Zurechnung der Verletzung des Rechtsverhältnisses nicht heteronom, sondern autonom und deshalb legitim.

III. Unrecht als Rechtsverhältnisverletzung in einer konkreten, rechtlich verfassten Gemeinschaft Die bisherigen Ausführungen beschränken sich auf den abstrakten Begründungszusammenhang zwischen Recht und Unrecht und den Legitimitätsgrund der Unrechtszurechnung. Es fehlen noch Ausführungen über die konkrete Unrechtsdimension in der Gesellschaft und im Staat.248 Nach dem Eintritt in den Rechtsstand werden die bestehenden, vorstaatlichen Rechtsverhältnisse durch die staatliche Macht und ihre Verteilung festgelegt, ein Zustand, der durch die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen nicht oder nur schwerlich erreichbar ist.249 Auch wenn der Staat zur Sicherung der Rechtsverhältnisse durch seine Macht die Bedingungen oder Institutionen für die Daseinsfreiheit des Einzelnen geschaffen hat, entlastet dies den einzelnen Bürger nicht von der Anerkennungspflicht gegenüber den anderen. Die interpersonale Anerkennungspflicht dauert auch im Rechtszustand fort und ist sogar die primäre Bedingung für den Fortbestand des gesamten Rechtszustands.250 Im Vergleich zum Naturzustand wird das Rechtsverhältnis im Rechtszustand aber um eine weitere Dimension von Anerkennung zwischen dem Einzelnen und den objektiven Rechtsnormen ergänzt. Deshalb hat jeder Bürger die Rechtspflicht, zum Fortbestehen dieses Rechtsstands im jeweiligen Staat beizutragen, indem er die Daseinsfreiheit des anderen und die Rechtsnormen anerkennt.251 Diese Rechtspflicht legitimiert sich formell durch die Aufforderung der FS-Lackner, S. 19. Anerkennungsverlust, S. 51. 248  Zum folgenden Köhler, FS-Lackner, S. 25 ff.; Gierhake, Begründung, S. 123 ff. 249  Gierhake, Begründung, S. 124; Kahlo, Handlungsform, S. 265. 250  Pawlik, Unrecht, S. 105. Siehe auch bereits E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), 819. 251  Gierhake, ZIS 2017, 404. Ähnlich Pawlik, Unrecht, S. 90, 107: Mitwirkungspflicht des Bürgers zur Aufrechterhaltung eines bestehenden Zustandes der Freiheitlichkeit, wobei die Kennzeichnung dieser Pflicht als „Mitwirkungspflicht“ und die Vernachlässigung der Dimension der Verletzung der Daseinsfreiheit des anderen für die Kritik freilich auffällig sind; diese Rechtspflicht wäre mit der Idee der individuellen Freiheit oder einer freiheitlichen Rechtsordnung nur schwer vereinbar. Ob diese mögliche Kritik überzeugt, hängt letztendlich davon ab, ob diese Pflicht eine freiheitstheoretische Grundlage hat, wie Pawlik sie anhand der Hegelschen Rechtsphilosophie ausgearbeitet hat. Das wäre dann der Fall, wenn man wie hier die Verletzung einer konkreten Daseinsfreiheit des Opfers in die Unrechtsbegründung einbezieht und 246  Köhler,

247  Seelmann,



B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnisses 121

Rechtsnormen, materiell aber durch die rechtlich-praktische Vernunft. Dementsprechend verletzt eine Unrechtshandlung im staatlichen Rechtszustand nicht nur die Daseinsfreiheit des anderen oder das allgemeine Rechtsprinzip gegenseitiger Anerkennung, sondern zugleich die Geltung der staatlichen Normordnung und den darauf basierenden Rechtszustand insgesamt.252 Wenn jeder Bürger der rechtlichen Anerkennungspflicht nachkommt und die staatlichen Institutionen zur Verwirklichung der Freiheit des Einzelnen richtig funktionieren, dann entsteht ein Basisvertrauensverhältnis als eigene Leistung der Bürger,253 und zwar in dem Sinne, dass im staatlichen Rechtszustand jedes Mitglied der Rechtsgemeinschaft darauf vertraut, dass die ihm zugestandene Freiheitssphäre nicht von anderen Mitgliedern oder dem Staat beeinträchtigt werden darf. In einem Staat, in dem dieses Basisverhältnis festgelegt geworden ist, wird die Rechtssicherheit im Verhältnis zum Naturzustand durch die einzelne Unrechtshandlung nicht so leicht beeinträchtigt. Deshalb verletzt nicht jede Unrechtshandlung grundlegend das Basisvertrauensverhältnis oder stellt die gesamte Rechtsordnung in Frage. Um das Kriminalunrecht von anderen Formen des Unrechts abzugrenzen, soll der Gesetzgeber nur diejenigen Unrechtshandlungen inkriminieren, die die jeweiligen Elemente der Daseinsfreiheit in elementarer Weise so verletzen, dass der Einzelne oder der Staat nicht durch seine eigene, von der Rechtsgemeinschaft zugestandene Kraft die Verletzung verhindern kann oder zwar die tatsäch­ liche Möglichkeit hat, dieser Verletzung entgegenzutreten, aber die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit normativ gar nicht erwartet wird. Mit Recht definiert E. A. Wolff das Verbrechen als „die umrissene Verletzung des rechtlich konstituierten Basisvertrauens und [das] setzt voraus, daß ein Anderer oder der Staat in einer Art verletzt werden, auf die er sich – in dem von der Rechtsordnung eingeräumten selbstorientierten Dasein – nicht aus eigener Kraft einstellen kann.“254 Der Gesetzgeber muss die Unrechtshandlung auch dem Staat eine Rechtspflicht zur Anerkennung des Bürgers als ein selbständiges Subjekt zuschreibt. 252  Gierhake, Begründung, S. 125. 253  Gierhake, Begründung, S. 125; Murmann, Selbstverantwortung, S. 196: „Das Vertrauensverhältnis ist damit nicht nur ein Reflex aus dem Vorhandensein rechtlicher Regelungen, sondern es verdeutlicht, dass dieses Rechtsverhältnis von vernünftigen Personen getragen wird.“ 254  E. A. Wolff, Abgrenzung S. 213. Wesentlich daran anschließend Gierhake, Zusammenhang, S. 257. Die Kritiken von Pawlik, Person, S. 70 (an ihn anschließend Wilfert, Strafgesetzgebung, S. 101 f.), dass diese Definition auf den ersten Blick auf einem quantitativen Unterschied von Kriminalunrecht und Zivilunrecht basiere und nur einseitig auf die Reaktionsmöglichkeit des Opfers abstelle, sich nämlich auf die interpersonale Dimension des Unrechts beschränke und die der Institution verkenne, ist aus den folgenden Gründen zurückzuweisen: Zunächst ist die Formulierung „umrissenen oder besondere schwere Verletzung“ nicht ohne weiteres als Zeichen eines

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

als solche im Strafrecht in einer dem Handelnden vernünftig erkennbaren Weise vorsehen (Gesetzlichkeitsprinzip), damit das Recht seine mittelbare Orientierungsfunktion entfalten kann. Nur wenn die materielle Voraussetzung der Verletzung der Freiheit und die formale der Gesetzlichkeit erfüllt werden, legitimiert sich die Bestrafung einer Unrechtshandlung.255 Eine Unrechtshandlung bezieht sich notwendig auf die äußerliche Praxisbeziehung und damit auch auf die soziale Wirklichkeit einer Rechtsgemeinschaft. Welche pflichtwidrige Unrechtshandlung diese Qualität von Kriminal­ unrecht aufweist, hängt daher letztendlich vom Verständnis des Kriminalunrechts in einer bestimmten Gesellschaft ab.256 Der demokratische Gesetzgeber hat zwar Beurteilungsspielräume, bestimmte Unrechtshandlungen zu inkriminieren; Grenzen der staatlichen Strafe ergeben sich freilich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, bei dessen Operationalisierung man sich aber an den im Lichte des freiheitlichen Rechtsbegriffs entwickelten Begriffen des Rechtsguts257 und des Kriminalunrechts zu orientieren hat. Der Bürger hat quantitativen Unterschieds zu verstehen. Wer bei der Begründung des Kriminalunrechts noch die Aspekte von „rechtlichem Basisvertrauen“ und „Rechtsordnung“ mit einbezieht, wie E. A. Wolff das getan hat, erkennt durchaus die Verletzung des Rechtszustands im Staat und nicht nur die Verletzung der konkreten Daseinsfreiheit des Opfers an. Auch die Formulierungen „besondere schwere Verletzung des Basisvertrauens“ umfasst auch eine Verletzung des allgemeinen Rechtsprinzips insgesamt. Darüber hinaus darf die Formulierung, dass „ein Anderer oder der Staat in einer Art verletzt werden, auf die er sich – in dem von der Rechtsordnung eingeräumten selbst­ orientierten Dasein – nicht aus eigener Kraft einstellen kann“, nicht dahin interpretiert werden, dass das Kriminalunrecht auf die tatsächliche Verhinderungsmöglichkeit des Opfers, etwa durch Versicherung gegen Verbrechen angewiesen wäre (so aber Pawlik, ebd.). Mit dieser Formulierung wird eine normative Dimension des Kriminalunrechts gekennzeichnet, nämlich dass die Verletzung so schwer ist, dass sie die Rechtsordnung insgesamt erschüttert und zu ihrer Verhinderung bzw. Wiederherstellung das Opfer nicht durch die ihm zugestandenen Befugnisse oder Rechte selbständig (aus eigener Kraft!) tätig werden kann, sondern auf die staatliche Macht oder Strafe angewiesen ist. Vgl. insoweit klarstellend Noltenius, ZJS 2009, 18. 255  Zu materiellen und formellen Dimensionen des Unrechts Zaczyk, Unrecht, S.  194 f. 256  Insoweit zutreffend Gärditz, Staat, S. 15. 257  Noltenius, ZJS 2009, 21; Zabel, JR 2008, 454. Zur Relevanz des Rechtsguts als zu legitimierenden Zwecks bei der Verfassungsmäßigkeitsprüfung trotz unterschiedlichen Verständnisses von Rechtsgut Hefendehl, JA 2011, 403; Schünemann, ZIS 2016, 659. Greco, ZIS 2008, 237 ff. verzichtet nicht gänzlich auf die Rechtsgutslehre, zieht aber den Gedanken der persönlichen Autonomie zur Begrenzung der Strafgesetz­ gebung heran. Gegen die Rechtsgutslehre aber BVerfGE 120, 224, 241 ff. (Geschwisterbeischlaf); Frisch, NStZ 2016, 22; Gärditz, Der Staat 49 (2010), 352; Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 353 ff. Der Konsens besteht zunächst dahin, dass es bei der ­Verhältnismäßigkeitsprüfung eines legitimen Zwecks bedarf. Ob dieser Zweck ein Rechtsgut sein muss oder alle möglichen, verfassungsrechtlich legitimen Interessen eines geordneten Zusammenlebens umfassen kann, ist freilich umstritten. Gegen die



B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnisses 123

einen Achtungsanspruch, nur wegen einer zurechenbaren, grundlegenden Rechtsverletzung bestraft zu werden, und es verbietet sich schon aus diesem Grund sowie aufgrund des gravierenden Eingriffs der Strafe in Grundrechte, „dem Gesetzgeber großzügig weite Beurteilungsräume zuzugestehen“.258 Der letztere Auffassung spricht aber, dass ein schlichtes abstraktes Sicherheitsgefühl oder die herrschende moralische Einstellung, die für ein geordnetes Zusammenleben notwendig sein mögen und sogar unter dem Schutz der Grundrechte oder der Schutzpflicht des Staats stehen, freilich an sich keine äußere Freiheit berühren, und somit nicht als Daseinselemente der äußeren Freiheit angesehen werden dürfen. Deshalb kann allein die subjektive Stellungnahme, dass „wir in einer Gesellschaft leben wollen, die diese Regeln respektiert“, kein tauglicher legitimer Zweck für die Strafgesetzgebung sein (so aber Pawlik, Unrecht, S. 103 Fn. 559 unter Berufung auf Stratenwerth, FS-Amelung, S. 363). Gefordert sind tatsächlich bestehende Daseinselemente für die Verwirklichung der äußeren Freiheit, deren Umfang enger als derjenige der möglichen, verfassungsrechtlich legitimen Interessen ist. Insoweit hat die Rechtsgutslehre durchaus einen eigenen normativen Gehalt gegenüber der Auffassung, dass alle verfassungsrechtlich möglichen Belange als legitime Zwecke bei der Verfassungs­ mäßigkeitsprüfung der Strafgesetzgebung zu betrachten seien. A. A. Englänger, ZStW 127 (2015), S. 626; Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 354. Kritisch dazu Schünemann, FS-Neumann, S. 705. 258  Frisch, NStZ 2016, 21, 24. Wohl auch Schünemann, FS-Neumann, S. 705. A. A. aber Gärditz, JZ 2016, 644, 647, 649: politische Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers unter seiner Einschätzungsprärogative. In der Tat ist das Recht, ist auch die Strafgesetzgebung auf die soziale Wirklichkeit einer konkreten Rechtsgemeinschaft angewiesen, und die Strafgesetzgebung bedarf im Gesetzgebungsverfahren auch eines umfassenden rationalen Diskurses, worin man einen gewissen politischen Verhandlungscharakter erblicken könnte (so Gärditz, Staat, S. 40, 43). Aber das reflektiert nur die soziale Dimension des Rechts, dessen Normativität doch in der Vernunft einer mit den anderen verbundenen Person liegt. Wenn die Autonomie einer Person der Grund allen staatlichen Handelns, darunter auch der demokratischen Gesetzgebung ist, ist die demokratische Strafgesetzgebung notwendig an die Autonomie des Subjekts gebunden und dient der Verwirklichung der äußeren Freiheit der Person in dieser Rechtsgemeinschaft (zum Begründungszusammenhang zwischen Demokratie und Recht Zaczyk, Der Staat, 50 (2011), 299 ff.). Darin lässt sich der materielle Grund für die materielle Verfassungsmäßigkeitsprüfung des Bundesverfassungsgerichts finden (siehe kritisch zur Auffassung Gärditzs auch Jahn/Brodowski, ZStW 129 (2017), 368; Prittwitz, ZStW 129 (2017), 395: „Distanz zum grundgesetzlich vorgesehenen Verhältnis zwischen Legislative und (verfassungsrechtlicher) Judikative“). Wäre das einzelne Rechtssubjekt mit dem darin liegenden Rechtsgrund zusammen von der Begründung der „demokratischen(?)“ Strafrechtsgesetzgebung „ausgewiesen“ (zu dieser richtigen Bezeichnung Murmann, Versuchsunrecht, S. 5), etwa im Sinne der Formulierungen „Demokratie ist daher auch Befreiung von den Gerechten“ (Gärditz, Staat, S. 41), oder „demokratische Freiheit“ nehme zwar die Autonomie als Ausgangspunkt, umfasse aber den Aspekt der Vernunft nicht (Wilfert, Strafgesetzgebung, S. 99), wäre die Strafe ein rein zweckrationales Instrument zur Normstabilisierung bzw. zur positiven Generalprävention (so Gärditz, Staat, S. 24, 50) und ihr könnte keine Legitimation gegenüber dem einzelnen Rechtssubjekt zugeschrieben werden. Des Weiteren kann die mögliche Unkontrollierbarkeit des Gesetzgebers, die aus der Überschätzung der sich nur an der sozialen Wirklichkeit orientierenden demo-

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1. Teil: Rechtsphilosophische Grundlage

Gesetzgeber ist somit insbesondere verpflichtet zu erklären,259 (1) weshalb das betroffene Daseinselement als Rechtsgut zur Verwirklichung der äußeren Freiheit einer Person bzw. der Gewährleistung des Rechtszustands schutznotwendig ist,260 (2) ob die in Frage kommende Unrechtshandlung die rechtliche Handlungsgrenze überschritten hat und dieses Daseinselement sowie die Rechtsordnung im Ganzen grundlegend verletzt, so dass die milderen Schutz­ formen in anderen Rechtsbereichen als unzureichend angesehen werden und eine Strafankündigung261 somit erforderlich ist,262 und (3) ob die vorgesehene Strafankündigung das Ausmaß des Unrechts angemessen reflektiert.263 Neben der Relevanz für die Strafgesetzgebung hat die soziale Wirklichkeit einer Rechtsgemeinschaft großen Einfluss auf die objektive und subjektive Dimension der Unrechtshandlung.264 Dies liegt darin, dass von einer Handlung notwendig die interpersonale Beziehung betroffen ist und der Sinn und kratischen Entscheidungsprozesse resultieren könnte, nicht durch das Willkürverbot oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vermieden werden (so aber Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 355 Fn. 44), denn die Anerkennung einer allzu weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers würde in der Regel auf eine verfassungskonforme Auslegung der Strafgesetzgebung hinauslaufen. 259  Zur Begründungspflicht und Beweislast des Gesetzgebers auch Frisch, NStZ 2016, 24. 260  Zaczyk, Unrecht, S. 188. 261  Eine Strafankündigung ist in der Sache das Inkriminieren bestimmter Verhaltensnormverletzung und liefert dem Bürger vor der Straftat ein zusätzliches Motiv, rechtmäßig zu handeln; demgegenüber dient die tatsächliche Strafverhängung nach der Straftat der Bestätigung der Normgeltung. Siehe dazu Frisch, NStZ 2016, 18; ders., FS-Schünemann, S. 63 ff. Zur Unterscheidung zwischen Strafankündigung und Strafverhängung auch Hörnle, Straftheorien, S. 14, 48. Es ist aber hier nochmals hervorzuheben, dass die Unterscheidung zwar angesichts unterschiedlicher Eingriffe in Grundrechte grundsätzlich zutreffend ist; die Ratio von Strafankündigung und Strafverhängung darf aber nicht auf Klugheit oder technisch-praktische Vernunft reduziert werden. Das Strafrecht als Rechtsgesetz fordert zwar keine Handlung aus Pflicht, auch eine rechtmäßige Handlung aus Furcht vor der Strafe genügt dessen Forderung. Gleichwohl besteht die Autonomie der Person als ein möglicher Bestimmungsgrund fort und verleiht dem Strafrecht allgemeine Verbindlichkeit. 262  BVerfGE 120. 224, 240; Frisch, NStZ 2016, 19, 24. Man mag in der hier geforderten „grundlegenden Rechtsverletzung“ einen mit dem Ultima-Ratio-Prinzip vergleichbaren Gedanken finden. So formuliert BVerfGE 120, 224, 239 f.: „Das Strafrecht wird als ‚ultima ratio‘ des Rechtsgüterschutzes eingesetzt, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist.“ Da aber das BVerfG dies zugunsten der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nur in einem begrenzten Umfang prüfen könne (BVerfGE 120, 224, 240), kann das Ultima-Ratio-Prinzip schwerlich strafbeschränkend bewirken. Dazu mit weiteren Gründen erklärend Hefendehl, JA 2011, 402, 404. 263  BVerfGE 90, 145, 173; Frisch, NStZ 2016, 18, 21. 264  Zum folgenden Gierhake, ZIS 2017, 397 ff.



B. Unrecht als Verletzung des begründeten Rechtsverhältnisses 125

die Bedeutung der Handlung für die gesamte Gesellschaft nicht nur von dem Einzelnen, sondern auch von den anderen Mitgliedern und der Beschaffenheit der Gesellschaft bestimmt ist.265 Des Weiteren kann der einzelne Bürger nur durch den ständigen Umgang mit den anderen die Einsicht ins Richtige erlangen. Die Unrechtshandlung bleibt zwar eine autonome Leistung des Einzelnen, sie ist aber in diesen Hinsichten von der sozialen Wirklichkeit bestimmt.266 Im Hinblick auf die objektive Dimension der Unrechtshandlung lässt sich deshalb feststellen: Je sicherer ein Rechtszustand ist, desto gerin­ geres Verletzungspotential weist eine einzelne Unrechtshandlung auf.267 In der subjektiven Dimension können in einer ungesicherten, dem Naturzustand nahestehenden Gemeinschaft ubiquitäre Unrechtshandlungen in der Lebens­ umgebung des Handelnden zwar wegen der grundsätzlich erhalten bleibenden Autonomie nicht zum Ausschluss seiner Verantwortlichkeit, wohl aber zur Beeinträchtigung seines Rechtsbewusstseins und somit zur Strafmilderung führen.268 Das Kriminalunrecht bestimmt sich nicht abstrakt, sondern dementsprechend immer nach dem konkreten Rechtsverhältnis, nämlich dem Zustand einer rechtlich-verfassten Gemeinschaft.

System, S. 20. FS-Neumann, S. 623: „dass auch in jeden autonomen Handlungsentschluss und damit auch in jede Tat […] immer schon ein bestimmtes Gewordensein des Täters eingeht, dessen Gestalt dieser niemals vollständig selbst verantwortet, sondern zum Teil und unhintergehbar auf fremde Einflüsse aus dem Leben einer Person mit Anderen […] zurückgehen […]“. 267  Grundsätzlich Hegel, Rechtsphilosophie, § 218. Dazu auch Köhler, FS-Lackner, S. 31; Gierhake, ZIS 2017, 399. Dass Hegel in § 218 nicht nur eine Strafzumessungslehre entwickelt, sondern seine Zurechnungslehre (im Sinne von Unrechts­ zurechnung!) erst hier vollständig abschließt, weist Seelmann, RphZ 4 (2018), 19 f., zutreffend auf. 268  Gierhake, ZIS 2017, 398; Vgl. auch Köhler, FS-Lackner, S. 32 ff. 265  Jakobs, 266  Kahlo,

Zweiter Teil

Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung Nachdem der strafrechtliche Unrechtsbegriff im Lichte eines freiheitlichen Rechtsbegriffs ausgearbeitet wurde, ist festgestellt worden, dass ein end­liches Vernunftwesen im praktischen Umgang mit anderen durch seine Handlung nicht nur das grundlegende Rechtsverhältnis fördern, sondern auch verletzen kann. Die Begründung und Qualität der zur Rechtsverletzung führenden Handlung ist indessen noch nicht abschließend erklärt. Diese Lücke soll im zweiten Teil zunächst geschlossen werden. Daran schließt noch die entscheidendere Frage an, ob und wie ein garantenpflichtwidriges Unterlassen in die hier vertretene Handlungslehre integriert werden und das Rechtsverhältnis verletzen kann. Ziel des zweiten Teils ist es vornehmlich, die Verletzungsmacht des garantenpflichtwidrigen Unterlassens auf der Grundlage einer personalen Handlungslehre eingehend zu begründen.

A. Die strafrechtliche Handlungslehre I. Notwendigkeit und Funktionen der Handlungslehre Gegen die Notwendigkeit einer vortatbestandlichen Handlungslehre wird zwar eingewandt, dass sich alle Verhaltensweisen mit bzw. ohne strafrechtliche Relevanz auf der Ebene des Tatbestands begründen bzw. ausschließen ließen.1 Des Weiteren müsse eine Handlungslehre, die alle strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen umfassen könne, sich aber von dem einzelnen Tatbestand loslöse, zu abstrakt sein.2 Dieser traditionelle Einwand gegen die Anerkennung einer selbständigen Handlungslehre außerhalb des Tat­ bestands wird bereits dadurch entkräftet, dass bei der Feststellung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens gedanklich zuvor geklärt werden muss, was hier begrifflich mit einem Verhalten oder besser einer Handlung gemeint

1  von Bubnoff, Handlungsbegriff, S.  154; Schönke/Schröder/Eisele, Vor § 13 Rn. 37. Für die Relevanz der Tatbestandmäßigkeit und skeptisch gegen die Relevanz der Handlungslehre Kühl, AT, § 2 Rn. 1. 2  von Bubnoff, Handlungsbegriff, S. 151.



A. Die strafrechtliche Handlungslehre127

ist.3 Der Befund, dass das Strafrecht einer Handlungslehre bedarf, wird plausibler, wenn man mit Puppe die Zurechnungs- oder Initialfunktion der Handlungslehre anerkennt,4 wonach durch sie „ein äußeres Ereignis überhaupt erst mit einer Person“ verknüpft wird und die strafrechtliche Zurechnung ebenfalls damit beginnt. Die strafrechtliche Zurechnung kann nicht ohne ein Vorverständnis der Handlung (und von Handlung als Kategorie) erfolgen. Die Handlung begründet die Grundlage und Grenze5 aller Zurechnungsurteile. In diesem Sinne ist die Befassung mit dem „Wesen“ der menschlichen Handlung ein elementares Gebot der (Straf-)Gerechtigkeit. Es muss eingeräumt werden, dass eine Handlungslehre, die alle strafrechtlichen Verhaltensweisen umfassen soll, um ihre sog. Klassifikationsfunktion6 zu erfüllen, eine gewisse Abstraktheit aufweisen muss. Das ist indessen kein Grund, auf eine Handlungslehre zu verzichten. Denn der Zweck der Handlungslehre liegt nicht darin, einen Begriff zu liefern, aus dem alle strafrechtlichen Verhaltensweisen, z. B. was ein Mord ist, deduziert werden könnten. Eine Handlungslehre dient vielmehr nur dazu, zu erklären, welche Qualität eine Verhaltensweise aufweisen muss, damit strafrechtliche Zurechnung überhaupt beginnt und sich in den weiteren Schritten des Straftatsystems vollendet.7 Ob diese Verhaltensweisen mit Strafe sanktioniert werden sollen, hängt von den weiteren konkreten Zurechnungskriterien wie Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld ab. Die Handlungslehre kann deren Aufgaben nicht usurpieren, damit es nicht zu einer „Konfusion der Konstitutionsstufen“8 kommt. Das soll aber nicht dahin missverstanden werden, dass eine Handlungslehre samt ihren Elementen überhaupt von Unrecht und Schuld abstrahieren soll. Eine sachgerechte Handlungslehre muss vielmehr als „Vorprodukt“ bereits die wesentlichen Dimensionen von Unrecht und Schuld in sich enthalten, damit eine Handlung überhaupt als Grundlage für die weitere spezifische Unrechts- oder Schuldbeurteilung und ggf. als unrechte bzw. schuldhafte Handlung angesehen werden kann.9 3  Arthur Kaufmann, Schuld und Strafe, S. 27; Jescheck/Weigend, AT, S. 218; Roxin/Greco, AT I5, § 8 Rn. 43; E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 22. 4  NK/Puppe, Vor § 13 Rn. 39. 5  Jescheck/Weigend, AT, S. 218. 6  Jescheck/Weigend, AT, S. 219. 7  Die Klassifikations-, Verbindungs- und Grenzfunktion einer Handlungslehre haben somit nur in dieser Zurechnungsfunktion ihren Sinn – oder sie verschwinden in der Zurechnungsfunktion. 8  NK/Puppe, Vor § 13 Rn. 56, wobei die Handlung allerdings zu abstrakt als Tatsache bestimmt wird. 9  E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 19: „Nichts kann zu der Art der Gattung gehören, das ausdrücklich aus der Gattung ausgeschieden ist.“ Vgl. auch von Bubnoff, Handlungsbegriff, S. 151 gegen eine „inhaltslose“ allgemeine Handlungslehre. Solange aber eine Handlungslehre entwickelt wird, die wie hier die wesentlichen Di-

128 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

II. Grundlinien einer interpersonalen Handlungslehre 1. Methodische Überlegungen Ist eine Handlungslehre also für das Strafrecht unentbehrlich, so stellt sich weiterhin die Frage, ob diese Handlungslehre strafrechtsspezifisch oder ontologisch zu begründen ist.10 Es wird sich aber zeigen, dass der erste Weg unvermeidbar in einen Zirkel führt und der zweite nur unter einem angemessenen Verständnis von Ontologie zielführend ist. Den ersten Weg beschreitet Jakobs und entwickelt dementsprechend eine strafrechtsspezifische Handlungslehre. Danach wird Handlung als „das Sichschuldhaft-zuständig-Machen für einen Normgeltungsschaden“ definiert.11 Diese Handlungslehre hat einen berechtigten Kern in dem Sinne, dass eine strafrechtliche Handlungslehre alle strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen umfassen muss und insoweit auch nur das Strafrechtsspezifische des Handelns thematisieren kann.12 Man könnte zwar behaupten, dass die zu bewertende Tatsache als Zurechnungsgegenstand die Grenze der Normativierung begründet. So dürfte z. B. ein positives Abstellen eines Lebenserhaltungsgerätes nicht durch normative Erwägungen zu einem Unterlassen umgedeutet werden.13 Wie eine bestimmte Tatsache oder genauer: Sozialwirklichkeit strafrechtlich zu bewerten sei, ist freilich eine normative Frage. Insoweit von den Grenzen der Normativierung zu sprechen, ist mithin irreführend. Allenfalls kann die Frage gestellt werden, inwieweit die normative Bewertung an die sozial herrschende Bewertung oder den alltäglichen Sprachgebrauch gebunden ist. Das schließt freilich nicht aus (und es ist sogar geboten), diesen normativen Kriterien eine sachgerecht ermittelte und ontologisch gut fundierte Sozialwirklichkeit zugrunde zu legen. Das Strafrechtssystem kann wie andere Rechtssysteme nicht von geregelten, gesellschaftlich gelebten Verhältnissen losgelöst und isoliert betrachtet werden, sondern muss sich immer auf sie beziehen.14 Es findet diese Wirklichkeit vor, nimmt sie als Regelungsgegenstand mensionen von Unrecht und Schuld zwar mit enthält, aber ihre Aufgaben nicht ersetzt, gibt es insoweit entgegen von Bubnoff keinen Grund gegen die Entwicklung einer allgemeinen Handlungslehre. 10  Hierbei geht es auch um den Streit um das Verhältnis zwischen Normativismus und Ontologismus. 11  Jakobs, Handlungsbegriff, S. 44. 12  Jakobs, Handlungsbegriff, S. 12 f.; ders., System, S. 16 f.: „Was in der Außenwelt und in der Psyche des Täters geschieht, muss ins Rechtliche transformiert werden, genauer, wird dadurch, dass sich das Recht darauf bezieht, transformiert.“ 13  Kahlo, Tun oder Unterlassen?, S. 392, 395 f. 14  Schild, GA 1995, 115. Dass Strafrecht einer weiter zu begründenden Ontologie bedarf, erläutert auch Pawlik, Normbestätigung, S. 23.



A. Die strafrechtliche Handlungslehre129

ernst und „färbt“ sie strafrechtsspezifisch.15 Das Gesagte gilt auch für die rechtliche Handlungslehre. Wird die Handlung wie bei Jakobs als „das Sichschuldhaft-zuständig-Machen für einen Normgeltungsschaden“ bezeichnet, so erklärt diese Definition nur in anderer Weise die Synthese von Unrecht und Schuld, also die Straftat selbst.16 Damit wird die gesuchte vorstrafrechtliche Handlung als Bewertungsgegenstand wiederum vom Strafrecht als Bewertungsinstanz definiert. Wer wie Jakobs von vornherein die Straftat als rein Normatives und dementsprechend die Sozialwirklichkeit der Straftat nur als „Bezugspunkt“, nicht aber als Grundlage der normativen Bewertung betrachtet, spricht nicht nur dieser sozialontologischen Dimension der Straftat ihre Relevanz ab, sondern verkennt auch, dass die Handlung des Täters oder die Straftat als Verletzung des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses nicht einfach ein interpretiertes Produkt der Norm sein kann. Ohne eigene Interpretation des Handlungssubjekts kann man nicht von seiner Handlung sprechen. Somit erfordert eine Straftat auch eine eigene Interpretation der Tatumstände und des Rechtsstatus eines Täters, die aber nach der Interpretation des Strafrechts auch strafrechtliche Relevanz aufweisen müssen. Die das Rechtsverhältnis zum Opfer gestaltende Straftat ist zunächst nicht nur vom Strafrecht, sondern auch vom Täter selbst oder von den anderen Interpreten (darunter auch dem Strafrecht) zu interpretierende Sozialwirklichkeit. Im Folgenden ist eine sozialontologische Handlungsstruktur zu entwickeln, die die Straftat selbst nicht vorbestimmt, sondern die der Straftat zugrundeliegende soziale Wirklichkeit sachgerecht reflektiert.17 2. Menschliches praktisches Vermögen und sein Bewirken a) Erinnerung an die rechtsphilosophische Grundlage Die Frage nach der ontologischen Handlungsstruktur ist nichts anderes als die Frage nach dem praktischen Vermögen eines endlichen Vernunftwesens als Person.18 Deshalb können die vorherigen rechtsphilosophischen Ausfüh15  Schild, GA 1995, 114. In diesem Sinne auch Stübinger, KJ 1993, 47: „[D]er Strafrechtler [möchte] seine ‚Wertungen‘ (Unrecht und Schuld) an das Verhalten eines Täters knüpfen, das er als ‚vorgefunden‘ und nicht als von ihm ‚erfunden‘ begreift.“ 16  NK/Puppe, Vor § 13 Rn. 50; Schild, GA 1995, 118; Schünemann, ZStW 126 (2014), 11. 17  Zu diesem Anliegen auch Schild, GA 1995, 120. 18  In diese Richtung auch E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 15  ff.; ders., GSRadbruch, S. 295; Kahlo, Handlungsform, S. 181 ff.; Murmann, Nebentäterschaft, S. 175 ff. Noch weitergehend Arthur Kaufmann, Schuld und Strafe, S. 39: „Die onto-

130 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

rungen über die Freiheit einer Person zur Erklärung der ontologischen Handlungsstrukturen fruchtbar gemacht werden. Bereits bei der Untersuchung der erkenntnistheoretischen Frage nach der Möglichkeit der menschlichen Freiheit hat Kant festgestellt, dass der Mensch nicht nur zur Naturwelt, sondern auch zu einer intelligiblen Welt gehört, in der er als Urheber gewissermaßen nicht von dem Naturgesetz bestimmt ist und seine Kausalität aus Freiheit entfalten kann. Diese Möglichkeit der transzendentalen Freiheit wird von Kant in seinen späteren Schriften über praktische Philosophie weiter entwickelt zum Faktum der Autonomie, die ihren Ursprung in der reinen praktischen Vernunft findet. Der Mensch als Vernunftwesen kann danach nicht nur insoweit vom Naturgesetz unabhängig sein, als er zur Verwirklichung seines Ziels das Naturgesetz in Dienst nimmt, sondern er ist auch Selbstgesetzgeber eines interpersonal-praktischen Gesetzes, das eine ganz andere Qualität als das Naturgesetz aufweist. Auf dieser Grundlage ist Fichte in einem weiteren Schritt zu dem Ergebnis gekommen, dass erst das interpersonal-praktische Verhältnis zwischen Personen mit seinem gegenseitigen Anerkennungsgesetz das Selbstbewusstsein bzw. ein Vernunftwesen überhaupt ermöglicht. b) Die personale Dimension der Handlung: Freie Entscheidung für oder gegen ein Sollen und die Schwächen der kausalen und finalen Handlungslehren Aus den obigen rechtsphilosophischen Ausführungen ergibt sich zunächst, dass das menschliche Handeln, soweit es das praktische Verhältnis zwischen Personen berührt, niemals ganz von Naturgesetz bestimmt ist und nicht nur durch ein naturhaftes Kausalgesetz erklärt werden kann. Wer das trotzdem behauptet, müsste entweder die Freiheit des Menschen ganz verneinen und die Prämisse des Determinismus annehmen, was aber die moralische bzw. rechtliche Zurechnung zur Fiktion macht, sie also verunmöglicht, oder das praktische Vermögen des Menschen um viele Dimensionen verkürzen. Eine einfache kausale Handlungserklärung beschreibt nämlich nur eine (willkür­ liche) Körperbewegung bis zu ihrer äußeren Veränderung oder den ganzen Kausalverlauf mit der Formel des Naturgesetzes. Der Grund für diese beobachtbare Körperbewegung oder Veränderung, der im Handlungssubjekt und im Zentrum der moralischen Zurechnung liegt, wird ganz außer Acht gelassen. Darüber hinaus interessiert sich eine normative Welt nur insoweit für die naturhaften Tatsachen, als sie normative Relevanz aufweisen. Die Handlung muss also zumindest das praktische Verhältnis zwischen Personen tangieren.

logische Struktur der Handlung [muss] aus dem Sein des Menschen erschlossen werden.“



A. Die strafrechtliche Handlungslehre131

Die finale Handlungslehre hingegen erblickt diesen Handlungsgrund in der Finalität des Handlungssubjekts. Nach Welzel ist die Handlung die Ver­ wirklichung der Zwecktätigkeit, also bewusstes, vom Ziel her gelenktes Wirken.19 Das Wesen der Handlung erschöpft sich allerdings nicht in der Finalität der Person. Dass der Mensch zur Verwirklichung seines Zwecks ein geeignetes Mittel auszuwählen imstande ist, hat zwar die technisch-praktische Vernunft des Menschen richtig erkannt. Die Person als Vernunftwesen verfügt aber darüber hinaus über die reine praktische Vernunft als einen Bestimmungsgrund ihrer Handlung und kann sich unabhängig von den empirischen Bedingungen an dem von ihr selbst anerkannten reinen praktischen Gesetz orientieren und die interpersonale Wirklichkeit gestalten. Erst auf dieser Ebene der Autonomie, die sich notwendig auf ein interpersonal-praktisches Gesetz bezieht, beweist sich der Mensch als frei. Anders als das Naturgesetz wirkt das reine praktische Gesetz freilich nur mittelbar über den freien Willen des Menschen. Der Mensch als endliches Vernunftwesen kann deshalb auch von der Neigung bestimmt werden und selbstwidersprüchlich eine Handlungsmaxime gegen dieses Gesetz aufstellen und sie verwirklichen. Solange er dieses reine praktische Gesetz richtig zu begreifen und sich daran zu orientieren fähig ist, kann er darüber selbst entscheiden und für diese Entscheidung verantwortlich sein. Nur wenn die interpersonale Wirklichkeitsänderung auf diese freie Entscheidung der Person zurückgeführt werden kann, kann sie ihr zugerechnet werden. Eine umfassende Handlungslehre muss diese Dimension der freien Entscheidung für oder gegen ein praktisches Gesetz in die Handlungserklärung einbeziehen.20 Dass es zur Verwirklichung dieser freien Entscheidung notwendig der Erkenntnis der ZweckMittel-Relation bzw. eines praktischen Syllogismus21 bedarf, ist kaum zu bezweifeln. Diese Erkenntnis und die daraus sich ergebende Fähigkeit sind freilich gegenüber der freien Entscheidung für oder gegen ein reines praktisches Gesetz „blind“. Die grundlegende Schwäche der finalen Handlungslehre liegt ersichtlich darin, dass sie den Grund der menschlichen Handlung auf die Finalität reduziert und die Fähigkeit zur freien Entscheidung für oder gegen ein reines praktisches Gesetz, das notwendig auf das interpersonal-praktische Verhältnis zwischen Personen verweist, ausblendet.22 Es überrascht deshalb nicht, dass die finale Handlungslehre Welzels philosophisch gelegentlich den kausalen Strafrecht, S. 33. E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 16 f.; ders., GS-Radbruch, S. 295; Murmann, Nebentäterschaft, S. 176; Zaczyk, GA 2014, 76. Vgl. auch Schild, GA 1995, 104 f. 21  Zum praktischen Syllogismus Kindhäuser, FS-Puppe, S. 47 ff. 22  E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 13; ders., GS-Radbruch, S. 294; Murmann, Nebentäterschaft, S. 175; Zaczyk, GA 2014, 76. 19  Welzel,

20  Grundlegend

132 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Handlungstheorien zugeordnet wird,23 denn in der Finalität wird allenfalls die menschliche Ursache für den daraus folgenden Kausalverlauf gefunden. Die entsprechende finale Handlungserklärung, dass Handlung eine bewusste Steuerung des Kausalverlaufs ist, umfasst nicht die soziale Bedeutung der Handlung – nämlich die Gestaltung des praktischen Verhältnisses zwischen Personen durch freie Entscheidung – und ihren normativen Bezug.24 c) Die soziale Dimension der Handlung und ihre Begründung „Der Einzelne, der handelt, befindet sich in einer sozialen Wirklichkeit, deren Strukturen weitgehend durch konkrete geistige Bedeutung bestimmt sind.“25 Wer in diesem Sinne bereit ist, in einem interpersonalen Anerkennungsverhältnis eine soziale Wirklichkeit zu erblicken26 und sie in einer weiterhin zu begründenden Ontologie zu fundieren,27 konstatiert mit Recht, dass die finale Handlungslehre entgegen ihrem Anliegen der ontologischen Handlungsstruktur des Menschen, die sich notwendig auf diese soziale bzw. normative Wirklichkeit bezieht,28 nicht völlig gerecht wird.29 Das Defizit kann auch nicht dadurch aufgehoben werden, dass man die kausale bzw. finale Handlungsstruktur aufrechterhält und nur dem Handlungsbewirken ein zusätzliches Element von sozialer Relevanz oder von Rechtsgutsverletzung hinzufügt, wie eine bestimmte Variante der sozialen Handlungslehre es getan hat.30 Denn wäre die soziale Relevanz begründungstheoretisch nicht bereits 23  Burkhardt, Handlungslehre, S. 24, 32, 33  ff., vergleichend mit verschiedenen Varianten von philosophischen intentional-kausalen Handlungstheorien. 24  Murmann, Nebentäterschaft, S. 175. Kritisch zur Vernachlässigung der sozialen Dimension bzw. der interpersonalen Handlungszuschreibung auch Jakobs, Handlungsbegriff, S. 24, 28; Kindhäuser, Handlung, S. 189. 25  E. A. Wolff, GS-Radbruch, S. 296. 26  Insbesondere Kahlo, Handlungsform, S. 181 ff. 27  Man kann diese soziale Wirklichkeit mit Searle, Konstruktion, S. 37 ff. als institutionelle Tatsache bezeichnen. An ihn anschließend NK/Puppe, § 16 Rn. 31: „Tatsachen sind nicht nur die v. Natur aus gegebenen Sachverhalten, sondern auch die sog. institutionellen Tatsachen, die gesellschaftliche Verhältnisse oder Rechtsverhältnisse darstellen.“ 28  Dass die ontologische Handlungsstruktur des Menschen notwendig die soziale Dimension umfasst, ergibt sich aus der Basisansicht, dass dem Anderen eine mitkonstruktive Bedeutung für das Individuum zukommt. 29  Aus anderer philosophischer Richtung auch Arthur Kaufmann, Schuld und Strafe, S. 32, 33. 30  Wohl Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 144: „Handlung iSd Strafrecht ist […] das vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare sozialerhebliche Verhalten“ und „Sozialerheblich ist jedes Verhalten, das die die Beziehungen des Einzelmenschen zu seiner Umwelt berührt und nach seinen erstrebten oder unerwünschten



A. Die strafrechtliche Handlungslehre133

ein wesentlicher Teil der Handlung an sich, könnte sie auch nicht dieser Handlung und mittelbar dem Handlungssubjekt zugerechnet werden. Die soziale Dimension einer Handlung liegt, ganz der Gleichursprünglichkeit des Individuums und des Anderen entsprechend, vielmehr ursprünglich im Einzelnen und kommt dort als ein Teil der reinen praktischen Vernunft zur Sprache. Begreift man die reine praktische Vernunft und das daraus abgeleitete reine praktische Gesetz als einen möglichen Bestimmungsgrund der Handlung31 und die vom Handlungssubjekt frei gewählte Handlungsmaxime als eine freie Entscheidung für oder gegen das Gesetz, dann erlangt diese Entscheidung auch das Potential, die vom Gesetz mitumfasste soziale Wirklichkeit in Gestalt des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses zwischen Personen zu fördern bzw. zu verletzen, sofern das Handlungssubjekt diese Entscheidung tatsächlich umsetzt. Handlung definiert sich demnach als „freies, sinnbezogenes Ergreifen einer dem Einzelnen offenstehenden Mög­ lichkeit“32 zur Förderung oder Verletzung eines interpersonalen Anerkennungsverhältnisses.

III. Die Straftat als eine vom Strafrecht interpretierte Handlung 1. Positive Verletzungsmacht statt negativer Bestimmung einer Straftat Wenn die Straftat methodisch als eine vom Strafrecht interpretierte Sozialwirklichkeit angesehen wird, stellt sich die Frage nach der Bestimmung der Straftat erst nach der Bestimmung der sozialontologischen HandlungsstrukFolgen im sozialen Bereich Gegenstand einer wertbezogenen Beurteilung sein kann“ (Hervorhebungen von mir). 31  Zu Normen als Handlungsgründen vgl. auch Renzikowski, FS-Neumann, S. 342. 32  E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S.  17 im Hinblick auf den „individuellen“ Handlungsbegriff; Murmann, Nebentäterschaft, S. 178. Im Unterschied zu E. A. Wolff, ebd., S. 29 ff. bedarf es freilich neben der hier vertretenen interpersonalen Handlungslehre nicht eines zusätzlichen sozialen Handlungsbegriffs. Denn einerseits bezieht die interpersonale Handlungslehre bereits die Dimension der interpersonalen Anerkennungsverhältnisse zwischen Personen in die Handlungsstruktur des Menschen ein (ebd., S. 31: individuelle Handlung „ist, soweit sie andere berührt, soziale Handlung“). Andererseits besteht das Hauptanliegen E. A. Wolffs, wenn er einen zusätz­ lichen Handlungsbegriff neben dem die Schuld des Handelnden erfordernden individuellen Handlungsbegriff einführt, darin, „eine generalisierende Betrachtung der Taten des Einzelnen“ (ebd., S. 32) zu ermöglichen. Dabei wird aber auffällig, dass es hierbei nur um die Notwendigkeit der „annehmende[n] Betrachtung“ (ebd., S. 35) der Straftat aus Sicht von Außenstehenden, oder besser: um die „Interpretation“ des Anderen, nicht aber um ein neues Verständnis von Wesen der Handlung geht.

134 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

tur. Danach ist auch eine Straftat eine freie Entscheidung für oder gegen das Anerkennungsverhältnis zu anderen. Bereits an diese Stelle lässt sich feststellen, dass sich eine Straftat oder eine strafrechtliche Handlung nicht in dem „vermeidbaren Nichtvermeiden“ eines strafrechtlich unerwünschten Erfolgs erschöpft.33 Denn in diesem sog. negativen Handlungsbegriff kommt die sozialontologische Handlungsstruktur, dass das Handlungssubjekt das von ihm und den anderen mitgesetzte Gesetz nicht anerkennt, stattdessen eine ihm widersprechende Handlungsmaxime frei bestimmt und verwirklicht und damit das Anerkennungsverhältnis zum Opfer verletzt, gar nicht zum Ausdruck. Der Sinn der Straftat liegt somit nicht nur in der Vermeidbarkeit des Erfolgs, sondern wesentlich in der freien Stellungnahme des Handelnden gegen das von ihm und von den anderen anerkannte Gesetz und in der Verletzung eines Rechtsverhältnisses zum Opfer und des Rechts insgesamt. Der Täter hat durch seine Handlung das Recht des Opfers und das Recht an sich in positiver Weise frei gestaltet. 2. Straftat als schuldhafte Übertretung einer Verhaltensnorm und grundlegende Verletzung eines Rechtsverhältnisses zum Opfer Was diese freie Gestaltung gegen die Freiheit des Opfers und gegen das Recht selbst zur Straftat macht, bestimmt sich nach dem zuvor erläuterten Verständnis von strafrechtlichem Unrecht. Bei dem vom Täter durch freie Entscheidung nicht anerkannten praktischen Gesetz geht es normentheoretisch gesehen freilich nicht ohne weiteres um das Strafgesetz selbst, sondern zunächst um die dem Strafgesetz vorausgehenden Verhaltensnorm.34 Die Verhaltensnorm richtet sich an jedermann oder bestimmte handelnden Personen, koordiniert die äußere Freiheit zwischen betreffenden Personen und bestimmt die Grenze der Handlungsfreiheit in einer bestimmten Situation, während die Sanktionsnorm sich an den Rechtsstab richtet und die Voraussetzungen der Strafbarkeit bestimmt.35 Die Verhaltensnorm soll dann bereits 33  So aber Herzberg, Unterlassung, S. 170 ff., 174: „Handlung ist das vermeidbare Nichtvermeiden eines Erfolges in Garantenstellung.“ 34  Grundlegend Binding, Normen I, S. 45. Für die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm trotz verschiedener Inhalte siehe Freund/Rostalski, AT, § 1 Rn. 46 ff.; Freund/Rostalski, GA 2018, 264 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 70 ff., 510 f., 512 Fn. 17, 516; Murmann, GK, § 8 Rn.  5 ff.; Renzikowski, Täterbegriff, S.  54 ff.; Robles Planas, FS-Kindhäuser, S. 400 ff.; Rostalski, Tatbegriff, S. 64 ff.; ferner Kindhäuser, Gefährdung, S. 29 ff.; Kindhäuser/ Zimmermann, AT, § 2 Rn. 1 ff.; Mañalich, Nötigung, S. 23 ff.; Vogel, Norm, S. 27 ff. Eine der Sanktionsnorm vorausgehende Verhaltensnorm verneinend aber Herzberg, GA 2016, 755; Kröger, Fahrlässigkeitsstraftat, S. 336 ff., 348 f. Zu verschiedenen Spielarten der Normentheorie Ast, Normentheorie, S. 9 ff.; ders., Analyse, S.  201 ff. 35  Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 2 Rn. 2 ff.; Murmann, GK, § 8 Rn. 5.



A. Die strafrechtliche Handlungslehre135

bei der Entstehung einer Handlungsmaxime orientierend auf das Handlungssubjekt einwirken. Erst wenn das Handlungssubjekt durch seine Handlung gegen die Verhaltensnorm verstößt, kommt eine Sanktion in Betracht. Die Sanktionsnorm ist also gegenüber der Verhaltensnorm sekundär, und die Sanktion setzt einen Verstoß der Verhaltensnorm voraus. Aber nicht jede Übertretung der Verhaltensnorm löst die Strafsanktion aus. Nur wenn das Handlungssubjekt die jeweilige Verhaltensnorm in einer Weise übertreten hat, dass diese Übertretung zu einer gravierenden Rechtsverletzung führt und die Schwelle des strafrechtlichen Unrechts erreicht, kommt eine strafbewehrte Verhaltensnorm in Betracht. Die Strafankündigung bzw. Strafandrohung bietet dann dem Handlungssubjekt neben der primären Verhaltensnorm einen zusätzlichen Bestimmungsgrund seiner Handlung an. Nun stellt sich die umstrittene Frage, ob von der Übertretung der straf­ bewehrten Verhaltensnorm und deshalb von einem Strafunrecht nur dann die Rede sein kann, wenn diese Übertretung auf eine freie Entscheidung des Handlungssubjekts zurückzuführen ist.36 Diese Frage ist differenziert zu beantworten. Substantiell kann es keine schuldlose Übertretung der strafbewehrten Verhaltensnorm bzw. kein schuldloses Strafunrecht geben. In einem Fallprüfungs- und Argumentationszusammenhang ist aber die soziale Dimension der Straftat, mag sie auch vielfach als „schuldloses Unrecht“ missverstanden werden, als eine Argumentationsfigur und als ein selbständiger Prüfungsschritt von der personalen Dimension der Straftat zu unterscheiden:37 Gegen die Möglichkeit einer schuldlosen Übertretung der strafbewehrten Verhaltensnorm oder eines schuldlosen Strafunrechts sprechen die hier vertretenen rechtsphilosophischen Überlegungen. Eine strafbewehrte Verhaltensnorm hat ihre Legitimation in der Autonomie des Einzelnen; er ist deshalb sowohl Urheber als auch Adressat der Verhaltensnorm, weil er an der Konstruktion der Verhaltensnorm teilgenommen und sie anerkannt hat. Die Rechtseinsicht des Einzelnen, die er im sozialen Umgang mit den anderen erlebt, erlernt und geübt hat, ist daher die notwendige Voraussetzung für die Zurechnung der Verletzung der Verhaltensnorm. Denn nur unter dieser Voraus­setzung kann das Fehlverhalten des Handelnden nicht einfach als ein 36  Bejahend Binding, Handbuch, S. 159; Falcone, ZIS 2020, 215 ff.; Freund/Rostalski, AT, § 3 Rn. 38 ff.; Jakobs, System, S. 24, 60; LK13/Walter, Vor § 13, Rn. 146; Pawlik, FS-Otto, S. 134 ff.; ders., Unrecht, S. 259 ff.; Renzikowski, Normentheorie, S.  134 ff.; Rostalski, Unmöglichkeit, S. 105 ff.; dies., Tatbegriff, S. 103 ff.; wohl auch Gropp/Sinn, AT, § 6 Rn. 4. Die Verneinung ist aber wohl bis heute herrschende Meinung, exemplarisch Greco, GA 2009, 638 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 425; Kindhäuser, FS-Merkel, S. 354 ff.; Kühl, AT, § 1 Rn. 30; Roxin, GA 2011, 693; Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 101c; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 Rn. 20. 37  Siehe bereits Schild, Merkmale, S. 70, 76, 106, 129 f.; Zabel, Schuldtypisierung, S. 192, 236 f.

136 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

„fremd-äußeres Prädikat“, sondern als dessen selbstkonstituierter Selbstwiderspruch begriffen und ihm zugerechnet werden.38 Nicht ein bloß faktischer Verstoß gegen eine allgemeingültige Verhaltensnorm, sondern erst die selbstbestimmte Entscheidung des Handelnden gegen eine von ihm anerkannte Verhaltensnorm, also die „Verfehlung des Normwillens“39 begründet das Strafunrecht. Kurzum: Ohne eigene freie Teilhabe an der Konstitution der Verhaltensnorm kann ein Schuldunfähiger sie nicht verletzen, er begeht mithin kein Strafunrecht. Substantiell, also in Hinblick auf die Rechts- oder Unrechtsbegründung gibt es kein Strafunrecht Schuldunfähiger.40 Für die Anerkennung eines schuldlosen Strafunrechts wird aber angeführt, dass das Unrechtsbewusstsein als eine notwendige Voraussetzung für einen Schuldvorwurf bereits aus logischen Gründen einen nicht in ihm enthaltenen „Bezugspunkt“, also ein schuldloses Unrecht voraussetze.41 Damit hängt das andere Argument eng zusammen, dass das Bestehen und der Inhalt der Verhaltensnorm nicht von der subjektiven Vorstellung oder Fähigkeit des Handelnden abhängig gemacht werden dürfen. Wer die subjektive Fähigkeit zur Normbefolgung in den „propositionalen Inhalt der Norm“ einbeziehe, verstoße sogar gegen das logische Verbot der Selbstbezüglichkeit.42 Diese Argumente sind logisch möglich. Es ist auch relativ unstreitig, dass das Bestehen und der Inhalt der Norm nicht von der subjektiven Vorstellung und Fähigkeit des einzelnen Handlungssubjekts abhängig gemacht werden können. Denn damit würde der Verhaltensnorm ihre intersubjektive Objektivität abgesprochen.43 Bei der Streit um die Unterscheidung von „Unrecht“ und Schuld geht es aber doch darum, ob es normativ geboten ist, (nur) von diesem logischen Schluss Gebrauch zu machen.44 Diese Frage ist aus verschiedenen normativen Gründen zu verneinen: Würden die Rechtseinsicht und die Normbefolgungsfähigkeit des Handelnden aus der Unrechtsbegründung ausgeklammert, könnte das behauptete „Unrecht“ mangels freier Teilhabe des Handelnden an diesem „Unrecht“ dem Fahrlässigkeit, S. 334. Fahrlässigkeit, S. 333. 40  Schild, Merkmale, S. 70, 129; Zabel, Schuldtypisierung, S. 192: „dialektische Struktur der Straftat als schuldhafte Handlung“. Im Ergebnis auch, aber teilweise mit anderen Begründungen Jakobs, Handlungsbegriff, S. 43 f.; Pawlik, Unrecht, S. 275; MK/Freund, Vor § 13 Rn. 138; Renzikowski, Gegenstand, S. 643 f. 41  Greco, GA 2009, 639 f. 42  Kindhäuser, FS-Merkel, S. 363. 43  Greco, GA 2009, 639  f.; Kindhäuser, FS-Merkel, S. 355, 358 f.; Roxin, GA 2011, 693; sowie Pawlik, FS-Otto, S. 150; Renzikowski, Normentheorie, S. 135; Matt/ Renzikowski, Vor § 13 Rn. 39; Rostalski, Unmöglichkeit, S. 110 Fn. 10; Schild, Merkmale, S. 43. 44  Zu Recht Pawlik, Unrecht, S. 264 Fn. 40. 38  Köhler, 39  Köhler,



A. Die strafrechtliche Handlungslehre137

Handelnden nicht zugerechnet werden. In dieser Hinsicht ist auf der Ebene der Unrechtsbegründung eine rein logische strenge Unterscheidung zwischen dem Zurechnungsgegenstand (dem „Unrecht“ als Übertretung der Verhaltensnorm und der darauf beruhenden Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung) einerseits und dem Zurechnungsgrund (der Schuld als dem Inbegriff der ­Voraussetzungen für die Erhebung des Unrechtsvorwurfs) andererseits45 zu kritisieren. Eine solche analytische Unterscheidung ist zwar logisch möglich, verdunkelt aber den notwendigen normativen Zusammenhang zwischen dem Zurechnungsgegenstand und dem Zurechnungsgrund;46 bei der Unrechtsbegründung muss die zugerechnete Sozialschädlichkeit oder Rechtsgutsverletzung also als Verwirklichung der selbstbestimmten Entscheidung des Handelnden gegen die Verhaltensnorm begriffen werden. Handlungstheoretisch handelt es sich bei dem behaupteten „schuldlosen Unrecht“ um die soziale Dimension der Handlung, also um ein interpersonales Bewirken. Eine Handlung ist aber eine dialektische Einheit von deren sozialer und personaler Dimension. Beide Dimensionen sind für sich genommen mithin nur eine Handlung in Hinblick auf ihr interpersonales Bewirken bzw. auf die selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen eine Norm; sie bleiben für sich genommen deshalb notwendig abstrakt, weil jeweils nur ein bestimmter Gesichtspunkt der Handlung betrachtet wird. Erst in der Handlung (Straftat), also in der selbstbestimmten Entscheidung gegen eine strafbewehrte Verhaltensnorm und in deren praktischem Vollzug, bilden die soziale und personale Dimension der Handlung eine Einheit.47 Die soziale Dimension der Handlung, also die Verletzung eines Rechtsverhältnisses, kann substantiell daher nur unter Einbeziehung der Schuldfähigkeit des Handelnden begriffen werden; umgekehrt enthält die personale Dimension der Handlung, also die selbstbestimmte Entscheidung gegen eine von ihm selbst anerkannte, allgemeingültige Verhaltensnorm, schon begrifflich die soziale Bewertung seines Handelns in sich.48 Beide Dimensionen sind aufeinander bezogen und über den Begriff der Straftat miteinander vermittelt.49 Nun wird die soziale Dimension der Handlung aber substantiell von den Vertretern eines „schuldlosen Unrechts“ aus dem einheitlichen Handlungsbegriff herausgehoben und gegenüber der personalen Dimension der Handlung verselbständigt. Damit würde die soziale Dimension der Handlung überbetont und von der dialektischen Struktur beider Dimensionen bliebe nichts übrig. 45  Etwa

Haas, Verbrechensbegriff, S.  302 f. auch Rostalski, Unmöglichkeit, S. 109 f. 47  Ansatzweise wohl auch E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 39. 48  Zur rechtsphilosophischen Begründung dieser These siehe oben S. 119 f. 49  Schild, Merkmale, S. 43 in Hinblick auf das Verhältnis von Rechtswidrigkeit und Schuld. 46  Vgl.

138 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Diese substantielle Überbetonung der sozialen Dimension der Handlung hat normentheoretische Konsequenzen: Ist der Gegenstand der Verhaltensnorm eine personale Handlung,50 sind die verschiedenen Funktionen der Verhaltensnorm auf die verschiedenen Dimensionen der Handlung zu beziehen. Die Überbetonung der sozialen Dimension führt daher notwendig zu einer Überbetonung der Bewertungsfunktion der Verhaltensnorm.51 Damit würde die Bestimmungsfunktion der Verhaltensnorm aber gänzlich vernachlässigt. Von der Bestimmungsfunktion der Norm ausgehend52 muss angenommen werden, dass eine Verhaltensnorm gegenüber einem Schuldunfähigen keine Orientierungsfunktion entfalten kann. Wer rechtlich unfähig ist, die Verhaltensnorm zu begreifen, kann auch nicht dementsprechend handeln, auch wenn er sich zufällig durch die Verhaltensnorm motivieren lässt.53 Ein Schuldunfähiger ist daher kein Adressat der Verhaltensnorm, er verletzt mithin nicht die Verhaltensnorm, sondern hat außerhalb derselben gehandelt.54 Trotzdem wird aber von Greco behauptet, es sei zweckmäßig, den Schuldunfähigen weiterhin als Normadressaten der Verhaltensnorm anzusehen; dies bezwecke nicht die Motivierung eines Schuldunfähigen, sondern „die der übrigen schuldfähigen potentiellen Täter“.55 Die Verhaltensnorm verpflichte den Schuldunfähigen, damit sich „niemand sonst ermuntert fühlt, das Verhalten zu zeigen, in der Hoffnung, er könnte sich auf Schuldunfähigkeit berufen um dadurch das Verbot zu umgehen“.56 Aber abgesehen von der Frage, ob es empirisch wirksam wäre, durch die Verpflichtung des Schuldunfähigen Gegenstand, S. 636 ff., insb. S. 638 ff. Überbetonung der Bewertungsfunktion der Verhaltensnorm lässt sich etwa bei Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 101c finden, wenn sie zwar nicht die Bestimmungsfunktion der Verhaltensnorm verneinen, aber ihre primäre Funktion doch in der „verbindliche[n] Festlegung von Freiheitssphären in der mehrpoligen Relation Staat/ Täter/Opfer bzw. Rechtsordnung/Bürger/Bürger“, also in der Bewertungs- oder Distributionsfunktion der Verhaltensnorm sehen und sich bei der Unrechtsbegründung ausschließlich an diese Bewertungsfunktion orientieren. 52  Die folgenden Überlegungen setzen sich nicht der möglichen Kritik einer „Überbetonung“ der Bestimmungsfunktion der Verhaltensnorm aus. Diese Kritik wäre nur dann berechtigt, wenn man davon ausging, dass sich Bestimmungs- und Bewertungsfunktion kategorial streng voneinander trennen lassen, und einseitig von der Bestimmungsfunktion der Verhaltensnorm her argumentierte. Nach dem hiesigen Konzept stehen die beiden Funktionen aber, den beiden Dimensionen der Handlung entsprechend, in einem dialektischen Verhältnis; sie bleiben unter ihrem jeweiligen Blickwinkel auf dieselbe Verhaltensnorm und zugleich notwendig aufeinander bezogen. 53  Zutreffend Haas, Verbrechensbegriff, S. 295 gegen das Argument von Roxin/ Greco, AT I, § 10 Rn. 93. 54  Renzikowski, Gegenstand, S. 644; Rostalski, Tatbegriff, S. 104. 55  Greco, GA 2009, 645. 56  Greco, GA 2009, 645. 50  Renzikowski, 51  Eine



A. Die strafrechtliche Handlungslehre139

einen potentiellen schuldfähigen Täter zur Normbefolgung zu motivieren, würde der Schuldunfähige, auch wenn er letztendlich nicht strafbar gemacht werden kann, dadurch gleichsam als „Lehrmaterial“ für andere vollverantwortliche Bürger instrumentalisiert.57 Eine solche Verhaltensnorm, die ihren Grund nicht im Normadressaten selbst findet, ist kaum zu legitimieren. Auch wenn es substantiell keine schuldlose Übertretung der strafbewehrten Verhaltensnorm oder kein schuldloses Unrecht geben kann, ist es doch möglich, die substantiell einheitlich gedachten und deshalb inhaltsreichen Begriffe der Straftat und des Unrechts in einem bestimmten Argumentations- oder Systemzusammenhang zu abstrahieren,58 die Handlung also nur unter einem bestimmten Zurechnungsgesichtspunkt zu betrachten und zu bewerten. Für diese Möglichkeit spricht die erwähnte dialektische Beziehung zwischen der sozialen und der personalen Dimension der Straftat. Beide Dimensionen sind zwar nur im Ganzen der Straftat zu begreifen, „sie werden aber jeweils unter einem bestimmten Gesichtspunkt als Aspekt herausgehoben“.59 Diese „Heraushebung“ ermöglicht es, beide Dimension der Straftat als „Fallprüfungs- oder ­Argumentationsschritte“ unter verschiedenen Gesichtspunkten zu verselbständigen und in ein „Prüfungsschema“ einzuordnen.60 Nun besteht die Aufgabe der Strafrechtswissenschaft darin, die Inhalte dieser herausgehobenen Zurechnungsgesichtspunkte weiter herauszuarbeiten und sie in einen Begründungsund Systemzusammenhang einzuordnen, damit eine rationale und präzise Zurechnungsoperation ermöglicht wird. Diese Aufgabe übernimmt die Lehre vom Verbrechensaufbau. Die in der Lehre vom Verbrechensaufbau als Stufen gekennzeichneten Merkmale Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld sind bei näherer Betrachtung drei Momente der Straftat.61 Sie beziehen sich substantiell jeweils auf eine Straftat unter einem bestimmten Zurechnungsgesichtspunkt und können deshalb nur über den Begriff der Straftat gedacht werden: Sie „erhalten ihren Sinn erst durch die Reihenfolge der Prüfung“,62 und die „Einheit“, also die Straftat, kann erst durch diesen „praktischen Nachvollzug der Fallprüfung“ eingeholt werden.63 Sie sind aber in einem Fallprüfungszusammenhang, also im Verbrechensaufbau, jeweils unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu „verselbständigen“. So wird die soziale 57  Rostalski, Unmöglichkeit, S. 112, die einen Verstoß gegen das Menschenwürde­ postulat konstatiert. 58  Köhler, Fahrlässigkeit, S. 333; Zabel, Schuldtypisierung, S. 236. 59  Schild, Merkmale, S. 45 im Hinblick auf die Merkmale der Straftat. 60  Schild, Merkmale, S. 46; Zabel, Schuldtypisierung, S. 236 f. 61  Schild, Merkmale, S. 34, 104, 132. 62  Zabel, Schuldtypisierung, S. 237. 63  Schild, Merkmale, S. 50. In diesem Sinne auch Matt/Renzikowski, Vor § 13 Rn. 40: „Erst durch das Schuldurteil wird die Verletzung der Bestimmungsnorm komplett.“

140 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Dimension der Straftat, also die rechtlich unerlaubte Rechtsverhältnisverletzung, in den ersten beiden Fallprüfungsschritten der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit geprüft werden, während die personale Dimension dem nachfolgenden64 Prüfungsschritt Schuld vorzubehalten ist. Liegen Strafunrecht und eine strafrechtliche Handlung substantiell nur dann vor, wenn der Täter schuldhaft einen tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen Angriff gegen das Recht vollzogen hat, bilden eine unfreie Entscheidung und ihre Umsetzung, auch wenn sie ein bestimmtes Daseinselement des Opfers verletzt, in dieser Hinsicht keine strafrechtliche Handlung. Das bedeutet freilich nicht, dass dieser rechtswidrige, aber schuldlose Angriff normativ nur als Naturgewalt zu behandeln wäre.65 Der schuldlose Angriff als solcher kann zwar nicht als strafrechtliche Handlung bezeichnet werden, er ist aber gleichwohl eine menschliche, wenn auch unfreie Entscheidung. Weil die Bürger einander wechselseitig als selbstbestimmte Vernunftwesen anerkennen und aufeinander vertrauen dürfen, gehen die anderen Bürger normativ davon aus, dass diese Entscheidung ebenfalls von einem Vernunftwesen frei getroffen worden sei und wie die schuldhafte Handlung ebenfalls Allgemeingültigkeit beansprucht. Aus Sicht der Allgemeinheit würde diese unfreie Entscheidung ebenfalls das Rechtsverhältnis zum Opfer angreifen. Deshalb bleibt die soziale Dimension der Handlung auch in diesem Fall erhalten und beansprucht, wie die schuldhafte Handlung, Allgemeingültigkeit.66 Die unfreie Entscheidung versteht sich dann als eine zu interpretierende Sozialwirklichkeit, die von der Rechtsordnung unter anderem Aspekt als dem der Straftat als relevant interpretiert werden kann.67 So gesehen ist es nicht wi64  Wird die Schuld des Täters bei der Unrechtsbegründung zutreffend als der Grund des Strafunrechts angesehen, könnte man überlegen, dass die Prüfung der Schuldfähigkeit vor der der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit erfolgen soll, wie Hörnle, Schuldvorwurf, S. 72 ff. vorgeschlagen hat. Wenn man aber wie hier davon ausgeht, dass die Bürger in der Regel einander wechselseitig als selbstbestimmte Vernunftwesen anerkennen und aufeinander vertrauen dürfen und die soziale Dimension der Handlung auch bei einem schuldlosen Angriff beibehalten wird (dazu sogleich), liegt es nahe, die Schuldunfähigkeit des Täters argumentationstheoretisch als eine Ausnahme anzunehmen und die Schuldfähigkeit des Täters erst nach der Prüfung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zu prüfen. Wie hier Schild, Merkmale, S. 129. Pragmatisch hat eine solche Prüfungsabfolge Vorteile, weil viele Rechtsinstitute wie die Notwehr und die Maßregel der Besserung und Sicherung nur an die soziale Dimension der Handlung, nicht aber an die personale anknüpfen. 65  So aber Jakobs, System, S. 59 f.; Falcone, ZIS 2020, 218. Dagegen Murmann, Nebentäterschaft, S. 179 f., der zutreffend darauf hinweist, dass das Menschsein eines Geistkranken geachtet bleiben muss; Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Noltenius, HdBStrR, § 50 Rn. 91; Schladitz, ZIS 2020, 499. 66  Murmann, Nebentäterschaft, S. 179. 67  Etwa bei den Rechtsinstituten der Notwehr oder der Maßregel der Besserung und Sicherung, die nicht unter dem Aspekt der Straftat, sondern der Gefahrenabwehr



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 141

dersprüchlich, wenn man einerseits davon ausgeht, dass das Strafunrecht eine Schuld voraussetzt, und andererseits die limitierte Akzessorietät der Teilnahme vertritt.68 Denn bei der Akzessorietät der Teilnahme handelt es sich nicht um die Frage, ob beim Haupttäter überhaupt eine strafrechtlich zurechenbare Handlung vorliegt, sondern darum, welche Eigenschaft die Haupttat ausweisen muss, damit sich der Teilnehmer daran beteiligen kann. Es ist normativ somit möglich, die Voraussetzung für eine teilnahmefähige Haupttat von der für eine strafrechtlich verantwortliche Straftat zu unterscheiden, indem man etwa bei Teilnahme die eigene Verletzung einer Verhaltensnorm fordert und unter dem Blickwinkel des Teilnehmers die Haupttat als einen Erfolgssachverhalt der eigenen Teilnahmehandlung begreift.69

B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung Dass pflichtwidriges Unterlassen eine strafbare Handlung bzw. eine Straftat sein kann, wird in der strafrechtlichen Literatur kaum bezweifelt. Wäre pflichtwidriges Unterlassen allerdings schlicht ein normatives Konstrukt und würde keine sozialontologische Wirklichkeit aufweisen, könnte es nicht Gegenstand von strafrechtlicher Zurechnung sein. Der strafrechtlichen Zurechnung liegt, wie oben festgestellt, eine sozialontologische Wirklichkeit zugrunde. Aus einem ontologischen Nichts ließe sich nichts, erst recht keine strafrechtliche Zurechnung gewinnen.70 Es ist deshalb nicht zu umgehen, die ontologische Handlungsstruktur des pflichtwidrigen Unterlassens, soweit es eine Handlung und damit der strafrechtlichen Zurechnung zugänglich ist, zu erklären. Dabei wird besonders darauf eingegangen, ob ein pflichtwidriges Unterlassen auch der eben entwickelten allgemeinen Handlungsstruktur entspricht und wo der ontologische Unterschied zwischen Tun und Unterlassen liegt. Nachdem die ontologische Handlungsstruktur des Unterlassens geklärt worden ist, folgt die Frage, aufgrund welcher Überlegungen und unter welzu legitimieren sind. Dazu Pawlik, FS-Otto, S. 149 f. Gesetzlich anerkannt ist insoweit also nicht die Unterscheidung von „Unrecht“ und Schuld, sondern die argumentationstheoretische Unterscheidung von sozialer und personaler Dimension der Straftat. 68  Treffend Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 14 f.; Rostalski, Tatbegriff, S.  107 f. Eine Inkonsequenz diagnostizierend aber Schladitz, ZIS 2020, 503. 69  Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 15; Rostalski, Tatbegriff, S.  108. A. A. Jakobs, Theorie, S. 36 f. sowie Pawlik, Unrecht, S. 273 ff., 275; Falcone, ZIS 2020, 218 ff., 220, die die Möglichkeit einer Beteiligung an einer schuldlosen Tat zurückweisen und die strenge Akzessorietät vertreten. Ausführlicher dazu unten S. 376 ff. 70  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 54; Kahlo, Handlungsform, S. 29 f.; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 45 Rn. 25.

142 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

chen Voraussetzungen ein Unterlassen als eine Straftat qualifiziert werden kann.

I. Die sozialontologische Handlungsstruktur des pflichtwidrigen Unterlassens 1. Unzulänglichkeit der naturkausalen sowie finalen Handlungserklärung Es ist bekannt, dass ein Unterlassen aus der Sicht einer empirisch-naturhaften Kausalanalyse ein Nichts ist.71 Der Unterlassende setzt gerade keine Bedingung für eine durch Körperbewegung herbeigeführte mechanische Kausalveränderung. Die naturhaft-kausale Handlungslehre kann somit das Unterlassen gar nicht enthalten. Wer trotzdem das Unterlassen als einen Zurechnungsgegenstand erfassen möchte, müsste gestehen, dass das Unterlassen einfach ein Gedankenbild72 sei und erst in einer normativen Welt seine Existenz und Bedeutung habe.73 Dieser Ausweg setzt sich aber wiederum dem Einwand aus, dass ein Gedankenbild ohne ontologische Wirklichkeit niemals Gegenstand einer strafrechtlichen Zurechnung sein kann. Auch die finale Handlungserklärung ändert daran nichts. Die menschliche Finalität wird zwar neben der naturhaften Kausalerklärung in die Handlungserklärung eingefügt, da aber der Gegenstand von Finalität ein zielgerichtetes, durch Körperbewegung gestaltetes Geschehen bleibt, kann das Unterlassen an sich auch nicht als finale Handlung begriffen werden.74 Das Unterlassen habe dann keine wirkliche, allenfalls eine „potenzielle“ Finalität in dem Sinne, dass der Unterlassende eine bestimmte gebotene Handlung zielgerichtet hätte vornehmen können.75 Konsequent wird zur Erklärung des Bewirkens durch Unterlassen eine hypothetische bzw. Quasi-Kausalität eingeführt. 71  von Bubnoff, Handlungsbegriff, S. 150; Gallas, Studien, S. 36; Jakobs, AT, § 7 Rn.  25 f.; Schönke/Schröder/Bosch, Vor §§ 13 ff. Rn. 139. Es ist hier zu erklären, dass die oben zitierten Autoren die ontologische Grundlage der Handlung nur als ein durch Naturwissenschaft Erklärbares verstehen und damit den Begriff der Ontologie zu eng fassen. Demgegenüber die Sozialwirklichkeit in die Ontologie miteinbeziehend, aber für die These des Unterlassens als eines Nichts in naturhafter Hinsicht Kahlo, ­Handlungsform, S.  29; E. A. Wolff, Kausalität, S. 35. A. A. NK/Puppe, Vor §§  13 ff. Rn. 117 ff., dazu sogleich. 72  Grundlegend Radbruch, Handlungsbegriff, S. 139. 73  von Bubnoff, Handlungsbegriff, S. 150; Jakobs, AT, § 7 Rn. 26: unter dem Zurechnungszusammenhang; Schönke/Schröder/Bosch, Vor §§ 13 ff. Rn. 139. 74  Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 66; Welzel, Strafrecht, S. 200. Kritisch dazu E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 14. 75  Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 80 f.; Welzel, Strafrecht, S. 200.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 143

Das ändert aber nichts daran, dass die strafrechtliche Zurechnung beim Unterlassen gleichwohl eine fiktive Handlung zum Gegenstand hat. Die hypothetische Verletzungsmacht träte dann an die Stelle der wirklichen und gefragt wäre nicht mehr, was der Unterlassende tatsächlich getan hat, sondern was er hätte tun können. Das Unterlassen erschöpft sich in einer Negation des gebotenen Tuns. Tun und Unterlassen würden sich dann wie A und nonA gegenüberstehen76 und für sie gälten unterschiedliche Zurechnungskriterien, solange man die These annimmt, dass unterschiedliche Handlungsstrukturen mit unterschiedlichen Zurechnungskriterien verknüpft sein müssen. Das würde unvermeidbar zu einer Aufspaltung des Zurechnungssystems führen.77 Der Preis dafür ist freilich sehr hoch. So müsste man im Lichte der finalen Handlungslehre den Vorsatz im Hinblick auf das Unterlassen an sich verneinen und stattdessen einen „Quasi-Vorsatz“ annehmen.78 Der Bezugspunkt des „echten“ Vorsatzes oder der Finalität wäre die gebotene Handlung, die aufgrund der Finalität hätte vorgenommen werden sollen.79 Der Vorwurf der Vorsätzlichkeit knüpft freilich nicht an diese hypothetische, nicht vollgezogene gebotene Handlung, etwa eine Rettungshandlung, sondern an das Unterlassen der Vornahme dieser Rettungshandlung an, und mit Blick auf das Unterlassen erkennt das Strafrecht gerade keinen „Quasi-Vorsatz“ an, der dem „echten“ Vorsatz gegenüberstehe. Auch der „Quasi-Vorsatz“ müsste zum Vorsatz gehören, was die finale Handlungslehre nicht leisten kann. 2. Unterlassen als wirkliche Bedingung oder Ursache im Sinne einer Bedingungstheorie der Kausalität? (Puppe) Die Unzulänglichkeit der vorstehend dargestellten naturhaften oder finalen Handlungserklärung ist ersichtlich auf einen Kausalbegriff zurückzuführen, der nur die positive Gestaltung der Kausalverläufe durch Körperbewegungen umfasst. Gegen diesen Kausal- oder Ursachenbegriff wendet sich Puppe dediziert und hält ihn für zu eng. Puppe führt aus: „[D]ie Unterlassung ist Ursache des Erfolges nur dann, wenn das negierte Tun nach Erfahrungsregel möglich und eine störende Bedingung des Kausalverlaufs zum Erfolg gewesen wäre. […] Denn nur dann ist die Negation notwendiger Bestandteil der wirklichen gesetzmäßigen Bedingung des Erfolges.“80 Da „dieses Bedingungs­ verhältnis von den Erfahrungssätzen (Kausalgesetzen) ab[hängt]“, handle es 76  Radbruch, Handlungsbegriff, S.  142. Nicht anders auch Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 87 mit dem „Umkehrprinzip“. 77  Zutreffende Analyse NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 55; auch Kahlo, Handlungsform, S. 26. 78  Deutlich Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 310 f. 79  Welzel, Strafrecht, S. 200. 80  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 117.

144 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

sich beim Unterlassen nicht nur um die logische, sondern um die tatsächliche Bedingung.81 Aufgrund dieser These kann Puppe zu dem Ergebnis gelangen, dass Kausalität und Vorsatz beim Unterlassungsdelikt Wirklichkeiten und nicht einfach Gedankenbilder wie Quasi-Kausalität bzw. Quasi-Vorsatz seien. Tun und Unterlassen würden unter einem genus proximum als wahre Sachverhalte erfasst.82 Dass es zu einem bestimmten Erfolg nicht nur zahlreicher hinreichender Bedingungen, sondern auch des Ausbleibens der den Erfolg verhindernden Bedingungen bedarf, ist nicht zu bestreiten. Das Unterlassen einer dem Rechtsgut dienenden Rettungshandlung kann daher auch in die Kausalerklärung der zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalverläufe als negative Bedingung einbezogen werden. Im Vergleich zu dem Ursachenbegriff, der von den vorstehenden naturhaften Kausal- und finalen Handlungserklärungen vertreten wird, ist der von Puppe umfassender. Eben darin liegt allerdings die Schwäche dieses Kausalverständnisses. Erstens ist dieses Kausalverständnis nicht imstande, die tatsächliche Wirkung des Unterlassens zu erklären. Das Nichteingreifen des Unterlassenden mag zwar alltagsprachlich als Tatsache begriffen werden, aber das ändert nichts daran, dass das Nichteingreifen einfach den bestehenden, schon festgelegten Kausalverlauf fortbestehen lässt. Wer einen Zustand fortbestehen lässt, verändert ihn in naturhafter Hinsicht gerade nicht.83 Zweitens müsste dieses Verständnis notwendig zu einer unendlichen Kausalerklärung führen und macht letztendlich diese Erklärung unmöglich. Renzikowski bringt es in aller Deutlichkeit zum Ausdruck: „Für eine vollständige Kausalerklärung müsste man eine vollständige Beschreibung des Zustandes des Universums zu einem bestimmten Zeitpunkt angeben, also eine unendliche, weil eineindeutige Beschreibung in Bezug auf alle möglichen Welten – genauer: eine Realdefinition.“84 Im Hinblick auf das Unterlassen müssten nämlich alle negativen Bedingungen für einen bestimmten Erfolg angegeben werden. Puppe hat diese Kritik ernst genommen und insbesondere bei der Kausalität des Unterlassens versucht, diese Unendlichkeit zu begrenzen: Wenn der Unterlassende zur Verhinderung des Erfolgs nicht fähig sei, sei es auch unschlüssig, sein Unterlassen als eine negative Bedingung für den Erfolg in die Kausalerklärung des Verlaufs einzubezie81  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 117; zustimmend Vogel, Norm, S. 157; Kreuzberg, Täterschaft, S. 207, wobei diese „tatsächliche“ Bedingung als „realontologische Komponente der reellen Kausierungspotenz“ gekennzeichnet wird. 82  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 56. 83  Nicht nur gegen das Bewirken des Unterlassens, sondern auch gegen Puppes These vom Unterlassen als Tatsache bzw. Sachverhalt Kahlo, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 156; ders., Handlungsform, S. 254; Renzikowski, FS-Kindhäuser, S. 382 Fn. 15: „[D]ie Abwesenheit von etwas [erklärt] nichts.“ 84  Renzikowski, FS-Kindhäuser, S. 382.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 145

hen.85 Der Begrenzungsversuch setzt sich trotzdem weiterhin dem Einwand der unendlichen Kausalerklärung aus. Denn man könnte zwar davon ausgehen, dass das Unterlassen einer Person, die wegen ihrer physischen Beschaffenheit oder Abwesenheit den Erfolg nicht hätte verhindern können, von der Kausalerklärung auszuschließen sei, aber für eine vollständige Kausalerklärung, die Puppe dezidiert beansprucht, wäre das nicht ausreichend. Es müsste weiter gefragt werden, warum bei der Person diese Beschaffenheit bzw. Fähigkeit zur Erfolgsverhinderung fehlt bzw. warum sie nicht rechtzeitig vor Ort war.86 Wenn aus Zweckmäßigkeitsgründen einige Begrenzungslinien angegeben werden und ein bestimmtes Unterlassen dadurch von der Kausalerklärung ausgeschlossen wird, verlässt man das ursprüngliche Anliegen der vollständigen Kausalerklärung, die einem endlichen Vernunftwesen wie dem Menschen nicht zugänglich ist.87 Darüber hinaus kann die These, das Unterlassen sei einfach als eine wahre Tatsache bzw. negative Bedingung für den Erfolg zu begreifen, die ontologische Handlungsstruktur des Unterlassens nicht angemessen erfassen. Wenn der Erfolg als ein Werk einem bestimmten Unterlassenden zugerechnet werden soll, müssen dieser Erfolg und das Unterlassen einerseits sowie das Unterlassen und der Unterlassende andererseits in einen Begründungszusammenhang gebracht werden können. Auf der Ebene der Handlungszuschreibung, nämlich ob hier überhaupt eine Unterlassungshandlung des Unterlassenden vorliegt, kann ein Erfolg entgegen Puppe nicht nur wegen der Verhinderungsmöglichkeit als eine Unterlassungshandlung dem Unterlassenden zugerechnet werden. Ein alltägliches Beispiel mag dies verdeutlichen: Der Gast A lässt das Fenster, wie er es bei seinem Eintritt ins Haus vorfindet, geöffnet; ein paar Minuten später wird die Vase auf dem Tisch vom Wind umgeweht und zerstört. A wird sich wahrscheinlich darauf berufen, dass das ein Werk des Windes sei und nichts mit ihm zu tun habe, auch wenn A das Fenster rechtzeitig hätte schließen können. Der Mensch mag wegen seiner Kausalerkenntnisse und darauf beruhender Finalität einen Erfolg eintreten lassen, für eine Handlungszuschreibung bedarf es aber neben dieser Kausalerklärung noch eines Sollens. Wenn z. B. der Gastgeber vorher bereits den A beauftragt hat, die Vase vor dem Wind zu schützen, und A dies verstanden hat und damit einverstanden war, dann wird A schwerlich behaupten können, dass sein Nichtschließen des Fensters keine bewirkende Bedingung für die Zerstörung der Vase gewesen sei. Das Unterlassen bewirkt in diesem Fall etwas, das die Erwartung des Gastgebers enttäuscht. Die Handlungszuschreibung und die Wirkung des Unterlassens (aber auch des Tuns!) sind entgegen 85  NK/Puppe,

Vor §§ 13 ff. Rn. 117. FS-Kindhäuser, S. 382. 87  Zutreffend Renzikowski, FS-Kindhäuser, S. 382. 86  Renzikowski,

146 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Puppe nicht schon aufgrund naturhafter Kausalgesetze möglich bzw. gegeben, sondern erst nach der Einbeziehung eines (zunächst vorrechtlichen) Sollens.88 3. Unterlassen nur als intentionale Zulassung eines unerwünschten Erfolgs durch Nichtvornahme einer erwarteten Handlung? (Kindhäuser) Auch wenn der Kausalismus bzw. Finalismus keine geeignete Erklärung für die ontologischen Handlungsstrukturen des Unterlassens anbieten kann, sollte man nicht vorschnell die Suche nach diesen Strukturen aufgeben und sich unmittelbar auf den Gedanken festlegen, das Unterlassen sei nur ein rein normatives Konstrukt ohne Wirklichkeit. Neben der naturhaften Kausalität konstruieren die Sprachen und in der Gesellschaft herrschende Konventionen bzw. Regeln zusammen die Wirklichkeit der Welt.89 Naturhafter Kausalismus ist in dieser Hinsicht nicht die einzige Welt- und Handlungserklärung; er wird bei der alltäglichen Handlungs- bzw. Verantwortungszuschreibung sogar von den alltäglichen sozialen Normen in den Hintergrund gedrängt. Von diesem Standpunkt geht Kindhäuser aus, der sich auf der Basis seiner teleologischen Handlungserklärungum um eine komplexe Erklärung der Handlungsstrukturen des Unterlassens bemüht. Kindhäuser zufolge verleiht nicht die Analyse der Kausalverläufe einer Handlung die Bedeutung, sondern die Intentionalität, die den Grund dafür gibt, „warum sich A so verhielt, wie er sich verhielt“; denn „sein Verhalten diente als Mittel zur Realisierung des jeweils angegebenen intentionalen Objekts“.90 Somit stehe das Fehlen eines naturhaften Kausalbewirkens einer teleologischen Erklärung des Unterlassens nicht im Weg. Ein Akteur könne sich z. B. zunächst ein bestimmtes Ziel setzen und davon ausgehen, dass zur Verwirklichung des Ziels (nur) ein Passivbleiben als Mittel möglich sei.91 Auf der Grundlage dieser intentionalen Handlungserklärung vertieft Kindhäuser die Handlungsstrukturen des Unterlassens und macht sie präziser. Um das intendierte Unterlassen zu verwirklichen, bedürfe es neben dieser Intentionalität noch eines Handlungstypus, und dabei komme nur das Zulassen als passive Handlungsart in Betracht.92 Die Zulassungsansätze seien aber von den Unterlassungsansätzen streng zu unterscheiden. Bei Ersteren seien Ereignisse das Handlungsergebnis, z. B. „Peter lässt zu, daß das Licht brennt“, das Ergebnis dieser Zulas88  Insoweit

auch Kindhäuser, Handlung, S. 177. Searle, Konstruktion, S. 40 ff. 90  Kindhäuser, FS-Puppe, S. 47. 91  Kindhäuser, Handlung, S. 176. 92  Kindhäuser, Handlung, S. 176. 89  Eingehend



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 147

sungshandlung sei „[d]as Brennen des Lichts“. Demgegenüber sei das Handlungsresultat bei Letzteren eine Handlung: „Peter unterlässt es, das Licht auszumachen“, das Ausmachen des Lichts sei Resultat dieser Unterlassungshandlung.93 Neben diesem Unterschied zu anderen Handlungen weist Kindhäuser noch auf eine Besonderheit des Unterlassens hin, und zwar auf die Verbundenheit der „Handlungszuschreibung mit einer Erwartung an den ­potentiellen Handelnden“.94 Diese Erwartung basiere darauf, dass der Handelnde entweder „gewöhnlich die unterlassende Handlung ausführt“ oder er „sich einer Regel entsprechend zu betätigen hat“.95 Die Kenntnis dieser Erwartung werde somit zu einem der konstitutiven Merkmale der Unterlassungshandlung.96 Nun muss Kindhäuser um der Klarheit willen diese Begriffspaare von Unterlassungs- und Zulassungshandlung sowie Ereignis und Erfolg in einen präziseren Kontextzusammenhang bringen. Er fasst wie folgt zusammen: Eingriffsmöglichkeit und Zulassung (sog. Handlungen erster Ordnung) „sind eine bestimmte Relation zwischen einem faktischen und einem kontrafaktischen Ereignis; ihr Ergebnis ist das faktische Ereignis“. Unterlassungen (als Handlungen zweiter Ordnung) „sind bestimmte Relationen zwischen faktischen und einer kontrafaktischen Handlung erster Ordnung“.97 Unterlassungen bestimmen sich nämlich als „eine Relation zwischen einem faktisch zustandegebrachten Ereignis vom Typ einer Zulassung und einem kontrafaktisch zustandegebrachten Ereignis vom Typ einer Eingriffsmöglichkeit“. Oder kurz: Das Unterlassen wird „als intentionale Zulassung eines negativ bewerteten Ereignisses durch Nichtvornahme der pflichtgemäßen Eingriffshandlung“98 interpretiert. Da das faktische Ereignis Resultat der tatsächlichen Zulassungshandlung sei und diese Zulassungshandlung wiederum als Handlungsergebnis der Unterlassungshandlung zugeschrieben werde, muss das faktische Ergebnis unmittelbar der Zulassungshandlung und mittelbar der Unterlassungshandlung zugerechnet werden.99 Hier kann diese anspruchsvolle intentionale Handlungslehre Kindhäusers nicht umfassend analysiert und bewertet werden. Trotzdem einige Bemerkungen: Das Verdienst dieser Handlungslehre besteht zunächst darin, dass sie die menschlichen Handlungen nicht auf einen beobachtbaren Kausalverlauf reduziert, sondern das praktische Vermögen des Menschen in Gestalt von Intentionalität akzentuiert. Auch wenn die Intentionalität bei Kindhäuser wie Handlung, Handlung, 95  Kindhäuser, Handlung, 96  Kindhäuser, Handlung, 97  Kindhäuser, Handlung, 98  Kreuzberg, Täterschaft, 99  Kindhäuser, Handlung, 93  Kindhäuser, 94  Kindhäuser,

S. 177. S. 177. S. 177. S. 177. S. 177 f. S. 206 f. (Hervorhebung im Original). S. 208.

148 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

bei den Finalisten auf einer Mittel-Zweck-Relation beruht, lässt sich der Unterschied zu ihnen leicht erkennen: Erstens wird die Intentionalität nicht mit der Willensverwirklichung durch positive Kausalsteuerung gleichgestellt und ermöglicht die Einbeziehung einer Passivität in Gestalt der Zulassungshandlung. Weil diese Zulassungshandlung sprachlich durchaus als eine beschreibbare und damit tatsächliche Handlung angesehen werden kann, darf sie auch ein Bezugspunkt von Intentionalität sein. Daher tritt das Problem der finalen Handlungslehre, dass beim Unterlassen der Bezugspunkt eine hypothetische gebotene Rettungshandlung sein müsste, hier nicht in Erscheinung und man vermeidet das Aufspalten des Zurechnungssystems. Zweitens werden moralische bzw. rechtliche Erwartungen bereits als ein Merkmal der Zuschreibung einer Unterlassungshandlung angesehen. Die Unterlassungshandlung ist somit zutreffend auf ein Sollen bezogen und erschöpft sich nicht in einer (notwendigen) Verhinderungsmöglichkeit. Trotz des wohlbegründeten Abschieds vom Kausalismus und der genannten Stärke gegenüber der finalen Handlungserklärung kann die intentionale Handlungserklärung die ontologische Handlungsstruktur des Unterlassens nicht vollständig umfassen. Vom Ansatz her erscheint es zweifelhaft, ob Intentionalität als ein allgemeingültiges Element für alle Handlungstypen angesehen werden kann. Denn nicht alle Akteure treffen beim Handeln eine Entscheidung zur Verwirklichung eines vorher gesetzten Ziels.100 Des Weiteren ist die intentionale Handlungserklärung Kindhäusers nicht fähig, das wirk­ liche Bewirken (d. h. die reale Wirkung) des Unterlassens richtig zu begreifen. Wenn das Unterlassungsergebnis als eine zugelassene Veränderung bzw. Nichtveränderung in der Welt begriffen wird,101 bewirkt der Akteur gerade nichts, denn er lässt einfach ein (sogar nicht von ihm) in Gang gesetztes Geschehen sich weiterentwickeln und greift darin nicht ein. Auch die kontrafaktische Dimension der Nichtvornahme einer gebotenen Handlung bestätigt den negativen Charakter der Unterlassungshandlung.102 Für die Verantwortungszuschreibung wäre nämlich nur entscheidend, ob der Akteur durch die intentionale Vornahme der gebotenen Handlung den Erfolg bzw. das tatsächliche Ereignis vermeiden könnte.103 Das erinnert an die negative Hand100  Merkel, FS-Kindhäuser, S. 288 f. mit Hinweis darauf, dass die sog. expressiven Handlungen zwar bestimmte Beweggründe bzw. Motive haben, ihnen aber kein teleologisches Moment innewohnt. 101  Kindhäuser, Handlung, S. 176. 102  In der Literatur wird das Unterlassen strafrechtlich vielfach als Nichtvornahme einer gebotenen Handlung betrachtet (vgl. in diesem Sinne Jescheck/Weigend, AT, S. 616; Schönke/Schröder/Bosch, Vor §§ 13 ff. Rn. 139; SK/Stein, Vor § 13 Rn. 2), ohne aber die intentionale Handlungslehre anzunehmen. 103  Zur intentionalen Erfolgsvermeidbarkeit als dem Kern der Pflichtverletzung Kindhäuser, Gefährdung, S. 50 ff. Ihm folgend Vogel, Norm, S. 70.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 149

lungslehre, und die daran geübte Kritik gilt auch hier uneingeschränkt: Die Verletzungsmacht einer Handlung kann nicht dadurch festgestellt werden, dass das Handlungssubjekt einen Erfolg trotz Vermeidbarkeit nicht verhindert, sondern durch die Feststellung, was es handelnd bewirkt hat. Und dieses Bewirken kann auch nicht durch den Eintritt eines Erfolgs bestimmt werden, weil das zu abstrakt ist. Stattdessen müssen dieses Bewirken und der Erfolg in ein interpersonales Anerkennungsverhältnis integriert werden. Es soll insbesondere angegeben werden, warum dieser Erfolg vermieden werden und warum der Handelnde für diesen Erfolg zuständig sein soll. Die intentionale Handlungslehre erklärt diese sachlichen Fragen nicht und bleibt auf einer analytischen Ebene der Handlung. 4. Unterlassen als freie Entscheidung zur Gestaltung eines Anerkennungsverhältnisses a) Methodische Überlegungen Die Untauglichkeit eines Kausalismus, wie ihn Puppe konzipiert, und die Unterbestimmtheit der analytischen Handlungsstrukturen bei Kindhäuser zwingen dazu, die vorher dargestellten rechtsphilosophischen Begründungen samt den daraus entwickelten ontologischen Handlungsstrukturen wieder aufzugreifen und für die Handlungsstrukturen des Unterlassens fruchtbar zu machen. Es handelt sich bei menschlichen Handlungen immer um die autonome, d. h. selbstgesetzte Normbezogenheit der Handlungsmaxime, deren Verwirklichung zur Förderung bzw. Verletzung der fremden Freiheit führt und somit ein Anerkennungsverhältnis als soziale Wirklichkeit gestaltet. ­Entscheidend für die Handlungsqualität des Unterlassens ist somit, ob das Unterlassen ebenfalls diesen Handlungsstrukturen entsprechen kann oder ­ nicht.104 Dabei ist das Bestehen einer auf das Anerkennungsverhältnis gerichteten Norm, deren Zweck die Förderung bzw. Vermeidung der Verletzung fremder Freiheit ist, von richtungweisender Bedeutung. Innerhalb der Reichweite der Norm ist die Freiheit des einen auf die tätige Leistung des anderen angewiesen und er darf sich deshalb auf diese Leistung des anderen einstellen. Durch die Norm ist seine Freiheit insoweit mit der Freiheitssphäre des anderen verbunden. Weigert sich der eine, die von der Norm gebotene Handlung zu vornehmen, entzieht er zugleich auch dem anderen die von der Norm gewährleistete Handlungsmöglichkeit und gestaltet das Anerkennungsverhältnis zum anderen um.105 Wenn es dagegen keine Norm gibt, die sich auf 104  Zur

Fragestellung auch Kahlo, Handlungsform, S. 276 ff. E. A. Wolff, Kausalität, S. 36: „Das Bewirken durch Entzug der dem Anderen zustehenden Möglichkeit“. Es sei hier bemerkt, dass die Ausführungen 105  Grundlegend

150 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

eine tätige Leistung des anderen richtet, hat er auch keinen normativ begründeten Anspruch gegen den anderen. Das Unterlassen des einen lässt sich dann nicht als ein negatives Bewirken, sondern ggf. sogar als eine Förderung fremder Freiheit interpretieren. b) Rechtsphilosophische Grundannahme Wie die rechtsphilosophischen Ausführungen über die Konstruktion des Selbstseins gezeigt haben, leben die Personen in der Welt nicht getrennt, sondern ursprünglich in einem Anerkennungsverhältnis aus Vernunft mit den anderen. Jede Person soll die anderen als freie und gleiche anerkennen, damit sie ihr Selbstbewusstsein finden kann. Es entspricht dem „ursprünglichen Gebot“ bei Hegel: „Sei eine Person und respektiere die anderen als Perso­ nen.“106 Ohne die Anerkennung des einen gibt es kein Selbstsein und das Ich ist ursprünglich auf die Anerkennung anderer angewiesen. Diese gegenseitige Angewiesenheit des Selbstseins wird hier als „ursprüngliche Solidarität“ zwischen Menschen bezeichnet,107 die zunächst das Dasein einer Person, E. A. Wolffs dabei zwar auf das unechte Unterlassungsdelikt beschränkt zu sein scheinen, der Gedanke des Entzugs der von der Norm gewährleisteten Möglichkeit sich aber auf das echte Unterlassungsdelikt erstrecken muss, denn auch insoweit wird die Freiheit von der Norm geschützt und der Betroffene hat einen Anspruch gegenüber dem Unterlassenden. 106  Hegel, Rechtsphilosophie, § 36. 107  Vgl. auch E. A. Wolff, Abgrenzung, S. 182 f.: das natürliche Anerkennungsverhältnis. Der Begriff von Solidarität als Rechtsbegriff (im Strafrecht) ist aber umstritten. Denn erstens ist der Begriff schillernd. Dabei geht es nicht selten um „mögliche Eigenschaften eines Akteurs, die sich vielleicht als Gefühle oder Einstellungen in einem weiteren Sinn kennzeichnen lassen“ (von der Pfordten, Hilfeleistungspflichten, S. 104), oder „eher um ein (inzwischen ziemlich aus der Mode gekommenes) politisches ‚Fahnenwort mit Aufforderungscharakter‘ als um einen wissenschaftlich, namentlich philosophisch hinreichend vorkonturierten Begriff“ (Pawlik, JRE 22 (2014), S. 143). Weder eine solche Eigenschaft eines Akteurs noch ein politisches „Fahnenwort“ können aber eine Rechtspflicht legitimieren. Zweitens könnte die Solidarität als Legitimationsgrundlage einer Rechtspflicht aus der Sicht derjenigen sehr bedenklich sein, die die Freiheit des Einzelnen betonen und im Gedanken der Solidarität ein Potential sehen, zugunsten des Gemeinwohls die Freiheit des Einzelnen zu gefährden. Angesichts dieser Bedenken ist es geboten, einem unhinterfragten Begriff von Solidarität mit Vorsicht und Zurückhaltung zu begegnen. Vor allem können diese Bedenken nur dann ausgeräumt werden, wenn sich der hier gewählte Begriff „ursprünglicher Solidarität zwischen Menschen“ in einen freiheitlichen Rechtsbegriff integrieren ließe, der, wie hier und bereits bei Fichte, die Freiheit des Einzelnen als den Grund des Rechts ernst nimmt, ohne aber die Bedeutung der „ursprünglichen Verbundenheit und Angewiesenheit zwischen Menschen“ für die Subjektivität eines Einzelnen auszublenden. Zu ursprünglicher Solidarität als Legitimationsgrundlage für § 323c StGB siehe unten S. 152 ff.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 151

dann nach den Entwicklungsphasen der Selbstseins auch andere Daseinselemente der Freiheit garantieren soll. Zutreffend schreibt Köhler: „Der Mensch ist in seiner endlichen Vernunftnatur auf die Mitkonstruktion seines Daseins und seiner Daseinsbedingungen durch andere, die wechselseitige Selbsterweiterung in Handlungszusammenhängen angewiesen.“108 Um nun das Selbstbewusstsein zu erlangen, soll jeder Person durch die Aufforderung einer anderen ein äußerer Freiraum zur Selbstverwirklichung zugestanden werden, in dem jede Person ihre Freiheit um der Freiheit der anderen willen selbst beschränkt. In dieser Freiheitssphäre oder im Recht ist jede Person den anderen gegenüber selbständig und führt nach der Vorstellung der Gesetze autonom und bewusst ihr eigenes Leben.109 Aus dieser Selbständigkeit ergibt sich der primäre Inhalt des Anerkennungsverhältnisses, dass jede Person die andere als gleiche und freie Person anerkennt und diese freie Selbständigkeit nicht beeinträchtigt. Die Nichtbeeinträchtigung fremder, von einer Norm gewährleisteter Freiheit wird dann zur primären Pflicht (­neminem laede). Deshalb wird die fremde Freiheit zunächst durch Aufstellung einer Verbotsnorm, die die Vornahme einer Beeinträchtigungshandlung verbietet, aufrechterhalten und weiterentwickelt. In diesem Sinne versteht sich das Unterlassen einer Beeinträchtigung als Anerkennung der Freiheitsentfaltung des anderen. Die Pflicht aus der ursprünglichen Solidarität konkretisiert sich insoweit zur Unterlassungspflicht aus einer Verbotsnorm. Dann könnte eine Gebotsnorm, die aufgrund der sittlichen Überlegung der Förderung der Glückseligkeit des anderen bzw. aufgrund paternalistischer Erwägungen vom Normadressaten eine positive Tätigkeit verlangt, rechtlich-freiheitlich eher negativ wirken, wenn der andere selbstbestimmt eine auf den ersten Blick „unvernünftige“ Entscheidung über seine verfügbare Freiheitssphäre getroffen hat.110 Diese selbstbestimmte Entscheidung über seine disponierbare ­äußere Freiheit soll von allen respektiert werden, und nur in dem Gegenfall, in dem eine defizitäre Entscheidung oder eine Entscheidung über Unverfügbares getroffen wird, kommt eine Pflicht zur Tätigkeit in Betracht. Eine wildwüchsige Aufstellung von Gebotsnormen würde die äußere Handlungsmöglichkeit einer Person übermäßig beschränken und das Recht könnte letztendlich seine Aufgabe nicht erfüllen.111 Aus der Prämisse der grundsätzlichen Selbständigkeit einer Person gegenüber den anderen folgt zugleich auch, dass eine (rechtliche) Gebotsnorm, die zum Zwecke der Freiheitsverwirklichung anderer eine positive Tätigkeit des Dimensionen, S. 128. Kausalität, S. 38. 110  Eingehend zu Grenzen der selbstbestimmte Entscheidung Murmann, Selbstverantwortung, S.  202 ff., 209 ff. 111  Kahlo, Handlungsform, S. 292. 108  Köhler,

109  E. A. Wolff,

152 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Normadressaten motivieren soll, nur dann in Erwägung gezogen wird, wenn das rechtliche Postulat der Selbständigkeit einer Person nicht eingreift. Die Legitimität einer Gebotsnorm als solche bedarf deshalb zusätzlicher Begrün­ dungen,112 die entweder in der „ursprünglichen Solidarität“ zwischen Personen (c) oder in der „ursprünglichen Abhängigkeit“ eines Daseinselements einer bestimmten Person (d) zu finden sind. c) Verletzung der Pflicht ursprünglicher Solidarität zwischen Personen Auch wenn die Personen in der Rechtsordnung einander selbständig gegenüberstehen und in einem bestimmten Rechtsverhältnis bereits die Nichtvornahme einer Beeinträchtigungshandlung die Anerkennungspflicht in der Regel erfüllt, gibt es trotzdem Fälle, in denen eine Person kraft von der Norm zugestandener Handlungsmöglichkeit die zufällige Bedrohung ihres Daseins nicht verhindern kann, und man könnte überlegen, ob eine Person eine Rechtspflicht wie in § 323c StGB zur Hilfeleistung gegenüber einer sich in solcher Notsituation befindenden Person hat. Dafür spricht, dass es hier um die bedrohte äußerliche Existenz einer Person geht und die wechselbezüglich-selbständige Existenz aller Personen ihre Wurzel in der rechtlichpraktischen Vernunft einer Person als Vernunftwesen hat.113 Die Rechtspflicht zur Hilfeleistung in Notsituationen wird damit aus der oben ausgeführten ursprünglichen Solidarität zwischen Personen abgeleitet und usurpiert nicht

Handlungsform, S. 252. Handlungsform, S. 300. Vgl. auch Köhler, AT, S. 208; ders., Dimensionen, S. 130: Grund der Nothilfepflicht besteht in der Selbstaffirmation freier Subjektivität, nämlich „selbstzweckhaft zu existieren“. Zur Nothilfe als von einem Vernunftwesen gewolltes und allgemeingültiges Moralprinzip Kant, AA GMS IV, S. 423: „Denn ein Wille, der dieses [sc. keine Lust, angesichts der Not des Anderen etwas zu seinem Wohlfinden oder seinem Bestande beizutragen] beschlösse, würde sich selbst widerstreiten, indem der Fälle sich doch manche eräugnen können, wo er anderer Liebe und Theilnehmung bedarf, und wo er durch ein solches aus seinem eigenen Willen entsprungenes Naturgesetz sich selbst alle Hoffnung des Beistandes, den er sich wünscht, rauben würde.“ Ein Rekurs auf ein moralisches Prinzip wie Selbstzweckhaftigkeit bzw. Selbstaffirmation verletzt nicht unbedingt die Abgrenzung zwischen Moral und Recht. Dass ein moralisches Prinzip allein nicht ohne weiteres eine rechtliche Pflicht begründet, ist selbstverständlich. Für die Legitimität einer rechtlichen Pflicht bedarf es noch eines davon unterschiedenen Rechtsprinzips (zutreffend Frisch, GA 2016, 127). Wer aber wie hier das moralische wie auch das rechtliche Prinzip auf die reine praktische Vernunft zurückführt und doch auf der Besonderheit des Rechts beharrt (methodisch auch Kühl, Solidarität, S. 98), kann davon ausgehen, dass Selbstzweckhaftigkeit dann ein Rechtsprinzip sein kann und muss, wenn es sich zur rechtlich-praktischen Vernunft erweitert und um eine rechtliche Dimension, nämlich die äußerliche Handlungsmöglichkeit ergänzt wird. 112  Kahlo, 113  Kahlo,



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 153

die Zuständigkeit der Ethik.114 Eine utilitaristische Begründung der Art, dass andere Personen mir in Notfällen ebenfalls helfen würden, mag ein zusätz­ liches Motiv zur Hilfeleistung liefern, lässt sich jedoch nicht in der gleichen Weise verallgemeinern wie das Gebot aus rechtlich-praktischer Vernunft.115 Weil diese Rechtspflicht zur Hilfeleistung ihren Grund in der rechtlichpraktischen Vernunft einer Person hat, bestimmt sie sich als eine originäre Pflicht einer Person; der zur Hilfe Verpflichtete bzw. der Normadressat ist daher keine Person, die schuldhaft an der Existenzbedrohung beteiligt ist, sondern jede Person, die um der selbständigen Existenz jeder Person willen zur Hilfeleistung fähig und der sie zumutbar ist.116 Bei dieser Pflicht handelt es sich um ein „abstrakt-fernstes“, „menschheitliches Rechtsverhältnis“.117 In einer rechtlich verfassten Gemeinschaft wird die Pflicht zur Gefahrenabwehr zwar in der Regel durch die Aufgabenteilung zwischen Bürgern und Staat den Aufgaben des Staates zugerechnet. Im Vergleich zum Einzelnen hat der Staat in einem Rechtszustand mehr Machtmittel zur Bewältigung dieser Aufgabe der Gefahrenabwehr. Diese Aufgabeverteilung ändert aber nichts daran, dass diese Hilfeleistungspflicht begründungstheoretisch ursprünglich die einzelne Person trifft. „[S]taatliche Daseinsvorsorge gilt bloß als deren institutionelle Verallgemeinerung.“118 Insbesondere wenn der Staat der ihm von den Bürgern übertragenen Pflicht zur Gefahrenabwehr nicht rechtzeitig nachkommen kann,119 ist der Einzelne zur Erfüllung seiner originären Pflicht bestellt.120 Aus den Ausführungen über die Selbständigkeit unter Personen Abgrenzung, S. 223. Dimensionen, S. 130. Neuerdings hat Frisch, GA 2016, 129 ebenfalls versucht, das rechtliche Gebot zur Hilfeleistung in fremder Notlage aus der Autonomie oder vernünftigen Entscheidung der Mitglieder der Solidargemeinschaft zu legitimieren. Das sei dann der Fall, wenn „diese an der hier nur noch durch das Handeln und Dulden einzelner Mitglieder erreichbaren Sicherheit interessiert sind und diese auch um den Preis der damit für sie selbst verbundenen Handlungs- und Duldungspflicht in entsprechenden Fällen wünschen“. Wenn die vernünftige Entscheidung nicht von dem „tatsächlich erklärten Willen“ bestimmt ist, sondern davon abhängen soll, „ob vernünftige Mitglieder der Solidargemeinschaft (‚vernünftigerweise‘) hätten zustimmen müssen“ (Frisch, ebd., Fn. 43), dann können nur diejenigen Mitglieder, die die eigene und fremde Existenz und daher das Gebot der rechtlich-praktischen Vernunft ernst nehmen, sich dafür interessieren. Frischs Ansatz ist somit nach dieser Interpretation mit dem hier vertretenen vergleichbar. 116  Beim Handlungssubjekt von § 323c StGB fehlt die Sonderverantwortlichkeit MK/Freund, § 323c Rn. 8. 117  Köhler, Dimensionen, S. 130. 118  Köhler, AT, S. 207. 119  Frisch, GA 2016, 127, 129. 120  Kahlo, Handlungsform, S. 300 f. A. A. Pawlik, GA 1995, 364; ders., Unrecht, S. 191, der auch in diesem Fall von einer Übertragung der staatlichen Aufgabe auf den Einzelnen als Verwaltungshelfer bzw. Repräsentant der Allgemeinheit ausgeht. 114  E. A. Wolff, 115  Köhler,

154 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

und über die grundsätzliche Aufgabe des Staats zur Gefahrenabwehr folgt, dass eine solche Hilfeleistungspflicht auf extreme Ausnahmefälle beschränkt sein muss,121 insbesondere wenn sich der Einzelne oder der Staat auf diese zufällige Existenzbedrohung kraft der ihm gewährten Handlungsmöglichkeiten nicht einstellen kann. Was die Handlungs- und Bewirkungsqualität der Unterlassung einer Hilfeleistung angeht, gilt Folgendes: Wenn der zur Hilfe Verpflichtete in freiem Entschluss seiner Pflicht zur Hilfeleistung nicht nachkommt und die Hilfeleistung unterlässt, entzieht er dem Hilfebedürftigen die Möglichkeit, weiter selbständig zu existieren, denn diese Möglichkeit wird durch die Gebotsnorm aus ursprünglicher Solidarität gewährleistet und ist auf das Handeln des Hilfepflichtigen angewiesen. Durch diese freie Entscheidung verschlechtert der Hilfepflichtige die rechtliche Position des Hilfebedürftigen und gestaltet auch das Anerkennungsverhältnis zu ihm. Die Entscheidung erlangt somit Handlungsqualität. Es ist hier aber zu erklären, dass diese Entscheidung zum Unterlassen nicht die konkret betroffenen Daseinselemente wie Leben oder körperliche Integrität verschlechtert. Ein eingetretener Körperverletzungs­ erfolg oder gar der Tod des Hilfsbedürftigen können daher nicht dem Unterlassenden zugerechnet werden. Denn der Hilfebedürftige bleibt in Hinblick auf ein betroffenes Daseinselement immer selbständig und der Hilfepflichtige hat auch nicht schuldhaft an dessen Beeinträchtigung teilgenommen bzw. hat dieses Element nicht zu garantieren. Vielmehr verschlechtert der Unterlassende das Teilhaberecht des Hilfebedürftigen,122 indem er die Rahmenbedingung für eine selbständige Existenz in der Rechtsgemeinschaft, die nur mittelbar auf Leben oder körperliche Integrität bezogen ist, nicht ermöglicht oder nicht aufrechterhält.123 Deshalb lässt sich das Unterlassen einer Hilfe121  Kahlo, Handlungsform, S. 300. Vgl. auch Duttge, FS-Schöch, S. 607 ff. mit weiteren Begründungen aufgrund normlogischer Unterscheidung zwischen Verbot und Gebot. 122  Klesczewski, BT, § 16 Rn. 7, wobei die unterlassene Hilfeleistung aber eher als ein Delikt gegen die Zivilgesellschaft gedeutet wird. Das Teilhaberecht ist freilich zunächst ein „subjektives Recht“ eines Menschen. 123  Kahlo, Handlungsform, S. 309, 329 bejaht in diesem Zusammenhang zwar ebenfalls die Gestaltung einer fremden Freiheit beim Unterlassen der Hilfeleistung, verneint aber die Verschlechterungswirkung solchen Unterlassens. Denn anscheinend ist Kahlo zufolge nur dann von einem Bewirken des Unterlassenden auszugehen, wenn sein Unterlassen sich als eine unmittelbare Verschlechterung des konkreten Daseinselements darstellt. Da nun die unterlassene Nothilfe nach Kahlo nur mittelbar auf das konkrete Daseinselement bezogen ist, fehlt es dabei an einem Bewirken oder einer Verschlechterung. Der Unterlassende habe die Situation nicht zum Schlechten, sondern nur nicht zum Guten des Hilfebedürftigen gewendet (Kahlo, Handlungsform, S. 330; E. A. Wolff, Kausalität, S. 44). Der Unterschied zwischen Kahlos Auffassung und der hier vertretenen ist aber eher gering und auf das unterschiedliche Verständnis des Bewirkens und seines Bezugsobjekts zurückzuführen. Auch hier wird davon aus-



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 155

leistung in einer die Existenz bedrohenden Notsituation rechtlich als Verletzung einer Rechtspflicht begründen. Ob diese Verletzung mit Strafe bedroht werden soll, hängt von der konkreten Gestalt einer Rechtsgemeinschaft ab.124 Je stärker der Einzelne aber von dem sozialen Interaktionsgeflecht abhängig ist, desto größere Bedeutung und Strafwürdigkeit erlangt die Verletzung dieser Rechtspflicht aus ursprünglicher Solidarität.125 d) Verletzung einer Pflicht aus „ursprünglicher Abhängigkeit“ eines Daseinselements von einer bestimmten Person: am Beispiel der Eltern-Kind-Beziehung Jenseits der Fälle, in denen ein Gebot zur Nothilfe ausnahmsweise in Betracht kommt, ist der Einzelne ebenfalls nicht absolut selbständig. Vielmehr ist der Einzelne bei seinem Selbstvollzug immer in bestimmten Freiheitsausschnitten auf die Hilfe der anderen und auf die anderen angewiesen.126 Mit den Entwicklungsphasen des freien Selbstseins in unterschiedlichen Rechtsverhältnissen zu anderen weist diese Selbständigkeit und Angewiesenheit verschiedenartige Qualität und Stärke auf. Wenn der Einzelne in einem bestimmten Rechtsverhältnis und in Hinblick auf ein bestimmtes Daseinselement von der praktischen Leistung einer Person so abhängig ist, dass allein durch die Verbotsnorm der Nichtvornahme einer Beeinträchtigungshandlung der Einzelne noch nicht in die Lage versetzt wird, mit diesem Daseinselement seine Freiheit zu entfalten und ein bewusstes Leben zu führen, ist um seiner Freiheit willen eine Gebotsnorm ergänzend zu setzen. Ein Prototyp für diese Abhängigkeit ist das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und ihrem kleinen Kind.127 Insbesondere kann das neugeborene Kind ohne die Ernährung und Fürsorge seiner Eltern nicht selbständig leben. Das Leben als ein Daseinselement des Kindes ist insoweit von der Ernährung seiner Eltern fast absolut abhängig. Wenn die Eltern zwar das Kind nicht aktiv mit dem Messer töten, es aber verhungern lassen, bleibt das Leben des gegangen, dass das konkrete Daseinselement nicht unmittelbar von dem Unterlassen betroffen ist. Das Bezugsobjekt der Verschlechterung bzw. des Bewirkens wird hier freilich in dem Teilhaberecht auf selbständige Existenz gesehen. 124  Frisch, GA 2016, 129; Murmann, Selbstverantwortung, S. 210. 125  E. A. Wolff, Kausalität, S. 44. 126  Kahlo, Handlungsform, S. 251; Zaczyk, Selbstsein und Recht, S. 62. 127  Grundlegend E. A. Wolff, Kausalität, S. 40. A. A. Kleinherne, Garantenstellung, S. 185, der in diesem Garantieverhältnis gerade einen Ausnahmecharakter konstatiert und entsprechend annimmt, dass eine daraus folgende Abhängigkeitsthese nicht verallgemeinert werden könne. Dass dies nicht der Fall ist, wird im Zuge der folgenden Konkretisierung und Systematisierung verschiedener Arten von Abhängigkeit beleuchten.

156 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Kindes nicht aufrechterhalten. Zur Aufrechterhaltung des Lebens bedarf es neben der Verbotsnorm der Tötung unerlässlich einer Gebotsnorm, die die Eltern zur Ernährung und zu weiterer notwendiger Fürsorge verpflichtet. Diese Abhängigkeit des Lebens des Kindes von seinen Eltern als Grund der Gebotsnorm wird hier als „ursprüngliche“ Abhängigkeit bezeichnet, d. h. sie muss vor dem Ausbruch der tatbestandsmäßigen Gefahr bestehen und nicht erst danach hinzukommen.128 Nur wenn ein Daseinselement des Opfers schon vor dem Ausbruch der Gefahr für dieses Element auf das Handeln eines Anderen angewiesen ist, erlangt die Entscheidung des anderen die Macht, das Daseinselement des Abhängigen negativ zu gestalten.129 Wann eine ur128  E. A. Wolff, Kausalität, S. 37. Zutreffende Interpretation, aber das Kriterium von der ursprünglichen Abhängigkeitsbeziehung kritisch ablehnend Sangenstedt, Garantenstellung, S. 241. In Hinblick auf die zeitliche Dimension kann man auch von einer „vorgängigen“ oder in der Sache noch besser von einer „prästabilierten“ Abhängigkeit sprechen, da eine solche Abhängigkeit vorher in einer sozialen Wirklichkeit festgelegt wird. 129  Auch wenn die Eltern sich letztendlich zugunsten des Kindes zur Ernährung entschließen, leisten sie nur, was das Kind zu seinem „normalen“ Leben benötigt, nämlich was ihm von der (Garantengebots-)Norm (bestimmungsgemäß!) gewährleistet wird. Die Eltern haben mit der Ernährung ihres Kindes nur ihre Pflicht getan, nicht darüber hinaus dem Kind „Vergünstigungen gewährt“, wie die Alltagssprache meinen könnte. Dazu E. A. Wolff, Kausalität, S. 37. Wenn E. A. Wolff betont, dass die Ernährungshandlung nicht eine besondere Vergünstigung für das Kind, sondern nur die Aufrechthaltung seines normalen Lebens ist, dann zielt er auf eine Begründung dafür ab, dass die pflichtwidrige Nichternährung seitens der Eltern nicht ledig als Nichtvergünstigung, sondern als Verschlechterung des Lebens des Kindes anzusehen ist. Das entscheidende Kriterium für diese Verschlechterungsbewirkung ist aber die ursprüngliche Abhängigkeit, nicht der Inhalt und Umfang des normalen Lebens des Kindes. Ob eine Rettungshandlung dem normalen Leben des Kindes dient, hängt davon ab, ob eine ursprüngliche Abhängigkeit zwischen dem Kind und dem diese Rettungshandlung Vornehmenden besteht. Die Ernährung durch einen zufällig vorbeigehenden Passanten trägt nicht zum normalen Leben des Kindes bei, sondern ist wohl eine „Vergünstigung“ im Hinblick auf das Leben des Kindes, denn vor der Ernährung durch den Passanten liegt keine ursprüngliche Abhängigkeit zwischen beiden vor. Auf der Basis von E. A. Wolffs Begründungen ist das hier gemeinte normale Leben gerade keine Lebensform mit bestimmtem Inhalt (missverstanden von Kleinherne, Garantenstellung, S. 184), und man kann nicht davon ausgehen, dass „das normale Leben“ ein (Sub-)Kriterium zur Beurteilung der Garantenstellung und das normale Leben nur auf die Umstände beschränkt wäre, in denen die Erfolgsverhinderungshandlung, z. B. die Ernährung seitens der Eltern zuvor bereits dauerhaft vorgenommen wird und zum alltäglichen Leben des Opfers oder „normalen sozialen Ablauf“ geworden ist (insoweit mit irreführender Kritik Schünemann, Grund und Grenzen, S. 95 ff.; wiederum zutreffende Akzentuierung des Abhängigkeitskriteriums aber S. 98). Diese Beschränkung hat E. A. Wolff selbst nicht erwähnt und wird auch seiner These nicht gerecht, denn mag diese dauerhafte Ernährung auch ein starkes Indiz dieser Abhängigkeit sein, ist bei E. A. Wolff doch die rechtliche Bestimmtheit dieser Abhängigkeit entscheidend. Auch wenn eine Erfolgsverhinderungshandlung, z. B. das Zurückhalten



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 157

sprüngliche Abhängigkeit als solche vorliegt, wird zunächst vom konkreten Inhalt des Rechtsverhältnisses zwischen den Betroffenen bestimmt und dann von der Rechtsordnung bestätigt. In einer liberalen Rechtsordnung etwa ist das Leben oder Wohl des Kindes in der Regel von Geburt an den es freiwillig erzeugenden Eltern anvertraut und nicht dem Staat oder anderen (Art. 6 Abs. 2 GG). Ein Nachbar, der das Kind seines Nachbarn verhungern lässt, verletzt das Leben des Kindes nicht, da das Kind vor dem Ausbruch der Gefahr des Verhungerns nicht ihm anvertraut war und somit keine ursprüngliche Abhängigkeit zwischen dem Nachbarn und dem Kind vorliegt. Der Nachbar betätigt sich nur nicht zum Guten des Kindes. Das verhält sich aber anders in der Eltern-Kind-Beziehung. Da bei der Entscheidung zum Unterlassen die Lebensmöglichkeit des Kindes noch offensteht und das Leben des Kindes bereits vor dem Ausbruch der Gefahr des Verhungerns den Eltern „anvertraut“ ist und notwendig mit ihrer Entscheidung verbunden ist, treffen die Eltern nicht nur eine Entscheidung für oder gegen eine Ernährungs- oder Fürsorgehandlung, sondern bestimmen zugleich über das Leben des Kindes. Entschließen sich die Eltern etwa zum Verhungernlassen des Kindes, entziehen sie dem Kind die Möglichkeit zum Leben und verschlechtern ihr Rechtsverhältnis zum Kind. Das Verhungernlassen des Kindes ist somit auch mit der tätigen Tötung des Kindes durch ein Messer vergleichbar, denn auch hier entziehen die Eltern dem Kind die Lebensmöglichkeit. Aus der Sicht des Kindes, aber auch aus der Sicht der Eltern handelt es sich nur um verschiedene Handlungs- oder Bewirkungsweisen der Rechtsverhältnisverletzung. Weil das Thema des vorliegenden Beitrags nur auf die Beteilgiung durch Garantenunterlassen beschränkt und das urspüngliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Opfenr und dem Unterlassenden wiederum den materiellen Entstehungsgrund für die Garantenstellung darstellt, ist es notwendig, dieses Abhängigkeitsverhältnis straftheoretisch genauer zu konturieren und gegen Einwände zu verteidigen. Dies wird im folgenden Abschnitt III. untergenommen. e) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich zu den Handlungsstrukturen des Unterlassens Folgendes feststellen: Ein Unterlassen ist eine freie Entscheidung für oder gegen eine Norm, und das Bewirken des Unterlassens liegt in der Förderung oder Verletzung eines Rechtsverhältnisses zum Anderen. Bei der Rechtsverhältnisverletzung trifft der Unterlassende eine Entscheidung gegen die Gedes Kindes von einer gefährlichen Substanz, vorher noch nie von den Eltern ausgeführt worden ist, sind sie demnach wegen der von der Rechtsordnung ausdrücklich oder impliziert bestimmten Abhängigkeit dazu verpflichtet.

158 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

botsnorm, die entweder aus der ursprünglichen Solidarität zwischen Menschen oder aus der ursprünglichen Abhängigkeit eines konkreten Daseinselements abgeleitet wird. Ein pflichtwidriges Unterlassen ist somit nicht nur eine Norm- oder Pflichtverletzung, auch nicht einfach eine Nichtvornahme einer gebotenen Handlung, sondern entzieht dem Opfer die von der Gebotsnorm gewährleistete Handlungsmöglichkeit. Die Verletzungsmacht besteht daher nicht lediglich in der Nichtverhinderung eines Erfolgs, sondern bestimmt sich danach, was die Gebotsnorm dem Opfer inwieweit gewährleistet, und dies wiederum hängt von den konkreten Inhalten des Rechtsverhältnisses zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer ab. Anders als bei der Verletzung einer Pflicht zur Nothilfe aus ursprünglicher Solidarität, bei der der Normadressat jedermann ist, dem die Nothilfe möglich und zumutbar ist, und bei der nur das allgemeine Teilhaberecht des Opfers verletzt wird, ist bei Verletzung einer Pflicht aus der ursprünglichen Abhängigkeit nur derjenige der Normadressat, auf dessen Handeln ein bestimmtes Daseinselement wie Leben oder Eigentum des Opfers angewiesen ist. Darüber hinaus verletzt der Unterlassende bei Letzterer auch das konkrete Daseinsmoment des Opfers, seine Verletzungsmacht kann deshalb mit der positiven Beeinträchtigung gleichwertig sein und fällt schwerer ins Gewicht als bei demjenigen, der eine Nothilfe unterlässt. Das über die unterschied­ lichen Handlungsstrukturen bei der Pflichtverletzung gegen Gebotsnormen Ausgeführte entspricht der strafrechtlichen Unterscheidung zwischen dem echten und dem unechten Unterlassungsdelikt. Da nur das unechte Unterlassungsdelikt den Hauptgegenstand dieser Arbeit bildet, steht es in den folgenden Ausführungen im Vordergrund.

II. Straftheoretische Einführungsbemerkung zum Strafgrund des unechten Unterlassungsdelikts Nachdem die Handlungsstrukturen des pflichtwidrigen Unterlassens erklärt worden sind, ist es nun auch möglich, den Strafgrund des begehungsgleichen Garantenunterlassungsdelikts anzugeben: Wenn ein bestimmtes Daseinselement des Opfers als Rechtsgut von der positiven Leistung des Unterlassenden abhängig ist, bedarf es einer Verhaltensnorm in Gestalt einer Gebotsnorm, die den Unterlassenden zur Gewährleistung des Rechtsguts motivieren soll. Die aus dieser Gebotsnorm resultierende Pflicht präsentiert sich strafrechtlich als Garantenpflicht, deren Zweck in der Verwirklichung der Freiheit des Opfers besteht.130 Verletzt der Unterlassende (Garant) die aus dieser Verhaltens130  Köhler, AT, S.  210 f.; Murmann, GK, § 29 Rn. 34. Daraus ergibt sich zugleich, dass eine Garantenstellung dann nicht begründet werden kann, wenn das Opfer selbstbestimmt eine Entscheidung gegen das ihm verfügbare Rechtsgut getroffen hat.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 159

norm abgeleitete Pflicht (Garantenpflicht) durch Unterlassen, verschlechtert er dieses von der Verhaltensnorm gewährleistete Rechtsgut und gestaltet das rechtliche Rechtsverhältnis zum unrechten um. Da sich in der Verschlechterung der Rechtslage des Opfers eine wirkliche Verletzungsmacht in diesem Rechtsverhältnis erblicken lässt, darf man annehmen, dass ein garantenpflichtwidriges Unterlassen auch eine Verhaltensnorm übertritt und somit ein rechtlich missbilligtes Risiko für das garantierte Rechtsgut des Opfers geschaffen hat.131 Der Angelpunkt, der es erlaubt, die Verletzungsmacht eines Garantenunterlassungsdelikts mit der eines positiven Tuns gleichzustellen, ist handlungsstrukturell die ursprüngliche Abhängigkeit eines bestimmten Daseinselements von einer Person. Diese ursprüngliche Abhängigkeit liefert dann einen Grund für eine mit der Verbotsnorm vergleichbare, in § 13 Abs. 1 StGB geregelte Gebotsnorm, für ein bestimmtes Daseinselement rechtlich einzustehen, und versteht sich dann strafrechtlich als Entstehungsgrund für die Garantenstellung und eine daraus entspringende Garantenpflicht.132

III. Ursprüngliche Abhängigkeit als Entstehungsgrund der Garantenstellung 1. Weitere Bestimmungen einer rechtlich ursprünglichen Abhängigkeit Weil § 13 Abs. 1 StGB ein „rechtliches“ Einstehenmüssen ausdrücklich fordert, muss diese ursprüngliche Abhängigkeit eine rechtliche Qualität aufweisen. Es muss erstens um die äußere Handlungskoordination zwischen Menschen gehen. Eine moralisch oder sittlich begründete Abhängigkeit reicht dafür nicht aus.133 Zweitens bezeichnet diese Abhängigkeit auf den ersten Blick zwar eine faktische Wirklichkeit, sie soll aber zu einer rechtlich bestimmten Abhängigkeit werden, denn aus dem schlichten Faktischen folgt nicht Normatives oder Rechtliches. Jedes Faktum muss zur Vermeidung dieses naturalistischen Fehlschlusses eine rechtliche Relevanz besitzen. Der BGH (BGH NJW 2019, 3089, 3092 Rn. 34) hat nunmehr auch eine ärztliche Garantenpflicht des Arztes zur Lebensrettung bei selbstverantwortlichem Suizid zutreffend verneint. 131  Frisch, Verhalten, S. 70 ff., 378 Fn. 556. 132  Grundlegend E. A. Wolff, Kausalität, S. 36 ff.; zust. Kahlo, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S.  312 f.; ders., Handlungsform, S. 250 f.; Köhler, AT, S.  210 f.; Murmann, Nebentäterschaft, S. 220 f.; ders., GK, § 29 Rn. 34 zusätzlich mit dem Gedanken der Herrschaft; Zaczyk, FS-Rudolphi, S. 367 f. Nahestehend Welp, Vorangegangenes Tun, S.  177 ff.; Maiwald, JuS 1981, 474, 476; Kühl, AT, § 18 Rn. 4. 133  Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 52; Ransiek, JuS 2010, 587.

160 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Die hier vertretene Auffassung der ursprünglichen Abhängigkeit kann diese beiden Ansprüche ohne Schwierigkeit erfüllen. Zum einen handelt es sich bei dieser Abhängigkeit um Daseinselemente, die Personen zur Entfaltung ihrer äußerlichen Freiheit benötigen und die zum Rechtsbereich gehören. Zum anderen wird die Rechtsqualität der Abhängigkeit explizit von Gesetzen wie denen zur Eltern-Kind-Beziehung oder implizit von der Rechtsordnung insgesamt134 bestimmt oder anerkannt; sie ist dann „rechtsför­mig“.135 Auch wenn eine Abhängigkeitswirklichkeit vom Recht anerkannt wird, löst sie freilich nicht selbstverständlich eine strafrechtliche Garantenpflicht aus.136 Die zivilrechtlich oder verwaltungsrechtlich begründete Rechtspflicht kann etwa nicht ohne weiteres zur strafrechtlichen Pflicht aufgewertet werden.137 Ob eine dadurch begründete rechtliche Abhängigkeit und die Rechtspflicht bei deren Verletzung auch mit Strafe bewehrt werden soll, bleibt zunächst noch offen und hängt noch von Überlegungen zur Strafwürdigkeit ab. Entscheidend ist erstens, dass die betroffenen Normen nicht nur eine Ordnungsvorschrift sind, sondern einem bestimmten Daseinselement dienen, das für ein selbständiges Leben unerlässlich ist, und zweitens, dass der Schützling als eine Person betrachtet wird, „die sich auf die Gefahr für ihr Strafrechtsgut aus eigener Kraft nicht einzustellen vermag und deren Lage nach dem Strukturgesetz wechselbezüglich-äußerer Freiheit in rechtsförmig verfestigter Form auf die ursprüngliche Verantwortung einer bestimmten Mit-Person (Garant) und deren Rettungstätigkeit verweist, so dass die Etablierung des rechtlichen gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses derartige Tätigkeit fordert.“138 Kausalität, S. 38. Handlungsform, S. 253. Zur Notwendigkeit einer formalen, sich an Rechtsgesetzen orientierenden Betrachtungsweise auch Jescheck/Weigend, AT, S. 621; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 8. 136  Wenn umgekehrt das Rechtsgut zwar dem Unterlassenden anvertraut wird, die Rechtsordnung die Fähigkeit des Unterlassenden, sich um das Rechtsgut des Opfers zu kümmern, verneint, etwa wenn der unterlassende Vertragspartner eines Vertrags ein rechtsunfähiger ist, entsteht auch keine „rechtliche“ ursprüngliche Abhängigkeit und keine Garantenstellung. In Hinblick auf die zivilrechtliche Wirksamkeit eines Vertrags mit weiteren Differenzen Köhler, AT, S. 218; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 107. Ein Zurückgehen zur formellen Rechtspflicht kann nicht gemeint sein, denn die faktische Übernahme einer Aufgabe bleibt eine Voraussetzung für Entstehung einer Garantenpflicht. 137  E. A. Wolff, Kausalität, S. 40 Fn. 18. Wenn umgekehrt in der zugehörigen primären Norm keine Pflicht zur Tätigkeit enthalten ist, entfällt wegen der Akzessorietät des Strafrechts als sekundärer Norm eine Pflicht als solche. Es gibt in dieser Hinsicht keine originäre Strafrechtspflicht; jede Strafrechtspflicht, auch die Pflicht in §§ 138, 323c StGB, setzt eine vorstrafrechtliche Verhaltensnorm voraus. A. A. Schünemann, Grund und Grenzen, S. 100; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 240. 138  Kahlo, Handlungsform, S. 257 (Hervorhebung im Original). Die Kritik von Sangenstedt, Garantenstellung, S. 242, dass eine Herleitung der rechtlichen Abhän134  E. A. Wolff, 135  Kahlo,



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 161

2. Erwiderung auf Einwände gegen den Abhängigkeitsgedanken Der hier vertretene Gedanke der ursprünglichen Abhängigkeit erfährt in der Literatur freilich heftige Kritik. Deshalb lohnt es sich, hier auf die wichtigsten Kritiken einzugehen, um die durch diese Kritiken ausgelösten Missverständnisse zu beseitigen und den Abhängigkeitsgedanken zu verdeutlichen. Unter den Kritiken ist die von Schünemann am grundlegendsten und wird von vielen anderen Autoren für überzeugend gehalten. Schünemann hat zunächst konstatiert, E. A. Wolff ziele auf „die Herausarbeitung der ontischen Struktur“ ab und wolle „die seinsmäßigen Bedingungen der Unterlassungskausalität finden“.139 Da aber nach Wolffs Auffassung „eine sozial-faktisch verstandene Abhängigkeit“ zur Begründung einer Garantenstellung gerade nicht ausreichend sei, sondern diese eine „besondere Rechtspflicht“ erfordere, verrate er damit sein Grundanliegen, „die Handlungsäquivalenz der Unterlassung durch eine Aufdeckung ihrer ontischen Befindlichkeit nachzuweisen.“ „Mit der Rechtspflicht gerät ihm unter der Hand ein normatives Kriterium in seine ontologische Analyse …“140 Diese Kritik einer methodischen Inkonsequenz wird dem hier angenommenen Verständnis von Ontologie, dem zufolge Sein und Sollen sich in einer Welt vereinigen, nicht gerecht. Wenn die ontologischen Handlungsstrukturen sowohl beim Tun als auch beim Unterlassen nicht einfach als ein naturhaftes Faktum missverstanden werden, sondern notwendig die Norm als ein Konstitutionsmoment der Handlung einbeziehen und immer auf das interpersonale Rechtsverhältnis bezogen sind, dann ist die Berücksichtigung einer „besonderen Rechtspflicht“ auf der Basis von die Normativität einbeziehenden (ontologischen) Handlungsstrukturen nicht selbstwidersprüchlich, sondern konsequent und notwendig. Das Erfordernis der „Rechtsförmigkeit“ bzw. „Rechtsanerkennung“ einer sozialen Wirklichkeit entspricht auch der rechtsphilosophischen Grundannahme, dass ein Rechtsverhältnis zwischen Personen und eine daraus abgeleitete Verhaltensnorm zwar im Naturzustand bereits bestehen, aber erst im Rechtszustand durch die Rechtsordnung und ihre Institutionen gefestigt wer­ den.141

gigkeit aus der Rechtsordnung als ganzer nicht berücksichtige, dass die zivil- und verwaltungsrechtliche Bewertung für die Strafrechtsordnung prinzipiell kein Präjudiz bedeute, verkennt somit die hier angebotenen Kriterien zur Beurteilung der Strafwürdigkeit eines (von anderen Rechtsbereich anerkannten) Unterlassens. 139  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 102. 140  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 103. 141  Kahlo, Handlungsform, S. 227.

162 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Gerade aufgrund des Kriteriums der „Rechtsförmigkeit“ bzw. aufgrund dessen, dass die ursprüngliche Abhängigkeit und das Bewirken durch Unterlassen eine metastrafrechtliche Rechtspflicht voraussetzen, diagnostizieren manche Kritiker eine Annäherung an die vielfach kritisierte formelle Rechtspflichtlehre, in der Garantenstellungen aus einer formellen Rechtspflicht, d. h. aus Gesetz, Vertrag oder Ingerenz abgeleitet werden.142 Diese Kritik operiert aber nur mit der halben Wahrheit. Vor allem übersieht sie, dass hier anders als in der formellen Rechtspflichtlehre methodisch versucht wird, aus den bestimmten interpersonalen Sozialbeziehungen und den daraus ermittelten ontologischen Handlungsstrukturen des unechten Unterlassungsdelikts die Garantenstellung materiell zu begründen, und dass die Rechtsförmigkeit oder Rechtsanerkennung in dieser Hinsicht dieser Beziehung ihre genuine Rechtlichkeit nur verleiht, diese also keineswegs ersetzt. Das hat die wichtige Folge, dass die Garantenstellung nicht einfach unter Berufung auf ein Gesetz oder Gewohnheitsrechts begründet werden kann, sondern gedanklich zunächst eine Abhängigkeit in Hinblick auf ein bestimmtes Daseinsmoment und dessen Verschlechterungswirkung zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer voraussetzt. Wenn das Opfer etwa selbstbestimmt eine negative Entscheidung gegen ein ihm verfügbares Rechtsgut getroffen hat, entfällt auch eine mögliche Garantenpflicht aus Gesetz bzw. Vertrag. Die Kritik verkennt also die freiheitliche und somit materielle Begründung einer Garantenstellung und Garantenpflicht. Da eine ursprüngliche Abhängigkeit zunächst durch die freie Gestaltung zwischen Personen zustande kommt und erst danach durch die Rechtsordnung als rechtliche Abhängigkeitsbeziehung bestätigt wird, ist eine rechtliche ursprüngliche Abhängigkeit nicht völlig durch die rechtlich vorgesehene Rechtspflicht bestimmt und daraus abgeleitet;143 eine Petitio Principii bei der Bestimmung der Abhängigkeit liegt somit nicht vor. Schließlich wird gegen die Theorie der ursprünglichen Abhängigkeit eingewandt, dass sie eine vage Kontur habe und wegen ihres Blankettcharakters nicht zur Rechtsfindung geeignet sei.144 Es sei eingestanden, dass die hier vertretene Auffassung der ursprünglichen Abhängigkeit zwar einen monistischen Entstehungsgrund für die Garantenstellungen beansprucht, dieser aber gewissermaßen abstrakt bleibt und weiterer Konkretisierung in verschiedenen Rechtsverhältnissen bedarf. Man kann aber diese Auffassung nicht allein wegen ihrer Abstraktheit insgesamt in Frage stellen. Denn als eine Erklärung 142  Zu dieser Kritik Schünemann, Grund und Grenzen, S. 98, 100: „Wolffs recht­ liches Abhängigkeitsverhältnis ist insofern [sc. Forderung einer formellen Rechtspflicht] nur eine Paraphrase.“ 143  Entgegen der Einschätzung von Schünemann, Grund und Grenzen, S. 99. 144  Sangenstedt, Garantenstellung, S. 240, 242; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 95, 101; Coelln, Einstehenmüssen, S. 95.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 163

für den Entstehungsgrund der Garantenpflichten zielt sie von vornherein nicht auf eine Formel ab, mit deren Hilfe jede mögliche Garantenstellung im Einzelfall ohne weiteres deduziert werden könnte. Eine solche allgemeingültige Formel gibt es auch deshalb nicht, weil sich notwendig erst im Einzelfall anhand der konkreten Beschaffenheit des Rechtsverhältnisses zwischen dem Garanten und dem Opfer bestimmen lässt, wann eine ursprüngliche Abhängigkeit vorliegt. Darüber hinaus sind die Umstände, die die ursprüngliche Abhängigkeit auslösen, gerade vielfältig. Der Begriff der rechtlich ursprünglichen Abhängigkeit ist somit ein offener Begriff, dessen konkreter Inhalt erst durch verschiedene Erscheinungsformen des Abhängigkeitsverhältnisses verdeutlicht werden kann.

IV. Vielfältigkeit der „rechtlich ursprünglichen“ Abhängigkeitsverhältnisse Schünemanns Kritik gibt jedoch Anlass dazu, den Begriff der rechtlich ursprünglichen Abhängigkeit durch verschiedene Typen von Abhängigkeitsverhältnissen zu verdeutlichen. Hierbei hilft die traditionelle Unterteilung aus der sog. Funktionslehre, wonach der Beschützergarant zum Schutz eines Rechtsguts gegen alle Angriffe „auf Posten gestellt“ sei, während der Überwachungsgarant zur Überwachung einer bestimmten Gefahrquelle verpflichtet sei, unabhängig davon, welche konkrete Rechtsgüter von dieser Gefahr betroffen seien145, nicht weiter. Denn die Unterteilung beschreibt nur die Schutzrichtung einer einzelnen Garantenpflicht und erfolgt nicht nach den materiellen Entstehungsgründen, sondern setzt sie bereits voraus.146 Sinnvoller wird diese Unterteilung hingegen, wenn sie um eine materielle Dimension von „rechtlicher ursprünglicher Abhängigkeit“ ergänzt wird. Dementsprechend werden diese vielfältigen Abhängigkeitsverhältnisse in die „ursprüngliche Abhängigkeit aus der einseitigen oder gegenseitigen Übernahme der Schutzfunktion“ und in die „ursprüngliche Abhängigkeit aus der einseitigen Risikoschaffung“ unterteilt. Dabei steht die Garantenpflicht zur Verhinderung einer fremden Straftat im Vordergrund, da die Beteiligung durch Unterlassen gedanklich eine solche Garantenpflicht voraussetzt. 145  Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 283 f. Zur Aufnahme der Funktionslehre als Zweiteilung der Entstehungsgründe der Garantenstellung Jescheck/Weigend, AT, S.  621 ff., 624 ff.; Kühl, AT, § 18 Rn. 46 f.; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 46 Rn. 40 f. Sich an dieser Zweiteilung orientierend auch BGHSt 48, 77, 91 f., relativierend aber BGHSt 54, 44, 48. 146  Jakobs, AT, §  29 Rn. 27; ferner Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 56; LK13/Weigend, § 13 Rn. 22; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 52; Pawlik, ZStW 111 (1999), 339; Ransiek, JuS 2010, 587; Schönke/Shröder/Bosch, § 13 Rn. 9; Roxin, AT II, § 32 Rn. 22.

164 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Bevor auf diese Typen eingegangen wird, ist zunächst eines festzustellen: Die Gründe dieser Abhängigkeitsverhältnisse sind zwar vielfältig, aber sie müssen jedenfalls als eine autonome Selbstverpflichtung des Garanten interpretiert werden. Denn alle Verhaltensnormen und Rechtspflichten, daher auch die Garantenpflicht, sind nur dann dem Verpflichteten gegenüber legitim, wenn sie ihren letzten Grund im dessen vernünftiger Subjektivität haben. 1. Ursprüngliche Abhängigkeit aus der einseitigen oder gegenseitigen Übernahme der Schutzfunktion a) Eltern-Kind-Verhältnis und andere autonom begründete familienähnliche Rechtsverhältnisse So kann das Abhängigkeitsverhältnis zunächst als „originäre Form“ in der Familie oder den familienähnlichen interpersonalen Beziehungen bestehen. Das Dasein des neugeborenen Kinds ist wegen seiner konstitutionellen Unfähigkeit ursprünglich auf seine Eltern angewiesen. Die Kehrseite der autonomen Übernahme der Elternrolle ist gerade die Fürsorge, diese Schwäche des Kindes auszugleichen.147 Ehepartner können sich durch konkludente Vereinbarung zum dauerhaften gemeinsamen Leben verpflichten und die Verantwortung für die Integrität der bestimmten Freiheitssphäre des anderen freiwillig übernehmen.148 Aufgrund dieser autonomen Gestaltung der Betroffe147  Zum Gedanken der Selbstverpflichtung LK13/Weigend, § 13 Rn. 25; ähnlich von Coelln, Einstehenmüssen, S. 196. Die autonome Übernahme der Elternrolle wird insbesondere damit begründet, dass sie das Kind freiwillig „ins Leben gerufen“ (Freund, Erfolgsdelikt, S. 249, 273; Kühl, AT, § 18 Rn. 49) oder adopiert haben. Beim Opfer einer Vergewaltigung dürfte der Gedanke der Selbstverpflichtung aber fragwürdig sein. Es fehlt hier ein freiwilliger und aktiver Eintritt des Opfers in die Elternrolle, das vergewaltigte Opfer setzte sich vielmehr passiv einem Unrecht aus (Freund, Erfolgsdelikt, S. 274). Gleichwohl lässt sich die Selbstverpflichtung des vergewaltigten Opfers begründen, wenn das Opfer die rechtlichen „Auswege“ bewusst nicht wahrnahm und gleichsam die Pflichtstellung der Eltern „in Kauf nahm“, etwa bereits während der Schwangerschaft die rechtliche Möglichkeit der Abtreibung bewusst nicht in Anspruch nahm bzw. das Kind nicht „sofort nach der Geburt in ein Pflegschaftsverhältnis [gab] oder zu einer Adoption [freigab]“. Zitat bei Freund, Erfolgsdelikt, S. 275. 148  Zu einer privatautonomen Begründung einer wirklichen Familienbeziehung durch gegenseitige Übernahme der Schutzpflicht Köhler, AT, S. 216; LK13/Weigend, § 13 Rn. 28; Roxin, AT II, § 32 Rn. 45. Nicht überzeugend ist die Ableitung der Garantenstellung der Ehepartner aus der formellen Institution der Ehe, wie Jakobs, AT, § 29 Rn. 58, 63, denn entscheidend für eine Garantenstellung, die der Freiheit einer Person dienen soll, ist nur die Freiheit der einzelnen Person durch seine autonome Entscheidung, nicht aber der Bestand einer Institution der Ehe (so aber Jakobs, AT, § 29 Rn. 58), auch wenn diese Institution für die Verwirklichung der Freiheit des Einzelnen unerlässlich ist. Dazu Köhler, AT, S. 216 f. Kurz: Die Institution kann nur



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 165

nen darf der Schützling davon ausgehen, dass der Verpflichtete in einem Notfall auch zu seinen Gunsten handeln wird. Dieses normativ berechtigte Vertrauen kennzeichnet bereits eine normative Abhängigkeit.149 Ob der Schützling rechtlich selbstverantwortlich bleibt150 oder tatsächlich auf andere Schutzmaßnahmen verzichtet und sich sein Schutzpotenzial dadurch verringert, spielt für die Begründung der Garantenstellung keine Rolle.151 Wenn der Unterlassende das bestimmte Rechtsgut des Abhängigen zu garantieren hat, dann stellt eine fremde Straftat gegen den Abhängigen eine Gefahr für die Integrität des Rechtsguts dar, die der Garant abzuwehren verpflichtet ist. Die Eltern haben etwa das Kind vor einem fremden Angriff zu schützen. Gleiches gilt auch für Ehepartner, solange sie einander bestimmte Rechts­ güter konkludent gegenseitig anvertraut haben.152 b) Übernahme der Schutzfunktion in der bürgerlichen Gesellschaft Verglichen mit den familienähnlichen Beziehungen sind die interpersonalen Rechtsverhältnisse in der weiter gefassten Gesellschaftssphäre durch schwächere Beziehungen geprägt und die Gefahren, denen sich eine Rechtsperson aussetzt, sind vielfältiger. Der Umgang mit solchen der Freiheit drohenden Gefahren steht wegen der Selbständigkeit der Person grundsätzlich um der Freiheit des Einzelnen willen, nicht aber davon unabhängig bestehen. Eine Vollständigkeit der Institution der Ehe gegenüber der freien Entscheidung eines Einzelnen würde unvermeidlich dazu führen, dass, auch wenn die Ehe zwar rechtlich gültig, aber faktisch zerstört ist, noch eine Garantenstellung der Ehepartner vorläge, dann aber eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB in Betracht käme (so Jakobs, AT, § 29 Rn. 125). Wer aber wie hier für die Garantenstellung der Ehepartner auf eine autonome Übernahme abstellt, muss in diesem Fall mangels eines selbstbestimmten Entschlusses zum Zusammenleben die Garantenstellung verneinen. Zutreffend Roxin, Strafmilderung, S. 275; Vogel, Norm, S. 144. 149  Wohl auch Murmann, GK, § 29 Rn. 34 Fn. 67; Rn. 38. Das Vertrauen des Opfers kann nur als normativ, nicht als bloß psychologisch berechtigtes Vertrauen verstanden werden. Jedoch begründet das „Vertrauendürfen“ für sich genommen noch nicht die Garantenpflicht (so aber wohl E. A. Wolff, Kausalität, S. 40 f.; vgl. auch Perdomo-Torres, Garantenpflichten aus Vertrautheit, S. 107 ff., 153 ff.), denn das Vertrauen ist nur der Reflex einer anderen materiellen Begründung, hier z. B. der gegenseitigen Übernahme der Schutzfunktion zwischen Beteiligten. Zum Vertrauen als einer unselbständigen Begründung auch Schünemann, Grund und Grenzen, S. 251; Coelln, Einstehenmüssen, S. 96 Fn. 56; Vogel, Norm, S. 346. 150  Bei Ehepartnern handelt es sich um die „selbstgesetzte Verantwortungsverteilung“. Freund, Erfolgsdelikt, S. 289; Kühl, AT, § 18 Rn. 56. A. A. Gallas, Studien, S. 92: keine gegenseitige Abhängigkeit zwischen Ehepartnern. 151  A. A. Luzón Peña, GA 2016, S. 281, der davon ausgeht, dass grundsätzlich nur eine völlige Hilflosigkeit des Rechtsguts eine Garantenstellung begründen könne. 152  In Betracht kommende Rechtsgüter sind Leben, Leib, Freiheit, Eigentum und Vermögen, Kühl, AT, § 18 Rn. 59.

166 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

dem Einzelnen selbst zu. Er kann aber andere heranziehen und diesen durch (konkludente) Vereinbarung einen Teil der Freiheitssphäre anvertrauen. Dadurch wird die Integrität dieser Freiheitssphäre von der Person abhängig, der sie anvertraut wurde. Entscheidend ist hierbei die faktische Übernahme,153 die dazu führt, dass für das Opfer normativ eine schutzbedürftige Rechtsstellung im Sinne eins ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses geschaffen wird. Wenn etwa der Bergführer nicht zum vereinbarten Zeitpunkt am vereinbarten Ort erscheint und der Bergsteiger trotzdem klettert, ist der Berg­ führer kein Garant für das Ausbleiben des Todeserfolgs eines Bergsteigers während des Bergsteigens, da der Bergsteiger dem Bergführer das Rechtsgut noch nicht übergeben hat. Dies findet erst dann statt, wenn der Bergführer in die übernommene Aufgabe eintritt.154 Gleiches gilt auch für einen Babysitter, der sich dem Vertrag mit den Eltern gemäß in einem bestimmten Zeitabschnitt um das Kind kümmern soll. Trifft der Babysitter nicht ein, bleibt das Rechtsgut des Kindes noch den Eltern anvertraut und die Eltern dürfen in diesem Fall nicht einfach das Kind in der Erwartung verlassen, dass der Babysitter kurz nach ihrem Weggang eintreffen werde.155 Nach verbreiteter Auffassung156 kann nur dann von einem Abhängigkeitsverhältnis durch tatsächliche Übernahme die Rede sein, wenn sich der Schützling wegen der Übernahme einer höheren Gefahr aussetzt oder deshalb andere Selbstschutzmaßnahme reduziert. Die dahinterstehende Vorstellung der Abhängigkeit ist naheliegend: Durch die Übernahme könnte eine Schutzlücke oder eine Schutzmilderung für den Schutzbedürftigen entstehen und diese „Verschlechterungsgefahr“ soll der Übernehmende ausgleichen.157 Eine Abhängigkeit des Schutzbedürftigen von dem Übernehmenden wird somit zwar in der Regel begründet, fraglich ist aber, ob die Schutzmilderung eine notwendige Voraussetzung für die Bestimmung eines Abhängigkeitsverhältnisses durch Übernahme ist. Wie die Garantenstellung zwischen Ehepartnern gezeigt hat, kann allein ein normatives berechtigtes Vertrauen aufgrund (konkludenter) Übernahme ein für die Begründung einer Garantenstellung erforderliches Abhängigkeitsverhältnis kennzeichnen, ohne dass sich hierbei der Schützling durch die Übernahme in einer gefährlicheren Situation befindet 153  BGHSt

47, 224, 229. AT II, § 32 Rn. 66. Ausnahmsweise auch eine Zusage für ausreichend haltend aber Kühl, AT, § 18 Rn. 70; SK/Stein, § 13 Rn. 86. 155  Roxin, AT II, § 32 Rn. 66. A. A. Kühl, AT, § 18 Rn. 70. 156  BGHSt 26, 35, 39; Jakobs, AT, § 29 Rn. 47; ders., Zurechnung, S. 23; Jescheck/Weigend, AT, S. 623; Köhler, AT, S. 218; Kühl, AT, § 18 Rn. 70; Pawlik, Unrecht, S. 185; Roxin, AT II, § 32 Rn. 55; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 27; SK/ Stein, § 13 Rn. 82. A. A. Herzberg, Unterlassung, S. 353; LK13/Weigend, § 13 Rn. 34. 157  In diesem Sinne etwa Jakobs, Zurechnung, S. 23; Pawlik, Unrecht, S. 185 Fn. 197: „Kompensation zurechenbar verursachter Schutzdefizite“. 154  Roxin,



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 167

oder deshalb auf die anderen Schutzalternativen verzichtet.158 Wenn die verbreitete Auffassung hierbei neben der Schutzbereitschaft der Ehepartner keine weitere Voraussetzung wie eine Gefahrerhöhung bzw. die geminderte Schutzmöglichkeit durch Übernahme fordert, könnte dies, soweit man wie hier die Garantenstellung der Ehepartner mit einer Abhängigkeit durch faktische Übernahme erklären will, daran liegen, dass das dauerhafte Zusammenleben und die rechtliche Institution der Ehe die Hilfebereitschaft der Ehepartner so festigen, dass die Ehepartner normativ gegenseitig auf die mögliche Hilfe des anderen vertrauen dürfen. Das gilt wegen der lockereren Rechtsverhältnisse zwischen Bürgern indessen nicht ohne weiteres. So kann für die Begründung einer Garantenstellung durch Übernahme eine beliebige Hilfe­ erklärung allein in der Regel nicht genügen. Hierbei fehlt nicht selten eine gefestigte Hilfebereitschaft und eine rechtlich fundierte Institution, aus denen ein normativ berechtigtes Vertrauen durch Übernahme gefolgert werden könnte. Wer als ein Wanderer z. B. gegenüber einem unbekannten Verunglückten eine Hilfeerklärung abgibt, diese Hilfe aber nicht leistet, kann grundsätzlich nicht als Garant für den eingetretenen Todeserfolg zur Verantwortung gezogen werden. Die Verneinung der Garantenstellung des Wanderers beruht in diesem Fall nicht auf dem Fehlen einer Gefahrschaffung.159 Das gilt auch dann, wenn der Verunglückte wegen dieser Hilfeerklärung die weitere Hilfe eines weiteren Wanderers verweigert hat oder hätte. Denn es fehlt auch hier eine tatsächliche Übernahme durch eine gefestigte Hilfeerklärung und der Verunglückte darf somit nicht einfach auf die Hilfebereitschaft eines Unbekannten vertrauen.160 Es verhält sich aber anders, wenn sich aus dem gesamten Handlungszusammenhang, etwa aus einer schlüssigen Handlung, eine gefestigte Hilfeerklärung oder ein vertragsähnliches Rechtsverhältnis ableiten lässt. Nur dann kann dem Erklärenden eine über die allgemeine Hilfepflicht hinausgehende Garantenpflicht zugeschrieben werden. Eine ursprüngliche Abhängigkeit im Sinne von „Angelegtsein auf gegenseitigen Beistand in Not“161 besteht etwa zwischen den Mitgliedern einer Gefahren158  A. A. Pawlik, Unrecht, S. 189, der konsequent die Garantenstellung von Ehepartnern aus der tatsächlichen Übernahme ausscheidet und sie zur positiven Pflicht rechnet, wobei eine Verschlechterung durch Gefahrschaffung nicht erforderlich sei. Letztendlich handelt es sich aber wohl nur um die sachgerechte unterschiedliche Kategorisierung von Garantenstellungen. 159  Ähnlich Herzberg, Unterlassung, S. 354. Es kommt in der Regel nur eine Strafbarkeit nach § 323c StGB in Frage. Zum gleichen Ergebnis kommt zwar auch Roxin, AT II, § 32 Rn. 66, der freilich argumentiert, dass hier keine anderen Rettungsmaßnahmen vorhanden seien, auf die der Verunglückte verzichte, weshalb er sich „in keine größere Abhängigkeit als die durch die Situation ohnehin bedingte“ begebe. Ihm folgend auch SK/Stein, § 13 Rn. 84. 160  A. A. Roxin, AT II, § 32 Rn. 62. 161  Kühl, AT, § 18 Rn. 62 allerdings in Bezug auf Lebensgemeinschaft.

168 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

gemeinschaft, wenn sie zu besserer Bewältigung bestimmter Gefahren aus einer riskanten Tätigkeit konkludent eine gegenseitige Schutzfunktion übernommen haben.162 Es erklärt sich zugleich auch, weshalb eine Garantenstellung durch Übernahme grundsätzlich durch einen Vertragsschluss begründet werden kann. Denn aus dem abgeschlossenen Vertrag lässt sich in der Regel eine gefestigte Leistungsbereitschaft ableiten. Diese wird wiederum durch die rechtliche Institution des Vertrags bestätigt.163 Das Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient164 ist ein klassisches Beispiel dafür, sofern die faktische Übernahme vor dem Eintritt der tatbestandsmäßigen Gefahr stattgefunden hat.165 Gleiches gilt auch für das Kindermädchen, das durch Vertrag das Rechtsgut der Integrität eines anvertrauten Kindes übernommen hat. In diesen Fällen reduzieren der Patient oder die übertragenden Eltern zwar in der Regel andere Schutzmaßnahme, aber diese Reduzierung ist gerade Reflex einer gefestigten, rechtlich durch eine Institution bestätigten Übernahmeerklärung. Die Reichweite der in diesem Zusammenhang zu erläuternden Garantenpflichten erstreckt sich innerhalb der übernommenen Schutzaufgabe auch auf die Verhinderung einer fremden Straftat gegen das anvertraute Rechtsgut.

162  Murmann, GK, § 29 Rn. 48; Rengier, AT, § 50 Rn. 26. Ähnlich auch SK/Stein, § 13 Rn. 79. 163  Zur Klarstellung: Die rechtliche Institution des Vertrags spielt hier nur eine Bestätigungs-, aber keine Begründungsrolle für die Garantenstellung des Übernehmenden. Entscheidend ist hierbei die soziale Abhängigkeitsstruktur durch tatsächliche Übernahme mit gefestigter Übernahmeerklärung, nicht aber die formale Institution des Vertrags. 164  Roxin, AT II, § 32 Rn. 70 ff. 165  Kleinherne, Garantenstellung, S. 185 verneint eine ursprüngliche Abhängigkeit in diesem Fall, dass „ein dem diensthabenden Arzt bis dato völlig unbekannter Patient in die Notaufnahme eingeliefert wird“, und stellt damit das Kriterium von ursprünglicher Abhängigkeit insgesamt in Frage. Das ist nicht überzeugend. Wenn ein Arzt bereit ist, die Schutzfunktion der Notaufnahme zu übernehmen, und auch tatsächliche diese Aufgabe übernommen hat, indem er z. B. zum bestimmten Zeitpunkt in der Notaufnahme seinen Dienst leisten wird, wird das Rechtsgut dessen, der potentiell in diesem Zeitpunkt in die Notaufnahme eingeliefert werden würde, dem Arzt anvertraut und liegt bereits zu diesem Zeitpunkt, also vor dem Eintritt möglicher Gefahr für das Rechtsgut, eine ursprüngliche Abhängigkeit zwischen dem Arzt und dem „unbekannten“ Patient vor. Ähnlich Kühl, AT, § 18 Rn. 74: „vertrauensbegründende, gefahren­ erhöhende Übernahmebereitschaftserklärung“.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 169

c) Übernahme der Schutzfunktion in staatlichen Institutionen: Schutzpflicht von Amtsträgern aa) Begründungszusammenhang: ursprüngliche Abhängigkeit des Bürgers vom Staat Die Freiheitsentfaltung einer Rechtsperson vollendet sich erst in dem von Rechtspersonen aufgrund der Aufforderung der reinen praktischen Vernunft autonom gegründeten staatlich-öffentlichen Zustand, indem die Rechtspersonen dem Staat ihre Fähigkeiten zur Selbstentfaltung im Naturzustand teilweise „hergeben“166, damit die Aufgaben, die der Einzelne kraft seiner eigenen Macht im Naturzustand nicht oder nur schwer bewältigen kann, insbesondere Gefahrenabwehr, funktionierende Justiz, Umweltschutz usw., durch gemeinschaftlich organisierte Staatsgewalt besser erledigt werden.167 Bei diesen staatsbegründenden Aufgaben handelt es sich meistens um die Rahmenbedingungen von Freiheitsverwirklichung (überindividuelle/kollektive Rechtsgüter), die nur mittelbar oder flankierend den individuellen Rechtsgütern wie Leben und Vermögen dienen. Da nun der einzelne Bürger nach der Übertragung des Potentials keine Macht mehr hat, diese Rahmenbedingung zu verwirklichen, sondern auf die Staatsgewalt angewiesen ist, hat der Staat diese Schwäche des einzelnen Bürgers auszugleichen. Insoweit nämlich das Rechtssubjekt dem Staat bei dessen Konstitution seine Fähigkeit zur freien Selbstentfaltung im Naturzustand dem Staat überantwortet hat, besteht zwischen dem Rechtssubjekt und dem Staat eine ursprüngliche Abhängigkeit.168 Aber auch jenseits dieser ergänzenden Rahmenbedingungen der Freiheitsverwirklichung steht der einzelne Bürger in Hinblick auf die individuellen Rechtsgüter dem Staat nicht ganz selbständig gegenüber.169 Mit dem Eintritt in einen öffentlich-staatlichen Zustand wird die selbständige Subjektivität Handlungsform, S. 264. Handlungsform, S. 265. 168  Kahlo, Handlungsform, S. 265. Auf die Möglichkeit, durch den „Verzichtsakt“ des Bürgers eine „besondere Abhängigkeit“ zwischen Bürger und Staat zu begründen, weist auch Pawlik, ZStW 111 (1999), 347 hin, ohne die ursprüngliche Abhängigkeit als alleiniges Kriterium zur Begründung einer Garantenstellung aufzufassen. Zum „Verzichtgedanken“ als Begründung einer Garantenstellung des Amtsträgers bereits Gallas, Studien, S. 84; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 616 (unter Berufung auf ein hobbesianisches Staatsverständnis, insbesondere hinsichtlich des Gewaltmonopols). 169  Der einzelne Bürger kann sich auch wegen bestimmter Gründe in staatlichem Gewahrsam befinden und in eine ursprüngliche Abhängigkeit vom Staat gebracht werden, etwa im Rechtsverhältnis zwischen Strafgefangenen oder Geisteskranken und dem Staat (vgl. SK/Stein, § 13 Rn. 76). Die folgenden Ausführungen sind nicht auf solche Fälle bezogen, sondern auf die allgemeine Beziehung zwischen Bürger und Staat. 166  Kahlo, 167  Kahlo,

170 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

des Einzelnen zwar bewährt und er ist grundsätzlich für sein Leben und Rechtsgut verantwortlich. Dementsprechend besteht die Aufgabe des Staats primär in der Schaffung und Aufrechterhaltung der Rahmenbedingungen von Freiheit.170 Gleichzeitig verzichtet der einzelne Bürger aber im Interesse des verlässlichen und effektiven Schutzes dieser Rechtsgüter durch staatliche Institutionen und Verfahren auf die Macht zu gewaltsamen Selbsthilfevorkehrungen und überantwortet sie dem Staat.171 Unter dem Gewaltmonopol verfügt der einzelne Bürger zwar noch über Notrechte bzw. Selbsthilferechte gegen fremde Angriffe. Von einer (unbeschränkt) normativen oder faktischen Fähigkeit des einzelnen Bürgers zum Selbstschutz kann dennoch nicht die Rede sein, weil diese Befugnisse nur Ausnahmecharakter haben und der einzelne Bürger nicht allein mit diesen Befugnissen seine Rechtsgüter effektiv und rechtzeitig schützen kann.172 In der Machtüberantwortung und den da­ raus resultierenden Schutzmängeln des Bürgers lässt sich auch eine ursprüngliche Abhängigkeit erblicken, die die Garantenstellung des Staats begründet. Der Staat ist daher verpflichtet, individuelle Rechtsgüter wie Leben, Leib und Freiheit seiner Bürger vor fremden Angriffen zu schützen.173

FS-Rudolphi, 2004, S. 363. AT, § 29 Rn. 77d; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 119; Murmann, GK, § 29 Rn. 53. Dieser Gedanke einer „Verzichtskompensation“ hat zwar seinen Ursprung in der Hobbesschen Rechtsphilosophie, wobei die Freiheit vom Staat „gewährt“ wird und nicht wie hier aus der rechtlich-praktischen Vernunft eines Subjekts begründet (vgl. Zaczyk, FS-Rudolphi, 2004, S. 364), aber auch die Kantische freiheitliche Rechtsbegründung ändert nichts an der Tatsache, dass der Einzelne mit dem Eintritt in den Rechtszustand auf die „uneingeschränkte“ Selbstschutzmöglichkeit im Naturzustand verzichtet hat, obgleich die Effektivität dieser Möglichkeit nicht mit den staatlichen Gewalten zu vergleichen ist. 172  Zur begrenzten Handlungsmöglichkeit und Schwäche des einzelnen Bürgers bei der Abwehr fremder Angriffe im Rechtszustand LK13/Weigend, § 13 Rn. 30; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 617 f. A. A. SK/Stein, § 13 Rn. 76; Rudolphi, JR 1987, 339. 173  Köhler, AT, S. 227: „Die Begründungsmomente normativer Abhängigkeit und entsprechenden Schutzvertrauens beziehen sich also auf das zufällige Ausgesetztsein in jeder Gefahr, in welcher staatliche Tätigkeit gegenüber der Selbsthilfe eine be­ sondere Schutzfunktion hat, nicht nur auf Gefahren, die (wie etwa Umweltgefahren) ihrer Natur nach der organisiert-staatlichen Kontrolle ganz besonders bedürfen.“ Vgl. auch Gallas, Studien, S. 84; Jakobs, AT, § 29 Rn. 77d; LK13/Weigend, § 13 Rn. 30; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 119; Murmann, GK, § 29 Rn. 53; Pawlik, ­FS-Roxin II, S. 944; ders., Unrecht, S. 187; Roxin, AT II, § 32 Rn. 95; Sangenstedt, Garantenstellung, S.  617 f. 170  Zaczyk, 171  Jakobs,



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 171

bb) Die Garantenstellung des Amtsträgers Der Staat kann allerdings den oben genannten Garantenpflichten nicht selbst, sondern nur durch seine Repräsentanten, d. h. durch Amtsträger nachkommen. Wenn ein Amtsträger selbstbestimmt in die jeweiligen staatlichen Institutionen eintritt und sich damit für die Aufgaben des Staates zum Schutz des jeweiligen Rechtsguts zuständig macht, dann übernimmt er auch die Pflichtstellung des Staates.174 Es entsteht dann eine ursprüngliche Abhängigkeit zwischen dem Rechtsgut und dem Amtsträger. Er hat mithin das ihm anvertraute Rechtsgut vor Angriffen zu schützen. Wenn es um ein überindividuelles oder kollektives Rechtsgut geht, das unmittelbar zu den institutionellen Rahmenbedingungen der Freiheitsverwirklichung beitragen soll und nur mittelbar dem individuellen Rechtsgut dient, besteht in der Regel eine ursprüngliche Abhängigkeitsbeziehung nur zwischen dem Rechtsgut und dem Amtsträger, nicht aber zwischen einem einzelnen Bürger und dem Rechtsgut. Denn nur dem Amtsträger, der freiwillig dessen Schutzaufgabe übernommen hat, wird das Rechtsgut anvertraut. Demensprechend ist ein Bürger, soweit keine weiteren Gründe zur Begründung einer ursprünglichen Abhängigkeit eingreifen, nur verpflichtet, das kollektive Rechtsgut nicht positiv zu beeinträchtigen, nicht aber verpflichtet, dessen Beeinträchtigung durch positive Tätigkeit zu verhindern; sein Unterlassen weist mangels eines Abhängigkeitsverhältnisses keine Verletzungsmacht auf. Das lässt sich an Beispielen aus dem Bereich von Strafvereitelung und Gewässerverunreinigung verdeutlichen. In Hinblick auf § 258 StGB kann nur derjenige Amtsträger durch Unterlassen eine Strafvereitelung begehen, der die staatliche Aufgabe der Strafverfolgung oder ihrer Förderung faktisch übernommen hat und daran beteiligt ist.175 Weil der staatliche Sanktionsanspruch176 insoweit ihm anvertraut wird und auf ihn angewiesen ist, verschlechtert er als Beschützergarant sowohl durch Tun als auch durch ­Unterlassen der Verhinderung einer fremden Strafvereitelungshandlung diesen Anspruch. Dagegen trifft eine private Person grundsätzlich keine Pflicht zur positiven Mitwirkung an der Strafverfolgung,177 es sei denn, sie hat eine positive Verletzungshandlung eines zu Überwachenden zu verhindern.178 Nach § 324 StGB gilt Entsprechendes für einen Amtsträger in der Umweltbehörde, der eine Schutzaufgabe für die Umwelt freiwillig übernommen hat 174  LK13/Weigend,

§ 13 Rn. 30. 43, 82, 84 f. 176  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Jahn, § 258 Rn. 2. 177  Matt/Renzikowski/Dietmeier, § 258 Rn. 22. 178  Etwa dann, wenn die Eltern es nicht verhindern, dass ihr Kind einen Vortäter verbirgt, LK/Walter, § 258 Rn. 90 ff. auch mit zahlreichen weiteren Beispielen. 175  BGHSt

172 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

und dem das Umweltrechtsgut tatsächlich anvertraut worden ist. Als Beschützergarant für den Umweltschutz ist er zur Verhinderung einer rechtswidrigen Gewässerverunreinigung von Dritten verpflichtet.179 Die staatliche Pflicht, das individuelle Rechtsgut des einzelnen Bürgers vor einer fremden Straftat zu schützen, wird in der Regel vom einzelnen Polizeibeamten übernommen. Ob der einzelne Polizeibeamte faktisch diese Aufgabe übernommen hat, bestimmt sich nach dessen konkretem Zuständigkeitsbereich. Für das zu schützende Rechtsgut muss er sich sachlich sowie örtlich verantwortlich machen, und er hat es grundsätzlich nur innerhalb der Dienstausübung zu schützen.180 Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, handelt der Polizeibeamte als „Repräsentant“ des Staats und nicht als eine private Person;181 und nur dann darf man deshalb davon ausgehen, dass dieses Rechtsgut, etwa das Leben, dem einzelnen Polizeibeamten tatsächlich anvertraut ist und ein abhängiges Rechtsverhältnis zwischen dem Polizeibeamten als Beschützergaranten und dem einzelnen Bürger entsteht. Dass der Polizeibeamte als Beschützergarant eines individuellen Rechtsguts des einzelnen Bürgers aufzufassen ist, wird allerdings von einigen Autoren abgelehnt.182 Sie bestreiten meistens nicht die staatliche Pflicht zum 179  Das ist aber streitig. Den Beschützergaranten wie hier annehmend Kühl, AT, § 18 Rn. 79 f.; Matt/Renzikowski/Rettenmaier/Gehrmann, Vor § 324 Rn. 18; NK/Ransiek, § 324 Rn. 69; Roxin, AT II, § 32 Rn. 101 ff.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Saliger, Vor §§ 324 ff. Rn. 64, 66. Stark einschränkend SK/Schall, Vor §§  324 ff. Rn.  124 f. Ablehnend aber Schünemann, FS-Amelung, S. 316, der unzutreffend eine Herrschaft des Amtsträgers über die rechtswidrige Handlung des Bürgers fordert, aber übersieht, dass die aktuelle Herrschaft nicht schlüssig für die Begründung einer normativen Pflichtstellung ist; SK/Stein, § 13 Rn. 46, der nicht überzeugend ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen pflichtwidrigen Bürgern und Amtsträgern in der Umweltbehörde fordert und die Straftatverhinderungspflicht der Amtsträger dementsprechend verneint. 180  BGHSt 38, 388, 390 f. Wenn aber eine außerdienstlich erlangte Kenntnis von einer Straftat in die Dienstausübung fortwirkt, soll eine Garantenstellung nach dem BGH (ebd., 391 f.) nicht unbedingt ausgeschlossen sein. Es sei dann abzuwägen, „ob das öffentliche Interesse privaten Belangen vorgeht“. Dabei spiele das Gewicht der Straftat eine wichtige Rolle. Bestimmt sich die Garantenstellung freilich nach der Abwägung im Einzelfall, dann liegt der Vorwurf der Unbestimmtheit nahe (kritisch dazu Kahlo, Handlungsform, S. 266). 181  Pawlik, ZStW 111 (1999), 353. Darüber hinaus „muss“ der Polizeibeamte mangels Ermessensspielraum in die Straftat eingreifen (Pawlik, ebd., 355). Zur Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen einem staatlichen und einem privaten Handeln in diesem Zusammenhang auch Kahlo, Handlungsform, S. 266; Zaczyk, FS-Rudolphi, S. 366 f., der freilich vor einer „Reindividualisierung“ der Staatstätigkeit bei Anerkennung der Garantenstellung des Polizeibeamten warnt und sie ablehnt (ebd., S. 368 f.). 182  Etwa Herzberg, Unterlassung, S. 356; Puppe, AT, § 29 Rn. 28 f.; Rudolphi, JR 1987, 339; Schünemann, ZStW 96 (1984), 311; SK/Stein, § 13 Rn. 76; Zaczyk, FSRudolphi, S.  368 f.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 173

Schutz individueller Rechtsgüter, sondern stellen die These in Zweifel, die Verletzung dieser Schutzpflicht sei mit der Verletzung einer Unterlassungspflicht durch positives Tun gleich zu bewerten. Man könnte konsequent annehmen, dass diese staatliche Schutzpflicht nur den Rahmenbedingungen der Freiheitsentfaltung (hier: „öffentliche Sicherheit und Ordnung“), nicht aber unmittelbar dem konkreten Daseinselement wie dem Leben diene.183 Damit könnte etwa ein Todeserfolg nicht dem unterlassenden Polizeibeamten zugerechnet werden. Die Pflichtverletzung des Polizeibeamten wäre dann allenfalls de lege lata nach § 323c StGB strafbar. Wäre man mit einer Strafbarkeit nach § 323c StGB nicht zufrieden, weil die Verletzungsmacht des unterlassenden Polizeibeamten zwar nicht größer als die einer positiven Rechtsgutsverletzung, wohl aber größer als die der unterlassenen Nothilfe sei,184 könnte man überlegen, zwischen echtem Unterlassungsdelikt und unechtem Unterlassungsdelikt noch eine „Zwischenkategorie“ von „echtem Garantenunterlas­ sungsdelikt“185 bzw. „besonderer echter Unterlassung“186 zu entwickeln und gesetzlich dementsprechend neue Vorschriften zur Erfassung dieses Delikts einzuführen.187 Nach der hier vertretenen Ansicht sind diese Einwände zwar nicht richtig, denn solange eine ursprüngliche Abhängigkeit eines konkreten Daseinsmoments wie des Lebens durch Selbstschutzmängel des einzelnen Bürgers begründet ist, weist das Unterlassen des Eingreifens des Polizeibeamten auch eine Verletzungsmacht auf und verschlechtert sein Rechtsverhältnis zum Opfer. Das Unterlassen in dieser Abhängigkeitsbeziehung ist deshalb immer auf den Erfolg bezogen. Durch Unterlassen beeinträchtigt der Polizeibeamte auch das Leben des Opfers (nicht nur das Teilhaberecht aus § 323c StGB) wie durch positives Tun. Wenn die Einwände gegen die Beschützer­ garantenstellung des Polizeibeamten dahin gehen, dass im Vergleich zu an­ deren Garantenpflichtverletzungen wie etwa in der Eltern-Kind-Beziehung die Verletzungsmacht in der Garantenpflichtverletzung des Polizeibeamten schwächer sei,188 können diese Einwände nach der hier vertretenen Ansicht nicht zum Ausschluss der Beschützergarantenstellung führen, sondern allenUnterlassung, S. 356. Planas, GA 2013, 637. 185  Silva Sanchez, FS-Roxin I, S. 648 f. Für diese sog. „echten Garantenunterlassung“ wird zwar auch der Begriff „Garantenunterlassung“ verwendet, er bezeichnet hier aber nach Silva Sanchez nur eine Sonderpflichtstellung, die entgegen dem herrschenden Verständnis zur Begründung eines „begehungsgleichen“ Unterlassungsdelikts nicht ausreicht. 186  Robles Planas, GA 2013, 58. 187  In dieser Richtung Robles Planas, GA 2013, 58; Silva Sanchez, FS-Roxin I, S. 649. Zur Möglichkeit der Einführung neuer Vorschriften zur Erfüllung möglicher Strafbarkeitslücken auch Schünemann, ZStW 96 (1984), 311; Zaczyk, FS-Rudolphi, S. 369. 188  Robles Planas, GA 2013, 58. 183  Herzberg, 184  Robles

174 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

falls dahin uminterpretiert werden, dass, auch wenn der Polizeibeamte durch Unterlassen das Leben des Opfers ebenfalls verletzt, seine Verantwortlichkeit in den Hintergrund rückt. Wenn z. B. der Polizeibeamte das Verhungern­lassen eines Kindes durch seine Eltern nicht verhindert, könnte man argumentieren, dass der Polizeibeamte zwar wegen §§ 212, 13 StGB strafbar wäre, aber wegen der schwächeren Verletzungsmacht gegenüber den Eltern nur eine sekundäre Verantwortlichkeit trüge. Im Strafrecht findet diese sekundäre Verantwortlichkeit gegenüber demselben Rechtsgut ihren Ausdruck in der Teilnahmehaftung. Die Einwände gegen die Garantenstellung des Polizeibeamten weisen nämlich auf die Möglichkeit hin, dass nicht jedes garantenpflichtwidrige Unterlassen automatisch eine täterschaftliche Verantwortlichkeit auslöst. Ob dies der Fall ist und warum aber die Verletzungsmacht des Polizeibeamten schwächer wäre, bestimmt sich erst nach dem Kriterium der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. 2. Ursprüngliche Abhängigkeit aufgrund einseitiger Risikoschaffung Die ursprüngliche Abhängigkeit eines Daseinselements von einer bestimmten Person kann aber auch dadurch entstehen, dass eine Person durch ihre Handlung eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut geschaffen hat und die Gefahr so groß ist, dass insoweit von einer Selbständigkeit des Gefahraus­ gesetzten nicht mehr die Rede sein kann. Dem liegt der Grundgedanke der primären Verhaltensnorm oder der ursprünglichen Anerkennungspflicht zugrunde: Niemand darf durch zurechenbare Handlung das Recht des anderen gefährden oder verletzen, und wer trotzdem eine solche Gefahr geschaffen hat, ist verpflichtet, diese Gefahr auszugleichen.189 Wann eine solche Gefahr vorliegt, hängt von den Verhaltensnormen in den verschiedenen Sozialbereichen ab, deren Inhalt als Handlungsgrenze wiederum von der gesellschaft­ lichen Vereinbarung der daran beteiligten Rechtspersonen bestimmt wird. Im

189  Aus der ursprünglichen Anerkennungspflicht, das fremde Recht nicht zu verletzen, lässt sich eine Handlungspflicht ableiten. Vgl. Freund/Rostalski, AT, § 6 Rn. 70; Jakobs, FS-Strangas, S. 250, 254 ff.; Kleinherne, Garantenstellung, S. 361 ff., 369; Köhler, AT, S.  219 f.; Pawlik, Unrecht, 181; Robles Planas, GA 2013, 626; Seelmann, GA 1989, 253 ff.; E. A. Wolff, Kausalität, S. 42, 44 f. Hegel, Rechtsphilosophie, § 38 lautet prägnant: „Die Notwendigkeit dieses Rechts beschränkt sich aus demselben Grunde seiner Abstraktion auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus Folgende nicht zu verletzen. Es gibt daher nur Rechtsverbote, und die positive Form von Rechtsgeboten hat ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen.“ (Hervorhebung im Original) Entgegen Hegel kann aber nicht alle Garantenstellung aus einer ursprünglichen Abhängigkeitsbeziehung aus dieser Rechtsverletzungsverbote geschlossen werden. Das ursprüngliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen Eltern und Kind mag das deutlich beweisen.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 175

Folgenden wird dieser Begründungszusammenhang anhand verschiedener Abhängigkeitstypen beleuchtet. a) Überwachungspflicht im Eltern-Kind-Verhältnis und anderen autonom begründeten familienähnlichen Rechtsverhältnissen Ein Kind kann wegen seiner konstitutiven Schwäche eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut, z. B. durch Anzünden einer fremden Sache, schaffen. Ist das Kind strafrechtlich nicht dafür verantwortlich, etwa wenn das Kind noch nicht vierzehn Jahre alt ist (§ 19 StGB) oder wenn es zwar ein Jugendlicher, aber nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung nicht reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (§ 3 JGG), sind seine Eltern rechtlich zur Ausgleichung des Verantwortungsdefizits des Kindes berufen.190 Die Legitimationsgrundlagen dieser Zuständigkeit für das Verhalten des eigenen Kindes sind, wie bei der Beschützergarantenstellung der Eltern, die autonome Übernahme der Elternrolle und die sich daraus ergebende Selbstverpflichtung zur Überwachung seines Verhaltens.191 Die Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Eltern, die das Kind zu überwachen haben, und dem gefährdeten Opfer besteht nun darin, dass die Integrität des Rechtsguts des Opfers auf die Erfüllung der Überwachungspflicht der Eltern angewiesen ist. Diese Überwachungs- oder Aufsichtspflicht der Eltern findet auch ihre „Rechtsförmigkeit“ in §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB (Personensorge)192 i. V. m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG (Erziehungspflicht der El­ 190  Diese Überwachungspflicht der Eltern ist überwiegend anerkannt, vgl. nur Freund, Erfolgsdelikt, S. 247 ff.; Kühl, AT, § 18 Rn. 116; LK13/Weigend, § 13 Rn. 27; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 71; Mitsch, Jura 2017, 797 f.; Murmann, GK, § 26 Rn. 63; NK/Gaede, § 13 Rn. 51; Rengier, AT, § 50 Rn. 63 f.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 127; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 52; Schramm, Ehe und Familie, S. 245 ff. 191  A. A. aufgrund des Gedankens der Kontrollherrschaft etwa Roxin, AT II, § 32 Rn. 127. 192  BGH FPR 2013, 444: „Eltern haben nach § 1626 I 1 BGB die Pflicht, für das minderjährige Kind zu sorgen. Die elterliche Sorge umfasst nach § 1626 I 2 BGB die Sorge für die Person des Kindes. Die Personensorge umfasst nach § 1631 I BGB insbesondere die Pflicht, das Kind zu beaufsichtigen.“ Die Beaufsichtigung durch die Eltern zielt nicht nur darauf, das Kind vor den von ihm selbst oder von Dritten geschaffenen Gefahren zu schützen, sondern auch darauf, Dritte vor den vom Kind ausgehenden Gefahren zu schützen, vgl. BeckOK-BGB/Veit, § 1631 Rn. 7. Gegen die Ableitung der Überwachungsgarantenstellung der Eltern aus § 1631 BGB aber Mitsch, Jura 2017, 797 f., der argumentiert, dass die Aufsichtspflicht der Eltern „dem gesetzessystematischen Zusammenhang der §§ 1626 ff. BGB zufolge primär auf das Wohl des Kindes und nicht das Wohl der durch kindliches Fehlverhalten potentiell geschädigten Rechtsgutsinhaber bezogen ist“ (Hervorhebung von mir). Damit wird aber nur die Schutzrichtung von § 1631 BGB bestritten, nicht aber die elterliche Aufsichtspflicht an sich.

176 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

tern).193 Aus der Zielsetzung der in diesen primären Normen vorgesehenen Sorgepflicht der Eltern, das Kind zu einem selbständigen und verant­ wortungsbewussten Handelnden zu erziehen, ergeben sich aber zugleich die zeitlichen und inhaltlichen Grenzen dieser Überwachungsgarantenpflichten der Eltern: Zeitlich entfällt die Überwachungspflicht der Eltern nach der Volljährigkeit des Kindes;194 rechtlich steht es dann als eine eigenverantwortliche Person nicht mehr unter der Aufsicht der Eltern.195 Bei der Bestimmung der Reichweite und des Inhalts der Überwachungspflicht sollte nicht außer 193  Vgl. auch Krey/Esser, AT, Rn. 1162  f.; ferner Schramm, Ehe und Familie, S. 245. Sie alle stellen aber die Überwachungsgarantenstellung der Eltern nur auf diese Gesetze, und nicht wie hier primär auf die Selbstverpflichtung der Eltern und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Eltern und dem Opfer ab. 194  Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 22 Rn. 60; Jescheck/Weigend, AT, S. 628; Roxin, AT II, § 32 Rn. 129; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 52; SK/Stein, § 13 Rn. 41. 195  Aber auch wenn das Kind ein strafrechtlich vollverantwortlicher Jugendlicher ist (§ 3 JGG), steht seine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Überwachungsgarantenstellung der Eltern nicht im Weg. Vielfach wird diese Garantenstellung mit der rechtlich anerkannten Autoritätsstellung der Eltern begründet, vgl. etwa allgemein bei minderjährigem Kind AK/Seelmann, § 13 Rn. 128; NK/Gaede, § 13 Rn. 51; Schönke/ Schröder/Bosch, § 13 Rn. 52. Die Autoritätsstellung der Eltern stellt aber kein materielles Kriterium für die Begründung der Garantenstellung dar. Zum Teil wird deshalb die faktische sowie rechtlich anerkannte Herrschaftsmacht der Eltern herangezogen. Für Schünemann kommt es auf die „Herrschaft über die „partielle Unmündigkeit“ des Kindes durch die elterliche Gewalt an, die erst bei Eintritt der Volljährigkeit des Kindes erlösche (Schünemann, Täterschaft, S. 362 f.). Aber abgesehen davon, dass das Konzept „Herrschaft über die partielle Unmündigkeit“ mit der strafrechtlichen Bewertung der Vollverantwortlichkeit des Kindes in Konflikt steht, bleibt es bei Schünemann doch unklar, warum die Bestimmung der Herrschaftsmacht der Eltern nun nicht mehr an die strafrechtliche Bewertung, sondern an die „sozial-vorstrafrechtlich[e]“ (ebd., S. 363), also zivilrechtliche Bewertung anzuknüpfen sei. Darüber hinaus kann die elterliche Gewalt allein nicht die Überwachungsgarantenstellung der Eltern gegenüber ihrem vollverantwortlichen Kind begründen. Mit dieser rechtlich anerkannten Gewalt dürfen die Eltern zwar (wirksameren) Einfluss auf den Willen und das Verhalten des Kindes ausüben. Das Kind bleibt strafrechtlich aber eigenverantwortlich; sein Verhalten ist also nicht von den Eltern fremdbestimmt. Wird aber das Verhalten des Kindes nicht von der elterlichen Gewalt bestimmt, lässt sich die Überwachungsgarantenstellung der Eltern nicht mit der Herrschaft über das Verhalten des Kindes begründen. A. A. aber Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 70. Nun besteht die Notwendigkeit für eine Überwachungsgarantenstellung der Eltern gegenüber ihrem vollverantwortlichen Kind wohl darin, dass ein minderjähriger Jugendlicher in Hinblick auf bestimmte Tätigkeiten trotz seiner strafrechtlichen Vollverantwortlichkeit doch nicht in der Lage sein könnte, die Gefahren, die mit diesen Tätigkeiten verbunden sind, angemessen zu kontrollieren. In Anbetracht dieses Gefahrenpotentials erscheint die zusätzliche Inpflichtnahme der Eltern als sinnvoll. Die Überwachungs­ garantenstellung der Eltern wird aber nicht nur mit dieser Nützlichkeitsüberlegung begründet, sondern hat ihren legitimationstheoretischen Grund in der autonomen Übernahme der Elternrolle. Ähnlich Freund, Erfolgsdelikt, S. 253 ff. mit dem vergleichbaren Beispiel der Aufsichtsstellung eines Fahrlehrers.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 177

Acht gelassen werden, dass eine ständige Überwachung und Kontrolle ohne Rücksicht auf den Entwicklungsgrad des Kindes sich pädagogisch eher negativ auswirkt196 und die Erziehung des Kindes zu einer selbstverantwortlichen Person unmöglich macht. Dem Kind sind deshalb unter Berücksichtigung seines Entwicklungsstands bestimmte Freiräume einzuräumen.197 Die „Freiheitsentfaltungsinteressen bei der elterlichen Erziehung“ seien aber mit den „Gütererhaltungsinteressen der Allgemeinheit“ abzuwägen.198 Bei der Abwägung seien das Alter, der Entwicklungsstand des Kindes und die konkrete Situation zu berücksichtigen.199 Außerdem geht die Reichweite der Überwachungsgarantenpflicht der Eltern nicht über die von ihnen zu überwachenden Gefahren hinaus, sie erstreckt sich also nicht auf den umfassenden Schutz des Opfers.200 Liefert etwa ein minderjähriges Kind einer anderen Person zur Tötung eines Dritten ein Messer, haben die Eltern nur das Messer zurückzuziehen, nicht aber die Tötung des Opfers zu verhindern. Die Ausführungen über die Überwachungsgarantenstellung der Eltern gegenüber ihrem minderjährigen Kind gilt freilich nicht für Ehepartner und andere enge Lebensgemeinschaften. Die Ehepartner und Mitglieder einer ­ engen Lebensgemeinschaft mögen zwar wechselseitig verpflichtet sein, ein bestimmtes Rechtsgut wie das Leben zu schützen, aber die paternalistische Beaufsichtigung der Lebensführung gehört gerade nicht zu den Zwecken des Eheverhältnisses oder der Lebensgemeinschaft.201 In Hinblick auf die Begehung von Straftaten stehen sie einander als selbständige Rechtsperson gegenüber und sind für ihre eigene Straftat verantwortlich.202 Erfolgsdelikt, S. 250; Roxin, AT II, § 32 Rn. 128. Erfolgsdelikt, S. 249 f. 198  Roxin, AT II, § 32 Rn. 128. 199  Murmann, GK, § 26 Rn. 63; ferner Freund, Erfolgsdelikt, S. 249 ff.; LK13/Weigend, § 13 Rn. 27; Rengier, AT, § 50 Rn. 64; Roxin, AT II, § 32 Rn. 128 f.; Schramm, Ehe und Familie, S. 246 f. Siehe auch § 1626 Abs. 2 S. 1 BGB. Grundsätzlich ist maßgeblich, ob das Kind nach seinem Entwicklungsstand reif genug ist, das Gefahrenpotential des konkreten Verhaltens zu erkennen und den rechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. „Je jünger das Kind ist, desto mehr spricht für eine Über­ wachergarantenstellung der Eltern“ (Mitsch, Jura 2017, 798). Umgekehrt mag bei größeren Kindern, die nach seinem Entwicklungsstand reif genug sind, die Überwachungsgarantenpflicht der Eltern nur dann anzunehmen sein, wenn der deliktische Sinnbezug des Verhaltens des Kindes erkennbar ist (Schünemann, Täterschaft, S. 363; ferner Roxin, AT II, § 32 Rn. 129). Zu berücksichtigen sei auch, ob das Kind in der Vergangenheit ein vergleichbares gefährliches Verhalten vorgenommen hat und deshalb unter besonderer Aufsicht der Eltern stehen sollte (zu diesem Aspekt auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 251). 200  Roxin, AT II, § 31 Rn. 144. 201  Kühl, AT, § 18 Rn. 60. 202  Köhler, AT, S. 217; Kühl, AT, § 18 Rn. 117; LK13/Weigend, § 13 Rn. 28; MK4/Freund, § 13 Rn. 154; Murmann, GK, § 29 Rn. 63; NK/Gaede, § 13 Rn. 58; 196  Freund, 197  Freund,

178 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

b) Die Begründung der Garantenstellung aus Ingerenz aa) Begründungszusammenhang Die Garantenstellung aus der Ingerenz ist der Prototyp der ursprünglichen Abhängigkeit aus einseitiger Gefahrschaffung.203 Wer durch eigenes Vorverhalten eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut geschaffen hat, muss sie zurückziehen. Umstritten ist aber, welche Qualität diese Gefahr aufweisen muss, damit eine Garantenstellung aus Ingerenz begründet werden kann. Wenn es sich um ein pflichtwidriges Vorverhalten handelt, ist sie relativ leicht zu begründen. Denn Verhaltensnormen, deren Grund in der gesellschaftlichen Vereinbarung zwischen Rechtspersonen besteht, ziehen die Grenze der Handlungsfreiheit der Rechtsperson, und eine vernünftige Rechtsperson will die Gefahren innerhalb dieser vereinbarten Grenze auch übernehmen. Insofern beschränkt sie um der Freiheit der anderen willen ihre eigene Freiheit. Sie darf als Kehrseite dieser Risikoübernahme darauf vertrauen, dass eine Rechtsperson innerhalb dieser Grenzen der Risikoverteilung handelt. Wenn diese Grenze überschritten wird, befindet sich die von diesem Risiko bedrohte Rechtsperson in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis, und das Unterlassen der Neutralisierung solcher Gefahren entspricht dann dem Verschlechterungsbewirken des positiven Tuns. Wer z. B. beim Autofahren eine Verhaltensnorm aus der Straßenverkehrsordnung übertritt und fährlässig einen Passanten schwer verletzt, ist zur Verhinderung des möglichen Todeserfolgs verpflichtet. Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 21a; SK/Stein, § 13 Rn. 71; Roxin, AT II, § 32 Rn. 126. 203  Die Garantenstellung aus Ingerenz ganz ablehnend aber Schünemann, Grund und Grenzen, S. 316. Das wäre nur dann konsequent, wenn für die Begründung einer Garantenstellung mit Schünemann eine aktuelle, in die Zukunft gerichtete Herrschaft gefordert würde. Denn zum Zeitpunkt des Unterlassens habe der Ingerent den Kausalverlauf aus seinem Herrschaftsbereich „entlassen“; er habe allenfalls nur Abwendungsmöglichkeit i. S. v. potentieller Herrschaft (ebd., S. 316). Unabhängig davon, ob man diese beherrschbare Weiterentwicklung einer von dem Vorverhalten beherrschten und ausgelösten Gefahr noch zum Herrschaftsbereich des Ingerenten rechnen kann (die Kontrollherrschaft bejahend Roxin, AT II, § 32 Rn. 151), führt die dezidierte Verneinung der Garantenstellung aus Ingerenz zu einem unvermeidbaren normativen Widerspruch. Denn wenn sich jeder dazu verpflichtet, das fremde Recht nicht zu gefährden oder zu verletzen, dann wäre es unverständlich, wenn er eine durch eigenes Vorverhalten ausgelöste Gefahrverwirklichung nicht zu verhindern hätte (zutreffend Roxin, AT II, § 32 Rn. 150). Das Erfordernis einer aktuellen, in die Zukunft gerichtete Herrschaft wird der normativen Verantwortungszuteilung, nämlich dem Gedanken der Verhinderungspflicht als Kehrseite der Handlungsfreiheit, nicht gerecht. Zu dieser normativen Verantwortungsverteilung als materieller Begründung für die Garantenstellung aus Ingerenz siehe auch NK/Gaede, § 13 Rn. 43 und sogleich.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 179

Aber auch dann, wenn der Einzelne zwar noch innerhalb des erlaubten Bereichs handelt, die dieser riskanten Handlung innewohnende Gefahr aber trotzdem zu verwirklichen droht, kann man mit guten Gründe dafür argumentieren, dass ein rechtlich schutzdürftiges Vertrauen des Opfers auf die aktive Rettungshandlung des die Gefahr schaffenden Einzelnen doch vor­ liege:204 Erstens sind die Gründe für die Erlaubnis einer riskanten Handlung nicht geeignet, den Eingriff in die fremde Rechtssphäre zu rechtfertigen.205 Beim Autofahren führt Freund zutreffend aus: „[D]er Sachgrund der Freiheitsentfaltung in der Form des Autofahrens trägt nicht das Sterbenlassen des Opfers nach einem unvermeidbaren Zusammenstoß!“206 Zweitens ist eine solche Pflicht zum Einschreiten bei drohender Gefahrverwirklichung unter dem Aspekt der gerechten Verteilung der Verantwortlichkeit zu legitimieren:207 Wenn die Gefahr gerade im Interesse des Handelnden erlaubt ist, trägt der die Gefahr schaffende Handelnde aus Gründen der Fairness die Verantwortung für die Gefahrrealisierung. Demgegenüber hat der von dieser Gefahr Bedrohte die Folge der Gefahrrealisierung nicht zu tragen, andernfalls würde er zum „Sonderopfer“ fremden Freiheitsgebrauchs. Der Handelnde kann also nicht die Freiheitsausdehnung wollen, ohne dafür die „Gegenleistung“, also Einschreiten im Falle drohender Gefahrrealisierung, zu erbringen.208 Die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft können deshalb vernünftigerweise nur dann das Vorverhalten erlauben, wenn der Einzelne noch innerhalb der von ihnen gesetzten Grenzen gehandelt hat und die Realisierung der bei Einhaltung dieser Handlungsgrenze trotzdem drohenden Gefahr verhindert („Erlaubnis unter Vorbehalt“).209 Aus diesem Legitimationsgrund für eine solche Garantenpflicht ergeben sich aber zugleich ihre Grenzen. Wenn die Gefahr nicht gerade im Interesse des Handelnden erlaubt ist, wenn etwa die geschaffene Gefahr nicht über eine alltägliche Lebensgefahr hinausgeht, die die 204  Freund, Erfolgsdelikt, S. 182; MK4/Freund, § 13 Rn. 122; Murmann, GK, § 29 Rn. 69; Walter, Pflicht, S. 128; ferner Jakobs, AT, § 29 Rn. 42, aber mit der Einschränkung, dass beim Gefährdeten keine Obliegenheitsverletzung vorliegt. Differenzierend auch LK13/Weigend, § 13 Rn. 44. A. A. auf die Pflichtwidrigkeit des Vorverhalten abstellend BGHSt 25, 218, 221 f.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 72; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 37; Roxin, AT II, § 32 Rn. 167 ff.; SK/ Stein, § 13 Rn. 52. 205  E. A. Wolff, Kausalität, S. 43. Ähnlich Walter, Pflicht, S. 128. Deshalb ist die Kritik, es sei ein Widerspruch, „jemandem ex ante ein Tun zu gestatten und ex post dieses Tun zum Grund einer Garantenstellung zu machen“ (Baumann/Weber/Mitsch/ Eisele, AT, § 21 Rn. 72), nicht überzeugend. 206  Freund, Erfolgsdelikt, S. 182. 207  Murmann, GK, § 29 Rn. 69. 208  Freund/Rostalski, AT, § 6 Rn. 92; Murmann, GK, § 29 Rn. 34, 69. 209  Freund, Erfolgsdelikt, S. 182; MK4/Freund, § 13 Rn. 122; Murmann, GK, § 29 Rn. 69.

180 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Allgemeinheit gemeinsam zu tragen hat,210 z. B. beim Verkauf von Küchenmessern, oder wenn der von dieser Gefahr Bedrohte die Gefahrrealisierung in seinem Verantwortungsbereich freiverantwortlich übernommen hat,211 trägt der die Gefahr schaffende Handelnde keine Sonderverantwortlichkeit für die Gefahrrealisierung. Ist die Gefahr dagegen gerade im Interesse des Handelnden erlaubt, besteht eine die Sonderverantwortlichkeit des Handelnden begründende ursprüngliche Abhängigkeit des Opfers darin, dass es sich einer zwar erlaubten, aber über die allgemeine Lebensgefahr hinausgehenden, qualifizierten Sondergefahr aussetzt.212 Wenn etwa der Autofahrer trotz pflichtgemäßen Verhaltens einen Fußgänger schwer verletzt, ist er verpflichtet, die Verwirklichung der drohenden Todesgefahr des Fußgängers zu verhindern.213 Denn das Autofahren ist gerade im Interesse des Autofahrers, nicht aber des Fußgängers erlaubt, und der Fußgänger hat sich deshalb der „Sondergefahr“ ausgesetzt. Unterlässt der Autofahrer dies, übertritt er die Verhaltensnorm zur Rettungshandlung und verschlechtert das Leben des Opfers (§§ 212, 13 StGB). bb) Insbesondere: Beteiligung als Vorverhalten Im Zusammenhang mit der Beteiligung durch Unterlassen spielt die Beteiligung als Vorverhalten, also der Fall, dass der Einzelne vorher einen täterschaftlichen oder teilnehmerschaftlichen Beitrag zur (nachfolgenden) täterschaftlichen Begehung eines anderen geleistet hat und diese fremde Begehung vorsätzlich nicht abwendet, eine wichtige Rolle. Die in diesem Zusammenhang stehenden Fälle sind so vielfältig, dass sie in unterschiedliche Kategorien unterteilt und gesondert untersucht werden sollen.

AT, § 6 Rn. 69; auch Jakobs, AT, § 29 Rn. 42. GK, § 29 Rn. 69. 212  Mit diesem Kriterium des Sonderrisikos erklärt auch sich, warum es hier nicht nur um eine Pflicht zur Nothilfe (§ 323c StGB) geht. Das gilt auch für das gerechtfertigte Vorverhalten nach (Aggressiv-)Notstand (§ 34 StGB), denn auch hier, anders als beim gerechtfertigten Vorverhalten nach Notwehr (§ 32 StGB), ist das Opfer in der Regel ein Unbeteiligter und sieht sich einer besonderen, von ihm nicht zu verantwortenden Gefahr ausgesetzt. Vgl. LK13/Weigend, § 13 Rn. 47; Murmann, GK, § 29 Rn. 71; Roxin, AT II, § 32 Rn. 186 f.; SK/Stein, § 13 Rn. 53. 213  Zu diesem Beispiel MK4/Freund, § 13 Rn. 123. 210  Freund,

211  Murmann,



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 181

(1) G  arantenpflicht bezogen auf die Verhinderung- oder Erschwerung der Tat, zu deren Begehung ein Tatbeitrag vorsätzlich geleistet wurde (a) Vorsätzlich täterschaftliches Vorverhalten Wer zuvor als (Mit-)Täter durch seinen Tatbeitrag eine missbilligte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg vorsätzlich geschaffen hat, bringt das Opfer in die tatbestandlich beschriebene Abhängigkeitslage und verpflichtet sich deshalb, die drohende zu verwirklichende tatbestandsmäßige Gefahr zu verhindern. Wer etwa durch gemeinsame Körperverletzung bereits unmittelbar das Leben des Opfers konkret gefährdet und es in eine hilflose Lage gebracht hat, ist zur Verhinderung des Eintritts seines Todes berufen. (b) Vorsätzliche Anstiftung und Beihilfe als Vorverhalten Wenn der Einzelne zuvor den Täter zu einer Straftat anstiftet bzw. diese fördert, bringt er das Opfer in eine vom Täter überhaupt bzw. leichter anzugreifende Lage und erhöht über den Täter auch das Risiko für das Rechtsgut des Opfers. Insoweit verletzt auch der Teilnehmer sein Rechtsverhältnis zum Opfer.214 Aus Sicht des Opfers wird es durch die Anstiftung oder Beihilfe in eine hilflose Abhängigkeitsbeziehung versetzt und darf darauf vertrauen, dass der Anstifter bzw. Gehilfe seinen Beitrag wieder zurückzieht. Da sich in der Teilnahmehandlung auch eine ursprüngliche Abhängigkeit in Hinblick auf ein konkretes Daseinselement erkennen lässt, trifft den Teilnehmer eine Garantenpflicht. Die Reichweite bzw. der Schutzzweck215 dieser Garantenpflicht beschränkt sich aber auf die Zurückziehung teilnehmerschaftlicher Beiträge, erstreckt sich also nicht auf die Erfolgsverhinderung. Ein Beispiel: B leiht T eine Pistole, damit T das Kind des E leichter umbringen kann. B ist wegen der Garantenpflicht aus rechtswidriger Ingerenz im Sinne der Erhöhung des Lebensrisikos für das Kind nur zum Zurückziehen der Pistole verpflichtet.216 Würde sich der Schutzzweck der Pflicht auf die Verhinderung der Tötung des T erstrecken, verfehlte dies auch den Inhalt des ursprüng­ lichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen B und dem Kind: Dieses Verhältnis beschränkt sich gerade nur auf die Gefahr der fremden Ausnutzung der Pistole.217 Durch Ausleihe der Pistole hat B nur ein Risiko im Sinne der 214  Murmann,

640.

JuS 1999, 549; in der Sache auch Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 638,

215  Zum Schutzzweck als Einschränkung der Garantenpflicht aus Ingerenz Hoven, GA 2016, S. 32 f. Murmann, GK, § 29 Rn. 66; Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S.  138 ff., 183 ff.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 171 f. 216  In der Sache auch Jakobs, Theorie, S. 58. 217  Ähnlich Freund, Erfolgsdelikt, S. 236 Fn. 45.

182 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Erleichterung einer fremden Tötungshandlung, aber kein Risiko in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Lebenserfolg des Kindes geschaffen, für das nur der Täter T selbst verantwortlich sein soll.218 Des Weiteren haben die Teilnehmer nach der Anstiftung und Beihilfe normalerweise die Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung; wären sie dann kraft Ingerenz verpflichtet, den vom Täter ausgelösten Erfolg zu verhindern, würde über die zuvor begründete Haftung für die Teilnahme hinaus die Teilnahme zur Täterschaft durch Unterlassen „aufgewertet“. Die Vorschriften zur Teilnahme würden dann gänzlich „aufgerollt“.219

218  In der Literatur wird in diesem Zusammenhang überwiegend eine Garantenpflicht verneint, denn man scheint davon auszugehen, dass die Garantenpflicht immer erfolgsbezogen sei und die Annahme einer Garantenstellung aus Ingerenz ohne weiteres auf eine Erfolgsverhinderungspflicht hinauslaufen würde, was aufgrund der Eigenverantwortlichkeit des Täters nicht vertretbar sei. Vgl. bereits Welp, Vorangegangenes Tun, S. 281 ff.; ferner, Kühl, AT, § 18 Rn. 104; Otto, FS-Geppert, S. 443; Renzikowski, Täterbegriff, S. 264; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 13 Rn. 36. A. A. für eine Erfolgsverhinderungspflicht aber SK/Stein, § 13 Rn. 57. Der Unterschied zwischen der überwiegenden Meinung und der hier vertretenen Ansicht mag in Hinblick auf das Ergebnis nicht so auffällig sein, denn auch wenn hier eine Garantenstellung aufgrund der Teilnahme angenommen wird, wird eine Garantenpflicht zur Erfolgsverhinderung gerade verneint. Die einfache Berufung auf die Eigenverantwortlichkeit des Täters zur Verneinung einer Pflicht zur Erfolgsverhinderung (Kühl, AT, § 18 Rn. 104; Neumann, JR 1993, 162; Otto, FS-Geppert, S. 442) würde aber zu kurz greifen. Sie fokussiert zu sehr auf das Rechtsverhältnis zwischen Vorbeteiligtem und Haupttäter und vernachlässigt das Rechtsverhältnis zwischen Vorbeteiligtem und Opfer. Denn wie beim Begehungsdelikt schließt die fremde Eigenverantwortlichkeit nicht unbedingt die Erfolgszurechnung zu einem vorher Beteiligten aus und es ist durchaus denkbar, dass sich bei Vorliegen der Eigenverantwortlichkeit des Dritten doch eine Pflicht zur Erfolgsverhinderung aus dem konkreten Rechtsverhältnis ergeben könnte. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn das Verhalten eines Vorbeteiligten nicht einfach die Haupttat gefördert, sondern unmittelbar das Leben des Opfers konkret gefährdet und es in eine hilflose Lage gebracht hat, sodass das Opfer dem Angriff des Haupt­ täters nicht mehr ausweichen kann. Hier hat der Vorbeteiligte ein Risiko in Richtung auf das Leben des Opfers geschaffen hat und ist ungeachtet der Eigenverantwortlichkeit des Haupttäters zur Rettung des Lebens des Opfers verpflichtet (dazu auch Neumann, JR 1993, 162; für eine Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme der Schutzfunktion aber Otto, FS-Geppert, S. 457). Entscheidend ist somit, die konkrete Pflicht und deren Reichweite aus dem bestimmten Rechtsverhältnis zwischen dem Vorbeteiligten und dem Opfer genauer zu bestimmen. So gesehen ist die Eigenverantwortlichkeit des Dritten nur ein (entscheidender) Faktor zu deren Bestimmung. 219  Jakobs, AT, § 29 Rn. 105.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 183

(2) Sog. „Weiterungstaten“ Strukturell von den oben dargestellten Fällen abweichend und deshalb klar abzugrenzend sind die Fälle von sog. Weiterungstaten.220 Hier stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein Vortatbeteiligter, der sich vorher in Mittäterschaft an einer Vortat beteiligt hat, wegen der Garantenstellung aus Ingerenz verpflichtet ist, die von einem anderen Mittäter dieser Vorstraftat weiter zu vertiefende oder neue geschaffene andere Folgetat zu verhindern. Ein Beispiel:221 Ein Strafgefangener, der zuvor mit anderen Zellengenossen einen Mitgefangenen mehrfach durch Misshandlungen gedemütigt und eine „Atmosphäre der Gewalt“ in der Gefängniszelle geschaffen hat, verhindert weitere, durch diese Atmosphäre motivierte Misshandlungen oder sogar eine Tötungshandlung anderer Zellengenossen an den Mitgefangenen vorsätzlich nicht. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass ein Verursachungszusammenhang zwischen Vortat und Folgetat für die Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz nicht ausreicht. Stattdessen muss „das Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts gerade des tatbestandsmäßigen Erfolges herbeigeführt haben“.222 Es ist zwar richtig, dass eine Verursachungsbeziehung zwischen beiden Taten nicht ausreichend ist. Denn fast jedes Vorverhalten, darunter auch pflichtmäßiges, kann ein physisches bzw. psychisches Potential zur Förderung einer fremden Straftat aufweisen, ohne aber deshalb schon eine Mitverantwortung für die fremde Tat zu begründen. Zur Begründung dieser Mitverantwortlichkeit bedarf es noch weiterer normativer Zurechnungskriterien. Das Kriterium der „nahen Gefahr“ bleibt allerdings inhaltlich abstrakt und konkretisierungsbedürftig. Die Rechtsprechung scheint der Meinung zu sein, dass eine nahe Gefahr in der Regel vorliege, wenn es um Rechtsgüter gleicher oder abgestufter Art bzw. um eine gleich geartete Folgetat gehe, die Beteiligten etwa von einer gewaltsamen Misshandlung zur Tötung übergehen, und „das vorausgegangene Verhalten eine Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirkte, dass der Täter in seinem zum Tode führenden Vorgehen bestärkt wurde“.223 Beim ersten Kriterium der Art der Folgetat handelt es sich allenfalls um ein nicht zu verabsolutierendes Indiz. Denn man muss immer noch das zweite Kriterium der Bewirkungsrichtung der Gefahrerhöhung aus dem Vorverhalten prüfen. Danach fehlt regelmäßig bei einer „anders gearteten Folgetat“ eine 220  Zu dieser Bezeichnung Jakobs, Ingerenz, S. 44. Neuere Rechtsprechungen BGH NStZ 2009, 321; 2012, 379. Weitere Nachweise aus der Rechtsprechung vgl. Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 25 ff.; Herbertz, Ingerenz, S. 50 ff. 221  Gekürzte und leicht veränderte Sachverhalte aus BGH NStZ 2009, 321. 222  BGH NStZ-RR 1997, 292 f.; BGH NStZ 2012, 379, 380; 2018, 209, 210. 223  BGH NStZ-RR 1997, 293; BGH NStZ 2012, 379, 380.

184 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

naheliegende Gefahr224 wie versuchte räuberische Erpressung nach einem Betrug.225 Aber auch wenn es um eine anders geartete Folgetat geht, etwa den Übergang von sexuellem Missbrauch zur Aussetzung in eine hilfelose Lage, kann die durch den Vorbeteiligten initialisierte entwürdigende sexuelle Misshandlung des widerstandsunfähigen Opfers den Eindruck auslösen, „man könne mit der Geschädigten nach Belieben wie mit einer Sache verfahren und sie deshalb auch in lebensgefährdender Weise auf dem Hof geradezu ‚entsorgen‘.“226 Damit relativiert der BGH das erste abstrakte Kriterium und setzt seinen Beurteilungsschwerpunkt auf das zweite, und zwar ob das Vorverhalten bereits eine Gefahr in Richtung auf die Folgetat geschaffen oder erhöht hat. Dem vom BGH angebotenen zweiten Kriterium ist nach einer Präzisierung grundsätzlich zuzustimmen. Also ist hier von der Frage auszugehen, ob der Vorbeteiligte durch seine vorherige Beteiligungshandlung bereits eine unerlaubte, d. h. normativ relevante Gefahr in Richtung auf die Folgetat des anderen Beteiligten erhöht oder überhaupt geschaffen hat.227 Denn nur dann 224  BGH NStZ-RR 2013, 137, 138; BGH Beschl. v. 15.5.2018 – 3 StR 130/18, BeckRS 2018, 13259, Rn. 16. 225  BGH Beschl. v. 15.5.2018 – 3 StR 130/18, BeckRS 2018, 13259, Rn. 16. Auch „die gemeinschaftliche Planung eines Raubes mit Fesselung und Knebelung des Tatopfers [führt] die nahe Gefahr der Ermordung des Opfers infolge Erwürgens durch den Mittäter“ nicht herbei (BGH NStZ 2012, 379, 380). 226  BGH NStZ 2018, 209, 210. 227  Ähnlich Jakobs, Ingerenz, S. 45: „welches unerlaubte Risiko der Vorbeteiligte durch seine Beteiligung gesetzt hat“. Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 211 f. will mithilfe der Lehre von der objektiven Zurechnung, insbesondere durch den Gedanken des Schutzzwecks der Norm sowie durch den Gedanken der objektiven Vorhersehbarkeit das Problem von Weiterungstaten lösen. Beide Kriterien berücksichtigend auch Herbertz, Ingerenz, S. 367 ff., aber mit unterschiedlichen Reichweiten. Die Kernthese lautet danach: Die durch das Vorverhalten geschaffene missbilligte Gefahr muss sich im Weiterungserfolg niederschlagen (deutlich Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 182 f.; insoweit auch Herbertz, Ingerenz, S. 367, 370). Und bei der Bestimmung der Gefahrrealisierung sollen beide Kriterien eine wichtige Rolle spielen. Der Schutzzweck der verletzten Verhaltensnorm ist zwar ein relativ konkretes Kriterium, das auch in manchen Fällen zum sachgerechten Ergebnis führt. So schützt die Verhaltensnorm der gefährlichen Körperverletzung auch vor dadurch ausgelöster Lebensgefahr (eingehend Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 207 ff.). Allerdings ist es fraglich, ob die Lehre vom Schutzzweck der Verhaltensnorm nicht ein zu abstraktes, und deshalb zu enges Kriterium bleibt, denn sie orientiert sich nur an dem abstrakten Schutzzweck der einzelnen Verhaltensnorm und könnte die konkrete Begehungsweise des Vorbeteiligten und seinen Tatbeitrag vernachlässigen (die begrenzte Aussagekraft des Schutzzweckerfordernisses diagnostizierend auch Herbertz, Ingerenz, S. 368). Dies ist gerade in den Fällen von Interesse, in denen der Vorbeteiligte gemeinsam mit anderen einen Raub oder eine Vergewaltigung begangen hat und das Opfer wegen der von ihnen ausgeübten Gewalt hilflos bleibt oder sogar einer Lebensgefahr ausgesetzt ist, woraufhin ein Mittäter zur Verdeckung dieser Vortat das wehr-



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 185

hat er durch die vorherige Beteiligung einen Tatanteil an der Folgetat und die dadurch geschaffene unerlaubte Gefahr für das Opfer zu neutralisieren. Die Entscheidung, ob dies der Fall ist, erfordert, wie bei der Bestimmung eines unerlaubten Verhaltens,228 eine Differenzierung unter Berücksichtigung des Kontexts, in dem die vorherige Teilnahme geleistet wurde. Das vorausgegangene Verhalten kann etwa eine unerlaubte Gefahrschaffung bzw. Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirken, dass die Tatentschlüsse der anderen Tatbeteiligten zur Folgetat hervorgerufen oder bestärkt werden oder dass die Abwehrfähigkeit des Opfers herabgesetzt wird, so dass es sich gegen den Angriff der anderen Tatbeteiligten auf sein Rechtsgut nicht wirksam verteidigen kann.229

lose Opfer tötet. Verpflichtet sich der Vortatbeteiligte nicht, die durch sein Vorverhalten ausgelöste Lebensgefahr oder die Gefahr der Herabsetzung der Abwehrfähigkeit des Opfers zu neutralisieren, nur weil sich die Vermeidung solcher Gefahren nicht zum Schutzzweck der den Raub und die Vergewaltigung betreffenden Verhaltensnormen rechnen lässt? Bei „Körperverletzung gem. § 223 StGB als Vortat“ (Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 202 ff.) sieht Paradissis auch das Problem und versucht, den Schutzzweck der Verhaltensnorm auszudehnen, um die Garantenstellung begründet werden zu können. Die Verhaltensnorm soll nun über die körperliche Unversehrtheit hinaus auch mittelbar „die freie Entfaltung des Einzelnen“ schützen (Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 203). „Geschützt wird damit auch die Möglichkeit, sich gegen Rechtsgutsverletzungen jeglicher Art zu wehren.“ Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 204. Abgesehen davon, ob diese Bestimmung des Rechtsguts bei Körperverletzung angemessen ist, wird das Problem der Hilflosigkeit aber nur teilweise, und zwar allenfalls im Rahmen der Körperverletzung, gelöst. Jenseits dieses Bereichs bleibt das Problem ungelöst. Zu kritisieren ist ferner, dass Paradissis der Auffassung ist, die durch die Ausdehnung des Schutzzwecks der Verhaltensnorm ermöglichte Ausuferung der Strafbarkeit sei durch das Kriterium der objektiven Vorhersehbarkeit zu vermeiden. Die Zurechnung der Folgetat könne nur dann erfolgen, „wenn sich die Weiterungstat zum Zeitpunkt der Ersthandlung nach allgemeiner Lebenserfahrung als typische Folge darstellt und ex ante konkret vorhersehbar war“ (Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 206). Als Hilfskriterium für die Beurteilung der Vorhersehbarkeit sei in der Regel ein zeitlich und räumlich enger Zusammenhang zwischen Vorhandlung und Weiterungstat erforderlich (Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 204). Damit wird die Zurechnung der Folgetat aber nicht von dem Schutzzweck der Verhaltensnorm, sondern wesentlich von der Vorhersehbarkeit der Folgetat abhängig gemacht. Mehr als zweifelhaft ist ferner, ob sich das Kriterium der Vorhersehbarkeit mit der von Paradissis vertretenen Lehre von der objektiven Zurechnung, insbesondere mit dem Gedanken des Schutzzwecks der Norm verträgt. Hierzu kritisch auch Herbertz, Ingerenz, S. 362. Letztlich ist festzustellen, dass der herkömmliche Vorwurf gegen das Vorhersehbarkeitskriterium, dass es zu unbestimmt sei, durch die von Paradissis angebotenen Hilfskriterien für die Bestimmung der Vorhersehbarkeit nicht entkräftet werden kann. 228  Zutreffend Jakobs, Ingerenz, S. 46. 229  Ähnliche Differenzierung Neumann, JR 1993, 162.

186 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Was das Hervorrufen oder die Bestärkung der Tatentschlüsse der anderen Tatbeteiligten durch ein Vorverhalten angeht, ist davon auszugehen, dass das Potential der vorherigen Beteiligungshandlung, einen fremden Tatentschluss hervorzurufen oder zu stärken, für sich genommen noch keine Zuständigkeit für den Tatentschluss des anderen Beteiligten begründet.230 Denn die Bürger erkennen in der Regel einander wechselseitig als selbstbestimmtes und ­deshalb selbstverantwortliches Vernunftwesen an; jeder Bürger ist deshalb grundsätzlich nur für den eigenen Tatentschluss zuständig. Ein Vorverhalten, das eine Sonderverantwortlichkeit für einen fremden Tatentschluss begründet, ist dementsprechend nur dann anzunehmen, wenn das Vorverhalten seinem Sinngehalt nach eindeutig auf die Hervorrufung oder Bestärkung eines fremden Tatentschlusses gerichtet ist. Nur wenn es unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem es auftritt, nur so oder nur schwerlich anders interpretiert werden kann, schafft der Handelnde ein rechtlich missbilligtes Risiko in Richtung auf die Hervorrufung oder Bestärkung eines fremden Tatentschlusses.231 Demzufolge kann die Garantenpflicht eines Strafgefangenen zur Verhinderung oder zur Erschwerung der Folgetat der anderen Zellengenossen nicht allein damit begründet werden, dass er sich zuvor an der Schaffung einer „Atmosphäre der Gewalt“ in der Gefängniszelle beteiligt hat. Denn die Schaffung einer „Atmosphäre der Gewalt“, die zur Hervorrufung oder Bestärkung eines fremden Tatentschlusses durchaus geeignet ist, lässt sich nicht ohne weiteres als eine Aufforderung zur Folgetat oder als psychische Unterstützung interpretieren. Das normativ berechtigte Vertrauen, dass sich die anderen Zellengenossen trotz des tatgünstigen Umstands am Recht orientieren werden, gilt nur dann nicht mehr, wenn sich der Übergang von der Misshandlung zur Tötung des Mitgefangenen als regelmäßig auftretend erweist, so dass die gemeinsame Misshandlung ein Signal für alle Beteiligten darstellt, eine Tötungshandlung auszuführen,232 oder wenn die durch die gemeinsame Misshandlung herbeigeführte Gefahr für das Opfer wegen der 230  So

aber BGH NStZ 1992, 31. dieser allgemeinen Voraussetzung für die Anstiftung vgl. nur Frisch, Verhalten, S. 344; Murmann, GK, § 27 Rn. 102. In dieser Richtung, aber mit abweichenden Kriterien etwa Roxin, AT II, § 32 Rn. 163: „die erkennbare Tatgeneigtheit eines Begehungstäters; Neumann, JR 1993, 162: „Solidarisierung mit fremdem Unrecht“ i. S. v. vorsätzlicher Förderung des Tatentschlusses. Im Rahmen der Vorhersehbarkeit die erkennbare Tatgeneigtheit berücksichtigend Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 200. 232  Entgegen Herbertz, Ingerenz, S. 372 reicht der Umstand allein, dass der Garant im Vortatgeschehen eine wohl auf der faktischen Macht gegründete übergeordnete Rolle gegenüber dem Weiterungstäter innehat und „der Weiterungstäter mit der Tat erkennbar ‚in die Fußstapfen‘ des Garanten tritt oder gleichsam in ‚vorauseilendem Gehorsam‘ handelt“, noch nicht aus, um das genannte normative berechtigte Vertrauen zu erschüttern. 231  Zu



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 187

festgestellten Gruppendynamik bereits an der Grenze der Lebensgefahr liegt, so dass sich die Gefahr eines Übergangs zu anderen Delikten mit Lebensgefahr „nicht leicht von der Hand weisen“ lässt.233 Eine Garantenpflicht zur Verhinderung oder Erschwerung der Folgetat lässt sich aber auf andere Weise begründen, und zwar dadurch, dass der Vortatbeteiligte durch sein Vorverhalten die Abwehrfähigkeit des Opfers herabgesetzt hat, so dass das Opfer sich nicht wirksam gegen den neuen Angriff der anderen Tatbeteiligten verteidigen kann. Wer durch sein Vorverhalten das Opfer in eine Lage gebracht hat, in der das Opfer wegen der herabgesetzten Abwehrfähigkeit leichter angegriffen werden kann, ist zum Ausgleich der verminderten Abwehrfähigkeit berufen, er verpflichtet sich also, die Folgetat zu erschweren, indem er etwa das Opfer aus der kritischen Situation befreit, auch wenn der Tatentschluss zur Folgetat erst durch das spätere Verhalten des Opfers hervorgerufen wurde, das für den Vortatbeteiligten zum Zeitpunkt der Vorhandlung nicht vorhersehbar war.234 Denn hier handelt es sich nicht um die Frage, ob das Unrecht der eigenen Tatbeteiligung nur bei Vorhersehbarkeit der Folgetat während der Vorhandlung im weiteren Geschehen fortwirkte,235 sondern nur um die Legitimation der Pflicht, die durch die Vorhandlung geschaffene Gefahr, die sich zu verwirklichen droht, zu neutralisieren. Entscheidend ist dementsprechend, ob sich die vom Vortatbeteiligten durch das Vorverhalten geschaffene unerlaubte Gefahr in der Folgetat niederzuschlagen droht und er zu diesem Zeitpunkt (der Handlungspflicht) diesen Umstand vorhergesehen hat oder zumindest hätte vorhersehen können. Die Anforderung, dass der Vortatbeteiligte bereits zum Zeitpunkt der Vorhandlung die Folgetat zumindest hätte vorhersehen können, ist deshalb zu eng und unangemessen. In diesen Zusammenhang lässt sich das im Schrifttum236 herangezogene Kriterium der „hilflosen Lage des Opfers“ einordnen. Wird das Opfer etwa durch einen gemeinschaftlich begangenen sexuellen Missbrauch widerstandsunfähig, muss der Vortatbeteiligte die Folgetat anderer Beteiligter erschweren. Im extremen Fall kommt sogar eine Pflicht des Vortatbeteiligten zur Verhinderung der Folgetat in Betracht, wenn „das Vorgeschehen einen erheblichen physischen und gegebenenfalls sogar verletzungsJA 2018, 230, 232. etwa BGH JR 1993, 159, wobei der Entschluss des anderen Beteiligten zur Folgetat erst durch die zum Zeitpunkt der Vorhandlung nicht vorhersehbare Information über das Telefongespräch mit der Mutter des Opfers hervorgerufen wurde. 235  Dezidiert dafür aber Herbertz, Ingerenz, S. 369; Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 200. 236  Vgl. Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit, S. 204 f., der die Hilflosigkeit des Opfers unzutreffend bei der Schutzzweckprüfung erläutert; Herbertz, Ingerenz, S. 370, die allerdings diesem Gesichtspunkt nur eine indizielle Bedeutung zuschreiben will. 233  Jäger, 234  Vgl.

188 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

geeigneten Bezug aufweist“,237 wenn das Opfer also aufgrund der Intensität der Vorhandlung bereits einer tatbestandsmäßigen Gefahr der Folgetat ausgesetzt ist. Die Reichweite der Garantenpflicht aus vorheriger Beteiligung ist also nach dem Inhalt des vom Vorbeteiligten geschaffenen Risikos zu bestimmen: Schafft das Vorverhalten bereits eine tatbestandsmäßige Gefahr in Richtung auf die Folgetat, etwa wenn sich das Opfer wegen der schweren Misshandlung in einem lebensgefährdenden Notstand befindet und der andere Mittäter zur Verdeckung der Vortat zur Tötung des Opfers übergeht, dann ist der Vorbeteiligte zur Rettung seines Lebens und damit auch zur Verhinderung der weiteren Tötung verpflichtet. Dagegen verpflichtet sich der Vorbeteiligte nur zur Erschwerung der Folgetat, wenn sein Vorverhalten nur zur Hervorrufung des fremden Tatentschlusses oder zur Erhöhung der Gefahr in dem Sinne beigetragen hat, dass der Tatentschluss eines anderen Beteiligten bestärkt wurde oder dass das Opfer wegen der Minderung seiner Abwehrfähigkeit leichter angegriffen werden konnte.238 c) Zuständigkeit für Sachen als Gefahrenquelle aa) Allgemeine Bemerkung Eine Garantenstellung aus einer einseitigen Risikoschaffung liegt auch dann vor, wenn die drohende Gefahr für ein fremdes Rechtsgut zwar nicht von der eigenen Körperbewegung des Garanten, aber von einer Sache oder Räumen, für die er zuständig ist, herrührt. Wie die Ausführungen über die Garantenstellung aus Ingerenz bei riskanter, aber erlaubter Handlung gezeigt haben, ist der Gebrauch dieser Sachen und Räume, die selbst oder erst durch ein menschliches Benutzen Gefährlichkeit aufweisen können, unter dem Vorbehalt zulässig, dass die entsprechenden Sorgfaltsnormen beachtet werden und die ggf. trotzdem zu verwirklichenden Gefahren rechtzeitig verhindert werden. Die Integrität des Rechtsguts der Außenstehenden ist somit von einer pflichtmäßigen Gefahrenkontrolle und Verhinderungsbereitschaft seitens des Garanten abhängig. Und derjenige, der freiwillig die Sachen oder Räume benutzt oder verwaltet, übernimmt dadurch diese Sicherungs- und Verhinderungsaufgabe und ist als Garant zur Überwachung der Gefahr oder ggf. zur Verhinderung der Gefahrverwirklichung verpflichtet.239

237  Jäger, JA 2018, 230, 232 zur Begründung einer „naheliegenden“ Gefahr der Begehung der Folgetat. 238  Die Beteiligungsformen sind dementsprechend nach der Reichweite bzw. dem Schutzzweck der Garantenpflicht abzugrenzen.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 189

Sehr umstritten ist die Reichweite dieser Garantenpflicht im Fall der Überwachung gefährlicher Sachen. Ein Teil der Literatur nimmt nur die Sicherungspflicht oder Gefahrenbeseitigungspflicht an und verneint eine weitere Rettungspflicht für das von dieser Gefahr betroffene Opfer.240 Dieser Ansicht liegt in der Regel der Gedanke der Herrschaft zugrunde, nämlich dass der Garant nur innerhalb seiner Herrschaft über die Sachen für Gefahren verantwortlich sei. Eine mögliche Folge der Gefahrverwirklichung zu verhindern, liege aber außerhalb des Herrschaftsbereichs des Garanten. Aber abgesehen von der Frage, ob der Gedanke der Herrschaft zur Begründung einer Garantenstellung geeignet wäre, würde die Verneinung einer Rettungspflicht der Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Garanten und dem Opfer nicht gerecht werden. Solange die Garantenpflicht hier gerade nicht nur auf die Gefahrenprävention abzielt, sondern auf die Vermeidung der Gefahrverwirk­ lichung und der Rechtsgutsverletzung überhaupt, ist insoweit das konkrete Rechtsgut des Opfers bereits vor dem Eintreten der Gefahr von dem Garanten abhängig. Die Rechtsstellung des Opfers ist in Hinblick auf dieses gefährdete Rechtsgut ganz anders als die Rechtsstellung desjenigen, der vor dem Eintreten der Gefahr mit dem Opfer nur in einer ursprünglichen Solidaritätsbeziehung steht. Unterlässt der Garant bei Gefahrverwirklichung Maßnahmen zur Rettung, verwirklicht sich nicht nur das Unrecht im Sinne des § 323c StGB, sondern auch das Unrecht des entsprechenden Erfolgsdelikts.241 Entscheidend ist für die Reichweite dieser Pflicht, inwieweit das konkrete Rechtsgut von den Gefahrenquellen und von den Sicherungs- und Verhinderungsmaßnahmen abhängig ist. Das kann sich aber nur nach der Beschaffenheit der jeweiligen Gefahr, nach deren Verwirklichungsweise sowie nach der vom Garanten übernommenen Überwachungsfunktion bestimmen. Eine pauschale Anerkennung oder Verneinung einer Rettungspflicht ist nicht zielführend. Die Gründe und Typen der Garantenstellung aufgrund der Überwachung eines Gefahrenherdes sind jedoch so vielfältig, dass hier nicht alle möglichen Typen detailliert untersucht werden können. Im Folgenden ist somit nur auf die Garantenpflicht aus der Überwachung eines Gefahrenherds zwecks Verhinderung fremder Straftaten einzugehen, die für die Frage nach der Beteiligung von Bedeutung ist. 239  Zur Begründung dieser Garantenstellung aus einer ursprünglichen Abhängigkeit auch Köhler, AT, S. 220. Überwiegend wird diese Garantenstellung aus dem Gedanken der Herrschaft über die Gefahrenquelle begründet. Vgl. Roxin, AT II, § 32 Rn.  107 ff. 240  Kühl, AT, § 18 Rn. 111; Roxin, AT II, § 32 Rn. 124; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 290; SK/Stein, § 13 Rn. 37. 241  Insoweit zutreffend Freund, Erfolgsdelikt, S. 182 f.; Herzberg, Unterlassung, S.  322 f.; Köhler, AT, S. 220; LK13/Weigend, § 13 Rn. 59; NK/Gaede, § 13 Rn. 49; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 232 f.

190 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

bb) Nichtverhinderung deliktischer Anwendung gefährlicher Sachen durch einen Dritten Weil die Garantenpflicht aus Überwachung eines Gefahrenherds primär darauf abzielt, dass sich Außenstehende nicht diesen möglichen Gefahren aussetzen, soll der Garant auch dann die Verwirklichung der Gefahren verhindern, wenn diese Gefahr von einem Dritten ausgelöst worden ist oder von ihm zur Verletzung fremden Rechtsguts in Dienst genommen wird. Die Eigenverantwortlichkeit dieses Dritten schließt deshalb im Grunde die Garantenstellung nicht aus. Der Garant ist auch in diesem Fall zu Sicherungsmaßnahmen bzw. zur Verhinderung der Straftat des Dritten verpflichtet, je nachdem, inwieweit das konkrete Rechtsgut des Opfers von der Gefahr und der von dem Garanten übernommenen Überwachungsaufgabe abhängig ist. Wenn die gefährliche Sache ohne Zutun eines Menschen unmittelbar ein konkretes Rechtsgut verletzen kann, dann hat die Übernahme einer Überwachungsaufgabe in der Regel den Sinn, dass dieses konkrete Rechtsgut nicht wegen der Gefahrverwirklichung verletzt werden soll. Da die Überwachungsaufgabe sich selbst bereits unmittelbar auf das konkrete Rechtsgut richtet und dieses insoweit von der Pflicht abhängig ist, hat der Überwacher zur Vermeidung der Rechtsgutsverletzung nicht nur eine Sicherungspflicht, sondern auch eine Pflicht zum Einschreiten gegen fremde Straftaten und sogar eine Rettungspflicht. Diese umfassenden Pflichten schließen aber nicht die Pflicht des Begehungstäters aus, das Rechtsgut nicht durch positives Tun zu verletzen und bei Pflichtverletzung das Rechtsgut zu retten (Garantenstellung aus vorsätzlicher pflichtwidriger Ingerenz). Denn beide Pflichten beruhen auf unterschiedlichen Haftungsgründen. Ein Hundehalter242 hat etwa aufgrund der Garantenpflicht zur Überwachung seines Kampfhundes diesen Hund zurückzupfeifen oder bei dessen Nichtbeherrschbarkeit ihn sogar zu töten, wenn dieser Hund von einem Dritten freigelassen und zum Angriff auf einen Fußgänger gehetzt wurde, einerlei, ob der Hund den Fußgänger noch nicht erreicht hat oder ihn bereits anfällt. Ist der Angriff beendet, befindet der Fußgänger sich aber in einer lebensgefährdenden Lage, ist der Hundehalter auch zur Rettung des Lebens des Fußgängers, etwa durch Herbeirufen ärztlicher Hilfe, verpflichtet. Geht es demgegenüber um solche sachliche Gefahren, die für das fremde Rechtsgut nur vermittelt durch einen menschlichen Gebrauch der Sache entstehen können, zielt die Überwachung der Sache im Grunde nicht unmittelbar auf die Rechtsgutsverletzung, weil das einfache Dasein der Sache nicht das Rechtsgut gefährden kann, sondern darauf, dass diese gefährliche Sache 242  Zu diesem Beispiel und seiner zutreffenden Lösung Freund, Erfolgsdelikt, S. 183; MK4/Freund, § 13 Rn. 120, 276.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 191

Unbefugten unzugänglich bleibt, sodass eine durch deren Gebrauch entstehende Gefährdung für fremdes Rechtsgut vermieden wird. Das konkrete Rechtsgut ist somit nur insoweit von dem Überwacher abhängig, als diese gefährliche Sache nicht von Dritten an sich genommen werden soll. Dementsprechend erfolgt die Risikoverteilung in diesem Bereich grundsätzlich in der Weise, dass dem zur Überwachung der Sache Verpflichteten nur eine Sicherungspflicht zukommt, während dem Unbefugten, der die gefährliche Sache als Mittel zur Rechtsgutsverletzung missbraucht hat, eine Rettungspflicht aus Ingerenz aufzuerlegen ist. Wer z. B. als Polizeibeamter eine Schusswaffe ­besitzt, muss alle Vorkehrungen dafür treffen, dass Dritte sie nicht an sich nehmen können (vgl. Waffengesetz § 36 Abs. 1). Wird die Schusswaffe wegen des pflichtwidrigen bzw. nicht pflichtwidrigen Unterlassens des Polizisten von einem unbefugten Dritten zur Tötung des Opfers weggenommen, hat der Polizeibeamte diese Schusswaffe zurückzuziehen, nicht aber die Straftat insgesamt zu verhindern (auch wenn das Zurückziehen der Waffe in der ­Regel diese Straftat erheblich beeinträchtigen könnte) oder das Leben des Opfers zu retten. Der die Waffe missbrauchende Begehungstäter hat dagegen wegen der Garantenpflicht aus Ingerenz das Opfer zu retten. cc) Nichtverhinderung einer fremden Straftat in bestimmten Räumen Nach der neueren Rechtsprechung kann aus der Überwachung bestimmter Räume zwar eine Garantenpflicht des Raumverwalters oder Rauminhabers zur Verhinderung einer darin stattfindenden Straftat abgeleitet werden. Dies ist aber nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen anzunehmen. Wenn z. B. der Wohnungsinhaber sich vorher nicht aktiv an der Straftat beteiligt habe, indem er etwa dem Mitbewohner oder Mieter die Wohnung in Kenntnis dessen Handels mit Betäubungsmitteln überlasse oder die Betäubungsmittel für ihn verwahre, sondern bloß davon Kenntnis genommen und es geduldet habe, sei er grundsätzlich nicht zur Verhinderung dieser Straftat verpflichtet,243 es sei denn, dass „die Wohnung wegen ihrer besonderen Beschaffenheit oder Lage eine Gefahrenquelle darstellt, die er so zu sichern und zu überwachen hat, daß sie nicht zum Mittel für die leichtere Ausführung von Straftaten gemacht werden kann“.244 Der Auffassung, dass ein Wohnungsinhaber grundsätzlich keine Garantenpflicht zur Verhinderung der von seinem Mitbewohner begangenen Straftat wie Vergewaltigung oder räuberischer Erpressung an einem Gast hat, ist zuzustimmen. Nach der hier vertretenen Abhängigkeitsthese 243  BGH

220.

NStZ 2010, 221, 222; 2014, 164; BGH NStZ-RR 2012, 58; 2017, 219,

244  BGHSt 30, 391, 396. Vgl. auch BGH NStZ 2010, 221, 222 unter Berufung auf BGH NStZ-RR 2003, 153.

192 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

kann eine Garantenpflicht als solche nur dadurch begründet werden, dass diese Wohnung an sich eine Gefahr der Ermöglichung oder Erleichterung dieser begangenen Straftat aufweise und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht bzw. Eigentum des Gastes bei Eintritt in die Wohnung über ein allgemeines Lebensrisiko hinaus besonders gefährdet werde. Diese Gefahr und die daraus entstandene Abhängigkeit des Gastes könnte allenfalls dann ausnahmsweise vorliegen, wenn die Wohnung an sich als Mittel und nicht nur als ein Ort der Straftat zu interpretieren sei. Die Eigenart der Wohnung muss nämlich in den konkreten Tatabläufen eine entscheidende Rolle spielen.245 Aber einer gewöhnlichen, der privaten Freiheitsentfaltung dienenden Wohnung fehlt diese Gefahr und sie kann zutreffend nicht als eine die Garantenstellung begründende Gefahrenquelle angesehen werden.246 Eine Pflicht zur Verhinderung dieser Straftaten könnte sich aber aus anderen Garantenstellungen ergeben, wenn der Wohnungsinhaber zuvor bereits an diesen Straftaten teilgenommen hat (Ingerenz) oder wenn er ausdrücklich oder konkludent die Aufgabe übernommen hat, das Rechtsgut des Gastes vor dem Angriff des Mitbewohners zu schützen. Letzteres ist aber in der Regel nur dann der Fall, wenn ein geistig Behinderter oder ein Kind in die Wohnung aufgenommen wird.247 Denn der Wohnungsinhaber hat aufgrund seiner freiwilligen Aufnahme die Unselbständigkeit und das schwächere Selbstschutzpotential eines geistig Behinderten oder Kindes auszugleichen.248 Gleiches gilt für die Straftatverhinderungspflicht einer Gastwirtin, wenn sie die Misshandlung einer Frau durch einige Gäste oder den Diebstahl eines Gastes nicht unterbindet. Auch hier trifft die Gastwirtin grundsätzlich keine Garantenpflicht aus der Überwachung der Gaststätte. Soweit es keinen deut245  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 361. An ihn anschließend Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 54; SK/Stein, § 13 Rn. 48. 246  Trotz aller Unterschiede bei Ausnahmefällen so die h.  M. Kühl, AT, § 18 Rn. 115; LK13/Weigend, §13 Rn. 52; Murmann, GK, § 29 Rn. 59; Rengier, AT, § 50 Rn. 56; Roxin, AT II, § 32 Rn. 120; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, § 13 Rn. 30; SK/Stein, § 13 Rn. 48. 247  LK13/Weigend, §13 Rn. 52 Fn. 203; Roxin, AT II, § 32 Rn. 122. 248  Wenn der aufgenommene Gast ein selbständiger Erwachsener ist, liegt in der Regel keine ausdrückliche oder konkludente Übernahme einer Schutzfunktion vor. Der Gast und der die Straftat begehende Mitbewohner stehen einander in der Wohnung als selbständige schutzfähige Personen gegenüber. Wenn BGHSt 27, 10, 12 schreibt: „Wer sich auf Einladung des Wohnungsinhabers in eine fremde Wohnung begibt, darf sich darauf verlassen, daß ihm dieser – in seinem ‚Herrschaftsbereich‘ – bei schwerwiegenden Gefahren zur Seite steht“, übersieht der BGH, dass ein Gast nicht einfach wegen des Eintritts in eine fremde beherrschte Wohnung seine Selbständigkeit verliert. Außerdem lässt sich eine Straftatverhinderungspflicht nicht einfach durch „das Vertrauendürfen“ des Gasts begründen. Denn das Vertrauendürfen stellt nur den Reflex einer weiter zu begründenden Abhängigkeit des Gasts dar.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 193

lichen deliktischen Sinnzusammenhang gibt, ist normativ nicht anzunehmen, dass im Vergleich zu anderen Räumen das Eigentum oder die körperliche Integrität eines Gasts wahrscheinlicher von den anderen angegriffen würde oder sich in einer hilfloseren Lage befände.249 Eine Gaststätte ist grundsätzlich wie eine Wohnung keine die Garantenstellung auslösende Gefahrenquelle. Eine Garantenpflicht aus Übernahme der Schutzfunktion mag dann vorliegen, wenn ein Gast der Gastwirtin sein Eigentum gegen Zahlung anvertraut hat und die Gastwirtin den Diebstahl des Eigentums nicht verhindert. Hier übernimmt die Gastwirtin ausdrücklich die Schutzaufgabe und muss den Diebstahl verhindern. In Hinblick auf die körperliche Integrität stehen die Gäste einander freilich selbständig gegenüber. Von einer durch die Gastwirtin zu kompensierenden Abwehrschwäche kann hier nicht die Rede sein.250 3. Insbesondere: Nichtverhinderung einer betriebsbezogenen Straftat in Unternehmen In der neueren Diskussion über Garantentypen steht die Garantenpflicht von Betriebsinhaber bzw. Vorgesetzten in Unternehmen, eine von Untergeordneten begangene betriebsbezogene Straftat zu verhindern, wieder im Mittelpunkt.251 Im Vergleich zu den oben vorgestellten Garantenstellungen in anderen Sozialbereichen sind die betroffenen Rechtsverhältnisse in einem Betrieb wegen der hochspezialisierten Aufgabenteilung viel komplexer. Dieser Umstand legitimiert somit eine gesonderte Behandlung der Garantenstellung in einem Betrieb bzw. Unternehmen und bietet Anlass, die Geeignetheit und Richtigkeit des hier weiter zu vertiefenden Gedankens der ursprüng­ lichen Abhängigkeit und anderer in diesem Zusammenhang vertretener Prämisse zu überprüfen. Die von den Vorgesetzten im Betrieb zu verhindernden AT II, § 32 Rn. 120; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 54. BGH NJW 1966, 1764, der die Selbständigkeit der Gäste verkennt und nicht überzeugend davon ausgeht, dass die Verfügungsgewalt der Gastwirtin eine hinreichende Begründung für ihre Garantenstellung zur Verhinderung der Straftat wäre. Die faktische Verhinderungsmöglichkeit allein begründet jedoch ersichtlich noch keine normative Rechtspflicht. Kritisch auch Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 54; SK/Stein, § 13 Rn. 48. 251  Hauptsächlich durch den Impuls der beiden Entscheidungen BGHSt 54, 44; 57, 42. Diese Diskussion fand aber bereits in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts statt. Damals war die Diskussion auch durch die klassische Entscheidung BGHSt 37, 106 (Lederspray-Entscheidung) ausgelöst. In der Lederspray-Entscheidung lässt sich zwar feststellen, dass der BGH der Sache nach die Garantenpflicht des Vorgesetzten im Unternehmen, die Straftat von Untergeordneten zu unterbinden, bejaht, sie jedoch nicht ausdrücklich anerkannt und in eine Garantenlehre eingeordnet hat. Dazu Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 989. 249  Roxin, 250  A. A.

194 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Straftaten von Untergeordneten sind aber so vielfältig, dass eine Abgrenzung dieses Themas unerlässlich ist. Es werden nachfolgend nur die Straftaten der Untergeordneten gegen außenstehende Dritte behandelt, wie etwa Vermögensdelikte gegen Dritte, Bestechung sowie Straftat gegen Umwelt, Steueranspruch oder Wettbewerb. Die Straftaten eines Unternehmensangehörigen gegen das Unternehmen werden bewusst ausgeklammert. a) Begründungsstränge Wie diese Garantenpflicht des Vorgesetzten in Unternehmen zu begründen ist,252 hat der BGH offengelassen.253 In der Literatur lassen sich aber zwei Begründungsstränge erkennen, nämlich die Garantenpflicht entweder aus dem autoritären Herrschaftsverhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergeordneten (cc)) oder aus dem Gedanken des Unternehmens als zu überwachender Gefahrenquelle (dd)) abzuleiten. Bevor auf diese beiden Stränge eingegangen wird, ist aber zunächst zu untersuchen, ob die anderen herkömmlich anerkannten Garantentypen bereits zur Begründung dieser Garantenpflicht des Vorgesetzten geeignet sind (aa) und bb)). aa) Garantenstellung aufgrund der Übernahme der Schutzfunktion? Der Betriebsinhaber eines privaten Unternehmens, das auf eine Profit­ maximierung abzielt, hat durch die Einrichtung des Unternehmens nicht ausdrücklich oder konkludent die Schutzaufgabe gegenüber außenstehenden Dritten übernommen.254 Es fehlt insoweit auch eine positive Regelung. In 252  Es fehlt im privatwirtschaftlichen Bereich zwar eine positive Vorschrift, die eine Überwachungshaftung der Vorgesetzten ausdrücklich vorsieht wie § 357 StGB. Das steht aber nicht einer allgemeinen Ableitung einer Garantenstellung des Vorgesetzten in Unternehmen aus § 13 StGB im Wege. Denn allein aus § 357 StGB lässt sich weder erkennen, dass der Gesetzgeber die Straftatverhinderungspflicht des Vorgesetzten als einen allgemeinen Gedanken anerkennen würde, sodass § 357 StGB nur ein besondere Anwendungsfall dieses Gedankens wäre, noch lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber mit § 357 StGB die Straftatverhinderungspflicht des Vorgesetzten im privatwirtschaftlichen Bereich verneinen wollte. Zutreffend Beulke, FS-Gep­ pert, S. 31; Klattenberg, Verantwortlichkeit, S. 219. 253  BGHSt 57, 42, 46 Rn. 14. 254  Wenn aber das Unternehmen eine Anstalt öffentlichen Rechts ist, übernimmt der Betriebsinhaber auch die staatliche Schutzpflicht gegenüber der Allgemeinheit und den Dritten. Den Bürgern stehen in der Regel keine effektiven Mittel zur Überwachung staatlicher Tätigkeiten zur Verfügung. Darin kommt eine ursprüngliche Abhängigkeit zwischen dem Betriebsinhaber und den Bürgern zum Ausdruck. Der Betriebsinhaber muss die Rechtmäßigkeit der Unternehmenstätigkeit und ihrer Folgen garantieren, etwa nicht durch fehlerhafte Gebührenberechnung dem Vermögen des



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 195

Hinblick auf eigene Rechtsgüter stehen der Betriebsinhaber und die außenstehenden Dritten einander vielmehr als selbständige Rechtssubjekte gegenüber. Eine die Beschützergarantenstellung begründende ursprüngliche Abhängigkeit durch Übernahme der Schutzfunktion seitens des Betriebsinhabers besteht in der Regel nicht.255 bb) Garantenstellung aus Ingerenz und Verantwortlichkeit für gefährliche Sachen oder Betriebstätigkeiten Wenn diese Straftat aus einem pflichtwidrigen Vorverhalten eines Vorgesetzten herrührt256 oder wenn es bei dieser Straftat um eine von der Vorgesetzten zu überwachenden sachliche Gefahrenquelle geht, gelten die obigen Ausführungen über die Garantenstellung aus Ingerenz oder aus der freiwilligen Übernahme einer Überwachungsaufgabe für gefährliche Sachen uneingeschränkt. Beschließen die Vorstandsmitglieder etwa pflichtwidrig, gesundheitsschädliche Produkte in Verkehr zu bringen, müssen sie alle Vorkehrungen treffen, z. B. durch einen Beschluss, Produktverkäufe durch die Mitarbeiter des Unternehmens zu verhindern, die Verbraucher zu warnen und ggf. die Produkte zurückzurufen, damit diese Produkte nicht die Verbraucher erreichen und sie verletzen. Ebenso verhält es sich, wenn die Gefährlichkeit von Produkten erst nach dem Inverkehrbringen erkennbar ist. Die herrschende Meinung, die diese Pflichtwidrigkeit bei Garantenstellung aus Ingerenz fordert, verneint hierbei konsequent eine Garantenstellung aus Ingerenz.257 Aber wenn man wie hier Bürgers zu schaden. Zutreffend BGHSt 54, 44, 50; Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 986. A. A. Beulke, FS-Geppert, S. 27. 255  Berndt/Theile/Theile, Unternehmensstrafrecht, Rn. 84; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 6 Rn. 57b, beide zutreffend darauf hinweisend, dass sich aus den Sorg­ faltsklauseln in Bürgerrecht oder Gesellschaftsrecht keine Beschützergarantenstellung gegenüber Dritten ergeben kann. Eine ursprüngliche Abhängigkeit des fremden ­ Rechtsguts vom Betriebsinhaber könnte ausnahmsweise in Betracht kommen, als ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Geschäftspartnern besteht (BGHSt 46, 196, 203). 256  Beulke, FS-Geppert, S. 40 mit weiteren Beispielen; Spring, Geschäftsherrenhaftung, S. 257. 257  Widersprüchlich deshalb BGHSt 37, 106, 115 f., wenn er einerseits bei einer nachträglich erkennbaren Gefährlichkeit der Produkte eine Garantenstellung „aus vorangegangenem, pflichtwidrigen Gefährdungsverhalten (Ingerenz)“ ableitet (ebd., S. 115), andererseits aber davon ausgeht, dass die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens nicht eine Sorgfaltsverletzung voraussetzt, sondern „die rechtliche Mißbilligung des Gefährdungserfolgs [genügt]“ (ebd., S. 118 f.). Denn die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens kann nur ex ante nach dem Inhalt der Verhaltensnorm festgestellt werden, und ein rechtlich missbilligter Erfolg als Verwirklichung des Handlungsunrechts setzt so-

196 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

für die Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz ein qualifiziertes, über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehendes Risiko ausnahmsweise für ausreichend hält, kann die Garantenstellung der Vorstandsmitglieder, die diese gefährlichen Produkte in den Verkehr brachten, damit begründet werden: Weil die Vorstandsmitglieder zur Verwirklichung wirtschaftlichen Inte­ resses durch Inverkehrbringen dieser für die Gesundheit der Verbraucher bedenklichen Produkte eine besondere Gefahr geschaffen haben, ist das Inverkehrbringen solcher riskanten Produkte nur dann erlaubt, wenn die ­ ­Vorstandsmitglieder oder andere im Unternehmen dafür Zuständige alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben und bei zahlreichen Schadensmeldungen von Verbrauchern diese bedenklichen Produkte zurückrufen, um eine mögliche Gesundheitsschädigung zu vermeiden.258 Die Gesundheit der Verbraucher ist somit bereits vor dem Inverkehrbringen der Produkte auf diese gebotenen Maßnahmen angewiesen. Unterlässt das Unternehmen diese Maßnahmen und lässt es seine Mitarbeiter die Produkte weiter herstellen oder verkaufen, verschlechtert es die körperliche Integrität der Verbraucher. Man kann diese Überwachungsgarantenstellung der Vorstandsmitglieder für die gefährlichen Sachen treffend als „Verkehrssicherungspflicht“ bezeichnen.259 Diese Verkehrssicherungspflicht trifft aber sinngemäß nicht nur die Vorstandsmitglieder, die die gefährlichen Produkte in den Verkehr gebracht haben (Garantenstellung kraft Ingerenz), sondern auch Vorstandsmitglieder, die erst nach Inverkehrbringen der gefährlichen Produkte berufen werden. Denn sie haben diese Produkte zwar nicht in den Verkehr brachten, eine Garantenstellung kraft Ingerenz greift deshalb nicht ein;260 mit dem Eintritt in den Vorstand haben die nachträglich eingegliederten Vorstandsmitglieder diese Verkehrssicherungspflicht aber freiwillig übernommen und sind auch für die zuvor bereits verkauften Produkte verantwortlich.

mit notwendig eine Verletzung einer Verhaltensnorm voraus (Murmann, GK, § 29 Rn. 62 Fn. 132). Zutreffend gegen diese Rechtsprechung vgl. nur Roxin, AT II, § 32 Rn. 199, insb. Fn. 338 m. w. N. 258  Ähnlich Frisch, FS-Rogall, S. 135: „Der dauerhaft Gestaltende ist jedenfalls grundsätzlich dann zur Ausräumung der Gefahr verpflichtet, wenn ihm die Inanspruchnahme von Freiheit durch entsprechende positive Aktionen wegen deren Gefährlichkeit verboten wäre oder nur unter dem Vorbehalt der Gefahrentschärfung (durch flankierende Maßnahmen) gestattet werden könnte“, und S. 136, der Abnehmer dürfe daher auch bei nachträglicher Erkennbarkeit der Gefährlichkeit auf die Warnung von Unternehmen vertrauen. Vgl. auch Murmann, GK, § 29 Rn. 62. 259  Murmann, GK, § 29 Rn. 62; NK/Gaede, § 13 Rn. 48. 260  Murmann, GK, § 29 Rn. 62 Fn. 132; Roxin, AT II, § 32 Rn. 205.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 197

cc) Garantenstellung aus Herrschaft über die partielle Unmündigkeit der Untergeordneten? Auch wenn ein Teil der rechtswidrigen Straftaten von Untergeordneten von der Garantenstellung aus Ingerenz oder aus Überwachung gefährlicher Sachen umfasst wird, bleiben doch zahlreiche Straftaten, die zwar nicht die – insbesondere von der herrschenden Meinung aufgestellten – Voraussetzungen dieser beiden Garantentypen erfüllen, aber doch auf den ersten Blick sinnvollerweise als von Vorgesetzten zu verhindernde Straftaten angesehen werden müssen. Gemeint sind insbesondere die Straftaten, die von den Betriebs­ angehörigen im Interesse des Betriebs begangen werden, wie etwa Betrug, Bestechung und Steuerhinterziehung. Im Unterschied zu der oben genannten Überwachung einer „sachlichen Gefahr“ wird diese Pflicht von einem Teil der Literatur der Pflicht zur Überwachung der „personellen Gefahr“ in Unternehmen zugerechnet.261 Da aber diese Betriebsangehörigen in der Regel selbständige Personen und rechtlich für ihre Handlungen eigenverantwortlich sind, bedarf es für eine solche Überwachungspflicht der Vorgesetzten einer tieferen Begründung. Einige Autoren versuchen, den Gedanken des Autoritätsverhältnisses aufzugreifen und diese Garantenpflicht aus dem Rechtsverhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergeordneten abzuleiten. Schünemann hat diesen Weg beschritten und sieht in der Befehlsgewalt des Vorgesetzten und der entsprechenden „partiellen Unmündigkeit“ des Untergeordneten eine die Garantenpflicht begründende aktuelle Herrschaft des Vorgesetzten. Der Untergeordnete bleibe zwar rechtlich eigenverantwortlich, unterstehe aber bei der Arbeit der Befehlsgewalt des Gewaltinhabers. Insoweit bestehe eine persönliche Abhängigkeit zwischen dem Vorgesetzten und dem „partiell unmündigen“ Untergeordneten.262 Methodisch sieht dieser Lösungsweg sich dem Einwand ausgesetzt, dass sich aus einer faktischen Herrschaftsbeziehung zwischen Vorgesetzten und Untergeordneten keine normative Pflicht herleiten lässt.263 Zur Vermeidung dieses Einwands interpretiert Tiedemann diese Garantenpflicht als „Ausfluss des Organisations-, Direktions-, und Weisungsrechts“ des Vorgesetzten.264 Dann wäre allerdings eventuell eine formelle Rechtspflicht zu diagnostizieren.265 Denn die normative Garantenpflicht beruht dann einfach 261  Vgl. nur Satzger/Schulckebier/Widmaier/Kudlich, StGB, § 13 Rn. 31: „Gefahrenquelle Mensch“. 262  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 328; ders., Unternehmenskriminalität, S.  102 f. 263  Vgl. auch Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, § 5 Rn. 357. 264  Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, § 5 Rn. 357. 265  Treffend Heine, Verantwortlichkeit, S. 117; Hsü, Garantenstellung, S. 241.

198 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

auf einer rechtlichen Befugnis, ohne aber die materiellen Gründe für diese Pflicht anzugeben. Allein aus dem Direktionsrecht folgt wegen der Eigenverantwortlichkeit des Untergeordneten auch keine Überwachungspflicht des Vorgesetzten.266 Zielführend könnte es sein, beide Begründungsversuche in einer Synthese zu verbinden. Aber auch dann wäre eine „partielle Unmündigkeit“ des Untergeordneten eine normative Fiktion. Der Untergeordnete könnte zwar die Straftat wegen des rechtlich anerkannten Direktionsrechts und der Angst vor Arbeitsplatzverlust begehen. Eine faktische persönliche Abhängigkeit liegt deshalb im Unternehmensbereich durchaus nicht fern. Aber fast in allen Sozialbeziehungen lassen sich solche faktischen Abhängigkeiten zwischen Personen in unterschiedlicher Stärke erkennen. Soweit aber die rechtliche Eigenverantwortlichkeit des Untergeordneten nicht dadurch beeinträchtigt wird und keine rechtlich ausnahmsweise anerkannte Aufsichtsbeziehung wie § 41 WStG besteht, kann er rechtlich nicht zugleich ein vom Vorgesetzten beherrschter Abhängiger sein.267 Die faktische Herrschaft des Vorgesetzten über den Untergeordneten kann somit nicht eine rechtliche Abhängigkeit des Untergeordneten begründen.268 dd) Das Unternehmen als zu überwachender Gefahrenherd Ein Teil der Literatur lehnt deshalb mit Blick auf die Eigenverantwortlichkeit des Untergeordneten eine generelle Garantenpflicht des Vorgesetzten zur Verhinderung einer Straftat von Untergebenen ab und beschränkt sie auf Fälle, in denen der Untergebene ein Defizit im Sinne mangelnder Fertigkeit oder Fähigkeit zur Erledigung seiner Aufgabe aufweist269 oder die Voraussetzungen der Garantenstellung aus Ingerenz270 oder aus sachlicher Gefahr erfüllt sind, die Gefahrverwirklichung aber vermittelt durch die Handlung der 266  Knauer, FS I. Roxin, S. 475; noch radikaler Hsü, Garantenstellung, S. 242: aus einem Recht lasse sich keine Handlungspflicht ableiten. 267  In diesem Sinne auch Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 989 f.; Heine, Verantwortlichkeit, S.  117 f.; Warneke, NStZ 2010, 316. 268  Herzberg, Unterlassung, S. 320; Spring, GA 2010, 225; Timpe, StraFO 2016, 240. Ferner Hsü, Garantenstellung, S. 243, die faktische Herrschaft nur als Erfolgsverhinderungsmöglichkeit begreift und die Ableitung der Erfolgsverhinderungspflicht aus einer Erfolgsverhinderungsmöglichkeit ablehnt. Ob die aktuelle Herrschaftsmacht auf die Erfolgsverhinderungsmöglichkeit reduziert werden kann, hängt aber vom Verständnis der faktischen Herrschaftsmacht ab. 269  Spring, Geschäftsherrenhaftung, S. 236. 270  Beulke, FS-Geppert, S. 40: aus pflichtwidriger Betriebsorganisation; Spring, Geschäftsherrenhaftung, S. 255 ff. (Einteilung eines ungeeigneten Untergebenen für eine bestimmte betriebliche Tätigkeit), S. 257 ff. (Schaffung einer gefahrenträchtiger Betriebsstrkuturen).



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 199

Untergeordneten droht.271 Diese Ansicht liegt dem Gedanken zugrunde, dass es bei sog. personeller Gefahr um ein Rechtsverhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei sog. sachlicher Gefahr aber nur um ein Verhältnis zwischen Überwacher und zu überwachender Sache geht. Und anders als eine Sache sei die menschliche Handlung willensgetragen und bedürfe in der Regel keiner Überwachung durch Dritte.272 Abgesehen von der Frage, ob eine deutliche Abgrenzung zwischen (reiner) sachlicher und personeller Gefahr tatsächlich möglich wäre,273 werden diese Abgrenzung und die daraus folgenden Ergebnisse dem Gedanken der ursprünglichen Abhängigkeit nicht gerecht: Wird eine sachliche Gefahr nur vermittelt durch eine (pflichtwidrige) menschliche Handlung ausgelöst, geht es gar nicht nur um reine sachliche Gefahr, sondern auch um Rechtsverhältnisse zwischen zwischen Vorgesetzten und Untergeordneten; dann ist damit stets auch das Problem der Eigenverantwortlichkeit aufgeworfen. Warum soll aber die Eigenverantwortlichkeit des die Gefahr auslösenden Dritten nunmehr bei der Begründung der Garantenpflicht zur Überwachung der gefährlichen Sachen ausgeblendet werden können? Der Grund liegt darin, dass in der Straftat dieser Person gerade die zu überwachende Betriebsgefahr zum Ausdruck kommt. Die Pflicht des Betriebsinhabers zur Verhinderung der Straftat dient somit nicht der Beaufsichtigung einer selbstverantwortlichen Person, sondern zielt auf eine Vermeidung einer Rechtsgutsverletzung des Opfers ab.274 Kommt es nunmehr für die Begründung einer Garantenstellung aber nur darauf an, ob das Opfer einer Betriebsgefahr ausgesetzt und dadurch in eine ursprüngliche Abhängigkeitsbeziehung gebracht wird, dann ist die Unterscheidung zwischen sach­ licher und personeller Gefahr nicht entscheidend.275 Damit stimmt auch die überwiegende Meinung überein, wenn sie zutreffend das Unternehmen als einen zu überwachenden Gefahrenherd ansieht, der sowohl sachliche auch personelle Gefahren für Außenstehende hervor-

271  Beulke, FS-Geppert, S. 34 f.; Heine, Verantwortlichkeit, S.  118 ff.; Jakobs, AT, § 29 Rn. 36; SK/Stein, § 13 Rn. 43 f. 272  Beulke, FS-Geppert, S. 35. 273  Dafür wieder Beulke, FS-Geppert, S. 35. Zweifelnd mit Recht Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit, S. 233; Oonk, Verantwortlichkeit, S.  87 f.; Schall, FS-Rudolphi, S. 278; Timpe, StraFO 2016, 244, insb. Fn. 70. 274  Murmann, Unternehmensstrafrecht, S. 59 Fn. 13. Die Straftat ist insoweit um der Vermeidung des tatbestandlichen Erfolgs willen zu verhindern, als sich die Garantenpflicht auf die Erfolgsverhinderung erstreckt. Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 990; Frisch, FS-Rogall, S. 137 Fn. 58; Noll, Delegation, S. 111; Oonk, Verantwortlichkeit, S. 91; Ransiek, AG 2010, 150. 275  Schall, FS-Rudolphi, S. 276.

200 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

bringt.276 Betriebsinhaber dürfen nicht zur Verfolgung eigenen wirtschaft­ lichen Interesses Außenstehende gefährden oder verletzen.277 Schaffen Betriebsinhaber für Außenstehende eine über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Betriebsgefahr278 und vermögen die Außenstehenden sich auf diese Betriebsgefahr für ihre Rechtsgüter aus eigener Kraft nicht einzustellen, weil sie in der Regel nicht in der Lage sind, in die Unternehmensabläufe einzugreifen,279 sind die Rechtsgüter der Außenstehenden auf die Vorkehrungsmaßnahmen des Unternehmens angewiesen. Darin liegt eine die Garantenstellung der Betriebsinhaber begründende ursprüngliche Abhängigkeit des Opfers.280 b) Betriebsbezogenheit der zu überwachenden Gefahren als Grund und Grenzen der Garantenpflicht von Vorgesetzten Soll der Grund für die Garantenstellung eines Vorgesetzten im Unternehmen in der Schaffung einer über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden besonderen Betriebsgefahr bestehen, dann müssen die vom Vorgesetzten zu verhindernden Straftaten von Untergeordneten als „Ausfluss seinem Be276  Blassl, ZIP 2020, 539; Bottke, Haftung, S, 73; Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit, S.  232 ff.; Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 990; Frisch, FS-Rogall, S. 138; Knauer, FS-I. Roxin, S. 475 auch unter Berücksichtigung der Organisationsherrschaft der Unternehmensleitung; Kudlich, HRRS 2012, 179; Murmann, GK, § 29 Rn. 64; NK/Gaede, § 13 Rn. 53; Oonk, Verantwortlichkeit, S. 88 f., 91; Ransiek, AG 2010, 151; Rengier, AT, § 50 Rn. 68; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 56; Rotsch, ­FS-I. Roxin, S. 493; Roxin, AT II, § 32 Rn. 137, der zugleich aber auf die Kontrollherrschaft über die Untergeordneten abstellt; ders., FS-Beulke, S. 246 ff.; Schall, FS-Rudolphi, S. 277, 278: Herrschaft über eine Gefahrenquelle; Timpe, StraFO ­ 2016, 240; Wohlers, Verantwortlichkeit, S. 99 ff. Nunmehr auch LK13/Weigend, § 13 Rn. 56. 277  Ähnlich bereits Bottke, Haftung, S, 73; Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit, S. 233; Roxin, JR 2012, 306; ferner Timpe, StraFO 2016, 240 in Anlehnung an den Gedanken von „Organisationsfreiheit und Folgenverantwortung“. 278  Kudlich, HRRS 2012, 179; Selbmann, HRRS 2014, 238 weisen beide zutreffend darauf hin, dass im Unterschied zu privaten Wohnungen sich eine über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Gefahr aus dem Unternehmen ergeben kann und muss. 279  Zur fehlenden Eingriffsmöglichkeit des Opfers oder des Staates auch Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit, S.  234; zuvor bereits Heine, Verantwortlichkeit, S. 118 f., aber nur in Hinblick auf die Pflicht zur Verhinderung einer sachlichen Gefahr. 280  Zu stark auf die „geschlossene“ Beziehung zwischen dem Betriebsinhaber und dem die Straftat begehenden Angestellten abstellend und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Betriebsinhaber und dem Opfer vernachlässigend aber Hsü, Garantenstellung, S. 254.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 201

trieb oder dem Tätigkeitsfeld seiner Mitarbeiter spezifisch anhaftender Gefahren“ angesehen werden können.281 Aber welche Art von Gefahren aus dem Unternehmen als „unternehmensbezogene“ Gefahren zu qualifizieren sind, bleibt noch zu klären. Diese besonderen Gefahren liegen dann relativ unbestritten vor,282 wenn es um Gefahren aus der konkreten Betriebstätigkeit geht wie etwa die sachlichen Gefahren aus den für den Betrieb eingesetzten Einrichtungen oder aus den von dem Unternehmen hergestellten Produkten. Aber auch bei den Betriebsverläufen entstandene gesundheitsschädliche Stoffe oder Abwässer gehören zu unternehmensbezogenen Gefahren, denn sie rühren von der konkreten Betriebstätigkeit des Unternehmens her. Ob diese Gefahren durch eine ordnungsmäßige oder pflichtwidrige Leistung des Untergeordneten ausgelöst werden oder nicht, spielt keine Rolle. Viel komplexer ist die Bestimmung der Unternehmensbezogenheit bei sog. rein personellen Gefahren, die mit den sachlichen Gefahren nichts zu tun haben, wie etwa Bestechungs- oder Betrugshandlungen der Untergeordneten. Dabei bleiben die Untergeordneten rechtlich eigenverantwortlich und es ist somit nicht ausgeschlossen, dass die entsprechenden Straftaten nur als „private Exzesstaten“ der Untergeordneten zu bewerten und damit nur von ihnen selbst zu verantworten sind. Sie sind von den Straftaten abzuheben, die als Ausfluss der dem Betrieb innewohnenden Gefahren anzusehen sind und für die somit auch die Unternehmensleitung mitverantwortlich ist. Entscheidend für die Abgrenzung von „privaten Exzesstaten“ und „betriebsspezifischen Straftaten“ ist die Frage, warum ein Unternehmensangehöriger nach seiner Eingliederung in das Unternehmen eine Straftat als solche begehen könnte. Zu fragen ist dabei nach den kriminogenen Faktoren in unternehmerischen Organisationsstrukturen, die den Untergeordneten Anlass zur Begehung dieser Straftaten geben.283 Nur wenn die in Frage kommende Straftat eines Untergeordneten von diesen in Unternehmen herrschenden kriminogenen Faktoren „geprägt“ ist, ist diese Straftat eine unternehmensbezogene und muss von Vorgesetzten verhindert werden.284 281  BGHSt 57, 42, 46 m. w. N.; vgl. auch Schall, FS-Rudolphi, S. 279: Straftaten von Untergeordneten als Realisierung der aus dem Gefahrenherd Betrieb fließenden Gefahr. 282  Vgl. auch Frisch, FS-Rogall, S. 137. 283  Die allgemein-individuellen kriminogenen Faktoren sollen nur dann in Betracht kommen, wenn sie ebenfalls von den strukturellen kriminogenen Faktoren in Unternehmen beeinflusst werden. 284  Ansatzweise bereits Murmann, Unternehmensstrafrecht, S. 59; ders., GK, § 29 Rn. 64. Nahstehend auch Leitner/Rosenau/Burchard, § 13 StGB Rn. 34. Eine besondere Gefahr der Straftatbegehung von Untergeordneten in Unternehmen dezidiert verneint aber Puppe, AT, § 29 Rn. 21,

202 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Diese strukturell kriminogenen Faktoren sind indes zunächst auf einer Makroebene der Wirtschaft anzusiedeln. Denn das einzelne Unternehmen als ein Teil der gesamten Wirtschaftsordnung kann sich nicht vom Einfluss der Kulturen und Werte des Wirtschaftssystems, in dem sich das Unternehmen befindet, sowie der aktuellen Gesellschaftsstrukturen befreien.285 Die durch Globalisierung verbreitete und kulturell vermittelte kapitalistische Wirtschaftsweise hat der Wirtschaftsordnung immanente Vorgaben verliehen, nämlich Gewinnmaximierung sowie Ausbau der Machtposition.286 Um dieses vorgegebene Ziel der Wirtschaftsordnung zu verwirklichen, könnten im wirtschaftlichen Leben zahlreiche Verhaltensnormen entstehen, die aber nicht unbedingt mit den anerkannten Verhaltensnormen der Gesellschaft vereinbar sind. So mag eine wirtschaftliche Risikoentscheidung moralisch vorwerfbar oder sogar ungerecht sein. Mit dieser besonderen Zielsetzung geht notwendig auch eine sog. wirtschaftliche Subkultur einher, die von der herrschenden Kultur der Gesellschaft abweicht.287 Deshalb versteht sich die Wirtschaftsordnung zwar als ein Teil des gesamten Gesellschaftssystems, hat aber ein eigenes Normensystem und eine eigene Entscheidungskultur.288 Diese wirtschaftlich besonderen Zielsetzungen und Kulturen werden auch von den an dieser Wirtschaftsordnung beteiligten Unternehmen angenommen. Zur Verwirklichung dieser vorgegebenen Zielsetzungen stehen dem einzelnen Unternehmen zwar rechtmäßige Mitteln zur Verfügung, aber wenn diese Ziele nicht mehr mit anerkannten Mitteln erreicht werden können, könnte das Unternehmen wegen des Konkurrenzdrucks missbilligte Mittel einsetzen.289 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn sich das Unternehmen in einer finanziellen Krise befindet. Aber auch ohne eine solche Krise könnte der permanente Konkurrenzdruck durch Ökonomisierung und Globalisierung die zur Verfügung stehenden Mittel des Unternehmens einschränken.290 Da­ rüber hinaus könnten auch die politisch-kulturellen Handlungsräume Einfluss auf die missbilligte Mittelauswahl nehmen.291 So könnte in einem politischen Bereich das Mittel der Bestechung im Vergleich zu anderen, rechtmäßigen Mitteln viel zielführender sein und wird daher von Unternehmen vielfach angewandt. Neben diesen allgemeinen kriminogenen Faktoren aus den Eigenschaften der wirtschaftlichen Tätigkeit rücken ferner die konkrete UnterMschrKrim 95 (2012), 56. MschrKrim 95 (2012), 56, 57. 287  Singelnstein, MschrKrim 95 (2012), 60. 288  Singelnstein, MschrKrim 95 (2012), 58 f. 289  Zur Anomietheorie Singelnstein, MschrKrim 95 (2012), 56; Kölbel, ZIS 2014, 556. 290  Singelnstein, MschrKrim 95 (2012), 57. 291  Kölbel, ZIS 2014, 554 Fn. 28. 285  Singelnstein, 286  Singelnstein,



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 203

nehmenskultur und Aufsichtsmaßnahmen ins Blickfeld. Es wird nicht selten aufgezeigt, dass der Machtüberschuss des Unternehmensinhabers und unzureichende interne oder äußere Aufsichtsmaßnahmen gegenüber dem Unternehmensinhaber ebenfalls Gründe für die Entstehung von Unternehmens­ kriminalität sind.292 Ein dauerhaftes Fehlen eines effektiven ComplianceSystems könnten etwa dazu führen, dass Mitarbeiter, die langfristig an den Tätigkeit des Unternehmens teilnehmen und damit über mögliche „Sicherheitslücken“ in Unternehmen gut informiert sind, diese Gelegenheit zur Straftat ergreifen293 oder im Unternehmen ein „kollektiver Geist“ herrscht, der das Rechts- und Verantwortungsbewusstsein des einzelnen Unternehmensangehörigen dahingehend schwächt, dass er seine Unrechtstat für ganz normal hält und sich mangels Herrschaftsmacht im Unternehmen nicht verantwortlich dafür fühlt.294 Das alles trägt dann auf vielfältige Weise zu einer kriminellen Verbandsattitüde und zu Unternehmenskriminalität bei. Es darf somit konstatiert werden, dass die Motive für abweichendes Verhalten eines Unternehmensangehörigen nicht immer auf ein individuelles Defizit in der Persönlichkeit oder den Einstellungen zurückgehen, sondern auch als Ausdruck der Kultur eines Unternehmens oder der Wirtschaftsordnung insgesamt zu verstehen sind.295 Nachdem die strukturellen kriminogenen Faktoren in Unternehmen in aller Kürze geklärt worden sind, ist es nun auch möglich, mit diesen Faktoren die Unternehmensbezogenheit einer nach außen wirkenden Straftat aus dem Unternehmen zu bestimmen. Dabei muss sowohl die allgemeine Gefahr berücksichtigt werden, die aus Profitmaximierung und Konkurrenz- oder Innovationsdruck hervorgeht, als auch die besondere Gefahr aus der konkreten Unternehmenskultur und dem jeweiligen Geschäftsbetrieb. In der Rechtsprechung und Literatur wird aber die Unternehmensbezogenheit auf den Fall beschränkt, dass die fragliche Straftat „mit dem Tätigkeitsbereich des konkreten Unternehmens, mit der Firmenpolitik oder unternehmerischen Weisungsbe292  Zur Theorie der Kontrollbalance Singelnstein, MschrKrim 95 (2012), 61  f.; Kölbel, ZIS 2014, 555 f. 293  Schneider, Wirtschaftsstraftäter, S. 9 ff. zur Beziehung von Tatgelegenheit und Gelegenheitsergreifer. 294  Zur Neutralisierungstechnik insbesondere in Unternehmen Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 20, 22 ff.; Hefendehl, Mschrkrim 86 (2003), 30 ff.; Rotsch, Individuelle Haftung, S. 33 ff.; Schneider, NStZ 2007, 558. Zur Kompatibilität der Neutralisierungsthese mit der Theorie der Subkultur Singelnstein, MschrKrim 95 (2012), 60. Die bisherigen Forschungen über die Neutralisierungstechnik in Unternehmen sind aus der Sicht heutiger Wirtschaftskriminologie freilich zu eng, denn sie vernachlässigen die Rahmenbedingungen für die kriminelle Verbandsattitüde. Dazu Kölbel, ZIS 2014, 556. 295  Singelnstein, MschrKrim 95 (2012), 61.

204 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

fugnissen in Zusammenhang steht“.296 Dass eine bestimmte Straftat zur Durchführung einer Firmenpolitik betragen soll, ist eine extreme Ausnahme und kann nicht als ein entscheidendes Kriterium von Unternehmensbezogenheit angesehen werden. Es umfasst insbesondere nicht die Fälle, in denen der Untergeordnete gelegentlich zwecks Ersparung von Betriebskosten bestimmte Straftaten begeht. Außerdem können die Tätigkeiten und Aufgaben eines Unternehmens nicht per se Straftaten sein, es müsste also ein innerer Zusammenhang mit den konkreten Tätigkeiten genügen, um den Begriff der unternehmensbezogenen Straftat zu erfüllen. Aber wie dieser innere Zusammenhang weiter zu bestimmen wäre, bleibt ungeklärt. Ein innerer Zusammenhang als solcher könnte etwa nur dann vorliegen, wenn die Tätigkeit des konkreten Unternehmens in der Betreuung fremden Vermögens besteht und ein Untergeordneter einen Betrug an Kunden begeht.297 Das übersieht freilich, dass Betrug zum Zweck der Profitmaximierung gerade eine allgemeine, typische Gefahr aus dem Unternehmen ist.298 Die Schwäche des Kriteriums „Tätigkeitsbereich des konkreten Betriebs“ besteht darin, dass es sich nicht dazu eignet, der allgemeinen Gefahr aus der Zielsetzung der Profitmaximierung Rechnung zu tragen.299 Diese Kritik gilt erst recht für dasjenige Kriterium, das die Unternehmensbezogenheit auf Straftaten beschränkt, die „von den Untergeordneten in Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben“ begangen werden.300 Auch wenn der Untergeordnete seine Aufgaben und seinen Zuständigkeitsbereich überschreitet, muss der Vorgesetzte, solange die Straftat als Verwirklichung einer allgemeinen oder besonderen Gefahr aus dem Unternehmen zu bewerten ist, diese Straftat verhindern.301 Denn vom Opfer kann gar nicht erwartet werden, diese interne Zuständigkeitsverteilung im Unternehmen zu kennen, und diese Verteilung soll auch nicht die Rechtslage des Opfers verschlechtern.302 Eine Unternehmensbezogenheit liegt nach richtigerer Auffassung dann vor, wenn die fragliche Straftat im Interesse des Unternehmens begangen wird.303 296  Roxin, JR 2012, 307. In Hinblick auf Firmenpolitik und den inneren Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbereich des konkreten Betriebs auch BGHSt 57, 42, 47. 297  Otto, FS-Schroeder, S. 343; Schall, FS-Rudolphi, S. 281. 298  In diesem Sinne auch Schall, FS-Rudolphi, S. 281. 299  Mit den eher engen Kriterien der Firmenpolitik und der konkreten Betriebstätigkeiten sowie Betriebsarten ist es auch leicht zu erklären, weshalb bisher nur selten Entscheidungen des BGH über Geschäftsherrenhaftung zustande gekommen sind. Diesen restriktiven Trend diagnostizierend Kudlich, HRRS 2012, 180; Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis/Mansdörfer, § 13 StGB Rn. 25 insb. Fn. 17. 300  Die alte Auffassung von Roxin, AT II, § 32 Rn. 141. 301  Otto, FS-Schroeder, S. 342; Schall, FS-Rudolphi, S. 281. 302  Ebenso Blassl, ZIP 2020, 540. 303  Bereits Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 106.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 205

Dieses Kriterium kann problemlos sowohl das allgemeine Profitmaximierungsinteresse des Unternehmens als auch die konkreten Aufgaben und ­Tätigkeiten des Unternehmens umfassen.304 Neben den Gefahren aus dem konkreten Betrieb gehören auch diejenigen Straftaten zu den unternehmensbezogenen Straftaten, die der Profitmaximierung, der Kosteneinsparung und vor allem der Aufrechterhaltung der Machtposition dienen sollen, wie etwa Betrug, Bestechung, Wettbewerbsverstöße, Steuerhinterziehung und Umweltdelikte.305 Diese Straftaten verstehen sich dann als Verwirklichung der Gefahren, die jedem Unternehmen bei der Verwirklichung von Profitmaximierung anhaften. Letztlich könnten diese Gefahren sich auch dann zu verwirklichen drohen, wenn das Unternehmen sich nicht in einer finanziellen Notlage befindet oder eine pflichtwidrige Aufsichtsverletzung nicht vorliegt.306 Denn 304  Vielfach wird diese These für zu eng oder auch für unnötig gehalten (Blassl, ZIP 2020, 540 f.; Hernández Basualto, FS-Frisch, 343; Otto, FS-Schroeder, S. 342; Schall, FS-Rudolphi, S. 282). Dieser Vorwurf greift zu kurz. Denn im Vergleich zu den Ansichten, die auf die konkreten Tätigkeiten des Unternehmens abstellen, geht der hier vertretene Ansatz weiter. Andererseits hat der Ansatz des Handelns im wirtschaftlichen Betriebsinteresse auch seinen theoretischen Grund in den vorher bearbeiteten kriminogenen Unternehmensstrukturen. Man darf somit nicht alle Gefahren, die sich aus der Sicht des Opfers oder Dritten aus den Betriebsabläufen ergeben, für unternehmensbezogen halten. Wer trotzdem den hier vertretenen Ansatz für zu eng hält, muss erläutern, was die besonderen Gefahren aus Unternehmen für Außenstehende ausmacht – eine Erklärung, die von den Kritikern selbst freilich nicht gegeben wird. 305  Körperliche Übergriffe gegenüber den Konkurrierenden oder Gläubiger können aber kein Handeln im Interesse des Unternehmens sein, auch wenn dies der subjektiven Einstellung des die Tat ausführenden Untergeordneten entspricht. Denn objektiv betrachtet tragen solche Taten gar nicht zu den wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen bei. A. A. für Handeln im Betriebsinteresse aber Schall, FS-Rudolphi, S. 283. 306  Neben einem Aufsichtsdefizit könnte auch „die Ineffizienz eines formalen Kontrollsystems“ zur kriminogenen Unternehmenskultur führen, Kölbel, ZIS 2014, 544. Auf das Aufsichtsdefizit bzw. fehlerhafte Organisation abstellend aber Bülte, NZWiSt 2012, 179 f., der bei allgemeinen Gefahren aus jedem Unternehmen eine Verletzung einer betriebsbezogenen Sorgfaltspflicht nach § 30 OWiG fordert; Mansdörfer/Trüg, StV 2012, 436: defizitäre Unternehmensorganisation; Selbmann, HRRS 2014, 240: Organisationsmangel. Auch Timpe, StraFO 2016, 245, der nur dann Unternehmensbezogenheit annimmt, wenn die Unternehmensleitung vorher „durch einen obliegenheitswidrigen Organisationsfehler ein besonderes Risiko für die Begehung einer Straftat geschaffen hat“. Dazu führt Timpe ein Beispiel an (ebd., 245): Der Vorgesetzte verhindert nicht, dass „ein Sachbearbeiter der Finanzabteilung des Unternehmens bei sinkenden Umsätzen aus Angst um seinen Arbeitsplatz überhöhte Rechnungen ausfertigt (263 StGB), um das Überleben des Unternehmens durch Steigerung der Einnahmen zu sichern. Timpe geht davon aus, dass der Anlass für die Straftat der aktuelle desolate Zustand des Unternehmens ist, nicht aber ein Organisationsverhalten der Unternehmensleitung. Wenn das Unternehmen ordnungsgemäß geführt werde und bei der Unternehmensleitung kein zurechenbarer Organisationsfehler vorliege, habe die Unternehmensleitung nicht einzuschreiten. Diese Ansicht reduziert freilich die Verantwortlichkeit der Unternehmensleitung beträchtlich. Das Entscheidende ist

206 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

auch dann steht das Unternehmen unter immanentem Konkurrenz- und Innovationsdruck, der die zur Verfügung stehenden rechtmäßigen Mittel beschränken und Anlass zu Straftaten geben könnte. Demgegenüber ist die Unternehmensbezogenheit zu verneinen, wenn der Untergeordnete nur im eigenen Interesse handelt und bei Gelegenheit seiner Tätigkeit im Unternehmen die fragliche Straftat begeht.307 Das ist dann der Fall, wenn etwa der Zimmerkellner bei der Zimmerreinigung die Wertsachen der Hotelgäste stiehlt.308 Gleiches gilt auch dann, wenn ein Kundenberater einer Bank die tatsächliche, ihm durch seine Beschäftigung gebotene Wirkungsmöglichkeit dazu ausnutzt, „einen Kunden zur Teilnahme an einem betrügerischen Pyramidenspiel zu überreden“.309 Nicht anders verhält es sich, wenn ein Untergeordneter beim Aufsuchen der Privatwohnung einen Kunden verprügelt oder sogar vergewaltigt.310 In allen diesen Fällen könnte man zwar davon ausgehen, dass die fragliche Straftat „unter Ausnutzung der tatsächlichen und rechtlichen Wirkungsmöglichkeit“ begangen wird, die dem Untergeordneten seine Beschäftigung im Betrieb bietet. Dieses Kriterium ist aber entgegen Schall311 zur Bestimmung der Unternehmensbezogenheit ungeeignet. Denn wenn er gar nicht erklärt, was die besonderen Betriebsgefahren für Außenstehende sind, kann er auch keine überzeugende Lösung für die Frage nach der Unternehmensbezogenheit anbieten.312 Dieses Kriterium könnte außerdem nicht, ob die Unternehmensleitung sich durch ihr Organisationsverhalten mit dem Sachbearbeiter in einen verbrecherischen Zusammenhang bringt und für dessen Handeln mitverantwortlich ist, sondern ob die Straftat als Gefahr aus der Unternehmenstätigkeit interpretiert werden kann. Hier greift der Gedanke des Regressverbots nicht, denn der Sacharbeiter handelt gerade nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im Unternehmensinteresse, und die Unternehmensleitung hat somit die Gefahr aus dieser Straftat zu unterbinden. Andererseits zeigt das von Timpe angeführte Beispiel gerade, dass ohne einen pflichtwidrigen Organisationsfehler ein Mitarbeiter (auch) im Inte­ resse des Unternehmens eine Straftat begehen könnte. 307  Zur Ausnutzung der Gelegenheit bei der Arbeitstätigkeit als ein mögliches Kriterium auch BGHSt 57, 42, 45; Frisch, FS-Rogall, S. 138 f. 308  Zu diesem Beispiel Schall, FS-Rudolphi, S. 282, der aber auch in diesem Fall eine betriebsspezifische Gefahr annehmen will. 309  Zu diesem Beispiel mit zutreffendem Ergebnis Otto, FS-Schroeder, S. 342. 310  Zu diesem Beispiel LK12/Weigend, § 13 Rn. 56 Fn. 188, der allerdings hier eine gesteigerte Gefährlichkeit eines Betriebs für Andere konstatiert, denn dessen Geschäftstätigkeit bringe diese Gefahr regelmäßig mit sich. Ihm insoweit folgend Hernández Basualto, FS-Frisch, 348. Allerdings kann die Regelmäßigkeit der Geschäftstätigkeit nichts an die Tatsache ändern, dass sexuelle Übergriffe in keinem Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Interesse des Unternehmens stehen. 311  Schall, FS-Rudolphi, S. 282; zustimmend nunmehr LK13/Weigend, § 13 Rn. 56. 312  Diese Unbestimmtheitskritik gilt aber uneingeschränkt für das von Otto, FSSchroeder, S. 343 gebotene Kriterium, wonach es sich bei Unternehmensbezogenheit um einen inneren Zusammenhang handelt, „der sich aus der Realisierung der Aufgaben und Zwecke des Betriebs, aber auch aus den – aus der Sicht eines Dritten – Be-



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 207

dazu führen, dass fast alle privaten Straftaten, die bei der Erwerbsarbeit begangen werden, notwendig den unternehmensbezogenen Straftaten zugerechnet werden müssten. Aber diese Straftaten können nicht unbedingt als Verwirklichung der besonderen Gefahren aus dem wirtschaftlichen Ziel des Unternehmens interpretiert werden. Die oben angeführten Beispiele von Zimmerkellner und Kundenberater haben das verdeutlicht. Das Kriterium der „Ausnutzung der faktischen oder rechtlichen Wirkungsmöglichkeit“ ist nämlich zu weit gefasst.313 In diesem Zusammenhang lässt sich auch feststellen, dass der zeitliche Zusammenhang (Begehung der Straftat während der Arbeitszeit) oder der räumliche Zusammenhang nicht allein entscheidend sein kann.314 Es geht vielmehr nur darum, ob die fragliche Straftat im wirtschaft­ lichen Interesse des Unternehmens begangen wird und als Verwirklichung der Gefahr aus dieser Interessenverfolgung angesehen werden kann. Gegen den Ansatz des „Handelns im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen“ könnte eingewandt werden, dass dieser Ansatz die Fälle nicht umfassen kann, in denen die Straftaten betriebstypisch sind, aber nicht im Unternehmensinteresse begangen werden. Gemeint sind vor allem Untreue oder Misshandlungen unter den Arbeitsnehmern (insb. Mobbing). Es lässt sich aber leicht erkennen, dass es in diesen Fällen um ein Rechtsverhältnis geht, in dem das Opfer entweder dem Unternehmensangehörigen das Vermögen anvertraut hat oder die Möglichkeit des Opfers zum Selbstschutz nach der Eingliederung in das Unternehmen dadurch wesentlich geschwächt wird, dass es sich der sozialen Arbeitsumwelt nicht entziehen kann.315 Es handelt triebsabläufe ergibt“. Auch hier wird gar nicht geklärt, wann ein innerer Zusammenhang als solcher aus der Sicht eines Dritten vorliegt. 313  Wie hier Otto, FS-Schroeder, S. 342; Hernández Basualto, FS-Frisch, 344. Schall hat selbst wohl diese Schwäche gesehen und führt als zusätzliches Kriterium die „typische berufliche Versuchung“ an. Danach sollen sexuelle Übergriffe gegenüber Kunden während der Werkbesichtigung keine typische berufliche Versuchung darstellen und somit nicht unternehmensbezogen sein (Schall, FS-Rudolphi, S. 283). Damit hat er das ursprüngliche Kriterium der Ausnutzung der faktischen oder recht­ lichen Wirkungsmöglichkeit preisgegeben. 314  Frisch, FS-Rogall, S. 139. Entgegen Frisch (ders., FS-Rogall, S. 139) und dem BGH (BGHSt 57, 42, 46) kann die Bestimmung der Unternehmensbezogenheit allerdings nicht (zusätzlich) darauf abstellen, ob die fragliche Straftat „sich außerhalb seines Betriebs genauso ereignen könnte“. Denn fast alle in diesem Zusammenhang stehenden Straftaten wie Diebstahl oder sexuelle Übergriffe könnten sich auch außerhalb des Unternehmens ereignen, ohne aber eine Unternehmensbezogenheit aufzuweisen (kritsch auch Schramm, JZ 2012, 971). Wenn man stattdessen „genauso ereignen“ betonen und diese Straftaten damit ausschließen will, muss man zu einem anderen materiellen Kriterium wie etwas irgendeinem inneren Zusammenhang mit dem Betrieb übergehen. Zutreffend insoweit Hernández Basualto, FS-Frisch, 339 f. 315  Zur fehlenden oder geringeren Ausweichmöglichkeit des Arbeitnehmers als Argument für ein Abhängigkeitsverhältnis auch BGHSt 57, 42, 47.

208 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

sich hier also um die Beschützergarantenstellung der Unternehmensleitung oder der Vorgesetzten vor Ort, die diese Abhängigkeit des Opfers durch freiwillige Übernahme der Schutzfunktion auszugleichen haben.316 Deshalb ist es weder sachgerecht noch notwendig, die Ratio der „Gefahren aus Verfolgung wirtschaftlichen Interesses“ auf diese Fälle zu übertragen. c) Zur personellen Reichweite der Garantenpflichten im Unternehmen aa) Allgemeine Bemerkung Nachdem die besonderen Gefahren aus kriminogenen Unternehmensstrukturen angedeutet worden sind, stellt sich weiter die Frage, wer in einem Unternehmen für diese Gefahren zuständig ist. Besteht die Legitimationsgrundlage für diese Überwachungsgarantenstellung in der Verfolgung des wirtschaftlichen Interesses durch die Führung des Unternehmens, dann liegt es nicht fern anzunehmen, dass den Unternehmensinhaber, der seine Verhaltensfreiheit durch Einrichtung des Unternehmens und die daraus sich ergebende Unternehmenstätigkeit erweitert, diese Überwachungspflicht trifft.317 Ist aber der Unternehmensinhaber eine juristische Person, dann trifft sie diese Garantenpflicht nicht. Der juristischen Person kommt zwar zivilrechtlich die Rechtsfähigkeit zu und sie wird als Träger von Rechten und Pflichten zur Verantwortung gezogen. Strafrechtlich ist aber eine juristische Person nicht in der Lage, durch eigenen Gebrauch rechtlich-praktischer Vernunft Recht zu konstituieren. Sie kann allenfalls durch ein Organ und somit nicht selbstbestimmt für oder gegen eine Verhaltensnorm handeln. Wer aber nicht selbstbestimmt handeln kann, kann weder Adressat einer Verhaltensnorm und daraus entspringender Garantenpflichten sein noch sie verletzen (Schuldprinzip).318 316  In

Hinblick auf Mobbing am Arbeitsplatz auch Roxin, JR 2012, 308. auch Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 161. 318  Murmann, Unternehmensstrafrecht, S. 57; Silva Sanchez, Aufsichtspflichten, S. 71. Zur Unfähigkeit einer juristischen Person, Subjekt einer Garantenpflicht zu sein, auch Ceffinato, Vertreterhaftung, S. 214; S. Walter, Pflichten, S. 73. Dagegen wird freilich eingewandt, dass die originäre Überwachungspflicht auch die juristische Person als Unternehmensträger treffen kann, denn wenn einmal ihre Rechtsfähigkeit rechtlich anerkannt sei, gehe damit auch Strafrechtsfähigkeit einher. Sie könne auch ihren Garantenpflichten durch das Handeln ihres Organs nachkommen. Darüber hinaus implizieren bereits einige Tatbestände wie § 266a StGB, dass die juristische Person auch Adressat einer Strafrechtsnorm sein könne (Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 152, 159). Das ist nicht überzeugend. Von der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit der juristischen Person deren Strafrechtsfähigkeit (besser: Schuldfähigkeit) unmittelbar abzuleiten, vernachlässigt die oben genannte Forderung des Schuldprinzips: Pflichtsubjekt kann nur derjenige sein, der durch eigene, nicht fremde Handlung der Pflicht nachkommen kann. Keine Schuldfähigkeit ohne Handlungsfähigkeit, keine Straf317  Insoweit



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 209

Als originärer Träger der Garantenpflicht kommen deshalb nur die natürlichen Personen in einer GmbH oder AG in Betracht: Bei einer GmbH trifft die originäre Garantenpflicht zunächst die Gesellschafter als natürliche Personen.319 Für diese Verpflichtung sprechen die folgenden Überlegungen: Die Gesellschafter haben die GmbH ins Leben gerufen,320 das Unternehmen ist also ihr Unternehmen. Darüber hinaus erweitern sie ihre Handlungsmöglichkeiten durch das Unternehmen und seine Organe und profitieren von wirtschaftlichen Vorteilen aus den Unternehmenstätigkeiten.321 Auch die Stellung der Gesellschafterversammlung als oberstes Willensbildungsorgan322 sowie die gesellschaftsrechtlich anerkannten Rechte der Gesellschafter bestätigen diese Legitimationsgründe und recht­ fertigen mittelbar diese originäre Pflichtstellung der Gesellschafter: Auch bezüglich der Geschäftsführung kann die Gesellschafterversammlung als oberstes Willensbildungsorgan der GmbH den Willen der Gesellschaft bilden und den Geschäftsführern verbindliche Weisungen erteilen (§ 37 Abs. 1 GmbHG).323 Darüber hinaus sind die Gesellschafter grundsätzlich für die Abberufung eines Geschäftsführers zuständig (§§  38 Abs.  1, 46 Nr.  5 GmbHG).324 Aus diesen gesellschaftsrechtlichen Rechten und dieser Zuständigkeit ergibt sich zwar nicht unmittelbar die strafrechtliche Garantenstellung der Gesellschafter, sie reflektieren aber die rechtlich anerkannten überlegenen Pflichtstellungen der Gesellschafter gegenüber den Geschäftsführern,325 rechtsfähigkeit ohne Schuldfähigkeit. Zum anderen impliziert § 266a StGB, aber auch andere Tatbestände, die besondere persönliche Eigenschaft i. S. v. § 14 StGB er­ fordern, wie §§ 283, 327 StGB, keine Anerkennung der Strafsubjektivität einer ­juristischen Person. Bei diesen Tatbeständen ermöglicht § 14 StGB also nicht die „­ Überwälzung“ der strafrechtlichen Pflicht einer juristischen Person auf ihr ver­ tretungs­ berechtigtes Organ, sondern die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Sonderdeliktstatbestände in dem Sinne, dass die fraglichen Sonderdeliktstatbestände auf diese Mitglieder angewandt werden dürfen, auch wenn diese Organmitglieder keine besonderen persönlichen Eigenschaft aufweisen (Ceffinato, Vertreterhaftung, S. 214; diesen Gedanken beleuchtend, aber wieder ablehnend Utz, ebd., S. 155). 319  Silva Sanchez, Aufsichtspflichten, S. 71. Die folgenden Ausführungen über die Garantenstellung der Gesellschafter gilt indes nicht für die Aktionäre einer AG. 320  MK-GmbHG/Liebscher, § 45 Rn. 81. 321  Ransiek, ZGR 5 (1999), 626. 322  Vgl. nur MK-GmbHG/Liebscher, §  45 Rn.  78 ff. m. w. N.; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 237. 323  MK-GmbHG/Liebscher, § 45 Rn. 81; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 237. 324  MK-GmbHG/Stephan/Tieves, § 38 Rn. 1; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 237. 325  Zu dieser übergeordneten Pflichtstellung auch Ransiek, ZGR 5 (1999), 626. Das bestreitet Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 167 f. ebenfalls nicht, der aber letztlich die Garantenstellung der Gesellschafter ablehnt, weil hier eine berechtigte Vertrauenserwartung Dritter gegenüber den Gesellschaftern fehle (Utz, ebd., S. 168). Aber die berechtigte Vertrauenserwartung Dritter kann nicht von dem faktischen Umstand,

210 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

und zwar auch in Hinblick auf jene Tätigkeiten der Geschäftsführung, aus denen die betriebsbezogenen Gefahren resultieren. Deshalb verpflichten sich die Gesellschafter, die aus den Tätigkeiten resultierenden betriebsbezogenen Gefahren für außenstehende Dritte zu neutralisieren, insbesondere wenn die Geschäftsführer es unterlassen. Anders verhält es sich bei den Aktionären einer AG. Der Aktionär hat zwar „wirtschaftliches Interesse am Erfolg der Gesellschaft“,326 er beteiligt sich aber, von einigen Ausnahmen abgesehen,327 in der Regel nicht persönlich an der Entscheidungsstruktur der Gesellschaft. Rechtlich hat er, anders als Aufsichtsratsmitglieder,328 keine gesetzliche Pflicht zur Überwachung der Unternehmensführung oder andere Befugnisse zum unmittelbaren Eingriff in die Geschäftsführung,329 die eine strafrecht­ liche Pflichtstellung zur Überwachung der Unternehmensführung implizieren könnten.330 Wenn sich der Aktionär sowohl in faktischer als auch in recht­ licher Hinsicht nicht an der Unternehmensführung „beteiligt“, sind die Rechtsgüter Dritter nicht auf seine Handlung angewiesen. Zwischen ihm und Dritten fehlt also in der Regel ein die Garantenstellung begründendes ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis. Eine originäre Überwachungsgarantenpflicht trifft darüber hinaus gerade diejenigen, die die Unternehmensabläufe wesentlich bestimmen, wie Vorstandsmitglieder bei einer AG und Geschäftsführer bei einer GmbH.331 Dem dass „die einzelnen Gesellschafter als auch die Mitarbeiter eines Betriebes und deren konkrete Funktionen und Aufgabenbereiche […] Außenstehenden in aller Regel unbekannt sein [werden]“ (Utz, ebd., S. 168, Hervorhebung von mir), abhängig gemacht werden, sondern nur von der materiellen Begründung der Garantenstellung. Nur wenn und soweit die Garantenstellung der Gesellschafter begründet ist, dürfen Dritte auf deren rechtmäßige Pflichterfüllung vertrauen. So gesehen kann die normativ berechtigte Vertrauenserwartung Dritter nur als „Reflex“ einer materiell begründeten Garantenpflicht angesehen werden und ist selbst zur Begründung oder Ablehnung einer Garantenstellung nicht geeignet. 326  Ransiek, ZGR 5 (1999), 627. 327  Wenn er also ausnahmsweise generell die Leitungsfunktion übergenommen hat, dazu Ransiek, ZGR 5 (1999), 627 f. 328  Ausführlich siehe unten S. 219 ff. 329  Allenfalls besteht eine indirekte Einflussnahme auf die anderen Gesellschaftsorgane, wie etwa über die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entlastung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder (§§ 119 Abs. 1 Nr. 4, 120 AktG) oder über die Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder nach § 103 AktG. Siehe Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 238. 330  Im Ergebnis auch Ransiek, ZGR 5 (1999), 627; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 239. 331  Ceffinato, Vertreterhaftung, S. 225; Murmann, Unternehmensstrafrecht, S. 60, Fn. 14; Wabnitz/Janovsky/Schmitt/Raum, Kap. 4 Rn. 148. Wohl auch Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit, S.  233. A. A. Dannecker, NZWiSt 2012, 446; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 218 ff., der nur die „Verantwortlichkeit aufgrund der Teilhabe



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 211

liegt ein gerechter Haftungsgrund zugrunde: Wer die Unternehmensabläufe durch seine Entscheidungsmacht wesentlich prägt, dem können die Unternehmenstätigkeiten, die von anderen Mitarbeitern ausgeführt werden, als sein Verhaltens- und Verantwortungsbereich zugerechnet werden. Denn die Ausführung dieser betriebsbezogenen Tätigkeiten durch andere Mitarbeiter stellt nichts anderes als einen fremdhändigen Vollzug der eigenen Entscheidung der Unternehmensleitung dar. Durch die Mitarbeiter setzen die Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer außenstehende Dritte der betriebsbezogenen Gefahren aus und bringen sie in ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis. Sie sind deshalb zur Überwachung der betriebsbezogenen Ge­ fahren berufen. Diese Überwachungspflicht der Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer kann an andere Mitarbeiter delegiert werden. Wer ganz oder teilweise die Überwachungsfunktion im Unternehmen faktisch übernommen hat, bringt dadurch das Opfer in ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis, denn diese Überwachungsfunktion dient gerade auch dem Rechtsgutsschutz des Opfers und das Opfer ist insoweit auf die Erfüllung dieses Auftrags angewiesen. Ob der Beauftragte eine Überwachungsfunktion als solche übernommen hat, bestimmt sich vornehmlich „nach Maßgabe der Unternehmensorganisation und der internen Arbeits- und Verantwortungsteilung“332 und hängt vom Zweck und von der Funktion der Beauftragung im Unternehmen ab.333 Aber auch wenn die Delegierung einer Überwachungspflicht in Unternehmen grundsätzlich möglich und erlaubt ist, darf diese Delegierung nicht zur Verschlechterung der Rechtslage des Opfers führen. Dies kommt in zwei Befunden zum Ausdruck: Erstens bestimmt sich die Pflichtstellung eines Vorstandsmitgliedes oder Geschäftsführers grundsätzlich nach dem von ihm betreuten Geschäfts- und Verantwortungsbereich. Er darf darauf vertrauen, dass die anderen Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer ihrer Pflicht rechtmäßig nachkommen werden (Ressortprinzip).334 Solange aber ihre Handlungen einen deutlich deliktischen Sinnzusammenhang aufweisen oder das Unternehmen sich in einer Krisensituation befindet, gilt das Ressortprinzip nicht mehr und er ist aufgrund der sog. „Generalverantwortung oder Allzustän­ digkeit“335 dazu verpflichtet, auch die Gefahren aus fremden Verantworan den originär die Gesellschaft als den eigentlichen Geschäftsherrn treffenden Garantenverpflichtungen aufgrund tatsächlicher Übernahme“ für möglich hält. 332  Böse, NStZ 2003, 639. Ferner Knauer, FS I. Roxin, S. 479; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 38. 333  BGHSt 54, 44, 49. 334  Böse, NStZ 2003, 638  f.; Dannecker, NZWiSt 2012, 447; Ransiek, ZGR 5 (1999), 621. 335  BGHSt 37, 106, 124.

212 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

tungsbereichen zu überwachen.336 Zweitens befreit sich der Delegierende durch die Delegierung nicht gänzlich von dieser Überwachungspflicht. Seine Überwachungspflicht verwandelt sich vielmehr nur inhaltlich. Nach der Delegierung könnte zwar den Delegierenden keine unmittelbare Überwachungspflicht treffen, wohl aber andere Pflichten wie Auswahl-, Organisations-, Kontroll- und Aufsichtspflicht.337 bb) Die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder bzw. des Geschäftsführers Weil der Legitimationsgrund der Garantenpflicht zur Überwachung des Gefahrherds Betrieb in den kriminogenen Unternehmensstrukturen gesehen wird, liegt es nahe, demjenigen, der zur Geschäftsführung berufen ist, eine Garantenpflicht zur Elidierung dieser besonderen Gefahren aus dem Unternehmen zuzuschreiben. Bei einer AG wird diese Pflichtstellung von Mitgliedern des Vorstands (§§ 76 ff. AktG), bei der GmbH vom Geschäftsführer (§§ 35 ff. GmbH) übernommen.338 (1) Der Begründungszusammenhang der Überwachungsgarantenstellung Zunächst sei festgestellt, dass die Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer grundsätzlich kein Beschützergarant gegenüber dem verletzten Rechtsgut eines außenstehenden Opfers sind. Denn das Rechtsgut des Opfers wird ­ihnen nicht umfassend anvertraut, sondern ist nur im Rahmen der betriebs­ bezogenen Gefahren auf ihre Pflichterfüllung angewiesen. Durch die Übernahme der Geschäftsführung werden den Vorstandsmitgliedern oder dem Geschäftsführer vielmehr nur die Rechtsgüter der Gesellschaft, insbesondere deren Vermögen anvertraut; sie sind deshalb Beschützergaranten gegenüber der Gesellschaft, nicht aber gegenüber außenstehenden Dritten.339 NStZ 2003, 639. GK, § 29 Rn. 61; ders., Unternehmensstrafrecht, S. 60, Fn. 14; Roxin, AT II, § 32 Rn. 142; Silva Sanchez, Aufsichtspflichten, S. 72. Bei Produkthaftung Frisch, Verhalten, S. 209. 338  Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 213. 339  Im Ergebnis auch Kudlich, HRRS 2012, 179. Eine Untreuestrafbarkeit nach § 266 StGB kommt dann allerdings in Betracht, wenn die Nichtverhinderung einer Straftat gegen einen außenstehenden Dritten einen Schadenersatzanspruch des Dritten oder Sanktionen wie eine Geldbuße gegen die Gesellschaft auslösen würde. Da aber bei der pflichtwidrigen Nichtverhinderung der Straftat ein Schadenersatzanspruch oder Sanktionen noch nicht erfolgen, dessen Inanspruchnahme oder deren Verhängung vielmehr noch von den weiteren Handlungen des Opfers oder der Behörden abhängen, kommt es für die Untreuestrafbarkeit darauf an, ob der Nachteilsbegriff in 336  Böse,

337  Murmann,



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 213

Da aber die Vorstandsmitglieder oder der Geschäftsführer zur Geschäftsführung berufen sind und die Unternehmensabläufe durch ihre Entscheidungsmacht wesentlich geprägt haben, dürfen ihnen die gesamten Unternehmenstätigkeiten, aber auch die betriebsbezogenen Straftaten von Unternehmensangehörigen als ihr Verhaltens- und Verantwortungsbereich zugerechnet werden. Sie sind dann verpflichtet, die sachlichen oder personalen Gefahren aus diesen Unternehmenstätigkeiten zu überwachen, damit sie nicht das Rechtsgut eines außenstehenden Dritten verletzen. Diese originäre Über­ wachungsgarantenpflicht der Vorstandsmitglieder und des Geschäftsführers findet Unterstützung auch in den zugehörigen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, die zur Feststellung der Pflichtstellung der Vorstandsmitglieder und des Geschäftsführers unerlässlich sind: Den Kern bilden die Vorschriften über die Legalitätspflicht von § 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 43 Abs. 1 GmbH, aus denen eine Reihe von Pflichten der Vorstandsmitglieder und des Geschäftsführers zur Sicherung der Legalität der Unternehmenstätigkeiten wie Planungs- Organisations- und Überwachungspflichten abgeleitet werden.340 Angesichts dieser umfassenden Pflichtstellung aus der Organisations- und Überwachungspflicht in Unternehmen ist es auch gerecht, den Vorstandsmitgliedern oder dem Geschäftsführer die Überwachungsgarantenpflicht zuzuschreiben. Vielfach wird die Heranziehung dieser Vorschriften zur Begründung einer strafrechtlichen Überwachungsgarantenpflicht mit dem Argument abgelehnt, dass es sich bei diesen Vorschriften nur um das Innenverhältnis zwischen Vorstandsmitgliedern bzw. Geschäftsführer einerseits und Gesellschaft andererseits handele. Die Außenverantwortlichkeit werde „lediglich in die Innenbeziehung zwischen Unternehmensleitung und Gesellschaft transportiert“341 und die Legalitätspflicht begründe somit „keine eigenen Pflichten der Unternehmensleitung zugunsten außenstehender Dritter“ und wirke „nicht drittschützend“.342 In der Tat kann man aus diesen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften über die Legalitätspflicht nicht unmittelbar eine strafrechtliche Überwachungspflicht ableiten. § 266 StGB auch solche „mittelbaren Schädigungen“ umfasst. Auf dieser Frage kann hier aber nicht eingegangen werden. Eingehend dazu Schwerdtfeger, Pflicht, S. 138 ff.; Dössinger, Haftungsrisiken, S. 391 ff., beide aber in Hinblick auf die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder für pflichtwidrige Nichtverhinderung einer Straftat oder Nichteinführung eines Compliance-Systems durch einen Vorstand. 340  Ausführlich dazu Michaelsen, Pflichtverletzung, S. 85 ff., insb. 90 ff. zur Legalitätspflicht; vgl. auch Dössinger, Haftungsrisiken, S. 147 ff. zur Pflicht von Compliance. 341  Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 215. 342  Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 215 f. In diesem Sinne auch Hsü, Garantenstellung, S. 254, wenn sie konstatiert, dass die geschlossene Beziehung zwischen dem Betriebsinhaber und dem Angestellten keine drittschützende Wirkung hat.

214 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Es geht bei der Überwachungsgarantenpflicht nicht um eine zivilrechtliche Deliktshaftung. Eine direkte Übertragung der dort entwickelten Grundsätze auf das Strafrecht wäre verfehlt. Es bedarf dafür einer spezifisch strafrecht­ lichen Haftungsbegründung, die vom ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Unternehmensleitung und dem Opfer ausgeht. Wird aber diese ursprüngliche Abhängigkeit einmal begründet, stellt sich die Frage, ob die Konstruktion dieser Garantenpflicht der Unternehmensleitung im Widerspruch zu den primären Verhaltensnormen des Gesellschaftsrechts steht. Das ist freilich nicht der Fall. Denn einerseits bezieht sich diese Verhaltensnorm primär auf das Innenverhältnis von Organwalter und Gesellschaft, nicht aber auf ein Außenverhältnis zwischen Gesellschaft und einem außenstehenden Opfer. Andererseits entfalten aber die aus dem Legalitätsprinzip sich ergebenden gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Organwalters, etwa seine Überwachungspflichten, zumindest mittelbare Schutzwirkung für einen Außenstehenden. Das ergibt sich aus dem Wesen von Legalität, die Allgemeingültigkeit beansprucht und sich notwendig auf einen Außenstehenden bezieht. Die Legalitätspflicht der Unternehmensleitung kann somit nicht nur darauf abzielen, dass die Gesellschaft nicht durch die Pflichtverletzung der Unternehmensleitung geschädigt wird, sondern soll die Legalität aller Unternehmens­ tätigkeit garantieren und alle Rechtsverletzung vermeiden. Wenn die primären Verhaltensnormen im Gesellschaftsrecht zwar keine Überwachungsgarantenstellung der Unternehmensleitung begründen, ihr aber auch nicht entgegen­ stehen,343 spricht nichts dagegen, dass den Vorstandsmitgliedern und dem Geschäftsführer diese strafrechtlich, d. h. im Rechtsverhältnis zwischen Unternehmensleitung und außenstehenden Dritten begründete Überwachungs­ garantenstellung zukommt.344 343  A. A. BGHZ 194, 26, 33 ff.; 201, 344, 351; BGH MDR 2019, 946, 947. Diese zivilrechtliche Rechtsprechung hat zwar richtig feststellt, dass sich allein aus der Stellung der Vorstandsmitglieder oder des Geschäftsführers keine Garantenstellung gegenüber außenstehenden Dritten ergibt, scheint aber grundsätzlich die Überwachungsgarantenstellung der Unternehmensleitung im Außenverhältnis zum Opfer zu verneinen, wenn sie formuliert, dass die Legalitätspflicht (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 43 Abs. 1 GmbH) grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber, nicht im Verhältnis zu außenstehenden Dritten bestehe (BGHZ 194, 26, 34). Danach hätte das einzelne Vorstandsmitglied gesellschaftsrechtlich in der Regel keine Überwachungspflicht gegenüber Dritten. Damit steht die zivilrechtliche Rechtsprechung des BGH aber wahrscheinlich im Widerspruch zu seiner strafrechtlichen Rechtsprechung, die eine solche Überwachungsgarantenstellung der Unternehmensleitung oder des Vorgesetzten unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände ausdrücklich anerkennt (BGHSt 57, 42, 45). Einen Widerspruch diagnostizierend auch Dannecker, NZWiSt 2012, 450; Kuhlen, NZWiSt 2015, 168. Daran zweifelnd aber Noll, Delegation, S. 62. 344  Sachlich übereinstimmend Dannecker, NZWiSt 2012, 446, wonach der Haftungsgrund im Außenverhältnis zum außenstehenden Opfer liegt. „Das Gesellschaftsrecht ist also nur für die (derivative) Verteilung der im Außenverhältnis begründeten



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 215

strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung im Unternehmen von Bedeutung, nicht für deren Begründung!“ (ebd., S. 446) Somit wäre es verfehlt, die Überwachungsgarantenstellung der Unternehmensleitung gegenüber dem Außenstehenden ganz oder überwiegend zu verneinen und die Straftatverhinderungspflicht der Unternehmensleitung gegenüber Dritten nur auf den Fall zu beschränken, dass aus der Beschützergarantenstellung der Unternehmensleitung eine solche Straftatverhinderungspflicht zugunsten der Gesellschaft abgeleitet werden könne (Noll, Delegation, S. 162) oder diese Straftatverhinderungspflicht als eine leistungsbezogene Nebenpflicht in dem Vertrag zwischen der Gesellschaft und der Unternehmensleitung geregelt werde (Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 220). Diese Ansichten konzentriert sich zu sehr auf die Beschützerstellung der Unternehmensleistung gegenüber der Gesellschaft und vernachlässigen die Pflichtstellung der Unternehmensleitung gegenüber Dritten. Im Außenverhältnis tritt das Schutzverhältnis gegenüber der Gesellschaft freilich in den Hintergrund. Darüber hinaus führt eine Begründung der Straftatverhinderungspflicht aus der Beschützergarantenstellung auch zu vielen problematischen Ergebnissen. Danach wäre der Geschäftsführer nicht verpflichtet, eine Bestechung (334 StGB) seitens des Untergeordneten zu verhindern, denn die Anerkennung einer Pflicht zur Verhinderung dieser Straftat würde bedeutet, dass der Geschäftsführer auch „zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Verwaltung bzw. des Vertrauens der Allgemeinheit in die Institution der Verwaltung“ verpflichtet wäre und die fehlende Schutzpflicht des Geschäftsführers gegenüber diesem Rechtsgut unterlaufen würde (Noll, ebd., S. 165, 166). Richtig ist, dass in der Regel nur ein Amtsträger zum Schutz dieses kollektiven Rechtsguts verpflichtet ist, nicht aber eine private Person. Es handelt sich aber bei dieser Straftatverhinderungspflicht gar nicht um eine (umfassende) Schutzpflicht des Geschäftsführers, dieses Rechtsgut gegen aller Gefahren zu schützen, sondern nur darum, dass ein Geschäftsführer nicht durch eigene Handlung oder durch eine fremde, ihm aber zuzurechnende Handlung, das Rechtsgut verletzen darf. Da nach der hier vertretenen Auffassung eine Bestechung, die von einem Untergeordneten im Interesse des Unternehmens begangen wird, eine unternehmensbezogene Straftat ist, verpflichtet sich der Geschäftsführer zur Verhinderung dieser Bestechung. Unterlässt er dies, wird ihm die Bestechung dieses Untergeordneten zugerechnet, als ob der Geschäftsführer selbst das Rechtsgut angegriffen hätte. Ein Überwachungs­garant dient zwar auch dem Rechtsgutsschutz, verpflichtet sich aber gerade nicht, das Rechtsgut vor allen möglichen Gefahren zu schützen, sondern nur vor den Gefahren, für deren Überwachung er zuständig ist, ohne dass er dadurch zum Beschützergaranten erhoben würde (das verkennt gerade Noll, ebd., S. 166). Auch ein weiterer Vergleich mit der Pflicht eines Einzelkaufmanns überzeugt nicht. Es wird behauptet, dass ein Geschäftsführer im Vergleich zu einem Einzelkaufmann schlechter gestellt wäre. Denn einen Einzelkaufmann trifft keine Pflicht zum Schutz des kollektiven Rechtsguts, während einem Geschäftsführer bei Anerkennung einer Straftatverhinderungspflicht der Sache nach eine Schutzpflicht als solche zugeschrieben würde (Noll, ebd., S. 166). Allerdings geht es hier wie festgestellt gar nicht um eine Schutzpflicht des Geschäftsführers, sondern darum, dass sowohl der Einzelkaufmann als auch der Geschäftsführer nicht durch eine zurechenbare Handlung das kollektive Rechtsgut verletzen dürfen. Die Besonderheit bei einem großen Unternehmen besteht nur darin, dass ein Geschäftsführer auch dadurch das Rechtsgut verletzt, dass er diese Straftat nicht verhindert. Wäre der Geschäftsführer zur Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat nicht verpflichtet, würde er insoweit ungerecht privilegiert, als er durch Nichtverhinderung dieser Straftat das Rechtsgut verletzen dürfte.

216 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

(2) Zur Reichweite der Überwachungsgarantenpflichten (a) Vertikale Überwachung Unter den Autoren, die eine Überwachungsgarantenstellung der Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer gegenüber einem außenstehenden Dritten anerkennen, ist es relativ unstrittig, dass diese Personen eine Garantenpflicht zur Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat eines Untergeordneten trifft. Diejenigen Autoren, die das Weisungsrecht gegenüber den Untergeordneten als eine notwendige Voraussetzung für die Begründung dieser Garantenstellung ansehen,345 kommen damit zu dem Ergebnis, dass diese Personen den Untergeordneten eine Weisung erteilen und dadurch die Straftat verhindern können. Nach richtiger Auffassung hat das Weisungsrecht für die Begründung einer Überwachungsgarantenstellung freilich nur sekundäre Bedeutung, nämlich insofern, als es ein Indiz für die Pflichtstellung zur Gefahrenüberwachung ist. Entscheidend ist die gleichsam als Kehrseite der Unternehmensleitung aufzufassende Pflichtstellung der Vorstandsmitglieder und des Geschäftsführers, unternehmensbezogene Gefahren aus dem Unternehmen umfassend zu überwachen und deren Verwirklichung zu verhindern, damit Rechtsgüter Dritter nicht verletzt werden. Durch die Unternehmensbezogenheit der Straftat liegt das vom Untergeordneten verwirklichte Risiko nicht nur im Verantwortungsbereich des Untergeordneten, sondern auch im eigenen Verantwortungsbereich des Geschäftsführers.346 Die Vorstandsmitglieder und der Geschäftsführer verpflichten sich somit zur Verhinderung der ihnen zugerechneten Straftat des Untergeordneten. Diese Überwachungspflicht der Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer zur Verhinderung der Verwirklichung unternehmensbezogener Gefahren kann zwar wegen der notwendigen Aufgabenteilung in modernen Unternehmen an bestimmte Untergeordnete delegiert werden. So kann diese Überwachungsaufgabe etwa an den Compliance-Beauftragten delegiert werden. Da aber die Unternehmensleitung und die mit ihr verbundenen Geschäftsführungsbefugnisse nicht delegiert werden können347 und die Straftatverhinderungspflicht direkt aus der Leitungsstellung der Vorstandsmitglieder und der Geschäftsführer abgeleitet wird, befreien sich diese Personen durch die Delegation nicht von der Straftatverhinderungspflicht. Durch die Delegation wird der Pflichtinhalt aber dahin transformiert, den Compliance-Beauftragten zu über345  Exemplarisch

Beulke, FS-Geppert, S. 37; aber auch Roxin, FS-Beulke, S. 247. diesem Gedanken Jakobs, AT, § 29 Rn. 36; ferner Bosch, Organisationsverschulden, S. 216 ff., insb. S. 219; beide beschränken aber stark die Straftatverhinderungspflicht der Unternehmensleitung. 347  Zu dieser organschaftlichen Mindestzuständigkeit Konu, Garantenstellung, S.  62 f. 346  Zu



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 217

wachen. Falls der Compliance-Beauftragte wider Erwarten seiner Überwachungspflicht nicht nachkommt, „reaktiviert“ sich die Straftatverhinderungspflicht der Vorgesetzten wieder.348 (b) Horizontale Überwachung Umstritten ist allerdings, ob und inwieweit sich ein Vorstandsmitglied verpflichtet, eine erkennbar unternehmensbezogene Straftat eines anderen Vorstandsmitglieds zu verhindern oder zu erschweren, wenn die Handlung eines anderen Vorstandsmitglieds einen deutlichen deliktischen Sinnzusammenhang aufweist.349 Die Auffassung, die als Voraussetzung hierfür ein Weisungsrecht des Überwachungsgaranten gegenüber dem Überwachten fordert, muss hier konsequent diese Straftatverhinderungspflicht verneinen. Denn ein Vorstands­ mitglied hat kein Weisungsrecht gegenüber den anderen Vorstandsmitgliedern. Allerdings kommt es, wie bereits mehrfach aufgewiesen, für die Begründung der Garantenstellung nicht auf ein Autoritätsverhältnis gegenüber den anderen oder auf ein Weisungsrecht an, sondern nur auf die Pflichtstellung, die unternehmensbezogenen Gefahren zu überwachen und deren Verwirklichung zu verhindern.350 Wer in Unternehmen diese Überwachungsaufgaben übernommen hat und dafür zuständig ist, übernimmt auch die Pflichtstellung, das Opfer vor unternehmensbezogenen Gefahren zu schützen. Da das einzelne Vorstandsmitglied zusammen mit den anderen Vorstandsmitgliedern das Unternehmen leitet und die Unternehmensabläufe wesentlich bestimmt, verpflichtet sich jedes Vorstandsmitglied, alle unternehmensbezogenen Gefahren zu überwachen,351 auch wenn diese Gefahren nicht aus einer rechtswidrigen Handlung eines Untergeordneten, sondern aus dem Handeln eines gleichberechtigten Vorstandsmitglieds hervorgehen.352 Wenn der Vorstand nur aus einem Vorstandsmitglied besteht, muss es diese unternehmensbezogenen Gefahren zudem unterbinden. Das gilt auch für den Fall, dass es Delegation, S. 163. NZWiSt 2012, 448 f. In Bezug auf Verkehrssicherungspflicht auch Alexander, Verantwortlichkeit, S. 138. Da die Straftat eines anderen Vorstandsmitglieds einen deutlichen deliktischen Sinnzusammenhang aufweist, greift hier das Vertrauensprinzip bzw. Ressortprinzip nicht mehr ein. Alexander, Verantwortlichkeit, S.  137 f. 350  Dannecker, NZWiSt 2012, 448. 351  Sog. originäre Gesamtverantwortung oder der Grundsatz von Generalverantwortung und Allzuständigkeit der Geschäftsleitung Otto, FS-Schroeder, S. 344, Fn. 25 m. w. N. 352  In diesem Sinne Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 66 in Hinblick auf die Produkthaftung. Im Ergebnis auch Alexander, Verantwortlichkeit, S.  137 f.; Dannecker, NZWiSt 2012, 448; Otto, FS-Schroeder, S. 346, 348; Graf/Jäger/Wittig/Mertz, § 13 StGB Rn. 56. 348  Noll,

349  Dannecker,

218 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

um mehrere Vorstandsmitglieder geht; andernfalls würde die Rechtsstellung des Opfers durch die unternehmensinterne Zuständigkeitsaufteilung verschlechtert.353 Die anderen Vorstandsmitglieder können und müssen „im Rahmen [ihrer] gesellschaftsrechtlichen Befugnisse“354 dieser Pflicht nachkommen, d.  h. etwa bei einer Gremienentscheidung selbst für eine Erfolgsverhinderungshandlung stimmen oder auf die anderen Mitglieder dahingehend einwirken.355 Wenn die Straftat dadurch nicht verhindert werden kann, ist das einzelne Vorstandsmitglied noch verpflichtet, alle zumutbaren Mittel außerhalb seiner gesellschaftsrechtlichen Befugnisse zu ergreifen,356 etwa die Aufsichtsratsmitglieder oder Gesellschafter zu informieren357 oder der Strafverfolgungsbehörde die Straftat anzuzeigen.358 Der Grund liegt erstens darin, dass diese Straftatverhinderungspflicht von der Generalverantwortung und Allzuständigkeit der Unternehmensleitung abgeleitet wird; daher muss das einzelne Mitglied alle zumutbaren Mittel im Rahmen des Unternehmens in Dienst

353  Otto, FS-Schroeder, S. 348: „[T]rotz interner Geschäftsaufteilung bleiben die übrigen Mitglieder der Geschäftsleitung Normadressaten der Sicherungspflichten.“ 354  Dannecker, NZWiSt 2012, 448. 355  Dannecker, NZWiSt 2012, 449. Vgl. auch Alexander, Verantwortlichkeit, S.  163 f. 356  Dannecker, NZWiSt 2012, 449. Dagegen aber BGHSt 37, 106, 125 f. 357  Alexander, Verantwortlichkeit, S. 165; Dannecker, NZWiSt 2012, 449; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 75. 358  Dannecker, NZWiSt 2012, 449; einschränkend auch Blassl, ZIP 2020, 543; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 76. Die Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige ablehnend aber Momsen/Grützner/Momsen, Kap. 1 § 3 Rn. 22; Otto, FS-Schroeder, S. 349, der unzutreffend davon ausgeht, dass es bei dieser Anzeigepflicht nur um eine allgemeine Hilfspflicht aus § 323c StGB gehe. Dieses faktische Mittel, insbesondere die zuständige Behörde über die Tat zu informieren, sei aber als Ultima Ratio anzusehen (dazu Fleischer, BB 2004, 2650: Ausschöpfung der gesellschaftsinternen Einflussmöglichkeiten). Der Grund dafür ist freilich nicht die schwierige Feststellung der Pflichtwidrigkeit einer riskanten Unternehmensentscheidung (wohl aber Alexander, Verantwortlichkeit, S. 166; Blassl, ZIP 2020, 543; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 76), denn ein deutlicher deliktischer Sinnzusammenhang ist bereits die Voraussetzung für die Begründung einer Überwachungsgarantenstellung; vielmehr trägt es dem Umstand Rechnung, dass diese Anzeige einerseits die Funktionsfähigkeit der Unternehmensleitung gravierend beeinträchtigen würde und andererseits das Vorstandsmitglied, das die Anzeige erstattet, vom Unternehmen sanktioniert werden könnte (Alexander, Verantwortlichkeit, S. 165; Blassl, ZIP 2020, 543). Diese vielfach hinsichtlich der Zumutbarkeit erörterten Umstände schließen aber nicht die Anzeigepflicht aus, sondern sind allenfalls bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Vgl. aber Fleischer, BB 2004, 2650, der die Anzeigepflicht grundsätzlich nur auf die Katalogstraftaten von § 138 StGB beschränken will; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 76: nur bei schweren Tatbeständen.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 219

nehmen.359 Zweitens, wenn es um eine Erfolgsverhinderungspflicht eines nicht im Unternehmenskontext stehenden Garanten geht, muss er ebenfalls alle zumutbaren Mitteln ausschöpfen, auch wenn diese Mittel außerhalb seines Verantwortlichkeitsbereichs liegen; dazu gehört z. B., das Opfer zu warnen oder eine Anzeige zu erstatten. Warum im Unternehmenskontext auf diese faktischen Mittel verzichtet werden soll, leuchtet nicht ein. Auch hier darf die Rechtsstellung des Opfers nicht durch die unternehmensinterne Verteilung von Verantwortungsbereichen geschwächt werden. cc) Die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder Neben der Überwachungspflicht der Vorstandsmitglieder wird auch diskutiert, ob ein Aufsichtsratsmitglied als Überwachungsgarant dazu berufen ist, unternehmensbezogene Straftaten von Vorstandsmitgliedern oder Untergeordneten gegenüber außenstehenden Dritten360 zu unterbinden.361 (1) Der Begründungszusammenhang der Überwachungsgarantenstellung Ähnlich wie in der Diskussion über die Überwachungsgarantenstellung der Vorstandsmitglieder kommt es hier zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem welche Begründungsstrategie man wählt.

NZWiSt 2012, 449. Überwachungsgarantenpflicht der Aufsichtsratsmitglieder zur Verhinderung einer Straftat gegenüber der Gesellschaft wird allgemein anerkannt. Vgl. nur BGHSt 49, 147, 201. 361  Bejahend Dannecker, NZWiSt 2012, 448; Graf/Jäger/Wittig/Merz, § 13 StGB Rn. 40; Konu, Garantenstellung, S. 199; Murmann, Unternehmensstrafrecht, S. 60; Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, 181; Tiedemann, FS-Tröndle, S. 321; ders., Wirtschaftsstrafrecht, § 5 Rn. 359. Wegen begrenzter unternehmensinterner Befugnisse auf Ausnahmefälle beschränkend Berndt/Theile/Theile, Rn. 206; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 82, 84; ders., ZGR 1999, S. 624: bei eindeutiger Rechtswidrigkeit der Vorstandstätigkeit oder bei Anmaßung der faktischen Geschäftsführungsbe­ fugnisse. Skeptisch, aber nicht ablehnend Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 576, 586; Momsen/Grützner/Momsen, Kap. 1 § 3 Rn. 41. Ablehnend Beulke, FS-Geppert, S. 37 Fn. 57; Dössinger, Haftungsrisiken, S. 442  f.; Krause, NStZ 2011, 61  f.; ders., ­FS-Wessing, S. 245, 251; Leitner/Rosenau/Burchard, § 13 Rn. 19; Poseck, Haftung, S.  120 f.; Schwerdtfeger, Pflicht, S. 204; Spring, GA 2010, 225 Fn. 16. Grundsätzlich ablehnend auch Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 232, 233, mit der Ausnahme, dass eine Aufsichtsposition zugunsten Dritten besonders vereinbart oder einzelne konkrete Überwachungspflichten gegenüber Dritten individuell übernommen werden. 359  Dannecker, 360  Die

220 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

(a) Herrschaft über die Vorstandsmitglieder oder über die Mitarbeiter? Wer den Grund der Überwachungsgarantenstellung in der Herrschaft über die zu Überwachenden erblickt, muss konsequent ein rechtlich besonderes Autoritätsverhältnis zwischen Garantem und Überwachtem fordern. Im Zusammenhang der Geschäftsherrenhaftung wird zur Begründung einer Herrschaftsmacht nicht selten ein Direktionsrecht oder eine damit vergleichbare rechtlich anerkannte Befugnis herangezogen. Da aber die Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Vorstandsmitgliedern kein Direktionsrecht haben,362 der Aufsichtsrat dem Vorstand gesellschaftsrechtlich auch nicht als höhere „Superkontrollinstanz“ gegenübersteht,363 ist kaum von einem Autoritätsoder Herrschaftsverhältnis zwischen beiden Organen auszugehen.364 Zur Begründung einer Herrschaftsmacht könnte man aber die anderen rechtlichen Befugnisse365 der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Vorstandsmitgliedern in Anspruch nehmen. So kann der Aufsichtsrat durch Abberufung des Vorstandsmitglieds (§ 84 Abs. 3 AktG) oder Zustimmungsvorbehalt (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) die rechtswidrige Entscheidung der Vorstandsmitglieder verhindern.366 Abgesehen davon, ob solche auf „rein negative Verhaltenssteuerung des Vorstands“367 gerichteten Kompetenzen für eine die Garantenstellung begründende Herrschaftsmacht ausreichend sind,368 kann eine rechtlich relevante Herrschaftsbeziehung dann nicht begründet werden, soweit die Vorstandsmitglieder oder untergeordnete Mitarbeiter rechtlich vollverantwortlich bleiben und kein rechtlich anerkanntes Autoritätsverhältnis zwischen Aufsichtsrat und ihnen besteht.369 Wer versucht, aus bestimmten aktienrechtlichen Befugnissen von Aufsichtsratsmitgliedern ihre Herrschaftsmacht abzuFS-Wessing, S. 248. Haftungsrisiken, S. 445. 364  Dössinger, Haftungsrisiken, S. 437: gleichberechtigte Organe, 445; Krause, FS-Wessing, S. 250; Schwerdtfeger, Pflicht, S. 201 ff., 203; Spring, GA 2010, 225 Fn. 16. 365  Die faktische Verhinderungsmöglichkeit oder die Möglichkeit, die Entscheidung der Unternehmensleitung „offiziell zu beanstanden oder hierzu sonst Stellung zu nehmen“, reicht für die Begründung einer rechtlichen Garantenstellung ersichtlich nicht. Zutreffend Krause, FS-Wessing, S. 249. Siehe aber bereits Cramer, FS-Stree/ Wessels, S. 573; Poseck, Haftung, S. 120; Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 170. 366  In dieser Richtung Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 171 ff., 177 ff., 181. 367  Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 174. 368  Dafür Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 174; verneinend aber Dössinger, Haftungsrisiken, S. 438: Zustimmungsvorbehalt gilt nur für Innenverhältnis; S. 439 f.: Abberufungsrecht hat nur einen repressiven, keinen präventiven Charakter; Krause, FS-Wessing, S. 249; Schwerdtfeger, Pflicht, S. 203 f. 369  Zu diesem Befund im Sinne der Herrschaft gegenüber den zu Überwachenden auch Dössinger, Strafrechtliche Haftungsrisiken, S. 431 (gegenüber untergeordneten Mitarbeitern). 362  Krause,

363  Dössinger,



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 221

leiten und ihre Überwachungsgarantenstellung zu begründen,370 scheitert immer an diesem Befund. (b) Übernahme der Überwachungsfunktion in Unternehmen Auch wenn die Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder nicht aus einer Herrschaft über die Vorstandsmitglieder oder untergeordneten Mitarbeiter abgeleitet werden kann, ist zu überlegen, ob sie dadurch begründet werden kann, dass ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen Aufsichtsratsmitgliedern und dem Opfer besteht und die unternehmensinterne Pflichtstellung der Aufsichtsratsmitglieder diesem Verhältnis nicht entgegensteht. Anders als die Vorstandsmitglieder sind die Aufsichtsratsmitglieder nicht zur Geschäftsleitung befugt (§ 111 Abs. 4 S. 1 AktG)371 und bestimmen nicht die Unternehmensabläufe. Die Begründungen für die originäre Überwachungsgarantenstellung der Vorstandsmitglieder können damit nicht herangezogen werden.372 Ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zum Opfer kann zwar nicht dadurch begründet werden, dass die Aufsichtsratsmitglieder durch Unternehmensabläufe unternehmensbezogene Gefahren für das Opfer geschaffen hätten; allerdings sind sie aktienrechtlich zur Überwachung der Geschäftsführung bestellt (§ 111 Abs. 1 AktG). Die Überwachung der Vorstandstätigkeit stellt sich dann als Hauptaufgabe der Aufsichtsratsmitglieder dar373 und soll die Rechtmäßigkeit der Vorstandstätigkeit garantieren (§ 111 Abs. 1 AktG i. V. m. § 116 S. 1 AktG). Wenn sich die Vorstandsmitglieder dazu verpflichten, die unternehmensbezogenen Gefahren zu überwachen, damit ein außenstehender Dritter dadurch nicht verletzt wird, dann müssen die Aufsichtsratsmitglieder garantieren, dass die Vorstandsmitglieder dieser Überwachungspflicht pflichtmäßig nachkommen. Verhindern etwa die Vorstandsmitglieder eine unternehmensbezogene Straftat eines untergeordneten Mitarbeiters nicht, wären dann die Aufsichtsratsmitglieder dazu verpflichtet. Die ursprüngliche Abhängigkeit des Opfers von den Aufsichtsratsmitgliedern besteht darin, dass die Aufsichtsratsmitglieder durch Übernahme der aktienrechtlichen Überwachungsaufgabe gegenüber dem Vorstand auch eine Über-

370  Vgl.

aber Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 572 ff. Pflicht, S. 200. 372  Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 230. 373  Insoweit auch Krause, FS-Wessing, S. 246. Die Aufsichtsratsmitglieder verpflichten sich, „den Vorstand nicht von sich aus zu Handlungen zu veranlassen, die er aufgrund seiner Überwachungspflicht gerade abwenden müßte“ (BGHSt 47, 187, 201). 371  Schwerdtfeger,

222 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

wachungsfunktion übernommen haben, die das Opfer vor unternehmensbezogenen Gefahren schützen soll.374 Die Annahme einer Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Vorstandsmitgliedern oder anderen untergeordneten Mitarbeitern widerspricht auch nicht der aktienrechtlichen Stellung des Aufsichtsrats. Soweit der Zweck der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats in der Kontrolle der Legalität der Vorstandstätigkeit liegt, kann diese Über­ wachungspflicht aus § 111 Abs. 1 AktG i. V. m. § 116 S. 1 AktG wegen der Allgemeingültigkeit der Legalität nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber dem außenstehenden Dritten bestehen.375 Der Schutzzweck dieser Überwachungspflicht umfasst mittelbar auch das Rechtsgut des außenstehenden Dritten.376 Weil andererseits die Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder nicht durch die Herrschaftsmacht gegenüber den Vorstandsmitgliedern oder anderen Mitarbeitern, sondern durch die Übernahme der Überwachungsfunktion gegen unternehmensbezogene Gefahren begründet wird, lässt sich der Aufsichtsrat nicht als eine „Strafverfolgungsbehörde“ im Unternehmen verstehen, die jede Rechtsverletzung im Unternehmen, darunter auch Straftaten ohne Unternehmensbezug verhindern muss,377 aber auch nicht als eine übergeordnete „Superkontrollinstanz“ des Vorstands. Der Aufsichtsrat bleibt gegenüber dem Vorstand auch bei Anerkennung dieser Überwachungspflicht ein gleichberechtigtes Organ mit unterschiedlichen Funktionen. Die unternehmensinternen Entscheidungsstrukturen werden durch diesen Begründungsgang nicht berührt. Zugleich ergibt sich aus dem Begründungszusammenhang der Übernahme einer Überwachungsfunktion, dass die Eigenverantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder oder Mitarbeiter nicht der Überwachungsgarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder im Wege steht, denn diese Überwachungspflicht 374  Dass die Aufsichtsratsmitglieder neben dieser Überwachungsaufgabe noch andere Aufgaben erfüllen müssen, die mit der Überwachungsfunktion nichts zu tun haben, ändert nichts daran, dass das Rechtsgut des Opfers innerhalb dieser Überwachungsaufgabe von den Mitgliedern abhängig ist. Nicht überzeugend deshalb Krause, FS-Wessing, S. 246 f., der nur dann eine Überwachungsgarantenstellung durch Übernahme anerkennt, wenn die übernommene Überwachungsaufgabe alleinige Aufgabe des Übernehmenden sei, der Übernehmende also zur Verhinderung der Rechtsverletzung besonders bestellt sei wie etwa der Compliance-Beauftragte. 375  Auch Ransiek, ZGR 1999, 624. 376  A. A., nur eine Beschützergarantenstellung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft anerkennend Beulke, FS-Geppert, S. 37 Fn. 57; Dössinger, Haftungsrisiken, S. 443; Krause, NStZ 2011, 61; ders., FS-Wessing, S. 244; Leitner/ Rosenau/Burchard, § 13 Rn. 19; Poseck, Strafrechtliche Haftung, S.  121, 124; Schwerdtfeger, Pflicht, S. 205, 209, 210; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 232; Wabnitz/Janovsky/Schmitt/Raum, Kap. 4 Rn. 55. 377  Zutreffend Tiedemann, FS-Tröndle, S. 321.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 223

zielt gerade auf die Verhinderung unternehmensbezogener Gefahren ab. Auch die aktienrechtlich begrenzten Handlungsmöglichkeiten und das ggf. sich daraus ergebende „Informationsdefizit“ der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem Vorstand lassen diese Überwachungsgarantenstellung nicht ent­ fallen.378 Diese begrenzten Handlungsmöglichkeiten tragen nur dem Umstand Rechnung, dass die Geschäftsführungsaufgabe des Vorstands nicht zu stark von der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats beeinträchtigt werden soll.379 Entscheidend für die Begründung einer Garantenstellung sind dann nicht die mit dem Weisungsrecht vergleichbaren Rechtsbefugnisse, sondern nur, dass innerhalb dieser begrenzten Handlungsmöglichkeiten die Über­ wachungspflicht noch zum Rechtsgut eines außenstehenden Dritten beitragen kann, indem sie das Opfer vor den unternehmensbezogenen Gefahren schützt.380 So kann der Aufsichtsrat zwar durch Zustimmungsvorbehalt bzw. Vetorecht (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) mittelbar die Geschäftsführung des Vorstands beeinflussen, indem er die Zustimmung zu einer bestimmten Maßnahme der Geschäftsführung verweigert. Da aber der Aufsichtsrat durch dieses Vetorecht nicht den Vorstand zu einer bestimmten Maßnahme veranlassen,381 sondern nur passiv eine bestimmte Maßnahme des Vorstands verweigern kann, ist der Aufsichtsrat außerstande, das Verhalten des Vorstands aktiv zu steuern.382 Dass das Vetorecht des Aufsichtsrats keine steuernde Herrschaft über das Handeln des Vorstands aufweist, mag für denjenigen, der die Überwachungsgarantenstellung auf die Herrschaft über einen zu Überwachenden abstellt, von Bedeutung sein, steht aber einer Überwachungsgarantenstellung eines Aufsichtsratsmitglieds nicht entgegen, wenn sich aus diesem Vetorecht ableiten lässt, dass der Aufsichtsrat auch eine Überwachungsstellung im Unternehmen übernimmt und das Vetorecht dazu beitragen kann, dass das Opfer damit nicht von unternehmensbezogenen Straftaten verletzt wird. Gegen diese Überwachungsstellung zugunsten eines außenstehenden Dritten könnte zwar behauptet werden, dass das Vetorecht nur für das Innenverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand gelte und nur das Vermögensinteresse der AG vor rechtswidrigen Angriffen des Vorstands schützen soll.383 Zwar ist es aktienrechtlich richtig, dass dieser Zustimmungsvorbehalt nur nach innen auf die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands wirkt und dessen Vertretungs378  A. A. Dössinger, Haftungsrisiken, S. 437 ff. begründend unter der Perspektive der Herrschaftsbeziehung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. 379  Zu dieser Beeinträchtigungsgefahr Ransiek, ZGR 1999, 624 f. 380  Ähnlich Dannecker, NZWiSt 2012, 448. 381  Spindler/Stilz/Spindler, AktG, § 111 Rn. 62. 382  Dössinger, Haftungsrisiken, S. 439. 383  Dössinger, Haftungsrisiken, S. 438.

224 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

befugnis nicht negativ beeinflusst.384 Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass das Vetorecht überhaupt keine Schutzwirkung für das Rechtsgut eines außenstehenden Dritten hätte. Diese Schutzwirkung mag aktienrechtlich in den Hintergrund getreten sein, spielt aber eine schlüssige Rolle bei der Beurteilung der Frage, ob die Aufsichtsratsmitglieder überhaupt eine Überwachungsaufgabe bezogen auf unternehmensbezogene Straftaten übernommen haben. Zielt das Vetorecht auch auf die Rechtmäßigkeitskontrolle der Geschäftsführungsmaßnahmen ab, lässt sich diese Schutzwirkung für einen Außenstehenden schwerlich verneinen. Letztlich kann das Vetorecht faktisch seine Schutzwirkung entfalten. Auch wenn nicht alle Geschäftsführungsmaßnahmen unter der Zustimmungskontrolle des Aufsichtsrats stehen, ist der Aufsichtsrat, soweit er bevorstehende Straftaten von Vorstandsmitgliedern zur Kenntnis nimmt und die diese Straftaten auslösenden Geschäfts­ führungsmaßnahmen unter seiner Zustimmungskontrolle stehen, befugt, diese das Rechtsgut des Außenstehenden verletzenden Maßnahmen des Vorstands durch Verweigerung der Zustimmung zu unterbinden.385 Zur Vermeidung der Rechtsgutsverletzung eines Außenstehenden hat das Vetorecht des Aufsichtsrats insoweit eine präventive Wirkung. Eine gleichartige präventive Wirkung kommt auch dem Abberufungsrecht des Aufsichtsrats (§ 84 Abs. 3 AktG) zu, das als „wirksamste Sanktion zur Verhinderung strafbarer Handlungen oder Ordnungswidrigkeiten“ bezeichnet wird.386 Ungeachtet der Rechtswirklichkeit, dass der Aufsichtsrat in der Regel erst nachträglich von den Straftaten der Vorstandsmitglieder Kenntnis hat, die Abberufung des Vorstandsmitglieds aufgrund der unternehmensbezogenen Straftatbegehung insofern nur als eine repressive Maßnahme gegen dieses Mitglied angesehen werden kann,387 ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Aufsichtsrat zufällig oder aus dem Bericht des Vorstands (§ 90 AktG) von der bevorstehenden bzw. fortdauernden Straftaten der Vorstandsmitglieder Kenntnis erlangt. Dann kann die Rechtsgutsverletzung durch Abberufung des die unternehmensbezogene Straftat begehenden Vorstandsmitglieds unmittelbar verhindert werden.388 Dass das Abberufungsrecht 384  Spindler/Stilz/Spindler,

AktG, § 111 Rn. 62. zur Gewährleistung der unternehmerischen Entscheidungsstrukturen nicht alle Arten von Geschäften unter der Kontrolle des Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats stehen, ändert nichts an der Schutzwirkung des Zustimmungsvorbehalts für einen Außenstehenden und an der Überwachungsstellung des Aufsichtsrats. A. A. aber Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 574. Wie hier zutreffend Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 172. 386  Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 575. 387  Dössinger, Haftungsrisiken, S. 439 f. 388  Diese präventive Wirkung erkennt Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 575 nur „im Falle drohender Wiederholung schon begangenen Straftaten“ an. Diese Beschränkung 385  Dass



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 225

in der Rechtswirklichkeit diese präventive Wirkung in der Regel nicht entfaltet, lässt diese Wirkung zugunsten eines Außenstehenden nicht entfallen.389 Zusammenfassend: bei den aktienrechtlichen Vorschriften über Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats geht es zwar primär um das Innenverhältnis zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Diese Vorschriften, insbesondere § 111 Abs. 1 AktG, verbieten freilich nicht, daraus zu schließen, dass der Aufsichtsrat auch eine (strafrechtliche) Überwachungsstellung gegenüber dem Vorstand übernimmt, damit ein Außenstehender nicht durch unternehmensbezogene Straftaten verletzt wird. Auch die begrenzten Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand (§ 84 Abs. 3, § 111 Abs. 4 S. 2 AktG) schließen diese Interpretation nicht aus, sondern implizieren diese vielmehr, indem sie tatsächlich zur Vermeidung einer Rechtsgutsverletzung eines Außenstehenden beitragen können. Das Rechtsgut eines Außenstehenden ist somit auf die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats angewiesen. (2) Reichweite der Überwachungsgarantenpflicht Die Aufsichtsratsmitglieder sind verpflichtet, die unternehmensbezogene Gefahren aus den Gesellschaftstätigkeiten zu überwachen. Fraglich ist nunmehr der Inhalt und die Reichweite dieser Überwachungsgarantenpflicht. Den Ausgangspunkt bildet die Pflichtstellung des Aufsichtsrats. Für eine Straftatverhinderungspflicht des Aufsichtsrats spricht zunächst, dass der Aufsichtsrat zur Überwachung der Geschäftsführung verpflichtet ist. Soweit aber das Rechtsgut eines Außenstehenden unmittelbar von den unternehmensbezogenen Gefahren aus dieser Geschäftsführung verletzt werden könnte, muss ist aber rechtlich nicht geboten und dogmatisch überflüssig. Gegen diese Beschränkung auch Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 177. 389  Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 177 lehnt es aber ab, aus dieser präventiven Wirkung der Abberufung eine strafrechtliche Überwachungsgarantenpflicht des Aufsichtsrats abzuleiten, denn auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes sei der Aufsichtsrat aktienrechtlich nicht zur Abberufung verpflichtet, und soweit das Ermessen von Aufsichtsrat sich nicht „in besonders drastischen Fällen von vornherein zu einer Abberufungspflicht im Interesse des Unternehmens verdichtet“, sei es nach dem „Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung“ ausgeschlossen, aus diesem Ermessensrecht eine strafrechtliche Pflicht zu begründen. Es ist zwar richtig, dass dem Aufsichtsrat auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ein Ermessensspielraum ­zukommt. Soweit aber wie hier davon ausgegangen wird, dass die strafrechtliche Überwachungsgarantenpflicht des Aufsichtsrats nicht aus den begrenzten Handlungsmöglichkeiten oder Befugnissen des Aufsichtsrats, sondern primär aus der Überwachungspflichtstellung des Aufsichtsrats (§ 111 Abs. 1 AktG), also eine Pflicht aus einer Pflicht abzuleiten ist, steht der Ermessensspielraum der Überwachungsgarantenpflicht des Aufsichtsrats nicht im Weg. Die Reichweite dieses Ermessensspielraums kann allenfalls die faktische Erfolgsverhinderungsmöglichkeit, nicht die Pflichtstellung des Aufsichtsrats beeinflussen.

226 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

der Vorstand, aber erst recht der den Vorstand überwachende Aufsichtsrat dazu bestellt sein, diese Gefahren einer Rechtsgutsverletzung zu überwachen und ihre Verwirklichung zu verhindern. Es wäre absurd, wenn die Pflicht eines Überwachenden nicht so weit reichte wie die Pflicht eines Überwachten. Auch die Befugnisse des Aufsichtsrats bestätigen dessen Straftatverhinderungspflicht. Die Befugnisse allein können zwar nicht die Überwachungsgarantenstellung begründen, bestimmen wohl aber die Reichweite dieser Überwachungsgarantenpflicht.390 Wenn nämlich dem Aufsichtsrat aktienrechtlich keine Befugnis zur Straftat- oder Erfolgsverhinderung zukommen würde, dann wäre das ein starkes Indiz, dass er keine Erfolgsverhinderungspflicht, sondern allenfalls eine Erfolgserschwerungspflicht hätte. Die oben erörterten, wenn auch begrenzten Handlungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats beweisen jedoch, dass dem Aufsichtsrat aktienrechtlich durchaus einige Befugnisse zur selbständigen Verhinderung unternehmensbezogener Straftaten zugestanden werden. Das legitimiert auch eine Straftatverhinderungspflicht des Aufsichtsrats. Zur Vermeidung einer Rechtsgutsverletzung eines Außenstehenden durch unternehmensbezogene Straftaten wird vom Aufsichtsrat verlangt, dass er bei Vorliegen eines Tatverdachts den Vorstand zum Bericht auffordert, um diesen Verdacht entweder zu bestätigen oder zu beseitigen (§ 90 Abs. 3 AktG). Wenn der Aufsichtsrat einmal zufällig oder aus diesem Bericht von einer geplanten oder noch nicht abgeschlossenen unternehmensbezogenen Straftat erfährt, ist er zur Verhinderung dieser Straftat verpflichtet.391 Dazu kann er offiziell gegen diese Maßnahme des Vorstands Stellung nehmen. Weigert sich der Vorstand oder das einzelne Vorstandsmitglied wegen der rechtlichen Unverbindlichkeit dieser Stellungnahme, auf die rechtswidrige Maßnahme zu verzichten, kann der Aufsichtsrat durch sein Vetorecht diese Maßnahme unterbinden (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) oder sogar das einzelne Vorstandsmitglied abberufen bzw. ihm kündigen (§ 84 Abs. 3 AktG). Erst wenn die Straftat dadurch noch nicht verhindert werden kann, kommt ein Mittel außerhalb des Aktienrechts, etwa eine Strafanzeige, als ultima ratio in Betracht.392

390  Siehe

auch Dannecker, NZWiSt 2012, 448. Folgenden auch Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S.  188 ff. 392  Gegen eine Anzeigepflicht aber Cramer, FS-Stree/Wessels, S. 582; Momsen/ Grützner/Momsen, Kap. 1 § 3 Rn. 41 Fn. 298; Berndt/Theile/Theile, Rn. 206. Für eine Anzeigepflicht bei weitreichenden Straftaten, die für die Gesellschaft einen erheb­ lichen (mittelbaren) Schaden bzw. schwere Gesundheitsschäden Dritter verursachen würden, Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 189. 391  Zum



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 227

dd) Die Verantwortlichkeit der Compliance-Beauftragten Wie oben bereits ausgeführt, können der Unternehmensinhaber oder Vorstandsmitglieder ihre Garantenpflicht, die unternehmensbezogenen Gefahren zu überwachen, an einen oder mehrere Beauftragte delegieren. Dabei kommt nach der Rechtsprechung insbesondere der Compliance-Beauftragte in Betracht, dessen Aufgaben „die Verhinderung von Rechtsverstößen, insbesondere auch von Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden und diesem erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können“393 zum Gegenstand hat. Ob einen Compliance-Beauftragten überhaupt eine solche Überwachungspflicht trifft und wie weit diese Überwachungspflicht ggf. reicht, wird aber in der Literatur kontrovers diskutiert. (1) B  egründungszusammenhang der Überwachungsgarantenstellung eines Compliance-Beauftragten Ganz ähnlich wie bei der Begründung der Überwachungsgarantenstellung von Vorstandsmitgliedern bzw. von Aufsichtsratsmitgliedern stehen auch hier zwei Begründungsstrategien zur Verfügung, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen würden. Wer ein die Überwachungsstellung begründendes Autoritätsverhältnis zwischen dem Compliance-Beauftragten und dem die unternehmensbezogene Straftat begehenden Mitarbeiter bzw. eine Herrschaft des Beauftragten über diesen in Gestalt eines Weisungsrechts fordert, verneint zwangsläufig die Überwachungsgarantenstellung des Compliance-­ Beauftragten. Denn in der Regel wird einem Compliance-Beauftragten kein Weisungsrecht oder keine damit vergleichbare Befugnis gegenüber den anderen Mitarbeitern im Unternehmen zukommen. Ein Compliance-Beauftragter wäre dann nicht verpflichtet, diese Straftat aus dem Unternehmen zulasten des außenstehenden Dritten zu verhindern.394 Dass eine das Autoritätsverhältnis begründende Herrschaftsmacht in Gestalt eines Weisungsrechts oder anderer damit vergleichbarer Befugnisse für die Begründung einer Überwachungsgarantenstellung nicht notwendig ist, ist aber oben wiederholt gezeigt worden. Auch die Eigenverantwortlichkeit desjenigen, der die unternehmensbezogene Straftat begeht, verhindert nicht notwendig die mögliche Überwachungsgarantenstellung des Compliance393  BGHSt

54, 44, 49 f. Beulke, FS-Geppert, S. 37, 38 f., 39. Im Ergebnis auch Berndt, StV 2009, 691; Rotsch, FS-I. Roxin, S. 497 f.; Spring, GA 2010, 226 f.; Warneke, NStZ 2010, 316; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1192. Skeptisch und für eine gesetzliche Regelung Puppe, AT, § 29 Rn. 24. Für eine die Haftung legitimierende gesetzliche Regelung zuvor bereits Momsen, FS-Puppe, S. 766. 394  Insbesondere

228 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Beauftragten, denn diese Pflicht dient nicht der Beaufsichtigung eines Eigenverantwortlichen, sondern dem Schutz des Dritten vor diesen unternehmensbezogenen Gefahren.395 Fraglich ist somit nur, ob sich eine Übernahme der Überwachungsfunktion zugunsten des außenstehenden Dritten aus dessen Pflichtstellung im Unternehmen schließen lässt.396 Dabei stellt der BGH zutreffend auf die „Zielrichtung der Beauftragung“ ab, und zwar, „ob sich die Pflichtenstellung des Beauftragten allein darin erschöpft, die unternehmensinternen Prozesse zu optimieren und gegen das Unternehmen gerichtete Pflichtverstöße aufzudecken und zukünftig zu verhindern, oder ob der Beauftragte weitergehende Pflichten dergestalt hat, dass er auch vom Unternehmen ausgehende Rechtsverstöße zu beanstanden und zu unterbinden hat“.397 Das entspricht dem Streit, ob die vom Compliance-Beauftragten übernommene Aufgabe nur auf das Innenverhältnis zwischen dem Beauftragten und der Gesellschaft oder darüber hinaus auf das Außenverhältnis zugunsten eines außenstehenden Dritten wirkt. Der BGH geht davon aus, dass der Compliance-Beauftragte die Pflicht zur Verhinderung von Rechtsverstößen oder unternehmensbezogenen Straftaten übernommen habe und die Überwachungsgarantenstellung nur die notwendige Kehrseite dieser Pflichtübernahme gegenüber der Unternehmensleitung sei.398 Diese Ansicht des BGH wird gelegentlich dahin interpretiert, dass die Überwachungsgarantenstellung und die Garantenpflicht des Compliance-Beauftragten zur Straftatverhinderung unmittelbar durch den Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem Unternehmen begründet werde (sog. originäre Überwachungsgarantenstellung). Weiterhin wird diese originäre Ableitung der Überwachungsgarantenstellung mit dem Argument verworfen, dass die Verhinderung von Straftaten nach außen nicht primäre Aufgabe des ComplianceBeauftragten sei.399 Die im Arbeitsvertrag vorgesehenen primären Aufgaben des Compliance-Beauftragten seien vielmehr „Implementierung, Dokumentation, Weiterentwicklung des Compliance-Systems, die Beratung der Unternehmensleitung in compliancerelevanten Fragen, die Schulung und Information der Mitarbeiter und die Zusammenarbeit mit anderen dezentralen Beauftragten“.400 Diese Aufgaben beziehen sich also auf die Innenverhältnisse im Unternehmen. Auch wenn es nicht selten sei, neben diesen Aufgaben noch „die Überwachung der Einhaltung der unternehmensspezifischen 395  Das

verkennend Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1192. begrenzten Befugnisse des Compliance-Beauftragten schließen nicht unbedingt dessen Überwachungsgarantenstellung aus. Dazu Dannecker, NZWiSt 2012, 448; Ransiek, AG 2010, 152. 397  BGHSt 54, 44, 49. 398  BGHSt 54, 44, 50. 399  Knauer, FS-I. Roxin, S. 474. 400  Knauer, FS-I. Roxin, S. 474. 396  Die



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 229

Compliancevorgaben sowie die Meldung erheblicher Verstöße“ im Arbeitsvertrag des Compliance-Beauftragten hinzuzufügen,401 ändere das nichts daran, dass die primären Aufgaben nicht auf eine Straftatverhinderung nach außen abzielen.402 Aber abgesehen von der Frage, ob diese Interpretation der originären Ableitung der Überwachungsgarantenstellung des ComplianceBeauftragten der Auffassung des BGH entspricht, kann schwerlich bestritten werden, dass diese Aufgaben des Compliance-Beauftragten primär auf die Übereinstimmung der Unternehmenstätigkeiten mit gesetzlichen Vorgaben403 und die Vermeidung von Rechtsverstößen im Unternehmen zielen. Diese Aufgaben haben somit, wie alle Legalitätspflichten, auch die Funktion, das außenstehende Opfer vor unternehmensbezogenen Gefahren zu schützen.404 In der Funktion, die Rechtmäßigkeit der Unternehmenstätigkeiten zu überwachen, lässt sich eine ursprüngliche Abhängigkeit des außenstehenden Opfers vom Compliance-Beauftragten finden; die Integrität des Rechtsguts des Opfers ist auf die pflichtmäßige Überwachung seitens des Compliance-Beauftragten angewiesen. Deshalb kann die bloße Vertragsbezeichnung als Compliance-Beauftragter für die Begründung einer Überwachungsgarantenstellung nicht schlüssig sein. Entscheidend ist hingegen, ob der in Frage kommende Beauftragte tatsächlich eine Überwachungsfunktion, die zumindest der Vermeidung von Rechtsverstößen aus dem Unternehmen zulasten außenstehender Dritter dient, übernommen hat.405 FS-I. Roxin, S. 474. FS-I. Roxin, S. 474. 403  Knauer, FS-I. Roxin, S. 478. 404  Vgl. auch Momsen, FS-Puppe, S. 753: „Compliance“ befasst sich im Unterschied zur Innenrevision primär mit den Verhaltensweisen von Unternehmensangehörigen gegen Dritte. Insofern zielt die Compliance-Maßnahme notwendig auch auf eine Schutzwirkung für Dritte, indem sie rechtswidriges Verhalten gegen Dritte vermeiden soll. Nicht überzeugend erscheint Rotsch, FS-I. Roxin, S. 497 f., wenn er konstatiert, dass es hier an einer „rechtlich fundierte[n] faktische[n] Nähe zum bedrohten Rechtsgut“ fehle. Zunächst ist diese „rechtlich fundierte faktische Nähe“ bei Rotsch gar nicht definiert. Zweitens ist nicht ersichtlich, weshalb die Schutzwirkung der Compliance-Maßnahmen keine solche Nähe begründet. Insbesondere lässt sich diese Schutzwirkung nicht mit dem Argument verneinen, dass sich diese Schutzwirkung der Compliance-Aufgaben aus einem zivilrechtlichen Vertrag ergebe, ein zivilrechtlicher Vertrag aber keine strafrechtliche Garantenstellung begründe (so tenden­ ziell Rotsch, ebd.). Denn es ist zwar richtig, dass allein aus einem Vertrag keine Garantenstellung begründet werden kann. Aber man darf die Relevanz der Schutzwirkung aus diesem Vertrag für die Begründung einer Garantenstellung nicht vorschnell allgemein verneinen. 405  Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 260. In diesem Sinne wohl auch BGHSt 54, 44, 49 f. Da es verschiedene Erscheinungsformen der Aufgaben eines ComplianceBeauftragten gebe, sei es geboten, im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob diese Überwachungsfunktion zu den Aufgaben des Compliance-Beauftragten gehöre. Dazu NK/ Gaede, § 13 Rn. 53. 401  Knauer, 402  Knauer,

230 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Diese Überwachungsgarantenpflicht, die Rechtmäßigkeit der Unternehmenstätigkeiten zu überwachen, ist allerdings nicht als eine originäre, sondern als eine abgeleitete Überwachungsgarantenpflicht anzusehen. Die originäre Überwachungspflicht trifft nur den Unternehmensinhaber bzw. die Vorstandsmitglieder; nur aufgrund Delegation seitens des Unternehmensinhabers oder der Vorstandsmitglieder und aufgrund der freiwilligen Übernahme dieser Pflicht ist der Compliance-Beauftragter verpflichtet, diese unternehmensbezogenen Gefahren zu überwachen.406 Für eine derivative Überwachungspflicht des Compliance-Beauftragten spricht zunächst, dass damit eine uferlose Erweiterung einer Unterlassungsverantwortlichkeit des Compliance-Beauftragten vermieden werden kann.407 Wird diese Überwachungspflicht nicht von der Pflicht der Unternehmensleitung, unternehmensbezogene Gefahren zu überwachen, abgeleitet, könnte der Compliance-Beauftragte verpflichtet sein, alle Rechtsverstöße im Unternehmen zu überwachen oder ggf. zu unterbinden, auch wenn sie keine Unternehmensbezogenheit aufweisen. Zweitens hat der Compliance-Beauftragte in der Regel kein Weisungsrecht oder andere damit vergleichbare Befugnisse, um eine Straftat von Unternehmensangehörigen selbständig zu verhindern; er kann sie nur durch Berichte an die Unternehmensleitung mittelbar unterbinden. Würde diese Überwachungspflicht ursprünglich ihn treffen, müssten ihm selbständige rechtliche Befugnisse zur Erschwerung bzw. zur Verhinderung der Straftaten zukommen. Der Grund für das Fehlen einer selbständigen Befugnis liegt wohl darin, dass der Unternehmensinhaber und die Vorstandsmitglieder an den Compliance-Beauftragten einen Teil der Überwachungspflicht delegiert haben, ohne ihm die zur selbständigen Verhinderung notwendigen Befugnisse einzuräumen.408 (2) R  eichweite der Überwachungsgarantenpflicht des Compliance-Beauftragten Leitet die Überwachungsgarantenpflicht des Compliance-Beauftragten sich aus der Überwachungsgarantenpflicht des Unternehmensinhabers oder der Vorstandsmitglieder ab, unternehmensbezogene Gefahren zu verhindern, kann die Reichweite dieser Pflicht nicht über die des Unternehmensinhabers 406  Berndt/Theile/Theile, Unternehmensstrafrecht, Rn. 91; Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 981, 988; Fischer, § 13 Rn. 39; Knauer, FS-I. Roxin, S. 478; Konu, Garantenstellung, S. 192 ff., 197; Mosbacher/Dierlamm, NStZ 2010, 269; Murmann, Unternehmensstrafrecht, S. 60; Ransiek, AG 2010, 152; Rengier, AT, § 50 Rn. 68a; Rönnau/ Schneider, ZIP 2010, 57 f.; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 6 Rn. 58d; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 259. 407  Berndt/Theile/Theile, Unternehmensstrafrecht, Rn. 91. 408  Zu diesem Befunden Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 990; Dannecker, NZWiSt 2012, 447.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 231

oder der Vorstandsmitglieder hinausgehen.409 Der Compliance-Beauftragte übernimmt, sofern er nicht zugleich die Gesellschaft führt, nur einen Teil der Überwachungsfunktion. Andererseits hat er gegenüber den anderen Unternehmensangehörigen kein Weisungsrecht und keine Befugnisse wie etwa der Aufsichtsrat, eine unternehmensbezogene Straftat selbständig zu verhindern.410 Er kann im Rahmen seiner Pflichtstellung im Unternehmen allenfalls die Straftat mittelbar verhindern, oder genauer, erschweren, indem er den Vorstand bzw. Aufsichtsrat über die geplante, bevorstehende oder fortdauernde unternehmensbezogene Straftat benachrichtigt.411 Darauf, ob danach die Unternehmensleitung oder deren Überwachungsorgan diese Straftat durch die ihnen gesellschaftsrechtlich zukommenden Befugnisse verhindern, kann der Compliance-Beauftragte keinen Einfluss mehr nehmen. Die begrenzten Aufgaben und die dementsprechend eingeschränkten Befugnisse des Compliance-Beauftragten legitimieren es, die Reichweite seiner Überwachungspflicht im Verhältnis zu derjenigen der Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder darauf zu beschränken, nur eine unternehmensbezogene Straftat eines Unternehmensangehörigen, darunter auch eines Vorstandsmitglieds,412 durch die Benachrichtigung des Vorstands oder Aufsichtsrats zu erschweren, nicht aber sie unmittelbar oder selbständig zu verhindern; Letzteres würde er aufgrund seiner gesellschaftsrechtlich begrenzten Befugnisse nicht leisten können.413

Garantenstellung, S. 201; Momsen/Grützner/Momsen, Kap. 1 § 3 Rn. 44. FS-I. Roxin, S. 481. 411  Das widerspricht nicht dem Wortlaut „Erfolgsabwendung“ im § 13 Abs. 1 StGB, denn dem Garanten wird nicht eine Garantie für das Ausbleiben eines Erfolgs abverlangt, sondern nur, dass er alles tut, was ihm möglich ist, um den Erfolg zu vermeiden. Dazu Konu, Garantenstellung, S. 199. In der Tat geht es hier aber genauer besehen nur um eine Straftaterschwerungspflicht. 412  Weil die Überwachungspflicht des Compliance-Beauftragten von der des Unternehmensinhabers oder der Unternehmensleitung abgeleitet wird und alle unternehmensbezogenen Gefahren umfasst, verpflichtet sich ein Compliance-Beauftragter auch zur Überwachung einer unternehmensbezogenen Straftat aus dem ihm übergeordneten Vorstand. Vgl. auch Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 261. Das Fehlen eines Weisungsrechts gegenüber dem Vorstand schließt diese Überwachungsstellung nicht aus, sondern beeinflusst allenfalls die Reichweite der Garantenpflicht. Hier ist der Compliance-Beauftragte zur Benachrichtigung des Aufsichtsrats bestellt. 413  Meistens wird von einem Compliance-Beauftragten nur diese Benachrichtigungs- oder Informationspflicht verlangt, Berndt/Theile/Theile, Unternehmensstrafrecht, Rn. 92; Dannecker/Dannecker, JZ 2010, 990; Volk/Beukelmann/Knauer/Kämpfer, MAH, § 3 Rn. 157; Knauer, FS-I. Roxin, S. 481; Konu, Garantenstellung, S. 199; Momsen/Grützner/Momsen, Kap. 1 § 3 Rn. 43; Ransiek, AG 2010, 153; Rübenstahl, NZG 2009, 1342 f.; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 53a; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 261. 409  Konu,

410  Knauer,

232 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Zwar könnte ein Compliance-Beauftragter auch durch ein faktisches, ihm außerhalb des Unternehmens zur Verfügung stehendes Mittel, etwa die Warnung des Opfers oder eine Strafanzeige bei der Strafverfolgungsbehörde, diese Straftat zu erschweren oder sogar unmittelbar zu verhindern versuchen, wenn der Vorstand sowie der Aufsichtsrat diese Straftat nicht unterbinden. Eine Pflicht des Compliance-Beauftragten, diese faktischen Mittel zu ergreifen, ist aber nach richtiger Auffassung abzulehnen.414 Das liegt freilich nicht daran, dass ein Compliance-Beauftragter im Interesse des Unternehmens und nicht der Allgemeinheit handele, so dass eine Anzeigepflicht dieser Compliance-Funktion widersprechen würde.415 Denn die ratio einer möglichen Anzeigepflicht des Compliance-Beauftragten ist nicht vergleichbar mit der ratio der Anzeigepflicht in § 138 StGB. Wer als Compliance-Beauftragter im Interesse des Unternehmens handelt, muss vielmehr die Gefahren aus dem Unternehmen überwachen, damit die Allgemeinheit nicht durch diese unternehmensbezogenen Gefahren verletzt wird. Die Konstruktion dieser Anzeigepflicht, die sich aus der Überwachungsfunktion des Compliance-Beauftragten abgeleitet und, wie gezeigt, die Kehrseite des Handelns im Interesse des Unternehmens ist, widerspricht daher nicht der Funktion des ComplianceBeauftragten, sondern entspricht ihr. Das wird auch durch das Argument unterstützt, dass die Compliance-Maßnahmen im Unternehmen auch eine mittelbare Schutzwirkung gegenüber der Allgemeinheit entfalten können. Eine Unterscheidung zwischen Handeln im Interesse des Unternehmens und Handeln im Interesse der Allgemeinheit ist hier gerade nicht vorzunehmen. Aber auch das Argument gegen eine Anzeigepflicht des Compliance-Beauftragten, dass Compliance „Chefsache“ sei und diese Anzeigepflicht das Letzt­entscheidungsrecht des Geschäftsherrn verletze,416 überzeugt nicht. Die Strafanzeigepflicht könnte, wie die Überwachungspflicht des Vorstands und Aufsichtsrats, allenfalls als ultima ratio zur Straftatverhinderung eingesetzt werden. Ein Compliance-Beauftragter sollte zunächst den Vorstand über die unternehmensbezogene Straftat informieren und ihn über die Straftatverhinderung entscheiden lassen. Insoweit entsteht kein Problem der Verletzung des Letztentscheidungsrechts des Geschäftsherrn. Erst wenn der Vorstand oder der Aufsichtsrat nach der Benachrichtigung des Compliance-Beauftragten diese Straftat nicht verhindern, kommt eine Anzeigepflicht in Betracht. Dann 414  Die Anzeigepflicht verneinend auch Berndt/Theile/Theile, Unternehmensstrafrecht, Rn. 92; Volk/Beukelmann/Knauer/Kämpfer, MAH, § 3 Rn. 158; Knauer, FS-I. Roxin, S. 481; Konu, Garantenstellung, S. 203; Momsen/Grützner/Momsen, Kap. 1 § 3 Rn. 43; Oonk, Verantwortlichkeit, S. 289 ff., 291; Ransiek, AG 2010, 153; Rönnau/Schneider, ZIP 2010, 60; Rübenstahl, NZG 2009, 1343; Utz, Geschäftsherrenhaftung, S. 261. A. A., in Extremfällen anerkennend Dannecker, NZWiSt 2012, 447. 415  So aber Konu, Garantenstellung, S. 203. 416  Konu, Garantenstellung, S. 203.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 233

kann eine mögliche Anzeigepflicht auch nicht das Letztentscheidungsrecht des Geschäftsherrn verletzen, weil der Geschäftsherr hinsichtlich der Straftatverhinderung gar keinen Ermessensspielraum und auch kein rechtlich geschütztes Interesse hat, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Allerdings widerspricht die Konstruktion einer Anzeigepflicht des Compliance-Beauftragten der begrenzten Reichweite seiner Überwachungspflicht. Diese Überwachungsgarantenpflicht erschöpft sich in der Straftaterschwerung und erstreckt sich nicht auf die Straftatverhinderung. Die Anerkennung einer Pflicht zur Strafanzeige oder Warnung würde aber eine Straftatverhinderungspflicht des Compliance-Beauftragten begründen. d) Schlussbetrachtung Es wird festgestellt, dass eine Überwachungsgarantenpflicht ursprünglich den Unternehmensinhaber und den Vorstand trifft. Er hat die unternehmensbezogenen Gefahren durch rechtliche sowie faktische Mittel umfassend zu überwachen, damit ein außenstehender Dritter nicht von unternehmensbezogenen Gefahren verletzt wird. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan des Vorstands hat im Verhältnis zum Vorstand zwar nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten, soweit er aber die noch nicht abgeschlossene Straftat zur Kenntnis nimmt, ist er auch zur Straftatverhinderung durch rechtliche und faktische Mittel verpflichtet. Diese umfassende Straftatverhinderungspflicht von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern entspricht ihrer höheren Pflichtstellung im Unternehmen. Wer das Unternehmen leitet oder die Unternehmensführung überwacht, dem wird eine umfassendere Garantenpflicht zugeschrieben. Diese Überwachungspflicht kann zwar durch Delegation auf bestimmte untergeordnete Mitarbeiter wie den Compliance-Beauftragten übertragen werden, diese Übertragung oder Delegation darf allerdings nicht die Rechtsstellung des Opfers verschlechtern. Die Überwachungsgarantenpflicht des Empfängers dieser Übertragung kann nach dieser Ansicht nur als ein zusätzlicher Schutz des Opfers neben der umfassenden Überwachungspflicht des Vorstands und des Aufsichtsrats angesehen werden. Da aber den Beauftragten nur begrenzte Befugnisse zugestanden werden, sind sie nur zur Erschwerung unternehmensbezogener Straftaten verpflichtet. Damit entsteht eine mehrstufige Zuschreibung von Verantwortlichkeit im Unternehmen, die sich nach den von dem einzelnen Garanten jeweils übernommenen Auf­ gaben in Unternehmen und der daraus jeweils abgeleiteten Pflichtstellung bestimmt.

234 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

V. Konsequenzen der Analyse der Handlungsstrukturen für die Bestimmung der Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens Die obigen Ausführungen über die Handlungsstrukturen des garantenpflichtwidrigen Unterlassens sowie über das abhängige Rechtsverhältnis zwischen Garanten und Opfer haben strafrechtsdogmatisch umfangreiche Konsequenzen für die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen. Da eine detaillierte Untersuchung aller möglicher Konsequenzen die Arbeit sprengen würde, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Themen und Begründungen, auf die in den Diskussionen über die Beteiligung durch Unterlassung häufig zurückgegriffen wird, insbesondere die Frage, ob die Verletzungsmacht des garantenpflichtwidrigen Unterlassens bereits unrechtsstrukturell schwächer ist als die des positiven Tuns. 1. Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen a) Notwendigkeit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen Bevor die Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens näher bestimmt wird, soll zunächst ein kurzer Blick auf das Verhältnis von Tun und Unterlassen als zwei verschiedenen Handlungsweisen geworfen werden. Oben wird zwar festgestellt, dass sich sowohl Tun als auch Unterlassen als (strafrechtliche) Handlungen beweisen lassen und unter einer einheitlichen Handlungslehre zu erfassen sind. Nicht abschließend geklärt sind aber ihr Verhältnis und die Abgrenzung gegeneinander. Die Abgrenzung spielt insofern eine wichtige Rolle, als das Strafgesetzbuch in § 13 Abs. 1 StGB nur bei einem begehungsgleichen Unterlassen ein „rechtliches Einstehenmüssen“ im Sinne einer Garantenstellung fordert und in Abs. 2 eine Möglichkeit der Strafmilderung vorsieht.417 Das Erfordernis der Garantenstellung bei begehungsgleichem Unterlassen entspricht der hier vertretenen rechtsphilosophischen Ansicht, dass die ursprüngliche Anerkennungspflicht jedes Bürgers nur darin besteht, nicht durch eigenes Handeln das fremde Recht zu verschlechtern oder gar zu verletzen. Eine darüber hinausgehende Handlungspflicht zugunsten eines konkreten fremden Rechtsguts, etwa auch die fremde Verletzung dieses Rechtsguts zu unterbinden, wird nur dann bejaht, wenn eine ursprüngliche Abhängigkeit zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer vorliegt. Zur Legitimation dieser Handlungspflicht bedarf es somit einer besonderen Begründung des 417  Vgl.

nur Kuhlen, FS-Puppe, S. 672.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 235

ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses. So verpflichtet sich ein Bürger nur dazu, nicht durch eigene zurechenbare Handlung die Funktionstüchtigkeit der Justiz positiv zu beeinträchtigen, etwa einen Richter zur Rechts­ beugung anzustiften, nicht aber dazu, die Rechtsbeugung eines Richters zu unterbinden. Ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis im Hinblick auf die Justizfunktionstüchtigkeit besteht ja nur zwischen Justiz und Richter, nicht aber zwischen Justiz und allgemeinen Bürgern. Wenn ein Bürger es unterlässt, die Rechtsbeugung eines Richters zu verhindern, ist dies nicht pflichtwidrig. Insoweit, also auf der Ebene der Begründung dieser Handlungspflicht, ist die Unterscheidung von Tun und Unterlassen unerlässlich. Ein Unterlassungsvorwurf im Hinblick auf ein konkretes Rechtsgut setzt nämlich immer eine ursprüngliche Abhängigkeitsbeziehung im Sinne einer Garantenstellung zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer voraus. b) Die begrenzte Leistungsfähigkeit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen Gleichzeitig sei allerdings zugestanden, dass die Leistungsfähigkeit der Abgrenzung von Tun und Unterlassen nicht überschätzt werden soll.418 Insbesondere lässt sich in vielen Fällen erkennen, dass die Unterscheidung von Tun und Unterlassen nur phänomenologischer Natur ist und daher keine selbständige normative Relevanz hat: Die erste Relativierung der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen kann sich bereits aus der ursprünglichen Anerkennungspflicht des Bürgers ergeben. Danach ist jeder Bürger dazu verpflichtet, nicht durch eigenes zurechenbares Handeln das fremde Recht zu gefährden oder zu verletzen, oder: „dem anderen seine Freiheit zu lassen“,419 damit er sein eigenes Leben führen kann.420 Aus dieser ursprünglichen Anerkennungspflicht lassen sich allerdings Verbotsnormen und Gebotsnormen ableiten.421 So kann ein Geschäftsführer ein fremdes Rechtsgut verletzen, indem er die Mitarbeiter anweist, ein gesundheitsgefährdendes Produkt weiterhin zu vertreiben oder diese bereits in den Verkehr gebrachten Produkte nicht zurückzurufen. Er darf nicht durch ihm zurechenbare Unternehmenstätigkeiten fremde Rechte gefährden oder Erfolgsdelikt, S. 19 Fn. 6; Murmann, GK, § 29 Rn. 14. Zurechnung, S. 25. 420  Pawlik, Unrecht, S. 179. 421  Bei sog. negativer Pflicht oder Pflicht kraft Organisationszuständigkeit Jakobs, FS-Strangas, S. 250, 254 ff.; Pawlik, Unrecht, S. 181; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 89 ff. insb. 96 f. Dazu, dass sowohl Tun als auch Unterlassen diese Pflicht verletzen können, vgl. auch Kuhlen, FS-Puppe, S. 679, ohne aber die Pflicht kraft Organisa­ tionszuständigkeit anzunehmen. 418  Freund, 419  Jakobs,

236 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

verletzen, unabhängig davon, ob diese Verletzung durch Tun oder Unterlassen erfolgt. Wer einen Kampfhund besitzt, verletzt nicht nur dann diese Anerkennungspflicht, wenn er diesen Hund auf jemand anderen hetzt, sondern auch dann, wenn er den von sich aus angreifenden Hund nicht zurückpfeift.422 In diesen Fällen ist die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen nicht schlüssig, denn sowohl Tun und Unterlassen können diese ursprüngliche Anerkennungspflicht verletzen. Stattdessen ist die Pflichtstellung zum Opfer entscheidend. Tun und Unterlassen sind unter dieser Pflichtstellung nur zwei mögliche Vermittlungsweisen der Verletzung dieser ursprünglichen Anerkennungspflicht. Jenseits dieser ursprünglichen Anerkennungspflicht kann die Abgrenzung von Tun und Unterlassen aber auch nicht entscheidend sein, solange ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zum Opfer vorliegt. So verletzen die Eltern ihre Pflicht gegenüber ihrem Kind, einerlei, ob die Eltern ihr Kind eigenhändig mit einem Messer töten oder eine fremde Tötung ihres Kindes nicht verhindern. Nicht anders verhält es sich bei einem Staatsfunktions­ träger. Er verletzt dann seine Pflicht gegenüber den Bürgern, einerlei, ob er positiv menschenrechtsverletzende Gesetze erlässt oder die menschenrechtswidrige Straftat von Untergeordneten nicht unterbindet.423 Wer nämlich das Rechtsgut vor allen möglichen Gefahren rundum zu schützen verpflichtet ist, darf nicht durch eigenes Tun oder Nichtverhinderung einer fremden Straftat gegen das anvertraute Rechtsgut seine Pflicht gegenüber dem Opfer verletzen. Aus dieser Schutzpflicht lässt sich auch ein Verbot, das Rechtsgut positiv zu verletzen, ableiten. c) Garantenstellung auch bei positivem Tun? Die obigen Fälle zeigen deutlich, dass in einigen Fällen die Abgrenzung von Tun und Unterlassen nicht entscheidend sein kann. Oder genauer: Soweit der in Frage kommende Handelnde oder Unterlassende eine rechtliche Pflichtstellung gegenüber dem Opfer hat, kann seine Verantwortlichkeit nicht davon abhängen, ob er durch Tun oder vielmehr durch Unterlassen diese Pflicht verletzt. Es kommt in diesen Fällen nur darauf an, ob „sich die Pflichtverletzung im Erfolg niedergeschlagen hat“.424 In diesem Zusammenhang überrascht es somit nicht, wenn einige Stimmen in der Literatur weiterhin behaupten, dass man auf die Abgrenzung von Tun und Unterlassen wesentlich verzichten und sich stattdessen auf die irgendwie FS-Puppe, S. 679 Fn. 75. Vgl. auch MK4/Freund, § 13 Rn. 120. 48, 77, 92; Murmann, GA 1996, 276. Vgl. auch bei Fujimori-Fall Jakobs, ZIS 2009, S. 574. 424  Murmann, GK, § 29 Rn. 14. 422  Kuhlen, 423  BGHSt



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 237

zu begründende Garantenstellung konzentrieren sollte mit der Folge, dass auch bei positivem Tun eine Garantenstellung bzw. Sonderverantwortlichkeit zu fordern sei.425 Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Garantenstellung nur dann anzunehmen, wenn ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen Handelnden bzw. Unterlassenden und dem Opfer vorliegt. Allerdings kommt ein solches Abhängigkeitsverhältnis nicht in allen Fällen, in denen der Handelnde durch positives Tun das Recht des Opfers verletzt, zum Ausdruck. Wer einen unbekannten Fußgänger tötet oder einen Richter zur Rechtsbeugung anstiftet, verletzt zwar die ursprüngliche Anerkennungspflicht, keine fremden Rechte zu verletzen, eine Garantenstellung aus einer ursprünglichen Abhängigkeit zwischen dem Täter und dem Opfer kann hier aber nicht festgestellt werden. Statt eines Abhängigkeitsverhältnisses herrscht hierbei ein selbständiges Rechtsverhältnis zwischen den Betroffenen. Eine Garantenstellung auch in diesem Fall zu fordern, würde den falschen Eindruck erwecken, dass hier ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis vorläge. Aber das Anliegen, eine Garantenstellung bzw. Sonderverantwortlichkeit auch bei positivem Tun zu fordern, hat trotzdem insofern einen richtigen Kern, als damit eine allgemeine Voraussetzung für ein tatbestandsmäßiges Verhalten sowohl beim Tun als auch beim Unterlassen benannt wird, nämlich die Verletzung einer Verhaltensnorm und der daraus entspringenden Pflicht.426 Dies wird durch die Beispiele augenscheinlich, die von denjenigen Stimmen, die auch bei positivem Tun eine Garantenstellung fordern, zur Feststellung der Relevanz einer Garantenstellung bei positivem Tun angeführt werden. Sie gehen zunächst davon aus, dass die Garantenstellung eines aktiv Handelnden, nicht durch seine Handlung andere zu verletzen, grundsätzlich so ersichtlich sei, dass eine Garantenstellung bei positivem Tun in der Regel kaum zum Ausdruck gebracht werde.427 Und dann werden einige Ausnahmen angeführt, um die Relevanz bzw. Erforderlichkeit der Garantenstellung beim positiven Tun zu beweisen. Wer z. B. „bei einem Schiffsuntergang den letzten Platz im letzten Rettungsboot belegt, indem er einsteigt und sich hinsetzt, […] bewirkt durch dieses Tun (!) […], dass der nach ihm Rangierende ertrinkt“.428 Dem Ertrunkenen sei allerdings nicht garantiert worden, „sein Vorgänger habe zu verzichten“.429 Wer in der Vergangenheit regelmäßig durch Bewässerungsaktionen das Grundstück des Nachbarn reflexartig be425  Jakobs, AT, § 7 Rn. 58; ders., System, S. 27; MK4/Freund, § 13 Rn. 84; Pawlik, Unrecht, S. 159 ff. Ausnahmsweise auch Frisch, Verhalten, S. 133 Rn. 131. 426  In diesem Sinne wohl auch Vogel, Norm, S. 374. 427  Jakobs, System, S. 27. 428  Jakobs, System, S. 28. 429  Jakobs, System, S. 28.

238 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

günstigt habe, eines Tages diese Bewässerungsaktionen aber einstelle und dadurch eine Beeinträchtigung des Grundstücks des Nachbars bewirke, habe nicht zu garantieren, dass das Grundstück des Nachbarn nicht dadurch geschädigt werde, denn der geschädigte Nachbar habe keinen Anspruch gegenüber seinem Nachbarn auf Fortsetzung dieser begünstigenden Bewässerungsaktionen.430 Das Hauptargument dafür, eine Garantenstellung in diesen Beispielen zu verneinen, liegt ersichtlich darin, dass das Opfer überhaupt im Hinblick auf das geschädigte Rechtsgut keinen rechtlichen Anspruch gegenüber dem aktiv Handelnden hat. Es kann von dem aktiv Handelnden nicht verlangen, dass eine sein Rechtsgut begünstigende Bedingung weiter unberührt bleibt. Dann hat der Handelnde aber auch keine Pflicht, diese dem Rechtsgut des Opfers dienende Bedingung beizubehalten. Die aktive Handlung des Handelnden verletzt nämlich keine Verhaltensnorm und ist nicht pflichtwidrig. Das ist ein zutreffender Einwand: Nicht jede positiv einen tatbestandsmäßigen Erfolg auslösende Handlung ist per se als Verletzung der Verhaltensnorm zu begreifen. Wenn diese Handlung zwar diesen Erfolg auslöst, dieser Erfolg aber dem Willen des „Opfers“ zur Verfügung steht und ihm entspricht, ohne das Recht Dritter zu beeinträchtigen, fehlt es gerade an einer Verletzung der Verhaltensnorm, die nur der Freiheit des Betroffenen dienen soll. Die Zuordnung des fraglichen Rechts ist bei der Bestimmung einer Verhaltensnormverletzung zu berücksichtigen. Wer wie hier aber bereit ist, der Zuordnung des fraglichen Rechts eine konstruktive Rolle für die Verhaltensnorm und deren Verletzung zuzuschreiben und eine Normativierung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens anzunehmen, kommt zum derselben Ergebnis wie diejenigen, die eine Garantenstellung bzw. Sonderverantwortlichkeit auch bei positivem Tun fordern, ohne aber die Bezeichnung „Garantenstellung“ oder „Sonderverantwortlichkeit“, die ja eine ursprüngliche Abhängigkeitsbeziehung zwischen Handelnden und Opfer voraussetzt, in Anspruch zu nehmen. d) Zur normativen Relevanz der Abgrenzung von selbständigem und abhängigem Rechtsverhältnis Somit wird die hier vertretene These bestätigt, dass für die strafrechtliche Zurechnung die Abgrenzung von Tun und Unterlassen nur insoweit entscheidend ist, als das Unterlassen bei Fehlen eines ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses zum Opfer überhaupt keine Verletzungsmacht entfalten kann. Soweit aber eine solche Abhängigkeitsbeziehung vorliegt, spielt die Abgrenzung nur eine sehr untergeordnete Rolle. Darüber hinaus ist es notwendig, 430  Zu diesem Beispiel Jakobs, AT, § 7 Rn. 61. Zustimmend auch Frisch, Verhalten, S.  132 f.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 239

sowohl beim Tun als auch beim Unterlassen eine Verletzung der Verhaltensnorm und der daraus abgeleiteten Pflicht zu fordern. Das alles spricht gegen die Relevanz der Abgrenzung von Tun und Unterlassen und für die Orientierung an der Pflichtstellung zum Opfer. Entscheidend für die Bestimmung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens sind nicht die mehr oder weniger zufälligen Erscheinungsformen von Tun oder Unterlassen, sondern die Feststellung der Pflicht eines Handelnden gegenüber dem Opfer, oder genauer: die Abgrenzung von selbständigem und abhängigem Rechtsverhältnis zum Opfer. Wenn in Hinblick auf ein bestimmtes Rechtsgut kein ursprüngliches Rechtsverhältnis zwischen den Betroffenen vorliegt, unterliegt der Handelnde nur der ursprünglichen Anerkennungspflicht, nicht durch eine ihm zurechenbare Handlung – die eine eigenhändige Handlung sowie eine fremdhändige, aber ihm zurechenbare Handlung umfasst –, das fremde Recht zu verletzen. Besteht dagegen insoweit ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis, dann ist er bestellt, über das Verletzungsverbot aus der ursprünglichen Anerkennungspflicht hinaus das Rechtsgut rundum oder vor bestimmten Gefahren zu schützen, indem er notwendige Schutzmaßnahmen positiv ergreift oder aufrechterhält. Nun mag sich zwar aus der ursprünglichen Anerkennungspflicht, das fremde Recht nicht zu verletzen, in manchen Fällen auch eine Handlungspflicht ableiten, wie das Beispiel des Zurückpfeifens des eigenen angreifenden Kampfhunds zeigt. Das stellt aber nicht die Abgrenzung zwischen selbständigem und abhängigem Rechtsverhältnis in Frage. Denn diese Handlungspflicht basiert gerade auf einem begründeten Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Halter und dem Opfer. Nur der Halter des Kampfhunds, nicht ein zufällig vorbeigehender Fußgänger ist verpflichtet, den angreifenden Hund zurückzupfeifen. e) Das normative Kriterium zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen Die Konzentration auf die Pflichtstellung zum Opfer hat aber zwingend die Annahme eines normativen Kriteriums für die Abgrenzung von Tun und Unterlassen zur Folge. Die Pflichtstellung zum Opfer hängt insbesondere nicht von zufälligen körperlichen Erscheinungsformen, sondern nur von der normativen Zuordnung des fraglichen Rechts ab.431 Diese normative Zuordnung kann freilich nicht nach dem von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterium des „Schwerpunkts des Vorwurfs“432 ermittelt werden, auch wenn sie hier zutreffend eine normative Beurteilung fordert. Denn wenn die Recht431  Zutreffend

Merkel, FS-Herzberg, S. 220; Köhler, AT, S. 215. 6, 46, 59; 56, 277, 286; 59, 292, 296. In der Literatur mit verschiedenen normativen Überlegungen zur Beurteilung des Schwerpunkts des Vorwurfs Hein432  BGHSt

240 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

sprechung keine weiteren Subkriterien zur Beurteilung dieses Schwerpunkts anbietet, ist das Kriterium jeglicher rationalen Prüfung entzogen und läuft notwendig auf willkürliche Ergebnisse hinaus, je nachdem, ob man eine Straflosigkeit mangels Garantenstellung oder eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB will.433 Die Schwäche des normativen Kriteriums der Rechtsprechung kann freilich nicht zu einer naturalistischen Abgrenzung führen. Insbesondere ist die Abgrenzung nicht primär nach dem Kriterium der Energieanwendung434 oder nach einer empirisch verursachenden Kausalität zwischen dem Energieaufwand und dem Erfolg435 vorzunehmen: Ein Tun sei in der Regel dann anzunehmen, wenn der Täter die Energie in Richtung auf ein gefährdetes Gut einsetzt hat oder zwischen dessen Handlung und dem stattfindenden Erfolg eine empirisch festgestellte Kausalität vorliege; ein Unterlassen komme nur dann subsidiär in Betracht, wenn solcher Energieaufwand oder solche Kausalität nicht festgestellt würden. Diese naturalistische Betrachtung mag zwar in vielen deutlichen Fällen ebenfalls zum richtigen Ergebnis führen, insbesondere dann, wenn eine positive, direkt den Erfolg auslösende Köperbewegung vorliegt. Da sich aber allein mittels einer naturalistischen Betrachtung einer Körperbewegung eine normative Pflichtstellung des Handelnden zum Opfer nicht ermitteln lässt, werden nicht selten andere normative Kriterien heran­ gezogen. Das entspricht dem sog. gestuften Vorgehen, dem zufolge auf der ersten Stufe nach einer empirisch verursachenden Kausalität zu fragen und dann in den weiteren Stufen zu überlegen sei, ob das Ergebnis aus der ersten Stufen mit den normativen Kriterien ausnahmsweise zu korrigieren ist.436 Dem ist aber zu widersprechen. Wenn das ggf. herangezogene normative Kriterium das Ergebnis aus den ersten Stufen verändern kann, wird der zuvor erfolgenden naturalistischen Betrachtung von vornherein ihre Relevanz abgesprochen oder sie wird notwendig von einem ggf. zusätzlich herangezogen normativen Kriterium zur Beurteilung einer Pflichtstellung verdrängt. Entscheidend ist nämlich nur das normative Kriterium.

rich, AT, Rn. 866 ff.; Schönke/Schröder/Bosch, Vor § 13 Rn. 158a; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 1159. 433  NK/Gaede, § 13 Rn. 7. Kritisch auch Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 8; MK4/Freund, § 13 Rn. 5; Roxin, AT II, § 31 Rn. 80. 434  Etwa NK/Gaede, § 13 Rn. 10; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 111. 435  Exemplarisch Roxin, AT II, § 31 Rn. 78. 436  Exemplarisch MK4/Freund, § 13 Rn. 8 f.; SK/Stein, Vor § 13 Rn. 77 ff. Auch Roxin, AT II, § 31 Rn. 99 ff.: Unterlassen durch Tun.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 241

Die Abgrenzung bestimmt sich somit nur nach einem normativen Kriterium, und zwar nach dem Inhalt von Recht und Pflicht zwischen Täter und Opfer:437 In einem abhängigen Rechtsverhältnis ist die Relevanz der Abgrenzung zwar eher gering. Denn der Garant verletzt das zu garantierende Recht, einerlei ob die Rechtsverletzung durch Tun oder Unterlassen erfolgt. Die Annahme eines Unterlassens ermöglicht aber trotzdem eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB. Hierzu wird der viel erörterte Fall des Abbruchs einer medizinischen Behandlung zur Deutung der Abgrenzung herangezogen. Es sei nochmals bemerkt, dass die Pflichtstellung und die Strafbarkeit eines Arztes oder eines Betreuers des Patienten (§§ 1901a ff. BGB) nicht von den äußerlichen Handlungserscheinungsformen als Tun oder Unterlassen abhängig gemacht werden kann, d. h. sie sind unabhängig davon, ob zum Abbruch einer Rettungsbehandlung der Arzt wegen der zufälligen Konstruktion des Beatmungsgeräts dieses durch Knopfdruck einstellen oder einfach auf eine automatische Einstellung warten muss.438 Entscheidend ist vielmehr, ob die Handlung des Arztes oder des Betreuers dem selbstbestimmten Willen des Patienten entspricht439 und ob dem Arzt deshalb rechtlich der Behandlungsabbruch erlaubt oder er sogar zu ihm verpflichtet ist. Es wird zwar behauptet, dass es bei Annahme eines positiven Tuns eine Strafbarkeit nach § 216 StGB unabhängig vom Willen des Opfers gegeben sei, während bei Annahme eines Unterlassens der Arzt aus einer Garantenpflicht entlassen werde, da sich die Garantenpflicht des Arztes am Willen des Patienten orientieren soll.440 Aber 437  Anders aber Kuhlen, FS-Puppe, S. 681: Die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen habe einen „naturalistischen Kern“. 438  Insoweit auch Roxin, AT II, § 31 Rn. 116, 118. 439  BGHSt 55, 191, 203; Kubiciel, Wissenschaft, S. 215: „Behandlungsveto“ des Patienten. 440  Erklärend Murmann, GK, § 29 Rn. 14; Roxin, AT II, § 31 Rn. 115. Als ein vergleichbares Argument für die Relevanz der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen beim § 216 StGB könnte angeführt werden, dass § 216 StGB in der Regel nur durch Tun begangenen werden könne und eine Garantenpflicht zur Rettung eines freiverantwortlich aufgegebenen Lebens mit dem Selbstbestimmungsrecht des Indi­ viduums nicht vereinbar sei. Zu diesem Ansatz etwa NK/Neumann, § 216 Rn. 9; Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, § 216 Rn. 10. Dabei mag es aber deutlich sein, dass der entscheidende Grund gegen die Möglichkeit von Begehung durch Unterlassen nicht in den unterschiedlichen Handlungsstrukturen von Tun und Unterlassen, sondern in der Respektierung des Selbstbestimmungsrechts des Einwilligenden liegt. Konsequent muss man aber auch den sachlichen Gedanken der Respektierung des Selbstbestimmungsrechts auf das positive Tun übertragen und dementsprechend die Strafbarkeit verneinen. Dazu sogleich. Sieht man die Ratio der „Einwilligungssperre“ des § 216 StGB richtigerweise im Risiko einer defizitären Entscheidung bei der Einwilligung (eingehend Murmann, Selbstverantwortung, S. 488 ff.; insoweit ähnlich Kubiciel, Wissenschaft, S. 195), muss sie gleichermaßen für Tun und Unterlassen

242 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

auch bei Annahme eines positiven Tuns fehlt es nicht an Auffassungen, die das Selbstbestimmungsrecht des Patienten für ausschlaggebend halten und trotz der scheinbar geltenden Einwilligungssperre des § 216 StGB zur Straflosigkeit des Behandlungsabbruchs kommen, indem sie etwa eine (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten annehmen441 oder eine teleologische Reduktion des § 216 StGB vornehmen.442 Dahinter steht gerade der von Neumann formulierte berechtigte Gedanke, in der Tat könne es „für die Reichweite der aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten resultierenden Befugnis, lebensverlängernde Eingriffe abzulehnen, im Ergebnis nicht darauf ankommen, ob man die Respektierung der Patientenautonomie als Tun oder […] als Unterlassen wertet“.443 Aber dann hat die Abgrenzung von Tun und Unterlassen allenfalls insoweit einen Sinn, als die Straflosigkeit des Behandlungsabbruchs auf unterschiedlichen dogmatischen Ebenen begründet wird.444 Trotz dieser geringen Relevanz ist der positive Abbruch einer technischen Behandlung, auch wenn er dem Willen des Patienten widerspricht, als Unterlassen einzuordnen.445 Denn ein positives Tun setzt normativ voraus, dass der Täter durch seine Handlung Bedingungen für die Vermeidung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs verändert, die der Rechtssphäre des Opfers zu­ geordnet und in ihr bereits festgelegt sind.446 Gegenüber dem Arzt hat der Patient zwar einen rechtlichen Anspruch aus einem ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnis auf Weiterbehandlung durch das Beatmungsgerät. Die Weiterbehandlung kann aber nur von der Bereitschaft des Arztes zur Weiterbehandlung durch das Beatmungsgerät abhängig gemacht werden und ist

gelten. § 216 StGB kann also auch durch Garantenunterlassen begangen werden, soweit, wie bei positivem Tun, eine solche Gefahr einer defizitären Entscheidung vorliegt. Das genannte Argument stellt daher kein taugliches Argument für die Relevanz der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen dar. 441  BGHSt 55, 191, 204 f.; jedenfalls für bestimmte Konstellationen der passiven Sterbehilfe NK/Neumann, Vor § 211 Rn. 110. Kritisch dagegen aber Duttge, MedR 29 (2011), 38, weil eine „Einwilligungslösung“ der Einwilligungssperre des § 216 StGB entgegenstehe. 442  Mit unterschiedlichen Begründungen Dölling, ZIS 2011, 347; Kahlo, Tun oder Unterlassen, S.  398 f.; T. Walter, ZIS 2011, 81 f. Diese Möglichkeit pointierend auch Duttge, MedR 29 (2011), 37. 443  NK/Neumann, Vor § 211 Rn. 127. Ferner Ransiek, JuS 2010, 494. 444  Murmann, GK, § 29 Rn. 14. 445  Für ein Unterlassen wie hier Frisch, Verhalten, S. 135; mit abweichenden Begründungen auch Heinrich, AT, Rn. 872; Roxin, AT II, § 31 Rn. 117; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 160; SK/Stein, Vor § 13 Rn. 87. A. A. aber BGHSt 55, 191, 202; Fischer, § 13 Rn. 5; Kahlo, Tun oder Unterlassen, S. 392, 395 f.; LK13/Weigend, § 13 Rn. 9; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 19; NK/Gaede, § 13 Rn. 10; T. Walter, ZIS 2011, 81. 446  Frisch, Verhalten, S. 133. Nahstehend auch Merkel, FS-Herzberg, S. 210, 211.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 243

noch nicht in der Rechtssphäre des Patienten festgelegt.447 Die positive Abschaltung dieses Geräts kann somit nur als ein garantenpflichtwidriges Unterlassen begriffen werden. Es sei bemerkt, dass es hier gar nicht um eine unerlaubte Umdeutung eins positiven Tuns in ein Unterlassen geht,448 denn die Bestimmung der Pflichtstellung versteht sich ja von vornherein als eine normative Bewertung.449 Die begrenzte Leistungsfähigkeit eines naturhaften Abgrenzungskriteriums lässt sich aber auch in einem selbständigen Rechtsverhältnis erkennen. Hierzu ein Beispiel:450 Der Chef eines Bekleidungshauses schaltet die Zentralheizung dieses Hauses aus, mit der Folge, dass ein betrunkener Obdachloser auf einem Oberlichtgitter vor dem Haus, dessen Überleben bei extrem kaltem Wetter von der warmen Abluft aus dem Heizungskeller des Hauses abhängt, erfriert. Wer das Kriterium der Energieanwendung bzw. naturhafter Kausalität zur Lösung der Abgrenzungsfrage anwenden will, kommt konsequent in diesem Fall zu einem positiven Tun. Eine Strafbarkeit nach § 212 StGB wäre dann nicht fernliegend. Aber nach der hier vertretenen Ansicht muss ein Unterlassen des Chefs angenommen werden. Dem Obdachloser wird zwar ein Notstandsrecht zugestanden.451 Da aber der Obdachlose nicht selbst auf dieses Recht zugreift, hängt die Verwirklichung des Notstandsrechts notwendig von der Bereitschaft des Chefs als Notstandsverpflichtetem ab, den Heizluftstrom aufrechtzuerhalten; daher ist das Notstandsrecht im Sinne einer Fortdauer des Heizluftstroms noch nicht in der Rechtssphäre des Obdachlosen festgelegt. Die Abschaltung der Heizung greift somit nicht in die festgelegte Rechtssphäre des Obdachlosen ein. Letztendlich kommt mangels eines ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses nur eine Strafbarkeit nach § 323c StGB aus einer ursprünglichen Solidarität zwischen selbständigen Bürgern in Betracht.452 Ein naturhaftes Abgrenzungskriterium kann die-

447  Frisch, Verhalten, S. 134; Merkel, FS-Herzberg, S. 222. A. A. Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 19; Roxin, AT II, § 31 Rn. 117. Im Kontext der sog. Ex-post-Triage entspricht die hier vertretene Ansicht der Auffassung von Hörnle, Ex-post-Triage, S. 172 f.: „das Bett oder eine Apparatur“ seien „nicht per se relevant, sondern nur als Bestandteil einer kontinuierlich fortgesetzten medizinischen Versorgung, was in die Kategorie ‚Teilhaberechte‘ fällt. Teilhaberechte stehen unter dem Vorbehalt des Möglichen und einer fairen Verteilung der kollektiv organisierten Ressourcen öffentlicher Gesundheitsversorgung.“ (Hervorhebung im Original) 448  Kritisch aber BGHSt 55, 191, 202; Kahlo, Tun oder Unterlassen, S. 392, 395 f.; NK/Gaede, § 13 Rn. 10. 449  Frisch, Verhalten, S. 133 Fn. 135. 450  Zu diesem Beispiel Merkel, FS-Herzberg, S. 193. Hier wird dieses Beispiel stark vereinfacht. 451  Merkel, FS-Herzberg, S. 221. 452  Zutreffend Merkel, FS-Herzberg, S. 222.

244 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

ser Zuordnung des Notstandsrechts sowie dem Rechtsverhältnis zwischen dem Chef und dem Obdachlosen nicht gerecht werden. 2. Die Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens aus der Reichweite bzw. dem Schutzzweck der Garantenpflicht Wird das Unrecht oder die Verletzungsmacht des Unterlassens als Entzug einer dem Opfer rechtlich gewährleisteten Handlungsmöglichkeit begriffen, kann sich die Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens nur danach bestimmen, inwieweit das Recht durch die Garantenpflicht ein konkretes Rechtsgut des Opfers schützt, also nach der Reichweite oder dem Schutzzweck der fraglichen Garantenpflicht.453 Nur innerhalb dieser Reichweite oder des Schutzzwecks verletzt der Garant sein abhängiges Rechtsverhältnis zum Opfer und weist sein pflichtwidriges Unterlassen eine mit dem positiven Tun vergleichbare Verletzungsmacht auf. Die soeben durchgeführten Analysen der Gründe und Inhalte verschiedener Garantenpflichten aus einem ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnis hat ergeben, dass sich die Reichweite der Garantenpflicht nicht unbedingt auf eine Erfolgsverhinderung erstrecken muss, sondern sich auch lediglich auf eine Erfolgserschwerung erstrecken kann. Insbesondere die Überwachungsgarantenpflicht der Eltern, die Sicherungspflicht eines Überwachers, der eine gefährliche Sache verwaltet, sowie die Überwachungs- und Informationspflicht eines Compliance-Beauftragten können sich unter Umständen auf eine Erfolgserschwerungspflicht beschränken. Demgegenüber reichen die meisten Garantenpflichten aus einer Beschützergarantenstellung bis zur Erfolgsverhinderungspflicht, denn der Garant hat in diesen Fällen das Rechtsgut des Opfers vor allen Gefahren, auch den Gefahren aus einer fremden Straftat zu schützen. Sowohl die Erfolgsverhinderungspflicht als auch die Erfolgserschwerungspflicht setzen ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen Opfer und Garanten voraus. Eine Garantenpflicht zur Erfolgserschwerung bezieht sich somit auch auf ein konkretes Rechtsgut des Opfers bzw. auf einen tatbestandsmäßigen Erfolg. Der Unterschied zwischen beiden liegt ja in der Reichweite der Garantenpflichten. Im Unterschied zur Erfolgsverhinderungspflicht trägt die Straftaterschwerungspflicht aber nur mittelbar zum Schutz des konkreten Rechtsguts des Opfers bei, indem der Garant nur die zu überwachende Straftat zu erschweren verpflichtet ist; er hat nicht das Ausbleiben einer Rechtsgutsverletzung durch diese Straftat zu garantieren. Demgegenüber entfaltet eine Erfolgsverhinderungspflicht dadurch eine unmittelbare Schutzwirkung für den tatbestandsmäßigen Erfolg, dass der Garant die Rechtsgutsverletzung oder den tatbestandsmäßigen Erfolg verhindern 453  In

dieser Richtung auch MK4/Freund, Rn.  270 ff.; Murmann, FS-Beulke, S. 191.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 245

muss. Bezieht sich die Garantenpflicht auf eine fremde Straftat, so ist diese Garantenpflicht der Unterscheidung zwischen Erfolgsverhinderungspflicht und Erfolgserschwerungspflicht entsprechend auch in Straftatverhinderungspflicht und Straftaterschwerungspflicht zu unterteilen. Nunmehr ist es fraglich, ob diese Unterteilung in Erfolgsverhinderungsund Erfolgserschwerungspflicht auch ihre Anerkennung im Erfolgsbegriff i. S. v. § 13 Abs. 1 StGB finden kann oder zumindest gegen diesen Erfolgsbegriff nicht verstößt. Das ist der Fall. Denn erstens ist der Erfolgsbegriff hier sehr weit zu interpretieren; er umfasst nämlich neben dem tatbestandsmäßigen Verletzungserfolg sowie der abstrakten bzw. konkreten Gefahr auch jedes Zwischenereignis auf dem Weg zur tatbestandsmäßigen Verletzung,454 „dessen Zustandekommen der jeweilige Straftatbestand […] verlangt“.455 So kann die Erfolgserschwerungspflicht, die in der Regel die Verhinderung einer Gefahrschaffung im Vorfeld des tatbestandsmäßigen Erfolgs zum Gegenstand hat, von diesem weit interpretierten Erfolgsbegriff umfasst werden. Zweitens versteht sich eine Erfolgserschwerungspflicht im Verhältnis zur Erfolgsverhinderungspflicht als ein Minus und kann problemlos vom Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB erfasst werden,456 ohne das Gesetzlichkeitsprinzip zu verletzen. 3. Erste Kritik an der Pflichtdeliktslehre und an einer bestimmten Variante der Pflichtinhaltstheorie Anhand der Pflichtdeliktslehre soll eine Garantenpflicht sich immer als eine Erfolgsverhinderungspflicht verstehen. Eine Abschichtung innerhalb dieser Erfolgsverhinderungspflicht sei somit nicht möglich. Aus den obigen Analysen der Reichweite bzw. des Schutzzwecks einer Garantenpflicht ergibt sich freilich, dass sie sich nicht unbedingt auf eine Erfolgsverhinderungspflicht erstrecken. Auch eine Erfolgserschwerungspflicht ist legitim und kann von § 13 Abs. 1 StGB umfasst werden. Somit ist die Kernthese der Pflichtdeliktslehre widerlegt.457 Wenn sich die Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens nach der Reichweite oder dem Schutzzweck der Garantenpflicht bestimmen soll, kann andererseits diejenige Variante der Pflichtinhaltstheorie, die die Beteiligungsformen des Garanten von der Unterscheidung zwischen Be454  Jakobs, AT, § 29 Rn. 2; MK4/Freund, § 13 Rn. 232; SK/Stein, § 13 Rn. 4. Für eine weite Interpretation auch BGHSt 46, 212, 222; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, § 21 Rn. 47; Murmann, GK, § 29 Rn. 19; ders., FS-Beulke, S. 190; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 3; Vogel, Norm, S. 101; Coelln, Einstehenmüssen, S. 70. 455  SK/Stein, § 13 Rn. 4. 456  Murmann, FS-Beulke, S. 190. 457  In diesem Sinne auch Murmann, FS-Beulke, S. 190.

246 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

schützergarantem und Überwachungsgarantem abhängig macht, nicht überzeugend sein. Denn eine Erfolgsverhinderungspflicht kann sowohl aus einer Beschützergarantenstellung, wie dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kind, als auch aus einer Überwachungsgarantenstellung, wie dem Rechtsverhältnis zwischen den Vorstandsmitgliedern und dem von der unternehmensbezogenen Gefahr bedrohten Außenstehenden, hervorgehen. Die für die Verletzungsmacht eines Garanten wichtige Unterscheidung von Erfolgsverhinderungspflicht und Erfolgserschwerungspflicht entspricht somit nicht der von Beschützergarantenstellung und Überwachungsgarantenstellung. 4. Vergleich der Verletzungsmacht von Tun und Unterlassen: Erste Kritik an der instrumentalen Tat­herrschaftslehre Die Analyse der Unrechtsstruktur eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens ermöglicht nicht nur einen Vergleich der Verletzungsmacht zwischen verschiedenen Garantenpflichtverletzungen, sondern auch zwischen Tun und Unterlassen. Dieser Vergleich ist deshalb für die Beteiligungsformen eines pflichtwidrigen Garanten unerlässlich, weil die Vertreter der instrumentalen Tat­ herrschaftslehre ja davon ausgehen, dass der pflichtwidrige Garant im Vergleich zum eigenverantwortlichen Begehungstäter in der Regel nur eine potentielle Tat­herrschaft innehabe. Der Gedanke der potentiellen Tat­herrschaft beruht gerade auf einer in der Regel schwächeren Verletzungsmacht des ­Unterlassens im Verhältnis zum positiven Tun. Ob dies der Fall ist, ist im Folgenden zu untersuchen. a) Vergleich der Handlungsstruktur Die schwächere Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unter­ lassens könnte sich zunächst aus dem Verständnis der Handlungsstruktur des Unterlassens ergeben. Nach der naturalistischen, aber auch nach der finalen bzw. intentionalen Handlungslehre wird das Unterlassen einfach als Nichtaufwand von Energie (Geschehenlassen) oder intentionale Nichtvornahme einer gebotenen Handlung angesehen. Das Unterlassen sei wegen dieses „negativen Charakters“ im Verhältnis zum positiven Tun, das eine naturhafte Kausalität zum Erfolg positiv auslöst, ein Minus.458 Die Hypothese der potentiellen Tat­herrschaft ist auf diese negative Handlungsstruktur des Unter458  Sehr deutlich Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 301: „Denn unter sonst gleichen Umständen wiegt das Unterlassen der Abwendung des Erfolges weniger schwer als dessen vorsätzliche Herbeiführung. Die Aktivität erfordert Entschluß- und Tatkraft; die Passivität beruht auf ihrem Fehlen.“



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 247

lassens zurückzuführen.459 Die Unzulänglichkeit dieser Handlungslehren ist oben aber nachgewiesen worden. Überzeugender ist eine freiheitlich-personale Handlungslehre, nach der sowohl Tun als auch Unterlassen eine wirk­ liche, normfundierte Verletzungsmacht im Sinne einer Rechtsverhältnisverletzung aufweisen können. Soweit eine ursprüngliche Verletzungsmacht begründet wird, ist diese Verletzungsmacht des Unterlassens mit der des Tuns vergleichbar.460 Das pflichtwidrige Unterlassen ist dann nicht einfach eine Nichtvornahme einer gebotenen Handlung, sondern verschlechtert wie das Tun durch pflichtwidriges Unterlassen ebenfalls die Rechtsstellung des Opfers.461 Infolgedessen kann man nicht mit dem Argument des Unterschieds in der Handlungsstruktur von einer grundsätzlich schwächeren Verletzungsmacht dieses Unterlassens ausgehen. b) Vergleich der Normenlogik Die Nachrangigkeit des Unterlassens gegenüber einem positiven Tun könnte auf Gründe der Normlogik zurückzuführen sein. So wird angeführt, dass eine Handlungspflicht aus einer Gebotsnorm im Verhältnis zur Unterlassungspflicht aus einer Verbotsnorm stärker in die Handlungsfreiheit des Normadressaten eingreife. Denn der Garant soll eine bestimmte Gebotshandlung vornehmen, während der Begehungstäter nur auf die Vornahme einer bestimmten verbotenen Handlung verzichten soll.462 Dieser normlogischen Überlegung ist zwar zuzustimmen, sie belegt aber keinesfalls die generell geringere Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens gegenüber der des positiven Tuns. Denn aus der Überlegung, dass eine Handlungspflicht intensiver in die Handlungsfreiheit des Normadressaten eingreift, ergibt sich allenfalls eine höhere Begründungslast für die Legitimation dieser Handlungspflicht. Das entspricht auch der hier vertretenen Ansicht, dass es für eine Garantenpflicht einer besonderen Begründung eines ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses bedarf. Ist aber ein solches Abhängigkeitsverhältnis einmal begründet, kann die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen eines Garanten für die Bestimmung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens sowie dessen Unrechts nicht entscheidend sein,463 wie die obige Analyse der 459  Ausdrücklich

Welzel, Strafrecht, S. 201. deszendiert Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 301. 461  Damit kann auch bei positivem Tun der Energieaufwand nicht entscheidend sein (zutreffend Lerman, GA 2008, S. 88), sondern entscheidend ist die Pflichtstellung zum Opfer. 462  Duttge, FS-Schöch, S. 608. Siehe bereits Engisch, FS-Gallas, S. 173. 463  Anders aber SK/Stein, § 13 Rn. 91, der aus dem Ausnahmecharakter einer Handlungspflicht und dem darauf basierenden höheren Motivationsaufwand eine regelmäßig geringere Schuld des Unterlassens i. e. S. ableiten möchte. 460  A. A.

248 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

Abgrenzung von Tun und Unterlassen bewiesen hat. Ob die Mutter ihr Kind ertrinken lässt oder es ertränkt, hat in der Regel keinen Einfluss auf die Vorwerfbarkeit.464 Der Garant verletzt immer seine Pflicht gegenüber dem Opfer, einerlei, ob diese Rechtsverletzung durch Tun oder Unterlassen erfolgt. Beide stellen nur unterschiedliche ontische Vermittlungen einer Normverletzung dar. Ein typischerweise geringeres Unrecht des Unterlassens ist in diesem normativen Abhängigkeitsverhältnis nicht ersichtlich.465 Dagegen führt Kuhlen indessen aus, dass ein tätiger Angriff „die Überwindung einer höheren Hemmschwelle erfordert als das bloße Untätigbleiben“; den anderen ertrinken zu lassen, sei somit weniger vorwerfbar als den anderen zu ertränken.466 Das mag zwar in der empirischen individualpsycholo­ gischen Untersuchung seine Unterstützung finden.467 Normativ gesehen ist dieser Schluss, aus der Überwindung einer höheren Hemmschwelle eine höhere Vorwerfbarkeit des Tuns zu schließen, aber zirkulär. Die höhere Hemmschwelle setzt nämlich schon eine deutlichere Missachtung der sozialethischen Anforderung des positiven Tuns voraus, weshalb der Begehungstäter größeren inneren Widerstand überwinden müsse.468 Das behauptete geringere Unrecht des Unterlassens kann damit nicht begründet werden, soweit keine andere normative Überlegung hinzugefügt wird. c) Vergleich aus der Strafmilderungsvorschrift im § 13 Abs. 2 StGB Somit wird festgestellt, dass ein generell geringeres Strafunrecht des Unterlassens im Verhältnis zu dem des positiven Tuns nicht anzunehmen ist. Trotzdem sieht § 13 Abs. 2 StGB eine fakultative Strafmilderung vor und man könnte überlegen, ob die Strafmilderungsmöglichkeit wiederum ein geringeres Strafunrecht des Unterlassens impliziert. Die ratio dieser Strafmilderungsmöglichkeit ist freilich hoch umstritten, je nachdem, wie man das Wesen und Verhältnis von Tun und Unterlassen versteht. Im Gesetzgebungsverfahren ist diese Strafmilderungsmöglichkeit deshalb eingeführt worden, weil „in der Rechtslehre […] immer wieder darauf hingewiesen worden [ist], daß unter sonst gleichen Umständen das Unterlassen der 464  Siehe auch Freund/Timm, HRRS 2012, 232; Roxin, Strafmilderung, S. 267 unter Berufung der Fälle, in denen nach sozialer Auffassung die Unterscheidung von Tun und Unterlassen nicht entscheidend sein kann, soweit die gebotene Handlung nicht mit einem Risiko verbunden sei (ebd., S. 277 f., 278). Anders aber Kuhlen, ­FS-Puppe, S.  680. 465  Zutreffend Lerman, GA 2008, S. 90. 466  Kuhlen, FS-Puppe, S. 680. Siehe aber bereits LK13/Weigend, § 13 Rn. 98. 467  Duttge, FS-Schöch, S. 607; Schünemann, ZStW 96 (1984), 317. 468  Ganz zirkulär LK13/Weigend, § 13 Rn. 98.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 249

Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges regelmäßig weniger schwer wiege als die Herbeiführung dieses Erfolges durch ein positives Tun“.469 Worin dieser regelmäßig schwächere Vorwurf des Unterlassens besteht bzw. wie er zu begründen ist, wird freilich in der Literatur unterschiedlich be­ urteilt.470 In Betracht kommen z. B. geringerer Unrechts-471 bzw. Schuldvorwurf472 oder geringere verbrecherische Energie.473 Allerdings kann ein allgemein geringeres Strafunrecht des Unterlassens nicht aus Überlegungen zur Handlungsstruktur und Normlogik geschlossen werden. Diese pauschale Auffassung ist oben bereits zurückgewiesen worden. Vielmehr hat § 13 Abs. 1 StGB unmissverständlich gezeigt, dass das Strafunrecht des Unterlassens grundsätzlich dem des Tuns entspricht, soweit eine Garantenstellung und Modalitätsäquivalenz vorliegen.474 Wenn § 13 Abs. 2 StGB trotz der grundsätzlichen Gleichstellung von Tun und Unterlassen nur beim Unterlassen eine Strafmilderungsmöglichkeit vorsieht, kann diese Vorschrift über die Strafmilderung nur dem Umstand Rechnung tragen, dass ein garantenpflichtwidriges Unterlassen aufgrund der Unterlassungskonstellation im Einzelfall ein geringeres Strafunrecht aufweisen kann; ansonsten würden § 13 Abs. 1 und Abs. 2 in Widerspruch geraten. Da die Strafmilderungsmöglichkeit nur dem Unterlassen zugänglich ist, wird hierbei nicht zu Unrecht ein unterlassungsspezifischer Grund gefordert, um einen Unterschied zu einem allgemeinen, auch für positives Tun geltenden Strafmilderungsgrund herzustellen.475 Wann im Einzelfall ein Grund als solcher vorliegt, ist freilich streitig.476 Nicht fernliegend ist der Gedanke, dass die Erfüllung einer Handlungspflicht aus einer Gebotsnorm eventuell eine besondere Anstrengung erfordere, wohingegen der Adressat einer Verbotsnorm einfach durch Abstandnahme von seinem Verbrechenswillen der Unter469  BT-Drucks.

V/4095 S. 8. Jakobs, AT, § 29 Rn. 123. 471  Grünwald, GA 1959, 113. 472  SK/Stein, § 13 Rn. 91. Sowohl für geringes Unrecht als auch für geringere Schuld LK13/Weigend, § 13 Rn. 98; Roxin, AT II, § 31 Rn. 239; Schönke/Schröder/ Bosch, § 13 Rn. 64. 473  Schünemann, ZStW 96 (1984), 317. 474  Grundsätzlich von einer Wertungsindifferenz von Tun und Unterlassen ausgehend, aber mit unterschiedlich engen Möglichkeiten der Strafmilderung Freund/ Timm, HRRS 2012, 232; Jakobs, AT, § 29 Rn. 125: Strafmilderungsmöglichkeit bei Pflicht kraft Institutionszuständigkeit; Perdomo-Torres, FS-Jakobs, S. 513. 475  Die Bezeichnung wird allerdings unterschiedlich gedeutet, insbesondere hinsichtlich der Reichweite. Als unterlassungsspezifisch MK4/Freund, § 13 Rn. 304; SK/ Stein, §  13 Rn.  90. Als unterlassungsbezogene Umstände LK13/Weigend, § 13 Rn.  99 f.; NK/Gaede, § 13 Rn. 66; Roxin, Strafmilderung, S. 271. 476  Eingehend Lerman, GA 2008, 80 ff. 470  Zusammenfassend

250 2. Teil: Pflichtwidriges Unterlassen des Garanten als strafbare Handlung

lassungspflicht nachkommen könne.477 Das sei dann der Fall, wenn im Einzelfall die spezifische Unterlassungskonstellation die Handlungsfähigkeit des Garanten beeinträchtige478 bzw. eine normkonforme Handlung dadurch erschwert wird, was „bei der normalen Strafrahmenbildung nicht berücksichtigt worden ist“.479 Roxin hat zwar diese Prämisse der Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit durch Fallgruppen typisiert.480 Fraglich ist aber wiederum, ob diese im Einzelfall zustande kommenden Konstellationen, die zu einer Erschwernis der Pflichterfüllung führen, auch bei der Unterlassungspflicht auftreten können, sodass sie überhaupt nicht als unterlassungsspezifische, sondern als allgemeine Strafmilderungsgründe zu begreifen sind.481 Dieser Streit ist hier aber nicht zu entscheiden. Denn ausschlaggebend ist nur, dass § 13 Abs. 2 StGB nur der Erschwernis einer normkonformen Handlung aus den Umständen im Einzelfall Rechnung trägt, ohne der grundsätzlichen Unrechtsentsprechung von § 13 Abs. 1 StGB zu widersprechen. Eine „typischerweise“ geringere Strafwürdigkeit des Unterlassens kann nicht auf § 13 Abs. 2 StGB zurückgeführt werden. d) Zusammenfassung und der Einwand gegen die instrumentale Tat­herrschaftslehre Es wurde gezeigt, dass weder aus den Handlungsstrukturen noch aus der normlogischen Analyse ein grundsätzlich geringeres Strafunrecht des garantenpflichtwidrigen Unterlassens im Verhältnis zum positiven Tun abgeleitet 477  Siehe bereits Engisch, FS-Gallas, S. 173. Eine allgemeine höhere Anforderung an die Erfüllung einer Handlungspflicht ist hier zu verneinen. Denn es ist im Einzelfall durchaus möglich, dass eine Handlungspflicht im Verhältnis zu einer Unterlassungspflicht leichter zu erfüllen ist. So muss ein Autofahrer immer sorgfältig beachten, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht übertreten wird, während er bei einem Unfall zur Verhinderung eines möglichen Todeserfolgs einfach die Rettungskräfte anrufen muss (NK/Gaede, § 323c Rn. 1). 478  Roxin, Strafmilderung, S. 271. 479  MK4/Freund, § 13 Rn. 304; Freund/Timm, HRRS 2012, 232. 480  Roxin, Strafmilderung, S. 277 ff. 481  Insbesondere in der von Roxin dargestellten Konstellation, in der der Schutzgarant durch dauerhaft schwierige Lebensverhältnisse überfordert ist (Roxin, Strafmilderung, S. 280 ff.), fehlt es an einem unterlassungsspezifischen Strafmilderungsgrund. Es ist entgegen Roxin (ebd., S. 281) gerade nicht fernliegend, dass die dauerhaft schwierige Lebenssituation einer Person es schwierig macht, sich von einer Vermögensstraftat zu distanzieren. Wie hier zutreffend Jakobs, AT, § 29 Rn. 124 Fn. 239; Lerman, GA 2008, 86. Kritisch zu weiteren unterlassungsspezifischen Strafmilderungsgründen, die näher besehen aber auch für die Unterlassungspflicht gelten und somit nur als allgemeine Strafmilderungsgründe zu begreifen seien, und letztendlich zur Abschaffung des § 13 Abs. 2 StGB kommend Lermann, GA 2008, 85 ff. Ihm zustimmend Pawlik, Unrecht, S. 161 Fn. 26.



B. Garantenpflichtwidriges Unterlassen als (strafrechtliche) Handlung 251

werden kann. Auch im Strafgesetzbuch kann die behauptete typischerweise geringere Strafwürdigkeit des Unterlassens keine Anerkennung finden. Das Strafunrecht des garantenpflichtwidrigen Unterlassens ist somit grundsätzlich mit dem positiven Tun gleichzustellen, soweit im Einzelfall keine Umstände eingreifen, die eine normkonforme Handlung des Garanten wesentlich erschweren. Damit wird aber der instrumentalen oder potentiellen Tatherrschaftslehre teilweise die Überzeugungskraft abgesprochen. Wenn ein Garant eine noch stattfindende Straftat eines Begehungstäters nicht unterbindet, kann der Garant nicht deshalb als Teilnehmer angesehen werden, weil sein pflichtwidriges Strafunrecht von dem grundsätzlich höheren Strafunrecht des Begehungstäters in den Hintergrund gedrängt würde. Das geringere Straf­ unrecht und somit die sekundäre Verantwortlichkeit des Garanten kann sich nicht allein aus seinem Unterlassen als solchem, sondern nur ggf. aus anderen normativen, insbesondere beteiligungsspezifischen Überlegungen ergeben.

VI. Überleitung zur Beteiligungslehre Die Analyse der Handlungsstruktur und des Strafunrechts eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens hat zur Folge, dass sich die Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens nach der Reichweite bzw. dem Schutzzweck der in Frage kommenden Garantenpflicht bestimmt. Die ausschlaggebende Abgrenzung für die Bestimmung dieser Verletzungsmacht ist nicht die zwischen Beschützergarantenstellung und Überwachungsgarantenstellung, sondern die zwischen Erfolgsverhinderungspflicht und Erfolgs­ erschwerungspflicht. Nun stellt sich die Frage, ob diese Bestimmung der Verletzungsmacht eines Garanten und die damit einhergehende Abgrenzung zwischen Erfolgsverhinderungspflicht und Erfolgserschwerungspflicht auch der Unterscheidung von Handlungs- und Zurechnungsstrukturen bei Täterschaft und Teilnahme entspricht. Wenn diese Frage bejahend beantwortet wird, nämlich sich das Strafunrecht der Täterschaft unmittelbar auf den tatbestandsmäßigen Erfolg bezieht, während das der Teilnahme sich nur mittelbar auf ihn bezieht, dann ist die Abgrenzung von Erfolgs- oder Straftatverhinderungspflicht einerseits und Erfolgs- oder Straftaterschwerungspflicht andererseits ein angemessenes Abgrenzungskriterium für die Beteiligungs­ formen des Garanten. Im Folgenden ist somit auf die Handlungs- und Zurechnungsstrukturen der Täterschaft und der Teilnahme einzugehen.

Dritter Teil

Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre Nachdem in den vorhergehenden Teilen ein interpersonaler Unrechtsbegriff und eine interpersonale Handlungslehre sowohl für positives Tun als auch für Unterlassen entwickelt wurden, geht es nun darum, auf dieser Grundlage eine interpersonale Beteiligungslehre auszuarbeiten. Im Folgenden wird zunächst auf die allgemeinen Handlungs- und Unrechtsstrukturen der Täterschaft eingegangen. Dabei wird indessen zuallerst die Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft untersucht (unter A.), weil sie zutreffend als Prototyp aller Formen der Täterschaft zu begreifen ist.1 Erst danach wird die Besonderheit des Beteiligungsverhältnisses behandelt (unter B.). Es zeigt sich, dass die anhand der Alleintäterschaft entwickelte allgemeine Unrechtsstruktur der Täterschaft unter Berücksichtigung der Besonderheit fremdhändiger Tatbestandsverwirklichung auf die mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft übertragbar ist. Im Anschluss daran wird die allgemeine Unrechtsstruktur der Teilnahme behandelt (unter C.). Zum Schluss dieses Teils wird ein monistisches Täter-Teilnahmesystem entwickelt (unter D.), das auch für die Problematik der Beteiligung durch Unterlassen (4. Teil) fruchtbar gemacht werden kann.

A. Die Handlungs- und Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft I. Unrechtstheoretische Hintergründe Nach den bisher erarbeiteten Erkenntnissen begeht eine vernünftige Person dann eine Straftat, wenn sie durch ihre Handlung eine Verhaltensnorm verletzt und dadurch das fremde Rechtsgut gravierend verletzt oder gefährdet. Durch diese Straftat verletzt die Person nicht nur ihr Rechtsverhältnis zum Opfer, sondern auch das Recht als Recht im Ganzen. Die hier gemeinte Handlung kann sowohl Tun als auch Unterlassen sein. Denn auch Unterlassen kann eine vergleichbare Verletzungsmacht wie ein positives Tun aufweisen, solange ein ursprüngliches Rechtsverhältnis zwischen Garanten und Opfer vorliegt. 1  LK13/Schünemann/Greco,

§ 25 Rn. 52.



A. Die Handlungs- und Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft 253

Aus diesem normativen Verständnis der Straftat als Rechtsverhältnisverletzung folgt aber zwingend, dass sich eine Straftat und das Strafunrecht nicht auf eine faktische Herrschaft über den Grund des Erfolges reduzieren lassen.2 Eine faktische Herrschaftsmacht erlangt vielmehr nur dann normative Relevanz, wenn sie eine Verhaltensnorm und dadurch ein Rechtsverhältnis zum Opfer verletzt. Mit Recht weist Kindhäuser in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „Herrschaft […] dort zurechnungsirrelevant [ist], wo der einschlägige Verantwortungsbereich endet“.3 Dass nicht die faktische Herrschaft über den Grund des Erfolges, sondern die konkrete Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen den Handelnden für die Begründung des Strafunrechts maßgeblich ist, zeigt das folgende Beispiel deutlich. Wer mit dem Einverständnis des Opfers durch Werfen eines Steins ein fremdes Fenster zerstört, übt durchaus eine faktische Herrschaft über die eigenen Körperbewegungen und mittelbar über den zur Zerstörung führenden Kausalverlauf aus. Aber eine Strafbarkeit muss hier trotz der faktischen Herrschaft über den Kausalverlauf verneint werden. Nicht selten wird denn auch zunächst eine Verletzung der abstrakten Verhaltensnorm („Du sollst fremdes Eigentum nicht zerstören“) und eine naturhaft betrachtete Rechtsgutsverletzung (Zerstörung eines Fensters) angenommen und erst in weiteren Schritten die objektive Zurechnung dieser Rechtsgutsverletzung wegen des Einverständnisses des Opfers verneint.4 Damit wird aber ersichtlich, dass es nicht auf die faktische Herrschaft über eine naturhaft betrachtete Rechtsgutsverletzung, sondern auf die konkrete Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Handelnden und dem „Opfer“, hier also auf das Einverständnis des „Opfers“, ankommt. Wenn es aber auf die konkrete Gestaltung des Rechtsverhältnisses ankommt, geht es dabei nicht erst um die Zurechnung der Rechtsgutsverletzung, sondern bereits um die Bestimmung einer tatbestandsmäßigen Verhaltensnormverletzung.5 Denn das „Opfer“ hat durch sein Einverständnis sein Eigentum eigenverantwortlich dis2  Dezidiert aber Schünemann, Grund und Grenzen, S. 236, 241: „ein für den konkreten Kausalverlauf aktuell wesentliches Merkmal als Grund des Erfolges“ (Hervorhebung im Original); ders., GA 2017, 683: „maßgebliche Herrschaft über den schädlichen Kausalprozess“. 3  Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 632. 4  So die Meinung, die dies für eine Frage der Erfolgszurechnung oder der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer hält, die erst nach der Prüfung der missbilligten Risikoschaffung gestellt werden soll, etwa Jescheck/Weigend, AT, S. 288; Rengier, AT, § 13 Rn. 77 ff.; Roxin/Greco, AT I5, § 11 Rn. 107 am Beispiel der Mitwirkung bei vorsätzlicher Selbstgefährdung; Roxin, FS-Maiwald, S. 729 f., insb. gegen die Unterscheidung der Bestimmung des tatbestandsmäßigen Verhaltens und der Erfolgszurechnung; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, Vor §§ 13 ff. Rn. 64. 5  Zutreffend Frisch, Verhalten, S. 61, 149, 156 ff.; ders., FS I. Roxin, S. 233; ders., GA 2018, 565 Fn. 68; MK4/Freund, Vor § 13 Rn. 419; Murmann, Selbstverantwortung, S. 335; NK/Puppe, Vor § 13 ff. Rn. 154, 182 ff. Keine missbilligte Gefahrschaf-

254

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

poniert, und wenn sich der Handelnde beim Handeln des Einverständnisses bewusst ist, stellt seine Zerstörungshandlung eine Freiheitsverwirklichung des „Opfers“ dar. Eine Handlung, die die Freiheit des anderen verwirklicht, kann nicht als Rechtsverletzung begriffen werden. Von einer Verhaltensnormverletzung kann auch nicht die Rede sein, weil die Verhaltensnorm gerade der Freiheitsverwirklichung der Personen dient.

II. Normentheoretische Überlegungen 1. Verletzung einer kontext- und adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm als Voraussetzung für eine Straftat Aus dem obigen Beispiel lässt sich die wichtige normentheoretische Überlegung entwickeln, dass eine Verhaltensnorm nicht von der konkreten Gestaltung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Handelnden und dem Opfer abstrahiert bestimmt werden kann; sie ist also sinnvollerweise kontext- und adressatenspezifisch zu konkretisieren.6 Dem widerspricht aber die herkömmliche Differenzierung zwischen Norm als abstraktem Rechtssatz und Pflicht als „konkrete[r] Verhaltensanweisung, die sich als Subsumtionsergebnis an einen bestimmten Adressaten in einer aktuellen Situation richtet“,7 und der neuere Versuch von Ast, eine generelle Norm von einer aus ihr „abgeleitete[n] konkretisierende[n] oder singuläre[n] Norm (Pflicht)“ zu unterscheiden.8 Konstruktiv ist es zwar möglich, Verhaltensnormen auf verschiedenen Stufen der Konkretisierung zu bilden. Mehr als zweifelhaft ist aber, ob diese Differenzierung sinnvoll wäre. Denn eine so abstrakt, von dem konkreten Rechtsverhältnis losgelöste Verhaltensnorm, etwa „Du sollst fremdes Eigentum nicht zerstören“, enthält keine konkrete Verhaltensanweisung und entfaltet deshalb nur eine sehr begrenzte Orientierungsfunktion für den Handelnden in der konkreten Situation.9 Um diese Funktion entfalten zu fung sehen auch Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 Rn. 92b; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 269. 6  Freund/Rostalski, GA 2018, 270 f.; dies., GA 2020, 620. Ähnlich Robles Planas, FS-Kindhäuser, S. 404 f. Damit verliert die Verhaltensnorm aber nicht ihren Verallgemeinerungscharakter, denn wie bei jeder Art von Rechtsnorm geht es hier darum, in einer solchen Situation immer in dieser Art und Weise zu handeln. Klarstellend Freund/Rostalski, GA 2020, 620. 7  Wagner, Verhaltensnorm, S.  96. Siehe bereits Armin Kaufmann, Dogmatik, S.  7 f.; Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 138: „Damit die Norm wirken kann, d. h. einen Adressaten zu einem bestimmten Verhalten verpflichten kann, bedarf sie […] der Konkretisierung zur Pflicht.“ 8  Ast, Handlung und Zurechnung, S. 173. 9  Freund/Rostalski, GA 2020, 619. Gegen ein erfolgsbezogenes Kausierungsverbot und für eine verhaltensbezogene Herleitung der Verhaltensnorm auch Wagner,



A. Die Handlungs- und Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft 255

können, muss eine Verhaltensnorm ex ante, d. h. zum Zeitpunkt des Handelns, dem Handelnden anzeigen, was er genau tun darf oder nicht, etwa „Wirf keinen Stein in Richtung auf ein fremdes Fenster!“ oder, bezogen auf das obige Beispiel, „Du darfst den Stein in Richtung auf das Fenster des ‚Opfers‘ werfen.“ Unter dem Aspekt der Handlungsorientierung ist ein abstraktes Verbot „Du sollst nicht töten!“ allenfalls ein „Vorprodukt“ bei der Begründung einer kontext- und adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm.10 2. Das Verhältnis von Normverletzung und Pflichtverletzung Da die Verhaltensnorm nach der hiesigen Ansicht immer kontext- und adressatenspezifisch ist, stehen Verhaltensnorm und Pflicht nicht einfach in einem Ableitungsverhältnis in dem Sinne, dass die konkret-individuelle Pflicht aus einem abstrakten, von der konkreten Gestaltung des Rechtsverhältnisses des Betroffenen losgelösten Verbot oder Gebot abgeleitet wird.11 Vielmehr wird hier als Verhaltensnorm diejenige Norm bezeichnet, die der konkreten Pflichtverletzung zugrunde liegt; die konkrete Pflichtverletzung korrespondiert dann mit der kontext- und adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm.12 Gegen das hier skizzenhaft formulierte Verständnis der kontext- und adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm und ihrer Bestimmung hat Kindhäuser ein anderes Modell von Normverletzung entwickelt, wonach eine Normverletzung erst ex post und rein objektiv bestimmt werden kann.13 Bei der Feststellung der Normverletzung handele es sich nur darum, „ob das Verhalten die Eigenschaft aufweist, einen Erfolg verursacht zu haben“.14 Allein eine so verstandene abstrakte, von der subjektiven Fähigkeit des Norm­ adressaten unabhängige Normverletzung kann ersichtlich nicht die strafrechtliche Zurechnung, die notwendig die subjektive Fähigkeit zur Befolgung der Norm mitberücksichtigt, legitimieren. Deshalb entwickelt Kindhäuser eine von der Normverletzung streng getrennte Kategorie der PflichtVerhaltensnorm, S. 102, der aber an der Differenzierung zwischen einer abstrakten Norm und einer konkreten Pflicht festhält (ebd., S. 96). 10  Freund/Rostalski, GA 2020, 620. Noch konsequenter Robles Planas, FS-Kindhäuser, S. 401, 404, wonach das aus dem Strafgesetz abgeleitete „abstrakte Programm“ ein Bewertungsurteil und keine Norm ist. 11  Wohl aber Armin Kaufmann, Dogmatik, S.  7  f.; Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 138. 12  Wohl auch Robles Planas, FS-Kindhäuser, S. 400: „die Pflichtdimension [ist] ein unverzichtbares Moment jeder echten Norm“. 13  Kindhäuser, Gefährdung, S. 53. 14  Kindhäuser, Gefährdung, S. 53.

256

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

verletzung. Bei der Pflichtverletzung geht es um die Frage, ob das normwidrige Verhalten dem Täter auch zugerechnet werden könne. Das sei dann der Fall, wenn „er die korrespondierende gesollte Verhaltensalternative um der Erfolgsvermeidung bzw. -verhinderung willen hätte ergreifen können“.15 Die Pflicht müsse „induktiv“ bestimmt werden, d. h. „was getan oder unterlassen werden muss, damit das Gesollte eintritt oder ausbleibt, kann nur […] ex ante […] prognostiziert werden“.16 Das Modell von Kindhäuser stößt indessen in mehrerer Hinsicht auf Bedenken. Die Normverletzung wird bei ihm schlicht auf einen vom Recht negativ zu bewertenden Zustand reduziert. Sie beschreibt nur ein Verbotenes.17 Wenn man aber wie hier davon ausgeht, dass die Norm nicht eine von dem Normadressaten getrennte, über ihm stehende Instanz, sondern eine vernünftige Leistung eines autonomen Normadressaten ist, kann man die Normverletzung nicht als einen rechtlich negativ zu bewertenden Zustand begreifen, sondern muss sie als eigene Leistung des Normadressaten gegen eine von ihm selbst gesetzte und anerkannte Norm betrachten.18 Die Norm wird von dem Normadressaten als Subjekt konstituiert und muss auch dessen subjektive Handlungsfähigkeit berücksichtigen. Darüber hinaus kann eine abstrakte Norm, die nur einen unerwünschten negativen Zustand beschreibt und eine Normverletzung ex post zuschreibt, gar keine Funktion der Handlungsorientierung entfalten, weil der konkrete Pflichtinhalt zum Zeitpunkt des Handelns von einem solchen Normbegriff überhaupt ausgeklammert wird.19 Was der Handelnde im Einzelfall tun und unterlassen muss, um die Aufforderung der kontext- und adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm zu erfüllen, muss für den Handelnden ex ante feststellbar sein. Was aber ex ante festgestellt werden kann, ist nur Ausführung oder Nichtausführung einer bestimmten Handlung in Richtung auf einen bestimmten Erfolg, nicht aber dieser Erfolg an sich oder dessen Verursachungsverlauf.20 Die kontext- und adressatenspezifisch konkretisierte Verhaltensnorm lautet etwa: „Wirf keinen Stein in Richtung auf ein fremdes Fenster!“ Und die entsprechende Pflicht ist: „Unterlassen des Werfens eines Steins in Richtung darauf.“ Ohne die kontext- und adressatenspezifisch konGefährdung, S. 53. Gefährdung, S. 59. 17  Zutreffend Robles Planas, FS-Kindhäuser, S. 395. Vgl. auch Freund/Rostalski, GA 2018, 266 Fn. 8. 18  Kritisch zur Vernachlässigung der Dimension des Subjekts auch Renzikowski, Gegenstand, S. 635. 19  Renzikowski, Gegenstand, S. 635; Robles Planas, FS-Kindhäuser, S. 395. 20  Zur Handlung als Hauptgegenstand der Verhaltensnorm Frisch, Verhalten, S.  71 f.; Robles Planas, FS-Kindhäuser, S. 395 f.; Renzikowski, Gegenstand, S. 636, 638 ff. 15  Kindhäuser, 16  Kindhäuser,



A. Die Handlungs- und Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft 257

kretisierte Verhaltensnorm kann die konkrete Pflicht nicht festgestellt werden; Pflichtinhalt und Pflichtverletzung sind insoweit entgegen Kindhäuser von der kontext- und adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm abhängig. 3. Der Taterfolg als Teil der Straftat und Richtpunkt der Verhaltensnorm Neben der Handlung hat aber der Taterfolg eine konstruktive Bedeutung für die Straftat und deren Unrecht. Das ergibt sich bereits aus dem Unrechtsbegriff: Unrecht ist die Verletzung eines Rechtsverhältnisses zum Opfer. Folglich muss die Handlung des Täters einen negativen Einfluss (Erfolg) auf die fremde Rechtssphäre ausüben, damit von einer Rechtsverhältnisverletzung die Rede sein kann.21 Darüber hinaus ist ein Erfolg im Kontext einer interpersonalen Rechtsbeziehung nicht nur ein naturhaft wahrnehmbarer Sachverhalt, ein schlichtes Dasein, sondern die Verwirklichung einer rechtlichen oder unrechtlichen Maxime eines endlich-vernünftigen Subjekts durch seine Handlung. Das Erfolgsunrecht kann vor diesem Hintergrund als Verwirklichung eines Handlungsunrechts interpretiert werden.22 Es ist ein integraler Teil der Handlung.23 Daraus folgt, dass der Taterfolg als die äußere Gestalt einer Unrechtsmaxime ein notwendiger Teil der Straftat ist und somit auf das Unrecht dieser Straftat Einfluss nehmen muss.24 Nun hat sich eine Verhaltensnorm, die auf die Freiheitsverwirklichung des Einzelnen abzielt, auch die Vermeidung der Freiheitsbeeinträchtigung zu eigen zu machen. Dass der Taterfolg ein Teil der Verhaltensnorm ist, ist aber nicht unstreitig. Frisch etwa ist der Auffassung, dass der Mensch zum Zeitpunkt des Handelns nur seinen eigenen Körper beherrschen kann, nicht aber, ob der Erfolg stattfindet. Die Verhaltensnorm, die die Handlungsgrenze bestimme, könne ex ante somit nur eine gefährliche Handlung verbieten. Dagegen betreffe die Erfolgszurechnung die Sanktionsvoraussetzung und die Strafwürdigkeit, die der Sanktionsnorm unter dem Aspekt einer Ex-post-Beurteilung vorbehalten seien.25 In der Tat kann ein Handelnder zum Zeitpunkt 21  Zu

diesem weiten Erfolgsbegriff Köhler, AT, S.  26 f. GK, § 23 Rn. 100. 23  In diesem Sinne bereits Hegel, Rechtsphilosophie, § 118: „Die Handlung ferner als in äußerliches Dasein versetzt, das sich nach seinem Zusammenhange in äußerer Notwendigkeit nach allen Seiten entwickelt, hat mannigfaltige Folgen. Die Folgen, als die Gestalt, die den Zweck der Handlung zur Seele hat, sind das Ihrige (das der Handlung Angehörige).“ 24  A. A. bekanntlich Zielinski, Unrechtsbegriff, S.  128  ff., ausdrücklich S. 200, 204. 25  Frisch, Verhalten, S. 510 f., 516, 541 ff. 22  Murmann,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

des Handelns nur seinen eigenen Körper, nicht aber den konkreten Taterfolg beherrschen. Dementsprechend kann die Verhaltensnorm ex ante auch nur eine menschliche Handlung, nicht einen zukünftigen Erfolg verbieten oder gebieten.26 Ob dieser Erfolg stattfindet und ob er als Verwirklichung der Handlung angesehen werden kann, kann nur unter einem Ex-post-Betrachtungsaspekt beurteilt werden. Damit wird die These von Frisch bestätigt: Die Verhaltensnorm folgt einer Ex-ante-Beurteilungsperspektive, während bei der Sanktionsnorm eine Beurteilung ex post erfolgt. Für beiden Normenkategorien gelten unterschiedliche Beurteilungsprinzipien. Diese berechtigte Unterscheidung darf aber nicht dazu führen, dass die Verhaltensnorm schlicht ein Gefährdungsverbot ohne Erfolgsbezug wäre. Der Handelnde als endliches Vernunftwesen kann ex ante zwar die Weiterentwicklung seiner Handlung nicht detailliert vorhersehen, aber mit seinem Wissen um Naturgesetze doch die Handlung in Richtung auf den Erfolg steuern. Die Verneinung dieser Steuerungsmacht in Richtung auf einen bestimmten Erfolg würde die Infragestellung des technisch-praktischen Vermögens der Person bedeuten und die Grundlage der gesamte Strafzurechnung zerstören.27 Die Handlung wird gerade nicht um ihrer selbst willen unternommen, sondern bezweckt einen bestimmten Erfolg. Dementsprechend verbietet eine Verhaltensnorm nur deshalb eine Handlung, weil deren Ausführung ein Potential zur Herbeiführung eines Unrechtserfolgs innehat. Die Gefährlichkeit einer Handlung und deren Verbot erlangt dementsprechend nur dann einen Sinn, wenn sie sich auf eine Rechtsverletzung als Unrechtserfolg beziehen. Verhaltensnorm und von ihr verbotene oder gebotene Handlung sind somit immer erfolgsgerichtet.28 Die Verhaltensnorm ist zwar nicht in der Lage, ex ante einen konkreten, erst in der Zukunft möglicherweise stattfindenden Erfolg zu verbieten. Der Erfolgsbegriff kann aber als abstrakter Richtpunkt in die Verhaltensnorm eingebettet sein,29 kann also beispielsweise die „Nichtteilnahme an einer gefährlichen Schlägerei in Richtung auf eine Verletzung fremder Körperintegrität“ gebieten. Bei der Formulierung des Inhalts der Verhaltensnorm sei dieser Erfolgsbezug explizit aufzuzeigen, damit der Handelnde zum Zeitpunkt des HanVersuchsunrecht, S.  8 f. GA 2014, 78. 28  Auch Frisch, Verhalten, S. 512 Fn. 17 betont, dass zwischen tatbestandsmäßigem Verhalten und Erfolg „in mehrfacher Hinsicht Wechselwirkung [bestehe]“. Der tatbestandsmäßige Erfolg lege „ganz allgemein (über das entsprechende Erfolgs­risiko) die missbilligte Handlungsdimension“ fest. Und nur solches Verhalten, „das im Blick auf das normative Gefüge der Verantwortungsbereiche die Haftung gerade auch für den eingetretenen Erfolg adäquat erscheinen lässt“, sei als tatbestandsmäßiges Verhalten anzusehen. Nach Frisch ändere „diese Harmonisierung“ von tatbestandsmäßigem Verhalten und Erfolg aber nichts daran, dass beide Kategorien „unterschiedlichen Leitprinzipen folgen“. 29  Seher, FS-Frisch, S. 216. 26  Murmann, 27  Zaczyk,



A. Die Handlungs- und Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft 259

delns weiß, welche gefährliche Handlung er doch vornehmen darf und welche nicht, weil sie zu einem bestimmten Unrechtserfolg führen könnte.30

III. Straftheoretische Bestimmung des tatbestandsmäßigen Unrechts einer Straftat Die Erkenntnisse, die aus der rechtsphilosophischen und normentheoretischen Analyse des Begriffs der Straftat erlangt worden sind, sollen nunmehr straftheoretisch weiter konkretisiert werden. 1. Bestimmung des tatbestandsmäßigen Verhaltens Im ersten Schritt soll ex ante beurteilt werden, ob die fragliche Handlung von einer Verhaltensnorm, die dem betreffenden Tatbestand zugrunde liegt und die Handlungsgrenze im konkreten Rechtsverhältnis bestimmt, abweicht.31 Die überwiegende Meinung, die – im Gewand der Lehre von der objektiven Zurechnung – in diesem Zusammenhang eine rechtlich missbilligte Gefahrschaffung fordert, ist zwar nicht falsch, aber unpräzise.32 Denn „rechtliches Missbilligen“ kennzeichnet allenfalls die Verletzung irgendeiner Verhaltensnorm, ohne aber den Inhalt dieser Verhaltensnorm präzise aufzuzeigen. Die präzise Formulierung und Feststellung des konkreten Inhaltes der Verhaltensnorm ist indessen im Hinblick auf die Orientierungsfunktion der Verhaltensnorm unerlässlich, denn eine Handlung könnte unterschiedliche Risikodimensionen enthalten und nicht jede Verletzung einer Verhaltensnorm begründet eine missbilligte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg. Der Handelnde muss ex ante wissen, ob seine Handlung eine unerlaubte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg schaffen wird. Wer etwa einem unbefugten Dritten eine Schusswaffe verschafft und damit diesen Dritten in die Lage versetzt, mit der Schusswaffe ein Tötungsdelikt zu begehen, schafft zwar eine unerlaubte Gefahr in Richtung darauf, dass der Dritte mit dieser Schusswaffe leichter eine Straftat begehen könnte, aber keine Gefahr in Richtung auf das Leben des Opfers dieses Tötungsdelikts. 30  Das ist auch im Hinblick auf die Orientierungsfunktion der Verhaltensnorm und aufgrund des Gesetzlichkeitsprinzips von Art. 103 II GG geboten, siehe Seher, FS-Frisch, S.  216 f. 31  Frisch, GA 2017, 371 f.; 2018, 561 f.; Freund/Rostalski, GA 2018, 266 ff.; Robles Planas, FS-Kindhäuser, S. 398. 32  Weitere Gründe für eine selbständige Kategorie des tatbestandsmäßigen Verhaltens gegenüber der Lehre von der Erfolgszurechnung i. e. S. eingehend Frisch, GA 2018, 561 ff.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Denn wenn hier eine Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg verlangt wird, dann muss die verletzte Verhaltensnorm gerade die Vermeidung dieses tatbestandsmäßigen Erfolgs (des Todes des Opfers) bezwecken. Dies ist aber im Rahmen des Vorsatzdelikts nicht der Fall.33 Ob der unbefugte Dritte mit der Schusswaffe ein Tötungsdelikt begeht oder nicht, ist zum Zeitpunkt des Verschaffens der Schusswaffe von der weiteren freien Entscheidung des Dritten abhängig und deshalb noch nicht festgestellt. Die Rechtsordnung darf zu diesem Zeitpunkt noch darauf vertrauen, dass der unbefugte Dritte trotz des ursprünglichen Tatplans nicht mit dieser Schusswaffe das Opfer töten wird. Der Todeseintritt des Opfers kann daher nicht die Verbotsmaterie der Verhaltensnorm sein, die das Verschaffen der Schusswaffe verbietet. Verbietet die Verhaltensnorm trotz dieser „offenen Entscheidung gegen das Leben des Opfers“ aber bereits das Verschaffen der Schusswaffe, kann sie nicht gerade die Verhinderung der Tötung oder des Todeseintritts, sondern sinnvollerweise nur die Verhinderung der Gefahr bezwecken, dass der unbefugte Dritte mit dieser Schusswaffe leichter die Tötung begehen könnte, also nur die Vermeidung der Erhöhung des Haupttatrisikos.34 Der Schutz33  Die folgenden Überlegungen, die darauf abzielen, bei der Bestimmung des Schutzzwecks der Verhaltensnorm zwischen der Verhinderung des tatbestandsmäßigen Erfolges und der Erhöhung des Haupttatrisikos streng zu unterscheiden, gelten aber aus guten Gründen nicht für Fahrlässigkeitsdelikte. Verschafft der Handelnde einem Unbefugten eine Schusswaffe, ohne aber die Möglichkeit zu bedenken, dass dieser mit der Schusswaffe einen anderen töten werde, ist hier nicht nur eine (straflose) fahrlässige Teilnahme, sondern eine fahrlässige Täterschaft anzunehmen. Denn anders als beim Vorsatzdelikt erstreckt sich der Schutzzweck oder die Reichweite der verletzten Verhaltensnorm, die das Verschaffen der Schusswaffe verbietet, auf die Verhinderung des Todes des Opfers. Die unterschiedliche Bestimmung der Reichweite der verletzten Verhaltensnorm bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten ist nicht inkonsistent (so aber Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 132), sondern ergibt sich zwanglos aus deren unterschiedlichen Handlungsstrukturen. Bei Vorsatzdelikten trifft der Handelnde eine Entscheidung gegen das Rechtsgut, er handelt also im Bewusstsein des Risikos, das der vorzunehmenden Handlung innewohnt, während bei Fahrlässigkeitsdelikten der Handelnde eine bestimmte Risikodimension der Handlung sorgfaltswidrig verkennt oder falsch einschätzt. Gerade in dieser Verkennung oder Fehleinschätzung einer bestimmten Risikodimension der Handlung liegt die missbilligte Gefahrschaffung für das Rechtsgut (das Handlungsunrecht von Fahrlässigkeitsdelikten), die die fragliche Verhaltensnorm vermeiden soll. Daraus folgt, dass die Reichweite der Verhaltensnorm bei Vorsatzdelikten enger und präziser, während sie bei Fahrlässigkeitsdelikten extensiver zu bestimmen ist. Dementsprechend kann jede zurechenbare Gefahrschaffung die fahrlässige Täterschaft begründen, hier ist also richtigerweise von einem extensiven Täter- oder Tatbegriff auszugehen. Vgl. nur LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 240 m. w. N. Für einen restriktiven Tatbegriff bei Fahrlässigkeitsdelikten aber Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 132; SK/Hoyer, § 25 Rn. 152. 34  Mit den traditionellen Kriterien von Adäquanz oder Vorhersehbarkeit könnte man nur schwer zum gleichen Ergebnis gelangen. Denn dass der Dritte mit der ihm



A. Die Handlungs- und Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft 261

zweck der verletzten Verhaltensnorm begründet dementsprechend bereits den Kern der Bestimmung des tatbestandsmäßigen Verhaltens35 und ist nicht erst unter der Frage des Gefahrverwirklichungszusammenhangs oder der Erfolgszurechnung zu thematisieren.36 2. Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs zum tatbestandsmäßigen Verhalten Wird eine Abweichung von der Verhaltensnorm, die auf Vermeidung des tatbestandsmäßigen Erfolgs abzielt, festgestellt, schafft der Handelnde durch seine Handlung eine rechtlich unerlaubte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg. Weiterhin ist ex post zu prüfen, ob sich diese Gefahr auch im konkreten Erfolg verwirklicht. Nur wenn der konkret eingetretene Erfolg tatsächlich als Verwirklichung des zuvor festgestellten tatbestandsmäßigen Verhaltens zu begreifen ist, kann dieser Erfolg als Teil des tatbestandsmäßigen Verhaltens betrachtet und ihm zugerechnet werden. In diesem Zusammenhang spielt die Frage des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs eine entscheidende Rolle. Denn der konkrete Erfolg könnte sich aus der Ex-postBeurteilungsperspektive ja nur als Verwirklichung eines anderen erlaubten Risikos darstellen.37 Die Verletzung der Verhaltensnorm führt dann bei Vorliegen von Vorsatz nur zur Versuchsstrafbarkeit. Weil die Abgrenzung der verschafften Waffe ein Tötungsdelikt begehen und dadurch einen Todeserfolg des Opfers auslösen könnte, liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung und kann vom Handelnden, der dem Dritten diese Waffe verschafft, durchaus ex ante vorhergesehen werden. Die begrenzte Leistungsfähigkeit dieser Kriterien kommt gerade in diesem Beispiel deutlich zum Ausdruck. 35  Wie hier wohl Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 261. Ähnlich Matt/Renzikowski, Vor § 13 Rn. 103, der trotz seiner kritischen Haltung gegenüber der Lehre von der objektiven Zurechnung die Bestimmung eines unerlaubten Risikos auf den Schutzgegenstand der Verhaltensnorm stützt. Frisch, Verhalten, S. 84 f. konstatiert zwar überzeugend, dass es sich hier nur um den konkreten Inhalt der von der betroffenen Verhaltensnorm missbilligten Gefahr handelt, kritisiert den Schutzweckgedanken aber dahingehend, dass er entweder nichtssagend oder nicht geeignet sei, diesen Inhalt zu konturieren oder ihm eine sachliche Grundlage zu verleihen. Ob der Gedanke des Schutzzwecks der Norm so unbestimmt ist, steht und fällt freilich nur damit, ob bei der Bestimmung des Schutzzwecks transparente und überprüfbare Begründungen gegeben werden. 36  Vgl. aber die überwiegende Meinung Jescheck/Weigend, AT, S. 288; Kaspar, AT, § 5 Rn. 85; LK13/Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 95; Rengier, AT, § 13 Rn. 50, 75; Roxin/ Greco, AT I5, § 11 Rn. 84 ff.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, Vor §§  13 ff. Rn. 65; Schönke/Schröder/Eisele, Vor § 13 Rn. 95; SK/Jäger, Vor § 1 Rn. 100, 108. 37  Zu dieser Ratio des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges Frisch, Verhalten, S. 534; Murmann, GK, § 23 Rn. 102. Dagegen aber Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§  13 ff. Rn. 99a.

262

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Beteiligungsformen im Grundsatz die Frage der Abgrenzung des Handlungsund Verantwortungsbereichs zwischen mehreren Beteiligten ist und damit auf der Ebene der Bestimmung der Verhaltensnorm angesiedelt ist, nicht aber die Frage berührt, ob die von ihnen geschaffenen Gefahren auch verwirklicht werden oder nicht, sei die Problematik des Pflichtwidrigkeitszusammenhang hier nicht weiter verfolgt. 3. Zwischenergebnis Das objektiv tatbestandsmäßige Unrecht beim vollendeten Vorsatzdelikt wird wie folgt umrissen: Wenn der Handelnde selbstbestimmt und bewusst eine Entscheidung gegen die Verhaltensnorm, die gerade die Vermeidung des tatbestandsmäßigen Erfolgs bezweckt, getroffen und durch seine Handlung eine Gefahr in Richtung auf diesen tatbestandsmäßigen Erfolg geschaffen hat, handelt er ex ante pflichtwidrig und verwirklicht das im Tatbestand vertypte Handlungsunrecht (tatbestandsmäßiges Verhalten). Steht der äußere Erfolg weiterhin mit dem tatbestandsmäßigen Verhalten in einem Pflichtwidrigkeitszusammenhang, ist der Erfolg ex post als Verwirklichung des zuvor geschaffenen unerlaubten Risikos dem tatbestandsmäßigen Verhalten zuzurechnen (tatbestandsmäßige Erfolgszurechnung). Der Erfolg einschließlich der Handlung wird letztlich dem Handelnden zugerechnet; erst dann ist er Urheber des tatbestandsmäßigen Erfolgs und als Täter für die Verletzung des Rechtsverhältnisses zum Opfer verantwortlich.

B. Täterschaft als Verwirklichung der im Tatbestand vertypten Rechtsverhältnisverletzung I. Vorüberlegungen: Die Besonderheit des Beteiligungsverhältnisses Das obige Verständnis der Straftat und des darin verkörperten Unrechts ist zunächst orientiert an der Alleintäterschaft entwickelt worden, bei der nur das Rechtsverhältnis zwischen einem Täter und dem Opfer betroffen ist. Bei dem Beteiligungsverhältnis handelt es sich demgegenüber darum, dass an einer Rechtsgutsverletzung mehrere Beteiligte mitwirkend teilgenommen haben.38 Der eine verschafft etwa dem anderen einen Schlüssel, ohne den der andere gar nicht ins Haus des Opfers einbrechen könnte. Oder sie vereinbaren, zusammen einzubrechen und arbeitsteilig die dortigen Wertgegenstände wegzunehmen, damit diese Straftat für den einzelnen Beteiligten leichter zu 38  Zum

Folgenden eindringlich Köhler, AT, S.  488 ff.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung263

begehen ist. Wenn jemand seine Hände nicht schmutzig machen möchte, kann er gegen Zahlung einen anderen beauftragen, den ihm verhassten politischen Feind zu töten, und wenn dieser andere das verweigert, kann er ihn durch Drohung oder Nötigung dazu zwingen. Die Beteiligten können sich einseitig oder gegenseitig die Handlung eines anderen Beteiligten zur Verwirklichung der eigenen Unrechtsmaxime zu eigen machen, um die physisch oder psychisch begrenzten Handlungsmöglichkeiten eines Beteiligten zu erweitern.39 Diese sehr abstrakte und allgemeine Beschreibung der Besonderheit des Beteiligungsverhältnisses ist im Folgenden handlungstheoretisch weiter zu erläutern. 1. Die individuelle Dimension der Beteiligungshandlung als autonome Entscheidung Wie bei der Alleintäterschaft kann ein Beteiligter nur durch seine Handlung sein Rechtsverhältnis zum Opfer gestalten. Somit muss seine Beteiligungshandlung auf seine eigene freie Entscheidung gegen eine weiter zu konkretisierende Verhaltensnorm, die das Rechtsgut des Opfers vor dem Angriff schützt, zurückgeführt werden. Dem liegt der banale Gedanke zugrunde, dass jeder nur für sein eigenes Fehlverhalten und für eigenes Unrecht verantwortlich ist.40 Das kommt unmissverständlich auch in § 29 StGB zum Ausdruck: „Jeder Beteiligte wird ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft.“ Eine Besonderheit gegenüber der ­Alleintäterschaft besteht nur insoweit, als der Beteiligte einen fremden Verletzungswillen freiwillig einschließt und dadurch die eigene Unrechtsmaxime verwirklicht. Beteiligung ist in dieser Hinsicht als freie Willensvermittlung bzw. Willenseinschließung der Beteiligten zu begreifen.41 Daraus folgt aber erstens, dass die Handlung eines Beteiligten nicht naturgesetzmäßig durch die Handlung eines anderen Beteiligten bedingt ist, sondern durch die freie Willensvermittlung zwischen diesen Beteiligten zum Ausdruck kommt.42 Zweitens: Wenn ein Beteiligter nicht fähig ist, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen, können die Beiträge, die von anderen Beteiligten durch ihre Beteiligungshandlung geleistet werden, mangels eines durch freie Willenseinschließung entstehenden Beteiligungsverhältnisses nicht dem Unschuldigen zugerechnet

39  Zur Beteiligung als Erweiterung der Handlungsmacht des Beteiligten Köhler, AT, S. 491. 40  Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 295 f. 41  Zur Beteiligung als Willensvermittlung durch andere Köhler, AT, S.  489 f. 42  Köhler, AT, S. 489; Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 639. Vgl. auch Bloy, ZStW 117 (2005), 13; Orozco López, Beteiligung, S. 164 f.

264

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

werden.43 Das verhindert aber nicht, dass die von diesem Unschuldigen erbrachte Leistung demjenigen zuzurechnen ist, der den Unschuldigen zur Verwirklichung seiner eigenen Unrechtsmaxime selbst­ bestimmt in Dienst nimmt. 2. Die soziale Handlungsdimension der Beteiligungshandlung Wird die Handlung eines anderen Beteiligten in den Inhalt der eigenen Unrechtsmaxime einbezogen, dann muss die eigene Beteiligungshandlung als Verwirklichung der eigenen Unrechtsmaxime notwendig von der Handlung dieses anderen Beteiligten mitgeprägt werden. In Hinblick auf den noch weiter zu bestimmenden sozialen Verletzungssinn handelt der eine Beteiligte nicht nur für sich selbst, sondern auch für den anderen.44 In diesem Sinne solidarisieren sich die Beteiligten miteinander45 und richten ihr Handeln auf ein gemeinsames Ziel, die Rechtsstellung des Opfers zu verschlechtern. Aus der Perspektive des Opfers liegt es auch nicht fern, dass die Beteiligten nicht isoliert, sondern gleichsam als eine Unrechtsgemeinschaft im groben Sinn sein bestimmtes Daseinselement angreifen. Das so verstandene Beteiligungsverhältnis kann unschwer die Beteiligungsformen wie Mittäterschaft und Beihilfe sowie Anstiftung erfassen. Denn die freie Arbeitsteilung bei der Tatbestandsverwirklichung kennzeichnet gerade die Mittäterschaft. Aber auch Beihilfe und Anstiftung lassen sich mit dem solidarischen Angriff auf das Rechtsgut des Opfers erklären. Auch hier ist eine freie Entscheidung gegen das Rechtsgut des Opfers getroffen worden. Der Unterschied zur Täterschaft besteht nur darin, dass bei diesen beiden Beteiligungsformen der Angriff auf das Rechtsgut vermittelt über den Willen und die Handlung des Täters erfolgt. Anders verhält es sich allerdings bei den meisten Fällen der mittelbaren Täterschaft, bei denen seitens des 43  Vgl. auch Jakobs, FS-Yamanaka, S. 109. In dieser Hinsicht spricht Jakobs, System, S. 79 nicht ohne Recht von der Beteiligung als Sinnvermittlung und filtert konsequent die mittelbare Täterschaft aus dem Begriff der Beteiligung heraus (ebd., S. 74 ff.), weil ihm zufolge eine mittelbare Täterschaft nur dann anzunehmen ist, wenn der Vordermann rechtlich nicht verantwortlich ist und rechtlich wie eine Natur zu behandeln sei. Eine Natur sei aber beteiligungsunfähig (ebd., S. 78). Ob die mittelbare Täterschaft ein Verantwortungsdefizit beim Vordermann voraussetzt (sog. Verantwortungsprinzip), soll hier aber vorläufig unentschieden bleiben. Gegen die Allgemeingültigkeit des Verantwortungsprinzips zur Abgrenzung der Beteiligungsformen siehe aber folgend S. 343 ff. 44  Deutlich bei Jakobs, Theorie, S. 18; ders., FS-Yamanaka, S. 110. 45  Zum Gedanken der Solidarität zwischen Beteiligten als möglichem Modell zur Erklärung des Wesens der Beteiligung Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 639. Zuvor bereits zur Erklärung des Teilnahmeunrechts Schumann, Handlungsunrecht, S. 49 ff., insb. 50 f.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung265

Vordermanns ein rechtliches Verantwortlichkeitsdefizit gegeben ist. Die Gründe für dieses Defizit sind vielfältig. Fehlt beim Vordermann die Schuldfähigkeit, ist er nicht in der Lage, sich selbstbestimmt mit den anderen Beteiligten zu solidarisieren. Gleiches gilt aber im Fall von Wissensmängeln, etwa wenn der Vordermann nicht vorsätzlich oder im Erlaubnistatbestandsirrtum handelt. Denn in diesem Fall kennt der Vordermann den sozialen Sinn seiner Handlung gar nicht; von einer Unrechtsgemeinschaft mit den anderen Beteiligten in Richtung auf eine Rechtsverletzung des Opfers kann hier folglich auch nicht die Rede sein. Das alles spricht dafür, solche Fälle von mittelbarer Täterschaft aus dem Beteiligungsverhältnis auszuschließen.46 Ist der Hintermann für dieses Verantwortlichkeitsdefizit zuständig, indem er etwa den Vordermann täuscht oder zwingt, stellt der Vordermann ein menschliches Werkzeug für den Hintermann dar, ähnlich wie wenn der Hintermann ein naturhaftes Werkzeug zur Tatbestandsverwirklichung einsetzt. Die Unrechtsstruktur der Handlung des Hintermanns ist somit mit der der unmittelbaren Täterschaft vergleichbar.47 Erkennt man indes die Rechtsfigur des Täters hinter dem Täter an,48 d. h. dass der Hintermann auch dann als mittelbarer Täter zu bestrafen ist, wenn der Vordermann ohne Verantwortlichkeitsdefizit handelt, lässt sich diese Konstellation auch als ein Beteiligungsverhältnis begreifen. Denn dabei wird die Verletzungsmacht des Hintermanns vermittelt durch eine freie Willenseinschließung des Vordermanns in die Rechtsverletzung des Opfers verwirklicht. Diese so gekennzeichnete Solidarität mit fremdem Unrechtsverhalten durch eigene freie Beteiligungshandlung kann normativ nicht ohne Wirkung bleiben. Ihre normative Relevanz besteht darin, dass die Einbeziehung des Beteiligungsverhaltens eines anderen in die eigene Handlungsmaxime und deren Verwirklichung dazu zwingt, bei der Bestimmung des Inhalts der Verhaltensnorm und der Pflichtstellung des einzelnen Beteiligten zum Opfer notwendig das Verhalten der anderen Beteiligten mit zu berücksichtigen49 und die Zurechnung fremden Handelns oder fremden Unrechts zu ermöglichen. Die entscheidende Frage für die Beteiligungslehre lautet, ob sich die Verhaltensnorm, die sich an den einzelnen Beteiligten als Normadressaten richtet, und deren Schutzzweck unter Berücksichtigung der Beteiligungshandlung anderer tatsächlich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg erstreckt, auch wenn der einzelne Beteiligte phänomenologisch keine tatbestandsmäzutreffend Jakobs, System, S. 78; ders., FS-Yamanaka, S. 108 f. diesem Kontext hat die Behauptung, dass der Unterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft nur phänomenologischer Natur sei, ein gewisses Recht (Jakobs, Theorie, S. 39: „ein verkappter Fall des Selbst-Begehens“; NK/Schild, § 25 Rn. 81; einschränkend Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 3). 48  Siehe unten S. 343 ff. 49  Köhler, AT, S.  490 f. 46  Insoweit 47  In

266

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

ßige Handlung vornimmt. Der Begriff der Beteiligung ergänzt somit nur das interpersonale Rechtsverhältnis zum Opfer bei Alleintäterschaft um die Dimension eines interpersonalen Rechtsverhältnisses zwischen mehreren Beteiligten, stellt aber die zuvor herausgearbeitete Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Alleintäterschaft, nämlich die Bestimmung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens und die tatbestandsmäßige Erfolgszurechnung, nicht grundlegend in Frage.50 3. Zur Notwendigkeit einer Beteiligungsformenlehre Die Besonderheit der Beteiligung, dass alle Beteiligten „solidarisch“ oder vermittelt über das Verhalten des anderen das bestimmte Rechtsgut des Opfers angreifen, ermöglicht zwar, dass der einzelne Beteiligte sich nicht von der Verletzungshandlung der anderen Beteiligten distanzieren kann und für die dadurch ausgelöste Rechtsgutsverletzung mitverantwortlich ist, auch wenn er die Handlung nicht eigenhändig ausführt. Daraus ergibt sich freilich noch lange nicht, dass alle Beteiligten in Hinblick auf die Rechtsgutsverletzung unabhängig von ihrem konkret geleisteten Beitrag rechtlich als Täter gleich zu behandeln wären, wie es das Modell der Einheitstäterschaft getan hat. Nach dem Modell der Einheitstäterschaft reicht jeder zurechenbare Beitrag für die Täterschaft aus und die mögliche Differenzierung nach dem Beitragsgewicht ist erst bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.51 Gegen dieses Modell sprechen aber bereits die gesetzlichen Vorschriften in §§ 25 ff. StGB. Der Gesetzgeber unterscheidet unter dem Oberbegriff der Beteiligung (§ 28 Abs. 2 StGB) ausdrücklich nach den unterschiedlichen Handlungsweisen und Tatbeiträgen zwischen Täter (§ 25 StGB), Anstifter (§ 26 StGB) und Gehilfe (§ 27 StGB). Bei Beihilfe sieht der Gesetzgeber sogar eine obligatorische Strafmilderung vor (§§ 27 Abs. 2; 49 Abs. 1 StGB), die das geringeres Unrecht der Beihilfe gegenüber den anderen Beteiligungsformen deutlich zum Ausdruck bringt.52 Aber auch in Hinblick darauf, dass die Rechtsfolge der Anstiftung rechtlich der der Täterschaft gleichgestellt wird, lässt sich insoweit nur schwer von einem Modell der Einheitstäterschaft ausgehen.53 Denn die akzessorische Gestaltung der Anstiftung, der zufolge die Anstiftungsstrafbarkeit eine fremde rechtswidrige Haupttat voraussetzt, kennzeichAT, S. 491. nur Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 2. 52  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 2. 53  So aber Rotsch, GS-Heine, S. 312, der angesichts dieser Gleichstellung insoweit ein Modell von Einheitstäterschaft und nur bezüglich der obligatorisch zu mildernden Beihilfestrafe ein differenzierendes Modell konstatiert. Insgesamt handelt es sich bei dem deutschen Beteiligungssystem nach Rotsch um ein „Hybridsystem“. Gegen Rotsch und wie hier Schünemann, FS-Roxin II, S. 815. 50  Köhler, 51  Vgl.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung267

net bereits die sekundäre Verantwortung der Teilnahme gegenüber der selbständigen Täterschaft. Aber auch de lege ferenda gibt es sachliche Gründe für ein differenzierendes Modell. Erstens liegt dem traditionellen Modell der Einheitstäterschaft das überholte Verständnis von Unrecht als kausaler Herbeiführung einer Schutzobjektsbeeinträchtigung zugrunde,54 dem zufolge alle kausalen Beiträge gleichwertig den Tatbestand verwirklichen. Dass dieses kausale Unrechtsverständnis im Vergleich zum normativen Verständnis der Rechtsverhältnisverletzung nicht überzeugend ist, wurde in Hinblick auf den Unrechtsbegriff und Handlungslehren gezeigt und soll hier nicht wiederholt werden. Zweitens führt die Verlagerung einer möglichen Differenzierung auf die Ebene der Strafzumessung zu einer Abschwächung der Orientierungsfunktion der Verhaltensnorm. Wenn nämlich keine rational prüfbaren, theoretisch fundierten Strafzumessungskriterien angeboten werden, die die Vorhersagbarkeit und Stabilität der Strafzumessung garantieren, bleibt das gesamte Strafzumessungsverfahren für die Bürger im Dunkeln. Ein handelnder Bürger kann dann zum Zeitpunkt der Beteiligung den Inhalt der Verhaltensnorm und die Rechtsfolge ihrer Verletzung nicht genau kennen. Demgegenüber ist ein Modell, das eine Differenzierung auf der Ebene des Unrechts vornimmt, in Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot zu bevorzugen, da es die Beteiligungsformen als Unrechtstypen begreift. Das System der Beteiligungsformen muss die unterschiedlichen Handlungsweisen und die darin zum Ausdruck kommenden unterschiedlichen Unrechtsinhalte präzise in den Voraussetzungen der jeweiligen Beteiligungsform reflektieren,55 um sicherzustellen, dass die verbotene Handlungsweise und ihre Rechtsfolge bereits zum Zeitpunkt des Handelns vorhersehbar und im Vergleich zum Modell der Einheitstäterschaft die Gefahr einer Abschwächung der Orientierungsfunktion der Verhaltensnorm wesentlich geringer ist.56

II. Das Verständnis des materiellen Tatbestandsunrechts als Ausgangspunkt für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme Ist ein auf der Ebene des Unrechts differenzierendes Modell aufgrund des Bestimmtheitsgebots unerlässlich, drängt sich weiterhin die Frage nach den Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen auf. Überwiegend wird die Einheitstäterschaft, S.  131 ff. m. w. N. Roxin, TuT, S. 790 Rn. 262. 56  Von größerer Bestimmtheit des differenzierenden Beteiligungssystems spricht auch Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 15. 54  Rotsch, 55  Vgl.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Täterlehre zur Tatbestandslehre gerechnet.57 Danach ist derjenige Täter, der einen bestimmten Tatbestand im Besonderen Teil verwirklicht. Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme wird somit, zunächst formell, vom Verständnis des Tatbestands abhängig gemacht.58 1. Extensiver Täterbegriff und seine Schwäche Wer die Tatbestandsverwirklichung darauf beschränkt, den tatbestandsmäßigen Erfolg zu verursachen, gelangt zwanglos zu einem extensiven Täterbegriff, der Anstiftung und Beihilfe mitumfasst. Denn auch Anstifter und Gehilfe verursachen den tatbestandsmäßigen Erfolg, ohne die tatbestandsmäßige Handlung auszuführen. Die §§ 26, 27 StGB sind aus der Perspektive eines extensiven Täterbegriffs somit nur als Strafeinschränkungsgründe zu verstehen.59 Diesem extensiven Täterbegriff liegt die Bedingungstheorie zugrun­de, wonach alle den tatbestandsmäßigen Erfolg verursachenden Bedingungen rechtlich gleichwertig sind. Weil aber objektiv jede Bedingung gleichzustellen ist, kann die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nicht auf der objektiven, sondern nur auf der subjektiven Ebene erfolgen.60 Der extensive Täterbegriff ist indessen zurückzuweisen. Formell gesehen stößt der extensive Täterbegriff bereits dort an seine Grenze, wo der Tatbestand eine bestimmte Handlungsweise beschreibt und ihr ein unerlässliches Gewicht für das Tatbestandsunrecht zugesprochen wird, insbesondere bei eigenhändigen Delikten. Eine kausale Auslösung des tatbestandsmäßigen Erfolgs reicht hierbei ersichtlich nicht aus. Wer einen anderen zu einer falschen uneidlichen Aussage bestimmt, begeht nicht selbst diese falsche uneidliche Aussage. Die Annahme einer Täterschaft würde in diesem Fall eine Loslösung vom Tatbestand bedeuten.61 Materiell betrachtet vertypt der einzelne Tatbestand im BT eine Rechtsverhältnisverletzung zwischen möglichen Handelnden und Opfern in einem bestimmten Kontext. Täter ist dann derjenige, der das im Tatbestand vertypte Unrecht als Rechtsverhältnisverletzung verwirklicht.62 Ob der Handelnde das im betreffenden Tatbestand vertypte Unrecht verwirklicht, hängt somit nur davon ab, ob zwischen dem Handeln57  Kühl, AT, § 20 Rn. 5; Jescheck/Weigend, AT, S. 643; Roxin, TuT, S. 775 Rn. 231; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 1; Welzel, Strafrecht, S. 98. 58  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§  25 ff. Rn.  3 f. 59  Jescheck/Weigend, AT, S.  649 f. 60  MK4/Joecks/Scheinfeld, Vor § 25 Rn. 8; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 3. 61  LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 25 ff. Rn. 13; NK/Schild, § 25 Rn. 21; Satzger/ Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 3. 62  Murmann, Nebentäterschaft, S. 154 f.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung269

den und dem Opfer ein Rechtsverhältnis vorliegt, das den Gegenstand der dem Tatbestand zugrundeliegenden Verhaltensnorm begründet, und ob der Handelnde in der im Tatbestand vorgesehenen Weise dieses Rechtsverhältnis zum Opfer verletzt (Tatbestandsbezogenheit). Wenn etwa der Tatbestand eine besondere Eigenschaft des Subjekts verlangt, kennzeichnet diese Eigenschaft in der Regel ein besonderes Rechtsverhältnis zum Opfer. Der Inhalt dieses Rechtsverhältnisses und die daraus entspringende Pflichtstellung zum Opfer sowie jene Handlungsweise, die im Tatbestand als Rechtsverhältnisverletzung beschrieben ist, bestimmen dann zusammen das tatbestandsmäßige Handlungsunrecht. Wer etwa ohne die Eigenschaft eines Amtsträgers, der eine Rechtssache leitet oder entscheidet, einen Richter zur Rechtsbeugung anstiftet, hat zwar einen kausalen Beitrag zur Rechtsbeugung geleistet, verwirklicht aber das Tatbestandsunrecht der Rechtsbeugung nicht. Denn nur derjenige, der als Amtsträger zur Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache befugt ist, hat eine besondere Pflichtstellung zum Schutz der Funktionstüchtigkeit der Justiz63 und kann in tatbestandsmäßiger Weise selbständig das Rechtsgut verletzen.64 Würde dem Anstifter ohne Richtereigenschaft bereits wegen seines Kausalbeitrags – der Bestimmung zur Rechtsbeugung – die Handlung eines rechtsbeugenden Richters als eigene Handlung zugerechnet, würde dies bedeuten, dass der Extraneus auch selbständig das Rechtsgut angreifen könnte, was mit dem im Tatbestand vertypten Rechtsverhältnis nicht vereinbar wäre. Die Verhaltensnorm, die in den betreffenden Tatbestand eingegangen ist und deren Verletzung mit Strafe bedroht wird, untersagt nicht irgendeine kausale Verletzung des Rechtsguts als tatbestandsmäßigen Erfolg, sondern nur die Handlungsweisen, die das tatbestandsmäßige Unrechtsverhältnis reflektieren können. Die einseitige Akzentuierung des Erfolgsunrechts ist die Achillesferse des extensiven Täterbegriffs.65 2. Restriktiver Täterbegriff und materielle Tatbestandsauslegung Die Aufforderung, sich bei der Bestimmung der Täterschaft an der Formulierung der tatbestandlich beschriebenen Handlungsweise zu orientieren, entspricht dem Anliegen eines restriktiven Täterbegriffs. Demzufolge begeht der Täter eine Straftat (§ 25 Abs. 1 StGB)66 und „die Tatbestandsbeschreibung [stellt] gleichzeitig eine Beschreibung des Täters“ dar.67 Die BestimAT II, § 25 Rn. 304. Ferner Schünemann, FS-Jung, S. 887. auch Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 300 f. 65  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 3. 66  MK4/Joecks/Scheinfeld, Vor § 25 Rn. 7; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 4. 67  LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 25 ff. Rn. 15. A. A. Robles Planas, FS-San­ cinetti, S. 621 f.: „Die Formulierung der Tatbestände des Besonderen Teils erschöpft 63  Roxin, 64  Vgl.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

mung der Täterschaft hängt somit von der restriktiven Auslegung der im Tatbestand beschriebenen Handlung ab.68 Unter den Vertretern des restrik­ tiven Täterbegriffs besteht insoweit Einigkeit, dass sich Anstiftungs- oder Beihilfehandlungen nicht unter die Handlungsbeschreibung des Tatbestands im BT subsumieren lassen. Solches Handeln verwirklicht nicht den Tatbestand; Anstifter und Gehilfe sind somit nicht Täter, sondern nehmen nur an einer fremden Tat teil.69 Eine Unterstützungshandlung, etwa die Verschaffung einer Schusswaffe, ist gerade keine Tötungshandlung,70 sondern ermöglicht bzw. erleichtert sie nur.71 Trotzdem sind solche Handlungen nach §§ 26, 27 StGB zu bestrafen. §§ 26 und 27 StGB sind somit Strafausdehnungsgründe, die den im BT definierten Umfang der Strafbarkeit erweitern.72 a) Zurückweisung der formell-objektiven Theorie Streitig ist unter den Vertretern des restriktiven Täterbegriffs aber, ob nur derjenige, der selbst eine Straftat begeht (§ 25 Abs. 1 1. Alt. StGB), den Tatbestand erfüllt. Die formell-objektive Theorie, die den restriktiven Täterbegriff als Ausgangspunkt nimmt, orientiert sich bei der Bestimmung der tatbestandsmäßigen Handlung streng am Wortlaut oder Lebenssprachgebrauch der Handlungsbeschreibung im Tatbestand und bejaht diese Frage. Demzufolge könne Täter nur derjenige sein, der das tatbestandsmäßige Verhalten vollständig ausführt.73 Die Stärke dieser Theorie besteht nun ersichtlich darin, dass sie die Täterschaft von eigenhändigen Delikten, bei denen nur derjenige Täter sein kann, der die tatbestandsmäßige Handlung eigenhändig ausführt, ohne Schwierigkeit erklärt. Zugleich ist aber ihre Schwäche und Begrenztheit festzustellen: Eine Täterlehre, die nur auf der Eigenhändigkeit basiert, vermag die beiden anderen im StGB geregelten Formen der Täterschaft, nämlich mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft, nicht zu umfassen. sich in dem Umfassen von strafrechtlich missbilligten Formen der Beteiligung an einer Straftat (sei Letztere ‚täterschaft‘ – oder ‚teilnahme‘ begründend)“, 624. 68  Vgl. auch NK/Schild, § 25 Rn. 21: In der Tat gehe es hier um „eine restriktive Interpretation des Wortlauts der (Straf-)Tatbestände“ und die „Herleitung des Täterbegriffs aus der tatbestandsmäßigen Handlung.“ 69  Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 304; Kühl, AT, § 20 Rn. 3. 70  Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 305. A.  A. Robles Planas, FS-Sancinetti, S. 622: „jeder tötet, dem ein Tod ‚objektiv zugerechnet‘ werden kann.“ 71  Renzikowski, Täterbegriff, S. 125: „Schaffen der […] praktischen Voraussetzung für den unmittelbaren Angriff eines Drittens auf ein Rechtsgut“. Nahestehend auch Mañalich, FS-Puppe, S. 710; Vogel, Norm, S. 89. 72  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 4. 73  Jescheck/Weigend, AT, S. 648.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung271

Insbesondere bei mittelbarer Täterschaft begeht der Täter die Straftat gerade durch einen anderen und führt die tatbestandsmäßige Handlung nicht oder nicht gänzlich aus.74 Gleiches gilt für den Mittäter, soweit er einen Teil der Ausführungshandlung nicht selbst ausführt, sondern arbeitsteilig mit den anderen den Tatbestand verwirklicht. Deshalb wird die formell-objektive Theorie überwiegend als überholt verworfen.75 Um diese beiden Formen der Täterschaft auf der Grundlage des restriktiven Täterbegriffs erfassen zu können, stehen zwei Wege zur Verfügung: Entweder beharrt man darauf, dass nur unmittelbare Täterschaft durch Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung den Tatbestand verwirklicht. Zur Begründung der tatbestandsmäßigen Handlung der mittelbaren Täterschaft und Mittäterschaft bedürfte es dann einer Zurechnung fremden Handelns (extrem restriktiver Täterbegriff). Oder man bestimmt die tatbestandsmäßige Handlung nicht allein streng nach dem Wortlaut bzw. Lebenssprachgebrauch, sondern legt sie materiell unter He­ ranziehung anderer materieller Gesichtspunkte erweiternd aus (sog. gemäßigt restriktiver Täterbegriff und an ihn anschließend materiell-objektive Theorie). b) Extrem restriktiver Täter- oder Tatbegriff Nach dem extrem restriktiven Täterbegriff beschreiben die Tatbestände im BT nur die unmittelbare Täterschaft – mit der Folge, dass nicht nur Teilnahme, sondern auch mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft Strafausdehnungsgründe seien.76 Insoweit hätten §§ 25 Abs. 1 2. Alt. und Abs. 2 kon­ struktive Bedeutung. Wenn die Voraussetzungen für die Annahme beider Beteiligungsformen als Zurechnungsgründe erfüllt sind, wird die Ausführungshandlung des Vordermanns oder anderer Mittäter dem Hintermann oder anderen Beteiligten, die phänomenologisch das tatbestandsmäßige Verhalten nicht oder nicht vollständig selbst ausführen, als eigene Handlung zugerechGK, § 27 Rn. 7. bei Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 51. Heute wird die formell-objektive Theorie indes noch von Freund vertreten (siehe Freund/ Rostalski, AT, § 10 Rn. 36 f.; MK4/Freund, Vor § 13 Rn. 467, 476 f.). In der Tat vertritt er aber nicht die formell-objektive, d. h. sich streng am Wortlaut des Tatbestands orientierende Theorie, sondern m. E. ebenfalls eine materielle-objektive Theorie, insofern er darauf insistiert, dass die Vornahme eines tatbestandsmäßigen Verhaltens nicht „im engen, formal-phänomenologischen Sinne“ (ebd., Rn. 475), sondern „unter Beachtung des Wortlauttatbestands“ (ebd., Rn. 477) „materiell“, d. h. nach den „allgemeinen Kriterien tatbestandsmäßigen Verhaltens“ zu verstehen sei (ebd., Rn. 476). Ob die Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten ein taugliches Abgrenzungskriterium für Beteiligungsformen liefert, kann erst später entschieden werden. 76  Mosenheuer, Unterlassen, S. 70. Siehe bereits Wohlers, ZStW 108 (1996), 81. 74  Murmann,

75  Nachweise

272

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

net, als ob sie selbst das tatbestandsmäßige Verhalten ausgeführt hätten.77 Somit wären auch mittelbare Täter und Mittäter, die die tatbestandsmäßige Handlung nicht vollständig ausführen, normativ dem unmittelbaren Täter gleichgestellt. Demgegenüber geht der gemäßigt restriktive Täterbegriff davon aus,78 dass mittelbare Täter und Mittäter bereits durch ihre eigene Beteiligungshandlung den Tatbestand verwirklichen, wenn auch durch einen anderen bzw. mit den anderen gemeinschaftlich.79 Demzufolge handelt es bei den drei Formen der Täterschaft nur um drei Modi der Tatbestandsverwirklichung. Manche behaupten vor diesem Hintergrund sogar, dass §§ 25 Abs. 1 1. Alt. oder Abs. 2 nur eine deklaratorische Bedeutung hätten.80 aa) Extrem restriktiver Täterbegriff (Mosenheuer, Hoyer) Mosenheuer führt drei Argumente für den extrem restriktiven Täterbegriff ins Feld, die sich letztendlich aber als nicht überzeugend erweisen. Erstens wird behauptet, dass der extreme restriktive Täterbegriff im Vergleich zum gemäßigten widerspruchsfreier sei, weil er für alle Deliktsformen der Vorsatzdelikte einheitlich gelte, während der gemäßigt restriktive Täterbegriff bei eigenhändigen Delikten dazu führt, dass auf einen anderen Täterbegriff ausgewichen werden müsse.81 Diese Kritik am gemäßigt restriktiven Täterbegriff ist leicht zu widerlegen, denn sie kann nicht verallgemeinert werden. Man kann etwa wie Schünemann, ein Vertreter des gemäßigt restriktiven Täterbegriffs, einen monistischen Täterbegriff i. S. v. Herrschaft über den Grund des Erfolgs entwickeln, der für alle Deliktsformen uneingeschränkt gilt. Zweitens wird behauptet, dass der extrem restriktive Täterbegriff im Verhältnis zum gemäßigt restriktiven Täterbegriff „rechtsstaatlich vorzugswürdig“ sei, da dieser Begriff deutlicher zum Ausdruck bringt, dass „über den Wortlaut des § 25 StGB hinaus weitere Täterschaftsformen nicht existieren und auch nicht geschaffen werden dürfen, indem sie in die Deliktsbeschreibungen des Besonderen Teils hineininterpretiert werden“.82 Aber abgesehen davon, dass bisher keine weitere selbständige Täterschaftform über den § 25 77  Trotz aller Begründungsunterschiede in dieser Richtung Beulke/Witzigmann, AL 2012, 253; Matt/Renzikowski/Haas, Vor §§ 25 ff. Rn. 16; Mosenheuer, Unterlassen, S.  69 f.; Renzikowski, Täterbegriff, S. 71; SK/Hoyer, Vor § 25 Rn. 15. Neuerdings für ein extrem restriktives Tatverständnis auch Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 308. 78  Zur Bezeichnung des gemäßigten restriktiven Täterbegriffs MK4/Joecks/ Scheinfeld, Vor § 25 Rn. 11. 79  LK13/Schünemann/Greco, Vor §§  25 Rn. 15; Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 4; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 5. 80  NK/Schild, § 25 Rn. 81 (bei mittelbarer Täterschaft), 133 (bei Mittäterschaft). 81  Mosenheuer, Unterlassen, S. 69. 82  Mosenheuer, Unterlassen, S. 70.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung273

StGB hinaus von den Vertretern des gemäßigt restriktiven Täterbegriffs entwickelt wurde,83 ist die „materielle“ Auslegung der Tatbestandsverwirklichung im Lichte des gemäßigt restriktiven Täterbegriffs nicht unbedingt anfälliger für die begriffliche Entgrenzung der tatbestandsmäßigen Handlung. Das hängt letztendlich von den angebotenen materiellen Kriterien für die Auslegung der tatbestandsmäßigen Handlung ab. Die Gefahr dieser Entgrenzung ist indes auch beim extrem restriktiven Täterbegriff nicht zwingend geringer. Denn zur Begründung der mittelbaren Täterschaft und Mittäterschaft bedarf es nach diesem Täterbegriff auch der Zurechnung fremden Handelns. Soweit der Zurechnungsgrund und der Zurechnungsgegenstand nicht präziser formuliert oder auf eine kausale Zurechnung reduziert werden, läge die Gefahr einer Entgrenzung hinsichtlich der Tatbestandsbezogenheit auf der Hand. Einen absoluten Vorzug des extrem restriktiven Täterbegriffs hinsichtlich der Bestimmtheitsgebot lässt sich somit nicht erkennen.84 Drittens wird konstatiert, dass ein extrem restriktiver Täterbegriff deutlicher zum Ausdruck bringe, dass die unmittelbare Täterschaft die stärkste Form der Täterschaft sei. Die mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft würden zwar rechtlich mit der unmittelbaren Täterschaft gleichgestellt, das ändere aber nichts daran, dass bei diesen beiden Formen der Täterschaft die Verwirklichung des Tatbestands doch von der Handlung eines anderen abhängig gemacht werde.85 Das Argument, dass mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft im Vergleich zur unmittelbaren Täterschaft eine geringere Qualität hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung aufweise, ist ursprünglich von Hoyer entwickelt worden. Dieser argumentiert, dass nur die unmittelbare Täterschaft eine volle Tat­herrschaft in dem Sinne darstelle, dass sie „den letzten tatbestandsmäßigen Kausalbeitrag auf dem Weg zum Erfolg“ erbringe,86 wohingegen mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft „ein Weniger an Tat­herrschaft“ bedeuteten,87 weil es dabei zur Verwirklichung des Tatbestands immer noch einer fremden Verhaltensentscheidung bedürfe.88 Deshalb sei es notwendig, die „unvollständige“ Tat­herrschaft der mittelbaren Täterschaft bzw. Mittäterschaft durch die Zurechnung fremden Handelns auszugleichen, damit sie funktional mit der unmittelbaren Täterschaft gleichzustellen sei.89 Die dahinter stehende Prämisse, dass zwischen unmittelbarer Täterschaft einerseits und 83  Die Nebentäterschaft ist auch ein Unterfall des § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB. Vgl. nur Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 3. 84  So aber Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 308. 85  Mosenheuer, Unterlassen, S. 69. 86  SK/Hoyer, Vor § 25 Rn. 12. 87  SK/Hoyer, Vor § 25 Rn. 14. 88  SK/Hoyer, Vor § 25 Rn. 12 f. 89  SK/Hoyer, Vor § 25 Rn. 14. In diesem Punkt auch Wohlers, ZStW 108 (1996), 81.

274

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft andererseits ein Gefälle der Herrschaftsmacht bestehe, ist normativ allerdings schwierig zu begründen. Diese geringere Herrschaftsmacht der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft resultiert bei Hoyer aus der defizitären Eigenhändigkeit. Insoweit lässt sich eine Annäherung an die formell-objektive Theorie erkennen.90 Der Begriff der Tat­herrschaft kann indes, soweit er ein materielles Kriterium für Tatbestandsverwirklichung und Täterbestimmung sein soll, nicht an die starre Eigenhändigkeit gebunden sein. Versteht man die Tat­herrschaft als Handlungsmacht zur Tatbestandsverwirklichung, ist diese Macht nicht notwendig aus der eigenhändigen Ausführung einer tatbestandsmäßigen Handlung abzuleiten. Denn es ist seit langem bekannt, dass der Hintermann auch durch ein unvorsätzliches „menschliches Werkzeug“ den Tatbestand des Tötungsdelikts verwirklichen kann. Zumindest in diesem Fall sind Eigenhändigkeit und Fremdhändigkeit nur unterschiedliche äußere Begehungsweisen zur Verwirklichung des Tat­ bestands.91 Es ist auch schwierig zu begründen, dass in diesem Fall die Tat­ herrschaftsmacht des Hintermanns in Hinblick auf die Tatbestandsverwirk­ lichung geringer sei als in dem Fall, dass er selbst das Opfer tötet. Die Tat­ herrschaftsmacht nach der Eigenhändigkeit zu bestimmen, reduziert den Begriff der Tatbestandsverwirklichung. Ferner ist dieses reduzierte Verständnis von Tat­herrschaft nicht mit den gesetzlichen Regelungen vereinbar. Nach § 25 Abs. 1 2. Alt. und Abs. 2 „begehen“ auch der mittelbare Täter und der Mittäter die Straftat, wenn auch durch einen anderen oder mit anderen gemeinschaftlich. Sie verwirklichen den Tatbestand genauso wie der unmittelbare Täter. Auf der Grundlage des Tat­ herrschaftsgedankens kann das Begehen einer Straftat nur die Beherrschung der Tatbestandsverwirklichung bedeuten. Demzufolge müssen mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft eine mit der unmittelbaren Täterschaft normativ vergleichbare Herrschaftsmacht erlangen, damit sie rechtlich gleichbehandelt werden können. Die Fremdhändigkeit stellt in dieser Hinsicht nur eine andere Weise zur Erlangung der Tat­herrschaft dar, und zwar im Sinne der Zurechnung fremden Handelns, ohne aber die Tat­ herrschaftsmacht der mittelbaren Täterschaft bzw. Mittäterschaft zu verringern. bb) Notwendigkeit eines restriktiven Tatbegriffs? (Renzikowski, Haas) (1) Darstellung Wie Mosenheuer und Hoyer gehen Haas und Renzikowski von einem sehr engen Verständnis der Reichweite des Tatbestands aus. Sie entwickeln aber 90  MK4/Joecks/Scheinfeld, 91  Freund/Rostalski,

Vor § 25 Rn. 14. AT, § 10 Rn. 3.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung275

einen restriktiven Tatbegriff, der an die Stelle des als ungenau bezeichneten restriktiven Täterbegriffs treten soll.92 Denn letztendlich gehe es bei der Abgrenzung der Beteiligungsformen nur um die restriktiv auszulegende Reichweite des Tatbestands.93 Das Hauptanliegen, einen restriktiven Tatbegriff zu entwickeln, besteht ursprünglich in der Beschränkung jener uferlosen Verantwortlichkeit, die sich aus der Äquivalenztheorie ergeben könnte. Zwar werde zur Beschränkung dieser uferlosen Verantwortlichkeit nicht selten auf die Lehre von der objektiven Zurechnung zurückgegriffen; weil aber auch die Lehre von der objektiven Zurechnung auf der Äquivalenztheorie basiere und nicht geeignet sei, die unterschiedliche Qualität der rechtlich missbilligten Risiken zu unterscheiden,94 sei es geboten, von der Äquivalenztheorie und der Lehre von der objektiven Zurechnung Abschied zu nehmen und eine individualisierende Kausalitätslehre, die zwischen Bedingung und Ursache unterscheidet, zugrunde zu legen.95 Nur diejenige Handlung, die als Ursache und nicht einfach als Bedingung für den tatbestandsmäßigen Erfolg zu begreifen sei, verwirkliche den betreffenden Tatbestand. Dieser individualisierenden Kausalitätslehre liegen die folgenden normentheoretischen Überlegungen zugrunde: Die strafrechtlich bewehrte Verhaltensnorm soll dem Schutz einer Rechtsposition dienen, die sich als ein Rechtsverhältnis darstelle, und zwar als „dreistellige Relation[ ] zwischen zwei Rechtssubjekten und einem bestimmten sachlichen (materiellen oder immateriellen) Substrat“. Das objektive Recht bestimme, „welches Rechtssubjekt kraft seines Willens über dieses Substrat unter Ausschluss der anderen herrsch[t]“.96 Somit kennzeichne das strafrechtliche Unrecht nicht nur „die Eigenschaft eines Geschehens, für den Rechtsinhaber schädlich zu sein“, denn dieser Begriff von Rechtsgutsverletzung sei nicht in der Lage zu erklären, „wodurch der Geschehensverlauf aber definiert sein muss, um der rechtlich anerkannten Güterordnung zu widersprechen“.97 Vielmehr sei das strafrechtliche Unrecht eine „Verletzung des tatbestandlich geschützten Rechts­ verhältnisses“.98 Diese Rechtsverhältnisverletzung sei nicht darin zu erblicken, dass der Täter einen tatbestandlich vorgesehenen Schaden verursacht habe, sondern in der „Beeinträchtigung der Rechtsposition als Recht“, näm-

92  Haas, Theorie, S.  58 ff.; ders., FS-Kirchhof, S.  1370  f.; Matt/Renzikowski/ Haas, Vor §§ 25 ff. Rn. 14 ff.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT, § 47 Rn. 68 ff. 93  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT, § 47 Rn. 24. 94  Haas, Theorie, S. 44 f.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT, § 47 Rn. 99. 95  Haas, Theorie, S. 65 ff.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT, § 47 Rn. 74. 96  Haas, Theorie, S. 60. 97  Haas, Theorie, S.  60 f. 98  Haas, Theorie, S. 64 (Hervorhebung im Original).

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

lich „in der Beeinträchtigung der durch das objektive Recht rechtlich anerkannten Willensmacht des betroffenen Rechtsinhabers“.99 Diese normentheoretische Überlegung soll nun in die Bestimmung der Reichweite des Tatbestands hineinwirken. Ein Täter verletze nur dann durch sein Verhalten als Ursache de facto eine tatbestandlich geschützte Rechtsposition des Opfers oder wirke auf diese Rechtsposition ein, wenn er den Anspruch des Opfers, diese Beeinträchtigung der tatbestandlich geschützten Rechtsposition auszuschließen, verletzt. Das bedeute indes zugleich, dass nur diejenige Handlung, „bei der die Rechtsmacht des beeinträchtigten subjektiven Rechts hinreichend ist, um den Täter den Vollzug dieser Handlung zu untersagen“, den betreffenden Tatbestand de facto verwirkliche.100 Die vom betreffenden Tatbestand beschriebene Tat sei somit „nur das unmittelbare rechtgutsverletzende Geschehen“.101 Die Konsequenzen dieses sehr eng gefassten Tatbegriffs sind auffällig. Danach wäre auch das Tötungsdelikt als ein verhaltensgebundenes Delikt umzuinterpretieren. Denn nur derjenige, der etwa mit einer Schusswaffe auf das Opfer geschossen hat, wirke negativ auf die vom Tötungstatbestand geschützte Rechtsposition des Opfers ein. Genauer: Nur der unmittelbare Täter verwirkliche de facto den betreffenden Tatbestand. Die anderen Akteure, die nicht eine unmittelbar zur Rechtsverletzung führende Handlung ausführen, etwa mittelbarer Täter, Mittäter und Teilnehmer, verwirklichten de facto nicht den Tatbestand und es bedürfte einer zusätzlichen normativen Unrechtsbegründung.102 Demzufolge seien ­ auch § 25 Abs. 1 2. Alt. und Abs. 2 als Strafausdehnungsgründe zu begreifen, die eine Zurechnung der fremden Handlung als eigene erst konstruieren.103 Durch diese „außerordentliche Zurechnung“ würden der mittelbare Täter und Mittäter de jure „so gestellt, als habe er das Verhalten des Vordermanns selbst vollzogen“. Die Begründung der Täterschaft bei diesen beiden Beteiligungsformen sei somit das „Resultat einer Rechtsfiktion“.104 (2) Kritische Würdigung Das ursprüngliche Anliegen des restriktiven Tatbegriffs, die Reichweite des Tatbestands zu beschränken, ist durchaus plausibel. Dass zur Begründung der Täterschaft die Schaffung einer kausalen Bedingung für den Erfolg nicht Theorie, S. 64 (Hervorhebung im Original). AT, § 47 Rn. 71. 101  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT, § 47 Rn. 71. Vgl. auch Haas, Theorie, S. 65. 102  Haas, Theorie, S. 66, 79. 103  Haas, Theorie, S. 80. 104  Haas, Theorie, S. 80 (Hervorhebung im Original). 99  Haas,

100  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski,



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung277

ausreicht, haben die Kritiken am extensiven Täterbegriff in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Mehr als zweifelhaft ist indessen, ob dieses Ziel nur mithilfe der individualisierenden Kausalitätslehre verwirklicht werden kann. Ersichtlich bemüht sich auch die Tat­herrschaftslehre um diese Verantwortungseinschränkung; ihr zufolge kann nur derjenige, der die tatbestandsmäßige Handlung selbst ausführt oder die Tatbestandsverwirklichung beherrscht, der Täter sein. Eine kausale Bedingung für den tatbestandsmäßigen Erfolg zu schaffen, genügt dieser Anforderung nicht. Gefordert ist auch auf der Grundlage der Tat­herrschaftslehre ein über die Kausalität deutlich hinausgehendes, besonderes tatbestandsmäßiges Handlungsunrecht.105 Wird der Tatherrschafts­ lehre vorgeworfen, dass sie sich, obwohl zunächst von einem restriktiven Täter­ begriff ausgehend, im Ergebnis doch einem extensiven Tatbegriff nähere,106 hat dies mit der materiellen Auslegung der Tat­herrschaftslehre zu tun. Ob das bei dieser materiellen Auslegung angewandte Kriterium der Tat­ herrschaft die Grenze der Tatbestandsbezogenheit notwendig überschreitet, hängt letztendlich von den konkreten Kriterien für die Bestimmung der Tat­ herrschaft und ihrer Anwendung auf die Einzelfälle ab. Dazu bedürfte es ­einer eingehenden Untersuchung.107 Die mit dem restriktiven Tatbegriff verbundene Kritik an der herrschenden Tat­herrschaftslehre wirft aber die entscheidende Frage auf, ob die Auslegung der Tatbestandsmäßigkeit an die unmittelbare Rechtsgutsverletzungshandlung gebunden sein soll. Diese Frage ist zu verneinen: Der Versuch, die individualisierende Kausalitätslehre unmittelbar aus den oben nachgezeichneten normentheoretischen Überlegungen herzuleiten, ist nicht zwingend. Ihm ist zwar insoweit beizustimmen, als sich das strafrechtliche Unrecht nicht in der Verursachung einer kausalen Rechtsgutsverletzung erschöpft, sondern die Verletzung eines Rechtsverhältnisses zwischen Rechtssubjekten und damit des Rechts als ganzes ist. Aber auch das Unrecht der Teilnahme muss die Verletzung des Rechtsverhältnisses des Teilnehmers zum Opfer voraussetzen, andernfalls würde seine Verletzungshandlung kein Straf­ unrecht darstellen. Das Opfer muss notwendig auch eine rechtlich anerkannte Rechtsposition gegenüber dem Teilnehmer haben. Wenn aber auch der Teilnehmer den berechtigten Anspruch des Opfers verletzt, eine bestimmte Teilnahmehandlung zu unterlassen, ist nicht ersichtlich, warum nur der unmittelbare Täter auf die Rechtsposition des Opfers einwirkt. Das erkennen auch Haas und Renzikowski an, wenn sie zur Begründung der (unmittelbaren) Täterschaft nicht nur eine Rechtsverhältnisverletzung verlangen, sondern eine Verletzung des tatbestandlich geschützten Rechtsverhältnisses. Wird al105  Exemplarisch

Bloy, ZStW 117 (2005), 1993 f. Theorie, S. 147; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT, § 47 Rn. 99. 107  Dazu unten S. 282 ff. 106  Haas,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

lerdings schon in den normentheoretischen Überlegungen das vorausgesetzt, was zu begründen ist, nämlich die individualisierende Kausalitätslehre bzw. das enge Verständnis der Tatbestandsreichweite, dann sind diese normen­ theoretischen Überlegungen an sich für die Unterscheidung zwischen Ursache und Bedingung bzw. zwischen Täterschaft und Teilnahme nicht schlüssig. Entscheidend bleibt nur die enge Auslegung der Reichweite des betroffenen Tatbestands. Abgesehen von diesen Begründungsdefiziten ist die Konsequenz des (extremen) restriktiven Tatbegriffs, dass nur der unmittelbare Täter de facto den Tatbestand verwirkliche, nicht überzeugend. Diese Konsequenz impliziert nicht nur, dass nur der unmittelbare Täter die tatbestandsmäßige Handlung ausführt, sondern darüber hinaus, dass der einzelne mittelbare Täter bzw. Mittäter de facto die Rechtsposition des Opfers nicht selbst verletze, sondern nur de jure, fiktionsweise über die Zurechnung einer fremden Handlung als Täter dafür verantwortlich wäre. Dem ist zu widersprechen. Wenn das Straf­ unrecht nicht nur eine normative Konstruktion, sondern eine mit der Strafe aufzuhebende Sozialwirklichkeit ist, muss jede strafbare Handlung eine wirkliche Verletzungsmacht aufweisen. Entsprechend muss der einzelne mittelbare Täter bzw. Mittäter de facto selbst die Rechtsposition des Opfers verletzen. Die Notwendigkeit einer Zurechnung fremden Handelns besteht nicht darin, dass die angeblich fehlende Rechtsverletzung normativ begründet werden muss, sondern resultiert aus der Tatsache, dass der einzelne ­mittelbare Täter bzw. Mittäter die tatbestandsmäßige Handlung nicht selbst vollständig ausführt und unter der Prämisse des restriktiven Täterbegriffs diese Handlung für die Begründung der Täterschaft unerlässlich ist. Die Zurechnung fremden Handelns deutet nämlich nur an, dass der einzelne mittelbare Täter und Mittäter nicht eigenhändig, sondern durch einen anderen oder mit den anderen fremdhändig den Tatbestand verwirklicht. Durch den anderen bzw. mit den anderen kann der einzelne mittelbare Täter und Mittäter auch die Rechtsposition des Opfers de facto angreifen, ohne dass er phänomenologisch die tatbestandsmäßige Handlung selbst vornehmen muss. Der Fall der mittelbaren Täterschaft kraft Selbstschädigung des Werkzeugs bringt dies deutlich zum Ausdruck:108 Der Hintermann täuscht etwa das Opfer über den Verletzungscharakter und das Opfer führt eine entsprechende Selbstverletzungshandlung aus. Auch wenn der Hintermann die Tötungshandlung i. e. S. nicht selbst vornimmt, verletzt er durch Täuschung des Opfers auch de facto dessen Lebensrecht. Die Verhaltensnorm gegenüber dem Hintermann in diesem Fall soll ersichtlich nicht nur eine unmittelbare Tötungshandlung des Hintermanns, etwa ein Schießen mit einer Pistole, sondern auch die Täuschungshandlung des Hintermanns untersagen, weil auch diese Handlung 108  Vgl.

nur Murmann, JA 2008, 322.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung279

faktisch zur Vernichtung des Lebens des Opfers führt. Der Hintermann schafft in diesem Fall auch ein rechtlich missbilligtes Risiko in Richtung auf den Todeserfolg des Opfers. Die faktische Verletzungsmacht zur Tatbestandsverwirklichung wird bei Haas und Renzikowski auf die Eigenhändigkeit ­reduziert. Insoweit setzen sie sich den gleichen Kritiken aus, die auch den extrem restriktiven Täterbegriff treffen. Letztlich birgt die Annahme, dass der einzelne mittelbare Täter oder Mittäter de facto nicht den Tatbestand verwirkliche, die Gefahr, den Blickwinkel auf die anderen Beteiligten, deren tatbestandsmäßige Handlungen dem Hintermann bzw. anderen Mittätern zugerechnet werden, zu konzentrieren und somit das eigene Unrecht des einzelnen mittelbaren Täters bzw. Mittäters zu verschleiern.109 Diese Gefahr verwirklicht sich gerade in dem Streit um den Versuchsbeginn der mittelbaren Täterschaft. Dabei wird nicht selten behauptet, dass es für den Versuchsbeginn der mittelbaren Täterschaft, entsprechend der Zurechnung der Handlung des Vordermanns, nicht auf die Handlung des Hintermanns, sondern auf die des Tatmittlers ankomme. Denn der Hintermann erfülle den fraglichen Tatbestand nicht selbst und seine Instrumentalisierungshandlung stelle nur einen Grund für die Zurechnung der Handlung des Tatmittlers dar.110 Demzufolge versuche der Hintermann erst dann die Tatbestandsverwirklichung, wenn der als Werkzeug tätige Tatmittler unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt habe oder „wenn der Vordermann dazu ansetzt, die aus der Sicht des Hintermanns für die Tatbestands­ erfüllung relevante Handlung vorzunehmen“.111 Diese vielfach als Gesamt­ lösung bezeichnete Ansicht hat insoweit Recht, als die Einwirkungs- oder Instrumentalisierungshandlung des Hintermanns an sich nicht als die tatbestandsmäßige Handlung zu bewerten ist, insbesondere bei den verhaltensgebundenen Delikten. Insoweit ist die Einwirkungshandlung nur ein normativer Grund zur Begründung der Täterschaft des Hintermanns, nicht aber die tatbestandsmäßige Handlung selbst.112 Der Beginn der Einwirkungshandlung lässt sich somit nicht als Beginn der Tatbestandshandlung begreifen.113 Andiesem Sinne auch MK4/Freund, Vor § 13 Rn. 478 Fn. 614. AT, § 48 Rn. 137. 111  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT, § 48 Rn. 137. Ferner Krey/Esser, AT, Rn. 1239; Kühl, AT, § 20 Rn. 91; Küper, JZ 1983, 368, 369 ff.; Krack, ZStW 110 (1998), 629 ff., 636, 638, 639. 112  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich/Schuhr, §  22 Rn. 57, die zutreffend zwischen Verwirklichung des Zurechnungstatbestands und Verwirklichung des Deliktstatbestands unterscheiden. 113  A.  A. sog. strenge Einzellösung Schilling, Verbrechensversuch, S. 101, 112 f. Ferner Jakobs, AT, § 21 Rn. 105; Puppe, FS-Dahs, S. 186 ff. Nahestehend Kreuzberg, Täterschaft, S. 422. Der strengen Einzellösung wird darüber hinaus vorgeworfen, dass die Gefahr für das Opfer angesichts des noch ausstehenden Tatentschlusses des Vor109  In

110  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

dererseits folgt aus der Prämisse, dass bei der mittelbaren Täterschaft die Zurechnung einer fremden Handlung unerlässlich ist, aber auch nicht, dass es für den Versuchsbeginn der mittelbaren Täterschaft nur auf die Handlung des Vordermanns ankommen würde. Die Zurechnung der fremden Handlung ermöglicht nur, dass die Handlung des Vordermanns auch dem Hintermann als eigene Handlung zugerechnet werden kann, besagt aber nicht, wann der Hintermann zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt.114 Setzt man voraus, dass der Hintermann auch eine Entscheidung gegen das Recht des Opfers selbst treffen muss, so muss der Bezugspunkt des Versuchsbeginns der mittelbaren Täterschaft der Tatentschluss und die Handlung des Hintermanns sein. Konsequent bestimmt sich der Versuchsbeginn nur nach der Vorstellung des Hintermanns als „mittelbarer Täter“ (§ 22 StGB).115 Die entscheidende Frage hinsichtlich des Versuchsbeginns der mittelbaren Täterschaft lautet somit, ab wann nach der Vorstellung des Hintermanns seine Handlung einen rechtsfeindlichen Willen erschöpfend demonstriert und sich im Hinblick auf das tatbestandlich geschützte Rechtsgut als eine Verletzung seines Rechtsverhältnis zum Opfers begreifen lässt.116 Weil der Hintermann nicht eigenhändig, sondern durch den Vordermann den Tatbestand verwirklicht und zwischen der Einwirkungshandlung des Hintermanns und dem Auftreten des tatbestandsmäßigen Erfolgs durch die Handlung des Vordermanns nicht selten eine gewisse Zeitspanne liegt, weist der Versuchsbeginn der mittelbaren Täterschaft eine ähnliche Struktur auf wie der beendete Versuch der Alleintäterschaft auf.117 Das dort entwickelte Kriterium für die Beurteilung des Versuchsbeginns, ob der Täter das Kausalgeschehen aus seinem Herrschaftsbereich entlässt, lässt sich somit sinngemäß unter Berücksichtigung der Besonderheit der Indienstnahme eines menschlichen Werkzeugs auf das Problem des Versuchsbeginns der mittelbaren Täterschaft übertragen. Danach setzt der Hintermann bereits dann zur Tatbestandsverwirklichung an, wenn er den Vordermann aus seinem Herrschaftsbereich entlässt und das weitere Geschehen aus seiner Hand gegeben hat.118 Denn nach diesem Zeitpunkt verliert der Hintermann die Kontrollmacht über die Risikoentwicklung und macht das weitere Geschehen von der aus Sicht des Hintermanns (aber auch des Rechts) zufälligen Handlung des Vordermanns abhängig. Darin dermanns zu vage und tatbestandsfern sei (Murmann, GK, § 28 Rn. 88; Roxin, AT II, § 29 Rn. 257). 114  Roxin, AT II, § 29 Rn. 247. 115  Roxin, AT II, § 29 Rn. 248. 116  Grundlegend Murmann, Versuchsunrecht, S.  5 ff.; ders., GK, § 28 Rn. 32. 117  Zu vergleichbaren Strukturen bei den beiden Problem Murmann, Versuchsunrecht, S.  16 f.; ders., GK, § 28 Rn. 90; Roxin, AT II, § 29 Rn. 244. 118  Murmann, GK, § 28 Rn. 90. Ferner Rönnau, JuS 2014, 112; Roxin, AT II, § 29 Rn.  244 f.; SK/Jäger, § 22 Rn. 39.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung281

dokumentiert sich eine rechtlich unerlaubte Gefahr für das Opfer.119 Die Vertreter der Gesamtlösung verkennen nämlich, dass der Hintermann, bereits bevor der Tatmittler zur unmittelbaren Tatausführung ansetzt, eine für die Bestimmung des Versuchsbeginns entscheidende, rechtlich missbilligte Gefahr in Richtung auf das Rechtsgut des Opfers schaffen kann. Diese Verkennung ist letztendlich darauf zurückzuführen, dass die Vertreter des restrik­ tiven Tatbegriffs wie Haas und Renzikowski, aber auch die Vertreter der Gesamtlösung die eigenhändige Tatbestandsverwirklichung überbetonen und dementsprechend die wirkliche Verletzungsmacht des Hintermanns unterschätzen. 3. Gemäßigt restriktiver Täterbegriff und materiell-objektive Theorie Die Kritiken an den extremen Täter- bzw. Tatbegriffen haben gezeigt, dass die gesetzliche Anerkennung der zwei Formen von fremdhändiger Tatbestandsverwirklichung, nämlich der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft, dazu zwingt, Eigenhändigkeit als absoluten Bezugspunkt der Tatbestandsverwirklichung aufzugeben. Andererseits ist auf dem berechtigten Kern des restriktiven Täterbegriffs, dass Täterschaft das tatbestandsmäßige Unrecht verwirklicht, zu beharren. Deshalb erweist sich ein gemäßigt restriktiver Täter- oder Tatbegriff als vorzugswürdig.120 Demzufolge verwirklicht nicht nur der unmittelbare Täter, sondern verwirklichen auch der mittelbare Täter und Mittäter den betroffenen Tatbestand.121 Das setzt eine materielle Interpre­ tation der Tatbestandsverwirklichung voraus. Wie aber das materielle Tat­ bestandsunrecht zu bestimmen ist und ob es trotz verschiedener Deliktsarten eine allgemeine Struktur der Täterschaft gibt, bleibt kontrovers. Im Folgenden sollen deshalb drei als klassisch bezeichnete Tätersysteme von Ro­ xin (III), Schünemann (IV) und Jakobs (V) kritisch aufgenommen und soll auf der Basis dieser kritischen Aufnahme ein eigenes Tätersystem (VI) entwickelt werden. Dabei geht es zugleich um die Methode der Begründung eines angemessenen Tätersystems, um die richtigen Kriterien zur Bestimmung der Täterschaft und um die Strukturen verschiedener Beteiligungsformen.

GK, § 28 Rn. 90. § 25 Rn. 47; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 4; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 4. 121  LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 47. 119  Murmann,

120  LK13/Schünemann/Greco,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

III. Variante 1 der Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Täterschaft als Zentralgestalt handlungsmäßigen Geschehens (Roxin) 1. Kritik der methodischen Ausgangspunkte Bevor auf die Einzelheit des Roxin’schen Tätersystems eingegangen wird, drängen sich zuallererst methodische Fragen der Bestimmung des Täterbegriffs, oder besser: des materiellen Tatbestandsunrechts auf. Denn die Auswahl bestimmter Methoden zur Bestimmung des Täterbegriffs prägt notwendig den Inhalt dieses Begriffs und nimmt dementsprechend auf die Subkriterien für die Abgrenzung zwischen Beteiligungsformen im Einzelfall Einfluss. Es überrascht deshalb nicht, dass Roxin bei der Entwicklung seines Tätersystems diese methodischen Fragen bereits von Anfang an behandelt hat.122 a) Notwendigkeit der Entwicklung eines Leitprinzips der Täterbestimmung und seine Konkretisierung Die erste methodische Frage ist die, ob es möglich und notwendig ist, ein allgemeines, d. h. für alle Arten von Tatbeständen Geltung beanspruchendes Kriterium der Täterbestimmung anzubieten. Das scheint auf den ersten Blick nicht der Fall zu sein. Denn ein solches Kriterium könnte daran scheitern, dass es die unterschiedlichen Unrechtsstrukturen unterschiedlicher Unrechts­ tatbestände nicht angemessen aufzeigen würde. Um die vielfältigen Arten von Unrechtsstrukturen erfassen zu können, muss ein Kriterium, das unabhängig von der Besonderheit des jeweiligen Tatbestands Gültigkeit beansprucht, abstrakt bleiben. Gegen ein solches abstraktes Kriterium wäre einzuwenden, dass es nicht von der Abgrenzungsschwierigkeit im Einzelfall befreien könnte, sofern keine weiteren Subkriterien angeboten würden. Deshalb bleibt es eine Fiktion, einfach aus einer Zauberformel die sachgemäße Beteiligungsform im Einzelfall deduzieren zu können.123 Andererseits darf die Abgrenzungsfrage nicht auf einzelfallgebundene Topoi reduziert werden. Denn ohne ein allgemeines Kriterium für die Täterschaft müsste diese Einzelfallentscheidung orientierungslos bleiben, wodurch die Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigt wäre. Der systematische Anspruch besteht gerade darin, auch die Einzelfallentscheidung auf ein allgemeines Leitprinzip zurückführen zu können. Es ist somit angebracht, zunächst ein Leitprinzip für die Identifizierung der Täterschaft herauszufinden und dann unterschiedliche TuT, S.  5 ff. diesem Sinne Roxin, TuT, S. 26.

122  Roxin, 123  In



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung283

Subkriterien, die die unterschiedlichen Unrechtstrukturen verschiedener Tatbestände angemessen reflektieren können, zur Konkretisierung des Leitprinzips zu entwickeln. Roxin hat diese Schwierigkeit selbst gesehen und versucht, das methodische Problem mithilfe der Dialektik des Täterbegriffs zu lösen. Nach Roxin ist der Täter die „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“.124 Dabei gehe es „nicht um eine inhaltliche Umschreibung der Täterschaft, sondern um ein formales Kriterium, einen methodischen Ansatzpunkt, der die oben entwickelte mehrschichtige Synthese aus ontologischer und teleologischer Betrachtungsweise in eine konkretisierbare Formel bannen soll“.125 In Anlehnung an Hegels Dialektik führt Roxin weiter aus, dass der Begriff der Zentralgestalt „ein durchaus dialektischer ‚konkreter‘ Begriff“ sei,126 dessen Inhalt „nicht von vornherein festliegen“ könne und „sich am Rechtsstoff Schritt für Schritt „entfalten“ müsse127; erst wenn „die ganze Reihe der Gestaltungen und de[r] gesamte[ ] Rechtsstoff einschließlich der Unterlassungs- und Fahrlässigkeitsdelikte“ durchgegangen würden, könne die Frage endgültig beantwortet werden, „was Täterschaft und Zentralgestalt sind“.128 Der zunächst nur als „regulative Leerform“ auftretende Ausdruck „Zentralgestalt“ gehe dann in seinen Ausprägungen verloren und sei letztendlich „als eine in bestimmter Vielfalt differenzierte Einheit“ zu begreifen.129 Nach Roxins eigener Einschätzung soll diese Verbindung von „Einheit und Differenziertheit“ es ermöglichen, „der Täterlehre Geschlossenheit und Inhaltsfülle gleichermaßen zu vermitteln und der dürren Abstraktheit ebenso wie der Zersplitterung in disparate Einzelheiten zu entgehen“.130 Auf der Basis dieser dialektischen Methode versucht Roxin, die Tatbestände des BT in Herrschaftsdelikte, Pflichtdelikte und Eigenhändigkeitsdelikte zu unterteilen und dementsprechend Tat­herrschaft, Pflichtverletzung und Eigenhändigkeit als konkretere Täterkriterien zu entwickeln,131 die letztendlich zur Konkretisierung des Leitgedankens der Zentralgestalt beitragen sollen. Die Innovation der Täterlehre Roxins besteht ja darin, unter Berücksichtigung der verschiedenen Arten von Tatbeständen unterschiedliche Täterkriterien wie Tat­herrschaft und Pflichtverletzung zu entwickeln und zu versuchen, sie mittels des Leitprinzips der Zentralgestalt in einen methodisch fundierten TuT, S. 29. TuT, S. 29. 126  Roxin, TuT, S. 591. 127  Roxin, TuT, S. 591. 128  Roxin, TuT, S. 591 (Hervorhebung im Original). 129  Roxin, TuT, S. 592. 130  Roxin, TuT, S. 593. 131  Anschauliches Bild Roxin, TuT, S. 590. 124  Roxin, 125  Roxin,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Begründungszusammenhang zu bringen.132 Eine Methode für diese „Einheit trotz Differenziertheit“ zu entwickeln, ist nach den obigen Ausführungen in der Tat unverzichtbar. Mehr als fraglich ist allerdings, und darin liegt die erste Schwäche von Roxins Systembegründung, ob die Zentralgestalt als Leitprinzip bzw. konkreter Begriff nicht zu vage ist, so dass er im Einzelfall überhaupt keine Orientierungsfunktion für die Täterbestimmung erfüllen kann.133 Insbesondere wenn die Kernelemente der Zentralgestalt von vornherein nicht bestimmbar und deren konkrete Inhalte erst nach der Ermittlung der Täterschaft anhand der jeweils im Einzelfall angewandten Subkriterien wie Tat­ herrschaft bzw. Pflichtverletzung erklärt werden können, wird die Aufgabe der Täterbestimmung gänzlich von den Subkriterien wie der Pflichtverletzung und der Tat­herrschaft, die weiter in Handlungs-, Willens-, und Organisationsherrschaft unterteilt wird, usurpiert. Der Begriff der Zentralgestalt bleibt dann ein „Leerbegriff“ mit nur behauptetem systematischem Anspruch. b) Faktizität und Normativität des Täterbegriffs Die zweite methodische Frage betrifft die deskriptive und normative Dimension des Täterbegriffs. Wie oben ausgeführt wurde, ist der Begriff der Zentralgestalt bei Roxin eine Synthese ontologischer und teleologischer Betrachtungsweisen. Neben der Bewertung des Gesetzgebers soll der Begriff auf „eine auch im Gemeinbewußtsein lebende plastische Vorstellung“ zurückverweisen, dass der „Täter […] die Hauptfigur des Geschehens [ist]“.134 Auch wenn Roxin dezidiert betont, dass damit noch nicht festgeschrieben sei, mit welchen inhaltlichen Kriterien dieser Begriff auszufüllen sei, und dass diese Kriterien von den Wertvorstellungen des Gesetzgebers, der Handlungsstruktur und den besonderen Tatbeständen abhänge,135 kann, sofern das Verhältnis beider Dimensionen und ihre Wechselwirkung nicht zur Klarheit gebracht werden, ein möglicher Konflikt beider Dimensionen nicht vermieden werden. Dieser Konflikt tritt in vielen einzelnen Problemkontexten immer wieder auf:

132  Vgl. auch die Einschätzung von Renzikowski, FS-Schünemann, S. 500, dass Roxin „die Bezüge zwischen den Beteiligten anhand des Verbrechensbegriffs systematisch beschrieben und damit als Erster überhaupt in ein Fallsystem eingeordnet hat“. 133  Klesczewski, Selbständigkeit, S. 128, 132; Stein, Beteiligungsformentheorie, S. 64; Renzikowski, Täterbegriff, S.  19 f.; Sánchez Lázaro, GA 2008, 301 Fn. 20. 134  Roxin, TuT, S. 29. 135  Roxin, TuT, S. 29.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung285

Erstens muss es zweifelhaft bleiben, ob die von Roxin angenommenen Subkriterien wie die Tat­herrschaft und die Pflichtverletzung mithilfe der dialektischen Methode in einen kohärenten Begründungszusammenhang gebracht werden können. Während bei Herrschaftsdelikten die aktive Beherrschung des zur Rechtsgutsverletzung führenden Geschehens als Täterkriterium genannt wird,136 sei das Täterkriterium bei Pflichtdelikten die Verletzung einer aus einer bestimmten sozialen Rolle erwachsende Pflicht.137 Die Methoden zur Bestimmung der Täterschaft bei diesen unterschiedlichen Delikten sind ersichtlich unterschiedlich; im einen Fall wird die aktuelle Gestaltungsmacht des Begehungstäter betont, das Kriterium ist also faktisch, und im anderen Fall ist es normativ, weil die soziale und damit normative Rolle des Verpflichteten im Vordergrund steht. Inwiefern die einmal durch die faktische Substanz und ein anderes Mal normativ definierten Täterelemente einfach mit der Hegel’schen dialektischen Methode in den Begriff der Zentralgestalt integriert werden können, muss Roxin weiter begründen.138 Ein Hinweis auf Hegels Begründungsergebnis oder eine Berufung auf seine fragmentarische Weisheit kann den großen Gegensatz zwischen Faktizität und Normativität nicht aufheben.139 Aber auch innerhalb der Kategorie des Herrschaftsdelikts ist das Verhältnis von deskriptiven und normativen Dimensionen nicht endgültig bestimmt. Die folgenden Ausführungen werden das beweisen. 2. Unzulänglichkeit der instrumentalen bzw. faktischen Tat­herrschaft zur Bestimmung des Tatbestandsunrechts bei Herrschaftsdelikten Neben den oben aufgeworfenen Bedenken lassen sich in der Tat­ herrschaftslehre Roxins weitere Schwächen erkennen, auch wenn sie oftmals zu angemessenen Ergebnissen kommt. Unter Tat­ herrschaft versteht Roxin eine faktische, positive Steuerungs- bzw. Beherrschungsmacht über den zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalverlauf. Allerdings kann diese Bestimmung der faktischen Tat­herrschaft weder den Bezugspunkt der Herrschaft noch die personale Verletzungsmacht des Handelnden richtig erfassen. Zunächst müsste Roxin erklären, was der Gegenstand bzw. Bezugspunkt der Herrschaft ist.140 Diese Frage könnte verschieden beantwortet werden. AT II, § 31 Rn. 133. FS-Schünemann, S. 522. 138  Roxin, TuT, S.  592 f. 139  Kritsch auch Klesczewski, Selbständigkeit, S. 132: methodischer Synkretismus. 140  Zur dieser entscheidenden Frage Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 48; Renzikowski, FS-Schünemann, S. 500. 136  Roxin, 137  Roxin,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Man könnte der obigen Definition der Tat­herrschaft treu bleiben und das gesamte zur Rechtsgutsverletzung führende Kausalgeschehen oder den tatbestandsmäßigen Erfolg141 als Gegenstand der Herrschaft begreifen. Um dieses Kausalgeschehen oder den tatbestandsmäßigen Erfolg zu beherrschen, könnte der Täter durch Benutzung eines naturhaften Werkzeugs (Handlungsherrschaft), durch Nötigung oder Täuschung eines anderen, durch einen organisatorischen Machtapparat (Willensherrschaft) oder mit den anderen ­ arbeitsteilig (funktionelle Tat­herrschaft) die Tat begehen.142 Diese Struktur, dass durch eine bestimmte Handlungsweise der tatbestandsmäßige Erfolg ausgelöst wird, lässt sich aber bereits in der finalen Tat­herrschaftslehre Welzels gut erkennen. Danach ist das Kriterium für die Täterschaft an die Vorgegebenheit der Handlungsstruktur gebunden143 und die finale Tat­ herrschaft wird ganz der finalen Handlungslehre entsprechend als zweckhafte Gestaltung der Tat in ihrem Dasein und Sosein durch den planvoll steuernden Verwirklichungswillen aufgefasst.144 Man kann diese Art von Tat­herrschaft zutreffend als instrumentale Tat­herrschaft bezeichnet,145 denn die Gestaltung des Kausalgeschehens ist nichts anderes als ein geeignetes Mittel zur Tatbestandsverwirklichung. Hinter diesem Tat­ herrschaftsgedanken steht gerade derjenige einer technischen Vernunft. Auch wenn Roxin sich dezidiert gegen die finale Handlungslehre und gegen die Gebundenheit des Tatherrschaftsbegriffs an die Vorgegebenheit der finalen Handlungsstruktur ausspricht,146 kann nicht geleugnet werden, dass sein Verständnis von Tat­ herrschaft im Sinne der positiven Gestaltung des zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalverlaufs durch bestimmte Handlungsweisen die instrumentale Tatherrschaftslehre nicht gänzlich hinter sich lässt.147 Anders als der Tat­herrschaftsgedanke Welzels ist derjenige Roxins aber eng mit der Tatbestandsbezogenheit verbunden. Das lässt sich aus den oben dargestellten methodischen Ausführungen Roxins deutlich erkennen. Täterschaft und somit auch die Tat­herrschaft sind eine Synthese von ontologischen 141  Nach Roxin, ZIS 2006, 299 reicht die Erfolgsherrschaft für die mittelbare Täterschaft kraft Ausnutzung eines organisatorischen Machtapparats aus. 142  Deshalb ist es gleichgültig, ob man bestimmte (eigene oder fremde) Handlungsweisen (so Schild, Tat­herrschaftslehre, S. 104 f.) oder den tatbestandsmäßigen Erfolg (so interpretiert von Atens, Tat­herrschaft, S. 247 in Hinblick auf Mittäterschaft) als Gegenstand der von Roxin konzipierten Herrschaft sieht, denn letztendlich handelt es sich hierbei immer um die Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs und nach Roxin können nur bestimmte Handlungsweisen diese Erfolgszurechnung legitimieren. 143  Welzel, ZStW 58 (1939), 539. 144  Welzel, ZStW 58 (1939), 539, ders., Strafrecht, S. 100. 145  Murmann, Nebentäterschaft, S. 73; ders., Welzels Beteiligungslehre, S. 122. 146  Roxin, TuT, S.  20 f. 147  Zutreffend Haas, Theorie, S. 15  f.; vgl. auch Klesczewski, Selbständigkeit, S. 129.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung287

und teleologischen Betrachtungen. Weil Roxin aber die Wechselwirkung beider Betrachtungsweisen nicht eindeutig ausführt, setzt sich seine Tat­ herrschaftslehre dem Vorwurf aus, die Tat­ herrschaftslehre oszilliere „in durchaus inkohärenter und rational nicht nachvollziehbarer Weise zwischen Normativität und Faktizität“.148 Durch die folgende kritische Aufnahme verschiedener Herrschaftsformen erweist dieser Vorwurf sich als begründet. Es wird aber auch gezeigt werden, dass auch dann, wenn Roxin die normativen Wertungen in seinen Tat­herrschaftsbegriff zu integrieren versucht, dieser Versuch wegen der inhaltlichen Reduzierung der normativen Dimension der Straftat zum Scheitern verurteilt ist. a) Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft Bereits bei dieser banalen Herrschaftsform lassen sich die Schwächen der instrumentalen Tat­herrschaftslehre, darunter auch der Roxin’schen Tatherrschaftslehre, deutlich erkennen. Unmittelbarer Täter ist nach Roxin derjenige, der „die Tatbestandshandlung in eigener Person vorsätzlich und ungenötigt verwirklicht“.149 Der Gegenstand der Herrschaft ist danach die tatbestandsmäßige Handlung selbst. Wer also phänomenologisch durch seine Handlung, ggf. mithilfe eines naturhaften Werkzeugs bzw. eines „menschlichen“ Werkzeugs, das aber etwa wegen vis absoluta keine menschliche Handlungsqualität aufweist,150 den Tatbestand verwirklicht, sei unmittelbarer Täter. Im Vergleich zu der hier entwickelten Unrechtsstruktur der unmittelbaren Täterschaft greift die Definition bei Roxin aber zu kurz, sie reduziert nämlich in vielen Hinsichten die normative Dimension der Straftat: Weil ein Täter erst durch seine Handlung die äußere Welt, im Recht insbesondere sein Rechtsverhältnis zum Opfer sinnvoll gestalten kann, muss die Tat­herrschaft als spezifisches Handlungsunrecht auch die Eigenschaften und Voraussetzungen einer Straftat erfüllen. Die personale Dimension der Straftat wird von der Tat­herrschaftslehre Roxins insoweit reduziert, als die freie Entscheidung gegen eine vom Täter selbst anerkannte Verhaltensnorm aus der Definition der Tat­herrschaft ausgeklammert wird. Nach Roxin gibt es auch eine „schuldlose Tat­herrschaft“.151 Das ist vom Ausgangspunkt einer instrumentalen Tat­herrschaftslehre her durchaus konsequent, denn sie beruht nur auf der technischen Vernunft des Handelnden, und zwar auf der Art und Weise der Verwirklichung dieser Entscheidung durch Instrumentalisierung Theorie, S. 26 (Hervorhebung nur hier). TuT, S. 800 Rn. 281. 150  Roxin, TuT, S. 802 Rn. 284. 151  Und zwar die Tat­herrschaft des vom Hintermann genötigten und dadurch entschuldigten Vordermannes über den Geschehensablauf: Roxin, TuT, S. 159. 148  Haas,

149  Roxin,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

eines zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalverlaufs, berücksichtigt aber nicht diese freie Entscheidung. Wenn aber jemand nicht in der Lage zu einer freien Entscheidung gegen die Rechtsgutsverletzung ist, kann man nur schwer davon ausgehen, dass er die Tat sinnvoll beherrscht.152 Aber auch die interpersonale oder soziale Dimension der Straftat wird um eine wichtige normative Dimension reduziert. Roxin nimmt zwar zutreffend an, dass der unmittelbare Täter die tatbestandsmäßige Handlung vornehmen muss. Da sich seine Tat­herrschaftslehre aber stärker an faktischen Kriterien orientiert, stehen die phänomenologische Vornahme dieser Handlung und ihre kausale Gestaltung hin zur Rechtsgutsverletzung bei der Bestimmung der Täterschaft im Vordergrund. Damit wird aber verkannt, dass die phänomenologische Vornahme einer bestimmten Handlung und die Beherrschung eines Kausalverlaufs zunächst nur Fakten sind, deren normative Relevanz erst zu begründen ist.153 Diese normative Relevanz besteht nach hiesiger Auffassung in der Verletzung einer Verhaltensnorm, die sich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtet, und der daraus resultierenden Rechtsverhältnisverletzung; der Täter wandelt damit sein rechtliches Verhältnis zum Opfer zu einem unrechtlichen. In dieser normativen Hinsicht ist Tat­herrschaft zutreffend als Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer zu bezeichnen.154 Die fehlende Verbindung zwischen einer sich primär an der faktischen Betrachtungsweise orientierenden Täterlehre und der allgemeinen, normativen Handlungs- und Zurechnungslehre kommt hier besonders deutlich zum Ausdruck, als ob es bei diesen zwei Lehren um ganz unabhängige dogmatische Welten ginge.155 Mit der hier vertretenen normativen Auffassung ist unmittelbarer Täter derjenige, der die tatbestandsmäßige Handlung ausführt, indem er die sich 152  Den Ausführungen über das Verhältnis von Unrecht und Schuld (siehe oben S. 135 ff.) entsprechend gibt es also substantiell keine „schuldlose“ Tat­herrschaft. Tat­ herrschaft ist in dieser Hinsicht ein die Tat in ihrer Gesamtheit charakterisierender Begriff (sog. substantiell vollendeter Tat­herrschaftsbegriff). In einem Fallprüfungsund Argumentationszusammenhang ist es aber nicht ausgeschlossen, bestimmte Aspekte, wie etwa die Fähigkeit des konkreten Täters zu einer freien Entscheidung, von diesem substantiellen Begriff zu abstrahieren und dem späteren Prüfungsschritt von Schuld vorzubehalten (sog. Tat­herrschaft als eine vorläufige Argumentationsfigur auf „Unrechtsebene“). 153  Vgl. auch Sánchez Lázaro, GA 2008, 302. 154  Grundlegend Murmann, Nebentäterschaft, S. 181. 155  Roxin, TuT, S. 367 geht davon aus, dass die Prüfung der Abgrenzung der Beteiligungsformen erst nach der Prüfung der objektiven (Kausalität und objektive Zurechnung) und subjektiven (etwa Vorsatz) Unrechtselemente erfolgen soll. Vgl. auch die diesbezügliche Analyse NK1/Schild, Vor § 25 Rn. 77 ff.; Böhringer, Mittäterschaft, S. 197. Aus dieser Prüfungsreihe ergibt sich, dass bei Roxin die Täterlehre nicht in die allgemeine Unrechts- und Zurechnungslehre integriert wird.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung289

auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtende Verhaltensnorm verletzt und damit eine rechtlich missbilligte Gefahr für diesen Erfolg vollständig geschaffen und verwirklicht hat.156 Letztendlich handelt es sich bei unmittelbarer Täterschaft um die Frage der Tatbestandsauslegung oder des Norm­ adressaten dieser sich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtenden Verhaltensnorm.157 b) Willensherrschaft bei mittelbarer Täterschaft Auch bei der mittelbaren Täterschaft kraft Willensherrschaft lässt sich die Unzulänglichkeit einer faktischen Tat­herrschaftslehre deutlich erkennen. In Bezug auf die Nötigungsherrschaft ist Roxin zufolge nur dann eine mittelbare Täterschaft anzunehmen, wenn die vom Hintermann ausgeübte Nötigung so stark ist, dass die Verantwortlichkeit des genötigten Vordermanns gemäß § 35 I StGB entfällt.158 Die Heranziehung des § 35 I StGB zur Abgrenzung der Täterschaft von der Teilnahme kann als eine Normativierung der Tat­herrschaftslehre beurteilt werden.159 Dagegen wendet sich Roxin jedoch dezidiert mit dem Argument, da § 35 I StGB nur die Grenze der Herrschaftsmacht durch faktische Nötigung setze, ändere dies nichts an der faktischen Qualität der Tat­ herrschaft. Entscheidend bleibe die faktische Nötigungsmacht des Hintermanns gegenüber dem Vordermann.160 Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass letztendlich nur die gesetzliche Bestimmung, nicht aber die faktische Nötigungsmacht die Täterschaft bestimmt. Das liegt daran, dass die faktische Macht für sich genommen nichts darüber aussagt, wie stark die Nötigungsmacht des Hintermanns sein muss, damit eine Täterschaft anzunehmen ist.161 In der Tat orientiert Roxin sich zur Begründung der mittelbaren Täterschaft des nötigenden Hintermanns auch an normativen Überlegungen der Verantwortlichkeitszuteilung (sog. Verantwortungsprinzip): Wenn der Gesetzgeber den Genötigten von der Verantwortung 156  Für die Normativierung der Bestimmung der tatbestandsmäßigen Handlung auch SK/Hoyer, § 25 Rn. 36 („eigenhändige Schaffung des im tatbestandlichen Erfolg verwirklichten unerlaubten Risikos“), der freilich gleichzeitig die Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft auf die objektive Zurechenbarkeit des Unrechts zum Ausführenden abstellt (ebd., Rn. 34), wonach aber notwendig ein Teil der Fälle, die traditionell als mittelbare Täterschaft begriffen werden, als Fälle von unmittelbarer Täterschaft behandelt werden müsste (Roxin, TuT, S. 804 Rn. 288). 157  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 2. 158  Roxin, AT II, § 25 Rn. 48. 159  Siehe auch Herzberg, mittelbare Täterschaft, S. 46. 160  Roxin, Anmerkung, S. 55; ders., TuT, S. 785 Rn. 253; ferner Greco, ZIS 2009, 13. 161  Vgl. auch Roxin, TuT, S. 162.

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entlastet, dann könne das nur bedeuten, dass er das Geschehen in der Hand des nötigenden Hintermannes sehe und ihn in die zentrale Position rücke.162 Dem ist zwar im Ergebnis zuzustimmen, denn aus der Entlastung des Genötigten von der Verantwortlichkeit ist zu schließen, dass der Genötigte rechtlich keine freie Entscheidung gegen die Verhaltensnorm getroffen hat163 und seine Entscheidungsfreiheit dementsprechend von dem nötigenden Hintermann durch Nötigung übernommen wird.164 Die Rechtsgutsverletzung lässt sich dann nicht als Verwirklichung einer Unrechtsmaxime des genötigten Vordermanns, sondern als Verwirklichung einer solchen des nötigenden Hintermanns begreifen.165 Auf jeden Fall zeigt die Überlegung Roxins aber deutlich, dass sich nicht die abstufbare faktische Herrschaftsmacht, sondern die rechtliche Wertung entscheidend auf die Täterschaft auswirkt. In Hinblick auf die Konstellation des Einsatzes eines Kindes, das zwar nach § 19 StGB schuldunfähig, nach seinem Entwicklungsstand aber tatsächlich zur Unrechtseinsicht in der Lage ist, setzen Roxins Überlegungen sich derselben Kritik aus. Im Lichte einer Tat­herrschaftslehre, die die Tat­herrschaft als tatsächliche Überlegenheit begreift, könnte man mit Joecks die mittelbare Täterschaft des Hintermannes deshalb verneinen, weil der veranlassende Hintermann gegenüber einem solchen Kind, das zur Unrechtseinsicht fähig ist, nicht tatsächlich überlegen ist.166 Roxin lehnt hier aber dezidiert eine solche faktische Betrachtung der Tat­herrschaft ab und folgt dem normativen Verantwortungsprinzip: „[D]ie strafrechtliche Entlastung des Ausführenden [macht] den allein verantwortlichen Hintermann zur Zentralgestalt des Geschehens und damit zum (mittelbaren) Täter“.167 Dem ist zwar zuzustim­ men,168 weil es der Grundentscheidung des Gesetzgebers widerspricht, von TuT, S. 163. genötigte Tatmittler mag zwar „selbst zur Unrechtsmaxime übergehen“, von einer „normreflektierenden“ Subjektivität des entschuldigten Tatmittlers kann aber nicht die Rede sein (anders Köhler, AT, S. 509; Noltenius, Kriterien, S. 286, 315 f.), denn die Fähigkeit zum Reflektieren der Norm setzt notwendig die autonome Entscheidung, also die Schuldfähigkeit voraus, und diese Fähigkeit wird durch die Nötigung des Hintermannes wesentlich beeinträchtigt und sogar von § 35 I StGB ausdrücklich als defizitär bewertet. 164  Ähnlich M. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 207 f. 165  Vgl. auch M. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 247; Kühl, AT, § 20 Rn. 63. 166  MK3/Joecks, § 25 Rn. 102  ff. Sich an dem tatsächlichen Entwicklungsstand des Kindes orientierend, ohne aber eine faktische Betrachtung der Tat­herrschaft zu akzeptieren RGSt 61, 265, 267; Matt/Renzikowski/Haas, § 25 Rn. 34. 167  Roxin, AT II, § 25 Rn. 143. 168  HK-GS/Ingelfinger, § 25 StGB Rn. 29; Jescheck/Weigend, AT, S. 668; LK13/ Schünemann/Greco, § 25 Rn. 135; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 108 ff.; Murmann, GK, § 27 Rn. 34; Rengier, AT, § 43 Rn. 28; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 44. 162  Roxin, 163  Der



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der Strafjustiz prüfen zu lassen, ob das Kind nach seinem Entwicklungszustand im konkreten Einzelfall zur Unrechtseinsicht und nach dieser Einsicht zu handeln fähig ist.169 Die normative Entscheidung des Gesetzgebers für die Entlastung des Kindes zeigt ferner, dass sich die Rechtsgutsverletzung nicht als Verwirklichung einer Unrechtsmaxime des Kindes, sondern als Verwirk­ lichung einer solchen des Hintermanns begreifen lässt. Damit verlässt Roxin aber die von ihm methodisch befürwortete faktische Definition der Tat­ herrschaft und es lässt sich wiederum deutlich erkennen, dass es hier nicht auf die faktische Herrschaftsmacht, sondern auf die normative Bewertung ankommt. Bei der Irrtumsherrschaft wird dieses streng an die gesetzliche Bewertung gebundene Verantwortungsprinzip demgegenüber von Roxin zugunsten einer faktischen Betrachtungsweise wesentlich beschränkt. Eine mittelbare Täterschaft liege auch dann vor, wenn der irrtümlich handelnde Vordermann rechtlich eingeschränkt oder sogar vollständig verantwortlich sei. Das liege an den unterschiedlichen Strukturen von Nötigungs- und Irrtumsherrschaft. Während der genötigte Vordermann in der Konstellation, in der die Nötigung unterhalb der Grenze von § 35 I StGB bleibt, immer noch die Fähigkeit habe, die Nötigung des Hintermannes zu verweigern, und dies rechtlich auch erwartet werde, könne der sich im Irrtum befindende Ausführende dem, was aufgrund der Täuschung seinem Verständnis nicht zugänglich sei, nicht selbstentscheidend entgegenstehen.170 Demgegenüber könne der täuschende Hintermann kraft seines überlegenen Wissens den „sozialen Bedeutungs­ gehalt des Vorganges tiefer erfass[en] und […] das Handlungsgeschehen je nach dem Maße seiner überschießenden Kenntnis sinnverwirklichend allein“ gestalten.171 Kurz: Das überlegene Wissen bezogen auf die tatbestandlich relevanten Tatsachen begründe seine Wissensherrschaft und damit seine mittelbare Täterschaft. Das Vorhandensein eines überlegenen Wissens ist aber zuerst nur ein Faktum, dessen normative Relevanz noch zu erweisen ist.172 Es liegt daher nahe, einen Bezug zu den tatbestandlich relevanten Umständen zu verlangen. Roxin stimmt dem zwar zu, führt es bei dem sog. Irrtum über die Unrechtshöhe aber nicht konsequent durch. Veranlasse der Hintermann etwa den Vordermann, ein wertvolles Gemälde zu zerstören, indem er ihm vorspiegelt, das zu zerstörende Gemälde sei nur ein billiges Geschmiere,173 169  MK4/Joecks/Scheinfeld,

§ 25 Rn. 109. TuT, S. 257. 171  Roxin, TuT, S. 257. 172  Murmann, GA 1998, 80; Kindhäuser, FS-Hollenbach, S. 632; Sánchez Lázaro, GA 2008, 303. 173  Zu diesem Schulbeispiel Murmann, GK, § 27 Rn. 38; Roxin, TuT, S. 836; LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 118. 170  Roxin,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

sei der Hintermann als mittelbarer Täter (§§ 303, 25 I Var. 2 StGB) zu bestrafen, auch wenn beim Vordermann eine unmittelbare Täterschaft vorliege.174 Denn wenn der Vordermann wegen des kleineren Anteils an der Unrechtshöhe bereits als Täter zu bestrafen sei, sei der Hintermann, der im Verhältnis zum Vordermann durch die Täuschung über den Wert des zerstörten Gegenstands größeren Anteil an der Unrechtshöhe habe, erst recht als (mittelbarer) Täter zu bestrafen.175 Diese Auffassung übersieht, dass es sich beim § 303 StGB um ein Eigentumsdelikt, nicht aber um ein Vermögensdelikt handelt, so dass eine Abschichtung der Werte für die Verwirklichung des Tatbestands ohne Relevanz ist.176 Der Wert des zerstörten Gegenstands vertypt nämlich nicht das Tatbestandsunrecht und hat allenfalls Bedeutung für die Strafzumessung. Ein überlegenes Wissen des Hintermannes bezogen auf diese Strafzumessungs­ tatsache begründet somit keine mittelbare Täterschaft, sondern allenfalls ­Anstiftungsstrafbarkeit.177 Die normative Relevanz des überlegenen Wissens erschöpft sich freilich nicht in dessen Tatbestandsbezug. Vielmehr ist auch zu fordern, dass der Hintermann auch für das Wissensdefizit des Vordermannes zuständig und damit für die Handlung des Vordermannes verantwortlich ist.178 Ein faktisch überlegenes Wissen begründet nämlich nicht ohne weiteres die rechtliche Zuständigkeit des Hintermannes für das Wissensdefizit des Vordermannes.179 Das gilt insbesondere für die Täuschung über die Verbotenheit einer Handlung, weil es grundsätzlich die eigene Sache jeden Bürgers ist, das Recht zu erkennen.180 Dementsprechend entlastet die positive Täuschung oder Ausnutzung eines bestehenden Irrtums beim Vordermann durch den Hintermann auch nicht unbedingt den Vordermann von dieser Pflicht zur Rechtskenntnis – mit der Folge, dass der Vordermann für seine eigene Handlung und den daraus resultierenden tatbestandsmäßigen Erfolg zur Verantwortung gezogen wird. Der Hintermann löst zwar den Verbotsirrtum aus oder nutzt ihn aus, aber er ist dann für diesen Irrtum und den daraus entspringenden Erfolg nur TuT, S.  836 ff. TuT, S. 838; LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 118: Vergleich der „geteilten“ Tat­herrschaft. 176  Kindhäuser, Pflichtverletzung und Täterschaft, S. 1202; Maurach/Gössel/Zipf/ Renzikowski, AT II, § 48 Rn. 23. 177  Rengier, AT, § 43 Rn. 49. Dagegen und für eine unrechtsrelevante Tatsache aber Roxin, TuT, S. 838. 178  Zur Zuständigkeit für den Verbotsirrtum als entscheidendes Kriterium für mittelbare Täterschaft trotz unterschiedlicher Begründungsgänge und Reichweiten der daraus entspringenden Pflicht Jakobs, GA 1997, 559 ff.; ders., Theorie, S. 39; Kindhäuser, Betrug, S. 142 f.; Murmann, GA 1998, 81; SK/Hoyer, § 25 Rn. 94. 179  Kindhäuser, Betrug, S. 143. 180  Murmann, GA 1998, 81. 174  Roxin, 175  Roxin,



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insoweit verantwortlich, als die Auslösung bzw. Ausnutzung des Irrtums auch die Eigenschaft der Auslösung oder Stärkung des Tatentschlusses des Vordermannes aufweist.181 Es verhält sich aber anders, wenn der Hintermann zugunsten des Opfers für das Wissensdefizit rechtlich zuständig und für das Verhalten des Vordermannes verantwortlich ist, etwa wenn der Hintermann eine Garantenstellung innehat, deren Reichweite sich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg erstreckt, so dass er verpflichtet ist, nicht positiv den Verbotsirrtum auszulösen bzw. den bestehenden Irrtum rechtzeitig auszuschließen, damit das Recht des Opfers nicht verletzt wird. Verletzt der Hintermann diese Garantenpflicht, deren Reichweite nicht nur die Auslösung oder Stärkung eines fremden Tatentschlusses, sondern auch den tatbestandsmäßigen Erfolg umfasst, ist er als mittelbarer Täter zu bestrafen.182 Wenn Roxin trotzdem darauf beharrt, dass eine positive Auslösung eines Verbotsirrtum kraft überlegenen Wissens bereits die Täterschaft des Hintermannes begründe, weil die Hemmungskraft beim Vordermann, die Straftat nicht zu begehen, wesentlich beeinträchtigt werde,183 so hat dies seinen Grund darin, dass Roxin zu viel Gewicht auf die faktische oder psychische Betrachtung legt und die normative Frage nach der Zuständigkeit des Hintermannes für das Wissensdefizit des Vordermannes überspringt. Die Vernachlässigung dieser normativen Frage führt darüber hinaus dazu, dass Roxin zwar richtig konstatiert, dass nicht nur der Sonderverpflichtete, sondern jeder verpflichtet ist, das fremde Recht nicht durch Täuschung des Vordermannes zu verletzen, er dabei aber verkennt, dass nicht jede Täuschung über die Verbotenheit der Handlung ohne weiteres eine unerlaubte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg schafft und damit eine Täterschaft begründet.184 Am deutlichsten kommt die Schwäche der Lehre von der faktischen Tat­ herrschaft in der umstrittenen Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft zum Ausdruck. Anders als die mittelbare Täterschaft kraft Nötigungs- oder Irrtumsherrschaft, bei der die Herrschaft des Hintermannes über die Tatbestandsverwirklichung durch die Herrschaft über den GA 1998, 81 f. GA 1998, 83 f. mit weiteren Beispielen. Noltenius, Kriterien, S. 299 hält die hier vertretene Lösung für zu eng, denn diese Lösung berücksichtige allein das Rechtsverhältnis zwischen dem Hintermann und dem Opfer und vernachlässige das Rechtsverhältnis zwischen dem Hintermann und dem vollverantwortlichen Vordermann. Diese Kritik ist aber nicht begründet, denn soweit sich die Garantenpflicht des Hintermannes auf die Verhinderung der Rechtsverletzung des Opfers erstreckt, stellt auch die volldeliktische Handlung des Vordermanns eine vom Hintermann zu verhindernde Gefahr dar. Die Vollverantwortlichkeit des Vordermannes ist im Rechtsverhältnis zwischen dem Hintermann und dem Opfer mitberücksichtigt. 183  Roxin, AT II, § 25 Rn. 82. 184  So aber Roxin, AT II, § 25 Rn. 90; Otto, FS-Roxin I, S. 487 gegen den hiesigen Ansatz. 181  Murmann, 182  Murmann,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Ausführenden vermittelt wird, beruht diese Form der mittelbaren Täterschaft nach Roxin auf der Erfolgssicherheit durch Beherrschung eines organisatorischen Machtapparats.185 Damit der tatbestandsmäßige Erfolg gewährleistet ist, müssten drei Voraussetzungen vorliegen, und zwar die Befehlsgewalt des Anordnenden in der Organisation, die Rechtsgelöstheit der Organisation sowie die Fungibilität des Tatausführenden.186 Aber auf der Basis der Lehre von der faktischen Tat­herrschaft kann die mittelbare Täterschaft des Befehlsinhabers nur schwer mit dem Argument der Erfolgsgewährleistung begründet werden. Denn eine faktische Betrachtung der Tat­ herrschaft muss an den empirischen Befund gebunden sein und man müsste fragen, bis zu welcher Wahrscheinlichkeit man von einer Erfolgsgewährleistung ausgehen und damit die Täterschaft begründen könnte. Dafür gibt es keine rational nachvollziehbare Beurteilungsregel. Darüber hinaus kann die Erfolgsgewährleistung auch kein geeignetes Kriterium für die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme sein. Denn die Erfolgsgewährleistung müsste von den zufälligen empirischen Faktoren des Einzelfalls, etwa von der Einstellung oder dem individuellen psychischen Zustand des Vordermannes abhängig sein. Beauftragt ein Politiker etwa einen hochprofessionellen Berufskiller mit der Tötung seines politischen Feindes, kann er nicht wegen der Professionalität und festen Tatentschlossenheit des Killers und der daraus resultierenden Erfolgsgewährleistung zum mittelbaren Täter hochgestuft werden, sondern bleibt An­stifter.187 Roxin mag dagegen einwenden, dass die Täterschaft begründende Erfolgsgewährleistung nur innerhalb eines organisatorischen Machtapparats zum Tragen komme, der vom Recht gelöst sei und in dem die Ausführenden austauschbar seien. Im Lichte einer faktischen Betrachtung der Herrschaft können aber sowohl Fungibilität als auch Rechtsgelöstheit nur sozialpsychologisch interpretiert werden. In einer solchen Organisation fühlen die Ausführenden sich nämlich austauschbar. Das mag kriminologisch betrachtet dem Befehlsinhaber eine gewisse Herrschaftsmacht verleihen, die im Grenzbereich zur Nötigungs- und Irrtumsherrschaft liegt.188 Allerdings sind diese empirischen Befunde normativ gesehen zur Begründung der mittelbaren ­Täterschaft des Befehlsinhabers nicht ausreichend, denn unabhängig von der Stärke der Fungibilität und Rechtsgelöstheit189 wird, soweit die Ausführenden strafrechtlich vollverantwortlich bleiben, seitens des Rechts von ihnen GA 2012, 400, 412; ders., TuT, S. 843, insb. Fn. 373. Roxin, TuT, S.  842 f. 187  Matt/Renzikowski/Haas, Vor § 25 Rn. 10; Murmann, GA 1996, 274; Renzikowski, FS-Schünemann, S. 505. 188  Hefendehl, GA 2004, 585 f. nimmt bereits in diesem Grenzbereich eine mittelbare Täterschaft an. 189  Morozinis, Organisationsdelikte, S. 272 ff. sieht diese beiden Elemente als abstufbare Operationsbegriffe der Organisationsherrschaft. 185  Roxin,

186  Zusammenfassend



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung295

erwartet, die rechtswidrigen Befehl zu verweigern und rechtmäßig zu handeln. Dementsprechend sind die Ausführenden rechtlich nicht von dem Befehlsinhaber beherrschbar.190 Dennoch schließt das Fehlen der Herrschaft über den konkreten Ausführenden nicht notwendig die mittelbare Täterschaft des Befehlsinhabers aus. Dass die Herrschaft über den Ausführenden nur eine mögliche Weise, aber keine notwendige Bedingung der Tatbestandsverwirklichung und damit der Begründung der (mittelbaren) Täterschaft sei,191 ist zwar im Ergebnis zutreffend, aber eben nur dann, wenn die „Erfolgsherrschaft“, anders als bei Roxin, als Erfolgszuständigkeit normativ uminterpretiert wird. Denn wer für die Verhinderung des tatbestandsmäßigen Erfolgs zuständig ist und trotzdem die auf diesen Erfolg gerichtete Verhaltensnorm pflichtwidrig verletzt, indem er etwa durch seine Anordnungshandlung oder durch Nichtverhinderung der vom Ausführenden begangenen Straftat eine unerlaubte Gefahr in Richtung auf diesen Erfolg geschaffen und sie sich im Erfolg verwirklicht hat, ist als Täter zu bestrafen, auch wenn er rechtlich wegen der Vollverantwortlichkeit des einzelnen Ausführenden diesen nicht beherrscht. Denn in diesem Fall stellt eine vollverantwortliche Straftat des einzelnen Ausführenden nur eine von dem Befehlsmachtinhaber zu verhindernde Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg dar und der Tatbeitrag eines Ausführenden wird wegen der pflichtwidrigen Anordnung bzw. Nichtverhinderung dem Befehlsinhaber der Organisation zugerechnet. Dann darf man mit Recht davon ausgehen, dass der Befehlsinhaber seine Verletzungsmacht durch seine Organisationsmitglieder vermittelt und somit sein Rechtsverhältnis zum Opfer „durch einen anderen“ verletzt.192 c) Funktionelle Tat­herrschaft bei Mittäterschaft Auch Roxins Bestimmung des faktischen Herrschaftsverhältnisses bei Mittäterschaft kann der Kritik nicht standhalten. Bei Roxin ist die Mittäterschaft „Tatbestandsverwirklichung durch arbeitsteilige Ausführung“.193 Indem der einzelne Mittäter nach der Vorgabe eines gemeinsamen Tatplans mit den anderen Mittätern eine wesentliche Funktion bei der Ausführung übernommen habe, werde ihm eine Möglichkeit zur Beherrschung des Gesamtgeschehens verliehen, denn wenn er den von ihm übernommenen Tatbeitrag verweigerte, würde der gesamte Tatplan zum Scheitern gebracht. Die Mittäter hätten demGA 1996, 274. GA 2012, 400. A. A. Zaczyk, GA 2006, 412 f. 192  Eingehend Murmann, GA 1996, S. 278. Vertiefend siehe folgend S. 343 ff., 452 ff. 193  Roxin, AT II, § 25 Rn. 188 (Hervorhebung im Original). 190  Murmann, 191  Roxin,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

nach eine „unersetzliche Funktion“ und beherrschten das Gesamtgeschehen mit.194 Diese „funktionelle Tat­herrschaft“ beschränke sich freilich nicht auf die negative Dimension der Herrschaftsmacht in dem Sinne, dass der einzelne Mittäter einfach durch Nichterbringen seines Tatbeitrags den Gesamttatplan zum Scheitern bringen würde, sondern habe eine positive Dimension insofern, als der einzelne Mittäter auch einen für den gesamten Tatplan unersetzlichen Tatbeitrag erbracht habe. Die negative Herrschaftsmacht sei nur die Kehrseite der positiven.195 Dass der einzelne Mittäter allein durch seinen Tatbeitrag das Gesamtgeschehen beherrschen könne, ist aber allein unter dem Aspekt der faktischen Herrschaft schwer zu begründen. Faktisch beherrscht der einzelne Mittäter die von ihm nicht übernommene Funktion gerade nicht und ist insoweit auf die anderen Mittäter angewiesen.196 Unter dem faktischen Herrschaftsbegriff kann der einzelne Mittäter durch seine Handlung allein seinen eigenen Tat­ anteil, nicht aber positiv das gesamte Geschehen beherrschen.197 „Teilherrschaft über die Tatbestandsverwirklichung“198 ist gerade keine Herrschaft über die Gesamttatbestandsverwirklichung. Beschränkt sich aber die Herrschaft des einzelnen Beteiligten auf die negative Tat­herrschaft, nämlich durch Nichterbringung den Tatplan zu vereiteln, gälte für keinen der Beteiligten, dass er das Gesamtgeschehen beherrschte und als Täter zu bestrafen wäre, und das merkwürdige Ergebnis wäre eine „Beteiligung ohne Täter“.199 Roxin hat das Problem selbst gesehen und geht ebenfalls davon aus, dass der einzelne Mittäter nicht die gesamte Tatbestandsverwirklichung beherrsche, sondern sie nur gemeinsam mit den anderen beherrschen könne.200 Solche „Mitherrschaft“ ändert aber nichts an der Tatsache, dass der einzelne Mittäter durch seine Mitherrschaft nur einen Teil des Tatbestands verwirklichen kann und die anderen Teile der Tatbestandsverwirklichung auf die anderen Mit­ täter angewiesen sind. Im Übrigen bedarf es in Hinblick auf die Verantwortlichkeit des einzelnen Mittäters für die gesamte Tatbestandsverwirklichung einer normativen Erklärung, warum die Mitherrschaft des einzelnen Mittäters normativ addiert werden kann, so dass jeder einzelne Mittäter für die Gesamttat zur Verantwortung gezogen wird. Oder anders gefragt: Setzt der GeAT II, § 25 Rn. 188. Roxin, TuT, S.  863 f.; Greco, JRE 27 (2019), S. 372. 196  In diesem Sinne auch Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 14. 197  Kindhäuser, Pflichtverletzung und Täterschaft, S. 1185; Küper, JZ 1979, 786; Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 166; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 15. 198  Roxin, FS-Frisch, S. 630 f. 199  Vgl. Bloy, Beteiligungsform, S. 372; Greco, JRE 27 (2019), S. 373. 200  Roxin, FS-Frisch, S. 631. Zuvor bereits Bloy, Beteiligungsform, S. 371. 194  Roxin,

195  Klarstellend



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danke der „Mitherrschaft“ nicht bereits eine normative Zuständigkeit für die Tätigkeiten anderer Mittäter voraus?201 Der Ausweg aus dieser Problematik besteht in einem normativen Verständnis von Tat­herrschaft, das den Gedanken wechselseitiger Zurechnung fremder Tätigkeiten ermöglicht. Die Einsicht, dass der einzelne Mitttäter allein durch seinen Tatanteil nicht das Gesamtgeschehen beherrschen kann, steht der Annahme von Täterschaft nicht entgegen, wenn sein Tatanteil im normativen Sinne nicht nur sein eigener, sondern auch der der anderen Tatbeteiligten ist. Das setzt aber notwendig eine Zuständigkeit für die Tatanteile anderer Mittäter und damit die Zurechnung fremder Tatanteile voraus.202 Der Grund für diese Zuständigkeit liegt in der autonomen Entscheidung des einzelnen Mittäters zur Tatbestandsverwirklichung mit den anderen. Wenn die Mittäter wechselseitig eine solche Entscheidung getroffen haben, übernehmen sie freiwillig die Pflichtstellung zur Überwachung der Handlung der anderen Beteiligten. Sie müssen somit wechselseitig für die Tatbeiträge anderer Mittäter einstehen.203 Verletzt der einzelne Mittäter diese Pflicht, indem er selbst den eigenen Tatanteil ausführt oder die Tathandlung anderer Mittäter nicht verhindert, kann ihm die Handlung anderer Mittäter einschließlich des tatbestandsmäßigen Erfolg zugerechnet werden, als ob er sie selbst vorgenommen 201  Neuerdings hat Greco, JRE 27 (2019), S. 373 versucht, die Mitherrschaftsthese Roxins weiterzuentwickeln, indem er die Herrschaft nicht als absolute, sondern als relative Größe interpretiert. „[G]leichgeordnete Tatbeiträge verleihen eine Herrschaft“, soweit es „von dem Standpunkt der Beteiligten im Verhältnis zueinander“ keinen übergeordneten Beitrag gibt. Aber abgesehen davon, dass die Herrschaft als relative Größe zu interpretieren notwendig zu einem quantitativen Unterschied zwischen Mittäterschaft und Teilnahme führt und es dann rationaler und praktizierbarer Kriterien für die Bestimmung der Herrschaftsgröße bedürfte, hat der Gedanke der gleichgeordneten Mitherrschaft die Angewiesenheit jedes einzelnen Tatbeitrags auf die anderen Tatbeiträge zu aller Deutlichkeit gebracht. Gerade weil es an einem übergeordneten Tatbeitrag fehlt, sind die gleichgeordneten Tatbeiträge voneinander abhängig. Ob dann noch von einer „faktischen Herrschaft“ die Rede sein kann, ist mehr als zweifelhaft. Darüber hinaus bleibt auch ungeklärt, warum das Fehlen eines übergeordneten Tatbeitrags ohne weiteres dem einzelnen gleichberechtigten Mittäter eine Herrschaft „verleiht“. Entscheidend ist nicht das Nichtvorliegen eines übergeordneten Tatbeitrags, sondern die Frage, warum die gleichgeordnete faktische Herrschaft die rechtliche Mitzuständigkeit des einzelnen Mittäters begründen kann. Grecos Versuch mag ein Kriterium für die Bestimmung der gleichberechtigten Herrschaft anbieten, liefert aber keine Legitimationsgrundlage für die Begründung der Mittäterschaft. 202  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 16. A. A. aber Roxin, AT II, § 25 Rn. 257: „das eigene Tun des Mittäters verschafft ihm ohne alle Zurechnung von Fremdverhalten die Mitherrschaft über die Gesamttat“. 203  Dieser Ansatz der autonomen Übernahme einer Garantenpflicht ist mit Kindhäusers Ansatz der Wechselrepräsentation (Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645) vergleichbar, setzt sich aber nicht dem Vorwurf einer zivilrechtsorientierten Betrachtungsweise (Greco, JRE 27 [2019], S. 369) aus.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

hätte. Erst durch diese Zuständigkeit und die daran anschließende Zurechnung fremder Tätigkeiten wird die Mittäterschaft bzw. Gesamttat begründet, nicht umgekehrt.204 Aus der These, dass jeder Mittäter eine autonome Entscheidung zur gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung trifft und die Mittäter wechselseitig eine Überwachungspflicht übernehmen, ergeben sich weitere Legitimationsvoraussetzungen für die Begründung der Mittäterschaft: Subjektiv muss zwischen den Mittätern ein gemeinsamer Tatentschluss vorliegen.205 Ein einseitiger Anpassungsentschluss206 kann nicht als Entscheidung zur gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung und als wechselseitige Übernahme der Überwachungspflicht begriffen werden.207 Die autonome Entscheidung enthält aber darüber hinaus ein personales Schuldelement.208 So lässt sich eine Mittäterschaft nicht als Verhältnis zwischen einem schuldhaften und einem schuldlosen Mittäter begründen. Der schuldhaft handelnde Beteiligte übernimmt vielmehr die Entscheidung des schuldlosen Beteiligten und ist als mittelbarer Täter zu bestrafen.209 Objektiv kann die Wesentlichkeit der Tatbeiträge allein kein sachgemäßes Kriterium für die Unterscheidung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe sein. Wer etwa dem Dieb im Vorbereitungsstadium ein unersetzbares Werkzeug zur Tatbegehung verschafft, hat zwar die sog. negative „Tat­herrschaft“ in dem Sinne, dass er durch Nichterbringen dieses Beitrags den gesamten Tat204  Buser, Zurechnungsfragen, S. 37; Kühl, AT, § 20 Rn. 125; Küper, Versuchsbeginn, S. 60; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 6; Schönke/Schröder/ Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 77. Gerade umgekehrt aber Bloy, Beteiligungsform, S. 266; Greco, JRE 27 (2019), S. 366 Fn. 25. 205  Zur Relevanz des subjektiven gemeinsamen Tatentschlusses aus dem Legitimationsgrund der Mittäterschaft Matt/Renzikowski/Haas, § 25 Rn. 66; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 37: Grundlage und Grenze wechselseitiger Zurechnung; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 78; Seher, JuS 2009, 4 f.; ders., Tat­herrschaftslehre, S. 114 ff., zusammenfassend S. 118 f.: „Mittäterschaft ist also die vom gemeinsamen Tatplan getragene Tat­herrschaft.“ 206  Jakobs, AT, § 21 Rn. 43  f. Noch radikaler darauf verzichtend Jakobs, FSHerzberg, S. 397 Fn. 5, wonach die gemeinschaftliche Begehung nur objektiv bestimmt werden soll, der subjektive Akt im Einzelfall demgegenüber nur diese objektiv bestimmte Gemeinsamkeit „präzisieren“ könne. 207  Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§  25 ff. Rn.  78 m. w. N. 208  Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 646. 209  NK/Schild, § 25 Rn. 128. A. A. Kreuzberg, Täterschaft, S. 518, insb. Fn. 2853, der nur auf der Basis der Sozialschädlichkeit der Handlung argumentiert und damit die Dimension der autonomen Gestaltungsmacht der Täterschaft vernachlässigt. Abw. hiervon auch Roxin, AT II, § 25 Rn. 237, der bei positiver Erkenntnis eines schuld­ losen „Mittäters“ sowohl die Mittäterschaft als auch die mittelbare Täterschaft annehmen will.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung299

plan in Frage stellen kann, bleibt aber immer Gehilfe und wird nicht zum Täter. Ein allein auf die Wesentlichkeit des Tatbeitrags abstellendes Abgrenzungskriterium führt notwendig zu einer quantitativen Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme.210 Die qualitative Unterscheidung zwischen beiden Beteiligungsformen besteht hingegen in der unterschiedlichen Qualität der von den Beteiligten jeweils verletzten Verhaltensnorm. Der Gehilfe verletzt nicht eine Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, sondern ermöglicht oder erhöht nur das Risiko einer fremden Straftat.211 Ob der Ausführende das erwähnte unersetzbare Werkzeug benutzt oder nicht, hängt allein vom Willen des Ausführenden ab. Kann der Beteiligte aber das Gesamtgeschehen und seinen Verlauf gleichberechtigt mit den anderen Beteiligten bestimmen (gleichberechtigte Entscheidungs- und Gestaltungstatbeiträge212), schafft er ein Risiko in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg und ist als Mittäter zu begreifen. Um eine Mittäterschaft zu begründen, müssen die gleichberechtigten Entscheidungs- oder Gestaltungstatbeiträge aber, entgegen den in der Literatur lauter geworden Stimmen,213 nicht im Ausführungsstadium erbracht werden.214 Für die Notwendigkeit einer Erbringung der Tatbeiträge im Ausfüh210  In

diesem Sinne auch Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 632. FS-Otto, S. 361. 212  Zur Entscheidungs- und Gestaltungsherrschaft Jakobs, AT, § 21 Rn. 35. 213  Bloy, Beteiligungsform, S. 197, 369; Gropp/Sinn, AT, § 10 Rn. 181; Klesczewski, Eigenständigkeit, S. 262; Köhler, AT, S. 518; Krey/Esser, AT, 28 Rn. 978; LK13/ Schünemann/Greco, § 25 Rn. 205; NK/Zaczyk, § 22 Rn. 65; NK/Schild, 25 Rn. 139; Puppe, GA 2013, 522 f.; dies., AT, § 23 Rn. 8; Roxin, AT II, § 25 Rn. 198 ff.; ders., TuT, S.  867 ff.; Renzikowski, Täterbegriff, S. 103; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 45 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 325 f.; Zieschang, ZStW 107 (1995) 377 ff. Grundsätzlich auch MK4/Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 204. 214  Nach der neueren Rechtsprechung (BGH NStZ-RR 2016, 335; 2018, 178, 180; 2019, 203, 204; BGH NStZ 2020, 22; BGH HRRS 2020 Nr. 312) müssen die Tatbeiträge zwar nicht unbedingt im „Kerngeschehen“ erbracht werden, aber deren Gewicht muss so wesentlich sein, dass sie sich in einer wertenden Gesamtbetrachtung als Teil der Tätigkeit aller darstellen können. In einigen BGH-Entscheidungen lässt sich zwar ein an die Tat­herrschaft angenähertes Kriterium der Einflussnahme auf die Tatausführung finden (BGH NStZ 2018, 650 f.; NStZ-RR 2018, 271, 271), da aber die Tat­herrschaft in der wertenden Gesamtbetrachtung nur einer der Faktoren zur Bestimmung der Willensrichtung des betroffenen Beteiligten ist und von anderen Faktoren ausgeglichen oder sogar verdrängt werden könne (klarstellend BGH NStZ 2020, 22), kann im Einzelfall nach dem BGH eine Unterstützungshandlung die Mittäterschaft begründen. Demgegenüber wird in der Literatur vielfach ein wesentlicher Tatbeitrag, insb. eine Organisations- und Planungsfunktion im Vorbereitungsstadium gefordert Anw-StGB/Waßmer, § 25 Rn. 68; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 25 Rn. 81; Rengier, AT, § 41 Rn. 19; HK-GS/Ingelfinger, StGB, § 25 Rn. 46; Heinrich, AT, Rn. 1228; Jakobs, AT, § 21 Rn. 48 f.; ders., Theorie, S. 51; Jescheck/Weigend, AT, S. 680; Kühl, AT, § 20 Rn. 111; MK/Joecks, § 25 Rn. 203; Otto, GK, § 21 Rn. 61; 211  Kindhäuser,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

rungsstadium wird geltend gemacht, dass der lediglich im Vorbereitungs­ stadium mit seinem wesentlichen Tatbeitrag handelnde Beteiligte den anderen Tatbeteiligten im Ausführungsstadium die Entscheidung überlassen müsse, ob dieser Beitrag im Ausführungsstadium benutzt wird, und deshalb die Tat aus der Hand geben müsse.215 Aber unabhängig davon, dass auch die Tatbeiträge im Ausführungsstadium von den anderen Mittätern verweigert werden könnten, soweit die anderen Beteiligten rechtlich frei entscheiden können, schließt die autonome Entscheidung anderer Tatbeteiligter auch nicht die Herrschaft des im Vorbereitungsstadium handelnden Beteiligten aus. Denn die Autonomie der anderen kann sich, wie bei manchen Fällen der mittelbaren Täterschaft, nicht nur auf die eigene Herrschaftsmacht oder Täterschaft negativ auswirken, sondern auch wie bei der Mittäterschaft positiv die Täterschaft begründen, indem sich die Beteiligten autonom zur gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung entscheiden.216 Durch die wechselseitige Zurechnung der fremden Handlung kraft dieser Entscheidung kann die Handlung der im Ausführungsstadium handelnden Beteiligten als eigene Handlung des im Vorbereitungsstadium Handelnden angesehen werden. So gesehen stellt die mögliche Verweigerung der Mittäter im Ausführungsstadium normativ nichts anderes als eine mögliche eigene Aufgabe der Tatbeiträge dar, was aber nichts an der zuvor bereits begründeten Zuständigkeit für die fremde Handlung ändert. Wenn also die Tatbeiträge im Vorbereitungsstadium die Voraussetzungen gleichberechtigter Entscheidungs- bzw. Gestaltungsmacht erfüllen, etwa eine wesentliche Planungs- oder Organisationsfunktion aufwei­ sen,217 und diese Tatbeiträge weiter ins Ausführungsstadium hineinwirken,218 damit die vielfach geforderte Tatbestandsbezogenheit begründet wird, schaffen sie bereits eine Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg. Die Übernahme oder mögliche Verweigerung der im Vorbereitungsstadium erbrachten Tatbeiträge durch die Mittäter im Ausführungsstadium betrifft nur die Frage der Risikoverwirklichung.

Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, §  25 Rn.  43; Schönke/Schröder/Heine/ Weißer, § 25 Rn. 67; Seher, JuS 2009, 308; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 823; ­nahestehend SK/Hoyer, § 25 Rn. 119, der aber fordert, dass die tatvorbereitende Planung auf einen wesentlichen Tatbeitrag jedes Beteiligten im Ausführungsstadium bezogen sein müsse. 215  Roxin, AT II, § 25 Rn. 198. 216  Zutreffend Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 644 f. 217  Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor § 25 Rn. 80. 218  Die Tatbeiträge eines Gehilfen wirken zwar auch ins Ausführungsstadium hinein, unterscheiden sich sich indes von den mittäterschaftlichen insoweit, als die letzteren nicht nur den tatbestandsmäßigen Erfolg kausal auslösen, sondern darüber hinaus eine Entscheidungs- und Gestaltungsmacht innehaben. Deshalb ist die Kritik von Renzikowski, Täterbegriff, S. 103 nicht überzeugend.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung301

3. Die selbständige Kategorie des Pflichtdelikts und ihre Schwäche a) Keine Notwendigkeit zur Entwicklung der Pflichtdeliktslehre Im Vergleich zur Tat­herrschaftslehre beim Herrschaftsdelikt lässt sich eine starke Normativierung des Täterbegriffs bei der Pflichtdeliktslehre erkennen. Bei Pflichtdelikten bestimme sich der Täter nicht nach dem „Maß des äußeren Anteils am Erfolg oder Tat­herrschaft“,219 sondern nach der Verletzung einer „über die jedermann treffende Deliktsvermeidungspflicht hinausgehen­ de[n]“ Sonderpflicht, die aus einer „vor der Tat“ bestehenden rechtlich-sozialen Beziehung erwachse.220 Die Pflichtverletzung begründe bereits die Täter­schaft.221 Der Täter bei Pflichtdelikten soll danach eine Sonderpflicht missbrauchen oder vernachlässigen und dadurch die Rechtsgutsverletzung herbeiführen.222 Die Äußerlichkeit der Tatbestandsverwirklichung, also ob der Sonderpflichtige durch Tun oder Unterlassen diese Pflicht verletzt, sei gleichgültig.223 Zu den Pflichtdelikten zählt Roxin die meisten echten Sonderdelikte, die unechten Unterlassungsdelikte sowie einen Teil der eigenhändigen Delikte (sog. höchstpersönliche Pflichtdelikte). Neben der Kategorie des Herrschaftsdelikts noch eine zusätzliche des Pflichtdelikts zu entwickeln, ist im Tätersystem Roxins konsequent. Denn die Tat­ herrschaft wird bei ihm auf die faktische Beherrschung des zur Rechtsgutsverletzung führenden Geschehens reduziert und diese faktische Betrachtungsweise des Täterbegriffs stößt notwendig an ihre Grenze, wo das im Tatbestand vertypte Unrecht ersichtlich nicht durch die positive Gestaltung des Kausalverlaufs angemessen erfasst werden kann, wie beim Tatbestand von unechten Unterlassungsdelikten oder einem großen Teil der Tatbestände von Sonderdelikten. Wer aber wie hier den Begriff der Tat­herrschaft stark normativiert und sie als Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer in dem Sinne definiert, dass der Täter eine bestimmte Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg verletzt und damit eine rechtlich unerlaubte Gefahr in Richtung auf diesen Erfolg geschaffen hat und sie im Erfolg verwirklicht, hat keinen Anlass, eine zusätz­

AT II, § 25 Rn. 268. FS-Schünemann, S. 522. 221  Roxin, FS-Schünemann, S. 531, wo er zugleich betont, dass Pflichtverletzung nur die Täterschaft der Pflichtdelikte, nicht aber deren Strafgrund begründe; der Strafgrund der Pflichtdelikte bleibe wie bei den Herrschaftsdelikten immer die Rechtsgutsverletzung. Ihm folgend auch Pariona Arana, Täterschaft, S. 79 f.; ferner Witteck, Betreiber, S. 120. 222  Roxin, FS-Schünemann, S. 522. 223  Roxin, AT II, § 25 Rn. 271. 219  Roxin, 220  Roxin,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

liche Kategorie des Pflichtdelikts zu entwickeln.224 Denn die sich am Rechtsverhältnis zum Opfer orientierende Tat­herrschaft setzt eine Pflichtverletzung in Richtung auf die Rechtsverletzung voraus225 und kann von vornherein das Unrecht von Pflichtdelikttatbeständen angemessen erfassen und erklären: aa) Ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis bei unechten Unterlassungsdelikten Im Verhältnis zum Herrschaftsdelikt besteht die Besonderheit der Pflichtdelikte im besonderen Rechtsverhältnis des Pflichtigen zum Opfer; in einem solchen Rechtsverhältnis kann nur der Pflichtige, der, wie Roxin zutreffend formuliert, vor der Tat bereits eine „rechtlich-soziale Beziehung“ zum Opfer begründet hat, selbständig das Rechtsgut des Opfers angreifen. Das erinnert an die oben begründete Unrechtsstruktur des unechten Unterlassungsdelikts. Bei unechter Unterlassung kann nur der Garant, der mit dem Opfer in einem ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnis steht, eine mit dem Begehungstäter vergleichbare Verletzungsmacht haben. Diese ursprüngliche Abhängigkeit kennzeichnet gerade ein vor der Straftat bestehendes besonderes Rechtsverhältnis zwischen dem Garanten und dem Opfer und liefert einen materiellen Grund für die Pflicht des Garanten, weder durch Tun noch durch Unterlassen das Rechtsgut zu verletzen. Anders als Roxin annimmt begründet die Verletzung der Garantenpflicht aber nicht immer die Täterschaft. Das ergibt sich schon daraus, dass die Garantenpflicht nicht stets auf die Erfolgsverhinderung, sondern auf die Erfolgserschwerung zielen könnte. Die Möglichkeit und Notwendigkeit dieser Unterscheidung der Verletzungsmacht ist oben detailliert begründet worden226 und soll hier in die Beteiligungslehre integriert werden. Nach der hier vertretenen Unrechtsstruktur der Täterschaft, der zufolge der Täter eine Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßi224  Murmann, Nebentäterschaft, S. 181 f.; ders., GK, § 27 Rn. 17. Vgl. auch Freund/ Rostalski, AT, § 10 Rn. 50. 225  Deshalb ist die streitige Frage, ob bei den Pflichtdelikten, bei denen der Pflichtige nur in einer tatbestandlich vorgesehenen Verhaltensweise die Sonderpflicht verletzen kann, neben der Pflichtverletzung noch die Tat­herrschaft zur Bestimmung der Täterschaft herangezogen werden müsse (bejahend Bloy, Beteiligungsform, S.  231 f.; SK/Hoyer, § 25 Rn. 21 ff.; verneinend Roxin, TuT, S.  894 f.; Pariona Arana, Täterschaft, S. 124 ff., 131 ff.), nur ein irreführendes Scheinproblem. Denn näher besehen handelt es sich hierbei nur um die allgemeine Anforderung an die Bestimmung einer tatbestandsmäßigen Handlung, nämlich dass die Pflichtverletzung ein tatbestandsspezifisches Risiko in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg schaffen muss. Die Forderung nach einem Zusammenspiel von Herrschafts- und Pflichtverletzungsgedanken ist dem reduzierten Verständnis von instrumentaler Tat­herrschaft sowie inhaltsleerer Pflichtverletzung geschuldet. 226  Siehe oben S. 163 ff., 244 ff.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung303

gen Erfolg verletzt und damit eine Gefahr in Richtung auf diesen Erfolg schafft, kann ein Garant nur dann als Täter angesehen werden, wenn die von ihm verletzte Verhaltensnorm und die aus ihr entspringende Garantenpflicht gerade die Erfolgsverhinderung, nicht aber nur die Erfolgserschwerung bezweckt.227 Denn nur wenn der Zweck der Garantenpflicht in der Erfolgsverhinderung besteht, ist der Garant für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig; wer aber für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist, verpflichtet sich, nicht durch eigenes Tun oder durch Unterlassen die Rechtsverletzung herbeizuführen. Verletzt der Garant diese Pflicht in Richtung auf diesen Erfolg, schafft seine Pflichtverletzung durch Tun oder Unterlassen eine Gefahr in Richtung auf den Erfolg und er ist als Täter eines unechten Unterlassungsdelikts anzusehen. bb) Ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis bei echten Sonderdelikten Aber auch das Täterunrecht der echten Sonderdelikte, die Roxin zu den Pflichtdelikten rechnet, lässt sich mit der hier vertretenen Tat­herrschaftslehre erklären. Das Sonderdelikt ist dadurch gekennzeichnet, dass das Tatbestandsunrecht nur von einem bestimmten Subjekt, das eine im Tatbestand vorgesehene Eigenschaft oder Qualität aufweist, verwirklicht werden kann. Nach der Pflichtdeliktslehre verletzt dieses Subjekt eine vor der Tat bestehende Sonderpflicht, die aus einer bestimmten rechtlich-sozialen Beziehung abgeleitet wird. Bei Amtsdelikten könnte diese Sonderpflicht etwa eine öffentlich-rechtliche Amtspflicht oder Dienstpflicht sein, die aus dem vor der Tat bestehenden öffentlichen rechtlichen Amts- oder Dienstverhältnis des Pflichtigen zum Staat entspringt. Weil diese Pflicht auf der primären Verhaltensnormebene der strafrechtlichen Beurteilung zugrunde liegt, ist die Bestimmung des Inhalts und der Reichweite dieser vorstrafrechtlichen Pflicht bei der Bestimmung der Täterschaft unverzichtbar.228 Andererseits muss man aber fragen, was den Pflichtigen in diese Pflichtstellung rücken lässt, muss also nach dem materiellen Grund für das Sonderdeliktsunrecht fragen. Dieser materielle Grund für die Begründung des Sonderdeliktsunrechts besteht wie bei den unechten Unterlassungsdelikten in der von Roxin nunmehr auf­ genommenen „vor der Tat bestehenden […] rechtlich-sozialen Beziehung“ zwischen dem Täter des Sonderdelikts und dem Rechtsgut.229 Diese soziale Beziehung muss aber weiter als „ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis FS-Beulke, S. 189. Roxin, FS-Schünemann, S. 521, mit weiteren Beispielen für die eigenständige Bedeutung einer pflichtorientierten Betrachtungsweise gegenüber einer faktischen Herrschaftsbetrachtungsweise. 229  Roxin, FS-Schünemann, S. 522, der insoweit den Gedanken von Schünemann (LK13/Schünemann, § 14 Rn. 15) aufnimmt. 227  Murmann,

228  Zutreffend

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

zwischen dem Sonderpflichtigen und dem Opfer“ präzisiert werden.230 Denn nur derjenige, der mit dem Opfer in einem solchen Abhängigkeitsverhältnis steht, hat die Möglichkeit zum selbständigen Angriff auf das geschützte Recht des Opfers. Dazu zwei Beispiele: Bei Untreue (§ 266 StGB) ist Täter Roxin zufolge derjenige, der „die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen“ verletze, einerlei, ob dies durch positives Tun oder Unterlassen geschehe.231 Diese Täterbestimmung ist zwar im Ergebnis zutreffend, orientiert sich aber zu sehr an einer formellen Betrachtungsweise der Pflichtverletzung. Näher besehen handelt es sich bei dieser Vermögensbetreuungspflicht um eine Garantenpflicht des Vermögensverwalters.232 Indem der Vermögensverwalter etwa die Aufgabe der Betreuung fremden Vermögens freiwillig übernimmt, wird das Vermögen seitens des Vermögensinhabers dem Vermögensverwalter anvertraut. Der Inhaber des anvertrauten Vermögens ist dann auf die Erfüllung der jeweiligen Anforderungen an den Vermögensverwalter angewiesen. Zwischen dem Vermögensverwalter und dem Vermögensinhaber besteht nämlich eine vor der Tat bestehende ursprüngliche Abhängigkeit, die die Beschützergarantenstellung des Vermögensverwalters begründet und dem Vermögensverwalter ein besonderes Verletzungspotential verleiht, „von innen heraus“233 das betreute Vermögen zu beeinträchtigen. Demgegenüber ist derjenige, dem dieses Vermögen nicht anvertraut wird, mangels einer vergleichbaren ursprünglichen Abhängigkeit zwischen ihm und dem Vermögensinhaber nicht in der Lage, von innen heraus dem betreuten Vermögen zu schaden; er könnte ihm ggf. von außen schaden, etwa es wegnehmen oder zerstören bzw. mit dem Vermögensverwalter das Vermögen angreifen. Weil der Vermögensverwalter als Beschützergarant verpflichtet ist, das Vermögen zu garantieren und alle möglichen Angriffe darauf zu verhindern, ist er für die Vermögensnachteile zuständig und deshalb als Untreuetäter anzusehen, auch wenn er nur durch eine Bestimmungs- oder Förderungshandlung oder sogar ein Unterlassen diese Vermögensbetreuungspflicht verletzt.234 230  Schünemann, GA 2017, 686, 688 argumentiert zwar auch für eine einheitliche Unrechtsbegründung bei unechten Unterlassungsdelikten und Sonderdelikten, versucht sie aber mit der faktischen Herrschaft über die Hilflosigkeit des Rechtsguts zu erklären. Ihm überwiegend folgend Chen, Garantensonderdelikt, S. 87 ff., 108 ff. 231  Roxin, AT II, § 25 Rn. 271. 232  In diesem Sinne auch LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 56; Chen, Garantensonderdelikt, S. 191. 233  BVerfGE 126, 170, 201; LK/Schünemann, § 266 Rn. 1; NK/Kindhäuser, § 266 Rn. 3. 234  Das ursprüngliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Garanten und dem Opfer verleiht äußerlich ganz geringfügigen Tätigkeiten eine Herrschaftsmacht über das Recht des Opfers. Dazu Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§  25 ff. Rn. 14.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung305

Gleiches gilt aber auch für die echten Amtsdelikte (etwa §§ 332, 339, 344 StGB).235 Durch freiwillige Übernahme bestimmter staatlicher Aufgabe durch Amtsträger werden diesen verschiedene Rechte des Staates anvertraut. Ob diese staatlichen Rechte reibungslos durchgesetzt werden können, hängt dann von der Erfüllung der Amtspflichten ab. Dadurch entsteht ein vor der Tat bestehendes ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Amtsträger mit bestimmten Funktionen und dem Staat. Weil sich der Amtsträger in Hinblick auf die betreuten Rechte des Staates in der Regel als Beschützergarant verpflichtet, alle Gefahren gegen diese Rechte zu verhindern, führt seine Pflichtverletzung in der Regel zur Täterschaft des betreffenden Amtsdelikts. Andere Bürger oder Amtsträger mit anderer Funktion, denen diese Rechte vor der Tat nicht übertragen werden, beteiligen sich dagegen an ­diesen abhängigen Rechtsverhältnissen nicht und haben damit keine Verletzungsmacht, die aus diesen Abhängigkeitsverhältnissen entspringt. Sie können deshalb nicht als Täter das betreffende Recht selbständig angreifen, sondern können allenfalls als Teilnehmer zusammen mit einem Amtsträger, dem das Recht anvertraut wird, das Recht akzessorisch verletzen. b) Aufspaltung des einheitlichen Unrechtsbegriffs und ihre Konsequenzen Abgesehen von der Überflüssigkeit der Pflichtdeliktslehre und ihrer Vernachlässigung einer Abgrenzung der Beteiligungsformen bei unechten Unterlassungsdelikten führt die zusätzliche Entwicklung einer Kategorie des 235  Bei sog. unechten Sonderdelikten, bei denen die Sonderpflicht nicht das Unrecht begründet, sondern sich nur auf das Strafmaß auswirkt (statt vieler Kindhäuser/ Zimmermann, AT, § 8 Rn. 17), liefert die ursprüngliche Abhängigkeit zwischen dem Sonderpflichtigen und dem Opfer auch eine Legitimationsgrundlage für eine besondere Rechtsfolge. Wenn etwa ein Aufseher in einer Anstalt das Entweichen eines Gefangenen fördert oder es nicht verhindert, ist er Täter in Hinblick auf die Gefangenenbefreiung (§ 120 Abs. 2 StGB), seine Strafe wird auch im Verhältnis zum Täter bei § 120 Abs. 1 StGB erhöht. Der strafverschärfende Grund ergibt sich daraus, dass dem Aufseher im Gegensatz zu demjenigen, der nicht mit der Verhinderung des Entweichens eines Gefangenen beauftragt ist, bereits vor dem Entweichen des Gefangenen durch freiwillige Übernahme dieser Überwachungsaufgabe das Recht des Staates auf Sicherung amtlichen Gewahrsams über Gefangene (Schönke/Schröder/Esser, § 120 Rn. 1) anvertraut worden ist. Er ist insoweit als Beschützergarant gegenüber dem Staat tätig. Durch diese Beauftragung seitens des Staates stehen dem Aufseher zwar mehr Befugnisse zur Verfügung, um das Recht des Staates zu schützen, zugleich aber ist die Durchsetzung des staatlichen Rechts besonders auf die Erfüllung der Überwachungspflicht des Aufsehers angewiesen und das Recht ist somit gegenüber dem Aufseher anfälliger und schutzbedürftiger. Diese aus der besonderen Anfälligkeit des Opfers abgeleitete höhere Verletzungsmacht legitimiert somit die höhere Unrechtsqualität und das höhere Strafmaß.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Pflichtdelikts auch zur Aufspaltung des einheitlichen Unrechtsbegriffs:236 Die strenge Unterscheidung von Herrschafts- und Pflichtdelikt scheint diesen Unrechtsbegriff zu zerteilen. Beim Herrschaftsdelikt bestimmt sich das Straf­unrecht instrumental, rein faktisch, beim Pflichtdelikt hingegen normativ, orientiert an der Zuständigkeit. Vertypen die Tatbestände aber das Un­ recht,237 dann muss es einen vortatbestandlichen materiellen Unrechtsbegriff geben,238 der für alle Typen von Tatbeständen gilt. Dieser einheitliche materielle Unrechtsbegriff kann nicht durch die „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens“ angemessen definiert werden, sondern muss sich auf die Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer beziehen, also auf ein Kriterium, das, wie oben festgestellt, auch für Sonderdelikte und unechte Unterlassungsdelikte Gültigkeit beansprucht. Die Aufspaltung des einheitlichen Unrechtsbegriffs bringt ferner einige dogmatische Probleme mit sich, die Roxin mit seinen dogmatischen Mitteln nur schwer lösen kann. Wenn z. B. der Geschäftsführer einer GmbH eine Straftat eines ihm untergeordneten Mitarbeiters trotz seiner Überwachungsgarantenpflicht239 nicht verhindert, ist der Geschäftsführer nach Roxins Pflicht­ deliktslehre als Unterlassungstäter zu bestrafen. Bestimmt dieser Geschäftsführer aber darüber hinaus den Mitarbeiter zu einer betriebsbezogenen Straftat, kann der Geschäftsführer nach der Tat­herrschaftslehre Roxins nur als Anstifter angesehen werden, denn Roxin lehnt die Übertragung der Rechts­ figur der Organisationsherrschaft auf ein nicht rechtsgelöstes Unternehmen dezidiert ab.240 Das Ergebnis, dass bei positivem Tun des Geschäftsführers nur eine Anstiftung vorliegt, kann aber nicht befriedigen.241 Denn erstens ist zwar die Strafe der Anstiftung mit derjenigen der Täterschaft gleichzustellen, das ändert aber nichts an der Akzessorietät der Anstiftung als Teilnahme. Zweitens führt dieses Ergebnis zu einem Wertwiderspruch. Wenn die Nichtverhinderung des Geschäftsführers bereits eine Täterschaft, wenn auch durch Unterlassen, begründet, darf er nicht nur als ein Teilnehmer bewertet werden, denn über diese Nichtverhinderung hinaus erhöht er durch positive Bestimmung oder Förderung das Risiko für das Rechtsgut und somit sein Handlungsunrecht.242 236  Murmann, FS-Beulke, S. 184. Kritisch auch Kindhäuser, Pflichtverletzung und Täterschaft, S. 1181. 237  Frisch, Verhalten, S.  12 ff. 238  Murmann, Nebentäterschaft, S. 161. 239  Roxin, FS-Beulke, S. 255 bejaht die Garantenpflicht der Unternehmensleitung zur Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat von Untergeordneten. 240  Roxin, TuT, S. 854 Rn. 413. 241  Roxin, TuT, S. 856 Rn. 418. Kritisch auch Murmann, FS-Beulke, S. 184 Fn. 21. 242  Frisch, FS-Rogall, S. 143. Zu diesem Argument ferner Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 51; NK/Ransiek, § 324 Rn. 59; Roxin, AT II, § 25 Rn. 137; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 150, 152.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung307

Roxin hat das Problem selbst erkannt und sieht auch die zutreffende Lösung in der durch die Verletzung einer Garantenpflicht begründeten Täterschaft, einerlei ob durch Tun oder Unterlassen.243 Roxin meint, dass man diese „mittelbare Täterschaft kraft Pflichtstellung“ zwar als eine eigenständige Form von mittelbarer Täterschaft ansehen könnte, es gebe aber keine solche Täterform im StGB. Stattdessen könne der Geschäftstäter wegen der Garantenpflichtverletzung als Unterlassungstäter zu bewerten sein, denn die positive Anstiftung schließe nicht die Möglichkeit einer Unterlassungstäterschaft aus.244 Vermutlich stehen nach Roxins Auffassung die Unterlassungstäterschaft und eine Anstiftung durch positives Tun in einem Konkurrenzverhältnis. Weil aber § 13 II StGB für Unterlassen noch die Möglichkeit einer Strafmilderung vorsieht, könnte die gesamte Strafhöhe geringer sein als bei Anstiftung durch positives Tun.245 Um diese Schwierigkeit zu beheben, müsste die Strafmilderungsmöglichkeit mit der dogmatischen Begründung ausgeschlossen werden, dass der Geschäftsführer über das einfache Unterlassen hinaus positiv an der Rechtsverletzung mitwirkt.246 Diese komplexe Lösung ist aber m. E. dogmatisch gesehen nicht sauber und nicht notwendig. Sie ergibt sich daraus, dass die Tat­herrschaft zu stark instrumental-naturhaft verstanden und somit zwischen dem Herrschaftsdelikt und dem Pflichtdelikt eine unüberwindbare Grenze gezogen wird. Richtigerweise ist dagegen die Tat­herrschaft als Herrschaft über das Rechtsverhältnis zum Opfer zu begreifen. Entscheidend ist dann nicht die äußere Beschaffenheit von Tun und Unterlassen, sondern die aus diesem Rechtsverhältnis entspringende eigene Pflichtstellung des Handelnden gegenüber dem Opfer.247 Wer wie der Geschäftsführer zur Verhinderung aller unternehmensbezogenen Gefahren und der daraus resultierenden möglichen Rechtsverletzungen Dritter zuständig ist, ist gehalten, eine Straftat eines untergeordneten Mitarbeiters zu verhindern. Soweit er diese Garantenpflicht durch Unterlassen verletzt, kann ihm die Handlung des Mitarbeiters einschließlich der Rechtsverletzung zugerechnet werden. Aber auch wenn er darüber hinaus diesen Mitarbeiter zu dieser Straftat bestimmt oder sie fördert, ist er Begehungstäter.248 Denn auch AT II, § 25 Rn. 137. AT II, § 25 Rn. 137. 245  Nach Herzberg, TuT, S. 84 gebührt deshalb (angesichts der Strafmilderungsmöglichkeit bei Unterlassungstäterschaft) der Anstiftung durch Tun der Vorrang vor der Unterlassungstäterschaft. 246  Roxin, FS-Schünemann, S. 525; ferner Frisch, FS-Rogall, S. 143: „Nur so kann der grundsätzlichen Wertung des Gesetzes, dass die Anstiftung prinzipiell genauso strafwürdig sei wie die Täterschaft des Begehungstäters (vgl. § 26 StGB), hier Rechnung getragen werden.“ 247  Murmann, GA 1996, 276; ders., GA, 1998, 83, 86. 248  Im Ergebnis auch Frister, AT, Kap. 26 Rn. 32. 243  Roxin, 244  Roxin,

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bei positivem Tun ist das Kriterium für Täterschaft nicht der äußerliche Anteil am Kausalverlauf, sondern die Pflichtstellung des Geschäftsführers zum Opfer.249 Die Pflicht zur Erfolgsverhinderung und die daraus abgeleitete Zuständigkeit rückt auch bei positivem Tun den Geschäftsführer in die Täterrolle, denn jede positive Bestimmungs- oder Förderungshandlung geht unter dieser Betrachtungsweise notwendig mit einer Verletzung der Garantenpflicht zur Erfolgsverhinderung einher und das gesamte Handlungsunrecht kann deshalb nur als täterschaftliche Tatbestandsverwirklichung (Zuständigkeit für den Erfolg) durch positives Tun (positive Bestimmung usw.) angemessen bewertet werden.250 In der Tat müsste Roxin selbst nunmehr zu demselben Ergebnis wie hier kommen, nachdem er neuerdings in Anschluss an Jakobs251 und SánchezVera,252 aber auch Witteck253 die Pflichtdeliktsregel auf die Fälle übertragen hat, bei denen ein Garant durch sein positives Tun ein Jedermannsdelikt begeht, etwa wenn die Mutter dem Mörder ihres Kindes ein Messer verschafft. Die Mutter ist Roxin zufolge Täterin eines „Begehungs-Pflicht­delikt[es]“.254 249  Zur Relevanz der Sonderverantwortlichkeit für die Begründung der Täterschaft des Geschäftsführers auch Frisch, FS-Rogall, S. 143, 146. 250  Im Ergebnis ähnlich Schünemann, Brennpunkte, S. 367, der aber nicht nach der eigenen Pflichtstellung des Geschäftsführers zum Opfer fragt, sondern mit der typologischen Methode die Unterlassungstäterschaft und die Anstiftung durch Tun zur Mittäterschaft (durch Tun) „addiert“ (sog. Organisations-Mittäterschaft, LK13/ Schünemann/Greco, § 25 Rn. 152). Aber damit weicht Schünemann von seiner eigenen Ansicht ab, dass die Mittäterschaft einen wesentlichen Tatbeitrag im Ausführungsstadium erfordere. Der Geschäftsführer erbringt aber gerade keinen wesent­lichen Beitrag im Ausführungsstadium (zutreffende Kritik insoweit Roxin, TuT, S. 856 Rn. 419; dagegen wiederum LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 209: „andauernde Organisationsherrschaft“). Wenn aber die wesentliche Beteiligung im Ausführungs­ stadium ein unverzichtbares Element von Mittäterschaft als einem Beteiligungstypus ist, könnte Schünemann nicht mit der typologischen Methode zum Ergebnis der Mittäterschaft gelangen (auf einen methodischen Selbstwiderspruch insoweit hinweisend auch Morozinis, Organisationsdelikte, S. 526 f.). 251  Jakobs, AT, § 21 Rn. 116; ders., Theorie, S. 62. 252  Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 150 ff. 253  Witteck, Betreiber, S. 157 f. 254  Roxin, FS-Schünemann, S. 524 (Hervorhebung von mir). Gegen das Ergebnis der Begehungstäterschaft aber Chen, Garantensonderdelikt, S. 79, mit der Begründung aufgrund des Analogieverbots, dass „die Möglichkeit unmittelbarer Begehungstäterschaft in diesen Fällen angesichts der explizit zur Täterschaft erhobenen Fälle der Teilnahme etwa bei der Körperverletzung im Amt gemäß § 340 oder der Untreue gemäß § 266 als unbestrittene Fälle der Pflichtdelikte nämlich e contrario ausgeschlossen [ist]“. Diese Begründung überzeugt nicht, weil diese Vorschriften nur als Ausdruck der allgemeinen Pflichtdeliktslehre verstanden werden können, was die Anwendung der Pflichtdeliktsregel auf die anderen Konstellationen nicht nur nicht ausschließt, sondern sogar geboten erscheinen lässt (treffend Roxin, FS-Schünemann,



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung309

Diese Täterschaft ergibt sich aus folgenden zutreffenden Gründen: Wenn das bloßes Unterlassen der Mutter bereits die Täterschaft begründe, könne ein über das Unterlassen hinausgehendes positives Tun, auch wenn es nicht das Merkmal der Tat­herrschaft aufweise, nicht als Beihilfe angesehen werden. Denn „die täterschaftsbegründende Pflichtenstellung umfasst nach dem Grundprinzip der Pflichtdelikte alle Formen der Mitwir­kung“.255 Konsequent müsste Roxin die Begehungstäterschaft des Geschäftsführers annehmen, soweit es sich bei der von ihm positiv angestifteten unternehmensbezogenen Tat um ein Jedermannsdelikt, etwa Betrug (§ 263 StGB) handelt. Dies würde zu einer partiellen Relativierung der strengen Unterscheidung von Herrschafts- und Pflichtdelikt führen, aber dies ist der Preis, den Roxin für seine veränderte Ansicht notwendig bezahlen muss. Aus dieser Relativierung lässt sich wiederum eine Bestätigung der These ableiten, dass für die Bestimmung der Täterschaft nur die Pflichtstellung des Handelnden gegenüber dem Opfer ausschlaggebend ist. 4. Täterschaft bei strafbarer persönlicher Erklärung in Abhängigkeit von der Bestimmung der tatbestandsmäßigen Handlung Die Entkoppelung der faktischen Tat­herrschaftslehre von der normativen Lehre von der tatbestandsmäßigen Handlung zwingt Roxin zur Entwicklung einer zusätzlichen Kategorie von „Täterschaft durch strafbare persönliche Erklärung“, die neben den Herrschaftsdelikten, Pflichtdelikten und eigenhändigen Delikten als vierte Täterschaftskategorie dienen soll.256 Ein klassisches Bespiel für diese Kategorie ist das folgende:257 Ein Chef verfasst einen beleidigenden Brief und lässt seine Sekretärin, die den beleidigenden Inhalt des Briefs kennt, den Brief zur Post bringen. Nach Roxin ist der Chef als Täter und die Sekretärin nur als Teilnehmerin an der Beleidigung (§ 185 StGB) zu bestrafen, aber dieses Ergebnis lasse sich nicht aus der Tat­ herrschaftslehre folgen, denn die Sekretärin bringe als Botin den Brief unmittelbar in den Rechtsverkehr, was der die Tat­herrschaft begründenden wesentlichen Beteiligung im Ausführungsstadium entspreche.258 Auch die Pflichtdeliktslehre ist nach Roxins neuerer Ansicht kein geeignetes Mittel zur Lösung des Falls. Denn der Chef habe zwar durch das Verfassen des Briefs S. 525; Frister, AT, Kap. 26 Rn. 33). Außerdem kann die Anwendung der Pflicht­ deliktsregel auf Jedermannsdelikte nicht das Analogieverbot verletzen, denn hier geht es nur um die „Auslegungsregel“ der Täterschaft (§ 25 I StGB). Dazu Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 149. 255  Roxin, FS-Schünemann, S. 524 f. 256  Roxin, FS-Rengier, S. 96. 257  Roxin, FS-Rengier, S. 93. 258  Roxin, FS-Rengier, S. 95.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

den Achtungsanspruch des Opfers gegen ihn verletzt, aber dieser Achtungsanspruch entspringe nicht aus einer vor der Tat bestehenden, über die Jedermannspflicht hinausgehenden Sonderpflicht. Die Beleidigung sei Allgemeindelikt.259 Auch der Weg, Beleidigung als eigenhändiges Delikt zu qualifizieren und das Inverkehrbringen durch einen Boten auch als „eigenhändige Ausführung“ des verfassenden Chefs, wird von Roxin abgelehnt, denn dadurch würde die „nicht eigenhändige Ausführung durch einen Boten“ zur „eigenhändigen“ umgedeutet.260 Roxin sieht mithin keine Alternative als eine vierte Täterschaftskategorie zu entwickeln, bei der nur der Verfasser der Erklärung Täter sein könne, denn nur er gebe die Erklärung kund und nehme die Tatbestandshandlung vor, auch wenn die Tatbestandsverwirklichung von einem anderen abhänge.261 Roxins Ansichten sind überwiegend begründet. Bei der Beleidigung handelt es sich nicht um ein Pflichtdelikt oder ein eigenhändiges Delikt. Denn einerseits setzt das Recht des Opfers, im Umgang mit anderen immer als selbständiges Subjekt anerkannt zu sein,262 wegen seiner Herkunft aus der Würde des Menschen und deren kategorialer Durchsetzung in jedem Rechtsverhältnis keine vor der Tat bestehende ursprüngliche Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Verfasser der Erklärung und dem Opfer voraus. Andererseits ist die Beleidigung auch kein eigenhändiges Delikt.263 Einem großen Teil des eigenhändigen Delikts liegt eine unübertragbare Pflicht aus einem vor der Tat bestehenden Sonderrechtsverhältnis zugrunde, das bei der Beleidigung gerade fehlt. Darüber hinaus ist eine mittelbare Täterschaft des Verfassers durch einen gutgläubigen Boten durchaus denkbar,264 was ebenfalls gegen die Qualifizierung als eigenhändiges Delikt spricht. Aber anders als Roxin annimmt ist die Abgrenzungsfrage zwischen Täterschaft und Teilnahme auch bei strafbarer persönlicher Erklärung mithilfe der hier begründeten interpersonalen Tat­ herrschaftslehre zu lösen. Für die Begründung der Tat­herrschaft oder Täterschaft ist nicht (notwendig) die Vornahme einer dem Erfolg am nächsten stehenden Handlung maßgeblich, sondern ob der Handelnde im Hinblick auf sein eigenes Rechtsverhältnis zum Opfer eine Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg geschaffen hat. Täter der Beleidigung kann mithin nur derjenige sein, der in seiner Erklärung die Selbständigkeit des Opfers in den interpersonalen Verhältnissen dezidiert verFS-Rengier, S. 95. FS-Rengier, S. 96. 261  Roxin, FS-Rengier, S. 97. 262  Sog. „interpersonaler Ehrbegriff“ NK/Zaczyk, Vor § 185 Rn. 1. 263  So aber NK/Zaczyk, § 185 Rn. 19. 264  LK/Hilgendorf, §  185 Rn. 40; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, § 185 Rn. 17. 259  Roxin, 260  Roxin,



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung311

neint, was eine eigene Kundgabe oder zumindest eine Identifizierung mit einer fremden Kundgabe voraussetzt.265 Der Chef ist demnach unproblematisch als unmittelbarer Täter zu bestrafen, weil er durch seine Erklärung den Achtungsanspruch des Opfers selbst angegriffen hat, auch wenn er diese Erklärung nicht selbst in Verkehr bringt.266 Demgegenüber ist die Sekretärin nur als Gehilfin anzusehen, denn auch wenn sie den beleidigenden Inhalt durchschaut oder die fremde Erklärung in ihren Herrschaftsbereich fällt, führt sie – soweit sie sich nicht mit diesem Inhalt identifiziert, etwa indem sie diese Erklärung nach außen als eigene übernimmt und mithin eine ihr zuzurechnende Erklärung kundgibt267 – keinen Angriff auf den Achtungsanspruch des Opfers. Die Täterschaft bei der strafbaren persönlichen Erklärung hat deshalb die These wiederum bestätigt, dass nicht die faktische Tat­herrschaft, sondern die normative interpersonale Tat­ herrschaftslehre, die das Rechtsverhältnis und die daraus abgeleitete Pflichtstellung zum Opfer ernst nimmt, als Ausgangspunkt für die materielle Auslegung der tatbestandsmäßigen Handlung dienen muss. Es gibt keinen Anlass, ein selbständiges Kriterium neben der interpersonalen Tat­herrschaft zu entwickeln. 5. Zwischenergebnis Roxins Tätersystem krankt trotz vieler zutreffender Ergebnisse daran, dass er das Verständnis von Tat­ herrschaft überwiegend auf eine faktische Tat­ herrschaft reduziert und infolgedessen weitere Täterkategorien entwickeln müsste, die aber nicht in einen kohärenten Begründungszusammenhang gebracht werden können und zur Aufspaltung des materiellen Unrechtsbegriffs führen müssen. Grund dafür ist die methodisch ungeklärte Wechselwirkung zwischen ontologischer und teleologischer Betrachtungsweise oder zwischen Faktizität und Normativität.

265  LK/Hilgendorf, §  185 Rn. 40; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, § 185 Rn. 17. 266  Auch wenn der Chef mithilfe eines Boten die beleidigende Erklärung in Verkehr bringt, verwirklicht er selbst den Tatbestand. Man könnte hier zwar bei Akzentuierung der Indienstnahme eines Boten eine mittelbare Täterschaft annehmen (Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 4), aber auch dann ist die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft nur ein sekundäres Phänomen. 267  Ransiek, FS-Puppe, S. 1276, 1278 in Hinblick auf § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

IV. Variante 2 zur Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Täterschaft als Herrschaft über den Grund des Erfolgs (Schünemann) Die Aufspaltung eines einheitlichen Unrechtsbegriffs wird zwar im Tätersystem Schünemanns teilweise vermieden, indem er ein monistisches, sich einheitlich an der faktischen Herrschaft orientierendes Tätersystem entwickelt. Zugleich wird dort aber die Unzulänglichkeit eines faktischen Herrschaftsbegriffs zur Bestimmung der Täterschaft besonders augenfällig. Schünemann geht zunächst zutreffend davon aus, dass die Definition in § 25 I StGB einheitlich für alle Arten von Tatbeständen gelten soll.268 Danach müsse man aus den Tätertypen des allgemeinen Begehungsdelikts eine „allgemeine Struktur“ entwickeln, die bei den anderen Deliktsarten wie etwa unechten Unterlassungsdelikten und Sonderdelikten „in einer (dem hier maßgeblichen ‚Grund der Bestrafbarkeit‘ entsprechenden) Typologie zu konkretisieren“ sei.269 Den sachlichen Zurechnungsgrund für die Bestrafbarkeit sieht Schünemann in der „Beziehung zwischen dem personalen Steuerungszentrum und der den Erfolg verursachenden Körperbewegung“.270 Schünemann zufolge lässt sich das Wesen dieser Beziehung mit der absoluten Herrschaft einer Person über ihren Körper erklären: „Die psychophysisch intakte Person beherrscht ihre Körperbewegung in einer jeden anderen Einfluss minimalisierenden und mediatisierenden Weise.“271 Aus diesen Ausführungen lässt sich unschwer ableiten, dass der Grund für diese absolute Herrschaft über den eigenen Körper in der „Herrschaft des personalen Zentrums“ liegen.272 Stelle sich die den Erfolg verursachende Köperbewegung „vermöge des Kausalnexus als unmittelbarer Grund des Erfolgs“ dar, sei die Herrschaft des personalen Zen­ trums über diesen unmittelbaren Grund „der mittelbare Grund des Erfolges, der die Zurechnung zur Person rechtfertigt“.273 Wer diese „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ ausübe, indem er die maßgebliche Entscheidung gegen das Rechtsgut treffe,274 dem werde der Erfolg zugerechnet. Das allgemeine Zurechnungsprinzip sei die Herrschaft über den Grund des Erfolges.275 268  LK/Schünemann, §  25 Rn. 39; unverändert LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 52. 269  LK/Schünemann, § 25 Rn. 39 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 52). 270  LK/Schünemann, § 25 Rn. 39 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 52). Siehe aber bereits Schünemann, Grund und Grenzen, S. 235 f. 271  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 235 f. 272  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 236; LK/Schünemann, § 25 Rn. 39 (LK13/ Schünemann/Greco, § 25 Rn. 52). 273  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 236. 274  LK/Schünemann, § 25 Rn. 41 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 54). 275  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 236.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung313

Schünemann zufolge handelt es bei dem Herrschaftsbegriff um einen Typusbegriff,276 der seinen Gegenstand „nicht von vornherein definiert, sondern nur in seinen Richtpunkten erfasst, und bei der Entwicklung am Substrat konkretisiert wird“.277 Insoweit lässt sich eine methodische Vergleichbarkeit mit der dialektischen Methode Roxins feststellen. Oder: Nur unter Berücksichtigung der verschiedenen Erscheinungsformen von Herrschaft kann man verstehen, was Täterschaft ist. Wie Roxin differenziert Schünemann zwar auch unterschiedliche Herrschaftsformen, und zwar Tat­herrschaft bei allgemeinen Begehungsdelikten einerseits und „prästabilierte Geschehensherrschaft im Sinne der Kontrolle über einen sozialen Bereich“ bei sog. Garantensonderdelikten andererseits.278 Allerdings unterscheidet sich Schünemanns methodischer Ansatz in einer entscheidenden Hinsicht von Roxins. Statt sich einfach auf Hegels Dialektik zu berufen, bemüht Schünemann sich um das Herausfinden der Vergleichbarkeits- oder Ähnlichkeitsregel zwischen unterschiedlichen Herrschaftsformen bei verschiedenen Deliktsarten. Diese Ähnlichkeitsregel besteht nach Schünemann, wie oben angedeutet wird, in der „aktuellen, realen“ Herrschaft über den Grund des Erfolges.279 Auch wenn die Herrschaftsformen und ihre Strukturen variieren, könnten sie mit dieser Ähnlichkeitsregel im Wege der Typologie nach dem Leitprinzip „Herrschaft über den Grund des Erfolges“ erfasst werden.280 Damit gelangt Schünemann, anders als Roxin, der den Herrschaftsgedanken auf die Herrschaftsdelikte beschränken will, zu einem monistischen, sich am aktuellen Herrschaftsgedanken orientierenden Tätersystem. 1. Reduzierter Herrschaftsbegriff Dass eine faktische Tat­herrschaft ihre normative Relevanz erweisen muss, wurde oben in unterschiedlichen Zusammenhängen vielfach begründet und soll nicht wiederholt werden. Schünemann setzt sich aber diesem Vorwurf nicht aus, denn die Normativität seines Herrschaftsgedankens ist ja im Rechtsgüterschutz durch die Generalpräventionsfunktion der Strafe festgelegt. Demnach müsse sich die Strafnorm an diejenigen richten, die eine wesentliche Entscheidung über den Eintritt der Rechtsgutsverletzung getroffen FS-Neumann, S. 708. Grund und Grenzen, S. 243. 278  Zur „prästabilierten Geschehensherrschaft über einen sozialen Bereich“ siehe LK13/Schünemann, § 14 Rn. 39; ders., FS-Roxin II, S. 810. Gelegentlich wird diese Herrschaftsform auch als Kontrollherrschaft bezeichnet, etwa bei Chen, Garantensonderdelikt, S.  108 ff.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 19. 279  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 243. 280  LK/Schünemann, § 25 Rn. 16, 39 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 20, 52). Klarstellend auch Roxin, FS-Schünemann, S. 518. 276  Schünemann, 277  Schünemann,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

hätten und dadurch den Eintritt beherrschten.281 Unabhängig von der Richtigkeit der generalpräventiven Straftheorie ist die Bestimmung dieser Normativität doch durch das faktische Verständnis von Herrschaft wiederum wesentlich reduziert. Was durch die Verhaltensnorm verboten ist, ist genau betrachtet eine „pflichtwidrige“ Entscheidung gegen eine Norm, nicht aber eine Entscheidung, faktisch einen zur Rechtsgutsverletzung führenden Verlauf oder bestimmte diesen Verlauf auslösende Momente zu beherrschen. Die Zuständigkeit für die Rechtsgutsverletzung und ihre Pflichtwidrigkeit fehlt aber gerade bei der „faktischen“ Herrschaft über den Grund des Erfolges.282 2. Fehlen der Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Herrschaftsformen Abgesehen vom reduzierten Verständnis des Herrschaftsbegriffs erlaubt ein faktisches Verständnis von Herrschaft auch keine einheitliche Täterbestimmung. Bei allgemeinen Begehungsdelikten zieht Schünemann die faktische Tat­ herrschaftslehre zur Bestimmung der Täterschaft heran und kommt hier überwiegend zu den gleichen Ergebnissen wie Roxin. Die oben an Roxins faktischer Tat­herrschaftslehre geübte Kritik gilt deshalb insoweit auch für diejenige Schünemanns. Im Vergleich dazu besteht die Besonderheit von Schünemanns Tätersystem in der Täterkategorie des Garantensonderdelikts, unter der unechte Unterlassungsdelikte, echte Sonderdelikte und eigenhändige Delikte miterfasst werden. Bei allen diesen Delikten entspreche das Täterkriterium, „prästabilierte Geschehensherrschaft im Sinne der Kontrolle über einen sozialen Bereich“,283 den aus der materiellen Garantendogmatik entwickelten zwei Herrschaftsformen von Herrschaft über die Hilflosigkeit des Opfers und Herrschaft über den Grund des Erfolges bzw. über den Gefahrenherd.284 Wenn aber diese 281  LK/Schünemann, § 25 Rn. 38 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 49); Schünemann, FS-Roxin II, S. 809. 282  Kritisch gegen Schünemanns Konzept der faktischen Herrschaft und zur Verteidigung der Pflichtverletzung beim Pflichtdelikt auch Roxin, FS-Schünemann, S. 520. Schünemann, GA 2017, 681 ff. hält ein sich streng an der Pflichtverletzung orientierendes Kriterium für formell und deontologisch. Dieser Vorwurf trifft aber nicht den hier vertretenen Pflichtverletzungsgedanken, denn hier wird die Pflichtverletzung mit der Rechtsverletzung des Opfers in einen Begründungszusammenhang gebracht und ist deshalb nicht formell. Andererseits haben die Pflichtverletzung und die daraus resultierende Rechtsverhältnisverletzung ihre ontologische Grundlage in den interpersonalen Rechtsverhältnissen. 283  LK13/Schünemann, § 14 Rn. 39. 284  LK/Schünemann, § 25 Rn. 42 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 56).



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung315

eine vor der Tat bestehende, „pflichterzeugende soziale Struktur“285 reflektierende „Kontrollherrschaft“286 beim Garantensonderdelikt überhaupt die Relevanz der Tatbestandsmäßigkeit erlangen soll, damit von einer Beherrschung des zur Rechtsgutsverletzung führenden Geschehens gesprochen werden kann, muss diese vor der Tat bestehende faktische Macht ungebrochen ins Ausführungsstadium weiterwirken. In der Tat tendiert Schünemann dazu, die Beherrschungsmacht im Ausführungsstadium als ein einheitliches Täterkri­ terium für Herrschaftsdelikt und Garantensonderdelikt aufzufassen. Beim Herrschaftsdelikt beschränkt die Mittäterschaft sich auf die wesentliche Beteiligung im Ausführungsstadium.287 In Hinblick auf die rechtswidrige Anweisung eines Geschäftsführers zur unternehmensbezogenen Straftat hat der Geschäftsführer seine Tatbeiträge zwar nicht selbst ins Ausführungsstadium gebracht, sondern über ausführende Mitarbeiter. Aber die „Wirksamkeit“ seiner Anweisung verlängere sich bis ins Ausführungsstadium und die Schwäche der eigenen Beteiligung im Vorbereitungsstadium werde damit „kompensiert“ (Organisations-Mittäterschaft).288 Auch bei unechten Unterlassungsdelikten lässt sich die Anforderung einer wesentlichen Beteiligung im Ausführungsstadium deutlich erkennen, wenn Schünemann konstatiert: Der Garant im Ausführungsstadium (was bei Obhutsgarantenstellung in der Regel der Fall sei) trage eine ebenso große Verantwortung für das Geschehen wie der Begehungstäter und sei somit als Täter zu bestrafen, während ein Garant im Vorbereitungsstadium (was die meisten Fälle von Aufsichtsgarantenstellung umfasse) wie beim Herrschaftsdelikt nur als Gehilfe anzusehen sei, es sei denn, dass seine Garantenherrschaft ins Ausführungsstadium „fortdauere“, wenn etwa der Hundehalter nicht verhindere, dass sein Hund von einem Freund auf dessen Schwiegermutter gehetzt werde.289 Aber weder die „Wirksamkeitsverlängerung“ der Organisationsmacht noch das „Fortdauern“ der Garantenherrschaft lassen sich unter dem Aspekt einer faktischen Herrschaft erklären und legitimieren. Der die Anweisung erteilende Geschäftsführer erbringt faktisch gesehen gerade keine Tatbeiträge im Ausführungsstadium, sondern lässt seine Anweisung von den Mitarbeitern ausführen. Wenn die Mutter, die vor der Tat eine „Kontrollherrschaft“ über die Lebensbedingungen ihres Kindes hat, bei der Tötung ihres Kindes nicht einschreitet, hat sie während des Ausführungsstadiums gerade keine „faktische“ Herrschaft über das Leben des Kindes mehr; sie kann nicht allein 285  LK/Schünemann, § 25 Rn. 44 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 58, Hervorhebung im Original). 286  Schünemann, FS-Roxin II, S. 810. 287  LK/Schünemann, § 25 Rn. 182 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 205). 288  LK/Schünemann, § 25 Rn. 132 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 152). 289  LK/Schünemann, § 25 Rn. 211 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 235).

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

entscheiden, ob das Kind von dem anderen getötet wird oder nicht, sondern hat nur die Möglichkeit zur Verhinderung des Todes. Eine Verhinderungsmöglichkeit ist aber gerade keine aktuelle Herrschaft!290 Gleiches gilt für den Fall des Hundehalters.291 Der Hundehalter hat vor dem Angriff des Hundes zwar eine Kontrollherrschaft über den Hund, aber im Ausführungsstadium bedeutet seine Nichtverhinderung überhaupt keine „aktuelle“ Herrschaft. Auch wenn er die Möglichkeit zur Verhinderung des Angriffs hat, etwa indem er den Hund zurückpfeift, und man darin ein „Fortdauern einer vor der Tat bestehenden Kontrollherrschaft“ sehen könnte, ist diese Verhinderungsmöglichkeit im Ausführungsstadium keine aktuelle faktische Herrschaft. Soweit aber in allen diesen Fällen der Handelnde oder der Garant unter dem Aspekt faktischer Herrschaft überhaupt keine aktuelle Herrschaftsmacht, sondern nur eine Herrschaftsmöglichkeit im Ausführungsstadium hat und trotzdem als Täter zu bestrafen ist, muss konstatiert werden, dass erstens die aktuelle Herrschaft im Ausführungsstadium, entgegen dem Anliegen Schünemanns, nicht mehr als einheitliches Täterkriterium dienen kann und zweitens Bezugspunkt und Struktur beim allgemeinen Begehungsdelikt (aktuelle Herrschaft im Ausführungsstadium) und beim Garantensonderdelikt (aktuelle Herrschaft nur vor der Tat, Herrschaftsmöglichkeit im Ausführungsstadium) letztendlich unterschiedlich sind. Daran scheitert das behauptete monistische Tätersystem. 3. Inkonsequente Anwendung des Täterkriteriums der Herrschaft über den Grund des Erfolges beim unechten Unterlassungsdelikt Abgesehen von den oben dargestellten Schwächen von Schünemanns Tätersystem liefert Schünemann eine materielle Begründung für die unechten Unterlassungsdelikte und echten Sonderdelikte, nämlich dass die formelle Pflicht auf einer vor der Tat bestehenden sozialen Struktur gründe. Der Versuch, die Pflichtdeliktslehre zu materialisieren und die herausgefundene Struktur einheitlich auf diese Deliktstypen zu übertragen, ist methodisch zu begrüßen. Nur ist die pflichterzeugende soziale Struktur nach der hiesigen Ansicht nicht ein Gegenstand von faktischer Herrschaft, sondern ein ursprüngliches Rechtsverhältnis, aus dem eine Garantenpflicht folgt. Eine Ge290  Für Zweifel an der faktischen Herrschaft des Garanten im Ausführungs­stadium siehe bereits Maiwald, JuS 1981, 480; Roxin, FS-Schünemann, S. 520 f. Die Gegenkritik von Chen, Garantensonderdelikt, S. 89 f., dass die Aktualität der Herrschaft in der „prästabilierten“ Herrschaft über einen bestimmten Sozialbereich liege, ist nichtig, denn dies ändert nicht daran, dass der Garant im Ausführungsstadium diese prästabilierte (!) aktuelle Herrschaft verloren hat. 291  Schünemann, GA 2017, 684.



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meinsamkeit zwischen Schünemanns Ansatz und den hier vertretenen Ansichten besteht auch darin, dass anders als Roxin annimmt eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei unechten Unterlassungsdelikten möglich und geboten ist.292 Würde aber die Herrschaft über den Grund des Erfolgs Schünemann zufolge sowohl die Garantenstellung als auch die täterschaftliche Struktur begründen,293 dann müsste die Verletzung der Garantenpflicht zwanglos zur Täterschaft führen.294 Der Sicherungsgarant etwa, der eine gefährliche Waffe verwaltet, hat nach Schünemann zwar eine prästabilierte Kontrolle über die von ihm verwaltete Waffe und mithin die Herrschaft über den entscheidenden Grund des Erfolges; verhindert er aber nicht, dass ein unbefugter Dritter zur Tötung auf die Waffe zugreift, sollte er als Täter des Tötungsdelikts angesehen werden, denn er hat doch die Herrschaft über den Grund des Erfolges. Freilich kommt Schünemann nicht zu diesem Ergebnis, weil der Sicherungsgarant sich nicht im Ausführungsstadium beteilige und das Fehlen einer Herrschaft im Ausführungsstadium ihn zum Gehilfen mache.295 Wenn Schünemann insoweit neben der die Garantenstellung begründenden Herrschaft über den Grund des Erfolges das zusätzliche Kriterium der Herrschaft im Ausführungsstadium einfügt, wird darin eine Inkonsequenz dokumentiert bzw. der Begriff der Herrschaft über den Grund des Erfolgs müsste unterteilt werden in die Herrschaft im Vorbereitungs- und die im Ausführungsstadium.296 Damit verlöre aber der Begriff der Herrschaft über den Grund des Erfolgs seinen einheitlichen Inhalt.

V. Variante 3 zur Bestimmung des materiellen Tatbestandsunrechts: Verletzung der negativen bzw. positiven Pflicht (Jakobs) Die Unzulänglichkeit einer faktischen Tat­herrschaftslehre, ihre mögliche Folge der Aufspaltung des einheitlichen Unrechtsbegriffs, sowie ihre fehlende Verbindung mit der allgemeinen Handlungs- und Zurechnungslehre zwingen 292  Schünemann, Grund und Grenzen, S. 377; LK/Schünemann, § 25 Rn. 211 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 235). Die Bemühungen Schünemanns um Unterscheidung (der Sicherungsgarant normalerweise nur als Gehilfe, der anweisende Geschäftsführer als Organisations-Mittäter) verkennt aber Renzikowski, FS-Schünemann, S.  503 f. 293  LK/Schünemann, § 25 Rn. 16 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 20). 294  In diesem Sinne auch die Interpretation von Renzikowski, FS-Schünemann, S. 503. 295  LK/Schünemann, § 25 Rn. 211 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 235). 296  Zu dieser Unterteilungsmöglichkeit, aber nach dem anderen Kriterium der Unmittelbarkeit zur Tatbestandsverwirklichung bereits Schünemann, Grund und Grenzen, S. 377.

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uns zu einem monistischen, sich an der Pflichtverletzung orientierenden normativen Tätersystem. Dem entspricht das Anliegen Jakobs. Danach soll zunächst zwischen der Verletzung einer negativen und der einer positiven Pflicht unterschieden werden, denn beide Arten von Pflichtverletzung können zwar unter dem Oberbegriff der Pflichtverletzung untergebracht werden, weisen aber eine je eigene Struktur und einen je eigenen Rechtsgrund auf.297 1. Darstellung a) Täterschaft bei Verletzung einer negativen Pflicht Der Rechtsgrund der negativen Pflicht liegt im Synallagma von Verhaltensfreiheit und Folgenverantwortung.298 Jeder soll garantieren, „den eigenen Organisationskreis nicht zulasten der Inhaber anderer Organisationskreise auszudehnen“. „Sollte er [sc. der eigene Organisationskreis] sich ohne (weiteres) Zutun des Inhabers auszudehnen drohen, oder gar ausdehnen“, muss er seinen eigenen Organisationskreis sichern oder im Notfall auch zurückfahren.299 Aus dieser negativen Pflicht ergebe sich deshalb nicht nur das Verbot, fremde Rechte zu beeinträchtigen, sondern auch das Gebot, sich um „einen schadlosen Zustand des eigenen Organisationskreises“ zu kümmern, etwa in solchen Fällen wie der Verkehrssicherungspflicht und der Garantenpflicht kraft Übernahme oder Ingerenz.300 Im Gegensatz zu Roxin und Schünemann, die im ersten Schritt die Frage nach der Täterschaft mithilfe unterschiedlicher Täterkriterien wie Handlungs-, Willens- und funktioneller Tat­herrschaft beantworten und nur bei deren Nichterfüllung im zweiten Schritt auf die Strafbarkeit der Teilnahme eingehen (sekundärer Begriff von Teilnahme),301 geht Jakobs methodisch gerade umgekehrt vor. Im ersten Schritt soll die Grenze der strafbaren Beteiligung i. w. S. bestimmt werden, insbesondere die Frage, ob ein im Vorfeld tätiger Handelnder auch als „Beteiligter“ begriffen werden kann, und erst im zweiten Schritt soll die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach „Quantität der Pflichtverletzung“ erfolgen.302 In Hinblick auf die 297  Für diese Unterscheidung von negativen und positiven Pflichten auch Pawlik, Unrecht, S. 162 ff., 175. Für diese Unterscheidung, aber mit abweichenden Inhalten Robles Planas, GA 2013, S. 624 ff. 298  Jakobs, Zurechnung, S. 32; ders., System, S. 83. 299  Jakobs, Theorie, S. 5. 300  Jakobs, Theorie, S. 5. 301  Roxin, AT II, § 26 Rn. 10. 302  Jakobs, System, S. 77 ff. Methodisch ähnlich Lesch, Beihilfe, S. 272 ff., 278 ff. (Bestimmung der Beteiligungsgrenze anhand des Regressverbots), 284 ff. („quantitative Differenzierung zwischen Täterschaft und Beihilfe“); Robles Planas, GA 2012,



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung319

Grenzbestimmung der strafbaren Beteiligung geht Jakobs von der These „Unrecht als Tatbestandsverwirklichung“303 aus. Danach sei ein Vorfeldverhalten per se nicht als Unrecht zu begreifen, sonst würde die Grenze des Tatbestandes aufgelöst.304 Ein Verhalten im Vorfeld der Tatbestandsverwirklichung begründe per se zwar kein Unrecht „nach außen“, aber dann doch eine Obliegenheitsverletzung „nach innen“ („Pflicht gegen sich selbst“),305 wenn die Handlung „nach ihrer Art oder nach dem Zusammenhang“, in dem sie vorgenommen werde, „auf die Möglichkeit eines deliktischen Anschlusses“ verweise306 und mithin die spätere Unrechtsverwirklichung „voranbringen“ könne.307 Und soweit die spätere Ausführung die Schwelle des Versuchs überschreite, lasse sich in dieser Obliegenheitsverletzung ein Grund finden, das Verhalten im Vorfeld nicht von dem zukünftig verwirklichten Unrecht zu distanzieren, sondern das später vom Ausführenden verwirklichte Tatbestandsunrecht dem im Vorfeld Beteiligten auch als sein eigenes Unrecht zuzurechnen308 (eigene Tatausführung durch fremde Hand309). Was der Ausführende dann geleistet habe, seien nicht nur die von ihm selbst erbrachten Tatbeiträge, sondern auch die Tatbeiträge des im Vorfeld Beteiligten;310 alle diese einzelnen Tatbeiträge weisen „dieselbe Bedeutung“ auf, nämlich ein deliktischer Anschluss werde vorangebracht (sog. verbindende Arbeitstei­ lung).311 Hat dagegen das Vorfeldverhalten nicht den Sinn, einen deliktischen Anschluss voranzubringen, sei es Sache des Ausführenden, wie er mit den im Vorfeld erbrachten Leistungen umgehe (sog. trennende Arbeitsteilung); hier greife insoweit das Regressverbot ein.312 Sei die verbindende Arbeitsteilung 276 ff.; ders., FS-Sancinetti, S. 619 f.: „die Zwei Stufen der Beteiligungslehre“ (erste Stufe: die Begründung eines tatbestandsmäßigen Beteiligungsverhaltens bezüglich der Straftat anhand der Lehre von der objektiven Zurechnung; zweite Stufe: die Bestimmung der Intensität der Beteiligung anhand der Bedeutung des Tatbeitrages“; Weißer, Täterschaft, S. 490 ff. (zweistufige Zurechnung), 492 ff. (erste Stufe: „Zugehörigkeit des Einzelverhaltens zum Mitwirkungszusammenhang“), 498, 499 ff., 506 ff. (zweite Stufe: „Tatprägung“ als normatives Täterkriterium). Neuerdings zweistufiges Mitverantwortungsmodell entwickelnd Orozco López, Beteiligung, S. 135 (erste Stufe: „Zuschreibung von Mitverantwortung für das Tun anderer freiverantwortlich handelnder Subjekte“, zweite Stufe: Abgrenzung der Beteiligungsformen anhand des „Ausmaßes der Mitverantwortung jedes Mitwirkenden“). 303  Jakobs, Theorie, S. 11. 304  Jakobs, Theorie, S. 12 f. (Hervorhebung im Original). 305  Jakobs, Theorie, S. 18. 306  Jakobs, System, S. 78. 307  Jakobs, Theorie, S. 18. 308  Jakobs, Theorie, S. 18. Ferner Lesch, Beihilfe, S. 174. 309  Jakobs, FS-Yamanaka, S. 109 (Hervorhebung im Original). 310  Jakobs, System, S. 79. 311  Jakobs, FS-Yamanaka, S. 105 (Hervorhebung im Original). 312  Jakobs, System, S. 78.

320

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

einmal begründet, folge im zweiten Schritt die Abgrenzung der Beteiligungsformen, bei der es eigentlich um die Frage nach dem Maß der Verantwortung gehe.313 Jakobs zufolge bestimmt sich die Quantität der Pflichtverletzung, anders als bei Roxin und Schünemann, nicht nur nach der phänotypischen Ausführungsherrschaft, nämlich danach, ob die Leistungen im Ausführungsoder im Vorbereitungsstadium erbracht werden, sondern nach der Relevanz der Tatbeiträge für die Gestaltung des Deliktsgeschehens.314 Die Ausführungshandlung könne zwar ein wesentlicher Teil der gesamten Organisationstätigkeiten und somit signifikant sein, aber ihre Relevanz könne auch so gering sein, dass ihre Zurechenbarkeit auf ein minimales Maß abgeschwächt sei, insbesondere wenn die Beiträge im Vorfeld das Gesamtgeschehen intensiv gestaltet hätten und die Ausführungshandlung „zum präformulierten Kinderspiel“ machen.315 b) Täterschaft bei Verletzung einer positiven Pflicht Die Gesellschaft und die in ihr entwickelten Rechtsverhältnisse, so Jakobs, lassen sich allein mit den negativen Pflichten aber nicht erschöpfend erklären. Um Freiheit und Rechtspositionen effektiv zu schützen, müssen zu den negativen Pflicht noch die positiven Pflichten hinzutreten, die das Funktionieren der für die Gesellschaft unentbehrlichen Institutionen garantieren sollen.316 Im Gegensatz zu negativen Pflichten richten positive Pflichten sich nach Jakobs an diejenigen, denen ein besonderer Status zum Schutz solcher Institutionen zukommt,317 ein Status, der entweder freiwillig erworben oder „oktroyiert“ werde.318 Der Sonderverpflichtete sei nicht nur gehalten, nicht durch eigene Handlung fremde Rechte zu schädigen, sondern auch, darüber hinaus umfassend bzw. in bestimmten Lebensbereichen für die ungeminderte Integrität oder sogar Förderung fremder Organisationskreise zu sorgen „und in diesem Sinn mit der begünstigten Person eine gemeinsame Welt zu bilden“.319 Während die Verletzung einer negativen Pflicht eine Folge falschen Gebrauchs der allgemeinen Verhaltensfreiheit sei, verstehe sich die Verletzung einer positiven Pflicht als „Nichtberücksichtigung bzw. MissSystem, S. 80. System, S. 80; ders., Theorie, S. 51 ff. mit weiteren Beispielen. Zur Bestimmung der Quantität der Pflichtverletzung eingehend Orozco López, Beteiligung, S.  293 ff. 315  Jakobs, System, S. 80. 316  Jakobs, Theorie, S.  5 f. 317  Jakobs, System, S. 83. 318  Jakobs, Theorie, S.  61 f. 319  Jakobs, System, S. 83. 313  Jakobs, 314  Jakobs,



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung321

brauch einer Pflichtstellung zum besonderen Schutz.320 Wenn etwa ein Vater sein kleines Kind verprügele, verletze er nicht nur die negative Pflicht eines jeden, nicht durch eigene Handlung der Gesundheit des Kindes zu schaden, sondern auch die positive Pflicht zur Fürsorge für das Kind.321 Neben der Eltern-Kind-Institution werden auch Institutionen wie die Ehe, „das besondere Vertrauen“ (insb. die Garantenstellung des Arztes im Arzt-Patient-Verhältnis) sowie „die genuin staatlichen Pflichten“ von Jakobs zur Kategorie der positiven Pflichten bzw. der sie begründenden Institutionen gerechnet.322 Die positive Pflicht schließe zwar die negative nicht aus, aber die Besonderheit der positiven Pflicht bestehe darin, dass der positiv Pflichtige unmittelbar gegenüber dem Schützling verantwortlich sei. Durch diese Besonderheit überlagere die positive Pflicht die negative und isoliere (verbesondere) den positiven Pflichtigen „aus dem Kreis der arbeitsteilig Tätigen und macht ihn dadurch […] zum allein Zuständigen“.323 Verhindert der Vater etwa nicht die Tötung seines Kindes, sondern gibt sogar im Vorfeld der Tötung dem Mörder seines Kindes ein Gift, könne der Vater nicht nur nach der Regel der negativen Pflicht, nämlich im Sinne arbeitsteiliger Ausführung durch die Hand des Mörders, als positiver Gehilfe angesehen werden, sondern wegen Verletzung seiner positiven Pflicht zur Fürsorge für das Kind als alleinzuständiger Täter.324 Der Vater verwirkliche, einerlei ob durch Nichtverhinderung oder Übergabe des Gifts, „ein vom Unrecht der anderen geschiedenes eigenes Unrecht“ und als Vater (d. h. als positiv Pflichtiger) beteilige er sich nicht an der Ausführung des Mörders.325 Kurz: Bei positiven Pflichten stelle sich nicht die Frage nach der Beteiligung des positiv Verpflichteten, vielmehr handele sich immer um seine Ausführung und er sei immer als Täter verantwortlich.326 2. Kritik Hier kann wegen des begrenzten Raumes keine umfassende Analyse der Unrechts- und Beteiligungslehre Jakobs erfolgen, stattdessen sei auf die beteiligungsspezifischen Überlegungen und ihre möglichen Konsequenzen kritisch eingegangen. Beifall verdient es jedenfalls, wenn Jakobs seine Beteiligungslehre mit seiner Unrechtslehre in einen Begründungszusammenhang Theorie, S. 6. Theorie, S. 6. 322  Eingehend siehe Jakobs, AT, 29/58 ff. 323  Jakobs, Theorie, S. 62. 324  Jakobs, System, S. 85. 325  Jakobs, Theorie, S. 62. 326  Jakobs, Theorie, S. 63. 320  Jakobs, 321  Jakobs,

322

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

bringt. Daraus folgt die zutreffende Einsicht, dass nicht die faktische Geschehensherrschaft, sondern die Pflichtverletzung für die Abgrenzung des Verantwortungsbereichs eine Rolle spielt. Der Ausgangspunkt von Jakobs, dass Unrecht Tatbestandsverwirklichung sei, ist insoweit zuzustimmen, als die im Vorfeld erbrachten Leistungen per se nicht als Tatbestandsverwirklichung angesehen werden können. So ist die Übergabe eines Messers, auch mit der Absicht der Förderung fremder Tötung, selbst keine Tötung. Das ist der berechtigte Kern des restriktiven Täteroder Tatbegriffs. Zur Legitimierung der Beteiligungsstrafbarkeit eines nur im Vorfeld Beteiligten verlässt Jakobs aber mit der Begründung der Obliegenheitsverletzung und der darauf gegründeten Zurechnung des Ausführungs­ unrechts als eigenes Unrecht diesen zutreffenden Ausgangspunkt. Erstens ist fraglich, ob die Beiträge im Vorfeld mit einem deliktischen Anschlusssinn nur als Verletzung einer Pflicht gegen sich selbst und nicht bereits als ein Angriff auf das Rechtsverhältnis zum Opfer verstanden werden können.327 Es ist zwar richtig, dass ein Vorfeldbeitrag unter dem Aspekt des restriktiven Täterbegriffs in der Regel kein Täterunrecht aufweist. Das schließt aber nicht aus, dass dieser Beitrag bereits ein begründetes Teilnahmeunrecht innehat.328 Man kann etwa, soweit eine versuchte Haupttat vorliegt, in diesem eine Schaffung oder Erhöhung der Gefahr der Haupttat für das Opfer erblicken und daraus ein Teilnahmeunrecht begründen. Aus der Sicht des Opfers verletzt nicht nur der Täter, sondern auch der Teilnehmer im Vorfeld seine Rechtsposition. Durch eine Leistung mit deliktischem Anschlusssinn hat der im Vorfeld Beteiligte auch sein Rechtsverhältnis zum Opfer angegriffen und diese deliktische Leistung kann mithin nicht mehr nur als eine Verletzung einer Pflicht nach innen, sondern muss als Verletzung einer Pflicht nach außen, nämlich gegen das Opfer gedeutet werden. Darüber hinaus ist es mehr als zweifelhaft, ob eine Obliegenheitsverletzung überhaupt eine Zurechnung des Ausführungsunrechts ermöglichen könnte. Denn wenn eine Obliegenheitsverletzung mit Jakobs nicht normwidrig oder kein Unrecht wäre, könnte sie nur als Recht interpretiert werden. Aber eine Unrechtszurechnung lässt sich nur schwer aus einer rechtlichen Handlung, sondern nur aus einer Pflichtverletzung gegenüber dem Opfer herleiten.329 Deshalb muss die Vor327  Zweifelnd

Haas, GA 2016, 671.

328  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski,

AT II, § 50 Rn. 23. GA 2016, 671. Kritisch gegen den Begriff der Obliegenheitsverletzung im Strafrecht Montiel, ZStW 126 (2014), 605 ff., in hiesigem Zusammenhang insb. 607: „Die Obliegenheitsverletzung ist somit eine Verletzung des Grundsatzes neminem leadere und folglich der Fall eines ‚Verschuldens gegen andere‘.“ Für die eigenständige Bedeutung der Obliegenheitsverletzung gegenüber der Pflichtverletzung und gegen die Interpretation der Obliegenheitsverletzung als Beeinträchtigung des fremden Interesses aber Neumann, JRE 27 (2019), S. 461, 462 f., insb. 463. 329  Haas,



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung323

feldbeteiligung bereits als Norm- und Pflichtverletzung und mithin als Unrechtshandlung verstanden werden,330 damit die Zurechnung eines Teils des Ausführungsunrechts möglich wird. Dass eine Vorfeldbeteiligung bereits Unrechtsqualität aufweist, löst entgegen Jakobs die Grenze des Tatbestands nicht auf, solange man sich klarmacht, dass es bei dem Teilnahmeunrecht nicht um eine Zurechnung des gesamten Tatbestandsunrechts, sondern um die Zurechnung eines Teils des Tatbestandsunrechts geht. Nur wenn das gesamte Tatbestandsunrecht dem im Vorfeld Beteiligten als eigenes Unrecht zugerechnet wird, löst sich die Tatbestandsgrenze auf. Derjenige, der im Vorfeld ein Deliktswerkzeug zur Förderung einer Tötung übergibt, würde auch wegen der Zurechnung fremder Tötungshandlung als eigene Tötungshandlung das Tötungsunrecht gänzlich verwirklichen. Die Übergabe eines deliktischen Werkzeugs ist aber keine Tötung, sondern Beteiligung an einer fremden Tötung. Gerade diese Gefahr der Tatbestandsauflösung verwirklicht sich in Jakobs’ Beteiligungslehre. Denn soweit der im Vorfeld Beteiligte obliegenheitsverletzend handelte, wäre ihm die fremde Ausführungshandlung und das daraus resultierende Ausführungsunrecht als eigenes Unrecht gänzlich zuzurechnen, auch wenn die Quantität seiner Pflichtverletzung eher gering wäre. Durch diese Zurechnung des Ausführungsunrechts würde die Übergabe eines ersetzbaren, jedem zugänglichen Werkzeugs ebenfalls vollständiges Tötungsunrecht aufweisen. Der im Vorfeld Beteiligte beginge also ein Tötungsunrecht durch fremde Hand, nur das geringere Maß seiner Pflichtverletzung machte ihn zum Gehilfen. Dass auch eine unwesentliche Förderungshandlung den Tatbestand verwirklichen kann und sich die Unterscheidung zwischen Beteiligungsformen nach der Quantität der Pflichtverletzung in der Sache als eine beteiligungsspezifische Strafzumessungsfrage versteht,331 bewirkt eine Annäherung an den extensiven Täter- oder Tatbegriff, der aber zugunsten eines gemäßigt restriktiven Täterbegriffs zurückzuweisen ist.332 Die Ähnlichkeit mit einem extensiven Täterbegriff erklärt sich daraus, dass in Jakobs’ Beteiligungslehre die Zurechnung des Ausführungsunrechts, oder genauer: die Erfolgszurechnung, im Vordergrund steht und die Möglichkeit einer Abschichtung dieser Erfolgszurechnung nach den unterschiedlichen Arten von Handlungsunrecht gerade ausgeschlossen wird.333 330  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 24; Schünemann, ZStW 126 (2014), 24 Fn. 65. 331  Jakobs, Theorie, S. 50. Nahestehend Robles Planas, FS-Sancinetti, S. 626 f., der aber von einem anderen Normverständnis ausgeht und den Begriff von Obliegenheit für problematisch hält. 332  Zutreffende Kritik insoweit LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 18 f. 333  Jakobs, Theorie, S. 50: Zurechnungsstufen lassen sich nicht zurechnungs­intern entwickeln. Noch radikaler sich einseitig an der objektiven Erfolgszurechnung orien-

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Aber auch die Abgrenzung nach der Quantität der Pflichtverletzung befreit nicht von Kritik. Abgesehen von der Frage, ob es möglich ist, rationale, der Rechtssicherheit dienende Kriterien für die Beurteilung der Quantität der Pflichtverletzung zu entwickeln, könnte Jakobs’ Kriterium der Signifikanz des Beitrags für das Tatgeschehen insoweit die Grenze des Tatbestands auflösen, wenn die Tatausführung gänzlich vorprogrammiert und mithin nur als eine insignifikante Leistung eines Gehilfen bewertet wird.334 Das verstößt aber ersichtlich gegen den unmissverständlichen Wortlaut des § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB, wonach der den Tatbestand vollständig Ausführende immer als unmittelbarer Täter anzusehen ist.335 Die Relevanz der Tatbeiträge für das Gesamtgeschehen mag ein wichtiges Kriterium für die Abgrenzung der Beteiligungsformen sein, aber die Auslegung des Tatbestands muss der Ausgangspunkt für diese Abgrenzung bleiben. Des Weiteren spricht das Vorhandensein von Sonderdelikten gegen eine quantitative Fassung des Unterschieds zwischen Täterschaft und Teilnahme. Bei Sonderdelikten setzt das Tatbestandsunrecht eine aus einem ursprüng­ lichen Abhängigkeitsverhältnis entspringende Sonderpflichtstellung voraus, die zwischen einem unqualifizierten Beteiligten und dem Opfer gerade fehlt.336 Das Vorhandensein eines solchen Verhältnisses spricht eher für einen qualitativen Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme. Stiftet ein Angeklagter den Richter zur Rechtsbeugung (§ 339 StGB) an, kann das vom tierend bis zur Aufhebung der Beteiligungsformen aber Rotsch, Einheitstäterschaft, S.  421 ff. Tendenziell auch Marle, Unrecht, S. 221 f., auch wenn er richtig konstatiert, dass eine schlichte Erfolgszurechnungslehre der Differenzierung der Beteiligungsformen feindlich ist (ebd., S. 216). Kritisch dazu und zutreffend für eine Unterscheidung der Beteiligungsformen nach unterschiedlichen Arten des Handlungsunrechts NK/ Schild, Vor §§ 25 ff. Rn. 7; ders., Tat­herrschaftslehren, S.  121; Kreuzberg, Täterschaft, S. 371: „Bei Täterschaft und Teilnahme handelt es sich um verschiedene, jeweils aus sich selbst heraus zu entwickelnde Handlungsunrechtstypen.“ 334  Für die Möglichkeit eines „Täter[s] hinter dem Gehilfen“ mithilfe einer sozialen Tat­herrschaftslehre auch Schlösser, JR 2006, 107 ff. Dass die Freiheit des ausführenden Tatmittlers innerhalb eines organisierten Machtapparats wegen des Machtgefälles zwischen ihm und dem Machtinhaber wesentlich verringert sei, ändert aber nichts daran, dass er rechtlich vollverantwortlich die Straftat ausführt und zutreffend als unmittelbarer Täter zur Verantwortung zu ziehen ist. Schlösser versucht deshalb, die Freiheit des Tatmittlers und dessen Verantwortlichkeit zu entkoppeln mit der Folge, dass der Tatmittler trotz des Fehlens der die soziale Tat­herrschaft begründenden Freiheit rechtlich vollverantwortlich bleiben könne (näher begründet in Schlösser, Soziale Tat­herrschaft, S. 316 ff., 326 ff.). Soweit sich aber die Grenze der die Tat­ herrschaft begründenden Freiheit von den rechtlichen Kriterien der Verantwortlichkeit loslöst, ist die Abgrenzung der Beteiligungsformen notwendig von der fluktuierenden Stärke der Freiheitsbeeinträchtigung abhängig und bleibt unbestimmt. 335  Roxin, TuT, S. 614 Rn. 5. 336  Vgl. auch Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 651; dens., Pflichtverletzung und Täterschaft, S. 1178.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung325

Richter verwirklichte Tatbestandsunrecht nicht „als eigenes Unrecht“ dem Anstifter zugerechnet werden, sonst würde ein (geringeres?!) ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Angeklagten und der Justiz begründet.337 Wenn nun das Unrecht der Rechtsbeugung nach § 28 Abs. 1 StGB auch dem Angeklagten zugerechnet wird, kann das nicht dahin interpretiert werden, dass es hier eine Zurechnung des Ausführungsunrechts als eigenes Unrecht gäbe,338 sondern es ist als Zurechnung fremden Unrechts zu verstehen. Die Zurechnung fremden Unrechts339 gründet aber nicht auf der Verantwortlichkeit für ein fremdes Handlungsunrecht, sondern auf dem eigenen Unrechtsangriff auf die Rechtsposition des Opfers des Angeklagten und kennzeichnet zugleich, dass dieser Angriff nur über den Richter vermittelt erfolgen kann. Schließlich sei auf die These eingegangen, dass es bei positiver Pflicht keine Beteiligung des Sonderverpflichteten gebe. Anders als Roxin annimmt340 seien nicht alle Garantenpflichten, sondern nur die Garantenpflichten aufgrund einer positiven Pflicht oder kraft Institutionszuständigkeit den Pflichtdelikten zuzurechnen.341 Damit entschärft die Pflichtdeliktslehre Jakobs’ in bestimmten Fällen die Härte der Pflichtdeliktslehre Roxins, wonach jede Garantenpflichtverletzung Täterschaft begründe: Wer als Sicherungsgarant eine gefährliche Waffe verwaltet, soll nach Roxin Täter des Tötungsdelikts sein, wenn er den Zugriff eines unbefugten Dritten nicht verhindert und dieser mit der Waffe das Opfer tötet. Ein Wertwiderspruch entsteht aber dann, wenn der Verwalter dem Dritten die Waffe aushändigt. Dann soll der Verwalter nach Roxins Tat­ herrschaftslehre nur wegen Beihilfe zur Tötung bestraft werden. Ein über verbotenes Unterlassen hinausgehendes Tun wäre dann milder zu bestrafen. Um diese Schärfe der Pflichtdeliktslehre zu mildern, könnte man mit Roxin nur von der Strafmilderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB Gebrauch machen,342 was aber nur ein Notbehelf wäre.343 Dieser Widerspruch tritt hingegen bei Jakobs nicht in Erscheinung. Denn der Verwalter verletzt nach Jakobs in beiden Fällen seine Garantenpflichten aus der negativen Pflicht, die Gefahr des Missbrauchs der Waffe durch einen unbefugten Dritten aus dem von ihm zu 337  Zweifelnd

auch Haas, GA 2016, 672. aber Jakobs, System, S. 86: mangels Sonderpflicht nur „abgeschwächte Art und Weise“ der Zurechnung. 339  Etwa Bloy, Beteiligungsform, S. 316; ders., ZStW 117 (2005), 18. 340  Roxin, FS-Schünemann, S. 525 ff. 341  In Anschluss an Jakobs und weiter entwickelnd Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 65. 342  Roxin, AT II, § 31 Rn. 145. 343  Ausführlich Schwab, Täterschaft, S.  175 ff. 338  So

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

verwaltenden Organisationskreis zu verhindern, einerlei ob durch Tun oder Unterlassen. Und wenn die Waffe für die spätere Tötungshandlung nicht so signifikant ist, sei der Verwalter nur wegen Beihilfe zu bestrafen. Das Unrecht der positiven Verschaffung der Waffe entspreche dem der Nichtverhinderung des Zugriffs auf sie. Auch in den Fällen, in denen sich die Reichweite der Garantenpflicht nicht auf die Verhinderung des tatbestandsmäßigen Erfolges erstreckt, wie etwa wenn der Vater nicht verhindert, dass sein minderjähriges Kind einen Dritten zum Diebstahl anstiftet, soll Roxin zufolge die Pflichtverletzung als Täterschaft des Diebstahls, nach Jakobs aber nur als Anstiftung durch Unterlassen bestraft werden.344 Denn Jakobs zufolge verletzt der Vater hier nicht die positive Pflicht, für das Kind zu sorgen, sondern die Garantenpflicht aus seinem Organisationskreis, das gefährliches Verhalten seines Kindes zu verhindern.345 Das Ergebnis der Anstiftung durch Unterlassen ist vertretbar, denn die Garantenpflicht bezweckt tatsächlich nicht die Erfolgsverhinderung, die die Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg und mithin die Täterschaft begründen, sondern nur die Erfolgserschwerung. Wenn die oben besprochenen Fälle von Jakobs zutreffend aus der Kategorie der Verletzung positiver Pflicht ausgeschieden und die dort betroffenen Garanten nur als Gehilfen anzusehen sind, entfallen die Bedenken, die gegen die Pflichtdeliktslehre Roxins erhoben worden sind, weitgehend. Insoweit ist Jakobs Pflichtdeliktslehre vorzuziehen. Jakobs’ These, dass die Verletzung einer positiven Pflicht den Garanten in die Position des Alleinzuständigen rücke, lässt sich bei der Obhutsgarantenstellung sowie bei den meisten echten Sonderdelikten ebenfalls bestätigen. Denn in diesen Fällen geht es um Garantenpflichten zum Rundumschutz des Opfers, deren Reichweite sich auf die Erfolgsverhinderung erstreckt. Aber zu diesen zutreffenden Ergebnissen gelangt man nicht notwendig mit dem Theorem der positiven Pflichtverletzung,346 sondern mit der expliziten Bestimmung von Reichweite der Garantenpflichten.

AT, § 29 Rn. 104. AT, § 29 Rn. 35. 346  Zur Kritik an der Begründung von Garantenpflichten aus positiven Pflichten siehe oben Fn. 148, S. 164. Roxin, FS-Schünemann, S. 531 f. wirft Jakobs auch die Entkoppelung des Institutionsgedankens vom Rechtsgüterschutzgedanken vor. 344  Jakobs, 345  Jakobs,



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung327

VI. Täterschaft als Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer und deren Konkretisierung 1. Methodische Vorbemerkungen Im Zuge der kritischen Auseinandersetzung mit den drei klassischen Tätersystemen sind zugleich die wichtigsten methodischen Auffassungen besprochen worden. Zu entwickeln ist ein monistisches, d. h. auf einem materiellen Unrechtsbegriff gegründetes, normatives Tätersystem, das die Aufspaltung des einheitlichen Unrechtsbegriffs vermeidet und auf dem berechtigten Kern des gemäßigten Täterbegriffs beharrt. In der Tat ist die allgemeine Struktur der Täterschaft im Wesentlichen bereits im Zusammenhang der Unrechtsstruktur der Alleintäterschaft geklärt geworden. Danach muss der Täter sein Rechtsverhältnis zum Opfer verletzen, indem er durch sein Tun oder Unterlassen eine Verhaltensnorm verletzt, die sich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtet, und damit eine Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg schafft. Diese Struktur soll auf alle Täterformen übertragen werden mit der Folge, dass auch mittelbare Täterschaft und Mitttäterschaft eine Verhaltensnorm als solche verletzen müssen. Man könnte diese Methode mit der Begründung ablehnen, dass eine solche nach der Alleintäterschaft zugeschnittene Methode das Wesen des Beteiligungsverhältnisses zwischen mehreren Beteiligten nicht angemessen erfassen könne. Dieser Vorwurf ist freilich zurückzuweisen. Denn alle Arten von Beteiligungshandlung, soweit sie überhaupt strafbar sind, stellen eine Straftat dar und weisen Strafunrecht auf. Und die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Beteiligungsformen liegt nicht in dieser grundlegenden Struktur von Straftaten, sondern in den unterschiedlichen Qualitäten in Hinblick auf die soziale Dimension der Straftat. Auch wenn alle Beteiligungshandlungen das Rechtsverhältnis zum Opfer verletzen, können die Qualitäten dieser Rechtsverletzung doch unterschiedlich sein. In einem Tatstrafrecht werden diese unterschiedlichen Qualitäten der sozialen Dimension einer Straftat durch die Tatbestände „typisiert“. Deshalb ist nur diejenige Handlung, die das Tatbestandsunrechts verwirklicht, als Täterschaft zu begreifen. Andere Handlungen, die diese Schwelle nicht erreichen, können allenfalls als Teilnahme angesehen werden. Die Besonderheit der Beteiligungsverhältnisse besteht aber darin, dass die Handlung der anderen Beteiligten und deren Rechtsverhältnis zum Opfer auf Inhalt und Reichweite der Verhaltensnorm, die den einzelnen Beteiligten verpflichtet, Einfluss nehmen könnte. Das ändert aber nichts an der bei Alleintäterschaft entwickelten allgemeinen Unrechtsstruktur der Täterschaft, sondern erschwert nur die Ermittlung des Inhalts und der Reichweite der Verhaltensnorm. So gesehen ist es nicht ausge-

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

schlossen, die bei der Alleintäterschaft entwickelte Täterstruktur zu übertragen. 2. Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses als Leitprinzip Weisen die unterschiedlichen Beteiligungsformen unterschiedliche Qualitäten der Rechtsverhältnisverletzung auf, ist die Täterschaft oder Tat­herrschaft zutreffend als Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer zu begreifen.347 Dieses auf dem materiellen Unrechtsbegriff gegründete Leitprinzip des Tätersystems soll weiterhin mit der Tatbestandslehre in Verbindung gebracht und konkretisiert werden. Wer das Tatbestandsunrecht verwirklicht, ist Täter. Zur Bestimmung des Tatbestandsunrechts trägt freilich nicht die Lehre von der objektiven Zurechnung, sondern die Lehre von der tatbestandsmäßigen Handlung bei. Denn die Lehre von der objektiven Zurechnung versteht sich als eine Erfolgszurechnungslehre, die notwendig eine Ex-post-Zurechnungsperspektive einnimmt. Die Beteiligungshandlung ist aber eine Straftat und stellt eine Verletzung der Verhaltensnorm dar. Ob die betreffende Beteiligungshandlung als Täterschaft oder Teilnahme zu begreifen ist, muss daher zum Zeitpunkt der Beteiligung festgestellt werden, eine Ex-ante-Betrachtung ist unumgänglich. Die Beteiligungslehre ist in dieser Hinsicht eine Lehre vom Handlungsunrecht.348 Des Weiteren vernachlässigt ein einseitiges Abstellen auf die Erfolgszurechnung gänzlich die Dimension der Tat­herrschaft als spezifisches (tatbestandliches) Handlungsunrecht und liefe auf ähnliche Ergebnisse hinaus wie die Verwendung eines extensiven Täterbegriffs, wie es in Jakobs Beteiligungslehre in Hinblick auf die Verletzung einer negativen Pflicht der Fall ist. Eine einseitig auf Erfolgszurechnung abstellende Beteiligungslehre könnte nämlich so verfahren, dass alle Arten der Verletzung der Verhaltensnorm bzw. unerlaubten Risikoschaffung rechtlich gleichwertig wären und jedwede Verhaltensnormverletzung die Erfolgszurechnung legitimieren könnte.349 347  Grundlegend Murmann, Nebentäterschaft, S. 181; ferner Noltenius, Kriterien, S. 299, die aber insbesondere bei mittelbarer Täterschaft zu stark auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Hintermann und dem Vordermann abstellt. 348  In dieser Richtung trotz unterschiedlicher Grundpositionen Bloy, ZStW 117 (2005), 13 f., 17 f.; Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 52; Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 300, 305 f., 309; Kreuzberg, Täterschaft, S. 371 und passim; Murmann, Nebentäterschaft, S.  160 ff., 174 ff., 180 f.; Renzikowski, Täterbegriff, S. 58 ff., 123 ff.; Maurach/Gössel/ Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 68 ff., § 50 Rn. 19 ff.; NK/Schild, Vor §§ 25 ff. Rn. 7; ders., Tat­herrschaftslehren, S.  121; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 221 ff. 349  Vgl. zu diesem Befund Haas, Theorie, S.  44 ff.; Renzikowski, FS-Schünemann, S. 501 f. Es ist zwar richtig, dass, wie Hass und Renzikowski meinen, die einseitige



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung329

Dann gäbe es zwischen Täterschaft und Teilnahme nur einen quantitativen Unterschied im Ausmaß der Pflichtverletzung. Stattdessen ist die Lehre von der tatbestandsmäßigen Handlung heranzuziehen, weil sie ein materielles Kriterium für die Bestimmung des tatbestandlichen Handlungsunrechts liefert. Nach der bei der Alleintäterschaft ausgearbeiteten Unrechtsstruktur der Täterschaft muss der Täter eine Verhaltensnorm, deren Befolgung das Ausbleiben des tatbestandsmäßigen Erfolgs garantieren soll, verletzen. Demnach liegt eine Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer dann vor, wenn der Beteiligte eine solche Verhaltensnorm verletzt und eine Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg geschaffen hat. Da­ raus folgt, dass ein Teilnehmer keine Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg verletzt und ihm der tatbestandsmäßige Erfolg nicht als eigene Handlungsfolge zugerechnet werden darf, sonst wäre er Täter. Täter und Teilnehmer verletzen mithin unterschiedliche Arten von Verhaltensnormen, die unterschiedliche Qualitäten aufweisen.350 Abstellung auf die Erfolgszurechnung im Sinne der Lehre der objektiven Zurechnung notwendig zu einem extensiven Tatbegriff führt und keine qualitative Unterscheidung zwischen Beteiligungsformen erlaubt. Ob sich aber die herrschende Tat­herrschaftslehre, insb. die Roxin’sche Variante, auch in der schlichten Erfolgszurechnung erschöpfe, bleibt zweifelhaft und bedarf noch einer vertieften Untersuchung, zumal nach Roxins Einschätzung die Prüfung der Tat­herrschaft der der objektiven Zurechnung nachgelagert ist, und das impliziert, dass die Schaffung irgendeiner Gefahr und ihrer Verwirklichung für die Täterschaft nicht ausreicht. Jedenfalls ist die hier im Folgenden weiter zu entwickelnde normative Tat­herrschaftslehre, die sich nicht auf die Lehre der objektiven Erfolgszurechnung, sondern auf die der tatbestandsmäßigen Handlung stützt, nicht von der Kritik am extensiven Tatbegriff betroffen, denn der Schutzweck der täterschaftlichen Verhaltensnorm unterscheidet sich von dem der teilnehmerschaft­ lichen. 350  Nahestehend nunmehr auch Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 300, 305 f., 309. Für die Unterscheidung zwischen beiden Verhaltensnormen Renzikowski, Täterbegriff, S. 123 ff., der aber eine völlig selbständige Verhaltensnorm der Teilnahme im Sinne des Gefährdungsverbots vertritt und anders wie hier eine Zurechnung fremden (täterschaftlichen) Unrechts wegen eigener (teilnehmerschaftlicher) Pflichtverletzung dezidiert ablehnt. Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 68, 221 f. nimmt zwar ebenfalls die Unterscheidung beider Verhaltensnormen an, da er aber das Erfolgselement aus der Tatschuld ausschließen will (ebd., S. 81, wobei er ausdrücklich auf die Übereinstimmung seiner Ansicht mit der Zielinskis verweist), der Erfolg mithin nicht wie hier als Richtpunkt für den Inhalt der Verhaltensnorm herangezogen werden kann, und nach Stein die täterschaftliche Verhaltensnorm und die teilnehmerschaftliche dasselbe Rechtsgut des Opfers schützen sollen (ebd., S. 221 dagegen Renzikowski, Täterbegriff, S. 47 Fn. 168), müsste die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme nach dem Gefährdungsgrad für das Rechtsgut des Opfers bestimmt werden, was letztendlich entgegen Steins Anliegen zu einer quantitativen Unterscheidung beider Beteiligungsformen bzw. zu einem extensiven Täterbegriff führen würde. Zutreffend gegen Steins Ansatz Küper, ZStW 105 (1993), 472; Renzikowski, Täterbegriff, S. 47: „verkappte Einheitstäterlehre“.

330

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Das Leitprinzip des Tätersystems wird als „Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer“ definiert, die wiederum durch die Subkriterien der Verletzung einer sich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtenden Verhaltensnorm sowie der daraus resultierenden Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg ergänzt wird. Im Verhältnis zu den anderen in der Literatur empfohlenen Leitprinzipien wie Zentralgestalt oder Herrschaft über den Grund des Erfolges soll das hier angebotene Leitprinzip die Handlungsund Unrechtsstruktur der Täterschaft deutlicher machen. 3. Die Bestimmung der tatbestandsmäßigen Handlung und des Inhalts des Rechtsverhältnisses zwischen dem Beteiligten und dem Opfer als Ausgangspunkt Die Bestimmung der Beteiligungsform ist näher besehen eine Frage nach Inhalt und Reichweite der von dem Beteiligten verletzten Verhaltensnorm. Der Täter muss danach eine Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, also eine unmittelbar auf Erfolgsvermeidung gerichtetete Verhaltensnorm, verletzen und mithin für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig sein. Ob der in Betracht kommende Beteiligte eine solche Verhaltensnorm verletzt oder überhaupt verletzen kann, hängt im Wesentlichen nicht von den äußerlichen Erscheinungsformen von Tun oder Unterlassen ab, aber auch nicht allein davon, ob der Beteiligte phänomenologisch die tatbestandsmäßige Handlung ausführt (denn es bleibt noch die Möglichkeit der Zurechnung fremder Handlung als eigene), sondern zuallererst von dem dem betreffenden Tatbestand und der Verhaltensnorm zugrundeliegenden Rechtsverhältnis und der sich daraus ergebenden Pflichtstellung zum Opfer. a) Die Verhaltensnorm setzt kein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer voraus Bei denjenigen Tatbeständen, die keine Anforderungen an die Eigenschaft oder Qualifikation des Handlungssubjektes stellen, setzt die betroffene Verhaltensnorm kein vor der Tat bestehendes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer voraus, etwa bei allgemeinen Begehungs­ delikten. Dasselbe gilt aber auch für die sogenannten verkappten Gemein­ delikte,351 wie etwa Gefangenenmeuterei (§ 121 StGB), sowie für einen Teil der eigenhändigen Delikte, z. B. männliche exhibitionistische Handlungen (§ 183 StGB),352 die zwar eine bestimmte Eigenschaft des Subjekts oder sogar Eigenhändigkeit erfordern und damit auch als Sonderdelikte begriffen 351  LK13/Schünemann, 352  Roxin,

§ 14 Rn. 20. FS-Schünemann, S. 530.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung331

werden, ohne dass aber in dieser Beschränkung der Subjekteigenschaft oder in der Eigenhändigkeit ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zum Ausdruck käme. Bei den eigenhändigen Delikten ohne ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis bestimmt sich die Täterschaft danach, ob der Beteiligte die notwendige Eigenschaft (etwa „Mann“) aufweist und die tatbestandlich beschriebene Handlung eigenhändig ausführt. Und bei allgemeinen Begehungsdelikten sowie verkappten Gemeindelikten sind, auch wenn letztere bestimmte Eigenschaften des Subjekts beanspruchen, Täterschaft und Teilnahme außer durch die ggf. notwendige Eigenschaft dadurch unterschieden, ob die in Frage kommende Beteiligungshandlung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Verhaltensnorm geeignet ist, eine unerlaubte Gefahr gerade in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg zu schaffen.353 Die Übergabe eines Gifts schafft keine unerlaubte Gefahr in Richtung auf den Todeserfolg des Opfers, sondern in Richtung auf die Erhöhung der Gefahr einer fremden Tötungshandlung; eine Beleidigungshandlung (§ 185 StGB) setzt eine eigene Kundgabe der Erklärung mit beleidigendem Inhalt voraus. Denn nur eine solche Handlung, nicht aber die Vermittlung dieser Erklärung hat eine Gefahr in Richtung auf die Ehre des Opfers geschaffen. Hier spielt die Auslegung der tatbestandsmäßigen Handlung eine Rolle. Führt der Beteiligte bei allgemeinen Begehungsdelikten zwar phänomenologisch die tatbestandsmäßige Handlung i. e. S. nicht aus, ist er gleichwohl dann als Täter anzusehen, wenn die ggf. notwendige Eigenschaft bei verkappten Gemeindelikten und die Voraussetzungen für eine Zurechnung fremder Handlung als eigene vorliegen (§ 25 Abs. 1, Alt. 2; § 25 Abs. 2 StGB): Wenn beim die tatbestandsmäßige Handlung Ausführenden irgendein strafrechtliches Verantwortungsdefizit vorliegt und der Beteiligte aufgrund des ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen ihm und dem Opfer für dieses Defizit zuständig ist, ist er in der Regel mittelbarer Täter. Handelt der Ausführende demgegenüber vollverantwortlich, ist der die tatbestandsmäßige Handlung i. e. S. nicht ausführende Beteiligte dann nur Teilnehmer, wenn sich die betreffende Rechtsverhältnisverletzung nur als Verwirklichung der Unrechtsmaxime des die tatbestandsmäßige Handlung Ausführenden versteht. Der Beteiligte könnte aber trotz der Vollverantwortlichkeit des Ausführenden wegen der gleichberechtigen Arbeitsteilung mit dem Ausführenden als Mittäter, oder in Anbetracht der Verletzung einer Garantenpflicht, die aus seinem ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnis zum Opfer entspringt und deren Reichweite sich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg erstreckt, als un353  In

diesem Sinn auch LK13/Schünemann, § 14 Rn. 21.

332

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

mittelbarer oder mittelbarer Täter zu bestrafen sein, etwa wenn die Mutter dem Mörder zur Tötung ihres Kindes ein Messer verschafft (unmittelbare Täterschaft) oder der Führer eines staatlichen Machtapparats bzw. Geschäftsführer eines Unternehmens eine rechtswidrige Anweisung zur Tötung seiner Bürger bzw. zu unternehmensbezogenen Betrugsstraftaten erteilt (mittelbare Täterschaft354). Bei diesen Fällen handelt es sich nicht um die Anwendung der Pflichtdeliktsregel auf Herrschaftsdelikte,355 die nur aus einem reduzierten Tat­herrschaftsverständnis erklärbar ist, sondern um die normative Frage, ob nach der Pflichtstellung des Beteiligten zum Opfer seine Handlung (gleich ob Tun oder Unterlassen) eine Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg verletzt. Wenn jemand eine Pflicht, die aus einer Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg abgeleitet wird, verletzt, wird ihm dieser Erfolg zugerechnet und ist er Täter, auch wenn der Ausführende für diese Rechtsverletzung ebenfalls zuständig ist. Denn die vollverantwortliche Ausführungshandlung versteht sich dann nur als eine von dem Beteiligten als Garanten zu verhindernde Gefahr in Richtung auf den Erfolg, und das gilt erst recht dann, wenn er über das verbotene Unterlassen hinaus noch positiv den Erfolg in irgendeiner Form ausgelöst hat. Die eigentliche tatbestandsmäßige Handlung der Mutter bzw. der politischen oder unternehmerischen Führungskraft ist nicht deren Übergabe des Messers bzw. die erteilte Anweisung, sondern die Nichtverhinderung einer sich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtenden, aus dem Herrschaftsbereich entlassenen Gefahr.356 b) Der Verhaltensnorm liegt ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zugrunde Es gibt aber Tatbestände, bei denen die ihnen zugrundeliegende Verhaltensnorm ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer voraussetzt. Das ist bei unechten Unterlassungsdelikten der Fall, aber nach der insbesondere von Schünemann inspirierten,357 hier weiter normativierten Ansicht soll eine Garantenpflichtverletzung aus einem solchen Abhängigkeitsverhältnis auch zur Erklärung des Unrechts der meis354  BGHSt 48, 77, 89 ff.; Murmann, GA 1996, 275 f., 279 ff.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 28. Für Nebentäterschaft kraft der Sonderverantwortlichkeitsverletzung Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 103; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 39 Rn. 43 (bezüglich des Politbüro-Falls). 355  So aber Roxin, FS-Schünemann, S. 524. 356  Zum Versuchsbeginn des pflichtwidrigen Garanten Murmann, GK, §  29 Rn.  112 f. 357  LK/Schünemann, § 25 Rn. 42 (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 56); Schünemann, GA 2017, 679 f., 683 f.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung333

ten Sonderdelikte (etwa §§ 266, 331, 332 StGB) beitragen. Darüber hinaus setzt ein Teil der eigenhändigen Delikte, der von Roxin als „höchstpersön­ liche Pflichtdelikte“,358 von Schünemann aber überzeugender als unübertragbare Garantensonderdelikte359 gekennzeichnet wird, auch ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer voraus. Bei diesen Delikten handelt es sich ebenfalls um ein vor der Tat bestehendes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Täter und Opfer, und doch heben sie sich von den Sonderdelikten insoweit ab, als die Garantenpflicht nur durch eine eigene Handlung verletzt werden kann. Die klassischen Beispiele dafür sind die Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und die uneidliche Falschaussage (§ 153 StGB). Nur wenn der Beteiligte vor der Tat eine bestimmte staatliche Funktion freiwillig oder unter Zwang übernommen hat, etwa „selbst in einer Sache zur Entscheidung berufen ist“ oder „unter dem Zwang der Aussage- bzw. Eidespflicht steht“,360 und das Rechtsgut im Kontext der Rechtspflege wesentlich auf seine pflichtgemäße Aufgabeerfüllung angewiesen ist, verfügt er über die Verletzungsmacht, durch eigene Ausübung dieser staatlichen Funktion das Rechtsgut zu verletzen. Bei allen diesen Tatbeständen kann nur derjenige Täter sein, der vor der Tat mit dem Opfer in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, denn nur er kann sich überhaupt an dem das Tatbestandsunrecht begründenden Rechtsverhältnis beteiligen und die Verletzungsmacht „von innen heraus“ haben, einerlei ob durch pflichtwidriges Tun oder Unterlassen. Ein Extraneus kann, auch wenn er das Delikt gemeinsam mit einem Intraneus begeht, mangels ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses zum Opfer nicht als Täter dieser Tatbestände angesehen werden. Allerdings bleibt dann die Teilnahmestrafbarkeit gegeben, denn das Opfer hat insoweit auch einen Anspruch gegenüber dem Extraneus, dass dieser nicht gemeinsam mit einem Intraneus sein Recht verletzt, wenn diese Beteiligungshandlung das Risiko für das Recht des Opfers erhöht. Im Verhältnis dazu handelt der Intraneus, wenn zwischen ihm und dem Opfer ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, grundsätzlich als Täter, wenn es um die in diesem Zusammenhang erläuterten Sonderdelikte bzw. eigenhändigen Delikte geht. Denn bei diesen Delikten bezwecken die Garantenpflichten des Beteiligten normalerweise Rundumschutz des Rechts des Opfers und mithin die Erfolgsverhinderung. Verletzt er diese Garantenpflicht durch Tun oder Unterlassen, ist der Erfolg ihm zuzurechnen.

AT II, § 25 Rn. 303 ff.; ders., TuT, S.  480 ff., 909 ff. § 25 Rn. 51 ff. (LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 69 ff.); Schünemann, FS-Jung, S. 886. 360  Roxin, AT II, § 25 Rn. 304, 303. 358  Roxin,

359  LK/Schünemann,

334

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Weiter zu differenzieren ist allerdings bei den unechten Unterlassungsdelikten. Nur wenn sich die Garantenstellung auf die Erfolgszuständigkeit erstreckt, nämlich gerade auf die Erfolgsverhinderung zielt, ist dem Garant der tatbestandsmäßige Erfolg zuzurechnen; er ist dann unabhängig von den äußeren Handlungsformen Täter.361 Das gilt für Konstellationen, in denen der Ausführende einer seitens des Garanten zu verhindernden Handlung ein Verantwortungsdefizit aufweist und dieser Nichtverantwortliche ein Risiko in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg geschaffen hat. Weil der Garant für die Handlung des zu Überwachenden zuständig ist, wird dessen Handlung und die daraus resultierende Gefahr für den tatbestandmäßigen Erfolg auch dem Garanten zugerechnet.362 Wenn der Ausführende der zu verhindernden Tat strafrechtlich vollverantwortlich bleibt, ist der Garant dann als Täter zu bewerten, wenn seine Garantenpflicht gerade auf eine Erfolgsverhinderungspflicht zielt. Beschränkt sich aber die Garantenpflicht auf eine Erfolgserschwerung, wie etwa bei solchen Überwachungsgarantenpflichten, deren Schutzzweck in der Vermeidung eines möglichen Zugriffs eines Unbefugten auf das zu überwachende Mittel besteht, ist der Garant nur Teilnehmer, denn er ist für die Gefahrerhöhung einer fremden Tat, nicht aber für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig.363 4. Verhaltensnormverletzung, Zurechnung fremden Verhaltens und Erfolgszurechnung bei fremdhändiger Tatbestandsverwirklichung a) Zuständigkeit für fremdes Verhalten und dessen Zurechnung Zuletzt ist die allgemeine Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Täterschaft analysiert worden, die eng an den materiellen Unrechtsbegriff und die Tatbestandsauslegung anknüpft. Nicht abschließend erklärt wurden allerdings die besonderen Handlungs- und Zurechnungsstrukturen der einzelnen Täterschaftsformen wie mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft. Weil diese Beteiligungsformen Täterschaftsformen sind, müssen sie die allgemeine Struktur der Täterschaft aufweisen mit der Folge, dass sowohl mittelbarer Täter als auch Mittäter eine Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg verletzen. Die Begründung dieser Verhaltensnorm in Richtung auf den Erfolg muss allerdings anders angelegt sein als bei unmittelbarer Täterschaft, denn mittelbarer Täter und Mittäter verwirklichen den Tatbestand 361  Siehe

Murmann, FS-Beulke, S. 189. der zu überwachende Nichtverantwortliche nur eine Gefahr in Richtung auf den fremden Tatentschluss oder eine Erhöhung der Gefahr einer fremden Tat, ist der Garant Teilnehmer, soweit keine anderen auf Erfolgsverhinderung zielenden Garantenpflichten eingreifen. 363  Murmann, FS-Beulke, S. 190 f. Vertiefend siehe folgend S. 383 ff. 362  Schafft



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung335

gerade durch fremde Hand. Sie vermitteln ihre Verletzungsmacht durch einen anderen (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) oder mit anderen (§ 25 Abs. 2 StGB). Daraus folgt, dass die fremden Tätigkeiten, die die Verletzungsmacht der mittelbaren Täter und Mittäter vermitteln, notwendig in die Begründung und Feststellung des Inhalts der Verhaltensnorm des mittelbaren Täters und Mittäter hineinwirken. Die Verhaltensnorm, soweit sie eine fremde Tatbestandsverwirklichung verbietet, muss mithin angesichts der Besonderheit der fremdhändigen Tatbestandsverwirklichung dieses fremde Verhalten in deren Verbots- oder Gebotsmaterie mit einbeziehen mit der Folge, dass mittelbarer Täter und Mittäter für dieses fremde Verhalten zuständig sein müssen. Wer die Pflicht aus dieser Zuständigkeit für fremdes Verhalten verletzt, dem wird dieses Verhalten als eigene Handlung zugerechnet. Zuständigkeit für Fremdverhalten ist der Rechtsgrund für diese Zurechnung als eigene Handlung. Vielfach wird dieser Zurechnung eine konstruktive Funktion für die Begründung der mittelbaren Täterschaft und Mittäterschaft zugesprochen. So lässt sich bei Heine/Weißer lesen: „Täterschaft kann also nicht nur durch eigenhändige Verwirklichung des Tatbestands begründet werden, sondern auch als Ergebnis einer horizontalen oder vertikalen Zurechnung fremden Ausführungsverhaltens als eigenes.“364 Bei mittelbarer Täterschaft gilt: „Beherrscht der Hintermann fremdes Ausführungsverhalten täterschaftlich, so wird es ihm als sein eigenes zugerechnet. Damit wird er rechtlich so behandelt, als hätte er die Ausführungshandlungen des Tatmittlers eigenhändig verwirklicht.“365 Hat der einzelne Mittäter „infolge der Arbeitsteilung nur einen Teil der tatbestandsmäßigen Ausführungshandlung eigenhändig vorgenommen, so bedarf es zur Begründung täterschaftlicher Verantwortlichkeit der Mittäterschaft als Zurechnungsprinzip“.366 Gegen diese konstruktive Funktion der Zurechnung fremden Handelns erhebt Schild aber Einwände.367 Er meint, dass eine Zurechnung der fremden Handlung als eigene Handlung aufgrund der Tat­ herrschaft dazu führen würde, dass der einzelne mittelbare Täter bzw. Mittäter nur fiktionsweise die tatbestandsmäßige Handlung und damit den Tatbestand verwirkliche, also 364  Schönke/Schröder/Heine/Weißer,

Vor §§ 25 ff. Rn. 5 (Hervorhebung von mir). § 25 Rn. 8. Ferner Bloy, GA 1996, 437 f.; MK/Joecks, § 25 Rn. 54; Kühl, AT, § 20 Rn. 42; Murmann, JA 2008, 321; Rengier, AT, § 43 Rn. 4. 366  Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 61. Auch Bloy, GA 1996, 425  f.; Krey/Esser, AT, Rn. 941; Frister, AT, Kap. 25 Rn. 15; Lackner/Kühl/Kühl, § 25 Rn. 9; Kühl, AT, § 20 Rn. 100; Murmann, GK, § 27 Rn. 52; Rengier, AT, § 44 Rn. 3; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 32. 367  Neuerdings wesentlich in Anschluss an Schild Kreuzberg, Handlungsunrechts­ typen, S. 273 ff. Im Hinblick auf mittelbare Täterschaft bei Erfolgsdelikten auch Frister, AT, Kap. 25 Rn. 8, 15. 365  Schönke/Schröder/Heine/Weißer,

336

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

eine Art von Tatbestandsverwirklichung vollziehe, ohne die eigene Tatbestandshandlung zu begehen.368 Er wäre dann nur „wie“ ein Täter, nicht aber „als“ ein Täter wegen eigener Unrechtshandlung zu bestrafen, was mit dem Wortlaut des § 25 StGB nicht vereinbare wäre.369 Damit der Hintermann als Täter für eigene tatbestandsmäßige Handlung bestraft werden kann, muss auch bei ihm eine wirkliche eigene tatbestandsmäßige Handlung angenommen werden. Im Hinblick auf die mittelbare Täterschaft begründet Schild diese Handlung des Hintermanns wie folgt: Der Hintermann entwickle zur Verwirklichung des Rechtsverletzungswillens ex ante ein zur Auslösung des tatbestandsmäßigen Erfolgs geeignetes Handlungsprogramm, etwa den Vordermann zu nötigen. Wenn der Vordermann wegen dieser Nötigung zur Tatbestandsverwirklichung ansetze und auch den tatbestandsmäßigen Erfolg auslöse, werde dem nötigenden Hintermann auch „die den Erfolg herbeiführende Tätigkeit des Vordermanns“ ex post zugerechnet, aber in dem Sinne, dass diese Tätigkeit des Vordermanns samt dem von ihr ausgelösten Erfolg nur das äußere Geschehen sei, das sich als Weiterentwicklung des vom Hintermann entwickelten Handlungsprogramms darstelle.370 Durch diese Zurechnung fremder äußerlicher Tätigkeit (nicht fremder Handlung!371) als die Weiterentwickelung des eigenes Handlungsprogramms erweise sich, ex post, die zuvor ausgeübte Nötigungshandlung des Hintermanns als „die (erfolgreiche) Tatbestandshandlung“.372 Die Zurechnungsstruktur bei fremder Tatbestandsverwirklichung ist bei Schild nicht anders als die bei einem Alleintäter, der mit einem naturhaften Werkzeug handelt. Der Unterschied zwischen beiden sei nur phänomenologisch: Bei der fremden Tatbestandsverwirklichung handele es sich um ein menschliches Werkzeug,373 ohne dass sich dadurch die normative Zurechnungsstruktur verändert.374 Auf diese Weise gelangt Schild dazu, dass §§ 25 Abs. 1 Alt. 2 und Abs. 2 StGB keine kon­ struktive Bedeutung bezogen auf die Begründung der Täterschaft des einzelnen mittelbaren Täters bzw. Mittäters hätten; sie stellten nur klar, dass auch die Indienstnahme eines anderen die eigene tatbestandsmäßige Handlung des einzelnen mittelbaren Täters bzw. Mittäters und somit die Tatbestandsverwirklichung begründe könne.375 368  NK/Schild, § 25 Rn. 27 kritisch gegen die Tat­ herrschaftslehre Roxins. Ferner Kreuzberg, Handlungsunrechtstypen, S. 34. 369  NK/Schild, § 25 Rn. 14. 370  Schild, Tat­herrschaftslehren, S.  124. 371  NK/Schild, § 25 Rn. 14. 372  NK/Schild, § 25 Rn. 27. 373  NK/Schild, § 25 Rn. 30. 374  NK/Schild, § 25 Rn. 13. 375  NK/Schild, § 25 Rn. 16 (bei mittelbarer Täterschaft), 17 (im Hinblick auf Mittäterschaft).



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung337

Die Stellungnahme von Schild hat ein gewisses Recht, setzt sich aber auch einigen Bedenken aus: Schilds Auffassung ist insoweit zuzustimmen, als er Wert darauf legt, dass auch bei einem Beteiligten, der nicht eigenhändig den Tatbestand verwirklicht, ein eigenes tatbestandsmäßiges Handlungsunrecht zu fordern ist. Dieses Handlungsunrecht darf nicht nur fiktiven Charakter haben, sondern muss positiv zu ermitteln sein. Damit wird die Schwäche eines extrem restriktiven Täter- bzw. Tatbegriffs, sich einseitig auf die Zurechnung fremden Handelns zu konzentrieren, überwunden. Die Berechtigung dieser Auffassung lässt sich zwanglos aus dem normentheoretischen Verständnis der Straftat ableiten: Aus der Orientierungsfunktion der Verhaltensnorm soll das Handlungs­unrecht bzw. der Tatbeitrag beim Handeln ex ante festgestellt werden. Eine Ex-postZurechnung fremder Tatbeiträge, die nicht auf die vorherige Handlung des Beteiligten, dem sie zugerechnet werden, zurückzuführen sind, ist rechtsstaatlich nicht legitim.376 Konsequenterweise sind die Gründe für die Zurechnung fremder Tatbeiträge in der Beteiligungshandlung dieses Beteiligten, sei es in der Instrumentalisierungshandlung eines Tatmittlers, sei es in einem gemeinsamen Tatentschluss, zu suchen. Fraglich ist aber, ob sich Schilds Auffassung bei der Bestimmung des Handlungsunrechts des einzelnen Beteiligten zu sehr an der Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Alleintäterschaft orientiert und dementsprechend das Beteiligungsverhältnis vernachlässigt. Um einen materiellen Täterbegriff zu entwickeln, der als allgemeine Handlungs- und Zurechnungsstruktur für alle Beteiligungsformen gilt, zieht Schild den Werkzeuggedanken heran. Diesem Gedanken zufolge nimmt jeder Beteiligte den anderen als menschliches Werkzeug zur Verwirklichung seines eigenen Handlungsprogramms in Dienst. Die Unterschiede zwischen den Beteiligungsformen bestehen demzufolge wahrscheinlich nur in den verschiedenen Inhalten der Handlungsprogramme.377 Der Gedanke des Handlungsprogramms hat zwar seinen richtigen Kern darin, dass das Handlungsunrecht jedes Beteiligten wie bei der 376  Eine rückwirkende Begründung von Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten gibt es aber bei der sog. Einzellösung für den Versuchsbeginn der Mittäterschaft. Nach der Einzellösung muss jeder Mittäter seinen eigenen wesentlichen Tatbeitrag (im Ausführungsstadium) geleistet haben, damit er überhaupt als Mittäter bestraft werden kann und ins Versuchsstadium eintritt. Das kann aber nicht erklären, warum der erst später seinen Tatbeitrag leistende Beteiligte auch für die zuvor bereits geleisteten Tatbeiträge anderer Tatgenossen rückwirkend als Mittäter „einzustehen“ hat (Buser, Zurechnungsfragen, S. 68), denn zu dem Zeitpunkt, zu dem die anderen Tatgenossen ihre Tatbeiträge leisteten, sei der erst danach Beteiligte nach der Einzel­ lösung allenfalls als psychischer Gehilfe anzusehen. Kritisch dazu bereits Ingelfinger, JZ 1995, 713; vgl. auch Murmann, GK, § 28 Rn. 94 Fn. 242. 377  So Kreuzberg, Täterschaft, S. 129, 168 ff., 284.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Alleintäterschaft ex ante feststellbar sein muss. Die einseitige Betonung der Einplanung des anderen in das eigene Handlungsprogramm reduziert indes das Beteiligungsverhältnis um eine interpersonale Dimension.378 Das Wesen des Beteiligungsverhältnisses ist ja ein interpersonales Gemeinsamkeitsverhältnis. Die Beteiligungshandlung anderer ist ihrerseits auch ein Ausdruck von selbstbestimmter Willenseinschließung und nicht einfach ein funktioneller Faktor zur Verwirklichung des eigenen Handlungsprogramms. In der Tat geht es beim Streit zwischen Schilds Auffassung und den meisten Vertretern des gemäßigt restriktiven Täterbegriffs, die eine Zurechnung fremden Handelns für notwendig halten, nicht um die Notwendigkeit der Zurechnung fremder Tatbeiträge, sondern um die angemessenere Erfassung der tatbestandsmäßigen Handlung bei fremdhändiger Tatbestandsverwirklichung. Die Vertreter des gemäßigt restriktiven Täterbegriffs gehen tendenziell von einer formellen bzw. phänomenologischen Betrachtung der tatbestandsmäßigen Handlung aus. Da der mittelbare Täter und der einzelne Mittäter phänomenologisch nicht etwa die Tötungshandlung selbst vornehmen, bedarf es normativ einer Zurechnung fremden Handelns, damit sie normativ gesehen diese tatbestandsmäßige Handlung ausführen und als Täter zu bestrafen sind. Die Instrumentalisierungshandlung des mittelbaren Täters bzw. der Tatbeitrag des einzelnen Mittäters ist dementsprechend nur der Grund für diese Zurechnung fremden Handelns, nicht die tatbestandsmäßige Handlung selbst. Die Vergleichbarkeit dieser Ansicht mit der des extrem restriktiven Täter- bzw. Tatbegriffs ist leicht zu erkennen. Die phänomenologische Betrachtung der tatbestandsmäßigen Handlung ist aber gerade die Schwäche des extrem restriktiven Täter- bzw. Tatbegriffs, die notwendig aufzuheben ist.379 Insbesondere müssten die Vertreter der Zurechnung fremden Handelns erklären, worin genau das eigene tatbestandsmäßige Handlungsunrecht des mittelbaren Täters bzw. Mittäters besteht. Dies alles zwingt zu einer materiellen Interpretation der tatbestandsmäßigen Handlung. Um eine solche bemüht sich Schild insoweit, als die Umsetzung eines bestimmten Handlungsprogramms (etwa Nötigung, Täuschung des Tatmittlers) zwar bereits das Handlungsunrecht begründe, eine tatbestandsmäßige Handlung aber erst dann vorliege, wenn dem mittelbaren Täter bzw. dem einzelnen Mittäter die äußeren Tätigkeiten anderer Beteiligter und das gesamte tatbestandsmäßige Geschehen ex post zugerechnet werden können. Aufgrund dieser Zurechnung fremder äußerer Tätigkeiten als eigene tatbestandsmäßige Handlung sei der mittelbare Täter bzw. Mittäter als Täter zu bestrafen, da er selbst diese Handlung vornehme. Nun wird von Schild und den meisten Vertretern des gemäßigt restriktiven Täterbegriffs nicht bestritten, dass eine Zurechnung fremder Tatbeiträge bzw. 378  In

diesem Sinne auch Bloy, GA 1996, 438. oben S. 272 ff., 276 ff.

379  Siehe



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung339

fremder Tätigkeit für die Begründung der Täterschaft bei fremder Tatbestandsverwirklichung notwendig ist, sonst müsste die Instrumentalisierungshandlung bzw. müssten die Tatanteile des einzelnen Mittäters an sich als die tatbestandsmäßige Handlung begriffen werden, was dem restriktiven Täterbegriff widersprechen würde.380 Mit der Zurechnung fremder Tätigkeiten bzw. Tatbeiträge wird die vorherige Beteiligungshandlung des mittelbaren Täters (etwa Nötigung oder Täuschung des Tatmittlers) bzw. des einzelnen Mittäters zur tatbestandsmäßigen Handlung gewissermaßen „komplettiert“.381 Aufgrund dieser erfolgreichen und vollständigen tatbestandsmäßigen Handlung darf er vor dem Hintergrund des restriktiven Täterbegriffs als Täter bestraft werden. Daneben lässt sich eines aus dem Streit feststellen: nämlich besser von einer Zurechnung fremder Tätigkeit bzw. fremden Verhaltens382 als von einer Zurechnung fremder Handlung zu sprechen ist. Wenn die Schuld wie hier als ein notwendiger Teil der Handlung angesehen wird, müsste die Zurechnung fremder „Handlung“ eine Zurechnung fremder Schuld bedeuten, was mit § 29 StGB nicht vereinbar wäre. Die Vertreter der Zurechnung fremder Handlung gehen in der Tat ebenfalls davon aus, dass „täterbezogene Merkmale und subjektive Voraussetzungen der Tatbestandsverwirklichung“ nicht anderen Mittätern zugerechnet werden können; Gegenstand dieser Zurechnung können nur objektiv tatbezogene Umstände sein.383 Mit der Notwendigkeit einer Zurechnung fremden Verhaltens als eigene Handlung, deren Grund in einer eigenen Verhaltensnormverletzung des mittelbaren Täters bzw. Mittäters zu finden ist, wird aber nicht entschieden und sollte nicht präjudiziert werden, ob diese Zurechnung fremden Verhaltens für die Begründung der mittelbaren Täterschaft oder Mittäterschaft eine konstitutive oder deklaratorische Bedeutung hat. Bisher wurde ja nur festgestellt, dass bei den meisten Fällen der mittelbaren Täterschaft die Zurechnung fremden Verhaltens nicht das zuvor bereits bestehende tatbestandsmäßige Unrecht des Hintermannes „begründet“,384 sondern nur „dessen äußerliche 380  Dagegen aber Schilling, Verbrechensversuch, S. 104 f., 111, der unzutreffend die Beteiligungshandlungen anderer nur als Kausalfaktoren eigener tatbestandsmäßigen Handlung begreift. 381  In Bezug auf mittelbarer Täterschaft ähnlich Murmann, JA 2008, 321. NK/ Schild, § 25 Rn. 12 spricht von der „erfolgreiche[n] Tatbestandshandlung“. 382  Der Begriff des Verhaltens umfasst hier auch schuldlose menschliche Tätigkeiten und steht dem Begriff des Handelns oder der Handlung gegenüber, der solchen menschlichen Tätigkeiten vorbehalten ist, die aus einer autonomen Entscheidung hervorgehen. 383  Bei Mittäterschaft Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 32. Darauf hat NK/Schild, § 25 Rn. 14 zutreffend hingewiesen. 384  Siehe oben gegen den extrem restriktiven Tatbegriff S. 276 ff.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Gestalt“ „komplettiert“.385 Dabei handelt es sich insbesondere um die materielle Frage, ob die Beteiligungshandlung des mittelbaren Täters oder einzelnen Mittäters für sich nicht nur eine Zuständigkeit für fremdes Verhalten, sondern darüber hinaus bereits das tatbestandsmäßige Unrecht begründet. Wäre sie negativ zu beantworten, würde das fremde Verhalten nicht nur die äußerliche Gestalt der eigenen tatbestandsmäßigen Handlung komplettieren, sondern eine Art der Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg und das tatbestandsmäßige Unrecht mit begründen. Im Folgenden wird auf die unterschiedlichen Zuständigkeitsgründe bei der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft und auf deren Handlungs- und Zurechnungsstrukturen eingegangen. b) Zuständigkeit für das Verhalten des Vordermannes bei mittelbarer Täterschaft aa) Zuständigkeit kraft überlegener Pflichtstellung Bei der mittelbaren Täterschaft begründet eine faktische Notlage des Vordermanns oder ein psychologisch überlegenes Wissen des Hintermanns an sich noch keine Zuständigkeit des Hintermannes für die Handlung des Vordermannes. Denn empirisch gesehen kann diese Instrumentalisierungshandlung unter Berücksichtigung ihrer Einwirkung auf das Verhalten des Tatmittlers zwar bereits eine Gefahr in Richtung auf das tatbestandlich geschützte Rechtsgut des Opfers schaffen. Diese Gefahrschaffung muss aber rechtlich missbilligt sein, d. h. aus einer pflichtwidrigen Beteiligungshandlung resultieren.386 Die Verhaltensnorm verbietet ja nicht jede Gefahrschaffung in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, sondern nur diejenige Gefahrschaffung, die die Verletzung einer Pflicht aus der Verhaltensnorm kennzeichnen kann. Der Hintermann muss danach rechtlich für das Verhalten des Tatmittlers bzw. für dessen unrechtsrelevantes Defizit zuständig sein.387 Da jeder als autonome Person rechtlich im Grundsatz für seine eigene Handlung zuständig ist, bedarf eine rechtliche Zuständigkeit für fremde Tätigkeiten eines normativen Legitimationsgrunds.388 385  Vgl. auch Puppe, GA 2013, 527: Zurechnung des Verhaltens des Werkzeugs als „äußere Gestalt der tatbestandsmäßigen Handlung“. 386  Schilds Auffassung, dass ein Handlungsprogramm geeignet ist zur Auslösung des tatbestandsmäßigen Erfolgs, greift insoweit zu kurz, denn neben der ex ante nur empirisch festzustellenden Geeignetheit muss eine normative Zuständigkeit vorliegen. 387  Näherer besehen ergibt sich solche Zuständigkeit aus der Garantenpflicht des Hintermannes gegenüber dem Opfer. Insoweit auch Jakobs, GA 1997, 559 ff.; ders., Theorie, S. 39; Kindhäuser, Betrug, S. 149. 388  Murmann, JA 2008, 321.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung341

Die Zuständigkeit des Hintermannes für das Verhalten des Vordermannes lässt sich zunächst daraus ableiten, dass der Hintermann durch seine überlegene Stellung das Vermögen des Vordermannes zur freien Entscheidung übernommen (d. h. usurpiert) hat,389 so dass die Tatbeiträge des Vordermannes als Verwirklichung der Unrechtsmaxime des Hintermannes und mithin als Verletzung seines Rechtsverhältnisses zum Opfer begriffen werden können. Diese Zuständigkeit kraft überlegener Stellung kann durch die eigene Handlung des Hintermannes, etwa Nötigung oder Täuschung des Vordermannes begründet werden. Die Nötigungskraft muss die Schwelle des § 35 Abs. 1 StGB erreichen, so dass die Rechtsverletzung des Opfers sich nicht als eine freie Entscheidung des Vordermannes, sondern als Verwirklichung der Unrechtsmaxime des Hintermannes darstellt. Bei Auslösung der Irrtümer des Vordermannes müssen diese Irrtümer Unrechtsrelevanz aufweisen; die sog. Motivirrtümer des Vordermannes, die sich nicht auf die Umstände des Unrechts und dessen Bewertung beziehen, begründen keine Zuständigkeit des Hintermannes für die Tätigkeit des Vordermannes, auch wenn er sie auslöst. Aber auch in den Fällen, wo der Hintermann zwar die Irrtümer auslöst, der Vordermann aber für die richtige Erfassung bestimmter Tatumstände oder rechtliche Erkenntnisse selbst (mit)zuständig ist, begründet die Herbeiführung nicht ohne weiteres die Zuständigkeit des Hintermannes für die Irrtümer des Vordermannes. Die Auslösung einer vorsatzlos, aber fahrlässigen Tätigkeit des Vordermannes begründet die Zuständigkeit des Hintermannes für den Irrtum. Der Vordermann ist zwar für sein sorgfaltswidriges Fehlverhalten, nicht aber für die vorsätzliche Tötung des Opfers zuständig.390 Denn er durchschaut die Tötungsgefahr seines Verhaltens nicht und hat insoweit eben keine freie Entscheidung über die Tötung des Opfers getroffen. Die im Todeserfolg verwirklichte Vorsatzgefahr lässt sich somit nur als Objektivierung der freien Entscheidung des Hintermannes, vorsätzlich das Opfer zu töten, begreifen. Weiter zu differenzieren ist aber bei der Zuständigkeit für Rechtsirrtümer.391 Denn jeder Bürger verpflichtet sich, das Recht zu erkennen, und ist daher selbst für den Rechtsirrtum zuständig, auch wenn der Hintermann ihn manipuliert.392 Daraus folgt, dass die 389  Ähnlich

M. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 207 f. GA 2013, 527. 391  Zum Folgenden bereits Murmann, GA 1998, 81 ff. 392  Die (Mit-)Zuständigkeit des Vordermannes verkennen diejenigen Autoren, die für die mittelbare Täterschaft auf das übergeordnete/untergeordnete Wissen des Hintermannes/Vordermannes um die Verbotenheit abstellen. Insb. anders als Schönke/ Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 43 darlegen, verliert das Recht nicht seinen motivierenden Einfluss auf den Vordermann, auch wenn er insoweit von dem Hintermann manipuliert wird. Denn der Vordermann ist als Bürger grundsätzlich für die Rechtlichkeit seiner Handlung zuständig. Er darf sich also nicht einfach auf die Aussage 390  Puppe,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Zuständigkeit des Vordermannes für den Rechtsirrtum in der Regel die des Hintermannes für den Irrtum sowie für den tatbestandsmäßigen Erfolg ausschließt; eine Gefahrschaffung in Richtung auf die Hervorrufung eines Tat­ entschlusses durch den Hintermann bleibt aber unberührt. Es verhält sich allerdings anders, wenn zwischen dem Hintermann und dem Opfer ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis vorliegt und daraus eine Garantenpflicht des Hintermannes abgeleitet wird, die tatbestandsmäßige Handlung des Vordermannes zugunsten des Opfers zu verhindern. Dann ist der Hintermann gehalten, den Rechtsirrtum nicht auszulösen oder auszunutzen, ihn sogar positiv auszuschließen. Insoweit ist für die Begründung der mittelbaren Täterschaft die Pflichtstellung des Hintermannes zum Opfer, nicht die (Un-) Vermeidbarkeit des Irrtums und die daraus abgeleitete vollständige oder defizitäre Verantwortlichkeit des Vordermannes ausschlaggebend.393 Denn bei der Frage, ob seitens des Vordermanns dieser Irrtum vermeidbar und somit strafrechtlich vorwerfbar ist, handelt es sich nur um das Rechtsverhältnis zwischen Vordermann und Opfer, nicht aber um dasjenige zwischen Hintermann und Opfer.394 Die mittelbare Täterschaft des Hintermannes gründet sich auf seiner eigenen Pflichtstellung zum Opfer. In allen oben skizzierten Fällen mittelbarer Täterschaft lässt sich eine überlegene Pflichtstellung des Hintermannes gegenüber dem Tatmittler in dem Sinne erkennen, dass das Verhalten des Tatmittlers entweder nur die Objektivierung der Unrechtsmaxime des Hintermannes (überlegene Zuständigkeit kraft Ingerenz, Nötigung oder Täuschung des Tatmittlers) oder nur eine vom Hintermann zugunsten des Opfers zu verhindernde Gefahr darstellt (überlegene Zuständigkeit kraft Beschützergarantenstellung gegenüber dem Opfer). Durch diese überlegene Pflichtstellung wird die Verletzungsmacht des Hintermannes durch den Tatmittler in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg vermittelt.

des Hintermannes über die Rechtlichkeit der betroffenen Handlung verlassen, es sei denn, dass dieser Hintermann rechtlich gewisse Autorität über diese Aussage innehat. 393  So aber die Ansicht, die nur bei Unvermeidbarkeit eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes annehmen will: Bloy, Beteiligungsform, S. 351; Jakobs, AT, § 21 Rn. 94; Jescheck/Weigend, AT, S. 669; Krey/Esser, AT, Rn. 927 ff. Dagegen auch bei vermeidbarem Verbotsirrtum aufgrund defizitären Wissens oder der Unfreiheit des Vordermannes eine mittelbare Täterschaft bejahend Frister, AT, Kap. 27 Rn. 12; Heinrich, AT, Rn. 1260; M. Heinrich, S.  219 f.; Kindhäuser, Betrug, S. 147; Freund/ Rostalski, AT, § 10 Rn. 90; LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 111; Matt/Renzikowski/Haas, § 25 Rn. 16; Rengier, AT, § 43 Rn. 42; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 43; SK/Hoyer, § 25 Rn. 74; Zieschang, FS-Otto, S. 520 f., 524. Einschränkend Roxin, AT II, § 25 Rn. 83 ff., mit der Ausnahme, dass der irrende Vordermann rechtsfeindlich handelt. 394  Murmann, GA 1998, 86.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung343

bb) Zur begrenzten Reichweite des Verantwortungsprinzips sowie zur Begründung des Täters hinter dem Täter am Beispiel der Organisationsherrschaft Aus diesem sich an der Pflichtstellung des Hintermannes zum Opfer orientierenden Täterkriterium ergibt sich auch die Möglichkeit des „Täters hinter dem Täter“. Denn die Verantwortlichkeit des Vordermannes für die Rechtsverletzung des Opfers ist demnach kein allgemeines Kriterium mehr für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme. Soweit die Pflicht des Hintermannes die Erfolgsverhinderung bezweckt, ist der Hintermann unabhängig von der Verantwortlichkeit des Vordermannes für die den tatbestandsmäßigen Erfolg auslösende Handlung des Vordermannes zuständig. Dem scheint aber das Verantwortungsprinzip entgegenzustehen. Hiernach kann der Vordermann nicht einerseits Täter kraft seiner freien Entscheidung für die Rechtsgutsverletzung und andererseits in Hinblick auf dieselbe Verletzung zugleich ein vom Hintermann beherrschtes, unfreies Werkzeug sein.395 Als ein allgemeines Kriterium für die Unterscheidung zwischen Täter­schaft und Teilnahme taugt das Verantwortungsprinzip freilich nicht.396 Denn die freie Entscheidung und daraus folgende rechtliche Verantwortlichkeit eines anderen schließt nicht unbedingt die Verantwortlichkeit des Hintermannes aus: Erstens können sich an einer Rechtsverletzung mehrere frei handelnde Täter beteiligen; Nebentäterschaft und Mittäterschaft sind geeignete Beispiele dafür.397 Zweitens kann, wie oben bereits begründet wurde,398 die Freiheit des anderen auch täterschaftsbegründend wirken, indem die Beteiligten wechselseitig frei entscheiden, gemeinsam den Tatbestand zu verwirklichen. Aber auch auf der Ebene der Unterscheidung zwischen mittelbarer Täterschaft und (insbesondere) Anstiftung kann das Verantwortungsprinzip nicht uneingeschränkt gelten. Denn es legt das Gewicht zu einseitig auf die instrumentale Herrschaftsbeziehung zwischen dem Hintermann und dem Vordermann und vernachlässigt das Rechtsverhältnis des Hintermannes zum Opfer. Entscheidend ist die normative Frage, ob der Hintermann nach seiner 395  Gallas, Beiträge, S. 141; Puppe, GA 2013, 527. Für das Verantwortungsprinzip, aber mit der normativen Verantwortlichkeit oder Zuständigkeit argumentierend einerseits Herzberg, Mittelbare Täterschaft, S. 48, 51; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 34; Putzke, FS-Roxin II, S. 436; andererseits Jakobs, GA 1997, 569; ders., Theorie, S.  38 f.; Orozco López, Beteiligung, S. 166, 167. Auf den Gedanken von Regressverbot oder Autonomieprinzip abstellend auch Hruschka, ZStW 110 (1998), 586, 587 f., 606 f.; Renzikowski, Täterbegriff, S. 74. 396  Zur folgenden Analyse Greco, ZIS 2011, 9 ff., der aber auf die faktische Herrschaftsmacht abstellt. 397  Greco, ZIS 2011, 10; Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 88 f. 398  Siehe oben S. 297.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

eigenen Pflichtstellung zum Opfer trotz der Zuständigkeit des Vordermannes für die Rechtsverletzung noch sein Rechtsverhältnis zum Opfer beherrschen kann.399 Am Beispiel von mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft: Die Vertreter einer faktischen Tat­herrschaftslehre wie Roxin bejahen dies dann, wenn der Hintermann etwa kraft seiner Organisationsherrschaft trotz der Herrschaftsmacht des Vordermannes noch das Gesamtgeschehen beherrschen könne. Eine allein auf die faktische Steuerungsmacht abgestellte Erfolgsbeherrschung erlaubt aber, wie oben erläutert wurde,400 keine Abgrenzung zur Anstiftung. Darüber hinaus läuft die bloße Orientierung an der faktischen Beherrschungsmacht notwendig auf die extensive Anwendung der Regel der mittelbaren Täterschaft hinaus. Das hat Schünemann erkannt und entwickelt dementsprechend das Modell der Tat­ herrschaftsstufen. Danach kennzeichnet das Verantwortungsprinzip den Kernbereich mittelbarer Täterschaft; ein „Täter hinter dem Täter“ liegt nur dann vor, wenn die Herrschaftsmacht des Hintermannes gegenüber der des Vordermannes auf einer höheren Stufe angesiedelt ist. Diesem Modell ist insoweit zuzustimmen, als es richtig erkennt, dass eine Zuständigkeit für eine vollverantwortliche fremde Handlung wegen der Selbstverantwortung des Vordermannes besonderer Rechtsgründe bedarf. Diese Gründe bestehen aber entgegen Schünemann/Greco401 nicht nur in der faktisch überlegenen Organisationsmacht des Hintermannes.402 Man könnte ja geltend machen, dass die politische oder unternehmerische Führungskraft in Hinblick auf die konkreten, von den Ausführenden vollgezogenen Straftaten gerade die freien Ausführenden entscheiden lassen müsse, ob und wie die konkreten Straftaten vollgezogen werden.403 Eine überlegene Tat­herrschaftsmacht gegenüber dem freien Vordermann lässt sich nicht begründen. Es bleibt deshalb nur der Weg übrig,404 aus der GarantenGA 1998, 86. oben S. 294. 401  LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 147, 152. 402  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 28; zust. Robles Planas, GA 2012, 279 Fn. 18. 403  Haas, Theorie, S. 107; Herzberg, mittelbare Täterschaft, S. 39; Murmann, GA 1996, 274; Rotsch, 112 ZStW (2000), 528  f.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 48 Rn. 69. Die Gegenkritik von LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 147, dass diese Kritik auf eine lückenlose Herrschaftsmacht abstelle, ist nicht überzeugend, denn der Einwand gegen die Fungibilität des freien Ausführenden basiert gerade nicht auf der faktischen gesicherten Herrschaftsmacht des Hintermannes, sondern auf der rechtlich freien Verantwortlichkeit des Vordermannes. 404  Einen anderen Ausweg wählt Haas, Theorie, S. 104, 106 ff., indem er die mittelbare Täterschaft des Machtinhabers in Organisationen auf die „stellvertretende Ausführung“ des Vordermannes „aufgrund eines Mandats, eines Befehles, oder einer sonstigen Anweisung“ (ebd., S. 104) abstellt. Die mittelbare Täterschaft lässt sich 399  Murmann, 400  Siehe



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung345

stellung des Hintermannes gegenüber dem Opfer die Zuständigkeit für die Handlung des Vordermannes zu begründen.405 Dieser Weg ist aber nur dann gangbar, wenn man bereit ist, die instrumentale Tat­herrschaftslehre zu verlassen und zu einer interpersonalen Tat­herrschaftslehre überzugehen. Erstreckt sich die Garantenpflicht auf die Erfolgsverhinderung, fällt auch die vollverantwortliche Handlung des Vordermannes in den Verantwortungsbereich des Hintermannes. Was der Vordermann ausführt, ist nicht nur die Objektivierung seiner Unrechtsmaxime, sondern auch derjenigen des Hintermannes. Das Recht des Opfers wird dadurch „doppelt“ verletzt: Der Vordermann verletzt sein Rechtsverhältnis zum Opfer durch die eigene Ausführungshandlung, der Hintermann verletzt sein Rechtsverhältnis zum Opfer durch den Vordermann.406 aber entgegen Haas nicht dadurch begründen, dass der Ausführende aufgrund eines Befehls oder einer Anweisung dem Willen des Machtinhabers untergeordnet ist. Unabhängig davon, dass sich dieser Ansatz eines „stellvertretenden Mandats“ stark an zivilrechtliches Denken annähert und seine strafrechtliche Relevanz erst erweisen müsste (Schünemann, FS-Roxin II, S. 813), müssten die klassischen Beispiele der Anstiftung durch Beauftragung dann unzulässig zu mittelbarer Täterschaft herauf­ gestuften werden (konsequent Haas, ebd., S. 111 f.), was einen Verstoß gegen §§ 25 Abs. 1 Alt. 2 und 26 StGB darstellen würde. Kritisch auch Maurach/Gössel/Zipf/ Renzikowski, AT II, § 48 Rn. 77; Roxin, TuT, S. 786 Rn. 255. Des Weiteren löst sich der untergeordnete Wille des Ausführenden von der Tatbestandsbezogenheit und ist somit wie die subjektive Theorie, in der Haas einen „berechtigten rationalen Kern“ sieht (ebd., S. 93), nicht geeignet zur Abgrenzung der Beteiligungsformen. 405  Murmann, GA 1996, 276 ff. (staatliche Organisation), 279 ff. (private Unternehmen) sowie oben S. 295. In Hinblick auf die Verantwortlichkeit eines staatlichen Machtinhabers aufgrund der Pflichtdeliktslehre zur Begründung der (unmittelbaren) Täterschaft auch Jakobs, ZIS 2009, 574. Völkerstrafrechtlich auch Klesczewski, ZIS 2017, 437: „Übernahme einer Sonderpflicht“. Warum aber dieser richtige Gedanke seine Anwendung nur im Völkerstrafrecht finden soll, wie Klesczewski annimmt, lässt sich m. E. nicht mit dem kollektiven Charakter des Völkerstrafrechts begründen. 406  Murmann, GA 1996, 278. A. A. Schlösser, Soziale Tat­herrschaft, S. 163 ff., der im Zusammenhang des staatlich organisierten Machtapparats konstatiert, dass der hiesige Ansatz gegen das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 II GG) verstößt. Denn die die Täterschaft begründende besondere Pflichtstellung des Staatsmachtinhabers zu den Bürgern werde nicht im Tatbestand des § 212 StGB vertypt (daran anschließend auch Morozinis, Organisationsdelikte, S. 156). Wenn aber diese die Täterschaft des Staatsmachtinhabers begründende Pflichtstellung an die Stelle des gesetzlichen Merkmals der Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs trete, werde ein gesetzliches Merkmal ausgetauscht und werde die täterschaftliche Strafbarkeit in einer unzulässigen Weise ausgedehnt (Schlösser, ebd., S. 163). Schlösser führt weiter an, ein Verständnis von „Töten“ im Sinne von Pflichtverletzung, das nicht direkt oder indirekt mit der Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens in Verbindung stehe, sei mit dem möglichen Wortsinn des „Tötens“ nicht vereinbar (ebd., S. 164). Dieser Vorwurf der Verletzung des Gesetzlichkeitsprinzips stellt aber eine Petitio Principii dar, denn dass das gesetzliche Merkmal von „Töten“ nur als eine instrumen-

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Wer aber trotzdem auf dem Verantwortungsprinzip beharrt, könnte den Führer eines organisatorischen Apparats bzw. den Geschäftsführer nur als Anstifter407 oder als Nebentäter408 oder Mittäter409 bewerten. Die Bewertung als Anstifter ist freilich nicht nur kriminalpolitisch unbefriedigend, sie wird auch dogmatisch dem Unrecht einer solchen Führungskraft nicht gerecht. Denn wird einmal deren Erfolgsverhinderungspflicht begründet, wird ihr der tatbestandsmäßige Erfolg zugerechnet. Sie verwirklicht Täterunrecht. Gegen die Nebentäterschaft, bei der jeder Beteiligte unabhängig von den anderen nur seine eigene Unrechtsmaxime verwirklicht, spricht, dass die Ausführentale Beherrschung eines Tötungsgeschehens zu begreifen sei, wäre gerade zu beweisen. Beim hiesigen Ansatz geht es nur um die richtige Auslegung der tatbestandsmäßigen Handlung „Töten“. Deshalb verbietet es sich nicht, bei der Auslegung der tatbestandsmäßigen Handlung die besondere Pflichtstellung des Hintermanns zum Opfer zu berücksichtigen, auch wenn diese besondere Pflichtstellung im § 212 StGB nicht wie bei anderen positivrechtlichen Pflichtdelikten (etwa § 266 StGB) ausdrücklich genannt wird. Schlösser hat zwar insoweit recht, als die allgemeine Pflicht zum Unterlassen der Tötung sowohl den Vordermann als auch den Hintermann trifft, er verkennt aber vor allem, dass der Hintermann, soweit er wegen der besonderen Pflichtstellung für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist, auch ohne die instrumentale Tat­herrschaft den tatbestandsmäßigen Erfolg beherrschen kann. Zur Begründung der mittelbaren Täterschaft des Hintermanns reicht, wohl anderes als Schlösser meint, irgendeine Pflichtverletzung gerade nicht, sondern erforderlich ist eine Verletzung einer Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg. Verletzt der Staatsmachtinhaber eine solche Verhaltensnorm, etwa indem er die Tötungshandlungen der staatlichen Ausführungsorgane pflichtwidrig nicht verhindert oder sie sogar zur Tötung auffordert, sind ihm die Tötungshandlungen zuzurechnen (§ 25 I Alt. 2 StGB). Damit steht dessen pflichtwidriges Tun oder Unterlassen mittelbar mit dem tatbestandsmäßigen Geschehen in Verbindung und die tatbestandsmäßige Grenze ist gewahrt. Insoweit von einer Tötung durch fremde Hand auszugehen, bewegt sich durchaus noch im Rahmen des möglichen Wortsinns „Töten durch einen anderen“. Dass § 25 I Alt. 2 StGB ebenso keine Pflichtstellung des Staates beschreibe (ebd., S. 164), steht dem hiesigen Ansatz nicht im Weg, denn anders als die Tatbestände im BT legitimiert diese allgemeine Vorschrift die Zurechnung fremden Verhaltens als äußerliche Gestaltung der tatbestandsmäßigen Handlung in allen Arten von Rechtsverhältnissen, darunter auch das Rechtsverhältnis des Staatsmachtinhabers zu seinen Bürgern. 407  Herzberg, mittelbare Täterschaft, S. 47  f.; Köhler, AT, S. 507, 510 f.; NK/ Schild, § 25 Rn. 123; Noltenius, Kriterien, S. 319 ff.; Puppe, GA 2013, 530: „qualifizierte Anstiftung“; Renzikowski, Täterbegriff, S. 90; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 48 Rn. 75; Rotsch, ZStW 112 (2000), 561 f.; Zaczyk, GA 2006, 413; Zieschang, FS-Otto, S. 520 Fn. 64. 408  Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 103; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 39 Rn. 43 (in Hinblick auf BGHSt 48, 77 ff.). 409  Frister, AT, Kap. 27 Rn. 40; Jakobs, ZIS 2009, 573 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 670; Lampe, ZStW 119 (2007), 507 ff.: „vertikale Mittäterschaft“; Otto, GK, § 21 Rn. 92. Vgl. auch Orozco López, Beteiligung, S. 360 Fn. 326, wenn die „Prägung der Tatgenossen“ sowie die „Tatprägung“ insgesamt eine bestimmte Stärke aufweisen.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung347

den nicht nur ihre eigene, sondern auch die Unrechtsmaxime der Führungskraft verwirklichen. Zwischen den Ausführenden und der Führungskraft besteht gerade eine deliktische Willensvermittlung.410 Diese „Doppelverwirklichung“ der Unrechtsmaximen tritt zwar auch bei Mittäterschaft auf; die Mittäter begehen die Tat nicht lediglich für sich selbst, sondern auch für­ einander. Dennoch liegt bei der Führungskraft weder ein gemeinsamer Tat­ entschluss noch gleichberechtigte Arbeitsteilung zur Tatbestandsverwirk­ lichung mit den Ausführenden vor. Denn die Führungskraft will gerade ihre Hand nicht schmutzig machen, sondern lässt die Ausführenden die Straftaten vollziehen. Das Akzeptieren eines einseitigen Einpassungsentschlusses der Ausführenden bzw. sogar der Verzicht auf die Anforderung des gemeinsamen Tatentschlusses zugunsten einer reinen objektiven Bestimmung des deliktischen Sinnzusammenhangs411 würden der Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Mittäterschaft, autonom und wechselseitig zur „gemeinsamen“ Tatbestandsverwirklichung überzugehen, entgegenstehen.412 Von einer gemeinsamen Arbeitsteilung zwischen den Ausführenden und der Führungskraft kann ebenfalls nicht die Rede sein. Denn der Beitrag der Führungskraft beschränkt sich nicht selten auf einen sehr abstrakten Hinweis, welche Art von Straftat erfolgen soll, in Hinblick auf die konkrete, von den bestimmten Ausführenden vollzogene Straftat hat er in der Regel keine Entscheidungsoder Gestaltungsfunktion übernommen. Das Machtgefälle zwischen der Führungskraft und dem Ausführenden in einer hierarchischen Organisation und die oben413 begründete überlegende Pflichtstellung der Führungskraft gegenüber dem Ausführenden sprechen deshalb für eine vertikale Zurechnungsstruktur der mittelbaren Täterschaft: Die Führungskraft in solchen Or-

410  Ähnlich Roxin, TuT, S. 849 Rn. 392, der zutreffend auf das „Ineinandergreifen der einzelnen Handlungen innerhalb eines organisatorischen Machtapparates“ hinweist. 411  Jakobs, FS-Herzberg, S. 397 Fn. 5; Lesch, ZStW (1993), 281 ff. 412  Dieses Ergebnis ändert sich auch dann nicht, wenn man mit RGSt 58 279 einen gemeinsamen Tatentschluss bereits dann annimmt, wenn die Beteiligten zwar einander nicht erkennen, aber „sich […] jeder bewusst ist, dass neben ihm noch ein anderer oder andere mitwirken und diese von dem gleichen Bewusstsein erfüllt sind, – d. h. sofern sie alle in bewusstem oder gewolltem Zusammenwirken handeln“. Denn die Führungskraft in einer hierarchischen Organisation ist sich zwar bewusst, dass neben ihm noch andere Ausführende den von ihm gefassten Plan durchsetzen wollen, aber bei der Führungskraft fehlt gerade ein „gleiches“ Bewusstsein, mit ihnen zusammen den Plan zu verwirklichen. Dagegen aber LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 195, sie aus dieser Entscheidung einen gemeinsamen Tatentschluss zwischen der Organspitze und dem Organvollzieher annehmen wollen und davon ausgehen, dass diese Entscheidung die Rechtsfigur der „Organisations-Mittäterschaft“ in privaten Unternehmen ermögliche. Schünemann nahestehend auch Frister, AT, Kap. 26 Rn. 2. 413  Siehe oben S. 295.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

ganisationen verwirklicht ihre eigene Unrechtsmaxime durch die Ausführenden, nicht aber mit ihnen gemeinsam.414 cc) Handlungs- und Zurechnungsstruktur bei mittelbarer Täterschaft Das abstrakte Verbot lautet bei der mittelbaren Täterschaft etwa, „nicht mittels Nötigung eines anderen das Opfer zu töten“, oder „den Irrtum des anderen nicht zum Zweck der Tötung des Opfers auszulösen“ oder „diesen Irrtum zugunsten des Rechtsguts positiv zu beseitigen“. Denn die Verletzung eines solchen abstrakten Verbots und der es konkretisierenden, kontext-adres­ satenspezifischen Verhaltensnorm würde unter Berücksichtigung einer vom Normadressaten nicht kontrollierbaren Gefahr des Tatmittlers eine missbilligte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg schaffen. Dadurch wird aber eine selbständige Verhaltensnorm der mittelbaren Täterschaft gegenüber der der unmittelbaren Täterschaft nicht begründet. Beide Verhaltensnormen verbieten eine rechtlich missbilligte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, unterscheiden sich nur in den verbotenen Handlungsweisen: Anders als die Verhaltensnorm der unmittelbaren Täterschaft verbietet die Verhaltensnorm der mittelbaren Täterschaft, den Tatbestand durch einen anderen zu verwirklichen. Verletzt der Beteiligte diese Verhaltensnorm, schafft er eine tatbestandsmäßige Gefahr in Richtung auf das Rechtsgut des Opfers, ohne die eigentliche tatbestandsmäßige Handlung selbst ausführen zu müssen. Gelangt der Tatmittler durch diese Instrumentalisierungshandlung zur Tatbestandsverwirklichung, ist die Tätigkeit des Tatmittlers einschließlich des daraus folgenden Tatbestandserfolgs dem Hintermann zuzurechnen. Die äußerliche Gestalt der tatbestandsmäßigen Handlung wird dadurch „komplettiert“. Im Vergleich zur Alleintäterschaft verwirklicht sich diese Gefahr durch eine vorherige Instrumentalisierungshandlung aber nicht kausalgesetzlich, sondern, dem Inhalt der kontext- adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm entsprechend, vermittelt über die Zurechnung der Tätigkeit des Tatmittlers als Person.415 Aus dieser kurzen Analyse der Handlungs- und Zurechnungsstruktur der mittelbaren Täterschaft lässt sich auch leicht erkennen, dass die Bestimmung der (mittelbaren) Täterschaft eine Frage der Bestimmung der tatbestands­ mäßigen Handlung ist. Entscheidend ist wie bei der Alleintäterschaft, ob eine 414  Aber je lockerer die Struktur einer Organisation ist, desto wahrscheinlicher liegt eine Mittäterschaft ihres Organisators vor. Denn in solcher lockeren Organisation leistet die Führungskraft selbst nicht selten einen Plan- oder Organisationsbeitrag zur konkreten Straftat im Vorbereitungsstadium, was nach der hier vertretenen Ansicht aber für die Mittäterschaft ausreichend ist. 415  Murmann, JA 2008, 321.



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tatbestandsmäßige Handlung vorliegt, nämlich ob der Beteiligte ex ante eine rechtlich missbilligte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg geschaffen hat. Ob der aus seinem Herrschaftsbereich entlassene Tatmittler tatsächlich zur Rechtsgutsverletzung gelangt, kann nur die Versuchs- oder Vollendungsstrafbarkeit beeinflussen. Hiernach ist der Versuch,416 die Begründung der mittelbaren Täterschaft als Problem der objektiven Erfolgszurechnung oder genauer der Gefahrrealisierung zu begreifen und danach zu fragen, ob das Verhalten des Tatmittlers die vom Hintermann gesetzte Gefahr „verblassen“ lasse und somit den Zurechnungszusammenhang unterbreche, nicht richtig. Denn eine Ex-post-Zurechnung fremder Tätigkeit setzt gedanklich notwendig ein ex ante begründetes Handlungsunrecht als Zurechnungsgrund voraus. Nur dann können die Tätigkeit des Tatmittlers und der von dieser Tätigkeit ausgelöste Erfolg als Verwirklichung der Gefahr aus der Beteiligungshandlung des Hintermanns angesehen werden. c) Zuständigkeit für die Gesamttat bei Mittäterschaft aa) Zuständigkeit für die Handlung anderer Mittäter kraft autonomer Willensvereinigung Bei der Mittäterschaft verbietet das abstrakte Verbot, gemeinschaftlich mit den anderen eine rechtlich missbilligte Gefahr in Richtung auf das Rechtsgut des Opfers zu schaffen. Bereits aus dem Inhalt dieses abstrakten Verbots lässt sich erkennen, dass die auf den tatbestandsmäßigen Erfolg gerichtete Gefahr von mehreren Beteiligten gemeinschaftlich, nämlich durch das Zusammensetzen der Tatbeiträge aller Mittäter zur Gesamttat geschaffen werden kann. Das klassische Beispiel lautet etwa, dass A und B sich miteinander verabreden, gemeinsam das Opfer zu berauben (§ 249 StGB), indem A das Opfer festhalten und B die Sache des Opfers wegnehmen soll. Phänomenologisch isoliert betrachtet schafft der einzelne Tatbeitrag von A oder B nur die Gefahr in Richtung auf eine Nötigung (§ 240 StGB) oder einen Diebstahl (§ 242 StGB). Eine rechtlich missbilligte Gefahr i. S. d. § 249 StGB liegt nur dann vor, wenn die Tatbeiträge von A und B zusammengefasst werden können. Wenn A und B jeweils trotz eigener Teilverwirklichung des Raubtatbestands doch als Täter von Raub und nicht nur von Nötigung und Diebstahl bestraft werden können, dann muss eine wechselseitige Zurechnung fremder Tatbeiträge stattfinden,417 sonst müsste der einzelne Tatbeitrag für sich genommen der Meden, JuS 2015, 25. 48, 189, 192. Anw-StGB/Waßmer, § 25 Rn. 50; Baumann/Weber/ Mitsch/Eisele, AT, § 25 Rn. 53 f.; Bloy, GA 1996, 425 f.; Frister, AT, Kap. 26 Rn. 9; Haas, Theorie, S.  112 ff.; Heinrich, AT, Rn. 1185, 1218; Kaspar, AT, § 6 Rn. 13; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 40 Rn. 2; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 652; Krey/ 416  von

417  BGHSt

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

als die tatbestandsmäßige Handlung zu begreifen sein,418 was aber dem re­ striktiven Täterbegriff widersprechen würde. Der einzelne Mittäter hat hiernach für die Tatbeiträge anderer Mittäter einzustehen,419 oder genauer: ist für die Gesamttat zuständig.420 Wie bei der mittelbaren Täterschaft bedarf es für diese Zuständigkeit für fremde Tatbeiträge eines normativen Zurechnungsgrunds, der aber in dem vorherigen eigenen Tatentschluss des Tatbeteiligten zu suchen ist, damit diese Zurechnung fremder Tatbeiträge legitimierbar ist. Bereits an diesem Punkt wird aber festgestellt, dass der Versuch, ein imaginäres Kollektivsubjekt als „moralische Person“ („persona moralis“) durch die freie Willensübereinstimmung der Mittäter zu konstituieren – ein Kollektivsubjekt, dessen Handlung mithin dem einzelnen Mittäter zugerechnet werden könne421 –, handlungs- und normentheoretisch sowohl überflüssig als auch angreifbar ist. Ziel des Versuchs der Konstruktion eines solchen Kollektivssubjekts ist ersichtlich, dass damit der einzelne Wille zum „gemeinsamen Willen aller“ wird und die Mittäter „in Beziehung auf die moralische Person ein einheit­ liches Ganzes“ bilden, so dass ihr Handeln „innerhalb dieser Gemeinschaft“ vom Handeln der einzelnen nicht unterschieden werden könne.422 Was der moralischen Person zugerechnet werden könne, sei mithin auch dem einzelnen, von ihr nicht zu unterscheidenden Mittäter zuzurechnen. Die Konstruktion eines Kollektivsubjekts bzw. einer Personengemeinschaft hat aber nur dann einen Sinn, wenn dieses Subjekt gegenüber dem einzelnen Mittäter eine selbständige Stellung besitzt. Das muss allerdings dazu führen, dass das Kollektivsubjekt einen eigenen Willen und ein eigenes Handeln aufweist, die sich von dem Willen und dem Handeln des einzelnen Mittäters unterscheiden. Die „Gesamttat“ als Zusammensetzung der Tatbeiträge aller Mittäter ist Esser, AT, § 28 Rn. 941; Kühl, AT, § 20 Rn. 100; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 2, 11; Murmann, GK, § 27 Rn. 52; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 73, 77. Kritisch gegen die wechselseitige Zurechnung aber Freund/ Rostalski, AT, § 10 Rn. 154 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 316 f.: nicht vereinbar mit Schuldprinzip. 418  Wiederum Schilling, Verbrechensversuch, S. 111, der unzutreffend die die Tat­ herrschaft begründende Handlung mit der tatbestandsmäßigen Handlung gleichstellt. 419  Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 25 Rn. 54; Buser, Zurechnungsfragen, S. 68: Mittäter hat für das verwirklichte Unrecht anderer Tatgenossen als Täter einzustehen; S. 82: Verhinderung des Tuns des Genossen. 420  Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 652; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 16. 421  Aichele, ARSP-Beihefte, 126 (2011), S. 34 ff., 46, 50 auch zum rechtsphilosophischen Hintergrund; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 16. In dieser Richtung auch Joerden, Strukturen, S. 78 ff., 165; M. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 185. 422  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 16.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung351

zunächst die Handlung dieses Kollektivsubjekts und nicht die des einzelnen Mittäters. Oder mit anderen Worten: Die Konstruktion eines Kollektivsubjekts begründet nur die Verantwortlichkeit dieses Subjekts, nicht aber die des ihm zugehörigen einzelnen Mittäters.423 Auch wenn die Gesamttat dem einzelnen Mittäter unter bestimmten Voraussetzungen zugerechnet werden kann, ändert dies nichts daran, dass die Gesamttat in der Tat nicht von dem einzelnen Mittäter, sondern von dem Kollektivsubjekt begangen werden müsste. Der einzelne Mittäter würde die Gesamttat ohne eigene Handlung begehen.424 Diese schlüssige Kritik gilt aber auch für den Versuch, die Mittäterschaft als „kollektive Tatbestandsverwirklichung“ zu begreifen.425 Denn danach gäbe es „keine eigene Tat jedes einzelnen, sondern nur eine gemeinschaftliche, d. h. einem Kollektiv zuzurechnende Tat“.426 Wäre aber die Gesamttat nicht auch als eigener Normwiderspruch des einzelnen Mittäters, sondern nur als die Leistung des Kollektivs zu verstehen, wäre die Zurechnung fremder Tatbeiträge nicht auf die eigene Unrechtsentscheidung des einzelnen Mittäters zurückzuführen (§ 29 StGB) und mithin im Hinblick auf das Schuldprinzip nicht legitimierbar.427 Dies zwingt dazu, die Gesamttat auf den eigenen Normwiderspruch und die eigene Pflichtverletzung des einzelnen Mittäters zurückzuführen; der Bezugspunkt der von dem einzelnen Mittäter ex ante verletzten Verhaltensnorm ist aber nicht nur dessen eigene Beteiligungshandlung, sondern sind auch die Tatbeiträge aller Mittäter, nämlich die Gesamttat.428 Der Legitimationsgrund dafür, auch die fremden Tatbeiträge in die Verbotsmaterie der Verhaltensnorm, die dem einzelnen Mittäter gegenübersteht, einzubeziehen, liegt in der autonomen Willensvereinigung in dem Sinne, dass die Mittäter autonom eine Entscheidung treffen, mit den anderen Mittätern eine gemeinsame Un423  Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 630 f. Zum Folgenden eingehend auch Orozco López, Beteiligung, S. 233 ff. 424  NK/Schild, § 25 Rn. 126; Puppe, GA 2013, 521. 425  Lesch, ZStW 105 (1993), 274. 426  Lesch, ZStW 105 (1993), 274 f. 427  In diesem Sinne auch Frister, FS-Dencker, S. 123 f., der Leschs Lösungsweg als „Beteiligung an einem gemeinsamen Normwiderspruch“ interpretiert und zutreffend gegen Lesch ausführt, dass der Normwiderspruch notwendig Schuld voraussetzt und Schuld nicht gemeinschaftlich, sondern nur individuell verwirklicht werden kann (ebd., S. 124). 428  Zur Forderung eines eigenen Normwiderspruchs auch Frister, FS-Dencker, S. 124: „Eigener Normwiderspruch durch Beteiligung an einer gemeinsamen Tat“; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645. Wohl auch Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 154, wenn sie das eigene tatbestandsmäßige Verhaltensunrecht des einzelnen Mittäters betonen und die Gesamttat als Bezugspunkt des Sanktionstatbestands begreifen, aber anders als hier die Notwendigkeit der Zurechnung fremden Verhaltens kritisieren (ebd., Rn. 156).

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

rechtsmaxime zu verwirklichen.429 Wenn der einzelne Mittäter um der Verwirklichung dieser gemeinsamen Unrechtsmaxime willen handelt, handelt er nicht nur für sich selbst, sondern auch für die anderen Mittäter, weil er sich diese gemeinsame Unrechtsmaxime zuvor bereits selbstbestimmt zu eigen gemacht hat. Umgekehrt handeln die anderen innerhalb dieser Willensvereinigung auch für den einzelnen Mittäter.430 Durch diese autonome wechselseitige Willensvereinigung wird die phänomenologische Unterscheidung von eigener und fremder Beteiligungshandlung aufgehoben. Weil nunmehr diese fremde Handlung nicht (nur) zur Verwirklichung einer fremden Unrechts­ maxime, sondern auch zur Verwirklichung der eigenen bzw. der gemeinsamen Unrechtsmaxime des einzelnen Mittäters dient, ist der einzelne Mittäter auch für die fremde Handlung zuständig wie in den Fällen, in denen er zur Verwirklichung der eigenen Unrechtsmaxime eine Handlung ausführt und dafür zuständig ist. Erst durch die autonome Willensvereinigung zwischen Mittätern in Gestalt eines gemeinsamen Tatentschlusses wird diese Mitzuständigkeit des einzelnen Mittäters für die Gesamttat gestiftet; eine Zurechnung fremder Tatbeiträge kann deshalb ebenfalls legitimiert werden. Daraus folgt auch, dass Mittäterschaft kaum als wechselseitige Anstiftung zwischen Mittätern431 begriffen werden kann. Der Deutung der wechselseitigen Anstiftung steht entgegen, dass Anstiftung die Bestimmung eines anderen zu einer fremden Straftat ist und wechselseitige Anstiftung notwendig zu mehreren fremden Straftaten, nicht aber zu einer gemeinsamen Straftat zwischen Beteiligten führen müsste. Erst durch eine zum Zeitpunkt der Beteiligungshandlung bestehende autonome Willensvereinigung, die nicht nur mit Puppe den „Angestifteten“ die Tat ausführen lässt,432 sondern darauf abzielt, 429  Köhler, AT, S. 513 f.: „ausführende Willensgemeinsamkeit“. In der Sache auch Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 646, der zutreffend gegen Renzikowski konstatiert, dass eine fremde autonome Entscheidung nicht nur zurechnungsausschließend, sondern auch zurechnungsbegründend wirken kann, soweit „die Beteiligten auf das betreffende Verhalten ein in den (für die Entscheidungen) wesentlichen Punkten identisches Deutungsschema anlegen, dem zufolge sich das Verhalten übereinstimmend als einverständliche Fremdorganisation darstellt“. 430  Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645, der insoweit aber noch den Gedanken der „wechselseitigen Repräsentanz“ aufgreift. Ähnlich Haas, Theorie, S. 112 f.: „Mittäterschaft als Zurechnungsfigur kraft wechselseitigen Mandats“. Die Anlehnung an zivilrechtliche Figuren wie Stellvertretung bzw. Repräsentation ist aber nicht schlüssig. Denn es bleibt zu erklären, warum die zivilrechtlichen Figuren, die sich an das Prinzip der gerechten Risikoverteilung orientieren, auch für das Strafrecht, dem die ­persönlich vorwerfbare Handlung des einzelnen zugrunde liegt, überhaupt fruchtbar gemacht werden können. Dazu vgl. Puppe, GA 2013, 522. Darüber hinaus sind Stellvertretung und Repräsentation nur mögliche Gestalten autonomer Willensvereinigung, nicht aber selbst ein Legitimationsgrund. 431  Puppe, GA 2013, 521 f.



B. Täterschaft als Verwirklichung der vertypten Rechtsverhältnisverletzung353

mit den anderen Tatgenossen gemeinsam zur Tatbestandsverwirklichung überzugehen, wird eine gemeinsame Straftat gestiftet.433 Die Mittäterschaft lässt sich aber auch nicht mit Haas434 als eine Form von mittelbarer Täterschaft, und zwar als wechselseitige Repräsentation durch wechselseitige Willensunterordnung der Tatgenossen, begreifen. Es liegt phänomenologisch zwar nicht fern, dass der einzelne Mittäter die anderen Mittäter als „menschliche Werkzeuge“ zur Verwirklichung seines eigenen Ziels in Dienst nimmt.435 Aber die Begründung der Mittäterschaft durch wechselseitige Willensunterordnung verkennt, dass sich das Wesen der Mittäterschaft, nämlich die „auto­ nome Willensvereinigung zur arbeitsteiligen Tatbestandsverwirklichung“, schwer mit der „einseitigen überlegenen Pflichtstellung des mittelbaren Täters gegenüber dem Ausführenden“ erklären lässt.436 Außerdem würde die Interpretation von Haas die gesetzliche Unterscheidung von mittelbarer Täterschaft, die gerade die Alternative zu § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB darstellt, und Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) gänzlich aufheben.437 bb) Die konstruktive Funktion des § 25 Abs. 2 StGB und ihre Folgen für den Versuchsbeginn der Mittäterschaft Das abstrakte Verbot bei der Mittäterschaft hat zum Gegenstand, sich nicht mit anderen an einem Tatplan zu beteiligen und dementsprechend eine wichtige Funktion für die Tatbestandsverwirklichung zu übernehmen. Weil aber bei der Mittäterschaft – anders als bei der mittelbaren Täterschaft, bei der die Zurechnung fremder Tätigkeit nur das bestehende tatbestandliche Handlungsunrecht des mittelbaren Täters „phänomenologisch komplettiert“ – das tatbestandliche Handlungsunrecht des einzelnen Mittäters erst durch die wechselseitige Zuständigkeit für die Handlungen anderer Mittäter und die daraus folgende wechselseitige Zurechnung ihrer Tatbeiträge entsteht, hat diese wechselseitige Zuständigkeit oder Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB eine konstruktive Funktion für die Begründung der Täterschaft des einzelnen Mittäters.438 432  Auch wenn Puppe einen „Unrechtspakt“ zwischen den Anstiftenden und dem Angestifteten fordert (eingehend Puppe, GA 2013, 517 ff.), bleibt der Inhalt des Unrechtspakts immer nur, den Angestifteten die Tat allein ausführen zu lassen. 433  Ähnlich Roxin, AT II, § 25 Rn. 258. 434  Haas, Theorie, S. 113. 435  Etwa NK/Schild, § 25 Rn. 16, 127 f., 137, 143: Indienstnahme eines „freien Komplizenwerkzeuges“. 436  Diesen Unterschied betont auch NK/Schild, § 25 Rn. 16. 437  Mit Recht Roxin, TuT, S. 786 Rn. 256. 438  Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 155: Mittätersanktionsnorm; Küper, Versuchsbeginn, S. 60; Matt/Renzikowski/Haas, § 25 Rn. 61; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 6; wohl auch Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 61.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Dieser Unterschied in der Handlungs- und Zurechnungsstruktur zwischen Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft legitimiert auch die unterschied­ liche Behandlung des Versuchsbeginns bei den beiden Beteiligungsformen. Bei der mittelbaren Täterschaft schafft der mittelbare Täter bereits dann eine Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, wenn er den Tatmittler aus seinem Herrschaftsbereich entlässt, ohne dass der Tatmittler die tatbestandsmäßige Handlung im eigentlichen Sinne ausführt (sog. modifizierte Einzellösung).439 Anders verhält es sich bei Mittäterschaft, die sich dadurch kennzeichnet, dass die Mittäter und die von ihnen geleisteten Tatbeiträge aufeinander angewiesen sind. Diese Angewiesenheit und die aufgrund des gemeinsamen Tatentschlusses begründete Zuständigkeit für die Handlungen anderer Mittäter tritt nicht erst dann in Erscheinung, wenn der Tatgenosse seinen eigenen die Tat­herrschaft begründenden Tatbeitrag (im Ausführungsstadium) tatsächlich erbracht hat,440 sondern bereits dann, wenn sich aus dem gemeinsamen Tatentschluss ableiten lässt, dass der einzelne Mittäter für eine wesentliche Funktion innerhalb der Tatbestandsverwirklichung zuständig ist, auch wenn er die abgesprochene Leistung tatsächlich (noch) nicht erbracht hat. Denn wer zur Begründung dieser Zuständigkeit einen eigenen, tatsächlich erbrachten Tatbeitrag fordert, kann nicht erklären, warum der Beteiligte, der nach dem Gesamttatplan erst später seinen Tatbeitrag erbringen soll, nachträglich für die zuvor bereits verwirklichten Tatanteile anderer Tatgenossen als Täter zuständig sein muss.441 Die Grundlage der Zuständigkeit für die fremden Tatanteile ist somit nicht der die faktische Tat­herrschaft begründende eigene Tatbeitrag im Ausführungsstadium, sondern die autonome Entscheidung, eine wesentliche Funktion für die Tatbestandsverwirklichung zu übernehmen.442 Folglich muss ein Versuch des einzelnen Mittäters vorliegen, sobald einer der Mittäter bereits die Schwelle zur Versuchsstrafbarkeit über439  Ausführlich

siehe oben S. 280 f. Schilling, Verbrechensversuch, S. 112 ff. Weil aber nach Schilling auch eine Mitwirkung an der Verabredung oder im Vorbereitungsstadium für Mittäterschaft ausreicht, führt seine Einzellösung notwendig zu einer ungerechten Vorverlagerung des Versuchsbeginns. Dazu Küper, Versuchsbeginn, S. 61 ff.; LK13/ Schünemann/Greco, § 25 Rn. 228 Fn. 599; Murmann, GK, § 28 Rn. 93; SK/Jäger, § 22 Rn. 35. Es überrascht deshalb nicht, dass die meisten Vertreter der Einzellösung dezidiert einen eigenen Tatbeitrag im Ausführungsstadium fordern: Bloy, Beteiligungsform, S. 265 ff.; LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 228; Puppe, ZIS 2007, 241 f.; Roxin, AT II, § 29 Rn. 297 ff.; ders., FS-Frisch, S. 625 ff.; SK/Jäger, § 22 Rn. 35; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 314, 318, 325 f. 441  Buser, Zurechnungsfragen, S. 68; Ingelfinger, JZ 1995, 713; Murmann, GK, § 28 Rn. 94 Fn. 242. Vgl. auch LK12/Hillenkamp, § 22 Rn. 173. 442  Buser, Zurechnungsfragen, S. 72; Jescheck/Weigend, S. 681; Küper, JZ 1989, 778; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 100; Murmann, GK, § 28 Rn. 94 Fn. 242. 440  Grundlegend



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schritten hat,443 denn für diese Handlung ist jeder Mittäter zuständig und muss sie sich bei pflichtwidriger Nichtverhinderung als eigenen Tatbeitrag zurechnen lassen. Die Verletzungsmacht desjenigen Mittäters, der bis dahin seinen Tatbeitrag noch nicht erbracht hat, erschöpft sich demnach nicht in der Tatverabredung444 und auch nicht in der Stärkung des Tatentschlusses anderer Mittäter,445 die kaum das tatbestandsmäßige Unrecht begründen, sondern gründet sich auf eine garantenpflichtwidrige Nichtverhinderung ihrer Tatanteile.446 Wenn aber andererseits der einzelne Mittäter wie etwa ein Bandenchef zwar seine wesentlichen Tatbeiträge im Vorbereitungsstadium geleistet hat, keiner der Mittäter aber diese Schwelle überschritten hat, entsteht noch kein tatbestandliches Handlungsunrecht, das wegen der wechselseitigen Zuständigkeit dem einzelnen Mittäter zugerechnet werden könnte447 (sog. Gesamtlösung).

443  BGHSt 36, 249, 250; BGH NStZ 2019, 511, 512 f. Buser, Zurechnungsfragen, S. 83; Heinrich, AT, Rn. 740; Ingelfinger, JZ 1995, 713; Jakobs, AT, § 21 Rn. 61; Jescheck/Weigend, S. 681; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 40 Rn. 15; Krack, ZStW 110 (1998), 621; Krey/Esser, Rn. 1241; Kühl, AT, § 20 Rn. 123; Küper, Versuchsbeginn, S.  60 ff.; Küper, JZ 1979, 776 ff., 787; LK12/Hillenkamp, § 22 Rn. 173; LK13/ Murmann, § 22 Rn. 212 ff.; Matt/Renzikowski/Heger/Petzsche, § 22 Rn. 51; Maurach/ Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 100; MK/Hoffmann-Holland, § 22 Rn. 139; Murmann, GK, § 28 Rn. 94 Fn. 242; Rengier, AT, § 36 Rn. 20, 22; Rönnau, JuS 2014, 110; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich/Schuhr, § 22 Rn. 52; Schönke/Schröder/ Eser/Bosch, § 22 Rn. 55; Seher, JuS 2009, 309; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 962. Zwar für die Gesamtlösung, aber anders als hier die Anwesenheit des Beteiligten (NK/Zaczyk, § 22 Rn. 67) bzw. sogar einen eigenen Tatbeitrag voraussetzend Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 22 Rn. 79; Frister, AT, Kap. 29 Rn. 9. 444  So die Kritik von den Vertretern der Einzellösung Bloy, Beteiligungsform, S. 266; Schilling, S.  112 f. 445  Zu dieser Anforderung an die Mittäterschaft des bis dahin anwesenden, aber seinen eigenen Tatbeitrag nicht erbringenden Beteiligten NK/Zaczyk, § 22 Rn. 67. Diese Forderung scheint aber überflüssig zu sein, wenn man wie hier in einer garantenpflichtwidrigen Nichtverhinderung der anderen Tatanteile die Verletzungsmacht des seinen eigenen Tatbeitrag nicht erbringenden Beteiligten erblickt. 446  Instruktiv Buser, Zurechnungsfragen, S. 81 f.; ähnlich Heinrich, AT, Rn. 740. Da sich der Versuch des bis dahin den eigenen Tatbeitrag nicht erbringenden Beteiligten primär aus der eigenen garantenpflichtwidrigen Nichtverhinderung einer tatbestandsmäßigen Gefahr ergibt, die von anderen Tatgenossen geschaffen worden ist, ist der hier vertretene Ansatz sowohl mit dem Schuldprinzip als auch mit der Versuchslehre beim unechten Unterlassungsdelikt vereinbar. 447  Murmann, GK, § 28 Rn. 94.

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C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer Nachdem die Handlungs- und Zurechnungsstrukturen der Täterschaft grundlegend untersucht wurden, werden nun die Handlungs- und Zurechnungsstrukturen der Teilnahme analysiert, die nach Vorgabe des extrem oder gemäßigt restriktiven Täterbegriffs nur ein sekundärer Begriff ist.448 Demnach wird Teilnahme zunächst entsprechend der Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Täterschaft negativ in dem Sinne bestimmt, dass der Teilnehmer weder die tatbestandsmäßige Handlung ausführt noch zuständig für eine fremde tatbestandsmäßige Handlung bzw. für den tatbestandsmäßigen Erfolg ist, denn sonst wäre er Täter.449 Der Teilnehmer beteiligt sich nur an einer fremden Tat,450 oder genauer an einer fremden tatbestandsmäßigen Verhaltensnormverletzung. Allerdings ergibt sich aus dieser negativen Bestimmung der Teilnahme noch keine vollständige Erklärung dafür, dass diese nichttatbestandsmäßige Beteiligung unter Strafe gestellt werden soll. Es bedarf insoweit noch der positiven Bestimmung des Strafgrunds oder, viel expliziter, des Unrechts der Teilnahme.451 Im Folgenden werden zuallererst die handlungs-, unrechts- sowie normentheoretischen Grundlagen des Teilnahmeunrechts entwickelt, um es begrifflich expliziter zum Ausdruck zu bringen (I.). Danach wird gezeigt, dass die gesetzliche restriktive Akzessorietät nicht in der freien Verfügung des Gesetzgebers steht, sondern ihren sach­ lichen Grund im Teilnahmeunrecht hat (II.).

I. Handlungs-, unrechts- und normentheoretische Analyse des Teilnahmeunrechts 1. Unterscheidung und Abhängigkeit der teilnehmerschaftlichen von der täterschaftlichen Verhaltensnorm a) Teilnahme als mittelbare/akzessorische Rechtsverhältnisverletzung Als strafbare Beteiligung muss die Teilnahme die Voraussetzungen einer Straftat erfüllen, insbesondere muss der Teilnehmer sein Rechtsverhältnis zum Opfer verletzen. Es stellt sich sofort die Frage, worin der Unterschied 448  LK13/Schünemann/Greco,

Vor §§ 26, 27 Rn. 6; Roxin, AT II, § 26 Rn. 10. Jakobs, Theorie, S. 18. Dagegen Matt/Renzikowski/Haas, Vor § 25 Rn. 25 sowie oben S. 323. 450  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 7; Satzger/Schluckebier/ Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 17. 451  Jakobs, AT, § 22 Rn. 1; Murmann, GK, § 27 Rn. 71. 449  A. A.



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer357

zwischen täterschaftlicher und teilnehmerschaftlicher Rechtsverhältnisverletzung liegt. Die Beantwortung dieser Frage trägt auch zur Bestimmung der Beziehung der beiden Verhaltensnormen bei. aa) Täterschaft und Teilnahme verletzen dasselbe Daseinselement des Opfers Diesen Unterschied erblicken die älteren Schuld- und Unrechtsteilnahmetheorien in der unterschiedlichen Rechtsgutsverletzung. Nach der von H. Mayer vertretenen Schuldteilnahmetheorie korrumpiert der Anstifter den Täter und verstrickt ihn in Schuld und Strafe.452 Und nach der sog. Unrechtsteilnahmetheorie Trechsels453 bringt der Teilnehmer den Täter in die Gefahr einer „sozialen Desintegration“.454 Die Handlung des Teilnehmers verletzt danach auch den berechtigten Anspruch des Täters, sich nicht in Unrecht bzw. Schuld zu verstricken. Demnach verletzt der Teilnehmer neben dem vom Täter verletzten Rechtsgut ein zusätzliches Rechtsgut des Täters (sog. Doppelrechtsgüter455) oder das vom Teilnehmer verletzte Rechtsgut verselbständigt sich. Beide Theorien werden heute freilich zutreffend als überholt angesehen. Die Schuldteilnahmetheorie verstößt bereits gegen §§ 26, 27, 29 StGB, wonach die Schuld der Täterschaft gerade nicht die notwendige Voraussetzung für die Teilnahme ist.456 Darüber hinaus lösen sowohl die Schuldteilnahmetheorie als auch die Unrechtsteilnahmetheorie Trechsels sich von dem Gedanken des Tatstrafrechts im Sinne des Rechtsgüterschutzes, indem sie die Verletzungsmacht der Teilnahme in der Verletzung des Anspruchs des Täters erblicken, nicht in Schuld zu geraten oder keine Beeinträchtigung der sozialen Integration zu erfahren. Maßgeblich für das Unrecht der Teilnahme sind daher nicht mehr ihre Beiträge zur Rechtsverletzung, sondern maßgeblich ist die Intensität der Korrumpierung oder Desintegration.457 Unvereinbar sind diese Ansichten mit dem hier vertretenen freiheitlichen Rechtsbegriff. Der Täter ist als endliches Vernunftwesen zwar durch Neigungen „affizierbar“, FS-Rittler, S. 255. Teilnahme, S. 55. 454  Beide Theorien prägnant darstellend Jakobs, AT, § 22 Rn. 2. 455  Dazu Amelung, FS-Schroeder, S. 148 Fn. 5. 456  Frister, AT, Kap. 25 Rn. 27; Heinrich, AT, Rn. 1273; Jakobs, AT, § 22 Rn. 2; Jescheck/Weigend, AT, S. 685; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 38 Rn. 15; LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 26, 27 Rn. 9; Murmann, GK, § 27 Rn. 72; Roxin, AT II, § 26 Rn.16; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 18; SK/Hoyer, Vor §§ 26– 31 Rn. 7. 457  Frister, AT, Kap. 25 Rn. 27; Heinrich, AT, Rn. 1273; Jakobs, AT, § 22 Rn. 2; MK4/Joecks/Scheinfeld, Vor § 26 Rn. 6; Roxin, AT II, § 26 Rn. 19. 452  H. Mayer, 453  Trechsel,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

aber soweit er nicht daran gehindert ist, sich an normkonformen Maximen selbstbestimmt zu orientieren, trägt er die Verantwortung für seine Entscheidung, zum Unrecht überzugehen. Ihn vor nachteilhafter Beeinflussung in Form der Korrumpierung bzw. Desintegration seitens des Teilnehmers zu schützen, ist deshalb keine legitime Aufgabe des Strafrechts, dem die Selbstverantwortung der Person zugrunde liegt.458 Daher ist ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Unrecht der Teilnahme und dem vom Täter verletzten Rechtsgut herzustellen. Die zutreffende These, dass Täter und Teilnehmer durch ihre Beteiligungshandlungen dasselbe Daseinselement des Opfers verletzen,459 sei aber weiterhin positiv begründet: Derjenige, der dem Täter zu dessen Tötungshandlung ein Tatwerkzeug hingibt und sie dadurch erleichtert, verletzt wie der Täter auch das Lebensrecht des Opfers. Als Vernunftwesen darf niemand das von ihm selbst anerkannte fremde Lebensrecht auch nur in mittelbarer Weise angreifen. Gleiches gilt auch für echte Sonderdelikte. Die Verhaltensnorm der Rechtsbeugung schützt zwar vor dem „inneren Angriff auf die innerstaatliche Rechtspflege“460 und setzt ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Norm­ adressaten und dem Opfer voraus. Das ändert aber nichts daran, dass jeder Bürger als Extraneus auch die innerstaatliche Rechtspflege anerkennen muss und nicht beeinträchtigen darf, weil sein freies Dasein in der konkreten Gesellschaft nur mithilfe dieses Daseinselements gewährleistet werden kann. Er fehlt zwar mangels eines ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses zur Rechtspflege an einer besonderen Verletzungsmacht, die Rechtspflege von innen heraus, nämlich in einer tatbestandsspezifischen Weise anzugreifen, wohl aber ist dies von außen, mittelbar durch einen Richter möglich. Das alles spricht dafür, dass sowohl die täterschaftliche als auch die teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm demselben Rechtsgut des Opfers dienen. 458  Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 38 Rn. 15; MK4/Joecks/Scheinfeld, Vor § 26 Rn. 6; SK/Hoyer, Vor §§ 26–31 Rn. 9. Eine andere Frage ist, ob der Gedanke der Korrumpierung für die Bestimmung des Handlungsunrechts des Anstifters fruchtbar gemacht werden kann. Dafür und den Korrumpierungsgedanken in die Theorie des akzessorischen Rechtsgutsangriffs integrierend Amelung, FS-Schroeder, S. 151; Redmann, Anstiftung, S. 44. Ähnlich, aber für eine „modifizierte Schuldteilnahmetheorie“ Gerson, ZIS 2016, 184, 188, zusammenfassend in 191: „Strafgrund der Anstiftung ist daher die soziale Desintegration des Täters durch Verstrickung in diesen pathologischen Diskurs, deren Unwert zudem am eigenständigen limitiert-akzessorischen Rechtsgutsangriff des Anstifters hängt.“ Diese Versuche sind durchaus möglich und nicht erfolglos, ändern aber nichts daran, dass der Strafgrund der Teilnahme nach den genannten Autoren immer im akzessorischen Rechtsgutsangriff liegt. 459  Bloy, Beteiligungsform, S. 263; Kindhäuser, NStZ 1997, 274. 460  NK/Kuhlen, § 339 Rn. 12; Schönke/Schröder/Heine/Hecker, § 339 Rn. 1.



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer359

bb) Die Art und Weise der Rechtsverletzung der Teilnahme Der Teilnehmer kann aber nicht selbständig das Daseinselement des Opfers angreifen, sondern nur über den Täter vermittelt. Das erklärt sich zunächst durch das technisch-vernünftige Wesen der Teilnahmehandlung. Kindhäuser hat dies prägnant konstatiert: Die Verschaffung eines Werkzeuges allein ist gerade keine hinreichende Bedingung für den Todeserfolg des Opfers, zum Zeitpunkt der Verschaffung ist sie aber auch keine notwendige Bedingung dafür. Erst der Täter hat durch seine Tötungshandlung mit diesem Werkzeug die „für den Tod des [Opfers] relevanten Umstände zu einer für dieses Ereignis hinreichenden Gesamtbedingung komplettiert.“461 Um ihre Verletzungsmacht zu entfalten, bedarf die Teilnahmehandlung noch einer Entscheidung des Täters, die Teilnahmehandlung und den daraus resultierenden Tatbeitrag in die eigene Täterhandlung aufzunehmen und den Tatbeitrag auf diese Weise zu vermitteln.462 Der Täter trifft eine Entscheidung, unmittelbar das Recht des Opfers zu verletzen, während der Teilnehmer zwar auch eine Entscheidung gegen das Recht des Opfers getroffen hat, sich diese Entscheidung aber gerade nur vermittelt über den Täter, also nur mittelbar auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtet.463 b) Die Notwendigkeit der Selbständigkeit der teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm gegenüber der täterschaftlichen und deren flankierender akzessorischer Charakter aa) Begrenzte Reichweite der täterschaftlichen Verhaltensnorm Dieser mittelbare Charakter der Teilnahmehandlung muss konsequent auf die Reichweite des Tatbestands und die ihm zugrunde liegende Verhaltensnorm Einfluss nehmen. Die Verhaltensnorm, die § 212 StGB zugrunde liegt, kann dementsprechend nur die unmittelbare Verletzung des Lebensrechts des Opfers verbieten.464 Denn wenn sie auch eine mittelbare Verletzung durch eine Teilnahmehandlung untersagen sollte, würde die Verschaffung eines 461  Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 305. Für eine ähnliche „kausallogische“ Analyse der Teilnahmehandlung siehe bereits Joerden, Strukturen, S. 96–100. 462  Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 639 f. 463  Ähnlich M. Heinrich, Rechtsgutszugriff, S. 179. Auch Joerden, Strukturen, S. 88 spricht in ähnlicher Weise von direkter und indirekter Verantwortlichkeit der Täterschaft und Teilnahme. 464  Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 305 f. Vgl. auch als Vertreter des extrem restriktiven Tatbegriffs Haas, Theorie, S. 130 f.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 71.

360

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Werkzeuges an sich in eine Tötungshandlung umgedeutet, was aber verkennen würde, dass diese an sich weder hinreichende noch notwendige Bedingung für den Todeserfolg ist. Darin liegt der berechtigte Kern des restriktiven Täter- oder Tatbegriffs, wonach nur diejenige Handlung, die eine missbilligte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg schafft (einerlei ob durch eigene oder fremde Hand), den in Rede stehenden Tatbestand verwirklicht. Mit der These, dass der Teilnehmer nur mittelbar, über den Täter, das Recht des Opfers verletzen kann, ist die sog. reine Verursachungstheorie nicht vereinbar. Ihr zufolge verwirklicht der Teilnehmer auch das tatbestandliche Unrecht. Die Akzessorietät zum Täter sei nur faktischer Natur und die Anforderung an eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat stelle nur eine Strafbarkeitsbegrenzung dar.465 Dieser Theorie ist insoweit beizupflichten, als sie darauf beharrt, dass der Teilnehmer nur für sein eigenes Unrecht verantwortlich ist.466 Aber sie steht weder mit der gesetzlichen Gestaltung der akzessorischen Teilnahme noch mit dem Wortlaut der §§ 26, 27 StGB im Einklang.467 Die reine Verursachungstheorie fußt gerade auf einer äquivalenten Kausalitätslehre und setzt sich dem gleichen Vorwurf aus wie der extensive Täterbegriff.468 Die Lieferung einer Waffe kann nicht etwa, wie die Lehre von der reinen Verursachungstheorie behauptet, unmittelbar das Recht des Opfers auf Leben verletzen und als Tötungshandlung bewerten werden. Diese Theorie überschreitet deshalb die Grenze des Tatbestands.469 Diese Schwäche lässt sich bei Sonderdelikten besonders deutlich erkennen. Das Rechtsgut des echten Sonderdelikts ist nur einem Täter mit besonderer Pflichtlage zum Rechtsgut zugänglich. Der Teilnehmer ohne solche Pflichtstellung kann mangels eines bestimmten ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses das Recht des Opfers nicht unmittelbar verletzen. Er kann das Recht des Opfers nur mittelbar verletzen, nämlich sich an einer Handlung des Sonderpflichtigen beteiligen. Dass in diesem Fall dem Teilnehmer das Sonderdeliktsunrecht zugerechnet werden soll, damit er überhaupt als Teilnehmer dieses echten Sonderdelikts bestraft werden kann (§ 28 Abs. 1 StGB), belegt doch die normative oder rechtliche Qualität der Akzessorietät, denn eine Unrechtszurechnung kann nicht nur faktische Qualität aufweisen.470 465  Klassisch

Lüderssen, Teilnahme, S. 119. Vor §§ 26, 27 Rn. 13. 467  LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 26, 27 Rn. 12; Matt/Renzikowski/Haas, Vor § 25 Rn. 20; MK4/Joecks/Scheinfeld, Vor § 26 Rn. 9; Murmann, GK, § 27 Rn. 72; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor § 25 ff. Rn. 19. 468  Murmann, GK, § 27 Rn. 72. 469  Jakobs, AT, § 22 Rn. 5; Murmann, GK, § 27 Rn. 72. 470  LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 26, 27 Rn. 12; SK/Hoyer, Vor §§ 26–31 Rn. 14. 466  LK13/Schünemann/Greco,



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer361

bb) Notwendige Selbständigkeit und flankierender, abhängiger Charakter der teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm gegenüber der täterschaftlichen Verhaltensnorm Die mittelbare Rechtsverletzung der Teilnahme wird zwar nicht von der täterschaftlichen Verhaltensnorm umfasst, aber soweit die Handlung des präsumtiven Teilnehmers einen eindeutig deliktischen Sinnbezug aufweist,471 d. h. sie nach ihrem objektiven Sinngehalt nur als eine Handlung in Richtung auf die Hervorbringung oder Förderung einer rechtswidrigen Haupttat interpretiert werden kann472 und das Opfer sich auf sie aus eigener Kraft nicht einstellen kann,473 stellt sie eine strafwürdige Handlung dar. Insoweit entsteht beim Opfer ein Recht auf Unterbleiben dieser Handlung, und dieses Recht darf nicht durch die begrenzte Reichweite der täterschaftlichen Verhaltensnorm ins Leere laufen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, neben der täterschaftlichen Verhaltensnorm noch eine davon zu unterscheidende teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm zu entwickeln.474

471  Zur Relevanz des eindeutig deliktischen Sinnbezugs für die Bestimmung des Handlungsunrechts der Teilnahme (= Bestimmung der rechtlichen Missbilligung einer Teilnahmehandlung) grundlegend Frisch, Verhalten, S.  280 ff.; ders., FS-Lüderssen, S.  544 ff. 472  Haas, Theorie, S. 134 f.; Matt/Renzikowski/Haas, Vor § 25 Rn. 24, der für das Unrecht der Teilnahme auf das Schikaneverbot (§ 226 BGB) abstellt und die Teilnahmehandlung als einen „Sonderfall unzulässiger Rechtsausübung“ kennzeichnet. Demnach überschreitet der Teilnehmer „die immanenten Schranken seiner Rechtsausübungsfreiheit“ (Haas, Theorie, S. 134; ähnlich bereits Frisch, FS-Lüderssen, S. 544). Es lässt sich aber bezweifeln, ob damit ein besonderer Grund für das Teilnahmeunrecht gefunden wird. Denn sowohl der Täter als auch der Teilnehmer überschreiten die Grenze der äußerlichen Handlungsfreiheit. Die Besonderheit des Teilnahme­ unrechts besteht im Verhältnis zum Täterunrecht somit in der mittelbaren Rechtsverletzung des Opfers. Insoweit liefert Haas gegenüber der herrschenden Theorie akzessorischer Verursachung oder des akzessorischen Rechtsangriffs keine selbständige Erklärung für das Teilnahmeunrecht, sondern ergänzt sie um einige wichtige Begründungen. 473  Zu diesem Kriterium für Strafwürdigkeit siehe oben S. 121. 474  Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 305  f.; ders., Pflichtverletzung und Täterschaft, S.  1177 f., 1195; Rostalski, Bindings Einfluss, S. 361. Vom anderen Standpunkt bereits Renzikowski, Täterbegriff, S.  123 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 235 ff. Gegen eine solche Unterscheidung auf der Ebene der Verhaltensnorm aber Robles Planas, FS-Sancinetti, S. 624, der davon ausgeht, dass sowohl bei Täterschaft als auch bei Teilnahme die Verhaltensnorm nur „objektiv[e] Koordinierung von unterschiedlichen Beiträgen um der deliktischen Verwirklichung willen“ verbietet, die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme also erst auf der Ebene der Sank­ tionsnorm erfolgt. Wohl anders auch Bloy, Beteiligungsform, S. 256 f., 263; ders., JA 1987, 492: Täterschaft und Teilnahme unterscheiden sich nur in den unterschiedlichen Weisen der Verantwortlichkeit für das Tatbestandsunrecht.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Die teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm liefert nämlich eine zusätzliche Schutzmöglichkeit gegen den mittelbaren Angriff und „flankiert“ mithin die täterschaftliche Verhaltensnorm.475 Während die täterschaftliche Verhaltensnorm die Vermeidung der unmittelbaren, tatbestandsspezifischen Rechtsverletzung bezweckt, verbietet die teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm nur die mittelbare Rechtsverletzung, nämlich die Schaffung oder die Erhöhung des Haupttatrisikos.476 Da aber eine Teilnahmehandlung zur Verletzung des Rechts des Opfers notwendig einer Täterhandlung bedarf und sich die Verletzungsmacht des Teilnehmers nur dann entfalten kann, wenn der Täter diese Teilnahmehandlung in seine eigene Handlung „integriert“ hat,477 ist eine Teilnahmehandlung notwendig auf eine bestimmte Täterhandlung und deren Unrecht angewiesen. Daraus ergibt sich wiederum, dass eine teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm, die eine Teilnahmehandlung zum Verbotsgegenstand hat, notwendig mit einer bestimmten täterschaftlichen verbunden und von ihr abhängig sein muss. cc) Keine völlige Selbständigkeit der teilnehmerschaftlichen gegenüber der täterschaftlichen Verhaltensnorm und Kritik am schlichten abstrakten Gefährdungsverbot der teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm Demnach führt die Notwendigkeit der Entwicklung einer in Hinblick auf den Normadressaten und Norminhalt selbständigen teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm478 keineswegs zu einer völligen Selbständigkeit der teilnehmerschaftlichen von der täterschaftlichen Verhaltensnorm. Insbesondere weil die notwendige Abhängigkeit der teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm aus der sachlichen Handlungsstruktur der Teilnahme abgeleitet wird, steht die Akzessorietät der Teilnahme nicht in der freien Verfügung des Gesetzgebers. In der Literatur fehlt es indes nicht an Stimmen für eine im Verhältnis zur täterschaftlichen völlig selbständige teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm. Den Vertretern dieses Ansatzes ist gemeinsam, dass sie wegen des Autonomieprinzips und der darauf abstellenden strengen Trennung beider Verhaltensnormen davon ausgehen, dass das tatbestandsmäßige Unrecht nur in den 475  Vgl. auch Camargo, FS-Kindhäuser, S. 64  f.; Kindhäuser, FS-Otto, S. 369; ders., Pflichtverletzung und Täterschaft, S. 1196: „Die Normen der Teilnahme sind Hilfsnormen im Verhältnis zu den Hauptnormen der Täterschaft.“ 476  Murmann, JuS 1999, 550. Ähnlich Kindhäuser, FS-Otto, S. 361; zu diesem Punkt auch Marinitsch, Normentheorie, S. 165: „Verhinderung einer Besserstellung der Ausgangslage des potentiellen Angreifers durch den Teilnehmer“. 477  Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 640. 478  Wieder Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 305 f.



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer363

Verantwortungsbereich des Täters falle, während der Teilnehmer nur deswegen zur Verantwortung gezogen werde, weil er das Gefährdungsverbot aus der teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm übertreten habe.479 Eine Zurechnung tatbestandsmäßigen Unrechts zum Teilnehmer bzw. eine Ableitung des Teilnahmeunrechts aus dem Täterunrecht wäre mit dem Schuldprinzip nicht vereinbar.480 Die Haupttat sei zwar noch „Bezugspunkt“ der Teilnahmehandlung in dem Sinne, dass die Teilnahmehandlung „immer auf eine bestimmte Haupttat gerichtet sein muss“,481 die Begehung der Haupttat beziehe sich aber nur auf die Sanktionsnorm der Teilnahme und nehme somit nicht auf die völlig verwirklichte Verhaltensnormverletzung (das Handlungsunrecht) des Teilnehmers Einfluss, sondern allenfalls auf deren Strafbedürftigkeit.482 Dem ist aber mit folgenden Gründen zu widersprechen: Zuzustimmen ist zwar dem Ausgangspunkt dieses Ansatzes, dass der Teilnehmer nicht die täterschaftliche Verhaltensnorm übertritt und es zur Erfassung des Teilnahmeunrechts einer zusätzlichen Art von teilnehmerschaftlicher Verhaltensnorm bedarf. Zu weit geht dieser Ansatz aber insofern, als er nach dem Autonomieprinzip die Verantwortungsbereiche von Täter und Teilnehmer streng voneinander abspaltet und die Abhängigkeit der teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm von der täterschaftlichen gänzlich verneint. Das Autonomieprinzip kann sich, wie die Erläuterungen bei der Konstruktion des Mittäterunrechts gezeigt haben, nicht nur die Zurechnung ausschließend, sondern auch sie begründend auswirken. Anders als der Mittäter ist der Teilnehmer zwar nicht wegen der autonomen Entscheidung zur gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung für die tatbestandsmäßige Rechtsverletzung zuständig. Daraus ergibt sich aber nicht, dass der Teilnehmer von der Verantwortlichkeit für die tatbestandsmäßige Rechtsverletzung befreit sei, die Begehung der Haupttat allenfalls auf das Erfolgsunrecht der Teilnahmehandlung bezogen sei und nur deren Strafbedürftigkeit beeinflussen könne. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Die Ausführungen über das Wesen der Teilnahme haben gezeigt, dass zwischen dem Täter und dem Teilnehmer eine freie Willensvermittlung besteht: Der Teilnehmer hat eine autonome Entscheidung 479  Renzikowski, Täterbegriff, S. 127 ff., insb. 129 f.; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 20; zust. Marinitsch, Normentheorie, S. 162 ff., 165. 480  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 19; ferner Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 31, 90 ff., insb. S. 93 gegen Bloys Ansicht der Zurechnung fremden Unrechts. 481  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 21, die Haupttat sei „der intentionale Grund dafür, die Teilnahme als gefährlich und damit als normwidrig zu bewerten“. 482  Renzikowski, Täterbegriff, S. 131; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 20, 25 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 85, 94, 280 f.; Marinitsch, Normentheorie, S.  165 f.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

getroffen, sich mit dem Täter zu solidarisieren und auf diese Weise das Recht des Opfers mittelbar (nämlich vermittelt über den Täter) zu verletzen. Entsprechend übernimmt der Täter auch den Tatbeitrag des Teilnehmers und integriert ihn in die eigene, das Recht des Opfers unmittelbar verletzende Handlung, bringt ihn ggf. auch ins Ausführungsstadium ein.483 So gesehen trägt auch der Teilnehmer (mittelbar) zu der tatbestandsmäßigen Rechtsverletzung bei und kann sich deshalb nicht gänzlich davon distanzieren.484 Die autonome Entscheidung zur Solidarisierung mit dem Täter und die daraus sich ergebende mittelbare Rechtsverletzung im Sinne der Risikoschaffung bzw. Risikoerhöhung der Haupttatbegehung legitimieren die Verantwortlichkeit des Teilnehmers für die Folgen der Haupttat.485 Die strikte Aufspaltung der beiden Verhaltensnormen und die Ablehnung einer Zurechnung fremden Unrechts führen weiterhin dazu, dass das Handlungsunrecht des Teilnehmers unabhängig von der tatsächlichen Haupttatbegehung auf die Schaffung einer bloß abstrakten Gefahr für das Recht des Opfers reduziert würde.486 Dem Teilnehmer würde dann nur vorgeworfen, dass er zum Zeitpunkt des Handelns wusste, dass seine Handlung die Haupttat ermöglichen oder erleichtern könnte, und er gleichwohl dieses Gefährdungsverbot übertreten habe. Verboten sei nur die Vornahme einer abstrakten Gefährdungshandlung, auch wenn sie, ex post festgestellt, überhaupt keine konkrete Gefährdung für das Rechtsgut geschaffen hat. In der Vornahme dieser gefährlichen Handlung erschöpfe sich das Handlungsunrecht der Teilnahme völlig; ob die Haupttat überhaupt stattfinde, könne nur die Sanktionsbedürftigkeit beeinflussen.487

483  Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 640. Weil dann der Tatbeitrag des Teilnehmers bereits vom Täter in seine Täterhandlung aufgenommen und vom Täter zur Ermöglichung oder Erleichterung seiner Haupttat in Dienst genommen worden ist, ist dieser Tatbeitrag des Teilnehmers bereits ein Teil des eigenen Unrechts des Täters. 484  Im Ergebnis auch Haas, Theorie, S. 135. 485  Näher zum Inhalt und zur Reichweite dieser Verantwortlichkeit siehe unten S. 370 ff. 486  Auf der Ebene der Verhaltensnorm verweist Renzikowski, Täterbegriff, S. 135 selbst auf die Übereinstimmung seines Ansatzes mit demjenigen, der die Teilnahme als ein selbständiges Teilnahmedelikt betrachtet und sie dementsprechend als Gefährdungsdelikt interpretiert. Zugleich lehnt Renzikowski aber die Interpretation der Teilnahme als Gefährdungsdelikt ab, denn die Kausalität der Teilnahmehandlung für die Haupttat, nämlich der Niederschlag der von der Teilnahmehandlung geschaffenen oder durch sie erhöhten Gefahr in der Haupttat beeinflusse zwar nicht das Unrecht der Teilnahme, begründe aber doch ihre Strafbarkeit (Renzikowski, Täterbegriff, S. 135; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 25). 487  Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 85, 94, 280 f. Vgl. auch Renzikowski, Täterbegriff, S. 131; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 20, 25 ff.



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer365

Es ist zwar richtig, dass die teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm ex ante nur eine (abstrakte) gefährliche Handlung verbietet und ihre Geltung nicht von der erst später festzustellenden Ausführung der Haupttat abhängig gemacht werden kann. Denn die Verhaltensnorm soll zum Zeitpunkt des Handelns (ex ante) ihre Orientierungsfunktion entfalten, und ob der Haupttäter den Tatbeitrag des Teilnehmers aufnehmen und ihn ins Versuchsstadium einbringen wird, kann zum Zeitpunkt der Vornahme einer Teilnahmehandlung noch nicht festgestellt werden. Das spricht mit Renzikowski dafür, bereits die Vornahme einer Bestimmungs- bzw. Hilfehandlung zu verbieten.488 Die Vornahme solcher Handlungen begründet nicht nur eine Obliegenheitsverletzung im Sinne der Verletzung einer Pflicht gegen sich selbst,489 sondern sie begründet eine Norm- und Pflichtverletzung. Denn solche Handlungen haben, soweit sie einen deutlichen deliktischen Sinnbezug aufweisen, das Potential zur Verletzung des fremden Rechts. Anders als Renzikowski und Stein meinen, kann die Ausführung der Haupttat aber nicht nur ein „intentionaler Grund“ der Teilnahmehandlung sein, sondern das Handlungsunrecht des Teilnehmers wird durch die Haupttat mitkonstituiert. Mit der Vornahme solcher Handlungen tritt ein vollständiges Handlungsunrecht der Teilnahme noch nicht ein, sondern erst dann, wenn der Täter den Tatbeitrag der Teilnahme ins Ausführungsstadium einbringt. Dass das vollständige Handlungsunrecht des Teilnehmers vom Handlungsunrecht des Täters abhängig ist und zum Zeitpunkt der Vornahme der Teilnahmehandlung noch nicht festgestellt werden kann, ist nur ein Ausdruck der Akzessorietät der Handlungs- und Unrechtsstrukturen der Teilnahme. Das lässt sich aus der Beteiligung an echten Sonderdelikten erkennen. Bestimmt etwa ein Angeklagter den Richter zur Rechtsbeugung (§ 339 StGB), kann die Anstiftungshandlung isoliert betrachtet zwar eine abstrakte Gefahr für die Rechtspflege geschaffen haben, weil die Rechtspflege als ein allgemeines Daseinselement auch gegenüber dem Angeklagten als Extraneus geschützt wird und die Möglichkeit, dass der Richter aufgrund der Anstiftung zur Rechtsbeugung übergeht, auch nicht ausgeschlossen ist. Eine solche abstrakte Gefahr begründet aber für sich genommen nicht das Handlungsunrecht des Angeklagten als Teilnehmer an der Rechtsbeugung (§§ 339, 26, 28 Abs. 1 StGB). Denn soweit der Richter nicht zur Rechtsbeugung unmittelbar ansetzt, entsteht überhaupt kein tatbestandsspezifisches Unrecht der Rechtsbeugung, an dem der Angeklagte als Extraneus durch seine Bestimmungshandlung teilnehmen kann. Wenn der Angeklagte nicht durch seine Bestimmungshandlung mittelbar eine Gefährdung der Rechtspflege bewirken kann, fehlt es an einem Handlungsunrecht der Teilnahme an der Rechtsbeugung. Bloy 488  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, 489  So

aber Jakobs, Theorie, S. 18.

AT II, § 50 Rn. 20 ff.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

hat es prägnant ausgeführt: „Bei Ausbleiben der Haupttat fehlt der Teilnahme nicht nur der Erfolg, sondern schon derjenige Teil des Handlungsunwerts, der über den bloßen Intentionsunwert hinaus die Handlung objektiv als einen bestimmt gearteten Angriff auf das geschützte Rechtsgut erscheinen lässt.“490 Eine bloß abstrakte Gefahr für die Rechtspflege ist vielmehr allenfalls von § 30 Abs. 1 StGB zu erfassen. Dort wird der zu einem Verbrechen Bestimmende nicht deshalb unter Strafe gestellt, weil er durch seine Bestimmungshandlung an einer fremden Haupttat teilgenommen und dadurch das Recht des Opfers mittelbar verletzt hat, sondern die Strafnorm trägt der abstrakten Gefahr einer „Vorstufe der Beteiligung“491 Rechnung, also dem Umstand, dass der Bestimmende mit seiner Einwirkung auf einen anderen einen gefährlichen Geschehensverlauf anstößt, danach aber dessen Kontrolle verliert, worin eine abstrakte Gefahr für das Rechtsgut erblickt wird.492 Wenn § 30 Abs. 1 StGB nicht dem Bereich der Beteiligungslehre zuzurechnen ist, sondern bestimmte Arten von Vorbereitungshandlungen im Feld der Beteiligung unter Strafe stellt, deren Unrecht nicht mit der Akzessorietät der Teilnahme erklärt werden kann,493 muss es merkwürdig sein, mit Renzikowski494 zusätzlich aus § 30 Abs. 1 StGB zu schließen, dass das Handlungsunrecht der Teilnahme unabhängig von der Begehung einer Haupttat auf die Übertretung eines (abstrakten) Gefährdungsverbots beschränkt sei.495 Stattdessen ist festzuhalten, dass die teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm nicht nur die Vornahme einer abstrakten Gefährdungshandlung verbietet, die eine bestimmte Haupttat zu einem späteren Zeitpunkt ermöglichen oder erleichtern könnte, Beteiligungsform, S. 184 f. (Hervorhebung von mir). dass es sich bei § 30 nicht um eine Teilnahme an einer fremden Tat (sog. Teilnahmetheorie), sondern um die Vorstufen der Beteiligung handelt (sog. Vorbereitungstheorie), siehe Bloy, JR 1992, 494; Kühl, AT, § 20 Rn. 243; LK13/Schünemann/Greco, § 30 Rn. 3; Roxin, AT II, § 28 Rn. 2; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 30 Rn. 1. Für eine Verbindung von Teilnahmetheorie und Vorbereitungstheorie Anw-StGB/Waßmer, § 30 Rn. 2; Matt/Renzikowski/Heger/Petzsche, § 30 Rn. 5; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 30 Rn. 2. In der Tat für die Verbindung beider Dimensionen Jescheck/Weigend, AT, S. 701 f., wenn sie einerseits mit der „hypothetischen Akzessorietät“ argumentieren, andererseits aber konstatieren, dass es hierbei um „selbständig strafbare Vorbereitungshandlungen“ geht. 492  BGHSt 1, 305, 309; 44, 99, 102 f.; BGH NJW 2013, 1106; Bloy, JR 1992, 495; LK13/Schünemann/Greco, § 30 Rn. 4, 11; Matt/Renzikowski/Heger/Petzsche, § 30 Rn. 1; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, §  30 Rn.  1; Schönke/Schröder/ Heine/Weißer, § 30 Rn. 1; SK/Hoyer, § 30 Rn. 11. 493  Bloy, Beteiligungsform, S. 185; ders., JR 1992, 494. 494  Renzikowski, Täterbegriff, S. 135; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 23. 495  Siehe auch Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 366, der sich mit ähnlichen Überlegungen gegen eine solche Schlussfolgerung von M.-K. Meyer wendet. Ferner Bloy, Beteiligungsform, S. 185. 490  Bloy,

491  Dafür,



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer367

sondern letztendlich eine mittelbare Verletzung des Rechtsguts durch Risikoschaffung oder Risikoerhöhung der Haupttat. dd) Akzessorische Verursachungstheorie oder Theorie des akzessorischen Rechtsgutsangriffs? Mit der hier vertretenen Ansicht überwiegend vereinbar sind die akzessorische Verursachungstheorie und die Theorie des akzessorischen Rechtsgutsangriffs. Nach der akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie liegt das Unrecht der Teilnahme in der Mitwirkung an der rechtswidrigen Haupttat durch Erweckung eines Tatentschlusses oder Förderung des Täters. Grund und Ausmaß des Teilnahmeunrechts seien vom Unrecht der rechtswidrigen Haupttat abzuleiten.496 Wäre das Unrecht der Teilnahme aber völlig aus dem Unrecht der Täterschaft abzuleiten, würde der Teilnehmer allein wegen des fremden Unrechts zur Verantwortung gezogen, und dies würde gegen das Schuldprinzip verstoßen. Auch der Teilnehmer muss eine Verhaltensnorm verletzen, die sich zwar nicht auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtet, jedoch die Schaffung einer missbilligten Gefahr für das Recht des Opfers verbietet. Die einseitige Akzentuierung der Unrechtszurechnung der fremden Haupttat und die Vernachlässigung des eigenen Angriffs des Teilnehmers auf das Recht des Opfers bringt die Gefahr mit sich, dass die Strafbarkeit der Teilnahme auch dann anzunehmen wäre, wenn das Rechtsgut zwar gegenüber dem Täter, aber nicht gegenüber dem Teilnehmer (mit) geschützt ist, etwa bei der Anstiftung zur einer versuchten Tötung auf Verlangen.497 Der Teilnehmer würde dann nur deshalb bestraft, weil er eine fremde Normverletzung ermöglicht oder fördert, nicht aber weil er selbst die Rechtsposition des Opfers verletzt.498 Wird aber das vom Täter verletzte Rechtsgut gegenüber dem Teilnehmer nicht geschützt, verletzt der Teilnehmer keine dem Schutz des Rechtsguts dienende Verhaltensnorm, auch wenn er an einer fremden Normverletzung teilnimmt.499 496  Jescheck/Weigend, AT, S.  685 f.; Kühl, AT, § 20 Rn. 132. Wohl auch Gropp/ Sinn, AT, § 10 Rn. 229 ff.; MK4/Joecks/Scheinfeld, Vor § 26 Rn. 16. Modifizierend und mithin von den folgenden Kritiken wesentlich nicht betroffen Nikolidakis, Grundfragen, S. 49 ff., insb. S. 51. 497  Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 370 ff.; ders., AT II, § 26 Rn. 8; SK/Hoyer, Vor §§ 26–31 Rn. 15. 498  Matt/Renzikowski/Haas, Vor § 25 Rn. 21; SK/Hoyer, Vor §§ 26–31 Rn. 16. Einige Vertreter der akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie ergänzen ihre These deshalb darum, dass zur Begründung der Teilnahmestrafbarkeit das Rechtsgut auch gegenüber dem Teilnehmer (mit) geschützt werden muss. Nikolidakis, Grundfragen, S. 51. 499  SK/Hoyer, Vor §§ 26–31 Rn. 16.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Roxin sieht das Problem und entwickelt die Theorie des akzessorischen Rechtgutsangriffs, die von ihm als „gemischte Theorie“ bezeichnet wird, die den selbständigen und den abhängigen Teil des Teilnahmeunrechts „zusam­ menfügt“.500 Durch die Mitwirkung an einer rechtswidrigen Haupttat greife auch die Teilnahme das Rechtsgut (mittelbar) an. Der Teilnehmer sei daher auch wegen eigenen Unrechts für die mittelbare Rechtsgutsverletzung verantwortlich. Zu Recht betont Roxin in diesem Zusammenhang, dass der Teilnehmer, der allgemeinen Zurechnungslehre entsprechend, ein rechtlich unerlaubtes Risiko für das Rechtsgut schaffen muss,501 wobei das Risiko aber, anders als bei der Täterschaft, immer auf eine bestimmte Haupttat und daher mittelbar auf den tatbestandsmäßigen Erfolg gerichtet sein muss, weil der Teilnehmer nur über die Haupttat des Täters das Rechtsgut angreifen kann.502 Das Erfordernis einer eigenen Gefahrschaffung gegenüber dem Rechtsgut holt den Bezug auf das Rechtsgut ein und hebt die Schwäche der akzessorischen Verursachungstheorie in gewissem Maße auf. Nunmehr muss auch der Teilnehmer eine ihm gegenüberstehende Verhaltensnorm und die daraus resultierende Pflicht verletzen und eine missbilligte Gefahr für das Rechtsgut schaffen. Die von Roxin als „selbständiger Teil“ bezeichnete Dimension des Teilnahmeunrechts ist nichts anderes als die eigene Verletzung einer Verhaltensnorm und kennzeichnet mithin das eigene Handlungsunrecht des Teilnehmers. Diese von dem Teilnehmer verletzte Verhaltensnorm ist freilich, wie oben festgestellt, notwendig mit der Verhaltensnorm der Täterschaft verbunden und auf sie angewiesen. Daraus folgt, dass das eigene Handlungsunrecht des Teilnehmers im Sinne der Verletzung einer teilnehmerschaftlichen Verhaltensnorm notwendig von dem Handlungsunrecht des Täters im Sinne der Verletzung einer täterschaftlichen Verhaltensnorm abhängig gemacht werden muss. In dieser inhaltlichen Bestimmtheit der Gefahrschaffung liegt der behauptete unselbständige Teil des Teilnahmeunrechts.503 Das von Roxin behauptete Zusammenspiel von 500  Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 380; ders., AT II, § 26 Rn. 11. Für die Theorie des akzessorischen Rechtgutsangriffs Amelung, FS-Schroeder, S. 151; Bloy, JA 1987, 492; Krey/Esser, AT, Rn. 988; Roxin, AT II, § 26 Rn. 11; LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 26, 27 Rn. 7; Redmann, Anstiftung, S. 42; Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 18; Rengier, AT, § 45 Rn. 2; Schönke/Schröder/Heine/ Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 16; Warneke, Beteiligungsvorsatz, S. 135. Nahestehend Gössel, FS-Spinellis, S. 394: „Das wegen des normwidrigen Verhaltens durchaus anzuerkennenden eigene Unrecht des Teilnehmers wird zum strafbaren Unrecht allein durch die Abhängigkeit von einer tatbestandlichen Täterstraftat.“; SK/Hoyer, Vor §§ 26–31 Rn. 18: eigener Rechtsgutsangriff durch Verursachung einer rechtswidrigen Haupttat. 501  Roxin, AT II, § 26 Rn. 9; LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 26, 27 Rn. 2. 502  LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 26, 27 Rn. 7. 503  Die Akzessorietät dient in dieser Hinsicht der Konturierung der Teilnahmehandlung. Dazu Bloy, JA 1987, 492; LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 26, 27 Rn. 5; Redmann, Anstiftung, S. 38.



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selbständigem und akzessorischem Teil des Teilnahmeunrechts kann deshalb kaum als einfaches Zusammenstellen der beiden sich gegenseitig ausschließenden Erklärungsansätze der reinen Verursachungstheorie und der akzessorischen Verursachungstheorie verstanden werden.504 Vielmehr ist die Synthese derart zu interpretieren, dass der Teilnehmer durch seine Bestimmung oder Hilfeleistung mittelbar, über die Haupttat des Täters vermittelt, ein unerlaubtes Risiko schafft, dessen Inhalt und Verwirklichung jedoch von der Entscheidung des Täters abhängig bleibt.505 Der Teilnehmer ist für sein eigenes Handlungs- und Erfolgsunrecht im Sinne von Gefahrschaffung und Gefahrverwirklichung verantwortlich, aber sowohl Handlungs- als auch Erfolgsunrecht sind auf das Haupttatunrecht bezogen und von ihm abhängig. Diese straftheoretische Analyse lässt sich um die Dimension des Rechtsverhältnisses ergänzen: Der Teilnehmer beherrscht nicht die Qualität seines Rechtsverhältnisses zum Opfer, denn die Teilnahme verletzt keine Verhaltensnorm, die sich unmittelbar auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtet. Indem er aber durch Bestimmung oder Hilfeleistung die Gefahr der Haupttatbegehung ermöglicht oder erhöht, verschlechtert er unmittelbar das Rechtsverhältnis des Haupttäters zum Opfer, aber zugleich mittelbar, über den Täter vermittelt, sein eigenes Rechtsverhältnis zum Opfer.506 2. Die den Teilnehmer treffende sekundäre Pflicht und die Reichweite seiner Zuständigkeit Aus dieser Verhältnisbestimmung von täterschaftlichen und teilnehmerschaftlichen Verhaltensnormen folgt eine notwendige Unterscheidung in Hinblick auf deren Reichweiten. Die täterschaftliche Verhaltensnorm schützt vor der unmittelbaren, also tatbestandsspezifischen Rechtsverletzung, während die teilnehmerschaftliche nur eine mittelbare Verletzung vermeiden soll. 504  So interpretierend aber Bloy, Beteiligungsform, S. 253 f.; Matt/Renzikowski/ Haas, Vor § 25 Rn. 22; Nikolidakis, Grundfragen, S. 47 f. 505  Murmann, JuS 1999, 550 ff. Nahestehend Christmann, Strafbarkeit, S. 67. Genauer besehen stellt die Theorie des akzessorischen Rechtsgutsangriffs aber nur eine Verfeinerung der akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie dar (Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 18), soweit dabei die mittelbare Verursachung nicht kausal, sondern als pflichtwidrige Verursachung einer Rechtsverletzung zu verstehen ist. In diese Richtung gehen denn auch manche Vertreter der akzessorischen Verursachungstheorie, die ebenfalls einen eigenen Rechtsgutsangriff als Handlungsunrecht des Teilnehmers fordern, etwa Bloy, Beteiligungsform, S. 256: „Eine allein auf das Akzessorietätsprinzip gestützte Teilnahmelehre schließt das Erfordernis eines eigenen Rechtsgutsangriffs des Teilnehmers nicht aus, sondern ein“; ferner Nikolidakis, Grundfragen, S. 49 ff. Eine starke Annäherung beider Theorien diagnostiziert auch Redmann, Anstiftung, S. 42. 506  Murmann, JuS 1999, 550.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

Damit ist nur der Täter für die tatbestandsmäßige Handlung und den daraus resultierenden tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig. Demgegenüber ist der Teilnehmer, der durch seine Mitwirkung an einer täterschaftlichen Tatbestandsverwirklichung das Recht des Opfers mittelbar verletzt, nur für seine Mitwirkung und die daraus folgende Ermöglichung oder Erhöhung des Haupttatrisikos zuständig. Man könnte mit Kindhäuser davon ausgehen, dass in Hinblick auf den Rechtsgüterschutz der Täter eine primäre Pflicht verletzt, den tatbestandsmäßigen Erfolg zu vermeiden, der Teilnehmer aber eine sekundäre Pflicht verletzt, den Haupttäter nicht zum Haupttatunrecht zu befähigen.507 3. Inhalt und Umfang der Verantwortlichkeit der Teilnahme für das tatbestandsmäßige Unrecht Verletzt der Teilnehmer durch eine Aufforderung oder Hilfeleistung seine sekundäre Pflicht und integriert der Haupttäter diese Tatbeiträge in die eigene Handlung bis zum Versuchsstadium, so schafft bzw. verwirklicht der Teilnehmer eine rechtlich missbilligte Gefahr in Richtung auf die Ermöglichung bzw. Erhöhung der Haupttatgefahr. Schlägt sich diese Gefahr in der Haupttat nieder, nämlich wenn der Haupttäter sich aufgrund dieser Aufforderung zur Haupttat entschließt oder wenn die Haupttat durch die Hilfeleistung erleichtert wird, kann der Auffordernde bzw. Hilfeleistende sich nicht von dieser Haupttat und dem daraus folgenden Unrecht distanzieren. Denn die Haupttatbegehung und ein Teil von deren Unrecht stellen den Erfolg seiner Teilnahmehandlung bzw. die Verwirklichung des von seiner Teilnahmehandlung geschaffenen Risikos dar und sind als deren Teil notwendig mit ihr verbunden.508 Die Ver507  Kindhäuser, NStZ 1997, 274; ders., FS-Hollerbach, S. 650; ders., FS-Otto, S. 360, 361, spezifisch zum Beihilfeunrecht; ders., GS-Tröndle, S. 309. Siehe auch Vogel, Norm, S. 85; Mañalich, Nötigung, S. 127 ff. Anders als Kindhäuser und die genannten Autoren meinen, handelt es sich bei den unterschiedlichen Beteiligungsformen nicht um ein und dieselbe Normwidrigkeit, sondern um die Verletzung unterschiedlicher Verhaltensnormen und Pflichten, die aber dasselbe Rechtsgut des Opfers schützen sollen. Die Entwicklung unterschiedlicher Verhaltensnormen ist auch aufgrund normentheoretischer Überlegungen zur Orientierungsfunktion der Verhaltensnorm unumgänglich. Denn auch der Teilnehmer soll sich nicht ex post, sondern bereits zum Zeitpunkt des Handelns an einer Verhaltensnorm orientieren, die diejenigen Handlungen untersagt, die zur tatbestandsmäßigen Handlung „befähigen“ können. Zur Kritik an Kindhäusers Konzept der Normwidrigkeit siehe oben S. 255 ff. Neuerdings hat Kindhäuser selbst aber wie hier zwischen primärer strafrechtlicher Verhaltensnorm der Täterschaft und sekundärer Verhaltensnorm der Teilnahme unterschieden, siehe Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 309; dens., Pflichtverletzung und Täterschaft, S. 1195. 508  Kindhäuser, NStZ 1997, 274; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§  25 ff. Rn. 16: „[D]ie Mitwirkung des Teilnehmerbeitrages im Erfolgsunwert der Haupttat



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer371

letzung einer sekundären Pflicht legitimiert eine Zurechnung des Haupttat­ unrechts. Fraglich ist freilich, auf welche Weise und inwieweit diese Zurechnung des Haupttatunrechts erfolgen soll. Ausgeschlossen ist jedenfalls, dass die tatbestandsmäßige Handlung des Haupttäters dem Teilnehmer als eigene Handlung bzw. eigene Tätigkeit zugerechnet wird. Denn für diese Handlung oder Tätigkeit soll nur der Täter aufgrund seiner primären Pflichtverletzung alleinzuständig sein, sonst wäre der Teilnehmer Täter.509 Die fremde tatbestandsmäßige Tat bleibt dem Teilnehmer immer fremd. Angesichts dessen verneint Hoyer in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer Handlungszurechnung und nimmt eine Unrechtszurechnung des Haupttatunrechts an.510 Die Konstruktion einer „Unrechtszurechnung ohne Handlungszurechnung“ setzt sich freilich dem zutreffenden Vorwurf aus, dass das Unrecht einer Straftat erst durch die Handlung begründet wird und eine Unrechtszurechnung ohne eine darin enthaltene Handlungszurechnung mithin nicht erklärlich ist.511 Wenn man mit dem Begriff der Zurechnung operieren will, bleibt bei der Teilnahme mithin nur die Möglichkeit, im Gegensatz zu der bei Täterschaft erfolgenden Zurechnung fremden Verhaltens oder fremder Tätigkeit als eigener von einer „Zurechnung fremder Handlungen als fremder“ und mithin von einer Zurechnung fremden tatbestandlichen Unrechts auszugehen.512 Diese Bezeichnung soll deutlich zum Ausdruck bringen, dass der Teilnehmer keine tatbestandsmäßige Handlung vornimmt und deshalb kein Tatbestandsunrecht verwirklicht, setzt sich aber bei rein terminologischer Betrachtung leicht dem Vorwurf aus, dass der Teilnehmer nicht wegen einer eigenen Pflichtverletzung bestraft würde, sondern einfach durch die Zurechnung fremden Handelns für fremdes Unrecht verantwortlich wäre.513 Aber die Vertreter der Zurechnung fremden Unrechts gehen ja mit Recht davon [begründet] gleichzeitig ein eigenes Erfolgsunrecht für den Teilnehmer.“ Ferner insoweit auch Matt/Renzikowski/Haas, Vor § 25 Rn. 25; NK/Schild, Vor § 26 f. Rn. 14: „[D]as Begehen der Haupttat durch den Täter (zumindest als Versuch) – steht aber nicht der Teilnahmehandlung gegenüber, sondern ist ihr Inhalt selbst; er wird (als äußeres Geschehen) dem Handeln des Teilnehmers zugerechnet, aber nicht zu seiner Handlung, sondern als seine Handlung.“ A. A. aber Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 50 Rn. 19; Selter, ARSP 2011, 271, die wegen der Selbstverantwortlichkeit des Täters und des daraus erfolgenden Regressverbots eine Alleinzuständigkeit des Täters für das Haupttatunrecht annehmen. 509  So aber Jakobs, System, S. 79; ders., Theorie der Beteiligung, S. 18. 510  SK/Hoyer, Vor §§ 26–31 Rn. 4. 511  Bloy, ZStW 117 (2005), 18 Fn. 63. 512  Bloy, Beteiligungsform, S. 316. 513  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, §  50 Rn. 19; kritisch gegen die Rechtsfigur der Zurechnung fremden Unrechts auch Lesch, Beihilfe, S. 179, 184; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 90 ff., insb. S. 93, 98.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

aus, dass der Teilnehmer wegen seiner eigenen Verletzung einer (sekundären) Pflicht durch Ermöglichung oder Erhöhung des Risikos fremder Tatbestandsverwirklichung (eigenes Handlungsunrecht des Teilnehmers) für diese fremde Tatbestandsverwirklichung und deren Unrecht (fremdes, aber auch die Folge eigenen Handlungsunrechts enthaltendes Unrecht) zur Verantwortung gezogen wird.514 Weil die Zurechnung fremden Handelns als fremden oder die Zurechnung fremden Unrechts immerhin auf der eigenen sekundären Pflichtverletzung und dem daraus abgeleiteten Handlungsunrecht des Teilnehmers gründet, kann hierbei nicht von einem Verstoß gegen das Schuldprinzip die Rede sein.515 In Hinblick auf die Reichweite dieser Unrechtszurechnung muss man zunächst den Beitrag der einzelnen Teilnahmeformen zur Rechtsverletzung untersuchen, da nur insoweit von einer Verantwortlichkeit des Teilnehmers für eigenes Unrecht ausgegangen wird: Liegt das Unrecht der Anstiftung in der unerlaubten Schaffung eines Risikos in Richtung auf einen fremden Tatentschluss, ins Unrecht überzugehen, und stellt dieser Tatentschluss den Grund der Haupttat dar, kann der Anstifter zutreffend als Initiator oder Urheber der Haupttat bezeichnet werden.516 Nicht unangemessen scheint es auf den ersten Blick, wie Hoyer vorgeschlagen hat,517 dem Anstifter das Handlungs- wie auch das Erfolgsunrecht der Haupttat zuzurechnen, damit der tätergleichen Strafe der Anstiftung hinreichend Rechnung getragen werde. Wäre dem Anstifter aber das gesamte Unrecht des Täters als eigenes Unrecht zuzurechnen, wäre der Anstifter als Täter zu bestrafen und seine Zurechnungsstruktur wäre schwer von der der mittelbaren Täterschaft zu unterscheiden. Zutreffend ist daher, im Lichte des restriktiven Täterbegriffs dem Anstifter das gesamte Unrecht des Täters als fremdes Unrecht zuzurechnen. Der Anstifter ist wegen seiner eigenen Aufforderung zu einer fremden Straftat für das gesamte Unrecht dieser fremden Straftat verantwortlich. Demgegenüber liegt das Unrecht der Beihilfe nur in der Risikoerhöhung der Haupttat. Was dem Gehilfen zugerechnet wird, kann nicht das gesamte 514  Bloy, ZStW 117 (2005), 18. Nahestehend Vogel, Norm, S. 85: „Zurechnung fremden Normbruchs als solcher“; Mañalich, Nötigung, S. 128: „dem Teilnehmer wird es [das normwidrige Verhalten] hingegen erst aufgrund einer sekundären Pflichtverletzung als fremde Tat und daher akzessorisch zugerechnet“. Irreführend aber Kindhäuser, NStZ 1997, 274, wenn er dort von einer Zurechnung tatbestandlichen Unrechts als eigenes Unrecht spricht (kritisch dazu auch Bloy, ZStW 117 (2005), 18 Fn. 65), auch wenn er andernorts (FS-Hollerbach, S. 650) richtig erkennt, dass der Teilnehmer für die Schaffung des tatbestandsspezifischen Risikos nicht zuständig ist. 515  Klarstellend Mañalich, Nötigung, S. 128 f. 516  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 26 Rn. 1. 517  SK/Hoyer, Vor §§ 26–31 Rn. 20.



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer373

Unrecht der Haupttat sein, sondern das Unrecht der Haupttat nur insoweit, als die Gefahr der Haupttat durch die Hilfeleistung des Gehilfen tatsächlich erhöht wird. Die These Hoyers, dass bei der Beihilfe, anders als bei Anstiftung, dem Gehilfen nur das Erfolgsunrecht, nicht aber das Handlungsunrecht der Haupttat zugerechnet werde,518 überzeugt nicht. Das Erfolgsunrecht ist die Verwirklichung des Handlungsunrechts und kann nicht von ihm getrennt werden. Erleichtert der Beitrag des Gehilfen tatsächlich die Haupttat, dann wird sowohl die Gefährlichkeit der tatbestandsmäßigen Handlung als auch die Wahrscheinlichkeit des tatbestandsmäßigen Erfolgs erhöht.519 Der Unterschied der Unrechtszurechnung zwischen Anstiftung und Beihilfe liegt mithin entgegen Hoyer nicht in der von ihm behaupteten zusätzlichen Handlungszurechnung bei Anstiftung, sondern darin, dass dem Anstifter das volle Unrecht der Haupttat, dem Gehilfen jedoch nur ein Teil des gesamten tatbestandsmäßigen Unrechts der Haupttat, nämlich die Erhöhung des Handlungsund Erfolgsunrechts der Haupttat durch den Gehilfen zugerechnet wird.520

II. Die Vernünftigkeit der limitierten Akzessorietät Damit dürfte die Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Teilnahme deutlich zum Vorschein gekommen sein: Der Teilnehmer verletzt zwar selbst sein Rechtsverhältnis zum Opfer, indem er das Haupttatunrecht ermöglicht oder das Risiko erhöht. Diese Verletzung erfolgt allerdings sowohl in Hinblick auf das eigene Handlungsunrecht des Teilnehmers (Befähigung zu fremder Haupttat) als auch auf dessen Erfolgsunrecht (Zurechnung fremden Unrechts bezüglich des vom Teilnehmer geschaffenen oder erhöhten Haupttatrisikos) nur akzessorisch. Es bleibt noch zu erklären, welche Beschaffenheit die Haupttat aufweisen muss, um die akzessorische Zurechnung im Sinne einer Verantwortlichkeit für das vom Teilnehmer ganz oder teilweise mitbestimmte Tatbestandsunrecht zu rechtfertigen (sog. qualitative Akzessorietät521).

518  SK/Hoyer,

Vor §§ 26–31 Rn. 21. Redmann, Anstiftung, S. 40 Fn. 78. Ferner Bloy, ZStW 117 (2005), 18 Fn. 63, 19, der zutreffend konstatiert, dass die Erfolgszurechnung nur sekundäre Bedeutung hat, nämlich nur vermittelt über die Handlungsunrechtszurechnung erfolgen kann. 520  Insoweit zutreffend Nydegger, Zurechnungsfragen, S. 151. 521  Zu dieser Bezeichnung Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 53 Rn. 3 ff.; Klesczewski, FS-Puppe, S. 614. 519  Ähnlich

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

1. Das Vorliegen einer vom Vorsatz getragenen und rechtswidrigen Haupttat In dieser Hinsicht hat sich der Gesetzgeber für die limitierte Akzessorietät entschieden. Damit setzt Teilnahme eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat voraus (§§ 26, 27, 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Dass die „Haupttat“ tatbestandsmäßig und rechtswidrig sein muss, ergibt sich zwanglos aus dem Unrecht der Teilnahme als akzessorischem Rechtsangriff. Denn fehlt eine rechtswidrige Haupttat, etwa weil ein Rechtfertigungsgrund eingreift, schafft und erhöht die Teilnahmehandlung nur ein erlaubtes oder gerechtfertigtes Risiko für das Rechtsgut, was nicht strafbar sein kann.522 Darüber hinaus ist die Anforderung der Vorsätzlichkeit der Haupttat ebenfalls vernünftig. Zwar wird diese Anforderung vielfach dahingehend kritisiert, dass sie Strafbarkeitslücken aufreiße, insbesondere wenn die Regel der mittelbaren Täterschaft nicht eingreifen könne.523 Näher besehen sind diese möglichen Strafbarkeitslücken freilich auf das akzessorische Wesen der Teilnahmehandlung zurückzuführen. Die behauptete Strafbarkeitslücke wird dann dia­ gnostiziert, wenn der „Gehilfe“ irrtümlich von einer vorsätzlichen Tötungshandlung des Ausführenden ausgeht, der Ausführende in Hinblick auf die Rechtsverletzung aber nur fahrlässig handelt. Hier handelt der „Gehilfe“ zwar mit Beihilfevorsatz, eine Beihilfestrafbarkeit scheitert aber an einer vorsätz­ lichen Haupttat des Ausführenden. Weil versuchte Beihilfe nicht strafbar ist, kommt letztendlich nur ein Fahrlässigkeitsdelikt in Betracht. Roxin ist mit diesem Ergebnis nicht zufrieden. Denn der „Gehilfe“ habe durch seine vorsätzliche Handlung sogar den tatbestandsmäßigen Erfolg ausgelöst und dieses Vorsatzunrecht werde im Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht hinreichend bewertet.524 Roxins Überlegung wäre allerdings nur dann berechtigt, wenn das Unrecht der Teilnahme in der reinen Verursachung der Rechtsverletzung läge, so dass eine kausale vorsätzliche Aufforderung oder Hilfeleistung unabhängig von der Beschaffenheit der Haupttat für die Begründung der Teilnahme ausreichen würde. Im Lichte des Gedankens des akzessorischen Rechtsangriffs er522  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 53 Rn. 11. Eine mittelbare Täterschaft kraft gerechtfertigten Werkzeugs bleibt dann aber unberührt, wenn nur die Handlung des Ausführenden, nicht aber die Veranlassungshandlung des Hintermannes durch den betroffenen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt wird (ebd., Rn. 53). 523  Eingehende Einwände gegen diese Anforderung Roxin, AT II, § 26 Rn. 31 ff. Vgl. auch die Vertreter der minimalen Akzessorietät Frister, AT, Kap. 25 Rn. 26. Kritisch auch Jakobs, AT, § 22 Rn. 12; Lackner/Kühl/Kühl, Vor § 25 Rn. 10. 524  Roxin, AT II, § 26 Rn. 36. Ähnlich Lackner/Kühl/Kühl, Vor § 25 Rn. 10 kon­ statiert bei einem vorsätzlichen „Anstifter“ auch die Nähe zur mittelbaren Täterschaft und vertritt mithin mindestens eine Anstiftungsstrafbarkeit. Danach sei die Strafbarkeit der Fahrlässigkeit zwar als „sinnwidrige Einschränkung“ anzusehen, aber gesetzlich anzunehmen.



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schöpft sich das Teilnahmeunrecht aber nicht in einer kausalen Risikoschaffung oder Risikoerhöhung. Vielmehr ist das Unrecht der Teilnahme notwendig von dem des Täters mitkonstituiert.525 Demnach hat der Vorsatz der Täterschaft notwendig eine Tatbestimmungsfunktion für das Teilnahmeunrecht.526 In unserem Fall schafft der „Gehilfe“ durch seinen Hilfebeitrag zwar eine Gefahr in Richtung auf die Erhöhung des vorsätzlichen Tatunrechts, weil aber der Ausführende sich gar nicht zu diesem vorsätzlichen Unrecht entschließt, erhöht der Hilfebeitrag auch nicht das vorsätzliche Unrecht. Auch wenn der tatbestandsmäßige Erfolg letztlich doch eingetreten ist, kann er nicht als Folge oder Verwirklichung einer Gefahr aus der vorsätzlichen Hilfeleistung des „Gehilfen“ angesehen werden. Was der „Gehilfe“ durch seinen vorsätzlichen Hilfebeitrag erhöht, ist nur das fahrlässige Unrecht des Ausführenden. Wenn der tatbestandsmäßige Erfolg dieses fahrlässigen Unrechts eingetreten ist, dann kann er dem „Gehilfen“ wegen seiner pflichtwidrigen Hilfeleistung zugerechnet werden. Mit diesem Vorwurf wird entgegen Roxin das Unrecht des „vorsätzlichen Gehilfen“ vollständig und angemessen bewertet. Gleiches gilt für Fälle, bei denen der „Anstifter“ den Ausführenden zu einem eigenhändigen Delikt etwa § 142 StGB bestimmt, indem er etwa als Beifahrer ihm die Tatbestandsumstände dieses Delikts vorspiegelt. Weil zwischen dem „Anstifter“ und dem Opfer kein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, kann „der Anstifter“ nicht wegen Verletzung einer Wartepflicht als mittelbarer Täter bestraft werden. Eine Anstiftungsstrafbarkeit lässt sich mangels Vorsatzes des Ausführenden ebenfalls nicht begründen. Es muss hier die Straflosigkeit des Bestimmenden angenommen werden. Dieses Ergebnis wird aber von Roxin nicht akzeptiert.527 Er argumentiert, der „Anstifter“ habe durch Vorspiegelung den Unfallverursacher zum Verlassen des Tatortes bestimmt und müsse sogar größere Verantwortung tragen als derjenige, der einen vorsätzlichen Unfallverursacher zum Verlassen des Tatortes bestimmt, weil hier der „Anstifter“ durch die Vorspiegelung der Tatumstände sogar alleinzuständig für den tatbestandsmäßigen Erfolg sei.528 Wenn aber das dem „Anstifter“ zuzurechnende tatbestandsspezifische Handlungsunrecht des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nur durch eine vorsätzliche eigenhändige Ausführungshandlung des Unfallverursachers begründet werden kann, ist der „Anstifter“ auch nicht als Anstifter zu diesem noch ausstehenden Vorsatzdelikt anzusehen.529 Eine mit der mittelbaren Täterschaft verZStW 117 (2005), 18. FS-Puppe, S. 632. 527  Roxin, AT II, § 26 Rn. 37. Ferner Jakobs, AT, § 22 Rn. 12. 528  Roxin, AT II, § 26 Rn. 37. 529  MK4/Joecks/Scheinfeld, Vor § 26 Rn. 21. Vgl. auch NK/Schild, Vor §§  26 f. Rn. 10, der zutreffend auf die Relevanz des Vorsatzerfordernisses für die Bestimmung des Handlungsunrechts des § 142 StGB hinweist. 525  Bloy,

526  Klesczewski,

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

gleichbare Verletzungsmacht des „Anstifters“ liegt in unserem Fall zwar nicht fern, solange man aber auf der These beharrt, dass das Handlungsunrecht des eigenhändigen Delikts nur durch die eigene Ausführungshandlung des Täters zum Ausdruck gebracht wird, muss man konsequent die mittelbare Täterschaft verneinen. Wenn man trotzdem eine Täterschaft des „Anstifters“ annehmen will, muss ein selbständiger Tatbestand zur Erfassung solcher „Indienstnahme eines qualifizierten Werkzeugs“ geschaffen werden.530 Der Ausweg, auf die Vorsätzlichkeit der Haupttat zu verzichten, hätte den hohen Preis einer Auflösung der Akzessorietät der Teilnahme. Damit ist festzuhalten, dass eine vorsätzliche Teilnahme eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat voraussetzt. 2. Wiederbelebung der strengen Akzessorietät? Über diese geltenden Anforderungen an eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat hinaus vertreten Jakobs und Pawlik die strenge Akzessorietät mit den folgenden Begründungen: Das Unrecht sei Infragestellung der Geltung der Norm durch eine sinnhafte Handlung; eine sinnhafte Handlung liege (nur) dann vor, wenn das Tun oder Unterlassen des Täters trotz seiner bestehenden oder potentiellen Unrechtseinsicht als Normwiderspruch interpretiert werden könne.531 Die strafrechtliche Handlung setze somit die Schuld des Handelnden voraus; ein schuldloser Angriff sei nichts anderes als ein Naturereignis ohne sozial-kommunikativen und strafrechtlichen Sinn. Es gebe strafrechtlich mithin kein schuldloses Unrecht.532 Weil aber Beteiligung als sinnhaft verbindende Arbeitsverteilung zwischen Beteiligten interpretiert werde, setze sie die Schuldfähigkeit der Beteiligten voraus. Es gebe mithin keine Beteiligung an einer schuldlosen Straftat; vielmehr muss solche Beteiligung normativ mit dem Fall gleichgestellt werden, dass der Beteiligte ein naturhaftes menschliches Werkzeug in Dienst nimmt; sie wird also von der mittelbaren Täterschaft umfasst.533 Zutreffend ist zwar, dass die Dimension der Schuld in den strafrechtlichen Handlungsbegriff einzubeziehen ist. Ein umfassender Handlungsbegriff be530  Dazu auch MK4/Joecks/Scheinfeld, Vor § 26 Rn. 21. In diesem Sinn auch Gropp/Sinn, AT, § 10 Rn. 238: „Diese Lücken werden jedoch im Sinne einer fragmentarischen Natur des Strafrechts als ‚Preis der Freiheit‘ in Kauf genommen“; vgl. auch Krey/Esser, AT, Rn. 1002. 531  Jakobs, System, S. 60. 532  Jakobs, System, S. 59 f. 533  Jakobs, System, S. 77; ders., Theorie, S.  36 f.; Pawlik, Unrecht, S. 273, 274, 275 f.; Orozco López, Beteiligung, S. 170, 172. Mit teilweise abweichenden Begründungen neuerdings auch Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 310 f.



C. Teilnahme als akzessorischer Rechtsverhältnisangriff auf das Opfer377

steht dann aus zwei Dimensionen: der individuellen und der sozialen. Während sich erstere auf die selbstbestimmte Entscheidung zum Übergang ins Unrecht bezieht, geht es bei der letzteren um die äußerliche Verletzung des Rechtsverhältnisses und der Normgeltung. Bei der qualitativen Akzessorietät der Teilnahme handelt es sich aber nicht darum, ob überhaupt eine strafrechtliche Handlung im Sinne einer Straftat oder einer Normverletzung vorliegt. Fraglich ist vielmehr, unter welchen Voraussetzungen dem Teilnehmer das Haupttatunrecht534 zugerechnet werden kann und darf, so dass er auch für dieses Unrecht zur Verantwortung gezogen werden kann.535 Besteht das Unrecht der Teilnahme in dem akzessorischen Rechtsgutsangriff, ist dem Teilnehmer der Teil des Haupttatunrechts zuzurechnen, den er ohne die Beteiligung des Täters nicht verwirklichen könnte. Dieser Teil als Zurechnungsgegenstand des Tatbestandsunrechts gehört aber zu der zweiten Handlungsdimension, der Verletzung des Rechtsverhältnisses oder der Normgeltung, die auch ohne Schuldfähigkeit in der äußerlichen Beziehung zwischen Rechtspersonen in Erscheinung treten kann. Eine schuldlose Rechtsverletzung ist zwar keine strafrechtliche Handlung, aber doch eine der strafrechtlichen Bewertung zugängliche interpersonale Wirklichkeit.536 Demzufolge darf eine solche Verletzung nicht auf ein reines Naturereignis reduziert werden, da sie immer noch als eine (wenn auch nicht selbstbestimmte) Entscheidung gegen das Recht (Ratio des Vorsatzes) zu interpretieren ist, und daran hat der Teilnehmer mitgewirkt.537 Soweit der Teilnehmer schuldhaft gehandelt hat, kann 534  Klarstellend: Das in diesem Zusammenhang gemeinte „Unrecht“ betrifft ersichtlich nur die soziale Dimension einer möglichen Handlung. 535  Das verkennt Kindhäuser, GS-Tröndle, S. 310; Pawlik, Unrecht, S. 275. Wie hier Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 15: „Denn die ‚vorsätzliche‘ und ‚rechtswidrige‘ Tat hat für die Frage der Bestrafung des Teilnehmers einen anderen Stellenwert als für die Frage der Bestrafung des Haupttäters: Das Verhalten des Haupttäters ist für den Teilnehmer lediglich eine Art Erfolgssachverhalt oder ein diesem gleichwertiger Tatumstand und muss deshalb nicht unbedingt den Anforderungen personalen Fehlverhaltens genügen“ (Hervorhebung im Original); Rostalski, Tatbegriff, S. 108. 536  Siehe oben S. 140. 537  Insoweit hat Schladitz, ZIS 2020, 504 recht, wenn er konstatiert, dass die Haupttat schwerlich als ein objektives Unrecht i. S. d. bloßen Erfolgsverursachung zu begreifen ist, sondern notwendig personale Elemente enthält. Diese Elemente lassen sich unter zwei Aspekten betrachten. Aus dem Aspekt des Teilnehmers stellt ein Teil der Haupttat nichts anderes als die Verwirklichung seines Handlungsunrechts dar. Unter dem Aspekt des „Täters“ ist die Haupttat eine unfreie, aber doch von einem Menschen getroffene Entscheidung, die die interpersonalen Rechtsverhältnisse betrifft. Ebenso zuzustimmen ist dem Befund von Schladitz, dass es durchaus möglich ist, die soziale Dimension einer Handlung oder des Strafunrechts von einem substantiellen vollständigen Begriff der Handlung oder des Strafunrechts zu abstrahieren. Aber anders als Schladitz kann dieses „Unrecht“ nur als eine Argumentationsfigur begriffen werden; substantiell setzt das Strafunrecht immer eine schuldhafte Übertretung einer Verhaltensnorm voraus.

378

3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

ihm dieses Haupttatunrecht ganz oder teilweise zugerechnet werden, er ist dann als Teilnehmer für seinen Beitrag zur Haupttat verantwortlich. Hinzuzufügen ist noch, dass der Gesetzgeber mit § 29 StGB unmissverständlich gegen eine strenge Akzessorietät entschieden hat. Mit dieser Vorschrift wird die grundlegende These bestätigt, dass Schuld eine höchstpersönliche Entscheidung für eine Unrechtsmaxime ist und keine Möglichkeit einer Beteiligung daran erlaubt.538 Die Annahme einer strengen Akzessorietät würde implizieren, dass auch die Schuld der Teilnahme aus der der Täterschaft abgeleitet bzw. dem Teilnehmer auch die Schuld der Täterschaft zugerechnet würde. Der Teilnehmer wäre dann (auch) für fremde Schuld verantwortlich, was aber mit dem Schuldprinzip keineswegs vereinbar ist.539 Des Weiteren ist zu bedenken, warum die individuellen Schuldausschließungsoder Entschuldigungsgründe seitens des Täters eine Entlastungswirkung für den Teilnehmer, bei dem diese nicht eingreifen, entfalten sollten.540 Last but not least reißt die strenge Akzessorietät auch auffällige Strafbarkeitslücken auf, die nicht über die Regel der mittelbaren Täterschaft völlig geschlossen werden können.541 So müsste bei den echten Sonderdelikten der Extraneus straflos bleiben, wenn der Intraneus schuldunfähig handelt. Wer etwa einen Richter zur Rechtsbeugung oder einen Vermögensverwalter zur Untreue nötigt oder ihn bedroht, ohne die von dem jeweiligen Tatbestand geforderte Eigenschaft innezuhaben, kann der strengen Akzessorietät gemäß weder als mittelbarer Täter des betreffenden echten Sonderdelikts noch als Anstifter zur Rechtsbeugung oder Untreue bestraft werden.542 Demgegenüber lässt sich nach der limitierten Akzessorietät der zwingende Extraneus problemlos als Anstifter zur Rechtsbeugung oder zur Untreue bestrafen.543

538  Köhler, AT, S. 494, 547; Matt/Renzikowski/Haas, § 29 Rn. 1; Hilgendorf/ Kudlich/Valerius/Noltenius, HdBStrR, § 50 Rn. 96; Puppe, ZStW 120 (2008), 524: „das Unrecht [ist] den Beteiligten gemeinsam, die Schuld aber individuell“. 539  In diesem Sinne Freund/Rostalski, AT, § Rn. 14 Fn. 13. 540  Gropp/Sinn, AT, § 10 Rn. 237. 541  Abweichend Pawlik, Unrecht, S. 276 Fn. 115. Diese Strafbarkeitslücken könnten zwar dadurch geschlossen werden, dass der Gesetzgeber bestimmte Teilnahmehandlungen durch Schaffung bestimmter Tatbestände als Täterschaft verselbständigt, wie etwa in § 271 StGB. Das ändert aber nichts an dem fragmentarischen Charakter dieser Tatbestände. Das gesteht auch Orozco López, Beteiligung, S. 175. 542  Man könnte zwar im Wege der strengen Akzessorietät behaupten, dass hier mangels einer schuldhaften Sonderpflichtverletzung von vornherein gar keine beteiligungsfähige Haupttat und deshalb keine Strafbarkeitslücke vorliege (etwa Orozco López, Beteiligung, S. 174; ähnlich Falcone, ZIS 2020, 222). Das Argument setzt aber bereits die noch zu beweisende Richtigkeit der strengen Akzessorietät voraus. 543  LK13/Schünemann/Greco, Vor §§ 26, 27 Rn. 21.



D. Ein monistisches interpersonales Täter-Teilnahme-System379

D. Ein monistisches interpersonales Täter-Teilnahme-System Damit sind die wesentlichen Handlungs- und Zurechnungsstrukturen der Täterschaft und Teilnahme dargelegt. Im Folgenden sollen die wichtigen Erkenntnisse und die Besonderheit der hier vertretenen Ansichten in einem monistischen interpersonalen Beteiligungssystem zusammengefasst werden. Jeder Beteiligungslehre muss ein tragfähiges Verständnis von Unrecht und Straftat zugrunde liegen. Das hier entwickelte interpersonale Beteiligungssystem stellt gerade auf den materiellen Unrechtsbegriff im Sinne einer Rechtsverhältnisverletzung ab. Danach ist die Verletzungsmacht eines Beteiligten nicht in seiner faktischen Gestaltung des zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalgeschehens, sondern in seiner pflichtwidrigen Verletzung des Rechtsverhältnisses zum Opfer zu erblicken. Die Verletzungsmacht bestimmt sich nämlich nach der eigenen Pflichtstellung des einzelnen Beteiligten zum Opfer. Weil sich nunmehr alle Unrechtstatbestände als besondere Typen von Rechtsverhältnisverletzung begreifen lassen, ermöglicht diese Vorgehensweise ein monistisches Beteiligungssystem, das die Aufspaltung des materiellen Unrechtsbegriffs vermeidet.

I. Der erste Schritt: Ermittlung der Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer Andererseits darf aber nicht in Vergessenheit geraten, dass unterschiedliche Tatbestände unterschiedliche Qualitäten der Rechtsverhältnisverletzung aufweisen könnten. So setzen die echten Sonderdelikte ein ursprüngliches Rechtsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer voraus, was bei allgemeinen Begehungsdelikten nicht der Fall ist. Es empfiehlt sich deshalb, bei der Abgrenzung von Beteiligungsformen im ersten Schritt die Qualität des Rechtsverhältnisses zwischen dem betroffenen Beteiligten und dem Opfer festzustellen, und zwar zu ermitteln, ob zwischen dem einzelnen Beteiligten und dem Opfer ein ursprüngliches Rechtsverhältnis vorliegt oder nicht. Diese Feststellung ist auch deshalb unerlässlich, weil wie gezeigt bestimmte Tatbestände ein solches Abhängigkeitsverhältnis voraussetzen. Bei echten Sonderdelikten und einem Teil der (legitimen) eigenhändigen Delikte wird eine Täterschaft ausgeschlossen, soweit zwischen dem Beteiligten und dem Opfer kein solches Abhängigkeitsverhältnis vorliegt. Es kommt dann allenfalls eine Strafbarkeit wegen Teilnahme in Betracht. Bei den unechten Unterlassungsdelikten führt das Fehlen eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses sogar dazu, dass der in Rede stehende Beteiligte überhaupt nicht wegen Teilnahme durch Unterlassen bestraft werden kann, denn das Unterlassen

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

eines Nichtgaranten kann mangels Abhängigkeitsverhältnisses das bestimmte Recht des Opfers nicht verschlechtern. Ihm wird dann nur vorgeworfen, dass er nicht zugunsten des Opfers positiv gehandelt hat (§ 323c StGB). Neben diesen Gründen ist die Ermittlung der Qualität des Rechtsverhältnisses im ersten Schritt auch deshalb notwendig, weil ein ursprüngliches Rechtsverhältnis einem äußerlich betrachtet geringfügigen Tatbeitrag oder sogar einem Unterlassen eine wesentliche Verletzungsmacht verleihen und damit den Beteiligten in die Position einer primären Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg rücken lassen kann. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Beschützergarant zwar nur dem Mörder seines Kindes ein Messer liefert oder nur die Tötung nicht verhindert, aber wegen der Erfolgsverhinderungspflicht aus einem ursprünglichen Rechtsverhältnis für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig und deshalb als Täter zu bestrafen ist.

II. Der zweite Schritt: Ermittlung der Reichweite der Verhaltensnorm Nachdem die Qualität des Rechtsverhältnisses zwischen dem in Frage kommenden Beteiligten und dem Opfer im ersten Schritt festgestellt worden ist, muss im zweiten Schritt die Ermittlung der Reichweite der von dem Beteiligten verletzten Verhaltensnorm erfolgen, mit der die Abgrenzung der Beteiligungsformen abgeschlossen wird. Die Notwendigkeit dieser Ermittlung folgt unmittelbar aus der Unterscheidung von täterschaftlicher und teilnehmerschaftlicher Verhaltensnorm: Die hier vertretene Tat­ herrschaftslehre versteht sich als eine normative Konstruktion, die sich auf die Qualität des Rechtsverhältnisses zwischen dem Beteiligten und dem Opfer und auf seine konkrete Pflichtstellung zum Opfer gründet. Tat­herrschaft wird als „Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses“ begriffen und liegt dann vor, wenn der Beteiligte nach seiner Pflichtstellung eine Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg verletzt. Der Täter verletzt nämlich eine primäre Pflicht, die aus der Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg resultiert, und verschlechtert unmittelbar das Rechtsverhältnis zum Opfer. Demgegenüber übertritt der Teilnehmer nur eine Verhaltensnorm, die eine Risikoschaffung bzw. Risikoerhöhung der Haupttatbegehung verbietet, und verletzt deshalb nur mittelbar das Recht des Opfers. Somit erfolgt die Abgrenzung der Beteiligungsformen nach der Reichweite der Verhaltensnorm, die wiederum von der konkreten Qualität des Rechtsverhältnisses zwischen dem Beteiligten und dem Opfer abhängt. Nur wenn die verletzte Verhaltensnorm nicht nur eine rechtlich missbilligte Risikoschaffung bzw. Risikoerhöhung der Haupttat, sondern darüber hinaus eine unmittelbare Risikoschaffung in Richtung auf den tatbe-



D. Ein monistisches interpersonales Täter-Teilnahme-System381

standsmäßigen Erfolg untersagt, oder m. a. W. wenn der Beteiligte seine primäre Pflicht aus der Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg verletzt, ist der Beteiligte als Täter des betroffenen Tatbestands zu bestrafen. Die Ermittlung der Reichweite der konkreten überschrittenen Verhaltensnorm ist eine komplexe Bewertungsfrage. Es gibt insoweit wegen der Gestaltungsvielfalt des konkreten Rechtsverhältnisses keine Zauberformel, aus der im Einzelfall eine bestimmte Beteiligungsform ohne Schwierigkeit deduziert werden könnte. Deshalb seien nachfolgend nur Grundlinien für die Bestimmung der Reichweite der Verhaltensnorm illustriert. Setzt der betroffene Tatbestand kein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer voraus und fehlt ein solches Abhängigkeitsverhältnis auch zwischen beiden, bestimmt sich die Beteiligungsform danach, ob der Beteiligte eine rechtlich missbilligte Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg geschaffen hat, einerlei ob er phänomenologisch selbst die tatbestandsmäßige Handlung ausführt oder normativ kraft überlegener Pflichtstellung oder autonomer Willensvereinigung zusammen mit anderen „gleichberechtigten Partnern“544 für fremdes tatbestandsmäßiges Verhalten zuständig ist. Weil in den letzten zwei Konstellationen die Zuständigkeit für fremdes Verhalten nach der hiesigen Ansicht nicht anders denn als eine Garantenpflicht zu verstehen ist, handelt es sich hierbei in der Tat um ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer. In den übrigen Fällen, bei denen der Gedanke der Zuständigkeit für fremdes Verhaltens nicht eingreift, hängt die Beteiligungsform davon ab, ob die Handlung des Beteiligten bereits unmittelbar, d. h. unabhängig von einem fremden Verletzungswillen, zur Rechtsverletzung545 in der Lage ist. Diese Unmittelbarkeit wird in der Regel dann verneint, wenn die in Rede stehende Handlung zum Zeitpunkt des Handelns kausallogisch gesehen bereits keine hinreichende Bedingung für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges ist.546 Die Lieferung eines unersetzbaren Tatwerkzeuges ist somit ex ante betrachtet keine ausreichende Bedingung für einen Todeserfolg; zu diesem Erfolg bedarf es noch eines fremden Tatentschlusses, mit dem Werkzeug das Opfer unmittelbar zu töten. Das notwendige Eingreifen eines fremden Verletzungswillens rückt die vorherige Handlung des Beteiligten in eine Position mittelbarer Rechtsverletzung. Der Beteiligte verletzt 544  Anw-StGB/Waßmer, §  25 Rn. 50; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 32. 545  Ein fremder Verletzungswille darf indes nicht mit fremder Vollverantwortlichkeit verwechselt werden. Denn die Teilnahme setzt keine schuldhafte Haupttat voraus. 546  Auch die kausallogische Analyse muss aber normative Relevanz aufweisen, etwa indem sie ein mögliches Argument zur Bestimmung des tatbestandsmäßigen Unrechts beiträgt.

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3. Teil: Grundlinien einer interpersonalen Beteiligungslehre

deshalb nur eine Verhaltensnorm in Richtung auf die Risikoschaffung bzw. Risikoerhöhung einer fremden Haupttat. Die Notwendigkeit des Eingreifens eines fremden Verletzungswillens wird aber dann abgelehnt, wenn die Handlung des Beteiligten bereits das tatbestandsspezifische Unrecht aufweist, auch wenn seine Verletzungsmacht im Einzelfall erst durch eine fremde Tätigkeit vermittelt wird. Wer einen Brief mit einem beleidigenden Inhalt verfasst und seinen Boten den Brief in Verkehr bringen lässt, hat selbst den Anerkennungsanspruch des Opfers unmittelbar angegriffen, unabhängig davon, ob der Bote ebenfalls mit einem Verletzungswillen handelt. Letztendlich handelt es sich hierbei um die Bestimmung des tatbestandsmäßigen Unrechts.547 Liegt ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer vor, bestimmt sich die Abgrenzung der Beteiligungsform auch nach der Reichweite der verletzten Verhaltensnorm. Bei den echten Sonderdelikten verpflichtet sich der Sonderpflichtige, das Rechtsgut rundum zu schützen; er ist für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig und verletzt bereits dann eine Verhaltensnorm in Richtung auf diesen Erfolg, wenn er ihn pflichtwidrig nicht verhindert. Gleiches gilt für die sog. „unübertragbaren eigenhändigen Delikte“, wobei aber über die Verletzung einer Garantenpflicht hinaus noch eine eigenhändige Ausführung der tatbestandsmäßigen Handlung gefordert ist. Weiter zu differenzieren ist bei den unechten Unterlassungsdelikten, weil sich dabei der Schutzzweck der Verhaltensnorm nicht immer auf die Erfolgsverhinderung erstreckt, sondern unter Umständen nur auf die Vermeidung der mittelbaren Rechtsverletzung, und zwar auf die Vermeidung der Risikoschaffung bzw. der Risikoerhöhung der Haupttat. Darauf wird im nächsten Teil näher eingegangen.

547  Nicht ohne Recht konstatieren Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 169 deshalb, dass es hierbei „schwerpunktmäßig um ein Problem des Besonderen Teils“ gehe, denn die Abgrenzung der Beteiligungsform könne nicht von „der Besonderheit des Alleintätertatbestands“ abstrahierend erfolgen. Aber „der allgemeine Teil“ der Beteiligungslehre soll daneben auch die Voraussetzungen für die Zuständigkeit für fremdes Verhalten erklären. In diesem Sinne auch Sánchez Lázaro, GA 2008, 299, 311. Ferner Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 83; Roxin, TuT, S. 784 Rn. 249.

Vierter Teil

Beteiligung durch Unterlassen Nach der abschließenden Ausarbeitung des Unrechts der garantenpflichtwidrigen Unterlassung einerseits und der Handlungs- und Unrechtsstrukturen der Täterschaft und Teilnahme andererseits ist nun auf die zentrale Frage nach der Beteiligung durch Unterlassen einzugehen, in der sich beide Pro­ blembereiche überschneiden. Auch wenn das Kriterium für die Abgrenzung der Beteiligungsformen in diesem Bereich bereits ansatzweise besprochen worden ist, bedarf es noch weiterer Vertiefung und Konkretisierung.

A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen I. Grundsätzliches: Zweistufiges Abgrenzungsmodell Nach den im dritten Teil erlangten Erkenntnissen bestimmt sich die Verletzungsmacht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens danach, ob und inwieweit der Garant durch dieses Unterlassen dem Opfer ein rechtlich anerkanntes Recht entzieht, also danach, was der Garant dem Opfer gegenüber rechtlich zu gewährleisten hat, und dies ist wiederum von der Reichweite bzw. dem Schutzzweck der betroffenen Garantenpflicht abhängig. Verbindet man diese These mit den im 3. Teil ausgearbeiteten Handlungs- und Zurechnungsstrukturen der Täterschaft und Teilnahme, wonach der Täter eine Verhaltensnorm in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg verletzt, während der Teilnehmer nur eine Verhaltensnorm bezogen auf die Risikoschaffung oder -erhöhung übertritt, kommt man konsequent zu folgendem Abgrenzungskriterium: Bezweckt die in Frage stehende Garantenpflicht die Erfolgsverhinderung, richtet die verletzte Verhaltensnorm sich also auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, ist der Garant Täter. Diese Erfolgsverhinderungspflicht umfasst bei Eingreifen eines Begehungstäters auch die Pflicht, eine fremde vollverantwortliche Straftat zu verhindern. Zielt die betroffene Garantenpflicht demgegenüber nur auf die Vermeidung einer Risikoerhöhung der Haupttat, also auf die Taterschwerung der Haupttat, so ist der Garant Teilnehmer. Die Abgrenzung der Beteiligungsformen erfolgt hier genauso wie bei positivem Tun in zwei Schritten: Erstens ist ein ursprüngliches Abhängigkeits-

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

verhältnis zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer sowie der Inhalt dieses Abhängigkeitsverhältnisses feststellen. Dazu sei auf die Ausführungen im dritten Teil verwiesen. Im zweiten Schritt ist die Reichweite bzw. der Schutzzweck der verletzten Garantenpflicht zu ermitteln, ob nämlich die verletzte Garantenpflicht gerade auf die Erfolgsverhinderung bzw. nur auf die Taterschwerung zielt. Nur im ersten Fall hat der Garant eine Herrschaft über sein Rechtsverhältnis zum Opfer. Schwierigkeiten bereitet diese Ermittlung insbesondere dann, wenn ein positiver Begehungstäter zwischen dem Unterlassen des Garanten und dem Erfolgseintritt eingreift. Ausschlaggebend ist dann die Frage, ob und inwieweit sich das positive Tun des Begehungs­ täters auf die Reichweite oder den Schutzzweck der in Rede stehenden Garantenpflicht auswirkt. Streng genommen handelt es sich hier nicht um ein besonderes Abgrenzungsproblem. Denn auch bei positivem Tun tritt dieses Problem auf. Deshalb sind die im dritten Teil entwickelten „Grundlinien“ auf das Unterlassen zu übertragen, soweit man wie hier eine monistische Beteiligungslehre entwickelt hat. Bei der Ermittlung der Reichweite der ­Verhaltensnorm geht es also nicht um eine feste, statische Ermittlung, sondern um eine „Dialektik der Rechtsverhältnisse zwischen dem Garanten, dem Begehungstäters und dem Opfer“.1

II. Nichtverhinderung einer Teilnahmehandlung Relativ leicht zu lösen und nicht besonders kontrovers sind diejenigen Fälle, in denen die vom Garanten zu verhindernde Handlung nur eine Teilnahmehandlung darstellt.2 Wenn der Vater die Anstiftung oder Hilfeleistung seines Kindes zu einer Haupttat nicht verhindert und beim Vater keine andere Pflicht zum Rundumschutz des verletzten Opfers bzw. zur Verhinderung der Haupttat besteht, ist der Vater für die Haupttat nur Teilnehmer durch Unterlassen. Denn der Vater ist nur für die von dem Kind ausgelöste Gefahr, in diesem Fall also nur für die Ermöglichung der Haupttat oder deren Risikoerhöhung zuständig. Der Schutzzweck der Überwachungspflicht des Vaters erschöpft sich somit in der Taterschwerung, etwa dem Haupttäter von der Tat abzuraten bzw. das von dem Kind gelieferte Tatmittel zurückzuziehen. Nicht viel anders verhält es sich auch, wenn der Gehilfe nach seiner zuvor vorsätzlich erbrachten Hilfeleistung später trotz Verhinderungsmöglichkeit die Haupttat des Haupttäters nicht verhindert. Durch seine Hilfeleistung hat der Gehilfe sein Rechtsverhältnis zum Opfer verletzt, indem er das Risiko 1  Grundlegend

Welp, Vorangegangenes Tun, S. 276 ff. die Vertreter der Pflichtdeliktslehre nehmen hier eine Teilnahme durch Unterlassen an: Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 146; Roxin, AT II, § 31 Rn. 144. Vgl. auch Frisch, FS-Rogall, S. 142. 2  Auch



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen385

der Haupttat erhöht hat. Zugleich wird das Opfer durch diese Risikoerhöhung der Haupttat in ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis gebracht. Das Opfer kann somit den Gehilfen in Anspruch nehmen, diese Risikoerhöhung wieder zu neutralisieren. Einen darüber hinausgehenden Anspruch, die Haupttat insgesamt in Frage zu stellen, hat das Opfer aber nicht.3 Denn die Ratio der Garantenpflicht kraft Ingerenz besteht darin, dass das Opfer durch ein Vorverhalten des Pflichtigen in bestimmtem Umfang der daraus resultierenden Gefahr aussetzt wird. Nur innerhalb dieser Gefahraussetzung ist das Opfer auf die Gefahrneutralisierung des Pflichtigen angewiesen. Außerdem würde durch die Anerkennung einer Tatverhinderungspflicht die Regel der Beihilfe (§ 27 StGB) insgesamt aufgerollt.4 Es ist nicht selten, dass der Gehilfe nach der Hilfeleistung noch eine Tatverhinderungsmöglichkeit hat, ohne dass er als Täter zu bestrafen wäre. Mit Jakobs: „Ingerenz wegen eines Beihilfehandelns führt zur Beihilfe durch Unterlassen“,5 soweit keine weiteren, die Tatverhinderungspflicht begründenden Umstände hinzukommen.6

III. Täterschaft bei Verletzung einer Beschützergarantenpflicht 1. Normentheoretische Befunde Wenn aber zwischen dem tatbestandsmäßigen Erfolg und dem garantenpflichtwidrigen Unterlassen ein vollverantwortliches tatbestandsmäßiges Handeln eingreift, ist die Beteiligungsform schwieriger zu entscheiden. Eines ist aber bereits aus der formellen normentheoretischen Analyse festzustellen, und zwar die Täterschaft bei Verletzung einer Garantenpflicht zur Erfolgsverhinderung. Diesen Ansatz teilen auch die Vertreter der Pflichtdeliktslehre und ein Teil der Vertreter der Pflichtinhaltslehre. Wer für den tatbestandsmä3  Im Ergebnis auch Jakobs, Theorie, S. 58; Stein, Beteiligungsformenlehre, S.  309 f. Vgl. auch AK/Seelmann, § 13 Rn. 96; Renzikowski, Täterbegriff, S.  141 f., 146, und Welp, Vorangegangenes Tun, S. 280 ff., die aber bereits die Garantenpflicht (sc. zur Erfolgsverhinderung) aus vorsätzlicher Teilnahmehandlung ablehnen. 4  Jakobs, AT, § 29 Rn. 105. Ferner Schwab, Täterschaft, S. 176. 5  Jakobs, System, S. 82. 6  Dass solche Fälle normativ mit Situationen, bei denen der Garant der Anstiftung und Beihilfe des zu Überwachenden nicht entgegentritt, gleich zu behandeln sind, führt zwar auf die These zurück, dass die pflichtwidrige Nichtverhinderung fremder Teilnahmehandlung normativ der aktiven Teilnahmehandlung entsprechen soll. Die Entsprechensklausel für sich genommen bietet aber kein überzeugendes Abgrenzungskriterium (Nitze, Entsprechensklausel, S. 163 f.; so aber Schwab, Täterschaft, S. 189 ff.), da unabhängig von ihrer begrenzten Funktion bei verhaltensgebundenen Straftaten die normative Entsprechung auf andere dahinterstehende normative Kriterien abstellen muss. Kritik dazu auch Roxin, TuT, S.  756 f.

386

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

ßigen Erfolg zuständig ist und die daraus resultierende Pflicht verletzt, ist Täter; das wurde oben bereits eingehend ausgeführt. Ob die Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg von einer Naturgewalt oder von einem womöglich vollverantwortlichen Begehungstäter ausgelöst worden ist, spielt für die Täterschaft des Garanten keine Rolle, denn er ist nicht für ein fremdes Verhalten, sondern für die tatbestandsmäßige Gefahr (aus der Natur bzw. aus einem menschlichen Verhalten) zuständig. Weil sich die Garantenpflicht aus einer Beschützergarantenstellung in der Regel auf die Erfolgsverhinderungspflicht erstreckt, begründet die Verletzung einer Beschützergarantenpflicht in der Regel Täterschaft.7 2. Klassische Fälle Die Mutter, die zum Rundumschutz des Lebens ihres Kindes verpflichtet ist, ist als Täterin zu bestrafen, wenn sie die Tötung des Kindes durch einen vollverantwortlichen Killer nicht untersagt. Die Mutter ist für das Leben des Kindes zuständig und verletzt die sich daraus ergebende Tötungsverhinderungspflicht; die tatbestandsmäßige Todesgefahr und deren Verwirklichung im Todeserfolg sind ihr somit zuzurechnen. Das Leben des Kindes wurde aus zwei Richtungen angegriffen, und zwar sowohl von der Mutter als auch von dem Killer. Die Mutter und der Killer haben jeweils ihr Verhältnis zum Kind verletzt und sind bei Fehlen eines gemeinsamen Entschlusses Nebentäter. Gleiches gilt auch für ein Garantieverhältnis in der bürgerlichen Gesellschaft, bei welchem dem Garanten die Integrität des Rechtsguts anvertraut wird, etwa für das Rechtsverhältnis zwischen dem Arzt und dem von ihm betreuten Patienten, zwischen dem Babysitter und dem betreuten kleinen Kind sowie zwischen Lehrer und minderjährigen Schülern, jeweils aber nur im Rahmen der Betreuung. Eine Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg im Sinne einer Beschützergarantenstellung lässt sich auch durch die Übernahme einer Amtsposition begründen. So verpflichtet sich etwa ein Amtsträger in der Wasserbehörde, der die ihm in seinem Zuständigkeitsbereich anvertrauten Gewässer rundum zu schützen hat, zur Verhinderung einer ungenehmigten Gewässerverunreinigung durch einen Dritten. Die Nichtverhinderung dieser fremden Tat begründet die Täterschaft des Amtsträgers,8 weil ihm diese tatbe7  Herzberg, Unterlassung, S. 261; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 651; Krey/Esser, AT, Rn. 1182; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 156; Murmann, ­FS-Beulke, S.  192; Rauber, Mord, S. 346. Nicht überzeugend Krüger, ZIS 2011, 7 (dazu unten Fn. 113, S. 420). 8  Horn, NJW 1981, 11, bei Beschützergarantenstellung; Schönke/Schröder/ Heine/Schittenhelm, Vor §§ 324 ff. Rn. 39. Vgl. auch NK/Ransiek, 324 Rn. 69, 71,



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen387

standsmäßige Gefahr und deren Verwirklichung aufgrund der Verletzung einer Garantenpflicht in Richtung auf diesen Erfolg zuzurechnen sind. Nicht anders verhält es sich auch dann, wenn der Staatschef seine Schutzpflicht gegenüber den Bürgern verletzt, indem er etwa die von den Staatsorganen ausgelösten Menschenrechtsverletzungen an Bürgern nicht unterbindet oder sie sogar positiv fördert.9 Damit ist auch die Täterschaft eines Polizisten gegeben, der gegen einen rechtswidrigen Angriff auf das Leben eines Bürgers pflichtwidrig nicht einschreitet.10 Man könnte zwar überlegen, ob die Argumente, die generell gegen eine solche Beschützerpflicht des Polizisten ins Feld geführt werden, auch hier gegen eine Täterschaft des Polizisten sprechen. So könnte man davon ausgehen, dass die Garantenpflicht des Polizisten primär der allgemeinen Gefahrabwehr diene und der einzelne angegriffene Bürger nur gleichsam reflexiv geschützt werde. Die Garantenpflicht des Polizisten ziele nämlich nur auf einen „flankierend mittelbaren“ Schutz des Bürgers, und zwar nach der hier vertretenen Ansicht nur auf eine Taterschwerung ab. Die Garantenpflicht des Polizisten erschöpft sich allerdings nicht in einer solchen „Gefahrüberwachungspflicht im Interesse der Allgemeinheit“. Wie oben ausführlich dargestellt, leitet sich die Beschützerpflicht des Polizisten im Interesse des einzelnen Bürgers daraus ab, dass der Polizist die Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern übernommen hat. Diese staatliche Schutzpflicht ist der Ausgleich für den partiellen Verlust der Selbstschutzmöglichkeit des Bürgers im Rechtszustand.11 Soweit der Angriff während der Dienst­ ausübung stattfindet und in die sachliche sowie örtliche Zuständigkeit des Polizisten fällt, handelt der Polizist als Repräsentant des Staates und ihn trifft eine Garantenpflicht, den rechtswidrigen Angriff zugunsten des hilflosen Bürgers mit den ihm verfügbaren faktischen bzw. rechtlichen Mitteln zu beseitigen. Unterlässt er die gebotene Rettungshandlung, wird ihm der tatbestandsmäßige Erfolg zugerechnet, weil er für das verletzte Rechtsgut des Bürgers zuständig ist. Auch andere Versuche, den Schutzzweck der Garantenpflicht des Polizisten auf die Taterschwerung zu reduzieren, werden der Beschützerpflicht des Polizisten nicht gerecht.

aber unter der Annahme einer Erfolgsverhinderungsmöglichkeit. A. A. für Beihilfe aber SK/Schall, Vor §§ 324 ff.  Rn. 127. 9  BGHSt 48, 77, 89 f.; Jakobs, ZIS 2009, 574; eingehend Murmann, GA 1996, 277 f. Siehe auch oben S. 169 ff. 10  Jakobs, AT, § 29 Rn. 106. 11  Zu dieser ursprünglichen Abhängigkeit des einzelnen Bürgers vom Staat siehe oben S. 169 ff.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

3. Verletzung einer Beschützerpflicht durch positives Tun Wer als Beschützergarant für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist, verletzt diese Garantenpflicht bereits durch pflichtwidriges Unterlassen. Es ist aber nicht selten, dass der Beschützergarant über schlichtes Unterlassen hinaus auch noch positiv gegen das ihm anvertraute Rechtsgut handelt. Besorgt die Mutter etwa dem Killer eine Pistole zur Tötung ihres Kindes, ist sie unabhängig von der äußerlich betrachtet geringeren „Hilfeleistung“ Täterin des Tötungsdelikts. Denn die Täterschaft gründet sich hier nur auf die pflichtwidrige Nichtverhinderung der Tötung, nicht aber auf die positive Hilfeleistung.12 Die zusätzliche Hilfeleistung erhöht aber das Handlungs­ unrecht der Mutter und macht sie zur Täterin durch positives Tun.13 4. Täterschaft des Beschützergaranten nur bei „Beteiligung“ im Ausführungsstadium? Neben der Verletzung einer auf den tatbestandsmäßigen Erfolg gerichteten Beschützerpflicht wird zur Begründung der Täterschaft mitunter noch gefordert, dass der Beschützergarant sich im Ausführungsstadium an der Straftat des Begehungstäters „durch Unterlassen“ beteiligen soll.14 Der Garant soll nämlich zu einem Zeitpunkt die gebotene Handlung unterlassen, zu welchem der Begehungstäter „bereits die Schwelle zum Versuch überschritten“ habe.15 Drei Beispiele sollen die Konsequenzen dieses Einschränkungskriteriums beleuchten. Erstens: Die Mutter erfährt, dass ein Mörder ihr Kind töten möchte, und trifft den Mörder, der auf dem Weg zur Tötung des Kindes ist, zufällig auf der Straße.16 Die Mutter kann nur zu diesem Zeitpunkt die Tötung des Kindes verhindern, unterlässt aber die notwendigen Verhinderungsmaßnahmen. Zweitens: Die Mutter gibt dem Mörder eine Pistole zur Tötung ihres Kindes, dann reist sie vor dem Tag, an dem das Kind ermordet wird, ab. Drittens: Die Mutter ist bei der Tötung ihres Kindes durch den Mörder selbst anwesend, verhindert die Tatausführung aber nicht. 12  Insoweit auch Herzberg, TuT, S.  84. A. A. Schwab, Täterschaft, S. 219, er nimmt hier wie beim Überwachungsgaranten nur eine Beihilfe an und übersieht die unmittelbare Erfolgszuständigkeit des Beschützergaranten. 13  Mit der Annahme einer Täterschaft durch positives Tun wird auch die Schwäche der Pflichtdeliktslehre Roxins vermieden. Dazu ausführlich oben S. 306 ff. 14  Becker, HRRS 2009, 248 f.; Vogel, Norm, S. 284 f. Ähnlich LK13/Schünemann/ Greco, § 25 Rn. 235. 15  Becker, HRRS 2009, 248. 16  Beispiel aus Renzikowski, Täterbegriff, S.  148 f.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen389

Nach der Auffassung, dass eine Täterschaft (des Beschützergaranten) nur bei einer Beteiligung im Ausführungsstadium möglich sei, ist nur im dritten Fall die Mutter als Täterin anzusehen, während sie im ersten und im zweiten Fall allenfalls Teilnehmerin sei.17 Dieser Auffassung liegt, ganz ähnlich wie der Anforderung einer „wesentlichen Beteiligung im Ausführungsstadium“ bei der Mittäterschaft durch positives Tun, die Tatbestandsbezogenheit zugrunde.18 Sie verkennt aber, dass die geforderte Tatbestandsbezogenheit der Beteiligung, nach dem hiesigen Ansatz also die Verletzung einer tatbestandlichen Erfolgsverhinderungspflicht, schon zu einem Zeitpunkt angenommen werden kann, zu dem der Begehungstäter noch nicht in sein Ausführungs­ stadium eingetreten ist. Dies ist gerade beim oben genannten ersten und zweiten Beispie der Fall. Denn bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem die Mutter die von dem Begehungstäter ausgehende Tötungsgefahr nicht mehr rechtzeitig und verlässlich kontrollieren kann, liegt ein tatbestandsmäßiges Unterlassen (= Verletzung der Erfolgsverhinderungspflicht) vor, also bereits dann, wenn die Mutter die letzte sichere Möglichkeit versäumt hat, sich dem Mörder auf dem Weg zu ihrem Kind in den Weg zu stellen bzw. vor der Abreise das Kind zu retten.19 Des Weiteren leuchtet es auch nicht ein, warum einem pflichtwidrigen Unterlassen beim Tatort höhere Verletzungsmacht zugesprochen werden soll. In allen drei Fällen wird ja der Mutter vorgeworfen, dass sie die Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Gefahr für das Leben des Kindes pflichtwidrig nicht verhindert. Ob der Beschützergarant zufällig beim Versuch des Begehungstäters anwesend ist und ihn verhindern kann, ist unter diesem Aspekt gleichgültig. Die Anwesenheit bei der Tatausführung des Begehungstäters kann zwar den Tatentschluss des Begehungstäters bestärken oder bei Scheitern der Begehungstat einen eigenen positiven Angriff gegen das Kind ermöglichen. Diese über das schlichte Unterlassen hinausgehenden Tatbeiträge ändern aber nicht die durch Garantenpflichtverletzung begründete Täterschaft der Mutter, sondern vertiefen nur ihr Täterunrecht. Daher stellt das pflichtwidrige Unterlassen im Ausführungsstadium im Vergleich zu dem pflichtwidrigen Unterlassen im ersten und zweiten Fall kein schwerwiegenderes Unrecht dar, das auf die Beteiligungsformen Einfluss nehmen könnte.

17  Für

Teilnahmestrafbarkeit im zweiten Fall Vogel, Norm, S. 284 f. Becker, HRRS 2009, 248. 19  Ausführlicher dazu unten sogleich. 18  Deutlich

390

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

5. Bedenken der Vorverlagerung der Strafbarkeit bei der Vorfeldbeteiligung eines Beschützergaranten In allen drei Beispielen ist die Mutter wegen einer Verletzung der Erfolgsverhinderungspflicht als Täterin (einer vollendeten Tat) anzusehen, wenn der Todeserfolg eintritt. Fraglich ist aber, ob eine tatbestandsmäßige Handlung des Beschützergaranten, die auch dessen Versuchsstrafbarkeit begründet, bereits dann vorliegt, wenn er nur im Vorfeld der Tatausführung die spätere Straftat des Begehungstäters verhindern kann und trotzdem diese einzige Rettungsmöglichkeit versäumt, wie die Mutter im ersten und zweiten Fall. Sieht man bereits das Unterlassen im Vorbereitungsstadium als tatbestandsmäßige Handlung des Beschützergaranten an, im ersten Fall also das Unterlassen der Mutter, das Weitergehen des zufällig auf der Straße getroffenen Mörders zu verhindern, könnte es zu einem Wertungswiderspruch kommen. Denn bei positivem Tun würde das Rechtsgut des Opfers durch eine solche Beteiligungshandlung im Vorfeld der Ausführung in der Regel nicht konkret gefährdet und ein Versuch läge daher nicht vor. Die Annahme eines tatbestandsmäßigen Unterlassens der Mutter bereits zu diesem Zeitpunkt würde die Versuchsgrenze weit ins Vorfeld verlagern.20 Zur Auflösung dieses behaupteten Wertungswiderspruchs schlägt Renzikowski vor, die tatbestandsmäßige Handlung der Mutter nicht darin zu sehen, dass sie es unterlässt, sich dem Mörder auf dem Weg zu ihrem Kind in den Weg zu stellen, sondern im Nichteinschreiten gegen den Tötungsversuch des Mörders. Die Mutter könne sich nicht darauf berufen, dass sie zum Zeitpunkt des Tötungsversuchs nicht zur Rettung des Kindes in der Lage sei, denn sie habe die einzige Rettungschance im Vorbereitungsstadium schuldhaft versäumt und das Geschehen so weit laufen lassen. Hier lasse sich strukturell eine „Parallelkonstruktion zur Figur der sog. ‚omissio libera in causa‘ “ erkennen.21 Indes lässt sich der behauptete Wertungswiderspruch nur aus dem formellen Verständnis der tatbestandsmäßigen Handlung erklären. Wenn man sie aber materiell als Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg interpretiert, liegt auch bei posi­ tivem Tun eine tatbestandsmäßige Gefahr bereits dann vor, wenn der Täter das Kausalgeschehen so weit aus seinem Herrschaftsbereich entlässt, dass normativ nicht erwartet werden kann, dass er die Gefahr für das Opfer rechtzeitig und verlässlich kontrolliert.22 Überträgt man dieses materielle Kriterium für die Bestimmung der tatbestandsmäßigen Handlung auf das Unter­ 20  Zu dieser Frage Renzikowski, Täterbegriff, S.  148  f.; Maurach/Gössel/Zipf/ Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 157. 21  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 157. 22  Murmann, Versuchsunrecht, S. 22.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen391

lassen,23 so kann man die Nichtverhinderung einer Vorbereitungshandlung des Begehungstäters als eine tatbestandsmäßige Handlung qualifizieren, wenn der Garant später gar keine Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung hat. Denn zu diesem Zeitpunkt mag zwar noch nicht von einer unmittelbaren Gefährdung des Rechtsguts die Rede sein,24 aber nach diesem Zeitpunkt kann die Mutter nicht mehr durch ihr Handeln die vom Begehungstäter geschaffene Tötungsgefahr rechtzeitig und verlässlich kontrollieren. Dies muss als eine rechtlich missbilligte Gefahr für das Opfer aufgefasst werden.25 Dementsprechend liegt im zweiten Fall eine tatbestandsmäßige Gefahr durch Unterlassen bereits, aber auch nur dann vor, wenn die Mutter vor der Abreise die letzte sichere Rettungschance versäumt hat.26 Letztendlich erweist sich der Umweg über die Rechtsfigur der omissio libera in causa bei der mate­ riellen Interpretation der tatbestandsmäßigen Handlung als überflüssig. 6. Teilnahme durch Verletzung einer Beschützerpflicht Damit ist der Beschützergarant, der eine Erfolgsverhinderungspflicht verletzt, einerlei, ob der Erfolg durch eine Naturgewalt oder ein menschliches Verhalten ausgelöst wird, in der Regel als Täter für diesen Erfolg verantwortlich. Anderes gilt nur dann, wenn bei ihm die von dem betroffenen Tatbestand geforderten besonderen subjektiven Unrechtsmerkmale wie Zueignungs­ absicht,27 besondere Eigenschaft oder Eigenhändigkeit fehlen. Diese „Aus23  Etwa Roxin, AT II, § 29 Rn. 271 ff. Ähnlich Köhler, AT, S. 467. Häufig aber kombinierend mit der Lehre von der konkreten Gefährdung: Heinrich, AT, Rn. 755; SK/Jäger, § 22 Rn. 43. Dagegen LK12/Hillenkamp, § 22 Rn. 148. 24  Überwiegend wird die unmittelbare Gefährdung für das Rechtsgut als entscheidendes Kriterium für den Versuchsbeginn des Garanten anerkannt: Heinrich, AT, Rn. 755; Kühl, AT, § 18 Rn. 148 f. jeweils m. w. N. 25  Murmann, GK, 29 Rn. 113; Zaczyk, Unrecht, S. 319. Wohl auch Roxin, AT II, § 29 Rn. 274; SK/Jäger, § 22 Rn. 43. 26  Zu undifferenziert deshalb Jakobs, ZStW 97 (1985), 758, der bereits dann einen beendeten täterschaftlichen Versuch annimmt, wenn der Beschützergarant den Begehungstäter zu einer Straftat gegen den Schützling anstiftet und das weitere Geschehen aus der Hand gibt. Vielmehr muss für den Versuch das Verlieren der Herrschaft des Garanten so weit gehen, dass eine rechtzeitige und sichere Rettungsmöglichkeit normativ nur eine Fiktion ist. 27  Eine Zueignungsabsicht in Form der Drittzueignungsabsicht setzt nicht eine aktive Beteiligung an der Wegnahme oder Verfügung der Sache voraus. So aber MK/ Schmitz, § 242 Rn. 187; Roxin, AT II, § 31 Rn. 140; Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Kudlich, § 242 Rn. 59. Wenn man wie hier eine faktische Verletzungsmacht des garantenpflichtwidrigen Unterlassens anerkennt, kann eine Verletzung der Beschützerpflicht, deren Schutzzweck in der Verhinderung einer unbefugten Wegnahme mit Zueignungsabsicht besteht, das Potential haben, dem Dritten eine eigentümerähnliche Herrschaftsposition über die Sache einzuräumen. Schreitet der Vater oder ein Wächter

392

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

nahmen“ stellen sich keinesfalls als Widerspruch im Rahmen des hier vertretenen Konzepts dar, sondern haben ihren Grund darin, dass die genannten Tatbestandsmerkmale gemeinsam mit der Pflichtstellung das Tatbestands­ unrecht konstituieren. Das Fehlen dieser Merkmale führt deshalb notwendig zur Verneinung des Tatbestandsunrechts und damit der Täterschaft. Eine Teilnahme des Beschützergaranten bleibt indes unberührt, soweit die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Neuerdings hat Noll eine „modifizierte Pflichtdeliktslehre“ entwickelt. Die Besonderheit dieser Theorie besteht insbesondere darin, dass der von ihm anerkannte Umfang der Teilnahme durch Unterlassen im Vergleich zu der herkömmlichen Pflichtdeliktslehre teilweise enger gefasst ist. Wenn etwa beim Beschützergaranten das besondere subjektive Tatbestandsunrechtsmerkmal (wie etwa die Bereicherungsabsicht bei § 263 StGB) fehle, scheide auch eine Teilnahmestrafbarkeit durch Unterlassen aus. Denn „[e]ine Zurechnung überschießender subjektiver Unrechtsmerkmale kann dadurch [sc. durch „eine Partizipation am Handlungsunrecht des Aktiven“] nicht legitimiert werden“.28 Dem liegt ein Missverständnis der Akzessorietät der Teilnahme zugrunde. Die Akzessorietät der Teilnahme ermöglicht keine Zurechnung solcher Unrechtsabsicht als eigene, sondern, bei Beihilfe durch Unterlassen, eine Zurechnung eines Teils des Tatbestandsunrechts, an dem der Beschützergarant durch sein pflichtwidriges Unterlassen teilgenommen hat. Noll hat insoweit also den Zurechnungsgegenstand verwechselt. Darüber hinaus führt die Ansicht Nolls auch zu unerträglichen Strafbarkeitslücken. Wenn nämlich der Beschützergarant ohne Unrechtsabsicht nicht aufgrund der Zurechnung fremden Tatbestandsunrechts als Teilnehmer durch Unterlassen bestraft werden könnte, muss er nach Nolls Ansicht straflos bleiben.29 Noll sieht hier keine bedenkliche Strafbarkeitslücke, weil das Rechtsgut des Opfers durch die Strafbarkeit der Begehungstat ausreichend geschützt werde.30 Dem steht aber entgegen, dass das Rechtsgut des Opfers gerade auf die positive Leistung des Beschützergaranten angewiesen ist und der Beschützergarant auch durch sein pflichtwidriges Unterlassen die Rechtsposition des Opfers bereits verschlechtert hat. In dieser Verschlechterung der fremden Position liegt ein strafwürdiges Unrecht, das das Rechtsverhältnis zwischen dem Garanten und dem Opfer betrifft und damit nicht von der Verletzung des pflichtwidrig nicht gegen die Wegnahme des von ihm zu schützenden Eigentums des Kindes bzw. des Kunden durch einen Dritten mit Zueignungsabsicht ein, ist er Täter durch Unterlassen, wenn er durch dieses Unterlassen dem Dieb eine eigentümerähnliche Herrschaftsposition über die Sache einräumen will. So auch NK/Kindhäuser, § 242 Rn. 132. 28  Noll, ZStW 130 (2018), 1023 f. (Hervorhebung im Original). 29  Noll, ZStW 130 (2018), 1024. 30  Noll, ZStW 130 (2018), 1024.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen393

Rechtsverhältnisses zwischen dem Begehungstäter und dem Opfer umfasst sein kann. 7. Exkurs: Kritik der Gehilfentheorie Wenn die Verletzung einer Beschützerpflicht in der Regel, also unabhängig von der Vollverantwortlichkeit des Begehungstäters eine Täterschaft begründet, erweist sich die gegenteilige These der Gehilfentheorie, dass eine solche Verletzung grundsätzlich nur eine Teilnahme begründet, bereits insoweit als nicht überzeugend und zu pauschal. Diese Befunde werden im Folgenden noch durch eine Kritik der Gehilfentheorie bekräftigt. a) Allgemeine Akzessorietät des Garantenunterlassens? Als Vertreter einer strengen Gehilfentheorie versucht Ranft die allgemeine Akzessorietät des Garantenunterlassens zu beweisen. Nach Ranft kommt das akzessorische Unrecht des Garanten in vielen Aspekten zur Sprache: Das tatbestandsmäßige Unrecht des Garanten soll von der Tatverwirklichung und insbesondere von dem Vorsatz des Begehungstäters abhängig gemacht wer­ den;31 aber auch die „objektive Pflichtwidrigkeit“ des Garanten sei auf die Unrechtsverwirklichung des aktiven Handelnden angewiesen.32 Zum Beweis der Abhängigkeit des Garantenunrechts von der Tatverwirk­ lichung oder dem Vorsatz des Aktiven führt Ranft aus, dass „der aktive Haupttäter Art und Umfang des Rechtsgutsangriffs [bestimmt] und damit auch dem Unterlassungsdelikt Richtung und Gestalt [verleiht]“. „Der Aktive entscheidet ferner über das Vorangehen des Verletzungsgeschehens und löst damit die konkrete Handlungspflicht des Garanten aus.“33 Insbesondere könne der Garant ohne Kenntnis des Vorsatzes des Begehungstäters nicht erkennen, „ob das Schutzgut überhaupt bedroht ist, welcher Art die Bedrohung ist und ob sich dementsprechend die Garantiepflicht auf die Art der Bedrohung erstreckt“.34 Zur Begründung der Abhängigkeit der objektiven Pflichtwidrigkeit des Garanten zieht Ranft die sogenannte „Drittwirkung von Rechtfertigungsgründen“ heran.35 Danach wird die objektive Pflichtwidrigkeit des Garanten durch Rechtsfertigungsgründe, die nur dem Begehungstäter zugesprochen werden, notwendig beschränkt. ZStW ZStW 33  Ranft, ZStW 34  Ranft, ZStW 35  Ranft, ZStW 31  Ranft, 32  Ranft,

94 94 94 94 94

(1982), (1982), (1982), (1982), (1982),

829 ff. 839 ff. 832. 833. 842.

394

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

„Beeinträchtigt der Aktive das Schutzgut, für das der Garant ‚auf Posten gestellt ist‘, auf Grund eines Rechtfertigungsgrundes, z. B. auf Grund der Einwilligung oder der Notwehr, so ist es dem Garanten verwehrt, den Aktiven an der Schutzgutsbeeinträchtigung zu hindern. Denn Rechtfertigungsgründe verleihen Rechte; die Rechtsordnung würde sich aber mit sich selbst in Widerspruch setzen, wollte sie einer Person ein Recht zum Eingriff, einer anderen Person aber ein Recht verleihen, diesen Eingriff zu verhindern.“36

Die These von Ranft, dass das Unrecht des eine Straftat nicht verhindernden Garanten immer von dem des Begehungstäters abhängig sei, scheitert indes daran, dass Ranft nicht wie hier positiv die Pflichtstellung des einzelnen Garanten zum Opfer bestimmt und dann untersucht, ob die Reichweite der von dem Garanten verletzten Verhaltensnorm der Zurechnungsstruktur der Täterschaft oder Teilnahme entspricht, sondern eher intuitiv einige von ihm als nützlich angesehene Beispiele anführt, um seine These zu beweisen. Wenn sich aber die Lösungen dieser Beispiele letztendlich als nicht überzeugend erweisen, muss der Begründungsversuch Ranfts als gescheitert beurteilt werden. Zur Begründung der Abhängigkeit von der Tatverwirklichung sowie vom Vorsatz des Begehungstäters sind die Beweisführungen Ranfts nicht ausreichend. Er schreibt zwar mit gewissem Recht, ob die Garantenpflicht überhaupt ausgelöst werde, werde durch den Tatentschluss des Begehungstäters und die Entwicklung seiner Tat bestimmt. Nochmals ein Beispiel aus Ranfts Argumentation: „Ob die Mutter, die sich ihrem Kind mit einem Schal nähert, das Kind wärmen oder erdrosseln will – davon hängt die Eingriffspflicht des Vaters des Kindes ab.“37 Mit diesem Beispiel wird aber nur bewiesen, dass die Entstehung einer Garantenpflicht von der Entstehung einer rechtlich missbilligten Gefahr für das Opfer abhängig ist. Das ist aber nur eine allgemeine Voraussetzung der Entstehung einer Garantenpflicht.38 Bewiesen ist nur, dass ohne diese Gefahr durch einen Begehungstäter eine Garantenpflicht zur deren Verhinderung bzw. Erschwerung gar nicht entstünde. Ob das Unrecht des Garanten vom Unrecht des Begehungstäters abhängig ist, ist damit noch nicht erwiesen. Wenn man wie Ranft eine solche „Abhängigkeit der Pflichtentstehung“ mit der „Abhängigkeit von der Verletzungsmacht“ verwechselt, müsste man eine Abhängigkeit des Garantenunrechts von eventueller „Fahrlässigkeit“ des Begehungstäters oder sogar von einer Naturgewalt annehmen, denn die Gefahr aufgrund eines fahrlässigen Verhaltens oder einer

ZStW 94 (1982), 839. ZStW 94 (1982), 833. 38  Siehe bereits Schwab, Täterschaft, S. 152. 36  Ranft, 37  Ranft,



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen395

Naturgewalt kann ebenfalls eine Garantenpflicht begründet.39 Das wäre ein Ergebnis, das Ranft selbst auch nicht annehmen will.40 Aber auch die Beweisführung zur Begründung der Abhängigkeit der objektiven Pflichtwidrigkeit des Garantenunrechts von dem des Begehungstäters überzeugt nicht. Wenn das Opfer in den Angriff des Begehungstäters einwilligt, entsteht überhaupt keine Garantenpflicht zur Verhinderung dieses „Angriffs“.41 Denn eine Garantenpflicht legitimiert sich dadurch, dass sie zur Freiheitsverwirklichung beitragen kann. Wenn aber das „Opfer“ durch die Einwilligung sein Rechtsverhältnis zum „Begehungstäter“ frei gestaltet, wäre eine Garantenpflicht zur Verhinderung dessen „Angriffs“ freiheitsschädlich für das „Opfer“. Eine Garantenpflicht entsteht auch dann nicht, wenn seitens des positiven Tuns ein Rechtfertigungsgrund wie Notwehr eingreift. Denn das Opfer hat rechtlich den Eingriff des Begehungstäters zu dulden und die Garantenpflicht zur Verhinderung dieses Eingriffs würde die Duldungspflicht des Opfers leerlaufen lassen.42 In allen diesen Fällen handelt es sich ersichtlich nicht um die „Erstreckung von Rechtfertigungs­ gründen“,43 sondern um Gründe gegen die Entstehung einer Garantenpflicht. Deshalb kann nicht mit Ranft davon ausgegangen werden, dass die Verletzung einer einmal begründeten Garantenpflicht und das daraus abgeleitete Garantenunrecht von dem (gerechtfertigten) Unrecht des Begehungstäters abhängig wären. Abgesehen von diesen systeminternen Kritiken legt Ranft wie die anderen Vertreter der Gehilfentheorie zu viel Gewicht auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Garanten und dem Begehungstäter und übersieht daher die mögliche täterschaftliche Pflichtstellung des Garanten gegenüber dem Opfer.

Täterschaft, S.  152 f.; Pariona Arana, Täterschaft, S. 195. FS-Otto, S. 410 nimmt bei fahrlässigem Begehungstäter unmittelbare Unterlassungstäterschaft an. 41  Im Ergebnis auch Noll, ZStW 130 (2018), 1017  f.; Schwab, Täterschaft, S. 153, Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 306. 42  Noll, ZStW 130 (2018), 1017 f.; Sering, Beihilfe, S. 39. Wenn es sich um eine Beschützergarantenstellung handelt, trifft den Garanten wohl nach dem Ende des Angriffs des Begehungstäters eine Garantenpflicht, das angegriffene Opfer zu retten. Unterlässt er es, diese Rettungsmaßnahme einzuleiten, ist der Beschützergarant als unmittelbarer Täter zu bestrafen, denn in diesem Fall erstreckt sich die Garantenpflicht auf die Erfolgsverhinderung und die Verletzungsmacht des Garanten ist mit der Verletzungsmacht desjenigen vergleichbar, der eine Gefahr aus einer Naturgewalt nicht verhindert. Dazu Noll, ZStW 130 (2018), 1011, 1018, 1022. 43  Ranft, ZStW 94 (1982), 840. 39  Schwab, 40  Ranft,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

b) Fehlerhafte Bestimmung der Verletzungsmacht des pflichtwidrigen Garanten als „negative Entscheidungsmacht“ Auch wenn die allgemeine Akzessorietät des Garantenunrechts nicht wie bei Ranft intuitiv begründet wird, könnten die Vertreter der Gehilfentheorie das teilnehmerschaftliche Unrecht des Garanten zu begründen versuchen, indem sie eine allgemeine abstrakte Ansicht heranziehen: Dass der unterlassende Garant neben einem Begehungstäter in der Regel nur als Gehilfe der von diesem Begehungstäter begangenen Straftat anzusehen sei, beruht wohl auf der Prämisse, dass der Garant im Verhältnis zum Begehungstäter nur eine „negative Entscheidungsmacht“ darüber habe, ob der Erfolg nicht eintritt, nicht aber eine positive Entscheidungsmacht, ob er eintritt.44 Diese Prämisse wäre nur dann berechtigt, wenn die Verletzungsmacht des garantenpflichtwidrigen Unterlassens auf die „Erfolgsverhinderungsmöglichkeit“ reduziert wäre. Die Verletzungsmacht eines Garanten erschöpft sich allerdings nicht in der „Erfolgsverhinderungsmöglichkeit“ bzw. im Unterlassen einer bestimmten Rettungshandlung, sondern weist wie diejenige des Begehungstäters einen faktischen Verschlechterungscharakter in Hinblick auf ein bestimmtes Rechtsgut des Opfers auf. Indem er dem Opfer einen ihm rechtlich zugesprochenen Anspruch entzieht, für den er als Garant wegen eines ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses zuständig ist, verletzt er auch die Rechtsposition des Opfers und lässt nicht nur die Begehungstat weiterlaufen. Insoweit darf man auch von einer „positiven“ Entscheidung des Garanten über das Schicksal des Opfers sprechen. Wenn sich der Schutzzweck der Garantenpflicht gerade auf die Erfolgsverhinderung oder Straftatverhinderung erstreckt, erlangt der Garant durch diese positive Entscheidung sogar eine Tat­herrschaft über sein Rechtsverhältnis zum Opfer. In diesem Zusammenhang verdient der Ansatz der „überlegenen Hemmungsherrschaft“ bei Mosenheuer Kritik. Sein Ausgangspunkt ist, dass der Garant gegenüber dem Begehungstäter nur negative Entscheidungsherrschaft besitzt und grundsätzlich nur als Gehilfe betrachtet werden kann.45 Fehle es aber bei dem Begehungstäter an notwendigen Hemmungsmotiven, etwa an Vorsatz oder Schuld, habe der Garant gegenüber dem Begehungstäter über­ legene Hemmungsherrschaft, sei also der pflichtwidrige Garant als Täter zu bestrafen.46 Die von Mosenheuer vertretene Ansicht der „überlegenen Hemmungsherrschaft“ stellt letztendlich aber keine selbständige Theorie dar, sondern kombiniert die fehlerhaften Thesen der Gehilfentheorie: 44  Ausdrücklich

Mosenheuer, Unterlassen, S. 195. Unterlassen, S. 194 f. 46  Mosenheuer, Unterlassen, S. 196 ff. Ähnlich Bottke, FS-Rudolphi, S. 43 f. 45  Mosenheuer,



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen397

Erstens wird die Verletzungsmacht des Garanten allgemein unzutreffend auf die „negative Entscheidungsmacht“ beschränkt und zweitens greift die Abgrenzung nach dem Vorhandensein einer Hemmungsherrschaft des Begehungstäters zu kurz: Die von Mosenheuer bezeichnete Hemmungsherrschaft wird gerade negativ dadurch bestimmt, ob bei dem Begehungstäter der Vorsatz oder die Schuld fehlt. Das erinnert an die herrschende „Defizitdogmatik“ zur Unterscheidung zwischen Anstiftung und mittelbarer Täterschaft. Auch dort wird die mittelbare Täterschaft nicht selten negativ danach bestimmt, ob bei dem Vordermann ein rechtlich relevantes Defizit vorliegt oder nicht. Aber das Vorhandensein eines rechtlich relevanten Defizits kann allein nicht die Herrschaftsmacht des Hintermannes oder des Garanten begründen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Hintermann oder der Garant rechtlich zugunsten des Opfers für dieses Defizit zuständig ist. Das Rechtsverhältnis des Garanten zum Opfer bleibt dadurch außer Acht. Es überrascht deshalb auch nicht, wenn Mosenheuer die Möglichkeit gänzlich verkennt, dass in manchen Fällen der Garant trotz der „überlegenen Hemmungsmacht“ – d. h. wohl der Vollverantwortlichkeit – des Begehungstäters noch seine Rechtsverhältnisverletzung beherrschen kann.

IV. Die Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters als Grund für die Reduzierung des Schutzzwecks der Garantenpflicht auf die Taterschwerung 1. Grundsätzliches Trotz der oben geübten Kritik an der Gehilfentheorie hat diese Theorie die beachtliche These hervorgebracht, dass es ein wesentlicher Unterschied sei, ob die von dem Garanten zu verhindernde Gefahr aus einer Naturgewalt oder aus einem von einem freien menschlichen Willen getragenen Verhalten resultiert. Daraus schließen die Vertreter der Gehilfentheorie, dass in letzterem Fall die positive Entscheidungsmacht des Begehungstäters den Garanten in die sekundäre Position der Teilnahme einrücke, während der Garant bei der Gefahr aus einer Naturgewalt der einzige sei, der über den Eintritt des Erfolges eine Entscheidung treffen könne, und daher als Täter zu bestrafen sei.47 Auch wenn diese These bei der Verletzung einer Beschützerpflicht an ihre Grenzen stößt, liefert sie doch einen entscheidenden Grund dafür, dass bei der Verletzung einer Überwachungspflicht die Reichweite bzw. der Schutzzweck der Garantenpflicht wegen der rechtlichen Vollverantwortlichkeit des

47  Mosenheuer,

Unterlassen, S. 195.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Begehungstäters auf die Taterschwerung beschränkt sein kann. Hierzu hat Murmann prägnant geschrieben:48 „Denn eine Verpflichtung, eine eigenverantwortliche Person von einem Verhalten abzubringen, kann nur als Einwirkung auf deren Freiheit verstanden werden. Handelt der Begehungstäter eigenverantwortlich, so bleibt sein Rechtsverhältnis zu dem Garanten trotz dessen Überwachungspflicht durch die personale Freiheit des Begehungs­täters geprägt, welche einer Verpflichtung des Garanten, das Verhalten des Begehungstäters vollständig zu determinieren, entgegen steht.“49 Die Annahme einer Tatverhinderungspflicht in diesem Fall würde also bedeuten, dass der Überwachungsgarant die Straftat des vollverantwortlichen Begehungstäters insgesamt in Frage stellen müsste, indem er den Verletzungs­willen des Begehungstäters bis zum Verzicht auf diese Straftat vollständig überdeterminiert. Das würde indes mit dem Postulat in Konflikt stehen, dass die Rechtsordnung gerade von einer freien Verantwortlichkeit des Begehungstäters ausgeht und das verletzte Rechtsverhältnis von dem Begehungstäter und seiner freien Entscheidung geprägt wird.

Man könnte dies mittels normentheoretischer Überlegungen auch so umformulieren, dass in diesem Fall die von dem Vollverantwortlichen verletzte Verhaltensnorm eine hinreichende Schutzwirkung für das Rechtsgut des Opfers entfaltet und die zusätzliche Herstellung einer anderen täterschaftlichen Verhaltensnorm gegen die Einwirkung auf diese Verletzung überflüssig ist. Es liegt deshalb auch nicht fern, dass man dementsprechend die Einwirkung auf diese Rechtsverhältnisverletzung eines anderen in die sekundäre Teilnahmeposition einrückt. Dies ist dann der Fall, wenn die in Rede stehende Beteiligungshandlung anhand ihrer Beschaffenheit zum Zeitpunkt des Handelns nicht als eine ausreichende Bedingung für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges bewertet werden kann. Für die Rechtsverletzung des Opfers bedarf es noch eines unmittelbaren Verletzungswillens des Haupttäters. Erst mit der Entscheidung des Haupttäters, den Tatbeitrag des Hilfeleistenden in seine Handlung zu integrieren und ins Versuchsstadium überzugehen, erlangt der Hilfeleistende mittelbare Verletzungsmacht. Die Beschaffenheit der Hilfehandlung und die Entscheidung des Haupttäters für die unmittelbare Rechtsverletzung mit dieser Hilfeleistung beschränken die Reichweite des Hilfeleistenden auf die Risikoerhöhung der Haupttat. Das gilt auch für garantenpflichtwidriges Unterlassens. Im Folgenden soll dieser Gedanke anhand einiger klassischer Fälle verdeutlicht werden.

48  Zum

folgenden Murmann, FS-Beulke, S. 192. FS-Beulke, S. 192.

49  Murmann,



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen399

2. Garantenpflicht zur Überwachung einer gefährlichen Sache, deren Gefahr für das Rechtsgut vom Eingreifen eines menschlichen Verletzungswillens abhängig ist Wer eine gefährliche Sache verwaltet, deren Gefährlichkeit für das Opfer in der Regel erst durch eine menschliche Handlung ausgelöst werden kann, verpflichtet sich nur dazu, dass ein Unbefugter auf die Sache nicht zugreifen kann, nicht aber dazu, dessen spätere Straftat mit dieser gefährlichen Sache zu verhindern.50 Denn die tatbestandsmäßige Gefahr für das Rechtsgut wird nicht bereits durch den Zugriff auf die gefährliche Sache hergestellt, sondern erst durch eine freie Entscheidung des Unbefugten, mit dieser Sache in das Versuchsstadium einer Straftat überzugehen. Weil aber zum Zeitpunkt des pflichtwidrigen Unterlassens diese Entscheidung des Unbefugten gar nicht festgestellt werden kann und die Rechtsordnung auf eine rechtmäßige Entscheidung des Unbefugten vertrauen darf, muss die Entscheidung zur Tatbegehung mit der Sache bei der Bestimmung der Reichweite der Verhaltensnorm gegenüber dem Sicherungsgaranten außer Acht bleiben. Damit wird eine axiologische Gleichstellung von positivem Versorgen der gefährlichen Sache und Nichtverhinderung des Zugriffs eines Unbefugten auf diese Sache begründet,51 denn die dort einschlägigen Verhaltensnormen dienen dem gleichen Zweck, einen unbefugten Zugriff auf die gefährliche Sache und somit die Gefahr­erhöhung einer möglichen Haupttatbegehung zu vermeiden. 3. Garantenpflicht zur Überwachung eines vollverantwortlichen Handelnden Gleiches gilt auch für die Überwachungspflicht gegenüber einem Vollverantwortlichen. Eine solche Überwachungsgarantenpflicht ist wegen der Vollverantwortlichkeit des zu Überwachenden nur in eher seltenen Fällen anzuerkennen. Die Gründe für solche Überwachung stellen letztlich darauf ab, dass der zu Überwachende trotz seiner rechtlichen Vollverantwortlichkeit immer

50  Im Hinblick auf den Sicherungsgaranten im Ergebnis auch so, ohne aber weiter nach der Beschaffenheit der zu überwachenden Sache zu differenzieren: Herzberg, TuT, S.  97 f.; Jakobs, AT, § 29 Rn. 101; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 38 Rn. 73; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 136; Rauber, Mord, S. 348; Renzikowski, Täterbegriff, S. 143; Vogel, Norm, S. 282 ff. Wie hier wohl auch MK4/Freund, § 13 Rn. 272, 276. Die Begrenzung der Garantenpflicht gilt aber aufgrund der unterschiedlichen Handlungsstrukturen bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten nicht für Fahrlässigkeitsdelikte. Dazu oben Fn. 33, S. 260. 51  Vgl. auch Jakobs, Theorie, S.  58; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 136; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 152.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

noch ein gewisses Gefährdungspotential für andere aufweist und unter fremder Überwachung stehen soll. Schreitet ein Aufseher einer Anstalt etwa nicht gegen das Entweichen eines vollverantwortlichen Gefangenen ein, der später das Opfer vergewaltigt, kann der Aufseher nicht als Täter dieser Vergewaltigung angesehen werden, auch wenn er um den Tatplan des Gefangenen weiß und dementsprechend dessen Entweichen vorsätzlich nicht verhindert.52 Denn das Überwachungsrechtsverhältnis zwischen dem Aufseher und dem Gefangenen gründet sich nur darauf, dass damit der Gefangene nicht mehr fähig zur Tatbegehung gegen ein Opfer außerhalb der Anstalt ist. Ob aber der entweichende Gefangene eine Straftat begeht, kann zum Zeitpunkt der Begründung dieses Überwachungsverhältnisses nicht festgestellt werden. Deshalb kann eine solche abstrakte Gefahr für das Opfer nicht von dem Überwachungszweck erfasst werden. Die Überwachungspflicht des Aufsehers dient nur zur Erschwerung der möglichen Straftat des Gefangenen nach dem Entweichen. Das pflichtwidrige Unterlassen des Aufsehers ermöglicht oder erhöht damit nur die Wahrscheinlichkeit der Vergewaltigung durch den Gefangenen, der unterlassende Aufseher ist somit nur ein Gehilfe der Vergewaltigung. 4. Exkurs: Garantenpflichtwidriges Unterlassen als mittelbare Rechtsverletzung. Zugleich eine Kritik der Pflichtdeliktslehre Bereits durch die oben angeführten Beispiele einer Teilnahme durch Unterlassen und den dafür gelieferten Begründungen wird die Kernthese der Pflichtdeliktslehre, dass ein akzessorischer Rechtsgutsangriff wegen des unmittelbaren Rechtsverletzungsverhältnisses zwischen dem Garanten und dem Opfer grundsätzlich nicht möglich sei, in Frage gestellt. Diese Kritik soll im Folgenden durch andere beteiligungsspezifische Einwände gegen die Pflichtdeliktslehre ergänzt werden. a) Unfähigkeit der „klassischen“ Pflichtdeliktslehre zur Erklärung der Teilnahme durch Unterlassen Dass auch die Vertreter der Pflichtdeliktslehre ausnahmsweise von der Möglichkeit einer „echten“ Teilnahme durch Unterlassen ausgehen, wurde 52  A. A. für Täterschaft aber Haas, ZIS 2011, 396; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 131; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 155. Dass der Überwachungsgarant für das Verhalten des zu Überwachenden verantwortlich sein soll, kann aber allein nicht legitimieren, dem Garanten das tatbestandsmäßige Verhalten des zu Überwachenden als eigenes zuzurechnen!



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen401

oben bereits dargestellt. Das sei dann der Fall, wenn beim Garanten eine gesetzliche Eigenschaft bzw. eine subjektive Unrechtsabsicht fehle oder der in Rede stehende Tatbestand überhaupt nicht durch Unterlassen verwirklicht werde. Wenn der Garant z. B. ohne Zueignungsabsicht die Verletzung des zu schützenden Vermögens pflichtwidrig nicht verhindert, soll er nur als Teilnehmer gelten.53 Solche Ausnahmen sind nach der Selbsteinschätzung der Vertreter der Pflichtdeliktslehre keine systeminternen Widersprüche. Denn die Pflichtverletzung begründe nur die Eigenschaft der Täterschaft,54 für die Tatbestandsverwirklichung bedürfe es noch der Erfüllung anderer gesetzlicher Tatbestandsmerkmale. Das ist zwar unter der Prämisse von Täterschaft als Tatbestandsverwirklichung vertretbar, erklärt aber nicht, warum in diesen Fällen die Verletzungsmacht des Garanten als akzessorische Rechtsverletzung interpretiert werden kann. Die Teilnahme lässt sich nicht automatisch durch die Verneinung der Tatbestandsverwirklichung begründen. Aber auch bei den anderen von der Pflichtdeliktslehre anerkannten Fälle von Teilnahme durch Unterlassen, etwa wenn der Garant die Hilfeleistung des von ihm zu Überwachenden nicht verhindert,55 lässt sich das Unvermögen der Pflichtdeliktslehre, solche Fälle mit der Teilnahmeregel zu erklären, leicht dokumentieren. Die Vertreter der Pflichtdeliktslehre nehmen hier entweder einen „Unterlassungstäter einer Beihilfe oder Anstiftung“ an56 oder wollen nur die Teilnahmeregeln als Auffangregelungen57 „entsprechend“ auf diese Fälle anwenden. Indes sind sowohl die Bezeichnungen „Unterlassungstäter einer Beihilfe“ als auch „entsprechende Anwendung“ der Teilnahmeregel irreführend und sachwidrig. Wenn den Garanten keine Schutzpflicht gegenüber dem Opfer oder keine Überwachungspflicht gegenüber dem (angestifteten) Täter trifft und der von dem Garanten zu Überwachende nur das Unrecht der Teilnahme verwirklicht, verwirklicht der Garant nur das Unrecht der Teilnahme,58 denn er ist nur für die von ihm zu überwachende Gefahr, die nur dem Teilnahmeunrecht entspricht, zuständig. Der Garant ist ein „Anstifter bzw. Gehilfe durch Unterlassen“, und die Teilnahmeregel muss auf diese Fälle uneingeschränkt angewandt werden.

AT II, § 31 Rn. 140. Arana, Täterschaft, S.  79 f. 55  Roxin, AT II, § 31 Rn. 144. 56  Roxin, AT II, § 31 Rn. 144; Bloy, JA 1987, 497; Bachmann/Eichinger, JA 2011, 510. 57  Bloy, JA 1987, 494. 58  Insoweit zutreffend Freund, Erfolgsdelikt, S. 251; Haas, ZIS 2011, 397; Robles Planas, GA 2012, 290. 53  Roxin,

54  Pariona

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

b) Die Strafmilderungsmöglichkeit des § 13 II StGB als Rettungsanker? Bei den oben erwähnten Beispielen ebenso wie bei den Fällen, bei denen sich die Reichweite der Garantenpflicht nicht auf die Erfolgsverhinderung erstreckt, muss der Garant nach der Pflichtdeliktslehre unzutreffend zum Täter „heraufgestuft“ werden. Diese Kritik kann aber nicht dadurch entkräftet werden, dass der Strafrahmen für den Unterlassenden in diesem Fall auf den der Beihilfe reduziert werden sollte.59 Diese Verteidigung ist ein lückenhafter Notbehelf. Wenn der Gehilfe vorher durch seine Hilfeleistung nur das Risiko der Haupttatbegehung erhöht oder nur eine Gefahrerhöhung der Haupttat nicht verhindert hat, hat er nur die Pflicht, die Auswirkung seiner Hilfeleistung zu neutralisieren oder sie zurückzunehmen, nicht aber den Erfolg insgesamt zu verhindern.60 Nur die Beteiligungsformenlehre, nicht aber die Strafzumessungslehre kann dieses begrenzte Teilnahmeunrecht des Garanten gegenüber der Begehungstäterschaft angemessen reflektieren. Roxin sieht insoweit auch die Härte der Pflichtdeliktslehre, versucht aber diese Härte in ähnlicher Weise, und zwar mithilfe des § 13 II StGB zu mildern.61 Damit setzt er sich dem gleichen Vorwurf aus. Darüber hinaus ist Roxin dieser Weg eigentlich versperrt, denn wie er andernorts ausgeführt hat, liegt der Strafmilderungsmöglichkeit nach § 13 II StGB zugrunde, dass der Garant wegen möglicher Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit im konkreten Einzelfall seiner Garantenpflicht nur schwerlich nachkommen kann.62 Die Härte einer Annahme von Täterschaft entspricht ersichtlich nicht der Ratio dieser Strafmilderungsvorschrift, soweit der Garant im Einzelfall unschwer seine Pflicht erfüllen kann.63 c) Positive Begründung für garantenpflichtwidriges Unterlassen als akzessorische Rechtsgutsverletzung Ob der Garant unmittelbar oder nur mittelbar über einen anderen das Rechtsgut verletzen kann, lässt sich nicht von dem Kriterium für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme loslösen. Wer ohne eine vorherige detaillierte Analyse der Handlungs- und Zurechnungsstrukturen von TäterKaufmann, Dogmatik, S. 300 ff. Ergebnis auch Renzikowski, Täterbegriff, S. 141 f., 146, und Welp, Vorangegangenes Tun, S. 280 ff.; sie lehnen aber bereits die Garantenpflicht (sc. zur Erfolgsverhinderung) aus vorsätzlicher Teilnahmehandlung ab. Vgl. auch Jakobs, Theorie, S. 58, der hier aber nur eine Obliegenheitsverletzung annimmt. 61  Roxin, AT II, § 31 Rn. 145. 62  Insbesondere Roxin, Strafmilderung, S. 271, 277 ff. 63  Vgl. auch Schwab, Täterschaft, S. 176. 59  Armin 60  Im



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen403

schaft und Teilnahme die Selbständigkeit bzw. Akzessorietät des garantenpflichtwidrigen Unterlassens konstatiert, gelangt zu einer tautologischen Position. Nach dem hier vertretenen Ansatz liegt eine mittelbare Rechtsgutsverletzung der Teilnahme dann vor, wenn der Handelnde nur bei Eingreifen eines fremden Verletzungswillens das Rechtsgut verletzen kann. Dieses Kriterium kann ohne Schwierigkeiten auf das garantenpflichtwidrige Unterlassen angewandt werden. Wenn der Garant etwa einen Zugriff eines unbefugten Dritten auf die von ihm zu überwachende gefährliche Sache, deren Gefährlichkeit für das Rechtsgut erst durch ein menschliches Verhalten hergestellt werden kann, nicht verhindert, kann er nicht einfach durch sein pflichtwidriges Unterlassen das Rechtsgut verletzen. Dafür bedarf es vielmehr noch des Ver­ letzungswillens des Begehungstäters, mit dieser Sache das Rechtsgut zu verletzen. Gleiches gilt auch dann, wenn der Garant durch seine vorherige fahr­ lässige oder vorsätzliche Handlung erst den Tatentschluss des Begehungstäters auslöst. Schafft etwa bei den sogenannten Weiterungsfällen64 der Garant durch seine vorherige Gewalthandlung an dem Opfer einen Tötungsentschluss des Begehungstäters, aber keine Lebensgefahr für das Opfer, kann sein Unterlassen, von diesem Tötungsentschluss abzuraten, nur eine Teilnahme begründen, denn zur Tötung des Opfers bedarf es über das Unterlassen hinaus noch eines Tötungswillens des Begehungstäters. Auch die von der Pflichtdeliktslehre anerkannten Fälle von Teilnahme durch Unterlassen können mit dieser Unrechtsstruktur der Teilnahme geklärt werden. Verhindert der Garant nicht eine Anstiftung oder Hilfeleistung des von ihm zu Überwachenden, ist er nur Teilnehmer. Denn Nichtverhinderung einer Auslösung des Tatentschlusses bzw. einer Hilfeleistung verschlechtert die Rechtsposition des Opfers nur insoweit, als sie die Ermöglichung der Haupttat bzw. Gefahrerhöhung der Haupttat nicht verhindert; sie verletzt aber das Rechtsgut des Opfers nicht unmittelbar. Ob das Rechtsgut verletzt wird, hängt noch von dem Verletzungswillen des Begehungstäters und dessen Versuch ab. Mit diesen Beispielen werden die obigen Ausführungen über die Relevanz der Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters zur Reduzierung der Pflichtstellung des Garanten bestätigt: Bei bestimmten Arten von Überwachungsgarantenstellung reduziert die Eigenverantwortlichkeit des Begehungs­ täters die Reichweite der Garantenpflicht auf die Vermeidung einer Risiko­ erhöhung der Haupttat. Wenn die Pflichtdeliktslehre trotzdem darauf beharrt, dass zwischen dem Garantenunrecht und dem Begehungsunrecht allenfalls eine „faktische“ Akzessorietät65 des Garantenunrechts vorliege und es nicht notwendig sei, das Garantenunrecht (teilweise) aus dem Unrecht des Bege64  Siehe 65  Bloy,

oben S. 183 ff. JA 1987, 493.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

hungstäters abzuleiten, zieht sie nicht selten Fälle von Beschützergarantenstellung zur Begründung ihrer These heran.66 Das ist verständlich und darin liegt der berechtigte Kern der Pflichtdeliktslehre, denn auch nach der hier vertretenen Ansicht ist der Beschützergarant trotz der Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters in der Regel als Täter zu bestrafen, weil der Beschützergarant für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist. Die pflichtwidrige Nichtverhinderung einer auf diesen Erfolg gerichteten fremden Handlung „schafft“ deshalb eine missbilligte Gefahr in Richtung auf diesen Erfolg und begründet die Täterschaft. Bei den oben genannten Beispielen verhält es sich allerdings anders: In diesen Fällen kann von einem Handlungsunrecht des Garanten (im Sinne von mittelbarer Rechtsgutsverletzung) ohne den Verletzungswillen des Begehungstäters und dessen Objektivierung überhaupt nicht die Rede sein. Insgesamt ist festzustellen, dass eine Abschichtung zwischen Erfolgsverhinderungspflichten und Taterschwerungspflichten nicht nur möglich, sondern notwendig ist.67 Die schematische Pflichtdeliktslehre verkennt, dass nicht jede Pflichtverletzung gleiche Bedeutung für die Verletzung des Rechtsverhältnisses hat. Die Beteiligungsformen gründen sich gerade auf unterschiedliches Handlungsunrecht und müssen mit der konkreten Art der Rechtsverhältnisverletzung im Einzelfall verbunden werden. Die schematische Behauptung, „dass die Garantenpflichten als reine Erfolgsabwendungspflichten keine Zurechnung fremden Handlungsunrechts erlauben und daher ungeeignet sind, eine akzessorische Verantwortlichkeit für das vom Begehungstäter verwirklichte tatbestandliche Unrecht zu begründen“,68 vernachlässigt das konkrete Verhaltensunrecht des Garanten und ebnet es ein.69

V. Die Überwachungspflicht mit dem Schutzzweck der Erfolgsverhinderung Damit wird aber nicht behauptet, wie es die „traditionelle“ Pflichtinhaltstheorie getan hat, dass die Eigenverantwortlichkeit des zu Überwachenden in der Regel den Schutzzweck der Überwachungspflicht auf die Taterschwerung reduziere. Vielmehr sprechen einige rationale Gründe dafür, in anderen Fällen davon auszugehen, dass sich der Schutzzweck der Überwachungspflicht auf die Tatverhinderung erstreckt. 66  Exemplarisch Roxin, AT II, § 31 Rn. 157. Kritisch dagegen zutreffend Jakobs, Theorie, S.  57 f. 67  Insofern zutreffend Silva Sánchez, Aufsichtspflichten, S. 76 Fn. 18; Vogel, Norm, S. 281. 68  Bloy, JA 1987, 493. 69  Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 626; S. Walter, Pflichten, S. 161.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen405

1. Täterschaft bei Eingreifen eines nicht vollverantwortlichen Handelnden Wenn in den unter IV. genannten Fällen die Reichweite der Garantenpflicht aufgrund der vollverantwortlichen Tat­herrschaft des Begehungstäters auf die Erschwerung der Haupttat beschränkt ist, liegt es nahe, anzunehmen, dass sich die Reichweite der Garantenpflicht auf die Erfolgsverhinderung erstreckt, wenn der Begehungstäter nicht vollverantwortlich handelt. Wenn der Garant, der eine gefährliche Sache verwaltet, deren Gefahr für das Opfer erst durch ein menschliches Verhalten vermittelt werden kann, den Zugriff eines 5-jährigen Kindes darauf nicht verhindert, ist er Täter eines Köperverletzungsdelikts, das von dem Kind später mit der gefährlichen Sache begangen wird. Denn hier greift der materielle Grund für die Begrenzung der Reichweite der Garantenpflicht, dass zum Zeitpunkt des pflichtwidrigen Unterlassens eine Tatbegehung mit dieser gefährlichen Sache aufgrund der freien Entscheidung des unbefugten Zugreifers noch ungewiss ist, nicht ein. Normativ wird von dem Kind mangels Schuldfähigkeit nicht erwartet, dass es mit der gefährlichen Sache keine Körperverletzung begeht. Die Situation ist deshalb mit jener Konstellation vergleichbar, in welcher der Garant eine gefährliche Sache verwaltet, die ohne Eingreifen eines menschlichen Verhaltens „aus sich selbst“ unmittelbar das fremde Rechtsgut verletzt. Wer aber für eine solche Sache zuständig ist und trotzdem nicht die unmittelbare Rechtsverletzung verhindert, ist als Täter zu bestrafen. Gleiches gilt auch für den Pfleger, der einen rechtswidrigen Angriff des von ihm zu überwachenden schuldlosen Geisteskranken gegen das Opfer nicht rechtzeitig verhindert oder zumindest erschwert.70 Einerseits kann der Geisteskranke keine freie Entscheidung für das Recht oder Unrecht treffen und andererseits hat der Pfleger die Überwachungsaufgabe übergenommen und ist für das Verhalten des Geisteskranken zuständig. Verletzt der Pfleger die Überwachungspflicht aus dieser Zuständigkeit, ist ihm die aus diesem Verhalten resultierende tatbestandsmäßige Gefahr und deren Verwirklichung zuzurechnen. Aber auch wenn der Begehungstäter vorsatzlos handelt, erstreckt sich der Schutzzweck der Überwachungspflicht auf die Tatverhinderung. Wenn etwa der Apotheker nicht dagegen einschreiten, dass sein Angestellter irrtümlich dem Kunden ein von dem Apotheker unsachgemäß aufbewahrtes Gift als Heilmittel abgibt,71 ist der Apotheker Täter für die spätere Rechtsverletzung durch Einnahme des Giftes seitens des Kunden. Denn auch wenn eine umfassende Überwachungsgarantenstellung des Apothekers gegenüber seinem Angestellten wegen der Vollverantwortlichkeit des Angestellten schwie70  Vgl.

auch Vogel, Norm, S. 288.

71  Schönke/Schröder/Heine/Weißer,

§ 25 Rn. 57.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

rig zu begründen ist, verpflichtet sich der Apotheker, den Irrtum des Angestellten auszuschließen und den Kunden zu warnen. Diese Pflicht bezieht sich auf die Überwachung des gefährlichen Gifts, sogar unabhängig davon, ob der Apotheker das Gift sorgfaltswidrig aufbewahrt oder nicht. Man kann zwar mit guten Gründen darauf abstellen, dass der Schutzzweck der Aufbewahrungspflicht auf den unbefugten Zugriff auf das Gift beschränkt sei, damit der Zugreifer nicht mit dessen Hilfe eine Straftat begeht. Eine solche Bestimmung des Schutzzwecks setzt aber voraus, dass der Zugreifer die Gefährlichkeit des Zugriffsgegenstands erkennt. Wenn der Zugreifer aber aus Mangel an Sachverstand oder wegen anderer Umstände die Gefährlichkeit nicht erkennt und das Gift an das gutgläubige Opfer weitergibt, entfällt der Grund für die genannte begrenzte Schutzzweckbestimmung. Die Situation ist dann vergleichbar damit, dass die verwaltete gefährliche Sache unabhängig vom Eingreifen eines menschlichen Verletzungswillens unmittelbar das Opfer gefährden kann und der Überwacher für diese tatbestandsmäßige Gefahr unmittelbar zuständig ist. Der Apotheker, der für die Gefährlichkeit des Giftes zuständig ist, muss deshalb die (fahrlässige) Handlung des Angestellten verhindern bzw. nach der Abgabe den Kunden rechtzeitig warnen. 2. Zuständigkeit für die gefährliche Sache, die unabhängig vom Eingreifen eines menschlichen Verletzungswillens das Rechtsgut gefährden kann Wie im zweiten Teil der Arbeit bereits begründet wurde, erstreckt sich die Pflicht zur Überwachung einer gefährlichen Sache, die unabhängig vom Eingreifen eines menschlichen Verletzungswillens das Rechtsgut unmittelbar gefährden kann, wie etwa ionisierende Strahlen im Sinne von § 309 StGB, auch auf die Verhinderung des tatbestandsmäßigen Erfolges. Wer als Besitzer eines Kampfhunds nicht verhindert, dass der Begehungstäter durch den Kampfhund den Körper des Opfers verletzt, ist unabhängig von der Vollverantwortlichkeit des Begehungstäters Täter durch Unterlassen. Denn die Garantenpflicht des Besitzers zielt nicht nur darauf ab, zu verhindern, dass der Begehungstäter unbefugten Zugriff auf den Hund erlangt und mit diesem Hund das Opfer angreifen könnte, sondern sie zielt von vornherein darauf ab, dass das Rechtsgut des potentiellen Opfers nicht durch die Verwirklichung der der Sache innewohnenden Gefahr verletzt wird.72 Hierbei ist nur die Beschaffenheit der zu überwachenden Sache von Belang, nicht aber, ob die Gefahr durch eine Naturgewalt oder durch ein (sorgfaltswidriges) vollverant72  Ähnlich MK4/Freund, § 13 Rn. 276, der zutreffend darauf hinweist, dass es für die Reichweite der Garantenpflicht nicht auf den konkreten Anlass des Aktuellwerdens der Gefahr ankommt.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen407

wortliches Handeln ausgelöst wird. Die Verhinderung einer vollverantwort­ lichen Straftat ist nur deshalb geboten, weil diese Straftat die innewohnende Gefahr der Sache zu verwirklichen droht. Kindhäuser/Zimmermann liefern in diesem Zusammenhang ein instruktives Beispiel:73 Ein Chemiearbeiter, „[der] für die Bedienung des Gasventils“ zuständig ist, bemerkt zwar, dass sein Kollege „eine Zündung an der Austrittsstelle eines hochexplosiven Gases [installiert]“, um „eine Explosion auf dem Werksgelände“ auszulösen, „schließt aber das Ventil nicht“. Nimmt man an, dass das von dem Chemiearbeiter zu überwachende hochexplosive Gas in der Regel unabhängig von einer menschlichen Benutzung unmittelbar das fremde Rechtsgut verletzt, reicht der Schutzzweck der Überwachungspflicht des Arbeiters bis zur Erfolgsverhinderung, und zwar die Explosion und die konkrete Gefährdung des geschützten fremden Rechtsguts zu verhindern, indem er das Ventil schließt. Das pflichtwidrige Unterlassen des Arbeiters begründet somit Täterschaft bezüglich des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion (§ 308, 13 I StGB).74 3. Geschäftsherrenhaftung: Zuständigkeit des Überwachungsgaranten für die tatbestandsmäßige Handlung des zu überwachenden Handelnden a) Begründungszusammenhang Ein sachlich vergleichbarer Gedanke der Erstreckung des Schutzzwecks auf die Erfolgsverhinderung lässt sich auch bei der Überwachungspflicht des Geschäftsführers einer GmbH oder der Vorstandsmitglieder einer AG zur Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat eines vollverantwort­ lichen untergeordneten Arbeiters erkennen. Dass sich die Reichweite der Überwachungspflicht des Betriebsinhabers, des Geschäftsführers und der Vorstandsmitglieder bis zur Erfolgsverhinderung bzw. zur Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat erstreckt, wird bereits im zweiten Teil beAT, § 38 Fall 6. AT, § 38 Rn. 73 nehmen hier zwar ausnahmsweise eine Täterschaft an, begründen die Täterschaft des Chemiearbeiters aber dadurch, dass er „er selbst den Erfolg unmittelbar bewirkt hätte, wenn er das Ventil aktiv geöffnet hätte“. Diese Begründung ist vergleichbar mit Ottos Ansicht der „selbständigen Erfolgsverhinderung“. Der Arbeiter könne nämlich sehr leicht und ohne Einflussnahme auf den Verletzungswillen seines Kollegen die Explosion verhindern. Weil diese Ansicht aber notwendig auf eine hypothetische Beurteilung abstellt und die Beteiligungsformen von den zufälligen Umständen im Einzelfall abhängig macht, ist dieser Täterschaftsbegründung nicht zuzustimmen. Dazu unten S. 416 ff. 73  Kindhäuser/Zimmermann, 74  Kindhäuser/Zimmermann,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

gründet.75 Im Folgenden sollen einige beteiligungsspezifische Überlegungen hinzugefügt werden. Der maßgebliche Punkt dafür, dass der Schutzzweck einer solchen Überwachungspflicht bis zur Tatverhinderung reicht, ergibt sich insbesondere aus dem Vergleich mit Fällen, in denen der Garant pflichtwidrig nicht verhindert, dass der Begehungstäter unter Benutzung der vom Garanten zu überwachenden gefährlichen Gegenstände das Opfer verletzt, deren Gefährlichkeit für das Opfer aber in der Regel erst durch ein menschliches Verhalten hergestellt wird, sowie mit Fällen, bei denen der Aufseher einer Anstalt nicht gegen das Entweichen des Gefangenen einschreitet.76 Dort wird der Schutzzweck der Garantenpflicht deshalb auf die Taterschwerung beschränkt, weil das pflichtwidrige Unterlassen an sich keine hinreichende Bedingung für die Schaffung einer tatbestandsmäßigen Gefahr ist, es insoweit also eines fremden tatbestandsmäßigen Verletzungswillens bedarf. Dementsprechend darf man behaupten, dass der vollverantwortliche Handelnde, der diesen Verletzungswillen zum Ausdruck bringt, die Rechtsgutsverletzung wesentlich prägt und daher die primäre Verantwortung für die Rechtsgutsverletzung trägt. Demgegenüber erhöht der pflichtwidrige Garant nur die Gefahr der Haupttat und ist nur als Teilnehmer anzusehen. Der eigenverantwortliche fremde Verletzungswille setzt die Grenze des primären Verantwortungsbereichs. Anders verhält es sich aber bei den unternehmensbezogenen Straftaten. Hier wird die tatbestandsmäßige Gefahr zwar auch von einem selbstverantwortlichen untergeordneten Mitarbeiter verwirklicht, durch die Unternehmensbezogenheit77 gewinnt die von ihm begangene Straftat aber eine neue Risikodimension. Was der untergeordnete Mitarbeiter durch seine Straftat verwirklicht, ist nicht nur sein Verletzungswille oder seine Unrechtsmaxime, sondern auch der Verletzungswille oder die Unrechtsmaxime des Betriebs­ inhabers, des Geschäftsführers bzw. der Vorstandsmitglieder. Denn die unternehmensbezogene Straftat des Arbeiters stellt sich gerade als „Aufschluss“ der unternehmensbezogenen Gefahr dar, die die genannten Personen selbst durch den Betrieb eines Unternehmens geschaffen und zu neutralisieren haben, damit die Außenstehenden nicht aufgrund einer solchen Gefahr verletzt werden. Wenn diese Personen für die vom Untergeordneten durch seine unternehmensbezogene Straftat verwirklichte tatbestandsmäßige Gefahr zuständig sind, erfolgt eine Abgrenzung des primären Verantwortungsbereichs nach dem Eingreifen eines fremden Verletzungswillens nicht. Die unternehmensbezogene Straftat liegt daher nicht nur im primären Verantwortungsbereich des Untergeordneten, sondern auch im eigenen primären Verantwortungsbe75  Siehe

oben S. 216 ff. oben S. 399 f. 77  Ausführlich dazu siehe oben S. 200 ff. 76  Siehe



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen409

reich des Geschäftsführers.78 Der Schutzzweck der Garantenpflicht der genannten Personen besteht daher nicht nur in der Taterschwerung, sondern in der Verhinderung der unternehmensbezogenen Straftat des Untergeordneten als Verwirklichung des betriebsbezogenen Risikos. Verhindern diese Personen sie pflichtwidrig nicht, ist die Handlung des Untergeordneten sowie die daraus resultierende tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung auch ihnen zuzurechnen; sie sind als Unterlassungstäter anzusehen.79 Die Vergleichbarkeit dieser Struktur mit derjenigen der Garantenpflicht zur Überwachung einer gefährlichen Sache, die ohne Eingreifen eines mensch­ lichen Verletzungswillens das fremde Rechtsgut verletzen kann, besteht in Folgendem: Die Garantenpflicht zur Überwachung einer unternehmensbezogenen Gefahr zielt primär nicht auf die Verhinderung der Straftat des untergeordneten Mitarbeiters, sondern darauf, dass Außenstehende nicht einer solchen unternehmensbezogenen Gefahr ausgesetzt werden, unabhängig davon, ob diese Gefahr durch zurechenbares oder vollverantwortliches Handeln der Unternehmensangehörigen ausgelöst wird. b) Möglichkeit und Notwendigkeit einer Eingrenzung des Schutzzwecks der Überwachungspflicht nach der Pflichtstellung im Unternehmen Es ist aber gerade die Besonderheit der Abgrenzung des Verantwortungsbereichs im Unternehmen, dass die Überwachungspflicht, unternehmensbezogene Gefahren zu neutralisieren, die ursprünglich nur diejenigen trifft, die durch Betreiben des Unternehmens ihre Verhaltensfreiheit erweitern und damit ein besonderes Risiko für Außenstehende schaffen, durch die unternehmerisch funktionelle Arbeitsteilung in unterschiedlichen Art und Weise von unterschiedlichen Unternehmensangehörigen übernommen wird. Diese unterschiedlichen Überwachungsfunktionen und daraus gespeisten Überwachungspflichten dienen zwar demselben Zweck, die Rechtsposition Außenstehender vor unternehmensbezogenen Gefahren zu bewahren, variieren aber in ihrem Inhalt und ihrer Reichweite. Das ermöglicht zugleich eine Abschichtung der 78  Ähnlich, aber nur in Hinblick auf die Begründung der Garantenpflicht Jakobs, AT, § 29 Rn. 36; Bosch, Organisationsverschulden, S. 216 ff. Vgl. auch Schlösser, GA 2007, 171, der bei der Analyse der Gründe für die dogmatische Nähe von Tun und Unterlassen im Organisationsbereich zutreffend konstatiert, dass im Verhältnis zur „normalen“ Tatverhinderungspflicht außerhalb des Organisationsbereiches die Unterlassungshaftung der Organisationleitung aufgrund der Unternehmensbezogenheit eine Besonderheit aufweist. 79  A. A. nur für Teilnahme Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 155, der gerade umgekehrt im Fall des unterlassenden Gefängnisaufsehers eine Täterschaft annimmt.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Verantwortungsbereiche nach der von dem einzelnen Unternehmensangehörigen übernommenen Funktion und der daraus gespeisten Pflichtstellung gegenüber Außenstehenden, ohne dass deren Schutzintensität durch die Arbeitsteilung geschwächt wird: Die Unterscheidung des primären und des sekundären Verantwortungsbereichs im Unternehmen orientiert sich ganz den Handlungs- und Zurechnungsstrukturen der Täterschaft und Teilnahme entsprechend daran, inwieweit die übernommene Überwachungsfunktion für den Rechtsschutz der Außenstehenden ausreicht. Zielt sie auf eine umfassende Kontrolle der unternehmensbezogenen Gefahren, darunter auch die Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat, begründet das pflichtwidrige Unterlassen Täterschaft. Hiergegen kommt nur eine Teilnahme durch Unterlassen in Betracht, wenn die verletzte Überwachungspflicht nicht den endgültigen Ausschluss dieser Gefahren, sondern flankierend die Verringerung solcher Gefahr durch Taterschwerung bezweckt. Im Folgenden wird dies anhand von drei Beispielen verdeutlicht: Der Betriebsinhaber, der Geschäftsführer und die Vorstandsmitglieder haben als Unternehmensleitung über die Funktionsweise und Abläufe der Unternehmenstätigkeiten wesentlich entschieden und sie gestaltet. Durch das Betreiben des Unternehmens schaffen sie gleichsam selbst unternehmens­ bezogene Risiken für Außenstehende und verpflichten sich, solche Risiken umfassend unschädlich zu machen. Unterlassen sie pflichtwidrig die Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat, begründet das Täterschaft. Dafür sei nur auf die obigen Ausführungen hingewiesen. Fraglich ist aber, ob Aufsichtsratsmitglieder, die trotz ihrer begrenzten Befugnisse pflichtwidrig die rechtswidrige, unternehmensbezogene Straftat von Vorstandsmitgliedern nicht verhindern, ebenfalls die täterschaftliche Verantwortlichkeit durch Unterlassen tragen. Das setzt eine Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder zur Straftatverhinderung zugunsten Außenstehender voraus, die im zweiten Teil bereits eingehend begründet wurde.80 Eine solche Überwachungspflicht im Sinne einer Tatverhinderungspflicht darf aber nicht dergestalt verstanden werden, dass die vollverantwortlichen Entscheidungen des Vorstandes unter der umfassenden Überwachung des Aufsichtsrats stünden. Vielmehr zielt diese Überwachungspflicht im Wesentlichen nur zugunsten der Außenstehenden auf die Unschädlichmachung der unternehmensbezogenen Gefahren durch mögliche rechtswidrige Straftaten des Vorstands ab. Wenn das Tun oder Unterlassen der Vorstandsmitglieder bereits eine tatbestandsmäßige Gefahr für Außenstehende geschaffen hat, sie etwa die aus dem Unternehmen heraus begangene Betrugstat oder Gewässerverunreinigung pflichtwidrig 80  Siehe

oben S. 219 ff.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen411

nicht verhindern, wird den pflichtwidrig agierenden Aufsichtsratsmitgliedern ihr tatbestandsmäßiges Unterlassen zugerechnet, wenn andere Strafbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Aufsichtsratsmitglieder sind als Nebentäter für die unternehmensbezogenen Straftaten des Vorstandes verantwortlich, soweit kein gemeinsamer Tatentschluss zwischen ihnen vorliegt.81 Anders verhält es sich aber wohl bei der Überwachungsgarantenpflicht eines Betriebsbeauftragten bzw. eines Compliance-Officer.82 Die Einsetzung solcher Personen im Unternehmen zielt zwar ebenfalls auf die Kontrolle unternehmensbezogener Gefahren. Von ihnen wird aber keine umfassende Kontrolle dieser Gefahren verlangt. Das ergibt sich bereits aus ihren begrenzten Befugnissen im Unternehmen, die ihnen ihrer Aufgaben entsprechend zugewiesen werden. Die von ihnen übernommenen Pflichten beschränken sich ja in der Regel darauf, die Einhaltung der Rechtsvorschriften zugunsten bestimmter Rechtsgüter zu überwachen, die Unternehmensleitung über festgestellte Mängel zu informieren sowie ggf. der Unternehmensleitung mög­ liche Maßnahmen zur Beseitigung dieser Mängel vorzuschlagen.83 Wenn sie dieser Pflicht nachkommen, kann die Unternehmensleitung selbst unter Nutzung ihrer Entscheidungsmacht und Weisungsbefugnis diese Rechtsmängel beseitigen. Alle diese Pflichten zielen nämlich darauf, der Unternehmensleitung eine Entscheidung zur Beseitigung dieser unternehmensbezogenen Gefahren zu ermöglichen. Ob aber diese Gefahren zugunsten der Außenstehenden unschädlich gemacht werden, hängt noch von der pflichtmäßigen Entscheidung der Unternehmensleitung ab. Wenn die Unternehmensleitung die Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat eines Mitarbeiters verweigert, sind die Betriebsbeauftragten bzw. Compliance-Officer zur Informierung des Aufsichtsrats verpflichtet, damit dieser den Vorstand zur pflichtmäßigen Entscheidung veranlassen kann.84 In diesem Fall wird das tatbestandsmäßige Unterlassen des Vorstands durch Informierung des Aufsichtsrats erschwert. So gesehen bezwecken die Überwachungsgarantenpflichten des Betriebsbeauftragten bzw. Compliance-Officers, die keine selbständigen Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse innehaben, in der Regel nur die Ver­ ringerung des Risikos einer tatbestandsmäßigen fremden Haupttat, und die Verletzung einer solchen Informationspflicht entspricht daher nur dem Unrecht der Teilnahme.85 Das gilt aber nicht, wenn der Betriebsbeauftragte oder 81  A.  A. für Teilnahme wegen der bloßen Fürsorge- und Prüfungsfunktion des ­Aufsichtsrats Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis/Mansdörfer, ­Wirtschaftsstrafrecht, § 13 StGB Rn. 46. 82  Zur Überwachungspflicht des Compliance-Officer siehe oben S. 227 ff. 83  In Hinblick auf die Betriebsbeauftragten Kuhlen, Betriebsbeauftragte, S. 72. 84  Siehe oben S. 230 ff. 85  Bei Vorliegen einer vorsätzlichen Straftat der Unternehmensleitung auch Böse, NStZ 2003, 641; Schall, FS-Amelung, 2009, S. 299 f.; Schönke/Schröder/Heine/­

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

der Compliance-Officer zwar die unternehmensbezogene Straftat eines Mitarbeiters erkennt, es aber unterlässt, den Vorstand zu informieren, so dass der Vorstand nicht rechtzeitig die unternehmensbezogene Rechtsverletzung beseitigen kann.86 Hierbei erstreckt sich die Überwachungspflicht des Betriebsbeauftragten oder Compliance-Officers auf die Tatverhinderung, weil der Vorstand vorsatzlos handelt und der Betriebsbeauftragte oder der Compliance-Officer der eigentliche Entscheidungsträger in Hinblick auf die Erfolgsverhinderung ist.87 Der unterlassende Betriebsbeauftragte oder ComplianceOfficer ist wegen Missbrauchs des Informationsvorsprungs als mittelbarer Täter durch Unterlassen zu bestrafen.88

VI. Abschließende Bewertung konkurrierender Abgrenzungskriterien Die wichtigsten Aspekte für die Abgrenzung der Beteiligungsformen im Unterlassungsbereich kommen mit den obigen Beispielen zum Ausdruck. Es wird insbesondere festgestellt, dass es nicht überzeugend ist, bei Eingreifen eines vollverantwortlichen Begehungstäters die Verletzungsmacht des unterlassenden Garanten in der Regel als Täterschaft oder als Teilnahme anzusehen. Stattdessen ist die Beteiligungsform nach dessen eigener Pflichtstellung zum Opfer im konkreten Rechtsverhältnis zu bestimmen. Bei der Beschützergarantenpflicht mag die Abgrenzung leichter erfolgen, während sie bei der Überwachungsgarantenpflicht wegen der Vielfalt der Rechtsverhältnisse Schwierigkeit bereiten kann. Nunmehr stellt sich die Frage, ob die anderen in der Literatur angebotenen Abgrenzungskriterien auch zur Abgrenzung bei der Überwachungsgarantenpflicht beitragen können.

Hecker, § 324 Rn. 17, der allein auf die Überwachungsgarantenstellung abstellt. A. A. in Anlehnung an die Pflichtdeliktslehre MK/Schmitz, Vor § 324 Rn. 146. Bei Compliance-Officer wie hier Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis/Mansdörfer, Wirtschaftsstrafrecht, § 13 StGB Rn. 46; NK/Ransiek, § 324 Rn. 60, der auf die fehlende Macht zur Erfolgshinderung abstellt. 86  Hier ist die sog. „Quasi-Kausalität“ des pflichtwidrigen Unterlassens für den Erfolg noch zu prüfen. Dazu vgl. nur Böse, NStZ 2003, 641. 87  NK/Ransiek, § 324 Rn. 66. 88  Ob die Verletzung der Informationspflicht durch positive Falschunterrichtung oder durch unterlassene Mitteilung erfolgt, spielt für die Begründung mittelbarer Täterschaft keine Rolle. Dazu Kuhlen, Betriebsbeauftragte, S. 90; NK/Ransiek, § 324 Rn. 66. Wohl auch LK/Möhrenschlager, § 324 Rn. 49.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen413

1. Zum Gedanken des Tat­herrschaftswechsels Dass bei manchen Überwachungspflichten die Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters den Schutzzweck der Überwachungspflicht auf die Taterschwe­rung bzw. Risikoverringerung der Begehungstat reduzieren muss, wurde oben begründet. Zu überlegen ist aber, ob der Verlust der (vollverantwortlichen) Tat­herrschaft seitens des Begehungstäters, insbesondere nachdem er seine Straftat beendet und den Tatort verlassen hat, den ursprünglich reduzierten Schutzzweck der Überwachungspflicht wieder auf die Erfolgsverhinderungspflicht ausdehnen könnte. Die Lehre vom „Tat­ herrschaftswechsel“ bejaht dies,89 ihr ist aber nicht zuzustimmen.90 89  Gallas, JZ 1960, 687; Puppe, AT, § 32 Rn. 22 f., 32. Nahestehend Yamanaka, FS-Schünemann, S. 570, 572. Einen nur im Ergebnis vergleichbaren Ansatz bietet Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Noltenius, HdBStrR, § 50 Rn. 128, § 51 Rn. 96 f. Danach soll der Garant als Täter verantwortlich sein, „wenn sich der Unterlassensvorwurf auf die Nichtabwendung einer gefährlichen Situation bezieht“, denn der Garant verpflichte sich unabhängig davon, ob diese Gefahr aus dem Handeln eines Dritten oder der Naturgewalt komme, zum Handeln (ebd., § 51 Rn. 96 unter Berufung auf Köhler, AT, S. 537). Gemeint ist nach der hiesigen Interpretation wohl die Situation, dass die Beseitigung der Gefahr nach dem Handeln des Dritten noch möglich ist (insbesondere angesichts der Ausführungen ebd., § 51 Fn. 97). Handele es sich aber um „echtes Nebeneinander von Handlung oder Unterlassung“, d. h. wenn der Begehungstäter das Geschehen volldeliktisch beherrsche und der Garant nur durch Einflussnahme auf den Willen des Begehungstäters den Erfolg verhindern könne, sei der Garant nur Teilnehmer; der Begehungstäter mit seiner Tat­ herrschaft verstelle also dem Unterlassenden den unmittelbaren Zugang zum Erfolg (ebd., § 50 Rn. 128). Anderes gelte nur, wenn der Garant mit dem Begehungstäter „mittäterschaftlich zusammenwirkt“ (ebd., § 51 Rn. 97). Dem Ausgangspunkt von Noltenius, dass einem Unterlassenden eine „Herrschaft über das im Tatbestand vertypte Unrecht“ zukommen kann, soweit man einem naturalistischen Herrschaftsverständnis eine Absage erteilt und die personalen Beziehungen mitberücksichtigt (ebd., § 51 Rn. 96), ist uneingeschränkt zuzustimmen. Zu kritisieren ist aber, dass Noltenius, wie die meisten Vertreter der eingeschränkten Gehilfentheorie, insbesondere wie Gallas, zu viel Gewicht auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Begehungstäter und dem Opfer legt und die Pflichtstellung des Garanten zum Rechtsgut nicht hinreichend berücksichtigt. Das führt dazu, dass sich die Thesen von Noltenius in Hinblick auf die „Nichtabwendung einer gefährlichen Situation“ der unten dargestellten Kritik am Gedanken des Tat­ herrschaftswechsels aussetzt. Gleiches gilt bei sog. „echtem Nebeneinander von Handlung oder Unterlassung“. Dabei ist die differenzierende Betrachtung von Noltenius deshalb nicht überzeugend, weil die mögliche Erfolgsverhinderungspflicht, bei deren Verletzung der Garant trotz der Herrschaftsmacht des Begehungstäters sein Rechtsverhältnis zum Opfer beherrschen kann, außer Acht bleibt. 90  Bei der Beschützerpflicht, aber auch bei den Überwachungspflichten, deren Schutzzweck sich auf die Erfolgsverhinderung erstreckt, ist der Gedanke des Tat­ herrschaftswechsels bereits verfehlt. Wenn etwa eine Mutter gegen die Tötung ihres Kindes pflichtwidrig nicht einschreitet, verletzt sie bereits eine Verhaltensnorm in Richtung auf den Todeserfolg des Kindes. Bereits die Nichtverhinderung des Ver-

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Besorgt B etwa dem Begehungstäter T eine Pistole zur Tötung seines politischen Feindes oder greift nicht gegen den unbefugten Zugriff des T auf diese Pistole ein, und ist B bei der Tatbegehung des T anwesend und hat die Möglichkeit, die Tat von T zu erschweren oder sogar durch die Warnung des Opfers zu verhindern, schreitet aber nicht gegen die Tat von T ein, ist er allenfalls wegen Beihilfe zum Tötungsdelikt zu bestrafen. Das gilt aber entgegen Puppe auch dann, wenn T seine Tötungshandlung beendet und den Tatort verlässt. Man könnte zwar mit Puppe argumentieren, dass B dann der Einzige sei, der das Leben des O noch retten könne, und die Situation daher mit der bei Alleintäterschaft vergleichbar wäre. B ist nämlich in diesem Fall der einzige Träger der Entscheidung, ob der Todeserfolg stattfindet oder nicht. Diese behauptete Vergleichbarkeit mit der Alleintäterschaft konzentriert sich aber nur auf die alleinige Erfolgsverhinderungsmöglichkeit des B und verkennt gänzlich sein zuvor begründetes Beteiligungsverhältnis zu T: Erstens kann ein Garant nicht deshalb als Täter bestraft werden, weil er zufällig die „alleinige“ Erfolgsverhinderungsmöglichkeit bekommt.91 Wenn das Opfer gleich nach der Tatbeendigung des T gestorben ist, ist B nur der Gehilfe; wenn sein Leben nach der Tatbeendigung noch zu retten ist, wäre B hingegen der Täter. Es ist nicht verständlich, warum die Verletzungsmacht des B von diesem zufälligen Umstand abhängig gemacht werden soll.92 In beiden Fällen erschöpft sich die Verletzungsmacht des B in der Risikoerhöhung der Begehungstat und deren Nichtverhinderung trotz Verhinderungsmöglichkeit. Die Beendigung der Begehungstat bzw. das Verlassen des Tatorts durch den Begehungstäter ändert an diesen Umständen nichts.93 Man könnte zwar in der mit der Beendigung der Begehungstat einhergehenden Eigenschaft des B, „der einzige Entscheidungsträger über den Erfolgseintritt“ zu sein, einen Faktor zur Begründung der Täterschaft blicken. Aber dies würde weiterhin dazu führen, dass jeder Gehilfe zum Täter heraufgestuft werden müsste, sofern er nach der Hilfeleistung noch die Möglichkeit zur Verhinderung des Erfolges hat und sofern der Haupttäter seine Tat beendet und den Tatort verlässt. Die Regelung der Beihilfe würde dann aber insoweit gänzlich aufgerollt.94 suchs des Begehungstäters begründet die Tat­herrschaft der Mutter. Diese täterschaftliche Verletzungsmacht der Mutter besteht natürlich fort, wenn der Begehungstäter die Tat beendet und den Tatort verlässt. Insoweit findet gerade kein „Tat­ herrschaftswechsel“ vom Begehungstäter auf die Mutter statt, sondern die Tat­ herrschaft des Begehungstäters und die der Mutter laufen parallel. 91  Herzberg, TuT, S. 98; Jakobs, Tat­herrschaftsdämmerung, S.  210. 92  Roxin, AT II, § 31 Rn. 156. 93  Vgl. auch Mosenheuer, Unterlassen, S. 184 f. 94  Kritisch dazu Haas, ZIS 2011, 396; Herzberg, Unterlassung, S. 260; Jakobs, AT, § 29 Rn. 105; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 49; Timpe, Strafmilderungen, S. 201; Vogel, Norm, S. 278 f.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen415

2. Zur Relevanz der Erfolgsverhinderungsmacht Die Einwände gegen den Gedanken des Tat­herrschaftswechsels erwecken bereits den Eindruck, dass die Abgrenzung der Beteiligungsformen nicht allein auf die (alleinige) Erfolgsverhinderungsmöglichkeit abstellen kann. Viel­ fach spielt sie aber in der Literatur aufgrund des Missverständnisses der Handlungsstruktur des Unterlassens eine entscheidende Rolle. a) Empirische Bestimmung der Erfolgsverhinderungsmacht Die sog. empirisch potentielle Tat­herrschaftslehre knüpft an die Schwierigkeit der Erfolgsverhinderung an. Aber abgesehen davon, dass die Schwierigkeit der Erfolgsverhinderung nicht selten auch auf zufällige Faktoren ohne Tatbestandsrelevanz wie etwa die psychische Beschaffenheit des zu hindernden Begehungstäters angewiesen ist,95 beruht die „potentielle“ Tat­herrschaft des Garanten notwendig auf einer Beurteilung der hypothetischen Kausal­ verläufe, was mit der These, dass sich die Beteiligungsformen nach der faktischen Verletzungsmacht des Garanten bestimmen, nicht vereinbar ist.96 Normentheoretisch ist auch eine hypothetische Beurteilung der Verletzungsmacht abzulehnen, denn was dem Garanten geboten ist, muss zum Zeitpunkt des Handelns ex ante festgestellt werden. Des Weiteren findet die Schwierigkeit der Erfolgsverhinderung auch kein Korrelat im Sinne der Schwierigkeit der Erfolgsauslösung bei positivem Tun. Entscheidend ist ersichtlich, ob der Beteiligte unmittelbar bzw. mittelbar das Rechtsgut durch Tun oder Unterlassen verletzt, nicht aber wie schwer oder wie leicht er zur Rechtsverletzung gelangt. Sofern also die Möglichkeit der Erfolgsverhinderung bzw. der Tat­ erschwerung einmal begründet ist, kann die Schwierigkeit der Erfüllung der Garantenpflicht allenfalls bei der Strafzumessung, insb. im Rahmen des § 13 II StGB eine Rolle spielen, nicht aber beteiligungsspezifisch berücksichtigt werden.97 Man könnte noch ins Feld führen, dass ein Garant, der sich zwar zur Erfolgsverhinderung verpflichtet, im konkreten Einzelfall aber wegen der be95  Siehe

oben S. 35 f. diesem Sinne auch Roxin, TuT, S. 906 Rn. 541. 97  In diesem Kontext ist Rengiers Ansicht angreifbar, wenn er viele Kriterien wie etwa die Nähe zum Tatort sowie zum Tatobjekt bzw. zur Gefahrenquelle zur Bestimmung der Tat­ herrschaft des Garanten im Sinne der Erfolgsverhinderungsschwierigkeit heranzieht (Rengier, AT, § 51 Rn. 21). Diese Kriterien erlangen ihre Relevanz freilich dann, wenn sie zur Bestimmung der Pflichtstellung des Garanten gegenüber dem Opfer taugen. Da aber Rengier den konkreten Inhalt dieser Kriterien nicht genannt hat, tragen sie letztendlich nicht zur Abgrenzung der Beteiligungsformen bei. 96  In

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grenzten Handlungsmöglichkeit nicht zur Erfolgsverhinderung, wohl aber zur Taterschwerung fähig ist, nicht Täter, sondern Teilnehmer sei.98 Abgesehen davon, dass die Beteiligungsform nicht von den zufällig zur Verfügung stehenden Erfolgsverhinderungsmöglichkeiten abhängig gemacht werden soll,99 verwechselt dieser Ansatz den Schutzzweck der Garantenpflicht mit dem konkreten Inhalt der Handlungspflicht. Wie Murmann bereits zutreffend konstatiert, wird, auch wenn der Garant, der zur Erfolgsverhinderung gehalten ist, wegen der begrenzten Handlungsmöglichkeit im Einzelfall keine zuverlässige Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung hat, von ihm normativ doch erwartet, die anderen ihm möglichen taterschwerenden Rettungsmaßnahmen, z. B. die psychische Einwirkung auf den Begehungstäter (etwa Abraten von der Straftat) vorzunehmen, ohne dass der Garant deshalb nur als Teilnehmer zu bestrafen wäre.100 „[E]s geht nicht darum, welche Handlungen von dem Garanten erwartet werden, sondern weshalb diese Handlungen erwartet wer­ den.“101 b) Normative Bestimmung der Erfolgsverhinderungsmacht Erfolgversprechender erscheint aber die Bemühung, die Abgrenzung der Beteiligungsform auf die Art der Erfolgsverhinderungsmöglichkeit abzustellen. aa) Unmittelbare Erfolgsverhinderungsmacht bei Otto Wie bereits im ersten Teil dargestellt worden ist, bestimmt sich die Beteiligungsform bei Otto danach, ob der Garant eine unmittelbare Erfolgsabwendungsmöglichkeit hat, also eine Möglichkeit, „den Erfolg unabhängig von einer unmittelbaren Einflussnahme auf den Willen des Begehungstäters zu verhindern“.102 Der Ausgangspunkt von Otto, dass es durchaus angemessen sei, den aktiven Begehungstäter als Täter und den Garanten, der eine unmittelbare Einflussnahme auf den Verletzungswillen des Begehungstäters unterlässt, nur als Teilnehmer zu begreifen,103 ist vergleichbar mit der Gehilfentheorie. Diese These, die die Relevanz der Eigenverantwortlichkeit des aktiven Begehungstäters betont, ist zwar bei den Überwachungspflichten, bei 98  Ausdrücklich auf die tatsächliche Erfolgsverhinderungs- oder Erfolgserschwerungsmöglichkeit abstellend Li, Beteiligung, S. 93. 99  Murmann, FS-Beulke, S. 187. 100  Murmann, FS-Beulke, S. 187. 101  Murmann, FS-Beulke, S. 187 f. (Hervorhebung im Original). 102  Otto, JuS 2017, 295. 103  Otto, JuS 2017, 294 f.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen417

denen das garantenpflichtwidrige Unterlassen noch keine hinreichende Bedingung für den tatbestandsmäßigen Erfolg ist und es zur Schaffung einer tatbestandsmäßigen Gefahr noch eines fremden Verletzungswillens bedarf, durchaus zutreffend. Zugleich findet sie aber ihre Grenze bei denjenigen Verletzungen einer Beschützerpflicht oder einer Überwachungspflicht, bei denen die zu verhindernde Begehungstat im eigenen Verantwortungsbereich des Garanten ausgeführt wird. Denn hierbei zielt die Garantenpflicht gerade unabhängig von den Entstehungsgründen der tatbestandsmäßigen Gefahr, und damit auch der fremden Straftat, auf die Erfolgsverhinderung ab. Ob der Begehungstäter in diesen Fällen vollverantwortlich handelt oder ob der Garant trotz einer vollverantwortlichen Begehungstat noch unabhängig vom Verletzungswillen des Begehungstäters selbständig den Erfolg abwenden kann, spielt insoweit keine Rolle. Insbesondere darf die Täterschaft des pflichtwidrigen Garanten nicht von der Zufälligkeit einer unmittelbaren Erfolgsabwendungsmöglichkeit im Einzelfall abhängig gemacht werden.104 Aber auch in Fällen, in denen der Schutzzweck der Garantenpflicht nach der hier vertretenen Ansicht auf die Risikoverringerung im Sinne der Tat­ erschwerung beschränkt ist, darf der pflichtwidrige Garant nicht nur deshalb zum Täter aufgewertet werden, weil er im Einzelfall zufällig unabhängig von der positiven Einflussnahme auf den Verletzungswillen des Begehungstäters den Erfolg abwenden kann. Es ist zwar überzeugend, dass in diesen Fällen eine umfassende Determinierung des Verletzungswillens des Begehungstäters im Sinne der Tatverhinderung wegen der rechtlichen Vollverantwortlichkeit des Begehungstäters nicht von dem Garanten verlangt werden kann. Deshalb erscheint es nicht fernliegend, und nach Otto sogar naheliegend, von einer Erstreckung des Schutzzwecks auf die Erfolgsverhinderung auszugehen, soweit der Garant die Möglichkeit hat, „gewissermaßen an diesem [sc. dem Begehungstäter] vorbei“105 den Erfolg abzuwenden. Murmann ergänzt, wenn der Garant insoweit nicht auf die Einwirkung auf den vollverantwort­lichen Begehungstäters angewiesen sei, scheine es keinen sachlichen Grund zu geben, die Pflicht des Garanten nur auf die Risikoverringerung zu reduzieren.106 Damit wird aber die Beteiligungsform wesentlich von der zufälligen unmittelbaren Erfolgsabwendungsmöglichkeit des Garanten im Einzelfall abhängig gemacht. Das würde weiterhin dazu führen, ähnlich wie beim sog. Tat­ herrschaftswechsel,107 dass die Regel der Beihilfe insoweit aufgerollt würde. 104  Vgl.

auch Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, Vor §§ 25 ff. Rn. 16. GK, § 29 Rn. 99. 106  Murmann, GK, § 29 Rn. 99. 107  Nach Otto, JuS 2017, 295 ist die Konstellation, dass der Garant unabhängig von der Einflussnahme auf den Verletzungswillen des Begehungstäters den Erfolg abwenden kann, vergleichbar mit der Situation, dass der Begehungstäter nach der Beendigung seiner Straftat den Tatort verlässt. 105  Murmann,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Wer etwa dem aktiven Begehungstäter ein Gift besorgt oder es unterlässt, gegen den unbefugten Zugriff auf das von ihm aufzubewahrende Gift einzuschreiten, und nach der Hilfeleistung noch die Möglichkeit hat, vor dem Versuch des Begehungstäters unabhängig von der Einflussnahme auf dessen Verletzungswillen durch die Warnung des Opfers den Erfolg abzuwenden, wäre nach Ottos Ansicht wegen seines pflichtwidrigen Unterlassens als Täter anzusehen. Das Unrecht der Lieferung eines Giftes oder die Nichtverhinderung eines unbefugten Zugriffs auf das aufbewahrte Gift entsprechen aber nur dem Unrecht der Teilnahme.108 bb) Rechtliche Verhinderungsmacht bei Ransiek Auch Ransiek ist der Auffassung, die „Notwendigkeit, erst den anderen hindern zu müssen“, also den Erfolg erst durch das Einwirken auf dessen Verletzungswillen verhindern zu können, mache den Garanten in der Regel zu einer Nebenfigur des Geschehens.109 Eine Täterschaft des Garanten komme aber dann in Betracht, wenn der Garant nicht nur faktisch den Erfolg verhindern könne, sondern „rechtlich auf den aktiv Handelnden einwirken kann und muss“.110 Aber die Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters taugt nicht als ein allgemeines Abgrenzungskriterium. Auch der Umstand, dass der Garant nur über den Begehungstäter den Erfolg abwenden kann, begründet, wie bei der Kritik an Ottos Ansicht erläutert, nicht immer nur eine Teilnahme des Garanten. Insbesondere bleibt Ransiek eine Erklärung schuldig, warum die Eigenverantwortlichkeit des Begehungstäters einfach bei Vorliegen einer rechtlich anerkannten Erfolgsverhinderungsmacht des Garanten nicht mehr der Täterschaft des Garanten entgegen steht. Wenn der Gefängnisaufseher pflichtwidrig das Entweichen eines Gefangenen nicht verhindert, obwohl er es durch die ihm rechtlich zugesprochene Befugnis verhindern kann, ist der Aufseher nach Ransiek Täter der von dem Gefangenen nach dem Entweichen begangenen Straftat, etwa einer Vergewaltigung. Das pflichtwidrige Unterlassen des Gefängnisaufsehers verringert aber nur nicht das Risiko der späteren Vergewaltigung, schafft an sich aber keine tatbestandsmäßige Vergewaltigungsgefahr für das Opfer. Die Eigenverantwortlichkeit des Gefangenen spielt hier trotz der rechtlichen Befugnis des Aufsehers noch eine Rolle. Die Stärke von Ransieks Ansatz erweist sich bei der relativ klareren Abgrenzung der Verantwortlichkeit im Organisationskreis. Er ermöglicht nämlich eine Abschichtung der Verantwortlichkeit nach der Befugnis der Organi108  Siehe

oben S. 399. JuS 2010, 680. 110  Ransiek, JuS 2010, 680. 109  Ransiek,



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sationsmitglieder in der betroffenen Organisation. Während etwa der Staatschef oder Geschäftsführer weitreichende Weisungsrechte gegenüber den anderen Amtsträgern bzw. Mitarbeitern innehabe und deshalb in der Regel als Täter zu bestrafen sei, seien die Amtsträger oder Mitarbeiter, die auf den unteren Stufen der Organisation stehen, mangels hinreichender rechtlicher Befugnis zur Verhinderung der Straftat anderer Organisationsangehöriger eher als Teilnehmer zu begreifen. Das sachliche Kriterium für die Abgrenzung der Beteiligungsformen ist aber die jeweilige Pflichtstellung des betroffenen Organisationsmitgliedes zum Opfer, nicht aber dessen rechtliche Befugnis gegenüber den anderen Mitarbeitern, auch wenn die stärkere Befugnis gegenüber den anderen Mitarbeitern in der Organisation ein starkes Indiz für eine höhere Pflichtstellung zum Opfer ist. 3. Kritik anderer Varianten der Pflichtinhaltstheorie und nahestehender Abgrenzungskriterien Im Ergebnis weist der hier vertretene Ansatz, die Abgrenzung der Beteiligungsformen nach dem Schutzzweck der verletzten Garantenpflicht vorzu­ nehmen,111 mehr oder weniger Ähnlichkeit mit anderen Varianten der Pflicht­ inhaltstheorie auf, unterscheidet sich davon aber zugleich in einigen wichtigen Punkten. a) Nichtschlüssigkeit der Unterscheidung zwischen Beschützer- und Überwachungsgarantenstellung Nicht schlüssig ist zunächst die traditionelle, formelle Pflichtinhaltstheorie, wonach der Beschützergarant in der Regel Täter und der Überwachungsgarant nur Teilnehmer sei. Denn die materielle Begründung ist ersichtlich nicht mit der Unterscheidung zwischen Beschützer- oder Überwachungsgarantenstellung identisch, sondern liegt in den ihr zugrundeliegenden normativen Überlegungen. In Hinblick auf die Verletzung einer Beschützergarantenpflicht wird angeführt, dass der Beschützergarant das Rechtsgut rundum, d. h. ungeachtet der Entstehungsgründe der Gefahr zu schützen hat, so dass er in einem besonderen bzw. unmittelbaren Näheverhältnis mit dem Rechtsgut steht, was wiederum seine Täterschaft begründet.112 Dieses Ergebnis stimmt mit der hiesigen Ansicht durchaus überein, bedarf aber vertiefter normen­ theoretischer Begründung. Denn auch der Überwachungspflichtige muss das Rechtsgut vor einer bestimmten Gefahr schützen. Entscheidend ist somit nicht die Zuordnung zur Beschützergarantenstellung, sondern ob der Garant 111  Siehe 112  Etwa

bereits Murmann, FS-Beulke, S. 191. Herzberg, Unterlassung, S. 261.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

für die tatbestandsmäßige Rechtsverletzung zuständig ist. Wenn er als Beschützergarant dafür zuständig ist, muss der tatbestandsmäßige Erfolg ihm zugerechnet werden und er ist Täter durch Unterlassen.113 Dass auch die Zuordnung der Teilnahme zum Überwachungsgaranten nicht schlüssig ist, ergibt sich insbesondere daraus, dass eine Verletzung einer Überwachungspflicht bei Eingreifen eines vollverantwortlichen Begehungstäters nicht „in der Regel“ nur eine Teilnahme begründet. Nicht selten wird eine Teilnahme in diesem Fall nur im Weg eines axiologischen Vergleichs mit einem hypothetisch entsprechenden positiven Tun „intuitiv“ begründet. So lässt sich bei Herzberg lesen, dass der Prüfstein hierfür immer die Frage sei, „ob der Garant Begehungstäter wäre, wenn er den nicht vermiedenen Kausalverlauf vorsätzlich-aktiv veranlasst oder vorangetrieben hätte“.114 Auf den ersten Blick scheint dieser axiologische Vergleich nachvollziehbar zu sein. Insbesondere in Fällen der Verletzung einer Pflicht zur Überwachung einer gefährlichen Sache, deren tatbestandsmäßige Gefahr für das Opfer erst durch einen fremden Verletzungswillen hergestellt werden kann, ist das Ergebnis eines solchen Vergleichs plausibel. Wenn der Überwacher eine solche Sache dem Begehungstäter gibt, ist er nur wegen Beihilfe zu bestrafen. Nichtverhinderung eines unbefugten Zugriffs auf die Sache entspricht insoweit der aktiven Lieferung dieser Sache. Aber aus welchen Gründen können wir wissen, welche Beteiligungsform vorliegt, wenn der Garant positiv handeln würde? Diese sachlichen Gründe lassen sich ersichtlich nicht aus dem „Prüfstein“ an sich ableiten. Setzt Herzberg bei der Ausführung dieses axiologischen Vergleichs nicht diese unausgesprochenen Gründe voraus? Ist diese Betrachtung zutreffend, so sind diese Gründe, nicht aber die Zuordnung zur Überwachungsgarantenstellung entscheidend. Als ein sachlicher Grund kommt die Eigenverantwortlichkeit des aktiven Han113  Abweichend aber Krüger, ZIS 2011, 7, wonach die Verletzung einer Beschützergarantenpflicht eher umgekehrt in der Regel nur Teilnahme begründet. Die dahinterstehenden normativen Überlegungen, dass der Beschützergarantenpflicht, das Rechtsgut rundum zu schützen, im Verhältnis zur Überwachungspflicht relativ schwer nachzukommen sei und eine Pflichtverletzung daher geringeren Vorwurf verdiene, überzeugt nicht. Dass die Beschützerpflicht schwieriger zu erfüllen ist, ist empirisch leicht zu widerlegen. Die Mutter kann etwa einfach durch die Warnung des Kindes das Leben des Kindes retten, während der Geschäftsführer erst durch eine Gremien­ entscheidung oder durch Koordinierung des Handelns einiger Unternehmensangehöriger die Verwirklichung der unternehmensbezogenen Gefahren verhindern könnte. Wichtiger ist der Einwand, dass – wie bei der Kritik der potentiellen Tat­herrschaft im Sinne einer Tatverhinderungsschwierigkeit – die Schwierigkeit der Erfolgsverhinderung für die Tat­herrschaft keine Rolle spielt. Deshalb ist auch der Befund, dass die Verletzung einer leichter zu erfüllenden Überwachungspflicht ein schwereres täterschaftliches Unrecht begründe (Krüger, ebd., 8), nicht überzeugend. 114  Herzberg, TuT, S. 98.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen421

delnden in Betracht.115 Man könnte wie hier ergänzend argumentieren, dass die tatbestandsmäßige Gefahr erst durch den vollverantwortlichen Begehungstäter hergestellt wird und sich der Beitrag des Garanten in einer Risikoerhöhung dieser Haupttat erschöpft.116 Aber entgegen der Ansicht der meisten Vertreter der Pflichtinhaltstheorie stößt der Ansatz der Eigenverantwortlichkeit gerade dort an seine Grenze, wo der Überwachungsgarant auch für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist, wie es bei der Pflicht zur Überwachung einer gefährlichen Sache, die auch ohne Eingreifen eines menschlichen Verletzungswillen das Opfer gefährden kann, oder bei der Überwachungspflicht des Geschäftsführers der Fall ist. b) Untauglichkeit der Unterscheidung zwischen situationsbezogener und situationsunabhängiger Garantenpflichten bei Hoffmann-Holland Hoffmann-Holland nimmt ebenfalls die unterschiedlichen Zurechnungsstrukturen von Täterschaft und Teilnahme als Ausgangspunkt für die Abgrenzung der Beteiligungsformen. Dabei wird Täterschaft als direkte Steuerung des Rechtsgutsangriffs begriffen, während zwischen dem Teilnehmer und dem verletzten Rechtsgut keine solche direkte Beziehung besteht, sondern eine Haupttat eingreift.117 Insoweit entspricht seine Ansicht der hier vertretenen Unterscheidung zwischen unmittelbarer Rechtsverletzung als Täterschaft und mittelbarer als Teilnahme. Ein indirekter Rechtsgutsangriff des Teilnehmers liegt nach Hoffmann-Holland dann vor, wenn sich die Garantenpflicht auf die „Gestaltung der Situation“ bezieht, etwa bei der Garantenpflicht kraft Gefahrgemeinschaft, einverständlicher Übernahme, Ingerenz sowie Sachherrschaft über die Gefahrenquelle.118 Denn da in diesen Fällen der vollverantwortliche Begehungstäter die Situation mit seiner Tat­herrschaft direkt beherrsche, sei der pflichtwidrig agierende Garant nur Randfigur.119 Anders verhält es sich aber bei der sog. situationsunabhängigen Garantenpflicht, wie etwa beim Eltern-Kind-Schutzverhältnis sowie der Garantenpflicht kraft Lebensgemeinschaft;120 da der Garant hierbei „das Rechtsgut situationsunabhängig gegen jede Gefahr zu schützen hat“, sei die Gefahren-

115  Wohl auch Herzberg, TuT, S. 99, wenn er für die Abgrenzung auf die Verantwortlichkeit des Begehungstäters abstellt. 116  Nahestehend Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 152; Vogel, Norm, S.  282 f. 117  Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 630 ff., 632. 118  Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 633 f., 634. 119  Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 633. 120  Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 636 f., 637.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

quelle irrelevant. Der unterlassende Garant sei hier in der Regel Täter neben dem Begehungstäter.121 Zu kritisieren ist zunächst die Bezeichnung „situationsunabhängige Garantenpflicht“. Denn die Entstehung der Garantenpflicht und deren Inhalt muss von dem konkreten Rechtsverhältnis sowie den Umständen im Einzelfall, insbesondere der Entwicklung von Gefahren für das Rechtsgut abhängig sein. In dieser Hinsicht ist jede Garantenpflicht situationsbezogen122 und fordert eine Gestaltung der Situation durch Vornahme der gebotenen Handlung. Wichtiger ist deshalb die normative Überlegung, dass bei einer situa­ tionsunabhängigen Garantenpflicht der Garant das Rechtsgut vor jeder Art von Gefahren zu schützen hat. Materiell handelt es sich hier um die Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg unabhängig von dem Vorliegen einer fremden eigenverantwortlichen Tat­herrschaft. Aber entgegen HoffmannHolland liegt solche Zuständigkeit nicht nur bei den Garantenpflichten aus familienähnlichen Gemeinschaftsverhältnissen, sondern notwendig bei allen Beschützergarantenpflichten, etwa den Garantenpflichten aus Gefahrgemeinschaft oder einverständlicher Übernahme, und sogar bei einigen Arten von Überwachungspflicht vor. Denn hier hat der Garant zwar nicht das Rechtsgut rundum zu schützen, doch hat er zugunsten des Rechtsguts alle Gefahren aus einem bestimmten Sozialbereich123 unschädlich zu machen, unabhängig davon, ob die zu verhindernde Gefahr von einem vollverantwortlichen Dritten geschaffen wird. Entscheidend ist immer nur, dass der Garant für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist, nicht aber, ob er das Rechtsgut vor allen Gefahren aus allen Bereichen zu schützen hat. c) Unterscheidung zwischen negativer und positiver Pflicht bei Jakobs Wie bei positivem Tun ist nach Jakobs die Beteiligungsfrage bei Unterlassen nach dem „Haftungsgrund“ der betroffenen Garantenpflicht zu entscheiden.124 Die Verletzung einer besonderen positiven Pflicht (früher: Institu­ tionszuständigkeit) soll in der Regel die Täterschaft des Garanten begründen. ZStW 118 (2006), 637. hier Otto, JuS 2017, 293 Rn. 53. 123  Das von Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 634 angeführte Beispiel, dass ein Mitglied einer Bergsteigergruppe die vorsätzliche Tötung eines Mitglieds der Gruppe durch ein anderes Mitglied der Gruppe nicht verhindert, ist nicht geeignet, das von ihm vertretene Kriterium für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme deutlich zu machen, weil es sich hier nicht um eine der typischen Gefahren­ situation handelt, für die sich die Mitglieder dieser Gruppe wechselseitig Beistand zugesichert haben. 124  Jakobs, AT, § 29 Rn. 101; ders., Theorie, S. 58. Zu Jakobs Unterscheidung zwischen negativer und positiver Pflicht siehe oben S. 318 ff. 121  Hoffmann-Holland, 122  Wie



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen423

Denn „der positiv Pflichtige stehe dem zu schützenden Gut stets unvermittelt gegenüber“;125 er „hat zu garantieren, dass Schadensverläufe, wo auch immer ihr Ursprung liegen könnte, sich nicht im Organisationskreis des Berechtigten auswirken oder dass die Lage dieses Kreises sogar verbessert wird“.126 Demgegenüber sei bei der Verletzung einer allgemeinen negativen Pflicht (früher: Organisationszuständigkeit) die Abgrenzung der Beteiligungsformen nach dem (quantifizierbaren) Gewicht des Organisationsverhaltens im gesamten Schadensverlauf zu bestimmen.127 Hierbei sei insbesondere entschei­ dend, ob der Tatanteil des Garanten zumindest mit dem des Begehungstäters gleichwertig oder der Garant die Tatgestalt mit dem Begehungstäter mitbestimmen kann; dann liege eine Mittäterschaft des Garanten vor. Anderenfalls, d. h. wenn sein Tatanteil im Vergleich dazu schwächer sei, komme nur eine Teilnahme des Garanten in Betracht.128 Zur Verdeutlichung gibt Jakobs einige Beispiele: Wer ein nicht verfügbares Gift aufbewahrt, sei in der Regel nur ein Gehilfe, wenn er nicht verhindere, dass ein unbefugter Totschläger darauf zugreife. Denn die Tatgestalt werde „durch die Verfügbarkeit des Mittels oder das Fehlen der Sicherung nicht im gleichen Maß bestimmt […] wie durch die Haupttat“.129 Das Unrecht der Ermöglichung der Benutzung des Gifts durch dessen Nichtsicherung entspreche hier vielmehr nur dem Unrecht der positiven Hingabe des Gifts.130 Eine Mittäterschaft des Garanten sei aber dann anzunehmen, „wenn mehrere Haftungsgründe zusammenkommen und in der Summierung die Tat gleichgewichtig mitgestalten“,131 etwa wenn der Garant, der eine Pistole verwaltet, nicht gegen einen unbefugten Zugriff auf diese Pistole einschreitet, danach trotz bestehender Möglichkeit das Opfer auch nicht warnt und sogar die Polizei vom Tatort fernhält.132 Hier ist kein Raum, Jakobs’ allgemeine Unterscheidung zwischen negativer und positiver Pflicht einer umfassenden Würdigung zu unterziehen. Sein Ansatz setzt sich aber nicht selten missverständlichen Kritiken aus, die zum besseren Verständnis dieses Ansatzes zunächst beiseitegeräumt werden müssen. Gelegentlich wird die Unterscheidung zwischen negativer und positiver Pflicht als unbestimmt kritisiert.133 Im Vergleich zu der Funktionenlehre, die FS-Yamanaka, S. 114. Theorie, S. 62. Vgl. ferner ders., Tat­herrschaftsdämmerung, S.  221  f.; ders., FS-Yamanaka, S. 114. 127  Jakobs, System, S. 82. 128  Jakobs, AT, § 29 Rn. 102. 129  Jakobs, AT, § 29 Rn. 102. 130  Jakobs, AT, § 29 Rn. 101; ders., Tat­herrschaftsdämmerung, S.  210. 131  Jakobs, AT, § 29 Rn. 102. 132  Jakobs, Tat­herrschaftsdämmerung, S.  210. 133  Schwab, Täterschaft, S. 122. 125  Jakobs,

126  Jakobs,

424

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

sich an der Schutzrichtung orientiert, genießt diese Unterscheidung nach den Haftungsgründen aber den Vorzug größerer Klarheit.134 Die Pflicht des Bademeisters, sowohl die Gefahren innerhalb des Bades zu überwachen als auch das Leben der Schwimmer vor diesen Gefahren zu schützen, ergibt sich nach Jakobs unproblematisch aus der einverständlichen Übernahme als Erweiterung des eigenen Organisationskreises.135 Auch die Kritiken, dass ­ alle Garantenpflichten Erfolgsverhinderungspflichten seien136 und es keinen Raum für eine Abschichtung zwischen stärkeren oder schwächeren Garantenpflichten gebe,137 erweisen sich letztendlich entweder als Zirkelschluss oder als Missverständnis. Es wird ja bewiesen, dass eine Abschichtung nach der Art der Garantenpflicht de lege lata sowohl möglich auch geboten ist.138 Insbesondere handelt es sich bei Jakobs’ Unterscheidung nicht um eine quantitative, sondern um eine qualitative nach den Haftungsgründen. Im Hinblick auf die Verletzung einer positiven Pflicht kann die Institution selbst zwar nicht als Schutzobjekt angesehen werden,139 verdient Jakobs’ Ansatz hier im Ergebnis aber überwiegend Zustimmung. Wenn er ausführt, dass der besondere Pflichtige unabhängig vom Gefahrursprung die Unverletzlichkeit des Organisationskreises des Berechtigten zu garantieren und sogar zu verbessern habe, kann man dies nur als Beschreibung der Zuständigkeit für den tatbestandlichen Erfolg verstehen. Die Verletzung solcher Zuständigkeit begründet in der Regel Täterschaft. Die Abgrenzung der negativen Pflicht löst aber größere Bedenken aus. Wie bei der Verletzung einer negativen Pflicht durch positives Tun, begründet die Beteiligung des Garanten im Vorfeld der tatbestandsmäßigen Ausführung Jakobs zufolge zwar für sich noch keine Pflicht- oder Normverletzung, wohl aber eine Obliegenheitsverletzung, die die Zurechnung des Ausführungsunrechts als eigenes Unrecht ermöglicht. Theoretisch würde dies auch bei Beteiligung durch Unterlassen auf einen extensiven Täter- oder Tatbegriff hinauslaufen. Denn der im Vorfeld tätige Garant müsste dann, auch wenn sein Unrecht nur dem Teilnahmeunrecht entspricht, auch für die Ausführung und den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig sein; er wäre also Täter. Wenn Jakobs zu einem anderen Ergebnis gelangt, indem er betont, dass eine Abgrenzung der Beteiligungsform nach dem Tatanteil des pflichtwidrigen Garanten geboten sei, vermeidet er die Pauschalität der Pflichtdeliktslehre. Die 134  Vgl.

auch die Einschätzung bei Mosenheuer, Unterlassen, S. 181. Jakobs, Übernahme, S. 249. 136  Roxin, AT II, § 31 Rn. 165. 137  Schwab, Täterschaft, S. 121. 138  Siehe oben S. 244 ff. 139  Zur Kritik oben Fn. 148, S. 164. Vgl. auch Mosenheuer, Unterlassen, S. 182; Otto, JuS 2017, 293. 135  Neuerdings



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen425

von ihm insoweit angebotenen Abgrenzungskriterien sind jedoch recht unbestimmt. Jakobs nennt zwar einige „Standardfälle“ und kommt hierbei durchaus zu überzeugenden Ergebnissen. Wie hier entspricht etwa die Nichtsicherung eines nicht frei verfügbaren Gifts normativ dessen positiver Hingabe. Jenseits dieser Standardfälle bereitet es aber mangels klarer Subkriterien Schwierigkeiten zu beurteilen, wann der Tatanteil des pflichtwidrigen Garanten schwerwiegender oder zumindest gleichwertig mit dem eines anderen vollverantwortlichen Handelnden ist. Die Unsicherheit dieser Beurteilung wäre noch größer, wenn unterschiedliche Haftungsgründe in einer Person zusammenkommen und diese Person ohne eine feste Regel, also „irgend­ wann“,140 wegen der Summierung dieser Haftungsgründe und der damit einhergehenden Tatgestaltungsmacht zum Täter würde. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Summierung einzelner Tatbeiträge, einerlei ob durch Tun oder Unterlassen, insgesamt der einzelnen Person eine Tatgestaltungsmacht verleihen würde. Fraglich ist aber, ob dies auch dann der Fall ist, wenn der einzelne Tatbeitrag jeweils nur ein Beihilfeunrecht aufweist. Das Unrecht der Nichtsicherung des Gifts und das Unrecht des daran anschließenden Nichtzurückziehens des Gifts bzw. der Nichtwarnung des Opfers summiert sich nicht zum Unrecht der Täterschaft. Dass man durch Summierung von Beihilfeunrecht zum Täterunrecht kommen würde, lässt sich allenfalls mithilfe des Gedankens der quantitativen Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme begründen – ein Gedanke, der hier aber mit guten Gründen abgelehnt wird.141 Im Vergleich zu Jakobs’ Unterscheidung ist die hier vertretene Unterscheidung zwischen Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg und Zuständigkeit für die Risikoerhöhung der Haupttat präziser, aber auch schlüssiger. Denn die Frage nach der Abgrenzung der Beteiligungsform kann ersichtlich nicht allein mithilfe der Zuordnung der Verletzung einer negativen Pflicht gelöst werden. Vielmehr ist sie bei Jakobs noch auf das Gewicht des Tat­ anteils des pflichtwidrigen Garanten angewiesen. Zu der Frage, ob der Tatanteil des Garanten Täter- oder Teilnahmeunrecht aufweist, kann die hier entwickelte normentheoretische Analyse in Hinblick auf den Schutzzweck der Garantenpflicht beitragen. Gleiches gilt auch für die Verletzung einer positiven Pflicht. Die Täterschaft des Garanten gründet sich nicht allein auf die Verletzung der Institutionspflicht, sondern auf seine Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg. Vertritt man diesen normentheoretischen Ansatz, muss man bei einigen Fällen der Verletzung einer negativen Pflicht, etwa bei einverständlicher Übernahme der Pflicht, das anvertraute Rechtsgut vor bestimmten Gefahren zu schützen, in der Regel eine Täterschaft annehmen. Tat­herrschaftsdämmerung, S.  210. oben S. 324 f.

140  Jakobs, 141  Siehe

426

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

d) Die sogenannte Zurechnungstheorie von Haas Auch Haas hält eine Abschichtung innerhalb der Garantenpflichtverletzung für notwendig. Den Ausgangspunkt seines Ansatzes bildet die These, dass § 13 Abs. 1 StGB eine Zurechnungsnorm sei. Wenn der Garant pflichtwidrig unterlässt, könne er sich nicht darauf berufen, dass er den Erfolg nicht verursacht habe. Denn er werde dann „von Rechts wegen so behandelt, als habe er durch aktives Verhalten den Tatbestand des Begehungsdelikts erfüllt, obwohl dies de facto nicht der Fall ist“.142 Die Rechtsverletzung werde dem pflichtwidrigen Garanten also zugerechnet. Begreift man ferner die Beteiligungsformen als unterschiedliche Arten von Rechtsverletzung, soll für die Abgrenzung der Beteiligungsformen der Zurechnungsgegenstand entscheidend sein, nämlich „wofür der Garant verantwortlich ist und was ihm daher aufgrund der Verletzung des Erfolgsabwendungsgebots zugerechnet werden kann“.143 Erfülle das zuzurechnende Geschehen die Voraussetzung des in Rede stehenden Tatbestandes, sei der Garant als Täter anzusehen, während er nur Teilnehmer sei, wenn der Zurechnungsgegenstand nur die Merkmale der Anstiftung bzw. Beihilfe erfülle.144 Mit zahlreichen Beispielen konkretisiert Haas seine These: Der Obhuts­ garant sei in der Regel Täter,145 weil er dafür verantwortlich sei, dass die Rechtsposition des Berechtigten nicht durch einen rechtswidrigen Angriff gefährdet oder sogar verletzt werde. Die Verletzung dieser Garantenpflicht legitimiert nach Haas also die Zurechnung dieses Angriffs.146 Auch wenn jemand als Sicherungs- bzw. Wächtergarant für ein fremdes Verhalten verantwortlich sei, das zu einer tatbestandsmäßigen Rechtsverletzung führe, sei diese Rechtsverletzung dem Garanten zuzurechnen. Er sei dann Täter.147 Wenn dieses zu überwachende fremde Verhalten seinerseits mittelbare Täterschaft und Mitttäterschaft begründe, sei der Garant wegen der Zurechnung der vom Garanten zu verantwortenden Einwirkung auf den Tatmittler (bzw. u. U. wegen der Tatvereinbarung) mittelbarer Täter bzw. Mittäter durch Unterlassen.148 Konsequent komme eine Teilnahme des Garanten dann in Betracht, wenn die Handlung, für die der Garant verantwortlich ist, ihrerseits ZIS 2011, 396. ZIS 2011, 396. Ihm sich anschließend Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 149. 144  Haas, ZIS 2011, 396. 145  Eine Ausnahme nimmt Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 136 dann an, wenn der Beschützergarant eine andere Person nicht an der Ausführung der Hilfeleistung hindert. 146  Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 131. 147  Haas, ZIS 2011, 396; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 131. 148  Haas, ZIS 2011, 396 f. 142  Haas, 143  Haas,



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen427

nur eine Anstiftungshandlung bzw. Beihilfehandlung sei.149 Ferner liege auch dann nur eine Beihilfe durch Unterlassen vor, wenn bei einer Überwachungsgarantenstellung aus Ingerenz das Vorverhalten nur eine Beihilfe begründe oder wenn die Garantenpflicht nur so weit reiche, die Förderung einer Haupttat durch eine vom Garanten zu überwachende Gefahrenquelle, etwa eine Waffe, zu untersagen.150 In diesen Fällen erschöpfe sich der Erfolg, den der Garant zu verhindern habe, in der Ermöglichung bzw. Förderung der Haupttat durch das Vorverhalten bzw. die Gefahrenquelle.151 Trotz der überzeugenden Schlussfolgerungen, die Haas in vielen Fällen gezogen hat, ist sein Ansatz in einigen Punkten angreifbar. Dem Ausgangspunkt, dass § 13 Abs. 1 StGB eine Zurechnungsnorm sei, liegt schon vom Ansatz her die fragwürdige These zugrunde, dass das garantenpflichtwidrige Unterlassen den tatbestandsmäßigen Erfolg nicht verursachen könne.152 Das würde aber dem garantenpflichtwidrigen Unterlassen eine reale soziale Wirkungsmacht gänzlich absprechen, mit der Folge, dass die Unterlassung überhaupt nur ein rechtliches Konstrukt ohne Realität wäre. Wenn aber das Unterlassen nichts bewirken könnte, könnte ihm auch nichts zugerechnet werden.153 Konsequent, wenn man wie Haas eine „außerordentliche“ Zurechnungsnorm hierfür schafft, um eine Zurechnung überhaupt zu ermöglichen, wird der Schwerpunkt der Bestimmung der Verletzungsmacht gänzlich von der Handlung des pflichtwidrigen Garanten auf das zugerechnete fremde Verhalten verschoben. Entscheidend wäre dann nicht mehr, was der Garant selbst wirklich bewirkt (weil er nichts bewirken könnte), oder genauer: Entscheidend wäre nicht mehr, inwieweit der betroffene Garant durch die Verletzung seiner Garantenpflicht dem Opfer dessen rechtlich anerkannte Rechtsposition entzogen hat, sondern was der andere getan hat und inwieweit das fremde Bewirken dem Garanten zugerechnet werden kann.154 Diese fehlerhafte Bestimmung des Garantenunterlassens muss Konsequenzen für die Bestimmung der Beteiligungsformen haben. Insoweit fragt Haas, wofür der Garant verantwortlich sei, und zwar, indem er nach dem Zurechnungsgegenstand fragt. Die Beteiligungsform des Garanten wird dabei überwiegend davon abhängig gemacht, ob das fremde Verhalten den betroffenen Tatbestand oder nur das Teilnahmeunrecht verwirklicht. Die Beteiligungsform des zu Überwachenden reflektiert aber nur die Verletzungsmacht des zu ZIS 2011, 397; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 135 f. § 13 Rn. 136. 151  Haas, ZIS 2011, 396. 152  Haas, ZIS 2011, 396 Fn. 46; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 34. 153  Siehe oben S. 142 ff. 154  Kritisch auch Murmann, FS-Beulke, S. 186 Fn. 31. Das Gleiche gilt für den extrem-restriktiven Tatbegriff von Haas, siehe oben S. 276 ff. 149  Haas,

150  Matt/Renzikowski/Haas,

428

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Überwachenden, nicht die Verletzungsmacht des Garanten selbst. Wofür der Garant verantwortlich ist und die Bestimmung des Zurechnungsgegenstandes können aber nicht nur auf fremde Verletzungsmacht, sondern auf die des Garanten selbst abstellen, die sich wiederum nach der eigenen Pflichtstellung des Garanten zum Opfer bestimmt. Die Schwäche von Haas’ Ansatz tritt besonders deutlich zutage, wenn Haas konsequent bei Verletzung einer Pflicht, das Verhalten eines Vollverantwortlichen zu überwachen, in der Regel eine Täterschaft annehmen will. Durch diese außerordentliche Zurechnung, die sich nur um die Frage nach der Tatbestandsverwirklichung des Vollverantwortlichen kümmert, verliert er aber die mögliche Relevanz von dessen Eigenverantwortlichkeit für die Bestimmung der Verletzungsmacht des Garanten gänzlich aus dem Blick. Die schlüssige Frage in solchen Fällen ist gerade, ob der Garant trotz der Eigenverantwortlichkeit des zu Überwachenden noch die Rechtsverletzung beherrscht. Die Überwachungspflicht allein kann nicht allgemein die Täterschaft des Überwachungsgaranten legitimieren.155 Wenn der Strafgefängnisaufseher das Entweichen des Gefangenen nicht unterbindet, kann er nicht deshalb als Täter für die vom Gefangenen nach Entweichen begangene Vergewaltigung zur Verantwortung gezogen werden, weil er für das Verhalten des Gefangenen verantwortlich ist und weil der Gefangene den Tatbestand der Vergewaltigung verwirklicht hat.156 Vielmehr muss man davon ausgehen, dass das Entweichen nur die spätere vollverantwortliche Vergewaltigung überhaupt ermöglicht hat und deren Risiko erhöht. Der Aufseher ist somit nur ein Gehilfe.157 Wenn Haas trotz des abweichenden Ausgangspunkts zu dem gleichen Ergebnis wie hier kommt – etwa bei Verletzung einer Beschützergarantenpflicht, bei Nichtverhinderung einer Teilnahmehandlung sowie bei der Überwachungspflicht kraft eigenen vorherigen Teilnahmeverhaltens –, hängt das damit zusammen, dass er bei der Bestimmung des Zurechnungsgegenstands nicht mehr einfach auf die fremde Verletzungsmacht abstellt, sondern auch die eigene Verletzungsmacht des Garanten berücksichtigt,158 womit er aber seiner ursprünglichen These einer außenordentlichen Zurechnung nicht treu bleibt. 155  Siehe

bereits Murmann, FS-Beulke, S. 186 Fn. 31. aber Haas, ZIS 2011, 396; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 131; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 47 Rn. 155. 157  Siehe oben S. 399 f. 158  Bei Verletzung einer Überwachungspflicht kraft eigener vorheriger Beihilfehandlung weist Haas, ZIS 2011, 396 zutreffend darauf hin, dass hier der Erfolg, den der Garant zu verhindern hat, nur die Ermöglichung oder Förderung der Haupttat ist. Dass der zu verhindernde Erfolg hier nicht die vollverantwortliche Straftat des Haupttäters, sondern nur die Förderungswirkung für die Haupttat ist, kann aber nur so begründet werden, dass sich die Verletzungsmacht des Garanten in diesem Fall in der Förderung der Haupttat erschöpft. 156  So



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen429

e) Die Abgrenzung der Beteiligungsformen nach der Reichweite der Sonderverantwortlichkeit bei Freund und Rauber Am nächsten steht der Ansatz von Freund und Rauber dem hier vertretenen. In Hinblick auf die Abgrenzung der Beteiligungsformen stellen sie auf die Reichweite der Sonderverantwortlichkeit des Garanten ab, nämlich darauf, „worauf genau sich die Sonderverantwortlichkeit bezieht“ oder „auf den sonderzuverantwortenden Anteil an einem schadensträchtigen Geschehen“.159 Gefragt ist somit nichts anderes, als für welchen Anteil der Garant zuständig sein soll, was wiederum von dem Schutzzweck der verletzten Garantenpflicht abhängig gemacht wird. Die Ähnlichkeit zwischen dem Kriterium der Reichweite der Sonderverantwortlichkeit einerseits und dem Kriterium des Schutzzwecks der verletzten Garantenpflicht andererseits ist leicht zu erkennen.160 Weil sich der Anteil bei der täterschaftlichen von dem Anteil bei der teilnehmerschaftlichen Tatbestandsverwirklichung unterscheiden soll,161 müssen weitere Subkriterien für diese Unterscheidung angeboten werden. Bei Freund lassen sich diese materiellen Subkriterien nur bei der Bestimmung der Reichweite der Sonderverantwortlichkeit in Einzelfällen gleichsam intuitiv erkennen. Im Unterschied dazu entwickelt der hiesige Ansatz in Anschluss an Murmann162 im ersten Schritt eine weitere abstrakte Regel zur Beurteilung des Schutzzwecks der Garantenpflicht. Zielt diese Garantenpflicht gerade auf die Erfolgs- oder Tatverhinderung ab, begründet deren Verletzung Täterschaft. Bezweckt sie aber nur die Risikoverringerung der Haupttat, nämlich deren Erschwerung, ist der pflichtwidrige Garant nur als Teilnehmer anzusehen. Diese abstrakte Regel soll die Bestimmung der Reichweite oder des Schutzzwecks der Garantenpflicht erleichtern. Bei der Bestimmung der Reichweite der Sonderverantwortlichkeit versucht Rauber, diese Bestimmung durch die Unterscheidung von Beschützer- und Überwachungsgarantenstellung systematisch zu erklären.163 Rauber geht zunächst davon aus, dass der Beschützergarant das Rechtsgut rundum zu verteidigen hat und die Reichweite der Sonderverantwortlichkeit damit „die Abwehr aller dem zu Beschützenden drohenden Gefahren“ umfasst. Der

159  MK4/Freund, § 13 Rn. 269. Auch Rauber, Mord, S. 346, der aber zusätzlich die Unterscheidung von Beschützergaranten- und Überwachungsgarantenstellung zur Erklärung der Reichweite der Sonderverantwortlichkeit heranzieht. 160  So auch die Einschätzung von MK4/Freund, § 13 Rn. 269 Fn. 426 einerseits und Murmann, FS-Beulke, S. 190 Fn. 52 andererseits. 161  MK4/Freund, § 13 Rn. 269. 162  Grundlegend Murmann, FS-Beulke, S. 190 ff. 163  Rauber, Mord, S. 346.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Beschützergarant sei in der Regel Täter.164 Was die Überwachungsgarantenstellung angeht, weist Rauber als Ausgangsthese zutreffend darauf hin, dass der Überwachungsgarant nur „die der zu überwachenden Gefahrenquelle originär innwohnende Gefahr einzudämmen“ hat und die Reichweite der Sonderverantwortlichkeit so bestimmt ist, dass die dem betroffenen Rechtsgut drohende Gefahr als Verwirklichung der vom Garanten zu überwachenden Gefahr begriffen werden kann.165 Zur weiteren Bestimmung der Reichweite der Überwachungspflicht unterscheidet Rauber zwei Kategorien: zum einen den Fall, dass die „Person des aktiv Handelnden selbst“ die vom Garanten zu überwachende Gefahr ist, zum anderen den Fall, dass „die vom Überwachungsgaranten zu überwachende Gefahrenquelle als Tatmittel“ Verwendung findet.166 Im ersten Fall kommt Rauber wie Haas zum Ergebnis, dass der Überwachungsgarant in der Regel Täter sei. Denn er habe die Rechtsgüter aller potentiellen Opfer vor den von der zu überwachenden Person ausgehenden Gefahen zu bewahren, und eine solche Gefahr habe sich gerade bei Verletzung der Überwachungspflicht im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert.167 Diese Bestimmung der Sonderverantwortlichkeit greift aber zu kurz und ist zu pauschal. Daraus, dass der Garant die Gefahren aus einem bestimmten fremden Verhalten überwachen soll, ergibt sich, wie auch die Kritik an Haas lautete, noch nicht, dass diese zu überwachende Gefahr notwendig tatbestandsmäßig ist. Beim Fall des Gefängnisaufsehers hat der Aufseher zwar das Verhalten des Gefangenen zu überwachen, aber gerade nur das Entweichen des Gefangenen, nicht dessen Vergewaltigungshandlung nach dem Entweichen. Die im tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklichte Gefahr hat somit ihren Ursprung in dem eigenverantwortlichen Verletzungs­ willen des Gefangenen. Durch Nichtverhinderung des Entweichens erhöht der Aufseher nur das Risiko der sich an das Entweichen anschließenden Vergewaltigung; er ist nur ein Gehilfe. Raubers These gilt aber dann, wenn die fremde Eigenverantwortlichkeit deshalb nicht mehr relevant ist, weil die Straftat gerade als Verwirklichung einer vorher durch eigenes Verhalten geschaffenen tatbestandsmäßigen Gefahr begriffen werden kann, wie bei der Überwachungspflicht des Geschäftsführers, unternehmensbezogene Straftaten zu verhindern. Aber auch bei Verletzung der Pflicht zur Überwachung einer gefährlichen Sache, die vom Begehungstäter als Tatmittel zur Straftat missbraucht wird, 164  Rauber, Mord, S. 346. Danach komme Teilnahme ausnahmeweise in Betracht, wenn es sich um ein eigenhändiges Delikt handelt oder wenn die tatbestandliche Täterqualität oder „besondere täterschaftsbegründende Absicht fehlt“ (ebd., S. 346 f.). Ferner MK4/Freund, § 13 Rn. 271. 165  Rauber, Mord, S. 347. 166  Rauber, Mord, S. 347 (Hervorhebung im Original). 167  Rauber, Mord, S. 348.



A. Abgrenzungskriterien der Beteiligungsformen431

ist Raubers allgemeine Bestimmung der Reichweite der Sonderverantwortlichkeit, nämlich „die Verwendung der von ihm [sc. dem Garanten] zu überwachenden Gefahrenquelle zu deliktischen Zwecken [zu] verhindern“,168 zu undifferenziert und teilweise zu eng. Diese Bestimmung gilt nämlich nur für Fälle, in denen die tatbestandsmäßige Gefahr nach der Beschaffenheit der zu überwachenden Sache erst durch ein menschliches Verhalten hergestellt werden kann. Insoweit ist Raubers Ansicht, dass der Tatanteil des Garanten vergleichbar sei mit dem desjenigen, der dem aktiv Handelnden das Tatmittel verschafft, und er (als Gehilfe) nur mittelbar eine Gefahr für das Rechtsgut geschaffen habe,169 uneingeschränkt zuzustimmen. Wenn aber die zu überwachende Sache ohne Eingreifen eines menschlichen Verhaltens gleichsam „von sich aus“ für das Rechtsgut eine tatbestandsmäßige Gefahr schaffen kann, wie die von einem Kampfhund ausgehende Gefahr, verpflichtet sich der Garant, diese der zu überwachenden gefährlichen Sache innewohnende tatbestandsmäßige Gefahr einzudämmen, unabhängig davon, ob sie durch eine Naturgewalt oder durch einen vollverantwortlichen Handelnden aktualisiert geworden ist.170

VII. Zwischenergebnis Im Ergebnis bestätigt sich Freunds These, dass „es eine verwirrende Vielfalt unterschiedlicher Meinungen [gibt]“,171 die im Wesentlichen auf das Missverständnis der Verletzungsmacht des garantenpflichtwidrigen Unterlassens sowie der instrumentellen Tat­herrschaft zurückzuführen sind. Des Weiteren erfüllt ein großer Teil der in der Literatur angebotenen Angrenzungstheorien nicht den Anspruch einer allgemeinen Theorie. Die Gehilfentheorie und die Pflichtdeliktslehre erweisen sich letztendlich als zu pauschal. Demgegenüber nehmen bestimmte Varianten der Pflichtinhaltstheorie zwar einen Mord, S. 348 ff. Mord, S. 348 f. 170  Zutreffend MK4/Freund, § 13 Rn. 276. Dagegen wendet Rauber, Mord, S. 352 ein, dass durch das Eingreifen eines Dritten, der etwa den zu überwachenden Kampfhund auf einen Passanten gehetzt hat, die das Rechtsgut drohende Gefahr „in erheblicher Weise intensiviert“ werde. Diese gesteigerte Gefahr weise qualitativ eine andere Gefahrendimension auf als die der zu überwachenden Sache originär innewohnende Gefahr, etwa wenn der Kampfhund „aus eigenem Antrieb“ den Passanten angreife (ebd., S. 351), und soll in den primären Verantwortungsbereich des Dritten fallen. Indes ist die Behauptung einer qualitativen Gefahrsteigerung durch Missbrauchshandlung des Dritten kaum zu begründen. Insbesondere aus Sicht des Opfers handelt es sich hierbei um ein und dieselbe tatbestandsmäßige Gefahr, vom Kampfhund verletzt zu werden, einerlei, ob dieser Kampfhund aus eigenem Antrieb angreift oder von dem Dritten auf das Opfer gehetzt wird. 171  MK4/Freund, § 13 Rn. 266. 168  Rauber, 169  Rauber,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

zutreffenden Mittelweg, die Unterscheidung nach bestimmten Arten der Garantenpflicht scheitert aber nicht selten daran, dass diese Unterscheidung entweder nicht schlüssig für die Abgrenzung der Beteiligungsformen ist oder die hinter dieser Unterscheidung stehenden normativen Überlegungen entweder nicht überzeugend oder zu unbestimmt sind. Auf der Basis der hier vertretenen interpersonalen Tat­herrschaftslehre, die die Pflichtstellung des einzelnen Beteiligten zum Opfer ernst nimmt, geht es sowohl bei positivem Tun als auch bei Unterlassen um die Frage, ob und inwieweit der Beteiligte trotz der Eigenverantwortlichkeit des anderen noch als Täter die Tatbestandsverwirklichung beherrschen kann. Das ist nach der normentheoretischen Analyse nur dann der Fall, wenn der Garant für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist, oder genauer: wenn die betroffene Garantenpflicht gerade auf die Verhinderung des tatbestandsmäßigen Erfolgs oder die Verhinderung einer tatbestandsmäßigen fremden Straftat zielt. Dazu gehören (1) die Pflicht, das Rechtsgut umfassend oder in einem bestimmten Raum und einer bestimmten Zeit vor allen Arten von Gefahren zu schützen, (2) die Pflicht, Personen mit Verantwortlichkeitsdefiziten zu überwachen, (3) die Pflicht, eine gefährliche Sache (Kampfhund, hochexplosive Stoffe usw.) zu überwachen, die ohne das Eingreifen eines menschlichen Verhaltens gleichsam „aus sich heraus“ eine tatbestandsmäßige Gefahr für das Rechtsgut schaffen kann, sowie (4) die Pflicht, die durch eigenes Vorverhalten geschaffene tatbestandsmäßige Gefahr zu neutralisieren, etwa wenn bei Weiterungsfällen der Garant durch sein Vorverhalten nicht nur eine Gefahr in Richtung auf die Hervorrufung eines fremden Tatentschlusses, sondern darüber hinaus eine Lebensgefahr für das Opfer geschaffen hat. Gleiches gilt auch für die Pflicht des Betriebsinhabers oder anderer Mitglieder der Unternehmensleitung, unternehmensbezogene Straftaten zu verhindern, denn diese tatbestandsmäßigen Straftaten stellen gerade einen „Aufschluss“ der durch den Betrieb des Unternehmens selbst geschaffenen Gefahr dar. Eine Teilnahme durch Unterlassen liegt dann vor, wenn das Unterlassen des Garanten ex ante betrachtet keine hinreichende Bedingung für den tatbestandsmäßigen Erfolg ist und es für die Entstehung einer tatbestandsmäßigen Gefahr noch eines fremden Verletzungswillens bedarf. Der Schutzzweck der in Rede stehenden Garantenpflicht muss wegen der fremden Eigenverantwortlichkeit auf die Risikoverringerung der fremden Haupttat bzw. Erschwerung der fremden Haupttat beschränkt sein. Dementsprechend begründet die Pflichtverletzung in den folgenden Konstellationen nur das Teilnahme­unrecht, wenn (1) die vom Garanten zu überwachende Gefahr nur das Teilnahme­ unrecht verwirklicht, etwa bei einer Garantenpflicht kraft eigener vorheriger Bestimmung oder Hilfeleistung und bei einer Garantenpflicht zur Verhinderung der Anstiftung oder Hilfeleistung des zu Überwachenden, wenn (2) die



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen433

zu überwachende gefährliche Sache (Pistole, Gift, usw.) nach ihrer Beschaffenheit erst unter menschlicher Anwendung die tatbestandsmäßige Gefahr für das Opfer schaffen kann, oder wenn (3) der Garant zwar ein bestimmtes Verhalten eines Dritten zu überwachen hat, dieses Verhalten aber noch keine tatbestandsmäßige Gefahr schafft, wie im Fall der Nichtverhinderung des Entweichens eines Gefangenen durch einen Strafgefängnisaufseher. Damit kann die Schwierigkeit bei der Bestimmung des Schutzzwecks der verletzten Garantenpflicht nicht gänzlich aufgehoben werden. Durch die primäre abstrakte Abgrenzung zwischen Tatverhinderungs- und Taterschwerungspflicht sowie durch die diese Abgrenzung ergänzenden und konkretisierenden normativen Überlegungen als Subkriterien wird die Unbestimmtheit der Bestimmung aber auf ein erlaubtes „Restrisiko“ reduziert. Es bleibt dann dem Rechtsanwender überlassen, mit rationalen Begründungen zu überprüfen, ob die hier angebotenen Kriterien erfüllt sind.

B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen Nachdem die Kriterien für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme durch Unterlassen geklärt worden sind, ist nunmehr auf die Erscheinungsformen der Beteiligung des pflichtwidrigen Garanten einzugehen. Es sei hier nochmals bemerkt, dass jede Erscheinungsform der Beteiligung die allgemeinen Voraussetzungen der Täterschaft bzw. der Teilnahme durch ­Unterlassen erfüllen muss. Unmittelbarer Täter, mittelbarer Täter sowie Mittäter durch Unterlassen müssen nämlich eine Erfolgs- oder Tatverhinderungspflicht verletzen, während Anstifter und Gehilfe durch Unterlassen einer Taterschwerungspflicht pflichtwidrig nicht nachkommen.

I. Nebentäterschaft durch Unterlassen Wenn in der Verletzung eines Rechtsgutsobjekts mehrere Rechtsverhältnisverletzungen enthalten sind und die daran Beteiligten jeweils ohne eine Willensvermittlung durch ihre Verletzungsmacht ihr eigenes Rechtsverhältnis zum Opfer im Sinne vollendeten tatbestandsmäßigen Unrechts zum Schlechten wenden, sind sie Nebentäter.172 Nebentäterschaft durch Unterlassen liegt dementsprechend dann vor, wenn der Garant es trotz seiner Tatverhinde172  Murmann, Nebentäterschaft, S. 222. Vielfach wird die Nebentäterschaft aber etwas technischer so definiert, dass dasselbe Rechtsgut durch mehrere Täter verletzt wird, die aber nicht in mittäterschaftlicher Verbundenheit handeln. Vgl. Schönke/ Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 104.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

rungspflicht pflichtwidrig unterlässt, ein fremdes tatbestandsmäßiges Handeln eines Dritten zu unterbinden, ohne mit diesem Dritten in einem Willensvermittlungsverhältnis zu stehen. Erfährt ein Vorarbeiter einer Kolonne zufällig, dass die ihm untergeordneten Mitarbeiter wiederholt demütigende körperliche Misshandlungen an einen anderen Mitarbeiter in dieser Kolonne begehen, und hält er trotz seiner Schutzpflicht gegenüber dem misshandelten Mitarbeiter die Mitarbeiter nicht davon ab,173 ist er Nebentäter durch Unterlassen. Gleiches gilt für den Geschäftsführer, der entgegen der Vermögensbetreuungspflicht die Vermögensschädigungshandlung eines Mitarbeiters am Unternehmen nicht verhindert, ohne dabei aber mittäterschaftlich zu handeln. Da die Rechtsgüter interpersonal als Dimensionen von Freiheit im jeweiligen Rechtsverhältnis konstituiert und auch verletzt werden, liegt in allen diesen Fällen zwei Rechtsgutsverletzungen vor: Der Begehungstäter verletzt durch positives Tun in einer tatbestandsmäßigen Weise sein Rechtsverhältnis zum Opfer, während der Garant durch pflichtwidriges Unterlassen in vollem Unrecht sein Rechtsverhältnis zum Opfer zum Schlechten wendet. Zwischen beiden Rechtsverhältnisverletzungen besteht aber mangels einer Willensvermittlung kein Beteiligungsverhältnis.

II. Mittelbare Täterschaft durch Unterlassen 1. Konstruktionsmöglichkeit und Notwendigkeit Die konstruktive Möglichkeit oder die Notwendigkeit der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen wird bisher noch heftig bestritten.174 Näher bese173  In

Abwandlung von BGHSt 57, 42 ff. Gropp/Sinn, AT, § 10 Rn. 145; Grünwald, GA 1959, 122; Heinrich, AT, Rn. 1210; Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 635; Jescheck/Weigend, AT, S. 673; Knauer, NJW 2003, 3102; Kreuzberg, Täterschaft, S. 647 ff., 651; Krey/Esser, AT, Rn. 1185; Kühl, AT, § 20 Rn. 267; Lackner/Kühl/Kühl, § 25 Rn. 6a; LK13/Weigend, § 13 Rn. 85; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 132; Maurach/Gössel/Zipf/ Renzikowski, AT II, § 48 Rn. 118 f.; MK3/Joecks, § 25 Rn. 182; Mosenheuer, Unterlassen, S. 118 f., 120 ff.; NK/Gaede, § 13 Rn. 27; NK1/Schild, Vor §§ 25 ff. Rn. 214; Otto, GK, § 21 Rn. 108; Rauber, Mord, S. 375 f.; Ransiek, JuS 2010, 679; Rengier, AT, § 51 Rn. 5; Roxin, AT II, § 31 Rn. 175; ders., TuT, S. 700 Rn. 84; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, § 13 Rn. 50; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 57, 60; Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 162 ff.; Schwab, Täterschaft, S. 54, 215; Streng, ZStW 122 (2010), 16 f.; Welzel, Strafrecht, S. 206. Dafür BGHSt 40, 257, 266 ff.; 48, 77, 89 ff.; Beulke/Witzigmann, Mittelbare Täterschaft, 257; Bottke, JuS 2002, 323: bei überlegener Gestaltungsherrschaft des Garanten; Brammsen, NStZ 2000, 337; Busse, Täterschaft, S. 92 f., 346, auf die nicht-treuhänderischen Garanten beschränkend; Dreher, JuS 2004, 18; Haas, ZIS 2011, 396 f.; Herzberg, Unterlassung, 100 f., 260 f.; Jakobs, AT, § 29 Rn. 103; ders., Theorie, S. 56 Fn. 116, einschränkend auf die negative Pflichtverletzung; Kindhäuser/Zimmermann, 174  Dagegen



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen435

hen sind die Einwände gegen die Konstruktionsmöglichkeit dieser Rechts­ figur aber nicht überzeugend: a) Zum Argument der aktuell-faktischen instrumentellen Tat­herrschaft über ein fremdes Verhalten Gegen eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen wird angeführt, dass sie eine Einschaltung eines fremden Verhaltens in die Kausalkette zwischen der Handlung des mittelbar Handelnden und dem Erfolg voraussetze. Da aber ein Unterlassen keine Kausalkette auslösen könne, sei eine mittelbare Täterschaft konstruktiv unmöglich.175 Mit diesem Einwand gegen die Möglichkeit der mittelbaren Täterschaft in einem engen Zusammenhang steht der herrschende, auf der Tat­herrschaftslehre basierende Einwand, dass der Garant durch pflichtwidriges Unterlassen überhaupt nicht den Erfolg verursachen und somit nicht das Geschehen bis zur Rechtsgutsverletzung beherrschen könne,176 oder mittelbare Täterschaft durch Unterlassen mangels „Anstoßes“ oder „steuernder Beherrschung eines Tatmittlers“ durch den Garanten nicht möglich sei.177 „Der Garant [macht] den Begehungstäter nicht zum Werkzeug seines Willens, sondern [lässt] den vollkommen ungenötigt handelnden unmittelbaren Täter nur gewähren.“178 Es wäre aber ein Zirkelschluss, für die mittelbare Täterschaft bereits begrifflich einen auf das positive Tun zugeschnittenen aktiven Anstoß vorauszusetzen und dann die Möglichkeit einer mittelbaren Unterlassungstäterschaft

AT, § 39 Rn. 42; Köhler, AT, S. 537; LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 238; MK4/ Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 183, 288; Murmann, GK, § 29 Rn. 90; ders., JA 2008, 326; Nitze, Entsprechensklausel, S. 156  f.; Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Noltenius, HdBStrR, § 50 Rn. 129; Orozco López, Beteiligung, S. 20 Fn. 58, einschränkend auf die negative Pflichtverletzung; Ranft, FS-Otto, S. 410 ff.; F. C. Schroeder, Täter, S.  106 f.; SK/Stein, Vor § 13 Rn. 57; SK/Hoyer, § 25 Rn. 150; Stein, Beteiligungsformenlehre, S.  310 f.; Vogel, Norm, S. 288; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1210. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 25 Rn. 151 f.: konstruktiv zwar möglich, aber nicht notwendig; ähnlich Frister, AT, § 27 Rn. 48. 175  Grünwald, GA 1959, 122. 176  Gropp/Sinn, AT, § 10 Rn. 145; Krey/Esser, AT, Rn. 1185; Rengier, AT, § 51 Rn. 5; Roxin, TuT, S. 700 Rn. 84; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 14. 177  Lackner/Kühl/Kühl, § 25 Rn. 6a. Ferner Heinrich, AT, Rn. 1210; HoffmannHolland, ZStW 118 (2006), 635; Knauer, NJW 2003, 3102; Kühl, AT, § 20 Rn. 267; LK13/Weigend, § 13 Rn. 85; NK/Gaede, § 13 Rn. 27; Otto, GK, § 21 Rn. 108; Rauber, Mord, S. 375; Roxin, AT II, § 31 Rn. 175; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, § 13 Rn. 50; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 60; Schwab, Täterschaft, S. 215; Streng, ZStW 122 (2010), 16 f. 178  Roxin, AT II, § 31 Rn. 175.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

abzulehnen.179 Aber abgesehen davon liegt den oben aufgezeichneten Einwänden das hier vielfach abgelehnte Missverständnis zugrunde, dass Unterlassen überhaupt nichts bewirken könne. Wenn man aber wie hier die sozialwirkliche Verletzungsmacht des garantenwidrigen Unterlassens im Sinne der Entziehung fremden rechtlich garantierten Rechts anerkennt und von der Fessel des Naturalismus befreit, kann die Möglichkeit, die Verletzungsmacht eines unterlassenden Garanten durch einen Dritten zu vermitteln, nicht von vornherein ausgeschlossen werden.180 Das kommt insbesondere in Betracht, wenn der Garant seine Pflicht zur Verhinderung einer fremden Tat verletzt. Der Einwand des Fehlens der Herrschaft über den zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalverlauf ist vor diesem Hintergrund leicht zu entkräften. Denn er kann seine Unterstützung nur in der instrumentellen Tatherrschaftslehre im Sinne von aktuell-faktischer Beherrschung des Kausalverlaufs finden. Dass eine solche instrumentelle Tat­herrschaftslehre auch bei positivem Tun nicht überzeugend ist, wurde oben eingehend gezeigt.181 Die Tat­ herrschaft lässt sich indes auch nicht auf die potentielle Beherrschbarkeit reduzieren, wie einige Vertreter der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen behaupten.182 Denn entscheidend ist nicht die faktische Beherrschung des zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalverlaufs, sondern die normative Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer, die sich wiederum nach der Pflichtstellung des einzelnen Beteiligten zum Opfer bestimmt.183 Diese normative Tat­herrschaft ist aber nicht nur eine Möglichkeit zur Beherrschung des Rechtsverhältnisses zum Opfer, sondern eine sozialwirkliche Verletzung im Sinne der Verschlechterung einer fremden Rechts­ position. Ähnliches gilt für das Gegenargument der fehlenden Beherrschung des Tatmittlers. Auch bei mittelbarer Täterschaft durch positives Tun ergibt sich die Täterschaft des Hintermannes nicht einfach daraus, dass der Hintermann durch aktiven Einfluss auf den Tatmittler, etwa durch dessen Täuschung oder Nötigung, ein Verantwortlichkeitsdefizit beim Tatmittler auslöst. Denn eine solche positive Instrumentalisierung und das damit einhergehende überlegene Wissen können auch nur ein Risiko in Richtung auf die Hervorrufung 179  Kritisch auch Busse, Täterschaft, S. 93, der darüber hinaus darauf hinweist, dass diese Voraussetzung gesetzlich nicht gefordert wird; Mosenheuer, Unterlassen, S.  116 f. 180  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 6. 181  Siehe oben S. 285 ff., 313 ff. Gegen einen ontologischen Tat­ herrschaftsbegriff auch Vogel, Norm, S. 288. 182  Bachmann/Eichinger, JA 2011, 106; Brammsen, NStZ 2000, 340; Ranft, ­FS-Otto, S.  411. 183  Vgl. auch HK-GS/Tag, § 13 StGB Rn. 29, die zutreffend konstatiert, dass unter einem normativen Tat­ herrschaftsverständnis die aktuell-faktische Tat­ herrschaft keine zwingende Bedingung für Täterschaft ist.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen437

eines fremden Tatentschlusses schaffen, was aber nur dem Anstiftungsunrecht entspricht. Die mittelbare Täterschaft leitet sich vielmehr primär daraus ab, dass dadurch eine Sonderverantwortlichkeit des Hintermannes für das Fehlverhalten des Tatmittlers zugunsten des Opfers begründet wird und der Hintermann daher das eventuelle Verantwortlichkeitsdefizit beim Tatmittler auszuschließen hat.184 Es geht also immer um eine Sonderverantwortlichkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg und damit um das Rechtsverhältnis des Hintermannes zum Opfer, nicht aber nur um das zum Tatmittler, auch wenn der Hintermann es durch sein Verhalten verletzt. Wenn es aber auf die Pflichtstellung des Hintermannes gegenüber dem Opfer sowie die daraus abgeleitete Sonderverantwortlichkeit zur Beseitigung des Verantwortlichkeitsdefizits beim Tatmittler ankommt, spielt es für die Begründung der mittelbaren Täterschaft keine Rolle mehr, ob der Hintermann das Defizit aktiv hervorruft oder es nicht beseitigt.185 In beiden Varianten wird dem Hintermann wegen der Verletzung dieser Sonderverantwortlichkeit das Verhalten des Tatmittlers zugerechnet. b) Zum Entbehrlichkeitsargument aa) Einebnung der Unterscheidung von unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft Gegen die Anerkennung der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen wird weiterhin ins Feld geführt, dass in den Fällen, wo eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen angenommen werden soll, der pflichtwidrige Garant in der Regel bereits als unmittelbarer Täter anzusehen sei und daher die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen entbehrlich sei.186 Wenn etwa ein Pfleger einer Heilanstalt willentlich einen von ihm zu überwachenden schuldlosen Geistkranken nicht von einem strafbewehrten Angriff auf einen Mitpatienten abhält,187 sei der Pfleger bereits als unmittelbarer Täter anzusehen. Ein Umweg über die mittelbare Täterschaft sei hier entbehrlich, denn die Täterschaft des Pflegers ergebe sich unmittelbar aus seiner Pflicht zur Beaufsichtigung des Geisteskranken und nicht aus der Herrschaft des Pflegers.188 Ob das zur Rechtsgutsverletzung führende Kausalgeschehen durch Naturgewalt bzw. durch einen schuldlosen Geisteskranken in Gang 184  Siehe

oben S. 340 ff. Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 39 Rn. 42. 186  Exemplarisch MK3/Joecks, § 25 Rn. 182. Ferner siehe oben Fn. 174, S. 434. 187  Beispiel aus Jescheck/Weigend, AT, S. 673; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 183; Schwab, Täterschaft, S. 54. 188  Knauer, NJW 2003, 3102; Otto, GK, § 21 Rn. 108. Unter dem Aspekt der Pflichtdeliktslehre Roxin, TuT, S. 700 Rn. 84. 185  Treffend

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

gesetzt werde, sei vor diesem Hintergrund für die täterschaftliche Verantwortlichkeit aufgrund der Verletzung einer Erfolgsabwendungspflicht irrelevant.189 Diese Einwände lassen sich dahin interpretieren, dass, soweit sich die Garantenpflicht auf die Erfolgsverhinderung erstreckt und die Täterschaft des Garanten damit begründet wird, die weitere Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft entbehrlich wäre. Das würde aber zur Einebnung des Unterschieds zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft im Unterlassungsbereich führen. Die Erfolgsverhinderungs- oder Tatverhinderungspflicht begründet zwar die täterschaftliche Verantwortlichkeit, gibt für sich aber noch keine Auskunft über die Beteiligungsformen, also ob der pflichtwidrige Garant durch eigene Hand oder durch einen Dritten den Tatbestand verwirklicht.190 Konsequent gedacht müsste diese Ein­ ebnung über den Unterlassungsbereich hinaus aber auch im Bereich positiven Tuns erfolgen. Denn wenn das aktive Einwirken des Hintermannes auf den vorsatzlosen bzw. schuldlosen Tatmittler unter bestimmten Voraussetzungen, etwa bei Entlassen des Tatmittlers aus dem Herrschaftsbereich des Hintermannes, bereits ein Risiko in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg schafft, verletzt der aktive Hintermann eine tatbestandsmäßige Pflicht, ohne dass er aber einfach deshalb als unmittelbarer Täter anzusehen wäre.191 Ist es ein relevanter Unterschied im Bereich des positiven Tuns, ob die Verletzungsmacht des Hintermannes über eine Naturgewalt oder über ein menschliches Verhalten bis hin zum tatbestandsmäßigen Erfolg vermittelt wird, so muss dies auch im Rahmen des Unterlassens gelten. bb) Ist die Begründung der mittelbaren Täterschaft über die Zurechnung fremden Verhaltens entbehrlich? Weiterhin wird die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen deshalb abgelehnt, weil es zur Begründung des täterschaftlichen Unrechts des pflichtwidrigen Garanten keiner Zurechnung fremden Verhaltens bedürfe. Nach Renzikowski besteht die normative Relevanz des Zurechnungsdefizits beim Tatmittler in der Begründung der Sicherungsgarantenstellung des Hintermannes. Die täterschaftliche Verantwortlichkeit des Garanten, in unserem 189  Schönke/Schröder/Heine/Weißer, §  25 Rn.  57; Graf/Jäger/Wittig/HoffmannHolland/Singelnstein, § 25 StGB Rn. 40; Schwab, Täterschaft, S. 54; Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 14 Rn. 14. In diesem Sinne wohl auch Jescheck/Weigend, AT, S. 673. 190  In anderem Zusammenhang, und zwar dem der konstruktiven Möglichkeit der mittelbaren Täterschaft bei Pflichtdelikten auch Pariona Arana, Täterschaft, S.  146 ff.: Pflichtverletzung als Grund der Zurechnung fremden Verhaltens; Schünemann, GA 2017, 687, der auf die aktuelle Herrschaft des Garanten abstellt. 191  Ähnlich F. C. Schroeder, Täter, S. 106. Einschränkend auf „nicht-treuhänderischen Garanten“ Busse, Täterschaft, S.  92 f.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen439

Beispiel also des Pflegers, ergebe sich direkt aus seinem Unterlassen selbst, den Angriff des Geisteskranken zu verhindern, ohne dass es hierfür einer Zurechnung des Verhaltens des Geisteskranken bedürfe.192 In ähnlicher Weise konstatiert Mosenheuer, bei Verletzung einer Tatverhinderungspflicht sei für die (täterschaftliche) Unrechtsbegründung ein Umweg über eine fremde Handlung aufgrund der unmittelbaren hypothetischen Zurechnungsstruktur zwischen dem pflichtwidrigen Unterlassen und dem Erfolg nicht erforderlich.193 Dass das Zurechnungsdefizit beim Tatmittler zugleich die Garantenstellung – oder genauer: die Garantenpflicht zur Verhinderung eines fremden Verhaltens – begründet, kann für sich allein nicht als Beweis gegen die Notwendigkeit einer mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen angeführt werden. Denn daraus ergibt sich nur, dass die Verletzung einer solchen Pflicht das Täterunrecht begründet, daraus folgen aber nicht die Täterformen des sich pflichtwidrig verhaltenden Garanten. Das wurde oben festgestellt. Spezifisch zur These von Mosenheuer gilt, dass er die „unmittelbare Zurechnungsstruktur zwischen Unterlassen und Erfolg“ nur behauptet, nicht aber begründet. Darüber hinaus ist zu bedenken: Wenn diese unmittelbare Zurechnungsstruktur die allgemeine Besonderheit des Unterlassungsunrechts kennzeichnen soll, würde diese Struktur auch keine Teilnahme durch Unterlassen erlauben, denn Teilnahme ist eine mittelbare Rechtsverletzung. Dies ist eine Konsequenz, die Mosenheuer selbst nicht gezogen hat. Was die These von Renzikowski angeht, ist sie zunächst von seinem Standpunkt eines restriktiven Tatbegriffs her zu verstehen. Nach diesem restriktiven Tatbegriff bedürfe es zur Begründung des täterschaftlichen Unrechts des Hintermannes einer Zurechnung fremden Verhaltens als eigenes. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB hat danach eine Täterunrecht konstituierende Funktion.194 Wenn aber die Verletzung einer eigenen Tatverhinderungspflicht bereits das Täterunrecht des pflichtwidrigen Garanten begründet, bedarf es nach dem restriktiven Tatbegriff zur Begründung des Täterunrechts keiner Zurechnung fremden Verhaltens als eigenes. Insoweit ist die Ansicht von Renzikowski konsequent. Nach der hiesigen Ansicht wird § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB aber keine konstruktive Funktion zugesprochen. Auch wenn die aktive Einwirkung auf den Tatmittler für sich genommen keine tatbestandsmäßige Handlung ist, ergibt sich die täterschaftliche Verantwortlichkeit des aktiven Hintermannes aus seiner eigenen Pflichtverletzung zur Beseitigung des Zurech192  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 48 Rn. 119. Vgl. auch Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 132; Mosenheuer, Unterlassen, S. 117 ff. Ähnlich Ransiek, JuS 2010, 679. 193  Mosenheuer, Unterlassen, S. 121, 123. 194  Eingehende Darstellung siehe oben S. 274 ff., insb. S. 276.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

nungsdefizits des Tatmittlers. Die Zurechnung fremden Verhaltens begründet in dieser Hinsicht kein tatbestandsmäßiges Unrecht des Hintermannes, sondern reflektiert die Tatsache, dass die Verletzungsmacht des Hintermannes über dieses fremde Verhalten vermittelt wird. Die Zurechnung fremden Verhaltens ist näher besehen Zurechnung der äußeren Gestalt der tatbestandsmäßigen Handlung.195 Wenn mittelbare Täterschaft immer eine eigene Verletzung einer täterschaftlichen Pflicht voraussetzt, ist es für die Begründung mittelbarer Täterschaft nicht schädlich, sondern konsequent, dass die betreffende Garantenpflicht die Verhinderung eines fremden Angriffs zum Gegenstand hat. Die Zurechnung des Verhaltens des Tatmittlers bleibt insoweit notwendig, als sie den Tatumstand fremdhändiger Tatbestandsverwirklichung des Garanten reflektiert. cc) Ist der Unterschied im Versuchsbeginn ein Argument für die Anerkennung der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen? Auch wenn die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft gelegentlich als eine akademische Entscheidung bezeichnet wird,196 könnte diese Unterscheidung dann praktische Relevanz erlangen, wenn sie auf die Beurteilung des Versuchsbeginns Einfluss nähme.197 In diesem Zusammenhang weist Vogel darauf hin, dass „die Versuchsgrenze der unmittelbaren Täterschaft übersprungen werden [kann]“, wenn man eine mittel­ bare Täterschaft als unmittelbare Täterschaft umdeutet: Lasse etwa „der Pfleger eines gefährlichen Geisteskranken des Abends dessen Tür offenstehen und [begebe] sich dann nach Hause“, liege zu diesem Zeitpunkt, entgegen den für unmittelbare Täterschaft geltenden Grundsätzen, noch kein unmittelbares Ansetzen vor. Vielmehr setze der Pfleger als mittelbarer Täter erst dann unmittelbar an, wenn der Geisteskranke seinen Versuch beginne.198 Es fragt sich aber, ob Vogels Befürchtung eines Überspringens der Versuchsgrenze durch Zuordnung zur unmittelbaren Täterschaft tatsächlich eintritt und insofern berechtigt ist. Dass die Grenze des Versuchsbeginns im von Vogel geschilderten Beispiel durch die Zuordnung zu unmittelbarer Täterschaft übersprungen würde, wäre nur dann der Fall, wenn man bei Annahme einer mittelbaren Täterschaft des Pflegers mit Vogel die sogenannte Gesamtlösung akzeptierte, wonach der Pfleger erst dann die Tatbestandsverwirklichung versucht, wenn der Geistes195  Siehe

oben S. 348 f.; Puppe, GA 2013, 527. § 13 Rn. 85. Noch radikaler Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 164: „ein müßiger Streit um Worte und ohne jede praktische Bedeutung“. 197  So Roxin, TuT, S. 804 Rn. 289. 198  Vogel, Norm, S. 288. 196  LK13/Weigend,



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen441

kranke unmittelbar zum Angriff auf das Opfer ansetzt, während man bei Annahme einer unmittelbaren Täterschaft des Pflegers dessen Versuchsbeginn bereits vor dem unmittelbaren Ansetzen des Geistkranken annähme. Nach der herrschenden Auffassung liegt der Versuch des unmittelbaren Unterlassungstäters dann vor, wenn aus der Sicht des Täters eine unmittelbare bzw. konkrete Gefahr für das Rechtsgut entsteht.199 Weil aber bei der Garantenpflicht zur Verhinderung fremden Verhaltens die tatbestandsmäßige Gefahr für das Rechtsgut erst durch den zu Überwachenden hergestellt wird, muss das Verhalten des zu Überwachenden bei der Beurteilung des Versuchsbeginns des Garanten mitberücksichtigt werden. In Vogels Beispiel könnte man davon ausgehen, dass sich das Rechtsgut zu dem Zeitpunkt, als sich der Pfleger nach Hause begibt, noch nicht in konkreter Gefahr befindet,200 weil die konkrete Gefahr noch auf den ausstehenden Verletzungswillen des Geisteskranken angewiesen sei. Der Versuch des Pflegers beginne demzufolge erst dann, wenn das Opfer durch das Verhalten des Geisteskranken konkret gefährdet werde. Damit wäre das Ergebnis ganz ähnlich der von Vogel vertretenen Gesamtlösung bei mittelbarer Täterschaft. Ein Überspringen der Grenze des Versuchsstrafbarkeit durch die Zuordnung zu unmittelbarer Täterschaft fände dann nicht statt. Anders wäre es nur dann, wenn man bei Versuchsbeginn der unmittelbaren Täterschaft den Gedanken der „Entlassung aus dem Herrschaftsbereich“ aufgreift und bei mittelbarer Täterschaft auf der von Vogel favorisierte Gesamtlösung beharrt. Diejenigen, die bei der unmittelbaren Täterschaft diesen Gedanken vertreten, müssen aber wie hier201 konsequent die (modifizierte) Einzellösung bei mittelbarer Täterschaft akzeptieren. Danach entsteht eine unerlaubte tatbestandsmäßige Gefahr unabhängig von der Zuordnung zu unmittelbarer oder mittelbarer Täterschaft bereits dann, wenn der Garant das Geschehen vor dem Eintritt einer unmittelbaren Gefahrsituation aus seinem Herrschaftsbereich entlässt, oder genauer: wenn der Pflege die letzte Chance versäumt, rechtzeitig und zuverlässig den tatbestandsmäßigen Erfolg zu verhindern.202 Letztlich ist der Versuchsbeginn entgegen Vogel nicht durch die Qualifizierung als unmittelbare oder mittelbare Täterschaft präjudiziert, sondern auf die jeweils vertretenen Theorien des Versuchsbeginns angewiesen.203

199  Jescheck/Weigend, AT, S. 638; Lackner/Kühl/Kühl, § 22 Rn. 17; LK13/Weigend, § 13 Rn. 80 jeweils m. w. N. 200  Wohl etwa LK12/Hillenkamp, § 22 Rn. 148 f. 201  Siehe oben S. 280 f. 202  Murmann, GK, § 29 Rn. 112. 203  Im Ergebnis auch Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 164.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

2. Struktur und Reichweite mittelbarer Unterlassungstäterschaft Nachdem die Einwände gegen die konstruktive Möglichkeit der Begründung dieser Rechtsfigur entkräftet sind, hat nunmehr deren positive Begründung zu erfolgen. Mittelbare Täterschaft ist eine Rechtsfigur, bei welcher der Hintermann seine Verletzungsmacht durch das Verhalten eines anderen bis hin zum tatbestandsmäßigen Erfolg vermittelt. Diese Verletzungsmacht ergibt sich im Gegensatz zur Nebentäterschaft nicht aus der eigenhändigen Schaffung eines tatbestandsmäßigen Risikos für das Rechtsgut, sondern aus der Verletzung der Zuständigkeit für fremdes tatbestandsmäßiges Verhalten. Mittelbare Täterschaft ist fremdhändige Tatbestandsverwirklichung. Gerade weil der Hintermann phänomenologisch nicht die tatbestandsmäßige Handlung (vollständig) ausführt, bedarf es unter dem Aspekt des restriktiven Täterbegriffs einer Zurechnung fremden tatbestandsmäßigen Verhaltens als Zurechnung äußer­ licher Gestaltung der tatbestandsmäßigen Handlung. Wenn es aber für die Begründung einer mittelbaren Täterschaft nicht auf die instrumentelle Tat­ herrschaft im Sinne von Wissens- bzw. Willensherrschaft über das Verhalten des Tatmittlers, sondern auf die normative Zuständigkeit für dessen Verhalten ankommt, kann eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen dann begründet werden, wenn der Garant wegen einer Tatverhinderungspflicht für ein bestimmtes fremdes tatbestandsmäßiges Verhalten zuständig ist und trotzdem diese Pflicht verletzt. a) Mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen zurechnungsdefizitären Tatmittler aa) Begründungszusammenhang Wie bei positivem Tun kann eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen damit begründet werden, dass beim Tatmittler ein Zurechnungsdefizit vorliegt und der Garant wegen einer Beschützer- oder Überwachungsgarantenstellung für dieses Defizit zuständig ist. Der Unterschied zwischen mittelbarer Täterschaft durch Tun und durch Unterlassen besteht wohl nur darin, dass der Grund für die Zuständigkeit für das Zurechnungsdefizit nicht durch ein positives Tun wie Täuschung oder Nötigung (Ingerenz), sondern aus einem anderen ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Hintermann und dem Opfer begründet wird.204 Ein großer Teil der Befürworter der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen sieht diesen Fall sogar als Grund, 204  Murmann,

FS-Beulke, S. 193.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen443

aber zugleich als Grenze dieser Rechtsfigur.205 Der Apotheker, der seinen gutgläubigen Angestellten nicht davon abhält, das vom Apotheker bewahrte Gift einem Kunden zu geben, wird wegen mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen für den Tod des Kunden zur Verantwortung gezogen.206 Der ­ Schutzzweck der Garantenpflicht erstreckt sich in diesem Fall auf die Erfolgsverhinderungspflicht, da der aktiv Handelnde mangels Vorsatzes nicht vollverantwortlich handelt. Dasselbe gilt für den Compliance-Officer, der es trotz seines Informationsvorsprungs unterlässt, die Unternehmensleitung über eine bevorstehende unternehmensbezogene Straftat zu informieren, so dass die Unternehmensleitung diese Straftat nicht rechtzeitig verhindern kann. Eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen kommt auch in Betracht, wenn der Garant das Verhalten eines Schuldlosen zu überwachen hat: etwa wenn ein Polizist nicht gegen einen unbefugten Zugriff eines 4-jährigen Kindes auf seine Pistole einschreitet.207 Wenn aber in den geschilderten Beispielen der Ausführende volldeliktisch handelt, reduziert sich der Schutzzweck auf die Taterschwerung. In diesen Konstellationen stellt die defizitäre Verantwortlichkeit des Begehungstäters den entscheidenden normativen Grund für die mittelbare Täterschaft durch Unterlassen dar. Aber wenn der Begehungstäter nicht vollverantwortlich handelt und es für die Begründung der Erfolgsverhinderungspflicht nicht auf die defizitäre Verantwortlichkeit des Begehungstäters ankommt, etwa bei einer Beschützerpflicht, könnte man überlegen, ob hier nicht eine unmittelbare Täterschaft vorliege. An diese Überlegung schließen wohl Busse und Herzberg an, denen zufolge die mittelbare Täterschaft durch Unterlassen nur bei Verletzung einer Überwachungspflicht, nicht aber bei Verletzung einer Beschützerpflicht möglich sei, weil im letzten Fall der Beschützergarant unabhängig von der defizitären Verantwortlichkeit des unmittelbar das Rechtsgut Angreifenden in der Regel für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist.208 Das ist eine interessante, aber nicht überzeugende Auffassung. Denn abgesehen davon, dass auch in Fällen von Überwachungspflicht, insbesondere im Organisationszusammenhang, eine mittelbare Täterschaft unabhängig von der vollen oder defizitären Verant205  Jakobs, AT, § 29 Rn. 103 führt z. B. ausdrücklich aus, dass eine mittelbare Täterschaft begründet werden kann, „wenn der Umstand, der beim Ausführenden die Zurechnung ausschließt, Haftungsgrund für den Unterlassungstäter ist“. 206  Beispiel aus Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 57, die aber unzutreffend unmittelbare Unterlassungstäterschaft annehmen. 207  Angenommen wird, dass der Polizist keine Schutzpflicht für das Opfer hat. Nicht differenzierend genug aber Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 38 Rn. 73 beim Fall 5. 208  Busse, Täterschaft, S.  386 f.; Herzberg, Unterlassung, S. 261. Ähnlich Orozco López, Beteiligung, S. 20 Fn. 58, der in Anschluss an Jakobs, Theorie, S. 56 Fn. 116 nur bei Verletzung einer negativen Pflicht die mittelbare Täterschaft durch Unterlassen anerkennen will.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

wortlichkeit des Begehungstäters durchaus begründbar ist,209 besagt der Umstand, dass die Erfolgs- oder Tatverhinderungspflicht unabhängig von der vollen oder defizitären Verantwortlichkeit des Ausführenden begründet werden kann, noch nicht, ob der Garant seine Verletzungsmacht phänomenologisch durch einen anderen vermittelt. Die Bestimmung der Beteiligungsformen muss sich nämlich von der Bestimmung des Schutzzwecks der Garantenpflicht unterscheiden. Wenn in den obigen Fällen die Zuständigkeit für das defizitäre Verhalten des Ausführenden das Spezifikum der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen sein soll, muss dies konsequent auch für die Verletzung einer Beschützerpflicht gelten.210 Soweit also der Garant für das Zurechnungsdefizit beim Tatmittler zugunsten des Opfers zuständig ist, sind die bei positivem Tun überwiegend anerkannten Fallgruppen von mittelbarer Täterschaft bei Garantenunterlassen anzuerkennen.211 Im Folgenden können nicht alle möglichen Fallgruppen von mittelbarer Unterlassungstäterschaft behandelt werden, sondern es kann nur auf zwei wichtige Fallgruppen eingegangen werden. bb) Insbesondere: Mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen objektiv nicht pflichtwidrigen Tatmittler im Organisationsbereich Hervorzuheben ist im Organisationsbereich die eigenständige Form der mittelbaren Täterschaft durch einen auf unterer Ebene einer Organisation stehenden, objektiv nicht pflichtwidrig handelnden Organisationsangehörigen. Diese Form der mittelbaren Täterschaft lässt sich auf den instruktiven Ansatz von Ransiek zurückführen.212 Nach Ransiek ist die Verantwortlichkeit eines Unternehmensangehörigen nach dessen Pflichtkreis im Unternehmen 209  Siehe

unten S. 452 ff. diesem Argument auch LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 238. 211  Wenn der Hausmeister den im Gebäude versehentlich Eingeschlossenen nicht befreit und der Eingeschlossene zur Verschaffung der Freiheit im Weg von § 34 StGB die Tür zerstört, ist der Hausmeister bei Vorliegen des Beschädigungsvorsatzes mittelbarer Täter durch einen gerechtfertigten Tatmittler (§§ 303 Abs. 1, 13 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Zu diesem Beispiel ursprünglich Jakobs, AT, § 29 Rn. 103, aufgenommen von Vogel, Norm, S. 288, ähnliches Beispiel bei Brammsen, NStZ 2000, 340. Eine mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen entschuldigten Tatmittler liegt dann vor, wenn etwa der Vater als Beschützergarant nicht zugunsten seines Kindes als potentiellen Opfers die Zwangslage beim Ausführenden beseitigt. Ein Beispiel dazu bietet Brammsen, NStZ 2000, 340. 212  Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 53  ff. Vgl. ferner Satzger/Schluckebier/ Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 8. Ähnliche Konstruktion mit abweichenden Begründungen Dous, Verantwortlichkeit, S. 238 ff.: „Koordinationsherrschaft“; Morozinis, Organisationsdelikte, S. 431 ff.: „Mittelbare Täterschaft kraft fehlender objektiver Zurechnung beim Tatmittler“. Ferner Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 311: mittel210  Zu



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen445

zu bestimmen, der wiederum von der unternehmensinternen Zuweisung von Tätigkeits- und Zuständigkeitsbereichen abhängig ist.213 Weil nach der unternehmensinternen Zuständigkeitszuweisung der am Ende der Arbeitskette stehende ausführende Mitarbeiter in der Regel nicht zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Unternehmenstätigkeit gehalten sei, sei dessen Pflichtkreis im Vergleich zu den anderen Unternehmensangehörigen, die zur Entscheidung über die Unternehmensabläufe berufen seien, notwendig enger gezogen. Dementsprechend treffen die (Garanten-)Pflichten gegenüber den außenstehenden Dritten, unternehmensbezogene Gefahren zu neutralisieren, nur die zur Entscheidung über Unternehmensabläufe berufenen Unternehmensangehörigen, keinesfalls aber die ausführenden Mitarbeiter ohne Entscheidungsmacht.214 Das gelte aber nur, wenn es beim Verhalten des ausführenden Mitarbeiters um den „üblichen und gewöhnlichen betrieblichen Tätigkeitsbereich“ gehe und die Rechtswidrigkeit nicht offenkundig sei.215 Denn wenn der ausführende Mitarbeiter über sogenannte Sondererkenntnisse verfüge und die besondere Gefahr sicher erkannt werde, sei „der eigene Pflichtkreis des Handelnden berührt“.216 Handele der ausführende Mitarbeiter aufgrund des begrenzten Pflichtkreises nicht pflichtwidrig, führe nur der Entscheidungs­ träger, der pflichtwidrig handele, diese Rechtsgutsverletzung herbei. Die im tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklichte Gefahr sei nicht vom ausführenden Mitarbeiter, sondern vom Entscheidungsträger durch pflichtwidriges Handeln geschaffen. In diesem Fall sei das Verhalten des ausführenden Mitarbeiters dem Entscheidungsträger gemäß § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zuzurechnen. Er sei wegen mittelbarer Täterschaft für die durch die Hand des Ausführenden ausgelöste tatbestandsmäßige Rechtsgutsverletzung zur Verantwortung zu ziehen.217 Ransieks Ansatz ist mit dem hier vertretenen Abgrenzungskriterium nach der Pflichtstellung des Beteiligten zum Opfer durchaus vergleichbar und ihm ist insoweit beizupflichten. Für die Abgrenzung der Verantwortlichkeit im Unternehmensbereich ist nicht die tatsächliche Gefahrschaffung für das Rechtsgut, sondern nur die pflichtwidrige Gefahrschaffung entscheidend. Jede Rechtsverletzung setzt notwendig ein pflichtwidriges Handeln voraus.218 bare Unterlassungstäterschaft durch einen Tatmittler, der ein erlaubtes Risiko geschaffen habe. 213  Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 53 f. 214  Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 54. 215  Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 54. 216  Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 56. 217  Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 55. 218  Eingehend oben S. 254  ff. Nicht überzeugend deshalb Morozinis, Organisa­ tionsdelikte, S. 435, wenn er sich gegen Ransieks Ansatz der pflichtwidrigen Gefahrschaffung wendet und stattdessen auf die rechtlich relevante tatbestandsbezogene

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Leitet der untergeordnete Ausführende zwar eigenhändig Abwässer in ein Gewässer ein oder transportiert er gesundheitsschädliche Produkte und bringt sie in den Verkehr, handelt er trotz der Eigenhändigkeit doch nicht pflichtwidrig, wenn er aufgrund des begrenzten Pflichtkreises darauf vertrauen darf,219 dass, was er ausführt, zu den gewöhnlichen rechtmäßigen Unternehmenstätigkeiten gehört. Für den begrenzten Pflichtkreis des ausführenden Mitarbeiters spricht, wie Ransiek zutreffend konstatiert, dass er nach der unternehmensinternen Zuständigkeitszuweisung nicht die Überwachungsfunktion zur Neutralisierung unternehmensbezogener Gefahren gegenüber Außenstehenden übernommen hat. Insoweit steht er in keinem ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnis mit dem Opfer. Darüber hinaus würde eine solche Verpflichtung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Unternehmens­ tätigkeiten zur Überlastung der untergeordneten ausführenden Mitarbeiter führen. Denn diese können wegen der unüberschaubaren Arbeitsteilung und wegen der Informationskanalisierung in der Regel nicht die gesamten Unternehmensabläufe durchschauen. Nicht außer Acht bleiben darf auch der Umstand, dass die nicht selten im Unternehmen herrschenden Neutralisierungsmechanismen auch zum Konformitätsdruck der untergeordneten Mitarbeiter beitragen.220 Bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Unternehmenstätigkeiten führen sie in der Regel nach wie vor ihre Arbeit aus. In Anbetracht dessen wäre die Verpflichtung der ganz untergeordneten Mitarbeiter zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Unternehmenstätigkeiten eher kontraproduktiv. Diese Überlegungen zur Begrenzung des Pflichtkreises greifen nur dann nicht mehr ein, wenn der ausführende Mitarbeiter doch die Rechtswidrigkeit der von ihm ausgeführten Unternehmenstätigkeit sicher erkannt hat oder diese Tätigkeit objektiv bereits einen deutlich deliktischen Sinnbezug aufweist.221 In diesem Fall muss bei der Abwägung der Interessen zwischen der Handlungsfreiheit des untergeordneten Arbeiters einerseits und der Schutzwürdigkeit des Opfers andererseits zugunsten des Letzteren entschieden werden. Zusammenfassend: Soweit der ausführende Mitarbeiter trotz der möglichen Bedenken keine positive Erkenntnis von die Pflichtwidrigkeit

Gefahrschaffung abstellt. Eine tatbestandsbezogene Gefahrschaffung setzt gerade eine Übertretung der jeweiligen kontext- und adressatenspezifisch konkretisierten Verhaltensnorm und die entsprechende Pflichtverletzung voraus! 219  Das hier gemeinte „Vertrauendürfen“ versteht sich aber nur als Reflex des Ergebnisses einer normativen Zuweisung des Pflichtkreises. 220  Instruktiv Schlösser, Soziale Tat­ herrschaft, S. 332. Vgl. auch Dous, Verantwortlichkeit, S. 239. 221  Die Grenze entspricht derjenigen in der Diskussion über die „neutrale Beihilfehandlung“, weil es sowohl hier als auch dort letztendlich um die Frage nach der Bestimmung der missbilligten Risikoschaffung geht.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen447

begründenden Umständen hat, handelt er nicht erst unvorsätzlich, sondern bereits objektiv nicht pflichtwidrig.222 Demgegenüber trifft den Geschäftsherrn bzw. die Mitglieder der Unternehmensleitung die Garantenpflicht, alle unternehmensbezogenen Gefahren zu neutralisieren. Daraus ergibt sich auch die Zuständigkeit für das Zurechnungsdefizit bei den ausführenden Mitarbeitern, soweit sie wegen des begrenzten Pflichtkreises nicht pflichtwidrig handeln. Wenn die Vorstandsmitglieder die bereits in den Verkehr gebrachten bedenklichen Produkte pflichtwidrig nicht zurückrufen oder die Herstellung bzw. den Vertrieb durch untergeordnete Mitarbeiter pflichtwidrig nicht einstellen und stattdessen das gesamte Produktionsverfahren weiterlaufen lassen, müssen sie sich wegen der Verletzung der Zuständigkeit das zurechnungsdefizitäre Verhalten dieser Mitarbeiter zurechnen lassen; sie sind dann wegen mittelbarer Unterlassungstäterschaft für die durch die Hand der Mitarbeiter ausgelöste Rechtsgutsverletzung zur Verantwortung zu ziehen.223 cc) Insbesondere: Mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen sich im Verbotsirrtum befindenden Tatmittler Eine mittelbare Unterlassungstäterschaft steht auch dann zur Diskussion, wenn der Garant zur Erfüllung seiner Erfolgsverhinderungspflicht den Verbotsirrtum beim Tatmittler durch Aufklärung der Rechtslage zu beseitigen hat, dies aber unterlässt.

222  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann,

§ 25 Rn. 8. sei hier noch bemerkt, dass der Anwendungsbereich dieser Form der mittelbaren Unterlassungstäterschaft sich mit den anderen Formen mittelbarer Täterschaft – etwa durch einen unvorsätzlichen Tatmittler, durch einen sich im Verbots­ irrtum befindenden Tatmittler oder sogar als mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft – überschneidet. Das liegt daran, dass die primäre Begründung der mittelbaren Täterschaft der Unternehmensleitung von der Zurechnungsdefizite der Mitarbeiter unabhängig ist (dazu unten S. 452 ff.). Die verschiedenen Formen der mittelbaren Unterlassungstäterschaft sind deshalb nur phänomenologisch unterschiedlich. Die Anerkennung der mittelbaren Unterlassungstäterschaft durch einen objektiv nicht pflichtwidrigen Tatmittler hat aber insoweit einen eigenständigen Wert, wenn man in Anlehnung an das Verantwortungsprinzip die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft nicht anerkennen will. Denn diese Form der mittelbaren Täterschaft stellt noch auf das Zurechnungsdefizit beim Tatmittler ab, steht im Einklang mit dem traditionellen Verantwortungsprinzip und müsste von dessen Vertretern anerkannt werden. Dazu Morozinis, Organisationsdelikte, S. 433. So müsste der BGH im Lederspray-Fall zur Begründung der mittelbaren Täterschaft der Unternehmensleitung nicht die Rechtsfigur der Organisationsherrschaft heranziehen, weil die Rechtswidrigkeit der Unternehmenstätigkeiten nicht ersichtlich ist. Treffend Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 55. 223  Es

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

In diesem Zusammenhang führt Jakobs ein instruktives Beispiel an: „[E]in Rechtsanwalt hat § 284 Abs. 2 StGB übersehen und einem Vereinsvorsitzenden die Auskunft gegeben, Glücksspiele in geschlossenen Gesellschaften würden nie öffentlich veranstaltet. Er entdeckt seinen Fehler bald darauf, unternimmt aber weiter nichts, und der Vorsitzende ermöglicht Spiele […].“224 Um die mittelbare Täterschaft des Rechtsanwalts zu begründen, soll den Rechtsanwalt eine Garantenpflicht treffen, zugunsten des Opfers den Verbotsirrtum beim Vorsitzenden auszuschließen bzw. aufzuklären. Fraglich ist aber, ob eine Garantenpflicht des Rechtsanwalts über das Mandatsverhältnis hinaus auch gegenüber dem (potentiellen) Opfer, dessen Recht durch das Verhalten des Vorsitzenden als Ratsuchenden berührt werden könnte, begründet werden kann. Zunächst ist eine Garantenpflicht aus Ingerenz in Erwägung zu ziehen. Durch eine vorherige Erteilung falscher Auskunft gerät der Vorsitzende in einen Verbotsirrtum und entschließt sich zur Veranstaltung der Glücksspiele. Die falsche Auskunft schafft insoweit ein missbilligtes Risiko in Richtung auf die Hervorrufung des Tatentschlusses. Die vorsätzliche Nichtneutralisierung dieses Risikos kann somit zumindest als Anstiftung durch Unterlassen bewertet werden.225 Näher besehen ergibt sich die Garantenpflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem Opfer aber nicht nur aus seiner vorherigen Erteilung einer falschen Auskunft, sondern primär aus seiner Rolle als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und aus der Übernahme der konkreten Beratungstätigkeit. Auch wenn die Bezeichnung des Rechtsanwalts als „Organ“ der Rechtspflege in der Literatur durchaus kritisch gesehen wird,226 ändert dies nichts daran, dass der Rechtsanwalt in seiner Beratungstätigkeit „als Mittler zwischen staatlich gesetztem Recht und Bürger“227 auftritt. Die Vermittlung zwischen dem gesetzten Recht und dem Bürger durch rechtsberatende Tätigkeiten ist aber ein Teil der Rechtspflege, die vom BVerfG als originäre Theorie, S. 56 Fn. 116. wohl aber Dahs, FS-Strauda, S. 101 f., wenn er bei einem Gefälligkeitsgutachten nur die Beihilfestrafbarkeit im Sinne der Bestärkung des Tatentschlusses thematisiert. Für eine mögliche Anstiftungsstrafbarkeit bei der Erteilung bewusst falscher Rechtsauskünfte etwa Krell, wistra 2020, 179 f., der aber bei Vorliegen eines Informationsgefälles zwischen dem Rechtssuchenden und der Auskunftsperson und der sich daraus ergebenden Tat­herrschaft eher für eine mittelbare Täterschaft der Auskunftsperson entscheidet (ebd., 181 f.), während er bei fehlender Tat­ herrschaft unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich anerkannten Berufsfreiheit die Teilnahmestrafbarkeit auf tatherrschaftsähnliche Umstände einschränken will (ebd., 184). Für die mögliche Anstiftungsstrafbarkeit auch Gaede, HRRS 2013, 462 Fn. 156; MK4/Joecks/Kulhanek, § 17 Rn. 68, aber ohne weitere Begründung. 226  Zu historischen und sachlichen Einwänden eingehend Henssler/Prütting/ Busse, BRAO, § 1 Rn. 25 ff. 227  Murmann, GA 1998, 84. 224  Jakobs,

225  Abweichend



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen449

Staatsaufgabe angesehen228 und „fast ausschließlich von den Rechtsanwälten […] geleistet [wird]“.229 Mit Brüggemann nimmt der Rechtsanwalt durch seine Rechtsberatungstätigkeit auch eine öffentliche Aufgabe wahr.230 Ganz in diesem Sinne wird in der amtlichen Begründung zu § 1 BRAO ausgeführt: „[…] muss auch die Tätigkeit des Rechtsanwalts über den engeren Bereich seines Auftraggebers hinaus im Rahmen der Allgemeinheit gesehen werden. Deshalb muss für den Rechtsanwalt die Aufrechterhaltung der staatlichen Rechtsordnung die Richtschnur seines Handelns sein.“231 Allein aus der Pflicht des Rechtsanwalts, im Rahmen der Beratungstätigkeit im Interesse der Allgemeinheit zur Rechtsdurchsetzung beizutragen, ergibt sich indes nicht ohne weiteres, dass diese Pflicht auch zum Rechtsschutz des außerhalb des Mandatsverhältnis stehenden, von dem Verhalten des Rechtssuchenden möglicherweise verletzten Dritten dient.232 Für diese Schutzpflicht des Rechtsanwalts zugunsten des konkreten Opfers führt Murmann ins Feld, dass „sich die ‚Aufrechterhaltung der staatlichen Rechtsordnung‘ erst im praktischen Vollzug verwirklicht“.233 Dem ist beizupflichten. Denn durch die einverständliche Übernahme der Beratungstätigkeit wird nicht nur ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen dem Rechtssuchenden und dem Rechtsanwalt, sondern auch ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen dem konkreten Opfer und dem Rechtsanwalt hervorgebracht. Bei der Beratungstätigkeit handelt es sich gerade um die Koordination der äußerlichen Handlungssphären zwischen dem Rechtssuchenden und dem von dessen Verhalten berührten konkreten Opfer. Nur wenn das Recht des potentiellen Opfers im Rahmen der Beratungstätigkeit ebenfalls gewahrt wird, hat die Pflicht des Rechtsanwalts, im Interesse der Allgemeinheit das Recht durchzusetzen, einen Sinn. Durch die einverständliche Übernahme der konkreten Beratungstätigkeit wandelt sich diese abstrakte Pflicht im Interesse der Allgemeinheit nämlich in die Pflicht zum Schutz des konkreten, durch die Folge der Beratung möglichweise verletzten Opfers. Weil der Rechtsanwalt im Rahmen der Beratungstätigkeit das Recht des potentiellen Opfers zu schützen hat, erstreckt sich der Schutzzweck der Beschützergarantenpflicht notwendig auf die Erfolgs- oder Tatverhinderung. Im 228  BVerfGE

17, 376.

229  Weyland/Brüggemann,

BRAO, § 1 Rn. 6. BRAO, § 1 Rn. 6. 231  BT-Drucks. 3/120, S. 49. Das ist auch der Grund dafür, warum der Rechtsanwalt im Rahmen seiner Beratungstätigkeit öffentliches Vertrauen genießt (Murmann, GA 1998, 84 unter Bezugnahme auf § 43 BRAO) und warum der Rechtssuchende auf die Richtigkeit der von dem Rechtswalt erteilten Auskunft vertrauen und sich auf die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums berufen darf. 232  Murmann, GA 1998, 84. 233  Murmann, GA 1998, 84. 230  Weyland/Brüggemann,

450

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

obigen Beispiel hat der Rechtsanwalt also den Irrtum des Täters aufzuklären.234 Unterlässt er dies, ist er nicht nur als Anstifter durch Unterlassen, sondern als mittelbarer Unterlassungstäter anzusehen, unabhängig davon, ob der irrende Vorsitzende den Verbotsirrtum hätte vermeiden können. Denn auch wenn der Verbotsirrtum vermeidbar ist, hat der Rechtsanwalt aufgrund der Schutzpflicht gegenüber dem Opfer den die Schuld mindernden Zurechnungsdefekt des Vorsitzenden zu verantworten.235 b) Mittelbare Unterlassungstäterschaft durch einen vollverantwortlichen Tatmittler – Verantwortung für fremdes Verhalten in einer vertikalen Zurechnungsstruktur aa) Begründungszusammenhang Dass das Verantwortungsprinzip weder ein allgemeines Täterkriterium noch ein notwendiges Kriterium für die mittelbare Täterschaft ist, ist oben bewiesen worden.236 Auch wenn sich kein Zurechnungsdefizit beim Tat­ mittler erkennen lässt, kommt mittelbare Täterschaft dann in Betracht, wenn erstens sich der Hintermann zugunsten des Opfers zur Verhinderung der tatbestandsmäßigen Handlung des vollverantwortlichen Ausführenden verpflichtet hat. Käme es aber für die mittelbare Täterschaft durch Unterlassen nur auf eine solche Tatverhinderungspflicht an, wären alle Fälle, bei denen der Garant aufgrund einer Beschützerpflicht oder aufgrund bestimmter Arten von Überwachungspflicht zur Tatverhinderung gehalten ist, als Fälle mittelbarer Täterschaft zu qualifizieren. Der Vater, der die Tötung seines minderjährigen Kindes durch einen vollverantwortlichen Dritten pflichtwidrig nicht verhindert, wäre somit als mittelbarer Täter durch Unterlassen anzusehen, obwohl der Vater und der Dritte jeweils ihr eigenes Rechtsverhältnis zum Opfer durch Handeln verletzen und zwischen ihnen keine Willensvermittlung 234  Eine darüberhinausgehende Pflicht, das Verhalten des Täters durch Abraten zu unterbinden oder sogar die versuchten Glücksspiele zu verhindern, liegt trotz der Erfolgsverhinderungspflicht nicht vor, weil eine in Kenntnis des Verbots dann dennoch begangene Straftat nicht mehr in die Zuständigkeit des Rechtsanwalts fällt. Hier ist also zu bemerken, dass sich der Schutzzweck der Garantenpflicht von der konkreten gebotenen Handlung unterscheidet. 235  Es kommt für die Abgrenzung zwischen Anstiftung und mittelbarer Täterschaft also nur auf die Pflichtstellung des Rechtsberatenden zum Opfer, nicht auf die Vermeidbarkeit der Ausführung an. Versäumt es etwa ein Rechtsreferendar oder ein Assessor, die zuvor erteilte falsche Auskunft zu korrigieren, ist er mangels einer Schutzpflicht gegenüber dem Opfer, wie sie beim Rechtsanwalt besteht, allenfalls als Anstifter durch Unterlassen zu bestrafen, auch wenn der Verbotsirrtum seitens des Rechtssuchenden in diesem Fall nicht vermeidbar ist. Vgl. Murmann, GA 1998, 85. 236  Siehe oben S. 343 ff.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen451

vorliegt. Dass der Vater in unserem Beispiel richtigerweise als Nebentäter zu begreifen ist, zwingt dazu, neben der Tatverhinderungspflicht ein weiteres notwendiges Kriterium für mittelbare Täterschaft durch Unterlassen zu entwickeln. Dieses Kriterium soll insbesondere die normative Bedeutung von „durch einen anderen“ in § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zum Ausdruck bringen. Den Ausgangspunkt bildet die These, dass ein Garant nicht nur durch ein defizitäres Verhalten eines anderen, nämlich durch Instrumentalisierung eines ­Tatmittlers, sondern auch durch ein vollverantwortliches Verhalten eines anderen seine Verletzungsmacht bis hin zum tatbestandsmäßigen Erfolg vermitteln kann, soweit zwischen dem Garanten und dem anderen im Gegensatz zur Nebentäterschaft ein Verhältnis der Willensvermittlung vorliegt. Solches Willensvermittlungsverhältnis lässt sich dahin präzisieren, dass die Verwirk­lichung der Unrechtsmaxime des Ausführenden zugleich die Verwirklichung der Unrechtsmaxime des Garanten ist oder, genauer, die Tatbestandsverwirklichung des Ausführenden normativ auch in den Verantwortungsbereich des Garanten fällt, weil sie als „Aufschluss“ der Gefahren begriffen werden kann, die der Garant zuvor durch eigenes Verhalten geschaffen hat und für die er mithin zuständig ist. Diese Ausführungen erinnern an die Begründung der Täterschaft des Geschäftsführers, wobei durch die Unternehmensbezogenheit die tatbestandsmäßige Handlung des vollverantwortlichen Arbeiters in den eigenen Verantwortungsbereich des Geschäftsherrn fällt. Was der Arbeiter verwirklicht, ist nichts anders als die vom Geschäftsherrn vorher selbst geschaffene, nunmehr nicht neutralisierte unternehmensbezogene Gefahr. Vor diesem Hintergrund darf man durchaus davon ausgehen, dass der Mitarbeiter, der eine unternehmensbezogene Straftat begeht, für den Geschäftsherrn handelt und der Geschäftsherr umgekehrt durch den Mitarbeiter handelt, indem er es unterlässt, die unternehmensbezogene Gefahr zu neutralisieren. Gerade in einer relativ großen und komplexen Organisation herrscht das Phänomen des „Handelns für Vorgesetzte und Handelns durch anonyme Ausführende“. Der untergeordnete Ausführende handelt zwar vollverantwortlich, der Inhalt seiner Handlung wird jedoch, wenn er im Interesse der Organisation handelt, also bei Vorliegen der Organisationsbezogenheit, wesentlich von den Vorgesetzten in der Organisation geprägt. Das legitimiert dann die täterschaftliche Verantwortlichkeit für das vollverantwortliche Verhalten des Untergeordneten, und diese Verantwortlichkeit kann nur als mittelbare Täterschaft sachgemäß erfasst werden, einerlei ob die Vorgesetzten in der Organisation durch eine rechtswidrige Anweisung eine Gefahr schaffen oder die bestehenden organisationsbezogenen Gefahren nicht positiv neutralisieren. Denn einerseits ist in einer großen Organisation schwerlich eine Mittäterschaft konsti­ tuierende „gleichberechtigte Arbeitsteilung“ zwischen den Vorgesetzten und dem Ausführenden anzunehmen und andererseits kann die Verletzungsmacht

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

der Vorgesetzten aufgrund der Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg nicht mit der der Anstiftung vergleichbar sein.237 bb) Uminterpretation der mittelbaren Unterlassungstäterschaft kraft Organisationsherrschaft Damit lässt sich die in der Literatur sowie in der Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft neu interpretieren. Die die Täterschaft begründende Verletzungsmacht der Organspitze ergibt sich weder aus ihrer faktischen Beherrschungsmacht noch aus der Schaffung oder Ausnutzung regelhafter Abläufe in der Organisation, sondern aus ihrer Erfolgs- oder Tatverhinderungspflicht.238 Nach dem Kriterium der Organisationsbezogenheit verwirklicht der Vorgesetzte bzw. Organisationsleiter seine Unrechtsmaxime durch die ausführenden Untergebenen in der von ihm geleiteten Organisation. Das gilt sowohl für öffentlich-rechtliche als auch für privatwirtschaftliche Organisationen: Im Ergebnis hat der BGH zutreffend die Mitglieder des Politbüros des Zentralkomitees der SED als mittelbare Unterlassungstäter beurteilt.239 Die Bürger sind im Rechtszustand von der rechtmäßigen Ausübung der staat­ lichen Gewalten abhängig, und aus dieser ursprünglichen Abhängigkeit erwächst die originäre Staatspflicht zur Achtung der Freiheit und Gleichheit der Bürger.240 Als Mitglieder des höchsten Machtorgans der DDR übernehmen die Mitglieder des Politbüros diese Pflicht einverständlich. Sie verpflichten sich deshalb, wie der BGH ausführt, „das Leben eines jeden Bürgers zu schützen“, insbesondere das Grenzregime der DDR, das Lebensgefahren für friedliche Flüchtlinge schaffte, in der Weise zu überwachen, dass keine Tötung solcher Flüchtlinge stattfindet.241 Die Beschützerpflicht der Mitglieder erstreckt sich deshalb auf die Verhinderung der Tötung friedlicher Flüchtlinge durch die Grenzsoldaten. Da die Tötung von Flüchtlingen durch Schusswaffengebrauch seitens der Grenzsoldaten auf der Beschlussfassung des Politbüros und mithin auf staatlicher Politik basiert, stellt sie ohne Zweifel eine organisationsbezogene Straftat dar. Die von Grenzsoldaten verwirklichte tatbestandsmäßige Gefahr gehört gerade zum Verantwortungsbereich der Mitglieder des Politbüros. Das Tötungsverhalten der Grenzsoldaten ist 237  Zu den Gründen, die in diesem Fall gegen die Mittäterschafts- und Anstiftungslösung sprechen, siehe oben S. 346 ff. 238  Siehe bereits oben S. 293 ff., 343 ff., 386 f., 407 ff. 239  BGHSt 48, 77, 89 ff. 240  Murmann, GA 1996, 277 f. 241  BGHSt 48, 77, 92.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen453

somit nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB den Mitgliedern des Politbüros zuzurechnen.242 Was die Frage nach der Übertragbarkeit der Rechtsfigur der Organisationsherrschaft auf private Unternehmen anbelangt, kommt es nicht auf die Rechtsgelöstheit des betreffenden Unternehmens oder auf die Vielzahl der fungiblen ausführenden Mitarbeiter, sondern nur auf die Garantenpflicht zur Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat und darauf an, ob die Handlung des ausführenden Mitarbeiters als Verwirklichung des von der Unternehmensleitung durch Betrieb des Unternehmens geschaffenen Risikos begriffen werden kann. Das ist bei der Überwachungspflicht des Betriebsinhabers, des Geschäftsführers sowie der Vorstandsmitglieder der Fall. Das unternehmensbezogene Handeln des ausführenden Mitarbeiters gehört gerade zu den durch Unternehmenstätigkeiten ausgelösten Gefahren, für die diese Personen als Mitglieder der Unternehmensführung zuständig sind. Die rechtswidrige Tätigkeit des ausführenden Mitarbeiters lässt sich den unterlassenden Mitgliedern der Unternehmensführung zurechnen. Das gilt aber nicht für die täterschaftliche Verantwortlichkeit der unterlassenden Aufsichtsratsmitglieder, obwohl die Aufsichtsratsmitglieder unter bestimmten engen Voraus­setzungen ebenfalls zur Erfolgsverhinderung oder zur Verhinderung von Straftaten der Vorstandsmitglieder verpflichtet sind.243 Denn die Voraussetzung für die Begründung einer mittelbaren Unterlassungstäterschaft, dass der vom Garanten zu Überwachende für den Garanten handelt, also die vom Garanten zu verhindernde Straftat gerade als Aufschluss der Gefahr zu begreifen ist, die der Garant durch seine eigene Handlung geschaffen hat, ist bei pflichtwidrigem Unterlassen der Aufsichtsratsmitglieder zur Verhinderung einer unternehmensbezogenen Straftat der Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer nicht erfüllt. Die Aufsichtsratsmitglieder gehören nicht zur Unternehmensführung, sondern sind als Mitglieder eines Überwachungs­ organs gehalten, die Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1, 4, S. 1 AktG; § 52 Abs. 1 GmbHG). Die von den Aufsichtsratsmitgliedern zu verhindernde unternehmensbezogene Straftat kann mithin nur als Verwirk­lichung der Gefahr durch den Betrieb des Unternehmens, also als Verwirklichung der von der Unternehmensleitung geschaffenen Gefahr, nicht aber als Verwirk­ lichung der von den Aufsichtsratsmitgliedern geschaffenen Gefahr gedacht werden. Es kann somit keine Rede davon sein, dass die von den Aufsichtsratsmitgliedern zu überwachenden Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer für die Aufsichtsratsmitglieder die unternehmensbezogene Straftat begehen. 242  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 28. A. A. für unmittelbare Täterschaft Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 103; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 39 Rn. 43. 243  Siehe oben S. 219 ff.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Unterlassen die Aufsichtsratsmitglieder es, die unternehmensbezogene Straftat der Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer zu verhindern, begehen die Aufsichtsratsmitglieder diese Straftat nicht durch die Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer, sondern neben ihnen. Sie sind also im Verhältnis zu ihnen Nebentäter aufgrund der Verletzung ihrer eigenen Erfolgs- oder Tatverhinderungspflicht.

III. Mittäterschaft durch Unterlassen 1. Konstruktive Möglichkeit der Mittäterschaft durch Unterlassen Während sowohl die konstruktive Möglichkeit als auch die Notwendigkeit mittelbarer Unterlassungstäterschaft weitgehend bestritten wird, wird die Mittäterschaft durch Unterlassen zumindest konstruktiv überwiegend für möglich gehalten.244 Gleichwohl sei im Folgenden auf Einwände gegen die konstruktive Möglichkeit der Mittäterschaft durch Unterlassen eingegangen, denn die Entkräftung dieser Einwände kann zur Aufklärung der Struktur dieser Beteiligungsform beitragen. a) Einwände aus dem Missverständnis der Verletzungsmacht der Garantenunterlassung Ein heute als überholt zu beurteilender Einwand gegen die konstruktive Möglichkeit der Mittäterschaft durch Unterlassen stammt von Armin Kauf244  BGHSt 37, 106, 129; 48, 52, 58. Anw-StGB/Waßmer, § 25 Rn. 85; Baumann/ Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 25 Rn. 86; Busse, Täterschaft, S. 383 ff., aber nur terminologische Bedeutung; Frister, AT, Kap. 26 Rn. 35; Greco, ZIS 2011, 683 f., 688; Gropp/Sinn, AT, § 10 Rn. 202; Heinrich, AT, Rn. 1210; Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 636; Jakobs, AT, § 29 Rn. 102; Jescheck/Weigend, AT, S. 682; Kindhäuser/ Zimmermann, AT, § 38, Rn. 65; Knauer, NJW 2003, 3103; Köhler, AT, S. 537; Kühl, AT, § 20 Rn. 268; Lackner/Kühl/Kühl, § 25 Rn. 11; LK13/Weigend, § 13 Rn. 83; LK13/ Schünemann/Greco, § 25 Rn. 237; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 273; Murmann, GK, § 29 Rn. 87; Nitze, Entsprechensklausel, S. 154; NK/Gaede, § 13 Rn. 27; Ranft, FS-Otto, S. 418; Rauber, Mord, S. 371 f.; Ransiek, JuS 2010, 678; Rengier, AT, § 51 Rn. 3; Roxin, AT II, § 31 Rn. 172 ff.; ders., TuT, S. 523 ff.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, § 13 Rn. 48; Schilha, Aufsichtsratstätigkeiten, S. 385; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 86; Schwab, Täterschaft, S. 52 f., 212 f.; SK/Stein, Vor § 13 Rn. 60; SK/Hoyer, § 25 Rn. 150; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 17; Vogel, Norm, S. 283 ff. Dagegen Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 189; Kreuzberg, Täterschaft, S. 656; Krey/Esser, AT, Rn. 1186; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 133; Mosenheuer, Unterlassen, S. 136 ff.; Welzel, Strafrecht, S. 206. Insgesamt skeptisch auch Bachmann/Eichinger, JA 2011, 108 f. Bei Pflichtdelikt ablehnend Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S.  158 ff.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen455

mann. Da es keinen Unterlassungsvorsatz gebe, fehle es erst recht an einem gemeinsamen Tatentschluss.245 Das ist zwar eine unter dem Aspekt der instrumentellen finalen Bestimmung der Unterlassung durchaus mögliche Sichtweise, wonach eine Unterlassung gerade nichts bewirken kann. Wer aber den Vorsatz als eine bewusste und gewollte Entscheidung gegen das Rechtsgut begreift oder, wie hier, einen Schritt weiter die soziale interpersonale Verletzungsmacht der Garantenunterlassung im Sinne einer Verschlechterung der rechtlich garantierten Rechtsposition des Opfers anerkennt, muss konsequent einen Unterlassungsvorsatz annehmen. Der Garant kennt den Umstand, dass das Opfer in einem bestimmten Ausschnitt seiner Freiheit von seiner freien Entscheidung zur positiven Leistung des rechtlich Garantierten zugunsten des Opfers abhängig ist und hat trotzdem eine Entscheidung gegen das Opfer getroffen, indem er ihm diese Leistung bewusst vorenthält. Ein gemeinsamer Tatentschluss zwischen einem Garanten und einem anderen Beteiligten kommt nach der hiesigen Ansicht dann in Betracht, wenn der Garant eine selbstbestimmte Entscheidung getroffen hat, mit diesem gemeinsam zur Tatbestandsverwirklichung überzugehen. Gleiches gilt für den Einwand des Fehlens einer funktionellen Tat­herrschaft bei Garantenunterlassung. Der Garant beherrsche die Tatbegehung gerade nicht.246 Dieser Einwand beruht aber ebenfalls auf dem hier vielfach kritisierten Verständnis instrumenteller Tat­herrschaft, die für die Unrechtsbegründung sowohl bei positivem Tun als auch bei garantenpflichtwidriger Unterlassung nicht schlüssig sein kann. Beim Unterlassungstäter kommt es nur auf die Erfolgs- oder Tatverhinderungspflicht an. b) Einwände aus der Handlungs- und Zurechnungsstruktur des Unterlassungsdelikts Demgegenüber scheinen die anderen Einwände, die bezweifeln, ob sich die Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Mittäterschaft auch bei einer äußerlichen Zusammenarbeit zwischen mehreren Garanten oder zwischen einem Garanten und einem aktiven Handelnden begründen lassen, gewichtiger zu sein. Diesen Einwänden ist insoweit gemein, dass die unmittelbare Zurechnungsstruktur zwischen der Unterlassungshandlung und dem tatbestands­ mäßigen Erfolg betont wird. Oder genauer: Der Garant soll in den Fällen, in denen die herrschende Meinung eine Mittäterschaft durch Unterlassen annehmen will, aufgrund dieser unmittelbaren Zurechnungsstruktur als Nebentäter 245  Armin

Kaufmann, Dogmatik, S. 189. AT, Rn. 1179.

246  Krey/Esser,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

zu erfassen sein.247 Mosenheuer bringt dies deutlich zum Ausdruck: Eine gemeinsame Ausführung mit einem Begehungstäter sei nicht anzunehmen, weil „der Grund der Haftung für ein Unterlassen stets in dem unmittelbaren Verhältnis zum tatbestandsmäßigen Erfolg besteht und daher die Einbeziehung aktiv Handelnder bei der Täterschaftsbegründung problematisch ist.“248 In der Sache nichts anderes führt Haas aus: „Das Unrecht des Unterlassens begründet sich nicht aus der mittäterschaftlichen Verhaltenszurechnung, sondern ausschließlich aus der Garantenstellung selbst.“249 Dass die Täterschaft des Garanten aus seiner eigenen Garantenpflichtverletzung und nicht aus der Zurechnung fremder Tatbeiträge abgeleitet werden soll, wird gelegentlich darum ergänzt, dass eine solche Pflicht immer einen höchstpersönlichen Charakter habe, und damit „in den Fällen des gemeinschaftlichen Unterlassens eine Zurechnung fremder Unterlassungen ausgeschlossen“ sei.250 Nicht überzeugend ist zunächst die letztgenannte Begründung eines Ausschlusses der Zurechnung fremden Tuns oder Unterlassens aufgrund der Verletzung einer höchstpersönlichen Garantenpflicht. Denn jede strafrecht­ liche Pflicht, darunter auch die Unterlassungspflicht bei positivem Tun, ist höchstpersönlich, d. h. es geht immer (nur) um die individuelle Pflicht aus einer Verhaltensnorm. Auch dem einzelnen Mittäter wird nicht vorgeworfen, dass er eine von ihm losgelöste gemeinschaftliche Pflicht gegenüber einem „imaginären“ Kollektiv, sondern dass er die eigene Pflicht verletzt hat, deren Inhalt aber notwendig auf die Initialisierung der Rettungsmaßnahme anderer Mitgaranten bezogen ist.251 Wenn aber bei positivem Tun die Zurechnung eines fremden Tatbeitrages über § 25 Abs. 2 StGB nicht wegen Verletzung einer höchstpersönlichen Pflicht mit kollektivem Bezug ausgeschlossen ist, muss das auch für das garantenpflichtwidrige Unterlassen gelten.252 Der Grund dafür, dass die höchstpersönliche Garantenpflichtverletzung die Zurechnung fremder Tatbeiträge nicht ausschließt, liegt darin, dass es bei mit­ täterschaftlicher Zurechnung überhaupt nicht um die Zurechnung fremder höchstpersönlicher Pflichtverletzung, sondern um die Zurechnung der davon herrührenden fremden Tatbeiträge aufgrund einer höchstpersönlichen Garan247  Matt/Renzikowski/Haas,

§ 13 Rn. 133; Mosenheuer, Unterlassen, S. 139. Unterlassen, S. 139. In Hinblick auf Pflichtdelikte auch SánchezVera, Pflichtdelikt, S. 159: „Mittäterschaft scheidet infolge des persönlichen Status, d. h. infolge der unmittelbaren Beziehung des Beteiligten zum Gut, aus.“ 249  Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 133. 250  Mosenheuer, Unterlassen, S. 136. Vgl. zum Pflichtdelikt auch Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 158. Eine Mittäterschaft durch Unterlassen begründende gemeinsame Pflicht verneinend auch Kreuzberg, Täterschaft, S. 652. 251  Insoweit treffend Kreuzberg, Täterschaft, S. 652. 252  In diesem Sinne auch SK/Stein, Vor § 13 Rn. 60. Das verkennt Kreuzberg, Täterschaft, S. 652. 248  Mosenheuer,



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen457

tenpflicht geht.253 Das Argument des höchstpersönlichen Charakters verkennt nämlich, dass nur der Zurechnungsgrund, also die Garantenpflichtverletzung, nicht aber der Zurechnungsgegenstand, nämlich der fremde Tatbeitrag, einen höchstpersönlichen Charakter hat. Auch die Behauptung, dass die unmittelbare Zurechnungsstruktur zwischen dem Unterlassen und dem tatbestandsmäßigen Erfolg die Mittäterschaft durch Unterlassen ausschließe, ist letztendlich nicht völlig stichhaltig: Wenn die Behauptung der unmittelbaren Zurechnungsstruktur zwischen der Unterlassung und dem tatbestandsmäßigen Erfolg konsequent durchgeführt wird, müsste sie alle Formen der Zurechnung fremder Tatbeiträge (mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft) oder fremden tatbestandsmäßigen Unrechts (Anstiftung und Beihilfe) ausschließen und zur Einheitstäterschaft führen. Die Beteiligungsformen würden dann im Unterlassungsbereich eingeebnet. Des Weiteren begründet die behauptete unmittelbare Zurechnungsstruktur im Sinne von Erfolgs- bzw. Tatverhinderungspflicht für sich genommen, wie bei der Diskussion über die mittelbare Unterlassungstäterschaft, nur die Täterschaft des Garanten, sagt aber noch nichts über die konkreten Erscheinungsformen dieser Täterschaft. Auch bei positivem Tun ist jeder einzelne Mittäter aufgrund des gemeinsamen Tatentschlusses für die Handlungen anderer Mittäter und mithin für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig. Mag man diese Zuständigkeit des einzelnen Mittäters für den tatbestandsmäßigen Erfolg oder die daraus resultierende Erfolgsverhinderungspflicht auch als „unmittelbare Zurechnungsstruktur“ bezeichnen, so führt dies gleichwohl nicht zu einer Verneinung der Mittäterschaft. Ob eine Mittäterschaft kon­ struktiv möglich ist, hängt mithin nur von der Erfüllung der Voraussetzungen der Mittäterschaft ab, also von dem Bestehen eines gemeinsamen Tatentschlusses sowie einer Erfolgsverhinderungspflicht. Wenn diese Voraussetzungen zwar erfüllt sind, der Garant aber unabhängig von der Zurechnung fremder Tatbeiträge in eigener Person den betroffenen Tatbestand vollständig verwirklichen kann, ist die Annahme einer Mittäterschaft entbehrlich, weil es für die Begründung der Unterlassungstäterschaft der wechselseitigen Zurechnung fremder Tatbeiträge nicht bedarf.254 Unter Berücksichtigung der Tat­ 253  Klarstellend Murmann, ZIS 2010, 389. Deshalb kann die Anerkennung von Mittäterschaft durch Unterlassen nicht dazu führen, dass ein Garant, der pflichtwidrig eine fremde Straftat durch positives Tun nicht verhindert, durch mittäterschaftliche Zurechnung fremden Tuns zum Begehungstäter zu bewerten wäre. Ob der einzelne Mittäter durch Tun oder Unterlassen handelt, wird nicht durch die Zurechnung fremder Tatbeiträge berührt, sondern kommt nur von seiner eigener Begehungsformen an. Ganz missverständlich Mosenheuer, Unterlassen, S. 136. 254  Für die Entbehrlichkeit der Mittäterschaft Bachmann/Eichinger, JA 2011, 108; Heinrich, AT, Rn. 1210; Jescheck/Weigend, AT, S. 682; LK13/Schünemann/Greco,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

sache, dass der Garant in eigener Person den betroffenen Tatbestand vollständig verwirklicht hat, kann man sogar eine unmittelbare Täterschaft annehmen.255 Wenn etwa der Vater die Tötung seines Kindes durch einen Killer nicht verhindert, verwirklicht der Vater den betroffenen Tatbestand aufgrund seiner Tatverhinderungspflicht bereits völlig. Eine Zurechnung des Tatbeitrages des Killers ist zur Begründung der Täterschaft des Vaters entbehrlich, auch wenn er zuvor mit dem Killer die Tötung abgesprochen hat. Demgegenüber ist die Annahme einer Mittäterschaft durch Unterlassen dort angebracht, wo es für eine Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolges zum Garanten einer Zurechnung fremder Tatbeiträge bedarf, auch wenn die Verletzung einer eigenen Erfolgsverhinderungspflicht bereits ein tatbestandsmäßiges Handlungsunrecht des Garanten begründet.256 Da die betreffenden Konstellationen unterschiedliche Strukturen aufweisen können, seien sie im Folgenden in zwei Fallgruppen gesondert erörtert. 2. Mittäterschaft zwischen einem Garanten und einem Begehungstäter a) Angewiesenheit auf das Abgrenzungskriterium und Aufwertungsverbot Ob der Garant aufgrund der – mit dem Begehungstäter vorher vereinbarten – Nichtverhinderung einer durch einen volldeliktischen Begehungstäter ausgeführten Straftat als Mittäter durch Unterlassen zu bestrafen ist, hängt zunächst von dem Abgrenzungskriterium der Beteiligungsformen ab. Nach der Gehilfentheorie gibt es hierbei in der Regel keinen Raum für Mittäterschaft, denn im Vergleich zum Begehungstäter habe der pflichtwidrige Garant allenfalls eine potentielle Tat­herrschaft inne, die den Garanten zu einer Randfigur mache.257 Da aber die Gehilfentheorie zugunsten einer differenzierenden Theorie nach dem Schutzzweck der verletzten Garantenpflicht zurückzuweisen ist, ist die Annahme einer Mittäterschaft durch Unterlassen in diesem Fall durchaus möglich. Es kommt hierbei zunächst nur darauf an, ob sich der Schutzzweck der Garantenpflicht auf die Tatverhinderungspflicht erstreckt oder nicht. Erschöpft er sich in der Taterschwerung, wenn etwa der Garant nicht verhindert, dass ein Unbefugter zum Zweck eines Verbrechens § 25 Rn. 237; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 273; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 25 Rn. 86. 255  LK13/Weigend, § 13 Rn. 82; Murmann, GK, § 29 Rn. 86; SK/Hoyer, § 25 Rn. 150; Vogel, Norm, S. 284. 256  Zur Relevanz der Annahme einer Mittäterschaft für die Begründung der Erfolgszurechnung in diesem Fall auch Greco, ZIS 2011, 684; Vogel, Norm, S. 286 f. 257  Deshalb die Mittäterschaft des Garanten verneinend Kühl, AT, 20 Rn. 270. Ähnlich Krey/Esser, AT, Rn. 1191, es fehle an der gemeinsamen Tat­herrschaft.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen459

auf die von ihm verwaltete Pistole zuzugreifen, kann der Garant allenfalls als Gehilfe dieses Verbrechens angesehen werden, auch wenn er insoweit mit dem Begehungstäter einen gemeinsamen Entschluss gefasst hat. Es gilt hier ein Aufwertungsverbot aus dem Abgrenzungskriterium.258 b) Beschränkung der Mittäterschaft auf die einheitliche Zurechnungskategorie? Die Mittäterschaft durch Unterlassen setzt dementsprechend die Verletzung einer Tatverhinderungspflicht voraus. Ein Teil der Literatur beschränkt die Mittäterschaft durch Unterlassen aber auf die Fälle, bei denen die vom Garanten und Begehungstäter verletzten Pflichten derselben Zurechnungskategorie zuzuordnen sind. Roxin zufolge liegt Mittäterschaft zwischen einem Garanten und einem Begehungstäter nur dann vor, wenn sie gemeinsam ein Pflichtdelikt verwirklichen. Eine Mittäterschaft durch Unterlassen soll etwa vorliegen, wenn zwei Aufsichtsbeamte in der Weise eine Gefangenenbe­ freiung vereinbaren, dass der eine dem Gefangenen den Schlüssel für die Zellentür liefert, während der andere die Außenpforte unverschlossen lässt.259 Demgegenüber könne eine Wirtin, die nicht gegen die körperliche Misshandlung einer Kundin durch andere Gäste einschreitet, nicht Mittäterin sein. Die Täterschaft der Wirtin leite sich vielmehr unmittelbar aus ihrer eigenen Garantenpflichtverletzung und nicht aus der Teilhabe an der Tat­herrschaft der positiv handelnden Gäste ab.260 Ein vergleichbarer Gedanke lässt sich trotz der zum Teil abweichenden Unterteilung in Herrschafts- und Pflichtdelikte auch bei Sánchez-Vera finden. „Die Möglichkeit einer Mittäterschaft zwischen einem Organisationstäter und einem Pflichtdeliktstäter ist ausgeschlossen, da die Mittäterschaft einheitliche Zurechnungskriterien der Beteiligten voraussetzt, die jedoch beim äußerlichen Zusammentreffen einer Haftung aus Tat­herrschaft und einer solchen aus positiver Zuständigkeit nicht vorliegen.“261 Dieser Befund ist allerdings nur unter dem Aspekt einer strikten Gegenüberstellung von Herrschafts- und Pflichtdelikten vertretbar. Durch diese Gegenüberstellung würde aber der einheitliche Unrechtsbegriff aufgespalten, was wiederum zu unerträglichen Ergebnissen führen würde, die nur mit großen, manchmal auch systemwidrigen Bemühungen korrigiert werden könnten.262 Wer aber wie hier von einem materiellen Unrechtsbegriff ausgeht und ein einheitliches normatives Täterkriterium entwickelt, wonach der Täter 258  Zu

diesem Befund ebenso Vogel, Norm, S. 286. AT II, § 31 Rn. 174. 260  Roxin, AT II, § 31 Rn. 174. 261  Sánchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 158. 262  Ausführlich dazu oben S. 305 ff. 259  Roxin,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

eine Verhaltensnorm verletzt, die sich auf den tatbestandsmäßigen Erfolg richtet, und damit die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer beherrscht, muss nicht eine zusätzliche Zurechnungskategorie des Pflichtdelikts entwickeln. Dieser einheitliche Unrechts- und Täterbegriff ermöglicht dann ein Zusammenwirken des Garanten und des Begehungstäters, auch wenn ihre jeweiligen täterschaftlichen Haftungsgründe in der Literatur unterschiedlich beurteilt werden.263 Dass Mittäterschaft eine einheitliche Zurechnungsstruktur voraussetzt, ist so gesehen zwar richtig, aber gerade nur dann, wenn die Unterscheidung von Herrschafts- und Pflichtdelikt unter einem einheitlichen Unrechtsbegriff aufgehoben wird. Daraus folgt, dass, soweit sowohl der Garant als auch der Begehungstäter für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig sind und die Voraussetzungen der Mittäterschaft im konkreten Fall erfüllt sind, eine Mittäterschaft durch Unterlassen anzunehmen ist. c) Mögliche Beispiele und die Notwendigkeit der Annahme der Mittäterschaft In vielen Fällen, in denen eine Mittäterschaft zwischen einem Garanten und einem Begehungstäter von einem Teil der Literatur angenommen wird, ist die Annahme einer Mittäterschaft entbehrlich, weil es für die Begründung einer Unterlassungstäterschaft einer wechselseitigen Zurechnung fremder Tatbeiträge nicht bedarf. Somit ist Mittäterschaft durch Unterlassen nur dann angebracht, wenn im Verhältnis zur Annahme der Nebentäterschaft die Annahme einer Mittäterschaft des Garanten die möglichen entstandenen Zurechnungsdefizite ausgleicht: aa) Ermöglichung der vollendeten Erfolgszurechnung zum Garanten Das ist zunächst denkbar, wenn ex post nicht festgestellt werden kann, ob der Garant bei Ausführung der gebotenen Rettungshandlung den tatbestandsmäßigen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden hätte.264 Die Anerkennung der Mittäterschaft dient hier – trotz der fehlenden Kausalität des einzelnen pflichtwidrigen Unterlassens für den Erfolg – der Erfolgszurechnung. Es handelt sich hierbei, entgegen Puppe,265 nicht um eine zirkuläre kausalitätsersetzende Konstruktion. Denn es ist gerade das 263  Vgl. auch LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 187, sie zwar zutreffend von einem einheitlichen Täterbegriff ausgehen, aber mit einem faktischen aktuellen Tat­ herrschaftsbegriff argumentieren. 264  Vogel, Norm, S. 285. 265  In anderem Zusammenhang Puppe, JR 1992, 32. Ihr zustimmend HK-GS/ Heinrich, Vor § 13 StGB Rn. 61.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen461

Wesen der Mittäterschaft, dass die Mittäter aufgrund eines selbstbestimmt gemeinsamen Tatentschlusses wechselseitig für die Handlungen anderer Mittäter zuständig sind. Gefordert ist mithin nicht die Kausalität des Tatbeitrages des einzelnen Mittäters für den Erfolg, sondern nur, dass der Erfolg von einem oder mehreren der Mittäter ausgelöst wird.266 Soweit zwischen dem Garanten und dem Begehungstäter ein gemeinsamer Tatentschluss vorliegt, kann der den Erfolg herbeiführende Tatbeitrag des Begehungstäters auch dem Garanten als eigener zugerechnet werden. Durch diese wechselseitige Zurechnung wird die vollendete Erfolgszurechnung zum Garanten ermöglicht. bb) Ermöglichung der Zurechnung der qualifizierenden verhaltensbezogenen Umstände zum Garanten? Mittäterschaft durch Unterlassen soll nach Weigend auch dann angezeigt sein, wenn über die Rechtsfigur der Mittäterschaft dem pflichtwidrigen Garanten die vom Begehungstäter „verwirklichten qualifizierenden Umstände ohne Weiteres (und ohne Rücksicht auf die Entsprechungsklausel von § 13) zugerechnet werden können, soweit sie von gemeinsamen Tatplan erfasst waren“.267 Dagegen wendet Haas ein, das Unrecht des Garanten ergebe sich nicht aus der mittäterschaftlichen Verhaltenszurechnung, sondern ausschließlich aus der eigenen Garantenpflichtverletzung. Demzufolge sei die Zurechnung qualifizierenden Unrechts des Begehungstäters nur dann, aber auch bereits dann möglich, wenn der Garant selbst „den Eintritt der qualifizierenden Umstände hätte verhindern müssen und können“.268 Bei diesem Streit geht es um die Frage, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen diese qualifizierenden Umstände seitens des Begehungstäters dem Garanten als Nebentäter zugerechnet werden können und ob und inwieweit diese Zurechnung nur über die Rechtsfigur der Mittäterschaft durch Unterlassen ermöglicht wird und legitimiert werden kann. Da es hierbei um die Auslegung der einzelnen qualifizierenden Umstände im BT einerseits und die materielle Bestimmung der Funktion und der Reichweite der Entsprechungsklausel des § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB andererseits geht, würde eine detaillierte abschließende Klärung dieser Frage den hier gegebenen Rahmen sprengen. Im Folgenden können deshalb nur einige Grundlinien angegeben werden: 266  Beulke/Bachmann, JuS 1992, 743; Hilgendorf, NStZ 1994, 563; Kuhlen, NStZ 1990, 570; Satzger, Jura 2014, 193. 267  LK13/Weigend, § 13 Rn. 83. Zu dieser Möglichkeit auch Rauber, Mord, S. 354, der letztlich aber wegen der Ablehnung der Mittäterschaft in dieser Konstellation diese Möglichkeit ablehnt. 268  Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 133.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Ob diese Umstände bei einem Dreipersonenverhältnis, also bei dem Verhältnis zwischen Begehungstäter, Opfer und Garanten, dem unterlassenden Garanten zugerechnet werden können, wird vielfach im Zusammenhang der Entsprechensklausel des § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB diskutiert.269 Das ist deshalb nicht überraschend, weil es bei den qualifizierenden Umständen nicht selten um verhaltensgebundene Handlungsweisen geht, also um einen Bereich, wo nach der überwiegenden Meinung die Entsprechungsüberprüfung des Garantenunterlassens noch einen Sinn hat.270 Danach soll eine Modalitätenäquivalenz in dem Sinne vorliegen, dass das pflichtwidrige Unterlassen „in gleichwertiger Weise die besonderen Handlungsmodalitäten verwirklicht, es also im sozialen Sinngehalt mit der Tatbestandshandlung des Begehungsdelikts übereinstimmt“.271 Da aber die Entsprechensklausel selbst keine praktizierbaren Kriterien für diese Äquivalenz anbietet und deren Bedeutungsgehalt bis heute unterschiedlich beurteilt wird,272 dient sie als zweites Gleichstellungserfordernis neben der Garantenstellung in den meisten Fällen von verhaltensgebundenen Delikten nicht zur weiteren Strafbarkeitsbeschränkung.273 Ist die Beurteilung der Modalitätenäquivalenz auf die Begriffselemente der einzelnen Tatbestandsmerkmale im BT angewiesen, bleibt sie letztlich eine leere Floskel. In der Tat handelt es sich bei der Entsprechensklausel um die Äquivalenzbeurteilung des tatbestandsmäßigen Handlungsunrechts, die nicht nur bei verhaltensgebundenen Delikten, sondern auch bei reinen Erfolgsdelikten im Sinne einer Schaffung des tatbestandsmäßigen Risikos zu erfolgen hat.274 Diese Aufgabe kann aber in den meisten Konstellationen von der Bestimmung der Garantenstellung übernommen werden, soweit man das sozialwirkliche Verschlechterungsbewirken des garantenpflichtwidrigen Unter­ lassens anerkennt: Nicht selten kann das schlichte Unterlassen für sich zwar nicht ohne Schwierigkeit unter den Wortlaut oder unter die in der Rechtsprechung bzw. Literatur entwickelten Begriffselemente subsumiert werden. So könne das Merkmal der Tötung „mit gemeingefährlichen Mitteln“ nicht durch Unterlassen verwirklicht werden, weil es ein „Einsetzen“ eines solchen Mittels voraussetze und das einfache Ausnutzen einer bereits bestehenden gemeingefährlichen Situation oder das Unterlassen, diese Situation zu besei269  Etwa Gropp/Sinn, AT, § 11 Rn. 179 ff.; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 41; LK13/Weigend, § 13 Rn. 77; Roxin, FS-Lüderssen, S. 583 f.; Satzger, Jura 2011, 757; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 4. 270  Vgl. nur Lackner/Kühl/Heger, § 13 Rn. 16; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 46 Rn. 119; NK/Gaede, § 13 Rn. 19; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 4. jeweils m. w. N. 271  Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 4. 272  Kritisch dazu NK/Gaede, § 13 Rn. 19; LK/Grünewald, § 224 Rn. 25. 273  Ransiek, JuS 2010, 589. Kritisch auch Roxin, FS-Lüderssen, S. 581 ff. 274  In diesem Sinne MK4/Freund, § 13 Rn. 203.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen463

tigen, diese begrifflich vorgegebene Voraussetzung nicht erfüllen könne.275 Das verhindert jedoch nicht die Strafbarkeit durch Unterlassen,276 denn die gesetzlichen Formulierungen sind nicht selten von vornherein gesetzestechnisch auf das positive Tun ausgerichtet und der Gegensatz von „Einsetzen“ und „Ausnutzen“ kennzeichnet nur den Gegensatz von Tun und Unterlassen. Aus welchem Grund die Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln schon begrifflich auf „Einsetzen“, also positives Tun beschränkt werden soll, ist nicht ersichtlich.277 Wenn man aus diesem Grunde die Strafbarkeit durch Unterlassen schon begrifflich verneint, stellt das nichts anderes als eine petitio principii dar. Hierbei geht es denn auch gar nicht um solche Subsumierbarkeit, sondern um die Beurteilung einer normativen Äquivalenz der Bewirkensweise des Unterlassens, also bei Unterlassungstäterschaft in einem Dreipersonenverhältnis darum, ob der Garant auch die Rechtsposition des Opfers in der tatbestandsmäßigen Weise verschlechtern kann, indem er die Verhinderung der tatbestandsmäßigen Handlungsweisen und somit die Verhinderung des dadurch ausgelösten Erfolges unterlässt.278 Das ist zu bejahen. Wenn der Garant verpflichtet ist, eine fremde tatbestandsmäßige Handlung zu verhindern, hat das Opfer einen Anspruch gegenüber dem Garanten, die rechtlich anerkannte Rechtsposition des Opfers vor der Begehungstat auf die tatbestandlich beschriebene Weise zu schützen. Unterlässt er das, verschlechtert der Garant nicht einfach diese Rechtsposition, sondern verletzt er sie in der tatbestandsmäßigen Weise.279 Darin lässt sich eine Unrechtsäquivalenz erkennen. Bei der Frage, ob in einem Dreipersonenverhältnis die qualifizierenden Umstände beim Begehungstäter dem pflichtwidrigen Garanten zuzurechnen sind, handelt es sich mithin nicht um die Frage nach der Entsprechensklausel, sondern um die nach der Zuständigkeit des Garanten für diese Umstände. 275  BGHSt

34, 13, 14; NK/Neumann/Saliger, § 211 Rn. 89. auch Berster, ZIS 2011, 257; LK13/Weigend, § 13 Rn. 77 277  Zieschang, FS-Puppe, S. 1320 f. 278  Insofern wohl auch Roxin, FS-Lüderssen, S. 581 mit dem Beispiel des Betrugs. 279  Im Schrifttum wird gelegentlich behauptet, die tatbestandsmäßige Handlung des Begehungstäters werde aufgrund der Garantenpflichtverletzung dem unterlassenden Garanten zugerechnet. Zu dieser Handlungszurechnung, etwa Berster, ZIS 2011, 257, 260 f., der in Anlehnung an Schünemanns Herrschaftsbegriff den Zurechnungsgrund in der aktuellen Herrschaft des Garanten sieht; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 40. Das ist im Ergebnis zwar nicht zu beanstanden, aber die Rede von einer Zurechnung fremden tatbestandsmäßigen Handlung erweckt den Eindruck, dass der Garant de facto nicht die tatbestandsmäßige Handlung vornehme. So ausdrücklich Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 40. Aber wer das echte Bewirken des Garantenunterlassens anerkennt, muss konsequent davon ausgehen, dass der Garant durch seine Garantenpflichtverletzung auch selbst die normativ (!) zu verstehende tatbestands­ mäßige Handlung ausführt und dadurch die Rechtsposition des Opfers verschlechtert. 276  Siehe

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Weil die qualifizierenden Umstände seitens des Begehungstäters unterschiedliche Qualität aufweisen können, ist eine differenzierende Betrachtung notwendig: Wenn sich die betreffenden qualifizierenden Umstände beim Begehungstäter auf subjektiv qualifizierende oder täterbezogene Umstände beziehen und insbesondere die subjektiven Einstellungen bzw. Gesinnungen des individuellen Subjekts kennzeichnen, wie etwa Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe des § 211 Abs. 2 StGB, sind diese vom individuellen Subjekt getragenen Umstände hinsichtlich jedes einzelnen Beteiligten gesondert zu überprüfen und können nicht Zurechnungsgegenstände sein.280 Daran ändert die Annahme einer Mittäterschaft durch Unterlassen nichts, denn der Gegenstand der mittäterschaftlichen Zurechnung ist aus demselben Grund auf die objektiven tatbezogenen Umstände beschränkt.281 Infolgedessen können nur die objektiv-tatbezogenen qualifizierenden Umstände dem unterlassenden Garanten entweder im Wege der eigenen Verletzung der Erfolgsverhinderungspflicht oder über die Mittäterschaft zugerechnet werden. Innerhalb dieses Rahmens ist weiter zu überprüfen, ob der betreffende qualifizierende Umstand auch vom Schutzzweck der Garantenpflicht umfasst wird und der Garant mithin rechtlich für ihn einzustehen hat.282 Nur wenn der Garant auch für diesen qualifizierenden Umstand zuständig ist, ist er ihm wegen der Verletzung dieser Zuständigkeit zuzurechnen. Der qualifizierende Umstand des Handelns mit gemeingefährlichen Mitteln im Sinne von § 211 StGB283 kann deshalb einem Überwachungsgaranten zugerechnet werden, der für solche Mittel oder für die Tötung mit einem solchen Mittel durch einen von ihm zu Überwachenden verantwortlich ist.284 Aber auch einem Beschützergaranten wie einem Feuerwerker, der sich im Rahmen seines Dienstes um die Rechtsgüter unbestimmter Opfer kümmern soll, kann dieser qualifizierende Umstand zugerechnet werden.285 Da280  Matt/Renzikowski/Haas,

§ 13 Rn. 41; LK13/Weigend, § 13 Rn. 77; Rauber,

Mord, S.  354 f. 281  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 32. Im Hinblick auf den Mordtatbestand auch BGH NStZ-RR 2014, 203; Matt/Renzikowski/Safferling, § 211 Rn. 83; NK/Neumann/Saliger, § 211 Rn. 112. 282  Zur Relevanz dieser Überprüfung Berster, ZIS 2011, 256. 283  Gegen die Möglichkeit der Verwirklichung dieses qualifizierenden Merkmals durch Unterlassen aber BGHSt 34, 13, 14; MK/Schneider, § 211 Rn. 133; NK/Neumann/Saliger, § 211 Rn. 89; SK/Sinn, § 211 Rn. 65. Wie hier aber Jakobs, AT, § 29 Rn. 78; LK/Rissing-van Saan/Zimmermann, § 211 Rn. 144; Rengier, BT II, Rn. § 4 Rn. 47d; ders., FS-Streng, S. 133; Roxin, FS-Lüderssen, S. 583; Zieschang, FS-Puppe, S. 1321. 284  Vgl. auch Zieschang, FS-Puppe, S. 1321. 285  Jakobs, AT, § 29 Rn. 78. Deshalb ist die Auffassung von Gropp/Sinn, AT, § 11 Rn. 183, dem Beschützergaranten könne die besondere verbrecherische Handlungs-



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen465

gegen kann dem Beschützergaranten, der nur für das Leben eines bestimmten Opfers, nicht aber für eine die anderen potentiellen Opfer betreffende Gemeingefahr einzustehen hat (etwa einem Vater), der qualifizierende Umstand nicht zugerechnet werden, wenn er die Tötung seines Kindes durch eine vom Begehungstäter gezündete Bombe nicht verhindert, obwohl das Handlungsunrecht des Begehungstäters durch Indienstnahme der Bombe wesentlich erhöht wird.286 Noch ein Beispiel aus dem § 224 Abs. 1 StGB: Der Hundehalter eines Kampfhundes, der den von dem Begehungstäter auf das kleine Kind gehetzten Kampfhund pflichtwidrig nicht zurückpfeift, ist als unmittelbarer Unterlassungstäter einer gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)287 anzusehen, wenn das Kind dadurch leicht verletzt wird. Denn er ist für die von dem Hund ausgehende (qualifizierende) Gefahr zuständig.288 Wenn in diesem Fall der anwesende Vater des Kindes tatenlos das Geschehen zulässt und keine gebotene Rettungshandlung vornimmt, ist er, anders als bei Nichtverhinderung einer gemeingefährlichen Begehungsweise nach § 211 StGB, auch als unmittelbarer Unterlassungstäter für die gefährliche Körperverletzung verantwortlich. Denn der Angriff mit gefährlichem Werkzeug ist hier auf das Rechtsgut des Kindes bezogen, für das der Vater gerade rechtlich zuständig ist.289 Hat ein solcher Angriff das Potential zur Vertiefung der Rechtsgutsverletzung, muss der Vater als Beschützergarant auch diese qualifizierende Gefahr neutralisieren. Dem Beschützergaranten sind unter diesem Aspekt qualifizierende Umstände, die die Rechtsgutsverletzung, für die er einzustehen hat, vertiefen, zuzurechnen, wenn er die Neu­ tralisierung dieser Umstände unterlässt.

modalität nicht zugerechnet werden, demgegenüber sei der Überwachungsgarant „für den aus seiner Gefahrenquelle herrührenden besonderen Handlungsunwert zuständig“, nicht zu verallgemeinern. Insbesondere kann und soll ein Beschützergarant, wie folgend zu zeigen ist, auch für die besondere verbrecherische Handlungsmodalität wie Körperverletzung mit einem gefährlichen Werkzeug zuständig sein und muss sich diesen qualifizierenden Umstand zurechnen lassen. 286  Jakobs, AT, § 29 Rn. 78. Vgl. auch Berster, ZIS 2011, 256. In einem vergleichbaren Fall diese Differenzierung verkennend und die Zurechnung zum Vater deshalb bejahend aber LK/Rissing-van Saan/Zimmermann, § 211 Rn. 144. 287  Dass ein Hund auch als ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen werden kann, wird überwiegend anerkannt. Dazu BGHSt 14, 152, 155; LK/Grünewald, § 224 Rn. 19 m. w. N. 288  Vgl. auch Paeffgen/Böse, § 224 Rn. 21, die hier eine spezifische Herrschaftsbeziehung zwischen dem Unterlassenden und dem Bedrohungsgeschehen verlangen, welche hier ebenfalls gegeben ist. 289  Das verkennt Gropp/Sinn, AT, § 11 Rn. 184. Dagegen zutreffend in diesem Zusammenhang Roxin, FS-Lüderssen, S. 584.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Konsequent können auch die objektiv-tatbezogenen Umstände wie Heimtücke in § 211 StGB290 sowie der „hinterlistige“ Überfall in § 224 StGB291 dem Garanten zugerechnet werden, wenn etwa ein Überwachungsgarant es pflichtwidrig unterlässt, einen heimtückischen Mord oder einen hinterlistigen Überfall durch den von ihm zu Überwachenden zu verhindern. Denn solche qualifizierenden Umstände reduzieren die Selbstverteidigungsmöglichkeit des Opfers in erheblicher Weise und erhöhen die Opfergefährdung wesentlich. Der hier vertretene Ansatz muss sich mit dem teilweise abweichenden von Roxin aufeinandersetzen. Roxin zufolge sind „begehungstäterbezogene qualifizierende Umstände“, die zwar die verbrecherische Intensität erhöht, aber erfolgsneutral in dem Sinne sind, dass „Geringfügigkeit oder Schwere der Verletzung davon [sc. von der strafverschärfenden Ausgestaltung des Angriffs] unabhängig [sind]“, nicht dem pflichtwidrig unterlassenden Garanten zuzurechnen.292 Dazu gehörten z. B. das Merkmal der Heimtücke in § 211 StGB und das Merkmal des „hinterlistigen“ Überfalls in § 224 StGB, die sich nicht auf den Erfolg auswirkten.293 Demgegenüber seien das Merkmal des „gemeingefährlichem Mittels“ in § 211 StGB sowie das Merkmal der Verwendung eines „gefährlichen Werkzeugs“ durch garantenpflichtwidriges Unterlassen verwirklichbar, da die den Erfolg verstärkende Handlungsweise auch auf dem pflichtwidrigen Unterlassen des Garanten beruhe und dessen Unrecht und Schuld erhöhe.294 Roxins Ansatz hat insoweit seinen berechtigten Kern, als sich die betreffenden qualifizierenden Umstände auf den tat­ bestandsmäßigen Erfolg beziehen müssen, damit sie dem unterlassenden Garanten zugerechnet werden können. Denn die Garantenpflicht zielt gerade auf die Vermeidung der Verschlechterung der rechtlich anerkannten Rechtsposition des Opfers ab und darf nur solche Umstände in den Schutzzweck der Garantenpflicht einbeziehen, die die Rechtsposition des Opfers verschlechtern könnten. Zu kritisierten ist aber, dass Roxin diese Erfolgsbezo290  Berster, ZIS 2011, 260 f.; Rengier, FS-Streng, S. 130. Im Ergebnis wie hier, aber ohne weitere Begründung auch LK/Rissing-van Saan/Zimmermann, § 211 Rn. 127. Anders Roxin, FS-Lüderssen, S. 583; Satzger, Jura 2011, 757, dazu sogleich. Ablehnend aber Rauber, Mord, S. 61 ff., 103; SK/Sinn, § 211 Rn. 51. 291  Im Ergebnis auch Wengenroth, JA 2014, 430, der auf eine „nachträgliche Zwecksetzung“ abstellt. Aber hierbei handelt es sich nicht um eine „Zwecksetzung zum hinterlistigen Überfall“, sondern um die Zuständigkeit für einen solchen. Die Möglichkeit eines hinterlistigen Überfalls durch Unterlassen allgemein ablehnend aber NK/Paeffgen/Böse, § 224 Rn. 22; Roxin, FS-Lüderssen, S. 584. 292  Roxin, FS-Lüderssen, S. 583  f., Zitat bei S. 534. Ihm insoweit überwiegend folgend Satzger, Jura 2011, 757. 293  Roxin, FS-Lüderssen, S. 583 f. In Bezug auf das Merkmal Heimtücke ebenso Satzger, Jura 2011, 757. 294  Roxin, FS-Lüderssen, S. 583 f.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen467

genheit teils zu weit, teils aber zu eng interpretiert. Einerseits wird auch der qualifizierende Umstand, der zwar das Handlungs- und mithin auch das Erfolgsunrecht wesentlich erhöht, für den der Garant aber nicht zuständig ist, unzutreffend allgemein als ein zurechenbares Merkmal angesehen, wie das Merkmal des „gemeingefährlichen Mittels“ im Sinne von § 211 StGB. Andererseits müssen manche von Roxin als „erfolgsneutral“ bezeichnete Merkmale näher besehen doch als erfolgsbezogene und somit als zurechenbare Merkmale begriffen werden, wie das Merkmal Heimtücke im Sinne von § 211 StGB sowie das Merkmal des „hinterlistigen“ Überfalls in § 224 StGB. Die Erfolgsbezogenheit bei diesen Merkmalen besteht darin, dass durch solche Begehungsweisen die Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung wesentlich erhöht wird295 und das Opfer im Vergleich zum Angriff ohne solche qualifizierenden Umstände in eine schlechtere Stellung gebracht wird. Diese schlechtere Stellung lässt sich zwar nicht als „tatbestandsmäßigen“ Erfolg im Sinne von § 211 StGB, aber doch als eine Verschlechterung der rechtlich anerkannten Rechtsposition des Opfers begreifen, für die der Garant zuständig ist.296 Daraus ergibt sich folgende These: Soweit der Garant für den betreffenden objektiv-erfolgsbezogenen qualifizierenden Umstand zuständig ist, d. h. dieser Umstand vom Schutzzweck der Garantenpflicht erfasst wird, ist er dem pflichtwidrigen Garanten zuzurechnen. Dann erübrigt sich zur Begründung dieser Zurechnung ein Umweg über eine Mittäterschaft durch Unterlassen. Nur wenn man davon ausgeht, dass bestimmte qualifizierende Umstände seitens des Begehungstäters nicht durch Unterlassen verwirklicht werden können, weil das Unterlassen nicht die Voraussetzungen für diese qualifizierenden Tatbestandsmerkmale erfüllt oder weil eine entsprechende Handlungsmodalität nicht vorliegt, kommt eine Zurechnung dieser Umstände über Mittäterschaft durch Unterlassen bei Erfüllung ihrer Voraussetzungen in Betracht.

295  Zu diesem Argument erhöhter Opfergefährdung auch Rengier, FS-Streng, S. 130. 296  Dagegen kann man nicht mit Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 41 einwenden, dass der Begriff des Erfolges in § 13 Abs. 1 StGB diese verhaltensbezogenen Merkmale nicht erfasse. Denn solche verhaltensbezogenen Qualifikationsmerkmale haben einen erfolgsbezogenen Charakter, indem sie die Rechtsgutsverletzung wahrscheinlicher machen. Und ein solcher Verschlechterungscharakter kann durchaus von einem extensiven Verständnis des Erfolgsbegriffs in § 13 Abs. 1 StGB umfasst sein.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

3. Mittäterschaft durch Unterlassen bei mehreren Unterlassungen, insbesondere am Beispiel der Gremienentscheidung a) Fallkonstellationen Wenn die Mittäterschaft durch Unterlassen dann angezeigt sein soll, wenn sie im Verhältnis zur Annahme der unmittelbaren Täterschaft die vollendete Erfolgszurechnung begründen kann, dann kommt sie, dem Diskussionsstand im Schrifttum entsprechend, dann in Betracht, „wenn mehrere Unterlassende nur durch gemeinsames Handeln den Erfolg abzuwenden imstande gewesen wären, sich aber auf allseitige Untätigkeit geeinigt haben“.297 Beispielhaft: Vater und Sohn können nur gemeinsam die Ehefrau bzw. Mutter aus dem Haus tragen298 oder der zufällig in einem Tresorraum Eingeschlossene kann nur dann befreit werden, wenn zwei Inhaber verschiedener Schlüssel den Tresorraum gemeinsam öffnen.299 Hier kann der tatbestandsmäßige Erfolg nur durch gemeinsame Rettungsbemühungen aller Garanten vermieden werden und das Unterlassen einzelner Garanten allein kann den tatbestandsmäßigen Erfolg eintreten lassen. Im Folgenden wird dieser Fall als „vollständige Überbestimmtheit“ bezeichnet.300 Eine ähnliche Struktur weist die Unterlassungshaftung bei der Gremien­ entscheidung auf, wenn nach der konkreten Entscheidungsregel mehrere Garanten nur durch gemeinsame Herbeiführung eines bestimmten Beschlusses den tatbestandsmäßigen Erfolg abwenden könnten. Folgt die Gremienentscheidung aber dem Mehrheitsprinzip, unterscheidet sich die Struktur von den genannten Fällen der „vollständigen Überbestimmtheit“ insofern, als einerseits das Unterlassen eines einzelnen Gremienmitgliedes allein nicht den tatbestandsmäßigen Erfolg bewirken kann, andererseits es aber zum Bewirken des Erfolges nur einer bestimmten Zahl von Pflichtverletzungen der Garanten bedarf (sog. „teilweise Überbestimmtheit“). Die Rechtsprechung liefert hierbei zwei klassische Beispiele zur Erläuterung, und zwar den Lederspray-Fall301 sowie den Fall der Unterlassungshaftung von Mitgliedern

297  SK/Hoyer, § 25 Rn. 150. Zu dieser „eigentlichen“ Mittäterschaft durch Unterlassen auch Anw-StGB/Waßmer, § 25 Rn. 85; Frister, AT, Kap. 26 Rn. 35; Jescheck/ Weigend, AT, S. 682; Kühl, AT, § 20 Rn. 268; LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 237; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 25 Rn. 273; Ransiek, JuS 2010, 678 f.; Rengier, AT, § 51 Rn. 3; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 17. 298  Kühl, AT, § 20 Rn. 268. 299  LK13/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 237; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 14 Rn. 17. 300  Zur Unterscheidung zwischen vollständiger und teilweiser Überbestimmtheit unter dem Kausalaspekt Röckrath, NStZ 2003, 645. 301  BGHSt 37, 106 ff.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen469

des Politbüros.302 In beiden Fällen wird den Mitgliedern der Organisationsleitung wegen Verletzung einer Erfolgsverhinderungspflicht vollendete Täterschaft vorgeworfen. Im Lederspray-Fall unterließen die vier Geschäftsführer als Mittäter den Rückruf der bereits in den Verkehr gebrachten gesundheitsgefährlichen Produkten, indem sie bei der Sitzung zu dieser Einigung kamen oder sich nach der Sitzung diese in der Sitzung getroffene Entscheidung zu eigen machten.303 Im zweiten Fall wird den Mitgliedern des Politbüros aber nicht wegen einer Beteiligung an der im Gremium gemeinschaftlich getrof­ fenen Entscheidung für die Aufrechterhaltung des Grenzregimes, sondern schlicht wegen unterlassener „Äußerungen und Anträge für eine Änderung des Grenzregimes“ eine mittelbare Unterlassungstäterschaft vorgeworfen.304 Trotz der Gemeinsamkeit der beiden Fälle, dass der einzelne Geschäftsführer oder das einzelne Mitglied trotz der Erfolgsverhinderungspflicht allein durch eigene Kraft den tatbestandsmäßigen Erfolg nicht verhindern kann, zieht der BGH nur im Lederspray-Fall die Regel der Mittäterschaft durch Unterlassen zur Begründung der vollendeten Täterschaft des einzelnen Geschäftsführers heran,305 während beim Politbüro-Fall die Heranziehung der Regel der Mittäterschaft ausdrücklich als entbehrlich angesehen wird.306 Im Folgenden wird aber gezeigt werden, dass das Zurückgreifen auf die Regel der Mittäterschaft durch Unterlassen in beiden Fällen für die Begründung einer vollendeten Täterschaft des einzelnen Mitglieds unerlässlich ist. b) Begründung der Garantenpflicht sowie das Handlungsunrecht des Garanten In diesen beiden Fällen ist der einzelne Garant unabhängig von einem gemeinsamen Tatentschluss zur Erfolgsverhinderung verpflichtet. Im Lederspray-Fall hat der einzelne Geschäftsführer die unternehmensbezogenen Gefahren zu neutralisieren, zu denen Herstellung und Vertrieb – wenn auch erst ex post feststellbar – gefährlicher Produkte gehören, damit die Gesundheit Außenstehender nicht durch diese Produkte gefährdet oder sogar verletzt wird. Im Politbüro-Fall übernimmt das einzelne Mitglied des Politbüros die staatliche Pflicht zum Schutz seiner Bürger und muss dementsprechend das Leben der Republikflüchtlinge vor der tödlichen Selbstschussanlage schützen. Da aber die Vermeidung des tatbestandsmäßigen Erfolgs noch auf den 302  BGHSt

48, 77 ff. 37, 106, 109 f. 304  BGHSt 48, 77, 92. 305  BGHSt 37, 106, 129 f. 306  BGHSt, 48, 77, 95 f.; zust. Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Noltenius, HdBStrR, § 51 Rn. 88. 303  BGHSt

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Rettungswillen des anderen angewiesen ist, ist die konkrete Pflicht des einzelnen Garanten darauf beschränkt,307 die eigene zumutbare Rettungsbemühung zu erbringen und auf den Rettungswillen anderer Garanten einzuwirken, um damit deren Rettungsleistungen sowie die Erfolgsvermeidung zu ermöglichen.308 Diese Handlungspflicht entfällt aber nicht einfach deshalb, weil der andere Mitgarant von vornherein die Erbringung seines Rettungsbeitrags dezidiert verweigert.309 Dass die voraussichtliche fremde Pflichtverletzung nicht von der eigenen Pflicht entbindet, hat seinen normentheoretischen Grund: Soweit man die Ratio der Verhaltensnorm, durch Ex-ante-Orientierung der Handlung das Rechtsgut zu schützen, ernst nimmt und sie von der den Expost-Aspekt widerspiegelnden Sanktionsnorm klar unterscheidet, kann die Sinnhaftigkeit der Verpflichtung zum Zeitpunkt des Handelns nicht deshalb verneint werden, weil sich die Rechtsgutsverletzung ex post als unvermeidbar erweist.310 Das trägt dem Umstand Rechnung, dass der Handelnde ex ante noch durch seine selbstbestimmte Entscheidung die Rechtsposition des Opfers ändern kann. Diese „Ex-ante-Erfolgsoffenheit“ ist also eine „echte Möglichkeit des Opfers“.311 Dabei dienen die Aufstellung einer Verhaltensnorm und die Verpflichtung zur Rettung des Rechtsguts nicht nur zur Durchsetzung des Verhaltensstandards, sondern auch zum Rechtsgüterschutz.312 Die Ex-ante-Erfolgsoffenheit ist insbesondere dann virulent, wenn der Erfolg nur durch Zusammenwirken aller oder bestimmter Mitgaranten vermieden werden kann. Denn sie bleibt in der Regel auch dann nicht ausgeschlossen, wenn ein Mitgarant vorher dezidiert die Rettung verweigert und der betroffene Garant darum weiß.313 Der Mitgarant könnte sich von seinem 307  BGHSt 37, 106, 125 geht zutreffend davon aus, dass sich die Pflicht, die von allen Garanten gemeinschaftlich getragen wird, von der Pflicht, die nur den einzelnen Garanten betrifft, unterscheidet. 308  Insoweit auch Mosenheuer, Unterlassen, S. 137. 309  Vgl. Murmann, GK, § 23 Rn. 114. Dagegen aber Samson, StV 1991, 185; ferner Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 49 Rn. 90; Nitze, Entsprechensklausel, S. 155. 310  Frisch, Verhalten, S. 534 Fn. 98, 566; Murmann, Nebentäterschaft, S. 228. 311  Murmann, Nebentäterschaft, S. 230 (Hervorhebung im Original). 312  Frisch, Verhalten, S. 534 Fn. 98. 313  Zu diesem Punkt auch Schales, Fehlverhaltensfolgen, S. 66; Weißer, Kollegial­ entscheidungen, S. 118. Nicht ausgeschlossen sind aber eher seltene Fälle, bei denen die Rechtsgutsverletzung ausnahmsweise bereits ex ante festgestellt wird und eine Verpflichtung zur Rettung des Rechtsguts dann als sinnlos zu bewerten ist. Der Mitgarant weigert sich etwa nicht nur, seine Rettungsbeiträge zu erbringen, sondern hat von vornherein seine Rettungsmöglichkeit endgültig unmöglich gemacht. Dazu Sofos, Mehrfachkausalität, S. 235 ff., 240, 242 f., 247 mit weiteren Beispielen von sog.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen471

ursprünglichen Plan distanzieren und „im letzten Moment“ zugunsten des Opfers handeln; der Garant kann und muss, soweit das innerhalb der Reichweite seiner Garantenpflicht liegt, durch Aufklärung der Sachlage oder durch Drohung mit Strafanzeige auf den Rettungswillen des Mitgaranten Einfluss nehmen.314 In diesem Fall der Ex-ante-Erfolgsoffenheit soll die Verhaltensnorm zur Rettung des Rechtsguts eingreifen und einen zusätzlichen Handlungsgrund für den Garanten liefern. Der Garant soll dementsprechend davon ausgehen, dass der Mitgarant „im letzten Moment“ zugunsten des Opfers handeln wird und daher die eigene rechtmäßige Rettungshandlung für den Rechtsgüterschutz noch sinnvoll ist.315 Die Verhaltensnorm und die daraus resultierende Garantenpflicht sind dementsprechend unabhängig von der hypothetischen oder erst ex post festgestellten Unvermeidbarkeit des Erfolges aufrechtzuerhalten. Das Gesagte hat Konsequenzen für die Bestimmung des tatbestandsmäßigen Handlungsunrechts des einzelnen an einer Gremienentscheidung Beteiligten. Die Garantenpflicht des einzelnen Gremienmitglieds wird nicht in Frage gestellt, auch wenn seine pflichtmäßige Stimme von den anderen pflichtwidrigen Stimmen der anderen Mitglieder überstimmt würde.316 Nicht anders verhält es sich aber auch dann, wenn vor dem Abstimmungsverhalten des einzelnen Gremienmitglieds eine Mehrheit für das Unterlassen des Rückrufes bereits zustande gekommen ist. Für die Verpflichtung des einzelnen Mitgliedes spricht auch hier die Ex-ante-Erfolgsoffenheit. Im Einzelfall ist die Rechtsgutsverletzung trotz des Zustandekommens des Mehrheitsbeschlusses durchaus vermeidbar. Denn die Gremienentscheidung schafft für sich in der Regel nicht die tatbestandsmäßige Gefahr, sondern die Grundlage für die spätere Ausführungshandlung der Vollzugsmitarbeiter.317 Dem einzelnen Mitglied wird denn auch nicht die Beteiligung an dem Mehrheitsbe„Quasi-Naturverläufen“. Wenn der betreffende Garant darum weiß und es für ihn ex ante keine andere Rettungsmöglichkeit gibt, würde die Verpflichtung nur zur Durchsetzung des Verhaltensstandards, nicht aber zur Erhöhung der Rettungschance bei­ tragen. Ob eine solche Verpflichtung dann noch legitim ist, kann man bezweifeln. Gegen die Verpflichtung bei einer ex ante absoluten Rettungsunmöglichkeit Jakobs, ­FS-Miya­zawa, S. 424, 432; NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 124; Schales, Fehlverhaltensfolgen, S. 65. Jedenfalls gehören die hier erörterten Fälle aber nicht zu diesen Ausnahmefällen. 314  Vgl. Weißer, Kollegialentscheidungen, S. 117. 315  Vgl. auch Schales, Fehlverhaltensfolgen, S. 66. Dass der Mitgarant letztlich rechtmäßig handeln kann, ist aber nicht nur eine wirkliche Möglichkeit, sondern auch eine normativ berechtigte Unterstellung. 316  MK-AMG3/Freund, Vor § 95 f. Rn. 69. 317  Jakobs, FS-Miyazawa, S. 425, der deshalb das Abstimmungsverhalten nicht zu Unrecht als eine Vorbereitungshandlung, also eine Beteiligung an der später zu vollziehenden Tatausführung ansieht.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

schluss, sondern die Nichtherbeiführung eines gebotenen Rettungsgeschehens vorgeworfen. Auch wenn das einzelne Mitglied ex ante nicht den Mehrheitsbeschluss verändern kann, kann es doch andere Rettungsmöglichkeiten außerhalb des Gremiums ergreifen,318 indem es etwa seine Mitwirkungsrechte weiter ausübt oder bei einer eventuellen schwerwiegenden Rechtsgutsverletzung sogar die Strafverfolgungsbehörde informiert. Deshalb entfällt die Handlungspflicht des einzelnen Geschäftsführers jedenfalls dann nicht mit Zustandekommen der Gremienentscheidung gegen den Rückruf, wenn die Rechtsgutsverletzung ex ante noch nicht festgestellt wird.319 Wer sich in dieser Konstellation an der rechtswidrigen Gremienentscheidung beteiligt oder sich die Gremienentscheidung nach deren Zustandekommen zu eigen macht und daraufhin die ihm zumutbaren Rettungshandlungen unterlässt, handelt wegen Verletzung einer Erfolgsverhinderungspflicht bereits pflichtwidrig.320 c) Die Erfolgszurechnung zum pflichtwidrigen Unterlassen im Rahmen der Allein- oder Nebentäterschaft aa) Ablehnung der Erfolgszurechnung durch Anwendung der „modifizierten Conditio-Formel“ Von der Bestimmung der Garantenpflichtverletzung streng zu trennen ist die Frage nach der Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs zum pflichtwidrig unterlassenden Garanten. Die Notwendigkeit dieser Erfolgszurechnung im engen Sinne ergibt sich daraus, dass sowohl positives Tun als auch garantenpflichtwidriges Unterlassen die Rechtsposition des Opfers in tatbestandsmäßiger Weise verschlechtern müssen, also einen wirklichen Verschlechterungscharakter in sozial-interpersonalem Sinne aufweisen müssen, damit sie als Straftat begriffen werden. Die Pflichtverletzung muss sich deshalb im tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklichen.321 Da sich aber das Bewirken des Unterlassens im Gegensatz zu positivem Tun nicht mittels naturgesetzlicher Kausalität positiv erklären lässt, ist bei der Feststellung, ob das garantenpflichtwidrige Unterlassen wirklich die Rechtsposition des Opfers durch Entzug einer rechtlich garantierten Rettungsmöglichkeit verschlechtert 318  Insoweit

auch Sofos, Mehrfachkausalität, S. 254. Fehlverhaltensfolgen, S. 66. Etwas enger Jakobs, FS-Miyazawa, S. 432, wonach die Handlungspflicht bis zum „perfekten Normbruch“, also bis zum Unterlassungsversuch erhalten bleibt. 320  Im Ergebnis auch MK-AMG3/Freund, Vor § 95 f. Rn. 69; Schales, Fehlver­ haltensfolgen, S. 66; Weißer, Kollegialentscheidung, S. 117 f. Wohl auch Jakobs, ­FS-Miyazawa, S. 432, soweit die Beteiligung an der Tatausführung noch möglich ist. 321  Murmann, GK, § 29 Rn. 23. 319  Schales,



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen473

hat, notwendig ein hypothetischer Vergleich zu unternehmen. Gefragt ist, „wie die Wirklichkeit des Opfers bei Vornahme der gebotenen Tätigkeit beschaffen gewesen wäre“.322 Dem trägt die herrschende Meinung durch den Begriff der „Quasi-Kausalität“ des pflichtwidrigen Unterlassens Rechnung. Ein garantenpflichtwidriges Unterlassen sei für den tatbestandsmäßigen Erfolg kausal, wenn die unterlassene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der eingetretene Erfolg mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit entfiele.323 Abgesehen von der Bezeichnung als „Quasi“Kausalität, die eher unglücklich ist, weil das garantenpflichtwidrige Unterlassen auch wirklichen Verschlechterungscharakter im sozialen Sinne aufweisen kann, ist dieser „modifizierten Conditio-Formel“ zu folgen. Es handelt sich in der Tat aber aufgrund der dabei zu unternehmenden hypothetischen Beurteilung um eine normative Erfolgszurechnungsfrage, und zwar um die Beurteilung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges.324 Es soll festgestellt werden, ob das im tatbestandsmäßigen Erfolg (Verschlechterung der Rechtsposition des Opfers) verwirklichte Risiko gerade dasjenige ist, das durch das garantenpflichtwidrige Unterlassen für das Opfer geschaffen wird, und nicht ein anderes erlaubtes Restrisiko.325 Auch wenn ein Teil der Literatur konstatiert, dass bei der Beurteilung des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges nur auf die tatsächlichen Kausalabläufe abzustellen sei,326 kann die Aussonderung der Verwirklichung eines erlaubten Risikos aus der Erfolgszurechnung indes nicht ohne Berücksichtigung des hypothetischen Alternativverhaltens des Täters erfolgen. Denn wie Haas zutreffend ausführt, liegen „die Eigenschaften des Verhaltens, die sich im Rahmen des erlaubten Risikos halten, entweder faktisch überhaupt nicht oder nicht isoliert von den Eigenschaften des Verhaltens, kraft derer es gegen die Sorgfaltspflichten verstößt“ vor.327 Folgt man der oben genannten modifizierten Conditio-Formel, dann muss man die Erfolgszurechnung bei den hier erörterten Fällen vollständiger oder teilweiser Überbestimmtheit verneinen, soweit die Regel der Mittäterschaft nicht eingreift. Denn auch wenn ein Garant pflichtmäßig die gebotene Rettungshandlung vornähme, könnte der Erfolg wegen des pflichtwidrigen Unterlassens anderer Mitgaranten doch eintreten. Im Kontext der GremienentscheiGA 1987, 73. nur BGHSt 39, 106, 126 f.; 48, 77, 93; 59, 292, 301 f. Kühl, AT, § 18 Rn. 36; LK13/Weigend, § 13 Rn. 70; NK/Gaede, § 13 Rn. 15 jeweils m. w. N. 324  Murmann, GK, § 29 Rn. 73; Schrott, Unterlassungszurechnung, S. 247. 325  Zu dieser Ratio des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs Frisch, Verhalten, S. 534; Murmann, GK, § 23 Rn. 102. Dagegen aber Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§  13 ff. Rn. 99a. 326  Jakobs, AT, § 7 Rn. 75; MK4/Freund, Vor § 13 Rn. 336; NK/Puppe, Vor §§  13 ff. Rn. 207. 327  Haas, GA 2015, 92. 322  Kahlo, 323  Vgl.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

dung gilt: Auch wenn der einzelne Geschäftsführer in der Abstimmung pflichtmäßig für den Rückruf der gefährlichen Produkte gestimmt hätte, würde er von den anderen pflichtwidrigen Stimmen „überbestimmt“ und wäre der Erfolg der Körperverletzung doch aufgrund des Nichtrückrufs eingetreten.328 Es fehlt dann an der hypothetischen Kausalität bzw. dem Pflichtwidrigkeitszusammenhang und es käme nur eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht, wenn die Regel der Mittäterschaft nicht eingreifen würde. Dieses Ergebnis fehlender Erfolgszurechnung wird aber überwiegend abgelehnt und gelegentlich sogar als „nicht rechtens“ empfunden.329 Um diesem Ergebnis zu entgehen, werden in der Rechtsprechung und im Schrifttum aber verschiedene Lösungen vertreten, denen zufolge sich die vollendete Erfolgszurechnung zum einzelnen Garanten auch ohne die Heranziehung der Rechtsfigur der Mittäterschaft durch Unterlassen begründen lässt. Im Folgenden wird sich aber zeigen, dass diese Lösungen mehr oder weniger in Schwierigkeiten geraten. bb) Begründung der Erfolgszurechnung mit der Risikoverringerungslehre? Ein Teil der Literatur folgt statt der oben genannten modifizierten Conditio-Formel der Risikoverminderungslehre. Danach sei die objektive Erfolgszurechnung bereits dann anzunehmen, wenn die gebotene Rettungshandlung zwar nicht den tatbestandsmäßigen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert, aber doch das Risiko des Erfolgseintritts (erheblich) vermindert hätte.330 Da je nach der vertretenen Variante der Risiko328  Zu diesem Ergebnis bei der geheimen Abstimmung LK13/Walter, Vor §§  13 ff. Rn. 83. Das ändert sich auch dann nicht, wenn man statt auf den abstrakten tatbestandsmäßigen Erfolg auf einen Erfolg in seiner konkreten Gestalt abstellt. So wird geltend gemacht, hätte der einzelne Geschäftsführer pflichtmäßig für den Rückruf abgestimmt, hätte sich die Beschlussmehrheit von 4:0 zu 3:1 geändert. Das verkennt aber, dass der Kausalzusammenhang nicht zwischen der einzelnen Abstimmungshandlung und dem konkreten Konstrukt der Beschlussmehrheit, sondern zwischen der einzelnen Abstimmungshandlung und dem tatbestandsmäßigen Erfolg, also der Körperverletzung von Kunden bestehen muss. Auch bei einer Beschlussmehrheit von 3:1 wäre die Körperverletzung bei den Kunden eingetreten. Vgl. LK13/Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 83; Volk/Beukelmann/Knauer/Kämpfer, MAH § 3 Rn. 61. Die Veränderung der zum Ereignis führenden Bedingungen oder die konkrete Gestalt des Kausalablaufs kann aber entgegen SK/Jäger, Vor § 1 Rn. 89 auch nicht der Bezugspunkt des Kausalzusammenhanges sein, denn dann müssten Begleitumstände, die nicht die Verschlechterung der Rechtsposition des Opfers ermöglichen oder vertiefen, sondern allenfalls deren Art und Weise ändern, bei der Beurteilung der Erfolgszurechnung zu Unrecht einbezogen werden. 329  BGHSt 37, 106, 132. 330  Im Unterlassungsbereich mit verschiedenen Varianten Brammsen, MDR 1989, 126 f.; Greco, ZIS 2011, 678 ff., 681; Stratenwerth, FS-Gallas, S. 238; Otto, AT, § 9



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verminderungslehre bereits ex ante oder erst ex post festgestellt wird, ob die Abstimmung des einzelnen Gremienmitglieds gegen die mögliche rechtswidrige Gremienentscheidung die Rettungschance des Rechtsguts (wesentlich) verbessert hätte, könnten die Rechtsgutsverletzungen, von denen die Konsumenten betroffen sind, nach der Risikoverminderungslehre dem einzelnen Gremienmitglied zugerechnet werden. Die Risikoverminderungslehre ist aber aus folgenden Gründen zurückzuweisen:331 Wenn der Gesetzgeber den betroffenen Tatbestand als Verletzungsdelikt gestaltet hat, kann sowohl bei positivem Tun als auch bei Garantenunterlassen nur derjenige Täter sein, der für das Ausbleiben des tatbestandsmäßigen Erfolgs zuständig ist. Daraus folgt, dass sowohl das Handlungsunrecht als auch das Erfolgsunrecht des Täters nicht nur wie beim Gefährdungsdelikt auf die Gefährdung des Rechtsguts durch Erhöhung der Erfolgseintrittschance, sondern darüber hinaus auf den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs gerichtet sein muss.332 Beim Unterlassungstäter ist die Erfolgszurechnung mithin erst dann anzunehmen, wenn der Garant den tatbestandsmäßigen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte.333 Die gegenseitige Ansicht der Risikoverminderungslehre, die die Erfolgszurechnung auf die ex post festzustellende „effektiv risikomindernde Beeinflussung des Rn. 101; Roxin, AT II, § 31 Rn. 54; SK/Stein, Vor § 13 Rn. 32 Fn. 45; Stein, FS-Rogall, S. 278. 331  Im Ergebnis gegen die Risikoverminderungslehre BGHSt 37, 106, 126 f.; 59, 292, 302; BGH NStZ 2011, 31. Anw-StGB/Gercke/Hembach, Vor § 13 Rn. 29, § 13 Rn. 6; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 25; Frister, AT, Kap. 22 Rn. 25; Jakobs, AT, § 29 Rn. 20; HK-GS/Tag, § 13 StGB Rn. 10; Jescheck/Weigend, AT, S. 620; Joecks/Jäger, Studienkommentar, § 13 Rn. 22; Kaspar, AT, § 10 Rn. 35; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 36 Rn. 13; Köhler, AT, S. 229; Krey/Esser, AT, Rn. 1125; Kühl, AT, § 18 Rn. 38 f.; Lackner/Kühl/Heger, Vor § 13 Rn. 14a; LK13/ Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 86; LK13/Weigend, § 13 Rn. 72; Matt/Renzikowski/Haas, § 13 Rn. 35; MK4/Freund, § 13 Rn. 223; Murmann, GK § 29 Rn. 25; NK/Gaede, § 13 Rn. 15; Ransiek, JuS 2010, 496; Rengier, AT, § 49 Rn. 16; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, § 13 Rn. 11; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 63; Schünemann, StV 1985, 232 f.; Vogel, Norm, S. 163 f. 332  In der Sache auch Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 36 Rn. 13, obwohl sie unglücklich die Zuständigkeit fürs „Ausbleiben“ des tatbestandsmäßigen Erfolgs kon­ statieren. Denn hier geht doch um das Unrecht, das schwerlich auf ein Ausbleiben gerichtet sein kann, sondern auf den „Eintritt“ des Erfolgs. Nicht überzeugend deshalb Stein, FS-Rogall, S. 276, wenn er den Schutzzweck der Verhaltensnorm auf die Verhinderung der Gefahrschaffung beschränkt und deshalb konsequent für Erfolgszurechnung (= Realisierung dieser Gefahrschaffung) eine ex post festzustellende tatsächliche Gefahrerhöhung ausreichend sein lässt. 333  Es sei hier nochmals hervorgehoben, dass hierbei nicht die tatsächliche Erfolgsverhinderungsmöglichkeit, sondern der sich auf die Erfolgsverhinderung erstreckende Schutzzweck der verletzten Verhaltensnorm die Täterschaft des Garanten begründet.

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Kausalverlaufs“ abstellt,334 verwechselt den Schutzzweck der Verhaltensnorm des Verletzungsdelikts mit dem Schutzzweck der Verhaltensnorm des Gefährdungsdelikts und interpretiert dadurch unzulässig den abzuwendenden tatbestandsmäßigen Verletzungserfolg zum Gefährdungserfolg im Sinne einer Erhöhung der Erfolgseintrittschance um.335 Der überwiegend erhobene Einwand, dass die Risikoverminderungslehre Verletzungsdelikte in Gefährdungs­ delikte umgestalte,336 ist in dieser Hinsicht uneingeschränkt berechtigt.337 Roxin als Anhänger der Risikoverminderungslehre scheint trotzdem davon auszugehen, dass der Umgestaltungsvorwurf, soweit die Erfolgszurechnung auf einem gesetzlichen Zusammenhang zwischen dem Unterlassen und dem Erfolg gründe, nicht durchgreifend sei.338 Aber es drängt sich die Frage auf, wie ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen einem Garantenunterlassen und einem bestimmten Erfolg begründet wird, wenn das Garantenunterlassen gar nicht kausalgesetzlich wirken kann. Des Weiteren liegt der von Roxin behauptete gesetzmäßige Zusammenhang zwischen dem Garantenunterlassen und dem konkreten tatbestandsmäßigen Erfolg in der Tat nicht vor, wenn es zweifelhaft bleibt, dass der Erfolg bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht eingetreten wäre. Ein solcher Zusammenhang kann nach Roxin dann allenfalls zwischen dem Garantenunterlassen und dem von ihm unzulässig AT II, § 31 Rn. 57; Stratenwerth, FS-Gallas, S. 235 f. aber ersichtlich Roxin, AT II, § 31 Rn. 57, wenn er ausführt, „der mög­ licherweise am Ende eintretende Erfolg [sei] ein anderer als der, dessen unterlassene Abwendung dem Garanten zugerechnet wird“. Dagegen mit Hinweis auf die Erfolgsverhinderungspflicht treffend Schünemann, StV 1985, 232 f. 336  Jakobs, AT, § 29 Rn. 20; LK13/Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 86; Murmann, GK § 29 Rn. 25; NK/Gaede, § 13 Rn. 15; Rengier, § 49 Rn. 16. Ferner gegen die Risikoerhöhungslehre Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, §  10 Rn.  90; MK4/Duttge, § 15 Rn. 182; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 179; Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 304. 337  Demgegenüber ist der andere herrschende Einwand, dass die Risikoverminderungslehre oder Risikoerhöhungslehre gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“ verstoße (etwa Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 10 Rn. 90; Freund/Rostalski, AT § 2 Rn. 59; LK13/Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 86; MK4/Duttge, § 15 Rn. 182; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 304) oder zu einer unzulässigen Beweislastumkehr führe (etwa Matt/Renzikowski/Renzikowski, Vor § 13 Rn. 108; SK/Jäger, Vor § 1 Rn. 119), nicht begründet. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ als ein verfahrensrechtlicher Grundsatz ist gerade von der Lösung der materiellrechtlichen Frage nach den Anforderungen an die Erfolgszurechnung abhängig. Wäre die Risikoerhöhungslehre dogmatisch richtig, könnte die Erfolgszurechnung auch bei bestehenden Zweifeln an einer Erfolgsverhinderungsmöglichkeit ohne Verstoß gegen den Grundsatz angenommen werden, soweit die geforderte Risikoerhöhung ex post festgestellt würde. Wie hier Frisch, Verhalten, S. 539; Greco, ZIS 2011, 679; Kahlo, GA 1987, 76; Murmann, GK, § 23 Rn. 110; Ransiek, JuS 2010, 496; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/ Schuster, § 15 Rn. 179. 338  Roxin, AT II, § 31 Rn. 60 f.; Stratenwerth, FS-Gallas, S. 237. 334  Roxin, 335  So



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uminterpretierten Erfolg als Erhöhung der Erfolgseintrittschance vorliegen, was aber nach den obigen Ausführungen keine Erfolgszurechnung ermöglicht. Anders als die Variante der Risikoerhöhungslehre beim Begehungsdelikt, die noch eine festgestellte Kausalität zwischen der Handlung und dem konkreten Erfolg verlangt, kann die Risikoverminderungslehre nur durch Verzicht auf die für die Erfolgszurechnung notwendige Quasi-Kausalität das von ihr bezweckte Ergebnis erreichen.339 Schünemann als Vertreter der Risiko­ erhöhungslehre teilt deshalb angesichts der kausalitätsersetzenden und mithin strafbarkeitserweiternden Wirkungen der Risikoverminderungslehre zutreffend dieser Lehre eine Absage.340 Damit befindet Schünemann sich aber in einem Wertungswiderspruch. Denn trotz des oben gezeigten Unterschieds stellen sowohl die Risikoerhöhungslehre als auch die Risikoverminderungslehre die Erfolgszurechnung auf die Risikoerhöhung für das Rechtsgut ab. Man muss deshalb einheitlich entweder für oder gegen diese beiden Lehren argumentieren.341 Anders als Schünemann versucht Greco die Risikoverminderungslehre zu retten, indem er die Kausalität des Unterlassens näher bestimmt und dadurch die Frage nach der Kausalität des Unterlassens von der Frage nach dem Pflichtwidrigkeitszusammenhang unterscheidet. Die Risikoverminderungslehre wäre dann nicht kausalitätsersetzend, sondern wie die von ihm vertretene Risikoerhöhungslehre kausalitätsergänzend.342 Damit wird aber verkannt, dass ein kausalgesetzlicher Zusammenhang zwischen der Handlung oder dem vom Täter geschaffenen Risiko und dem tatbestands­ mäßigen Erfolg für sich genommen die normative Erfolgszurechnung nicht begründen kann. Auch wenn es einen Kausalzusammenhang zwischen dem Garantenunterlassen und dem tatbestandsmäßigen Erfolg gäbe, bleibt es eben zweifelhaft, ob diese objektiv im tatbestandsmäßigen Erfolg realisierte Gefahr gerade die vom Täter geschaffene unerlaubte Gefahr und nicht eine der Handlung des Täters innewohnende oder mit dieser Handlung zufällig verbundene erlaubte Begleitgefahr ist.343 Würde eine Erfolgszurechnung bei 339  Murmann, GK § 29 Rn. 25; Ransiek, JuS 2010, 496; Satzger/Schluckebier/ Widmaier/Kudlich, § 13 Rn. 11; Schünemann, StV 1985, 232. 340  Schünemann, StV 1985, 232. 341  Sieh auch Ransiek, JuS 2010, 496. 342  Greco, ZIS 2011, 680 f. In Hinblick auf die Risikoerhöhungslehre argumentiert Roxin/Greco gegen den Umgestaltungsvorwurf so: „in den Fällen des rechtmäßigen Alternativverhaltens [hat] beim Vorliegen einer Risikoerhöhung ein verbotenes Risiko sich in einem tatbestandlichen Verletzungserfolg niedergeschlagen“ und „die Zurechnung eines Erfolges zum objektiven Tatbestand [wird] immer nur durch eine vom Täter geschaffene Gefährdung vermittelt“ (Roxin/Greco, AT I5, § 11 Rn. 93 [Hervorhebung im Original]). 343  Vgl. auch LK13/Vogel/Bülte, § 15 Rn. 198. Dagegen wird von Vertretern der Risikoerhöhungslehre eingewandt, dass man „ein Risiko nicht in einen erlaubten und einen unerlaubten Teil spalten und für jeden gesondert die Gefahrverwirklichung er-

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Vorliegen dieser Zweifel trotzdem angenommen, gründete die Erfolgszurechnung sich letztlich nur auf eine kausale Gefahrschaffung, die für eine Erfolgszurechnung i. S. v. einem normativen Gefahrverwirklichungszusammenhang nicht ausreichend ist.344 Der Einwand einer Umgestaltung der Verletzungsdelikte in Gefährdungsdelikte bleibt unabhängig von der kausalitäts­ ersetzenden oder kausalitätsergänzenden Wirkung der Risikoerhöhungs- oder Risikoverminderungslehre immer gültig.345 Weiterhin zu untersuchen ist, ob es andere vernünftige Gründe für die Risikoerhöhungslehre gäbe. Roxin/Greco führen in diesem Zusammenhang aus: „[D]er Gesetzgeber muss auch und gerade dort auf der Befolgung der Sorgfaltsnorm bestehen, wo ihre Einhaltung zwar die Chance der Rechtsgutsbewahrung deutlich erhöht, aber nicht mit absoluter Sicherheit gewährleis­ mitteln“ dürfe (Roxin/Greco, AT I5, § 11 Rn. 90; zuvor bereits Küper, FS-Lackner, S. 286). Hierbei handelt es sich aber nicht um die Spaltung eines Risikos, sondern nur darum, dass eine Handlung aus den unterschiedlichen Blickwinkeln teils erlaubt, teils unerlaubt sein kann (Frisch, Verhalten, S.  524 ff.; Jakobs, AT, § 7 Rn. 76; Murmann, GK, § 23 Rn. 102). Man denke einfach an den Schulfall, dass eine Tötungshandlung nicht nur ein unerlaubtes Risiko in Richtung auf die Verletzung des Lebensrechts des Opfers geschaffen hat, sondern zugleich auch das von dem Täter nicht zu verantwortende Begleitrisiko in sich birgt, dass das verletzte Opfer auf dem Weg zum Krankenhaus infolge eines Unfalls ums Leben kommt (Frisch, Verhalten, S. 525). Wenn eine Handlung nur „insgesamt“ als unerlaubt bewertet werden könnte, dann müsste die Erfolgszurechnung nach der Feststellung der unerlaubten Gefahrschaffung bejaht werden, soweit der Erfolg eintritt. Die Prüfung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs wäre dann für die Erfolgszurechnung überflüssig. Das führte aber notwendig zum versari in re illicita (Jakobs, AT, § 7 Rn. 128) und wird auch von den Anhängern der Risikoerhöhungslehre nicht geteilt, wenn sie bei Fehlen einer ex post festzustellenden Risikoerhöhung auch die Erfolgszurechnung ablehnen (dazu Murmann, GK, § 23 Rn. 109 Fn. 230). 344  Diese Kritik gilt ebenso für die Verteidigung der Risikoerhöhungslehre durch Schünemann, StV 1985, 230. Er behauptet, dass die Risikoerhöhungslehre nicht die Kausalität ersetze, sondern die Kausalität ergänze und sich mithin eher strafbarkeitseinschränkend als strafbarkeitserweiternd auswirke. Nicht einleuchtend ist aber, worin diese strafbarkeitseinschränkende „Ergänzung“ gegenüber der Kausalität liegen soll. Dass sich die vom Täter geschaffene Gefahr objektiv im Erfolg realisiert hat, ist nichts anderes als ein für die Erfolgszurechnung unzureichender kausalgesetzlicher Zusammenhang zwischen Gefahr und Erfolg. Die Risikoerhöhungslehre wirkt eher strafbarkeitsausdehnend als strafbarkeitseinschränkend. Gegen Schünemanns Behauptung auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 132 Fn. 270; Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S.  170 f. 345  Treffend MK4/Freund, Vor § 13 Rn. 315. In der Sache auch Jakobs, AT, § 7 Rn. 99, wenn er zutreffend konstatiert: „Der Zurechnungszusammenhang wäre handlungsbezogen; der Erfolg hätte die Funktion einer nur-objektiven Bedingung der Straftatbestandlichkeit.“ Er führt aber unglücklich weiter aus: „Erfolgsdelikte wären als erfolgsbedingte Gefährdungsdelikte zu verstehen.“ Denn man kann nicht davon sprechen, dass der Erfolg die Gefahrschaffung bedingt.



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tet.“346 Damit ist gemeint, dass insbesondere bei Fahrlässigkeitsdelikten, wo die Bestrafung nur bei Vorliegen des Erfolgsunrechts möglich ist, die Anwendung der Vermeidbarkeitstheorie weitergehend zu kriminalpolitisch unerwünschter Straflosigkeit führen würde.347 Das kriminalpolitische Argument kann aber nicht die Entscheidung des Gesetzgebers, den betroffenen Tatbestand als Verletzungsdelikt zu gestalten, unterlaufen.348 Greco argumentiert aber nicht rein kriminalpolitisch, sondern versucht, aus der Ratio des Erfolgsunwerts diese kriminalpolitische Erwägung dogmatisch zu legitimieren. Diese Ratio besteht nach Greco darin, „ex post, quasi rückwirkend zu belegen, dass das ex ante greifende Verbot auf berechtigten Sorgen über die Unversehrtheit eines Rechtsguts beruhte“.349 Dementsprechend sei das Erfolgsunrecht zu verneinen, wenn ex post festgestellt werde, dass der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre; die Exante-Verhaltensnorm erweise sich also ex post als sinnlos; das Erfolgsunrecht sei aber bereits dann anzunehmen, wenn ex post festgestellt werde, dass das Unterlassen des verbotenen Handelns die Rettungschance des Rechtsguts verbessern würde, denn in diesem Fall bleibe das Verbot unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes auch ex post sinnvoll und gerechtfertigt.350 Dagegen spricht aber, dass die Erfolgszurechnung nicht von der (ex post festzustellenden) Sinnhaftigkeit der Verhaltensnorm abhängig gemacht werden kann. Denn ob die Bestrafung einer Verhaltensnormverletzung Sinn hat und ob der tatbestandsmäßige Erfolg einer Verhaltensnormverletzung zugerechnet werden kann, sind zwei verschiedene Fragen. Die Versuchsstrafbarkeit hat diese Unterscheidung in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht.351 Deshalb kann man die Erfolgszurechnung nicht unmittelbar aus der Sinnhaftigkeit der Verhaltensnorm ableiten. Die Erfolgszurechnung orientiert sich vielmehr an der spezifischen Ratio, die dem Erfordernis eines zur Verhaltensnormverletzung hinzutretenden Erfolgs zugrunde liegt.352 In dieser Hinsicht ist die These, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre, sei die Verhaltensnorm ex post betrachtet zum Rechtsgüterschutz nicht sinnvoll, angreifbar. Ob die Verhaltensnorm sinnvoll ist, ob sie nämlich zum Zeitpunkt des Handelns ihre Handlungsorientierungsfunktion entfalten kann, damit die mögliche Rechtsgutsverletzung verhindert AT I5, § 11 Rn. 91. 347  Roxin/Greco, AT I5, § 11 Rn. 91, mit Bezug auf ärztliche Risikooperation; Greco, ZIS 2011, 676. 348  Murmann, GK, § 23 Rn. 109. 349  Greco, ZIS 2011, 678 Fn. 42. 350  Greco, ZIS 2011, 678. Siehe bereits Schünemann, StV 1985, 230. 351  Frisch, Verhalten, S. 541. 352  Frisch, Verhalten, S. 542. 346  Roxin/Greco,

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oder deren Chance zumindest reduziert werden könnte, kann aber sinnvollerweise nur in einer Ex-ante-Betrachtung beurteilt werden. Der erst ex post festzustellende Umstand, dass der Erfolg auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre, setzt nicht die Geltung der Verhaltensnorm und deren Potential zum Rechtsgüterschutz außer Kraft. Die Ablehnung der Erfolgszurechnung bei ex post festgestellter Erfolgsunvermeidbarkeit kann mithin nicht auf die Sinnlosigkeit der Verhaltensnorm zurückzuführen sein, sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass sich dabei nicht diejenige missbilligte Gefahr, die der Täter durch Verletzung der Verhaltensnorm geschaffen hat, sondern nur eine dem Verhalten innewohnende oder mit ihm zufällig verbundene erlaubte Gefahr im tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklicht. Last but not least impliziert die These von Greco, eine Verhaltensnorm auch bei Zweifel an der Erfolgsvermeidbarkeit sei sinnvoll, soweit die Verbesserung der Rettungschance des Rechtsguts durch Einhaltung der Verhaltensnorm ex post festgestellt wird, dass der Sinn und Schutzzweck der Verhaltensnorm in diesem Fall nicht mehr die Vermeidung des tatbestandsmäßigen Erfolgs, sondern nur die Chancenreduzierung des Erfolgseintritts wäre. Ein solcher Schutzzweck der Verhaltensnorm könnte aber bei deren Verletzung allenfalls die Zurechnung der missbilligten Gefahrschaffung im Sinne einer Chancenerhöhung des Erfolgseintritts, nicht aber die Zurechnung des nicht vom Schutzzweck der Verhaltensnorm gedeckten konkreten tatbestandsmäßigen Erfolgs legitimieren.353 Die Inkongruenz von Zurechnungsgegenstand (eingetretener tatbestandsmäßiger Erfolg) und Zurechnungskriterium (Risiko­ erhöhung des Erfolgseintritts) lässt sich bei Greco deutlich erkennen.354 Unabhängig von den obigen Kritiken an der Risikoerhöhungs- und der Risikoverminderungslehre kann die Risikoverminderungslehre nicht vollständig das Problem der Erfolgszurechnung zum einzelnen Gremienmitglied lösen, und zwar dort, wo ex post nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt wird, ob die gebotene Abstimmung gegen die mögliche rechtswidrige Gremienentscheidung die Rettungschance des Rechtsguts (wesentlich) erhöhen würde, oder wo das Risiko der Rechtsgutsverletzung bereits das Maß von 100 Prozent erreicht und somit nicht mehr steigerungsfähig ist.355

353  Vgl. Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 171 gegen die vergleichbare These Schünemanns. 354  Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 166 gegen die Risikoerhöhungslehre allgemein. 355  Siehe Greco, ZIS 2011, 683 Fn. 97.



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cc) Versuche, innerhalb der modifizierten Conditio-Formel die Erfolgszurechnung zu begründen Ein Teil der Literatur bewegt sich noch innerhalb der (modifizierten) Conditio-Formel, nimmt in diesen Fällen kumulative oder alternative Kausalität oder eine Kombination von beiden an und versucht mithilfe der jeweils entwickelten Beurteilungsregeln die Kausalität oder die Erfolgszurechnung zu begründen: (1) Lösung über die kumulative Kausalität? Für die Annahme einer kumulativen Kausalität bei Gremienentscheidung führt Roxin, allerdings primär bei positivem Tun, an: „Jede Stimme ist eine für sich allein nicht wirksame Ursache, die erst mit den anderen Stimmen zusammen ihre Wirksamkeit entfaltet.“356 In unseren erörterten Fällen handelt es sich aber nicht um den klassischen Fall der kumulativen Kausalität. Denn eine kumulative Kausalität ist zwar dadurch gekennzeichnet, dass „mehrere, unabhängig voneinander vorgenommene Handlungen den Erfolg erst durch ihr Zusammentreffen herbeiführen“.357 Die einzelne Handlung stellt für sich genommen eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den tatbestandsmäßigen Erfolg dar. Dabei ergibt sich die Kausalität der einzelnen Handlung unmittelbar aus der Anwendung der Conditio-Formel. Im Unterlassungsbereich ist ein garantenpflichtwidriges Unterlassen aber nur dann die notwendige Bedingung des tatbestandsmäßigen Erfolgs im Sinne der Conditio-Formel, wenn die unterlassene Rettungshandlung eine hinreichende Bedingung für die Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges ist.358 Das kommt nur dann in Betracht, wenn die Rettungshandlung eines einzelnen Garanten für sich genommen den Erfolg abwenden kann, in Hinblick auf die Gremienentscheidung nach Mehrheitsprinzip also, wenn die geforderte Mehrheit gerade erreicht ist.359 Bei einer klaren Mehrheit, also einem Überschuss an Unterlassungen, sind die weiteren Stimmen für den Beschluss gegen den Rückruf aber überschüssig und stehen nicht mit dem

356  Roxin, AT I4, § 11 Rn. 19. Anders jetzt aber Roxin/Greco, AT I5, § 11 Rn. 19. Eine kumulative Kausalität bei Gremienentscheidung im Unterlassungsbereich annehmend auch Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 46 Rn. 139. 357  Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 83 (Hervorhebung im Original). 358  Klarstellend NK/Puppe, Vor § 13 Rn. 120; Puppe, JR 1992, 32; Röckrath, NStZ 2003, 645 Fn. 56. 359  Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 10 Rn. 32; HK-GS/Heinrich, Vor § 13 StGB Rn. 61.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Erfolg in einem notwendigen Kausalzusammenhang im Sinne der ConditioFormel.360 (2) Lösung über die alternative Kausalität? Ein Teil der Literatur nimmt hierbei eine Art von alternativer Kausalität an und zieht eine dabei entwickelte Zusatzformel der Conditio-Formel heran.361 Kindhäuser konstatiert: „Mehrere unterlassene Handlungen sind jeweils für sich als Ursache eines Erfolgs anzusehen, wenn sie unter den gegebenen Umstanden zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinzugedacht werden können, ohne dass der Eintritt dieses Erfolgs in seiner konkreten Gestalt nach Maßgabe der anerkannten Kausalgesetze entfiele.“362 Eine ähnliche Überlegung, bei der hypothetischen Beurteilung nicht nur die gebotene rechtmäßige Handlung des betroffenen Garanten, sondern auch die gebotenen Rettungshandlungen aller hinzuzudenken, lässt sich bei der Politbüro-Entscheidung finden: Wenn der Erfolg nur durch Zusammenwirken mehrerer Beteiligter verhindert werden kann, ist das pflichtwidrige Unterlassen der einzelnen Beteiligter kausal für das Ausbleiben der den Erfolg verhindernden Maßnahme, denn „[f]ür die Beurteilung der ‚Quasi-Kausalität‘ des Unterlassens der Angeklagten kommt es nicht darauf an, welche Wirkung das Handeln gehabt hätte, das jedem einzelnen von ihnen geboten war. Vielmehr ist auf das parallele Unterlassen aller derjenigen abzustellen, die ebenso wie die Angeklagten pflichtwidrig untätig geblieben sind, also auf die Untätigkeit aller Mitglieder des Politbüros im hier relevanten Zeitraum.“363

Die Struktur der alternativen Kausalität lässt sich zwar in Fällen vollständiger Überbestimmtheit erkennen, bei denen der tatbestandsmäßige Erfolg nur durch die Rettungshandlung aller Garanten vermieden werden kann. Dort könnte man so verfahren, dass die Rettungshandlungen der Garanten zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinzugedacht werden könnten, ohne dass der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges in seiner konkreten Gestalt nach dem Kausalgesetz entfiele. Bei einem Überschuss an Unterlassungen, wie dies bei der Gremienentscheidung nach dem Mehrheitsprinzip nicht sel360  Greco, ZIS 2011, 682; Rotsch, ZIS 2018, 6; Roxin/Greco, AT I5, § 11 Rn. 19; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 83a; SK/Jäger, Vor § 1 Rn. 88; Volk/Beukelmann/Knauer/Kämpfer, MAH, § 3 Rn. 62. 361  Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 36 Rn. 22; Dreher, JuS 2004, 18. Vgl. auch Bachmann/Eichinger, JA 2011, 109, die aber diese Ersatzformel als eine Art von kumulativer Kausalität begreifen. Für die alternative Kausalität ferner Krey/Esser, AT, Rn. 1187; Kühl, AT, § 4 Rn. 20b; Lackner/Kühl/Heger, Vor §§ 13 ff. Rn. 11. 362  Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 36 Rn. 22. Ähnlich bei vollständiger Überbestimmtheit Röckrath, NStZ 2003, 646. 363  BGHSt 48, 77, 94.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen483

ten der Fall ist, handelt es sich aber nicht um alternative Kausalität. Die einzelne Stimme kann allein doch nicht den Erfolg bewirken.364 Mehr als fragwürdig bleibt noch, bei der Beurteilung der Unterlassungskausalität oder des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zwischen einem einzelnen pflichtwidrigen Unterlassen und dem tatbestandsmäßigen Erfolg noch die hypothetischen alternativen Rettungshandlungen aller anderen Mitgaranten einzubeziehen. Unabhängig davon, dass eine solche Vorgehensweise faktisch mit der Conditio-Formel im direkten Widerspruch steht365 und nur eine Ad-hoc-Konstruktion darstellt,366 ist sie bei der Alleintäterschaft schwer zu legitimieren. Der Ansatz des BGH, „[s]onst könnte sich jeder Garant allein durch den Hinweis auf die gleichartige und ebenso pflichtwidrige Un­ tätigkeit gleichgeordneter Garanten von jeder strafrechtlichen Haftung frei­ zeichnen“,367 liefert keine Legitimationsgrundlage dafür, sondern argumentiert ehr kriminalpolitisch. Eine materielle Argumentationskette für die Unterstellung der Pflichterfüllung aller Garanten liefert Kindhäuser. Kindhäuser führt zwar zutreffend aus, dass bei der alternativen Kausalität „die Wurzel des Problems“ nicht in der Feststellung des tatsächlichen kausalen Geschehens, sondern in der Zuschreibung der Verantwortung für das Geschehen bestehe.368 Er stellt weiterhin aber die merkwürdige Frage, ob sich das normativ relevante Zurechnungskriterium der Vermeidbarkeit auf die faktische oder die normative Welt beziehen soll, und votiert dezidiert für die letzte Möglichkeit. Die Zuschreibung von Verantwortung könne nur in einer normativ geordneten Welt, die „hinsichtlich der fallrelevanten Umstände den normativen Erwartungen des Rechts entspricht“, erfolgen. „Es wäre widersinnig, den Rechtsgüterschutz durch Normen dadurch zu unterlaufen, dass im Fall eines alternativen Normbruchs die Rechtsgutsschädigung von Rechts wegen erlaubt würde.“369 Infolgedessen sei der tatbestandsmäßige Erfolg nur dann dem Handelnden nicht zuzurechnen, wenn dieser Erfolg auch bei eigenem oder fremdem rechtmäßigen Alternativverhalten nicht vermeidbar gewesen wäre.370 Die Berufung auf das rechtswidrige Verhalten des anderen zur Entlastung eigener Verantwortung sei mithin unzulässig.371 364  Rotsch, ZIS 2018, 6; Satzger, Jura 2014, 193; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 83a; Volk/Beukelmann/Knauer/Kämpfer, MAH, § 3 Rn. 62. 365  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 93. 366  Greco, ZIS 2011, 683; Merkel, FS-Puppe, S. 155. 367  BGHSt 48, 77, 94. 368  Kindhäuser, GA 2012, 147. 369  Kindhäuser, GA 2012, 147. 370  Kindhäuser, ZIS 2016, 593. 371  Kindhäuser, GA 2012, 147; ders., ZIS 2016, 593.

484

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Der allgemeinen Ablehnung der Möglichkeit, das rechtswidrige Verhalten des anderen zu berücksichtigen, kann aber nicht zugestimmt werden. Insbesondere wenn die fremde rechtswidrige Handlung bereits festgestellt wird, ist die kontrafaktische Unterstellung eines rechtmäßigen Alternativhandelns nicht möglich und auch nicht zulässig:372 Es gibt entgegen Kindhäuser keine zwei gegenüberstehende Welten, sondern nur eine Welt, in der die empirischen und interpersonalen Bedingungen sich gleichsam „synthetisch“ vereinigen.373 Die von den Rechtsverhältnissen gebildete soziale Welt besteht zwar aus diversen normativen Überlegungen, die ihren Grund letztendlich bei den in dieser Welt lebenden Rechtssubjekten finden, kann aber dementsprechend nicht kontrafaktisch funktionieren, sondern ist auf die bestehenden empirischen oder sozialen Bedingungen der Welt angewiesen. Daraus folgen zunächst die begrenzten, auf die empirischen Bedingungen angewiesenen Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen. Zugleich findet die normativ berechtigte Erwartung oder Unterstellung dort ihre Grenze, wo die Pflichtverletzung tatsächlich vorliegt.374 Wenn die rechtswidrige Unterlassung des Mitgaranten einmal festgestellt wird, ist diese Unterlassung, falls die Regel der Mittäterschaft nicht eingreift, eine bestehende Wirklichkeit in der Welt, die nicht beliebig durch eine normative Fiktion rechtmäßigen Handelns ersetzt werden kann und darf.375 Kann der tatbestandsmäßige Erfolg nur durch Rettungshandlungen aller oder einer bestimmten Zahl von Garanten vermieden werden und greift dabei die Regel der Mittäterschaft nicht ein, begründet die rechtswidrige Unterlassung eines Mitgaranten die Handlungsgrenze des anderen Mitgaranten und beseitigt die Vermeidbarkeit des Erfolges.376 Be­ zogen auf die Lederspray-Entscheidung können dementsprechend bei der Beurteilung der Quasi-Kausalität oder des Pflichtwidrigkeitszusammen­ hangs nicht zur Begründung der Erfolgszurechnung anstelle der faktischen pflichtwidrigen Abstimmungshandlungen der Geschäftsführer kontrafaktisch pflicht­mäßige Rettungshandlungen unterstellt werden.377 Entgegen Kindhäuser bedeutet die Berufung auf die bestehende rechtswidrige Unterlassung des 372  Siehe auch Rotsch, ZIS 2018, 7, der noch den Unterschied zum Hinzudenken eines bereitstehenden Rettungskausalverlaufs aufweist; Schaal, Gremienentscheidungen, S. 133; Schrott, Unterlassungszurechnung, S. 189, mit Recht gegen BGHSt 48, 77 ff. Anders aber Bloy, FS-Maiwald, S. 57 Rn. 101: „kontrafaktische Normkonformität“ im Interesse eines wirksamen Rechtsgüterschutzes. Damit lässt sich die kontrafaktische Unterstellung aber nicht legitimieren. Denn nur innerhalb der individuellen Vermeidbarkeit hat der Rechtsgüterschutz seinen Sinn. 373  Kritisch bereits Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 637. 374  Schrott, Unterlassungszurechnung, S. 189. 375  Murmann, GK, § 29 Rn. 88. Kritisch zum Kindhäusers Ansatz von Fiktion rechtmäßigen Verhaltens des Mitgaranten Roxin/Greco, AT I5, § 11 Rn. 19a. 376  Murmann, Nebentäterschaft, S. 231. 377  Entgegen BGHSt 48, 77, 95. In diesem Punkt auch Puppe, AT, § 30 Rn. 10.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen485

Mitgaranten auch nicht, dass die Rechtsgutsverletzung in diesem Fall „von Rechts wegen“ erlaubt würde, sondern sie trägt dem Umstand Rechnung, dass beide Garanten ex post betrachtet den tatbestandsmäßigen Erfolg nicht vermeiden können. Eine Erfolgszurechnung lässt sich deshalb nicht mit der kontrafaktischen Unterstellung rechtmäßigen Verhaltens des anderen Mit­ garanten begründen. (3) L  ösung über die Kombination von kumulativer und alternativer Kausalität? Wenn die teilweise Überbestimmtheit angesichts der Tatsache, dass nicht erst das Zusammenwirken aller, sondern schon das Zusammenwirken einer bestimmten Zahl von Unterlassungen den tatbestandsmäßigen Erfolg bewirken kann, weder als ein Fall von kumulativer Kausalität noch als ein Fall von alternativer Kausalität zu bewerten ist, drängt sich der Ansatz auf, sie als ein Fall der Kombination von kumulativer und alternativer Kausalität anzusehen.378 Beispielhaft379 wäre das bei einer 4:1-Stimmenmehrheit denkbar: Wenn unter den Geschäftsführern A, B, C, D, E nur der Geschäftsführer E pflichtmäßig für den Rückruf stimmt, lassen sich vier Beschlussmehrheiten von jeweils drei Stimmen bilden, und zwar (A, B, C), (A, B, D), (A, C, D), (B, C, D). Jede dieser Beschlussmehrheiten, etwa (A, B, C) kann für sich den tatbestandsmäßigen Erfolg bewirken, diese vier Beschlussmehrheiten können also zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinzugedacht werden, ohne dass der durch den Beschluss nicht verhinderte Erfolg entfiele (alternative Kausalität). Innerhalb der einzelnen, für den Erfolg kausalen Beschlussmehrheit, etwa (A, B, C), kann die Einzelstimme, etwa C, nicht alleine, sondern erst mit den Stimmen von A und B die für den Erfolg kausale Beschlussmehrheit (A, B, C) bilden. Insoweit stehen A, B, C in einem Verhältnis von kumulativer Kausalität. Wie die Anhänger der Lösung über die alternative Kausalität müssen die Vertreter der Lösung über die Kombination von kumulativer und alternativer 378  Fleischer, BB 2004, 2647; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich, Vor §§ 13 ff. Rn. 48; Röckrath, NStZ 2003, 644; Satzger, Jura 2014, 193. Bei Fahrlässigkeit Schilha, Aufsichtsratstätigkeiten, S. 388. Damit ist der Einwand von Rotsch, ZIS 2018, 6, wenn die teilweise Überbestimmtheit weder als ein Fall von kumulativer noch als ein Fall von alternativer Kausalität angesehen werde, könne das Problem auch nicht über deren Kombination gelöst werden, nicht durchgreifend, denn die teilweise Überbestimmtheit weist gerade ‚teilweise‘ Ähnlichkeit sowohl mit der kumulativen als auch der alternativen Kausalität auf, d. h. ihre Eigenschaften stehen in einer Schnittmenge. Dazu auch Greco, ZIS 2011, 683 Fn. 88. 379  Das Beispiel stammt aus Kraatz, Die fahrlässige Mittäterschaft, S. 326. Vgl. auch Schilha, Aufsichtsratstätigkeiten, S. 388.

486

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Kausalität bei der Bildung der möglichen alternativen Beschlussmehrheiten neben dem pflichtwidrigen Unterlassen eines einzelnen Mitgaranten auch die pflichtwidrigen Unterlassungen anderer Mitgaranten mit einbeziehen, aber nicht alle, sondern nur die für die Beschlussmehrheit notwendigen Unterlassungen. Dementsprechend müssten die Anhänger dieser Kombinationslösung bei der Beurteilung von Quasi-Kausalität oder Erfolgsvermeidbarkeit des einzelnen Unterlassens, etwa des Unterlassens von C, die für die Erfolgsvermeidung noch notwendigen rechtmäßigen Alternativverhalten der Mitgaranten, etwa A und B, unterstellen.380 Hätten A, B, C für den Rückruf gestimmt, würde der Erfolg durch den Beschluss verhindert. Diese Vorgehensweise setzt sich aber den gleichen Einwänden aus wie die Lösung über die alternative Kausalität. Es fehlt gerade die Legitimation, bei der Beurteilung der Erfolgsvermeidbarkeit einer einzelnen Handlung noch die anderen Alternativhandlungen der Mitgaranten einzubeziehen, soweit kein Beteiligungsverhältnis zwischen diesen Beteiligten vorliegt. Röckrath führt hierbei aber ein Argument für die Unterstellung der Pflichterfüllung der anderen Mitgaranten an: Diese Unterstellung sei deshalb notwendig, „weil sich ansonsten die Rechtsordnung mit der Aufrechterhaltung des individuellen Handlungsgebots zum Schutz des Rechtsguts in einen unauflöslichen Selbstwiderspruch verstricken würde.“381 Die von der Rechtsordnung zum Rechtsgüterschutz angeordneten parallelen Pflichten müssten deshalb auch parallel erfüllt werden, falls nur so der Erfolg vermieden werden könne.382 Zu bedenken ist aber, ob dieses Argument eine Gesamtkausalität impliziert und somit eher für Mittäterschaft als für Nebentäterschaft spricht. Wenn die Rechtsordnung zur Erfolgsvermeidung die Mitgaranten zur gemeinsamen Pflichterfüllung verpflichtet und wie Röckrath bei der Beurteilung der Erfolgsvermeidbarkeit nicht nur die einzelne Unterlassung, sondern auch die bestimmter Mitgaranten zur Beurteilungsgrundlage macht, sieht sie diese Mitgaranten in der Tat als eine Gemeinschaft an und fordert eine Art von wechselseitiger Zuständigkeit für die anderen Mitgaranten. Die parallelen Unterlassungen aller Mitgaranten bilden unter diesem Aspekt nicht mehrere phänomenologisch getrennt zu betrachtende Unterlassungen, sondern eine Gesamttat im Sinne gemeinsamer Pflichtverletzung. Die strukturelle Ähnlichkeit mit der Mittäterschaft liegt dann aber auf der Hand. Abgesehen davon ist eine solche kontrafaktische Unterstellung auch nicht zulässig, wenn etwa bei der Beschlussmehrheit (A, B, C) die pflichtwidrigen Unterlassungen von A und B bereits festgestellt sind.

380  Deutlich

Röckrath, NStZ 2003, 646. NStZ 2003, 646. 382  Röckrath, NStZ 2003, 646. 381  Röckrath,



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen487

dd) Lösung über die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung? Ein Teil der Literatur geht davon aus, dass es für die Feststellung der ­ ausalität nur darauf ankommt, „ob zwischen Handlung und Erfolg nach K Maßgabe unseres Erfahrungswissens ein gesetzmäßiger Zusammenhang be­ steht“.383 Entscheidend sei demzufolge nicht mehr die der modifizierten Conditio-Formel entsprechende Frage, ob der Erfolg eintreten würde, wenn der betreffende Garant oder die bestimmten Mitgaranten rechtmäßig handeln, sondern die positive Beurteilung dieses gesetzmäßigen Zusammenhanges. Die Anwendbarkeit der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung auf das Unterlassen setzt aber zunächst voraus, dass zwischen dem einzelnen pflichtwidrigen Unterlassen und dem tatbestandsmäßigen Erfolg ein gesetzmäßiger Zusammenhang vorliegt. Das Unterlassen soll dann entweder als eine „tatsächliche (empirische)“, von der Erfahrungsregel abhängige Bedingung aufgefasst werden, „wenn das negierte Tun nach Erfahrungsregeln möglich und eine störende Bedingung des Kausalverlaufs zum Erfolg gewesen wäre“,384 oder der Begriff der Gesetzmäßigkeit wird um die empirisch überprüfbaren wirtschaftlichen oder sozialen Gesetzmäßigkeiten ergänzt.385 Im Hinblick auf die Lederspray-Entscheidung ist nach den Anhängern der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung die einzelne Stimme gegen den Rückruf deshalb ein Teil des Abstimmungsergebnisses, das wiederum nach dem Naturgesetz kausal für die Körperverletzung der Kunden ist.386 Zu kritisieren ist aber zunächst, dass der von den Anhängern der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung behauptete gesetzmäßige Zusammenhang zwischen dem einzelnen Unterlassen und dem Erfolg in der Regel nicht präzise wiedergegeben wird. Insbesondere bleibt unklar, welche positiven und negativen Bedingungen als Teil dieses gesetzmäßigen Zusammenhanges mitberücksichtigt werden sollen. Mit Greco387 bleibt insbesondere zu erklären, „wieso sich Bedingungen, die im Einzelfall entbehrlich sind, mit einem Erfolg in einem gesetzmäßigen Zusammenhang befinden können“. Aber auch wenn man wie Hilgendorf einen präziseren Ansatz liefert, wonach sich die Kausalität der einzelnen Stimme dadurch begründen lasse, dass man alle möglichen zum Ausbleiben des Beschlusses führenden hinreichenden gesetzmäßigen Abläufe auflistet und konstatiert, dass die betroffene Stimme zu ei-

383  Hilgendorf, NStZ 1994, 564. Im Kontext der Gremienentscheidung auch Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rn. 83a; Weißer, Kollegialentscheidung, S. 116. 384  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 117. Kritisch dazu siehe oben S. 143 ff. 385  Hilgendorf, NStZ 1994, 565. 386  Weißer, Kollegialentscheidung, S. 116. 387  Greco, ZIS 2011, 683

488

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

nem dieser Abläufe gehört,388 trägt die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung als eine Lehre zur Feststellung der Kausalität ebenso wenig zur Lösung des Problems des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs bei. Denn anders als bei der modifizierten Conditio-Formel wird die für die Erfolgszurechnung entscheidende normative Frage, ob der Erfolg bei rechtmäßigem Verhalten des betroffenen Garanten noch eingetreten wäre, dabei wegen der positiven Feststellung der Kausalität nach dem Kausalgesetz überhaupt nicht gestellt.389 ee) Lösung über die Lehre von der gesetzmäßigen Mindestbedingung? Puppe versucht, die Schwäche der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung durch eine präzisere logische Bestimmung des Kausalzusammenhangs zu überwinden. Demzufolge sei eine Handlung dann für den tatbestandsmäßigen Erfolg kausal, wenn sie ein notwendiger Teil einer für den Erfolgseintritt hinreichenden Mindestbedingung sei.390 In Hinblick auf die Kausalität des garantenpflichtwidrigen Unterlassens sei dementsprechend die Frage entscheidend, „ob das wirkliche Unterlassen i. V. m. weiteren wahren Sachverhalten nach allgemeinen Erfahrungssätzen eine hinreichende Mindestbedingung dafür bildet, dass der Erfolgseintritt nicht verhindert wird.“391 Diese Theorie kann nach der Eigeneinschätzung ihrer Anhänger ohne Schwierigkeiten das Problem von Mehrfachkausalität durch Unterlassungen, insbesondere bei Gremienentscheidungen, lösen:392 „Habe ich beispielsweise ein Gremium von fünf Mitgliedern, das mit einfacher Mehrheit beschließt und im konkreten Fall einstimmig beschlossen hat, so fasse ich die Stimme des einzelnen Mitgliedes mit zwei beliebigen anderen zusammen. So erhalte ich die Mindestmehrheit aus drei Stimmen, aus der die Stimme des zu prüfenden Mitgliedes nicht gestrichen werden kann, ohne dass die Mehrheit entfiele. Dass die beiden verbleibenden Gremiumsmitglieder ebenfalls mit Ja gestimmt haben, muss ich dabei nicht nur nicht erwähnen, ich darf es nicht erwähnen.“393 NStZ 1994, 565 f. kann deshalb etwa wie Weißer, Kollegialentscheidung, S. 118 die Kausalität anhand der Lehre der gesetzmäßigen Bedingung annehmen und dann in einem weiteren Schritt den Pflichtwidrigkeitszusammenhang durch Hinzudenken hypothetischen rechtmäßigen Alternativverhaltens verneinen (ebd., S. 122 f.). A. A. Schales, Fehlverhaltensfolgen, S. 55, 66 mit dem Vorschlag, den Pflichtwidrigkeitszusammenhang positiv auf der Grundlage des tatsächlichen Kausalverlaufs zu bestimmen. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang kann aber ohne Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe nicht recht ermittelt werden. 390  NK/Puppe, Vor §§  13 ff. Rn.  102 ff. 391  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 121. 392  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 108; dies., JR 1992, 32; dies., GA 2004, 137 ff. Ferner HK-GS/Heinrich, Vor § 13 StGB Rn. 61; Rodríguez Montañés, FS-Roxin I, S. 314; Roxin/Greco, AT I5, § 11 Rn. 19. 388  Hilgendorf, 389  Man



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen489

Die pflichtwidrige Stimme des zu überprüfenden Mitgliedes sei dann ein notwendiger Bestandteil einer für die Erfolgsnichtverhinderung hinreichenden Mindestbedingung und für den tatbestandsmäßigen Erfolg kausal. Hier ist nicht der Raum, die Lehre von Puppe umfassend, insbesondere unter dem Aspekt der Logik zu überprüfen.394 Es seien hier nur zwei Fragen gestellt, die die Schwäche dieser Lehre entlarven könnten. (1) Die erste Kritik: Notwendigkeit der Annahme der Mittäterschaft Nach Puppe kann eine Stimme, die erst nach dem Zustandekommen der Beschlussmehrheit abgegeben wird, nicht kausal für den tatbestandsmäßigen Erfolg sein.395 Das würde aber dazu führen, dass der tatbestandsmäßige Erfolg nicht dem erst nach dem Zustandekommen der rechtswidrigen Beschlussmehrheit gefragten Garanten zugerechnet werden könnte. Ob dieses Ergebnis sachgerecht ist, kann bezweifelt werden. Soll derjenige Geschäftsführer, der zufällig erst nach dem Zustandekommen der Beschlussmehrheit seine Stimme gegen den Rückruf abgegeben hat, einfach wegen des Zustandekommens der Beschlussmehrheit im Verhältnis zu den anderen Geschäftsführern, die sich bereits durch Stimmabgabe an dieser Beschlussmehrheit beteiligt haben, begünstigt werden?396 Entscheidend ist bei Vorhandensein der Rettungschance wohl nicht der Zeitpunkt der Stimmabgabe, sondern ob die Stimme gegen das Rechtsgut tatsächlich gezählt wurde und in die letztlich zustandegekommene Beschlussmehrheit eingeflossen ist.397 Oder mit Puppe selbst: „Wer in einem Gremium für einen Beschluss stimmt, ist für sein Zustandekommen kausal, gleichgültig, mit welcher Mehrheit er gefasst wird.“398 Auch wenn man der Lehre von der gesetzmäßigen Mindestbedingung folgt, wäre entgegen Puppe insofern die Mittäterschaft durch Unterlassen angezeigt, um die vollendete Erfolgszurechnung zu diesem Garanten zu ermöglichen, der sich erst nach dem Zustandekommen des Mehrheitsbeschlusses daran beteiligt hat.399 GA 2004, 139. zu Puppes Lehre etwa Greco, ZIS 2011, 685 f. (jetzt anders Roxin/ Greco, AT I5, § 11 Rn. 19); Volk/Beukelmann/Knauer/Kämpfer, MAH, § 3 Rn. 62; Rotsch, ZIS 2018, 6 f. (eingehende Replik Puppe, ZIS 2018, 57 ff.). 395  Puppe, JR 1992, 34. 396  Vgl. auch Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 63 Fn. 246. 397  Zu diesem Gedanken Jakobs, FS-Miyazawa, S. 427; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 63; nahestehend Rodríguez Montañés, FS-Roxin I, S. 317 f. 398  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 108. 399  Siehe bereits Hoyer, FS-Puppe, S. 522, der aber entgegen der hier vertretenen Auffassung zunächst die Handlungspflicht des nachfolgenden gefragten Garanten wegen des Zustandekommens des Mehrheitsbeschlusses und der damit einhergehen393  Puppe,

394  Kritisch

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

(2) D  ie zweite Kritik: Unzulässige allgemeine „Unterstellung“ ­rechtmäßigen Verhaltens des Dritten Bei der zweiten Frage geht es um Folgendes: Soweit bei der Anwendung der Lehre von der gesetzmäßigen hinreichenden Mindestbedingung das nicht naturgesetzlich erklärbaren Verhalten anderer Beteiligter in die Kausalerklärung einbezogen werden soll, sind nach Puppe anstelle des Naturgesetzes die bestehenden, dieses Verhalten regelnden Rechtsgesetze heranzuziehen und ist davon auszugehen, „dass andere Beteiligte ihre Pflichten erfüllen, solange sie sie nicht tatsächlich verletzt haben“.400 (a) U  nzulässige kontrafaktische „Unterstellung“ bei der Politbüro-Entscheidung Bezogen auf die Politbüro-Entscheidung wird den einzelnen Politbüromitgliedern nicht die pflichtwidrige Abstimmung gegen die Abschaffung des Grenzregimes vorgeworfen, sondern bereits, dass sie keine Sitzung zur Erörterung der Abschaffung des Grenzregimes veranlasst haben. Diese kollektive Unterlassung ist nach Puppe zwar eine hinreichende Bedingung für den Erfolgseintritt. Die einzelne Unterlassung des Mitgliedes könne aber nur dann ein notwendiger Bestandteil dieser hinreichenden Bedingung sein, wenn die anderen Mitglieder auch pflichtmäßig gehandelt hätten.401 Da sich aber noch nicht feststellen lässt, ob die anderen Mitglieder bei Einberufung dieser Sitzung durch einen von ihnen für die Abschaffung des Grenzregimes gestimmt hätten, und die Mitglieder verpflichtet seien, für die Abschaffung des Grenzregimes zu stimmen, sei von der rechtmäßigen Handlungen aller Mitglieder auszugehen. Nach dem BGH und Puppe ist dies berechtigt, „denn das

den Aussichtslosigkeit der Rettungshandlung verneint und dann behauptet, dass der Erfolg ihm trotzdem zuzurechnen sei, wenn er für den bereits zustandegekommenen Mehrheitsbeschluss gestimmt habe. Wer aber nicht verpflichtet ist, den Erfolg zu verhindern, dem kann doch nicht wegen Pflichtverletzung als Mittäter der Erfolg zugerechnet werden. Puppes Kritik (Puppe, GA 2013, 525 Fn. 52), dass Hoyers Ansatz widersprüchlich sei, ist zuzustimmen. 400  Puppe, AT, § 2 Rn. 34 (Hervorhebung im Original); ferner dies., JR 1992, 31; NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 134. Wenn die Pflichtverletzungen anderer Gremienmitglieder bereits festgestellt sind, wie bei der Lederspray-Entscheidung, ist nach Puppe eine kontrafaktische Unterstellung ihres rechtmäßigen Verhaltens zulasten des einzelnen Täters nicht erlaubt. Puppe, JR 1992, 31 f.; dies., AT, § 30 Rn. 10. 401  Um einen Rettungskausalverlauf in Gang zu bringen, der bei rechtmäßigen Handlungen aller Mitglieder die Todeserfolge an der Grenze vermieden hätte, „hätte die Einberufung dieser Sitzung durch jedes einzelne Politbüromitglied genügt“. Puppe, AT, § 30 Rn. 11.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen491

Recht hat von der Befolgung seiner Regeln auszugehen“.402 Damit sei das einzelne Politbüromitglied, das pflichtwidrig die Einberufung der Sitzung unterlässt, für die Todeserfolge an der Grenze kausal, denn hätte es eine solche Sitzung einberufen, hätten alle Politbüromitglieder bei Annahme dieser Unterstellung für die Abschaffung des Grenzregimes gestimmt und wäre der Todeserfolg nicht eingetreten.403 Dieser Weg zur Begründung der Unterlassungskausalität des einzelnen Politbüromitgliedes erscheint aber auch bei Annahme des Ansatzes Puppes nicht gangbar. Die pflichtwidrigen Unterlassungen aller Politbüromitglieder bestehen bereits in den Unterlassungen der Einberufung der Sitzung. Wer aber weiß, dass die Todeserfolge an der Grenze nur dadurch vermieden werden können, dass die Politbüromitglieder in dieser Sitzung für die Abschaffung des Grenzregimes stimmen, und trotzdem die Einberufung dieser Sitzung pflichtwidrig unterlässt, hat sich nicht nur gegen die Einberufung dieser Sitzung, sondern auch pflichtwidrig gegen die Möglichkeit entschieden, in der Sitzung für die Abschaffung des Grenzregimes zu stimmen.404 Man kann nicht das festgestellte pflichtwidrige Unterlassen des einzelnen Mitgliedes künstlich in eine Unterlassung der Einberufung der Sitzung und eine Unterlassung der Stimmabgabe für die Abschaffung des Grenzregimes aufspalten und zu Unrecht die letztere Unterlassung für nicht festgestellt halten. Wenn aber in Hinblick auf die Abstimmungshandlungen alle unterlassenden Mitglieder bereits pflichtwidrig gehandelt haben, darf nicht kontrafaktisch von deren rechtmäßigem Verhalten ausgegangen werden. (b) U  nzulängliche „Unterstellung“ rechtmäßiger Handlungen der Einzelhändler bei der Lederspray-Entscheidung Ganz ähnlich verfährt Puppe bei der Lederspray-Entscheidung. Weil der Nichteintritt des Erfolgs nicht nur von dem Mehrheitsbeschluss, sondern darüber hinaus davon abhängig gemacht wird, dass die Einzelhändler dem Rückrufbeschluss entsprechend die gefährlichen Produkte aus dem Geschäft 402  BGHSt

48, 77, 95; zustimmend Puppe, AT, § 30 Rn. 11. AT, § 30 Rn. 11. 404  Es sei klarzustellen, dass das pflichtwidrige Unterlassen des einzelnen Mitgliedes zur Einberufung der Sitzung die anderen Politbüromitglieder nicht an die Einberufung der Sitzung hindert. Ob die anderen Mitglieder ihre eigenen Garantenpflicht erfüllen können, hängt nicht von der Pflichterfüllung anderen Mitgaranten ab. Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich der Politbüro-Fall von den sog. „aufeinanderfolgenden Unterlassungen“ (Greco, ZIS 2011, 688) oder dem „drittvermittelten Rettungsgeschehen“ (Kahlo, GA 1987, 66). Zu dieser Unterscheidung treffend BGH NJW 2010 1087, 1091 Fn. 65; Greco, ZIS 2011, 689 mit weiteren Unterscheidungskriterien. Gegen diese Unterscheidung aber Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 62. 403  Puppe,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

aussondern, damit sie den Konsumenten nicht zugänglich sind und deren Gesundheit nicht schädigen können, ist nach Puppe die kollektive Unterlassung der Geschäftsführer, diese Produkte zurückzurufen, zwar bereits eine hinreichende Bedingung für den Erfolgseintritt, jedoch nur dann ein notwendiger Bestandteil dieser hinreichenden Bedingung, wenn die Einzelhändler pflichtmäßig handeln.405 Da aber noch nicht festgestellt werden könne, ob die Einzelhändler pflichtmäßig handeln werden oder nicht, und ein allgemeingültiges Naturgesetz für menschliches Handeln fehle, seien hier die dieses Handeln regelnden Rechtsgesetze heranzuziehen und sei wie im Politbüro-Fall wiederum davon auszugehen, dass die Einzelhändler bei Vorhandensein des Mehrheitsbeschlusses zum Rückruf diese Produkte aus dem Geschäft ausgesondert hätten. Damit sei die pflichtwidrige Unterlassung des einzelnen Geschäftsführers ein notwendiger Teil der kollektiven Unterlassung der Geschäftsführer und mithin für die Körperverletzung der Konsumenten kausal.406 Während die herrschende modifizierte Conditio-Formel die Quasi-Kausalität oder den Pflichtwidrigkeitszusammenhang durch ein hypothetisches Verfahren des Hinzudenkens der rechtmäßigen Handlung beurteilt, versucht Puppe, die Erfolgszurechnung positiv unter Berücksichtigung der bestehenden Tatsachen zu begründen. Daher kann sie behaupten, dass es bei der Annahme einer rechtmäßigen Handlung der Einzelhändler nicht um eine fiktive Unterstellung gehe,407 sondern nur darum, bei der Beurteilung des Kausalzusammenhanges anstelle des Naturgesetzes die Rechtsgesetze einzusetzen.408 Der Ausschluss der Berufung auf fremde Pflichtverletzung sowie die Einbeziehung der rechtmäßigen Handlungen der Einzelhändler ergeben sich nach Puppe aus zwei Hauptgründen. Der erste ist ein logischer: Nach Puppe können die Einzelhändler mangels eines Rückrufbeschlusses und der entsprechenden Aufforderung zur Herausnahme der Produkte aus dem Geschäft überhaupt nicht pflichtwidrig handeln. Eine fiktive Pflichtverletzung darf aber bei der Anwendung der Lehre von der gesetzmäßigen hinreichenden Mindestbedingung nicht in die Beurteilung des Kausalzusammenhangs einfließen.409 Neben diesem logischen Grund führt Puppe noch eine normative Überlegung an: Wenn sich der einzelne Geschäftsführer nicht zur Entlastung AT, § 2 Rn. 32. AT, § 2 Rn. 34. 407  Für normative Unterstellung bei drittvermitteltem Rettungsgeschehen Kahrs, NStZ 2011, 18; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 62. Auf einem anderen Begründungsweg im Ergebnis auch Kahlo, GA 1987, 77 f. Plädoyer für eine widerlegbare Vermutung HK-GS/Heinrich, Vor § 13 StGB Rn. 70. 408  NK/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rn. 134a. 409  Puppe, AT, § 2 Rn. 32: „Fiktionen nicht vorhandener Sorgfaltspflichtverletzungen gehören nicht in die hinreichende Mindestbedingung des Erfolgseintritts.“ 405  Puppe, 406  Puppe,



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen493

von seiner Verantwortung auf die tatsächliche fremde Pflichtverletzung berufen könne, könne er sich argumentum a maiore ad minus nicht auf die fiktive Pflichtverletzung eines anderen berufen, sonst könne der Erfolg keinem zugerechnet werden.410 Auch wenn hier keine Pflichtverletzungen der Einzelhändler festgestellt werden und man nach Puppes Lehre von rechtmäßigem Handeln der Einzelhändler ausgehen darf, erscheint dieser Weg zur Begründung der Erfolgszurechnung doch mehr als problematisch: Man muss zuallererst überdenken, ob die Erfolgszurechnung ohne Berücksichtigung hypothetischen Alternativverhaltens zu einem sachgerechten Ergebnis kommen würde. Für die entscheidende Frage, ob das im Erfolg verwirklichte Risiko gerade das vom ersten Garanten geschaffene Risiko ist, kommt es nach Puppe nur auf die tatsächlichen Kausalabläufe an,411 und zwar darauf, dass die Einzelhändler gerade deshalb die Aussonderung der gefährlichen Produkte aus dem Geschäft unterlassen, weil sie die Aufforderung dazu von den Geschäftsführern nicht bekommen haben. Dieser gesetzmäßige Kausalzusammenhang zwischen dem tatbestandsmäßigen Erfolg, den Unterlassungen der Einzelhändler sowie der kollektiven Unterlassung der Geschäftsführer kann für sich aber nicht den normativen Pflichtwidrigkeitszusammenhang begründen. Wer wie Puppe bei dem Pflichtwidrigkeitszusammenhang nur auf diesen gesetzmäßigen Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Erfolg abstellt, kommt immer zur Erfolgszurechnung. Denn sowohl die Kausalität als auch der Pflichtwidrigkeitszusammenhang wären auf der Grundlage des tatsächlichen Kausalgeschehens anhand eines Gesetzes positiv zu überprüfen. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang könnte dann keine weitere Zurechnungseinschränkung bewirken. Damit müsste eine solche positive Bestimmung anhand des Natur- oder Rechtsgesetzes aber notwendig die Möglichkeit verkennen, dass der Erfolg ja trotz dieses gesetzmäßigen Zusammenhanges nicht von der kollektiven Unterlassung der Geschäftsführer, sondern auch von einem anderen Risiko, hier etwa von den pflichtwidrigen Unterlassungen der Einzelhändler ausgelöst werden könnte. Diese für die Erfolgszurechnung entscheidende Möglichkeit kommt nur dann zum Ausdruck, wenn man die hypothetische Pflichtverletzung der Einzelhändler mitberücksichtigt.412 410  NK/Puppe,

Vor §§ 13 ff. Rn. 134; dies., AT, § 2 Rn. 33. gegen Berücksichtigung hypothetischen Alternativverhaltens eines Dritten auch MK4/Freund, § 13 Rn. 224; Rostalski, JR 2015, 309; Schales, Fehlverhaltensfolgen, S. 55. Die folgenden Kritiken an Puppe gelten dementsprechend auch für diese Autoren. 412  Greco, ZIS 2011, 690 hat treffend bemerkt: „[S]obald man nach der Kausalität einer Unterlassung fragt, hat man mit hypothetischen Kausalverläufen zu tun.“ 411  Allgemein

494

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Puppe hat insoweit Recht, dass die „Kausalität aus Freiheit“, nämlich ob die Einzelhändler bei Entgegennahme der Rückrufaufforderung pflichtmäßig handeln würde, nicht naturgesetzlich festgestellt werden kann. Aber die Möglichkeit, dass die Einzelhändler trotz Entgegennahme der Rückrufaufforderung des Herstellungsbetriebs pflichtwidrig handeln könnten, ist „in beschränktem Maße ex post dem Beweis zugänglich“413 und darf deshalb über die Beweisaufnahme als Grundlage der richterlichen Überzeugung berücksichtigt werden (§ 261 StPO).414 Einzugestehen ist, dass bei dieser hypothetischen Beurteilung aufgrund der begrenzten Beweisbarkeit große Schwierigkeiten zu erwarten sind. Man kann sie aber erleichtern, indem man etwa mit dem BGH davon ausgeht, „die alternative Bewertung, der gleiche Erfolg wäre auch bei Vornahme der gebotenen Handlung eingetreten“ müsse sich „aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichtet haben, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist“,415 oder indem man mit Greco die rechtmäßige Handlung des nachfolgenden Handelnden in einem Rechtszustand als Erfahrungsregel für die Ermittlung der Kausalität und der Risikoverringerung benutzt, es sei denn, dass es ex post konkrete, sie in Frage stellende Anhaltspunkte gibt.416 Dass diese alternativen Lösungen zur Erleichterung der Beurteilung der Quasi-Kausalität sachgerecht sind, kann man bestreiten. Aber auf der Grundlage von Quasi-Kausalität (Vermeidbarkeitstheorie) ist die durch das hypothetische Beurteilungsverfahren festgestellte (mögliche) Unvermeidbarkeit des Erfolgs, insbesondere wenn sie auf konkrete Anhaltspunkte gestützt ist, etwa dass die Befolgung des Rückrufs seitens der Einzelhändler aufgrund der damit einhergehenden hohen Kosten erfahrungsgemäß bereits als unwahrscheinlich anzusehen ist, ernst zu nehmen und kann nicht einfach kontrafaktisch als „Fiktion“ schlicht unberücksichtigt bleiben. Wer dagegen mit Puppe bei der Beurteilung der Erfolgszurechnung allgemein, d. h. gänzlich ohne Berücksichtigung der auf Anhaltspunkte gestützten möglichen Unvermeidbarkeit im Einzelfall, vom pflichtmäßigen Handeln der Einzelhändler ausgeht, wahrt nur formell das aus der Ratio des Erfolgsdelikts abgeleitete Erfordernis einer empirischen Überprüfung der Vermeidbarkeit, verzichtet aber in Wirklichkeit auf diese Überprüfung und wandelt das VerFS-Puppe, S. 382. In diesem Punkt auch Roxin, FS-Achenbach, S. 428. wie hier BGHSt 59, 292, 301: „Hierfür muss – da es sich nicht um die Feststellung realer Kausalzusammenhänge handelt – das Gericht eine hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage eine Überzeugung bilden.“ 415  BGHSt 59, 292, 302. Analyse zu neuerer Rechtsprechung etwa NK/Gaede, § 13 Rn. 15a. 416  Greco, ZIS 2011, 691. 413  Bosch,

414  Methodisch



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen495

letzungsdelikt letztlich in ein Gefährdungsdelikt um.417 Entgegen Puppe dürfen die Geschäftsführer sich auf die hypothetischen pflichtwidrigen Unterlassungen der Einzelhändler berufen, und erst recht auf deren tatsächliche Pflichtverletzung.418 Der einzelne Geschäftsführer könnte dann bei konkreten Anhaltspunkten für die Pflichtverletzung der Einzelhändler nur als Täter für eine versuchte gefährliche Körperverletzung bestraft werden. In dieser Versuchsstrafbarkeit diagnostiziert Puppe eine empfindliche Zurechnungs­ lücke. Wird der betroffene Tatbestand aber vom Gesetzgeber als Erfolgsdelikt ausgestaltet und will man sich nur innerhalb der Zurechnungsregel für Allein- oder Nebentäterschaft bewegen, dann ist diese Zurechnungslücke eine hinzunehmende Konsequenz. Das oben erreichte Ergebnis erklärt sich wie folgt: Wenn der tatbestandsmäßige Erfolg nur durch einen unabhängigen Nebentäter vermieden werden kann, ist die Vermeidbarkeit des Erfolgs notwendig auf den Rettungswillen des nachfolgenden Nebentäters angewiesen. Anders verhält es sich aber dann, wenn man zwischen dem ersten Garanten und dem nachfolgenden Garanten oder Dritten ein Beteiligungsverhältnis annehmen will und der erste Garant deshalb für die pflichtwidrige Unterlassung des nachfolgenden Garanten zuständig ist. Bezogen auf die Lederspray-Entscheidung könnte man aber überlegen: Wenn die Erfolgsverhinderungsmöglichkeit der nachfolgend handelnden Einzelhändler von dem Beschluss der Geschäftsführer für oder gegen die Rückrufaktion abhängig ist, haben die Geschäftsführer durch den Beschluss gegen den Rückruf es kollektiv unterlassen, den Einzelhändlern zur ermöglichen, den Erfolg zu verhindern.419 Die Geschäftsführer verwirklichen den Tatbestand gefährlicher Körperverletzung gerade nicht nur durch pflichtwidrige kollektive Unterlassung, sondern darüber hinaus durch Entzug der Handlungsmöglichkeiten der Einzelhändler. In diesem Entzug der fremden Ret417  In diesem Sinne Schrott, Unterlassungszurechnung, S. 254. Gegen pauschale Unterstellung bei nachfolgenden Unterlassungen bzw. drittvermittelten Rettungsabläufen ferner Greco, ZIS 2011, 690 f.; NK/Gaede, § 13 Rn. 15a. 418  Dass bei positivem Tun der Täter in der Regel sich nicht auf eine hypothetische Pflichtverletzung eines Dritten berufen darf, ist kein Grund gegen eine solche Berufung im Unterlassungsbereich. Denn bei positivem Tun wird die Kausalität der Pflichtverletzung meistens bereits ohne Schwierigkeiten festgestellt, während sie im Unterlassungsbereich nur über eine hypothetische Beurteilung möglich ist. Eine Unterstellung rechtmäßiger Handlungen eines Dritten wäre eine unzulässige Ersetzung der Kausalität. Siehe Greco, ZIS 2011, 690. 419  Zu diesem Gedanken und zum Folgenden Ast, HRRS 2017, 504 f., der diesen Gedanken im Zusammenhang der Manipulation der Organallokation (BGHSt 62, 223 ff.) entwickelt. Ansatzweise aber bereits ders., ZStW 124 (2012), 649 f., der dort aber noch eine die Zurechnung fremden Verhaltens voraussetzende Unterstellungs­ lösung vertritt.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

tungsmöglichkeit lässt sich eine Tatbestandsverwirklichung durch fremde Hand als eine mittelbare Täterschaft durch kollektive Unterlassung erkennen. Die Geschäftsführer, die ihrerseits als Mittäter anzusehen sind, sind damit jeweils für die Unterlassungen der Einzelhändler zuständig und die Unterlassungen der Einzelhändler sind als äußere Gestalt der tatbestandsmäßigen Handlung dem einzelnen Geschäftsführer zuzurechnen. Unter diesem Aspekt eines Beteiligungsverhältnisses kommt es für die Erfolgszurechnung weder darauf an, ob die Einzelhändler bei Vorhandensein der Rückrufaufforderung rechtmäßig gehandelt hätten, noch auf eine Unterstellung ihres rechtmäßigen Handelns, weil der einzelne Geschäftsführer für ihr Handeln zuständig ist.420 Eine Zurechnungslücke, die bei einem auf die Allein- oder Nebentäterschaft zugeschnittenen Zurechnungsmodell entsteht, ist bei einem solchen Beteiligungsverhältnis nicht zu fürchten. ff) Zwischenergebnis Bei gleichzeitigen Unterlassungen ermöglicht die auf die Allein- oder Nebentäterschaft zugeschnittene Zurechnungsregel keine Erfolgszurechnung zum einzelnen Garanten, wenn sich der tatbestandsmäßige Erfolg nur durch Zusammenwirken aller Garanten vermeiden lässt.421 Das gilt sowohl für die modifizierte Conditio-Formel als auch für die Lehre von der gesetzmäßigen hinreichenden Mindestbedingung. Die anderen im Schrifttum vertretenen Versuche, bei der Anwendung hypothetischer Beurteilungsverfahren das rechtmäßige Handeln anderer Garanten hinzuzudenken oder bei der Beurteilung eines gesetzmäßigen Kausalzusammenhangs deren rechtmäßiges Handeln zu „unterstellen“, lassen bereits die Zurechnungsregel für Allein- und Nebentäterschaft hinter sich und wenden sich tatsächlich einer Zurechnungsregel für Beteiligungsverhältnisse zu. Es kommt für die Erfolgszurechnung deshalb darauf ab, ob ein Beteiligungsverhältnis, insbesondere die Mittäterschaft zwischen gleichzeitig handelnden Garanten, dogmatisch begründbar ist.

420  Eine Unterstellung rechtmäßigen Handelns der Einzelhändler ist unter diesem Aspekt entbehrlich. Jetzt ebenso Ast, HRRS 2017, 505 Fn. 38. 421  In diesem Sinne auch Greco, ZIS 2011, 683; LK13/Walter, Vor §§ 13 ff. Rn. 83, 88.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen497

d) Die Begründung der Mittäterschaft bei gleichzeitigen Unterlassungen aa) Kausalität des Einzeltatbeitrages für den tatbestandsmäßigen Erfolg als notwendige Voraussetzung für Mittäterschaft? Bevor wir auf die zwei Voraussetzungen der Mittäterschaft, nämlich den gemeinsamen Tatentschluss und den für die Tatbestandsverwirklichung wesentlichen Tatbeitrag eingehen, ist zunächst der Einwand von Puppe zu entkräften, dass der Umweg, die fehlende Kausalität des einzelnen Unterlassenden über § 25 Abs. 2 StGB auszugleichen, unzulässig sei, weil es ein Zirkelschluss sei, „die Voraussetzungen eines Tatbestandes, hier der Mittäterschaft, damit zu begründen, dass seine Rechtsfolge, die gegenseitige Zurechnung der Tatbeiträge, auf den Fall angewandt wird“.422 Puppes Einwand wäre nur dann berechtigt, wenn man ihrer These folgt, dass die Mittäterschaft die Kausalität des Einzeltatbeitrags für den tatbestandsmäßigen Erfolg voraussetze.423 Dem ist aber zu widersprechen. Abgesehen davon, dass Puppes These der im Schrifttum überwiegend anerkannten Rechtsfigur „additiver Mittäterschaft“ entgegensteht, bei der ja nur ein ex ante wesentlicher Tatbeitrag des einzelnen Mittäters, nicht aber dessen Expost-Kausalität für den Erfolg gefordert ist,424 wandelt sie die Mittäterschaft in der Tat in Alleintäterschaft um. Während der Alleintäter nur durch eigene Tatbeiträge den Tatbestand verwirklichen kann, treffen die Mittäter die autonome Entscheidung, mit den anderen Mittätern arbeitsteilig den Tatbestand zu verwirklichen, wechselseitig die Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und zugleich die Zuständigkeit für die Handlung anderer Mittäter autonom zu übernehmen. Diese wechselseitige Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten und die sich daraus ergebende wechselseitige Zurechnung fremder Tatbeiträge macht die Kausalität des Einzeltatbeitrags für den Erfolg entbehrlich.425 Erforderlich ist nur, dass sich der tatbestandsmäßige Erfolg auf einen oder mehrere Tatbeiträge aus dieser „Gesamttat“ zurückführen lässt.426 Dass der Tatbeitrag des einzelnen Mitgaranten nicht kausal für den Erfolg ist, wie

422  Puppe, 423  Puppe,

ZIS 2007, 240. JR 1992, 32; dies., GA 2004, 131; dies., ZIS 2007, 239 ff.; dies., GA

2013, 524 ff. 424  LK13/Schünemann/Greco, §  25 Rn. 219. Zu dieser Rechtsfigur auch dort Rn. 217 ff. Bei dieser Rechtsfigur verzichtet Puppe selbst aber auf eine Kausalität ex post des einzelnen Tatbeitrags, Puppe, ZIS 2007, 240 f. 425  Siehe auch Knauer, Kollegialentscheidung, S. 201. 426  Beulke/Bachmann, JuS 1992, 743; Hilgendorf, NStZ 1994, 563; Kuhlen, NStZ 1990, 570; Satzger, Jura 2014, 193.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

oben detailliert analysiert wurde, steht deshalb der Mittäterschaft durch Unterlassen nicht entgegen. bb) Die Begründung des gemeinsamen Tatentschlusses Im Zentrum der Kontroverse steht vielmehr die Frage, ob ein gemeinsamer Tatentschluss zwischen den pflichtwidrig unterlassenden Gremienmitgliedern dogmatisch begründbar ist.427 Wenn die Mitglieder vor ihrem Abstimmungsverhalten bereits über die zu entscheidende Sache diskutiert haben und mehrere Mitglieder sogar zu einer Absprache gekommen sind, lässt sich ein gemeinsamer Tatentschluss, der dem nachfolgenden pflichtwidrigen Abstimmungsverhalten die „Gemeinsamkeit“ verleiht, in dieser einverständlichen Diskussion oder Absprache begründen.428 Schwierigkeiten entstehen vielmehr, wenn die Gremienentscheidung ohne vorherige Diskussion in geheimer Abstimmung zustande kommt. In dieser Konstellation könnte der Einwand gegen Mittäterschaft gehoben werden, dass hierbei das pflichtwidrige Abstimmungsverhalten jeweils nicht auf einen vorherigen gemeinsamen Tatentschluss zurückzuführen ist, der gemeinsame Tatentschluss und die gemeinsame Tatausführung hingegen im Abstimmungsverhalten in eins fallen.429 Dieser Einwand scheint davon auszugehen, dass Mittäterschaft einen gemeinsamen Tatentschluss vor dem Erbringen der Tatbeiträge voraussetze. Das kann indes nicht richtig sein.430 427  Hier wird davon ausgegangen, dass der gemeinsame Tatentschluss eine unentbehrliche Voraussetzung für Mittäterschaft ist. Im Unternehmensbereich darauf verzichtend aber Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, § 5 Rn. 347, die „Zugehörigkeit aller Beteiligten zu ein- und demselben Unternehmen“ soll ausreichend sein. Dieses rein objektive Konstrukt ist aber zurückzuweisen. Ohne das intersubjektive Einverständnis als wechselseitige selbstbestimmte Übernahme der Zuständigkeit für fremde Handlungen kann die wechselseitige Zurechnung fremder Tatbeiträge zu dem einzelnen Mittäter nicht legitim sein. Die Mittäterschaft würde dann einfach von außen zugeschrieben, nicht von dem einzelnen Mittäter aus begründet. Andererseits könnte ein solches Konstrukt zur unzulässigen Erweiterung der Mittäterschaft führen, soweit keine weiteren Einschränkungskriterien für Mittäterschaft angeboten werden. Wer in demselben Unternehmen tätig ist, müsste dann befürchten, dass er für irgendeine Pflichtverletzung irgendeines Mitarbeiters als Mittäter zur Verantwortung gezogen würde. 428  Alexander, Verantwortlichkeit, S. 170; Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 384. 429  Rotsch, ZIS 2018, 10; Mosenheuer, Unterlassen, S. 141  f. Skeptisch auch Beulke/Bachmann, JuS 1992, 743 Fn. 81. 430  Eine Alternativlösung bietet Rotsch, ZIS 2018, 11. Mit Blick auf die Lederspray-Entscheidung könnte der Unterlassungsvorwurf nach Rotsch sich nicht nur auf das pflichtwidrige Abstimmungsverhalten der Geschäftsführer, sondern auch auf die Umsetzung dieser von ihnen gemeinsam getroffenen Gremienentscheidung beziehen, also auf die der Abstimmung nachfolgende Unterlassung des Rückrufs. In Hinblick



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen499

Der gemeinsame Tatentschluss als Grundlage der wechselseitigen Zurechnung fremder Tatbeiträge erfordert nur, dass der Beteiligte selbst eine autonome Entscheidung getroffen hat, mit den anderen den Tatbestand gemeinschaftlich zu verwirklichen, und mithin selbstbestimmt die Zuständigkeit für die Handlungen dieser anderen übernommen hat. Es kommt mithin nur darauf an, ob der Beteiligte überhaupt eine solche auf die gemeinsame Tatbestandsverwirklichung gerichtete Entscheidung getroffen hat, nicht aber, ob sie vor der Tatausführung oder erst bei deren Anfang getroffen wird.431 Wie ist aber der gemeinsame Tatentschluss im gleichzeitigen pflichtwidrigen Abstimmungsverhalten der Gremienmitglieder zu begründen? Der gemeinsame Tatentschluss ist eine intersubjektive Entscheidung zwischen den Beteiligten. Nicht ein Kollektivsubjekt, sondern jeder einzelne Mittäter trifft eine autonome Entscheidung, den Tatbestand mit den anderen Mittätern gemeinsam zu verwirklichen, indem er im gemeinsamen Tatplan eine wesentliche Funktion zur Tatbestandsverwirklichung übernimmt und dazu beiträgt. Diese auf die gemeinsame Tatbegehung bezogene Entscheidung setzt aber notwendig ein Bewusstsein jedes Beteiligten voraus, dass es neben ihm noch andere Beteiligte als tatsächliche oder mögliche Kandidaten gibt, sie bereit sind, mit ihm zusammen den Tatbestand zu verwirklichen und jeder von ihnen somit den anderen als Teil dieser gemeinsamen Tatbegehung ansieht.432 Wie entsteht aber solches wechselseitiges Bewusstsein der einzelnen Beteiligten?

auf diese nachfolgende Unterlassung könne zur Begründung der Mittäterschaft der Geschäftsführer die vorherige rechtswidrige Entscheidung als gemeinsamer Tatentschluss herangezogen werden. Dann würden der gemeinsame Tatentschluss und die gemeinsame Tatausführung nicht in eins fallen. Diese Lösung ist möglich, kann aber nicht verallgemeinert werden. Ihre Leistungskraft endet, wenn der Unterlassungsvorwurf sich sinnvollerweise nur auf das vorherige pflichtwidrige Abstimmungsverhalten der Geschäftsführer beziehen kann, nämlich wenn die Abstimmung die letzte zuverlässige Chance dafür ist, dass die Konsumenten nicht durch die bereits in Verkehr gebrachten Produkte gefährdet werden, das pflichtwidrige Abstimmungsverhalten mithin bereits als tatbestandsmäßige Unterlassungshandlung anzusehen ist. 431  Im Ergebnis auch Knauer, Kollegialentscheidung, S. 161; Rodríguez Montañés, FS-Roxin I, S. 325. Da eine solche Entscheidung immer auf die gemeinsame Tatbestandsverwirklichung bezogen ist, kann sie nicht mehr getroffen werden, wenn der potentielle Mittäter nicht durch seine Beteiligung wesentlich zur Tatbestandsverwirklichung beitragen kann. Hierin liegt die Grenze sukzessiver Mittäterschaft. 432  Siehe Searle, Kollektive Absichten, S. 117, dort aber ohne strafrechtlichen Bezug. Ich übertrage seinen instruktiven Grundgedanken entsprechend hierher. Ein vergleichbarer Gedanke findet auch bei RGSt 58, 279: „[…] sich nur jeder bewusst ist, dass neben ihm noch ein anderer oder andere mitwirken und diese von dem gleichen Bewusstsein erfüllt sind, – d. h. sofern sie alle in bewusstem oder gewolltem Zusammenwirken handeln“.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Im Schrifttum wird vertreten, dass solches Bewusstsein durch Kommunikation zwischen den Beteiligten gestiftet werden muss.433 Da eine ausdrückliche Vereinbarung zur gemeinsamen Pflichtverletzung aufgrund der geheimen Abstimmung nicht stattfindet, wird insoweit allenfalls eine stillschweigende, nonverbale Übereinkunft in Betracht gezogen. Alexander schreibt ­insoweit: „Die einzelnen Gremiumsmitglieder wissen jedoch, dass sie den Beschluss und die damit verbundenen Folgen nicht alleine, sondern nur mit den für die Mehrheit erforderlichen Stimmen anderer Mitglieder herbeiführen können. Jede Stimmabgabe ist vor dem Hintergrund eines im Gremium geltenden Mehrheitsprinzips daher als Angebot an beliebige weitere stimmberechtigte Mitglieder zu sehen, sich mit dem Abstimmenden zu einer Mehrheit zusammenzuschließen.“434

Knauer diagnostiziert darin ein „während der Tat herrschende[s], still­ schweigende[s] Einverständnis“ oder „wechselseitiges Gesamtbewusstsein“,435 nämlich „gegebenenfalls mit einer erreichten Mehrheit eine rechtswidrige Entscheidung zu treffen“.436 Dagegen erhebt Puppe dezidierte Einwände. Anders als wenn die jeweils spontan zusammentreffenden Beteiligten ohne verbale Kommunikation noch aus dem äußerlich erkennbaren Verhalten der anderen Beteiligten schließen könnten und müssten, ob und inwieweit sie mitmachen wollen, finde bei einer geheimen Abstimmung ohne vorherige Absprachen weder vor noch während der Abstimmung dergleichen statt. Die Mitglieder beeinflussten sich gegenseitig nicht. Es bleibe nur „das innere Einverständnis der Abstimmenden mit der gleichen Abstimmung anderer übrig“.437 Die Mittäterschaft begründende Kommunikation zwischen den Beteiligten müsse über ein äußerlich erkennbares Verhalten vermittelt werden, damit der einzelne Beteiligte daraus den persön­lichen sowie den sach­ lichen Umfang der gemeinsamen Tatbegehung schließen könne. Wer mit Puppe davon ausgeht, dass eine intersubjektive Kommunikation nur durch irgendein äußerlich erkennbares Verhalten gestiftet werden könne, müsste eine solche Kommunikation zwischen den Gremienmitgliedern verneinen. Denn zum Zeitpunkt der Abstimmung könnte das einzelne Mitglied gerade nicht aus irgendeinem äußerlich erkennbaren Verhalten der anderen Mitglieder schließen, ob sie pflichtwidrig handeln. Eine konkludente Über433  Etwa Knauer, Gremienentscheidung, S. 203; Puppe, ZIS 2007, 238; Steckermeier, Tatentschluss, S. 196. 434  Alexander, Verantwortlichkeit, S. 170. In dieser Richtung auch Brandt/Theile/ Theile, Unternehmensstrafrecht, Teil  2, Rn.  37; Knauer, Kollegialentscheidung, S.  161 f., 203; Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 384 f.; SK/Hoyer, § 25 Rn. 129. 435  Knauer, Kollegialentscheidung, S. 161. 436  Alexander, Verantwortlichkeit, S. 170. 437  Puppe, GA 2004, 133 f., Zitat bei S. 134. Ferner Rotsch, ZIS 2018, 10, in Hinblick auf die positive Abgabe einer falschen Stimme.



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen501

einkunft, soweit sie nur durch ein nach außen manifestiertes Verhalten zwischen den Beteiligten gestiftet werden kann, kommt deshalb ebenso wenig in Betracht.438 Trotzdem muss festgestellt werden, dass Puppes Einwand ein zu enges Verständnis des gemeinsamen Tatentschlusses zugrunde liegt. Interpersonale Kommunikation mit bestimmbaren Empfängern und Inhalten ist zwar viel leichter zu betrachten, wenn sie über äußerlich erkennbares verbales oder nonverbales Verhalten vermittelt ist. Darauf beschränkt sie sich aber nicht. Insbesondere wenn die in Frage stehenden Beteiligten einer gemeinsamen institutionellen Regel unterliegen, könnten die Rahmenbedingungen für solche intersubjektive Kommunikation durch bestimmte Regeln vorgegeben sein, damit eine Kommunikation auch ohne irgendein äußerlich erkennbares Verhalten der Beteiligten erfolgen kann (was bei Fehlen dieser Regeln nicht der Fall wäre). Zu diesen gemeinsamen institutionellen Regeln gehört in unserem Zusammenhang die gemeinsame Pflicht der Mitgaranten, durch Zusammenwirken der Mitgaranten die Rechtgutsverletzung zu verhindern.439 Diese gemeinsame Pflicht bringt bereits vor irgendeiner Kommunikation durch ein äußerlich zu betrachtendes Verhalten die Mitgaranten in einen kollektiv-kommunikativen Zusammenhang. Einfach durch Begreifen dieses Zusammenhanges ist dem einzelnen Mitgaranten daher bewusst, dass die Rechtsposition des Opfers von ihm und den anderen Gremienmitgliedern als Mitgaranten abhängig ist und das Zusammenwirken bestimmter Pflichtverletzungen zur Verschlechterung von dessen Rechtsposition führen könnte. Das einzelne Mitglied ist sich also dessen bewusst, dass es neben ihm noch andere Mitglieder als mögliche Kandidaten gibt, die ebenso diesen kollektivkommunikativen Zusammenhang begriffen haben und durch pflichtwidrige Unterlassungen mit ihm zusammen die Rechtsposition des Opfers verschlechtern könnten; dasselbe gilt für die anderen Mitglieder. Dieses Bewusstsein, das unter den Mitgaranten herrscht, ist unter den zwei genannten Voraussetzungen, nämlich dem Vorliegen einer institutionellen Regel, die eine gemeinsame Pflicht festlegt, und dem Begreifen des dadurch entstehenden kollektivkommunikativen Zusammenhangs, inhaltlich notwendig wechselseitig auf die anderen Mitgaranten bezogen und lässt sich mithin mit Knauer als „wechselseitiges Gesamtbewusstsein“ definieren. Handelt das einzelne Mitglied als Mitgarant trotz dieses Gesamtbewusstseins pflichtwidrig, indem es 438  A. A. Knauer, Kollegialentscheidung, S. 203, der hier trotzdem „eine nach außen manifestierte“ (aber auch eine nonverbale) Kommunikation über die Tat im Ausführungsstadium annehmen will. 439  Zu institutionalisierten Normen als möglichen Gründen für die Herstellung der Gemeinsamkeit bereits Rodríguez Montañés, FS-Roxin I, S. 324, die aber anders als hier die institutionalisierte Entscheidungsregel für die Gremienentscheidung ins Auge fasst.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

eine Entscheidung gegen das Rechtsgut trifft, hat seine Handlung auch den Sinn, ein Teil der gemeinsamen Tatbegehung zu sein; führen mehrere Mitgaranten pflichtwidrig einen rechtswidrigen Beschluss herbei, handeln sie unter dem gemeinsamen Unterlassungsbewusstsein, das durchaus als eine Art von gemeinsamem Tatentschluss begriffen werden kann.440 Die Rechtsgutverletzung ist dann nicht nur die eigene Leistung des einzelnen Garanten, sondern die kollektive Leistung der pflichtwidrigen Mitglieder durch eine erfolgreiche Kommunikation.441 Das Gesagte gilt für alle Fälle, bei denen die Rechtgutsverletzung nur durch Zusammenwirken aller oder eines Teils der Mitgaranten vermieden werden kann, und zwar für die oben genannte vollständige Überbestimmtheit sowie für die Politbüro-Entscheidung, soweit ein gemeinsames Unterlassungsbewusstsein vorliegt. Dagegen nehmen einige Stimmen im Schrifttum nur dann einen gemeinsamen Tatentschluss zwischen den Mitgaranten an, wenn die pflichtwidrigen Unterlassungen der Mitgaranten über ein formalisiertes Abstimmungsverfahren erfolgen, wie etwa bei der Lederspray-Entscheidung.442 Die Erfolgszurechnung zu Mitgaranten, die sich einfach passiv verhalten wie bei der Politbüro-Entscheidung, könnte somit mangels Abstimmungsverfahrens nicht über § 25 Abs. 2 StGB begründet werden, sondern nur über eine andere Rechtsfigur, etwa über die Kausalität.443 Diese Stimmen greifen aber zu kurz. Denn die Mittäterschaft begründende intersubjektive Kommunikation wird nicht durch ein formalisiertes Abstimmungs­ verfahren,444 sondern durch die institutionelle Regel der gemeinsamen Pflicht sowie durch das Begreifen eines sich daraus ergebenden kollektiv-kommunikativen Zusammenhanges gestiftet. Das formalisierte Abstimmungsverfahren könnte zwar den persönlichen und sachlichen Umfang der gemeinsamen Tatbegehung weiter konkretisieren, kann aber für sich nicht dem gemeinsamen Tatentschluss genügen. Nun gilt es, die zu erwartenden Einwände zu entkräften. Das hier entwickelte Modell des gemeinsamen Tatentschlusses kann nicht als ein bloß normatives, vom Willen des einzelnen Mittäters unabhängiges Konstrukt verstanden werden. Denn die Rahmenbedingungen für die „GeGK, § 29 Rn. 87; Ranft, FS-Otto, 584. diesem Sinne Ransiek, JuS 2010, 679, der treffend darauf hinweist, dass sich die Rechtsgutsverletzung sachgerecht als Verwirklichung der durch kollektive Pflichtverletzung ausgelösten Gefahr begreifen lässt. 442  Hilgendorf, NStZ 1994, 563 f. Wohl auch Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 389. 443  Für die Lehre der gesetzmäßigen Bedingung Hilgendorf, NStZ 1994, 565 f. Für die Kombination von kumulativer und alternativer Kausalität Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S. 388. Kritisch dazu oben S. 485 ff. 444  So aber ausdrücklich Rodríguez Montañés, FS-Roxin I, S. 324. 440  Murmann, 441  In



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen503

meinsamkeit“ der pflichtwidrigen Unterlassungen sind zwar durch die institutionelle Regel der gemeinsamen Pflicht vorbestimmt. Für einen gemeinsamen Tatentschluss bedarf es aber noch des Begreifens der Regel durch den einzelnen Mittäter und der darauf gegründeten pflichtwidrigen Entscheidung.445 Die Anerkennung eines gemeinsamen Unterlassungsbewusstseins würde auch nicht zur übermäßigen Erweiterung der Mittäterschaft führen. Eine Mittäterschaft begründende Kommunikation setzt in der Regel eine ausdrück­ liche oder konkludente Übereinkunft durch ein äußerlich erkennbares Verhalten voraus. Eine wechselseitige Übereinkunft über die institutionelle Regel der gemeinsamen Pflicht stellt sich eher als eine Ausnahme dar. Läge im Einzelfall weder eine wechselseitige Übereinkunft durch äußerlich erkenn­ bares Verhalten noch eine gemeinsame Pflichtverletzung vor, könnte die Mit­ täterschaft mangels eines gemeinsamen Tatentschlusses nicht begründet wer­ den. cc) Die Begründung der Übernahme einer wesentlichen Funktion für die Tatbestandsverwirklichung Weniger Begründungsaufwand beansprucht die Begründung der Übernahme einer wesentlichen Funktion für die Tatbestandsverwirklichung durch das einzelne Gremienmitglied, oder mit der herkömmlichen Bezeichnung: die Begründung von dessen Tat­herrschaftsmacht. Wer bei Garantenunterlassung eine normative Variante der Tat­herrschaftslehre vertritt, muss die Tat­ herrschaft des einzelnen Mitgaranten begründen, damit er als Mittäter bestraft werden kann. (1) Verletzung der Erfolgsverhinderungspflicht als Tat­herrschaftsmacht Die Besonderheit bei kollektiven Unterlassungen ist folgender Umstand: Die Rechtsgutsverletzung kann nur durch Zusammenwirken mehrerer Mit­ garanten verhindert werden und der einzelne Mitgarant kann alleine nicht den Erfolg bewirken. Aus diesem Umstand schließt Samson, dass „ob und wie der Tat“ nicht von dem einzelnen Mitgaranten abhängig seien, was aber gegen Mittäterschaft spreche.446 Dieser Umstand steht indes entgegen Sam445  Eine fahrlässige Mittäterschaft ist deshalb nicht anzuerkennen, weil sich in dem gemeinsamen Unterlassungsbewusstsein sowie in der darauf gegründeten Entscheidung, mit den anderen tatsächlichen oder möglichen Mitgaranten zusammen den Tatbestand zu verwirklichen, bereits ein unverkennbarer Widerspruch zur Fahrlässigkeit erkennen lässt. 446  Samson, StV 1991, 184.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

son nicht unbedingt der Tat­herrschaft des einzelnen Mitgaranten im Weg. Folgt man auch im Unterlassungsbereich der These der funktionellen Tat­ herrschaft, wird denn auch nicht einmal gefordert, dass sich jeder Mittäter unabhängig von den anderen für den Erfolgseintritt entscheiden müsste. Es ist gerade das Wesen der Mittäterschaft, dass der einzelne Mittäter die Tat nicht alleine beherrschen, sondern sich die von anderen Mittätern geleisteten Tatbeiträge als eigene zurechnen lassen muss.447 Es kommt dabei nur auf dessen gleichberechtigte Mitherrschaft an.448 Solche Mitherrschaft liegt bereits dann vor, wenn der Tatbeitrag des einzelnen Mitgaranten ex ante für den Tatplan wesentlich ist.449 Gerade weil der tatbestandsmäßige Erfolg nur durch Zusammenwirken aller oder bestimmter Mitgaranten vermieden werden kann, kann es für den Erfolgseintritt bzw. das Ausbleiben der gebotenen Rettungsmaßnahme ex ante auf das pflichtwidrige Unterlassen des einzelnen Mitgaranten ankommen.450 Bezogen auf die Gremienentscheidung hätte es ex ante gesehen grundsätzlich auf jede Stimme zum Erreichen der Mehrheit ankommen können. Nach der hier vertretenen Tat­herrschaftslehre, die sich an der Pflichtlage des einzelnen Beteiligten zum Opfer orientiert, ergibt sich die Tat­herrschaft des einzelnen Mitglieds nicht aus seiner instrumentellen Beherrschung der zur Rechtsgutsverletzung führenden Kausalverläufe, sondern aus der Verletzung der auch ihm obliegenden gemeinsamen Erfolgsverhinderungspflicht, mit den anderen Mitgliedern zusammen die gebotenen Rettungsmaßnahmen herbeizuführen.451 Ob diese Pflichtverletzung über eine rechtswidrige Gremienentscheidung erfolgt, spielt für die Tat­herrschaft des einzelnen Mitglieds deshalb keine Rolle.452 Beispielhaft: Bei mehrköpfiger Unternehmensführung kann das Vorstandsmitglied zwar nicht alleine über die Unternehmens­ tätigkeiten entscheiden, trotzdem kann es aber nicht von der Erfolgsverhinderungspflicht entlastet werden. Im Verhältnis zu untergeordneten Mitarbeitern ist es aufgrund der Übernahme von Leitungsfunktionen in der Lage, mit Unternehmensstrafrecht, S. 62. dieser Richtung Weißer, Kollegialentscheidungen, S. 101: Teilhabe an der Herrschaft über die Gesamttat. Zu diesem Gedanken der Mitherrschaft des einzelnen Mittäters siehe oben S. 295 ff., insb. Fn. 201, S. 297. 449  Schaal, Verantwortlichkeit, S. 206; Schilha, Aufsichtsratstätigkeit, S.  383 f.; Ferner Roxin, AT II, § 31 Rn. 66, auch wenn er im Unterlassungsbereich den Gedanken der Tat­ herrschaft ablehnt. Dagegen aber Rodríguez Montañés, FS-Roxin I, S. 322 f., die die ex ante ermittelte Herrschaft unzutreffend auf eine Art von „poten­ tieller Herrschaft“ reduziert. 450  Schaal, Verantwortlichkeit, S. 207. 451  In diesem Sinne auch BGHSt 37, 106, 129; Dencker, Gesamttat, S. 172  f.; Roxin, TuT, S. 523. 452  Wohl auch Knauer, Kollegialentscheidung, S. 202. 447  Ransiek, 448  In



B. Erscheinungsformen der Täterschaft durch Unterlassen505

den anderen Vorstandsmitgliedern zusammen die unternehmensbezogenen Gefahren und dadurch auch die Rechtsposition des von diesen Gefahren betroffenen Opfers entscheidend zu gestalten. Die selbstbestimmte Übernahme dieser Gestaltungsfunktion stellt sich deshalb als gemeinschaftliche Übernahme einer beherrschenden Pflichtlage zum Opfer dar.453 Die Verletzung dieser Erfolgsverhinderungspflicht, einerlei ob durch Beteiligung an der rechtswidrigen Gremienentscheidung oder durch schlichtes Unterlassen der Herbeiführung der gebotenen Rettungsmaßnahme, begründet dann die Herrschaftsmacht hinsichtlich des von diesen Gefahren verletzten Rechtsguts des Opfers. (2) Mittelbare Täterschaft in Mittäterschaft Da der tatbestandsmäßige Erfolg im Organisationszusammenhang in der Regel erst durch dessen Vollzug durch die untergeordneten Mitarbeiter zustande kommt, verwirklichen die pflichtwidrigen Gremienmitglieder den Tatbestand nicht in eigener Person, sondern vermittelt über diese ihnen unterstellten Mitarbeiter. Auf dieser vertikalen Ebene, d. h. dem Rechtsverhältnis zwischen Geschäftsführer und Mitarbeiter, ist an die obigen Ausführungen über die Rechtsfigur mittelbarer Täterschaft kraft objektiv nicht pflichtwidrig handelnden Mitarbeiter454 bzw. die hier uminterpretierte Rechtsfigur mittelbarer Täterschaft kraft Organisationsherrschaft zu erinnern.455 Erst durch diese „vertikale“ Zurechnung können die Tatbeiträge der Mitarbeiter einschließlich des von ihnen ausgelösten tatbestandsmäßigen Erfolgs der kollektiven Unterlassung der Gremienmitglieder zugerechnet werden. Weil aber jedes Gremienmitglied als Mittäter für die kollektive Unterlassung aller pflichtwidrigen Mitglieder zuständig ist, lässt sich der tatbestandsmäßige Erfolg auch dem einzelnen pflichtwidrig unterlassenden Gremienmitglied zurechnen. Sie verschlechtern gemeinsam das Rechtsverhältnis zum Opfer, indem sie eine gemeinsame Pflicht zur Herbeiführung der gebotenen Rettungsmaßnahmen gemeinsam verletzen und die Mitarbeiter die das Opfer gefährdenden Unternehmenstätigkeiten ausführen lassen. In Hinblick auf jedes pflichtwidrig agierende Mitglied ist insoweit „mittäterschaftlich begangene mittelbare Täterschaft“ festzustellen.456 453  Auf die faktische Wahrnehmung der rechtlich anerkannten Entscheidungsbefugnis abstellend Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 62, 64. Ihm folgenden Alexander, Verantwortlichkeit, S. 171. 454  Siehe oben S. 444 ff. 455  Siehe oben S. 452 ff. 456  Mit anderen Begründungen im Ergebnis ebenso BGHSt 48, 331, 342 f.; 49, 147, 163 f.; Knauer, Kollegialentscheidung, S. 163 f.; Achenbach/Ransiek/Rönnau/

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Im Ergebnis ist festzustellen, dass es bei kollektiven Garantenpflichtverletzungen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Mittäterschaft des einzelnen Mitgaranten gibt.457 4. Zwischenergebnis Eine Mittäterschaft durch Unterlassen ist sowohl bei Zusammentreffen von Tun und garantenpflichtwidrigem Unterlassen als auch bei gleichzeitigen, kollektiven Unterlassungen dann anzuerkennen, wenn sie für die täterschaftliche Erfolgszurechnung unentbehrlich ist. Wenn die Verletzung einer Erfolgsverhinderungspflicht demgegenüber bereits den betroffenen (qualifizierenden) Tatbestand vollständig verwirklicht, ist der Garant als unmittelbarer Täter zu bestrafen.

C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen I. Garantenunterlassen als akzessorischer Rechtsgutsangriff Oben wird, entgegen der Pflichtdeliktslehre, gezeigt, dass die Verletzung der Garantenpflicht nicht prinzipiell die Täterschaft des Garanten begründet. Vielmehr begründet die Verletzung der Garantenpflicht nur eine Teilnahme, wenn deren Schutzzweck nur auf die Risikoverringerung der Haupttat zielt. Die Stärke dieses Ansatzes besteht insbesondere darin, dass er aus der allgemeinen Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Teilnahme abgeleitet ist. Der Teilnehmer ist gerade nicht für den tatbestandsmäßigen Erfolg, sondern nur für Risikoermöglichung oder Risikoerhöhung der Haupttat zuständig; indem er die sekundäre Pflicht aus dieser Zuständigkeit verletzt, schafft oder erhöht er ein rechtlich missbilligtes Risiko in Richtung auf die Haupttat und verletzt mittelbar, nämlich über den Täter vermittelt, sein Rechtsverhältnis zum Opfer (sog. akzessorischer Rechtsgutsangriff im Sinne der Verletzung einer sekundären Pflicht).458 Dasselbe gilt für das Garantenunterlassen. Wenn der Garant anhand der konkreten Gestaltung des Rechtsverhältnisses nicht Kuhlen, HWSt, 2. Teil, Kap. 1 Rn. 60; SK/Hoyer, § 25 Rn. 128 f. Bezogen auf Unrechtsregime auch Roxin, GA 2012, 414. 457  Bei vorsätzlichen Unterlassungen im Ergebnis auch BGHSt 37, 106, 129  f. Anw-StGB/Waßmer, § 25 Rn. 85; Frister, AT, Kap. 26 Rn. 35; Graf/Jäger/Wittig/ Holffmann-Holland/Singelnstein, StGB, § 25 Rn. 129; Greco, ZIS 2011, 683 f.; Kuhlen, NStZ 1990, 570; Knauer, Kollegialentscheidung, S. 202  f.; Ranft, FS-Otto, S. 418; Ransiek, JuS 2010, 679; Roxin, AT II, 31 Rn. 66, 172; Satzger/Schluckebier/ Widmaier/Murmann, § 25 Rn. 33. 458  Eingehend oben S. 356 ff.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen507

für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig ist, weil es zur Tatbestandsverwirklichung noch einer fremden tatbestandsmäßigen Handlung bedarf,459 aber zur Vermeidung der Risikoerhöhung der Haupttat verpflichtet ist, entspricht sein garantenpflichtwidriges Unterlassen dem Unrecht der Teilnahme. Denn in diesem Fall verletzt der Garant zwar sein Rechtsverhältnis zum Opfer, aber gerade nicht in tatbestandsmäßiger Weise, also durch Verletzung einer primären, auf die Vermeidung des tatbestandsmäßigen Erfolgs gerichteten Pflicht, sondern durch Verletzung der auf diese primäre Pflicht bezogenen sekundären Pflicht zur Verringerung des Haupttatrisikos, nämlich vermittelt über den für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständigen Haupttäter.460 Die Verletzung dieser sekundären Garantenpflicht lässt sich mithin als akzessorischer Rechtsgutsangriff begreifen. Da im Strafgesetzbuch nur zwei Formen der Teilnahme anerkannt werden, und zwar Anstiftung und Beihilfe, ist im Folgenden zu untersuchen, ob und inwieweit Anstiftung und Beihilfe durch garantenpflichtwidriges Unterlassen anzuerkennen ist.

II. Anstiftung durch Unterlassen Umstritten ist zunächst, ob eine Anstiftung durch Unterlassen anzuerkennen ist. Die bis heute noch herrschende Meinung lehnt entweder allgemein oder prinzipiell deren konstruktive Möglichkeit ab.461 Dabei werden zwei 459  Siehe

oben S. 359 f. bereits Murmann, FS-Beulke, S. 195. 461  Allgemein ablehnend Amelung, FS-Schroeder, S. 175, 178; Baumann/Weber/ Mitsch/Eisele, AT, § 26 Rn. 28; Busse, Täterschaft, S. 132 ff., 139; Heinrich, AT, Rn. 1293; HK-GS/Ingelfinger, § 26 StGB Rn. 9; Jescheck/Weigend, AT, S. 691; Krey/ Esser, AT, Rn. 1184a; Mosenheuer, Unterlassen, S. 147 ff., Ergebnis bei S. 151; NK/ Gaede, § 13 Rn. 28; NK/Schild, § 26 Rn. 7; Schwab, Täterschaft, S. 60 f., 215; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 882. Die Möglichkeit zwar nicht verneinend, aber tendenziell ablehnend Freund, Erfolgsdelikt, S. 252, insb. Fn. 22; MK4/Freund, § 13 Rn. 285 ff. Nur den Ausnahmefall der Nichtverhinderung der Anstiftungshandlung des zu Überwachenden anerkennend LK13/Weigend, § 13 Rn. 88; LK13/Schünemann/ Greco, § 26 Rn. 56; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 49; Schönke/ Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 4; wohl auch Rönnau, JuS 2020, 923; ferner auch die Anhänger der Pflichtdeliktslehre („Unterlassungstäter der Anstiftung“) Bachmann/ Eichinger, JA 2011, 510; Roxin, AT II, 26 Rn. 87; nahestehend Kreuzberg, Täterschaft, S. 694. Ausnahmsweise für Anstiftung durch Unterlassen kraft Ingerenz Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 118; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 26 Rn. 100. Großzügiger demgegenüber Bloy, JA 1987, 494 ff., 497; Jakobs, AT, § 29 Rn. 104; Kindhäuser/ Zimmermann, AT, § 41 Rn. 17 ff.; Matt/Renzikowski/Haas, § 26 Rn. 12; Murmann, GK, § 29 Rn. 101; Rengier, AT, § 51 Rn. 29 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, S.  275 f.; Vogel, Norm, S. 290 f. Bei Verletzung einer Überwachungspflicht wohl auch großzügig Herzberg, Unterlassung, S. 125 f. 460  Siehe

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Haupteinwände gegen diese Rechtsfigur ins Feld geführt. Erstens könne das Unterlassen nicht im Weg der kommunikativ-psychischen Beeinflussung einen Tatentschluss seitens des Haupttäters hervorrufen.462 Der zweite Einwand beruht auf dem Fehlen der „Modalitätsäquivalenz“. Die das Handlungsunrecht der Anstiftung bestimmenden Merkmale, etwa eine über die Verursachung des Tatentschlusses hinausgehende, zielgerichtete Aufforderung durch einen kollusiv-geistigen Kontakt zwischen dem Garanten und dem Anzustiftenden,463 könnten beim Garantenunterlassen nicht ihre Entsprechung finden.464 Da diese beiden Einwände gegen die Anstiftung durch Unterlassen das Handlungsunrecht der Anstiftung als Angelpunkt ihrer Argumentation nehmen, sei im Folgenden zuallerst kurz auf das Unrecht der Anstiftungshandlung eingegangen. Es wird sich aber zeigen, dass sich diese Einwände letztlich nicht verallgemeinern lassen und die Anstiftung durch Unterlassen in begrenzten Fällen anzuerkennen ist. 1. Das Unrecht der Anstiftung Der Anstifter ist derjenige, der den Haupttäter zu einer vorsätzlichen rechtswidrigen Straftat (Haupttat) bestimmt (§ 26 StGB). Nach dem hier vertretenen Ansatz des Unrechts der Teilnahme, also des akzessorischen Rechtsgutsangriffs, muss der Anstifter pflichtwidrig eine Entscheidung gegen das Rechtsgut getroffen haben und über den Angestifteten vermittelt das Rechtsgut mittelbar verletzen. Insbesondere bei positivem Tun könnte dieser mittelbare Rechtsgutsangriff darin gesehen werden, dass der Anstifter durch Hervorrufung des Tatentschlusses des Angestifteten die Haupttat verursacht und somit mittelbar das Rechtsgut verletzt. Damit wird zwar der mittelbare Charakter der Rechtsgutsverletzung des Anstifters gewissermaßen erfasst, aber die Beziehung zwischen der Anstiftungshandlung, also dem „Bestimmen“ i. S. v. § 26 StGB, und dem Entstehen des Tatentschlusses lässt sich nicht naturgesetzlich klären. Denn das Entstehen des Tatentschluss sowie die Tatausführung sind noch von der freien Entscheidung des Angestifteten abhängig, die nicht naturgesetzlich determiniert werden kann.465 462  Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 26 Rn. 28; Busse, Täterschaft, S.  132 f.; Heinrich, AT, Rn. 1293; HK-GS/Ingelfinger, § 26 StGB Rn. 9; Jescheck/Weigend, AT, S. 691; mangels psychischer Einwirkung auch NK/Gaede, § 13 Rn. 28; Schönke/ Schröder/Heine/Weißer, 26 Rn. 4. 463  LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 54; ferner Amelung, FS-Schroeder, S. 175; Bachmann/Eichinger, JA 2011, 510; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 26 Rn. 28; NK/Schild, § 26 Rn. 7; Roxin, AT II, 26 Rn. 86. 464  Amelung, FS-Schroeder, S. 178. 465  Zaczyk, FS-Kindhäuser, S.  639. Vgl. auch Matt/Renzikowski/Haas, § 26 Rn. 15; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 3; Puppe, GA 2013, 517;



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen509

Richtigerweise ist stattdessen davon auszugehen: Der Anstifter weiß gerade, dass der Angestiftete als ein endliches Vernunftwesen von Neigungen affiziert werden und daher eine Unrechtsmaxime gegen die von ihm selbst anerkannte Rechtsnorm fassen kann;466 er macht dann von dieser Endlichkeit Gebrauch, indem er dem Angestifteten einen alternativen Handlungsgrund gegen die bisher handlungswirksamen Rechtsnormen vermittelt,467 und versucht dadurch, die Geltung dieser Verhaltensnormen zu beeinträchtigen468 und den Angestifteten zur Straftat zu bewegen. Der Anstifter bringt den Angestifteten in eine Kollisionslage, in der er zwischen rechtlicher und unrechtlicher Handlungsmaxime zu wählen hat.469 Nimmt der Angestiftete dieses Angebot als Handlungsgrund, fasst einen Tatentschluss und wird von diesem Tatentschluss geleitet bis zur Tatausführung, darf man mit Recht konstatieren, dass der Anstifter der geistige Initiator der vom Täter begangenen Haupttat ist.470 Der Anstifter schafft kein rechtlich missbilligtes Risiko in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, sondern nur in Richtung auf die Hervorrufung eines fremden Tatentschlusses und ermöglicht überhaupt die Haupttat.471 Diese mittelbare Gefahrschaffung für das Rechtsgut, vermittelt über die Haupttat des Täters, kennzeichnet den akzessorischen Rechtsgutsangriff der Anstiftung. Da die Haupttat in dieser Hinsicht die Verwirk­ lichung des vom Anstifter pflichtwidrig geschaffenen Risikos darstellt und nur durch den Anstiftungsbeitrag überhaupt ermöglicht wird, ist die Haupttat

Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 26 Rn. 3. Diese Kritik gilt auch für den Ansatz von F. C. Schroeder, GA 2016, 69, mithilfe der Conditio-Formel die Kausalbeziehung zu begründen. Denn ohne das Naturgesetz kann diese Formel ebenfalls nicht funktionieren. 466  Vgl. auch Köhler, AT, S. 521. 467  Zur Anstiftung als Vermittlung eines alternativen Handlungsgrunds mit unterschiedlichen Spielarten Abraham, HRRS 2018, 166; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 12. 468  Die Dimension möglicher Beeinträchtigung der Geltung der Verhaltensnorm hervorhebend Amelung, FS-Schroeder, S. 172; Heghmanns, GA 2000, 484 f.; Timpe, GA 2013, 159 f. Zuvor bereits Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 270 f. Es sei hier aber nochmals darauf hingewiesen, dass die Beeinträchtigung der Normgeltung gegenüber dem beeinträchtigten Rechtsgut als Daseinselement kein selbständiges Rechtsgut ist. Deshalb kann sie auch nicht ein zusätzliches Unrecht neben der vom Anstifter begangenen mittelbaren Rechtsgutsverletzung begründen. Dagegen aber Heghmanns, GA 2000, 485, der neben dem konkret verletzten Rechtsgut noch „die Güterwelt insgesamt“ als Schutzgegenstand der Anstiftung sieht. 469  Amelung, FS-Schroeder, S. 173. 470  Murmann, GK, § 27 Rn. 93; Busse, Täterschaft, 132: „Geistiger Schöpfer der Straftat“. 471  Frisch, Verhalten, S. 333 ff., insb. 338, 342 f.; Murmann, GK, § 27 Rn. 102; ferner Scheinfeld, GA 2007, 706; sachlich auch Timpe, GA 2013, 147 f., 150.

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einschließlich des darin bestehenden tatbestandsmäßigen Unrechts dem Anstifter im vollen Umfang als fremdes Unrecht zuzurechnen.472 2. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Bestimmen“ im § 26 StGB a) Schwäche der kausalen oder psychisch-kommunikativen Ansätze Diese Bestimmung des Unrechts der Anstiftung hat Konsequenzen für die Auslegung der Bestimmungshandlung. Da der Anstifter durch Beeinflussung des Willens des Angestifteten mittelbar das Rechtsgut verletzt, liegt es nahe, bei positivem Tun die Hervorrufung des Tatentschlusses des Täters als eine notwendige Voraussetzung der Bestimmungshandlung zu begreifen.473 Nach der Rechtsprechung soll für Anstiftung jede beliebige intellektuelle Beeinflussung, die den Tatentschluss verursacht, ausreichend sein.474 Damit wäre jede Art von Schaffung einer tatanreizenden Situation, soweit sie zur Hervorrufung des Tatentschlusses geeignet ist und ihn auch tatsächlich ausgelöst hat, als Anstiftung strafbar. Aber die kausale Herbeiführung eines Tatentschlusses begründet für sich genommen – wie bei der Täterschaft – nicht das Handlungsunrecht und legitimiert somit auch nicht die normative Erfolgszurechnung.475 Mag eine kausale Erklärung die Entstehungsverläufe des Tatentschlusses treu reflektieren, so ist ihre normative Relevanz gleichwohl noch zu beweisen.476 Insbesondere können auch sozialadäquate Faktoren in einem bestimmten Kontext die gleiche Wirkung der Erregung eines Tatentschlusses entfalten. Eine solche „neutrale Anstiftung“477 soll aber aus dem Bereich der Strafbarkeit he­ rausgefiltert werden. Das sehen einige Autoren, die als Vertreter der sog. reinen Verursachungstheorie bezeichnet werden,478 nicht anders, wenn sie eine unerlaubte oder pflichtwidrige Hervorrufung des Tatentschlusses für notwendig halten.479 Einige von ihnen fordern sogar darüber hinaus einen 472  Zur Zurechnung fremden Unrechts aufgrund eigener Pflichtverletzung des Anstifters siehe oben S. 370 ff., insb. S. 372. 473  Zur Hervorrufung als Mindestanforderung Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Murmann, § 26 Rn. 3; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 881. 474  BGHSt 9, 370, 379 f.; 45, 373, 374; BGH NJW 1985, 924; BGH NStZ 2000, 421. Einen kommunikativen Akt voraussetzend aber BGH NStZ 2009, 393; BGH StV 2018, 519, beide mit Bezug auf § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG. 475  Murmann, GK, § 27 Rn. 99. 476  Murmann, GK, § 27 Rn. 99; Timpe, GA 2013, 146 ff. 477  Zum Begriff auch mit weiteren Beispielen Rotsch, Einheitstäterschaft, S. 414 f. 478  Weitere Nachweise bei Hillenkamp/Cornelius, 32 Probleme, S. 194. 479  Vgl. etwa Christmann, Anstiftung, S. 113, 114  ff.; Lackner/Kühl/Kühl, § 26 Rn. 2; wohl auch Kindhäuser/Zimmermann, § 41 Rn. 10: „Die Anstiftung muss zwar



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tatbefürwortenden Grund.480 Damit bezweifeln sie nur die Notwendigkeit einer über die Tatentschlusshervorrufung hinausgehenden Willensbeeinflussung durch ein psychisch-kommunikatives Verfahren.481 Dagegen wird verschiedentlich ein offener geistiger oder kommunikativer Kontakt zwischen dem Anstifter und dem Angestifteten für notwendig gehalten, wenn der tätergleiche Strafrahmen der Anstiftung legitimierbar sein soll.482 Mit dieser Anforderung soll insbesondere die (anonyme) Schaffung einer tatprovozierenden Situation aus dem Bereich der Anstiftung ausgeschlossen werden.483 Wenn aber gelegentlich ausgeführt wird, dass eine solche Einschränkung notwendig sei, weil die Schaffung einer solchen Situation noch nicht die Grenze der erlaubten Risikos überschreite,484 dann kommt es nicht auf das Fehlen eines geistigen Kontakts, sondern auf die Schaffung einer missbilligten Gefahr der Hervorrufung des Tatentschlusses an. Das begrenzte Beschränkungspotential des Kriteriums des geistigen Kontakts ist auch nicht schwer zu erkennen. Denn in fast allen Situationen mit verbaler oder nonverbaler Kommunikation lässt sich ein solcher Kontakt auffinden, darunter aber auch bei psychischer Beihilfe.485 Allein durch das Erfordernis eines geistigen Kontakts kann eine sinnvolle Beschränkung der Anstiftungsstrafbarkeit nicht erfolgen. Weiterhin ist nicht geklärt, warum eine Hervorrufung des Tatentschlusses einfach deshalb die tätergleiche Strafe verdienen soll, weil der Tatentschluss durch einen geistigen Kontakt mit dem Täter erregt wird.486 Es überrascht deshalb nicht, dass die Autoren, die einen geistigen Kontakt für notwendig halten, darüber hinaus andere Voraussetzungen angeben, insbesondere einen Aufforderungscharakter verlangen.487 Es ist dann aber zweifelhaft, ob noch der geistige Kontakt oder vielmehr die missbilligte Aufforderung zur Tatbegehung das entscheidende Element ist, das die Strafbarkeit der Anstiftung begrenzen soll. eine Handlung sein, die ihrem Sinn nach auf die Veranlassung einer Deliktsbegehung gerichtet ist und damit den Grund liefert, den Anstifter als Beteiligten dieser Tat haften zu lassen“ (Hervorhebung nur hier). 480  Christmann, Anstiftung, S. 115, 121, 122; Lackner/Kühl/Kühl, § 26 Rn. 2. 481  Bloy, Beteiligungsformen, S. 329; ders., JA 1987, S. 496; Kindhäuser/Zimmermann, § 41 Rn. 10. 482  Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 3; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 881. 483  Exemplarisch Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 881. 484  Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 881. 485  Treffende Kritik bei Heinrich, AT, Rn. 1291; Timpe, GA 2013, 150. 486  Bloy, Beteiligungsformen, S. 329; Kahlo, FS-Seebode, S. 177; Timpe, GA 2013, 149 Fn. 28. 487  Beispielhaft Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 4; Wessels/Beulke/Satz­ ger, AT, Rn. 881.

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b) Bestimmung als Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr in Richtung auf die Aufforderung zur Haupttatbegehung Um das spezifische Unrecht der Anstiftung erfassen zu können, wird man die allgemeine Lehre zur Bestimmung des Handlungs- und Erfolgsunrechts, und zwar die objektive Zurechnungslehre i. w. S. heranziehen müssen. Dementsprechend muss „der Anstifter die rechtlich missbilligte Gefahr der Hervorrufung eines fremden Tatentschlusses schaff[en] und sich diese Gefahr im Tatentschluss des Haupttäters realisier[en]“.488 Erstens muss die betreffende Bestimmungshandlung eine Verhaltensnorm verletzen und deshalb ein rechtlich missbilligtes Risiko in Richtung der Hervorrufung des Tatentschlusses schaffen. Dabei handelt es sich, wie bei der Diskussion über die „neutrale Beihilfe“, um eine komplexe normative Beurteilung, die nur unter Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall getroffen werden kann. Insbesondere kann es nicht nur auf die subjektive Befindlichkeit des Beteiligten ankommen.489 Auch ein dringender Wunsch oder sogar die Vermutung, dass der andere aufgrund der Motivkraft der Veranlassung sehr wahrscheinlich zur Straftat bewegt werden wird, macht die Handlung des Anstiftenden nicht ohne weiteres zu einer missbilligten. Ob eine Handlung die Grenze der Verhaltensfreiheit überschreitet, ist gerade eine interpersonale normative Frage und darf nicht allein von der subjektiven Vorstellung abhängig gemacht werden. Ebenso wenig schlüssig ist ein objektiver Ansatz, der nur Wert auf die abstufbare Gefährlichkeit der Hervorrufung eines Tat­ entschlusses legt.490 Es ist eben nicht auszuschließen, dass eine Gesellschaft auch eine solche hochgefährliche Tätigkeit deshalb erlaubt, weil sie zur Entfaltung der bürgerlichen Freiheit unerlässlich ist und der Handelnde insoweit eben ein legitimes Interesse hat. Bevorzugt ist demgegenüber der Ansatz, dass das betroffene Verhalten seinem Sinngehalt nach eindeutig auf die Hervorrufung eines fremden Tatentschlusses gerichtet ist.491 Nur wenn es unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem es auftritt, nur so oder nur schwerlich anders interpretiert werden kann, schafft der Handelnde ein rechtlich

488  Murmann, GK, § 27 Rn. 102. Zuvor bereits Frisch, Verhalten, S. 333 ff., insb. 338, 342 f. 489  Frisch, Verhalten, S. 341. 490  So aber Heghmanns, GA 2000, S. 487. 491  Frisch, Verhalten, S. 337 ff., insb. S. 340. Nahestehend Murmann, GK, § 27 Rn. 102. Dabei ist auch das Sonderwissen des Handelnden mit zu berücksichtigen. Die Objektivität dieses Ansatzes geht aber deshalb nicht verloren, denn das subjektive Sonderwissen ist nur Beurteilungsgrundlage, nicht aber Beurteilungskriterium. Gefragt ist immer, ob ein Handelnder mit solchem Sonderwissen die betreffende Handlung ausführen darf oder nicht. Klarstellend Murmann, FS-Herzberg, S. 125 Fn. 12.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen513

missbilligtes Risiko in Richtung auf die Hervorrufung eines fremden Tatentschlusses.492 Über die Unerlaubtheit der betroffenen Handlung hinaus muss sie noch normativen Aufforderungscharakter aufweisen.493 Die betroffene Handlung muss den Sinngehalt haben, „die Straftat soll stattfinden!“;494 der Anstifter redet „(präskriptiv) über ein Sollen (der Tatbegehung)“.495 Das ergibt sich zwanglos aus dem Unrecht der Anstiftung: Der Anstifter liefert dem Angestifteten einen alternativen Handlungsgrund gegen die Rechtsnormen und bringt den Angestifteten in eine Kollisionslage, in der er zwischen einer rechtlichen und einer unrechtlichen Handlungsmaxime wählen muss. Das kann dem Anstifter aber nur dann gelingen, wenn er dem Angestifteten zeigt, dass der von ihm gelieferte Handlungsgrund gegenüber den Rechtsnormen eine bessere Alternativ sein soll.496 Oder mit Amelung: Nur wenn die betroffene Handlung als eine sanktionsträchtige Aufforderung interpretiert werden könne, entfalte sie als „Gegenappell“ an den Angestifteten eine Wirkung der Beeinträchtigung der Geltung der Rechtsnormen.497 Entgegen Ame­ lung498 setzt eine Aufforderung zur Begehung der Straftat als „Gegennormen“ aber keine (negative oder positive) Sanktion im engeren Sinne voraus. Ein hypothetischer Imperativ, eine Straftat zu begehen, verliert auch dann nicht seinen Imperativcharakter, wenn er auf Sanktionierung im engeren Sinne gänzlich verzichtet.499 Entscheidend ist nur, dass bei Verletzung dieser Norm eine „Abweichung von der Norm“ dokumentiert wird, was den Angestifteten in eine Kollisionslage bringen würde.500 Verhalten, S. 344. unterschiedlichen Inhalten der Aufforderung Amelung, FS-Schroeder, S.  163 ff.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 26 Rn. 27; Joerden, FS-Puppe, S.  568 ff.; LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 3 f., 15; Matt/Renzikowski/Haas, § 26 Rn. 9; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 18; Murmann, GK, § 27 Rn. 102; Nepomuck, Anstiftung, S.  167 ff.; Nydegger, Zurechnungsfragen, S. 289 ff.; Redmann, Anstiftung, S. 156; Rengier, AT, § 45 Rn. 30; Roxin, AT II, § 26 Rn. 74; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 4; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 881. Nahestehend Jakobs, AT, § 22 Rn. 22; HK-GS/Ingelfinger, § 26 StGB Rn. 8. 494  Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 26 Rn. 27; Jakobs, AT, § 22 Rn. 22; Joerden, FS-Puppe, S. 568. 495  Joerden, FS-Puppe, S. 569. 496  Murmann, GK, § 27 Rn. 102; ähnlich HK-GS/Ingelfinger, § 26 StGB Rn. 8. 497  Amelung, FS-Schroeder, S. 172; ferner Redmann, Anstiftung, S. 155. 498  Amelung, FS-Schroeder, S.  163  ff.; Redmann, Anstiftung, S. 155; teilweise auch Nepomuck, Anstiftung, S. 167. 499  Vgl. auch Joerden, FS-Puppe, S. 572 Fn. 24. 500  Joerden, FS-Puppe, S. 572. Ob man diese Dokumentation auch als „Sanktion in einem schwächeren Sinne“ bezeichnet, ist nur eine terminologische Frage. Dazu Möllers, Normen, S. 171. 492  Frisch, 493  Mit

514

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

c) Kritische Aufnahme anderer mit der Tat­herrschaft vergleichbarer Ansätze Die anderen Autoren stellen angesichts des tätergleichen Strafrahmens der Anstiftung noch höhere Anforderungen an die Bestimmungshandlung. Diese mit der Tat­herrschaftsmacht vergleichbaren Anforderungen sind jedoch weder tauglich noch notwendig: Puppe fordert über die einseitige Aufforderung seitens des Anstifters hinaus einen Unrechtspakt zwischen dem Anstifter und dem Angestifteten. Anstifter sei derjenige, „der mit dem Täter eine Art Unrechtspakt schließt, durch den er den Täter zur Begehung einer bestimmten Straftat gewissermaßen verpflichtet oder sie sich von ihm versprechen lässt“.501 Dieser Ansatz eines Unrechtspakts kann aber dem Beteiligungsverhältnis zwischen dem Anstifter und dem Angestifteten nicht gerecht werden und würde den Unterschied zwischen Anstiftung und Mittäterschaft einebnen.502 Der Anstifter gibt nur einseitig dem Angestifteten einen alternativen Handlungsgrund und lässt ihn selbst über die Begehung der angesonnenen Tat entscheiden.503 Auch wenn der Angestiftete sich dadurch zur Tatbegehung entschließt, fehlt beim Angestifteten in der Regel der Wille, für den Anstifter die angesonnene Straftat zu begehen wie bei Mittäterschaft. Mehr als zweifelhaft bleibt in diesem Zusammenhang das Element der Verpflichtung zur (einseitigen) Tatausführung. Das von Puppe vorgestellte Element der Verpflichtung ist nicht als eine Rechtspflicht zu verstehen.504 Dabei geht es vielmehr allenfalls um eine faktische psychische Verbindlichkeit seitens des Täters.505 Es bleibt allerdings zu erklären, warum das tatsächliche Verbindlichkeitsgefühl des Täters auch ein wesentlich erhöhtes Unrecht begründen soll, das sich von dem der Beihilfe deutlich unterscheiden und somit den tätergleichen Strafrahmen legitimieren soll. Warum steht und fällt das Anstiftungsunrecht mit der mehr oder wenig zufällig eintretenden faktischen Verbindlichkeit als einem psychischen Faktum? Man könnte zwar behaupten, dass der Täter, der sich an die Aufforderung des Anstifters gebunden fühlt, nicht leicht auf die Tatausführung verzichten würde.506 Dieser Be501  Puppe, GA 2013, 517; bereits dies., GA 1984, 112 ff. Sachlich nahestehend SK/Hoyer, § 26 Rn. 13 f.: „Der Anstifter muss die Tatausführung als eine an ihn zu erbringende Leistung fordern […], und der Täter muss die Tat begehen, weil er dem Anstifter die geforderte Leistung erbringen will […].“ 502  Gerson, ZIS 2016, 296 f.: „Anstiftung als kupierte Mittäterschaft (S. 297)“, zusätzlich auf die Unvereinbarkeit des Unrechtspakts mit dem Wortlaut des „Bestimmens“ hinweisend; Heghmanns, GA 2000, S. 483; Joerden, FS-Puppe, S. 567. 503  Frister, AT, Kap. 28 Rn. 23. 504  Puppe, GA 2013, 518. 505  Treffend LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 12. 506  Puppe, GA 1984, 112.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen515

fund ist aber empirisch leicht zu widerlegen und kann mithin nicht verallgemeinert werden. Puppes Ansatz wird denn auch vielfach als zu eng kritisiert.507 Diese Kritik ist berechtigt, wenn die klassischen Fälle von Anstiftung durch einseitige Aufforderung dann mangels wechselseitigen Unrechtspakts unzutreffend auf psychische Beihilfe herabgestuft würden.508 Wenn aber Puppe zufolge die klassischen Fälle von erfolgreicher Anstiftung doch von dem ­Begriff des Unrechtspakts erfasst werden können, weil in diesen Fällen der Angestiftete der sanktionsbewehrten Aufforderung des Anstifters „zusagt“ habe,509 dann ist ein so verstandener Unrechtspakt in der Tat nichts anderes als eine einseitige erfolgreiche Aufforderung. Auch nach Puppes eigener Einschätzung ist der Streit zwischen dem Ansatz des Unrechtspakts und dem der sanktionsbewehrten Aufforderung nur ein Streit um Worte.510 Man muss aber fragen, ob das Konstrukt des Unrechtspakts noch angemessen ist, zumal die Bezeichnung eher angreifbar und irreführend ist.511 Köhler konstatiert in der Anstiftung eine „willensbestimmende Macht über den Täter in Anbetracht der Abhängigkeit seiner weiteren Zweckkonzeption“ und kennzeichnet den Anstifter sogar als „intellektuelle[n] (Mit-)Täter“.512 Der Täter bleibe rechtlich zwar frei und ein Zurechnungssubjekt, der Anstifter könne aber durch Lohnversprechen, Drohung, Nötigungsdruck, „Einsatz von Autorität in Abhängigkeitsverhältnissen“ oder durch Täuschung „die vorausgesetzte Lebenskonzeption des Täters von sich abhängig und dadurch die angesonnene Tat zur Bedingung setzen“.513 Dem Hinweis von Köhler, dass der Angestiftete rechtlich prinzipiell ein freies Zurechnungssubjekt bleibe und nicht jedes Einwirken auf seinen Willen für die Annahme einer strafbaren Anstiftung ausreichend sei, ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Fraglich ist aber die Bestimmung der für Anstiftung erforderlichen Intensität willensbestimmender Macht und die Abgrenzung zwischen Anstiftung und mittelbarer Täterschaft. Köhler liefert kein genaueres Kriterium für eine sol507  Kühl, AT, § 20 Rn. 173; LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 11; Matt/Renzikowski/Haas, § 26 Rn. 11; Murmann, GK, § 27 Rn. 101; Roxin, AT II, § 26 Rn. 73; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 3. 508  LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 11. 509  Puppe, GA 2013, 520. 510  Puppe, GA 2013, 520. 511  In diesem Sinne bereits Joerden, FS-Puppe, S. 567. 512  Köhler, AT, S. 521; zustimmend Kahlo, FS-Seebode, S. 177: „eine Art spezifischer Abhängigkeit der Willensbildung des (Haupt)Täters von derjenigen des Anstifters“; Noltenius, Kriterien, S. 284 f. Anders als bei Puppe erfolgt diese willensbestimmende Machtausübung nicht wechselseitig zwischen Beteiligten, sondern einseitig von dem Anstifter auf den Täter. Insoweit entgeht Köhler der Kritik an Puppes Ansicht. 513  Köhler, AT, S.  525 f.

516

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

che, die Anstiftung begründende willensbestimmende Macht, sondern listet stattdessen nur bestimmte mögliche Mittel zur Herstellung dieser Macht auf. Wenn der Täter rechtlich aber ein freies Zurechnungssubjekt bleibt, kann die von Köhler behauptete Abhängigkeit hinsichtlich der „außertatbestandlichen Zweckverwirklichung“ nur eine faktische Abhängigkeit in dem Sinne sein, dass der Anstifter einen alternativen Handlungsgrund gegen die Rechtsnorm liefert und deshalb den Angestifteten in die „Kollisionslage“ bringt, zwischen rechtlicher und unrechtlicher Handlungsmaxime auszuwählen. Um den Angestifteten in eine solche Kollisionslage zu rücken, benötigt man aber nicht unbedingt eine mit der Tatmächtigkeit der mittelbaren Täterschaft vergleichbare „willensbestimmende Macht“ wie Drohung oder Täuschung. Auch eine Aufforderung, die aus einer Freundschaft hervorgeht, kann dasselbe bewirken. In Anbetracht dessen darf keine zu hohe Anforderung an die Intensität der willensbestimmenden Macht gestellt werden. Entscheidend ist dann wiederum wie hier, dass der Anstifter in einer rechtlich missbilligten Weise einen alternativen Handlungsgrund gegen die Rechtsnorm geliefert hat und den Angestifteten zur Tatbegehung auffordert. Wenn Köhler dagegen hohe Anforderungen an die willensbestimmende Macht stellt und Mittel auflistet, die nicht selten geeignete Handlungsweisen zur Erlangung der Herrschaftsmacht der mittelbaren Täterschaft sind, insbesondere Drohung, Täuschung oder Missbrauch eines institutionellen Abhängigkeitsverhältnis staatsorganisatorischer Art, und eine mit der Herrschaftsmacht der mittelbaren Täterschaft vergleichbare Motivationsmacht verlangt, weckt dies Bedenken, ob bei Köhler die Unterscheidung zwischen Anstiftung und mittelbarer Täterschaft überzeugend erfolgt. In der Tat werden die nach unserem eigenen Ansatz als mittelbare Täterschaft zu qualifizierenden Konstellationen wie etwa mittelbare Täterschaft kraft Nötigungsherrschaft und Organisationsherrschaft von Köhler zu Konstellationen von Anstiftung „herabgestuft“. Das ist angesichts der Herrschaftsmacht des Hintermannes und seiner Pflichtlage zum Opfer nicht sachgerecht.514 Im Schrifttum gibt es noch zahlreiche Ansätze zur Beschränkung der Bestimmungshandlung. Gefordert wird etwa entweder eine mit dem Unrechtspakt vergleichbare Motivationsherrschaft des Anstifters,515 eine „partielle Depersonalisierung des Ausführenden“ oder eine Korrumpierung des Täters durch instrumentelle Kommunikation,516 eine Ausübung motivischen Druck seitens des Anstifters,517 eine gewisse Abhängigkeit des Angestifteten vom 514  Siehe

oben Fn. 163, S. 290, S. 346. § 26 Rn. 13 f. 516  Timpe, GA 2013, 160. 517  Amelung, FS-Schroeder, S. 172; Koriath, FS-Maiwald, S. 429; NK/Schild, § 26 Rn. 6. 515  SK/Hoyer,



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen517

Willen des Beeinflussenden518 oder eine Willensunterwerfung unter den Anstifter.519 Entsprechend der Kritik an Köhlers Ansatz können und dürfen diese Ansätze aber trotz der terminologischen Vergleichbarkeit mit der Tat­ herrschaftsmacht nicht zu hohe Anforderung an die Bestimmungshandlung stellen.520 Denn der Angestiftete bleibt rechtlich ohnehin ein freies und verantwortliches Zurechnungssubjekt. Die Rede von Herrschaft, Manipulation, Druckausübung einerseits und Unterwerfung, Abhängigkeit andererseits reflektiert wohl nur den Umstand, dass der Täter durch die Aufforderung des Anstifters in eine Kollisionslage gerückt wird, zwischen rechtlicher und unrechtlicher Handlungsmaxime auszuwählen. Entscheidend ist deshalb nur, dass der Anstifter dem Angestifteten einen alternativen Handlungsgrund liefert und dadurch diese Auswahl ermöglicht. Es genügt eine missbilligte Aufforderung, die den Angestifteten in diese Lage gebracht hat. Ob man diese Kollisionslage als einen Druck oder als eine Abhängigkeit bezeichnet, oder ob dadurch ein Druck oder eine Abhängigkeit seitens des Angestifteten tatsächlich erzeugt wird, spielt keine Rolle. Letztlich ist festzustellen: Die oben genannten, sich um die Einschränkung der Bestimmungshandlung bemühenden Ansätze haben zwar insoweit recht, als sie nicht jede Art von Einwirkung auf den Willen des Angestifteten für ausreichend halten. Ob sie aber im Vergleich zum Ansatz missbilligter Schaffung der Gefahr der Aufforderung zur Straftat tatsächlich eine stärkere Einschränkung der Strafbarkeit der Anstiftung bewirken, ist zu bezweifeln. Und gerade wenn sie tatsächlich zu einer stärkeren Einschränkung der Strafbarkeit kommen, sind sie zu eng und würden unzulässig die Anstiftung zur Beihilfe herabstufen. d) Grenze der Hervorrufung des Tatentschlusses: Zur Kritik der Rechtsfigur des „omnimodo facturus“ Da das Unrecht der Anstiftung in der missbilligten Gefahrschaffung in Richtung auf die Hervorrufung eines fremden Tatentschlusses besteht, ist eine (vollendete) Anstiftung nach der Entstehung eines Tatentschlusses des Angestifteten nicht mehr möglich. Aber ab wann und unter welchen Voraussetzungen man von einem nicht mehr einer Anstiftung zugänglichen Tatentschluss sprechen darf, ist umstritten. Fraglich ist insbesondere, ob derjenige, der irgendwann vor der Tatausführung nicht nur zur Begehung einer be518  Jakobs,

AT, § 22 Rn. 22; Puppe, GA 1984, 113. FS-Maiwald, S. 428, der den Ansatz von Less, ZStW 69 (1957), 50

519  Koriath,

hinweist. 520  Exemplarisch Amelung, FS-Schroder, S. 172: Ausübung so geringen Drucks (Hervorhebung im Original).

518

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

stimmten Straftat tatgeneigt ist, sondern darüber hinaus „auf jeden Fall eine Tat begehen wird“ (sog. omnimodo facturus),521 noch angestiftet werden kann. Überwiegend wird diese Möglichkeit verneint. Wenn der Handelnde vor der Tatausführung in Hinblick auf eine bestimmte Straftat bereits einen festen und hinreichend konkreten Tatentschluss gefasst habe, könne er nicht mehr angestiftet werden.522 Roxin hat diese herrschende Ansicht wie folgt konkretisiert: Wenn das den Täter zur Tatbegehung hindrängende Motiv bereits ein handlungsleitendes deutliches Übergewicht erlangt habe, liege der Tatentschluss bereits vor und der Täter könne nicht mehr angestiftet werden.523 Gegen Roxins Ansatz spricht aber bereits, dass es keine exakte und somit praktizierbare Quantifizierung hinsichtlich der Intensität der Motive gibt. Die Abgrenzung zwischen Anstiftung und psychischer Beihilfe kann nicht anhand eines rational nicht überprüfbaren quantitativen Kriteriums erfolgen.524 Schild hat darüber hinaus ganz treffend bemerkt: „Ein ‚Entschluss‘ ist nicht ein Überwiegen möglicher Motive über gegenteilig mögliche, sondern die Verwirklichen eines Motivs (oder mehrerer, die dann zu einer bei aller Unterschiedenheit letztlich als bestimmtes Verhältnis zusammenstimmenden Einheit vermittelt werden) in der Handlung.“525 Auch die These, dass ein Täter vor der Tatausführung bereits einen endgültigen, nicht veränderbaren Tatentschluss gefasst habe, ist eine fragwürdige Fiktion.526 Puppe hat sehr früh527 diesen fiktiven Charakter herausgestellt Jura 2017, 1169. Anders MK4/Joecks/Scheinfeld, § 26 Rn. 31 Fn. 76 in Anschluss an F. C. Schroeder, GA 2006, 375: „einer, der die Tat auf jede Art und Weise begehen wird“. 522  BGHSt 45, 373, 374; BGH NStZ 2017, 401, 402; Anw-StGB/Waßmer, § 26 Rn. 8; BeckOK-StGB/Kudlich, § 26 Rn. 15; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 26 Rn. 29; Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 115; Gerson, ZIS 2016, 304; Gropp/Sinn, AT, § 10 Rn. 264; Heinrich, AT, Rn. 1294; HK-GS/Ingelfinger, § 26 StGB Rn. 7; Jakobs, AT, § 21 Rn. 24; Joecks/Jäger, Studienkommentar, § 26 Rn. 11; Kaspar, AT, § 6 Rn. 78; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 41 Rn. 11; Krey/Esser, AT, Rn. 1042; Kühl, AT, § 20 Rn. 177; Lackner/Kühl, § 26 Rn. 2a; LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 17; Otto, GK, § 22 Rn. 37; Rengier, AT, § 45 Rn. 33; Satzger, Jura 2017, 1170; Schönke/ Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 6; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 883. Frister, AT, Kap. 28 Rn. 15, der die Kritik an der Rechtsfigur des omnimodo facturus zwar im Prinzip für richtig hält, aber trotzdem für den praktischen Wert dieser Rechtsfigur plädiert. 523  Roxin, AT II, § 26 Rn. 67; ihm folgend LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 18. 524  Köhler, AT, S. 526. 525  NK/Schild, § 26 Rn. 8. 526  Puppe, GA 1984, 117 ff.; dies., GA 2013, 520 f. ferner Maurach/Gössel/Zipf/ Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 11; NK/Schild, § 26 Rn. 8 f.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 26 Rn. 6; Scheinfeld, GA 2007, 702 f.; SK/Hoyer, § 26 Rn. 8; Steen, Rechtsfigur, S. 18 ff., insb. 42. 527  Puppe, GA 1984, 117. 521  Satzger,



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen519

und mit psychischen und normativen Argumenten überzeugend bewiesen. Psychisch-empirisch gesehen ist es gerade nicht ungewöhnlich oder kommt sogar häufig vor, dass der Handelnde, der sich zum Zeitpunkt der Aufforderung nur im Vorbereitungsstadium befindet, zum Zeitpunkt der Aufforderung bereits „auf jeden Fall eine Tat begehen will“, dann, noch im Vorbereitungsstadium, auf irgendeinen Anlass hin auf diese Entscheidung verzichtet, anschließend aber, vor dem Versuchsstadium, den vom Anstifter zuvor gelieferten alternativen Handlungsgrund gegen die Rechtsnorm doch noch annimmt und schließlich von diesem Grund bis zum unmittelbaren Ansetzen der Straftat geleitet wird.528 Die Vorstellung des Handelnden im Vorbereitungsstadium, dass er „auf jeden Fall die bestimmte Tat begehen“ werde, ist in dieser Hinsicht allenfalls ein veränderbares Tatvorhaben und nicht feststehend.529 Denn, wie Puppe treffend bemerkt, erst wenn der Handelnde zur Tatausführung unmittelbar ansetzt, kann er wissen und sich entscheiden, ob er zur Tatausführung fähig und willig ist.530 Dieser Gedanke hat seine Korrelate in der Versuchslehre und der Vorsatzlehre: Strafrechtlich wird in der Regel erst dem Versuchsbeginn, nicht aber bereits einer Vorbereitung zur Straftat strafrechtliche Relevanz zugesprochen.531 Daraus ergibt sich, dass der Tatvorsatz notwendig auf den Versuch bezogen ist, also auf das unmittelbare Ansetzen i. S. v. Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlung oder Vornahme einer tatbestandsnahen Handlung.532 Der Täter muss eine konkrete Vorstellung von der Vornahme dieser Handlungen haben. „[O]hne das Erlebnis der Feuerprobe der kritischen Situation als Merkmal des Versuchsbeginns“ kann der Täter aber überhaupt keine „notwendige Vorstellung, unmittelbar zur Tat anzusetzen, die den Tatentschluss erst konstituiert“ haben.533 Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Täter ein feststehendes und hinrei528  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 26 Rn. 6. Zuvor bereits Puppe, GA 1984, 117. 529  Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 11; NK/Schild, § 26 Rn. 8 f. 530  Puppe, GA 2013, 517, 520. 531  Puppe, GA 1984, 117; dies., GA 2013, 520. 532  Grundlegend Murmann, Versuchsunrecht, S.  13 ff., 24 ff. 533  Steen, Rechtsfigur, S. 42. Die Gegenansicht von Satzger, Jura 2017, 1170, dass sich aus § 30 Abs. 2 StGB schließen lasse, der Handelnde habe im Vorbereitungsstadium eine hinreichend konkrete Vorstellung von einer nicht das Versuchsstadium erreichenden Straftat, ist nicht überzeugend. Denn abgesehen davon, dass eine konkrete Vorstellung der geplanten Straftat erst durch deren Tatausführung möglich ist, ist ein Entschluss i. S. v. § 30 StGB, der nur eine vorläufige Entscheidung zur Tatausführung darstellt, normativ nicht mit dem Tatentschluss i. S. v. §§ 16, 22 StGB gleichzustellen. Gegen diese Gleichstellung spricht insbesondere, dass der Gesetzgeber, anders als bei § 22 StGB, nur deshalb die Handlungen im § 30 StGB kriminalisiert, weil die vorläufige Entscheidung eine abstrakte Gefährlichkeit gruppendynamischer Prozesse aufweist. Siehe Murmann, FS-Merkel, S. 731 Fn. 18.

520

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

chend konkretes Tatvorhaben vor der Tatausführung gefasst hat oder nicht, sondern darauf, ob der Tatentschluss zum Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens tatsächlich von dem Anstifter (mit)motiviert wird.534 3. Erwiderung auf die Einwände gegen eine Anstiftung durch Unterlassen; Voraussetzungen einer Anstiftung durch Unterlassen Nachdem das Unrecht der Anstiftung und der Inhalt der Bestimmungshandlung geklärt worden sind, können wir auf die Einwände gegen eine Anstiftung durch Unterlassen eingehen. a) Zum ersten Einwand: Verletzungsmacht des Garantenunterlassens Der erste Einwand gegen eine Anstiftung durch Unterlassen lautet, dass ein Unterlassen keinesfalls im Weg der kommunikativ-psychischen Beeinflussung einen Tatentschluss seitens des Haupttäters hervorrufen könne. Versteht man diesen Einwand in der Weise, dass ein Unterlassen nicht über physisch oder psychisch vermittelte Kausalität den Tatentschluss auslösen könne, ist das mit zwei Argumenten zurückzuweisen. Erstens kann ein schlichtes Unterlassen für sich genommen zwar mangels eines Informationswert vermittelnden Kommunikationsverfahrens in der Regel nicht einen Tatentschluss im Weg einer kommunikativen Beeinflussung hervorrufen. In bestimmten vorgegebenen Kontexten und unter Berücksichtigung der Begleitumstände kann das pflichtwidrige Unterlassen aber eine psychische Einwirkung entfalten, wie die Diskussion über die Rechtsfigur des beredten Schweigens bei Betrug zeigt.535 Eine solche psychische Einwirkung durch Unterlassen dürfte sogar einen Erklärungswert mit Aufforderungscharakter haben. Denn, wie Murmann treffend konstatiert: „Besteht eine Pflicht dahingehend, das Entstehen eines Tatentschlusses zu verhindern, so dürfte eine rechtliche Erwartung dieses Inhalts dem Nichtstun einen Erklärungswert verleihen.“536 Jakobs präsentiert in diesem Zusammenhang ein bekanntes Beispiel: „Der Sohn erklärt, er werde im Interesse des Vaters den Hof abbrennen, aber dann dürfe der Vater sein Sparbuch nicht immer wegschließen; der Vater lässt das Buch dort, wo es sich gerade befindet, offen 534  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann,

704.

535  Vgl.

923.

§ 26 Rn. 6; Scheinfeld, GA 2007,

auch Matt/Renzikowski/Haas, § 26 Rn. 12; ferner Rönnau, JuS 2020,

536  Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann,

§ 26 Rn. 3.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen521

liegen.“537 Enthält ein „Unterlassen“ aber schon einen Erklärungswert mit Aufforderungscharakter, der über ein psychisches Kommunikationsverfahren auf den Willen des Angestifteten einwirken und dessen Tatentschluss hervorrufen kann, liegt bereits eine Anstiftung durch konkludente Aufforderung (positives Tun) vor.538 Zweitens ist es nicht sachgerecht, die bei positivem Tun entwickelten Kriterien, wie etwa die kausale Hervorrufung eines fremden Tatentschlusses, die kollusive geistige Kommunikation sowie die gesteigerte Willensbeeinflussung durch Drohung, Täuschung usw., ohne weiteres als Begriffselemente der Anstiftung anzusehen und zu konstatieren, dass ein Unterlassen keines dieser Element aufweisen könne. Denn diese insbesondere bei positivem Tun entwickelten Kriterien sind einfach deshalb notwendig, weil bei positivem Tun der Anstifter nur über diese positiven Handlungsweisen und den darin enthaltenen Kommunikationsinhalt auf den Willen des bisher rechtstreuen Angestifteten einwirken und somit eine Haupttat überhaupt ermöglichen kann. Sie sind nur auf das positive Tun zugeschnittene Mittel zur Verwirklichung des Anstiftungsunrechts, sind mithin nicht sachgemäß für die Bestimmung der Verletzungsmacht eines Garantenunterlassens.539 Beim Garantenunterlassen kommt es dementsprechend nicht darauf an, ob der Garant durch pflichtwidriges Unterlassen im Weg einer psychischen Kommunikation einen fremden Tatentschluss hervorrufen kann, sondern darauf, unter welchen Voraussetzungen die Verletzung einer bestimmten Garantenpflicht rechtlich mit der positiven Hervorrufung eines Tatentschlusses durch eine geistige Kommunikation bzw. durch eine positive Aufforderung gleichzustellen ist.540 b) Zum zweiten Einwand: Anforderungen an die Handlungsmodalität aa) Verletzung der Garantenpflicht mit Aufforderungscharakter Nunmehr greift der zweite Einwand des Fehlens der Handlungsmodalität ein: Das Unrecht eines garantenpflichtwidrigen Unterlassens könne keinesfalls dem Unrecht der Anstiftung durch positives Tun entsprechen. Ob und 537  Jakobs,

AT, § 29 Rn. 104.

538  LK13/Schünemann/Greco,

§ 26 Rn. 54; Murmann, GK, § 29 Rn. 101; Roxin, AT II, 26 Rn. 86; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 48. A. A. für Anstiftung durch Unterlassen Jakobs, AT, § 29 Rn. 104; Matt/Renzikowski/Haas, § 26 Rn. 12; Vogel, Norm, S. 290. 539  In diesem Sinne Rengier, AT, § 51 Rn. 29; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 274. 540  Klarstellend Anw-StGB/Waßmer, § 26 Rn. 13; Herzberg, Unterlassung, S. 120; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 41 Rn. 20; Murmann, ZIS 2010, 389; Rengier, AT, § 51 Rn. 29.

522

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

inwieweit diese Unrechtsentsprechung anzuerkennen ist, hängt aber vom Verständnis des Anstiftungsunrechts ab. Bei positivem Tun ist die Hervorrufung eines fremden Tatentschlusses die mindeste Voraussetzung zur Begründung der Anstiftung. Da aber das Merkmal der Hervorrufung ein auf das positive Tun zugeschnittenes Merkmal ist, gilt dies nicht für das Garantenunterlassen. Worin liegt dann aber die Möglichkeit der Unrechtsgleichstellung des Garantenunterlassens mit dem posi­ tiven Tun? Ein Blick auf die Perspektive des Opfers mag hilfreich sein. Aus Sicht des Opfers hat der Anstifter einen Tatentschluss des Täters und die Haupttat überhaupt erst zustande kommen lassen. Die Ermöglichung des Tatentschlusses einschließlich der Haupttat ist das Unrecht der Anstiftung. Es liegt mithin nahe, die pflichtwidrige Nichtverhinderung des Entstehens eines Tatentschlusses mit dessen positiver Hervorrufung rechtlich gleichzustellen; auch eine solche Nichtverhinderung hat den normativen Sinngehalt der Ermöglichung eines Tatentschlusses und der Haupttat. Der Garant muss zumindest für das Entstehen des Tatentschlusses zuständig sein.541 Wer das Anstiftungsunrecht nicht einfach in der Erregung eines fremden Tatentschlusses, sondern darüber hinaus in der Aufforderung zur bestimmten Tatbegehung erblickt, könnte aber davon ausgehen, dass das Unrecht eines Garantenunterlassens nur dann mit dem Unrecht der positiven Aufforderung gleichzustellen ist, wenn über die Zuständigkeit für das Entstehen eines fremden Tatentschlusses hinaus noch festgestellt wird, dass das Garantenunterlassen einen Aufforderungscharakter aufweist.542 Im garantenpflichtwidrigen Unterlassen muss sich nämlich ein normativer Sinngehalt erkennen lassen, dass die Straftat stattfinden soll! Der Auffassung, dass das Garantenunterlassen einen Aufforderungscharakter aufweisen muss, ist nach dem hiesigen Verständnis des Anstiftungsunrechts durchaus zuzustimmen. Erstreckt sich der Schutzzweck der Garantenpflicht auf die Verhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses, hat das Opfer gegenüber dem Garanten einen Rechtsanspruch, das Entstehen des Tatentschlusses seitens des Angestifteten zu verhindern. Aus der Perspektive des Opfers hat der Garant durch die Garantenpflichtverletzung diesen Anspruch verletzt und eben dadurch den Tatentschluss seitens des Täters „ermöglicht“. In dieser normativ zu verstehenden Tatentschlussermöglichung lässt sich nicht nur der Sinngehalt erkennen „Lasse den Tatentschluss sowie die angesonnene Straftat überhaupt zustande kommen!“, sondern wohl darüber hinaus: „Sie soll überhaupt stattfinden!“. Die Verletzung einer Garantenpflicht, das Entstehen eines fremden 541  Vgl.

auch Vogel, Norm, S. 290. § 26 Rn. 54; MK4/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 285; Vogel, Norm, S. 290. 542  LK13/Schünemann/Greco,



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen523

Tatentschlusses zu verhindern, ist deshalb normativ mit der positiven Aufforderung gleichwertig.543 bb) Zur Nichtbeseitigung einer tatanreizenden Situation Diese Voraussetzungen sind aber in der Regel nicht erfüllt, wenn der Garant eine tatprovozierende Situation nicht beseitigt. Bloy präsentiert in diesem Zusammenhang ein Beispiel: Der Garant hat gegenüber dem reisenden Nachbarn die Aufgabe übernommen, seine Wohnung zu überwachen und den Briefkasten regelmäßig zu leeren, unterlässt aber die Briefkastenleerung in der Erwartung, dass jemand es bemerken und sich deshalb zum Einbruchsdiebstahl entschließt wird.544 Bloy selbst nimmt hier eine (versteckte) Anstiftung durch Unterlassen an, wenn jemand dadurch zum Einbruchsdiebstahl motiviert wird und einen solchen Einbruch versucht, da das Unterlassen der Briefkastenleerung einen Motivationswert habe und dem spezifischen Handlungsunwert der Anstiftung entspreche.545 Dem ist aber zu widersprechen: Das Anstiftungsunrecht erschöpft sich gerade nicht darin, den Angestifteten zur Tatbegehung zu motivieren; erforderlich ist darüber hinaus, dass diese Motivierung einen eindeutigen deliktischen Sinngehalt im Sinne einer Tataufforderung aufweist.546 Wie oben ausgeführt wird, kommt es insoweit nicht nur auf die subjektive Befindlichkeit an,547 so dass ein solcher Sinngehalt nicht allein mit der „bösen Absicht“ des Garanten begründet werden kann. Stattdessen gilt es, von einer auf die intersubjektive Beziehung gegründeten objektiven Perspektive auszugehen.548 Nur wenn das Unterlassen objektiv nur als Tataufforderung einer bestimmten Straftat oder nur schwer anders interpretiert werden kann, liegt ein solcher Sinngehalt vor. In unserem Beispiel fehlt aber ein solcher Sinngehalt.549 Die Situation, dass der Briefkasten nicht geleert worden ist, kann intersubjektiv nicht als eindeutige TatGK, § 29 Rn. 101. JA 1987, 496. 545  Bloy, JA 1987, 494. 546  Die folgenden Ausführungen gelten auch für die positive Schaffung einer tatprovozierenden Situation. 547  Siehe oben S. 512. 548  Frisch, Verhalten, S. 344 Fn. 401. 549  Für fehlenden Aufforderungscharakter auch LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 55. Es schließt aber nicht aus, dass die Schaffung oder die Nichtbeseitigung einer tatprovozierenden Situation ausnahmsweise auch einen Aufforderungscharakter haben könnte, wenn etwa unter Berücksichtigung des Verhaltenskontextes das betreffende Verhalten ein nur als Aufforderung zu begreifendes Element enthält (Frisch, Verhalten, S. 344) oder wenn es um „sozialinadäquate massive Tatanreize“ geht (Murmann, GK, § 27 Rn. 102 Fn. 235). 543  Murmann, 544  Bloy,

524

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

aufforderung interpretiert werden.550 Dafür spricht bereits der folgende empirische Umstand: Wer als Passant ohne Wissen um die böse Absicht des Garanten mit dieser Situation konfrontiert ist, kommt in der Regel nicht auf den Gedanken, dass er von jemandem zu einer Straftat aufgefordert wird, sondern erkennt allenfalls eine günstige Situation für die Tatbegehung. Anderes gilt nur, wenn man davon ausgeht, dass diese Situation notwendig einen mit der Situation Konfrontierten zum Einbruchdiebstahl motivieren würde. Das widerspricht aber der intersubjektiv-rechtlichen Prämisse: Jeder erkennt den anderen als freies und verantwortliches Vernunftsubjekt an und darf grundsätzlich auf dessen rechtliches Verhalten vertrauen.551 Gerade weil die Nichtleerung des Briefkastens keinen eindeutigen Sinngehalt der Aufforderung zu einer Tatbegehung in sich trägt, fügt sie „den aus dem Alltag ständig erwachsenden Tatanreizen nicht viel hinzu und wirkt auf den potentiellen Täter in sozialkonformer und weit weniger intensiver Art ein als durch eine konkrete Aufforderung“.552 Da es an einer rechtlich missbilligten Gefahrschaffung der Aufforderung zur Tatbegehung fehlt, liegt in unserem Beispiel keine Anstiftung durch Unterlassen vor.553 4. Erscheinungsformen der Anstiftung durch Unterlassen Es kann somit festgehalten werden, dass eine Anstiftung durch Unterlassen nur unter der Voraussetzung anzuerkennen ist, dass der Garant eine Pflicht zur Verhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses verletzt und sich in diesem Unterlassen ein Sinngehalt der Aufforderung zur Tatbegehung eindeutig erkennen lässt. Dies kommt in den folgenden drei zu diskutierenden Erscheinungsformen in Betracht:554 550  Im

Ergebnis auch Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 48. Verhalten, S. 344. 552  LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 3. 553  Dasselbe, also das Fehlen einer missbilligten Gefahrschaffung hinsichtlich der Nichtleerung des Briefkastens, gilt aber auch für Beihilfe durch Unterlassen. Denn auch dort geht es wieder darum, ob die Nichtleerung des Briefkastens die Grenze der Verhaltensfreiheit überschritten hat, also als eine eindeutige Tatförderung zu begreifen ist. Das ist aber aus vergleichbaren Gründen zu verneinen. Zur einheitlichen Behandlung bei sog. neutralen Handlungen Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 26 Rn. 4. Auch wenn die Nichtleerung des Briefkastens nicht als Anknüpfungspunkt der Vorwerfbarkeit angesehen werden kann, wird der Garant dann als Täter des Einbruchsdiebstahls zur Verantwortung gezogen, wenn er ihn pflichtwidrig nicht verhindert. Denn durch Übernahme einer Überwachungsaufgabe wird das Vermögen des Nachbarn insoweit dem Unterlassenden anvertraut. Der Unterlassende ist somit für die Integrität des anvertrauten Vermögens zuständig. 554  Eingehend bereits Bloy, JA 1987, 495 ff.; Mosenheuer, Unterlassen, S. 147 ff.; etwas knapper Jakobs, AT, § 29 Rn. 104; LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 54 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 275 f.; Vogel, Norm, S. 290 f. 551  Frisch,



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen525

a) Nichtverhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses Sowohl der Überwachungsgarant als auch der Beschützergarant kann zur Verhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses gehalten sein. Bei einer Überwachungsgarantenpflicht etwa: Der Vater verhindert nicht, dass sein minderjähriger Sohn einen Entschluss zum Diebstahl fasst, der später auch von ihm ausgeführt wird;555 der Geschäftsführer hat den untergeordneten Mitarbeiter nicht davon abgehalten, einen Entschluss zur Begehung einer unternehmensbezogenen Straftat zu fassen, die danach von dem Mitarbeiter ausgeführt wird.556 Bei einer Beschützergarantenpflicht etwa: Der Vater verhindert nicht, dass ein professioneller Killer einen Tatentschluss zur Tötung seines Kindes fasst, die dann von dem Killer auch ausgeführt wird. Obwohl es in allen drei Beispielen um die Erfolgsverhinderungspflicht geht und nicht genauer um eine Erfolgserschwerungspflicht, die gerade eine Teilnahme durch Unterlassen kennzeichnet, steht die Erfolgsverhinderungspflicht gleichwohl einer Pflicht zur Verhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses nicht im Weg. Denn wie Bloy zutreffend konstatiert, hat die Straftat gerade ihren Grund im Tatentschluss, und die Erfolgsverhinderungspflicht impliziert daher eine „Entschlussverhinderungspflicht“.557 Eine solche „Vorverlagerung“ der Garantenpflicht auf die flankierende Pflicht zur Entschlussverhinderung legitimiert sich mit Bloy daraus, dass sie zum sinnvolleren oder sichereren Rechtsgüterschutz führt.558 Gegen diese Pflichtvorverlagerung wendet Mosenheuer ein, dass „der Entschluss an sich so lange rechtlich irrelevant ist, wie er noch nicht nach außen in Erscheinung getreten ist. Die Entschlussfassung ist als Ausdruck bloßen Gesinnungsunrechts nicht strafbar.“559 Dieser Einwand ist insoweit instruktiv, als er uns veranlasst, zu JA 1987, 494. Verantwortlichkeit, S. 75; Rengier, AT, § 51 Rn. 28. 557  Bloy, JA 1987, 494.  Teilweise abweichend aber Herzberg, Unterlassung, S. 126, der unzutreffend konstatiert, dass die These, die Erfolgsverhinderungspflicht impliziere eine Entschlussverhinderungspflicht, nur für den Überwachungsgaranten, nicht aber für den Beschützergaranten gelten soll. Wenn aber die These richtig ist, dass der Tatentschluss die Wurzel der Straftat ist und der Beschützergarant das Rechtsgut rundum schützen muss, ist nicht einzusehen, warum der zur Erfolgsverhinderung verpflichtete Beschützergarant nicht bereits den Tatentschluss verhindern muss, wenn ihm dies möglich ist und wenn es sogar die sichere oder die einzige Möglichkeit der Tatverhinderung ist. Dass der Beschützergarant nach Herzberg in der Regel als Täter anzusehen sei, ändert nichts daran, sondern zeigt, dass die Anstiftung durch Unterlassen gegenüber der Täterschaft durch Unterlassen sekundär ist. Gegen Herzberg Bloy, JA 1987, 495 Fn. 47. 558  Bloy, JA 1987, 495. 559  Mosenheuer, Unterlassen, S. 147 f. 555  Bloy,

556  Oonk,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

überdenken, wo die Grenze der Pflichtvorverlagerung zu ziehen ist, wenn das Interesse des Garanten an Verhaltensfreiheit überhaupt zu beachten ist. Es wurde oben herausgestellt, dass im Prinzip nur diejenige Aufforderung, die tatsächlich auf den Tatentschluss im Ausführungsstadium einwirkt, also den konkreten Versuch (mit)motiviert, normative Relevanz erlangt und deshalb als eine Bestimmungshandlung i. S. v. § 26 StGB zu begreifen ist. Dementsprechend ist der Garant nicht verpflichtet, irgendeine oder eine bestimmte neue Fassung des Tatvorhabens im Vorbereitungsstadium zu verhindern, sondern er ist zur Verhinderung (des Entstehens) des Tatentschlusses im Versuchsstadium verpflichtet. Das Handlungsunrecht der Anstiftung durch Unterlassen liegt mithin in der Regel nicht bereits dann vor, wenn der Garant das Tatvorhaben des präsumtiven Täters im Vorbereitungsstadium nicht verhindert, sondern erst dann, wenn der Garant die letzte Chance versäumt, noch sicher und zuverlässig (das Entstehen) des Tatentschlusses im Versuchsstadium zu verhindern, also in der Regel unmittelbar vor Versuchsbeginn bis zur Versuchsvollendung.560 Wenn der Garant aber nur im Vorbereitungsstadium verhindern kann, dass ein Tatvorhaben zum späteren Tatentschluss im Versuchsstadium wird, begründet die Nichtverhinderung dieses Tatvorhabens bereits das Handlungsunrecht der Anstiftung. Ist der Garant aber nur nach dem Entstehen des Tatentschlusses im Versuchsstadium verpflichtet und in der Lage, die Tatausführung zu erschweren oder zu verhindern, kann er nicht mehr als Anstifter angesehen werden. Denn nach dem Entstehen des Tatentschlusses kann der Täter weder durch Tun noch durch Unterlassen angestiftet werden. Es kommt dann nur eine Beihilfe oder Täterschaft durch Unterlassen in Betracht, je nachdem, wie weit der Schutzzweck der Garantenpflicht reicht. In allen drei geschilderten Beispielen soll der Garant einen „geistigen Kontakt“ mit dem Täter herstellen und ihm abraten, damit sein Tatentschluss 560  Anders Bloy, JA 1987, 496, der nur, aber auch bereits dann eine Anstiftung durch Unterlassen annehmen will, wenn das Unterlassen des Eingreifens in concreto ein den Angestifteten „zu einem neuen Tatentschluss motivierender Faktor war“ (Hervorhebung nur hier). Denn die Modifikation eines bereits gefassten Tatentschlusses sei nur als Beihilfe strafbar. Diese Ansicht orientiert sich ersichtlich an der herrschenden, aber hier zurückgewiesenen Rechtsfigur des omnimodo facturus. Es wird verkannt, dass das Tatvorhaben im Vorbereitungsstadium schwankend ist und in der Regel keine normative Relevanz aufweist, weshalb es als Gegenstand der Garantenpflicht nicht tauglich ist. Entgegen Bloy liegt eine Anstiftung durch Unterlassen noch nicht vor, wenn der Garant es unterlässt, bereits im Vorbereitungsstadium das Entstehen eines neuen Tatvorhabens zu verhindern. Ist der Garant aber andererseits zur Verhinderung des Tatentschlusses im Versuchsstadium verpflichtet, kommt es gar nicht darauf an, ob das Unterlassen des Eingreifens in concreto ein den Angestifteten zu einem neuen Tatentschluss motivierender Faktor ist.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen527

und die Haupttat nicht zustande kommen.561 Die Verletzung der Garantenpflicht zur Verhinderung des Entstehens des Tatentschlusses begründet eine Anstiftung durch Unterlassen, die normativ mit einer positiven Aufforderung gleichzustellen ist. Da sich der Schutzzweck der Garantenpflicht aber über diese Entschlussverhinderung hinaus auf die Erfolgsverhinderung erstreckt, ist der einmal begründeten Anstiftung durch Unterlassen gegenüber der gleichzeitig anzunehmenden Täterschaft durch Unterlassen keine selbständige Bedeutung zuzusprechen.562 b) Nichtverhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses nach einer eigenen ungewollten Tatprovokation Beispiele: „A hat in einem Brief an B spaßeshalber eine Belohnung für das Begehen einer bestimmten Straftat in Aussicht gestellt; als A bemerkt, dass B die Aufforderung ernst nimmt und zur Tat schreiten will, klärt er ihn nicht auf.“563 In Betracht kommt auch das oben bereits angesprochene, von Jakobs dargestellte Beispiel, dass ein Rechtsanwalt fahrlässig dem Mandanten eine unrichtige Rechtsauskunft erteilt und das später zwar bemerkt, den Mandanten aber nicht aufklärt und ihn die Tat ausführen lässt.564 Oder als weiteres Beispiel: Ein Unternehmer verhindert nicht, dass seine Sekretärin ein „als bloßer Entwurf gemeintes Schreiben“ absendet, durch das ein mit dem Unternehmer befreundeter Unternehmer zum Subventionsbetrug angestiftet werden soll.565 Bei dieser Erscheinungsform handelt es sich näher besehen ebenso um die Nichtverhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses. Sie unterscheidet sich von den unter a) besprochenen Beispielen aber insoweit, als der fremde Tatentschluss durch ein unvorsätzliches Vorverhalten des Garanten ausgelöst wird.566 Wenn aber der Garant überhaupt zur Verhinderung des Entstehens des Tatentschlusses im Versuchsstadium gehalten567 und bei VerUnterlassung, S. 120, 125; Rengier, AT, § 51 Rn. 29. JA 1987, 495. 563  Aus Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 41 Rn. 17 Fall 4. 564  Siehe oben S. 448. 565  Vogel, Norm, S. 291 in Abwandlung eines Beispiels bei Jakobs, AT, § 29 Rn. 104. 566  Bloy, JA 1987, 496. 567  Beim ersten Brief-Fall hat A durch Sendung des Briefs eine naheliegende Sondergefahr in Richtung auf die Hervorrufung des Tatentschlusses des B geschaffen, auch wenn er insoweit keinen Vorsatz hat. Wer durch eigenes Vorverhalten für das Opfer eine Sondergefahr geschaffen hat, ist gehalten, diese Gefahr wieder zu neutralisieren. A hat deshalb das Entstehen des Tatentschlusses bei B zu verhindern. Gleiches gilt für den dritten Fall. Bei dem zweiten Rechtauskunft-Fall ist der Rechtsan561  Herzberg, 562  Bloy,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

letzung dieser Pflicht als Anstifter durch Unterlassen strafbar ist, dann macht es für die Anstiftungsstrafbarkeit keinen Unterschied, ob der zu verhindernde Tatentschluss vom Täter aus eigenem Antrieb gefasst oder durch ein Vorverhalten des Garanten ausgelöst wird. Ausschlaggebend ist nur, dass eine solche Garantenpflicht begründet ist.568 Gegen die Anstiftung durch Unterlassen in solchen Fällen wird aber angeführt, dass der Tatentschluss nicht durch eine vorsätzliche, sondern durch eine fahrlässige Bestimmung verursacht wurde. Es fehle ein vorsätzliches Bestimmungsunrecht. Wenn hier eine Anstiftung durch Garantenunterlassen anzunehmen sei, würde man damit eine fahrlässige Anstiftung anerkennen.569 Diesem Einwand ist aber aus den folgenden drei Gründen nicht zu folgen: (1) Das Anstiftungsunrecht kann nicht schon im sorgfaltswidrigen Vorverhalten, sondern nur in der vorsätzlichen Nichthinderung des Tatentschlusses im Versuchsstadium liegen. Die unvorsätzliche Auslösung des Entschlusses spielt nur für die Begründung der Entschlussverhinderungspflicht kraft Ingerenz eine Rolle. Entscheidend für die Begründung der Anstiftung durch Unterlassen ist nur, ob die vorsätzliche Nichtverhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses im Versuchsstadium (also die Nichtrückgängigmachung eines im Vorbereitungsstadium gefassten Tatvorhabens, das weiterhin ins Versuchsstadium hineinwirkt) dem Unrecht der positiven Aufforderung entspricht, was nach dem hiesigen Ansatz anzunehmen ist. (2) Bestreitet man dennoch, dass ein „fahrlässiges“ Vorverhalten auch ein „vorsätzliches“ (Anstiftungs-)Unrecht durch Unterlassen begründen kann, würde die „gesamte“ Konstruktion der Ingerenz infrage gestellt.570 Denn wie Jakobs zutreffend formuliert hat, besteht der Witz der Ingerenz gerade darin, „das zeitliche walt nach der hiesigen Auffassung sogar wegen seiner Stellung als Rechtsanwalt zum Schutz des Opfers vor dem Angriff des Mandanten verpflichtet. Dazu oben S. 448 ff. Diese Erfolgsverhinderungspflicht impliziert wie oben ausgeführt auch die Entschlussverhinderungspflicht. Auch wenn man auf diese Erfolgsverhinderungspflicht des Rechtsanwalts nicht vertraut, lässt sich die Entschlussverhinderungspflicht aus seiner fahrlässigen Erteilung der falschen Rechtsauskunft, also kraft Ingerenz, ableiten. Die Garantenstellung in diesen Fällen unzutreffend ablehnend aber LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 55, da sie ganz ihrem aktuellen Herrschaftsbegriff entsprechend der Garantenstellung aus Ingerenz insgesamt eine Absage teilen. 568  Für eine Anstiftung durch Unterlassen in diesem Zusammenhang auch Jakobs, AT, § 29 Rn. 104; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 41 Rn. 20; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 276. Differenzierend Vogel, Norm, S. 291 nur bei institutioneller Garantenpflicht oder wenn die Regel der „mittelbaren Täterschaft“ eingreift, etwa wenn der „Angestiftete“ unvorsätzlich handelt. 569  In diesem Sinne Bloy, JA 1987, 496 f.; Loewenheim, Anstiftung, S. 38; Mosenheuer, Unterlassen, S. 149 f.; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 286 ff. 570  Jakobs, GA 2010, 362 (Hervorhebung im Original).



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen529

Durchhalten einer Erwartung zu ermöglichen, über den Zeitpunkt gegebener Vorsatzlosigkeit hinaus oder (beim erlaubten Sonderrisiko) über das erlaubte Handeln hinaus“.571 Lässt sich der zu verhindernde Tatentschluss im Versuchsstadium als Verwirklichung der vom Garanten im Vorbereitungsstadium geschaffenen Gefahr der Hervorrufung eines Tatentschlusses begreifen (Schutzzweckzusammenhang bei der Begründung der Garantenstellung kraft Ingerenz), ist eine Anstiftung durch Unterlassen kraft Ingerenz zu begründen. (3) Die Gegner der Anstiftung durch Unterlassen nehmen in unseren drei Beispielen allenfalls eine Beihilfe durch Unterlassen an, was aber dem Unrecht des Garantenunterlassens keineswegs gerecht wird und sogar zu einem Wertungswiderspruch führen würde. Dieser Widerspruch ergibt sich aus dem Vergleich mit den unter a) diskutierten Beispielen. Wenn der Garant, der bereits aufgrund der Nichtverhinderung des Entstehens des Tatentschlusses im Versuchsstadium, dessen Hervorrufung mit dem Vorverhalten des Garanten nichts zu tun hat, als Anstifter strafbar ist, gilt das erst recht, wenn der zu verhindernde Tatentschluss im Versuchsstadium als Verwirklichung einer von dem Garanten im Vorbereitungsstadium geschaffenen Gefahr der Hervorrufung des Tatentschlusses zu begreifen ist. Die Anstiftung durch Unterlassen kraft Vorverhalten weist im Vergleich zu den unter a) erläuterten Beispielen mehr strukturelle Ähnlichkeit mit der positiven Anstiftung auf. Dass das Unrecht der Anstiftung durch Ingerenz mit dem der positiven Anstiftung normativ gleichzustellen ist, lässt sich mit dem Beispiel der Anstiftung des befreundeten Unternehmers zum Subventionsbetrug verdeutlichen: Wenn der Unternehmer für sein Schreiben wegen der darin enthaltenen Sondergefahr der Aufforderung zur Straftat zuständig ist, macht es für das Unrecht keinen Unterschied, ob er von vornherein selbst das Schreiben in die Post gegeben hat (positives Tun) oder erst später nicht verhindert, dass seine Sekretärin es absendet (Unterlassen kraft Ingerenz). Den letzten Fall als Beihilfe durch Unterlassen zu bewerten, bedeutet unter diesem Aspekt deshalb einen inakzeptablen Wertungswiderspruch. Trotz der Überzeugungskraft des hier vertretenen Ansatzes wird die Anstiftung durch Unterlassen in den oben geschilderten drei Beispielen gelegentlich deshalb verneint, weil der Täter zum Zeitpunkt des vorsätzlichen Unterlassens bereits omnimodo facturus sei, so dass eine Anstiftung nicht mehr möglich sei.572 Da aber entgegen der Rechtsfigur des omnimodo facturus nur einem Tatentschluss im Versuchsstadium normative Relevanz zukommt, kann ein im Vorbereitungsstadium ausgelöstes Tatvorhaben nicht Gegenstand der Entschlussverhinderungspflicht sein. Soweit der Garant noch die Möglichkeit hat, das Entstehen des Tatentschlusses im Versuchsstadium GA 2010, 362 (Hervorhebung im Original). JA 1987, 497; Mosenheuer, Unterlassen, S. 149 f.

571  Jakobs, 572  Bloy,

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

zu verhindern, und es trotzdem nicht verhindert, ist eine Anstiftung durch Unterlassen unabhängig vom Vorliegen eines im Vorbereitungsstadium ausgelösten Tatvorhabens anzunehmen. c) Nichtverhinderung der Anstiftung eines Dritten seitens einer vom Garanten zu überwachenden Person573 Beispiel: Der Vater hat den von ihm zu überwachenden minderjährigen Sohn pflichtwidrig nicht davon abgehalten, einen Dritten zur einfachen Körperverletzung anzustiften. Wenn der Vater gegenüber dem vom Täter angegriffenen Opfer keine Beschützergarantenpflicht hat, ist der Garant nur verpflichtet, die Anstiftung seines Sohnes zu verhindern oder die sich daraus ergebende Gefahr der Aufforderung zu neutralisieren, nicht aber die vom Dritten begangene einfache Körperverletzung zu verhindern. Denn der Überwachungsgarant ist nur für das Verhalten des zu Überwachenden und das sich daraus ergebende Unrecht zuständig.574 Da der Vater für die Anstiftung des Sohnes zuständig ist, ist die Anstiftung des Sohnes dem Vater zuzurechnen, wenn der Vater die Garantenpflicht zur Verhinderung dieser Anstiftung pflichtwidrig verletzt; er ist dann Anstifter durch Unterlassen. Dieses Ergebnis wird im Schrifttum vertreten,575 auch von einem großen Teil derjenigen Autoren, die im Prinzip eine Anstiftung durch Unterlassen mangels Aufforderungscharakters ablehnen.576 Wenn sie aber in diesem Zusammenhang ausnahmsweise eine Anstiftung durch Unterlassen annehmen, müssen sie konsequent einen Aufforderungscharakter im Unterlassen des Vaters begründen.577 Das gilt auch für den hier vertretenen Ansatz, wonach eine Anstiftung durch Unterlassen einen Aufforderungscharakter hat. Erstaunlicherweise wird häufig nur die Richtigkeit dieses Ergebnisses erwähnt und nicht näher auf die Begründung dieses Aufforderungscharakters einge-

573  Zu

dieser Bezeichnung Bloy, JA 1987, 497. JA 2011, 510; Bloy, JA 1987, 497. 575  Bachmann/Eichinger, JA 2011, 510; Bloy, JA 1987, 497; Herzberg, Unter­ lassung, S. 126; Jakobs, AT, § 29 Rn. 104; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 41 Rn. 18; Kreuzberg, Täterschaft, S. 694; LK13/Weigend, § 13 Rn. 88; LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 56; Matt/Renzikowski/Haas, § 26 Rn. 12; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 49; Murmann, GK, § 29 Rn. 101; Rengier, AT, § 51 Rn. 31; Roxin, AT II, 26 Rn. 87; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 4; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 275; Vogel, Norm, S. 291. 576  LK13/Weigend, § 13 Rn. 88; LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 56; Maurach/ Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 49; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 4. 577  Darauf zutreffend hinweisend Bloy, JA 1987, 497. 574  Bachmann/Eichinger,



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen531

gangen.578 In der Tat fehlt es im Schrifttum nicht an Stimmen, die in unserem Beispielfall den Aufforderungscharakter bzw. die Modalitätsäquivalenz des Garantenunterlassens bestreiten. Nach Freund fehlt bei der Nichtverhinderung der Anstiftung des Sohnes ein Tatbefürwortungselement.579 Auch Mosenheuer wendet hier gegen Anstiftung durch Unterlassen ein, dass hier das für Anstiftung notwendige Lenkungsmoment fehle. Der Garant könne nicht eine Entscheidung darüber treffen, „ob und gegenüber wem eine Straftat begangen wird“.580 Beide Ansichten überzeugen indes nicht. Die These von Mosenheuer, dass eine Anstiftung ein solches Lenkungselement voraussetze, ist zu stark an der Vorstellung positiver Instrumentalisierung eines fremden Willens orientiert und vernachlässigt die Verletzungsmacht des Garanten aus seinem Garantenverhältnis. Des Weiteren ist eine so verstandene Lenkungsmacht mit dem Umstand, dass der Angestiftete gleichwohl über die Begehung der Tat frei entscheiden muss, nicht vereinbar. Die oben ausgeführte Kritik an Ansätzen, denen zufolge der Anstiftung eine mit der Tat­herrschaft vergleichbare Herrschaftsmacht zukommt, gilt uneingeschränkt für die Lenkungsthese von Mosenheuer. Freunds Einwand ist demgegenüber gewichtiger und zwingt uns, den Aufforderungscharakter hinsichtlich der Nichtverhinderung einer Anstiftung zu begründen: Zur Begründung des Aufforderungscharakters kann man mit Vogel davon ausgehen, dass ein Garantenunterlassen zwar einen Erklärungswert im Sinne einer Aufforderung zur Tatbegehung haben muss, dass dies aber keinen „eigenständigen Erklärungswert“ voraussetzt, wenn der Garant für die Erklärung des Drittens (hier: die Anstiftung des Sohnes) zuständig ist.581 Nach Vogel ist die Voraussetzung des Unterlassens mit Erklärungswert dann erfüllt, wenn entweder das Unterlassen selbst unter bestimmten Begleitungsumständen einen den Tatentschluss hervorrufenden Erklärungswert hat (Anstiftung durch Unterlassen mit eigenständigem Erklärungswert) oder wenn der Garant die fremde Handlung mit Erklärungswert pflichtwidrig nicht verhindert (Anstiftung durch Unterlassen mit nicht eigenständigem Erklärungswert). Wenn aber das Unterlassen an sich im Weg der psychisch vermittelten Kommunikation den Tatentschluss hervorrufen kann, liegt entgegen Vogel bereits eine Anstiftung durch Tun vor. In Hinblick auf das hier interessierende Unterlassen mit „nichteigenständigem Erklärungswert“ führt Vogel nicht explizit aus, 578  Etwa Bachmann/Eichinger, JA 2011, 510; LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 56; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 26 Rn. 4. 579  MK4/Freund, § 13 Rn. 285 f. 580  Mosenheuer, Unterlassen, S. 151. 581  Vogel, Norm, S. 291. Nahestehend Jakobs, AT, § 29 Rn. 104: „[…] entweder die Unterlassung ihrerseits Informationswert haben, oder aber die Pflicht muss auf die Sicherung oder Rettung vor einer anstiftenden Information gehen.“

532

4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

warum die Zuständigkeit für eine fremde Handlung mit Erklärungswert den Erklärungswert des Garantenunterlassens begründen soll. Vogel scheint die These zu vertreten, dass die vom Garanten zu verhindernde fremde Anstiftung einschließlich des darin bestehenden Erklärungswerts aufgrund der Verletzung der Garantenpflicht dem pflichtwidrigen Garantenunterlassen zuzurechnen ist.582 Durch die Zurechnung des Erklärungswerts aus einer fremden Anstiftung erübrigt sich der „eigene“ Erklärungswert des Garantenunterlassens. Dieser Begründungsweg ist so bequem, dass auch diejenigen Autoren, die hier nur ausnahmsweise eine Anstiftung durch Unterlassen annehmen, sich ihm anschließen mögen. Dadurch wird der Erklärungswert des Garantenunterlassens nur „zugeschrieben“, nicht aber „begründet“. Vogels These ist in dieser Hinsicht unvollständig. Demgegenüber wird hier versucht, den Aufforderungscharakter der Nichtverhinderung einer fremden Anstiftung positiv zu begründen: Wie oben herausgestellt wird, ist ein Aufforderungscharakter ein normativer Sinngehalt und lässt sich in der Verletzung einer Garantenpflicht zur Verhinderung des Entstehens des Tatentschlusses seitens des Täters erkennen.583 Von der Garantenpflicht zur Verhinderung des Entstehens des Tatentschlusses unterscheidet die Nichtverhinderung einer Anstiftung sich nur insoweit, als die Garantenpflicht nicht unmittelbar auf die Verhinderung des Entstehens des Tatentschlusses des Täters, sondern mittelbar, über die Verhinderung der Anstiftung eines anderen Anstifters, darauf gerichtet ist. Wenn aber die Garantenpflicht zur Verhinderung einer Anstiftung letztlich auch auf die Verhinderung des Entstehens des Tatentschlusses gerichtet ist, hat die Verletzung dieser Pflicht, wie die Verletzung einer Pflicht zur Verhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses, notwendig einen Aufforderungscharakter („Die Straftat soll sein!“); dieser Aufforderungscharakter wird lediglich über eine fremde Anstiftung vermittelt. Gegen die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen in unserem Ausgangsbeispiel spricht noch eines: Da der Schutzzweck sich auf die Verhinderung einer fremden Anstiftung und nicht nur auf deren Erschwerung erstreckt, hat das Opfer gegenüber dem Garanten gerade ein Recht, dass die Anstiftung bei erfolgreicher Erfüllung der Garantenpflicht überhaupt nicht zustande kommt. Aus Sicht des Opfers hat die pflichtwidrige Nichtverhinderung einer Anstiftung mithin nicht nur den Sinn, eine Anstiftung überhaupt zu fördern, was eine Beihilfe zur Anstiftung und eine mittelbare Beihilfe zur Haupttat

582  Ausdrücklich etwa Haas, ZIS 2011, 397; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 51 Rn. 49; ähnlich Herzberg, Unterlassung, S. 125. 583  Siehe oben S. 521 f.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen533

begründen würde,584 sondern auch den Sinn, eine Anstiftung und die von ihr ermöglichte Haupttat überhaupt zu ermöglichen.585 Der Tatbeitrag des pflichtwidrigen Garanten liegt letztlich darin, dass er selbst durch Unterlassen auch mittelbar, also über die fremde Anstiftung vermittelt, den Tatentschluss des Täters hervorgerufen hat.586 Insoweit kann von einer Anstiftung in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen die Rede sein.587 Deshalb ist es nicht sachgerecht, bei der Verletzung der Garantenpflicht zur Verhinderung einer fremden Anstiftung nur eine Beihilfe durch Unterlassen anzunehmen. 5. Zwischenergebnis Ganz ähnlich wie bei dem Streit um die konstruktive Möglichkeit der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen beruht die unzutreffende Ablehnung der konstruktiven Möglichkeit der Anstiftung durch Unterlassen auf dem Fehler, die Bestimmungshandlung in zu starker Orientierung an auf das positive Tun zugeschnittenen Elementen auszulegen und daher den normativen Sinngehalt der Garantenpflichtverletzung zu vernachlässigen. Durch Entzug der dem Opfer rechtlich zugesprochenen Möglichkeit, nämlich durch Verletzung der Garantenpflicht zur Verhinderung des Entstehens eines Tatentschlusses seitens des Täters bzw. zur Verhinderung einer fremden Anstiftung, kann ein Garantenunterlassen aber durchaus in einem normativen Sinne eine missbilligte Gefahr in Richtung auf die Aufforderung zur Tatbegehung schaffen.

III. Beihilfe durch Unterlassen 1. Einleitende Bemerkung Abgesehen von den als überholt beurteilten Ansichten einzelner Finalisten588 wird die konstruktive Möglichkeit der Beihilfe durch Unterlassen

584  Zur Beihilfe zur Anstiftung als (mittelbarer) Beihilfe zur Haupttat BGH NStZ 1996, 562, 563; 2000, 421, 422; Kühl, AT, § 20 Rn. 242b; LK13/Schünemann/Greco, § 26 Rn. 106; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 26 Rn. 11; Schönke Schrö­ der/Heine/Weißer, § 27 Rn. 27; SK/Hoyer, § 27 Rn. 37. A. A. aber Matt/Renzikowski/ Haas, § 27 Rn. 45. 585  Ähnlich LK13/Weigend, § 13 Rn. 88. 586  Als mittelbare Anstiftung treffend Herzberg, Unterlassung, S. 126. 587  Auf diese Möglichkeit hinweisend Herzberg, Unterlassung, S. 121; Vogel, Norm, S. 291. 588  Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 295; Welzel, Strafrecht, S. 222. Gegen diese Ansicht siehe oben S. 142 ff. Weitgehend wie Armin Kaufmann neuerdings aber Kreuzberg, Täterschaft, S. 528, 679.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

heute überwiegend anerkannt,589 wenn der Unterlassende gegenüber dem Opfer eine Garantenpflicht verletzt. Die Garantenpflicht ist sicherlich eine Voraussetzung für eine Beihilfe durch Unterlassen. Denn nur wenn der Unterlassende eine Garantenpflicht gegenüber dem Opfer verletzt, kann sein Unterlassen als Entzug eines dem Opfer zugesprochenen Rechts begriffen werden und den Charakter einer Verschlechterung von dessen Rechtsposition aufweisen.590 Umstritten sind aber die weiteren Voraussetzungen und die Reichweite dieser Garantenpflicht, die wiederum von den Abgrenzungskriterien zwischen Täterschaft und Teilnahme beim Garantenunterlassen abhängig sind. Insoweit ist auf die obigen detaillierten Analysen hinzuweisen. Nach dem hiesigen Ansatz unterscheidet sich Beihilfe durch Unterlassen von Täterschaft dadurch, dass der Schutzzweck der verletzten Garantenpflicht nur auf die Verringerung der in der Haupttat manifestierten Gefahr zielt.591 Da aber auch eine Anstiftung durch Unterlassen eine solche Garantenpflicht verletzt, drängt sich die Frage nach der Abgrenzung beider Beteiligungsformen auf. Die Unterscheidung erfolgt zunächst nur negativ, und zwar unter Berücksichtigung des Unrechts der Anstiftung: Der Anstifter verletzt eine Garantenpflicht zur Verhinderung des Entstehens des Tatentschlusses seitens des Täters. Wenn der Garant nur zur Verringerung des Haupttat­risikos, nicht aber zur Verhinderung des Entstehens des Tatentschlusses des Täters verpflichtet ist, kann er allenfalls wegen Beihilfe durch Unterlassen zur Verantwortung gezogen werden. Dadurch wird die Abgrenzung zwischen Anstiftung und Beihilfe durch Unterlassen zwar in einer negativen Weise ermöglicht, die Voraussetzungen und die Grenze der Beihilfe durch Unterlassen bleiben aber unterbestimmt. Deren positive Bestimmung gelingt erst dann, wenn die allgemeine Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Beihilfe ge-

589  BGHSt 48, 301, 302; BGH NStZ 2009, 321, 322; 2012, 379, 380; Anw-StGB/ Waßmer, § 27 Rn. 26; BeckOK/Kudlich, § 27 Rn. 4; Busse, Täterschaft, S.  325 ff., 377 ff., 392 ff.; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 27 Rn. 110; Heinrich, AT, Rn. 1321; Herzberg, Unterlassung, S. 114 ff.; HK-GS/Ingelfinger, § 27 StGB Rn. 10; Hoffmann-Holland, ZStW 118 (2006), 622; Jakobs, AT, § 29 Rn. 101 ff.; Kaspar, AT, § 6 Rn. 96; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 42 Rn. 24; Krey/Esser, AT, Rn. 1176, 1184; Kühl, AT, § 20 Rn. 229 ff.; Lachner/Kühl/Kühl, § 27 Rn. 5; LK13/Schünemann/ Greco, § 27 Rn. 61; Matt/Renzikowski/Haas, § 27 Rn. 30; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 52 Rn. 46; Mosenheuer, Unterlassen, S. 152  ff.; MK4/Joecks/ Scheinfeld, § 27 Rn. 114; NK/Gaede, § 13 Rn. 28; Rengier, AT, § 51 Rn. 13; Roxin, AT II, § 31 Rn. 143 f.; ders., TuT, S. 540; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 27 Rn. 7; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 19; Schwab, Täterschaft, S.  216 ff.; Sering, Beihilfe, S. 84 ff.; SK/Hoyer, § 27 Rn. 10; SK/Stein, Vor § 13 Rn. 61; Vogel, Norm, S. 292; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 1211. 590  Die Auffassung von Roxin, TuT, S. 541 f. überzeugt deshalb nicht. 591  Zusammenfassend oben S. 431 ff.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen535

klärt ist. Im Folgenden gilt es deshalb, diese bisher nur ansatzweise ausgearbeitete Struktur zu vertiefen. 2. Das Unrecht der Beihilfe durch positives Tun Dem Ansatz der akzessorischen Rechtsverhältnisverletzung entsprechend verschlechtert der Gehilfe durch seine Hilfeleistung i. S. v. § 27 StGB die Rechtsposition des Opfers und verletzt daher mittelbar, nämlich vermittelt über die Haupttat des Täters, sein Rechtsverhältnis zum Opfer.592 a) Die unterschiedlichen Bestimmungen des „Hilfeleistens“ in der Rechtsprechung und im Schrifttum Nach § 27 StGB muss der Gehilfe dem Täter zu dessen vorsätzlich rechtswidriger Straftat Hilfe leisten; das Handlungsunrecht des Gehilfen besteht mithin in der Hilfeleistung zur Haupttat. Hilfeleistung ist nach ständiger Rechtsprechung jede Handlung, „die die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt des Erfolgs in seinem konkreten Gepräge kausal wird, ist nicht erforderlich […].593 Ein großer Teil des Schrifttums lehnt diese Auffassung aber ab und verlangt ein kausales Bewirken der Haupttatbegehung sowie des Erfolgseintritts. Danach soll sich das Hilfeleisten in der Haupttat einschließlich des tatbestandsmäßigen Erfolges niederschlagen.594 Die Anforderung an das Bewirken der Haupttatbegehung ergibt sich zwanglos aus dem Unrecht der Beihilfe als akzessorischer Rechtsverhältnis-

592  Eindringlich

Murmann, JuS 1999, 549. 54, 140, 142 f. Ferner BGHSt 46, 107, 109; 61, 251, 257; BGH NStZ 2007, 230, 232; 2019, 461. Weitere Nachweise bei Fischer, § 27 Rn. 14. 594  Kühl, AT, § 20 Rn. 214. Für eine kausale Bewirkung oder kausale Risikoerhöhung ferner BeckOK-StGB/Kudlich, § 27 Rn. 6 f.; Bloy, Beteiligungsform, S. 283; Heinrich, AT, Rn. 1326 f.; HK-GS/Ingelfinger, § 27 StGB Rn. 3; Kaspar, AT, § 6 Rn. 99; Jakobs, AT, § 22 Rn. 34; Jescheck/Weigend, AT, S.  693 f.; Kindhäuser/Zimmermann, AT, § 42 Rn. 10 ff.; Köhler, AT, S. 532 f., 535; Lackner/Kühl/Kühl, § 27 Rn. 2; LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 8; Roxin, AT II, § 26 Rn. 210 ff.; Satzger/ Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 27 Rn. 3; Sering, Beihilfe, S. 131; Schönke/ Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 6; SK/Hoyer, § 27 Rn. 6 ff. Der Rechtsprechung zustimmend Matt/Renzikowski/Haas, § 27 Rn. 6; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 901; wohl auch Rengier, AT, § 45 Rn. 82, der den Streit wesentlich relativiert. Der Rechtsprechung nahestehend und zusätzlich die Risikoerhöhungslehre berücksichtigend Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 27 Rn. 104 ff., 108; Krey/Esser, AT, Rn. 1079. 593  BGHSt

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

verletzung.595 Nur wenn die vom Gehilfen angebotene Hilfeleistung vom Täter als Teil seiner Straftat in die Tatausführung aufgenommen wird und weiterhin die Haupttatbegehung bewirkt, entsteht eine „Konjunktion“ zwischen der Hilfeleistung und der Haupttatbegehung.596 Nur dann kann man davon ausgehen, dass der Gehilfe über die Haupttat des Täters vermittelt die Rechtsposition des Opfers verschlechtert.597 Ein Teil des tatbestandsmäßigen Unrechts wird dann aufgrund dieser Mitwirkung an der Haupttat dem Gehilfen als fremdes zugerechnet. Wer eine Hilfeleistung ohne irgendein Bewirken der Haupttatbegehung für ausreichend hält, verzichtet auf den Unrechtsbezug der Teilnahme auf die Haupttat, was aber mit dem Gedanken akzessorischer Rechtsverhältnisverletzung nicht vereinbar ist.598 Mag man auch die Hilfeleistung an sich als einen Rechtsgutsangriff ansehen und darin bereits eine Rechtsverhältnisverletzung erblicken, so hat der Gesetzgeber doch ausdrücklich entschieden, dass eine strafbare Hilfeleistung nur dann in Betracht kommt, wenn die geleistete Hilfe zumindest von dem Haupttäter in seine Tatausführung eingebracht wird (§ 30 Abs. 1 StGB).599 Der Verzicht auf das faktische Einwirken auf die Begehung der Haupttat würde die Unterscheidung zwischen nicht strafbarer versuchter Beihilfe und strafbarer Beihilfe zum Versuch einebnen.600 Damit wird die Ansicht der Rechtsprechung aber nicht gänzlich widerlegt. Sie hat ihren berechtigten Kern insbesondere darin, dass eine Kausalität des Hilfeleistens i. S. v. einer conditio sine qua non für den tatbestandsmäßigen Erfolg nicht erforderlich ist.601 Auch eine Hilfeleistung, die keine notwendige Bedingung für die Haupttatbegehung darstellt oder sogar die äußerliche Gestalt der Haupttatbegehung nicht modifiziert, wie beim Schmierestehen, kann deren Erfolgschance erhöhen.602 Darüber hinaus kommt die Rechtsprechung mit ihrer „Förderungsformel“ auch nicht selten zu demselben Ergebnis wie jener große Teil des Schrifttums, der einen Niederschlag der Hilfeleis595  Kühl, AT, § 20 Rn. 214; LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 2; Murmann, JuS 1999, 549; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 6. 596  Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 640, der diesen Aspekt aus der Betrachtung der Rechtsverhältnisse zwischen Täter, Gehilfe und Opfer einleuchtend entwickelt. 597  Murmann, JuS 1999, 549. 598  Gegen die Umgestaltung der akzessorischen Teilnahme zum selbständigen Teilnahmedelikt als (abstraktes bzw. konkretes) Gefährdungsdelikt Bloy, Beteiligungsform, S.  282 f.; Jescheck/Weigend, AT, S.  694; LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 34; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 6; Sering, Beihilfe, S. 130 f. Vgl. auch Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 52 Rn. 18. 599  Murmann, JuS 1999, 549. 600  Jescheck/Weigend, AT, S. 694; Kaspar, AT, § 6 Rn. 99; Kühl, AT, § 20 Rn. 220; LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 2. 601  Ausdrücklich BGH NStZ 2008, 284; vgl. Jescheck/Weigend, AT, S. 694. 602  Murmann, GK, § 27 Rn. 127.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen537

tung in der Haupttat fordert. Denn nach den neueren Entscheidungen des BGH kann nur eine solche Hilfeleistung die Beihilfe begründen, die „die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung erleichtert oder fördert“.603 Einige Autoren sehen in dieser tatsächlichen Förderung oder Erleichterung im Ausführungsstadium eine Art von kausalem Bewirken und konstatieren, dass der Streit zwischen der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre vom Ergebnis her betrachtet nur ein Scheinproblem sei.604 Da aber die Rechtsprechung keine hinreichend konkreten Kriterien für die Beurteilung der tatsächlichen Förderung oder Erleichterung des Taterfolges anbietet, wird die Grenze zwischen nicht straf­barer versuchter Beihilfe, strafbarer Beihilfe zum Versuch der Straftat sowie strafbarer Beihilfe zur vollendeten Straftat nicht eindeutig gezogen.605 Das lässt sich mit dem folgenden Nachschlüssel-Beispiel verdeutlichen:606 Der Täter A ist zum Einbruchsdiebstahl entschlossen und der „Gehilfe“ B händigt A einen Schlüssel aus, um diese Tat zu erleichtern. A versucht aber vergeblich, mit diesem Schlüssel die Tür zu öffnen. Letztlich bricht A auf andere Weise die Tür auf und begeht erfolgreich die Tat. Das RG nimmt hier eine Beihilfe zum voll­ endeten Diebstahl an, auch wenn „die geleistete Hilfe für den Erfolg ohne Einfluss geblieben“ sei.607 Nach der neueren Rechtsprechung des BGH kann man zum gleichen Ergebnis gelangen, soweit bereits im Versuch mit dem Schlüssel eine „tatsächliche Förderung“ konstatiert wird. Dagegen spricht aber, dass die geleistete Hilfe des B nur im Versuch wirksam geworden ist, nicht aber bis zur Vollendung der Tat fortwirkt. Es liegt hier mithin nur eine Beihilfe zum Diebstahlversuch vor.608 603  BGH

NStZ 2007, 230, 232; 2008, 284; 2019, 461. Matt/Renzikowski/Haas, §  27 Rn.  5; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 27 Rn. 36; Roxin, AT II, § 26 Rn. 187. Ähnlich BGH NStZ 2007, 230, 232: nur ein Streit um die dogmatische Begrifflichkeit. 605  LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 32; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 52 Rn. 14; Roxin, AT II, § 26 Rn. 190. 606  RGSt 6, 169  ff.; zu diesem Beispiel auch LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 32; Murmann, GK, § 27 Rn. 123. Dieses Beispiel macht zugleich den Unterschied zwischen der Förderungsformel der Rechtsprechung und der im Schrifttum gestellten Anforderung an das kausale Bewirken deutlich. Dazu Murmann, JuS 1999, 549. 607  RGSt 6, 169, 170. 608  Kühl, AT, § 20 Rn. 217; LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 32; Murmann, JuS 1999, 549. Für Beihilfe zum vollendeten Diebstahl in diesem Beispiel aber Jakobs, FSRüping, S. 26 f. Jakobs’ Ansatz liegt der Gedanke zugrunde, dass der Gehilfe durch seinen Tatbeitrag einen Grund für die Zurechnung fremder Tatausführung als eigene Tatausführung (!) gesetzt habe. Durch diese sog. verbindende Arbeitsteilung unterscheide sich die Beihilfe nur in einer quantitativen, nicht einer qualitativen Hinsicht von der Täterschaft. Der Gehilfe ist nach Jakobs’ Ansatz wie ein Mittäter für die gesamte Tatausführung, einerlei ob sie vergeblich oder erfolgreich ist, zuständig (ganz in dieser Richtung auch Frister, FS-Dencker, S. 128 ff.; ders., AT, § 28 Rn. 35 ff.: Beihilfe als 604  Etwa

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b) Nichtvollständigkeit einer kausalen Erklärung für das notwendige Bewirken Dieser notwendige Bewirkungszusammenhang zwischen dem Hilfeleisten und der Haupttatbegehung einschließlich des Taterfolges kann aber, wie bei allen Arten von Beteiligungsverhältnissen, mit Naturkausalität nicht vollständig erklärt werden.609 Denn die Teilnahme als eine Art von Beteiligungsverhältnis setzt notwendig eine Willensvermittlung zwischen den Beteiligten voraus. Ob ein solches Bewirken durch Hilfeleisten überhaupt stattfindet, hängt zunächst notwendig von der freien Entscheidung des Haupttäters zur Aufnahme dieser Hilfeleistung in dessen Tatausführung ab. Es geht insoweit um eine „Kausalität aus Freiheit“.610 Abgesehen davon ist ein kausales Bewirken für sich genommen ebenso wenig wie bei Täterschaft imstande, das normative Strafunrecht der Beihilfe zu begründen.611 Für die Annahme eines beihilfespezifischen Unrechts bedarf es ersichtlich anderer normativer Unrechtsbestimmungskriterien. c) Schaffung und Erhöhung des Haupttatrisikos in Richtung auf die Haupttatbegehung und dessen Realisierung in der Haupttatbegehung Diese Kriterien bestehen in nichts anderem als den materiellen normativen Voraussetzungen für eine Straftat, nämlich einer Rechtsverhältnisverletzung durch Schaffung und Realisierung eines rechtlich missbilligten Risikos für das Rechtsgut. Der Gehilfe muss ein rechtlich missbilligtes Risiko für das bedrohte Rechtsgut geschaffen haben (= Bestimmung der beihilfespezifischen Handlung) und dieses Risiko muss sich im Beihilfeerfolg realisieren (= Zurechnung des Beihilfeerfolgs).612 Beteiligung an einer begangenen „Gesamttat“). Gegen diesen Ansatz siehe aber bereits oben. Da die Teilnahme nach dem hiesigen Ansatz nur Teilnahme an einer fremden Tat und der Teilnehmer mangels gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Tatausführenden nur insoweit für das tatbestandsmäßige Unrecht mitverantwortlich ist, als sein eigener Tatbeitrag das Risiko der Haupttatbegehung geschaffen oder erhöht hat, kann die fremde erfolgreiche Tatausführung, zu der der geleistete Tatbeitrag des Gehilfen gar nichts beigetragen hat, nicht als fremde Tatausführung dem Gehilfen zugerechnet werden. 609  Siehe bereits Köhler, AT, S.  532 f.; Murmann, JuS 1999, 549 f.; Zaczyk, FSKindhäuser, S. 638 ff. Zumal bei psychischer Beihilfe, soweit diese Rechtsfigur überhaupt anzuerkennen ist, ist die Untauglichkeit der Naturkausalität zur Erklärung ihres Einwirkens auf die Haupttatbegehung auffällig. 610  Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 638 f. 611  Murmann, JuS 1999, 549 f. 612  Zum folgenden Murmann, JuS 1999, 550 ff. Die Lehre von der objektiven Zurechnung i. w. S. (zum Teil aber neben der Kausalität) heranziehend BeckOK-



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aa) Die Bestimmung der beihilfespezifischen Handlung Aus dem Gedanken der Beihilfe als eines akzessorischen Rechtsgutsangriffs folgt zunächst, dass das vom Gehilfen geschaffene Risiko auf eine fremde Haupttatbegehung gerichtet sein muss. Da das Hilfeleisten notwendig mit dessen Gegenstand in einem „Zweck-Mittel-Zusammenhang“ steht,613 muss das Hilfeleisten ex ante betrachtet geeignet sein, das Risiko der Haupttatbegehung zu schaffen oder zu erhöhen.614 In der Literatur werden dabei vier Fallkonstellationen in Betracht gezogen, bei denen die Haupttatbegehung durch die Hilfeleistung entweder ermöglicht, erleichtert, intensiviert oder abgesichert werden soll.615 Eine missbilligte Risikoschaffung in Richtung auf die Haupttatbegehung liegt vor, wenn der Gehilfentatbeitrag die Haupttat­ begehung ermöglicht, indem der Gehilfe etwa die Vorbedingung der Haupt­ tatbegehung erfüllt; die Haupttatbegehung ist dann auf die Hilfeleistung angewiesen.616 Demgegenüber erhöht der Gehilfe das Haupttatrisiko, wenn er dem Haupttäter einen Gehilfentatbeitrag leistet, der geeignet ist, die Haupttat im Vergleich zum Ausbleiben des Hilfeleistens effektiver, intensiver oder sicherer zu machen. Bei der Beurteilung der missbilligten Risikoerhöhung ist das hypothetische rechtswidrige Verhalten eines Dritten oder des Täters nicht zu berücksichtigen.617 Der Gehilfe kann sich nicht darauf berufen, dass ein bereiter Dritter oder der Haupttäter selbst ansonsten den Gehilfenbeitrag ausgeführt hätte. Bei der Beurteilung der Risikoerhöhung ist sowohl auf der Ebene der Begründung einer legitimen Verhaltensnorm als auch auf der Ebene der Feststellung einer Verletzung dieser Verhaltensnorm ein Vergleich mit der Situation ohne den betreffenden Gehilfenbeitrag unerlässlich. Über das rechtmäßige Alternativverhalten des Gehilfen, nämlich das Ausbleiben des betreffenden Gehilfenbeitrags hinaus noch ein hypothetisches rechtswidriges Verhalten Dritter zu berücksichtigen, ist allerdings verboten. Denn der berechtigte StGB/Kudlich, § 27 Rn. 7; Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 138 ff., 150 ff.; Frisch, Verhalten, S. 293, 321 Fn. 326; HK-GS/Ingelfinger, § 27 StGB Rn. 3; Jakobs, AT, § 22 Rn. 36; ders., FS-Rüping, S. 25; Lackner/Kühl/Kühl, § 27 Rn. 2a; LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 5 f.; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 27 Rn. 48; Roxin, AT II, § 26 Rn.  210 ff.; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 8; SK/Hoyer, § 27 Rn. 23. 613  Kindhäuser, FS-Otto, S. 360: „intentionaler Zweck-Mittel-Zusammenhang“; Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 639. 614  Zur Anforderung an die Geeignetheit BGHSt 46, 107, 109 615  Dazu LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 2; ausführlich SK/Hoyer, § 27 Rn. 9 ff. 616  Murmann, JuS 1999, 550. 617  Jakobs, FS-Rüping, S. 21 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 693 f.; LK13/Schünemann/ Greco, § 27 Rn. 7; Murmann, JuS 1999, 550; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 7; SK/Hoyer, § 27 Rn. 9. Im Ergebnis auch Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 139 f.

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Achtungsanspruch des Opfers gegenüber dem Gehilfen, nicht das Haupttat­ risiko durch Hilfeleisten zu erhöhen, bleibt trotz der möglichen hypothetischen Rechtsverhältnisverletzung durch einen Dritten nach wie vor gültig.618 Die Verhaltensnorm darf nämlich ihre Geltung nicht deshalb verlieren, weil neben dem Hilfeleistenden noch ein Dritter zur Verletzung dieser Verhaltensnorm bereit ist.619 Darüber hinaus muss das vom Gehilfen geschaffene bzw. erhöhte Risiko rechtlich missbilligt sein. Hierbei handelt es sich der Sache nach um eine Bestimmung der Grenze der erlaubten Risikoschaffung, die eine vernünftige Abwägung zwischen der berechtigten Verhaltensfreiheit und dem Schutz des Daseinselements des Opfers erfordert.620 Schwierigkeiten bereitet insbesondere das Problem der sog. neutralen Beihilfe, das wie dasjenige der „neutralen Anstiftung“ zu lösen ist: Hat der Hilfeleistende eine Garantenpflicht, nicht durch das Hilfeleisten das Risiko der Haupttatbegehung zu erhöhen, ist sein positives Hilfeleisten bereits wegen der Verletzung der Garantenpflicht rechtlich zu missbilligen.621 Wer für den unbefugten Zugriff einer von ihm JuS 1999, 550. JuS 1999, 550; ebenso Jakobs, FS-Rüping, S. 21 f. Differenzierend aber Frisch, Verhalten, S. 293 f., der dann eine Risikoerhöhung verneinen will, wenn es um einen Gehilfenbeitrag im Vorfeld der Tatausführung gehe und der Täter selbst die vom Gehilfen geleistete Bedingung für die Tatbegehung auch „über eindeutig nicht zu missbilligendes Verhalten Dritter“ hätte realisieren können, „ohne damit die Durchführbarkeit der Tat zu beinträchtigen bzw. das (mit dem Risiko der Ausführung der Tat verkoppelte) Entdeckungsrisiko zu erhöhen“ (ebd., S. 293). In dieser Konstellation bekomme der Täter die Leistung „ohne große Fragen oder unter Verschwiegenheitsgarantien usw.“ (ebd., S. 294). Eine Risikoerhöhung bestehe nämlich darin, dass der Gehilfenbeitrag das Risiko der Tatbeeinträchtigung oder Tatentdeckung bei Selbstverwirklichung dieser Bedingung durch den Täter beseitige. Es kann aber, insbesondere aus Sicht des Opfers, nicht darauf ankommen, ob der Täter selbst diese Bedingung risikolos realisiert hätte, sondern nur darauf, ob der geleistete Gehilfenbeitrag zur Risikoerhöhung der Haupttatbegehung geeignet und deshalb zu verbieten ist. Die Bereitschaft des Täters zur eigenen Vornahme des Gehilfenbeitrages kann deshalb nicht den tatsächlichen Förderungseffekt des Gehilfen beeinflussen. Frisch ergänzt aber weiterhin, es sei rechtlich nicht zu missbilligen, wenn der Täter statt Einschaltung eines Dritten selbst die Vorfeldbedingung für die Haupttatbegehung realisiere. Dagegen hat Murmann, JuS 1999, 550 aber zutreffend eingewandt: Der Grund dafür, dass die Vornahme eines Vorbereitungsbeitrags durch den Täter selbst nicht rechtlich missbilligt ist, besteht darin, dass der Täter die weitere Tatausführung noch in seiner Entscheidungsmacht behält und dem Vorbereitungsbeitrag keine eigenständige Bedeutung gegenüber der späteren Tatausführung zukommt (Murmann, ebd., 550); dieser Grund gilt aber ersichtlich nicht für die Beihilfestrafbarkeit. Denn ob und wie der Gehilfenbeitrag für die Haupttatbegehung eingesetzt wird, hängt nur von der vom Gehilfen nicht mehr beherrschbaren Entscheidungsmacht des Haupttäters ab. In dieser Unbeherrschbarkeit liegt durchaus ein rechtlich missbilligtes Risiko. 620  Freund/Rostalski, AT, § 10 Rn. 138. 621  Frisch, FS-Lüderssen, S. 547 ff.; Wohlers, NStZ 2000, 173. 618  Murmann, 619  Murmann,



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verwalteten Pistole zuständig ist, verletzt die Verhaltensnorm und schafft ein missbilligtes Risiko, einerlei ob er den unbefugten Zugriff nicht verhindert oder die Pistole sogar positiv dem Unbefugten aushändigt. Fehlt es an einer solchen Garantenpflicht, liegt eine rechtlich missbilligte Risikoerhöhung nur dann vor, wenn das Hilfeleisten einen eindeutigen deliktischen Sinnbezug zur Förderung der Haupttat aufweist. Das ist dann der Fall, wenn das Hilfe­ leisten nach seinem Sinngehalt nur als Ermöglichung oder Erleichterung der Haupttat zu begreifen ist oder eine andere Erklärung nur schwerlich möglich ist.622 bb) Zurechnung des beihilfespezifischen Erfolgs Eine vollendete Beihilfe zu der vollendeten Straftat liegt nur dann vor, wenn sich das vom Gehilfen geschaffene bzw. erhöhte Risiko bei der Haupttatbegehung realisiert. Der beihilfespezifische Erfolg ist so gesehen die tatsächliche Risikoerhöhung der Haupttatbegehung. Entscheidend ist hierbei, ob „der Gehilfenbeitrag bei Haupttatbegehung die Verletzlichkeit des Rechts­ verhältnisses des Haupttäters zum Opfer zu Lasten des letzteren erhöht“.623 Das setzt voraus, dass der Gehilfenbeitrag vom Täter in die Tatausführung „integriert“ wird und bei der Haupttatbegehung bis zum Vollendungsstadium wirksam fortbestanden hat.624 Nur dann ist die erleichterte Haupttatbegehung nicht nur als Verwirklichung des vom Täter geschaffenen Risikos, sondern auch als Verwirklichung des vom Gehilfen geschaffenen anzusehen und deshalb dem Gehilfen zuzurechnen.625 3. Das Unrecht der Beihilfe durch Unterlassen Nachdem die Unrechtsstruktur der Beihilfe durch positives Tun geklärt worden ist, ist der Boden für die Erläuterung des Beihilfeunrechts durch Unterlassen bereitet:

622  Frisch, FS-Lüderssen, S. 544 ff. Zum Meinungsstand Kudlich, Unterstützung, S.  74 ff. 623  Murmann, JuS 1999, 550 f. 624  BeckOK-StGB/Kudlich, § 27 Rn. 7  f.; LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 8; Murmann, JuS 1999, 550 f.; Roxin, AT II, § 26 Rn. 215; SK/Hoyer, § 27 Rn. 23. 625  Murmann, JuS 1999, 550 f.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

a) Das Handlungsunrecht: Verletzung einer Garantenpflicht zur Verringerung des Haupttatrisikos Besteht das Unrecht der Beihilfe durch positives Tun darin, dass der Gehilfe eine Verhaltensnorm verletzt, die eine Schaffung bzw. Erhöhung des Haupttatrisikos durch Ermöglichung, Erleichterung, Intensivierung oder ­Absicherung der Haupttatbegehung verbietet, dann weist ein garantenpflichtwidriges Unterlassen ebenfalls solches Beihilfeunrecht auf, wenn der Schutzzweck der verletzten Garantenpflicht wie der Schutzzweck des Verbots zur positiven Unterstützung einer fremden Haupttat in der Vermeidung der Schaffung oder Erhöhung des Haupttatrisikos besteht.626 Der konkrete Pflichtinhalt hat die Erschwerung der Haupttatbegehung bzw. das Verhindern einer fremden Hilfeleistung zum Gegenstand.627 Dass die unterlassene Verringerung des Haupttatrisikos durch Nichtverhinderung einer Tatförderung bzw. Nichterschwerung der Haupttatbegehung normativ mit der Erhöhung des Haupttatrisikos durch Erleichterung der Haupttatbegehung gleichzustellen ist, lässt sich noch durch die Betrachtung der konkreten Rechtsverhältnisse zwischen den Beteiligten und dem Opfer verdeutlichen: Hat das Opfer einen Anspruch gegenüber dem Garanten, das Haupttatrisiko zu reduzieren, und unterlässt der Garant pflichtwidrig die Taterschwerung oder Verhinderung einer fremden Hilfeleistung, so lässt der Garant nicht nur passiv eine Haupttatbegehung oder einfach einen die Haupttatbegehung erleichternden Gehilfentatbeitrag zu,628 wie dies beim echten Unterlassungsdelikt der Fall ist, sondern entzieht dem Opfer den berechtigten Anspruch, sich nicht dem im Vergleich zur Pflichterfüllung erhöhten Haupttatrisiko auszusetzen; aus Sicht des Opfers hat das garantenpflichtwidrige Unterlassen deshalb den Sinn, es in eine leichter zu verletzende Situation zu bringen. Man kann sogar mit Recht konstatieren, dass das pflichtwidrige Unterlassen des Garanten das Haupttatrisiko in einem normativen Sinn erhöht.629 Ebenso wie bei positivem Tun stellt sich auf der Ebene des Handlungsunrechts die Frage nach der Möglichkeit einer Beihilfe durch „neutrales“ Unterlassen. Aber anders als bei positivem Tun, wo die Qualität rechtlicher Missbilligung bei Fehlen einer Garantenstellung nur etwa über das dogmatische Mittel eines eindeutig deliktischen Sinnbezugs bezogen auf die Förde626  Treffend 627  Vgl.

Ranft, ZStW 97 (1985), 288. auch BeckOK-StGB/Kudlich, § 27 Rn. 4; Freund/Rostalski, AT, § 10

Rn. 138. 628  So aber Schwab, Täterschaft, S. 155, der die soziale Verletzungsmacht des Garantenunterlassens gänzlich verkennt und wenig überzeugend konstatiert, eine unterlassene Taterschwerung sei axiologisch nicht mit der aktiven Erleichterung gleichzustellen. 629  Siehe bereits Murmann, FS-Beulke, S. 195.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen543

rung der Haupttatbegehung zu bestimmen ist, verlagert sich die Frage nach der Grenzbestimmung des erlaubten Risikos beim Garantenunterlassen wesentlich auf die Begründung der Garantenpflicht. Denn soweit die Garantenpflicht zur Reduzierung des Haupttatrisikos einmal begründet ist, ist die Verletzung dieser Garantenpflicht auch ohne eindeutigen deliktischen Sinnbezug rechtlich zu missbilligen.630 Es verwundert deshalb nicht, dass die Diskussion über Beihilfe durch neutrales Unterlassen sich auf die Begründung der Garantenstellung konzentriert, insbesondere dann, wenn die Garantenstellung aus einem rechtmäßigen, aber riskanten Vorverhalten abgeleitet wird, etwa das Unterlassen eines Internetdienstanbieters, rechtswidrige Informationen aus den von ihm verwalteten Internetangeboten zu entfernen.631 Denn gerade in diesem Bereich ist die Schwierigkeit der Begründung der Garantenpflicht und mithin der Bestimmung des erlaubten Risikos besonders auffällig. b) Das Erfolgsunrecht: insbesondere die Erfolgszurechnung zum Unterlassen der Taterschwerung Ebenso wie bei Beihilfe durch positives Tun setzt Beihilfe durch Unterlassen die Realisierung des durch pflichtwidriges Unterlassen geschaffenen bzw. erhöhten Risikos in der Haupttatbegehung voraus. Da sich hierbei der Schutzzweck der verletzten Garantenpflicht nicht auf die Erfolgsverhinderung, sondern nur auf die Reduzierung des Haupttatrisikos erstreckt, beziehen sich sowohl das Handlungsunrecht als auch das Erfolgsunrecht des Garanten nur auf die Reduzierung des Haupttatrisikos. Folglich hat sich das vom Garanten geschaffene Risiko bei der Tatbegehung bereits dann realisiert, wenn das Haupttatrisiko bei Erfüllung der Garantenpflicht reduziert würde, wenn also der Garant die Haupttatbegehung ex post betrachtet hätte erschweren können. Eine Erfolgsverhinderungsmöglichkeit in dem Sinne, dass der Garant bei Erfüllung der Garantenpflicht den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte, ist für die Erfolgszurechnung bei Beihilfe durch Unterlassen nicht erforderlich.632 630  In

diesem Sinne auch Frisch, FS-Lüderssen, S. 547 ff. Kudlich, Unterstützung, S. 408 ff.: „Unterlassen der gebotenen Differenzierungen (sc. der rechtmäßigen oder rechtswidrigen Informationen)“; ferner Bode, ZStW 127 (2015), 971 ff. 632  Ebenso Anw-StGB/Waßmer, § 27 Rn. 26; Bachmann/Eichinger, JA 2011, 511; BeckOK-StGB/Kudlich, § 27 Rn. 4; Jakobs, AT, § 29 Rn. 102a Fn. 201; ders., FSRüping, S.  23  f.; Lackner/Kühl/Kühl, §  27 Rn.  5; Matt/Renzikowski/Haas, § 27 Rn. 30; Maurach/Gössel/Zipf/Renzikowski, AT II, § 52 Rn. 46; MK4/Joecks/Scheinfeld, § 27 Rn. 116; Mosenheuer, Unterlassen, S. 155 f.; Ranft, ZStW 97 (1985), 631  Etwa

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Dem widerspricht ein anderer Teil der Literatur allerdings dezidiert und verlangt für die Annahme der Erfolgszurechnung eine Erfolgsverhinderungsmöglichkeit im oben beschriebenen Sinne.633 Die dabei erhobenen Einwände sind aber nicht stichhaltig: Erstens ist zu bemerken, dass die Anhänger einer Erfolgsverhinderungsmöglichkeit nicht selten die Vertreter der Lehre sind, die die Garantenpflichtverletzung in der Regel als ein täterschaftsbegründendes Merkmal betrachtet.634 Danach sei ein Gehilfe durch Unterlassen in der Tat „Unterlassungstäter“ einer Beihilfe. Konsequent müssen die Vertreter dieser Position sich hierbei an die Unterlassungskausalität für Täterschaft halten.635 Dass es sich hierbei aber um eine „echte“ Beihilfe und nicht um ein fiktives Konstrukt des Unterlassungstäters einer Beihilfe handelt, ist oben gezeigt geworden. Wenn sich die Täterschaft begründende Verhaltensnorm aber von der eine Teilnahme begründenden unterscheidet, kann der Zurechnungsbezugspunkt für Beihilfe (durch Unterlassen) nicht die tatbestandsmäßige Handlung oder der tatbestandsmäßige Erfolg sein, sondern die Risikoschaffung bzw. Risikoerhöhung der Haupttatbegehung. Eine Erfolgsverhinderungsmöglichkeit ist nicht zu verlangen. Zweitens wird behauptet, wenn für die Erfolgszurechnung bei Beihilfe durch Unterlassen statt einer Erfolgsverhinderungsmöglichkeit bereits eine Taterschwerungsmöglichkeit ausreichend sei, „wird nun einmal aktives Handeln in weitergehendem Maße zugerechnet als Unterlassen, das nur als Erfolgsabwendungs- und nicht als Erschwerungspflicht auftritt“.636 In Hinblick auf die Erfolgszurechnung würde der Garant im Verhältnis zum Begehungstäter schlechter behandelt, weil die allgemeine Voraussetzung für die Erfolgszurechnung, nämlich die Quasi-Kausalität bzw. der Pflichtwidrigkeitszusammenhang, anders als bei positivem Tun nicht mehr verlangt wäre. Dieser Einwand ist aber nicht begründet, denn der hiesige Ansatz nimmt gerade die normativ gleichzustellenden Handlungs- und Zurechnungsstrukturen von Tun 270 ff.; Ransiek, JuS 2010, 681; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Murmann, § 27 Rn. 7; SK/Hoyer, § 27 Rn. 10; Vogel, Norm, S. 292 f. Ausgehend von einer – hier aber abzulehnenden – Risikoerhöhungslehre Otto, JuS 2017, 295. Vgl. auch auf die Kausalität der Beihilfe verzichtende Rechtsprechung RGSt 71, 176, 178; BGHSt 43, 381, 397; 48, 301, 302. Ferner Herzberg, Unterlassung, S. 117, der die Beihilfe aber unzutreffend als Gefährdungsdelikt ansieht. 633  Grünwald, GA 1959, 118 Fn. 21; Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 293; LK13/ Schünemann/Greco, § 27 Rn. 62; Roxin, AT II, § 31 Rn. 169 f.; ders., TuT, S.  545 f.; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 19; Schwab, Täterschaft, S.  154 ff.; Sering, Beihilfe, S.  133 ff. 634  Etwa Grünwald, Armin Kaufmann, und Roxin. 635  Pointierend bereits Vogel, Norm, S. 292. 636  LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 62.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen545

und Unterlassen einerseits sowie von Täterschaft und Teilnahme andererseits als Ausgangspunkt. Dementsprechend ist der Täter, einerlei ob durch Tun oder Unterlassen, für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig; eine täterschaftliche Erfolgszurechnung liegt nur dann vor, wenn ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei positivem Tun oder eine Quasi-Kausalität i. S. v. Erfolgsverhinderungsmöglichkeit bei Garantenunterlassen ex post festgestellt wird. Demgegenüber ist der Gehilfe, einerlei ob durch Tun oder Garantenunterlassen, nur für die Erhöhung des Haupttatrisikos zuständig; auf einen Pflichtwidrigkeitszusammenhang oder eine Quasi-Kausalität wird hierbei nicht verzichtet, aber sie werden eben nicht in dem Sinn verlangt, dass bei alternativem rechtmäßigem Verhalten der tatbestandsmäßige Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre. Die Erfolgszurechnung zum Gehilfen ist bereits dann anzunehmen, wenn ex post festgestellt wird, dass bei pflichtmäßigem Alternativverhalten das Risiko der Haupttatbegehung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erhöht würde; bei Garantenunterlassen also dann, wenn der Garant bei Erfüllung der Garantenpflicht die Haupttatbegehung hätte erschweren können. Der Grund für die unterschiedlichen Voraussetzungen der Erfolgszurechnung liegt deshalb nicht in der Unterscheidung zwischen positivem Tun und Garantenunterlassen, sondern in der Abgrenzung zwischen den Verhaltensnormen von Täterschaft und Teilnahme. In dieser Hinsicht geraten diejenigen Autoren,637 die bei Beihilfe durch positives Tun bereits eine in der Haupttatbegehung realisierte Risikoerhöhung bzw. fortwirkende Förderung für ausreichend halten, bei Beihilfe durch Unterlassen dagegen über die Zuständigkeit für die Erhöhung des Haupttatrisikos hinaus eine Erfolgsverhinderungsmöglichkeit verlangen, in einen unauflösbaren Selbstwiderspruch.638 LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 5 f., 62; Schwab, Täterschaft, S. 155 für die Ansicht von Ranft bei Begehungsdelikt, gegen sie aber bei Garantenunterlassen; Sering, Beihilfe, S. 130 ff. einerseits, S. 133 ff. andererseits. 638  Schwab, Täterschaft, S. 155 versucht allerdings, diese Kritik des Selbstwiderspruchs zu entkräften: Bei Beihilfe durch positives Tun sei die Erfolgszurechnung bereits dann anzunehmen, wenn der Gehilfenbeitrag die konkrete Gestalt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verändert. Denn hierbei müsse der tatbestandsmäßige Erfolg in seiner konkreten Gestalt betrachtet werden. Dagegen soll eine Erfolgszurechnung bei Beihilfe durch Unterlassen nur dann zu bejahen sein, wenn der Gehilfe den tatbestandsmäßigen Erfolg hätte verhindern können, weil beim Unterlassungsdelikt der tatbestandsmäßige Erfolg abstrahierend zu betrachten sei. Das kann aber nicht richtig sein. Abgesehen davon, dass der Grund für eine unterschiedliche Betrachtung des Erfolgsbegriffs bisher nicht überzeugend herausgearbeitet worden ist (kritisch Ranft, ZStW 97 (1985), 282), ist die Entscheidung für die abstrakte oder konkrete Betrachtung des Erfolgs der Beihilfe nicht einschlägig. Denn für den Streit, ob die Erfolgszurechnung nur dann anzunehmen ist, wenn der Garant den tatbestandsmäßigen Erfolg hätte verhindern können, kommt es nur auf die richtige Bestimmung des Erfolgs der Beihilfe (treffend Frisch, Verhalten, S. 521 Fn. 49), die entweder als der tatbe637  Etwa

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Drittens wird behauptet,639 dass das hier favorisierte Ergebnis nur zu begründen sei, wenn man auf die eher problematische Risikoerhöhungslehre rekurriere. Dem ist nicht zuzustimmen. Methodisch weicht der hiesige Ansatz von der Risikoerhöhungslehre wesentlich ab. Auch wenn sie nicht selten zum gleichen Ergebnis kommen, scheint dies aufgrund des methodischen Unterschieds eher Zufall zu sein. Insbesondere trifft die Kritik an der Risikoerhöhungslehre den hiesigen Ansatz nicht. Dazu im Einzelnen: Die Risikoerhöhungslehre ist spezifisch für die Frage nach der Bestimmung des Erfolgsunrechts, insbesondere bei Zweifeln über den Erfolgseintritt bei rechtmäßigem Alternativverhalten, entwickelt geworden. Aus dieser Entwicklungsgeschichte lässt sich erkennen, dass die Risikoerhöhungslehre als eine allgemeine Lehre zur Bestimmung des Erfolgsunrechts beteiligungsrechtneutral ist. Dagegen wird der hiesige Ansatz, dass der Gehilfe nur für die Risikoerhöhung der Haupttatbegehung zuständig und eine unterlassene Taterschwerung für die Begründung des Beihilfeerfolgsunrechts ausreichend ist, unmittelbar aus der Unterscheidung von täterschaftlicher und teilnehmerschaftlicher Verhaltensnorm, und zwar aus dem beihilfespezifischen Handlungsunrecht abgeleitet. Dieser methodische Unterschied führt dazu, dass die Kritiken gegen die Risikoerhöhungslehre nicht gegen den hiesigen Ansatz erhoben werden können. Der Übertragung der Risikoerhöhungslehre auf das täterschaftliche Garantenunterlassen ist vorgeworfen geworden, dass deren Vorgehensweise, auf die Erfolgsabwendungsmöglichkeit zu verzichten und stattdessen für die Erfolgszurechnung eine Risikoverringerung des Erfolgseintritts genügen zu lassen, eher kausalitätsersetzend wirkt und eine unzulässige Umgestaltung des Unterlassungserfolgsdelikts in ein Unterlassungsgefährdungsdelikt darstellt.640 Diese Kritik an der Risikoerhöhungslehre ist bei Unterlassungstäterschaft berechtigt, denn der Garant ist hierbei für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig; deshalb genügt für die Erfolgszurechnung eine unterlassene Risikoverringerung des Erfolgseintritts nicht. Die Kritik findet aber dort ihre Grenze, wo sich die Verhaltensnorm nicht auf die Verhinderung des tatbestandsmäßigen Erfolgs bezieht, sondern sich von vornherein in der Reduzierung der Erfolgseintrittschance erschöpft, wie es bei der Verhaltensnorm der Beihilfe (durch Unterlassen) der Fall ist.641 Das ist der Grund dafür, warum standsmäßige Erfolg der Haupttat oder zutreffend als Risikoerhöhung der Haupttatbegehung zu begreifen ist, nicht aber auf die erst danach zu entscheidende abstrahierende oder konkrete Betrachtungsweise dieses Erfolgsbegriffs an. 639  LK13/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 62. 640  Insbesondere Mosenheuer, Unterlassen, S. 155 in Anschluss an Schünemann, StV 1985, S. 232. Ferner oben S. 475 ff., insb. Fn. 336, S. 476. 641  In diesem Sinne treffend Mosenheuer, Unterlassen, S. 156. Das verkennt Sering, Beihilfe, S. 134 f.



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen547

der hiesige Ansatz bei der Beihilfestrafbarkeit im Ergebnis mit derjenigen Variante der Risikoerhöhungslehre übereinstimmt, die eine ex post festzustellende Chancenreduzierung der Rechtsgutsverletzung bei rechtmäßigem Alternativverhalten verlangt.642 Denn die Verhaltensnorm der Beihilfe, das Risiko der Haupttatbegehung zu reduzieren, zielt wie der Grundgedanke der Risikoerhöhungslehre letztlich auf die Chancenreduzierung der Rechtsgutsverletzung zugunsten des bedrohten Rechtsguts ab. Während aber die Risikoerhöhungslehre den Bezugspunkt der Erfolgszurechnung noch unkritisch im tatbestandsmäßigen Erfolg erblickt und erst durch Abschwächung der Anforderungen an die Erfolgszurechnung zum richtigen Ergebnis gelangt,643 ist nach dem hiesigen Ansatz der abzuwendende Erfolg der Beihilfe durch Unterlassen die Risikoerhöhung der Haupttatbegehung durch unterlassene Taterschwerung. Sie bildet deshalb zugleich den Bezugspunkt der Beurteilung von Quasi-Kausalität bzw. Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Eine Erfolgszurechnung ist dementsprechend nur dann begründet, wenn der Garant die Haupttat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte erschweren können. Damit bleiben die Voraussetzungen der Erfolgszurechnung gewahrt, die Kritiken an der Risikoerhöhungslehre können deshalb nicht gegen den hiesigen Ansatz erhoben werden. Der so definierte Erfolg der Beihilfe durch Unterlassen steht dem Erfolgsbegriff i. S. v. § 13 Abs. 1 StGB keineswegs entgegen. Denn der Erfolg i. S. v. § 13 Abs. 1 StGB ist nicht auf den Erfolg des Erfolgsdelikts oder des konkreten Gefährdungsdelikts beschränkt, sondern extensiv auszulegen und „als das tatbestandsmäßige Geschehen aufzufassen“644; mit Jakobs umfasst er sogar „alles, was abgewendet werden kann“.645 Begreift man die Risikoerhöhung der Haupttat als das „beihilfetatbestandsmäßige“ Geschehen646 bzw. als einen abzuwendenden „Förderungserfolg“,647 kann sie durchaus vom extensiv auszulegenden Erfolgsbegriff der Sanktionsnorm erfasst werden.648 In diesem 642  Zu dieser gemäßigten, eine Ex-post-Feststellung der Risikoverringerung fordernden Variante der Risikoerhöhungslehre bei Garantenunterlassen auch Roxin, AT II, § 31 Rn. 54, der aber bei Vorliegen einer Risikominderungsmöglichkeit in der Regel eine Täterschaft annimmt (ders., AT II, § 31 Rn. 170). 643  Wohl Otto, JuS 2017, 295. 644  BeckOK-StGB/Heuchemer, § 13 Rn. 4; Schönke/Schröder/Bosch, § 13 Rn. 3. Nahestehend Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 47: „[jeder] Vorgang, der die Merkmale eines Tatbestandes (nicht nur die Erfolgsmerkmale!) erfüllt und der durch menschliches Handeln beeinflussbar ist“. Für ein extensives Verständnis ferner BGHSt 46, 212, 222; Murmann, GK, § 29 Rn. 19. 645  Jakobs, AT, § 29 Rn. 2. Jetzt auch LK13/Weigend, § 13 Rn. 15. 646  Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 49. 647  MK4/Joecks/Scheinfeld, § 27 Rn. 116. 648  Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21 Rn. 49; LK13/Weigend, § 13 Rn. 15 Rn. 55; Murmann, FS-Beulke, S. 190.

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4. Teil: Beteiligung durch Unterlassen

Zusammenhang wird dem hiesigen Ansatz weiterhin vorgeworfen, eine Pflicht zur Taterschwerung stehe mit der Anforderung der Erfolgsabwendung i. S. v. § 13 Abs. 1 StGB nicht in Einklang; die damit einhergehende Erweiterung der gesetzlichen Strafbarkeit verstoße mithin gegen das Gesetzlichkeitsprinzip.649 Dagegen spricht aber bereits, dass die Pflicht zur Taterschwerung im Verhältnis zur Pflicht zur Erfolgsabwendung nur ein Minus darstellt und mithin von der Reichweite des § 13 Abs. 1 StGB gedeckt ist.650 Schließlich wird angeführt, eine Verpflichtung zur Taterschwerung trotz Fehlens einer Erfolgsverhinderungsmöglichkeit stelle nichts anderes dar als eine Verpflichtung zu nutzlosem Eingreifen und führe notwendig zu einem absurden Ergebnis.651 Dieser Einwand muss differenzierend betrachtet und bewertet werden: Wenn der Garant ex ante betrachtet bereits keine Chance oder kein Vermögen hat, die Lage des bedrohten Rechtsguts zu verbessern, die Rechtsgutsverletzung ex ante betrachtet also ein Schicksal ist, kann die Verpflichtung zur Taterschwerung weder sinnvoll noch legitim sein.652 Allerdings ist diese Konstellation eher eine Ausnahme. Denn ex ante kann der Garant in der Regel gerade nicht wissen, ob seine Bemühungen um Taterschwerung die Rettungschance erhöhen oder nicht. Bei dieser Erfolgseintrittsoffenheit ist die Verpflichtung zur Taterschwerung für den Rechtsgüterschutz sowohl legitim als auch sinnvoll, weil „die Wahrscheinlichkeit des Geschehens des Verletzungserfolges“ durch die Taterschwerung verringert wird.653 Außerdem ist mit Ranft hervorzuheben, dass das Fehlen der Erfolgsverhinderungsmöglichkeit nicht unbedingt bedeutet, dass der Garant gar keine Chance hat, die Lage des bedrohten Rechtsguts zu verbessern. Vielmehr könnte deren Fehlen auf den Umstand zurückführen, dass vernünftige Zweifel daran verbleiben, ob der Garant den tatbestandsmäßigen Erfolg tatsächlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte verhindern können.654 Folglich kann nicht allgemein aus dem Fehlen der Erfolgsverhinderungsmöglichkeit geschlossen werden, dass die Taterschwerung für die Rettung des Rechtsguts nutzlos wäre. In Wirklichkeit hat der Garant in vielen Fällen trotz Fehlens einer Erfolgsverhinderungsmöglichkeit durchaus das Vermögen, die Lage des Täterschaft, S. 156. FS-Beulke, S. 190. Ferner Bachmann/Eichinger, JA 2011, 511. 651  Grünwald, GA 1959, 118 Fn. 21; Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 293; LK13/ Schünemann/Greco, § 27 Rn. 62; Roxin, TuT, S.  545 f. 652  Zu dieser Legitimationsvoraussetzung der Verhaltensnorm Jakobs, FS-Rüping, S. 22; Otto, JuS 2017, 295; Sering, Beihilfe, S. 110. 653  Ranft, ZStW 97 (1985), 271. Aufgenommen von MK4/Joecks/Scheinfeld, § 27 Rn. 116; ferner Murmann, FS-Beulke, S. 187 Fn. 34. Wohl auch Sowada, Jura 1986, 409. 654  Ranft, ZStW 97 (1985), 271 f. 649  Schwab,

650  Murmann,



C. Erscheinungsformen der Teilnahme durch Unterlassen549

bedrohten Rechtsguts durch Bereiten eines Hindernisses zu verbessern.655 Auch der zwar bereits ex ante zu kalkulierende, aber erst ex post festzustellende Umstand, dass ein Dritter oder der Begehungstäter selbst das zu bereitende Hindernis beiseitegeräumt hätte, steht der Bedeutung der Verpflichtung zur Taterschwerung nicht im Weg.656 Denn erstens verliert die Verhaltensnorm nicht deshalb ihre Geltung, weil ein Dritter bereit ist, gegen sie zu handeln.657 Zweitens tragen die Verhaltensnorm und die Verpflichtung zur Taterschwerung gerade der Möglichkeit Rechnung, dass die gebotene und geeignete Taterschwerung eben entgegen einer zuverlässigen Prognose die Haupttat zum Scheitern bringen könnte! Wenn ex post festgestellt wird, dass das unterlassene Bereiten des Hindernisses mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Haupttatbegehung erschwert hätte und damit die Rettungschance für das Rechtsgut erhöht hätte, ist die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes keineswegs absurd, sondern im Gegenteil konsequent und geboten. 4. Zwischenergebnis Das Handlungsunrecht der Beihilfe durch Unterlassen liegt in der Verletzung einer Garantenpflicht zur Reduzierung des Haupttatrisikos, entweder durch Nichtverhinderung einer fremden Förderung oder durch Nichterschwerung der Haupttatbegehung. Dementsprechend muss für das Erfolgsunrecht des Gehilfen der Umstand ausreichen, dass ex post festgestellt wird, dass der Garant mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Haupttatbegehung hätte erschweren können. Die gegenteilige Ansicht, die eine Erfolgsverhinderungsmöglichkeit verlangt, kann weder der Handlungs- und Zurechnungsstruktur der Beihilfe noch dem Rechtsgüterschutz gerecht werden.

655  Ranft, ZStW 97 (1985), 272 ff. mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung. 656  Murmann, FS-Beulke, S. 187 Fn. 34. 657  Jakobs, AT, § 29 Rn. 102a Fn. 201; ders., FS-Rüping, S. 21 f.

Resümee Die wichtigsten Forschungsergebnisse werden im Folgenden zusammengefasst: Die Frage nach dem Grund und den Grenzen der Beteiligung durch Unterlassen gilt als Prüfstein zur Beurteilung der Vollkommenheit der Beteiligungslehre. Sie ermöglicht eine kritische Reflexion der bestehenden Beteiligungslehren und ihre Beantwortung führt sogar zu deren Revision. Die hier favorisierte Beteiligungslehre steht eng mit der allgemeinen Unrechts-, Handlungs- und Zurechnungslehre in Verbindung und entwickelt sich aus ihr heraus.1 Am Anfang des Tätersystems steht dessen Leitprinzip der Tat­ herrschaft i. S. v. „Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses zum Opfer“, das aus dem allgemeinen Unrechtsbegriff abgeleitet wird:2 Im Lichte des hier vertretenen freiheitlichen Rechtsbegriffs ist das Recht als Inbegriff der Rechtsverhältnisse in einer rechtlich verfassten Gemeinschaft zu begreifen.3 Dementsprechend lässt sich das Unrecht als Verletzung eines gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses definieren.4 In einer rechtlich verfassten Gemeinschaft verletzt der Täter dadurch aber auch die Geltung der von ihm mit den anderen Bürgern gemeinschaftlich gesetzten und anerkannten Verhaltensnorm.5 Das Strafunrecht setzt aber darüber hinaus eine gravierende Verletzung des Rechtsverhältnisses zum Opfer in Hinblick auf ein bestimmtes Daseinselement voraus, und zwar wenn das Opfer sich auf diese Verletzung nicht aus eigener Kraft einstellen kann.6 Eine Straftat ist in dieser Hinsicht eine schuldhafte Übertretung der Verhaltensnorm, die die rechtliche Position des Opfers gravierend verschlechtert.7 Mit seiner Straftat wandelt der Täter sein Rechtsverhältnis zum Opfer in ein Unrechtsrechtsverhältnis um und beherrscht dessen Qualität. Da der materielle Unrechtsbegriff und das darauf bauende Leitprinzip des Tätersystems nicht auf der aktuellen Herrschaft über das zur Rechtsgutsver1  Methodisch

siehe S. 70 ff., 327 f. S. 328 ff. 3  Zur Deduktion S. 77 ff., insb. S. 84 ff., 104. 4  Siehe S. 115 ff. 5  Siehe S. 120 ff. 6  Siehe S. 121. 7  Siehe S. 134 ff. 2  Siehe

Resümee551

letzung führende Kausalgeschehen,8 sondern auf der normativen Rechtsverhältnisverletzung beruht, kann das aus diesem Leitprinzip abgeleitete Täterkriterium einheitlich für die Beteiligung durch Tun und Unterlassen gelten, soweit ein Unterlassen rechtlich mit dem positivem Tun gleichzustellen ist: Ein Garantenunterlassen muss, wenn es als Straftat bewertet werden soll, die allgemeinen Voraussetzungen der Straftat erfüllen, der Täter muss also eine Gebotsnorm schuldhaft übertreten und die Rechtsposition des Opfers gravierend verschlechtern. Da aber die Bürger einander wechselseitig als freie und selbständige Vernunftsubjekte anerkennen und damit selbständig für ihre ­eigenen Daseinselemente zuständig sind, setzt ein Garantenunterlassen über die allgemeinen Voraussetzungen der Straftat hinaus noch ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer voraus. Das betroffene Daseinselement des Opfers muss also vor dem Eintritt der tatbestandsmäßigen Gefahr auf die Rettungshandlung des Unterlassenden angewiesen sein.9 Ein solches ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis kann durch einseitige oder wechselseitige Übernahme einer Schutzfunktion oder durch Risikoschaffung für das Rechtsgut begründet werden.10 Liegt ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer vor und unterlässt der Garant trotzdem pflichtwidrig die Vornahme der gebotenen Rettungshandlung, stellt sein Unterlassen nicht nur logisch eine negative Bedingung des Erfolgseintritts11 oder einfach eine formelle Pflichtverletzung durch Zulassung des Geschehens,12 sondern auch den Entzug des rechtlich garantierten Anspruchs des Opfers dar.13 In diesem Entzug lässt sich eine Verschlechterung der Rechtsposition des Opfers erkennen, die die Verletzungsmacht des Garantenunterlassens kennzeichnet und eine Gleichstellung mit der Verletzungsmacht des positiv Handelnden ermöglicht. Die Verletzungsmacht des Garanten bestimmt sich somit nach der Reichweite des rechtlichen garantierten Anspruchs des Opfers gegenüber dem Garanten, also danach, wie weit der Schutzzweck der betreffenden Garantenpflicht reicht.14 Der Schutzzweck der Garantenpflicht erstreckt sich nicht immer auf die Erfolgs- oder Straftatverhinderung, sondern kann auf die Erfolgs- oder Taterschwerung beschränkt sein.15 Bereits aus der Bestimmung der Verletzungsmacht des Garantenunterlassens ergibt sich eine erste Kritik der Pflichtde8  Siehe unrechtstheoretisch S. 115  ff.; normentheoretisch S. 254 f.; beteiligungs­ rechtlich S. 285 ff., S.  313 ff. 9  Siehe S. 155 ff., 159 ff. 10  Siehe S. 164 ff., 174 ff. 11  Siehe S. 143 ff. 12  Siehe S. 146 ff. 13  Siehe S. 149 ff. 14  Siehe S. 244 ff. 15  Siehe S. 244 ff., 397 ff.

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liktslehre und der Gehilfentheorie. Die Prämisse der Pflichtdeliktslehre, dass sich die Garantenpflicht immer auf die Erfolgsverhinderung erstrecke, erweist sich angesichts der Möglichkeit einer Erfolgserschwerungspflicht als zu pauschal.16 Auch die These der Gehilfentheorie, dass das Garantenunterlassen im Verhältnis zu positivem Tun eine allgemein geringere Verletzungsmacht aufweise, kann weder aus dem Vergleich der Handlungsstruktur bzw. der Normlogik des Garantenunterlassens noch aus den gesetzlichen Regelungen, insbesondere aus der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit im § 13 Abs. 2 StGB oder der Entsprechungsklausel i. S. v. § 13 Abs. 1 Hs. 2 StGB abgeleitet werden.17 Tun und Garantenunterlassen stellen unter dem Aspekt des materiellen Strafunrechtsbegriffs nur zwei phänomenologisch unterschiedliche Weisen der Rechtsverhältnisverletzung dar und sind rechtlich grundsätzlich gleichzustellen. Die Entwicklung eines monistischen Tätersystems ist deshalb unerlässlich, weil ansonsten der einheitliche Unrechtsbegriff in der Unterscheidung von Herrschafts- und Pflichtdelikt aufgespalten würde und es zu einer Reihe von unbefriedigenden oder sogar widersprüchlichen Ergebnissen käme – insbesondere dort, wo die Unterscheidung von Tun und Garantenunterlassen keine normative Relevanz hat,18 wie die Diskussion über die Abgrenzung des Verantwortlichkeitsbereichs in Organisationen gezeigt hat, oder dann, wenn der Garant über das Unterlassen hinaus noch positiv handelt.19 Das Leitprinzip des monistischen Tätersystems „Tat­herrschaft“ darf aber nicht abstrakt bleiben, sondern muss mithilfe der normentheoretischen Analyse der Handlungsstruktur der Alleintäterschaft dahingehend expliziert werden, dass der Täter trotz der Zuständigkeit für den tatbestandsmäßigen Erfolg durch Tun oder Unterlassen eine Verhaltensnorm verletzt, die die Schaffung einer Gefahr in Richtung auf diesen Erfolg rechtlich missbilligt.20 Auch bei Tatbestandsverwirklichung durch fremde Hand, nämlich bei mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft, sind der mittelbare Täter und der einzelne Mittäter für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig. Bei mittelbarer Täterschaft begründet ein überlegenes Wissen oder ein überlegener Wille des Hintermanns für sich genommen noch keine Erfolgszuständigkeit; sie stellen nur ein Faktum dar, dessen normative Relevanz erst zu begründen ist.21 Eine solche Zuständigkeit liegt vielmehr nur dann vor, wenn der Hintermann gegenüber dem Vordermann eine überlegene Pflichtstellung kraft 16  Siehe 17  Siehe 18  Siehe 19  Siehe 20  Siehe 21  Siehe

S. 245 f. S. 246 ff. S. 235 ff. S. 305 ff. S. 327 ff. S.  291 ff., 340 f.

Resümee553

Vorverhalten des Hintermanns oder kraft Schutzpflicht gegenüber dem Opfer innehat und deshalb für das (defizitäre oder vollverantwortliche) Verhalten des Vordermanns zuständig ist.22 Die Straftat des Vordermanns und die sich daraus ergebende Rechtsgutsverletzung versteht sich in diesem Fall nicht (nur) als Verwirklichung der Unrechtsmaxime des Vordermanns, sondern (auch) als Verwirklichung der Unrechtsmaxime des Hintermanns. In Hinblick auf die Mittäterschaft geht die Täterschaft des einzelnen Mittäters nicht aus seiner tatsächlich geleisteten funktionellen Mitbeherrschung des zur Rechtsgutsverletzung führenden Geschehens hervor, da sie allenfalls eine (gleichberechtigte) Teilherrschaft begründet, nicht aber die Herrschaft über die Gesamttat.23 Zur Begründung der Tat­herrschaft des einzelnen Mittäters bedarf es einer Zuständigkeit für Handlungen anderer Mittäter. Diese Zuständigkeit gründet sich auf die autonome Entscheidung des einzelnen Mittäters, mit den anderen Mittätern den betreffenden Tatbestand gemeinsam zu verwirklichen, indem er eine wichtige Funktion für die Tatbestandsverwirklichung übernimmt.24 Aus diesem primären Täterbegriff ergibt sich aber zugleich ein sekundärer Begriff von Teilnahme. Der Teilnehmer schafft keine tatbestandsmäßige Gefahr und ihm lässt sich der tatbestandsmäßige Erfolg nicht zurechnen. Er kann nicht selbständig das Rechtsgut angreifen; dazu bedarf es eines Verletzungswillens des Täters.25 Der Teilnehmer verletzt deshalb eine von der täterschaftlichen Verhaltensnorm streng zu unterscheidende, aber inhaltlich davon abhängige teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm, die eine missbilligte Gefahrschaffung bzw. Gefahrerhöhung der Hauttatbegehung durch Tun oder Unterlassen verbietet.26 Das Unrecht der Teilnahme liegt darin, dass der Teilnehmer durch Verletzung dieser sekundären Pflicht die Gefahr der Haupttatbegehung unerlaubt schafft oder erhöht und das Rechtsverhältnis des Täters zum Opfer verschlechtert.27 Soweit der teilnehmerschaftliche Tatbeitrag vom Täter in die Tatausführung eingefügt wird und bis zur Tatvollendung fortwirkt, ist dem Teilnehmer wegen der Verletzung der sekundären Pflicht das tatbestandsmäßige Unrecht als fremdes völlig (bei Anstiftung) oder teilweise (bei Beihilfe) zuzurechnen.28 Ob der Handelnde durch seine Handlung eine täterschaftliche oder teilnehmerschaftliche Verhaltensnorm verletzt, bestimmt sich nicht nach der phäno22  Siehe 23  Siehe 24  Siehe 25  Siehe 26  Siehe 27  Siehe 28  Siehe

S. 340 ff., 343 ff. S.  296 f. S.  297 ff., 351 ff. S. 359 f. S. 359 ff. S. 367 ff., 369 f. S. 370 ff.

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menologischen Abgrenzung von Tun und Unterlassen, sondern nach seiner eigenen Pflichtstellung zum Opfer, die wiederum vom Inhalt der konkreten Rechtsverhältnisse zwischen dem Handelnden, den anderen Beteiligten und dem Opfer sowie von der Auslegung der tatbestandsmäßigen Handlung abhängig ist.29 Auf dieser Basis wird ein zweistufiges Abgrenzungsmodell entwickelt. Auf der ersten Stufe ist festzustellen, ob zwischen dem Handelnden und dem Opfer ein ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis vorliegt, denn die Verwirklichung bestimmter Tatbestände wie derjenigen der unechten Unterlassungsdelikte, der echten Sonder- oder Amtsdelikte sowie der (legitimen) Eigenhändigkeitsdelikte setzt ein solches ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis voraus, und einem äußerlich betrachtet eher geringen Tatbeitrag kann wegen der Verletzung einer Pflicht aus diesem Abhängigkeitsverhältnis täterschaftliche Verletzungsmacht zukommen.30 Auf der zweiten Stufe ist festzustellen, ob der Schutzzweck der vom Handelnden verletzten Verhaltensnorm auf die Verhinderung des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs abzielt und damit die missbilligte Gefahrschaffung in Richtung auf den tatbestandsmäßigen Erfolg oder nur eine Gefahrschaffung oder Gefahr­ erhöhung bezogen auf die Haupttatbegehung verbietet.31 Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme durch Unterlassen erfolgt ebenfalls nach diesem zweistufigen Modell, und zwar nach dem Schutzzweck der verletzten Garantenpflicht.32 Erstreckt er sich auf die Erfolgs- oder Straftatverhinderung, begründet die Verletzung der Garantenpflicht Täterschaft. Das ist bei Verletzung einer Beschützergarantenpflicht in der Regel der Fall, soweit die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.33 Denn der Beschützergarant ist für den tatbestandsmäßigen Erfolg zuständig. Eine Täterschaft begründende Garantenpflichtverletzung liegt auch dann vor, wenn der Begehungstäter ein Verantwortungsdefizit aufweist, etwa wenn er ohne Vorsatz oder ohne Schuld handelt.34 Darüber hinaus erstreckt sich die Garantenpflicht auf die Straftatverhinderung, wenn der Begehungstäter mit einer vom Garanten zu überwachenden gefährlichen Sache das Opfer angreift, die ohne das Eingreifen eines menschlichen Verhaltens gleichsam „aus sich heraus“ eine tatbestandsmäßige Gefahr für das Rechtsgut schaffen kann.35 Letztlich kommt eine Täterschaft durch Unterlassen in Betracht, wenn die Begehungstat als „Aufschluss“ der Gefahren 29  Siehe 30  Siehe 31  Siehe 32  Siehe 33  Siehe 34  Siehe 35  Siehe

S. 330 ff., 379. S. 379 f. S. 380 ff. S. 383 f. S. 385 ff. S. 405 f. S. 406 f.

Resümee555

begriffen werden kann, die der Garant zuvor durch eigenes Verhalten geschaffen hat und für die er mithin zuständig ist. Die unternehmensbezogene Straftat des Untergebenen stellt etwa nur einen Aufschluss der vom Unternehmensinhaber zu überwachenden unternehmensbezogenen Gefahr dar.36 Alle diese Konstellationen haben Folgendes gemeinsam: Die Straftat des Begehungstäters stellt die Verwirklichung einer vom Garanten selbst zu überwachenden tatbestandsmäßigen Gefahr dar und die Verletzung der Garantenpflicht begründet ohne weiteres die Zurechnung der tatbestandsmäßigen Gefahr. Die Vollverantwortlichkeit des Begehungstäters steht somit der Täterschaft des Garanten nicht entgegen. Beschränkt sich der Schutzzweck der Garantenpflicht dagegen auf die Erfolgs- oder Taterschwerung, kommt bei der Verletzung der Garantenpflicht nur eine Teilnahme in Betracht. Das ist dann der Fall, wenn das Unterlassen des Garanten ex ante betrachtet keine hinreichende Bedingung für den tatbestandsmäßigen Erfolg ist und es für die Entstehung einer tatbestandsmäßigen Gefahr noch eines fremden Verletzungswillens bedarf. Dementsprechend kommt Teilnahme durch Unterlassen in Fallkonstellationen in Betracht, in denen die vom Garanten zu überwachende Gefahr nur Teilnahmeunrecht verwirklicht37 oder die zu überwachende gefährliche Sache nach ihrer Beschaffenheit erst unter menschlicher Anwendung die tatbestandsmäßige Gefahr für das Opfer schaffen kann38 oder der Garant zwar ein bestimmtes Verhalten eines Dritten zu überwachen hat, dieses Verhalten aber noch keine tatbestandsmäßige Gefahr schafft, etwa wenn der Strafgefängnisaufseher das Entweichen eines Gefangenen pflichtwidrig nicht verhindert und dieser Gefangene später eine Vergewaltigung begeht.39 In Hinblick auf die einzelnen Beteiligungsformen durch Unterlassen ist daran zu erinnern, dass die Verletzungsmacht im Entzug des rechtlich garantierten Anspruchs des Opfers durch pflichtwidriges Unterlassen zu erblicken ist. Wohl anders sehen es die überwiegenden Stimmen im Schrifttum, wenn sie insbesondere die konstruktive Möglichkeit der mittelbaren Unterlassungstäterschaft oder der Anstiftung durch Unterlassen mit dem Argument ablehnen, dass ein Unterlassen nicht als „Anstoß“ oder Beherrschung des Vordermanns bewertet werden oder nicht im Weg der Willensbeeinflussung den fremden Tatentschluss hervorrufen könne.40 Sie qualifizieren also zunächst ein auf das positive Tun zugeschnittenes Element als Begriffselement dieser Beteiligungsformen, reduzieren das Garantenunterlassen auf die schlichte 36  Siehe

S. 407 ff. S. 384 f. 38  Siehe S. 399. 39  Siehe S. 399 f. 40  Siehe S. 435 f., 507 f. 37  Siehe

556 Resümee

Passivität und lehnen diese Beteiligungsformen bei Garantenunterlassen konsequent ab. Dabei werden aber die unterschiedlichen Bewirkensweisen von Tun und Unterlassen verkannt und wird auch die Verletzungsmacht des Garantenunterlassens nicht angemessen bewertet.41 Wird die These akzeptiert, dass der Garant durch sein pflichtwidriges Unterlassen ebenso gut wie durch positives Tun die rechtliche Position des Opfers verschlechtern kann, spricht nichts dagegen, alle bei positivem Tun anerkannten Beteiligungsformen ebenso bei Garantenunterlassen anzunehmen: Nebentäterschaft durch Unterlassen ist dann anzunehmen, wenn der Garant es trotz seiner Tatverhinderungspflicht pflichtwidrig unterlässt, ein fremdes tatbestandsmäßiges Handeln eines Dritten zu unterbinden, ohne mit diesem Dritten in einem Willensvermittlungsverhältnis zu stehen.42 Mittelbare Unterlassungstäterschaft setzt zwar ebenfalls eine Straftatverhinderungspflicht voraus, die Straftat des Begehungstäters muss aber (auch) als Verwirklichung der Unrechtsmaxime des Garanten angesehen werden. Das ist dann der Fall, wenn der Begehungstäter ein Verantwortungsdefizit aufweist und der Garant für dieses Defizit zuständig ist.43 Handelt der Begehungstäter vollverantwortlich, kommt eine mittelbare Unterlassungstäterschaft nur dann in Betracht, wenn der Begehungstäter gleichsam für den Garanten handelt und der Garant umgekehrt seine Verletzungsmacht durch den Begehungstäter vermittelt, also wenn die Straftat des Begehungstäters als „Aufschluss“ der Gefahren begriffen werden kann, die der Garant zuvor durch eigenes Verhalten geschaffen hat und für die er mithin zuständig ist. Ein klassisches Beispiel dafür ist die mittelbare Unterlassungstäterschaft kraft Organisationsherrschaft, wenn der Machtinhaber einer privaten oder öffentlich-rechtlichen Organisation organisationsbezogene Straftaten des Untergebenen pflichtwidrig nicht verhindert. Dabei ermöglicht die Organisationsbezogenheit die Zuschreibung der Straftat des Untergegebenen zum eigenen Verantwortungs­ bereich des Machtinhabers und die Vermittlung der Verletzungsmacht des Garanten durch einen anderen.44 Eine Mittäterschaft zwischen dem Garanten und dem Begehungstäter ist angebracht, wenn die Annahme der Mittäterschaft durch Unterlassen die Erfolgszurechnung45 oder die Zurechnung der verhaltensbezogenen, unrechtsqualifizierenden Umstände beim Begehungstäter zum Garanten ermöglicht.46 Bei gleichzeitigen Unterlassungen, insbesondere bei Gremienentscheidungen, 41  Siehe 42  Siehe 43  Siehe 44  Siehe 45  Siehe 46  Siehe

S.  435 ff., 520 ff. S. 433 f. S. 442 ff. S. 450 ff. S. 460 f. S. 461 ff.

Resümee557

ist Mittäterschaft durch Unterlassen dann anzuerkennen, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg nur bei Zusammenwirken der gebotenen Rettungshandlungen aller oder bestimmter Garanten vermieden werden kann. Da in diesem Fall die Erfolgsverhinderung auf die rechtmäßigen Handlungen der Mitgaranten angewiesen und eine (kontrafaktische) Unterstellung der rechtmäßigen Handlungen anderer Mitgaranten bei der Beurteilung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs eher problematisch ist, kann die Erfolgszurechnung zum einzelnen Garanten nicht im Weg der Nebentäterschaft erfolgen,47 sondern wird durch die Annahme der Mittäterschaft durch Unterlassen ermöglicht.48 Soweit die Mitgaranten jeweils die gemeinsame Pflicht begreifen und trotzdem pflichtwidrig das Gebotene unterlassen, handeln sie im gemeinsamen Unterlassungsbewusstsein49 und sind wegen der Verletzung der Erfolgsverhinderungspflicht als Mittäter anzusehen.50 Ein Garantenunterlassen ist nach dem hiesigen Ansatz ohne Schwierigkeiten als akzessorischer Rechtsgutsangriff zu begreifen, wenn sich der Schutzzweck der Garantenpflicht auf die Risikoverringerung der Haupttatbegehung beschränkt:51 Entgegen der herrschenden Lehre liegt Anstiftung durch Unterlassen nicht nur dann vor, wenn der Garant für die Anstiftung des von ihm zu Überwachenden zuständig ist und sie trotzdem pflichtwidrig nicht verhindert,52 sondern auch dann, wenn der Garant etwa wegen der Überwachungspflicht53 oder wegen gefährlichen Vorverhaltens54 verpflichtet ist, das Entstehen des Tatentschlusses im Ausführungsstadium etwa durch Abraten zu verhindern.55 In allen diesen Fällen hat die pflichtwidrige Nichtverhinderung des Garanten einen normativen Aufforderungscharakter und ist mit der positiven Aufforderung zur Haupttatbegehung rechtlich gleichzustellen. Da aber eine Anstiftung durch positives Tun bereits dann vorliegt, wenn das pflichtwidrige Unterlassen unter Berücksichtigung des Handlungskontexts im Weg der psychisch-kommunikativen Willensbeeinflussung den fremden Tatentschluss hervorrufen kann,56 und nach dem Entstehen des Tatentschlusses im Aus-

47  Siehe 48  Siehe 49  Siehe 50  Siehe 51  Siehe 52  Siehe 53  Siehe 54  Siehe 55  Siehe 56  Siehe

S.  472 ff. S. 497 ff. S. 498 ff. S. 497 f., 503 ff. S. 506 f. S. 530 ff. S. 525 ff. S. 527 ff. S. 526, 528. S. 521.

558 Resümee

führungsstadium eine Bestimmung zur Straftat nicht mehr möglich ist,57 beschränkt sich die Anstiftung durch Unterlassen auf eher seltene Fälle. Beihilfe durch Unterlassen ist im Einklang mit der herrschenden Lehre anzuerkennen. Sie liegt dann vor, wenn der Schutzzweck der Garantenpflicht auf die Taterschwerung zielt und der Garant die Taterschwerung unterlässt oder die Hilfeleistung des zu Überwachenden nicht verhindert. Da das Handlungsunrecht der Beihilfe durch Unterlassen auf die unterlassene Taterschwerung beschränkt ist,58 kann das Erfolgsunrecht der Beihilfe als Verwirk­ lichung des Handlungsunrechts der Beihilfe bereits dann angenommen werden, wenn ex post festgestellt wird, dass der Garant mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Haupttatbegehung hätte erschweren können.59

57  Siehe

S. 526. S. 542 f. 59  Siehe S. 543 ff. 58  Siehe

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582 Literaturverzeichnis Oonk, Andreas: Strafrechtliche Verantwortlichkeit im Unternehmen im Zeitalter der Compliance – Zur individuellen strafrechtlichen Unterlassensverantwortung von Geschäftsleitung und Compliance-Beauftragtem in Bezug auf außenstehende Dritte unter besonderer Berücksichtigung von Aspekten der Compliance-Diskussion, Frankfurt am Main 2019 [zitiert: Oonk, Verantwortlichkeit]. Orozco López, Hernán Darío: Beteiligung an organisatorischen Machtapparaten – Eine Untersuchung zur Begründung und Verteilung strafrechtlicher Verantwortung, Tübingen 2018 [zitiert: Orozco López, Beteiligung]. Otto, Harro: Mittelbare Täterschaft und Verbotsirrtum, in: Bernd Schünemann/Hans Achenbach/Wilfried Bottke/Bernhard Haffke/Hans-Joachim Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag am 15. Mai 2001, Berlin 2001, S. 483–501 [zitiert: Otto, FS-Roxin I]. Otto, Harro: Grundkurs Strafrecht: Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Auflage, Berlin 2004 [zitiert: Otto, GK]. Otto, Harro: Die strafrechtliche Verantwortung für die Verletzung von Sicherungspflichten in Unternehmen, in: Andreas Hoyer/Henning Ernst Müller/Michael Pawlik/Jürgen Wolter (Hrsg.), Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2006, S. 339–356 [zitiert: Otto, FS-Schroeder]. Otto, Harro: Garantenstellung aufgrund der Beteiligung an vorausgegangenen Misshandlungen oder sonstigen Gewalttätigkeiten, in: Claudius Geisler/Erik Kraatz/ Joachim Kretschmer/Hartmut Schneider/Christoph Sowada (Hrsg.), Festschrift für Klaus Geppert zum 70. Geburtstag am 10. März 2011, S. 441–459 [zitiert: Otto, FS-Geppert]. Otto, Harro: Beihilfe durch Unterlassen, in: JuS 2017, S. 289–295. Paradissis, Alexander: Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen – Zugleich ein Beitrag zu Legitimität und Grenzen der Garantenstellung aus Ingerenz, Berlin 2015 [zitiert: Paradissis, Unterlassungsstrafbarkeit]. Pariona Arana, Raúl: Täterschaft und Pflichtverletzung – Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der Abgrenzung der Beteiligungsformen bei Begehungs- und Unterlassungsdelikten, Baden-Baden 2010 [zitiert: Pariona Arana, Täterschaft]. Pawlik, Michael: Unterlassene Hilfeleistung – Zuständigkeitsbegründung und systematische Struktur, in: GA 1995, S. 360–372. Pawlik, Michael: Der Polizeibeamte als Garant zur Verhinderung von Straftaten, in: ZStW 111 (1999), S. 335–356. Pawlik, Michael: Person, Subjekt, Bürger – Zur Legitimation von Strafe, Berlin 2004 [zitiert: Pawlik, Personen]. Pawlik, Michael: „Der wichtigste dogmatische Fortschritt der letzten Menschenalter“? – Anmerkungen zur Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld im Strafrecht, in: Gerhard Dannecker/Winrich Langer/Otfried Ranft/Roland Schmitz/­Joerg Brammsen (Hrsg.), Festschrift für Harro Otto, Köln/Berlin/München 2007, S. 133–153 [zitiert: Pawlik, FS-Otto]. Pawlik, Michael: „Das dunkelste Kapitel in der Dogmatik des Allgemeinen Teils“ – Bemerkungen zur Lehre von den Garantenpflichten, in: Manfred Heinrich/Chris­

Literaturverzeichnis583 tian Jäger/Hans Achenbach/Knut Amelung/Wilfried Bottke/Bernhard Haffke/ Bernd Schünemann/Jürgen Wolter (Hrsg.), Strafrecht als Scientia Universalis: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag am 15. Mai 2011, S. 931–945 [zitiert: Pawlik, FS-Roxin II]. Pawlik, Michael: Das Unrecht des Bürgers – Grundlinien der allgemeinen Verbrechenslehre, Tübingen 2012 [zitiert: Pawlik, Unrecht]. Pawlik, Michael: Buchbesprechung von Rainer Zaczyk, Selbstsein und Recht. Eine rechtsphilosophische Untersuchung, Frankfurt am Main 2013, in: JZ 2014, S. 895– 896. Pawlik, Michael: Solidarität als strafrechtliche Legitimationskategorie: das Beispiel des rechtfertigenden Aggressivnotstandesin: Joachim Hruschka/Jan C. Joerden (Hrsg.), Jahrbuch für Recht und Ethik, 22 (2014), S. 137–157 [zitiert: Pawlik, JRE 22 (2014)]. Pawlik, Michael: Normbestätigung und Identitätsbalance – Über die Legitimation staatlichen Strafens, Baden-Baden 2017 [zitiert: Pawlik, Normbestätigung]. Perdomo-Torres, Jorge F.: Garantenpflichten aus Vertrautheit, Berlin 2007. Perdomo-Torres, Jorge F.: Das Begehen durch Unterlassen im positiven Recht, in: Michael Pawlik/Reiner Zaczyk (Hrsg.), Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag, Köln 2007, S. 497–513 [zitiert: Perdomo-Torres, FS-Jakobs]. Pfordten, Dietmar von der: Zur Rechtfertigung von Hilfeleistungspflichten, in: von Hirsch, Andreas/Neumann, Ulfrid/Seelmann, Kurt (Hrsg.), Solidarität im Strafrecht. Zur Funktion und Legitimation strafrechtlicher Solidaritätspflichten, BadenBaden 2007, S. 103–113 [zitiert: von der Pfordten, Hilfeleistungspflichten]. Poseck, Roman: Die strafrechtliche Haftung der Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft, Baden-Baden 1997 [zitiert: Poseck, Haftung]. Prittwitz, Cornelius: Das Strafrecht: Ultima ratio, propria ratio oder schlicht strafrechtliche Prohibition? – Zugleich ein Kommentar zu den Beiträgen von Klaus F. Gärditz und Matthias Jahn, in: ZStW 129 (2017), S. 390–400. Puppe, Ingeborg: Der objektive Tatbestand der Anstiftung, in: GA 1984, S. 101–123. Puppe, Ingeborg: Anmerkung zum Urteil des BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89 (BGHSt 37, 107), in: JR 1992, S. 30–34. Puppe, Ingeborg: Wider die fahrlässige Mittäterschaft, in: GA 2004, S. 129–146. Puppe, Ingeborg: Der Versuch des mittelbaren Täters, in: Gunter Widmaier/Heiko Lesch/Bernd Müssig/Rochus Wallau (Hrsg.), Festschrift für Hans Dahs, Köln 2005, S. 173–188 [zitiert: Puppe, FS-Dahs]. Puppe, Ingeborg: Der gemeinsame Tatplan der Mittäter, in: ZIS 2007, S. 234–246. Puppe, Ingeborg: Die Architektur der Beteiligungsformen, in: GA 2013, S. 514–536. Puppe, Ingeborg: Strafrecht Allgemeiner Teil: im Spiegel der Rechtsprechung, 4. Auflage, Baden-Baden 2019 [zitiert: Puppe, AT]. Putzke, Holm: Pflichtdelikte und objektive Zurechnung – Zum Verhältnis der allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen zu den Merkmalen des § 25 StGB, in: Man-

584 Literaturverzeichnis fred Heinrich/Christian Jäger/Hans Achenbach/Knut Amelung/Wilfried Bottke/ Bernhard Haffke/Bernd Schünemann/Jürgen Wolter (Hrsg.), Strafrecht als scientia universalis. Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag am 15. Mai 2011, S. 425–437 [zitiert: Putzke, Roxin-FS II]. Radbruch, Gustav: Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der rechtswissenschaftlichen Systematik, Berlin 1903 [zitiert: Radbruch, Handlungsbegriff]. Ranft, Otfried: Garantiepflichtwidriges Unterlassen der Deliktshinderung – Ein Beitrag zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme, in: ZStW 94 (1982), S. 815– 863. Ranft, Otfried: Das garantiepflichtwidrige Unterlassen der Taterschwerung, in: ZStW 97 (1985), S. 268–302. Ranft, Otfried: Bemerkungen zu Täterschaft und Teilnahme durch garantenpflichtwidriges Unterlassen, in: Gerhard Dannecker/Winfried Langer/Otfried Ranft/Roland Schmitz/Joerg Brammsen (Hrsg.), Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag, Köln 2007, S. 403–422 [zitiert: Ranft, FS-Otto]. Ransiek, Andreas: Unternehmensstrafrecht – Strafrecht, Verfassungsrecht, Regelungsalternative, Heidelberg 1996 [zitiert: Ransiek, Unternehmensstrafrecht]. Ransiek, Andreas: Strafrecht im Unternehmen und Konzern, in: ZGR 1999, S. 613– 658. Ransiek, Andreas: Zur strafrechtlichen Verantwortung des Compliance Officers, in: AG 2010, S. 147–153. Ransiek, Andreas: Das unechte Unterlassungsdelikt (1.–3. Teil), in: JuS 2010, S. 490– 497; S. 585–589; S. 678–681. Ransiek, Andreas: Aussteller einer Urkunde und Täter der Falschangabedelikte, in: Hans-Ullrich Paeffgen/Martin Böse/Urs Kindhäuser/Stephan Stübinger/Torsten Verrel/Rainer Zaczyk (Hrsg.), Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruk­ tion. Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag, Berlin 2011, S. 1269– 1282 [zitiert: Ransiek, FS-Puppe]. Rauber, Kirsten: Mord durch Unterlassen? – Ist es möglich, die Mordmerkmale des § 211 II StGB im Falle einer Tötung durch Unterlassen zu verwirklichen?, BadenBaden 2008 [zitiert: Rauber, Mord]. Redmann, Michael: Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB unter Berücksichtigung linguistischer Aspekte, Berlin 2014 [zitiert: Redmann, Anstiftung]. Rengier, Rudolf: Das Heimtückemerkmal bei Tötungen durch Unterlassen, in: Christoph Safferling/Gabriele Kett-Straub/Christian Jäger/Hans Kudlich (Hrsg.), Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2017, S. 125–135 [zitiert: Rengier, FS-Streng]. Rengier, Rudolf: Strafrecht Besonderer Teil II – Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit, 21. Auflage, München 2020 [zitiert: Rengier, BT II]. Rengier, Rudolf: Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. Auflage, München 2020 [zitiert: Rengier, AT].

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Stichwortverzeichnis Abgrenzung von Tun und Unterlassen –– begrenzte Relevanz bei Vorliegen der Sonderverantwortlichkeit  235 f. –– bei § 216 StGB 241 ff. –– im Organisationszusammenhang  235 f., 307 –– nach dem Inhalt des Rechtsverhältnisses  238 ff. –– Relevanz  234 f. –– Schwerpunktformel  239 f. Abhängigkeitsverhältnis –– ursprüngliche Abhängigkeit aufgrund einseitiger Risikoschaffung  174 ff. –– ursprüngliche Abhängigkeit aus der Übernahme der Schutzfunktion  164 ff. –– ursprüngliche Abhängigkeit vor dem Ausbruch der tatbestandsmäßigen Gefahr  156 f. –– ursprüngliche Solidarität  150, 152 ff. –– ursprüngliches Abhängigkeitsverhältnis  155 ff., 158 f., 159 ff., 163 ff. Akzessorietät der Teilnahme –– limitierte Akzessorietät  141, 358 Fn. 458, 373, 374 ff., 378 –– strenge Akzessorietät  141 Fn. 69, 376 ff., 378 akzessorischer Rechtsgutsangriff –– als Unrecht der Teilnahme  367 ff., 369, 377 –– bei Anstiftung  509 –– bei Beihilfe  536, 539 –– Garantenunterlassen als akzessorischer Rechtsgutsangriff  506 f. Amtsdelikte –– das Unrecht der echten Amtsdelikte  303, 305, 554 –– das Unrecht der unrechten Amtsdelikte  305 Fn. 235

Amtsträger –– Garantenstellung des Polizisten  172 ff., 191, 387 –– Garantenstellung eines Amtsträgers im Allgemeinen  171 f., 269, 305, 386 f., 419 –– Garantenstellung eines Amtsträgers in der Wasserbehörde  386 –– Garantenstellung eines Gefängnisaufsehers  400, 408, 430 –– Garantenstellung eines Richters  235, 269, 324 f., 358, 365 Anerkennung –– Rechtsverhältnis als Anerkennungsverhältnis zwischen Vernunftwesen  94 ff., 98, 101, 114, 115 f., 132, 134, 149, 150, 154 Anerkennungsverhältnis zwischen Person, Institution und Gesetz im Staat  108 ff. Anstiftung –– Aufforderungscharakter  511, 513, 520 f., 521, 522, 530 ff. –– neutrale Anstiftung  510 f. –– Nichtverhinderung der Anstiftung eines Dritten seitens einer vom Garanten zu überwachenden Person  530 ff. –– Nichtverhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses  525 ff. –– Nichtverhinderung des Entstehens eines fremden Tatentschlusses nach einer eigenen ungewollten Tatprovokation  527 ff. –– Schaffung eines unerlaubten Risikos in Richtung auf einen fremden Tatentschluss  186, 342, 361, 372, 436 f., 448, 509, 512 f., 517

598 Stichwortverzeichnis Aufsichtsratsmitglieder –– als Nebentäter  411, 454 –– Garantenpflicht der Aufsichtsratsmitglieder  219 ff., 221 ff. –– Reichweite der Überwachungsgarantenpflicht  225 f. Autonomie –– als Grundlage des moralischen Rechtsbegriffs bei Kant  77 ff., 79, 82, 83, 89, 91, 92 –– autonome Entscheidung zur gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung  300 –– personale Dimension der Handlung  130 f. –– verfassungsrechtliche Verankerung  110 ff. Behandlungsabbruch  241 f. Beihilfe –– durch Unterlassen  48, 69, 392, 401, 433, 524 Fn. 553, 529, 532 f., 533 ff., 541 ff. –– Erfolgsunrecht der Beihilfe  543 ff. –– Handlungsunrecht der Beihilfe  542 f. –– Kausalität des Hilfeleistens  535 ff., 538 –– neutrale Beihilfe  446 Fn. 221, 540 f., 542 f. Beschützergarant –– als Täter  48, 59, 171, 172 ff., 304, 305, 380, 388 f., 404, 419 f., 429 f., 443 f., 465, 525 Fn. 557, 554 –– als Teilnehmer  391 ff. Bestimmen –– geister Kontakt  70, 508, 511, 526 –– Hervorrufung eines Tatentschlusses  508, 510 –– Schaffung einer missbilligten Gefahr in Richtung auf Hervorrufung eines Tatentschlusses siehe Anstiftung Betriebsbezogenheit –– als Grund und Grenzen der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung  200 ff. –– im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen  204 ff.

–– kriminologische Grundlage  202 ff. Compliance-Officer –– als mittelbare Täterschaft  411 f. –– als Teilnahme  411 –– Garantenpflicht des ComplianceOfficers zur Erschwerung einer betriebsbezogenen Straftat  227 ff. –– Reichweite der Überwachungsgarantenpflicht  230 ff. echter Unterlassungsdelikt –– die Legitimität des § 323a StGB 152 ff. –– im Unterschied zu unechtem Unterlassungsdelikt  154 –– ursprüngliche Solidarität  150, 152 ff. eigenhändige Delikte –– teils als Garantensonderdelikte  310, 333, 379, 382 –– teils als höchstpersönliche Pflichtdelikte  301 –– teils als verkappte Gemeindelikte  330 Eigenverantwortlichkeit des anderen Beteiligten –– als Kriterium für die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung  41, 68, 447 Fn. 223, 289 f., 343 ff., 450 –– als Kriterium für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme  40 f., 343 –– als Kriterium für die Reduzierung der Reichweite der Garantenpflicht  397 f., 399 f., 403, 413, 416, 418, 421, 428, 432 f. –– kein Hindernis zur Begründung einer Garantenstellung  182 Fn. 218, 190, 199, 222 f., 227 f. Einheitstäterschaft –– Abgrenzung der Beteiligungsformen als ein Problem der Erfolgszurechnung  323 Fn. 333, 328 –– Abgrenzung der Beteiligungsformen nach der Gefahrschaffung  185, 329 Fn. 350

Stichwortverzeichnis599 –– bei Fahrlässigkeitsdelikten  260 Fn. 33 –– das Modell der Einheitstäterschaft  266 f. –– Quasi-Einheitstäterschaft bei Pflichtdeliktstheorie  44 Einpassungsentschluss  347 Entsprechungsklausel –– als Kriterium für die Abgrenzung der Beteiligungsformen  53 f. –– Bedeutung  249, 552 –– im Kontext von Zurechnung eines qualifizierten Tatbestandsmerkmales beim Begehungstäter zum Garanten  461 Erfolgserschwerung –– als Kriterium für Teilnahme durch Unterlassen  383 f. –– Pflicht des Compliance-Officers zur Erfolgserschwerung siehe Compliance-Officer –– unterlassende Erfolgserschwerung als Handlungsunrecht der Beihilfe  542 f. Erfolgserschwerungspflicht bei Zuständigkeit für gefährliche Sachen  399, 403, 420 Erfolgsunrecht –– als Verwirklichung des Handlungsunrechts  195 Fn. 257, 257, 373, 558 –– der Alleintäterschaft  257 f., 261 f. –– der Teilnahme  370, 372 Erfolgsverhinderung –– Verletzung der Erfolgsverhinderungspflicht als Täterschaft  383 f. Erfolgsverhinderungsmöglichkeit als Kriterium für die Abgrenzung der Beteiligungsformen  415 f. Erfolgsverhinderungspflicht bei Zuständigkeit für gefährliche Sachen  406 f., 421, 431 Erfolgsverhinderungspflicht der Aufsichtsratsmitglieder siehe Aufsichtsratsmitglieder Erfolgsverhinderungspflicht der Polizisten siehe Amtsträger

Erfolgsverhinderungspflicht der Vorstandsmitglieder siehe Garantenpflicht der Vorstandsmitglieder Erfolgsverhinderungspflicht des Beschützergaranten siehe Beschützergarant als Täter Erfolgsverhinderungsschwierigkeit –– als Kriterium für die Abgrenzung der Beteiligungsformen  35 f., 415 f. –– zufälliger Charakter  35, 416 extensiver Täter- bzw. Tatbegriff –– bei Fahrlässigkeit  260 Fn. 33 –– Kritik der Beteiligungslehre Jakobs  323, 424 –– Kritik des extensiven Täterbegriffs  268 f. Fahrlässigkeit –– als Grund für die Erweiterung des Schutzzwecks der Garantenpflicht  260 Fn. 33 –– Garantenpflicht zur Erfolgsverhinderung durch fahrlässiges Vorverhalten  178 –– Garantenpflicht zur Verhinderung eines fremden Tatentschlusses durch fahrlässiges Vorverhalten  527 ff. Freiheit –– die angeborene Freiheit  92 ff. –– Kausalität aus Freiheit siehe Kausalität –– negativer Begriff der Freiheit  77 f., 82, 87 f., 88 –– positiver Begriff der Freiheit  78, 82, 88 –– transzendentale Freiheit  78 f., 86 ff., 89 Freiheitsverwirklichung als Ziel der Verhaltensnorm  254, 257, 395 funktionelle Tatherrschaft –– als eine Voraussetzung für Mittäterschaft  286, 295 ff., –– bei Garantenunterlassen  455, 504, 553 –– Kritik der funktionellen Tatherrschaft  296 f., 553

600 Stichwortverzeichnis Funktionenlehre  163, 423 Garantenpflicht –– der Aufsichtsratsmitglieder siehe Aufsichtsratsmitglieder –– der Befehlsinhaber/Machtinhaber  294, 295, 324 Fn. 334, 344 f., 556 –– der Ehepartner  164, 165, 167, 177 –– der Eltern  155 ff., 160, 164 f., 166, 174 Fn. 189, 175 ff., 236, 244, 246, 321, 421 –– der Gesellschafter  209 f. –– der Vorstandsmitglieder  195 f., 211, 212 ff., 216 ff., 407 f., 410, 453, 504 –– des Aktionärs  210 –– des Amtsträgers siehe Amtsträger –– des Arztes  158 Fn. 130, 168 Fn. 165, 241, 242, 321, 386 –– des Babysitters  166, 386 –– des Bergführers  166 –– des Betriebsinhabers/Unternehmensinhabers  193, 194 f., 199, 200, 208, 213, 227, 230, 231 Fn. 412, 233, 407, 408, 410, 432, 453, 555 –– des Compliance-Officers siehe Compliance-Officer –– des Gefängnisaufsehers  400, 408, 430 –– des Geschäftsführers  37, 38, 210 f., 212 ff., 216, 235, 306, 307, 308, 410, 434, 469, 525 –– des Hundehalters  190, 315, 316, 465 –– des Wohnungsinhabers  191 f. –– Schutzzweck der Garantenpflicht siehe Schutzzweck –– zur Erfolgserschwerung siehe Erfolgserschwerung –– zur Erfolgsverhinderung siehe Erfolgsverhinderung –– zur Überwachung gefährlicher Sachen  399, 403, 406 f., 420, 421, 431 Garantensonderdelikt –– bei Vorliegen eines ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses  304, 333

–– beim Tätersystem Schünemanns  45, 313, 314, 315, 316 –– eigenhändige Delikte als Garanten­ sonderdelikte siehe eigenhändige Delikte –– Pflichtdelikte als Garantensonderdelikte  304, 333 Garantenstellung siehe Abhängigkeitsverhältnis Gehilfentheorie –– eingeschränkte Gehilfentheorie  30 f., 33, 61, 395, 396, 397, 413 Fn. 89, 416, 431, 458, 552 –– extreme Gehilfentheorie  31, 393 ff. gemeinsame Tatausführung  295, 296, 299 f., 347, 349, 363, 456, 458 Fn. 257, 459, 468, 486, 503 ff., 553, 557 gemeinsamer Tatentschluss  295, 298, 300, 343, 347, 350, 351 ff., 354, 363, 411, 455, 457, 459, 461, 469, 498 ff., 553, 557 Geschäftsherrenhaftung –– personale Reichweite  208 ff. –– sachliche Reichweite  200 ff. –– strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung  37, 198 ff., 407 ff. Gremienentscheidung –– Begründung der Erfolgsverhinderungspflicht  218, 471 f. –– Beteiligungsfragen  497 ff., 498 ff., 503 ff. –– Kausalitäts- oder Erfolgszurechnungsprobleme  473 ff., 481 ff. Grundgesetz  74, 110, 111, 114 Handlung –– die personale Dimension der Handlung  130 ff. –– die soziale Dimension der Handlung  132 f. –– rechtsphilosophische Grundlage der Handlung  129 f. –– Straftat als eine vom Strafrecht interpretierte Handlung  133 ff.

Stichwortverzeichnis601 Handlungslehre –– finale Handlungslehre  131 f., 142 f., 246, 286 –– intentionale Handlungslehre bei Kindhäuser  146 ff., 246 –– interpersonale Handlungslehre  128 ff., 133 Fn. 32, 149 ff., 252 –– kausale Handlungslehre  130, 142 Handlungsunrecht –– bei Anstiftung  508 ff., 510 ff., 520 ff., 524 ff. –– bei Beihilfe  539 ff., 542 f. –– bei Täterschaft  252 ff., 254 ff., 259 ff. Herrschaft –– funktionelle Tatherrschaft siehe funktionelle Tatherrschaft –– Handlungsherrschaft  286, 287 ff. –– über den Grund des Erfolgs bei Tätersystem Schünemanns  40, 253, 272, 312 ff., 316 f., 330 –– über die partielle Unmündigkeit  176 Fn.  195, 197 f. –– über die Qualität des Rechtsverhältnisses  288, 301, 306, 327, 328 f., 330, 380, 436, 550 –– Willensherrschaft siehe mittelbare Täterschaft kraft Nötigung- und Irrtumsherrschaft Herrschaftsdelikt  30 Fn. 21, 45, 67 Fn. 184, 283, 285, 301, 302, 306, 307, 309, 313, 315, 332 Ingerenz –– bei pflichtmäßigem Vorverhalten  179 f., 188, 195 f. –– bei pflichtwidrigem Vorverhalten  47, 61 Fn. 164, 178, 181 f., 190, 191, 192, 195, 342, 385, 427, 442, 448 –– bei Weiterungstaten  183 ff. –– im Kontext von Anstiftung durch Unterlassen  507 Fn. 461, 527 ff. Institution  51, 108 f., 113, 117 Fn. 237, 120, 121, 161, 164 Fn. 148, 167, 168, 169, 170, 171, 320 f., 326 Fn. 346, 424, 425, 501 ff., 516

Interesse am Taterfolg  54, 55, 62, 63 Intersubjektivität  94, 95, 96, 99, 100, 105 Fn. 179 Irrtum –– mittelbare Täterschaft durch Auslösung eines Motivirrtums  291 f. –– mittelbare Täterschaft durch Auslösung oder Nichtbeseitigung eines Tatbestandsirrtums  265, 341, 405 f. –– mittelbare Täterschaft durch Auslösung oder Nichtbeseitigung eines Verbotsirrtums  291, 292 f., 341 f., 447 ff. –– Zuständigkeit des Hintermanns für den Irrtum beim Vordermann  292 f., 340 ff. Kausalität –– aus Freiheit  46, 78, 130, 494, 538 –– bei Gremienentscheidung siehe Gremienentscheidung –– des Hilfeleistens siehe Beihilfe Lederspray-Entscheidung  193 Fn. 251, 447 Fn. 223, 468, 469, 484, 487, 490 Fn. 400, 491, 495, 498 Fn. 430, 502 Menschenbild  113, 114 Menschenwürde  110, 111, 112, 113, 114, 117 Fn. 237, 139 Fn. 57 Mittäterschaft –– bei gemeinsamen Unterlassungen  468 ff., 497 ff. –– funktionelle Tatherrschaft i. S. v. Mitherrschaft  296 f., 297 Fn. 201, 504 –– Zuständigkeit für die Handlungen anderer Mittäter  297 f., 349 f., 352, 353, 553 –– zwischen einem Garanten und einem Begehungstäter  458 ff. Mittelbare Täterschaft –– kraft Irrtumsherrschaft  291 ff., 293, 294, 341 f., 348, 447 ff.

602 Stichwortverzeichnis –– kraft Nötigungsherrschaft  68, 286, 289, 290, 291, 293, 294, 336, 338, 339, 341, 342, 348, 436, 442, 516 –– kraft Organisationsherrschaft  27, 28 Fn. 7, 43, 59, 200 Fn. 276, 284, 293 ff., 306, 308 Fn. 250, 343 ff., 447 Fn.  223, 452 ff. –– in Mittäterschaft  505 f. Naturzustand  106, 114 Fn. 226, 120, 121, 125, 161, 169, 170 Fn. 171 Nebentäterschaft  273 Fn. 83, 332 Fn. 354, 343, 346 f., 386, 411, 433 f., 442, 451, 454, 455 f., 460, 461, 472, 486, 495, 496, 556, 557 Norm –– Sanktionsnorm  33, 77, 134, 135, 258, 353 Fn. 438, 361 Fn. 474, 363, 470, 547 –– Verhaltensnorm siehe Verhaltensnorm normative Kombinationstheorie  54 ff., 57 Fn. 144, 61 Normentheorie –– Abgrenzung zwischen täterschaftlichen und teilnehmerschaftlichen Verhaltensnormen  328 Fn. 349, 329 Fn. 350, 356 ff., 359 ff., 361 f., 363, 369, 380, 546, 553 –– analytischer Charakter  73 –– Erklärung des Handlungs- und Erfolgsunrechts der Täterschaft  254 ff., 259 ff., 327 ff., 330 ff., 332 ff. 334 ff., 340 ff., 349 ff. –– Erklärung des Handlungs- und Erfolgsunrechts der Teilnahme  75, 356 ff., 359 ff., 369 f., 370 ff. –– schuldhafte Übertretung der Verhaltensnorm  135 ff. –– Unterscheidung zwischen Verhaltensnorm und Sanktionsnorm  134 f. Normlogik  247, 249, 552 Obliegenheitsverletzung  179 Fn. 204, 205 Fn. 306, 319, 322 f., 365, 402 Fn. 60, 424

omnimodo facturus  517 ff., 526 Fn. 560, 529 Organisationsherrschaft siehe mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft Pflichtdeliktslehre  43 ff., 46, 47, 49, 66, 245, 301, 303, 305, 306, 308 Fn. 254, 309, 316, 325, 326, 345 Fn. 405, 384 Fn. 2, 385, 388 Fn. 13, 392, 400 f., 402, 403, 404, 424, 431, 437 Fn. 188, 506, 507 Fn. 461, 552 Pflichtwidrigkeitszusammenhang  262, 474, 477, 488 Fn. 389, 492, 493, 544, 545, 547 Politbüro-Entscheidung  58, 59, 332 Fn. 354, 469, 482, 490, 491 Fn. 404, 492, 502 Rechtsbegriff  70 ff., 74, 77 ff., 84 ff., 94 ff., 99, 100, 102 Fn. 170, 104, 109 Fn. 200, 110, 117, 150 Fn. 107, 357 Rechtsgut –– als Beziehungsbegriff  117 f. –– als Grenze der Strafgesetzgebung  122 ff. –– Daseinselemente der Freiheit  117 f., 122 Fn. 257, 124, 151 Rechtsverhältnis siehe Anerkennung Risikoerhöhungslehre –– Kritik der Risikoerhöhungslehre  477 ff. –– Untauglichkeit bei der Gremienentscheidung  480 –– zur Interpretation des Beihilfenunrechts  535 Fn. 594, 543 Fn. 632, 546 ff. Risikoverminderungslehre  474 ff., 475, 476 Fn. 337, 477, 478, 480 Sanktionsnorm siehe Norm Schuld –– als Element der Straftat  127, 134 ff. –– als Element der Tatherrschaft  287, 288 Fn. 152

Stichwortverzeichnis603 –– Unterscheidung von „Unrecht“ und Schuld  135 ff., 139 ff. Schuldunfähige  136, 138, 290 f., 378 Schutzzweck der Garantenpflicht  46, 51 f., 188 Fn. 238, 244 f., 387, 396, 397, 408, 409, 416, 417, 425, 443, 450, 458, 464, 466, 467, 522, 526, 527, 551, 555, 557, 558 Schutzzweckzusammenhang  260 f., 529 Schwerpunktformel siehe Abgrenzung von Tun und Unterlassen Selbständigkeit  92, 109, 151 f., 153 f., 155, 165 f., 174, 192 Fn. 248, 193 Fn. 250, 310 Selbstbestimmungsrecht  192, 241 Fn. 440, 242 Solidarität –– als Rechtsbegriff  150 Fn. 107 –– ursprüngliche Solidarität bei echten Unterlassungen  150, 152 ff. –– zur Erklärung des Wesens der Beteiligung  264 Fn. 45 Sonderdelikte  301, 303 ff., 305 Fn. 235, 312, 324, 326, 333, 360, 365, 378, 379, 382 Sondergefahr  180, 527 Fn. 567, 529 Strafgrund der Teilnahme –– akzessorischer Rechtsgutsangriff  48, 69, 358 Fn. 458, 377, 400, 506 f., 508, 509, 536, 539, 557 –– akzessorische Verursachungstheorie  367, 368, 369 –– reine Verursachungstheorie  360, 369, 510 –– Schuldteilnahmetheorie  357, 358 Fn. 458 –– Unrechtsteilnahmetheorie  357 Strafmilderung –– bei § 13 II StGB  71, 307, 402, 415 –– Milderung der Härte von Pflichtdeliktslehre  402 Straftat –– als schuldhafte Übertretung einer strafbewehrten Verhaltensnorm  135 ff.

–– eine vom Strafrecht interpretierte Handlung  133 ff. –– gravierende Rechtsverhältnisverletzung  121, 135, 252, 550, 551 subjektive Theorie  32 ff., 54, 344 Fn. 404 tatbestandsmäßige Gefahr  156, 168, 181, 188, 348, 355 Fn. 446, 386, 389, 390, 391, 399, 405, 406, 408, 417, 420, 421, 430, 431, 432, 433, 441, 452, 471, 551, 553, 554, 555 Tatentschluss –– gemeinsamer Tatentschluss siehe gemeinsamer Tatentschluss –– Hervorrufung oder Nichtverhinderung eines Tatentschlusses im Ausführungsstadium  517 ff., 526, 557 Täter- bzw. Tatbegriff –– extensiver Täterbegriff siehe extensiver Täter- bzw. Tatbegriff –– extremer restriktiver Täter- bzw. Tatbegriff  271 ff., 272 ff., 274 ff., 276 ff., 356 –– gemäßigter restriktiver Täterbegriff  271, 272, 281 ff., 323, 327, 338, 356 Täter hinter dem Täter  265, 343 ff., 344 Täterschaft –– Alleintäterschaft  74, 75, 252 ff., 262, 263, 266, 280, 327 f., 329, 336, 337, 338, 348, 414, 483, 497, 552 –– durch strafbare persönliche Erklärung  309 ff. –– Mittäterschaft siehe Mittäterschaft –– mittelbare Täterschaft siehe mittelbare Täterschaft –– Nebentäterschaft siehe Nebentäterschaft Tätersystem –– monistisches, zweistufiges Tätersystem  75, 327 ff., 328, 330, 379 ff., 550 –– von Jakobs  68, 317 ff. –– von Roxin  45, 66, 282 ff., 301, 311 –– von Schünemann  45, 312 ff., 313, 314, 316

604 Stichwortverzeichnis Täterwillen  39, 48 Fn. 111, 54, 59 Tatherrschaft –– als Herrschaft über den Grund des Erfolgs siehe Herrschaft über den Grund des Erfolgs –– als Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses siehe Herrschaft über die Qualität des Rechtsverhältnisses –– als Leitprinzip des Tätersystems  328 ff., 330, 550 –– instrumentale Tatherrschaft  30, 32, 34, 45, 65, 79 Fn. 12, 246 ff., 250 f., 285 ff., 286, 287, 343, 345, 431, 435, 436, 442, 455, 504 Tatherrschaftswechsel  38, 413 f., 415, 417 Teilnahme –– Akzessorietät der Teilnahme siehe Akzessorietät der Teilnahme –– Anstiftung durch Unterlassen siehe Anstiftung –– Beihilfe durch Unterlassen siehe Beihilfe –– das Unrecht der Teilnahme siehe Strafgrund der Teilnahme überlegene Pflichtstellung  39, 42, 43, 209, 340 ff., 342, 353, 381, 552 f. Übernahme –– der Schutzfunktion  163, 164 f., 165 ff., 169 ff., 182 Fn. 218, 193, 194 f., 208 –– der Überwachungsfunktion  221 ff., 222 Fn. 374, 228, 298, 524 Fn. 553 –– einer wesentlichen Funktion für die Tatbestandsverwirklichung  503 ff. –– normativ berechtigtes Vertrauen durch Übernahme  167 f. Überwachungsgarant –– als Täterschaft  307, 405 f., 406 f., 410 f., 412, 421, 430 –– als Teilnahme  334, 397 f., 399 f., 403, 411, 420, 427, 428, 430, 525, 530

Unrecht –– als Rechtsverhältnisverletzung in einer konkreten, rechtlich verfassten Gemeinschaft  120 ff. –– als Selbstwiderspruch des Täters  119 f. –– als Verletzung des Rechts als Rechts  116 –– als Verletzung eines fremden Daseinselements und der Rechtsgeltung  115 ff. –– Kriminalunrecht  121 f., 125 Unterlassen –– beteiligungsspezifisch  383 ff. –– handlungstheoretisch  141 ff., 149 ff. –– straftheoretisch  158 f., 159 ff. Unterlassungsdelikte –– echte Unterlassungsdelikte siehe echte Unterlassungsdelikte –– unrechte Unterlassungsdelikte bzw. Garantenunterlassen  41 Fn. 79, 149 Fn. 105, 157, 158, 159, 162, 173, 241 Fn. 440, 301, 302, 303, 304 Fn. 230, 305, 306, 312, 314, 315, 316, 317, 332, 334, 355 Fn. 445, 379, 382, 444, 454, 455, 475, 476, 477, 503, 506, 508, 521, 522, 528, 531, 532, 533, 534, 543, 545, 546, 547 Fn. 642, 551, 552, 554 Verantwortungsprinzip siehe Eigenverantwortungsprinzip des anderen Beteiligten Verhaltensnorm –– Abgrenzung von täterschaftlicher und teilnehmerschaftlicher Verhaltensnorm  328 Fn. 349, Fn. 350, 356 ff., 361, 362, 363, 368, 369 f., 380, 429, 546, 553 –– Abgrenzung von Verhaltensnorm und Sanktionsnorm  134 f., 257, 258, 361 Fn. 474, 470 –– bei Mittäterschaft  351 f. –– bei mittelbarer Täterschaft  348 –– bei unmittelbarer Täterschaft  254 ff.

Stichwortverzeichnis605 –– keine völlige Selbständigkeit der teilnehmerschaftlichen gegenüber der täterschaftlichen Verhaltensnorm  361 f., 362 ff. –– kontext- und adressatenspezifisch  254 ff., 348, 445 Fn. 218 Verkehrssicherungspflicht  196, 217 Fn. 349, 318 Versuch –– beendeter Versuch  40, 280, 391 Fn. 26 –– versuchte Beihilfe  30, 536, 537 Versuchsbeginn bei Garantenunterlassen  355 Fn. 446, 390 f., 391 Fn. 24, 440 f. Versuchsbeginn bei Mittäterschaft  337 Fn.  376, 353 ff. Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft  279 ff., 440 f. Weiterungstaten –– Abgrenzung der Beteiligungsformen  188 Fn. 238, 403, 432 –– Begriff  183 –– eigene Lösungen  184 ff. –– Fälle in der Rechtsprechung  61 Fn.  164, 183 f. Willensherrschaft siehe mittelbare Täterschaft kraft Nötigungs- und Irrtumsherrschaft Willensunterwerfung bzw. -unterordnung  39, 55, 57, 58, 353, 517 Zentralgestalt  34, 50, 66, 75, 282, 283, 284, 285, 290, 306, 330 Zurechnung –– eines qualifizierenden Tatbestandsmerkmals  461 ff.

–– fremden Unrechts als fremden  371, 372, 510, 536, 553 –– fremder Handlung als eigener  269, 271 f., 276, 280, 300, 322, 323, 325, 329, 330, 331, 335, 338, 339, 355, 439, 461, 504 Zurechnungslehre  51 Fn. 122, 66, 67, 70, 72, 75, 184 Fn. 227, 253, 259, 261 Fn. 35, 275, 288 Fn. 155, 318 Fn. 302, 323 Fn. 333, 328, 368, 444 Fn. 212, 512, 538 Fn. 612, 550 Zuständigkeit –– für den tatbestandsmäßigen Erfolg  75, 149, 295, 303, 304, 308, 330, 334, 343, 370, 380, 381, 382, 386, 387, 388, 405, 406, 408, 421, 422, 424, 425, 432, 443, 451, 452, 453, 460, 475, 545, 546, 552, 554 –– für die Erhöhung des Haupttatrisikos  370, 372 Fn. 514, 384, 401, 425, 506, 545, 546 –– für fremde Tatbeiträge bei Mittäterschaft  297, 298, 300, 335, 349 ff., 353 ff., 381, 457, 460, 461, 486, 497, 498 Fn. 427, 499, 505, 552, 553 –– für fremde Tatbeiträge bei mittelbarer Täterschaft  265, 292, 293, 295, 331, 335, 340 ff., 343 ff., 381, 397, 405, 406, 442, 443, 444, 447, 451, 495 f., 552, 553, 556 –– für fremden Tatentschluss  186, 326, 522, 529, 530, 531, 557 –– für qualifizierende Umstände  463, 464, 465, 467 Zuständigkeitsaufteilung in Unternehmen  208 ff., 211, 216 Fn. 347, 217, 218, 445, 446, 447, 451, 453, 556