Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§ 13 StGB) [1 ed.] 9783428466511, 9783428066513


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German Pages 204 Year 1989

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Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§ 13 StGB) [1 ed.]
 9783428466511, 9783428066513

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PAUL NITZE

Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§ 13 StGB)

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Rechte an der Universität Harnburg

und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 64

Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§ 13 StGB)

Von Dr. Paul Nitze

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Eberhard Schmidhäuser, Harnburg

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Nitze, Paul: Die Bedeutung der Entsprechensklausel beim Begehen durch Unterlassen (§ 13 StGB) I von Paul Nitze. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Strafrechtliche Abhandlungen; N. F., Bd. 64) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-06651-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-06651-0

"Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande." (Goethe, Maximen und Reflexionen)

Inhaltsverzeichnis Erster Teil

Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel A. Die Entsprechensklausel

15 15

I. Einführung und Aufgabe der Arbeit

15

li. Begriffsbestimmungen und die Art der von § 13 StGB erfaßten Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1. Die Begriffe "Begehen", "Täter", "Tat" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Art der von§ 13 StGB erfaßten Unterlassungsdelikte . . . . . . . a) Das Auslegungs-Unterlassen als Teil einer dreifachen Unterscheidung der Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Unterscheidung nach echten und unechten Unterlassungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 17 18 19

III. Entstehungsgeschichte der Entsprechensklausel . . . . . . . . . . . . . . . .

23

IV. Der Streit um die systematische Einordnung der Entsprechensklausel . . 1. Unterschiedliche Einordnung der Gleichstellungsproblematik . . . . . 2. Unterschiedliche Einordnung der Entsprechensklausel innerhalb der Gleichstellungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 25

B. Die Beurteilung der Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung . . .

26

I. Theorien der Modalitätenäquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handlungs- und Tatmodalitäten unterscheidende Theorie . . . . . . . 2. Theorie der Gesamtbewertung des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strenge Modalitätenäquivalenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Theorie der Doppelfunktion der Entsprechensklausel . . . . . . . . . . 5. Theorie der Interpretationsanweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unterscheidung nach Erfolgsdelikten mit handlungsspezifischen Unwertelementen und Delikten mit erfolgsdeliktischen Bausteinen . . . .

26 28 29 31 33 34

Il. Theorie des konkludenten Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

26

35

... .....

37

IV. Entsprechung als Voraussetzung tatbestandlieber Gleichstellung von Handlung und Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

V. Ablehnung der Entsprechensklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ablehnung der gesamten Vorschrift "Begehen durch Unterlassen" . . 2. Ablehnung allein der Entsprechensklausel in § 13 StGB . . . . . . . .

42 42 44

III. Entsprechung als das "eigentliche Gleichstellungsproblem"

Inhaltsverzeichnis

8

Zweiter Teil 45

Kritik A. Grundlagen der Kritik

45

I. Der Zusammenhang von Straftatsystematik, Straftattheorie und Ent-

sprechensklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Straftatsystematik und Straftattheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Abhängigkeit der Entsprechung von Systematik und Straftattheorie

II. Klassifikatorische Straftatsystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlage der Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ursprung der, klassifikatorischen Systematik . . . . . . . . . . . . . 3. Das Problem der Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. "Verhalten" als Oberbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Normative Unrechtserfassung und klassifikatorische Systematik . a) Stillschweigend normative Erfassung der Handlung . . . . . . b) Ausdrücklich normative Erfassung der Handlung . . . . . . . . c) Das Dilemma des Oberbegriffs "Handlung" . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erkenntnistheoretische Kritik der klassifikatorischen Systematik

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

45 45 46

. . . . . . . . . . .

47 47 48 50 54 56 56 57 60 61 62

III. Teleologische Straftatsystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . : . . . . . . . . . 2. Der Tatbestand als Ausgangspunkt teleologischer Straftattheorien a) Der Tatbestand als Wertungsstufe neben der Rechtswidrigkeit . . b) Der Tatbestand als "Träger des Deliktstypus" . . . . . . . . . . . . . 3. Unrecht und Schuld als Ausgangspunkt teleologischer Straftattheorien a) Hellm. Mayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sauer, Zimmer! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Regler, Mittasch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schmidhäuser, Langer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 65 67 67 69 71 71 74 75 79 82

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

88

I. Kritik der Theorien der Modalitätenäquivalenz

1. Allgemeine Kritik

.... . ... .. . . .. .. . .. . ... ... .. . .. ... ... . .. ... . .. . ..

2. Einzelkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesamtbewertung des Einzelfalls . . . . . . . . . . . . . b) Strenge Modalitätenäquivalenztheorie . . . . . . . . . . c) Theorie der Doppelfunktion der Entsprechensklausel d) Theorie der Interpretationsanweisung . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

88 88 91 91 93 94 97

Inhaltsverzeichnis

9

e) Unterscheidung nach Delikten mit handlungsspezifischen Unwertelementen und Delikten mit erfolgsdeliktischen Bausteinen . . . .

98

II. Kritik der Theorie des konkludenten Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Kritik zur Theorie der Entsprechung als dem "eigentlichen Gleichstellungsproblem" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 IV. Kritik der Theorie der Entsprechung als Voraussetzung tatbestandlieber Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 V. Ablehnung der Entsprechensklausel

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

C. Zusammenfassung des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Dritter Teil

112

Schlußfolgerung aus der Kritik

112

A. Die Auslegung der Strafnormen

I. Verständnis und Methode der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 II. Wertprinzipien der Auslegung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Ill. Voraussetzungen der objektiv-teleologischen Auslegung . . . . . 1. Bestimmung der Grenze zwischen Auslegung und Analogie . 2. Keine Überschreitung des möglichen Sprachsinns . . . . . . . . 3. Notwendigkeit eines sachgerechten Systems der Rechtsfolgen

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

118 118 121 123

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 B. Möglichkeit und Grenze des Auslegungs-Unterlassens

. . . . . . . . . . . . . . . 125

I. Logische Voraussetzung des Auslegungs-Unterlassens . . . . . . . . . . . . 125

II. Erfolg als Anknüpfungspunkt der Auslegung . . . . . 1. Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die tatbestandliehe Kennzeichnung eines Erfolges 3. Klassifizierung der Erfolgsdelikte . . . . . . . . . .

... ... .. ...

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

126 126 127 129

Ill. Ausschluß des Auslegungs-Unterlassens durch den Gesetzlichkeilsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Grenze der Auslegung unter dem Aspekt des Bestimmtheilsgrundsatzes 134 V. Uneingeschränkte Erfolgsdelikte als Auslegungs-Unterlassen . . . . . . . 135 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens

137

I. Methode zum Ermitteln der Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens 137 II. Kriterien der Strafwürdigkeit beim Handlungsdelikt und beim Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Gemeinsamkeiten- Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

10

Inhaltsverzeichnis 2. Der Wille als Kriterium der Strafwürdigkeit bei den Handlungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Schlußfolgerung für die Strafwürdigkeit der Unterlassung

. . . . . . . . . 146

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

D. Zusammenfassung des dritten Teils

151

Vierter Teil Die Bedeutung der Entsprechensklausel bei mehreren Tatbeteiligten und beim Versuchsdelikt

153

A. Sonderformen der Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

I. Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

II. Mittelbare Täterschaft

156

B. Anstiftung und Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Anstiftung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

II. Beihilfe durch Unterlassen

159

C. Versuchsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

D. Zusammenfassung des vierten Teils

163

Fünfter Teil Die problematischen Delikte als Auslegungs-Unterlassen

165

A. Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Gefährliche Körperverletzung § 223 a StGB

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

1. Handlungsmodalitäten "mittels eines hinterlistigen Überfalls" und

"von mehreren gemeinschaftlich" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Handlungsmodalitäten "mittels einer Waffe" , "mittels eines Messers" und "mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs" . . . . . . . . . . . 166 3. Modalität "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" . . . . 167 II. Schwere Körperverletzung, § 224 StGB

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

III. Beabsichtigte schwere Körperverletzung, § 225 StGB

. . . . . . . . . . . . 168

IV. Mißhandlung von Schutzbefohlenen , § 223 b StGB . . . . . . . . . . . . . . 168 V. Körperverletzung im Amt,§ 340 StGB

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Inhaltsverzeichnis

11

B. Mord, § 211 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Mordmerkmale mit besonderem Unrechtsmerkmal 1. Mordmerkmal "grausam" . . . . . . . . . . . . . . 2. Mordmerkmal "heimtückisch" . . . . . . . . . . . 3. Mordmerkmal "mit gemeingefährlichen Mitteln"

.. .. ... . ... . .. .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

170 170 170 171

II. Mordmerkmale ohne besonderes Unrechtsmerkmal . . . . . . . . . . . . . 172

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

C. Weitere Tötungsdelikte

I. Tötung auf Verlangen,§ 216 StGB II. Kindstötung, § 217 StGB

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

III. Aussetzung,§ 221 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 IV. Fahrlässige Tötung,§ 222 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 V. Körperverletzung mit Todesfolge,§ 226 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 VI. Vergiftung mit Todesfolge,§ 229 Abs. 2 StGB

. . . . . . . . . . . . . . . . 177

D. Nötigung,§ 240 StGB

177

E. Ehrverletzungsdelikte

178

F. Vermögensdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Betrug,§ 263 StGB

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

II. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 StGB . . . . . . . . . . . . . . 184 G. Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, § 180 StGB

185

Sechster Teil Abschließende Zusammenfassung

188

Anhang AuOistung wichtiger Entsprechensklausel-Entwürfe Literaturverzeichnis

190 193

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AE a. E. a. F. Art. AT BayObLG Bd. Bem. BGH BGHSt

anderer Ansicht Absatz Alternativ-Entwurf eines StOB amEnde alte Fassung (Fassung des StOB vor 1975)

Artikel Allgemeiner Teil des StOB Bayerisches Oberstes Landgericht Band Bemerkung Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Bockelmann-Fs Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag, 1979, Hrsg. Baumann/Kaufmann/u. a. Bundesrats-Drucksache BR-Drucks. Bundessozialgericht BSG Besonderer Teil des StOB BT Bundestags-Drucksache BT-Drucks. Bundesverfassungsgericht BVerfG Bundesverfassungsgerichtsentscheidung BVerfGE Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle, 1961, Celle-Fs Hrsg. Rechts- und Staatswissenschaftl. Fakultät der Universität Göttingen Deutsches Autorecht (zitiert nach Jahr und Seite) DAR ders. derselbe Diss. Dissertation (zitiert nach Verfasser, Ort und Erscheinungsjahr) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Gebutstag, 1977, Dreher-Fs Hrsg. Jescheck/Lüttger DRiZ Deutsche Richterzeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Entwurf eines Strafgesetzbuches 1959, E 1959 Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission in erster Lesung zusammengestellt vom Bundesministerium der Justiz E 195911 Entwurf eines Strafgesetzbuches 1959, Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission in zweiter Lesung zusammengestellt und überarbeitet vom Bundesministerium der Justiz

Abkürzungsverzeichnis

13

Entwurf eines Strafgesetzbuches 1960 mit Begründung, BR-Drucks. 270/60 Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches mit Begründung, 1962, E 1962 BT-Drucks. IV/650 Eb. Schmidt-Fs Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag, 1961, Hrsg. Bockelmann/Gallas Festschrift für Kar! Engisch zum 70. Geburtstag, 1969, Engisch-Fs Hrsg. Bockelmann/Kaufmann/Klug Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (zitiert nach Jahr und Seite) FamRZ Fußnote Fn. Festgabe für Reinhard von Frank zum 70. Geburtstag, Band I und II, Frank-Fg 1930, Hrsg. Hegler Festschrift Fs Goltdammer's Archiv (zitiert nach Jahr und Seite) GA Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag, 1973, Gallas-Fs Hrsg. Lackner!Leferenz/u. a. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GG Der Gerichtssaal (zitiert nach Band, Jahr und Seite) GS oder Großer Senat des BGH Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Henkel-Fs Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag, 1974, Hrsg. Roxin/Bruns/Jäger Höchstrichterliche Rechtsprechung (zitiert nach Jahr und Nummer) HRR Herausgeber Hrsg. in der Regel i.d.R. in Verbindung mit i.V.m. Juristische Arbeitsblätter (zitiert nach Jahr und Seite) JA Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr und Seite) JR Juristische Schulung (zitiert nach Jahr und Seite) JuS Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) JW Juristenzeitung (zitiert nachJahrund Seite) JZ Lehrbuch Lb. Literatur Lit. Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 10. Auf!. LK Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Nachschlagewert LM des Bundesgerichtshofs von Lindenmaier-Möhring Maurach-Fs Festschrift für Reinhart MSturach zum 70. Geburtstag, 1972, Hrsg. Schroeder/Zipf Mayer-Fs Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag, 1966, Hrsg. Geerds/Naucke Monatsschrift für deutsches Recht (zitiert nach Jahr und Seite) MDR Monatsschrift für Kiminologie und Strafrechtsreform MSchrKrim (zitiert nach Jahr und Seite) E 1960

14 m.w.N. n. F.

Niederschr. NJW Nottarp-Fs NStZ Oehler-Fs

Abkürzungsverzeichnis mit weiteren Nachweisen neue Fassung Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission (zitiert nach Band und Seite) Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr und Seite) Festschrift für Herrmann Nottarp zum 70. Geburtstag, 1961, Hrsg. Mikat Neue Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr und Seite)

ÖJZ ÖStGB

Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag, 1985, Hrsg. Herzberg Österreichische Juristen-Zeitung (zitiert nach Jahr und Seite) Österreichisches Strafgesetzbuch

OGH

Deutscher Oberster Gerichtshof für die Britische Zone

OLG Prot. SondA Reimers-Fs RG RGSt Rspr. Rz. Schaffstein-Fs

Oberlandesgericht Protokolle des SonderausschuBes des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform Aus dem Hamburger Rechtsleben, Festschrift für Walter Reimers zum 65. Geburtstag, 1979, Hrsg. Ackermann/Albers/Bettermann Reichtsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) Rechtsprechung Randziffer Festschrift für Friedrich Schaffstein, 1975, Hrsg. Grünwald/Miehe/u. a.

Sch/Sch

Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar

Schwinge-Fs

Persönlichkeit in der Demokratie, Festschrift für Erich Schwinge zum 70. Geburtstag, 1973, Hrsg. Evers/Friauf/u. a .

SGB SK StGB

Sozialgesetzbuch Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch

str. Studb. Vorbem. Weber-Fs

streitig Studienbuch Vorbemerkung Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag, 1963, Hrsg. Welzel/Conrad/u. a.

Würtemberger- Festschrift für Thomas Würtemberger zum 70. Geburtstag, 1977, Hrsg. Herren/Kienapfel/Dietz Fs ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band, Jahr und Seite)

Erster Teil

Der Streit um die Bedeutung der Entsprechenskausel A. Die Entsprechensklausel I. Einführung und Aufgabe der Arbeit

Gibt es einen Betrug durch Unterlassen? Kann man durch bloßes Untätigsein einen anderen nötigen oder berauben, sich des Diebstahls, des Meineides, der Förderung der Prostitution oder der Bestechung schuldig machen? Ist eine Beleidigung, eine gefährliche und eine schwere Körperverletzung oder gar ein Mord durch Unterlassen denkbar? Insbesondere dann, wenn im Zusammenhang mit Unterlassungen ein Delikt zur Diskussion steht, das kein reines Erfolgsdelikt (wie z. B. Körperverletzung oder Totschlag) darstellt, bestehen die größten Meinungsverschiedenheiten über die Möglichkeit eines derartigen Unterlassungsdelikts und dessen Strafbarkeit. Zum Betrug etwa wird einerseits gesagt, er sei auch durch Unterlassen begehbar, hier sei nach den allgemeinen Regeln für das unechte Unterlassen zu verfahren 1. Andererseits wird die Möglichkeit eines Betruges durch Unterlassen kategorisch ausgeschlossen2. Ebenso z. B. wird die Beleidigung ganz unterschiedlich beurteilt: zum einen hält man eine Beleidigung durch Unterlassen für möglich\ zum anderen wird sie abgelehnt4. Beim Mord zeigt sich das gleiche Bild: ob es um die Merkmale Heimtücke, zur Verdekkung einer Straftat, Grausamkeit oder Habgier geht, immer finden sich Stimmen, die für eine Begehung durch Unterlassen argumentieren, und immer finden sich Stimmen, die dagegen sprechen5 . Und dort, wo die Möglichkeit eines Unterlassungsdelikts bejaht wird, sind die vorauszusetzenden Merkmale keineswegs klar, sondern ebenfalls höchst streitig. Auch die Neufassung des StGB im Jahre 1975 und die mit § 13 StGB geschaffene Vorschrift "Begehen durch Unterlassen" hat die Diskussion nicht beendet, sondern im Gegenteil: zu zusätzlichen Kontroversen um die in dieser Vorschrift enthaltene Entsprechensklausel selbst geführt. z. B. Lackner, § 263 Bem. 3. b) bb). z Naucke, Betrug, S. 106 ff. 3 z. B. Schünemann, S. 368. 4 z. B. Schöne, S. 234. 5 z. B. dafür jeweils Jähnke/LK, § 211, Rz. 53, 22, 58, 8; dagegen z. B. Kaufmann, I

s. 289.

16

1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

Die Vorschrift "Begehen durch Unterlassen" trifft eine Aussage über die Voraussetzungen, unter denen ein Unterlassen strafbar ist, das der Gesetzgeber im Besonderen Teil des StGB nicht als solches ausdrücklich genannt hat. Nach dieser Vorschrift wird nur bestraft, "wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt ... ". Mit der Entsprechenskausel ist neben dem Unterlassen und der Garantenstellung des Täters zusätzlich erforderlich, daß " . .. das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht." Während über das Erfordernis der Garantenstellung- dem Einstehen-Müssen - weitgehend Einigkeit herrscht6, ist die Bedeutung der Entsprechensklausel äußerst umstritten: einerseits glaubt man, "keinesfalls auf sie verzichten" zu können? und erhebt sie sogar zum "alleinigen Maßstab unechter Unterlassungsdelikte"S. Andererseits wird sie als "bloße Floskel"9 abgetan, und man beschwört die Gefahr des Mißbrauchs durch eine unangemessene Ausweitung der StrafbarkeitiO. Von anderer Seite wiederum wird die Bedeutung offengelassenn. Unter den Befürwortern der Entsprechensklausel ist man sich weder über den Anwendungsbereich noch über die Kriterien einig, die bei ihrer Anwendung maßgeblich sein sollen12. Wenn sich derart gegensätzliche Einschätzungen gegenüberstehen, dann beruht das häufig auf unterschiedlichen systematischen Ansätzen. Wenn es um die Bedeutung der Entsprechensklausel geht, muß daher gefragt werden, inwieweit der jeweils verfolgte systematische Ausgangspunkt zum Erfassen von Straftaten mit darüber entscheidet, welche Bedeutung der Entsprechensklausel zufällt. Daraus ergibt sich die Aufgabe, die hier gestellt ist: zunächst werden die verschiedenen Meinungen zur Einschätzung der Entsprechensklausel aufzuzeigen sein. Dazu ist es erforderlich, zunächst einige Begriffe zu klären und einen Blick auf die Entstehung der Entsprechensklausel zu werfen. An den ersten, darstellenden Teil schließt sich im zweiten Teil die Kritik der unterschiedlichen Auffassungen zur Entsprechensklausel an. Der erste Schritt zur Kritik wird darin bestehen, die verschiedenen systematischen Ansätze zum Erfassen von Straftaten zu untersuchen, daraus wird sich dann die Kritik an den einzelnen Auffassungen zur Entsprechensklausel ableiten. Im dritten Teil sind die Schlußfolgerungen aus der Kritik zu ziehen und die allgemeinen Voraussetzungen für die durch Unterlassen in Betracht kommenden Delikte zu vgl. aber Herzberg, S. 68, dazu unten l.B.II. Baldus, Niederschriften Bd. 12, S. 99, 1959. s Herzberg, S. 68 ff. 9 Baumann, S. 249. 10 Roxin, Einf. StrR S. 7. 11 Schmidhäuser, AT 16/68, s. jetzt aber Studb. 12/58; Volk JuS 1981 , S. 880 (882); Schünemann, ZStW 96 (1984) , S. 287 (298 f); Maiwald, JuS 1981, S. 473. 12 dazu unten l.B. 6 7

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entwickeln. Im vierten Teil schließlich ist auf Sonderformen des Unterlassens einzugehen. Der fünfte Teil wird anband der am häufigsten im Zusammenhang mit der Entsprechensklausel genannten Delikte beispielhaft zeigen, wie mit dem aufgezeigten Lösungsvorschlag praktisch zu arbeiten ist; im sechsten Teil ist das Ergebnis zusammenzufassen. II. Begriffsbestimmungen und die Art der von § 13 StGB erfaßten Unterlassungsdelikte 1. Die Begriffe "Begehen", "Täter", "Tat"

"Begehen" einer Straftat meint, daß jemand den Voraussetzungen eines Straftatbestandes entsprechend handelt oder unterläßt. "Begehen" ist in diesem Sinne der Oberbegriff zu Handeln und Unterlassen; dies entspricht der Formulierung des Gesetzes, das in § 13 StGB von "Begehen durch Unterlassen" spricht13. Der Ausdruck "Begehungsdelikt" ergibt dann allerdings keinen Sinn, er wird daher in dieser Arbeit nur im Rahmen der Darstellung anderer Auffassungen verwendet werden. Andere Auffassungen setzen "Begehen" auch mit "Handeln" gleich bzw. "Begehungsdelikt" mit "Handlungsdelikt"14. Diese Gleichsetzung hat aber den Mangel, daß eine begriffliche Unterscheidung zwischen Ober- und Unterbegriff ausgeschlossen ist und das Gemeinte aus dem Zusammenhang des Textes ermittelt werden muß. Soweit der Zusammenhang keinen Hinweis gibt, macht ein derartiger Sprachgebrauch einen Zusatz erforderlich, der anzeigt, ob "Begehen" jeweils zu verstehen ist als Handeln oder als Oberbegriff für Handeln und Unterlassen. "Täter" bezeichnet sowohl den Handelnden als auch den Unterlassenden, der eine Straftat begeht. 2. Die Art der von § 13 StGB erfaßten Unterlassungsdelikte

"Unechtes Unterlassungsdelikt" und "Auslegungs-Unterlassungsdelikt" das sind die beiden in Literatur und Rechtsprechung anzutreffenden Bezeichnungen für die in§ 13 StGB umschriebene Art des Unterlassens. Der Unterschied liegt nun nicht etwa nur in verschiedenen Etiketten, sondern es steckt hinter den Bezeichnungen eine jeweils anders vorgenommene Klassifikation der Unterlassungsdelikte. Während "Auslegungs-Unterlassungsdelikt" einer 13 vgl. Schmidhäuser, Studb. 12/3, auch zur Terminologie des Gesetzes bis 1975; Schöne, S. 325; gegen diese Formulierung wendet sich Meyer-Bahlburg, Diss. Harnburg, 1962, S. 144. 14 Baumann/Weber, S. 234; Dreher/Tröndle vor§ 13 Rz. 12; Meyer-Bahlburg, Diss. Hamburg, 1962, S. 144; Roxin, Engisch-Fs. S. 380 (381) Fn. 8.

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dreifachen Einteilung entstammt, gehört der Begriff "unechtes Unterlassen" zur einfachen Unterscheidung nach "echten" und "unechten Unterlassungsdelikten". a) Das Auslegungs-Unterlassen als Teil einer dreifachen Unterscheidung der Unterlassungsdelikte

Die dreifache EinteilunglS unterscheidet Unterlassungsdelikte durch drei Begriffspaare. Zwei der Begriffspaare trennen nach der Art der tatbestandliehen Voraussetzungen, eins nach der Art der gesetzlichen Schilderung. Bei der Art der Voraussetzungen wird dem Jedermanns-Unterlassen das Garanten-Unterlassen entgegengesetzt; das erfolgsbezogene Unterlassen steht dem erfolgsfreien (schlichten) Unterlassen gegenüber, und nach der Art der gesetzlichen Schilderung unterscheidet das dritte Begriffspaar zwischen AuslegungsUnterlassen und Wortlaut-Unterlasseni6. Beim Jedermanns-Unterlassen, das auch als allgemeines Unterlassungsdelikt oder Gemeindelikt bezeichnet wird, verletzt der Täter eine allgemeine, jedermann in gleicher Weise fordernde Pflicht. Als Beispiele werden das Unterlassen der Anzeige geplanter Straftaten nach§ 138 StGB und das Unterlassen der Hilfeleistung bei Unglücksfällen nach § 323 c StGB angeführt. Demgegenüber verletzt der Täter eines Garanten-Unterlassens eine besondere, nur ihn oder einen kleinen Kreis von Personen treffende Pflicht. Der Täter ist hier als Sonderpflichtiger Garant dafür, daß ein schädlicher Erfolg unterbleibt. Als Beispiel wird die Mißhandlung von Schutzbefohlenen nach § 223 b StGB genannt, wo als Täter (der Unterlassungsvariante) nur in Betracht kommt, wer (u. a.) in der besonderen Pflicht steht, für Personen unter achtzehn Jahren zu sorgen. Erfolgsbezogen sind Unterlassungsdelikte, die im gesetzlichen Tatbestand den Eintritt eines Erfolges voraussetzen, z. B. nennt die Mißhandlung von Schutzbefohlenen gern. § 223 b StGB eine Gesundheitsbeschädigung; Totschlag durch Unterlassen setzt als Erfolg den Tod des Opfers voraus. Erfolgsbezogene Unterlassungsdelikte entsprechen den Erfolgsdelikten beim Handlungsdelikt. Erfolgsfreie Unterlassungsdelikte auf der anderen Seite entsprechen dem schlichten Tätigkeitsdelikt beim Handeln. Einen Erfolg setzt der Tatbestand hier jeweils nicht voraus. Auf einen Erfolg kommt es nicht an z. B. bei der Nichtanzeige geplanter Straftaten nach § 138 StGB oder der unterlassenen Hilfeleistung nach§ 323 c StGB. Mit Wortlaut-Unterlassungsdelikt sind Unterlassungsdelikte gemeint, die im Besonderen Teil des StGB ausdrücklich als Unterlassen gesetzlich geschilSchmidhäuser, Studb. 12/5 ff. diese Unterscheidung geht zurück auf Bärwinkel, S. 16; er spricht von Kodifikationstatbestand und Auslegungstatbestand. 15

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dert sind. Die Nichtanzeige geplanter Straftaten gern. § 138 StGB und die Mißhandlung von Schutzbefohlenen gern. § 223 b StGB werden hier als Beispiele vorgetragen, ferner Hausfriedensbruch gern. § 123 StGB in der Version des Nichtentfernens. Bei Auslegungs-Unterlassungsdelikten fehlt hingegen eine ausdrückliche gesetzliche Schilderung des Unterlassens im Besonderen Teil des StGB. Diese Delikte sind durch Auslegung von Vorschriften zu gewinnen, die im Wortlaut ein Handlungsdelikt schildern. Totschlag gern. § 212 StGB ist danach z. B. so auszulegen, daß ein Totschlagsdelikt auch dann gegeben ist, wenn eine Mutter ihr Kleinkind verhungern läßt. Für diese Art des Unterlassens deutet§ 13 StGB an, wie der Tatbestand des Unterlassungsdelikts aus dem im Wortlaut geschilderten Handlungsdelikt zu gewinnen ist. b) Die Unterscheidung nach echten und unechten Unterlassungsdelikten

Weithin werden die durch § 13 StGB erfaßten Delikte als "unechte Unterlassungsdelikte" bezeichnet. Diese Bezeichnung geht zurück auf Luden17, der zwischen echtem und unechtem Unterlassen unterschied, wobei die unechten Unterlassungsdelikte als im Wortlaut von Handlungsdelikten enthalten angesehen wurden und daher dieses Unterlassen unecht erschien, während die Delikte der Tatbestände, die im Wortlaut eine Unterlassung schildern, als echte Unterlassungsdelikte aufgefaßt wurden. Diese Einteilung nach der Art der gesetzlichen Schilderung wird auch gegenwärtig vertreten. Bei Kaufmann heißt es: "Echte und unechte Unterlassungsverbrechen (lassen) sich lediglich an dem äußerlichen Kriterium unterscheiden, daß die echten vom Gesetz selbst vertypt worden sind, während die unechten ... im Gesetz keine Regelung gefunden haben"t8. Eine weitere Ansicht sagt: "echt sind ... alle die Gesetzestatbestände, die nur durch Unterlassen, unecht diejenigen, die sowohl durch aktives Tun wie durch Unterlassen verwirklicht werden können"19. Für die Brauchbarkeit dieser Begriffsbestimmung kommt es darauf an, wie Handeln und Unterlassen gegeneinander abgesetzt werden. Entscheidend ist, ob nach formalen oder nach materialen Kriterien abgegrenzt wird. Würde man formal danach abgrenzen, ob der Täter eine körperliche Bewegung vorgenommen hat, dann ergäbe diese Ansicht für einige Delikte keinen Sinn (und zwar immer im Fall des sogen. Begehens durch Unterlassen): schickt jemand eine Verbrechensanzeige ab und holt den Brief hernach unter einem Vorwand Luden, Abhandlungen, S. 219. Kaufmann, Dogmatik, S. 277; vgl. auch ders. , JuS 1961, S. 173 (174) ; Maurach/ Gössel/Zipf, S. 143; Meyer-Bahlburg, Diss. Hamburg, S. 12; Schünemann, S. 44; Schi Sch/Stree, vor§ 13, Rz. 137; Welzel, S. 202. 19 Herzberg, S. 22. 17

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1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

von der Post wieder zurück2°, dann hat sich der Täter nach formaler Abgrenzung einer Nichtanzeige geplanter Straftaten nach§ 138 StGB durch ein Handeln schuldig gemacht. Maßgebliche Handlung ist das Zurückholen des Briefes. § 138 StGB könnte bei formaler Abgrenzung also "sowohl durch aktives Tun wie durch Unterlassen verwirklicht werden" und wäre ein unechtes Unterlassungsdelikt, obwohl diese Auffassung § 138 StGB gerade als echtes Unterlassungsdelikt ansieht21. Werden Handeln und Unterlassen dagegen material nach der konkret-individuellen Pflicht des Täters unterschieden, dann sind im Gesetz ausdrücklich geschilderte Unterlassungen allein durch ein Unterlassen begehbar und damit echte Unterlassungen, während nicht ausdrücklich geschilderte unecht sind. Für eine materiale Abgrenzung kommt es darauf an , ob der Täter verpflichtet ist, dem in Gefahr geratenen Rechtsgutsobjekt eine Leistung zukommen zu lassen (deren Nichtvornahme ein Unterlassen ist) oder ob der Täter verpflichtet ist, dem Rechtsgutsobjekt einen Eingriff zu ersparen, (dessen Vornahme ein Handeln ist)22. Ausdrücklich geschilderte Unterlassungsdelikte sind demnach immer echte Unterlassungsdelikte, denn der Wortlaut verlangt immer, einem Rechtsgutsobjekt eine Leistung zukommen zu lassen. Handlungsdelikte verlangen demgegenüber vom Täter zunächst einmal, einem Rechtsgutsobjekt einen Eingriff zu ersparen. Soweit nun aber mit § 13 StGB in der Handlungsschilderung des Gesetzes auch ein Unterlassungsdelikt gefunden werden kann, ist das Delikt "sowohl durch aktives Tun wie durch Unterlassen" begehbar. Unechte Unterlassungen sind nach dieser Auffassung also ebenfalls Unterlassungen, die als solche nicht ausdrücklich im Gesetz geschildert sind. Bezogen auf den Fall des zurückgeholten Briefes liegt im Zurückholen zwar ein Handeln, das ändert aber nichts daran, daß der Täter die Anzeige unterlassen hat, zu der er (im Interesse der möglicherweise durch die Tat Betroffenen) verpflichtet ist23. Bei materialer Abgrenzung also reiht sich diese Ansicht das Beispiel schildert Overbeck, GS 88 (1922) S. 319 (328). Herzberg, S. 23, bezeichnet § 138 StGB als "Paradigma für echte Unterlassungsdelikte". 22 vgl. Schmidhäuser, Studb. 12/51. 23 bei materialer Abgrenzung gibt es also kein "Unterlassen durch Begehen", denn entweder nimmt der Täter die gebotene Handlung mit Erfolg vor oder es unterbleibt die erfolgbringende Handlung. - Herzberg selbst folgt nicht konsequent der materialen Abgrenzung, indem er ein Beispiel anführt, das er als "Unterlassen durch Begehen" bewertet (S. 44). Dabei gehe es aber um eine "recht theoretische Möglichkeit, die zu unbedeutend ist, um bei der Begriffsbildung berücksichtigt werden zu können . . ." Später (S. 69) heißt es dann: "Wo es um die Unterscheidung von Handlung und Unterlassung geht, ist herrschendes Kriterium immer noch die faktische, mechanisch wirkende Körperaktivität ... ", "Handeln und Unterlassen (müssen) ... nach dem äußerlichen, aber exakteren Kriterium der Körperaktivität geschieden werden ... "(S. 91 , im Ergebnis ebenso S. 280). 2o

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ebenfalls in die Reihe der von Luden begründeten Auffassungen zur Unterscheidung echter und unechter Unterlassungsdelikte ein. Eine weitere Ansicht verwendet die Unterscheidung von Verbotsnorm und Gebotsnorrn, um unechte von echten Unterlassungsdelikten zu trennen24 • Unechte Unterlassungsdelikte verstießen gegen eine Unrechtserfolge verbietende Verbotsnorm; echte Unterlassungsdelikte verstießen gegen eine Handeln gebietende Gebotsnorm. Allerdings verstößt jedes Unterlassen gegen ein Gebot zum Handeln, unabhängig davon, ob dieses Gebot ausdrücklich im Gesetz ("in einer Gebotsnorrn") geschildert ist oder sich erst durch Auslegung aus einem Handlungstatbestand ("aus einer Verbotsnorm") ergibt25. Versteht man diese Auffassung dahin, daß statt Verbot und Gebot die gesetzliche Schilderung als Verbot oder als Gebot maßgeblich sei, dann erweisen sich die Gebotsnormen als gesetzlich geschilderte Unterlassungen und damit als echt. Die Verbotsnormen erscheinen als gesetzlich geschilderte Handlungsdelikte; unechte Unterlassungsdelikte sind dann die in der gesetzlichen Schilderung eines Handlungsdelikts enthaltenen Unterlassungsdelikte. Letztlich entspricht also auch diese Auffassung den vorangehend dargestellten Unterscheidungen. Daneben werden aber auch noch andere Unterscheidungen mit dem Begriffspaar echte/unechte Unterlassungsdelikte verbunden. Eine Auffassung unterscheidet danach, ob das jeweilige Delikt eine Garantenpflicht voraussetzt. Unecht ist ein Unterlassungsdelikt danach, wenn eine Garantenstellung erforderlich ist, echt, wenn das Delikt eine Garantenstellung nicht voraussetzt26. Im Hinblick auf§ 13 StGB ist festzustellen, daß einige im Gesetz ausdrücklich geschilderte Unterlassungsdelikte eine Garantenstellung voraussetzen, z. B. die Mißhandlung von Schutzbefohlenen gern. § 223 b StGB. Der von dieser Auffassung zugrundegelegte Begriff des unechten Unterlassens geht daher über die durch § 13 StGB erfaßten Delikte hinaus. Von einer anderen Auffassung werden die Begriffe echtes und unechtes Unterlassen verwendet, um erfolgsfreies und erfolgsbezogenes Unterlassen zu kennzeichnen27. Echt ist demnach ein Unterlassen, wenn die gesetzliche Tatbestandsschilderungkeinen Erfolg nennt; unecht, wenn neben dem Unterlassen ein bestimmter Erfolg vorausgesetzt ist. In diesem Sinne umfaßt der Begriff "unechtes Unterlassen" auch alle gesetzlich geschilderten Unterlassungsdelikte, soweit sie Erfolgsdelikte darstellen, nämlich z. B. Mißhandlung von Schutzbefohlenen, § 223 b StGB oder Körperverletzung im Amt durch Unterlassen, § 340 I StGB. Dieser Begriff des unechten Unterlassens geht Liszt/Schmidt, S. 173; Baumann, S. 200 ff; Maurach, S. 492. s. a. Schmidhäuser, AT 16/19 Fn. 12 m.w.N .. 26 J. Schwarz, Echte und unechte Unterlassungsdelikte, S. 104, zitiert nach Jescheck, S. 492, Fn. 48. 27 Mezger/Blei, S. 277; Jescheck, S. 491 ; Böhm, JuS 1961, S. 177 (178) ; BGHSt 17, 166 (172); BGHVRS 12, 197 (198). 24 25

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I. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

daher ebenfalls über den Kreis der durch § 13 StGB gekennzeichneten Delikte hinaus. Stellt man die Auffassungen, die den Bezeichnungen "echtes" und "unechtes Unterlassen" einen Sinn zu geben suchen, vergleichend nebeneinander, so zeigt sich, daß die Unterscheidungen der dreifachen Einteilung nach Jedermanns-/Garanten-Unterlassen, erfolgsfreiem/erfolgsbezogenem und Wortlaut- und Auslegungs-Unterlassen in den einzelnen Auffassungen wieder auftauchen. Da es beim "echten/unechten Unterlassen" aber unterschiedliche Auffassungen sind, die sich des immer gleichen Begriffspaares bemächtigen, droht die Gefahr verwirrender Mehrdeutigkeit: der erste stellt sich unter echten und unechten Unterlassungsdelikten die Unterscheidung nach Wortlautund Auslegungs-Unterlassen vor, der zweite meint erfolgsfreies und erfolgsbezogenes Unterlassen, der dritte verbindet damit Jedermanns-und Garantenunterlassen- wie sollte da ein verständiges Gespräch zustande kommen? Noch verwirrender wird es, wo man glaubt, das Kriterium der gesetzlichen Schilderung und das Kriterium der Erfolgsbezogenheil in dem einen Begriffspaar zusammenlegen zu können. Unecht sind danach Unterlassungsdelikte, die nicht ausdrücklich im Gesetz geschildert sind; echt die Unterlassungsdelikte, die im Gesetz geschildert sind und einen Erfolg nicht voraussetzenzs. Wohin gehören, so wird man hier fragen, die ausdrücklich geschilderten und mit Erfolg verbundenen Delikte? Die Frage bleibt offen; die Art des UnterJassens z. B. bei der Mißhandlung von Schutzbefohlenen gern. § 223 b StGB ist nicht angegeben. Alle Verwirrung ließe sich vermeiden, wenn der eindeutigen und anschaulichen Dreiteilung gefolgt würde. Offenbar aber fällt es schwer, sich von liebgewonnenen Traditionsbegriffen zu lösen - selbst wenn das Festhalten den Preis begrifflicher Klarheit kostet. Der Ausdruck "unechtes Unterlassen" beschwört aber nicht nur Mißverständnisse herauf, er ist zudem auch noch unanschaulich: obwohl er unecht sagt, meint er in Wirklichkeit einen echten Fall des Unterlassens: wenn die Mutter ihr Kind verhungern läßt, dann ist das ein Unterlassen, an dem nichts unecht ist29. Diese Arbeit folgt der dreifachen Einteilung. Im folgenden wird daher die Rede sein von Auslegungs-Unterlassen und Wortlaut-Unterlassen, von Garanten- und Jedermanns-Untertassen sowie erfolgsbezogenem und erfolgsfreiem Unterlassen. Sofern der Begriff "unechtes Unterlassen" innerhalb der Darstellung anderer Auffassungen benutzt wird, zeigt ein Zusatz in Form einer Fußnote an, in welchem Sinne der Begriff verstanden werden soll (nämlich als AuslegungsUnterlassen oder als erfolgsbezogenes Unterlassen). 28 z. B. Lackner, § 13 Bem. 2b) ; Metzen, Diss. Köln 1977, S. 2; Nagler, GS 111, S. 18 ff; Wessels, S. 7. 29 Schmidhäuser, Studb. 12/12.

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111. Entstehungsgeschichte der Entsprechensklausel Die unterschiedlichen Auffassungen zur Bedeutung der Entsprechensklausel gehen zum Teil auf die verschiedenen Entwürfe zurück, die bis zur heutigen Fassung vorgeschlagen wurden. Daher ist es vorteilhaft, die Entstehungsgeschichte der Entsprechensklausel kurz3° nachzuvollziehen. Bis zur Neufassung im Jahre 1975 kannte das StGB keine dem heutigen§ 13 irgendwie ähnliche Vorschrift. Die Diskussion um eine derartige Vorschrift hingegen war schon lange vorher aufgenommen worden, wenngleich sie auch nur vereinzelt fortgeführt wurde3I. Neue Anstöße erhielt die Diskussion mit Errichtung der Großen Strafrechtskommission. Deren Arbeit wurde vorbereitet durch verschiedene, vom Bundesjustizministerium 1953 in Auftrag gegebene Gutachten zu Grundsatzfragen der Strafrechtserneuerung. Ziel der Großen Strafrechtsreform war es, dem seit 1871 geltenden, durch mehr als 60 Änderungen uneinheitlich gewordenen StGB eine neue Grundlage zu geben32 . In seinem Gutachten über "Die gesetzliche Bestimmtheit der Tatbestände" weist Hellmuth Mayer ausführlich auf die Gefahren nicht umfassend bestimmter Tatbestände hin33. Mit Nachdruck kritisiert er die von der Rechtsprechung angewendete Figur des "Begehens durch Unterlassung", die "alle Tatbestände in ihren Grenzen völlig ungewiß gemacht (habe)"34 • Daraufhin erhielten trotz auch gegenteiliger Stimmen35 - sowohl der erste Entwurf der Großen Strafrechtskommission als auch alle weiteren Entwürfe sowie die darauf beruhenden amtlichen Entwürfe eine Vorschrift zum "Begehen durch Unterlassen"36, zunächst jedoch noch ohne eine Entsprechensklausel. Erst in den Beratungen zum Entwurf 1959 (E 1959 II) der Großen Strafrechtskommission wurde der von Gallas aufgebrachte Vorschlag angenommen, in der Vorschrift "Begehen durch Unterlassen" eine Gleichwertigkeitsklausel einzufügen. Sie verlangte, daß das Verhalten des Täters " . . . auch unter Berücksichtigung der besonderen Tatumstände und der gesetzlichen Handlungsmerkmale der Begehung durch ein Tun tatbestandsmäßig gleichsteht"37. Die Gleichwertigkeitsklausel übernahm man später in den Entwürfen 30 eine ausführliche Darstellung der Geschichte des § 13 StGB findet sich bei Metzen, Diss. Köln, 1977, S. 79 ff; s. a. Honig, Schaffstein-Fs. S. 89. 31 vgl. Kraus, ZStW, 23 (1903), S. 763 (789 ff) ; Mezger, S. 149. 32 s. Materialien Bd. 1, Vorwort. 33 H. Mayer, Materialien, Bd. 1, S. 259 ff. 34 H. Mayer, Materialien, Bd. 1, S. 259 ff; diese Kritik findet sich auch schon bei Kraus, ZStW, 23 (1903) S. 763 (789 ff) . 35 z. B . Bockelmann, Niederschr. Bd. 12, S. 85 ff, 477 ff; Grünwald, ZStW 70 (1958) s. 412 (420). 36 vgl. dazu Dreher, ZStW 68 (1956) S. 71 (83 ff). 37 Gallas, Niederschr. Bd. 12, S. 80 ff, 478 f.

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1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

E 1960 und E 1962 in abgekürzter Formulierung; sie setzte danach voraus, daß das Verhalten des Täters " ... den Umständen nach der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun gleichwertig ist." Der Alternativentwurf für das StGB von 1966 zum E 1962, den eine Gruppe von Strafrechtslehrern verfaßt hatte, schlug als Entsprechensklausel einen mit der Gleichwertigkeitsklausel inhaltlich übereinstimmenden Wortlaut vor: das Unterlassen des Täters ist" ... nur strafbar, wenn das Unrecht seines Verhaltens nach den Umständen der Tat dem Unrecht der Begehung durch ein Tun entspricht"38. Der Alternativentwurf sollte nach Ansicht seiner Verfasser mit dem Wort "entspricht" die Notwendigkeit der Gleichwertigkeitsprüfung "schärfer als der Entwurf 1962 zum Ausdruck bringen"39. Anders begründete dagegen der Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform die Verwendung des Begriffs "entspricht": der Ausdruck sei neutraler und vermeide daher den Widerspruch zwischen Gleichwertigkeit von Handeln und Unterlassen und der in Abs. 2 des§ 13 StGB vorgeschlagenen fakultativen Strafmilderungsvorschrift40. Schließlich hat die vom Sonderausschuß vorgeschlagene Formulierung: " ... und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht" mit § 13 StGB Eingang in das Gesetz gefunden. IV. Der Streit um die systematische Einordnung der Entsprechensklausel Oben wurden in knapper Form die gegensätzlichen Einschätzungen der Entsprechensklausel vorgestellt. Streit herrscht allerdings nicht nur über die Anwendbarkeit und die Funktion der Entsprechensklausel, sondern auch über deren Einordnung im System der allgemeinen Straftatmerkmale. In Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft besteht die einhellige Auffassung, es gehe bei der Strafbarkeit aufgrund eines Unterlassens, das nicht ausdrücklich in einem gesetzlichen Tatbestand geschildert ist, um die Frage der "Gleichstellung" von Handeln und Unterlassen41 • Ebenso einhellig wird die Entsprechensklausel als Bestandteil dieses übergreifenden Gleichstellungsproblems gesehen. Umstritten sind aber zwei Fragen, die über den Ort der systematischen Einordnung der Entsprechensklausel entscheiden. Die Alternativentwurf S. 46 .. Alternativentwurf S. 49. 40 Dreher, Prot. SondA. S. 1868, und sogen. Formulierungshilfe des SondA, S. 1870; BT-Drucks. V/4095 S. 8; vgl. auch die im Anhang aufgelisteten Vorschläge zur Entsprechungsklausel. 41 vgl. z. B. LK/Jescheck, § 13 Rz. 10; Rudolphi, S. 51 ff; Sch/Sch/Stree , § 13 Rz. 2; s. ferner die folgenden Fußnoten. 38

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erste lautet: wo hat die Gleichstellung (und mit ihr die Entsprechensklausel) ihren Platz im Straftatsystem? Die zweite lautet: wohin gehört die Entsprechensklausel innerhalb der Gleichstellungsproblematik? Hier sollen zunächst die einzelnen Auffassungen im Überblick nebeneinandergestellt werden. An dieser Stelle wäre es übereilt, den Streit entscheiden zu wollen. Wo die Entsprechensklauselletztlich hingehört, ja ob sie überhaupt einen Sinn gibt, das läßt sich erst im größeren Zusammenhang von Straftattheorie und Systematik beurteilen. 1. Unterschiedliche Einordnung der Gleichstellungsproblematik

Je nach Straftattheorie wird die Gleichstellungsproblematik innerhalb der allgemeinen Straftatmerkmale ganz unterschiedlich eingeordnet. Häufig erörtert man die Frage auch unter dem Stichwort "Einordnung der Garantenstellung" oder "systematischer Platz der Garantenpflicht". Verbreitet ist die Auffassung, es gehe um die Gleichstellung von Handeln und Unterlassen im Tatbestand. Nur an dieser Stelle, bei der Frage nach der Rechtspflicht zum Handeln, weiche der Aufbau des Unterlassungsverbrechens von den normalen Begehungsverbrechen ab; die Weiterentwicklung (Verursachen des Erfolges, Rechtswidrigkeit, Schuld) laufe für beide Formen der Begehung gleichmäßig ab42. Nach anderer Ansicht sollte die Gleichstellung, "d. h. die Frage, ob eine Rechtspflicht besteht und ob sie verletzt ist", "bei der Rechtswidrigkeit geprüft werden". Hier sei der Ort im System des Strafrechts, in dem über eine Handlung das Unwerturteil gesprochen werde43. Zum Teil wird auch nach Garantenstellung und Garantenpflicht unterschieden: die pflichtbegründenden Umstände seien Merkmale des Tatbestandes, die Handlungspflicht selbst gehöre zur Rechtswidrigkeit44. Eine weitere Auffassung sieht die Gleichstellung als ein Problem des Handlungsbegriffs. Handlung definiert man hier als "vermeidbares Nichtvermeide~ eines Erfolges in Garantenstellung"45, womit Handeln und Unterlassen gleichermaßen umfaßt seien. 42 In diesem Sinne u. a. Nagler, GS 111, 1 (54) ; vgl. ferner z. B. BGHSt 3, 82 (89); BGHSt 14, 229, (232); Engisch, Mezger-Fs. S. 127 (158) ; Gallas, ZStW (67 (1955) S. 1 (26); Rudolphi, S. 51 ff; Schmidhäuser, AT 16/34; Wrede, Diss. Hamburg, 1955, S. 93 - frühere Auffassungen, die den Standort der Gleichstellung in der Kausalität sehen, finden sich heute nicht mehr, vgl. Metzen, Diss. Köln, 1977, S. 17 ff. 43 z. B. Böhm, JuS 1961, S. 177 (181); Baumann, 8. Auf!. S. 250; Mezger, S. 138, Fn. 29; Sauer, Mezger-Fs. S. 117 (119 Fn. 1); Spende! JZ 1973, 137 (140) . 44 ausführlich dazu Schaffstein, OLG Celle-Fs. S. 175 (198 ff); ferner z. B. BGHSt 16, 155 (158); BGHSt 19, 295 (298); Welzel, S. 219. 45 Herzberg, S. 174.

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1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

Nach wiederum anderer Ansicht handelt es sich bei den Unterlassungstatbeständen um eigenständige, im Gesetz nicht geschriebene Garantengebotstatbestände, die außerhalb des Deliktsaufbaus zu entwickeln seien, so daß auch die Gleichstellungsfrage außerhalb des Deliktsaufbaus zu beantworten sei46. 2. Unterschiedliche Einordnung der Entsprechensklausel innerhalb der GleichsteUungsproblematik

Innerhalb der Gleichstellungsproblematik ist die Einordnung der Entsprechensklausel ebenfalls umstritten. Zum Teil wird die Entsprechung neben der Garantenposition zusätzlich vorausgesetzt47. Andererseits läßt man aber auch die Entsprechung anstelle der Garantenposition für die Gleichstellung ausreichen48. Eine dritte Ansicht schließlich sieht die Entsprechung als Kriterium der Garantenposition49: erst die Entsprechung entscheide, ob der Täter als Garant anzusehen sei. Die unterschiedlichen Einschätzungen der Entsprechensklausel und die Einordnung der Entsprechensklausel innerhalb der Gleichstellungsproblematik sind im folgenden Abschnitt im einzelnen zu untersuchen. B. Die Beurteilung der Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung I. Theorien der Modalitätenäquivalenz

Gallas, der Urheber der Entsprechensklausel, hat es als den Sinn einer derartigen Klausel bezeichnet, den anderen in § 13 StGB genannten Voraussetzungen noch etwas hinzuzufügen, um der "Nichthinderung des Erfolges das gleiche Gewicht und die gleiche Färbung zu geben, wie dem im Tatbestand beschriebenen positiven Verhalten" 1 . Das Erfordernis einer Garantenpflichtverletzung gewährleiste zwar, daß die Nichtabwendung eines Erfolges seiner Herbeiführung gleichwertig sei, es fehle aber eine Aussage über die Fälle, in denen der Tatbestand näher beschreibe, auf welche Art und Weise der Erfolg herbeigeführt werden müsse2. Als Beispiel führt Gallas den Betrug an , bei dem der Vermögensschaden durch Täuschung herbeigeführt werden müsse, und die Kuppelei gern. § 180 StGB, die eine Vermittlung, Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit voraussetze neben der Förderung der Unzucht3. Es erscheine nicht richtig, auf diese Begrenzung beim Unterlassen Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 284 f, s. a. unten l.B.III. z. B. Jescheck, S. 511. 48 vgl. Herzberg, S. 105 f. 49 vgl. Kaufmann, S. 287; auch Schürmann, S. 117 ff. ' Gallas, Niederschr. Bd. 12 S. 479. z Gallas, Niederschr. Bd. 12 S. 80. 46 47

B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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zu verzichten. Als zweiten einschränkenden Gesichtspunkt brauche man daher die Gleichwertigkeit der Unterlassung mit dem positiven Begehen auch in bezug auf die im Tatbestand vorausgesetzten "besonderen Handlungsmodalitäten". Dieser Gedanke ist Grundlage einer Reihe von Theorien geworden, die sich unter dem Begriff "Modalitätenäquivalenz-Theorien" zusammenfassen lassen. Gemeinsam ist diesen Theorien, daß sie zwischen "normaler Handlung"4 und "besonderer Handlungsmodalität"S bei den Handlungsdelikten trennen. Als normale Handlung wird die Handlungsschilderung der "reinen Erfolgsdelikte" wie Töten, Beschädigen, In-Brand-Setzen usw. angesehen. Die Herbeiführung des Erfolges beschränke sich auf die Verursachung; das Unrecht dieser Delikte könne durch jede beliebige, den tatbestandmäßigen Erfolg verursachende menschliche Handlung verwirklicht werden. Als besondere Handlungsmodalität wird demgegenüber die Erfolgsherbeiführung in einer bestimmten Art und Weise in dem von Gallas bezeichneten Sinne verstanden; der spezifische Unrechtsgehalt dieser Delikte bestehe neben der Verursachung einer bestimmten Rechtsgutsverletzung zusätzlich in einem besonders gearteten Handlungsunwert6. Die Gleichstellbarkeit eines Unterlassens mit der normalen Handlung wird häufig als "Handlungs- oder Bewirkungsäquivalenz"7 bezeichnet, während die Gleichstellbarkeit der "besonderen Handlungsmodalitäten" oft als "Modalitätenäquivalenz" gekennzeichnet ists. Die einzelnen Theorien der Modalitätenäquivalenz unterscheiden sich zum Teil nur in der Terminologie, zum Teil aber auch erheblich in der Sache selbst. Anstelle der Bezeichnung "Entsprechensklausel"9 oder "Entsprechensformel"IO werden auch die Ausdrücke "zweite Gleichstellungsfrage"ll , "Gleich3 damals Kuppelei nach der alten Fassung des § 180 StGB lautete: "Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei bestraft ... ". 4 Rudolphi, S. 60- der Ausdruck "normales Handeln" ist zwar nicht verbreitet, z. T. werden statt des Handeins die entsprechenden Delikte benannt: "reine Verursachungsdelikte" (Jescheck S. 510), "reine Erfolgsdelikte" (Gallas, Niederschr. Bd. 12 S. 479), in der Sache aber ist die Unterscheidung zwischen "normalem Handeln" und "besonderen Handlungsmodalitäten" weithin verbreitet, s. u. Fn. 5. 5 vgl. Jescheck, S. 510; Rudolphi/SK § 13 Rz. 18; Welp, S. 18; Preisendanz, § 13 Bem. 6. 6 vgl. z. B. Jescheck, S. 510; Rudolphi/SK § 13 Rz. 18; Welp, S. 18; Stree in Sch/Sch, § 13, Rz. 4. 7 Rudolphi, S. 63 f; vgl. Welp, S. 18. 8 Rudolphi/SK, § 13 Rz. 18; ders., ZStW 86 (1974) S. 68 (70 f); Welp, S. 19. 9 z. B. Woesner, NJW 1975, 201 ; Preisendanz, § 13 Rz. 5; Gallas, Niederschr. Bd. 12 S. 478 f; Metzen, Diss. Köln, 1977, S. 126 ff. to Arzt, JA 1980, 712 (716 f).

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I. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

wertigkeitsklausel"l2, "Gleichstellungskriterium"l3, oder "zweite Gleichwertigkeitsprüfung"l4 oder ähnliche Formulierungen verwendet; häufig wird von "besonderen Handlungsmodalitäten"IS, teilweise von, "handlungsspezifischen Unwertelementen"l6 oder "gesetzlichen Handlungsmerkmalen"l7 gesprochen. Sachliche Unterschiede in den Theorien betreffen zum einen den unterschiedlichen Anwendungsbereich - hier geht es um die Frage, für welche Delikte die Entsprechung erforderlich ist- und zum anderen die Kriterien, die bei der Anwendung zusätzlich zu prüfen sind, um das "gleiche Gewicht und die gleiche Färbung" zu erhalten - hier geht es also um die Voraussetzungen der Entsprechung. 1. Handlungs- und Tatmodalitäten unterscheidende Theorie

In den Sitzungen der Großen Strafrechtskommission wurden einander ähnliche "Gleichwertigkeitsklauseln" von Gallas und von Jescheck diskutiert, die neben der Garantenstellung und neben der Gleichstellung von Handlungsmodalitäten zusätzlich ein Gleichstehen des Unterlassens mit den "besonderen Tatmodalitäten" des Handlungsdelikts forderten 18 . Es wird allerdings nicht so recht deutlich, was mit "besonderen Tatmodalitäten" gemeint ist. Als Beispiel wurde in den Beratungen der Kommission der auf die Kuppelei gern. § 180 a . F. StGB bezogene Fall genannt, daß die Eltern eines erwachsenen Sohnes den außerehelichen Geschlechtsverkehr des Sohnes in der elterlichen Wohnung dulden19. Eine solche Duldung stehe dem Vorschubleisten durch positives Tun nicht gleich, heißt es in den Niederschriftenzo. Hinter dem Tätigkeitswort: "Fördern der Unzucht" stecke gewissermaßen noch ein Hintersinn, in dem sich ein besonderer Tatumstand ausdrücke21. Dieses Beispiel und die Begründung der Lösung entsprechen den für die Handlungsmodalitäten angeführten Beispielen und Lösungen22, so daß der Unterschied zwischen Tat- und Handlungsmodalitäten unklar bleibt. Auch die Rudolphi, ZStW 86 (1974) S. 68 (70). Jescheck, S. 511; Gallas, Niederschr. Bd. 12 S. 479. 13 Jescheck/ LK, § 13 Rz 5; Kienapfel, ÖJZ 1976, 197 (199); Arzt, JA 1980, 712 (716f). 14 Rudolphi, S. 63; ders./SK, § 13 Rz. 18; ders. ZStW 86 (1974) S. 68 (70). 1s Welp, S. 20; Rudolphi/SK, § 13 Rz. 18. 16 Arzt, JA 1980, 712 (716 f). 17 Gallas, Niederschr. Bd. 12 S. 82. 18 Gallas, Niederschr. S. 81, 82, 479. 19 Gallas, Niederschr. S. 81. 2o Gallas, Niederschr. S. 81. 21 Jescheck, Niederschr. S. 97. 22 Gallas, Niederschr. S. 80; Jescheck, Niederschr. S. 96. 11

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B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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Aussage: "das Unterlassen (müsse) in der Art und Weise, wie es stattgefunden hat, dem Tun gleichstehen"23, vermag den Unterschied nicht aufzuhellen. Dieser Mangel ist um so bedauerlicher, als der Gleichstellung der besonderen Tatumstände eine andere Aufgabe als der Gleichstellung der besonderen Handlungsmerkmale zukommen soll. Als Aufgabe der Gleichstellung des Unterlassens mit den besonderen Tatumständen wurde es angesehen, die Strafbarkeit des Begehens durch Unterlassen zusätzlich einzuschränken, und zwar für alle Delikte, also auch für die reinen Erfolgsdelikte. Gallas führte dazu aus: "Mit Absicht ist die Gleichwertigkeitsklausel durch die Berücksichtigung auch der "besonderen Tatumstände" so gefaßt, daß sie nicht nur für die Erfolgsdelikte mit besonderer Handlungsform, sondern auch für die reinen Erfolgsdelikte gilt. Denn auch in deren Bereich kann sich, worüber wohl Einigkeit besteht, das Bedürfnis ergeben, die Strafbarkeit wegen Begehung durch Unterlassung über das Erfordernis einer Garantenpflichtverletzung hinaus einzuschränken"24 • Ein Beispiel für die Notwendigkeit dieser Einschränkung findet sich nicht in den Niederschriften. Die Unklarheit dieser Funktionen der Entsprechung mag es erklären, daß die Unterscheidung nach besonderen Handlungsmerkmalen und besonderen Tatumständen später nicht mehr anzutreffen ist25. Die ursprüngliche begriffliche Trennung zwischen Handlungs- und Tatmodalitäten hat sich im Laufe der Zeit verwischt: heute werden die Begriffe "Tatmodalität"26 und "besondere Tatbestandsmerkmale"27 auch anstelle der Bezeichnung "besondere Handlungsmerkmale" verwendet. Anzumerken ist allerdings, daß der Entsprechensklausel auch heute z. T. eine doppelte Funktion zugemessen wird2B. 2. Theorie der Gesamtbewertung des Einzelfalls

Eine Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falles setzt der Regierungsentwurf des StGB von 1962 in der Begründung zu§ 13 für die Gleichwertigkeit voraus. Dieses zur Garantenpflicht zusätzliche Erfordernis beruht der amtlichen Begründung zufolge auf dem Gedanken, daß das Unrecht der Tatbestände des Besonderen Teils nicht nur durch die der Tat innewohnende Jescheck, Niederschr. S. 96 f. Gallas, Niederschr. S. 479; vgl. ders. Niederschr. S. 82; Jescheck, Niederschr. S. 96 f-Ein weiterer Grund wurde darin gesehen, die Annahme von Unterlassungstäterschaft dort einzuschränken, wo es um die unterlassene Hinderung strafbar handelnder Dritter geht; hier wollte man zu einer bloßen Beihilfe gelangen (vgl. Ga!las, Niederschr. S. 479; Jescheck, Niederschr. S. 97). 25 s. z. B. Jescheck, S. 510 f. 26 z. B. Rudolphi/SK, § 13 Rz. 18; ders., ZStW 86 (1974) S. 68 (70 f) . 27 Preisendanz, § 13 Bem. 6; Metzen, Diss. Köln 1977 S. 130. 2B vgl. unten 1.8.1.4. 23 24

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1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

Rechtsgutsverletzung und durch den herbeigeführten Erfolg geprägt sei, sondern auch durch die Eigenart der nach dem Tatbestand vorausgesetzten Tathandlung29, Dazu wird ausgeführt: "Die eigenständige Ausprägung der Tathandlung beim Begehen durch ein strafbares Tun geht beim Begehen durch Unterlassen verloren. Denn eine etwa in einer Tathandlung liegende besondere Ausprägung des Unrechts tritt im Unterlassen nicht stets in Erscheinung. Da im Besonderen Teil die Unrechtsbewertung auch von etwaigen besonderen Handlungsmerkmalen des jeweiligen Tatbestandes beeinflußt ist, erhebt sich die Frage, wie dem im Falle des Begeheus durch Unterlassung Rechnung zu tragen ist. Diese Frage ist nach dem Gesichtspunkt der Gleichwertigkeit zu entscheiden . .. "30. Als Kriterium für die Frage, wann das Unterlassungsunrecht dem Unrecht des betreffenden Begehungstatbestandes gleichwertig ist, sei eine Gesamtbewertung maßgebend: der Richter habe alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen3t. Als Beispiele für Umstände des Einzelfalls nennt der Entwurf die "Intensität der Pflichtenbindung", "unrechtsbeeinflussende Handlungsmerkmale" und "Unzumutbarkeitserwägungen". Eine unzumutbare Erfolgsabwendung etwa schließe den Unterlassungstatbestand als nicht gleichwertig aus. Setze der Tatbestand bestimmte unrechtsbeeinflussende Handlungsmerkmale voraus, die durch eine Unterlassung nicht sichtbar werden können, so lasse sich dies durch die größere Pflichtbindung des Garanten oder auch sonst durch andere Umstände aufwiegen, die den Grad des Unrechts erhöhen32. Aus diesem Grund verzichtete der Entwurf auch auf eine Möglichkeit zur Strafmilderung33. Bei der Kuppelei z. B. komme das bloße Unterlassen dem Vorschubleisten im Unrecht nicht in allen Fällen gleich, sondern nur unter besonderen Umständen, die ein Einschreiten zurnutbar machten34. Als Beispiel führt der EntwurfE 1960 den Fall an, daß eine Mutter es unterläßt, durch Herbeirufen der Polizei gegen den außerehelichen Geschlechtsverkehr ihres erwachsenen Sohnes einzuschreiten. Diese Pflicht könne der Mutter nicht zugemutet werden, so daß schon die tatbestandsmäßigen Erfordernisse des strafbaren Unterlassens entfielen35. Eine Gesamtbewertung führte die Rechtsprechung schon durch, bevor§ 13 StGB in das Gesetz eingefügt wurde; nach wie vor halten die Gerichte an dieser Auffassung fest36.

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E 1962, S. 125, s. a. E 1960, S. 118.

E E E E E E

1962, S. 125, ähnlichE 1960, S. 118. 1962, S. 125, s. a. E 1960, S. 118; Henkel, MSchrKrim 1961, 178 (188 f) . 1962, S. 125, s. a. E 1960, S. 118; s. a. Woesner, NJW 1975, 201. 1962, S. 126, s. a. E 1960, S. 118. 1962, S. 125, s. a. E 1960, S. 118. 1960, S. 118.

B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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Henkel stellt die Gesamtbewertung in einen größeren Zusammenhang und versteht die Gleichstellung als ein funktional dreigeteiltes Vorgehen zwischen Gesetzgeber, höchstrichterlicher Rechtsprechung und Tatrichter: der Gesetzgeber zeige in einer Generalklausel die Richtlinie auf; die höchstrichterliche Rechtsprechung habe in Verbindung mit der Wissenschaft Fallgruppen herauszuarbeiten und Aufgabe des Tatrichters sei es schließlich, aus der Anschauung des Einzelfalles und der Berücksichtigung aller seiner relevanten Umstände heraus die konkrete Garantenstellung zu bestimmen und aufgrund eines besonderen Wertungsaktes über die Gleichbewertung des Unterlassens mit dem tatbestandliehen Tun zu entscheiden37. Maßgeblich ist also auch hier eine Gesamtbewertung des Einzelfalls. Androulakis möchte die Gleichwertigkeit teils im Allgemeinen Teil, teils im Besonderen Teil entschieden wissen; maßgeblich seien die "Gegebenheiten der Gegenwart", "das jeweils vorherrschende, weltanschauliche, politische, im allgemeinen soziale Klima ... "38. 3. Strenge Modalitätenäquivalenztheorie

Diese Theorie schränkt den Anwendungsbereich der Entsprechensklausel ein, indem die Prüfung der Entsprechung bei "reinen Erfolgsdelikten" abgelehnt wird39. Es sei ein Widerspruch, zunächst das Bestehen einer Garantenposition und damit die Gleichwertigkeit der unterlassenen Erfolgsahwendung mit einer Erfolgsverursachung durch aktives Tun zu bejahen, dann aber, obwohl in diesen Fällen gerade das entsprechende Handlungsdelikt keinen besonderen Handlungsunwert erfordere, festzustellen, daß dies zur Begründung der Strafbarkeit nicht ausreiche, sondern vielmehr noch eine zweite Gleichwertigkeilsprüfung anzustellen sei40. Bei einer generellen zweiten Gleichwertigkeilsprüfung im Rahmen einer Gesamtbewertung bestehe die Gefahr der Gefühlsrechtsprechung; die Frage nach dem Bestehen einer besonderen Garantenstellung werde zu einer Frage zweiten Grades herabgewürdigt. Eine in das nicht nachprüfbare Ermessen des 36 BGHSt 6, 46 (47) ; BGH NJW 1964, 732; OLG Köln NJW 1973, 861 (862); vgl. ferner Dallinger, MDR 1968, S. 6 i.V.m. Fn. 8; Arthur Kaufmann, JuS 1964, 151 (153); OLG Karlsruhe, MDR 1975, 771; BGH NStZ 1984, 164; s. a. BGH NJW 1982, 393. 37 Henkel, MSchrKrim 1961, 178 (188 f). 38 Androulakis, S. 220, 223. 39 Haft, S. 173; Rudolphi, ZStW 86 (1974) S. 68 (70 f); vgl. ders., S. 60 ff; ders./SK, § 13 Rz. 18; Sch/Sch/Stree, § 13 Rz. 4; Welp, S. 18 f; Preisendanz, § 13 Bem. 6; Jescheck, S. 511; Cramer, JuS 1964 S. 367 Fn 32; Schünemann, ZStW 96 (1984) S. 287 (313). 40 Rudolphi, S. 60; vgl. Cramer, JuS 1964 S. 367 Fn 32.

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1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

Richters gelegte Gesamtbewertung widerspreche den Grundsätzen des Rechtsstaates und insbesondere dem nulla-poena-Satz41. Eine zweite Gleichwertigkeitsprüfung sei nur dort erforderlich, wo der Tatbestand besondere, "über das bloße Verursachen des tatbestandliehen Unrechtserfolges hinausgehende Tatmodalitäten (erfordere)"42. Delikte mit besonderen Tat- oder Handlungsmodalitäten werden verbreitet auch als verhaltensgebundene Delikte bezeichnet43. Der Betrug als verhaltensgebundenes Delikt z. B. setze als besondere Handlungsweise das Täuschen voraus44 ; Nötigung nach § 240 StGB erfordere als Handlungsmodalität das Ausüben von Zwang auf den Genötigten45; Mord weise als Modalitäten die grausame und die gemeingefährliche Begehung auf; bei der gefährlichen Körperverletzung46 gern. § 223 a StGB seien die Modalitäten "mittels einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs usw. " jeweils auf die Entsprechung hin zu prüfen. Welp unterscheidet neben Handlungsmodalitäten noch Erfolgsmodalitäten47. Sofern der Dauerhaftigkeit eines Erfolges kein über die Schaffung des betreffenden Zustandes hinausgehender Unwert zukomme, sei das Unterlassen bloße Nicht-Wiedergutmachung und damit niemals ( erfolgs-)modalitätenäquivalent. Während z. B. das Unterlassen oder Verzögern der Schmerzlinderung einer aktiven Gesundheitsbeschädigung äquivalent sei, entfalle bei der Personenstandsfälschung nach § 169 StGB die Modalitätenäquivalenz, weil eine Personenstandsfälschung mit dem unrichtigen Registereintrag "vollendet" sei, und das Unterlassen einer Berichtigung folglich bloße Nicht-Wiedergutmachung sei. Die Frage, nach welchen Kriterien die Entsprechung festzustellen ist, wird allgemein als eine Frage angesehen, die "nur für die einzelnen Tatbestände gesondert beantwortet werden kann"48, und somit ebenfalls in den Besonderen Teil verwiesen. Jakobs bildet zur Bestimmung der Entsprechung verschiedene Fallgruppen. Bei "mehraktigen Delikten" und bei Delikten, bei denen die" Verhaltensbindung in parallele Kausalverläufe aufgelöst werden kann"49, sei die Entsprechung "nur eine Spezifizierung des Umfangs der Einstandspflicht". Rudolphi, S. 61 ff; Jescheck/LK, § 13 Rz 6; ders., S. 511. Rudolphi, ZStW 86 (1974) S. 68 (70 f); vgl. ders. , S. 60 ff; ders./SK, § 13 Rz. 18; Sch/Sch/Stree, § 13 Rz. 4; Welp, S. 18 f ; Preisendanz, § 13 Bem. 6; Jescheck, S. 511; Cramer, JuS 1964 S. 367 Fn 32. 43 vgl. die Vorgenannten. 44 z. B. Jescheck, S. 511. 45 z. B. Jescheck, S. 511. 46 z. B. Jescheck, S. 511. 47 Welp, S. 20 f; Widmaier, Diss. Tübingen 1984, S. 8 f. 48 Rudolphi/SK, § 13 Rz. 18; so auch u. a.: Haft, S. 173; Jescheck, S. 511 ; Stratenwerth S. 284; Welp, S. 18. 41

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B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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Eigenhändige oder "formulierungsmäßig eigenhändige Delikte" könnten nur beschränkt durch Unterlassen begangen werden, da Täterschaft bei diesen Delikten eine körperliche Bewegung voraussetzeso. Sonderprobleme gebe es ferner bei Delikten, "die durch Abgabe von Information begangen werden (Aussagedelikte, Beleidigung, Betrug)"5I. Jakobs betont, daß diese Fallgruppen nicht abschließend seien, weitere Einzelheiten könnten nur zusammen mit einer Interpretation der einzelnen Delikte im Besonderen Teil bezeichnet werden52. 4. Theorie der Doppelfunktion der Entsprechensklausel

Zwei Funktionen werden der Entsprechensklausel von dieser Theorie53 zugewiesen: ebenso wie von den Vertretern der strengen Modalitätenäquivalenztheorie54 wird die erste Aufgabe der Entsprechensklausel darin gesehen, die Modalitätenäquivalenz für die Tatbestände zu regeln, deren spezifischer Unrechtsgehalt nicht nur in der Verursachung eines bestimmten Unrechtserfolges besteht, sondern darüber hinaus in einem besonders gearteten Handlungsunwert. Wann eine Entsprechung vorliege, "das alles (sei) eine Frage der Einzelauslegung". Die zweite Aufgabe wird im Bereich der Garantenstellung gesehen (und zwar offenbar für alle als Unterlassungsdelikt in Betracht kommenden Delikte): die Entsprechensklausel soll hier "in Ausnahmefällen" "korrigierend wirken", indem trotz Vorliegens aller anderen Voraussetzungen der Gleichstellung ein Unterlassen verneint werden könne. Es sei so, daß § 13 StGB keinerlei Aufschluß darüber gebe, wann jemand rechtlich dafür einzustehen habe, daß der Erfolg nicht eintritt. Alle die Unsicherheiten, die der Garantenpflichtlehre immer noch anhafteten, nehme § 13 StGB in sich auf. Die Möglichkeit einer Korrektur durch die Entsprechensklausel "sollte nicht ausgeschlossen werden", "wo und solange nicht die Gefahr gebannt ist, daß ein weiter Zuschnitt der Garantenpflichten eine Heranziehung der Klausel erforderlich macht ... "54•. Im Gegensatz zur Theorie, die die Entsprechung als das "eigentliche Gleichstellungsproblem" bezeichnet und die maßgebliche Aufgabe in der Bestimmung der Garantenstellung erblickt55, wird hier die Entsprechung Jakobs, AT 29/78. Jakobs, AT 29/79. st Jakobs, AT 29/80. 52 Jakobs, AT 29/81. 53 Blei, S. 330 f; Fünfsinn, S. 148. 54 vgl. oben, l.B.I.3.; Fünfsinn möchte die Entsprechensklausel über die verhaltensgebundenen Delikte hinaus auch auf Erfolgsdelikte angewendet wissen, S. 147. 54a Blei, S. 331. 49

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3 Nitze

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I. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

zusätzlich neben der bereits festgestellten Garantenstellung geprüft. Damit läuft diese zweite Funktion der Entsprechensklausel auf eine abschließende Gesamtbewertung hinaus. Allerdings werden Schulderwägungen - und insbesondere Zumutbarkeitserwägungen, wie sie von der Theorie der Gesamtbewertung befürwortet werden56 - von dieser Theorie ausdrücklich ausgeschlossen. Kriterien der Entsprechung werden nicht angegeben. 5. Theorie der Interpretationanweisung

Diese im Österreichischen Rechtskreis vertretene Auffassungs? bezieht sich zwar auf§ 2 ÖStGB und die darin genannte Gleichstellungsklausel, da diese Bestimmung aber die gleichen Probleme der ihr ähnlichenss deutschen Entsprechensklausel birgt, erscheint es angebracht, auch diese Auffassung als eine für § 13 StGB denkbare Deutung anzuführen. Wie von der strengen Modalitätenäquivalenztheorie wird die Entsprechensklausel auch hier allein auf verhaltensgebundene Delikte bezogen. Allerdings bringe das Gleichwertigkeitskorrektiv im Grunde nichts, was nicht ohnehin im Wege teleologischer Auslegung zu erzielen wäre. Die Klausel sei daher kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal (insbesondere wird eine Gesamtbewertung abgelehnt), sondern vielmehr eine ausdrückliche Interpretationsanweisung, die an keiner Stelle der Prüfung des Unterlassungsdelikts in Erscheinung trete, aber innerhalb der Prüfung von Unrechts- und Schuldmerkmalen zu berücksichtigen sei59. Hervorgehoben wird die Bedeutung der Interpretationsanweisung insbesondere für die Schuld: "Unzumutbarkeit entschuldigt bei den vorsätzlichen Unterlassungsdelikten in weiterem Umfang als bei den durch aktives Tun verwirklichten Delikten . . . Auch Glaubens- und Gewissensgründe können zur Annahme von Unzumutbarkeit führen"60. Keine Rolle spielt das Gleichwertigkeitsregulativ nach dieser Auffassung für eigenhändige Delikte "und wohl auch für Zueignungsdelikte"61.

vgl. unten, l.B.II. vgl. unten, l.B.I.2. 57 Kienapfel, ÖJZ 1976, S. 197 ff; ders., AT S. 112; Triffterer, S. 339 ff. 58 nach§ 2 ÖStGB ist ein Unterlassen nur dann strafbar, wenn ein Garant das gebotene Tun nicht vornimmt und "die Unterlassung der Erfolgsahwendung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun gleichzuhalten ist.". 59 Kienapfel, ÖJZ 1976, S. 197 (202 i.V.m. Fn. 57). 60 Kienapfel, ÖJZ 1976, S. 197 (202). 61 Kienapfel , ÖJZ 1976, S. 197 (202). 55

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B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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6. Unterscheidung nach Erfolgsdelikten mit handlungsspeziflschen Unwertelementen und Delikten mit erfolgsdeliktischen Bausteinen

Diese von Arzt vertretene Theorie mißt der Entsprechensklausel je nach Delikt einen unterschiedlichen Geltungsbereich zu. Sie stellt zwei weitere Deliktsgruppen neben die "reinen Erfolgsdelikte": die "Delikte mit handlungsspezifischen Unwerterlementen" (diese entsprechen den "verhaltensgebundenen Delikten") und die "Delikte mit erfolgsdeliktischen Bausteinen", wobei sich die Gruppen allerdings "wechselseitig durchdringen" und nur "schwerpunktmäßig zu unterscheiden (seien)"62. Bei "reinen Erfolgsdelikten" und "Delikten mit handlungsspezifischen Unwertelementen" wird der Entsprechung die Aufgabe eines generellen Korrektivs zugemessen63 - insoweit stimmt diese Theorie mit der von Gallas geprägten Theorie eines generellen Gleichstellungskorrektivs überein. Als Delikt mit handlungsspezifischem Unwertelement charakterisiert Arzt den Mord in der Alternative der grausamen Tötung. Die grausame Tötung enthalte in dem Merkmal der Grausamkeit ein handlungsspezifisches Unrechtsmerkmal, das zusätzlich - neben dem Tötungserfolg, dessen Gleichstellung sich aus dem Grunddelikt ergebe- eine Entsprechung finden könne. Geringere Bedeutung mißt Arzt der Entsprechung bei "Delikten mit erfolgsdeliktischen Bausteinen" zu; diese geringere Bedeutung ergibt sich mittelbar, indem bei diesen Delikten teilweise ganz auf die Voraussetzungen des § 13 StBG verzichtet wird. Als Beispiel für ein "Delikt mit erfolgsdeliktischem Baustein" führt Arzt den Betrug an. Für den Betrug gebe es kein "reines Erfolgsdelikt" als Grunddelikt, sondern lediglich die Irrtumserregung als "erfolgsdeliktischen Baustein". Die Regeln über die Garantenstellung seien auf die Irrtumserregung entsprechend anzuwenden, es sei aber "geradezu unsinnig", nach einer allgemeinen Schutzpflicht zu fragen, insoweit komme es auf§ 13 StGB überhaupt nicht an. Arzt nennt den Fall, daß der Verkäufer eines teuren Hauses es unterläßt, den Käufer auf das undichte Dach hinzuweisen, obwohl der Verkäufer- dies wird unterstellt - zur Aufklärung des Käufers verpflichtet ist. Eine Schutzpflicht des Verkäufers gegenüber dem Vermögen des Käufers brauche nicht zu bestehen, maßgeblich sei allein, daß der Verkäufer den Irrtum des Käufers entgegen seiner Aufklärungspflicht nicht verhütet habe; er sei daher gern. §§ 263, 13 StGB zu bestrafen64.

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Arzt, JA 1980, 712 (716 ff). Arzt, Ja 1980, 712 (717). auf die Frage der Entsprechung wird in dem Beispielsfall nicht eingegangen.

1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

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Wie die Entsprechung bei den verschiedenen Delikten festzustellen ist, wird auch von dieser Theorie dem Besonderen Teil vorbehalten. Im übrigen stellt Arzt fest, daß "die Übertragung der bei reinen Erfolgsdelikten entwickelten Garantenlehre auf verhaltensgebundene Tatbestände und Tatbestände mit erfolgsdeliktischen Bausteinen . . . noch im Fluß (ist). "65 II. Theorie des konkludenten Unterlassens Herzberg geht wie die Theorie der Modalitätenäquivalenz vom Bestehen "verhaltensgebundener Delikte" aus, bringt der Entsprechensklausel aber ein ambivalentes Verständnis entgegen: die Gleichwertigkeit prüft Herzberg bei verhaltensgebundenen Delikten als alleiniges Gleichstellungskriterium, eine Garantenposition setzt er ausdrücklich nicht voraus66. Die Entsprechensklausel im Allgemeinen Teil des StGB lehnt Herzberg allerdings ab67 - schlägt dann aber dennoch, da man "zur Zeit und auch in der näheren Zukunft kaum davon ausgehen (könne) , daß das verhaltensgebundene Delikt die ihm sachgerechte Behandlung (erfahre)"68, eine Bestimmung vor, die der Vorschrift "Begehen durch Unterlassen" angefügt werden solle. Als Wortlaut schlägt Herzberg vor: "Soweit die Tatbestandsverwirklichung von einem besonders gearteten Verhalten abhängt, ist auch ein Unterlassen nur tatbestandsmäßig, wenn sich in ihm ein solches Verhalten unmittelbar ausdrückt. " 69 Als Verhaltensgebunde Delikte nennt Herzberg beispielhaft Kuppelei gern.

§ 180 a. F. StGß70, Betrugn, Beleidigung72 und Verkehrsunfallflucht gern. § 142 a. F. StGß73; verhaltensgebunden seien diese Delikte, weil sie nicht Arzt, JA 1980, 712 (717). Herzberg, S. 105, 106, 107 - lediglich für mittelbare Täterschaft gewinne das Garantenprinzip einen schmalen Anwendungsbereich zurück. 67 Herzberg, S. 106. 68 Herzberg, S. 106. 69 Herzberg, S. 106- Ein merkwürdiges Verständnis von Wissenschaft offenbart sich hier. Als wenn sich mit einer ungüstigen Prognose über die Durchsetzbarkeit sachgerechter Behandlung rechtfertigen ließe, eine "grundsätzlich verfehlte" Regelung vorzuziehen. Wie sollte die Wissenschaft voranschreiten, wenn auf neue Erkenntnisse zugunsten des derzeitigen Erkenntnisstandes (und sei es nur vorübergehend) verzichtet wird? Wer sollte Vorschläge der Wissenschaft ernst nehmen , wenn sie selbst es nicht tut? 70 Herzberg, S. 68 ff - Kuppelei,§ 180 a. F. StGB lautete: "Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei bestraft . . . ". 71 Herzberg, S. 70 ff. n Herzberg, S. 82 ff. 73 Herzberg, S. 88 ff- § 142 a. F. lautete: "Wer sich nach einem Verkehrsunfall der Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs oder Art seiner Beteiligung an dem Unfall vorsätzlich durch Flucht entzieht, obwohl nach den Umständen in Frage kommt, daß sein Verhalten zur Verursachung beigetragen hat, . .. wird bestraft." 65 66

B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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bloßes Unterlassen, sondern ein "ausdrucksvolles menschliches Verhalten" forderten, um als Unterlassen strafbar zu sein. So setze die Kuppelei durch Unterlassen neben dem Unterlassen ein zusätzliches Moment voraus, "welches das lediglich verursachungsgleichwertige Lassen zum Gewähren oder Verschaffen (mache)"74; sei beim Betrug erforderlich, daß der Betrüger seinem Unterlassen "auch noch einen spezifischen Sinngehalt, den der Lüge ... (gebe)"75; könne man eine Beleidigung nur annehmen, wenn die Untätigkeit "unmittelbar eine Mißachtung (ausdrücke)" 76 und sei für die Verkehrsunfallflucht eine "spezifische Art der Vereitelung (von Feststellungen), das Sichentziehen durch Flucht"77 erforderlich. Das in dieser Weise konkludente Unterlassen sei der Begehung durch Handeln gleichzustellen, ohne daß es auf eine Garantenpflicht des Täters ankäme78. Im Fall einer Beleidigung etwa würde die Pflicht, das Bekanntwerden von Mißachtung zu verhindern, für sich nicht mehr bewirken, als daß der Unterlassende- was für § 185 StGB nicht genüge -das Bekanntwerden der Mißachtung im juristischen Sinne verursacht habe79. Ob das konkrete Unterlassen den jeweiligen Sinn und Bedeutungsgehalt des Begehungsdeliktes aufweise, sieht Herzberg als eine Frage nach der unmittelbaren Tatbestandsmäßigkeit von Unterlassungen und damit prinzipiell nicht anders als die Frage nach dem Bedeutungsgehalt des entsprechenden Tuns. Daher würden Aussagen über das strafbare Unterlassen in den Besonderen Teil gehören (und dort eher in die Kommentierung als in das Gesetz)SO. Wenn dennoch eine Vorschrift für den Allgemeinen Teil vorgeschlagen werde, dann geschehe dies, um ohnehin Feststehendes lediglich zu verdeutlichensi. 111. Entsprechung als das "eigentliche Gleichstellungsproblem"

Armin Kaufmann hat seine Arbeit "Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte" 1959 zu einer Zeit veröffentlicht, als die Vorschrift "Begehen durch Unterlassen" zwar erwogen wurde, eine Entsprechensklausel aber noch nicht in der Diskussion war. Dennoch ist diese Arbeit hier zu nennen, da in ihr die Herzberg, S. 64. Herzberg, S. 78. 76 Herzberg, S. 84. 77 Herzberg, S. 95. 78 Herzberg, z. B. S. 84- eine Einschränkung allerdings macht Herzberg für" verhaltensgebundene Delikte", die "fremdhändig" begehbar sind, Herzberg, S. 99: hier sei ein Garantenunterlassen in mittelbarer Täterschaft möglich ; darauf soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, s. unten 4.A.II. 79 Herzberg, S. 84. 80 Herzberg, S. 106. 81 Herzberg, S. 106. 74

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1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

Sachprobleme der Entsprechensklausel behandelt werden. Im übrigen hat Armin Kaufmann später den Bezug zur Entsprechensklausel (die zu jener Zeit noch als Gleichwertigkeitsklausel bezeichnet wurde82) in einem Aufsatz zu Problemen der Gleichstellung von Handeln und Unterlassen selbst ausdrücklich hergestelltB3. In der Lehre Armin Kaufmanns werden die "unechten Unterlassungsdelikte"84 als Verbrechen eigener Art, als "Verbrechen sui generis"B5 selbständig neben die Handlungsdelikte gestellt. Armin Kaufmann folgert dieses Nebeneinander aus der "ontologischen" Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen, d. h. es wird die Unterlassung als das kontradiktorische Gegenteil der Handlung gesehen: das eine schließt das andere jeweils aus. Entgegen früheren Auffassungen versteht Armin Kaufmann die "unechten Unterlassungsdelikte" nicht mehr als eine Form des Handlungsdelikts, sondern der Struktur nach als Unterlassungsdelikt: "Das unechte Unterlassungsverbrechen folgt der Dogmatik der Unterlassungsdelikte"; die "unechte Unterlassung" wird als "echter Fall des Unterlassungsdeliktes" beschrieben86 , Unterlassen sei die Nichtvornahme einer bestimmten Handlungs?. Da das "unechte Unterlassungsdelikt" als zusätzliches Merkmal zum "gesetzlich vertypten" BegehungsdeliktBB die Garantenstellung verlange, um "tatbestandsmäßig zu sein", sei mit dem Unterlassungsdelikt ein anderer Tatbestand beschrieben als der des entsprechenden Handlungsdeliktes. Aus dem Verbotstatbestand sei ein selbständiger Gebotstatbestand geworden; statt das Verbot einer Handlung zu normieren, verlange der Tatbestand jetzt die Vornahme einer bestimmten Handlung89. Zwischen Verbots- und Gebotsnormen gebe es weder dogmatische noch normologische Parallelen90 - während Verbotsnormen als Strafbarkeitsvoraussetzung die Vornahme einer Handlung forderten, seien Gebotsnormen durch das Fehlen einer Handlung gekennzeichnet9I; Kausalität und Finalität s. o. l.A .III. JuS 1961, S. 173 (177). 84 im Sinne von Auslegungsunterlassen, vgl. Kaufmann, Dogmatik S. 277; ders. , JuS 1961 s. 173 (174). 85 Kaufmann, Dogmatik, S. 281, 283; ders., JuS 1961, S. 173 (175). 86 Kaufmann, Dogmatik, S. 272 f, 273, 274; ders., Weber-Fs., S. 207 (211); so auch Welzel, S. 210. 87 Kaufmann, Dogmatik, S. 25 f; so auch Welzel, S. 200; vgl. Grünwald, Diss. Göttingen 1956, S. 5. ss Kaufmann benutzt den Ausdruck "Begehungsdelikt" im Sinne von "Handlungsdelikt". 89 vgl. z. B. Kaufmann, Dogmatik, S. 25 ff, 272 f, 315 f; ders., Weber-Fs., S. 207 (211); Welzel, S. 200; Engisch, JZ 1962, S. 189. 90 Kaufmann, Dogmatik, S. 274, 281. 91 Kaufmann, Dogmatik, S. 3; ders., JuS 1961, S. 174). 82

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B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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des Handeins seien Merkmale der Verbotsnorm, das Fehlen von Kausalität92 und Finalität93 Merkmale der Gebotsnorm. Wegen dieser Verschiedenheit von Verbots- und Gebotsnorm lasse sich die Problematik der Gleichstellung nach keiner dogmatischen Figur lösen; lediglich aufgrund einer wertenden Betrachtungsweise sei die Gleichstellung zu erreichen94. Die "Fixierung" der Unterlassungstatbestände erfolgt daher durch eine dreistufige Abfolge "axiologischer Erwägungen"95. Ausgehend vom Strafrahmen eines Handlungsdeliktes als erster Stufe sei als zweites ein Gebot zu fordern, das die Abwendung von Rechtsgutsverletzungen oder -gefährdungen zum Inhalt habe. Als dritte Erwägung der Gleichstellung müsse mit der Entsprechung festgestellt werden, ob die Verletzung des Handlungsgebotes dem Unrechtsgehalt und dem Maß des Schuldvorwurfes "wenigstens annähernd (gleichstehe)". Hier erst, bei der Frage nach dem Vorliegen eines Garantieverhältnisses, sei der Sitz des eigentlichen Gleichstellungsproblems- erst hier sei zu fragen, ob die Rechtspflicht zum Eingreifen das Gewicht einer Garantenstellung habe und damit in der Strafwürdigkeit dem Begehungsdelikt gleichkomme96 • Da nicht jede Verletzung eines Erfolgsabwendungsgebotes für die Unrechtserfassung maßgeblich sei, sondern nur Verletzungen, bei denen der Verpflichtete eine Garantenposition innehabe, müsse wertend gefragt werden, ob das Unterlassen dem Handeln in der konkreten Situation gleich strafwürdig sei97 . Die Antwort allerdings könne nur im Besonderen Teil des StGB gefunden werden98. Nicht zu jedem Verbotstatbestand könne ein an Unrechtsgehalt und Strafwürdigkeit übereinstimmender Garantengebotstatbestand entwickelt werden. Nur wenn eine Rechtsgutsverletzung oder eine Rechtsgutsgefährdung99 den objektiven Tatbestand ausmache, "und nicht besondere, nur handlungseigene Tatbestandsmerkmale hinzutreten" lasse sich "eine genaue Parallele zwischen der vorsätzlichen Herbeiführung des Erfolges und der Nichtabwendung seitens des abwehrmächtigen Garanten ziehen. Diese Möglichkeit (entfalle) immer bei eigenhändigen Handlungsdelikten, überhaupt immer dann, wenn der besondere Handlungssinn keine Entsprechung auf der Unterlassungsseite (finde)"too. Kaufmann, Dogmatik, S. 57 f, 61. Kaufmann, Dogmatik, S. 66 f, 80, 81. 94 Kaufmann, Dogmatik, S. 284 f; ders., JuS 1961 , S. 173 (176 f). 95 Kaufmann, Dogmatik, S. 284; ders., JuS 1961, S. 173 {177). 96 Kaufmann, Dogmatik, S. 287; ders., JuS 1961, S. 173 (177). 97 Kaufmann, Dogmatik, S. 284; ders. , JuS 1961, S. 173 {174). 98 Kaufmann, Dogmatik, S. 287. 99 Rechtsgut ist gemeint i.S. von Rechtsgutsobjekt- als "Substrat von Werturteilen", Kaufmann, Dogmatik, S. 1. too Kaufmann, Dogmatik, S. 288. 92

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1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

So ergeben sich erhebliche Einschränkungen der Unterlassungsstrafbarkeit: Zwar sei die schwere Körperverletzung gern. § 224 StBG als Unterlassen denkbar, nicht dagegen aber die gefährliche Körperverletzung gern. § 223a StGBlOl. Immer wenn eine Qualifizierung an die erhöhte verbrecherische Intensität anknüpfe, die in der Ausgestaltung des Angriffs zutage trete, ohne den Erfolg zu erschweren, sei eine Übertragung auf das entsprechende Unterlassungsdelikt nicht möglich102. Für den grausam oder in gemeingefährlicher Weise begangenen Mord, für die "Beweggründe" und "qualifizierenden Zwecksetzungen" sei zwar eine Parallele auf der Unterlassungsseite zu finden; ob das aber auch für die Strafwürdigkeit der Garantenpflichtverletzung zutrifft, läßt Kaufmann offen103.

IV. Entsprechung als Voraussetzung tatbestandlieber Gleichstellung von Handlung und Unterlassung Für Schmidhäuser drückt sich in der Entsprechensklausel das Problem der tatbestandliehen Gleichstellung von Handeln und Unterlassen ausl04; die Gleichstellungsproblematik betreffe die Frage nach der Auslegung der Handlungstatbestände zu Auslegungs-Unterlassungstatbeständen. Bei den Handlungsdelikten, bei denen eine besondere Handlungsweise im Tatbestand des Besonderen Teils vorausgesetzt sei, bedürfe es einer zugeschnittenen Begründung dafür, daß die als Handlungsdelikt geschilderte Tat auch durch ein Unterlassen begangen werden könnetos. Diese Theorie stimmt insofern mit der strengen Modalitätenäquivalenztheorie überein, als sie den Anwendungsbereich nur dort sieht, wo es um besondere Handlungsmodalitäten geht. Sie unterscheidet sich von der strengen Modalitätenäquivalenztheorie (und allen anderen Modalitätstheorien) durch eine erhebliche Eingrenzung der Tatbestände, die überhaupt als Auslegungs-Unterlassen in Betracht kommen. Ausgeschlossen sind dieser Theorie nach nämlich alle sogen. Zieldelikte, d. h. alle Delikte, für die im Tatbestand neben der Handlung ein weiterreichendes Wollen des Täters vorausgesetzt ist, das auf die Herbeiführung des eigentlichen Unwertsachverhalts gerichtet ist. So setze z. B. die Urkundenfälschung als Handlungsziel voraus, daß der Täter "zur Täuschung im Rechtsverkehr" eine unechte Urkunde herstelle; die Nötigung, daß der Täter ein bestimmtes Verhalten des Opfers erstrebe, und der 101

102 103

104 10s

Kaufmann, Dogmatik, S. 289. Kaufmann, Dogmatik, S. 289. Kaufmann, Dogmatik, S. 289 f. Schmidhäuser, AT 16/68. Schmidhäuser, Studb. 12/58.

B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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Diebstahl, daß der Täter auf die dauernde Enteigung des Berechtigten abziele. Da eine etwaige Intentionalität des Unterlassens zur Unrechtsbegründung bei den Unterlassungsdelikten keine Rolle spiele- denn das Unterlassen unterscheide sich vom Handeln durch das "Nicht-Wollen" und "Nicht-Tun"to6 - kämen Zieldelikte von vornherein nicht als Auslegungs-Unterlassen in Betracht107 . Ensprechendes gelte überhaupt für Delikte, die ein bestimmtes Handlungsziel des Täters voraussetzen. Urkundenfälschung, Nötigung und Diebstahl seien deshalb nicht als Unterlassen begehbarios. Problematisch sei die Frage des Auslegungs-Unterlassens beim Mord; die Möglichkeit eines grausam begangenen Mordes wird für den Unrechtstatbestand zwar bejahtl09, für den Schuldtatbestand aber verneint und damit auch im Ergebnis abgelehntliO. Eine Gleichstellung des Mordmerkmals der Heimtücke sei ausgeschlossen: Heimtücke setze voraus, daß der Täter sich über ein ihm entgegengebrachtes Vertrauen in der konkreten Situation hinwegsetzelll; ein derartiger Vertrauensbruch komme nur in Betracht, soweit der Vertrauenspartner dem Opfer durch sein Handeln das Leben nehme, nicht aber, wenn er nicht rettend tätig werde; diese Seite der besonderen Verpflichtung sei schon in der Garantenstellung voll erfaßt112. Für erfolgsqualifizierte Delikte wie z. B. die gefährliche Körperverletzung gern. § 223a StGB wird die Frage des Auslegungs-Unterlassens ausdrücklich offengelassen 113. Ein Betrug durch Unterlassen sei möglich. Beim Betrug handle es sich nicht um ein Zieldelikt, da die Rechtsgutsverletzung nicht im Erstreben eines Vermögensvorteils liege, sondern in der Verletzung des Opfers in seinem Vermögenl14. Als Beispiel für einen Betrug durch Unterlassen führt Schmidhäuser den Fall an, daß ein Beamter laufend Kindergeld erhält und es unterläßt, der Behörde eine Mitteilung vom Fortfall der Anspruchsvoraussetzungen zu geben 115 •

Schmidhäuser, Studb. 12/1. Schmidhäuser, Studb. 12/59, 12/39. ws Schmidhäuser, Studb. 12/59. 109 Schmidhäuser, Studb. 12/59; BT 2/21. 110 Schmidhäuser, Studb. 12/84; dort auch ablehnend zum Mord aus Habgier durch Unterlassen. 111 Schmidhäuser, BT2/20; ders., Studb. 7/127. 112 Schmidhäuser, BT 2/10. 113 Schmidhäuser, Studb. 12/59. 114 Schmidhäuser, AT 16/68. 115 Schmidhäuser, BT 11/6, 11/34. 106 107

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1. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel

V. Ablehnung der Entsprechensklausel

Unter den ablehnenden Stimmen wenden sich einige gegen die Vorschrift des Begehens durch Unterlassen überhaupt, andere lehnen allein die Entsprechensklausel ab. 1. Ablehnung der gesamten Vorschrift "Begehen durch Unterlassen"

Eine Streichung des ganzen § 13 StGB fordert Schöne, weil die Vorschrift zu einer Zunahme der Rechtsunsicherheit und zu einer unerträglichen Ausdehnung der Strafbarkeitsgrenzen führen müssel16. Schon der Anknüpfungsund Angelpunkt der Tatbestandsbildung sei mit dem Wort "Erfolg" in keiner Weise präzis umschrieben; je nach der Weite des jeweils verwendeten Erfolgsbegriffs wandle sich auch der Umfang und der soziale Sinngehalt des Verhaltens, das bei der Transformation der Vorschriften erfaßt werdell7. In der Formel vom Einstehenmüssen komme nicht zum Ausdruck, daß nur eine besondere Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung - und nicht jede - gemeint sein sonus; sie eröffne den Weg, auch ungeschriebene Rechtssätze zur Grundlage des Einstehenmüssens zu machen119. Und: das Erfordernis der Entsprechung von Tun und Unterlassen leide an dem Mangel fester Maßstäbe zur Beurteilung der Entsprechungl20. Grünwald führt an, es sei unmöglich, das Merkmal der Garantenstellung vor die Klammer zu ziehen, da nicht jede Garantenstellung zu jedem Delikt passel21. Als Beispiel nennt Grünwald den Fall, daß jemand mit seiner kranken Tante zusammen wohnt und es unterläßt, sich um sie zu kümmern, und sie sterben läßt. Der Täter müsse - wenn das Merkmal der Garantenstellung vor der Klammer steht- wegen "Tötung durch Unterlassen" bestraft werden. Der Täter müsse darüber hinaus - falls er es unterläßt, den Kanarienvogel der Tante zu füttern oder die Blumen zu gießen- auch wegen "Sachbeschädigung durch Unterlassen" bestraft werden122. Es sei nicht möglich, stellt Grünwald fest, die Merkmale der Unterlassungstatbestände konkret zu bestimmen, wenn man nach einer Vorschrift im Allgemeinen Teil suche. Vielmehr solle man die Unterlassungstatbestände im Besonderen Teil ausdrücklich regeln, 116 Schöne, S. 342, 341; so auch Busch, Weber-Fs., S. 192, (203); Meyer-Bahlburg, Diss. Harnburg 1962, S. 148; ähnlich kritisch Peters, ZStW 77 (1965), S. 470 (498). m Schöne, S. 340. 118 Schöne, S. 341. 119 Schöne, S. 341. 12o Schöne, S. 341; ähnlich Bockelmann, Niederschr. Bd. 12, S. 88, 478; ders. , Eb. Schmidt-Fs. , S. 437 (458). 121 Grünwald, ZStW 70 (1958) S. 412 (424 f), vgl. ders., Diss. Göttingen 1956, S. 76. 122 Grünwald, ZStW 70 (1958) S. 412 (424 Fn. 25), weitere BeispieleS. 424 f .

B. Die Entsprechensklausel in Literatur und Rechtsprechung

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indem einzelnen Handlungsdelikten oder zusammengefaßten Gruppen von Handlungsdelikten Unterlassungstatbestände beigefügt werden 123. Ebenso äußert sich Armin Kaufmann: "Die rechtsstaatliche Problematik der mangelnden Tatbestandsbestimmtheit des unechten Unterlassungsdelikts ist durch keine wie auch immer geartete dogmatische Konstruktion zu bewältigen. Sie läßt sich nur dann lösen, wenn es gelingt, im Gesetz selbst den Besonderen Teil der unechten Unterlassungsdelikte zu entfalten und genau zu umschreiben"l24 . Die rechtsstaatliehen Bedenken würden durch die Vorschrift des "Begehens durch Unterlassen" zwar gemildert, nicht aber behoben. So bleibe nichts anderes übrig, als offen zuzugeben, daß die Bestrafung des unechten Unterlassungsdelikts mit dem Grundsatz "nullum crimen sine lege" nicht in Einklang stehe125. Statt allerdings eine Regelung des Garantenunterlassens im BT zu fordern, wie der Verfassungsgrundsatz "nullum crimen sine lege" es nach Auffassung Kaufmanns eigentlich gebieten müßte, glaubt Kaufmann auf die Tatbestandsbestimmtheit zugunsten eines "praktischen Strafbedürfnisses" verzichten zu können. So erklärt sich einerseits die Forderung nach einer Regelung im BT und dennoch die von Kaufmann vorgeschlagene Theorie zur "Tatbestandsbildung beim unechten Unterlassungsdelikt", die obenl26 unter der Bezeichnung "Theorie der Entsprechung als das eigentliche Gleichstellungsproblem" dargestellt ist. Auch Schürmann hält § 13 StGB für verfassungswidrig: die Entsprechung erfordere ein Unterlassungssonderunrecht, das zur Verletzung der Handlungspflicht hinzukommen müsse, damit das Unterlassungsunrecht dem Handlungsunrecht gleich unwertig seil27. Da aber die Voraussetzungen des Unterlassungssonderunrechts im Gesetz fehlten, verstoße § 13 StGB gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art 103 Abs. 2 GGI2s. Ein anderer Vorschlag geht dahin, bei den Delikten des Besonderen Teils ausdrücklich zu sagen, ob auch die Unterlassung strafbar ist - ähnlich der Regelung zur Versuchsstrafbarkeit 129. Von dritter Seite wiederum wird eine Vorschrift im Besonderen Teil ebenso abgelehnt wie im Allgemeinen TeiPJO.

123 Grünwald, ZStW 70 (1958) S. 412 (425); ders., Diss. Göttingen, 1956, S. 72 ff; so auch Schöne, S. 342 ff, 356; Busch, Weber-Fs., S. 192 (204). 124 Armin Kaufmann, JuS 1961, S. 173 (175); vgl. ders., Dogmatik, S. 287 ff. 125 Armin Kaufmann, JuS 1961 , S. 173 (176), ders., Dogmatik S. 282. 126 Teill.B.III. ; wie Kaufmann auch Welzel, S. 208 ff. 121 Schürmann, S. 48 f, 117 ff. 128 Schürmann, S. 124, 177. 129 Hellm. Mayer, Studb. S. 80 ff; Peters, ZStW 77 (1965) S. 470 (498). 130 Meyer-Bahlburg, MschKrim 1965, S. 247 (250, 253).

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I. Teil: Der Streit um die Bedeutung der Entsprechensklausel 2. Ablehnung aUein der Entsprechensklausel in § 13 StGB

Soweit nicht die gesamte Vorschrift des§ 13 StGB abgelehnt wird, sondern sich die Ablehnung auf die Entsprechensklausel allein beschränkt, wird auch hier vorgetragen, es fehle für die Frage der Gleichwertigkeit an jedem vernünftigen Maßstab13t. Ein weiterer Einwand lautet: die für die Gleichwertigkeitsklausel zur Verfügung stehenden rechtlichen Kriterien seien schon für das Einstehenmüssen verbraucht132. Die Entsprechensklausel verblüffe insofern, als sie den ersten Halbsatz des§ 13 StGB dementiere. Es zeige sich, daß, wer rechtlich für die Abwendung des Erfolges einzustehen habe, dafür doch nicht einstehen müsse, wenn nicht das zusätzlich geforderte Entsprechungsverhältnis hinzukomme. Es läge bei unbefangener Betrachtung die Annahme näher, daß die Entsprechung schon Voraussetzung der Garantenstellung seit33. Die Klausel berge daher die Gefahr, "daß die Rechtsprechung sie zum Anlaß (nehme), die Garantenstellung bedenkenlos auszudehnen, weil sich die Strafbarkeit im Einzelfall immer noch durch Verneinung des Entsprechungsverhältnisses abwenden lasse"B4 • Zu den Stimmen, die der Entsprechensklausel keine Bedeutung beimessen, gehört auch die in der Einleitung zitierte Feststellung Baumanns, daß die Entsprechensklausel des § 13 StGB sich "als bloße Floskel entpuppen dürfte". Denn gerade, "wann diese Entsprechung vorliege", so lautet die Erklärung Baumanns, "gerade das sei zu regeln gewesen" 135 •

131 Roxin, ZStW 78 (1966) S. 214 (245); ablehnend auch Schünemann, S. 380; Baumann, 8. Auf!., S. 249; Schünemann, S. 380; Otto, AT, S. 157; Metzen, Diss. Köln 1977, s. 130 ff. 132 Roxin, Einführung StrR. S. 4 f. 133 Roxin, ZStW 78 (1966) S. 214 (246 f); vgl. ders., Einführung StrR. S. 4 f = JuS 1973 197 (198 f). 134 Roxin, EinführungS. 4 f =JuS 1973, S. 197 (198 f) ; vgl. auch Baumann, 8. Auf!., S. 249; Busch, Weber-FS 1963 S. 192 (202 f)- allerdings glaubt Roxin dem Gesetzespositivismus den Vorrang vor dieser Erkenntnis geben zu müssen: "Die Mißbrauchbarkeit der Formel enthebt uns aber nicht der Mühe, für die Entsprechungsklausel, mit der die Praxis nun einmal wird arbeiten müssen, die verhältnismäßig sinnvollste Deutung zu suchen ... " (Einführung StrR, S. 5 =JuS 1973 S. 198). Diese Deutung findet Roxin in dem "guten Sinn, den Interpreten bei verhaltensgebundenen Delikten . . . über die generell geltenden, abstrakten Garantenpositionen hinaus auf den Besonderen Teil und die Prüfung der Gleichstellungsmöglichkeit bei den einzelnen Tatbeständen zu verweisen . .. " (Einführung StrR., S. 6 f = JuS 1973, 199). 135 Baumann, 8. Auf!., S. 249.

Zweiter Teil Kritik A. Grundlagen der Kritik I. Der Zusammenhang von Straftatsystematik, Straftattheorie und Entsprechensklausel 1. Straftatsystematik und Straftattheorie

So wie jede Wissenschaft bemüht ist, neben der Feststellung von objektiven Sätzen auch eine logische Ordnung in die schon festgestellten Sätze zu bringen, um zu einer in sich geschlossenen, der formalen Logik entsprechenden Systematik zu gelangenl, bemüht sich auch die Strafrechtswissenschaft darum, die allgemeinen Merkmale einer jeden Straftat zu erkennen und ordnend in einen systematischen Zusammenhang zu stellen. Dabei hat der Begriff "Systematik" streng genommen zwei Bedeutungen, die allerdings aufeinander bezogen sind: einerseits ist damit die Vorgehensweise, der Vorgang des methodischen Ordnens beschrieben, andererseits kennzeichnet der Begriff auch das Resultat, die verbleibende planmäßige Ordnung. Beide Seiten des Begriffs gelten auch für das Strafrecht: zum einen richtet es sich nach der jeweils angewendeten Systematik, wie die Straftatmerkmale zu gewinnen sind, und zum anderen bestimmt die Systematik, in welcher planmäßigen Ordnung die Straftatmerkmaleschließlich stehen. Was die einzelnen Merkmale der Straftat ausmacht, bestimmen die Straftattheorien. Sie treffen eine Aussage darüber, welche allgemeinen Merkmale jede Straftat aufzuweisen hat, und benennen die einzelnen Merkmale. Während die Systematik den methodischen Weg zum Auffinden der Straftatmerkmale beschreibt, befassen sich also die Straftattheorien unmittelbar mit den Inhalten dieser Merkmale. Dabei stehen Systematik und Straftattheorie nicht unabhängig voneinander, sondern die Systematik entscheidet auch mit über die Inhalte der Straftatmerkmale, denn das Verständnis der einzelnen Merkmale ist auch bedingt durch das Verhältnis der einzelnen Merkmale zueinander2 : "Nichts wäre verkehrter", schreibt Engisch, "als die bildliehe 1 vgl. Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, S. 18 f ; vgl. auch Nw. bei Engisch, Studium Generale, 1957, S. 173. z vgl. Radbruch, Frank-Fg I S. 158 {159); Schmidhäuser AT 6/1; Engisch, Studium Generale, 1957 S. 173 (188).

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2. Teil: Kritik

Vorstellung vom System als einem Gebäude mit vielen Schubfächern, in denen das Material geordnet untergebracht wird. Das Material empfängt durch die systematische Erfassung eine Bestimmung seines Inhalts"3. Ob dar· aus der Satz abzuleiten ist, daß es jeweils allein eine einzige "richtige" Straftat· theorie für eine Systematik gibt, soll hier nicht untersucht werden. Ein Blick auf bestehende Straftattheorien zeigt jedenfalls, daß den unterschiedlichen Systematiken jeweils eine Reihe von Straftattheorien zuzuordnen ist. Über Sinn und Notwendigkeit einer systematischen Erfassung der Straftatmerkmale herrscht heute Einigkeit4: mit der systematischen Ordnung der Straftatmerkmale wird über den Erkenntniswert des Systems hinaus eine "rationale, sachgebundene und gleichmäßige Rechtsprechung" untersützt5 und die Gerechtigkeit staatlichen Strafens gefördert, indem Wertungen in der Rechsanwendung, die Notwendigkeit deren Begründung sowie ihr Gewicht im Gesamtzusammenhang deutlich gemacht werden. 2. Die Abhängigkeit der Entsprechung von Systematik und Straftattheorie

Wer eine Aussage über die Entsprechung treffen möchte, also beurteilen will, wann das Unterlassen dem Handeln entspricht, kommt nicht an der Klärung dessen vorbei, was unter "Handeln" (bzw. "Handlung") und "Unterlassen" (bzw. "Unterlassung") zu verstehen ist und in welchem Verhältnis die Sachverhalte stehen, die als Handeln und als Unterlassen bezeichnet werden. Darüber hinaus sind weitere Fragen zu beantworten: In welchem Zusammen· hang stehen Wille und Handlung, in welchem Zusammenhang Handlung und Erfolg?- besteht zwischen Wille und Unterlassen, zwischen Unterlassen und Erfolg eine Beziehung? - und welche? - haben Handeln und Unterlassen unter strafrechtlichen Gesichtspunkten Gemeinsamkeiten? Die Fragen zeigen, daß im Strafrecht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Begriffen "Handeln" und "Unterlassen" nicht verzichtet werden kann: jede Theorie der Straftat erfordert in irgend einer Form eine Theorie der Handlung (und der Unterlassung)6. Nicht nur die jeweilige Straftattheorie bestimmt über das Verhältnis von Handeln und Unterlassen und damit über die Entsprechung, sondern in ent· scheidendem Maße auch die jeweils zugrundegelegte Systematik; der Unterschied im Vorgehen steht dabei in enger Beziehung zur Funktion des Hand· lungsbegriffs. Der Aufgabe des Systematisierens nähert sich die Strafrechts· Engisch, Studium Generale, 1957 S. 173 (188) ; vgl. auch Canaris, S. 62. anders die nationalsozialistisch geprägte Lehre vom Tätertyp, z. B. Dahm, ZStW 57 (1938) s. 250, (268 ff). s Jescheck, S. 156. 6 Schmidhäuser, Studb. 4/2. 3 4

A. Grundlagen der Kritik

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wissenschaftnämlich auf zwei unterschiedlichen Wegen: einerseits stellt man den Begriff der Handlung an den Anfang und fragt dann, welche weiteren Merkmale die Handlung aufweisen muß, um eine Straftat darzustellen. Diese vom Oberbegriff der Handlung ausgehenden Straftattheorien bezeichnen sich folgerichtig als Handlungslehren7. Da sie von der Handlung ausgehen und die Vielzahl aller denkbaren Handlungen nach verschiedenen Gesichtspunkten untergliedern (kassifizieren), werden sie auch als klassifikatorische Straftattheorien bezeichnet8 . Der zweite Weg, um zu einer allgemeinen Straftattheorie zu gelangen, fragt dagegen zunächst unabhängig vom Begriff der Handlung unmittelbar nach dem sachlichen Zusammenhang von Straftat und Strafe. Die Systematik ist hier an der Rechtsfolge Strafe ausgerichtet, die Straftat wird bestimmt durch ihre Funktion, die allgemeinen Voraussetzungen der Strafe anzugeben. Da diese Systematik am Ziel (Telos) der gerechten Strafe als Rechtsfolge ausgerichtet ist, bezeichnet sie sich als teleologische Straftatsystematik9. Beide WegelO der systematischen Straftaterfassung und die nach der jeweiligen Systematik entwickelten Straftattheorien sind nachzuzeichnen und zu bewerten, daraus wird sich dann die Theorie der Handlung (und Unterlassung) und schließlich die Kritik an den Theorien zur Entsprechensklausel ergeben. II. Klassiflkatorische Straftatsystematik 1. Grundlage der Systematik

Die Handlungslehren betonen ausdrücklich die Handlung als Ausgangspunkt allen Bemühens um die Systematik: "Voraussetzung eines jeden Verbrechens ist, daß überhaupt eine Handlung vorliegt"ll "die .. . Handlung ist 7 vgl. z. B. bei Maurach/Gössel, S. 189 ff; Jescheck, S. 174 ff. s Jescheck, S. 174 zur Klassifizierungsfunktion des Handlungsbegriffs; zur Bezeichnung als klassifikatorische Systematik: Engisch, Studium Generale 1957 S. 173 (184); Radbruch, Handlungsbegriff, S. 9; ders., Frank-Fg I S. 158 ff; Schmidhäuser, Radbruch-GS, S. 268 (269 ff); ders., Studb. 4/33; AT 7/3. 9 Nachw. unten, 2.A.III.l. 10 Auch Theorien, die die Straftat ganzheitlich und nicht in einzelnen Merkmalen zu erfassen suchen (z. B. Hellm. Mayer, Studb. S. 60, ders., AT S. 50 ff; Roxin, Kriminalpolitik S. 42; Amelung, JZ 1982, 617) , sind dem einen oder anderen Weg zuzuordnen. Auch sie müssen verschiedene "Momente", "Kategorien" oder "Umstände" (Roxin, Kriminalpolitik, S. 42) unterscheiden und nacheinander abhandeln, vgl. unten 2.A.III.2.a). Sie betonen also lediglich, daß das einzelne Merkmal nicht isoliert gesehen werden kann, sondern sich als Teil des Ganzen darstellt (s. besonders Hellm. Mayer, Studb. S. 60). Das aber gilt für jedes System, das nicht lediglich ein "Gebäude mit vielen Schubfächern" darstellen soll. 11 Maurach/Zipf, S. 183; Maurach/Gössel/Zipf, S. 136 ff; vgl. Bockelmann, AT S. 32; Dreher/Tröndle, vor§ 13 Rz. 2; Jescheck, S. 173; Arthur Kaufmann, Hellm. Mayer-Fs. S. 79 (90) ; Maurach, S. 131 ff.

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2. Teil: Kritik

das Konstitutivum jeder Straftat"'2, "Unrecht und Schuld (können) nur auf menschliche Handlungen bezogen werden"B- so oder ähnlich lauten die Formulierungen in Lehrbüchern und Kommentaren' 4 • Innerhalb der Systematik wird die Handlung an vorderste Stelle gerückt: "Die Lehre von der Handlung (ist) der Lehre vom Tatbestand vorgelagert, von ihr abgetrennt und dient der Vorformung dieser Lehre"IS, "mit der systematischen Einstufung wird Rangordnung und Wert aller übrigen Verbrechensmerkmale entscheidend bestimmt"l6, "nur eine Handlung kann den Tatbestand verwirklichen"'?. Die Aufgabe des Handlungsbegriffs wird darin gesehen, "alle Arten menschlichen Wirkens, die für das Strafrecht überhaupt erheblich sein können ••. "IB, in sich aufzunehmen; der Handlungsbegriff gewinnt so die Funktion des Oberbegriffs innerhalb der Straftatsystematik. Zunächst wird bei der Begutachtung strafrechtlicher Fälle die Handlung festgestellt und dann nach weiteren Merkmalen dieser Handlung gefragt, bis alle Merkmale bejaht worden sind, die die Straftat ausmachen: "Das Strafrecht sondert aus dem Rohmaterial menschlichen Verhaltens durch die Hinzufügung ständig weiter verengender Merkmale schließlich als Endprodukt die Straftat aus"'9. 2. Ursprung der klassiflkatorischen Systematik

Die heutige klassifikatorische Straftatsystematik ist historisch zu erklären, sie geht zurück auf Franz von Liszt. Seine Aufgabe sah Liszt darin, "die höheren und allgemeineren Begriffe aus den positivrechtlich gegebenen, niederen und besonderen zu entwickeln"20. Als den obersten, alle anderen Begriffe umspannenden Begriff sah Liszt den Handlungsbegriff an. Mit dieser Systematik klassifizierender Begriffe entsprach Liszt einerseits der überkommenen formal- und begriffsjuristischen Betrachtungsweise21, mit der man glaubte, Erkenntnis und Recht aus dem Wortlaut des Gesetzes herauslesen zu können; daneben entsprach er aber auch ganz dem neuen Zeitgeist seiner Tage, in dem die Naturwissenschaften mit ihren exakten Methoden zu einer Fülle neuer und erstaunlicher Erkenntnisse gelangten. 1735 hatte der schwedische Forscher Baumann!Weber, S. 186. n Jescheck, S. 158, ferner S. 485. 14 z. B. Engisch, Gallas-Fs. S. 162; Lackner, vor § 13 Bem. 1b); Mezger, S. 91 ff; ders. , Rittler-Fs. S. 119; Michaelowa, S. 87; Sch!Sch!Lenckner, vor§ 13 Rz. 12, 23 ff. 15 Maurach!Zipf, S. 182. 16 Maurach!Zipf, S. 182. 17 Baumann/Weber, S. 187; vgl. Jescheck, S. 173; Naucke, Einf. S. 277. 18 Maurach, S. 198; im Wortlaut übereinstimmend Jescheck, S. 174; vgl. ferner Maurach!Zipf, S. 187 f; Gössel, Wertungsprobleme, S. 94; Welzel, S. 37. 19 Maurach!Zipf, S. 187. 20 Liszt, Lb. 2. Auf!. 1884, S. IV. 21 vgl. Roxin, Kriminalpolitik S. 7. 12

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und Mediziner Carl v. Linne mit seinem System der Pflanzen Aufsehen erregt, in dem er in jahrelanger Arbeit ca. 8.500 Pflanzen klassifiziert hatte22. Später folgten ein System der Tiere und ein System der Mineralien. Meyer und Mendelejew stellten 1869 unabhängig voneinander ein System der chemischen Elemente auf; noch spektakulärer waren die Arbeiten Darwins über die Entstehung der Arten (1859) und über die Abstammung des Menschen (1871). Alle diese Werke, Ergebnisse eingehender Naturforscherarbeit und sorgfältiger Klassifikation, die auch heute noch Geltung besitzen, müssen die Gelehrten ihrer Zeit in kaum vorstellbarer Weise beeindruckt haben. "Liszt stand so stark unter dem Eindruck der Naturwissenschaften", schreibt Eberhardt Schmidt in seiner Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, "daß er wissenschaftliches Denken mit naturwissenschaftlichem Denken recht eigentlich identifzierte"23. So nimmt es nicht Wunder, wenn versucht wurde, die Methoden der Naturwissenschaften, die zu so fruchtbaren Erkenntnissen über die Natur geführt haben, auch auf das Strafrecht zu übertragen, um dort ebenfalls zu Erkenntnissen darüber zu gelangen, worin die Merkmale einer jeden Straftat zu finden sind, und um durch Einordnung eines zu prüfenden Verhaltens in ein System zu bestimmen, ob es sich dabei um eine Straftat handelt. Im Gedanken der wissenschaftlich-systematischen Erfassung, die heutzutage völlig selbstverständlich ist, liegt die großartige Leistung Listzs; sie wird auch durch Mängel in der Ausführung dieses großen Gedankens nicht geschmälert. Für Liszt konnte das System nur ein System der Handlungen sein, ein System, in dem die Straftat ihren Platz als eine durch Artmerkmale näher bestimmte Handlung findet. Und in der Tat: hat der Gedanke nicht etwas Verlockendes? schildert nicht das Gesetz Diebstahl, Betrug, Mord und Totschlag und viele andere Delikte durch ein Handeln des Täters- als Wegnehmen, Täuschen, Töten, Verletzen, Nötigen oder Erpressen? Mußte nicht gerade der Wortlaut des Gesetzes in der Epoche des Gesetzespositivismus als ein bedeutender Eideshelfer erscheinen? - Mit dem Oberbegriff waren die Umrisse des Systems festgelegt. Als Begriffsmerkmale, die aus der Vielzahl aller menschlichen Handlungen zur Bestimmung der Straftat führen und die dem Oberbegriff als Attribute beigefügt werden, formulierte Liszt Rechtswidrigkeit24, Schuldhaftigkeit25 und Strafandrohung26; Beling konkretisierte die Strafandrohung zur Tatbestandsmäßigkeit und stellte sie den anderen Merkmalen voran27. Damit zeigt sich die Liszt/Beling'sche Straftatsystematik, wie sie auch Linne, Systema Naturae, 1735. Eberhard Schmidt, Die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 366; vgl. auch Schmidhäuser, Radbruch-Gs S. 268 ff. 24 Liszt, Lb. 2. Aufl. S. 94. 25 Liszt, Lb. 2. Aufl. S. 94. 26 Liszt, Lb. 2. Aufl. S. 95. 27 Beling, Lehre vom Verbrechen, S. 7, 20 ff, 110 ff. 22

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4 Nitze

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heute von ganz verbreiteter Meinung für richtig gehalten wird: die Straftat ist danach eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlungzs. 3. Das Problem der Unterlassungsdelikte

Problematisch sind in dieser Systematik Unterlassungsdelikte: der Oberbegriff der Handlung zwingt dazu, auch das Unterlassen als Handlung anzusehen. Dieses Problems war Liszt sich durchaus bewußt: "Wir haben das Verbrechen als Handlung definiert; wie verhalten sich dieser Definition gegenüber die Unterlassungsdelikte? Wenn sie keine Handlung sind, so war unsere Definition, weil zu eng, falsch und bedarf der Korrektur ... "29. Eine Korrektur erschien Liszt aber nicht notwendig: "Unterlassen heißt nicht Nichtsthun, sondern: Etwas nicht thun; das nicht thun, was erwartet, was gesollt wurde. Unterlassen ist Pflichttätigkeit mit Rücksicht auf ein ganz bestimmtes erwartetes Thun; nicht ein Nicht-Handeln, sondern ein Andershandeln. Man kann nie sagen: er hat unterlassen, sondern immer nur: er hat dies oder jenes unterlassen. Damit ist der Charakter der Unterlassung als positiver Handlung, die wie alle anderen kausal sein können, nachgewiesen."3° Liszt hielt also an der Handlung als Oberbegriff fest: "Das Verbrechen ist als Handlung im weiteren Sinne entweder Thun (Handlung im engeren Sinne) oder Unterlassen. Auch die Unterlassung ... kann nur Handlung sein"31. Einige Lehrbücher und Kommentare sowie die Rechtsprechung folgen auch heute dieser Vorstellung - so ist z. B. zu lesen: "auch ... Nichtstun, ... Unterlassen, ... ist ein körperliches Verhalten, ist Handlung"32; "die Grundformen der Handlung sind positives Tun und Unterlassen"33; "eine Unterlassungshandlung liegt vor, wenn eine Rechtsgutsbeeinträchtigung handelnd durch körperliche Untätigkeit herbeigeführt wird" (!)34. Aber vermag die Aussage Liszts, das Unterlassen sei "nicht ein Nicht-Handeln, sondern ein Andershandeln", die Unterlassung als eine Handlung zu erweisen? Liszt stellt zunächst fest, daß mit dem Begriff der Unterlassung die Erwartung eines bestimmten Handeins verknüpft ist. Ebenso liegt es - ohne 28 Dazu kommen noch weitere Merkmale, die hier aber beiseite bleiben sollen- zur Entwicklung des "klassischen Systems der Verbrechensgliederung" vgl. Bubnoff, S. 137 ff. 29 Liszt, Lb. 1. Aufl. S. 94. 30 Liszt, Lb. 1. Aufl. S. 79 f. 31 Liszt, Lb. 1. Aufl. S. 80 f. 32 Baumann/Weber, S. 191; Michaelowa, S. 86; vgl. z. B. BGH 28, 300 (307); OLG Köln NJW 1973, S. 861 f; RGSt 10, 100 {101); 17, 260 {261); 24, 339 f; ferner die Nachweise aus älterer Zeit bei Clemens, S. 34 f. 33 Lackner, vor § 13 Bem. III 1. b.; vgl. auch Blei, S. 96; Böhm, Diss. Frankfurt/ Main, 1957, S. 15; Jescheck, S. 172 ff; Nickel, S. 27. 34 Maurach/Gössel/Zipf, S. 286; aus der Rspr. s. BGHZ 30, 207 ff; BGH NJW 1981, S. 182; OLG Köln NJW 1983, S. 694.

A. Grundlagen der Kritik

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daß Liszt dies ausdrücklich erwähnt- beim Andershandeln. Auch im Begriff des Andershandeins klingt eine Erwartung bestimmten Tuns an, denn die Andersartigkeit des Handeins muß sich ja auf einen Vergleichsgegenstand beziehen. Diesen Vergleichsgegenstand liefert die Erwartung. Andershandeln drückt schlagwortartig aus, daß jemand anders als erwartet handelt. Unterlassen und Andershandeln weisen mit der Erwartung eines bestimmten Tuns also ein gemeinsames Merkmal auf. Wenn Liszt nun sagt, das Unterlassen sei nicht ein Nicht-Handeln, sondern ein Andershandeln, dann muß es offenbar diese Gemeinsamkeit sein, die ihn dazu verführt hat, Unterlassen und Handeln vollends gleichzusetzen. Aber nur weil der Spitz vier Beine hat, ist er deshalb noch lange kein Esel. Der wunde Punkt in der Gedankenfolge Liszts liegt darin, daß von lediglich einem gemeinsamen Merkmal auf vollständige Übereinstimmung in allen Merkmalen geschlossen wird. Es ist zwar richtig, daß von Unterlassen nur im Hinblick auf ein erwartetes Handeln gesprochen werden kann; dadurch erweist sich aber das Unterlassen der erwarteten Handlung keineswegs als ein Handeln, als "Andershandeln". Die Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen läßt sich auch mit dem Begriff des "Andershandelns" nicht fortleugnen. Auf ein Andershandeln kommt es denn auch bei der Beurteilung strafrechtlicher Unterlassungen nicht an: ob der Täter regungslos verharrt, oder ob er irgend welche Handlungen vornimmt, die zur Rettung nichts beitragen - für die Beurteilung des Unterlassens spielt das keine Rolle. Der Täter wird nicht wegen des "Andershandelns" bestraft, für das Auf-und-ab-Gehen am Ufer oder das Pfeife-Stopfen, wenn er diese Handlungen anstelle der Rettung des Ertrinkenden vorgenommen hat. Das zeigt sich schlagend, wenn die erforderliche Hilfe zusätzlich zum Andershandeln geleistet wird und so die Rettung trotz des Andershandeins gelingt - etwa indem der Auf-und-ab-Gehende eine Bootsbesatzung durch Gestikulieren auf den Ertrinkenden aufmerksam macht, oder der Pfeife-Stopfende mit lauten Hilferufen einen Schwimmer herbeiholt. Niemand würde hier das Andershandeln bestrafen wollen. Maßgeblich ist also nicht ein Andershandeln, sondern ausschließlich, ob der Täter die zur Rettung erforderliche Handlung vorgenommen hat, oder ob er sie letztlich unterlassen hat. Tatsächlich behandeln auch die Theorien, die das Unterlassen als Form der Handlung behaupten, Unterlassungsdelikte in der Rechtsanwendung gar nicht wie Handlungsdelikte, sondern nach anderen, nur den Unterlassungsdelikten eigenen Kriterien. Wenn es um die Strafbarkeit von Auslegungs-Unterlassungsdelikten geht, wird immer eine besondere Garantenpflicht des Täters vorausgesetzt35, während davon beim Handlungsdelikt keine Rede ist36. Auch 35 vgl. z. B. Baumann/Weber, S. 200 f: "Im Hinblick auf die ... besonderen Voraussetzungen der Strafbarkeit unechten Unterlassens . . . ist es von größter Bedeutung, ob der Täter das Verbot durch aktives Tun oder durch Unterlassen übertreten hat. Wird

4•

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2. Teil: Kritik

diese Theorien fragen beim Unterlassungsdelikt nicht, wie ein Täter "gehandelt" hat, sondern danach, wie der Täter hätte handeln sollen und ob er die gebotene Handlung unterlassen hat37 . Und nirgends wird heute in Abrede gestellt, daß der handelnde Täter einen Kausalverlauf in Gang setzt, während beim Unterlassen ein Kausalverlauf unabhängig vom Täter abläuft, in den dieser nicht eingreiftJS. Die Definition, das Unterlassen sei eine Form der Handlung, läuft damit auf eine Fiktion hinaus. Sie wird letztlich allein aufrechterhalten, um den Oberbegriff der Handlung und das klassifikatorische System zu retten (z. T. mit dem positivistischen Hinweis auf die Verwendung des Begriffs "Handlung" in§§ 15 und 52 StGB39), statt zu bekennen, daß die Definition der Straftat als Handlung, "weil zu eng, falsch (war)" und deshalb zu verwerfen ist. Schon 1903 hatte Radbruch auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht: "So wahr ein Begriff und sein kontradiktorisches Gegenteil, so wahr Position und Negation, a und non-a nicht einem gemeinschaftlichen Oberbegriff unterstellt zu werden vermögen: so wahr müssen auch Handlung und Unterlassung unverbunden nebeneinander stehen"40. Nur wenige Strafrechtswissenschaftler folgen heute dieser Erkenntnis Radbruchs. Sehröder sieht die Suche nach einem Oberbegriff "als gescheitert" an41 , Grünwald stellt fest: "Mit der Begriffsbestimmung der Unterlassung als Nichtvornahme einer bestimmten Handlung ist sie der Handlung im Verhältnis von a und non-a gegenübergestellt. Das bedeutet, daß es keinen gemeinsamen Oberbegriff für die Handlung und die Unterlassung gibt"42. Noch genämlich Unterlassen angenommen, so tritt Strafbarkeit nur ein,wenn eine Rechtspflicht zur Erfolgsahwendung bestanden hat." 36 eine nur scheinbare Ausnahme stellt hier die Theorie Herzbergs dar, wonach auch für den Handlungstäter eine Garantenstellung vorausgesetzt wird, S. 173. Allerdings wird diese für jeden handelnden Täter bejaht: "Auch der Aktivtäter muß als Garant betrachtet werden, denn die Willkürlichkeit eines Verhaltens ändert nichts an dem Befund, daß sich in der deliktischen Körperbewegung die Person als potentieller Gefahrenherd aktualisiert ... ", S. 173, womit die Frage nach einer Garantenstellung allein bei Unterlassungen als ausschlaggebendes Kriterium verbleibt. 37 vgl. z. B. Baumann!Weber, S. 199; Mezger S. 133 ff. 38 vgl. Bockelmann, Eb.-Schmidt-Fs. S. 437 (450); Gallas ZStW 67 (1955) S. 1 (12)Soweit man bei Handlungsdelikten von Kausalität und bei Unterlassungsdelikten von "Quasikausalität" o. ä. spricht, wird hier ein Unterschied zwischen Handlungs- und Unterlassungsdelikt durch eine irreführende Bezeichnung des Zusammenhangs von Tun bzw. Unterlassen und Erfolg heraufbeschworen, der tatsächlich nicht besteht, vgl. auch Kahrs, S. 41 f. Es geht jeweils um die objektive Zurechnung des Erfolges zu einem Tun oder Unterlassen des Täters; entsprechendes gilt für die Vorsätzlichkeit, für die beim Handlungsdelikt häufig ein voluntatives Moment vorausgesetzt wird, beim Unterlassungsdelikt dagegen nicht, vgl. unten, 2.A.III.3.c), S. 77 ff. Beim gebotenen Verzicht auf das voluntative Element des Vorsatzes entfällt dieser Unterschied zwischen Handlungs- und Unterlassungsdelikt, vgl. jeweils unten, 2.A.III.3.e), S. 84 ff. 39 z. B. Baumann!Weber, S. 186. 40 Radbruch, Handlungsbegriff, S. 140 f . 41 Sehröder in Sch/Sch, 17. Auf!., 1974, Vorbem. 80.

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ringer ist der Kreis derer, die aus dieser Einsicht Konsequenzen für die Straftatsystematik gezogen haben4J. Überwiegend wird entgegen der Feststellung Radbruchs auch heute noch nach einer inhaltlichen Bestimmung des Handlungsbegriffs gesucht, um ihn als systemtragenden Oberbegriff erhalten zu können. Herzberg bezeichnet die Äußerung Radbruchs gar als "handgreiflichen Denkfehler", als "simple Begriffsverwechslung" ohne "wissenschaftlichen Wert"44. Der kontradiktorische Gegensatz zwischen Handlung und Unterlassung entstehe nur unter der Voraussetzung, daß man die Handlung (a) mit dem Unterlassen eben dieser, derselben Handlung (non-a) vergleiche. Die Unterlassungen, die so in den Blick kämen, seien genau diejenigen, die gerade nicht interessieren würden. Wenn eine aktive Handlung strafrechtliche Relevanz besitze, so sei damit zugleich festgestellt, daß das Unterlassen dieser Handlung unter strafrechtlichem Aspekt belanglos sei. Das Unterlassen, das die Strafrechtswissenschaft ihrem Begriffssystem habe einfügen wollen, sei immer nur das Unterlassen von Handlungen gewesen, die den aktiven Deliktsverwirklichungen entgegengesetzt seien. Herzberg folgert nun: "Das a-non-a-Argument betrifft den Gegensatz Töten/Nicht-Töten, verfehlt aber das Begriffspaar Töten/NichtRetten, kann also für dieses letztere, das uns allein interessiert, auch nicht die Nichtexistenz eines Oberbegriffs nachweisen" 45. Aber stimmt der Ausgangspunkt, den Herzberg zugrunde legt? Ist es richtig, daß die Strafrechtswissenschaft ihrem Begriffssystem ein Unterlassen hat einfügen wollen, das der aktiven Deliktsverwirklichung entgegengesetzt ist, das sich als strafrechtlich belanglos erweist? Bezogen auf Liszt und Radbruch lautet diese Frage: ging es Liszt darum, im Begriffssystem des Strafrechts auch offensichtlich nicht Strafbares zu erfassen? Hat Radbruch die Zweiteilung des Strafrechtssystems diagnostiziert, weil ihm belanglose Unterlassungen und strafbare Handlungen in einem System der Handlungen unvereinbar erschienen? Die Frage stellen heißt, sie zu verneinen. Man suchte nach einem System, das Delikte, die durch Unterlassen begangen werden, ebenso umschließt wie Handlungsdelikte. "Wir haben das Verbrechen als Handlung definiert, wie verhalten sich dieser Definition gegenüber die Unterlassungsdelikte?" - so hatte ja schon Liszt gefragt, und auch Radbruch knüpft seine Überlegungen an genau diese Frage. Grünwald, Diss. Göttingen, 1956, S. 18. solche Konsequenzen bei Bärwinkel, S. 30 ff; Bubnoff, S. 149 ff; Gallas, ZStW 67 (1955) S. 1 (7 ff); Haft, S. 161; Hardwig, AT S. 270, ders., ZurechnungS. 75 ff, 89; Armin Kaufmann, Normentheorie S. 284; s. aber auch ders., Dogmatik S. 84; Lampe, ZStW 79 (1967) , S. 476 (484, 491), s. aber auch S. 496 ff, 507 ff; Langer, Sonderverbrechen; Mittasch S. 134; Otto AT S. 184; Roxin ZStW 74 (1962) S. 515 (527) ; Sax, Nottarp-Fs, S. 142, Fn. 26; Schmidhäuser, z. B. Studb. 5/5; Zimmer!, S. 46; Zippelius, S. 17 (31); Welp, S. 172. 44 Herzberg, S. 159 f. 45 Herzberg, S. 159 f. 42

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Herzberg geht mit seiner Kritik also von falschen Voraussetzungen aus, wenn er behauptet, man habe dem System belanglose Unterlassungen einordnen wollen. Wer der Gegenansicht unsinnige Forderungen unterstellt, kann sie leicht widerlegen! -Aber nicht nur die Kritik ist verfehlt, auch die Schlußfolgerung kann nicht überzeugen: ganz im Gegensatz zur Meinung Herzbergs nämlich "entsteht" der kontradiktorische Gegensatz zwischen Handlung und Unterlassung nicht nur, wenn man Töten und Nicht-Töten vergleicht, sondern auch, wenn Töten und Nicht-Retten jeweils als Straftaten in einem System der Handlungen erlaßt werden sollen. Für den Rechtsanwender stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen des Totschlagsdelikts auch dann gegeben sind, wenn ein Tötungshandeln des Täters nicht gegeben ist, sondern das Opfer durch Verhungern, Ertrinken oder aufgrund eines Herzschlages ohne Zutun des Täters ums Leben kommt. Hat sich der Täter, wenn er die Rettung unterläßt, eines Totschlags schuldig gemacht? - In der klassifikatorischen Straftatsystematik soll die Handlung das alle Straftaten umfassende Merkmal ausmachen. Wie aber sollte ein Unterlassen, ein Nicht-Handeln- der Täter unternimmt nichts zur Rettung - zugleich auch ein Handeln, ein Töten durch Tun des Täters sein? Das Problem der klassifikatorischen Systematik liegt darin, daß Handlung und Unterlassung gleichermaßen als Handlung aufgefaßt werden sollen, obwohl sie sich ihrer Struktur nach als kontradiktorisches Gegensatzpaar ausschließen. Der kontradiktorische Gegensatz "entsteht" in der vom Oberbegriff "Handlung" ausgehenden Systematik also auch für das Begriffspaar Töten/Nicht-Retten. Bezogen auf den klassifikatorischen Oberbegriff, um dessen Kritik es Radbruch ging, bestehen daher entgegen der Ansicht Herzbergs keine Zweifel, daß die Handlung als ein gemeinsamer, Handlungsdelikt und Unterlassungsdelikt gleichermaßen umspannender Oberbegriff nicht in Betracht kommen kann. 4. "Verhalten" als Oberbegriff

Zum Teil bemüht man sich, den Widerspruch, daß die Unterlassung eine Form der Handlung sei, mit dem Oberbegriff "menschliches Verhalten" (oder anderen Oberbegriffen) zu überwinden46. Tatsächlich aber verdeckt der 46 z. B. Blei, S. 68, 96 f; Dreherrfröndle, vor § 13 Rz. 4; Hippe!, StrR II, S. 126, ders., Lb. S. 90; Jakobs, AT 6/29, 32; Jescheck, S. 174 ff; Maihofer, S. 72; Michaelowa, S. 69 ff, 85; Maurach, S. 140; Wessels, AT S. 19 ff; Vogt, ZStW 63 (1951) , S. 381 (382); Welzel, S. 200; Kaufmann, Normentheorie, S. 284; Kaufmann, Dogmatik, S. 84, sieht in der Handlungsfähigkeit das im Oberbegriff Verhalten ,,Einheit stiftende Gemeinsame"; Lampe, ZStW 79 (1967) S. 467 (469 ff) sieht Handeln und Unterlassen "unter dem Gesichtspunkt der Freiheit" für gleichstellbar an; Schünemann sieht die Gemeinsamkeit in der "Herrschaft der Person über den Grund des Erfolges", S. 236 f; Herzberg bezeichnet als Oberbegriff einen "negativen Handlungsbegriff", dieser sei "vermeidbare Nichtvermeidung in Garantenstellung"; vgl. auch Behrendt, S. 121 ff zum "negativen Handlungsbegriff".

A. Grundlagen der Kritik

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Begriff nur den Widerspruch, ohne ihn zu lösen: "Menschliches Verhalten" stellt zwar einen allgemeinen Oberbegriff für Handeln und Unterlassen dar, als systemtragender Oberbegriff innerhalb der klassifikatorischen Straftatsystematik wird der Begriff durch seine Funktion jedoch so eingeschränkt, daß er als Oberbegriff ausscheidet. In einem klassifikatorischen System kann das Verhalten nur frei von rechtlichen Wertungen gemeint sein, denn die Wertungen durch Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld sollen als einengende Merkmale ja erst dem Verhalten als Attribute folgen. Liegt das Verhalten in einem Handeln, so mag es unabhängig von Wertungen als bloße Körperbewegung mit Wirkungen für die Außenwelt, d. h. naturalistisch vorstellbar sein47, nicht aber das Unterlassen: die Feststellung, jemand habe etwas unterlassen, läßt sich nicht allgemein treffen; ohne ein bestimmtes Handeln, auf das die Unterlassung bezogen ist, ergibt der Begriff "Unterlassen" keinen Sinn. Hierher gehört der Satz, daß das Unterlassen "nicht Nichtsthun (bedeutet), sondern: etwas nicht thun, das nicht thun, was erwartet, was gesollt wurde". Niemand wird sagen, der Student S habe es unterlassen, die Straßenbahnschienen zu reinigen und sei stattdessen in die Vorlesung gegangen4B oder der Professor habe es unterlassen, in Peking ein Glas Bier zu trinken, und stattdessen eine Monographie verfaßt49. Von Unterlassen läßt sich allein in bezugauf eine erwartete Handlung sprechen. Und erwartet wird im Strafrecht immer eine Handlung, die als Verbrechensanzeige, Lebensrettung, Ernährung von Kindern usw. von der Rechtsordnung geboten ist. Das Unterlassungsdeliktläßt sich daher nur durch eine rechtliche Wertung, d. h. normativ bestimmenso. Es ist zu fragen , ob der Täter durch sein Nichthandeln die Verletzung eines in der Rechtsordnung anerkannten Rechtsgutsobjektes zuläßt, obwohl er die Verletzung hätte abwenden sollen (und können). Damit müssen alle Versuche scheitern, ein dem Handlungsdelikt und dem Unterlassungsdelikt gemeinsames Element ausfindig zu machen, das wertfrei ist und an das - wie bei einer klassifikatorischen Systematik vorausgesetzt - die strafrechtlichen Wertungen anzuknüpfen hätten. Der Begriff "menschliches Verhalten" ist aus einem weiteren Grund unbrauchbar: mag das Handeln auch rein naturalistisch als Bewegung und deren Wirkungen denkbar sein, zu dem erstrebten Zweck, die Merkmale der Straftat einzufangen,- gerade dazu eignet sich diese Denkweise nicht. Radbruch hat dies mit seinem oft zitierten Beispiel zur Beleidigung in bestechender Klarheit offenbart: "Man versuche nur einmal, den Tatbestand des Vervgl. Radbruch, Frank-Fg S. 161. Beispiel bei Schmidhäuser, AT 16/8. 49 Beispiel in Anlehnung an Kaufmann, Dogmatik S. 27; vgl. auch Grünwald, Diss. Göttingen, S. 5. so z. B. Blei, S. 96 f; Gallas, ZStW 67 (1955) S. 1 (9 ff); Grünwald, Diss. Göttingen, S. 1956, S. 17; Hardwig, ZurechnungS. 134 ff; Jescheck, S. 177; Mezger, S. 137; Sauer, S. 409; Sehröder in Sch/Sch, 17. Aufl. 1974, Vorbem. 81. 47

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brechens, die seine Rechtswidrigkeit begründenden Tatsachen und damit den Vorstellungsinhalt des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit nur als Körperbewegung und Außenweltsveränderderung bestimmter Art auszudrücken, eine Beleidigung etwa als eine Reihe von Kehlkopfbewegungen, Schallwellenerregungen, Gehörreizungen und Gehirnvorgängen- das Wesentlichste: der sprachliche Sinn und die soziale Bedeutung der Beleidigung bliebe ganz außerhalb des so konstruierten Begriffs. Die Beleidigung und nicht anders die Mißhandlung, die Vorschubleistung zur Unzucht, die Urkundenfälschung und welchen Tatbestand man immer wähle, läßt sich nicht als naturalistisch gedachte Handlung bestimmter Art auffassen, vielmehr von vornherein nur als ein zu einem strafrechtlichen Tatbestand ausgeformtes Ereignis des sozialen Lebens. "51 Es zeigt sich mithin, daß Unterlassungsdelikt und Handlungsdelikt zwar Gemeinsamkeiten aufweisen- nämlich das Wertwidrige als soziale Bedeutung des jeweiligen Verhaltens, daß aber gerade diese Gemeinsamkeit nicht mit der Methode der Klassifikation zu erfassen ist, weil die Klassifikation einen Oberbegriff verlangt, der eben diese Gemeinsamkeit nicht aufweisen darf, um seine Funktion als Oberbegriff aller denkbaren Verhaltensweisen erfüllen zu können (und daher ist es völlig unerheblich, ob dieser Oberbegriff nun "Handlung", "Verhalten", "negativer Handlungsbegriff" oder wie auch immer heißt)S2. Dennoch fehlt es nicht an Versuchen, eine am Unwert orientierte Erfassung der Straftatmerkmale und eine klassifikatorische Systematik unter einen Hut zu zwängen. S. Normative Unrechtserfassung und klassulkatorische Systematik

a) Stillschweigend normative Erfassung der Handlung

Die Darstellung der Elemente der Straftat bei Baumann/Weber erweckt den Eindruck, als schlössen sich an die wertfrei verstandene Handlung Tatbestand und Rechtswidrigkeit als Wertungsstufen an , ganz so, wie in einer klassifikatorischen Systematik vorausgesetzt. Ausdrücklich heißt es: "Der Rechtsbegriff der Handlung soll nur das natürliche Geschehen erfassen, nicht soll er schon eine Bewertung dieses Geschehens enthalten. Ob das Geschehen, der natürliche Vorgang ein Normverstoß ist, wird erst im Bereich der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit untersucht"53. Die Frage ist, ob die Radbruch, Frank-Fg, S. 158 (161). vgl. Radbruch, Handlungsbegriff, S. 140; z. B. auch Hardwig, AT S. 269; Haft, S. 165; Otto AT S. 148; Zimmer!, S. 51. 53 Baumann/Weber, S. 188 f. 51

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tatbestandliehe Handlung im prüfenden Vorgehen tatsächlich ohne Vorgriff auf den Tatbestand und die Rechtswidrigkeit festgestellt wird. Geht es um die Beurteilung eines Verhaltens als Straftat, muß z. B. aus einer Kette von Handlungen zunächst eine einzelne Handlung zur näheren Prüfung ausgewählt werden. Geht man von der strikten Trennung der Handlung von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld aus, dann fehlt hier jedes Auswahlkriterium. Gerade dies hat das von Radbruch angeführte Beispiel zur Beleidigung deutlich gemacht. Wenn innerhalb der Straftattheorie hier dennoch eine vernünftige Auswahl möglich ist, dann deshalb, weil eben doch stillschweigend von vornherein nach der Wertwidrigkeit des Handeins gefragt wird. Nicht anders liegt es bei der Unterlassung: egal, wie sich jemand verhält, zu jeder Zeit nimmt er eine unübersehbare Vielzahl von Handlungen nicht vor. Auf welche Handlung das Unterlassen für die strafrechtliche Prüfung zu beziehen ist, läßt sich ohne einen Vorgriff auf Tatbestand und Rechtswidrigkeitnicht erkennen. Baumann/Weber weisen an dieser Stelle darauf hin, daß immer eine gebotene Handlung unterlassen werde54. Geboten in diesem Sinne ist in der Tat immer genau die Handlung, bei deren Vornahme eine dem Tatbestand entsprechende Unterlassung nicht gegeben wäre. Das Vorliegen des Unterlassens kann also nur mit Blick auf den Tatbestand festgestellt werden. Anschaulich wird das an einem von Baumann/Weber dargestellten Beispiel, in dem ein Wohnungsinhaber sich an seinem Urlaubsort erinnert, daß er vergessen hat, in der Wohnung das Gas abzustellen. Ein Unterlassen sei hier auch dann anzunehmen, wenn der Täter nicht die Möglichkeitwahrgenomen habe, die Nachbarn vom Urlaubsort aus anzurufen, um das Gas abdrehen zu Jassen und eine Explosion zu verhindernss. Die gebotene Handlung: der Telefonanruf, könnte gar nicht anders bestimmt werden, als im Hinblick auf die Rechtsgüter, deren Verletzung droht und deren Verletzung von den Tatbeständen des Besonderen Teils als Unrecht beschrieben ist. Es kann somit keine Rede davon sein, daß der Handlungsbegriff (der ja auch das Unterlassen einschließen soll) nur das natürliche Geschehen erfasse und daß erst im Bereich der Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit untersucht werde, ob der natürliche Vorgang ein Normenverstoß sei. b) Ausdrücklich normative Erfassung der Handlung

Stratenwerth erfaßt in seiner Lehrdarstellung an erster Stelle die "unrechtsbegündenden Tatumstände"56 in der Tatbestandsmäßigkeit, und zwar als unrechtsbegründendes Handeln oder Unterlassen und geht so vom Wertwidrigen eines Verhaltens aus. An die Tatbestandsmäßigkeit schließen sich dann 54

55 56

Baumann!Weber, S. 199. Baumann!Weber, S. 200. Stratenwerth, AT Rz. 177, 180, 182; s. a. Mezger, S. 176.

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die "Wertungsstufen"57 Rechtswidrigkeit und Schuld als Attribute anss, ganz so, wie in einer klassifikatorischen Systematik vorausgesetzt (und entgegen der Versicherung, nicht klassifikatorisch vorzugehen59). Auch Mezger betont die Wertbezogenheit als gemeinsames Merkmal von Handeln und Unterlassen60. Jescheck stellt fest, daß die Unterlassung (ebenso wie die Handlung) nur wertend bestimmt werden kann. "Eine Unterlassung liegt vor, wenn ein aktives Tun, das nach den Normen des Rechts oder der Sitte, nach den Regeln der Gewohnheit oder Erfahrung zu erwarten war, unterbleibt, obwohl es durch Einsatz der Finalität möglich gewesen wäre". Zwar seien die Formen, in denen die Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt stattfindet ("Finalität beim positiven Tun und Steuerbarkeit bei der Unterlassung") auf der Ebene der ontologischen Betrachtung nicht zu vereinigen, beide könnten jedoch durch einen übergeordneten Gesichtspunkt wertender Art, nämlich in "der Beziehung des menschlichen Verhaltens auf die Umwelt", im normativen Bereich zur Synthese gebracht werden61. Auch Blei betont, das Verhalten sei jeweils an rechtlichen Verhaltensanforderungen zu messen62. Indem ganz zu Recht die Wertbezogenheil als Gemeinsamkeit von Handlungs- und Unterlassungstat betont wird, ist allerdings zugleich einer klassifikatorischen Systematik die Grundlage entzogen: Handlung als "sozialerhebliches Verhalten" ist kein allgemeiner, alle anderen Begriffe umspannender Oberbegriff mehr. Denn einerseits wird aus dem System der Handlungen das Halbsystem der sozialerhebliehen Handlungen (das sozial unerhebliche Handlungen ausspart) und andererseits kommen Unterlassungen (die dieser Meinung zufolge ja keine Handlungen sind) als etwas außerhalb des ursprünglichen Handlungssystems liegendes zu den sozialerhebliehen Handlungen hinzu. Es ist geradezu so, als wollte ein Naturwissenschaftler in einem System der Pflanzen nur einkeimblättrige Pflanzen und zusätzlich vierbeinige Lebewesen erfassen: von einem einheitlichen System kann hier wahrlich nicht mehr gesprochen werden. Betrachtet man die Lehrdarstellungen von Jescheck, Maurach/Gössel/Zipf, Stratenwerth oder Blei, dann finden sich dort statt einer Lehre von der Straftat vier nebeneinanderstehende Lehren von den "Grundformen der Straftat": nämlich die Lehre vom vorsätzlichen Handlungsdelikt, vom fahrlässigen Handlungsdelikt, vom vorsätzlichen Unterlassungsdelikt und vom fahrlässigen Unterlassungsdelikt63. Das Verbindende: der unwerthafte Gehalt aller dieser Grundformen, wird nicht herausgestellt 57 Stratenwerth, AT Rz. 977.

Stratenwerth, AT Rz. 165 ff; BleiS. 129, 173; Mezger, S. 94. Stratenwerth, AT Rz. 978, 1052, 1053, 199, 335, 507. 60 Mezger, S. 94. 61 Jescheck, S. 177; Maurach/Zipf, S. 172. 62 Blei, S. 97. 63 ausdrücklich Stratenwerth, AT Rz. 164; der Sache nach Blei, S. 111, 295, 309; Jescheck, S. 184; Maurach/Gössei/Zipf, S. 68, 134. 58

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und damit der wissenschaftliche Anspruch auf ein in sich geschlossenes System nicht erfüllt. Innerhalb der einzelnen Grundformen der Straftat tritt der Widerspruch im systematischen Vorgehen augenfällig darin zutage, daß in der als Rechtswidrigkeit bezeichneten Wertungsstufe die Rechtswidrigkeit gar nicht festgestellt wird - das ist jedenfalls der Sache nach in der Tatbestandsmäßikeit ja schon geschehen -, sondern umgekehrt: ausgeschlossen wird, wenn im konkreten Fall Rechtfertigungsgründe für das unrechtsbegründende Verhalten vorliegen64. Stratenwerth selbst bezeichnet dieses Vorgehen ausdrücklich als "verwirrenden Sprachgebrauch"65- (ohne sich freilich zu einer Änderung berufen zu fühlen). Jakobs formuliert im Vorwort seines Lehrbuches als Leitgedanken, "bei der Aufgabe des StGB anzusetzen, um zu einer (Re-)Normativierung der Begriffe zu gelangen" 66 . Demgemäßerfaßt Jakobs das Unrecht in der "Tatbestandsverwirklichung"67 und zwar beim Handlungsdelikt als eine Handlung, die "sozial nicht erträglich ist"68. Im nächsten Schritt fragt Jakobs folgerichtig nach der "Rechtfertigung" als Unrechtsausschluß; gerechtfertigt ist ein Verhalten danach, wenn es "als sozial erträglich nur im Hinblick auf seinen Kontext akzeptiert wird"69. Handeln und Unterlassen sieht Jakobs in ihrer kontradiktorischen Gegensätzlichkeit, indem er Unterlassen als ein Verhalten bezeichnet, bei dem eine Handlung fehlt70. Allerdings begnügt Jakobs sich damit, die Gegensätzlichkeit als eine lediglich "terminologische Trennung" einzustufen; nach einem Oberbegriff im Sinne der klassifikatorischen Systematik wird auch weiterhin geforscht. In der "vermeidbaren Erfolgsdifferenz" meint Jakobs den Oberbegriff entdeckt zu haben: "Ob jemand den Tod eines anderen vermeidbar verursacht oder aber die anderweit angelegten hinreichenden Bedingungen zum Tod vermeidbar (vorsätzlich oder fahrlässig) nicht abwendet, ist trotz des Unterschieds zwischen Handlung und Unterlassung in der vermeidbaren Differenz zwischen den jeweiligen Alternativen gleich; es ist eben die Differenz zwischen Tod und Leben. Formelhaft: Verhalten ist die Vermeidbarkeil einer Erfolgsdifferenz"71. Aber dieser scheinbar wertfreie Begriff "Erfolgsdifferenz" kommt nicht ohne eine normative Bestimmung aus: ob eine Erfolgsdifferenz vorliegt, hängt beim Unterlassungsdelikt davon ab, ob die Abwendung des Erfolges rechtlich Stratenwerth, AT Rz. 184; Blei, S. 129; Jescheck, S. 184; Mezger, S. 180, 182, 204. Stratenwerth, AT Rz. 183. 66 Jakobs, AT S. IV. 67 Jakobs, AT 6/59, 6/66. 68 Jakobs, AT 6/51 -zu Recht spricht Jakobs von "Unrechtstatbestand", benutzt aber dennoch weiterhin den überlieferten Ausdruck "Tatbestand", vgl. 6/52. 69 Jakobs, AT 11/1. 10 Jakobs, AT 6/30 f. 71 Jakobs, AT 6/32. 64

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geboten ist. Beim Handlungsdelikt ist die Erfolgsdifferenz gegeben, wenn der Täter ein Ereignis herbeiführt, das er nicht herbeiführen darf- in den Worten Jakobs: das als sozial unerträglich zu bewerten ist. Letztlich wird die Wertwidrigkeit als Gemeinsamkeit von Handlungs- und Unterlassungsdelikt in der Sache erfaßt, unnötigerweise aber mit einer wertfrei erscheinenden Begriffsneuschöpfung verdeckt und der Anschein eines einheitlichen klassifikatorischen Systems nahegelegt. Als Konsequenz ist der Widerspruch hinzunehmen, daß es einerseits "verfehlt wäre, den Handlungsbegriff in demjenigen des Tatbestandes aufgehen zu lassen"72, andererseits zugleich aber auch die "Identität von Handlung und Tatbestandsverwirklichung es (ausschließt) , beidealsgetrennte Deliktsstufen zu behandeln"73. Die Straftattheorie Jakobs könnte ohne Widerspruch auskommen, wenn nur das Festhalten an einem klassifikatorischen Oberbegriff aufgegeben und die materielle Wertwidrigkeit als Ausgangspunkt wirklich konsequent herangezogen würde. c) Das Dilemma des Oberbegriffs "Handlung"

Artbur Kaufmann glaubt, einen Handlungsbegriff annehmen zu können, der einerseits "neutral" sei, als er nicht schon spezifisch strafrechtliche Kriterien aufnehme, der andererseits aber auch "nicht so neutral" sei, daß sich aus ihm die verschiedenen rechtlich relevanten Handlungen nicht mehr begreifen ließen74. Ebenso nimmt Wessels einen Widerspruch in den Handlungs- bzw. Verhaltensbegriff selbst hinein, indem er eine Handlungslehre vertritt, die eine "vermittelnde Lösung zwischen der rein ontologischen und der normativen Betrachtungsweise darstellt"75. Wie aber sollte es eine "vermittelnde Lösung" zwischen einem wertfreien ("rein ontologischen") und einem wertbezogenen ("normativen") Oberbegriff geben? Das eine schließt das andere aus. Otter hat sich umfassend um den Handlungsbegriff als Oberbegriff bemüht; die Straftat wird zunächst material vom Unwert her erfaßt: "Da unter strafrechtlicher Betrachtung . . . nur verbotene oder gebotene Verhaltensweisen relevant sind, diese aber vom Gesetzgeber in Tatbeständen umschrieben sind, interessiert die Handlung von vornherein nur als tatbestandsmäßige Handlung ... "76. Zugleich geht Otter aber auch aus von einem "ontologischen, dem Strafrecht und dem Recht überhaupt vorgelagerten Handlungsbegriff"77, d. h. von einer wertfreien Begriffsbestimmung der Handlung. Auch hier also finden sich zwei Festlegungen des Handlungsbegriffs, obwohl sie sich gegenseitig aus72 73 74

Jakobs, AT6/67. Jakobs, AT 6167. Artbur Kaufmann, Hellm. Mayer-Fs. S. 79 (91 ff) ; so auch Engisch, Beiträge,

s. 174 f. 75 76 77

Wessels, AT S. 23; vgl. auch Baumann/Weber, S. 188; Jescheck, S. 174. Otter, S. 199. Otter, S. 198.

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schließen müßten. Wie kann ein derartiger Widerspruch im systemtragenden Oberbegriff zu einer sachgerechten Erfassung der Straftat beitragen? Wie soll sich das Verhältnis eines derart doppelbödigen Begriffs zum Tatbestand und den weiteren Straftatmerkmalen gestalten? Während ein wertfreier klassifikatorischer Oberbegriff mit den wertenden Attributen Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld als klassifizierenden Merkmalen ganz klare Grenzen zieht, fragt es sich, wie es um das Verhältnis von Handlung und Tatbestand bestellt ist, wenn sowohl Handlung als auch Tatbestand eine Wertung einschließen. Otter stellt dazu fest: "Im Deliktsaufbau ist die Handlung ... nicht dem Tatbestand als Grundbegriff vorgelagert, sie steht vielmehr hinter ihm als dessen wesentlichstes Element. Sie liefert das ontologische Material, aus dem der Gesetzgeber unter einer strafrechtsrelevanten Sinneinheit zusammengefaßte Einzelhandlungen herausstanzt. Da der finale Handlungsbegriff notwendig bereits eine Sinndimension enthält und damit normativ ist, liegt durch die Wertung des Gesetzgebers zwar eine spezifische (neue Dimension), nicht aber eine erstmalige Wertung vor. Ob letztlich zwischen Handlung und Tatbestand verschiedene Stufen anzunehmen sind, oder die Handlung auf einer Stufe hinter dem Tatbestand steht, kann dahinstehen. Im Verbrechensaufbau ist die Handlung in keinem Fall erste Stufe vor dem Tatbestand"78, " ... Erste Stufe im Deliktssystem ist die Tatbestandsverwirklichung. In deren Rahmen werden bei den Begehungsdelikten erforderlichenfalls die Mindestvoraussetzungen des Handlungsbegriffs überprüft. Daran schließt sich die Feststellung der weiteren Merkmale des betreffenden Tatbestandes, der Rechtswidrigkeit und der Schuld an"79. Die Ausführungen machen deutlich, daß mit einer zwiespältigen Bestimmung des Oberbegriffs "Handlung" auch der Unterschied zwischen Handlung und Tatbestand trotz größter Mühe unbestimmbar bleiben muß. d) Ergebnis

Wie man es auch dreht und wendet: eine sachgerechte, materiale Bestimmung der Straftat in einer klassifikatorischen Systematik will nicht gelingen und sie kann auch nicht gelingenso. Eine klassifikatorische Systematik ist schon von der Zielsetzung her nicht geeignet, die Straftatmerkmale einer jeden Straftat einzufangen. In der Biologie erstrebt die klassifikatorische Systematik "die Gewinnung eines vollständigen Bildes der Mannigfaltgkeit der Organismen"&!, in der Chemie einen Überblick über die Elemente. Der Otter, S. 200. Otter, S. 201. 80 so auch Bockelmann, S. 30, 50 - dennoch sieht Bockelmann sich nicht gehindert, die Straftat als "tatbestandsmäßig-rechtswidrige, schuldhafte Handlung" zu bezeichnen, s. 32. 81 Vogel/Angermann, dtv-Atlas zur Biologie, 1984, S. 543. 78

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Vorteil des Klassifizierens besteht darin, daß sich für bestimmte Gruppen Untersuchungsergebnisse von einem Teil der Gruppe auf die ganze Gruppe verallgemeinern lassen oder bisher nicht entdeckte Teile erschließen lassen; Darwin konnte aus der Klassifikation eine Entwicklung der Arten ablesen und so die Evolutionstheorie aufstellen; Mendelejew gelang es aufgrundder Klassifikation, zu seiner Zeit noch unentdeckte Elemente (nämlich Gallium und Scandium) in ihren Eigenschaften exakt vorherzusagen. Die Strafrechtswissenschaft dagegen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die allgemeinen Merkmale der Straftat in einer Systematik zusammenzustellen und sinnvoll zu benennen. Für diese Aufgabe hat man die Möglichkeiten einer klassifikatorischen Methode in der allgemeinen Euphorie über diese originär naturwissenschaftliche Vorgehensweise überschätzt. Im Allgemeinen Teil des Strafrechts verfehlt eine klassifikatorische Systematik ihr Ziel, denn es geht hier darum, die Merkmale der Straftat erst zu entwickeln und- da jede Straftat sich als das Ergebnis rechtlicher Bewertungen darstellt - mit den Straftatmerkmalen Kriterien zu gewinnen für die einzelnen Bewertungen und deren Gewicht im Gesamtzusammenhang. Demgegenüber vermag die Klassifikation lediglich Vorgegebenes: eine Menge von Pflanzen, Elementen, Handlungen usw. in eine sinnvolle Ordnung zu fügen - das hat Schmidhäuser deutlich formuliert: "Denn es kann bei (der) Aufgabe der Verbrechenslehre ja niemals darum gehen, alles menschliche Handeln oder alles menschliche Unterlassen in der Welt zu klassifizieren und die vielen denkbaren Arten von Handlungen usw. (etwa unbewertete und bewertete, hier dann moralisch, künstlerisch, politisch, gesellschaftlich usw. bewertete) in eine überschaubare Ordnung zu bringen, wie die Vielzahl der Pflanzen in Linnes System, damit man das Verbrechen dann an seinem Platze im System der Handlungen finde, wie man die Wicke und die vielen anderen Pflanzen an ihrem Platz im Pflanzenreich findet"82. 6. Erkenntnistheoretische Kritik der ldassifikatorischen Systematik

Die erkenntnistheoretische Kritik der klassifikatorischen Straftatsystematik stützt sich auf die Unterscheidung von Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft, wie sie Anfang des Jahrhunderts von dem Philosophen Heinrich Rikkert (nach Anregung durch Windelband) vorgeschlagen worden ist. Rickert hat nämlich gezeigt, daß beide Wissenschaften auf verschiedenen , sogar entgegengesetzten Wegen zur Erkenntnis voranschreiten. Ausgangspunkt der Überlegungen Rickerts ist die sogen. Abbildtheorie, wonach wissenschaftliche Erkenntnis bedeutet, die Wirklichkeit möglichst exakt in Begriffen wiederzugeben. Da es aber ausgeschlossen ist, die empiri82

Schmidhäuser, Radbruch-Gs S. 268 (270).

A. Grundlagen der Kritik

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sehe Wirklichkeit in ihrer unüberschaubaren Mannigfaltigkeit "so wie sie ist" bis in die allerkleinste Einzelheit zu erfassen, müssen die Wissenschaften bemüht sein, ein zwar vergröbertes, aber dennoch den Inbegriff des Wesentlichen treffendes Bild zu schaffenB3. Sie können dieses Ziel nur erreichen, wenn sie aus der unüberschaubaren Vielfalt der Wirklichkeit eine passende Auswahl treffen. Wie die Auswahl vorzunehmen ist, darin liegt der Unterschied von naturwissenschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Methode: während die Naturwissenschaft das vielen Dingen Gemeinsame hervorhebt, sucht die Kulturwissenschaft das Einzigartige und Besondere, das eine Sache von allen anderen abhebt. Rickert bezeichnet daher die naturwissenschaftliche Vorgehensweise als generalisierend und die kulturwissenschaftliche als individualisierend84. Generalisierend sind insbesondere die allgemeingültigen Aussagen und Gesetze der Naturwissenschaften, unter die sich die verschiedenen Einzelgestaltungen als Exemplare unterordnen lassen - so wie etwa Newton's Fallgesetz auf jeden beliebigen Körper zutrifft oder die Eigenschaften des Schwefels für jedes beliebige Stück Schwefel gelten, das der Chemiker in die Retorte wirft85. Auf Form und Größe des Einzelstücks kommt es nicht an. Eine Begriffsbildung in dieser Weise stellt auch die Klassifikation dar, indem sie das einer gegebenen Mehrheit von Exemplaren Gemeinsame zusammenfaßt, hier nun wieder das Gemeinsame verschiedener Mehrheiten zusammennimmt und mit jeweils allgemeineren Begriffen vorangeht, bis hin zum allumfassenden Oberbegriff. Wesentlich ist das, was alle unter einen Begriff fallende Objekte gemeinsam haben, das Individuelle wird als unwesentlich beiseite gelassen. Umgekehrt geht die individualisierende Kulturwissenschaft vor: sie läßt das Allgemeine unbeachtet und richtet den Blick auf das Einmalige und Besondere. An Goethe interessiert die Literaturwissenschaft nicht, was er mit vielen Menschen teilt, etwa Kragenweite, Schuhgröße oder Haarfarbe, sondern allein die ihn von anderen Menschen unterscheidende herausragende dichterische Begabung; die Geschichtswissenschaft betrachtet Bismarck nicht im Hinblick auf Geburtsort, Eßgewohnheiten oder Körpergewicht, sondern im Hinblick auf die Geschicke Preußens und des Deulschen Reiches. Natur- und Kulturwissenschaft unterscheiden sich noch in einem weiteren Merkmal, das eng mit der Unterscheidung von generalisierend und individualisierend zusammenhängt: während nämlich das Allgemeine den Naturobjekten sozusagen selbst anhaftet, bedarf es bei den individualisierenden Kulturwissenschaften eines besonderen Maßstabs, an dem das Besondere, Individuelle der Kulturobjekte erkannt werden kann. Dieser Maßstab ergibt sich aus der Wertbezogenheit aller Kulturobjekte. Rickert stellt Natur- und Kultur83 84

85

vgl. auch Schwinge, S. 20. Rickert, Kulturwissenschaft, S. 30 ff; ders., Grenzen, S. 202. Rickert, Kulturwissenschaft, S. 63; ders. , Grenzen, S. 172, 224.

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objekte einander gegenüber und unterscheidet sie danach, ob sie auf Werte bezogen sind86. Während Naturobjekte naturgegeben "von selbst" entstehen und bestehen, werden Kulturobjekte von handelnden Menschen nach wertbezogenen Zwecken geschaffen und erhalten. Naturvorgänge laufen frei von Verknüpfungen mit Werten ab, wohingegen umgekehrt das Kulturgeschehen gerade dadurch gekennzeichnet ist, daß sich mit ihm Werte verbinden. Wertvoll nennt Rickert Güter, deren Bestehen und deren Nutzen innerhalb einer Kulturgemeinschaft weithin anerkannt ist (oder Anerkennung beanspruchen kann). Geht jetzt die Kulturwissenschaft daran, den Inbegriff der Wirklichkeit begrifflich abzubilden, muß sie das Wesentliche anband der Werte bestimmen, mit denen ihre Erkenntnisobjekte verbunden sind. Goethe wird daher für die Literaturwissenschaft zum bedeutenden Individuum durch den Bezug auf die Dichtkunst, Bismarck zur geschichtlichen Persönlichkeit im Hinblick auf politische Wertvorstellungen. Rickert hat die kulturwissenschaftliche Vorgehensweise wegen ihres Bezuges auf Werte als "teleologisch" bezeichnetB7 • Die Wertbezogenheit darf dabei nicht verwechselt werden mit der Wertung selbst: wenn man die bismarck'sche Zwangssozialversicherung als geschichtlichen Vorgang hervorhebt, geschieht das durch den Bezug auf sozialpolitische Werte, ohne daß damit schon etwas darüber gesagt wäre, ob die Zwangssozialversicherung denn nun als verfehlt oder als etwas Gutes anzusehen sei. Betrachtet man jetzt die Aufgabe, die sich die Strafrechtswissenschaft mit der Schaffung einer allgemeinen Systematik der Straftatmerkmale gestellt hat, dann zeigt sich, daß hier nur eine teleologische Systematik Erfolg verspricht, denn es wird nicht das Gemeinsame beliebiger Handlungen gesucht, sondern das Individuelle und Besondere, das ein Handeln oder Unterlassen von der Vielzahl aller denkbaren Handlungen und Unterlassungen abhebt und zur Straftat macht. Bestimmen läßt sich das nur unter Bezug auf Werte, die innerhalb einer Gesellschaft als wertvoll anerkannt sind und deren Verletzung durch den Täter jede Straftat kennzeichnet. Das zeigt sich deutlich gerade beim Unterlassungsdelikt, weil das Unterlassen nicht bestimmt werden kann ohne den Bezug auf Werte, denn nur durch den Bezug auf erhaltenswerte Güter läßt sich ersehen, welches Handeln des Täters in der konkreten Situation erforderlich ist. So muß die erkenntnistheoretische Kritik jeder klassifikatorischen Straftatsystematik lauten, daß die Klassifikation als generalisierende Methode der Begriffsbildung prinzipiell verfehlt ist, um die Merkmale einer jeden Straftat Rickert, Kulturwissenschaften, S. 42 ff. Rickert, Kulturwissenschaft, S. 105; ders. , Grenzen, 343 ff- Rickert hat diesen Begriff allerdings wieder aufgegeben, weil ihm die Gefahr einer Verwechslung der Wertbezogenheit mit der Wertung selbst zu groß erschien, Kulturwissenschaften, 86 87

s. 105.

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zu bestimmen, weil nach dieser Methode gerade das außer Betracht zu bleiben hat, was für die Bestimmung der Straftat wesentlich ist - nämlich der Bezug auf Werte, die erst ein Verhalten als Straftat erkennbar werden lassen. Um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen, sei auf folgendes abschließend hingewiesen: mit der Kritik der klassifikatorischen Straftatsystematik ist nicht gesagt, daß die Methode der Klassifikation in der Rechtswissenschaft überhaupt verfehlt sei. Dort, wo es nicht darum geht, wertbezogene Begriffe festzulegen, sondern wo vorgegebene Begriffe zu ordnen sind, hat die klassifikatorische Methode ein weites Anwendungsgebiet: außerhalb des Strafrechts z. B. bei der Klassifikation von Rechtsgebieten oder Rechtsquellen, innerhalb des Strafrechts z. B. bei der Klassifikation von Rechtsbrüchen nach der Art des verletzten Rechtsgutes, bei der Klassifikation von Tatbeständen nach Art der Voraussetzungen (etwa Erfolgs- oder Gefährdungs- oder Tätigkeitsdelikt), nach Rechtsfolgen (z. B. vergeltenden oder nicht vergeltenden, bei den vergeltenden nach Geld- und Freiheitsstrafe usw.) - die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Gemeinsam ist allen , daß vorgefundene Sachverhalte geordnet werden und dadurch eine Vielzahl von Sachverhalten überschaubar wird und z. T. auch verallgemeinernde Aussagen möglich gemacht werden88. Aber gerade darum geht es bei den allgemeinen Merkmalen einer jeden Straftat ja nicht, und daher muß im Allgemeinen Teil des Strafrechts eine klassifikatorische Systematik scheitern. 111. Teleologische Straftatsystematik 1. Grundlage

Die Systematik der Straftatmerkmale in einer teleologischen Systematik ordnet die Merkmale unmittelbar im Hinblick auf die sachgerechte Rechtsanwendung. Da es im Strafrecht um die Rechtsfolge Strafe geht, liegt das Ziel darin, die Straftatmerkmale im Hinblick auf Werte als allgemeine Voraussetzungen der Strafe zu entwickeln. Systemgedanke einer teleologischen Systematik ist daher der sachliche Zusammenhang von Straftat und Strafe 1 . Auch die klassifikatorische Systematik erstrebt mittelbar das Ziel gerechter Rechtsanwendung. Es werden aber die Merkmale und Begriffe nicht von Anfang an auf dieses Ziel bezogen, sondern zunächst die Merkmale ihrer Struktur nach als klassifizierende Artmerkmale vorgegeben. Aus diesem vgl. auch Schwinge, S. 20 ff. ausdrücklich Schmidhäuser, AT 6/2, 6/4; ders., Studb. 4/2; ders., Radbruch-Gs, S. 268 (270 f); ders., Würtemberger-Fs, S. 91 (95 ff); Hegler, ZStW 36 (1915) S. 19 (20 ff); ders., Frank-Fg, S. 251 (295); vgl. Gallas, ZStW 67 (1955) S. 1 (16) ; Radbruch, Frank-Fg, S. 158 f; Roxin, Kriminalpolitik, S. 15; Wank, S. 88; Hellm. Mayer, Studb. S. S. 60 stellt "deduktive Systeme" den "kategorialen Systemen" gegenüber; Mittasch spricht von "formallogischer und teleologischer Systematik", S. 134. 88

1

5 Nitze

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Grunde gelingt es nicht, das Gemeinsame aller Delikte, die Wertwidrigkeit eines Handeins oder Unterlassens, in dieser Systematik zu erfassen. Erst wenn die Klassifikation als Methode und mit ihr ein wertfreier Oberbegriff als Ausgangspunkt verworfen werden, entfällt die systembedingte Einengung des Blickfeldes, womit dann eine unmittelbare Orientierung der Merkmale und Begriffe an der Rechtsfolge Strafe möglich wird. Mit der Bezeichnung "teleologisch" wird dieser Gegensatz im Ausgangspunkt der teleologischen Systematik gegenüber der klassifikatorischen Systematik ausdrücklich hervorgehoben. Allen Straftheorien, die der teleologischen Systematik folgen, ist daher die Ablehnung eines Oberbegriffs gemeinsam. Die Straftat wird nicht als ein vorgegebenes, zunächst wertfreies Etwas gesehen, sondern normativ bestimmt und damit als das Ergebnis einer wertenden Betrachtung verstandenz. Innerhalb der Straftattheorien, die sich ausdrücklich als teleologisch bezeichnen, wird der Begriff "teleologisch" teils mehr auf die Methode des Vorgehens3, teils mehr auf die normative, wertbezogene Sichtweise bezogen4 • Beide Aspekte gehen allerdings Hand in Hand: die Abkehr von der klassifikatorischen Systematik macht eine Neubesinnung auf das methodische Vorgehen erforderlich und lenkt damit hin auf eine unmittelbar wertbezogene Erfassung der Straftat- und bei wertbezogener Erfassung zeigt sich gegenüber dem notwendig wertfreien Oberbegriff der klassifikatorischen Systematik rasch die Notwendigkeit eines geänderten methodischen Vorgehens. Unterschiede zwischen verschiedenen teleologisch aufgebauten Straftattheorien ergeben sich einerseits aus der Frage, in welchen Merkmalen die normative Straftaterfassung zu erfolgen hat, und andererseits aus der Frage nach dem Maßstab für die normative Erfassung der Straftat. Beide Fragen sind miteinander verbunden. Zunächst soll der Frage nach den Merkmalen nachgegangen werden, innerhalb dieser Frage ist dann auf den Maßstab zur wertbezogenen Straftaterfassung einzugehen. In der Frage nach den Merkmalen der Straftat lassen sich zwei Gruppen von Auffassungen unterscheiden: einerseits wird den überkommenen Merkmalen ein neuer Inhalt gegeben, den Straftattheorin dieser Gruppe ist der Begriff des Tatbestandes - oder der Tatbestandsmäßigkeit oder Tatbestandsverwirklichung- als Ausgangspunkt gemeinsam. Andererseits werden Unrecht und Schuld als die maßgeblichen Merkmale herausgestellt.

2 Gallas, ZStW 67 (1955) S. 1 (8 ff); Lange in Kohlrausch/Lange, System. Vorbem. II, S. 2 ff, 12 f; Hellm. Mayer, Studb. S. 58 ff; Mittasch, S. 84 ff; Otto, AT S. 20; Radbruch, Frank-Fg I, S. 158 (161); Roxin, ZStW 74 (1962) S. 515 (530) ; ders., Kriminalpolitik, S. 15; Schmidhäuser, AT 6. Kapitel; ders. , Studb. 4/3 ff. 3 z. B. Schmidhäuser, AT 6/2, 6/4; ders., Studb. 4/2; ders., Radbruch-Gs, S. 268 (270 f). 4 z. B. Roxin, Kriminalpolitik , S. 15; Amelung, JZ 1982 S. 617.

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2. Der Tatbestand als Ausgangspunkt teleologischer Straftattheorien

Eine Reihe von Straftattheorien versucht, die durch Liszt und Beting geprägten Begriffe auch im Rahmen einer teleologischen Straftattheorie nutzbar zu machen. a) Der Tatbestand als Wertungsstufe neben der Rechtswidrigkeit

Roxin, dem Amelung im methodischen Ansatz folgt5, geht davon aus , daß "die einzelnen Deliktskategorien - Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld - von vornherein unter dem Blickwinkel ihrer kriminalpolitischen Funktion zu sehen, zu entfalten und zu systematisieren sind". Der Tatbestand wird als "Leitmotiv der Gesetzesbestimmtheit" bezeichnet, von dem aus die "dogmatische Aufgliederung" erfolgen müsse; die Rechtswidrigkeit sei der "Bereich sozialer Konfliktlösungen", wo "widerstreitende Individualinteressen oder gesamtgesellschaftliche Belange mit den Bedürfnissen des Einzelnen zusammenstoßen"6, und die Schuld schließlich werde "kriminalpolitisch von der Strafzwecklehre geprägt"7. Ebenfalls von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld geht Lange auss. In den Tatbeständen treffe das StGB eine Auswahl aus dem Bereich des Unrechts; der Sinn der Unrechtstypisierung sei es, "aus dem Gesamtbereich des Unrechts den Kern herauszuheben, der als besonders schwere Verletzung der Rechtsidee und Störung der Rechtsordnung zu werten" sei. Bei der Rechtswidrigkeit habe man nach formeller und materieller Rechtswidrigkeit zu unterscheiden9. Als Verstoß gegen Gebote oder Verbote finde sich die formelle Rechtswidrigkeit zwar nicht im Strafrecht, da gegen Strafrechtsnormen nicht verstoßen werde. Materiell rechtswidrig dagegen sei eine Handlung, wenn sie "wegen ihrer Sozialschädlichkeit und Sittenwidrigkeit mit dem rechtlich geordneten Zusammenleben in unerträglichem Widerspruch (stehe)"1°. Schuldhaft sei eine Handlung, wenn sie dem Täter persönlich vorwertbar sei, ihm zur Schuld zugerechnet werden könne 11 • Auch Radbruch, der teleologisches Vorgehen dem klassifizierenden Vorgehen zuerst gegenübergestellt hatl2, hielt an Tatbestand und Rechtswidrigkeit s Amelung, JZ 1982 S. 617. Roxin, Kriminalpolitik, S. 15. 7 Roxin, Kriminalpolitik, S. 33. s Lange in Kohlrausch/Lange, System. Vorbem. li, S. 1. 9 Lange in Kohlrausch/Lange, System. Vorbem. li, S. 12. 10 Lange in Kohlrausch/Lange, System. Vorbem. li, S. 15. 11 Lange in Kohlrausch/Lange, System. Vorbem. II, S. 20 f. 12 Radbruch, Frank-Fg. I, S. 158 (160)- Radbruch hielt allerdings nicht am Schuldbegriff fest, vgl. S. 170 ff. 6

s•

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als Straftatmerkmalen fest13- allerdings mit einer erheblichen Einschränkung: Radbruch unterschied von Systemen mit wissenschaftlichem Erkenntniswert die didaktischen Systeme, die eine "verständniserleichternde Abwandlung" der wissenschaftlichen Systeme "zu Lehrzwecken" darstelltenl 4; die Merkmale Tatbestand und Rechtswidrigkeit hielt Radbruch nun als Vereinfachung im didaktischen System für notwendig, während es in der dahinterstehenden wissenschaftlichen Systematik um die schwierig durchzuführende Zweiteilung von normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen gehe, so daß mit "der recht verstandenen Tatbestandsmäßigkeit auch die Rechtswidrigkeit ohne weiteres gegeben (sei)"15. Angesichts der unterschiedlichen Vorgehensweise in der Begriffsbildung von klassifikatorischer und teleologischer Systematik müssen sich Zweifel einstellen, ob die herkömmlichen Begriffe für eine teleologische Systematik übernommen werden können. Mit der Ablehnung des Oberbegriffs der Handlung ist dem Tatbestand der Gegenstand entzogen, dessen Eigenschaft die Tatbestandsmäßigkeit ursprünglich war. Die Bezeichnung des Tatbestandes als "Leitmotiv der Gesetzesbestimmtheit" erfaßt diesen Gegenstand nicht. Wenn dieser Gegenstand nun eine "Auswahl aus dem Bereich des Unrechts" ist, wie Lange sagt, dann erweist sich nicht der Tatbestand, sondern das Unrecht als Ansatzpunkt für die Straftattheorie, denn der "Bereich des Unrechts" muß notwendig schon vor der Tatbestandsmäßigkeit feststehen. Welche Rolle sollte dann die Rechtswidrigkeit noch spielen neben dem Unrecht? Sie selbst ist im Unrecht ja schon vorausgesetzt.- Wenn es dagegen in der Rechtswidrigkeil um den Ausschluß des Unrechts geht, dann bezeichnet der Begriff genau das Gegenteil dessen, was er eigentlich bezeichnen sollte. Auch Radbruch zeigt mit der Gegenüberstellung von didaktischer und wissenschaftlicher Systematik, daß die Rechtswidrigkeit tatsächlich keine eigenständige Wertungskategorie darstellt. Bei normativer Erfassung des Unrechts gibt es keine wertfreie Feststellung tatbestandlieh geschilderter Verhaltensweisen, denn das Ziel besteht ja darin, von vornherein das Wertwidrige eines Verhaltens zu erfassen. Alle genannten Auffassungen sind zwar bemüht, die Wertwidrigkeit von Verhaltensweisen zu bestimmen - sei es durch einen Rückgriff auf kriminalpolitische Zielsetzungenl6, auf den "Gesamtbereich des Unrechts"l7, auf Sozialschädlichkeit und SittenwidrigkeitlB oder den Zweck der Strafel9. Aber es ist verfehlt, die Wertwidrigkeit eines Verhaltens innerhalb der vorgegebenen Begriffe Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit Radbruch, Frank-Fg. I, S. 158 (167). Radbruch, Frank-Fg. I, S. 158 (159). 1s Radbruch, Frank-Fg. I, S. 158 (167, 168). 16 Roxin, Kriminalpolitik, S. 15. 17 Lange in Kohlrausch/Lange, System. Vorbem. Il, S. 12. 18 Lange in Kohlrausch/Lange, System. Vorbem. II, S. 15. 19 Radbruch, Frank-Fg. I, S. 158 (163). 13

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zu suchen. Stattdessen hätte teleologisches Vorgehen geboten, die Begriffe aus den Sachverhalten zu entwickeln, die das Wertwidrige eines Verhaltens nach der jeweiligen Auffassung ausmachen, also aus Kriminalpolitik, Sozialschädlichkeit und Sittenwidrigkeit usw. (wobei eine zweite Frage wäre, ob damit die Werte richtig angegeben sind, die für eine Bestimmung der Straftat maßgeblich sind). Auch die Schuld wird in klassifikatorischer Art und Weise sachwidrig als Attribut auf das menschliche Verhalten bezogen, wenn man definiert: eine Handlung sei schuldhaft, wenn sie vorwertbar oder zurechenbar sei20. Statt die Schuld als Merkmal der Handlung zu sehen, müßten die Schuld als eigener Sachverhalt angegeben sowie dessen Voraussetzungen benannt werden, um bestimmen zu können, wann ein unrechtes Verhalten dem Täter vorzuwerfen oder zuzurechnen ist21. Wenn die Schuld "kriminalpolitisch von der Strafzwecklehre geprägt" werden soll, hat Roxin Gegenstand und Voraussetzungen der Schuld nicht dargelegt, sondern als bestimmt bereits vorausgesetzt, ohne freilich diese Bestimmung darzulegen. Es zeigt sich also, daß mit den herkömmlichen Begriffsmerkmalen Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld das gesteckte Ziel, die Straftatmerkmale in einer teleologischen Systematik als allgemeine Voraussetzungen der Strafe zu entwickeln, nicht zu erreichen ist: eine teleologische Straftattheorie kann nicht von den überkommenen Begriffen ausgehen, weil mit eben diesen Begriffen die Artmerkmale bezeichnet sind, die es gegenüber der klassifikatorischen Systematik gerade zu überwinden gilt. b) Der Tatbestand als "Träger des Deliktstypus" Gallas hat sich, obwohl auch er von der Tatbestandsmäßigkeit ausgeht, besonders weit von der traditionellen Begriffsbestimmung entfernt, indem er die Bedeutung der Begriffe Unrecht und Schuld für die Straftattheorie betont. Auf diese Weise gelangt Gallas zu einem Begriff des Tatbestandes, der nicht mehr in einem klassifizierenden Artmerkmal besteht: "Die adjektivische Fassung des Begriffs "Tatbestandsmäßigkeit" darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier nicht um eine zusätzliche Eigenschaft, nicht um etwas zu Unrecht und Schuld hinzukommendes Drittes, sondern um eine Erscheinungsform schuldhaften Unrechts handelt"22. Der Tatbestand umfaßt danach sowohl den "typischen Unrechtsgehalt" als auch den "typischen Schuldgehalt" des jeweiligen Delikts23, der Tatbestand wird daher aufgegliedert in Unrechtstatbestand und Schuldtatbestand. Die Wertungskategorie Rechtswidrigkeit 20 21 22

23

Lange in Kohlrausch/Lange, System. Vorbem. II, S. 20 f. zur Kritik am normativen Schuldbegriff vgl. unten S. 78. Gallas, ZStW 67 (1955) S. 1 (18). Gallas, ZStW 67 (1955) S. 1 (29) .

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2. Teil: Kritik

fehlt daher auch in der von Gallas vorgeschlagenen Straftattheorie, denn der Tatbestand schließt als "Träger des typischen Strafwürdigkeitsgehalts", als "Verkörperung des Deliktstypus" die Rechtswidrigkeit schon mit ein24 • Daher ergebe sich aus dem Charakter des Unrechts als eines verbotenen Verhaltens in Verbindung mit dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung, daß ein unter einem bestimmten Gesichtswinkel (z. B. der Notwehr) schlechthin erlaubtes Verhalten selbst dann nicht Verbrechen sein könne, wenn es im übrigen die Merkmale eines Deliktstypus aufweise25. Einen Rückgriff auf Unrecht und Schuld hält Gallas aus einem weitem Grund für unentbehrlich: die einzelnen Tatbestandsmerkmale ließen sich nur dann als Unrechts- und Schuldmerkmale unterscheiden, wenn zuvor feststehe, woran man die Unrechts- und Schuldqualität eines Verhaltens allgemein erkenne26. Gallas hebt also zu Recht hervor, daß die Wertwidrigkeit eines Verhaltens nicht ausschließlich aus dem Tatbestand zu gewinnen ist: als Deliktstatbestand lasse sich der Tatbestand im formellen Sinne nicht aus sich heraus bestimmen27. Vielmehr habe man "das Verbrechen sowohl in seinen allgemeinen Merkmalen als auch in seiner besonderen Erscheinungsform ins Auge zu fassen", wobei Gallas als das Gemeinsame beid~r Sichtweisen "Unrecht und Schuld als die tragenden Grundpfeiler der Verbrechenslehre" nennt28. Um strafbar zu sein, müsse ein Verhalten daher sowohl formell als auch materiell tatbestandsmäßig sein. Als Beispiel für ein Verhalten, das zwar die Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes aufweist, dem aber der sachliche Unrechtsgehalt fehlt, führt Gallas den kunstgerecht durchgeführten ärztlichen Heileingriff an29. Zwar bedarf es Gallas zufolge noch der Klärung, "welche systematische Bedeutung den Begriffen Unrecht und Schuld als allgemeinen Verbrechensmerkmalen (verbleibe), wenn die konkrete Tat schon als "Tatbestandsverwirklichung" den typischen Unrechts- und Schuldgehalt der jeweiligen Verbrechensart (aufweise )"30, letztlich unterstreichen aber die von Ga IIas angestellten Überlegungen, daß mit den Merkmalen Unrecht und Schuld die wesentlichen Merkmale jeder Straftat erfaßt sind und daß diese sich nicht aus der Tatbestandsmäßigkeit ableiten lassen, sondern schon vor dem Tatbestand gegeben sein müssen und die tatbestandliehe Schilderung von Unrecht und Schuld neben deren Gegebensein zusätzlich vorauszusetzen ist. Das macht der von Gallas genannte Fall des ärztlichen Heileingriffs deutlich: obwohl der Arzt mit dem Öffnen der Bauchdecke und dem Entfernen des Blinddarms in einer Weise tätig wird, die der tatbestandliehen Schilderung der Körperverlet24

25 26 27 28

29

30

Gallas, ZStW 67 (1955) S. Gallas, ZStW 67 (1955) S. Gallas, ZStW 67 (1955) S. Gallas, ZStW 67 (1955) S. Gallas, ZStW 67 (1955) S. Gallas, ZStW 67 (1955) S. Gallas, ZStW 67 (1955) S.

1 (17). 1 (19). 1 (18). 1 (21). 1 (18). 1 (21). 1 (18).

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zung entspricht, wird man nicht sagen können, der Arzt habe wertwidrig gehandelt - vielmehr hat der Arzt beim medizinisch gebotenen Heileingriff umgekehrt gerade in wertbejahender Weise zur Erhaltung der Gesundheit seines Patienten beigetragen, so daß ein unrechtes Verhalten nicht gegeben ist. Mag also die tatbestandliehe Schilderung der Körperverletzung zunächst als formaler Anknüpfungspunkt für das prüfende Vorgehen des Rechtsanwenders dienen - sobald nach dem Unwerthaften des Verhaltens gefragt wird, zeigt sich, daß materiell das Handeln des Arztes nicht einer Körperverletzung enspricht. Für das Vorgehen bei der Prüfung kommt es auf die Reihenfolge beider Punkte nicht an, da formelle tatbestandliehe Schilderung und materieller Unwert gleichermaßen vorausgesetzt sind. Systematisch aber steht das Unwerthafte an erster Stelle als Voraussetzung jeder Straftat, und der Gesetzlichkeitsgrundsatz dient dann als Einschränkung der Strafbarkeit, indem nicht jedes unwerthafte Verhalten, sondern allein tatbestandlieh geschildertes strafbar ist. Wenn man also ernst macht mit dem Gedanken, die Straftat material, vom Unwert des Verhaltens her zu erfassen, dann ist es geboten, das Unrecht anstelle des Tatbestandes als Ausgangspunkt der Straftattheorie zu wählen. 3. Unrecht und Schuld als Ausgangspunkt teleologischer Straftattheorien

Wenn von einigen Straftattheorien Unrecht und Schuld als die grundlegenden Merkmale jeder Straftat angesehen werden, dann stellt sich sogleich die Frage, welche Merkmale nun Unrecht und Schuld ihrerseits voraussetzen und welche Rolle die Strafnormen nach Ansicht dieser Straftattheorien einnehmen. Eine umfassende Darstellung dessen, was nach den verschiedenen Auffassungen Unrecht und Schuld ausmacht, kann aber im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Die Darstellung umfaßt daher nur die Grundzüge der einzelnen Auffassungen. Sie berücksichtigt dabei insbesondere, wie sich Handlungs- und Unterlassungsdelikt mit den jeweils angeführten Merkmalen erfassen lassen. a) Hellm. Mayer Das Strafrecht verbietet nach Auffassung Hellm. Mayers bestimmte Handlungen oder es verlangt, tätig zu werden, indem es "Tatbestände des strafbaren Verhaltens beschreibt und unter Strafe stellt"31. Straftat sei daher formal gesehen "Ungehorsam gegen einen gesetzlichen Befehl", es stelle ein "imperativwidriges Verhalten"32 dar. Materiell sieht Hellm. Mayer den Unwertge31 Hellm. Mayer, Studb. S. 64. 32 Hellm. Mayer, Studb. S. 41.

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2. Teil: Kritik

halt der Straftat in der Verletzung eines Rechtsgutes, d. h. eines als "werthaft vorgestellten Zustandes der äußeren Lebenswirklichkeit"JJ. Darüber hinaus ist eine Verletzung der "äußeren sozialethischen" Ordnung vorausgesetzt34. Zur Beurteilung eines Verhaltens als Straftat unterscheidet Hellm. Mayer nach der äußeren Seite der Tat- nach dem äußeren Geschehen- und nach der Innenseite der Tat- nach dem Willen des Täters. Zum Unrecht gehört dieser Auffassung zufolge alles, was "als objektiv äußeres Geschehen oder Tat die äußere Gestalt gibt", zur Schuld gehöre, "was die innere Verantwortung des Willens für die Tat begründet"35. Unrecht und Schuld sind- so Hellm. Mayer - unterscheidbare Momente einer inneren Einheit und Ganzheit. Da der Imperativ des Strafgesetzes sich an den verantwortlichen Willen wende, könne ein äußeres Ereignis, das nicht vom Willen gelenkt werde, auch nicht als imperativwidrig und damit als Straftat gedacht werden. Unrecht und Schuld werden daher als dialektische Einheit begriffen: ein abschließendes Urteil über ein Verhalten als unrechtes Verhalten ist danach erst dann möglich, wenn dieses Verhalten auch schuldhaft ist, und über die Schuldhaftigkeit kann andererseits erst dann abschließend geurteilt werden, wenn das Unrecht bejaht worden ist. Hellm. Mayer verdeutlicht diese dialektische Einheit von Unrecht und Schuld mit dem Bild von Körper und Seele: "Tat und Wille oder objektives Unrecht und Schuld verhalten sich wie Körper und Seele. Wie ein seelenloser Körper nur Leichnam ist, so ist die als bloße Lebensenergie gedachte Seele ein Nichts ohne ihren Körper. Ebenso ist ein körperliches Verhalten ohne inneren Willen keine Tat, der Wille ohne Tat aber auch schlechthin ein Nichts"36 . Der Gewinn der Theorien, die sich abgewendet haben von der klassifikatorischen Systematik und dem notwendig wertfreien Oberbegriff, liegt in der widerspruchslos möglichen Erfassung von Handlung und Unterlassung, weil mit Unrecht und Schuld das Gemeinsame von Handlungs- und Unterlassungsdelikt zum Ausgangspunkt der Straftattheorie genommen wird. Indem man nicht mehr aus systematischen Erwägungen genötigt ist, Handlung und Unterlassung unter einen gemeinsamen Oberbegriff zu zwingen und das Unterlassen als eine Handlung zu fingieren, ist es möglich-geworden, Handlung und Unterlassung sachgerecht in ihrer kontradiktorischen Gegensätzlichkeit in der Straftattheorie zu berücksichtigen, d . h. das Unterlassen zu erkennen als die Nichtvornahme einer Handlung, die von der Rechtsordnung geboten ist. Um so mehr überrascht es, daß auch Hellm. Mayer das Unterlassen als Handlung ansieht, als "Bestimmung des Weltverlaufs durch den menschlichen 33 Hellm. Mayer, Studb. S. 52, vgl. auch ders., AT S. 50, 101 ff (auch zum Folgenden). 34 Hellm. Mayer, Studb. S. 54. 35 Hellm. Mayer, Studb. S. 60. 36 Hellm. Mayer, Studb. S. 60.

A. Grundlagen der Kritik

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Willen als der einzigen rechtlich erheblichen Ursache"37. Den Weltverlauf bestimme "der menschliche Wille ebenso . . . durch Zugriff wie durch ... Untätigbleiben"38; auch mit der Unterlassung- bei der ein "äußere(r) Anteil des Handelnden ... gar nicht vorhanden (ist)" - "gestalte(t) die Macht des menschlichen Willens den Weltverlauf"39. Richtig ist an diesen Feststellungen, daß auch dann, wenn der "äußere Anteil des Handelnden ... gar nicht vorhanden (ist)", also im Falle eines Unterlassens, ein menschliches Verhalten vorliegt, an das die Strafe als Rechtsfolge geknüpft sein kann - wenn nämlich in der konkreten Situation ein Handeln des Täters von der Rechtsordnung geboten ist und der Täter die in dieser Situation gebotene, ihm mögliche Rettungshandlung unterlassen hat. Dieses Unterlassen ist auch ein auf den Willen bezogenes Verhalten, denn Gebote können sich - ebenso wie Verbote - mit ihren Sollensforderungen allein an den menschlichen Willen richten. Verfehlt ist allerdings die Vorstellung, der Wille bestimme auch bei der Unterlassung den Weltverlauf. Umgekehrt: daß der Täter den Weltverlauf dort nicht gelenkt hat, wo er es hätte tun können und sollen, ist kennzeichnend für das Unterlassen. Das folgt unmittelbar aus der kontradiktorischen Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen: jedes Handeln setzt neben der Körperbewegung notwendig einen Willen des Handelnden zu diesem Handeln voraus, und dieser Wille wiederum kommt im Handeln selbst zum Ausdruck. Wenn ein Gebot eine bestimmte Handlung verlangt, richtet sich dieses Gebot an den Willen des Täters, in der geforderten Weise tätig zu werden. Unterläßt der Täter die geforderte Handlung, kann von einem Handlungswillen nicht gesprochen werden, weil sich der Handlungswille als solcher ohne die Handlung, in der allein er seine äußere Gestalt zu finden vermag, gar nicht feststellen läßt. Beim Unterlassen bleibt der Wille als Wunsch bloßer Gedanke und damit der strafrechtlichen Bewertung entzogen. In diesem Punkt erweist sich, wie fragwürdig es ist, Unrecht und Schuld nach der "äußeren Gestalt, die sich der Wille gibt" und der "inneren Verantwortung des Willens für die Tat" zu unterscheiden: wenn das Unterlassen keinen Willen kennt, der sich im Unterlassen äußere Gestalt geben könnte, wie sollte ein Wille dann im Unterlassen "sichtbar und erkennbar" werden können? Wenn nun Hellm. Mayer nachdrücklich feststellt, ein äußeres Ereignis, das nicht vom Willen gelenkt werde, könne nicht als Straftat gedacht werden, weil es hier an der Imperativwidrigkeit und damit am Unrecht fehle, dann können Unterlassungsdelikte bei unvoreingenommer Bestimmung des Unterlassens gar nicht erfaßt werden, weil ein Unterlassungsunrecht aufgrund der fehlenden äußeren Gestalt des Willens im Unterlassen nicht vorstellbar ist. 37

38

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Hellm. Mayer, Studb. S. 51. Hellm. Mayer, Studb. S. 75. Hellm. Mayer, Studb. S. 51.

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2. Teil: Kritik

b) Sauer, Zimmer/ Von Unrecht und Schuld als den wesentlichen Straftatmerkmalen gehen auch Sauer und Zimmer! aus. Unrecht ist danach vom Gesetz ausdrücklich als unwerthaft bezeichnetes sozialschädliches Verhalten40. Die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens findet- Zimmer! zufolge- ihren letzten Grund im Erfolg eines Handeins oder Unterlassens. Handeln (oder Unterlassen) sei als solches stets indifferent, erst durch den Bezug zu einem sozialschädlichen Erfolg lasse sich die Sozialschädlichkeit eines Handeins ableiten; das Verbrechen sei objektives Hinstreben auf einen sozialschädlichen Erfolg4I. Sauer beschreibt das Verbrechen als "rechtswidriges (sozialschädliches) und schuldhaftes (sozialethisch-kulturell untragbares) Wollen und Wirken in schwerem Widerspruch mit Gerechtigkeit und GemeinwohJ42. Die Unterlassung ist der Handlung gleichzustellen, wenn vom Standpunkt der sozialen Gemeinschaft aus die Vornahme der Handlung erwartet werden kann (was der Fall ist, wenn ein negativer sozialschädlicher Erfolg zu erwarten steht)43. Sauer zufolge gehören auch einzelne subjektive Merkmale, wie Absichten und Motive zum Unrecht; das Gesetz verwende diese Merkmale in doppelter Funktion, bald als subjektive Unrechtsmerkmale, bald als Schuldelemente44. Das Unrecht kann durch Unrechtsausschließungsgründe oder Rechtfertigungsgründe entfallen (oder, so Zimmer!: gemindert sein)45. Auch der Schuldbegriff ist orientiert an den jeweiligen Interessen einer sozialen Gesellschaft: während das Unrecht objektive Sozialschädlichkeit ist, stellt die Schuld den Vorwurf subjektiver Sozialwidrigkeit einem bestimmten Täter gegenüber dar46. Zusammengesetzt ist die Schuld bei Zimmer! aus drei Komponenten: der Zurechnungs-, Tat- und Persönlichkeitskomponente. Zur Tatkomponente zählt Zimmer! (u. a.) Vorsatz, Vorsatzabsicht und Fahrlässigkeit , in der Persönlichkeitskomponente werden (schuldsteigernde oder schuldmindernde) Motive des Täters erlaßt. Fraglich erscheint es, ob der Unwert eines Handeins tatsächlich rein objektiv allein aus der Erfolgsbezogenheit abgeleitet werden kann. Gegenüber dem Argument, reine Tätigkeitsdelikte wie (z. B. der Meineid) wiesen allein einen Handlungsunwert auf, ohne daß ein Erfolg eine Rolle spiele, wendet Zimmer! ein, auch diese Delikte seien auf einen sozialschädlichen Erfolg bezogen, allerdings müsse der Erfolg nicht herbeigeführt werden, es reiche vielmehr vgl. SauerS. 28, 52; Zimmer! S. 41 ff. Zimmer), S. 47. 42 Sauer, S. 28. 43 Zimmer), S. 50; vgl. zur Gleichbehandlung von Handeln und Unterlassen Sauer, s. 89. 44 Sauer, S. 68 f, 197. 45 Sauer, S. 57 f; Zimmer!, S. 70 ff. 46 Zimmer), S. 161 ff. 40

41

A. Grundlagen der Kritik

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schon die Wahrscheinlichkeit des Erfolges für die Unrechtsbewertung aus47. Aber diese Argumentation räumt nicht alle Bedenken aus. Die schwere Körperverletzung und die beabsichtigte schwere Körperverletzung setzen denselben Erfolg voraus, dennoch ist die beabsichtigte Körperverletzung strafwürdiger. Die Nötigung setzt neben dem Erfolgseintritt die Nötigungsabsicht des Täters voraus, ohne diese Absicht kommt es auf den Erfolg überhaupt nicht an. Beim Diebstahl ist nicht die Wahrscheinlichkeit lang andauernden Gewahrsamentzugs maßgeblich, sondern die entsprechende Absicht des Täters; auch die Urkundenfälschung setzt weder einen Täuschungserfolg noch dessen Wahrscheinlichkeit, sondern allein eine entsprechende Absicht des Täters voraus und beim ungefährlichen Versuch: der Täter versucht das Opfer mit einer ungeladenen Pistole zu erschießen, entscheidet weder ein Erfolg noch die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges über die Unrechtsbewertung, sondern die Intention des Täters. Zimmerl wird einer Reihe von anerkannten Straftatbeständen nicht gerecht, wenn er den Willen des Täters allein als ein Merkmal der Schuld sieht und nicht als ein das Unrecht begründendes oder steigerndes Merkmal der Straftat. Indem Sauer Absichten, Motive usw. sowohl als Unrechts- als auch als Schuldmerkmal sieht, wird die ursprünglich getroffene Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld als objektiver und subjektiver Seite der Tat letztlich wieder aufgegeben. Wenn die Schuld Sauer zufolge den Vorwurf schwerer Pflichtverletzung beinhaltet, stellt sich auch hier die Frage, ob eine Pflichtverletzung allein aus dem Taterfolg erklärt werden kann. Genaugenommen kann sich nämlich eine Pflicht nur an den menschlichen Willen richten und durch Menschen in ihrem gewollten Verhalten beachtet oder verletzt werden, und das ist eine Frage, die auch unabhängig von Taterfolgen beurteilt werden kann. Es zeigt sich daher, daß die Einordnung des Handlungswillens als Schuldmerkmal verfehlt ist.

c) Otto "Die Frage nach dem Unrecht, der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens", führt Otto aus, "ist die Frage danach, ob der Täter sich sozialschädlich, gefährlich verhalten hat. -Die Frage nach der Schuld des Täters ist die Frage nach der Verantwortlichkeit des Täters für sein Verhalten"48. Die für das Unrecht kennzeichnende Sozialschädlichkeit ergibt sich für Otto aus den "Normensysteme(n) im sozialen Raum unterhalb der Rechtsordnung, z. B. (der) Sozialethik" . Indem die Rechtsordnung einen bestimmten Wert als "Gut" in ihre Regelungen einbezieht, "wird dies zum Rechtsgut, seine norm47 48

Zimmer!, S. 48. Otto, AT S. 162.

2. Teil: Kritik

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widrige Verletzung vorn sozialwidrigen zum rechtswidrigen Verhalten"49. Als Aufgabe der Rechtsordnung wird es betrachtet, Rechtsgüter zu schützen. Daher begründen die Strafrechtsnormen nach dieser Auffassung Rechtspflichten, die jedermann auferlegen, die Verletzung von Rechtsgütern zu vermeiden. Unrecht setze daher neben der Verletzung eines Rechtsgutes die Verletzung einer Vermeidepflicht durch den Täter voraus. Diese Vermeidepflicht sei rechtlich begrenzt, d. h. sie fehlt dieser Auffassung zufolge immer dann, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegtso. Otto bezieht auch den Vorsatz in den Unrechtsbegriff ein: Der Vorsatz beinhaltet als "finales Element" die "Kenntnis der Tatumstände und ihres Bedeutungsgehalts" und den "Willen" des Täters, "die Rechtsgutsbeeinträchtigung zu verwirklichen"51. Zum Vorsatz gehöre als weiteres Element der Gesinnungsunwert, d. h." das Bewußtsein des Täters, sich sozialschädlich zu verhalten"52. Das Willenselement und die Kenntnis der Tatumstände als Merkmale des Vorsatzes leitet Otto aus der Einschätzung der Rechtsnormen als Pflichtnormen ab. Da sich die Rechtsnorm an das Rechtssubjekt als Person richte und sie verpflichte, "durch Einsatz kausaler Mittel in ihrem Verhalten den Erwartungen der Rechtsordnung zu entsprechen und diese zu realisieren", erhielten der "Verhaltenswille" und die "Situationskenntnis" "zentrale Bedeutung bereits innerhalb des Unrechtstatbestandes"53. Für den Begriff der Schuld knüpft Otto an die normativen Schuldtheorien an. Wie für alle normativen Schuldtheorien kennzeichnend, setzt auch Otto für die Schuld eine normative Wertung voraus54. Aber die Schuld dürfe sichso Otto- nicht in einem "bloßen Werturteil" erschöpfen, sondern müsse auch die "persönliche Beziehung des Täters zur Tat" erfassenss. Die normative Wertung der Schuld sei daher "auf die Fähigkeit oder Möglichkeit des Täters für ein rechtmäßiges Verhalten gerichtet"56. Die Schuldprüfung "geht dahin, ob das sozialschädliche Verhalten vorn Täter zu verantworten ist, weil er die Möglichkeit hatte, sich für ein rechtmäßiges Verhalten zu entscheiden"57. Persönliche Verantwortung - diesen Begriff verwendet Otto gleichbedeutend mit dem Schuldbegriff - stellt sich Otto dar als "eine bestimmte Relation zwischen dem Sollen und dem sich in 49 Otto, AT S. 8 f. Otto, AT S. 44. 5t Otto, AT S. 62 ff, 80 ff, 83. 52 Otto, AT S. 80 ff, 83. 53 Otto, AT S. 79. 5o

54

55 56 57

Otto, AT S. 167.

Otto, AT S. 166. Otto, AT S. 167. Otto, AT S. 164.

A. Grundlagen der Kritik

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der Tat ausdrückenden Verhalten des Täters". "Formal bezeichnet die als persönliche Verantwortlichkeit verstandene Schuld eine Relation zwischen dem Sollen und dem psychischen Können des Täters. Sie verweist damit auf den Grund der rechtswidrigen Tat in der Vernunft und Freiheit des Täters". "Sachlich erhält die Schuld ihren Gehalt durch den Bezug der konkret vorhandenen Möglichkeit zu normgemäßem Verhalten (Maß der Freiheit) auf das pflichtwidrige Verhalten (Unrecht), dessen Unwertgehalt den Täter nicht normgemäß zu motivieren vermochte"58. In einem Vergleich des Täters mit dem "erdachten Modell des Normalmenschen" sieht Otto den Maßstab, an dem die persönliche Verantwortung des Täters zu messen ist59. Da diese Straftattheorie das Unrecht (u. a.) in seiner Wertwidrigkeit erfaßt, fügen sich Handeln und Unterlassen zwanglos in diese Theorie ein. Zu kritisieren ist allderdings, daß für den Vorsatz ein "finales Element"60 vorausgesetzt wird, das u. a. den "Willen() des Täters" beinhaltet, "die Rechtsgutsbeeinträchtigung zu verwirklichen"61: wenn der Unterlassungstäter nicht handelt und somit nicht will und nicht tut, was er von Gesetzes wegen tun sollte, dann kann hier von einem finalen Element eigentlich nicht gesprochen werden. Der Täter mag zwar den Erfolg, der aufgrund einer Gefahrenlage einzutreten droht, noch so sehr herbeiwünschen- mit seinem Unterlassen kann er auf das Geschehen keinen Einfluß nehmen, um es seinen Zwecken entsprechend zu lenken. Der Unterschied zum Handlungsdelikt liegt darin, daß es eine Finalität, eine zweckbezogene Ausrichtung des Unterlassens im Gegensatz zum Handeln nicht gibt. Hält man dennoch am "finalen Element" des Vorsatzes fest, dann ist man jetzt genötigt, wiederum eine Fiktion hinzunehmen, wenn man nicht die Möglichkeit eines vorsätzlichen Unterlassungsdeliktes gänzlich verneinen möchte: die Fiktion nämlich, daß ein finales Element auch in einem vorsätzlichen Unterlassungsdelikt enthalten sei - oder man akzeptiert den Widerspruch, ein finales Element einmal für den Vorsatz als notwendiges Merkmal vorauszusetzen (beim sogen. dolus directus ersten Grades) und gleichzeitig dieses Merkmal für den Vorsatz nicht vorauszusetzen (beim vorsätzlichen Unterlassungsdelikt). Es ist dies die gleiche Fiktion oder der gleiche Widerspruch, wie er auch beim sog. dolus eventualis weithin hingenommen wird, wenn das bloße Für-Möglich-Halten eines Erfolges durch den Täter zum "Wollen im Rechtssinne" erklärt wird- selbst wenn sicher ist, daß der Täter den als möglich vorgestellten Erfolg vermeiden möchte. "Im Fall des dolus eventualis ist für den Täter ungewiß, ob es zur Rechtsgutsverletzung kommt. Diese mag dem Täter auch unerwünscht sein", stellt Otto ganz richtig fest, hier sei dann für den Vorsatz "auf das Bewußtsein der Gefahr als dem entOtto, AT S. 167. Otto, AT S. 168; ähnlich auch die Straftattheorie bei Haft, S. 6 ff, 24, 31 ff, 59 ff, 102; vgl. auch Hardwig, AT S. 234 ff. 60 Otto, AT S. 79, 83. 61 Otto, AT S. 62, 71 ff, 83. 58 59

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2. Teil: Kritik

scheidenden Kriterium" abzustellen62. Wenn aber ein Begriff (wie der Vorsatzbegriff) zwei Momente (sowohl "Wissen" als auch "Wollen") umfaßt, ist es widersprüchlich, in einigen Fällen (dolus eventualis) auf eines dieser Momente ("Wollen") zu verzichten. Mit derartiger Widersprüchlichkeit in der Begriffsbildung bleiben die Voraussetzungen der Vorsatztat unbestimmt, denn nach welchen Kriterien entscheidet sich, ob das "Wollen" nun vorauszusetzen ist oder nicht? Der Widerspruch in der Begriffsbildung zeigt sich augenfällig beim Vergleich von (Handlungs-)Versuchsdelikt und Unterlassungsdelikt: "Strafgrund des Versuchs ist die Betätigung, d. h. die Manifestation eines verbrecherischen Willens in einem bestimmten äußeren Verhalten", heißt es bei Otto einerseits, und: "Aufbautechnisch unterscheiden sich (vorsätzliche Unterlassungsdelikte) nicht in der Struktur von den sogen. Tätigkeitsdelikten"63. Zugleich aber fällt andererseits das Willensmoment beim Unterlassungsdelikt unter den Tisch; vom Willen, der sich in einem "äußeren Verhalten manifestiert", ist keine Rede mehr: "Im subjektiven Tatbestand ist zu prüfen, ob .. . das Unterlassen bewußt geschah"64. Die schärfere Rechtsfolge des vorsätzlich begangenen Delikts gegenüber dem fahrlässig begangenen Delikt darf nicht auf solche Fiktionen oder Widersprüche im Merkmal des Vorsatzes gegründet werden. Für eine widerspruchsfreie Straftattheorie ist es daher geboten, den traditionellen Vorsatzbegriff mit seiner Wendung vom "Wissen und Wollen des tatbestandsmäßigen Erfolges" zu verwerfen und stattdessen zu fragen, welche Momente für den Vorsatzbegriff gefordert werden müssen, um die gegenüber der Fahrlässigkeitstat höhere Strafdrohung für Vorsatztaten zu rechtfertigen. Indem man den Vorsatz ferner als "Element des Unrechts"65 einordnet, reduziert sich die Schuld auf ein Werturteil, weil sie nicht auf ein vom Unrecht verschiedenes Geschehen der Wirklichkeit bezogen ist. Als reines Werturteil aber kann die Schuld des Täters nicht gedacht werden- die Kritik, die Otto in diesem Punkt an den normativen Schuldtheorien übt, ist berechtigt: ein Werturteil, das sich vom Rechtswidrigkeltsurteil unterscheiden soll, muß auf andere Seinsmomente bezogen werden, wenn nicht, wie Schmidhäuser feststellt, "die verschiedene ,Beurteilung' desselben Gegenstandes unter demselben ,Wertaspekt', aber durch verschiedene ,Beurteiler"' gemeint ist66. Über ein Werturteil hinausgehende Seinsmomente führt allerdings auch Otto nicht an, wenn er feststellt, die normative Wertung des Schuldurteils sei "auf die Fähigkeit oder Möglichkeit des Täters zur Entscheidung für ein rechtmäßiges 62 63

64

65 66

Otto, AT S. 76. Otto, AT S. 195 (vgl. auch S. 203 f) und S. 148 f. Otto, AT S. 148 f. Otto, AT S. 76, 79, 83. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 153.

A. Grundlagen der Kritik

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Verhalten gerichtet." Auch mit der Bezeichnung der Schuld als "Relation zwischen dem Sollen und dem psychischen Können des Täters"67 wird kein Sachverhalt genannt, auf den sich das Schuldurteil beziehen könnte. Allerdings verweist dieser Satz mittelbar auf einen wertwidrigen Sachverhalt, der für die Schuld vorauszusetzen ist. Das zeigt der Maßstab, den Otto anlegen möchte, um das "psychische Können des Täters" zu bestimmen: wenn Otto feststellt, dieser Maßstab sei in einem "Analogieschluß", einem Vergleich mit dem "erdachten Modell des Norrnalmenschen" zu finden, dann wird vor dem "Können" ein bestimmtes "Sollen" vorausgesetzt, denn das "Können" des "Normalmenschen" läßt sich nur bestimmen, wenn man vorher fragt, was der "Normalmensch" können soll, um ihn sich als "normal" zu denken. Da ein "Sollen" auf Werte verweist, die es zu achten gilt, wird also offenbar vom "Norrnalmenschen" angenommen, daß er psychisch-geistig in der Lage ist, den Sollensforderungen der Werte zu entsprechen. Dies setzt voraus, daß er geistig entwickelt und gesund ist, daß er sich des Unerlaubten seines Verhaltens bewußt ist oder wenigstens hätte bewußt werden können und daß er sich nicht in einer besonderen Notstandssituation befindet. Ein Abweichen des Täters vom Normalmenschen heißt nun, daß der Täter die Werte nicht ernst genommen hat und den Sollensforderungen nicht entsprochen hat, obwohl ihm die Werte bewußt waren oder zumindest hätten bewußt werden können. Der über das Unrecht hinausgehende Unwertsachverhalt, der für die Schuld vorauszusetzen ist, liegt im geistigen Hinwegsetzen des Täters über die in der Rechtsordnung anerkannten Werte. Mit der von Otto vertretenen Straftattheorie verschließt man sich aber dieser Erkenntnis der Schuld als Bewertung eines zum Unrecht hinzukommenden Unwertsachverhalts, da die Kenntnis des Täters von den Tatumständen ("Wissenselement") und das Bewußtsein des Täters von der Sozialschädlichkeit seines Verhaltens (Unrechtsbewußtsein) als Merkmale des Unrechts eingeordnet werden. Indem Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten auf diese Weise ganz unterschiedliche Strukturen zugesprochen werden, bleibt man letzlieh bei zwei Straftattheorien stehen: einer für das Vorsatzdelikt und einer für das Fahrlässigkeitsdelikt, und verfehlt einen alle Delikte umspannenden Straftatbegriff, wie er sich aus einer teleologischen Straftattheorie eigentlich ergeben müßte. d) Hegler, Mittasch

Die Arbeiten von Hegler68, "Die Merkmale des Verbrechens", und Mittasch, "Die Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens in der Strafrechtssystematik", betonen erstmals in aller Entschiedenheit teleologisches Vorgehen als Methode der systematischen Erfassung der Straftatmerkmale. Regler 67

68

Otto, AT S. 167. Hegler, ZStW 36 (1915) S. 19 ff, 184 ff.

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2. Teil: Kritik

schreibt schon 1915 in seiner Tübinger Antrittsvorlesung: "Ich möchte ausgehen vom dem - hier auf die Systematik, die Formung der Begriffe und die Gliederung des Ganzen angewendeten - Standpunkt einer teleologischen Rechtswissenschaft, daß die Sätze des Rechts, unseres Rechts, getragen sind von rationellen Ideen, Zweckgedanken, und daß die Aufsuchung und Herausarbeitung dieser Ideen uns erst das volle Verständnis eines Rechtsgebietes vermittelt und erst den Schlüssel verschafft zur Lösung all der vielen Fragen, die das Leben an das Recht und die Rechtswissenschaft stellt" und: "Die Absicht des Folgenden ist, ein teleologisches System des Strafrechts zu skizzieren"69. Mittasch stellt 1939 fest: "Nicht der allgemeinste Artbegriff, von dem alle besonderen Begriffe durch Hinzufügung spezifischer Merkmale abgeleitet werden, steht an der Spitze des teleologischen Systems, sondern das Ziel, der Wert, zu dem alle anderen Begriffe in Beziehung treten"70. Unrecht und Schuld sind innerhalb dieser Straftattheorien die wesentlichen Merkmale. Zwar gebraucht weder Hegler noch Mittasch den Ausdruch "Unrecht", Hegler spricht von "Gesellschaftsschädlichkeit"71 , Mittasch von "Rechtswidrigkeit" oder "materieller Rechtswidrigkeit"72, sachlich aber entsprechen diese Merkmale dem, was als wertwidriges Verhalten gesehen und als Unrecht bezeichnet wird. Das zeigt sich besonders deutlich bei Hegler, da er für besondere Umstände, die die Gesellschaftsschädlichkeit eines Verhaltens entfallen lassen, von "Unrechtsausschließungsgründen" spricht73. Gesellschaftsschädlich ist in der Straftattheorie Heglers ein Verhalten, das von der Rechtsordnung mißbilligt, mit einem Unwerturteil versehen ist74. Der Grund für die Mißbilligung eines Verhaltens wird in der Verletzung öffentlicher staatlicher "Interessen" gesehen, wobei diese Interessen ideell und nicht als Verletzung konkreter Objekte verstanden werden. Welches Verhalten gesellschaftsschädlich in diesem Sinne ist, ergebe sich aus den Deliktsbeschreibungen des Besonderen Teils. Hier werde zunächst immer ein äußeres Verhalten als Voraussetzung einer Straftat geschildert, wobei dieses äußere Verhalten in einem Handeln oder im Unterlassen einer erwarteten Handlung liegen könne. Bei einigen Delikten sei daneben eine" überschießende Innentendenz" vorausgesetzt. Dabei handle es sich "um sozusagen ins Subjektive verflüchtigte Momente des gesellschaftschädlichen, interesseverletzenden Verhaltens". Die überschießende Innentendenz finde sich z. B. beim Diebstahl als Absicht rechtswidriger Zueignung und beim Betrug als Vermögensvorteilsabsicht. Hegler, ZStW 36 (1915) S. 19 (29), Hervorhebung von Hegler. Mittasch, S. 134. n Hegler, ZStW 36 (1915) z. B. S. 19 (35). n Mittasch, S. 135. 73 Hegler, ZStW 36 (1915) z. B. S. 19 (36). 74 Hegler, ZStW 36 (1915) z. B. S. 19 (25)- Nachweise zum Folgenden S. 20 ff. 69

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A. Grundlagen der Kritik

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Bei den Unrechtsausschließungsgründen unterscheidet Hegler zum einen die Fälle, in denen schon Interessen nicht verletzt werden- hier wird u. a. der ärztliche Heileingriff eingeordnet- und zum anderen Fälle, in denen der Täter mit seinem Verhalten stärkere Interessen gewahrt hat. Die Schuld sieht Hegler normativ bestimmt als Vorwerfbarkeit des gesellschaftsschädigenden Verhaltens, "sie wird verlangt, weil die Anwendung des Strafübels als Übel sozialethisch nur gegenüber dem gerechtfertigt erscheint, dem aus seiner Tat ein Vorwurf gemacht werden kann". Dies sei nur möglich bei dem, "der voller Herr dieser seiner gesellschaftsschädlichen Tat gewesen ist"75. Vorsatz und Fahrlässigkeit werden als Merkmale der Schuld eingeordnet. Eine ähnliche Straftattheorie entwirft Mittasch, teilweise unter ausdrücklicher Berufung auf Hegler. "Hier wird das Verbrechen von dem Wert, dem Rechtsgut aus in erster Linie als materielle Rechtswidrigkeit verstanden". Als Merkmal der Rechtswidrigkeit spricht Mittasch allerdings nicht von Verhalten, sondern von "Handlung". "Zwar kann der Gesetzgeber an die Tatsache einer objektiven Wertwidrigkeit auch dann Rechtsfolgen anknüpfen, wenn sie sich nicht auf ein menschliches Handeln zurückführen läßt; so z. B. dann wenn für den Eintritt einer Naturkatastrophe ... Enteignungsmaßnahmen vorgesehen werden. Rechtswidrig können diese Zustände aber nicht genannt werden. Denn das Recht kann nur das verbieten wollen, was es verbieten kann" 76. Das innere teleologische System weise daher die Merkmale Rechtswidrigkeit-Handlung-Schuld auf (wobei aus didaktischen Gründen die Reihenfolge Rechtswidrigkeit-Handlung-Sehuld gerechtfertigt sei). Ebenso wie Hegler bestimmt Mittasch die Schuld normativ als Vorwerfbarkeit der rechtswidrigen Handlung77. Sieht man von der Frage nach den Voraussetzungen der Schuld einmal ab78, dann bereitet die Erfassung gesetzlich geschilderter Unterlassungsdelikte mit der Straftattheorie Heglers keine Schwierigkeiten: das äußere Verhalten des Täters liegt im Unterlassen der tatbestandlieh geschilderten Handlung; die gesetzliche Schilderung gibt an, welche öffentlichen staatlichen Interessen durch das Nicht-Handeln verletzt sind, und soweit keine Unrechtsausschließungsgründe vorliegen, ist damit die Gesellschaftsschädlichkeit (das Unrecht) gegeben. Geht es allerdings um ein Unterlassen, das nicht ausdrücklich im Gesetz geschildert ist, dann stellt sich das Problem, wie die Gesellschaftsschädlichkeit dieses Unterlassens ermittelt werden soll, denn es fehlt die gesetzliche Schilderung, die angibt, welches staatliche Interesse verletzt ist. Zwar könnten "Töten" und "Sterben lassen" unter dem Begriff "zurechen75

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Hegler, ZStW 36 (1915) S. 184 (186). Mittasch , S 135 . Mittasch, S. 144 ff. vgl. die Kritik am normativen Schuldbegriff oben, 2.A .III.3.c), S. 78.

6 Nitze

2. Teil: Kritik

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barer Todeserfolg" zusammengefaßt werden; beide Ausdrücke kennzeichnen auch gesellschaftsschädliches Verhalten. Aber die gesetzliche Schilderung als Ausgangspunkt der Straftattheorie Heglers weist eben nicht die Formulierung "Sterben lassen" oder "zurechenbarer Todeserfolg" auf, sondern ausschließlich die Handlungsbeschreibung des Tötens. Dieses Handeln kann nicht auch ein Unterlassen sein, zu Recht geht auch Hegler von der kontradiktorischen Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen aus79. Da sich die Gesellschaftsschädlichkeit aus dem Tatbestand des Besonderen Teils ergeben soll, dieser hier aber gerade fehlt , bleibt damit offen, woher das Handlungsgebot stammt, das den Täter zur Vornahme einer erwarteten Handlung verpflichtet. Das Bestehen einer hinter oder über den Strafnormen stehenden zweiten Rechtsordnung, die einen imperativen Charakter mit Geboten und Verboten trägt, lehnt Hegler ausdrücklich abso. Damit kann diese Straftattheorie Auslegungs-Unterlassungsdelikte im Grunde nicht erfassen (obwohl an der "Gesellschaftsschädlichkeit" dieser Delikte keine Zweifel bestehen). Hegler selbst trifft die Feststellung, daß "die Fälle der Begehung durch Unterlassung, z. B. Tötung des Kindes durch Nichternährung seitens der Mutter, bei welchen der Erfolgsbewirkung das Fehlen der Erfolgsabwendung, die man erwarten konnte, gleichgesetzt wird, ... eine Analogie (abgeben)"Sl. Mittasch beschränkt seine Straftautheorie von vornherein auf Handlungsdelikte, wenn er behauptet, die "strafrechtliche Rechtswidrigkeit muß sich notwendig als Handlung darstellen"82. Gerade bei den Unterlassungsdelikten ist es ein von jedem Handeln unabhängiges Ereignis, das die Gefahr "objektiver Rechtswidrigkeit", d. h. die Gefahr der Verletzung eines Rechtsgutsobjektes mit sich bringt, und der Täter wird in derartigen Fällen bestraft, gerade weil er eine Handlung nicht vorgenommen hat (nämlich eine Handlung, die die Gefahr beseitigt). Letztlich lassen also beide Theorien die für das Auslegungs-Unterlassen entscheidende Frage unbeantwortet: nämlich woraus die Wertwidrigkeit eines nicht im Gesetz ausdrücklich geschilderten Unterlassens herzuleiten ist. e) Schmidhäuser, Langer Der "sachliche Zusammenhang von Straftat und Strafe als Systemgedanke" einer teleologischen Straftatsystematik wird von Schmidhäuser ausdrücklich hervorgehoben; "jede sachfremde vorangehende Festlegung in der Systematisierungsmethode" und "jede sachfremde vorangehende Festlegung in der Hegler, ZStW 36 (1915) S. 19 (24 Fn. 11). so Hegler, ZStW 36 (1915) S. 19 (26). 81 Hegler, ZStW 36 (1915) S. 184 (210).

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82 Mittasch, S. 135.

A. Grundlagen der Kritik

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Methode der Begriffsbildung" zu vermeiden , sieht Schmidhäuser als Leitlinie der Straftattheorie83. Unrecht versteht Schmidhäuser als tatbestandlieh geschildertes, rechtsgutsverletzendes Willensverhalten. Mit Rechtsgut meint Schmidhäuser nicht etwa konkrete Objekte- wie z. B. die Sache, die einem Eigentümer gehört- sondern einen ideellen Achtungsanspruch, der von Leben, Leib, Vermögen, Eigentum und den anderen, in der gesellschaftlichen Rechtsordnung anerkannten Gütern ausgeht und der sich an den menschlichen Willen richtet, dies und jenes nicht zu tun, nämlich zu töten, verletzen, betrügen, stehlen usw. - oder, wenn der Achtungsanspruch es gebietet - etwas ganz Bestimmtes zu tun, nämlich als Eltern das Kind zu versorgen, bei Kenntniserlangung von einem geplanten Verbrechen Anzeige zu erstatten, dem Ertrinkenden einen Rettungring zuzuwerfen usw. 84. "Verhalten" umfaßt Handeln und Unterlassen, wobei das Unterlassen als kontradiktorischer Gegensatz zum Handeln betrachtet wird(- so daß es lediglich einer Theorie der Handlung bedarf, weil sich der Unterlassungsbegriff daraus ergibt). Als "wesentlich" für den Handlungsbegriff wird "der Zusammenhang von Wille und Tun" hervorgehobenss, auch mit der Bezeichnung der Handlungstheorie als "intentionale(r) Handlungslehre" wird dieser Zusammenhang kenntlich gemacht86. Handlung ist danach "zugleich tätiggewordener Wille und vom Willen gesteuerte Tätigkeit", es werden Innen- und Außenseite der Handlung unterschieden: "Auf der Innenseite der Handlung ist der Wille (als Intention des Handelns) in jenem Sinne gemeint, wie er als Grunderfahrung jedem Menschen tausendfältig vertraut ist: daß der Mensch sich in den ihm verfügbaren Begriffen Ziele setzen und willentlich auf die Erreichung dieser Ziele hin tätig werden kann,- daß er Zwecke verfolgt, indem er Mittel einsetzt. Der Wille bestimmt die Richtung des Handelns. In dieser seiner Besonderheit erfahren wir ihn alltäglich, wenn es uns darum geht, die Wirklichkeit durch unser Tätigwerden so zu gestalten, daß das Erstrebte eintritt"87 . "Wille" und "Wollen" unterscheidet Schmidhäuser ausdrücklich vom Begriff der Vorsätzlichkeit: "Dieser Wille steckt in jedem gewollten Tun, also in jeder Handlung; er findet sich insoweit gleichermaßen in jedem vorsätzlichen und fahrlässigen Handlungsdelikt und hat nichts zu tun mit dem Rechtsbegriff der Vorsätzlichkeit"88. Als Außenseite des Tuns wird die körperliche Bewegung angeführts9. Schmidhäuser, Studb. 4/2. Schmidhäuser, AT 6/4. ss Schmidhäuser, Studb. 5/5. 86 Schmidhäuser, Studb. 5/5. 87 Schmidhäuser, Studb. 5/6. 88 Schmidhäuser, Studb. 4/19. 89 Schmidhäuser, Studb. 5/9 f . 83

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2. Teil: Kritik

Für das Unterlassungsdelikt ergibt sich aus dieser Handlungstheorie: das Unrecht des Unterlassungsdeliktes ist durch das Fehlen gewollten Tuns gekennzeichnet; der Täter verletzt den von einem in der Gesellschaft aner· kannten Gut ausgehenden Achtungsanspruch dadurch, daß er "eine in der konkreten Situation gebotene Handlung nicht vornimmt", obwohl sie ihm möglich ist90. Neben dem materialen Gehalt rechtsgutsverletzenden Willensverhaltens setzt Schmidhäuser für das Unrecht als Form die tatbestandliehe Schilderung voraus, d. h. Unrecht, an das die Strafe als Rechtsfolge geknüpft sein kann, liegt ausschließlich dann vor, wenn das rechtsgutsverletzende Willensverhal· ten auch gesetzlich geschildert ist91. Materialer Gehalt und die Form der tatbestandliehen Schilderung werden ebenfalls für die Schuld vorausgesetzt, Schmidhäuser unterscheidet daher Unrechtstatbestand und Schuldtatbestand. "Im Schuldtatbestand wird die Rechtsschuld begründet. Hier kommt zum Unrecht ein neuer Unwert als unabdingbares Merkmal der Straftat hinzu"92. Schmidhäuser sieht hier, "wenn auch in Kurzfassung, das seelische Geschehen geschildert, aufgrund dessen wir den Täter dahin verstehen, daß er den im Unrecht verletzten Wert nicht ernst genommen habe und hierauf die Begehung der unrechten Tat beruhe"93, obwohl "der Täter als geistige Person an den Werten des Soziallebens teilhat". - "Nur dann ... ist die Strafe als Rechtsfolge sittlich überhaupt vertretbar, wenn der Täter ... nicht etwa zufällig ein Rechtsgut in seinem Willensverhal· ten verletzt hat, sondern wenn er sich subjektiv für das Unrecht verantwortlich fühlen kann"94. "Sich verantwortlich fühlen für ein eigenes Verhalten" drückt sich Schmidhäuser zufolge darin aus, daß der Täter sich entweder des Unrechts bewußt ist im Augenblick seines rechtsgutsverletzenden Verhaltens - dann liegt Vorsätzlichkeil vor - oder daß er sich des rechtsgutsverletzenden Verhaltens hätte bewußt werden können - dann liegt Fahrlässigkeit vor95. Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit werden also als allgemeine Schuldmerk· male gesehen. Unrecht und Schuld können jeweils bei Betrachtung eines über den Unrecht· bzw. Schuldtatbestand hinausgehenden Geschehensausschnitts aus· geschlossen sein - das Unrecht durch Rechtfertigungsgründe, die Schuld durch Entschuldigungsgründe%. Ein Handeln ist danach gerechtfertigt, wenn der Täter ein Rechtsgut verletzt, um ein anderes, höherrangiges Rechtsgut zu 90

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Schmidhäuser, Studb. 4/20. Schmidhäuser, Studb. 4/5. Schmidhäuser, Studb. 4/24. Schmidhäuser, Studb. 4/25. Schmidhäuser, Studb. 4/24. Schmidhäuser, Studb. 4/25. Schmidhäuser, Studb. 4/23 , 4/29.

A. Grundlagen der Kritik

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beachten- ein Unterlassen ist gerechtfertigt, wenn der Täter ein wenigstens gleichrangiges Rechtsgut beachtet: wenn nur die Beachtung eines einzigen von mehreren Achtungsansprüchen in der konkreten Situation möglich ist, wird ein gleichrangiger anderer Achtungsanspruch erlaubterweise verletzt (wenn also ein Vater nur einen von zwei ertrinkenden Zwillingen retten kann, ist das Nichtretten des zweiten gerechtfertigt)97. Worin der innere Zusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung als dem materialen Gehalt jeder Straftat und der gesetzlichen Schilderung als der Form jeder Straftat zu erblicken ist, beantwortet die allgemeine Rechtstheorie Schmidhäusers. Danach umfaßt der Begriff der Rechtsordnung zwei Seiten: die "gesellschaftliche Rechtsordnung" und die "staatliche Rechtsordnung"98. "Rechtsordnung" wird beschrieben als "die das Zusammenleben im Gemeinwesen grundlegend regelnden Vorstellungen", wobei als gesellschaftliche Rechtsordnung die "in der Gesellschaft lebendige Grundordnung des Zusammenlebens" verstanden wird; sie besteht Schmidhäuser zufolge vor allem aus dem, "was wir heute gemeinhin unter der Bezeichnung sozialethischer Grundlagen des Gemeinschaftslebens kennen". Die sozialethischen Grundlagen sieht Schmidhäuser in den Werten, die sich für ein geordnetes Zusammenleben als unentbehrlich erwiesen haben, die unmittelbar einsichtig sind und "relativ allgemeingültig", sich an jedermann wenden und deren Achtungsanspruch von jedermann erfüllbar ist99. Für die Geltung dieser Werte verweist Schmidhäuser auf die Worte des Philosophen Theodor Litt, daß "gewisse sittliche Forderungen in überraschender Gleichförmigkeit bei den verschiedensten Völkern und in weit auseinanderliegenden Zeitläuften auftreten", ... "daß, wo immer Menschen ein dem Naturzustand überlegenes Leben aufzubauen und zu erhalten bemüht sind, ein gewisser Grundstock von elementaren Forderungen sich wie von selbst Achtung verschafft"IOO. Als staatliche Rechtsordnung versteht Schmidhäuser die (weitgehend) staatlich gesetzten Rechtssätze, "wie sie von Gerichten und anderen Staatsorganen praktiziert werden"IOI ; "sie sind", so stellt Schmidhäuser fest, "vor allem an die staatlichen Organe gerichtete Imperative"I02. Sie enthalten als Strafnormen z. B. den Befehl an den Strafrichter, den Täter für Mord, Diebstahl usw. zu bestrafen. Daher stellen sich die Voraussetzungen der Staftatbestände als Voraussetzungen für das in der Rechtsfolge vorzunehmende Handeln der staatlichen Organe dar (nämlich Strafe zu verhängen und zu vollziehen, wenn die Voraussetzungen vorliegen). Schmidhäuser, Studb. 12/62. Schmidhäuser, Rechtsordnungen , S. 12. 99 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 165. 100 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 164, zitiert nach Litt, S. 291; vgl. 2. Aufl. 1949, S. 236 f. 101 Schmidhäuser, Rechtsordnungen S. 12. 102 Schmidhäuser, Rechtsordnungen S. 13. 97

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2. Teil: Kritik

Eine Straftat liegt dann vor, wenn beide Seiten der Rechtsordnung durch ein Verhalten des Täters betroffen sind: wenn der Täter gegen die sozialethischen Pflichten der gesellschaftlichen Rechtsordnung verstoßen hat und dieser Verstoß zugeich als Voraussetzung für das Reagieren der Rechtspflegeorgane im Rahmen der gesetzlichen Rechtsordnung geschildert ist. Mit dem Nebeneinander von Gehalt und Form als Voraussetzung beachtet diese Theorie den Gesetzlichkeitsgrundsatz, daneben aber auch den materialen Gehalt jeder Straftat. Damit läßt sich auch der ärztliche Heileingriff sachgerecht erfassen; Schmidhäuser spricht in Fällen, in denen das Verhalten zwar der Form, nicht aber dem materialen Gehalt entspricht, von "scheinbarer Rechtsgutsverletzung"to3. Mit dieser Straftattheorie wird Schmidhäuser seinem Anspruch, "jede sachfremde vorangehende Festlegung in der Systematisierungsmethode ... und der Begriffsbildung" zu vermeiden, gerecht: Die Abkehr von der klassifikatorischen Systematik und die unmittelbare Erfassung der Straftat in ihrer Wertwidrigkeit erlauben es, Handeln und Unterlassen ihrer kontradiktorischen Gegensätzlichkeit entsprechend sachgerecht innerhalb des Unrechtsbegriffs einzuordnen - die Handlung als Merkmal des Handlungsdelikts einerseits und das Unterlassen als Merkmal des Unterlassungsdeliktes andererseits. Die Begriffsmerkmale der Straftat orientieren sich ausschließlich an der Frage, welche allgemeinen Voraussetzungen für das staatliche Strafen erforderlich sind. Das zeigt sich in der Straftattheorie Schmidhäusers vor allem in der Handlungstheorie, die mit dem Merkmal der Intentionalität moderne psychologische und sprachwissenschaftliche Erkenntnisse nutzt, sowie im teleologisch entwickelten Begriff der Vorsätzlichkeit (dessen Verschiedenheit gegenüber dem umgangssprachlichen Verständnis von "Vorsatz" in der abweichenden Bezeichnung deutlich gemacht wird104). Indem Handeln und Unterlassen als Merkmale des Unrechts, Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit dagegen als darauf bezogene Schuldstufen gesehen werden, gelangt Schmidhäuser zu einer in sich geschlossenen, widerspruchsfreien allgemeinen Theorie der Straftat. Kritik ist im Hinblick auf zwei Einzelfragen zu üben. Der erste Kritikpunkt betrifft die Aussage, es könne auch eine Intentionalität der Unterlassung geben105, der zweite betrifft die Gleichsetzung von Entschluß und Wille106. Wenn mit der Intentionalität der Handlung die "Erfassung des Ziels"107 oder die "Zielgerichtetheit des als Handlung bezeichneten Verhaltens"lOs Schmidhäuser, Studb. 5/105. Schmidhäuser, Studb. 7/36 ff. 105 Schmidhäuser, Studb. 12/15, 13/26. 106 Schmidhäuser, Studb. 517. un Schmidhäuser, Studb. 5/8. 10s Schmidhäuser, Studb. 5/13.

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A. Grundlagen der Kritik

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gemeint ist, dann kann sich die Intentionalität allein auf das Handeln beziehen: verwirklicht sich der Wille erst im Tun und beschreibt die Intentionalität ein Merkmal oder eine Eigenschaft des Tuns - nämlich dessen Zielgerichtetheit -,dann ist es ein anderer Begriff der Intentionalität, wenn sie beim Unterlassen auch ohne Tun und ohne Wille möglich sein soll. Eine Eigenschaft des Tuns läßt sich ohne das Tun als Bezugspunkt nicht vorstellen. In diesem Sinne ist der Begriff der Intentionalität enger als der Absichtsbegriff. "Absicht" umfaßt einmal die Intentionalität des Handelns, daneben aber auch die bloße Motivation, ein gewünschtes Ziel zu erreichen, wobei nicht notwendig um des Ziels willen gehandelt wird109. Ein Handlungsentschluß ist im Gegensatz zur Intentionalität unabhängig von jedem Wollen und Tun vorstellbar- faßt etwa jemand auf dem Weg zur Arbeit den Entschluß, dem Freund zum Geburtstag zu gratulieren, kann dieser Entschluß zunächst unerkennbar gefaßt werden, während der Jemand seinen Weg wie ursprünglich vorgesehen fortsetzt, oder auch durch entsprechendes Wollen auf der Stelle in die Tat umgesetzt werden, z. B. durch den Kauf einer Postkarte, deren Beschriften und Absenden. Ein Entschluß tritt also nicht notwendig in Erscheinung, der Wille dagegen äußert sich immer in einem Tun. Der Entschluß kann auch geändert werden (der Jemand also vom Glückwunsch wieder absehen)- der Wille dagegen, der sich im Tun einmal verwirklicht hat, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Ein Entschluß ist somit auch bei einem Unterlassen möglich, ein Wille bei Unterlassungen ausgeschlossen. Die Intentionalität kann aufgrund des Zusammenhangs von Wille und Tun allein ein Merkmal der Handlung sein. Bei dieser Kritik handelt es sich allerdings um eine Frage, die für die Erfassung des Unterlassungsdeliktes keine Änderung bedeutet, sondern lediglich der begrifflichen Klarstellung dient, denn ein Entschluß oder eine Intention werden für das Unterlassen ja gerade nicht voraussetzt. Was daher die Straftattheorie Schmidhäusers im übrigen betrifft, ist festzustellen, daß sich hier eine Straftattheorie findet, die den von Rickert erkenntnistheoretisch beschriebenen Weg einer kulturwissenschaftlich-teleologischen Systematik konsequent auch in der praktischen Anwendung geht. Langer folgt weitgehend der Straftattheorie Schmidhäusers. Neben Unrecht und Schuld setzt Langer die "Strafwürdigkeit" zusätzlich als "Sachelement der Straftat" voraus11°. Im Hinblick auf Handeln und Unterlassen ergibt sich daraus gegenüber der Straftattheorie Schmidhäusers aber kein Unterschied. vgl. dazu näher unten, 5.B.II. Langer, Sonderverbrechen, S. 276 ff; in Bezug auf die Begründung des Unrechts im Unrechtstatbestand und den Unrechtsausschluß durch Rechtfertigung vgl. auch die Auffassung von Zippelius, S. 19 ff, 45 ff. 109 110

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2. Teil: Kritik

IV. Zusammenfassung

Eine klassifikatorische Systematik der Straftatmerkmale ist nicht geeignet, Unterlassungsdelikte sachgerecht zu erfassen. Da der Oberbegriff einer klassifikatorischen Systematik notwendig wertfrei sein muß, weil die Wertungen erst durch klassifizierende Artmerkmale erfolgen, ein Unterlassen aber lediglich wertend bestimmt werden kann, indem die Handlung angegeben wird, die der Täter hätte vornehmen sollen, gelingt es nicht, Handeln und Unterlassen in einem gemeinsamen Oberbegriff zusammenzufassen. Erst wenn die Straftat teleologisch bestimmt wird, ist es möglich, das Wertwidrige eines Verhaltens als Merkmal jeder Straftat, sowohl Handlungs- als auch Unterlassungsdelikt, zu erkennen. Als Voraussetzungen jeder Straftat ergeben sich für eine teleologische Straftattheorie Unrecht und Schuld. Unrecht bezeichnet tatbestandlieh geschildertes, rechtsgutsverletzendes Willensverhalten. Handlung ist die vom Willen gesteuerte körperliche Bewegung; Wille bedeutet, zur Erreichung eines Zieles handelnd tätig zu werden. Beim Handlungsdelikt besteht das rechtsgutsverletzende Willensverhalten darin, daß der Täter handelt, wie er nicht hätte handeln dürfen, beim Unterlassungsdelikt, daß der Täter nicht so handelt, wie er hätte handeln sollen. Die Schuld bezeichnet rechtsgutsverletzendes geistiges Verhalten, d. h. der Täter nimmt in seinem geistigen Erleben die Werte nicht ernst, die gebieten und verbieten, indem er diese Werte bewußt mißachtet (Vorsätzlichkeit) oderunbewußt übergeht, sich dessen aber hätte bewußt werden können (Fahrlässigkeit). Auf der Grundlage dieser von Schmidhäuser begründeten teleologischen Straftattheorie hat die Kritik an den Theorien zur Entsprechensklausel zu erlogen. B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel I. Kritik der Theorien der Modalitätenäquivalenz 1. AUgemeine Kritik

Die Theorien der Modalitätenäquivalenz sind auf dem Boden der klassifikatorischen Straftattheorien gewachsen; ihnen liegt die Vorstellung zugrunde, auch die Unterlassung sei eine Form der Handlung (oder des "menschlichen Verhaltens")- ganz so wie Liszt es als Leitgedanken formuliert hatte: "Unterlassen ist Pflichttätigkeit mit Rücksicht auf ein ganz bestimmtes erwartetes Thun; nicht ein Nicht-Handeln, sondern ein Andershandeln ... Damit ist der Charakter der Unterlassung als positiver Handlung, die wie alle anderen kausal sein können, nachgewiesen"!, "Das Verbrechen ist als Handlung im weiteI

Liszt, 2. Auf!. S. 79 f.

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

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ren Sinne entweder Thun (Handlung im engeren Sinne) oder Unterlassen. Auch die Unterlassung ... kann nur Handlung sein"2. Im Prinzip kommt daher jedes Handlungsdelikt auch als Unterlassungsdelikt in Betracht, grundsätzlich ist die Gleichstellbarkeit von Handeln und Unterlassen immer möglich. Unter dieser Prämisse erhebt sich sogleich die Frage, wann die grundsätzlich mögliche Gleichstellung im Einzelfall tatsächlich gegeben ist und wann sie verneint werden muß, und nach welchen Kriterien sich die Frage entscheiden läßt. Man glaubt, mit der Entsprechensklausel die Antwort gefunden zu haben. Aber diese Antwort verdrängt das Problem zunächst nur auf das Stichwort "Gleichstellungs-" oder "Entsprechensklausel" - hier gilt es dann, für Handlungsmodalitäten nach einer Entsprechung im Unterlassen zu suchen und so kommt man schließlich dahin zu fordern , der "Nichthinderung des Erfolges das gleiche Gewicht und die gleiche Färbung zu geben, wie dem im Tatbestand beschriebenen positiven Verhalten"3. Geht man umgekehrt stattdessen von der sich ausschließenden Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen aus, dann macht es keinen Sinn, nach einer Entsprechung der Handlungsmodalitäten beim Unterlassen zu fragen "das gleiche Gewicht und die gleiche Färbung" wie beim positiven Verhalten kann es beim Unterlassen nicht geben. Es zeigt sich damit der verfehlte Gleichstellungsgedanke deutlich als maßgeblicher Geburtshelfer der Entsprechensklausel. Die Prämisse einer grundsätzlichen Gleichstellbarkeit von Handeln und Unterlassen wird auch darin sichtbar, daß etwa in Kommentaren angeführt wird, für welche Tatbestände eine Gleichstellung "von vornherein ausgeschlossen" ist, statt zunächst positiv die allgemeinen Voraussetzungen einer Gleichstellbarkeit anzugeben4 • Deutlicher noch tritt diese Prämisse in der Aussage zutage, auch Tätigkeitsdelikte seien als Unterlassungsdelikte begehbar5. Aber ebensowenig, wie je eine Fiktion Realität zu werden vermag, ebensowenig, wie je das Unterlassen einer Handlung zugleich auch die Vornahme dieser Handlung sein wird - ebensowenig lassen sich Kriterien für eine Entsprechung von Handeln und Unterlassen finden . Eine Fiktion als Prämissedie Annahme nämlich, das Unterlassen sei eine Form der Handlung- ist nicht geeignet, um die Voraussetzungen der nicht im Gesetz ausdrücklich geregelten Unterlassungsdelikte zu bestimmen. Das unlösbare Problem der wertfrei ansetzenden, klassifikatorischen Straftattheorien, Unterlassungsdelikte sachLiszt, 2. Aufl. S. 80 f. Gallas, Niederschr. Bd. 12 S. 478 f. 4 LK/Jescheck, § 13 Rz. 1; LK/Heimann-Trosien!Wolff, Einl. Rz 161 f; SK/Rudolphi, § 13 Rz. 14. s Baumann/Weber, S. 236; Sch/Sch/Stree, § 13 Rz 160; vgl. Jakobs, AT 29/79; Lackner, § 13 Bem. 3; Metzen, Diss. Köln 1977, S. 115. 2

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2. Teil: Kritik

gerecht und widerspruchsfrei in einem Gesamtsystem zu erfassen, schlägt sich auch in den Modalitätenäquivalenztheorien nieder. Die Verweisung des Problems der Gleichstellung in den Besonderen Teil, der Streit, ob die Entsprechensklausel immer oder nur bei Tatbeständen mit besonderen Handlungsmodalitäten zu prüfen sei, der wenig hilfreiche Hinweis auf "das jeweils vorherrschende, weltanschauliche, politische, im allgemeinen soziale Klima"6 als Kriterium der Entsprechung - das alles bezeugt die Unsicherheit, mit der die Frage der Entsprechung beurteilt wird. Aus der verfehlten Gleichstellung von Handeln und Unterlassen kann eine sichere Erfassung der Unterlassungsdelikte nicht gelingen. Aus der verfehlten Prämisse erklärt sich auch die paradoxe Doppelverwendbarkeit der Entsprechensklausel; sie läßt sich nämlich in zweifachem Sinne verstehen: zum einen kann sie als ein Mittel zur Ausweitung der Strafbarkeit aufgefaßt werden, zum anderen aber auch als Mittel zur Beschränkung einer zu weitgehenden Strafbarkeit. Wird der Begriff "Erfolg" in§ 13 StGB eng ausgelegt i. S. einer Verletzung oder Gefährdung, dann erscheint die "Entsprechung" notwendig, um den besonderen Handlungsmerkmalen im Fall des Begehens durch Unterlassen Rechnung tragen zu können7, denn die "eigentliche Ausprägung der Tathandlung beim Begehen durch ein strafbares Tun geht beim Begehen durch Unterlassen verloren", wie der E 1962 ganz richtig feststelltS. Mit der Entsprechung soll dieser Mangel überwunden werden: "Setzt der Tatbestand bestimmte unrechtsbeeinflussende Handlungsmerkmale voraus, die durch eine Unterlassungstat nicht sichtbar werden können, so kann dies durch die größere Pflichtenbindung des Garanten oder auch sonst durch andere Umstände aufgewogen werden, die den Grad des Unrechts erhöhen"9. Wird andererseits der Begriff "Erfolg" weit ausgelegt und als das "tatbestandsmäßige Ereignis" aufgefaßt, "das eine Strafbestimmung für die Vollendung einer Straftat voraussetzt"lO, dann begrenzt die Entsprechensklausel eine zu weitgehende Strafbarkeit, indem sie als zusätzliches einengendes Merkmal (Schöne spricht von "Filter"ll) die Entsprechung verlangt12. Auch wenn die Garantenpflicht weit ausgelegt wird -dies gilt insbesondere für die Garantenpflicht aus Vorverhalten13- wird in der Entsprechensklausel eine "Korrekturmöglichkeit" gesehen, um die Strafbarkeit angemessen zu begrenzen14. Androulakis, S. 223. vgl. E 1962, S. 125; so auch E 1960, S. 118. s E 1962, S. 125; vgl. E 1960, S. 118. 9 E 1962, S. 125; vgl. E 1960, S. 118. 10 Sch/Sch/Stree, § 13 Rz. 3; vgl.; Grünwald, ZStW 70 (1958) S. 412 ( 413 Fn. 6); ders., Diss. Göttingen 1956, S. 19; Schöne, S. 326; OLG Karlsruhe MDR 1975, S. 771. II Schöne, S. 339. 12 vgl. Gallas, Niederschr. Bd. 12 S. 479; Baldus, Niederschr. Bd. 12, S. 99. 13 s. dazu Brammsen, S. 284 ff; Pfleiderer, S. 81; Rudolphi, 119 ff. 6

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B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

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Beide Anwendungen sind eine Folge der verfehlten Gleichstellung von Handeln und Unterlassen, beide sind abzulehnen: Eine größere Pflichtenbindung des Garanten oder "andere Umstände" können eine tatbestandliehe Voraussetzung nicht "aufwiegen". Ein derartiges Vorgehen widerspricht dem Gesetzlichkeitsgrundsatz, weil damit auf ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes für das Unterlassen verzichtet wird15. Die Vorstellung grundsätzlicher Gleichstellbarkeit von Handeln und Unterlassen trägt dazu bei, diesen Sachverhalt zu verdecken. Wenn andererseits eine "Korrekturmöglichkeit" notwendig erscheint, um zu sachgerechten Ergebnissen in der Unterlassungsstrafbarkeit zu gelangen, dann wird damit zugestanden, daß mit der grundsätzlichen Gleichstellung von Handeln und Unterlassen eine sachgerechte Erfassung der Unterlassungsdelikte nicht zu erreichen ist. Die Beliebigkeit, mit der sich die Entsprechensklausel durch die Modalitätenäquivalenztheorien verwenden läßt, bestätigt die Bedenken, die gegen die Entsprechensklausel geltend gemacht werden. Selbst unter den Verfechtern dieser Theorien ist anerkannt, daß ein "gewisses Maß an ,Unbestimmtheit' mit der Entsprechensklausel in unvermeidbarer Weise verbunden ist"16. 2. Einzelkritik

Zu den verschiedenen Ausformungen der Modalitätenäquivalenztheorien ist ergänzend anzumerken: a) Gesamtbewertung des Einzelfalls

Die Theorie der Gesamtbewertung ist ein Beispiel für das Bemühen, eine umstrittene Rechtsprechung legislatorisch abzusichern. Das im E 1962 dargelegte Beispiel der Mutter, die gegen den außerehelichen Geschlechtsverkehr des erwachsenen Sohnes nicht einschreitet, geht zurück auf die Entscheidung des BGH Bd. 6, S. 46 ff von 1954: hier hat der BGH entgegen der Rechtsprechung des Reichsgerichts!? die Mutter in einem ähnlichen Fall freigesprochen. Statt allerdings als Begründung die Unmöglichkeit einer Gleichstellung von "Fördern der Unzucht" und "Unterlassen der Abwendung von Gelegenheit" anzuerkennen!&- wie dies infolge einer fortschreitenden Liberalisierung sexueller Anschauungen immer deutlicher wurde - beharrt der BGH auf der grundsätzlich möglichen Gleichstellbarkeit und ist damit genötigt, die ZumutGallas, Niederschr. Bd. 12, S. 479 Fn. 5. so auch Nickel, S. 94 f. 16 LK/Jescheck, § 13 Rz. 5; vgl. Stratenwerth, AT Rz 1035, Sch/Sch/Stree, § 13 Rz. 6; Androulakis hält die Frage, wann der unterlassende Garant strafwürdig ist, für "nicht auf der ganzen Linie absolut beantwortbar", S. 220. 17 vgl. RGSt 8, 172 f; RGSt 71 , 13 (14). 1s vgl. dazu unten 5.G. 14

15

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2. Teil: Kritik

barkeit zum Unrechtsausschluß heranzuziehen, um so dann doch noch zur Ungleichwertigkeit zu gelangen: "Ein bloßes Unterlassen oder Dulden ist nur dann als Fördern der Unzucht anzusehen, wenn für den Täter neben der Rechtspflicht zum Einschreiten auch die tatsächliche Möglichkeit gegeben ist, durch geeignete Maßnahmen dem gegen die geschlechtliche Zucht verstoßenden Tun Einhalt zu gebieten, und wenn ihm die hierfür geeigneten Maßnahmen nach Lage der Dinge auch rechtlich zuzumuten sind", "Das gerechte Ergebnis im Einzelfall wird ... vor allem erst durch die Prüfung der Zumutbarkeit gewährleistet"l9. Dem entspricht die Vorstellung der Theorie der Gesamtbewertung des Einzelfalls, daß alle Umstände des Einzelfalls vom Richter bei der Entsprechensprüfung zu berücksichtigen seien. Obwohl diese Theorie in der Literatur überwiegend als "Gefühlsrechtsprechung" abgelehnt wird20, hält man in der Rechtsprechung21 und vereinzelt auch im Schrifttum (z. B. wenn es heißt, auch "Zumutbarkeitserwägungen (könnten) eine Rolle spielen"22) an der Theorie der Gesamtbewertung des Einzelfalles fest. Der Theorie der Gesamtbewertung wird in der Literatur über die Kritik der Gefühlsrechtsprechung hinaus vorgehalten, daß sie den Unterschied zwischen Unrecht und Schuld außer Acht lasse23. Die Zumutbarkeit wird nämlich weithin als ein Merkmal der Schuld gesehen und zwar in ihrer negativen Seite als Entschuldigungsgrund: die Unzumutbarkeit schließe die Schuld des Täters aus24. Ein Verstoß gegen eine Norm des sozialen Zusammenlebens könne dem Menschen dann nicht als verschuldet zugerechnet werden, wenn eine besondere Notsituation die Erfüllung der Rechtsgebote unzumutbar mache. Diese Kritik sebst aber geht von zweifelhaften Voraussetzungen aus, wenn sie die Zumutbarkeit als Schuldmerkmal der Handlungsdelikte sieht. Zu kritisieren ist an dieser Auffassung, daß sie den Anschein erweckt, als ließen sich die Forderungen der Rechtsordnung - deren Verletzung das Unrecht ausmacht - bei der Schuld wieder einschränken. Das ist nicht zutreffend, denn auch dort, wo eine Beachtung der Rechtsordnung als "unzumutbar" im Sinne des Rechtsgehorsams angesehen wird, entfallen nicht etwa die Gebote der Rechtsordnung, sondern es erscheint in solchen Fällen die Bestrafung des Täters nicht zumutbar. Das wird z. B. an dem Fall deutlich, in dem zwei BGHSt 6, 46 (47); BGH NJW 1964, S. 732. vgl. statt vieler: Roxin, Einf. StrR. S. 61; ders., JuS 1973 S. 193 ff; Nickel, S. 95; Gallas, ZStW 80 (1968) S. 1 (20). 21 OLG Karlsruhe MDR 1975, S. 771 = GA 1975, S. 338; OLG Köln NJW 1973 S. 861 (862); BGH NStZ 1984, S. 164. 22 Dreherrfröndle, § 13 Rz 17; vgl. Dallinger, MDR 1968 S. 6 i.V.m Fn 8; Woesner, NJW 1975, S. 201. 23 Peters, JZ 1966, S. 457 f. 24 vgl. z. B. Baumann!Weber, S. 453; Jescheck, S. 409; Lackner, vor § 13 Bem. III.4.c). 19

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B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

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Schiffbrüchige um die einzige lebensrettende Planke kämpfen: hier entfällt nicht etwa die Geltung der Rechtsordnung zugunsten des Rechts des Stärkeren oder Schnelleren. Die Rechtsordnung verlangt auch hier die Beachtung des Achtungsanspruches, der vom Leben des jeweils anderen ausgeht. Allerdings erscheint die Tötung des anderen aufgrund der Notsituation doch immerhin so verständlich - die moralische Schuld so verringert -, daß in solchem Fall die rechtliche Schuld ausgeschlossen ist und eine Bestrafung damit entfällt2S. Nicht die Zumutbarkeit, sondern die verringerte moralische Schuld schließt also die rechtliche Schuld aus. Der Begriff der Zumutbarkeit hat jedoch als Rechtfertigungsgrund beim Unterlassen dort seine Berechtigung, wo es um die Kollision fremder Güter mit eigenen Gütern des (Unterlassungs-)Täters geht: kann der Täter einem Handlungsgebot nur dann entsprechen, wenn er eigene, wenigstens gleichrangige Güter gefährdet, dann ist diese Gefährdung eigener Güter dem Täter nicht zuzumuten und das Unterlassen gerechtfertigt. Ist zum Beispiel jemand im Eis eingebrochen und könnte ein Passant nur unter größter Lebensgefahr den Eingebrochenen retten, dann ist der Einsatz des eigenen Lebens zur Rettung des anderen dem Passanten nicht zuzumuten. Das Unterlassen der Rettung ist in solchem Fall gerechtfertigt26. Zu Recht wird also von der Theorie der Gesamtbewertung des Einzelfalls die Zumutbarkeit als Problem des Unrechts beim Unterlassen angesehen27 . Da man von der prinzipiellen Gleichstellbarkeit von Handeln und Unterlassen ausgeht, ist es allerdings- wie in der Literatur festgestellt wird28- systematisch widersprüchlich, wenn man ein Merkmal, das man beim Handlungsdelikt zunächst als Schuldmerkmal eingestuft hat, beim Unterlassungsdelikt dann zum Unrechtsmerkmal umwandelt. b) Strenge Modalitätenäquivalenztheorie

Für die strenge Modalitätenäquivalenztheorie ist festzustellen, daß die von Welp vorgeschlagene Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsmodalitäten29 nicht angebracht ist: zwischen einem Erfolg ( d. h. einem von menschlichem Handeln unabhängig vorstellbaren Ereignis30) und den von Welp bezeichneten Erfolgsmodalitäten besteht kein Unterschied. Das von Welp angesprochene Problem der Dauerhaftigkeit eines Erfolges betrifft vielmehr vgl. Schmidhäuser, AT 16/84, dort auch das Beispiel, ferner Studb. 12n0 ff. vgl. Schmidhäuser, Studb. 8/9, dort auch das Beispiel; in diesem Sinne auch Hardwig, ZurechnungS. 200; Küper, S. 90 ff. 27 OLG Karlsruhe MDR 1975, S. 771 = GA 1975, S. 338; BGH NStZ 1984, S. 164 m.w.N. 28 Peters, JZ 1966, S. 457 f. 29 oben l.B.I.3. 30 vgl. oben l.A.II.2. 25 26

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2. Teil: Kritik

die Abgrenzung von Gefahrenlage und Realisierung der Gefahr im Erfolg. Diese Abgrenzung ist durch eine teleologische Auslegung der jeweiligen Norm zu gewinnen: hier ist zu prüfen, ob der Achtungsanspruch, der vom jeweils betroffenen Rechtsgutsobjekt ausgeht, so bedeutsam ist, daß der Achtungsanspruch vom Täter verlangt, die Fortdauer eines Zustandes abzuwenden (vom Hausmeister einer Schule etwa, die Einschließung eines Schülers zu beenden, vom Passanten, für den Verletzten einen Arzt zu rufen). Dann ist trotz schon bestehender Beeinträchtigung des Rechtsgutsobjektes (Einsperrung, Verletzung) eine Gefahrenlage mit dem Andauern der Beeinträchtigung gegeben, der Garant ist verpflichtet, die fortdauernde Beeinträchtigung abzuwenden. Im Beispiel der Personenstandsfälschung setzt der Unrechtstatbestand einen Erfolg nicht voraus, sondern lediglich die Handlungsweisen: "ein Kind unterschieben" sowie "den Personenstand eines anderen falsch angeben oder unterdrücken". Eine falsche Registereintragung als Erfolg ist nicht vorausgesetzt, so daß ein Unterlassungsdelikt aus diesem Grunde nicht in Betracht kommt. c) Theorie der Doppelfunktion der Entsprechensklausel Für die Theorie der Doppelfunktion der Entsprechensklausel regelt die Entsprechensklausel zum einen die Modalitätenäquivalenz - insoweit gilt die oben genannte, allgemeine Kritik auch hier-, zum anderen soll die Entsprechensklausel eine Korrekturmöglichkeit für das Merkmal "Garantenpflicht" liefern3t. Warum aber soll die Entsprechensklausel die Funktion einer Korrekturmöglichkeit für die Garantenstellung übernehmen? Wenn ein "weiter Zuschnitt der Garantenpflichten"32 eine Korrektur erforderlich macht, dann erscheint es etwas gesucht, die Entsprechensklausel als Mittel der Korrektur zu empfehlen. Müßte man nicht vielmehr die Garantenpflichtlehre so formulieren, daß ein zu weiter Zuschnitt von vornherein ausgeschlossen ist? Die Frage führt in die Auseinandersetzung zwischen Rechtsquellentheorie und Funktionentheorie. Die Rechtsquellentheorie teilt die Garantenstellungen nach ihrer Herkunft in mehrere Gruppen ein, nämlich in Garantenstellungen aus Gesetz, Vertrag und vorangegangenem Tun33; teilweise werden weitere Gruppen hinzugefügt, z. B. Garantenstellung aus enger Gemeinschaft34 oder aus Gefahrschaffung35, 31

32 33 34

35

vgl. oben l.B .I.4. Blei, S. 331. ausführlich Böhm, Diss. Frankfurt/Main 1957 S. 53 ff m.w.N. BGHSt 19,167 (168); Arzt, JA 1980, S. 648; Baumann/Weber , S. 246 ff. Arzt, JA 1980, S. 648.

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

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oder aus freiwilliger Übernahme36, zum Teil wird die freiwillige Übernahme auch anstelle der Gruppe "Vertrag" angeführt, zum Teil wird stattdessen auch die Gruppe "tatsächliches Verhalten" genannt37 • Aus der allgemeinen Fürsorgepflicht der Eltern gern. §§ 1626, 1705 BGB wird z. B. die Garantenpflicht gegenüber den Kindern abgeleitet. Für die Krankenschwester folgt die Garantenstellung aus Vertrag bzw. freiwilliger Übernahme oder tatsächlichem Verhalten. Die Funktionentheorie unterscheidet Garantenstellungen zunächst nach Obhutsgarantie und Sicherungsgarantie38. Die Obhutsgarantie entspringt einer Fürsorgepflicht für Personen oder Objekte, der Garant hat Gefahren vom Opfer abzuwenden; die Sicherungsgarantie verpflichtet den Garanten, eine Gefahrenquelle so abzusichern, daß beliebige Personen oder Objekte nicht gefährdet werden. Sodann wird bei Obhuts- und Sicherungsgarantie jeweils danach unterschieden, ob eine ursprüngliche oder eine übernommene Garantie gegeben ist38a. Eine ursprüngliche Obhutsgarantie obliegt z. B. der Mutter gegenüber dem Kind; übernommen ist die Garantie einer Kinderschwester, die auf das Kind aufpaßt. Eine Garantenstellung aus ursprünglicher Sicherungsgarantie trifft z. B. den Halter eines bissigen Hundes; der Halter muß hier Dritte vor den Gefahren sichern, die vom Hund ausgehen. Übernommen ist eine Sicherungspflicht, wenn z. B. der bissige Hund einem anderen vorübergehend überlassen wird. Die Rechtsquellenlehre versucht einem höheren Anspruch gerecht zu werden als die Funktionenlehre. Während die Funktionenlehre die Garantenpflichten als bestehend voraussetzt und sie nach ihrem Inhalt einteilt, ist es das Anliegen der Rechtsquellentheorie, die Garantenpflichten inhaltlich zu bestimmen, um sie rechtsquellenmäßig zu legitimieren39. Baumann/Weber bemängeln dementsprechend an der Funktionentheorie, daß sie im Gegensatz zur Rechtsquellentheorie nicht geeignet sei, "die von § 13 geforderte Feststellung einer eindeutigen Rechtsgrundlage für die Erfolgsabwendungspflicht zu ersetzen"40. Auch Blei hält die Funktionentheorie für wenig glücklich, weil es bei der Garantenpflichttheorie "gerade darum (gehe), die Grundlage der Verantwortung und die Grenzen des eigenen Zuständigkeitsbereichs zu bestimmen". Nähere Untersuchung dürfe durchweg zeigen, daß es gesetzliche Arzt, JA 1980, S. 648; Blei, S. 320. Dreherffröndle, § 13 Rz. 5; Böhm, Diss. Frankfurt/Main 1957 S. 74 ff. 38 vgl. u. a. Haft, ~.. 170; Schmidhäuser, Studb. 12/18; Brammsen, S. 134 ff SP.richt von Beschützer- und Uberwachergarant; Herzberg, S. 315 fvon Beschützer- und Uberwachungsgarant; ähnlich die Terminologie bei Otto, AT S. 130; BGH NJW 1981 , s. 182. 3Ba diese Unterscheidung allein bei Schmidhäuser, Studb. 12118 ff. 39 Henkel, MSchrKrim 1961, S. 178 (185), auch zum folgenden; s. a . Baumann/ Weber, S. 244 ff; Arzt, JA 1980, S. 648; Blei, S. 328. 40 Baumann/Weber, S. 245. 36

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2. Teil: Kritik

Grundlagen oder selbstgeschaffenes Vertrauen seien, welche eine Garantenpflicht tragen41. Aber kann die Rechtsquellentheorie der hohen Erwartung einer inhaltlichen Begründung der Garantenpflichten auch gerecht werden? Für die Fürsorgepflichten der Eltern gegenüber dem Kleinkind läßt sich das uneingeschränkt bejahen. Aber wenn die Pflicht der Ehefrau, einen Betrug des Mannes zu verhindern42, aus der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft der Ehegatten nach § 1353 BGB entnommen wird, stellen sich Zweifel an der rechtsquellenmäßigen Begründung ein. Mehr Zweifel noch weckt die Garantenstellung aus Vertrag: wieso sollte ein privatrechtlicher Vertrag die Strafbarkeit ebenso rechtstaatlich begründen können, wie ein formelles Gesetz? Die Zweifel verstärken sich für Fälle der freiwilligen Übernahme - wo findet sich die garantenpflichtbegründende Quelle für den Einzelnen einer Gefahrengemeinschaft- etwa einer Freundesgruppe bei einer Bergtour? Und worin ist die rechtsquellenmäßige Legitimation für Garantenpflichten aus vorangegangenem Tun zu erblicken? - Wie sehr sich die Rechtsquellentheorie in der Anwendung von ihrem theoretischen Ausgangspunkt einer rechtsquellenmäßigen Legitimation der Garantenpflichten entfernt, wird deutlich in der Aussage, es komme "jede Rechtsquelle" in Betracht, auch Verordnungen und Gewohnheitsrecht, und es genüge jede durch Rechtssatz legitimierende Anordnung oder Befehlsgebung, "wie z. B. des Vorgesetzten im Beamtenoder Wehrrecht oder des Kapitäns an die Schiffsmannschaft"43 , ja es genüge selbst ein "Reflex" aus gesetzlichen Bestimmungen "i. S. einer gesetzlichen Pflichtbegründung"44. Henkel hat also Recht, wenn er feststellt: "Hier überall liefert() die Bezugnahme auf ein ,Gesetz' nur einen formalen Beleg, nicht aber eine materiale Begründung für die Garantenstellung, die in Wahrheit aus anderen oder hinter dem Gesetz erkennbaren Erwägungen hergeleitet wurde" 45 . Wenn es nicht das Gesetz ist- was dann ist Grundlage der "anderen oder hinter dem Gesetz erkennbaren Erwägungen"? Letztlich sind es die jede Straftat kennzeichnenden Erwägungen zur Strafwürdigkeit des Tätersverhaltens, wobei für das Unterlassungsdelikt danach zu fragen ist, welchen Wert der Täter mit seinem Nichthandeln verletzt hat. Das Merkmal der Garantenpflicht gibt eine der Voraussetzungen an, unter denen ein Unterlassen strafbar ist; dieses Merkmal ist vorauszusetzen, damit nicht jedermann, der hätte eingreifen können, wegen des Unterlassens zu bestrafen ist, sondern nur derjenige, dessen Unterlassen sich als besonders verwerflich erweist. Das Unter41 42

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Blei, S. 328. vgl. OLG Karlsruhe, MDR 1975, S. 771 = GA 1975, S. 338 f m.w.N. Blei, S. 322. Blei, S. 328 f. Henkel, MSchrKrim 1961 , S. 175 (184 f) .

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

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lassen ist dann besonders verwerflich, wenn der Täter die Einengung der allgemeinen Handlungsfreiheit, wie sie die Handlungspflicht des Unterlassungsdelikts auferlegt, berechtigterweise hinzunehmen hat, aber dennoch nicht rettend handelt - etwa wenn er als Fürsorgepflichtiger für Leib und Leben der eigenen Kinder zu sorgen hat, wenn er einen für Dritte gefährlichen Hund hält oder verantwortlich die Obhut für Dritte übernommen hat und diese nun darauf vertrauen dürfen, keine weiteren Maßnahmen ergreifen zu müssen. Maßgeblich für die Beurteilung der Garantenpflicht ist also eine wertbezogene Betrachtung, wie sie der teleologischen Straftattheorie eigen ist .. Die Funktionenlehre hilft dabei, weitgehend anerkannte Grundfälle in einer Systematik zu klassifizieren, um zweifelhafte Fälle in ihrer Wertwidrigkeit im Verhältnis zu den Grundfällen richtig einschätzen zu können. Innerhalb einer teleologischen Straftatsystematik bedarf es also keiner "Korrekturmöglichkeit", um - wie es die Theorie der Doppelfunktion vorschlägt - zu einer Einschränkung der Garantenpflichten zu gelangen, weil schon die Garantenpflicht selbst teleologisch im Hinblick auf die gerechte Rechtsanwendung hin bestimmt wird und daher einen zu weiten Zuschnitt von vornherein ausschließt. d) Theorie der Interpretationsanweisung

Wenn diese Theorie die Funktion der Entsprechensklausel in einer ausdrücklichen Auslegungs- oder Interpretationsanweisung sieht, beurteilt sich die Notwendigkeit einer derartigen Anweisung danach, ob ohne die Entsprechensklausel eine sachgerechte Auslegung erschwert oder unmöglich ist. Für die "tatbestandliche Ebene" wird dies von den Vertretern selbst verneint: hier bringe das Gleichwertigkeitsregulativ nichts, "was nicht ohnehin im Wege einer differenzierten teleologischen Auslegung des betreffenden Delikts zu erzielen wäre"46. Daher wird die Aufgabe der Entsprechensklausel für die Schuld betont, indem der Unzumutbarkeit für Unterlassungsdelikte ein weiterer Umfang als beim Handlungsdelikt zugemessen wird. Auf der Grundlage der teleologischen Straftattheorie, die nicht von der grundsätzlichen Gleichstellung des Unterlassens mit dem Handeln ausgeht, folgt die Berücksichtigung der Zumutbarkeit (und zwar nicht im Sinne einer Zumutbarkeit des Rechtsgehorsams, sondern der Gefährdung eigener Rechtsgüter des Täters) aus der andersartigen Struktur des Unterlassens gegenüber der Handlung: zum einen ergibt sich hier eine Rechtfertigung schon bei gleichrangigen Handlungspflichten. Kollidieren zwei gleichrangige Handlungspflichten, dann ist die Verletzung der einen (bei Beachtung der anderen) gerechtfertigt. Kann etwa der 46

Kienapfel, ÖJZ 1976, S. 197 (202).

7 Nitze

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2. Teil: Kritik

Vater eines Zwillingspaares nur einen der beiden in Gefahr geratenen Brüder retten, dann ist die unterlassenen Rettung des anderen gerechtfertigt47. Außerdem kann eine unzumutbare Gefährdung wenigstens gleichrangiger eigener Güter des Unterlassenden das Unrecht ausschließen4s. Aus der unterschiedlichen Struktur von Handeln und Unterlassen ergibt sich ferner, daß ein Unterlassen im Gegensatz zum Handeln auch bei Nichtbeachtung höherrangiger Güter entschuldigt sein kann, und zwar dann, wenn die gebotene Handlung für den Täter ein erhebliches Opfer darstellen würde. Hier kann sich die spezifische Verwerflichkeit des Unterlassens als so gering erweisen, daß das Unterlassen verständlich erscheint und die Rechtsschuld entfällt. Hier sind auch Fälle des Gewissensnotstandes zu entscheiden, also auch der für die Theorie der Interpretationsanweisung angeführte Fall der Sektenangehörigen, die aus religiöser Überzeugung ärztliche Hilfe für das erkrankte Kind ablehnen49. Die Gesichtspunkte, die von der Theorie der Interpretationsanweisung für die Auslegung der Unterlassungsdelikte hervorgehoben werden, ergeben sich für die teleologische Straftattheorie also bereits aus der inhaltlichen Bestimmung der allgemeinen Straftatmerkmale; einer besonderen Auslegungsanweisung bedarf es daher nicht. e) Unterscheidung nach Delikten mit handlungsspezifischen Unwertelementen und Delikten mit erfolgsdeliktischen Bausteinen

Die von Arzt getroffene Unterscheidung zwischen Erfolgsdelikten mit handlungsspezifischen Unwertelementen und Delikten mit erfolgsdeliktischen Bausteinen enthält eine zutreffende Feststellung: mit dem Beispiel der Irrtumserregung beim Betrug als erfolgsdeliktischem Baustein verdeutlicht diese Unterscheidung, daß es Modalitäten gibt, die sich nicht in einem Handeln erschöpfen, sondern die ein über das Handeln hinausgehendes Ereignis bezeichnen, das sich auch unabhängig vom geschilderten Handeln vorstellen läßt. Anders als bei handlungsspezifischen Unwertelementen (d. h. Handlungsmodalitäten, die ausschließlich eine besondere Handlung bezeichnen) geht es also für erfolgsdeliktische Bausteine nicht um eine Gleichstellung von Handlung und Unterlassung, sondern um die Zurechnung eines Ereignisses zu einem Handeln oder Unterlassen des Täters. Das Ereignis ,Irrtum' kann dem Täter- eine Garantenposition vorausgesetzt- bei einem Unterlassen ebenso zugerechnet werden wie im Falle eines Handelns. Dieser Gedanke wird von 47 s. schon oben, S. 84 f, ferner Schmidhäuser, AT 16/77, m diesem Sinne auch Küper, S. 19 ff; Mangakis, ZStW 84 (1972) S. 447 (473); Sch/Sch/Lenckner, vor§ 32, Rz. 73 ff; Stratenwerth, Rz. 471 . 48 vgl. oben, S. 93. 49 vgl. Schmidhäuser, Studb. 12/86.

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

99

Arzt aber unzulässig übersteigert, wenn jetzt die Voraussetzungen des § 13 StGB allein auf den erfolgsdeliktischen Baustein bezogen werden und im übrigen das Erfordernis einer Garantenstellung für den Unterlassungstatbestand als entbehrlich angesehen wird. Mit dem Argument, es sei "unsinnig, nach einer allgemeinen Schutzpflicht zu fragen", kann das Erfordernis einer umfassenden Garantenstellung nicht abgetan werden. Beim Betrug kommt es maßgeblich auf die Garantenposition des Täters in bezug auf das Vermögen des Vermögensinhabers an, denn gerade aus der Vermögensverletzung bezieht der Betrug seine Strafwürdigkeit. In dem von Arzt genannten Fall, in dem der Verkäufer den Käufer eines Hauses nicht auf das schadhafte Dach hinweist, tritt die Notwendigkeit einer derartigen Garantenstellung freilich nicht in Erscheinung, weil es sich nicht wie von Arzt angenommen, um den Fall einer Unterlassung, sondern um den Fall eines Handlungsdeliktes handelt. Das zeigt sich, wenn Handeln und Unterlassen material abgegrenzt werden, wie es eine teleologische Straftattheorie voraussetzt. Statt formal nach dem äußeren Erscheinungsbild abzugrenzen, fragt die materiale, am Unwert des Verhaltens orientierte Abgrenzung, ob der von einem Rechtsgutsobjekt ausgehende Achtungsanspruch vom Täter verlangt, dem Objekt eine Leistung zukommen zu lassen, die eine Gefahr für das Objekt beseitigt (und deren Nichterbringung eine Unterlassung ist), oder ob der Achtungsanspruch vom Täter verlangt, dem Objekt einen Eingriff zu ersparen, der für das Objekt gefährlich ist (und dessen Vornahme eine Handlung darstellt)SO. Danach ergibt sich: Der Verkäufer ist nicht verpflichtet, dem Vermögen des Käufers eine Leistung zukommen zu lassen, um eine etwaige Gefahr von dessen Vermögen abzuwenden. Vielmehr verlangt der vom Vermögen des Käufers ausgehende Achtungsanspruch, dem Vermögen einen Eingriff zu ersparen. Der Eingriff liegt hier darin, daß der Käufer zu einer vermögensschädigenden Verfügung verleitet wird, indem er einen Kaufpreis leistet, der dem eines schadensfreien Hauses entspricht, ohne die angemessene Gegenleistung für sein Geld zu erhalten. In dieser Art und Weise darf der Verkäufer das Haus nicht anbieten, weil er mit dem hohen Preis den falschen Eindruck erweckt, das Haus sei ohne Mängel. Aus diesem Grund ist mit dem Anbieten des Hauses in dieser Art und Weise ein Handlungsdelikt gegeben. Ein anderes Beispiel, in dem es tatsächlich um einen Fall des Betruges durch Unterlassen geht, macht sichtbar, daß auf die Garantenstellung in bezug auf das Vermögen des Opfers nicht verzichtet werden darf: erhält jemand aufgrund eines wiederkehrenden Anspruchs laufende finanzielle Zuwendungen und ist der Empfänger verpflichtet, ein Entfallen der Anspruchsvoraussetzungen anzuzeigen- wie etwa ein Kindergeldempfänger aufgrund § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB - dann ergibt sich aus diesem Verhältnis die Garantenstellung des Empfängers in bezugauf das Vermögen des Leistenden. Unterläßt der Emp50

vgl. Schmidhäuser, AT 16/105; ferner BGHSt 16, 120 (121}; s. auch oben, l.A.II.2. ,

s. 19 f. 7*

100

2. Teil: Kritik

fänger die Aufklärung, und erlangt er unberechtigt eine Zuwendung, liegt ein Betrug durch Unterlassen vor, wobei maßgeblich aber auch nur die Vermögensschädigung ist, die durch ein Unterlassen der Aufklärung eingetreten ist. Daß es auf die Garantenstellung des Täters gegenüber dem Vermögensinhaber in bezugauf dessen Vermögen ankommt, wird noch deutlicher, wenn der Empfänger den Leistenden nicht über den Fortfall der Anspruchsvoraussetzungen informiert, sondern den Betrag - der etwa durch den Geldbriefträger überbracht wird- kommentarlos zurückweist. Angenommen, der Geldbetrag geht auf dem Rückweg zum Leistenden verloren - dann liegt eine Vermögensschädigung vor, zu der es bei rechtzeitiger Aufklärung nicht gekommen wäre, denn dann hätte der Absender den Betrag nicht abgeschickt. Dennoch wird hier ein Garantenunterlassen zu verneinen sein. Der Garant ist seiner Garantenpflicht, eine vermögensschädigende Verfügung des Leistenden abzuwenden, hinreichend nachgekommen. Er muß nicht jeglichen Vermögensschaden verhindern; ihm sind Vermögensschäden, die aus den allgemeinen Risiken des Zahlungsverkehrs entspringen, nicht zuzurechnen, weil die Garantenpflicht dort aufhört, wo die spezifischen Risiken enden, die dem Leistungsverhältnis entstammen. Auf einzelne Fälle des Unterlassens beim Betrug sowie anderer Delikte wird später noch näher einzugehen seinsl. Hier ist festzuhalten, daß eine Funktion, die man der Entsprechensklausel mit den Theorien der Modalitätenäquivalenz geben zu können glaubt, in Wirklichkeit nicht besteht. II. Kritik der Theorie des konkludenten Unterlassens Die von Herzberg begründete Theorie des konkludenten Unterlassenssla setzt für die Unterlassungsstrafbarkeit verhaltensgebundener Delikte ein "ausdrucksvolles menschliches Verhalten" voraus, für den Betrug also etwa die Lüge, für Verkehrsunfallflucht das Flüchten, für die Beleidigung das Ausdrücken von Mißachtung; auf die Garantenlehre komme es (bei unmittelbarer Täterschaft) nicht an. Sofern nur eine materiale, am Unwert orientierte Abgrenzung von Handeln und Unterlassen vorgenommen wird, erweist sich das ausdrucksvolle menschliche Verhalten nicht etwa als Unterlassen, sondern als Handeln im Sinne eines Handlungsdelikts. Verweigert jemand einem anderen den Handschlagöffentlich, etwa in einer Fernsehdiskussion -, um dem anderen augenfällig Mißachtung auszudrücken, so verletzt der Täter den von der Ehre des anderen ausgehenden Achtungsanspruch durch einen Eingriff und damit durch ein Handeln. Eine Gefahr für die Ehre des anderen, zu deren Abwendung der 51 51a

s. unten S.F. vgl. die Darstellung oben, l.B.II

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

101

Täter verpflichtet sein könnte, und deren Nichtabwendung ein Unterlassen wäre, ist dagegen nicht gegeben. Ein Handeln wird üblicherweise als konkludent bezeichnet, wenn dem Handeln aufgrund der konkreten Situation eine besondere Erklärung oder ein besonderer Sinn zukommt52. Erkennt man Handeln und Unterlasssen als einander ausschließende Gegensätze, das Unterlassen als ein Nichthandeln, dann kann es ein "konkludentes Unterlassen" nicht geben. Das Unterlassen erlaubt allein die Feststellung, der Täter sei einer ihm gebotenen Handlungspflicht nicht nachgekommen. Weitergehende Erklärungen oder ein über das Unterlassen hinausgehender Sinn lassen sich einem Unterlassen nicht entnehmen. Mit der Forderung eines "ausdrucksvollen menschlichen Verhaltens" sind daher nicht "konkludente Unterlassungsdelikte" bezeichnet, sondern Delikte durch konkludentes Handeln. Allerdings stellen nicht alle von Herzberg genannten Beispiele Handlungsdelikte dar: Bei der Verkehrsunfallflucht gern. § 142 (a. F .) StGB handelt es sich um einen Tatbestand, der ein Unterlassen schildert. Der vom Vermögen des Geschädigten ausgehende Achtungsanspruch verlangt vom Täter ein Verbleiben am Unfallort oder- wenn der Täter sich rechtmäßig oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat- die nachträgliche Ermöglichung von Feststellungen, indem der Täter sich meldet. Diese Pflicht des Täters erleichtert es dem Geschädigten, den Unfallhergang aufzuklären und Ansprüche durchzusetzens3. Hintergrund der Handlungspflicht ist der Gedanke, daß Verkehrsteilnehmer, die sich eines Verkehrsmittels bedienen, eine gesteigerte Gefährlichkeit für fremde Vermögenswerte darstellens4, einmal wegen der erhöhten Gefahr von Unfällen und zum anderen, weil zumeist leichthin die Möglichkeit besteht, sich rasch vom Unfallort zu entfernen. Die Schlußfolgerung Herzbergs, in den Fällen des "konkludenten Unterlassens" sei eine Garantenpflicht nicht vorauszusetzen, ist mithin deshalb zutreffend, weil es sich bei den genannten Fällen nicht um Fälle des AuslegungsUnterlassens handelt. Ebensowendig, wie es einer Garantenpflicht bedarf, erübrigt sich aber auch ein Rückgriff auf die Entsprechensklausel. Eine Funktion kommt der Entsprechensklausel nach der Theorie des "konkludenten Unterlassens" somit nicht zu. Im übrigen engt die Theorie des "konkludenten Unterlassens" die Unterlassungsstrafbarkeit zu sehr ein: der in dem obenss bezeichneten Beispiel vorge52 vgl. z. B. Brox, AT, Rz. 86-88; Schöne, S. 233; ausführlich Tönnies, Diss. Kiel 1971, s. 13 ff. 53 Schmidhäuser, BT 11178, 11182; ders., JZ 1955, S. 433 ff; Welzel, S. 464; Schaffstein, Dreher-Fs 1977, S. 151; Volk, DAR 1982, S. 81 (83); Lackner, § 142 Bem. 4; BGHSt 28, 129 (138); a. A. (Handlungsdelikt) Maurach/Schroeder, BT Bd. 1, S. 358. 54 vgl. Magdowski, S. 31 ff. 55 s. 99.

102

2. Teil: Kritik

stellte Kindergeldempfänger, der ein Entfallen der Anspruchsvoraussetzungen nicht anzeigt (etwa wenn das "Kind" nun selbst verdient), gibt seinem Unterlassen nicht den "spezifischen Sinngehalt der Lüge"- dennoch erscheint dieses Verhalten strafwürdig56. Die eigentlich problematischen Fälle, in denen es um die Frage geht, ob ein Nichthandeln strafbar ist, werden von der Theorie des "konkludenten Unterlassens" gar nicht angesprochen. Zu einer sachgerechten Erfassung der Auslegungs-Unterlassungsdelikte gelangt diese Theorie daher ebenfalls nicht. 111. Kritik zur Theorie der Entsprechung als dem "eigentlichen Gleichstellungsproblem"

Diese Theorie Armin Kaufmanns sieht, wie oben dargelegt57, die "nicht im Gesetz vertypten Unterlassungsdelikte" als Delikte eigener Art an, für deren tatbestandliehe "Fixierung" es darauf ankomme, wertend festzustellen , ob die Verletzung des Handlungsgebotes dem Unrechtsgehalt und dem Maß des Schuldvorwurfes der gesetzlich vertypten Delikte in der Strafwürdigkeit wenigstens annähernd gleichstehe. Hier liege das eigentliche Problem der Gleichwertigkeit, d. h. nach neuerer Terminologie das eigentliche Problem der Entsprechung. Zu Recht weist diese Auffassung auf die kontradiktorische Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen hin, ebenso auf den Unterschied von Verbot und Gebot, indem als Merkmal des Verbots ein unerlaubtes Handeln und als Merkmal des Gebots das Unterlassen eines bestimmten Handeins herausgestellt werden. Der Fortschritt dieser Auffassung besteht darin, nicht generell von der Gleichstellbarkeit des Unterlassens mit dem Handeln auszugehen, sondern für jeden Handlungstatbestand gesondert zu fragen, ob ein entsprechender Unterlassungstatbestand in Betracht kommt oder nicht schon von vornherein ausgeschlossen ist. Zweifelhaft ist aber, ob der Sitz des Gleichstellungsproblems - wie Kaufmann behauptet - in der Frage nach dem Garantieverhältnis zu finden ist. Dagegen spricht, daß Fälle denkbar sind, in denen an der Garantenposition keine Zweifel bestehen, das Vorliegen eines Unterlassungsdeliktes aber dennoch nicht sicher ist: wenn etwa ein Kind eine lebensgefährliche Arznei schluckt, wird man an der Garantenpflicht der Eltern, einen Arzt zu rufen, nicht zweifeln- ob aber in einem derartigen Fall auch eine gefährliche Körperverletzung "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" in Betracht kommt, bleibt trotz der unstreitigen Garantenpflicht offen. Auch in der Theorie Kaufmanns ist die Lebensgefahr kein besonderes, "handlungseigenes Tat56

57

vgl. den ähnlichen Fall des OLG Köln, NJW 1984, S. 1979 f; ferner unten 5.F. s. o. l.B.III.

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

103

bestandsmerkmal" und damit die Gleichstellbarkeit nicht etwa eindeutig ausgeschlossen. Kriterien für die "Fixierung" der "Garantengebotstatbestände" liefert diese Theorie nicht. Zwar wird mit der Strafwürdigkeit eine materiale Unwerterfassung befürwortet, nach Kriterien für die Bestimmung der Strafwürdigkeit sucht man allerdings vergebens. Indem die "nicht im Gesetz vertypten" Unterlassungsdelikte als "Delikte eigener Art" neben die Handlungsdelikte und neben die im Gesetz "vertypten" Unterlassungsdelikte gestellt werden, kann von einer einheitlichen Theorie der Straftat nicht mehr gesprochen werden. Ein Widerspruch liegt darin, daß zwar die kontradiktorische Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen sowie die Unmöglichkeit eines gemeinsamen Oberbegriffs anerkannt werden, gleichwohl aber an einer klassifikatorischen Straftattheorie festgehalten wird. Verdeckt wird dieser Widerspruch durch eine eigentümliche Begriffsverschiebung. Der Ausdruck "Oberbegriff" nämlich läßt sich im Zusammenhang von Handeln und Unterlassen in zweifacher Weise verstehen: einmal kann er verschiedentliehe Gemeinsamkeiten von Handlung und Unterlassung meinen, also ausdrücken, daß sowohl Handlung als auch Unterlassung strafrechtlicher Bewertung zugänglich sind, daß es sich um menschliche Verhaltensweisen handelt, daß zwischen Verhalten und Erfolg ein Zurechnungszusammenhang bestehen muß usw .... -Andererseits kann der Ausdruck "Oberbegriff" statt im Sinne von Gemeinsamkeiten auch im Sinne eines systematischen Oberbegriffs verstanden werden, wie er jeder klassifikatorischen Systematik zugrundeliegt. Die Aussage, daß es einen gemeinsamen Oberbegriff von Handeln und Unterlassen nicht geben könness, bezieht sich nun ganz richtig auf diesen Oberbegriff im Sinne einer klassifikatorischen Systematik. Beide Verstehensweisen des Ausdrucks "Oberbegriff" hält Armin Kaufmann zunächst auch getrennt: "wenn .. . im folgenden die Gemeinsamkeiten von Handlung und Unterlassung geprüft werden, so zunächst aus dem vorsystematischen Anliegen, Aufschluß zu erhalten, über zwei spezifisch menschliche Weisen, auf die Umwelt zu reagieren. Diese Frage ist von Anfang an falsch gestellt, wenn man die Strukturelemente der Handlung auch in der Unterlassung aufzufinden sucht, um aus ihnen die Merkmale des ,Oberbegriffs' zu bilden ... "59 . Als vorsystematische Gemeinsamkeit wird sodann die "Handlungsfähigkeit" festgestellt. Die eigentümliche Begriffsverschiebung erfolgt nun dadurch, daß die beiden Verslehensweisen des Ausdrucks "Oberbegriff" vermengt werden. Es wird nämlich ein systematischer Oberbegriff entgegen der Feststellung, daß es einen solchen nicht geben kann, nun doch bejaht - und zwar mit der Handlungsfähigkeit als der maßgeblichen Gemeinsamkeit: "Verhalten ist ... die der Fähigkeit zu zweckhafter Willenslenkung 58 59

Kaufmann, Dogmatik, S. 81, 84. Kaufmann, Dogmatik, S. 82.

2. Teil: Kritik

104

unterstehende körperliche Aktivität oder Passivität des Menschen. Ein Handlungsfähiger verhält sich, indem er entweder die ihm mögliche Handlung vornimmt, oder sie nicht durchführt. Darin liegt zugleich das Gemeinsame und das Trennende: Die Handlungsfähigkeit stiftet die Einheit im Oberbegriff Verhalten; doch kann dieses Verhalten nicht definiert werden, ohne das ,Entweder-oder' hinzunehmen. Denn auch im Verhaltensbegriff läßt sich die Kontradiktion zwischen Handlung und Unterlassung nicht aufheben. Nur die gemeinsame Wurzel ist aufgedeckt; jeder Versuch, die Gegensätzlichkeit von Handlung und Unterlassung im Oberbegriff zu nivellieren, müßte wieder dabei enden, die Unterlassung als eine Handlung zu deuten ... "60. Diese Theorie unterstreicht, daß Unterlassungsdelikte mit einer wertfrei ansetzenden, klassifikatorischen Straftattheorie nicht in den Griff zu bekommen sind. Von einem systematischen Oberbegriff kann ernstlich nicht mehr gesprochen werden, wenn darin das "Entweder-oder" von Handeln oder Unterlassen enthalten sein soll. Da die Straftat nicht von vornherein in ihrer Wertwidrigkeit mit den Merkmalen Unrecht und Schuld erfaßt wird, muß unklar bleiben, nach welchen Kriterien die Strafwürdigkeit des Unterlassens bestimmt werden kann; eine Antwort auf die Bedeutung der Entsprecheosklausel vermag diese Theorie daher nicht zu geben.

IV. Kritik der Theorie der Entsprechung als Voraussetzung tatbestandlieber Gleichstellung Die Theorie tatbestandlieber Gleichstellung60• unterscheidet sich von allen anderen Theorien dadurch, daß sie nicht der klassifikatorischen Systematik folgt, sondern auf einer teleologischen Straftattheorie beruht. Sie folgt einer Handlungstheorie, die den Unwert des Handeins unter zwei Gesichtspunkten erlaßt: erster Gesichtspunkt ist die rechtsgutsverletzende Intention des Täters. Das Handlungsziel, dessen Erstreben einen von Rechtsgütern ausgehenden Achtungsanspruch verletzt, begründet hier die Strafwürdigkeit des Handelns. Der zweite Gesichtspunkt ist die objektive Gefährlichkeit eines Tuns: der Täter schafft eine Gefahr für Rechtsgutsobjekte oder erhöht eine bereits bestehende Gefahr; der Unwert des Handeins liegt hier in der objektiven Gefährlichkeit des Tuns. Da der Handlungsunwert unter beiden Gesichtspunkten unabhängig voneinander beurteilt wird - Schmidhäuser spricht von Zielunwert und Gefährdungsunwert61 - handelt es sich um eine dualistische Handlungstheorie62. Zielund Gefährdungsunwert schließen sich nicht etwa gegenseitig aus: ein Han60 60a

61 62

Kaufmann, Dogmatik, S. 85. oben, l.B.IV. Schmidhäuser, Studb. 5/38. Schmidhäuser, Studb. 5/38.

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

105

dein kann unter beiden Gesichtspunkten strafwürdig sein, und tatsächlich ist der Handlungsunwert recht häufig zugleich als Ziel- und Gefährdungsunwert gegeben (z. B. wenn der Täter das Gewehr auf das Opfer anlegt, um es zu töten). Was bedeutet diese Handlungstheorie für das Auslegungs-Unterlassen? Sie schränkt den Kreis der für ein Auslegungs-Unterlassen in Betracht kommenden Delikte erheblich ein: setzt der Handlungstatbestand für das Unrecht ein besonderes Ziel des Täters voraus, scheidet ein Unterlassungsdelikt von vornherein aus. Während nämlich beim Handlungsdelikt der Handlungsunwert häufig zugleich als Ziel- und Gefährdungsunwert gegeben ist, kann der Unwert beim Unterlassen nur im Gefährdungsunwert liegen. Erst durch ein Tun wird der Handlungswille als solcher überhaupt existent. Da das Unterlassen keinen zielgerichteten Willen kennt - mit dem Unterlassen kann ein Erfolg herbeigewünscht, nicht aber zielgerichtet herbeigeführt werden -, bleibt hier der Wille nur bloßer Gedanke und damit einer Unwertbeurteilung entzogen63 • Allein die objektive Gefahr, daß der einem Rechtsgut entgegenstehende Unwertsachverhalt verwirklicht zu werden droht, kommt für das Unterlassungsdelikt in Betracht. Setzt der Handlungstatbestand für das Unrecht ein besonderes Ziel des Täters voraus, scheidet ein Unterlassungsdelikt von vornherein aus. Am Beispiel der Nötigung soll die Einschränkung der Unterlassungsstrafbarkeit für Delikte, die im Handlungstatbestand einen Zielunwert voraussetzen, veranschaulicht werden. Wenn etwa ein Filmschauspieler bei Außenaufnahmen ausruft: "Geh' heut' abend um 20.00 Uhr in die Kirche am Marktplatz, oder es setzt Schläge!", so hat er damit möglicherweise die Gefahr begründet, daß ein ahnungsloser Passant, der das Geschehen nicht durchschaut, die Aufforderung des Schauspielers als Nötigung empfindet und nun vielleicht tatsächlich am Abend entgegen seiner ursprünglichen Absicht in die Kirche geht. Dennoch wird man nicht sagen können, der Schauspieler habe den Passanten genötigt, denn das würde die Absicht des Schauspielers voraussetzen, das Verhalten des Passanten zu erreichen und nicht lediglich an einem Film mitzuwirken. Eher wird man sagen, der Passant habe sich geirrt, ohne daß sich daraus eine Strafbarkeit des Schauspielers ergeben könnte, und zwar selbst dann, wenn der Schauspieler diesen Lauf der Dinge für möglich gehalten oder gar vorhergesehen hat. Die Nötigung ist zwar ein Erfolgsdelikt - das Opfer verhält sich gegen seinen Willen in einer bestimmten Weise-, sie setzt aber als Handlungsziel beim Täter voraus, daß er in der Absicht handelt, ein bestimmtes Verhalten des Opfers zu erzwingen. Das Rechtsgutsverletzende liegt vor allem in der 63 Schmidhäuser, AT 16/64, Studb. 12/39; vgl. auch Grünwald, Diss. Göttingen 1956, S. 14; Kaufmann, Dogmatik, S. 81, S. 126.

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2. Teil: Kritik

Mißachtung des Achtungsanspruches, der von der Willensfreiheit des Genötigten ausgeht. Da eine Absicht nicht durch Nichthandeln zu verwirklichen ist, beim Nichthandeln vielmehr allein ein Erfolg nicht abgewendet wird, der vom Täter allenfalls erwünscht ist, scheidet eine Nötigung durch Unterlassen aus: dem Unterlassen fehlt, was für eine Nötigung gerade vorauszusetzen ist. Zutreffend gelangt die Theorie der tatbestandliehen Gleichstellung also zur Einschränkung des Auslegungs-Unterlassens auf Delikte, die keinen Zielunwert voraussetzen. Kritisch zu prüfen ist allerdings, ob es beim AuslegungsUnterlassen tatsächlich um eine tatbestandliehe Gleichstellung geht. Sobald man nämlich die kontradiktorische Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen anerkennt, müßte deutlich werden, daß es eine Gleichstellung bei Tätigkeitsdelikten und Handlungsmodalitäten (i. S. handlungsspezifischer Unwertelemente) nicht geben kann, denn die Strafwürdigkeit ist an die körperliche Bewegung geknüpft, und gerade die fehlt ja beim Unterlassen. Daher ist es widersprüchlich, wenn in der teleologischen Straftattheorie Schmidhäusers für die Entsprechensklausel von einer "tatbestandlichen Gleichstellung" gesprochen wird. Es scheint, als verberge sich hier ein Relikt klassifikatorischen Denkens: wenn es in§ 13 StGB um die tatbestandliehen Voraussetzungen der nicht im Wortlaut des Gesetzes geschilderten Unterlassungsdelikte geht- was sollte dann mit der "tatbestandlichen Gleichstellung" gemeint sein? -(die ja jedenfalls keine Gleichstellung in der Rechtsfolge meint). Der Wortlauttatbestand unterscheidet sich vom Auslegungstatbestand dadurch, daß er auf einem Gesetzesverständnis beruht, das in der Nähe des ursprünglichen Wortsinns bleibt, während sich der Auslegungstatbestand aus einem vom Wortsinn abgerückten Gesetzesverständnis ergibt, wenn der Gesamtsinn der Bestimmung im Hinblick auf die Rechtsanwendung dies erfordert64. So wird z. B. im Wortlaut der gefährlichen Körperverletzung gern. § 223 a StGB die Begehung mit einem "gefährlichen Werkzeug" vorausgesetzt. Während Hammer, Schere, Balken (?) noch vom Wortlaut erfaßt werden, kommt für einen Kugelschreiber oder ein Stück Schnur nur der Auslegungstatbestand in Betracht, wenn eine mit diesen Gegenständen begangene Körperverletzung nach § 223a StGB bestraft werden soll. Der Auslegungstatbestand orientiert sich am Rechtsgut; die gesteigerte Strafwürdigkeit der gefährlichen Körperverletzung gegenüber der einfachen Körperverletzung ergibt sich aus der besonderen Gefährlichkeit des verwendeten Werkzeugs. In der Auslegung stellen daher auch der Kugelschreiber und die Schnur ein "gefährliches Werkzeug" dar, wenn sie in ihrer konkreten Verwendung (mit dem Kugelschreiber auf die Augen zielen, mit der Schnur würgen) besonders gefährlich gehandhabt werden65. Niemand würde daran denken, bei diesem Schmidhäuser, AT 2/4 unter Bezug auf Bärwinkel, S. 16 f. vgl. z. B. BGHSt 3, 105 (109); BGHSt 30,375 (377); Dreherffröndle, § 223a Rz. 2; Hirsch!LK, § 223a Rz. 10; Otto, BT, S. 72; Schmidhäuser, BT 1/8. 64 65

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

107

Vorgehen von einer "Gleichstellungsproblematik" zu sprechen, da es sich doch um Auslegung handelt. Beim Auslegungs-Unterlassen geht es um genau denselben Vorgang des Auslegens66. So wie jede Gesetzesauslegung eine "sorgfältig zugeschnittene Begründung" für eine sachgerecht Rechtsanwendung erfordert, ebenso ist im Fall eines Unterlassens zu prüfen, ob der Wortlaut eines Handlungsdeliktes in der Auslegung nicht auch ein Unterlassungsdelikt meint. Die Vorschrift des "Begehens durch Unterlassen" bestätigt die Zulässigkeil eines besonders weiten Auseinanderfallens von Wortlaut- und Auslegungstatbestand. Der Entsprechensklausel kommt darin allerdings keine Aufgabe zu; sie suggeriert lediglich eine generelle Gleichstellbarkeil von Handeln und Unterlassen und verschleiert damit das eigentliche Problem, das darin liegt, in der Auslegung der Handlungstatbestände einen Unterlassungstatbestand aufzufinden. V. Ablehnung der Entsprechensklausel

Die Kritik der verschiedenen Theorien zur Einschätzung der Entsprechensklausel hat gezeigt, daß der Entsprechensklausel zur Erfassung der Auslegungs-Unterlassungsdelikte keine Funktion zukommt. Wenn an dieser Stelle trotzdem noch einmal auf die Auffassungen einzugehen ist, die der Entsprechensklausel ablehnend gegenüberstehen, dann aufgrund der Auffassungen, die über die Entsprechensklausel hinaus eine Vorschrift "Begehen durch Unterlassen" überhaupt ablehnen. Abgesehen von der Entsprechensklausel bedeutet § 13 StGB entgegen diesen Auffassungen durchaus einen rechtsstaatliehen Gewinn an tatbestandlieber Bestimmtheit67. Zwar bleiben die Voraussetzungen der Garantenstellung im einzelnen nach wie vor unbestimmt. Der Gewinn besteht aber darin, daß die Existenz von Auslegungs-Unterlassungsdelikten bestätigt wird und die Notwendigkeit einer Garantenposition ausdrücklich im Gesetz erwähnt ist. Gerade der Erfolg als Anknüpfungspunkt für das Garantenunterlassen stellt eine zutreffende Begrenzung der Strafbarkeit dar, weil nur die Gefahrenlage, die ein Rechtsgutsobjekt mit Verletzung oder Gefährdung bedroht, geeignet ist, das Näheverhältnis des Garanten zu dem gefährdeten Objekt in eine konkrete Handlungspflicht zur Abwendung der Gefahrenlage erwachsen zu lassen. An der verfehlten Auslegung des Begriffs "Erfolg" als "Verwirklichung des Tatbestandes" darf§ 13 StGB allerdings nicht gemessen werden. Mit dem Hinweis auf möglicherweise unrichtige Auslegungen ließe sich jede gesetzliche Regelung ablehnen, letztlich käme dem Gesetzlichkeitsgrundsatz damit gar keine Bedeutung mehr zu. 66 so auch Bärwinkel, S. 18; Böhm, JuS 1961, S. 177 (178), ders., GA 1966, S. 203; Meyer-Bahlburg, Diss. Harnburg 1962, S. 135, 151 ff; Nagler, GS 111, 1 (61) . 67 a. A . Schmidhäuser, AT 16/14.

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2. Teil: Kritik

Abzulehnen ist der Vorschlag, den Handlungsdelikten des Besonderen Teils Einzelregelungen für das Unterlassen beizufügen. Henkel weist zu Recht darauf hin, daß die Garantenpositionen in ihren spezifischen Merkmalen so unübersehbar und verschieden sind, daß "der Gesetzgeber sie unmöglich durch tatbestandliehe Sondertypenbildung vollständig in den Griff bekommen kann"68. Bei den unterschiedlichen Delikten oder- soweit sie sich zusammenfassen lassen - bei Deliktsgruppen, müßten alle Garantenpositionen immer wieder aufgeführt werden. Beispielsweise müßte die Garantenstellung aus unerlaubt gefährlichem Tun bei den Totschlagsdelikten, den Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit, den Straftaten gegen die Freiheit, den Straftaten gegen das Vermögen usw. aufgeführt werden69. Da dies für sämtliche Garantenstellungen gilt, würden die Unterlassungstatbestände den Besonderen Teil völlig unübersichtlich werden lassen. Die Regelung der Unterlassungsdelikte stünde in keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Bedeutung. Henkel ist deshalb darin zuzustimmen, daß die Regelung durch eine Richtlinie angezeigt ist, die keine anwendbare Norm darstellt, sondern als regulative Vorschrift den Rechsanwender auf einen Ordnungsbereich verweist, der durch konkrete Rechtsbetrachtung an Hand der allgemeingültigen Rechtsvorstellungen ausgeformt werden kann7ü. Dieser Aufgabe wird § 13 StGB gerecht, indem für die Frage der Garantenstellung auf den Ordnungsbereich der Garantenverhältnisse verwiesen wird71. Zu widersprechen ist auch der Auffassung, die Strafbarkeit aufgrund der nicht im Gesetz ausdrücklich geregelten Unterlassungsdelikte stelle eine analoge Gesetzesanwendung dar. Der verfehlte Begriff der Kausalität und der als "Wissen und Wollen" eingebürgerte Vorsatzbegriff haben dazu beigetragen, zwischen Handlungs- und Unterlassungsdelikten dort Unterschiede zu sehen, wo sie der Sache nach nicht bestehen: Kausalität im streng naturwissenschaftlichen Sinne als die Regel, daß jeder Wirkung eine Ursache vorausgeht, bezeichnet den Zusammenhang zwischen Handeln und Erfolg unzureichend; der Begriff ist teils zu eng, teils zu weit. Als zu eng erweist sich der Begriff der Kausalität in allen Fällen der tätigen Hinderung der Erfolgsabwehr72. Wenn etwa der Knecht die Feuwerwehrschläuche zerhackt, um das Löschen des Bauernhofs zu verhindern73, ist sein Handeln nicht kausal für das Abbbrennen des Hofs, da er keine Ursache für das Niederbrennen gesetzt hat. Gleichwohl 68 Henkel, MschrKrirn 1961, S. 178 (186); vgl. Bärwinkel, S. 50; Sch/Sch/Stree, § 13 Rz. 5 rn.w.N. 69 vgl. auch das Beispiel bei Henkel, MschrKrim 1961, S. 178 (182 Fn. 10). 70 Henkel, MschrKrim 1961, S. 178 (187); Bärwinkel, S. 52; vgl. zum Begriff der regulativen Vorschrift: Henkel, Mezger-Fs, S. 249 (302 f) . 71 vgl. auch Schmidhäuser, AT 16/32, 16/40. n Schrnidhäuser, Studb. 5174. 73 Beispiel bei Schmidhäuser, Studb. 5174, s. weitere Beispiele bei Hardwig, ZurechnungS. 97; Kahrs, S. 22, 55; Sarnson spricht vorn "Abbruch rettender Kausalverläufe", Kausalverläufe S. 132; Jakobs, AT 7/22 von "Eingriff in rettende Kausalverläufe" .

B. Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel

109

ist dem Täter der Erfolg objektiv zuzurechnen, wie wenn er ihn selbst herbeigeführt hätte. Andererseits zeigen die verschiedenen Theorien: Äquivalenz-, Adäquanz-, Relevanztheorie usw. - die alle um eine Eingrenzung der Kausalitätsbeziehung bemüht sind -, daß der Begriff der Kausalität viel zu weit ist, als daß damit sachgerechte Ergebnisse zu erzielen wären. Letztlich stellen alle diese Theorien auf eine wertende Betrachtung ab (ohne dies allerdings immer offen auszusprechen). Mit der objektiven Zurechnung, die sich teleologisch aus dem Aspekt der Strafwürdigkeit ergibt und die beim Handlungsdelikt danach fragt, ob sich die spezifische Gefährlichkeit der Handlung im Erfolg realisiert hat74, ist der Zusammenhang zwischen Verhalten des Täters und Erfolg sachgerecht bezeichnet- für das Unterlassen gleichermaßen wie für das Handeln. Auch im Fall eines Unterlassens ist zu fragen, ob sich im Erfolg die Gefahr realisiert hat, die der Täter als Garant hätte abwenden müssen. Ebensowenig wie in der objektiven Zurechnung besteht ein Unterschied zwischen Handlungs- und Unterlassungsdelikt im Merkmal der Vorsätzlichkeit, wenn eine teleologische Begriffsbildung zugrundegelegt wird. Die Straftattheorie Schmidhäusers zeigt, daß ein voluntatives Element nicht Bestandteil der Vorsätzlichkeit ist, sondern die Vorsätzlichkeit allein das aktuelle Tatbewußtsein und das aktuelle Unrechtsbewußtsein umfaßt75. Von der begrifflichen Struktur und den von Armin Kaufmann angeführten allgemeinen Straftatmerkmalen her bestehen daher keine Unterschiede zwischen Handlungs- und Unterlassungsdelikt, so daß insoweit von Delikten eigener Art bei den Unterlassungsdelikten keine Rede sein kann. Der kontradiktorische Gegensatz von Handeln und Unterlassen schließt es nicht aus, daß die gesetzliche Schilderung eines Handlungsdelikts auch die Voraussetzungen eines Unterlassungsdeliktes angibt. Werden die gesetzlichen Tatbestände nämlich nicht als an jedermann gerichtete Ver- und Gebote aufgefaßt, sondern als Handlungsanweisungen, die sich (als staatliche Rechtsordnung) an die mit der Strafverfolgung betrauten staatlichen Organe richten, dann können diese Handlungsanweisungen sowohl auf einer Verletzung von Verboten als auch auf einer Verletzung von Geboten (der gesellschaftlichen Rechtsordnung) beruhen. Wird also die Rechtsordnung in ihren zwei Seiten als staatliche Rechtsordnung des geschriebenen Rechts und als gesellschaftliche Rechtsordnung der sozialethischen Verbote und Gebote gesehen76 , dann hindert es die kontradiktorische Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen nicht, die geschriebenen Handlungstatbestände so auszulegen, daß sich in ihnen auch die Voraussetzungen eines Unterlassungsdelikts finden . Die reguSchmidhäuser, Studb. 5/57 ff. vgl. oben 2.A.III.3.e), S. 84, zur Vorsätzlichkeil ausführlich in: Oehler-Fs, s. 135 ff. 76 s. oben 2.A.III.3.e), S. 85 f. 74

75

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2. Teil: Kritik

lative Vorschrift des§ 13 StGB stellt dabei klar, daß im Fall des AuslegungsUnterlassens als zusätzliche Voraussetzung des Auslegungstatbestandes gegenüber dem Wortlauttatbestand die Garantenstellung gegeben sein muß77. Eine unüberwindliche Andersartigkeit von Auslegungs-Unterlassungsdelikten gegenüber Wortlaut-Unterlassungsdelikten besteht daher nicht. Schürmann hält § 13 StGB mangels tatbestandlieber Bestimmtheit für verfassungswidrig; die Entsprechung verlange eine über die Garantenpflicht hinausgehende Verletzung einer Sonderpflicht, diese sei im Gesetz aber nicht zu finden und damit die von § 13 StGB erfaßten Taten nicht hinreichend bestimmt7s. Zweifelhaft erscheint an der Auffassung Schürmanns, ob für die Entsprechung tatsächlich eine Sonderpflichtverletzung vorauszusetzen ist: wenn eine Mutter ihr Kind .verhungern läßt, wenn ein Arzt sich nicht um den verblutenden Patienten kümmert, wenn eine Bergsteigergruppe einem ihrer verunglückten Kameraden nicht hilft - wie sollte hier jeweils ein über die Garantenpflichtverletzung hinausgehendes Sonderunrecht aussehen? Aber auch ohne Sonderunrecht läßt sich die Strafwürdigkeit der Unterlassungen nicht verneinen. Allenfalls ließe sich fragen , ob das Unterlassen einem Handeln in der Strafwürdigkeit entspricht oder ob es nicht etwa grundsätzlich geringer zu bestrafen wäre. Das allerdings ist kein Problem der Entsprechung oder der tatbestandliehen Bestimmtheit, sondern der Gerechtigkeit und Schuldangemessenheit der Rechtsfolge.

C. Zusammenfassung des zweiten Teils Die Entsprechensklausel kann nur mit Blick auf Straftattheorie und Straftatsystematikrichtig beurteilt werden. Während die Straftattheorien angeben, welche allgemeinen Merkmale jede Straftat aufweist, erklärt die Systematik, wie die Merkmale zu ermitteln und wie sie zu ordnen sind. Die Strafrechtswissenschaft bemüht sich auf zwei Wegen um eine systematische Ordnung der Straftatmerkmale: zum einen geht man aus von einem klassifikatorischen System nach dem Vorbild naturwissenschaftlicher Systeme. Dieser Weg einer wertfrei ansetzenden Systematik mit der Handlung als Oberbegriff aller Straftaten muß als gescheitert angesehen werden: Handlungs- und Unterlassungsbegriff in einer wertfreien Systematik stellen Gegensätze dar, die sich gegenseitig ausschließen; einen gemeinsamen, wertfreien Oberbegriff gibt es nicht. Erst unter dem Gesichtspunkt einer Bewertung läßt sich für Handlungs- und Unterlassungsdelikt eine Gemeinsamkeit finden: nämlich die Wertwidrigkeit des Handeins oder Unterlassens. Hier setzen die Straftattheorien an, die einer teleologischen Systematik folgen . Merkmal 77 78

so auch Bärwinkel, S. 25 ff. Schürmann, S. 177, s. oben l.B.V.

C. Zusammenfassung des zweiten Teils

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dieser Systematik ist es, daß die Straftat im Hinblick auf Werte bestimmt wird. Merkmale jeder Straftat sind nach teleologischer Straftattheorie Unrecht und Schuld. Welche Handlungen oder Unterlassungen wertwidrig und damit Voraussetzung für die Rechtsfolge Strafe sind, wird bestimmt, indem sie auf wertvolle Güter wie Leib, Leben, Freiheit usw. bezogen werden. Unrecht ist gegeben, wenn der Täter in seinem Willensverhalten (durch gewolltes Tun oder durch das Fehlen gewollten Tuns, wo hätte gehandelt werden sollen) einen Achtungsanspruch verletzt, der von den anerkannten Gütern ausgeht und sich als gesellschaftliche Rechtsordnung an jedermann wendet und diese Verletzung tatbestandlieh geschildert ist. Die Schuld setzt voraus, daß sich der Täter auch in seinem geistigen Verhalten über das verletzte Rechtsgut hinweggesetzt hat. Die Kritik der Theorien zur Entsprechensklausel auf der Grundlage dieser teleologischen Straftatheorie hat gezeigt: für die Erfassung von Unterlassungsdelikten kommt der Entsprechensklausel keine Funktion zu; bei der Frage, wie Auslegungs-Unterlassungstatbestände aus Handlungstatbeständen zu gewinnen sind, geht es - wie der Ausdruck "Auslegungs-Unterlassen" nahelegt - um die Auslegung eines Handlungstatbestandes in Verbindung mit § 13 StGB. Eine Gleichstellung von Handlung und Unterlassung ist wegen der kontradiktorischen Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen nicht möglich. Allenfalls läßt sich fragen, ob sich Handeln und Unterlassen in der Strafwürdigkeit gleichstehen. Weiter hat die Kritik gezeigt, daß erfolgsdeliktische Bausteine und handlungsspezifische Modalitäten zu unterscheiden sind. Nach welchen Grundsätzen die Auslegung der Handlungsdelikte in Verbindung mit § 13 StGB zu erfolgen hat, wird im dritten Teil dieser Arbeit zu zeigen sein.

Dritter Teil

Schlußfolgerung aus der Kritik Wenn mit der Entsprechensklausel nichts gewonnen ist und alle Erwägungen um die Strafbarkeit der im Gesetz nicht ausdrücklich geschilderten Unterlassungsdelikte allein Sache der Auslegung sind - wie muß dann diese Auslegung vorgenommen werden? Über die Vorgehensweise bei der Auslegung herrscht keine Einigkeit, die Arbeiten zur juristischen Methodenlehre zeigen vielmehr, daß man hier auf ein ausgesprochenes Streitgebiet stößt!. An dieser Stelle umfassend Bericht zu erstatten, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Notwendig ist es aber, aufzuzeigen, wie die Auslegung der Strafnormen hier verstanden wird und nach welchen Grundsätzen der Wortlaut der Handlungsdelikte auszulegen ist, um durch die Auselgung in Verbindung mit § 13 StGB die Voraussetzungen eines Unterlassungsdelikts zu gewinnen. Wo ist eine derartige Auslegung möglich, wo sind ihr Grenzen gesetzt? Das sind die Fragen, die im dritten Teil zu beantworten sind. A. Die Auslegung der Strafnormen I. Verständnis und Methode der Auslegung

Für das Verständnis der Auslegung ist davon auszugehen, daß beim Begriff der Rechtsordnung zwei Seiten zu unterscheiden sind: zum einen die gesellschaftliche Rechtsordnung als die im Bewußtsein der Gesellschaft lebendige Grundordnung des Zusammenlebens und zum anderen die staatliche Rechtsordnung als die staatlich gesetzte und von den Gerichten und anderen staatlichen Organen praktizierte Rechtsordnung. Als Kehrseite zur gesellschaftlichen Rechtsordnung finden sich die Gehalte der gesellschaftlichen Rechtsordnung auch in der staatlichen Rechtsordnung wieder. Allerdings nicht in Form von an jedermann gerichteten Geboten, sondern als Handlungsanweisungen an die staatlichen Organe, auf Verletzungen der Gebote der gesellschaftlichen Rechtsordnung mit Rechtsfolgen zu reagieren2. Weil der Gehalt beider Rechtsordnungen - trotz der Unterschiede in der Form - im wesentlichen 1 vgl. den Überblick bei Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. III, 1976, S. 637 ff; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1985; Herberger/Koch, JuS 1978, S. 810 ff m.w.N. sowie die Nachweise zu 3.A. 2 Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen ... S. 10 ff.

A. Die Auslegung der Strafnormen

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übereinstimmt, erfährt die staatliche Rechtsordnung eben die allgemeine Anerkennung, wie sie der gesellschaftlichen Rechtsordnung zukommt, da die Notwendigkeit, gemeinschaftswichtige Güter zu bewahren, für jedermann unmittelbar einsichtig ist. Bei der Schaffung von Gesetzen schon orientiert sich der Gesetzgeber an den Werten der gesellschaftlichen Rechtsordnung. Strafvorschriften werden vom Gesetzgeber so gebildet, daß die Rechtsfolge Strafe und deren tatbestandliehe Voraussetzungen in einem als angemessen empfundenen Verhältnis zueinander stehen. Die an die staatlichen Organe gerichteten Handlungsanweisungen verfolgen den Zweck, auf Verletzungen der gesellschaftlichen Werteordnung mit einer dem Maß der Wertwidrigkeit entsprechenden Strafe zu reagieren. Daraus ergibt sich das Gefüge der Strafen für die verschiedenen Straftaten: je höher der Rang des durch die Tat verletzten Rechtsguts ist, desto größer ist die Wertwidrigkeit der Tat und desto schärfer ist die Rechtsfolge gestaltet. Verändern sich im Laufe der Zeit Werte der gesellschaftlichen Rechtsordnung- was für die weniger existenziellen Werte eher vorstellbar erscheint als etwa für die elementaren Werte wie Leben, körperliche Integrität, Freiheit usw. -, wird der Gesetzgeber die staatliche Rechtsordnung entprechend umgestalten, wenn nur der Wandel in den Werten als weitgehend allgemeingültig emfpunden wird. Daß dabei die staatliche Rechtsordnung auch auf die gesellschaftliche Rechtsordnung zurückwirkt, indem sie die Randbereiche der jeweiligen Werte schärfer festlegt , spricht nicht gegen die Vorstellung der zwei Rechtsordnungen im Gemeinwesen, sondern zeigt, daß beide nicht unverbunden nebeneinanderstehen3. So hat die Liberalisierung sexueller Anschauungen in der Gesellschaft zu einer Lockerung im Bereich des Sexualstrafrechts geführt. Umgekehrt hat der als wertwidrig empfundene Mißbrauch von EDVAnlagen neue Strafvorschriften hervorgebracht, und ein gesteigertes Umweltbewußtsein war der Hintergrund für ein Umweltstrafrecht, wie man es sich in den Nachkriegsjahren schwerlich hätte vorstellen können. Zur Form der staatlichen Rechtsordnung gehört, daß sie neben der Rechtsfolge die einzelnen tatbestandliehen Voraussetzungen angibt. Aus verschiedenen Gründen, u. a. zur rechtsstaatliehen Bestimmtheit der Strafgesetze, schildert der Gesetzgeber in den Voraussetzungen mehr oder weniger anschaulich ein Tatgeschehen, das ein Abbild des vorausgesetzten wertwidrigen Willensverhaltens ist; das Tatgeschehen wird "vertypt" oder "vertatbestandlicht"4 • Das typische Bild- etwa einer Körperverletzung- weist auf das, was eigentlich gemeint ist: das rechtsgutsverletzende Willensverhalten, das den Achtungsanspruch mißachtet, der von der körperlichen Integrität anderer ausgeht. Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen ... S. 18. so z. B. auch Jescheck, S. 196; Kaufmann, Dogmatik S. 14; Otto, AT S. 42 f; Schmidhäuser, AT 8/37; Wessels, S. 31 f. 3 4

8 Nitze

114

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Die Veranschaulichung in der Vertypung bringt aber auch Nachteile mit sich; sie kann dazu führen, daß ein Verhalten der Schilderung entspricht, obwohl es kein rechtsgutsverletzendes Verhalten darstellt, oder daß es nicht in dem Maße wertwidrig erscheint, wie es der angedrohten Rechtsfolge entsprechen würde. Andererseits ist es möglich, daß trotzder allgemein gehaltenen abstrakten Schilderung ein Verhalten nicht miterlaßt ist, das in gleicher Weise rechtsgutsverletzend erscheint wie das geschilderte. Hier liegt die Aufgabe der Auslegung: wie weit jeweils die gesetzliche Schilderung reicht, ist durch Auslegung zu ermitteln. Ganz so wie der Gesetzgeber bei der Schaffung von Normen, hat sich auch der Rechtsanwender dabei an den Werten der gesellschaftlichen Rechtsordnung zu orientieren. Ein durch die Vertypung bedingtes Auseinanderlaufen von gesellschaftlicher und staatlicher Rechtsordnung wird somit in der Auslegung größtenteils behoben. Das heißt für die Auslegung: die Begriffe des Tatbestandes sind vom Rechtsanwender so zu formen, daß mit der tatbestandliehen Schilderung die Sachverhalte erlaßt werden, deren Wertwidrigkeit die Rechtsfolge als gerecht erscheinen läßt. Ziel der Auslegung ist es damit, den Begriffen der Tatbestände einen im Hinblick auf die Rechtsfolge vernünftigen Sinn zu geben. Damit ist die Auslegung der Tatbestände des Besonderen Teils ebenso teleologisch vorzunehmens, wie die Begriffsbildung im Allgemeinen Teil, und zwar nicht nur als eine Stufe oder Art der Auslegung, sondern schon vom methodischen Vorgehen her6 (für das Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte Hilfsmittel darstellen). Anders als durch derart wertbezogenes Argumentieren ist eine Auslegung schwerlich vorstellbar, denn es fehlt sonst an jedem Bezugspunkt, der die Auslegung leitet. Wenn der Gesetzgeber wertverletzendes Verhalten durch Vertypung tatbestandlieh schildert und mit Strafe bedroht, dann verwendet er die Begriffe von vornherein in strafrechtlichem Zusammenhang, und eine wie auch immer verstandene allgemeine Wortbedeutung interessiert in diesem Zusammenhang nicht. Zutreffend stellt Wank in seiner Arbeit "Die juristische Begriffsbildung" fest: "Die Frage der Festsetzung einer Bedeutung stellen Semantik und Sprachphilosphie nicht, sie können daher dem Juristen darauf keine Antwort geben"7. Allein aus dem "eindeutigen Wortlaut", der so oft als maßgeblich in den Vordergrund gerückt wirds, lassen sich die tatbestandliehen Voraussetzungen nicht bestimmen. Ob der Wortlaut "eindeutig" ist, d. h. ob die in der Vorschrift bestimmte Rechtsfolge bei einem allgemeinsprachlichen Verständnis des Wortlauts angemessen ist, das kann erst mit Blick auf die 5 teleologische Begriffsbildung ist im BT weit mehr anerkannt als im AT, vgl. Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht; Schmidhäuser, WürtembergerFs, S. 91 ff m.w.N.; ferner Schwinge, S. 20 ff; Wank, S. 78, 151. 6 vgl. Schmidhäuser, Würtemberger-Fs., S. 91 ff; ders. , Studb. 3/40. 7 Wank, S. 33. s auf eindeutigen Wortlaut stellen z. B. ab: BGH NJW 1970, 1647 ff; BGHSt 13,287 (288); BGHSt 22, 235 (237) ; BGHSt 22, 146 (153) ; BGHSt 21, (33).

A. Die Auslegung der Strafnormen

115

Rechtsfolge und die in der Norm vertypte Wertverfehlung beurteilt werden. Wank bestätigt: "Diese zwingend gebotene Sicht des Regelkreises aus Tatbestand und Rechtsfolge wird in der Dogmatik nicht zuletzt auf Grund des Bildes vom Subsumtionsschluß verschüttet. Unter Überbetonung einer formalen Logik werden nur die Tatbestandsvoraussetzungen betrachtet, bei deren schlichter Addition scheinbar das Registrierkassenergebnis Rechtsfolge ausgeworfen wird, obwohl alle Rechengrößen von vornherein nur im Hinblick auf dieses Ergebnis ihren Sinn erhalten"9. Mit dieser Auffassung der Auslegung zeigt sich, daß der objektive Gehalt des Gesetzes maßgeblich ist und nicht der subjektive Wille des historischen Gesetzgebers. Da die Werte der gesellschaftlichen Rechtsordnung sich im Laufe der Zeit wandeln, ohne daß der Gesetzgeber immer sogleich die Rechtsnormen diesem Wandel anpaßt (was auch gar nicht erstrebenswert wäre, denn die relative Beständigkeit eines Wandels muß sich ja erst erweisen) hat das jeweils aktuelle Verständnis der Werteordnung zu bestimmen, welche Auslegung angemessen ist. Die Auslegung ist damit objektiv-teleologisch vorzunehmen to. Naucke möchte demgegenüber die objektive Auslegung nur subsidiär gelten lassen 11 , nämlich dort, wo die subjektive Auslegung das Ergebnis nicht "formulierbar" mache. Mit "formulierbar" meint Naucke offensichtlich "begründbar": er geht nämlich davon aus, daß "in zweifelhaften Fragen . .. das Ergebnis eher vorhanden (ist) als die Auslegung des Gesetzes . .. " und daß "die Auslegung ... nur nachgetragene Formulierung (ist)". Ginge es allein um die Formulierung des Ergebnisses, lautete es entweder "die Voraussetzungen der Strafe liegen vor", oder "die Voraussetzungen liegen nicht vor". Aber das Ergebnis muß auch begründet sein, wenn es Anspruch auf allgemeine Billigung erlangen will. Offensichtlich geht es auch Naucke um diese Begründung des Ergebnisses mit Hilfe der Auslegung. Die entscheidenden Sätze in den Darlegungen Nauckes lauten: "Die subjektive oder objektive Auslegung - so läßt sich verallgemeinernd sagen - bringt nach juristischer Übung heute im Strafrecht nicht selbst Ergebnisse. Das Ergebnis ist vorher da. Die Wahl des Auslegungsverfahrens hängt davon ab, welches Verfahren das Ergebnis formulierbar macht." . . . "Wenn Ergebnisse aber mit der subjektiven Auslegung formulierbar sind, so bedient man sich der subjektiven Auslegung und man wird sich der subjektiven Auslegung in diesen Fällen immer bedienen, denn dies ist das knappste und klarste Verfahren, ein Ergebnis juri9 Wank, S. 91; vgl. BVerfGE 25, 269, (286); 45, 187 (259 f); Schmidhäuser, Studb. 3/50 ff; ders., Reimers-Fs, S. 445 (446 f); ders., Würtemberger-Fs, S. 91 ff. 10 vgl. Schmidhäuser, Studb. 3/33 ff; ders., AT 5/35; der Sache nach auch z. B. Wank, S. 151; in Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung, S. 61 ff, zeigt Wank anband des Entstehungsvorgangs von Gesetzen, daß "eine psychologisierende Diskussion über den Willen des Gesetzgebers unergiebig ist" (63). u Naucke, Engisch-Fs, S. 274 (280); vgl. auch Hegenbarth, S. 172 f.

s•

116

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

stisch mitzuteilen. Die objektive Auslegung als Mittel der juristischen Kommunikation ,gilt' gleichsam nur subsidiär, nämlich für den Fall, daß die subjektive Auslegung versagt"l2. Aber kann man derart beliebig in der Auslegungsmethode wechseln? Wenn man so vorgeht, bleibt die Frage offen, warum die subjektive Auslegung in dem einen Falle eine tragfähige Begründung darstellen soll und im anderen Falle dieselbe Methode das Ergebnis nicht "formulierbar" erscheinen läßt. Angenommen, jemand wendet bei der Beurteilung eines Falles die subjektive Auslegung an, weil ihm das Ergebnis sachgerecht erscheint, und weiter angenommen, es komme ein anderer Beurteiler zu einer anderen Lösung unter Ablehnung der subjektiven Auslegung. Will man die Richtigkeit der unterschiedlichen Lösungen enscheiden, müßte weiter gefragt werden, warum im ersten Fall die subjektive Auslegung dem Beurteilenden gegenwärtig und auf diesen Fall bezogen überzeugend erscheint und warum der zweite Beurteilende sie für verfehlt hält. Hier würde dann argumentiert werden, daß die jeweilige Lösung sachgerecht sei, weil sie Sinn und Zweck des Gesetzes entspräche und es würde dann weiterhin der Sinn und Zweck des Gesetzes, wie er von den Beurteilern gesehen wird, erläutert werden. Damit sind es objektive Kriterien, mit denen argumentiert wird, d. h. die Frage, ob die subjektive Auslegung eine überzeugende Begründung darstellt, entscheidet sich erst, wenn objektive Auslegungsmaßstäbe herangezogen werden. Auf den ursprünglichen Ausgangspunkt der subjektiven Auslegung kommt es nicht mehr an. Die Auslegung hat daher von vornherein objektivteleologisch zu erfolgen. II. Wertprinzipien der Auslegung

Das Ergebnis der Auslegung hat einen subjektiven Ursprung, denn es ist abhängig vom Werterleben des jeweiligen Rechtsanwenders. Je nachdem, ob der Auslegende durch das zu prüfende Verhalten allgemein anerkannte Werte der gesellschaftlichen Rechtsordnung verletzt sieht oder nicht, wird er die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Vorschrift als gegeben ansehen oder verneinen. Trotzdem ist die Auslegung nicht dem Belieben des Rechtsanwenders überlassen. Der subjektive Ausgangspunkt wird sofort wieder relativiert und ins Objektive gewendet, denn das Ergebnis der Auslegung bedarf einer objektiven Begründung13 , die für Mitrichter, Schöffen, Instanzgerichte, aber auch für Öffentlichkeit und Betroffenen einsehbar sein muß. Einsehbar ist sie dann , wenn das zu prüfende Verhalten in gleicher Weise als rechtsgutsverletzend deutlich gemacht werden kann, wie das im Gesetz geschilderte Verhalten. Voraussetzung für die Einsehbarkeit ist insbesondere, daß sich die 12

f).

13

Naucke, Engisch-Fs, S. 274 (277 f) . vgl. Schwinge, S. 66; Wank, S. 93 ; Esser, S. 168 ff; ferner BVerfGE 34, 269 (286

A. Die Auslegung der Strafnormen

117

Auslegung an den Rahmen verfassungsrechtlich niedergelegter Wertprinzipien hält 14 • Zu nennen sind als verfassungsrechtliche Prinzipien der Auslegung die Achtung vor der Menschenwürde, die besonders im Schuldgrundsatz und im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens zum Ausdruck kommt; ferner die Gerechtigkeit und schließlich die Rechtssicherheit 15. Tatbestand und Rechtsfolge müssen daher in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Verfassungsgemäßheil der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord deutlich herausgestellt: "Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege, auf dem höchste Anforderungen an die Gerechtigkeit gestellt werden, bestimmt Art. 1 Abs. 1 GG die Auffassung vom Wesen der Strafe und das Verhältnis von Schuld und Sühne . . .", "Nach dem Schuldgrundsatz, der aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG (Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen) sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt, müssen Tatbestand und Rechtsfolge - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - sachgerecht aufeinander abgestimmt sein . . . Die angedrohte Strafe hat daher in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Maß der Schuld des Täters zu stehen; die verhängte Strafe darf die Schuld des Täters nicht übersteigen"l6. In diesen Prinzipien wird deutlich, daß die Rechtsordnung sich nur an den Werten orientieren kann, die für ein gedeihliches Zusammenleben weitgehend als unerläßlich anerkannt sind, und daß staatliche Gewalt nur das äußerste Mittel zum Bewahren dieser Werte sein darf, wenn sie gegen den einzelnen Rechtsbrecher eingesezt wird. Damit geben die in den genannten Verfassungsprinzipien zum Ausdruck kommenden Werte die Gehalte wider, die der gesellschaftlichen Rechtsordnung selbst die allgemeine Anerkennung sichern und die allein deshalb nur Maßstab aller Auslegung sein können. In der Literatur findet sich die "verfassungskonforme Auslegung" als ein Auslegungskriterium unter mehreren anderen Kriterien der Auslegung!?. Werden aber die Verfassungsprinzipien als Grundlage der Auslegung verstanden, dann verschleiert das Auslegungskriterium der verfassungskonformen Auslegung die herausragende Bedeutung der Verfassungssätze. Schmidhäuser weist daher darauf hin, daß die Auslegung "von vornherein vom Grundgesetz auf die Strafgesetze zu sehen (hat)" und daß "nicht nur etwa gewisse Korrekturen vorzunehmen sind, damit das Strafrecht dem Grundgesetz soweit wie nötig angepaßt werde"l8. BVerfGE 45, 187 (228, 259 f) . vgl. Schmidhäuser, AT 5/34 ff. 16 BVerfGE 45, 187 (228, 259 f) ; s. a. BVerfGE 20, 323, (331) ; BVerfGE 25 , 269, (286). 17 vgl. z. B. Larenz, S. 325 ff, 330. 18 Schmidhäuser, AT 5/34. 14

1s

118

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

111. Voraussetzungen der objektiv-teleologischen Auslegung Mit der Darstellung der objektiv-teleologischen Auslegungsmethode ist eigentlich alles Notwendige zur Auslegung gesagt; die nachfolgend angeführten Voraussetzungen leiten sich hieraus ab. Wenn trotzdem auf diese Voraussetzungen nochmals ausdrücklich hingewiesen wird, dann deshalb, weil ihnen - wie noch zu zeigen sein wird - für die Auslegungs-Unterlassungsdelikte besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. 1. Bestimmung der Grenze zwischen Auslegung und Analogie

Die Auslegungs-Unterlassungstatbestände sind das Ergebnis einer Auslegung, die sich besonders weit vom Wortlauttatbestand entfernt hat. Daher stellt sich die Frage nach der Grenze zwischen erlaubter Auslegung und verbotener Analogie (zuungunsten des Täters) als grundsätzliches Problem des Auslegungs-Unterlassens. Zwei Auffassungen nehmen zu diesem Problem Stellung. a) Eine verbreitete Auffassung sieht die Nahtstelle von Auslegung und Analogie im "umgangssprachlichen" oder "natürlichen" oder "möglichen" Wortsinn. "Was jenseits des sprachlich möglichen Wortsinns liegt, durch ihn eindeutig ausgeschlossen wird, kann nicht mehr im Wege der Auslegung als die hier maßgebliche Bedeutung des Ausdrucks verstanden werden", heißt es z. B. bei Larenz, "eine Deutung, die nicht mehr im Bereich des möglichen Wortsinns liegt, ist nicht mehr Ausdeutung, sondern wäre Umdeutung"19. Teilweise wird der Grenze des möglichen Wortsinns erhebliche Bedeutung zugemessen: "Das Kriterium des möglichen Wortsinns ist aus rechtsstaatliehen Gründen unentbehrlich, denn damit bietet sich das einzige objektiv nachprüfbare Merkmal dar, das mit einer gewissen Sicherheit erkennen läßt, wo die Verantwortung des Richters für selbstgeschaffenes Recht beginnt"20. Problematisch ist jedoch, wo der mögliche Wortsinn endet und die Analogie anfängt. In den kritischen Fällen ist eine sichere Grenze gerade nicht auszumachen. Das erweisen die zahlreich in der Literatur angeführten Beispiele21, von denen hier nur zwei zitiert werden sollen: Unterlassene Hilfeleistung gern. § 323 c StGB setzt u. a. voraus, daß der Täter bei einem "Unglücksfall" nicht Hilfe leistet. Als Unglücksfall i. S. des § 323 c StGB wird allgemein nicht nur 19 Larenz, S. 307; vgl. Jescheck, S. 126; Baumann!Weber, S. 158; Engisch, Methodenlehre, S. 153 und Fn. 180; Roxin, ZStW 83 (1971) S. 375 (378); Baumann, MDR 1958 S. 394 ff; Schünemann, Bockelmann-Fs, S. 117 (126); ders., S. 365; Bydlinski, S. 441; ausführlich Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 146 ff vgl. ferner die Untersuchung von Einzelfällen der Rspr. bei Savigny/Neumann, S. 42 ff; zum Ganzen ausführlich und m.w.N. Wank, S. 23 ff. 20 Jescheck, S. 126. 21 z. B. Schmidhäuser, AT 5/42; Wank, S. 31.

A. Die Auslegung der Strafnormen

119

der eingetretene Schaden - etwa eine ärztliche Versorgung verlangende Körperverletzung - angesehen, sondern auch schon ein drohender Unglücksfall. Die Handlungspflicht besteht nicht erst, nachdem - so das Fallbeispiel bei Schmidhäuser22- das auf den Bahngleisen spielende Kind vom Zug erfaßt und verletzt wurde, sondern insbesondere schon dann, wenn der Zug jeden Moment heranzurasen droht. In der Auslegung stellt damit auch eine Gefahrensituation einen Unglücksfall dar, die umgangsprachlich kaum so bezeichnet werden würde. Als "Gewalt" i. S. des Raubes gern. § 249 StGB hat der BGH23 es bezeichnet, wenn "der Täter das Opfer durch ein ohne Gewaltanwendung beigebrachtes Betäubungsmittel seiner Widerstandskraft beraubt". Von einem möglichen oder natürlichen Wortsinn zu sprechen, überzeugt nicht, wenn "Gewalt" auch "ohne Gewaltanwendung" bedeuten kann. Ausführungen darüber, was den möglichen Wortsinn kennzeichnet und wie er zu ermitteln ist, liefern die Anhänger der Theorie des möglichen Wortsinns nicht. Im Gegenteil: die Unmöglichkeit einer scharfen Grenzziehung wird von den meisten Vertretern der Theorie des möglichen Wortsinns gar nicht in Abrede gestellt24 • Dennoch kann man sich nicht zu der Feststellung durchringen, daß eine sichere Abgrenzung zwischen Auslegung und Analogie ausgeschlossen ist und so das Analogieverbot relativiert wird. Resignierend stellt z. B. Larenz fest: "Eine andere Grenze ... als die des sprachlich möglichen Wortsinns läßt sich nicht finden"25. Daneben muß der Satz: Analogieverbote seien "nicht grundsätzlich so wirkungslos wie meist Auslegungsverbote"26 befremden: wenn eine sichere Grenze zwischen Auslegung und Analogie nicht auffindbar ist - woraus sollte ein Analogieverbot dann seine Wirksamkeit schöpfen? Wie könnte- so ist weiter zu fragen- die Grenze des möglichen Wortsinns rechtsstaatlich unentbehrlich sein, wenn sie sich gar nicht sicher feststellen läßt? b) Die Gegenauffassung nimmt die Unmöglichkeit einer scharfen Grenzziehung zwischen dem möglichen und nicht mehr möglichen Wortsinn als gegeben hin und sucht von dieser Warte aus nach einer Abgrenzung27. Einerseits betrachtet man hier Auslegung und Analogie als formallogische Methoden, mit der Folge, daß sowohl Auslegung als auch. Analogie als analogische Schmidhäuser, Studb. 3/50; zum Begriff Unglücksfall BGH NStZ 1985, 122. BGHSt 1, 145 (147 ff); s. dieses Beispiel auch bei Schmidhäuser, Studb. 3/50; ähnlich BGHSt 1,1 (3): zum Begriff der "Waffe" in§ 223 a StGB gehören auch chemisch wirkende Mittel (Salzsäure, die dem Opfer im Gesicht beigebracht wurde) . 24 z. B. Larenz, S. 308; Baumann/Weber, S. 158; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 152; Bydlinski, S. 470, Fn. 143. 25 Larenz, S. 308. 26 Larenz, S. 308. 27 Hassemer, TatbestandS. 164; Hegenbarth, S. 115; Arthur Kaufmann, Analogie S. 4; Schmidhäuser, Studb. 3/52; vgl. ferner Ernst Meyer, S. 60 f; Leenen, S. 173 ff. 22 23

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3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Schlußverfahren bezeichnet werden und daher nach "erlaubter" und "unerlaubter" Analogie zu unterscheiden sei28. Damit gewinnt die Abgrenzung zwar einen neuen Namen, aber keine Kriterien. Andererseits wird das Problem aus der Sicht des Zwecks, dem das Analogieverbot zukommt, deutlich gemacht. Analogie ist danach gegeben, wenn der Rechtsanwender eine Lücke des Gesetzes ausfüllt. Wann allerdings eine Lücke vorliegt, das erweise sich erst aus der Auslegung des Gesetzes. Das Verbot der Analogie zuungunsten des Täters bestehe daher für die Strafrechtspraxis nur insoweit, als sie selbst eine Lücke im Gesetz anerkenne. Praktisch bleibe vom Analogieverbot nur übrig: "Wo der Gesetzesanwender meint, es handle sich nicht mehr um Auslegung des Gesetzes, sondern um Analogie, da hat er die ,Lücke' im Gesetz hinzunehmen, und da ist eine Bestrafung des Täters unzulässig. Wo der Gesetzesanwender jedoch in gewissenhafter Überzeugung meint, die Bindung ans Gesetz mache diese seine Auslegung notwendig, da hat er dem so verstandenen Rechtssatz zu folgen und (als Richter) den Täter zu bestrafen"29. Diese Auffassung entspricht dem hier vertretenen Gedanken, daß die Leistung der Auslegung in einer vernünftigen Begründung der Rechtsfolge zu sehen ist. Daß der mögliche Wortsinn die Abgrenzung von Auslegung und Analogie verfehlt, zeigt sich ferner, wenn der juristische Sprachgebrauch enger gezogen wird als der tatsächliche Umgangssprachgebrauch: in diesem Fall ist der juristische Sprachgebrauch maßgeblich und der Umgangssprachgebrauch wäre Analogie - Analogie innerhalb des möglichen Wortsinns3o. Damit kann der mögliche Wortsinn aber kein Abgrenzungskriterium zur Analogie sein. Deutlich zeigt sich dies beim Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, das von Juristen mit Blick auf die absolute Rechtsfolge zu Recht wesentlich enger als im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird. Eine vorsätzliche Tötung z. B. als Reaktion auf eine Beleidigung wird nicht als Tötung aus niedrigem Beweggrund angesehen, umgangssprachlich wäre das aber keineswegs ausgeschlossen. Nicht gefolgt werden kann dieser Auffassung allerdings, soweit sie dem möglichen Wortsinn jegliche Bedeutung abspricht, denn eine Grenze des möglichen Wortsinns läßt sich entgegen der Kritik durchaus feststellen , nur bezeichnet sie nicht zugleich auch die Grenze zwischen Auslegung und Analogie.

28 Hassemer, TatbestandS. 160 ff; Hruschka, Verstehen S. 102; Artbur Kaufmann, Analogie S. 4 ff; Sax, Analogieverbot S. 152 ff. 29 Schmidhäuser, AT 5/43. 3o Wank, S. 32.

A. Die Auslegung der Strafnormen

121

2. Keine Überschreitung des möglichen Sprachsinns

Wenn die Grenze zwischen Auslegung und Analogie vage ist, heißt das noch nicht, daß eine sichere Aussage darüber unmöglich wäre, wann eine bestimmte Auslegung mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Diese sichere Aussage liefert der mögliche Sprachsinn. Die Grenze ist dort gegeben, wo die sprachbezogene Logik eine formale allgemeinsprachliche Grenze zieht. Das ist (u. a.) der Fall, wenn für einen Ausdruck dessen kontradiktorisches Gegenteil eingesetzt wird31: die mit einem bestimmten Ausdruck bezeichnete Voraussetzung würde entfallen, wenn der Ausdruck auch sein kontradiktorisches Gegenteil umfassen soll. Es machte dann keinen Unterschied, ob der im Wortlaut vorausgesetzte Sachverhalt gegeben ist oder nicht. Der Ausdruck "bewegliche Sache" z. B. kann nicht auch verstanden werden als "unbewegliche Sache", beide Begriffe schließen sich gegenseitig aus. Zutreffend stellt Bärwinkel fest: "Eine Auslegung, die ein und demselben Wort zwei Begriffe zuordnet, die nicht nur unvereinbar nebeneinander stehen, sondern sich als kontradiktorisch auch gegenseitig ausschließen, weil einer die Verneinung des anderen ist, wäre keine Auslegung mehr, sondern ein juristischer Trick"32. Um den Unterschied dieser absoluten Grenze der Auslegung gegenüber dem herkömmlichen Verständnis des Begriffs "möglicher Wortsinn" deutlich zu machen, soll deshalb der Ausdruck "möglicher Sprachsinn" gebraucht werden. Die oben zur Kritik der Theorie des möglichen Wortsinns als Abgrenzungskriterium zwischen Auslegung und Analogie genannten Beispiele liegen innerhalb des möglichen Sprachsinns: zwar ist die nahe Gefahr eines Unglücksfalles in der Umgangssprache (noch) kein Unglücksfall. Bei der Auslegung geht es aber gerade um eine rechtsgutsbezogene inhaltliche Ausformung der im Wortlaut genannten Begriffe über die umgangssprachliche Bedeutung hinaus. Maßgeblich ist dabei die Funktion der Begriffsmerkmale als Voraussetzung für die Rechtsfolge. Danach ergibt sich: Im Auslegungstatbestand wird nicht etwa "kein Unglücksfall" anstelle von "Unglücksfall" vorausgesetzt, sondern vielmehr "eine Situation, die eine Gefahrenlage für ein Rechtsgutsobjekt von einigem Gewicht, wie Leib, Leben, erhebliche Sachwerte usw. bedeutet". Das Merkmal "Unglücksfall" des umgangssprachlich verstandenen Wortlauttatbestandes wird also im Auslegungstatbestand nicht als sein kontrakiktorisches Gegenteil vorausgesetzt, sondern in einer gegenüber dem Wortlaut ausgedehnten Bedeutung. Entsprechend liegt es beim Merkmal "Gewalt" im Wortlauttatbestand des Raubes. Was hier umgangssprachlich als Gewaltlosigkeit erscheint, ist im 31

32

vgl. Sax, Nottarp-Fs. S. 144 f; ders., Analogieverbot S. 123 ff; Bärwinkel, S. 30. Bärwinkel, S. 30.

122

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Auslegungstatbestand nicht etwa die Voraussetzung "ohne Gewalt", sondern eine weitreichende Auslegung des Ausdrucks "Gewalt" zu der Voraussetzung: "ein die Widerstandskraft eines anderen brechendes Verhalten". Anders dagegen liegt der Fall, wenn statt einer Handlung, die der Wortlauttatbestand voraussetzt, in der Auslegung das Unterlassen dieser Handlung vorausgesetzt werden soll. Ein im Wortlauttatbestand geschildertes Tun kann in der Auslegung nie zugleich auch ein Unterlassen sein; selbst bei noch so weiter Auslegung kann ein Begriff niemals sein kontradiktorisches Gegenteil in sich aufnehmen. Das Merkmal "(vor Gericht eidlich) aussagen" etwa kann im Auslegungstatbestand nicht zu "Unterlassen des Aussagens" oder "nicht aussagen" werden. Hier wäre die Grenze des möglichen Sprachsinns überschrittenJJ und das Merkmal damit keine Voraussetzung mehr. Ein anderes Beispiel zeigt die durch den möglichen Sprachsinn gezogene Grenze der Auslegung noch deutlicher: Der Begriff "rennen" etwa kann auch "hasten", "gehen" und sogar- bei extremer Auslegung- "langsam gehen" umfassen (so wie Unglücksfall auch die nahe Gefahr bedeuten kann). Logisch ausgeschlossen ist aber "ruhen" im Sinne von "nicht rennen"; "rennen" und "nicht rennen" schließen sich als kontradiktorische Gegensätze logisch gegenseitig aus. Nochmals sei ausdrücklich betont, daß die Grenze zwischen dem möglichen und nicht mehr möglichen Sprachsinn allein sagt, wann eine Auslegung nicht mehr in Betracht kommt - ohne positiv die Grenze zwischen Auslegung und Analogie zu ziehen: was noch innerhalb des möglichen Sprachsinns liegt, kann längst schon verbotene Analogie sein. Wenn etwa dem Nichtschwimmer die ererbte Taschenuhr vom Bootssteg ins Wasser fällt, mag er den Verlust des Erbstücks als Unglück erleben; die Bezeichnung dieses Vorfalls als Unglücksfall liegt jedenfalls im Bereich des möglichen Sprachsinns34 • Gleichwohl wäre diese Auslegung im Rahmen der Unterlassenen Hilfeleistung gern. § 323 c StGB eine unerlaubte Analogie, wenn es z. B. um die Strafbarkeit einiger in der Nähe Schwimmender gehen würde, die die Uhr leicht aus dem Wasser hätten holen können. Innerhalb des möglichen Sprachsinns liegt es z. B. ferner, beleidigende Anrufe als Eindringen in eine Wohnung anzusehen oder die Wegnahme einer wertlosen Sache als Vermögensschädigung zu bezeichnenfür den Hausfriedensbruch oder den Betrug wären diese Auslegungen verbotene Analogie. Die Grenze des möglichen Sprachsinns sagt also nicht, wann eine Auslegung zulässig ist, sondern sie zeigt lediglich, wann sie aus sprachlich-logischen Gründen ausgeschlossen ist. Im übrigen beginnt die Analogie dort, wo der Rechtsanwender eine Auslegung nicht mehr für hinreichend überzeugend begründbar hält.

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34

vgl. Wank, S. 32. vgl. auch das Beispiel bei Schmidhäuser, Studb. 3/50.

A. Die Auslegung der Strafnormen

123

3. Notwendigkeit eines sachgerechten Systems der Rechtsfolgen

Als "sachgerecht" in bezug auf das staatliche Strafen ist das Gesetz als System von Handlungsanweisungen an die staatlichen Organe dann anzusehen, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen der typisierten Verhaltensweisen gerecht im Verhältnis zu allen anderen Verhaltensweisen festgesetzt hat; eine Tat darf nicht im Verhältnis zu anderen Taten unangemessen niedrig oder hoch bestraft werden. Zwar sind die tatbestandliehen Voraussetzungen der Rechtssätze so zu bilden, daß Voraussetzung und Rechtsfolge in einem angemessenen Verhältnis stehen35, so daß bei einer vom Gesetz überzogenen Strafdrohung die Voraussetzungen entsprechend eng auszulegen wären. Aber es würde so eine Strafbarkeilslücke entstehen: Verhaltensweisen, deren Wertwidrigkeit unterhalb der vom Gesetz vorgesehenen Strafe bleibt, würden von der Auslegung nicht erfaßt. Abgesehen davon, daß unsachgemäße Strafbarkeitslücken die allgemeine Anerkennung der staatlichen Rechtsordnung zu untergraben geeignet sind, besteht entgegengesetzt die Gefahr, daß in der Praxis dennoch mit dubiosen Begründungen eine Strafbarkeit erreicht wird, etwa mit dem Hinweis auf ein "unabweisbares Strafbarkeitsbedürfnis"36, oder indem die Auslegung von vornherein nicht objektiv-teleologisch einschränkend vorgenommen wird und die überzogene Rechtsfolge dann auf anderem Wege- mit einer gewissen Beliebigkeil in der Begründung- nachträglich wieder begrenzt wird37. Es zeigt sich also, daß die Rechtsfolgen der einzelnen Bestimmungen dem Unwert des vorausgesetzten Verhaltens entsprechend abgestuft sein müssen, wenn eine durchgängig sachgerechte Rechtsanwendung gewährleistet sein soll; Lorenzen spricht zutreffend von "Systemgerechtigkeit" des Gesetzes38 . Die Rechtsfolge ist zwar der Auslegung entzogen, insofern ist der Rechtsanwender strikt an das Gesetz i. S. des Art. 20 Abs. 3 GG gebunden. Das hindert aber nicht daran, gegebenenfalls eine andere Rechtsfolge de lege ferenda vorzuschlagen, um den "Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent (sind)"39, gerecht zu werden. Aus diesem Grunde ist im Interesse einer sachgerechten objektiv-teleologischen Auslegung der Handlungsdelikte zu untersuchen, ob die fakultative Strafmilderung, die § 13 Abs. 2 StGB für das Auslegungs-Unterlassen vor35 s. o. 3.A.I.

36 zur Kritik dieses Ausdrucks und dieser Begründungs. Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 50 ff. 37 ein Beispiel verfehlter formaler Auslegung und hernach fragwürdiger Begrenzung liefert BGHSt 30, 105: das Mordmerkmal "Heimtücke" wird zunächst weit ausgelegt und die Voraussetzungen des Mordes bejaht, dann aber die Strafe nach § 49 StGB gemildert(!) . 38 Lorenzen, S. 122. 39 BVerfGE 34, 269 (286).

124

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

sieht, tatsächlich der Strafwürdigkeit im Verhältnis zu den Handlungsdelikten angemessen ist. Der Begriff "Strafwürdigkeit" ist in diesem Zusammenhang dem Begriff der "Wertwidrigkeit" vorzuziehen. Das Urteil: "ein Verhalten ist strafwürdig", stellt die abschließende Wertung dar, daß wegen dieses Verhaltens gestraft werden sollte40, der Begriff der Strafwürdigkeit ist also umfassender als der BegriffWertwidrigkeit, denn er schließt sämtliche Momente aus dem Gesamtgeschehen einer Tat ein, also auch außerhalb von Unrecht und Schuld liegende Umstände. Für die Strafwürdigkeit wird nach absoluter Strafwürdigkeit- ob überhaupt gestraft werden sollte - und relativer Strafwürdigkeit unterschieden - wie dieses Verhalten im Verhältnis zu anderem Verhalten bestraft werden sollte41. Im Hinblick auf das Auslegungs-Unterlassen interessiert dabei vor allem die relative Strafwürdigkeit des Unterlassungsdelikts im Verhältnis zu dem jeweiligen Handlungsdelikt, dessen tatbestandliehe Schilderung die Grundlage des Unterlassungstatbestandes abgibt.

IV. Zusammenfassung Für das Verständnis der Auslegung ist von den zwei Seiten der Rechtsordnung auszugehen: der im Bewußtsein der Gesellschaft lebendigen gesellschaftlichen Rechtsordnung und der staatlich gesetzten, in Paragraphen sich findenden staatlichen Rechtsordnung. Die gesellschaftliche Rechtsordnung spiegelt die für ein Zusammenleben unerläßlichen Werte als an jedermann gerichtete Gebote wider. Die staatliche Rechtsordnung entspricht ihr im Gehalt, unterscheidet sich aber darin, daß sie Handlungsanweisungen an die staatlichen Organe darstellt, der Rechtsfolge entsprechend zu handeln, wenn die tatbestandliehen Voraussetzungen vorliegen. Ziel der Auslegung ist es, den Begriffen der Tatbestände im Hinblick auf die Rechtsfolge einen vernünftigen Sinn zu geben, wobei vernünftig heißt, daß die Rechtsfolge in einem der Wertverfehlung entsprechenden Verhältnis steht; die Auslegung ist daher objektiv-teleologisch vorzunehmen. Verfassungsrechtliche Prinzipien sind die Achtung vor der Menschenwürde -sie kommt vor allem im Schuldgrundsatz und im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Ausdruck-, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Für eine sachgerecht objektiv-teleologische Auslegung ist vorauszusetzen: die Bestimmung der Grenze zwischen Auslegung und Analogie, die EinhalAlwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 21 ff. zum Begriff der relativen Strafwürdigkeit vgl. M.-K. Meyer, Diss. Hamburg, 1970, S. 133 f; Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 39. 40 41

B. Möglichkeit und Grenze des Auslegungs-Unterlassens

125

tung des möglichen Sprachsinns sowie ein sachgerechtes System der Rechtsfolgen. Die Grenze der Auslegung wird durch die Auslegung selbst bestimmt: wo der Gesetzesanwender unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Auslegungsprinzipien in gewissenhafter Überzeugung meint, die Bindung ans Gesetz mache eine Bestrafung erforderlich, dort hat er dem so verstandenen Rechtssatz zu folgen, dort liegt Auslegung vor; dort wo er meint, eine Auslegung sei ausgeschlossen, würde die Bestrafung verbotene Analogie bedeuten. Der mögliche Sprachsinn ist überschritten, wenn für einen Ausdruck dessen kontradiktorisches Gegenteil eingesetzt wird, da dann die Voraussetzung, die der Ausdruck bezeichnet, ganz und gar entfällt. Systemgerechtigkeit ist gegeben, wenn die Rechtsfolgen dem Unwert des vorausgesetzten Verhaltens entsprechend abgestuft sind. Hinsichtlich der Rechtsfolge ist der Gesetzesanwender strikt an das Gesetz gebunden; im Fall einer unvollkommenen Abstufung läßt sich zwar eine überzogene Bestrafung durch einschränkende Auslegung ausschließen, aber es können unerwünschte Strafbarkeitslücken auftreten. In diesem Fall ist de lege ferenda eine systemgerechte Rechtsfolge vorzuschlagen. B. Möglichkeit und Grenze des Auslegungs-Unterlassens

I. Logische Voraussetzung des Auslegungs-Unterlassens Sieht man von den Voraussetzungen der Strafgesetze auf einen zu begutachtenden Sachverhalt, dann stellt sich bei der Beurteilung eines Unterlassens die Frage, ob die Voraussetzungen des Tatbestandes vorliegen, obwohl der Täter die im Wortlaut des Gesetzes beschriebene Handlung gar nicht vorgenommen hat- im Fall eines Tötungsdelikts also z. B., ob die Voraussetzungen des Totschlags vorliegen, obwohl der Täter eine Tötungshandlung nicht vorgenommen, sondern die Rettung eines anderen unterlassen hat. Da ein Begriff- wie oben gezeigt! - in der Auslegung nie auch sein kontradiktrorisches Gegenteil meinen kann, scheidet das schlichte Handeln als Anknüpfungspunkt für ein Auslegungs-Unterlassen jedenfalls aus. Das Beispiel des Tötungsdelikts durch Nichtabwenden des Todes verweist aber auf den richtigen Anknüpfungspunkt: nämlich auf den im Unrechtstatbestand vorausgesetzten Erfolg (ganz so, wie der Wortlaut des § 13 Abs. 1 StGB es in seiner Formulierung nahelegt). Nur ein Erfolg kann sowohl durch Handeln als auch durch ein vom Handeln unabhängiges Gefahrenereignis eintreten und den Täter als Garanten zur Abwendung der Gefahr verpflichten. Damit sind im Folgenden drei Fragen zu beantworten: zum einen, wie der Erfolgsbegriff im einzelnen zu bilden ist, sodann, wie festzustellen ist, ob ein Delikt einen bestimmten Erfolg voraussetzt, und schließlich, welche Delikte über die reinen Erfolgsdelikte hinaus als Auslegungs-Unterlassungsdelikte in Betracht kommen. I

s. oben, 3.A.III.2.

126

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

U. Edolg als Anknüpfungspunkt der Auslegung 1. Begriffsbildung

Im Erfolgsbegriff findet sich ein Musterbeispiel teleologischer Begriffsbildung, dabei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: kann ein Ereignis sowohl durch menschliches Handeln als auch durch andere Ursachen eintreten, dann ist bei einem Delikt, das dieses Ereignis voraussetzt, zu prüfen, ob das Ereignis dem Handeln des Täters oder anderen Ursachen objektiv zuzurechnen ist. Die Bezeichnung "Erfolgsdelikt" markiert also, daß hier gegenüber schlichten Handlungs- oder Unterlassungsdelikten eine zusätzliche Voraussetzung zu beachten ist. Diese Voraussetzung ist immer dann zu prüfen, wenn ein Ereignis in irgendeiner Form ohne menschliches Handeln, allein aus natürlichen Bedingungen, zustande kommen könnte, denn dann kommt es für die Strafbarkeit des Täters darauf an, ob der Eintritt des Ereignisses nicht einer natürlichen Bedingung, sondern dem Handeln oder Unterlassen des Täters objektiv zuzurechnen ist. Ereignis in diesem Sinne kann die Verletzung eines Rechtsgutsobjektes sein (der Tod des Opfers) oder die Gefahr der Verletzung eines Rechtsgutsobjektes (z. B. die Brandgefahr für Moor- und Heideflächen). Einige Erfolge sind zwar relativ selten menschlichem Handeln zuzurechnen - man denke etwa an Überschwemmungen -, andere wiederum fast ausschließlich - z. B. Vermögensminderungen. Immer aber besteht überhaupt die Möglichkeit, daß das Ereignis seiner Struktur nach auch unabhängig vom Handeln eines anderen eintreten könnte- was z. B. beim Irrtum der Fall ist, wenn der BAFöG-Empfänger durch Zeitablauf unbemerkt die Förderungshöchstgrenze überschreitet, oder bei der Vermögensminderung, wenn Geldnoten durch ein Feuer vernichtet werden, oder bei der Gesundheitsbeschädigung, wenn jemand ohne ersichtlichen Anlaß erkrankt. Auch das Fassen von Entschlüssen ist losgelöst vom Handeln eines anderen denkbar. Kein Erfolg in diesem Sinne dagegen ist z. B. das Herstellen kerntechnischer Anlagen: sie können ausschließlich durch menschliches Handeln entstehen. Den Begriff des Erfolges benutzt man in der Strafrechtswissenschaft noch in einem ganz anderen Zusammenhang: teilweise unterscheidet man nämlich im Anschluß an Mezger2 "Erfolg im engeren Sinne" und "Erfolg im weiteren Sinne". Während sich "Erfolg im engeren Sinne" mit der hier genannten Auffassung deckt und ein der Handlung nachfolgendes Ereignis meint, wird als 2 Mezger, S. 95; ferner Grünwald, ZStW 70 (1958} S. 412 (413 Fn. 6), ders., Diss. Göttingen 1956, S. 19; Schöne, S. 326; Sch/Sch/Stree, § 13 Rz. 3; a. A. wie hier LK/ Jescheck, § 13 Rz. 2 m.w.N.; Steiner, MDR 1971, 260 f.

B. Möglichkeit und Grenze des Auslegungs-Unterlassens

127

"Erfolg im weiteren Sinne" die "Erfüllung des Tatbestandes" bezeichnet. Mit dieser Begriffsbildung wird aber die Erfolgsbeziehung als zusätzliche Voraussetzung der Erfolgsdelikte verwischt, denn mit einem zurechenbaren Ereignis hat "Erfolg im weiteren Sinne" nichts zu tun. Es besteht durch diesen Sprachgebrauch die Gefahr, daß mit dem weiten Erfolgsbegriff eine Erfolgsbeziehung auch dort fingiert wird, wo sie tatsächlich gar nicht besteht. Zusammen mit der Fiktion, auch das Unterlassen sei eine Form des Handelns, gelangt man zudem mit dem "Erfolg im weiteren Sinne" zu einer sachwidrigen Ausweitungder Unterlassungsstrafbarkeit auf praktisch alle im Gesetz geschilderten Handlungsdelikte. Bei Baumann z. B. heißt es: "Begehen durch Unterlassen kommt - entgegen der Formulierung in § 13 ("unterläßt, einen Erfolg abzuwenden")- nicht nur bei Erfolgsdelikten, sondern bei allen Begehungsdelikten, auch den schlichten Tätigkeitsdelikten in Betracht ... "3. Aber diese Ausweitung beruht eben auf einer Fiktion, sachlich begründen läßt sie sich nicht. Im übrigen ist die Bezeichnung der "Erfüllung des Tatbestandes" als "Erfolg im weiteren Sinne" ungenau, denn statt danach zu fragen, ob ein Täter einen Tatbestand "erfüllt", ist für die Strafbarkeit zu prüfen, ob die tatbestandlieh geschilderten Voraussetzungen vorliegen, aufgrund derer die staatlichen Organe angewiesen sind, mit der Rechtsfolge Strafe zu reagieren. Das Ergebnis dieser Prüfung lautet dann entweder, daß die Voraussetzungen gegeben sind oder daß sie nicht vorliegen - ein irgendwie gearteter Erfolg ist darin nicht zu erblicken. 2. Die tatbestandliehe Kennzeichnung eines Erfolges

Das StGB benennt die Voraussetzung eines Unrechtserfolges der Delikte des Besonderen Teils in abgestufter Deutlichkeit. Während bei den meisten Delikten unmittelbar der Wortlaut einen Erfolg schildert, ist bei einigen Delikten nicht ohne weiteres erkennbar, ob sie einen Erfolg voraussetzen. Der Unrechtstatbestand der fahrlässigen Tötung setzt gern. § 222 StGB voraus, daß der Täter "den Tod eines Menschen verursacht". Aus dem Wortlaut geht unmittelbar hervor, daß der "Tod eines Menschen" den vorausgesetzten Erfolg bezeichnet. Demgegenüber schildert der Unrechtstatbestand des vorsätzlichen Totschlags gern. § 212 StGB ausschließlich ein Handeln. Allerdings schließt der Begriff "töten" den Erfolg begriffslogisch mit ein: ohne den Tod eines Lebewesens ist der Begriff "töten" nicht vorstellbar4. "Töten" bezieht seine BedeuBaumann!Weber, S. 236; vgl. z. B. Dreherffröndle, § 13 Rz. 1; Jakobs, AT 29/1. außer "töten" wird als Metapher verwendet z. B. i. S. von: "jemandem den letzten Nerv töten". 3

4

128

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

tungausdem Erfolg des Handelns. Daher läßt sich der Satz: "wer einen anderen tötet" umformen in den Satz: "wer den Tod eines anderen verursacht", ohne daß der Sinn verändert würdes. Handeln und Erfolg bilden eine Einheit; das Gesetz beschreibt in§ 212 StGB zwar ein Tun, meint aber als Voraussetzung sowohl dieses Tun als auch den Erfolg. Wenn Hellm. Mayer unter "töten" auch versteht, daß die Mutter ihr Kind verhungern läßt und daher Handeln und Unterlassen gleichsetzen zu können glaubt6, dann werden Wortlaut und Auslegung vermengt, denn Hellm. Mayer bezeichnet mit seinem Beispiel bereits das Ergebnis der Auslegung, wie sie sich aus einer Bewertung des Unterlassens der Mutter ergibt. Ein Gegenbeispiel von Kaufmann läßt das deutlich werden: "Wenn der Chirug X zum Urlaub nach den Balearen fliegt, statt die Maschine nach Karthum zu besteigen und dort den Y zu operieren, von dessen Leiden er durch den Rundfunk erfahren hat, so sagt niemand, daß X den Y getötet habe"7 . Das Ergebnis der Auslegung ist dem im Beispielsfall der untätigen Mutter entgegengesetzt, obwohl ebenfalls eine Unterlassungssituation gegeben ist. Bevor aber an das Auslegen herangegangen wird, ist zunächst herauszufinden, ob sich der Wortlaut eines Tatbestandes überhaupt in Verbindung mit § 13 StGB auslegen läßt, und dazu ist es notwendig, festzustellen, ob der Tatbestand allein ein schlichtes Handeln bezeichnet oder das geschilderte Handeln auch auf einen Erfolg bezieht, so wie "töten" neben dem Tötungshandeln notwendig einen Tötungserfolg mitumfaßt. Daß die meisten (Verletzungs-) Erfolgsdelikte statt der exakteren Form ("wer den und den Erfolg verursacht") allein ein Handeln schildern, hat seinen Grund darin, daß die Schilderung eines Handeins viel lebendiger wirkt, als die Beschreibung eines dem Täter zurechenbaren Unrechtserfolges. Mit einer anschaulichen Schilderung rechtsgutsverletzenden Verhaltens in den ohnehin schon recht abstrakt formulierten Straftatbeständen gewinnen die Tatbestände an tatbestandlieber Bestimmtheit. Unterlassungsdelikte sind dadurch zwar erst in der Auslegung auszumachen, aber Unterlassungsdelikte spielen eben in der Rechtswirklichkeit eine viel geringere Rolle als Handlungsdelikte, so daß es nur konsequent ist, wenn eine Vielzahl von Erfolgsdelikten anschaulicher durch ein Handeln beschrieben wird. "Grausam" läßt sich in der Umgangssprache ausschließlich im Sinne einer Geisteshaltung als hart und unbarmherzig verstehens. Bei der Auslegung des § 211 StGB allerdings genügt es unter dem Aspekt der Strafwürdigkeit nicht, 5 Trotz der unterschiedlichen Fassungen des Unrechtstatbestandes in § 212 und 222 StGB besteht daher der Sache nach kein Unterschied in der Begründung des Unrechts. Nach teleologischer Systematik unterscheiden sich fahrlässige und vorsätzliche Tötung folgerichtig allein in der Schuld. 6 Hellm. Mayer, Studb. S. 76. 7 Kaufmann, Dogmatik, S. 281. s Wahrig, Das große deutsche Wörterbuch, 1967, Stichwort "grausam".

B. Möglichkeit und Grenze des Auslegungs-Unterlassens

129

wenn der Täter allein aus harter oder unbarmherziger Gesinnung tötet. Vielmehr ist für den Mord mit seiner absoluten Strafdrohung der lebenslangen Freiheitsstrafe strafbarkeitseinschränkend vorauszusetzen, daß das Opfer den Tod unter erheblichen Qualen erleidet. Die erheblichen Qualen sind ein durch Auslegung ermittelter Erfolg, der zusätzlich zur verwerflichen Gesinnung für die zum Mord qualifizierte grausame Tötung vorauszusetzen istB•. Was als "gefährliches Werkzeug" i. S. des§ 223a StGB anzusehen ist, hängt davon ab, ob in der Auslegung eine konkrete Gefährdung als Erfolg vorausgesetzt wird. Ist das der Fall9, enthält die Vorschrift (neben dem Körperverletzungserfolg) einen Gerfährdungs-Erfolg. Wird dagegen eine lediglich abstrakte Gefahr vorausgesetzt, stellt Gebrauch eines "gefährlichen Werkzeugs" eine schlichte Tätigkeit dar. Ob also ein Delikt als Erfolgsdelikt anzusehen ist, zeigt zwar häufig der Wortlaut, letztlich aber gibt erst die Auslegung hier eine Antwort. 3. Klassifizierung der Erfolgsdelikte

Erfolgsdelikte sind unter zwei verschiedenen Aspekten zu klassifizieren: nach der Art des Erfolges und nach der Bedeutung des Erfolges im Hinblick auf die Strafwürdigkeit des jeweiligen Delikts. Die Unterscheidung nach der Art des Erfolges- nach Verletzungs- und Gefährdungsdelikt- ist notwendig, um die Intensität der Gefahr als Problem der Gefährdungsdelikte bewußt zu machen. Diese Unterscheidung ist allgemein anerkanntlO, ihr braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter nachgegangen zu werden. Die Bedeutung eines Erfolges für die Unrechtsbegründung ist zu ergründen, um die Möglichkeit eines Auslegungs-Unterlassens beurteilen zu können. Ein Vergleich des Totschlags mit einigen anderen Erfolgsdelikten soll zeigen, daß dem Erfolg in der Begründung des Unrechts bei unterschiedlichen Delikten ein jeweils unterschiedlicher Stellenwert zukommen kann. Einen ersten Hinweis hierauf hat der von Arzt aufgeworfene Gedanke der erfolgsdeliktischen Bausteinell gegeben: die Delikte mit derartigen erfolgsdeliktischen Bausteinen sind weder reine Handlungsdelikte, noch lassen sie sich als reine Erfolgsdelikte einordnen. Beim Totschlag nach § 212 StGB leitet sich die Strafwürdigkeit sowohl aus dem (Verletzungs-)Erfolg als auch aus dem Handlungsunwert ab. Aber das Handeln ist ganz auf den Erfolg bezogen12; die konkrete Ausgestaltung des s. z. B. BGH NStZ 1982, 379; SKiHorn § 211 Rz. ff; Dreherffröndle, § 211 Rz. 7. so z. B. Schmidhäuser, BT 118. 1o z. B. Lackner, vor§ 13 Bem. IV.3.; Horn/SK, vor§ 306 Rz. 5 ff; Schmidhäuser, Studb. 5/80, 84. 11 vgl. oben l.B.I.2.e). 12 vgl. oben 3.B.II.2. Sa 9

9 Nitze

130

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Handeins tritt zurück hinter dem Erfolg und spielt für die Begründung des Unrechts im Sinne der absoluten Strafwürdigkeit keine Rolle. Ob der Täter durch Schießen, Schlagen, Fahren mit einem Wagen oder ferngesteuert per Knopfdruck durch Zünden einer Bombe tötet - für die absolute Strafwürdigkeit des Tötungshandeins macht das keinen Unterschied; allein in der Strafzumessung ist die Art und Weise des Vorgehens für die relative Strafwürdigkeit von Interesse. Anders sieht es demgegenüber bei den folgenden Delikten aus: wird die Hehlerei gern. § 259 StGB als Erfolgsdelikt angesehen, indem für das "Absetzen" der Hehlerware als Erfolg die Erlangung der Verfügungsgewalt über die Hehlerware vorausgesetzt wirdl3, dann ist mit diesem Erfolg14 allein die Hehlerei noch nicht gegeben, vielmehr ist ein auf das Absetzen gerichtetes Handeln außerdem erforderlich. Wenn einem Täter etwa die Kühe, die er für den Dieb absetzen will, ausreißen und in den Stall des nächsten Bauern trotten, hat dieser zwar die Verfügungsgewalt über die Kühe erlangt, von einem "Absetzen" durch den Täter aber kann keine Rede sein. Der Tatbestand der jugendgefährdenden Prostitution gern. § 184 b StGB schildert als Erfolg die sittliche Gefährdung von Jugendlichen. Allerdings ist nicht jede beliebige sittliche Gefährdung von Jugendlichen erfaßt (z. B. nicht die Gefährdung durch pornographische Schriften), sondern nur eine Gefährdungaufgrund der Prostitutionsausübung (in der Nähe einer Schule usw.). Neben dem Erfolg ist also ein ganz bestimmtes Handeln zur Begründung des Unrechts vorausgesetzt. Eine Gefahr für Leib oder Leben, die mit der Wirkung eines Kernspaltungsvorgangs oder der Strahlung eines radioaktiven Stoffes zusammenhängt, ist gern. § 311e StGB nur strafbar, wenn diese Gefahr (u. a.) durch das fehlerhafte Herstellen einer kerntechnischen Anlage begründet wird. Entsprechendes findet sich auch bei der Herbeiführung einer Brandgefahr nach § 310a Abs. 1 Nr. 2: neben der Brandgefahr für Wald-, Heide- oder Moorflächen usw. ist (u. a.) als Handeln vorausgesetzt, daß der Täter die Gefahr durch Rauchen, Verwenden von offenem Feuer oder Licht usw.1s herbeiführt. Eine andere Alternative des§ 310a Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt die Brandgefahr durch "ungenügende Beaufsichtigung" von (rechtmäßig entzündetem16) Feuer vgl. oben 3.B.II.l. Lackner, § 259 Bem. 4b) ; Maurach/Schroeder, 1, S. 472 m.w.N.; der BGHBGHSt 26, 358 ff; 27, 45 ff- stellt auf Entstehung und Wortlaut der Norm ab, danach sei ein Erfolg nicht vorauszusetzen, zur subjektiv-historischen Auslegungs. S. 115 f. 15 "in sonstiger Weise" erfordert ein ähnlich gefährliches Tun- z. B. das Hantieren mit leicht entzündlichen Chemikalien; "in sonstiger Weise" kann also nicht verstanden werden als beliebiges Handeln, die Strafdrohung ist nur angemessen, wenn ein gefährliches Tun gegeben ist. 13

14

B. Möglichkeit und Grenze des Auslegungs-Unterlassens

131

oder offenem Licht voraus. Statt eines Handeins wird hier neben dem Erfolg eine bestimmte Tatsituation und ein Unterlassen des Täters geschildert. § 223 b StGB nennt als Erfolg die Körperverletzung und als Unterlassen das böswillige Vernachlässigen der Pflicht, für einen Schutzbefohlenen zu sorgen.

Im Gegensatz zum Totschlag setzen die beispielhaft angeführten Delikte eine ganz bestimmte, näher umschriebene Handlung zur Herbeiführung des Erfolges voraus oder nennen zusätzlich zum Erfolg den Verstoß gegen eine ganz bestimmte Handlungspflicht. Der dem jeweiligen Rechtsgut entgegenstehende Unwert ist erst dann voll gegeben, wenn ein spezifischer Unterlassungsoder Handlungsverstoß zum Erfolg hinzukommt. Diese Delikte sollen deshalb als eingeschränkte Erfolgsdelikte bezeichnet werden. Alle Delikte, die eine beliebige Handlung zur Herbeiführung des Erfolges voraussetzen, sollen als uneingeschränkte Erfolgsdelikte bezeichnet werden. Für die uneingeschränkten Erfolgsdelikte ist eine weitere Unterscheidung zu treffen nach der Anzahl der vorausgesetzten Erfolge: während der Totschlag lediglich einen Erfolg nennt, setzt z. B. die grausame Tötung als zusätzlichen Erfolg die erheblichen Qualen des Opfers voraus. Der Betrug verlangt zusätzlich zur Vermögensverfügung als weiteren Erfolg einen Irrtum des Opfers; er ist daher ebenfalls ein Mehrerfolgsdelikt17. Gleiches gilt für § 312 - Herbeiführen einer lebensgefährdenden Überschwemmung -: der Unrechtstatbestand schildert als Erfolg eine Überschwemmung und als weiteren Erfolg eine Gemeingefahr für Menschen. Störung von Fernmeldeanlagen gern. § 317 StGB nennt als Erfolge die Gefährdung oder Verhinderung des Betriebs einer Fernmeldeanlage und (u. a.) die Zerstörung einer dem Betrieb dienenden Sache. Bei den uneingeschränkten Erfolgsdelikten sind somit Einzelerfolgs- und Mehrerfolgsdelikte zu unterscheiden. Sinn und Zweck der Unterscheidung nach eingeschränkten und uneigeschränkten Erfolgsdelikten sowie der weiteren Unterteilung der uneingeschränkten Erfolgsdelikte in Einzelerfolgs- und Mehrerfolgsdelikte werden sich im folgenden erweisen, wenn es um Grenze und Möglichkeit des Auslegungs-Unterlassens geht. 111. Ausschluß des Auslegungs-Unterlassens durch den Gesetzlichkeitsgrundsatz

Da schlichtes Handeln als Anknüpfungspunkt für ein Auslegungs-Unterlassen ausgeschlossen ist, scheiden nicht nur alle schlichten Tätigkeitsdelikte als 16 17

9•

vgl. Schmidhäuser, BT 15/58. zum Betrug im einzelnen unten, 5.F.II.

132

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Unterlassungsdelikte aus, sondern darüber hinaus auch alle Delikte, die neben einem Erfolg ein erfolgfreies Handeln voraussetzen. Würde man bei diesen Handlung und Erfolg kombinierenden (eingeschränkten Erfolgs-) Delikten allein an den Erfolg anknüpfen- z. B. im Tatbestand des fehlerhaften Herstellens einer kerntechnischen Anlage an die Gefahr für Leben und Leib durch radioaktive Strahlung-, so entfiele beim Auslegungs-Unterlassen gegenüber dem Wortlauttatbestand eine tatbestandliehe Voraussetzung: nämlich die Herbeiführung des Erfolges in einer ganz bestimmten Art und Weise - bei der fehlerhaften Herstellung kerntechnischer Anlagen also, daß der Täter die Gefahr durch das fehlerhafte Herstellen der Anlage herbeiführt. Da es für die Handlung des Wortlauttatbestandes keine Entsprechung im Unterlassen gibt, würde eine einschränkende Voraussetzung bei der Auslegung entfallen. In einem derartigen Verzicht auf Bestandteile des Unrechtstatbestandes läge ein Verstoß gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatzts. Insbesondere bei den Gefährdungsdelikten hat der Gesetzgeber das zusätzlich zum Erfolg vorausgesetzte Handeln oder Unterlassen als Mittel eingesetzt, um die Strafbarkeit zu begrenzen. Gefährdungsdelikte verlagern die Strafbarkeit auf ein früheres Stadium des Tatgeschehens vor. Im Gegensatz zu Verletzungsdelikten stellen sie schon die objektive Tendenz zur Verletzungt9 unter Strafe, so daß sie das Risiko einer übermäßigen Ausdehnung der Strafbarkeit bergen. Um diesem Risiko zu begegnen, kennt das StGB kein Gefährdungsdelikt, das als alleinige Voraussetzung einen Gefährdungserfolg nenntetwa in der Formulierung: " ... wer eine Lebensgefahr für einen anderen verursacht, wird so und so bestraft". Vielmehr setzen alle Gefährdungsdelikte ein bestimmtes Handeln, Unterlassen oder einen weiteren Erfolg voraus. Diese Begrenzung darf durch die Auslegung bei einem Unterlassen nicht aufgehoben werden. Wollte man z. B. in der jugendgefährdenden Prostitution gern. § 184 b StGB ein Unterlassungsdelikt sehen, würde der Auslegungstatbestand lediglich eine sittliche Gefährdung Jugendlicher sowie eine Garantenstellung des Täters voraussetzen. Die spezifische Handlungsweise, die beim Handlungsdelikt zur Gefährdung führt und die in besonderer Weise das Delikt kennzeichnet, würde beim Auslegungs-Unterlassen entfallen, da die Ausübung der Prostitution nicht anders als durch Handeln vorstellbar ist2°. Würde etwa ein Lehrer nicht dagegen einschreiten, daß seine jugendlichen Schüler pornographische Schriften lesen, müßte er bestraft werden wegen jugendgefährdender Prostitution durch Unterlassen. Das Beispiel zeigt, zu welch absurder Ausweitung der Strafbarkeit ein Verzicht auf Voraussetzungen des Unrechtstatbestandes führen muß. vgl. Nickel, S. 94 f; Steiner, MDR 1971, 260 (261). so die Formulierung von Schmidhäuser, AT 8/41. zo zur mittelbaren Täterschaft s. unten, 4.A.II. 18 19

B. Möglichkeit und Grenze des Auslegungs-Unterlassens

133

Der Gesetzlichkeitsgrundsatz schließt ein Auslegungs-Unterlassen auch dann aus, wenn der Wortlaut eines Delikts (über einen Erfolg hinaus) ein Unterlassen schildert, also eine bestimmte Gefahrensituation und das Nicht· handeln. Bei der Auslegung eines solchen Wortlauttatbestandes zu einem Auslegungs-Unterlassen würde die unrechtseinschränkende spezifische Handlungspflicht entfallen, die durch die geschilderte Tatsituation beschrieben ist. Wenn etwa § 310a I Nr. 2 StGB u. a. die Situation schildert, daß eine Brandgefahr für Wald-, Heide- oder Moorflächen usw. verursacht wird durch ungenügende Beaufsichtigung von offenem Feuer oder Licht und der Gesetzgeber somit (neben anderen Handlungsweisen) allein diese Tatsituation der ungenügenden Beaufsichtigung eines (rechtmäßig entzündeten) Feuers oder Lichts für die Brandgefahr voraussetzt, dann kann nicht eine beliebig andere gefährliche Situation stattdessen die Handlungspflicht begründen. So genügt es als Tatsituation z. B. nicht, wenn eine Glasscherbe im trockenen Gras am Waldrand von einem Wanderer nicht entfernt wird; die Gefahr, daß diese Glasscherbe wie ein Brennglas zu wirken vermag und dadurch ein Waldstück in Brand geraten kann, verpflichtet im Sinne von§ 310a StGB noch niemanden, die Glasscherbe aufzuheben und unschädlich zu machen (allerdings kommt unterlassene Hilfeleistung nach§ 323 c StGB in Betracht). Ein weiteres Beispiel für ein eingeschränktes Erfolgsdelikt, das zum Erfolg zusätzlich ein Handeln oder Unterlassen voraussetzt, ist die Baugefährdung gern. § 323 StGB. Die Gefährdung anderer an Leben oder Leib interessiert hier nur, soweit der Täter gegen anerkannte Regeln der Technik verstößt. Je nachdem, ob die Regeln der Technik ein bestimmtes Handeln verbieten (einen Bau ohne hinreichende Sicherungsmaßnahmen zu beginnen, mangelhafte Werkstoffe zu verwenden) , oder ein bestimmtes Handeln fordern (etwa ein umgefallenes Warnschild wieder aufzurichten, beschädigte Gerüste wieder instand zu setzen), ist neben der Gefährdung ein Handeln oder Unterlassen des Täters im Unrechtstatbestand bezeichnet. Ein Auslegungs-Unterlassen kommt damit nicht in Betracht. Soweit die Regeln der Technik ein Handeln gebieten, stellt die Baugefährdung deshalb ein (erfolgsbezogenes) WortlautUnterlassen dar. Das offenbart sich zwar erst mittelbar, wenn nämlich die anerkannten Regeln der Technik als ein Bestandteil des Unrechtstatbestandes der Baugefährdung gesehen werden - diese Mittelbarkeit ändert aber nichts an der Struktur des Tatbestandes als Wortlaut-Unterlassen. Entgegen einer im Schriftum anzutreffenden Auffassung2I ist eine besondere Garantenstellung des Täters im Unterlassungsfalle mithin nicht vorauszusetzen. Zusammenfassend ist alo festzustellen, daß sämtliche eingeschränkten Erfolgsdelikte als Auslegungs-V nterlassen ausscheiden.

21

SK/Horn, § 323 Rz. 9 f.

134

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

IV. Grenze der Auslegung unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes

Einer der wesentlichen Unterschiede des (erfolgsbezogenen) Unterlassungsdelikts gegenüber dem Handlungsdelikt liegt in der Bedeutung der Tatsituation für das Unterlassungsdelikt22. Die Tatsituation setzt die Gefährdung eines Rechtsgutsobjekts voraus, aus dieser Gefahrenlage erwächst die Handlungspflicht für den Garanten: er hat die drohende Verletzung abzuwenden. Besteht jetzt der im Wortlaut eines Handlungsdeliktes geschilderte Erfolg in einer abstrakten Gefährdung, so würde beim Auslegungs-Unterlassen schon die abstrakte Gefahr den Garanten zur Abwehr einer möglichen Verletzung verpflichten. Verglichen mit einem konkreten Gefährdungsdelikt wäre die Handlungspflicht unangemessen vorverlagert. Außerdem ist es bei der abstrakten Gefahr problematischer, die Grenze zur Gefahrlosigkeit zu bestimmen als bei der konkreten Gefahr. Unter dem Aspekt des Bestimmtheilsgebotes ist deshalb ein AuslegungsUnterlassen abzulehnen, wenn lediglich ein abstraktes Gefährdungsdelikt gegeben ist - es auf eine konkrete Gefährdung des Rechtsgutsobjektes also nicht ankommt. Nur ein Erfolg, der in der konkreten Gefährdung (oder Verletzung) eines Rechtsgutsobjektes besteht, kann als Anknüpfungspunkt für das Auslegungs-Unterlassen herangezogen werden. Für die Möglichkeit eines Auslegungs-Unterlassens kommt es deshalb darauf an, ob der in Augenschein genommene Handlungstatbestand als konkretes oder als abstraktes Gefährdungsdelikt angesehen wird. Wird z. B. für die gefährliche Körperverletzung " ... mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung . .. " nach § 223a StGB eine Situation vorausgesetzt, die zwar Anhaltspunkte für eine Lebensbedrohung liefert, aber das Opfer nicht konkret gefährdet23 (das Opfer wird in einen tiefen Graben gestoßen, fällt aber weich auf24 ), dann scheidet ein Auslegungs-Unterlassen aus mangels hinreichend eindeutiger Bestimmtheit des für das Unterlassungsdelikt vorausgesetzten Erfolges. Nur aus einer konkreten Lebensbedrohung kann die Lebensrettungspflicht für den Täter erwachsen und so ein Unterlassungsdelikt in Betracht kommen. Damit erzielt die Auslegung ein auf den ersten Blick widersprüchliches Ergebnis, weil eine einschränkende Auslegung- das Fordern eines konkreten Erfolges - zu einer Ausdehnung der Strafbarkeit auf das Unterlassen führt. Aber dieser Widerspruch besteht nur scheinbar, da die Beschränkung auf Schmidhäuser, AT 16/23. so z. B. Schmidhäuser, BT 118; a.A. Sch/Sch/Stree, § 223a Rz. 2: konkretes Gefährdungsdelikt m. w. N. 24 Beispiel bei Schmidhäuser, BT 118. 22 23

B. Möglichkeit und Grenze des Auslegungs-Unterlassens

135

einen Erfolg die Strafbarkeit in viel größerem Maße begrenzt, als sie durch Miterfassen des Garantenunterlassens ausgeweitet wird. Das zeigt sich deutlich, wenn für die das Leben gefährdende Behandlung in § 223 a StGB eine konkrete Lebensbedrohung des Opfers vorausgesetzt wird. In diesem Fall läuft § 223 a StGB als Unterlassungsdelikt praktisch leer, weil in einem solchen Fall die Handlungspflicht zur Lebensrettung bereits aus §§ 212, 13 StGB25 erwächst.

V. Uneingeschränkte Erfolgsdelikte als Auslegungs·Unterlassen Die Möglichkeit eines Auslegungs-Unterlassens ergibt sich weitgehend aus dem bisher Gesagten. Hervorzuheben ist lediglich noch einmal, daß als Anknüpfungspunkt für ein Auslegungs-Unterlassen jeder beliebige (konkrete) Erfolg in Betracht kommt, d. h. jedes Ereignis, das auch unabhängig von menschlichem Handeln vorstellbar ist, und daß ein Auslegungs-Unterlassen andererseits jedenfalls dann ausscheidet, wenn der Wortlauttatbestand ein nicht erfolgsbezogenes Handeln oder ein bestimmtes Unterlassen voraussetzt. Das ist für Einzelerfolgsdelikte wie Totschlag und Sachbeschädigung ganz offensichtlich, daher macht die Anwendung des § 13 StGB auf diese Delikte keine Schwierigkeiten. Aber auch für Mehrerfolgsdelikte- wie z. B. Betrug oder Herbeiführen einer lebensgefährdenden Überschwemmung - gilt nichts anderes: der Unterschied liegt allein darin, daß bei mehreren Erfolgen die regulative Vorschrift des § 13 StGB auf jeden einzelnen Erfolg anzuwenden ist. Für jeden der vorausgesetzten Erfolge ist also zu prüfen, ob der Täter die Abwendung des Erfolges unterlassen hat, obwohl er zur Abwendnung des Erfolges verpflichtet war. Bei Garantenstellungen aus Sicherungspflichten26 wird sich die Erfolgsabwendungspflicht zumeist auf alle im jeweiligen Delikt genannten Erfolge erstrecken. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls dann, wenn sämtliche handlungspflichtbegründenden Gefahrensituationen ihren Ursprung in der vom Garanten zu sichernden Gefahrenquelle haben, weil der Garant in diesem Falle einer umfassenden Sicherungspflicht nachzukommen hat. Nennt ein Mehrerfolgsdelikt die Erfolge nicht unabhängig nebeneinander (wie z. B. die grausame Tötung die Qualen neben dem Tod des Opfers), sondern setzt das Delikt darüber hinaus voraus, daß der weitergehende Erfolg auf einem bestimmten vorhergehenden Erfolg beruht, dann ist dieser spezifische Zurechnungszusammenhang zwischen den Erfolgen zusätzlich festzustellen; bei der Herbeiführung einer lebensgefährdenden Überschwemmung also z. B., daß die Überschwemmung ursächlich ist für die Lebensgefahr bzw. 25

26

vgl. Schmidhäuser, BT 1/8; s. a. Sch/Sch/Stree, § 223a Rz. 12. zur Funktionenlehre vgl. oben 2.B.I.2.c).

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

136

beim Betrug, daß die Vermögensminderung auf dem Irrtum des Irrenden beruht. Beispiel: Bei einem Staudamm ist das Sperrwehr schadhaft. Es besteht die Möglichkeit, mit geeigneten Mitteln den Schaden zu beheben. Für den sicheren Betrieb des Staudammes ist ein speziell geschulter Techniker eingesetzt. Der Techniker führt die notwendige und mögliche Reparatur jedoch nicht aus. Nach einiger Zeit bricht das Stauwehr, das darunter liegende Tal wird überflutet und einige Bewohner können mit knapper Not ihr Leben retten27. Der Täter ist aus übernommener Sicherungspflicht verpflichtet, das schadhafte Sperrwehr zu reparieren und damit die Überschwemmung abzuwenden oder zumindest eine konkrete gemeine Gefahr für Menschenleben, die aufgrund der Überschwemmung droht, zu verhindern. Da er beide Erfolge nicht abwendet und die Lebensgefährdung aufgrund der Überschwemmung eingetreten ist, hat sich der Täter der Herbeiführung einer lebensgefährdenden Überschwemmung durch Unterlassen gern. §§ 312, 13 StGB schuldig gemacht. Das Beispiel zeigt, daß die Eingrenzung der Strafbarkeit durch mehrere Erfolge beim Mehrerfolgsdelikt dazu führt, daß der Täter beim AuslegungsUnterlassen mehrere Handlungsmöglichkeiten hat: welchen der Erfolge der Täter im Falle des § 312 StGB abwendet, ist unerheblich; es genügt zur Straflosigkeit, wenn der Täter wenigstens einen der Erfolge abwendet und so einer der unterschiedlichen Handlungspflichten entspricht, indem er entweder die Reparatur durchführt oder indem er dafür sorgt, daß sich keine Menschen im Tal aufhalten (dann allerdings kommt die Herbeiführung einer sachengefährdenden Überschwemmung gern. § 313 StGB in Betracht). VI. Zusammenfassung Nur ein im Handlungsdelikt vorausgesetzter Erfolg kommt als Anknüpfungspunkt für ein Auslegungs-Unterlassen in Betracht, und zwar nur ein Erfolg, der seiner Struktur nach auch unabhängig von menschlichem Handeln vorstellbar ist. Der Erfolg muß in einer Verletzung oder konkreten Gefährdung eines Rechtsgutsobjektes bestehen; eine abstrakte Gefährdung genügt unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht. Setzt ein Handlungsdelikt über den Erfolg hinaus statt einer beliebigen Erfolgsverursachung ein näher bezeichnetes Handeln oder Unterlassen voraus (eingeschränktes Erfolgsdelikt), ist ein Auslegungs-Unterlassen ebenfalls ausgeschlossen. 27

vgl. das Beispiel bei Philipps, S. 132.

C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens

137

Als Auslegungs-Unterlassen kommen damit allein uneingeschränkte Erfolgsdelikte in Frage: Delikte, die einen oder mehrere Erfolge voraussetzen und bei denen es für die absolute Strafwürdigkeit nicht darauf ankommt, auf welche Art und Weise der Erfolg eintritt (bzw. die Erfolge eintreten).

C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens Für die Tatbestände, die im Wortlaut eine Handlung schildern und in der Auslegung als Unterlassungstatbestände in Betracht kommen, ist im Interesse einer sachgerechten Auslegung zu fragen, ob der Gesetzgeber die Rechtsfolge des Auslegungs-Unterlassens im Verhältnis zu den Handlungsdelikten in angemessener Weise geregelt hat und das Gesetz sich im Hinblick auf das Auslegungs-Unterlassen als systemgerecht erweistl.

I. Methode zum Ermitteln der Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens Sucht man in der Literatur nach einer Antwort auf die Frage, woher die aus den Handlungsdelikten abgeleiteten Unterlassungsdelikte ihre Strafwürdigkeit beziehen, dann wird üblicherweise auf die Gleichstellung von Handlung und Unterlassung verwiesen und im weiteren nach einer Begründung für die gern. § 13 Abs. 2 StGB fakultative Strafmilderung gesucht2. Da es um eine Milderung der Strafe geht und nicht um deren Begründung, glaubt man sich nicht allzusehr unter Begründungszwang-handelt es sich doch um ein Werturteil, dem nicht von vornherein eine Grenze gesetzt ist, wie es umgekehrt bei der Begründung der Strafe durch den Gesetzlichkeilsgrundsatz und das Analogieverbot der Fall wäre. Als Argumente für die fakultative Strafmilderung werden angeführt: - im Unterlassen könne eine geringere kriminelle Energie des Täters zum Ausdruck kommen3, - die Aktivität erfordere Entschluß- und Tatkraft; die Passivität beruhe auf ihrem Fehlen4, vgl. oben, 3.A .III. 3. von Armin Kaufmann, Dogmatik, würde man aufgrund der Ausgangsthese, daß Handlung und Unterlassung ontologisch verschieden sind (oben, l.B.III.), diesen Weg nicht vermuten - indessen sucht aber Kaufmann wie andere Auffassungen auch nach einer Begründung für eine Strafmilderung, statt nach einer Begründung für die (absolute) Strafwürdigkeit des Unterlassens zu fragen, wie es der Ausgangspunkt seiner Lehre vorzeichnet. - Z.T finden sich Stimmen, die die Möglichkeit einer Strafmilderung ablehnen, vgl. z. B. Metzen, Diss. Köln, 1977, S. 134 f, 167. 3 R. Lange, Niederschr. Il S. 276 f; Rudolphi, MDR 1967, S. 1 {2); Schmidhäuser, AT Rz. 16/22. 4 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 300 ff. I

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3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

- bei den Unterlassungsdelikten sei eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme nicht möglich, daher könne die Täterschaft nicht strafwürdiger als die Teilnahme sein5 , so daß für die Unterlassungstäterschaft der Strafrahmen der Teilnahme am Handlungsdelikt gelten müsse, - es sei unbillig, wenn jemand, der nur die Kraft zum Handlungsentschluß nicht aufgebracht habe, nach dem vollen Strafrahmen der Begehungstäterschaft verurteilt werde6, - beim Handlungsdelinquenten komme im Gegensatz zum Unterlassungsdelinquenten hinzu, daß das Nichvermiedene ein Werk seines Willens, seiner zweckbewußt das Geschehen steuernden Energieentfaltung sei7, - die Schuld des Unterlassenden sei (oft) geringer als die Schuld des Handelndeos. Alle diese Äußerungen setzen die Strafwürdigkeit des Unterlassens voraus und bemessen sie grundsätzlich wie die Strafwürdigkeit des entsprechenden Handlungsdeliktes, um dann von dieser Position aus im Einzelfall für eine geringere Strafwürdigkeit zu argumentieren. Die gleiche Ansicht kommt in der Feststellung zum Ausdruck, eine fakultative Strafmilderungsvorschrift widerspreche der Gleichwertigkeit von Handeln und Unterlassen; die Strafmilderungsmöglichkeit sei "inkonsequent, wenn man das wertmäßige Gleichstellen (der Unterlassung) mit der Begehung durch ein Tun zur Voraussetzung der Strafbarkeit wegen Unterlassung (mache)"9. Hier liegt in der Tat ein Widerspruch, denn die Gleichstellung von Handeln und Unterlassen kann nur so verstanden werden kann, daß für das Unterlassen die Rechtsfolge des Handlungsdeliktes heranzuziehen ist, wenn nur die Voraussetzungen der Gleichstellung (nämlich Garantenstellung und Entsprechung) vorliegen. Andererseits scheint aber die Möglichkeit einer Strafmilderung vom Rechtsgefühl her geboten. Da die Gleichstellung von Handeln und Unterlassen eine Fiktion darstelltiO, ist dieser Widerspruch nicht verwunderlich, aufgrund einer Fiktion läßt sich eine gerechte Rechtsfolge eben nicht sicher gewinnen. Die in dieser Arbeit betonte Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen fordert daher einen anderen Weg: löst man sich vom Dogma einer tatbestandliehen Gleichstellung von Handeln und Unterlassen, dann gibt es auch keine Gleichstellung in den Rechtsfolgen. Vielmehr ist die Strafwürdigkeit der s Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 303. Roxin, Täterschaft S. 501. 7 Herzberg, Unterlassung, S. 27. s z. B. SK/Rudolphi, § 13 Rz. 65. 9 Gallas, NdSchr. XII S. 480; vgl. ders., NdSchr. li S. 275; Schafheutle, Niederschr. li, S. 281; Begr. E 1962, S. 126. 10 vgl. oben 2.A.II. 6

C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens

139

Auslegungs-Unterlassungsdelikte unabhängig von einer vorangegangenen Festlegung zu begründen. Notwendig ist es also, Kriterien der Wertwidrigkeit des Auslegungs-Unterlassens aufzusuchen, um so dem Begründungszusammenhang gerecht zu werden, auf den jedes Strafwürdigkeiturteil verweist. II. Kriterien der Strafwürdigkeit beim Handlungsdelikt und beim Unterlassungselikt

Im folgenden geht es darum, Kriterien der Strafwürdigkeit bei Handlungsund Unterlassungsdelikten aufzuzeigen, um die Strafwürdigkeit der Unterlassungsdelikte im Verhältnis zu den Handlungsdelikten beurteilen zu können. Zu diesem Zweck sollen zunächst gemeinsame, sodann abweichende Kriterien dargestellt werden, um Handlungs- und Unterlassungsdelikte schließlich unter Strafwürdigkeitsgesichtspunkten zu vergleichen. 1. Gemeinsamkeiten - Unterschiede

Dem Handlungs- und dem Unterlassungsdelikt ist in der Begründung des Unrechts gemeinsam, daß sich der Täter in einer Weise verhält, wie er sich nicht verhalten darfll. Durch Handeln oder Unterlassen verletzt der Täter gleichermaßen einen Achtungsanspruch, der von einem in der Rechtsordnung anerkannten Gut ausgeht, indem er Verbote und Gebote nicht beachtet, nämlich Handlungsverbote wie z. B. nicht zu töten, stehlen, betrügen usw. oder Handlungsgebote, wie bei einem Unfalls Hilfe zu leisten, als Eltern das Kind zu pflegen usw.'z. Da Verbote und Gebote sich immer an den menschlichen Willen richten, ist eine weitere Gemeinsamkeit von Handlungs- und Unterlassungsdelikt, daß sie ein auf menschliches Willensverhalten bezogenes Geschehen voraussetzenD. Im Gehalt dieses Geschehens allerdings unterscheiden sich Handlungs- und Unterlassungsdelikt: während der Handlungstäter in einer Weise tätig wird, wie er nicht tätig werden darf, wird der Unterlassungstäter dort nicht tätig, wo er tätig werden sollte'4. Bezogen auf das Willensverhalten heißt das: der Handlungstäter will dort so handeln, wie er nicht handeln soll, während dem Unterlassungstäter der Wille fehlt, so zu handeln, wie er handeln sollte's. Das Fehlen des geschehenssteuernden Willens führt dazu, daß Unterlassungsdelikte geprägt sind durch die Tatsituation, d. h. die Gefahrenlage für ein Rechtsgutsobjekt. Schmidhäuser, Studb. 3/3. Schmidhäuser, Studb. 417. 13 Schmidhäuser, Studb. 3/3, 515; vgl. oben, 2.A.III.3.e). 14 Schmidhäuser, Studb. 417,5/5, 5/18, 12/1, 12/15. 15 vgl. Bärwinkel, S. 44; Kaufmann, Weber-Fs., S. 107 (122), ders., Dogmatik S. 66 ff, 73 ff, 210; Schmidhäuser, Studb. 12/1. 11

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3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Aufgrund der Gegensätzlichkeit im Willensverhalten unterscheidet sich vor allem das vorsätzliche Auslegungs-Unterlassen maßgeblich vom Handlungsdelikt: zwischen Handlungsunwert und Unterlassungsunwert fehlt ein direkter Bezug, der etwas über die relative Strafwürdigkeit der Unterlassung im Verhältnis zur Strafwürdigkeit der Handlung aussagen könnte. Da einerseits der Handlungswille strafbegründendes Merkmal ist, andererseits das Fehlen des Handlungswillens, lassen sich Handlungs- und Unterlassungsunwert nicht direkt miteinander vergleichen. Lediglich mittelbar ist ein Vergleich möglich, indem man fragt: welche allgemeinen Strafwürdigkeitskriterien finden sich beim Handlungsdelikt und welche finden sich beim Unterlassungsdelikt? und aus der Gemeinsamkeit und den Unterschieden auf die Strafwürdigkeit des Unterlassens zurückschließt. Abgesehen vom Strafwürdigkeitskriterium des Willens gleichen sich Handlungs und Unterlassungsdelikt in allen anderen 16, außerhalb des Willens liegenden Strafwürdigkeitsmomenten. Welche Bedeutung das jeweils verletzte Rechtsgut hat, welcher Gefährdung ein Rechtsgutsobjekt ausgesetzt ist, der Erfolgseintritt, wie erheblich der Schaden ausfällt - das alles wiegt für das Unterlassungsdelikt ebenso schwer wie für das Handlungsdelikt. Da sich Handlungsdelikt und Unterlassungsdelikt allein in der Struktur des Unrechtstatbestandes unterscheiden, gleichen sich auch die aus der Schuld resultierenden Strafwürdigkeitsmomente17. Daraus folgt, daß die Abstufung der Strafwürdigkeit bei den einzelnen Delikten des Besonderen Teils gleichermaßen für Unterlassungs- und Handlungsdelikte gilt, d. h. eine besonders schwere Brandstiftung gern. § 307 StGB ist beim Unterlassungsdelikt in gleicher Weise wie beim Handlungsdelikt strafwürdiger als eine schwere Brandstiftung gern. § 306 StGB und diese wiederum beim Unterlassungsdelikt in gleicher Weise wie beim Handlungsdelikt strafwürdiger als eine Brandstiftung gern. § 308 StGB. Damit ist nichts über das Verhältnis der Strafwürdigkeit von Handeln und Unterlassen ausgesagt- ob also eine Brandstiftung durch Unterlassen ebenso strafwürdig ist, wie eine Brandstiftung durch Handeln. Über die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens kann abschließend erst dann eine Aussage getroffen werden, wenn geklärt ist, welches Gewicht dem Moment des Willens für die Strafwürdigkeit des Handlungsdeliktes zukommt. Sollte sich zeigen, daß das Willensmoment nur ein untergeordnetes Kriterium der Strafwürdigkeit ist, wird sich die Strafwürdigkeit von Handeln und Unterlassen nicht sehr unterscheiden. Sollte sich allerdings herausstellen, daß dem Willensmoment 16 eine Sonderrolle nehmen die Handlungsdelikte ein, die eine Garantenposition schildern und das Unterlassen dem Handeln gleichstellen, z. B. § 340 StGB , Körperverletzung im Amt. Zu untersuchen wäre, ob die Gleichbewertung bei materialer Betrachtung gerechtfertigt ist; diese Frage soll hier aber nicht untersucht werden. 17 vgl. Bärwinkel, S. 48.

C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens

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erhebliche Bedeutung zukommt, dann wird das Fehlen des Willensmomentes beim Auslegungs-Unterlassen eine geringere Strafwürdigkeit dieser Delikte anzeigen und die Gerechtigkeit staatlichen Strafens eine geringere Bestrafung des Auslegungs-Unterlassens fordern. 2. Der Wille als Kriterium der Strafwürdigkeit bei den Handlungsdelikten

Den Zusammenhang von Wille und Tun stellt die teleologische Straftattheorie als wesentlich für den Handlungsbegriff heraus und kennzeichnet ihn als Intentionalität des Tunsls. Intentionalität meint die Zielgerichtetheit eines Tuns: der Handelnde erfaßt aufgrund seiner Erfahrung die Wirkung seines Tuns und wird im Interesse des Handlungsziels tätig. Ist das Handlungsziel des Täters rechtsgutsverletzend, dann liegt der Unwert des Handeins in dieser Intention begründet und wird daher als Zielunwert bezeichnet. Daß der Zielunwert im Rahmen der dualistischen Handlungstheorie (neben dem Gefährdungsunwert) das Handlungsunrecht begründet, wurde oben dargestelltl9. Hier ist darüber hinaus zu untersuchen, welche Bedeutung dem Zielunwert neben der Unrechtsbegründung für die Strafwürdigkeit innerhalb der Handlungsdelikte zukommt20 . Anband einiger Fälle soll die Rolle des Zielunwertes aufgezeigt werden. FaUl

T möchte dem Roten Kreuz DM 100,- zukommen lassen, aber nicht selbst zahlen. Er verlangt von B, die Summe auf das Konto des Roten Kreuzes einzuzahlen, andernfalls werde er dem B eine tüchtige Tracht Prügel versetzen; B zahlt aus Angst den Betrag ein. T hat sich einer Erpressung gern. § 253 StGB schuldig gemacht. Dabei macht (u. a.) das Handlungsziel des T, den B zur Einzahlung zu veranlassen, den Unwert seines Handeins aus. Ohne diese Intention erscheint ein nach außen gleichartiges Handeln nicht strafwürdig; dies zeigt der oben21 genannte Fall des Schauspielers, in dem ein Passant sich irrigerweise genötigt fühlt, obwohl der Schauspieler lediglich beabsichtigt, eine Filmszene zu spielen. Hier wie dort entfällt mit dem rechtsgutsverletzenden Handlungsziel eine strafbegründende Voraussetzung. vgl. Bärwinkel, S. 48. vgl. oben 2.A.III.3.e); Schmidhäuser, Studb. 515. 20 da von den finalen Handlungslehren die Intention ("Finalität") mit dem "Vorsatz" gleichgesetzt wird, erörtert man die hier behandelte Frage des Zielunwerts unter dem Stichwort "Vorsatz beim Unterlassen", z. T. wird der Unterlassungsvorsatz als "Wissen und Wollen" bezeichnet, z. B. Engisch, JZ 1962, S. 189 (190); ein voluntatives Element beim Unterlassen lehnen z. B. ab: Grünwald, Hellm. Mayer-Fs. S. 281, (288 ff); Jakobs, AT 8/8,29/86 ff; Kaufmann, Weber-Fs. S. 107 ff, Welzel, S. 201; Wessels, AT s. 211. 21 s. 105. 18 19

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3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Entsprechend liegt es bei anderen Delikten, die den Zielunwert zur Begründung der Strafe voraussetzen: die beabsichtigte schwere Körperverletzung gern. § 225 StGB verlangt, daß es der Täter auf die schwere Folge abgesehen hat; Erschleichen von Leistungen setzt das Willensziel des Täters voraus, das Entgelt zu umgehen. Insbesondere auch hierher gehören die Zieldelikte, d. h. die Delikte, die ein über den Erfolg hinausgehendes Willensziel des Täters schildern: ohne die Absicht, falsches Geld als echt in Verkehr zu bringen, ist daher keine Geldfälschung gern. § 146 StGB gegeben; ohne die Absicht, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen jemanden herbeizuführen, keine falsche Verdächtigung gern. § 164 StGB und ohne die Absicht, über die Echtheit einer Urkunde zu täuschen, keine Urkundenfälschung gern. § 267 StGB. Strafbegründend wirkt der Zielunwert auch beim Zielversuch. Die dualistische Handlungstheorie begründet den Handlungsunwert sowohl mit der rechtsgutsgefährdenden Tendenz eines Handeins als auch mit mit der rechtsgutsverletzenden Intention des Täters. Entsprechend folgt daraus eine ebenfalls dualistische Versuchstheorie22. Auch beim Versuchsdelikt begründen beide Gesichtspunkte das Unrecht, d. h. es sind der Gefährdungsversuch und der Zielversuch zu unterscheiden. Ist nun ein Versuchsdelikt gegeben, das keinen Gefährdungsunwert aufweist- weil das Handeln objektiv ungefährlich ist-, dann kommt allein der Zielunwert zur Unrechtsbegründung in Betracht. Beim Zielversuch also begründet ausschließlich die rechtsgutsverletzende Intention des Täters das Unrecht: Fall2 A will den B umbringen und schüttet daher ein weißes Pulver in den Kaffee, von dem er glaubt, es sei giftig. Tatsächlich handelt es sich um ein harmloses Mittel gegen Kopfschmerzen. A ist wegen versuchten Tötungsdeliktes zu bestrafen, obwohl für B keine objektive Gefahr bestanden hat. Da A das Pulver in den Kaffee schüttet, um B umzubringen, verletzt er mit seinem Willensverhalten ebenso den Achtungsanspruch, der vom Leben des B ausgeht, wie wenn es sich tatsächlich um ein tödliches Gift gehandelt hätte. Dem Zielunwert kommt in einer weiteren Fallgruppe Bedeutung zu: Fall3a) T beschließt, den N umzubringen, weil dieser ihm die Freundin ausgespannt hat. Er beobachtet heimlich denN und macht dessen täglichen Weg zur Arbeit ausfindig; der Versuch, N mit dem Auto zu überfahren mißlingt, deshalb besorgt T sich eine Waffe und ausreichend Munition; als er dem N das erste 22

Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 158 ff.

C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens

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Mal auflauert, erscheint N nicht; beim zweiten Mal befinden sich Leute in der Nähe; beim dritten Mal dann findet er denN allein; der erste Schuß geht daneben, der zweite verletzt N, der dritte schließlich tötet N; T verläßt den Tatort in einem Fluchtfahrzeug, das er für diese Tat unter falschem Namen beschafft hat und nun nach (zunächst) geglückter Flucht in einem See versenkt, um seine Spuren zu verwischen. Fall3b) Jäger J, der sich im Kreise einiger Jäger übertreibend seiner jagdlichen Fähigkeiten gerühmt hat, möchte auf keinen Fall ohne Jagdbeute von der Jagd zurückkommen. Er sieht beim Ansitz eine dunkle Gestalt, die er für ein Wildschwein hält. Aufgrund der Dämmerung kann er aber nichts Genaues erkennen. Obwohl er für möglich hält, daß er einen versprengten Pilzsammler vor sich haben könnte, schießt er, da er nicht ohne Strecke heimkommen will; tatsächlich war das vermeintliche Wildschwein ein Mensch. Beide Täter haben sich einer vorsätzlichen Tötung gern. § 212 StGB schuldig gemacht, denn in beiden Fällen setzt sich der Täter gleichermaßen über den Achtungsanspruch hinweg, der vom Leben anderer ausgeht. Dennoch erscheint die Tat des T, der seinen Nebenbuhler umgebracht hat , strafwürdiger als die Tat des J. Ganz offensichtlich beruht die unterschiedliche Bewertung beider Taten maßgeblich auf den unterschiedlichen Handlungszielen der Täter. Während T die Tötung eines anderen herbeiführen will -also den Tod des anderen intendiert, ist das Handlungsziel des J auf das Erlegen eines Wildschweines gerichtet; während T sowohl mit Ziel- und Gefährdungsunwert handelt, liegt beim Handeln des J lediglich der Gefährdungsunwert vor. Fragt man nach dem Grund für die erhöhte Strafwürdigeit beim Handeln mit Zielunwert, ist die Bedrohlichkeit unwerter Intentionen zu nennen23 : intendiert der Täter den Tod des Opfers, besteht die Gefahr, daß der Täter im Falle eines Fehlschlages zu wirksameren Mitteln greift oder seine Handlung wiederholt, bis er sein Ziel erreicht hat. Dadurch wird der Eintritt eines Verletzungserfolges wahrscheinlicher. So liegt es im Fall3a): als es T nicht gelingt, den N zu überfahren, versucht er die Tötung duch Niederschießen des N; er schießt mehrmals, bis schließlich der Tod des N erreicht ist. Zur Bedrohlichkeit des Zielunwertes nennt Alwart unter Berufung auf Kenny ein anschauliches Beispiel: wenn an jemandem eine Kugel vorbeipfeift und eine Katze trifft, die hinter dem Jemand auf der Mauer sitzt, dann ist es für den Jemand wichtig zu wissen, ob die Kugel der Katze oder ihm selbst galt. Hatte es der Schütze auf ihn abgesehen, muß er sich in Deckung flüchten, andernfalls kann er aufatmen und froh sein, daß es gutgegangen ist24 . Alwart, S. 169 ff; s. a. Schmidhäuser, Studb. 11134. Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 171 unter Berufung auf Kenny, in: Summers (Hrsg.), Essays in Legal Philosophy, p. 158. 23

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3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Beim Handeln mit Zielunwert ist ferner die Gefahr größer, daß das staatliche Strafen seiner generalpräventiven Zielsetzung nicht gerecht werden kann. Ein potentieller Täter wird eher eine Tat begehen, die ein nur kleines Risiko der Entdeckung aufweist, als eine Tat mit hohem Entdeckungsrisiko. Da der Täter den Tatzeitpunkt beim Handeln mit Zielunwert auswählen kann und sein Entdeckungsrisiko in hohem Maße von der Raffinesse seiner Tatplanung abhängt, gestaltet sich die Aufklärung viel schwieriger als beim Handeln mit bloßem Gefährdungsunwert, wo die Gefährdung mehr oder weniger zufällig gegeben ist neben einem auf ein ganz anderes Ziel gerichteten Handeln des Täters. So hat z. B. Tim Fall 3a) einen Zeitpunkt abgewartet, in dem er sich ohne Zeugen weiß und lange vor der Tat mit dem Erwerb des Fluchtautos Vorkehrungen für die Verheimlichung seiner Täterschaft getroffen, während J im Hinblick auf die ungewollte Tötung des Pilzsammlers erst nach der Tat Maßnahmen zum Vertuschen seiner Täterschaft hätte ergreifen können. Auch das Gesetz berücksichtigt den Zielunwert, wenn er neben dem Gefährdungsunwert gegeben ist: § 46 II StGB nennt als Kriterien der Strafzumessung die Ziele des Täters und den bei der Tat aufgewendeten Willen des Täters. Im Gegensatz zu den Zieldelikten und dem Zielversuch begründet in den Fällen 3a) und 3b) allein schon der Gefährdungsunwert die absolute Strafwürdigkeit des Handelns; im Fall 3a) ist der Zielunwert als zusätzlicher, die relative Strafwürdigkeit steigernder Gesichtspunkt im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Bei den Delikten, die den Zielunwert zur Begründung des Unrechts voraussetzen (z. B. Urkundenfälschung), kann der Zielunwert in der Strafzumessung keine Rolle spielen. Da er hier die Strafbarkeit bereits begründet, sind die Umstände, in denen der Zielunwert zum Ausdruck kommt, "Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind" nach§ 46 111 StGB. Das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen und strafrahmenbildenden Umständen verbietet es, den Zielunwert nochmals in der Strafzumessung zu berücksichtigen, da er hier schon den Strafrahmen als solchen begründet25. Bei allen anderen vorsätzlichen Handlungsdelikten kann der Zielunwert dagegen als Kriterium der Strafzumessung gegeben sein. Jedes Handlungsdelikt - Gefährdungsdelikte eingeschlossen - kann als unwertsteigemden Umstand das Handlungsziel des Täters aufweisen, den rechtsgutsverletzenden Sachverhalt herbeizuführen. Ob der Zielunwert auch bei Fahrlässigkeitsdelikten eine Rolle spielt, soll anband weiterer Fälle untersucht werden: 25 vgl. BGH MDR (Dallinger) 1953, 155; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 361 ; Dreher, JZ 1957, S. 155.

C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens

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Fall4a) Mechaniker M repariert in seiner Werkstatt das Auto des Kunden K. Aus Unachtsamkeit beschädigt er die Lenkung; K verunglückt und wird verletzt. Merkmal des Fahrlässigkeitsdeliktes ist es, daß dem Täter das aktuelle Tatbewußtsein oder das aktuelle Unrechtsbewußtsein (oder beides) in bezugauf das rechtsgutsgefährdende Verhalten fehlt, daß er aber aktuelles Tat- und Unrechtsbewußtsein hätte erlangen können26. In Fall 4a) fehltMim Augenblick des Handeins (als er die Lenkung beschädigt) schon das Tatbewußtsein; da er Tat- und Unrechtsbewußtsein bei einiger Aufmerksamkeit aber hätte erlangen können, hat er sich einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht. Eine auf die Verletzung des K bezogene Intention ist in diesem Fall nicht denkbar, da die geistige Erfassung eines Handlungszieles das Bewußtsein um das Ziel und die zu seiner Erreichung notwendige Handlung voraussetzt. Dieses Bewußtsein aber gerade fehlt dem fahrlässig handelnden Täter: wäre M sich der Gefahr bewußt geworden, hätte er (um K als Kunden zu behalten) eine Beschädigung der Lenkung vermieden und es wäre zu einer Verletzung des K gar nicht gekommen. Zur Begründung des Unrechts kommt der Zielunwert bei Fahrlässigkeitsdelikten daher nicht in Betracht. Schwieriger ist der Fall zu beurteilen, wenn der Täter zwar mit aktuellem Tatbewußtsein, aber nur mit potentiellem Unrechtsbewußtsein handelt: Fall4b) Wanderer W glaubt sich auf einem einsamen Feldweg in der Dämmerung von einem Räuber angegriffen und übt Selbstverteidigung. Der vermeintliche Angreifer ist ein Freund des W und will ihn begrüßen; statt freundlicher Begrüßung hat der Freund nun aber eine Verletzung davongetragen; W hätte ohne große Mühe den wahren Sachverhalt erkennen können. W hat sich einer fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht, da er hätte erkennen können, daß die Annahme, es liege eine zur Notwehr berechtigende Situation vor, falsch war. W hat die Verletzung des vermeintlichen Angreifers zwar intendiert und deshalb mit Zielunwert gehandelt. Als Kriterium der Strafzumessung kommt der Zielunwert hier dennoch nicht in Betracht, weil W sich zu diesem Handeln berechtigt glaubt und daher den Achtungsanspruch, der von der körperlichen Integrität des F ausgeht, gar nicht in Frage stellt. Die für den Zielunwert beim Handlungsdelikt kennzeichnende Bedrohlichkeil und Gefährdung der generalpräventiven Aufgabe der Strafrechtspflege ist bei fehlendem Unrechts26

Schmidhäuser, Studb. 7/35, 7/91 ff.

10 Nitze

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3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

bewußtsein nicht gegeben; das Fahrlässigkeitsdelikt kennt auch keinen Zielunwert als Kriterium der Strafzumessung. 3. Zusammenfassung

Abgesehen vom Handlungs- bzw. Unterlassungsunwert weist das Unterlassungsdelikt gleiche Strafwürdigkeitskriterien wie das Handlungsdelikt auf (Erfolgsunwert und Schuld), daher entsprechen sich jeweils die Abstufungen in der Strafwürdigkeit für die einzelnen Delikte des Besonderen Teils. Der Zielunwert teilt die Handlungsdelikte des Strafrechts in drei Gruppen: die Delikte der ersten Gruppe setzen den Zielunwert für die Begründung des Unrechts voraus, hier finden sich z. B. Nötigung, Urkundenfälschung und der Zielversuch. Für die Strafzumessung ist der Zielunwert bei diesen Delikten unerheblich, da er schon den Strafrahmen als solchen begründet. In der zweiten Gruppe finden sich die Delikte, die den Zielunwert nicht notwendig zur Begründung des Unrechts vorausgesetzen; hier finden sich alle vorsätzlichen Handlungsdelikte, soweit sie nicht Delikte der ersten Gruppe sind, also z. B. Totschlag oder Hausfriedensbruch. Der Zielunwert kann jedoch bei jedem dieser Delikte als unrechtssteigerndes Merkmal hinzukommen und ist Kriterium der Strafzumessung. Für die dritte Gruppe, die der Fahrlässigkeitsdelikte, schließlich spielt der Zielunwert überhaupt keine Rolle. Die Fahrlässigkeitsdelikte kennen keinen Zielunwert-weder setzen sie ihn zur Begründung des Unrechts voraus, noch kann er zusätzlich als Zumessungskriterium gegeben sein. 111. Schlußfolgerungen für die Straf· würdigkeit der Unterlassung Schlußfolgerungen für die Strafwürdigkeit des Unterlassens folgen zunächst daraus, daß das Unterlassen keine Intention und somit keinen Zielunwert kennt. Alle den Zielunwert voraussetzenden Delikte (z. B. Urkundenfälschung) scheiden daher als Auslegungs-Unterlassen von vornherein aus: da bei ihnen das Unrecht des Handeins durch den Zielunwert begründet wird, der Zielunwert beim Unterlassen aber ausgeschlossen ist, kommen diese Delikte nur als Handlungsdelikte in Frage27. Alle vorsätzlichen Delikte, die den Zielunwert zwar kennen, aber nicht zur Begründung der Strafbarkeit voraussetzen ( z. B. Totschlag), kommen als ein 27 im Ergebnis auch Grünwald, Hellm. Mayer-Fs. S. 281 (289 ff) - zum Zielunwert oben l.B.IV. und 2.B.IV.

C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens

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Auslegungs-Unterlassungsdelikt zwar (häufig) in Betracht, da der Zielunwert nicht unrechtsbegründendes Merkmal ist, sondern Strafzumessungskriterium. Aber ohne Zielunwert fehlt den Unterlassungsdelikten gegenüber den Handlungsdelikten dieser Gruppe ein wesentliches Merkmal der Strafwürdigkeit; die Unterlassung kennt keine Steigerung des Unrechts durch den zielgerichteten, auf einen rechtsgutsverletzenden Erfolg gelenkten Willen. Da der Strafrahmen des Handlungsdelikts aber auch den Zielunwert berücksichtigt, erweist er sich für das Auslegungs-Unterlassen als zu hoch: zu jedem Unterlassungsdelikt ist ein den gleichen Erfolg aufweisendes Handlungsdelikt vorstellbar, dessen Unrecht gegenüber dem Unterlassungsdelikt noch gesteigert ist - wenn nämlich der Täter den Erfolg beabsichtigt und um seinetwillen tätig wird. Für die Fahrlässigkeitsdelikte ergibt sich: da bei ihnen der Zielunwert genausowenig eine Rolle spielt, wie bei (vorsätzlichen) Unterlassungsdelikten, weisen fahrlässig begangene Unterlassungsdelikte insoweit keine geringere Strafwürdigkeit auf als die den gleichen Erfolg voraussetzenden Handlungsdelikte, so daß für fahrlässige Unterlassungen eine obligatorische Strafmilderung nicht geboten ist. Zu bedenken ist jedoch die überragende Rolle der Tatsituation für das Unterlassen. Da sich das Tatgeschehen ohne Zutun des Täters entwickelt, liegt es viel näher, daß der Täter die Gefahrenlage übersieht. Anders als der handelnde Täter, dem das Handeln einen Denkanstoß zum Bedenken der Folgen seines Handeins liefert, kann der Unterlassende ohne einen konkreten Anhaltspunkt in die Tatsituation geraten. Daher erweist sich für fahrlässige Unterlassungen die bestehende fakultative Strafmilderung als sachgerecht. Bezieht man die in der Literatur genannte Aussage: "im Unterlassen komme eine geringere kriminelle Energie des Täters zum Ausdruck"28 ausschließlich auf vorsätzliche Taten, deren Handeln mit einem Zielunwert verbunden ist, dann erweist sich dieser Satz als richtig: da der Zielunwert eine gesteigerte kriminelle Energie des Täters anzeigt und der Zielunwert beim Unterlassungsdelikt nicht denkbar ist, kommt beim vorsätzlichen Unterlassungsdelikt eine geringere kriminelle Energie zum Ausdruck als beim Handlungsdelikt mit Zielunwert. Für Handlungstaten ohne Zielunwert ("Für-möglich-Halten", "Wissentlichkeit") ist dies nicht zutreffend; für Fahrlässigkeitstaten kann es je nach konkreter Fallgestalt zutreffend sein. Wenn im Zusammenhang mit Strafwürdigkeitserwägungen zum Unterlassen davon die Rede ist, daß "die Aktivität Entschluß- und Tatkraft erfordere"29, daß beim "Handlungsdelinquenten im Gegensatz zum Unterlassungs28 R. Lange, Niederschr. II S. 276 f; Rudolphi, MDR 1967, S. 1 (2); Schmidhäuser, AT Rz. 16/22. 29 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 300 ff.

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3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

delinquenten das Nichtvermiedene ein Werk seines Willens, seiner zweckbewußt steuernden Energieenfaltung sei"3°, wird damit ebenfalls auf die beim Handlungsdelikt mögliche und beim Unterlassungsdelikt fehlende Steigerung des Unrechts durch den Zielunwert verwiesen. Auch der Satz "es sei unbillig, wenn jemand, der nur die Kraft zum Handlungsentschluß nicht aufgebracht habe, nach dem vollen Strafrahmen der Begehungsdelikte verurteilt werde"31, beinhaltet die gleiche Wertung. Und auch der Hinweis, "der Beteiligung durch Unterlassen fehle die reale Einflußnahme auf das Geschehen"32, verweist auf das Fehlen des Zielunwertes bei den Unterlassungsdelikten. Der Mangel aller dieser Aussagen einerseits, sowie einer undifferenzierten Forderung nach obligatorischer Milderung des Unterlassens33 andererseits, liegt darin, daß eine obligatorische Milderung zwar für vorsätzliche Unterlassungen geboten ist, nicht aber für Fahrlässigkeitsdelikte; fahrlässige Unterlassungsdelikte können im Einzelfall durchaus der Strafwürdigkeit des Handlungsdelikts entsprechen. Als Argument gegen dieses Ergebnis läßt sich nicht anführen, der Gesetzgeber habe durch die Gleichstellung einiger im Wortlaut geschilderter Unterlassungsdelikte mit dem entsprechenden Handlungsdelikt (z. B. Körperverletzung im Amt gern. § 340, Mißhandlung von Schutzbefohlenen gern. § 223 b StGB) eine positivrechtliche Entscheidung zur Strafwürdigkeit des Unterlassens getroffen. Da der Gesetzgeber die Frage der Strafwürdigkeit von Verhaltensweisen erst auf der Grundlage ethischer Wertungen treffen kann und es hier um die Kriterien dieser Wertung geht, kann die Schlußfolgerung aus dieser Wertung die Wertung selbst nicht ändern. Allenfalls kann gefragt werden, ob der hier gemachte Vorschlag auf die positivrechtliche Gleichstellung auszudehnen ist. Das allerdings ist ein Problem der im Wortlaut geschilderten Unterlassungsdelikte, das gesondert untersucht werden müßte. Einige Beispiele, die in den Materialien zur Strafrechtsreform eine Rolle gespielt haben und die auch in der Literatur immer wieder genannt werden34, scheinen einer generellen Strafmilderung der vorsätzlichen AuslegungsUnterlassungsdelikte zu widersprechen. Aber bei genauerer Betrachtung, insbesondere, wenn einige Abwandlungen mitbedacht werden, sprechen gerade die genannten Fälle für den hier vorgeschlagenen Weg: Herzberg, Unterlassung, S. 27. Roxin, Tatherrschaft S. 501. 32 Grünwald, GA 1959, S. 110 (111). 33 Bärwinkel, S. 47 ff; Mezger, S. 148 f. 34 vgl. z. B . Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 458; Maiwald, JuS 1981, 473, 474; Nikkel, S. 29, Fn. 73; Roxin, JuS 73 , 197 200; Jescheck, S. 473; E 1962, S. 119, 126; Gallas, Niederschr. S. 81 . 30

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C. Die Strafwürdigkeit des Auslegungs-Unterlassens

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Beispielt Die Mutter M hat ein dreijähriges Kind. a) M läßt das Kind über Wochen qualvoll verhungern. b) M gibt dem Kind über Wochen täglich eine kleine Dosis eines schmerzhaft wirkenden Giftes, bis das Kind schließlich qualvoll gestorben ist. c) M stößt das Kind in einen Zierteich, das Kind ertrinkt. d) Das Kind ist in einen Zierteich gefallen; M sieht untätig zu, obwohl sie helfen könnte; das Kind ertrinkt. Gegenübergestellt werden üblicherweise das qualvolle Verhungernlassen des Kindes (la) und der Fall des In-den-Zierteich-Stoßens (lc). Man sagt hier, daß eine Mutter, die ihr Kind verhungern lasse, oft schwereres Unrecht begehe, als die, die das Kind schmerzlos umbringe. Daher sei eine obligatorische Strafmilderungsvorschrift abzulehnen35 . Aber ein Blick auf die anderen Fallvarianten zeigt, daß damit üblicherweise Mord36 und Totschlag miteinander verglichen werden- nämlich Mord durch Unterlassen (das Kind verhungert qualvoll, la), und Totschlag durch Handeln (das Kind wird ins Wasser gestoßen, lc). Stellt man jeweils das Morddelikt und das Totschlagsdelikt durch Unterlassen und durch Handeln gegenüber, d. h. den Fall des qualvollen Verhungernlassens dem qualvollen Vergiften einerseits und den Fall des Nichtrettens dem Ins-Wasser-Stoßen des Kindes andererseits, dann bestehen an der geringeren Strafwürdigkeit des vorsätzlichen Unterlassens keine Zweifel. Beispiel2 Das zweite oft diskutierte BeispieP6a betrifft den "Weichenwärter-Fall": Weichensteller W hat die Aufgabe, die Weiche für eine Eisenbahnlinie zu stellen. Auch dieser Fall wird hier um einige Varianten ergänzt: a) W vergißt, die Weiche zu stellen; der Zug entgleist; ein Reisender kommt ums Leben. W hat sich einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen gern. §§ 222, 13 StGB schuldig gemacht. b) W ist unachtsam, verwechselt zwei der vielen Hebel und stellt die Weiche falsch; wiederum kommt ein Reisender ums Leben. Dieser Sachverhalt wird in der Literatur unterschiedlich bewertet, nämlich einmal als Handlungstat und einmal als Unterlassungstat: grenzt man Handeln 35 vgl. z. B. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 458; Metzen, Diss. Köln, S. 142, Schi Sch, § 13 Rz. 64; SondA S. 1646, 1865. 36 ausführlich zum Mord durch Unterlassen vgl. unten, 5.B.l.l. 36a z. B. SondA S. 1646, 1866; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 458.

3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

150

und Unterlassen nach dem äußeren Erscheinungsbild ab37, dann liegt ein Handlungsdelikt vor. Hier wird jetzt argumentiert, der vergeBliche W im Ausgangsfall2a) verdiene keine mildere Beurteilung als der unachtsame W im Fall 2b). Daraus sei zu entnehmen, daß es Fälle gebe, in denen Handlung und Unterlassung gleichermaßen strafwürdig seien. Grenzt man allerdings richtigerweise Handlung und Unterlassung material ab38 und fragt, ob der Täter verpflichtet war, dem Opfer eine besondere Leistung zukommen zu lassen (die zu unterlassen ein Unterlassungsdelikt ist) oder ob der Täter dem Opfer einen Eingriff gegenüber nicht vornehmen durfte (dessen Vornahme ein Handlungsdelikt ist), dann liegt auch in diesem Fall ein Unterlassungsdelikt vor: W ist aufgrundseiner Tätigkeit als Weichensteller den Reisenden gegenüber verpflichtet, Gefahren durch ein Falschfahren des Zuges zu verhindern. Indem er die Hebel verwechselt, unterläßt er die Leistung, zu der er verpflichtet ist. Da zwei Unterlassungsfälle verglichen werden, ist das Beispiel nicht geeignet, die "Gleichwertigkeit" von Handlung und Unterlassung zu untermauern. Das Beispiel soll deshalb sinnvoll ergänzt werden: c) W hat den Freund F zu Besuch im Wärterhäuschen, beide unterhalten sich angeregt über den letzten Urlaub. F weiß, daß man sich nicht gegen die vielen Hebel und Knöpfe lehnen darf, aber in der Freude über wiedererlebte Urlaubstage ist er unachtsam und gerät gegen einen der Schalter. Eine Weiche springt um, der Zug verunglückt und ein Reisender kommt ums Leben. Die Beurteilung dieses Falles ist unproblematisch: F hat sich einer fahrlässigen Tötung (durch Handeln) schuldig gemacht. Vergleicht man den Fall des Weichenwärters, der die Weiche vergißt (2a) mit dem Fall des Freundes, der versehentlich gegen einen der Hebel gerät (2c), dann stehen sich eine fahrlässige Unterlassungstat und eine fahrlässige Handlungstat gegenüber. Beide erscheinen in der Tat gleich strafwürdig. Allerdings darf daraus nicht voreilig geschlossen werden, generell alle Unterlassungsdelikte - insbesondere auch vorsätzliche - seien ebenso strafwürdig wie das den gleichen Erfolg herbeiführende Handlungsdelikt39. Die hier vorgeschlagene Lösung zeigt, daß bei den Fahrlässigkeitsdelikten in der Strafwürdigkeit von Handeln und Unterlassen ein Unterschied bestehen kann und bei vorsätzlichen Delikten immer besteht.

37

so z. B. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 458; Herzberg, S. 91; Roxin, Engisch-Fs.

s. 380 ff. 38

39

vgl. oben, l.A.II.2.b), S. 9 f. so aber z. B. Metzen, Diss. Köln, 1977, S. 167 f.

D. Zusammenfassung des dritten Teils

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IV. Zusammenfassung Die Strafwürdigkeit der Auslegungs-Unterlassungsdelikte ist aufgrund allgemeiner Strafwürdigkeitskriterien zu bestimmen ohne voherige Festlegung durch eine (fiktive) Gleichstellung von Handeln und Unterlassen. Abgesehen vorn Willensmoment ist die Strafwürdigkeit des Unterlassens nach den gleichen Kriterien zu bestimmen wie beim Handlungsdelikt. Dem Zielunwert kommt bei allen vorsätzlichen Handlungsdelikten erhebliche Bedeutung für die Strafwürdigkeit zu und zwar zur Begründung der absoluten Strafwürdigkeit (Zieldelikte) oder als Kriterium der relativen Strafwürdigkeit; für Fahrlässigkeitsdelikte dagegen spielt der Zielunwert keine Rolle. Da Unterlassungsdelikte keinen Zielunwert kennen, scheiden Delikte, die den Zielunwert voraussetzen, als Auslegungs-Unterlassen von vornherein aus; im übrigen ist der Strafrahmen der vorsätzlichen Handlungsdelikte für vorsätzlich begangene Unterlassungsdelikte wegen des fehlenden Zielunwerts beim Unterlassen zu hoch. Bei Fahrlässigkeitstaten kann ein Unterlassen aufgrund erschwerter Erkennbarkeil der Gefahrenlage weniger strafwürdig sein als ein den gleichen Erfolg herbeiführendes Handeln. Sachgerechte Rechtsfolge für das Auslegungs-Unterlassen ist daher eine obligatorische Strafmilderung für vorsätzliche Unterlassungstaten und eine fakultative Strafmilderung für fahrlässig begangene Unterlassungstaten. Als Wortlaut für die bisherige Regelung des § 13 Abs. 2 StGB ist somit vorzuschlagen: "Für vorsätzlich begangene Unterlassungsdelikte ist die Strafe nach § 49 Abs. 2 zu mildern, für fahrlässig begangene Unterlassungsdelikte kann die Strafe nach § 49 Abs. 2 gemildert werden."

D. Zusammenfassung des dritten Teils Im zweiten Teil wurde gezeigt, daß die Entsprechensklausel das sogen. Gleichstellungsproblem nicht lösen kann, weil es systematisch verfehlt ist, Handlung und Unterlassung gleichstellen zu wollen, und daß es vielmehr um Auslegung der Handlungstatbestände geht. Im dritten Teil waren Vorgehensweise und Voraussetzungen dieser Auslegung zu beleuchten. Dabei hat sich gezeigt: nur ein Verletzungs- oder Gefährdungserfolg, der seiner Struktur nach auch unabhängig von menschlichem Handeln vorstellbar ist, kommt als Anknüpfungspunkt in Betracht. Setzt ein Delikt neben dem Erfolg (oder mehreren Erfolgen) ein spezifisches Handeln oder Unterlassen voraus, ist ein Auslegungs-Unterlassen ausgeschlossen; gleiches gilt, wenn das Handlungsdelikt ein bestimmtes Willensziel des Täters verlangt.

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3. Teil: Schlußfolgerung aus der Kritik

Die Auslegung der verbleibenden (uneingeschränkten) Erfolgsdelikte ist rechtsfolgenorientiert: die durch Auslegung ermittelten Voraussetzungen müssen zur Rechtsfolge - verglichen mit anderen Taten - in einem gerechten Verhältnis stehen. Da das Unterlassen keinen Zielunwert als Kriterium der Strafwürdigkeit kennt, erweist sich allein eine obligatorische Strafmilderung für vorsätzliche Unterlassungen als systemgerecht. Bevor im fünften Teil zu zeigen sein wird, wie die kritischen Handlungsdelikte in Verbindung mit § 13 StGB auszulegen sind, ist im vierten Teil zu untersuchen, ob der Entsprechensklausel im Fall mehrerer Tatbeteiligter eine Bedeutung zufällt.

Vierter Teil

Die Bedeutung der Entsprechensklausel bei mehreren Tatbeteiligten und beim Versuchsdelikt Bisher wurden Straftattheorie und Erntsprechensklausel in dieser Arbeit nur im Hinblick auf den Einzeltäter untersucht. Wie sieht es nun aus, wenn mehrere am Tatgeschehen beteiligt sind? Im E 1960 weist man der Entsprechensklausel (damals Gleichwertigkeitsklausel) u. a. eine Aufgabe zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme zu: "Ob der Unterlassende Täter oder Teilnehmer ist, richtet sich nach den allgemeinen Unterscheidungsmerkmalen und dem Gesichtspunkt der Gleichwertigkeit. Wo es sich darum handelt, daß der Unterlassende einen von einem vorsätzlich Handelnden Dritten durch positives Tun herbeigeführten Erfolg nicht abwendet, wird der Tatbeitrag des Unterlassenden in der Regel nur einer Beihilfe durch positives Tun gleichwertig sein"l. Neben Anstiftung und Beihilfe wird auch für die Mittäterschaft und die mittelbare Täterschaft zu untersuchen sein, ob sich hier der Entsprechensklausel ein Anwendungsbereich erschließt. Dabei wird so vorgegangen, daß zunächst die Möglichkeit der jeweiligen Sonderform des Unterlassensgeprüft wird, und- soweit sie zu bejahen ist-sodann nach einer Funktion der Entsprechensklausel gefragt wird. Dabei geht es jeweils um die Frage des Unterlassungsdelikts durch den Mitwirkenden; die Frage eines Mitwirkens durch Handeln am Unterlassungsdelikt enthält keine spezifischen Probleme des Unterlassens, sie wird daher nicht behandelt2. Auch für das Versuchsdelikt ist zu prüfen, ob es als Unterlassen in Frage kommt und ob hier der Entsprechensklausel eine Funktion zufällt. A. Sondedormen der Täterschaft I. Mittäterschaft

Die Möglichkeit einer Mittäterschaft bei Unterlassungsdelikten ist weitgehend anerkannt3. Abgelehnt wird sie von Kaufmann mit dem Hinweis, das E 1960, S. 118; vgl. auch E 1962, S. 126; Lubberger, Diss. Heidelberg 1962 S. 84. vgl. dazu Schmidhäuser, Studb. 13/17 ff; Stree, GA 1963, S. 1. 3 z. B. LK/Roxin, § 25 Rz. 154 m.w.N.; Maurach/Gössel!Zipf, 2, S. 265; Stratenwerth, Rz. 1067; BGH NJW 1966, S. 1763. I

2

154

4. Teil: Mehrere Tatbeteiligte und Versuchsdelikt

Unterlassen kenne keinen Vorsatz, so daß der für Mittäterschaft vorauszusetzende gemeinsame Tatentschluß nicht denkbar sei4. Was die Vorsätzlichkeil des Unterlassens betrifft, so ist dafür nach teleologischer Straftattheorie (als Schuldmerkmal) aktuelles Tat und Unrechtsbewußtsein vorauszusetzen; auf den Willen kommt es dafür nicht an, und so ist die Vorsätzlichkeil zwanglos auch ein Merkmal des vorsätzlichen Unterlassungsdelikts5 . Handlungswille und Botschluß dürfen nicht gleichgesetzt werden; während der Handlungswille tatsächlich ausschließlich Merkmal des Handeins ist, kann sich ein Botschluß auch auf ein Unterlassen beziehen6. Eine mittäterschaftliehe Unterlassung ist also durchaus denkbar. Deutlich wird ein Unterlassungsentschluß im Falle einer Verbrechensverabredung, z. B. wenn die Eltern übereinkommen, ihr Kind verhungern zu lassen. Darüber hinaus ist aber zu fragen, ob ein Unterlassungsentschluß für das mittäterschaftliehe Unterlassen wirklich vorauszusetzen ist. Bevor dem nachgegangen wird, ist zunächst allgemeiner zu fragen, ob die Grundsätze der Mittäterschaft beim Handlungsdelikt unbesehen auf das Unterlassen übertragbar sind. Beim Handlungsdelikt setzt die Mittäterschaft den gemeinsamen Tatentschluß und die (wenigstens teilweise) gemeinsame Ausführung der Tat voraus. Teilweise werden diese Grundsätze auch für das Unterlassungsdelikt zugrundegelegt7. Aber von einer gemeinsamen Ausführung kann im Fall des UnterIassens nicht gesprochen werden, insofern jedenfalls weisen die Unterlassungsfälle eine andere Struktur aufS. Wenn mehrere die Rettung unterlassen, ist meist jeder Unterlassende selbst bereits Täter und damit Nebentäterschaft gegeben. Anders sieht es allerdings aus, wenn dem einzelnen die individuelle Handlungsmöglichkeit fehlt, mit vereinten Kräften aber eine Rettungsmöglichkeit besteht: etwa wenn ein Rettungsboot nur von dreien gemeinsam ins Wasser gehievt werden kann oder ein Tresor sich nur von zwei Schlüsselträgern öffnen läßt, um einen Eingeschlossenen zu befreien9. Statt gemeinsamer Tatausführung ist hier jeweils die gemeinschaftliche Handlungsmöglichkeit erforderlich. Wie sieht es jetzt mit dem gemeinsamen Botschluß aus? Ist ein gemeinsamer Botschluß zum Unterlassen vorauszusetzen? Ausdrücklich bejaht Schmidhäuser die Fragelo, der Sache nach wird sie bejaht, soweit man die Grundsätze des Handlungsdelikts auf die Unterlassung überträgtll . 4 Kaufmann, Dogmatik, S. 189. s s. oben 2.A.Ill.3.e). 6 vgl. oben 2.A.III.3.e). 7 vgl. Maurach/Gössel!Zipf 2, S. 265; Baumann!Weber, S. 527. s so ausdrücklich auch Schmidhäuser, Studb. 13/5; vgl. auch Stratenwerth, Rz. 1067 ff; LK/Roxin, § 25 Rz. 154 m.w.N. 9 vgl. Stratenwerth, Rz. 1067 ff; LK/Roxin, § 25 Rz. 154 m.w.N. 10 Schmidhäuser, Studb. 13/4 f, die Intention der Unterlassung sei hier notwendig vorausgesetzt.

A. Sonderformen der Täterschaft

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In den genannten Beispielsfällen sind die Unterlassenden zu bestrafen, wenn sie etwa durch Zuruf oder rasche Geste oder anderes Übereinkommen das Unterlassen der Rettung beschlossen hätten. Wie aber ist der Sachverhalt zu beurteilen, wenn der eine rettungsbereit den anderen zum Mithandeln auffordert, der andere aber darauf nicht eingeht? -Ein gemeinsamer Unterlassungsentschluß liegt nicht vor. Erscheint aber nicht die Weigerung des Zweiten ebenso strafwürdig, wie wenn er im Fall einer Einzeltäterschaft unterlassen hätte? An der individuellen Handlungsfähgikeit ist wegen der Rettungsbereitschaft des anderen nicht zu zweifeln. Die Pflicht des Täters geht beim Unterlassen dahin, dem gefährdeten Rechtsgutsobjekt im Rahmen seiner individuellen Handlungsmöglichkeit eine Leistung zukommen zu lassen, mit der die Gefahr abgewendet wird. Läßt sich die Rettung nur durch gemeinsamen Einsatz schaffen, dann ist es wesentlicher Teil dieser Pflicht, einen gemeinsamen Handlungsentschluß herbeizuführen, weil damit erst die Voraussetzung zur Rettung geschaffen wird. In diesem Fall erweitert sich also die Handlungspflicht jedes Anwesenden: sie geht zunächst dahin, dem oder den anderen die Handlungsbereitschaft deutlich zu machen, um einen gemeinsamen Handlungsentschluß herbeizuführen. Dazu ist gegebenenfalls (soweit eine Erfolgsaussicht zu bejahen ist) einem Hilfsunwilligen mit einer Strafanzeige zu drohen. Der gemeinsame Handlungsentschluß ist sodann auszuführen. Weigert sich von vornherein (wenigstens) einer der Anwesenden, den notwendigen Entschluß zu gemeinsamer Hilfe zu fassen (ohne objektive Aussicht einer Meinungsänderung), fehlt es an der individuellen Handlungspflicht jedes einzelnen anderen zur Abwendung des Erfolges; hier besteht dann auch keine Pflicht mehr, die eigene Handlungsbereitschaft deutlich zu machen (während bei dem die Hilfsbereitschaft Verweigernden ein Unterlassungsdelikt gegeben ist). Ein gemeinsamer Entschluß zum Unterlassen ist mithin für die mittäterschaftliche Unterlassung nicht vorauszusetzen, sondern vielmehr das Ausbleiben eines gemeinsam gefaßten Rettungsentschlusses. Insoweit unterscheidet sich die mittäterschaftliehe nicht von der einzeltäterschaftliehen Unterlassung, denn auch dort ist ja kein Unterlassungsentschluß vorauszusetzen, sondern das Ausbleiben des Entschlusses zum rettenden Handeln12. Mit dieser Gemeinsamkeit aller Unterlassungsdelikte ist zugleich gesagt, daß aus den Unterschieden von Handlungsmittäterschaft und Unterlassungsmittäterschaft nicht etwa auf einen Anwendungsbereich für die Entsprechens11 so z. B. Maurach/Gössel/Zipf 2, S. 265; Baumann!Weber, S. 527; BGH NJW 1966, S. 1763; BGHSt 13, 162. 12 vgl. oben 2.A.III.3.e) -da für eine Verbrechensverabredung nach § 30 II StGB ein gemeinsamer (wenigstens konkludenter) Tatentschluß vorauszusetzen ist, kommt eine Verbrechensverabredung durch Unterlassen nicht in Betracht.

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4. Teil: Mehrere Tatbeteiligte und Versuchsdelikt

klausei geschlossen werden darf: die Voraussetzungen des mittäterschaftliehen Unterlassens folgen allein aus der kontradiktorischen Gegensätzlichkeit von Handeln und Unterlassen und der Art und Weise, wie die hier zugrundegelegte Straftattheorie das Unterlassungsdelikt behandelt. II. Mittelbare Täterschaft

Ausgeschlossen ist die mittelbare Täterschaft - beim Unterlassungsdelikt ebenso wie beim Handlungsdelikt -, wo dem Täter fremdes Handeln bereits zu eigener Täterschaft zugerechnet wird, d. h. bei der Einheitstäterschaft (so z. B. bei der fahrlässigen Körperverletzung, also etwa, wenn der Vater hätte erkennen können, daß sein Kind beim Hantieren mit dem Messer ein anderes Kind zu verletzen droht), oder wo eine eigenhändige Begehung vorausgesetzt ist - insbesondere also bei den Aussagedelikten - , oder wo eine bestimmte Pflichtenstellung des Täters vorausgesetzt ist- z. B. die des Richters bei der Rechtsbeugung gern. § 336 StGB)B. Ob im übrigen eine mittelbare Täterschaft im Bereich des Unterlassens möglich ist, wird verschieden beurteilt, und zwar je nachdem, ob man von einem engen oder weiten Begriff der Täterschaft ausgeht: geht man von einem engen Begriff aus, indem man mittelbare Täterschaft beschreibt als Einwirken des Hintermanns auf den Vordermann (wobei der Vordermann häufig als Werkzeug bezeichnet wird)14 , dann verneint man die Möglichkeit mittelbarer Täterschaft und nimmt unmittelbare Täterschaft anls. Wird andererseits ein weiter Begriff zugrundetgelegt und die mittelbare Täterschaft als objektive Zurechnung eines Geschehens zur Tat des Hintermanns verstanden, das der Vordermann herbeigeführt hatl6, dann kann dem Hintermann das Geschehen auch aufgrundeines Unterlassens zugerechnet werden- wenn er nämlich verpflichtet war, einen vom Vordermann herbeigeführten Erfolg abzuwenden, also z. B. als Pfleger eines Geistenkranken dafür zu sorgen, rechtswidrige Taten des Schützlings zu verhindern. Welcher Begriff der mittelbaren Täterschaft ist richtig? Für das enge Verständnis ist zu bezweifeln, ob mit der Voraussetzung desEinwirkensauf den Vordermann alle Fälle mittelbarer Täterschaft auch tatsächlicherfaßbar sind: füllt jemand z. B. Pflanzenschutzmittel in eine Hustensaft-Flasche und stellt sie 13 vgl. für Handlungsdelikte z. B. Lackner, § 25 Bern. l.b)aa); Schneider, Diss. Macburg 1965, S. 124 f. 14 so Grünwald, GA 1959, S. 119 (122); Jescheck, S. 521, 540, 566 f rn.w.N. aus der Rspr.; Kaufmann, Dogmatik, S. 291 ff; Lackner, § 25 Bem. 1b); Roxin, Täterschaft S. 471 f; ders.ILK, § 25 Rz. 155 m.w.N.; die Rspr. fordert z. T. "Täterwillen zur Tatherrschaft", vgl. BGHSt 13, 162; vgl. dazu Sch/Sch/Cramer, vor§ 25 Rz. 63. 15 vgl. Fn. 14. 16 so z. B. Baumann, JuS 1963, S. 85 (91) ; Baumann!Weber, S. 542 f; Blei, S. 256, 260; Küper, JZ 1983, 361 (369); Maurach/Gössei/Zipf 2, S. 223, 240.

B. Anstiftung und Beihilfe

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in der Kücheab-wohl wissend um die fatale Gefahr einer Verwechselung -, und gibt später tatsächlich die Mutter dem Kind vom Inhalt der Flaschel7, dann ist an der mittelbaren Täterschaft nicht zu zweifeln, obwohl von einem Einwirken des Täters auf die Mutter im ursprünglich gemeinten Sinn des Begriffs keine Rede sein kann. Wird von der objektiven Zurechnung ausgegangen, macht die Beurteilung des Falles keine Schwierigkeiten: dem Hintermann ist die Vergiftung des Kindes objektiv zur eigenen Tat zuzurechnen, da er die Gefahr der Verwechselung geschaffen hat und sich diese Gefahr in der Erkrankung des Kindes realisiert hat. Mit der objektiven Zurechnung als kennzeichnendem Merkmal der mittelbaren Täterschaft ist daher auch eine mittelbare Täterschaft durch Unterlassen anzuerkennen. Als Grund der Zurechnung kommt beim Unterlassen die Garantenstellung des Täters in Betracht, wenn er als Sicherungsgarant verpflichtet ist, vom Vordermann ausgehende Gefahren zu verhüten. Da mithin die Zurechnung des vom Vordermann herbeigeführten Geschehens eine Fallgruppe der für Handeln und Unterlassen gleichermaßen geltenden objektiven Zurechnung ist, kommt auch hier der Entsprechensklausel keine Bedeutung zu.

B. Anstifung und Beihilfe Mit der hier zugrundegelegten Straftattheorie ist als Strafgrund des Teilnehmerdelikts der Eigenunwert der Teilnahme vorausgesetzt, wonach das Unrecht der Anstiftung im rechtsgutsverletzenden Anstifterhandeln und das Unrecht der Beihilfe im rechtsgutsverletzenden Hilfeleisten bestehtlS. Im Gehalt unterscheiden sich die allgemeinen Straftatmerkmale des Teilnehmerdelikts nicht vom Täterdelikt (setzen also Unrecht und Schuld voraus und evtl. zusätzliche Straftatmerkmale). Der strukturelle Unterschied liegt darin, daß für das (vollendete) Teilnehmerdelikt immer ein Doppelerfolg vorausgesetzt ist, nämlich das Wecken des Tatentschlusses bzw. die Förderung der Haupttat sowie die Begehung der Haupttat. I. Anstiftung durch Unterlassen

Für das Handlungsdelikt setzt die Anstiftung voraus, daß der Täter einem anderen ein rechtsgutsverletzendes Verhalten vorschlägt mit dem Willensziel und/oder der Gefahr, daß der Adressat sich dem Verhaltensvorschlag entsprevgl. den Fall bei Schmidhäuser, Studb. 10/78. Schmidhäuser, Studb. 10/16; vgl. auch Herzberg, GA 1971, 1 ff; Langer, S. 465 ff; Maria-Katharina Meyer, GA 1979, S. 252; Sax, ZStW 1978, 927 ff. 17

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4. Teil: Mehrere Tatbeteiligte und Versuchsdelikt

chend verhält, und daß sich diese Gefahr in der Entschlußfassung und der Begehung der Tat realisiert. Ebenso wie bei der mittelbaren Täterschaft geht es also bei der Anstiftung um die objektive Zurechnung des (Doppel-)Erfolges zum Verhalten des Täters. Da der Unterlassende nicht auf den anderen einwirkt, hängt die Möglichkeit einer Anstiftung davon ab, ob der Täter verpflichtet sein kann, bei einem anderen den Entschluß zur Begehung einer Straftat zu verhindern. Schmidhäuser bejaht dies, und zwar wenn das Unterlassen "in der gegebenen Situation als Verhaltensvorschlag zu verstehen ist"I9 und führt folgendes Beispiel an: "B berichtet dem A, daß er A's Vater V hasse und sich überlege, ob er V töten solle. A ist als Garant gegenüber dem Leben des V verpflichtet, dessen Tod und also möglichst schon die auf diesen Erfolg abzielende Entschlußfassung des B zu verhindern. Tut er dies nicht und ist sein Nicht-Handeln in der gegebenen Situation als Verhaltensvorschlag zu verstehen, so ist er, wenn B daraufhin den Entschluß faßt und ausführt (und Täterschaft des A ausscheidet), eines vorsätzlichen Tötungsdelikts als Unterlassungsanstifter ... schuldig." Fraglich erscheint, ob ein Unterlassen je als Verhaltensvorschlag aufgefaßt werden kann. Sobald der A auch nur durch leisestes Augenzwinkern seine Zustimmung bekundet, (und B seinen Entschluß davon abhängig gemacht hat), liegt eine Handlungsanstiftung vor. Reagiert der A auf die Rede des B überhaupt nicht- wie sollte B die Regungslosigkeit des A dann als Verhaltensvorschlag auffassen? Er kann nicht einmal wissen, ob der A ihn überhaupt wahrgenommen hat, denn wenn A durch keinerlei Regung Ablehnung oder Zustimmung offenbart, ist es, als hätte B gegen einen Stein geredet; ein Verhaltensvorschlag kann im "Nicht-Regen" des A in keinem Fall gesehen werden. Eine Unterlassungsanstiftung ließe sich daher nur bejahen, wenn eine Garantenpflicht zum Verhindern des Tatentschlusses angenommen wird. Das aber hieße, die Garantenpflicht unmäßig auszudehnen. Zu Recht ist man bei der Handlungsanstiftung bemüht, strafeinschränkend einen Verhaltensvorschlag durch "Kollusion" oder "geistigen Kontakt" vorauszusetzen, d. h. es muß der Vorschlag als von einer anderen Person stammend für den Angestifteten erkennbar sein2o. Bei der Unterlassung sollte man daher nicht den umgekehrten Weg einer Strafausdehnung durch eine überlänglich angenommene Garantenpflicht gehen. Die Möglichkeit einer Anstiftung durch Unterlassen ist daher abzulehnen2I. 19 Schmidhäuser, Studb. 13/11; s. auch Loewenheim, Diss. Frankfurt/Main, S. 34, dort S. 28 ff findet sich eine Darstellung des Meinungsstandes; vgl. auch Lackner, § 26 Bem. 3. 20 Lubberger, Diss. Heidelberg 1962 S. 119; Dieter Meyer, Diss. Harnburg 1973; Roxin/LK, § 26 Rz. 12; Schmidhäuser, Studb. 10/113.

B. Anstiftung und Beihilfe

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Mit dieser Auffassung kommt der Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung beim Unterlassen besonderes Gewicht zu, da sie über Strafbarkeit oder Straflosigkeit entscheidet. Die Abgrenzung hat nach ganzheitlicher Betrachtung zu erfolgen, d. h. im Einzelfall durch Angabe von typischen Momenten, die das Ergebnis - gemessen an unstreitigen Fallgestalten - möglichst plausibel machen22. II. BeihiHe durch Unterlassen

Zumeist wird die Möglichkeit einer Beihilfe durch Unterlassen nicht in Abrede gestellt23; manchmal wird sie eingeschränkt auf psychische Beihilfe24 oder andere Fallgestalten25- allerdings: vereinzelt lehnt man sie auch gänzlich ab26. Für die Beihilfe durch Unterlassen kann nichts anderes als für jedes Auslegungs-Unterlassen gelten: daß nämlich Anknüpfungspunkt der Auslegung nur ein Erfolg sein kann, zu dessen Abwendung der Täter verpflichtet ist. Kann der Garant den rechtsgutsverletzenden Erfolg nicht abwenden, besteht keine Handlungspflicht. Vom Täter darf nicht verlangt werden, die Tat eines anderen bloß zu erschweren: das nützte dem betroffenen Rechtsgutsobjekt nichts und stellte lediglich eine Bezeugung des guten Willens durch den Garanten dar; zu solch einer Bezeugung guten Willens aber ist niemand verpflichtet27. Wenn im Fall mehrerer Tatbeteiligter der Garant verpflichtet ist, einen durch Handeln des anderen drohenden Erfolg abzuwenden- z. B. den Tod des Kindes, wenn es von jemandem ins Wasser gestoßen worden ist-, unterscheidet sich diese Fallgestalt nicht von anderen Sachverhalten, in denen die Gefahrenlage nicht von einem Menschen, sondern von einer natürlichen Gefahrenquelle herrührt. Das veranschaulichen zwei Beispiele von Kielwein: ob Blitzschlag oder Menschenhand ein Haus in Brand gesetzt hat, ob vorüber21 so auch Lubberger, Diss. Heidelberg 1962 S. 111; im Ergebnis Baumann!Weber, S. 562; Garbers, Diss. Hamburg, 1963, S. 141 f; Grünwald, GA 1959, S. 110, (122); Dieter Meyer, Diss. Harnburg 1973, S. 155; Otto, AT S. 268; Sch/Sch/Cramer, § 26 Rz. 7. 22 vgl. im einzelnen: Schmidhäuser, Studb. 10/163 ff. 23 vgl. z. B. RGSt 71, 176 (178); BGH NJW 1953, 1838 f; Langrock, JuS 1971, S. 529 (532); OLG Braunschweig, GA 1977, S. 240; Otto, JuS 1982,557 (565); Ranft, ZStW 97 (1985) s. 268 ff. 24 z. B . Otto, JuS 1982, S. 557 (565); Rudolphi, Unterlassungsdelikte S. 138 ff; Stratenwerth, Rz. 1075. 25 z. B. Stratenwerth, Rz. 1089; vgl. BGHSt 27,10 (12) ; Sch/Sch/Cramer, vor§ 25 Rz. 91 m. w.N aus der Rspr.; Roxin, Täterschaft S. 476 ff ( 485); ders./LK, § 25 Rz. 150; Rudolphi, S. 142 Fn. 90; Welp, S. 19 Fn. 24; vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität, s. 91. 26 z. B. Kaufmann, Dogmatik, S. 296, 302; Kielwein, GA 1955, S. 225, (227). 27 so auch: Kaufmann, S. 293; Schmidhäuser, Studb. 13/12, 14.

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4. Teil: Mehrere Tatbeteiligte und Versuchsdelikt

laufende Jungen ein Kind ins Wasser stoßen oder das Kind aus Versehen ins Wasser fällt- es macht jeweils keinen Unterschied für den Unrechtsgehalt der Unterlassung des Garanten, wer oder was Ursache der Gefahrenlage ist2s. Eine Beihilfe durch Unterlassen ist daher ausgeschlossen. Aufgrund der (fingierten) Prämisse, das Unterlassen sei eine Form der Handlung29 , übeträgt insbesondere die Rechtsprechung die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme unbesehen auf die Unterlassungsdelikte- mit der Folge, daß Kriterien maßgeblich sein sollen, die sich beim Unterlassen gerade nicht feststellen lassen: nämlich subjektiver Wille und/oder Tatherrschaft30. Beides kann es in dem vom Handeln her verstandenen Sinne beim Unterlassen nicht geben, da das Unterlassen keinen zielgerichteten Willen kennt. Vor Einführung der fakultativen Strafmilderungsvorschrift des§ 13 Abs. 2 StGB fühlte man immer wieder das Bedürfnis nach einer geringeren Bestrafung des Unterlassens und wich dann auf die Figur der Beihilfe aus. Der bereits oben zitierte E 1960, wonach es den "Erfordernissen der Gerechtigkeit und einem praktischen Bedürfnis (entspricht)", "Unterlassungen, durch die lediglich die Haupttat eines anderen unterstützt wird, ... mit der milderen Gehilfenstrafe zu belegen ... "31 bestätigt das mit aller Deutlichkeit. Man verkennt dabei als Folge der verfehlten Gleichstellungsprämisse, daß dem Unterlassungsdelikt ganz allgemein eine geringere Strafwürdigkeit zukommt als dem Handlungsdelikt32 und daß in vielen Fällen der "Beihilfe durch Unterlassen" ein strafwürdiges Unterlassen nicht vorliegt. Vor allem die Rechtsprechung zur Meineidsbeihilfe durch Unterlassen liefert hierzu ein bedauerliches Beispiel, das hat Herzberg eingehend und treffend aufgezeigt33. Auch eine psychische Beihilfe durch Unterlassen ist nicht denkbar: wer zufällig am Tatort anwesend ist, unterstützt den Täter nicht. Gedacht ist wohl auch eher an Fälle, in denen jemand "mitgeht", ohne sich im übrigen an der Tat zu beteiligen oder daß ein am Tatort zufällig Angetroffener zum Ausdruck bringt, er wolle nichts gegen die Täter unternehmen. Dann aber ist kein Fall des Unterlassens mehr gegeben, sondern nach einer psychischen Beihilfe durch konkludentes Tun zu fragen. Teilweise wird eine Beihilfe durch Unterlassen dann angenommen, wenn der Garant die Verletzung des Rechtsgutsobjektes nur dadurch abwenden kann, daß er dem noch handelnden Vortäter "in den Arm fällt" und dessen 28 Kielwein, GA 1955 S. 225, (227); so auch Armin Kaufmann, S. 296; Welzel, S. 222; vgl. Stratenwerth, Rz. 1077. 29 s. o. 2.A.II. 30 vgl. z. B. BGHSt 2, 150 ff; BGH LM Nr. 10 vor§ 47; BGH MDR 1960, 939 f ; vgl. auch Schünemann, ZStW 96 (1984) S. 287 (314) m.w.N. 31 E 1960, S. 118; E 1962, S. 1962. 32 vgl. oben 3.C. 33 Herzberg, S. 309 ff.

B. Anstiftung und Beihilfe

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Handeln vereitelt34. Es dürfe nicht übersehen werden, daß der Garant gegen eine aktuelle Tatherrschaft des Täters angehen müsse, daher sei das Unterlassen (z. B. Androhen einer Strafanzeige) weniger strafwürdig als dort, wo das Handeln des Täters abgeschlossen sei und es nun um die Abwendung des Erfolges gehe. Aber die Tatherrschaft des Täters verringert nicht die Strafwürdigkeit des Garantenunterlassens, wenn der Garant die einzige Rettungschance mit Erfolgsaussicht nicht wahrnimmt35, sondern begründet vielmehr eine gesteigerte Gefahr des Erfolgseintritts und verringert die Chance einer erfolgreichen Rettung durch den Garanten. Bei Fällen dieser Art liegt die Schwierigkeit in der Feststellung, ob die individuelle Handlungsfähigkeit zum Handeln mit Rettungsaussicht tatsächlich gegeben ist oder ob sie nicht vielmehr aufgrund der Tatherrschaft des Handelnden verneint werden muß. Gegenüber dem Fall, daß ein Ertrinkender schon so weit abgetrieben ist, daß die Chance der rechtzeitigen Rettung nicht mehr beurteilt werden kann, besteht hier kein Unterschied. Das Entweder-Oder von Unterlassungstäterschaft und Straflosigkeit aufgrund zweifelhafter Rettungsaussicht stellt sich in beiden Sachverhalten gleich dar. Das Ergebnis hängt beidemal von der Überzeugung des Tatrichters in der Beurteilung des konkreten Falls ab: hätte das Opfer durch erfolgversprechende Einflußnahme auf einen Dritten mit Sicherheit gerettet werden können, liegt ein Unterlassen des Garanten als Täter vor, andernfalls fehlt es am Unterlassungsunwert und eine Unterlassungstat scheidet aus. Teilweise wird die Auffassung vertreten, eine Beihilfe durch Unterlassen sei dort denkbar, "wo der Tatbestand an die Täterschaft zusätzliche, über die unterlassene Erfolgsahwendung hinausgehende Anforderungen stellt, gerichtet auf besondere subjektive Merkmale, Sonderpflichten oder die Eigenhändigkeit der Ausführung"36. Diese Auffassung ist abzulehnen; die Pflicht des Garanten geht über die Abwendung von Gefährdungs- und Verletzungserfolgen nicht hinaus. Setzt das entsprechende Handlungsdelikt besondere subjektive (Unrechts-)Merkmale, Sonderpflichten usw. voraus, dann kann nicht beim Unterlassen auf diese Merkmale verzichtet werden. Diesem Vorgehen liegt die verfehlte, aus der kategorischen Gleichstellung von Handeln und Unterlassen herrührende Übertragung der Beihilfegrundsätze auf die Unterlassung zugrunde. Da die Förderung der Haupttat beim Handlungsdelikt keine Entsprechung im Unterlassen finden kann (der Garant nicht zur 34 Kielwein, GA 1955, S. 225 (227); Schmidhäuser, Studb. 13/13; vgl. auch Gallas, JZ 1960, S. 686 (688); Lubberger, Diss. Heidelberg 1962 S. 83. 35 so auch Rudolphi, S. 146; Stratenwerth, Rz. 1078 s. allerdings auch 1089, wo eine Beihilfe dennoch bejaht wird; bezeichnenderweise spricht Stratenwerth von einer "aushilfsweisen Anwendung der Teilnahmevorschriften", Rz. 1079. 36 Stratenwerth, Rz. 1089; vgl. BGHSt 27,10 (12); Sch/Sch/Cramer, vor § 25 Rz. 91 m.w.N aus der Rspr.; Roxin, Täterschaft S. 476 ff(485) ; ders./LK, § 25 Rz. 150; Rudolphi, S. 142 Fn. 90; Welp, S. 19 Fn. 24; vgl. Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 91: Unterlassungsbeihilfe bei reinen Tätigkeitsdelikten.

II Nitze

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4. Teil: Mehrere Tatbeteiligte und Versuchsdelikt

Erschwerung der Haupttat verpflichtet ist), scheidet eine Beihilfe durch Unterlassen in diesen Fällen aus. In diesem Zusammenhang wird häufig der Fall genannt, daß ein Fabrikwächter es entgegen seiner Aufgabe unterläßt, bei einem Einbruch die Polizei zu verständigen37. Armin Kaufmann macht überzeugend deutlich, daß dem Garanten hier über die Konstruktion einer Beihilfe sachwidrig aufgebürdet wird, den Eigentümer vor dem Verlust der Sache zu bewahren, obwohl beim Handlungsdelikt die bloße Sachentziehung gerade nicht strafbar ist. Hindert die Haushälterin den Handwerker nicht am Stehlen der Brillantbrosche - so ein Beispiel Kaufmanns-, ist sie ebensowenig wegen Unterlassungsbeihilfe zu bestrafen, wie wenn sie es nicht verhindert, daß eine Elster mit der Brosche davonfliegtJB: das Geschehenlassen der Sachentziehung ist nicht strafwürdig und entsprechend der Fabrikwächter, auch wenn er seiner vertraglichen Pflicht nicht nachkommt und Diebstähle zuläßt, nicht zu bestrafen. Da eine Beihilfe durch Unterlassen zum Handlungsdelikt ausscheidet, kommt auch eine Unterlassungsbeihilfe zum Unterlassungsdelikt nicht in Betracht. Die Gegenauffassung39 führt als Beispiel an, daß ein Vater, dessen Sohn aus lngerenz Garant für das Leben eines anderen ist, als Gehilfe zu bestrafen sei, wenn er den Sohn nicht zur Erfolgsahwendung veranlasse. Aber vorausgesetzt, daß der Sohn die Rettung aufgrund der Aufforderung des Vaters vornehmen würde und für den Vater keine andere Handlungsmöglichkeit besteht: dann ist der Vater als Täter eines Garantenunterlassens zu bestrafen. Die Garantenpflicht ist begründet aufgrund der Sicherungsgarantie, die daraus abzuleiten ist, daß der Vater vom Sohn ausgehende Gefährdungen- hieraufgrunddes Vorverhaltens- abzwenden hat.

C. Versuchsdelikt Die Möglichkeit eines Unterlassungsversuchsdelikts ist allgemein anerkannt40. Verschiedentlich wird ein Unterlassungsversuchsdelikt sogar schon dann angenommen, wenn sich die Tat lediglich im Geiste des Täters abspielt: "ein Versuch ist gegeben bei der irrigen Annahme von Tatumständen, deren tatsächliches Vorliegen die Erfolgsabwendungspflicht des Unterlassenden begründet hätte"41. Der Satz leitet sich unmittelbar aus der Annahme ab, auch die Unterlassung sei eine Handlung, und eine "Unterlassungshandlung" liege z. B. Sch/Sch/Cramer, vor§ 25 Rz. 91. Kaufmann, Dogmatik, S. 297 ff; vgl. Grünwald, ZStW 70 {1958) S. 412 (425). 39 Sch/Sch/Cramer, vor§ 25 Rz. 96; vgl. ferner Ranft, ZStW 96 {1984) S. 815 (861); Schmidhäuser, Studb. 13/16. 40 statt vieler s. Lackner, § 22 Bem. 3. 41 Maurach/GösseUZipf 2, S. 27; vgl. Baumann/Weber, S. 482 f; vgl. auch das Beispiel bei Herzberg, S. 175. 37

38

D. Zusammenfassung des vierten Teils

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vor, "wenn eine Rechtsgutsbeeinträchtigung handelnd durch körperliche Untätigkeit herbeigeführt (werde)"42. Mit der Fiktion der Gleichstellung von Handeln und Unterlassen aber wird die Strafbarkeit unzulässig überspannt: die bloße Vorstellung des Täters ist nicht strafwürdig43. Auch wenn einerseits der bloße Gedanke nicht strafbar ist und andererseits das Unterlassen keinen zielgerichteten Willen kennt- ein Versuchsdelikt ist deshalb nicht ausgeschlossen. Ausgehend von der dualistischen Handlungstheorie« sind Zielversuch und Gefährdungsversuch zu unterscheiden: beim Zielunwert begründet die mit rechtsgutsverletzender Intention vorgenommene Handlung den Versuch, beim Gefährdungsversuch die ein Rechtsgutsobjekt gefährdende Handlung45. Ebenso wie beim Handlungsdelikt kann beim Unterlassungsdelikt der Versuch in Form des Gefährdungsversuchs gegeben sein: wenn nämlich ein Rechtsgutsobjekt in eine Gefahrenlage geraten ist und der für das Handlungsdelikt vorausgesetzte Erfolg alsbald einzutreten droht. Der drohende Erfolgseintritt begründet die Handlungspflicht des Garanten in der konkreten Situation. Unterläßt der Garant in dieser Situation die gebotene und individuell mögliche Handlung und bleibt der mit der Gefahrenlage nahe Eintritt des Erfolges aus, liegt ein Versuchsdelikt durch Unterlassen vor. Ein Zielversuch ist beim Unterlassen ausgeschlossen, weil das Unterlassen keinen zielgerichteten Willen aufweisen kann. Die Besonderheiten des Unterlassungsversuchsdelikts leiten sich damit aus der Unterschiedlichkeil von Handeln und Unterlassen ab sowie aus den Besonderheiten des Versuchsdelikts, - daß nämlich statt des Erfolgseintritts die erfolgsnahe Gefährdung vorauszusetzen ist. Eine Bedeutung der Entsprechensklausel ist deshalb- wie beim Vollendungsdelikt auch- für das Unterlassungsversuchsdelikt nicht gegeben.

D. Zusammenfassung des vierten Teils Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft sind im Rahmen der teleologischen Straftattheorie auch in der Form des Unterlassungsdelikts möglich; der Entsprechensklausel kommt aber keine Bedeutung zu. Eine Anstiftung durch Unterlassen ist aus Strafwürdigkeitsgründen zu verneinen; eine Beihilfe ist ausgeschlossen: auch bei Beteiligung mehrerer geht die Pflicht des Garanten dahin, einen schädlichen Erfolg abzuwenden- unabMaurach!Gössel!Zipf 2, S. 286. Schmidhäuser, Studb. 13/27 f; s. a. SK/Rudolphi, vor § 13 Rz. 55; ders., MDR 1967, S. 1 (3); Stratenwerth, Rz. 699. 44 s. oben 2.B.III.3.e). 45 Alwart, S. 160 ff; Schmidhäuser, Studb. 13/22 - jeweils auch zum folgenden . 42 43

II*

164

4. Teil: Mehrere Tatbeteiligte und Versuchsdelikt

hängig davon, ob das Handeln eines anderen oder ein sonstiges Gefahrenereignis zur Gefährdung geführt hat. Daher ist der Unterlassende entweder selbst Täter oder es scheidet ein Unterlassungsdelikt aus. Ein Unterlassungsversuchsdelikt in der Form des Gefährdungsversuchs ist gegeben, wenn der Täter als Garant die vollendungsnahe Gefährdung eines Rechtsgutsobjektes nicht abwendet (und der Erfolg nicht eintritt) . Der Entsprechensklausel kommt auch hier keine Bedeutung zu.

Fünfter Teil

Die problematischen Delikte als Auslegungs-Unterlassen Der in dieser Arbeit vorgeschlagene methodische Weg zur Auslegung der Handlungstatbestände in Verbindung mit § 13 StGB wird im folgenden beispielhaft dargestellt. Anhand einiger in der Diskussion genannter Delikte ist aufzuzeigen, wie die Auslegung aussehen sollte, bzw. wo sie ausgeschlossen ist. Gelingen kann die Auslegung nur, wenn Handeln und Unterlassen sachgerecht abgegrenzt werden. Dies hat, wie oben dargestellt, material zu geschehen, indem gefragt wird, ob der Täter in der konkreten Situation verpflichtet war, dem betroffenen Rechtsgut einen Eingriff zu ersparen, oder ob der Täter verpflichtet war, dem Rechtsgut eine Leistung zukommen zu lassen (deren Nichtvornahme eine Unterlassung darstellt) 1. Außerdem wird hier statt der generellen fakultativen Strafmilderung eine obligatorische Strafmilderung für vorsätzliche Unterlassungsdelikte zugrundegelegt. Bei allen angeführten Beispielsfällen wird sich zeigen, daß sie zu lösen sind, ohne daß auf die Entsprechensklausel zurückgegriffen werden müßte. A. Körperverletzungsdelikte I. Gefährliche Körperverletzung,§ 223 a StGB 1. Handlungsmodalitäten "mittels eines hinterlistigen Überfalls" und "von mehreren gemeinschaftlich"

Ein Garantenunterlassen für die Handlungsmodalitäten "mittels eines hinterlistigen Überfalls" und "von mehrerern gemeinschaftlich" scheidet aus, weil hier kein über die Körperverletzung hinausgehender, vom Täterhandeln unabhängiger Erfolg vorausgesetzt ist. In der Formulierung "hinterlistiger Überfall" steckt zwar insofern ein Erfolg, als die erschwerte Abwehr eines Angriffs eine gesteigerte Verletzungsgefahr birgt. Aber dieser Erfolg ist vorausgesetzt als Folge einer besonderen Vorgehensweise bei der Tat: der Täter 1

vgl. oben , S. 20.

166

5. Teil: Die problematischen Delikte als Auslegungs-Unterlassen

verbirgt dem Opfer gegenüber zunächst seine wahre Absicht und führt dann unverhofft seinen Angriff aus. Damit liegt hier ein eingeschränktes Erfolgsdeliktl• vor. Wollte man ein Auslegungs-Unterlassen annehmen, entfiele- da die Art der Vorgehensweise einer Auslegung in Verbindung mit § 13 StGB entzogen ist- ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes. Somit schließt hier der Gesetzlichkeitsgrundsatz ein Auslegungs-Unterlassen aus. Unterlassen mehrere Garanten die Rettung eines in Gefahr Geratenen, ergibt sich aus der Mehrzahl der Garanten keine Gefahrsteigerung, wie sie für § 223 a StGB gegenüber§ 223 StGB vorauszusetzen ist. Jeder Unterlassende ist isoliert von den anderen zu sehen, statt einer von mehreren gemeinschaftlich begangenen Tat ist jeder Beteiligte Nebentäter einer einfachen Körperverletzung. 2. Handlungsmodalitäten "mittels einer Waffe", "mittels eines Messers" und "mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs"

Diese Modalitäten der gefährlichen Körperverletzung setzen für das Handlungsdelikt eine Handhabung voraus, die die Gefahr einer erheblichen Verletzung birgt. Die Möglichkeit eines Garantenunterlassens entscheidet sich danach, ob ausschließlich die erhebliche Gefahr oder darüber hinaus die besondere Art und Weise des Handeins maßgeblich ist. Die Beispielsschilderungen "mittels einer Waffe" und "mittels eines Messers" sowie des Oberbegriffs "mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs" deuten auf die Notwendigkeit einer bestimmten Verwendungsweise hin. Dies wird bestätigt durch Fälle, in denen eine gesteigerte Gefährlichkeit von Verletzungen auch ohne den Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs vorliegt. Wird das Opfer einer Körperverletzung z. B. auf einer durch hervorstehende Maniereisen besonders gefährlichen Baustelle- möglicherweise noch bei Nacht- vom Täter verprügelt, oder stößt der Täter das Opfer gewaltsam auf eine vielbefahrene Straße: es besteht jeweils die Gefahr schwerster Verletzungen, ohne daß eine gefährliche Körperverletzung "mittels eines gefährlichen Werkzeugs" zu bejahen wäre. Maßgeblich ist also die konkrete, vom Täter gewollte Verwendungsweise eines Gegenstandes2. Diese Art des gefahrsteigernden Handeins müßte bei der Annahme eines Auslegungs-Unterlassens fortfallen. Droht jemand auf dem Sportplatz von einem Speer getroffen zu werden, und unterläßt der Täter die mögliche Warnung, dann kann die Verwendungsweise des Speers dem Täter nicht zugerechnet werden. Die gesteigerte Gefährlichkeit ist nicht maßgebend, ebensowenig wie sie es ist, wenn etwa das Opfer nicht vor einem offezum Begriff des eingeschränkten Erfolgsbegriffs oben, 3.B.II.3. vgl. z. B. BGHSt 3, 105 (109); BGHSt 30, 375 (377); LK/Hirsch, Otto, BT S. 72. Ia

2

§

223a Rz. 10;

A. Körperverletzungsdelikte

167

nem Sielschacht auf dem Gehweg gewarnt wird. In diesen Fällen verbietet der Gesetzlichkeitsgrundsatz - wie bei allen eingeschränkten Erfolgsdelikten - ein Auslegungs-Unterlassen3. Zum gleichen Ergebnis gelangt eine Auffassung, die den Einsatz des Gegenstandes als Mittel zum Zweck der Verletzung betrachtet4. Da das Unterlassen nicht zielgerichtet sein kann, kommt auch nach dieser Auffassung ein Auslegungs-Unterlassen nicht in Betracht; die Frage nach der Entsprechung stellt sich damit nicht. 3. Modalität "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung"

Die Möglichkeit eines Garantenunterlassens hängt davon ab, ob eine konkrete Lebensgefahr vorausgesetzt wird- dann kommt dieser konkrete Gefährdungserfolg als Anknüpfungspunkt für ein Unterlassen in Betracht5 -oder ob man die bloße Eignung zur Lebensgefährdung ausreichen läßt6 - dann ist ein Auslegungs-Unterlassen mangels hinreichender Bestimmtheit des für die Handlungspflicht vorausgesetzten Erfolges ausgeschlossen?. Ein Rückgriff auf die Entsprechensklausel erübrigt sich in beiden Alternativen auch hier.

II. Schwere Körperverletzung,§ 224 StGB Ein Auslegungs-Unterlassen kommt in Betracht, da die Körperverletzung in § 224 StGB durch den besonderen Erfolgsunwert qualifiziert wird, der als Anknüpfungspunkt für die Auslegung geeignet ists. Anders als bei der Körperverletzung mit Todesfolge gern. § 226 StGB ist hier der gesteigerte Erfolgsunwert nicht in einem anderen Delikt geregelt, so daß die erhöhte Strafwürdigkeit nicht einer Vorsatzvermutung entspringt, sondern allein aus der Schwere des Erfolges abzuleiten ist (woraus sich für§ 224 StGB anders als für § 226 StGB die Verfassungsmäßigkeit ergibt)9. Der Unrechtstatbestand setzt eine Situation voraus, die die Gefahr einer schweren Verletzung für das Opfer birgt; ferner ist das Nichthandeln des Garanten vorausgesetzt und hinsichtlich der Schwere der drohenden Verlet3 so im Ergebnis auch OLG Hamm NJW 1965, 164 (165) ; vgl. SK/Horn, § 223a Rz. 17- zum Begriff des eingeschränkten Erfolgsdelikts oben, 3.B.II.3. 4 Lackner, § 223a Bem. 2.a); Sch/Sch/Stree, § 223a Rz. 9a. 5 so Sch/Sch/Stree, § 223a Rz. 12 m.w.N. 6 BGHSt 2, 160 (163); Gallas, Heinitz-Fs, S. 171 (183); Schmidhäuser, BT 1/8: "halb konkret und halb abstrakt gefährlich" . 7 vgl. oben 3.B.IV.; a.A. Lackner, § 223a Bem. 5; BGH JR 1956 347 ff mit zustimmender Anmerkung von Maurach. s SK/Hom, § 224 Rz. 19: "nicht von vornherein von der Hand zu weisen" . 9 Lorenzen, S. 71 ff.

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5. Teil: Die problematischen Delikte als Auslegungs-Unterlassen

zung wenigstens potentielles Tat- und Unrechtsbewußtsein. Als Beispiele sind zu nennen: der Vater läßt das Kind eine Arznei trinken, die zur Erblindung führt; der Hundehalter hält den Hund nicht zurücklO, die Verletzung des Opfers führt zur Lähmung; der Bäckerlehrling gerät in die Brotteigmaschine, da sie nicht gestoppt wird, verliert er die Hand. Geht man von der sachlich gebotenen obligatorischen Strafmilderung für vorsätzliche Unterlassungen auslOa, dann kommt es auf die Frage der Entsprechung nicht an.

111. Beabsichtigte schwere Körperverletzung, § 225 StGB Dieses Delikt erfordert als Handlungsziel des Täters die Intention der schwereren Folgell. Da das Unterlassen keine Intention im Sinne des Handlungswillens kennt, scheidet ein Auslegungs-Unterlassen von vornherein aus12 .

IV. Mißhandlung Yon Schutzbefohlenen, § 223 b StGB In der Handlungsalternative des Wortlauttatbestandes stellt das "Quälen" bzw. "Roh-Mißhandeln" einen Erfolg dar, an den für ein Auslegungs-Unterlassen angeknüpft werden könnte (ein Kind sperrt sich selbst aus Unachtsamkeit im Keller ein und steht dort Todesängste aus; der Garant unterläßt es, die Tür zu öffnen) - aber: die höhere Strafwürdigkeit gegenüber der einfachen Körperverletzung ergibt sich für das Handlungsdelikt aus der besonderen Pflichtenstellung des Täters, die die Körperverletzung besonders verwerflich macht. Im Fall eines Auslegungs-Unterlassens entfiele dieser zusätzliche spezifische Unwert, denn die Pflichtenstellung begründet hier erst die Strafbarkeit des Garanten, sie darf nicht nochmals strafschärfend berücksichtigt werden. Ein Auslegungs-Unterlassen scheidet daher aus13. Die Strafwürdigkeit der Unterlassungsalternative ergibt sich aus der gegenüber der einfachen Körperverletzung durch Unterlassen schwereren Folge des Unterlassens ("Gesundheitsbeschädigung") sowie aus der "Böswilligk