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German Pages 512 [506] Year 2021
Studien zum Privatrecht Band 103
Noel Schröder
Die Grenzen der Testierfreiheit Eine Untersuchung der Beschränkungen des individualschützenden Freiheitsrechtes durch Gesetz, Rechtsprechung und Literatur
Mohr Siebeck
Noel Schröder, geboren 1996; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Münster; 2019 Erstes Juristisches Staatsexamen; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Münster; 2020 LL.M. im Bereich des Wirtschaftsrechts; seit 2020 Rechtsreferendar am Landgericht Münster; 2021 Promotion. orcid.org/0000-0001-9511-5510
D6 Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2021. ISBN 978-3-16-161038-7 / eISBN 978-3-16-161039-4 DOI 10.1628/978-3-16-161039-4 ISSN 1867-4275 / eISSN 2568-728X (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und dort gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 von der Juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis zum November 2020 Berücksichtigung finden. Zuvorderst danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof Dr. Thomas Gutmann, M. A., für die stetige Unterstützung und die mir gewährte wissenschaftliche Freiheit. Es war mir eine Freude, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl arbeiten zu dürfen. Bei Herrn Prof. Dr. Johann Kindl bedanke ich mich für die umgehende Erstellung des Zweitgutachtens. Meiner Schwester, Frau Joana Schröder-Walting, danke ich dafür, die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens übernommen zu haben. Schließlich danke ich meiner Verlobten, Frau Anna Magdalena Bischoff, für ihre umfassende inhaltliche Kritik an dem Manuskript und ihren immerwährenden Beistand bei der Anfertigung dieses Buches, ohne den es nicht in der vorliegenden Fassung geschrieben worden wäre. Diese Arbeit widme ich meiner gesamten Familie, auf deren bedingungslose Unterstützung ich mich immer verlassen kann. Münster, im Juli 2021
Noel Schröder
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit . . . . . . . .
7
I.
Betrachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
III. Die Funktionen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
V. Rechtstheoretische Betrachtung der Rechtsnatur der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
VI. Konzeptionen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
VII. Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
VIII. Zusammenfassung der Ergebnisse des Kapitels B. . . . . . . . . . . . .
98
C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit: Schutz Dritter und Schutz von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101
I.
103
Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit . . . . . .
VIII
Inhaltsübersicht
II. Die Grenzen der Testierfreiheit zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung und lebenslanger Bindung der Erben . . . .
202
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . .
245
IV. Einschränkungen der Testierfreiheit durch das Landwirtschaftserbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
260
V. Abschließende Betrachtung der Ergebnisse zu der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit: Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers vor unzulässigen Einwirkungen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275
I.
Das Verhältnis zwischen Autonomie und Testierfreiheit . . . . . . . . .
278
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor Beeinflussung durch Dritte und die damit einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit . . . . . . .
284
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit – Untersuchung der Vorschläge und Vorschriften zum Schutz vulnerabler Erblasser und deren Auswirkungen auf die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
388
IV. Abschließende Betrachtung der Ergebnisse zu der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
444
E. Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung . . . . .
449
F. Korrektur der fehlerhaften Annahmen von Gesetz, Rechtsprechung und Literatur zur Verhinderung zukünftiger unzulässiger Beschränkungen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . .
455
G. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
459
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
461
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
477
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit . . . . . . . .
7
I.
Betrachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung der Testierfreiheit im römischen Recht . . . . . . . . . . . 2. Die Testierfreiheit im deutschen Rechtssystem vor der Einführung des BGB-Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Familiengebundenheit des germanischen Erbrechts – Schrittweise Entwicklung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährdung des Prinzips der Testierfreiheit im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Funktionen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anreize zum ökonomischen Engagement durch Testierfreiheit a) Motivation des Erblassers durch die Testierfreiheit . . . . . . . . . b) Motivation der Erbprätendenten durch die Testierfreiheit . . . 2. Abbildung der tatsächlich gelebten Solidarität durch die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 12 13 17 17 20 22 22 26 27 28 28 31 33
X 3. 4.
5.
Inhaltsverzeichnis
Stärkung der familiären Autorität des Erblassers und des Familienzusammenhalts durch die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . Generationenübergreifender Erhalt von Vermögenswerten durch die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswahl des geeignetsten Erben durch den Erblasser . . . . . . . b) Geschlossene Vererbung wirtschaftlicher Einheiten durch die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstbestimmung des Erblassers durch die Testierfreiheit . . . . . .
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Kritik an der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mors omnia solvit – Fehlende Willenssubjektivität in dem Zeitpunkt der Willensrealisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unerwünschte Vermögensakkumulation durch die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Möglichkeit der Missachtung familiärer Bindungen und Interessen durch die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mittelbare Kritik an der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Erbrecht als Mechanismus zur Perpetuierung von Statusprivilegien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ökonomische Dysfunktionalität der Testierfreiheit . . . . . . . . . 3. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtstheoretische Betrachtung der Rechtsnatur der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Testierfreiheit als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht des Erblassers über dessen Tod hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Konzeptionen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Erbrecht des Erben und die Person des Erben als Grundlage der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatliche Interessen als Grundlage der Testierfreiheit . . . . . . . . . 3. Das Vermögen des Erblassers als Grundlage der Testierfreiheit 4. Familiaristische Wertungen als Grundlage der Testierfreiheit . . . 5. Das Persönlichkeitsrecht des Erblassers als Grundlage der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Eigentumsrecht als Grundlage der Testierfreiheit . . . . . . . . . a) Der Zusammenhang zwischen Eigentumsgarantie, Erbrechtsgarantie und Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentumsfreiheit: Auswirkungen auf die Reichweite der Testierfreiheit . . . . . . . .
34 36 37 38 41 42 42 43 46 48 50 50 52 54 55 55 59 63 63 64 65 69 73 76 77 81
Inhaltsverzeichnis
7.
Loslösung der Testierfreiheit von der Eigentumsgarantie und der Vertragsfreiheit: Testierfreiheit als eigenständige Ausprägung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII. Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Testierfreiheit als verfassungsrechtlicher Maßstab für das einfache Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Errichtungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Inhaltsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Testierfreiheit als Auslegungsmaxime für das einfache Recht und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI
84 88 89 90 92 94 94
VIII. Zusammenfassung der Ergebnisse des Kapitels B. . . . . . . . . . . . .
98
C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit: Schutz Dritter und Schutz von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101
I. 1.
Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . Untersuchung der Rechtsprechung und Literatur zur Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen in den zentralen Anwendungsfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen aufgrund der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten durch den Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auswirkungen der Einführung des „Druck-Topos“ durch das Bundesverfassungsgericht auf die Testierfreiheit . . . . (1) Ausgangspunkt: Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einflüsse der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Übertragung des Druck-Topos auf Wiederverheiratungsklauseln durch Oberlandesgerichte und Literatur . . . . . . . . . . . . . . (b) Übertragung des Druck-Topos auf testamentarisch angeordnete Besuchsbedingungen durch das OLG Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Fazit: Abwägung der Zivilgerichte zwischen Entschließungs- und Testierfreiheit erfolgt zu Lasten der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
105
106 109 110
113
113
115
117
XII
Inhaltsverzeichnis
(3) Einführung des Druck-Topos durch das Bundesverfassungsgericht und dessen Übernahme durch die zivilgerichtliche Rechtsprechung als unzulässige Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . (a) Fehlende Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten – eine Analyse der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Kritik: Annahme der fehlenden Schutzbedürftigkeit von Erbprätendenten als lebensfremd und hohles Pathos . . . . . . . . . . . . . (α) Limitation der Testierfreiheit durch Schaffung von Vertrauenstatbeständen: Das Erbanwartschaftsrecht als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (β) Annahme eines Erbanwartschaftsrechts als unzulässige Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . (bb) Fazit: Keine Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Auswirkungen der fehlenden Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten auf die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes und die Testierfreiheit (c) Weitere Kritikpunkte an der Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Bedachten durch den Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fazit: Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zur Verhinderung der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten als unzulässige Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sittenwidrigkeit diskriminierender Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt: Die Rechtsprechung zum Geliebtentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Neuer Bezugspunkt: Verletzung familiärer Pflichten durch den Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sittliche Pflicht zur vermögensmäßigen Gleichbehandlung – Erfordernis der Ausgewogenheit letztwilliger Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sittliche Pflicht zur Verhinderung materieller Not der gesetzlichen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
119
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123 125 126
126
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130 131 135 138 139
140 142
Inhaltsverzeichnis
2.
(3) Ideelle Zurücksetzung der Angehörigen durch Zuweisung einer nachgeordneten Rechtsstellung . . . . (4) Sittliche Pflicht zur Korrektur lebzeitigen Fehlverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit: Keine Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sittenwidrigkeit von Verfügungen zu Lasten der Sozialhilfe – das sogenannte Behindertentestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Benachteiligung des behinderten Kindes . . . . . . . . . . . . . . bb) Sittenwidrigkeit aufgrund der Schädigung des Sozialhilfeträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit: Keine Sittenwidrigkeit von Verfügungen zulasten des Sozialhilfeträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abschließende Betrachtung: Derzeitige Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 BGB als unzulässige Grenze der Testierfreiheit f) Lösungsvorschlag: Maßgeblichkeit des subjektiven Elementes zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unerlässlichkeit der Betrachtung des subjektiven Elements zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . (1) Einwände gegen die Betrachtung des subjektiven Elements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verfassungsrechtliche Unzulässigkeit von Motiverforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Probleme bei der Ermittlung der Motive des Erblassers als Schwäche der Betrachtung des subjektiven Elements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kriterien zur Feststellung der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bewertungsmaßstab: Zurückhaltende Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts auf Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Maßgebliches Kriterium: Ausschließliche Instrumentalisierung der Verfügung von Todes wegen zur Verhaltenslenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Besonderheit: Zweistufige-Prüfung bei ausschließlich verhaltenssteuernden Verfügungen von Todes wegen g) Fazit: Zulässige Beschränkungen der Testierfreiheit über § 138 Abs. 1 BGB in Ausnahmefällen möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit – eine Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . .
XIII 145 147 149 149 151 151 153 154
155
157 159 159
161 162 162
163
164 166 168 168
XIV
3.
Inhaltsverzeichnis
a) Determination des Zeitpunktes der Sittenwidrigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierung zwischen der Änderung des sittlichen Maßstabs und der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse aa) Änderung des sittlichen Maßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Änderung der tatsächlichen Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . c) Der Wirkungseintritt als maßgeblicher Augenblick – der Erbfall als relevanter zeitlicher Faktor für die Bestimmung der Sittenwidrigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Gefahr nachträglicher Sittenwidrigkeit bei Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Funktion des § 138 Abs. 1 BGB im Erbrecht als maßgeblicher Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Berücksichtigung der Wertungen des § 2171 BGB und der regula catoniana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Fazit: Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes . . . . . . . . . . Fehlerhafte Rechtsfolgen bei der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes – eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesamtnichtigkeit als massiverer Eingriff in die Testierfreiheit im Vergleich zu der Teilnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufrechterhaltung des verbleibenden Teils der Verfügung von Todes wegen aus Gründen des Bedachtenschutzes als unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . c) Auslegung der letztwilligen Verfügung als entscheidendes Mittel zur Wahl der richtigen Rechtsfolge – Vorwurf der geltungserhaltenden Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit: Unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit durch fehlerhafte Rechtsfolgen bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Die Grenzen der Testierfreiheit zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung und lebenslanger Bindung der Erben . . . . 1. Die gesetzlichen Schranken erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschränkungen des Auseinandersetzungsausschlusses – Einschränkungen der Ausgestaltungsmöglichkeiten des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wirkungslosigkeit des Auseinandersetzungsausschlusses bei Vorliegen eines wichtigen Grundes als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zweifel an der Notwendigkeit einer entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den zeitlich
170 172 172 175
178 181 184 186 191
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203
205
Inhaltsverzeichnis
begrenzten erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Untersuchung der entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschluss . . . . . . (a) 1. Kriterium: Wegfall der Voraussetzungen unter denen der Ausschluss vereinbart worden ist . . . . . (b) 2. Kriterium: Persönliche Unzumutbarkeit des Auseinandersetzungsausschlusses . . . . . . . . . . (3) Zwischenfazit – Restriktive Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf das Teilungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zeitliche Beschränkung des Auseinandersetzungsausschlusses – Sinn und Zweck einer temporalen Begrenzung des Auseinandersetzungsausschlusses . . . . . . b) Beschränkungen der Testamentsvollstreckung – Einschränkungen der Ausgestaltungsmöglichkeiten des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschränkung der Dauer einer Testamentsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begrenzung der Testamentsvollstreckung durch das Rechtsinstitut der Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Annahme eines Ausschließlichkeitsverhältnisses der in § 2210 S. 2 BGB normierten Ereignisse als Beschränkung der Testamentsvollstreckung und Begrenzung des Erblasserwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Grenzen der Nacherbfolgenanordnung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unzulässige zeitliche Beschränkung der Nacherbfolgenanordnung durch zu strenge Anforderungen an das Ereignis im Sinne des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zeitliche Beschränkung der Nacherbfolgenanordnung d) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der zeitlichen Beschränkung der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Berücksichtigung der Interessen der Erben – Verhinderung lebenslanger Erbenbindung zum Schutz der persönlichen und wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der Erben . . . . . bb) Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit – Verhinderung volkswirtschaftlicher Nachteile durch die zeitliche Begrenzung erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Exkurs: Das Familienfideikommiss und dessen Abschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV 208
209 210 212 214
215
218 218 224
225 228
230 233
233
235
237 237
XVI
2.
3.
Inhaltsverzeichnis
(2) Schutz vor fideikommissähnlichen Auswirkungen durch die zeitliche Begrenzung erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . (3) Verhinderung langfristiger Vermögensbindung als berechtigtes Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhinderung der Gefährdung der Zuordnungsgewissheit als weiterer Zweck erbrechtlicher Bindungsgrenzen . . . . . dd) Zwischenfazit – zulässige zeitliche Beschränkung der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . Einordnung der Beschränkungen der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten in die Kategorien der Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Bestimmte Begrenzungen der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit unvereinbar . . . . . . . . . . . . . . .
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgestaltung und Anwendung des Pflichtteilsentziehungsrechts als unzulässige Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Restriktive Pflichtteilsentziehungsgründe als Ausdruck der gesetzgeberischen Strenge im Hinblick auf die Pflichtteilsentziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtteilsfreundliche Rechtsprechung als Ursache eines wirkungslosen Pflichtteilsentziehungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überzogene Anforderungen an die Konkretisierung des Entziehungsgrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Überzogene Anforderungen an das Erfordernis der Angabe des konkreten Entziehungsgrundes in der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zu geringe Anforderungen der Rechtsprechung an die Verzeihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fazit: Unzulässige Beeinträchtigungen der Testierfreiheit durch die Pflichtteilsentziehungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einschränkungen der Testierfreiheit durch das Landwirtschaftserbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung der Testierfreiheit durch landesrechtliche Anerbengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkung der Testierfreiheit durch die Höfeordnung . . . . . . a) Das Verbot des Ausschlusses der Hoferbfolge durch Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 8 Abs. 2 HöfeO und der Ausschluss des Rechts des Ehegatten allein über seinen Hofanteil zu verfügen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239 240 242 243
243
244 245 249
251 252 253
255 257 259 260 262 265 266 269
Inhaltsverzeichnis
3.
XVII
Fazit: Begrenzungen der Testierfreiheit sind auch im Landwirtschaftserbrecht vorhanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
272
V. Abschließende Betrachtung der Ergebnisse zu der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit: Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers vor unzulässigen Einwirkungen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275
I. 1. 2. 3. 4.
Das Verhältnis zwischen Autonomie und Testierfreiheit . . . . . . . . . Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . Der „Balanceakt“ zwischen Autonomieschutz und Aufrechterhaltung einer wirklichen Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . Die grundsätzliche Haltung der Regelungen des Erbrechts zu dem Verhältnis von Testierfreiheit und Autonomieschutz . . . . . . . . . . Die Forderung nach einer verstärkten Wahrnehmung des Schutzes des selbstbestimmten Testierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor Beeinflussung durch Dritte und die damit einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit . . . . . . . 1. Testierunfähigkeit – Schutz der Testierfreiheit durch die Bestimmungen zur Testierfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammenhang zwischen Testierfähigkeit und Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit zum Schutz des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit zum Schutz der (gesetzlichen) Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit: Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit als unzulässige Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ablehnung der relativen Testierfähigkeit als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ablehnung der relativen Testierfähigkeit zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ablehnung der relativen Testierfähigkeit zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit: Ablehnung der relativen Testierfähigkeit als unzulässige Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . d) Faktische Testierunfähigkeit aufgrund massiver körperlicher Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 278 281 282 282
284 285 286 289 290 290 291 292 293 294 295 297
XVIII 2.
Inhaltsverzeichnis
Der Typen- und Formzwang als Grenze der Testierfreiheit zum Schutz der Autonomie des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangslage: Geringe Errichtungsvoraussetzungen bei gleichzeitigem Schutz der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Folge eines Verstoßes gegen den Typen- oder Formzwang – Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen als erhebliche Beeinträchtigung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitestgehende Verwirklichung des Erblasserwillens: § 2085 BGB und die Zulässigkeit der Umdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Notwendigkeit des Typen- und Formzwangs für die Verwirklichung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenfazit: Zulässige Ausgestaltung der Testierfreiheit durch den Form- und Typenzwang bei gleichzeitigem Schutz des selbstbestimmten Testierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Das eigenhändige Testament – Chance oder Risiko für die Testierfreiheit des Erblassers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anforderungen des Gesetzes und der Rechtsprechung an das eigenhändige Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Eigenhändigkeit der Testamentserrichtung . . . . . . . . . (2) Das Erfordernis der Feststellung des Testierwillens – Gefahr der unzulässigen Beschränkung des Erblasserwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenfazit – Sicherung der Testierfreiheit bei gleichzeitig geringen Hürden für die Errichtung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abwägung der Chancen und Risiken des eigenhändigen Testaments – Beibehaltung oder Abschaffung des eigenhändigen Testaments zum Schutz der Autonomie des Erblassers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorteile des eigenhändigen Testaments – eine Chance für die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das eigenhändige Testament als Einfallstor unzulässiger Beeinflussung und fehlerhafter Verfügungen von Todes wegen – ein Risiko für die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die erhöhte Gefahr unzulässiger Einflussnahme bei eigenhändigen Testamenten . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das erhöhte Verfälschungsrisiko bei eigenhändigen Testamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die erhöhte Gefahr der Errichtung von unwirksamen und auslegungsbedürftigen Testamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
299 302
304 305 307
308 309 310 310
312
315
315 316
316 317 319
321
Inhaltsverzeichnis
3.
(d) Die Risiken für die zuvor wirksam Bedachten und die gesetzlichen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abschließende Bewertung: Das eigenhändige Testament als notwendige Gestaltungsform erbrechtlicher Verfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Fazit: Beibehaltung der derzeitigen Ausgestaltung des Typenund Formzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Erfordernis der Höchstpersönlichkeit der Verfügungen von Todes wegen als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 2064 BGB und der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Regelungsinhalt des § 2064 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 2064 BGB und den Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit . . . . . cc) Fazit: Der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit als zulässige Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verschiedenen Legitimationsversuche des § 2065 BGB und des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit (1) Verhinderung der Verfälschung des Erblasserwillens und des Missbrauchs der Bestimmungsmöglichkeit durch den Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schaffung von Rechtssicherheit im Zeitpunkt des Erbfalls durch § 2065 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verhinderung der Umgehung des Grundsatzes der formellen Höchstpersönlichkeit durch § 2065 BGB . . . (4) Schutz des unverzichtbaren Kerns der Privatautonomie durch § 2065 BGB . . . . . . . . . . . . . . . (5) Erfordernis der materiellen Höchstpersönlichkeit aufgrund der besonderen persönlichen Bedeutung der Verfügung von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Verhinderung der Konzentration von Vermögen in der Generationenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Schutz der gesetzlichen Erbfolge durch § 2065 BGB – familiaristische Wertungen des Grundsatzes der Höchstpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Erfordernis der materiellen Höchstpersönlichkeit aufgrund der personalen Verantwortung des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ergebnis: Verfassungswidrigkeit des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIX 322
324 325 326 327 327 328 330 330 332
332 334 336 337
340 341
343
345 348
XX
4.
5. 6. 7.
Inhaltsverzeichnis
cc) Fazit: Fehlerhafte Legitimationsversuche des § 2065 BGB als Ausdruck der Entwicklungen zu den Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erbunwürdigkeit als Rechtsinstitut zum Schutz der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Zweck der Feststellung der Erbunwürdigkeit: Sanktionierung des Erbunwürdigen oder Schutz der Testierfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung – Schutz der Testierfreiheit durch die Erbunwürdigkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regelungen zur Erbunwürdigkeit als Grenze der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Pflichtteilsrecht als Rechtsinstitut zum Schutz vor unzulässiger Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 242 – Treu und Glauben zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Einflussnahme durch Dritte . . . . . . . § 138 Abs. 1 BGB – Das Sittenwidrigkeitsverdikt zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte und die dadurch entstehenden Auswirkungen auf die Testierfreiheit . . . . a) Die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Position des Bundesgerichtshofs zu der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Position anderer Obergerichte zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Prüfung des subjektiven Elements des § 138 Abs. 1 BGB im Kontext der sittenwidrigen Beeinflussung des Testierens durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Beweislast bei der Prüfung sittenwidriger Beeinflussung der Autonomie des Erblassers im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fazit: Geringe Wahrnehmung des Schutzes der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung über das Sittenwidrigkeitsverdikt durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Forderungen der Literatur nach einer verstärkten Wahrnehmung des Schutzes des selbstbestimmten Testierens vor unzulässiger Beeinflussung über das Sittenwidrigkeitsverdikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349 350
351 353 354 355 357
360
361
361
363
364
366
367
368
Inhaltsverzeichnis
8.
c) Bewertung der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des selbstbestimmten Testierens durch Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dogmatische Schwächen der Ansichten der Literatur und der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Unvereinbarkeit der Loslösung von dem subjektiven Element bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Annahme einer psychischen Zwangslage des Erblassers – Berücksichtigung des Mehr an Rechten des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Annahme eines unzulässigen Ausnutzens – Berücksichtigung zulässiger Verhaltensweisen der Erbprätendenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die fehlerhaften Grundannahmen der Forderung nach einem (verstärkten) Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen des Erblassers über das Sittenwidrigkeitsverdikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die fehlerhafte Annahme der Notwendigkeit und der Zulässigkeit eines Schutzes vor fremdbeeinflussten Verfügungen von Todes wegen über § 138 Abs. 1 BGB (a) Wenige gesetzlichen Lücken im Hinblick auf den Schutz des autonomen Testierens . . . . . . . . . . . . . . (aa) Berücksichtigung der Möglichkeit des Widerrufs, des Rücktritts oder der Aufhebung (bb) Berücksichtigung der bestehenden Regelungen zum Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . (b) Zwischenfazit – keine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz vor unter Beeinflussung und Beherrschung errichteten Verfügungen von Todes wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die fehlerhafte Annahme der Notwendigkeit des Autonomieschutzes zur Sicherung der hinreichenden Legitimation für die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Auswirkungen der Forderung nach einer extensiveren Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen auf die Testierfreiheit . . . . . . . Abschließende Beurteilung der bestehenden einfach-gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor Beeinflussung durch Dritte und der damit einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
370 371
371
373
374
375
376 377 377 380
382
383
386
387
XXII
Inhaltsverzeichnis
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit – Untersuchung der Vorschläge und Vorschriften zum Schutz vulnerabler Erblasser und deren Auswirkungen auf die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Forderung nach der Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit – Schutz des vulnerablen Erblassers durch Änderung des § 2229 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung bei bestimmten Erblassergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Ungeeignetheit der Anknüpfungspunkte zur Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Krankheit des Erblassers als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung . . . . . (2) Die Betreuung des Erblassers als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung . . . . . (3) Das fortgeschrittene Alter des Erblassers als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die fehlende Eignung des Vorschlags zum Schutz vor unzulässiger Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fazit: Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung als unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gesteigerte Förmlichkeit zum Schutz selbstbestimmten Testierens vulnerabler Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für todesnahe Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Verhinderung privatschriftlicher Testamente todesnaher Erblasser durch eine analoge Anwendung des § 2247 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einführung einer neuen Regelung in Bezug auf todesnahe Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung des Vorschlags zur Abschaffung des eigenhändigen Testaments für todesnahe Erblasser . . . . . dd) Fazit: Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für ältere Erblasser als unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für unter Betreuung stehende Erblasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Schutz der Autonomie des Erblassers durch den Erlass von Testierverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Untersuchung des § 14 HeimG und dessen entsprechenden landesrechtlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kurzüberblick über die Voraussetzungen und die Anwendung des Zuwendungsverbots nach § 14 HeimG
388
389 390 391 391 392
393 393 396 398 398
399 400 400
402 402 403 405 406
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(1) Heimrecht als Länderkompetenz – Erlass inhaltsgleicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Bewertung der Anwendung des § 14 HeimG in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 14 HeimG und die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen . . . . . . (1) Fehlerhafte Prämisse des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das stille Testieren als bloße theoretische Möglichkeit der Umgehung des Testierverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Testierfreiheitsbeschränkende Auslegung des Merkmals „Sich-gewähren-lassen“ . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Betroffene Freiheits- und Gleichheitsrechte . . . . . . . . . (a) Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verletzung des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV . . . . . . . . (c) Verstoß gegen die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Eignung des § 14 HeimG zur Förderung der vom Gesetz erstrebten Zwecke . . . . . . . . . . . . . . (α) Sicherung der Testierfreiheit der Heimbewohner: § 14 HeimG als Akt gesetzgeberischer Zwangsfürsorge – vollständige Unbeachtlichkeit des Erblasserwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (β) Schutz vor finanzieller Ausbeutung der Heimbewohner durch nochmalige Abgeltung der Leistung des Heimbetriebs . . . . . . . . . . . . . . (γ) Schutz vor einer unterschiedlichen und sachlich nicht gerechtfertigten Behandlung der Heimbewohner und einer Störung des Heimfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (δ) Ergebnis: Ungeeignetheit des Testierverbotes zur Förderung der von § 14 HeimG verfolgten Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Im Übrigen: Unverhältnismäßigkeit des Testierverbotes aus § 14 HeimG . . . . . . . . . . . . . (5) Besonderheit im Hinblick auf vertragsmäßige Verfügungen eines Erbvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Fazit – Verfassungswidrigkeit des § 14 HeimG . . . . . . cc) Unzulässigkeit der analogen Anwendung des § 14 HeimG (1) § 14 HeimG – Analogiefähigkeit einer Ausnahmebestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIII 407 408 409
410 412 412 413 414 414 415 416
416
417
418
419 419 419 420 420 421
XXIV
4.
5.
Inhaltsverzeichnis
(2) Analoge Anwendung des § 14 HeimG in der ambulanten Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Analoge Anwendung des § 14 HeimG auf Betreuungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Analoge Anwendung des § 14 HeimG bei Vorliegen eines Umgehungstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) „Doppelt analoge“ Anwendung des § 14 HeimG . . . . . (6) Fazit zur analogen Anwendung des § 14 HeimG . . . . . b) Fazit: Unvereinbarkeit des Erlasses weiterer enumerativer Verbote nach dem Vorbild des § 14 HeimG mit der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erweiterung der Anfechtungsbefugnis zum Schutz vulnerabler Erblasser vor Beeinflussung und Beherrschung . . . . . a) Unklare Tatbestandsvoraussetzungen – Unzulässige Einflussnahme nicht hinreichend bestimm- und nachweisbar aa) Die Einführung von Vermutungsreglungen nach dem Vorbild der U.S.-amerikanischen undue influence zur Verhinderung unzulässiger Fremdbestimmung . . . . . . . . . (1) Die undue influence und deren Vermutungsregelungen im U.S.-amerikanischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Eignung der Einführung von Vermutungen für die nationale Rechtsordnung nach dem U.S.amerikanischen Vorbild der undue influence . . . . . . . . . (3) Fazit – Übertragung der Vermutungen der undue influence auf die nationale Rechtsordnung als Risiko für die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwischenfazit: Nachweis der unzulässigen Fremdbestimmtheit einer Verfügung von Todes wegen kaum möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Auswirkungen des Vorschlags zur Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Fremdbestimmung auf die Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Vorschläge und Vorschriften zum Schutz des vulnerablen Erblassers als unzulässige Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . .
422 423 425 426 427
428 429 431
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441 443
IV. Abschließende Betrachtung der Ergebnisse zu der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
444
E. Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung . . . . .
449
Inhaltsverzeichnis
XXV
F. Korrektur der fehlerhaften Annahmen von Gesetz, Rechtsprechung und Literatur zur Verhinderung zukünftiger unzulässiger Beschränkungen der Testierfreiheit . . . . . . . . . . . . .
455
G. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
477
A. Einleitung „Ein bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie ist die Testierfreiheit. Sie dient ebenso wie das Eigentumsgrundrecht und der in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Privatautonomie der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben.“1 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
I. Einführung Das Recht zur Übertragung des Eigentums durch letztwillige Verfügung ist das zentrale Element der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und soll wie die Testierfreiheit als dessen bestimmendes Element der Sicherung eines Freiheitsraumes des Erblassers dienen.2 Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung dürfen diesen Freiheitsraum, welchen die Testierfreiheit dem Erblasser gewährt, konkretisieren und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränken.3 Von dieser Möglichkeit der Einschränkung der Testierfreiheit machen Gesetzgeber und Rechtsprechung vielfach Gebrauch. So ist die Testierfreiheit zum einen an die Grenzen gebunden, die für die rechtsgeschäftliche Freiheit überhaupt gelten und zum anderen an erbrechtsspezifische Beschränkungen. Die Bestimmung der Reichweite solcher Grenzen kann durch fehlerhafte Annahmen in Rechtsprechung und Literatur zu einer Gefahr für die Testierfreiheit werden. Seit der „Hohenzollernentscheidung“4 des Bundes1
So explizit BVerfGE 112, 332, 348; vgl. auch BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341,
350. 2 Vgl. BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 93, 165, 174; BVerfGE 112, 332, 349; BVerfGE 126, 400, 424; s. dazu ausführlich die Betrachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit in Kap. B. I. 3 Vgl. BVerfGE 67, BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 99, 341, 352; BVerfGE 112, 332, 348; s. dazu ausführlich Kap. B. VII., welches sich mit den Auswirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf die Vorschriften des einfachen Rechts befasst. 4 Vgl. BVerfG NJW 2004, 2008, 2010. Diese Entscheidung wird in Kap. C. I. 1. a) (1) umfassend ausgewertet.
2
A. Einleitung
verfassungsgerichts nehmen die Zivilgerichte, unterstützt von zahlreichen Befürwortern in der Literatur, bei der Sittenwidrigkeitsprüfung von erbrechtlichen Verfügungen mit verhaltensbezogenen Elementen zunehmend eine Abwägung zwischen der Testierfreiheit des Erblassers und den Freiheiten der Erbprätendenten, insbesondere ihrer Entschließungsfreiheit vor. Diese Abwägung erfolgt – wie es noch zu zeigen gilt – zumeist zulasten der Testierfreiheit.5 Eine derartige Rechtsprechungslinie zugunsten der Freiheiten der Erbprätendenten und zulasten der Freiheiten des Erblassers ruft verfassungsrechtliche Bedenken hervor. Es stellt sich die Frage, ob an dieser Stelle die Erbrechtsgarantie noch der Sicherung eines Freiheitsraumes des Erblassers oder vielmehr der Sicherung von Freiheiten und Vorstellungen der Erbprätendenten dient. Eine solche Abkehr von der Maßgeblichkeit des Erblasserwillens findet sich in der jüngeren Vergangenheit vermehrt auch in der Rechtsprechung zu der Pflichtteilsentziehung wieder.6 Diese Entwicklungen erwecken den Eindruck, dass insbesondere die Rechtsprechung die Testierfreiheit zunehmend einschränkt, um die gesetzlichen Erben und andere Erbprätendenten vor der Testierfreiheit des Erblassers zu schützen. Die vorliegende Arbeit stellt diesbezüglich die These auf, dass die Testierfreiheit durch Gesetz und Rechtsprechung zahlreichen Beeinträchtigungen zum Schutz von Dritten7 und Kollektivgütern ausgesetzt ist, welche ihren individualschützenden Charakter und damit einhergehend auch ihren Bedeutungsgehalt in besonderer Weise bedrohen. Zusätzlich sieht sich die Testierfreiheit einer weiteren Entwicklung ausgesetzt. Gesetz, Rechtsprechung und Literatur betreiben zunehmend einen Schutz des selbstbestimmten Testierens, welcher der Sicherung der Autonomie des Erblassers dienen soll. Ein solches Bestreben ist insoweit nachvollziehbar, als dass von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit nur selbstbestimmte letztwillige Verfügungen von Todes wegen erfasst sind.8 Die Befürworter eines verstärkten Autonomieschutzes verkennen dabei jedoch vielfach, dass mit dem von ihnen geforderten Schutz des selbst-
5 Vgl. dazu exemplarisch OLG Frankfurt, NJW-RR 2019, 394, 396; OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1902, 1902; OLG Saarbrücken, ErbR 2015, 567, 567 ff.; s. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. a) (2). 6 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. C. III.; s. zu diesem Befund auch Lange, ZEV 2018, 237, 238. 7 Zu den „Dritten“ gehören dabei die Erbprätendenten und hierzu insbesondere die nahen Angehörigen in ihrer Stellung als gesetzliche Erben. 8 Vgl. dazu ausführlich Kap. D. I. 1., welches sich mit der Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht befasst; s. dazu auch BVerfGE 99, 341, 351; Röthel, AcP 210 (2010) 32, 65; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 3; Brox, Festschrift Benda, 17, 27 ff.
I. Einführung
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bestimmten Testierens erhebliche Beeinträchtigungen der Testierfreiheit einhergehen. Diesen Weg will die vorliegende Arbeit nicht gehen, sondern die Auswirkungen dieser Vorschläge auf die Testierfreiheit analysieren und die Frage stellen, ob die Vorschläge mit der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit vereinbar sind. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Gesetz bereits an zahlreichen Stellen die Testierfreiheit begrenzt, um das autonome Testieren des Erblassers zu sichern. So unterliegt der Erblasser bei der Ausübung der Testierfreiheit zur Gewährleistung der Authentizität und damit auch zum Schutz seiner autonomen Entscheidung einem Formund Typenzwang.9 Auch der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit soll selbstverantwortliche Entscheidungen des Erblassers sichern und schränkt die Testierfreiheit des Erblassers dabei erheblich ein.10 Die vorliegende Arbeit will zeigen, dass bereits die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Autonomie des Erblassers die Testierfreiheit teilweise unzulässig beschränken. Der demographische Wandel hat im Erbrecht dazu geführt, dass für den sogenannten vulnerablen Erblasser, welcher aufgrund von Altersschwäche und Krankheit leichter beherrsch- und beeinflussbar sein soll, zahlreiche Ansätze diskutiert werden, die dem Schutz des selbstbestimmten Testierens dienen sollen.11 Vielfach wird die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung und die Steigerung von Förmlichkeiten, beispielsweise in Form der Abschaffung des privatschriftlichen Testaments, für diese Erblassergruppe befürwortet. Zahlreiche Stimmen in der Literatur fordern darüber hinaus die Erweiterung der Anfechtungsgründe um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme.12 Mit diesen zunehmend lauter werdenden Stimmen will sich die Arbeit ebenfalls kritisch auseinandersetzen. Auch der Erlass von Testierverboten wird vielfach erwogen, um die Autonomie des Erblassers zu schützen.13 Mit § 14 HeimG und dessen entsprechenden landesrechtlichen Regelungen sind bereits gesetzliche Testierverbote, die unter anderem auch dem Autonomieschutz dienen sollen, eingeführt worden. Die vorliegende Arbeit wird zeigen, dass solche „Schutzmechanismen“ nicht in der Lage sind, die Autonomie des Erblassers zu schützen, sondern lediglich den Erblassern die Ausübung ihrer Testierfreiheit
9
Vgl. dazu Kap. D. II. 2. Vgl. dazu Kap. D. II. 3. 11 Vgl. dazu Kap. D. III.; s. dazu die Beiträge von Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 346; Röthel, 68. DJT, A 9 (A 81); Röthel, AcP 210 (2010), 32, 55 ff.; Grziwotz, MDR 2016, 737, 737; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 26 f.; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 1 ff.; Aden, ZRP 2011, 83, 83 ff.; Krispenz, ErbR 2015, 525, 525; Frieser, ErbR 2020, 309, 309. 12 Vgl. dazu Kap. D. III. 4. 13 Vgl. dazu Kap. D. III. 3. 10
4
A. Einleitung
erschweren beziehungsweise unmöglich machen und dadurch ebenfalls verfassungswidrige Beeinträchtigungen der Testierfreiheit hervorrufen. Darüber hinaus wird die vorzunehmende Analyse verdeutlichen, dass sowohl dem Gesetz, der Rechtsprechung als auch der Literatur zum Teil ein fehlerhaftes Verständnis der Zielrichtung und der Bedeutung des Autonomieschutzes zugrunde liegt. So wird formuliert, dass die Autonomie des Erblassers zur Verhinderung des Entstehens eines Legitimationsdefizites in Bezug auf die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben geschützt werden müsse.14 Gesetz, Rechtsprechung und insbesondere Teile der Literatur betreiben vielfach keinen Schutz der Autonomie zur Verwirklichung des Erblasserwillens, sondern bewahren nahe Angehörige vor vermeintlich verantwortungslosen und nicht hinreichend selbstbestimmten Verfügungen von Todes wegen. Diese Entwicklungen lassen die Befürchtung entstehen, dass der Gesetzgeber, die Rechtsprechung und die Literatur zunehmend die Interessen der gesetzlichen Erben und anderer Erbprätendenten fokussieren. Der individualschützende Freiheitsraum der Testierfreiheit ist hierdurch in besonderer Weise bedroht. Aus diesem Grund stellt die Arbeit folgenden, im Verlauf der Untersuchung zu überprüfenden Befund auf: Ein Schutz der Testierfreiheit vor unzulässigen Beeinträchtigungen und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust ist dringend angezeigt.
Aus diesem Ausgangsbefund leiten sich eine Reihe an Thesen ab, die den Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung bestimmen und der Überprüfung des Ausgangsbefunds dienen (dazu II.).
II. Gegenstand der Untersuchung Die vorliegende Arbeit hat sich eine möglichst umfassende Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit zur Aufgabe gemacht. Folglich sollen sämtliche relevante Beschränkungen der Testierfreiheit durch Gesetz, Rechtsprechung und Literatur näher betrachtet werden. Das Ziel der vorzunehmenden Analyse ist es, die unzulässigen Beeinträchtigungen der Testierfreiheit zu ermitteln. Dabei wird zu untersuchen sein, auf welchen fehlerhaften Annahmen diese Beeinträchtigungen der Testierfreiheit basieren. Aufgabe dieser Arbeit ist es außerdem, aufzuzeigen, wie bestehende Beeinträchtigungen aufgeho14
Vgl. dazu Kap. D. III. 3.; so bspw. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65: „Nicht hinreichend selbstbestimmte Verfügungen können die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben nicht legitimieren. Die Entschließungsfreiheit des Testators ist auch im Interesse der gesetzlichen Erben durch eine richterliche Abschlusskontrolle (§ 138 BGB) zu schützen.“; s. dazu auch Röthel, Gutachten 68. DJT, A9 (A86).
III. Gang der Untersuchung
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ben und zukünftige Beeinträchtigungen der Testierfreiheit verhindert werden können. Um eine möglichst fokussierte Untersuchung der Begrenzungen der Testierfreiheit durchzuführen, sollen bereits an dieser Stelle grundlegende Thesen aufgestellt werden, die im Verlauf der Untersuchung einer ständigen Überprüfung unterzogen und durch detaillierte Befunde und Forderungen ergänzt werden: I. Die Grenzen der Testierfreiheit lassen sich im Wesentlichen in zwei Kategorien unterteilen: 1. Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit: Schutz Dritter und Schutz von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers 2. Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit: Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers vor unzulässigen Einwirkungen Dritter II. Die Testierfreiheit sieht sich zahlreichen unzulässigen Beschränkungen durch Gesetz, Rechtsprechung und Literatur ausgesetzt. III. Die unzulässigen Beschränkungen der Testierfreiheit beruhen im Wesentlichen auf drei zentralen Missverständnissen: 1. Die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten wird verkannt beziehungsweise nicht hinreichend berücksichtigt. 2. Die Bedeutung der gesetzlichen Erbfolge wird missverstanden. 3. Die Zielrichtung und die Bedeutung des Schutzes des selbstbestimmten Testierens werden fehlinterpretiert. IV. Die diversen Begrenzungen der Testierfreiheit bedrohen den Bedeutungsgehalt der Testierfreiheit und insbesondere ihren individualschützenden Charakter. V. Ein Schutz der Testierfreiheit vor unzulässigen Beeinträchtigungen und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust ist dringend angezeigt.
III. Gang der Untersuchung Der Gang der Untersuchung wird durch den soeben dargelegten Gegenstand der Untersuchung bereits vorbestimmt. So stellt die vorliegende Arbeit unter anderem die These auf, dass die Grenzen der Testierfreiheit im Wesentlichen in zwei Kategorien aufgeteilt werden können. Daher sollen sämtliche relevante Beschränkungen der Testierfreiheit ihren jeweiligen Kategorien zugeordnet und innerhalb dieser Kategorien auch untersucht werden. Nach einer systematischen Entfaltung der rechtstheoretischen Grundlagen der Testierfreiheit, welche sich unter anderem mit ihrer verfassungsrecht-
6
A. Einleitung
lichen Gewährleistung und rechtshistorischen Entwicklung befasst (dazu B.), sollen zunächst die Grenzen der Testierfreiheit zum Schutz der Erbprätendenten und Kollektivgüter vor der Testierfreiheit des Erblassers analysiert werden (dazu C.). Im Anschluss erfolgt eine Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit zum Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers vor unzulässigen Einwirkungen Dritter (dazu D.). Das Ziel der Kapitel C. und D. ist es, aufzuzeigen, welchen Beschränkungen und Beeinträchtigungen die Testierfreiheit ausgesetzt ist. Dabei wird für jede Begrenzung der Testierfreiheit zu prüfen sein, ob diese sich in die entwickelten Kategorien einordnen lässt. Nur wenn dies der Fall ist, lässt sich die vorgenommene Kategorisierung der Grenzen der Testierfreiheit und die diesbezüglich aufgestellte These aufrechterhalten. Sofern sich die jeweilige Beschränkung der Testierfreiheit als unzulässig erweist, ist zu prüfen, aus welchen Gründen das Gesetz, die Rechtsprechung oder die Literatur die Testierfreiheit einschränken. Eine solche Untersuchung ermöglicht die Überprüfung der übrigen aufgestellten Thesen zu den Grenzen der Testierfreiheit. Auch die in der Einleitung aufgeworfene Frage, ob die Testierfreiheit zunehmend in ihrem individualschützenden Charakter und damit einhergehend in ihrem Bedeutungsgehalt bedroht ist, kann hierdurch beantwortet werden. Die Ergebnisse der vorzunehmenden Untersuchung werden in einem eigenständigen Kapitel zusammengefasst (dazu E.), welches ermöglicht, die fehlerhaften Annahmen von Gesetz, Rechtsprechung und Literatur zu korrigieren (dazu F.). In einer abschließenden Stellungnahme wird sodann die Frage beantwortet, ob der individualschützende Charakter der Testierfreiheit zunehmend bedroht ist und daher ein Schutz der Testierfreiheit vor dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust dringend angezeigt ist (dazu G.).
B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit Eine Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit setzt zunächst eine umfassende systematische Entfaltung der Testierfreiheit voraus. Neben einer verfassungsrechtlichen (dazu I.) und einer rechtshistorischen (dazu II.) Betrachtung, sind hierfür auch die Funktionen der Testierfreiheit näher darzustellen (dazu III.), die Rückschlüsse auf den Gewährleistungsgehalt der Testierfreiheit zulassen. Sodann sind die Grundlinien und Typen der Kritik an der Testierfreiheit (dazu IV.) darzulegen und die Rechtsnatur der Testierfreiheit (dazu V.) rechtstheoretisch zu entwickeln. Auch die dogmatischen Konzeptionen der Testierfreiheit bedürfen einer theoretischen Analyse (dazu VI.). Nicht zuletzt sind für die Untersuchung der Begrenzungen der Testierfreiheit auch die Einwirkungen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auf die einfachrechtlichen Regelungen des Privatrechts von Bedeutung (dazu VII.).
I. Betrachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit Bei der Analyse der Begrenzungen der Testierfreiheit durch die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches ist zu beachten, dass das Erbrecht in der deutschen Rechtsordnung neben der einfach-rechtlichen auch über eine verfassungsrechtliche Dimension verfügt.1 So garantiert der Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur das Eigentum, sondern explizit auch das Erbrecht.2 1
Zutreffend weist Dutta, Staatslexikon, Erbrecht unter 2. auf die verfassungsrechtliche Dimension des Erbrechts hin: „Zu beachten ist, dass das E[rbrecht] in einigen Rechtsordnungen auch eine verfassungsrechtliche Dimension besitzt. So ist in Deutschland der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung seines E[rbrechts]s nicht frei. Vielmehr garantiert Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG neben dem Eigentum auch das Erbrecht.“ Die Prägung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches durch die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit bringt auch der BGH zum Ausdruck, s. dazu BGHZ 111, 36, 39: „Was zunächst den Gesichtspunkt angeht, der Erblasser habe seine Tochter sittenwidrig benachteiligt, so ist darauf hinzuweisen, dass das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches von dem Grundsatz der Testierfreiheit beherrscht ist; dieser Grundsatz steht unter dem Schutz der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG […].“ Vgl. dazu auch die Analyse der Auswirkungen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit auf die einfach-rechtlichen Vorschriften in Kap. B. VII.
8
B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Aus dieser Vorschrift des Grundgesetzes leitet das Bundesverfassungsgericht eine verfassungsrechtliche Garantie des Erbrechts ab.3 Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet das Erbrecht dabei sowohl als Rechtsinstitut4 als auch als Individualgrundrecht.5 Bei dem bestimmenden Element dieser Erbrechtsgarantie handelt es sich um die Testierfreiheit, die als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über dessen Tod hinaus eng mit der Eigentumsgarantie verbunden ist und besonders ausgeprägten Schutz genießt.6 Die Erbrechtsgarantie sichert damit in erster Linie den Freiheitsraum des Erblassers in Form des subjektiven Grundrechts auf Testierfreiheit7 und stellt im Rahmen der Institutsgarantie sicher, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Erbrechts die Kernelemente des deutschen Erbrechts, zu denen auch die Testierfreiheit gehört, beachtet.8
2 In der Weimarer Reichsverfassung war die Erbrechtsgarantie eigenständig in Art. 154 WRV geregelt und unterlag einem besonderen Gesetzesvorbehalt nach dem der Anteil des Staates am Erbgut sich nach den Gesetzen bestimmte, vgl. dazu BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 144; Staudinger/Otte Einleitung zum Erbrecht Rn. 60. Mit der Gewährleistung des Eigentums und der Erbrechtsgarantie in einem Satz unterstreicht das Grundgesetz die Zusammengehörigkeit dieser beiden Elemente in einer privaten Vermögensordnung, vgl. dazu ausführlich Kap. B. VI. 6.; v. Münch/Kunig/Bryde GG Art. 14 Rn. 42; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 404. 3 Vgl. dazu BVerfGE 19, 202, 206; BVerfGE 44, 1, 17; BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 97, 1, 6; BVerfGE 99, 341, 350; BVerfGE 112, 332, 348; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 43 ff.; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani Art. 14 Rn. 404. 4 Vgl. BVerfGE 19, 202, 206; BVerfGE 91, 346, 358. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Institutsgarantie. Im Mittelpunkt dieser Institutsgarantie steht die Pflicht des inhaltsbestimmenden Gesetzgebers, die traditionell überkommenen Kernelemente des nationalen Erbrechts bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung zu beachten. Zu den traditionell überkommenen Kernelementen des nationalen Erbrechts gehören die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts, vgl. dazu BVerfGE 58, 377, 378; BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 93, 165, 173; v. Mangoldt/Klein/ Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 518; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 14; zu dem Inhalt der Rechtsinstitutsgarantie des Erbrechts s. Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 45. 5 So die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 19, 202, 206; BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 112, 332, 348; BVerfG, NJW 2013, 2103, 2104. 6 So die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 93, 165, 174; BVerfGE 126, 400, 424; vgl. dazu auch von Mangoldt/Klein/Starck/Deppenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 519; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82. 7 Vgl. BVerfGE 91, 346, 358; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 516. 8 So explizit BVerfGE 93, 165, 173: „Die Ausgestaltung und Bemessung der Erbschaftsteuer muss den grundlegenden Gehalt der Erbrechtsgarantie wahren, zu dem die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts gehören; sie darf Sinn und Funktion des Erbrechts als Rechtseinrichtung und Individualgrundrecht nicht zunichte oder wertlos
I. Betrachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit
9
Die Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes der Testierfreiheit darf nicht mit derjenigen des erbrechtlichen Regelungsregimes des Bürgerlichen Gesetzbuches gleichgesetzt werden.9 Ein solcher Gleichlauf würde dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag zuwider laufen, da die Bestimmung des Verfassungsinhalts dem Gesetzgeber obliegen würde, wodurch es sodann zu einem „Leerlauf der Grundrechte“10 käme. Vielmehr wirkt die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit als verfassungsrechtlicher Maßstab und als Auslegungsmaxime für das einfache Recht und seine Grenzen auf die erbrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ein.11 Der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit gewährleistet dabei primär die gewillkürte Vermögensweitergabe von Todes wegen.12 Wenngleich die Testierfreiheit lediglich in ihrem Kernbestand verfassungsrechtlich abgesichert ist13, umfasst dieser Kern nicht nur die Auswahl des Erben, sondern auch das Recht, eine Vielzahl von Erben und ihre entsprechenden Anteile zu bestimmen, Legate anzuordnen und die Erbschaft in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu teilen.14 Auch die Anordnung von Beschränkungen, die den Erben auferlegt werden, wie beispielsweise die Anordnung einer Testamentsvollstreckung, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von der Testierfreiheit geschützt.15 Die Testierfreiheit umfasst dar-
machen.“ Vgl. dazu auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 518; Firsching/Graf, Nachlassrecht Rn. 1; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197; BeckOGK/Preuß BGB § 1922 Rn. 38 f.; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 142. 9 Vgl. Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 408; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 45. 10 Diesen Begriff verwendet Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 45. 11 Vgl. hierzu ausführlich das Kap. B. VII., welches sich mit den Auswirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Recht befasst. 12 So explizit BVerfGE 58, 377, 397: „Die Testierfreiheit als Bestandteil der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG umfasst die Befugnis des Erblassers, zu Lebzeiten einen von der gesetzlich vorgesehenen Erbfolge abweichenden Übergang seines Vermögens nach seinem Tode an einen oder mehrere Rechtsnachfolger anzuordnen, insbesondere einen gesetzlichen Erben von der Nachlassbeteiligung auszuschließen und wertmäßig auf den gesetzlichen Pflichtteil zu beschränken.“ [Hinweis: Sämtliche wörtliche Zitate werden aus Gründen der Lesbarkeit an die aktuelle Rechtschreibung angeglichen, ohne dass dies explizit gekennzeichnet wird]. Vgl. dazu auch Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 78; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 519. 13 Vgl. Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51; Maunz/ Dürig/Papier/Shirvani Art. 14 Rn. 412; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 520; MüKoBGB/Leipold BGB Einleitung zum Erbrecht Rn. 33. 14 Vgl. BVerfGE 93, 165, 174 f.; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412; Groll/Steiner/von Morgen/Cording Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 5 Rn. 4; Palandt/Weidlich BGB § 1937 BGB Rn. 3; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 148. 15 So explizit BVerfG, NJW-RR 2010, 156, 157. Das BVerfG betont an dieser Stelle
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
über hinaus die Befugnis des Erblassers, nahe Angehörige auf ihren gesetzlichen Pflichtteil zurückzusetzen.16 Der Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sichert damit eine weitgehende inhaltliche Gestaltungsfreiheit des Erblassers unmittelbar verfassungsrechtlich ab.17 Maßgeblich ist deshalb stets der Wille des Erblassers, unabhängig davon, ob dieser gerecht oder vernünftig erscheint. So ist es aus verfassungsrechtlicher Perspektive irrelevant, ob der Erblasser seine Familienangehörigen zugunsten entfernter Dritter ausschließen möchte, weil die Testierfreiheit ein freies und kein sozialgebundenes Belieben des Erblassers schützt.18 Das damit einhergehende Primat des Erblasserwillens lässt die Testierfreiheit als das am deutlichsten individuelle und in seiner Ausübung am wenigsten gemeinschaftsgebundene Recht charakterisieren, welches von der Verfassung geschützt wird.19 Gleichzeitig legt der Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG fest, dass es Aufgabe des Gesetzgebers ist, den Inhalt und die Schranken des Erbrechts zu bestimmen.20 Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Erbrecht erst durch die Ausgestaltung des Gesetzgebers hinreichend deutlich umrissen und dadurch zu einem durchsetzbaren Recht wird.21 Als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes zugleich, dass die begünstigten Erben im Falle der Anordnung von Beschränkungen durch den Erblasser den grundrechtlichen Schutz nur in dem jeweils vom Erblasser gewährten Umfang erlangen können. Beschränkt der Erblasser daher die Verfügungsbefugnis des Erben in Ausübung seiner verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit (bspw. durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung), erwirbt der Erbe den Nachlass nur mit dieser Verfügungsbeschränkung. Vgl. dazu auch Maunz/Dürig/Papier/Shirvani Art. 14 Rn. 412; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. C. II. 1. d) aa). 16 Vgl. BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 99, 341, 350 f.; BVerfGE 112, 332, 349; Merten/ Papier/Kirchhof Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, § 112 Rn. 47; in diese Richtung auch Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51: „Bleiben muss jedoch die Freiheit des Erblassers, jeden Beliebigen – unter Vorbehalt eines beschränkten Rechts der Familienangehörigen – nach seiner freien Wahl zu bedenken, insbesondere das Recht, jedem Beliebigen den sachlichen Kernbestand des Erbgutes zukommen zu lassen […].“ Vgl. dazu auch BeckOGK/Preuß BGB § 1922 Rn. 21. 17 Vgl. Palandt/Weidlich BGB § 1937 BGB Rn. 3; Groll/Steiner/von Morgen/Cording Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung Rn. 4; Kappler, NotBZ 2019, 161, 161. 18 So explizit Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 50; Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 31; vgl. dazu ausführlich Kap. B. VI.; in diese Richtung gehen auch die Ausführungen des BVerfG, welches eine vollständige Enterbung naher Angehöriger für möglich hält, vgl. dazu BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 99, 341, 350 f.; BVerfGE 112, 332, 349. 19 So Isensee/Kirchhof/Leisner Handbuch des Staatsrechts, VIII, § 174 Rn. 18; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 50; den Individualschutz ebenfalls betonend BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341, 350. 20 Vgl. dazu BVerfGE 19, 202, 206; BVerfGE 31, 229, 240; BVerfGE 37, 132, 140; BVerfGE 38, 340, 370; BVerfGE 44, 1, 17; BVerfGE 52, 1, 29; BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 91, 346, 360. 21 So explizit BVerfGE 99, 341, 351; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 154; Ruffert, JuS 2020, 1, 4; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136 Fn. 18.
I. Betrachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit
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Freiheitsrecht ist die Testierfreiheit auf Regelungen angewiesen, die sie konkretisieren.22 Der ausgestaltende Gesetzgeber muss dem Erblasser daher Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, zu denen Vorschriften über die Form der Errichtung, die Testierfähigkeit und die Anfechtungs- und Widerrufsmöglichkeit gehören.23 Als Ausdruck der Selbstbestimmung setzt die Testierfreiheit voraus, dass der testierende Erblasser selbstbestimmungsfähig ist.24 Dieses Selbstbestimmungsprinzip darf der Gesetzgeber zwar ausgestalten, dabei die Testierfreiheit aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Gewährleistung jedoch nicht unverhältnismäßig beschränken.25 Des Weiteren kann der Gesetzgeber zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der Testierfreiheit und anderen Rechtsgütern Schranken der Testierfreiheit bestimmen.26 Wenngleich dem Gesetzgeber damit ein gewisser Gestaltungsspielraum eingeräumt ist, gilt dieser nicht unbeschränkt. So muss der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung und bei der Beschränkung der Testierfreiheit die entsprechende verfassungsrechtliche Dimension berücksichtigen. Die über Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Testierfreiheit darf der Gesetzgeber nur zur Verfolgung eines verfassungsrechtlich legitimen Zwecks und nur unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einschränken.27 Dabei ist der von Verfassung wegen besonders ausgeprägte Schutz der Testierfreiheit zu berücksichtigen28:
22 Vgl. Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136 Fn. 18; Ruffert, JuS 2020, 1, 4; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 154; vgl. dazu ausführlich Kap. B. V. 1. 23 So BVerfGE 99, 341, 351 f.: „Zur Konkretisierung des Prinzips der Testierfreiheit muss der Gesetzgeber Vorschriften über die zulässigen Testamentsformen und über die Anforderungen an die Testierfähigkeit erlassen.“ 24 Vgl. dazu ausführlich Kap. D. I. 1.; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 3; Brox, Festschrift Benda, 17, 27 ff.; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65. 25 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. V. 1., welches sich näher mit dem Aspekt befasst, dass es sich bei der Testierfreiheit um ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht handelt. Vgl. dazu auch BVerfGE 99, 341, 351 f.; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136 Fn. 18; Ruffert, JuS 2020, 1, 4; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 154. 26 Vgl. Staudinger/Otte Einl zum Erbrecht Rn. 73; MüKoBGB/Lange BGB § 2333 Rn. 5; Hk-PflichtteilsR/Herzog BGB § 2333 Rn. 2; BeckOK BGB/Müller-Engels BGB § 2333 Rn. 1 f.; Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack/Looschelders Bürgerliches Gesetzbuch: Allgemeiner Teil Rn. 44. 27 Vgl. dazu die ständige Rspr. des BVerfGE, so etwa BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 99, 341, 352; BVerfGE 112, 332, 348. 28 Vgl. BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 93, 165, 174; BVerfGE 126, 400, 424; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 200; v. Mangoldt/Klein/ Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 519 f.; MüKoBGB/Leipold BGB Einleitung zum Erbrecht Rn. 33.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
„Die Gesetzgebung darf die Testierfreiheit insbesondere nicht dadurch aushöhlen, dass sie die Testamentserrichtung übermäßig formal erschwert, die Testierfähigkeit generell einschränkt, Pflichtteilsrechte übermäßig ausdehnt oder in anderer Weise dem Testaterben das Erbgut entzieht.“29
Darüber hinaus müssen die Beschränkungen der Testierfreiheit durch Gesetz und Rechtsprechung den grundlegenden Gehalt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG wahren.30 Sie dürfen daher den individualschützenden Charakter der Testierfreiheit nicht gefährden und müssen das Primat des Erblasserwillens achten. Trotz des grundsätzlich vorhandenen Gestaltungsspielraums muss der Gesetzgeber daher bei der Einschränkung der Testierfreiheit aufgrund ihres verfassungsrechtlichen Schutzes über den Art. 14 Abs. 1 GG zahlreiche Anforderungen beachten. Bei der in den Kapiteln C und D vorzunehmenden Untersuchung ist unter anderem zu überprüfen, ob die Begrenzungen der Testierfreiheit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden.
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit Das Recht des Einzelnen, durch Verfügung von Todes wegen über sein Vermögen zu verfügen, könnte aus heutiger Sicht als selbstverständlicher Teil der Privatautonomie begriffen werden.31 Aus historischer Sicht hat sich die Testierfreiheit jedoch stetig entwickelt und sah sich vorwiegend im 19. Jahrhundert verstärkter Kritik ausgesetzt.32 Insbesondere erfuhr die Testierfreiheit in den verschiedenen Epochen und Rechtssystemen ein unterschiedliches Maß an Beachtung. Der folgende Abschnitt will auszugsweise eine historische Betrachtung der Testierfreiheit in den unterschiedlichen Rechtssystemen vornehmen und die entsprechenden Entwicklungslinien nachzeichnen. Dabei
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Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51; vgl. dazu auch Mager, Staatslexikon, Einrichtungsgarantien 1.; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 83 f.; BVerfG, JuS 2011, 93, 94. 30 So explizit BVerfGE 99, 341, 352: „Der Gesetzgeber muss bei der näheren Ausgestaltung des Erbrechts den grundlegenden Gehalt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung wahren und sich im Einklang mit allen anderen Verfassungsnormen halten.“ Vgl. dazu auch BVerfGE 67, 329, 340; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 199a; vgl. dazu auch die Ausführungen des BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beschränkung der Eigentumsgarantie, s. BVerfGE 31, 229, 240; BVerfGE 52, 1, 27 ff. 31 Vgl. Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 1. 32 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 205 ff. Rn. 355 ff.; Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 1; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 32 f.
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit
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soll vornehmlich der Frage nachgegangen werden, in welchem Umfang die Testierfreiheit jeweils gewährt worden ist. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet die Betrachtung der Testierfreiheit im römischen Recht.
1. Entwicklung der Testierfreiheit im römischen Recht Die Ursprünge der Testierfreiheit und der Verbindung zwischen Eigentum und Erbrecht liegen im römischen Recht.33 Dieses war in besonderer Weise von dem Gedanken der Testierfreiheit des Erblassers geprägt.34 Die gesetzliche Erbfolge wurde bereits durch ihre Bezeichnung „Intestaterbfolge“ als Ausnahme der gewillkürten Erbfolge gekennzeichnet.35 Vielfach wird betont, dass sich die herausragende Stellung der Testierfreiheit in der römischrechtlichen Tradition bereits dem Zwölf-Tafel-Gesetz aus dem Jahre 449 v. Chr. entnehmen lässt, welches formuliert: „uti pater familias legassit […] super pecunia tutelava suae rei, ita ius esto“36.
Einer solchen Sichtweise kann jedoch nicht zugestimmt werden. Es dürfte eher davon auszugehen sein, dass dieser Satz des Zwölf-Tafel-Gesetzes eine nur sehr begrenzte Möglichkeit der Vermögensweitergabe von Todes wegen eröffnet hat.37 Für eine lediglich begrenzte Testierfreiheit spricht die Verwendung des Begriffs „legare“, welcher die Verfügung über einen einzelnen Gegenstand – nicht jedoch über das gesamte Vermögen – umfasst. Darüber hinaus waren Grund und Boden von der Regelung vorneherein nicht umfasst.38
33 Vgl. BVerfGE 112, 332, 350; Muscheler, Erbrecht, Band I, 215 Rn. 379; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 7; Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 56 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 65 Rn. 9; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 31; Liebs, Römisches Recht, 137 ff. 34 Vgl. dazu BVerfGE 112, 332, 350; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 31; Muscheler, Erbrecht, Band I, 215 Rn. 379; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 7. 35 Vgl. Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 31; Muscheler, Erbrecht, Band I, 215 Rn. 379. 36 Übersetzung: Wie er letztwillig verfügt hat über seine Angelegenheit, so soll es recht sein. 37 So explizit v Woeß, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter, 131 f.: „Man mag darüber streiten, ob die Zwölftafeln wirklich eine so umfassende Testierfreiheit gewährten, wie es […] behauptet wird, mir scheint es nicht wahrscheinlich, sondern ich bin mit der herrschenden Lehre der Meinung, dass erst die spätere Zeit den Zwölftafelsätzen [...] diese Tragweite beimaß.“ In diese Richtung auch Liebs, Römisches Recht, 138. Vgl. dazu auch v. Woeß, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter, 132. 38 Vgl. Liebs, Römisches Recht, 138.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Die volle Testierfreiheit dürfte im römischen Recht daher erst mit der Einführung der mancipatio nummo uno erreicht worden sein.39 Die Errichtung eines Testaments war im römischen Recht noch weitgehend frei von den Beschränkungen zugunsten naher Angehöriger.40 Die gewillkürte Erbfolge stellte den Regelfall dar und drängte die Intestaterbfolge nahezu vollständig in den Hintergrund.41 Damit war die Rangfolge zwischen gewillkürter und Familienerbfolge entschieden. Beschränkungen der Testierfreiheit bildeten sich erst allmählich und in einem geringeren Umfang heraus.42 So wurde das formelle Erfordernis eingeführt, dass der Erblasser, wenn er einen Dritten zum Erben bestimmen wollte und damit zugleich einen Nachkommen von der Erbfolge ausschließen wollte, die Enterbung des sogenannten suus ausdrücklich anordnen musste.43 Sofern es sich bei dem enterbten suus um einen Sohn handelte, musste die Enterbung namentlich erfolgen. Verstöße gegen dieses Formerfordernis hatten die Ungültigkeit des gesamten Testaments zur Folge. Während die Testierfreiheit und die damit einhergehende Möglichkeit der Enterbung der Nachkommen im bäuerlichen Zeitalter dazu diente, einen alleinigen Hofnachfolger zu bestimmen und einer Zerschlagung des Hofes entgegenzuwirken44, wurde sie in der späten Republik zunehmend zur Bestrafung der Erbberechtigten eingesetzt.45 Auch Kinder aus ersten Ehen wa-
39 Die mancipatio nummo uno war ein Vertrag des Erblassers, dessen Wirkung auf den Todeszeitpunkt hinausgeschoben wurde. Es handelte es sich dabei um eine rechtliche Konstruktion, um einen Ausweg aus dem zu engen Testierrecht zu finden, vgl. dazu die Darstellung bei Liebs, Römisches Recht, 138 f. 40 Vgl. Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts, 203 ff.; Liebs, Römisches Recht, 137 ff.; v. Woeß, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter, 132 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 65 Rn. 9. 41 Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 6; Muscheler, Erbrecht, Band I, 215 Rn. 379; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 65 Rn. 9 f.; Liebs, Römisches Recht, 137 ff. 42 Vgl. Kaser/Knütel/Lohse, Römisches Privatrecht, § 65 Rn. 10; Liebs, Römisches Recht, 144 ff. 43 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 69 Rn. 3 f. 44 Ein ähnliches Anliegen verfolgt das Landwirtschaftserbrecht. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. C. IV., die sich mit den Einschränkungen der Testierfreiheit durch das Landwirtschaftserbrecht befassen. Das Landwirtschaftserbrecht verfolgt dabei den Zweck, die Wirtschaftsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe bei dem Übergang des Betriebes auf die nächste Generation zu sichern. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. III. 4., die gezeigt haben, dass die Testierfreiheit unter anderem auch dem generationenübergreifenden Erhalt von Vermögenswerten dient. 45 So Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 69 Rn. 2, die diesen Wandel bei der Ausübung der Testierfreiheit betonen. In ähnlicher Weise zeichnet Liebs, Römisches Recht, 144 die Entwicklungen der inhaltlichen Schranken der Testierfreiheit im römischen Recht nach.
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit
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ren vermehrt von einer Enterbung betroffen. Die Rechtsgemeinschaft der späten Republik wollte dem entgegenwirken und ergänzte die formelle Beschränkung der Testierfreiheit praeter legem durch die Möglichkeit der Inhaltskontrolle von Testamenten.46 Ein sogenanntes centum viri entschied über die Gültigkeit von Enterbungen und damit einhergehend über die Gültigkeit von Testamenten.47 Mit der querela inofficiosi testamenti wurde ein Rechtsbehelf eingeführt, der eine Klagemöglichkeit gegen ein pflichtwidriges Testament eröffnete.48 Die Pflichtwidrigkeit eines Testaments wurde zunächst an einem außerrechtlichen und an der Sozialmoral orientierten Maßstab festgemacht.49 Später entwickelten sich – begünstigt durch Erlasse des Kaisers – feste Regeln. Diese hat Justinian in der Novelle 115 weiter ergänzt. Der Teil, den der Erblasser den Berechtigten zuwenden muss, damit eine querela inofficiosi testamenti nicht im Raum stand, betrug zunächst ein Viertel des Intestaterbteils und erhöhte sich später auf ein Drittel.50 Da es sich bei der querellae inofficiosi testamenti um eine materielle Kontrolle der letztwilligen Verfügung zugunsten naher Angehöriger handelt, wird für diese auch der Terminus materielles Noterbenrecht verwendet. Der Grundstein für ein Pflichtteilsrecht und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Reichweite der Testierfreiheit war somit gelegt. Nicht zutreffend ist es daher, wenn von Schmitt, der Redaktor des BGB-Erbrechts, betont: „Die Abschwächung des Gedankens der Testierfreiheit ist im römischen Recht nie so weit gelangt, Verwandten des Erblassers ein von dessen Willen unabhängiges Recht am Nachlasse einzuräumen.“51
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Vgl. Liebs, Römisches Recht, 144; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 69 Rn. 2. 47 Bei dem centum viri handelte es sich um ein sogenanntes Hundertmännergericht. Die Zuständigkeit für Erbschaftssachen lag nicht beim Prätor, sondern beim centrum viri, vgl. dazu Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 70 Rn. 2.; Liebs, Römisches Recht, 144; Rabel, Die Grundzüge des römischen Privatrechts, 222. 48 Die querela inofficiosi testamenti ist entwickelt worden, um eine Anfechtung eines Testaments zu ermöglichen, welches gegen die Pietätspflicht verstößt und die Verwandten des Erblassers nicht hinreichend bedenkt, vgl. dazu v. Woeß, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter, 134 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 70 Rn. 1; Rabel, Die Grundzüge des römischen Privatrechts, 222. 49 Vgl. v. Woeß, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter, 187; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 70 Rn. 1. 50 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 70 Rn. 5; s. zu der Entwicklung des römischen Noterbrechts im spätklassischen Recht die ausführliche Darstellung bei Rabel, Die Grundzüge des römischen Privatrechts, 220 ff. 51 So unzutreffend v. Schmitt, Motive TE, 46; zutreffend ist es daher, wenn das BVerfG betont: „Erst durch die Rezeption des römischen Rechts gewannen die Testierfreiheit und damit auch der Grundsatz einer zumindest wertmäßigen Nachlassteilhabe der Kinder gegen den Willen des Erblassers an Bedeutung.“ – s. BVerfGE 112, 332, 350.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
In der Novelle 115 im Jahre 542 n. Chr. wurden darüber hinaus Fälle geregelt, in denen der Erblasser seine volle Testierfreiheit zurückerlangt und Abkömmlinge unbedenklich übergehen konnte. Unsittliches Verhalten und schwere Verfehlungen gegen den Erblasser berechtigten diesen zur vollständigen Übergehung der Abkömmlinge. Die Regelung stellt damit den Ursprung des heutigen § 2333 BGB dar.52 Die Ergänzungen Justinians in der späten Republik enthielten jedoch nicht nur Beschränkungen der Testierfreiheit. Justinian ließ die kassatorische Wirkung der Klage gegen das Testament entfallen, sofern der betroffene Abkömmling irgendwie bedacht worden war und verwies den Abkömmling auf eine Art Pflichtteilsrestanspruch. Dieses Vorgehen entsprach dem Grundsatz des favor testamenti und begünstigte die Testierfreiheit.53 Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Testierfreiheit im römischen Recht bereits frühzeitig gewährleistet worden ist. Mit der Einführung des mancipatio nummo uno wurde diese erheblich ausgeweitet und stieg zu einem der tragenden Prinzipien des römischen Rechts auf. Die nahezu absolute Testierfreiheit wurde erst in der späten Republik sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht eingeschränkt. Die querellae inofficiosi testamenti und ihre Ergänzungen stellten dabei die ersten Regelungen eines Pflichtteilsrechts dar.54 Folglich wurde die Testierfreiheit im römischen Recht zwar umfassend gewährt, es kann jedoch nicht durchweg von einer absoluten und schrankenlosen Testierfreiheit gesprochen werden.55 Vielmehr variierte die Reichweite der Testierfreiheit im römischen Recht und hat in der späten Republik vermehrt Einschränkungen erfahren. Gleichwohl lässt sich im Ergebnis festhalten, dass die Untersuchung der Entstehung und Entwicklung der Testierfreiheit im römischen Recht gezeigt hat, dass der Wille des Erblassers den Ausgangspunkt des gesamten römischen Erbrechts bildete. Wenngleich die Testierfreiheit auch im römischen Recht nicht uneingeschränkt gewährleistet worden ist, ist dennoch von einer individualistischen Grundlegung des römischen Erbrechts und von einer umfassenden Gewährleistung der Testierfreiheit auszugehen. 52
Wenngleich eine Bezugnahme weder in den Motiven noch in den Protokollen ersichtlich ist, vgl. dazu Horn, Materialienkommentar Erbrecht, 1297 ff. 53 So Liebs, Römisches Recht, 140 f.: „[E]s galt der Grundsatz, dass Testamente zu begünstigen (favere), d. h. möglichst aufrechtzuerhalten sind, der sog. favor testamenti.“ 54 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 65 Rn. 10 u. § 70 Rn. 1; v. Woeß, Das römische Erbrecht und die Erbanwärter, 134 ff.; Liebs, Römisches Recht, 144 f. 55 Vgl. Gans, Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung, Band II, 458, der aufzeigt, dass sich das römische Erbrecht der Stellung der Familie und des Recht des Individuums als „feindliche Mächte“ bewusst war. Vgl. dazu auch Liebs, Römisches Recht, 140 f. der sich ausführlich mit den Schranken der Testierfreiheit im römischen Recht befasst; ebenso Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, § 65 Rn. 10; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 7.
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit
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2. Die Testierfreiheit im deutschen Rechtssystem vor der Einführung des BGB-Erbrechts Nachdem nunmehr der Ursprung und die Entwicklung der Testierfreiheit im römischen Recht untersucht worden sind, soll im kommenden Abschnitt die Testierfreiheit in Deutschland vor der Einführung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches näher analysiert werden. Dabei sind auch die obigen Ausführungen zum römischen Recht zu berücksichtigen, da das römische Recht das deutsche Recht maßgeblich beeinflusst hat.56 Zutreffend führt Landau aus: „Zu den wichtigsten Konsequenzen, die die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland bewirkte, gehört zweifellos die Einführung des Prinzips der Testierfreiheit im deutschen Recht.“57
Der folgende Passus wird deshalb insbesondere die Unterschiede zwischen dem römischen und dem germanischen Erbrecht aufzeigen und darüber hinaus darlegen, welchen Einfluss die römische Testierfreiheit auf das germanische Erbrecht hatte. a) Die Familiengebundenheit des germanischen Erbrechts – Schrittweise Entwicklung der Testierfreiheit Anders als das römische Recht war in der deutschrechtlichen Tradition das germanische Recht von der Vorstellung geprägt, dass das Erbrecht ein Teil des Familienrechts ist.58 Das Prinzip der Familienerbfolge stand hierbei im Vordergrund. Damit war das germanische Erbrecht durch den Grundsatz eines ausschließlichen Familienerbrechts ohne eine Verfügungsfreiheit des Erblassers geprägt.59 Besonders deutlich wird dies bei der Betrachtung des 56 Vgl. Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 56 ff.; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 176 Rn. 375. In diese Richtung auch das BVerfG, welches betont, dass durch die Rezeption des römischen Rechts die Testierfreiheit im germanischen Recht an Bedeutung gewann, vgl. dazu BVerfGE 112, 332, 350. 57 Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 56; in diese Richtung gehen auch die Ausführungen Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 31; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 175 f. Rn. 374; Muscheler, Erbrecht, Band I, 191 Rn. 328. 58 Staudinger/Meyer-Pritzl BGB Erbrecht Rn. 6; Muscheler, Erbrecht, Band I, 215 Rn. 379; so auch BVerfGE 112, 332, 350: „In den germanischen Rechten kannte man überwiegend keine Verfügungsfreiheit des Erblassers; der Nachlass wurde nur innerhalb der Familie vererbt.“; s. dazu auch Staudinger/Boehemer 11. Auflage § 14 Rn. 11; vgl. dazu auch ausführlich Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 30. 59 Vgl. Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 30; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 6; Muscheler, Erbrecht, Band I, 191 Rn. 328.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Sachsenspiegels60, der die Möglichkeit der Testamentserrichtung zunächst nicht kennt und die deutschrechtliche Weitergabe des Vermögens von Todes wegen ganz im Sinne einer gesetzlichen Erbfolge regelte.61 Dem germanischen Recht lag dabei der Gedanke zugrunde, dass die Aufgabe des Erbrechts der Erhalt des Familienvermögens und die Versorgung der nahen Angehörigen ist.62 Tacitus betont, dass im germanischen Recht Erben und Rechtsnachfolger stets nur die leiblichen Söhne seien und es eine letztwillige Verfügung nicht gebe.63 Der Erbe wurde „geboren“ und nicht „gekoren“.64 In diesem starken Familienbezug des germanischen Rechts liegt ein erheblicher Unterscheid zu der Konzeption des römischen Rechts.65 Gleichwohl ist auch die gewillkürte Erbfolge in den Schöffensprüchen und Schöffenbüchern der mittelalterlichen sächsischen Praxis dokumentiert.66 Dies lässt den Schluss zu, dass das sächsische Recht bereits vor der Rezeption des römisch-kanonischen Rechts den Begriff der letztwilligen Verfügung kannte.67 Dies wird durch den im Jahre 1270 im Einflussbereich der Franziskaner redigierten Schwabenspiegel bestätigt, der in Art. 31 eine Testierbefugnis enthielt.68 Hier60 Der Sachsenspiegel gilt gemeinhin als die eindrucksvollste Quelle der deutschen Rechtsgeschichte um 1230, s. dazu Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 59; Staudinger/Meyer-Pritzl BGB, Erbrecht Rn. 6. 61 So Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 175 Rn. 374: „Im Sachsenspiegel finden sich Bestimmungen, welche die deutschrechtliche Vergabung von Todes wegen im Sinne der gesetzlichen Erbfolge regeln.“; Auch Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 59 betont, dass der Sachenspiegel das Rechtsinstitut des Testaments nicht kannte. In diese Richtung auch Seif, ZRG Germ. Abt. 122 (2005), 87, 88. 62 So explizit Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts Erbrecht Rn. 6; in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 215 Rn. 379; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 30. 63 Vgl. Tacitus, Germania, Kapitel XX: „[…] heredes tamen successoresque siu cuique liberi et nullum testamentum; si liberi non sunt proximus gradus in possessione fratres, patrui, avunculi […]“; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 30; Muscheler, Erbrecht, Band I, 191 Rn. 328. 64 Vgl. Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 30; Muscheler, Erbrecht, Band I, 215 Rn. 379. 65 Vgl. Lassalle, Das Wesen des Römischen und Germanischen Erbrechts in historischphilosophischer Entwicklung, 572 ff. 66 Vgl. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 175 f. Rn. 374 f. Die Hallischen Schöffenbücher dokumentieren für das 13. Jahrhundert Verfahren, in denen benachteiligte Erben bestimmte Weitergaben angegriffen haben. Es wird darin von einem Erblasser berichtet, der einem Sohn sein nahezu gesamtes Vermögen hinterlässt und dem anderen Sohn lediglich zwei Mark. Dieses Beispiel belegt die Existenz einer gewillkürten Erbfolge in der mittelalterlichen sächsischen Rechtspraxis, vgl. dazu Seif, ZRG Germ. Abt. 122 (2005), 87, 96. 67 Vgl. Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 71; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 175 f. Rn. 374 f.; Seif, ZRG Germ. Abt. 122 (2005), 87, 96 ff. 68 Vgl. dazu ausführlich Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 59; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 176 Rn. 375.
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit
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durch wurde solchen Erblassern, die keine Abkömmlinge, keine Ehefrau und auch keine Vorfahren besaßen, die Testamentserrichtung ermöglicht. Diese – noch erheblich begrenzte Testierfreiheit – hat sich in den deutschen Städten im Rahmen der Rezeption des römischen Rechts seit dem Ende des 13. Jahrhunderts verstärkt durchgesetzt.69 Gleichwohl gab es in bestimmten Gebieten der heutigen Bundesrepublik Deutschland, beispielsweise in Schleswig, Regelungen, die die Testierfreiheit vollständig ausschlossen.70 In diesen Gebieten erfolgte die Rezeption des römischen Rechts und die damit verbundene Einführung der Testierfreiheit erst im 19. Jahrhundert.71 Sie bildeten jedoch die Ausnahme. Während in den meisten deutschen Städten die Errichtung von Testamenten seit dem 13. Jahrhundert daher möglich gewesen war, galt dies für den ländlichen Raum nicht. Dort dauerte die Einführung der Testierfreiheit überwiegend deutlich länger.72 Der Grund für die unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der Entwicklung der Testierfreiheit in den Städten und in dem ländlichen Raum dürfte darin liegen, dass erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts die feudalen Beschränkungen im ländlichen Raum aufgehoben wurden und sich erst ab diesem Zeitpunkt eine bürgerliche Schicht bilden konnte, „deren Status durch ,Besitz‘ vermittelt war.“73 Dies war in den Städten aufgrund der vorhandenen Märkte und der verstärkten wirtschaftlichen Tätigkeit bereits frühzeitig geschehen und hatte zu der Einführung eines bürgerlichen Erbrechts geführt.74 Im Ergebnis lässt sich daher feststellen, dass die Anerkennung einer Testierfreiheit sich im deutschen Recht nur schrittweise und damit nicht in einer Epoche vollzogen hat.75 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Rezeption des römischen Rechts seit dem Ende des Mittelalters in den deutschen Gebieten zwar zu
69
Vgl. Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 59. Landau verweist darauf, dass etwa 1500 Testamente von Bürgern aus Köln aus dem 13. Jahrhundert überliefert worden sind. 70 So galt in dem Herzogtum Schleswig bis in das 19. Jahrhundert hinein ein Gesetzbuch des Königs Waldemar II. von Dänemark aus dem Jahre 1241. Dieses Gesetzbuch ermöglichte lediglich die Weitergabe zugunsten der Kirche. Im Übrigen konnten Erblasser das gesetzliche Erbrecht der Erben jedoch nicht durch die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen modifizieren, vgl. dazu Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 58 m. V. auf Wagner, Jiitlands Verfassung im Mittelalter und die Entwicklung des Jütschen Rechts, Z. d. Gesellsch. f. Schleswigs Holsteinische Geschichte 117 (1992). 71 Vgl. Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 58 der die Rezeption des römischen Rechts in den verschiedenen deutschen Gebieten untersucht. 72 Vgl. Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 59 f.; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 176 Rn. 376; Schröder, Der Funktionsverlust des bürgerlichen Erbrechts, 281, 289. 73 Vgl. Schröder, Der Funktionsverlust des bürgerlichen Erbrechts, 281, 289. 74 Vgl. Schröder, Der Funktionsverlust des bürgerlichen Erbrechts, 281, 289. 75 Vgl. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 176 Rn. 375; MüKoBGB/Leipold BGB Einleitung zum Erbrecht Rn. 17; Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 70.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
einer verstärkten Einführung des Rechts auf Testierfreiheit geführt hat76, diese jedoch die ausgeprägte Familiengebundenheit der deutschrechtlichen Tradition nicht verdrängen konnte. Es entstand ein Kompromiss zwischen der römischrechtlichen Testierfreiheit und der deutschrechtlichen familiengebundenen Erbfolge, der sich in der Einführung eines Pflichtteilsrechts manifestierte.77 Wenngleich mit der Rezeption des römischen Rechts auch Veränderungen sozialer Natur einhergingen, überwogen die Wirkungen der umfassenden Testierfreiheit des römischen Rechts und damit einhergehend die individualistischen Komponenten der Testierfreiheit. b) Gefährdung des Prinzips der Testierfreiheit im 19. Jahrhundert In dem gesamten 19. Jahrhundert gab es Bestrebungen, das Privaterbrecht abzuschaffen.78 Neben den Saint-Simonisten forderten auch die englischen Utilitaristen Bentham und Mill die Abschaffung des Privaterbrechts.79 Auch Sozialisten, wie Marx und Lasalle, äußerten sich im 19. Jahrhundert erbrechtskritisch.80 Bei diesen Forderungen geht es primär um die Abschaffung der Privatheit der Erbfolge insgesamt und weniger um die Abschaffung der Testierfreiheit.81 Gleichwohl ist auch die Testierfreiheit hiervon mittelbar betroffen, da die Privaterbfolge die notwendige Voraussetzung für die Testierfreiheit ist.82 76 Besonders deutlich ist dies an dem Solmser Landrecht von 1571 zu erkennen. Das Testamentsrecht ist in diesem Gesetzbuch nach den römischrechtlichen Prinzipien ausgearbeitet. Das Solmser Landrecht von 1571 zeichnet sich dabei insbesondere dadurch aus, dass der favor testamenti betont wird, der bestimmt, dass die Gerichte auch bei bestimmten Mängeln und Unklarheiten von der Wirksamkeit des Testaments ausgehen sollen. Vgl. dazu auch Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 70, der das Solmser Landrecht von 1571 wie folgt bewertet: „Mit dem Solmser Landrecht von 1571 hat die Begünstigung der testamentarischen Erbfolge in der deutschen Rechtsentwicklung einen Höhepunkt erreicht.“ 77 Vgl. Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 71; Seif, ZRG Germ. Abt. 122 (2005), 87, 103, 110 f.; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 176 Rn. 376. 78 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 174 ff., 258 ff., 298 ff., 366 ff.; Klippel, SZ Germ. Abt. 101 (1984) 117, 156 ff.; Strunck, Der Gedanke der Erbrechtsreform seit dem 18. Jahrhundert, 14 ff.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 210 Rn. 364 ff.; Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 1. 79 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. IV. 80 Für eine detaillierte Darstellung der Erbrechtskritik im 19. Jahrhundert s. Klippel, SZGerm 101 (1984), 117, 157 ff.; Schröder, Der Funktionsverlust des bürgerlichen Erbrechts, 281, 289. 81 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 210 Rn. 364. Die Ausführungen in Kap. B. IV., die sich mit den Grundlinien und Typen der Kritik an der Testierfreiheit befassen, differenzieren daher zwischen unmittelbarer und mittelbarer Kritik an der Testierfreiheit. 82 Das BVerfG führt in BVerfGE 67, 329, 340 f. aus, dass die Erbrechtsgarantie für die
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit
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Unmittelbar gegen die Testierfreiheit wendet sich Hegel, für den die Familienerbfolge im Vordergrund steht. Hegel fällt über die Testierfreiheit das Verdikt, dass es zu der „Härte und Unsittlichkeit“ des römischen Rechts gehörte, die Willkür des Erblassers zum Hauptprinzip der Erbfolge zumachen.83 Die Kritik Hegels an der Testierfreiheit wird im Rahmen der Ausführungen zu den „Grundlinien und Typen der Kritik an der Testierfreiheit“84 noch näher beleuchtet. An dieser Stelle soll lediglich verdeutlicht werden, dass die Testierfreiheit im 19. Jahrhundert – und damit unmittelbar vor der Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches – als kein gesichertes, sondern vielmehr als ein vielfach massiv kritisiertes Prinzip anzusehen war.85 Bemerkenswert ist, dass diese Diskussionen um die Existenzberechtigung des Privaterbrechts und der Testierfreiheit bei der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches keine Bedeutung erlangt haben. In den Beratungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch war die Abschaffung des Privaterbrechts und der Testierfreiheit kein Thema mehr. So betont Mertens zutreffend: „Die Existenzberechtigung eines privaten Erbrechts ist weder in den Beratungen der ersten noch der zweiten Kommission in Frage gestellt worden. Das Erbrecht als eine der Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung war allen so selbstverständlich, dass niemand an dessen Notwendigkeit zweifelte. Auch keiner der Kritiker des ersten Entwurfs äußerte grundsätzliche Bedenken an der Daseinsberechtigung des Privaterbrechts.“86
In Bezug auf die Existenzberechtigung der Testierfreiheit ergänzt Landau: „Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Deutschland bei der Vorbereitung des BGB zwar noch über die Beibehaltung des Pflichtteilsrechts diskutiert, aber nicht mehr über die Testierfreiheit.“87
Anerkennung der Privaterbfolge als grundlegend anzusehen ist. Damit ist die Anerkennung der Privaterbfolge auch grundlegend für die Testierfreiheit, da diese das prägende Element der Erbrechtsgarantie ist. 83 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 180; vgl. dazu die Darstellung bei Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 8. 84 Vgl. dazu Kap. B. IV. 1. c). 85 Dies betont Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 1; eine andere Sichtweise nimmt Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 26 ein, der betont, dass alle, die im Laufe des Jahrhunderts dem Erbrecht seine Existenzberechtigung abgesprochen haben, als Außenseiter anzusehen seien. 86 So Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 26; s. auch Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 56, der betont, dass das Erbrecht des deutschen BGB die Testierfreiheit als selbstverständlich voraussetzt. 87 Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 71; vgl. dazu auch ausführlich Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 26.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Einzig die germanische Tradition der Familienerbfolge sorgte als Gegenstück zu der individualistisch geprägten Testierfreiheit dafür, dass sich der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches entscheiden musste, ob er eine familiäre, eine individualistische oder eine kombinierte Grundlegung des Erbrechts vornimmt.
3. Zwischenergebnis Nachdem nunmehr die Entwicklungen der Testierfreiheit sowohl im römischen als auch im germanischen Rechtssystem näher betrachtet worden sind, lässt sich konstatieren, dass sich diese beiden erbrechtlichen Traditionen gänzlich unterscheiden. Zutreffend betont von Gierke: „Auf dem Familienrecht beruht nach germanischer Anschauung das Erbrecht, während die romanistische Auffassung alles Erbrecht auf den über den Tod hinauswirkenden erklärten oder vermuteten Willen des Individuums gründet.“88
Der folgende Abschnitt, der die Entstehungsgeschichte des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches näher betrachtet, wird sich daher mit der Frage befassen müssen, ob sich das Bürgerliche Gesetzbuch der germanischen oder der römischen Erbrechtstradition angeschlossen hat. Die Beantwortung dieser Frage ist für die Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit von hoher Relevanz, da die Testierfreiheit bei einer familiaristischen Grundlegung bereits durch immanente Grenzen vorgeprägt wäre.89 Demgegenüber bildet eine individualistische Prägung des Erbrechts die Grundlage für eine weitreichende Testierfreiheit.
4. Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches Nachdem sich der BGB-Gesetzgeber für die Beibehaltung eines Privaterbrechts entschieden hatte90, musste er sich der Frage widmen, ob die familiären Beziehungen und damit familiaristische Wertungen oder der individuelle Wille des Erblassers zum Ausgangspunkt des Erbrechts gemacht werden sollte.91 88 So v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 38; vgl. dazu auch Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 8. 89 Hiervon gehen Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195; Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 2; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65 und Gutachten 68. DJT, A8 (A22), (A86) aus. 90 Die Abschaffung des Privaterbrechts stand bei der Erstellung eines Entwurfs nicht zur Debatte, vgl. dazu die vorherigen Ausführungen in Kap. B. II. 2. b); vgl. dazu auch Landau, ZRG Germ. Abt. 114 (1997), 56, 71; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 26. 91 In diese Richtung auch Mertens, Die Entstehung der Vorschriftendes BGB über die
II. Rechtshistorische Betrachtung der Entwicklungen zur Testierfreiheit
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Der Redaktor des Erbrechts, von Schmitt, wies den Gedanken des Familienerbrechts und damit die germanische Tradition als Grundlage der Erbrechtskonzeption ausdrücklich zurück.92 In den Motiven zu seinem Teilentwurf wird die Position von Schmitts eindeutig erkennbar: „Alles Privatrecht beruht auf der Herrschaft des Individuums. Soll das Erbrecht einen privatrechtlichen Charakter bewahren, so muss es diesem Zuge folgen.“93
Von Schmitt verfolgt durchweg die Grundidee des Vorrangs der gewillkürten vor der gesetzlichen Erbfolge und der individualistischen Prägung des Erbrechts. Diese wird in seinem Teilentwurf an zahlreichen Stellen deutlich. Zum einen bestimmt der § 46 des Schmittschen Teilentwurfs, dass der eingesetzte Erbe, soweit die Einsetzung reicht, vor den Gesetzeserben zur erbrechtlichen Nachfolge berufen ist. Zum anderen wird eine solche Nachrangigkeit der gesetzlichen Erbfolge auch anhand der Regelung des § 222 Abs. 1 seines Teilentwurfs erkennbar, die formuliert, dass wenn und soweit eine Erbeinsetzung nicht besteht, die Erbfolge aus dem Gesetze eintritt. Diese Regelungen, die das grundlegende Verhältnis zwischen der gewillkürten Erbfolge als Ausdruck der Testierfreiheit und der gesetzlichen Erbfolge festlegen, hat die erste BGB-Kommission nahezu unverändert in den § 1751 des ersten BGB-Entwurfs übernommen und damit den Erblasserwillen zum Ausgangspunkt des Erbrechts gemacht.94 Die Zweite BGB-Kommission stellte zu dem ideellen Anknüpfungspunkt des Erbrechts selbst keine Überlegungen an, sondern versuchte den Aufbau des Schmittschen Teilentwurfs dahingehend zu verändern, dass diesem eine Entscheidung zugunsten des Erblasserwillens oder des Familienerbrechts als Ausgangspunkt des Erbrechts nicht zu entnehmen ist.95 Wenngleich zuvor in den Motiven ausdrücklich betont wurde, dass mit der Stoffanordnung keine Aussage über den ideellen Ansatzpunkt des Erbrechts getroffen sein sollte96, sah sich die Voranstellung der testamentarischen gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 30; Muscheler, Erbrecht, Band I, 231 Rn. 413 ff. 92 Vgl. dazu v. Schmitt, Motive TE, 52. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 34; Muscheler, Erbrecht, Band I, 231 Rn. 414. 93 v. Schmitt, Motive TE, 52 f.; vgl. dazu auch Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 34 f. 94 So bestimmt der § 1751 Abs. 1 des ersten BGB-Entwurfs: „Der Erbe kann von dem Erblasser durch Verfügung von Todeswegen bestimmt werden (Erbeinsetzung)“. Der § 1751 Abs. 2 des ersten BGB-Entwurfs bestimmt: „Wenn und soweit der Erblasser einen Erben nicht eingesetzt hat oder die Erbeinsetzung unwirksam ist oder unwirksam wird, tritt die gesetzliche Erbfolge ein.“ Vgl. dazu auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 231 Rn. 413 ff. 95 Vgl. dazu ausführlich Mertens, Die Entstehung der Vorschriften 96 Vgl. dazu Motive, V, 2 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 1: „Über das Verhältnis der Delationsgründe (Ver-
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Erbfolge zahlreicher Kritik ausgesetzt, weshalb der Zweiten BGB-Kommission bereits zu Beginn der Beratungen zum Erbrecht ein Antrag zur Änderung dieser Reihenfolge vorlag.97 Die Zweite BGB-Kommission hat daraufhin zwar die Anordnungen der Regelungen geändert und die gesetzliche vor der gewillkürten Erbfolge geregelt, in materieller Hinsicht hat die Zweite BGB-Kommission jedoch an dem durch von Schmitts Teilentwurf festgelegten Verhältnis zwischen gewillkürter und gesetzlicher Erbfolge nichts geändert.98 Die Änderung der Anordnungsreihenfolge der Regelungen zur gesetzlichen und gewillkürten Erbfolge diente lediglich dazu, zum Ausdruck zu bringen, dass die Anordnungsreihenfolge als solche über den Ansatzpunkt des Erbrechts keine Aussage trifft, wie dies bereits ausdrücklich in den Motiven zu dem ersten BGB-Entwurf deutlich wurde.99 Die Kritik von Gierkes verdeutlicht, dass sich der Schmittsche Teilentwurf und auch die darauf aufbauenden späteren Regelungen für das oben formulierte Verhältnis zwischen dem Erblasserwillen samt der daraus resultierenden gewillkürten Erbfolge und der gesetzlichen Erbfolge entschieden haben. So kritisiert von Gierke an dem Entwurf des Erbrechts: „Er spricht von den ,gesetzlichen Erben‘ immer erst in dem Augenblicke, in welchem ein Erblasser ab intestato gestorben ist und bedient sich, sobald eine Erbeinsetzung vorliegt, der umständlichsten Wendungen um die rechten Erben nicht als solche, sondern als Personen zu bezeichnen, welche ,gesetzliche Erben‘ sein würden, wenn eine Verfügung nicht getroffen wäre. […] Dass aber Grundgedanken, die mit solcher Präzision festgehalten sind, keinen Einfluss auf die materielle Ausgestaltung der einzelnen Rechtssätze geübt hätten, wird nicht für möglich gehalten.“100
Die Diagnose von Gierkes, die seiner Kritik zugrunde liegt und beinhaltet, dass der romanistische und individualistische Geist des Entwurfs auch die
fügung von Todeswegen und Gesetz) spricht sich der § 1751 nicht aus. Er bestimmt nicht einen grundsätzlichen Vorzug des einen oder anderen Delationsgrundes. Hierfür ist auch die äußere Reihenfolge, in welcher der Entw. die Vorschriften über Verfügung von Todes wegen und gesetzliche Erbfolge enthält, ohne Belang.“ 97 Vgl. zu dem entstehungsgeschichtlichen Kontext v.a. Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 40.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 233 ff. Rn. 413 ff. 98 Vgl. Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 40. 99 Vgl. Motive, V, 2 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 1; Goebel, Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 50; Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 23 ff.; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 37 ff.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 231 f. Rn. 414. 100 Siehe dazu v. Gierke, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches und das Deutsche Recht, 505 ff.; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 232 f. Rn. 416.
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Erbrechtsordnung durchdringt, ist zutreffend.101 Die durch das Gesetz berufenen Erben werden nach der Schmittschen Konzeption des Erbrechts, der das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches im Wesentlichen entspricht, erst dann zu Erben, wenn es an einer Verfügung von Todes wegen fehlt.102 Aus diesem Grund spricht sowohl der Entwurf als auch die endgültige Fassung von den gesetzlichen Erben und nicht von den „rechten Erben“. Zusammen mit Muscheler und Mertens lässt sich festhalten: „Auch der endgültige Aufbau des BGB kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Erbrecht des BGB inhaltlich weitgehend der Konzeption v. Schmitts entspricht. Und in dieser war nun einmal der Erblasserwille Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Erbfolge.“103
Hervorzuheben ist daher, dass die endgültige Fassung des Erbrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, die zwar einen Tausch der Regelungsreihenfolge enthält, gleichwohl Ausdruck der römischen Tradition ist und damit eine weitreichende Testierfreiheit sichert.104 Die endgültige Konzeption des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches, die bis heute in weiten Teilen unverändert gilt, entspricht weitestgehend dem Teilentwurf von Schmitts. Dieser zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die gewillkürte Erbfolge und damit der Erblasserwille der zentrale Anknüpfungspunkt bei der Erbfolge ist. Der gesetzlichen Erbfolge kommt daher im Verhältnis zur der gewillkürten Erbfolge lediglich eine untergeordnete Rolle zu. An dieser Stelle lässt sich auch von einer Auffangfunktion sprechen, die bereits in § 1751 Abs. 2 des ersten BGBEntwurfs zum Ausdruck gekommen ist. Erst wenn der Erblasser einen Erben nicht eingesetzt hat oder sich die Erbeinsetzung als unwirksam erweist, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Die dispositiven Regelungen zu der gesetzlichen Erbfolge treten damit stets hinter dem Erblasserwillen, der Ausdruck der später verfassungsrechtlich gesicherten Testierfreiheit des Erblassers ist, zurück.105
101 So v. Gierke, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches und das Deutsche Recht, 505 ff.; zu diesem Ergebnis gelangt auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 234 Rn. 417. Vgl. auch die Darstellung bei Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 38 ff. 102 Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Muscheler, Erbrecht Band I, 232 ff. Rn. 416 ff. Muscheler stellt die Kritik v. Gierkes umfassend dar und stellt sie in den Gesamtkontext der Diskussion über das Verhältnis zwischen Testierfreiheit und gesetzlichem Erbrecht. 103 Muscheler, Erbrecht, Band I, 234 Rn. 418; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 40. 104 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 234 Rn. 418. 105 So zutreffend Muscheler, Erbrecht, Band I, 234 Rn. 418: „Das gesetzliche Erbrecht hat keinen größeren Gerechtigkeitsgehalt und ist nicht weniger dispositiv, als es die Normen des Kaufrechts über die Mängelgewährleistung sind.“; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 40.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
5. Fazit und Ausblick Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches befindet sich in Bezug auf seine Ausgestaltung auf einer Linie mit der römischen Tradition. Die germanische Tradition und das damit einhergehende Prinzip der Familienerbfolge konnten sich nicht durchsetzen. Der Erblasserwille bildet damit den Ausgangspunkt aller Überlegungen zum Erbrecht.106 Insofern ist es nur verständlich, dass der Gesetzgeber sowohl durch die Anerkennung des eigenhändigen Testamentes als wirksame Errichtungsform107, welches der Erblasser gänzlich kostenfrei und auch sonst mit wenig Aufwand errichten kann, als auch durch die Ausgestaltung des Pflichtteilsanspruchs als reinen Geldanspruch ohne dingliche Teilhabe der nahen Angehörigen an dem Nachlass, eine umfassende Testierfreiheit ermöglicht hat. Die Option der Anordnung einer Vorund Nacherbschaft, einer Testamentsvollstreckung und eines Teilungsverbotes erweitern die vom Gesetzgeber umfassend gewährte Gestaltungsbefugnis und reihen sich in die Konzeption des Erbrechts, bei derer der Erblasserwille den zentralen Anknüpfungspunkt darstellt, ein.108 Sämtliche Behauptungen in Rechtsprechung und Literatur, die die Entziehung des gesetzlichen Erbteils als einen nicht wertfreien Vorgang charakterisieren109, der einer besonderen Rechtfertigung bedürfe, sind daher mit der Entstehungsgeschichte des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches unvereinbar und bereits deshalb abzulehnen. Darüber hinaus widersprechen sie der umfassenden verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit und der Struktur der Freiheitsrechte als solche.110 Etwas anderes könnte sich lediglich dann ergeben, wenn die gesetzliche Konzeption des Erbrechts mittlerweile eine andere ist. Dies ist jedoch zu verneinen. Vielmehr hat der Ge-
106 Zu diesem Befund gelangt auch Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 40. 107 Vgl. dazu ausführlich Kap. D. II. 2. 108 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. II., welches sich mit den Grenzen erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten befasst. Die diversen Anordnungsmöglichkeiten erlauben es dem Erblasser, über die Art und Weise des Umgangs mit seinem Vermögen weit über den eigenen Tod hinaus zu entscheiden. 109 So jedoch explizit Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195: „Die Entziehung des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten oder naher Verwandter, d. h. die Enterbung, ist kein wertfreier, gleichsam neutraler Vorgang, sondern ein Eingriff in eine Rechtsposition, die dem gesetzlichen Erben eigentlich zusteht, und daher eine Maßnahme, die als ungerecht (nicht als bloß unbillig) empfunden wird, wenn der Erblasser ohne vernünftigen sachlichen Grund die Enterbung ausgesprochen hat.“ In diese Richtung auch Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 2; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65 und Gutachten 68. DJT, A9 (A22) (A86). Röthel betont, dass nicht hinreichend selbstbestimmte Verfügungen die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben nicht legitimieren könnten. 110 Vgl. Kap. B. I.; in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 234 Rn. 420.
III. Die Funktionen der Testierfreiheit
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setzgeber auch nach der Kodifizierung des Bürgerlichen Gesetzbuches weitere Regelungen zur Stärkung der Testierfreiheit erlassen. So hat dieser mit dem Testamentsgesetz aus dem Jahre 1938 Formerleichterungen angeordnet, welche insbesondere die Möglichkeiten des eigenhändigen Testierens erweiterten.111 Mit der Änderung des Gesetzes zugunsten der Testierfähigkeit im Jahr 2002 wurde einem weiteren Personenkreis die Ausübung der Testierfreiheit ermöglicht.112 Im Ergebnis ist daher festzuhalten: 1. Die Testierfreiheit steht im Mittelpunkt der Konzeption des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches. 2. Der historische Gesetzgeber hat den individuellen Willen des Erblassers zum Ausgangspunkt aller Überlegungen zum Erbrecht gemacht und damit einhergehend eine umfassende Testierfreiheit gewährt. 3. Die Testierfreiheit unterliegt keinen – auf die germanische Tradition aufbauenden – immanenten familiären Beschränkungen.
III. Die Funktionen der Testierfreiheit Nachdem in den Abschnitten I. und II. deutlich geworden ist, dass die Testierfreiheit sowohl durch das Grundgesetz als auch durch die individualistische Prägung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches umfassend abgesichert ist, werden in diesem Abschnitt die Funktionen der Testierfreiheit näher untersucht. Eine solche Untersuchung lässt Rückschlüsse auf den Umfang und die Zulässigkeit von Begrenzungen der Testierfreiheit zu. Die überwiegende Literatur, die sich mit der Testierfreiheit befasst, nimmt eine solche Analyse nicht vor.113 In jüngerer Vergangenheit hat sich jedoch insbesondere Dutta umfassend mit den Funktionen des Erbrechts auseinandergesetzt.114 Wenngleich die Funktionen des Erbrechts mit denen der Testierfreiheit nicht deckungsgleich sind, geben die Untersuchungen Duttas einen Anlass zur Analyse der Funktionen der Testierfreiheit und bilden zugleich das Fundament für die folgenden Ausführungen. 111
Vgl. Kap. D. II. 2. Die Änderung geht dabei auf ein Urteil des BVerfG zu dem generellen Ausschluss schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testiermöglichkeit in den §§ 2232, 2233 BGB, 31 BeurkG zurück, s. BVerfGE 99, 341. 113 Exemplarisch sei hierzu auf Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen u. Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, verwiesen, die sich mit der Testierfreiheit befassen, eine Analyse der Funktionen der Testierfreiheit jedoch nicht vornehmen. 114 Vgl. Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung; Dutta, ZfPW 2020, 20. 112
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
1. Anreize zum ökonomischen Engagement durch Testierfreiheit Als eine der zentralen Funktionen der Testierfreiheit wird genannt, dass diese Anreize zum ökonomischen Engagement schaffen soll. Dabei ruft die Testierfreiheit nach verbreiteter Ansicht zum einen Anreize zur Produktivität und Sparsamkeit bei den Erblassern hervor (dazu a)), zum anderen sollen solche Anreize durch die Testierfreiheit auch bei den Erbprätendenten entstehen (dazu b)). a) Motivation des Erblassers durch die Testierfreiheit Der erbrechtliche Diskurs ist von der These geprägt, dass die Möglichkeit der Vermögensweitergabe von Todes wegen Erblasser zu einer verstärkten lebzeitigen Vermögensbildung verleitet115: „Nehmt den Menschen die beruhigende Aussicht des Erbrechts hinweg und ihr zerstört in den Menschen einen der stärksten Antriebe zur Tätigkeit, zu Fleiß, zu guter Wirtschaft, zu Sparsamkeit.“116
Dieser These der Erblassermotivation liegt dabei die Annahme zugrunde, dass Erblasser ohne die Möglichkeit der Weitergabe ihres Vermögens über den Tod hinaus kein Vermögen akkumulieren, sondern ihr Vermögen „verschleudern“.117 Ohne das Erbrecht würde das Eigentum bedeutungslos und zu einem reinen „lebenslangen Konsumgut“118 degradiert. Die fehlende Möglichkeit der Vermögensweitergabe minimiere folglich auch die Anreize für lebzeitige Produktivität und Sparsamkeit.119 Diesem Gedanken kam bereits 115 Vgl. Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 152; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 408; Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland/Leisner VIII § 174 Rn. 2; Trendelenburg, Naturrecht – Auf dem Grunde der Ethik, 307; Staudinger/Boehmer, 11. Auflage, Einl. Erbrecht § 5 Rn. 10; Beckert, Unverdientes Vermögen, 30; Beckert, 68. DJT., Band II/1, L 9 (L 13); Muscheler, Erbrecht, Band I, 3 Rn. 6, 214 Rn. 374. 116 Bluntschli, Gesammelte Kleine Schriften, Band I, 235. Bluntschli sieht einen Hauptwert des Vermögens in der Möglichkeit, es als Erbschaft auf die Erben zu übertragen, vgl. dazu Bluntschli, Gesammelte Kleine Schriften, Band I, 235 ff., 239; in diese Richtung auch Staudinger/Boehmer 11. Aufl., Einl. Erbrecht § 5 Rn. 10; Cathrein, Moralphilosophie, 340; Muscheler, Erbrecht, Band I, 3 Rn. 6, 214 Rn. 374; Beckert, Unverdientes Vermögen, 30; Beckert, 68. DJT., Band II/1, L 9 (L 13). 117 So auch Cathrein, Moralphilosophie, 340: „Ohne das Testierrecht wäre das Eigentumsrecht, wenigstens über bestimmte Grenzen hinaus, nahezu eine Aufforderung zur Trägheit, zum Genuss und zur Verschwendung.“ 118 Vgl. Isensee/Kirchhoff/Leisner Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, VIII, § 174 Rn. 2. Nach Leisner würde das Eigentum lediglich in Ergänzung zu der Sozialversicherung für die Altersvorsorge relevant. 119 Beckert, Unverdientes Vermögen, 30; Beckert, 68. DJT, Band II/1, L 9, L 13; Bluntschli, Gesammelte Kleine Schriften, Band I, 235; Staudinger/Boehmer, 11. Auflage, Einl. Erbrecht, § 5 Rn. 10.
III. Die Funktionen der Testierfreiheit
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bei der Entstehung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches eine entscheidende Rolle zu. So wird in den Motiven zu dem Entwurf eines Rechts der Erbfolge für das Deutsche Reich ausgeführt, dass eine Abschaffung des Erbrechts „[…] jeden Wetteifer, jede Mitbewerbung um die höchsten Güter […]“120 ausschließen würde. Damit ist in erster Linie jedoch lediglich eine Funktion des Erbrechts aufgedeckt, nicht auch eine Funktion der Testierfreiheit. Es stellt sich daher die Frage, in welcher Wechselwirkung diese Funktion des Erbrechts zu der Testierfreiheit steht. Die Testierfreiheit bildet das zentrale Element, das im Kontext eines Erbrechtsmodells für die Entstehung einer Erblassermotivation sorgt.121 Die mit der Testierfreiheit eröffnete Möglichkeit zur Steuerung des eigenen Lebenswerkes über den Tod hinaus verleiht der lebzeitigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Einzelnen – trotz des Wissens um die eigene Sterblichkeit – einen Sinn.122 Das Erbrecht setzt dabei einen umso größeren Anreiz zu Produktivität und Sparsamkeit, je stärker der Wille des Erblassers zur Geltung kommt.123 Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse in wirtschaftlicher Hinsicht nach den Vorstellungen des Erblassers abgesichert erscheint. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass die Motivation des Erblassers zur Produktivität und der damit einhergehenden Vermögensbildung maßgeblich davon abhängt, wie sehr seine Wünsche im Hinblick auf die Vermögensweitergabe zur Geltung kommen. Die Entscheidung über die Vermögensweitergabe von Todes wegen hat der Erbrechtsgesetzgebers nach dem Modell der Erblassermotivation aus volkswirtschaftlichen Gründen daher in die Hände des Erblassers zu legen.124 Dieser Zusammenhang zwischen „Erblassermotivationsfunktion“125 und Verwirklichung 120 Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 25.; v. Schmitt, Motive TE, 32. 121 In diese Richtung auch Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 153: „[Das] Schlüsselelement einer Erblassermotivation ist damit die Testierfreiheit.“; Reuter, Gedächtnisschrift Eckert, 667, 683; Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer, 580; Staudinger/Boehmer, 11. Aufl., Einl. Erbrecht § 5 Rn. 10; McCulloch, The principles of political economy, 201: „Every man should have such a resonable degree of power over the disposal of his property as may be necessary to excite his industry, and to inspire him with the desire of accumulating.“ 122 So explizit Oechseler, AcP 200 (2000), 603, 610. 123 In diese Richtung auch McCulloch, The principles of political economy, 200 über die Auswirkungen eines Familienerbrechts bzw. über die Auswirkungen der Einschränkungen der Testierfreiheit: „It weakens the desire to accumulate a fortune, over the disposal of which it allows so very little influence.“; vgl. dazu ausführlich Muscheler, Erbrecht, Band I, 224 Rn. 400. 124 Vgl. Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 153; Dutta, ZfPW 2020, 20, 34. 125 Diesen Begriff verwendet Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 156.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
des Erblasserwillens hat Auswirkungen auf die Bestimmung der Reichweite der Testierfreiheit durch den Gesetzgeber. Bei testierwilligen Erblassern sorgt jede Einschränkung der Testierfreiheit für eine Senkung der Erblassermotivation und führt damit auch zu einer Senkung der Produktivität und Sparsamkeit.126 Aus diesem Grund wirkt sich ein zwingendes Erbrecht negativ auf die Erblassermotivation aus. Sofern es das Ziel ist, möglichst große Anreize zur Vermögensbildung zu schaffen, hat der Gesetzgeber die Testierfreiheit wenig zu begrenzen. So kann die Einführung eines Pflichtteilsrechts dazu führen, dass der Erblasser sein Vermögen nicht oder zumindest nicht vollumfänglich und regelmäßig auch nicht in der gewünschten Zusammensetzung127 an die Personen weitergeben kann, für die dieser sich ökonomisch verstärkt engagieren würde.128 Dabei ist zu beachten, dass nicht jede Einschränkung der Testierfreiheit und die damit verbundene Schwächung der Erblassermotivation zwangsläufig auch zu ihrem Ausschluss führt. Ein gewisser Grad an Beschränkungen der Testierfreiheit kann sogar dazu führen, dass Erblasser sich verstärkt ökonomisch engagieren, um einen möglichst großen „freien Nachlass“ zu haben.129 Gleichwohl bleibt es im Ergebnis bei der Analyse, dass eine weitreichende Testierfreiheit das zentrale Element für das Entstehen und die Stärkung der Erblassermotivation darstellt. Nur wenn der Erblasser über die Möglichkeit verfügt, seine Vorstellungen bei der Vermögensweitergabe von 126
Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 224 Rn. 400. In diese Richtung auch Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 156. 127 An dieser Stelle wird auch die noch näher zu untersuchende Möglichkeit des generationenübergreifenden Erhalts von Vermögenswerten als Funktion der Testierfreiheit relevant. Auch aus weiteren volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten kann eine Zersplitterung des Nachlasses aufgrund hoher Pflichtteilsrechte und sonstigen Beschränkungen der Testierfreiheit nachteilig sein, vgl. dazu ausführlich Kap. B. III. 4. 128 So Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 156 f.; hierzu führt Oechseler, AcP 200 (2000), 603, 610 im Hinblick auf die Erbfolge eines Unternehmers aus: „Würde die Erbfolge gegen den Willen des Unternehmers erzwungen, entstünden für eine Volkswirtschaft schädliche Gefahren aus opportunistischem Verhalten (Verschleuderung, Beiseiteschaffen von Vermögen, Einstellen der unternehmerischen Tätigkeit usw.).“ Nach Oechseler besteht folglich die Gefahr, dass der Erblasser bei Nichtberücksichtigung seiner Wünsche im Hinblick auf die Vermögensweitergabe von Todes wegen destruktiv agiert. 129 Die Aufgabe der Testierfreiheit hin zu einer reinen Familienerbfolge dürfte vielfach, jedoch nicht stets, zu einem Ausschluss der Erblassermotivation führen, sofern die Familienerbfolge und dass daraus resultierende zwingende Erbrecht den Erblasserwünschen gerecht wird. Erst ein völliger Ausschluss der Privaterbfolge zugunsten eines Staatserbrechts würde die Erblassermotivation wohl vollständig ausschließen, vgl. dazu Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 158 f.
III. Die Funktionen der Testierfreiheit
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Todes wegen zu verwirklichen, wird er sich verstärkt ökonomisch betätigen. In den obigen Ausführungen wurde bereits gezeigt, dass die grundlegende Anreizfunktion des Erbrechts dem heutigen BGB-Erbrecht bei dessen Entstehung zugrunde lag. Dasselbe gilt auch im Hinblick auf die entsprechende Funktion der Testierfreiheit. So führt von Schmitt aus: „Dass die Testierfreiheit die Selbsttätigkeit und Erwerbslust des Erblassers wie seiner Abkömmlinge zu heben […] geeignet sei, braucht nicht bestritten zu werden.“130
Die Ausführungen von Schmitts bestätigen die vorausgegangene Analyse zu dem Zusammenhang zwischen Erblassermotivation und Testierfreiheit. Darüber hinaus liegt ihnen die Annahme zugrunde, dass die Testierfreiheit nicht nur das ökonomische Engagement des Erblassers, sondern auch dasjenige der Erbprätendenten zu fördern vermag. Der folgende Abschnitt (b)) wird sich daher mit der Frage befassen, ob und in welcher Hinsicht die Testierfreiheit auch zu der Motivation der Erbprätendenten in Hinblick auf Produktivität und Sparsamkeit geeignet ist. b) Motivation der Erbprätendenten durch die Testierfreiheit Die Testierfreiheit kann den Erbprätendenten in mehrfacher Hinsicht dazu animieren, ökonomisches Engagement zu entwickeln, insbesondere produktiv und sparsam zu leben. Aufgrund der Testierfreiheit und der damit eröffneten Möglichkeit einer gewillkürten Erbfolge können nahe Angehörige und sonstige Erbprätendenten nicht sicher von dem Erhalt der Erbschaft ausgehen. Anders als bei einer reinen Familienerbfolge verfügen nahe Angehörige außerhalb des Pflichtteilsrechts lediglich über eine vage Hoffnung auf den Erhalt der Erbschaft und nicht über einen gesicherten Anspruch.131 Gestützt wird diese Annahme durch die Motive zum Pflichtteilsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, die betonen, dass dem Pflichtteilsberechtigten in der Stellung als Erben etwas angeboten wird, das das ihm Gebührende übersteigt.132 Aus diesem Grund 130
v. Schmitt, Motive TE, 56. Vgl. dazu auch die Darstellung bei Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 83 ff., 106 f.: Schröder betont, dass v. Schmitt diese ökonomischen Aspekte der Testierfreiheit als vorgelagert verstehe und sieht in der Stärkung der elterlichen Autorität (s. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. III. 3.) die tragende Begründung der Testierfreiheit. Zu Recht kritisiert Oechseler, AcP 200 (2000) 603, 610, dass Schröders Betrachtungsweise mit Blick auf die herausragenden ökonomischen Anliegen der Motive nicht überzeugt. Die Anreizfunktion des Erbrechts und die damit einhergehenden ökonomischen Erwägungen lagen dem heutigen BGB-Erbrecht bei dessen Entstehung bereits zugrunde. 131 Vgl. dazu ausführlich das Kap. C. I. 1. a) aa) (3) und die Argumentation bei Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 132 Vgl. Motive V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Ge-
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
werden Erbprätendenten selber produktiv und sparsam sein, da sie den sicheren Erhalt der Erbschaft nicht in ihre Lebensplanung mit aufnehmen können.133 Darüber hinaus ruft die Testierfreiheit bei den Erbprätendenten Anreize hervor, ihre Fähigkeiten zur Fortführung des Lebenswerkes des Erblassers auszubilden, um von diesem zum Erben ernannt zu werden.134 Diese Funktion, beziehungsweise Wirkung der Testierfreiheit wird insbesondere dann relevant, wenn die Fortführung eines Betriebes im Raum steht. Sie lässt darüber hinaus Rückschlüsse auf den Gewährleistungsgehalt der Testierfreiheit zu. Sofern mit der Testierfreiheit jedenfalls auch eine Motivation der Erbprätendenten bezweckt ist, müssen zumindest zwei Faktoren gewährleistet sein. Zum einen dürfen auch nahe Angehörige grundsätzlich keinen Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft haben135, da andernfalls sowohl ihre eigene Motivation als auch die Motivation anderer Erbprätendenten, die ebenfalls auf den Erhalt der Erbschaft hoffen, entfallen würde. Zum anderen muss es dem Erblasser gestattet sein, mit dem Testament in Kontakt mit seiner Umwelt zu treten. Der sogenannte „Wink mit dem Testament“ ist es, der es dem Erblasser ermöglicht, Erbprätendenten zu motivieren.136
setzbuch für das Deutsche Reich, V, 210; vgl. dazu ausführlich die Ausführungen in Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). 133 Vgl. v. Schmitt, Motive TE, 56; Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 83 ff.; Oechseler, AcP 200 (2000), 603, 610; Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 531; s. auch Dutta, ZfPW 2020, 20, 34: „Die Testierfreiheit gibt aber auch den potentiellen Bedachten einen Anreiz, etwa ebenfalls zu Produktivität und Sparsamkeit, wenn sie wegen der Testierfreiheit zu Lebzeiten des Erblassers nicht sicher mit ererbtem Vermögen rechnen können, zum Altruismus in der Familie sowie zur Qualifikation als am besten für die Nachfolge geeignete Person, wenn der Erblasser unerwünschtes Verhalten oder fehlende Qualifikation mit dem Entzug erbrechtlicher Erwartungen ahnden kann.“ Siehe dazu auch McCulloch, The principles of political economy, 200, der an einem Familienerbrecht kritisiert: „[I]t gives them the certainty of getting a provision, whatever be their conduct; and it is difficult to see how it should do this without paralyzing their exertions and checking their enterprise.“ 134 In diese Richtung auch Hager, Familienfideikommisse, 542 f.; Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 530 f.; McCulloch, The principles of political economy, 200. 135 Vgl. Kap. B. Fn. 131 u. 132 136 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. VI. 6. b) bb). Die Testierfreiheit sichert als fortgesetzte Eigentumsfreiheit auch eine gewisse Nutzungsfreiheit. Dies hat auch Auswirkungen auf die Beurteilung des Testierverbotes aus § 14 HeimG, vgl. dazu Kap. D. III. 3.
III. Die Funktionen der Testierfreiheit
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2. Abbildung der tatsächlich gelebten Solidarität durch die Testierfreiheit Eine weitere Funktion der Testierfreiheit liegt in der Abbildung der tatsächlich gelebten Solidarität durch die Individualisierung der gesetzlichen Erbfolge. In einem gesetzlichen Erbrechtsmodell kann der Gesetzgeber die generationenübergreifende Vermögensweitergabe zum Baustein der Solidarität innerhalb von Nähebeziehungen machen.137 Ist dies der Fall, so lässt sich mit der Testierfreiheit erbrechtliche Solidarität besser verwirklichen als mit einem reinen Familienerbrecht. Hier wird das „father-knows-best-Prinzip“ relevant.138 Es ist davon auszugehen, dass der Erblasser selbst am besten einschätzen kann, zu welchen Personen er eine hinreichende Nähebeziehung unterhält, die eine Partizipation an dem Vermögen nach seinem Ableben rechtfertigt. Die Testierfreiheit wird daher vielfach als ein Mittel angesehen, das eine Anpassung der gesetzlichen Erbfolge an die tatsächlich gelebte Realität ermöglicht.139 Dabei hat die soziologische Familienforschung gezeigt, dass Erbschaften über eine ausgeprägte symbolische Bedeutung in dem Bereich der familiären Solidarität verfügen.140 In den letzten Jahren haben vor allem Röthel und Leipold diese Funktion der Testierfreiheit vermehrt herausgestellt. So fragt Leipold, ob die heutige Gestaltung der gesetzlichen Erbfolge und des Pflichtteilsrechts der Testierfreiheit genügend Raum lässt, um der individuellen familiären Realität gerecht zu werden.141 Die Testierfreiheit sei das einzige rechtliche Mittel, um die tatsächlich gelebte Solidarität abzubilden.142 In diese Richtung argumentiert auch Röthel, die betont, dass Personen in modernen Lebens- und Familienformen auf die Testierfreiheit zurückgreifen müssten, um ihre Nähebezie-
137 Vgl. Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 412; Dutta, ZfPW 2020, 20, 34. 138 Vgl. Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195; Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 96; Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 412 m. w. N. 139 Vgl. Leipold, JZ 2010, 802, 804; Röthel, JZ 2011, 222, 225. 140 So Beckert, 68. DJT., Band II/1, L 9 (L 13) mit Verweis auf Angel, Inheritance in Contemporary America. The Social Dimensions of Giving across Generations u. Kohli, Intergenerational Transfers and Inheritance: A Comparative View. 141 Vgl. Leipold, JZ 2010, 802, 804. Leipold fordert, die Pflichtteile der Abkömmlinge deutlich zu reduzieren, um die Testierfreiheit des Erblassers zu erweitern. Darüber hinaus diskutiert Leipold eine Erweiterung der Gründe zur Entziehung des Pflichtteils um die Testierfreiheit ausdehnen zu können. Ziel sei es, die individuelle Freiheit, familiäre Beziehungen abweichend von den normativen Vorgaben auszugestalten, auch im Erbrecht hinreichend zu integrieren. 142 Vgl. Leipold, JZ 2010, 802, 804.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
hungen abzubilden. Die typisierten Familienverhältnisse, die der gesetzlichen Erbfolge zugrunde liegen, zwängen solche Erblasser dazu, auf die gewillkürte Erbfolge zurückzugreifen. In Gesellschaften mit modernen und pluralistischen Familiengestaltungen erfahre die Testierfreiheit aus diesem Grund ein zunehmendes Maß an Bedeutung, mit dem „Funktionsgewinne“ einhergingen.143 Auch an dieser Funktion der Testierfreiheit lässt sich Kritik üben. Zum einen darf nicht übersehen werden, dass der Erblasser mit seiner letztwilligen Verfügung solidaritätsfremde Ziele verfolgen könnte. So muss der Erblasser die Möglichkeit der gewillkürten Vermögensweitergabe nicht zwangsläufig dazu nutzen, Nähebeziehungen abzubilden.144 Vielmehr kann er auch außerhalb der Familie stehende Dritte, zu denen der eine weniger enge Beziehung unterhält, begünstigen. Zum anderen besteht bei der gewillkürten Solidarität genau wie bei der Auswahl des geeignetsten Erben eine gewisse Fehleranfälligkeit. Die Ausübung der einseitigen Testierfreiheit und die damit verbundene gewillkürte Solidarität gewähren nicht notwendigerweise einen angemessenen Interessenausgleich. Hinzu kommt, dass den Erblasser die Folgen der Ausübung der Testierfreiheit und der gewillkürten Solidarität nicht mehr treffen. Dies könnte einerseits dazu führen, eigene Interessen zurückzustellen und die Interessen der nahestehenden Personen zu berücksichtigen. Andererseits könnte dies auch dazu führen, dass der Erblasser im Hinblick auf die Interessen der Beteiligten rücksichtslos agiert. Insofern, als dass die Testierfreiheit einen individuellen Freiheitsraum des Erblassers sichern soll und die Konzeption des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches den Erblasserwillen umfassend schützt, ist diese Kritik jedoch zurückzuweisen.145 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Testierfreiheit auch dazu dient, eine Individualisierung der gesetzlichen Erbfolge zu ermöglichen.
3. Stärkung der familiären Autorität des Erblassers und des Familienzusammenhalts durch die Testierfreiheit Eine weitere Funktion der Testierfreiheit liegt in der Stärkung der Autorität des Erblassers in der Familie.146 Diese Funktion der Testierfreiheit ist bereits 143
So explizit Röthel, JZ 2011, 222, 225; in diese Richtung auch Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 413. 144 Vgl. Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 419. 145 Es wurde bereits gezeigt, dass auch nahe Angehörige außerhalb des Pflichtteilsrechts keinen Anspruch auf Partizipation an dem Nachlass des Erblassers haben. Dieser Aspekt wird in dem nächsten Kap. noch ausführlich dargelegt, vgl. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). Vgl. zu der individualistischen Prägung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Ausführungen in Kap. B. II. 4. 146 Auch Bentham stellt diese Funktion der Testierfreiheit heraus, indem er betont, dass
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bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches dem Redaktor des Erbrechts mehrfach vorgetragen worden.147 So betont von Schmitt: „Dass die Testierfreiheit […] die elterliche Autorität besonders zu stärken geeignet sei, braucht nicht bestritten zu werden.“148 Von Schmitt folgt damit der Argumentation Bruns, welcher auf dem vorausgegangenen Juristentag ausgeführt hatte149: „Die volle Testierfreiheit begründet eine äußerst wirksame Kräftigung der väterlichen Autorität in der Familie. Wenn kein Kind ein Recht auf einen Erbteil hat, jedes weiß, dass es bei Trägheit oder sonstiger übler Aufführung ohne weiteres vom Vater ganz ausgeschlossen werden kann, so gibt das nicht nur eine kräftige Warnung vor allem dergleichen, sondern eine heilsame Mahnung, das schuldige Pietät- und Schuldverhältnis gegen den Vater einzuhalten [.]“150
Bruns und von Schmitt scheinen die Testierfreiheit an dieser Stelle als ein Instrument zur Disziplinierung und Sanktionierung anzusehen, das die Autorität des Vaters stärken soll.151 Wenngleich im 21. Jahrhundert nicht mehr von einer väterlichen Autorität in der Familie gesprochen werden sollte, darf der Argumentation von Schmitts und Bruns gleichwohl eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden. Eine weitreichende Testierfreiheit, die auch dazu berechtigt, die Nachkommen zu enterben, ermöglicht es dem Erblasser, sich gegenüber seinen Abkömmlingen Gehör zu verschaffen. Die Testierfreiheit versetzt den Erblasser dabei in die Lage, „[…] in der Familie Verdienste und Bedürfnisse zu berücksichtigen und Unwürdigkeiten zu bestrafen.“152 Damit dürfte in der Tat eine Stärkung der Autorität des Erblassers in seiner Funktion als Elternteil einhergehen. In gewisser Hinsicht ähnelt diese
„[t]his same power [gemeint ist die Testierfreiheit, Anm. d. Verf.] may also be considered as an instrument of authority, confided to individuals, for the encouragement of virtue and the repression of vice in the bosom of families“; vgl. dazu auch Dutta, ZfPW 2020, 20, 32. 147 Vgl. Klippel, SZ Germ. Abt. 101 (1984), 117, 165. 148 So explizit v. Schmitt, Motive TE 56. 149 Zur Übernahme der Argumentation Bruns durch v. Schmitt s. ausführlich Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 85 ff. 150 Bruns, Kleinere Schriften, I, 98. Vgl. dazu ausführlich Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 85 f. Schröder verdeutlicht, dass das Argument Bruns letztlich auf die Autoren Le Play und Helferich zurückzuführen ist. Helferich, ZgS 10 (1854), 123, 148 argumentiert: „Damit hängt mittelbar die zweite Wirkung zusammen, die in der Kräftigung der väterlichen Autorität in der Familie besteht. Kein Kind hat einen Anspruch auf irgendeinen Teil des väterlichen Erbes. Der Vater kann sein Vermögen ganz oder zum größten Teil geben, wem er will, und dieser vollkommenen Herrschaft des väterlichen Willens in Bezug auf seine Vermögensverhältnisse steht begreiflicherweise eine ebenso entschiedene Autorität des Familienoberhauptes in den übrigen Lebensbeziehungen zur Seite […].“ 151 Vgl. auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 214 Rn. 376. 152 So explizit Klippel, SZ Germ. Abt. 101 (1984), 117, 165.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Funktion der Testierfreiheit der Steigerung der Erbprätendentenmotivation durch die Testierfreiheit. Beiden Funktionen liegt die Annahme zugrunde, dass sich Erbprätendenten aufgrund ihres Wunsches größtmöglich am Nachlass zu partizipieren den Vorstellungen und Interessen des Erblassers unterordnen. Zwingend ist dies nicht, da es vielfach Erbprätendenten gebe dürfte, die ihre – gegebenenfalls abweichenden – Vorstellungen einer Nachlassbeteiligung nicht unterordnen.153 Dies spricht jedoch nicht dagegen, dass die Testierfreiheit generell eine Erbprätendentenmotivation erzeugen und die Autorität des Erblassers stärken kann. Ferner betont von Schmitt, dass mit einer solchen Stärkung der Autorität des Erblassers in der Familie auch eine Stärkung des Familienzusammenhalts einhergehe. Nicht die Gleichberechtigung aller Familienmitglieder und die entsprechende Beschränkung der Testierfreiheit sei für den Familienzusammenhalt förderlich, sondern die in der Testierfreiheit enthaltene Stärkung der Autorität des Erblassers.154 Ausgehend von dieser Ansicht wird vielfach auf das englische Recht verwiesen, welches eine nahezu unbeschränkte Testierfreiheit kenne. Eine solche weitreichende Testierfreiheit veranlasse jeden Erblasser dazu, durch Testament die ökonomische Lage seiner Familie individuell zu regeln und steigere das Verantwortungsbewusstsein des Erblassers in Bezug auf das Wohlergehen der nahen Angehörigen, was wiederum den Familienzusammenhalt stärke.155
4. Generationenübergreifender Erhalt von Vermögenswerten durch die Testierfreiheit Der Gesetzgeber kann es zu der Aufgabe des Erbrechts machen, die Erhaltung wirtschaftlicher Einheiten zu sichern und damit für eine „intergenerationelle Kontinuität“156, beispielsweise im Hinblick auf die Fortführung von Unternehmen, zu sorgen. Diese Kontinuitätsfunktion des Erbrechts wird 153 Zutreffend weist Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 208 in einem anderen Zusammenhang in Bezug auf den Fall Hohenzollern (vgl. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (3)) darauf hin, dass in der Realität nicht jeder Bedachte den finanziellen Vorteilen Vorrang vor der „Heirat aus Liebe“ einräumt. So hat der Beschwerdeführer im Fall Hohenzollern, der als ältester Agnat nach dem Erbvertrag im Falle einer „ebenbürtigen Heirat“ Erbe des Hausbesitzes geworden wäre, mehrfach „nicht-ebenbürtig“ geheiratet. Hieran wird deutlich, dass sich Erbprätendenten nicht stets den Wünschen des Erblassers unterordnen. 154 Schmidt, Motive TE, 55; in diese Richtung auch Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 36; Muscheler, Erbrecht, Band I, 214 Rn. 376. 155 Vgl. Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das pflichtteilsrecht, 36; Helferich, ZgS 10 (1854), 123, 148; Bruns, Kleinere Schriften, I, 97. 156 So Dutta/Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, Erbrecht, Rn. 3.1.
III. Die Funktionen der Testierfreiheit
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durch die Testierfreiheit begünstigt. Insofern lässt sich als weitere Funktion der Testierfreiheit die generationenübergreifende Erhaltung von Vermögenswerten, zu denen insbesondere schützenswerte wirtschaftliche Einheiten gehören, ausmachen. Dieser Funktion der Testierfreiheit liegt die Annahme zugrunde, dass die von der Testierfreiheit geschützte gewillkürte Erbfolge in der Lage ist, wirtschaftliche Einheiten besser zu erhalten als die gesetzliche Erbfolge.157 Begründen lässt sich dies zum einen damit, dass die Testierfreiheit die Auswahl des geeignetsten Erben ermöglicht (dazu a)) und zum anderen auch eine Zersplitterung wirtschaftlicher Einheiten verhindern kann (dazu b)). a) Auswahl des geeignetsten Erben durch den Erblasser Die gewillkürte Erbfolge könnte im Hinblick auf den generationenübergreifenden Erhalt von Vermögenswerten besser geeignet sein als die gesetzliche Erbfolge, weil sie die Auswahl des geeignetsten Erben durch den Erblasser ermöglicht. Dieser These liegt die Annahme zugrunde, dass der Erblasser über einen Informationsvorsprung verfügt, der sich durch die gewillkürte Erbfolge entfalten kann. In der Tat dürften dem Erblasser die Anforderungen an eine Fortführung der wirtschaftlichen Einheit, die er bis zu seinem Tod selbst geführt hat, am besten bekannt sein.158 Des Weiteren ist es der Erblasser, der die Fähigkeiten der potentiellen Erben am besten kennt. Diese Argumentation gründet erneut auf dem father-knows-best-Prinzip159, nach dem der Erblasser selbst am besten in der Lage ist, den Optimalerben zu bestimmen. Die Testierfreiheit eröffnet die Möglichkeit, den geeignetsten Nachfolger auszuwählen und dient damit dem generationenübergreifenden Erhalt wirtschaftlicher Einheiten.160
157 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 214 Rn. 374; Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 530 f.; Dutta, ZfPW 2020, 12, 32 f. 158 In diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 214 Rn. 374: „Auch kennt der Erblasser die Erfordernisse seines Vermögens und Wesensart sowie Leistungsfähigkeit der infrage kommenden Nachfolger am besten; daher könnte seine Wahl auch volkswirtschaftlich […] zu besseren Ergebnissen führen als eine gesetzliche Erbfolge.“; Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 530 f. 159 Vgl. dazu bereits Kap. B. Fn. 138; Vgl. Dutta, ZfPW 2020, 12, 32 f.; Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 530 f. 160 Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 96;
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Zutreffend weist Dutta darauf hin, dass der Erblasser in Bezug auf die Bestimmung des Erben auch solche Ziele verfolgen könne, die dem generationenübergreifenden Erhalt von Vermögenswerten entgegenstehen könnten.161 Zudem bestehe die Möglichkeit, dass die subjektive Wahrnehmung des Erblassers von den objektiven Gegebenheiten divergiere.162 Diese Zweifel an der Richtigkeitsgewähr der Erblasserentscheidungen und an dem zugrundeliegenden father-knows-best-Prinzip sind zwar begründet, gleichwohl ist davon auszugehen, dass die gesetzliche Erbfolge aufgrund ihrer fehlenden Individualität weniger geeignet ist, den qualifiziertesten Erben für den Erhalt des Vermögenswertes herauszufiltern. Sie knüpft von vorneherein lediglich an die familiäre Nähebeziehung und nicht an andere Kompetenzen an, die für den Erhalt von Vermögenswerten – insbesondere für die Fortführung eines Unternehmens – von Bedeutung sind. Die Testierfreiheit ermöglicht folglich unter anderem die Auswahl des geeignetsten Erben nach den individuell maßgeblichen Kriterien und stellt damit ein entscheidendes Instrument für den Erhalt von Vermögenswerten dar. b) Geschlossene Vererbung wirtschaftlicher Einheiten durch die Testierfreiheit Eine weitreichende Testierfreiheit ermöglicht darüber hinaus die geschlossene Vererbung wirtschaftlicher Einheiten und zusammenhängender Vermögenswerte.163 Diese Funktion der Testierfreiheit ist insbesondere aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten von entscheidender Bedeutung, da so die unerwünschte Zersplitterung von Wirtschaftseinheiten verhindert werden kann. Sie wurde bei der Entstehung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches besonders hervorgehoben. So führt von Schmitt aus: „Vom legislatorischen Gesichtspunkte kann man dagegen sagen, dass der völlige Ausschluss der Verfügung von Todes wegen [und damit auch der Testierfreiheit, Anm. durch den Verf.] allgemeinen Interessen widerspricht; seine starre Regel macht die ewig wiederholte Teilung, die dauernde Zersplitterung der Vermögen und Vermögensobjekte zur Notwendigkeit […].“164 161 Vgl. Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 531. 162 So Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 531: „Selbst aber wenn der Erblasser Kontinuitätsziele verfolgt, muss seine subjektive Wahrnehmung von den potentiellen Anerben und ihren Fähigkeiten nicht der Wirklichkeit entsprechen […].“ 163 Vgl. Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 96. 164 v. Schmitt, Motive TE, 52; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 34.
III. Die Funktionen der Testierfreiheit
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Der Auszug zeigt, dass von Schmitt erkannt hat, dass die ausschließliche Familienerbfolge dazu führt, dass wirtschaftliche Einheiten geteilt und damit im Ergebnis regelmäßig vernichtet werden. Ziel war es daher, das BGBErbrecht so auszugestalten, dass die Gefahr der Zerschlagung wirtschaftlicher Einheiten nicht bestand. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein solcher Erhalt wirtschaftlicher Einheiten grundsätzlich auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen kann. So kann der Gesetzgeber entweder eine weitreichende Testierfreiheit ohne pflichtteilsrechtliche Beschränkungen gewähren oder die Bevorzugung eines Erben gesetzlich statuieren.165 Letzteres ist beispielsweise im landwirtschaftlichen Anerbenrecht der Fall.166 Das Anerbenrecht bezieht sich dabei ausschließlich auf die Hofnachfolge bei landwirtschaftlichen Gütern. Es gibt jedoch über landwirtschaftliche Betriebe hinaus zahlreiche Wirtschaftseinheiten, wie beispielsweise Unternehmen, bei denen eine geteilte Vererbung regelmäßig zu einer vollständigen Zerschlagung der wirtschaftlichen Werte führt. Hierfür galt es bei der Entstehung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Lösung zu finden. Dabei hat man sich ausdrücklich gegen eine „Bevorzugung des männlichen Geschlechts und der Erstgeburt“167 ausgesprochen, da dies Mittel seien, auf die ein modernes Erbrecht nicht zurückgreifen dürfe.168 Eine weitreichende Testierfreiheit hat hier die Funktion, eine geschlossene Vererbung zu ermöglichen. Diese Funktion und der damit einhergehende Nutzen der Testierfreiheit wurden bereits bei der Entstehung des BGB-Erbrechts herausgearbeitet. So führt Bruns unter Bezugnahme auf Le Play aus, dass in der gleichmäßigen Verteilung der Erbschaft unter Abkömmlingen und der damit einhergehenden Beschränkung der Testierfreiheit der wirtschaftliche Ruin liege und die Lösung dieses Missstands in der Gewährung einer umfangreichen Testierfreiheit zu finden sei.169 Darüber hinaus kritisierte die Agrarwirtschaft bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, dass Einschränkungen der Testierfreiheit die Verhinderung der Zersplitterung von Wirtschaftsgütern durch Verfügungen von Todes wegen unmöglich machen würde.170 Insbesondere Klöppel argumentierte, dass Einschränkungen der 165
Vgl. Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 95. 166 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. C. IV, welche sich mit den Einschränkungen der Testierfreiheit durch das Landwirtschaftserbrecht befassen. 167 So explizit v. Schmitt, Motive TE, 52; s. dazu auch die Darstellung bei Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 34. 168 Siehe dazu Kap. B. Fn. 167. 169 Bruns, Kleinere Schriften, I, 161; in diese Richtung auch Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 96. 170 Vgl. Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 87; Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Testierfreiheit durch das Pflichtteilsrecht für zahlreiche mittelständische Betriebe schädlich seien, da diese zu einer Zersplitterung der Betriebe nach dem Tod des Inhabers führen würden.171 Wenngleich die Zweite Kommission die Frage nach der Beibehaltung oder der Abschaffung des Pflichtteilsrechts nicht mehr diskutierte, sondern sofort mit der Beratung von Einzelfragen des Pflichtteilsrechts begann, blieb die in der geäußerten Kritik offengelegte Funktion der Testierfreiheit unbestritten.172 Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass die Testierfreiheit dem generationenübergreifenden Erhalt wirtschaftlicher Einheiten dient. Dabei ermöglicht sie nicht nur die Auswahl des am besten geeigneten Erben, sondern auch die geschlossene Vererbung und schützt damit volkwirtschaftliche Belange. Die nunmehr gewonnenen Erkenntnisse über diese Funktion der Testierfreiheit geben bereits an dieser Stelle Anlass, das derzeit geltende Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches kritisch zu hinterfragen.173 Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit, der es dem Erblasser verbietet, einem Dritter die Bestimmung des geeigneten Erben zu überlassen. In praktischer Hinsicht gibt es diverse Situationen, in denen ein solches Drittbestimmungsverbot nach § 2065 BGB den Erblasser an der Durchsetzung seines Willens hindert.174 Vor allem die Fälle des frühzeitigen Unternehmertestaments175 zeigen, dass Erblasser in bestimmten KonstellaErblassers und Gleichheit der Nachkommen, 96. Aus diesem Grund enthält das heutige Landwirtschaftserbrecht ein Erbprivileg für den sog. Anerben oder Hoferben, welches diesen gegenüber den weichenden Erben, im Regelfall die Geschwister des An- bzw. Hoferben, begünstigt, vgl. dazu Kap. C. IV. 171 Vgl. Klöppel, Der Entwurf eines Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, 357. 172 Vgl. Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 87. 173 Die einzelnen Begrenzungen der Testierfreiheit durch das Bürgerliche Gesetzbuch und die weiteren einfach-rechtlichen Vorschriften werden aus diesem Grund in den nachfolgenden Kap. C und Kap. D. untersucht. 174 Vgl. dazu ausführlich Kap. D. II. 3. b); vgl. auch BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 f. Rn. 558 f.; a. A. Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 6: „Das praktische Bedürfnis, einem Dritten die Entscheidung über die Person des Empfängers einer Zuwendung zu überlassen, weil der Erblasser sie zur Zeit der Testamentserrichtung noch nicht treffen kann (,frühzeitiges Unternehmertestament‘), kann durch ein Vermächtnis gemäß § 2151 BGB befriedigt werden.“ 175 In der Konstellation eines frühzeitigen Unternehmertestaments will der Unternehmer regelmäßig denjenigen Abkömmling zu seinem Nachfolger bestimmen, der hierfür am besten geeignet erscheint. Problematisch ist hierbei, dass im Zeitpunkt der Testamentserrichtung häufig nicht absehbar ist, wie sich die Personen entwickeln und welcher Erbprätendent folglich am besten geeignet ist. Aus diesem Grund möchte der Erblasser diese Bestimmung einem Dritter überlassen, was der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit jedoch verhindert.
III. Die Funktionen der Testierfreiheit
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tionen über ein legitimes Interesse verfügen, eine Entscheidung, die erst einige Zeit nach dem Erbfall getroffen werden kann, auf einen Dritten zu übertragen.176 Der § 2065 BGB nimmt der Testierfreiheit in diesen Konstellationen eine entscheidende Funktion. Vor diesem Hintergrund wird die vorliegende Arbeit den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit in Kapitel D. II. 3. b) weitreichend analysieren und überprüfen, ob eine solche Begrenzung der Testierfreiheit den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.177 An dieser Stelle kann jedenfalls festgehalten werden, dass eine weitreichende Testierfreiheit der Auswahl des geeignetsten Erben durch den Erblasser und der geschlossenen Vererbung wirtschaftlicher Einheiten dient.
5. Selbstbestimmung des Erblassers durch die Testierfreiheit Das Bundesverfassungsgericht stellt eine weitere Funktion der Testierfreiheit heraus. Wie gezeigt, betont es in ständiger Rechtsprechung: „Ein bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie ist die Testierfreiheit. Sie dient ebenso wie das Eigentumsgrundrecht und der in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Privatautonomie der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben.“178
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts soll die Testierfreiheit mithin die Selbstbestimmung des Erblassers im Rechtsleben ermöglichen. Hieraus lassen sich erneut Rückschlüsse auf den Gewährleistungsgehalt der Testierfreiheit ziehen. Die Selbstbestimmung des Erblassers kann durch die Errichtung einer letztwilligen Verfügung nur dann hinreichend ermöglicht werden, wenn der Erblasser über die Person des Erben und damit über den maßgeblichen Inhalt einer letztwilligen Verfügung frei bestimmen kann. Insofern ist es zutreffend, wenn das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Testierfreiheit dem Einzelnen die Befugnis verleiht, lebzeitig einen von der gesetzlichen Erbfolge abweichenden Übergang des Vermögens von Todes wegen anzuordnen.179 Nur wenn der Erblasser in der Lage ist, seine gesetzlichen Erben auf den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch zurückzusetzen und diese von einer sonstigen Partizipation am Nachlass auszuschließen, kann der Erblasser sich wirklich selbst verwirklichen.180 176 Vgl. dazu insbesondere BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2; Leipold, Erbrecht, Rn. 281; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 1. 177 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. D. II. 3. b), die sich mit der Verfassungsmäßigkeit des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit befassen. 178 BVerfGE 112, 332, 348; vgl. auch BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341, 350; s. dazu bereits die Ausführungen in Kap. B. I. 179 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I. Vgl. auch BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 99, 341, 350 f.; BVerfGE 112, 332, 349. 180 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I.; vgl. auch Merten/Papier/Kirchhof Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, § 112 Rn. 47; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51; BeckOGK/Preuß BGB § 1922 Rn. 21.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Die „Selbstbestimmungsfunktion“ der Testierfreiheit führt darüber hinaus dazu, dass Gesetz und Rechtsprechung Anforderungen an den Akt des Testierens stellen, die sicherstellen sollen, dass der Erblasser hinreichend selbstbestimmt handelt.181 Mit diesem Verhältnis zwischen Autonomie und Testierfreiheit und den Anforderungen an den Akt des Testierens samt der entsprechenden Schutzmechanismen beschäftigt sich die Arbeit in Kapitel D. ausführlich. An dieser Stelle soll lediglich verdeutlicht werden, dass die Testierfreiheit der Selbstbestimmung des Erblassers dient.182 Nachdem nunmehr die grundlegenden Funktionen der Testierfreiheit feststehen, gilt es im folgenden Abschnitt die Grundlinien und Typen der Kritik an der Testierfreiheit zu untersuchen. Die Ausführungen zu den Funktionen der Testierfreiheit haben bereits gezeigt, dass die Testierfreiheit keineswegs durchweg als positiv betrachtet wird, sondern zum Teil auch erheblicher Kritik ausgesetzt ist.
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit Seit jeher gibt es verschiedene Strömungen der Kritik an dem (Privat-)Erbrecht. Diese Kritik richtet sich zu einem Teil unmittelbar (dazu 1.) und zu einem anderen Teil mittelbar gegen die Testierfreiheit (dazu 2.).
1. Unmittelbare Kritik an der Testierfreiheit Im Rahmen der unmittelbaren Kritik an der Testierfreiheit lassen sich drei verschiedene Aspekte als wesentliche Kritikpunkte ausmachen. So wird an der Testierfreiheit zum einen kritisiert, dieser fehle es an einer Legitimation, da mit dem Tod des Erblassers „ohnehin alles ende“ (dazu a)). Zum anderen wird betont, dass die Testierfreiheit zu einer unerwünschten Akkumulation von Vermögen sowie politischen und sozialen Kapitals führe (dazu b)). Wie zuvor gezeigt, wird an der Testierfreiheit auch eine potentielle Familienfeindlichkeit kritisiert und dabei das gesetzliche Familienerbrecht als ideale Erbschaftsform ausgemacht (dazu c)). 181 So explizit BVerfGE 99, 341, 351: „Es werden nur selbstbestimmte und selbstverantwortete letztwillige Erklärungen von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit geschützt.“ In diese Richtung auch Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412: „Als Ausdruck der Selbstbestimmung setzt Testierfreiheit die Selbstbestimmungsfähigkeit des Erblassers voraus.“ Vgl. dazu auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a. 182 Die vorliegende Arbeit befindet sich diesbezüglich auf einer Linie mit der ständigen Rechtsprechung des BVerfG, so BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341, 350; BVerfGE 112, 332, 348.
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit
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a) Mors omnia solvit – Fehlende Willenssubjektivität in dem Zeitpunkt der Willensrealisierung Ein Hauptkritikpunkt der Testierfreiheit liegt in dem Argument, dass mit dem Tod des Erblassers nicht nur dessen Eigentum, sondern auch seine Persönlichkeit beziehungsweise sein Wille untergehe.183 Die fehlende Kongruenz von Willenssubjektivität und Willensrealisierung wirft rechtstheoretische Probleme auf und gibt Anlass zur Kritik.184 So wird dem Erblasser vielfach ein legitimes Interesse an der Regelung seiner Vermögensweitergabe von Todes wegen abgesprochen.185 Von Humboldt kommt zu dem Ergebnis: „Mit dem Aufhören der Person fällt daher auch dies Recht (Eigentum) weg. Der Mensch darf daher zwar bei seinem Leben mit seinen Sachen nach Gefallen schalten, sie ganz oder zum Teil […] veräußern, auch seine Handlungen, seine Disposition über sein Vermögen, wie er es gut findet, im voraus beschränken. Keineswegs aber steht ihm die Befugnis zu, auf eine für andere verbindliche Weise zu bestimmen, wie es mit seinem Vermögen nach dem Tode gehalten werden […] solle.“186
Folglich lehnt von Humboldt die Testierfreiheit mit der Begründung ab, dass ein Interesse des Erblassers an der Weitergabe seines Vermögens nicht bestehe und plädiert deshalb für eine festgelegte Intestaterbfolge.187 Auch Mirabeau spricht sich gegen die Testierfreiheit aus und betont, dass Beziehungen, die an die Existenz anknüpfen, den Tod nicht überdauern könnten.188 183 Vgl. dazu die Darstellungen bei Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 45; Muscheler, Erbrecht, Band I, 201 Rn. 344. 184 Dies betont auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 201 Rn. 344 der fragt, was die Gesellschaft veranlasst, den Willen des Erblassers zu verwirklichen, obwohl dieser im Zeitpunkt der Willensrealisierung nicht mehr existiere und damit die Willenssubjektivität fehle. 185 Vgl. dazu die Ausführungen bei Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 44 ff. Auch Kant hat das Problem der Einseitigkeit und der daraus resultierenden fehlenden Willenssubjektivität im Zeitpunkt der Willensrealisierung erkannt und den Beerbungsvorgang als eine Erwerbung durch übereinstimmenden Willen des Erblassers und des Erben aufgefasst, s. dazu Kant, Metaphysik der Sitten, 111: „Die Beerbung ist die Übertragung (translatio) der Habe und des Guts eines Sterbenden auf den Überlebenden durch Zusammenstimmung des Willens beider.“ 186 v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, 165 f.; vgl. dazu auch Darstellung bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 207 f. Rn. 359. 187 So v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, 137; vgl. dazu Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 46; v. Humboldt vertritt jedoch in der Gesamtschau das Ergebnis, dass eine Testierfreiheit möglich ist, solange diese durch ein gesetzliches Pflichtteilsrecht beschränkt wird. 188 Mirabeau führt in seiner Rede vom 02.04.1791 aus: „Der Abgrund, den die Natur unter dem Weg des Menschen auftut, verschlingt seine Rechte ebenso wie ihn selbst, der-
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Vielfach wird betont, dass mit dem Tod des Eigentümers auch dessen Eigentumsrecht untergehe.189 Postmortale Interessen könne es folglich nicht geben.190 In eine ähnliche Richtung geht die Kritik Taylors, die darlegt, dass die ante-mortem Person durch Ereignisse post mortem nicht beeinträchtigt werden kann und dass eine Person mit ihrem Tod kein potentielles Schadenssubjekt191 mehr sein könne.192 Taylor schließt sich damit der epikureisch-hedonistischen Annahme an, wonach Menschen nach ihrem Tod weder einen Schaden noch Unrecht erleiden können, und stellt die These auf, dass es posthume Interessen nicht geben könne.193 Auch Thomasius und Heineccius betonen, dass kein naturrechtlicher Grund dafür bestehe, weshalb die Überlebenden den Willen des Verstorbenen beachten sollten.194 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Pufendorf, der der Ansicht ist, dass sich über den Tod hinausgehende Eigentümerbefugnisse nicht aus dem Wesen des Eigentums ableiten ließen.195 gestalt, dass tot zu sein oder nie gelebt zu haben in dieser Hinsicht gleichbedeutend ist. Wenn der Tod uns zunichte gemacht hat, wie könnten dann die an unsere Existenz gebundenen Verhältnisse noch fortbestehen?“, abgedruckt in deutscher Übersetzung bei Lettke, Erben und Vererben, Band 11, 11 ff.; vgl. dazu auch die Darstellung bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 208 Rn. 361. Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 45 bezeichnet Mirabeau als einen „entschiedene[n] Gegner einer ausgedehnten Testierfreiheit“. 189 Vgl. dazu die Darstellungen bei Trendelenburg, Naturrecht, – Auf dem Grunde der Ethik, 306 f.; Zeiller, Das natürliche Privatrecht, 152; Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 45. 190 So Taylor, Death, Posthumous Harm, and Bioethics, 2, 11; Pitcher, American Philosophical Quarterly 21 (1984) 183, 184; Vgl. dazu auch die Darstellung bei Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 18. 191 Taylor greift insoweit Pitcher, American Philosophical Quarterly, 21 (1984) 183, 184, auf, der betont: „[…] no one would want to argue seriously that a post-mortem person can be harmed after his death.“ 192 Auch der Tod selbst bildet nach Taylor keinen Schaden für die verstorbene Person, vgl. dazu Taylor, Death, Posthumous Harm, and Bioethics, 2, 11. Dabei greift Taylor auf die Philosophie Epikurs zurück, nach der „das schauderhafteste Übel, der Tod, uns nicht [betrifft]: denn der Tod ist nicht da, solange wir leben, doch wenn der Tod da ist, dann sind wir nicht mehr. Also betrifft er weder die Lebenden noch die Toten: denn für einen ist er nicht da, die anderen existieren nicht mehr“, s. Heßler, Epikur, Brief an Menoikeus, 133; vgl. dazu die Ausführungen bei Heitzer, Die subjektive Testierfreiheit, 29. 193 So bewertet auch Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 18, die Ausführungen Taylors. 194 Vgl. Thomasius, Fundamenta juris naturae et gentium, 10 f.; Heineccius, Elementa iuris naturae et gentium, 11, 287 f.; vgl. dazu ausführlich Klippel, SZ Germ. Abt. 101 (1984), 117, 121. 195 Vgl. Pufendorf, De iure naturae et gentium libri octo, 4, 10; Giger, Bindungskraft des Rechts – Das Schicksal des Rechts beim Subjektswechsel, Band I, 61 ff.; Thomasius, Fundamenta juris naturae et gentium, 2, 10 f.; vgl. dazu ausführlich Klippel, SZ Germ. Abt. 101 (1984), 117, 121.
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit
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Die genannten Kritikpunkte richten sich unmittelbar gegen die Testierfreiheit, da bei fehlenden postmortalen Interessen bereits ihre Legitimation infrage gestellt wird. Die Annahme des Fehlens eines solchen Interesses veranlasst Steiner dazu, sich radikal gegen die Testierfreiheit und das Erbrecht zu wenden. Er vertritt dabei die These, dass der Erbvorgang rechtlich unmöglich ist.196 Das Recht zu vererben verdanke seine Existenz lediglich einer „legal fiction“197. Diese rechtliche Fiktion bestehe in der Annahme, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Willensrealisierung noch lebe.198 Da dies jedoch nicht der Fall sei, könne der Erbvorgang aus rechtstheoretischer Sicht nicht erklärt werden.199 Der Argumentation Steiners liegt dabei die Annahme zugrunde, dass es im Recht der letztwilligen Verfügungen lebzeitig zu keiner Übertragung von Vermögenswerten komme, da der Erblasser an sein Testament regelmäßig nicht gebunden sei.200 Anders als bei einer Schenkung habe der Testierende jederzeit die Möglichkeit, seinen letzten Willen – manifestiert in der letztwilligen Verfügung – zu ändern. Daraus schlussfolgert Steiner, dass lediglich der verstorbene Erblasser als verfügende Person in Betracht kommen könne.201 Da aber eine verstorbene Person nicht mehr ver196
Steiner, Arguing for Basic Income, Ethical Foundations for a Radical Reform, 81 ff.; Steiner, An Essay on Rights, 249 ff.; dem hat sich Schmidt am Busch, ZfPP 2018, 15, 26 angeschlossen. 197 Steiner, Arguing for Basic Income, Ethical Foundations for a Radical Reform, 85; s. zu der These Steiners von der „legal fiction“ auch die Ausführungen bei Schmidt am Busch, ZfPP 2018, 15, 26: „Das Recht zu vererben beruht auf der ,rechtlichen Fiktion‘ […], dass Erblasser zum Zeitpunkt der Vollstreckung ihres Willens noch nicht gestorben sind. So wurde im römischen Recht angenommen, dass der Erblasser und der (noch lebende) Erbe ein und dieselbe Person seien, während in modernen und zeitgenössischen Rechtssystemen davon ausgegangen wird, dass es sich bei dem Erblasser und dem (noch lebenden) Vollstrecker seines Testaments um ein und dieselbe Person handle. Ohne die rechtliche Fiktion, dass der Erblasser noch am Leben ist, wenn sein Wille vollstreckt wird, kann es die rechtliche Praxis des Vererbens nicht geben.“ Vgl. dazu auch die Darstellung bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 20. 198 Steiner, Arguing for Basic Income, Ethical Foundations for a Radical Reform, 85; Steiner, An Essay on Rights, 249 ff.; Schmidt am Busch, ZfPP 2018, 15, 26; vgl. dazu auch die Darstellung bei Heitzer, Die subjektive Testierfreiheit, 24. 199 In diese Richtung argumentieren Schmidt am Busch, ZfPP 2018, 15, 26; Steiner, Arguing for Basic Income, Ethical Foundations for a Radical Reform, 81 ff.; Steiner, An Essay on Rights, 249 ff.; dagegen Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 17 ff.; Heitzer, Die subjektive Testierfreiheit, 22 ff.; Muscheler, Band I, 227 Rn. 407. 200 Vgl. Röthel, AcP 220 (2020), 19, 20; Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 45. 201 Nach dem Tod ist der Erblasser nach Steiner jedoch kein tauglicher Rechtsträger mehr, s. dazu Steiner, An Essay on rights, 255: „[He] is not merely contingently, but rather necessarily, incapable of waiving or demanding anything.“; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Heitzer, Die subjektive Testierfreiheit, 23.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
fügen könne, bleibe es dabei, dass aufgrund der fehlenden Willenssubjektivität im Zeitpunkt der Willensrealisierung ein Vererbungsvorgang rechtlich nicht möglich sei. Daraus folge sodann auch, dass es ein subjektives Recht zu vererben, welches nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Erbrechtsgarantie und die Testierfreiheit als dessen bestimmendes Element gewähren, nicht geben könne.202 Die soeben dargelegten Kritikpunkte an der Testierfreiheit sind jedoch zurückzuweisen. Diese Arbeit wird in einem eigenständigen Abschnitt zum einen zeigen, dass es aus rechtstheoretischen Gesichtspunkten tatsächlich möglich ist, den Erbvorgang zu erklären und zum anderen verdeutlichen, dass es realisierbar ist, die Testierfreiheit als ein subjektives Recht des Erblassers über dessen Tod hinaus zu schützen.203 b) Unerwünschte Vermögensakkumulation durch die Testierfreiheit Während die Befürworter einer weitreichenden Testierfreiheit deren ökonomischen Vorteile und die damit einhergehenden positiven volkswirtschaftlichen Auswirkungen betonen204, rücken die Gegner der Testierfreiheit die negativen ökonomischen Folgen der Testierfreiheit in den Vordergrund. Sie unterstreichen insbesondere, dass die Testierfreiheit zu einer unerwünschten Vermögensakkumulation führe. Eine solche Vermögensakkumulation bei einem kleinen Teil der Bevölkerung führe dazu, dass andere große Teile der Gesellschaft verarmten und damit das Gefälle zwischen armer und reicher Bevölkerung weiter steige. Eine zwingende gesetzliche Erbteilung sei daher zu begrüßen.205 Menger lobt das System der zwangsweisen Erbteilung als System für die besitzlosen Volksklassen.206 Diese Kritik an der Testierfreiheit reicht soweit, 202
Diesen Zusammenhang zeigt auch Heitzer, Die subjektive Testierfreiheit, 24, auf. Vgl. zu dem verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalt der Testierfreiheit die Ausführungen in Kap. B. I. 203 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. V. 2., die sich mit dem Schutz der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht des Erblassers über dessen Tod hinaus befassen. Vgl. auch Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 17 ff.; Muscheler, Band I, 227 Rn. 407. Die Ausführungen werden in Kap. D. I. 1. erneut aufgegriffen, um zu zeigen, dass die Testierfreiheit der Selbstbestimmung des Erblassers dienen kann, vgl. dazu Kap. B. III. 5. 204 Vgl. zu den positiven ökonomischen Auswirkungen, die durch die Testierfreiheit erzeugt werden, die Ausführungen in Kap. B. III. 1. u. 4. Diese haben gezeigt, dass die Testierfreiheit sowohl eine Erblasser- als auch eine Erbprätendentenmotivation zur Produktivität und Sparsamkeit entstehen lässt. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass die Testierfreiheit die geschlossene Vererbung wirtschaftlicher Einheiten und die Auswahl des geeignetsten Erben ermöglicht. Hierdurch entstehen ebenfalls positive ökonomische Effekte. 205 Vgl. Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 216. 206 So Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, 216; vgl. dazu
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit
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dass auch die Teilung von Grund und Boden gefordert wird. So forderte Katharina II. die Erbteilung auch in der Landwirtschaft, um möglichst viele Personen zu Grundbesitzern zu machen.207 Die Analyse der Begrenzungen der Testierfreiheit durch das heutige Landwirtschaftserbrecht wird zeigen, dass der nationale Gesetzgeber diesem Vorschlag nicht gefolgt ist. Vielmehr zeichnet sich das Landwirtschaftserbrecht dadurch aus, dass es ein Erbprivileg zugunsten des sogenannten An- oder Hoferben statuiert, welches diesen gegenüber den weichenden Erben, – im Regelfall sind dies Geschwister des An- beziehungsweise Hoferben – begünstigt.208 Die Ausführungen zu den Funktionen der Testierfreiheit haben bereits verdeutlicht, dass der Redaktor des Erbrechts – von Schmitt – der Auffassung war, dass der Ausschluss der Testierfreiheit zu einer „ewige[n] wiederholte[n] Teilung“ und einer „dauernde[n] Zersplitterung“209 des Vermögens führe.210 Beiden Positionen kann in ihren Grundannahmen zugestimmt werden. So verhindert extreme Vermögenskonzentration den Wettbewerb und darüber hinaus wirtschaftliche Innovation.211 Die Diskussion um die Abschaffung der Familienfideikommisse, mit der sich die Arbeit in Kapitel C. II. 1. d) bb) (1) befasst, hat diese negativen Auswirkungen offengelegt. Daneben sorgt eine zwingende Erbteilung für die Zersplitterung zusammenhängender Nachlasswerte und damit einhergehend für ökonomische Nachteile. Beckert betont zutreffend: „Die Regeln des Erbrechts berühren, wie alle eigentumsrechtlichen Kodifizierungen, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Zu große Vermögenskonzentration kann wirtschaftlich ebenso dysfunktional sein, wie die Auflösung von Vermögensbesitz nach jeder Generation […].“212
Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches vermittelt zwischen diesen beiden Grundpositionen, indem es die grundsätzlich weitreichende Testierfreiauch die Darstellung bei Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 58. 207 Vgl. dazu ausführlich die Darstellung bei Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 58, der darauf verweist, dass Mirabeau eine solche Sichtweise ebenfalls vertritt. 208 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. IV., welches sich mit den Begrenzungen der Testierfreiheit durch das Landwirtschaftserbrecht befasst. Vgl. auch Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO Einl. Rn. 1; Lange/Wulf/Lüdtke-Handjery HöfeO Einl. Rn. 3. 209 v. Schmitt, Motive TE, 52; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 34. 210 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. IV. 211 So explizit Beckert, Unverdientes Vermögen, 29. 212 Beckert, Unverdientes Vermögen, 29. Dass die Regelungen des Erbrechts und damit einhergehend auch die Regelungen in Bezug auf die Testierfreiheit regelmäßig über eine ökonomische Dimension verfügen, ist bereits bei der Betrachtung der Funktionen der Testierfreiheit in dem Kap. B. III. deutlich geworden.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
heit in bestimmter Hinsicht begrenzt und so die übermäßige Vermögenskonzentration verhindert, ohne dabei zugleich eine zwangsweise Erbteilung vorzunehmen.213 In der liberalen Tradition wird vermehrt auch die durch Vererbung vermittelte Akkumulation politischen und sozialen Kapitals kritisiert. So betont Halliday: „This chapter defends the claim that intergenerational wealth transfers help group inequality to replicate itself from one generation to the next. More specifically, it defends the claim that inheritance flows have a cumulative impact on the ability of wealthy groups to retain valuable nonfinancial capital over time in ways that enable economic segregation to endure.“214
Dieser Aspekt korrespondiert mit der Erbrechtskritik, die das Erbrecht als Mechanismus zur Perpetuierung von Statusprivilegien ansieht.215 Hierbei handelt es sich um die historische Hauptlinie der Erbrechtskritik, die als mittelbare Kritik an der Testierfreiheit in dem Kap. B. IV. 2. a) näher untersucht wird. c) Die Möglichkeit der Missachtung familiärer Bindungen und Interessen durch die Testierfreiheit Insbesondere die mit der Testierfreiheit einhergehende Möglichkeit, außerhalb der Familie stehende Dritte zu begünstigen und damit die nächsten Familienangehörigen von der gesetzlichen Erbfolge zurückzudrängen, sorgt dafür, dass die Testierfreiheit vielfach als familienfeindlich kritisiert wird.216 213
So schränken die erbrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches bspw. die erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten und damit einhergehend auch die Testierfreiheit ein, um das Entstehen familienfideikommissähnlicher Verhältnisse zu verhindern, vgl. dazu die Ausführungen in Kap. C. II. und die noch folgenden Ausführungen dieses Abschnitts in 2. b), die sich mit der Kritik an der Möglichkeit der Beschränkung der Verwaltungsteilhabe befassen. 214 So Halliday, The Inheritance of Wealth, 122. Vgl. dazu auch die Darstellung bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 20. 215 Vgl. dazu die Werke von Beckert, Unverdientes Vermögen; Beckert, Erben in einer Leistungsgesellschaft; Faik, Verteilung und Umverteilung von Wohlstand; Nachtwey, Die Abstiegsgesellschaft; Wehler, Die neue Umverteilung – Soziale Ungleichheit in Deutschland; vgl. dazu auch die Darstellung bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 21. 216 So insbesondere Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 180; de CornulierLucinie`re, Du Droit de tester, 13, 63; vgl. dazu auch die Darstellung bei Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 52: „Die Möglichkeit, Dritte testamentarisch den nächsten Familienangehörigen vorzuziehen, hat den Vorwurf der Familienfeindlichkeit ausgelöst. […] Aber auch die relative Testierfreiheit, die Freiheit, die Verteilung des Nachlasses innerhalb der Familie zu regeln, blieb nicht frei vom Vorwurf der Familienfeindlichkeit.“ Vgl. dazu auch die Darstellung bei Schröder, Abschaffung oder Reform des Pflichtteilsrechts, 437 ff.
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit
49
So betont Cornulier-Lucinie`re, dass die Testierfreiheit nicht mehr als ein Recht sei, die Familie zu enterben.217 Anders als in Frankreich wird in Deutschland an der Testierfreiheit nicht die „Bedrohung der natürlichen Gleichheit“218, sondern vielmehr die Möglichkeit des Ausschlusses der Familie von der Teilhabe an dem Nachlass des Erblassers kritisiert.219 Insbesondere Hegel spricht sich gegen die Testierfreiheit aus: „Die bloße direkte Willkür des Verstorbenen kann nicht zum Prinzip für das Recht zu testieren, gemacht werden, insbesondere nicht, insofern sie dem substantiellem Rechte der Familie gegenübersteht, deren Liebe, Verehrung gegen ihr ehemaliges Mitglied es doch vornehmlich nur sein könnte, welches dessen Willkür nach seinem Tod beachtete.“220
Nach Hegel soll nur dann testiert werden können, wenn kein Familienverhältnis besteht, also weder Ehegatte noch Kinder vorhanden sind.221 Erst dann könnten Personen außerhalb der Familie begünstigt werden.222 Hieran wird deutlich, welche Funktion er der Testierfreiheit beimisst. So dient die Testierfreiheit nach Hegels Verständnis lediglich der Nachbildung fehlender familiärer Beziehungen und nicht der freien Verfügungsmöglichkeit über das Eigentum.223 Ihrer bedarf es nach seinem Verständnis nur dann, wenn sich die 217
Diese Kritik baut de Cornulier-Lucinie`re weiter aus, indem er betont, dass die Testamentserrichtung mit Inzest und Ehescheidung gleichzusetzen ist, vgl. dazu de CornulierLucinie`re, Du Droit de tester, 13, 63; s. dazu auch die Ausführungen bei Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 51 f. 218 Zu diesem Begriff s. Beckert, Unverdientes Vermögen, 66. 219 Vgl. Beckert, Unverdientes Vermögen 66; Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 51; Muscheler, Erbrecht, Band I, 210 ff. Rn. 364 ff. 220 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 180; zu Hegel vgl. die Ausführungen bei Beckert, Unverdientes Vermögen, 71; Muscheler, Erbrecht, Band I, 210 f. Rn. 365 ff.; Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 437 ff. 221 So Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 180: „Ein solches Gelten kann ihr vornehmlich nur eingeräumt werden, insofern das das Familienverhältnis, in welchem sie absorbiert ist, entfernter und unwirksamer wird.“ Vgl. dazu die Darstellung bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 210 f. Rn. 365 ff. 222 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 179 f.; die Ausführungen zu der Entwicklung der Testierfreiheit in Kap. B. II. haben gezeigt, dass die Testierfreiheit auf dem deutschen Gebiet nur schrittweise eingeführt worden ist. So enthielt der im kirchlichen Milieu redigierte Schwabenspiegel um 1270 in Art. 31 eine Testierbefugnis, die nur dann ausgeübt werden konnte, sofern der Erblasser keine Vorfahren hinterlässt. Eine solche begrenzte Testierfreiheit, die nur dann besteht, wenn der Erblasser keine familiären Beziehungen mehr hat, befürwortet auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 180. 223 Zutreffend formuliert Muscheler, Erbrecht, Band I, 212 Rn. 368: „Im Begriff einer ,Familie der Freundschaft‘ zeigt sich ein Gedanke, der auch bei […] Friedrich Julius Stahl anklingt: die Funktionsbestimmung des Testaments als ,Nachbildung des natürlichen Familienbandes‘.“; Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 47 betont, dass das Testament nach einer solchen Auffassung lediglich als Mittel erscheint, um den Kreis der Familie zu erweitern.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Intestaterbfolge aufgrund fehlender familiärer Beziehungen als unbrauchbar erweist. „Die innere Bestimmung des elterlichen Vermögens, den Kindern hinterlassen zu werden, ist demnach der einzige Grund nicht bloß der übrigen Intestaterbfolge, sondern auch der testamentarischen. Ohne Intestaterbfolge gäbe es keine Testamente, diese sind nur teils nähere Determinationen, teils Surrogate derselben.“224
In dem Modell Hegels bleibt damit für eine wirkliche Testierfreiheit wenig Raum. Im Vordergrund steht seiner Auffassung nach stets die gesetzliche Erbfolge. Die Grundlage des Erbrechts liegt damit nicht mehr in dem individuellen Willen des Erblassers, sondern in familiären Bindungen in Gefolge der germanischen Tradition.225 Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass der hinter dieser Kritik stehende Befund durchaus zutreffend ist. Eine weitreichende Testierfreiheit gibt dem Erblasser die Möglichkeit, seine nahen Angehörigen bis auf den gesetzlichen Pflichtteil zurückzusetzen. Hierbei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des BGB-Gesetzgebers, der dem Erbrecht eine individualistische Grundlegung gegeben und familiäre Bindungen weitestgehend abgelehnt hat.
2. Mittelbare Kritik an der Testierfreiheit Neben der soeben dargelegten unmittelbaren Kritik wird auch mittelbare Kritik an der Testierfreiheit geäußert. Die Testierfreiheit wird insbesondere dann mittelbar kritisiert, wenn Einwände gegen das (Privat-)erbrecht als solches vorgebracht werden. Dabei verlaufen die Grenzen zwischen der Kritik des Erbrechts, des Privaterbrechts und der Testierfreiheit fließend. Die Hauptlinie der Erbrechtskritik befasst sich mit der Perpetuierung von Statusprivilegien, die in einem Widerspruch zu bürgerlichen Werten steht (dazu a)). Daneben werden in ihrem Rahmen auch Effizienzerwägungen geäußert. Aus ökonomischer Perspektive wird die Privaterbfolge und damit zumindest auch die Testierfreiheit als dysfunktional angesehen (dazu b)). a) Das Erbrecht als Mechanismus zur Perpetuierung von Statusprivilegien Die historische Hauptlinie der Erbrechtskritik ist von der These geprägt, dass das Erbrecht einen Mechanismus zur Perpetuierung von Statusprivilegien darstelle, bei welchem es sich um einen normativen Fremdkörper in der auf Chancengleichheit und Leistungsorientierung ausgerichteten Gesellschaft handele.226 224 So Stahl, Die Philosophie des Rechts, Band II/1, 502 f.; vgl. dazu auch die Darstellung bei Klippel, SZ Germ. Abt. 101 (1984), 117, 164. 225 Vgl. dazu Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 180; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Beckert, Unverdientes Vermögen, 66. 226 Vgl. dazu die Ausführungen bei Beckert, Unverdientes Vermögen; Beckert, Erben in
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit
51
Hierzu führt Beckert aus: „Nach Abschaffung von Rechtsprivilegien qua Geburt und der Vererbbarkeit von Ämtern ist die Vermögensvererbung die zentrale, nicht auf Leistung, sondern auf Geburt beruhende Institution rein sozialer Privilegierung in modernen Gesellschaften.“227
Er kritisiert, dass das Erbrecht dazu führe, dass Statusprivilegien über Generationen hinweg erhalten blieben und sich die kleine Schicht der wohlhabenden Vermögensbesitzer durch die Möglichkeit der Vermögensweitergabe reproduziere.228 Gleichzeitig trage die Vererbungsmöglichkeit dazu bei, dass die soziale Position der unteren Mittelschicht und der Unterschicht zementiert werde, weil sich die „ungleichen Startbedingungen“229 negativ auf diese Gruppen auswirkten. Hierin sieht Beckert eine Verletzung des Prinzips der Chancengleichheit.230 Dabei befindet er sich auf einer Linie mit der überwiegenden soziologischen Forschung, die das Erbrecht als einen Mechanismus zur Perpetuierung von Vermögensungleichheit ansieht.231 Muscheler hält dieser Kritik entgegen, dass die Annahme, Erbschaften würden generell die soziale Ungleichheit steigern, nicht bestätigt sei.232 Dieser These stehen jedoch die Untersuchungen Pikettys entgegen.233 Neben dem Vorwurf der Verletzung der Chancengleichheit wird an der Perpetuierung von Statusprivilegien durch den Vererbungsvorgang auch kritisiert, dass diese mit einer leistungsorientierten Gesellschaftsordnung unvereinbar sei.234 Die Institution der Erbschaft und damit auch die Testierfrei-
der Leistungsgesellschaft, 41 u. die Werke von Faik, Verteilung und Umverteilung von Wohlstand; Nachtwey, Die Abstiegsgesellschaft; Wehler, Die neue Umverteilung – Soziale Ungleichheit in Deutschland, auf die Röthel, AcP 220 (2020), 19, 21 verweist. 227 So Beckert, Unverdientes Vermögen, 26. Beckert betont, dass das geerbte Eigentum dem Erben ohne eigene Leistung zufällt und die Institution Erbschaft dem Leistungsprinzip widerspreche. 228 In diese Richtung auch Beckert, 68. DJT., Band II/1, L 9 (L 13 f.). 229 So Beckert, 68. DJT., Band II/1, L 9 (L 13). 230 Nach dem Prinzip der Chancengleichheit sollen möglichst identische Ausgangs-, bzw. Startbedingungen vorliegen, damit die Vermögensunterschiede als Spiegelbild der tatsächlichen Leistungsbeiträge der Individuen dienen. 231 Vgl. dazu die Darstellung bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 21 die betont, dass sich die Soziologie primär für den Aspekt der sozialen Ungleichheit interessiert und aus diesem Grund die Legitimation des Erbrechts hinterfragt. Siehe dazu bereits Kap. B. Fn. 226. 232 So Muscheler, Erbrecht, Band I, 163 Rn. 279: „Daraus folgt aber noch nicht, dass die Vermögensverteilung insgesamt ungleicher wird. […] Die Annahme, Erbschaften würden generell die soziale Ungleichheit vergrößern, wird durch diese Ergebnisse nicht bestätigt. Es lassen sich neben ungleichheitsverstärkenden auch ungleichheitsreduzierende Effekte ausmachen.“; vgl. auch die Darstellung bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 21. 233 Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, 501 ff., 573 ff., 588 f. 234 Beckert, Unverdientes Vermögen, 26; vgl. auch die Darstellung bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 30.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
heit stehe „in Widerspruch zum meritokratischen Selbstverständnis moderner Gesellschaften“235, weil das vererbte Eigentum dem Erben ohne Zutun zugefallen und damit nicht durch Leistung erwirtschaftet sei.236 Der Vorwurf der Verletzung der Chancengleichheit und des Leistungsprinzips bildet die Grundlage für Forderungen nach einer stärkeren Beschränkung des privaten Vererbens. In jüngerer Vergangenheit ist insbesondere Halliday in seinem Werk „The Inheritance of Wealth. Justice, equality & the right to bequeath“ für eine stärkere Beschränkung des privaten Vererbens eingetreten. Halliday bezieht sich dabei auf die Überlegungen Rignanos.237 Rignano hat in den 1920er-Jahren unter anderem vorgeschlagen, dass die Erbschaftssteuer nicht nur nach der Größe des Vermögens und dem Verwandtschaftsgrad zwischen Erblasser und Erben, sondern auch danach bestimmt werden solle, ob der Erblasser das vererbte Vermögen bereits geerbt habe.238 Dieser Vorschlag ist in der nationalen erbrechtlichen Literatur verstärkt aufgegriffen worden. Sowohl Dettmer als auch Hollmann befürworten in Anlehnung an Rignano die Unterscheidung zwischen bereits ererbtem und selbst erwirtschaftetem Vermögen mit Blick auf das Pflichtteilsrecht.239 b) Ökonomische Dysfunktionalität der Testierfreiheit Dem Privaterbrecht wird auch eine ökonomische Dysfunktionalität vorgeworfen. Die Saint-Simonisten befürworten ein Staatserbrecht zur Distribution des Eigentums an diejenigen, die über die besten Fähigkeiten verfügen, mit dem Eigentum produktiv zu arbeiten. Wenngleich es den Saint-Simonisten daher um die Abschaffung des Privaterbrechts geht, ist von einer solchen Kritik auch die Testierfreiheit betroffen, weil die Testierfreiheit dem Erblasser die Möglichkeit eröffnet, sein Eigentum an eine beliebige und damit gegebenenfalls weniger fähige Person weiterzugeben.240 Weitere Kritiker wen235
So Beckert, Unverdientes Vermögen, 26. Beckert, Unverdientes Vermögen, 26 betont: „An einer zentralen Stelle wird am Prinzip leistungsunabhängiger sozialer Privilegierung festgehalten, gegen das sich die bürgerliche Gesellschaft in ihrem Selbstverständnis ja gerade konstituierte.“ 237 Nach Rignano soll das Vermögen innerhalb einer Generation mit 50 % und innerhalb zweier Generationen mit 100 % besteuert werden, vgl. dazu Rignano, The Social Significance of Inheritance Tax, 34 ff. Eine solche Besteuerung würde dazu führen, dass ein Erbvorgang über drei Generationen hinweg nicht mehr möglich wäre, vgl. dazu die Ausführungen bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 20. 238 Vgl. Rignano, The Social Significance of Inheritance Tax, 34 ff.; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 20, die das produktive Potential fundamentaler Erbrechtskritik für die Rechtswissenschaft untersucht. 239 Vgl. dazu die Werke von Dettmer, Generationenvertrag und Familienvermögen u. Hollmann, Pflichtteilsrecht und Familienzusammenhang; vgl. dazu auch die Darstellung bei Röthel, AcP 220 (2020), 19, 20. 240 Zu Recht stellt Muscheler, Erbrecht, Band I, 210 Rn. 364 ff. die Ideen der SaintSimonisten daher in dem Abschnitt zu der Testierfreiheit dar. 236
IV. Grundlinien der Kritik an der Testierfreiheit
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den sich direkt gegen die Testierfreiheit und betonen, dass insbesondere durch eine gewillkürte Erbfolge die Gefahr entstehe, dass die Erbschaft an eine Person falle, die über unzureichende Nutzungsfähigkeiten verfüge.241 Die Testierfreiheit sei in dieser Hinsicht ökonomisch blind und daher dysfunktional. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Bentham gegen die Testierfreiheit, der betont, dass nicht die Testierfreiheit, sondern lediglich die Vorsorge für die engere Familie begrenzt ökonomisch sinnvoll sei.242 Für Personen ohne Ehegatten und Verwandte zweiter Ordnung soll die Testierfreiheit nach Bentham daher auf die Hälfte des Nachlasses beschränkt sein.243 An dieser Stelle gehen die Auseinandersetzung mit dem Privaterbrecht und die daraus resultierende mittelbare Kritik der Testierfreiheit in eine unmittelbare Kritik an der Testierfreiheit über. Dies gilt auch für die Ansicht, die sich mit den Auswirkungen der durch die Testierfreiheit eröffneten Beschränkungsmöglichkeiten der Verwaltungsteilhabe auf die Mobilität der Vermögensgegenstände befasst.244 Wenngleich sich diese Kritikpunkte unmittelbar gegen die Testierfreiheit richten, können sie aufgrund ihrer Nähe zu der übrigen „ökonomischen Kritik“ in diesem Abschnitt verortet werden. Die Kritiker einer weitreichenden Testierfreiheit betonen, dass diese auch deshalb ökonomisch dysfunktional sei, weil sie erblasserische Anordnungen ermögliche, die das Nutzungspotential des hinterlassenen Vermögens beeinträchtigen würden.245 Diese mögliche negative Auswirkung einer weitrei241 Vgl. dazu bereits Kap. B. III. 4. a). Siehe dazu auch die Ausführungen bei Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 337: „Das Erbrecht gibt die Vermögensgegenstände nämlich nicht an Gesellschaftsmitglieder weiter, die deren Nutzungspotential am besten ausschöpfen können, etwa die Sache, die wirtschaftliche Einheit oder den Gesellschaftsanteil am besten verwalten […].“ Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 210 Rn. 364 ff.; Vgl. Simonde de Sismondi, Nouveaux principes ouveaux Principes d’e´conomie politique, I, 290 f.; McCulloch, The principles of political economy, 201; Bentham, Principles of The Civil Code, 333 ff.; Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 101 betont, dass es regelmäßig an einer Richtigkeitsgewähr in Bezug auf die Fähigkeiten zur effizienten Verwaltung des vererbten Vermögens fehle. 242 Vgl. Bentham, Principles of The Civil Code, 333 ff.; Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 337. 243 Vgl. Bentham, Principles of The Civil Code, 338: „It is necessary at least to leave to the proprietor who has no near relations, the right of disposing of the half of his property after his death, keeping the other half for the public. To be content in this case with the smaller share, would probably be a means of obtaining more. But it would be still better not to attack the principle which permits every one to dispose of his property after his death, and not to create a class of proprietors who should regard themselves as inferior to others, on account of this legal impotence which should have struck the half of their fortune.“ 244 So Bentham, Principles of The Civil Code, 333 ff.; Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 337. 245 Vgl. Bentham, Principles of The Civil Code, 333 ff.; vgl. dazu ausführlich die Dar-
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
chenden Testierfreiheit wurde auch bei der Fassung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches thematisiert. So wird in den Motiven ausgeführt: „Aus nationalökonomischen Gründen erscheint es angemessen, eine übermäßige Vinkulierung des nachgelassenen Vermögens zu verhindern.“246
Diese Sorge vor übermäßigen Beschränkungen der Nutzungsmöglichkeiten des vererbten Vermögens durch den Erblasser führte dazu, dass die erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten und damit auch die Testierfreiheit bei der Fassung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches diverse Einschränkungen erfahren haben. So wurden die Möglichkeiten der Anordnung eines Auseinandersetzungsausschlusses, einer Testamentsvollstreckung und einer Nacherbfolge insbesondere in zeitlicher Hinsicht begrenzt. Mit diesen Begrenzungen der Testierfreiheit zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung und lebenslanger Bindung der Erben befasst sich das Kapitel C. II.
3. Fazit und Ausblick Dieser Abschnitt hat die Grundlinien und Typen der Kritik an der Testierfreiheit dargetan. Dabei ist insbesondere deutlich geworden, dass die Testierfreiheit nach verbreiteter Ansicht sowohl mit familiären Bindungen als auch mit ökonomischen beziehungsweise volkswirtschaftlichen Interessen in Konflikt geraten kann. Die Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit in den Kapiteln C. und D. wird zeigen, ob solche Spannungsverhältnisse tatsächlich bestehen und wie diese gegebenenfalls aufzulösen sind. Daneben wurde gezeigt, dass zum Teil die Ansicht vertreten wird, dass der Vererbungsvorgang rechtstheoretisch nicht zu erklären und ein Schutz der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht des Erblassers über dessen Tod hinaus folglich unmöglich sei. Die nachfolgende rechtstheoretische Betrachtung (V.) der Testierfreiheit wird sich unter anderem mit diesem Aspekt befassen.
stellung bei Dutta, Warum Erbrecht? – Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, 337 m. w. N. 246 Motive, V, 90 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 48; vgl. zu dem Aspekt der volkswirtschaftlichen Verfügbarkeit Hogrebe, Bindungsgrenzen, 152. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. C: II. 1. d) bb) (3).
V. Rechtstheoretische Betrachtung der Rechtsnatur der Testierfreiheit
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V. Rechtstheoretische Betrachtung der Rechtsnatur der Testierfreiheit Bislang hat das Kapitel B unter anderem gezeigt, dass die Testierfreiheit zum einen als ein normgeprägtes Grundrecht und zum anderen als subjektives Individualrecht zu verstehen ist.247 Diese beiden Aspekte sollen nun einer näheren Analyse unterzogen werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Untersuchung der Auswirkungen, die mit der Charakterisierung der Testierfreiheit als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht einhergehen (dazu 1.) und die Beantwortung der Frage, ob ein Schutz der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht über den Tod des Erblassers hinaus möglich ist (dazu 2.).
1. Die Testierfreiheit als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht Nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ist es Aufgabe des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Erbrechts zu bestimmen.248 Eine solche Ausgestaltung des Inhalts des Erbrechts ist notwendig, da ein privatautonomes Tätigwerden auf dem Gebiet der Testierfreiheit nur möglich ist, wenn der Gesetzgeber hierfür Formen, das heißt Kompetenzen, schafft.249 Durch die Regelungen des Erbrechts eröffnet der Gesetzgeber Erblassern daher erst die Möglichkeit des Testierens und damit die Option zur Ausübung der Testierfreiheit. Anders ausgedrückt wird das Individualgrundrecht der Testierfreiheit erst durch einfachgesetzliche Kompetenzen entfaltet. Die Anerkennung der Testierfreiheit des Erblassers durch den Gesetzgeber vollzieht sich in der Form der Ausgestaltung des BGB-Erbrechts und der damit verbundenen Regelung der Weitergabe des Vermögens von Todes wegen.250 Bei der Testierfreiheit handelt es sich aus diesem Grund um ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht. Daher ist es zutreffend, wenn das Bundesverfassungsgericht betont: 247
Vgl. zu dem Aspekt der Testierfreiheit als normgeprägtes Grundrecht bereits Kap. B. I.; zu der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht s. B. IV. 1. a). 248 Vgl. BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 99, 341; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 409; v. Münch/Kunig/Bryde GG Art. 14 Rn. 47; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 90 ff.; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 154 f.; vgl. dazu ausführlich Kap. B. I. 249 So explizit Ruffert, JuS 2020, 1, 4: „Daran ist richtig, dass mit der Privatautonomie ein normgeprägtes Grundrechtsgut gewährleistet wird. Ohne Rechtsordnung gibt es weder die Privatautonomie noch ihre Ausprägungen, unter denen die Vertragsfreiheit, gefolgt von der Testierfreiheit, wohl die wichtigste ist.“ Vgl. auch Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136 ff.; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 154. 250 Vgl. auch Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136 Fn. 18; Ruffert, JuS 2020, 1, 4; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 154.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
„Erst durch die gesetzliche Ausgestaltung wird das Erbrecht des Einzelnen klar umrissen und zu einem praktisch durchsetzbaren Recht. Die einfach-rechtliche Ausgestaltung verschafft den notwendig abstrakten Grundprinzipien des Erbrechts konkrete Gestalt.“251
Dies gilt sodann auch für die Testierfreiheit, die als das bestimmende Element der Erbrechtsgarantie anzusehen ist.252 Gleichwohl kann die gesetzgeberische Ausgestaltung der Testierfreiheit auch in eine Einschränkung der Testierfreiheit umschlagen. Im Hinblick auf die Vertragsrechtsgesetzgebung formuliert Gutmann: „Es ist […] grundrechtsdogmatisch notwendig, einschränkende von nur ausgestaltender Vertragsrechtsgesetzgebung wenigstens grundsätzlich zu unterscheiden.“253
Selbiges muss auch für die Erbrechtsgesetzgebung gelten. Dieses – auf den ersten Blick paradox wirkende Wechselspiel – zwischen der Ermöglichung einerseits und zugleich der Beschränkung der Testierfreiheit durch die Gesetzgebung andererseits offenbart sich auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Verfassungsmäßigkeit des generellen Ausschlusses schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testiermöglichkeit in den §§ 2232, 2233 BGB, § 31 BeurkG.254 In dieser Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Gesetzgeber zur Konkretisierung des Prinzips der Testierfreiheit Vorschriften über die zulässigen Testamentsformen und über die Anforderungen an die Testierfähigkeit erlassen müsse.255 Wenngleich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Regelungen zu der
251 Vgl. BVerfGE 99, 341, 351; in diese Richtung auch das OLG Karlsruhe, Urteil vom 25. Oktober 1988 – 3 U 18/88, juris Rn. 29: „Erbrecht und Testierfreiheit sind nur im Rahmen der Gesetze garantiert; die Ausgestaltung im Einzelnen ist Aufgabe des Gesetzgebers.“ Vgl. Ruffert, JuS 2020, 1, 4; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136 f. 252 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I. Vgl. dazu auch die Rechtsprechung des BVerfG: BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341, 350; BVerfGE 112, 332, 348. Vgl. auch Merten/Papier/Kirchhof, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, § 112 Erbrecht Rn. 47; Isensee/Kirchhof/Leisner Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, § 174 Rn. 18. 253 Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 95, 110, 116; Höfling, Vertragsfreiheit, 36. Diese Unterscheidung nimmt auch das BVerfG vor, vgl. dazu BVerfGE 99, 341, 351 f. 254 BVerfGE 99, 341; vgl. dazu auch Gutmann, Iustitia Contrahentium, 142 der darauf hinweist, dass die Vertragsfreiheit rechtsordnungsabhängig und auf das sie ausgestaltende Gesetz angewiesen ist. Selbiges gilt auch für die Testierfreiheit. 255 So explizit BVerfGE 99, 341, 351 f.: „Demzufolge ist es Sache des Gesetzgebers, das im Grundsatz der Testierfreiheit angelegte Selbstbestimmungsprinzip zu konkretisieren. Er muss festlegen, welche Anforderungen im einzelnen an die für eine eigenverantwortliche Testamentserrichtung erforderliche Einsichtsfähigkeit zu stellen sind und welches Maß an Handlungsfähigkeit für die Testamentserrichtung nötig ist. Zur Konkretisierung des Prinzips der Testierfreiheit muss der Gesetzgeber Vorschriften über die zulässigen Testamentsformen und über die Anforderungen an die Testierfähigkeit erlassen.“
V. Rechtstheoretische Betrachtung der Rechtsnatur der Testierfreiheit
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Konkretisierung des Prinzips der Testierfreiheit nach der Ansicht des Bundesverfassungsgericht über einen gewissen Beurteilungsspielraum verfüge, gelte dieser nicht unbeschränkt.256 Hier hebt das Bundesverfassungsgericht die abwehrrechtliche Dimension der Testierfreiheit hervor. Der Gesetzgeber habe bei der Ausgestaltung des Prinzips der Testierfreiheit den grundlegenden Gehalt ihrer verfassungsrechtlichen Gewährleistung zu wahren und alle anderen Verfassungsnormen zu berücksichtigen.257 Zutreffend betont das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Differenzierung zwischen Ausgestaltung und Beschränkung des Prinzips der Testierfreiheit: „Der Gesetzgeber darf das in der Testierfreiheit enthaltene Selbstbestimmungsprinzip zwar konkretisieren, nicht aber unverhältnismäßig beschränken.“258
Die ausgestaltende einfache Gesetzgebung kann folglich in eine Beschränkung der Testierfreiheit umschlagen.259 Gegen eine Anwendung dieser abwehrrechtlichen Funktion der Testierfreiheit spricht indes nicht, dass es sich bei der Testierfreiheit um ein normgeprägtes Grundrecht handelt, welches daher auf die Ausgestaltung durch das einfache Recht angewiesen ist.260 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fehlt es jedoch an festgelegten Kriterien, die eine exakte Differenzierung zwischen Ausgestaltung und Einschränkung ermöglichen.261 256
So BVerfGE 67, 329, 340, BVerfGE 99, 341, 352. Vgl. dazu bereits ausführlich Kap.
B. I. 257
Vgl. BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 99, 341, 352; BVerfGE 91, 346, 360. BVerfGE 99, 341, 352. Das BVerfG führt darüber hinaus aus, dass dem Gesetzgeber hierbei ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zustehe. Diesen Umstand müsse das BVerfG bei der Prüfung der gesetzgeberischen Ausgestaltung berücksichtigen. Ein Einschreiten sei erst dann möglich, wenn die vom Gesetzgeber gewählte Maßnahme „schlechthin ungeeignet“, „eindeutig nicht erforderlich“ oder „unzumutbar“ ist, vgl. dazu BVerfGE 99, 341, 352 f. mit Verweis auf BVerfGE 47, 109, 117; BVerfGE 53, 135, 145; BVerfGE 77, 84, 111 f. 259 Vgl. Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 413; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51. So auch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 316, der betont, dass es schwieriger ist zu definieren, wo die Grenze zwischen Ausgestaltung und Eingriff verläuft. 260 So explizit Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 95: „Gegen die Anwendbarkeit der abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion spricht schließlich auch nicht, dass einige Grundrechte der Ausgestaltung durch einfachgesetzliches Recht bedürfen […]. Ausgestaltung durch einfachgesetzliches Recht ist ein funktionenübergreifendes Problem normgeprägter Grundrechte und keine Besonderheit des Privatrechts, die eine Wirkung der Abwehrfunktion in diesem Rechtsgebiet ausschlösse.“ Vgl. dazu auch Heun, Funktionell-rechtliche Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit, 56 f. 261 Dies kritisiert auch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 110; gleichwohl ist eine solche Differenzierung aus grundrechtsdogmatischer Sicht notwendig, so explizit Höfling, Vertragsfreiheit, 36; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 316. 258
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Alexy führt zur Abgrenzung von Ausgestaltung und Einschränkung das sogenannte Regel-Prinzipien-Modell262 ein, nach dem der Bereich der Ausgestaltung eng zu fassen und eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung bereits dann anzunehmen sei, wenn durch die Ausgestaltung das Grundrecht nicht mehr bestmöglich verwirklicht werden kann.263 Gutmann konkretisiert dies und prüft, ob die Möglichkeiten für das privatautonome Tätigwerden durch den Gesetzgeber erweitert oder zumindest spezifiziert werden. Sei dies der Fall, so bewege sich der Gesetzgeber innerhalb seiner weiten Gestaltungsräume und eine Ausgestaltung liege vor. Sofern das privatautonome Tätigwerden „[…] jedoch zugunsten anderer Regelungszwecke gehemmt oder zurückgedrängt [wird], liegt ein nach abwehrrechtlichen Kategorien rechtfertigungsbedürftiger Eingriff vor.“264 Übertragen auf das Grundrecht der Testierfreiheit bedeutet dies, dass in Fällen, in denen der Gesetzgeber die Ausübungsmöglichkeiten für die Erblasser erweitert beziehungsweise bloß näher konkretisiert, eine ausgestaltende Gesetzgebung vorliegt. Wird dem Erblasser hingegen die Ausübung der Testierfreiheit zugunsten anderer Regelungszwecke erschwert, liegt ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff vor. Der Grund für die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung zwischen Ausgestaltung und Eingriff liegt in den unterschiedlichen Anforderungen, die an das gesetzgeberische Handeln gestellt werden. Zunächst ist dabei mit Ruffert festzustellen: „Der Standort dies- oder jenseits der Grenzlinie zwischen Ausgestaltung und Eingriff entscheidet nicht über die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips.“265
Der Gesetzgeber ist demnach auch bei der ausgestaltenden Gesetzgebung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden, sodass insoweit keine unterschiedlichen Anforderungen bestehen. Auch die ausgestaltende Gesetzge262 Dieses Modell geht zurück auf Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 3; im internationalen Diskurs hat vor allem Dworkin, Taking Rights Seriously, 42 ff. geprägt; vgl. dazu auch die Darstellung bei Höfling, Vertragsfreiheit, 36 f. Höfling hat sich diesem Regel-Prinzipien-Modell ebenfalls angeschlossen und prüft, ob durch ein gesetzgeberisches Handeln das grundrechtliche Prinzip nicht optimal realisiert, sondern gehemmt wird. Ist dies der Fall, so bedeutet dies eine Einschränkung des Prinzips auf die weitgehende Einräumung von Kompetenzen. 263 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 303; vgl. auch die Darstellung bei Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 116. 264 Gutmann, Iustitia Contrahentium, 143; vgl. Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte; 170, 219; ähnlich Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 316, der jedoch auf eine subjektive Zwecksetzung des Gesetzgebers abstellt: „Zielt der Gesetzgeber auf eine Verbesserung, Sicherung oder gar Erweiterung der Möglichkeiten für privatautonomes Handeln ab, so geht es um prägende Ausgestaltung, werden andere Zwecke verfolgt, liegt ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff vor.“ 265 Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 118; vgl. auch Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 600 ff.
V. Rechtstheoretische Betrachtung der Rechtsnatur der Testierfreiheit
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bung darf die Testierfreiheit beispielsweise nicht dadurch aushöhlen, dass sie die Hürden für die Testamentserrichtung und damit für die Ausübung der Testierfreiheit unverhältnismäßig hoch ansiedelt.266 Unterschiede zwischen den Anforderungen an ausgestaltender und beschränkender Gesetzgebung ergeben sich im Hinblick auf die Intensität bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des gesetzgeberischen Handelns und bei der Reichweite dessen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht.267 Sofern es sich lediglich um die Testierfreiheit ausgestaltende Gesetzgebung handelt, verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Gestaltungsspielraum.268 Es erfolgt eine weniger strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.269 Handelt es sich hingegen um einschränkende Gesetzgebung, liegt ein aus verfassungsrechtlicher Perspektive rechtfertigungsbedürftiger Eingriff vor, der den Anforderungen einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung gerecht werden muss.270 Eine solche Differenzierung muss für alle Vorschriften, die die Testierfreiheit betreffen, und dabei insbesondere für die Vorschriften zum Form- und Typenzwang vorgenommen werden.271 Die Untersuchung der Begrenzungen der Testierfreiheit in den Kapiteln C. und D. muss den Charakter der Testierfreiheit als normgeprägtes Grundrecht berücksichtigen und zwischen einer notwendigen Ausgestaltung der Testierfreiheit und einem Eingriff in dieselbe differenzieren.
2. Schutz der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht des Erblassers über dessen Tod hinaus Nachdem deutlich geworden ist, dass die Testierfreiheit ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht ist, soll der Charakter der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht in das Zentrum der Untersuchungen 266
Vgl. Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51. Dieser Aspekt ist insbesondere für die Beurteilung der erbrechtlichen Regelungen zum Form- und Typenzwang von hoher Relevanz. 267 Vgl. Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 600 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 316. 268 So explizit BVerfG, welches sowohl von einem Beurteilungs- als auch von einem Gestaltungsspielraum spricht, vgl. BVerfGE 99, 341, 352; vgl. dazu auch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 316; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 175; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 143. 269 Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 316; in diese Richtung auch BVerfGE 99, 341, 352 f. 270 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I. 271 Vgl. Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51; Maunz/ Dürig Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 413. Zu den Auswirkungen des Typen- und Formzwangs auf die Testierfreiheit s. ausführlich Kap. D. II. 2.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
gerückt werden. Die Ausführungen in Kapitel B. IV. 1. a) haben gezeigt, dass zum Teil davon ausgegangen wird, dass der Vererbungsvorgang rechtstheoretisch nicht zu erklären und ein Schutz der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht des Erblassers über dessen Tod hinaus unmöglich ist.272 Wie bereits dargelegt, versteht das Bundesverfassungsgericht die Testierfreiheit des Erblassers als subjektives Freiheitsrecht, welches eine Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus schützt und durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verfassungsrechtlich abgesichert ist.273 Diese Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus wird von der Rechtsordnung im Allgemeinen und von dem BGB-Erbrecht im Besonderen umfassend ermöglicht und geschützt.274 Damit geht der Schutz solcher Entscheidungen einher, die zu Lebzeiten getroffen worden sind, sich jedoch auf einen Zeitpunkt nach dem Tod beziehen. Insofern wird zurecht die Frage aufgeworfen, warum die Rechtsgemeinschaft ein Testament nach dem Ableben des Erblassers nicht schlichtweg ignoriert oder vernichtet und sich damit über den Willen des Erblassers hinwegsetzt.275 Wenn es bei der Testierfreiheit ausschließlich um die Anerkennung des Rechts eines Toten ginge, welche Gründe gäbe es dann für die Überlebenden, sich dem subjektiven Willen des Erblassers zu unterwerfen, beziehungsweise ihn anzuerkennen.276 Zunächst ließe sich argumentieren, dass durch ein „Vernichten“ des Testaments und dem damit verbundenen Ignorieren der erblasserischen Anordnungen die Interessen der in der letztwilligen Verfügung bedachten Personen, insbesondere der Erben, verletzt würden. Eine solche Argumentation wird jedoch dem Verständnis der Testierfreiheit als ein subjektives Freiheitsrecht des Erblassers – und gerade nicht als ein solches Recht der Erben – nicht hinreichend gerecht.277 Der Grund für die Anerkennung des Testaments und 272
So insbesondere Steiner, Arguing for Basic Income, Ethical Foundations for a Radical Reform, 81 ff., 85; Schmidt am Busch, ZfPP 2018, 15, 24, 28 f. 273 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. I.; in diese Richtung auch Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 17. 274 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. A., B. I., VII. 1.; BVerfGE 91, 346, 358; Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 17. 275 Dies betont auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 201 Rn. 344 der fragt, was die Gesellschaft veranlasst, den Willen des Erblassers zu verwirklichen, obwohl dieser im Zeitpunkt der Willensrealisierung nicht mehr existiert und damit die Willenssubjektivität fehlt. 276 In diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 227 Rn. 407: „Ginge es bei der Anerkennung des Testaments um das Recht eines Toten, hätten die Überlebenden keinen Grund, sich der Dominanz seines subjektiven Willens zu unterwerfen.“ 277 Vgl. die Ausführungen in Kap. A., B. I., die gezeigt haben, dass die Testierfreiheit das am deutlichsten individuelle und am wenigsten gemeinschaftsgebundene Recht ist, welches das Grundgesetz schützt, vgl. dazu auch Isensee/Kirchhof/Leisner Handbuch des Staatsrechts, VIII, § 174 Rn. 18; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 50; den Individualschutz betonen ebenfalls BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341, 350; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 154.
V. Rechtstheoretische Betrachtung der Rechtsnatur der Testierfreiheit
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der damit verbundenen Verwirklichung des Erblasserwillens nach dessen Tod muss daher vielmehr darin liegen, dass andernfalls – also im Falle des Wegwerfens des Testaments – das über Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte subjektive Recht des Erblassers auf Testierfreiheit verletzt werden würde.278 Dabei ist jedoch fraglich, ob und wie das subjektive Recht einer Person nach ihrem Tod verletzt werden kann. Wenn nunmehr davon ausgegangen wird, dass der Leichnam des Erblassers als solches kein taugliches Zurechnungssubjekt sein kann, kommt als Zurechnungsobjekt nur der Erblasser als lebende Person in Betracht. Hier besteht jedoch eine zeitliche Diskrepanz zwischen der Existenz des Rechtsträgers und der Verletzungshandlung.279 Solche „surviving interests“280 können nicht zugeschrieben werden, ohne dass ein Zeitsprung notwendig wird.281 Wie bereits im Rahmen der Betrachtung der Grundlinien und Typen der Kritik an der Testierfreiheit gezeigt, wird deshalb betont, dass Menschen nach ihrem Tod kein Unrecht oder einen sonstigen Schaden erleiden könnten und posthume Rechtsverletzungen von vorneherein nicht möglich seien.282 Dem ist jedoch zu widersprechen. Entscheidend für die Auflösung des vermeintlichen Paradoxes posthumer Rechtsverletzungen ist die Betrachtung des Rechtssystems und der dort vorhandenen Handlungsautonomie. Als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes subjektives Recht eröffnet die Testierfreiheit dem Erblasser über die 278
Vgl. Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 17. 279 Feinberg und Pitcher verfolgen diesbezüglich einen anderen Ansatz. Sie verlagern den Zeitpunkt der Rechtsverletzung vor und nehmen an, dass der Erblasser bereits in dem Moment verletzt sei, in dem er das Testament aufsetzt, vgl. dazu Feinberg, Harm to Others, 91 ff.; Pitcher, American Philosophical 21 (1984), 183, 187 ff. Ein solches deterministisches Verständnis kann jedoch nicht überzeugen. Zum einen verlagert es den Zeitpunkt der Rechtsverletzung künstlich nach vorne. Bei der Testamentserrichtung ist sowohl der Erbfall als auch die potentielle Rechtsverletzungshandlung noch gar nicht absehbar. Zum anderen entstehen Unstimmigkeiten, wenn ein Erbprätendent zunächst das Testament unterdrückt (bspw. in dem er es versteckt), es danach aber wieder „freigibt“. 280 Zu dem Begriff der „surviving interests“ s. Feinberg, Harm to Others, 83 ff.; Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 18. 281 Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 18 spricht an dieser Stelle von einem „temporalen Wurmloch“; vgl. dazu auch Visser, Lorentzian Wormholes: from Einstein to Hawking. 282 So insbesondere Taylor, Death, Posthumous Harm, and Bioethics, 2. Taylor führt dabei zum einen aus, dass eine tote Person in biologischer Hinsicht nicht länger existiere und deshalb das Subjekt eines potentiellen Schadens fehle, vgl. Taylor, Death, Posthumous Harm, and Bioethics, 11. Darüber hinaus argumentiert er, dass die ante-mortem Persönlichkeit auch nicht geschädigt werden und ein postmortaler Schaden daher nicht eintreten könne, vgl. dazu Taylor, Death, Posthumous Harm, and Bioethics, 42; vgl. auch Kap. B. IV. 1. a).
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Regelungen des BGB-Erbrechts die Möglichkeit, letztwillige Verfügungen zu errichten und ein neues Rechtsverhältnis zu begründen.283 Der Erblasser steigt mithilfe der Testierfreiheit zum „private legislator“284 auf. Die Testierfreiheit gibt dem Erblasser demnach die Kompetenz, Rechtsverhältnisse privatautonom zu gestalten.285 Diese Rechtsverhältnisse können über das Ende des Lebens hinaus weiter existieren. So bleibt ein Rechtsverhältnis unabhängig davon bestehen, „welches Schicksal das Interessensubstrat erleidet, das es kraft seines subjektiven Rechts geschaffen hat, weil die Rechte, Pflichten und Handlungsnormen, die dieses Rechtsverhältnis ausmachen, auch noch (oder sogar gerade dann) Geltung beanspruchen, […], wenn [der Erblasser] sein Leben […] verloren hat.“286
Folglich ist das vom Erblasser geschaffene Rechtsverhältnis unabhängig von der biologischen Existenz des Erblassers vorhanden und muss von den Beteiligten beachtet werden. Ein Schutz der Verfügungsbefugnis über den Tod hinaus, die die Testierfreiheit dem Erblasser eröffnet, ist daher nicht widersprüchlich, weil die andauernde Geltung der individuellen Entscheidung des Erblassers auch nach dessen Tod durch die Anerkennung des von ihm geschaffenen Rechtsverhältnisses ermöglicht wird.287 Mit Gutmann kann daher festgehalten werden: „Ein gegenwärtiges Unrecht gegenüber einer ehemals lebenden Person ist folglich ein intelligibles Konzept.“288 Dieser Abschnitt hat gezeigt, dass der Schutz eines subjektiven Freiheitsrechts über den Tod des Eigentümers hinaus erklärbar ist.
283
Vgl. die vorausgegangenen Ausführungen in dem Kap. B. V. 1. Vgl. zu dem Gedanken der Privatrechtssubjekte als private legislator: Hart, The Concept of Law, 41; Alexy, Theorie der Grundrechte, 48, 212; Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 20. 285 An dieser Stelle sei auf das Konzept der Kompetenz, der sogenannten legal power verwiesen, vgl. dazu Hart, Legal Rights, 168 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 211 ff.; Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 19 f. 286 Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 20. 287 So explizit Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 20: „Eine ,Entscheidungsbefugnis über den Verlust der Selbstbestimmungsfähigkeit hinaus‘ und eine ,Verfügungsbefugnis über den Tod hinaus‘ sind möglich, weil die anhaltende Geltung dieser individuellen Dispositionen durch das durch sie geschaffene von der Rechtsordnung anerkannte Rechtsverhältnis vermittelt wird.“ 288 Vgl. Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 20. 284
VI. Konzeptionen der Testierfreiheit
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VI. Konzeptionen der Testierfreiheit Die vorausgegangenen Abschnitte haben verdeutlicht, dass das Verständnis von der Bedeutung und der Reichweite der Testierfreiheit teilweise erheblich divergiert.289 Die folgenden Ausführungen werden die verschiedenen Konzeptionen der Testierfreiheit untersuchen und deren legitimatorische Anknüpfung hinterfragen. Eine solche Bestimmung der Grundlage der Testierfreiheit ist für diese Arbeit insbesondere deshalb relevant, weil sich hieraus Aussagen über die Reichweite und die Zulässigkeit von Begrenzungen der Testierfreiheit ableiten lassen.
1. Das Erbrecht des Erben und die Person des Erben als Grundlage der Testierfreiheit Die Grundlage der Testierfreiheit in dem Erbrecht des Erben zu suchen, scheint wenig überzeugend.290 Vielmehr ist das Erbrecht des Erben die Folge der Ausübung der Testierfreiheit. Zutreffend betont das Bundesverfassungsgericht daher, dass die „Grundlage für den verfassungsrechtlichen Schutz des erbrechtlichen Erwerbs bei testamentarischer Erbfolge […] die Testierfreiheit des Erblassers [ist].“291 Der verfassungsrechtliche Schutz des Erbrechts des Erben leitet sich folglich von der Testierfreiheit des Erblassers ab.292 Die Testierfreiheit mit dem Erbrecht des Erben zu begründen, ist daher nicht möglich. Selbiges gilt auch, sofern versucht wird, sie mit der Person des Erben zu begründen. Der Erbe wird erst durch die Ausübung dieses Rechts zum Erben erkoren.293 Dies gilt auch für die engsten Angehörigen des Erblassers. Bei der Aussicht Erbe zu werden, handelt es sich lediglich um eine sogenannte nuda spes und gerade nicht um einen rechtlich gesicherten Anspruch.294 Die Motive 289
Vgl. dazu Kap. B. II. Während die römisch-rechtliche Tradition von einer weitreichenden Testierfreiheit geprägt ist und dementsprechend das Erbrecht auf den individuellen Erblasserwillen ausgerichtet war, zeichnet sich die germanische Tradition durch eine familiaristische Grundlegung des Erbrechts aus. 290 Vgl. dazu Muscheler, Erbrecht, Band I, 217 Rn. 385. 291 So BVerfG, NJW 2010, 156, 157; in diese Richtung geht auch die übrige Rspr. des BVerfG, vgl. dazu BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 93, 165, 174; BVerfGE 99, 341, 349; BVerfGE 112, 332, 346. 292 So explizit BVerfG, NJW-RR 2010, 156, 157: „Weil sein verfassungsrechtlicher Schutz sich von der Testierfreiheit ableitet, kann der Erbe nicht unter Berufung auf ein durch Art. 14 I 1 GG verbürgtes Erwerbsrecht erreichen, dass seinem Interesse an der Ausübung unbeschränkter Rechte am Nachlass der Testierwille des Erblassers untergeordnet wird.“ 293 In diese Richtung argumentiert auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 217 Rn. 386, der eine Anknüpfung an die Person des Erben ebenfalls ablehnt. 294 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 209; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 188; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
zum Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmen explizit, dass auch eine Enterbung der nahen Angehörigen und eine Begünstigung beliebiger Dritter möglich sind.295 Selbst für enge Familienangehörige gilt daher, dass auch diese nur über eine vage Hoffnung verfügen, Erbe zu werden.296 Da das deutsche Erbrecht keine Anspruchserben297 kennt und folglich jede Person gleichermaßen potentieller gewillkürter Vermögensnachfolger sein kann, können Interessen der Erben die Testierfreiheit nicht legitimieren.298 Vielmehr führt eine weitreichende Testierfreiheit dazu, dass der Kreis potentieller Erben und der Umfang der potentiellen Erbmasse erheblich vergrößert und damit sowohl die Person als auch das Erbrecht des Erben austauschbar erscheinen.
2. Staatliche Interessen als Grundlage der Testierfreiheit Unter Berücksichtigung der in Kap. B. III. beschriebenen Funktion der Testierfreiheit könnte argumentiert werden, dass staatliche Interessen die Testierfreiheit legitimieren.299 So könnte die mit der Testierfreiheit einhergehende Förderung der Bereitschaft zu der Akkumulation von zu Lebzeiten nicht benötigten Kapitals staatlichen Interessen – wie beispielsweise die Stärkung der Volkswirtschaft – dienen und dies die Grundlage der Testierfreiheit bilden. Die Begründung der Testierfreiheit in der Begünstigung gesamtwirt295 Dies ergibt sich zumindest mittelbar aus den Motive V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. III. 1. b) die gezeigt haben, dass eine Erbeinsetzung auch für nahe Angehörige stets ein Mehr bedeutet. Sie erhalten mithin etwas, dass das ihnen Gebührende übersteigt. Aus diesem Grund kann der Erblasser auch nicht zur Begünstigung naher Angehöriger verpflichtet sein. Vgl. aus verfassungsrechtlicher Perspektive die Ausführungen in Kap. B. I. 296 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); vgl. auch Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 297 Vgl. Hermann, Pro non scripta habere, 169; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 271; s. dazu auch die Ausführungen in Kap. C. I. 3. 298 Zutreffend betont das BVerfG, NJW-RR 2010, 156, 157: „Weil sein verfassungsrechtlicher Schutz sich von der Testierfreiheit ableitet, kann der Erbe nicht unter Berufung auf ein durch Art. 14 I 1 GG verbürgtes Erwerbsrecht erreichen, dass seinem Interesse an der Ausübung unbeschränkter Rechte am Nachlass der Testierwille des Erblassers untergeordnet wird.“; in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 217 Rn. 386. 299 Die Ausführungen in dem Kap. B. III., die sich mit den Funktionen der Testierfreiheit befasst haben, haben gezeigt, dass die Testierfreiheit zum einen Anreize zur Produktivität und Sparsamkeit sowohl bei den Erblassern als auch bei den Erbprätendenten hervorruft. Zum anderen ist ersichtlich geworden, dass die Testierfreiheit auch den generationenübergreifenden Erhalt von Vermögenswerten dient. Beide Funktionen fördern das Wirtschaftsleben und damit staatliche Interessen, die wiederum die Grundlage der Testierfreiheit bilden könnten.
VI. Konzeptionen der Testierfreiheit
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schaftlicher Interessen zu sehen, erscheint jedoch bereits deshalb fraglich, weil Freiheiten nur nachrangig dem Kollektiv dienen sollen.300 In erster Linie dienen sie der Sicherung eines individuellen Freiheitsraumes.301 Dies gilt insbesondere für die Testierfreiheit, die als das am deutlichsten individuelle und in seiner Ausübung am wenigsten gemeinschaftsgebundene Recht zu charakterisieren ist, das von der Verfassung geschützt wird.302 Wenngleich die Testierfreiheit die sogenannte Erblassermotivation steigert und damit positive ökonomische Effekte hervorruft, sind diese folglich als Reflex einer Funktion, nicht jedoch als Grundlage der Testierfreiheit anzusehen.303 Würden gesamtgesellschaftliche Interessen die Testierfreiheit legitimieren, stünde diese zur freien Disposition des Gesetzgebers.304 Des Weiteren verkennt ein solcher Ansatz andere Funktionen der Testierfreiheit, beispielsweise die Möglichkeit der Selbstbestimmung des Erblassers durch das Testieren. Darüber hinaus könnte ein solches gemeinschaftsgebundenes Verständnis der Testierfreiheit nicht erklären, warum das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches den Erblasserwillen für maßgeblich hält und diesen umfassend schützt.305 Aus den genannten Gründen kann festgehalten werden, dass staatliche Interessen nicht die Grundlage der Testierfreiheit bilden können.
3. Das Vermögen des Erblassers als Grundlage der Testierfreiheit Sodann könnte die Grundlage der Testierfreiheit auch in dem Vermögen zu sehen sein, das der Erblasser zu Lebzeiten erwirtschaftet hat. Es ließe sich argumentieren, dass die Grundlage der Testierfreiheit darin liegt, die gesetz-
300
Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 218 Rn. 387. So betont das BVerfG in ständiger Rspr. den Individualschutz der Testierfreiheit, vgl. BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341, 350. Vgl. dazu auch ausführlich Kap. B. I. 302 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. I. u. II.; so explizit auch Isensee/Kirchhof/Leisner Handbuch des Staatsrechts, VIII, § 174 Rn. 18; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 50. 303 Zu den Funktionen der Testierfreiheit s. Kap. B. III. Eine Funktion der Testierfreiheit liegt in der Steigerung der Motivation des Erblassers zur lebzeitigen Ansammlung von Vermögen und damit einhergehend in der Schaffung von Anreizen zur Produktivität und Sparsamkeit. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 218 Rn. 387. 304 So explizit Muscheler, Erbrecht, Band I, 218 Rn. 387. 305 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. VII. Zutreffend führt Muscheler, Erbrecht, Band I, 218 Rn. 387 an: „Die funktionalen Erfordernisse der Wirtschaftsordnung sind zu abstrakt und zu sehr gemeinschaftsbezogen, als dass sie das konkrete Testamentsrecht des BGB zu begründen vermöchten, in dem der durch Verhaltensanforderungen des Rechtsverkehrs kaum gebändigte Wille des individuellen Erblassers ganz im Vordergrund steht [...].“ 301
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
liche Erbfolge an die jeweiligen Charakteristika des Vermögens des Erblassers anzupassen.306 Ein solches vermögensbezogenes Verständnis der Testierfreiheit hat erhebliche Auswirkungen auf die Reichweite und damit auch auf die Beurteilung ihrer Grenzen. Keuk, die ein vermögensbezogenes Verständnis der Testierfreiheit vertritt, hält erbrechtliche Potestativbedingungen für sittenwidrig, sofern das zur Bedingung gemachte Verhalten nicht ausschließlich vermögensbezogen ist.307 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Windel308, der zwar nicht an das Sittenwidrigkeitsverdikt anknüpft, die erblasserische Gestaltungsfreiheit jedoch dahingehend einschränkt, dass Anordnungen des Erblassers nur dann uneingeschränkt gegenüber den Erben wirken, wenn sie einen hinreichenden Bezug zu dem hinterlassenen Vermögen haben.309 Der dogmatische Anknüpfungspunkt der Argumentation Windels liegt in dem Grundsatz der Universalsukzession, aus dem er immanente Schranken der erblasserischen Gestaltungsfreiheit herleitet.310 Indem die möglichen Inhalte letztwilliger Verfügungen auf vermögensbezogene Anordnungen beschränkt 306 In diese Richtung verstehen Keuk, FamRZ 1972, 9, 14, Windel, Über die Modi der Nachfolge in das Vermögen einer natürlichen Person beim Todesfall, 244 f., und Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer, 575, 583 ff. die Testierfreiheit. Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer, 575, 586 argumentiert, dass rein verhaltensbezogene Bedingungen und Auflagen unwirksam sind, weil der Erblasser damit „über das Grab hinaus“ Einfluss auf die Bedachten nehmen will. Schlüter versteht die Testierfreiheit damit nicht als umfassende Freiheit, sondern nimmt eine implizite Restriktion der Testierfreiheit auf das Vermögen an. Vgl. dazu auch die Darstellungen bei Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 130 ff. und Muscheler, Erbrecht, Band I, 219 Rn. 389. 307 So Keuk, FamRZ 1972, 9, 15, die betont, dass Anordnungen, die auf die Lebensführung einer anderen Person Einfluss nehmen und versuchen, die Handlungsfreiheit dieser Person zu beschränken, keinen Bestandteil letztwilliger Verfügungen bilden können. Der Erblasser verfüge nicht über eine Testierfreiheit um Personen zu beeinflussen, sondern um sein Vermögen weiterzugeben. Nach Keuk bestehen im Hinblick auf die Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen stets dann Zweifel, wenn der Erblasser nicht lediglich eine Beschränkung der Dispositionsfreiheit, sondern der Handlungsfreiheit bezweckt. 308 Vgl. Windel, Über die Modi der Nachfolge in das Vermögen einer natürlichen Person beim Todesfall, 244 f.; vgl. dazu auch die Darstellung bei Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 130; ablehnend auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 219 Rn. 389. 309 So Windel, Über die Modi der Nachfolge in das Vermögen einer natürlichen Person beim Todesfall, 244 f., der betont, dass Willensentscheidungen des Erblassers nur insoweit fortwirken, „als sie im hinterlassenen Vermögen einen objektiven Niederschlag gefunden haben; darüber hinausgehende Bindungen sind legitimationsbedürftig, weil der Person des Erben im Rahmen eines objektiven Vermögensrechts der Überlebenden größere Bedeutung zukommt als der des Erblassers.“; vgl. dazu auch die Darstellung bei Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 130; ablehnend auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 219 Rn. 389. 310 Vgl. Windel, Über die Modi der Nachfolge in das Vermögen einer natürlichen Person beim Todesfall, 244 f., 1 ff.; vgl. dazu die Darstellung bei Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 130.
VI. Konzeptionen der Testierfreiheit
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werden, begrenzen die Vertreter dieser Spielart die Testierfreiheit auf eine reine Vermögensfreiheit.311 Das Verständnis der Testierfreiheit als reine Vermögensfreiheit von Keuk, Windel und Schlüter312 und die dabei vorgenommene Beschränkung der Testierfreiheit auf vermögensbezogene Anordnungen überzeugt indes nicht. Sie beruht auf der fehlerhaften Gleichsetzung des Gegenstands der Testierfreiheit mit einer der zahlreichen Funktionen der Testierfreiheit.313 Dabei verkennen die Befürworter eines solchen vermögensorientierten Ansatzes, dass das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches den Erblasserwillen in den Mittelpunkt rückt und diesen umfassend vor Verfälschungen, Irrtümern und sonstigen Einflüssen schützt.314 Die Testierfreiheit, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegt, ist wesentlich durch die römisch-rechtliche Tradition geprägt, die den individuellen Willen des Erblassers zum Ausgangspunkt aller Überlegungen hinsichtlich des Erbrechts gemacht hat, ohne diesen auf bestimmte Bereiche zu begrenzen. Gegen das Erfordernis eines Vermögensbezugs sprechen sich darüber hinaus auch explizit die Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch aus. Dort werden zu den einzelnen Vorschriften Beispiele angeführt, denen sich entnehmen lässt, dass die Begründer des Bürgerlichen Gesetzbuches auch verhaltensbezogene Bedingungen zulassen wollten. So soll beispielsweise die Bedingung, dass ein Mann seine Frau nicht verlässt, nach den Gesetzesmotiven unter § 2075 BGB fallen und nicht von vornherein rechtlich unmöglich sein.315 Selbiges gilt für die Bedingung, dass der Erbe für einen gewissen Zeitraum auf das übermäßige Trinken verzichten muss.316 Darüber hinaus steht die von Keuk, Windel und Schlüter vorgetragene Konzeption der Testierfreiheit in einem Widerspruch zu der Entstehungsgeschichte des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches. So wurde bei dessen Entwicklung vielfach auf die Möglichkeit der Einwirkung des Erblassers auf 311
Zu dem Begriff der Testierfreiheit als „reine Vermögensfreiheit“ und der entsprechenden Kritik s. Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 130; auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 219 Rn. 389 lehnt eine Begründung der Testierfreiheit durch das Vermögen des Erblassers ab. 312 Vgl. Kap. B. Fn. 306. 313 Zu den Funktionen der Testierfreiheit s. Kap. B. III. Die Testierfreiheit verfügt unter anderem über die Funktion, den Vermögensübergang mit Blick auf die individuellen Vermögensverhältnisse zu regeln. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Testierfreiheit hierauf beschränkt ist. In diese Richtung argumentieren auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 219, Rn. 389 u. Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 132 f. 314 Vgl. dazu auch die Ausführungen in dem Kap. D. 315 Vgl. Motive, V, 29 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 15. 316 Vgl. Motive, V, 29 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 15.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
die Abkömmlinge als Funktion der Testierfreiheit hingewiesen.317 Gerade diese Funktion wird der Testierfreiheit genommen, wenn zwingend ein Vermögensbezug gefordert wird. Keuk begründet ihren Ansatz damit, dass dem Erblasser sein Handeln nichts koste: „Den Testator, der für die Zeit nach seinem Tode einer anderen Person seinen Willen, seine Anschauungen aufzuzwingen sucht, kostet dieser Versuch nichts. Denn er setzt Mittel ein, die er selbst nicht mehr entbehren wird. Derjenige hingegen, der dies zu seinen Lebzeiten unternimmt, muss sich selbst etwas entziehen.“318
Auch diese Argumentation überzeugt nicht. Zwar mag der Befund, dass den Erblasser das Treffen bestimmter Anordnungen nichts kostet, zutreffend sein. Dies hängt jedoch mit dem Umstand zusammen, dass es sich um einen postmortalen Erwerb handelt und lässt folglich keinen Schluss auf die Grundlage und die Reichweite der Testierfreiheit zu. Das Entbehrungs-Kriterium, welches Keuk aufstellt, ist daher abzulehnen.319 Im Übrigen könnte ein solcher vermögensbasierter Ansatz die Testierfreiheit von vorneherein nicht begründen. Zutreffend führt Muscheler dazu aus, dass auch das gesetzliche Erbrecht die jeweilige Eigenart des Vermögens hinreichend berücksichtigen und eine Anpassung im Hinblick auf die Größe, den Umfang und die Struktur vornehmen könnte. Einer weitreichenden Testierfreiheit – wie sie das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches gewährt – bedürfte es dann nicht. Sofern entgegen der Argumentation Muschelers davon ausgegangen wird, dass eine solche hinreichend individualisierte Vermögensweitergabe nur durch den jeweiligen Erblasser selbst angeordnet werden kann, spricht dies gleichwohl nicht dafür, dass das Vermögen die Grundlage der Testierfreiheit ist. Es lässt sich dann nämlich nicht erklären, warum es sich bei dem Erbrecht um dasjenige Rechtsgebiet des Privatrechts handelt, das im Hinblick auf den Erblasser die weitreichendste individuelle Freiheit gewährleisten soll.320 Sofern die Testierfreiheit als reine Vermögensfreiheit interpretiert wird, stellt sich folglich die Frage, warum die Verfassung und das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches den Erblasserwillen zunächst umfassend schützen, um ihn sodann über den § 138 Abs. 1 BGB321 oder über 317
Vgl. dazu die Ausführungen in dem Kap. B. III. 3.; vgl. auch Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 83 ff., 90, 94; Klippel, SZ Germ. Abt. 101 (1984), 117, 165; Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 132 f. In diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 214 Rn. 376: „Das Testament kann, in diesem Lichte betrachtet, als Disziplinierungs- und Sanktionsinstrument verstanden werden.“ 318 Vgl. Keuk, FamRZ 1972, 9, 14; dies ebenfalls kritisierend Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 132 f. 319 In diese Richtung auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 133. 320 In diese Richtung auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 133. 321 So Keuk, FamRZ 1972, 9 ff.; in eine ähnliche Richtung argumentiert Schlüter, Fest-
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eine Anknüpfung an den § 1922 BGB322 wieder einzuschränken. Dies wäre widersprüchlich. Die Testierfreiheit ist folglich weder als eine reine Vermögensfreiheit zu verstehen noch ist ihre Grundlage in der reinen individualisierten Vermögensweitergabe zu suchen.
4. Familiaristische Wertungen als Grundlage der Testierfreiheit In dem Kapitel zu der historischen Betrachtung der Testierfreiheit ist bereits das Spannungsverhältnis zwischen der Testierfreiheit und der Familiengebundenheit des Vermögens deutlich geworden.323 Dieses Spannungsverhältnis taucht auch bei der Suche nach der Grundlage der Testierfreiheit auf. Vielfach werden Versuche unternommen, die Testierfreiheit von dem Eigentumsbegriff zu lösen, um sie als Befugnis zur Erzielung bestimmter familiärer Effekte zu charakterisieren.324 Die Testierfreiheit wird von den Befürwortern dieser Sichtweise als eine „[…] Freiheit zur pflichtgemäßen, gerechten Ausübung, aus der Verantwortung des Ehegatten und Familienvaters heraus“325
gabe Zivilrechtslehrer, 575, 583, der dem Erblasser jedoch das rechtliche Können im Hinblick auf die Anordnung nicht-vermögensbasierter Bedingungen abspricht. 322 So Windel, Über die Modi der Nachfolge in das Vermögen einer natürlichen Person beim Todesfall, 244 f., 1 ff. 323 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. II. Während das römische Recht von der Vorstellung geprägt war, dass der Wille des Erblassers den Ausgangspunkt des Erbrechts bildet, wurde in der germanischen Tradition die Familie und damit einhergehend die Familienerbfolge zum Ausgangspunkt des Erbrechts erklärt. 324 Vgl. dazu exemplarisch Leipold, AcP 180 (1980), 161, 195; MüKoBGB/Leipold BGB Einl Erbrecht Rn. 19 ff.; in (abgeschwächter) Weise sieht auch Otte die Testierfreiheit als durch familiäre Prägungen begrenzt an, wenn dieser den § 138 Abs. 1 BGB bei der „Verletzung familiärer Pflichten“ auf letztwillige Verfügungen anwenden will, s. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 153; vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. c). Vgl. auch v. Schrenck-Notzing, Unerlaubte Bedingungen, 67, der betont, dass verhaltensbezogene Bedingungen eine besondere Rechtfertigung bedürfen. Diese Rechtfertigung läge nur dann vor, wenn die Bedingung ihrem Inhalt nach den Prinzipien des Erbrechts diene. Dies sind nach v. Schrenck-Notzing die Familienfürsorge und die Vermögenserhaltung. 325 Vgl. Leipold, AcP 180 (1980), 161, 195; in eine ähnliche Richtung geht die aktuelle Kommentierung Leipolds, s. MüKoBGB/Leipold BGB Einl Erbrecht Rn. 19: „Während aber die gesetzliche Erbfolge einen generellen Maßstab anlegt und eine nach Meinung des Gesetzgebers für den Normalfall angemessene Erbregelung enthält, erlaubt die Testierfreiheit dem Erblasser, die Besonderheiten des einzelnen Falles durch individuelle Regelungen zu berücksichtigen. So ist es letztlich das Vertrauen in den Gerechtigkeitssinn des Erblassers (auch in seiner Rolle als Ehegatte, Eltern- oder Großelternteil usw.), das der Testierfreiheit des BGB zugrunde liegt.“ An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass Leipold die Testierfreiheit als familiaristisch vorgeprägt ansieht.
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verstanden. Ihr Zweck sei es nicht, beliebig von der gesetzlichen Erbfolge und dem damit verbundenen Familienerbrecht abzuweichen, sondern die gesetzliche Erbfolge an die individuellen familiären Gegebenheiten anzupassen.326 Diese Grundlegung der Testierfreiheit ist von dem Leitgedanken des „gerechten Hausvaters“ geprägt.327 Die Befürworter eines solchen familiaristischen Verständnisses verstehen die Testierfreiheit nicht als eine Freiheit nach Belieben, „[…] sondern als Freiheit zur pflichtgemäßen, gerechten Ausübung aus der Verantwortung des Ehegatten und Familienvaters heraus.“328 Ein solches familiaristisches Verständnis hat Auswirkungen auf die Grenzen der Testierfreiheit. So wird die dispositive gesetzliche Erbfolge zu einem normativen Wertemaßstab erhoben.329 Dies wird an den Ausführungen Leipolds deutlich: „Die Entziehung des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten oder naher Verwandter, d. h. die Enterbung, ist kein wertfreier, gleichsam neutraler Vorgang, sondern ein Eingriff in eine Rechtsposition, die dem gesetzlichen Erben eigentlich zusteht, und daher eine Maßnahme, die als ungerecht (nicht als bloß unbillig) empfunden wird, wenn der Erblasser ohne vernünftigen sachlichen Grund die Enterbung ausgesprochen hat.“330
Die Aufwertung der gesetzlichen Erbfolge zu einem normativen Wertemaßstab hat zur Folge, dass die Befürworter eines familiaristischen Verständnisses der Testierfreiheit eine von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Entscheidung des Erblassers der richterlichen Kontrolle unterziehen wollen. Solche Verfügungen, die aus familiären Gesichtspunkten grob unbillig erscheinen würden, sollen nach dieser Sichtweise über das Sittenwidrigkeitsverdikt des § 138 Abs. 1 BGB für nichtig erklärt werden.331
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Vgl. Leipold, AcP 180 (1980), 161, 195; MüKoBGB/Leipold BGB Einl Erbrecht Rn. 19 ff.; in diese Richtung bereits Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 180; vgl. dazu insbesondere die Ausführungen in Kap. B. IV. 1. c). 327 So explizit Lange, JherJb 82 (1932), 1, 12: „Das BGB geht von den gesunden Begriffen einer gefestigten Zeit aus; sein Erblasser ist der pflichtgetreue Hausvater, der nach reiflicher Prüfung sein Haus bestellt.“ Vgl. zu dieser Bewertung Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 46. 328 Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195. Leipold betont darüber hinaus, dass nicht die freie und beliebige Abweichung von dem gesetzlichen Familienerbrecht, sondern die gerechte Anpassung selbiger auf die konkreten Gegebenheiten des Falls den eigentlichen Zweck der Testierfreiheit darstellt – vgl. dazu Leipold, AcP 180 (1980), 160, vgl. auch MüKoBGB/Leipold BGB Einl Erbrecht Rn. 21; diese Sichtweise kritisierend Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 47; Muscheler, Erbrecht, Band I, 234 f. Rn. 419 f. 329 In diese Richtung kritisiert auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 47 das familiaristische Verständnis der Testierfreiheit. 330 Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195. 331 So Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195 f.; vgl. dazu auch die Darstellungen bei Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 48 u. Muscheler, Erbrecht, Band I, 234 f. Rn. 419 f.
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Die Befürworter eines familiaristischen Ansatzes berufen sich dabei auf die Entstehungsgeschichte des BGB-Erbrechts und explizit auf die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch.332 Ein solcher Rekurs auf die Entstehungsgeschichte zu der Begründung eines familiaristischen Verständnisses der Testierfreiheit kann indes nicht überzeugen. Die vorausgegangene rechtshistorische Betrachtung der Testierfreiheit hat bereits deutlich gemacht, dass der historische Gesetzgeber in Gefolge der römischen Tradition den Erblasserwillen zum Ausgangspunkt des Erbrechts gemacht und einen familiaristischen Ausgangspunkt des Erbrechts und der Testierfreiheit damit abgelehnt hat.333 Darüber hinaus wird in den Motiven betont, dass „[d]er Erblasser, welcher pflichtwidrig über seinen Gesamtnachlass verfügt, […] nicht in eine fremde Rechtsphäre [eingreife].“334 Mit der von Leipold angeführten Pflichtwidrigkeit kann folglich kein Verstoß gegen eine Rechtspflicht gemeint sein.335 Auch aus diesem Grund überzeugt ein familiaristisches Verständnis der Testierfreiheit nicht. Die nahen Angehörigen verfügen außerhalb des Pflichtteilsrechts über keinen Anspruch auf Partizipation an dem Nachlass des Erblassers.336 Wäre das gesamte gewillkürte Erbrecht als Ausdruck der Testierfreiheit tatsächlich familiaristisch geprägt, so hätte der Gesetzgeber darüber hinaus auch rechtliche Möglichkeiten geschaffen, um Verfügungen,
332 So Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195, Fn. 93 der darauf hinweist, dass in den Motiven zum BGB von einer Rechtspflicht des Erblassers ausgegangen wird, die Testierfreiheit nicht zu missbrauchen. Zutreffend weist Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 50 darauf hin, dass die Motive an dieser Stelle das Pflichtteilsrecht lediglich nutzen, „um den rechten Gebrauch der Testierfreiheit zu implementieren“. Hieran zeige sich zugleich, dass der historische Gesetzgeber sich der Frage entziehen wollte, welches Maß an familiärer Redlichkeit bei der Ausübung der Testierfreiheit erforderlich ist. Insgesamt überzeuge es nicht, der Entstehungsgeschichte des Erbrechts eine familiaristische Ausrichtung zu entnehmen. 333 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. II.; in diese Richtung auch Goebel, Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 50; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 37 ff.; Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 23 ff. 334 Motive, V, 386 = Mugdan, Die gesammten Materialen zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 205; zutreffend daher Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 50 f.: „Es überzeugt insgesamt gesehen deshalb nicht, aus der Entstehungsgeschichte eine familiaristische Ausrichtung des gesamten gewillkürten Erbrechts zu folgern, falls nicht zugleich der Nachweis erbracht wird, der Gesetzgeber habe ein auch rechtlich sanktionierbares familiares Wohlverhalten erzwingen wollen, welches über die pflichtteilsrechtlichen Vorgaben hinaus geht […].“ 335 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 50. 336 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 234 f. Rn. 420, der betont, dass Verwandtschaft und Ehe lediglich familienrechtliche Verpflichtungen hervorrufen, jedoch (mit Ausnahme des Pflichtteilsrechts) keine erbrechtlichen. Vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a).
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
die den Interessen der Familie zuwiderlaufen, rechtlich zu sanktionieren.337 Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Der Rückgriff auf den § 138 BGB, den die Vertreter dieses Verständnisses der Testierfreiheit vornehmen, stellt lediglich eine Notlösung dar und würde ohne die Aufwertung der gesetzlichen Erbfolge zu einem normativen Wertemaßstab ohnehin nicht zur Anwendung gelangen, sodass es im Ergebnis dabei bleiben muss, dass der Gesetzgeber keine spezifisch erbrechtlichen Instrumente geschaffen hat, um Familieninteressen durchzusetzen. Des Weiteren betont Goebel zurecht, dass die Regeln zu der Testamentsauslegung sich mit einem familiaristischen Verständnis der Testierfreiheit nicht erklären lassen.338 Sofern die Testierfreiheit tatsächlich als eine Art treuhänderische Kompetenz zum Hervorrufen positiver familiärer Effekte zu verstehen wäre, müsste die Auslegung letztwilliger Verfügungen aus dem Horizont der nahen Familienangehörigen erfolgen.339 Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr ist der Wille des Erblassers das bestimmende Auslegungskriterium im Erbrecht.340 Die Grundlage der Testierfreiheit in familiaristischen Wertungen zu sehen, wäre nur dann mit der Auslegung nach dem Willen des Erblassers vereinbar, wenn davon ausgegangen werden könnte, dass der Erblasserwille stets auf die Erzielung positiver familiärer Effekte gerichtet ist. Wie bereits im Rahmen der Untersuchung der Funktionen der Testierfreiheit dargelegt, ist hiervon jedoch nicht auszugehen.341 Darüber hinaus kann eine familiaristische Grundlegung der Testierfreiheit auch die erbrechtlichen Regelungen zu der Anfechtungsberechtigung nicht erklären. Nach den gesetzlichen Regelungen sind nicht nur die nahen Familienangehörigen, beziehungsweise die gesetzlichen Erben anfechtungsberechtigt, sondern auch diejenigen Personen, die bei erfolgreicher Anfechtung eine Zuwendung erhalten würden, weil sie in einer früheren wirksamen Verfügung bedacht worden waren. Während die Anfechtungsberechtigung der gesetzlichen Erben mithilfe familiaristischer Wertungen erklärbar ist, gilt dies für den zweitgenannten Kreis der Anfechtungsberechtigten nicht. Wenn die Testierfreiheit tatsächlich von derartigen Vorstellungen geprägt wäre, müsste auch bei Vorliegen einer irrtumsbedingten Verfügung, deren Anfechtung einer Person zu statten kommt, bei welcher es sich nicht um ein Familienmitglied handelt, die Anfechtungsbefugnis bei der Familie liegen.342 337
In diese Richtung argumentiert Goebel, Die Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht,
62. 338
Vgl. Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 62 ff. Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 62 der dies damit begründet, dass nur auf diesem Wege erbrechtliche Auslegung und erbrechtlicher Familiarismus „zur Deckung“ gebracht werden könnten. 340 Vgl. Horn/Kroiß Testamentsauslegung Rn. 2; BeckOGK/Gierl BGB § 2084 Rn. 10. 341 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. III. 3. 342 Vgl. dazu ausführlich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 59. 339
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Sofern als Grundlage der Testierfreiheit familiaristische Erwägungen angeführt werden, können diese sich daher weder auf die Entstehungsgeschichte berufen noch die Regelungen zu der Testamentsauslegung und der Anfechtungsbefugnis erklären. Auch eine solche Konzeption der Testierfreiheit kann daher nicht überzeugen. Die Ablehnung des familiaristischen Verständnisses der Testierfreiheit bedeutet, dass diese außerhalb des Pflichtteilsrechts keinen relevanten familiären inneren Bindungen unterliegt. Insbesondere fungiert die gesetzliche Erbfolge nicht als normativer Wertemaßstab zur Überprüfung der Vereinbarkeit letztwilliger Verfügungen mit den guten Sitten. Damit ist die Zurücksetzung der gesetzlichen Erbfolge als ein wertfreier und neutraler Vorgang zu verstehen. Es bleibt daher bei dem Verständnis der Testierfreiheit als autonome und nicht als gebundene Freiheit.343
5. Das Persönlichkeitsrecht des Erblassers als Grundlage der Testierfreiheit Eine jüngere Auffassung sieht die Grundlage der Testierfreiheit in dem Persönlichkeitsrecht des Erblassers. Die Testierfreiheit wird nach Goebel gänzlich der Kategorie der Persönlichkeit zugeordnet und diene der individuellen Todesverarbeitung und der damit einhergehenden „Ich-Findung“ des Erblassers.344 Goebels „personenfunktionales Erbrechtsverständnis“ versucht, „[…] in die Eigenlogik des Rechts einen Ort zu implementieren, an dem die personale Sinngebung des Todes wieder in der Weise relevant werden kann, dass die Reproduktion der Systemimperative eine sozial zu respektierende, insofern verbindliche individuelle Sinngebung des Todes eben genau des sinngebenden Individuums nicht hindern kann.“345
Ein solches Verständnis der Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht hat Auswirkungen auf die Reichweite dieser Freiheit. Anders als Keuk, Windel und Schlüter hält Goebel einen Vermögensbezug bei erbrechtlichen Anordnungen für nicht erforderlich. Im Vordergrund stehe allein das Persönlichkeitsrecht des Erblassers. Eine Beschränkung der Testierfreiheit auf vermögensbezogene Anordnungen dürfe nicht erfolgen, da andernfalls dem Erblasser eine probate Form der Todesverarbeitung verloren ginge.346 343
Als gebundene Freiheit versteht Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195 die Testierfreiheit, indem er betont, dass dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht das Verständnis einer Testierfreiheit nach Belieben, sondern das Verständnis als Freiheit zur pflichtgemäßen Ausübung der Familienverantwortung zugrunde liegt. 344 So ausdrücklich Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 361; in diese Richtung auch Grziwotz, MDR 2016, 737, 741, der betont, dass sich die Testierfreiheit aus dem Persönlichkeitsrecht des Erblassers ergebe; dazu kritisch Muscheler, Erbrecht, Band I, 222 Rn. 397. 345 Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 169. 346 So explizit Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 133: „Ginge der Testier-
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Für Goebel ist entscheidend, dass der Akt des Testierens es dem Erblasser ermöglicht, über seine Person und seinen sozialen Geltungsanspruch Rechenschaft abzulegen.347 Ein solcher persönlichkeitsbasierter Ansatz kann – trotz zum Teil vorhandener zutreffender Befunde348 – im Ergebnis nicht überzeugen, weil er verkennt, dass es im Recht der Verfügungen von Todes wegen primär um das Schicksal des Eigentums und nicht um die Persönlichkeit des Erblassers geht.349 So sind Todesverarbeitung und Persönlichkeitsverwirklichung nach der Konzeption des deutschen Erbrechts von vorneherein faktisch nicht möglich, wenn kein Eigentum vorhanden ist. Dieser zentrale Aspekt findet bei Goebels persönlichkeitsbasierten Ansatz jedoch keine Berücksichtigung.350 Wenngleich das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches von zahlreichen personalistischen Elementen geprägt ist (beispielsweise von dem Grundsatz der formellen und materiellen Höchstpersönlichkeit nach den §§ 2064, 2065 BGB), bedarf es des persönlichkeitsbasierten Ansatzes Goebels nicht, um die Grundlegung der Testierfreiheit zu erklären. Zum einen ist bereits fraglich, ob die personalen Elemente des BGB-Erbrechts umfassend überzeugen, oder ob diese zumindest teilweise unzulässige Einschränkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit hervorrufen.351 Zum anderen sind die persönlichkeitsbasierten Elemente der erbrechtlichen Regelungen Ausdruck des Umstands, dass der Erblasser regelmäßig keine Korrektur der Verfügungen bei deren Wirkungseintritt mehr vornehmen kann und darüber hinaus auch nicht mehr zu seinen Anordnungen befragt werden kann.352 Hinzu freiheit das Instrument der nicht-vermögensbezogenen Anordnungen verloren, würde dies dem Erblasser demnach durchaus etwas ,kosten‘, er würde nämlich eine probate Form der Todesverarbeitung verlieren.“ 347 Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 169. 348 Zurecht bewertet Muscheler, Erbrecht, Band I, 223 Rn. 398 die Konzeption Goebels als philosophisch fundiert. In der Tat dürfte davon auszugehen sein, dass Erblasser mithilfe der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen Todesverarbeitung betreiben. Auch ist die Testierfreiheit des Erblassers nicht auf vermögensbezogene Anordnungen beschränkt. Insbesondere der Anordnung verhaltensbezogener Bedingungen liegen höchstpersönliche Wünsche, Vorstellungen und Entscheidungen des Erblassers zugrunde. Dieser Befund kann jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ohne Eigentum bzw. Vermögen eine Todesverarbeitung mittels erbrechtlicher Verfügungen von vorneherein nicht möglich ist. Dieser zentrale Aspekt findet jedoch bei Goebels persönlichkeitsbasierten Ansatz keine Berücksichtigung. 349 In diese Richtung auch MüKoBGB/Leipold BGB Einl. Erbrecht Rn. 18 Fn. 18; ähnlich kritisch äußert sich v. Mangoldt/Klein/Starck GG Art. 2 Rn. 81. 350 In diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I 222 f. Rn. 396 ff. 351 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit der Testamentserrichtung nach dem § 2065 BGB, s. dazu ausführlich Kap. D. II. 3. b). 352 Vgl. dazu ausführlich die Ausführungen zu dem Form- und Typenzwang in dem Kap. D. II. 2.; in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 223 Rn. 398.
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kommt, dass der Erblasser allein über die Weitergabe seines Vermögens bestimmt. Bereits dieser letztgenannte Umstand erklärt den personalen Charakter verschiedener erbrechtlicher Regelungen. Darüber hinaus haben die Ausführungen in Kapitel B. III. gezeigt, dass die Testierfreiheit zwar unter anderem die Funktion hat, die Selbstbestimmung des Einzelnen zu ermöglichen. Diese dient jedoch insgesamt der Verwirklichung der Erbrechtsgarantie, die das Ziel hat, das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung mit dem Tode des Eigentümers nicht untergehen zu lassen.353 Des Weiteren können ideelle Zwecke sowohl mithilfe von Rechtsgeschäften unter Lebenden als auch durch Verfügungen von Todes wegen verfolgt werden.354 Dies gilt insbesondere für die von Goebel hervorgehobene Todesverarbeitung.355 Menschen verarbeiten die Unvermeidbarkeit des eigenen Ablebens auf unterschiedliche Weise und benötigen hierfür nicht das Recht der Verfügungen von Todes wegen, sondern können dies auch durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden erreichen. Zutreffend weist Otte daher darauf hin, dass es der „Stilisierung der Testierfreiheit als ,Persönlichkeitsrecht‘“356 durch Goebel nicht bedürfe.357 Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass die Testierfreiheit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG folgt.358 Aus verfassungsrechtlicher Per-
353 So die ständige Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 112, 332, 348; BVerfG, NJW 2000, 2495, 2495. Vgl. auch BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 140; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 519; v. Münch/Kunig/Bryde GG Art. 14 Rn. 44; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 519; s. dazu auch die Ausführungen in Kap. A. u. Kap. B. I. Vgl. auch den nächsten Abschnitt, der sich mit dem Eigentumsrecht als Grundlage der Testierfreiheit. 354 In diese Richtung argumentieren auch Staudinger/Otte BGB, Einleitung zum Erbrecht Rn. 55 u. Muscheler, Erbrecht, Band I, 223 Rn. 398. 355 Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 361 f. stellt heraus, dass die Testierfreiheit und das daraus resultierende Recht zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen ein adäquates Mittel bereitstellt, um den eigenen Tod zu verarbeiten. Vgl. dazu auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 223 Rn. 398. 356 So explizit Staudinger/Otte BGB, Einleitung zum Erbrecht Rn. 55, der betont, dass „[…] Menschen ganz andere Wege finden können, sich mit der Unvermeidlichkeit ihres Todes auseinanderzusetzen, und dazu keine Verfügung von Todes wegen benötigen, als auch daran, dass sich der Vermögenstransfer auf die Nachfolgenden im Wesentlichen auch durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden bewirken lässt, denen dieselbe Dignität als Ausübung eines Persönlichkeitsrechts zuerkannt werden müsste, womit sich der Versuch, das Wesen der Testierfreiheit durch ihr Verständnis als Persönlichkeitsrecht zu erfassen, als Fehlschlag erweisen würde.“ 357 So aber Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 361; kritisch Staudinger/Otte BGB Einleitung zum Erbrecht Rn. 55. 358 Vgl. BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358 ff.; BVerfGE 97, 1, 6; BVerfGE 99, 341, 350; BVerfGE 112, 332, 349; s. dazu auch ausführlich Kap. B. I.
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spektive ist deshalb zu ergänzen, dass die Testierfreiheit ihre Grundlage in dem Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und nicht in dem Art. 2 Abs. 1 GG findet. „Diese klare verfassungsrechtliche Entscheidung kann nicht unter Hinweis auf einen ,kulturellen Diskurs zur Todesverarbeitung‘ in Frage gestellt und im allgemeinen Persönlichkeitsrecht angesiedelt werden.“359
Im Ergebnis überzeugt Goebels Konzeption der Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht daher nicht. Die Testierfreiheit dient mehr der Weitergabe des Eigentums als der persönlichen Selbstverwirklichung des Erblassers. Dass es eine umfassende Testierfreiheit dem Erblasser auch ermöglicht, sich selbst zu verwirklichen, wird dabei nicht bestritten.360 Diese Selbstverwirklichung ist jedoch eine Folge des Umfangs und der Art und Weise der Weitergabe des Eigentums des Erblassers und beruht damit in erster Linie auf dem Eigentumsaspekt und ist folglich nicht persönlichkeitsbasiert.
6. Das Eigentumsrecht als Grundlage der Testierfreiheit Nachdem sich alle bislang diskutierten Konzeptionen zu der Begründung der Testierfreiheit als untauglich erwiesen haben, bleibt noch zu analysieren, ob das Eigentum die Grundlage der Testierfreiheit bildet. Das Erbrecht und die Testierfreiheit könnten nach dieser Konzeption als die notwendigen Folgen und Ergänzungen des Eigentums zu verstehen sein. Nach verbreiteter Ansicht besteht eine Verknüpfung zwischen dem Eigentum, der Eigentümerfreiheit, dem Erbrecht und der Testierfreiheit.361 So führt auch das sich dieser Sichtweise anschließende Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung zu der Testierfreiheit aus: „Sie ist als Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Tod hinaus eng mit der Garantie des Eigentums verknüpft und genießt wie diese als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit besonders ausgeprägten Schutz.“362
359 So v. Mangoldt/Klein/Starck GG Art. 2 Rn. 81; in diese Richtung auch Staudinger/Otte BGB, Einleitung zum Erbrecht Rn. 55. Muscheler, Erbrecht, Band I, 223 Rn. 398. 360 Mit dem Charakter der Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht befasst sich das Kap. D. I. ausführlich. Es wurde in Kap. B. I. und Kap. B. III. 5. bereits gezeigt, dass die Testierfreiheit als ein individuelles Selbstbestimmungsrecht. 361 Vgl. dazu exemplarisch Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 140; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 519; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/ Froese GG Art. 14 Rn. 519; v. Münch/Kunig/Bryde GG Art. 14 Rn. 44; Muscheler, Erbrecht, Band I, 223 ff. Rn. 399 ff. 362 So die ständige Rechtsprechung des BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 112, 332, 348; BVerfG, NJW 2000, 2495, 2495. Vgl. auch Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 519; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 140; v. Münch/Kunig/Bryde GG Art. 14 Rn. 44; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 519; s. dazu auch die Ausführungen in Kap. A. u. Kap. B. I.
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Freilich bedarf es für die Annahme eines solchen Zusammenhangs zwischen Eigentum, Erbrecht und Testierfreiheit einer näheren Betrachtung. Zu Recht weist Goebel darauf hin, dass die Folgerung „Privateigentum also Privaterbrecht – Privaterbrecht also Testierfreiheit“363 vielfach nicht hinreichend begründet wird.364 Diese Arbeit will einen solchen Weg nicht gehen und diesen Zusammenhang in dem nachfolgenden Abschnitt darlegen. a) Der Zusammenhang zwischen Eigentumsgarantie, Erbrechtsgarantie und Testierfreiheit Die rechtshistorische Betrachtung der Testierfreiheit hat gezeigt, dass die heutige Testierfreiheit überwiegend auf das römische Recht zurückzuführen ist. Bereits das römische Recht verknüpfte das Eigentum mit dem Erbrecht.365 Seit Grotius sind auch Teile des naturrechtlichen Schrifttums von dem Gedanken geprägt, dass die Testierfreiheit mit der Eigentumsgarantie verbunden ist366: „Denn, wenn auch das Testament wie andere Rechtshandlungen in seinen Förmlichkeiten von dem bürgerlichen Recht geregelt werden kann, so ist es doch seinem Inhalt nach mit dem Eigentum verwandt und insofern natürlichen Rechts.“367
An dieser Verknüpfung zwischen Eigentum und Erbrecht hat sich auch mit Einführung des BGB-Erbrechts nichts geändert. Mit der Geltung des Grundgesetzes wurde der inhaltliche Zusammenhang zwischen Eigentum und Erbrecht noch weiter unterstrichen.368 So gewährleistet Art. 14 Abs. 1 GG Eigen363 Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 74 Fn. 112. Goebel betont, dass diese Folgebeziehung zumeist mit den „Erfordernissen entwickelter marktwirtschaften oder – wenn der Freiheitsaspekt im Vordergrund steht – mit Entfaltungskategorien der autonomen Persönlichkeit im vermögensrechtlichen Bereich“ begründet wird. 364 So explizit Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 74 Fn. 112: „Die Verklammerung des Erbrechts mit dem Eigentum setzt selbstverständlich nicht auch zwangsläufig die Verklammerung der Testierfreiheit mit der Eigentümerfreiheit voraus […].“ 365 Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts Erbrecht Rn. 43. 366 Vgl. dazu die Darstellungen bei Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant; Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 23 f.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 202 Rn. 347. 367 Grotius, De iure belli ac pacis, libri tres, Kap. VI, § XIV; s. dazu die Darstellung bei Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 23 und den entsprechenden Originalauszug samt Übersetzung bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 202 f. Rn. 347 f. Vgl. auch Stahl, Die Philosophie des Rechts, Band II, 507, der ebenfalls eine solche naturrechtliche Prägung der Testierfreiheit durch das Eigentum annimmt. 368 So BVerfGE 91, 346, 358: „Die Erbrechtsgarantie ergänzt insoweit die Eigentumsgarantie und bildet zusammen mit dieser die Grundlage für die im Grundgesetz vorgegebene private Vermögensordnung.“; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts Erbrecht Rn. 1.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
tum und Erbrecht in einem Satz.369 Diese gemeinsame Gewährleistung verdeutlicht den engen Zusammenhang beider Rechtsinstitute und gibt bereits einen Hinweis darauf, dass sich beide Garantien wechselseitig bedingen.370 Das Eigentum wäre ohne die Anerkennung eines Privaterbrechts nicht mehr als ein lebenslänglicher Nießbrauch und daher in seinem Bedeutungsgehalt erheblich eingeschränkt.371 Bestätigt wird die Abhängigkeit von Eigentum und Erbrecht in besonders anschaulicher Weise bei Betrachtung der Abschaffung des Erbrechts in Russland.372 Nachdem durch Dekret das Erbrecht im Jahre 1918 vollständig beseitigt worden ist, kam dem Institut des Privateigentums lediglich eine „prekäre Existenz“373 und „ephemere Bedeutung“374 zu. Aus einer solchen Verknüpfung von Eigentums- und Erbrechtsgarantie lassen sich Rückschlüsse auf den Zweck der Erbrechtsgarantie ziehen. So sieht das Bundesverfassungsgericht die zentrale Funktion der Erbrechtsgarantie darin, „das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung [...] mit dem Tode des Eigentümers nicht untergehen zu lassen, sondern seinen Fortbestand im Wege der Rechtsnachfolge zu sichern.“375 369 Anders als noch in der Weimarer Reichsverfassung, die in Art. 153 das Eigentum und in Art. 154 das Erbrecht getrennt voneinander garantierte, vgl. dazu auch Stern/Sachs/ Dietlein Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, § 113 XI, 2135 f.; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 140; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82. 370 So auch BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 140: „Indem das Grundgesetz in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG neben dem Eigentum das Erbrecht gewährleistet, wird schon textlich der enge Zusammenhang von Eigentum und Erbrecht als Grundkomponenten der privaten Vermögensordnung deutlich.“; in diese Richtung auch Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 404. 371 Hierbei handelt es sich um eine bekannte und oft zitierte Wendung Kipps. Vgl. dazu die Darstellungen bei Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 1 I. 1.; Isensee/Kirchhoff/Leisner Handbuch des Staatsrechts § 150 Rn. 1; Schlüter, Erbrecht, Rn. 5. Vgl. dazu auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht. 372 Eine solche Betrachtung nimmt Staudinger/Boehmer, 11. Aufl., Einleitung zum Erbrecht, § 5 Rn. 4 vor; in diese Richtung auch Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 11. 373 So Staudinger/Boehmer, 11. Aufl., Einleitung zum Erbrecht, § 5 Rn. 4. 374 Vgl. dazu auch Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 11. 375 BVerfGE 93, 165, 174; vgl. dazu auch BVerfGE 26, 215, 222; BVerfGE 50, 290, 340; BVerfGE 67, 329, 341; Stern/Sachs/Dietlein Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, § 113 XI, 2136. Den Zusammenhang zwischen Erbrecht und Eigentumsordnung betont auch MüKoBGB/Leipold BGB Einl ErbR, Rn. 18 Fn. 17: „Der enge Sinnzusammenhang zwischen Erbrecht und Eigentumsordnung ergibt sich aus dem Zweck des Erbrechts, allein die Vermögensnachfolge zu regeln und findet in der verfassungsrechtlichen Nähe der Erbrechtsgarantie zur Eigentumsgarantie ihren völlig sachgerechten Ausdruck.“ In diese Richtung auch Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschafts-
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Der Zweck der Erbrechtsgarantie ist folglich die Fortsetzung des Privateigentums über den Tod des Eigentümers hinaus.376 Hieran anknüpfend lassen sich Anforderungen an den Gewährleistungsgehalt der Erbrechtsgarantie aufstellen. Wenn das Privateigentum als Grundlage der selbstbestimmten Lebensgestaltung nicht mit dem Tod des Eigentümers untergehen, sondern im Rahmen der Privaterbfolge fortbestehen soll, muss die Erbrechtsgarantie sicherstellen, dass die wesentlichen Merkmale des Privateigentums, beziehungsweise der Erbrechtsgarantie erhalten bleiben. Da die Eigentumsgarantie das Eigentum so schützt, wie das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen es geformt haben, kann zur Bestimmung der wesentlichen Merkmale des Privateigentums auf den § 903 BGB zurückgegriffen werden.377 Zwar ist der Eigentumsbegriff des Art. 14 GG weiter gefasst als der des § 903 S. 1 BGB, gleichwohl lassen sich die wesentlichen Merkmale des Eigentums dem § 903 S. 1 BGB entnehmen.378 Der § 903 S. 1 BGB bestimmt, dass der Eigentümer einer Sache mit ihr nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen. Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG sichert diese gesetzliche Freiheit verfassungsrechtlich ab. Nach dem soeben dargelegten Verhältnis zwischen der Eigentums- und der Erbrechtsgarantie muss die Erbrechtrechtsgarantie die gesetzlich und verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsfreiheit ebenfalls gewähren. Diese Anforderungen an die Erbrechtsgarantie wirken sich unmittelbar auf das Verständnis und die Reichweite der Testierfreiheit aus. Die Testierfreiheit hat besteuerung, 54, 74; Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 23 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie, 254. 376 So explizit v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 514, die ausführen, dass das Erbrecht das Privateigentum über den Tod hinaus perpetuiere. Ohne eine solche Perpetuierung durch das Erbrecht und die Testierfreiheit würde die Eigentumsgarantie in ihrer Funktion als Grundlage einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unvollständig werden. Die durch das Erbrecht und die Testierfreiheit geschaffene Kontinuität biete ökonomische Perspektiven über den Tod hinaus. Vgl. dazu auch BeckOGK/Preuß BGB § 1922 Rn. 38; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82; Stern/ Sachs/Dietlein Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, § 113 XI, 2328. 377 Vgl. BVerfGE 11, 64, 70; BVerfGE 28, 119, 142; BVerfGE 65, 196; 209; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 10; Stern/Sachs/Dietlein Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band IV/1, § 113, 2184 f. 378 Zutreffend weist BeckOGK/Lakkis BGB § 903 Rn. 1 darauf hin, dass der Eigentumsbegriff des BGB zwar untrennbar verbunden, nicht jedoch identisch mit dem Eigentumsbegriff im GG ist. Der Eigentumsbegriff des Art. 14 GG ist weiter als derjenige des § 903 S. 1 BGB. Während der § 903 S. 1 BGB lediglich das Eigentum an Sachen im Sinne des § 90 BGB regelt, umfasst der Eigentumsbegriff des Grundgesetzes nach der Rechtsprechung des BVerfG auch immaterielle Güter und weitere Vermögensrecht, wie beispielsweise Forderungen, vgl. dazu BVerfGE 83, 201 ff.; BeckOGK/Lakkis BGB § 903 Rn. 29; BeckOK BGB/Fritzsche BGB § 903 Rn. 14; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 48.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
als das „bestimmende Element der Erbrechtsgarantie“379 sicherzustellen, dass der Eigentümer mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von der Einwirkung ausschließen kann.380 Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Testierfreiheit als eine Verlängerung des Eigentumsrechts des Erblassers über den Tod des Eigentümers fungiert und ihre Grundlage folglich in dem Eigentumsrecht liegt.381 Es ist daher zutreffend zu betonen, dass die Eigentumsfreiheit ihr Pendant für Verfügungen von Todes wegen in der Testierfreiheit findet.382 Sofern – wie hier favorisiert – die Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentumsfreiheit, beziehungsweise als Verlängerung des Eigentumsrechts verstanden wird, stellt sich die Frage, welchen verbleibenden Gewährleistungsgehalt die Erbrechtsgarantie besitzt.383 Da das Erbrecht in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG neben dem Eigentum garantiert wird, muss dieses auch eine gewisse eigenständige Bedeutung haben. Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Mit der gesonderten Erwähnung des Erbrechts neben dem Eigentumsschutz in Art. 14 I S. 1 GG bringt das GG zum Ausdruck, dass die Erbrechtsgarantie eine eigenständige, über die Gewährleistung der Testierfreiheit des Erblassers hinausgehende Bedeutung hat. Denn die Freiheit des Erblassers, zu vererben, könnte schon als Ausfluss der Eigentumsfreiheit angesehen werden. Die erbrechtliche Institutsgarantie vermittelt weitergehend inhaltliche Grundaussagen einer verfassungsrechtlich verbürgten Nachlassverteilung.“384 379 So die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 93, 165, 174; BVerfGE 126, 400, 424; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. I., die sich mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit beschäftigt und den Zusammenhang von Erbrechtsgarantie und Testierfreiheit dargelegt haben. 380 Vgl. dazu auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 516: „Das Erbrecht ist Ausfluss der allgemeinen Eigentumsnutzungs- und -verfügungsfreiheit des Eigentümers.“ 381 So explizit Radbruch, Rechtsphilosophie, 254 über die Testierfreiheit: „Sie stellt sich als die über den Tod hinaus verlängerte Eigentumsfreiheit dar.“ Ähnlich auch: Merten/ Papier/Kirchhof Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, § 112 Erbrecht Rn. 33: „Die Testierfreiheit ist in der Garantie der Eigentümerfreiheit angelegt.“; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 513; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 54, 74. 382 So Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts Erbrecht Rn. 1; in diese Richtung auch Tschäppeler, Die Testierfreiheit zwischen Freiheit des Erblassers und Gleichheit der Nachkommen, 23: „Das Recht zu letztwilligen Verfügungen erscheint damit als Parallele zum Verfügungsrecht zu Lebzeiten und soll demnach auch nicht stärker eingeschränkt sein. Die Freiheit des Eigentums spricht demnach auch für die Freiheit des Erblassers.“ 383 In diese Richtung auch Merten/Papier/Kirchhof, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, § 112 Erbrecht Rn. 11. 384 BVerfGE 112, 332, 349; zu dem eigenständigen Gewährleistungsgehalt der Erbrechtsgarantie s. auch BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 141; v. Münch/Kunig/Bryde GG Art. 14 Rn. 42 ff.; Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 78 ff.
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Die Erbrechtsgarantie enthält folglich einen über die Testierfreiheit hinausgehenden eigenständigen Bedeutungsgehalt, indem sie weitergehende Kernelemente des deutschen Erbrechts, wie beispielsweise das Recht der Kinder des Erblassers auf eine dem Grundsatz nach unentziehbare und bedarfsunabhängige Partizipation am Nachlass verfassungsrechtlich absichert.385 Die hier favorisierte Konzeption der Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentumsfreiheit steht daher nicht im Widerspruch zu der getrennten Gewährleistung von Eigentum und Erbrecht in dem Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Nachdem der Zusammenhang zwischen der Eigentumsgarantie, der Erbrechtsgarantie und der Testierfreiheit aufgezeigt und darüber hinaus dargelegt worden ist, dass die Testierfreiheit ihre Grundlage in dem Eigentumsrecht findet, sollen im Folgenden die Auswirkungen eines solchen Verständnisses auf die Reichweite der Testierfreiheit untersucht werden. b) Die Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentumsfreiheit: Auswirkungen auf die Reichweite der Testierfreiheit Als fortgesetzte Eigentumsfreiheit hat die Testierfreiheit sicherzustellen, dass der Eigentümer mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von der Einwirkung ausschließen kann.386 Da eine eigene Nutzung des Eigentums durch den Eigentümer über dessen Tod hinaus nicht möglich ist, tritt an diese Stelle eine erbrechtliche Verfügungsbefugnis.387 Gemeint ist hierbei eine lebzeitige Verfügungsbefugnis, die von dem Erblasser zu Lebzeiten wahrgenommen und nach seinem Tod von der Rechtsordnung respektiert wird.388 Die
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So explizit BVerfGE 112, 332, 349: „Die erbrechtliche Institutsgarantie vermittelt weiter gehend inhaltliche Grundaussagen einer verfassungsrechtlich verbürgten Nachlassverteilung. Zu den von ihr erfassten traditionellen Kernelementen des deutschen Erbrechts gehört auch das Recht der Kinder des Erblassers auf eine dem Grundsatz nach unentziehbare und bedarfsunabhängige Teilhabe am Nachlass.“ 386 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 516 f.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 223 Rn. 399. 387 So explizit Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82: „Da eine Privatnützigkeit des Eigentums zugunsten des Eigentümers über den Tod hinaus nicht denkbar ist, tritt an ihre Stelle die Verfügungsbefugnis. Die Verfügungsbefugnis kann vom noch lebenden Erblasser wahrgenommen werden, ihre Ergebnisse sind nach seinem Tod von der Rechtsordnung zu respektieren.“ 388 So Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82; in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 223 Rn. 399: „Gewiss die Verfügungsfreiheit, und genauer: die Verfügungsfreiheit des Erblassers als des gegenwärtigen Eigentümers; denn der Erblasser sagt im Akt des Testierens, wer nach seinem Tod neuer Eigentümer sein und ob dieses Eigentum irgendwie beschränkt sein soll (z.B. durch Nacherbschaft oder Testamentsvollstreckung).“ Diese Auffassungen stimmen mit den in Kap. B. V. 2. gefundenen Ergebnissen überein, die gezeigt haben, dass für den Schutz der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht über den Tod des Erblassers entscheidend ist, dass dieser als private legislator lebzeitig Rechtsver-
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Reichweite dieser erbrechtlichen Verfügungsbefugnis leitet sich von derjenigen der Verfügungsbefugnis des Eigentümers ab. Zutreffend formuliert daher Wieland: „Ebensowenig wie der Eigentümer zu Lebzeiten in Verfügungen über sein Eigentum beschränkt ist, ist er das bei Verfügungen von Todes wegen.“389
Bei der erbrechtlichen Verfügungsbefugnis handelt es sich folglich um eine weitreichende persönliche Gestaltungsfreiheit.390 Diese Verfügungsbefugnis wird durch die Erbrechtsgarantie an die spezifischen erbrechtlichen Besonderheiten angepasst.391 Sie umfasst das Recht des Erblassers, die Weitergabe seines Vermögens für die Zeit nach seinem Tod eigenständig zu regeln. Er kann dabei einen beliebigen Rechtsnachfolger bestimmen und somit die gesetzliche Erbfolge ausschließen. Hiermit geht auch die Befugnis einher, gesetzliche Erben von einer dinglichen Nachlassbeteiligung auszuschließen und auf den Geldanspruch des Pflichtteilsrechts zurückzusetzen.392 Die Verfügungsbefugnis der Testierfreiheit umfasst dabei auch das Recht, mehrere Erben einzusetzen und die Erbteile zu bestimmen.393 Es wurde darüber hinaus bereits gezeigt, dass das Eigentumsrecht auch eine Nutzungsfreiheit beinhaltet. Aus diesem Grund ist zu überprüfen, inwieweit sich die Nutzungsfreiheit des Eigentumsrechts in der Testierfreiheit niederschlägt. Hierbei gilt zunächst, dass die Verfügung ebenfalls eine Nutzung des Eigentums darstellt. In der Gewährleistung der erbrechtlichen Verfügungsbefugnis erschöpft sich jedoch die Nutzungsfreiheit des Eigentümers nicht. Vielmehr ermöglicht die sich in der Testierfreiheit widerspiegelnde Nutzungsfreiheit dem Erblasser, sein Eigentum darüber hinausgehend zu nutzen.394 Der Erblasser kann hältnisse privatautonom gestaltet, vgl. dazu auch Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 20. 389 Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82. 390 So zutreffend BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 3 mit Verweis auf BVerfGE 26, 215, 222; BVerfGE 50, 290, 340; BVerfGE 67, 329, 349; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341; BVerfGE 116, 332, 348. 391 In diese Richtung Merten/Papier/Kirchhof Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa § 112 Erbrecht Rn. 33: „Die Testierfreiheit ist in der Garantie der Eigentümerfreiheit angelegt. […] Die Erbrechtsgarantie stimmt diese Freiheit auf die Erbberechtigten ab.“ 392 Vgl. BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 99, 341, 350 f.; BVerfGE 112, 332, 349; Merten/ Papier/Kirchhof Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa § 112 Rn. 47; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51; vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. B. I. 393 Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. B. I.; vgl. auch v. Mangoldt/Klein/ Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 519. 394 Muscheler; Erbrecht, Band I, 226 Rn. 404 spricht davon, dass das Testament den Erblasser zum „multiplen Eigentümer“ mache.
VI. Konzeptionen der Testierfreiheit
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sein Testament dazu einsetzen, Erbprätendenten schon zu Lebzeiten zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen.395 „Er vermag sich qua Erbaussicht auf sein Eigentum etwas ,zu kaufen‘ und sein Eigentum trotzdem zu behalten.“396 Dabei kann der Erblasser aufgrund der freien Widerrufbarkeit seiner Verfügung das Eigentum mehrfach dazu nutzen, Erbprätendenten zu verschiedenen Verhaltensweisen zu veranlassen.397 Eine solche Nutzung des Testaments ist nicht unzulässig, sondern vielmehr eine zulässige Fruchtziehung. Diese lebzeitige Nutzungsfunktion wird durch die Testierfreiheit ermöglicht und über den Tod des Eigentümers beziehungsweise des Erblassers hinaus gewährleistet. Mithilfe der letztwilligen Verfügung kann der Erblasser darüber hinaus auf das Verhalten der Erben nach seinem Tode einwirken, beispielsweise durch die Verknüpfung der Erbeinsetzung mit einer Potestativbedingung. Anders als bei der lebzeitigen Nutzungsmöglichkeit mögen dem Erblasser hierdurch keine unmittelbaren Vorteile in Form von Pflegeleistungen oder der Haushaltsführung durch die Erbprätendenten entstehen. Gleichwohl nutzt der Erblasser die letztwillige Verfügung, um Erbprätendenten zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Der Erblasser kann die Erbprätendenten zwar nicht zu dem gewünschten Handeln zwingen, er kann jedoch durch das Inaussichtstellen der Erbschaft Anreize schaffen, dem Erblasserwunsch zu entsprechen. Auch hierbei handelt es sich zumindest grundsätzlich um eine zulässige Fruchtziehung im Sinne des § 100 BGB und damit um eine Nutzung des Eigentums und der Testierfreiheit. Diese Grundlegung ist für die nachfolgende Analyse der Grenzen der Testierfreiheit insoweit entscheidend, als dass ein solches „Nutzen“ des Eigentums mithilfe der Testierfreiheit zunehmend als missbilligenswert betrachtet wird.398
395 Bspw. zur Unterstützung des Erblassers im Haushalt, zur Pflege des Erblassers, oder zur Aufrechterhaltung regelmäßiger Treffen, vgl. dazu Muscheler, Erbrecht, Band I, 225 Rn. 404. 396 So explizit Muscheler, Erbrecht, Band I, 225 Rn. 404. 397 Dies ist aus ökonomischer Perspektive auch wünschenswert. Die Ausführungen in Kap. B. III. 1. b) haben gezeigt, dass der Erblasser mit dem Wink des Testaments und dem damit verbundenen Hinweis auf die Erbeinsetzung eine Motivation bei den Erbprätendenten hervorrufen kann. Diese Motivation kann beispielsweise dazu führen, dass Erbprätendenten ihre Fähigkeiten zur Fortführung des Lebenswerkes des Erblassers ausbilden, um von diesem zum Erben ernannt zu werden. 398 So legt die Rechtsprechung den § 14 HeimG – beziehungsweise die entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften – so aus, dass das Testament eines Heimbewohners zugunsten eines Verbotsadressaten bereits dann nichtig ist, wenn der Verbotsadressat von der Begünstigung vor dem Erbfall erfährt, vgl. dazu Muscheler m. V. auf BayObLG, NJW 1992, 55; BayObLG, NJW 1993, 1143; BayObLG NJW-RR 1999, 1454; BayObLG, NJW 2000, 1875; BayObLG FamRZ 2001, 1170; KG, FamRZ 1998, 1542; OLG Frankfurt, NJW 2001, 1504. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. D. III. 3.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Als drittes Merkmal der Eigentumsfreiheit verbleibt das Recht zum Ausschluss Dritter. Nach § 903 S. 1 BGB kann der Eigentümer einer Sache andere von jeder Einwirkung ausschließen. Diese Ausschlussfreiheit als negative Funktion des Eigentums spiegelt sich ebenfalls in der Reichweite der Testierfreiheit wider. Die Ausschlussfreiheit berechtigt den Erblasser, jeden Dritten und daher sämtliche gesetzliche Erben von einer Nachlassbeteiligung auszugrenzen.399 Das Recht zum Ausschluss Dritter von der Beteiligung am Nachlass wird explizit in dem § 1938 BGB normiert, der bestimmt, dass der Erblasser durch Testament einen Verwandten, den Ehegatten oder den Lebenspartner auch dann von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen und auf den Geldanspruch des Pflichtteilsrechts zurückzusetzen kann, wenn er keinen Erben einsetzt.400 Die Charakteristika der Eigentümerfreiheit spiegeln sich damit sowohl in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit als auch in der entsprechenden Ausgestaltung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches wider.
7. Loslösung der Testierfreiheit von der Eigentumsgarantie und der Vertragsfreiheit: Testierfreiheit als eigenständige Ausprägung der Privatautonomie Gegen die soeben vorgenommene Verankerung der Testierfreiheit in dem Eigentumsrecht hat sich Kroppenberg ausgesprochen und dafür plädiert, die Testierfreiheit – genau wie die Vertragsfreiheit – lediglich in Art. 2 Abs. 1 GG zu verorten.401 Kroppenberg will die Testierfreiheit dabei von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG lösen, um lebzeitige Vorprägungen der Testierfreiheit zu verhindern.402 Ihr zentrales Anliegen ist es, die Testierfreiheit als 399
Eine Ausnahme hierzu bildet lediglich das Pflichtteilsrecht, vgl. dazu Kap. C. III. Vgl. dazu aus verfassungsrechtlicher Perspektive auch BVerfGE 58, 377, 398: „Die Testierfreiheit als Bestandteil der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG umfasst die Befugnis des Erblassers, zu Lebzeiten einen von der gesetzlich vorgesehenen Erbfolge abweichenden Übergang seines Vermögens nach seinem Tode an einen oder mehrere Rechtsnachfolger anzuordnen, insbesondere einen gesetzlichen Erben von der Nachlassbeteiligung auszuschließen und wertmäßig auf den gesetzlichen Pflichtteil zu beschränken.“; vgl. Merten/Papier/Kirchhof Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, 1 § 112 Erbrecht Rn. 33. 401 Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 201 f. will dabei die inhaltliche Gestaltungsbefugnis von Todes wegen aus dem Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG herausnehmen. Vgl. dazu auch die Darstellungen bei Reimann, FamRZ 2008, 2255, 2255; Röthel, AcP 210 (2010), 759, 761. 402 Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 202 spricht davon, die Testierfreiheit aus dem „Korsett der lebzeitigen Eigentümerfreiheit“ herauszulösen. Damit weicht Kroppenberg von der bereits dargelegten herrschenden Auffassung, die die Testierfreiheit 400
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selbstständige Form der Privatautonomie neben der lebzeitigen Privatautonomie zu integrieren.403 Kroppenberg betont, dass die Vorprägungen der Testierfreiheit durch die Vertragsfreiheit dazu geführt hätten, dass die Testierfreiheit „an den Rand der Delegitimation“404 gebracht worden sei. Dies will Kroppenberg unter anderem mit dem verfehlten Topos von der „Herrschaft aus dem Grabe“405 und der „Entbehrungsmetapher“406 belegen. Zuzustimmen ist Kroppenberg insoweit, als dass sowohl der Topos von der „Herrschaft aus dem Grabe“ als auch die „Entbehrungsmetapher“ zur Begründung von Einschränkungen der Testierfreiheit abzulehnen sind. Dies haben die entsprechenden Ausführungen des vorausgegangenen Abschnitts zu dem Vermögen des Erblassers als Grundlage der Testierfreiheit gezeigt.407 Zu befürworten ist auch der Versuch Kroppenbergs, die Testierfreiheit wieder aufzuwerten.408 Ihrem Vorschlag, die Testierfreiheit von der Erbrechtsgarantie zu lösen und als letztwillige Privatautonomie zusammen mit der lebzeitigen Privatautonomie über Art. 2 Abs. 1 GG zu schützen, kann jedoch gleichwohl nicht gefolgt werden. Zunächst fehlt es Kroppenbergs These an einer grundrechtlichen Herleitung.409 Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Ausführungen in dem Abschnitt V. 2. gezeigt haben, dass das lebzeitige Verhalten
von der Garantie des Eigentums und des Erbrechts umfasst sieht, ab. Vgl. zu der vorherrschenden Ansicht BVerfGE 58, 377,398; BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 99, 341, 350 f.; s. dazu ausführlich die vorherigen Ausführungen in Kap. B I., VI. 6. Zu diesem Ergebnis gelangt auch Röthel, AcP 210 (2010), 759, 761. 403 In diese Richtung bewerten auch Röthel, AcP 210 (2010), 759, 761 f. und Reimann, FamRZ 2008, 2255, 2255 f. die Ausführungen Kroppenbergs. 404 So ausdrücklich Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 133; vgl. dazu auch die Darstellung bei Röthel, AcP 210 (2010), 759, 760. 405 Vgl. dazu Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer 575, 583; s. dazu ausführlich Kap. B. VI. 3. Vgl. auch die Darstellung der Thematik bei BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 4; jurisPK-BGB/Schneider § 2109 Rn. 1. 406 So aber Keuk, FamRZ 1972, 9, 14; s. dazu ausführlich Kap. B. VI. 3. 407 Vgl. dazu Kap. B. VI. 3, das gezeigt hat, dass das Vermögen des Erblassers nicht die Grundlage der Testierfreiheit bildet. Die Ausführungen haben insbesondere verdeutlicht, dass das Erfordernis eines Vermögensbezugs für die Ausübung der Testierfreiheit im Widerspruch zu den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch steht. 408 Vgl. Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 203. Kroppenberg will die Gestaltungsbefugnis von Todes wegen aufwerten und Ansätze, die eine Schwächung der Testierfreiheit gegenüber der Privatautonomie unter Lebenden hervorrufen, entgegentreten. Damit ähnelt das Anliegen Kroppenbergs grundsätzlich dem dieser Arbeit, s. dazu Kap. A. I. und die entsprechende Schlussbemerkung in Kap. G. Die Vorgehensweise unterscheidet sich jedoch fundamental. Während Kroppenberg ein neues Modell einer übergreifenden Privatautonomie samt verfassungsrechtlicher Neubewertung der Testierfreiheit entwickelt, setzt die vorliegende Arbeit bei den jeweiligen Begrenzungen der Testierfreiheit an, um die Testierfreiheit zu stärken. 409 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Röthel, AcP 210 (2010), 759, 763.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
des Erblassers zur Erklärung des Schutzes der Testierfreiheit als subjektives Individualrecht über den Tod des Erblassers hinaus maßgeblich ist.410 Bereits zu Lebzeiten setzt der Erblassers die relevanten Rechtsverhältnisse, die einen Schutz seines subjektiven Individualrechts erst ermöglichen. Eine strikte Trennung zwischen lebzeitiger Privatautonomie und Privatautonomie von Todes wegen und die damit einhergehende Emanzipation der Testierfreiheit erscheinen vor diesem Hintergrund nicht angezeigt. Die Testierfreiheit ist durch das Rechtsverhältnis, welches der Erblasser während seines Lebens durch Errichtung einer letztwilligen Verfügung erschafft, zwangsläufig lebzeitig geprägt. Des Weiteren betont Kroppenberg: „Die Herausnahme der eigentlichen inhaltlichen Gestaltungsbefugnis von Todes wegen bedeutet daher für das ,Erbrecht‘ des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG keinen allzu gravierenden Verlust.“411
Dem ist nicht zuzustimmen. Bei dem bestimmenden Element der Erbrechtsgarantie handelt es sich um die Testierfreiheit, die primär die inhaltliche Gestaltungsbefugnis von Todes wegen absichert.412 Eine Exklusion dieses zentralen Gewährleistungsgehaltes würde die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG erheblich schmälern und daneben der eigenständigen Garantie des Erbrechts neben dem Eigentum in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG widersprechen. Ohne die inhaltliche Gestaltungsbefugnis wäre die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu einem erheblichen Teil gegenstandslos. Dies widerspricht insoweit der Konzeption des GG, als dass der Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG explizit das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet. Die strikte Trennung der Testierfreiheit von der Privatautonomie unter Lebenden, die Kroppenberg zur Verhinderung einer lebzeitigen Vorprägung der Testierfreiheit favorisiert, wird darüber hinaus dem „Charakter der Privatautonomie als dem übergreifenden Prinzip des Privatrechts“413 nicht ge-
410
Vgl. dazu Kap. B. V. 2.; vgl. auch Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 17 ff.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 227 Rn. 407; a. A. Steiner, Arguing for Basic Income, Ethical Foundations for a Radical Reform, 81 ff., 85; Schmidt am Busch, ZfPP 2018, 15, 24, 28 f. 411 Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 202. Kroppenberg betont an dieser Stelle darüber hinaus, dass mit der „Befreiung der Testierfreiheit aus dem Korsett der lebzeitigen Eigentümerfreiheit“ diverse Vorteile einhergingen. 412 So die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 93, 165, 174; BVerfGE 126, 400, 424; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. I.; auch Kroppenberg erkennt grds. an, dass das bestimmende Element der Erbrechtsgarantie die Testierfreiheit ist, vgl. dazu Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 2, 161. 413 So explizit MüKoBGB/Leipold Einleitung zum Erbrecht Rn. 17 Fn. 15; in diese Richtung auch Röthel, AcP 210 (2010), 759, 763, die betont, dass Art. 14 GG der Testierfreiheit einen aussagekräftigeren Schutz vermittelt als die allgemeine Handlungsfreiheit.
VI. Konzeptionen der Testierfreiheit
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recht. Es bleibt daher dabei, dass die Testierfreiheit als die zentrale erbrechtliche Ausprägung der Privatautonomie zu verstehen ist, deren Grundlage sich in dem Eigentumsrecht und damit zugleich in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG findet. Darüber hinaus erscheint auch fraglich, ob das von Kroppenberg verfolgte Anliegen – die Stärkung der Testierfreiheit und deren verfassungsrechtliche Legitimation – durch eine Emanzipation der Testierfreiheit von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG erreicht werden kann. Diesbezüglich betont Röthel zutreffend: „Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass Art. 14 GG der Privatautonomie einen aussagekräftigeren Schutz vermittelt als die allgemeine Handlungsfreiheit. Was von Kroppenberg als emanzipatorisches Signal zugunsten der Testierfreiheit gedacht ist, könnte verfassungsrechtlich auch das Gegenteil bewirken […].“414
Daneben ist zu berücksichtigen, dass das zentrale Anliegen des Erbrechts die Gestaltung der Vermögensnachfolge von Todes wegen ist. Damit liegt der primäre Zweck der Testierfreiheit darin, die Verfügungsfreiheit des Eigentümers auf die Frage auszudehnen, wer nach seinem Versterben das erwirtschaftete Vermögen erhalten soll.415 Aus diesem Grund ist die Verortung der Erbrechtsgarantie samt der Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zutreffend.416 Die von Kroppenberg geäußerte Kritik417, dass die Testierfreiheit durch die Anknüpfung an den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG im Verhältnis zu den lebzeitigen sachenrechtlichen Verfügungen ihre erbrechtlichen Konturen verliere und damit „[…] jenen Rang als ,bestimmendes Element‘ der Erbrechtsgarantie einzubüßen droh[e] […]“418, kann nicht überzeu-
414 So explizit Röthel, AcP 210 (2010), 759, 763. Röthel betont, dass eine „Gleichstellung mit ,Reiten im Walde‘“ auch dazu führen könne, dass die Testierfreiheit einen weniger aussagekräftigen Schutz erfährt. Dem ist zuzustimmen. Während die Testierfreiheit durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG eine herausragende Stellung einnimmt, dürfte diese bei Verortung der Testierfreiheit in dem Art. 2 Abs. 1 GG verloren gehen. 415 Vgl. MüKoBGB/Leipold BGB Einleitung Erbrecht Rn. 18. In diese Richtung kann auch die Rechtsprechung des BVerfG verstanden werden, die die Testierfreiheit als Verfügungsbefugnis des Eigentümers als eng mit der Eigentumsgarantie verknüpft ansieht. Vgl. dazu BVerfGE 67, 329, 341; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 112, 332, 348; BVerfG, NJW 2000, 2495, 249. 416 So im Ergebnis auch MüKoBGB/Leipold BGB Einleitung Erbrecht Rn. 18. 417 Vgl. dazu Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 161: „Indem die Trennlinien zwischen erbrechtlichen Rechtsgeschäften und solchen unter Lebenden verschwimmen, verliert die Verfügungsbefugnis von Todes wegen im Gegenteil ihre spezifisch erbrechtliche Kontur – und zwar paradoxerweise gerade im Verhältnis zu den lebzeitigen sachenrechtlichen Verfügungen, die in den Schutzbereich des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG fallen.“ 418 Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 161; vgl. dazu auch die Darstellung bei Röthel, AcP 210 (2010), 759, 761.
88
B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
gen. Die Erbrechtsgarantie und insoweit auch die Testierfreiheit sind durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gleichrangig und eigenständig im Vergleich zu der Eigentumsgarantie abgesichert. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich betont, dass das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet sind. Die Verankerung der Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG führt dabei nicht zu einer „lebzeitigen Vorprägung“ der Testierfreiheit. Etwaige „lebzeitige Vorprägungen“ sind allein dem Umstand geschuldet, dass das Vorhandensein von Eigentum als eine notwendige Voraussetzung der Testierfreiheit anzusehen ist.419 Dieser Befund ändert sich auch dann nicht, wenn die letztwillige Privatautonomie von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und der Eigentums- und Erbrechtsgarantie losgelöst wird. Nach der Konzeption des Erbrechts kann nur derjenige von Todes wegen sein Eigentum beziehungsweise sein Vermögen weitergeben, der lebzeitig ein solches angehäuft hat. Die Testierfreiheit ist folglich zwingend lebzeitig vorgeprägt. Es erscheint daher überzeugender, die Grundlage der Testierfreiheit in dem Eigentumsrecht zu sehen und die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit, insbesondere ihrer inhaltlichen Gestaltungsbefugnis, bei der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu belassen. Die von Kroppenberg vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken, die nach ihrer Ansicht dadurch hervorgerufen werden, dass die Testierfreiheit ihren Rang als bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie zu verlieren drohe, müssen ohnehin auf einem anderen Weg gelöst werden. Die Loslösung der Gewährleistung der Testierfreiheit von der Erbrechtsgarantie ist für ein solches Anliegen jedenfalls ungeeignet. Diese Arbeit wird hierfür diejenigen Begrenzungen analysieren, die die Testierfreiheit beeinträchtigen und dabei überprüfen, inwiefern daraus resultierende Bedeutungsverluste zukünftig verhindert werden können.
VII. Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht Bislang wurde eine umfangreiche Betrachtung der Testierfreit vorgenommen. Dabei ist unter anderem deutlich geworden, dass sie als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht zu verstehen ist. Dies bedeutet,
419 In diese Richtung auch MüKoBGB/Leipold BGB Einleitung Erbrecht Rn. 18, Fn. 17: „Der enge Sinnzusammenhang zwischen Erbrecht und Eigentumsordnung ergibt sich aus dem Zweck des Erbrechts, allein die Vermögensnachfolge zu regeln, und findet in der verfassungsrechtlichen Nähe der Erbrechtsgarantie zur Eigentumsgarantie ihren völlig sachgerechten Ausdruck. Die hieran von Kroppenberg […] geäußerte Kritik, vermag in keiner Weise zu überzeugen.“
VII. Einwirkungen der Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht
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dass die Testierfreiheit auf Gesetze angewiesen ist, die sie ausgestalten. Die Ausgestaltung erfolgt dabei im Wesentlichen durch die Regelungen des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches. Auf diese Regelungen wirkt die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit erheblich ein. Die nachfolgenden Ausführungen wollen diese Einwirkungen der Testierfreiheit auf das BGBErbrecht näher untersuchen. Dabei wirkt sie zum einen als verfassungsrechtlicher Maßstab (dazu 1.) und zum anderen als Auslegungsmaxime auf das einfache Recht und seine Grenzen (dazu 2.) ein.
1. Die Testierfreiheit als verfassungsrechtlicher Maßstab für das einfache Recht Die Untersuchung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit hat ergeben, dass die gesetzliche Konkretisierung des Erbrechts der individuellen Testierfreiheit angemessen Rechnung zu tragen hat.420 Ähnlich wie die Vertragsfreiheit gewährt auch die Testierfreiheit eine Art Abschluss-, Inhalts- und Formfreiheit.421 Diesen Gewährleistungsgehalt der Testierfreiheit muss der Gesetzgeber bei der Regelung des BGB-Erbrechts berücksichtigen. Erst die einfach-rechtliche Kodifizierung verschafft der Testierfreiheit als abstraktes Grundprinzip des Erbrechts eine hinreichend konkrete Gestalt.422 Wenngleich dem Gesetzgeber bei der Verwirklichung dieser Prinzipien ein gewisser Gestaltungsspielraum zukommt, so ist dieser jedoch nicht unbegrenzt.423 So muss der Gesetzgeber bei der näheren Ausgestaltung des Erbrechts den grundlegenden Gehalt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit wahren.424 Ferner darf der Gesetzgeber die Testierfreiheit nur aufgrund eines legitimen Zwecks und nur unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränken.425 Hieran wird die 420 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. I.; vgl. auch explizit BVerfGE 93, 165, 173; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 518; Firsching/Graf, Nachlassrecht Rn. 1; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197; BeckOGK/Preuß BGB § 1922 Rn. 38 f.; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 142. 421 Vgl. dazu Muscheler, Erbrecht, Band I, 192 Rn. 392; Dittrich, ZEV 2013, 14, 14 ff. 422 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. V. 1., die gezeigt haben, dass es sich bei der Testierfreiheit um ein normgeprägtes Grundrecht handelt. Vgl. dazu auch BVerfGE 99, 341, 351; Ruffert, JuS 2020, 1, 4; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136 ff.; BeckOK GG/Axer GG Art. 14 Rn. 154. 423 Dies ist bereits im Rahmen der Betrachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit deutlich geworden, vgl. dazu Kap. B. I. 424 Vgl. BVerfGE 99, 341, 352; in diese Richtung auch BVerfGE 67, 329, 340; vgl. auch Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 199a und die Ausführungen in Kap. B. I. 425 Vgl. dazu die ständige Rspr. des BVerfGE, so etwa BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 99, 341, 352; BVerfGE 112, 332, 348. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. I.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Wirkung der Testierfreiheit als verfassungsrechtlicher Maßstab für das einfache Recht deutlich. Die Regelungen des BGB-Erbrechts gestalten zwar die Prinzipien der Testierfreiheit aus, dürfen diese aber nicht unzulässig beschränken. Im Folgenden sollen beispielhaft die zentralen Gewährleistungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit und entsprechende einschränkende Regelungen des BGB-Erbrechts dargelegt werden, um die Einwirkungen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Testierfreiheit auf die Regelungen des BGB-Erbrechts zu verdeutlichen. Hierbei handelt es sich um die Errichtungsfreiheit (dazu a)) und die Inhaltsfreiheit (dazu b)). Eine detaillierte Untersuchung der Begrenzungen der Testierfreiheit erfolgt sodann in den Kapiteln C. und D. a) Die Errichtungsfreiheit Mit der Abschlussfreiheit im Vertragsrecht ist die Errichtungsfreiheit im Erbrecht vergleichbar, welche die Testierfreiheit gewährt. Die Errichtungsfreiheit eröffnet dem Erblasser die Möglichkeit, eine letztwillige Verfügung zu errichten, ohne gleichzeitig einen Errichtungszwang aufzustellen. Der Erblasser hat daher keine gegen sich selbst gerichtete Pflicht, seinen letzten Willen festzuhalten.426 Die Errichtungsfreiheit wirkt insoweit auf das BGBErbrecht ein, als dass dieses den genannten Anforderungen gerecht werden muss. Die erbrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches geben dem Erblasser die Möglichkeit, eine letztwillige Verfügung zu errichten. Gleichzeitig wird der Erblasser durch die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht zu der Errichtung einer letztwilligen Verfügung gezwungen. Vielmehr halten die erbrechtlichen Regelungen mit der gesetzlichen Erbfolge ein Instrument vor, welches eingreifen soll, wenn der Erblasser selbst keine Anordnungen trifft. Die Wirkung der Testierfreiheit als verfassungsrechtlicher Maßstab für das einfache Recht lässt sich im Hinblick auf die Errichtungsfreiheit anhand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem generellen Ausschluss schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testiermöglichkeit erläutern.427 Wie zuvor herausgearbeitet, dient die Testierfreiheit als bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie der Selbstbestimmung des Einzelnen
426
Hierzu Merten/Papier/Merten Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa § 42 Rn. 193: „Die Testierfreiheit garantiert weiterhin das Recht, es bei dem einmal errichteten Testament zu belassen und dieses nicht abzuändern, sowie die Freiheit, überhaupt keine letztwillige Verfügung zu hinterlassen.“; vgl. auch Merten/Papier/Kirchhof Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa § 112 Erbrecht Rn. 62 f. 427 Vgl. BVerfGE 99, 341. Für eine nähere Darstellung der Entscheidung s. die Kap. B. V. 1 u. Kap. D. I. 1.
VII. Einwirkungen der Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht
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im Rechtsleben.428 Hieraus ergeben sich Schlussfolgerungen für den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalt der Testierfreiheit429: „Es werden nur selbstbestimmte und selbstverantwortete letztwillige Erklärungen von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit geschützt.“430
Die Ausübung der Testierfreiheit setzt damit voraus, dass der Erblasser hinreichend selbstbestimmt handeln kann.431 Der Gesetzgeber hat die dafür erforderlichen Fähigkeiten zu konkretisieren.432 Diese Konkretisierungen dürfen die Testierfähigkeit aber nicht übermäßig beschränken.433 So stellt die vollständige Versagung der Testamentserrichtungsfreiheit einer bestimmten Personengruppe eine übermäßige Beschränkung der Testierfreiheit dar.434 Zurecht hat das Bundesverfassungsgericht daher entschieden, dass der generelle Ausschluss schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testiermöglichkeit in den §§ 2232, 2233 BGB, 31 BeurkG mit der durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährten Testamentserrichtungsfreiheit unvereinbar ist. Hieran wird deutlich, dass die Testierfreiheit als verfassungsrechtlicher Maßstab sicherstellt, dass die sie ausgestaltenden Regelungen des BGB-Erbrechts sie nicht unverhältnismäßig begrenzen.435
428
Vgl. BVerfGE 112, 332; s. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. I. u. III. 5. und auch die noch folgenden Ausführungen in Kap. D. I. 1. die den grundlegenden Zusammenhang zwischen Testierfreiheit und Selbstbestimmungsfähigkeit näher erläutern. 429 So explizit BVerfGE 99, 341, 351: „Aus dem Charakter der Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht im wirtschaftlichen Bereich lassen sich Folgerungen für den verfassungsrechtlichen Gehalt der Erbrechtsgarantie ziehen.“ Vgl. auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412. 430 Vgl. BVerfGE 99, 341, 351; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412. 431 Vgl. dazu bereits Kap. B. I. u. s. dazu auch Kap. D. I. 1.; BVerfGE 99, 341, 351; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; Maunz/Dürig/Papier/ Shirvani GG Art. 14 Rn. 412. 432 Vgl. BVerfGE 99, 341, 352; BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 52, 1, 29 f.; Maunz/ Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412; v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 520. 433 Vgl. BVerfGE 99, 341, 352; Brox, Festschrift Benda, 17, 27 ff.; Maunz/Dürig/Papier/ Shirvani GG Art. 14 Rn. 412. 434 So explizit BVerfGE 99, 341, 341: „Der generelle Ausschluss schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testiermöglichkeit in den §§ 2232, 2233 BGB, 31 Beurkundungsgesetz verstößt gegen die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das Benachteiligungsverbot für Behinderte in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.“ 435 An anderer Stelle hat der Gesetzgeber die hohe Bedeutung der Testierfreiheit zutreffend erkannt und die Anforderungen an die Testierfähigkeit niedriger angesetzt als bei der Geschäftsfähigkeit, vgl. dazu Dittrich, ZEV 2013, 14, 15.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
Auch der Grundsatz der freien Widerrufbarkeit nach dem § 2253 BGB folgt aus dem Prinzip der Testamentserrichtungsfreiheit.436 Es muss dem Erblasser möglich sein, seine letztwillige Verfügung zu widerrufen. Abgesichert wird die Errichtungsfreiheit durch den § 2302 BGB, der schuldrechtliche Beschränkungen der Testierfreiheit unterbindet, indem er diese für nichtig erklärt.437 b) Die Inhaltsfreiheit Der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit gibt dem Erblasser darüber hinaus die Möglichkeit, frei zu entscheiden, welche Personen er in welcher Weise bedenkt.438 Damit begründet die Testierfreiheit eine verfassungsrechtlich legitime und von dem Staat zu achtende Willkür des Erblassers.439 Bei der Bestimmung der Reichweite dieser Inhaltsfreiheit wird die soeben untersuchte Konzeption der Testierfreiheit relevant. Die Testierfreiheit versteht sich als Fortsetzung der Eigentumsfreiheit.440 Daraus folgt, dass der Erblasser ebenso wie der Eigentümer zu Lebzeiten in Verfügungen über sein Eigentum grundsätzlich nicht beschränkt ist.441 Einfaches Recht, das diesen Grundsatz durchbricht und die Testierfreiheit folglich einschränkt, muss sich an den genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen messen lassen. Dies gilt insbesondere für solche Regelungen, die ein materielles Testierverbot normieren. So enthält der § 14 Abs. 1 HeimG, beziehungsweise die diesem entsprechenden landesrechtlichen Regelungen
436 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2253 Rn. 1: „Die freie Widerrufbarkeit aller Testamente entspringt der Testierfreiheit.“; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2253 Rn. 1; Burandt/Rojahn/Lauck BGB § 2253 Rn. 1; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2253 Rn. 1. Vgl. dazu auch die Ausführungen in dem Kap. D. II. 7. c) bb) (1) (a) (aa). 437 Vgl. RGZ 75, 34, 35; BGHZ 29, 129, 133; BGH, NJW 1977, 950, 950 ff.; BeckOGK/Müller-Engels BGB § 2302 Rn. 1; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2302 Rn. 1; Jauernig/Stürner BGB § 2302 Rn. 1; a. A. Battes, AcP 178 (1978), 337, 345.: „Weil sich der Erblasser aber gemäß dem BGB durch Errichtung eines Erbvertrages oder gemeinschaftlichen Testaments dieser Entscheidungsfreiheit begeben darf, dürfte sie [die Testierfreiheit Anm. d. Verf.] als Schutzobjekt des § 2302 ausscheiden.“ 438 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I. 439 So explizit v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 520: „Die Testierfreiheit begründet demgegenüber verfassungsrechtlich legitime, auch vom Staat zu achtende Willkür des Erblassers.“ 440 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. VI. die gezeigt haben, dass das Eigentumsrecht die Grundlage der Testierfreiheit bildet. 441 So explizit Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 82, der betont, dass eine Privatnützigkeit des Eigentums durch den Eigentümer über dessen Tod hinaus nicht möglich ist und daher die erbrechtliche Verfügungsbefugnis an ihre Stelle tritt. Diese Verfügungsbefugnis werde von dem noch lebenden Erblasser wahrgenommen und die Rechtsordnung respektiere das Ergebnis der Ausübung dieser Verfügungsbefugnis über den Tod des Erblassers hinaus.
VII. Einwirkungen der Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht
93
ein „quasi-Testierverbot“ für heimbewohnende Erblasser, die einen Heimmitarbeiter oder die Heimleitung zum Erben bestimmen wollen.442 Wenngleich sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss zu § 14 Abs. 1 HeimG eindeutig positioniert und die Einschränkung der Testierfreiheit als verhältnismäßig angesehen hat, stellt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle nicht den Gewährleistungsgehalt der Testierfreiheit und seine Bedeutung für das einfache Recht verkannt hat.443 Dies gilt auch für die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts des § 138 Abs. 1 BGB, sofern es dazu eingesetzt wird, letztwillige Verfügungen für nichtig zu erklären. Die materiale Inhaltsfreiheit als Aspekt der Testierfreiheit umfasst auch die Möglichkeit, auf das Verhalten der Erbprätendenten, beispielsweise durch Anordnung von verhaltensbezogenen Bedingungen, Einfluss zu nehmen.444 Wird der § 138 Abs. 1 BGB angewendet, um dem Erblasser diese Möglichkeit zu untersagen, wird die materiale Inhaltsfreiheit begrenzt. Die daraus resultierende Einschränkung der Testierfreiheit muss sodann den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. So bedarf jede Beschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Testierfreiheit einer Rechtfertigung.445 Die Einschränkung der Testierfreiheit ist dann gerechtfertigt, wenn sie einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck verfolgt und den Erfordernissen der Verhältnismäßigkeit und Widerspruchsfreiheit genügt.446 Selbiges gilt auch für Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit nach § 2065 BGB, der – wie bereits gezeigt – die Testierfreiheit einschränkt.447 Zu 442 Vgl. Petersen, DNotZ 2000, 739, 739; Keim, notar 2017, 119, 119; Karl, ZEV 2009, 544, 545; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 II 3 d, 824; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 158 f. 443 Aus diesem Grund wird die Verfassungsmäßigkeit des Testierverbots des § 14 Abs. 1 HeimG in dem Kap. D. III. 3. detailliert untersucht. 444 Vgl. dazu ausführlich die Ausführungen in dem Kap. C. I. 1. a), die sich mit der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen aufgrund der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten befassen. So explizit auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 520: „Auch Heiratsklauseln (,Ebenbürtigkeitsklauseln‘) werden von der Testierfreiheit erfasst. Die gegenteilige Ansicht des Bundesverfassungsgerichts macht aus einem Grundrechtsträger einen Grundrechtsadressaten und verkehrt derart das Freiheitsverständnis des Grundgesetzes in sein glattes Gegenteil.“ 445 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. I.; vgl. dazu auch BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 99, 341, 352; BVerfGE 112, 332, 348. 446 Vgl. BVerfGE 58, 377, 398; 67, 329, 341; OLG Hamm, ZEV 1995, 261; 261; BayObLG, ZEV 1997, 119, 120; Frey, Flexibilisierung der Nachlaßgestaltung im Lichte von § 2065 BGB, 76 f. In diese Richtung auch Kanzleiter, DNotZ 1992, 511, 512; Muscheler, Erbrecht, Band I, 300 Rn. 559; Bamberger/Roth/Litzenburger § 2065 Rn. 1. 447 Vgl. dazu bereits die Ausführungen zu den Funktionen der Testierfreiheit in Kap. B. III 4., die gezeigt haben, dass die Testierfreiheit u. a. dem generationenübergreifenden Erhalt von Vermögenswerten dient, indem sie eine Auswahl des geeignetsten Erben (bspw.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
der materialen Inhaltsfreiheit gehört auch das Recht zur Verlagerung der Entscheidung über die Erbenstellung auf einen anderen.448 Dies wird durch den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit verhindert, sodass auch an dieser Stelle die Testierfreiheit als verfassungsrechtlicher Maßstab für das einfache Recht dient, indem sie die oben genannten Anforderungen aufstellt, welche die testierfreiheitsbegrenzenden Vorschriften beachten müssen. In den nachfolgenden Kapiteln C. und D. werden unter anderem diese Begrenzungen der Testierfreiheit näher analysiert und überprüft, ob die Testierfreiheit als verfassungsrechtlicher Maßstab bei der Ausgestaltung und der Anwendung dieser Vorschriften hinreichend beachtet wurde. c) Zwischenergebnis Dieser Abschnitt (1.) hat gezeigt, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit in Form der Errichtungsfreiheit sowie der Inhaltsfreiheit zahlreiche Einschränkungen erfährt. Der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit bewirkt dabei, dass die Begrenzungen bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Testierfreiheit wirkt insofern als Maxime, an dem sich das einfache Recht messen lassen muss. Die Testierfreiheit bildet jedoch nicht nur einen verfassungsrechtlichen Maßstab für die Überprüfung des einfachen Rechts, sondern stellt zugleich eine Auslegungsmaxime für das gesamte einfache Recht und seine Grenzen dar. Mit dieser Einwirkung der Testierfreiheit befasst sich der nachfolgende Abschnitt.
2. Die Testierfreiheit als Auslegungsmaxime für das einfache Recht und seine Grenzen Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Richter kraft Verfassungsgebots zu überprüfen, ob bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften Grundrechte berührt werden.449 Ist dies der Fall, muss der Richter die Vorschriften im Lichte der Grundrechte auslegen und anwenden.450 Die Auslegung und Anwendung der erbrechtlichen Vorzur Fortführung des Unternehmens des Erblassers) ermöglicht. Diese Funktion wird durch den § 2065 BGB eingeschränkt, vgl. auch BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 f. Rn. 558 f.; a. A. Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 6. 448 Vgl. Frey, Flexibilisierung der Nachlaßgestaltung im Lichte von § 2065 BGB, 76 f.; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 1; BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 f. Rn. 558 f. 449 Vgl. BVerfGE 84, 192, 194; BVerfGE 73, 261, 269; Staudinger/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB Rn. 68a. 450 So die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. etwa BVerfGE 7, 198, 205; BVerfGE 73, 261, 269; BVerfGE 84, 192, 194; BVerfGE 103, 89, 100; in diese Richtung auch Staudinger/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB Rn. 68a.
VII. Einwirkungen der Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht
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schriften obliegen dabei den ordentlichen Gerichten. Diese müssen „[…] die Bedeutung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt […].“451 Der Grund für diese Ausstrahlungswirkung der Grundrechte liegt in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht.452 Diese mittelbare Drittwirkung stellt sicher, dass die Grundrechte – und insofern auch die Testierfreiheit – als Verkörperung einer objektiven Werteordnung bei der Auslegung der privatrechtlichen Vorschriften hinreichend Berücksichtigung finden. Besonders deutlich wird dieser Einfluss des Grundrechts der Testierfreiheit auf das einfache Recht bei der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes des § 138 Abs. 1 BGB auf letztwillige Verfügungen.453 So erlangt die Testierfreiheit Bedeutung für die Auslegung des Begriffes der guten Sitten im erbrechtlichen Kontext. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Testierfreiheit kann ein Verstoß gegen die guten Sitten durch die Errichtung einer letztwilligen Verfügung nur in besonders gelagerten Fällen angenommen werden und zu der Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen und damit zu einer Beschränkung der Testierfreiheit führen.454 Der verfassungs451
So die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. exemplarisch BVerfGE 7, 198, 205; BVerfGE 112, 332, 358. Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Maunz/Dürig/Di Fabio GG Art. 2 Abs. 1 Rn. 133 f., die sich zwar auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezieht, jedoch insoweit übertragbar ist. Die Auslegung der erbrechtlichen Vorschriften obliegt dabei den ordentlichen Gerichten, vgl. dazu BVerfGE 112, 332, 358. 452 Bei der sogenannten mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte handelt es sich um ein zentrales Problem der deutschen Grundrechtsdogmatik seit der Geltung des Grundgesetzes. In dem Lüth-Urteil (BVerfG 7, 198 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte über die Normen des Privatrechts erstmalig ausgeführt. Wenngleich diese Ausstrahlungswirkung der Grundrechte seit der Lüth-Entscheidung nicht unumstritten ist, lässt sich diese Wirkung der Grundrechte auf Privatrechtsnormen als „etabliert“ bezeichnen. In diese Richtung auch Ruffert, JuS 2020, 1, 1 f.; Staudinger/Honsell Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB Rn. 68a. 453 Die Einwirkung der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf die Auslegung des einfachen Rechts lässt sich auch der Entscheidung des BVerfG zur Pflichtteilsentziehung aus dem Jahre 2005 entnehmen. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung festgestellt, dass die Zivilgerichte bei der Pflichtteilsentziehung die gegenüberstehenden Grundrechtspositionen nicht hinreichend berücksichtigen und die grundrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit verfehlt haben, s. dazu BVerfGE 112, 332, 359 f. 454 Diese Wirkung der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit ist der Grund dafür, dass der BGH und das BayObLG annehmen, dass der Nichtigkeitsgrund des § 138 Abs. 1 BGB im Kontext letztwilliger Verfügungen nur in besonders hervorstechenden Ausnahmefällen angenommen werden darf. Das Sittenwidrigkeitsverdikt müsse sich auf eine eindeutig umrissene Wertung des Gesetzgebers oder auf eine allgemeine Rechtsauffassung stützen können, um auf letztwillige Verfügungen angewendet werden zu können, vgl. dazu BGHZ 140, 118, 129; BayObLGZ 1996, 204, 225; in diese Richtung bereits BGHZ 123, 368, 378; vgl. dazu auch Staudinger/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB Rn. 68a; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 243 f.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
rechtliche Schutz der Testierfreiheit bewirkt, dass der § 138 Abs. 1 BGB in einem solchen Fall als gesetzliche Schranke der Testierfreiheit fungieren würde und aus diesem Grund als grundrechtseinschränkendes Gesetz selbst im Lichte der Testierfreiheit interpretiert werden muss.455 Das Bundesverfassungsgericht führt zu der Wechselwirkung zwischen Grundrecht und grundrechtseinschränkendem Gesetz aus: „Die Beziehung zwischen den grundrechtseinschränkenden Gesetzen […] und den Grundrechten […] ist nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft der Grundrechte aufzufassen; vielmehr ist das grundrechtseinschränkende Gesetz seinerseits aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieser Grundrechte auszulegen und so in seiner grundrechtsbegrenzenden Wirkung selbst wieder im Lichte dieser Grundrechte einzuschränken […].“456
Die soeben beschriebene Einwirkung der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes lässt sich auf sämtliche Regelungen des BGB-Erbrechts übertragen, die die Testierfreiheit einschränken.457 Diese Regelungen des Privatrechts müssen stets im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG ausgelegt und in ihrer grundrechtseinschränkenden Wirkung selbst begrenzt werden.458 Dies gilt auch für Regelungen, die
455
So zuletzt explizit der BGH, NJW 2020, 58, 59: „Aufgrund der grundrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Testierfreiheit kann einer letztwilligen Verfügung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen die Wirksamkeit versagt werden […]“ Der BGH führt darüber hinaus aus, dass aufgrund dieser Ausstrahlungswirkung der Testierfreiheit eine Einschränkung der Testierfreiheit durch die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB nur in Betracht komme, wenn sich die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf eine eindeutige Wertung des Gesetzgebers stützen könne, vgl. dazu BGH, NJW 2020, 58, 59. In diese Richtung auch Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 686, der ausführt, dass bei der Inhaltskontrolle letztwilliger Verfügungen nach § 138 BGB vom Grundsatz der Testierfreiheit auszugehen ist, welcher über Verfassungsrang verfüge; vgl. dazu auch BGHZ 53, 369, 374; BGHZ 111, 36, 40. 456 So BVerfGE 67, 157, 172 f.; in diese Richtung bereits BVerfGE 7, 198, 208 f. Beide Entscheidungen sind jedoch ohne Bezug zu Art. 14 Abs. 1 GG. Für die Zwecke dieses Abschnitts insofern besonders anschaulich Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 243 f., der einen Bezug zu der Testierfreiheit herstellt und betont, dass § 138 Abs. 1 BGB in einem solchen Fall als gesetzliche Schranke der Testierfreiheit des Erblassers fungiere und deshalb selbst im Lichte der Testierfreiheit interpretiert werden müsse. Vgl. Palandt/Weidlich BGB § 1937 Rn. 15. 457 So formuliert das BVerfG explizit verfassungsrechtliche Anforderungen an die Auslegung des § 2333 Nr. 1 BGB und stellt fest, dass „[d]ie mit der Verfassungsbeschwerde […] angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen […] auf einer Auslegung und Anwendung des § 2333 Nr. 1 BGB [beruhen], die der Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der Testierfreiheit der Erblasserin aus Art. 14 I S. 1 GG nicht hinreichend Rechnung trägt.“ – s. BVerfGE 112, 332, 358. 458 Vgl. BGHZ 123, 368, 378 m.w.N; BayObLG, ZEV 1997, 119, 120; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 244; Palandt/Weidlich BGB § 1937 Rn. 15.
VII. Einwirkungen der Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht
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die Testierfreiheit zwar nicht einschränken, sie jedoch ausgestalten.459 Sofern der Wortlaut einer Norm verschiedene Auslegungsvarianten zulässt, ist unter Berücksichtigung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG diejenige Auslegungsvariante vorzuziehen, die den Erblasserwillen und damit einhergehend die Testierfreiheit am weitestgehenden zur Geltung bringt.460 Für den Richter bedeutet die horizontale Drittwirkung daher, dass die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts stets im Lichte der Grundrechte und damit unter Berücksichtigung der Testierfreiheit zu erfolgen hat.461 Die Untersuchungen haben nunmehr aufgezeigt, wie die Testierfreiheit mit ihrem umfangreichen Gewährleistungsgehalt als verfassungsrechtlicher Maßstab und als Auslegungsmaxime auf die einfach-gesetzlichen erbrechtlichen Vorschriften einwirkt. Dabei ist bereits deutlich geworden, dass durchaus zweifelhaft ist, ob Gesetzgeber und Rechtsprechung die Wirkung der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit bei der Ausgestaltung und Anwendung der erbrechtlichen Regelungen hinreichend berücksichtigen. Die in den Kapiteln C. und D. folgende Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit wird sich hiermit näher befassen.
459 Zu der Rechtsnatur der Testierfreiheit als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht s. die Ausführungen in Kap. B. V. 1. 460 Vgl. dazu Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 199; Merten/Papier/Kirchhof Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, § 112 Rn. 53; Maunz/Dürig/Herdegen GG Art. 1 Abs. 3 Rn. 71; zu der generellen Bindung des Richters an das Grundgesetz und den daraus resultierenden Anforderungen an die Auslegung zivilrechtlicher Vorschriften s. bereits BVerfGE 7, 198, 206. Das BVerfG betont in dieser Entscheidung, dass der Richter kraft Verfassungsgebots zu prüfen habe, ob die von ihm angewendeten Vorschriften des Zivilrechts Grundrechte beeinflussen. Ist dies der Fall, dann müsse der Richter bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften den Bedeutungsgehalt des jeweiligen Grundrechts berücksichtigen. Vgl. dazu auch die Ausführungen zu der Auslegung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB in Kap. C. II. 1. b) aa) 461 Vgl. Maunz/Dürig/Herdegen GG Art. 1 Abs. 3 Rn. 71 mit Verweis auf den Nibelungenplatz-Beschluss des BVerfG (BVerfG, NJW 2015, 2485). Eine Verletzung dieser Ausstrahlungswirkung der Grundrechte liegt nach Ansicht des BVerfG vor, wenn die Erwägungen „[…] Auslegungsfehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.“ – so die ständige Rechtsprechung des BVerfG, s. BVerfGE 84, 192, 194; BVerfGE 73, 261, 269; BVerfGE 103, 89, 100. Vgl. auch Staudinger/Honsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, Einleitung zum BGB Rn. 68a; zu der Ausstrahlungswirkung des Art. 14 Abs. 1 GG auf die gesamte Rechtsordnung s. Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 199, der in Bezug auf die Eigentumsgewährleistung ausführt, dass die Ausstrahlung der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zur Konsequenz habe, dass bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die grundrechtliche Eigentumsverbürgung zu berücksichtigen ist. Selbiges muss dann auch für die Erbrechtsgarantie und die Testierfreiheit als ihr bestimmendes Element gelten.
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B. Rechtstheoretische Grundlagen der Testierfreiheit
VIII. Zusammenfassung der Ergebnisse des Kapitels B. Die nunmehr vorgenommene rechtstheoretische Betrachtung der Testierfreiheit bildet das Fundament für die Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit in den Kapiteln C. und D. Auf die gewonnenen Erkenntnisse werden die nachfolgenden Ausführungen daher regelmäßig Bezug nehmen. Zusammenfassend lässt sich festhalten: 1. Die Testierfreiheit wird durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verfassungsrechtlich umfassend gewährleistet. 2. Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ist nach dem Vorbild der römisch-rechtlichen Tradition konzipiert. Die germanische Tradition und das damit einhergehende Prinzip der Familienerbfolge konnten sich bei der Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches grundsätzlich nicht durchsetzen. Die Testierfreiheit unterliegt damit im Wesentlichen keinen – auf die germanische Tradition zurückzuführenden – immanenten familiären Beschränkungen. Der Erblasserwille bildet nach der Entstehungsgeschichte des Erbrechts den Ausgangspunkt aller Überlegungen zum Erbrecht. 3. Die Testierfreiheit verfügt über diverse Funktionen, die denjenigen des Erbrechts ähneln. So dient die Testierfreiheit unter anderem dem generationenübergreifenden Erhalt von Vermögenswerten und der Selbstbestimmung des Erblassers. Die Funktionen der Testierfreiheit lassen Rückschlüsse auf ihren Umfang und die Zulässigkeit von Begrenzungen zu. 4. Die Testierfreiheit sieht sich sowohl unmittelbarer als auch mittelbarer Kritik ausgesetzt. Die Betrachtung der Grundlinien und Typen der Kritik an der Testierfreiheit hat gezeigt, dass die Testierfreiheit nach verbreiteter Ansicht sowohl mit familiären Bindungen als auch mit ökonomischen beziehungsweise volkswirtschaftlichen Interessen in Konflikt geraten kann. Im Rahmen der Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit in den Kapiteln C. und D. wird überprüft, ob solche Spannungsverhältnisse tatsächlich bestehen und wie diese gegebenenfalls aufzulösen sind. 5. Bei der Testierfreiheit handelt es sich um ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht. Die Testierfreiheit ist damit auf Regelungen angewiesen, die sie ausgestalten und eine Ausübung der Testierfreiheit ermöglichen. Auch bei der Ausgestaltung der Testierfreiheit hat der Gesetzgeber den grundlegenden Gehalt ihrer verfassungsrechtlichen Gewährleistung zu wahren und alle anderen Verfassungsnormen zu berücksichtigen. Die nachfolgende Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit muss den Charakter der Testierfreiheit als normgeprägtes Grundrecht berücksichtigen und zwischen einer notwendigen Ausgestaltung der Testierfreiheit und einem Eingriff in selbige differenzieren. 6. Der Schutz der Testierfreiheit als subjektives Freiheitsrecht des Erblassers über dessen Tod hinaus ist aus rechtstheoretischer Sicht erklärbar. Eine
VIII. Zusammenfassung der Ergebnisse des Kapitels B.
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Verletzung der Testierfreiheit des Erblassers nach dessen Tod ist folglich möglich. 7. Das Eigentumsrecht des Erblassers bildet die Grundlage der Testierfreiheit. Die Testierfreiheit basiert damit weder auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch findet sie ihre Grundlage in familiaristischen Wertungen. Darüber hinaus fehlt es der Testierfreiheit an dem Erfordernis eines Vermögensbezugs, sodass auch solche Bestandteile letztwilliger Verfügungen als wirksam anzusehen sind, die keinen Vermögensbezug aufweisen. 8. Der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit wirkt sich auf die Vorschriften des einfachen Rechts und ihre Anwendung aus. Er bewirkt, dass die Begrenzungen der Testierfreiheit bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Testierfreiheit wirkt insofern als Maßstab, an dem sich das einfache Recht messen lassen muss. Für den Richter bedeutet die horizontale Drittwirkung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, dass die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts stets im Lichte der Grundrechte und damit unter Berücksichtigung der Testierfreiheit zu erfolgen hat.
C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit: Schutz Dritter und Schutz von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit stellen solche Beschränkungen dar, die Erbprätendenten und Kollektivgüter vor der Testierfreiheit des Erblassers schützen sollen. Wie in dem Kapitel B dargelegt, eröffnet die Testierfreiheit dem Erblasser die Möglichkeit, seine Verfügung von Todes wegen nach eigenen Vorstellungen mit beliebigem Inhalt zu errichten. Durch das Setzen von verhaltensbezogenen Bedingungen oder der Anordnung einer mehrfachen Vor- und Nacherbschaft ist es dem Erblasser möglich, das Schicksal seines Vermögens weit über seinen eigenen Tod hinaus zu steuern und gleichzeitig auf Dritte, insbesondere auf die Erben und Erbprätendenten, Einfluss zu nehmen. Dieses Interesse des Erblassers wird von der Literatur vermehrt als missbilligenswert betrachtet.1 Die Ausführungen in dem Kapitel B. VI. 3. haben gezeigt, dass unter dem Topos „Herrschaft der Toten über die Lebenden“ die Testierfreiheit zum Schutz der Hinterbliebenen eingeschränkt wird. Exemplarisch sei hierzu auf Schlüter verwiesen, der ausführt: „Die Testierfreiheit ist nicht gewährleistet, um es dem Erblasser zu ermöglichen, ein letztes Mal – gutmeinend – in die persönliche Lebensführung der Hinterbliebenen einzugreifen.“2
Diese Fokussierung auf die Interessen Dritter findet nicht nur in der Literatur, sondern zunehmend auch in der Rechtsprechung statt. Insbesondere aufgrund der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfährt der Schutz von Freiheiten der Erbprätendenten in der Rechtsprechung verstärkt Berücksichtigung.3 Dabei waren erhebliche Tendenzen zum Schutz 1 Vgl. dazu insbesondere Keuk, FamRZ 1972, 9 ff.; v. Schrenck-Notzing, Unerlaubte Bedingungen, 67; Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer, 575, 583; zu der Unerwünschtheit der Herrschaft der Toten über die Lebenden s. auch BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 4; jurisPK-BGB/Schneider § 2109 Rn. 1; vgl. dazu auch die Ausführungen in dem Kap. B. VI. 3., die gezeigt haben, dass das Vermögen des Erblassers nicht die Grundlage der Testierfreiheit bildet. 2 Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer, 575, 583. 3 Vgl. dazu Kap. D. I. 1. a) aa) (2).
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Dritter bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen bereits deutlich früher in der Rechtsprechung vorhanden. So sollte insbesondere die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf das sogenannte Geliebtentestament verhindern, dass nahe Angehörige enterbt und gekränkt werden.4 Aus diesem Grund wird im Nachfolgenden die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB untersucht (dazu I.), um zu überprüfen, inwiefern dadurch Begrenzungen der Testierfreiheit zum Schutz Dritter und von Kollektivgütern entstehen. Das BGB-Erbrecht enthält darüber hinaus Regelungen, die eine „Herrschaft aus dem Grabe“ verhindern sollen. So wird der Erblasser durch zahlreiche gesetzliche Bestimmungen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung und lebenslanger Bindungen der Erben in seiner Testierfreiheit beschränkt.5 Dabei verbieten es die gesetzlichen Bestimmungen dem Erblasser sowohl einen zeitlich unbegrenzten Auseinandersetzungsausschluss, als auch eine dauerhafte Testamentsvollstreckung und eine endlose Nacherbfolge anzuordnen. Zusätzlich zu diesen zeitlichen Beschränkungen sieht das Gesetz in §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2, Abs. 3 BGB die Wirkungslosigkeit des Auseinandersetzungsausschlusses bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vor. Diese Vorschriften schränken die erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten ein, um eine dauerhafte Bindung des Vermögens und der Erben zu verhindern. Sie bilden den zweiten Abschnitt der Untersuchung (dazu II.) und könnten unzulässige Grenzen der Testierfreiheit zum Schutz Dritter und von Kollektivgütern darstellen. Auch das Pflichtteilsrecht begrenzt die Testierfreiheit zugunsten einer Mindestbeteiligung der nahen Angehörigen des Erblassers.6 Dabei soll ein Pflichtteilsentziehungsrecht eine Verhinderung der Partizipation von Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, wenn dies für den Erblasser unzumutbar ist. Das Pflichtteilsentziehungsrecht sieht sich in jüngerer Vergangenheit zunehmend einer Rechtsprechung ausgesetzt, die zugunsten der Pflichtteilsberechtigten die Anforderungen an eine Entziehung des Pflichtteils erheblich erhöht. Hierbei könnte es sich ebenfalls um eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit zum Schutz Dritter und von Kollektivgütern handeln (dazu III.). Zu einer umfassenden Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit gehört auch eine nähere Betrachtung der Regelungen des Landwirtschaftserbrechts. Auch diese könnten verfassungswidrige Beeinträchtigungen der Tes4
Vgl. dazu Kap. C. I. 1. c). Vgl. dazu Kap. C. II. Die Ausführungen in Kap. B. IV. 2. b) haben bereits gezeigt, dass die übermäßige Vinkulierung des hinterlassenen Vermögens vielfach kritisch gesehen wird. Unter anderem dieser Aspekt sorgt dafür, dass einer weitreichenden Testierfreiheit eine ökomische Dysfunktionalität vorgeworfen wird. 6 Vgl. BVerfGE 112, 332, 348; s. dazu Kap. C. III., Kap. D. II. 5. 5
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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tierfreiheit zum Schutz Dritter oder zum Schutz von Kollektivgütern hervorrufen (dazu IV). Die Analyse dieser möglichen Grenzen der Testierfreiheit soll eine Antwort auf folgende Frage geben: Bedarf es tatsächlich eines Schutzes von Erbprätendenten und Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers oder ist vielmehr die Testierfreiheit vor dem Gesetz, der Rechtsprechung und der Literatur zu schützen?
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit Die disputabelste Grenze der Testierfreiheit stellt die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Verfügungen von Todes wegen dar. Dabei ist grundsätzlich anerkannt, dass eine Verfügung von Todes wegen gegen die guten Sitten verstoßen kann und damit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Nach der Rechtsprechung ist bei der Prüfung des Sittenwidrigkeitsverdiktes festzustellen, ob die Verfügung gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“7 verstößt. Diese – vom Reichsgericht – entwickelte Formel trägt zu der Bestimmung des Begriffs der „guten Sitten“ nur wenig bei, da sie selbst keine konkreten inhaltlichen Kriterien liefert.8 Der Begriff der „guten Sitten“ wird deshalb sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung nicht nur durch sozialethische Wertvorstellungen, sondern zunehmend durch rechtsethische Werte, die der Rechtsordnung innewohnen, geprägt.9 Das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Generalklauseln des Zivilrechts eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen verlangen, die den „Grundsatzentscheidungen der Verfassung“10 entnommen werden können. An die Stelle unkontrollierbarer Einflüsse durch ungeschriebene Sozialnormen für das Verständnis des Begriffs der 7
Zu dem durch die Rechtsprechung aufgestellten Erfordernis des Verstoßes gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ s. RGZ 86, 98 f.; RG, JW 1919, 447, 448; RG, LZ 1922, 648, 649; RG, JW 1931, 1924, 1925. 8 In diese Richtung kritisieren auch BeckOK/Wendtland § 138 Rn. 16 und Palandt/Ellenberger BGB § 138 Rn. 2 die Formel des Reichsgerichts. 9 Vgl. BVerfGE 7, 198, 206; BVerfGE 89, 214, 229; BGHZ 70, 313, 324; BGHZ 140, 118, 128; Palandt/Ellenberger BGB § 138 Rn. 3; BeckOK/Wendtland § 138 Rn. 17; Jauernig/Mansel BGB § 138 Rn. 6; s. auch MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 20: „Dabei ist zu beachten, dass der Begriff der Sittenwidrigkeit mehr und mehr als Ausdruck rechtlicher Wertungen zu verstehen ist, und in diesem Zusammenhang ist der Grundrechtsbezug von erheblicher Bedeutung.“ 10 BVerfGE 89, 214, 229. Aus diesem Grund sind die Zivilgerichte von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Anwendung der Generalklauseln die Grundrechte als Richtschnur zu berücksichtigen, vgl. dazu BVerfGE 7, 198, 206 f.; BVerfGE 89, 214, 229 f.; s. auch die Ausführungen in Kap. B. VII. 2.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
„guten Sitten“ treten die Wertungen des Grundgesetzes.11 Damit wird der Begriff der „guten Sitten“ seit der Geltung des Grundgesetzes zunehmend verrechtlicht und aus dogmatischer Sicht kontrollierbarer.12 Aus grundrechtstheoretischer Sicht hängt dieser Einfluss der Grundrechte auf die zivilrechtlichen Vorschriften mit ihrer Horizontalwirkung zusammen, die in dem Abschnitt zu den Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf das einfach-gesetzliche Erbrecht bereits näher dargelegt worden ist.13 Das Tätigwerden des Richters in ausschließlich privaten Rechtsverhältnissen wird dabei durch die Schutzfunktion der Grundrechte ermöglicht.14 Das Bundesverfassungsgericht stellt diesbezüglich fest, dass in dem Fall, in dem ein angemessener Grundrechtsschutz nicht bereits durch zwingende Normen des Privatrechtsgesetzgebers erreicht werden kann, die Grundrechte bei der Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu be-
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Hierzu explizit BGHZ 140, 118, 128: „Für das Verständnis dessen, was heute unter ,guten Sitten‘ i.S. von § 138 I BGB zu verstehen ist, kommt der Wertordnung des Grundgesetzes, wie sie insbesondere in den Grundrechten niedergelegt ist, wesentliche Bedeutung zu.“ Es geht an dieser Stelle um die objektive Werteordnung, die das Grundgesetz aufstellt, s. dazu BVerfGE 7, 198, 205: „Ebenso richtig ist aber, dass das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will […], in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und dass gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt […]. Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muss als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse. So beeinflusst es selbstverständlich auch das bürgerliche Recht; keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muss in seinem Geiste ausgelegt werden.“ Vgl. dazu auch BVerfGE 2, 1, 12; BVerfGE 5, 85, 134 ff.; BVerfGE 6, 32, 40 f. 12 Die Gerichte sind gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Aus diesem Grund ist das im Grundgesetz verkörperte Wertesystem bei der Bestimmung des Inhalts der „guten Sitten“ vorrangig gegenüber privaten Sozialnormen, s. dazu BeckOK/Wendtland § 138 Rn. 18: „In der praktischen Rechtsanwendung spielt der rechtsethische Aspekt der guten Sitten die bedeutendere Rolle. Die Gerichte sind in erster Linie an Gesetz und Recht gebunden […]; deshalb dürfen sie die Maßstäbe der herrschenden Moral nur soweit heranziehen, wie diese in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung stehen. Ist das nicht der Fall, hat die gesetzlich verkörperte Wertordnung […] Vorrang vor einer ihr widersprechenden außerrechtlichen Moralanschauung.“; vgl. dazu auch MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 20. 13 Vgl. dazu Kap. B. VII. 2. 14 Der Gedanke der Schutzgebotsfunktion der Grundrechte im Privatrecht ist sowohl in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch in der überwiegenden Literatur anerkannt, vgl. dazu BVerfGE 81, 242, 256; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 233; Klein, NJW 1989, 1633, 1640; Singer, JZ 1995, 1133, 1136 f.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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achten seien.15 Die Voraussetzung für ein solches Tätigwerden, beziehungsweise für die Annahme einer solchen staatlichen Schutzpflicht des Richters in ausschließlich privatrechtlichen Verhältnissen ist das Vorliegen eines Eingriffs seitens des einen Privatrechtssubjektes in eine grundrechtliche Position des zu schützenden anderen Privatrechtssubjektes.16 Diese Anforderungen sind bei der Analyse der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf Verfügungen von Todes wegen zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung wendet das Sittenwidrigkeitsverdikt im Erbrecht an zahlreichen Stellen auf Verfügungen von Todes wegen an und schränkt damit die Testierfreiheit des Erblassers erheblich ein. Vielfach diskutiert und daher unterschiedlich beurteilt wird jedoch die Frage, wann ein solcher Verstoß gegen den § 138 Abs. 1 BGB vorliegt.17 Es haben sich in Rechtsprechung und Literatur verschiedene Anwendungsfelder des Sittenwidrigkeitsverdiktes abgezeichnet, die es im Nachfolgenden zu analysieren gilt.18 Ziel dieses Kapitels ist es, sowohl die Rechtsprechung als auch die Literatur zur Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen zu untersuchen, um die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der jeweiligen Beschränkungen der Testierfreiheit zu beantworten.
1. Untersuchung der Rechtsprechung und Literatur zur Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen in den zentralen Anwendungsfeldern Wird die Entwicklung der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Verfügungen von Todes wegen untersucht, könnte man vorschnell auf modernere und daher tolerantere Anschauungen im 21. Jahrhundert verweisen und dadurch von einer höheren Sittenwidrigkeitsschwelle verbunden mit einer selteneren Anwendung des § 138 BGB ausgehen.19 Eine solch pauschale 15 Vgl. dazu insbesondere BVerfGE 81, 242, 256; vgl. auch BVerfGE 89, 214, 234; BVerfG, NJW 1996, 2021, 2021; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 234. 16 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 415; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 234; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 226; Klein, NJW 1989, 1633, 1633 ff. 17 Besonders deutlich wird dies bei der Frage der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen, s. dazu Kap. D. I. 1. a) aa) (3). 18 Zu den einzelnen Anwendungsfeldern des Sittenwidrigkeitsverdiktes im Kontext von Verfügungen von Todes wegen s. Kap. D. I. 1. a)–d).; vgl. auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 979 ff. Rn. 1928 ff.; Paal, JZ 2005, 436, 439 ff. 19 So fälschlicherweise Leipold, Erbrecht Rn. 243: „Die Maßstäbe, von denen bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit auszugehen ist, haben sich gerade im Erbrecht zugunsten einer toleranteren Betrachtungsweise gewandelt.“ Eine solche Sichtweise trifft jedoch – wie es noch zu zeigen gilt – nur teilweise zu, s. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (c). An dieser Stelle muss differenziert werden. Während im Rahmen der Sexualmoral von einer toleranteren Betrachtungsweise gesprochen werden kann (vgl. dazu Kap. C. 1. c)) gilt dies für andere Bereiche nicht (bspw. im Hinblick auf die Einführung des Druck-Topos durch das Bundesverfassungsgericht, vgl. dazu Kap. C. I. 1. a)).
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Annahme kann jedoch bei näherer Auswertung der Rechtsprechung nicht überzeugen.20 Es ist daher entscheidend die jeweiligen Anwendungsfelder des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Verfügungen von Todes wegen im Einzelnen zu untersuchen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um vier verschiedene Anwendungsfelder. So wird das Sittenwidrigkeitsverdikt angewendet, um Erbprätendenten vor einer unzulässigen Einflussnahme durch den Erblasser zu schützen (dazu a)). Ebenfalls sollen nach verbreiteter Sichtweise diskriminierende Verfügungen von Todes wegen sittenwidrig sein (dazu b)). Darüber hinaus wird § 138 Abs. 1 BGB auch auf letztwillige Verfügungen von Todes wegen angewendet, die familiäre Pflichten verletzen (dazu c)) oder zulasten der Sozialhilfe wirken (dazu d)). Sofern sich herausstellen sollte, dass die derzeitige Rechtsprechung und Literatur zu § 138 Abs. 1 BGB unzulässige Beschränkungen der Testierfreiheit entstehen lässt, ist außerdem ein Lösungsvorschlag zu entwickeln, um die Beeinträchtigungen der Testierfreiheit zu beheben beziehungsweise künftig zu verhindern. a) Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen aufgrund der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten durch den Erblasser Seit der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen, die unzulässigen Druck auf die Entschließungsfreiheit der Bedachten ausüben, um das am kontroversesten diskutierte Anwendungsfeld des § 138 Abs. 1 BGB im erbrechtlichen Kontext. Nachfolgend soll daher die Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten untersucht und anschließend geprüft werden, ob diese mit der Testierfreiheit vereinbar ist. Die Testierfreiheit gibt dem Erblasser das Recht sein Vermögen durch letztwillige Verfügung an eine oder mehrere Personen zu vererben.21 Dabei zeigen sowohl die Vorschriften des Allgemeinen Teils als auch die erbrechtlichen Vorschriften der §§ 2074, 2075 BGB, dass der Erblasser nicht nur den Anfall, sondern auch das Behaltendürfen der Zuwendung von beliebigen Bedingungen abhängig machen kann.22 Nutzt der Erblasser solche Gestal20
Zutreffend daher Muscheler, Erbrecht, Band I, 979 Rn. 1928. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. VI: 6., VII.; s. auch BGHZ 140, 118, 118 ff.; BGH, LM Nr. 5 zu BGB § 138 (Cd); Groll/Steiner/von Morgen/Cording Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung § 5 Rn. 4. 22 Teilweise wird dem Erblasser jedoch bereits das rechtliche Können für das Setzen solcher Bedingungen, die auf nicht vermögensbezogene Bereiche abstellen abgesprochen, so Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer, 575, 584; Schlüter, Erbrecht Rn. 208; Keuk, FamRZ 1972, 9 ff.; ähnlich auch v. Schrenck-Notzing, Unerlaubte Bedingungen in letztwilligen Verfügungen, 59 ff. Diese Sichtweisen können jedoch nicht überzeugen, da nicht 21
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tungsmöglichkeiten, liegt eine erbrechtliche Potestativbedingung vor. Als Rechtsgeschäft hängt die Wirksamkeit solcher Potestativbedingungen von den Vorschriften des Allgemeinen Teils, insbesondere von den §§ 134, 138 BGB ab.23 An dieser Stelle knüpft die Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten an und hält bestimmte Potestativbedingungen für sittenwidrig. Damit beschränkt sie die Testierfreiheit. Begründet von Thielmann und Kellenter, hält es die überwiegende Meinung dabei für möglich, dass durch eine bedingte Erbeinsetzung Grundrechte des Bedachten verletzt werden können.24 Diese Verletzung soll im Wege der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zur Sittenwidrigkeit der Verfügung nach § 138 Abs. 1 BGB führen. Nach den Vertretern dieser Druck-Theorie liegt eine Grundrechtsverletzung vor, die zu der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts führt, wenn der Erblasser durch die bedingte Erbeinsetzung einen unzulässigen Druck auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten im Hinblick auf den Gebrauch seiner Freiheitsrechte ausübt.25 Unterschiede in der Literatur ergeben sich bei der Feststellung, wann ein unzulässiger Druck ausgeübt wird. Kellenter verwendet für die Prüfung, ob ein unzulässiger Druck auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten vorliegt, ein mehrgliedriges Prüfungsschema.26 Hierbei stellt er zunächst fest, ob ein zur Bedingung gemachtes Verhalten des Bedachten unter den Schutzbereich eines Grundrechts fällt und ob der Bedachte durch die Bedingungssetzung objektiv in dem betreffenden Grundrecht beeinträchtigt ist.27 In einem weiteren Schritt prüft Kellenter, welche subjektiven Intentionen der Erblasser mit der bedingten Zuwendung verfolgt hat und ob bei einer Gesamtabwägung zwischen den jeweiligen Grundrechten des Bedachten und der Testierfreiheit des Erblassers die Grundrechtsbeeinträchtigung durch Art. 14 Abs. 1 GG gerechtfertigt wäre. Thielmann fasst die von ihm begründete Druck-
nur die §§ 2074, 2075 BGB, sondern auch die Motive ausdrücklich Bedingungen ohne Vermögensbezug zulassen, s. dazu Motive, V, 17 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 9; Motive, V, 29 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 15; vgl. dazu auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 172. 23 Zu der Anwendung des § 138 BGB im erbrechtlichen Kontext, s. BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 546 f. 24 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 118 ff.; Kellenter, Bedingte Verfügungen, 75 ff.; Otte, JA 1985, 192, 199; Staudinger, Jura 2000, 467, 470 f.; Staudinger, FamRZ 2004, 768 f.; MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 19; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 27 VI 2. 25 Vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 27 VI. 2.; MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 19. 26 Vgl. Kellenter, Bedingte Verfügungen, 70; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 201 f. 27 Vgl. Kellenter, Bedingte Verfügungen 72; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 201 f.
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Theorie deutlich restriktiver auf als Kellenter. Nach Thielmann sind die Grundrechtswerte im Privatrecht nur in ihrem Kernbereich, also dem Wesensgehalt im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG, geschützt.28 Anders formuliert reicht für eine Grundrechtsbeeinträchtigung nach seinem Verständnis nicht aus, dass der Bedachte aufgrund der bedingten Erbeinsetzung gezwungen wird, eine Entscheidung zwischen zwei Alternativen zu treffen. Wenn der Kernbereich eines Freiheitsrechts nicht beeinträchtigt ist, müsse man dem Grundrechtsträger zutrauen, Beeinflussungsversuche auszuhalten.29 Zwar wendet Thielmann die Druck-Theorie dadurch einschränkender als Kellenter an, jedoch hält er die Beeinträchtigung des Kernbereichs für gegeben, wenn Nachteile bei der Ausübung von Freiheitsrechten prohibitiv wirken.30 Jenes sei dann anzunehmen, wenn sie einen durchschnittlich beeinflussbaren Menschen in der konkreten Situation von der Ausübung des Grundrechts abhalten würden. Die Faktoren für die Feststellung der Intensität sind nach Thielmann die Willensrichtung des Bedachten, der Umfang der Zuwendung und die Frage, ob und inwieweit der Bedachte auf die Zuwendung angewiesen ist.31 Letzteres Kriterium zielt im Ergebnis darauf ab, ob der Erwerb der Zuwendung für den Bedachten „einen mehr oder minder großen Anreiz darstellt, sein Verhalten nach den Wünschen des Erblassers einzurichten“32. Die Kriterien ähneln dabei denen von Kellenter.33 Die Gemeinsamkeit beider Spielarten besteht in der Annahme, dass ein Erblasser durch bedingte Erbeinsetzungen in die Grundrechte des Bedachten eingreifen kann.34 Ein solcher Eingriff läge vor, wenn der Erblasser unzulässigen Druck auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten im Hinblick auf den Gebrauch seiner Freiheitsrechte ausübt. Einen hohen Bekanntheitsgrad hat der von Kellenter und Thielmann entwickelte Druck-Topos durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit ei-
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Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 61–64, 122 f. Vgl. Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 201. 30 So Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 123: „Im [Ü]brigen sind gewisse Nachteile bei der Ausübung der Grundrechte auch im Kernbereich noch nicht verboten, solange diese Nachteile nicht ,prohibitiv‘ wirken, d.h. einen durchschnittlich standhaften Menschen in der konkreten Situation von der Ausübung des Grundrechts abhalten würden.“ 31 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 123; s. dazu auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 201. 32 Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 123; zu dem Kriterium des Umfangs der Zuwendung s. auch BVerfG, NJW 2004, 2008, 2010; OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186. 33 Vgl. Kellenter, Bedingte Verfügungen, 72. 34 So auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 202. 29
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ner sogenannten Ebenbürtigkeitsklausel35 im Erbvertrag des Adelshauses Hohenzollern erlangt.36 Nach Darstellung der wesentlichen Merkmale der Theorie der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten sollen im folgenden Abschnitt die Auswirkungen der Einführung des DruckTopos durch das Bundesverfassungsgericht untersucht werden. aa) Auswirkungen der Einführung des „Druck-Topos“ durch das Bundesverfassungsgericht auf die Testierfreiheit Die Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat in der Literatur vielfach Zustimmung – teilweise aber auch Kritik – hervorgerufen.37 Um die Frage nach den Auswirkungen dieser Entscheidung auf die Testierfreiheit beantworten zu können, ist es zunächst erforderlich, die Hohenzollernentscheidung als solche zu untersuchen (dazu (1)) und im Anschluss die Einflüsse dieser Entscheidung auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte aufzuzeigen (dazu (2)).
35 Eine sogenannte Ebenbürtigkeitsklausel soll bezwecken, dass von den Abkömmlingen grundsätzlich nur diejenigen erben können, die aus einer ebenbürtigen Ehe stammen bzw. in einer ebenbürtigen Ehe leben, vgl. dazu BGHZ 140, 118, 132 ff.; BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 554.1. 36 Vgl. dazu BVerfG, NJW 2004, 2008. Zur Darstellung des Falles s. auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 202 f.; Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 106 ff. Das Verfahren betraf die Erbfolge des 1951 verstorbenen ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen. Der ehemalige Kronprinz hatte 1938 mit seinem zweitältesten Sohn Louis Ferdinand einen Erbvertrag geschlossen, nach dem Louis Ferdinand sein alleiniger Vorerbe werden sollte. Nacherben sollten weitere Abkömmlinge im Mannesstamme des Kronprinzen sein, mit der Vorgabe, dass stets nur einer nach den Grundzügen der Erstgeburtsfolge und der Stammeserbfolge Erbe werde. Gemäß des § 3 des Erbvertrages waren jedoch diejenigen Erbprätendenten von der Erbfolge ausgeschlossen, die nicht aus einer Ehe stammten oder in einer solchen lebten, die nicht der Hausverfassung des Brandenburg-Preußischen Hauses entsprach, bzw. entspricht. Der Beschwerdeführer war der älteste Sohn des Prinzen Louis Ferdinand, der aufgrund der Eingehung dreier nicht ebenbürtiger Ehen von der Erbfolge ausgeschlossen war und im Übrigen auch bei der Eingehung der Ehen jeweils eine Verzichtserklärung zu Gunsten des nächsten der Hausverfassung genügenden Folgeberechtigten abgegeben hatte und nunmehr geltend machte, dass die Klausel des Erbvertrages unter anderem einen Eingriff in seine Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 GG darstelle. 37 Kritisch sind dabei v.a. diejenigen Stimmen in der Literatur, die die Möglichkeit eines Eingriffs in die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten ablehnen, vgl. dazu insbesondere Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 206 ff.; Hermann, Pro non scripta habere und § 2085 BGB, 167; v. Schrenck-Notzing, Unerlaubte Bedingungen in letztwilligen Verfügungen, 37 ff.; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 205 ff.; in diese Richtung auch Muscheler, ZEV 1999, 151, 152; Vgl. Isensee, DNotZ 2004, 754, 762.
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(1) Ausgangspunkt: Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Die in der Hohenzollernentscheidung38 zu beurteilende Ebenbürtigkeitsklausel hielt das OLG Stuttgart bereits im frühen Verfahrensgang für unwirksam39, da sie mit der Werteordnung der Grundrechte, die im Wege der mittelbaren Drittwirkung in die Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln Eingang findet, unvereinbar sei.40 Dadurch, dass die Eingehung einer hausverfassungsmäßigen Ehe zur Bedingung der Nacherbenstellung gemacht wird, werde ein Druck auf die höchstpersönliche Entscheidung der Ehegattenwahl ausgeübt.41 Die Ausübung eines solchen Drucks führe dazu, dass die Ebenbürtigkeitsklausel in einen Widerspruch zu der verfassungsrechtlich geschützten Eheschließungsfreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG gerate und damit nichtig sei.42 Das BayObLG hat zuvor jedoch einen ähnlich gelagerten Fall anders entschieden,43 weshalb es zu einem Vorlagebeschluss des OLG Stuttgarts
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Zum Sachverhalt der Hohenzollernentscheidung s. Kap. C. Fn. 36. Allerdings stützt das OLG Stuttgart seine Ausführungen nicht auf § 138 Abs. 1 BGB, sondern beruft sich bei der Begründung auf § 242 BGB, da im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB umstritten ist, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit maßgeblich ist. Grundsätzlich kommen der Zeitpunkt der Errichtung, der Zeitpunkt des Erbfalls und der Zeitpunkt der richterlichen Beurteilung in Betracht. Dieses Problem wird ebenfalls in der vorliegenden Arbeit behandelt, s. dazu Kap. C. I. 2. 40 Vgl. OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186. 41 Das OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186 stellt dabei ausdrücklich auf die Größe des Vermögens ab: „Durch die Bedingung einer hausverfassungsmäßigen Ehe als Voraussetzung der Rechtsnachfolge in das umfangreiche Hausvermögen wird ein Druck auf die höchstpersönliche Entscheidung der Partnerwahl ausgeübt, der unter Geltung des Grundgesetzes nicht mehr gerechtfertigt werden kann.“; vgl. auch Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen,123. 42 Vgl. OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186; s. auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 203. 43 Hierbei handelt es sich um den sog. Fall Leiningen: Im Fall Leiningen ging es um ein Erbscheinsverfahren, welches die Erbfolge des Fürstenhauses zum Gegenstand hatte. Der im Jahre 1939 verstorbene Erblasser hatte in einem 1925 geschlossenen Erbvertrag in Form der mehrfach hintereinander folgenden Vor- und Nacherbschaft zu Erben des sogenannten Stammgutes des Hauses (Ländereien etc.) seine männlichen Abkömmlinge nach dem Recht der Erstgeburt und einhergehend der Linearerbfolge eingesetzt. In dem Erbvertrag wurde unter anderem die Bestimmung des Hausgesetzes einbezogen, die vorsah, dass sich die Familienmitglieder nur mit der Einwilligung des jeweiligen Fürsten vermählen können und die Eingehung einer nicht konsentierten Ehe gleichzeitig den Verlust der Erbenstellung bzw. der potentiellen Erbschaft bedeutet (sog. Konsensklausel). Beschwerdeführer war der älteste Sohn des im Jahre 1991 verstorbenen siebten Fürsten, der nach dem Tod seiner Ehegattin eine zweite, bürgerliche Ehe schloss, ohne dabei die Zustimmung des siebten Fürsten erhalten zu haben, was den Verlust des Sukzessionsrechts zur Folge hatte. Im 39
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beim Bundesgerichtshof kam. Der Bundesgerichtshof hielt Heiratsklauseln dieser Art grundsätzlich für geeignet, die „Entscheidungsfreiheit potentieller Nacherben bei der Wahl eines Ehepartners zu beeinflussen“44. Jedenfalls sei vorliegend ein Eingriff nicht schwerwiegend genug. Der Bundesgerichtshof betont: „Der vorliegende Fall nötigt aber nicht zu bestimmen, wo die Grenze verläuft, jenseits derer einer letztwilligen Verfügung wegen einer solchen Beeinträchtigung ausnahmsweise sittenwidriger Charakter beigemessen werden muss. Denn jedenfalls ein schwerer Eingriff in die Eheschließungsfreiheit ist hier noch nicht festzustellen.“45
Dem widersprach das Bundesverfassungsgericht, welches den Beschwerdeführer durch die vorangegangene Entscheidung in seinem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt sah. Im Ergebnis hielt das Bundesverfassungsgericht die in dem Erbvertrag des Hauses Hohenzollern enthaltene Ebenbürtigkeitsklausel für geeignet, die Eheschließungsfreiheit des als Nacherben eingesetzten Abkömmlings des Erblassers „mittelbar zu beeinflussen“46. Es führt an dieser Stelle den von Thielmann und Kellenter entwickelten Druck-Topos ein, indem es die Entscheidung des Bundesgerichtshofes wie folgt kritisiert: „Es wurde nicht hinreichend geprüft, ob die Ebenbürtigkeitsklausel geeignet war, auf den Bf. einen für diesen unzumutbaren Druck bei der Eingehung einer Ehe zu erzeugen. Der BGH hat im Rahmen seiner Abwägung nicht berücksichtigt, dass der Bf. bereits durch die Abgabe der so genannten Verzichtserklärungen […] von LF darauf hingewiesen wurde, dass ihm im Falle der Eingehung einer nicht hausverfassungsmäßigen Ehe der Verlust seiner Nacherbenstellung drohe. Durch die Abgabe dieser Erklärungen wurde auf den Bf. möglicherweise ein erheblicher Druck dahingehend ausgeübt, die beabsichtigten Eheschließungen zu unterlassen.“47 Ausgangsverfahren beantragte der Beschwerdeführer daher einen Erbschein, der ihn – nach Eintritt des mit dem Tod seines Vaters erfolgten letzten Nacherbfalls – als Alleinerben des fünften Fürsten ausweisen sollte, wogegen sein Bruder vorging. Der Instanzenzug endete mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annahm, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorlagen. Das Bundesverfassungsgericht billigte in seinem Beschluss die Argumentation des BayObLG. Da dem Erblasser hierdurch die Möglichkeit eingeräumt sei, die Erbfolge selbst durch Verfügung(en) von Todes wegen weitestgehend nach seinen persönlichen Wünschen und Vorstellungen zu regeln, sei das BayObLG im Fall Leiningen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zutreffend davon ausgegangen, dass die Testierfreiheit auch die Freiheit umfasst, die Vermögensnachfolge nicht an anerkannten, allgemeinen gesellschaftlich akzeptierten Überzeugungen, bzw. Anschauungen der Mehrheit ausrichten zu müssen. Mit diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht eine auf einer Konsensklausel basierenden Entscheidung des Erblassers die volle Wirksamkeit zuerkannt und die Sittenwidrigkeit abgelehnt. 44 Vgl. BGHZ 140, 118, 130. 45 BGHZ 140, 118, 130 f. 46 BVerfG, NJW 2004, 2008, 2010. 47 BVerfG, NJW 2004, 2008, 2010.
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Darüber hinaus kritisiert das Bundesverfassungsgericht, dass der Bundesgerichtshof nicht ausreichend geprüft habe, „[…] ob der Wert des Nachlasses geeignet war, unter Berücksichtigung der Lebensführung und der sonstigen Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers dessen Entschließungsfreiheit bei Eingehung der Ehe nachhaltig zu beeinflussen“48. An dieser Argumentation des Bundesverfassungsgerichts wird deutlich, dass es zur Feststellung des Vorliegens eines „unzumutbaren Drucks“ auf die Kriterien Thielmanns zurückgreift, indem es auf den Wert der Zuwendung und den Grad der Angewiesenheit des Bedachten auf den Erhalt der Zuwendung abstellt.49 Des Weiteren betont das Bundesverfassungsgericht, dass der Bundesgerichtshof nicht hinreichend in Erwägung gezogen habe, ob Eingriffe in die Eheschließungsfreiheit des Erbprätendenten durch andere Gesichtspunkte zu rechtfertigen seien.50 Der Bundesgerichtshof hätte genauer untersuchen müssen, ob der Ebenbürtigkeitsbegriff auch nach Abschaffung der Monarchie noch hinreichend geeignet ist, einen Eingriff zu rechtfertigen.51 Hier macht sich das Bundesverfassungsgericht ein Kriterium Kellenters zu eigen, der zum Ende seines „Prüfschemas“ eine Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten des Bedachten und der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit des Erblassers vornimmt.52 Diese Einführung des Druck-Topos durch das Bundesverfassungsgericht bildet den Ausgangspunkt für die Übernahme der Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten in die Rechtsprechung der Zivilgerichte, welche es im Nachfolgenden zu untersuchen gilt. Eine Untersuchung der Rechtsprechung der Zivilgerichte ist insbesondere deshalb notwendig, da nur diese – anders als Beschlüsse des Bun-
48 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 2008, 2010. Auch das BVerfG stellt damit wie OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186 auf die Nachlassgröße ab, s. dazu krit. Kap. D. I. 1. a) aa) (3) (c). 49 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 2008, 2010; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 119 betont, dass neben rechtlichen vor allem wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden müssten: „Es geht darum, ob der Betroffene wirtschaftlich auf die Zuwendung ,angewiesen‘ ist, ihr Erwerb einen mehr oder minder großen Anreiz für ihn darstellt, sein Verhalten nach den Wünschen des Erblassers einzurichten, oder ob sie für den Bedachten eine quantite´ ne´gligeable, gleichsam nur ein ,Trinkgeld‘ darstellt.“ Das Kriterium der Angewiesenheit wird nach der Auffassung Thielmanns anhand des Wertes der Zuwendung und der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse des Empfängers der Zuwendung beurteilt. 50 Vgl. BVerfG, NJW 2004, 2008, 2010. 51 Das Bundesverfassungsgericht weist darauf hin, dass das Ebenbürtigkeitsprinzip seine ursprüngliche Funktion –die Regelung der Thronfolge in einer Erbmonarchie – wegen der Abschaffung der Monarchie nicht mehr erfüllen kann, vgl. BVerfG, NJW 2004, 2008, 2010. 52 Vgl. Kellenter, Bedingte Verfügungen, 72.
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desverfassungsgerichts – einen unmittelbaren Einfluss auf die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes und damit einhergehend auf die Wirksamkeit der Verfügungen von Todes wegen haben. (2) Einflüsse der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte Um die Auswirkungen der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Testierfreiheit zu untersuchen, ist im Nachfolgenden zu prüfen, wie die Zivilgerichte die durch das Bundesverfassungsgericht eingeführte Prüfung der unzulässigen Einflussnahme des Erblassers auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten vornehmen. Hierzu sollen exemplarisch die aktuellen Entscheidungen zweier Oberlandesgerichte dargestellt werden, bevor überprüft werden kann, ob die Einführung des Druck-Topos durch das Bundesverfassungsgericht und dessen Übernahme durch die zivilgerichtliche Rechtsprechung eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit darstellt (dazu (3)). (a) Übertragung des Druck-Topos auf Wiederverheiratungsklauseln durch Oberlandesgerichte und Literatur In jüngerer Vergangenheit markieren zwei Urteile den Beginn einer Wende in der Rechtsprechung zu Wiederverheiratungsklauseln, welche erhebliche Auswirkungen auf die Testierfreiheit haben dürfte.53 Während die Literatur bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit von Verwirkungsklauseln bereits frühzeitig eine Abwägung zwischen der Testierfreiheit des Erblassers und der Eheschließungsfreiheit des überlebenden Erbprätendenten vorgenommen hat, betrachtete die Rechtsprechung Wiederverheiratungsklauseln seit der grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshof im Jahr 1965 für wirksam.54 Dieser Standpunkt war seit der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr haltbar.55 Aus diesem Grund läutete eine grundbuchrechtliche Entscheidung des OLG Zweibrücken aus dem Jahr 2011 eine Abweichung von der früheren Linie der Rechtsprechung ein.56 Mit der Entscheidung des OLG Saarbrücken ist die Wende in
53 Vgl. dazu OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1902 und OLG Saarbrücken, ErbR 2015, 567. 54 So BGH, FamRZ 1965, 600. Der BGH führt aus, dass eine Klausel des Gesellschaftsvertrages einer Familiengesellschaft, wonach der Ehegatte eines Familienmitgliedes, der aufgrund des Todes des Familienmitgliedes in die Gesellschaft gelangt ist, bei Wiederverheiratung aus der Gesellschaft auszuscheiden hat, weder gegen Grundrechte verstößt noch sittenwidrig ist. 55 So auch Otte, ErbR 2015, 567, 575. 56 Die Entscheidung des OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1902 befasst sich mit der
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der Rechtsprechung nunmehr auch in erbrechtlichen Fallgestaltungen vollzogen. Das OLG Saarbrücken führt aus, dass eine letztwillige Verfügung von Todes wegen, die den überlebenden Ehegatten im Fall der erneuten Heirat mit einem Vermächtnis zugunsten der Abkömmlinge in Höhe des gesamten Wertes des Nachlasses des erstverstorbenen Erblassers beschwert, nichtig ist.57 Bemerkenswert ist dabei, dass sich das OLG Saarbrücken aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts veranlasst sieht, eine solche Rechtsprechungsänderung herbeizuführen: „Der Senat meint, dass der Kern der Erwägungen des BVerfG auf Fälle der vorliegenden Art übertragbar ist und dass das Ergebnis der Abwägung zwischen Testierfreiheit und Eheschließungsfreiheit im Einzelfall zur Unwirksamkeit von Wiederverheiratungsklauseln […] führen kann, weil den überlebenden Ehegatten, wenn er von seinem grundgesetzlich garantierten Recht, eine Ehe einzugehen, Gebrauch macht, drastische Vermögensnachteile hinsichtlich des Nachlasses des verstorbenen ersten Ehepartners treffen können.“58
Dabei nimmt das OLG Saarbrücken – wohl zurecht – in Anspruch, in Übereinstimmung mit der überwiegenden Literatur zu entscheiden59 und begründet diese Erweiterung des Druck-Topos damit, dass es im Hinblick auf die Eheschließungsfreiheit keinen Unterschied mache, ob der Bedachte den Nachlasswert durch die Heirat einer nicht „ebenbürtigen“ Person oder durch Heirat irgendeiner Person verliere.60
Verpflichtung des Grundbuchamtes, eine Wiederverheiratungsklausel in einem Testament selbstständig auszulegen. Da andere Eintragungshindernisse nicht zum Verfahrensgegenstand gehörten, konnte das OLG Zweibrücken zu der Frage der Wirksamkeit von Widerverheiratungsklauseln nur wegweisend Stellung nehmen. Es betont: „Im Anschluss an die Hohenzollern-Entscheidung des BVerfG […] ist hier die Frage aufzuwerfen, unter welchen Voraussetzungen Wiederverheiratungsklauseln nach § 138 BGB unter der Prämisse, dass der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Testierfreiheit des erstversterbenden Ehegatten das Grundrecht des überlebenden Ehegatten aus Art. 6 Abs. 1 GG gegenübersteht, noch als wirksam erachtet werden können […]. Maßgeblich dürfte letztlich eine Abwägung sein, bei der neben der Frage, inwiefern bei dem Überlebenden ein für diesen unzumutbareren Druck bei der Eingehung einer neuen Ehe erzeugt wird, der Wert des Nachlasses des Erstversterbenden, die Lebensverhältnisse des Überlebenden und dessen sonstige Vermögensverhältnisse eine Rolle spielen. Eine Wiederverheiratungsklausel, die wie in dem vorliegenden Fall bei Wiederverheiratung des Überlebenden den kompensationslosen Nacherbfall vorsieht, dürfte regelmäßig unwirksam sein.“ – s. OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1902. 57 Vgl. OLG Saarbrücken, DNotZ, 691, 691 f. 58 OLG Saarbrücken, DNotZ, 691, 693. 59 So OLG Saarbrücken, DNotZ, 691, 693 mit Verweis u. a. auf MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 25; Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 58–61; Otte, ZEV 2004, 393; OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 1902. Als Gegenansicht führt das OLG Saarbrücken zutreffend Gutmann, NJW 2004, 2347 und Isensee, DNotZ 2004, 754 an, welche bereits der Hohenzollernentscheidung des BVerfG kritisch gegenüberstehen. 60 Vgl. OLG Saarbrücken, DNotZ, 691, 693.
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Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu geführt hat, dass die Zivilgerichte bei Wiederverheiratungsklauseln eine Abwägung zwischen der Testierfreiheit des Erblassers und der Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten vornehmen und dabei dazu tendieren, zugunsten der Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten zu entscheiden. (b) Übertragung des Druck-Topos auf testamentarisch angeordnete Besuchsbedingungen durch das OLG Frankfurt Der vom Bundesverfassungsgericht eingeführte Druck-Topos wird von den Zivilgerichten jedoch nicht nur zur Beurteilung der Wirksamkeit von Wiederverheiratungsklauseln verwendet, sondern auch zur Überprüfung anderer testamentarisch angeordneter Bedingungen eingesetzt. So hat das OLG Frankfurt unter Anwendung des Druck-Topos entschieden, dass für den Fall, dass der Erblasser eine Erbeinsetzung unter die Bedingung stellt, dass der vorgesehene Erbe eine bestimmte Anzahl an Besuchen pro Jahr durchführt, die bedingte Erbeinsetzung sittenwidrig und damit nichtig ist.61 In dem zu entscheidenden Fall setzte der Erblasser in seinem handschriftlich errichteten Testament seine Ehefrau und einen Sohn aus erster Ehe zu jeweils einem Viertel als Erben ein.62 Die beiden Kinder eines anderen Sohnes aus einer weiteren Ehe sollten den verbleibenden Nachlass zu gleichen Teilen erhalten – dies jedoch nur dann, wenn die beiden den Erblasser (ihren Großvater) zu Lebzeiten mindestens sechsmal im Jahr besuchen würden. Falls die bedachten Enkel dieser Bedingung nicht nachgekommen sind, sollten seine Ehefrau und der Sohn die Nachlasshälfte erben. Diese testamentarische Anordnung war allen Beteiligten bekannt. Die jährlichen Besuche durch die Enkelkinder fanden jedoch nicht statt. Nach dem Tod des Erblassers beantragten die Witwe und der Sohn einen Erbschein zu je einer Hälfte des Gesamtnachlasses. Das Nachlassgericht kam dem Antrag nach.63 Die Enkel des Erblassers wandten sich nunmehr mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Nachlassgerichts. Der Senat des OLG Frankfurt hat die vom Erblasser angeordnete aufschiebende Bedingung der Besuche als sittenwidrig und damit als nichtig angesehen.64 Der Wunsch des Erblassers, die Enkelkinder in regelmäßigen 61 So das OLG Frankfurt, NJW-RR 2019, 394, 394: „Setzt ein Erblasser erbrechtliche Vermögensvorteile als Druckmittel für zu Lebzeiten durchzuführende Besuche seiner Enkelkinder ein, ist eine an die Besuchspflicht geknüpfte bedingte Erbeinsetzung der Enkel sittenwidrig und damit nichtig. Die Enkel sind unter Berücksichtigung des hypothetischen Willens des Erblassers auch ohne Erfüllung der Besuchspflicht Miterben.“ 62 Vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2019, 394, 394 f. 63 Vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2019, 394, 394. 64 Dem OLG Frankfurt zustimmend Litzenburger, FD-ErbR 2019, 415058: „Die Ar-
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Zeitabständen zu sehen, sei zwar zu billigen, jedoch würde durch das Inaussichtstellen der Erbenstellung im Gegenzug für regelmäßige Besuche auf die Enkelkinder ein unzulässiger Druck dahingehend ausgeübt, dass zur Erlangung der Erbenstellung und damit des Vermögens zwingend die testamentarisch angeordnete Besuchsbedingung zu erfüllen sei.65 Der Senat führt weiter aus, dass eine solche Einflussnahme auf die Entschließungsfreiheit der Enkelkinder durch den Erblasser von der Rechtsordnung – auch unter Berücksichtigung der Testierfreiheit – nicht zu billigen sei. Daneben betont das OLG Frankfurt, dass es darauf ankomme, ob der Erblasser „durch einen wirtschaftlichen Anreiz in einer gegen das ,Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden‘ verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten zu ,erkaufen‘ sucht.“66 Der Frankfurter Senat scheint hier neben dem DruckTopos zugleich die These zu vertreten, dass es unsittlich ist, eine andere Person durch das Inaussichtstellen ökonomischer Vorteile zu einem Verhalten zu verlocken, das finanziell motiviert sein dürfte. Diese auf das 19. Jahrhundert rückführbare67 These kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil sie nicht nur die Testierfreiheit des Erblassers, sondern auch die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten beschränkt.68 gumentation des OLG Frankfurt a.M. ist auch in dieser Hinsicht in vollem Umfang nachzuvollziehen.“ 65 Dabei betont das OLG Frankfurt, dass die Testierfreiheit des Erblassers berücksichtigt werden müsse und daher nur in schwerwiegenden Fällen von der Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen ausgegangen werden könne. Dazu führt das OLG Frankfurt, NJW-RR 2019, 394, 396 weiter aus: „Die Grenze zu derart schwerwiegenden Ausnahmefällen wird dabei nach überwiegender Auffassung, der sich der Senat anschließt, dann überschritten, wenn die von dem Erblasser erhobene Bedingung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände die Entschließungsfreiheit des bedingten Zuwendungsempfängers unzumutbar unter Druck setzt und durch das Inaussichtstellen von Vermögensvorteilen Verhaltensweisen bewirkt werden sollen, die regelmäßig eine freie, innere Überzeugung des Handelnden voraussetze […].“ An dieser Formulierung wird deutlich, dass sich das OLG Frankfurt den Druck-Topos des BVerfG zu eigen macht. 66 So explizit OLG Frankfurt, NJW-RR 2019, 394, 396. 67 So hält Fitting, AcP 56 (1873), 399, 416 ff. das Inaussichtstellen eines materiellen Vorteils deshalb für potentiell sittenwidrig, weil hierdurch bestimmte Entscheidungen aus pekuniären Motiven getroffen werden könnten. Es geht Fitting folglich darum zu verhindern, Anreize zu unterbinden, die das Treffen von Entscheidungen aus – seinem Verständnis nach – sachfremden Erwägungen fördern würden. Vgl. dazu Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 215 ff., der diese Sichtweise ausführlich untersucht und ablehnt. 68 Vgl. hierzu Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 215 ff. Gutmann betont, dass bei einer solchen Sichtweise nicht die Entscheidungsfreiheit des Adressaten eines Angebots in Frage stehe, sondern lediglich die Sicherstellung bestimmter Entscheidungsmotive. Hierdurch werde die Entschließungsfreiheit des Betroffenen nicht geschützt, sondern beschränkt. Die bestimmte Art und Weise eines Freiheitsgebrauchs werde gegenüber anderen konkurrierenden handlungsleitenden Motiven bevorzugt. Zutreffend stellt Gutmann, Frei-
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Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit ist an dieser Stelle entscheidend, dass die Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten auch Eingang in die Rechtsprechung des OLG Frankfurts gefunden hat. Dabei ist die Abwägung zwischen der Testierfreiheit des Erblassers und der Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten zu Lasten der Testierfreiheit ausgefallen. (c) Fazit: Abwägung der Zivilgerichte zwischen Entschließungs- und Testierfreiheit erfolgt zu Lasten der Testierfreiheit Die vom Bundesverfassungsgericht eingeführte Theorie der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten durch den Erblasser wird zunehmend in die zivilgerichtliche Rechtsprechung eingeführt und auf Fälle außerhalb von Ebenbürtigkeitsklauseln angewendet. Die Gerichte sehen sich seit der Hohenzollernentscheidung gezwungen, eine Abwägung zwischen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit des Erblassers und der Entschließungsfreiheit der Bedachten bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen durchzuführen. Diese Abwägung erfolgt bis zum jetzigen Zeitpunkt zulasten der Testierfreiheit. Besonders deutlich wird dies an der Entscheidung des OLG Frankfurt, welche bereits Besuchsbedingungen untersagt. Die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Besuchsbedingungen, die keinen besonders geschützten persönlichen Lebensbereich, sondern lediglich die Freizeitgestaltung betreffen, hat erhebliche Auswirkungen auf die Testierfreiheit, da nunmehr zu befürchten ist, dass jede verhaltensbezogene Bedingung dem Druck-Topos „zum Opfer“ fällt. Dass mit der Einführung des Druck-Topos solche Auswirkungen auf die Testierfreiheit entstehen, war dem Bundesverfassungsgericht bewusst. So führt Gaier, zu diesem Zeitpunkt Richter am Bundesverfassungsgericht, aus, dass die Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts Abwägungskriterien entstehen lasse, „die auch in anderen Fällen eines Konflikts zwischen Testierfreiheit und Eheschließungsfreiheit sowie generell bei der Überprüfung von Potestativbedingungen in letztwilligen Verfügungen auf Grund des § 138 Abs. 1 BGB Bedeutung erlangen können.“69 Die Ergebnisse dieses Abschnitts haben gezeigt, dass grundsätzlich bei jeder Verfügung von Todes wegen, insbesondere bei solchen, die mit einer
willigkeit als Rechtsbegriff, 218 fest: „In jedem Fall beschränkt, wer behauptet, dass nur bestimmte Arten, von einem Recht Gebrauch zu machen, durch dieses Recht geschützt sind, dessen Schutzbereich.“ 69 Gaier, ZEV 2006, 2, 5; zu diesem Befund auch Otte, ErbR 2015, 567, 574 der betont, dass dem BVerfG die Auswirkungen seiner Entscheidung auf die Beurteilung der Wirksamkeit von Wiederverheiratungsklauseln bewusst gewesen ist.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
verhaltensbezogenen Bedingung versehen werden, eine Abwägung der oben beschriebenen Art von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt wird, mit der Folge, dass Verfügungen von Todes wegen, welche verhaltensbezogene Elemente enthalten, regelmäßig als sittenwidrig angesehen werden. Die Relevanz der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Testierfreiheit und damit auch für die Zwecke der vorliegenden Arbeit könnte daher kaum größer sein. Aus diesem Grund soll im Nachfolgenden untersucht werden, ob die Einführung des Druck-Topos durch das Bundesverfassungsgericht und die entsprechende Übernahme durch die zivilgerichtliche Rechtsprechung eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit darstellt. (3) Einführung des Druck-Topos durch das Bundesverfassungsgericht und dessen Übernahme durch die zivilgerichtliche Rechtsprechung als unzulässige Grenze der Testierfreiheit Zu der Frage, ob der Theorie der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten durch das Treffen bestimmter erbrechtlicher Anordnungen zu folgen ist, sind bereits zahlreiche Arbeiten entstanden. Die vorliegende Arbeit kann und will eine umfassende Aus- und Bewertung sämtlicher vorhandener Literatur nicht vornehmen. Gleichwohl müssen die maßgeblichen Unstimmigkeiten des Druck-Topos herausgearbeitet werden, um zu überprüfen, ob die derzeitige Rechtsprechung die Testierfreiheit unzulässig einschränkt. Dabei soll ein bestimmter Aspekt einen eigenständigen Abschnitt erhalten (dazu (a)), weil dieser – wie es noch zu zeigen gilt – für zahlreiche Grenzen der Testierfreiheit relevant ist. Bei diesem Aspekt handelt es sich um die Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten, von der die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur ausgehen und die diese zum Anlass nehmen, die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten vor einer Einflussnahme durch den Erblasser zu schützen. Im Nachfolgenden soll daher untersucht werden, ob die Erbprätendenten tatsächlich vor einer solchen Einflussnahme durch den Erblasser geschützt werden müssen oder ob sie schlichtweg nicht schutzbedürftig sind. Sofern Rechtsprechung und Literatur Teile von Verfügungen von Todes wegen zum Schutz der Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten für sittenwidrig und damit für nichtig halten, obwohl eine solche Schutzbedürftigkeit nicht besteht, wird ohne legitimen Zweck und daher unzulässig in die Testierfreiheit der Erblasser eingegriffen (dazu (b)). Die übrigen wesentlichen Kritikpunkte an dem vom Bundesverfassungsgericht eingeführten Druck-Topos werden sodann zusammen in einem weiteren Abschnitt aufgezeigt (dazu (c)).
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(a) Fehlende Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten – eine Analyse der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten Ein Schutz des Erbprätendenten ist nur dann notwendig, wenn dieser auch tatsächlich schutzbedürftig ist. Diese auf den ersten Blick simple Feststellung bildet den Ausgangspunkt für eine Analyse des rechtlichen Verhältnisses zwischen Erblasser und Erbprätendenten. Während sich sowohl zahlreiche Vertreter der Druck-Theorie als auch das Bundesverfassungsgericht in dogmatischer Hinsicht nicht mit der Frage beschäftigt haben, ob ein Eingriff in die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten durch den Erblasser im Rahmen einer bedingten Erbeinsetzung überhaupt möglich ist, haben vor allem Gutmann und nachfolgend auch Blomberg eine solche Analyse der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten vorgenommen. Dabei ist zuvorderst auf die in Kapitel B. I. gewonnenen Erkenntnisse zurückzugreifen und herauszustellen, dass die Erbrechtsgarantie primär die Freiheiten des Erblassers schützt.70 Hiervon ist die Testierfreiheit umfasst, die ein Recht darstellt, welches am deutlichsten dem Individualschutz von Erblassern und gerade nicht dem Schutz gemeinschaftlicher Rechte dient.71 Mit Ausnahme des – an späterer Stelle dieser Arbeit noch zu behandelnden – Pflichtteilsrechts72, welches einen Kompromiss zwischen der Testierfreiheit und dem Schutz der Familie nach Art. 6 GG darstellt, kommt deshalb auch niemandem ein genuines Recht zu, einen Anteil am Nachlass eines Verstorbenen zu erhalten. Die Aussicht Erbe zu werden ist nicht rechtlicher Natur, sie ist vielmehr als eine bloße nuda spes, also als eine vage Hoffnung einzuordnen.73 Niemand hat – es sei denn aufgrund einer wirksamen Selbstbindung des Erblassers – ein subjektives Recht darauf, Erbe zu werden. Deshalb kommt der letztwilligen Verfügung der Charakter einer Schenkung zu. Selbst nahe Angehörige
70
Vgl. sowohl die Ausführungen zu der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit in Kap. B. I. als auch die Ausführungen zu der rechtshistorischen Entwicklung der Testierfreiheit, die gezeigt haben, dass das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches den Erblasserwillen zum Ausgangspunkt aller Überlegungen gemacht hat. 71 Vgl. dazu auch Isensee/Kirchhof/Leisner Handbuch des Staatsrechts, VIII, § 174 Rn. 18; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 50; den Individualschutz betonen ebenfalls BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358, BVerfGE 99, 341, 350. 72 Vgl. dazu Kap. C. III. u. D. II. 5. Das Pflichtteilsrecht wird sowohl in dem Kap. C. als auch in dem Kap. D. behandelt, da die pflichtteilsrechtlichen Regelungen in beide Kategorien der Grenzen der Testierfreiheit eingeordnet werden können. Dies führt das Kap. D. II. 5. näher aus. 73 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 190; vgl. dazu auch die Darstellung bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 989 Rn. 1944.
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haben folglich keinen Anspruch, welcher über ihre schuldrechtliche Position in Bezug auf den Pflichtteil hinausgehen könnte.74 Setzt also der Erblasser einen Erben unter einer Bedingung ein, so ist dies in dogmatischer Hinsicht als eine Erweiterung seiner Rechtsposition anzusehen. Gutmann stellt daher zutreffend fest, dass jede Bedingung, die einer freiwilligen Zuwendung hinzugefügt wird, „nur eine Beschränkung dieser überobligaten Zuwendung“75 ist und „keine Einschränkung dessen, was der Bedachte vor der Zuwendung […] schon hatte“76. Der Erbprätendent wird demzufolge nicht in einer ihm zustehenden Rechtsposition beschränkt, sondern kann durch Erfüllung der Bedingung etwas erhalten, was ihm vorher nicht zustand. Bei Nichterfüllung der Bedingung verliert der Erbprätendent folglich keine Rechtsposition, da eine solche niemals bestand. Darüber hinaus können sich Erbprätendenten den Erhalt des Erbes auch nicht erdienen. So hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht im Fall Leiningen festgestellt, dass es eine Art Anwartschaftsrecht des Erben77, welches sich dieser durch eine bestimmte Lebensführung erarbeitet haben könnte, nicht gibt. Der Bedachte befindet sich somit, wie von Gutmann zutreffend präzisiert, nicht in einer Zwangs-, sondern in einer Angebotssituation.78 Ein solches Ergebnis wird auch durch die Motive des Bürgerlichen Gesetzbuches zum Pflichtteilsrecht gestützt: „[…] dem Berechtigten [wird] in der Stellung als Erbe gleichsam etwas angeboten, was das ihm Gebührende übersteigt. Das Angebot ist so aufzufassen, dass gegenüber dem Berechtigten der Vorteil dieses Mehr […], den Nachteil der Beschränkung ausgleichen soll.“79
Auch die Motive gehen somit davon aus, dass der Bedachte durch die Erbeinsetzung stets etwas Überobligatorisches erhält. Die bedingte Erbeinsetzung gibt dem Bedachten die Möglichkeit, seine Rechtsstellung zu erweitern und stellt damit eine Verbesserung seiner Rechtsposition dar. Es findet keine Beschränkung, sondern eine Erweiterung der Handlungsoptionen des Bedachten statt.80 Das Inaussichtstellen eines Vorteils kann jedoch keinen Ein-
74
Vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1988, 2615, 2616. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208. 76 So Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208 m. V. a. Muscheler, ZEV 1999, 151, 152. 77 Hierauf wird an späterer Stelle noch einzugehen sein, vgl. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a) (aa). 78 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 210. 79 Motive, V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 762. 80 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 207. 75
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griff in ein Freiheitsrecht und damit auch keine richterliche Schutzpflicht, die eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB rechtfertigen würde, begründen. Der Bedachte wird insbesondere nicht zur Vornahme des gewünschten Verhaltens gezwungen, sondern erhält eine Wahlmöglichkeit. Kommt der Bedachte dem vom Erblasser gewünschten Verhalten nicht nach, steht er nicht schlechter als vor der Erbeinsetzung.81 Ein im Sinne des Eingriffsbegriffs rechtlich relevanter Nachteil kann jedenfalls nicht eintreten.82 Zutreffend betont Blomberg: „Die Möglichkeit, schwierige Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen, ist gerade Teil der Freiheit des Menschen – eine Freiheitsbeschränkung tritt durch sie nicht ein.“83
Als Ergebnis dieser Analyse lässt sich festhalten, dass der Bedachte durch eine bedingte Erbeinsetzung zwar in der Entscheidung über den Gebrauch seiner Freiheitsrechte beeinflusst werden kann, jedoch kann die Erbeinsetzung als Angebot an den Bedachten keinen Eingriff in Freiheitsrechte begründen. Die Druck-Theorie setzt im Ergebnis Beeinflussung und Eingriff gleich und unterlässt dadurch die Abgrenzung, die für das Vorliegen einer staatlichen Schutzpflicht und damit auch für die Möglichkeit eines Einschreitens durch die Gerichte notwendig wäre.84 Nimmt der Richter dennoch eine solche – tatsächlich nicht bestehende – Schutzpflicht an und bejaht damit einhergehend das Sittenwidrigkeitsverdikt, entsteht hierdurch eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit. Der soeben dargestellte Gutmannsche Einwand wiegt schwer und entzieht der Druck-Theorie bereits ihren dogmatischen Anknüpfungspunkt. Es fehlt an der Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten, da diese keinen Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft haben. Daher bedeutet auch eine beschränkte Erbeinsetzung für die Erbprätendenten stets den Erhalt eines „Mehr an 81
In diese Richtung auch Isensee, DNotZ 2004, 754, 762: „Überhaupt kann vom Eingriff nicht die Rede sein. Die erbvertragliche Klausel hindert den Bedachten nicht, zu heiraten, wen er will. Auf der anderen Seite garantiert ihm die Eheschließungsfreiheit nicht, dass ihm alle erbrechtlichen Exspektanzen erhalten bleiben, wenn dem künftigen Erblasser der Ehegatte nicht zusagt. Anders gewendet: Die Eheschließungsfreiheit des einen bildet keine Schranke für die Testierfreiheit des anderen.“ 82 Zutreffend betont Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348 betont: „Es ist rechtstheoretisch schlechthin ausgeschlossen, mit einem Angebot, das einer Person unterbreitet wird, in deren Freiheitsrechte einzugreifen.“ Vgl. dazu auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 207 f. 83 Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 209. 84 Vgl. dazu die Ausführungen zu Beginn des Kap. C. I., die gezeigt haben, dass die Voraussetzung für ein Tätigwerden des Richters eine bestehende Schutzpflicht ist. Eine staatliche Schutzpflicht des Richters in ausschließlich privatrechtlichen Verhältnissen kann nur angenommen werden, wenn ein Eingriff seitens des einen Privatrechtssubjektes in eine grundrechtliche Position des zu schützenden anderen Privatrechtssubjektes vorliegt. Hieran fehlt es aufgrund der soeben dargelegten rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten jedoch.
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Rechten“ und damit eine Erweiterung ihrer eigenen Rechtsposition. Gleichwohl sieht sich diese, auf die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch zurückzuführende Annahme des fehlenden Anspruchs der Erbprätendenten und des dadurch fehlenden Schutzerfordernisses, heftiger Kritik ausgesetzt. Diese gilt es im folgenden Abschnitt näher zu untersuchen. (aa) Kritik: Annahme der fehlenden Schutzbedürftigkeit von Erbprätendenten als lebensfremd und hohles Pathos Sowohl Leipold, Otte als auch Gaier bezeichnen die hier vertretene Auffassung ausdrücklich als „lebensfremd“85. Otte betont darüber hinaus, dass sich eine solche Auffassung als „hohles Pathos“86 erweise. Anders als Führ darlegt87, ist diese Kritik nicht rückläufig, sondern wird vielmehr stetig erneut88 und verdient daher eine weitergehende Analyse.
85 Vgl. MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 19; Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 38; Gaier, ZEV 2006, 2, 4: „Dieser Sicht der Dinge kann der Vorwurf der Lebensfremdheit nicht erspart bleiben.“ 86 So Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 38: „Die Ansicht, sittenwidrig sei hier nicht die Verfügung, die den Bedachten unter Druck setzt, sondern allenfalls die Rechtsansicht, die ihm nicht zutraue, dem Druck standzuhalten, und ihm daher die „moralische“ Entscheidung abnehmen wolle, indem sie die „Versuchung“ durch die Bedingung aus dem Weg räume […], erweist sich angesichts solcher Fallgestaltungen als hohles Pathos […].“ 87 So aber Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 125: „Mit dieser grundsätzlichen Aussage befinden sich Otte und Leipold nun auf einer Linie mit der Ansicht […] Gutmanns.“ Dem ist nur insoweit zuzustimmen, als dass Otte und Leipold mittlerweile nicht mehr von der Möglichkeit eines Eingriffs in die Entschließungsfreiheit des Erbprätendenten ausgehen (s. dazu Otte, ZEV 2004, 393, 393 ff.; Leipold, Erbrecht, Rn. 252). Sie wollen aber gleichwohl nicht anerkennen, dass Erbprätendenten keinen Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft haben und daher nicht schutzbedürftig sind, sodass folglich nicht davon gesprochen werden kann, dass Otte und Leipold mit der von Gutmann und auch hier vertretenen Ansicht übereinstimmen. 88 So bspw. die Kritik Ottes in der Neubearbeitung (2019) seiner Staudinger-Kommentierung zu § 2074 BGB, s. Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 38; s. auch Otte, Jura, 2014, 549, 555. Auch Leipold hat die Kritik in seiner 2020 erschienen Kommentierung erneuert, s. dazu MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 19: „Bei dieser Betrachtungsweise bleibt aber die Lebenswirklichkeit auf der Strecke.“ Das Argument der „Lebenswirklichkeit“, welches lediglich eine subjektive Empfindung widerspiegelt, vermag ohnehin nicht die dogmatische und rechtstheoretische Argumentation Gutmanns, die von den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch gestützt wird, zu entkräften.
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(α) Limitation der Testierfreiheit durch Schaffung von Vertrauenstatbeständen: Das Erbanwartschaftsrecht als Grenze der Testierfreiheit Der zentrale Vorwurf dieser Kritiker liegt darin, dass die hier favorisierte Auffassung die Einbindung des Bedachten in die Lebenszusammenhänge mit dem Erblasser verkenne.89 Bezogen auf den „Druck-Topos“ vertritt Otte in seiner Kommentierung des § 2074 BGB die Ansicht, dass in die Überlegungen in Bezug auf die Wirksamkeit solcher Bedingungen mit einbezogen werden müsse, dass es sich regelmäßig um Fälle handele, in denen wirtschaftlich abhängige und in familiäre Zusammenhänge eingebundene Personen vor die Wahl zwischen Erlangung eines Vermögensvorteils und der Ausübung ihrer Freiheitsrechte gestellt werden.90 Otte weist darauf hin, dass es lediglich in der Theorie Fälle gebe, in denen der Erblasser eine von ihm nicht abhängige Person unter einer verhaltensbezogenen Bedingung als Erbe einsetzt.91 In der Praxis seien vorwiegend solche Fälle vorhanden, in denen der Erblasser einen Erbprätendenten auswählt, dessen „Lebensgestaltung er mitgeprägt hat und der infolge dieser Lebensgestaltung von ihm wirtschaftlich abhängig ist.“92 Hierzu führt Otte verschiedene Beispiele an. So bezieht er sich auf den sogenannten Hoferbenfall, bei dem der als Hofnachfolger vorgesehene und deswegen auch nur in diese Richtung ausgebildete Sohn unter der Bedingung zum Erben eingesetzt wird, dass er sich scheiden lässt.93 Otte hält es für unzumutbar, dass der Sohn „leer ausgeht“ und gesteht ihm daher eine Erbanwartschaft zu. Im Ergebnis schließt er sich damit der Druck-Theorie an, argumentiert hierbei jedoch in einer anderen Art und Weise.94 So geht Otte in den hier dargestellten Ausführungen davon aus, dass es dem Erben möglich ist, durch eine bestimmte, auf den Erhalt des Erbes ausgerichtete Lebensführung, eine Art Erbanwartschaftsrecht zu erlangen.95 Der Fokus liegt also auf einer Bestimmung des Maßes der Angewiesenheit des Erbprätendenten auf den Erhalt der Erbschaft. Je stärker der Erbprätendent auf den Erhalt der Erbschaft angewiesen ist, desto größer ist sein Erbanwartschaftsrecht. Sofern die Auffassung Ottes zutreffend ist, stellt ein solches Erbanwartschaftsrecht eine Grenze der Testierfreiheit dar, da der Erblasser über diesen 89
In diese Richtung Gaier, ZEV 2006, 2, 4; Staudinger/Otte BGB § 2074, Rn. 37 f.; MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 19. 90 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 38. 91 So Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 37 – Otte spricht von diesen Fällen als aus der „Belletristik entnommen oder frei konstruiert.“ 92 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2074, Rn. 38. 93 Vgl. dazu BGH, JZ 1956, 279; Staudinger/Otte BGB § 2074, Rn. 38. 94 Sich ausdrücklich der Druck-Theorie anschließend: Staudinger/Otte BGB § 2074, Rn. 39. 95 Vgl. Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 118.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Teil seines Vermögens nicht mehr frei testieren kann. Eine solche Grenze der Testierfreiheit – sofern sie denn tatsächlich besteht – ließe sich ebenfalls in die Kategorien dieser Arbeit einordnen. Sie würde dem Schutz des Erbprätendenten als Anwartschaftsberechtigten vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen und wäre mithin der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zuzuordnen. Die Testierfreiheit des Erblassers wird beschränkt, um den Anwartschaftsberechtigten, der sich durch eine bestimmte Lebensführung ein Recht zu erben erdient haben soll, zu schützen. Gleichzeitig könnte ein solcher Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft ein Indiz dafür sein, dass Erbprätendenten in bestimmten Konstellationen schutzbedürftig sein könnten. Eine solche Sichtweise ist jedoch abzulehnen. Sicherlich mag es unter Umständen gegen das Rechtsempfinden verstoßen, wenn ein Erbprätendent, der im Vertrauen auf den Erhalt des Erbes seine Lebensführung nach dem Willen des Erblassers ausrichtet, letztlich leer ausgeht.96 Das Risiko des Nichterhalts des Erbes liegt jedoch beim Erbprätendenten. Das Privatrecht bietet den potentiellen Erben, die sich nach Otte das Recht zu erben erdienen würden, zahlreiche andere Möglichkeiten, um dieses Risiko frühzeitig zu minimieren. So kann der Erbprätendent sein Verhalten davon abhängig machen, dass er Schenkungen zu Lebzeiten oder eine Vergütung für bestimmte Dienste erhält. Lässt sich der Erbprätendent darauf ein, nach den Vorstellungen des Erblassers zu agieren, ohne dafür bereits frühzeitig Sicherheiten zu erhalten, deutet dies auf ein großes Vertrauen hin, das enttäuscht werden kann. Diese Enttäuschung mag aus moralischer Sicht hart und illoyal wirken, widerspricht jedoch nicht dem geltenden Recht. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht im Fall Leiningen daher festgestellt, dass es eine Art Anwartschaftsrecht des Erben, welches sich dieser durch eine bestimmte Lebensführung erarbeitet haben könnte, nicht gibt.97 Otte überträgt letztlich den Regelungsinhalt des § 7 Abs. 2 HöfeO auf das gesamte Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dies ist in methodischer Hinsicht abwegig. Führt man den Gedanken Ottes weiter, der in letzter Konsequenz von einem Anrecht auf den Erhalt des Erbes ausgeht, so wäre der Erblasser bereits zu Lebzeiten in Bezug auf einen gewissen Teil seines Vermögens gebunden. Und deshalb muss sich Otte die Frage stellen lassen, ob es
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Vgl. Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 118. Vgl. BVerfG, NJW 2000, 2495, 2496: „Das von ihm herangezogene ,Lebens- und Tätigkeitsbild Erbprinz‘ ändert nichts daran, dass seine Aussicht, Nacherbe des Fünften Fürsten zu werden, keine unentziehbare Rechtsposition darstellte, sondern von vornherein unter dem Vorbehalt stand, dass im Zeitpunkt des Nacherbfalls die von dem Erblasser angeordneten Sukzessionsvoraussetzungen vorlagen. Eine Anwartschaft darauf, Erbe zu werden, ohne die in dem Erbvertrag vorgesehenen Voraussetzungen zu erfüllen, hatte der Bf. zu keinem Zeitpunkt.“ Damit hat das BVerfG auch das Wesen der Testierfreiheit als individualschützende Freiheit hervorgehoben. 97
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dem Erblasser dann zu Lebzeiten verboten ist – sofern ein Erbprätendent seine Lebensführung bereits auf den Erhalt des Erbes ausgerichtet hat – über den Großteil seines Vermögens frei zu verfügen. Anders ausgedrückt müsste Ottes Sichtweise dazu führen, dass nicht nur die Verfügungsfreiheit von Todes wegen, sondern auch die rechtsgeschäftliche Verfügungsfreiheit zu Lebzeiten eingeschränkt wird. Darüber hinaus gibt es andere Rechtsinstitute, die solche Konstellationen verhindern. In dem von Otte angeführten Hoferbenfall98 hätte ein frühzeitiger Erbvertrag für sämtliche Beteiligte Klarheit geschaffen. Die Rechtsordnung gestaltet die Erbeinsetzung als Angebot und den Erhalt der Erbschaft als etwas, auf das grundsätzlich kein Anspruch besteht, aus. Sofern der Erhalt des Erbes abgesichert werden soll, ist ein Erbvertrag eine denkbare Möglichkeit. Dies gilt auch für Fälle, in denen sich beispielsweise eine vermögende Erbtante von ihrer Nichte über einen langen Zeitraum hinweg kostenlose Arbeiten durchführen lässt und dabei den Erhalt der Erbschaft in Aussicht stellt – diese dann am Ende aber doch nicht als Erbin einsetzt. Die Rechtsordnung bietet aber mit der Möglichkeit des Abschlusses eines Erbvertrages oder mit der vorweggenommenen Erbfolge sachgerechte Instrumente an, um solche Risiken „ex-ante“ zu verhindern.99 Eine Lösung über ein Erbanwartschaftsrecht ist nicht vorhanden und wäre auch systemfremd, da die Erbeinsetzung den Charakter einer Schenkung hat und die Aussicht des Erben eben nur eine nuda spes ist.100 (β) Annahme eines Erbanwartschaftsrechts als unzulässige Grenze der Testierfreiheit Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Annahme eines Erbanwartschaftsrechts eine unzulässige Begrenzung der Testierfreiheit darstellt. Sie ist mit den erbrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches unvereinbar. Die soeben dargelegten verschiedenen Argumente haben gezeigt, dass es ein Erbanwartschaftsrecht nicht geben kann. Otte und andere 98 Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 38 führt den Fall an, dass der als Hofnachfolger vorgesehene und auch ausschließlich in diese Richtung hin ausgebildete Sohn des Erblassers unter der Bedingung eingesetzt wird, dass er sich scheiden lässt. Otte sieht hierin die Ausübung eines unzumutbaren Drucks auf die Entschließungsfreiheit des Sohnes, vgl. dazu Staudinger/Otte BGB § 2074, Rn. 38 f. 99 Vgl. Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 118. 100 Vgl. dazu bereits Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 762; vgl. dazu auch Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). Gestützt wird diese Sichtweise auf die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch, vgl. Motive, V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210.
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Befürworter eines Erbanwartschaftsrechts verkennen, dass die Testierfreiheit in erster Linie der Sicherung eines Freiheitsraumes des Erblassers dient. Auch für Erbprätendenten, die ihre Lebensführung auf den Erhalt der Erbschaft ausgerichtet haben, bleibt es daher dabei, dass diese nur über eine nuda spes verfügen. Gerade dies berücksichtigen die Befürworter eines Erbanwartschaftsrechts jedoch nicht, sodass auch diese unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit auf einem fehlerhaften Verständnis der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten beruht. (bb) Fazit: Keine Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten Nachdem nunmehr deutlich geworden ist, dass es ein Erbanwartschaftsrecht nicht gibt und die Testierfreiheit folglich auch keiner Limitierung durch das Schaffen von Vertrauenstatbeständen unterliegt, bleibt es bei dem Ergebnis, dass niemand einen Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft hat und Erbprätendenten insoweit nicht schutzbedürftig sein können. Die Kritik, die betont, dass die hier favorisierte Auffassung die Lebenswirklichkeit außer Acht lasse, ist daher zurückzuweisen. Auch eine bedingte Erbeinsetzung stellt für die Erbprätendenten selbst in den Fällen, in denen diese ihr Leben auf den Erhalt der Erbschaft ausgerichtet haben, eine Begünstigung dar. (b) Auswirkungen der fehlenden Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten auf die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes und die Testierfreiheit Auf Grundlage der getätigten Ausführungen wird ersichtlich, dass die Erbprätendenten vor einer unzulässigen Beeinflussung durch den Erblasser nicht geschützt werden müssen. Deshalb stellt sich die Frage, wie sich dieser Aspekt bei der Beurteilung der Auswirkungen der zivilgerichtlichen Rechtsprechung auf die Testierfreiheit auswirkt. Auch hierzu kann auf die in dem vorherigen Abschnitt101 referierten Fälle zurückgegriffen werden. Die Ausführungen des OLG Frankfurt lesen sich, als hätten die Enkel keine Wahl, der Großvater sie mithin zwingen würde, ihn zu besuchen. Tatsächlich ist die Lage jedoch eine völlig andere. Sofern die Enkel später am Erbe ihres Großvaters partizipieren möchten, sollten sie diesen gelegentlich besuchen. Inwiefern die Enkel in einem solchen Fall schutzbedürftig sein sollen und das Sittenwidrigkeitsverdikt aus § 138 BGB bemüht werden muss, ist unerklärlich. Es kann vielmehr vorausgesetzt werden, dass Enkelkinder, die später an dem Vermögen des Großvaters partizipieren möchten, von sich aus einen guten Kontakt zu selbigem pflegen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Erbeinsetzung auch unter Anordnung einer Besuchsbedin-
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Vgl. Kap. C. I. 1. a) aa) (2) (a).
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gung für die Erbprätendenten stets ein Angebot und damit ein Mehr an Rechten bedeutet. Die Enkelkinder vor solchen Besuchsbedingungen zu schützen und die Testierfreiheit des Erblassers zu beschränken, stellt folglich eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit dar. Selbiges gilt für Verfügungen von Todes wegen, die Wiederverheiratungsklauseln enthalten. Auch eine beschränkte Erbeinsetzung stellt stets ein Angebot und für den Erbprätendenten daher eine Erweiterung seiner Rechtsposition dar. So sind Enkel grundsätzlich nicht pflichtteilsberechtigt und partizipieren daher auch nicht am Nachlass. Eine Erbeinsetzung, auch unter einer Besuchsbedingung, eröffnet den Enkeln zumindest die Chance, am Nachlass des Großvaters teilzuhaben. Das Eröffnen einer solchen Chance der Partizipation am Nachlass als sittenwidrig anzusehen, ist nicht haltbar. Anders ausgedrückt schränken (Zivil-)Richter mit dem Druck-Topos die Testierfreiheit ein, obwohl die zentrale Voraussetzung für ein solches Tätigwerden in Form einer bestehenden Schutzpflicht, aufgrund der fehlenden Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten nicht vorliegt. Die derzeitige Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 BGB im Kontext der Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten stellt folglich eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit dar. Da die zivilgerichtliche Rechtsprechung seit der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts geneigt ist, bei sämtlichen verhaltensbezogenen Bedingungen eine Abwägung zwischen Testierfreiheit und Entschließungsfreiheit durchzuführen und diese zu Lasten der Testierfreiheit entscheidet, handelt es sich um eine erhebliche Beschränkung der Testierfreiheit. Neben diesem zentralen Kritikpunkt an dem vom Bundesverfassungsgericht eingeführten Druck-Topos könnten weitere fehlerhafte Annahmen die Testierfreiheit ebenfalls beschränken. Diese sollen im Folgenden untersucht werden. (c) Weitere Kritikpunkte an der Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Bedachten durch den Erblasser Neben dem soeben dargelegten Einwand der fehlenden Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten, der der Druck-Theorie bereits ihren dogmatischen Anknüpfungspunkt entzieht und dazu führt, dass die darauf aufbauende Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit darstellt, erweisen sich noch weitere Annahmen der Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten als fehlerhaft, die es im Nachfolgenden aufzuzeigen gilt. Diese fehlerhaften Annahmen haben ebenfalls Auswirkungen auf die Testierfreiheit.
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So erscheint bereits der Umstand, dass zur Bestimmung des ausgeübten unzulässigen Drucks auf die Größe des Nachlasses abgestellt wird, fragwürdig.102 Der Erblasser, der ein erhebliches Vermögen vererbt, hat in rechtlicher Hinsicht ein ebenso großes und billigenswertes Interesse an der Verknüpfung der Zuwendung mit einer Bedingung wie derjenige Erblasser, der ein geringeres Vermögen hinterlässt. Die Befürworter des Druck-Topos zwingen den vermögenden Erblasser letztendlich dazu, nur einen Teil seines Vermögens103 bedingt zu vererben. Der ,nicht-vermögende‘ Erblasser darf hingegen womöglich sein gesamtes Vermögen unter Setzung einer Potestativbedingung vererben. Diese Ungleichbehandlung der verschieden vermögenden Erblasser sieht weder das Bürgerliche Gesetzbuch noch das Grundgesetz vor. Anders ausgedrückt wird die Testierfreiheit vermögender Erblasser stärker beschränkt als die Testierfreiheit weniger vermögender Erblasser. Auch aus diesem Grund ist die Theorie der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Bedachten durch den Erblasser abzulehnen. Tatsächlich scheinen die Vertreter der Druck-Theorie dem Erblasser den Vorwurf des „Vermögendseins“ zu machen und unterstellen ihm damit einhergehend die negative Gesinnung bei der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen, die verhaltensbezogene Elemente aufweist. Die Vertreter der Druck-Theorie übersehen dabei, dass zu Lebzeiten des Erblassers auch nicht von einem unzulässigen Grundrechtseingriff oder einer unzulässigen Beeinflussung ausgegangen werden kann, wenn dieser das Inaussichtstellen eines Vorteils mit einer Bedingung versieht.104 Die Möglichkeit schwierige Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen ist gerade Teil der Freiheit des Menschen. Eine Freiheitsbeschränkung tritt durch sie jedenfalls nicht ein.105 Der Umfang der Zuwendung, der von den Vertretern der Druck-Theorie zur Bestimmung des Vorliegens eines
102 So aber fälschlicherweise BVerfG, NJW 2004, 2008, 2010; OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 119. 103 Nach dem Druck-Topos dürfte die bedingte Erbeinsetzung nur in dem „Zuwendungsumfang“ erfolgen, durch den noch kein unzumutbarer Druck ausgeübt wird. 104 Vgl. Gutmann, NJW 2004, 2348: „[…] wäre es grundsätzlich auch ein Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit, jemandem ein finanziell unwiderstehliches Stellenangebot zu unterbreiten. Ein enorm großzügiges Kaufpreisangebot für einen Gegenstand könnte sowohl die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) als auch das Eigentumsrecht des Adressaten verletzen.“; vgl. auch Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 117 (auf Gutmann aufbauend): „Soll etwa die Zahlung eines Jahresgehaltes in Millionenhöhe, das an die Ausübung des Schäferberufs auf einer unbewohnten schottischen Insel geknüpft ist, einen Eingriff in die Berufsfreiheit […] dessen darstellen, der kraft Persönlichkeit nur zum Investmentbanker […] geeignet erscheint und auch nur dies als Erfüllung ansieht?!“. 105 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 221; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 209.
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unzumutbaren Drucks herangezogen wird, ändert hieran ebenfalls nichts. Selbst wenn eine Zuwendung besonders umfangreich ist und daher ein großer Anreiz zur Erfüllung der Bedingung erzeugt wird, bleibt die Entscheidung des Bedachten frei. Zudem ist eine Entscheidung auch dann noch frei, wenn eine der zur Wahl gestellten Alternativen besonders günstig erscheint und der Erbprätendent vernünftigerweise nur diese wählen kann.106 Der Bedachte erfüllt die Wünsche des Erblassers, weil er die Erbschaft erhalten möchte. Ein Zwang, das vom Erblasser geforderte Verhalten auszuführen und das Erbe anzunehmen, besteht in keinem Fall. Wählt im Falle einer Ebenbürtigkeitsklausel der Bedachte anstatt der „Heirat aus Liebe“ eine „Vernunftehe“, so stellt dies das Ergebnis einer Abwägung dar und zeigt, dass dem Bedachten ökonomische Vorteile wichtiger sind als eine „Heirat aus Liebe“.107 Sofern sich der Erblasser in einem Interessenkonflikt zwischen tatsächlicher Neigung und Familiengepflogenheiten befindet und sich für Letztere entscheidet, handelt es sich hierbei ebenfalls um die Ausübung seiner grundrechtlich geschützten Entschließungsfreiheit.108 Auch die Möglichkeit des Bedachten sich „kaufen“ zu lassen ist gerade Teil seiner Freiheit.109 Die Vertreter der Druck-Theorie nehmen dem Erben aber diese Freiheit. Gleichzeitig nehmen sie auch dem Erblasser die berechtigte und von der Testierfreiheit geschützte Möglichkeit, seine Interessen und Wünsche durch die bestimmte Art der Errichtung der Verfügung von Todes wegen zu verfolgen. Auch aus diesen Gründen stellt die Einführung der Prüfung einer unzulässigen Beeinflussung der Erbprätendenten durch den Erb106
Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 221; s. auch Kroppenberg, Privatautonomie, 46: „Psychische Beeinflussung, die sich weder zu einer Drohung verdichtet hat, noch auf die unbillige Ausnutzung einer Zwangslage gerichtet ist, erreicht schon die Schwelle eines rechtlichen Eingriffs nicht und muss daher ausgehalten werden.“; s. auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 209: „Die Möglichkeit, schwierige Entscheidungen selbstverantwortlich zu treffen, ist gerade Teil der Freiheit des Menschen – eine Freiheitsbeschränkung tritt durch sie nicht ein.“ 107 So auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 208. Dass in der Realität nicht jeder Bedachte den finanziellen Vorteilen Vorrang vor der „Heirat aus Liebe“ gibt – was die Vertreter der „Druck-Theorie“ augenscheinlich jedoch für sehr wahrscheinlich halten – zeigt ebenfalls der Fall Hohenzollern. Der Beschwerdeführer im Fall Hohenzollern, der als ältester Agnat nach dem Erbvertrag im Falle einer „ebenbürtigen Heirat“ Erbe des Hohenzollern’schen Hausbesitzes geworden wäre, hat nicht „ebenbürtig“ geheiratet. 108 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 221; Isensee, DNotZ 2004, 754, 762; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 209; in diese Richtung auch Kroppenberg, Privatautonomie 46. 109 Vgl. auch Isensee, DNotZ 2004, 754, 762: „Das Kriterium des ,unzumutbaren‘ Drucks, mit dem es arbeitet, ist juristisch belanglos. In seiner Betulichkeit und Hyperempfindlichkeit entspricht es der Rührungsschwelle von Leserinnen der Herz-Schmerz-Postillen, Soraya-Blättern, Regenbogenpresse. Grundrechtskitsch.“
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lasser über das Sittenwidrigkeitsverdikt eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit dar. bb) Fazit: Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zur Verhinderung der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten als unzulässige Grenze der Testierfreiheit Die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass die Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit aufgrund verschiedener fehlerhaften Annahmen, insbesondere aufgrund der fehlenden Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten, abzulehnen ist und die darauf aufbauende Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit entstehen lässt. Im Folgenden ist zu überprüfen, ob die zu Beginn dieser Arbeit aufgestellten Thesen auch für die vorliegende Beschränkung der Testierfreiheit gelten. Die Einführung des Druck-Topos soll dem Schutz der Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen und ist daher in die erste Kategorie der Testierfreiheit einzuordnen. So wird in dem referierten Fall des OLG Frankfurt das Sittenwidrigkeitsverdikt angewendet, um die Enkelkinder als Erbprätendenten vor der Testierfreiheit des Erblassers zu schützen. Die eingangs vorgenommene Kategorisierung der Grenzen der Testierfreiheit kann daher aufrechterhalten werden. Die unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit durch die Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten beruht dabei primär auf einem fehlerhaften Verständnis der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten. Auch die diesbezüglich aufgestellte These sieht sich daher als bestätigt an. Da die zivilgerichtliche Rechtsprechung seit der Hohenzollernentscheidung des Bundesverfassungsgerichts geneigt ist, sämtliche verhaltensbezogene Bedingungen einer Abwägung zwischen Testierfreiheit und Entschließungsfreiheit durchzuführen und diese zu Lasten der Testierfreiheit entscheidet, handelt es sich um eine die Testierfreiheit erheblich (unzulässig) einschränkende Grenze. Darüber hinaus wird die Testierfreiheit in ihrem individualschützenden Charakter „bedroht“. In der Rechtsprechung und in der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes steht nicht mehr die Sicherung des Freiheitsraums des Erblassers, sondern vielmehr der vermeintlich notwendige Schutz von Erbprätendenten im Vordergrund. Auch dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Testierfreiheit. Mit Isensee ist in Bezug auf die vom Bundesverfassungsgericht eingeführte Theorie der unzulässigen Einflussnahme auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten durch den Erblasser festzuhalten:
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„Nicht der Testator greift in die Eheschließungsfreiheit ein, sondern das Bundesverfassungsgericht in die Testierfreiheit.“110
Die Ergebnisse dieses Kapitels haben gezeigt, dass es keinen Schutz der Erbprätendenten vor der Testierfreiheit des Erblassers, sondern einen Schutz des Erblassers vor übereilten Nichtigkeitserklärungen seiner Verfügung von Todes wegen durch die Zivilgerichte bedarf. Die vorliegende Arbeit hat daher einen Lösungsvorschlag zu der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf erbrechtliche Verfügungen zu entwickeln, der einerseits unzulässige Beschränkungen der Testierfreiheit verhindert und andererseits die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf solche Verfügungen von Todes wegen ermöglicht, die dem Sittenwidrigkeitsverdikt auch tatsächlich unterfallen (dazu f)). Bevor ein solcher Lösungsvorschlag, der sich intensiv mit dem subjektiven Element der Sittenwidrigkeitsprüfung befasst111, entwickelt werden kann, sind zuvor die übrigen Anwendungsfelder des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf erbrechtliche Verfügungen und die dort auftretenden unzulässigen Beschränkungen der Testierfreiheit zu untersuchen. b) Sittenwidrigkeit diskriminierender Verfügungen von Todes wegen Neben der Annahme der Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen aufgrund der unzulässigen Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten werden erbrechtliche Verfügungen vielfach aufgrund diskriminierenden Inhalts für sittenwidrig gehalten.112 So betont das OLG Stuttgart in seiner Entscheidung zu der Erbfolge im Hause Hohenzollern, dass es „angesichts der verfassungsrechtlichen Prämisse von der Gleichheit aller Menschen“113 bedenklich sei, die Zugehörigkeit einer Mutter oder einer Ehe110
So Isensee, DNotZ 2004, 754, 762. Isensee befindet sich damit auf einer Linie mit der von Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208 und Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189 und der hier vertretenen Auffassung. 111 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. f) aa), welches zeigt, dass eine Betrachtung des subjektiven Elements für die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes – insbesondere auf letztwillige Verfügungen – unerlässlich ist. 112 Vgl. dazu OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186; OLG Stuttgart, FGPrax 2005, 221, 222. Auch Stimmen aus der Literatur sprechen sich für die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf diskriminierende letztwillige Verfügungen aus, wenngleich sich die favorisierte Intensität der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Teil erheblich unterscheidet, vgl. dazu v. Lübtow, Erbrecht, I, 17, 309; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 236; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 302 ff.; Mikat, Festschrift Nipperdey 581, 597 ff.; Staudinger, Jura 2000, 467, 471 f. Vgl. dazu die Darstellung bei Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 150 ff., der die Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen aufgrund von Diskriminierung deutlich ablehnt. 113 So das OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186; kritisch Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 151: Die ,verfassungsmäßige Prämisse von der Gleichheit aller Menschen‘ […] hat bei der gewillkürten Erbfolge nichts zu suchen.“
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frau zu einem eng begrenzten Stand zur maßgeblichen Voraussetzung für die Erbenstellung zu erheben. Dies ist insofern bereits bemerkenswert, als dass das zum Zwecke der Umsetzung einer europäischen Richtlinie Gesetz gewordene allgemeine Diskriminierungsverbot gemäß § 19 Abs. 4 AGG ausdrücklich nicht das Erbrecht umfasst.114 Dabei wird die Frage, wann von einer unzulässigen Diskriminierung und damit einhergehend von der Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen auszugehen ist, höchst unterschiedlich beantwortet. Die weitreichendste Auffassung hält jede Verfügung von Todes wegen für sittenwidrig, die an ein beliebiges Merkmal und daher auch an solche Merkmale, die nicht in Art. 3 Abs. 3 GG aufgelistet sind, anknüpft und die betreffende Person oder eine Person, zu der der Erbprätendent eine Beziehung hat, diskriminiert.115 Andere Stimmen in der Literatur gehen nur in Fällen von rassistischen oder religiösen Diskriminierungen von der Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen aus.116 Teilweise wird auch darauf abgestellt, ob die Diskriminierung das alleinige Motiv des Erblassers war.117 All diesen Sichtweisen ist gemein, dass sie bestimmte Arten diskriminierender letztwilliger Verfügungen von Todes wegen verbieten und die Erblasser damit einhergehend in ihrer Testierfreiheit beschränken. Sämtliche Sichtweisen können jedoch nicht überzeugen, wie nachfolgende Ausführungen darlegen. Die Testierfreiheit gewährt dem Erblasser die Freiheit, ohne vernünftigen Grund eine beliebige Verfügung von Todes wegen zu errichten. Er muss weder für die Enterbung naher Angehöriger noch für die Erbeinsetzung eines völlig Fremden über sachliche Gründe verfügen. Aus diesem Grund kann der Erblasser bei der Errichtung seiner letztwilligen Verfügung auch nicht an den
114 Wenngleich nach überwiegender Ansicht Benachteiligungsverbote oder Gleichbehandlungsverbote und außerhalb des AGG weiterhin anwendbar sein sollen, vgl. dazu BeckOGK/Mörsdorf AGG § 19 Rn. 54 und Erman/Armbrüster BGB § 19 AGG Rn. 31, die explizit auf die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB verweisen. 115 So v. Lübtow, Erbrecht, I, 17, 309; in diese Richtung argumentiert auch Canaris, AcP 184 (1984), 201, 236, wenngleich dieser primär eine Diskriminierung nach den Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG verhindern will. Vgl. dazu auch die Darstellung bei Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 150. 116 Für die Annahme der Sittenwidrigkeit bei rassischen und religiösen Diskriminierungen Mikat, Festschrift Nipperdey, 581, 597 ff.; für die Annahme der Sittenwidrigkeit ausschließlich bei rassischen Diskriminierungen Soergel/Stein BGB § 1937 Rn. 26. Vgl. dazu auch die Darstellung bei Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 150, der auch diesen Ansatz deutlich ablehnt. 117 So Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 385 f. der betont, dass die Unterscheidung aus „sachlichen Gründen“ möglich bleiben muss, auch wenn diese mit den in Art. 3 Abs. 3 genannten Differenzierungen zufällig zusammentreffen. Vgl. dazu auch die Darstellung bei Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 149 ff.
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allgemeinen Gleichheitssatz gebunden sein.118 Der Bundesgerichtshof führt diesbezüglich aus: „Für letztwillige Verfügungen des Erblassers gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Kinder und das daraus folgende Diskriminierungsverbot, wie es ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht des Kindes für das gesetzliche Erbrecht in § 1924 Abs. 4 BGB verankert ist, gerade nicht [...].“119
Problematischer und daher auch vielfach diskutiert ist die Frage, ob der Erblasser an die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG gebunden und seine Testierfreiheit insofern beschränkt ist.120 Der Bundesgerichtshof hat in dem bereits referierten Hohenzollernfall121 die Abstammungsklausel, die im Ergebnis nicht entscheidungserheblich war, zu Recht für nicht unvereinbar mit den guten Sitten gehalten.122 Darüber hinaus hat der Bundesge118
Ganz h.M, vgl. BGHZ 140, 118, 129 f.; BGHZ 70, 313, 324 ff.; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 244 Fn. 1216; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 225; Canaris, AcP 184 (1984), 201, 236; Mikat, Festschrift Nipperdey, 581, 594; Brox/Walker, Erbrecht Rn. 263. 119 So BGHZ 140, 118, 130 mit Verweis auf BGHZ 70, 313, 324 ff.; BVerfG, FamRZ 1989, 1047. 120 In diese Richtung Canaris, AcP 184 (1984), 201, 236: „Man sollte demgemäß aus Art. 3 GG ein (ungeschriebenes) gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB ableiten, wonach Rechtsgeschäfte ihrem Inhalt nach nicht das Geschlecht oder eines der in Art. 3 III GG genannten Merkmale zum Differenzierungskriterium erheben dürfen. Folglich sind z. B. auch Bestimmungen in Gesellschaftsverträgen nichtig, nach denen beim Tode eines Gesellschafters nur männliche Abkömmlinge das Recht zum Eintritt in die Gesellschaft haben. Andererseits bleibt es z. B. dem Erblasser selbstverständlich unbenommen, unter seinen Kindern nur einen Sohn auszusuchen und zum Erben einzusetzen; er darf dies nur nicht allein deshalb tun, weil es ein Sohn ist, doch wird ein solches Motiv selten genug vorkommen und sich noch seltener beweisen lassen.“ 121 Vgl. dazu Kap. C. I. 1. a) (1). 122 Vgl. BGHZ 140, 118, 131 ff.; Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064 ff. Rn. 149 ff.; in diese Richtung auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 225. Eine andere Position vertritt Leipold, der die generelle Abwertung potentieller Erben aufgrund der Abstammung für bedenklich hält. Laut Leipold mache es einen Unterschied, ob ein Erblasser lediglich in dem konkreten Fall seine Tochter gegenüber seinem Sohn bevorzugt oder generelle Kriterien ohne Ansehung der Personen aufstellt, wie dies beispielsweise bei einer Abstammungsklausel der Fall sei, vgl. dazu MüKoBGB/Leipold BGB § 2074 Rn. 27. Er befindet sich damit auf einer Linie mit der Entscheidung des OLG Stuttgarts, die auf die BVerfG-Entscheidung hin erging, s. dazu OLG Stuttgart, FGPrax 2005, 221, 222: „Es macht jedoch einen entscheidenden Unterschied aus, ob ein Erblasser im konkreten Fall einen Sohn wegen seiner Ehepartnerin bevorzugt oder benachteiligt, wozu ihn die Testierfreiheit grundsätzlich berechtigt, oder ob er die Ebenbürtigkeit als (unzulässiges) generelles Kriterium aufstellt, das zwingend zu einem Ausschluss von der Erbfolge ohne Ansehung der Person führen muss.“ In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Staudinger, Jura 2000, 467, 471, der insoweit von einem „objektiv elementaren Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG“ mit der Folge der Sittenwidrigkeit ausgeht. Dem steht Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 102 f. kritisch gegenüber.
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richtshof in einem anderen Fall entschieden, dass bei der Bestimmung der Destinatäre einer Familienstiftung die Bevorzugung männlicher vor weiblicher Abkömmlinge zulässig ist.123 Diese Entscheidung kann auf die Beurteilung letztwilliger Verfügungen von Todes wegen übertragen werden. Der Bundesgerichtshof lehnt damit die Möglichkeit der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen aufgrund diskriminierender Elemente recht deutlich ab. Auch andere Rechtsprechung, die die sittenwidrige Diskriminierung durch eine Verfügung von Todes wegen angenommen hat, ist nicht ersichtlich. Die derzeitige Haltung der Rechtsprechung lässt folglich keine Grenze der Testierfreiheit entstehen. Dieser Linie der Rechtsprechung ist zuzustimmen und die von Teilen der Literatur vorgenommene Beschränkung der Testierfreiheit zu verwerfen. Eine wirkliche Testierfreiheit bedeutet eben auch, dem Erblasser eine Freiheit zur Willkür zu gestatten.124 Wie die Ausführungen in dem Kap. B. VI. gezeigt haben, ist die Testierfreiheit als Freiheitsrecht ausgestaltet, welches eine Freiheit nach Belieben und gerade nicht eine gebundene Freiheit gewährt.125 Dabei ist die Testierfreiheit das „am deutlichsten individuelle, am wenigsten gemeinschaftsgebundene Recht, welches das Grundgesetz schützt.“126 Aus diesem Grund sind auch willkürliche Entscheidungen des Erblassers anzuerkennen, selbst wenn diesen Motive zugrunde liegen, die nach Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG differenzieren.127 Mit Otte ist festzuhalten: „Für eine Ausstrahlung von Art. 3 Abs. 3 GG auf die Beurteilung erbrechtlicher Verfügungen ist daher kein Raum.“128 123
Vgl. BGHZ 70, 313, 325 f. Der BGH betont, dass ein Privatrechtsgeschäft, welches den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht wahrt, aus diesem Grund nicht bereits sittenwidrig sei, da zur verfassungsmäßigen Ordnung auch der Grundsatz der Testierfreiheit gehöre. Die Bevorzugung männlicher Nachkommen durch die Stiftungssatzung rechtfertige nicht die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts. 124 In diese Richtung auch BGHZ 70, 313, 325 f.; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 226; Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 102 f.; Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064 ff. Rn. 151 f.; so auch BGHZ 140, 118, 132: „Selbst wenn der Erblasser eine willkürliche Differenzierung vornimmt, kann dies Ausdruck seiner Testierfreiheit sein.“ 125 In diese Richtung auch Führ, Einwirkungen der Grundrechte auf die Testierfreiheit, 102 f. 126 So Isensee/Kirchhof/Leisner Handbuch des Staatsrechts VIII, § 174 Rn. 18; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 50; den Individualschutz ebenfalls betonend BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358, BVerfGE 99, 341, 350.; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 154; Staudinger/Mittelstädt EGBGB § 59 Rn. 43c. 127 So im Ergebnis auch Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064 ff. Rn. 152; Soergel/Stein BGB § 1937 Rn. 26. 128 Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064 ff. Rn. 152; in diese Richtung auch Soergel/Stein BGB § 1937 Rn. 26. Zutreffend betont Staudinger/Otte BGB Vorbe-
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Der Erblasser darf daher unter dem Schutz der Testierfreiheit diskriminieren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sämtliche Ansichten in der Literatur, die von der Sittenwidrigkeit diskriminierender erbrechtlicher Verfügungen ausgehen, den individualschützenden Charakter der Testierfreiheit außer Acht lassen und den verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verkennen. Dem Erblasser eine solche Differenzierung zu verbieten, würde einer Aushöhlung der Testierfreiheit gleichkommen. Der Rechtsprechung ist daher zu empfehlen, auch zukünftig diskriminierende Verfügungen von Todes wegen für zulässig zu halten. Es kann sich dabei insbesondere den Ausführungen des BayObLG angeschlossen werden, welches betont, dass die Testierfreiheit „schon nach dem Grundverständnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das vom Verfassungsgesetzgeber übernommen und schließlich in Art. 14 GG herausgestellt wurde, in besonderem Maß der Verwirklichung der freien, auch von höchst subjektiven Überlegungen geprägten Entscheidung des Einzelnen dient. Der Erblasser soll durch die Testierfreiheit auch davor geschützt werden, seine Vermögensnachfolge nach allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder nach den Anschauungen der Mehrheit ausrichten zu müssen.“129
c) Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten Als weitere Fallgruppe der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen ist die Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten zu nennen. Die Verletzung familiärer Pflichten bildet nach der Ausübung unzumutbaren Drucks durch Potestativbedingungen die wohl vielfältigste und für die Reichweite der Testierfreiheit relevanteste Fallgruppe, nach derer Verfügungen von Todes wegen dem § 138 Abs. 1 BGB unterfallen können. Während die überwiegende Rechtsprechung und Literatur nicht begründen, inwiefern die Verletzung familiärer Pflichten eine Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes rechtfertigen kann, betrachtet insbesondere Otte den dogmatischen Hintergrund dieser Fallgruppe der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen.130 Zutreffend stellt dieser dabei zunächst fest, merkungen zu §§ 2064 ff. Rn. 151, dass die „verfassungsrechtliche Prämisse von der Gleichheit aller Menschen“, von der das OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 186 ausgeht, bei der gewillkürten Erbfolge keinen Raum hat. Die ursprünglich zustimmende Haltung zum Urteil des OLG Stuttgarts (vgl. Otte, ZEV 1998, 185, 187) gibt Otte ausdrücklich auf, vgl. dazu Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064 ff. Rn. 151. Otte stimmt damit dem BGH zu, der die (nicht entscheidungserhebliche) Abstammungsklausel im Hohenzollern-Fall nicht als unvereinbar mit den guten Sitten bezeichnet hat, vgl. BGHZ 140, 118, 131 ff. 129 So BayObLGZ 1996, 204, 226. Vgl. dazu auch ausführlich Kap. B. I., II., VI. in denen zum einen deutlich geworden ist, dass das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches von dem Gedanken der Testierfreiheit und damit individualistisch geprägt ist und zum anderen auch ersichtlich wurde, dass der verfassungsrechtliche Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 GG in erster Linie der Sicherung eines Freiheitsraums des Erblassers dient. 130 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 153.
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dass Verfügungen von Todes wegen nicht unmittelbar in die Ehe und Familie als solches eingreifen können und daher der bloße Hinweis auf eine etwaige Horizontalwirkung des Art. 6 Abs. 1 GG für die Begründung der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes nicht ausreichen könne.131 Aus diesem Grund knüpft Otte an das konkrete familiäre Verhältnis an und betont, dass die familiären Pflichten132 ihren Charakter als sittliche Pflichten nicht dadurch verloren hätten133, dass der Gesetzgeber sie im Familienrecht als Rechtspflichten positiviert hat. Normativ knüpft Otte zum einen an den § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB, der bestimmt, dass Ehegatten füreinander Verantwortung tragen und zum anderen an den § 1618a BGB an, der bestimmt, dass Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Der Umstand, dass diese Pflichten im Familien- und nicht im Erbrecht normiert sind, bedeute nach Otte nicht, dass diese für das Erbrecht unbeachtlich sind.134 Diese Pflichten zur Rücksichtnahme auf nahe Angehörige umfassten stets das gesamte Verhältnis der Personen untereinander, sodass auch die Errichtung der Verfügung von Todes wegen von diesen Pflichten umfasst sei und eine Verletzung selbiger die Nichtigkeit zur Folge habe.135 So betont Otte: „Wenn es unbestrittenermaßen eine sittliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf Angehörige gibt, umfasst sie das gesamte eheliche bzw Eltern-Kind-Verhältnis, also auch die Gestaltung der vermögensrechtlichen Vorsorge der Ehegatten bzw Eltern für die Zeit nach ihrem Tod. Die Freiwilligkeit erbrechtlicher Zuwendungen ist kein Freibrief für Rücksichtslosigkeit. Verfügungen von Todes wegen können daher wegen Verletzung familiärer Pflichten nichtig sein.“136
Die Annahme, dass familienrechtliche Pflichten ohne weiteres auch für das Erbrecht gelten, stellt bei näherer Betrachtung jedoch bereits einen Fehl131 In diese Richtung auch Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 207; Simshäuser, Zur Sittenwidrigkeit der Geliebten-Testamente, 53 ff.; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 153. 132 An dieser Stelle sei auf § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB verwiesen, der bestimmt, dass Ehegatten füreinander Verantwortung tragen. Als weitere familiäre Pflicht ist die Beistandspflicht zwischen Eltern und Kinder nach § 1618a BGB zu nennen. Vgl. zu beidem Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 153. Andere Stimmen in der Literatur stellen allein auf die Verletzung elterlicher Pflichten ab, so etwa Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV, 831 Fn. 85. 133 So Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 153: „Diese Pflichten haben ihren Charakter als sittliche Pflichten nicht dadurch verloren, dass der Gesetzgeber sie als Rechtspflichten positiviert hat. Ihre Positivierung im Familienrecht erlaubt auch nicht den Umkehrschluss, dass sie für erbrechtlich relevantes Verhalten unbeachtlich wären.“ 134 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 153. Damit stellt sich Otte gegen die individualistische Prägung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches, die insbesondere in den Kap. B. II. 4. dargelegt worden ist. 135 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 153; Lange/Kuchinke, Erbrecht, m§ 35 IV, 831 Fn. 85. 136 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 153.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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schluss dar. Während das Familienrecht das lebzeitige Zusammenleben regelt, welches stets auf Kompromissen und besonderer Rücksichtnahme beruht, gilt dies für das Erbrecht nicht. Nach der gesetzlichen Konzeption des Erbrechts stehen sich nicht viele verschiedene Interessen und Interessengruppen gegenüber – vielmehr ist das alleinige Interesse des Erblassers maßgeblich. Sowohl die rechtshistorische Betrachtung zur Testierfreiheit als auch die Untersuchung der Konzeption der Testierfreiheit haben gezeigt, dass der Erblasserwille den Ausgangspunkt für das gesamte Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches bildet. Das Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches ist in Gefolge der römischen Traditionen und anders als im früheren germanischen Recht gerade nicht familiaristisch geprägt. Familiäre Pflichten spielen für das Erbrecht – das Pflichtteilsrecht ausgenommen – keine Rolle. Den individualschützenden Charakter der Testierfreiheit und die individualistische Grundlegung des Erbrechts durch eine Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes in Verbindung mit Pflichten des Familienrechts aufzuweichen, ist folglich ein nicht gangbarer Weg. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber den § 1618a BGB selbst so versteht, dass dieser nur eine Leitlinie aufzeigt und an seinen Verstoß keine unmittelbaren Rechtsfolgen zu knüpfen sind.137 Selbiges gilt auch für den § 1353 BGB. Eine Verletzung der ehelichen Pflichten aus § 1353 BGB bleibt regelmäßig sanktionslos.138 Es ist in dogmatischer Hinsicht widersprüchlich, einen (vermeintlichen) Verstoß gegen familienrechtliche Normen, der seinerseits selbst nicht familienrechtlich sanktioniert wird, zum Anlass für eine erbrechtliche Sanktion zu nehmen. Vielmehr muss es dabei bleiben, dass familiaristische Wertungen für das Erbrecht außerhalb des Pflichtteilsrechts keine Bedeutung erlangen. Die Befürworter der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf letztwillige Verfügungen wegen der Verletzung familiärer Pflichten können sich daher weder auf die §§ 1353, 1618a BGB noch auf eine Horizontalwirkung des Art. 6 GG stützen. Ähnlich wie Leipold verfällt Otte mit seiner Theorie der Verletzung familiärer Pflichten in ein freies Moralisieren. Wenn Leipold die Entziehung des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten oder naher Verwandter als keinen wertfreien Vorgang, sondern als einen Eingriff in eine Rechtsposition charakterisiert, versteht dieser die Testierfreiheit als gebundene Freiheit.139 Sel-
137 So BT-Drs. 8/2788, 43: „Die Vorschrift ist nicht mit einer eigenen Sanktion bewehrt; sie ist bewusst so gefasst, dass sie nur Leitlinien aufzeigt, an einen Verstoß aber keine unmittelbaren Rechtsfolgen knüpft (lex imperfecta).“; vgl. dazu auch BeckOGK/Kienemund BGB § 1618a Rn. 13. 138 Vgl. MüKoBGB/Roth BGB § 1353 Rn. 19; Erman/Kroll-Ludwigs BGB § 1353 Rn. 5 ff.; Staudinger/Voppel BGB § 1353 Rn. 28 ff. 139 So MüKoBGB/Leipold BGB Einl Erbrecht Rn. 19; Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195 versteht die Testierfreiheit als eine gebundene Freiheit, indem er betont, dass dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht das Verständnis einer Testierfreiheit nach Belieben, sondern das
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
biges gilt auch für Otte, wenn dieser in der Beachtung familiärer Pflichten eine immanente Grenze der Testierfreiheit sieht. Wie bereits gezeigt, muss es bei dem Verständnis der Testierfreiheit als autonome und nicht als gebundene Freiheit bleiben.140 Wenngleich es damit der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten bereits an einer dogmatischen Grundlage fehlt, sollen im Folgenden die einzelnen Fälle der Verletzung familiärer Pflichten detailliert betrachtet werden, um die Auswirkungen dieser Begrenzung auf die Testierfreiheit zu überprüfen. Den Ausgangspunkt für die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten bildet die Rechtsprechung zum sogenannten Geliebtentestament. aa) Ausgangspunkt: Die Rechtsprechung zum Geliebtentestament Bei einem Geliebtentestament setzt üblicherweise ein verheirateter Erblasser eine Frau, zu der er eine ehebrecherische Beziehung unterhält (Geliebte), als Alleinerbin ein.141 Dabei hat die frühere Rechtsprechung eine dahingehende Vermutung aufgestellt, dass zumindest der überwiegende Beweggrund für eine testamentarische Zuwendung an die Geliebte darin liegt, sie für die sexuelle Hingabe zu belohnen beziehungsweise zu Lebzeiten zur Fortsetzung der sexuellen Beziehung zu bewegen.142 Wollte ein Erblasser mithin eine andere als seine Ehefrau zur Alleinerbin einsetzen, so musste dieser regelmäßig darlegen, dass die Erbeinsetzung aufgrund anderer, achtbarer Motive erfolgt.143 Diese Rechtsprechung gab der Bundesgerichtshof zu Beginn der 70er Jahre auf, indem er feststellte, dass sich Beziehungen zwischen Erblassern und Geliebten regelmäßig nicht auf sexuelle Handlung beschränken. AufVerständnis als Freiheit zur pflichtgemäßen Ausübung der Familienverantwortung zugrunde liege. In dem Kap. B. VI. 4. ist das familiaristische Verständnis der Testierfreiheit von Leipold näher analysiert worden. Dabei ist deutlich geworden, dass die Testierfreiheit gerade nicht familiaristisch, sondern individualistisch geprägt ist. Dies haben auch die Ausführungen in dem Kap. B. II. bestätigt. 140 Vgl. dazu ausführlich Kap. B VI. 4. 141 Vgl. Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 686; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 95. 142 Vgl. RGZ 166, 395, 399; BGHZ 20, 71, 75 f.; BGH, FamRZ 1964, 140, 140; vgl. dazu auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 980, Rn. 1929. Zur Veranschaulichung wird auch formuliert, dass vermutet wird, dass die „Hergabe für die Hingabe“ erfolge, vgl. dazu Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 686; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts Erbrecht Rn. 95. 143 Die Judikatur wurde dabei auf die Erfahrungstatsache gestützt, dass der Mann die letztwillige Verfügung zugunsten seiner Geliebten im Regelfall als Gegenleistung für die geschlechtliche Hingabe errichtet, vgl. OGHZ 1, 249, 251; RGZ 166, 395, 399; BGHZ 20, 71, 75 f.; s. auch Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 95.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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grund des nunmehr fehlenden Entgeltcharakters war diesen Verfügungen von Todes wegen der sittliche Makel genommen. Auch andere Teile unserer heutigen Rechtsordnung machen ein Festhalten an den Grundsätzen des Geliebtentestaments unmöglich. Mit Einführung des ProstG v. 20.12.2001 hat der Gesetzgeber ausdrücklich festgestellt, dass Prostitution überwiegend nicht mehr als sittenwidrig empfunden wird und damit auch zum Ausdruck gebracht, dass die Vereinbarung über die Zahlung eines Entgelts für sexuelle Leistungen mit den guten Sitten vereinbar ist. Auf die Frage nach der Sittenwidrigkeit von Verfügen von Todes wegen muss diese gesetzgeberische Wertung ebenfalls übertragen werden.144 Wenngleich sich an dieser Stelle daher festhalten lässt, dass die klassische Rechtsprechung zum Geliebtentestament aufgegeben wurde, haben Rechtsprechung und Literatur infolgedessen die Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen zunehmend an der Verletzung familiärer Pflichten festgemacht, um damit „die Tür zur Sittenwidrigkeit weiterhin zumindest einen Spalt breit offen zu halten“.145 bb) Neuer Bezugspunkt: Verletzung familiärer Pflichten durch den Erblasser Seit der Abkehr von den Grundsätzen des Geliebtentestaments richten weite Teile der Literatur und Rechtsprechung ihren Fokus nicht mehr auf die Beziehung zwischen dem Erblasser und dem Bedachten, sondern auf das Verhältnis des Erblassers zu seinem Ehegatten und Abkömmlingen.146 In der früheren Rechtsprechung wurde dieser Aspekt insbesondere deshalb nicht beachtet, weil eine Sanktionierung der außerehelichen Beziehung im Vordergrund stand.147 Zunehmend wird die Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten mit dem Fokus auf die gesetzlichen Erben diskutiert. Zutreffend stellen sowohl die Rechtsprechung als auch die überwiegende Literatur fest, dass eine Verletzung familiärer Pflichten sich nicht bereits aus einer reinen Vermögenszuwendung an einen außerhalb der Familie stehenden Dritten begründen lässt148, da das Pflichtteilsrecht und der Zuge144
So die ganz h.M., vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 155; BeckOK/Litzenburger § 2074 BGB Rn. 7; Grziwotz, FamRZ 2002, 1154, 1154; Paal, JZ 2005, 436, 437; Armbrüster, NJW 2002, 2763, 2765; Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 693. 145 Muscheler, Erbrecht, Band I, 981 Rn. 1931; vgl. auch Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 186. 146 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 981 Rn. 1931; Paal JZ 2005, 436, 437; Otte, JA 1985, 192, 196 ff. 147 Vgl. Paal JZ 2005, 436, 437. Nunmehr spielt es daher keine Rolle, wen der Erblasser als Erben einsetzt (Geliebte, Freund oder Dritter), maßgeblich ist vielmehr, dass dieser dabei familiäre Pflichten verletzt, vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 981 Rn. 1931. 148 Vgl. BGHZ 52, 17, 19, BayObLG, FamRZ 1984, 1153; BayObLG, FamRZ 1986, 1248; Paal, JZ 2005, 436, 437; Ramm, JZ 1970, 129.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
winnausgleich hierfür ausreichend seien.149 Dennoch wird die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Literatur in diversen Fällen bejaht, in denen die Verfügung von Todes wegen die Interessen der gesetzlichen Erben nicht hinreichend berücksichtige und dadurch familiäre Pflichten verletzt werden würden. Diese sollen im Nachfolgenden näher untersucht werden. (1) Sittliche Pflicht zur vermögensmäßigen Gleichbehandlung – Erfordernis der Ausgewogenheit letztwilliger Verfügungen Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit mehrfach betont, dass Verfügungen von Todes wegen sittenwidrig sein können, wenn die Verfügung des Erblassers zu Gunsten des Dritten zu einer unzumutbaren Ungleichheit der Vermögensverteilung führt.150 Hierzu führt der Bundesgerichtshof aus, dass sich die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung in solchen Fällen aus den Auswirkungen für die zurückgesetzten nahen Familienangehörigen ergeben könne151 und stellt die Anforderung auf, dass letztwillige Verfügungen ausgewogen sein müssen.152 Ein solches Erfordernis der Ausgewogenheit letztwilliger Verfügungen überrascht insoweit, als dass die Rechtsprechung eine Pflicht zur Gleichbehandlung naher Angehöriger untereinander ausdrücklich verneint hat.153 Im Ergebnis kann diese Rechtsprechung nicht überzeugen. Weder müssen letztwillige Verfügungen ausgewogen sein noch kann eine vermögensmäßige Ungleichbehandlung zu sittenwidrigen Auswirkungen für die zurückgesetzten nahen Familienangehörigen führen. Wird sich an dieser Stelle erneut die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten, zu denen auch nahe Angehörige gehören, vergegenwärtigt, so zeigt sich, dass es keinen Fall geben kann, in denen eine Zurücksetzung der gesetzlichen Erben das 149 So zutreffend BGHZ 52, 17, 20; BGHZ 111, 36, 37 ff.; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 90 ff.; Paal, JZ 2005, 436, 437. 150 Vgl. BGHZ 53, 369, 377 ff.; LM § 138 BGB (Cd) Nr 2; LM § 138 (Cd) Nr 22;; LM § 138 BGB (Cd) Nr. 2; BayObLG FamRZ 1995, 249. 151 BGHZ 53, 369, 377, 378; BGH, LM § 138 (Cd) BGB, Nr. 22, Bl. 3. 152 So BGH, LM § 138 (Cd) BGB, Nr. 22, Bl. 3: „[…] so würde sich in der Tat eine Überschuldung des Nachlasses ergeben, die den Wert der den Familienangehörigen zugewandten Vermächtnisse überstiege. Das Testament, in welchem lediglich Vermächtnisse und Teilungsanordnungen enthalten sind, würde in diesem Fall nur scheinbar ausgewogen sein.“; s. auch BGH, LM § 138 (Cd) BGB, Nr. 22, Bl. 3: „[…] so käme dennoch eine Sittenwidrigkeit des der Bekl. zugewandten Vermächtnisses dann nicht in Betracht, wenn der Erblasser das bei Errichtung des Testaments nicht gewusst hätte, sondern an die Ausgewogenheit seiner Bestimmungen, insbesondere daran geglaubt haben sollte.“ 153 Vgl. BGHZ 70, 313, 325 f.; BGHZ 140, 118; BVerfGE 67, 329, 345; BVerfG FamRZ 2000, 249; vgl. dazu auch die Darstellung bei Paal, JZ 2005, 436, 438 Fn. 25. Vgl. auch BGH, NJW-RR 2005, 1462, 1462; BGH, ZEV 2006, 312, 312.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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Sittenwidrigkeitsverdikt begründen könnte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es schon an der Zurücksetzung selbst fehlt. Auch die gesetzlichen Erben haben über das Pflichtteilsrecht hinaus keinen Anspruch auf Teilhabe an dem Nachlass. Der Erblasser, der die gesetzlichen Erben nicht bedenkt, kann diese folglich nicht zurücksetzen, da sie nie über eine gesicherte Erbaussicht verfügt haben. Die Aussicht des Abkömmlings oder des Ehegatten auf den Erhalt der Erbschaft ist nämlich keineswegs gesichert, sondern lediglich eine nuda spes.154 Neben diesen dogmatischen Schwächen hat sich im Übrigen bereits gezeigt, dass der Weg der Rechtsprechung auch in praktischer Hinsicht nicht gangbar ist, da durch eine solche Pflicht zur Ausgewogenheit der letztwilligen Verfügung willkürliche Ergebnisse entstehen. So hat der Bundesgerichtshof in einem Fall entschieden, dass jedes der beiden übergangenen Kinder des Erblassers neben der Geliebten als außenstehende Dritte zu je einem Drittel erbt155, während in einem anderen ähnlich gelagerten Fall der Ehegattin und ihren sieben Kindern neben der Geliebten lediglich die Hälfte des Nachlasses zugesprochen worden ist.156 Diese erheblichen Unterschiede zeigen, dass eine solche sittliche Pflicht zur vermögensmäßigen Gleichbehandlung Dritter und naher Angehöriger in Form der Errichtung ausgewogener Verfügungen von Todes wegen nicht haltbar ist.157 Otte, der eine derartige sittliche Pflicht zur vermögensrechtlichen Gleichbehandlung Dritter und naher Angehöriger ebenfalls ablehnt, hält nur die krasse Zurücksetzung in Gestalt der völligen oder weitestgehenden Enterbung für einen möglichen Gegenstand eines sittlichen Unwerturteils.158 Eine solche Sichtweise kann jedoch ebenfalls nicht überzeugen, da auch hier gilt, dass die Erbeinsetzung eines Dritten keine rechtlich relevante Zurücksetzung
154 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f.; s. auch Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). 155 Vgl. BGH, FamRZ 1963, 287. 156 Vgl. BGHZ 52, 17, 23 f.; dazu auch Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 162. 157 So im Ergebnis auch Otte: „Die vom BGH […] geforderte ,Ausgewogenheit‘ der letztwilligen Verfügung ist eine Leerformel, zumal bei der Prüfung der Ausgewogenheit lebzeitige Zuwendungen des Erblassers an die Beteiligten und sonstige mit seinem Vermögen in Zusammenhang stehende Vorteile (z.B. ein Arbeitsplatz im Unternehmen des Erblassers) zu berücksichtigen sind.“ 158 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 162. Otte geht davon aus, dass das Pflichtteilsrecht den nächsten Angehörigen den sittlich gebotenen Mindestanteil am Vermögen des Erblassers im Regelfall ohnehin gewährleistet, sodass dieser im Ergebnis die Sittenwidrigkeit aufgrund vermögensmäßiger Zurücksetzung von Angehörigen verneint. (Ausn. bei Bedürftigkeit eines nahen Angehörigen, s. dazu Kap. C. I. 1. c) bb) (1)).
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
der nahen Angehörigen bedeutet. Im Übrigen sichert das Pflichtteilsrecht eine Mindestpartizipation naher Angehöriger am Nachlass des Erblassers ab.159 Eine Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten in Form der vermögensmäßigen Ungleichbehandlung kann es demzufolge nicht geben. Eine solche Ausgewogenheitspflicht in Bezug auf die Errichtung einer letztwilligen Verfügung würde die Testierfreiheit in ihrem individualschützenden Charakter erheblich beeinträchtigen und darüber hinaus ihren Charakter als Freiheitsrecht bedrohen. Die in Kap. B. II. durchgeführte rechtshistorische Betrachtung der Entwicklung der Testierfreiheit hat deutlich aufgezeigt, dass der historische Gesetzgeber in Gefolge der römischen Tradition den Erblasserwillen zum Ausgangspunkt des Erbrechts gemacht und ein Verständnis des Erbrechts und der Testierfreiheit deutlich abgelehnt hat.160 Die Rücksichtnahme- und Beistandspflichten des Familienrechts laufen der individualistischen Konzeption der Testierfreiheit und der Erblasserorientierung des gesamten Erbrechts vollständig zuwider und können für das Erbrecht folglich keinerlei Bedeutung erlangen.161 Die Testierfreiheit wird daher nicht durch Ausgewogenheitserfordernisse begrenzt. (2) Sittliche Pflicht zur Verhinderung materieller Not der gesetzlichen Erben Nachdem nunmehr festgestellt worden ist, dass für den Erblasser keine Pflicht zur Errichtung einer ausgewogenen Verfügung von Todes wegen besteht, stellt sich die Frage, welche anderen sittlichen Pflichten bestehen könnten, deren Verletzung die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB rechtfertigen würde. Eine der zentralen Thesen zur Begründung des Sittenwidrigkeitsverdikts aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten lautet, dass der Erblasser die sittliche Pflicht habe, sein Vermögen für die Zeit nach seinem Tod so einzusetzen, dass weder der Ehegatte noch Abkömmlinge in materielle Not geraten, sofern sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu unterhalten.162 Das Pflicht-
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Vgl. Simshäuser, Zur Sittenwidrigkeit der Geliebten-Testamente, 48 f.; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 214 ff. 160 Vgl. dazu die Ausführungen zu der rechtshistorischen Betrachtung der Entwicklung der Testierfreiheit in Kap. B. II.; in diese Richtung auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 50; Mertens, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 37 ff.; Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 23 ff. 161 Vgl. dazu zum einen die verfassungsrechtliche Betrachtung der Testierfreiheit in Kap. B. I. und zum anderen die rechtshistorische Betrachtung in Kap. B. II. Daneben haben auch die Ausführungen in Kap. B. VI. 4. gezeigt, dass die Testierfreiheit nicht familiaristisch geprägt ist. 162 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 156; Muscheler, Erbrecht, Band I, 981 Rn. 1931.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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teilsrecht sei insofern nicht ausreichend, da es die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die finanziellen Verhältnisse des übergangenen Ehegatten oder Abkömmlings nicht berücksichtige.163 Da diesem übergangenen Pflichtteilsberechtigten aufgrund des Pflichtteilsrechts noch der Wert der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils unentziehbar zusteht, könne seine Übergehung nur in dem Fall eine vorhersehbare Bedürftigkeit zur Folge haben, in dem eine erhebliche Differenz zwischen dem Wert des gesetzlichen Erbteils und dem Wert des Pflichtteils besteht und dieser Betrag erkennbar erforderlich gewesen wäre, um die Bedürftigkeit des übergangenen Familienangehörigen auszuschließen oder zumindest erheblich zu mindern.164 Diese Sichtweise sieht sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Pflichtteilsrecht gestärkt, da infolge dessen deutlich geworden sei, dass das Pflichtteilsrecht das Resultat einer Abwägung zwischen der Privatautonomie und der daraus resultierenden Testierfreiheit einerseits und der familiären Bindung des Erblassers andererseits darstelle.165 Hierauf aufbauend wird angeführt, dass eine solche Abwägung nicht immer starr verlaufe und daher in bestimmten Situation die familiären Bindungen des Erblassers über das Pflichtteilsrecht hinaus Bedeutung erlangen können.166 Eine solche Sichtweise, die eine sittliche Pflicht zur Verhinderung materieller Not naher Angehöriger annimmt, führt zu widersprüchlichen Ergebnissen, da weder arme Erblasser, die über einen geringen Nachlass verfügen, noch reiche Erblasser, die über einen hohen Nachlass verfügen, dieser sittlichen Pflicht unterworfen sind. Lediglich Erblasser mit einem Nachlass mittlerer Größe könnten die sittliche Pflicht, das Vermögen so einzusetzen, dass der Ehegatte und die eigenen Kinder nicht in materielle Not gelangen, verletzen.167 Ein vermögender Erblasser könnte Ehegatten und Kinder ohne Rücksicht auf das Sittenwidrigkeitsverdikt übergehen, da diese „genug“ im Rahmen des Zugewinnausgleichs und des Pflichtteilsrechts erhalten und mithin nicht die Gefahr einer Bedürftigkeit besteht. Selbiges muss dann auch für einen armen Erblasser gelten, der ohnehin nicht in der Lage ist, eine etwaige Bedürftigkeit seines Ehegatten und seiner Abkömmlinge zu verhindern168,
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So Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 157; BGHZ 11, 36, 40. So Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 156. 165 Vgl. BVerfGE 112, 332, 332 ff. 166 Vgl. Helms, ZEV 2007, 1, 4; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 157. 167 Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 156; krit. Muscheler, Erbrecht, Band I, 981 Rn. 1931. 168 So Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 157: „Sowohl bei geringfügigen als auch bei sehr umfangreichen Nachlässen kann es daher nicht zu einer sittenwidrigen Herbeiführung von Bedürftigkeit kommen, anders höchstens bei Nachlässen mittleren Umfangs.“; vgl. dazu auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 981 Rn. 1931. 164
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
wobei Muscheler an dieser Stelle zutreffend die Frage stellt, ob der Erblasser dann nicht wenigstens sein, wenn auch geringes Vermögen, zugunsten des bedürftigen Familienangehörigen einsetzen muss.169 An dieser Stelle wird deutlich, dass diese Art familiärer Pflichten zur Begründung der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen nicht herangezogen werden können.170 Wenn Otte argumentiert, dass diese sittliche Pflicht weder mit dem Argument der Unvererblichkeit von Unterhaltspflichten noch mit dem Verweis auf die Testierfreiheit bestritten werden kann, übersieht dieser, dass es eine echte Testierfreiheit nur dann geben kann, wenn der Erblasser frei über sein Vermögen verfügen darf, ohne dabei durch Pflichten zum Ausgleich finanzieller Not naher Angehöriger beschränkt zu sein. Im Übrigen sind Unterhaltspflichten im Regelfall gesetzlich normiert. Da der Gesetzgeber keine gesetzliche Pflicht des Erblassers zur Zuwendung von Vermögen an bedürftige nahe Angehörige beim Erbfall normiert hat, scheint dieser hierfür keinen Bedarf zu sehen. Eine solche Pflicht unter Hinzuziehung des Sittenwidrigkeitsverdikts zu erzeugen, wäre somit eine Umgehung des Willens des Gesetzgebers und insofern unzulässig. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Testierfreiheit als Ergänzung der lebzeitigen Eigentumsfreiheit zu verstehen ist.171 Außerhalb der gesetzlichen Unterhaltspflichten gibt es für den Erblasser zu Lebzeiten ebenfalls keine Pflicht, sein Eigentum und damit einhergehend sein Vermögen für seinen Ehegatten und seine Abkömmlinge einzusetzen und vermögensschmälernde Handlungen zu unterlassen. Vielmehr darf der Erblasser zu Lebzeiten mit seinem Vermögen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften beliebig verfahren, ohne sich dem Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens auszusetzen. Es muss daher bei dem Ergebnis bleiben, dass niemand einen Anspruch hat, Erbe zu werden.172 Dies ändert sich auch dann nicht, wenn nahe Angehörige zum Zeitpunkt des Erbfalls in materieller Not sind oder ohne die Zuwendung in eine solche geraten. Auch hier gilt das bereits zuvor zu dem Ausgewogenheitserfordernis Gesagte. Eine Pflicht zur Verhinderung materieller Not mag in das System der familienrechtlichen Beistands- und Rücksichtnahmepflichten passen, mit der individualistischen Grundlegung des Erbrechts ist diese jedoch nicht vereinbar. 169 So Muscheler, Erbrecht, Band I, 981 Rn. 1931: „Ebenso wenig der mittellose Erblasser, da er die Bedürftigkeit anderer ohnehin nicht verhindern kann. Müsste er nicht zumindest das wenige, was er hat, zugunsten der notleidenden Familie einsetzen […]?“ 170 Vgl. dazu bereits die deutliche Ablehnung eines familiaristischen Verständnisses der Testierfreiheit im Rahmen der Untersuchung der verschiedenen Konzeptionen zur Testierfreiheit in Kap. B. VI. 4. 171 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. VI. 6, das sich mit den verschiedenen Konzeptionen zur Testierfreiheit befasst. 172 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f.; s. auch Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a).
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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(3) Ideelle Zurücksetzung der Angehörigen durch Zuweisung einer nachgeordneten Rechtsstellung Der Bundesgerichtshof und Teile der Literatur vertreten die Auffassung, dass eine Verfügung bereits in dem Fall sittenwidrig sein kann, wenn die Ehefrau im Vergleich zu der Geliebten in eine abhängige oder unterlegene, mithin also nachgeordnete Rechtsstellung versetzt wird.173 Diese Ansicht kann jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht überzeugen. So sprechen zum einen die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch gegen die Sittenwidrigkeit einer solche Zurücksetzung der gesetzlichen Erben gegenüber der Dritten: „Die Anschauung, welche in der Einsetzung einer nicht ehrenhaften Person eine Ehrenkränkung der nächsten gesetzlichen Verwandten sieht, ist der Gegenwart fremd.“174
Darüber hinaus ist der Unterschied zwischen einer Miterbenstellung und einer Pflichtteilsberechtigung auch nicht erheblich. Ähnlich wie zwischen Erbe und Vermächtnis differenziert die Allgemeinheit auch nicht, ob sie an dem Nachlass des Erblassers unmittelbar als Erbe im Wege der Universalsukzession oder über einen schuldrechtlichen Anspruch als Pflichtteilsberechtigter partizipiert. Entscheidend ist vielmehr der Umfang der Teilhabe, der je nach testamentarischer Ausgestaltung als Pflichtteilsberechtigter sogar höher sein kann. Sofern dennoch an dem Standpunkt festgehalten wird, dass die Pflichtteilsstellung im Vergleich zu der Erbenstellung ehrschmälernd ist, kann auch dies zu keinem anderen Ergebnis führen, da dieses Argument dem BGBGesetzgeber bereits bekannt war: „Für ein Erbfolgenrecht des Pflichtteilsberechtigten sprechen überwiegend ethische Gründe. Die Ehre der Erbeinsetzung hat neben der äußeren auch eine innere Bedeutung.“175
Der historische Gesetzgeber ging demnach davon aus, dass die Erbeinsetzung gegenüber der Pflichtteilsberechtigung ein höheres Ansehen genießt. Da sich der Gesetzgeber gleichwohl für die Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts als bloßen Geldanspruch entschieden und damit solche Ehrerwägungen zurückgestellt hat, lässt sich daraus kein Argument für die Sittenwidrigkeit einer solchen Konstellation herleiten.176 Ein Umkehrschluss ergibt viel173
Vgl. BGHZ 20, 71; BGHZ 52, 17, 22 f. Der BGH formuliert an dieser Stelle besonders drastisch: „Insbesondere für die Klägerin […] aber auch für ihre Kinder, wäre es peinlich und demütigend, sich wegen ihrer Ansprüche an den Nachlass des Ehemanns und Vaters an die Beklagte, dessen Geliebte, wenden zu müssen.“ 174 Vgl. Motive, V, 386 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 764. 175 Vgl. Motive, V, 386 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V 764. 176 So auch Simshäuser, Zur Sittenwidrigkeit der Geliebten-Testamente, 51; in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 982, Rn. 1932.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
mehr, dass der historische Gesetzgeber die ausschließliche Partizipation in Form der Pflichtteilsberechtigung als Geldanspruch für sittenkonform hielt. Insofern als bereits dargelegt wurde, dass die Einsetzung einer Geliebten zur Alleinerbin grundsätzlich nicht sittenwidrig ist, erscheint die Einsetzung einer Geliebten zur Testamentsvollstreckung dann erst recht nicht sittenwidrig.177 Wenngleich Paal insoweit zuzustimmen ist, als dass die Ausgestaltung einer Testamentsvollstreckung im Einzelfall dazu führen kann, dass der Testamentsvollstrecker gegenüber den Erben zahlreiche weitgehende Befugnisse erhält178, so sind diese durch § 2227 BGB vor einer missbräuchlicher Wahrnehmung dieser Befugnisse hinreichend geschützt.179 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Notwendigkeit, Ansprüche gegenüber einem Alleinerben oder Testamentsvollstrecker geltend zu machen, weder ständigen noch persönlichen Kontakt voraussetzt.180 Des Weiteren führen die Rechtsfolgen, die aus einer solchen Ansicht resultieren, zu Widersprüchen. Der Bundesgerichtshof hält die Erbeinsetzung des außenstehenden Dritten, beispielsweise der Geliebten, in einem solchen Fall nur teilweise für wirksam. Die weitergehende Erbeinsetzung hält er für sittenwidrig und nichtig, sodass insoweit gesetzliche Erbfolge gelte und den übergangenen nahen Angehörigen eine Erbenstellung zuteilwerde. Dies führt dazu, dass über § 138 Abs. 1 BGB ein materielles Noterbrecht kreiert wird, welches unserer Rechtsordnung fremd ist.181 Der Erblasser kann in einem solchen Fall nur über einen bestimmten Teil seines Vermögens verfügen, den Rest erwirbt der Pflichtteilsberechtigte als Erbteil. Eine solche daraus entstehende Miterbengemeinschaft zwischen den gesetzlichen Erben als Pflichtteilsberechtigte und den gewillkürten Erben hat der BGB-Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewollt und sich für einen Geldpflichtteil entschieden.182
177 Zum selben Ergebnis kommen auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 982 Rn. 1932 und Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 163. 178 Paal nennt hierzu das Beispiel, dass ein Testamentsvollstrecker für einen langen Zeitraum die Gesellschaftsrechte in den dem Erblasser gehörenden Gesellschaften ausüben soll und über die Höhe der Ausschüttungen an die Erben entscheiden darf., vgl. Paal, JZ 2005, 436, 438 Fn. 39. 179 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 163; a.A. Paal, JZ 2005, 436, 438. 180 So Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 163: „Die Notwendigkeit, Ansprüche gegenüber einem Alleinerben oder Testamentsvollstrecker geltend zu machen, bedingt im Übrigen weder ständige noch persönliche Kontakte.“ 181 Vgl. Bosch, FamRZ 1963, 287, 290; Muscheler, Erbrecht, Band I, 982 Rn. 1932. Das Noterbrecht findet sich in anderen Erbrechtsordnungen Kontinentaleuropas wieder, bspw. in Belgien, Griechenland, Spanien und Italien. 182 In diese Richtung auch Simshäuser, Zur Sittenwidrigkeit der Geliebten-Testamente, 51; sowie Muscheler, Erbrecht, Band I, 982 Rn. 1932.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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(4) Sittliche Pflicht zur Korrektur lebzeitigen Fehlverhaltens Sofern es sich bei dem übergangenen nahen Angehörigen um ein Kind handelt, stellt sich die Frage, ob auch lebzeitige Verletzungen der elterlichen Sorge ausreichen können, um die Übergehung des Kindes im Testament als sittenwidrig zu charakterisieren.183 Hierbei wird überprüft, „ob der Erblasser seine Pflichten gegenüber seiner Familie zu Lebzeiten vernachlässigt hat“184. Ist dies der Fall, so bestehe nach Teilen der Rechtsprechung die Pflicht, das Kind zumindest teilweise zu bedenken.185 Übertragbar wäre eine solche Argumentationslinie auch auf die Verletzung ehelicher Pflichten in Bezug auf den überlebenden Ehegatten seitens des Erblassers. Auch der Bundesgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und nimmt an, dass das Verhalten des Erblassers zu Lebzeiten Auswirkungen auf die Frage der Sittenwidrigkeit seiner Verfügung von Todes wegen hat, indem dieser das Gesamtverhalten des Erblassers in die rechtliche Würdigung einfließen lässt: „Die Behandlung, die der Erblasser darin seinen Kindern hat zuteil werden lassen, und seine ihnen gegenüber dabei zutage getretene Gesinnung können hinsichtlich ihres sittlichen Charakters nicht losgelöst von seinem Gesamtverhalten gegenüber seinen Kindern betrachtet werden. Dieses Gesamtverhalten und die in ihm sich offenbarende Gesinnung des Erblassers, die in seinem Testament nur ihren letzten und schärfsten Ausdruck gefunden hat, sind aber in der Tat als verantwortungslos zu bezeichnen und verletzen das Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden.“186
Auch diese Argumentation des Bundesgerichtshofs kann nicht überzeugen, da sich eine solche sittliche Pflicht zu der Korrektur immateriellen lebzeitigen Fehlverhaltens durch Vermögenszuwendung von Todes wegen nicht begründen lässt. Wenngleich manches Fehlverhalten, insbesondere elterliches, mo183
Vgl Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 158. Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1960, 79 f.; s. auch Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 155. 185 Vgl. OGHBrZ 3, 158 ff.; BGH, LM § 138 (Cd) BGB, Nr. 7, Bl. 2; OLG Frankfurt FamRZ 1960, 79 f. 186 BGH, LM § 138 (Cd) BGB, Nr. 7, Bl. 2. Dem Urteil des BGH lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Erblasser hatte seine unmündigen und mutterlosen Kinder zugunsten seiner Verlobten enterbt, von denen sich dieser bereits zu Lebzeiten entfernt hatte. Der BGH hielt die letztwillige Verfügung für sittenwidrig. Dazu zog dieser überwiegend das lebzeitige Verhalten des Erblassers heran. Insbesondere warf der BGH dem Erblasser vor, den Kontakt mit den Kindern abgebrochen zu haben, nachdem er diese in einem Waisenhaus und in Pflegestellen abgegeben hatte. a.A. wohl BayObLG, NJW 1987, 910: „Dass der Erblasser den Bet. zu 2 in seinem Testament übergangen hat, hält das LG allein deshalb für sittenwidrig, weil der Erblasser […] sich nicht um seinen Sohn in einer Weise gekümmert habe, wie es von einem verantwortungsvollen Vater zu erwarten gewesen sei. Dies rechtfertigt nicht die Annahme, die Erbeinsetzung des Bet. zu 3 unter Übergehung des Bet. zu 2 verstoße gegen die guten Sitten.“ 184
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
ralische Bedenken hervorruft, gilt auch in solchen Fällen, dass den nahen Angehörigen durch die Einsetzung eines Dritten zum Erben nichts genommen wird. Der Erblasser „handelt“ auch durch eine solche Verfügung von Todes wegen zumindest neutral.187 Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass selbst die uneigennützige Absicht des Erblassers, Abkömmlinge nach dem nach dem Prinzip des § 1924 Abs. 4 BGB gleich zu behandeln, einer missbräuchlichen Benachteiligung eines Vertragserben im Sinne des § 2287 BGB nicht entgegensteht.188 Wenn sich nun aber der Erblasser zu einer Ungleichbehandlung verpflichten kann und eine Korrektur dieser Ungleichbehandlung kein hinreichendes lebzeitiges Eigeninteresse darstellt, spricht dies auch gegen die generelle Annahme einer Pflicht zur Korrektur lebzeitigen Fehlverhaltens bei der Errichtung letztwilliger Verfügungen. Im Übrigen würden bei einer solchen Sichtweise lebzeitige Verfehlungen dazu führen, dass der Erblasser zumindest teilweise, nämlich in dem Maße, in dem eine solche sittliche Pflicht besteht, seine Testierfreiheit verliert. Gleichzeitig erhielten nach dieser Auffassung nahe Angehörige bei lebzeitigen Verfehlungen des Erblassers einen Anspruch auf den (teilweisen) Erhalt der Erbschaft. Dies ist weder von der Rechtsordnung vorgesehen noch mit der Testierfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. Eine Art Erbanwartschaftsrecht, welches ein Abkömmling aufgrund lebzeitigen Fehlverhaltens des Erblassers erwerben soll, kann es aus den in Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a) (aa) (β) ausführlich diskutierten Überlegungen zum Erbanwartschaftsrecht nicht geben. Darüber hinaus ist zu ergänzen, dass das Familienrecht als solches auch keine Pflicht kennt, etwaiges moralisches Fehlverhalten durch finanzielle Zuwendungen zu korrigieren. Es scheint hier so, als ob die Anwendung des § 138 BGB auf letztwillige Verfügungen überholte Vorstellungen von der Familie realisieren soll, die im Familienrecht selbst keinen Rückhalt mehr finden. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass ein moralisches lebzeitiges Fehlverhalten die Testierfreiheit des Erblassers nicht begrenzen kann.
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An dieser Stelle sei auf die Wertungen hingewiesen, die bereits zu der Frage nach der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen herausgearbeitet worden sind, s. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). Der Erblasser kann niemanden durch seine Verfügung von Todes wegen benachteiligen. Dies gilt selbst dann, wenn er gesetzliche Erben nicht bedenkt oder diese nur beschränkt an der Erbschaft partizipieren lässt. Hier wird erneut die Wertung relevant, dass niemand einen Anspruch hat, Erbe zu werden. 188 So explizit BGH, NJW-RR 2005, 1462, 1462; BGH, ZEV 2006, 312, 312.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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cc) Fazit: Keine Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten Abschließend, nach Untersuchung sämtlicher Argumentationslinien in Literatur und Rechtsprechung zu der Frage nach der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten, kann festgehalten werden, dass diese eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB nicht rechtfertigen können. Familiäre Pflichten haben für das Erbrecht – mit Ausnahme des Pflichtteilsrechts – keine Bedeutung. Sie widersprechen sowohl der Zielrichtung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG189 als auch der individualistischen Grundlegung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches190. Die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Verfügungen von Todes wegen bei Verletzung familiärer Pflichten ist mit der Testierfreiheit unvereinbar und stellt folglich eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit dar. Abschließend bestätigt sich die der Arbeit vorangestellte These, wonach die fehlerhafte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB in diesem Kontext auf einem Verkennen der Beziehung zwischen dem Erblasser und den gesetzlichen Erben als Erbprätendenten beruht. Auch hier steht nicht der Freiheitsraum des Erblassers, sondern der Schutz vermeintlich berechtigter Interessen und Ansprüche der gesetzlichen Erben im Vordergrund. Die These, dass die Grenzen der Testierfreiheit im Wesentlichen in zwei Kategorien eingeteilt werden können, wird auch hier bestätigt. Diejenigen, die eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB befürworten, schränken die Testierfreiheit des Erblassers zum Schutz der gesetzlichen Erben und zum Schutz familiärer Bindung als Kollektivgut unzulässig ein. Auch dieses Anwendungsfeld des § 138 Abs. 1 BGB kann folglich der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zugeordnet werden. d) Sittenwidrigkeit von Verfügungen zu Lasten der Sozialhilfe – das sogenannte Behindertentestament Eine weitere Fallgruppe der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen bilden solche Verfügungen von Todes wegen, die zu Lasten der Sozialhilfe wirken. Zentral ist hierbei das sogenannte Behindertentestament, bei dem Angehörige danach streben, den Nachlass und dessen Erträge der behinderten Per189
Vgl. dazu ausführlich Kap. B. I. Dort ist deutlich geworden, dass das bestimmende Element der Erbrechtsgarantie die Testierfreiheit ist. Die Testierfreiheit dient dabei der Sicherung eines individuellen Freiheitsraumes des Erblassers. Sie verfügt hingegen nicht über eine familiaristische Grundlegung, vgl. dazu explizit Kap. B. VI. 4. 190 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. II. In diesem Abschnitt ist deutlich geworden, dass die heutige Konzeption des Erbrechts der römischen und gerade nicht der germanischen Tradition entspricht und damit individualistisch geprägt ist.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
son, zumeist ein Abkömmling des Erblassers, zuzuwenden, ohne dass gleichzeitig der Anspruch des Bedachten auf die Sozialhilfe entfällt.191 Der Bundesgerichtshof lehnt die Sittenwidrigkeit von Behindertentestamenten deutlich ab.192 Gleichwohl wird sowohl in Teilen der Rechtsprechung als auch in der Literatur weiterhin ein Verstoß solcher Testamentsgestaltungen gegen den § 138 Abs. 1 BGB diskutiert und bejaht.193 Das Behindertentestament wird dabei nicht nur im Hinblick auf die finanzielle Schädigung des Sozialhilfeträgers, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Benachteiligung des behinderten Kindes für sittenwidrig erachtet, da die unter einer dauerhaften Testamentsvollstreckung stehende Vorerbenstellung für das behinderte Kind dann lediglich eine „leere Hülse“194 darstelle. Es wird daher zunächst die Sittenwidrigkeit des Behindertentestaments im Kontext der Benachteiligung des behinderten Kindes (dazu aa)) und sodann die Sittenwidrigkeit aufgrund der Belastung des Sozialhilfeträgers (dazu bb)) untersucht. 191 In der Praxis wird dabei überwiegend die sog. Pflichtteilslösung vermieden und auf die Anordnung einer Dauervollstreckung zurückgegriffen. Dabei wird das behinderte Kind als Erbe eingesetzt und gleichzeitig eine Testamentsvollstreckung in Form der Dauervollstreckung bis zum Tod des behinderten Kindes angeordnet. Die Testamentsvollstreckung hat zur Folge, dass der Erbe gem. § 2211 BGB über die Nachlassgegenstände nicht verfügen kann und es sich bei den Nachlassgegenständen folglich auch nicht um verwertbares Vermögen im Sinne des § 90 SGB XII handelt. Dies führt dazu, dass die Nachlassgegenstände der Vollstreckung durch die Gläubiger des Erben, zu denen auch der Sozialhilfeträger gehört, gem. § 2214 BGB entzogen sind. Während durch diese Anordnung der Dauervollstreckung der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das Vermögen des behinderten Kindes zu dessen Lebzeiten verhindert wird, fällt dem Sozialhilfeträger nach dem Tod des behinderten Erben aufgrund des § 102 SGB XII das Vermögen zu. Dies wird durch die zusätzliche Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft umgangen, da der Nacherbe das Vermögen nicht als Erbe des behinderten Kindes, sondern als (Nach)Erbe des Elternteils erhält und § 102 SGB XII in diesem Fall nicht eingreift. Vgl. dazu Muscheler, Erbrecht, Band I, 984 f. Rn. 1935 ff.; Paal, JZ 2005, 436, 439. 192 So explizit BGHZ 123, 368, 368 ff.; BGHZ 188, 96, 96 ff.; OLG Hamm, RNotZ 2017, 245, 249. 193 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 986 Rn. 1940 Fn. 93 mit Verweis auf LG Hamburg v. 07.10.1988– 3 O 184/88; VGH Mannheim v. 08.12.1989 – 6 S2339/89; s. auch LG Konstanz FamRZ 1992, 360; Schumacher, Rechtsgeschäfte zu Lasten der Sozialhilfe im Familien- und Erbrecht, 125 ff.; Raiser, MDR 1995, 237, 238. 194 So Otte, JZ 1990, 1027, 1028: „Die Vorerbin sollte nicht nur durch Testamentsvollstreckung beschränkt sein, sondern auch keinen Anspruch auf Auskehrung von Nachlassgegenständen und nicht einmal von Früchten haben. Ihr verbleiben allein die nicht abdingbaren Befugnisse des Erben gegenüber dem Testamentsvollstrecker, die jedoch nur gesetzliche Folge der Testamentsvollstreckung und nicht gewollte Folge einer Zuwendung sind. Zuwenden wollte der Erblasser seinem Kind nur eine Vorerbenstellung als leere Hülse; wirtschaftlich gesehen entspricht das einer Vollerbeinsetzung des ,Nacherben‘, beschwert mit einer Zweckauflage zugunsten des Kindes.“
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aa) Benachteiligung des behinderten Kindes Wird die Sittenwidrigkeit eines sogenannten Behindertentestaments aufgrund einer hiervon ausgehenden Benachteiligung des behinderten Kindes diskutiert, ist zunächst festzustellen, dass es den Eltern gegenüber dem behinderten Kind regelmäßig an einer Benachteiligungsabsicht fehlt. Eine solches subjektives Element ist aber für die Annahme des § 138 Abs. 1 BGB unerlässlich.195 Da Erblasser im Rahmen der Behindertentestamente im Regelfall anordnen, dass der Testamentsvollstrecker für das Kind Leistungen aus den Erträgen oder der Substanz des Nachlasses zu erbringen hat196, ist eine solche Benachteiligungsabsicht fernliegend. Selbst wenn das Behindertentestament ausschließlich bezweckt, einen Zugriff des Sozialhilfeträgers zu verhindern und damit eine Begünstigung des Kindes keine Rolle mehr spielt, liegt darin noch keine Benachteiligung des behinderten Kindes, weil sich dieses durch die Möglichkeit der Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB aus der Position des unter einer dauerhaften Testamentsvollstreckung stehenden nichtbefreiten Vorerben jederzeit befreien kann.197 Da mit der Ausschlagung regelmäßig ein Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den Pflichtteil einhergeht, dürfte von dieser Option aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten regelmäßig kein Gebrauch gemacht werden. Gleichwohl liegt hierin keine Benachteiligung des behinderten Kindes, weil ein solcher Zugriff ebenso im Fall der gesetzlichen Erbfolge erfolgen würde.198 Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass es zum einen an einer objektiven Benachteiligung und zum anderen an einer Benachteiligungsabsicht fehlt.199 Vor allem Letztere ist für die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes maßgeblich. bb) Sittenwidrigkeit aufgrund der Schädigung des Sozialhilfeträgers Der Bundesgerichtshof lehnt auch die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf solche Behindertentestamente entschieden ab, die eine Schädigung des Sozialhilfeträgers bezwecken sollen.200 Dennoch wird sowohl in Teilen der 195
Vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. f) aa), das zeigt, dass die Betrachtung des subjektiven Elements bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen im Regelfall unerlässlich ist. Siehe dazu die breites näher ausgeführten Urteile BGHZ 140, 118, 132 ff. u. BayObLGZ 1996, 204, 227. Vgl. auch BGHZ 86, 88, 88 ff.; BGHZ 107, 97, 97 ff. 196 Diese Erbringung von Leistungen aus den Erträgen oder der Substanz des Nachlasses wird regelmäßig nur insoweit angeordnet, wie diese nicht auf die Sozialhilfeleistungen angerechnet werden, vgl. dazu Muscheler, Erbrecht, Band I, 986, 1939. 197 Vgl. BGHZ 123, 368, 371; Muscheler, Erbrecht, Band I, 986 Rn. 1939. 198 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 986 Rn. 1939. 199 In diese Richtung auch BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 588. Jakl argumentiert, dass auf subjektiver Seite davon ausgegangen werden dürfte, dass eine solche testamentarische Regelung als Ausdruck der Fürsorge der Eltern für ihre Kinder anzusehen ist. Vgl. auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 986 Rn. 1939. 200 Vgl. BGHZ 123, 368, 368 ff.; BGHZ 188, 96, 96 ff.; vgl. auch OLG Hamm, RNotZ 2017, 245, 249.
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Rechtsprechung als auch in Teilen der Literatur vertreten, dass eine Verfügung von Todes wegen in der Ausgestaltung des sogenannten Behindertentestaments aufgrund der bewussten Missachtung des Nachrangprinzips aus § 9 SGB I i. V. m. § 2 SGB XII sittenwidrig sein kann.201 Argumentiert wird damit, dass der Erblasser die Pflicht zum Ersatz der Kosten nach § 102 SGB XII umgehe und in subjektiver Hinsicht dem Sozialhilfeträger und damit einhergehend die öffentliche Hand schädigen wolle. Hinter diesem Diskurs steht letztlich die Frage, ob Eltern eines hilfsbedürftigen Kindes sittlich dazu verpflichtet sind, ihre Vermögensnachfolge so zu gestalten, dass die Inanspruchnahme von Sozialhilfe durch das Kind möglichst gering bleibt. Dies ist zu verneinen. Zurecht hat der Bundesgerichtshof diesbezüglich betont, dass von Eltern nicht verlangt werden könne, dass sie ihre sittliche Verantwortung für das Kindeswohl dem Interesse der öffentlichen Hand und der damit verbundenen Leistungsfähigkeit des Sozialhilfeträgers unterordnen.202 Vielmehr ist davon auszugehen, dass es gerade den geltenden Wertvorstellungen entspricht, bei der Frage nach der Weitergabe eigenen Vermögens der Fürsorge von nahestehenden Personen gegenüber der Rücksicht auf die Allgemeinheit Vorrang einzuräumen.203 Eine solche Argumentation ist jedoch nicht frei von Schwächen. So betont Armbrüster unter Hinzuziehung der notariellen Praxis, dass das Behindertentestament in zahlreichen Fällen ausschließlich bezwecke, einen Zugriff des Sozialhilfeträgers zu verhindern.204 Eine Begünstigung des Kindes und die damit einhergehende Fürsorge spielt dann keine Rolle mehr. Im Ergebnis kommt es auf die dahinterstehende und in jüngerer Vergangenheit kontrovers diskutierte Frage, ob die Zugriffsvereitelung der ausschließliche Zweck205 oder „weniger Ziel als vielmehr Reflex auf den Wunsch der Eltern, ihr Kind nach ihrem Tod gut versorgt zu wissen“206 ist, jedoch nicht an. So ist
201 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 986 Rn. 1940 Fn. 93 mit Verweis auf LG Hamburg v. 07.10.1988– 3 O 184/88; VGH Mannheim v. 08.12.1989 – 6 S2339/89; s. auch LG Konstanz FamRZ 1992, 360; Schumacher, Rechtsgeschäfte zu Lasten der Sozialhilfe im Familien- und Erbrecht, 125 ff.; Raiser, MDR 1995, 237, 238. 202 Vgl. BGHZ 111, 36, 39 ff.; BGHZ 123, 368, 373 ff.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 986 f., Rn. 1940. 203 Vgl. BGHZ 111, 36, 42 mit Anm. Otte, JZ 1990, 1025, 1027 f.; BGHZ 123, 368, 373; Hohloch, JuS 1990, 937, 938; Schubert, JR 1991, 106, 107; Kuchinke, FamRZ 1992, 362, 362 f.; Pieroth NJW 1993, 173, 178; a.A. Eichenhofer JZ 1999, 226, 230 ff.; Armbrüster ZEV 2010, 555, 555 f. 204 Vgl. Armbrüster, ZEV 2010, 555, 555 mit Verweis auf Vaupel, RNotZ 2010, 139, 141; Mensch, BWNotZ 2010, 137, 138. 205 So Armbrüster, ZEV 2010, 555, 555 mit Verweis auf Vaupel, RNotZ 2010, 139, 141; Mensch, BWNotZ 2010, 137, 138. 206 So Bengel/Spall, ZEV 2010, 195, 196; s. auch Bengel/Spall: „Darüber hinaus beinhaltet Armbrüsters Behauptung eine mehr als fragwürdige Unterstellung sowohl zu Lasten
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zunächst zu berücksichtigen, dass das Nachrangprinzip kein Prinzip mit Verfassungsrang ist und daher auch nicht über dem Gesetz steht. Es entfaltet nur insoweit Wirkung, wie es durch das Sozialrecht positiv konkretisiert wird. Das Sozialrecht enthält an mehreren Stellen Durchbrechungen des Nachrangprinzips zugunsten der Eltern von behinderten Kindern.207 Zutreffend bezweifelt daher Otte eine die guten Sitten prägende Wirkung des Nachrangprinzips aus § 9 SGB I in Verbindung mit § 2 SGB XII.208 Zurecht weist der Bundesgerichtshof auf die gesetzgeberische Entscheidung in § 43 Abs. 2 BSHG hin, nunmehr § 43 Abs. 2 SGB XII, wonach der Erhalt von Sozialhilfe für ein behindertes Kind nicht die Vermögensbildung der Eltern und damit einhergehend auch nicht die Weitergabe dieses Vermögens an Dritte verhindern soll.209 cc) Fazit: Keine Sittenwidrigkeit von Verfügungen zulasten des Sozialhilfeträgers Mit der herrschenden Rechtsprechung lässt sich festhalten, dass sogenannte Behindertentestamente insgesamt nicht sittenwidrig sind. Weder stellen sie eine Benachteiligung des behinderten Kindes noch eine unsittliche Schädigung des Sozialhilfeträgers dar. Das Gesetz kennt nicht nur zahlreiche Durchbrechungen des Subsidiaritätsgrundsatzes, sondern gestattet den Eltern behinderter Kinder auch die Vermögensbildung und Weitergabe.
der testierenden Eltern eines behinderten Kindes als auch des gestaltenden Kautelarjuristen. Die Motive der Testatoren werden allein dem juristischen Berater vorgetragen. Dem akademischen Lehrer bleiben sie deshalb regelmäßig verborgen. Er kann allenfalls externe Vermutungen anstellen. Diese sind allerdings unzutreffend verborgen.“ Sowohl Armbrüster als auch Bengel/Spall nehmen i.E. für sich in Anspruch, die notarielle Praxis abzubilden, s. dazu auch Armbrüster, ZEV 2010, 555, 555: „Andere mit der notariellen Praxis vertraute Autoren sprechen Klartext: Nach Litzenburger […] bezweckt das Behindertentestament ausschließlich, einen Zugriff des Sozialhilfeträgers zu verhindern. Im selben Sinne äußert sich Weisbrodt […]. Ohne Umschweife erklärt Vaupel […], dass es bei den in der Praxis im Bereich des Behindertentestaments hinsichtlich des Pflichtteils diskutierten Gestaltungsmöglichkeiten darum geht, ,wie man einen solchen Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den Pflichtteilsanspruch verhindern kann‘.“ 207 Vgl. BGHZ 111, 36, 42; BGHZ 123, 368, 376 f.; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 168; Muscheler, Erbrecht, Band I, 986, Rn. 1940; s. dazu BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 581: „Im Fall des Behindertentestaments ist es insbesondere wegen des dem Subsidiaritätsgrundsatz gleichrangigen Prinzips des Familienlastenausgleichs auch überzeugend, schon auf objektiver Seite die Sittenwidrigkeit abzulehnen.“ 208 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 168; in diese Richtung auch BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 580. 209 So BGHZ 123, 368, 377; BGH NJW 2011, Rn. 23; zustimmend BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 582; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 169.
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Die Befürworter der Sittenwidrigkeit solcher Verfügung von Todes wegen verkennen, dass die Testierfreiheit auch den Wunsch umfasst, das Vermögen an dem Sozialhilfeträger vorbei an eine andere nahestehende Person zu vererben. Bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf die sogenannten Behindertentestamente würde eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit geschaffen, die dem Schutz von Kollektivgütern dient. Die vorgenommene Einordnung in die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit ist daher zutreffend. Diejenigen, die die sogenannten Behindertentestamente dennoch von § 138 Abs. 1 BGB erfasst sehen, beachten nicht, dass das Sozialhilferecht keine Einschränkung der Testierfreiheit rechtfertigt. e) Abschließende Betrachtung: Derzeitige Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 BGB als unzulässige Grenze der Testierfreiheit In den Abschnitten a.–d. zur Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen ist deutlich geworden, dass § 138 Abs. 1 BGB an zahlreichen Stellen eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit zum Schutz der Erbprätendenten oder der gesetzlichen Erben vor der Testierfreiheit des Erblassers darstellt. Darüber hinaus wurde herausgearbeitet, dass der Ausgangspunkt für unzulässige Beschränkungen der Testierfreiheit in der Rechtsprechung liegt. Die verfassungswidrigen Beschränkungen, die durch die Annahme einer unzulässigen Beeinflussung der Erbprätendenten durch den Erblasser, der Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten und der Übergehung von Gemeinschaftsbelangen entstehen, haben ihren Ausgangspunkt in der Rechtsprechung und nicht im Gesetz. Der Grund für diese unzulässigen Beschränkungen der Testierfreiheit liegt im Wesentlichen in dem Verkennen der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten. Im Hinblick auf die Testierfreiheit lässt sich zusammenfassend feststellen: 1. Es bedarf grundsätzlich keines Schutzes der Erbprätendenten und gesetzlichen Erben vor der Testierfreiheit des Erblassers durch die Rechtsprechung. 2. Vielmehr bedarf es eines Schutzes der Testierfreiheit des Erblassers und seiner letztwilligen Verfügungen vor übereilten Nichtigkeitserklärungen durch die Rechtsprechung. Werden für dieses Kapitel nunmehr abschließend die zu Beginn aufgestellten Thesen betrachtet, lässt sich feststellen, dass es sich bei der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes um eine Grenze der Testierfreiheit handelt, die dem Schutz der Erbprätendenten und dem Schutz von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen soll. Sie wurden daher zutreffend der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zugeordnet. Zum anderen ist auch deutlich geworden, dass die These, dass die Unzulässigkeit der Grenzen der Testierfreiheit der ersten Kategorie im Wesentlichen auf einem Verkennen
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der Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten beruht, ebenfalls für die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf Verfügungen von Todes wegen gilt. Die Ergebnisse dieses Abschnitts können den Eindruck vermitteln, dass das Sittenwidrigkeitsverdikt auf erbrechtliche Verfügungen nicht anzuwenden ist. Dem ist jedoch zu widersprechen. So kann es Fälle geben, in denen der Erblasser von seiner Testierfreiheit in sittenwidriger Weise Gebrauch macht. Im Nachfolgenden soll daher ein Lösungsvorschlag erarbeitet werden, der es ermöglicht, § 138 Abs. 1 BGB lediglich in den Fällen anzuwenden, in denen auch tatsächlich eine sittenwidrige Verfügung von Todes wegen vorliegt. Die Entwicklung eines solchen Vorschlags ist mit Blick auf die Testierfreiheit dabei in mehrfacher Hinsicht geboten. Zum einen wird dadurch ermöglicht, sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen auch als solche zu identifizieren, da die Testierfreiheit mithin nur solche Verfügungen von Todes wegen schützt, die nicht gegen das Sittenwidrigkeitsverdikt verstoßen. Zum anderen ermöglicht dieser Vorschlag, dass nur solche Verfügungen dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen und für nichtig erklärt werden, die es auch tatsächlich sind. Dadurch werden unzulässige Beeinträchtigungen der Testierfreiheit verhindert. f) Lösungsvorschlag: Maßgeblichkeit des subjektiven Elementes zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen Welche Bedeutung dem Motiv des Erblassers für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen zukommt, wird unterschiedlich beurteilt.210 Wie bereits im Rahmen der Einführung zu dem Abschnitt C. I. gezeigt, ist für die Beurteilung der Vereinbarkeit eines Rechtsgeschäfts mit den guten Sitten zu überprüfen, ob das Rechtsgeschäft seinem Inhalt nach mit den grundlegenden Wertungen der objektiven Werteordnung vereinbar ist.211 Diese Prüfung der Sittenwidrigkeit beruht auf einer Gesamtschau, zu der neben der Betrachtung des Inhalts des Rechtsgeschäfts auch die Würdigung eines subjektiven Elements gehört.212 Die ständige Rechtsprechung betont diesbezüglich, dass eine Gesamtwürdigung des Rechtsgeschäfts erforderlich sei, welche sich „aus der Zusammenfassung von Inhalt, Motiv und Zweck“ ergebe.213 Hiernach ist für das Kriterium der Sittenwid210 Vgl. dazu insbesondere Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 131 ff.; Staudinger/Otte Vorbem zu § 2064 ff. Rn. 172. 211 Vgl. dazu die einleitenden Ausführungen in Kap. C. I. Vgl. exemplarisch auch BVerfGE 7, 198, 206; BVerfGE 89, 214, 229; BGHZ 70, 313, 324. 212 Vgl. dazu insbesondere die erbrechtliche Judikatur, BGHZ 140, 118, 132 ff.; BayObLGZ 1996, 204, 227. Vgl. auch BGHZ 86, 88, 88 ff.; BGHZ 107, 97, 97 ff.; Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 8. 213 So die ständige Rechtsprechung, vgl. exemplarisch RGZ 56, 229, 231; BGHZ 34,
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rigkeit entscheidend, ob der Inhalt des Rechtsgeschäfts mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- beziehungsweise Sittenordnung unvereinbar ist und die sittenwidrig Handelnden diejenigen Tatsachen kennen oder sich einer solchen Kenntnis grob fahrlässig verschließen.214 Während das subjektive Element für das Sittenwidrigkeitsverdikt bislang vielfach als unerlässlich angesehen wurde215, zeichnen sich in jüngerer Vergangenheit in der Literatur vermehrt Vertreter einer rein objektiven Betrachtungsweise ab.216 Nach dieser „objektiven Theorie“ kann ein Rechtsgeschäft regelmäßig allein aufgrund objektiver Umstände sittenwidrig sein, ohne dass ein subjektiver Tatbestand hinzutreten muss. Es sind bislang jedoch keine gerichtlichen Entscheidungen in erbrechtlichen Fallgestaltungen ersichtlich, die sich einer ausschließlich objektiven Betrachtungsweise angeschlossen haben.217 Vielmehr schließt sich die erbrechtliche Rechtsprechung der ständigen Rechtsprechung an und betont, dass dem subjektiven Element bei der im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB durchzuführenden Gesamtwürdigung eine entscheidende Rolle zustehe.218 Dem ist zuzustimmen. Seit der Einführung des Druck-Topos durch das Bun169, 176; BGHZ 146, 298, 301; BGH, NJW 1998, 2047, 2047 f.; BGH, NJW 2008, 2026; 2027. Vgl. auch MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 30. 214 Vgl. BGH, NJW 1990, 567, 568; BGH, NJW 1998, 2531, 2352; BGHZ 110, 156, 174; BGH, NJW 1990, 567, 568; BeckOK BGB/Wendtland BGB§ 138 Rn. 23; Jauernig/Mansel BGB § 138 Rn. 8 ff. 215 Vgl. Jauernig/Mansel BGB § 138 Rn. 10 f.; Eckert, AcP 199 (1999), 337, 351; BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 145 ff. 216 So Brox/Walker, Erbrecht, § 18 Rn. 15; Schlüter, Erbrecht, Rn. 217; Soergel/Loritz BGB § 2074 Rn. 24; MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 129; Medicus/Petersen BGB AT Rn. 690; Majer, DNotZ 2013, 644, 649; Vgl. dazu auch die Darstellung bei Staudinger/Otte Vorbem zu § 2064 ff. 217 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu § 2064 ff. Rn. 172. Außerhalb des Erbrechts hat der BGH mehrfach allein auf die objektiven Umstände abgestellt, so explizit BGH, NJW 1981, 2184, 2186: „Gewiss macht es für die Sittenwidrigkeit einen Unterschied, ob der Dritte aus verwerflicher Gesinnung, etwa gerade um die Ansprüche des betroffenen Vertragsgläubigers zu vereiteln, die Vertragsstellung des Erstkäufers durch den Zweitkauf beiseiteschiebt, oder ob er dies nur als bedauerliche Folge seiner Intervention in Kauf nimmt. Indes kann sein Beitrag zum Vertragsbruch auch bei Fehlen einer ,vertragsfeindlichen‘ Gesinnung schon wegen des Missverhältnisses seiner Intervention zur Rechtsordnung im Objektiven sittenwidrig sein.“ In diese Richtung hat der BGH auch in einem Urteil zu Schmiergeldzahlungen an ausländische Amtsträger entschieden und auf die objektive Sittenwidrigkeit abgestellt, s. dazu BGHZ 94, 268, 272 f. 218 So der BGH in der Hohenzollernentscheidung, vgl. BGHZ 140, 118, 132 ff. Auch BayObLG stellt die Bedeutung des subjektiven Elements deutlich heraus, s. BayObLGZ 1996, 204, 227: „Bei ihrer Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit kommt schließlich dem Motiv des Erblassers und der übrigen Vertragsparteien erhebliche Bedeutung zu […]. Eine zu beanstandende Verfügung von Todes wegen muss von einer missbilligenswerten Gesinnung getragen sein […].
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desverfassungsgericht kommt der Betrachtung des subjektiven Elements jedoch insofern keine nennenswerte Bedeutung mehr zu, als dass ausschließlich die Ausübung unzulässigen Drucks auf Freiheiten der Erbprätendenten geprüft wird. Wie bereits gezeigt, ist der Druck-Topos aber aus verschiedenen Gründen abzulehnen.219 Der nachfolgende Abschnitt (aa)) wird darlegen, warum eine Betrachtung des subjektiven Elements notwendig ist, um das Sittenwidrigkeitsverdikt in angemessener Weise auf letztwillige Verfügungen anwenden zu können. aa) Unerlässlichkeit der Betrachtung des subjektiven Elements zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen von Todes wegen Denjenigen, die die Notwendigkeit der Betrachtung der Motive des Erblassers und damit die Relevanz des subjektiven Elements bestreiten, lässt sich zunächst folgender Fall entgegenhalten. Sofern ein antisemitischer Erblasser seine Tochter, die mit einem jüdischen Partner verheiratet ist, von der gesetzlichen Erbfolge ausschließt, würde wohl die überwiegende Rechtsprechung und Literatur hierin einen Verstoß gegen die freie Wahl des Ehepartners aus Art. 6 Abs. 1 GG und gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG sehen.220 Mit Kriterien, die an objektive Umstände anknüpfen, kann ein solcher Fall jedoch nicht zufriedenstellend gelöst werden. So kann mit dem objektiven Anknüpfungspunkt „Ausschluss eines gesetzlichen Erbens von der Erbfolge, der eine Ehe mit einem Ehegatten jüdischer Religionszugehörigkeit eingegangen ist“ nicht argumentiert werden, da ansonsten eine Enterbung von Abkömmlingen des Erblassers immer dann nicht mehr möglich wäre, sobald diese einen Ehegatten mit anderer Religionszugehörigkeit heiraten.221 Die Lösung muss und kann nur über die Ermittlung des Motives des Erblassers erfolgen. Sind ausschließlich antisemitische Motive Grund für eine solche Enterbung liegt die Annahme des Sittenwidrigkeitsverdikts nahe.222 Sofern jedoch der Erblasser eine solche Bedingung setzt, da er meint, dass der zukünftige Partner seine Tochter nicht „glücklich machen wird“, weil dieser beispielsweise die Tochter bereits mehrfach im Stich gelassen hat, so wird hieran nichts Sittenwidriges zu finden sein. 219 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. a). Vgl. dazu auch die Argumentation bei Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 762. 220 Einen ähnlichen Fall, jedoch ohne Bezug zu erbrechtlichen Potestativbedingungen bildet Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 145 f. 221 Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 145 f. 222 Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Erblasser mit und durch seine Verfügung von Todes wegen grundsätzlich diskriminieren darf, s. dazu Kap. C. I. 1. d). Zur Lösung dieses vermeintlichen Widerspruchs s. Kap. C. I. 1. f) bb) (3).
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Diese Ausführungen lassen sich auch auf die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts auf erbrechtliche Potestativbedingungen übertragen. So kann die Erbeinsetzung der Tochter unter der Bedingung erfolgen, dass diese ihren Partner mit jüdischer Religionszugehörigkeit nicht heiraten soll. Wenngleich in einem solchen Fall die überwiegende Rechtsprechung und Literatur in objektiver Hinsicht eine Ausübung unzulässigen Drucks auf die Eheschließungsfreiheit der Tochter annehmen würden, so ist dies nicht nur wegen der im vorigen Kapitel dargelegten dogmatischen Schwächen falsch, sondern auch weil eine zutreffende rechtliche Würdigung des Falles ohne Betrachtung des subjektiven Elementes nicht möglich ist. In objektiver Hinsicht kann zudem die Chance auf das Erbe in Form einer bedingten Erbeinsetzung nicht schlechter für den Bedachten sein als eine vollständige Enterbung, die, wie im Ausgangsfall gezeigt, ebenfalls zulässig ist. Es kann ein legitimes Anliegen des Erblassers sein, seiner Tochter nur dann Vermögen zuzuwenden, wenn sichergestellt werden kann, dass ihr derzeitiger Partner und gegebenenfalls zukünftiger Ehemann nicht an dem Vermögen partizipiert. Wenn in objektiver Hinsicht aus solchen Gründen eine Enterbung sogar möglich ist, kann eine Chance, die die Tochter mit der bedingten Erbeinsetzung erhält, als solches in objektiver Hinsicht ebenfalls nichts Sittenwidriges haben. Sittenwidrig wäre die Einräumung einer solchen Chance erst dann, wenn der Erblasser sie nur deshalb der Tochter eröffnet, damit sich diese von ihrem Partner trennt, um den Ehemann der Tochter wegen seiner jüdischen Religionszugehörigkeit zu diskriminieren. Hieran wird deutlich, dass die Frage nach dem Sittenwidrigkeitsverdikt im erbrechtlichen Kontext niemals ohne die Betrachtung des subjektiven Elementes erfolgen kann. Dieser Beispielsfall stellt erkennbar heraus, dass die Erbeinsetzung – auch unter einer verhaltensbezogenen Bedingung – zumindest in objektiver Hinsicht stets als eine „gute Tat“ zu bewerten ist. Die Bewertung der Erbeinsetzung als „gute Tat“, unabhängig von der Ausgestaltung der Verfügung von Todes wegen, ist in dogmatischer Hinsicht ebenfalls zutreffend. Wie bereits in diesem Kapitel gezeigt, muss der Erblasser nicht auf familiäre Bindungen oder Freiheiten der Erbprätendenten Rücksicht nehmen.223 Die Aussicht Erbe zu werden, ist in Anlehnung an die Ausführungen Gutmanns und unter Berücksichtigung der Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch eben nur als nuda spes zu bewerten und daher als etwas, auf das niemand einen Anspruch hat. Aus diesem Grund handelt es sich bei einer Zuwendung stets um eine Art Schenkungsangebot.224 An der Vornahme oder an dem Unterlassen eines Schenkungsangebot als solches kann jedoch in objektiver Hinsicht nichts Sittenwidriges sein. 223
Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I., II., VI. 4. So auch die Motive, die ausdrücklich von einem Angebot sprechen, s. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 209; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 188; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 224
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Auch in praktischer Hinsicht wird ersichtlich, dass der Inhalt einer Bedingung – mit wenigen Ausnahmefällen – nichts objektiv Sittenwidriges haben kann. Der bereits referierte Fall des OLG Frankfurt225 zeigt dies besonders. Der Umstand, dass ein Großvater nur dann seinen Enkelkindern etwas zuwenden möchte, wenn die Enkelkinder ihn zu Lebzeiten besuchen und ein solches Verhalten mit dem Erhalt des Erbes belohnt, ist in objektiver Hinsicht nicht sittenwidrig. Anders ausgedrückt eröffnet die Testierfreiheit dem Erblasser die Möglichkeit, jede Person von der Partizipation an seinem Nachlass auszuschließen. Er muss dafür keine Gründe nennen. Die Erbeinsetzung, auch unter einer verhaltensbezogenen Bedingung, kann folglich aus objektiver Sicht nicht sittenwidrig sein. Mangels objektiver Anknüpfungspunkte muss daher die subjektive Komponente den Schlüssel zu der korrekten Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf Verfügungen von Todes wegen darstellen. Die Betrachtung der subjektiven Komponente macht es folglich erst möglich, die Testierfreiheit des Erblassers in Relation zu dem objektiv geltenden Wertemaßstab zu setzen. Gleichwohl werden in der Literatur zentrale Einwände gegen die Betrachtung der subjektiven Komponente hervorgebracht (dazu (1)). Sofern diese sich als zutreffend erweisen, kann die hier favorisierte vorzunehmende Fokussierung auf das subjektive Element nicht überzeugen. (1) Einwände gegen die Betrachtung des subjektiven Elements Im Wesentlichen handelt es sich um zwei Argumentationslinien, die Einwände gegen die Betrachtung des subjektiven Elements bei der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Verfügungen von Todes wegen vorbringen. So wird zum einen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Motivforschung bestritten (dazu (a)) und zum anderen vorgetragen, dass Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Erblassermotivs vorhanden seien (dazu (b)). (a) Verfassungsrechtliche Unzulässigkeit von Motiverforschung Zum Teil wird die Motivforschung, die stets Grundlage einer Anknüpfung des Sittenwidrigkeitsverdikts an subjektive Elemente ist, im Hinblick auf den Schutz des Individualbereiches der Persönlichkeit für unzulässig erachtet.226 Diese Frage ist insbesondere bei der Beurteilung des sogenannten Geliebtentestaments virulent geworden, da in einem solchen Fall beispielsweise die Freundin des Erblassers den Beweis erbringen muss, dass für die Zuwendung nicht die sexuelle Beziehung, sondern andere Beweggründe den Ausschlag
225 226
Vgl. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (2) (a). Vgl. Ramm, JZ 1970, 129, 131.
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gegeben haben.227 Zumindest dieser Aspekt wird mit der Aufgabe der Rechtsprechung zum sogenannten „Geliebtentestament“ nicht mehr von Bedeutung sein. Seitdem wird die Zulässigkeit einer solchen Motivforschung unterschiedlich beurteilt.228 So besteht nach Ramm ein verfassungsrechtliches Verbot von Nachforschungen in der Intimsphäre des Erblassers.229 Der Schutz der Persönlichkeit enthalte neben dem Schutz des internen Individualbereichs auch den Schutz des intimen Bereichs.230 Dabei lässt Ramm es offen, ob ein solcher Schutz aus Art. 2 Abs. 1 GG, aus Art. 1 GG oder einer Kombination beider resultiert. In jedem Fall dürfe der Richter eine solche Nachforschung nicht anstellen, da er ansonsten gegen seine Bindung an das Grundgesetz gemäß Art. 1 Abs. 3 GG verstoße. Zutreffend ist jedoch zusammen mit Welser einzuwenden, dass weder die Ehre eines Lebenden noch die eines Toten unempfindlich sind.231 So gehen zwar mit dem Eindringen des Richters in die Intimsphäre des beteiligten Erblassers und der Bedachten Nachteile einher, solche Nachteile können jedoch durch verfahrensrechtliche Regelungen abgeschwächt werden, indem beispielsweise nur solche Personen Einblick erlangen, die darauf angewiesen sind.232 Zudem ist die Intimsphäre in zahlreichen Verfahren zentraler Gegenstand. Hier sei beispielsweise an Schmerzensgeldprozesse wegen besonders schweren Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, aber auch an Vormundschaftssachen und sozialrechtliche Verfahren gedacht.233 So ist das Eindringen der Gerichte in die Intimsphäre nicht notwendigerweise mit negativen Auswirkungen auf den Bestand der Verfügung verbunden. Vielmehr ist auch möglich, dass die objektiv problematische Verfügung aufgrund des subjektiven Elementes als nicht anstößig und damit nicht sittenwidrig bewertet wird.234 Mit der Ermittlung der Motive entsteht daher keine „Einbahnstraße“ in Richtung Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen, vielmehr bleibt es dabei, dass grundsätzlich von der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen auszugehen ist.
227
Vgl. dazu Kap. C. I. 1. c). Für die Zulässigkeit einer Motivforschung Welser, JBl 1973, 1, 9. 229 Vgl. Ramm, JZ 1970, 129, 131. 230 Vgl. Ramm, JZ 1970, 129, 131. 231 Vgl. Welser, JBl 1973, 1, 9. 232 Thielmann schlägt hier beispielsweise eine Einschränkung des Öffentlichkeitsprinzips vor – s. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 144. 233 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 144; Welser, JBl 1973, 1, 9. 234 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen 144. 228
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(b) Probleme bei der Ermittlung der Motive des Erblassers als Schwäche der Betrachtung des subjektiven Elements Anschließend an die Feststellung, dass die Ermittlung des subjektiven Elements auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht zulässig ist, soll der Faktor berücksichtigt werden, dass eine korrekte Ermittlung des Erblassermotivs regelmäßig Schwierigkeiten bereiten wird. Ein Motiv ist eine innere Tatsache und damit eines unmittelbaren Beweises nicht zugänglich. Aus diesem Grund müssen sogenannte Hilfstatsachen herangezogen werden, um den Erblasserwillen zu bestimmen.235 Hierbei sind zunächst etwaige Äußerungen des Erblassers in der Verfügung selbst zu berücksichtigen. Zutreffend hat dabei Mikat festgestellt, dass ein alleiniges Abstellen auf Äußerungen in der Verfügung nicht ausreichend ist, da der Erblasser bewusst die Unwahrheit geschrieben haben kann, um seine wahre Motivlage zu verdecken und um dann mit vorgeschobenen Motiven in zulässiger Art und Weise testieren zu können.236 Aus diesem Grund sind neben den Angaben des Erblassers in der Verfügung sein gesamtes Verhalten zu Lebzeiten, wie beispielsweise seine Äußerungen gegenüber Dritten, zu berücksichtigen.237 Die Beweislast trägt dabei derjenige, der sich zu seinen Gunsten auf die Unwirksamkeit der Verfügung beruft.238 In Bezug auf eine solche Ermittlung und Anknüpfung an das subjektive Element kritisieren Lange und Mikat, dass derjenige Erblasser, der seine Motive offen angibt, regelmäßig eher scheitern wird als derjenige, der sie verschweigt.239 Dies zeige sich besonders in den Fällen, in denen der Erblasser in der Verfügung komplett auf die Angabe seines Motivs verzichtet. Verzichtet der Erblasser auf die Angabe seiner Motive, sei dieser Umstand in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Verfügung günstiger.240 Dies liegt daran, dass es in einem solchen Fall demjenigen obliegt die jeweiligen Tatsachen zu behaupten, die für die Annahme eines verwerflichen Motives sprechen, der sich auf die Unwirksamkeit der Verfügung beruft. Ein solcher – vermeintlicher Widerspruch – ist in praktischer Hinsicht zunächst mit Thielmann dahingehend aufzulösen, dass es in solchen Fällen nicht zu
235
Dabei müssen Tatsachen bewiesen werden, aus denen dann nach allgemeiner Lebenserfahrung auf das Vorliegen des zu beweisenden Umstandes geschlossen werden kann. 236 Ähnlich Thielmann, der als Bespiel von einem als Antisemiten bekannten Erblasser schreibt, welcher die Enterbung seiner mit einem Juden verheirateten Tochter in der Verfügung damit begründet, seine Tochter habe sich im Alter zu wenig um ihn gekümmert, s. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 139. 237 So auch Mikat, Festschrift Nipperdey, 581, 601 f.; s. auch Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 139. 238 So schon RGZ 148, 4, 6; BGHZ 53, 369, 379; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 168 Fn. 321; Rosenberg, Die Beweislast, 282 f. 239 Vgl. Lange, Erbrecht § 34 V 3 c; Mikat, Festschrift Nipperdey, 581, 600. 240 Vgl. Mikat, Festschrift Nipperdey, 581, 600; Lange, Erbrecht § 34 V 3 c.
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großen Auswirkungen kommen wird, da die Erblasser ihre Beweggründe zumeist nicht „heimlich im stillen Kämmerlein zusammenbrauen“241, sondern diese vielmehr aus dem persönlichen Verhalten zu Lebzeiten resultieren und daher auch ohne Angabe in der Verfügung selbst beweisbar sind.242 Zudem verkennen sowohl Lange als auch Mikat dabei einen zentralen Aspekt. Die Angabe des Motivs kann sich nicht nur in Richtung der Unwirksamkeit der Verfügung auswirken, sondern für die Aufrechterhaltung der Verfügung von Todes wegen streiten und damit das freie Testieren fördern.243 Es geht schließlich nicht nur darum, ob überhaupt ein Motiv genannt wurde, sondern auch darum, welches Motiv genannt wird und ob dieses plausibel erscheint. Es verbleibt damit lediglich bei der Kritik, dass bei der Betrachtung des subjektiven Elements teilweise Beweisschwierigkeiten auftreten können. Das bloße Vorhandensein von Beweisschwierigkeiten in Einzelfällen kann jedoch kein Argument dafür sein, ein solches Kriterium generell nicht heranzuziehen.244 Im Ergebnis ist daher das subjektive Element trotz der Beweisschwierigkeiten ein tauglicher und mitunter auch unerlässlicher Anknüpfungspunkt des Sittenwidrigkeitsverdiktes. (2) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kritik in Bezug auf die Betrachtung des subjektiven Elements bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit nicht überzeugen kann. Aus diesem Grund sollen in dem nächsten Abschnitt Kriterien herausgearbeitet werden, die Antwort auf die Frage geben, welche Motive zur Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen führen können. Die Entwicklung solcher Kriterien soll dazu dienen, vorhandene Beweisschwierigkeiten und die Gefahr des Einflusses persönlicher Vorstellungen des Richters zu verringern. Gleichzeitig soll dadurch ermöglicht werden, dass lediglich diejenigen Verfügungen von Todes wegen für nichtig erklärt werden, die dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen. Durch Letzteres wird die Testierfreiheit geschützt. bb) Kriterien zur Feststellung der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen Die vorausgehende Analyse verdeutlicht, dass eine Betrachtung des subjektiven Elements bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen unerlässlich ist. Es stellt sich infolgedessen die Frage, welche Mo241
Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 141. Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 141. 243 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 140. 244 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 140. 242
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tive für die Annahme des Sittenwidrigkeitsverdiktes sprechen. Eine Aufzählung der Motive wäre hierbei jedoch weder möglich noch förderlich, da Verfügungen von Todes wegen eine Vielzahl verschiedener Motive zu Grunde liegen können. Das Sittenwidrigkeitsverdikt muss in der Lage sein, diesen bunten Strauß an Fallgestaltungen zu erfassen, ohne gleichzeitig erhebliche Rechtsunsicherheiten entstehen zu lassen. Aus diesem Grund ist keine Auflistung der sittenwidrigen Motive, sondern eine Methode zur generellen Bestimmung der Motive und damit einhergehend der Sittenwidrigkeit der Verfügungen von Todes wegen notwendig. Bevor eine solche Methode entwickelt wird, ist der grundlegende Bewertungsmaßstab darzulegen. (1) Bewertungsmaßstab: Zurückhaltende Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts auf Verfügungen von Todes wegen Der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit245 führt dazu, dass der § 138 Abs. 1 BGB nur in besonders gelagerten Fällen zur Anwendung und damit zu der Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen gelangen darf. Zutreffend weist Gutmann darauf hin, dass die Generalklausel in einem solchen Kontext als Schranke der Testierfreiheit wirkt und folglich als ein grundrechtseinschränkendes Gesetz fungiert.246 Ein solches grundrechtseinschränkendes Gesetz muss – wie die grundsätzlichen Ausführungen in dem Kap. B. VII. 2.247 gezeigt haben – wiederum im Lichte der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit und daher eng ausgelegt werden.248 Eine zurückhaltende Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Verfügungen von Todes wegen ist auch deshalb geboten, weil die Testierfreiheit in erster Linie einen Freiheitsraum des Erblassers absichert. Darüber hinaus können Verfügungen von Todes wegen, unabhängig von ihrer Ausgestaltung, weder auf die gesetzlichen Erben noch auf andere Erbprätendenten negative Auswirkungen haben.
245
Vgl. dazu ausführlich Kap. B. I. u. Kap. B. VII. Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 244 ff. 247 Hierbei handelt es sich um die Auswirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf die einfach-gesetzlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG fungiert an dieser Stelle als Auslegungsmaxime des einfachen Rechts. 248 Diese Wirkung der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit haben der BGH und das BayObLG beachtet, indem sie angenommen haben, dass der Nichtigkeitsgrund des § 138 Abs. 1 BGB im Kontext letztwilliger Verfügungen nur in besonders hervorstechenden Ausnahmefällen angenommen werden dürfe. Das Sittenwidrigkeitsverdikt müsse sich auf eine eindeutige umrissene Wertung des Gesetzgebers oder auf eine allgemeine Rechtsauffassung stützen können, um auf letztwillige Verfügungen angewendet werden zu können, vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. VII. 2. 246
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Eine Verfügung von Todes wegen kann daher nur in äußersten Ausnahmefällen dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen. Das dafür maßgebliche Kriterium soll nunmehr herausgearbeitet werden. (2) Maßgebliches Kriterium: Ausschließliche Instrumentalisierung der Verfügung von Todes wegen zur Verhaltenslenkung Gutmann und Blomberg kommen zu dem Ergebnis, dass für die Annahme der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen zu fordern ist, dass der Erblasser die letztwillige Verfügung ausschließlich zur Verhaltenslenkung instrumentalisiert hat.249 Konkret hieße dies, dass in dem Fall, in dem der vom Erblasser verfolgte Zweck lediglich in der Beeinflussung beziehungsweise der Lenkung des Verhaltens des Bedachten liegt, das Sittenwidrigkeitsverdikt angewendet werden müsste.250 Ein solches Kriterium überzeugt für zahlreiche Fallgestaltungen. Bei der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen samt Ebenbürtigkeitsklausel kann anhand dieses Kriteriums geprüft werden, ob der Erblasser den Erbprätendenten lediglich in der Wahl des Ehepartners beschränken oder vielmehr auch andere Motive verfolgen wollte. Sofern Letzteres der Fall ist, bleibt es bei der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen. In dem Fall Hohenzollern ist folglich von der Wirksamkeit der Ebenbürtigkeitsklausel auszugehen, da es dem Erblasser wohl primär nicht um die Beschränkung der Eheschließungsfreiheit, sondern um die Beibehaltung beziehungsweise Steigerung des Ansehens und des Einflusses des eigenen Adelshauses ging. Dass ein solches Motiv für breite Teile der Bevölkerung nicht nachvollziehbar erscheint, spielt keine Rolle. Die Testierfreiheit ermöglicht dem Erblasser auch für „die Allgemeinheit unverständliche“ Verfügungen von Todes wegen zu errichten. Im Übrigen ist für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen – wie es noch zu zeigen gilt251 –
249 Vgl. Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 228; s. dazu v.a. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 226: Gutmann entscheidet danach, „[…] ob der Erblasser vorrangig vertretbare, vermögensbezogene Motive für sein Handeln gehabt und entsprechende Regelungszwecke verfolgt hat oder ob der für ihn bestimmende Beweggrund in der Einflussnahme auf das persönliche Verhalten des Bedachten lag und er seine letztwillige Verfügung in erster Linie als Mittel zu diesem Zweck instrumentalisiert hat.“ Weiter ausführend ebenfalls Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 244: „In Konstellationen der genannten Art können Potestativbedingungen in letztwilligen Verfügungen im Ergebnis wohl nur noch in solchen Fällen angenommen werden, in denen die vermögensbezogenen Motive und Regelungszwecke des Erblassers nahezu vollständig gegenüber einer Instrumentalisierung der letztwilligen Verfügung zur Lenkung des Bedachten zurücktreten.“ 250 Vgl. Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 228; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 226, 244. 251 Vgl. dazu Kap. C. I. 2.
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ohnehin auf den Zeitpunkt der Errichtung und nicht auf den Zeitpunkt des Erbfalls oder der richterlichen Würdigung der Verfügung von Todes wegen abzustellen. Auch auf die sogenannten Wiederverheiratungsklauseln kann das Kriterium der ausschließlichen Instrumentalisierung der Verfügung von Todes wegen zur Verhaltenssteuerung angewendet werden. Verfolgt die Wiederverheiratungsklausel den einzigen Zweck, eine neue Ehe des überlebenden Ehegatten zu verhindern, kann diese als sittenwidrig angesehen werden. Soll die Wiederverheiratungsklausel aber auch dazu dienen, den eigenen Kindern im Falle der Wiederheirat des überlebenden Ehegattens den Nachlass zu sichern, handelt es sich um eine sittenkonforme und daher wirksame Wiederverheiratungsklausel.252 Die Beispiele der Ebenbürtigkeits- und Wiederverheiratungsklauseln zeigen, dass das von Gutmann eingeführte Kriterium der ausschließlichen Instrumentalisierung der Verfügung von Todes wegen zur Verhaltenslenkung für die Frage nach dem Vorliegen einer sittenwidrigen Verfügung von Todes wegen geeignet ist. Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage, ob bei Bedingungen, deren Zweck allein in der Beeinflussung des Verhaltens der Bedachten liegt, das Sittenwidrigkeitsverdikt stets zu bejahen ist. Im Fall des OLG Frankfurt müsste dann auch von der Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen ausgegangen werden, da Ziel des Großvaters als Erblasser einzig gewesen sein dürfte, die Enkel zu Lebzeiten dazu zu veranlassen, dass diese ihn besuchen. Ein anderweitiges Motiv, insbesondere ein Vermögens- oder Nachlassbezug, liegt in einem solchen Fall nicht vor. Dass eine solche Besuchsbedingung jedoch nicht vom Sittenwidrigkeitsverdikt erfasst sein kann, wurde bereits dargelegt. Im Nachfolgenden wird daher versucht, auch hierzu einen Lösungsvorschlag zu entwickeln.
252
In diese Richtung bereits Kellenter, Bedingte Verfügungen von Todes wegen, 117 f.; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 257 ff.; MüKoBGB/Musielak BGB § 2269 Rn. 45; Soergel/Stein § 1937 Rn. 27; a.A Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 59: „Indessen legitimiert eine nicht zu beanstandende Zielsetzung nicht die Ausblendung erkennbarer Folgen des Rechtsgeschäfts […], weswegen auf die Auswirkungen der Verfügung abzustellen ist.“ Dem ist jedoch aus den bereits genannten Gründen nicht zuzustimmen. Zwar ist durchaus problematisch, dass die Ausschlagungsfrist (§§ 2306 Abs. 1 S. 2, 1944 Abs. 1 BGB) im Regelfall verstrichen ist und der Erblasser bei Wiederheirat auch den Pflichtteil verliert. Hier könnte jedoch erwogen werden, durch ergänzende Auslegung ein durch die Wiederheirat aufschiebend bedingtes Pflichtteilsvermächtnis zu errichten.
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(3) Besonderheit: Zweistufige-Prüfung bei ausschließlich verhaltenssteuernden Verfügungen von Todes wegen Das Kriterium der Instrumentalisierung der Verfügung von Todes wegen ausschließlich zur Verhaltenssteuerung ist grundsätzlich für die Bestimmung der Sittenwidrigkeit der Motive des Erblassers und damit einhergehend auch der Verfügung von Todes wegen geeignet. Wie gezeigt, überzeugt es jedoch nicht in den Fällen, in denen zwar eine ausschließliche Verhaltenssteuerung vorliegt, diese jedoch nicht zum Nachteil der Erben geschieht und im Übrigen auch nicht von besonderer Relevanz ist. Für solche Fälle ist die Einführung einer zweistufigen Prüfung notwendig: 1. Zunächst ist zu prüfen, ob die Verfügung von Todes wegen ausschließlich zur Verhaltenslenkung instrumentalisiert worden ist. 2. Ist dies der Fall, so ist darüber hinaus die Frage zu stellen, ob mit der ausschließlichen Verhaltenslenkung solche sittenwidrige Zwecke verfolgt werden, die eine Aufrechterhaltung der Verfügung von Todes wegen mit der Werteordnung unvereinbar machen. Sofern eine solche Prüfung durchgeführt wird, können auch die Fälle, in denen eine ausschließlich verhaltenssteuernde Verfügung von Todes wegen vorliegt, zutreffend gelöst werden. In dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall ist dann festzuhalten, dass die Besuchsbedingung zwar ausschließlich der Verhaltenslenkung dient, die bezweckte Verhaltenslenkung jedoch selbst keine sittenwidrigen Zwecke verfolgt, sodass die Verfügung insgesamt wirksam ist. Andere Verfügungen von Todes wegen, wie beispielsweise die Erbeinsetzung der Tochter unter der Bedingung, dass diese ihren derzeitigen Lebensgefährten jüdischer Religionszugehörigkeit nicht heiratet, können mit dieser zweistufigen Prüfung ebenfalls gelöst werden. Zweifelsfrei dient eine solche Bedingung ausschließlich der Verhaltenslenkung. Sittenwidrig ist dies aber erst dann, wenn der Erblasser für eine solche Verhaltenslenkung keine anderweitigen nicht verwerflichen Gründe (beispielsweise Zweifel an der richtigen Partnerwahl der Tochter253), sondern ausschließlich über antisemitische Motive verfügt, die in besonders deutlicher Weise zutage treten. 253 Ob die Zweifel des Erblassers begründet sind, spielt dabei keine Rolle. Mit Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 150 ist daher festzuhalten, dass eine Enterbung beispielsweise aus sachlich völlig unbegründeten, aber jedenfalls nicht verwerflichen Gründen angeordnet werden kann. Otte führt hierbei das Beispiel der Enterbung eines Kindes an, weil es einen Moslem geheiratet hat. Die Enterbung erfolgte hierbei aus Furcht davor, dass bei Erbeinsetzung der Tochter das Vermögen mittelbar dem IS und damit der Terrorfinanzierung zukommt. Zwar ist eine solche Befürchtung völlig unbegründet, der Zweck – keine mittelbarere Finanzierung einer Terrorgruppe – den der Erblasser verfolgt, ist jedoch nicht verwerflich.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass der Erblasser – wie bereits gezeigt254 – mit und durch seine Verfügung von Todes wegen diskriminieren darf. Der soeben dargestellte Fall kann daher nur dann dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen, wenn ein erheblicher sittenwidriger Rassismus mit der Verfügung von Todes wegen betrieben wird, der eine Aufrechterhaltung der Verfügung von Todes wegen mit unserer Werteordnung unvereinbar macht. Dieses Erfordernis ist grundsätzlich nur in äußersten Ausnahmefällen erfüllt. Mit Blick auf die Unrechtstaten im Dritten Reich kann dies beispielsweise bei in erheblicher Weise antisemitischen Verfügungen der Fall sein. Bei einer solchen Beurteilung darf nicht verkannt werden, dass die Anerkennung der Wirksamkeit einer unmoralischen und unvertretbaren Verfügung von Todes wegen nicht dazu führt, dass die anerkennende Rechtsordnung und Gesellschaft selbst als unmoralisch zu bezeichnen ist oder ein solches Verhalten begrüßt. Vielmehr liegt hierin lediglich die Anerkennung eines Freiheitsraumes des Erblassers. Aus diesem Grund werden auch solche Verfügungen von Todes wegen, die „lediglich“ diskriminieren und dabei keine verhaltensbezogenen Elemente aufweisen, von diesem Lösungsvorschlag und damit von der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes nicht umfasst. Der Erblasser, der grundsätzlich die gesetzliche Erbfolge gelten lassen möchte, jedoch einen seiner drei Söhne von der Erbfolge ausschließt, weil dieser zum Judentum konvertiert ist, ist antisemitisch und die entsprechende Verfügung von Todes wegen zu missbilligen. Eine Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes darf nach zutreffender Ansicht jedoch nicht erfolgen. Zum einen wird der enterbte Sohn durch eine solche Verfügung von Todes wegen nicht beeinträchtigt, da dieser nie Anspruch auf den Erhalt des Erbes hatte.255 Zum anderen muss er auch nicht vor rassistischen Sichtweisen seines Vaters geschützt werden. Dessen Ansichten dürfte er ohnehin bereits zu Lebzeiten ausgesetzt sein, ohne dass die Rechtsordnung dies hätte verhindern wollen oder können. Auch die objektive Werteordnung wird durch die Aufrechterhaltung einer solchen Verfügung von Todes wegen nicht beeinträchtigt. Es werden nicht die Anschauungen des Erblassers gebilligt, sondern lediglich sein Freiheitsraum anerkannt. Dem Sittenwidrigkeitsverdikt können solche Verfügungen daher erst unterfallen, wenn sie verhaltenslenkende Elemente aufweisen, da dann die Gefahr besteht, dass sich die rassistischen Motive des Erblassers in den Erben fortsetzen und in ihrem Verhalten manifestieren. An dieser Stelle ist die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes gerechtfertigt. Dabei darf der vorliegende Lösungsvorschlag nicht missverstanden werden. Es geht nicht darum, dass der Erblasser legitime Gründe angeben muss,
254 255
Vgl. Kap. C. I. 1. b). Vgl. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a).
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
um von seiner Testierfreiheit in zulässiger Weise Gebrauch zu machen. Zusammen mit Habermas kann festgehalten werden, dass die Privatautonomie nur so weit reicht, wie das Rechtssubjekt für seine Entscheidungen keine Gründe angeben muss.256 Sofern keine Motive für eine die Enterbung oder bedingte Erbeinsetzung zu ermitteln sind, bleibt es bei der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen. Eine solche zweistufige Prüfung soll lediglich dazu dienen, ein Prüfmuster zu entwickeln, welches bei Zweifeln an der Sittenkonformität der Verfügung von Todes wegen durch den Richter angewendet werden kann. Dabei sind an die Nachvollziehbarkeit der Gründe ausdrücklich keine hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere dürfen keine Billigkeitserwägungen durch den Richter angestellt werden. Wie eingangs gezeigt, ist grundsätzlich von der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen auszugehen. g) Fazit: Zulässige Beschränkungen der Testierfreiheit über § 138 Abs. 1 BGB in Ausnahmefällen möglich Sicherlich gilt auch bei der Betrachtung des subjektiven Elementes mit dem hier entwickelten Lösungsvorschlag, dass die Grenzziehung zwischen noch sittlichen und schon die Grenze der Sittenwidrigkeit überschreitenden letztwilligen Verfügungen schwierig sein mag. Verbunden mit dem Problem, dass das subjektive Element nur schwierig zu ermitteln ist, werden sicherlich mit dem folgenden Lösungsvorschlag nicht alle kritischen Fälle zweifelsfrei gelöst werden können. Dies liegt aber in der Natur einer Generalklausel und ist hinnehmbar. Von objektiv sittenwidrigen Umständen und dem Vorliegen von Eingriffen in Entschließungsfreiheit der Bedachten zu sprechen, ist es jedoch nicht. Es offenbart dogmatische Schwächen und führt, wie unter anderem der Fall des OLG Frankfurt gezeigt hat, zu überzogenen und vorschnellen Sittenwidrigkeitserklärungen durch die Gerichte und lässt dadurch unzulässige Grenzen der Testierfreiheit entstehen.
2. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit – eine Grenze der Testierfreiheit In diesem Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen maßgeblich ist. Die Relevanz dieser Frage lässt sich am besten anhand eines Beispiels erläutern.
256
Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, 153.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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In der bereits referierten „Hohenzollernentscheidung“257 stammte der Erbvertrag aus dem Jahre 1938, der Erbfall trat im Jahr 1951 ein und dem Urenkel wurde als Erbeserbe 2005 der Erbschein erteilt.258 Dieses Beispiel macht deutlich, dass zwischen der Errichtung der Verfügung von Todes wegen, dem Erbfall und der richterlichen Würdigung der Verfügung von Todes wegen ein erheblicher Zeitraum liegen kann. In diesem Zeitraum können sich sowohl die tatsächlichen Umstände als auch die wesentlichen Anschauungen, die die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts bestimmen, erheblich verändern. Aus diesem Grund ist es angebracht zu überlegen, zu welchem Zeitpunkt die Beurteilung der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen erfolgen muss. Besonders in Fällen, in denen Verfügungen von Todes wegen über mehrere Generationen hinweg fortbestehen können, wie dies beispielsweise bei einer mehrfach angeordneten Vor- und Nacherbschaft der Fall sein kann, ist die Bestimmung des Zeitpunktes der Beurteilung besonders relevant. In Betracht kommen grundsätzlich drei verschiedene Zeitpunkte, die der Beurteilung der Sittenwidrigkeit zugrunde gelegt werden können.259 Denkbar sind der Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung, der Zeitpunkt des Erbfalls und der Zeitpunkt der gerichtlichen Würdigung des Sachverhaltes.260 Im Hinblick auf die zuletzt genannten Zeitpunkte wird der Zeitraum, den der Erblasser überblicken müsste, um zu überprüfen, ob seine Verfügung von Todes wegen sittenkonform ist, unüberschaubar. Wäre ein solcher Zeitpunkt tatsächlich maßgeblich, entstünde eine neue Grenze der Testierfreiheit, die in dieser Arbeit als „Prognosegrenze“ der Testierfreiheit beschrieben wird. Damit der Erblasser seinem Willen Geltung verschaffen kann, müsste er etwaige tatsächliche Änderungen und auch die Änderungen der sittlichen Maßstäbe prognostizieren; dies ist nahezu unmöglich. Da diese Arbeit eine Betrachtung der Grenzen der Testierfreiheit vornimmt, rechtfertigt diese Problematik einen näheren Blick darauf, welcher Zeitpunkt für das Sittenwidrigkeitsverdikt maßgeblich ist.
257
Vgl. Kap. D. I. 1. a) aa) (1). Vgl. Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 174. 259 Vgl. dazu BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 639 ff.; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 174.; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 187; MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 134. 260 Vgl. Schlüter, Erbrecht, Rn. 219; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 187; BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 28. 258
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
a) Determination des Zeitpunktes der Sittenwidrigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht Verschiedene Stimmen aus der Literatur261, darunter unter anderem Kroppenberg262, nehmen an, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Hohenzollernentscheidung die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen beantwortet hat. Zwar werde eine solche „Determination des Zeitpunktes“263 nicht explizit angesprochen, aber durch die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts dennoch vorgenommen. Der Umstand, dass das Gericht die staatsrechtliche Entwicklung vom Deutschen Reich bis hin zur Weimarer Republik und der damit einhergehenden Abschaffung der Monarchie darstellt und damit verdeutlicht, dass die Hausgesetze gegenstandslos geworden sind, zeige, dass auch Umstände nach der Errichtung zu berücksichtigen seien.264 Auch die Aussage, dass das Ebenbürtigkeitsprinzip mittlerweile seine ursprüngliche staatsrechtliche Funktion nicht mehr erfüllen kann, mache deutlich, dass der Zeitpunkt der Sittenwidrigkeitsprüfung in der Gegenwart zu sehen ist. Hinzu komme der Umstand, dass sich das Bundesverfassungsgericht dem Druck-Topos265 angeschlossen hat. Dies erhärte den Befund der Festlegung des maßgeblichen Zeitpunktes auf den Zeitpunkt der richterlichen Würdigung,266 da der Druck-Topos den Zeitpunkt für die Sittenwidrigkeitsprüfung zwangsläufig im „Jetzt“ habe.267 Eine solche Sichtweise, die eine Determination des Zeitpunktes der Sittenwidrigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht annimmt, kann jedoch nicht überzeugen. Zutreffend ist, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung den Bundesgerichtshof dahingehend kritisiert, dass er eine Prüfung, inwiefern Ebenbürtigkeitsklauseln heute noch Eingriffe in die Eheschließungsfreiheit eines Erben rechtfertigen können, nicht vornimmt.268 261
So bspw. Leipold, Erbrecht, Rn. 257 b, der betont, dass nunmehr bei der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht allein die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Errichtung Berücksichtigung finden dürfen. Dagegen Otte, ZEV 2004, 393, 395 f.; offengelassen von Staudinger, FamRZ 2004, 768, 770. 262 So Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 35: „Was allerdings im hiesigen Zusammenhang nicht unproblematisch ist, ist der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht eine äußerst umstrittene zivilrechtliche Frage, nämlich diejenige nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit […] zu beantworten scheint.“ 263 So Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 35. 264 Vgl. Otte, ZEV 2004, 393, 395. 265 Zum Druck-Topos und dessen Übernahme in die zivilgerichtliche Rechtsprechung s. Kap. C. I. 1. a) aa) (3). 266 Vgl. Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 35. 267 Vgl. Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 35. 268 Vgl. BVerfG NJW, 2004, 2008, 2010.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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Tatsächlich scheint es daher so, als gehe das Bundesverfassungsgericht von der Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Erbfalls beziehungsweise der richterlichen Würdigung aus. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass das Bundesverfassungsgericht den für die Sittenwidrigkeitsprüfung maßgeblichen Zeitpunkt überhaupt nicht determinieren konnte, da es sich hierbei um eine rein zivilrechtliche Frage handelt, nämlich um eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts.269 Zutreffend erkennt Otte, dass daher das Bundesverfassungsgericht eine solche Entscheidung bezüglich einer einfach-rechtlichen Fragestellung nicht beabsichtigte, da „[…] es sonst seine eigenen Worte hätte desavouieren müssen“270. An dieser Stelle bleibt jedoch die Frage offen, warum das Bundesverfassungsgerichts mit Umständen argumentiert, die deutlich nach Errichtung der letztwilligen Verfügung und auch nach dem Erbfall liegen. Der Grund für die vom Bundesverfassungsgericht angestellte Argumentation und den damit einhergehenden Ausführungen, die einen Schluss auf die Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Erbfalls oder der richterlichen Würdigung ziehen lassen könnten, liegt letztlich darin, dass das Bundesverfassungsgericht aufgrund der „[…] begründungstaktische[n] Erwägung […]“271 des Bundesgerichtshofs die vom Beschwerdeführer angegriffene Entscheidung an den Wertungen des Grundgesetzes und damit an heutigen Maßstäben treffen musste. Der Bundesgerichtshof hatte nämlich seinerzeit die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt offen gelassen,272 während sich das LG Hechingen und das OLG Stuttgart ausdrücklich auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen haben.273 Dem ist der Bundesgerichtshof entgegengetreten, indem dieser ausgeführt hat, dass unabhängig vom Beurteilungszeitpunkt, also auch unter der Geltung des Grundgesetzes, die Ebenbürtigkeitsklausel unbedenklich sei. Folglich musste das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage Stellung beziehen. Hingegen durfte es zu der Frage nach der Sittenkonformität der Klausel zum Zeitpunkt der Errichtung im Jahre 1938 keine Stellung beziehen.274 Diese Frage war nicht mehr Gegenstand des angegriffenen Urteils und damit vom 269
So auch Otte, ZEV 2004, 394, 396; vgl. auch Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 35. 270 Otte, ZEV 2004, 394, 396; insofern widersprüchlich Kroppenberg, Privatautonomie von Todes wegen, 34–36. Kroppenberg erkennt ebenfalls, dass das BVerfG eine solche Frage nicht entscheiden darf. Gleichwohl vermutet sie dennoch eine Determinierung des Zeitpunktes der Sittenwidrigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. 271 Otte, ZEV 2004, 394. 272 Vgl. BGHZ 140, 118, 128; s. auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 187 f. 273 Wenngleich dies mit unterschiedlichen Begründungen erfolgte, welches aber an dieser Stelle nicht von Relevanz ist. Vgl. LG Hechingen, FamRZ 2001, 721, 721 ff.; OLG Stuttgart, FamRZ 2002, 1365, 1365 ff.; s. dazu auch Otte, ZEV 2004, 394, 396. 274 Vgl. Otte, ZEV 2004, 394, 396.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Bundesverfassungsgericht nicht zu behandeln. Eine Determinierung des maßgeblichen Zeitpunktes für die Sittenwidrigkeitsprüfung durch das Bundesverfassungsgericht anzunehmen, obwohl dieses zum Errichtungszeitpunkt keine Stellung nehmen durfte, erscheint wenig überzeugend. Vielmehr wird man feststellen müssen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Hohenzollernentscheidung eine solche Präjudizierung nicht vorgenommen hat.275 b) Differenzierung zwischen der Änderung des sittlichen Maßstabs und der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse Nachdem nunmehr dargelegt worden ist, dass eine Determination des entscheidungserheblichen Zeitpunktes durch das Bundesverfassungsgericht nicht erfolgt ist, soll die Frage beantwortet werden, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenkonformität von Verfügungen von Todes wegen maßgeblich ist. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich sowohl die tatsächlichen Verhältnisse als auch der sittliche Maßstab ändern können.276 In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof den Wandel der tatsächlichen Verhältnisse und den Wandel der sittlichen Wertungen gleichbehandelt. In dem bereits dargestellten und zu Beginn dieses Abschnitts als Beispiel verwendeten Rechtsstreit zur Erbfolge im Hause Hohenzollern ließ der Bundesgerichtshof jedoch ausdrücklich offen, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit abzustellen ist.277 Rechtsprechung, die zwischen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse und Änderung der sittlichen Wertungen differenziert, ist daher insgesamt nicht vorhanden. Gleichwohl soll im Nachfolgenden der Versuch unternommen werden, zwischen Änderung des sittlichen Werturteils und Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu differenzieren und den jeweils maßgeblichen Zeitpunkt zu bestimmen. aa) Änderung des sittlichen Maßstabes Die Anforderungen, die an die guten Sitten gestellt werden, unterliegen einem stetigen Wandel, da die das Sittenwidrigkeitsverdikt prägenden gesellschaftlichen Anforderungen ebenfalls einem Wandel unterliegen.278 Wenn275
So zutreffend Otte, ZEV 2004, 394, 396. Vgl. Staudinger/Otte BGB §§ 2064–2086 Rn. 174; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 187. 277 Vgl. BGHZ 140, 118, 128 – der BGH lässt diese Frage offen, indem er betont, dass der vorliegende Erbvertrag zu keinem Zeitpunkt sowohl damals als auch heute geltende Gesetze verletzt. 278 Zu der grundsätzlichen Wandelbarkeit der sittlichen Anschauungen s. Eckert, AcP 276
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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gleich bereits gezeigt worden ist, dass der Begriff der „guten Sitten“ zunehmend verrechtlicht und nach den Maßstäben der objektiven Werteordnung beurteilt wird279, bedeutet dies nicht zwingend, dass ein Wandel des sittlichen Maßstabes nicht eintreten kann. Besonders deutlich wird dies bei der Betrachtung der Rechtsprechung zum Geliebtentestament. Das Geliebtentestament wurde auch nach der Entstehung des Grundgesetzes und der späteren Prägung des Sittenwidrigkeitsverdiktes durch die objektive Werteordnung über den § 138 Abs. 1 BGB für nichtig erklärt.280 Das Verständnis und die Interpretation der objektiven Werteordnung unterliegt einem Wandel. Dabei ist entscheidend, zu erkennen, dass ein Sittenwandel – und das gilt nicht nur für das Erbrecht, sondern für die gesamten Bereiche der Rechtsordnung – sowohl zu einer Liberalisierung als auch zu einer Verschärfung der Sittenmoral führen kann.281 Eine Einbahnstraße in Richtung der Liberalisierung, wie man sie im Zuge der zunehmenden Säkularisierung annehmen würde, gibt es daher zwar nicht, wenngleich im Erbrecht die Lockerung der sittlichen Anschauungen im 21. Jahrhundert überwiegen dürfte.282 Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit wird hierbei häufig auf den Zeitpunkt der richterlichen Beurteilung der letztwilligen Verfügung abgestellt, welcher teilweise auch Jahrzehnte nach dem Erbfall liegen kann.283 Begründet wird dies damit, dass der Richter seine Entscheidung nicht nach Wertmaßstäben treffen darf, die in der Gesellschaft ihre Überzeugungskraft und daher ihre Geltung verloren haben.284 Weiterhin wird angeführt, dass eine Betrach199 (1999), 337, 337; Staudinger/Otte BGB §§ 2064–2086 Rn. 175; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 187 ff. 279 Vgl. dazu die einleitenden Ausführungen in Kap. C. I. 1. 280 Vgl. dazu die Ausführungen zum Geliebtentestament in Kap. C. I. 1. c). 281 So zutreffend Eckert, AcP 199 (1999), 337, 338. Als Beispiel für eine Lockerung der Maßstäbe führt Eckert einen Vergleich zwischen der Einsetzung eines nichtehelichen Kindes zum Alleinerben unter Zurücksetzung der Ehefrau samt ehelichen Abkömmlingen an. Vor der Einführung des GG und der Geltung des Art. 6 Abs. 5 GG konnte eine solche Verfügung von Todes wegen gegen § 138 Abs. 1 BGB verstoßen. Als Beispiel für eine Verschärfung des Bewertungsmaßstabs hin zu der Annahme von Sittenwidrigkeit führt Eckert Beispiele aus dem Bereich des Verbraucherschutzes an – s. BGHZ 80, 153. 282 Hier sei neben der in Kap. C. Fn. 280 erwähnten Liberalisierung der Moralvorstellungen zugunsten nichtehelicher Kinder auch an die Änderung der Rechtsprechung zum Geliebtentestament gedacht. Außerhalb des Gebietes des Erbrechts, aber dennoch für dieses relevant, lassen sich Liberalisierungen vor allem im Bereich der gleichgeschlechtlichen Beziehungen festmachen. 283 Vgl. RGZ 150, 1, 4; RGZ 161, 153, 157; OLG Hamm, OLGZ 1979, 425, 427; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 9; Schlüter, Erbrecht Rn. 219; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 163; Kellenter, Bedingte Verfügungen von Todes wegen, 96.; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189. 284 Vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 IV 9; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189.
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tung nur zu diesem Zeitpunkt zu interessengerechten Ergebnissen führen könne.285 Diese Ansicht ist insoweit nachvollziehbar, als dass sie versucht, einem „intertemporalen ordre public“286 Geltung zu verschaffen. Allerdings führt dies zu untragbaren Ergebnissen. Sollten sich zwischen dem Erbfall und dem Zeitpunkt der richterlichen Beurteilung die sittlichen Anschauungen ändern, kann dies dazu führen, dass eine zum Zeitpunkt des Erbfalls wirksame Verfügung von Todes wegen später – zum Zeitpunkt der richterlichen Beurteilung – unwirksam wird.287 Dem Erben, der zum Zeitpunkt des Erbfalls durch eine wirksame Verfügung von Todes wegen die Erbschaft ordnungsgemäß erlangt hat, wird diese anschließend wieder genommen. Es entsteht eine „Enteignung durch Wertewandel“288. Allein aus diesem Grund ist das Abstellen auf den Zeitpunkt der richterlichen Würdigung bereits abzulehnen. Ein weiteres Argument gegen das Abstellen auf den Zeitpunkt der richterlichen Würdigung liegt in der damit einhergehenden Verletzung der Testierfreiheit des Erblassers. Änderungen der sittlichen Anschauungen, die der Erblasser nicht vorhersehen kann und die zu der Ungültigkeit seiner zunächst wirksamen Verfügung führen, schränken die Testierfreiheit unzulässig ein. Eine solche unzulässige Einschränkung der Testierfreiheit entsteht aber nicht nur durch das Abstellen auf den Zeitpunkt der richterlichen Würdigung, sondern auch bei einer Festlegung des maßgeblichen Zeitpunktes auf den Erbfall. In verfassungsrechtlicher Hinsicht verstößt die Ansicht, die den Erbfall für maßgeblich hält, daher ebenfalls gegen das Rückwirkungsverbot und damit einhergehend gegen die Testierfreiheit.289 Eine Verfügung von Todes wegen, die im Errichtungszeitpunkt sittenkonform und damit wirksam errichtet ist, wird nachträglich, also trotz abgeschlossenen Sachverhaltes290, für unwirksam erklärt. Dieser Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot wird dadurch verstärkt, dass der Erblasser nach dem Erbfall naturgemäß keine Möglichkeit zu einer wirksamen Neuvornahme hat. 285 Vgl. Schlüter, Erbrecht Rn. 219 – als Beispiel führt Schlüter an, dass die (partielle) Enterbung von ehelichen Kindern zugunsten von nichtehelichen Kindern vor Einführung des Grundgesetzes (und damit verbunden Art. 6 Abs. 5 GG) als sittenwidrig bewertet werden konnte. Für Erbfälle nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, welches für eheliche und nichteheliche Kinder gleiche Bedingungen schaffen will, sei eine solche Bewertung nicht mehr vertretbar. 286 Zu diesem Begriff Schmoeckel, AcP 197 (1997), 47, 54 ff.; Staudinger/Otte Vorbem. §§ 2064–2086, Rn. 181; Otte, JA 2014, 549, 552. 287 Vgl. Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 47, 54 ff.; Staudinger/Otte Vorbem. §§ 2064–2086 Rn. 181; ders., JA 2014, 549, 552. 288 Staudinger/Otte Vorbem. §§ 2064–2086, Rn. 181. 289 So auch Gimple, § 242 BGB als Zurechnungsnorm im Erbrecht?, 153. 290 Mit wirksamer Errichtung der Verfügung von Todes wegen liegt ein abgeschlossenes Rechtsgeschäft vor.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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Der Erblasserwille, der sich in der sittenkonformen Errichtung der Verfügung von Todes wegen manifestiert hat, muss mithin auch im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verfügung berücksichtigt werden. Ein anderes Vorgehen291 würde dem Grundsatz der Testierfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und der damit verbundenen Pflicht zur größtmöglichen Beachtung des Erblasserwillens widersprechen.292 Verbunden mit dem Umstand, dass ein Wertewandel für den Einzelnen kaum vorhersehbar ist und auch nicht zu einem festen Zeitpunkt eintritt, darf nicht auf die richterliche Würdigung293 oder den Zeitpunkt des Erbfalls abgestellt werden. Dies würde neben der oben beschriebenen Enteignung durch Wertewandel auch zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führen.294 bb) Änderung der tatsächlichen Verhältnisse Es können sich jedoch nicht nur die sittlichen Anschauungen ändern, sondern auch die für die Beurteilung nach § 138 Abs. 1 BGB maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse. Sofern davon ausgegangen wird, dass der korrekte Zeitpunkt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit auch bei der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse die Errichtung der letztwilligen Verfügung ist, findet insoweit ein Gleichlauf zu der Beurteilung der Rechtsgeschäfte unter Lebenden statt.295 Der Bundesgerichtshof spricht sich ebenfalls für diesen Zeitpunkt aus und weicht damit von der früheren (zwischenzeitlichen) Rechtsprechung des Reichsgerichtes ab.296 Er begründet dies damit, dass der „entscheidende Grund für die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung […] in der darin zum Ausdruck kommenden und eine Verwirklichung erstrebenden unredlichen Gesinnung des Erblassers“297 291 Gemeint ist hier das für nichtig oder „unbeachtlich“ Erklären der Verfügung von Todes wegen. 292 So auch Gimple, § 242 BGB als Zurechnungsnorm im Erbrecht?, 153. 293 So aber fälschlicherweise Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189. 294 Vgl. Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen §§ 2064–2086, Rn. 181. 295 Vgl. BGHZ 7, 111; BGHZ 20, 71, 74; BGH, JZ 1984, 583, 584; BGHZ 100, 359; Palandt/Ellenberger, BGB § 138 Rn. 8; dazu auch Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 131: „Durch die spätere Änderung der Verhältnisse wird weder ein ursprünglich sittenwidriges Rechtsgeschäft nachträglich wirksam, noch ein ursprünglich sittengemäßes Rechtsgeschäft nachträglich nichtig […], das deckt sich mit der allgemeinen Handhabung, dass die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften im Zeitpunkt ihrer Vornahme zu bewerten ist.“; a.A. wohl MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 23. 296 Bis RGZ 166, 395, 400 und ab BGHZ 20, 71 wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Zeitpunkt der Errichtung für maßgeblich gehalten. Dazwischen hat das Reichsgericht auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtswirkungen abgestellt, vgl. RG DR 1943, 91, 93; RG DR 1944, 494. Vgl. dazu auch Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen §§ 2064–2086 Rn. 176. 297 BGHZ 20, 71, 73. Vgl. dazu auch BGH, JZ 1984, 583, 584; OLG Hamm, OLGZ 1979, 425, 427; BayObLG, ZEV 1997, 119, 120.
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liegt. Diese Ansicht des Bundesgerichtshofs passt zu dem vom Verfasser entwickelten heuristischen Prinzip, welches für das Sittenwidrigkeitsverdikt die Motive des Erblassers als maßgeblich erklärt.298 Wenn nun aber die unredliche Gesinnung des Erblassers als entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit angesehen wird, ist diese nur bei einer Betrachtung der Verfügung von Todes wegen zum Errichtungszeitpunkt erkennbar. Auf seiner Argumentation aufbauend führt der Bundesgerichtshof an, dass eine solche Verfügung „von der Rechtsordnung zu keiner Zeit als gültig anerkannt werden darf“299. Die Verfügung kann dementsprechend nicht durch eine formlose Bestätigung des Erblassers zu einem Zeitpunkt, zu dem sie aufgrund geänderter Umstände nicht mehr als sittenwidrig erscheint, erneuert werden.300 Es sind vielmehr alle nichtigen Bestimmungen formgerecht neu zu treffen.301 Diese Notwendigkeit wird zum Teil als problematisch erachtet und gegen die Auswahl dieses Zeitpunktes angeführt, da der Erblasser in der Regel eine Neuvornahme für nicht erforderlich halten wird.302 Ein solches Argument überzeugt jedoch nicht. Wenn sich nämlich eine Verfügung zum Zeitpunkt der Errichtung als sittenwidrig erweist, genießt sie auch keinen weiteren Rechtsschutz. Sofern der Grund für die Sittenwidrigkeit später wegfällt, zeigt der Erblasser durch die formgerechte Neuvornahme, dass er von seinem sittenwidrigen Verhalten abrückt und vor allem, dass er seine ursprünglich sittenwidrige Motivation aufgibt.303 In systematischer Hinsicht lässt sich zudem anführen, dass auch § 2079 BGB darauf verweist, dass bei der Anfechtung einer letztwilligen Verfügung die Vorstellungen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung 298
Vgl. dazu Kap. C. I. 1. f). BGHZ 20, 71, 74. 300 Vgl. BGHZ 20, 71, 74.; Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 60 f.; a.A. RG, DR 1943, 91. Das RG nahm an, dass der Erblasser seine letztwillige Verfügung fortlaufend aufrechterhalte und formlos bestätige, solange dieser nicht widerrufe. Diese Annahme der permanenten Bestätigung überzeugt als solches schon nicht, weil eine solche Bestätigung an den Formerfordernissen, die für letztwillige Verfügungen gelten, scheitert. Vgl. dazu auch Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 142. 301 So BGHZ 20, 71, 74; Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 60 f.; a.A. Staudinger/Otte BGB §§ 2064–2086 Rn. 177. 302 So Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189. Blomberg hält die Pflicht zur Neuvornahme der Verfügung von Todes wegen für kritisch, weil Erblasser an eine solche nicht denken würden. Aus diesem Grund stellt Blomberg auch auf den Zeitpunkt des Erbfalls ab, da der Erblasser dann, wenn er seine letztwillige Verfügung errichtet hat und diese gegen die guten Sitten verstieß, bei Veränderung der tatsächlichen Umstände eine Neuvornahme nicht durchführen muss. Andere Stimmen aus der Literatur, die auf den Zeitpunkt der Errichtung abstellen, halten eine Bestätigung zwar für erforderlich, wollen an eine solche jedoch geringe Anforderungen stellen, vgl. dazu exemplarisch MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 137. 303 Vgl. Gimple, § 242 BGB als Zurechnungsnorm im Erbrecht?, 152. 299
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entscheidend sind.304 Das Abstellen auf diesen Zeitpunkt ist charakteristisch für das Erbrecht, da der Rechtsanwender, wenn er den unter den heterogenen Einflüssen der Umwelt entstandenen Inhalt der letztwilligen Verfügung korrekt ermitteln will, stets gezwungen ist, den Willen des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung zu beachten.305 Gegen die Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes wird angeführt, dass § 138 Abs. 1 BGB lediglich den Eintritt zu missbilligender Rechtswirkungen verhindern, nicht aber den Erblasser wegen seiner Gesinnung sanktionieren wolle.306 Dieses Argument kann jedoch schon deshalb nicht überzeugen, weil von einer Erbeinsetzung als solches bereits keine zu missbilligenden Rechtswirkungen ausgehen können. Auch eine ausdrückliche Enterbung ist rechtlich zulässig und hat daher als solches nichts Missbilligenswertes. Missbilligenswert können allein die Gründe sein, aus denen heraus eine solche Verfügung von Todes wegen entsteht. Für die Ermittlung dieser Motive ist die Betrachtung des Errichtungszeitpunktes unerlässlich. Nachdem nunmehr dargelegt worden ist, dass sowohl für die Änderung des sittlichen Maßstabs als auch für die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse der maßgebliche Zeitpunkt derjenige der Errichtung ist, sind die Gründe näher zu untersuchen, die die überwiegende Literatur veranlassen, den Erbfall beziehungsweise den Zeitpunkt der richterlichen Würdigung für
304 Nach § 2079 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist. Auch § 2078 BGB setzt dies voraus, da die Verfügung von Todes wegen auf der zur Anfechtung berechtigenden Fehlvorstellung beruhen muss; s. dazu auch MüKoBGB/Leipold BGB § 2078 Rn. 39; Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 72; BeckOGK/Harke BGB § 2078 Rn. 18 ff. 305 So auch. Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 47, 72: „Letztlich werden die Gründe verkannt, weswegen die Rechtsgeschäftslehre grundsätzlich vom Errichtungszeitpunkt ausgeht. Um den Inhalt einer Erklärung zu ermitteln, sind oft genug die heterogen[en] Einflüsse der Umwelt auf den Erklärenden sowie seine Motivationslage festzustellen.“ 306 So Staudinger/Otte BGB §§ 2064–2086 Rn. 175: „Gegen Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunkts spricht jedoch, dass § 138 Abs. 1 BGB als Zivilrechtsnorm nicht Einstellungen sanktionieren, sondern Rechtsfolgen verhindern will, letztwillige Verfügungen vor dem Erbfall aber keine Rechtsfolgen auslösen. Die Feststellung einer schon vor dem Erbfall bestehenden Nichtigkeit wäre daher funktionslos […].“ Die darin enthaltene Aussage, dass § 138 Abs. 1 BGB den Erblasser nicht wegen seiner Gesinnung sanktionieren möchte, ist zutreffend. Gleichwohl verkennt Otte dabei, dass eine Betrachtung der subjektiven Komponente nicht bedeutet, dass Erblasser wegen ihrer Gesinnung bestraft werden. Im Erbrecht ist aufgrund des Umstandes, dass der Erblasser nicht in die Rechte der Erben und Erbprätendenten eingreifen und daher objektiv nicht sittenwidrig handeln kann, die Betrachtung der subjektiven Komponente maßgeblich. Dennoch bleibt es dabei, dass das Rechtgeschäft, mithin die Verfügung von Todes wegen, für nichtig erklärt wird und nicht etwa der Wille des Erblassers.
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maßgeblich zu halten. Sofern diese Gründe eine Verschiebung des Beurteilungszeitpunktes vorsehen, müssen diese von hinreichendem Gewicht sein, da es für den Erblasser nur im Moment der Errichtung möglich ist abzuschätzen, ob seine Verfügung sittengemäß ist. Ein späterer Wandel der Anschauungen oder der tatsächlichen Verhältnisse ist für ihn nicht vorhersehbar und die Errichtung eines Testaments bei einer solchen Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunktes stets risikobehaftet.307 Der damit verbundene Eingriff in die Testierfreiheit ist folglich rechtfertigungsbedürftig. c) Der Wirkungseintritt als maßgeblicher Augenblick – der Erbfall als relevanter zeitlicher Faktor für die Bestimmung der Sittenwidrigkeit? Trotz der bereits angeführten Argumente, die für die Maßgeblichkeit des Zeitpunktes der Errichtung sprechen, hält die überwiegende Literatur an dem Erbfall als den zeitlich relevanten Faktor für die Sittenwidrigkeitsprüfung fest. Nach Auffassung dieser Stimmen in der Literatur, darunter vor allem von Lübtow und Thielmann, gingen von dem rechtsgeschäftlichen Tatbestand der Verfügung von Todes wegen allein noch keine Wirkungen aus, da hierfür noch der Erbfall308 hinzutreten müsse.309 Dies gelte insbesondere für das einfache Testament310, das bis zu dem Eintritt des Erbfalls keine nennenswerten Wirkungen erzeuge, da sich die Hauptwirkung, die in dem Erhalt der Erbschaft oder der Enterbung311 liege, erst mit dem Erbfall entfalte. Aus diesem Grund sei der Erbfall als maßgeblicher Zeitpunkt anzusehen.312 Dabei
307
Vgl. Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 68. Präziser: Der Tod des Erblassers (vgl. §§ 1922, 2176 BGB) und das Überleben des Bedachten gem. §§ 1923, 2160 BGB. Vgl. dazu Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 156. 309 v. Lübtow, Erbrecht, Band I, 312 ff.; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 154 ff.; Gernhuber, FamRZ 1960, 334, 334 f.; Eckert, AcP 199 (1999), 352, 352 ff.; Bartholomeyczik, Festschrift OLG Zweibrücken, 63 ff.; Kipp/Coing, Erbrecht, § 16 III. 1. a; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189. 310 In Abgrenzung zum Erbvertrag und dem gemeinschaftlichen Testament, bei denen die Bindungswirkung bereits früher eintritt. Gleichwohl stellen die Vertreter der „Theorie der Bindungswirkung“ auch hier auf den Zeitpunkt der Bindungswirkung ab. 311 Ein Ausschluss der gesetzlichen Erben von der Erbfolge ist bspw. durch ein sogenanntes Negativtestament möglich, vgl. dazu Staudinger/Otte BGB § 1938 Rn. 1; jurisPK/Schmidt BGB § 1938 Rn. 4. 312 So im Ergebnis die bereits in Kap. C. Fn. 309 genannten Stimmen aus der Literatur. An dieser Stelle ist insbesondere Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 188 f. hervorzuheben, da diese in ihrem gesamten Werk den Erblasserwillen und damit einhergehend die Testierfreiheit berücksichtigt. Hiervon weicht diese bei der Festlegung des Beurteilungszeitpunktes jedoch ab und beschränkt damit die Testierfreiheit des Erblassers, indem letztwillige Verfügungen, die ursprünglich wirksam waren, für sittenwidrig erklärt werden. 308
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sehen sowohl von Lübtow als auch Thielmann den Erbfall samt Überleben des Bedachten als eine „[…] weitere Wirksamkeitsvoraussetzung [an], die vor allem für den Zeitpunkt des Eintritts der genannten Hauptwirkungen entscheidend ist.“313 Auch neuere Literatur hat sich dieser Auffassung angeschlossen und betont, dass die Willenserklärung des Erblassers erst im Zeitpunkt des Erbfalls zu einem Rechtsgeschäft erstarke und folglich erst ab diesem Zeitpunkt Rechtswirkungen von ihr ausgingen. Aus diesem Grund könne allein der Erbfall den maßgeblichen Zeitpunkt darstellen. Diese Qualifizierung des Erbfalls als eine Wirksamkeitsvoraussetzung sei deshalb gerechtfertigt, weil der rechtsgeschäftliche Tatbestand der Errichtung allein noch keine Wirkungen äußere. Nach Thielmann spielt es zudem bei der Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt keine Rolle, ob man bei der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB das subjektive Element für maßgeblich hält oder eine rein objektive Betrachtung314 vornimmt.315 Er begründet dies damit, dass sich nicht das Verhalten des Erblassers, sondern die Auswirkungen des Rechtsgeschäfts den Vorwurf des Sittenverstoßes verdienen müssen.316 Eine Besonderheit ergebe sich in Fällen, in denen Verfügungen von Todes wegen Bestimmungen enthalten, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt auswirken. Bei solchen Bestimmungen werde der Beurteilungszeitpunkt auf den jeweiligen Augenblick des Eintritts der Auswirkungen vorschoben. Als Beispiel wird hierfür die Bedingung genannt.317 Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass diejenigen, die auf den Wirkungszeitpunkt abstellen, grundsätzlich den Zeitpunkt des Erbfalls für maßgeblich halten. Sofern sich jedoch spezifische Bestimmungen der Verfügungen von Todes wegen erst nach dem Erbfall auswirken, ist dieser (noch) spätere Augenblick maßgeblich.318 313
Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 156. Die vorliegende Arbeit teilt diese Ansicht ausdrücklich nicht und hält in Bezug auf die Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen das subjektive Element für entscheidend, vgl. Kap. C. I. 1. f). 315 Das Kriterium der besseren Möglichkeit der Ermittlung der Motive zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung will Thielmann nicht gelten lassen – vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 156. 316 So Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 158. 317 So kann die Zuwendung beispielsweise unter der Bedingung stehen, dass der Bedachte eine bestimmte Person heiratet. Wenn nun aber der Bedachte zum Zeitpunkt des Erbfalls gerade einmal 7 Jahre und damit längst nicht ehemündig ist, stellt sich die Frage nach der Ausübung eines sittenwidrigen Drucks erst Jahre danach, nämlich bei Erlangen der Ehemündigkeit des Bedachten, vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 161. Wenngleich der Druck-Theorie bereits aufgrund der aufgezeigten dogmatischen Schwächen nicht zu folgen ist, so wird anhand dieser Verschiebung des Zeitpunktes deutlich, dass es den zuvor genannten Autoren tatsächlich um die Bestimmung eines Wirkungszeitpunktes geht. 318 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 161. 314
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Eine solche Einordnung des Erbfalls als Wirksamkeitsvoraussetzung ist jedoch fehlerhaft. Richtig ist, dass sich die eigentliche wahrnehmbare Wirkung der Verfügung von Todes wegen, nämlich der Erhalt der Erbschaft, erst mit dem Erbfall entfaltet. Eine solche wahrnehmbare Wirkung ist jedoch primär faktischer Natur. Wirksam ist die Verfügung von Todes wegen bereits mit ihrer wirksamen Errichtung. Eine weitere Wirksamkeitsvoraussetzung, wie von Lübtow und Thielmann sie annehmen, gibt es nicht. Insbesondere ist die Differenzierung zwischen rechtsgeschäftlichem Tatbestand und weiteren Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht haltbar. Hieran ändert auch der Umstand, dass die eigentlich wahrnehmbaren Wirkungen erst ab dem Erbfall entstehen, nichts. Ein wirksames Rechtsgeschäft, welches entweder dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfällt oder sittenkonform und daher wirksam ist, liegt in dem Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen vor. Bei zahlreichen Rechtsgeschäften unterschiedlicher Art treten die wahrnehmbaren Wirkungen erst lange nach deren Zustandekommen ein.319 Des Weiteren ist die „Theorie der Maßgeblichkeit des Wirkungseintritts“ auch in sich widersprüchlich. So stellen die Vertreter dieser Auffassung auch bei Vorliegen eines Erbvertrages auf den Zeitpunkt des Erbfalls ab. Charakteristisch für den Erbvertrag ist seine Bindungswirkung320, weshalb es bei der Frage nach dem Wirkungszeitpunkt naheliegend erscheint, auf den Zeitpunkt der Errichtung abzustellen. Dennoch sei auch bei Erbverträgen der eigentliche Wirkungszeitpunkt im Erbfall zu sehen, da sich erst zu diesem Zeitpunkt die Rechtsfolge des § 2289 BGB realisiere.321 Ähnliches gelte zudem für das gemeinschaftliche Testament.322 Dies ist jedoch zu bestreiten. Die maßgebliche Wirkung des Erbvertrages dürfte in der sich bereits zu Lebzeiten entfaltenden Bindungswirkung in Bezug auf die vertragsmäßigen Verfügungen liegen. An dieser Stelle einen Wirkungseintritt erst mit dem Erbfall anzunehmen, würde
319 Jedes Rechtsgeschäft, welches unter einer aufschiebenden Bedingung errichtet wird, entfaltet seine Wirkungen erst erheblich später. Gleichwohl kann bereits bei der Errichtung festgestellt werden, ob dieses sittengemäß ist. 320 Die Bindungswirkung besteht darin, dass sich der Erblasser nur beim Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anfechtung nach §§ 2281–2283 BGB oder für einen Rücktritt nach §§ 2290–2292 BGB von dem Erbvertrag loslösen kann. 321 So Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 159; s. auch v. Lübtow, Erbrecht I, 443. 322 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 160. Thielmann hält bei wechselbezüglichen Verfügungen beide Erbfälle für maßgeblich. Die Wirkung des § 2171 Abs. 1 BGB entfalte sich beim ersten Erbfall, also beim Tod des erstversterbenden Ehegatten und die Wirkung gem. § 2171 Abs. 2 beim zweiten Erbfall, also dem Tod des letztversterbenden Ehegatten. Aus diesem Grund müsse verlangt werden, dass das gemeinschaftliche Testament mit wechselbezüglichen Verfügungen sowohl im Hinblick auf die tatsächlichen Verhältnisse bei dem ersten Erbfall als auch bei dem zweiten Erbfall mit den guten Sitten vereinbar ist.
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die entscheidenden Unterschiede zwischen Testament und Erbvertrag verkennen. Aus den genannten Gründen kann die „Theorie der Maßgeblichkeit des Wirkungseintritts“ nicht überzeugen und eine Verschiebung des Zeitpunktes der Sittenwidrigkeitskontrolle auf den Erbfall nicht rechtfertigen. Es bleibt dabei, dass die Errichtung eines Testaments mit seiner formgemäßen Niederschrift beendet und damit das „Rechtsgeschäft Testament“ als solches abgeschlossen ist.323 d) Die Gefahr nachträglicher Sittenwidrigkeit bei Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes Als weiteres Argument für die Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Erbfalls bei der Betrachtung der Verfügungen von Todes wegen wird vielfach angeführt, dass dieser vor allem in solchen Fällen zu richtigen Ergebnissen führt, in denen zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen keine Bedenken hinsichtlich des Sittenwidrigkeitsverdiktes bestanden, aber es wegen einer späteren Änderung der Verhältnisse zur Sittenwidrigkeit kommt.324 Anders ausgedrückt bestünde die Gefahr einer nachträglichen Sittenwidrigkeit, die bei ausschließlicher Betrachtung des Errichtungszeitpunktes nicht behoben werden könne. Aus diesem Grund sei vorzugsweise auf den Zeitpunkt des Erbfalls und nicht der Errichtung der Verfügung von Todes wegen abzustellen.325 Das Problem der nachträglichen Sittenwidrigkeit rückt insbesondere Leipold in den Vordergrund und führt als Beispielsfall die Enterbung einer getrenntlebenden Ehefrau zugunsten entfernter Verwandter und anschließender Rückkehr der Ehefrau mit langjähriger Versorgung und Pflege des Erblassers durch selbige an. Nach Leipold würde in einem solchen Fall die Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes und damit in diesem Fall die Aufrechterhaltung der Enterbung zu untragbaren Ergebnissen führen.326 An dieser Stelle darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass auch der Bundesgerichtshof, der auf den Errichtungszeitpunkt abstellt, bei der Wirksamkeit der Verfügung zum Errichtungszeitpunkt und nachträglicher Unsittlichkeit rechtliche Möglichkeiten zum Schutz vor unsittlichen Auswirkungen gesehen hat. Der Bundesgerichtshof erwähnt hier den aus § 242 BGB hergeleiteten Einwand der unzulässigen Rechtsausübung.327 Entgegen der Recht323 So auch Schmoeckel, AcP (197) 1997, 73; a.A. Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 188. 324 Vgl. Leipold, Erbrecht, Rn. 250. 325 Vgl. Leipold, Erbrecht, Rn. 250. Bei einem ähnlich gelagerten Fall hat der BGH den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung angewandt, vgl. BGHZ 20, 71, 75. 326 Vgl. Leipold, Erbrecht, Rn. 250. 327 BGHZ 20, 71, 75: „In dem umgekehrten Fall, dass ein Testament zwar nach den Verhältnissen zur Zeit seiner Errichtung beurteilt sittlich unbedenklich ist, infolge später
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sprechung328 und Teilen der Literatur329 ist die Verwendung dieses Einwands dogmatisch unstimmig.330 Grundsätzlich kann § 242 BGB als Verhaltensnorm die Geltendmachung von Ansprüchen, Einreden und prozessualen Rechtsbehelfen verhindern.331 Die Erbenstellung des Bedachten ist jedoch das Ergebnis der Verfügung des Erblassers und gerade nicht das Ergebnis einer Rechtsausübung.332 Sie ist ein Status und kein Anspruch. Wird der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung in Form einer Rechtsfortbildung contra legem genutzt, liegen nicht mehr die nötigen Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG vor, da die Norm als Voraussetzung für die Einschränkung ein formelles Gesetz vorsieht.333 Tatsächlich gibt es daher im Falle der Betrachtung des Errichtungszeitpunktes keine Möglichkeit, eine nachträglich entstehende Sittenwidrigkeit zu erfassen. Fraglich ist jedoch, ob es eine sogenannte nachträgliche Sittenwidrigkeit, wie vor allem Leipold sie ausmacht, überhaupt geben kann. Hieran lässt sich durchaus zweifeln, da im Falle der Sittenkonformität der Verfügung von Todes wegen im Zeitpunkt der Errichtung der Erblasser von dem Wirksamwerden der Verfügung von Todes wegen ausgehen darf. Der Bundesgerichtshof hat für das Vertragsrecht betont, dass ein Vertrag nicht sittenwidrig werde, wenn nachträglich ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht und umgekehrt auch ein sittenwidriger Vertrag nicht durch nachträgliche Änderung der Verhältnisse sittengemäß werden könne.334 Diese Grundsätze wendet die höchstrichterliche Rechtsprechung zutreffender Weise auch auf letztwillige Verfügungen an.335 In dem von Leipold geschileingetretener Umstände aber nach dem Erbfall zu unsittlichen Auswirkungen führen würde, wird es, auch wenn man die Sittenwidrigkeit des Testaments als solche verneint, nicht an rechtlichen Möglichkeiten fehlen, gegenüber seinen unsittlichen Auswirkungen der sittlichen Ordnung zur Durchsetzung zu verhelfen. Insbesondere würde sich die Berufung auf ein solches Testament als unzulässige Rechtsausübung darstellen. 328 Für die Anwendung des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung: BGHZ 20, 71, 75; OLG Stuttgart, ZEV 1998, 185, 185 f. Zweifelnd und daher offengelassen: BGHZ 140, 118, 128; BayObLG, ZEV 2001, 189, 189. 329 So fälschlicherweise: Staudinger/Sack/Fischinger, BGB, § 138, Rn. 140; MüKoBGB/Armbrüster, BGB, § 138 Rn. 138 f. 330 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 182. 331 Vgl. Erman/Böttcher/Hohloch BGB § 242 Rn. 101; Staudinger/Olzen/Looschelders BGB § 242 Rn. 213. 332 Vgl. dazu § 1942 BGB, nach dem die Erbschaft für den Bedachten ohne seine Mitwirkung anfällt. Voraussetzung hierfür ist die Erbeinsetzung, welche als solche durch eine Willenserklärung des Erblassers vollzogen wird. Sie ist daher nicht das Ergebnis einer Rechtsausübung; vgl. dazu auch Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 182. 333 Vgl. Gimple, § 242 BGB als Zurechnungsnorm im Erbrecht?, 153. 334 Vgl. BGHZ 7, 111, 114; BGHZ 20, 71, 73; BGH, NJW 1983, 2692; BGH, NJW 1988, 2362, 2363. 335 Vgl. RGZ 166, 395, 400; BGHZ 20, 71, 73 f.; BGH, NJW 1969, 134; vgl. dazu auch OLG Celle NJW 1956, 265; OLG Frankfurt, NJW-RR 1995, 265, 266 f.
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derten Fall gilt ebenfalls nichts anderes. Die Ehefrau, die ihren Mann verlässt, später zurückkehrt und diesen aufopfernd pflegt, hat trotz ihres altruistischen Verhaltens keinen Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft. Auch sie verfügt lediglich über eine nuda spes und nicht über einen berücksichtigungsfähigen Anspruch.336 Aus diesem Grund gibt es auch keinen Anlass dazu, den Beurteilungszeitpunkt zu verschieben. Im Übrigen können allein die Rückkehr der Ehefrau und ihre Pflegeleistung nicht dazu führen, dass die wirksame Verfügung von Todes wegen zugunsten der entfernten Verwandten für sittenwidrig erklärt wird. Die Argumentation Leipolds verläuft an dieser Stelle eher in Richtung eines Erbanwartschaftsrechts und beschreibt gerade nicht eine nachträgliche Sittenwidrigkeit. Es kann nämlich nicht sittenwidrig sein, die Ehefrau von der Partizipation an dem Nachlass im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuschließen und entferntere Verwandte an dem Nachlass teilhaben zu lassen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Ehefrau sich die Partizipation an dem Nachlass „erdienen“ oder „erwirken“ könnte.337 Dies ist jedoch nicht der Fall, sodass eine nachträgliche Sittenwidrigkeit in dem von Leipold geschilderten Fall nicht vorliegt. Bei näherer Betrachtung kann es eine solche auch nicht geben, da nach zutreffender Ansicht der entscheidende Grund für die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung „in der darin zum Ausdruck kommenden und eine Verwirklichung erstrebenden unredlichen Gesinnung des Erblassers, also in seinen ihn bei der Errichtung der Verfügung bestimmenden Beweggründen, sowie den bei von ihm gehegten Vorstellungen über den Zweck und die Auswirkungen seiner letztwilligen Anordnung“338
liegt. Sofern der Erblasser die Verfügung von Todes wegen wirksam errichtet und die Motive folglich nicht anstößig sind, fällt sowohl zum Zeitpunkt der Errichtung als auch zukünftig der entscheidende Anknüpfungspunkt für das Sittenwidrigkeitsverdikt weg. Eine nachträgliche Sittenwidrigkeit kann es daher nicht geben. Hält man es gleichwohl für möglich, dass ursprünglich unbedenkliche Verfügungen von Todes wegen dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen können, würde dies bedeuten, dass für den Erblasser, der sittenkonform seine Verfügung von Todes wegen errichtet hat, nachträglich eine Pflicht zur Errichtung einer anderen Verfügung von Todes wegen geschaffen 336 Vgl. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); s. auch Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. Diese Ansicht wird durch die Motive zum BGB gestützt Motive, V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210. 337 Zu dem Erbanwartschaftsrecht und dem damit einhergehenden „erdienen“ und „erwirken“ der Erbschaft s. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a) (aa). 338 BGHZ 20, 71, 73 f.; vgl. auch schon RGZ 150, 1, 6; ähnlich BGH, NJW 1951, 397; BGH, NJW 1957, 1274; s. auch die Darstellung bei Eckert, AcP 197 (1997), 337, 344.
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wird. Kommt der Erblasser dieser Pflicht nicht nach, würde nach den „Vertretern der nachträglichen Sittenwidrigkeit“ die Verfügung von Todes wegen sittenwidrig sein und die gesetzliche Erbfolge gelten. Diese Nichtberücksichtigung des Erblasserwillens ist mit der Testierfreiheit unvereinbar. Die Gefahr der nachträglichen Sittenwidrigkeit, die für die Maßgeblichkeit des Erbfalls als Beurteilungszeitpunkt herangezogen wird, besteht daher nicht. Mithin muss es dabei bleiben, dass die Sittenwidrigkeit in dem Augenblick der Errichtung festzustellen ist. e) Die Funktion des § 138 Abs. 1 BGB im Erbrecht als maßgeblicher Faktor Da folglich weder der sogenannte Augenblick des Wirkungseintritts der Verfügung von Todes wegen noch die Gefahr der Aufrechterhaltung nachträglicher sittenwidriger Verfügungen eine Festlegung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes auf den Erbfall rechtfertigen, stellt sich die Frage, ob die Funktion des § 138 Abs. 1 BGB eine solche Festlegung erfordert. Sofern man die Vereinbarkeit des objektiven Inhalts des Rechtsgeschäftes und seiner Rechtsfolgen mit dem Sittenwidrigkeitsverdikt für maßgeblich hält, wäre es wohl zutreffend, auf den Eintritt des Erbfalls beziehungsweise den Zeitpunkt der richterlichen Würdigung abzustellen. Wie bereits gezeigt, liegt nach zutreffender Ansicht der entscheidende Grund für die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung in der subjektiven Komponente des Erblassers, also in den Motiven, die den Erblasser dazu bewegt haben, eine solche Verfügung von Todes wegen zu errichten.339 Wenn nun aber die Motive des Erblassers als entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit angesehen werden, sind diese nur bei einer Betrachtung der Verfügung von Todes wegen zum Errichtungszeitpunkt erkennbar. Aus diesem Grund ist bei der Sittenwidrigkeitsprüfung letztwilliger Verfügungen der Errichtungszeitpunkt maßgeblich. Eckert tritt dem entgegen und betont: „Es ist davon auszugehen, dass § 138 Abs. 1 BGB nicht die verwerfliche Gesinnung der rechtsgeschäftlich Handelnden bestrafen, sondern den Eintritt der zu missbilligenden Rechtswirkungen eines Rechtsgeschäfts verhindern soll. Dementsprechend werden Rechtsgeschäfte heute in aller Regel nicht mehr wegen subjektiver Umstände, sondern nur noch wegen ihrer Rechtsfolgen als nichtig angesehen.“340
339 Vgl. RGZ 150, 1, 6; BGHZ 20, 71, 73 f.; BGH, NJW 1951, 397; BGH, NJW 1957, 1274; vgl. auch Eckert, AcP 199 (1999), 337, 344. Diese Ansicht des BGH passt zu dem durch den Verfasser entwickelten heuristischen Prinzip, welches für das Sittenwidrigkeitsverdikt im Erbrecht die Motive des Erblassers als maßgeblich erklärt, vgl. Kap. D. I. 1. f). 340 So Johannsen, WM 1971, 918, 918 f.; Eckert, AcP (199) 1999, 337, 351; s. auch Staudinger/Otte BGB §§ 2064–2086 Rn. 175.
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Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass § 138 Abs. 1 BGB nicht die verwerfliche Gesinnung des Handelnden bestrafen soll. Ein solcher Strafcharakter ist dem Sittenwidrigkeitsverdikt fremd.341 Gleichwohl kann die Argumentation Eckerts nicht überzeugen. Eckert gelangt, wie zahlreiche andere Stimmen aus der Literatur, zu dem Ergebnis, dass weder bei Rechtsgeschäften unter Lebenden noch bei Verfügungen von Todes wegen der Zeitpunkt ihrer Errichtung beziehungsweise Vornahme, sondern der des Eintritts ihrer Rechtswirkungen maßgeblich ist.342 Insofern unterscheidet sich diese Argumentations-linie nicht von derjenigen, die auf den Augenblick des Wirkungseintritts abstellt. Diese wurde bereits argumentativ abgelehnt. Die Funktion des § 138 Abs. 1 BGB in der Verhinderung der Auswirkungen des sittenwidrigen Rechtsgeschäftes zu sehen, ist ebenfalls nicht korrekt. Vielmehr soll § 138 Abs. 1 BGB ein ethisches Minimum sichern und damit einhergehend die Geltung von Rechtsgeschäften verhindern, die für die Rechtsgemeinschaft unerträglich sind.343 Bereits zum Zeitpunkt der Errichtung gelten Verfügungen von Todes wegen. Weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen, insbesondere der Erbfall, existieren nicht.344 Im Ergebnis vermischt Eckert die Voraussetzungen und die Funktionen des § 138 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB müssen im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB gehört in Bezug auf Verfügungen von Todes wegen das subjektive Element des Errichtenden, da die Erbeinsetzung, selbst unter Beschränkungen, stets ein Mehr an Rechten für den Erben bedeutet. Gleichzeitig stellt die Nichtberücksichtigung der gesetzlichen Erben auch keine Benachteiligung selbiger dar, da diese nie einen Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft hatten.345 Insofern ist die Betrachtung 341
Vgl. Hermann, Pro non scripta habere und § 2085 BGB, 164. So Eckert, AcP (199) 1999, 337, 356: „Die Entscheidung über die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts kann danach immer nur auf den Zeitpunkt des Eintritts seiner Rechtswirkungen bezogen sein. Erst wenn erstmals Rechtsfolgen des Geschäfts geltend gemacht werden können, stellt sich die Frage, ob dem privatautonomen Willen des rechtsgeschäftlich Handelnden wegen eines Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB die rechtliche Sanktion verweigert werden muss.“ 343 Vgl. BGH, NJW 1998, 2531, 2532; BGHZ 110, 156, 174; BGHZ 80, 153, 158; dazu auch BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 2; MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 1. 344 Vgl. dazu auch MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 134: „Die vorgeschlagenen Begründungen sind jedoch oft gekünstelt. Dies gilt etwa für die Annahme, bei Verfügungen von Todes wegen sei das Tatbestandsmerkmal „Rechtsgeschäft“ erst mit dem Tod des Erblassers voll erfüllt oder für die Unterstellung einer aufschiebenden Bedingung des Inhalts, dass die Verfügung im Zeitpunkt des Erbfalls gültig ist.“ 345 Vgl. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 342
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des subjektiven Elementes zwingend. Da eine solche jedoch nur zum Zeitpunkt der Errichtung erfolgen kann, ist dies der maßgebliche Zeitpunkt. Auf die Funktion beziehungsweise das Telos der Norm kommt es nicht an. Wie gezeigt, würde jedoch auch das Telos des § 138 Abs. 1 BGB an diesem Ergebnis nichts ändern. § 138 Abs. 1 BGB will die Geltung von für die Rechtsgemeinschaft unerträglichen Rechtsgeschäften, also auch von Verfügungen von Todes wegen, verhindern und muss daher sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen bereits in dem Moment ihrer abgeschlossenen Errichtung für nichtig erklären. Der Rückgriff auf die Funktionen des § 138 Abs. 1 BGB kann daher ebenfalls nicht als ein Argument für die Verschiebung des Beurteilungszeitpunktes auf den Erbfall herangezogen werden. f) Berücksichtigung der Wertungen des § 2171 BGB und der regula catoniana Zahlreiche Stimmen in der Literatur führen den § 2171 BGB als Argument für die generelle Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Erbfalls bei der Überprüfung der Wirksamkeit von Verfügungen von Todes wegen an und betonen, dass die regula catoniana abgeschafft sei.346 Die aus dem römischen Recht stammende regula catoniana347 besagt, dass ein Vermächtnis, welches als solches ungültig gewesen wäre, wenn der Erblasser direkt nach seiner Errichtung gestorben wäre, weiterhin ungültig bleibt, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt der Erbfall tatsächlich eintritt.348 § 2171 BGB legt hingegen fest, dass der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt für die Unmöglichkeit und die Gesetzeswidrigkeit der Erbfall ist und enthält insoweit bereits eine Abkehr von der regula catoniana. Insbesondere Strohal und Dernburg argumentieren darauf aufbauend, dass die Beurteilung der Wirksamkeit von Vermächtnissen einheitlich zu erfolgen habe und folglich der Erbfall der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt sei.349 Da bei einem solchen Verständnis nunmehr auch die Überprüfung der Sittenwidrigkeit von Vermächtnissen in dem Zeitpunkt des Erbfalls erfolgt, würde damit eine
346
So vor allem Gernhuber, FamRZ 1960, 334, 335; v. Lübtow, Erbrecht, I, 312; in diese Richtung auch, wenngleich zurückhaltender Staudinger/Otte BGB §§ 2064–2086 BGB Rn. 176: „Für den Eintritt der Rechtswirkungen als maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt […] spricht nicht nur die in § 2171 Abs. 1 BGB zum Ausdruck gekommene Wertung für den Fall des Gesetzesverstoßes […]“. 347 Zu der vielfach diskutierten Entstehungsgeschichte und Überlieferung der regula catoniana s. Hausmaninger, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 36 (1968), 469, 469 ff. 348 Dazu Celsus D. 34,7,1 pr.: „Catoniana regula sic definit; quod si testamenti facti tempore decessisset testator, inutile forete id legatum, quandocumque decesserit, non valere.“; s. auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 65. 349 Vgl. Strohal, Das Deutsche Erbrecht, § 30 II 2; Dernburg, Das bürgerliche Recht im Deutschen Reich und in Preußen, Erbrecht, § 75 V; Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 66.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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vollständige Abschaffung der regula catoniana350 einhergehen. Dies nehmen zahlreiche Stimmen in der Literatur sodann zum Anlass, um § 2171 BGB als einen allgemeinen Grundsatz zu qualifizieren, nach dem die Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen generell zum Zeitpunkt des Erbfalls zu prüfen sein soll.351 Folglich gelte die Zeitpunktbestimmung des § 2171 BGB nicht nur für die sämtlichen Unwirksamkeitsgründe von Vermächtnissen, sondern auch für die Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen. Rechtstechnisch sei § 2171 BGB dann im Rahmen der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB analog anzuwenden.352 Werden die Gründe für eine solche analoge Anwendung des § 2171 BGB auf die Sittenwidrigkeitsprüfung erbrechtlicher Verfügungen untersucht, muss festgestellt werden, dass mit Ausnahme des Wunsches nach einem solchen Gleichlauf regelmäßig kein weiteres Argument für eine analoge Anwendung des § 2171 BGB vorgetragen wird.353 Aus diesem Grund könnte ebenso darauf hingewiesen werden, dass § 2171 BGB als Ausnahmeregelung einer Analogie nicht zugänglich ist. Im Ergebnis sind solche Argumentationen jedoch nicht zielführend. Je nach Präferenz bezüglich des Zeitpunktes wird § 2171 BGB entweder analog herangezogen oder im Rahmen eines Gegenschlusses zu § 2171 BGB betont, dass letztwillige Verfügungen mit Blick auf die Frage der Sittenwidrigkeit nach dem Errichtungszeitpunkt zu beurteilen sind.354 Entscheidend für die Frage nach einer solchen „doppelt analogen Anwendung“355 des § 2171 BGB ist daher vielmehr, ob die Analogievoraussetzungen vorliegen. Mithin müsste also eine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage vorliegen.
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Zu der vielfach diskutierten Entstehungsgeschichte und Überlieferung der regula catoniana s. Hausmaninger, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 36 (1968), 469, 469 ff. 351 Dazu insbesondere Gernhuber, FamRZ 1960, 334, 335: „Sie stellt sich erst im Rückgriff auf § 2171 BGB ein, jene Norm, die jedes Vermächtnis der Unwirksamkeit ausliefert, das gegen ein zur Zeit des Erbfalls bestehendes gesetzliches Verbot verstößt. Sie kann nur als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens verstanden werden, der letztwilligen Verfügungen in all ihren Erscheinungsformen und Gestaltungsmöglichkeiten ergreift, und nicht nur insoweit, als sie Vermächtnisse mit sich führen.“ Gernhuber begründet dies unter anderem damit, dass § 138 BGB ohnehin ein Anwendungsfall des § 134 BGB sei. Dem ist jedoch entschieden zu widersprechen, vgl. dazu Kap. C. I. 1. f). 352 Vgl. Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 156. 353 Vgl. insbesondere Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 156. 354 Vgl. exemplarisch Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 141. 355 Diese, aus rechtstechnischer Sicht fehlerhafte Bezeichnung, wird hier verwendet, um zu verdeutlichen, dass der § 2171 BGB zweifach über seinen Wortlaut hinaus angewendet wird. Zum einen, um diesen auch auf die Sittenwidrigkeit zu beziehen und zum anderen, um die Zeitpunktsbestimmung über Vermächtnisse hinaus auch auf Verfügungen von Todes wegen im Allgemeinen zu beziehen.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Bei einem Blick auf die Genese des § 2171 S. 1 BGB stellt sich heraus, dass der Wille des historischen Gesetzgebers eindeutig erkennbar ist. So erwähnte der erste Entwurf für § 1853 S. 1 BGB, welcher als Vorläufer des heutigen § 2171 BGB anzusehen ist, noch ausdrücklich die Sittenwidrigkeit: „Ist durch Vermächtnis eine Leistung zugewendet, welche zur Zeit des Erbfalls unmöglich oder durch Gesetz verboten ist, oder welche gegen die guten Sitten verstößt, so ist das Vermächtnis nichtig.“356
Diese Formulierung lässt vermuten, dass die Festlegung des maßgeblichen Zeitpunktes auf den Erbfall auch für die Sittenwidrigkeitsprüfung gelten sollte. Der Entwurf kann jedoch auch so verstanden werden, dass die Konkretisierung des Zeitpunkts nur für die Unmöglichkeit und die Gesetzeswidrigkeit galt.357 Die Erwähnung der Sittenwidrigkeit erfolgt dann nur, um eine weitere Variante zu benennen, nach der Vermächtnisse ebenfalls nichtig sein können. Gegen ein solches Verständnis des Entwurfs zu § 1853 S. 1 spricht jedoch, dass die ergänzende Ausführung zum Sittenwidrigkeitsverdikt dann lediglich eine Wiederholung des § 138 Abs. 1 BGB darstellen würde und insofern redundant wäre. Die Motive zeigen jedoch eindeutig, dass der historische Gesetzgeber eine solche Wiederholung vorgenommen hat und nicht von der regula catoniana abweichen wollte „Der Entwurf lässt, entsprechend seinen Vorschriften in Ansehung der Verträge (vgl. § 344 verb. m. §§ 346, 347), für die Frage, ob eine durch Vermächtnis angeordnete Leistung gegen die guten Sitten verstößt lediglich die Zeit der Errichtung der Vermächtnisverfügung entscheiden. Die Zeitbestimmung des § 1853 S. 1 bezieht sich nur auf die beiden anderen Fälle.“358
Der historische Gesetzgeber wollte somit den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt für das Sittenwidrigkeitsverdikt nicht auf den Erbfall verschieben. Die Neufassung des § 2171 S. 1 BGB, welche die Sittenwidrigkeit nicht mehr erwähnt, ist Ausdruck ebendieser Vorstellung. § 2171 S. 1 BGB umfasst also keineswegs die Sittenwidrigkeit, sondern belässt es dabei, dass es für die Ermittlung der Sittenwidrigkeit auf den Errichtungszeitpunkt ankommt.359 Viele Stimmen in der Literatur halten eine analoge Anwendung des § 2171 BGB und die Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Erbfalls gleichwohl für
356 Motive, V, 78, § 1853 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, § 1853. 357 Vgl. Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 54 ff. 358 Motive, V, 154 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 81. 359 Aus diesem Grund bleibt es bei dem in Kap. D. I. 2. b) gefundenen Ergebnis.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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zwingend, weil eine Trennung zwischen Fällen, die von § 134 BGB und solchen Fällen, die von § 138 BGB erfasst sind, nicht möglich sei, da sich deren Tatbestände überschneiden würden.360 Diese Sichtweise verkennt nicht bloß den entgegenstehenden Willen des historischen Gesetzgebers, sondern auch, dass von § 138 BGB diejenigen Fälle erfasst werden, die gerade nicht explizit per Gesetz verboten sind und damit von vornherein nicht unter § 134 BGB fallen. Eine Überschneidung, wie beispielsweise Stein und Gernhuber sie annehmen, gibt es daher nicht. Sofern ein Rechtsgeschäft gegen ein spezielles Gesetz verstößt, ist dieses gemäß § 134 BGB in Verbindung mit dem jeweiligen Verbotsgesetz nichtig. Im Verhältnis zu § 138 Abs. 1 BGB ist § 134 BGB daher die speziellere Regelung und deswegen vorrangig anzuwenden.361 Dies ergibt sich schon bereits daraus, dass im Rahmen von § 134 BGB nicht jeder Gesetzesverstoß zwangsläufig zur Nichtigkeit führt.362 Nachdem nunmehr feststeht, dass der historische Gesetzgeber die Sittenwidrigkeit von Vermächtnissen bewusst anders behandelt als die übrigen Varianten nichtiger Vermächtnisse363, stellt sich die Frage, worin der Grund für eine solche unterschiedliche Behandlung liegt. Der Grund kann nur darin liegen, dass für den Fall, in dem der Erblasser bei der Errichtung der Verfügung von Todes wegen davon ausgeht, dass die Erfüllung des Vermächtnisses später möglich bzw. erlaubt sein wird – sei es dadurch, dass die Leistung später möglich ist oder das gesetzliche Verbot aufgehoben wird, eine Ausnahme von der grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes gemacht werden soll.364 Eine solche Ausnahme des Beurteilungszeitpunktes ordnet § 2171 S. 1 BGB an, indem dieser die spätere Erfüllbarkeit bzw. Gesetzesgemäßheit ausreichen lässt. Im Ergebnis berücksichtigt die Norm den Grundsatz des favor testamenti, indem sie dem Erblasser gestattet, zunächst unmögliche oder verbotene Vermächtnisse zu errichten. Nichtig sollen diese erst dann sein, wenn die errichteten Vermächtnisse auch zum Zeitpunkt des Erbfalls weiterhin unmöglich oder verboten sind. Gleichwohl beantwortet dies allein noch nicht den Unterschied zwischen den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkten, da insofern
360
Soergel/Stein BGB § 1937 Rn. 2; Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 69. Vgl. statt vieler BeckOGK/Vossler BGB § 134 Rn. 21. 362 Vgl. BayObLGZ 2000, 301, 308; MüKoBGB/Armbrüster § 138 Rn. 4; BeckOGK/ Vossler BGB § 134 Rn. 21. 363 Namentlich die Unmöglichkeit und der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot. 364 So auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 67: „Man gestattete eine Ausnahme für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass der Erblasser bei der Testierung davon ausging, dass die Leistung des Vermächtnisses später möglich sein würde. Dass man diese Ausnahme generell in § 2171 S. 1 BGB anordnete, dient letztlich nur der Verwirklichung des Testierwillens, indem es die spätere Erfüllbarkeit ausreichen lässt. Damit wurde letztlich auch dem Grundsatz des favor testamenti entsprochen“ 361
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
argumentiert werden könnte, dass auch für sittenwidrige Vermächtnisse der Zeitpunkt des Erbfalls gegenüber dem Moment der Errichtung für die Verwirklichung des Erblasserwillens vorteilhafter sein kann.365 So könnte ein Vermächtnis zugunsten der Geliebten des Erblassers bei der Errichtung in den 50er Jahren noch als sittenwidrig angesehen werden, zum Zeitpunkt des Erbfalls in den 70er Jahren jedoch als sittenkonform.366 Wenn also eine „Lockerung der guten Sitten“ zwischen der Errichtung der Verfügung von Todes wegen und dem Erbfall stattfindet, könnte der Grundsatz des favor testamenti auch für eine Verschiebung des für das Sittenwidrigkeitsverdikt maßgeblichen Zeitpunktes sprechen und so einen Gleichlauf der maßgeblichen Beurteilungszeitpunkte erzeugen. Die soeben dargestellten Auszüge aus den Motiven des Bürgerlichen Gesetzbuches zeigen jedoch eindeutig, dass bei der Sittenwidrigkeitsprüfung stets auf den Errichtungszeitpunkt abzustellen ist. Während der Gesetzgeber bei der Unmöglichkeit und Gesetzeswidrigkeit die spätere Erfüllbarkeit beziehungsweise Erlaubtheit ausreichen lässt, um damit dem Erblasserwillen Geltung zu verschaffen, soll dies für die Sittenwidrigkeit nicht ausreichen. Der Grund für diese unterschiedliche Behandlung kann dann nur darin liegen, dass bei der Sittenwidrigkeitsprüfung der subjektiven Komponente eine solch zentrale Bedeutung zugeschrieben wird, dass es bei dem Grundsatz der Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes bleiben muss. Aus diesem Grund kann die gesetzliche Konzeption auch als eine Bestätigung der in dem vorherigen Abschnitt gefunden Ergebnisse angesehen werden. Das Gesetz belässt es sowohl für die Frage nach der Sittenwidrigkeit von Vermächtnissen als auch der von Verfügungen von Todes wegen als solchen bei der Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes, weil für das Sittenwidrigkeitsverdikt im Erbrecht die subjektive Komponente entscheidend ist. Die Bewertung der Betrachtung des subjektiven Elements als heuristisches Prinzip im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB wird daher durch die Fassung des § 2171 BGB, die die Sittenwidrigkeit nicht mehr benennt und die regula catoniana beibehält, gestützt. Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass die Wertungen des § 2171 BGB nicht als eine generelle Festlegung der Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Erbfalls verstanden werden können und die regula catoniana nicht abge-
365 Dies verkennt Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 68. Schmoeckel geht davon aus, dass die Zugrundelegung der früheren Verhältnisse bei der Sittenwidrigkeitsprüfung ebenfalls eine Berücksichtigung des Grundsatzes des favor testamenti darstellt, s. Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 68: „Für die Sittenwidrigkeit bedeutet die Zugrundelegung der früheren Sitten ebenso die Erfüllung des favor testamenti-Grundsatzes wie für Unmöglichkeit und Gesetzwidrigkeit, von den späteren Verhältnissen auszugehen.“ 366 Vgl. dazu die Rechtsprechungsänderung des BGH, die in dem Kap. D. I. 1. c) dargestellt worden ist.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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schafft ist.367 Folglich bleibt es daher in Bezug auf das Sittenwidrigkeitsverdikt bei der Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes. g) Fazit: Maßgeblichkeit des Errichtungszeitpunktes Trotz der zahlreichen Kritik in Schrifttum und Teilen der Rechtsprechung ist für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen korrekterweise der Zeitpunkt der Errichtung entscheidend. Es gibt keinen gewichtigen Grund für eine Differenzierung zwischen einem schuldrechtlichen Rechtsgeschäft und Verfügungen von Todes wegen.368 Aus dem Wortlaut des § 138 Abs. 1 BGB ergibt sich eine solche Differenzierung ebenfalls nicht, da nur im Allgemeinen von einem Rechtsgeschäft gesprochen wird. Die nachträgliche Änderung, sowohl der für das Sittenwidrigkeitsverdikt entscheidenden Wertvorstellungen als auch der tatsächlichen Umstände, darf nicht berücksichtigt werden. Dies führt auch nicht zu unbilligen Ergebnissen, weil für die Auslegung und Beurteilung einer Verfügung von Todes wegen der Wille des Errichtenden entscheidend ist. Da sich die Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen aufgrund der starken Motivbezogenheit regelmäßig nur anhand der vom Erblasser verfolgten Zwecke bestimmen lässt, ist eine Betrachtung zum Errichtungszeitpunkt unerlässlich.369 Eine Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunktes auf den Erbfall ist weder interessengerecht noch mit der Testierfreiheit vereinbar. Für den Erblasser ist es nur in dem Moment der Errichtung möglich und zumutbar, die sittlichen Anschauungen und die tatsächlichen Verhältnisse zu erkennen.370 Ein anderes Ergebnis würde im Zuge der Anwendung des § 138 BGB eine weitere unzulässige Grenze der Testierfreiheit hervorrufen. Diese läge in der Entstehung des Risikos, dass sich Anschauungen und/oder tatsächliche Verhältnisse ändern und die Verfügung von Todes wegen folglich nur zeitlich begrenzt gültig ist.371 Ein solches Risiko gefährdet die Verwirklichung des Erblasserwillens und ist mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar. 367 So Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, III., § 638, 588; Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 67. Darüber hinaus sei an dieser Stelle (nochmals) darauf hingewiesen, dass § 2079 BGB ausdrücklich auf die Vorstellungen zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen abstellt. Anhand der Konzeption des Gesetzes wird daher deutlich, dass es bei Vorstellungen des Erblassers gerade auf den Zeitpunkt der Errichtung ankommt. Dies muss auch für das Sittenwidrigkeitsverdikt gelten. 368 So auch Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 72; Gimple, § 242 BGB als Zurechnungsnorm im Erbrecht?, 152. 369 Vgl. dazu den in Kap. C. I. 1. f). entwickelten Lösungsvorschlag für die Sittenwidrigkeitsprüfung letztwilliger Verfügungen. 370 So erfolgt insbesondere der Sittenwandel nicht plötzlich und vollzieht sich in den unterschiedlichen sozialen Feldern auch nicht gleichmäßig, vgl. Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 57. 371 Vgl. dazu die Ausführungen zu Beginn dieses Abschnitts, Kap. C. I. 2.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass es eine solche „Prognosegrenze“ der Testierfreiheit nicht gibt. Die Verwirklichung des Erblasserwillens bedeutet daher auch, eine bei Errichtung sittenkonforme Verfügung trotz eines Umstands- und Wertewandels aufrechtzuerhalten. Nur weil ein Ergebnis nach heutigen Umständen und Anschauungen als ungerecht empfunden wird, rechtfertigt dies allein noch keinen Eingriff in die Testierfreiheit des Erblassers. Dazu führt Lotmar zutreffend aus, dass die rechtliche Akzeptanz eines unmoralischen Vertrages nicht dazu führt, dass die Gesellschaft selbst als unmoralisch bezeichnet werden kann.372 Die eigentliche Moral liegt vielmehr in dem Vollzug des Vertrages und der darin zum Ausdruck kommenden Anerkennung eines einmal wirksam abgeschlossenen Vertrages.373 Dieser Grundsatz muss auch für die sittenkonforme und damit wirksame Errichtung von Verfügungen von Todes wegen gelten. Im Hinblick auf die Ausgangsthesen lässt sich feststellen, dass diese auch in Bezug auf die hier gefundenen Ergebnisse Geltung beanspruchen. Diejenigen, die den Erbfall oder die richterliche Würdigung als maßgeblichen Zeitpunkt ausmachen, bezwecken damit zumindest überwiegend einen Schutz der Erben und Erbprätendenten vor den Auswirkungen der Verfügung von Todes wegen. Dieser Schutz wird durch die Verschiebung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes in unzulässiger Weise erzeugt. Mithin beruht die Unzulässigkeit daher, wie dies für die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit charakteristisch ist, auf einem zu extensiven Schutz der Erben und Erbprätendenten vor der Testierfreiheit des Erblassers. Ursache dafür ist erneut das Verkennen der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten.
3. Fehlerhafte Rechtsfolgen bei der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes – eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit Nachdem der vorherige Abschnitt die Gefahr einer weiteren Grenze der Testierfreiheit durch die fehlerhafte Zeitpunktsbestimmung im Rahmen der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB und einen mit der Testierfreiheit zu vereinbarenden Weg aufgezeigt hat, soll im Folgenden ein ähnliches Phänomen untersucht werden, welches ebenfalls eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit hervorruft. Eine solche unzulässige Grenze der Testierfreiheit entsteht dadurch, dass der § 138 Abs. 1 BGB auf der Rechtsfolgenseite teilweise fehlerhaft angewendet wird.
372 373
Vgl. Lotmar, Der unmoralische Vertrag, 103; Schmoeckel, AcP 197 (1997), 1, 32. Vgl. Lotmar, Der unmoralische Vertrag, 103.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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Wenngleich durch die Analyse in den vorherigen Kapiteln deutlich wurde, dass nur in den seltensten Fällen von dem Vorliegen des Sittenwidrigkeitsverdikts in Bezug auf Verfügungen von Todes wegen auszugehen ist, so rechtfertigen auch diese wenigen Fälle eine Untersuchung der Rechtsfolgen des § 138 Abs. 1 BGB. Dies gilt für die Zwecke der vorliegenden Arbeit insbesondere dann, wenn sie zu einer unzulässigen Begrenzung der Testierfreiheit führen. Zudem ist eine Betrachtung der Rechtsfolgen für die Beurteilung der Reichweite der Einschränkung der Testierfreiheit, die durch § 138 Abs. 1 BGB vorgenommen wird, unerlässlich. § 138 Abs. 1 BGB bestimmt, dass ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist.374 Die Rechtsfolge des Sittenwidrigkeitsverdiktes ist damit grundsätzlich präzise festgelegt. Problematisch sind jedoch Fälle, in denen abtrennbare Teile der Verfügung von Todes wegen für sittenwidrig erklärt werden, wie dies beispielsweise bei verhaltensbezogenen Bedingungen der (Ausnahme-)Fall sein kann.375 Im Hinblick auf die Auswirkungen dieser „Binnenteilnichtigkeit“376 ergeben sich dann mehrere mögliche Lösungsvarianten. Es besteht die Möglichkeit, den sittenwidrigen Teil der Verfügung von Todes wegen zu streichen und dann die verbleibende Verfügung von Todes wegen aufrecht zu erhalten. Der Sittenverstoß könnte aber auch zu einer Gesamtnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen führen. a) Gesamtnichtigkeit als massiverer Eingriff in die Testierfreiheit im Vergleich zu der Teilnichtigkeit Sofern man die beiden Möglichkeiten in Bezug auf die Rechtsfolgen des Sittenwidrigkeitsverdiktes im Hinblick auf ihre Reichweite der jeweiligen Einschränkung der Testierfreiheit vergleicht, so wirkt auf den ersten Blick die Gesamtnichtigkeit der Zuwendung als massivere Einschränkung der Testierfreiheit. Bei der Gesamtnichtigkeit wird die Verfügung von Todes wegen als Ganzes für nichtig erklärt. Aus diesem Grund ließe sich argumentieren, dass eine Gesamtnichtigkeit die Testierfreiheit des Erblassers am stärksten beeinträchtigt, während bei Aufrechterhaltung der Verfügung von Todes wegen als unbedingte der Erblasser in seiner Testierfreiheit weniger beschränkt wird. 374 Zu den Rechtsfolgen des Sittenwidrigkeitsverdiktes BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 646 ff.; MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 157 ff.; BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 57 ff. 375 Wie der in dieser Arbeit entwickelte Lösungsvorschlag gezeigt hat, ist nur in Ausnahmefällen von der Sittenwidrigkeit letztwilliger Verfügungen auszugehen. Gleichwohl rechtfertigen auch diese wenigen Fälle eine Betrachtung der Rechtsfolgen des Sittenwidrigkeitsverdiktes. 376 Hermann, Pro non scripta habere und § 2085 BGB, 3 verwendet diesen Begriff. Vgl. dazu auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 289 f.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Bei genauerer Betrachtung ist eine solche pauschale Bewertung jedoch fehlerhaft. Sie beruht auf der im Ergebnis zu stark vereinfachten Annahme, dass es für Verwirklichung des Erblasserwillens und damit einhergehend für die Testierfreiheit und den Erblasser besser wäre, wenigstens einen Teil der Verfügung von Todes wegen aufrechtzuerhalten, als die gesamte Verfügung von Todes wegen für nichtig zu erklären. Die Testierfreiheit und der Grundsatz des favor testamenti erfordern jedoch, dem Erblasserwillen weitestgehend Geltung zu verschaffen. Dies setzt eine umfassende Ermittlung des Erblasserwillens voraus. Sofern diese Untersuchung des Erblasserwillens zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erblasser ein so erhebliches Interesse an dem sittenwidrigen Teil der Verfügung von Todes wegen hat, dass er die Verfügung von Todes ohne diesen nicht errichtet hätte, ist von einer Gesamtnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen auszugehen. Eine pauschale Feststellung, welche der beiden Möglichkeiten (Gesamt- oder Teilnichtigkeit) im Hinblick auf die Testierfreiheit zu präferieren ist, kann somit nicht getroffen werden.377 b) Aufrechterhaltung des verbleibenden Teils der Verfügung von Todes wegen aus Gründen des Bedachtenschutzes als unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit Im Anschluss an die Erkenntnis, dass bei Sittenwidrigkeit eines abtrennbaren Teils der Verfügung von Todes wegen grundsätzlich sowohl die Teil- als auch die Gesamtnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen in Betracht kommt, stellt sich die Frage, ob aus anderen Gründen eine der beiden Varianten unabhängig von einem entgegenstehenden Erblasserwillen zu bevorzugen ist. Dass eine pauschale Lösung in Betracht kommt, zeigt ein Vergleich zu früheren Rechtslagen. So wurde vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs die bedingte Verfügung von Todes wegen bei einem Verstoß gegen die
377
Auch die erste BGB-Kommission war sich bewusst, dass im Hinblick auf die Testierfreiheit weder die generelle Anordnung der Teil- noch der Gesamtnichtigkeit zu favorisieren ist. Dazu Motive, V, 19 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 10: „Dieser Erfolg kann erreicht werden, indem entweder das ganze Geschäft für nichtig erklärt oder die Bedingung als nicht beigefügt angesehen, also die Verfügung als unbedingt angesehen wird. Die das letztere vorschreibende Bestimmung wird meistens damit gerechtfertigt, dass es der oberste Grundsatz des Erbrechtes sei, den Willen des Erblassers zur Geltung zu bringen, und dass es diesem Willen besser entspreche, die unter einer aufschiebenden unerlaubten Bedingung errichtete Verfügung ohne die Bedingung aufrecht zu erhalten, als der ganzen Verfügung die Gültigkeit zu entziehen. Allein es lässt sich bezweifeln, dass damit der Wille des Erblassers wirklich getroffen wird. Im bezeichneten Falle steht fest, dass der Erblasser die Zuwendung nicht unbedingt machen wollte, denn sonst hätte er die Bedingung nicht beigefügt.“
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guten Sitten sowohl nach dem gemeinen Recht378 als auch nach PrALR I 12 § 63 in eine unbedingte Verfügung umgewandelt.379 Eine damit vergleichbare Regelung enthält das Bürgerliche Gesetzbuch jedoch nicht. Dennoch wird in Bezug auf die Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen vielfach vertreten, dass die Verfügung von Todes wegen bei Sittenwidrigkeit der Bedingung als unbedingte aufrecht zu erhalten sei.380 An dieser Stelle wird also die Teilnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen als pauschale Lösung, zumindest in Bezug auf die Sittenwidrigkeit einer Bedingung, ausgemacht. Wie bereits gezeigt, kann es jedoch grundsätzlich Verfügungen von Todes wegen geben, bei denen dem sittenwidrigen Teil von dem Erblasser eine solche Bedeutung zugemessen wird, dass diese sonst nicht errichtet worden wäre. In diesen Fällen stellen die Teilnichtigkeit und die damit einhergehende Aufrechterhaltung der verbleibenden Verfügung von Todes wegen eine Beeinträchtigung des Erblasserwillens und der Testierfreiheit dar, die ihrerseits rechtfertigungsbedürftig sind. Die Aufrechterhaltung des wirksamen Teils der Verfügung von Todes wegen bei sittenwidriger Potestativbedingung wird mit dem Bedachtenschutz begründet. § 138 Abs. 1 BGB solle den Bedachten schützen und diesem daher das Erfüllen der sittenwidrigen Bedingung ersparen.381 Dogmatisch wird dabei auf den römischen Grundsatz pro non scripta habere zurückgegriffen, der bestimmt, dass eine gesetzeswidrige, unmögliche oder unsittliche Bedingung als ungeschrieben gilt.382 Folglich erhält der unter einer sittenwidrigen Bedingung eingesetzte Erbe nach dieser Auffassung uneingeschränkt die Zuwendung.383 Der Schutzzweck des § 138 Abs. 1 BGB würde konterkariert, wenn die Sittenwidrigkeit der Bedingung dazu führen würde, dass der restliche Teil ebenfalls unwirksam ist, da der Bedachte dann schlechter dastehe, als wenn die Bedingung wirksam gewesen wäre.384 Bei Wirksamkeit der Bedingung hätte der Bedachte die Möglichkeit, durch bedingungskonformes Verhalten 378
Vgl. Windscheid/Kipp Lehrbuch des Pandektenrechts, I, § 94; Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 75; Soergel/Loritz BGB § 2074 Rn. 33. 379 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2074, Rn. 75; Soergel/Loritz BGB § 2074 Rn. 33. 380 Vgl. Kellenter, Bedingte Verfügungen von Todes wegen, 176–179; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, § 38, 4d, 695; Lindacher, AcP 175 (1975), 257, 259 f.; Keuk, FamRZ 1972, 9, 15 f.; Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer 575, 589; MüKoBGB/Leipold, § 2074 Rn. 27 f. 381 Vgl. Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 268. 382 Vgl. Windscheid/Kipp Lehrbuch des Pandektenrechts, I, § 94. 383 Vgl. v. Lübtow, Erbrecht, I, 351; Windscheid/Kipp Lehrbuch des Pandektenrechts, I, § 94; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, 192 f. 384 Vgl. statt vieler: MüKoBGB/Leipold, BGB § 2074, Rn. 27 – Leipold betont insbesondere: „Das richtige Kriterium sollte daher nicht der hypothetische Wille des Erblassers bilden, sondern der Zweck jener Vorschriften bzw. Wertungen, die für die Nichtigkeit der Bedingung verantwortlich sind.“
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die Erbschaft zu erlangen, während er bei der Gesamtnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen an der Erbschaft nicht mehr partizipieren kann.385 Eine Gesamtnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen würde folglich dazu führen, dass der Bedachte „Steine statt Brot“ erhielte.386 Darüber hinaus werden für die Aufrechterhaltung des verbleibenden Teils der Zuwendung präventive Gesichtspunkte angeführt.387 Die Errichtung sittenwidriger Verfügungen von Todes wegen würde begünstigt, wenn der verbleibende Teil der Zuwendung nicht aufrechterhalten werde, da es dem Erblasser dann möglich wäre, beliebig viele sittenwidrige Bedingungen zu setzen. Um dies zu vermeiden, sei ein Rückgriff auf den Grundsatz pro non scripta habere und die damit einhergehende Aufrechterhaltung des verbleibenden Teils der Zuwendung erforderlich.388 Es haben sich dabei verschiedene Spielarten dieser Ansicht herausgebildet.389 Diesen ist gemein, dass sie die Aufrechterhaltung des verbleibenden Teils der Verfügung von Todes wegen fordern, um den Zuwendungsempfänger besserzustellen als bei einer Gesamtnichtigkeit. Solchen Sichtweisen ist jedoch entschieden zu widersprechen, da sie die maßgeblichen Prinzipien des Erbrechts verletzen. So ist mit Hermann festzuhalten, dass die Aufrechterhaltung der Zuwendung aus Gründen des Bedachtenschutzes einen Hoffnungserben zu einem Anspruchserben werden lässt.390 Ein solcher Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft ist, wie bereits herausgearbeitet, dem Erbrecht jedoch fremd. Die Erbprätendenten verfügen gerade nicht über einen rechtlich gesicherten Anspruch, sondern vielmehr über eine nuda spes.391 Das „Steine-statt-Brot-Argument“ verkennt so-
385
Vgl. MüKoBGB/Leipold, BGB § 2074, Rn. 27. Lindacher, AcP 175 (1975), 257, 259; vgl. auch Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer, 575, 590. 387 Insoweit geht es dieser Ansicht also auch um eine Prävention inklusive einer Sanktionierung unsittlicher Verfügungen von Todes wegen. Durch die unbedingte Aufrechterhaltung der letztwilligen Verfügung trägt der Erblasser das Risiko, dass sein gewünschtes Verhalten vom Bedachten nicht durchgeführt wird und dieser dennoch das Zugewandte erhält. Dieses Risiko, dass der Erblasser zu tragen hat, spiegelt den Präventions- und Sanktionierungsgedanken dieser Ansicht wider. 388 Vgl. Lindacher AcP Bd. 175 (1975), 257, 259; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, § 38, 4d, 695 f. 389 Vgl. Leipold, Erbrecht, Rn. 449; MüKoBGB/Leipold § 2074 Rn. 27 f.; Keuk, FamRZ 1972, 9, 15; Lindacher AcP 175 (1975), 257, 259; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, § 38, 4d, 695 f. 390 Vgl. Hermann, Pro non scripta habere, 169; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 271. 391 Vgl. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); s. auch Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 386
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
197
mit, dass das Ergebnis der Auslegung keine Schlechterstellung begründen kann, da nie ein Anspruch bestand, Erbe zu werden und sich dies durch die sittenwidrig bedingte Erbeinsetzung auch nicht geändert hat. Im Übrigen hat bereits der historische Gesetzgeber einer Aufrechterhaltung der Zuwendung aus Gründen des Bedachtenschutzes eine Absage erteilt: „Die Rücksichtnahme auf den Bedachten kann nicht entscheiden; denn es ist nicht zu übersehen, dass diesem andere Beteiligte gegenüberstehen, welche die gleiche Rücksichtnahme auf ihr Interesse in Anspruch nehmen dürfen.“392
Darüber hinaus wird auch der Umstand verkannt, dass das prägende Prinzip der Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG die Testierfreiheit ist. Die Testierfreiheit erfordert die größtmögliche Verwirklichung des Erblasserwillens. Diese wird durch die pauschale Annahme der Teilnichtigkeit und der damit verbundenen Aufrechterhaltung der verbleibenden Verfügung von Todes wegen jedoch verhindert. Der Erblasser verliert seine Testierfreiheit auch nicht dadurch, dass er teilweise sittenwidrig testiert, da es eine Pflicht zur sittenkonformen Errichtung der Verfügung von Todes wegen nicht gibt.393 Eine andere Sichtweise würde bedeuten, dass der Erblasser durch das teilweise sittenwidrige Testieren seine Testierfreiheit gänzlich verliert und sich eine gegebenenfalls nicht gewollte Verfügung oktroyieren lassen muss.394 Es bleibt daher dabei, dass das Gericht dazu verpflichtet ist, auch bei Sittenwidrigkeit eines Teils der Verfügung von Todes wegen bezüglich der Frage nach der Aufrechterhaltung des restlichen Teils der Verfügung von Todes wegen den Erblasserwillen zu berücksichtigen. Im Übrigen geht auch die Heranziehung des Präventionsgedankens fehl. Dieser ist im Hinblick auf den individuellen Erblasser wirkungslos, da der Erblasser regelmäßig von der Wirksamkeit seiner Verfügung von Todes wegen ausgehen dürfte und die Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen erst nach dem Erbfall festgestellt werden wird.395 § 138 Abs. 1 BGB verfügt im Erbrecht daher weder über einen 392 Vgl. Motive, V, 20 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 11. 393 Vgl. Hermann, Pro non scripta habere und § 2085 BGB, 164; Hermann betont, dass § 138 BGB keinen Zweck enthält, „sittenkonforme Testamente um einen Selbstwert der Sittenkonformität willen zu produzieren“. Nach Hermann ist dem Regelungsanliegen des § 138 BGB im erbrechtlichen Kontext ein Präventions- und Sanktionierungsgedanke daher fremd. 394 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 76. 395 Vgl. Hermann, Pro non scripta habere und § 2085 BGB, 164. Dazu auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 270: „Auch unter dem Gesichtspunkt der Prävention unsittlicher Verfügungen lässt sich die Aufrechterhaltung der Anordnungen ohne oder gegen den Erblasserwillen nicht begründen. Denn zum einen wäre eine solche im Hinblick auf den individuellen Erblasser – der im Regelfall nicht von der Sittenwidrigkeit der von ihm angeordneten Bedingung ausging – ohnehin wirkungslos, zum anderen ist eine Verpflichtung zur sittenkonformen Errichtung von Testamenten dem Erbrecht, dessen höchstes Prinzip die Testierfreiheit darstellt, fremd.“
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Sanktions- noch einen Präventionsgedanken.396 Für die generelle Aufrechterhaltung des verbleibenden Teils der Verfügung von Todes wegen und dem damit verbundenen Eingriff in die Testierfreiheit gibt es mithin keine tauglichen Rechtfertigungsgründe. Die von weiten Teilen der Literatur und auch in der Praxis durchgeführte pauschale Aufrechterhaltung der verbleibenden Verfügung von Todes wegen stellt daher eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit dar. c) Auslegung der letztwilligen Verfügung als entscheidendes Mittel zur Wahl der richtigen Rechtsfolge – Vorwurf der geltungserhaltenden Reduktion Nachdem deutlich geworden ist, dass pauschale Lösungen (Teil- oder Gesamtnichtigkeit) bei der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen mit der Testierfreiheit unvereinbar sind, stellt sich die Frage, wie die korrekte Rechtsfolge zu ermitteln ist. Da das prägende Element der Testierfreiheit der Erblasserwille ist, kann die Antwort nur in der Auslegung der Verfügung von Todes wegen liegen. Wenn die Auslegung ergibt, dass der Erblasser die Verfügung von Todes wegen auch ohne den sittenwidrigen Teil zu Gunsten des Bedachten errichtet hätte, bleibt es bei der Teilnichtigkeit. Dieses Ergebnis gilt nicht nur für bedingte Verfügungen, sondern für sämtliche Verfügungen von Todes wegen. Sofern (fälschlicherweise) eine Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten397 für möglich gehalten wird, gilt auch hier, dass die testamentarische Zuwendung an die außerhalb der Familie stehende Person nicht insgesamt nichtig ist, sondern nur soweit, wie es die Berücksichtigung der familiären Pflichten erfordert.398 Eine Gesamtnichtigkeit der letztwilligen 396
So auch der BGH, angedeutet in BGHZ 53, 369, 375: „Es geht im Rahmen des § 138 BGB nicht entscheidend […] um die Sanktion für unsittliches Verhalten, sondern allein um die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts […].“ (Hervorhebungen durch den Verf.); deutlicher in BGH, LM § 138 (Cd) BGB Nr. 22 Bl. 2: „Es geht im Rahmen des § 138 I BGB nicht um Sanktionen für ein unsittliches Verhalten, sondern allein um die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts.“ 397 Vgl. dazu Kap. C. I. 1. c). 398 So zutreffend BGH FamRZ 1963, 287, 289 f.; BGHZ 52, 17, 23 f., BGHZ 53, 369, 383; OLG Düsseldorf, FamRZ 1970, 105, 107; Otte, Jura 1985, 192, 200; Staudinger/Sack/ Fischinger BGB § 138 Rn. 186; a.A. Reinicke, NJW 1969, 1343, 1347; Ramm, JZ 1970, 129, 129. Zutreffend betont hingegen Simshäuser, dass es nach Aufgabe der Sittenwidrigkeit von den sog. Geliebtentestamenten nicht mehr um die Frage geht, ob die sittenwidrige Verfügung vollumfänglich oder nur teilweise nichtig ist, sondern dass die Begründung des Sittenwidrigkeitsverdiktes im Vordergrund steht, vgl. Simshäuser, Zur Sittenwidrigkeit der Geliebten-Testamente, 59. Da die wohl überwiegende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung die Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten bejaht und auch Simshäuser diese nicht ausschließt, dürfte er um die Präzisierung der Rechtsfolgen nicht „herumkommen“. Diese unterbleibt jedoch.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
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Verfügung anzunehmen, um die gesetzliche Erbfolge zu erzwingen und damit die nahen Angehörigen zu schützen, stellt, genau wie die pauschale Aufrechterhaltung einer eigentlich bedingten Verfügung als unbedingte aus Gründen des Bedachtenschutzes, eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit dar.399 Selbiges gilt auch für die Sittenwidrigkeit von Wiederverheiratungsklauseln. Wer es entgegen der hier favorisierten Sichtweise für möglich hält, dass Wiederverheiratungsklauseln dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen können, muss bei der Bestimmung der Rechtsfolgen ebenfalls den Erblasserwillen beachten. Insofern hat das OLG Saarbrücken in der bereits dargestellten Entscheidung zu der Sittenwidrigkeit von Wiederverheiratungsklauseln zwar fälschlicherweise die Sittenwidrigkeit der Wiederverheiratungsklausel bejaht, rechtsfolgenseitig jedoch zutreffend festgestellt, dass die ergänzende Testamentsauslegung in einem solchen Fall einen Vermächtnisanspruch in einer Höhe ergeben kann, der dem überlebenden Ehegatten einen Nachlasswert in Höhe seines Pflichtteils überlässt.400 Es dürfte regelmäßig dem Willen des testierenden Ehegattens entsprechen, dass die Wiederverheiratungsklausel zumindest mit dem gesetzlich zulässigen Inhalt aufrechterhalten bleibt.401 Otte, der diese Entscheidung des OLG Saarbrücken kommentiert, geht hingegen davon aus, dass die Vertragsschließenden bei Kenntnis der Nichtigkeit ihrer Wiederverheiratungsklausel in der Form des von ihnen angeordneten Vermächtnisses vielmehr überhaupt kein Vermächtnis angeordnet hätten.402 Diese Annahme kann nicht überzeugen. Ein Erblasser, der bei Wiederheirat des überlebenden Ehegatten den vollständigen Verlust der Erbschaft anordnen möchte, wird, wenn dies rechtlich nicht möglich ist, die Wiederverheiratungsklausel zumindest so weit wie möglich aufrechterhalten wollen. Auch
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Vgl. Reinicke, NJW 1969, 1343, 1347; Ramm, JZ 1970, 129, 129. Vgl. OLG Saarbrücken, DNotZ 2015, 691, 699; s. auch die Anm. von Weber, DNotZ 2015, 691,703; a.A. Otte, ErbR 2015, 567, 575. 401 So auch Weber, DNotZ 2015, 691, 703: „Das Saarl. OLG Saarbrücken geht im Wege der Auslegung davon aus (§§ 133, 157, 2084 BGB), dass anstelle des sittenwidrigen Vermächtnisses ein um den Pflichtteilsanspruch des überlebenden Ehegatten gekürztes Vermächtnis tritt. Auch diese Ausführungen sind zutreffend. Es dürfte dem Willen der Ehegatten entsprechen, dass die Wiederverheiratungsklausel zumindest mit ihrem gesetzlich zulässigen Inhalt aufrechterhalten bleibt.“; vgl. auch Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 186. 402 So Otte, ErbR 2015, 567, 575: „Der Erbvertrag enthielt auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme des OLG, die Vertragsschließenden hätten bei Kenntnis der Nichtigkeit des von ihnen angeordneten Vermächtnisses für den Fall der Wiederheirat immer noch ein Vermächtnis größtmöglichen Umfangs angeordnet. Näher liegt doch, dass sie bei zutreffender notarieller Belehrung über den zur Nichtigkeit führenden Strafcharakter des Vermächtnisses überhaupt kein Vermächtnis angeordnet hätten, das diesem Verdacht ausgesetzt sein könnte.“ 400
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
an dieser Stelle ist daher eine Berücksichtigung des Erblasserwillens notwendig.403 Das Zurückgreifen auf den „sekundären Erblasserwillen“ ist daher nötig und stellt keine unzulässige teleologische Reduktion dar.404 Ein Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, wie beispielsweise im AGB-Recht, kennt das Erbrecht nicht.405 Vielmehr gebietet der Grundsatz der Testierfreiheit, den Erblasserwillen weitestgehend zu berücksichtigen. Bestätigt wird dies durch § 2084 BGB, der den Rechtsanwender dazu verpflichtet, im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann.406 Entscheidend ist daher stets die Beurteilung des Einzelfalls. Die zu Beginn des Kapitels kritisierte Entscheidung des OLG Frankfurt407 ist an dieser Stelle positiv hervorzuheben. So hat das OLG Frankfurt die Bedingung, dass die als Erben eingesetzten Enkel den Erblasser mindestens sechs Mal jährlich besuchen müssen, zwar fälschlicherweise für nichtig erklärt, nimmt dann jedoch folgerichtig an, dass der Erblasser bei Kenntnis der Nichtigkeit die Erbeinsetzung als unbedingte gewollt hätte.408 Dem wird man zustimmen müssen, da der Grund für die Anordnung der Besuchsbedingung 403
Zutreffend OLG Saarbrücken, DNotZ 2015, 691, 699; s. auch die Anm. von Weber, DNotZ 2015, 691, 703. Ebenfalls für eine solche Reduzierung auf das zulässige Maß, jedoch im Kontext der Sittenwidrigkeit aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten, Staudinger/Sack/Fischinger BGB § 138 Rn. 186: „In einem solchen Fall ist die testamentarische Zuwendung aber nicht stets insgesamt nichtig, sondern bleibt vielmehr in der Höhe wirksam, in der sie der Erblasser rechtswirksam hätte testamentarisch anordnen können. Sie sind also nur hinsichtlich dieses Übermaßes sittenwidrig und nichtig.“ 404 So argumentiert Kellenter, Bedingte Verfügungen, 179 f. Das Primärziel des Erblassers sei, dass sich der Bedachte der Bedingung fügt. Sein Sekundärziel, welches zugleich auch das Mittel zur Erreichung des Primärziels darstelle, sei, dass der Bedachte nichts erhalten solle, wenn er die Bedingung des Erblassers nicht erfüllt. Auf die Unterteilung zwischen Primär- und Sekundärziel aufbauend argumentiert Kellenter, dass die Annahme der Gesamtnichtigkeit zu einer mittelbaren Grundrechtsverletzung des Bedachten führe, da sie das Sekundärziel des Erblassers, den Nichterhalt der Erbschaft, verwirkliche. Vgl. dazu auch Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 271. 405 Vgl. Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 271 f. 406 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2084 Rn. 30; BeckOGK/Gierl BGB § 2084 Rn. 2; MüKoBGB/Leipold BGB § 2084 Rn. 61; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 272. 407 Vgl. OLG Frankfurt, OLGR 2005, 300, 300 ff. Vgl. dazu ausführlich die kritischen Ausführungen zu der Entscheidung in Kap. C. I. 1. a) aa) (3). 408 Zustimmend Staudinger/Otte BGB § 2074, Rn. 77; insbesondere auch v. Bary, ZEV 2019, 212, 216: „Das Gericht geht bzgl. der Rechtsfolge vorliegend davon aus, dass der Erblasser die Zuwendung an die Enkel auch ohne die Bedingung gewollt hätte und stützt sich dabei auf eine sehr ausführliche und im Ergebnis unterstützenswerte Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens.“; Die Berücksichtigung des Erblasserwillens ebenfalls maßgeblich haltend, die korrekte Ermittlung durch das OLG Frankfurt aber anzweifelnd Bernauer, DNotZ 2019, 782, 787.
I. Das Sittenwidrigkeitsverdikt als Grenze der Testierfreiheit
201
Ausdruck des Erblasserwunsches gewesen ist und sich darin begründet sieht, die Beziehungen zu den Enkeln an deren Eltern vorbei aufrechtzuerhalten. Für den Fall, dass dieser Versuch scheitert, hätte der Erblasser wohl nicht gewollt, dass seine Kinder als gesetzliche Erben an dem Nachlass partizipieren, sondern vielmehr seine Enkel weiterhin begünstigen wollen. An dieser Stelle hat das OLG Frankfurt den Erblasserwillen zutreffend ermittelt und dabei den Umfang der Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen berücksichtigt. d) Fazit: Unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit durch fehlerhafte Rechtsfolgen bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB Die vielfach vertretene Auffassung, dass bei Sittenwidrigkeit der Bedingung die Zuwendung als unbedingte aus Gründen des Bedachtenschutzes aufrechterhalten werden müsse, ist dogmatisch unstimmig und stellt im Übrigen eine erhebliche Verletzung der Testierfreiheit des Erblassers dar. Selbiges gilt für die pauschale Annahme der Gesamtnichtigkeit der Zuwendung aufgrund der Verletzung familiärer Pflichten. Auch hier ist der damit verfolgte Schutz der nahen Angehörigen als gesetzliche Erben dogmatisch unstimmig und mit der Testierfreiheit des Erblassers unvereinbar. Festzuhalten ist daher, dass es (seltene) Fälle geben kann, in denen trotz des Grundsatzes des favor testamenti unsere Werteordnung und damit einhergehend das Sittenwidrigkeitsverdikt die Nichtigkeit bestimmter Teile der Verfügung von Todes wegen erforderlich macht. In einem solchen Fall verliert der Erblasser bezüglich des restlichen Teils jedoch nicht seine Testierfreiheit, sondern diese wird weiterhin weitestgehend berücksichtigt. Im Wege der Auslegung ist daher stets der Erblasserwille zu ermitteln und anschließend zur Verwirklichung zu verhelfen. Die von Teilen der Literatur und Rechtsprechung favorisierte Aufrechterhaltung des restlichen Teils der Zuwendung aus Gründen des Bedachtenschutzes beschränkt die Testierfreiheit erheblich und stellt einen unzulässigen Einschnitt in die Testierfreiheit dar. Werden die Kategorien der Grenzen der Testierfreiheit betrachtet, die dieser Arbeit zu Grunde liegen, zeigt sich, dass diese Beschränkung der Testierfreiheit in diejenige Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit einzuordnen ist, die dem Schutz der Erben beziehungsweise Erbprätendenten und dem Schutz von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen. Als Charakteristikum dieser Art der Grenzen der Testierfreiheit wurde ausgemacht, dass diese fehlerhaft angewendet werden, um Erben und Erbprätendenten stärker zu schützen und damit besser zu stellen, als dies richtigerweise erforderlich wäre. Die These, dass unzulässige Beschränkungen der Testierfreiheit im Wesentlichen auf dem Verkennen von drei bestimmten Aspekten beruhen, wird auch in Bezug auf diese unzulässige Beschränkung der Testier-
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
freiheit belegt. So wird durch das „Steine statt Brot“-Argument deutlich, dass die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erben beziehungsweise Erbprätendenten nicht berücksichtigt und aus dem Hoffnungserben ein Anspruchserbe gemacht wird. Nachdem nunmehr das Sittenwidrigkeitsverdikt und dessen Anwendung in der Rechtsprechung untersucht worden ist, sollen im nächsten Kapitel die Grenzen der Testierfreiheit zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung und lebenslanger Bindung der Erben analysiert werden.
II. Die Grenzen der Testierfreiheit zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung und lebenslanger Bindung der Erben Erblasser haben regelmäßig ein erhebliches Interesse an einer Mitbestimmung der Entwicklung des Nachlasses über ihren Tod hinaus. Dieses legitime Interesse wird von vielen Stimmen aus der Rechtswissenschaft bereits als übergriffig und damit einhergehend als rechtlich nicht billigenswert eingestuft.409 Wie die Ausführungen zu der Frage nach der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Verfügungen gezeigt haben, kann der Erblasser jedoch im Rahmen der restriktiv anzuwendenden Grenzen der §§ 134, 138 BGB grundsätzlich Anordnungen nach Belieben erlassen und die Erbeinsetzung auch von einer verhaltensbezogenen Bedingung abhängig machen.410 Neben diesen Ausgestaltungsmöglichkeiten, die für den Erhalt der Erbschaft beziehungsweise für die Erbenstellung maßgeblich sind, gibt das Gesetz dem Erblasser die Möglichkeit, auch lange nach Eintritt des Erbfalls auf das Schicksal des Vermögens einwirken zu können. Das Erbrecht sieht hierfür insbesondere den Erlass eines Auseinandersetzungsausschlusses (§ 2044 BGB), die Anordnung der Nacherbfolge (§§ 2100 ff. BGB) und der Testa-
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Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. VI. 3., C. I. 1. Unter dem Begriff „Herrschaft der Toten über die Lebenden“ wird die Testierfreiheit eingeschränkt und betont, dass für das Setzen von Bedingungen ein Familien- oder Vermögensbezug erforderlich ist, vgl. dazu Keuk, FamRZ 1972, 9 ff.; v. Schrenck-Notzing, Unerlaubte Bedingungen, 67; Schlüter, Festgabe Zivilrechtslehrer, 575, 583. Vgl. zu der „Herrschaft der Toten über die Lebenden“ auch die Darstellung bei BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 4; jurisPKBGB/Schneider § 2109 Rn. 1: „Durch die Anordnung einer Nacherbschaft oder gar mehrerer Nacherbschaften in Folge hat es der Erblasser in der Hand, das Schicksal seines Vermögens weit über den Tod hinaus zu steuern. Die hierin liegende ,Herrschaft der Toten über die Lebenden‘ solle indessen nicht von unbegrenzter Dauer sein.“; s. dazu auch die Einführung in diese Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit in Kap. C. 410 Vgl. dazu Kap. C. I. 1. f).
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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mentsvollstreckung (§§ 2197 ff. BGB) vor. Diese Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Erblasser Einwirkungsmöglichkeiten auf die Erben und deren Umgang mit dem Erbe zugestehen, erfahren durch das Gesetz erhebliche Einschränkungen. So werden die erblasserischen Anordnungen durch zahlreiche Bestimmungen begrenzt, die zum einen der Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung dienen und zum anderen dem Entstehen unbilliger Härten für die Erben aufgrund der langjährigen Bindung an die Bestimmungen des Erblassers vorbeugen sollen.411 Solche Regelungen schränken die Testierfreiheit des Erblassers nicht unerheblich ein, weshalb eine nähere Betrachtung dieser Grenzen der Testierfreiheit notwendig ist. Dazu sollen die jeweiligen Schranken erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten dargestellt und auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden (dazu 1.). Überdies wird auch die Frage beantwortet werden müssen, ob solche Beschränkungen in die dieser Arbeit zugrundeliegenden Kategorien der Grenzen der Testierfreiheit eingeordnet werden können (dazu 2.), bevor in einer abschließenden Stellungnahme diejenigen Ergebnisse des Kapitels zusammengefasst werden, die einen Verstoß gegen die Testierfreiheit darstellen (dazu 3.).
1. Die gesetzlichen Schranken erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten Im Nachfolgenden werden die jeweiligen Schranken der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten näher untersucht. Dazu ist zwischen den eingangs bereits dargestellten Möglichkeiten der Anordnung eines Auseinandersetzungsausschlusses (dazu a)), einer Testamentsvollstreckung (dazu b)) und einer Nacherbfolge (dazu c)) zu unterscheiden. Sofern für die drei erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten gemeinsame Begrenzungen gelten, werden diese in einem eigenständigen Abschnitt erörtert werden (dazu d)). a) Beschränkungen des Auseinandersetzungsausschlusses – Einschränkungen der Ausgestaltungsmöglichkeiten des Erblassers Grundsätzlich ist es dem Erblasser gemäß § 2044 BGB gestattet, durch letztwillige Verfügung einen Ausschluss der Auseinandersetzung zu erlassen, wodurch der Erblasser die Möglichkeit erhält, die Erbauseinandersetzung sowohl in Bezug auf den gesamten Nachlass als auch in Bezug auf einzelne Nachlassgegenstände und einzelne Miterben zu verhindern.412 Die Möglich411 Vgl. dazu ausführlich Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 9 ff. 412 Vgl. BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 2; MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 1; Jauernig/Stürner BGB § 2044 Rn. 2; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 1; Burandt/Rojahn/Flechtner BGB § 2044 Rn. 1; Kroiß/Ann/Mayer/Eberl-Borges BGB § 2044 Rn. 1; Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 1; jurisPK-BGB/Schütte, § 2044 Rn. 1.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
keit der Anordnung eines sogenannten Erbauseinandersetzungsausschlusses nach § 2044 BGB stellt damit eine Ausnahme zu dem Regelfall der Auseinandersetzungsmöglichkeit der Erben nach § 2042 BGB dar.413 Nach überwiegender Ansicht handelt es sich bei der Rechtsnatur des Auseinandersetzungsausschlusses im Sinne des § 2044 BGB entweder um ein Vermächtnis oder um eine Auflage.414 Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtsnatur des Auseinandersetzungsausschlusses ist der im Wege der Auslegung zu ermittelnde Zweck, den der Erblasser im jeweiligen Einzelfall mit seiner Anordnung verfolgt.415 Sofern der Erblasser erreichen will, dass einzelne Miterben nicht gegen den Willen der anderen die Auseinandersetzung verlangen können, der Erblasser mithin also den Auseinandersetzungsanspruch eines jedes Miterben beschränken will, handelt es sich zumindest nach überwiegender Ansicht um ein Vorausvermächtnis zugunsten der jeweils anderen Miterben.416 Unabhängig von der jeweiligen dogmatischen Einordnung des Auseinandersetzungsausschlusses besteht in einem solchen Fall jedenfalls Einigkeit darüber, dass eine Auseinandersetzung im Einverständnis aller Miterben möglich ist und nicht dem Erblasserwillen widerspricht.417 413
Vgl. Muscheler, ZEV 2010, 340, 340; Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 1; jurisPKBGB/Schütte, § 2044 Rn. 1; Jauernig/Stürner BGB § 2044 Rn. 2. 414 Vgl. MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 12; Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 8; Lange, Erbrecht, § 31 Rn. 15; Kroiß/Ann/Mayer/Eberl-Borges BGB § 2044 Rn. 3. Eine a.A. vertreten Bengel, ZEV 1995, 178, 179; Weckbach, Die Bindungswirkung von Erbteilungsverboten, 34; Scheuren-Brandes, ZEV 2007, 306, 306 f.; Soergel/Wolf BGB § 2044 Rn. 3. Hiernach soll in solchen Konstellationen, in denen der Erblasser allein die Erbauseinandersetzungsforderung eines einzelnen oder einer Gruppe von Miterben verhindern will ohne gleichzeitig die übrigen Miterben begünstigen zu wollen (fehlender Begünstigungswille), kein Vermächtnis, sondern eine negative Auseinandersetzungsanordnung angenommen werden. Diese Einordnung einer solchen Verfügung im Sinne des § 2044 BGB hätte zur Folge, dass diese gem. § 2278 Abs. 2 BGB nicht vertragsmäßig bindend in einem Erbvertrag vereinbart werden könnte. Auch als wechselbezügliche Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament könnte eine solche negative Teilungsanordnung gem. § 2270 Abs. 3 BGB nicht errichtet werden. Eine weitere Auffassung vertritt Muscheler, ZEV 2010, 340, 344, der annimmt, dass die Erblasseranordnung weder Vermächtnis noch Auflage, sondern vielmehr eine Art letztwillige Verfügung ist. 415 Vgl. LG München, FamRZ 1998, 1538, 1538 ff.; MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 12; Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 8; Lange, Erbrecht, § 31 Rn. 15; Kroiß/Ann/ Mayer/Eberl-Borges BGB § 2044 Rn. 3. 416 So die h.M., vgl. MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 13; Palandt/Weidlich BGB § 2044 Rn. 3; Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 9. Kipp/Coing, Erbrecht, § 116 IV. 3. geht von einer vermächtnisähnlichen Bedeutung aus. 417 So explizit BGHZ 40, 115, 117: „[S]oll nur der Anspruch des einzelnen Miterben gegen die übrigen auf Erbauseinandersetzung (§ 2042 Abs. 1 BGB) ausgeschlossen werden; dann ist eine Erbauseinandersetzung im Einverständnis aller Miterben schon deshalb rechtswirksam möglich, weil sie gar nicht gegen den Willen des Erblassers verstößt.“ Dem folgen MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 13; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 4.
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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Wenn der Erblasser die Auseinandersetzung hingegen unabhängig von den Willen der Erben untersagen will, also auch für den Fall ausschließen möchte, in dem sämtliche Miterben über die Teilung des Nachlasses einig sind, handelt es sich nach zutreffender Ansicht um eine Auflage zulasten aller Miterben.418 Diese Auflage begründet lediglich eine schuldrechtliche Unterlassungspflicht der Erben, jedoch kein gesetzliches, gerichtliches oder behördliches Verbot im Sinne der §§ 134, 135, 136 BGB. Vielmehr stellt die Auflage ein rechtsgeschäftliches Verbot im Sinne des § 137 BGB dar, welches die dingliche Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts nicht berührt.419 Die Gründe für die Anordnung eines solchen Teilungsverbotes sind vielfältig. Gerade Unternehmer haben ein Interesse daran, einem Erben den Nachlass möglichst auf Dauer ungeteilt zu übertragen, da jede Spaltung des Nachlassvermögens zu einer wirtschaftlichen Beeinträchtigung führt.420 Dem Ausschluss der Auseinandersetzung nach § 2044 Abs. 1 S. 1 BGB sind jedoch erhebliche Schranken gesetzt, die das Teilungsverbot als ein „schwaches Instrument“ erscheinen lassen. Da diese Schranken den Erblasser in der Durchsetzung seines Willens erheblich beeinträchtigen können, stellen sie Grenzen der Testierfreiheit dar, die es näher zu untersuchen gilt. aa) Wirkungslosigkeit des Auseinandersetzungsausschlusses bei Vorliegen eines wichtigen Grundes als Grenze der Testierfreiheit Die Möglichkeit der Anordnung eines Auseinandersetzungsausschlusses erfährt nach § 2044 Abs. 1 S. 2 BGB eine erhebliche Einschränkung durch die entsprechende Anwendung des § 749 Abs. 2, Abs. 3 BGB.421 Durch §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2, Abs. 3 BGB wird angeordnet, dass das Teilungsverbot bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wirkungslos wird.422 Wann ein gewichtiger Grund im Sinne der genannten Vorschriften vorliegt, der es rechtfertigt, das Teilungsverbot eines Erblassers für wirkungslos zu erklären, ist eine Tatfrage und hängt damit von den Umständen des Einzelfalls ab.423 Die bislang
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So BGHZ 40, 115, 117; MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 13; Kroiß/Ann/ Mayer/Eberl-Borges BGB § 2044 Rn. 3; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 5; Staudinger/Löhnig, 2016, Rn. 5; vgl. dazu auch Kiethe, ZEV 2003, 225, 225 f. 419 Vgl. BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 5; MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 14. Es kommen lediglich Schadensersatzansprüche eines Vollziehungsberechtigten im Sinne des § 2194 BGB in Betracht. 420 Vgl. dazu insbesondere Kiethe, ZEV 2003, 225, 225. Kiethe betont neben diesen wirtschaftlichen Erwägungen des Erblassers auch das Interesse des Erblassers an der persönlichen Kontinuität. 421 Vgl. LSG NRW, MittBayNot 2015, 168; Muscheler, ZEV 2010, 340, 347; Staudinger/Löhnig BGB § 2044, Rn. 11. 422 Vgl. Muscheler, ZEV 2010, 340, 346. 423 Vgl. OLG Hamburg, NJW 1961, 610; MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 17; Staudin-
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
gerichtlich entschiedene Kasuistik ist diesbezüglich sehr dünn. Ein wichtiger Grund wurde von der Rechtsprechung bisher in Fällen anerkannt, in denen ein Miterbe die Verwertung und Nutzung des Nachlasses aufgrund seiner Sozialhilfebedürftigkeit benötigt.424 Neben dem Bedürfnis eines Miterben nach Nutzung des Nachlasses wird ein wichtiger Grund auch dann angenommen, wenn ein Verbleib in der Erbengemeinschaft und der damit einhergehenden gesamthänderischen Bindung unzumutbar erscheint.425 Eine solche Unzumutbarkeit wird in Fällen bejaht, in denen beispielsweise eine Verfeindung der Erben vorliegt.426 Bei der Auswertung der vorhandenen Rechtsprechung und Literatur lassen sich zwei verschiedene Betrachtungsweisen ausmachen. Eine Perspektive stellt dabei primär auf die Interessen der Erben, beziehungsweise des einzelnen Erben ab und prüft, ob dem Miterben ein Festhalten an der gesamthänderischen Bindung noch länger zumutbar ist.427 Eine zweite Blickrichtung verlässt die Beteiligtenperspektive und weicht damit von den allgemeinen Regeln für Dauerrechtsbeziehungen ab.428 Für die Beger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 23.; Palandt/Edenhofer BGB § 2044 Rn. 5; BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 8 ff.; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 7. 424 Vgl. LSG NRW, MittBayNot 2015, 168, 171 ff. Das LSG NRW begründet seine Auffassung damit, dass eine andere Sichtwiese die Annahme einer letztwilligen Verfügung zu Lasten Dritter – regelmäßig zu Lasten des Sozialhilfeträgers – bedeuten würde und sieht darin einen Verstoß gegen den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe. Dabei übersieht das LSG NRW, dass die Zuwendung, auch wenn sie unter Anordnung eines Teilungsverbotes erfolgt, eine Verfügung zugunsten des Erben und damit zumindest eine Erweiterung seiner Rechtspositionen ist und nicht zulasten des Sozialhilfeträgers wirkt. Sicherlich wäre die reine Zuwendung ohne Teilungsanordnung sowohl für den Erben als auch für den Sozialhilfeträger vorteilhafter, eine solche partielle Betrachtung verbietet sich jedoch. 425 Vgl. Staudinger/Löhnig BGB § 2044, Rn. 11; BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 9; MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 17. 426 Vgl. LG Düsseldorf, FamRZ 1955, 303, 304; daneben wird mit Blick auf den § 1629a Abs. 4 BGB auch der Eintritt der Volljährigkeit eines Erben als wichtiger Grund im Sinne des § 749 Abs. 2 BGB verstanden, vgl. dazu BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 9; Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 24. 427 So explizit BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 8: „In Betracht kommen Umstände in der Person eines Miterben (personenbezogene Gründe), in der Beziehung der Miterben zueinander (etwa verhaltensbedingte wichtige Gründe) oder sonstige Umstände. […] Der betreffende Umstand muss für den sich hierauf berufenden Miterben so wichtig sein, dass ihm ein Verbleib in der Erbengemeinschaft bzw. eine Aufrechterhaltung der Erbengemeinschaft als Verwaltungs- und Nutzungsgemeinschaft nicht mehr zumutbar ist.“ Die die Erbenperspektive ebenfalls für maßgeblich halten Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 24; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 7. 428 So explizit MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 17: „Anders als nach den allgemeinen Regeln für Dauerrechtsbeziehungen, bei denen es allein um Beteiligteninteressen geht, ist hier nicht maßgebend, ob ein Festhalten an der gesamthänderischen Bindung auch angesichts der Möglichkeit einer Verwalterbestellung nicht zumutbar wäre […], sondern ob der
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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urteilung der Zumutbarkeit sei entscheidend, ob der Erblasser bei Kenntnis der jetzigen Situation von einer Anordnung des Auseinandersetzungsausschlusses abgesehen hätte.429 Maßgeblich für die Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes sind nach dieser Betrachtungsweise die Zwecke, die der Erblasser mit dem Auseinandersetzungsverbot verfolgt hat, und die Frage, ob diese Zwecke weiterhin ihre Berechtigung haben. Im Rahmen dieses Ansatzes kann zwischen einer erbenfreundlichen430 und einer erblassernahen431 Auslegung unterschieden werden. Der Bundesgerichtshof hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2 BGB im Interesse eines an einer Erbengemeinschaft beteiligten Erben bejaht, der aufgrund seiner finanziellen Situation432 ein Interesse an der „Versilberung“ seines Erbteils hatte.433 Dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs lässt sich entnehmen, dass die Interessen der an der Erbengemeinschaft Beteiligten für die Frage nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes maßgeblich sind. Für diese Sichtweise spricht zum einen, dass die § 2044 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 749 Abs. 2 BGB auf die Begrenzung des Erblassereinflusses zielen. Zum anderen verweist der Gesetzgeber in § 2044 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich auf die außererbrechtliche Norm des § 749 Abs. 2 BGB. Im Rahmen des § 749 Abs. 2 BGB wird auf
Erblasser, der an der Erbengemeinschaft nicht beteiligt ist, in Kenntnis der nun bestehenden Gründe von der Anordnung des Auseinandersetzungsausschlusses abgesehen hätte.“ Auch Muscheler, ZEV 2010, 340, 347 verlässt die Beteiligtenperspektive und stellt auf die Vorstellungen des Erblassers ab. 429 Vgl. MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 17; Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. 430 Vgl. Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 24; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 7; BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 8; Palandt/Weidlich BGB § 2044 Rn. 5. 431 So Muscheler, ZEV 2010, 340, 347: „Ein wichtiger Grund i.S. der §§ 2044 Abs. 1 Satz 2, 749 Abs. 2 ist nur dann gegeben, wenn der Erblasser – wäre ihm die geänderte Sachlage bekannt gewesen – selbst den Ausschluss der Auseinandersetzung nicht aufrechterhalten hätte oder wenn die typisierenden Wertungen der §§ 2044 Abs. 2, 2306 Abs. 1 ausnahmsweise nicht ausreichen, das Verwertungsinteresse des einzelnen Miterben zu wahren.“ 432 Der beteiligte Miterbe befand sich im Verfahren der Restschuldbefreiung nach § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Hingegen lehnen diverse Stimmen in der Literatur bei einem reinen Geldbedarf eines Miterben das Vorliegen eines wichtigen Grundes ab, vgl. dazu exemplarisch BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 10; Kroiß/Ann/Mayer/Eberl-Borges BGB § 2044 Rn. 7. 433 So BGH, NJW 2013, 870, 871 Rn. 13: „Selbst dann, wenn der Erblasser durch letztwillige Verfügung die Auseinandersetzung in Ansehung des Nachlasses oder einzelner Nachlassgegenstände ausgeschlossen hat (vgl. § 2044 I BGB), wofür es hier keine Anhaltspunkte gibt, kann ein Miterbe bei Vorliegen eines wichtigen Grundes die Auseinandersetzung verlangen (§§§ 2044 I 2, 749 II BGB); die Verpflichtung zur Herausgabe der Hälfte des Werts der Erbschaft (§ 295 I Nr. 2 InsO) stellt einen solchen wichtigen Grund dar.“ Zustimmend Palandt/Weidlich BGB § 2044 Rn. 5; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 7.
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die Interessen der Teilhaber des gemeinschaftlichen Gegenstands abgestellt.434 Dies spricht insoweit für eine Betrachtung der Interessen der an der Erbengemeinschaft beteiligten Miterben. (1) Zweifel an der Notwendigkeit einer entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den zeitlich begrenzten erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschluss Ein Vergleich zwischen der direkten Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf die Bruchteilsgemeinschaft und der entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den Auseinandersetzungsausschluss lässt Unstimmigkeiten deutlich werden. Während die direkte Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB nach ganz einhelliger Meinung den Sinn und Zweck verfolgt, die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund zu ermöglichen435, kann selbiger für die entsprechende Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB im Rahmen des § 2044 BGB nicht gelten, da es sich bei der Anordnung eines Teilungsverbotes nicht um ein vereinbartes Dauerschuldverhältnis handelt.436 Überdies ist noch ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen der direkten Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB bezüglich der Bruchteilsgemeinschaft und einer entsprechenden Anwendung hinsichtlich der Anordnung eines Auseinandersetzungsausschlusses im Hinblick auf die Notwendigkeit einer solchen Beschränkung zu erkennen. Während § 749 Abs. 2 BGB im Rahmen der Bruchteilsgemeinschaft regelmäßig auf zeitlich unbegrenzte Verhältnisse Anwendung findet, ist das Teilungsverbot des Erblassers zeitlich nach § 2044 Abs. 2 BGB begrenzt. Dieser Unterschied wirft die Frage auf, ob § 749 Abs. 2 BGB wegen der Möglichkeit der zeitlich unbegrenzten Vereinbarung einer Bruchteilsgemeinschaft die Kündigung aus wichtigem Grund zulässt und eine entsprechende Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den zeitlich begrenzten Auseinandersetzungsausschluss daher ohnehin nicht notwendig ist. Während der erste Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches auch die Bruchteilsgemeinschaft zeitlich beschränkte und gleichzeitig keine Regelung zur Aufhebung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes enthielt, wurde in der endgültigen Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches die zeitliche Begrenzung der Bruchteilsgemeinschaft gestrichen und die Regelung zur Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft bei Vorliegen eines wichtigen Grundes eingeführt.437 434 Vgl. dazu ausführlich BeckOGK/Fehrenbacher BGB § 749 Rn. 27 ff.; MüKoBGB/Schmidt BGB § 749 Rn. 11 ff.; Staudinger/Eickelberg BGB § 749 Rn. 77 ff.; Jauernig/Stürner BGB § 749–758 Rn. 4 ff.; vgl. zu dem grundsätzlichen Erfordernis eines wichtigen Grundes und der entsprechenden Kasuistik Erman/Aderhold BGB § 749 Rn. 6 ff.; jurisPK-BGB/Gregor BGB § 749 Rn. 4 f. 435 Vgl. BeckOGK/Fehrenbacher BGB § 749 Rn. 8 ff.; BeckOK BGB/Gehrlein BGB § 749 Rn. 7; MüKoBGB/Schmidt BGB § 749 Rn. 10. 436 Vgl. Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. 437 Vgl. Motive, V, 689 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 370; Muscheler, ZEV 2010, 340, 346.
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Vor diesem Hintergrund ist mit Muscheler festzuhalten, dass der Unwirksamkeitsgrund des § 749 Abs. 2 BGB entstehungsgeschichtlich somit nichts anderes als die Kompensation einer fehlenden gesetzlichen Zeitschranke darstellt. Wenn nun aber die Regelung des § 749 Abs. 2 BGB lediglich als „Gegengewicht“ zu einer fehlenden zeitlichen Schranke der Bruchteilsgemeinschaft fungiert, fehlt es der entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB bei dem nunmehr zeitlich beschränkten Auseinandersetzungsausschluss an einem hinreichenden Grund. Es bestehen daher Zweifel an der Notwendigkeit der entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschluss. Muscheler betont: „Der Unwirksamkeitsgrund des § 749 Abs. 2 stellt somit entstehungsgeschichtlich nichts anderes dar als die Kompensation einer fehlenden gesetzlichen Zeitschranke, und gerade aus diesem Grund erweisen sich die §§ 2044 Abs. 1 Satz 2, 749 Abs. 2, Abs. 3 als Missgriff des Gesetzes, das hier des Guten zuviel tut.“438
Um die Notwendigkeit der entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschluss zu überprüfen, soll im Nachfolgenden untersucht werden, ob die Kriterien, die bei der Frage nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes bei der direkten Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB üblicherweise geprüft werden, auch bei dem erbrechtlichen Teilungsverbot nach § 2044 BGB vorliegen können. (2) Untersuchung der entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschluss Bei der Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB stehen zwei zentrale Kriterien im Vordergrund. So wird im Rahmen des § 749 Abs. 2 BGB verlangt, dass eine Fortsetzung der Bruchteilsgemeinschaft für den Teilhaber, der die Aufhebung begehrt, unzumutbar sein muss439 und dass überdies die Voraussetzungen, unter denen der Ausschluss vereinbart worden ist, weggefallen sind.440 Es ist daher zu prüfen, inwieweit diese beide Kriterien bei der entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf den Auseinandersetzungsausschluss verwirklicht werden können.
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Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. So BeckOGK/Fehrenbacher BGB § 749 Rn. 27: „Ein wichtiger Grund kann sich aus dem Verhalten eines Teilhabers oder der anderen Teilhaber ergeben, wenn dadurch ein Verbleiben in der Gemeinschaft unzumutbar wird.“; vgl. auch Erman/Aderhold BGB, § 749 BGB Rn. 9; jurisPK-BGB/Gregor § 749 BGB Rn. 4. 440 Vgl. BeckOGK/Fehrenbacher BGB § 749 Rn. 28; jurisPK-BGB/Gregor § 749 BGB Rn. 4; Erman/Aderhold BGB, § 749 BGB Rn. 6; MüKoBGB/Schmidt BGB § 749 Rn. 12; Staudinger/Eickelberg BGB § 749 Rn. 79. 439
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(a) 1. Kriterium: Wegfall der Voraussetzungen unter denen der Ausschluss vereinbart worden ist Im Rahmen des § 749 Abs. 2 BGB ist als ein maßgebliches Kriterium ausgemacht worden, dass die Voraussetzungen, unter denen der Ausschluss des Rechts, Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft zu verlangen, vereinbart worden ist, weggefallen sein müssen.441 Wird nunmehr der Wegfall dieser Anordnungsvoraussetzungen aus Erblasserperspektive geprüft442, ließe sich argumentieren, dass der Erblasser bei der Anordnung eines Testierverbotes den Bestand der Erbengemeinschaft von äußeren Einflüssen und damit auch von einem Wandel der Verhältnisse unabhängig machen möchte.443 Die Änderung der die Erbengemeinschaft betreffenden Umstände wäre für den Erblasser sodann kein Wegfall der Geschäftsgrundlage, sondern in gewisser Weise vorausgesehen.444 Muscheler argumentiert, dass regelmäßig davon ausgegangen werden könne, dass der Erblasser, gerade weil er Änderungen befürchtet, den Auseinandersetzungsausschluss anordnet. Für die Erben gelte dann, dass ein Wegfall der Voraussetzungen, unter denen der Erblasser das Teilungsverbot angeordnet hat, regelmäßig kaum begründbar sein wird und damit ein zentrales Kriterium im Rahmen des § 749 Abs. 2 BGB nicht vorliegt.445 Wenngleich dieser Befund durchaus zutrifft, überzeugt er dennoch nicht umfassend. Zum einen übersieht Muscheler, dass es durchaus Fälle gibt, in denen davon ausgegangen werden kann, dass auch der Erblasser bei Kenntnis der Entwicklungen in bestimmten Fällen von seinem eigentlich Plan, eine Erbauseinandersetzung zu verhindern, abrücken würde. Zutreffend betont Ann: „Auch dem Erblasser wird nämlich daran liegen, dass unter den Miterben ein Minimalkonsens herrscht und dass kein Miterbe durch den Auseinandersetzungsausschluss existentiell in Not gerät.“446 441 Vgl. Kap. C. II. 1. a) aa); vgl. dazu auch die Ausführungen bei Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. 442 Die Frage nach der Beurteilungsperspektive wird unterschiedlich beantwortet, vgl. dazu die Ausführungen in Kap. C. II. 1. a) aa) So wird zum Teil eine Betrachtung aus der Erblasserperspektive vorgenommen, vgl. dazu MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 17; Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. Teilweise wird jedoch auch auf die Perspektive der an der Erbengemeinschaft beteiligten Erben abgestellt, vgl. dazu BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 8; Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 24; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 7. 443 Vgl. Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. 444 Gerade weil der Erblasser Änderungen der Erbengemeinschaft befürchtet, ordnet dieser einen Auseinandersetzungsausschluss an, vgl. dazu Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. 445 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. 446 MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 17; die gegenteilige Auffassung vertritt Muscheler, ZEV 2010, 340, 347: „Der Erblasser will den Bestand der Gemeinschaft vom Wechsel der (ihn selbst nicht mehr tangierenden) Verhältnisse unabhängig machen, für ihn ist die Änderung der Umstände gerade kein Wegfall seiner Geschäftsgrundlage.“
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Zum anderen wird eine ausschließliche Betrachtung der Erblasserinteressen – wie Muscheler sie vornimmt – dem Charakter der §§ 2044 Abs. 1 S. 2, § 749 Abs. 2 BGB, die auf eine Begrenzung des Erblassereinflusses abzielen, nicht gerecht. Vielmehr müssen auch die allgemeinen Regeln für Dauerrechtsbeziehungen und damit die Interessen der an der Erbengemeinschaft beteiligten Erben berücksichtigt werden. Wird diese Perspektive eingenommen, ist eine Änderung der Verhältnisse im Laufe der andauernden Erbengemeinschaft durchaus möglich.447 Nach der Annahme der Erbschaft können sich die Beziehungen zwischen den Miterben und deren Interessen völlig unterschiedlich entwickeln. Eine solche Änderung gleicht sodann dem „Wegfall der Voraussetzungen, unter denen der Auseinandersetzungsausschluss vereinbart worden ist“. Insofern, als dass es überzeugend erscheint, für die Frage, was als wichtiger Grund gelten kann, sowohl die Erblasser- als auch die Erbenperspektive zu berücksichtigen, kann das Kriterium des Wegfalls der Voraussetzungen, unter denen das Auseinandersetzungsverbot vereinbart worden ist, durchaus vorliegen. Sowohl für den Erblasser als auch für die Erben können sich die wesentlichen Umstände daher ändern. Dennoch muss Muscheler insoweit zugestimmt werden, als dass zumindest aus Erblasserperspektive ein Auseinandersetzungsausschluss bis zu einem gewissen Maß an Veränderungen auch deshalb angeordnet wird, weil der Erblasser die Auseinandersetzung auch bei Veränderungen verhindern will. Aus diesem Grund ist eine restriktive Anwendung der §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2 BGB angezeigt. Gleichwohl bleibt es dabei, dass es Fälle geben wird, in denen sich die wesentlichen Umstände sowohl aus der Erbenperspektive als auch aus der Erblasserperspektive geändert haben, sodass ein Festhalten an dem Auseinandersetzungsausschluss nicht mehr gewünscht wird, beziehungsweise werden würde. Nach der Untersuchung des ersten Kriteriums der Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB kann folglich festgestellt werden, dass dieses in bestimmten Fällen auch bei einem erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschluss vorliegen kann, sodass die entsprechende Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf einen erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschluss notwendig erscheint. Eine solche Untersuchung soll nunmehr auch für das zweite wesentliche Kriterium bei der Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB – die persönliche Unzumutbarkeit – vorgenommen werden.
447
Vgl. dazu Staudinger/Löhnig BGB § 2044 Rn. 24; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 7; BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 8.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
(b) 2. Kriterium: Persönliche Unzumutbarkeit des Auseinandersetzungsausschlusses Das Merkmal der persönlichen Unzumutbarkeit kann aufgrund der Vielzahl an denkbaren Fallgestaltungen im Rahmen des § 749 Abs. 2 BGB nicht präzise definiert werden.448 Einigkeit besteht jedoch dahingehend, dass an die persönliche Unzumutbarkeit hohe Anforderungen zu stellen sind.449 Die persönliche Unzumutbarkeit, die bei der Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB regelmäßig erforderlich ist, kann für die Miterben in Bezug auf die gemeinschaftliche Fortsetzung der Erbengemeinschaft bereits deshalb nicht entstehen, weil das Kriterium der persönlichen Unzumutbarkeit bereits im Rahmen des § 2044 Abs. 2 BGB und § 2306 Abs. 1 BGB berücksichtigt und auch verhindert wird. So kann eine persönliche Unzumutbarkeit dadurch vermieden werden, dass nach 30 Jahren Auseinandersetzungsausschlüsse wirkungslos werden und für die Beteiligten somit absehbar ist, dass sie nicht ewig einem solchen unterliegen. Hier sieht das Gesetz daher bereits eine Regelung vor, die versucht, die Interessen des Erblassers mit den persönlichen Auswirkungen eines Auseinandersetzungsausschlusses in Einklang zu bringen.450 Dass das Gesetz einer persönlichen Unzumutbarkeit zumindest teilweise bereits entgegenwirkt, wird auch anhand des § 2306 Abs. 1 BGB deutlich. Dieser bestimmt, dass ein als Erbe berufener Pflichtteilsberechtigter, der durch einen Ausschluss der Auseinandersetzung beschränkt ist, den Pflichtteil verlangen kann, wenn er den Erbteil ausschlägt.451 Pflichtteilsberechtigte haben durch das Gesetz einen Anspruch auf Teilhabe am Nachlass (§§ 2303 ff. BGB). Sofern der Erblasser nunmehr Pflichtteilsberechtigte zu seinen gewillkürten Erben macht und mit einem Auseinandersetzungsausschluss be448 Zumindest findet sich weder in Rechtsprechung noch Literatur eine übliche Definition, vgl. MüKoBGB/Schmidt BGB § 749 Rn. 11 f.; BeckOGK/Fehrenbacher BGB § 749 Rn. 27–29. 449 Vgl. jurisPK-BGB/Gregor, § 749 BGB Rn. 4; MüKoBGB/Schmidt BGB § 749 Rn. 11; BeckOGK/Fehrenbacher BGB § 749 Rn. 27; NK-BGB/Kuhn/Radlmayr BGB § 749 Rn. 6. Nach Auffassung des BGH liegt selbst bei einer Verfeindung der Teilhaber nur dann ein wichtiger Grund im Sinne des § 749 Abs. 2 BGB vor, wenn hierdurch die Gemeinschaft unmittelbar beeinträchtigt wird, BGH, NJW-RR 1995, 334, 335: „Unzumutbar ist deswegen die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht bereits dann, wenn Uneinigkeit oder Feindschaft zwischen den Betroffenen besteht, erforderlich ist vielmehr, dass eine ordnungsgemäße gemeinschaftliche Nutzung und Verwaltung unter Abwägung aller den Einzelfall prägenden Umstände unmöglich ist […].“ 450 Zu dieser zeitlichen Grenze des Auseinandersetzungsausschlusses s. Kap. C. II. 1. a) bb) Zu der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der zeitlichen Begrenzung erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten s. Kap. C. II. 1. d). 451 Vgl. zu der Möglichkeit der Ausschlagung MüKoBGB/Lange BGB § 2306 Rn. 1 ff.; BeckOGK/Obergfell BGB § 2306 Rn. 2 f.; Jauernig/Stürner BGB § 2306 Rn. 9.
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schränkt, sollen diese immerhin die Möglichkeit haben, sich diesem Ausschluss durch Ausschlagung zu entziehen und ihren Pflichtteil zu verlangen. Auch diese Norm ist daher Ausdruck des Anliegens des Gesetzgebers einer persönlichen Unzumutbarkeit entgegenzuwirken.452 Dies spricht zumindest dafür, die §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2 BGB so einschränkend wie möglich auszulegen.453 Darüber hinaus ist an dieser Stelle eine Rückbesinnung auf die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten notwendig.454 Grundsätzlich gilt, wie auch ein Rückgriff auf die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch455 gezeigt hat, dass niemand außerhalb des Pflichtteilsrechts einen Anspruch hat, Erbe zu werden.456 Es ließe sich daher argumentieren, dass die Zuwendung unter Anordnung eines Teilungsverbotes trotz ihrer Beschränkung eine Erweiterung der Rechtspositionen der Erben darstellt. Darauf aufbauend ließe sich sodann vertreten, dass eine Erweiterung der Rechtsposition nicht dazu führen könne, dass eine persönliche Unzumutbarkeit entsteht.457 Eine solche Argumentation verkennt jedoch, dass es sich bei der Erbengemeinschaft um eine Dauergemeinschaft handelt und die Gründe, aus denen sich die persönliche Unzumutbarkeit ergibt, zum Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft häufig noch nicht erkennbar sind oder nicht vorliegen. Das bereits mehrfach angeführte Argument, dass jede Form der Nachlassbeteiligung für den Erben grundsätzlich ein Geschenk, beziehungsweise ein Schenkungsangebot ist, überzeugt hier nicht.458 Bei einer Erbschaft, die unter einer Bedingung angeordnet wird, wissen die Erbprätendenten von Anfang an bereits, zu welchen „Konditionen“ sie die Erbschaft erhalten und können 452
Vgl. Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. Muscheler betont, dass der § 2306 Abs. 1 insbesondere seit der Streichung des § 2306 Abs. 1 S. 1 a.F. in rechtspolitischer Hinsicht gegen §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2, Abs. 3 BGB spricht. 453 In diese Richtung auch Muscheler, ZEV 2010, 340, 347. 454 Die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten ist bereits an mehreren Stellen dieser Arbeit relevant geworden, z.B. bei der Frage nach der Sittenwidrigkeit erbrechtlicher Potestativbedingungen, vgl. Kap. D. I. 1. a) und den Rechtsfolgen des § 138 Abs. 1 BGB, vgl. Kap. D I. 3. 455 Vgl. Motive V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210. 456 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. III., C. I. 1. a) aa) (3); Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 457 Lediglich für Pflichtteilsberechtigte könnte dies der Fall sein, da ihnen vom Gesetz ein Pflichtteilsanspruch zuteil wird und eine Erbeinsetzung unter Anordnung eines Teilungsverbotes hier hinter zurückbleiben und für den Pflichtteilsberechtigten dann nachteilig sein könnte. 458 Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen in Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); vgl. auch Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 762.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
die Erbschaft annehmen oder ausschlagen. Die Situation, die den §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2 BGB zugrundliegt, ist jedoch eine völlig andere. Hier entsteht die persönliche Unzumutbarkeit erst durch die dauerhafte Bindung an die Erbgemeinschaft, die aufgrund des Teilungsverbotes grundsätzlich nicht aufgehoben werden kann. Das vermeintliche Geschenk kann durch die Bindung an die Erbengemeinschaft persönliche Härten hervorrufen, die zu dem Zeitpunkt seiner Annahme noch nicht erkennbar waren. Aus der Annahme der mit einem Teilungsverbot versehenen Erbschaft kann daher nicht hergeleitet werden, dass der jeweilige Erbe sämtliche Folgen der dauerhaften Bindung akzeptiert. Vielmehr muss es diesem unter engen Voraussetzungen möglich sein, das Dauerschuldverhältnis zu beenden. Zu Recht handelt es sich bei der Beendbarkeit von Dauerschuldverhältnissen daher um einen tief im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Grundsatz.459 Es muss jedoch dabei bleiben, dass die Annahme eines wichtigen Grundes die Ausnahme bildet und an die persönliche Unzumutbarkeit folglich hohe Anforderungen zu stellen sind. (3) Zwischenfazit – Restriktive Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB auf das Teilungsverbot Muscheler sieht die – sich für das Teilungsverbot des Erblassers aus §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2 BGB ergebende – Grenze der Nichtgeltung bei gewichtigem Grund als rechtspolitisch verfehlt an und fordert, dass die sie anordnenden Normen eng ausgelegt werden müssen.460 Dem ist nur teilweise zuzustimmen. Im Hinblick auf die gewonnenen Erkenntnisse lässt sich festhalten, dass ein wichtiger Grund nicht ohne weiteres angenommen werden darf. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass zumindest aus Erblasserperspektive ein Festhalten an dem Auseinandersetzungsausschluss bis zu einem gewissen Grad an Veränderungen gewünscht ist. Auch wirkt das Gesetz zumindest
459
Mit dem § 314 Abs. 1 BGB erkennt die Rechtsordnung eine immanente Grenze der privatautonomen Selbstbindung an, um unzumutbare Bindungen an Dauerschuldverhältnisse zu verhindern, vgl. dazu ausführlich Oetker, Dauerschuldverhältnis, 268 ff.; BeckOGK/Martens BGB § 314 Rn. 2. Vor der Einführung des § 314 Abs. 1 BGB hatte die Rechtsprechung ein außerordentliches Kündigungsrecht teilweise aus einer entsprechenden Anwendung des § 626 BGB oder teilweise aus § 242 BGB hergeleitet, dann aber wieder aus einer Gesamtanalogie der einschlägigen oder aus einem allgemeinen Rechtssatz. Vgl. dazu RGZ 105, 167; RGZ 140, 264, 275; BGHZ 9, 157, 161; BGHZ 41, 104, 108; BGHZ 133, 316, 320. 460 So Muscheler, ZEV 2010, 340, 347: „Die aus §§ 2044 Abs. 1 Satz 2, 749 Abs. 2 folgende Grenze (Nichtgeltung bei wichtigem Grund) ist beim Auseinandersetzungsausschluss des Erblassers rechtspolitisch verfehlt. Die sie anordnenden Normen müssen daher eng ausgelegt werden.“
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
215
teilweise einer persönlichen Unzumutbarkeit entgegen. Gleichwohl kann es Situationen geben, in denen ein Verbleib in der Dauergemeinschaft für den jeweiligen Erben unerträglich ist und in denen auch der Erblasser seine Meinung zu der Möglichkeit der Erbauseinandersetzung geändert hätte. Ist dies der Fall, gelangen die §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2 BGB zur Anwendung. Aus diesem Grund können die §§ 2044 Abs. 1 S. 2, 749 Abs. 2 BGB auch nicht als rechtspolitisch verfehlt bezeichnet werden. Das Auflösungsrecht bei wichtigem Grund ist für Dauerschuldverhältnisse typisch461 und stellt eine zulässige Begrenzung der Testierfreiheit dar. bb) Zeitliche Beschränkung des Auseinandersetzungsausschlusses – Sinn und Zweck einer temporalen Begrenzung des Auseinandersetzungsausschlusses Ein Teilungsverbot wird gemäß § 2044 Abs. 2 BGB unwirksam, wenn 30 Jahre seit Eintritt des Erbfalls verstrichen sind.462 Gemäß § 2044 Abs. 2 S. 2 BGB kann der Erblasser jedoch anordnen, dass die Verfügung bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses in der Person eines Miterben oder, falls er eine Nacherbfolge oder ein Vermächtnis anordnet, bis zum Eintritt der Nacherbfolge oder bis zum Anfall des Vermächtnisses gelten soll.463 Gleichwohl ist auch hier eine zeitliche Begrenzung gegeben, da der Eintritt der Nacherbfolge nach § 2109 BGB und der Anfall des Vermächtnisses nach § 2162 BGB ihrerseits entsprechend zeitlich eingegrenzt sind. Für eine solche zeitliche Begrenzung des Auseinandersetzungsausschlusses müsste es, da diese die Testierfreiheit des Erblassers einschränkt, ein legitimes Anliegen geben.464 Ein solches legitimes Anliegen lässt sich anhand der Motive der Ersten BGBKommission ermitteln.465 Die Erste BGB-Kommission begründet die Zeitgrenze mit dem aus dem Teilungsverbot resultierenden Zwang, für einen 461 Vgl. BGHZ 9, 157, 162. Vgl. auch jurisPK-BGB/Gregor, § 749 BGB Rn. 4; BeckOGK/Fehrenbacher BGB § 749 Rn. 26; MüKoBGB/Schmidt BGB § 749 Rn. 10. Der Grundsatz, dass Dauerschuldverhältnisse aus wichtigen Grund aufgelöst werden können, ist nicht nur für die deutsche Rechtsordnung typisch. So kennt bspw. auch das französische Recht die Auflösung solcher Verhältnisse aus wichtigem Grund. Bereits der Code civil von 1804 kannte einen solchen Auflösungsgrund für Gesellschaften, vgl. dazu Fleischer/Trinks, GmbHR 2019, 1209, 1211. 462 Vgl. MüKoBGB/Ann BGB § 2044 Rn. 21; BeckOGK/Rißmann/Szalai BGB § 2044 Rn. 17 ff.; BeckOK BGB/Lohmann BGB § 2044 Rn. 9; Muscheler, ZEV 2010, 340, 346. 463 § 2044 Abs. 1 S. 3 BGB bestimmt, dass in dem Fall, in dem der Miterbe, in dessen Person das Ereignis eintreten soll, eine juristische Person ist, es bei der 30-jährigen Frist bleiben soll. 464 Vgl. dazu die Ausführungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Betrachtung der Testierfreiheit in dem Kap. B. I.; vgl. dazu auch BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 99, 341, 352; BVerfGE 112, 332, 348. 465 Vgl. Motive, V, 689 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 370; s. auch Muscheler, ZEV 2010, 340, 346.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
erheblichen Zeitraum in einer Gemeinschaft verbleiben zu müssen und den damit verbundenen Nachteilen: „Der Entw. hat keinen Anlass, in dieser Hinsicht von der für die sonstige Gemeinschaft im § 767 Abs. 2, 3 getroffenen Entscheidung abzuweichen; insbes. kann ein Bedürfnis nicht anerkannt werden, die Ausschließung der Teilung über die Frist von 30 Jahren und über die Lebenszeit des einzelnen Miterben hinaus zuzulassen. Die Gründe für die zeitliche Beschränkung einer Vereinbarung über die Ausschließung der Teilung […] liegen nicht in der Art der Begründung eines solchen Ausschlusses, sondern in den Nachteilen, welche mit dem Zwange, auf längere Zeit hinaus in einer Gemeinschaft zu verbleiben, verbunden sind. Diese Gründe treffen daher auch bei der Auseinandersetzung unter Miterben zu.“466
Zutreffend stellt Muscheler hierzu fest, dass dieser, von der Ersten BGBKommission genannte Grund, für die endgültige Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht maßgeblich sein kann, da andernfalls die 30-jährige Zeitgrenze auch für die Vereinbarung der Miterben nach §§ 2042 Abs. 2, 749 ff. BGB oder für die Vereinbarung von Bruchteilsgemeinschaften gelten müsste.467 Zwar wird eine solche Zeitgrenze für die Bruchteilsgemeinschaft im ersten Entwurf noch vorgesehen, die §§ 749–751 BGB enthalten in der endgültigen Fassung jedoch keine temporale Beschränkung. Das Fehlen einer zeitlichen Grenze bei anderen Gemeinschaften im Bürgerlichen Gesetzbuch verdeutlicht daher, dass der Grund für eine solche Begrenzung des erbrechtlichen Auseinandersetzungsausschlusses anders gelagert sein muss. Es ist zu vermuten, dass das Motiv für die Zeitgrenze des § 2044 Abs. 2 BGB gerade darin liegt, dass der Erblasser den Auseinandersetzungsausschluss anordnet und nicht die Miterben selbst.468 Bestätigt wird diese Vermutung durch die Protokolle der Zweiten BGB-Kommission, die für die Begründung der zeitlichen Begrenzung des Auseinandersetzungsausschlusses auf die bei der Nacherbfolge diskutierten Erwägungen verweisen.469 Bei Anordnung einer Nacherbfolge wird nach § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB die Einsetzung eines Nacherben mit dem Ablauf von 30 Jahren nach dem Erbfall unwirksam, sofern die Nacherbfolge nicht vorher eingetreten ist.470 Im Ergebnis stellt sich daher die Frage, ob die zeitliche Beschränkung der Nacherbfolgenanordnung mit der 466
Vgl. Motive, V, 689 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 370; s. auch Muscheler, ZEV 2010, 340, 346. 467 Vgl. Muscheler, ZEV 2010, 340, 346. 468 So zutreffend Muscheler, ZEV 2010, 340, 346. Muscheler geht davon aus, dass die Anordnung des Auseinandersetzungsausschlusses durch den Erblasser Grund für die zeitliche Begrenzung nach § 2044 Abs. 2 BGB ist. Vgl. Muscheler, ZEV 2010, 340, 346. 469 Vgl. Protokolle, II, Band V, 882 f.; so auch Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 69: „Wie an vielen anderen Stellen des Entwurfes auch, wird hier Bezug genommen auf die bei der Befristung der Nacherbfolge diskutierten Gründe. Hieran wird deutlich, dass die im Erbrecht geltenden Zeitgrenzen eine einheitliche Grundlage haben müssen.“ 470 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. II. 1. c) bb).
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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Testierfreiheit vereinbar ist und ob die dortigen Erwägungen auf die Beurteilung der zeitlichen Begrenzung des Auseinandersetzungsausschlusses übertragen werden können. Sinn und Zweck der zeitlichen Grenze aus § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Verhinderung der dauerhaften Bindung des Vermögens durch letztwillige Verfügung des Erblassers. Einer solchen ewigen Bindung des Vermögens soll vorgebeugt werden, da im wirtschaftlichen Ergebnis andernfalls die Rechtsfolgen erreicht werden, derentwegen die Familienfideikommisse471 bereits in der Weimarer Republik durch Art. 155 Abs. 2 S. 2 WRV aufgelöst wurden.472 Dieser Telos gilt, wie bereits die Protokolle der Zweiten BGB-Kommission darstellen, auch für die zeitliche Begrenzung des Auseinandersetzungsausschlusses nach § 2044 Abs. 2 BGB und ist insofern übertragbar. Mit der zeitlichen Begrenzung des Auseinandersetzungsausschlusses sollen daher unter anderem solche Auswirkungen verhindert werden, die fideikommissähnliche Verhältnisse erzeugen würden.473 Da der eigentliche Grund für die temporale Begrenzung des Auseinandersetzungsschlusses von demjenigen, der noch in den Motiven zu den Entwürfen der Ersten BGB-Kommission genannt wurde, abweicht und denselben Sinn und Zweck verfolgt wie die anderen zeitlichen Begrenzungen der Nacherbfolgenanordnung, stellt sich die Frage, ob diese Einschränkungen der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten und die damit einhergehende Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers als solches verfassungsrechtlich zulässig sind. Da diese Frage aber losgelöst von § 2044 Abs. 2 BGB für die zeitlichen Begrenzungen der erblasserischen Anordnungen insgesamt zu beantworten ist, wird sie in einem gesonderten Abschnitt behandelt.474 Nachfolgend sollen zunächst die Beschränkungen einer anderen erblasserischen Anordnungsmöglichkeit untersucht werden.
471
Das Fideikommiss hat seinen Ursprung im römischen Recht und wurde bereits unter Justinian zeitlich auf vier Generationen begrenzt. Grund waren die mit dem Fideikommiss einhergehenden Nachteile, wie beispielsweise die Perpetuierung vorhandener Vermögensstrukturen und der Umstand, dass in volkswirtschaftlicher Hinsicht das unveräußerliche Vermögen dem allgemeinen Rechtsverkehr entzogen wurde. Vgl. dazu insbesondere Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 6; Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung durch den Erblasser, 88 f.; OLG München, MittBayNot 2004, 434, 436; MüKoBGB/Grziwotz BGB § 2353 Rn. 191; MüKoBGB/Weitemeyer BGB § 80 Rn. 180; vgl. auch Kap. C. II. 1. d). 472 Vgl. MüKoBGB/Lieder BGB § 2109 Rn. 1.; Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 6. 473 So im Ergebnis auch Muscheler, ZEV 2010, 340, 346: „Der Grund für § 2044 Abs. 2 muss also gerade darin liegen, dass es der Erblasser war, der den Auseinandersetzungsausschluss angeordnet hat. Es handelt sich somit, wie bei den §§ 2109, 2162 f., 2210, um die Verhinderung fideikommissähnlicher postmortaler ,Bindungen‘.“ Dazu Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 69. 474 Vgl. Kap. C. II. 1. d).
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
b) Beschränkungen der Testamentsvollstreckung – Einschränkungen der Ausgestaltungsmöglichkeiten des Erblassers Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung gibt dem Erblasser die Möglichkeit einer erheblichen Einwirkung auf den Nachlass über seinen Tod hinaus.475 Durch die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers kann der Erblasser seine Vorstellungen über den Umgang mit dem Nachlass nach seinem Tod insofern realisieren, als dass der Erbe zwar Eigentümer des Nachlasses wird, die rechtliche Herrschaft darüber aber dem Testamentsvollstrecker verliehen wird.476 Die Vorteile einer Testamentsvollstreckung liegen unter anderem in der damit verbundenen Möglichkeit der besseren Durchsetzung des Erblasserwillens477, dem Schutz des Nachlasses vor böswilligen Erben und vor dem Zugriff der Gläubiger eines Alleinerben478. Die Frage nach der möglichen Reichweite einer Testamentsvollstreckung ist insbesondere in dem Verfahren über den Nachlass des Hauses Hohenzollern virulent geworden.479 Dem Streit der Parteien, der sich in dem Verfahren im Jahre 2008 insbesondere der Frage nach der Dauer der Testamentsvollstreckung widmete, lagen zwei letztwillige Verfügungen zu Grunde, die aus den Jahren 1938 und 1950 stammten. An dieser Stelle wird bereits deutlich, welche zeitliche Dimension in erbrechtlichen Streitigkeiten regelmäßig eine Rolle spielen können. Dabei hatte sich der Bundesgerichtshof zum einen mit den zeitlichen Begrenzungen (aa)) und andererseits mit der Frage nach der Verwirkung der Testamentsvollstreckung (bb)) zu befassen. aa) Beschränkung der Dauer einer Testamentsvollstreckung Die Fortdauer der Testamentsvollstreckung über 30 Jahre hinaus unterliegt sowohl nach Ansicht des Bundesgerichtshofs480 als auch nach einhelliger Li-
475 Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit der Anordnung einer Dauervollstreckung, vgl. BeckOK BGB/Lange BGB § 2209 Rn. 1–13; Staudinger/Reimann BGB § 2209, Rn. 1 ff.; zu den verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten BeckOGK/Suttmann BGB § 2209 Rn. 17–23; MüKoBGB/Zimmermann BGB § 2209 Rn. 7–9. 476 Vgl. Zimmermann/Zimmermann Die Testamentsvollstreckung, A. Testamentsvollstreckung und Vollmacht, Rn. 1; Reimann, NJW 2007, 3034, 3036. 477 Vgl. BeckOGK/Grotheer BGB § 2197 Rn. 2 f.; BeckOK BGB/Lange BGB § 2197 Rn. 3; Damrau/Tanck/Bonefeld BGB § 2197 Rn. 3–6. 478 Vgl. Zimmermann/Zimmermann Die Testamentsvollstreckung, A. Testamentsvollstreckung und Vollmacht, Rn. 2.; Staudinger/Reimann BGB § 2209, Rn. 6; BeckOGK/Suttmann BGB § 2209 Rn. 5 f. 479 Vgl. dazu BGHZ 174, 346, 346 ff.; BVerfG, NJW-RR 2010, 156. 480 Vgl. BGHZ 174, 346, 374 ff. Gemeint ist an dieser Stelle die Verwaltungsvollstreckung im Sinne des § 2209 BGB (vgl. dazu RGZ 155, 350, 352) in jede ihrer Formen. Für die Abwicklungsvollstreckung im Sinne des § 2203 BGB besteht hingegen keine zeitliche Grenze, weil ohnehin anzunehmen ist, dass diese in angemessener Zeit beendet werden
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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teraturauffassung481 einer zeitlichen Begrenzung nach § 2210 BGB. Dies überrascht insofern, als dass bei einer isolierten Betrachtung des Wortlauts des § 2210 S. 2 BGB in Verbindung mit den §§ 2198 Abs. 1 S. 1, 2199 Abs. 2, 2210 Abs. 1 BGB angenommen werden könnte, dass das Bürgerliche Gesetzbuch einem Erblasser gestattet, eine ewige Testamentsvollstreckung anzuordnen.482 Bei Betrachtung der Entstehungsgeschichte wird deutlich, dass die Möglichkeit der Anordnung einer ewigen Testamentsvollstreckung von § 2210 BGB jedoch gerade nicht umfasst ist. Zu der Frage nach einer ewigen Testamentsvollstreckung wird in den Protokollen der Zweiten BGB-Kommission ausgeführt: „Was dann die Frage angehe, ob eine Testamentsvollstreckung […] zeitlich beschränkt werden müsse, so würde die zeitliche Unbeschränktheit einer solchen Testamentsvollstreckung im grellen Widerspruche zu den Gründen stehen, aus welchen man bei der Nacherbschaft und dem Nachvermächtnis eine zeitliche Schranke für notwendig erachtet habe, da alle diese Gründe auch hier zuträfen.“483
Für die Begründung der zeitlichen Beschränkung der Testamentsvollstreckung wird an dieser Stelle, wie auch zuvor bei der temporalen Begrenzung des Auseinandersetzungsausschlusses, auf die Gründe verwiesen, die für die zeitliche Begrenzung der Nacherbfolgenanordnung gelten. Ob eine solche zeitliche Beschränkung mit der Testierfreiheit vereinbar ist, wird für die gesamten erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten in einem eigenständigen Kapitel (dazu d)) untersucht. Fraglich ist aber, wie die temporale Begrenzung der Testamentsvollstreckung vorzunehmen ist. Hierauf geben die Protokolle der Zweiten BGBKommission keine Antwort, da diese sich lediglich gegen eine zeitliche Unbeschränktheit, also für eine zeitliche Beschränkung der Testamentsvollstreckung aussprechen. Zutreffend stellt der Bundesgerichtshof diesbezüglich fest, dass einerseits der dem Erblasser durch das Gesetz eingeräumte kann, vgl. dazu BGHZ 41, 23, 27. Vgl. ausführlich BeckOK/Lange BGB § 2210 Rn. 2; BeckOGK/Suttmann BGB § 2210 Rn. 21 f. 481 Vgl. BeckOGK/Suttmann BGB § 2210 Rn. 20; MüKoBGB/Zimmermann BGB § 2210 Rn. 2 ff.; Jauernig/Stürner BGB § 2210 Rn. 1. 482 So explizit BGHZ 174, 346, 374 f.: „Zwar könnte man bei isolierter Betrachtung des Wortlauts des § 2210 S. 2 BGB, wonach der Erblasser anordnen kann, dass die Verwaltung des Nachlasses bis zum Tode des Testamentsvollstreckers fortdauern soll, i.V. mit den §§ 2198 Abs. 1 S. 1, 2199 Abs. 2, 2200 Abs. 1, die dem Erblasser die Möglichkeit geben, durch einen Dritten, den jeweils amtierenden Testamentsvollstrecker oder das Nachlassgericht Testamentsvollstrecker-Nachfolger ernennen zu lassen […], zu der Ansicht gelangen, dass das BGB einem Erblasser erlaube, die Testamentsvollstreckung über seinen Nachlass gleichsam zu verewigen.“ 483 Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, V, 308.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Gestaltungsspielraum nicht unzulässig beschränkt werden dürfe, andererseits aber nach dem Telos des § 2210 BGB eine Beschränkung durchgeführt werden müsse.484 Wie eine solche Begrenzung im Rahmen des § 2210 BGB bei einer vom Erblasser gewünschten zeitlichen Ausdehnung der Testamentsvollstreckung unter Berücksichtigung seiner ihm gesetzlich eingeräumten Gestaltungsfreiheit vorzunehmen ist, wird in der Literatur uneinheitlich beurteilt. Überwiegend wird hierbei vertreten, dass in Bezugnahme auf § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB und § 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB darauf abzustellen sei, ob der (Ersatz-)Testamentsvollstrecker zu dem Zeitpunkt des Erbfalls bereits gelebt hat. Sofern dies zutrifft, könne sich die Testamentsvollstreckung gemäß § 2210 S. 2 BGB über die 30-jährige Frist des § 2210 S. 1 BGB hinaus bis zu seinem Tod erstrecken.485 Für eine solche Sichtweise sprechen insbesondere die zuvor dargestellten Protokolle der zweiten Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches, da diese für die Begründung einer zeitlichen Begrenzung der Testamentsvollstreckung auf den § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB und den § 2163 BGB Abs. 1 S. 1 BGB verweisen und der Wortlaut dieser Paragraphen insofern eindeutig darauf abstellt, ob derjenige bereits zu dem jeweiligen Zeitpunkt gelebt hat.486 Zudem spricht für eine solche Auslegung des § 2210 S. 2 BGB die Schaffung eines einheitlichen Prinzips, welches bestimmt, dass nach Ablauf der 30-jährigen Fristen nur solche Ereignisse berücksichtigt werden, welche in den zur Zeit des Erbfalls lebenden Personen eingetreten sind.487 Trotz dieser auf den ersten Blick grundsätzlich überzeugenden Argumente ist zu berücksichtigen, dass der Wortlaut des § 2210 BGB deutlich von demjenigen der §§ 2109, 2163 BGB abweicht.488 § 2210 BGB stellt nämlich nicht darauf ab, dass der (Ersatz-)Testamentsvollstrecker zum Zeitpunkt des Erb-
484 So BGHZ 174, 374, 351 f.: „Bei Festlegung dieser Grenzen darf zwar der einem Erblasser gesetzlich an die Hand gegebene, von ihm grundsätzlich voll ausschöpfbare Gestaltungsrahmen bei der Ernennung von Testamentsvollstrecker-Nachfolgern nicht außer Acht gelassen werden.“ 485 Diese sog. Generationentheorie stellt die h.L. dar, vgl. Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 8, 11; Offergeld, Die Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers, 171; Kipp-Coing, Erbrecht, § 69 III 2; HK-BGB/Hoeren BGB § 2210 Rn. 4; Reimann, NJW 2007, 3034, 3037; für weitere Nachweise s. BGHZ 174, 346, 352 f. Der BGH lehnt die Generationentheorie ab, s. dazu BGHZ 174, 346, 353 f. 486 So die Argumentation der Vertreter der Generationentheorie, s. dazu BGHZ 174, 346. 355 m. weiteren Nachweisen. 487 Vgl. Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, V, 308; s. auch BGHZ 174, 346, 351. 488 Vgl. BGHZ 174, 346, 355 f.; s. auch KG Berlin, Teilurteil vom 28. September 2006 – 12 U 54/06 –, juris Rn. 72: „Es spricht auch nichts für ein bloßes ,Redaktionsversehen‘ des historischen Gesetzgebers, zumal Wortlaut, Aufbau und Struktur des § 2210 BGB deutlich von § 2109 BGB abweichen.“
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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falls gelebt haben muss. Sofern der Gesetzgeber tatsächlich ein einheitliches Prinzip favorisieren würde, hätte er den § 2210 BGB mühelos an die Formulierung der §§ 2109, 2163 BGB anpassen können. In systematischer Hinsicht ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass § 2210 S. 3 BGB explizit lediglich den § 2163 Abs. 2 BGB für entsprechend anwendbar erklärt. Dies schließt eine darüber hinausgehende entsprechende Anwendbarkeit der §§ 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2163 Abs. 1 Nr. 1 BGB aus.489 Auch die Bezugnahme auf die Protokolle der zweiten Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches überzeugt bei näherer Betrachtung nicht. Diese sprechen mithin nur davon, dass eine zeitlich unbeschränkte Testamentsvollstreckung den Gründen widersprechen würde, aus welchen man bei der Nacherbschaft und dem Nachvermächtnis eine solche temporale Schranke für notwendig erachtet hat. Dies heißt jedoch nicht, dass die temporale Beschränkung der Testamentsvollstreckung genauso ausgestaltet sein muss wie in den §§ 2109, 2163 BGB. Vielmehr wird zunächst nur deutlich, dass es überhaupt eine solche zeitliche Begrenzung geben muss und der Grund dafür sowohl für § 2210 als auch für die §§ 2109, 2163 BGB identisch ist. Dieser Grund wird an derselben Stelle in den Motiven genannt: „Der Erblasser würde […] ohne zeitliche Schranke in der Lage sein, ohne landesgesetzliche Genehmigung eine Stiftung oder, ohne den landesgesetzlichen Erfordernissen zu genügen, ein deutschrechtliches Familienfideikommiss ins Leben zu rufen.“490
Die Verhinderung der faktischen Einführung eines Familienfideikommisses kann jedoch auf verschiedene Weise erreicht werden. Ein Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte und den Sinn und Zweck der Norm ist diesbezüglich nicht zielführend.491 Es sind deshalb auch alternative Auslegungen des § 2210 BGB zu erwägen. Die sogenannte Amtstheorie versteht § 2210 S. 2 BGB so, dass der (Ersatz-)Testamentsvollstrecker vor dem Ablauf der 30-jährigen Frist seit dem Erbfall ernannt worden sein muss, wenn die Verwaltung des Nachlasses bis zu seinem Tod andauern soll. Wenn demnach seit dem Erbfall 30 Jahre verstrichen sind und die Verwaltung des Nachlasses nach dem Erblasserwillen über die 30-järige Frist hinaus bis zum Tode des Testamentsvollstreckers fortdauern soll, endet die angeordnete Dauertestamentsvollstreckung mit dem Tode des letzten Testamentsvollstreckers, der innerhalb der 30-jährigen
489
So auch BGHZ 174, 346, 356. Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Band V, 308; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Hogrebe, Bindungsgrenzen, 152. 491 So aber fälschlicherweise der BGH, der die Entstehungsgeschichte und den Sinn und Zweck des § 2210 BGB als Argument für die Generationentheorie anführt, vgl. BGHZ 174, 346. 355. 490
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Frist seit dem Erbfall zu einem solchen ernannt wurde. Für die Amtstheorie spricht in erster Linie ihre Vereinbarkeit mit dem Wortlaut des § 2210 BGB. Der § 2210 S. 2 BGB formuliert, dass die Verwaltung bis zum Tod des Erben oder des Testamentsvollstreckers oder bis zum Eintritt eines anderen Ereignisses in der Person des einen oder des anderen fortdauern soll. Sofern nach der Anordnung des Erblassers die Verwaltung des Nachlasses fortdauern soll, kann es bei dem Fortdauern nur um die Weiterführung der bereits begonnenen Testamentsvollstreckung gehen, welche sodann mit dem Tod des Testamentsvollstreckers endet.492 Überdies wird die Amtstheorie auch dem Sinn und Zweck des § 2210 BGB, nämlich der Verhinderung der Entstehung eines Familienfideikommisses durch zeitliche Beschränkung der Testamentsvollstreckung, hinreichend gerecht. Teilweise werden die genannten Ansätze auch kombiniert und diesbezüglich formuliert, dass zur Verhinderung einer ewigen Testamentsvollstreckung gefordert werden müsse, dass der (Ersatz)Testamentsvollstrecker beim Erbfall bereits gelebt hat oder zumindest innerhalb der 30-jährigen Frist zum Testamentsvollstrecker ernannt worden ist.493 Der § 2210 S. 2 BGB könnte aber auch so verstanden werden, dass zum Zweck der zeitlichen Begrenzung der Testamentsvollstreckung die durch § 2210 S. 2 BGB zugestandene Verlängerung nur für den ersten Testamentsvollstrecker gilt (sogenannte Primattheorie).494 Für eine solche Annahme gibt es jedoch weder im Wortlaut noch in der Systematik des § 2210 BGB Anhaltspunkte. Diese von Zimmermann entwickelte Argumentation, nach der sich aus der fehlenden Verweisung auf § 2199 Abs. 2 BGB und der in § 2210 BGB enthaltenen Formulierung „des Testamentsvollstreckers“ ergebe, dass nur der erste Testamentsvollstrecker und nicht etwaige Nachfolger gemeint sein können, schlägt jedoch fehl.495 Zutreffend erkennt der Bundesgerichtshof, dass in den §§ 2201–2209, 2211–2223, 2225–2227 BGB stets nur von dem Testamentsvollstrecker gesprochen wird und eine Verweisung auf § 2199 Abs. 2 BGB auch nicht erfolgt.496 Nach der Argumentation Zimmermanns wäre von den Regelungen nur der erste Testamentsvollstrecker erfasst und 492
So zutreffend BGHZ 174, 246, 355. Diese Sichtwiese kombiniert verschiedene Ansätze und wird daher auch als Kombinationstheorie bezeichnet, vgl. Lauer, Der Testamentsvollstrecker in der Grauzone rechtlicher Befugnisse, 143 f.; für weitere Nachweise s. BGHZ 174, 346, 353. 494 Eine solche Sichtweise wird auch als Primattheorie bezeichnet. Vgl. dazu Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 57 f.; Semmler, Die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers, 141 ff.; für weitere Nachweise s. BGHZ 174, 347, 354. 495 Vgl. Zimmermann, ZEV 2006, 508, 509. 496 So der BGHZ 174, 346, 356 f.: „Denn in den §§ 2201–2209, 2211–2223, 2225–2227 BGB ist ebenfalls nur vom ,Testamentsvollstrecker‘ die Rede und eine Verweisung auf § 2199 II BGB nicht vorhanden […].“ 493
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für jeden nachfolgenden würden sämtliche der oben genannten Regelungen nicht gelten. Dies hätte zur Folge, dass für die nachfolgenden Testamentsvollstrecker beispielsweise keinerlei Pflichten nach §§ 2215–2218, 2200 BGB und keine Haftung nach §§ 2219, 2200 BGB entstehen könnten.497 Neben den fehlenden Anhaltspunkten in Wortlaut und Systematik würde eine solche Sichtweise daher zu systemwidrigen Ergebnissen führen und ist folglich abzulehnen.498 Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die Fortdauer der Testamentsvollstreckung über 30 Jahre hinaus gemäß § 2210 BGB einer zeitlichen Begrenzung unterliegt und diese in Übereinstimmung mit den Erwägungen des Bundesgerichtshofs entgegen der herrschenden Lehre so zu verstehen ist, dass die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung mit dem Tod des letzten Testamentsvollstreckers, der innerhalb der 30-jährigen Frist ernannt wird, ihre Wirksamkeit verliert.499 Die Amtstheorie wird als einzige dem Wortlaut gerecht, da es sich bei einem Fortdauern nur um die Weiterführung einer von dem jeweiligen Testamentsvollstrecker begonnenen Testamentsvollstreckung handeln kann. Im Übrigen ist sie die Einzige, die den Willen des Erblassers nach einer möglichst lang andauernden Testamentsvollstreckung anerkennt und damit einhergehend auch der Testierfreiheit hinreichend gerecht wird. Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs abgewiesen: „Die Ausnahmeregelung in Satz 2 der Vorschrift ermöglicht dem Erblasser, in bestimmten Fällen die Dauertestamentsvollstreckung über den Zeitraum von 30 Jahren hinaus zu erstrecken. Die Annahme der Gerichte, dass vorliegend die Testamentsvollstreckung auf Grund dieser Ausnahmevorschrift noch andauere, ist nicht nur einfachrechtlich vertretbar, sondern trägt dem fachgerichtlich festgestellten Willen des Erblassers nach einer möglichst lange währenden Testamentsvollstreckung Rechnung.“500
497
So ausführlich BGHZ 174, 346, 357: „[…] eine Verweisung auf die §§ 2197 II, 2198 I 1 und/oder 2200 I BGB existiert ebenfalls nicht. Jeder Nachfolger eines Testamentsvollstreckers hätte also, folgte man dieser Argumentation, keinerlei Aufgaben und Befugnisse (vgl. §§ 2203–2209, 2212 BGB), keinerlei Pflichten (vgl. §§ 2215–2218, 2220 BGB), haftete nicht (vgl. §§ 2219, 2220 BGB), könnte nicht kündigen (vgl. § 2226 BGB) und auch nicht entlassen werden (vgl. § 2227 BGB).“ 498 Aus denselben Gründen muss auch die Primatersatztheorie abgelehnt werden, die über den ersten Testamentsvollstrecker hinaus einzig den vom Erblasser selbst namentlich ernannten Ersatztestamentsvollstrecker in dem Rahmen des § 2210 S. 2 BGB berücksichtigt. Zur Primatersatztheorie vgl. Zimmermann, ZEV 2006, 508, 509; Reimann, NJW 2007, 3034, 3037. Zu den Gründen, die gegen die Primatersatztheorie sprechen s. BGHZ 174, 347, 357. Neben den Gründen, die bereits gegen die Primattheorie sprechen, kommt hinzu, dass das BGB eine unterschiedliche Behandlung von Ersatzvollstreckern nicht vorsieht. Aus diesem Grund sind beide Varianten gleichermaßen schutzwürdig, vgl. dazu BGHZ 174, 346, 358; a.A. Zimmermann, ZEV 2006, 508, 509. 499 Vgl. BGHZ 174, 346, 358; Roland, LMK, 2009, 281557. 500 BVerfG, NJW-RR 2010, 156. Diese Entscheidung des BVerfG hat in der Literatur
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Nachdem nunmehr dargelegt wurde, wie die Ausnahme der temporalen Begrenzung der Testamentsvollstreckung nach § 2210 S. 2 BGB zu verstehen ist, stellt sich die Frage nach etwaigen weiteren zeitlichen Beschränkungen der Testamentsvollstreckung. Eine weitere Begrenzung der Testamentsvollstreckung, die zumindest teilweise auch zeitlicher Natur ist, kann sich ergeben, sofern die Möglichkeit der Verwirkung einer vom Erblasser angeordneten Testamentsvollstreckung anerkannt wird. Inwiefern die vom Erblasser angeordnete Dauertestamentsvollstreckung verwirken kann, soll daher im Nachfolgenden überprüft werden. bb) Begrenzung der Testamentsvollstreckung durch das Rechtsinstitut der Verwirkung Der Bundesgerichtshof hatte in der bereits dargelegten Entscheidung nicht nur über die Auslegung des § 2210 S. 2 BGB zu urteilen, sondern auch darüber, ob der Amtsinhaber seine Stellung auch außerhalb einer förmlichen Abberufung nach § 2227 BGB verwirken kann. Dabei ließ der Bundesgerichtshof, wie zuvor bereits das LG Berlin501, diese Frage ausdrücklich offen.502 Lediglich zu der Frage nach einer Verwirkung der Verwaltungstestamentsvollstreckung durch bloßen Zeitablauf hat der Bundesgerichtshof Stellung genommen und diese nicht zugelassen.503 Dies ist mit Blick auf den § 2209 BGB, der gestattet, dass der Erblasser die Testamentsvollstreckung auch ohne Übertragung sonstiger Aufgaben auf den Testamentsvollstrecker zu dem Zweck anordnen kann, einen Erben von der Verfügung über den Nachlass auszuschließen, zutreffend.504 In solchen Fällen schlägt der Vorwurf des Untätigseins des Testamentsvollstreckers fehl, da ein bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass dieser Entscheidung zentrale Wertungen in Bezug auf den Erblasserwillen und dessen Verhältnis zu den Interessen der Erben zu Grunde liegen. Die vorliegende Arbeit wird einen anderen Weg gehen und die Entscheidung hinreichend auswerten. So wurde sie bereits in dem Kap. B. VI. 1. angeführt, um zu verdeutlichen, dass weder das Erbrecht des Erben noch die Person des Erben als Grundlage der Testierfreiheit in Betracht kommen. 501 So LG Berlin, Urteil vom 15. Februar 2006 – 28 O 487/04 –, juris Rn. 61: „Es kann dahingestellt bleiben, ob einzelne Amtsinhaber ihre Stellung auch außerhalb einer förmlichen Abberufung nach § 2227 Abs. 1 BGB verwirken können bzw. ob das Streitgericht dies in eigener Kompetenz feststellen dürfte. Denn die Anordnung des Erblassers als solche kann schon wesensmäßig nicht der Verwirkung unterliegen. Sie gilt für und gegen alle.“ 502 Vgl. dazu die knappen Ausführungen in BGHZ 174, 346, 359. 503 BGHZ 174, 346, 359: „Es hat diesen Umstand jedoch zu Recht als unerheblich bezeichnet, weil eine vom Erblasser angeordnete (Dauer-)Testamentsvollstreckung nicht dadurch beseitigt oder ,verwirkt‘ werden kann, dass eingesetzte Testamentsvollstrecker eine Zeit lang untätig bleiben.“; vgl. auch Roland, LMK, 2009, 281557. 504 Vgl. Roland, LMK, 2009, 281557; MüKoBGB/Zimmermann BGB § 2209 Rn. 8.
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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solches von dem Erblasser ausdrücklich gewünscht ist und eine Nichtberücksichtigung des Erblasserwillens einen Verstoß gegen die Testierfreiheit darstellen würde. Aber auch durch andere Verhaltensweisen als dem bloßen Untätigsein kann der einzelne Amtsinhaber seine Stellung als Testamentsvollstrecker nicht verwirken. Das Rechtsinstitut der Verwirkung verhindert regelmäßig nur die Geltendmachung von Ansprüchen505 und ist daher auf die Amtsstellung des Testamentsvollstreckers nicht anwendbar. Unter der Verwirkung, die normativ an § 242 BGB festzumachen ist, versteht man den Verlust eines Rechtes, das der Gläubiger seit einer gewissen Dauer nicht mehr ausgeübt hat, sodass sich der Schuldner in schutzwürdiger Weise darauf einrichten konnte, zukünftig nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.506 Eine Rechtsstellung ist davon nicht erfasst. Zudem wäre für einen solchen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erforderlich, dass neben dem Zeitablauf besondere aus dem Verhalten des Berechtigten begründeten Umstände hinzukommen (sogenannter Umstandsmoment)507, die ein besonderes Vertrauen des Verpflichteten entstehen lassen.508 Ein solches schutzwürdiges Vertrauen kann bei den Erben jedoch nicht entstehen, da die Erben durch die Erbeinsetzung, unabhängig von der Anordnung einer Testamentsvollstreckung, ein Mehr an Rechten erhalten haben.509 cc) Annahme eines Ausschließlichkeitsverhältnisses der in § 2210 S. 2 BGB normierten Ereignisse als Beschränkung der Testamentsvollstreckung und Begrenzung des Erblasserwillens Wie bereits festgestellt worden ist, kann eine entsprechende Anordnung des Erblassers dazu führen, dass die Testamentsvollstreckung länger als 30 Jahre
505
Die Verwirkung stellt einen Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung dar und korrespondiert mit dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens, vgl. dazu. RG 155, 148, 152; BGHZ 21, 66, 80; BGHZ 84, 280, 284. 506 Vgl. BGHZ 25, 47, 52; BGHZ 43, 289, 292; BGHZ 105, 290, 298; Staudinger/Olzen/ Looschelders BGB § 242 Rn. 300; MüKoBGB/Roth/Schubert BGB § 242 Rn. 329; Erman/Böttcher BGB § 242 BGB Rn. 123. 507 Vgl. RG 155, 148, 151; BGHZ, 91, 62; BGHZ 105, 290; BGHZ 146, 217, 224 f.; Erman/Böttcher BGB, § 242 BGB Rn. 123; Staudinger/Olzen/Looschelders BGB § 242 Rn. 306; MüKoBGB/Schubert BGB § 242 Rn. 378. 508 Vgl. BGHZ 105, 290, 298; BGHZ 43, 289, 29; Staudinger/Olzen/Looschelders BGB § 242 Rn. 306; MüKoBGB/Schubert BGB § 242 n. 378; Erman/Böttcher BGB § 242 BGB Rn. 123. 509 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 762.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
andauert.510 Uneinheitlich wird jedoch die Frage beantwortet, ob der Erblasser genau ein einziges Ereignis bestimmen muss oder an mehrere Ereignisse anknüpfen kann. Letzteres hätte zur Folge, dass eine gleichrangige Kumulation von Ereignissen möglich wäre. Auch mit dieser Frage hatte sich die Rechtsprechung in dem Streit um die Erbfolge im Hause Hohenzollern auseinanderzusetzen.511 Wenngleich sich die Literatur mit dieser Problematik überwiegend nicht befasst, ist die Bedeutung selbiger für die Grenzen der Testierfreiheit nicht zu unterschätzen.512 Sofern sich der Erblasser bei Errichtung der Verfügung von Todes wegen aufgrund der Annahme eines Ausschließlichkeitsverhältnisses auf ein einziges Beendigungsereignis festlegen muss, wird dadurch der Anwendungsbereich des § 2210 S. 2 BGB verengt und damit einhergehend auch die Testierfreiheit des Erblassers begrenzt.513 Das LG Berlin nimmt an, dass vieles dafür spricht, dass die in § 2210 S. 2 BGB normierten Ereignisse in einem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen, sodass der Erblasser also höchstens ein einziges Ereignis bestimmen kann, welches die 30-jährige Frist zu durchbrechen vermag.514 Eine solche Sichtweise kann, anders als Zimmermann dies in seiner Urteilsanmerkung annimmt515, nicht bereits mit dem Hinweis auf die Eindeutigkeit des Wortlauts des § 2210 S. 2 BGB abgelehnt werden. Zutreffend stellen nämlich das LG Berlin516 und in dem weiteren Verfahrensgang sowohl das Kammergericht als auch der Bundesgerichtshof fest, dass der Wortlaut nicht eindeutig ist, da die deutsche Sprache neben der Form des ausschließenden „oder“ auch die Form des nicht ausschließenden „oder“ kennt.517 Handelt es sich bei der Formulierung in § 2210 S. 2 BGB jeweils um ausschließende „oder“ müsste ein Alternativverhältnis angenommen werden. Eine solche Sichtweise zwingt den Erblasser zu der Wahl einer Alternative des § 2210 S. 2 BGB. Macht der Erblasser von dieser Wahlmöglichkeit keinen Gebrauch, sondern nennt drei
510
Vgl. Kap. C. II. 1. b) aa). Siehe LG Berlin, ZEV 2006, 506; KG Berlin, Teilurteil vom 28. September 2006 – 12 U 54/06 –, juris Rn. 44 ff.; BGHZ 174, 346, 346 ff. 512 Ein häufiger Erblasserwunsch dürfte sein, eine möglichst lange Testamentsvollstreckung anzuordnen. Hierfür kann eine Kumulation von Ereignissen nützlich sein, da so der Anwendungsbereich des § 2210 S. 2 BGB erweitert wird. Sofern dies für unzulässig erachtet wird, liegt darin eine erhebliche Beschränkung der Testierfreiheit, die ihrerseits rechtfertigungsbedürftig ist. 513 Eine Verengung findet insoweit statt, als dass sich der Erblasser, sofern er eine möglichst lang andauernde Testamentsvollstreckung wünscht, auf ein Ereignis festlegen muss, welches nach seiner Ansicht als letztes eintritt. 514 Vgl. LG Berlin, ZEV 2006, 506, 507. 515 Vgl. Zimmermann, ZEV 2006, 508, 508 f. 516 Vgl. LG Berlin, ZEV 2006, 506, 507. 517 Vgl. LG Berlin, ZEV 2006, 506, 507; KG Berlin, Teilurteil vom 28. September 2006 – 12 U 54/06 –, juris, Rn. 44, BGHZ 174, 346, 350 ff. 511
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für die Beendigung geltende Bedingungsereignisse518, muss in Folge dessen die Verfügung von Todes wegen zwangsläufig ausgelegt und im Anschluss bestimmt werden, welches Ereignis für den Erblasser am ehesten die Beendigung der Testamentsvollstreckung markieren soll. Eine solche Auslegung wird zumeist zu dem Ergebnis kommen, dass der Erblasser dasjenige Ereignis wählen möchte, welches in zeitlicher Hinsicht als Letztes eintritt und daher eine möglichst lange Testamentsvollstreckung verspricht. Da der Erblasser sich aber bereits zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen festlegen muss, müsste er bei einem solchen Verständnis des § 2210 S. 2 BGB prognostizieren, ob der eingesetzte Erbe oder der vorgesehene Testamentsvollstrecker länger leben wird, um im Ergebnis eine möglichst langandauernde Testamentsvollstreckung zu erreichen.519 Eine solche Prognose wird für den Erblasser regelmäßig kaum möglich und ihm im Übrigen auch nicht zumutbar sein. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der § 2210 S. 2 BGB dem Erblasser eine solche Prognose auferlegen möchte.520 Überdies hat jede der drei Modalitäten des § 2210 S. 2 BGB einen eigenständigen Sinn, den es zu berücksichtigen gilt.521 An keiner Stelle wird dabei deutlich, dass dieser eigenständige Sinn der einzelnen Beendigungsereignisse bedeutet, dass eine kumulative Anordnung von Beendigungsereignissen nicht möglich sein soll. Festzuhalten ist daher, dass weder der Wortlaut noch die einzelnen Beendigungsereignisse für und das Prognoseargument sogar eher gegen ein Ausschlussverhältnis spricht. Sofern dennoch teilweise Zweifel bestehen, sei darauf hingewiesen, dass § 2210 BGB die in Art. 14 GG garantierte Testierfreiheit inhaltlich ausgestaltet und daher aus verfassungsrechtlichen Gründen ein weites Verständnis der Norm angezeigt ist.522 Der Versuch zu argumentieren, dass § 2210 S. 2 BGB eine Ausnahmevorschrift gegenüber der Regel des § 2210 S. 1 BGB darstelle und daher als solche eng auszulegen sei, schlägt unabhängig davon, ob Ausnahmevorschriften tatsächlich eng aus518 Die drei Beendigungsereignisse wären der Ablauf von mindestens 30 Jahren nach dem Tode der Erblasser, der Tod der Erben bzw. Nacherben und der Tod der Testamentsvollstrecker oder ihrer Nachfolger. Vgl. KG Berlin, Teilurteil vom 28. September 2006 – 12 U 54/06 –, juris, Rn. 44. 519 Vgl. KG Berlin, Teilurteil vom 28. September 2006 – 12 U 54/06 –, juris, Rn. 51. 520 So auch KG Berlin, Teilurteil vom 28. September 2006 – 12 U 54/06 –, juris, Rn. 44. 521 An dieser Stelle zutreffend Zimmermann, ZEV 2006, 508, 508 f. Den Tod des Erben als Endzeitpunkt der Testamentsvollstreckung zu wählen hat beispielsweise den Sinn, in Fällen, in denen das Kind des Erblassers von Geburt an geistig behindert ist, eine (lange) Testamentsvollstreckung bis zu dessen Tod anzuordnen. 522 Diesen Zusammenhang zutreffend darstellend, KG Berlin, Teilurteil vom 28. September 2006 – 12 U 54/06 –, juris, Rn. 46: „Für ein weites Verständnis im Sinne eines ,nicht ausschließenden oder‘ spricht der Gesetzeszweck. § 2210 BGB gestaltet die in Art. 14 GG garantierte Testierfreiheit inhaltlich aus.“
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
zulegen sind, jedenfalls bereits deshalb fehl, weil sich dies allenfalls auf das Verhältnis zwischen der Ausnahme und dem dadurch eingeschränkten Grundsatz, nicht jedoch auf die Auslegung innerhalb der Norm bezieht.523 Im Ergebnis kann der Erblasser also das Ende der Testamentsvollstreckung nach § 2210 S. 2 BGB von einer Kombination der genannten Ereignisse abhängig machen, so dass ein Ende der Testamentsvollstreckung erst dann anzunehmen ist, wenn die Bedingungen erfüllt sind.524 Die anderen Sichtweisen berücksichtigen insoweit die Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit als Auslegungsmaxime für das einfache Recht nicht hinreichend und sind daher abzulehnen.525 c) Die Grenzen der Nacherbfolgenanordnung Die Nacherbfolge im Sinne des § 2100 BGB gibt dem Erblasser die Möglichkeit, eine zeitliche Aufeinanderfolge verschiedener Erben zu bestimmen und gleichzeitig den zunächst als Erben Berufenen in seinen Dispositionsmöglichkeiten zu beschränken.526 Der Erblasser kann dadurch beispielsweise sicherstellen, dass das Vermögen in der Familie bleibt und dass bestimmte Personen vom Erbe ausgeschlossen werden.527 Nach herrschender Meinung wird dem Erblasser das Recht zugestanden dabei auch mehrere Erben hintereinander als Nacherben einzusetzen. Jede Nacherbeinsetzung setzt zu ihrer Wirksamkeit voraus, dass ein Ereignis oder Zeitpunkt bestimmt ist, zu dem der Nacherbfall eintreten soll.528 § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB beschränkt die Wirkung einer Anordnung der Nacherbschaft auf 30 Jahre nach dem Erbfall.529 Dabei äh523 So zutreffend KG Berlin, Teilurteil vom 28. September 2006 – 12 U 54/06 –, juris, Rn. 49. 524 So auch BGHZ 174, 346, 350: „Der Erblasser kann vielmehr das Ende der Testamentsvollstreckung nach § 2210 S. 2 BGB ebenso gut von einer Kombination der genannten Ereignisse abhängig machen, so dass ein Ende der Testamentsvollstreckung erst anzunehmen ist, wenn beide Bedingungen erfüllt sind.“ 525 Vgl. zu den Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf die einfach gesetzlichen Vorschriften des Erbrechts die Ausführungen in Kap. B. VII. Die Testierfreiheit wirkt unter anderem als Auslegungsmaxime auf das einfache Recht ein, vgl. dazu Kap. B. VII. 2. Die Regelungen des Privatrechts müssen stets im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG ausgelegt und in ihrer grundrechtseinschränkenden Wirkung selbst begrenzt werden, vgl. dazu ausführlich Kap. B. VII. 2. 526 Vgl. BeckOGK/Küpper BGB § 2100 Rn. 20; MüKoBGB/Lieder BGB § 2100 Rn. 5; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2100 Rn. 6 ff.; Staudinger/Avenarius Vorbem zu § 2100 ff. Rn. 11. 527 Hier sei exemplarisch auf den Ehepartner bei Wiederverheiratung verwiesen. 528 Vgl. BayObLGZ 1975, 62, 66; MüKoBGB/Lieder BGB § 2109 Rn. 6; BeckOGK/Küpper BGB § 2100 Rn. 2; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2100 Rn. 28 f.; Staudinger/Avenarius BGB § 2100 Rn. 3. 529 Vgl. MüKoBGB/Lieder BGB § 2109 Rn. 1; Staudinger/Avenarius BGB § 2100 Rn. 3; Erman/Schmidt § 2109 BGB Rn. 1.
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nelt die Regelung derjenigen des § 2044 Abs. 2 BGB, welche zuvor bereits näher betrachtet worden ist.530 Die Rechtsfolge des Ablaufs der 30-Jahresfrist besteht regelmäßig darin, dass die Erbschaft dem Vorerben endgültig zusteht. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Auslegung ergibt, dass der Erblasser die Erbschaft in jedem Fall dem Nacherben zukommen lassen wollte.531 In einem solchen Fall tritt mit Ablauf der 30-Jahres-Frist der Nacherbfall ein.532 Auch die zeitliche Begrenzung der Nacherbfolgenanordnung erfährt durch § 2109 Abs. 1 S. 2 BGB Ausnahmen. Die Ausnahmen sind insofern erheblich, als dass bei diesen keine festgelegte temporale Grenze gilt. In praktischer Hinsicht ist dabei vor allem der § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB von zentraler Bedeutung, der bestimmt, dass die Einsetzung eines Nacherben dann über 30 Jahre hinaus wirksam bleibt, wenn der Nacherbfall ein Ereignis in der Person des Vor- oder Nacherben ist und dieser beim Erbfall schon gelebt hat.533 Entscheidend ist dabei, dass das Ereignis in der Person des Vorbeziehungsweise Nacherben eintritt. Sofern der Nacherbfall ein Ereignis in der Person eines Dritten darstellt, bleibt es bei der 30-Jahresfrist. Problematisch und deshalb unterschiedlich beantwortet ist die Frage, ob das Ereignis sich rechtlich oder wirtschaftlich auf die Person des Vor- oder Nacherben konkret beziehen muss,534 oder ob es vielmehr bereits ausreicht, dass die Person ein bestimmtes Ereignis zumindest miterlebt.535 Im Folgenden ist daher zu untersuchen, wie die Formulierung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB zu verstehen ist.
530
Vgl. Kap. C. II. 1. a) bb). Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger § 2109 Rn. 1; Palandt/Weidlich BGB § 2109 Rn. 1; MüKoBGB/Lieder BGB § 2109 Rn. 3. 532 Vgl. MüKoBGB/Lieder BGB § 2109 Rn. 3; BeckOK BGB/Litzenburger § 2109 Rn. 1; Palandt/Weidlich BGB § 2109 Rn. 1. 533 Den wichtigsten Fall von § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB stellt der Tod des Vorerben als Nacherbfall dar. Die Nacherbeinsetzung ist in einem solchen Fall auch dann wirksam, wenn der Vorerbe den Erblasser um mehr als 30 Jahre überlebt. Vgl. OLG Hamm NJWSpezial 2013, 264; BayObLGZ 1975, 62; Burandt/Rojahn/Lang BGB § 2109 Rn. 5; BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 12. 534 So die wohl h.M., vgl. Brox/Walker, Erbrecht, Rn. 354; BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 14–15.3; Staudinger/Avenarius BGB § 2109 Rn. 8; Jauernig/Stürner BGB § 2109 Rn. 1; Burandt/Rojahn/Lang BGB § 2109 Rn. 5; NK-BGB/Gierl BGB § 2109 Rn. 7; Muscheler, Erbrecht, Band II, 1239 f. Rn. 2481; Palandt/Weidlich BGB § 2109 Rn. 3. 535 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2109 Rn. 2; Damrau/Tanck/Bothe BGB § 2109 Rn. 5; MüKoBGB/Grunsky § 2109 Rn. 5; Roth/Hannes/Mielke/Roth Vor- und Nacherbschaft § 17 Rn. 7; Kipp/Coing, Erbrecht, § 48 Abs. II 2a. 531
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aa) Unzulässige zeitliche Beschränkung der Nacherbfolgenanordnung durch zu strenge Anforderungen an das Ereignis im Sinne des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB Sofern das gesetzliche Tatbestandsmerkmal, welches normiert, dass das Ereignis „in der Person“ des Vor- oder Nacherben einzutreten hat, so zu verstehen ist, dass das bloße Miterleben des Ereignisses genügt, wäre die überwiegende Auffassung, dass das Ereignis zumindest eine rechtliche oder wirtschaftliche Beziehung zu der Person des Vor- oder Nacherben hat, eine unzulässige Beschränkung der Nacherbfolgenanordnung und mit der Testierfreiheit unvereinbar. Die Untersuchungen zu den Auswirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf die einfach-rechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches haben gezeigt, dass in dem Fall, in dem eine Norm verschiedene Auslegungsvarianten zulässt, unter Berücksichtigung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG diejenige Auslegungsvariante vorzuziehen ist, die den Erblasserwillen und damit einhergehend die Testierfreiheit am weitestgehenden zur Geltung bringt.536 Diese Pflicht zur Auslegung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB im Lichte des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG könnte die herrschende Auffassung verkennen. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die Problematik durch Auswertung der vorhandenen Literatur und Rechtsprechung zu lösen. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass zu dieser Frage wenig Rechtsprechung vorhanden ist. Lediglich das LG Berlin hat sich im Jahr 1992 zu der Frage äußern müssen, sie im Ergebnis aber offengelassen, da das Ereignis ohnehin die wirtschaftliche und rechtliche Stellung des Nacherben betroffen hat und damit selbst bei der engen Auslegung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB, wie sie die herrschende Auffassung vornimmt, eine Ausnahme von der 30-jährigen Frist eingegriffen hat.537 Der Wortlaut der Vorschrift formuliert, dass das Ereignis „in der Person“ des Vor- oder Nacherben eingetreten sein muss und spricht daher eher dafür, nur personenspezifische Ereignisse zu berücksichtigen.538 Eindeutig ist der Wortlaut dennoch nicht. 536
Vgl. dazu ausführlich Kap. B. VII. 2. Vgl. LG Berlin, NJW 1993, 272. Gleichwohl lässt sich an den Ausführungen des LG Berlin erkennen, dass es entgegen der herrschenden Meinung eine weite Auslegung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB befürwortet. So führt das LG Berlin, NJW 1993, 272, 273 aus: „Für diese weitergehende Auffassung spricht, dass es der Erblasser dem Willen des Gesetzgebers zufolge in der Hand hat, den Nacherbfall bis zum Tod der bedachten Person hinauszuzögern, ihm folglich freistehen soll, irgendein zu Lebzeiten der Person eintretendes Ereignis als Nacherbfall zu bestimmen.“ 538 So BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2109 Rn. 2: „Der Wortlaut der Norm (,in der Person‘) spricht zwar für die zuerst genannte Auffassung, deren sinnorientierte Auslegung jedoch für die zuletzt genannte.“ 537
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Es ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich bei der restriktiven Ansicht Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, die für die Verwirklichung des Erblasserwillens und damit für die Testierfreiheit hinderlich sein können. So kann regelmäßig nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob der Vor- oder Nacherbe das Ereignis lediglich miterblebt hat oder ob dieses doch wenigstens gewisse wirtschaftliche oder rechtliche Auswirkungen hatte.539 Überdies spricht für die weite Auffassung auch, dass der Erblasser ohnehin den Nacherbfall bis zu dem Tod des Bedachten hinauszögern kann. Aus diesem Grund ist fraglich, weshalb der Erblasser dann nicht auch irgendein zu Lebzeiten der Person eintretendes Ereignis als Nacherbfall bestimmen kann. Anders gesprochen, gibt es für eine solche Begrenzung keinen Raum. Wenn der § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB davon spricht, dass das Ereignis in der Person des Vor- oder Nacherben eintreten muss, soll dadurch lediglich sichergestellt werden, dass der Nacherbfall nicht auch noch nach dem Tod der jeweiligen Person eintreten kann.540 Um dies sicherzustellen reicht es aus, dass die Person ein bestimmtes Ereignis miterlebt hat. An diese Argumentation anknüpfend lässt sich ein weiteres Argument gegen eine enge Auslegung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB herleiten. Da die in Betracht kommenden Ereignisse auch bei der weiten Auffassung in jedem Fall von dem Bedachten zumindest miterlebt werden müssen, ist die Besorgnis der herrschenden Meinung, dass nur durch eine strenge 30-jährige Frist fideikommissähnliche Auswirkungen verhindert werden könnten541, nicht begründet.542 Ein Vergleich zu den anderen zahlreichen Durchbrechungen der 30-jährigen Frist, die sowohl in Bezug auf die Teilungsanordnung als auch auf die Testamentsvollstreckung bereits dargelegt worden sind, zeigt, dass der Verweis auf die Verhinderung fideikommissähnlicher Verhältnisse durch die Geltung einer strengen 30-jährigen Frist bei der Nacherbeinsetzung verfehlt ist.543 Vielmehr bildet die Begrenztheit menschlichen Lebens und damit auch 539 Zwar sind Abgrenzungsschwierigkeiten allein noch kein Grund für das Unterlassen einer Differenzierung, sie können bei Zweifeln jedoch dagegensprechen. 540 Vgl. MüKoBGB/Lieder § 2109 Rn. 9; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2109 Rn. 2. 541 In diese Richtung Staudinger/Avenarius BGB § 2109 Rn. 1; Jauernig/Stürner BGB § 2109 Rn. 1. 542 So zutreffend LG Berlin, NJW 1993, 272, 273: „Da die hier in Betracht kommenden Ereignisse in jedem Fall von dem Bedachten erlebt werden müssen und damit auch eine Verlängerung der Nacherbenbindung über den vom Gesetz äußerstenfalls zugelassenen Zeitraum hinaus nicht eintreten kann, ist zudem die Besorgnis der herrschenden Meinung, nur durch die 30jährige Frist könnten fideikommissähnliche Regelungen ausgeschlossen werden […] wohl nicht begründet.“ 543 Für die zahlreichen Durchbrechungen der 30-jährigen Frist vgl. Kap. D. II. 1. a) bb) in Bezug auf das Teilungsverbot und vgl. Kap. II. 1. c) aa) in Bezug auf die Testamentsvollstreckung.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
die des Vor- und Nacherbens eine ausreichende zeitliche Beschränkung.544 Bestätigt wird dies durch den § 2109 Abs. 2 BGB, der für juristische Personen gegenüber der Regelung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB eine Rückausnahme enthält. Da diese, anders als natürliche Personen, dauerhaft bestehen können, könnte andernfalls die Nacherbeinsetzung durch Abstellen auf ein Ereignis in der juristischen Person zeitlich beliebig hinausgezögert werden.545 Aus diesem Grund muss es bei der Nacherbeinsetzung einer juristischen Personen bei der dreißigjährigen Frist des § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB bleiben.546 Im Ergebnis fehlt es der von der herrschenden Auffassung vorgenommenen engen Auslegung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB daher bereits an einem legitimen Ziel. Sie ist bereits aus diesem Grund abzulehnen. Muscheler, der eine enge Auslegung des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB befürwortet, verweist auf die ratio legis und betont, dass § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB dem Erblasser ermöglichen wolle, die Erbfolge an innerfamiliäre Ereignisse bestmöglich anzupassen.547 Das Argument eines innerfamiliären Bezugs schlägt jedoch bereits deshalb fehl, weil weder Vor- noch Nacherbe Teil der Familie des Erblassers sein müssen und auch das Ereignis keinen innerfamiliären Bezug aufweisen muss. Weder der Entstehungsgeschichte noch dem Gesetzeswortlaut lässt sich eine solche ratio entnehmen.548 Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass der Gegenauffassung, die sich auf den Wortlaut beruft und darauf verweist, dass § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist549, entgegengehalten werden kann, dass der Wortlaut der Vorschrift jedenfalls nicht eindeutig ist und der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit und die damit einhergehende Wirkung der Testierfreiheit als Auslegungsmaxime für das einfache Recht550 544
Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2109 Rn. 2; MüKoBGB/Lieder § 2109 Rn. 9. Dieses Argument führt auch Litzenburger an BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2109 Rn. 2: „Folgerichtig schließt § 2109 Abs. 2 die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift auf juristische Personen aus, da es bei ihnen an dieser natürlichen Grenzziehung fehlt.“ 546 So im Ergebnis auch BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2109 Rn. 2; Damrau/ Tanck/Bothe BGB § 2109 Rn. 5; MüKoBGB/Grunsky § 2109 Rn. 5; Roth/Hannes/Mielke/Roth Vor- und Nacherbschaft § 17 Rn. 7; Kipp/Coing, Erbrecht, § 48 Abs. II 2a. 547 So fälschlicherweise Muscheler, Erbrecht, Band II, 1241 f. Rn. 2481: „§ 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 will es dem Erblasser ermöglichen, die Erbfolge an innerfamiliäre Ereignisse bestmöglich anzupassen.“ Vgl. auch BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 15; Muscheler, Erbrecht, Band II, 1241 f Rn. 2481. 548 Zutreffend MüKoBGB/Lieder BGB § 2109 Rn. 9; a.A. BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 15; Muscheler, Erbrecht, Band II, 1241 f. Rn. 2481. 549 So Muscheler, Erbrecht, Band II, 1241 f. Rn. 2481; BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 15. 550 Vgl. dazu Kap. B VII. 2., das gezeigt hat, dass der grundrechtliche Schutz der Testierfreiheit dazu führt, dass diese als Auslegungsmaxime auf die Vorschriften des einfachen Rechts einwirkt. 545
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
233
es erfordern, auch solche Ereignisse zu berücksichtigen, die die Person lediglich miterlebt erlebt hat. Im Lichte des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG muss der § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB daher weit ausgelegt werden. bb) Zeitliche Beschränkung der Nacherbfolgenanordnung Wie bereits zu Beginn der Untersuchung der Beschränkungen der Nacherbfolgenanordnung beschrieben, begrenzt § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB die Wirkung einer Anordnung der Nacherbschaft auf 30 Jahre nach dem Erbfall.551 Insofern handelt es sich dabei um die gleiche zeitliche Begrenzung, wie sie grundsätzlich auch für den Auseinandersetzungsausschluss und die Testamentsvollstreckung gilt.552 Wie in den Abschnitten zu der zeitlichen Beschränkung des Auseinandersetzungsausschlusses und der Testamentsvollstreckung deutlich geworden ist, gelten für diese beiden Arten der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten dieselben Gründe, wie auch für die Nacherbfolgenanordnung. Deshalb sollen im nächsten Abschnitt die Gründe für die zeitliche Beschränkung näher herausgearbeitet werden, um die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Bestimmung beantworten zu können. d) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der zeitlichen Beschränkung der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten Wie die aufgezeigten Auszüge der Motive und Protokolle zum Bürgerlichen Recht gezeigt haben, weisen die im Erbrecht geltenden Zeitgrenzen eine gemeinsame Grundlage auf.553 Aus diesem Grund wird nachfolgend der Versuch unternommen, die Gründe darzulegen, die eine zeitliche Beschränkung erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten rechtfertigen. Zunächst ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass auch an anderen Stellen im Bürgerlichen Gesetzbuch deutlich wird, dass dieses in bestimmten Bereichen dauerhafte Bindungen grundsätzlich ablehnt.554 Exemplarisch sei 551
Vgl. MüKoBGB/Lieder BGB § 2109 Rn. 3; Staudinger/Avenarius BGB § 2109 Rn. 3; Erman/Schmidt BGB § 2109 BGB Rn. 1; BeckOK BGB/Litzenburger § 2109 Rn. 1; Palandt/Weidlich BGB § 2109 Rn. 1; BeckOGK/Müller-Christmann BGB § 2109 Rn. 2. 552 Vgl. dazu die Darstellungen zu der zeitlichen Beschränkung des Auseinandersetzungsausschlusses Kap. C. II. 1. a) bb) und die Testamentsvollstreckung Kap. C. II. 1. b) aa). 553 Vgl. Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 69. 554 Vgl. zu den einzelnen Bindungsgrenzen Hogrebe, Bindungsgrenzen, 59 ff. Hogrebe verdeutlicht, dass das deutsche Zivilrecht es grundsätzlich ermöglicht, sich zeitlich unbegrenzt zu binden. Ausnahmen gebe es immer dann, wenn grundlegende Freiheiten des Privatrechts, wie beispielsweise die Eigentumsfreiheit oder die Berufsfreiheit beeinträchtigt werden könnten, vgl. Hogrebe, Bindungsgrenzen, 313. Vgl. dazu auch Edenfeld, DNotZ
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
hierzu auf die §§ 544, 594b BGB verwiesen, die regeln, dass Miet- und Pachtverträge spätestens nach 30 Jahren kündbar sind. Die Vertragspartner solcher Verträge können sich daher grundsätzlich nur für die Dauer einer Generation binden.555 Im Erbrecht wird dieser Gedanke auch außerhalb der oben näher dargestellten Regelungen zu der zeitlichen Beschränkung der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten deutlich. So ist die Anfechtung des Testaments nach § 2082 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn der Erbfall 30 Jahre zurückliegt. Selbiges gilt für die Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung der Erbschaft gemäß § 1954 Abs. 4 BGB.556 Verallgemeinert kann daher formuliert werden, dass dem Bürgerlichen Gesetzbuch der Gedanke zugrunde liegt, dass Vermögen nicht ewig gebunden werden kann.557 Wie jedoch bereits an zahlreichen Stellen dieser Arbeit deutlich wurde, ist das prägende Element der Erbrechtsgarantie die Testierfreiheit.558 Die Testierfreiheit umfasst dabei auch die Befugnis des Erblassers, Anordnungen, wie etwa die Testamentsvollstreckung, die Nacherbfolge oder auch ein Teilungsverbot, zu erlassen. Bei der zeitlichen Beschränkung solcher Anordnungsmöglichkeiten handelt es sich daher um Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die vom Gesetzgeber gerade nicht beliebig, sondern nur bei Vorliegen eines legitimen Zwecks erlassen werden können.559 Anders formuliert müssen die Inhalts- und Schrankenbestimmungen der Verfolgung eines legitimen gesetzgeberischen Anliegens dienen.560 Im Nachfolgenden soll daher untersucht werden, ob durch die zeitliche Unbegrenztheit der zuvor dargestellten erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten schützenswerte Interessen verletzt würden, die eine dahingehende zeitliche Einschränkung der
2003, 4, 13. Edenfeld verweist unter anderem darauf, dass die Verjährungsfrist bestimmter Ansprüche nach § 197 BGB 30 Jahre beträgt. 555 Vgl. Hogrebe, Bindungsgrenzen, 94 ff.; Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 13. 556 Der Grund für die zeitliche Beschränkung des Anfechtungsrechts dürfte in der Herstellung von Rechtssicherheit liegen. Der § 2082 Abs. 2 BGB und der § 1954 Abs. 4 BGB enthalten die Wertung, dass nach einem langen Zeitraum die Herstellung von Rechtssicherheit gegenüber der Verwirklichung des Erblasserwillens überwiegt, vgl. dazu ausführlich Hogrebe, Bindungsgrenzen, 154. 557 Vgl. dazu ausführlich Hogrebe, Bindungsgrenzen, 152 f., der betont, dass die Marktverfügbarkeit ein gesetzgeberisches Leitbild bei der Ausgestaltung der Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches gewesen ist. 558 Vgl. BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 67, 329, 341; Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 82. 559 Vgl. dazu die Ausführungen zu den Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf die einfach-gesetzlichen Regelungen des BGB in Kap. B. VII. 1. 560 Vgl. dazu schon BVerfGE 58, 377, 398; BVerfGE 67, 329, 341; Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 82; vgl. dazu ausführlich Kap. B. I., VII. 1.
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten und damit einhergehend auch der Testierfreiheit rechtfertigen. aa) Berücksichtigung der Interessen der Erben – Verhinderung lebenslanger Erbenbindung zum Schutz der persönlichen und wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der Erben Als weiterer Grund für die zeitliche Beschränkung der Einwirkungsmöglichkeiten des Erblassers auf das Vermögen über seinen Tod hinaus wird angeführt, dass die persönliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Erben durch letztwillige Anordnungen des Erblassers gefährdet wird und daher geschützt werden müsse.561 Eine solcher Begründungsansatz, der die Interessen der Erben in den Vordergrund rückt, ist typisch für diese Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit.562 Es wird betont, dass der Erblasser durch seine Anordnungen nicht die allgemeine Handlungsfreiheit der Hinterbliebenen aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG beeinträchtigen dürfe.563 Ein solches Spannungsfeld, welches vor allem Edenfeld aufzeigt, kann es bei erneuter Berücksichtigung564 der Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten beziehungsweise Erben jedoch nicht geben. Bemerkenswert ist dabei, dass das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle mit der hier vertretenen Sichtweise übereinstimmt. So formuliert das Bundesverfassungsgericht, dass der Erblasser grundsätzlich frei darüber verfügen kann, ob und mit welchen Beschränkungen er eine Person zum Erben bestimmt und dass daraus folgt, dass der begünstigte Erbe den grundrechtlichen Schutz nur in dem jeweils vom Erblasser gewährten Umfang erlangen kann.565 Sofern der 561
Vgl. Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 12. Als eines der zentralen Missverständnisse bei der Anwendung der Grenzen der Testierfreiheit zum Schutz der Erben und Kollektivgüter vor der Testierfreiheit des Erblassers wurde bereits die fehlerhafte Vorstellung von einer Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten und Erben ausgemacht; vgl. dazu Kap. B.; Kap. D. I. 1. a) aa) (3) (a). 563 So Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 12: „Mit der Testierfreiheit korrespondiert das Recht der Bedachten, den Nachlass zu übernehmen. Vererbungsrecht des Erblassers und Eigentumserwerb seiner Nachfolger sind untrennbare Bestandteile. Mit dem Erbfall tritt der Erbe in die Eigentumspositionen des Verstorbenen ein, § 1922 Absatz 1 BGB. Als neuer Rechtsträger profitiert auch er von der Gewährleistung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Sie garantiert neben dem Bestand der geschützten Rechtsposition auch deren Nutzung. Ihre übermäßige zeitliche Beschränkung ist unzulässig. Der Staat muss verhindern, dass die persönliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit durch letztwillige Anordnungen vereitelt wird. Der Erblasser darf die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2. Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) der Hinterbliebenen nicht unnötig beeinträchtigen.“ 564 Erneute Berücksichtigung meint insofern, dass die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erben bereits bei den Ausführungen zum Teilungsverbot und der entsprechenden Anwendung des § 749 Abs. 2 BGB relevant geworden ist, vgl. dazu Kap. C. II. 1. a) aa) 565 Vgl. BVerfG NJW-RR 2010, 156, 157. 562
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Erblasser nunmehr in Ausübung seiner grundrechtlich geschützten Testierfreiheit die Verfügungsbefugnis des Erben über den Nachlass durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung beschränkt, könne der Erbe den Nachlass nur mit dieser Verfügungsbeschränkung erwerben.566 Insofern formuliert das Bundesverfassungsgericht daher eindeutig, dass der Erbe keine legitimen Interessen an einer Unbeschränktheit des Erbschaftserhalts haben kann und daher nicht schutzbedürftig ist.567 Auch zu der Testierfreiheit des Erblassers und dem daraus resultierenden Verhältnis zu den Erben nimmt das Bundesverfassungsgericht Stellung: „Weil sein verfassungsrechtlicher Schutz sich von der Testierfreiheit ableitet, kann der Erbe nicht unter Berufung auf ein durch Art. 14 I 1 GG verbürgtes Erwerbsrecht erreichen, dass seinem Interesse an der Ausübung unbeschränkter Rechte am Nachlass der Testierwille des Erblassers untergeordnet wird.“568
Diese Annahme der Maßgeblichkeit des Testierwillens ist im Hinblick auf den Umstand, dass niemand einen Anspruch hat, Erbe zu werden, zutreffend. Zu Recht ordnet das Bundesverfassungsgericht daher die Interessen der Erben dem Interesse des Erblassers unter. Aus welchen Gründen das Bundesverfassungsgericht diesen Vorrang des Erblasserwillens an anderen Stellen, insbesondere bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf Potestativbedingungen, nicht anerkennt oder nicht berücksichtigt, bleibt unverständlich.569 Für die Zwecke dieses Kapitels kann jedoch festgehalten werden, dass die Erben über kein schutzwürdiges Interesse verfügen, welches eine Beschränkung der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten rechtfertigen kann. Der Erhalt einer Erbschaft ist, trotz etwaiger Beschränkung durch erblasserische Anordnungen für die Erben vorteilhaft und die Anordnungsmöglichkeiten bedürfen diesbezüglich keinerlei Einschränkung. Etwas anderes könnte sich jedoch dann ergeben, wenn die Allgemeinheit ein Interesse an der zeitlichen Beschränkung der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten hat.
566
Vgl. BVerfG NJW-RR 2010, 156, 157. In diese Richtung geht auch die Argumentation in Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); vgl. dazu auch Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 568 BVerfG NJW-RR 2010, 156, 157. Darüber hinaus führt das BVerfG aus, dass es aus den oben genannten Gründen auch ausgeschlossen sei, dass die fachgerichtliche Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift im Sinne des Erblasserwillens Rechte des Erben aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt, vgl. BVerfG, NJW-RR 2010, 156, 157. 569 Zu der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf erbrechtliche Potestativbedingungen, s. Kap. C. I. 1. a). 567
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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bb) Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit – Verhinderung volkswirtschaftlicher Nachteile durch die zeitliche Begrenzung erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten Im Rahmen der Ausführungen zu den zeitlichen Grenzen des Auseinandersetzungsausschlusses ist bereits deutlich geworden, dass der Sinn und Zweck der zeitlichen Begrenzung erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten in der Verhinderung der Schaffung fideikommissähnlicher Verhältnisse liegt. Das Verbot des Familienfideikommisses, welches sich aus Art. 155 Abs. 2 S. 2 WRV ergibt, wird zwar überwiegend im Rahmen der Diskussion um die Zulässigkeit von Vermögensperpetuierungen durch Familienstiftungen relevant570, gleichwohl spielt es auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Begrenzung erbrechtlicher Gestaltungsmittel eine entscheidende Rolle.571 Aus diesem Grund sollen zunächst Ausführungen zu dem Familienfideikommiss erfolgen. (1) Exkurs: Das Familienfideikommiss und dessen Abschaffung Als Familienfideikommiss wird ein durch privates Rechtsgeschäft gebundenes Sondervermögen bezeichnet, das grundsätzlich unveräußerlich und unbelastbar ist und von bestimmten Familienmitgliedern nacheinander in einer zuvor festgelegten Reihenfolge genutzt wird. Die Fideikommisse hatten ihren Ursprung im römischen Recht und dienten der Erhaltung des Wohls und des Ansehens der Familie, dem sogenannten splendor familiae et nominis.572 In ihrer traditionellen Form wurden Fideikommisse vor allen im agrarischen Bereich errichtet. Gleichwohl erlangten sie auch in den Bereichen von Grundstücken und Geldvermögen eine erhebliche Bedeutung.573 Die Möglichkeit der Errichtung eines Fideikommisses war als Mittel der Vermögensperpetuierung seit der Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche zunehmender Kritik ausgesetzt.574 So wurde in politischer Hinsicht die mit dem Fidei570 Vgl. Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 15; Däubler, JZ 1969, 499, 500 ff.; Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 103 ff. 571 So auch Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 15. 572 Vgl. MüKoBGB/Säcker EGBGB Art. 59 Rn. 2; Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 16, 74; Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 7; Koehler/Heinemann, Das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstigen gebundenen Vermögens, 67. 573 Vgl. Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 16; Eckert, Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland, 696 ff., 741 ff. 574 In der Grundrechtsdiskussion der Paulskirche wurde umfangreich die Frage nach der Abschaffung der Fideikommisse diskutiert. Die in diesem Rahmen vorgebrachten
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
kommiss einhergehende Festigung des Einflusses der Adelsfamilien und in volkswirtschaftlicher Hinsicht der Umstand kritisiert, dass das unveräußerliche Vermögen dem Rechts- und Wirtschaftsverkehr entzogen wurde.575 Wenngleich daher bereits deutlich früher der Fideikommiss abgeschafft werden sollte576, geschah dies erst nach dem 1. Weltkrieg auf Grundlage des Art. 155 Abs. 2 S. 2 WRV, in dem die Fideikommisse durch entsprechende Landesgesetze in den 1920er Jahren außer Kraft gesetzt wurden.577 Ihren Abschluss fand diese Gesetzgebung in dem Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen vom 6. Juli 1938.578 Dieser Auflösung der Fideikommisse lässt sich ein Rechtsgedanke entnehmen, der über die Frage nach der Zulässigkeit von Fideikommissen hinaus, Wertungen in Bezug auf die langfristige Vermögensbindung enthält.579 Das Verbot des Fideikommisses zeigt, dass eine langfristige Vermögensbindung unerwünscht ist. Fraglich ist, ob auch durch erblasserische Anordnungsmöglichkeiten langfristige Vermögensbindungen und damit einhergehend fideikommissähnliche Verhältnisse geschaffen werden können. Wäre Argumente um die Frage nach der Zulässigkeit langfristiger Vermögensbindung haben bis heute Geltung, dazu Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 221; Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 18. 575 Vgl. Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 6; zu der ökonomischen Kritik Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 69 ff.; v. Schmitt, Motive TE, 178 ff. 576 Vgl. dazu insbesondere Eckert, Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland, 696 ff., 741 ff. Bereits § 170 der Paulskirchenverfassung aus dem Jahre 1849 sah die Auflösung der Familienfideikommisse vor. Zu einer solchen kam es jedoch nicht. Auch nach dem In-Kraft-Treten des BGB im Jahre 1900 gab es noch zahlreiche Fideikommisse, vgl. dazu Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 6. 577 Die Auflösung der Fideikommisse ist heute im Wesentlichen abgeschlossen, vgl. dazu BT-Drs. 63/07, 80; MüKoBGB/Säcker EGBGB Art. 59 Rn. 2; BeckOGK/MüllerChristmann BGB § 2109 Rn. 3; Eckert, Der Kampf um die Familienfideikommisse, 697 ff., 741 ff.; MüKoBGB/Grziwotz BGB § 2353 Rn. 191. 578 Vgl. OLG München, MittBayNot 2004, 434, 436; MüKoBGB/Grziwotz BGB § 2353 Rn. 191; MüKoBGB/Weitemeyer BGB § 80 Rn. 180; Sowohl bei diesem Gesetz als auch bei der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen vom 20. März 1939 handelt es sich um fortgeltendes verfassungsgemäßes Recht, vgl. dazu das Urteil des OLG Hamms zur „Lippischen Rente“, OLG Hamm, Urteil vom 16. März 2006 – 10 U 83/05 –, juris Rn. 70. 579 Besonders deutlich wird dies bei Betrachtung der Debatte um die Zulässigkeit von Familienfideikommissen in der Paulskirche und bei der BGB-Gesetzgebung, vgl. dazu Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 17–24; Zu der Bedeutung des Fideikommissverbots über Fideikommisse hinaus, Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 25 mit Verweis auf MüKoBGB/Reuter BGB Vorb. § 80 Rn. 20 f.
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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dies der Fall, so könnten die Wertungen, die sich aus dem Verbot des Familienfideikommisses ergeben, für die Frage nach der Rechtfertigung der zeitlichen Beschränkung der Testierfreiheit relevant werden. (2) Schutz vor fideikommissähnlichen Auswirkungen durch die zeitliche Begrenzung erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten Die im Erbrecht vorgesehenen Möglichkeiten der Anordnung eines Teilungsverbotes, einer Dauertestamentsvollstreckung und einer Nacherbfolge würden ohne zeitliche Begrenzung dem Erblasser die Möglichkeit eröffnen, fideikommissähnliche Verhältnisse zu schaffen. Diese Gefahr hat bereits die Zweite BGB-Kommission zur Begründung der zeitlichen Beschränkung der Testamentsvollstreckung herangezogen: „Der Erblasser würde endlich ohne zeitliche Schranke in der Lage sein, ohne landesgesetzliche Genehmigung eine Stiftung oder, ohne den landesgesetzlichen Erfordernissen zu genügen, ein deutschrechtliches Familienfideikommiss ins Leben zu rufen. Um dies zu verhindern, müsse übrigens die zeitliche Grenze für alle Fälle von Testamentsvollstreckungen der gedachten Art, nicht bloß für solche gelten, bei welchen sich die Verwaltung auf den ganzen Nachlass erstrecke. Dass die zeitliche Schranke in gleicher Weise zu bestimmen sei, wie bei der Nacherbschaft, darüber sei man einig.“580
Der BGB-Gesetzgeber hat mit Art. 59 EGBGB den Landesgesetzgebern die Fideikommissgesetzgebung vorbehalten.581 Da sich die Wirkungen des Fideikommisses und der Verwaltungsvollstreckung im Sinne des § 2209 BGB ähneln, hätte durch eine zeitlich unbegrenzte Verwaltungsvollstreckung für jeden Erblasser die Möglichkeit bestanden, ein Familienfideikommiss mittels Testamentsvollstreckung zu errichten, ohne landesrechtliche Bestimmungen beachten zu müssen.582 Zutreffend hat daher bereits der historische Gesetzgeber die Gefahr der Schaffung eines „Quasi-Familienfideikommiss“ durch die Anordnung einer unbegrenzten Testamentsvollstreckung erkannt.583 Es können jedoch nicht nur durch eine ewige Testamentsvollstreckung, sondern
580
Vgl. Protokolle II, Band V, 308 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 669. 581 Vgl. MüKoBGB/Säcker EGBGB Art. 59 Rn. 1 f.; Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 59 Rn. 7 ff., 27 ff.; vgl. dazu BayObLGZ 1996, 204, 204 ff.; Staudinger/Merten Vorbem zu Art. 55 Rn. 28. 582 So auch Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 65. 583 Die Anordnung einer Verwaltungsvollstreckung kann bspw. den Zugriff der Gläubiger des Erben auf den Nachlass verhindern. Sofern der Erbe über hohe Verbindlichkeiten verfügt, mithin überschuldet ist, kann die Verwaltungs- oder Dauervollstreckung aufgrund des § 2214 BGB i.V.m. § 863 Abs. 1 S. 2 ZPO ein geeignetes Mittel sein, um den Zugriff der Eigengläubiger auf den Nachlass zu verhindern, vgl. BeckOGK/Suttmann BGB § 2209 Rn. 5.1; Staudinger/Reimann BGB § 2209 Rn. 7; Soergel/Damrau BGB § 2209 Rn. 2.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
auch durch eine zeitlich unbegrenzte Nacherbfolgenanordnung584 und eines Auseinandersetzungsausschlusses gewisse fideikommissähnliche Wirkungen geschaffen werden. Auch dies hat der historische Gesetzgeber bereits erkannt und insbesondere bei der Nacherbfolgenanordnung erklärt, dass eine langfristige Bindung des Nachlassvermögens durch den Erblasser verhindert werden müsse. (3) Verhinderung langfristiger Vermögensbindung als berechtigtes Interesse Nachdem nunmehr herausgearbeitet wurde, dass der Grund sowohl für das Verbot des Familienfideikommisses als auch der zeitlichen Begrenzung erblasserischer Anordnungsmöglichkeiten in der Verhinderung langfristiger Vermögensbindung liegt, stellt sich als nächstes die Frage, ob die mit einer langfristigen Vermögensbindung einhergehenden Nachteile die Beschränkung der Testierfreiheit in Form der zeitlichen Begrenzung der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten rechtfertigen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verhinderung langfristiger Vermögensbindung im Erbrecht der Gedanke zu Grunde liegt, der Nachlass dürfe nicht unveräußerlich gemacht und dem allgemeinen Rechtsverkehr entzogen werden.585 Dies ist auch der Grund dafür, dass der Auseinandersetzungsausschluss nicht dinglich, sondern nur schuldrechtlich wirkt.586 Die Verhinderung langfristiger Vermögensbindung wirkt sich dabei nicht nur auf die zeitliche Begrenzung der oben ausführlich dargestellten erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten aus. So kann der Erblasser auch die bürgerlich-rechtliche Stiftung nicht zu beliebigen Zwecken nutzen, sondern benötigt eine behördliche Genehmigung, die nur erteilt wird, wenn der Zweck der Stiftung eine langfristige Vermögensbindung rechtfertigt. Hierfür reichen lebenslange Bindungsabsichten jedoch nicht aus.587 Wird nunmehr die Frage gestellt, worin die Nachteile langfristiger Vermögensbindung und der daraus resultierenden Unveräußerlichkeit des Nachlasses liegen, geben die Motive bereits einen Hinweis:
584
Hierzu nehmen bereits die Motive zum BGB Stellung, s. dazu Motive, V, 90 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 48. 585 Vgl. Kap. C. II. 1. d) bb) (1). 586 So die h.M. BGHZ 40, 115, 117; OLGE 40, OLGE 40, 112, 113; Brox/Walker Erbrecht Rn. 515; Kiethe, ZEV 2003, 225, 227; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 44 II. 3a; a.A. Muscheler, ZEV 2010, 340, 342. Nach Muscheler hat der Auseinandersetzungsausschluss dingliche Wirkung; vgl. auch Binder, Die Rechtsstellung des Erben, 246 ff. 587 Vielmehr ist erforderlich, dass der Stiftungszweck ein Nutzen für das Gemeinwohl aufweist, vgl. Edenfeld, DNotZ 2003, 4, 14.
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
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„Aus nationalökonomischen Gründen erscheint es angemessen, eine übermäßig lange Vinkulierung des nachgelassenen Vermögens zu verhindern.“588
Der maßgebliche Nachteil einer langfristigen Vermögensbindung liegt darin, dass diese zu einer Angebotsverknappung führt, die das Funktionieren des Marktes beeinträchtigt und im Ergebnis zu einem Zusammenbruch eines (Teil-)Marktes führen kann. Wenngleich ein solcher Marktzusammenbruch den sogenannten „worst case“ bildet, so führt Angebotsverknappung in einer freien Marktwirtschaft zumindest zu Preissteigerungen. Eine zeitliche Unbegrenztheit der zuvor dargelegten erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten würde daher die freie Preisbildung beeinträchtigen und Erwerbschancen für Marktteilnehmer mindern.589 Zutreffend stellt Sasse dabei die Frage, ob das bereits in den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch angeführte volkswirtschaftliche Argument, dass es durch die Nacherbfolgenanordnung, den Auseinandersetzungsausschluss oder die Testamentsvollstreckung ohne zeitliche Beschränkung zu einer für die Wirtschaft nachteiligen Beschränkung der Marktfreiheit komme, im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG berücksichtigt werden kann.590 Dies ist insbesondere deshalb fraglich, weil die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz nicht festgeschrieben ist. Sofern durch langfristige Vermögensbindung zahlreiche Wirtschaftsgüter dem Rechtsverkehr entzogen werden und dadurch eine Angebotsverknappung entsteht, wird jedoch das Recht auf Eigentumserwerb, welches zumindest über die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, beeinträchtigt.591 Die zeitlichen Beschränkungen der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten verfolgen damit einen legitimen Zweck. Im Hinblick auf die für den Erblasser bestehende Möglichkeit der Anordnung von Testamentsvollstreckung, Auseinandersetzungsausschluss und Nacherbfolgenanordnung über 588
Motive, V, 90 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 48; vgl. zu dem Aspekt der volkswirtschaftlichen Verfügbarkeit Hogrebe, Bindungsgrenzen, 152. 589 Dagegen Hogrebe, Bindungsgrenzen, 152 f.: „[A]uch die erbrechtlichen Bindungsgrenzen lassen sich weder mit dem Gebot der Marktverfügbarkeit erklären, noch lassen sich die von ihnen zugelassenen Bindungen mit einem Gebot der Marktverfügbarkeit vereinbaren. So können die unterschiedlichen erbrechtlichen Bindungsgrenzen schon deswegen nicht durchweg auf die Gewährleistung von Marktverfügbarkeit abzielen, weil die begrenzten Bindungen nicht durchweg die Verfügungsfreiheit beschränken.“ 590 Vgl. Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen von Todes wegen, 84. 591 Vgl. dazu Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 88. Sasse stellt daher zutreffend fest, dass die volkswirtschaftlichen Erwägungen des historischen Gesetzgebers im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG berücksichtigt werden dürfen.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
einen Zeitraum von 30 Jahren und darüber hinaus, erscheint der Eingriff in die Testierfreiheit im Übrigen auch erforderlich und angemessen.592 cc) Verhinderung der Gefährdung der Zuordnungsgewissheit als weiterer Zweck erbrechtlicher Bindungsgrenzen Hogrebe sieht den Zweck der soeben dargelegten erbrechtlichen Bindungsgrenzen nicht in der Wiederherstellung volkswirtschaftlicher Verfügbarkeit und dem Schutz eines funktionierenden Marktes.593 Er begründet dies damit, dass die volkswirtschaftliche Verfügbarkeit von Gütern durch die erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten ohnehin nicht beeinträchtigt würden.594 Hierzu stellt Hogrebe fest, dass der Wert der Nachlassgegenstände der Volkswirtschaft trotz der erbrechtlichen Bindungsgrenzen überwiegend zur Verfügung stehe. Insofern, als dass die Bindungsgrenzen nicht durchweg die Verfügungsfreiheit beschränken würden und die Bindungsgrenze des § 2109 Abs. 1 S. 1 BGB auch für den befreiten und damit verfügungsberechtigten Vorerben gelte, werde die Verfügungsfreiheit des Vorerben und damit einhergehend die volkswirtschafte Verfügbarkeit des Nachlasses durch zeitlich unbegrenzte erblasserische Anordnungsmöglichkeiten nicht beeinträchtigt.595 Nach Hogrebe liegt der primäre Zweck der zeitlichen Bindungsgrenzen des Erbrechts vielmehr in der Auflösung von Schwebezuständen.596 Zuordnungswechsel nach langen Zeiträumen würden verfestigte Rechtszustände in Frage stellen und der Rechtssicherheit zuwiderlaufen.597 Die Rechtsordnung verfolge im Hinblick auf die absolute Wirkung dinglicher Rechte das Ziel, eine eindeutige Zuweisung vorzunehmen.598 Während daher im Sachenrecht der Publizitätsgrundsatz und ein numerus clausus gelte599, wird die Zuord592 Dazu führt Sasse aus, dass eine Verkürzung der 30-Jahres-Frist verfassungsrechtlich unzulässig wäre, da eine solche Verkürzung die Testierfreiheit des Erblassers nicht hinreichend berücksichtige, vgl. Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 104. 593 Vgl. Hogrebe, Bindungsgrenzen, 153; a. A. Sasse, Grenzen der Vermögensperpetuierung bei Verfügungen durch den Erblasser, 88; Motive, V, 90 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 48. 594 Vgl. Hogrebe, Bindungsgrenzen, 153. 595 Vgl. Hogrebe, Bindungsgrenzen, 153. 596 So Hogrebe, Bindungsgrenzen, 154. Hogrebe betont, dass das Ziel der zeitlichen Begrenzung von Schwebezuständen auch an weiteren Stellen im BGB deutlich wird. Hogrebe verweist dabei auf die §§ 2082, 1954 BGB. 597 Vgl. Hogrebe, Bindungsgrenzen, 153. 598 So Hogrebe, Bindungsgrenzen, 154 mit Verweis auf Baur/Stürner, Sachenrecht, 35 ff. Hogrebe betont, dass das Ziel der zeitlichen Begrenzung von Schwebezuständen auch an weiteren Stellen im BGB deutlich wird. Hogrebe verweist dabei auf die §§ 2082, 1954 BGB. 599 Vgl. als vergleichbares Institut den Form- und Typenzwang des Erbrechts. Mit die-
II. Grenzen zur Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung
243
nungssicherheit im Erbrecht durch das Prinzip der eindeutigen Zuweisung gesichert.600 Im Ergebnis ergänzen sich die beiden genannten Zwecke der erbrechtlichen Bindungsgrenzen. Es kann daher festgehalten werden, dass das Anliegen der erbrechtlichen Bindungsgrenzen zum einen in dem Schutz der Verkehrsfähigkeit und zum anderen in der Auflösung von Schwebezuständen besteht. dd) Zwischenfazit – zulässige zeitliche Beschränkung der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten Das deutsche Erbrecht ermöglicht es dem Erblasser, den Nachlass auch nach dem Tod noch jahrzehntelang durch Bestimmungen in der Verfügung von Todes wegen zu binden. Diese umfangreichen Gestaltungs- und Einwirkungsmöglichkeiten werden der Testierfreiheit des Erblassers gerecht. Dennoch gibt es vor allem zeitliche Beschränkungen, die einer Rechtfertigung bedürfen. Während die Erben aufgrund ihrer rechtlichen Beziehung zum Erblasser in der Gesamtschau stets nur ein Mehr an rechtlichen Möglichkeiten bekommen und mangels Eingriff in ihre Rechte daher den Erlass zeitlicher Schranken nicht rechtfertigen können, sieht dies im Hinblick auf die Allgemeinwohlbelange anders aus. Die erbrechtlichen Zeitgrenzen sind aus volkswirtschaftlichen Gründen und aus Gründen der Zuordnungsgewissheit verfassungsrechtlich zulässig und geboten. Gleichzeitig lassen sie dem Erblasser weitreichende Gestaltungsbefugnisse, sodass die zeitliche Einschränkung der Testierfreiheit auch angemessen und daher insgesamt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
2. Einordnung der Beschränkungen der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten in die Kategorien der Grenzen der Testierfreiheit Nachdem die zahlreichen Beschränkungen der Einwirkungsmöglichkeiten des Erblassers auf das Vermögen über seinen Tod hinaus dargetan wurden, stellt sich die Frage, ob sich diese Grenzen in die in dieser Arbeit entwickelte Kategorisierung der Grenzen der Testierfreiheit einfügen lassen oder ob sie vielmehr eine neue eigenständige Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit darstellen und die in dieser Arbeit bislang vertretene Einteilung der Grenzen der Testierfreiheit abgeändert oder aufgegeben werden muss. sem befasst sich die Arbeit in dem Kap. D. II. 2. ausführlich. Vgl. dazu auch BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 3. Zum numerus clausus des Sachenrechts s. die Darstellung bei Staudinger/Heinze Einleitung BGB Rn. 94. 600 Vgl. Hogrebe, Bindungsgrenzen, 155.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Die Analyse der oben genannten Begrenzungen der Testierfreiheit hat ergeben, dass diese die dauerhafte Vermögensperpetuierung, das Entstehen von Zuordnungsunsicherheiten und die lebenslange Bindung der Erben verhindern sollen. Die Verhinderung dauerhafter Vermögensperpetuierung und die Sicherung der Zuordnungsgewissheit stellen, wie soeben dargelegt, berechtigte Interessen der Allgemeinheit dar. Aus diesem Grund dienen die Beschränkungen der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten zum einen dem Schutz von Kollektivgütern und zum anderem dem Schutz der Erben vor der Testierfreiheit des Erblassers und lassen sich folglich der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zuordnen, sodass die in dieser Arbeit entwickelte Einteilung aufrecht zu erhalten ist.
3. Fazit: Bestimmte Begrenzungen der erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit unvereinbar Nachdem nunmehr feststeht, dass die Beschränkungen der erblasserischen Anordnungen als Grenzen der Testierfreiheit zum Schutz von Erben und Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers einzuordnen sind, sollen diejenigen Ergebnisse des Kapitels zusammengefasst werden, die die Reichweite der Testierfreiheit betreffen: 1. Die Auffassung, die an das Ereignis im Sinne des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB strenge Anforderungen stellt und fordert, dass das Ereignis zumindest eine rechtliche oder wirtschaftliche Beziehung zu der Person des Voroder Nacherben hat, stellt eine unzulässige Begrenzung der Nacherbfolgenanordnung dar und ist mit der Testierfreiheit unvereinbar. 2. Eine Verwirkung der Testamentsvollstreckung kann im Hinblick auf die vom Gesetzgeber ausdrücklich getroffene Regelung in § 2209 S. 1 BGB, welche die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung durch den Erblasser zulässt, nicht erfolgen. 3. Der Erblasser kann das Ende der Testamentsvollstreckung nach § 2210 S. 2 BGB von einer Kombination der genannten Ereignisse abhängig machen, sodass ein Ende der Testamentsvollstreckung erst dann anzunehmen ist, wenn sämtliche Bedingungen erfüllt sind. Die anderen Sichtweisen können die weitergehende Beschränkung der Testierfreiheit des Erblassers nicht rechtfertigen. Bereits an dieser Stelle der Arbeit lässt sich daher festhalten, dass bei näherer Betrachtung der jeweiligen Grenzen der Testierfreiheit und deren Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur zum Teil erhebliche Beeinträchtigungen der Testierfreiheit offengelegt werden. Die eingangs aufgestellte These, dass die Ursache hierfür im Wesentlichen entweder in einem fehlerhaften Verständnis der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erben bezie-
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit
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hungsweise Erbprätendenten samt einer fehlerhaften Interpretation der Bedeutung der gesetzlichen Erbfolge liegt, ist auch im Hinblick auf die Ergebnisse dieses Abschnitts bestätigt.
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit Mit dem Pflichtteilsrecht hat der Gesetzgeber ein Instrument zum Schutz der Abkömmlinge, des Ehegattens und der Eltern des Erblassers für die Fälle geschaffen, in denen der Erblasser seine Testierfreiheit in der Weise ausübt, dass er diese Personengruppen von der Erbfolge ausschließt.601 Das Pflichtteilsrecht soll dabei das Spannungsverhältnis zwischen Testierfreiheit und Familienerbfolge auflösen, beziehungsweise abmildern.602 Es handelt sich daher um eine Grenze der Testierfreiheit, die dem Schutz von Erbprätendenten und Kollektivgütern603 vor der Testierfreiheit des Erblassers dient. Bestätigt wird diese Annahme durch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsrechts: „Die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass wird durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet.“604
Die Annahme der Verfassungsgarantie des Pflichtteilsrechts in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht beruht auf dem Verständnis des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG als Institutsgarantie.605 Die Lösung des damit aufgeworfenen Problems zweier sich gegensätzlich gegenüberstehender Grundrechte hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zugewiesen.606 Diese Aufgabe hat der Gesetzgeber mit den 601 Dabei ist der Pflichtteilsanspruch kein Erbfolgerecht, sondern lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch auf Zahlung in Höhe des Pflichtteilswertes, s. dazu Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht, Rn. 30; Burandt/Rojahn/Horn BGB § 2303 Rn. 3. 602 Vgl. MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 1; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 35; Oechsler, AcP 200 (2000), 603, 610 f.; vgl. dazu die Betrachtung der Entwicklung der Testierfreiheit in Kap. B. II. 603 Das BVerfG stellt deutlich heraus, dass das Pflichtteilsrecht auch Ausfluss des Schutzes familiärer Bindungen und Verantwortungen ist und rückt dabei Art. 6 Abs. 1 GG in das Zentrum seiner Argumentation, s. dazu BVerfGE 112, 332, 352; vgl. auch BeckOGK/Obergfell BGB § 2303 Rn. 8. 604 BVerfGE 112, 332, 348. 605 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Pflichtteilsrechts ist umstritten, vgl. dazu die noch folgenden Ausführungen in diesem Abschnitt. Diejenigen, die eine solche Gewährleistung des Pflichtteilsrechts annehmen, stützen sie teilweise auf die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und teilweise auf das Gebot zum Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG. Eine weitere Meinung kombiniert beide Ansätze. 606 Vgl. BVerfGE 112, 332, 354.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
§§ 2303 ff. BGB wahrgenommen und dabei einen Kompromiss zwischen Testierfreiheit und dem Prinzip der Familienerbfolge geschaffen. Ein solcher Kompromiss kann in den unterschiedlichsten Varianten ausgestaltet werden.607 Bei dem Pflichtteilsrecht handelt es sich um einen Teil des Erbrechts, welcher von zahlreichen Kontroversen geprägt ist.608 Das Meinungsspektrum zu der verfassungsrechtlichen Stellung des Pflichtteilsrechts reicht von der Auffassung, dass das Pflichtteilsrecht durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet wird609, über die Ansicht, dass das Grundgesetz keine Aussage über das Pflichtteilsrecht trifft610, hin zu der Auffassung, dass es verfassungswidrig ist.611 Diese Kontroversen reichen weit zurück. So stellte bereits der 14. Deutsche Juristentag im Jahr 1878 die Frage, ob die Testierfreiheit durch eine Pflichtteilsberechtigung naher Angehöriger eingeschränkt werden sollte.612 Während der Zeit des Nationalsozialismus ist das Pflichtteilsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches grundsätzlich in Frage gestellt, jedoch nicht geändert worden.613 Im Jahre 1972 diskutierte der 49. Deutsche Juristentag, ob es sich empfehle, das Pflichtteilsrecht neu zu regeln. Tatsächlich fand die geltende Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts breite Zustimmung, sodass sämtliche Änderungsanträge abgelehnt wurden und ein Antrag, das Pflichtteilsrecht abzuschaffen, nahezu einstimmig zurückgewiesen wurde.614 In den vergangenen Jahren ist insbesondere die rechtspolitische Rechtfertigung des Pflichtteilsrechts verstärkt kritisiert worden.615 Dabei mehren sich 607 Dies zeigt sich bereits an den beiden grundsätzlichen Ausgestaltungsvarianten des Pflichtteilsrechts. So kann der Gesetzgeber zwischen dem Modell des Noterbrechts, wie es dem französischen Recht zugrunde liegt und dem Prinzip des Geldanspruchs wählen, s. dazu Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht, Rn. 31. 608 Vgl. Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829; MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 8 ff.; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 35 ff.; Röthel, ZEV 2006, 8, 8. 609 Vgl. BVerfGE 112, 332, 348; BGHZ 98, 226, 233; BGHZ 109, 306, 313; Haas, ZEV 2000, 249, 250 ff.; vgl. dazu auch die Darstellung bei Otte, AcP 202 (2002), 317, 318. 610 Vgl. dazu die Darstellung bei Otte, AcP 202 (2002), 317, 318. 611 So insbesondere Petri, ZRP 1993, 205, 206, vgl. dazu auch die Darstellung bei Otte, AcP 202 (2002), 317, 318; MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 8. 612 Vgl. dazu Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 35; MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 2. Auch in den Jahren 1949 und 1972 war das Pflichtteilsrecht Thema des Deutschen Juristentages. 613 Vgl. Staudinger/Otte Einleitung zu §§ 2303 ff. Rn. 14 der darauf verweist, dass aus dem Parteiprogramm der NSDAP hervorgehe, dass ein Pflichtteilsanspruch ohne Verantwortung für den Nachlass als ein „arbeitsloses Einkommen“ angesehen und daher abgelehnt worden ist. 614 Vgl. Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Band II, K 160 f.; Staudinger/Otte Einleitung zu §§ 2303 ff. Rn. 14. 615 Vgl. dazu die Darstellungen bei MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 8; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 36 ff.; Staudinger/Otte Einlei-
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit
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die Stimmen in der Literatur, die die Funktionen des Pflichtteilsrechts und damit einhergehend dessen Legitimität in Frage stellen.616 Vor allem den Wandel des Familienbildes nehmen Vertreter aus der Literatur zum Anlass das Pflichtteilsrecht zu kritisieren. Insbesondere der ursprüngliche Versorgungscharakter des Pflichtteilsrechts, der bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches eine zentrale Rolle gespielt hat, sei heute in den Hintergrund getreten.617 Die wirtschaftliche Existenz werde im Geltungsbereich des Bürgerlichen Gesetzbuches durch das Unterhaltsrecht und gerade nicht durch das Erbrecht abgesichert.618 Darüber hinaus trete der Erbfall durch die gestiegene Lebenserwartung nunmehr erst zu einem Zeitpunkt ein, in dem sich die Pflichtteilsberechtigten bereits eine eigene Existenz aufgebaut hätten.619 Auch der Vermögensverteilungscharakter des Pflichtteilsrechts wird von Stimmen aus der Literatur kritisiert.620 Zum einen lasse sich ein Schutz vor Vermögenskonzentration nicht hinreichend effektiv sicherstellen und zum anderen bestehe umgekehrt die Gefahr der Zerschlagung wirtschaftlicher Einheiten durch die verteilende Wirkung des Pflichtteilsrechts.621 Daneben tung zu §§ 2303 ff. Rn. 20 ff.; Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829; Röthel, ZEV 2006, 8, 8 betont: „Bereits seit einigen Jahren findet eine lebhafte Kontroverse über die Sinnhaftigkeit des Pflichtteilsrechts statt. Es fragt sich, ob die tradierten Motive des Pflichtteilsrechts auch heute noch, angesichts veränderter sozialer, wirtschaftlicher und demographischer Befunde, die mit dem Pflichtteilsrecht verbundenen Eingriffe in die Testierfreiheit zu rechtfertigen vermögen.“ 616 Vgl. dazu die Ausführungen bei Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829; Dauner-Lieb, DNotZ 2001, 460, 465; Staudinger/Otte Einleitung zu §§ 2303 ff. Rn. 20; MüKoBGB/ Lange BGB § 2303 Rn. 8; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 39; Gerken, Rpfleger 1989, 45, 45 f. Für eine gänzliche Abschaffung des Pflichtteilsrechts hin zu einem vorzeitigen Erbausgleich spricht sich Petri, ZRP 1993, 205, 206 aus, der die Regelungen zum Pflichtteilsrecht für verfassungswidrig hält. 617 Vgl. MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 8; Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829; Herzog, Die Pflichtteilsentziehung – ein vernachlässigtes Institut, 223 f.; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 36. 618 Vgl. MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 8; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 36. 619 Vgl. dazu Gerken, Rpfleger 1989, 45, 47; Otte, ZEV 1994, 193, 194 f.; Schiemann, ZEV 1995, 197, 198; MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 8; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 36. Vgl. zu der Versorgungsfunktion des Pflichtteilsrechts und der veränderten Lebenserwartung Otte, AcP 202 (2002), 317, 339 f. 620 Vgl. zum Vermögensverteilungscharakter des Pflichtteilsrechts Schiemann, ZEV 1995, 197, 199; Otte, ZEV 1994, 193, 196 f.; MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 9; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 37; Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829. 621 So anschaulich Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 37: „Bei der Nachfolge in Unternehmen kann die Verteilungsfunktion im Übrigen unerwünschte Folgen haben, wenn nämlich Unternehmenseinheiten durch die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zerschlagen werden. Dies kann der Fall sein, wenn Kin-
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
wird auch die Teilhabefunktion des Pflichtteilsrechts in Frage gestellt.622 Dabei wird insbesondere der Umstand kritisiert, dass in der modernen Familie als Konsumgemeinschaft regelmäßig keine Beiträge von Pflichtteilsberechtigten zur Vermögensbildung und Vermögenserhaltung erfolgen würden, sodass der Nachlass nicht mehr als Familienvermögen angesehen werden könne.623 Des Weiteren wird dem Pflichtteilsrecht teilweise auch seine Solidaritätsfunktion abgesprochen, da eine zwingende erbrechtliche Solidarität aufgrund eines bloßen Statusverhältnisses unabhängig von der tatsächlich gelebten Solidarität nicht gerechtfertigt sei.624 Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass von dem „rechtspolitischen Unbehagen“625, die diese Diskussionen um den Funktionsverlust des Pflichtteilsrechts ausgelöst hat, keine Auswirkungen auf die pflichtteilsrechtliche lex lata ausgegangen sind.626 Dass das Pflichtteilsrecht trotz des Wandels des Familienbegriffs und der familiären Verhältnisse überwiegend akzeptiert wird, zeigt sich auch an dem Abstimmungsergebnis zum 64. Deutschen Juristentag, auf dem die Anträge auf Abschaffung der Pflichtteilsrechte mit deutlicher Mehrheit abgelehnt wurden.627 der der Unternehmensleiter die Betriebe nicht fortführen wollen oder wenn sie in einem Ehegattentestament im ersten Erbfall enterbt werden und daher ihre Pflichtteilsansprüche geltend machen.“ In diese Richtung auch MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 9; a. A. Schiemann, ZEV 1995, 197, 199. 622 Vgl. MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 10; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 37; vgl. dazu auch die Ausführungen bei Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829 der die Diskussion um den Funktionsverlust der Testierfreiheit nicht nur für die nationale Rechtsordnung, sondern in einem europäischen Gesamtkontext darstellt. 623 Die Familie als bloße Konsumgemeinschaft beschreibend Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 208; die fehlenden Beiträge der Pflichtteilsberechtigten zum Familienvermögen betont MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 8 und kritisiert deshalb auch die Teilhabefunktion des Pflichtteilsrechts. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829. So explizit auch Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 38: „Auch diese Funktion knüpft an das Familienverständnis an, von dem der historische Gesetzgeber ausgehen musste, das aber mit der heutigen Wirklichkeit in vielen Fällen nicht mehr übereinstimmt. Weder ist heutzutage das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Familie so ausgeprägt wie vor hundert Jahren noch ist die Existenz eines familiengebundenen Vermögens, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, zeitgemäß. Das Vermögen wird oft nicht mehr über Generationen erwirtschaftet, sondern innerhalb einer Generation.“ 624 Vgl. MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 11; Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829. 625 Röthel, ZEV 2006, 8, 8 spricht von einem solchen rechtspolitischen Unbehagen gegenüber dem Pflichtteilsrecht. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829; MüKoBGB/Lange BGB § 2303 Rn. 8; Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 35 ff. die sich mit der rechtspolitischen Kritik des Pflichtteilsrechts befassen. 626 Zu diesem Befund gelangt auch Dutta, FamRZ 2011, 1829, 1829. 627 Vgl. Verhandlungen des 64. Deutschen Juristentages, Band II/1, L 114; Staudinger/Otte Einleitung zu §§ 2303 ff. Rn. 21.
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit
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Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass über die rechtspolitische Notwendigkeit eines Pflichtteilsrechts im 21. Jahrhundert freilich gestritten werden kann. So dürfte insbesondere die ursprüngliche Funktion der Existenzsicherung aufgrund des vorhandenen Unterhaltsrechts und anderer Vorsorgesystemen weggefallen sein. Eine weitgehende Untersuchung, welche Auswirkungen ein etwaiger Funktionsverlust des Pflichtteilsrechts auf die Verfassungsmäßigkeit der mit dem Pflichtteilsrecht verbundenen Eingriffe in die Testierfreiheit hat, würde genügend Inhalt für eine eigenständige Arbeit liefern, und kann von der vorliegenden Arbeit, die sich mit den verschiedenen Grenzen der Testierfreiheit befasst, nicht geleistet werden. Es soll vielmehr zusammen mit dem Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen werden, dass das Pflichtteilsrecht „neben der Testierfreiheit und dem Erwerbsrecht des Erben Bestandteil des institutionell verbürgten Gehalts der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG [ist]“628 und sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraum bewegt hat, sodass es sich folglich um zulässige Begrenzung der Testierfreiheit handelt. Für den Gang dieser Arbeit soll der Fokus deshalb auf einem Institut des Pflichtteilsrechts liegen, welches trotz grundsätzlich zulässiger zwingender Nachlasspartizipation der Pflichtteilsberechtigten durch fehlerhafte Ausgestaltung oder Anwendung der entsprechenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit entstehen lassen kann. Es handelt sich hierbei um das Pflichtteilsentziehungsrecht.
1. Ausgestaltung und Anwendung des Pflichtteilsentziehungsrechts als unzulässige Grenze der Testierfreiheit Wie bereits gezeigt, sind sowohl die Testierfreiheit als auch die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass als Bestandteile der Erbrechtsgarantie anzusehen.629 628
So BVerfGE 112, 332, 349. Zu den von der Erbrechtsgarantie erfassten traditionellen Kernelementen des deutschen Erbrechts gehört nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch das Recht der Kinder des Erblassers auf eine unentziehbare und bedarfsunabhängige Teilhabe am Nachlass, vgl. dazu BVerfGE 112, 332, 349 f. 629 Vgl. dazu auch BVerfGE 112, 332, 349 ff. Besonders hervorzuheben sind die Ausführungen bei Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 81 zu der Frage, ob das Pflichtteilsrecht in der Erbrechtsgarantie verankert ist: „Während der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Frage noch 1984 ausdrücklich offengelassen hatte, hatte der Zweite Senat schon 1995 in einem obiter dictum das Prinzip des Verwandtenerbrechts erstmals zur Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG gezählt. Dem Recht des Erblassers zu vererben, das durch seine Testierfreiheit geschützt sei, entspreche das Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben. Seitdem gingen neben dem zivilrechtlichen Schrifttum auch wesentliche Teile der Staatsrechtslehre davon aus, dass das Verwandtenerbrecht einschließlich des Pflichtteilsrechts
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung „die kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu sehen und jedenfalls so zu begrenzen, dass sie sowohl für den Erblasser als auch für seine Kinder so weit wie möglich wirksam bleiben.“630
Das Bundesverfassungsgericht führt darüber hinaus aus, dass es Fallgestaltungen gibt, in denen es unmöglich ist, sowohl das Prinzip der Testierfreiheit als auch den Grundsatz der unentziehbaren Nachlasspartizipation der Abkömmlinge des Erblassers zu verwirklichen.631 Dies sei in Situationen der Fall, in denen es dem Erblasser schlichtweg unzumutbar sei, eine Nachlassteilhabe des Kindes hinnehmen zu müssen. Aus diesem Grund hat das Bundesverfassungsgericht formuliert: „Für solche Ausnahmefälle hat der Gesetzgeber von Verfassungs wegen Regelungen vorzusehen, die dem Erblasser eine Entziehung oder Beschränkung der Nachlassteilhabe des Kindes ermöglichen.“632
Zu einem Pflichtteilsrecht gehört daher aus verfassungsrechtlichen Gründen auch ein wirksames Pflichtteilsentziehungsrecht, welches verhindert, dass bei einem unzumutbaren Fehlverhalten der Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erblasser eine Partizipation am Nachlass stattfindet. Da die Rechtfertigung des Pflichtteilsrechts in dem besonderen Schutz der Familie gesehen wird, entfällt die Voraussetzung für die Einschränkung der verfassungsrechtlich umfassend geschützten Testierfreiheit immer dann, wenn es dem Erblasser bei einem besonders schwerwiegenden Fehlverhalten des Kindes ihm gegenüber schlechthin unzumutbar ist, eine Nachlassteilhabe dieses Kindes hinnehmen zu müssen.633 Die zwingende Nachlassteilhabe muss dann auf Wunsch des Erblassers durchbrochen werden können. Anders ausgedrückt verlangt die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG634, dass der Gesetzgeber dem Erblasser ermöglicht, in Bestandteil der Institutsgarantie des Erbrechts sei. Diese Auffassung, der sich der Erste Senat 2005 angeschlossen hat, hat zur Folge, dass der Testierfreiheit von Verfassungs wegen die Verwandtenerbfolge als Gegenprinzip zugeordnet wird, der Gesetzgeber in seiner Inhalts- und Schrankenbestimmung des Erbrechts also auf einen sachgerechten Ausgleich dieses Spannungsverhältnisses beschränkt ist.“ 630 BVerfGE 112, 332, 355; vgl. dazu auch Dreier/Wieland GG Art. 14 Rn. 81. 631 So BVerfGE 112, 332, 355: „Es gibt Fallkonstellationen, in denen es nicht möglich ist, sowohl das Prinzip der Testierfreiheit als auch den Grundsatz der unentziehbaren Nachlassteilhabe der Kinder gleichermaßen zur Geltung zu bringen.“ 632 BVerfGE 112, 332, 356. 633 So explizit BVerfGE 112, 332, 355: „So kann es dem Erblasser bei einem besonders schwerwiegenden Fehlverhalten des Kindes ihm gegenüber schlechthin unzumutbar sein, eine Nachlassteilhabe dieses Kindes hinnehmen zu müssen.“ 634 Vgl. dazu ausführlich Kap. B. I.
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit
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bestimmten Fällen einen Pflichtteilsberechtigten vollständig von der Nachlassteilhabe auszuschließen. Hierfür bedarf es eines hinreichend wirkungsvollen Pflichtteilsentziehungsrechts, sodass der berechtigte und damit von der Testierfreiheit geschützte Wille des Erblassers dahingehend, dass ein solcher Ausschluss des Pflichtteilsberechtigten von der Partizipation am Nachlass stattfindet, verwirklicht werden kann.635 Dies sollen die §§ 2333 ff. BGB ermöglichen. Es gilt daher zu untersuchen, ob die §§ 2333 ff. BGB und deren Anwendung in der Praxis ein wirksames Pflichtteilsentziehungsrecht schaffen. Stellt sich heraus, dass das Pflichtteilsentziehungsrecht wirkungslos ist, ist dies unter Berücksichtigung der soeben dargelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar. a) Restriktive Pflichtteilsentziehungsgründe als Ausdruck der gesetzgeberischen Strenge im Hinblick auf die Pflichtteilsentziehung Die Pflichtteilentziehungsgründe begrenzen die ansonsten grundsätzlich zwingende Nachlassteilhabe der Pflichtteilberechtigten.636 Bei der Anwendung der Pflichtteilsentziehungsgründe ist deshalb praktische Konkordanz zwischen der Testierfreiheit des Erblassers und dem Recht des Pflichtteilsberechtigten auf Mindestteilhabe herzustellen.637 Dieser Ausgleich wird durch die abschließende Anordnung der Pflichtteilsentziehungsgründe in § 2333 Abs. 1 BGB vorgenommen. Die Pflichtteilsentziehungsgründe sind nach allgemeiner Ansicht weder jeweils analogiefähig, noch gesamtanalogiefähig (sogenannter numerus clausus der Pflichtteilsentziehungsgründe).638 Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die praktische Anwendung und die Bedeutung des Pflichtteilsentziehungsrechts, da die normierten Entziehungsgründe bereits eng gefasst sind.639 Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht der in der Literatur geäußerten Forderung nach der Einführung einer allgemeinen Zerrüttungsklausel eine deutliche Absage erteilt hat.640 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht fest635
In diese Richtung auch Staudinger/Olshausen BGB Vorbemerkung zu §§ 2333–2337: „Verletzt der Pflichtteilsberechtigte […] seine Verpflichtungen gegenüber dem Erblasser, die sich aus den zwischen ihnen bestehenden Familienbanden ergeben, so wäre es unbillig, wenn der Schuldige den – wie auch immer gearteten – Pflichtteil erhalten würde. Als Reaktionsmöglichkeit räumt das Gesetz dem Erblasser die Befugnis ein, dem Schuldigen den Pflichtteil zu entziehen.“ 636 Vgl. MüKoBGB/Lange BGB § 2333 Rn. 12; BeckOGK/Rudy BGB § 2333 Rn. 2. 637 Vgl. BeckOGK/Rudy BGB § 2333 Rn. 2; MüKoBGB/Lange BGB § 2333 Rn. 12; Lange, ZEV 2018, 237, 238. 638 Vgl. Schöpflin, FamRZ 2005, 2025, 2030; MüKoBGB/Lange BGB § 2333 Rn. 12. 639 Zu diesem Befund gelangt auch MüKoBGB/Lange BGB § 2333 Rn. 15. 640 So BVerfGE 112, 332, 357.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
gestellt, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen zwar nicht daran gehindert sei, die Pflichtteilsentziehungsgründe um eine Auffangklausel, die schwerwiegende Gründe erfasst, zu ergänzen, der Einführung einer solchen Auffangklausel bedürfe es jedoch nicht.641 Dies dürfte der Grund sein, weshalb der Gesetzgeber, der den Katalog der Entziehungsgründe im Jahr 2010 überarbeitet hat, eine solche Auffangklausel nicht übernommen hat. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass die vom Gesetzgeber angeordneten Entziehungsgründe eng gefasst sind, sodass es in der Praxis nur in seltenen Fällen zu einer Pflichtteilsentziehung kommt. Diese gesetzgeberische Strenge führt allein nicht zu einer unzulässigen Beeinträchtigung der Testierfreiheit, da dem Gesetzgeber insoweit ein gewisser Gestaltungsspielraum zusteht.642 Sie stellt jedoch bereits die Weichen für ein praktisch wirkungsloses Pflichtteilsentziehungsrecht. Ein solches ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit und dem Erfordernis einer Pflichtteilsentziehungsmöglichkeit bedenklich. b) Pflichtteilsfreundliche Rechtsprechung als Ursache eines wirkungslosen Pflichtteilsentziehungsrechts Um zu überprüfen, ob das Pflichtteilsentziehungsrecht überwiegend wirkungslos ist und daher Bedenken im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG bestehen, ist eine nähere Betrachtung der Anforderungen der Rechtsprechung an die Pflichtteilsentziehung vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gerichten die Aufgabe übertragen, „[…] ein unverhältnismäßiges Zurücktreten des Grundrechts der Testierfreiheit hinter das Recht des Kindes auf Nachlassteilhabe zu verhindern […]“643. Fraglich ist, ob die derzeitige Rechtsprechung diesem Auftrag gerecht wird. Dabei verdienen zum einen die Auslegung zweier Merkmale des § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB und die diesbezüglich aufgestellten Anforderungen an die wirksame Pflichtteilsentziehung besondere Beachtung (dazu aa) und bb)). Zum anderen ist eine nähere Untersuchung der Anforderungen an die Verzeihung vorzunehmen (dazu cc)), da auch diese über einen Einfluss auf den Wirkungsgrad des Pflichtteilsentziehungsrechts haben.
641
So BVerfGE 112, 332, 357; s. auch Gaier, ZEV 2006, 2, 7. Vgl. dazu BVerfG, ZEV 2005, 301, 304. Das BVerfG räumt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts einen erheblichen Gestaltungsfreiraum ein. Selbiges muss dann auch für die Ausgestaltung des Pflichtteilsentziehungsrechts gelten. 643 Vgl. BVerfGE 112, 332, 359. 642
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit
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aa) Überzogene Anforderungen an die Konkretisierung des Entziehungsgrundes Nach § 2336 Abs. 2 BGB muss der Grund der Entziehung in der Verfügung von Todes wegen angegeben werden. Dies soll ermöglichen, dass in einem Gerichtsverfahren geklärt werden kann, aus welchen Grund der Erblasser eine Entziehung vornehmen will.644 Darüber hinaus soll auch vermieden werden, dass Erben, die an einer Pflichtteilsentziehung interessiert sind, Pflichtteilsentziehungsgründe in einem entsprechenden Prozess nachschieben.645 Gleichzeitig soll sich der Erblasser der weitreichenden Folgen der Entziehung bewusst sein.646 Diese Zwecke machen es erforderlich, dass der Erblasser den Grund für die Pflichtteilsentziehung samt Sachverhaltskern angibt. In der Rechtsprechung wird dies jedoch zunehmend als nicht ausreichend angesehen und es werden strengere Maßstäbe angewendet.647 Diese Tendenz der Rechtsprechung hatte sich bereits frühzeitig mit einer Entscheidung des OLG Düsseldorf angekündigt, welche die Angabe eines Faustschlags in das Gesicht des Erblassers ohne Angabe des gesamten Geschehensablauf als nicht ausreichend angesehen hat.648 Selbiges gilt für die reine Erwähnung des vom Pflichtteilsberechtigten verwirklichten Straftatbestandes. Insbesondere die obergerichtliche Rechtsprechung betont verstärkt, dass eine hinreichend konkrete Angabe des Pflichtteilsentziehungsgrundes voraussetzt, „dass der Erblasser sich mit seinen Worten auf bestimmte konkrete Vorgänge unverwechselbar (nach Zeit, Ort und Art der Taten des Abkömmlings) festgelegt und den Kreis der in Betracht kommenden Vorfälle praktisch brauchbar eingegrenzt hat [.]“649 644 Vgl. BGHZ 94, 36, 40; BeckOK BGB/Müller-Engels BGB § 2336 Rn. 6; MüKoBGB/Lange BGB § 2336 Rn. 12; Burandt/Rojahn/Horn BGB § 2336 Rn. 1. 645 Vgl. BGHZ 94, 36, 40; Burandt/Rojahn/Horn BGB § 2336 Rn. 1; MüKoBGB/Lange BGB § 2336 Rn. 12; BeckOK BGB/Müller-Engels BGB § 2336 Rn. 6. 646 Vgl. BGHZ 94, 36, 43; BeckOK BGB/Müller-Engels BGB § 2336 Rn. 6; Burandt/ Rojahn/Horn BGB § 2336 Rn. 1. 647 Zu diesem Befund gelangt auch MüKoBGB/Lange BGB § 2336 Rn. 12; Lange, ZEV 2018, 237, 241 f.; Lange, AcP 204 (2004), 804, 818 ff. In diese Richtung auch Staudinger/Olshausen BGB Vorbemerkung zu §§ 2333–2337 Rn. 7; Mayer, ErbR 2010, 70, 79. 648 Vgl. OLG Düsseldorf, MittBayNot 1995, 400, 401 mit abl. Anm. Weidlich, MittBayNot 1995, 400, 403; dagegen auch BeckOK BGB/Müller-Engels BGB § 2336 Rn. 8; MüKoBGB/Lange BGB § 2336 Rn. 13. 649 So das OLG Hamm, NJW-RR 2007, 1235, 1237; OLG Köln, ZEV 1998, 144, 145 f. In jüngerer Vergangenheit OLG Saarbrücken, ZEV 2018, 146, 158: „Die Wirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung setzt deshalb neben der Entziehungserklärung auch die Angabe eines (zutreffenden) Kernsachverhalts im Testament voraus […]. Dabei geht es nicht darum, dass der Erblasser zum Ausdruck bringt, unter welchen der im Gesetz angeführten Entziehungstatbestände er seinen Entziehungsgrund einordnet, sondern es kommt auf eine (gewisse) Konkretisierung des Grundes oder der Gründe an, auf die er die Entziehung stützen will.“; in diese Richtung bereits OLG Düsseldorf, FamRZ 1999, 1469, 1469; OLG Nürnberg, NJW 1976, 2020; s. auch BGHZ 94, 36, 36 ff.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Besonders deutlich wird die Überziehung der Anforderungen an einer Entscheidung des OLG Frankfurt, das in einem Fall, in dem es mehrfach zu körperlichen Tätlichkeiten durch die Beklagte gegenüber der Erblasserin gekommen war, eine nähere und detaillierte Bezeichnung der Vorfälle verlangt hat, da körperliche Angriffe, sofern sie nicht näher präzisiert sind, nicht leicht greifbar und daher auch nicht unverwechselbar zu identifizieren seien.650 Auch das OLG Hamm geht zu weit, wenn es für eine wirksame Pflichtteilsentziehung fordert, dass der Erblasser in der letztwilligen Verfügung zu verdeutlichen habe, auf welche konkreten Konkursverfahren der verschiedenen Firmen er die Pflichtverletzung stütze.651 Solche Entwicklungen in der Rechtsprechung und die damit einhergehenden Anforderungen an die Pflichtteilsentziehung sind mit dem Wortlaut des § 2336 BGB, welcher lediglich davon spricht, dass der Grund der Entziehung zur Zeit der Errichtung bestehen und in der Verfügung angegeben werden muss, nicht vereinbar. So handelt es sich bei einem Faustschlag in das Gesicht des Erblassers bereits um die hinreichende Angabe eines Grundes zur Pflichtteilsentziehung. Selbiges gilt für den Hinweis auf die begangene Straftat gegen den Erblasser. Rechtsprechung, die die Angabe solcher Gründe nicht ausreichen lässt, dehnt den Wortlaut des § 2336 BGB unzulässig aus und beschränkt den Willen des Erblassers, der aufgrund des Vorliegens eines gesetzlich normierten Pflichtteilsentziehungsgrundes berechtigter Weise auf eine Pflichtteilsentziehung gerichtet ist, und damit einhergehend auch die Testierfreiheit ohne gesetzliche Grundlage ein.652 Darüber hinaus verfolgt eine solche Beschränkung auch keinen legitimen Zweck, da die Erhöhung der formalen Anforderungen lediglich den Pflichtteilsberechtigten schützt und dieser aufgrund des Vorliegens eines materiellen Pflichtteilsentziehungsgrundes nicht schutzbedürftig ist. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass die Pflichtteilsentziehung durch die derzeitige Rechtsprechung zur hinreichenden Konkretisierung des Pflichtteilsentziehungsgrundes in unzulässiger Weise erheblich er650
OLG Frankfurt, OLGR 2005, 300, 300 ff.; s. dazu auch MüKoBGB/Lange BGB § 2336 Rn. 12. 651 So führt das OLG Hamm, NJW-RR 2007, 1235, 1237 aus: „In der letztwilligen Verfügung vom 6.10.2000 ist in Bezug auf die gerade aufgelisteten Vorwürfe schon kein unverwechselbarer Kernsachverhalt angegeben. Dies gilt auch, soweit von einem ,mehrfachen Konkurs‘ und ,laufenden Nachforschungen seitens des Gerichtsvollziehers und Mitarbeiter des Gewerbeaufsichtsamtes und anderer verschiedener Ämter’ die Rede ist. Insoweit ist in der letztwilligen Verfügung offen geblieben, auf welche konkreten Konkursverfahren welcher der verschiedenen Firmen des Kl. der Erblasser die Pflichtteilsentziehung gestützt hat, ferner auf welche konkreten Nachforschungen von Amtspersonen an welchen Tagen der Erblasser abgestellt hat.“ 652 Vgl. dazu auch Lange, ZEV 2018, 237, 241 f.; Lange, AcP 204 (2004), 804, 818 ff.; MüKoBGB/Lange BGB § 2336 Rn. 13; Mayer, ErbR 2010, 70, 79.
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit
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schwert wird. Zusammen mit Litzenburger kann daher festgehalten werden, dass eine zu strenge Anwendung des Begründungserfordernisses einen Eingriff in die Testierfreiheit darstellt und die Rechtsprechung insofern zurückhaltender agieren sollte.653 bb) Überzogene Anforderungen an das Erfordernis der Angabe des konkreten Entziehungsgrundes in der Verfügung von Todes wegen Das soeben dargelegte Problem der Erschwerung der Pflichtteilsentziehung durch die Rechtsprechung wird bei der Betrachtung der von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an das Erfordernis der Angabe des Entziehungsgrundes in der Verfügung von Todes wegen noch weiter verstärkt. Der Anknüpfungspunkt ist hierbei ebenfalls § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB, der normiert, dass der Grund der Pflichtteilsentziehung in der letztwilligen Verfügung angegeben werden muss. Ziel dieses Erfordernisses ist ebenfalls, den Grund für die Pflichtteilsentziehung zu sichern (Beweisbarkeit) und das nachträgliche Hinzufügen von Pflichtteilsentziehungsgründen durch die Erben zu verhindern.654 Dabei ist zuvorderst festzuhalten, dass § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB seinem Wortlaut nach lediglich regelt, dass die Angabe des Erziehungsgrundes in der Verfügung von Todes wegen zu erfolgen hat, ohne dabei die Art und Weise der Angabe des Entziehungsgrundes näher zu bestimmen. Zutreffend betont Lange, dass der Wortlaut des § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB aus diesem Grund auch nicht die Form der Angabe des Pflichtteilsentziehungsrundes regelt.655 Das Gesetz normiert daher geringe Anforderungen an das Erfordernis der Angabe des Entziehungsgrundes in der Verfügung von Todes wegen. Etwas anderes gilt für die Rechtsprechung. Bereits das Reichsgericht hat betont, dass ein Verweis auf Gerichtsakten als ein sogenannter „Grenzfall“656 einzuordnen sei, bei dem die Anforderung des § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB gerade noch erfüllt sei. Voraussetzung sei aber, dass die Klage anhängig und folglich ohne weiteres feststellbar wäre, welche Entziehungsgründe der Erblasser meint.657 Diese Rechtsprechung wurde durch weitere Entscheidungen gefestigt. So genügt es dem OLG Düsseldorf beispielsweise nicht, wenn die pflichtteilsentziehende Verfügung von Todes wegen einen bloßen Hinweis auf den 653
Vgl. Litzenburger, ZEV 2018, 146, 149. Vgl. BGHZ 94, 36, 40; BeckOK BGB/Müller-Engels BGB § 2336 Rn. 6; MüKoBGB/Lange BGB § 2336 Rn. 9. 655 So Lange, ZEV 2018, 237, 238: „Die harmlos wirkende Norm des § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB schreibt nicht vor, auf welche Weise und in welchem Umfang der Entziehungsgrund in der Verfügung angegeben werden muss. Genau betrachtet schreibt der Wortlaut die Form (Eigenhändigkeit) nicht vor, sondern regelt lediglich den Ort der Angabe.“ 656 RGZ 168, 34, 36; Lange, ZEV 2018, 237, 238. 657 RGZ 168, 34, 36; Lange, ZEV 2018, 237, 238. 654
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Inhalt von Akten der Kriminalpolizei ohne Angabe des Aktenzeichens enthält.658 Auch der Bundesgerichtshof betont, dass bei einem Verweis auf andere Schriftstücke eine gewisse Sicherheit für die zutreffende Feststellung des Erblasserwillens vorliegen müsse, wie dies beispielsweise bei einer amtlich geführten und verwahrten Akte der Fall sei. Darüber hinaus lässt es die Rechtsprechung nicht genügen, wenn die Angabe des Pflichtteilsentziehungsgrundes räumlich erst nach der Unterschrift erfolgt und daher die Unterschrift des Erblassers den Pflichtteilsentziehungsgrund nicht umfasst.659 Diese Rechtsprechung stößt aus diversen Gründen auf Ablehnung. Wie bereits an verschiedenen Stellen in dieser Arbeit dargelegt660, ist das Erbrecht von dem Grundsatz der Testierfreiheit und der damit einhergehenden Verwirklichung des Erblasserwillens geprägt. Aus diesem Grund werden Verfügungen von Todes wegen zutreffend auch nach dem Erblasserwillen und unter Berücksichtigung von Umständen auch außerhalb der Verfügung von Todes wegen ausgelegt. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass der ermittelte Erblasserwille in der Testamentsurkunde zur Andeutung gekommen ist.661 Wird nunmehr die soeben referierte Rechtsprechung unter Berücksichtigung dieser Prinzipien betrachtet, scheint es fast so, als würde die Rechtsprechung bei der Beurteilung der Angabe des Pflichtteilsentziehungsgrundes andere Anforderungen aufstellen als für die Beurteilung der übrigen Anordnungen in Verfügungen von Todes wegen. Werden die üblichen Grundsätze der Rechtsprechung angewendet, müsste es für die Angabe des Pflichtteilsentziehungsgrundes ausreichen, wenn dieser in der Verfügung von Todes wegen angedeutet wird. Eine solche Andeutung liegt aber zweifelsfrei vor, wenn der Erblasser in der von ihm errichteten Verfügung von Todes wegen auf die Ermittlungsakten bei der Kriminalpolizei verweist. Weitere Voraussetzung ist dann lediglich, dass sich aus den Ermittlungsakten ein konkreter Sachverhalt ergibt, der eine Pflichtteilsentziehung rechtfertigt. Auch an dieser Stelle stellt die Rechtsprechung daher Anforderungen auf, die mit dem 658
So das OLG Düsseldorf, FamRZ 199, 1469, 1470: „Ähnliches lässt sich aber bei einer bloßen Verweisung auf ,Kripo-Akten‘ nicht sagen, zumal diese im Testament nicht mit dem Aktenzeichen gekennzeichnet werden. Die Hinweise auf ,kriminelle Sachbeschädigungen sowie Urkundenfälschung i. J. 1975/1976‘ (Testament v. 1.7.1978) und ,kriminelle Vorkommnisse‘ im Testament v. 1.7.1978 sowie ,die Vorkommnisse nach meinem Herzinfarkt‘ (ca. 14 Einbrüche und Zerstörungen) sowie ,Urkundenfälschung‘ im Testament v. 16.10.1979 verweisen in dieser Form nicht auf bestimmte konkrete Vorgänge. Auch soweit in den Testamenten der § 267 StGB genannt wird, reicht das für eine Konkretisierung nicht aus.“ 659 So bereits RG, Recht 1914, Nr. 1292. 660 Vgl. dazu bspw. Kap. B. I. u. II. 661 Vgl. statt vieler Staudinger/Otte Einleitung zum Erbrecht Rn. 48b.
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit
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Wortlaut des § 2336 Abs. 2 S. 1 BGB unvereinbar sind. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse zu den Anforderungen an die Konkretisierung des Entziehungsgrundes kann somit festgehalten werden: „Die Pflichtteilsentziehung scheitert daher vielfach […] wegen der zu strengen Auslegung der formalen Vorgaben durch die Gerichte.“662
cc) Zu geringe Anforderungen der Rechtsprechung an die Verzeihung Während die Rechtsprechung überzogene Anforderungen sowohl an die Konkretisierung des Pflichtteilsentziehungsgrundes als auch an die Angabe desselbigen in der Verfügung von Todes wegen stellt, gilt dies im Hinblick auf die Verzeihung nicht.663 Bei der Verzeihung handelt sich nicht um eine Willenserklärung, sondern um einen höchstpersönlichen Realakt.664 Aufgrund dieser Rechtsnatur der Verzeihung sind die Anforderungen an selbige bereits gering, da die rechtsgeschäftlichen Regelungen auf Realakte keine Anwendung finden. So muss die Verzeihung als Realakt dem Pflichtteilsberechtigten weder zugehen, noch ist sie an eine bestimmte Form gebunden.665 Gleichzeitigt wirkt eine einmal vorgenommene Verzeihung in gewisser Weise endgültig, da diese unwiderruflich und unanfechtbar ist. Hier erweist sich das Gesetz erneut als pflichtteilsfreundlich und testierfreiheitsbeeinträchtigend. Werden nunmehr diese niedrigen formalen Anforderungen an die Verzeihung mit den von der Rechtsprechung aufgestellten hohen Anforderungen an eine wirksame Pflichtteilsentziehung verglichen, lässt sich feststellen, dass nach derzeitiger Rechtslage „[…] die formlose, schlüssige Verzeihung eine formgerecht erklärte Entziehung (§ 2336 BGB) aus der Welt [schafft].“666 Zu Recht kritisiert Röthel diesen Umstand als rechtspolitisch verfehlt.667 Wenngleich zutreffend betont wird, dass auch die Verzeihung der Verwirklichung
662
Lange, AcP 204 (2004), 804 (818 ff.); Lange, ZErb 2008, 59, 62; Lange, ZEV 2018, 237, 239. 663 Diesen Unterschied stellt insbesondere Lange, ZEV 2018, 237, 241 heraus: „Als in ihrer Tendenz eher „pflichtteilsfreundlich“ erweist sich die Rechtsprechung auch dann, wenn es darum geht, im späteren Verhalten des Erblassers eine Abkehr von seinem einmal geäußerten Willen der Pflichtteilsentziehung zu erkennen und eine Verzeihung iSv § 2337 BGB anzunehmen.“ 664 Vgl. Jauernig/Stürner BGB § 2337 Rn. 1; Erman/Röthel BGB § 2337 Rn. 2; zu der Unwiderruflichkeit der Verzeihung führt das OLG Nürnberg, NJW-RR 2012, 1225, 1225: „Verzeihung bewirkt ein Erlöschen des Rechts zur Entziehung des Pflichtteils. Ein nachträglicher Sinneswandel des Erblassers kann dieses Recht nicht erneut begründen.“ 665 Vgl. BeckOK BGB/Müller-Engels BGB § 2337 Rn. 2; Burandt/Rojahn/Horn BGB § 2337 Rn. 6; BeckOGK/Rudy BGB § 2337 Rn. 4; Jauernig/Stürner BGB § 2337 Rn. 1. 666 Lange, ZEV 2018, 237, 241. 667 Vgl. Erman/Röthel BGB § 2337 Rn. 2.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
des Erblasserwillens und damit einhergehend der Testierfreiheit diene668, ist zu berücksichtigen, dass dies nur dann gilt, wenn der Erblasser eine solche auch wirklich vornehmen wollte. Entscheidend sind folglich vielmehr die materiellen und nicht die formalen Anforderungen. An dieser Stelle wird die Rechtsprechung, die die materiellen Kriterien der Verzeihung entwickelt hat, erneut relevant. So führt das OLG Nürnberg aus, dass es für die Annahme einer Verzeihung in der Regel ausreicht, „wenn in dem Verhältnis des Erblassers zu dem Abkömmling ein Wandel zur Normalität im Sinne eines Wiederauflebens der familiären Beziehungen stattgefunden hat.“669 Als Indiz für einen solchen Wandel werden von der Rechtsprechung ein während der Haft des Pflichtteilsberechtigten geführter Briefverkehr und der Kontakt zu dem Pflichtteilsberechtigten nach der Haftentlassung angeführt. Insbesondere betonen die Rechtsprechung und auch Teile der Literatur, dass eine Verzeihung nicht voraussetze, dass eine Versöhnung oder ein intaktes Verhältnis zwischen Erblasser und Abkömmling vorliegt.670 Da eine zu restriktive Anwendung des Begründungszwangs der Verzeihung zugleich einen Eingriff in die Testierfreiheit des Erblassers darstellt, sollte die Rechtsprechung insoweit mehr Zurückhaltung üben.671 Die niedrigen Anforderungen der Rechtsprechung haben außerdem einen weiteren negativen Effekt. Sofern die Hürde für eine schlüssige Verzeihung abgesenkt wird, werden Erblasser, die zwar einerseits zu einer Kontaktaufnahme mit dem (ehemals) Pflichtteilsberechtigten bereit sind, andererseits jedoch eine Verzeihung nicht wünschen, zu einer endgültigen Abkehr vom Berechtigten gezwungen.672 Dies steht einer Annäherung und einer damit einhergehenden tatsächlichen Aussöhnung im Weg. Zu fordern ist daher, dass von der Rechtsprechung künftig nur bei solchen Verhalten eine Verzeihung angenommen wird, welches einen gewissen Grad an Versöhnungsbereitschaft zeigt.673
668
So insbesondere BeckOGK/Rudy BGB § 2337 Rn. 2; in diese Richtung auch BeckOK BGB/Müller-Engels BGB § 2337 Rn. 1. 669 OLG Nürnberg, NJW-RR 2012, 1225, 1225 ff. 670 OLG Nürnberg, NJW-RR 2012, 1225, 1225 ff.; in diese Richtung bereits BGHZ 91, 273, 280. 671 So argumentiert auch Litzenburger, ZEV 2018, 146, 149: „Die herrschende Rechtsprechung sollte nicht übersehen, dass die überspannten Anforderungen an die Begründungspflicht in Widerspruch zur von der Verfassung garantierten Testierfreiheit geraten können.“ 672 So auch Lange, ZEV 2018, 237, 242; MüKoBGB/Lange BGB § 2337 Rn. 7. 673 In diese Richtung auch Lange, ZEV 2018, 237, 242; Lange, ZErb 2008, 59, 62 f.; Damrau/Tanck/Riedel Praxiskommentar Erbrecht § 2337 Rn. 7.
III. Das Pflichtteilsrecht als Grenze der Testierfreiheit
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2. Fazit: Unzulässige Beeinträchtigungen der Testierfreiheit durch die Pflichtteilsentziehungsrechtsprechung Abschließend lässt sich festhalten, dass die derzeitige Ausgestaltung und insbesondere die Anwendung des Pflichtteilentziehungsrechts mit der Testierfreiheit unvereinbar ist. Zutreffend formuliert Olshausen: „Das alles, zusammen […] führt zu praktischer Wirkungslosigkeit des Entziehungsrechts kraft Richterrechts.“674
Aufgrund der eng gefassten Pflichtteilsentziehungsgründe hat die Pflichtteilsentziehung bereits eine geringe praktische Bedeutung. Die verbleibende Bedeutung wird diesem Recht dann durch die derzeitige Rechtsprechungslinie genommen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit lässt ein solches kraft Richterrechts wirkungsloses Pflichtteilsentziehungsrecht eine unzulässige Beeinträchtigung selbiger entstehen, da der berechtigte Wille des Erblassers, in bestimmten Ausnahmefällen eine Pflichtteilsentziehung durchzuführen, von der Rechtsprechung nicht verwirklicht beziehungsweise vereitelt wird. Die derzeitige Auslegung und Anwendung der Vorschriften zur Pflichtteilsentziehung trägt der Ausstrahlungswirkung der Testierfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 nicht hinreichend Rechnung.675 Auch an dieser Stelle erweist sich daher primär nicht das Gesetz, sondern vielmehr die Rechtsprechung als unzulässige Grenze der Testierfreiheit. Bemerkenswert ist dabei, dass die Judikatur die Abwägung zwischen Testierfreiheit und Pflichtteilsberechtigung erneut zugunsten der Pflichtteilsberechtigten und damit zu Lasten des Erblassers vornimmt. Hier besteht eine Parallele zu der Abwägung zwischen Testierfreiheit des Erblassers und Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten, die seit der Hohenzollernentscheidung zu Lasten des Erblassers durchgeführt wird.676 Für diesen Abschnitt ist entscheidend, dass künftig eine durch die Rechtsprechung verursachte Wirkungslosigkeit des Pflichtteilsentziehungsrechts verhindert wird. Hierfür ist zu fordern: 1. Die hohen Anforderungen an die Pflichtteilsentziehung in der Rechtsprechung müssen aufgegeben werden. Dies gilt insbesondere für die überzogenen Anforderungen an die Konkretisierung des Entziehungsgrundes 674 Staudinger/Olshausen BGB Vorbemerkung zu §§ 2333–2337 Rn. 7; vgl. dazu auch Soergel/Dieckmann BGB § 2336 Rn. 2; in diese Richtung auch Lange, ZEV 2018, 237, 242; Lange, ZErb 2008, 59, 62 f. 675 Vgl. zu den Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf das einfache Recht die Ausführungen in Kap. B. VII. 2. 676 Vgl. Kap. C. I. 1. a) aa) (2) (c).
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
und das Erfordernis der Angabe des Entziehungsgrundes in der Verfügung von Todes wegen. 2. Zukünftig ist von der Rechtsprechung nur bei solchen Verhaltensweisen eine Verzeihung anzunehmen, welches einen gewissen Grad an Versöhnungsbereitschaft zeigt. Dies löst den Widerspruch zu den hohen Anforderungen an die Pflichtteilsentziehung auf. Darüber hinaus werden Erblasser, die zwar eine Wiederaufnahme des Kontaktes zum Pflichtteilsberechtigten wünschen, aber zu einer Partizipation des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass noch nicht bereit sind, nicht zu einer Kontaktsperre gedrängt.
IV. Einschränkungen der Testierfreiheit durch das Landwirtschaftserbrecht Bei einer Untersuchung der Grenzen der Testierfreiheit ist eine Betrachtung des Landwirtschaftserbrechts unerlässlich, da dieses zahlreiche Bestimmungen enthält, die von den Vorschriften des BGB-Erbrechts abweichen. Das Landwirtschaftserbrecht verfolgt den Zweck, die Wettbewerbsfähigkeit und damit einhergehend auch die Zukunftsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe bei dem Übergang des Betriebes auf die nächste Generation zu sichern.677 Dabei liegt den Regelungen des Landwirtschaftserbrechts die Annahme zugrunde, dass die Größe des Hofes nur für einen der Abkömmlinge ausreichend ist, um diesen in wirtschaftlicher Hinsicht zu versorgen.678 Aus diesem Grund schafft es ein Erbprivileg für den sogenannten Anerben oder Hoferben, welches diesen gegenüber den weichenden Erben, im Regelfall die Geschwister des An- beziehungsweise Hoferben, begünstigt.679 So werden die von dem Anerben zu tragenden Abfindungsleisten gegenüber den weichenden Erben im Vergleich zu den allgemeinen Vorschriften des Erbrechts deutlich begrenzt.680 Der Grund für diese Sonderbehandlung der Landwirtschaft 677
Vgl. Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO Einl. Rn. 1; Lange/Wulff/Lüdtke-Handjery HöfeO Einl. Rn. 3; s. zum Sinn und Zweck des Anerben- und Höferechts kritisch Faßbender/ Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo/Faßbender HöfeO Einleitung Rn. 16 f.; s. auch Faßbender, DNotZ 1976, 393, 393 f. 678 Vgl. Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo/Faßbender HöfeO Einleitung Rn. 17; Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO Einl. Rn. 1. 679 Vgl. Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO Einl. Rn. 1; Lange/Wulf/Lüdtke-Handjery HöfeO Einl. Rn. 3. 680 So insbesondere Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO Einl. Rn. 1: „Damit hängt es zusammen, dass das Landwirtschaftserbrecht, um wirtschaftlich untragbare Belastungen zu vermeiden, die Erbansprüche der weichenden, weil vom Hoferben verdrängten Erben auch dadurch beschneidet, dass es deren Abfindungsansprüche erheblich knapper bemisst, als sie bei Anwendung der allgemeinen Vorschriften zu bemessen wären.“
IV. Einschränkungen der Testierfreiheit durch das Landwirtschaftserbrecht
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gegenüber anderen Wirtschaftszweigen liegt neben dem Bedürfnis nach dem Erhalt der Wirtschaftlichkeit des Betriebs darin, dass der Wert des Nachlasses im Hinblick auf die Begrenztheit von Böden deutlich höher liegt, als dies die Erträge aus einer landwirtschaftlichen Nutzung rechtfertigen würden.681 Eine Auszahlung der Pflichtteilsberechtigten oder anderen Erben durch den An- beziehungsweise Hoferben wäre daher ohne einen Verkauf von Teilen des Betriebes nicht möglich. Das Landwirtschaftserbrecht unternimmt dabei den Versuch, einen Kompromiss zwischen dem Streben nach gerechter Verteilung und der Sicherung von Wirtschaftlichkeit zu finden.682 So will es einerseits die Wertungen des § 1924 Abs. 4 BGB nicht vollständig umgehen und andererseits eine gleiche Teilung der landwirtschaftlichen Betriebe verhindern, da dies für die gesamte Volkswirtschaft negative Auswirkungen hätte.683 Um Letzteres zu erreichen, schränken das An- und Hoferbenrecht die Testierfreiheit von Erblassern erheblich ein. Da diese Einschränkungen den Zweck verfolgen, volkswirtschaftliche Nachteile zu verhindern, stellen sie Einschränkungen der Testierfreiheit des Erblassers dar, die dem Schutz von Kollektivgütern dienen. Daher sind sie der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zuzuordnen und können folglich in diesem Kapitel (C.) behandelt werden. Das Landwirtschaftserbrecht wird dabei im Wesentlichen durch die landesrechtlichen Anerbengesetze und die bundesrechtliche Höfeordnung bestimmt. Im weiteren Verlauf soll daher der Versuch unternommen werden, die Einschränkungen der Testierfreiheit durch die landesrechtlichen Anerbengesetze (dazu a)) und die Höfeordnung (dazu b)) zu untersuchen und auf ihre Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit hin zu überprüfen.
681 Vgl. Kroeschell, Die Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe beim Zugewinnausgleich, 51; Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO Einl. Rn. 1. 682 So auch Zimmermann/Sticherling, Erbrechtliche Nebengesetze, Vorbem. zur HöfeO Rn. 11: „Das Anerbenerbrecht steht im Spannungsverhältnis zwischen den (verfassungsrechtlich geschützten) Standards des allgemeinen Erbrechts und den besonderen Erfordernissen der Landwirtschaft.“ 683 Aus diesem Grund betont auch die Rechtsprechung in zahlreichen Entscheidungen das öffentliche Interesse an der Erhaltung leistungsfähiger Höfe in bäuerlichen Familien, s. dazu BGH, ZEV 2013, 384; BGH ZEV 2014, 550. Eine Übersicht über diese Rechtsprechung gibt Zimmermann/Sticherling, Erbrechtliche Nebengesetze, Vorbem. zur HöfeO Rn. 11; vgl. auch Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 2.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
1. Beschränkung der Testierfreiheit durch landesrechtliche Anerbengesetze Zwar kann an dieser Stelle eine erschöpfende Darstellung der gesamten landesrechtlichen Regelungen zum Anerbenrecht nicht erfolgen, jedoch ist eine solche umfassende Darstellung für die Zwecke dieser Arbeit auch nicht notwendig. Vielmehr genügt es, die wesentlichen Einschränkungen der Testierfreiheit durch anerbenrechtliche Reglungen zu untersuchen. Das Anerbenrecht zeichnet sich regelmäßig durch eine Durchbrechung des Grundsatzes der Universalsukzession zugunsten einer Sondererbnachfolge im Hinblick auf einen bestimmten Teil des Vermögens des Erblassers aus (sogenanntes Anerbengut).684 Den geltenden landesgesetzlichen Regelungen des Anerbenrechts ist dabei gemeinsam, dass für dieses Anerbengut eine Anerbenordnung aufgestellt wird, die von der gesetzlichen Erbfolgeordnung des allgemeinen Erbrechts abweicht.685 Des Weiteren wird dem Erblasser in den meisten landesrechtlichen Regelungen zwar die beliebige Anerbenbestimmung ermöglicht, diese ist dabei jedoch regelmäßig beschränkt. So ist der Erblasser bspw. zum einen verpflichtet, den Hof als Ganzes zu übertragen und zum anderen, eine einzelnen Person als Hoferben zu bestimmen.686 Bei diesen wesentlichen Merkmalen des landesrechtlichen Anerbenrechts handelt es sich zum Teil um erhebliche Einschränkungen der Testierfreiheit. Gleichwohl erscheint auf den ersten Blick eine Einschränkung der Testierfreiheit der Erblasser durch landesrechtliche Anerbengesetze unwahrscheinlich, da Art. 64 Abs. 2 EGBGB normiert, dass Landesgesetze das Recht des Erblassers, über das dem Anerbenrecht unterliegende Grundstück von Todes wegen zu verfügen, nicht beschränken können.687 Damit stellt Art. 64 Abs. 2 EGBGB eine Pflicht zur Beachtung der Testierfreiheit auf.688 Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass eine weit verbreitete Meinung den Art. 64 Abs. 2 EGBGB so auslegt, dass dem Grundsatz der Testierfreiheit bereits dann Genüge getan ist, wenn dem Erblasser die Möglichkeit der freien Er684
Vgl. Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO Einl. Rn. 1; Zimmermann/Sticherling, Erbrechtliche Nebengesetze, Vorbem. zur HöfeO Rn. 3. 685 Vgl. Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 1; Zimmermann/Sticherling, Erbrechtliche Nebengesetze, Vorbem. zur HöfeO Rn. 3. Dies gilt auch für die bundesrechtliche Höfeordnung, Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO Einl. Rn. 1, 27. 686 Vgl. dazu Kipp/Coing, Erbrecht § 131c IV. 687 Aus diesem Grund formuliert Kappler, NotBZ 2019, 161, 168: „Eine Beschränkung der Testierfreiheit aufgrund des Höferechts der Länder ist nicht mehr möglich. Zwar bestehen gem. Art. 64 Abs. 1 EGBGB die in den einzelnen Ländern historisch gewachsenen Regelungen über das Anerbenrecht weiter. Art. 64 Abs. 2 EGBGB bestimmt jedoch ausdrücklich, dass die Landesgesetze das Recht des Erblassers, über das dem Anerbenrecht unterliegende Grundstück von Todes wegen zu verfügen, nicht beschränken.“ 688 In diese Richtung auch Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 39.
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benbestimmung innerhalb des für ihn ansonsten verbindlichen Anerbenrechts eröffnet ist.689 Eine solche Auslegung des Art. 64 Abs. 2 EGBGB beschränkt die Testierfreiheit des Erblassers erheblich, da das Anerbenerbrecht in diesem Fall obligatorisch ist und der Erblasser folglich nicht auf die allgemeinen erbrechtlichen Regelungen des BGB zurückgreifen kann.690 Gegen eine solche Auslegung ist zudem der eindeutige Wortlaut der Norm anzuführen.691 Art. 64 Abs. 2 EGBGB spricht nicht nur von einer freien Erbenbestimmung, sondern von dem Recht des Erblassers über das dem Anerbenrecht unterliegende Grundstück von Todes wegen zu verfügen. Eine Beschränkung auf die Erbenbestimmung ist nicht ersichtlich. Des Weiteren widerspricht eine solche Auslegung des Art. 64 Abs. 2 EGBGB auch dem Willen des historischen Gesetzgebers. So führen die Protokolle zu Art. 64 EGBGB aus: „Billigung verdiene dagegen der Antrag 3 insoweit, als er im Anschluss an den Entw. bestimme, dass der Eigentümer eines dem Anerbenrecht unterliegenden Grundstücks von Todes wegen über das Grundstück verfügen könne. Diese Verfügungsfreiheit entspreche nicht allein allen neueren Gesetzen, sondern sei auch ein notwendiges Schutzmittel gegen die Nachteile, die im einzelnen Falle mit dem Anerbenrecht verbunden sein könnten. Dem Eigentümer des Grundstückes müsste die Möglichkeit gegeben werden, den besonderen tatsächlichen Verhältnissen, die ihm am besten bekannt seien, durch eine Verfügung von Todes wegen Rechnung zu tragen, sei es durch Ausschließung, sei es durch anderweitige Regelung des Anerbenrechts.“692
Ein gänzliches Abbedingen der Regelung des Anerbenrechts sollte nach dem historischen Gesetzgeber daher möglich sein.693 Ein verpflichtendes Anerbenrecht durch landesgesetzliche Regelungen soll es folglich nicht geben. Ein solches schafft jedoch die Ansicht, die Art. 64 Abs. 2 EGBGB so auslegt, dass eine Beschränkung des Rechts des Erblassers, über das dem Anerbenrecht unterliegende Grundstück von Todes wegen zu verfügen, bereits dann nicht eintreten kann, wenn dem Erblasser die Möglichkeit der freien Erbenbestimmung eröffnet ist. Aus diesem Grund ist ein derartiges Verständnis des Art. 64 EGBGB abzulehnen. Es ist mit dem Willen des historischen Gesetzgebers und mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar. Den Erblasser zu einer Aufteilung seines 689 Vgl. dazu Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 40 mit Verweis auf Staudinger/Boehmer Einleitung zum V. Buch § 19 Rn. 13; BGB-RGRK/Kregel Einl § 1922 Rn. 6; Kipp/Coing, Erbrecht, § 131c IV. 690 So zutreffend Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 40. 691 Vgl. Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 40. 692 So Protokolle, VI, 515. 693 Ebenfalls für die Möglichkeit des gänzlichen Abbedingens der landesrechtlichen Anerbenregelungen Burandt/Rojahn/Ruby EGBGB Art. 64 Rn. 2; Dittrich, ZEV 2013, 14, 17.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Vermögens zu zwingen und an die weiteren landesgesetzlichen anerbenrechtlichen Regelungen zu binden, stellt eine unzulässige Begrenzung der Testierfreiheit dar. Eine solche Auslegung, die ein verbindliches Anerbenrecht schafft, führt daher zu testierfreiheitsbeeinträchtigenden Ergebnissen und ist abzulehnen. Wenngleich die Befürworter einer solchen unzutreffenden Auslegung des Art. 64 Abs. 2 EGBGB nicht explizit die Gründe für ihre Sichtweise nennen, so kann darin nur der Wunsch nach einer weitreichenden Geltung des Anerbenrechts liegen. Wie eingangs dargelegt dienen landesgesetzliche Anerbenrechte, genau wie die Höfeordnung, dem Schutz der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebes und damit einhergehend dem Schutz gesamtvolkswirtschaftlicher Belange. Aus diesem Grund stellt eine solche Auslegung des Art. 64 Abs. 2 eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit zum Schutz von Kollektivgütern dar. Nachdem die Fehlerhaftigkeit eines solchen Verständnisses des Art. 64 Abs. 2 EGBGB aufgezeigt worden ist, stellt sich die Frage, wie Art. 64 Abs. 2 EBGB tatsächlich zu verstehen ist. Mit Mittelstädt ist festzuhalten, dass das landesrechtliche Anerbenrecht die Stellung eines „hilfsweise geltenden gesetzlichen Erbrechts“694 besitzt. Die Funktion des landesrechtlichen Anerbenrechts ist daher zum einen das ungeeignete Erbrecht des BGB auszuschließen, sofern der Erblasser keine Verfügung von Todes wegen errichtet hat und zum anderen dem Erblasser weitere Möglichkeiten der Gestaltung der Verfügung von Todes wegen zu eröffnen, von denen dieser Gebrauch machen kann, aber nicht muss.695 Folglich stellen landesgesetzliche Anerbenrechte bei einem solchen Verständnis des Art. 64 Abs. 2 EGBGB lediglich eine Erweiterung der Möglichkeiten des Erblassers dar, sein Vermögen in Form des landwirtschaftlichen Betriebes auf die nächste Generation zu übertragen. Im Ergebnis ermöglicht der Art. 64 Abs. 2 EGBGB es dem Erblasser daher, neben den im jeweiligen Anerbenrecht vorgesehenen Abänderungsmöglichkeiten, auch jede nach dem allgemeinen Erbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches zulässige Verfügung von Todes wegen zu errichten.696 Bei zutreffender Auslegung des Art. 64 Abs. 2 EGBGB können landesgesetzliche Vorschriften über das Anerbenrecht die Testierfreiheit der Erblasser folglich nicht beschränken.
694
Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 40. In diese Richtung auch Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 40. 696 Daher verfügt der Erblasser über drei verschiedene Möglichkeiten: 1. Ausschluss des Anerbenrechts ohne eine sonstige Verfügung von Todes wegen zu treffen. 2. Ausschluss des Anerbenrechts und Errichtung einer Verfügung von Todes wegen nach den allgemeinen Regelungen. 3. Erlass einer von der Anerbenfolge abweichenden Verfügung auf Basis des Landesanerbenrechts, vgl. dazu Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 43 ff. 695
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Der Umstand, dass der Erblasser die beiden Erbrechtssysteme nicht mischen darf, stellt keine Beeinträchtigung der Testierfreiheit dar.697 So enthalten sowohl das BGB-Erbrecht als auch die landesrechtlichen Anerbenrechte in sich abgeschlossene und ausdifferenzierte Regelungen, die einer Vermischung nicht zugänglich sind.698 Es wäre widersprüchlich, wenn der Erblasser einerseits von dem liberalen BGB-Erbrecht Gebrauch macht und zusätzlich noch die günstigen Abfindungsregelungen der landesrechtlichen Anerbengesetze nutzt. Eine Beschränkung der Testierfreiheit liegt hierin nicht, da der Erblasser durch die landesrechtlichen Anerbengesetze gleichwohl ein Mehr an Möglichkeiten der Weitergabe des Vermögens an die nachfolgenden Generationen erhält. Ihm verbleibt zusätzlich die Möglichkeit nach den allgemeinen erbrechtlichen Bestimmungen zu testieren, sodass hierin keine Schlechterstellung gegenüber anderen Erblassern liegt. Im Anschluss an die Feststellung, dass die landesrechtlichen Anerbengesetze nach dem hier vertretenen Verständnis keine Grenze der Testierfreiheit darstellen, ist zu prüfen, ob dies auch für die bundesgesetzlichen Vorschriften der Höfeordnung gilt.
2. Beschränkung der Testierfreiheit durch die Höfeordnung Bei der Höfeordnung handelt es sich um partielles Bundesrecht699, sodass der Art. 64 Abs. 2 EGBGB, der sich lediglich auf landesrechtliche Regelungen bezieht, nicht eingreift und die Normen der Höfeordnung folglich nicht dessen Beschränkungen unterworfen sind.700 Aus diesem Grund ist die Höfeord-
697 Vgl. zum Dualismus dieser beiden Erbrechtssysteme Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 47; BeckOGK/Ruby EGBGB Art. 64 Rn. 20. 698 So zutreffend BeckOGK/Ruby EGBGB Art. 64 Rn. 20; Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 47. 699 Es handelt sich bei der Höfeordnung lediglich um partielles Bundesrecht, da nach der Wiedervereinigung bezüglich der Höfeordnung keine besonderen Bestimmungen in den Einigungsvertrag aufgenommen worden sind. Folglich ist sie im Gebiet der ehemaligen DDR nicht in Kraft getreten, sodass dort seit der Wiedervereinigung das allgemeine Erbrecht des BGB gilt, vgl. dazu Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 42; s. auch Zimmermann/Sticherling, Erbrechtliche Nebengesetze, Vorbem. zur HöfeO Rn. 1. 700 Dieser Unterschied zwischen den landesrechtlichen Anerbengesetzen und der bundesrechtlichen Höfeordnung wird vielfach verkannt. Zu Recht kritisiert daher Kroeschell, AgrarR 1982, 265, 265: „Hier weisen beide Darstellungen gewisse Unschärfen auf. So behauptet etwa Lange/Kuchinke S. 937: ,Durch das Höfe- wie das Anerbenrecht wird die Testierfreiheit nicht ausgeschlossen (Art. 64 Abs. 2 EGBGB).‘ Richtig ist dies nur für die landesrechtlichen Anerbengesetze. Gerade die nordwestdeutsche Höfeordnung aber, die zunächst als Besatzungsrecht galt und seither Bundesrecht ist, konnte sich über diese Schranke hinwegsetzen.“ Der Kritik Kroeschells ist zuzustimmen, die HöfeO ist als partielles Bundesrecht nicht von Art. 64 Abs. 2 EGBGB erfasst.
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C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
nung in der Lage, die Testierfreiheit einzuschränken. Eine genauere Untersuchung der Regelungen der Höfeordnung für die Zwecke dieser Arbeit ist daher notwendig. Die Höfeordnung regelt zum einen die Erbfolge und zum anderen auch solche Rechtsgeschäfte, die die Erbfolge vorwegnehmen.701 Im Wesentlichen schränken zwei Bestimmungen der Höfeordnung die Testierfreiheit von Erblassern erheblich ein. Zum einen normiert § 16 Abs. 1 HöfeO, dass der Eigentümer die Erbfolge kraft Höferechts im Sinne des § 4 HöfeO durch Verfügung von Todes wegen nicht ausschließen kann. Hierbei handelt es sich um ein Verbot des Ausschlusses der Hoferbfolge durch Verfügung von Todes wegen. Zum anderen können nach § 8 Abs. 2 S. 2 HöfeO die Ehegatten einen Dritten als Hoferben nur gemeinsam bestimmen und eine von ihnen angeordnete Bestimmung nur gemeinsam wieder aufheben.702 Im Nachfolgenden soll überprüft werden, ob die mit diesen Bestimmungen einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit gerechtfertigt sind. a) Das Verbot des Ausschlusses der Hoferbfolge durch Verfügung von Todes wegen Der § 16 Abs. 1 S. 1 HöfeO in Verbindung mit § 4 HöfeO bestimmt, dass zum Hoferben stets nur eine Person berufen werden kann.703 Hierbei handelt es sich um das Gebot der sogenannten geschlossenen Vererbung des Hofes, welches durch Verfügung von Todes wegen nicht ausgeschlossen werden kann und folglich eine Schrankenbestimmung der Testierfreiheit darstellt.704 Zu der Testierfreiheit des Erblassers gehört neben dem Recht der Auswahl des Vermögensnachfolgers auch das Recht, das Erbgut sowohl in wirtschaftlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu teilen. Aus diesem Grund wird die Testierfreiheit durch ein Gebot der geschlossenen Vererbung des Hofes erheblich eingeschränkt. An dieser Stelle ist jedoch zu berücksichtigen, dass mit der Novelle vom 29.03.1976 ein fakultatives Höferecht (§ 1 Abs. 4 HöfeO) eingeführt wurde.705
701
Der Grundstücksverkehr ist von der Höfeordnung hingegen nicht umfasst, vgl. dazu Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 11. 702 Vgl. Faßbender/Hötzel/von Jeinsen/Pikalo/Pikalo HöfeO § 8 Rn. 1 ff.; Wöhrmann/ Graß/Graß HöfeO § 8 Rn. 15 ff. 703 Vgl. Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 42; Staudinger/Otte BGB Einleitung zum Erbrecht Rn. 75; Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo/v. Jeinsen HöfeO § 4 Rn. 1. 704 Vgl. Staudinger/Otte BGB Einleitung zum Erbrecht Rn. 75. 705 Unter dem fakultativen Höferecht ist das vom Eigentümer frei wähl- und ausschließbare Höferecht zu verstehen. Gem. § 1 Abs. 2 HöfeO a.F. waren solche Besitzungen Höfe kraft Gesetzes, die einen Einheitswert von mindestens 10.000 DM aufwiesen. Da diese Höfe unabhängig vom Willen des Erblassers den Bestimmungen der Höfeordnung unterfielen, handelte es sich folglich um ein Zwangsanerbenrecht. Das entscheidende Merkmal des fakultativen Höferechts ist nunmehr, dass der landwirtschaftliche Betrieb grundsätz-
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Dies hat zur Folge, dass der Erblasser bei Errichtung seiner Verfügung von Todes wegen nicht mehr gehindert ist durch Abgabe einer negativen Hoferklärung die Erbfolge kraft Höferechts und damit einhergehend das Gebot der geschlossenen Vererbung auszuschließen.706 Durch die Abgabe einer negativen Hoferklärung kann der Erblasser seine vollständige Testierfreiheit wieder aufleben lassen. Seit der Einführung eines fakultativen Höferechts geht es folglich nicht mehr um die Frage, ob das Gebot der geschlossenen Vererbung eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit darstellt, sondern darum, ob der Umstand, dass die Erlangung der Testierfreiheit nicht durch die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen, sondern nur durch Abgabe einer negativen Hoferklärung erfolgt, eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit darstellt. Der Bundestag war sich dieser Einschränkung der Testierfreiheit durch § 16 Abs. 1 HöfeO bewusst: „Dagegen behält der Entwurf die im geltenden § 16 Abs. 1 HöfeO enthaltene Einschränkung der Testierfreiheit bei. Es wäre widersprüchlich und der Rechtssicherheit abträglich, wenn ein Hofeigentümer, der sich bei einem fakultativen Höferecht für die Entstehung oder den Fortbestand der Hofeigenschaft entschieden hat, letztwillig eine Vererbung des Hofes an mehrere Erben wirksam sollte verfügen können.“707
Dem erwidert Kroeschell, dass die Höfeordnung zwar nicht unter dem Vorbehalt von Art. 64 Abs. 2 EGBGB stünde, jedoch zu erwägen sei, dass Art. 64 Abs. 2 EGBGB als Ausdruck des verfassungsmäßig gewährleisteten Wesensgehalts des Erbrechts anzusehen sei, in den auch die Höfeordnung nicht eingreifen dürfe. Aus diesem Grund hält Kroeschell den § 16 Abs. 1 HöfeO, wonach die Erbfolge nach Höferecht durch Verfügung von Todes wegen nicht ausgeschlossen werden darf, für verfassungswidrig und fordert eine Streichung dieser Vorschrift.708 Einer solchen Argumentation ist jedoch zu widersprechen. Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass der Erblasser durch die Einführung des fakultativen Höferechts grundsätzlich nach den allgemeinen Regelungen des BGB-Erbrechts verfügen kann. Erst wenn der Erblasser in seiner Eigenschaft als Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes eine sogenannte Hoferklärung abgibt, gilt die Beschränkung des § 16 Abs. 1 HöfeO. Gleichzeitig kann sich der Erblasser dieser Beschränkung auch jederzeit entziehen. Die Einschränkung der Testierfreiheit, dass dies nur durch Abgabe einer negativen Hoferklärung und nicht durch Verfügung von Todes wegen erfolgen kann, ist im Hinblick darauf, dass die negative Hoferlich nicht gegen den Willen des Eigentümers die Hofeigenschaft i.S.d. der Höfeordnung erhält. 706 Vgl. Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 42; Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/ Pikalo/Pikalo HöfeO § 1 Rn. 112 ff. 707 BT-Drucks. 7/1443, 28 zu Nr. 10. 708 So Kroeschell, AgrarR 1974, 85 f.; Kroeschell, AgrarR 1978, 154 Fn 71; a.A. Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 42.
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klärung einen actus contrarius zur ursprünglichen Hoferklärung des Erblassers darstellt, gerechtfertigt. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 16 Abs. 1 HöfeO nicht um eine Einschränkung der Testierfreiheit im eigentlichen Sinne handelt, da diese Bestimmung erst eingreift, wenn der Erblasser sich dieser selbst unterworfen hat. Insofern ist es dem Erblasser dann auch zumutbar, durch die Abgabe einer negativen Hoferklärung, die volle Testierfreiheit wiederherzustellen. In diesem Fall ist § 16 Abs. 1 HöfeO mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar. An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass die überwiegende Meinung vertritt, dass auch im Bereich des fakultativen Höferechts die Hofeigenschaft unabhängig von dem Willen des Eigentümers bereits mit der Überschreitung des erforderlichen Wirtschaftswertes von 10.000 † automatisch eintritt.709 In diesem Fall beschränkt sich der Erblasser nicht selbst, sondern wird durch die Erlangung der automatischen Hofeigenschaft nach § 1 Abs. 1 S. 1 HöfeO durch das Gesetz beschränkt. Insofern handelt es sich bei der Abgabe der negativen Hoferklärung dann auch nicht mehr um einen actus contrarius. In diesem Fall würde eine Pflicht zur Abgabe der negativen Hoferklärung entstehen, wenn der Erblasser § 16 Abs. 1 HöfeO ausschließen möchte, um seine eigentliche Testierfreiheit „zurückzugewinnen“. Hierin liegt eine Beschränkung der Testierfreiheit. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit der Betreiber solcher Höfe ist zu fordern, dass landwirtschaftliche Betriebe, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 HöfeO erfüllen und damit als sog. „IstBetriebe“710 einzuordnen sind, die Hofeigenschaft nicht kraft Gesetzes, sondern ausschließlich durch Erklärung erlangen. Faktisch gehört der „Ist-Hof“ im Hinblick auf die damit ipso jure einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit abgeschafft.711 Zu dem Wesen des fakultativen Höferechts gehört es, dass es vom Willen des Eigentümers abhängt, ob sein landwirtschaftlicher Betrieb der Höfeordnung unterfällt. Gerade dies unterbindet § 1 Abs. 1 S. 1 HöfeO jedoch. Zwar bleibt dem Eigentümer des „Ist-Betriebes“ die Möglichkeit der Abgabe einer negativen Hoferklärung, gleichwohl unterliegt dieser
709 Vgl. Zimmermann/Sticherling, Erbrechtliche Nebengesetze, § 1 HöfeO Rn. 12; Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO § 1 Rn. 107. 710 Zu dem Begriff des „Ist-Betriebes“ s. Kroeschell, AgrarR 1982, 226, 227; Wöhrmann/ Graß/Graß HöfeO § 1 Rn. 98. 711 So auch Kroeschell, AgrarR 1982, 226, 227: „In einem wirklich fakultativen Höferecht dürfte es keine ,Ist-Höfe‘ mehr geben.“; in diese Richtung auch Wöhrmann/Graß HöfeO § 1 HöfeO Rn. 89: „Wer allerdings der Annahme folge auch im Bereich des fakultativen Höferechts trete die Hofeigenschaft unabhängig vom Willen des Eigentümers bereits automatisch mit dem Ansteigen des Wirtschaftswertes auf 10 000 † ein, widersetzt sich den Vorstellungen und Willen des Gesetzgebers und redet weiter dem Zwangsanerbenrecht das Wort.“
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zunächst den Beschränkungen der Höfeordnung. Er muss also – anders als ein Erblasser ohne landwirtschaftlichen Betrieb – erst aktiv werden, um in den Genuss der allgemeinen erbrechtlichen Regelungen zu kommen. Insbesondere mit Blick auf den § 16 Abs. 1 HöfeO und dem daraus resultierenden Verbot des Ausschlusses der Hoferbfolge durch Verfügung von Todes wegen zeigt sich, dass der Gesetzgeber den „Ist-Betrieb“ nach § 1 Abs. 1 S. 1 HöfeO mit der Novelle von 1976 nicht mehr anerkennen wollte. So begründet der Gesetzgeber die Beibehaltung der in § 16 Abs. 1 HöfeO enthaltenen Einschränkung der Testierfreiheit damit, dass es im Rahmen eines fakultativen Höferechts widersprüchlich wäre, wenn der Erblasser, der sich für die „Entstehung oder den Fortbestand der Hofeigenschaft entschieden hat“712, durch Verfügung von Todes wegen von der Hoferbfolge abweichen könne. Von einer Entscheidung des Eigentümers eines landwirtschaftlichen Betriebes kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn dieser auch tatsächlich eine solche getroffen hat. Dies ist bei den sogenannten „IstHöfen“ nicht der Fall, weshalb diese aus rechtspolitischen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der Testierfreiheit abgeschafft gehören. Im Ergebnis kann daher resümiert werden, dass das Verbot des Ausschlusses der Hoferbfolge durch Verfügungen von Todes wegen aus § 16 Abs. 1 HöfeO nur insoweit mit der Testierfreiheit vereinbar ist, wie der Eigentümer des landwirtschaftlichen Betriebes sich auch tatsächlich für die Anwendung der Höfeordnung und der damit einhergehenden Hoferbfolge entschieden hat. Für die „Ist-Betriebe“ nach § 1 Abs. S. 1 HöfeO stellt die automatische Geltung der Hoferbfolge und des damit einhergehenden Verbots des Ausschlusses der Hoferbfolge durch Verfügung von Todes wegen folglich eine Beschränkung der Testierfreiheit dar, die in einem ansonsten fakultativen Höferecht zumindest als rechtspolitisch verfehlt anzusehen ist. b) § 8 Abs. 2 HöfeO und der Ausschluss des Rechts des Ehegatten allein über seinen Hofanteil zu verfügen Eine weitere gravierende Abweichung von den allgemeinen erbrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches stellt § 8 Abs. 2 HöfeO auf. Auch bei dieser Abweichung könnte es sich um eine Grenze der Testierfreiheit handeln. Der § 8 Abs. 2 HöfeO a. F. enthielt eine Bestimmung, die die Testierfreiheit des Miteigentümers eines Ehegattenhofes massiv beeinträchtigte. So konnten nach § 8 Abs. 2 HöfeO a. F. die Ehegatten den Hoferben nur gemeinsam bestimmen. Sofern sich diese jedoch nicht einigen konnten, war derjenige Ehegatte befugt, den Hoferben mit gerichtlicher Zustimmung zu bestimmen, 712
So explizit BT-Drucks. 7/1443, 28 zu Nr. 10; vgl. dazu auch die Darstellung bei Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO § 1 Rn. 1.
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von dem der Hof stammte. Dies hatte zur Folge, dass dieser Ehegatte von Todes wegen auch über den Hofanteil des Ehegatten und damit über Vermögen verfügen konnte, welches ihm selbst nicht gehörte. Diese Regelung benachteiligte den anderen Ehegatten erheblich und war mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit unvereinbar.713 Die neue Fassung des § 8 Abs. 2 HöfeO bestimmt, dass die Ehegatten einen Dritten als Hoferben nur gemeinsam bestimmen und eine von ihnen getroffene Bestimmung nur gemeinsam wieder aufheben können. Im Hinblick auf die Testierfreiheit ruft diese Vorschrift zunächst keine verfassungsrechtlichen Bedenken hervor, da sie als notwendige Folge des § 8 Abs. 1 HöfeO anzusehen ist.714 Da ein Erblasser lediglich über sein eigenes Vermögen verfügen darf, können die Miteigentümer eines Ehegattenhofes, anders als nach der alten Fassung des § 8 Abs. 2 HöfeO, zwangsläufig nur über ihren jeweiligen eigenen Anteil von Todes wegen verfügen.715 Sofern nun aber der Hof als Ganzes auf einen Dritten als Hoferben übergehen soll (Gebot der geschlossenen Vererbung), müssen die Ehegatten diesen auch gemeinsam bestimmen. Dass die Ehegatten eine solche freiwillig abgegebene Bestimmung nur gemeinsam wieder aufheben können, stellt als actus contrarius ebenfalls keine Beschränkung der Testierfreiheit dar. Problematisch ist aber, dass von der überwiegenden Literatur dem Ehegatten das Recht, allein über seinen eigenen Hofanteil zu verfügen, abgesprochen wird.716 Zur Begründung wird angeführt, dass das Verbot des Ausschlusses der Hoferbfolge durch Verfügung von Todes wegen, welches in diesem Abschnitt bereits näher dargestellt wurde717, verbunden mit der Regelung des § 8 Abs. 2 HöfeO der alleinigen Verfügung über den Hofanteil entgegensteht.718 Diese Sichtweise wird von Stöcker als „undifferenzierte Vorenthaltung jeder Testierfreiheit beim Ehegattenhof“719 kritisiert, welche mit
713 In diese Richtung bereits Barnstedt, DNotZ 1969, 14, 24 f. Zu der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit s. die Ausführungen in Kap. B. I. 714 So zutreffend Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO § 8 Rn. 15. Graß bezeichnet die Regelung des § 8 Abs. 2 HöfeO als „eine sich aus § 8 Abs. 1 HöfeO ergebende selbstverständliche Konsequenz“. 715 In diese Richtung auch Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO § 8 Rn. 15. 716 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO § 8 Rn. 16 mit Verweis auf Bendel, AgrarR 1976, 149, 158; Faßbender/Pikalo, DNotZ 1980, 67, 79; v. Jeinsen, DNotZ 1978, 31; OLG Hamm, AgrarR 1980, 50.; a.A. Stöcker, AgrarR 1980, 165,165 f. 717 Vgl. Kap. C. IV. 2. a). 718 So Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO § 8 Rn. 16. 719 Wöhrmann/Stöcker HöfeO, 6. Auflage, § 8 Rn. 17; s. auch Stöcker, DNotZ 1979, 82, 82 ff.; a.A. Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO § 8 Rn. 17: „Der schnelle Griff zur Verfassungswidrigkeit ist unangebracht. Nicht die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft als solche wird benachteiligt, nicht die Ehe diskriminiert […], sondern es sind die Eheleute
IV. Einschränkungen der Testierfreiheit durch das Landwirtschaftserbrecht
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Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar sei. Stöcker sieht daher durch ein solches Verständnis nicht nur die Testierfreiheit, sondern auch Art. 6 Abs. 1 GG verletzt, da Verheiratete gegenüber Unverheirateten benachteiligt würden.720 Stöckers Argumentation kann jedoch nur teilweise überzeugen. Zutreffend ist, dass eine Zwangsbindung der Ehegatten an die Ehegattenhofgemeinschaft und den damit einhergehenden Verlust des Rechts, allein über seinen eigenen Anteil durch Verfügung von Todes wegen zu verfügen, mit der Testierfreiheit unvereinbar wäre. Da seit der Einführung des fakultativen Höferechts die Ehegattenhofeigenschaft jedoch auf freiwilliger Basis entsteht, sind die mit ihr einhergehenden Bindungen und Beschränkungen verfassungsrechtlich unbedenklich.721 Es gilt insoweit der Grundsatz volenti non fit iniuria.722 Fraglich ist jedoch, wie an dieser Stelle mit den sogenannten „Ist-Ehegattenhöfen“723 nach § 1 Abs. 1 HöfeO umzugehen ist. Diese entstehen, wie bereits dargestellt, grundsätzlich kraft Gesetzes, sodass von einer freiwilligen Selbstbindung nicht gesprochen werden kann. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass auch ein solcher „Ist-Ehegattenhof“ die vorherige Vereinbarung einer Gütergemeinschaft voraussetzt. Diese basiert wiederum auf dem Abschluss eines Erbvertrages, welcher freiwillig erfolgt. Selbiges gilt für andere Beteiligungsformen, wie die Eingehung einer Bruchteilsgemeinschaft oder einer BGB-Gesellschaft.724 Die auf freiwilliger Basis entstehenden Bindungen sind, wie bei einem Erbvertrag, mit der Testierfreiheit vereinbar.725
selbst, die sich durch ihre Erklärungen in diese Situation begeben haben, aus der sie durch entsprechende Erklärungen wieder herausgelangen können.“ 720 So Wöhrmann/Stöcker HöfeO, 6. Auflage, § 8 Rn. 17; s. auch Stöcker, DNotZ 1979, 82, 82 ff. 721 Vgl. dazu bereits die Argumentation zu der Zulässigkeit des Verbots des Ausschlusses der Hoferbfolge durch letztwillige Verfügung Kap. D. IV. 2. a); vgl. auch Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo/Pikalo HöfeO § 8 Rn. 5; Wöhrmann/Graß/Graß HöfeO § 8 Rn. 17. 722 So Moll/Peter, AgrarR 1989, 95, 95. 723 Zu dem Begriff des „Ist-Betriebes“ s. Kroeschell, AgrarR 1982, 226, 227; Wöhrmann/ Graß/Graß HöfeO § 1 Rn. 98; zu dem Begriff des „Ist-Ehegattenhofes“ s. Moll/Peter, AgrarR 1989, 95, 95. 724 So zutreffend Moll/Peter, AgrarR 1989, 95, 95; in diese Richtung auch Faßbender/ Hötzel/von Jeinsen/Pikalo/Pikalo HöfeO § 8 Rn. 5. 725 So zutreffend Faßbender/Hötzel/v. Jeinsen/Pikalo/Pikalo HöfeO § 8 Rn. 5; Moll/Peter, AgrarR 1989, 95, 95.
272
C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
3. Fazit: Begrenzungen der Testierfreiheit sind auch im Landwirtschaftserbrecht vorhanden Abschließend lässt sich daher festhalten, dass die Testierfreiheit ein fakultatives Höfe- beziehungsweise Anerbenrecht erfordert.726 Sowohl die landesrechtlichen Anerbengesetze als auch die Höfeordnung werden dieser – aus der Testierfreiheit resultierenden Anforderung – grundsätzlich gerecht, da es seit der Reform des Höferechts durch die Schaffung des § 1 Abs. 4 HöfeO dem Hofeigentümer möglich ist, die Anwendung der Höfeordnung durch die Abgabe einer negativen Hoferklärung727 auszuschließen. In diesem Fall erlangt der Hofeigentümer die „volle Testierfreiheit“728, sodass es sich bei den Vorschriften der Höfeordnung grundsätzlich um keine Beschränkung der Testierfreiheit handelt. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass durch die Begründung der Hofeigenschaft kraft Gesetzes ohne, beziehungsweise sogar gegen den Willen des Hofeigentümers, eine mittelbare Beschränkung der Testierfreiheit entsteht. Aus diesem Grund stellt die derzeitige Fassung der HöfeO, die sogenannte „Ist-Betriebe“ entstehen lässt, eine Beschränkung der Testierfreiheit dar, die in einem grundsätzlich fakultativen Landwirtschaftserbrecht als rechtspolitisch verfehlt anzusehen ist. Den Hofeigentümern ohne oder gegen deren Willen die Beschränkungen der Höfeordnung aufzuerlegen und daher mittelbar eine Pflicht zur Abgabe der sogenannten negativen Hoferklärung einzuführen, ist mit der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit kaum zu vereinbaren. Im Hinblick auf die „Ist-Betriebe“ ist die Höfeordnung daher reformbedürftig. Weitere Begrenzungen der Testierfreiheit können auch durch die landesrechtlichen Anerbengesetze hervorgerufen werden, sofern der von Teilen der Literatur favorisierten Auslegung des Art. 64 Abs. 2 EGBGB gefolgt wird. Nach dieser Sichtweise ist die Testierfreiheit bereits dann beachtet, wenn dem Erblasser die Möglichkeit der freien Erbenbestimmung innerhalb des für ihn ansonsten verbindlichen Anerbenrechts gegeben ist.729 Eine solche Auslegung eröffnet Raum für weitreichende Beschränkungen der Testierfreiheit durch landesrechtliche Anerbengesetze und widerspricht dabei dem Willen des Ge-
726
So auch Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 42; Wöhrmann/Graß/Graß Einl. HöfeO Rn. 16. 727 Hinzutreten muss regelmäßig noch die Löschung des Hofvermerks. Sofern im Grundbuch kein Hofvermerk eingetragen ist, ist das Erlöschen der Hofeigenschaft in einer zu diesem Zweck anzulegenden Höfeakte einzutragen, s. dazu OLG Köln, RNotZ 2009, 323; Zimmermann/Sticherling, Erbrechtliche Nebengesetze, § 1 HöfeO Rn. 11. 728 Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 42. 729 Vgl. dazu Kap. D. IV. 1.; s. auch Staudinger/Mittelstädt EGBGB Art. 64 Rn. 40 mit Verweis auf Staudinger/Boehmer Einl zum V. Buch § 19 Rn. 13; BGB-RGRK/Kregel Einl § 1922 Rn. 6; Kipp/Coing, Erbrecht, § 131c IV.
V. Ergebnisse zu der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
273
setzgebers, der ein völliges Abbedingen der landesrechtlichen Anerbengesetze ermöglichen wollte. Darüber hinaus verkennen die Befürworter eines solchen Verständnisses des Art. 64 Abs. 2 EGBGB die Einwirkungen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auf das einfache Recht. Der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit bewirkt, dass diese als Auslegungsmaxime für das einfach Recht und seine Grenzen heranzuziehen ist.730 Da sowohl die fehlerhafte Auslegung des Art. 64 Abs. 2 EGBG als auch die „Ist-Betriebe“ der HöfeO eine möglichst weitreichende Geltung des Landwirtschaftserbrechts verfolgen, stellen sie Begrenzungen der Testierfreiheit dar, die dem Schutz von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen. Auch das bestätigt die Annahme, dass die vorgenommene Kategorisierung der Grenzen der Testierfreiheit aufrechtzuerhalten ist.
V. Abschließende Betrachtung der Ergebnisse zu der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit Nachdem nunmehr die Grenzen der Testierfreiheit zum Schutz der Erbprätendenten und Kollektivgüter vor der Testierfreiheit des Erblassers betrachtet worden sind, ist festzuhalten: 1. Die Testierfreiheit sieht sich zahlreichen unzulässigen Beschränkungen durch Gesetz, Rechtsprechung und Literatur ausgesetzt. 2. Diese Beschränkungen beruhen überwiegend auf einem Verkennen der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten. 3. Der individualschützende Charakter der Testierfreiheit ist hierdurch in besonderer Weise beeinträchtigt. Diese Ergebnisse zeigen, dass gesetzliche Änderungen, Rechtsprechungsänderungen und Änderungen in der Literatur notwendig sind, um Beeinträchtigungen der Testierfreiheit künftig zu verhindern. Insbesondere ist eine Rechtsprechungsänderung bei der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes vorzunehmen. Diese muss eine Abkehr von der Theorie der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten beinhalten. Ein Lösungsvorschlag für die zukünftige Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf erbrechtliche Verfügungen ist in der vorliegenden Arbeit entwickelt worden. Diesen sollte auch diejenige Literatur berücksichtigen, die die hier favorisierte Sichtweise und die damit einhergehende Annahme der fehlenden Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten als lebensfremd bezeichnet. Zwar dürfte es eher lebensfremd sein, den Wunsch alternder Großeltern, ein soziales Verhältnis zu ihren Enkelkindern 730
Vgl. dazu ausführlich Kap. B. VII. 2.
274
C. Die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
mittels Inaussichtstellens finanzieller Belohnungen aufzubauen und die aus diesem Grund errichtete Verfügung von Todes wegen als sittenwidrig zu bewerten. Auf die Frage der Lebensfremdheit kommt es jedoch ohnehin nicht an, da ein solches Vorgehen der derzeitigen Rechtsprechung und überwiegenden Literatur in jedem Falle dogmatisch nicht haltbar ist. Es ist zu beachten, dass die Erbeinsetzung für die Erbprätendenten ein Angebot darstellt, sodass die Erbprätendenten durch eine Erbeinsetzung besser stehen als ohne. Dieser Aspekt hat bislang weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur hinreichend Berücksichtigung gefunden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der Betrachtung der gesamten dargelegten Beschränkungen der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit folgender Befund entsteht: Es müssen nicht Erbprätendenten oder Kollektivgüter vor der Testierfreiheit des Erblassers, sondern die Testierfreiheit des Erblassers vor dem Gesetz, der Rechtsprechung und der Literatur geschützt werden.
In dem nächsten Kapitel sollen diejenigen Begrenzungen der Testierfreiheit untersucht werden, die dem Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers vor unzulässigen Einwirkungen Dritter dienen. Sie stellen die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit dar. Für die zweite Kategorie wird zu prüfen sein, ob der soeben aufgestellte Befund der Schutzbedürftigkeit der Testierfreiheit dort ebenfalls zutrifft.
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit: Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers vor unzulässigen Einwirkungen Dritter Der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit sind solche Beschränkungen zuzuordnen, die dem Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers vor unzulässigen Beeinträchtigungen durch Dritte dienen. Die Testierfreiheit der Erblasser wird durch verschiedene gesetzliche Bestimmungen begrenzt, um ein autonomes Handeln des Erblassers abzusichern.1 Ein solcher Schutz der Autonomie des Erblassers war in jüngerer Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Werke der Literatur. An dieser Stelle sei insbesondere auf die Beiträge Christandls, Röthels und Boehms verwiesen, die sich mit dem Schutz des Erblassers vor unzulässigen Einwirkungen durch Dritte beschäftigen.2 Diesen Stimmen aus der Literatur ist gemein, dass sie die Gefahr von Fremdbestimmung in den Vordergrund ihrer Argumentationslinien rücken und von einem unzureichenden Autonomieschutz ausgehen.3 So betont beispielsweise Röthel: 1 Hierzu gehören bspw. die Vorschriften zum Typen- und Formzwang, das Gebot der formellen und materiellen Höchstpersönlichkeit und das Testierverbot aus § 14 HeimG. 2 Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 1 ff.; Röthel, AcP 210 (2010), 32; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 1 ff.; vgl. auch Lange, Erbrecht, § 11 Rn. 15; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 347 f.; in eine ähnliche Richtung gehen auch die Beiträge derjenigen Autoren, die für sogenannte „vulnerable Erblasser“ eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit fordern, so explizit Krispenz, ErbR 2015, 525, 525; Sonnekus, Ageing Testator, 78, 90, oder für eine Steigerung von Förmlichkeiten plädieren, so etwa Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11b: „Die Dunkelziffer beeinflusster, verfälschter und unterdrückter Privattestamente ist objektiv nicht feststellbar, dürfte aber deutlich in einem Bereich rechtspolitischer Relevanz liegen. Deshalb ist als rechtspolitische Mindestkorrektur des § 2247 BGB zu fordern, dass privatschriftliche Testamente im Stadium der Todesnähe zum Schutz vor einer Beeinflussung durch Dritte de lege ferenda unwirksam sein sollten.“ Die Argumentation Baumanns beruht auf dem Vorschlag Adens (vgl. Aden, ZRP 2011, 83, 85) der in Kap. D. III. 2. ausführlich untersucht wird. 3 So stellt bspw. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 27 ff. die Gefahr der Einflussnahme Dritter besonders heraus. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 55 ff.; Lange, Erbrecht § 11 Rn. 15; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 3 ff.; vgl. dazu auch Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 347 f.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
„Fremdbestimmung und Beherrschung des Erblassers werden derzeit nur punktuell sanktioniert. Dies wird der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Testierfreiheit angesichts zunehmender Gefährdung […] alternder Erblasser nicht gerecht.“4
Die Befürworter eines verstärkten Autonomieschutzes gehen davon aus, dass Erblasser zahlreichen Beeinflussungshandlungen ausgesetzt sind, die im Ergebnis zu der Errichtung fremdbestimmter letztwilliger Verfügungen führen.5 Die Annahme, dass die Ausübung von Freiheitsrechten – wie beispielsweise die Ausübung der Testierfreiheit – vielfach von Fremdbestimmung und damit nicht von Selbstbestimmung geprägt ist, wird vermehrt vertreten. So betont insbesondere Lindner, dass Entscheidungen – selbst solche, die nach außen hin selbstbestimmt erscheinen – als ein Produkt von Fremdbestimmung anzusehen sind.6 Der These von der vorherrschenden Fremdbestimmung und der Notwendigkeit eines verstärkten Autonomieschutzes liegen jedoch diverse fehlerhafte Annahmen zugrunde, die es im Rahmen dieses Kapitels zu untersuchen gilt. Insofern, als dass sich die vorliegende Arbeit mit den Grenzen der Testierfreiheit befasst, beschränkt sich die Untersuchung auf diejenigen Aspekte, die die Testierfreiheit betreffen. Kritisch ist insbesondere zu beurteilen, dass die Befürworter der oben aufgezeigten Argumentationslinie vielfach einseitig einen verstärkten Schutz des selbstbestimmten Testierens postulieren, ohne dabei gleichzeitig die Auswirkungen dieses verstärkten Autonomieschutzes auf die Reichweite der Testierfreiheit zu berücksichtigen.7 Dadurch entsteht der Eindruck, dass der umfassende Schutz des selbstbestimmten Testierens für den Erblasser und für das Prinzip der Testierfreiheit uner-
4 So Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); s. dazu auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 55 ff.; in diese Richtung auch Frieser, ErbR 2020, 309, 309 ff. 5 In diese Richtung argumentieren Röthel, AcP 210 (2010), 32, 55 f.; Boehm, Der demenzkranke Erblasser; Frieser, ErbR 2020, 309, 309 ff.; Krispenz, ErbR 2015, 525, 525. 6 Vgl. Lindner, AöR 140 (2015), 542, 555 ff. Lindner betont, dass die Beeinflussbarkeit die „offene Flanke der Selbstbestimmung“ sei. Nach Lindner ist jeder Mensch aufgrund seiner Einbindung in familiäre, soziale und gesellschaftliche Kontexte erheblichen Einflüssen ausgesetzt, die „Druck, Anreize oder sonst positive wie negative emotionale Affekte generieren oder verstärken, die die scheinbar selbstbestimmten Entscheidungen beeinflussen […].“ Lindner führt diverse Beispiele an, die nach seinem Verständnis nach außen hin eine selbstbestimmte Entscheidung darstellen, bzw. zumindest als eine solche wahrgenommen werden, tatsächlich jedoch als fremdbestimmte Entscheidungen zu qualifizieren sind. Es herrsche „Fremdbestimmung durch Selbstbestimmung“. 7 So insbesondere Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 243 ff. Boehm schlägt zum Schutz des selbstbestimmten Testierens des demenzkranken Erblassers eine Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme vor, ohne dabei zu berücksichtigen, dass ein solcher Vorschlag überhaupt nicht in der Lage ist, die Autonomie des Erblassers zu schützen und gleichzeitig erhebliche Auswirkungen auf die Testierfreiheit hat, s. dazu Kap. D. III. 4.
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
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lässlich und die damit einhergehenden Nachteile deshalb zu vernachlässigen sind. Diesen Weg will die vorliegende Arbeit nicht gehen, sondern die Beeinträchtigungen der Testierfreiheit, die durch einen zunehmenden Autonomieschutz entstehen, detailliert analysieren. Darüber hinaus wird vielfach ein spezielles Problemfeld des selbstbestimmten Testierens mit der grundsätzlichen Frage nach dem Schutz der Autonomie der Erblasser vermischt. Dieses spezielle Problemfeld meint hier die zunehmend alternde Gesellschaft und die daraus resultierenden veränderten Anforderungen an den Schutz des selbstbestimmten Testierens. So ist die Lebenserwartung durch den medizinischen Fortschritt seit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches erheblich gestiegen.8 Diese Entwicklung lässt Risiken für das selbstbestimmte Testieren des Erblassers entstehen, da im höheren Alter verstärkt Krankheiten auftreten, die sowohl die geistigen als auch die körperlichen Fähigkeiten beeinträchtigen. Wenngleich dieser Aspekt für die Untersuchung der Beschränkungen der Testierfreiheit zum Schutz des selbstbestimmten Testierens vor unzulässiger Einwirkungen Dritter höchst relevant ist, muss dieser dennoch separat untersucht werden. Anders gesprochen muss die Frage, ob der alte und mithin vulnerable Erblasser eines verstärkten Schutzes bedarf, von der Frage nach dem derzeitigen Schutz der Autonomie sämtlicher Erblasser und den damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Testierfreiheit getrennt werden. Für die Besonderheiten im Hinblick auf den Schutz des selbstbestimmten Testierens der vulnerablen Erblasser ist in dieser Arbeit daher ein eigener Abschnitt (III.) vorgesehen. Ein weiteres Defizit von Teilen der vorhandenen Literatur besteht darin, dass vorschnell Forderungen nach Reformen und Veränderungen der Regelungen des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches aufgestellt werden, ohne dass zuvor der bereits bestehende Autonomieschutz durch die derzeitige Konzeption des deutschen Erbrechts hinreichend betrachtet wird. Die vorliegende Arbeit wird daher die derzeitigen bestehenden Regelungen zum Schutz des selbstbestimmten Testierens und die daraus resultierenden Beschränkungen der Testierfreiheit detailliert untersuchen (dazu II.). Nicht zuletzt fehlt es zahlreichen Darstellungen an einer Darlegung des Zusammenhangs zwischen der Autonomie des Erblassers und der Testierfreiheit. Die Darlegung eines solchen Zusammenhangs ist jedoch notwendig, da der Schutz des selbstbestimmten Testierens regelmäßig mit Beschränkungen der Testierfreiheit einhergeht, die rechtfertigungsbedürftig sind.9 Aus die8
Hierauf weisen Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 346; Röthel, 68. DJT, A 9 (A 81); Grziwotz, MDR 2016, 737, 737; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 26 f.; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 1 ff.; Aden, ZRP 2011, 83, 83 ff.; Krispenz, ErbR 2015, 525, 525; Frieser, ErbR 2020, 309, 309. 9 Dies lässt sich insbesondere an dem Testierverbot aus § 14 HeimG erkennen, welches
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
sem Grund soll sich der nächste Abschnitt mit dem Verhältnis zwischen Autonomie und Testierfreiheit beschäftigen (dazu I.).
I. Das Verhältnis zwischen Autonomie und Testierfreiheit Bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen dem Schutz der Autonomie des Erblassers und der Testierfreiheit kann auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückgegriffen werden, die die Testierfreiheit als ein individuelles Selbstbestimmungsrecht im Rechtsleben begreift.
1. Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht Wie bereits an mehreren Stellen in dieser Arbeit gezeigt, dient die Testierfreiheit der Selbstbestimmung des Erblassers.10 Das Bundesverfassungsgericht betont: „Ein bestimmendes Element der Erbrechtsgarantie ist die Testierfreiheit. Sie dient ebenso wie das Eigentumsgrundrecht und der in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Privatautonomie der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben.“11
An dieser Feststellung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich jedoch durchaus zweifeln, da die Wirkung einer Verfügung von Todes wegen grundsätzlich12 erst mit dem Erbfall, also mit beziehungsweise nach dem Tod des Erblassers eintritt. Aus diesem Grund ließe sich argumentieren, dass der Erblasser im Erbrecht seine Selbstbestimmung überhaupt nicht verwirklichen kann.13 Wäre dies der Fall, bräuchte es auch keine Regelungen zum Schutz des selbstbestimmten Testierens und der Autonomie des Erblassers. Der entscheidende Fehler einer solchen Argumentationslinie liegt in dem Versuch der Übertragung von Grundsätzen zu Rechtsgeschäften unter Lebenden auf Verfügungen von Todes wegen, ohne deren Besonderheiten zu berücksichtigen.14 Anders als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden sind zwar Beeinträchtigungen der Willensfreiheit der Erblasser vorbeugen soll, gleichzeitig aber auch die Testierfreiheit erheblich einschränkt, s. dazu Kap. D. III. 3. 10 Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen in Kap. B. I. u. Kap. B. III. 5. 11 Ständige Rspr. des BVerfG, vgl. exemplarisch BVerfGE 89, 214, 231; BVerfGE 91, 346, 358; BVerfGE 99, 341, 350; BVerfGE 112, 332, 348; vgl. dazu auch Kap. A.; Kap. B I. u. III. 5. 12 Gewisse Ausnahmen bestehen bei Bindungswirkungen im Hinblick auf vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag und wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament. 13 Vgl. dazu bereits das Kap. B. V. 2.; vgl. auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 42, 56. 14 Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 42, 57.
I. Das Verhältnis zwischen Autonomie und Testierfreiheit
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nicht die Wirkungen des Rechtsgeschäfts Ausdruck der Selbstbestimmung, sondern der Akt des Testierens.15 Zutreffend betont daher Muscheler, dass es bei der Anerkennung des Testaments des Erblassers durch die Rechtsordnung „[…] in Wahrheit um das Recht der Lebenden […]“16 und gerade nicht um das Recht eines Toten geht. Dieser Gedankengang lässt sich auch auf die Frage nach der Verwirklichung der Selbstbestimmung des Erblassers durch die Testierfreiheit übertragen. So sind die für die Erben spürbaren Auswirkungen, die sich regelmäßig erst mit dem Erbfall entfalten, für die Ausübung der Selbstbestimmung des Erblassers nicht entscheidend.17 Die Selbstbestimmung des Erblassers manifestiert sich vielmehr in dem Akt des Testierens und setzt sich in der daraus entstandenen Verfügung von Todes wegen fort. Gestützt wird diese Annahme durch die Ausführungen in dem Kap. B.V. 2., welche gezeigt haben, dass der Schutz eines subjektiven Freiheitsrechts über den Tod des Eigentümers hinaus erklärbar ist. Zutreffend stellt Gutmann fest, dass das vom Erblasser als „private legislator“18 lebzeitig geschaffene Rechtsverhältnis von der biologischen Existenz des Erblassers unabhängig existent ist und daher von den Beteiligten beachtet werden muss. Im Ergebnis erfolgt daher auch bei letztwilligen Verfügungen Selbstbestimmung bereits zu Lebzeiten durch die Wahrnehmung der vom Gesetz zur Verfügung gestellten Möglichkeit der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen. Folglich verleiht die Testierfreiheit dem Erblasser ein individuelles Selbstbestimmungsrecht, von dem dieser durch Errichtung einer Verfügung von Todes wegen lebzeitig Gebrauch machen kann, aber nicht muss. Aus diesem Grund sind die Regelungen des BGB-Erbrechts auch nicht als Zwang zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen, sondern als bloße Option ausgestaltet. Zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen Selbstbestimmung und Testierfreiheit gibt sodann auch der Beschluss des Bundesverfassungsgericht zu der Verfassungswidrigkeit des generellen Testierausschlusses schreibunfähiger stummer Erblasser Aufschluss.19 Diesbezüglich betont das Bundesverfas15 Dieser Aspekt ist bei der Untersuchung des Schutzes der Testierfreiheit als subjektives Recht des Erblassers näher betrachtet worden, vgl. dazu Kap. B. V. 2. Zutreffend arbeitet Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 17 ff. heraus, dass gegenwärtiges Unrecht gegenüber einer ehemals lebenden Person begangen werden kann. 16 Vgl. Muscheler, Band I, 227 Rn. 407; s. auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 42, 57; vgl. dazu auch Gutmann, Time is on my side – Selbstbindung und die Zeitlichkeit personaler Existenz, 17 ff. 17 Auch für die Beurteilung des maßgeblichen Zeitpunktes der Sittenwidrigkeitsprüfung von erbrechtlichen Verfügungen sind die Auswirkungen auf die Bedachten, die regelmäßig erst mit dem Erbfall eintreten, nicht von Bedeutung. 18 Vgl. zu diesem Begriff die Ausführungen in Kap. B. V. 2. 19 Vgl. BVerfGE 99, 341, 341. Das BVerfG hat diesbezüglich entschieden, dass der Aus-
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
sungsgericht, dass die Konkretisierung des Erbrechts und damit auch das im „Grundsatz der Testierfreiheit angelegte Selbstbestimmungsprinzip“20 nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG dem Gesetzgeber obliegt. Da Selbstbestimmung stets Selbstbestimmungsfähigkeit voraussetze, müsse der Einzelne die für die Testamentserrichtung erforderliche Einsichts- und Handlungsfähigkeit besitzen. Dem Gesetzgeber komme dabei hinsichtlich der Frage, welche Anforderungen an die Selbstbestimmungsfähigkeit zu stellen sind, ein Beurteilungsspielraum zu. Von diesem Beurteilungsspielraum hat der Gesetzgeber in mehrfacher Hinsicht Gebrauch gemacht. So wird die Selbstbestimmungsfähigkeit zum einen unmittelbar durch die Vorschriften zur Testierfähigkeit21 und zum anderen mittelbar durch Formvorschriften abgesichert.22 Anders als manche Stimmen aus der Literatur suggerieren, verlangt die Ausübung der Testierfreiheit nicht etwa eine verantwortungsvolle Verfügung23, sondern lediglich die Fähigkeit des Erblassers, seine Entscheidung und dessen Auswirkungen überblicken zu können.24 Damit wird auch deutlich, dass der Schutz des Selbstbestimmungsrechts nicht erfolgt, um nahe Angehörige oder andere dem Erblasser nahe stehende Personen vor verantwortungslosen und als ungerecht empfundenen Verfügungen von Todes wegen zu schützen, sondern lediglich um sicherzustellen, dass der Erblasser überhaupt selbstbestimmt testiert. Anders ausgedrückt erstreckt sich der grundrechtliche Schutz der Testierfreiheit nur auf selbstbestimmte letztwillige Verfügungen von Todes wegen.25 Zutreffend formuliert daher das Bundesverfassungsgericht: „Aus dem Charakter der Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht im wirtschaftlichen Bereich lassen sich Folgerungen für den verfassungsrechtlichen Gehalt der Erbrechtsgarantie ziehen. Es werden nur selbstbestimmte und selbstverantwortete letztwillige Erklärungen von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit geschützt.“26 schluss schreib- und sprechunfähiger Personen von der Testiermöglichkeit in den §§ 2232 BGB, 2233 BGB und § 31 BeurkG sowohl gegen die Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG als auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das Benachteiligungsverbot für Behinderte in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verstößt. 20 Vgl. BVerfGE 99, 341, 351 f.; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. V. 1., die sich ebenfalls mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts befassen. 21 Vgl. dazu Kap. D. II. 1. 22 Diese Möglichkeit hat das BVerfG explizit zugelassen, vgl. BVerfGE 99, 341. 23 So aber fälschlicherweise Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 2; MüKoBGB/Leipold BGB § 2065 Rn. 1. 24 Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 60. 25 So auch BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 3: „Verfassungsrechtlich geschützt werden allerdings nur selbstbestimmte und selbstverantwortete letztwillige Erklärungen. Hieraus ergeben sich Anforderungen an die Selbstbestimmungsfähigkeit, nämlich die Testierfähigkeit.“; so auch Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; vgl. auch BVerfGE 99, 341, 351. 26 BVerfGE 99, 341, 351; so auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65: „[D]er Geltungsan-
I. Das Verhältnis zwischen Autonomie und Testierfreiheit
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Insofern ist es zulässig und mit der Testierfreiheit vereinbar, dass der Gesetzgeber durch verschiedene Vorschriften Anforderungen an den Akt des Testierens stellt. Der Umstand, dass sich der verfassungsrechtliche Schutz der Testierfreiheit nur auf selbstbestimmte Verfügungen von Todes wegen beschränkt, rechtfertigt zumindest grundsätzlich das Unbehagen gegenüber fremdbestimmten Verfügungen von Todes wegen und den Schutz vor selbigen.
2. Der „Balanceakt“ zwischen Autonomieschutz und Aufrechterhaltung einer wirklichen Testierfreiheit Wenn sich nun aber der grundrechtliche Schutz der Testierfreiheit nur auf selbstbestimmte Verfügungen von Todes wegen bezieht, ist es zulässig und mit der Testierfreiheit vereinbar, dass der Gesetzgeber durch verschiedene Vorschriften Anforderungen an den Akt des Testierens aufstellt.27 Für die Zwecke dieser Arbeit ist dabei zu berücksichtigen, dass die Regelungen zum Schutz des selbstbestimmten Testierens die Testierfreiheit zwar einschränken, zugleich jedoch auch einen Schutz des – mit ihr einhergehenden – Selbstbestimmungsrechts bezwecken. Der Gesetzgeber und auch die Rechtsprechung müssen einerseits das selbstbestimmte Testieren schützen, ohne jedoch andererseits die Anforderungen an den Akt des Testierens zu überziehen und damit die Testierfreiheit zu einer leeren Hülse zu degradieren.28 Dieser zu berücksichtigende „Balanceakt“ wird anhand der Vorschriften zum Form- und Typenzwang verdeutlicht. Dort versucht das Gesetz zum einen durch das Aufstellen eines solchen Zwangs den Erblasserwillen zu verwirklichen und damit einhergehend die Autonomie des Erblassers vor unzulässiger Einflussnahme zu schützen, zum anderen will es aber auch unnötige Formstrenge vermeiden, um die Testierfreiheit nicht unzulässig einzuschränken. Inwiefern dieser „Balanceakt“ der Gesetzgebung und Rechtsprechung generell gelungen ist, oder ob diesbezüglich vielmehr ein Reformbedarf besteht, wird im Rahmen der Betrachtung der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit untersucht.
spruch der Testierfreiheit [endet] dort, wo letztwillige Verfügungen […] nicht auf hinreichend selbstbestimmter Entschließung des Erblassers beruhen.“; vgl. auch Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 3. 27 Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. B. I., V. 1., VII. 28 Vgl. dazu die Ausführungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Betrachtung der Testierfreiheit in dem Kap. B. I.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
3. Die grundsätzliche Haltung der Regelungen des Erbrechts zu dem Verhältnis von Testierfreiheit und Autonomieschutz Den „Balanceakt“ zwischen Autonomieschutz und weitestgehender Testierfreiheit hat der Gesetzgeber zugunsten der Testierfreiheit entschieden. Es ist festzustellen, dass sich im deutschen Erbrecht diejenigen Regelungen durchgesetzt haben, die die niedrigsten Anforderungen an das wirksame Testieren stellen. Das damit einhergehende „race to the bottom“29 der Testieranforderungen zeigt sich unter anderem an der gegenüber der Geschäftsfähigkeit erweiterten Testierfähigkeit und darüber hinaus an der liberalen Haltung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Hinblick auf die Testierformen. Insbesondere die Einführung der Möglichkeit der Errichtung eines eigenhändigen Testaments verdeutlicht, dass sich der BGB-Gesetzgeber für ein die Testierfreiheit begünstigendes Regelungssystem entschieden hat.30 Röthel schließt sich diesem Befund an, indem sie betont, dass mit der liberalen Haltung des Gesetzgebers die geringere Berücksichtigung von Beherrschungs- und Beeinflussungsrisiken einhergehe.31 Anders ausgedrückt hat der Gesetzgeber den Schutz der Autonomie gegenüber der Unbeschränktheit der Testierfreiheit hintangestellt. Diese bewusste Entscheidung des Gesetzgebers ist stets zu berücksichtigen, wenn Forderungen nach einem verstärkten Schutz der Autonomie des Erblassers gestellt werden. Da diese Forderungen regelmäßig die Testierfreiheit des Erblassers einschränken, stehen sie im Widerspruch zu der grundsätzlichen Haltung des Gesetzgebers und den Regelungen des BGB-Erbrechts. Sie sind folglich im hohen Maße rechtfertigungsbedürftig.
4. Die Forderung nach einer verstärkten Wahrnehmung des Schutzes des selbstbestimmten Testierens Trotz dieser soeben aufgezeigten gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten geringer Testieranforderungen wird in jüngerer Vergangenheit vielfach die Forderung nach einem stärkeren Schutz der Autonomie des Erblassers aufgestellt.32 Die Forderung nach autonomen Entscheidungen der Erblasser und
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Röthel, AcP 210 (2010), 32, 55. So auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 55; zu der Einführung des eigenhändigen Testaments und dessen Chancen und Risiken für die Testierfreiheit s. Kap. D. II. 2 f. 31 Röthel, AcP 210 (2010), 32, 55 betont, dass der BGB-Gesetzgeber Freiheitsverluste im Interesse einer liberalen Grundlegung des BGB ausgeblendet habe. 32 Vgl. bereits die Einleitung des Kap. D. m. w. N.; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 141; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 57 ff.; Lange, Erbrecht, § 11 Rn. 15; Ludyga, NZS 2013, 201, 206; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 18; Frieser, ErbR 2020, 309, 312 f. 30
I. Das Verhältnis zwischen Autonomie und Testierfreiheit
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der Schutz selbiger wurde daher zu Beginn dieser Arbeit als die zweite relevante Entwicklungslinie in Bezug auf die Grenzen der Testierfreiheit des Erblassers ausgemacht.33 Als Anknüpfungspunkte zum Schutz des selbstbestimmten Testierens werden dabei, neben den bereits bestehenden gesetzlichen Vorschriften unter anderem der Erlass weiterer Testierverbote, die verstärkte Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts und die Einführung strengerer Formerfordernisse für die Errichtung der Verfügung von Todes wegen genannt.34 Dabei wird überwiegend betont, dass ein Schutz vor Fremdbestimmung bei Errichtung der Verfügung von Todes wegen notwendig sei, weil andernfalls ein verfassungsrechtlich nicht hinnehmbares Legitimationsdefizit hinsichtlich der Zurückdrängung der gesetzlichen Erben entstünde.35 Nach einer solchen Sichtweise muss der Erblasser im Interesse der gesetzlichen Erben vor Beeinträchtigungen des autonomen Testierens geschützt werden.36 So betont insbesondere Röthel: „Die mit der Testierfreiheit eröffnete Freiheit der Gestaltung setzt selbstbestimmte und selbstverantwortete letztwillige Erklärungen voraus. Fremdbestimmte Verfügungen können die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben nicht legitimieren. Autonomiedefizite sind Legitimationsdefizite.“37
Ein solcher Zusammenhang zwischen der gesetzlichen Erbfolge und dem Schutz der Autonomie des testierenden Erblassers wird von der Literatur und Teilen der Rechtsprechung an zahlreichen Stellen ausgemacht, um (weitere) Einschränkungen der Testierfreiheit zu rechtfertigen. Gleichzeitig liegt den Forderungen nach einem verstärkten Autonomieschutz die Annahme zugrunde, dass die bestehenden gesetzlichen Vorschriften für die Sicherung des hinreichend autonomen Testierens des Erblassers nicht ausreichen. Im Nachfolgenden sollen daher zunächst die bestehenden einfachgesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte und die damit einhergehenden Begrenzungen der Testierfreiheit untersucht werden (dazu II). Erst dann sollen die Vorschläge
33
Vgl. Kapitel A. I. Vgl. die Ausführungen in Kap. D. II. 2., die sich mit der Forderung nach der Abschaffung des eigenhändigen Testaments befassen. Mit einer ähnlichen Argumentationslinie befasst sich auch das Kap. D. III. 2., welches überprüft, ob die Steigerung von Förmlichkeiten zum Schutz des selbstbestimmten Testierens vulnerabler Erblasser geeignet ist. 35 So insbesondere Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; s. auch Lange, Erbrecht, § 11 Rn. 15: „Fremdbestimmte Verfügungen können bspw. die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben nicht legitimieren.“ 36 Vgl. zu diesem Befund auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 17 f. 37 Röthel, AcP 210 (2010) 32, 59; s. dazu auch Lange, Erbrecht, § 11, Rn. 15; Frieser, ErbR 2020, 309, 312 f. 34
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
zum Schutz der vulnerablen Erblasser und die bei Umsetzung solcher Vorschläge entstehenden Auswirkungen auf die Testierfreiheit untersucht werden (dazu III.). Innerhalb dieser Abschnitte wird insbesondere auch die Frage zu stellen sein, ob der von der Literatur aufgestellte und soeben nachgezeichnete Zusammenhang zwischen der gesetzlicher Erbfolge und hinreichendem Autonomieschutz tatsächlich besteht und damit Beschränkungen der Testierfreiheit rechtfertigen kann.38
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor Beeinflussung durch Dritte und die damit einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit Die deutsche Rechtsordnung enthält verschiedene Schutzmechanismen, die den Erblasser vor einer unzulässigen Einflussnahme Dritter bei der Errichtung der Verfügung von Todes wegen schützen und damit das hinreichend autonome Testieren sichern sollen. So ermöglichen es die Vorschriften des BGB-Erbrechts solchen Erblassern die Möglichkeit zum Testieren zu entziehen, die nicht mehr in der Lage sind hinreichend autonome Entscheidungen zu treffen (dazu 1.). Gleichzeitig stellen die erbrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches einen Form- und Typenzwang auf, der eine Verwirklichung des Erblasserwillens und damit einhergehend der autonomen Entscheidung des Erblassers zur Durchsetzung verhelfen will (dazu 2.). Darüber hinaus wird der Erblasser dadurch vor einer Einflussnahme Dritter geschützt, dass er das Testament in formeller und materieller Hinsicht nur höchstpersönlich errichten kann (3.). Die Vorschriften zur Erbunwürdigkeit (dazu 4.) und zum Pflichtteilsrecht (dazu 5.) sichern, wenn auch nicht sofort erkennbar, ebenfalls ein autonomes Testieren des Erblassers. Im Nachfolgenden werden diese Regelungen weitergehend untersucht und überprüft, inwieweit sie einen effektiven Schutz des selbstbestimmten Testierens ermöglichen. Nicht zuletzt sollen auch die § 242 BGB (dazu 6.) und § 138 Abs. 1 BGB (dazu 7.) auf ihre Möglichkeit des Schutzes der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung hin untersucht werden. So wird in jüngerer Vergangenheit intensiv die verstärkte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen von Todes wegen diskutiert.39
38
Vgl. dazu auch die abschließenden Ausführungen unter Kap. D. IV. So insbesondere Röthel, AcP 210 (2010), 32, 57 ff.; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 141; Lange, Erbrecht, § 11 Rn. 15; Ludyga, NZS 2013, 201, 206; s. dazu Kap. D. II. 7. 39
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 285
Für die Zwecke dieser Arbeit ist zu untersuchen, ob die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte gleichzeitig eine Grenze der Testierfreiheit darstellen. Sofern sich die Begrenzungen der Testierfreiheit als unzulässig erweisen, sind die zu Beginn dieser Arbeit aufgestellten Thesen40, dass die unzulässigen Beeinträchtigungen der Testierfreiheit im Regelfall auf bestimmte wiederkehrende Missverständnisse beruhen, zu überprüfen.
1. Testierunfähigkeit – Schutz der Testierfreiheit durch die Bestimmungen zur Testierfähigkeit Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass die Möglichkeit, Erblassern ihre Testierfähigkeit zu entziehen, als eine Grenze zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor Beeinflussung durch Dritte eingeordnet wird. Bei näherer Betrachtung ist eine solche Einordnung jedoch nur logisch. Wenn der Erblasser nicht mehr in der Lage ist, sich den Einflüssen Dritter zu entziehen und daher auch die Bedeutung und Tragweite seiner Verfügung von Todes wegen nicht mehr überblicken kann, ist er zu seinem eigenen Schutz als testierunfähig im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB anzusehen.41 Der Erblasser kann dann von seinem subjektiven Recht auf Testierfreiheit keinen Gebrauch machen. Die Aberkennung der Testierfähigkeit erfolgt dabei nicht, um den Erblasser in irgendeiner Art und Weise zu sanktionieren, sondern vielmehr, um ihn vor sich selbst und der Einflussnahme Dritter zu schützen. Gleichzeitig stellt der Verlust der Testierfähigkeit lediglich die ultima ratio dar, weshalb erforderlich ist, dass der Erblasser so stark von dem Einfluss eines Dritten beherrscht wird, dass von einer freien Willensbildung nicht mehr ausgegangen werden kann.42 Der Schutz, den § 2229 Abs. 4 BGB gewährt, beginnt demnach erst dann, wenn die Einflussnahme auf den Erblasser absolut geworden ist.43 Sofern sich der Erblasser wenigstens teilweise der Einflussnahme Dritter entziehen und somit selbstbestimmt verfügen kann, ist von der Testierfähigkeit auszugehen. Im Umkehrschluss wird daher für die Testierfähigkeit ge-
40
Vgl. dazu Kap. A. II. Zur Testierfähigkeit reicht eine nur allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt nicht aus. Der Erblasser muss nach ständiger Rechtsprechung eine konkrete Vorstellung seines letzten Willens haben und in der Lage sein, sich über die Tragweite seiner Anordnung und ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen ein klares Urteil zu bilden, vgl. dazu BGH, FamRZ 1958, 127; OLG Hamm, FamRZ 1989, 439; BayObLG, FamRZ 1996, 635; OLG Jena, ZEV 2005, 343; BayObLG, ZEV 2005, 345. 42 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 102. 43 Vgl. Grziwotz, MDR 2016, 737, 738; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2229 Rn. 9. 41
286
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
fordert, dass der Erblasser nach eigenem Urteil frei von Einflüssen Dritter handeln kann.44 Um zu überprüfen, ob die Bestimmungen zu der Testierfähigkeit überhaupt in die Testierfreiheit eingreifen können, ist im Nachfolgenden zunächst der Zusammenhang zwischen Testierfähigkeit und Testierfreiheit näher zu betrachten. a) Zusammenhang zwischen Testierfähigkeit und Testierfreiheit Bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Autonomie und Testierfreiheit ist bereits deutlich geworden, dass nur selbstbestimmte und selbstverantwortete letztwillige Erklärungen geschützt werden.45 Aus diesem Verhältnis ergeben sich Anforderungen an die Selbstbestimmungsfähigkeit der Erblasser, die sogenannte Testierfähigkeit.46 Der Gesetzgeber muss unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben bestimmen, welche Personengruppen über die erforderliche Selbstbestimmungsfähigkeit verfügen. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass der Gesetzgeber solche Erblasser, denen die notwendige erbrechtliche Selbstbestimmungsfähigkeit typischerweise fehlt, von der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen ausschließen kann.47 Hierbei verfügt der Gesetzgeber über einen Beurteilungsspielraum.48 Gleichwohl geht mit der Regelung der Testierfähigkeit und dem Ausschluss bestimmter Gruppen von Erblassern von der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen eine mittelbare Beschränkung der Testierfreiheit einher, die verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein muss. Dies gilt auch dann,
44 Vgl. bspw. BGH, FamRZ 1958, 127, 128; BayObLG FamRZ 1985, 314, 315; OLG Hamm, OLGZ 1989, 273; OLG Jena, FamRZ 2005, 2021; OLG München, ZErb 2007, 460. 45 Vgl. BVerfGE 99, 341, 351; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412; vgl. dazu auch ausführlich Kap. B. I. u. III. 5.u. VII. u. D. I. 1. 46 Vgl. dazu die grundlegenden Ausführungen zu der verfassungsrechtlich geschützten Errichtungsfreiheit und dem in der Testierfreiheit angelegten Selbstbestimmungsprinzip unter Kap. B. VII. 1. 47 Vgl. BVerfGE 99, 341, 341 ff.; s. dazu auch BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 3: „Dem Gesetzgeber steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zur Verfügung. Er kann unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben bestimmen, welche Personengruppen die für eine Testamentserrichtung erforderliche Selbstbestimmungsfähigkeit besitzen. Er kann Personen, denen die erbrechtliche Selbstbestimmungsfähigkeit typischerweise fehlt, von der Testamentserrichtung ausschließen.“ 48 So explizit BVerfGE 99, 341, 352: „Dabei kommt ihm ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage zu, welche Personengruppen die erforderliche Selbstbestimmungsfähigkeit besitzen.“ Siehe dazu auch die Ausführungen zu der Rechtsnatur der Testierfreiheit als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht unter Kap. B. V. 1.; zu dem Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Selbstbestimmungsprinzips s. BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 3 f.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 287
wenn die Testierfreiheit als eine die Grundrechtsmündigkeit betreffende Vorfrage angesehen wird, die wiederum einer von der Testierfreiheit losgelösten eigenständigen verfassungsrechtlichen Prüfung unterliegt.49 Der in dem vorherigen Abschnitt50 aufgezeigte Umstand, dass sich der grundrechtliche Schutz der Testierfreiheit nur auf selbstbestimmte letztwillige Verfügungen von Todes wegen erstreckt, heißt indes nicht, dass ein Erblasser, der nicht mehr selbstbestimmt testieren kann, durch die Aberkennung der Testierfähigkeit nicht in seiner Testierfreiheit betroffen ist.51 Vielmehr gilt die Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht für jeden Erblasser, sodass die Regelungen zur Testierfähigkeit die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen erschweren und daher die Testierfreiheit einschränken. Dies belegen die Ausführungen zu der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit in den Kap. B. I. und VII. 2., die gezeigt haben, dass zu hohe Anforderungen an die Ausübung der Testierfreiheit aufgrund ihrer Exklusionswirkung einen Grundrechtseingriff in die Testierfreiheit als Abwehrrecht darstellen.52 Die Testierfreiheit stellt als verfassungsrechtlicher Maßstab sicher, dass die sie ausgestaltenden Regelungen des BGB-Erbrechts sie nicht unverhältnismäßig begrenzen.53 Aus diesem Grund dürfen der Gesetzgeber und die Rechtsprechung das in der Testierfreiheit angelegte Selbstbestimmungsprinzip zwar ausgestalten, sie sind dabei jedoch wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden.54 Es besteht zu Recht Einigkeit darüber, dass es Regelungen zur Testierfähigkeit und zu dem Verlust ebendieser geben muss, um zu verhindern, dass Verfügungen von Todes wegen entstehen, die nicht mehr Ausdruck eines selbstbestimmten Testierens sind. Für die Zwecke dieser Arbeit ist entscheidend, ob diese Regelungen im Hinblick auf die damit einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit zulässig sind. In Bezug auf den § 2229 BGB sind verschiedene „größere Diskussionsfelder“ entstanden, die einen unmit49 So Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; ihm folgend Waldhoff, Demenz und Recht, 57, 69; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 4. 50 Vgl. Kap. C. I. 1. 51 Vgl. Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; ihm folgend Waldhoff, Demenz und Recht, 57, 69; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 4. 52 An dieser Stelle sei nochmals auf Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51 hingewiesen, der betont: „Die Gesetzgebung darf die Testierfreiheit insbesondere nicht dadurch aushöhlen, dass sie die Testamentserrichtung übermäßig formal erschwert, die Testierfähigkeit generell einschränkt, Pflichtteilsrechte übermäßig ausdehnt oder in anderer Weise dem Testaterben das Erbgut entzieht.“ 53 Vgl. dazu die Ausführungen bei B. VII. 1. die sich mit den Einwirkungen der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf das einfache Recht befassen. 54 So BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 99, 341, 352; vgl. dazu auch die Ausführungen bei B. I. u. V. 1.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
telbaren Einfluss auf die Testierfreiheit haben und daher in der vorliegenden Arbeit Erwähnung finden müssen. Nach der Ansicht verschiedener Vertreter aus der Literatur habe sich in der Praxis gezeigt, dass die Regelung des § 2229 Abs. 4 BGB und die damit einhergehende Vermutung der Testierfreiheit aufgrund der demographischen Entwicklung der alternden Gesellschaft und der damit verbundenen Zunahme typischer altersbedingter Krankheiten problematisch ist.55 Da sich dieses Phänomen lediglich auf die Testierfähigkeit der älteren und daher vulnerablen Erblasser auswirkt, wird dieses in einem gesonderten Kapitel behandelt.56 An dieser Stellen werden lediglich diejenigen Grenzen der Testierfreiheit betrachtet, die für Erblasser als solches gelten und nicht wegen ihrer Vulnerabilität aufgrund von Krankheit oder hohem Alters entstehen. Zunächst ist dabei zu berücksichtigen, dass die Aberkennung der Testierfähigkeit durch die Gerichte die Ausnahme bildet und die Testierfreiheit deshalb regelmäßig erhalten bleibt. Da die Störung der psychischen Gesundheit den Sonderfall darstellt, gilt ein Erblasser nach einhelliger Ansicht solange als testierfähig, wie nicht seine Testierunfähigkeit zur vollen Gewissheit des Gerichts nachgewiesen ist.57 Sofern nicht behebbare Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers bestehen, gehen die Gerichte daher zutreffend von seiner Testierfähigkeit aus.58 Diese restriktive Haltung der Rechtsprechung im Hinblick auf die Aberkennung der Testierfähigkeit wird der Ausstrahlungswirkung des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG59 auf die einfachgesetzlichen Vorschriften des Erbrechts und damit einhergehend der Testierfreiheit gerecht.60 55 Zu den Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Testierfähigkeit, s. Schiemann, Festschrift Otte, 313, 315; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 345 ff.; Schmoeckel, NJW 2016, 433, 433 ff. Vgl. dazu auch Krispenz, ErbR 2015, 525, 525 die eine Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung fordert. In diese Richtung auch Sonnekus, Ageing Testator, 78, 90. Die Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit erwägt auch Röthel, 68. DJT, A9 (A84) lehnt sie jedoch im Ergebnis ab. Vgl. dazu auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 219 f.; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 154 f. die ebenfalls eine Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung diskutieren. 56 Vgl. Kap. D. III. 57 So explizit das BayObLG NJW 2000, 1959, 1961, dass die Ausführungen der Vorinstanz wie folgt bewertet: „Es hat dabei den Grundsatz beachtet, dass die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet und ein Erblasser solange als testierfähig anzusehen ist, als nicht die Testierunfähigkeit zur Gewissheit des Gerichts nachgewiesen ist.“ Selbst wenn der Erblasser an einem besonders hohen Grad von Psychopathie leidet, stellt die Testierunfähigkeit die Ausnahmen dar, vgl. dazu BayObLGZ 1991, 59, 64 f.; Staudinger/Baumann BGB § 2229 Rn. 67; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2229 Rn. 4; vgl. auch BGHZ 18, 184, 188 ff. zur allgemeinen Prozess- und Geschäftsfähigkeit. 58 Vgl. BayObLGZ 1982, 309, 312; BayObLG NJW 2000, 1959, 1961; OLG Hamm, FamRZ 2004, 659, 660. 59 Vgl. dazu Kap. B. VII. 2., welches gezeigt hat, dass die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit als Auslegungsmaxime auf das einfache Recht einwirkt. 60 Insofern gilt an dieser Stelle der Befund, dass die Gerichte regelmäßig die Bedeutung
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 289
Gleichwohl zeigt sich, dass auch im Hinblick auf die Rechtsprechung zur Testierfähigkeit Begrenzungen der Testierfreiheit entstehen, die einer näheren Untersuchung bedürfen. Hierbei handelt es sich zum einen um die Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit (dazu b)) und zum anderen um die Ablehnung der relativen Testierfähigkeit (dazu c)) durch die Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur. b) Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit als Grenze der Testierfreiheit Während sich die Geschäftsunfähigkeit auf einen bestimmten und abgrenzbaren Bereich von verschiedenen Rechtshandlungen beschränken kann, gilt dies nach derzeitigem Verständnis für die Testierfähigkeit nicht.61 So wird von der Rechtsprechung und der überwiegenden Lehre die sogenannte partielle Testierfähigkeit mit der Begründung abgelehnt, dass die Testierfähigkeit „nur in vollem Umfang entweder gegeben oder ausgeschlossen“62 sein kann, selbst in dem Fall, in dem der Erblasser verschiedene und voneinander unabhängige Verfügungen in einem Testament errichtet und sich diesbezüglich herausstellt, dass im Hinblick auf bestimmte abtrennbare Teile der Verfügung Testierfähigkeit und für andere Testierunfähigkeit vorliegt. Die Vertreter dieser Auffassung verweisen sodann auf die Unteilbarkeit der Testierfähigkeit und fordern im Ergebnis, dass die Fähigkeit, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten, nur für den gesamten Nachlass vorhanden sein und nicht auf Teile des Nachlasses beschränkt werden könne.63 Die derzeitige Ablehnung der rechtlichen Konstruktion der partiellen Testierunfähigkeit führt dazu, dass ein testierunfähiger Erblasser auch nicht mehr solche erbrechtlichen Verfügungen errichten kann, zu denen dieser eigentlich in der Lage wäre.64 der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit verkennen (vgl. dazu Kap. C. V.), nicht. Hier wird die Testierfreiheit von der Rechtsprechung durch die restriktive des § 2229 Abs. 4 BGB „verteidigt“. 61 Zur partiellen Geschäftsunfähigkeit BGHZ 18, 184; BGH, WM 1970, 1366; zur Ablehnung der partiellen Testierunfähigkeit s. Staudinger/Baumann BGB § 2229 Rn. 13; vgl. auch Jauernig/Stürner BGB § 2229 Rn. 6. 62 So ausdrücklich und unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung BayObLGZ 1991, 59, 62; s. auch Staudinger/Baumann BGB § 2229 Rn. 13; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 18 II 4 a; Scherer/Lehmann ZEV 2005, 453, 455. 63 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 854 Rn. 1665. 64 Vgl. dazu den Beispielsfall bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 855 Rn. 1666: Eine Erblasserin, die unter der wahnhaften Vorstellung leidet, dass ihre Schwester sie umbringen möchte und aus diesem Grund eine Enterbung der Schwester als einzige nahestehende Verwandte vornimmt, gleichzeitig davon unabhängig einem Freund einen Gegenstand zuwenden möchte und daher ein Vermächtnis errichtet, wird nach der derzeitigen Auffassung die Testierfähigkeit als solches aberkannt und folglich auch das Vermächtnis, obwohl dies unabhängig von den Wahnvorstellungen der Erblasserin errichtet worden ist.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Dies stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der Testierfreiheit der betroffenen Erblasser dar, die folglich rechtfertigungsbedürftig ist. Von den Vertretern, die die partielle Testierfähigkeit ablehnen, wird diesbezüglich zum einen der Schutz des Erblassers vor sich selbst (dazu aa)) und zum anderen der Schutz der (gesetzlichen) Erben vor nicht hinreichend selbstbestimmten Verfügungen (dazu bb)) angeführt. Im Nachfolgenden soll überprüft werden, ob diese beiden Schutzziele die mit der Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit einhergehende Beeinträchtigung der Testierfreiheit rechtfertigen können. aa) Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit zum Schutz des Erblassers Sofern die partielle Testierunfähigkeit mit dem Schutz des Erblassers vor sich selbst begründet wird, muss berücksichtigt werden, dass die Folgen einer erbrechtlichen Verfügung grundsätzlich den Erblasser nicht mehr betreffen. Er muss vor diesen folglich auch nicht mehr geschützt werden. Darüber hinaus ist gleichzeitig zu berücksichtigen, dass auch der partiell testierunfähige Erblasser bereits zu Lebzeiten ein Interesse daran hat, wirksam zu testieren. Es ist wohl unbestreitbar, dass mit der Möglichkeit der Errichtung einer wirksamen Verfügung von Todes wegen lebzeitige Ziele erreicht werden können. Dieses Anliegen ist durch die Testierfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG abgesichert. Im Übrigen würde ein solcher Rechtfertigungsansatz nicht erklären, warum gerade die partielle Geschäftsfähigkeit im lebzeitigen Vermögensrecht möglich sein soll.65 Hier treffen die rechtsgeschäftlichen Folgen den Betroffenen erheblich stärker als bei erbrechtlichen Verfügungen. Die Ablehnung, der partiellen Testierunfähigkeit mit dem Schutz des Erblassers zu begründen, überzeugt daher nicht und kann folglich den damit verbundenen Eingriff in die Testierfreiheit der Erblasser nicht rechtfertigen. bb) Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit zum Schutz der (gesetzlichen) Erben Während der soeben dargestellte Begründungsansatz unter anderem damit abgelehnt werden konnte, dass den Erblasser die Folgen der Verfügungen von Todes wegen nicht treffen, gilt dies für die gewillkürten und die gesetzlichen Erben nicht.66 So ist zutreffend, dass die Folgen einer Verfügung von Todes wegen je nach Ausgestaltung die gesetzlichen und gewillkürten Erben treffen. Die Anerkennung der partiellen Testierfähigkeit könnte dazu führen,
65
So zutreffend Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft,
183. 66
In diese Richtung allein Muscheler, Erbrecht, Band I, 856 Rn. 1669.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 291
dass bestimmte (gesetzliche) Erbprätendenten zumindest von Teilen der Erbfolge ausgeschlossen werden. Insofern, als dass die gesetzlichen Erben oder auch andere Erbprätendenten mangels rechtlich gesicherten Anspruches jedoch nicht schutzwürdig sind, ist dies unbeachtlich.67 Diese Personengruppen verfügen lediglich über eine sogenannte nuda spes, die rechtlich nicht schützenswert ist.68 cc) Fazit: Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit als unzulässige Grenze der Testierfreiheit Nachdem nunmehr deutlich geworden ist, dass der mit der Ablehnung der partiellen Testierunfähigkeit verbundene Eingriff in die Testierfreiheit nicht gerechtfertigt werden kann, ist festzuhalten, dass es eine partielle Testierunfähigkeit geben muss. Neben der fehlenden Rechtfertigung des Eingriffs in die Testierfreiheit der betroffenen Erblasser sei ergänzend darauf hingewiesen, dass das Verständnis der Rechtsprechung und Literatur, die die verschiedenen Verfügungen eines Testaments als eine Einheit ansehen, ebenfalls fehlerhaft ist. Zahlreiche Bestimmungen des BGB-Erbrechts zeigen, dass von dem Grundsatz der Selbstständigkeit einzelner Verfügungen im Testament auszugehen ist.69 Die Ablehnung der rechtlichen Konstruktion der partiellen Testierunfähigkeit ist deshalb nicht nur verfassungswidrig, sondern auch dogmatisch unzutreffend. Die derzeitige Haltung der Rechtsprechung und überwiegenden Literatur stellt eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit dar. Diese Grenze soll in erster Linie sicherstellen, dass der Erblasser über die Möglichkeit der hinreichenden Willensbildung verfügt und damit das selbstbestimmte Testieren schützen. Die Einordnung in die zweite Kategorie dieser Arbeit ist daher zutreffend. Werden die Gründe für die Unzulässigkeit dieser Beschränkung der Testierfreiheit betrachtet, lässt sich feststellen, dass diese auf zwei Missverständnissen beruht. Zum einen wird erneut ein unzulässiger Autonomieschutz in Form eines Schutzes des Erblassers vor sich selbst erzeugt, der jedoch nicht notwendig ist. Zum anderen werden abermals gesetzliche Erben und andere Erbprätendenten fälschlicherweise als schutzbedürftig ausgemacht und diese vermeintliche Schutzbedürftigkeit zum Anlass für eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit genommen. Die in dieser Arbeit aufgestellten Thesen sehen sich daher auch an dieser Stelle als bestätigt an. 67
So im Ergebnis auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 856 Rn. 1669. Diese Wertung ist bereits an zahlreichen Stellen in der vorliegenden Arbeit virulent geworden, vgl. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); vgl. dazu Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 69 An dieser Stelle sei insbesondere auf die § 2085 BGB und § 2161 BGB verwiesen. Vgl. dazu auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 188. 68
292
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
In Bezug auf die partielle Testierunfähigkeit ist zu fordern, dass ein Erblasser, der sach- oder personenbezogen geistesgestört ist, nur im Hinblick auf diesen Bereich testierunfähig ist und ansonsten wirksam testieren kann.70 Im Ergebnis bedeutet dies, dass in dem Fall, in dem ein von der partiellen Testierunfähigkeit betroffener Teil der Verfügung in unmittelbarer Wechselwirkung mit anderen Verfügungen steht, auf die sich die partielle Testierunfähigkeit jedoch nicht bezieht, die Verfügungen, hinsichtlich derer eine solche Wechselwirkung besteht, gleichwohl nichtig sind. Soweit aber ein solches Wechselspiel zwischen den Teilen der Verfügung nicht besteht, muss der von der partiellen Testierunfähigkeit nicht betroffene Teil der Verfügung von Todes wegen aufrechterhalten werden.71 Eine andere Sichtweise ist mit der Testierfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbar. c) Ablehnung der relativen Testierfähigkeit als Grenze der Testierfreiheit In Abgrenzung zu der soeben thematisierten partiellen Testierunfähigkeit stellt die relative Testierunfähigkeit die Frage, ob es für die Testierfähigkeit darauf ankommt, wie umfangreich und komplex die letztwillige Verfügung ist. Die rechtliche Konstruktion der relativen Testierunfähigkeit will daher differenzieren und prüfen, ob der Erblasser über hinreichende intellektuelle Fähigkeiten verfügt und damit in der Lage ist, die jeweiligen Verfügungen von Todes wegen zu verstehen. Die überwiegende Rechtsprechung und Literatur erkennen das Institut der relativen Testierfähigkeit nicht an.72 Danach soll es, genau wie bei der Geschäftsfähigkeit, keine nach Schwierigkeitsgraden differenzierende Testierfähigkeit geben. Nach der derzeit herrschenden Auffassung sind die für das Testieren notwendigen Fähigkeiten entweder vollständig oder überhaupt nicht vorhanden. Eine Differenzierung wird nicht vorgenommen, sodass auch einfachste Testamente nicht errichtet werden können. Dies stellt eine erhebliche Einschränkung der Testierfreiheit dieser Erblasser dar, da diese zwar nicht grundsätzlich die Kriterien der Tes-
70
So auch Staudinger/Baumann BGB § 2229 Rn. 18; Muscheler, Erbrecht, Band I, 856 Rn. 1670; MüKoBGB/Hagena 7. Aufl., BGB § 2229 Rn. 16; in diese Richtung wohl auch Schmoeckel, NJW 2016, 433, 434 f. 71 So auch Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB § 2229 Rn. 7: „Kann der Erblasser demnach die Bedeutung seiner Verfügung nur z.T. nicht erkennen, bleiben die anderen Teile seiner Verfügung wirksam. Dies gilt freilich nur dann, wenn sich die geistige Störung nur auf einen bestimmten gegenständlich abgrenzbaren Lebensbereich erstreckt und dieser von der partiellen Testierunfähigkeit betroffene Teil der Verfügung nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer anderen Verfügung steht; andernfalls sind auch diese Verfügungen nichtig […].“ 72 Vgl. BGH, NJW 1953, 1342, 1342 f.; BGH, NJW 1970, 1680; OLG München, DNotZ 2008, 296, 297; Palandt/Edenhofer BGB § 2229 Rn. 1; Muscheler, Erbrecht, Band I, 856 Rn. 1671.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 293
tierfähigkeit erfüllen, jedoch durchaus in der Lage wären, einfachste erbrechtliche Anordnungen zu treffen. Wie die Ablehnung der partiellen Testierunfähigkeit ist daher auch die Ablehnung der relativen Testierfähigkeit rechtfertigungsbedürftig. Zur Rechtfertigung wird vielfach angeführt, dass eine relative Testierfähigkeit zu Rechtsunsicherheiten (dazu aa)) und Abgrenzungsschwierigkeiten (dazu bb)) führe. Im Nachfolgenden soll daher untersucht werden, ob diese Begründungsansätze den Eingriff in die Testierfreiheit tatsächlich rechtfertigen können. aa) Ablehnung der relativen Testierfähigkeit zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten Fraglich ist, ob der Hinweis auf entstehende Rechtsunsicherheiten eine solche Einschränkung der Testierfreiheit rechtfertigen kann. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass es in Bezug auf erbrechtliche Verfügungen einen Vertrauensschutz grundsätzlich nicht gibt. Da niemand einen Anspruch hat, Erbe zu werden73 und daher niemand (außerhalb des Pflichtteilsrechts) berechtigterweise darauf vertrauen darf, an dem Nachlass zu partizipieren, kommt dem Vertrauensschutz im Erbrecht und damit einhergehend auch der Rechtssicherheit keine nennenswerte Bedeutung zu.74 Das Argument der entstehenden Rechtsunsicherheiten ist auch deshalb nicht gewichtig, weil der Rechtsverkehr bereits nach §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB nicht in dem Vertrauen auf die Wirksamkeit sämtlicher Willenserklärungen geschützt wird.75 Der mit der Ablehnung der relativen Testierfähigkeit einhergehende Eingriff in die Testierfreiheit kann daher nicht mit einem Verweis auf etwaig auftretende Rechtsunsicherheiten gerechtfertigt werden.76
73
Vgl. Kap. D. I. 1. a) aa) (3) (a); s. auch Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff, 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 74 Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 183. 75 Vgl. BeckOK BGB/Wendtland BGB § 104 Rn. 2; MüKoBGB/Spickhoff BGB § 104 Rn. 1; BeckOK BGB/Wendtland BGB § 105 Rn. 1; MüKoBGB/Spickhoff BGB § 105 Rn. 2. 76 In diese Richtung auch Baumann, ZEV 2020, 193, 197: „Unsere Rechtsordnung hat seit Abschaffung der Entmündigung und Einführung der Betreuung auf klare Abgrenzungskriterien […] beim heutigen Personenkreis der Betreuten zu Lasten der Rechtssicherheit verzichtet. Damit wurde das normative Signal gesetzt, dass dem individuell anzuerkennenden Erblasserwillen, also der Einzelfallgerechtigkeit auch bei der Erblasseranordnung, der Vorzug vor dem Rechtsgut der […] Rechtssicherheit einzuräumen ist.“
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
bb) Ablehnung der relativen Testierfähigkeit zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten Fraglich ist, ob das Argument, dass die Einführung einer relativen Testierfähigkeit zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen leichten und schwierigen erbrechtlichen Verfügungen führen würde, die Ablehnung einer solchen rechtlichen Konstruktion rechtfertigen kann. Sowohl der Bundesgerichtshof als auch die Literatur, die die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen einem leichten und einem schwierigen Geschäft gegen die relative Testierfähigkeit anführen, verkennen, dass es nicht auf den Schwierigkeitsgrad der erbrechtlichen Verfügung, sondern vielmehr darauf ankommt, ob der betreffende Erblasser einen freien Willen hinsichtlich der entscheidenden Merkmale der jeweiligen Verfügung von Todes wegen bilden kann. Hierbei muss auch die Stoßrichtung dieses Vorschlags berücksichtigt werden. Es geht vorliegend nicht darum stets und umfassend zu prüfen, ob der Erblasser über das hinreichende juristische Verständnis verfügt, die (mit oder ohne Hilfe anwaltlicher Beratung) errichtete erbrechtliche Verfügung zu durchdringen. Dies würde dazu führen, dass aufgrund der hohen Abstraktion und Verknüpfung des Erbrechts mit anderen Rechtsgebieten selbst nicht im Erbrecht spezialisierte Juristen bestimmte Verfügungen von Todes wegen nicht errichten könnten. Ein solches Vorgehen wäre mit der Testierfreiheit unvereinbar. Die rechtliche Konstruktion der relativen Testierfähigkeit will daher nicht die bislang von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen für die Errichtung eines wirksamen Testaments erhöhen, sondern sie vielmehr für solche Erblasser absenken, die die derzeitigen nicht unerheblichen Anforderungen an die Testierfähigkeit nicht erfüllen, aber gleichwohl dazu in der Lage wären, einfachste erbrechtliche Anordnungen zu treffen. Dass ein solches Abstellen auf den Einzelfall auch nicht zu Abgrenzungsschwierigkeiten führt, zeigt ein Vergleich zu der Position von Teilen der Rechtsprechung und Literatur zur Geschäftsfähigkeit von Personen mit beschränkter Intelligenz, die aber in der Lage sind, ihr alltägliches Leben noch selbst bestimmen zu können. Die Rechtsprechung und Literatur differenziert hier zumindest teilweise zwischen Alltagsgeschäften, bei denen die Geschäftsfähigkeit vorliegt, und solchen Rechtsgeschäften, die aufgrund ihrer besonderen Bedeutung nicht mehr von der Geschäftsfähigkeit umfasst sind.77 Auch 77 So OLG Köln, NJW 1960, 1389, 1389: „[…] dennoch hat der Senat keine Bedenken […] eine auf nicht alltägliche Geschäfte beschränkte […] Geschäftsunfähigkeit anzuerkennen, weil es durchaus möglich ist, dass ein in seiner Geistestätigkeit krankhaft gestörter Mensch sehr wohl in der Lage ist, Geschäfte des täglichen Lebens, deren Erledigung keine gedankliche Arbeit erfordert, vorzunehmen, dass aber infolge seiner krankhaften Geistesschwäche seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist, wenn es sich um ein Rechtsgeschäft handelt, dessen Abschluss die Abwägung der dafür und der dagegen sprechenden Beweggründe verlangt.“; an dieser Stelle sei auch auf OLG Hamm, FamRZ 2004, 659, 659
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 295
im Betreuungsrecht wird zwischen Bereichen, die (noch) privatautonom gestaltet werden können und solchen, bei denen der unter der Betreuung stehenden Person eine Entscheidungsfähigkeit abgesprochen wird, differenziert.78 Diese Differenzierung muss auf die Testierfähigkeit übertragen werden. Darüber hinaus darf nicht verkannt werden, dass die herrschende Meinung ohnehin die Testierfähigkeit daran festmacht, ob der Erblasser in der Lage ist, die Folgen seiner Anordnung in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu überblicken. Dass für ein solches Überblicken der persönlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Umfang und die Komplexität der Verfügung von Todes wegen eine Rolle spielen, lässt sich kaum bestreiten.79 Insofern die herrschende Meinung bereits eine Prüfung dahingehend vornimmt, inwiefern der Erblasser die Auswirkungen seiner erbrechtlichen Verfügung überblicken kann, sind weitere Abgrenzungsschwierigkeiten durch die Einführung der relativen Testierfähigkeit nicht zu erwarten. Insgesamt kann die (vermeintliche) Gefahr von Abgrenzungsschwierigkeiten daher die Ablehnung der relativen Testierfähigkeit und den damit verbundenen Eingriff in die Testierfreiheit nicht rechtfertigen. cc) Fazit: Ablehnung der relativen Testierfähigkeit als unzulässige Grenze der Testierfreiheit Weder die Gefahr von Rechtsunsicherheiten noch mögliche Abgrenzungsschwierigkeiten rechtfertigen die derzeitige ablehnende Haltung der Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur im Hinblick auf die relative Testierfähigkeit. Die Gerichte dürfen weder alte, kranke noch in ihrer geistigen Einsichtsfähigkeit beschränkte Menschen von letztwilligen Verfügungen hingewiesen; s. auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, 187 ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, Band I, § 6, 88. Auch der BGH formuliert in Bezug auf die relative Geschäftsfähigkeit: „Eine Person, die in der Lage ist, ihren Willen frei zu bestimmen, deren intellektuelle Fähigkeiten aber nicht ausreichen, um bestimmte schwierige rechtliche Bezeichnungen verstandesgemäß zu erfassen, ist deswegen noch nicht geschäftsunfähig“ – s. dazu BGH, NJW 1970, 1680, 1681; in diese Richtung argumentiert auch Baumann, ZEV 2020, 193, 197. 78 Vgl. Müller, Betreuung und Geschäftsfähigkeit, 17 ff.; Schmoeckel, NJW 2016, 433, 435. 79 In diese Richtung auch Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB § 2229 Rn. 7; MüKoBGB/Hagena, 7. Aufl., BGB § 2229 Rn. 15: „Aber nach h.M. ist Testierfähigkeit auch (nur) gegeben, wenn der Erblasser die Folgen seiner konkreten Erklärung im Hinblick auf die Konsequenzen für die Betroffenen zu überblicken in der Lage ist; nur allgemeine Vorstellungen hinsichtlich der Errichtung eines Testaments genügen nicht. Dann leuchtet jedoch nicht ein, weshalb diese Bewertung nach den Fähigkeiten des Erblassers im Einzelfall nicht auch der Umfang und die Kompliziertheit der letztwilligen Verfügung einzubeziehen ist; es ist deshalb überzeugender, eine nach dem Grad der Komplexität der zu treffenden Regelung im Verhältnis dem Erblasser abgestufte relative Testierfähigkeit zu bejahen.“
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
gänzlich ausschließen.80 Sofern der Erblasser in der Lage ist, seinen Willen im Hinblick auf einfachste Verfügungen zu äußern, muss dieser auch berücksichtigt werden. Aus diesem Grund muss festgehalten werden, dass einem Erblasser auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung zur relativen Testierfähigkeit aus verfassungsrechtlichen Gründen die Testierfähigkeit nicht deshalb abgesprochen werden darf, weil dieser bestimmte erbrechtliche Zusammenhänge nicht versteht. Mit Baumann ist daher festzuhalten, dass ein Erblasser, der nur mit einfachsten Worten erklären kann, wer in den Genuss seines Nachlasses kommen soll, testierfähig ist.81 Dies gilt selbst dann, wenn dieser unter Betreuung steht oder in bestimmten Bereichen geschäftsunfähig ist. Diejenige Rechtsprechung und Literatur, die eine Ablehnung der relativen Testierfähigkeit befürworten, argumentieren im Ergebnis damit, dass die Testierfähigkeit bei einem einfachen Testament82 nicht bejaht werden dürfe, weil der Erblasser sich, würde dieser über ein hinreichendes Urteilsvermögen verfügen, bei einer Abwägung des Für und Wider unter Umständen auch für eine kompliziertere Gestaltung hätte entscheiden können. Die Forderung der ständigen Rechtsprechung, „[d]er Testierende muss in der Lage sein, die für und gegen eine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe abzuwägen und sich aus eigener Überlegung, frei von Einflüssen Dritter, ein klares Urteil zu bilden[,]“83 und es dabei nicht ausreichen lässt, „dass er überhaupt einen Wunsch äußern oder eine Meinung artikulieren kann“84, mag für die Annahme einer grundsätzlichen Testierfähigkeit, die zu der Errichtung jeder gesetzlich zulässigen Verfügung von Todes berechtigt, passend sein. Sie überzeugt aber in den Fällen nicht, in denen Erblasser zwar nicht mehr hinreichend in der Lage sind, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen, aber gleichwohl einen eindeutigen und freien Willen hinsichtlich bestimmter einfacher erbrechtlicher Verfügungen äußern kann. Zwar mag 80
So besonders deutlich BeckOGK/Grziwotz BGB § 2229 Rn. 7, der betont, dass die Ablehnung der relativen Testierfähigkeit die verfassungsmäßig garantierte Testierfreiheit verkenne und in diese unverhältnismäßig eingreife; in diese Richtung wohl auch BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2229 Rn. 4. 81 So im Ergebnis Baumann, ZEV 2020, 193, 199; Staudinger/Baumann BGB § 2229 Rn. 19a ff. 82 Als Beispiel für ein „einfaches Testament“ sei ein solches Testament genannt, welches lediglich eine Alleinerbeneinsetzung enthält. 83 So die ständige Rspr. BGH, FamRZ 1958, 127, 128; BayObLGZ 1962, 219, 223 f.; BayObLGZ 2004, 237, 240 f.; OLG München, FamRZ 2007, 2009, 2011. 84 Vgl. statt vieler OLG München, FamRZ 2007, 209, 2011: „Es genügt nicht, dass er überhaupt einen Wunsch äußern oder eine Meinung artikulieren kann. Entscheidend ist vielmehr, dass der Testierende fähig ist, sich die Gründe für und wider seine Entscheidung zu vergegenwärtigen und sie gegeneinander abzuwägen, sich also selbständig und aus eigener Kraft ein Urteil zu bilden.“
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 297
der Wortlaut des § 2229 Abs. 4 BGB, welcher von „einer“ und nicht von „der“ Willenserklärung spricht, gegen eine solche konkrete Betrachtung der Testierfähigkeit angeführt werden.85 Das zeigt jedoch nur, dass ein gesetzgeberisches Handeln notwendig ist, welches die relative Testierfähigkeit ausdrücklich anerkennt und spricht nicht für die Ablehnung ebendieser. Die derzeitige Haltung der Rechtsprechung und Literatur stellt für die betroffenen Erblasser eine Begrenzung der Testierfreiheit dar. Die Einordnung dieser Beschränkung in die zweite Kategorie ist insoweit zutreffend, als dass möglichst hohe Anforderungen an die Testierfähigkeit primär dazu dienen sollen, selbstbestimmtes Testieren abzusichern. Fraglich ist aber, ob die übrigen zu Beginn dieser Arbeit aufgestellten Thesen sich auch hier als zutreffend erweisen. Wie gezeigt, betonen Rechtsprechung und Literatur die Gefahr des Entstehens von Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten. Eine Erklärung, wer vor diesen Schwierigkeiten geschützt werden soll, bleibt jedoch aus. Auch an dieser Stelle können, wie bei der Ablehnung der partiellen Testierfähigkeit, nur die gesetzlichen Erben und anderen Erbprätendenten gemeint sein. Da diese jedoch mangels rechtlich gesicherten Anspruchs nicht schutzbedürftig sind, erweist sich die Ablehnung der relativen Testierfähigkeit erneut als eine Beeinträchtigung der Testierfreiheit, die zum einen auf einem fehlerhaften Verständnis von Autonomieschutz und zum anderen auf einem Verkennen der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und (gesetzlichen) Erbprätendenten beruht. d) Faktische Testierunfähigkeit aufgrund massiver körperlicher Defizite Neben der Testierunfähigkeit nach § 2229 BGB können auch Umstände vorliegen, die die Testierfähigkeit in faktischer Hinsicht entfallen lassen. So waren stumme schreibunfähige Erblasser nach der deutschen Rechtsordnung bis zum 31.07.2002 testierunfähig. Ein solcher Ausschluss widersprach jedoch der sich aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ergebenden Erbrechtsgarantie und der Testierfreiheit.86 Zudem lag darin auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz und das Benachteiligungsverbot.87 Dies veranlasste das Bundesverfassungsgericht und den Gesetzgeber dazu, die faktische Testierunfähigkeit weitestgehend abzuschaffen, indem das Mündlichkeitserfordernis aufgehoben wurde.88 Damit haben sie dem individuellen Grund85
Vgl. dazu Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 183. Vgl. BVerfGE 99, 341, 342. 87 Vgl. BVerfGE 99, 341, 353, 356. 88 Vgl. dazu BVerfGE 99, 341, 359 f.; nunmehr ist bspw. auch eine Kombination verbaler und nonverbaler Erklärungen möglich, s. dazu BeckOGK/Grziwotz BGB § 2232 Rn. 27; zu den verschiedenen Möglichkeiten, den letzten Willen in anderer Art und Weise als mündlich zu erklären, s. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2232 Rn. 5. 86
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
rechtsschutz der Testierfreiheit den Vorrang gegenüber der Rechtssicherheit eingeräumt. Nunmehr wird einem größeren Personenkreis das Individualrecht der Testierfreiheit gewährt. Dies ist begrüßenswert, da auch stumme schreibunfähige Erblasser in der Lage sind, ihren Willen auszudrücken und hinreichend selbstbestimmt zu testieren. Der Umstand, dass für manche Erblasser89 zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen nur die Möglichkeit der Übergabe einer verschlossenen Schrift verbleibt, erschwert zwar die Ausübung der Testierfreiheit, schränkt diese aber nicht unzulässig ein. Entscheidend ist, dass die erbrechtlichen Vorschriften versuchen, den Testierwillen auch solcher Personen weitestgehend Geltung zu verschaffen. Diese Zielrichtung berücksichtigt die Möglichkeit der Übergabe einer verschlossenen Schrift hinreichend.90 Gleichwohl ist die Problematik der faktischen Testierunfähigkeit auch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und der Gesetzesänderung durch den Bundesgesetzgeber noch bei Personen vorhanden, die sich mit niemandem verständigen können. Dies ist jedoch auch nicht verhinderbar, da die Ausübung der Testierfreiheit erfordert, dass der Wille in irgendeiner Art und Weise nach außen kommuniziert werden kann.91 Von der faktischen Testierunfähigkeit sind daher insbesondere solche Erblasser betroffen, die zwar wahrnehmungsfähig sind und grundsätzlich über die hinreichenden geistigen Fähigkeiten zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen verfügen, aber in ihrem eigenen Körper gefangen sind und sich auch nicht durch Gebärden mitteilen können.92 Die faktische Testierunfähigkeit ist daher keine Grenze der Testierfreiheit. Sie ist lediglich ein Begriff für Umstände93, die ein Testieren unmöglich machen. Die Problematik der verbleibenden faktischen Testierunfähigkeit ist somit der Testierfreiheit eigenständig vorgeschaltet. Eine Einordnung der faktischen Testierunfähigkeit in die Kategorien dieser Arbeit ist daher nicht notwendig und auch nicht möglich. Es handelt sich um keine Grenze der 89 Gemeint sind solche Erblasser, die aufgrund von Altersschwäche oder langwieriger Krankheit so stark geschwächt sind, dass sie selbst mit Unterstützung nicht mehr in der Lage sind, Schriftzüge zu bilden. In diesem Fall sind die Erblasser zwar noch testierfähig, können aber ein eigenhändiges Testament nicht mehr errichten. 90 Bei der Übergabe einer verschlossenen Schrift ist es nicht erforderlich, dass der Erblasser das Testament selbst geschrieben hat, vgl. dazu RGZ 150, 189, 191; KG, DNotZ 60, 487; Muscheler, Erbrecht, Band I, 857 Rn. 1673. Darüber hinaus ist auch die Unterschrift des Erblassers entbehrlich, vgl. BeckOGK/Grziwotz BGB § 2232 Rn. 31. 91 Zu den kommunikativen Aspekten der Testierfreiheit s. die Ausführungen zu der Verfassungsmäßigkeit des § 14 HeimG, Kap. D. III. 3. 92 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2229 Rn. 58; Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB § 2229 Rn. 5. 93 Nämlich solche Umstände, die dazu führen, dass Personen sich mit niemandem verständigen können. Eine Verdeutlichung des eigenen Willens ist somit nicht möglich.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 299
Testierfreiheit, da die betroffenen Personen nicht in ihrer Testierfreiheit beschränkt werden, sondern vielmehr über eine solche überhaupt nicht verfügen. Nachdem nunmehr herausgearbeitet worden ist, dass es sich zumindest bei der Ablehnung der partiellen und relativen Testierfähigkeit um eine aufzuhebende Begrenzung der Testierfreiheit handelt, sollen im Nachfolgenden weitere gesetzliche Bestimmungen untersucht werden, die die Autonomie des Erblassers schützen und zugleich die Testierfreiheit unzulässig beschränken. Für die Ausübung der Testierfreiheit muss der Erblasser nicht nur testierfähig sein, sondern seinen Willen auch formgerecht durch das Treffen bestimmter Anordnungen äußern. Aus diesem Grund werden im nächsten Abschnitt die Vorschriften zum Typen- und Formzwang und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Testierfreiheit analysiert.
2. Der Typen- und Formzwang als Grenze der Testierfreiheit zum Schutz der Autonomie des Erblassers Im Vergleich zu schuldrechtlichen Rechtgeschäften, welche grundsätzlich formfrei geschlossen werden können, unterliegen Verfügungen von Todes wegen einem erheblichen Typen- und Formzwang.94 Stellt man nunmehr die Frage nach den Gründen für einen solchen Typen- und Formzwang, wird insbesondere im Hinblick auf die Formvorschriften der Schutz des Erblassers vor übereilten und unbedachten Handlungen genannt, da diese typischerweise – und das gilt insbesondere für die Schriftform gemäß § 2247 BGB – den Erblasser dazu zwingen, seinen letzten Willen zu überdenken.95 Im Zuge dessen werden Begriffe wie Schutz- und Warnfunktion verwendet.96 Eine weitere Erforschung der Gründe für den Typen- und Formzwang bleibt dann jedoch häufig aus. Die vorliegende Arbeit will diesen Weg nicht gehen und hält folglich eine andere Funktion des Typen- und Formzwangs für maßgeblich. Letztwillige Verfügungen entfalten ihre Wirkung faktisch erst nach dem Tod des Erblassers, dem sogenannten Erbfall. Der Typen- und vor allem der
94 Der römische Grundsatz „veritas praevalet solemnitati“, welcher der Wahrheit gegenüber der Form den Vorrang einräumt, gilt für das Erbrecht nicht, vgl. dazu insbesondere Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 46. 95 Vgl. Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 6 Rn. 6.3; Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 17; MüKoBGB/Sticherling § 2247 Rn. 1. 96 So bspw. Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 6 Rn. 6.4: „Der Erblasser soll aufgrund der Formvorschriften vor übereilten und unbedachten Handlungen geschützt werden, da jede Formvorschrift, insbesondere natürlich die Schriftform gem. § 2247 BGB, ihn dazu zwingt, seinen letzten Willen zu überdenken (Schutz- und Warnfunktion).“ In diese Richtung auch Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 17; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 1.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Formzwang sollen aus diesem Grund sicherstellen, dass der letzte Wille des Erblassers unmissverständlich feststeht und später mit Eintritt des Erbfalls zur Geltung kommen kann.97 Im Vordergrund stehen daher nicht mehr die Warn- und Schutzfunktionen in Bezug auf den testierenden Erblasser, sondern vielmehr die Realisierung des Erblasserwillens. Andernfalls wäre auch fraglich, vor welchen Wirkungen der Erblasser gewarnt und geschützt werden muss, da er selbige im Regelfall nicht mehr miterleben wird.98 Überdies soll durch den Formzwang gewährleistet werden, dass die letztwillige Verfügung auch tatsächlich von dem Erblasser stammt, mithin also dem Grundsatz der Höchstpersönlichkeit einer letztwilligen Verfügung Rechnung getragen werden (sogenannte Identitätsfunktion).99 Zahlreiche Arbeiten, die sich mit dem Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers beschäftigen und die einzelnen einschlägigen Bestimmungen analysieren, übersehen dabei das Erfordernis der eigenhändigen Testamentserrichtung, welches § 2247 BGB normiert.100 Dies verwundert insoweit, als dass der Bundesgerichtshof bereits im Jahr 1981 zutreffend festgestellt hat, dass „[d]ie Eigenhändigkeit eines Testaments […] nach der Wertung des Gesetzes außerdem eine erhöhte Sicherheit vor Verfälschungen des Erblasserwillens bieten soll.“101 Insofern kann die Vorschrift als einer der zentralen Anknüpfungspunkte ausgemacht werden, die das selbstbestimmte Testieren des Erblassers schützen.102 Wenngleich auch diese Vorschrift keinen Schutz vor der unzulässigen Einflussnahme gewährt, sondern der unzulässigen Einflussnahme lediglich ihren Erfolg nehmen kann, verdeutlicht sie das gesetzgeberische Anliegen, nämlich den Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers, von allen einfach-gesetzlichen Vorschriften wohl am stärksten. 97
Vgl. BGHZ 80, 242, 246; Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 6 Rn. 6.3. 98 Die Wirkungen einer letztwilligen Verfügung spürt der Erblasser bei einem einfachen eigenhändigen Testament nicht, da diese erst mit dem Erbfall eintreten. Etwas anderes gilt jedoch in Bezug auf die vertragsmäßigen Verfügungen eines Erbvertrags und die wechselbezüglichen Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments, da diese eine Bindungswirkung entfalten. Gleichwohl gilt auch in diesen beiden Fällen, dass die maßgebliche Wirkung, nämlich die Übertragung bestimmter Vermögenswerte, erst nach dem Erbfall eintritt und eine Warn- und Schutzfunktion daher einen eher geringen Nutzen aufweist. 99 Vgl. Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 6 Rn. 6.3; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 111; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 1 f. 100 So zum Beispiel Boehm, Der demenzkranke Erblasser. Boehm stellt zwar zahlreiche gesetzliche Bestimmungen zum Schutz des Erblassers vor einer unzulässigen Beeinflussung dar, geht jedoch nicht darauf ein, dass der Grundsatz der eigenhändigen Errichtung ebenfalls die Verwirklichung des wahren Erblasserwillens sichert. 101 BGHZ 80, 242, 246. Zu dem Schutz vor Verfälschung siehe auch MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 1; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 101 ff. 102 Gleichzeitig schränkt die Vorschrift des § 2247 BGB die Testierfreiheit des Erblassers nur minimal ein und ermöglicht eine schnelle und einfache Errichtung einer Verfügung von Todes wegen.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 301
Die Vorschriften zum Formzwang versuchen dabei, einen Kompromiss zwischen Sicherung und Schutz der korrekten Wiedergabe des Erblasserwillens einerseits und unnötiger Formstrenge andererseits zu finden.103 Das Ziel der Kompromissfindung lässt sich in Bezug auf das eigenhändige Testament daran erkennen, dass dieses aus dem französischen Code civil über das Badische Recht in das BGB übernommen wurde und gleichzeitig die früher geltenden strengen Formerfordernisse, nämlich die zwingenden Zeit- und Ortsangaben durch Gesetz vom 05.03.1953 zu Sollvorschriften abgeschwächt wurden.104 Der Grund für eine solche Aufweichung der Formerfordernisse lag darin, dass viele eigenhändige Testamente auf Bögen mit vorgedruckter Orts- und Jahresbezeichnung entstanden sind und diesen folglich die Berechtigung abgesprochen werden musste.105 Der Zweck des § 2247 BGB ist daher, bestimmte Mindestanforderungen zu normieren, um dem Willen des Erblassers möglichst zum Erfolg zu verhelfen, ohne gleichzeitig die Testierfreiheit des Erblassers zu stark zu beschränken. Selbiges gilt für die Vorschriften zum Typenzwang. Der erbrechtliche Typenzwang führt dazu, dass der Erblasser nur solche Arten von Anordnungen treffen kann, die das Gesetz ausdrücklich zulässt.106 Durch das Zulassen nur bestimmter Anordnungen soll einerseits sichergestellt werden, dass die zuweilen komplizierten Vorstellungen und Wünsche des Erblassers richtig verstanden werden und Berücksichtigung finden. Andererseits soll der Erblasser in seiner Gestaltungsfreiheit nicht unnötig beschränkt werden. Inwiefern dem Gesetzgeber dies sowohl in Bezug auf die Vorschriften zum Typenzwang als auch in Bezug auf die Vorschriften zum Formzwang gelungen ist, soll an anderer Stelle behandelt werden.107
103 Vgl. MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 1; Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 6 Rn. 6.6 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 16 IV. 1. 5. b). In diese Richtung auch Brox/Walker, Erbrecht, § 11 Rn. 3. 104 Vgl. Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB § 2247 BGB Rn. 1; Hosemann, RNotZ 2010, 520, 520 f. 105 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 2; Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB § 2247 BGB Rn. 1; zu dem Erfordernis der Orts- und Zeitangabe im Detail BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2247 Rn. 29 ff.; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 43 ff. 106 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 1937–1941 Rn. 14; Strothmann, Jura 1982, 349, 350; s. auch OLG Frankfurt, ErbR 2015, 618, 618: „An keiner Stelle der Erklärung der Erblasserin findet sich begrifflich ein Hinweis darauf, dass es sich um ein Testament handeln sollte oder dass die Erblasserin eine der in einem Testament aufgrund des für Verfügungen von Todes wegen geltenden Typzwanges abschließend zu treffenden Arten von Verfügungen, insbesondere eine Erbeinsetzung nach § 1937, §§ 2087 ff. BGB, vornehmen wollte.“; vgl. auch OLG München, ZEV 2008, 344, 344 ff. 107 Vgl. dazu Kap. D. II. 2. e).
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Der Typenzwang verdeutlicht nicht zuletzt auch die Nähe zwischen Erbund Sachenrecht.108 So hat der Gesetzgeber im Bereich dinglicher Rechte die einzelnen Rechte der Beteiligten präzise dadurch bestimmt, dass er in den jeweiligen Vorschriften definiert hat, in welcher Weise Sachen übertragen und belastet werden können.109 Dieses Prinzip der ausdrücklichen Ermächtigung hat der Gesetzgeber auch im Erbrecht verwendet. Die Rechtsmacht des Erblassers zur Errichtung von jeglichen Arten von Verfügungen von Todes wegen besteht dabei nicht generell, sondern wird dem Erblasser vielmehr durch Einzelbestimmungen präzise zugeteilt. So wird in den §§ 1937–1941, 2044, 2048 BGB detailliert festgelegt, welche Anordnungen samt dazugehöriger Rechtsfolgen der Erblasser in welcher Art von Verfügung von Todes wegen bestimmen kann.110 Der Gesetzgeber bringt durch dieses System der expliziten Ermächtigung zum Ausdruck, dass ein Form- und Typenzwang vorliegt, indem Gestaltungsvarianten außerhalb der expliziten Ermächtigung rechtlich nicht anerkannt werden.111 Diese Begrenzung der Testierfreiheit durch den Form- und Typenzwang soll im Nachfolgenden näher untersucht werden, wenngleich dabei nicht unberücksichtigt bleiben darf, dass die Testierfreiheit als normgeprägtes Grundrecht auf Regelungen angewiesen ist, die ein Gebrauchmachen von selbiger erst ermöglichen. a) Ausgangslage: Geringe Errichtungsvoraussetzungen bei gleichzeitigem Schutz der Testierfreiheit Der Gesetzgeber kann zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der Testierfreiheit und anderen Rechtsgütern Inhalt und Schranken der Testierfreiheit bestimmen.112 Dies ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und ist 108
Vgl. Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht, Rn. 45. Zum Typenzwang im BGB s. Kaulbach, JuS 2011, 397, 397 ff. 109 Vgl. Strothmann, Jura 1982, 349, 351; Staudinger/Klinck Eckpfeiler des Zivilrechts, Sachenrecht Rn. 10 ff.; Kaulbach, JuS 2011, 397, 397 ff. 110 Vgl. Strothmann, Jura 1982, 349, 352. Kaulbach, JuS 2011, 397, 397 ff.; Staudinger/Otte Einleitung zum Erbrecht Rn. 73. 111 Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Ausnahmen vom Formzwang (außer der gesetzlich normierten, formlosen Hoferbenbestimmung im Bereich der HöfeO) gibt es für letztwillige Verfügungen dabei seit dem Inkrafttreten des BGB aber nur in historisch besonders gelagerten Fällen. So wurde durch Verordnung vom 6.3.1943 für Soldaten die Möglichkeit einer mündlichen Erklärung geschaffen, sofern diese sich in unmittelbarer Todesgefahr befanden. Teilweise wurden auch mündliche letztwillige Verfügungen von Opfern des Nationalsozialismus anerkannt, sofern diese in unmittelbarer Todesgefahr errichtet worden waren. Vgl. zu diesen beiden Ausnahmen Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 46; Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 6 Rn. 6.3. 112 Vgl. dazu ausführlich die Ausführungen in Kap. B. I.; Staudinger/Otte Einleitung zum Erbrecht Rn. 73.
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bereits in dem Kap. B. V. 1. näher dargelegt worden. Als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht ist die Testierfreiheit auf gesetzliche Regelungen angewiesen, die sie ausgestalten.113 Durch die Einführung und Ausgestaltung des Typen- und Formzwangs hat der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Grundsätzlich eröffnet der Form- und Typenzwang dem Erblasser diverse Gestaltungsmöglichkeiten und verfügt daher über eine geringe Exklusionswirkung im Hinblick auf die Ausübung der Testierfreiheit. So kann der Erblasser seine Erbfolge durch Erbeinsetzung, Enterbung, Zuwendung durch Vermächtnisse, Auflagen, Testamentsvollstreckung, Nacherbfolgenanordnung und Teilungsanordnungen regeln.114 Ein Vergleich zu der Vertragsfreiheit unter Lebenden zeigt zwar, dass dort kein Typenzwang und nur in wenigen Fällen ein Formzwang vorliegt, gleichwohl ist auch dies kein Anlass für die Annahme eines unzulässigen Eingriffs in die Testierfreiheit der Erblasser. Während sich die Beteiligten bei lebzeitigen Rechtsgeschäften selbst um eine entsprechende Durchsetzung ihres Willens bemühen können, ist dies bei Verfügungen von Todes wegen nicht der Fall. Der Erblasser kann sich ab dem Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr zu der Bedeutung seiner Verfügung von Todes wegen äußern. Eine festgeschriebene Erklärung ist daher wohl unerlässlich, damit dem tatsächlichen Erblasserwillen weitestgehend Geltung verschafft werden kann. Hier wird der an späterer Stelle115 noch näher darzustellende Aspekt des gleichzeitigen Schutzes der Testierfreiheit des Erblassers durch den Form- und Typenzwang virulent. Insgesamt erfährt die Testierfreiheit durch die Regelungen zum Typenund Formzwang daher eine zulässige Ausgestaltung. Dieses Ergebnis wird durch einen Vergleich zum Sachenrecht bestätigt, der zeigt, dass der Kreis der vom Gesetz zur Verfügung gestellten Möglichkeiten der Gestaltung von Verfügungen von Todes wegen sehr weit gefasst ist.116 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Formerfordernisse und die Begrenztheit der verschiedenen Anordnungsmöglichkeiten bestehen daher im Hinblick auf die Testierfreiheit nicht. In einem nächsten Schritt ist zu über-
113
Vgl. dazu ausführlich Kap. B. V. 1. Vgl. Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 45. Zu der Möglichkeit der Anordnung eines Auseinandersetzungsausschlusses, einer Testamentsvollstreckung und einer Nacherbfolgenanordnung s. Kap. D. II. 1. a)–c). Die Untersuchung der jeweiligen Beschränkungen dieser erblasserischen Anordnungsmöglichkeiten wird dort ebenfalls vorgenommen, vgl. dazu Kap. D. II. 1. u. 2. 115 Vgl. Kap. D. II. 2. d). Der Form- und Typenzwang schränkt die Testierfreiheit nicht gänzlich ein, sondern sorgt durch seinen Schutz vor Verfälschung auch dafür, dass der Erblasserwille Geltung erlangt und begünstigt somit die Testierfreiheit. 116 Vgl. Strothmann, Jura 1982, 349, 353. 114
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
prüfen, ob dies auch für die Folgen eines Verstoßes gegen den Typen- oder Formzwang gilt. b) Die Folge eines Verstoßes gegen den Typen- oder Formzwang – Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen als erhebliche Beeinträchtigung der Testierfreiheit Wenn der Erblasser in seiner Verfügung von Todes wegen eine Anordnung trifft, deren Zulässigkeit weder durch Gesetz noch im Rahmen der Rechtsfortbildung bestimmt ist oder wenn der Erblasser den Rahmen der zulässigen Anordnungstypen überschreitet, ist die Anordnung als solche nichtig. Eine Anwendung der §§ 134, 138 BGB ist hier nicht notwendig, vielmehr wäre insbesondere eine Anwendung des § 134 BGB fehlerhaft. § 134 BGB beschränkt das rechtliche Dürfen, nicht jedoch das rechtliche Können. Voraussetzung für die Anwendung des § 134 BGB ist daher, dass der Beteiligte überhaupt dazu in der Lage ist, das Rechtsgeschäft vornehmen zu können, also die nötige Rechtsmacht besitzt. Dies ist bei einem Erblasser, der außerhalb der erbrechtlich zulässigen Anordnungen verfügt, nicht der Fall. Auf die Frage des rechtlichen Dürfens, auf die § 134 BGB Antwort gibt, kommt es dann nicht mehr an. Etwas differenzierter fällt die Betrachtung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Formvorschriften aus. So löst ein solcher Verstoß unterschiedliche Rechtsfolgen aus, die davon abhängen, ob ein Verstoß gegen eine Solloder gegen eine zwingende Vorschrift vorliegt.117 Sofern ein Verstoß gegen eine zwingende Vorschrift vorliegt, wie beispielsweise gegen § 2247 Abs. 1 BGB, ordnet § 125 S. 1 BGB die Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen an.118 Hingegen folgt aus einem Verstoß gegen eine Soll-Vorschrift nicht zwangsläufig die Nichtigkeit, vielmehr bleibt die Verfügung von Todes wegen grundsätzlich wirksam, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten.119 So sind Zeit- und Ortsangaben gemäß § 2247 Abs. 2 BGB grundsätzlich nicht erforderlich und für die Gültigkeit im Regelfall nicht von Bedeutung.120 Das Tes-
117
Vgl. Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 6 Rn. 6.6; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2247 Rn. 53. 118 Vgl. BGHZ 80, 242, 246; Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, § 6, Rn. 6.6; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2247 Rn. 53; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2247 Rn. 31. 119 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2247 Rn. 31; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2247 Rn. 53. 120 Vgl. dazu BeckOGK/Grziwotz BGB § 2247 Rn. 53; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2247 Rn. 31. Für andere ebenfalls entscheidende Fragestellungen ist eine fehlende Zeitund Ortsangabe hingegen von Bedeutung, da die eigenhändigen Zeit- und Ortsangaben bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung der Richtigkeit für sich haben, vgl. BayObLG FamRZ 1991, 237; BayObLG FamRZ 1994, 594. Der Errichtungszeitpunkt kann dabei
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 305
tament ist bei einer solchen fehlenden Angabe von Ort und Zeit nicht etwa teilweise nichtig, vielmehr entfällt die mit ihnen ansonsten einhergehende Beweisvermutung.121 Die Ansicht des OLG Hamburg, dass die fehlende Angabe des Ortes eine besonders sorgfältige Prüfung des Testierwillens erfordere, ist aber abzulehnen.122 Der Gesetzgeber hat an das Fehlen sowohl der Orts- als auch der Zeitangaben im Hinblick auf die Wirksamkeit des Testaments gerade keine Rechtsfolgen geknüpft.123 Die Folgen des Verstoßes gegen eine zwingende Formvorschrift sind für den Erblasser aufgrund der Unwirksamkeit seiner Verfügung von Todes wegen erheblich. Nach den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches gilt in einem solchen Fall mangels bestehender Verfügung von Todes wegen grundsätzlich die gesetzliche Erbfolge. Der regelmäßig anders aussehende und daher entgegenstehende Wille des Erblassers, der lediglich formunwirksam erklärt wurde, findet keine Berücksichtigung.124 Im Hinblick auf den aus der Testierfreiheit resultierenden Grundsatz der Verwirklichung des Erblasserwillens stellt dies auf den ersten Blick ein nicht zufriedenstellendes Ergebnis dar, welches verfassungsrechtliche Bedenken hervorruft. c) Weitestgehende Verwirklichung des Erblasserwillens: § 2085 BGB und die Zulässigkeit der Umdeutung Nachdem nunmehr dargestellt worden ist, dass die Überschreitung der erbrechtlichen Anordnungsmöglichkeiten und der Verstoß gegen zwingende Formvorschriften zur Nichtigkeit der Anordnung führt und damit die Auswirkungen auf die Testierfreiheit erheblich sind, sollen die Aspekte der TeilBedeutung bei Zweifeln an der Testierfähigkeit des Erblassers erlangen. Der Errichtungsort kann entscheidend werden, wenn ein Testament, auf das im Erbfall deutsches Recht anwendbar ist, im Ausland errichtet worden ist, vgl. dazu Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 124 f. 121 Vgl. BeckOGK/Grziwotz BGB § 2247 Rn. 55; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 123. 122 So aber das OLG Hamburg, FamRZ 2014, 2029, 2029: „Weitere Indizien gegen die Annahme eines Rechtsbindungswillens sind die Umstände, dass die Angabe über den Ort der Ausstellung ebenso fehlt wie der Vorname des Erblassers. Dies sind zwar gemäß § 2247 BGB lediglich ,Sollangaben‘, soweit die Angaben fehlen ist jedoch eine besonders sorgfältige Prüfung des Testierungswillens angezeigt.“ 123 So zutreffend BeckOGK/Grziwotz BGB § 2247 Rn. 55. 124 Die Verletzung zwingender Formvorschriften des § 2247 BGB führt stets zur Nichtigkeit des Testaments nach § 125 S. 1 BGB, vgl. Burandt/Rojahn/Lauck BGB § 2247 Rn. 42. Dies gilt selbst in dem Fall, in dem feststeht, dass die nicht formgerechte Verfügung dem Willen des Erblassers entspricht, vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2002, 22. Auch über § 242 BGB kann dem Erblasserwillen bei Nichteinhaltung zwingender Formvorschriften keine Geltung verschafft werden, vgl. OLG Köln NJW-RR 2006, 225; OLG Stuttgart NJW 1989, 2700.
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nichtigkeit und der Zulässigkeit der Umdeutung näher betrachtet werden, da diese geeignet sind, den Erblasserwillen trotz Unwirksamkeit der Verfügung von Todes wegen zu verwirklichen. Sofern der Erblasser die ihm eingeräumte Gestaltungsbefugnis überschreitet, bleibt zur Verwirklichung seines Testierwillens die Möglichkeit, die Anordnung über § 140 BGB aufrechtzuerhalten. Strothmann zeigt dazu beispielhaft auf, dass für den Fall, dass der Erblasser eine Person zum Alleinerben einsetzt und gleichzeitig anordnet, dass ein Dritter mit Eintritt des Erbfalls Eigentümer eines bestimmten Nachlassgegenstandes werden soll, die letztgenannte Verfügung, die ein unzulässiges Vindikationslegat darstellt, in ein zulässiges schuldrechtliches Vermächtnis im Sinne der §§ 2147 ff. BGB umgedeutet werden kann.125 Die Verwendung erbrechtlich unzulässiger Anordnungen führt daher nicht zwangsläufig dazu, dass der Erblasserwille nicht berücksichtigt wird. Eine ähnliche Wirkung erzeugt auch § 2085 BGB. Der § 2085 BGB kehrt dabei den Grundsatz aus § 139 BGB, wonach die Teilnichtigkeit grundsätzlich zu der Gesamtnichtigkeit des Rechtgeschäfts führt, in das gegenteilige Ergebnis um. So führt § 2085 BGB dazu, dass trotz Nichtigkeit einer Anordnung die übrigen Anordnungen im Zweifel wirksam sind.126 Auch hier versuchen daher die gesetzlichen Regelungen den Testierwillen weitestgehend aufrechtzuerhalten. Betrachtet man nunmehr die Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung von Todes wegen aufgrund der Verletzung von Formvorschriften127 kann diese nicht mit der Begründung verneint werden, dass das Ergebnis nicht gerechtfertigt sei.128 Vielmehr versuchen ausweislich des § 2085 BGB Gesetz und auch die Rechtsprechung die Ungültigkeit von Testamenten – soweit vertretbar – zu verhindern.
125
Vgl. jurisPK-BGB/Linnartz § 2084 BGB Rn. 5; Strothmann, Jura 1982, 350, 358; Palandt/Weidlich BGB § 2084 Rn. 13 m.w.N. 126 Zutreffend legt Strothmann daher dar, dass im Testamentsrecht der Grundsatz der Selbstständigkeit der einzelnen Verfügungen gilt, vgl. Strothmann, Jura 1982, 350, 358. 127 Vgl. dazu den vorherigen Abschnitt, Kap. D. II. 2. b). 128 In diese Richtung auch MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 1: „§ 2247 versucht, unnötige Formstrenge zu vermeiden, will jedoch eine zuverlässige Wiedergabe des Erblasserwillens, indem das Testament nicht nur mit einer leichter zu fälschenden Unterschrift versehen, sondern insgesamt eigenhändig geschrieben sein muss, ermöglichen. Eine zu weitherzige Auslegung der noch bestehenden bindenden Vorschriften erscheint daher nicht angebracht. Eine Nichtigkeit wegen Verletzung der Formvorschriften kann nicht mit der Begründung verneint werden, das Ergebnis sei grob unbillig.“
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 307
d) Notwendigkeit des Typen- und Formzwangs für die Verwirklichung der Testierfreiheit Wenngleich dargelegt wurde, dass der derzeitige Typen- und Formzwang in Bezug auf Verfügungen von Todes wegen eine zulässige Ausgestaltung der Testierfreiheit darstellt, muss auch diese den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG genügen.129 Die Ausführungen in dem Kap. B. V. 1. haben gezeigt, dass der Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung der Testierfreiheit an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden ist.130 Wie bereits dargelegt, liegt das Hauptanliegen des Formzwangs, anders als teilweise behauptet131, in der Schaffung von Voraussetzungen, die eine möglichst präzise Umsetzung des Erblasserwillens ermöglichen. Dies entspricht insoweit dem favor testamenti. Der Formzwang erschwert damit zwar das Gebrauchmachen von der Testierfreiheit, schützt sie jedoch auch gleichzeitig.132 Alternative Ausgestaltungsmöglichkeiten, die die Ausübung der Testierfreiheit weniger erschweren, wie beispielsweise das Zulassen mündlicher Erklärungen, können einen gleich effektiven Schutz der Testierfreiheit nicht generieren. Vielmehr müssen letztwillige Verfügungen einem Formzwang in Hinblick auf die Schriftform unterliegen, da es einem mündlich artikulierten Willen an der nötigen Beweiskraft fehlt.133 Hinzu kommt, dass die Empfänger einer mündlich artikulierten Erklärung regelmäßig über ein hohes Eigeninteresse an einem bestimmten Inhalt der Erklärung verfügen, welches ebenfalls für eine Erhöhung des Verfälschungsrisikos sorgt. Die der-
129 Dies ergibt sich daraus, dass die Erbrechtsgarantie und damit einhergehend die Testierfreiheit dem Erblasser umfassende Gestaltungsmöglichkeiten einräumt. Die Regelungen, aus denen sich der Form- und Typenzwang ergibt, schränken diese ein und stellen damit eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar; vgl. Staudinger/Otte, Einleitung zum Erbrecht, Rn. 73. 130 Vgl. dazu Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 118 u. die Ausführungen in dem Kap. B. V. 1. 131 Vgl. dazu die Einleitung zu diesem Abschnitt Kap. D. II. 2. Fehlerhaft wäre es, das Hauptanliegen der Formvorschriften in der Warnung und dem Schutz des Erblassers zu sehen, da der Erblasser die wesentlichen Folgen seiner Verfügung von Todes wegen nicht miterlebt und insofern auch keiner Warnung und keines Schutzes bedarf. 132 In diese Richtung teilweise auch MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 1: „Formvorschriften […] sichern den Beweis und stellen den Inhalt klar; sie wollen den wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung bringen; sie sichern die Echtheit seiner Erklärungen, schützen also vor Verfälschungen, fördern verantwortungsvolles Testieren […]“. 133 So auch Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 46: „Die letztwilligen Verfügungen müssen einem Formzwang unterliegen, da die Bezeugung eines nur mündlich artikulierten letzten Willens des Erblassers durch Überlebende nicht annähernd die Beweiskraft einer schriftlichen Erklärung des Erblassers selbst aufweist.“; vgl. dazu auch v. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung II/2, 456.
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zeitige Ausgestaltung der Regelungen zum Formzwang ist daher notwendig, um sicherzustellen, dass der Erblasserwillen hinreichend verwirklicht wird. Für die Regelungen zum Typenzwang gilt ähnliches. Dies zeigt auch ein Vergleich zum Sachenrecht. Das Sachenrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es anders als das Schuldrecht nicht inter pars, sondern inter omnes wirkt. In dieser Hinsicht ist das Erbrecht dem Sachenrecht näher als dem Schuldrecht. So wirkt das Prinzip des Vonselbsterwerbs, das den Übergang des Eigentums auf den Erben mit Eintritt des Erbfalls normiert, inter omnes und macht damit – genau wie das Sachenrecht – erforderlich, dass eindeutige und präzise Regelungen für eine hinreichend klare Zuordnung und damit auch für Rechtssicherheit sorgen.134 Der Typenzwang im Hinblick auf erblasserische Anordnungen lässt eine solche Rechtssicherheit entstehen, indem dieser präzise festlegt, über welche Anordnungsmöglichkeiten der Erblasser verfügt. e) Zwischenfazit: Zulässige Ausgestaltung der Testierfreiheit durch den Formund Typenzwang bei gleichzeitigem Schutz des selbstbestimmten Testierens Im Ergebnis lässt sich daher feststellen, dass die Testierfreiheit durch den Typen- und Formzwang eine zulässige Ausgestaltung erfährt, die insbesondere vor dem Hintergrund der Umdeutungsmöglichkeit auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt. Eine solche Ausgestaltung ist – wie oben gezeigt – auch notwendig, um die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Testieren zu schaffen, welches wiederum zentral für die Verwirklichung der Testierfreiheit ist. Jherings berühmte Formulierung, dass die Form „die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit“135 sei, greift Meyer-Pritzl auf und betont, dass erst der Formzwang der Testierfreiheit zum Durchbruch verhelfe. Dem ist zuzustimmen. Ohne einen Typenund Formzwang wird es kaum möglich sein, dem Erblasserwillen hinreichend Geltung zu verschaffen. Andere denkbare Ausgestaltungen, die geringere Errichtungshürden aufstellen, können nicht überzeugen. Es bedarf einer schriftlichen Ausgestaltung, da nur ihr die unverfälschte Wiedergabe des Erblasserwillens zuzutrauen ist. Auch eine Begrenzung der Anordnungsmöglichkeiten ist aus Gründen der Rechtssicherheit notwendig. Nicht zuletzt wird den Rechtsfolgen des Verstoßes gegen den Form- und Typenzwang durch die §§ 2084 ff. BGB und die Möglichkeit der Umdeutung ihre Härte genommen. Der Typen- und Formzwang ist damit nicht als unverhältnismäßige Ausgestaltung der Testierfreiheit des Erblassers, sondern als Chance
134
Vgl. Strothmann, Jura, 349, 352. von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung II/2, 456; vgl. auch Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 46. 135
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und Grundvoraussetzung für die Verwirklichung des Erblasserwillens anzusehen.136 f) Das eigenhändige Testament – Chance oder Risiko für die Testierfreiheit des Erblassers? Über die Möglichkeit der Errichtung eines eigenhändigen Testaments durch den Erblasser, ohne Hinzuziehung eines Notars und ohne Pflicht zur Hinterlegung des Dokuments, sind in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Diskussionen entstanden.137 Diese Diskussionen sind jedoch nicht neuartig; vielmehr war das eigenhändige Testament als Testamentsform bereits bei seiner Einführung umstritten.138 Die ersten Entwürfe des Bürgerlichen Gesetzbuches kannten als ordentliche Testamentsform nur das öffentliche Testament.139 Erst der Reichstag sorgte – trotz zahlreicher Kritik – für eine Einführung des eigenhändigen Testaments als zweite ordentliche Testamentsform.140 Die historischen Einwände gegen das eigenhändige Testament stimmen dabei mit den neueren Einwänden inhaltlich überein. So wird vielfach kritisiert, dass das eigenhändige Testament zu geringe Formerfordernisse aufstelle. In dem Zuge werden sodann die Forderungen nach strengeren Regelungen bis hin zur Abschaffung des eigenhändigen Testaments geäußert.141 In erster Linie belegen diese Diskussionen zwei zentrale Aspekte. Zum einen wird durch die Forderung nach der Einführung strengerer Formerfordernisse für das eigenhändige Testament deutlich, dass Formerfordernisse in der Lage sind, die Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung und der damit verbundenen Nichtverwirklichung des Erblasserwillens 136 Vgl. Meyer-Pritzl bewertet den Form- und Typenzwang daher als typisches Charakteristikum des Erbrechts, das Grundpfeiler für die Durchsetzung des unverfälschten Erblasserwillens ist, vgl. Staudinger/Meyer-Pritzl Eckpfeiler des Zivilrechts, Erbrecht Rn. 46. 137 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 ff.; Hosemann, RNotZ 2010, 520, 529; Schiemann, Festschrift Otte, 313, 315. 138 Vgl. Hosemann, RNotZ 2010, 520, 520 ff.; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 ff. 139 Vgl. Motive, V 257 ff. = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, V, 135 f.; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 ff. 140 Vgl. Hosemann, RNotZ 2010, 520; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 ff. 141 So vor allem Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 ff.; Grziwotz diskutiert in seiner Kommentierung des § 2231 BGB zwar die Abschaffung des eigenhändigen Testaments, fordert diese jedoch nicht explizit. Seiner Argumentation lässt sich gleichwohl entnehmen, dass er für eine Abschaffung des eigenhändigen Testaments plädiert. Deutlicher ist an dieser Stelle Baumann, der die Abschaffung des eigenhändigen Testaments explizit fordert. Alternativ könne nach Baumann die Geltung des eigenhändigen Testaments im Wesentlichen auf Vermächtnisse geringen Wertes reduziert werden, wie dies im niederländischen Recht der Fall sei. Eventuell könne das eigenhändige Testament auch als eine Nottestamentsform weitergelten, so Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
zu schützen. Die zuvor vorgenommene Einordnung des Typen- und Formzwangs als Grenze der Testierfreiheit zum Schutz der Testierfreiheit vor unzulässiger Einflussnahme erweist sich auch aus diesem Grund als zutreffend. Zum anderen birgt die Möglichkeit der Errichtung eines eigenhändigen Testaments ohne Hinzuziehung eines Notars und ohne Pflicht zur Hinterlegung des Dokuments sowohl Chancen als auch Risiken für die Testierfreiheit des Erblassers. Da dieser Aspekt bislang noch nicht näher betrachtet worden ist, ist er im Nachfolgenden zu untersuchen. Bevor eine solche Darstellung der Chancen und Risiken des eigenhändigen Testaments für die Testierfreiheit erfolgen kann, sind die Anforderungen näher darzustellen, die auch das eigenhändige Testament mit sich bringt. aa) Anforderungen des Gesetzes und der Rechtsprechung an das eigenhändige Testament Vielfach wird von Stimmen aus der Literatur die Forderung geäußert, dass die Nachlassgerichte und die Instanzenrechtsprechung in Bezug auf das eigenhändige Testament einer weiteren Auflösung der ohnehin schon geringen Formerfordernisse entgegentreten sollen.142 Begründet wird dies mit der hohen Belastung des Rechtsfriedens, die mit dem eigenhändigen Testament als Testamentsform einhergingen.143 Ob eine solche Forderung tatsächlich sinnvoll oder vielmehr mit der Testierfreiheit unvereinbar ist, hängt maßgeblich davon ab, wie die derzeitigen Anforderungen an das eigenhändige Testament ausgestaltet sind. Im Wesentlichen sind dies der Grundsatz der eigenhändigen Errichtung und das Erfordernis eines hinreichend feststellbaren Testierwillens.144 (1) Eigenhändigkeit der Testamentserrichtung Die zentrale Voraussetzung für die Wirksamkeit eines eigenhändigen Testaments ist gemäß § 2247 BGB zunächst, dass der Erblasser das Schriftstück seinem ganzen Inhalt nach eigenhändig geschrieben und unterschrieben hat.145 Sinn und Zweck der Eigenhändigkeit ist, die Selbstständigkeit des
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So vor allem Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 13; in diese Richtung auch BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 ff.; in diese Richtung auch Kroiß/Ann/Mayer/Kroiß BGB Erbrecht § 2231 Rn. 6. 143 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 13; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 15. 144 Vgl. zu diesen beiden Erfordernissen des eigenhändigen Testaments BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 12 ff.; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 6, 17 ff.; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2247 Rn. 3, 5 ff. 145 Vgl. MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 17; Groll/Steiner/Kappler Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung § 6 Rn. 6.73; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 37 ff.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 311
Willens des Testators und die Authentizität der Erklärung nachzuweisen.146 Dieser Nachweis gelingt durch eigenhändige Niederschriften, die aufgrund der eigenen Schrift des Erblassers individuelle Merkmale verliehen bekommen.147 Aus diesem Grund setzt die Eigenhändigkeit zwingend voraus, dass der Erblasser die Niederschrift selbst anfertigt und dabei grundsätzlich mit der Hand148, das heißt, ohne maschinelle Hilfsmittel, schreibt. Sofern der Erblasser nicht schreiben kann, kann er ein eigenhändiges Testament nicht errichten.149 Probleme ergeben sich immer dann, wenn Dritte unterstützend tätig werden. Eine Unterstützung durch Dritte ist zwar grundsätzlich zulässig, darf im Hinblick auf die Wahrung der Formzwecke jedoch nicht dazu führen, dass die Schriftzüge des Erblassers ausgeschaltet werden. Die Schriftzüge müssen also noch von dem Willen des Erblassers abhängen und als von ihm stammend erkennbar sein.150 Der Grundsatz der eigenhändigen Errichtung der Verfügung von Todes wegen schränkt den Erblasser in seinen Gestaltungsmöglichkeiten und damit auch in seiner Testierfreiheit nur unwesentlich ein. Für die Mehrheit der Erblasser dürfte es keine Rolle spielen, ob sie das Dokument maschinell errichten und im Anschluss daran unterzeichnen oder ob sie das gesamte Dokument handschriftlich erstellen müssen. Gleichzeitig sorgt der Grundsatz der eigenhändigen Errichtung dafür, dass vergleichsweise einfach überprüft werden kann, ob die errichtete Verfügung von Todes wegen auch tatsächlich von dem Erblasser stammt. Sowohl durch die Unterschrift als auch durch das Geschriebene kann die Echtheit der Verfügung nachgewiesen werden. Die problematischen Fallgruppen, in denen fraglich ist, ob noch von einer eigenhändigen Errichtung gesprochen werden kann, wie beispielsweise
146 Vgl. BGHZ 47, 70; OLG München, ZEV 2006, 33; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 37. 147 Vgl. statt vieler Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 37. Der Umstand, dass sich das Schriftbild des Erblassers aufgrund von Handverletzungen o.ä. ändert, hat auf die geforderte Authentizität und damit im Ergebnis auch auf die Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen keinen Einfluss, vgl. dazu BayObLG, Rpfleger 1985, 493. 148 Sofern eine Errichtung des eigenhändigen Testaments mit der Hand aufgrund vorübergehender oder aber auch dauerhafter Beeinträchtigungen oder Behinderungen nicht möglich ist, kann die Errichtung mittels Prothese, Fuß, Mund o.ä. erfolgen. Entscheidend ist dabei, dass die Errichtungsart individuelle Schriftzüge erkennen lässt, damit diese den Formzwecken genügt – vgl. dazu MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 17. 149 Vgl. MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 17. Das Erfordernis der Eigenhändigkeit kann somit nicht durch die Anwesenheit von Zeugen o.ä. umgangen werden. Sofern jedoch lediglich das Schreiben mit der Hand nicht möglich ist, kann auf Alternativen zurückgegriffen werden. Vgl. dazu. Kap. D. Fn. 147. 150 Vgl. BGH NJW, 1981, 1990; OLG Hamm NJW-RR 2002, 222; OLG Hamm ZEV 2013, 42; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 18.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
bei der unterstützenden Mitwirkung Dritter, sind durch die Rechtsprechung hinreichend ausdifferenziert und in der Weise gelöst, dass einerseits der Zweck der eigenhändigen Errichtung gewahrt bleibt und andererseits unnötige Formstrenge vermieden wird. Anders als an vielen Stellen in dieser Arbeit gilt in Bezug auf das Erfordernis der eigenhändigen Errichtung, dass weder Gesetz noch Rechtsprechung Anlass zur Kritik geben. In einem nächsten Schritt ist zu überprüfen, ob dies auch für die zweite zentrale Voraussetzung des eigenhändigen Testaments gilt, die Notwendigkeit einen Testierwillen festzustellen. (2) Das Erfordernis der Feststellung des Testierwillens – Gefahr der unzulässigen Beschränkung des Erblasserwillens Eine weitere Besonderheit bei der Anwendung der §§ 2231 Nr. 2, 2247 BGB liegt darin, dass eine eigenhändige Erklärung trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 2247 BGB nur dann als letztwillige Verfügung gilt, wenn diese auf einem hinreichend ernstlichen Testierwillen des Erblassers beruht.151 Diese Voraussetzung, die weder § 2231 Nr. 2 BGB noch § 2247 BGB explizit erwähnt, hat seinen Ursprung in dem Charakter des Testaments, als eine einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Der erforderliche animus testandi grenzt dabei die eigentliche Verfügung von Todes wegen von bloßen Vorbereitungshandlungen und Entwürfen152 ab, da auch diese bereits den Formerfordernissen des § 2247 BGB genügen können.153 Für die Feststellung des animus testandi ist es nicht erforderlich, dass explizit Begriffe wie „Testament“ oder „letzter Wille“ genannt werden154, vielmehr muss der Testierwille im Zuge der Auslegung nach § 133 BGB unter Berücksichtigung aller erheblichen Umstände ermittelt werden.155 Diese Ermittlung des Testierwillens bereitet in der Praxis regelmäßig Schwierigkeiten, was in der Literatur ebenfalls Anlass zur Kritik eigenhändiger Testamente gibt.156 Einen solchen
151 Vgl. BayObLG, FamRZ 2000, 944. Dabei ist zu beachten, dass die Frage nach dem Testierwillen nur darauf gerichtet ist, ob das Vorliegen eines Testaments angenommen werden kann. Die Frage nach dem Inhalt wird durch die anschließende Auslegung beantwortet – vgl. Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB § 2247 BGB Rn. 3. 152 Vgl. BayObLG, FamRZ 2000, 944; BayObLG, FamRZ 2005, 308; Staudinger/Baumann BGB § 2247, Rn. 17. Besonders strenge Maßstäbe sind dabei in Bezug auf den Testierwillen in solchen Fällen zu stellen, in denen die Form des Schriftstücks nicht der für Testamente üblichen entspricht – vgl. dazu Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB § 2247 BGB Rn. 3. 153 Vgl. BayObLG FamRZ 2000, 1251; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 17. 154 Vgl. dazu OLG München, ErbR 2016, 348; MüKoBGB/Sticherling § 2247 BGB Rn. 6; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 17; Palandt/Weidlich § 2247 Rn. 5. 155 Vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 2015, 700; Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14a. 156 Vgl. statt vieler Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14a.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 313
Fall hatte beispielsweise das OLG Düsseldorf im Jahr 2014 zu entscheiden.157 Die dort zu beurteilende Verfügung von Todes wegen entsprach grundsätzlich den formalen Voraussetzungen des § 2247 BGB, konnte jedoch nicht aufrechterhalten werden, da nach Auslegung nicht außer Zweifel stand, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen, also mit dem notwendigen Testierwillen gehandelt hat.158 In einem solchen Fall findet nach ständiger Rechtsprechung der § 2084 BGB, welcher bei Zweifeln diejenige Auslegung als vorzugswürdig festlegt, bei der die letztwillige Verfügung Erfolg haben kann, keine Anwendung.159 Dies hatte im vorliegenden Fall zur Folge, dass das OLG Düsseldorf das Bestehen einer wirksamen letztwilligen Verfügung verneint hat. An dieser Stelle wird bereits deutlich, welche Gefahr das Erfordernis des Testierwillens mit sich bringt. In diversen Fallkonstellationen ist zweifelhaft, ob ein Testierwille und damit das Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen zu bejahen oder im Ergebnis eher zu verneinen ist.160 Diese Zweifelsfälle stellen den Rechtsanwender im Hinblick auf die Testierfreiheit des Erblassers und dem Grundsatz des favor testamenti vor erhebliche Schwierigkeiten. Wenn der Erblasser tatsächlich testieren wollte und es sich daher nicht um bloße Entwürfe und Vorbereitungshandlungen handelt, sondern um eine wirksame Verfügung von Todes wegen und der Testierwille aufgrund von Zweifeln dennoch verneint wird, stellt dies eine massive Beeinträchtigung der Testierfreiheit des Erblassers dar, welcher durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG über ein legitimes Interesse an der Berücksichtigung seiner Verfügung von Todes verfügt. Andererseits sind aber auch nur solche Erklärungen des Erblassers schützenswert und daher durch die Rechtsordnung zu verwirklichen, bei denen der Erblasser auch tatsächlich ein Testament errichten möchte. Trotz dieser Beweisschwierigkeiten ist der Nachweis eines Testierwillens zu fordern, da ein solcher für das selbstbestimmte Testieren und damit auch für die Ausübung der Testierfreiheit unerlässlich ist. Die Rechtsprechung hat durch zahlreiche Urteile dazu beigetragen, dass die Kriterien zur Ermittlung des Testierwillens herausgearbeitet wurden und insofern für den notwendigen Grad an Rechtssicherheit gesorgt.161 Gleich157
Vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 2015, 700. Hier zeigt sich gleichzeitig ein Vorteil des notariellen Testaments. Sofern der Erblasser den Gang zum Notar vornimmt, können Zweifel an einem ernsthaften Testierwillen des Erblassers nicht bestehen. 159 Vgl. BayObLG, FamRZ 2001, 944, 944 f.; OLG München, NJW-RR 2009, 16, 16 ff.; OLG Schleswig, FamRZ 2010, 65, 66 f.; OLG Düsseldorf, FamRZ 2015, 700, 701. 160 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14a: „Ob ein ernstlicher letzter Wille vorliegt, ist oft schwer, in keinem Fall (wegen der möglichen Einflussnahme Dritter) mit gebotener Rechtssicherheit feststellbar.“ 161 Vgl. BayObLGZ 1970, 173, 178; BayObLGZ 1982, 59, 64; BayObLG NJW-RR 1989, 1092, 1092; BayObLG FamRZ 2000, 1251; BayObLGZ 2000, 274, 277; BayObLGZ 158
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
wohl wird von verschiedener Seite betont, dass die Frage, ob ein ernstlicher Wille vorliegt, oft schwierig und daher nicht mit der gebotenen Rechtssicherheit beantwortbar ist.162 Diese Schwierigkeiten würden durch diejenige Rechtsprechung, die dem Erblasserwillen zur Geltung verhilft, indem sie Schriftstücke, die nach der äußeren Form keine Testamente sind163, als Testamente auslegt, verstärkt.164 Eine solche Argumentation schlägt jedoch fehl. Zum einen ist bereits fraglich, wie Schriftstücke aussehen sollen, die nach der äußeren Form Testamente sind. Das Gesetz normiert – mit Ausnahme des Schriftformerfordernisses nach § 2247 Abs. 1 BGB – nicht, wie das Dokument, welches der Erblasser nutzt, um seine Verfügung von Todes wegen zu errichten, auszusehen hat. Ein kleiner Notizzettel ist daher ebenso geeignet, wie das Seidenpapier. Tatsächlich mag es untypische Schriftstücke geben165, diesen aufgrund ihrer Ungewöhnlichkeit jedoch den Charakter einer Verfügung von Todes wegen absprechen zu wollen, ist mit der gesetzlichen Konzeption, die keine dahingehenden Voraussetzungen enthält, nicht vereinbar. Zum anderen darf nicht verkannt werden, dass aufgrund der grundsätzlichen Zulässigkeit solcher untypischen Schriftstücke wirksame Verfügungen von Todes wegen vorliegen, die nicht allein aufgrund ihrer Ungewöhnlichkeit für unwirksam erklärt werden dürfen. Dies wäre mit der Testierfreiheit und dem Grundsatz der Verwirklichung des Erblasserwillens freilich unvereinbar. Stattdessen ist, wie dies die Rechtsprechung bereits zutreffend vornimmt, bei „untypischen Schriftstücken“ eine genauere Prüfung des Testierwillen notwendig, um Vorbereitungshandlungen von der eigentlichen Verfügung von Todes wegen abzugrenzen.166 Eine solche genauere Betrachtung des Testierwillens bei „ungewöhnlichen Schriftstücken“ ist notwendig, aber auch ausreichend. 2005, 308; KG, NJW 1959, 1441, 1441; OLG Düsseldorf, FamRZ 2015, 700, 701; OLG München, FamRZ 2016, 1812, 1813. 162 So vor allem Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14a: „Nicht einmal die Testierabsicht ist bei eigenhändigen Testamenten immer zuverlässig nachweisbar […], die Abgrenzung zu vorbereitenden Entwürfen dann oft gar nicht möglich. Ob ein ernstlicher letzter Wille vorliegt, ist oft schwer, in keinem Fall (wegen der möglichen Einflussnahme Dritter) mit gebotener Rechtssicherheit feststellbar.“ 163 Als Beispiele werden Briefmarken, Postkarten und Klebezettel genannt. Vgl. Erman/S. Kappler/T. Kappler BGB § 2247 Rn. 6; Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14a. Vgl. dazu auch BayObLG FamRZ 1983, 836; OLG Schleswig, FamRZ 2010, 65. 164 Vgl. insbesondere Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14a. 165 Vgl. dazu Kap. D. Fn. 162. 166 So zutreffend BayObLGZ 2000, 274, 277; OLG München, FamRZ 2016, 1812, 1813; s. dazu auch OLG Düsseldorf, FamRZ 2015, 700, 701: „Dabei sind, sofern die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht – was auch bei einem Brief der Fall ist –, an den Nachweis des Testierwillens strenge Anforderungen zu stellen.“
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 315
Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass Probleme bei der Feststellung des Testierwillens auftreten können. Die vorhandene Rechtsprechung zeigt jedoch, dass diese bei einer genauen Prüfung des Vorliegens des Testierwillens gelöst werden können. Die Feststellung des Testierwillens ist bei dem privatschriftlichen Testament unerlässlich um sicherzustellen, dass der Erblasser auch tatsächlich eine wirksame Verfügung von Todes wegen errichten wollte. (3) Zwischenfazit – Sicherung der Testierfreiheit bei gleichzeitig geringen Hürden für die Errichtung der Verfügung von Todes wegen Die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung der Anforderungen an das eigenhändige Testament und die entsprechende Umsetzung durch die Rechtsprechung geben in ihrer Gesamtheit wenig Anlass zu Kritik. Für die Verwirklichung des Erblasserwillens und damit einhergehend für die Testierfreiheit wäre zu fordern, dass an die Eigenhändigkeit des privatschriftlichen Testaments nur solche Anforderungen gestellt werden, die gerade noch gewährleisten, dass die Authentizität der Erklärung und die Selbstständigkeit des Willens des Erblassers nachgewiesen werden können, mithin also die Formzwecke erfüllt werden. Darüberhinausgehende Anforderungen schränken die Testierfreiheit unnötig ein und sind daher mangels Erforderlichkeit abzulehnen. Diesem Erfordernis werden die derzeitigen Voraussetzungen des eigenhändigen Testaments gerecht. Sie vereiteln dabei weder die notwendigen Formzwecke noch schränken sie die Testierfreiheit der Erblasser unverhältnismäßig ein. Die zu Beginn dieses Abschnitts167 dargestellte Forderung von Teilen der Literatur, eine weitere Aufweichung der Anforderungen an das eigenhändige Testament zu verhindern und strenge Erfordernisse für das eigenhändige Testament einzuführen, muss folglich anders begründet sein und erfordert mithin eine generelle Abwägung der Chancen und Risiken des eigenhändigen Testaments. bb) Abwägung der Chancen und Risiken des eigenhändigen Testaments – Beibehaltung oder Abschaffung des eigenhändigen Testaments zum Schutz der Autonomie des Erblassers? Um zu überprüfen, ob die Vorschriften über das eigenhändige Testament tatsächlich einer Änderung bedürfen oder ob das eigenhändige Testament als solches abgeschafft werden muss, wird im Nachfolgenden eine Darstellung der Vor- (dazu (1)) und Nachteile (dazu (2)) sowie eine Abwägung selbiger (dazu (3)) vorgenommen.
167
Vgl. dazu Kap. D. II. 2. f).
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
(1) Vorteile des eigenhändigen Testaments – eine Chance für die Testierfreiheit Das eigenhändige Testament ist sehr einfach zu errichten, abzuändern oder aufzuheben.168 Des Weiteren fallen mit Ausnahme der zu vernachlässigenden Ausgaben für Stift und Papier keine weiteren Errichtungskosten169 an. Auch im Hinblick auf die Änderungsmöglichkeiten erweist sich das eigenhändige Testament als kostengünstig und praktisch. Jeder Erblasser, der handschriftlich schreiben kann, ist in der Lage, ein solches Testament in wenigen Minuten zu errichten, abzuändern und zu widerrufen. Ein weiterer entscheidender Vorteil des eigenhändigen Testaments, der nicht ohne weiteres erkennbar ist, liegt darin, dass der Erblasser nur bei dieser Art der Verfügung von Todes wegen seinen letzten Willen vor dem Tod niemandem zu offenbaren braucht.170 Mag zwar der öffentlich bestellte Notar zur Verschwiegenheit verpflichtet und die Gefahr der Informationspreisgabe daher unbegründet sein, so verbleibt für den Erblasser gleichwohl die Hürde der Preisgabe des Inhalts der letztwilligen Verfügung. Diese Hürde besteht bei der Errichtung eines eigenhändigen Testaments gerade nicht und kann solche Erblasser, die eine Offenlegung nicht wünschen, zu der Wahrnehmung der Möglichkeit des Errichtens einer Verfügung von Todes wegen und damit zu dem Gebrauch der Testierfreiheit animieren. (2) Das eigenhändige Testament als Einfallstor unzulässiger Beeinflussung und fehlerhafter Verfügungen von Todes wegen – ein Risiko für die Testierfreiheit Während die oben genannten Chancen und Vorteile, die das eigenhändige Privattestament mit sich bringt, in der überwiegenden Literatur nur in gerin-
168 Vgl. BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 16; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 13; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2231 Rn. 26 f. 169 Dies gilt ausdrücklich nur für die Kosten der Errichtung. Bei einem eigenhändigen Testament kann, wie bei der gesetzlichen Erbfolge, der Erbnachweis nur durch einen Erbschein geführt werden. Die notariell beurkundete Verfügung ersetzt im Grundbuchverkehr gem. § 35 GBO hingegen einen kostenpflichtigen Erbschein. Des Weiteren genügt im rechtsgeschäftlichen Verkehr mit Dritten die Vorlage einer durch das Amtsgericht eröffneten notariellen beurkundeten Verfügung von Todes; vgl. dazu BGH, NJW 2005, 2779; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2231 Rn. 4; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2231 Rn. 27. Insofern, als dass es hier aber um die Kosten für den Erblasser und den damit verbundenen Errichtungsaufwand geht, kann dieses Argument vernachlässigt werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Errichtungskosten dem Erblasser bei Lebzeiten anfallen, während die Kosten der Erteilung des Erbscheins von den Erben letztendlich aus der Erbmasse getragen werden können und deren persönliches Vermögen damit nicht schmälern. 170 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 13; a. A. wohl MüKoBGB/Sticherling BGB § 2231 Rn. 29.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 317
gem Maße Anerkennung finden, gilt dies für die Risiken und Nachteile des eigenhändigen Testaments nicht.171 Dass Formerfordernisse in der Lage sind, die Testierfreiheit vor unzulässiger Beeinflussung zu schützen, zeigt sich an der weitreichenden Kritik, die an der Möglichkeit der eigenhändigen Errichtung eines Testaments geübt wird.172 So wird dieses Formerfordernis teilweise als zu locker empfunden. Die Kritik zielt im Wesentlichen darauf ab, dass das eigenhändige Testament ein Einfallstor unzulässiger Beeinflussung des Erblassers darstelle (dazu (a)), das Verfälschungsrisiko erhöhe (dazu (b)), die Gefahr der Errichtung letztwilliger Verfügungen durch testierunfähige Erblasser verstärke (dazu (c)) und außerdem ein Risiko für die zuvor wirksam Bedachten und gesetzlichen Erben (dazu (d)) entstehen ließe.173 (a) Die erhöhte Gefahr unzulässiger Einflussnahme bei eigenhändigen Testamenten Die Gefahr unzulässiger Einflussnahme wird bei eigenhändigen Testamenten im Vergleich zu notariellen Testamenten als erheblich größer bewertet.174 Manche Stimmen in der Literatur gehen noch weiter und formulieren, dass das privatschriftliche Testament ein Einfallstor für sachfremde Einflüsse auf die Willensfreiheit des Testators darstelle.175 Während diese Sichtweise überwiegend auf Zustimmung stößt, führt Baumann, der insofern ebenfalls von der erhöhten Gefahr unsachgemäßer Einflussnahme ausgeht, als Gegenposition Otte an.176 Otte bewertet die Ansichten, die das eigenhändige Testament einer höheren Fälschungsgefahr ausgesetzt sehen, als „Produkt realitätsferner Phantasien“177 und begründet dies damit, dass Fälschungen eigenhändiger Testamente oder auch nur ernstliche Behauptungen solcher Fälschungen in der Praxis keine Rolle spielen würden.178 Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass es sich bei diesen Positionen tatsächlich nicht um gegensätzliche Ansich-
171
So überwiegen die Risiken und Nachteile des eigenhändigen Testaments nach Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14 ff.; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 15 ff.; wohl auch BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2231 Rn. 4. 172 Vgl. dazu auch die Einleitung zu diesem Abschnitt Kap. D. II. 2. f). 173 Vgl. zu diesen Kritikpunkten BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 15 ff.; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2231 Rn. 26 ff.; Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14 ff. 174 So vor allem Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14b. Die Gefahr der Verfälschung des Dokumentes nach der Errichtung darf dabei nicht mit der Gefahr unzulässiger Einflussnahme gleichgesetzt werden, s. dazu die noch in diesem Unterabschnitt folgenden Ausführungen. 175 So Aden, ZRP 2011, 83, 83: „Das privatschriftliche Testament ist Einfallstor für sachfremde Einflüsse auf die Willensfreiheit des Testators.“ 176 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14b. 177 Vgl. Schmoeckel/Otte/Otte Europäische Testamentsformen, 34. 178 Vgl. Schmoeckel/Otte/Otte Europäische Testamentsformen, 34.
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ten handelt179, sondern um verschiedene Aspekte. So geht es einmal um die erhöhte Gefahr einer unzulässigen Beeinflussung vor und während des Testierens und das andere Mal um nachträgliche Fälschungshandlungen an der bereits errichteten Verfügung selbst. Insofern bestreitet Otte nicht180, dass bei eigenhändigen Testamenten die erhöhte Gefahr unzulässiger Einflussnahme besteht, sondern lediglich, dass nachträgliche Fälschungshandlungen kein wahrzunehmendes Problem des eigenhändigen Testaments sind. Letzterem ist ausweislich der Auswertung von Rechtsprechung zuzustimmen. Die für dieses Kapitel relevante Frage nach der Begünstigung der unzulässigen Einflussnahme durch die Wahl der Form des eigenhändigen Testaments kann freilich nicht präzise beantwortet werden. Inwiefern ein Erblasser sich beeinflussen lässt, hängt vielmehr von vielen verschiedenen Faktoren ab, die unter anderem in dem sogenannten IDEAL-Modell des Psychiaters Blum Erwähnung finden.181 Entscheidend wird nicht sein, welche Testamentsform der Erblasser wählt, sondern ob er aufgrund hohen Alters, Charakterschwäche182 oder Krankheit183 leichter beeinflussbar ist und ob durch die Größe des Vermögens eine Beeinflussung für Dritte besonders lukrativ er-
179 So aber Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14b: „Die Gefahr unsachgemäßer Einflussnahme ist bei eigenhändigen Testamenten größer als bei notariellen Testamenten (aA Otte [2011] 31, 42) […]“. 180 Zumindest wird ein solches Bestreiten nicht aus der von Baumann genannten Fundstelle (vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14b) ersichtlich. Auch andere Texte Ottes bestreiten die erhöhte Gefahr einer unzulässigen Einflussnahme Dritter bei der Errichtung eines eigenhändigen Testaments nicht. 181 Erblasser können im Hinblick auf den Akt des Testierens zahlreichen Beherrschungsund Beeinflussungsrisiken ausgesetzt sein. Den Prozess der Fremdbestimmung beschreibt der Psychiater Blum in seinem fünfphasigen sogenannten I-D-E-A-L-Modell. Die fünf Phasen des Modells bauen dabei aufeinander auf. Am Anfang steht die Isolation des Erblassers, welche sich durch die Abschottung von Vertrauenspersonen, wie beispielsweise nahen Angehörigen und Freunden auszeichnet (isolation). In Folge der Abschottung wird der Erblasser zunehmend abhängiger (dependency). Die dritte Phase zeichnet sich durch Versprechungen oder Drohungen (emotional manipulation) und dem Ausnutzen von Defiziten aus (exploitation of weakness). Die vierte und die fünfte Phase beschreiben dann den Erfolg der Beeinflussung, der sich dadurch bemerkbar macht, dass der Betroffene nachgibt (acquiescence) und die von dem Dritten erwartete Verfügung von Todes wegen errichtet (loss). Zu dem IDEAL-Modell s. Blum, Undue influence Worksheet. Vgl. dazu auch die Darstellung bei Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 11. 182 Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass einige Erblasser in bestimmten Bereichen beeinflussbarer sind als andere. Dabei dürfte es kaum einen Unterschied machen, ob sie vor der Errichtung eines privatschriftlichen Testaments oder vor dem Notartermin beeinflusst werden, 183 Aus diesem Grund wird der Aspekt der Vulnerabilität des Erblassers und dessen Folgen auch in einem gesonderten Kapitel diskutiert, vgl. Kap. D. III.
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scheint. Gleichwohl kann zumindest nicht abgestritten werden, dass das notarielle Testament eher in der Lage ist, einer Momentbeeinflussung entgegenzuwirken. Da die Fälle einer Momentbeeinflussung jedoch nicht gehäuft vorkommen, sondern die unzulässige Beeinflussung vielmehr aus einem andauernden Prozess resultiert184, ist dieser Vorteil des notariellen Testaments zu vernachlässigen. Jedenfalls rechtfertigt er keine Abschaffung des eigenhändigen Testaments. (b) Das erhöhte Verfälschungsrisiko bei eigenhändigen Testamenten Ein weiterer Nachteil des eigenhändigen Testaments liegt nach Ansicht der Rechtsprechung und zahlreicher Literatur in dem erhöhten Verfälschungsrisiko und der dadurch entstehenden Gefahr der unrichtigen Wiedergabe des Erblasserwillens.185 Sofern der Erblasser sein eigenhändiges Testament nicht amtlich hinterlegt hat, werde die nachträgliche Vornahme von Verfälschungen oder gar Testamentsunterdrückungen erhöht. Auch sei das eigenhändige Testament durch den Erblasser dann leichter abänderbar. Dies könne dazu führen, dass der Erblasser sein Testament laufend ändere und sich widersprechende Ergänzungen vornehme. Gefördert werde dieses Problem dadurch, dass ein eigenhändiges Testament durch formungebundene Vernichtungshandlungen nach § 2255 BGB einfach widerrufen werden kann.186 Darüber hinaus sei auch die Gefahr der Nichtauffindbarkeit des Testaments deutlich erhöht. Diese könne dabei sowohl durch Dritte begründet sein187 als auch schlichtweg damit zusammenhängen, dass der Erblasser nicht hinreichend deutlich gemacht habe, wo sich das Testament befinde. Baumann macht daher den Vorschlag, als gesetzliche Mindestanforderung die Verwahrung von eigenhändigen Privattestamenten beim Nachlassgericht vorzuschreiben und eigenhändige Testamente erst mit der Hinterlegung wirksam werden zu lassen.188 Einem nicht hinterlegten Privattestament solle 184
Auch an dieser Stelle wird das IDEAL-Modell relevant, s. dazu Kap. D. Fn. 181. Vgl. BGHZ 80, 242; BGHZ 47, 68, 70; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 1; Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11; Reimann/Bengel/Mayer/Voit § 2247 BGB Rn. 3. 186 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11 c. Als Beispiel nennt Baumann an dieser Stelle das schlichte Wegwerfen des Testaments oder das Durchstreichen von Testamentsinhalten, wie zum Beispiel die Anordnung von Vermächtnissen oder die Miterbeneinsetzung. 187 Gemeint ist hier die sog. Testamentsunterdrückung, vgl. dazu BGHZ 209, 329; AG Mannheim, WM 2007, 2240, 2241. 188 So Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11 c: „[S]innvoll wäre als gesetzliche Mindestanforderung die Verwahrung von Privattestamenten beim Nachlassgericht vorzuschreiben und die Wirksamkeit jedes eigenhändigen Testaments erst mit der Hinterlegung eintreten zu lassen, bzw. dem nicht hinterlegten Testament für einen (den Errichtungszeitpunkt nachweisbaren) kurzen Übergangsraum, nur die Wirkung eines Nottestaments beizulegen.“ 185
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maximal für einen kurzen Übergangszeitraum die Wirkung eines Nottestaments zukommen.189 Eine solche Wirksamkeitsvoraussetzung für das Privattestament ist durchaus geeignet, die Probleme, die aus den formungebundenen Vernichtungshandlungen und den leichten Abänderungsmöglichkeiten resultieren könnten, zu minimieren. Auch die Gefahr von Testamentsunterdrückungen würde beseitigt werden. Das Hauptrisiko, nämlich die hohe Beeinflussbarkeit des Erblassers beim Errichtungsvorgang, kann eine solche Pflicht zur amtlichen Verwahrung jedoch nicht beheben. Vielmehr kann unter Umständen der Zustand einer unter Beeinflussung errichteten Verfügung von Todes wegen durch die erschwerte Abänderungsmöglichkeit perpetuiert werden. Sofern nämlich ein beeinflusstes und damit nicht selbstbestimmtes Testament hinterlegt wird und dieses nur durch Hinterlegung eines neuen Testaments wirksam widerrufen werden kann, stellt dies für den Erblasser im Vergleich zu der derzeitigen Rechtslage einen höheren Aufwand dar. Durch eine Pflicht zur amtlichen Verwahrung von eigenhändigen Testamenten wird überdies die Möglichkeit der einfachen Errichtung einer wirksamen Verfügung von Todes wegen erschwert. Des Weiteren darf nicht verkannt werden, dass durch die leichte Errichtungs- und Abänderungsmöglichkeit zwar Widersprüche entstehen können, die einzelnen Änderungen jedoch auf dem Willen des Erblassers beruhen und diese daher Gültigkeit beanspruchen. Eine Hinterlegungspflicht für Privattestamente löst daher das eigentliche Hauptproblem nicht, zudem lässt es zahlreiche weitere Probleme entstehen und ist daher abzulehnen. Insgesamt ist dieser Vorschlag daher unbrauchbar. Zwar werden Nachteile der leichten Errichtungs- und Abänderungsmöglichkeit, wie beispielsweise die laufenden Abänderungen mit sich widersprechenden Einschüben und kaum verständlichen Streichungen behoben190, dennoch kann dieser Vorschlag das eigentliche primäre Ziel der Formvorschriften, nämlich die Förderung selbstbestimmten Testierens und die bessere Durchsetzung des Erblasserwillens, nicht erreichen und kaum fördern. Eine Verfügung von Todes wegen, die zwar verständlicher formuliert ist, weil der Erblasser diese nicht so leicht ändern kann, jedoch unter einer unzulässigen Beeinflussung errichtet worden ist, nützt wenig. Sie gibt nicht den Erblasserwillen wieder und stellt folglich keine Wahrnehmung der Testierfreiheit durch den Erblasser dar. Daher ist sie von der Rechtsordnung nicht zu schützen.
189
Vgl. dazu Kap. D. Fn. 188. Diese Nachteile arbeitet vor allem Baumann heraus, vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 14b; in diese Richtung auch BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 ff. 190
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(c) Die erhöhte Gefahr der Errichtung von unwirksamen und auslegungsbedürftigen Testamenten „Die Gefahr, dass eine letztwillige Verfügung von einem Testierunfähigen stammt, wird durch die Möglichkeit des eigenhändigen Testaments noch gesteigert. Denn einer solchen Urkunde ist nicht ohne Weiteres anzusehen, ob ihr Verfasser auch wusste, was er schrieb.“191
Ein weiterer Nachteil des eigenhändigen Testaments wird von der überwiegenden Literatur in der erhöhten Gefahr der Errichtung von unwirksamen und auslegungsbedürftigen Testamenten gesehen. Da ein eigenhändiges Testament regelmäßig von juristischen Laien verfasst werde, die in Bezug auf die erbrechtlichen Regelungen über wenige Vorkenntnisse verfügen, bestünde die Gefahr von Auslegungsschwierigkeiten und Nichtigkeit.192 Sicherlich sorgt eine vorherige Beratung des Erblassers, durchgeführt von einem Rechtsanwalt oder Notar, dafür, dass der Erblasser über die Zulässigkeit seiner geplanten Verfügung von Todes wegen in formeller und materieller Hinsicht informiert wird. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass eine zwingende Beratung vor eigenhändiger Errichtung einer Verfügung von Todes wegen zum einen die Barrieren für das einfache Testieren deutlich erhöhen und zum anderen keine Gewähr dafür bieten würde, dass der Erblasser nunmehr frei von Auslegungsschwierigkeiten und „Nichtigkeitsgefahren“ testiert. Überdies verkennt eine solche Kritik auch den Umstand, dass in zahlreichen Fällen die eigenhändige Errichtung der Verfügung von Todes wegen durch den Erblasser ohne weitere Schwierigkeiten gelingt. Darüber hinaus wird dem Erblasser durch die Möglichkeit der Errichtung eines eigenhändigen Testaments lediglich eine Chance eröffnet, die dieser wahrnehmen kann, aber nicht muss. Sofern der Erblasser bei rechtlichen Fragen im Hinblick auf die Errichtung unsicher ist, kann sich dieser entweder für das notarielle Testament entscheiden, oder diese Unsicherheiten hinnehmen und ein eigenhändiges Testament errichten. Der Umstand, dass dies gegebenenfalls das Prozessrisiko erhöht und damit Kosten verursacht, kann die Abschaffung des eigenhändigen Testaments jedenfalls nicht rechtfertigen. Die gegebenenfalls entstehenden Kosten treffen die Erben und sonstigen Begünstigten, die jedoch auch durch den (teilweisen) Erhalt des Nachlasses profitieren oder durch Ausschlagung zumindest etwaigen Nachteilen entgehen können. Dass für diese Gruppe, die durch den Erbfall regelmäßig hohe Zuwen-
191 Schiemann, Festschrift Otte, 313, 315; in diese Richtung auch Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 14d; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 15; MüKoBGB/Sticherling BGB § 2231 Rn. 26. 192 Vgl. MüKoBGB/Sticherling BGB § 2247 Rn. 1; Muscheler, ErbR 2015, 1, 3; Leipold, JZ 2010, 802, 807; Langenfeld, NJW 1996, 2601, 2601; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 15.
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dungen erhält, auch Kosten entstehen, ist nur natürlich. Der Erblasser, der von der Verfügung von Todes wegen grundsätzlich wirtschaftlich nicht profitiert, hat solche Kosten jedenfalls grundsätzlich nicht zu tragen. Aus diesem Grund können sie auch die Einschränkung der Testierfreiheit, die mit einer Abschaffung des eigenhändigen Testaments einhergehen würde, nicht rechtfertigen. Selbiges gilt auch für die erhöhte Gefahr der Errichtung von unwirksamen und auslegungsbedürftigen Testamenten. Der Erblasser ist nicht verpflichtet, ein möglichst rechtssicheres und eindeutiges Testament zu errichten. Vielmehr ist es dem Erblasser auch möglich, überhaupt keine Verfügung von Todes wegen zu errichten. Folglich können, unabhängig von der Frage, ob das eigenhändige Testament tatsächlich die Gefahr der Errichtung unwirksamer und auslegungsbedürftiger letztwilliger Verfügungen signifikant erhöht, solche Erwägungen nicht als wesentliche Nachteile des eigenhändigen Testaments angeführt werden. Formvorschriften dienen primär der Verwirklichung des Erblasserwillens und nicht der Vermeidung von Prozesskosten aufgrund von „rechtsunsicheren Testamenten“ für die Bedachten. (d) Die Risiken für die zuvor wirksam Bedachten und die gesetzlichen Erben Auf der Argumentation der verstärkten Gefahr der Errichtung unwirksamer Testamente aufbauend wird angeführt, dass ein weiterer Nachteil geringer Formerfordernisse und daher auch des eigenhändigen Testaments sei, dass diese Risiken für die zuvor wirksam Bedachten und die gesetzlichen Erben entstehen lassen. Baumann zeichnet in seiner Kommentierung zu § 2247 BGB folgenden Zusammenhang: „Jede Aufweichung der Formerfordernisse gewillkürter Erbfolge benachteiligt die formgerecht Bedachten […] oder auch die gesetzlichen Erben und begünstigt Personen, deren Einsetzung dauerhaft mit Zweifeln behaftet sein wird […].«193
Nach Baumann dienen Formerfordernisse also entweder dem Schutz der gesetzlichen Erben oder der formgerecht bedachten Erbprätendenten. Ein Aufweichen der Formerfordernisse, wie beispielsweise durch das eigenhändige Testament, ließe Risiken für die zuvor wirksam Bedachten und die gesetzlichen Erben entstehen. Ursprünglich wirksam Bedachte oder gesetzliche Erben könnten bei geringeren Formerfordernissen durch eine Verfügung von 193
Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 13; diese Einwände in Bezug auf die Rechtsfolgen eines Formverstoßes wiederholend Staudinger/Baumann BGB § 2231 Rn. 22: „Die Rechtsfolge der Nichtigkeit stellt keine auf Formalismus beruhende Härte dar, weil sie bei Testamenten entweder zur gesetzlichen Erbfolge oder zu der Erbfolge führt, die sich aus ordnungsgemäß errichteten Testamenten ergibt. Jede Aufweichung der Formvorschriften führt deshalb zur rechtlichen und wirtschaftlichen Benachteiligung gesetzlicher Erben oder eindeutig formwirksam eingesetzter Erben oder Vermächtnisnehmer.“
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 323
Todes wegen aus der Erbfolge zurückgedrängt werden, ohne dass aufgrund der geringen Formerfordernisse sichergestellt werden könne, dass der Erblasser sich dieser Konsequenz hinreichend bewusst gewesen ist. Mit Blick auf diese Personengruppe sei es folglich erforderlich, hohe Formerfordernisse für Verfügungen von Todes wegen aufzustellen. Eine solche Sichtweise kann nicht überzeugen. Sie verkennt, dass sowohl die gesetzlichen Erben als auch die testamentarisch Bedachten bis zu dem Erbfall keinen rechtlich geschützten Anspruch auf den Erhalt der Erbschaft besitzen. Wie bereits an mehreren Stellen dieser Arbeit dargelegt, handelt es sich dabei lediglich um eine nuda spes, die keinen rechtlichen Schutz genießt.194 Sofern der Erblasser seine gesetzlichen Erben oder zuvor formgerecht Bedachte nunmehr von der Erbfolge ausschließen möchte, muss dies ohne weiteres möglich sein. Ein Risiko für die zuvor wirksam Bedachten und die gesetzlichen Erben besteht nicht. Sie können keinen Anspruch verlieren, da sie einen solchen nie besaßen. Eine solche Argumentation, wie Baumann sie vornimmt, bedeutet zudem, den Sinn und Zweck der Formvorschriften in das Gegenteil zu verkehren. Wie gezeigt, sollen Formvorschriften dem Erblasserwillen zur Geltung verhelfen. Wenn dieser auf die Begünstigung eines Dritten und nicht mehr auf eine Begünstigung des zuvor Bedachten oder der gesetzlichen Erben gerichtet ist, müssen die Formvorschriften diesen Willen des Erblassers auch durchsetzen. Strengere Formerfordernisse zu fordern, um eine bestehende testamentarische Einsetzung oder die gesetzliche Erbfolge zu schützen, bedeutet daher stets höhere Anforderungen für die Durchsetzung des Erblasserwillens aufzustellen und damit dessen Durchsetzung zu erschweren. Dass es sich auch tatsächlich um den Erblasserwillen handelt und dieser hinreichend ernstlich und möglichst frei von Verfälschungen ist, wird auch bei einem eigenhändigen Testament hinreichend überprüft.195 Risiken für die zuvor Bedachten und die gesetzlichen Erben können daher in mehrfacher Hinsicht nicht bestehen. Eine solche Argumentration kann die Abschaffung des eigenhändigen Testaments nicht rechtfertigen.
194
Diese Wertung ist bereits an zahlreichen Stellen dieser Arbeit virulent geworden, vgl. dazu insbesondere Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). Zu der rechtlichen Beziehung zwischen Erblassern und Erbprätendenten s. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 195 Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen zu den Voraussetzungen, die (selbst) das eigenhändige Testament aufstellt Kap. D. II. 2. f) aa).
324
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
cc) Abschließende Bewertung: Das eigenhändige Testament als notwendige Gestaltungsform erbrechtlicher Verfügungen Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bestimmte in der Literatur angeführte Nachteile des eigenhändigen Testaments nicht bestehen und die tatsächlich bestehenden jedenfalls eine Abschaffung des eigenhändigen Testaments nicht rechtfertigen. Bei der Beurteilung der Vor- und Nachteile des eigenhändigen Testaments, darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch das eigenhändige Testament selbst Erfordernisse aufstellt, die die Testierfreiheit des Erblassers schützen sollen. Insbesondere das Erfordernis der Eigenhändigkeit der Testamentserrichtung kann eine erhöhte Sicherheit vor Verfälschungen des Erblasserwillens bieten. Diese Formzwecke sollen in ihrer Gesamtheit dazu beitragen, verantwortliches Testieren zu fördern und Streitigkeiten der Erbprätendenten über den Inhalt letztwilliger Verfügungen hintanzuhalten. Für die Beibehaltung des eigenhändigen Testaments spricht vor allem der grundsätzliche Wandel von Lebensverhältnissen. Die Vorstellung einiger, dass ein Erblasser sein Testament in der Regel nur einmal im Leben macht, entspricht nicht der heutigen Zeit. Die Lebensverhältnisse des Erblassers und insbesondere seine Beziehungen zu den ihm nahestehenden Personen unterliegen einem stetigen Wandel. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Erblasser das erste Mal in jungen Jahren testiert und damit noch einen langen Lebenswandel vor sich hat. Solchen Anforderungen an die Abänderung von Testamenten kann nur das eigenhändige Testament gerecht werden. Otte verlangt daher zutreffend, dass die Schwelle zur Testamentsänderung nicht hoch sein darf.196 Die Erblasser für jede Änderung auf ein notarielles Testament zu verweisen, wäre unzumutbar.197 Dementsprechend ist das eigenhändige Testament vom Gesetzgeber bislang nicht abgeschafft worden. Die Forderung Baummanns ist daher abzulehnen. Ein weiterer Ansatz spricht den eigenhändigen Testamenten sogenannter todesnaher Erblasser zum Teil die Gültigkeit ab, indem auf eine analoge Anwendung des § 2247 Abs. 4 BGB verwiesen oder die Schaffung einer neuen Regelung gefordert wird, die die Wirksamkeit todesnaher eigenhändiger Testamente unterbindet.198 Da es sich dabei aber nicht um einen generellen Ansatz zum Schutz des selbstbestimmten Testierens handelt, sondern speziell alte und kranke Erblasser Adressat dieses Ansatzes sind, soll das Problem in dem Kapitel B. III. „Vulnerabilität und Testierfreiheit“ diskutiert werden.199 196
Vgl. Otte, Europäische Testamentsformen, 44. Vgl. Otte, Europäische Testamentsformen, 44. 198 Vgl. Aden, ZRP 2011, 83. Vgl. auch Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11b, der den Vorschlag Adens begrüßt. 199 Vgl. dazu Kap. D. III. 2., welches analysiert, ob die Steigerung von Förmlichkeiten zum Schutz des selbstbestimmten Testierens vulnerabler Erblasser geeignet ist. 197
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 325
g) Fazit: Beibehaltung der derzeitigen Ausgestaltung des Typenund Formzwangs Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die derzeitige Ausgestaltung des Typen- und Formzwangs im Erbrecht beibehalten werden sollte. Die Regelungen schränken die Testierfreiheit zwar ein, schützen diese aber zugleich, indem sie der Verwirklichung des Erblasserwillens dienen und vor Verfälschungserfolgen schützen. Dies gilt insbesondere für das eigenhändige Testament, welches ein einfaches und kostengünstiges Testieren ermöglicht und damit wirtschaftlich schwächere Erblasser ihre Testierfreiheit wahrnehmen lässt, ohne den Schutz des Erblasserwillens vor unzulässiger Beeinflussung und Verfälschung aufzugeben. Diejenigen, die gleichwohl strenge Formerfordernisse fordern, verkennen, dass die Testierfreiheit der Verwirklichung des Erblasserwillens und nicht dem Schutz der ursprünglich eingesetzten Erben oder der gesetzlichen Erben vor einer anderweitigen Erbeinsetzung und auch nicht vor Prozesskosten aufgrund von Zweifeln an der Wirksamkeit der Testamente dient. Im Ergebnis beruhen diese Missverständnisse erneut zum einen auf einem fehlerhaften Verständnis des Verhältnisses zwischen Erblasser und Erbprätendenten und zum anderen auch auf einer Fehlinterpretation der Testierfreiheit und der entsprechenden Regelungen. Die Vorschriften des Typen- und Formzwangs dienen eben primär nicht der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden, sondern der Verwirklichung des Erblasserwillens und damit der Testierfreiheit.200 Die Verwirklichung des Erblasserwillens ist durch die derzeitigen Regelungen zum Typen- und Formzwang nicht gefährdet und eine Verschärfung dieser Vorschriften nicht angezeigt. Wie bereits in dem Kap. B. V. 1. gezeigt, kann eine zulässige Ausgestaltung der Testierfreiheit auch in eine unzulässige Beschränkung selbiger umschlagen.201 Insbesondere im Hinblick auf die Formvorschriften gilt, dass die Gesetzgebung die Testierfreiheit nicht dadurch aushöhlen darf, dass sie die formalen Hürden der Testamentserrichtung übermäßig erschwert.202 Wenngleich die Beantwortung der Frage, wann die Rücknahme einer von dem Gesetzgeber geschaffenen Kompetenznorm in eine Beschränkung des Grundrechts auf Testierfreiheit umschlägt, komplex ist, kann im Ergebnis zusammen mit Otte festgehalten werden:
200
Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I. und B. II. Aus grundrechtsdogmatischer Sicht ist es notwendig, zwischen ausgestaltender und einschränkender Gesetzgebung zu unterscheiden, vgl. dazu ausführlich Kap. B. V. 1.; Gutmann, Iustitia Contrahentium, 136; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 413; Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51. 202 Vgl. B.V. 1.; in diese Richtung auch Leisner, Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 51. 201
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
„Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Testierfreiheit läge aber wohl in der von manchen […] geforderten Abschaffung des eigenhändigen Testaments. Sie würde insofern eine wesentliche und unzumutbare Erschwerung des Testierens bedeuten, als schon die geringste Abweichung von den dispositiven gesetzlichen Regelungen und jede auch noch so geringe Änderung eines bereits errichteten Testaments notariell beurkundet werden müsste.“203
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Ausgestaltung der Testierfreiheit durch den Typen- und Formzwang und die daraus resultierenden Begrenzungen dem Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte dienen und die entsprechenden Regelungen daher zutreffend der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zugeordnet werden können. An die Vorschriften zum Typen- und Formzwang knüpfen die §§ 2064, 2065 BGB und die dort normierten Grundsätze der formellen und materiellen Höchstpersönlichkeit an, welche im nachfolgenden Kapitel untersucht werden sollen.
3. Das Erfordernis der Höchstpersönlichkeit der Verfügungen von Todes wegen als Grenze der Testierfreiheit Für den Rechtsverkehr unter Lebenden ist es charakteristisch, dass es möglich ist, andere für sich handeln zu lassen. Die Gründe hierfür sind vielfältig.204 Selbiges gilt für die diversen Ausgestaltungsmöglichkeiten dieses Handelns. Neben der Möglichkeit der Stellvertretung ist an dieser Stelle der Einsatz eines Boten zu nennen. Im Hinblick auf Verfügungen von Todes wegen sind solche Möglichkeiten gesetzlich nicht vorgesehen. Vielmehr rückt das Gesetz hier mit den §§ 2064, 2065 BGB die Höchstpersönlichkeit selbiger in den Vordergrund. Die §§ 2064, 2065 BGB schließen zum einen die Stellvertretung und zum anderen auch die Option aus, dass der Erblasser die Entscheidung über die Gültigkeit und den Inhalt der Verfügung einem anderen überlässt. Verfügungen von Todes wegen unterscheiden sich in diesen Aspekten daher erheblich von den Geschäften unter Lebenden. Im Nachfolgenden soll untersucht werden, ob die Beschränkungen der Testierfreiheit, die mit den Grundsätzen der formellen und der materiellen Höchstpersönlichkeit einhergehen, verfassungsrechtlich zulässig sind.
203
Staudinger/Otte Einleitung zum Erbrecht Rn. 73a. Regelmäßig verfügt der Vertreter über besondere Fähigkeiten und Kenntnisse, die für das Geschäft von entscheidender Bedeutung sind. 204
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 327
a) § 2064 BGB und der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit Bevor die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 2064 BGB und den daraus resultierenden Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit näher thematisiert werden, soll zunächst kurz der Regelungsinhalt des § 2064 BGB dargestellt werden, um die daraus resultierenden Einschränkungen der Testierfreiheit untersuchen zu können. aa) Regelungsinhalt des § 2064 BGB Bei genauer Betrachtung lässt sich erkennen, dass der § 2064 BGB Dreifaches verhindert.205 So verbietet es der § 2064 BGB dem Erblasser einem Dritten in nichttestamentarischer Form das Recht zur letztwilligen Verfügung über sein Vermögen zu übertragen. Damit stellen § 2064 BGB und der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit eine Ausnahme zu § 167 Abs. 2 BGB und dem Grundsatz der Formfreiheit der Vollmachtserteilung dar. Statt eine solche Ausnahme jedoch explizit anzuordnen, hat der Gesetzgeber mit § 2064 BGB eine Norm geschaffen, die über eine bloße Ausnahmebestimmung zu § 167 Abs. 2 BGB hinausgeht, indem eine im Sinne des § 2247 BGB formgerechte Ermächtigung zur Testamentserrichtung untersagt und darüber hinaus die persönliche Errichtung der Verfügung von Todes wegen vorgeschrieben wird.206 Die Übertragung der Befugnis zur testamentarischen Verfügung ist auch unwirksam, wenn der Erblasser „dem Dritten die carte blanche in testamentarischer Form gibt“207. Zuletzt verhindert § 2064 BGB zusätzlich, dass einer Person die Befugnis eingeräumt wird, für einen Dritten mit gesetzlicher Vertretungsmacht ein Testament zu errichten.208 Hier weicht das Bürgerliche Gesetzbuch von dem römisch-gemeinen Recht ab, welches dem Vater gestattete, für seinen testierunfähigen Sohn einen Erben zu ernennen.209 Insofern, als dass dem Erblasser durch § 2064 BGB und den Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit die soeben dargelegten Möglichkeiten der Errichtungsweise einer letztwilligen Verfügung genommen werden, schränkt der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit die Testierfreiheit ein und ist daher rechtfertigungsbedürftig.
205
So Muscheler, Erbrecht, Band I, 296 f. Rn. 549. In diese Richtung auch Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 35 f. 207 Muscheler, Erbrecht, Band I, 296 f. Rn. 549. 208 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2064 Rn. 2; MüKoBGB/Leipold BGB § 2064 Rn. 3; BeckOGK/Gomille BGB § 2064 Rn. 8 f. 209 Vgl. dazu Muscheler, Erbrecht, Band I, 296 Rn. 548. 206
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
bb) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 2064 BGB und den Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den § 2064 BGB und den Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit werden weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung geäußert.210 Dass der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit auch verzichtbar ist, zeigt ein Vergleich zu dem kanonischen Recht, welches dem Erblasser gestattete, Dritte zu der Verfügung über den Nachlass zu ermächtigen.211 Gleichwohl werden zwei Schutzzwecke des § 2064 BGB angeführt, die dessen Beschränkung der Testierfreiheit rechtfertigen sollen. So wird zum einen betont, dass Verfügungen von Todes wegen unmittelbar dem Willen des Erblassers entspringen sollen, damit sichergestellt werden kann, dass der Inhalt von dem Willen des Erblassers getragen wird.212 Begründet wird dies damit, dass erbrechtliche Verfügungen erhebliche Auswirkungen auf Ehegatten, Abkömmlinge und sonstige Verwandte als gesetzliche Erben hätten.213 Zum anderen wird der Schutz des Erblassers vor der Einflussnahme Dritter als Sinn und Zweck des Grundsatzes der formellen Höchstpersönlichkeit ausgemacht.214 Eine Missbrauchsgefahr bestehe in höherem Maße, da der Inhalt des Testaments erst nach dem Tod des Erblassers bekannt wird und Widerstände gegen die Handlungen des ermächtigten Dritten, die zu dem Erblasserwillen in Widerspruch stehen, nicht mehr möglich sind.215 Dieser Schutzzweck rechtfertigt die Einordnung des § 2064 BGB als Bestimmung, die dem Schutz des selbstbestimmten Testierens dient und damit einhergehend auch die Zuordnung des Grundsatzes der formellen Höchstpersönlichkeit in die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit. Während der letztgenannte Schutzzweck plausibel erscheint, gilt dies für den erstgenannten Schutzzweck nicht. Wird an dieser Stelle erneut das Ver210 Eine kritische Anmerkung lässt sich lediglich bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 295 Rn. 546 ff. finden. 211 Dies ergibt sich aus einer Dekretale Innozenz III., X. 3, 26, 13: „In secunda quaestione dicimus, qoud, qui extremam voluntatem in alterius dispositionem committit, non videtur decedere intestatus“. 212 Vgl. BGHZ 15, 199, 200; BeckOGK/Gomille BGB § 2064 Rn. 4; MüKoBGB/Leipold BGB § 2064 Rn. 1: „Der Schutz der Testierfreiheit und ihr Verständnis als höchstpersönliches, unübertragbares Recht beruhen auf der besonderen Bedeutung der Verfügungen von Todes wegen und berücksichtigen auch die erheblichen Auswirkungen, die von Verfügungen des Erblassers auf den Ehegatten oder den eingetragenen Lebenspartner sowie auf Abkömmlinge und sonstige Verwandte als gesetzliche Erben ausgehen können.“ 213 Vgl. BGHZ 15, 199, 200; MüKoBGB/Leipold BGB § 2064 Rn. 1; BeckOGK/Gomille BGB § 2064 Rn. 4. 214 So Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 101; in diese Richtung auch Staudinger/Otte BGB § 2064 Rn. 4. 215 Vgl. Dernburg, Pandekten, § 76, 143; Muscheler, Erbrecht, Band I, 297 Rn. 550.
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hältnis zwischen dem Erblasser und den gesetzlichen Erben betrachtet, muss festgestellt werden, dass durch den Erblasser im Rahmen seiner Verfügung von Todes wegen keine negativen Auswirkungen auf die gesetzlichen Erben entstehen können. Außerhalb des Pflichtteilsrechts besteht auch für die gesetzlichen Erben mithin kein Anspruch, Erbe zu werden.216 Die von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Erbenbestimmung kann für die gesetzlichen Erben daher keinen Nachteil begründen.217 § 2064 BGB und der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit können daher Einschränkungen der Testierfreiheit mit dem Hinweis auf den Schutz der gesetzlichen Erben vor negativen Auswirkungen der Verfügung von Todes wegen nicht rechtfertigen. An dieser Stelle wird erneut die zu Beginn aufgestellte These, dass unzulässige Beschränkungen der Testierfreiheit unter anderem auf einem fehlerhaften Verständnis der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten (insbesondere den gesetzlichen Erben) beruhen, bestätigt. Dieser „fehlerhafte Schutzzweck“ allein spricht jedoch noch nicht gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 2064 BGB, da zum einen der bereits oben genannte Schutz des Erblasserwillens vor Verfälschung und zum anderen ein weiterer, in der bisherigen Literatur kaum beachteter Zweck, für die Zulässigkeit dieser Einschränkung der Testierfreiheit streitet. Für das eigenhändige Testament schreibt § 2247 BGB die eigenhändige und unterschriebe Erklärung vor. Durch diese Formvorschriften wird der Erblasser dazu angehalten, sich der Bedeutung des Aktes des Testierens bewusst zu werden.218 Da aber die Erteilung der Vollmacht nach § 167 Abs. 2 BGB nicht der Form bedarf, welche für das Rechtsgeschäft, auf das sie sich bezieht, vorgeschrieben ist, würden ohne § 2064 BGB der Sinn und Zweck der Formvorschriften vereitelt werden. Ohne den Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit könnten daher die erbrechtlichen Formvorschriften, deren positiver Nutzen bereits dargelegt wurde219, ausgehöhlt werden. Dies rechtfertigt die mit § 2064 BGB einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit.
216
So zutreffend Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 217 Ausführlicher dargelegt in Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). Bei der Erbaussicht handelt es sich lediglich um eine nuda spes und gerade nicht um eine rechtlich abgesicherte Erbaussicht. Dies wird auch in den Motiven zum BGB deutlich, vgl. dazu Motive, V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210. 218 Vgl. Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 35 f., s. dazu auch Kap. D. II. 2. f) aa). 219 Vgl. dazu Kap. D. II. 2. g).
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
cc) Fazit: Der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit als zulässige Grenze der Testierfreiheit Wenngleich deutlich geworden ist, dass das Gesetz mit dem aus § 2064 BGB folgenden Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit streng ist, überwiegen dennoch die Argumente, die für eine solche Einschränkung der Testierfreiheit sprechen. So wird die Autonomie des Erblassers in mehrfacher Hinsicht geschützt. Entscheidend ist dabei vor allem der Schutz vor einer Aushöhlung der Formvorschriften durch eine formfreie Vollmachtserteilung. Aus diesem Grund ist von der Verfassungskonformität des Grundsatzes der formellen Höchstpersönlichkeit aus § 2064 BGB auszugehen. Etwas anderes könnte jedoch für § 2065 BGB und den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit gelten, den es im Nachfolgenden zu untersuchen gilt. b) Der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit als Grenze der Testierfreiheit Neben der formellen Höchstpersönlichkeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen ist nach § 2065 BGB auch die materielle Höchstpersönlichkeit der Errichtung erforderlich. Nach § 2065 BGB ist es dem Erblasser untersagt, die Entscheidung über die Geltung eines Testaments einem anderen zu überlassen.220 Dies ist insofern bemerkenswert, als dass zu den Grundsätzen der Privatautonomie auch die Befugnis des Einzelnen gehört, Entscheidungen auf Dritte zu übertragen.221 Selbiges gilt grundsätzlich auch für die Testierfreiheit, die als erbrechtliche Ausprägung der Privatautonomie zu verstehen ist.222 Während § 2065 BGB die Übertragung der Entscheidung über die Geltung oder den Inhalt einer Verfügung auf Dritte verbietet, liegt darin kein Verbot unvollständiger Verfügungen.223 Dies ist bei der Betrachtung von Teilen der Rechtsprechung224, die beispielsweise eine fehlende namentliche Bezeichnung 220 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2065, Rn. 1 f.; BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2; BeckOK BGB/Litzenburger Rn. 1; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 558. 221 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger Rn. 1; BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 558; Frey, Flexibilisierung der Nachlassgestaltung im Lichte von § 2065 BGB, 76 f.; vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. B. III. 4. u. B. VII. 2. b). 222 Vgl. BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2; BeckOK BGB/Litzenburger Rn. 1; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 558; Frey, Flexibilisierung der Nachlassgestaltung im Lichte von § 2065 BGB, 76 f.; vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. B. III. 4. u. B. VII. 2. b). 223 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2065, Rn. 3; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 16; Erman/Schmidt BGB § 2065 Rn. 2. 224 So fälschlicherweise KG ZEV 1999, 313; OLG Köln, Rpfleger 1981, 357, 357; OLG München ZEV 2001, 153, 154; OLG München, BeckRS 2013, 9727.
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des Erben unter § 2065 Abs. 2 BGB subsumieren, ohne dass eine Drittbestimmung in Frage steht, klarstellungsbedürftig.225 Ein solcher Fall ist nicht mit § 2065 BGB, sondern im Wege der Auslegung zu lösen.226 § 2065 BGB normiert vielmehr ausschließlich ein Drittbestimmungsverbot und findet daher in Fällen Anwendung, in denen Erblasser Entscheidungen auf Dritte delegieren und enthält diesbezüglich ein Verbot der Vertretung im Willen. In praktischer Hinsicht gibt es zahlreiche Situationen, in denen ein solches Drittbestimmungsverbot nach § 2065 BGB den Erblasser an der Durchsetzung seines Willens hindert.227 Insbesondere die Fälle des frühzeitigen Unternehmertestaments228 zeigen, dass Erblasser über ein legitimes Interesse verfügen können, eine konkrete Entscheidung, die erst einige Zeit nach dem Erbfall getroffen werden kann, auf einen Dritten zu übertragen.229 Insofern, als dass dem Erblasser durch § 2065 BGB diese Möglichkeit der inhaltlichen Gestaltung des Testaments genommen wird, schränkt der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit die Testierfreiheit erheblich ein und ist daher rechtfertigungsbedürftig.230 Das Ausmaß der Beschränkung der Testierfreiheit, welche diese durch § 2065 BGB erfährt, wird auch bei einem Vergleich zu dem, an dieser Stelle liberaleren, römischen-gemeinen Recht deutlich.231 Nach der herrschenden Doktrin des 19. Jahrhunderts war
225 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 16; Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 3. 226 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 3. Hierbei ist zwischen dem Bestimmtheitsbzw. Bestimmungsgebot und dem Entscheidungsverlagerungsverbot nach § 2065 BGB zu unterscheiden, vgl. dazu BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 16. 227 Vgl. BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 f. Rn. 558 f.; a. A. wohl Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 6; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. III. 4. u. B. VII. 2. b). 228 Bei einem frühzeitigen Unternehmertestament ist der Erblasser bestrebt, denjenigen Abkömmling oder sonstigen potentiellen Erben zu seinem Nachfolger zu bestimmen, der hierfür am besten geeignet erscheint. Probleme treten im Hinblick auf § 2065 BGB deshalb auf, weil im Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht abzusehen ist, wie sich die Personen entwickeln und welche daher am besten geeignet ist. Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. B. III. 4. u. B. VII. 2. b). 229 Dazu insbesondere BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2: „So entsteht ein im Hinblick auf die Testierfreiheit legitimes Interesse, eine erst nach dem Erbfall mögliche konkrete Auswahlentscheidung auf einen Dritten zu übertragen.“; vgl. auch Leipold, Erbrecht, Rn. 281; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 1. Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. B. III. 4. u. B. VII. 2. b). 230 Vgl. BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 2. Gomille spricht davon, dass dem Erblasser durch § 2065 BGB Optionen für die inhaltliche Gestaltung seines Testaments verloren gehen, welche von der Testierfreiheit grundsätzlich umfasst wären. Die Intentionen des historischen Gesetzgebers anschaulich darstellend Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 20 f. 231 So auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 298 f. Rn. 553.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
im römischen-gemeinen Recht die Ermächtigung eines Dritten, aus einem vom Erblasser bezeichneten Personenkreis nach eigener Willkür den Erben auszuwählen, im Gegensatz zum heute geltenden Recht zulässig.232 Dies zeigt, dass ein Drittbestimmungsverbot nicht zwingend ist und der damit verbundene Eingriff in die Testierfreiheit einer Rechtfertigung bedarf. Die Rechtfertigungsgründe der durch § 2065 BGB angeordneten Einschränkung der Testierfreiheit sind höchst umstritten.233 Im Folgenden soll daher zunächst der Versuch unternommen werden, mögliche Anknüpfungspunkte für die Rechtfertigung dieser Einschränkung der Testierfreiheit zu finden, um die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 2065 BGB und damit einhergehend des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit zu beantworten. Auch ist zu überprüfen, inwiefern sich die ausgemachten Entwicklungen in Bezug auf die Grenzen der Testierfreiheit und die übrigen zu Beginn dieser Arbeit aufgestellten Thesen in den Legitimationsversuchen zu § 2065 BGB widerspiegeln.234 aa) Verschiedenen Legitimationsversuche des § 2065 BGB und des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit Die Vielzahl und Verschiedenheit der Versuche, § 2065 BGB zu legitimieren, lässt sich kaum kategorisieren, sodass jeder Ansatz einzeln zu untersuchen ist. (1) Verhinderung der Verfälschung des Erblasserwillens und des Missbrauchs der Bestimmungsmöglichkeit durch den Dritten Der Grund für die gesetzliche Anordnung eines Drittbestimmungsverbotes nach § 2065 BGB wird vom BGB-Gesetzgeber und Teilen der heutigen Literatur in der Gefahr der Verfälschung des eigentlichen Erblasserwillens durch den bestimmenden Dritten gesehen, vor der der Erblasser geschützt werden müsse.235 Wenngleich ein solcher Schutz vor Verfälschung des Erblasserwillens in der Literatur und Rechtsprechung nicht der einzige anerkannte Sinn und Zweck des § 2065 BGB ist, so rechtfertigt dies dennoch die Einordnung des Drittbestimmungsverbot nach § 2065 BGB als Grenze der Testierfreiheit, die zumindest auch dem Schutz des Erblassers vor Einwirkungen Dritter
232
Vgl. dazu Muscheler, Erbrecht, Band I, 298 f. Rn. 553. Vgl. dazu exemplarisch BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 1; BeckOGK/ Gomille BGB § 2065 Rn. 3; Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 4. 234 Vgl. dazu Kap. A. II. 235 So Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen, 47 f.; Soergel/Loritz BGB § 2064 Rn. 2.; Goebel, DNotZ 2004, 101, 115; s. auch die Zusammenstellung der verschiedenen Schutzzwecke bei Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 29. 233
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 333
verhindern soll und stützt damit die in dieser Arbeit vorgenommene Kategorisierung der Grenzen der Testierfreiheit. Mit Muscheler ist festzuhalten, dass bei Bestehen einer Missbrauchsgefahr das Recht vor einer solchen Gefahr geschützt und nicht per se beseitigt werden sollte.236 Anders ausgedrückt darf die Gefahr der Verfälschung des Erblasserwillens nicht dazu führen, dass der Erblasser in seinen Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt wird. Hier ist überdies die Frage zu stellen, warum die Missbrauchsgefahr in Form der Verfälschung oder Verhinderung des Erblasserwillens bei der Drittbestimmung des Vermächtnisnehmers nach § 2151 BGB geringer sein sollte.237 Insbesondere in den Fällen, in denen das Vermächtnis wertmäßig dem gesamten Nachlass entspricht, dürfte die Missbrauchsgefahr identisch sein.238 Die Annahme eines solchen Schutzzwecks des § 2065 BGB ist daher im Hinblick auf die Zulässigkeit eines drittbestimmten Universalvermächtnisses widersprüchlich. Die Argumentation, dass der Dritte möglicherweise entgegen dem eigentlichen Erblasserwillen entscheidet, ist auch insofern unzutreffend, als dass der Erblasser den Willen äußert, den Dritten entscheiden zu lassen.239 Ihm ist also gerade nicht daran gelegen, die Auswahl seines Erben allein zu treffen, sondern er vertraut dabei vielmehr den Einschätzungsfähigkeiten eines von ihm ausgewählten Dritten. Aus diesem Grund kann die Entscheidung des Dritten nicht dem Erblasserwillen widersprechen. Wenn der Dritte die Auswahl nicht aus dem begünstigten Personenkreis trifft und sich selbst auswählt, kann zwar in der Tat von einem Missbrauch gesprochen werden, der die Erblasserintention verfälscht, einer solchen Gefahr kann jedoch das Testament selbst begegnen.240 Sofern sich aus dem Testament im Rahmen der Auslegung keine Einschränkung des Personenkreises ergibt, kann der Dritte sich zulässigerweise selbst auswählen.241 In einem solchen Fall liegt jedoch kein Missbrauch der Bestimmungsbefugnis vor, da der bestimmende Dritte von einer zulässigen Option Gebrauch macht. Möchte der Erblasser eine Selbsteinsetzung verhindern, kann er dies durch eine entsprechende Einschränkung der Bestimmungsbefugnis erreichen. Die Bestim236
Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 559. So auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 559; Goebel, DNotZ 2004, 101, 115; Windel, Über die Modi der Nachfolge in das Vermögen einer natürlichen Person beim Todesfall, 237 Fn. 164. 238 In diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 559; Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 37; Goebel, DNotZ 2004, 101, 105. 239 Vgl. Grossfeld, JZ 1968, 113, 115; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 559. 240 So auch Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 39; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 559. 241 Vgl. Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 39. Zimmermann stellt darüber hinaus einen Vergleich zum englischen Recht an und betont, dass es für general powers of appointment charakteristisch ist, dass sich der Dritte auch selbst einsetzen kann. 237
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
mung einer Person aus dem vom Erblasser festgelegten Personenkreis durch den Dritten ist gerichtlich überprüfbar und insofern abgesichert.242 Missbrauchs- und Verfälschungsargumente sind daher nicht nur im Hinblick auf die Möglichkeit der Anordnung eines drittbestimmten Universalvermächtnisses widersprüchlich, sondern mangels Bestehen einer solchen Gefahr insgesamt unbegründet. Die Einschränkung der Testierfreiheit des § 2065 BGB mit dem Schutz vor Missbrauch und dem Verfälschungsrisiko zu begründen, schlägt daher fehl. (2) Schaffung von Rechtssicherheit im Zeitpunkt des Erbfalls durch § 2065 BGB Das Drittbestimmungsverbot soll nach verbreiteter Auffassung auch der Rechtssicherheit dienen.243 Sofern der Erblasser seinen Rechtsnachfolger in der Verfügung von Todes wegen unmittelbar selbst benennt, steht zum Zeitpunkt des Erbfalls die dingliche Zuordnung des Nachlasses bereits fest.244 Ohne das Bestehen eines Drittbestimmungsverbotes nach § 2065 BGB seien bis zu dem Zeitpunkt der Drittbestimmung Rechtsunsicherheiten vorhanden, welche verhindert werden müssten.245 Diese Argumentation geht auf die Ablehnung eines Antrages der Zweiten BGB-Kommission zurück, der es gestatten wollte, einem Dritten die Benennung des Erben durch Auswahl unter mehreren vom Erblasser bezeichneten Personen zu überlassen.246 Wird an dieser Stelle erneut die Frage gestellt, warum bei der Anordnung eines Vermächtnisses und einer Auflage eine Drittbestimmung möglich sein soll, bei der Erbeinsetzung hingegen nicht, so wird diese sowohl von der Zweiten BGB-Kommission als auch von der heutigen Literatur, zumindest auf den ersten Blick, schlüssig beantwortet.247 So führt die Zweite BGB-Kommission aus: 242
Vgl. Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 37. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 1; BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 5. 244 Vgl. BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 5; Beck OK BGB/Litzenburger Rn. 1; Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen, 59, 100; s. auch die Darstellung bei Muscheler, Erbrecht, Band I, 302 f., Rn. 561; Helms, ZEV 2007, 1, 6. 245 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger Rn. 1; BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 5; Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen, 59, 100; Helms, ZEV 2007, 1, 6. 246 Fr eine detaillierte Darstellung der Gründe für die Ablehnung des Antrages der Zweiten BGB-Kommission s. Muscheler, Erbrecht, Band I, 303 Rn. 561 m. V. auf Protokolle, V, 529 f. 247 Besonders anschaulich stellt Goebel diesen Vorteil der Argumentationslinie dar, s. dazu Goebel, DNotZ 2004, 101, 106: „Die Argumentation mit dem öffentlichen Interesse an einer klaren sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung könne sowohl das Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit als auch dessen Ausnahmen gut erklären.“ 243
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 335 „Dazu komme, dass die Erbeinsetzung im Gegensatz zum Vermächtnis auch nach außen wirke. Für Erbschaftsgläubiger und Erbschaftsschuldner würde die Zulassung der Wahl bei der Erbeinsetzung besonders misslich sein, da sich diese häufig nicht in der Lage befänden, mit Sicherheit und rechtzeitig zu erfahren, wer und wann gewählt worden und wer mithin als Erbe zu betrachten sei.“248
Die heutige Literatur greift diesen Gedanken auf und argumentiert damit, dass ein Vermächtnis lediglich schuldrechtlicher Natur sei, während die Erbeinsetzung eine dingliche Wirkung erzeuge. Es bestünde das öffentliche Bedürfnis nach einer klaren sachenrechtlichen Zuständigkeitsordnung hinsichtlich des ererbten Vermögens zum Zeitpunkt des Erbfalls.249 Wenngleich bereits zweifelhaft ist, ob ein solches Bedürfnis für Verfügungen von Todes wegen tatsächlich besteht, kann dies jedenfalls durch andere, die Testierfreiheit weniger einschränkende Regelungen befriedigt werden. So kann dem sachenrechtlichen Zuordnungsinteresse dadurch Genüge getan werden, dass eine Vorerbschaft angenommen wird, die bis zur endgültigen Drittbestimmung des Nacherben besteht.250 Auf diesem Wege könnten auch die Interessen der Erbschaftsgläubiger und Erbschaftsschuldner hinreichend berücksichtigt werden. Zutreffend weist Muscheler darauf hin, dass der Zeitraum dieser Vorerbschaft mit amtswegiger Fristbestimmung kurz gehalten werden könne.251 Selbst in den Fällen, in denen eine längere Übergangszeit bis zur Erbenbestimmung entsteht, kann das sachenrechtliche Zuordnungsinteresse durch Ernennung eines Testamentsvollstreckers beachtet werden.252 Ein Vergleich zu anderen gesetzlichen Vorschriften zeigt überdies, dass das Gesetz Unsicherheiten und Änderungen, auch in Bezug auf die Erbenstellung, zulässt. Hier sei auf die aufschiebend bedingte Erbeinsetzung, das Institut der Ausschlagung und die Widerrufsmöglichkeiten verwiesen.253 An mehreren Stellen im Erbrecht wird daher deutlich, dass das sachenrechtliche Zuordnungsinteresse gegenüber anderen erbrechtlichen Interessen zurücktreten muss.254
248
Protokolle, V, 6627 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 528. 249 Vgl. BeckOGK/Gomille BGB § 2065 Rn. 5; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 1; Helms, ZEV 2007, 1, 6; Wagner, Der Grundsatz der Selbstentscheidung bei Errichtung letztwilliger Verfügungen, 59, 100. 250 Vgl. dazu insbesondere Goebel, DNotZ 2004, 101, 105; Grossfeld, JZ 1968, 113, 115. 251 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 303 f. Rn. 561. 252 So zutreffend Goebel, DNotZ 2004, 101, 106. 253 Vgl Goebel, DNotZ 2004, 101, 105; Muscheler, Erbrecht, Band I, 303 f. 561. 254 So auch Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 39 f.; Goebel, DNotZ 2004, 101, 105.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
(3) Verhinderung der Umgehung des Grundsatzes der formellen Höchstpersönlichkeit durch § 2065 BGB Bei näherer Betrachtung der Motive des BGB-Gesetzgebers und Teilen der heutigen Literatur wird ein weiterer möglicher Zweck des § 2065 BGB ersichtlich.255 So könnte der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit nach § 2065 BGB der Sicherung der formellen Höchstpersönlichkeit dienen. Der BGB-Gesetzgeber formuliert: „Dennoch muss einem solchen Vorgehen entgegengetreten werden; denn tatsächlich liegt in der Heranziehung des Willens eines Dritten, welcher der Verfügung erst ihre Kraft verleihen soll, immer eine Art von Übertragung der Testamentserrichtung.“256
Auch an dieser Stelle hat sich die neuere Literatur der Argumentation des BGB-Gesetzgebers angeschlossen und darauf hingewiesen, dass ohne den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit die persönliche Testamentserrichtung gefährdet sei. So formuliert Otte, dass § 2065 BGB verhindern solle, dass der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit einer letztwilligen Verfügung aus § 2064 BGB dadurch umgangen wird, dass der Erblasser das Testament zwar selbst errichtet, faktisch jedoch ein Dritter den maßgeblichen Inhalt in Form der Erbenstellung bestimmt.257 Insofern, als dass dem Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit nach § 2064 BGB eine gewisse Berechtigung zukommt258, müsste selbiges auch für § 2065 BGB gelten, wenn dieser eine Umgehung des § 2064 BGB verhindert. Eine solche Argumentationsweise ist jedoch deshalb anzuzweifeln, weil durch die Drittbestimmung das Erfordernis der formellen Höchstpersönlichkeit nicht umgangen werden kann. Zu berücksichtigen sind dabei die Erkenntnisse des vorangegangenen Abschnitts dieser Arbeit.259 Der Gesetzgeber hätte für letztwillige Verfügungen eine Ausnahme von § 167 Abs. 2 BGB
255 Vgl. Motive, V, 30 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 16; s. auch Staudinger/Otte BGB § 2065, Rn. 2: „§ 2065 BGB verhindert, dass die Vorschrift über die formelle Höchstpersönlichkeit der Testamentserrichtung (§ 2064 BGB) dadurch umgangen wird, dass der Erblasser das Testament zwar selbst errichtet, die Entscheidung über Geltung oder Inhalt jedoch einem Dritten überträgt.“ 256 Vgl. Motive, V, 30 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich 16; s. auch Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 21 Fn. 68. 257 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2065, Rn. 2. Den Zusammenhang zwischen § 2064 und § 2065 BGB erkennt auch Muscheler, wenngleich er diese Argumentation mit dem Hinweis ablehnt, dass bereits § 2064 BGB als solches nicht überzeugt, vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 300 f. Rn. 559.; s. auch die Darstellung bei Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 35 f. 258 Vgl. dazu Kap. D. II. 3. a). 259 Vgl. dazu Kap. D. II. 3. a), welches sich mit dem Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit des § 2064 BGB befasst.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 337
und den Grundsatz der Formfreiheit der Vollmachtserteilung machen können.260 Statt eine solche explizit anzuordnen, hat der Gesetzgeber mit § 2064 BGB eine Norm geschaffen, die über eine bloße Ausnahmebestimmung zu § 167 Abs. 2 BGB hinausgeht, indem eine im Sinne des § 2247 BGB formgerechte Ermächtigung zur Testamentserrichtung untersagt und die persönliche Errichtung der Verfügung von Todes wegen vorgeschrieben wird.261 Die Grundvoraussetzung für eine wirksame Anordnung der Drittbestimmung ist damit stets eine persönliche Verfügung. Jede Verfügung mit Bestimmungsbefugnis muss daher eine formgemäße Verfügung im Sinne des § 2064 BGB sein. Selbst in dem Fall, in dem der Testator die Entscheidungsbefugnis an einen Dritten überträgt, erfüllt die Formvorschrift des § 2064 BGB daher ihren Zweck und wird, anders als es Otte für möglich hält, nicht umgangen. Aus diesem Grund kann in dem Schutz vor der Umgehung des § 2064 BGB auch nicht die Rechtfertigung für den mit § 2065 BGB verbundenen Eingriff in die Testierfreiheit des Erblassers liegen. (4) Schutz des unverzichtbaren Kerns der Privatautonomie durch § 2065 BGB Als Schutzgut des § 2065 BGB wird regelmäßig auch auf den unverzichtbaren Kern der Privatautonomie verwiesen.262 Dieser Kern werde verletzt, wenn die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Dritten, wie bei einer drittbestimmten Verfügung von Todes wegen, weder kontrolliert noch rückgängig gemacht werden könne. Die Vertreter dieser Argumentation ziehen einen Vergleich zu der Erteilung einer unwiderruflichen Generalvollmacht.263 In diese Richtung argumentieren auch Kuchinke und Otte, die betonen, dass eine Kontrolle des Dritten durch den Erblasser nicht erfolgen könne, da der Dritte zu den Nachlassbeteiligten in keinerlei schuldrechtlicher Beziehung stehe, sodass der Dritte außerhalb des § 826 BGB nicht sanktioniert werden könne.264 Lediglich bei offensicht-
260
Vgl. Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 35 f. In diese Richtung auch Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 35 f. Zimmermann nutzt an dieser Stelle zur Veranschaulichung folgendes Beispiel und führt dazu aus: „[…] durch § 2064 BGB ist auch eine Verfügung des Typs: „Ich bevollmächtige Titus, mein Testament zu errichten“ für unzulässig erklärt; sie wäre sonst, hätte der Erblasser sie in die Form des § 2247 BGB gekleidet, zulässig gewesen.“ 262 So vor allem Keim, Die höchstpersönliche Struktur der Verfügung von Todes wegen, 26 ff.; s. auch Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 27 I. 3 die betonen, dass der eigentliche Grund für den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit in dem Kern der unverzichtbaren Privatautonomie liege. Vgl. dazu auch die Darstellung bei Goebel, DNotZ 2004, 101, 113. 263 Vgl. Großfeld JZ 1968, 113, 117 f.; zu den Thesen Großfelds s. Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 24 ff.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 304 Rn. 562. 264 Vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 27 I 3; Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 4. 261
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
licher Unbilligkeit im Sinne des § 319 BGB käme eine Korrektur der Ermessensentscheidung des Dritten in Betracht.265 Auch diese Argumentationslinie kann nicht überzeugen. Es ist bereits nicht überzeugend, dass aus dem Freiheitsrecht der Privatautonomie die Pflicht abgeleitet wird, von dieser Freiheit einen bestimmten Gebrauch zu machen. Der verfassungsrechtliche Diskurs von der Vorstellung von Grundpflichten, die aus Grundrechten hergeleitet werden, ist daher zurecht auf Kritik gestoßen.266 Der Verfassungsgeber hat bewusst Abstand davon genommen, Grundrechte mit Grundpflichten zu verknüpfen, um das Prinzip der grundsätzlich unbegrenzten Freiheitssphäre des Individuums und der begrenzten Befugnisse des Staates nicht zu konterkarieren.267 Die Ausführungen in dem Kap. B. VI. 4. haben daher zu Recht gezeigt, dass es sich bei der durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eingeräumten Testierfreiheit um eine Freiheit nach Belieben und nicht um eine gebundene Freiheit handelt.268 Die Testierfreiheit gewährt somit eine völlig freie und nicht pflichtengebundene Gestaltungsbefugnis.269 Darüber hinaus können die Befürworter der Theorie von dem Schutz des unverzichtbaren Kerns der Privatautonomie nicht erklären, warum der Kern der Privatautonomie bei einer drittbestimmten Erbeinsetzung verletzt sein soll, ein drittbestimmtes nachlassaufzehrendes Vermächtnis jedoch wirksam angeordnet werden kann.270
265
Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 4. Vgl. dazu Isensee/Kirchhof/Hofmann Handbuch des Staatsrechts, Band IX, § 195 Rn. 3; Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 157; v. Schmitt, Verfassungslehre, 158. 267 Vgl. dazu Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 157; Isensee/Kirchhof/Hofmann Handbuch des Staatsrechts, Band IX, § 195 Rn. 3. 268 Anders versteht Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195 die Testierfreiheit. Bei der Testierfreiheit handele es sich um eine „[…] Freiheit zur pflichtgemäßen, gerechten Ausübung, aus der Verantwortung des Ehegatten und Familienvaters heraus.“ Vgl. dazu ausführlich Kap. B. VI. 4. 269 Vgl. dazu ausführlich die Ausführungen in Kap. B. I. und Kap. B. VI.; a. A. Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195. 270 In diese Richtung auch Goebel, DNotZ 2004, 101, 113, der betont, dass sich die Theorie von dem Schutz des unverzichtbaren Kerns der Privatautonomie nicht mit den Differenzierungen des Gesetzes vertrage, die es im Hinblick auf das Votum für und gegen eine materielle Höchstpersönlichkeit gerade nicht die Abschichtungen, die das Gesetz ausweislich seines Changierens zwischen einem klaren Votum für […] und gegen […] eine materielle Höchstpersönlichkeit implementiert. Gerade beim nachlassaufzehrenden drittbestimmten Vermächtnis nach § BGB § 2151 BGB wird sehr deutlich, dass die gesetzlich vorgesehenen Fälle der materiellen Drittbestimmungsbefugnis durchaus quer stehen zu den gängigen Wertungen hinsichtlich des einschränkbaren Kerns der Privatautonomie unter Lebenden. 266
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 339
Des Weiteren ist bereits der Vergleich der erbrechtlichen Drittbestimmung mit der Generalvollmacht nicht schlüssig.271 Zutreffend erkennt Muscheler, dass sich der Vollmachtgeber bei der lebzeitigen Erteilung einer unwiderruflichen Generalvollmacht selbst begrenzt, während dies bei der erbrechtlichen Drittbestimmung nicht der Fall ist. Hier überlässt der Erblasser vielmehr einem Dritten die Bestimmung, weil er sie zu diesem Zeitpunkt nicht selbst treffen kann oder will, ohne dass der Erblasser dadurch selbst unmittelbar beeinträchtigt wird oder die Auswirkungen spürt. Lediglich der Nachlass des Erblassers ist von einer solchen Bestimmung der Verteilung durch den Dritten betroffen, welche den Erblasser selbst aber nicht mehr tangiert. Zwar werden die gesetzlichen Erben von einer solchen Bestimmung durch den Dritten betroffen, die Aussicht auf eine Erbschaft ist jedoch keine schützenswerte Position, sondern vielmehr eine vage Hoffnung.272 Im Übrigen könnte ihre Erbschaft auch genauso von einem vollständigen Testament des Erblassers ohne die Ergänzung des Dritten geschmälert werden. Überdies bezieht sich das erbrechtliche Drittbestimmungsrecht auf einen einzelnen Vorgang, während die Generalvollmacht zu einer Vielzahl von Geschäften ermächtigt. Einer verstärkten Kontrolle des Dritten bedarf es aus diesen Gründen ebenfalls nicht. Vielmehr kann auf das Argument zurückgegriffen werden, welches bereits bei der Frage nach der Schutzgewähr durch § 2065 BGB vor Verfälschung des Erblasserwillens angesprochen wurde.273 Die Gefahr, dass der Dritte möglicherweise entgegen dem tatsächlichen Erblasserwillen entscheidet und deshalb verstärkte Kontrollmechanismen nötig wären, ist insofern nicht gegeben, als dass der Erblasser explizit den Willen äußert, den Dritten entscheiden zu lassen.274 Dass sich der Dritte nicht über den vom Erblasser festgelegten Personenkreis hinwegsetzt ist gerichtlich überprüfbar und insofern abgesichert.275 Auch das Argument, dass die Übertragung der Entscheidung auf den Dritten nicht rückgängig gemacht werden kann, überzeugt nicht.276 Zu Lebzeiten ist der Erblasser an testamentarische Anordnungen grundsätzlich nicht gebunden.277 So könnte dieser ein Testament, welches eine Drittbestim271
So auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 304 Rn. 562. Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 273 Vgl. dazu die Ausführungen bei Kap. D. II. 3. b) aa) (1). 274 Vgl. dazu die Ausführungen bei Kap. D. II. 3. b) aa) (1); vgl. auch Grossfeld, JZ 1968, 113, 115. 275 So zutreffend Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 37; in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 Rn. 559. 276 Vgl. Keim, Die höchstpersönliche Struktur der Verfügung von Todes wegen, 26 ff.; Lange/Kuchinke, Erbrecht, Rn. § 27 I 3. 277 Mit Ausnahme von vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag und wechselseitigen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament. 272
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
mung der Erben vorsieht, jederzeit widerrufen. Die Hürden dafür sind sehr gering, da bereits ein einfaches Zerreißen des Testaments genügen würde.278 Mit Eintritt des Erbfalls ist die Anordnung der Drittbestimmung in der Tat nicht mehr rückgängig zu machen. Dies gilt aber für sämtliche testamentarische Anordnungen und ist folglich nicht drittbestimmungs-, sondern erbrechtsspezifisch. Die Gefahr, dass sich eine Erbeinsetzung nach dem Erbfall im Hinblick auf den ursprünglichen Erblasserwillen als falsch erweist, besteht sowohl für die vom Erblasser durchgeführte als auch für die drittbestimmte Erbeinsetzung gleichermaßen. Die nichtvorhandene Möglichkeit des Rückgängigmachens von Entscheidungen nach dem Erbfall ist dem Erbfall, konkret dem Tod, in gewisser Weise immanent. (5) Erfordernis der materiellen Höchstpersönlichkeit aufgrund der besonderen persönlichen Bedeutung der Verfügung von Todes wegen Einen weiteren Versuch zur Rechtfertigung des mit dem § 2065 BGB verbundenen Eingriffs in die Testierfreiheit des Erblassers unternimmt Goebel, der den § 2065 BGB unter Hinzuziehung eines neuen Verständnisses der Testierfreiheit betrachtet.279 Die Testierfreiheit sei als „funktionales Persönlichkeitsrecht“280 zu verstehen, welches dem Erblasser ermögliche, seinen bevorstehenden Tod zu verarbeiten. Aus diesem Verständnis der Testierfreiheit als ein funktionales Persönlichkeitsrecht zieht Goebel den Schluss, dass der Erbenstellung, im Gegensatz zur Stellung als bloßer Vermächtnisnehmer, eine zentrale Funktion bei der Todesverarbeitung zukomme. So verbinde der größte Teil der Bevölkerung mit der Eigenschaft, Erbe von jemanden zu sein, eine besondere Verbundenheit mit dem Erblasser.281 § 2065 BGB käme demnach die Funktion zu, dem symbolhaften Charakter der Erbenstellung Rechnung zu tragen. Dies habe zur Folge, dass die Erbeinsetzung die Ausübung eines höchstpersönlichen Rechts darstelle, welches einer Drittbestimmung unzugänglich sei.282 278 Zu den Widerrufsmöglichkeiten s. Kap. D. II. 2. f) bb) 1.; vgl. auch MüKoBGB/Sticherling BGB § 2255 Rn. 1 ff.; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2255 Rn. 4; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2255 Rn. 3. 279 Vgl. Goebel, DNotZ 2004, 101, 116 f.; Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 361 ff. 280 Vgl. Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht, 361 ff.; vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. VI. 5., welche sich mit der Frage befasst haben, ob das Persönlichkeitsrecht des Erblassers die Grundlage der Testierfreiheit bildet. 281 Vgl. Goebel, DNotZ 2004, 101, 117 mit Verweis auf Szydlik, KZfSS 1999, 80, 83; Lauterbach/Lüscher, KZfSS 1996, 66, 73, 90. 282 Vgl. Goebel, DNotZ 2004, 101, 117. Nach Goebel wird erst aufgrund des Charakters der Erbeinsetzung als höchstpersönliche Rechtsausübung deutlich, warum das Gesetz diesbezüglich die materielle Höchstpersönlichkeit anordnet, während es ansonsten dem Eigentümer überlässt, über das Vermögen frei zu verfügen.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 341
Wenngleich Goebels Argumentation in sich schlüssig ist und auch erklärt, warum die Drittbestimmung bei einem Vermächtnis anders als bei der Erbeinsetzung möglich ist, kann sie im Ergebnis nicht überzeugen, da die ihr zugrundeliegenden Annahmen fehlerhaft sind. So gibt es für die besondere gesellschaftliche Bedeutung der Erbenstellung im Vergleich zu der Stellung als Vermächtnisnehmer keinen Beleg.283 Vielmehr zeigt die alltägliche Erfahrung in der Berufspraxis, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht zwischen Erbe und Vermächtnis differenzieren kann.284 Die besondere Bedeutung der Erbenstellung ist folglich nicht vorhanden, sodass auch Goebel im Ergebnis nicht erklären kann, warum ein drittbestimmtes gegebenenfalls sogar nachlassverzehrendes Vermächtnis im Gegensatz zu einer drittbestimmten Erbeinsetzung möglich ist. Insbesondere in Fällen, in denen die Erben mit einem solchen Vermächtnis beschwert sind, wird die Erbenstellung wertlos und ist nicht mehr Ausdruck einer speziellen Verbundenheit zwischen Erblasser und Erben. Unabhängig davon, inwieweit das Verständnis Goebels von der Testierfreiheit als ein Recht zur Verarbeitung des Todes zutreffend ist,285 kann es jedenfalls das Erfordernis einer materiellen Höchstpersönlichkeit nicht erklären. Wenn die Testierfreiheit nämlich tatsächlich der Todesverarbeitung dient, so stellt sich die Frage, warum eine Todesverarbeitung dem Erblasser nicht auch dadurch ermöglicht werden soll, dass er einem Dritten die Erbenbestimmung überlässt. Aufgrund der aufgezeigten Schwächen kann auch diese Argumentationslinie nicht überzeugen und ist im Ergebnis abzulehnen. (6) Verhinderung der Konzentration von Vermögen in der Generationenfolge Der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit nach § 2065 BGB soll nach teilweise vertretener Auffassung auch dazu dienen, die Ansammlung familiären Vermögens in der Generationenfolge zu verhindern.286 Sofern der Erblasser einem Dritten die Bestimmung des Erben überlasse, würde eine für das Familienvermögen wirtschaftlich sinnvolle Konzentration des Vermögens erleichtert. Wie die Abschaffung des Fideikommisses und die Ausfüh283
In diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 305 Rn. 564. Ganz überwiegende Meinung, vgl. statt vieler Bamberger/Roth/Litzenburger § 2065 Rn. 1; Muscheler, Erbrecht, Band I, 305 Rn. 564. 285 Ein solches Verständnis der Testierfreiheit ist abzulehnen. Goebel übersieht in seiner Argumentation, dass es bei der Errichtung der Verfügung von Todes wegen primär um das Vermögen des Erblassers und dessen Weitergabe geht. Zutreffend daher Muscheler, Erbrecht, Band I, 305 Rn. 564. 286 Vgl. Großfeld, JZ 1968, 113, 118; Keim, Die höchstpersönliche Struktur der Verfügung von Todes wegen, 42 ff.; ablehnend Goebel, DNotZ 2004, 101, 114 f.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 304 Rn. 563. 284
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
rungen zu der zeitlichen Begrenzung der erblasserischen Anordnungen gezeigt haben, ist die Konzentration des familiären Vermögens in der Tat als negativ zu bewerten und zu verhindern.287 Hieraus lässt sich jedoch nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit nach § 2065 BGB notwendig ist, um familienfideikommissähnliche Verhältnisse zu verhindern.288 Dies ergibt sich bereits aus der bestehenden und erlaubten Möglichkeit der Errichtung eines nachlassaufzehrenden drittbestimmten Unternehmensvermächtnisses. Hierdurch kann in gleichem Maße Vermögenskonzentration betrieben werden. Auch das Zulassen der Sondererbfolge im Bereich der Vererbung von Personengesellschaftsanteilen auf einen Erben ist nicht zu erklären, wenn man von einem solchen Verbot der Vermögenskonzentration ausgeht, da diese Sondererbfolge durchaus die zum Teil auch gewünschte Wirkung hat, Vermögen zu konzentrieren.289 Auch im Übrigen Erbrecht wird die Vermögensakkumulation zugelassen. So verfügt der Erblasser über verschiedene Anordnungsmöglichkeiten, die bereits an anderer Stelle dieser Arbeit betrachtet wurden.290 Insbesondere die Möglichkeit der Anordnung einer mehrfach hintereinander geschalteten Nacherbfolge kann zu einer Vermögensakkumulation führen, die trotz einer zeitlichen Begrenzung nach § 2109 BGB nicht verhindert werden kann.291 Überdies schließt der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit nicht aus, dass der Erblasser selbst Vermögenskonzentration schafft. Auch der Erblasser kann sich nur für einen Erben entscheiden.292 Im Kern muss sich das Konzentrationsargument folglich den Vorwurf gefallen lassen, dass es als Anliegen des § 2065 BGB annimmt, Vermögenskonzentration zu verhindern, obwohl diese Vermögenskonzentration aufgrund diverser anderer Vorschriften und den damit einhergehenden Gestaltungsmöglichkeiten bereits in zulässigerweise erreicht werden kann. Schlussendlich fehlt es der Konzentrationstheorie auch an einem Nachweis, der belegt, dass speziell die Drittbestimmung zu einer familienfideikommissähnlichen Vermögenskonzentration führt, die den mit dem Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit nach § 2065 BGB verbundenen Eingriff in die Testierfreiheit rechtfertigen würde.293 287
Vgl. dazu Kap. D. II. 1. d). So zutreffend auch Goebel, DNotZ 2004, 101, 114 f.; in diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 304 Rn. 563. 289 Zu der Sondererbfolge im Bereich der Vererbung von Personengesellschaftsanteilen Ivo, ZEV 2004, 499, 499 ff.; Keller, ZEV 2001, 297, 297; zur Erbteilsverfügung bei der Sondererbfolge in Kommanditanteil DNotI-Report 2011, 10, 10 f. 290 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. II. 1. d). 291 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. II. 1. c). Vgl. dazu auch die grundlegenden Ausführungen in Kap. B. IV. 2. b). 292 Zutreffend Muscheler, Erbrecht, Band I, 304 Rn. 563. 293 So auch Goebel, DNotZ 2004, 101, 115. Goebel fordert, dass das Konzentrationsar288
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 343
Insgesamt lässt sich daher sagen, dass auch das Konzentrationsargument nicht überzeugt und auch dieser Argumentationsansatz zu verwerfen ist. (7) Schutz der gesetzlichen Erbfolge durch § 2065 BGB – familiaristische Wertungen des Grundsatzes der Höchstpersönlichkeit Eine Auswertung der vorhandenen Literatur294 und Rechtsprechung295 verdeutlicht, dass die Einschränkung der Testierfreiheit durch das Drittbestimmungsverbot häufig auch mit den schutzwürdigen Interessen der zurückgesetzten gesetzlichen Erben gerechtfertigt wird. Insbesondere der Bundesgerichtshof stellt diese Schutzgewähr als zentralen Aspekt des § 2065 BGB heraus: „In den §§ 2064, 2065 BGB bekennt das Gesetz sich zu dem Grundsatz, dass der Erblasser allein vor seinem Gewissen die Verantwortung dafür übernehmen muss, wenn er die Erbfolge anders regelt, als das Gesetz sie vorgesehen hat. Aus diesem Grund kann er eine letztwillige Verfügung nur persönlich errichten. Er kann sich danach weder im Willen noch bei der Abgabe seiner Willenserklärung vertreten lassen.“296
Einer solchen Formulierung lässt sich die Annahme entnehmen, dass § 2065 BGB die gesetzliche Erbfolge und damit auch die Familie als gesetzliche Erben schützt.297 Es wird davon ausgegangen, dass der Erblasser die gesetzliche Erbfolge nur dann aufheben könne, wenn er selbst einen eigenen hinreichend festen Entschluss über die Geltung und den Inhalt seiner Anordnung gefasst hat, weil die Entziehung des gesetzlichen Erbrechts eines Angehörigen einen Eingriff in eine Rechtsposition darstelle.298 Eine solche Argumentation kann jedoch nicht überzeugen, da eine Wechselwirkung zwischen dem Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit und der gesetzlichen Erbfolge samt des Schutzes familiärer Interessen nicht besteht.299 Die von der gument durch Datenerhebungen abgesichert werden müsse, die die erhöhte Gefahrenlage in Bezug auf die Vermögenskonzentration bei erlaubter Drittbestimmung belegen. Da dies bislang nicht geschehen ist, hält er das Konzentrationsargument für wenig stichhaltig und lässt es als Rechtfertigung für den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit nicht ausreichen. 294 Vgl. Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195; Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 1 f.; Helms, ZEV 2007, 1, 4 f. 295 Vgl. dazu insbesondere BGHZ 15, 199. Zwar sind weitere Entscheidungen zu § 2065 BGB ergangen. Diese enthalten jedoch keine Ausführungen zu der Frage nach der Rechtfertigung des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit und sind daher für die Zwecke dieses Kapitels unbrauchbar. 296 BGHZ 15, 199, 200. 297 Zu dem Prinzip der materiellen Höchstpersönlichkeit und familiaristischen Wertungen s. Goebel, DNotZ 2004, 101, 108 f.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 301 f. Rn. 560. 298 Zu der personalen Verantwortung als Grundidee des § 2065 Keim, Die höchstpersönliche Struktur der Verfügung von Todes wegen, 28. 299 Zutreffend betont daher auch Zimmermann, dass kein spezifischer Zusammenhang
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
gesetzlichen Erbfolge abweichende Erbeinsetzung stellt gerade keine Benachteiligung der gesetzlichen Erben dar, weil auch diese bloß über eine nuda spes verfügen.300 Über das Pflichtteilsrecht hinaus haben die gesetzlichen Erben keinen Anspruch auf Teilhabe an dem Nachlass des Erblassers.301 Das bloße Enttäuschen von Hoffnungen mag in bestimmten Fällen als ungerecht empfunden werden, ist rechtlich jedoch nicht relevant.302 Mangels eines Rechts der gesetzlichen Erben auf Partizipation am Nachlass kann daher nicht von einem Nachteil gesprochen werden. Von einem solchen gehen die Vertreter der oben dargestellten Auffassung jedoch aus, indem sie annehmen, dass die Enterbung ohne einen vernünftigen sachlichen Grund nicht wertneutral sei, sondern einen „Eingriff in eine Rechtsposition, die dem gesetzlichen Erben eigentlich zusteht“303 darstelle. Die Unstimmigkeit dieser Annahme wird daran deutlich, dass der Erblasser nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches von der gesetzlichen Erbfolge beliebig abweichen kann, ohne dafür einen, wie es Leipold fälschlicherweise fordert304, vernünftigen sachlichen Grund zu haben oder anzugeben. Vielmehr ist überhaupt kein Grund notwendig, sodass der Erblasser frei verfügen und eben auch seine gesetzlichen Erben von der Erbfolge ausschließen kann.305
zwischen dem Bestimmungsrecht eines Dritten und dem Familieninteresse besteht, vgl. Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 26; vgl. auch Muscheler, 302 Rn. 560; Goebel, DNotZ 2004, 101, 109; Grossfeld JZ 1968, 113, 115. 300 Vgl. Motive, V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210; Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 301 Vgl. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); s. auch vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 302 So auch Goebel, DNotZ 2004, 101, 109: „Solche wiederum können den gesetzlich Erbberechtigten zu Lebzeiten des Erblassers aufgrund ihrer unsicheren Erwerbsaussicht, nach dem Ableben des Erblassers aufgrund vorrangiger letztwilliger Verfügung nicht zugebilligt werden: Hoffnungen zu enttäuschen, mag menschlich unangenehm sein, interessiert das Recht jedoch nicht, wenn es sie nicht schützt. Ein Nachteil wäre mithin nur auszumachen, wenn davon ausgegangen wird, der Abkömmling habe ein irgendwie geartetes vorrechtliches ,Recht‘ am Nachlass.“ 303 Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195. 304 So Leipold, AcP 180 (1980), 160, 195. Darüber hinaus führt Leipold an derselben Stelle aus: „Nahezu zwangsläufig öffnet sich also vom Verständnis der gesetzlichen Erbfolge als des grundsätzlich Richtigen her auch die Möglichkeit zu einer Kontrolle der Erblasserentscheidungen am Maßstab der Gerechtigkeitsvorstellungen, die im gesetzlichen Erbrecht enthalten sind.“ 305 So zutreffend Muscheler, Erbrecht, Band I, 302 Rn. 560; ebenfalls in diese Richtung Goebel, DNotZ 2004, 101, 109.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 345
Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass erneut die Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten in Form von gesetzlichen Erben missverstanden wird und daraus fehlerhafte Schlüsse gezogen werden, wie hier die Annahme, dass der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit durch den daraus resultierenden Schutz der gesetzlichen Erben legitimiert werden könne. Die vage Hoffnung der gesetzlichen Erben auf den Erhalt der Erbschaft, die Gutmann zutreffend herausgearbeitet hat306, wird fälschlicherweise erneut mit einem rechtlichen Anspruch oder zumindest etwas Anspruchsähnlichem gleichgesetzt.307 Im Übrigen zeigt auch ein Vergleich zu der Erbeinsetzung eines Dritten, der kein gesetzlicher Erbe ist, dass ein Drittbestimmungsverbot den Eingriff in die Testierfreiheit nicht mit dem Schutz der gesetzlichen Erben rechtfertigen kann. Es ist unstreitig möglich, dass der Erblasser die gesetzlichen Erben durch Einsetzung eines Dritten als Erben von der Erbfolge ausschließen kann. Wenn nun aber die Einsetzung eines Dritten als Erben in Hinblick auf die Enterbung der gesetzlichen Erben unproblematisch ist, kann auch die Übertragung der Bestimmungsbefugnis auf einen Dritten unter diesem Gesichtspunkt nicht beanstandet werden.308 Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass familiaristische Wertungen, die den Schutz der gesetzlichen Erbfolge durch § 2065 BGB als Legitimation für das Drittbestimmungsverbot anführen, nicht vorhanden sind und daher eine Beschränkung der Testierfreiheit nicht rechtfertigen können.309 (8) Erfordernis der materiellen Höchstpersönlichkeit aufgrund der personalen Verantwortung des Erblassers Sowohl der Bundesgerichtshof als auch Otte weisen darauf hin, dass der Erblasser seine Verfügung vollumfänglich durchdenken und einen abschließenden Willen bilden müsse und rechtfertigen damit die Einschränkung der Testierfreiheit durch den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit.310 Besonders anschaulich formuliert Otte, dass Entscheidungen über das
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Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff, 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 307 Vgl. dazu bereits Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). 308 In diese Richtung auch Zimmermann, „Quos Titius voluerit“, 34, der folgendes Beispiel anführt: „Wenn aber die Einsetzung des Freundes Titus als Erbe normalerweise unter Gesichtspunkten des Verwandtenerbrechtsschutzes nicht beanstandet wird, kann auch die Übertragung der Bestimmungsbefugnis auf Titus jedenfalls unter diesem Blickwinkel nicht anstößig sein.“ 309 Dieses Ergebnis stimmt mit den grundlegenden Ausführungen zu der Testierfreiheit in Kap. B., die an mehreren Stellen gezeigt haben, dass die Testierfreiheit außerhalb des Pflichtteilsrecht keinen familiären Grenzen unterliegt, überein. 310 Vgl. BGHZ 15, 199, 200; Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 1 f.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Schicksal eines Vermögens nach dem Tod seines Inhabers nicht von Dritten getroffen werden können, die sich der Verantwortung eines solchen Vermögens nicht als Inhaber desselben bewusst werden konnten.311 Ein solcher Verantwortungsgedanke kann jedoch die mit dem Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit verbundene Beeinträchtigung der Testierfreiheit ebenfalls nicht rechtfertigen.312 So wird bereits nicht deutlich, warum die Verantwortung des Vermögensinhabers im Erbrecht stärker sein soll als im Vertragsrecht.313 Eine personale Verantwortung, lediglich bei der Erbenbestimmung anzunehmen, erscheint im Hinblick auf die Möglichkeit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung als widersprüchlich. So verfügt der Testamentsvollstrecker aufgrund seiner starken Stellung über erhebliche Möglichkeiten der Einflussnahme, sodass auch hier von Verantwortung gesprochen werden kann. Trotz einer solchen Verantwortung des Testamentsvollstreckers kann dieser gemäß § 2198 Abs. 1 BGB von einem Dritten bestimmt werden.314 Auf die zentrale Frage, warum die Drittbestimmung bei der Erbeinsetzung nicht möglich ist, im Vergleich dazu aber ein drittbestimmtes nachlassverzehrendes Vermächtnis wirksam angeordnet werden kann, gibt diese Argumentationslinie ebenfalls keine Antwort. Zwar könnte argumentiert werden, dass bei der Anordnung eines Vermächtnisses im Vergleich zur Erbeinsetzung keine Interessen der Nachlassgläubiger berücksichtigt werden müssen, da der Vermächtnisnehmer insofern, anders als der Erbe, selbst 311 Vgl. Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 1 f.; ähnlich BGHZ 15, 199, 200: „In den §§ 2064, 2065 BGB bekennt das Gesetz sich zu dem Grundsatz, dass der Erblasser allein vor seinem Gewissen die Verantwortung dafür übernehmen muss, wenn er die Erbfolge anders regelt, als das Gesetz sie vorgesehen hat.“ Dieses Zitat wurde bereits im Rahmen der Ausführungen zu dem vorherigen Legitimationsversuch angeführt, bei dem es um den Schutz der gesetzlichen Erbfolge durch § 2065 BGB ging. Der BGH thematisiert jedoch nicht nur die gesetzliche Erbfolge, sondern beschreibt gleichzeitig, genau wie Otte, eine Verantwortung des Erblassers. 312 In diese Richtung auch Goebel, DNotZ 2004, 101, 107. 313 Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil das Erbrecht überwiegend als Vermögensrecht verstanden wird. Das Vermögensrecht unter Lebenden zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass ebenfalls von einer Selbstverantwortung ausgegangen wird, gleichzeitig aber eine Stellvertretung grundsätzlich möglich ist. Lediglich in Ausnahmefällen ist eine Stellvertretung ausgeschlossen. Für den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit im Erbrecht bedeutet dies, dass nachgewiesen werden müsste, dass die personale Verantwortung an dieser Stelle deutlich höher ist als im Vermögensrecht unter Lebenden. Ein solcher Nachweis wird jedoch nicht erbracht. Vgl. dazu Grossfeld, JZ 1968, 113, 115; Goebel, DNotZ 2004, 101, 108. 314 Vgl. BeckOK BGB/Lange BGB § 2198 Rn. 1; BeckOGK/Leitzen BGB § 2198 Rn. 1; MüKoBGB/Zimmermann BGB § 2198 Rn. 1; HK-BGB/Hoeren BGB § 2198 Rn. 1; Kroiß/ Ann/Mayer BGB Erbrecht § 2198 Rn. 1; Damrau/Tanck/Bonefeld Praxiskommentar Erbrecht BGB § 2198 Rn. 1.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 347
Nachlassgläubiger ist. Ein solches Argument geht jedoch fehl. Wenn es bei der Verantwortung des Erblassers nur auf die Bestimmung des Erben als Person, die die Nachlassgläubiger zu befriedigen hat, ankäme, ginge es erneut lediglich um eine dingliche Zuordnung des Vermögens und damit um das Zuordnungsinteresse.315 Wie bereits gezeigt, können Zuordnungsinteressen den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit jedoch nicht legitimieren.316 Sowohl Otte als auch der Bundesgerichtshof verstehen das Verantwortungsargument jedoch ohnehin anders. Der Bundesgerichtshof formuliert, dass der Erblasser „[…] Verantwortung dafür übernehmen muss, wenn er die Erbfolge anders regelt, als das Gesetz sie vorgesehen hat.“317 An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass der Erblasser die personale Verantwortung nach Ansicht des Bundesgerichtshof deshalb trägt, weil er durch die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen von der gesetzlichen Erbfolge abweicht. Anders ausgedrückt sieht der Bundesgerichtshof den Grund für das Erfordernis der materiellen Höchstpersönlichkeit in der mit Errichtung der Verfügung von Todes wegen verbundenen Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge. In diese Richtung argumentiert auch Otte. So nimmt Otte unter anderem dann einen Verstoß gegen § 2065 BGB an, wenn der Erblasser die Entscheidung über die Erbeinsetzung aus Gleichgültigkeit trifft, da in einem solchen Fall die Verdrängung der gesetzlichen Erbfolgeregelung nicht gerechtfertigt sei. An dieser Stelle schließt sich der Kreis der Argumentationslinien. Sowohl der Bundesgerichtshof als auch Otte stellen im Rahmen des Verantwortungsarguments nicht etwa die Nachlassgläubiger318 oder die personale Verantwortung des Erblassers in den Vordergrund, sie richten ihren Fokus vielmehr auf die Zurückdrängung der gesetzlichen Erben. Die Verantwortung des Erblassers besteht nach den Befürwortern des Verantwortungsarguments also gegenüber den gesetzlichen Erben. Insofern, als dass zuvor bereits gezeigt wurde, dass gesetzliche Erben, wie andere Erbprätendenten lediglich über eine vage Hoffnung verfügen, besteht eine dahingehende Verantwortung nicht.319 Die Verantwortungsargumentation kann daher im Ergebnis ebenfalls nicht überzeugen, da sie sich nicht wesentlich von der Ar-
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Zutreffend formuliert Goebel, DNotZ 2004, 101, 107: „Hier ist der Verantwortungsgedanke darauf reduziert, die sachenrechtliche Zuständigkeit im Erbfall festzulegen. Nur sollte man sich dann schon fragen, ob ein auf personaler Verantwortung gegründetes Prinzip materieller Höchstpersönlichkeit nicht ganz entfallen kann.“ 316 Vgl. Kap. D. II. 3. b) aa) (2). 317 BGHZ 15, 199, 200; vgl. dazu auch Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 1 f. 318 Obwohl dies immerhin erklären könnte, warum eine drittbestimmte Erbeinsetzung nicht möglich, ein drittbestimmtes Vermächtnis hingegen möglich ist. Aus den zuvor genannten Gründen kann aber auch eine solche Argumentation nicht überzeugen. 319 Vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a).
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
gumentation, die den Schutz der gesetzlichen Erben als Telos des § 2065 BGB ausmacht, unterscheidet. bb) Ergebnis: Verfassungswidrigkeit des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit Jede Beschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Testierfreiheit bedarf einer Rechtfertigung.320 Die Einschränkung muss dabei einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck verfolgen und den Erfordernissen der Verhältnismäßigkeit und Widerspruchsfreiheit entsprechen.321 Nach der Untersuchung der verschiedenen Ansätze zur Legitimierung des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit hat sich gezeigt, dass keiner dieser Ansätze in der Lage ist, die Einschränkung der Testierfreiheit, die dieser mit sich bringt, zu rechtfertigen. Alle Ansätze, die den Versuch unternehmen, einen legitimen Zweck zu finden, den der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit verfolgen könnte, missverstehen die Testierfreiheit oder die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten. Überdies stehen sie regelmäßig auch im Widerspruch zu den einfach-rechtlichen Vorschriften, insbesondere zu der Möglichkeit der Anordnung eines drittbestimmten Universalvermächtnisses. Im Ergebnis wird daher weder ein legitimer Zweck verfolgt, noch ist der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit widerspruchsfrei. Aus diesem Grund ist § 2065 BGB in seiner derzeitigen Ausgestaltung mit der Erbrechtsgarantie aus Art. 14 GG unvereinbar und damit verfassungswidrig.322 Gleichwohl werden Versuche unternommen, die Regelung des § 2065 BGB, insbesondere des Abs. 2, aufrechtzuerhalten. Sens, die die Regelung des § 2065 BGB ebenfalls kritisiert und im Ergebnis für nicht zu rechtfertigen hält, will den § 2065 Abs. 2 BGB teleologisch reduzieren und sodann § 2151 BGB analog auf die Bestimmung des Erben anwenden.323 Die Bestimmungsbefugnis gemäß § 2151 BGB soll somit in § 2065 Abs. 2 BGB hineingelesen werden. Frey geht noch weiter und erlaubt
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Vgl. dazu ausführlich die Ausführungen in Kap. B. I., die die Testierfreiheit unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten analysiert haben. 321 Vgl. BVerfGE 58, 377, 398; 67, 329, 341; OLG Hamm, ZEV 1995, 261; 261; BayObLG, ZEV 1997, 119, 120; Frey, Flexibilisierung der Nachlaßgestaltung im Lichte von § 2065 BGB, 76 f. In diese Richtung auch Kanzleiter, DNotZ 1992, 511, 512; Muscheler, Erbrecht, Band I, 300 Rn. 559; Bamberger/Roth/Litzenburger BGB § 2065 Rn. 1. 322 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die die Testierfreiheit an die Ausgestaltung des einfachen Rechts stellt, vgl. Kap. B. VII. 1. Diese haben gezeigt, dass der Gesetzgeber die Testierfreiheit nur aufgrund eines legitimen Zwecks und nur unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränken darf. 323 Vgl. Sens, Die Erbenbestimmung durch Dritte, 101, 150 f.; dagegen Staudinger/Otte BGB § 2065, Rn. 11; MüKoBGB/Leipold BGB § 2065 Rn. 5; Soergel/Loritz, § 2065 BGB Rn. 29 ff.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 349
dem Dritten jede Bestimmung über die Nachlassverteilung.324 Diese Versuche, den Widerspruch zwischen Zulassung von Drittentscheidungen im Vermächtnisrecht und Verbot selbiger bei der Erbenbestimmung aufzulösen, sind aufgrund der Eindeutigkeit der Formulierung des § 2065 Abs. 2 BGB zu verwerfen. Eine solche Harmonisierung de lege lata ist nicht möglich. Otte und wohl auch Leipold, die in diesem Punkt mit der Linie der vorliegenden Arbeit übereinstimmen, betonen, dass diese Diskrepanz der Wertungen zwischen § 2065 BGB und § 2151 BGB die Gültigkeit beider Regelungen nicht betreffen.325 Eine solche Sichtweise verkennt jedoch, dass der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit und damit die Regelung des § 2065 BGB nicht nur zu § 2151 BGB und weiteren Regelungen im Widerspruch steht, sondern auch die Testierfreiheit ohne die Verfolgung eines legitimen Zwecks einschränkt. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass der § 2065 BGB, der den Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit der Testamentserrichtung festlegt, verfassungswidrig ist.326 cc) Fazit: Fehlerhafte Legitimationsversuche des § 2065 BGB als Ausdruck der Entwicklungen zu den Grenzen der Testierfreiheit Nachdem nunmehr deutlich geworden ist, dass der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit verfassungswidrig ist, stellt sich für die Zwecke dieser Arbeit erneut die Frage, aus welchen Gründen eine solche Grenze der Testierfreiheit fälschlicherweise aufrechterhalten wird. Betrachtet man die zuvor dargestellten fehlerhaften Legitimationsversuche, so wird deutlich, dass im Wesentlichen aus zwei Gründen der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit für unentbehrlich gehalten wird. So wird zum einen vor allem von der Rechtsprechung – entgegen der gesetzlichen Konzeption – die gesetzliche Erbfolge als besonders schützenswert ausgemacht und an die Verdrängung der gesetzlichen Erben besondere Anforderungen gestellt, die durch § 2065 BGB abgesichert würden. Zum anderen wird erneut die Gefahr von Verfälschung und damit der Schutz der Autonomie des Erblassers zwecks Begründung einer Einschränkung der Testierfreiheit herangezogen. Die zu Beginn dieser Arbeit aufgestellte These, dass die Ursache für eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit im Wesentlichen entweder in einem fehlerhaften Verständnis der Testierfreiheit, der rechtlichen Beziehung
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Vgl. Frey, Flexibilisierung der Nachlaßgestaltung im Lichte von § 2065 BGB, 125 ff., 128. Frey nimmt an, dass der Bestimmungsbefugte nach dem Willen des Erblassers als Zuwendungsempfänger im Sinne von § 2065 Abs. 2 BGB betrachtet werden kann. Dies kritisierend MüKoBGB/Leipold BGB § 2065 Rn. 5 Fn. 6. 325 So Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 11; wohl auch MüKoBGB/Leipold BGB § 2065 Rn. 1 f. 326 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. VII. 1.
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zwischen Erblasser und Erben beziehungsweise Erbprätendenten samt der Bedeutung der gesetzlichen Erbfolge oder dem Schutz der Autonomie des Erblassers liegt, sieht sich daher auch mit Blick auf die Ergebnisse dieses Abschnitts bestätigt. Weiterhin passen diese fehlerhaften Begründungsansätze auch zu den bereits ausgemachten Entwicklungslinien in Bezug auf die Grenzen der Testierfreiheit. Während für die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit gilt, dass diese zum Schutz der Erbprätendenten und der gesetzlichen Erben fälschlicherweise zu extensiv angewendet werden, gilt für die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit, dass diese aufgrund eines zunehmend geforderten verstärkten Schutzes der Autonomie des Erblassers eine (zu) ausgedehnte Anwendung erfahren. Insofern spiegeln sich bei der Betrachtung des § 2065 BGB als Grenze der Testierfreiheit die beiden ausgemachten Entwicklungslinien wider. Aus diesem Grund könnten der § 2065 BGB und der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit im Hinblick auf die verfolgte Schutzrichtung, je nach favorisiertem Legitimationsansatz, auch der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit, also solchen Beschränkungen der Testierfreiheit zuzuordnen sein, die dem Schutz der Erben und Erbprätendenten vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen. Gleichwohl ordnet diese Arbeit den § 2065 BGB und den Grundsatz der Höchstpersönlichkeit derjenigen Grenzen der Testierfreiheit zu, die dem Schutz des Erblassers vor unzulässiger Einflussnahme Dritter dienen. Dadurch, dass die Mehrheit der Legitimationsansätze des § 2065 BGB einen Schutz des Erblassers forciert und insbesondere auch die Nähe zu § 2064 BGB und der persönlichen Testamentserrichtung betonen, erscheint diese Einordnung zutreffend.
4. Die Erbunwürdigkeit als Rechtsinstitut zum Schutz der Testierfreiheit Eine andere Möglichkeit zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte stellt das Rechtsinstitut der Erbunwürdigkeit nach den §§ 2339 ff. BGB dar, indem dieses verschiedene Verhaltensweisen mit dem Verlust der Erbenstellung sanktioniert.327 Anders als im Kontext des Typenund Formzwangs und der §§ 2064, 2065 BGB liegt hierbei ein wirksames Testament vor. Die Erbunwürdigkeit tritt nicht ipso iure ein, sondern durch eine Anfechtung des Erbschaftserwerbs nach § 2340 Abs. 1 BGB. Teilweise unterscheiden sich die beiden Rechtsinstitute jedoch erheblich. Während die Anfechtung lediglich zur Nichtigkeit der angegriffenen Verfügung führt, sorgt die Geltendmachung der Erbunwürdigkeit dafür, dass der
327
Vgl. BeckOK BGB/Müller-Christmann BGB § 2339 Rn. 1; BeckOGK/Rudy BGB § 2339 Rn. 6; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 133.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 351
Täuschende keinerlei Zuwendung erhält, auch nicht als gesetzlicher Erbe.328 Fraglich ist dabei, welchen Zweck die Regelungen zu der Erbunwürdigkeit verfolgen. Dies ist entscheidend, um die Frage zu beantworten, ob das Institut der Erbunwürdigkeit eine Grenze der Testierfreiheit darstellt, die in die zweite Kategorie eingeordnet werden kann. a) Der Zweck der Feststellung der Erbunwürdigkeit: Sanktionierung des Erbunwürdigen oder Schutz der Testierfreiheit? Der § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB normiert die Erbunwürdigkeitsgründe abschließend.329 Die ganz herrschende Meinung betont dabei zusätzlich, dass die Erbunwürdigkeitsgründe weder analogiefähig noch einer extensiven Auslegung zugänglich sind.330 Begründet wird dies überwiegend damit, dass der Strafcharakter der Erbunwürdigkeit eine Analogie verhindere.331 Hierbei handelt sich jedoch um ein weit verbreitetes Missverständnis des § 2339 BGB, welches näher zu untersuchen ist. Zum Teil werden die Motive zu den Vorschriften über die Erbunwürdigkeit als Beleg für den Strafcharakter der Erbunwürdigkeit herangezogen. Ein genauer Blick in die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch zeigt jedoch, dass ein solches Verständnis nicht richtig sein kann.332 Zu den Gründen der Erbunwürdigkeit positionieren sich die Motive nämlich eindeutig: „Der Entw. geht durchweg davon aus, dass es in Ansehung der Unwürdigkeitsgründe nicht, wie bei den Gründen der Pflichtteilsentziehung (§ 2001), auf die besonders schwere gegen den Erblasser sich richtende Verfehlung ankomme, durch welche die einer Strafe ähnliche Zufügung eines Vermögensnachteiles sich rechtfertigt. Vielmehr ist der Grund der Erbunwürdigkeit wesentlich der, dass der Erbunwürdige den Erblasser hindert, von seiner
328 Vgl. BeckOGK/Rudy BGB § 2339 Rn. 35; Damrau/Tanck/Kurze BGB § 2339 Rn. 33; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 137. 329 Vgl. Bamberger/Roth/Müller-Christmann BGB § 2339 Rn. 4; HK-BGB/Hoeren § 2339 Rn. 1; Ebenroth, Erbrecht Rn. 369. 330 Vgl. statt vieler HK-BGB/Hoeren Vorbemerkungen § 2339 BGB, Rn. 3; Bamberger/ Roth/Müller-Christmann § 2339 Rn. 4; HK-BGB/Hoeren § 2339 Rn. 1; Ebenroth, Erbrecht Rn. 369; Große-Wilde/Quart/Schnabel/Stiewe BGB § 2339 Rn. 2. 331 So HK-BGB/Hoeren Vorbemerkungen zu §§ 2339–2345 BGB Rn. 3: „Zudem enthält das Gesetz einen abschließenden Katalog von Fällen der Erbunwürdigkeit, hins[ichtlich] derer eine analoge Anwendung auf ähnliche Fälle nach zutreffender h.A. ausscheidet, weil die Feststellung der Erbunwürdigkeit Strafcharakter hat ((Mot V 520 […).“ 332 So fälschlicherweise HK-BGB/Hoeren Vorbemerkungen § 2339 BGB, Rn. 3 mit Verweis auf Motive, V, 520. Aus den Motiven ergibt sich dort aber lediglich, dass weitere Erbunwürdigkeitsgründe abgelehnt werden. Der Strafcharakter wird zuvor in den Motiven, V, 517 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 276 eindeutig abgelehnt; vgl. dazu die noch folgenden Ausführungen in diesem Abschnitt.
352
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Testierfreiheit Gebrauch zu machen, oder dass er nach dem Tode des Erblassers einen hindernden Einfluss in Ansehung der Feststellung des Willens des Erblassers ausübt.“333
Darüber hinaus führen die Protokolle aus: „Das Verbrechen als solches bildet nicht den Grund für die Erbunwürdigkeit.“334 Wenn nun aber das Verbrechen als solches nicht den Grund für die Annahme der Erbunwürdigkeit bildet, kann die Erbunwürdigkeit daher primär auch keinen Strafcharakter haben. Vielmehr will sie Beeinträchtigungen der Testierfreiheit verhindern beziehungsweise aufheben. Die Erbunwürdigkeitsgründe knüpfen daher an eine Einwirkung des Erbunwürdigen auf den Erblasser und dessen Autonomie an, die zumindest abstrakt das Risiko erhöht, dass der tatsächliche Wille des Erblassers allgemein nicht mehr verwirklicht werden kann (§ 2339 Abs. 1 Nr. 1) oder in Bezug auf eine konkrete Verfügung nicht verwirklicht wird (Abs. 1 Nr. 2–4).335 Mithin steht also der Schutz der Testierfreiheit des Erblassers bei den Regelungen zur Erbunwürdigkeit im Vordergrund und nicht die Sanktion des Erbunwürdigen und damit auch nicht der Strafcharakter der Norm. Dieses – gegen die Analogiefähigkeit und für die enge Auslegung der Erbunwürdigkeitsgründe vorgetragene Argument – kann daher nicht überzeugen. Zwar werden an späterer Stelle in den Motiven eindeutig weitere Erbunwürdigkeitsgründe abgelehnt336, hiermit ist jedoch die Ablehnung der Erweiterung der Liste an konkreten Erbunwürdigkeitsgründen gemeint. Der Vorschrift aus diesem Grund die Analogiefähigkeit abzusprechen, erscheint nicht angemessen. Auch widersprechen sich die Befürworter der herrschenden Meinung teilweise, wenn sie die extensive Auslegung der Erbunwürdigkeitsgründe ablehnen und gleichzeitig entgegen dem eindeutigen Wortlaut Gewalt unter den § 2339 Nr. 3 BGB subsumieren.337 Im Ergebnis ist mit Helms daher festzuhalten, dass der gemeinsame Normzweck der einzelnen Erbunwürdigkeitsgründe es nicht erlaubt, neue Erbunwürdigkeitsgründe zu schaffen. Die Auflistung des § 2339 BGB ist daher grundsätzlich abschließend. Sofern sich jedoch innerhalb der einzelnen Erbunwürdigkeitsgründe „[…] ein eigenes, engeres Prinzip finden lässt, bestehen weder gegen eine extensive Auslegung noch gegen eine Analogie Bedenken“338. Dieses Ergeb-
333
Vgl. Motive, V, 517. So Protokolle, V, 7699= Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 817; Hempel, Erbunwürdigkeit, 41; Speckmann JuS 1971, 235, 236; MüKoBGB/Helms BGB § 2339 Rn. 2. 335 Vgl. dazu BeckOGK/Rudy § 2339 BGB, Rn. 6; MüKoBGB/Helms BGB § 2339 Rn. 10; Staudinger/Olshausen BGB § 2339 Rn. 4, 8. 336 Vgl. dazu Motive, V, 517 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 277. 337 So fälschlicherweise Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 6 Fn. 31. 338 So zutreffend MüKoBGB/Helms BGB § 2339 Rn. 7. Zutreffend weist Helms, darauf 334
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 353
nis ist für die Testierfreiheit der Erblasser begrüßenswert, da es die Möglichkeit eines umfassenderen Schutzes vor Beeinträchtigungen der Verwirklichung des Erblasserwillens eröffnet. b) Bewertung – Schutz der Testierfreiheit durch die Erbunwürdigkeitsgründe Wie die Untersuchung des Zwecks der Regelungen zur Erbunwürdigkeit nach den §§ 2339 ff. BGB gezeigt hat, schützt dieses Regime die Testierfreiheit des Erblassers, indem es versucht, einer unzulässigen Einflussnahme ihren Erfolg zu nehmen. Das selbstbestimmte Testieren des Erblassers wird dabei besonders in den Fällen, in denen sich der Erblasser als Folge der Verfehlung nicht mehr selbst um die Verwirklichung seines wahren Willens bemühen kann, durch die Annahme eines hypothetischen Erblasserwillens geschützt, welcher auf die Enterbung des unwürdigen Erben gerichtet ist.339 Die generelle Annahme eines solchen hypothetischen Erblasserwillens ohne Ausnahme wäre jedoch trotz des Ziels, die Testierfreiheit zu schützen, mit der Testierfreiheit unvereinbar. Vielmehr erfordert die Testierfreiheit, dem Erblasserwillen weitestgehend Geltung zu verschaffen. Dieser muss nicht in jedem Fall auf eine Erbunwürdigkeit des Betroffenen gerichtet sein. Aus diesem Grund ist in den Erbunwürdigkeitsgründen eine „typisierende Vermutung“340 zu sehen, die aber durch den Nachweis der Verzeihung widerlegt werden kann.341 Auch bei dem Institut der Erbunwürdigkeit gilt daher, dass der Erblasserwille ermittelt werden muss. Die Vorschriften ergänzen jedoch nicht nur die Anfechtungsregelungen, sondern besitzen darüber hinaus auch eine eigenständige Präventivfunk-
hin, dass der BGH die Vorschrift selbst für analogiefähig hält, wenn dieser bei Tötung des Vorerben durch den Nacherben von einer Regelungslücke der § 2339 ff. BGB ausgeht. Vgl. dazu auch BGH, NJW 1968, 2051, 2052. 339 Vgl. BeckOGK/Rudy BGB § 2339 Rn. 6; MüKoBGB/Helms BGB § 2339 Rn. 2; Hempel, Erbunwürdigkeit, 41 f.; Keim, FamRZ 2015, 922, 923. 340 So zutreffend MüKoBGB/Helms BGB § 2339 Rn. 10. 341 Voraussetzung der Verzeihung ist, dass der Erblasser zumindest den Unrechtsgehalt der Tat kennt. Die Kenntnis der rechtlichen Folgen der Verzeihung wird nicht vorausgesetzt. Die Verzeihung ist dabei selbst bei einem vorsätzlichen Tötungsdelikt möglich, bei dem der Tod des Erblassers erst später eintritt, jedoch muss der potentiell Erbunwürdige beweisen können, dass der Erblasser ihm auch verziehen hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Tat zu seinem Tod führt. Vgl. dazu auch Soergel/Damrau BGB § 2343 Rn. 1.; MüKoBGB/Helms § 2343 BGB Rn. 1; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 138. Eine weitere Besonderheit der Verzeihung liegt in dem Charakter als tatsächliche und daher nicht rechtsgeschäftliche Handlung, sodass auch nicht geschäftsfähige Erblasser dem Handelnden verzeihen können. Erforderlich ist aber, dass der Erblasser den Bedeutungsgehalt der Verzeihung erkennt – dazu BGH, NJW 1974, 1084, 1084; HK-BGB/Hoeren Vorbemerkungen § 2339 BGB, Rn. 3.
354
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
tion.342 So sollen sie beispielsweise verhindern, dass ein zukünftiger Erbe den Erbfall vorzeitig herbeiführt oder ein Dritter den Erblasser dazu bestimmt, von der gesetzlichen oder der angeordneten Erbfolge abzuweichen. Durch diese Präventionswirkung wird die Testierfreiheit und im Speziellen das selbstbestimmte Testieren gefördert. Die Annahme einer Präventivfunktion spricht nicht gegen die zuvor vorgenommene Ablehnung des Strafcharakters des Instituts der Erbunwürdigkeit.343 Zwar verfügen auch Strafen über eine Präventivfunktion, die Entstehungsgeschichte und insbesondere der Umstand, dass die Schwere der Verfehlung für die Erbunwürdigkeit nicht von Relevanz ist, stehen der Annahme eines Strafcharakters jedoch unüberwindbar entgegen. Nachdem nunmehr deutlich geworden ist, dass die Regelungen zu der Erbunwürdigkeit die Testierfreiheit in zweifacher Hinsicht schützen, stellt sich die Frage, ob sie diese auch gleichzeitig einschränken und damit eine Grenze der Testierfreiheit darstellen. c) Regelungen zur Erbunwürdigkeit als Grenze der Testierfreiheit Auf den ersten Blick scheint es sich bei den Regelungen zur Erbunwürdigkeit um keine Beschränkung der Testierfreiheit zu handeln. Dies gilt aber nur dann, wenn die Möglichkeit des Nachweises der Verzeihung ernst genommen wird. Die typisierenden Vermutungen, die die Regelungen zur Erbunwürdigkeit aufstellen, müssen durch einen etwaigen entgegenstehenden Willen des Erblassers widerlegbar sein. Der aus der Testierfreiheit resultierende Grundsatz des favor testamenti erfordert die weitestgehende Verwirklichung des Erblasserwillens. In den seltenen Fällen, in denen der Erblasser den Erben trotz dessen Erbunwürdigkeit bedenken möchte, muss dies weiterhin möglich sein. Eine Nichtberücksichtigung des Erblasserwillens würde andernfalls eine unzulässige Begrenzung der Testierfreiheit darstellen. Anschließend an die Erkenntnis, dass die Regelungen zu der Erbunwürdigkeit keine unzulässige Grenze der Testierfreiheit darstellen, sollen im nachfolgenden die Vorschriften des Pflichtteilsrechts unter dem Aspekt des Autonomieschutzes untersucht werden.
342
Vgl. BeckOK BGB/Müller-Christmann BGB § 2339 Rn. 2; BeckOGK/Rudy BGB § 2339 Rn. 2.1. 343 In diese Richtung auch BeckOGK/Rudy BGB § 2339 Rn. 2.1; BeckOK BGB/MüllerChristmann BGB § 2339 Rn. 2; Bamberger/Roth/Müller-Christmann § 2339 Rn. 1.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 355
5. Das Pflichtteilsrecht als Rechtsinstitut zum Schutz vor unzulässiger Beeinflussung Dass es sich bei dem Pflichtteilsrecht um erhebliche Beschränkungen der Testierfreiheit handelt, ist bereits in den Ausführungen zu der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit deutlich geworden.344 Dabei ist dargelegt worden, dass das Rechtsinstitut des Pflichtteilsrechts dem Schutz von Erbprätendenten und Kollektivgütern dient. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass das Pflichtteilsrecht den Erblasser vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte schützt, was im Folgenden näher zu erläutern ist.345 Dabei soll es nicht darum gehen, dass das Pflichtteilsrecht in besonders schweren Fällen der Beeinflussung die Möglichkeit der Entziehung des Pflichtteils vorsieht. Die Pflichtteilsentziehung wurde bereits in der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit behandelt.346 Vielmehr steht ein Aspekt des Pflichtteilsrechts im Vordergrund, der präventiv unzulässige Einflussnahme verhindern kann. Soweit ersichtlich hat für die nationale Rechtsordnung Coing erstmalig diese Funktion des Pflichtteilsrechts herausgestellt, als er in Bezug auf eine etwaige Reform des Pflichtteilsrecht forderte, dass das Gesetz so wenig wie möglich einen Anreiz für die Beteiligten geben sollte, noch zu Lebzeiten des Erblassers einen Kampf um das Erbe durch Versuche der Beeinflussung zu führen.347 Besonders im Hinblick auf die gestiegene Lebenserwartung der Erblasser sei dieses Anliegen von besonderer Bedeutung, da Beeinflussungsversuche insbesondere gegenüber solchen Erblassern vorgenommen werden, die im höheren Alter stehen.348 Coing sieht somit einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein eines Pflichtteilsrechts samt der damit einhergehenden grundsätzlichen Beteiligung der sogenannten Pflichtteilsberechtigten und der Vornahme von Beeinflussungshandlungen. Dass ein solcher Zusammenhang besteht, erscheint durchaus plausibel. Sofern nahe Angehörige, die regelmäßig über die Möglichkeit einer erheblichen Einflussnahme verfügen, 344
Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. C. III., die unter anderem die Entwicklungslinien zum Pflichtteilsrecht und die entsprechenden Reformdiskussionen aufgezeigt haben. 345 Vgl. Coing, Gutachten, 49. DJT, A2 (A 47); Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65 f.; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 74 f. 346 Vgl. Kap. C. III. Dabei ist deutlich geworden, dass die derzeitige Linie der Rechtsprechung zu der Wirkungslosigkeit des Pflichtteilsentziehungsrechts führt. Ein wirkungsloses Pflichtteilsentziehungsrecht beeinträchtigt die Testierfreiheit und ruft verfassungsrechtliche Bedenken hervor. 347 Vgl. Coing, Gutachten, 49. DJT, A2 (A 47). 348 Da das Pflichtteilsrecht in diesem Kontext sämtliche und daher nicht nur vulnerable Erblasser schützt, ist das Pflichtteilsrecht jedoch als Grenze der Testierfreiheit zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung und daher bereits an dieser Stelle und nicht in dem Kapitel zum vulnerablen Erblasser zu thematisieren.
356
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
durch das Pflichtteilsrecht immerhin eine gewisse Mindestbeteiligung am Nachlass des Erblassers erfahren, dürfte ihre Bereitschaft zur Vornahme von Beeinflussungshandlungen geringer sein. Christandl betont, dass eine solche Sichtweise nicht das Problem verkennen dürfe, dass eine Beeinflussung und die daraus resultierende Fremdbestimmung selbst dann bestehe, wenn der Erblasser nur noch über einen geringen Teil seines Vermögens verfügen kann.349 Richtig sei vielmehr, dass das Pflichtteilsrecht lediglich die Konsequenzen einer unzulässigen Einflussnahme abschwäche, das Problem selbst aber nicht löse.350 Einer solchen Sichtweise ist jedoch zu widersprechen. Das Pflichtteilsrecht schwächt nämlich nicht nur die Konsequenzen unzulässiger Einflussnahme ab, sondern wirkt vor allem präventiv, indem es eine Beeinflussung für die Pflichtteilsberechtigten zumindest unattraktiver macht. An Christandls Formulierung, „[e]ine Beeinflussung vermag dann zwar die gesetzlichen Erben nicht mehr wesentlich zu berühren, die Testierfreiheit bleibt aber derselben Gefährdung ausgesetzt“351, lässt sich erkennen, dass der zugrundeliegende Bezugspunkt von demjenigen der hier favorisierten und von Coing geprägten Auffassung abweicht. In dem Pflichtteilsrecht wird von Christandl ein System gesehen, dass die gesetzlichen Erben im Falle einer unzulässigen Einflussnahme vor den Konsequenzen, nämlich der ausbleibenden Partizipation am Nachlass, schützt. Der Blickwinkel Christandls ist damit ein völlig anderer. Die Funktion, die Christandl herausarbeitet, ist für den Autonomieschutz und die Testierfreiheit irrelevant. Sowohl gesetzliche als auch frühere gewillkürte Erben müssen aufgrund des Umstands, dass ihre Erbaussicht lediglich eine nuda spes darstellt, nicht vor einer unzulässigen Einflussnahme und dem damit unter Umständen einhergehenden Ausbleiben der Erbschaft geschützt werden.352 Sofern das Pflichtteilsrecht tatsächlich über eine solche Funktion verfügen würde, würde es in dieser Hinsicht keinen legitimen Zweck verfolgen und die Testierfreiheit unzulässig einschränken. Im Ergebnis bleibt es daher dabei, dass das Pflichtteilsrecht eine Beeinflussung für nahe Angehörige unattraktiver macht, da sie hierdurch zumindest teilweise an dem Nachlass partizipieren. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass – ähnlich wie bei der Erbunwürdigkeit – unzulässige Angriffe auf die Autonomie des Erblassers zur Pflichtteilsentziehung berechtigen. Für den beeinflussenden gesetzlichen Erben besteht neben dem Scheitern der Beeinflussung zusätzlich die Gefahr, dass ihm auch der Pflichtteil entzogen 349
Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 74 f. Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 74 f. 351 Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 75. 352 Zu der Einordnung der Erbaussicht als eine bloße nuda spes, s. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); vgl. dazu auch Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 762. 350
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 357
werden kann. Auch aus diesem Grund sollte die Rechtsprechung daher ihre bei der Analyse der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit dargelegten überzogenen Anforderungen an die Pflichtteilsentziehung senken.353 Gänzlich verhindern kann das Pflichtteilsrecht eine Beeinflussung jedoch aus verschiedenen Gründen nicht. Zum einen werden manche Pflichtteilsberechtigte mit ihrer „Quote“ nicht zufrieden sein und daher versuchen, durch Manipulation des Erblassers einen größeren Erbteil zu erlangen. Aus diesen Gründen eine Erhöhung der Pflichtteilsquote und eine Ausdehnung des Personenkreises der Pflichtteilsberechtigten zu fordern, ist mit der Testierfreiheit der Erblasser jedoch kaum vereinbar, da eine Erhöhung zwar einen verstärkten Schutz des selbstbestimmten Testierens, gleichzeitig aber auch eine erhebliche Beschränkung der Testierfreiheit, bedeutet. Auch die Ausweitung des Kreises der Pflichtteilsberechtigten würde zu einer unzulässigen Schmälerung des frei zu vererbenden Nachlasses führen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass Beeinflussungshandlungen auch von Personen ausgeübt werden, die nicht pflichtteilsberechtigt sind. Eine Ausdehnung des Pflichtteilsrechts ist auch in dieser Hinsicht daher nicht sinnvoll. Es bleibt vielmehr dabei, dass das Pflichtteilsrecht neben seinen anderen Funktionen über den positiven Effekt verfügt, die Gefahr der Beeinflussung des Erblassers durch nahe Angehörige zu minimieren. Dadurch wird das selbstbestimmte Testieren des Erblassers und damit einhergehend auch die Testierfreiheit geschützt. Abschließend kann daher mit Röthel festgehalten werden: „Diese entlastende und befriedende Funktion des Pflichtteilsrechts sollte nicht übersehen werden, wenn wieder einmal nach der Legitimation des Pflichtteilsrechts gefragt wird.“354
6. § 242 – Treu und Glauben zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Einflussnahme durch Dritte § 242 BGB könnte als Generalklausel grundsätzlich in der Lage sein, die Autonomie des Erblassers zu schützen. Der Einwand nach § 242 BGB ist in erbrechtlichen Fällen bislang jedoch von geringer Bedeutung. Gleichwohl wird teilweise betont, dass der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB in Einzelfällen den Erblasser vor Beeinflussung durch Dritte zumindest indirekt schützen könne.355 So verwehre die Norm demjenigen, der sich eine
353
Vgl. Kap. C. III. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65 f. 355 So Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 138 f.: „Auch der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB kann in Einzelfällen den Erblasser vor einer Beeinflussung Dritter indirekt schützen, indem er demjenigen, der sich eine Erb-/Vermächtnisposition auf treuwidrige Weise verschafft hat, die Ausübung seines Rechts als rechtsmissbräuchlich verwehrt.“ 354
358
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Erb- oder Vermächtnisposition auf treuwidrige Weise verschafft habe, die Ausübung seines Rechtes mit der Begründung des Rechtsmissbrauchs.356 Nach überwiegender Ansicht liegt ein treuwidriger Erwerb einer Rechtsposition insbesondere dann vor, wenn dieser auf gesetzeswidrige oder sittenwidrige Weise erfolgte.357 Regelmäßig wird das unredliche Verhalten mit Arglist einhergehen, Voraussetzung ist dies nach verbreiteter Ansicht jedoch nicht.358 Diese Grundsätze, die zu § 242 BGB ohne einen spezifischen erbrechtlichen Bezug entwickelt worden sind, sollen –zumindest nach einer Sichtweise in der Literatur – nunmehr auf erbrechtliche Sachverhalte übertragen werden. Insbesondere führt Boehm aus, dass der § 242 BGB zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung der Testierfreiheit durch Dritte angewendet werden kann. So betont Boehm, dass in dem Fall, in dem ein Dritter den Erblasser bei der Testamentsgestaltung in unredlicher Weise beeinflusst und damit erreicht, dass der Erblasser anders testiert, dem Dritten bei der Geltendmachung seiner erbrechtlichen Position § 242 BGB entgegengehalten werden kann.359 Diese Annahme ist jedoch mit den erbrechtlichen Regelungen und dem Prinzip des Vonselbsterwerbs nicht vereinbar. Vielmehr ist § 242 BGB im Erbrecht überwiegend nicht anwendbar, da diese Regelung als Verhaltensnorm zu charakterisieren ist und daher die Geltendmachung von Ansprüchen, Einreden und prozessualen Rechtsbehelfen ausschließen kann, jedoch nicht die nach § 1942 BGB anfallende Erbenstellung des Bedachten. Die Erbenstellung ist das Ergebnis der letztwilligen Verfügung des Erblassers und nicht das Resultat einer Rechtsausübung oder eines anderen Verhaltens des Erben.360 Auch das Vermögen des Erblassers geht im Wege der Universalsukzession von selbst nach den §§ 1922, 1942 BGB über, ohne dass dafür ein Verhalten des Erben nötig ist. Eine Rechtsausübung durch diesen findet folglich nicht statt.
356
Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 139. Auch sei möglich, dass ein Recht durch arglistige Täuschung erworben wird. Hier gehe zwar grundsätzlich das Anfechtungsrecht vor, dies gelte selbst in dem Fall, in dem die Anfechtungsfrist abgelaufen sei. Etwas anderes könne nur gelten, wenn zu der arglistigen Täuschung noch eine unerlaubte Handlung hinzukomme – vgl. Staudinger/Looschelders/ Olzen BGB § 242 BGB Rn. 240; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 139. 358 Vgl. BGH NJW 1993, 593, 594; NK-BGB/Krebs BGB § 242 Rn. 75; Palandt/Grüneberg BGB § 242 Rn. 43; Staudinger/Looschelders/Olzen § 242 Rn. 241. 359 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 139. Boehm hält § 242 BGB auf erbrechtliche Sachverhalte für anwendbar, betont jedoch gleichzeitig, dass bei der Anwendung des Grundsatzes der unzulässigen Rechtsausübung Zurückhaltung geboten ist, da nicht jede Unbilligkeit über § 242 zu korrigieren sei. 360 So zutreffend Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 182. 357
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 359
Zutreffend erkennt daher Otte, dass aus § 242 BGB allenfalls eine schuldrechtliche Verpflichtung zu der Korrektur des eingetretenen Rechtserwerbs begründet werden kann.361 Diese anspruchsbegründende Wirkung des § 242 BGB ist aber außerhalb rechtlicher Sonderverbindungen nicht anzunehmen. Eine solche erforderliche rechtliche Sonderverbindung, die den Erben dazu zwingt, seine Erbenstellung zu korrigieren und daher aufzugeben, müsste zwischen Erben und Nichterben bestehen. Die Beziehung zwischen Erblasser und Erben ist an dieser Stelle irrelevant, da der Erblasser zum relevanten Zeitpunkt bereits verstorben ist. Zwischen Erben und Nichterben besteht jedoch keinerlei rechtliche Sonderverbindung, die eine solche Anspruchsbegründung nach § 242 BGB rechtfertigen würde. Vielmehr besteht zwischen Erben und Nichterben überhaupt keine rechtliche Beziehung. Lediglich bei einem Vermächtnis nach § 2147 BGB gilt § 242 BGB uneingeschränkt, da hier zwischen dem Vermächtnisnehmer und dem Erben ein Schuldverhältnis besteht362, welches die Annahme einer rechtlichen Sonderverbindung rechtfertigt.363 Außerhalb der Beziehung zwischen Vermächtnisnehmer und Erben ist eine solche Sonderverbindung jedoch nicht ersichtlich. Aus diesem Grund ist die Annahme Boehms, dass § 242 BGB im Erbrecht einen gewissen Schutz vor der unredlichen Einflussnahme Dritter gewährt, nicht richtig.364 Vielmehr findet § 242 BGB in solchen Konstellationen überhaupt keine Anwendung. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass § 242 BGB nicht in der Lage ist, die Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte zu schützen. Gleichzeitig stellt § 242 BGB aufgrund seiner Unanwendbarkeit im Kontext erbrechtlicher Verfügungen keine Grenze der Testierfreiheit dar. Als nächstes soll überprüft werden, ob selbiges auch für die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB gilt.
361
Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 182. So schon BGHZ 37, 233, 240 f: „Ohne Rechtsverstoß geht das Berufungsgericht davon aus, dass auch Vermächtnisansprüche unter dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) stehen.“; vgl. MüKoBGB/Rudy BGB § 2174 Rn. 5; Staudinger/Looschelders/ Olzen BGB § 242 Rn. 977. 363 Vgl. statt vieler MüKoBGB/Rudy BGB § 2174 Rn. 5. Rudy verdeutlicht, dass sich der aus § 2174 BGB ergebende Anspruch grundsätzlich nach § 241 ff. BGB richtet, soweit nicht erbrechtliche Regelungen Abweichendes bestimmen. 364 Vgl. zur grundsätzlichen Unanwendbarkeit des § 242 BGB in erbrechtlichen Konstellationen Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 182; krit. auch Gimple, § 242 als Zurechnungsnorm im Erbrecht, 133 ff.; s. dazu auch Kap. C. I. 2. d). 362
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7. § 138 Abs. 1 BGB – Das Sittenwidrigkeitsverdikt zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte und die dadurch entstehenden Auswirkungen auf die Testierfreiheit In dem ersten Teil dieser Arbeit wurde § 138 Abs. 1 BGB als eine der zentralen Grenzen der Testierfreiheit zum Schutz Dritter und von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers ausgemacht.365 Dort ging es unter anderem um die sittenwidrige Beeinflussung durch den Erblasser, während in diesem Kapitel die unzulässige Beeinflussung des Erblassers im Vordergrund steht. Da § 138 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, welches gegen die guten Sitten verstößt, anordnet, kann diese Norm grundsätzlich auch als Grenze der Testierfreiheit zum Schutz ebendieser vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte angewendet werden.366 Anders als § 138 Abs. 2 BGB bezieht sich der erste Absatz nicht nur auf Austauschverträge, sondern auf einseitige Rechtsgeschäfte und damit auch auf letztwillige Verfügungen von Todes wegen.367 Das Sittenwidrigkeitsverdikt anzuwenden, um vor unter unzulässiger Beeinflussung entstandenen Verfügungen von Todes wegen zu schützen, ist daher zumindest grundsätzlich möglich. Während die Rechtsprechung hierbei – anders als bei der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz der Erbprätendenten vor unzulässiger Einflussnahme durch den Erblasser – zurückhaltend ist, wird in der Literatur vielfach eine verstärkte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen gefordert. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, die vorhandene Rechtsprechung (dazu a)) und die Forderungen der Literatur (dazu b)) näher auszuwerten, um im Anschluss die derzeitige Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz des Erblassers vor nicht hinreichend selbstbestimmten Verfügungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Testierfreiheit zu bewerten (dazu c)).
365
Vgl. die Ausführungen in Kap. C. I., die sich mit den einzelnen Anwendungsfeldern des Sittenwidrigkeitsverdiktes befasst haben. 366 § 138 Abs. 1 BGB spielte in diesem Kontext bislang nur eine sehr geringe Rolle. Soweit die Sittenwidrigkeit von erbrechtlichen Verfügungen thematisiert wird, geht es stets um die sittenwidrige Beeinflussung durch den Erblasser, nicht um die unzulässige Beeinflussung des Erblassers. Eine Änderung ist erst durch Röthel, AcP 210 (2010) 32, 62 f.; Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Lange, Erbrecht § 11 Rn. 15; Frieser, ErbR 2020, 309, 309 ff. eingetreten. 367 Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. C. I.; s. auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 102.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 361
a) Die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch die Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat für die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB Fallgruppen entwickelt.368 Eine eigenständige Fallgruppe, die auf die Frage der sittenwidrigen Beeinflussung des Erblassers bei Errichtung der Verfügung von Todes wegen eingeht, ist nicht vorhanden. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass der Bundesgerichtshof auch erst in einem Fall zu dieser Problematik hat Stellung beziehen müssen.369 Rechtsprechung anderer gerichtlicher Instanzen ist ebenfalls nur wenig vorhanden.370 Dennoch soll im Nachfolgenden die vorhandene Rechtsprechung ausgewertet werden, um die einzelnen Positionen zur Sittenwidrigkeit der Beeinflussung des Erblassers durch Dritte zu bestimmen. aa) Die Position des Bundesgerichtshofs zu der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte Sofern sich aus einem einzigen Urteil überhaupt eine Positionierung herleiten lässt, soll dieser Versuch im Folgenden skizziert werden. Der Bundesgerichtshof hatte im vorliegenden Fall die Nichtigkeit eines Erbvertrages nach § 138 Abs. 1 BGB zu prüfen. Hierzu wird zunächst ausgeführt, dass für die Annahme der Nichtigkeit eines Vertrages das sittenwidrige Verhalten eines Vertragsteils ausreiche, sofern das Anstößige gerade in dem Verhalten des einen Partners gegen den anderen liegt.371 Der Bundesgerichtshof schließt sich den Ausführungen des Berufungsgerichts an und führt aus: „Diese psychische Zwangslage des Erblassers A. habe der Kläger erkannt und bewusst ausgenutzt, um sich die unwiderrufliche Erbenstellung bei ihm zu verschaffen; er habe auf vertragliche Erbeinsetzung bestanden und gedroht, andernfalls reise er ab; damit habe er A. in dessen Augen mit der ganzen Verantwortung hinsichtlich der Erbfolge bei beiden Nachlässen belastet.“372
Der Bundesgerichtshof spricht hier von dem „Ausnutzen einer Zwangslage“373. Diesem Begriff liegt im Rahmen der Rechtsprechung zu § 138 BGB die Fallgruppe der strukturellen Ungleichheit zu Grunde, welche sich dadurch auszeichnet, dass die freie Selbstbestimmung des Handelnden aufgrund einer solchen Ungleichheit fraglich ist.374 Im Hinblick auf diese Fall368 Vgl. MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 33 ff.; BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 156–378; Erman/Schmidt-Räntsch BGB § 138 Rn. 61 ff. 369 Vgl. BGHZ 50, 63, 71. 370 Lediglich BayObLGZ 1997, 374 und OLG Braunschweig, FamRZ 2000, 1189 enthalten Ausführungen zu dieser Thematik. 371 Vgl. BGHZ 50, 63, 71. 372 BGHZ 50, 63, 71. 373 So BGHZ 50, 63, 71. 374 Die Fallgruppe der strukturellen Ungleichheit wird unterschiedlich bezeichnet. Re-
362
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
gruppe besteht Einigkeit dahingehend, dass eine unterschiedliche Verhandlungsstärke der Parteien vorliegen und der Gegner sich diese in sittenwidriger Weise zunutze machen muss.375 Übertragen auf die im Kontext der Beeinflussung des Erblassers beim Akt des Testierens vorhandene Konstellation bedeutet dies, dass der Erblasser dem Beeinflussenden unterlegen sein muss. Diesen Aspekt stellte auch die höchstrichterliche Rechtsprechung heraus.376 Die Zwangslage des Erblassers bestand nach Ansicht des Bundesgerichtshofs im vorliegenden Fall in dem Wunsch, das gemeinsame Schlossgut einheitlich im Familienbesitz zu erhalten und andere als den beeinflussenden Erben nicht zur Verfügung gehabt zu haben. Insbesondere hielt der Erblasser seine Tochter wegen ihn empörender Heiratsabsichten für ungeeignet. Gleichzeitig wollte der Erblasser sich für den Fall einer späteren Aussöhnung mit seiner Tochter noch die Möglichkeit bewahren, diese als Erbin einzusetzen und daher nur widerruflich durch Testament verfügen.377 Hierin hat der Bundesgerichtshof die strukturelle Unterlegenheit des Erblassers gesehen. Neben einer objektiv vorhandenen Unterlegenheit muss der Beeinflussende die Zwangslage des Erblassers auch in subjektiver Hinsicht ausnutzen. Auch hierzu enthält das Urteil des Bundesgerichtshofs Ausführungen: „Die festgestellte bewusste Ausnutzung der geschilderten psychischen Zwangslage des Erblassers A. durch das Verlangen unwiderruflicher Erbeinsetzung unter Abreisedrohung geht nicht unerheblich hinaus über das schlichte Benutzen einer günstigen Lage und die Zurückstellung fremder Interessen gegenüber den eigenen […].“378
Der Beeinflussende wollte nach Ansicht des Bundesgerichtshofs mit der Abreiseankündigung, ähnlich wie bei der Drohung379, ein Übel in Aussicht stellen, welches nach dessen Wunsch nicht eintreten, sondern den Erblasser zu der unwiderruflichen Erbeinsetzung des Beeinflussenden veranlassen sollte.380 Hierin bestand nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs ein bewusstes Ausnutzen der psychischen Zwangslage des Erblassers.
gelmäßig wird auch von dem Ausnutzen einer Macht- bzw. Monopolstellung gesprochen. Ebenfalls wird für diese Kategorie des § 138 Abs. 1 BGB als Oberbegriff auch die Ausnutzung einer Zwangslage oder Vertrauensstellung angeführt. Im Wesentlichen beschreiben diese Begriffe jedoch dasselbe, vgl. dazu Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 103 Fn. 386. 375 Vgl. Erman/Arnold § 138 Rn. 15 f.; MüKoBGB/Armbrüster BGB, § 138 Rn. 86; Soergel/Hefermehl § 138 Rn. 160 a; Flume, BGT AT, Band II, 371. 376 Vgl. BGHZ 50, 63, 71. 377 Vgl. BGHZ 50, 63, 71. 378 Vgl. BGHZ 50, 63, 71. 379 Die strukturelle Ähnlichkeit dieser Fälle zur Anfechtung und Drohung wird an späterer Stelle dieses Abschnitts dargestellt, s. dazu Kap. D. II. 7. c) bb) (1). 380 Vgl. BGHZ 50, 63, 71.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 363
Weitere Erkenntnisse zu den Kriterien einer sittenwidrigen Beeinflussung des selbstbestimmten Testierens des Erblassers durch Ausnutzen einer strukturellen Ungleichheit sind dem Urteil des Bundesgerichthofes nicht zu entnehmen. In einem nächsten Schritt sollen daher die Positionen der Obergerichte zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte näher untersucht werden. bb) Die Position anderer Obergerichte zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte Das BayObLG hat im Jahr 1997 ebenfalls zu der Frage der Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung, wenn ein Dritter auf die Entscheidung des Erblassers Einfluss genommen hat, Stellung bezogen.381 Über die Feststellung hinaus, dass es durchaus möglich ist, dass ein Betreuer in sittenwidriger Weise die Errichtung der letztwilligen Verfügung durch den Erblasser beeinflusst und diese daher als nichtig anzusehen ist, hat das BayObLG die Voraussetzungen einer solchen Annahme jedoch nicht näher präzisiert, da es der Ansicht war, dass diese offensichtlich nicht vorlagen.382 Deutlich aufschlussreicher ist das Urteil des OLG Braunschweig, wenngleich es keine generelle Positionierung zu den Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB im Kontext der unzulässigen Einflussnahme auf den Erblasser vornimmt.383 Es konkretisiert aber die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung bei der Erbeinsetzung des Betreuers. Zunächst stellt das OLG Braunschweig fest, dass sich die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts nicht nur aus seinem Inhalt, sondern auch aus seinem Gesamtcharakter, das heißt, aus einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Motiv und Zweck des Rechtsgeschäftes ergeben kann.384 Insbesondere könne ein Testament des Betreuten zugunsten des Betreuers als einseitiges Rechtsgeschäft aufgrund seiner Errichtungsumstände sittenwidrig sein.385
381
Vgl. BayObLGZ 1997, 374. Es ging dabei zunächst um die Frage, ob § 14 HeimG direkt oder analog auf das Verhältnis zwischen Betreuer und Betreutem anwendbar ist. Dies hat das BayObLG verneint. Im Anschluss folgen die, für die Zwecke der vorliegenden Arbeit relevanten, Ausführungen zu § 138 Abs. 1 BGB. 382 Vgl. BayObLGZ 1997, 375, 378. 383 Vgl. OLG Braunschweig, FamRZ 2000, 1189. 384 Vgl. OLG Braunschweig, FamRZ 2000, 1189, 1190; die Ausführungen des OLG Braunschweigs beziehen sich auf Umstandssittenwidrigkeit, st. Rspr. seit BGHZ 86, 82, 88; s. exemplarisch auch BGHZ 107, 92, 97; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. C. I. 1. f). 385 Vgl. OLG Braunschweig, FamRZ 2000, 1189, 1190; zu der Sittenwidrigkeit eines Testaments des Betreuten zugunsten des Betreuers s. auch Müller, ZEV 1998, 219, 223; Schwab, FamRZ 1990, 681, 688; BayObLG NJW 1998, 2369.
364
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Einen weiteren Aspekt in Bezug auf die Sittenwidrigkeitsprüfung spricht das OLG Braunschweig am Ende seines Urteils an. Die Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung der Erblasserin entfalle nicht deshalb, weil die Erblasserin jederzeit ihr Testament hätte widerrufen können, sondern da nicht gewährleistet werden konnte, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt noch in der Lage gewesen sei, wirksam zu testieren.386 Diesen Ausführungen liegt die Annahme zugrunde, dass die Widerrufsmöglichkeit grundsätzlich die Sittenwidrigkeit einer beeinflussten letztwilligen Verfügung entfallen lassen könnte. Wenngleich in diesem Abschnitt noch keine Bewertung der Rechtsprechung zu der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB im Kontext des Schutzes des selbstbestimmten Testierens vor unzulässiger Beeinflussung erfolgen soll, sei dennoch darauf hingewiesen, dass eine solche Sichtweise im Ergebnis nicht überzeugt. Wie die Ausführungen zu § 138 Abs. 1 BGB in dem ersten Teil dieser Arbeit gezeigt haben, ist bei der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf erbrechtliche Verfügungen der Errichtungszeitpunkt maßgeblich. Die Widerrufsmöglichkeit des Erblassers kann daher die aus der Fremdbestimmung resultierende Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen nicht entfallen lassen. Vielmehr ist eine solche unter Beeinflussung errichtete erbrechtliche Verfügung von Anfang an unwirksam. Neben dieser dogmatischen Schwäche dürfte die Widerrufsmöglichkeit auch in praktischer Hinsicht ungeeignet sein. So kann es zwar Fälle geben, in denen der Erblasser einmalig bei Errichtung der Verfügung von Todes wegen beeinflusst wurde und danach frei von Einflüssen einen neuen Willen bilden kann, der Regelfall dürfte jedoch die dauerhafte Beeinflussung sein. Bei einer dauerhaften Beeinflussung versagt das Widerrufsrecht jedoch ohnehin. cc) Die Prüfung des subjektiven Elements des § 138 Abs. 1 BGB im Kontext der sittenwidrigen Beeinflussung des Testierens durch die Rechtsprechung In der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit wurde bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB das subjektive Element als das maßgebliche Kriterium ausgemacht. Das subjektive Element ist in diesem Kontext insbesondere deshalb von entscheidender Bedeutung, weil die Erbeinsetzung als 386 So das OLG Braunschweig, Beschluss vom 04. November 1999 – 2 U 29/99 –, juris Rn. 53 (insoweit nicht abgedruckt in FamRZ 2000, 1189): „Die Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung der Erblasserin entfällt nicht deshalb, weil [sie] ihr Testament jederzeit hätte widerrufen können. Ein späterer Widerruf setzte voraus, dass sie sich dann ihres Testaments bewusst war. Das war angesichts ihrer senilen Demenz nicht gewährleistet. Der Zeuge […] hat das erkannt. Er hat auf eine gutachtliche Stellungnahme Frau... im Landeskrankenhaus Königslutter behandelnden Arztes verzichtet, weil er ohne Zeitverlust die nach seiner Auffassung angeblich bestehende, unter Umständen nicht wiederkehrende Gelegenheit wahrnehmen wollte, ein Testament aufzunehmen.“
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 365
solche stets eine Begünstigung mit sich bringt und selbst bei einem überschuldeten Nachlass aufgrund der Ausschlagungsmöglichkeit dem Erben stets ein Mehr an Rechten verschafft, so dass sie im Ergebnis als vorteilhaft oder zumindest als neutral zu bewerten ist. In objektiver Hinsicht sind daher sittenwidrige Anhaltspunkte nicht zu finden. Dies machte die Betrachtung des subjektiven Elements unerlässlich, weshalb die Betrachtung des subjektiven Elements als heuristisches Prinzip bei der Sittenwidrigkeitsprüfung erbrechtlicher Verfügungen ausgemacht worden ist.387 Auf den ersten Blick könnte für den vorliegenden Kontext etwas anderes gelten. Soweit eine Beeinflussung im Rahmen eines strukturellen Ungleichgewichts vorliegt, ist bereits dies in objektiver Hinsicht als sittenwidrig zu bewerten. Dennoch verlangt die Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Ausnutzen einer Zwangslage beziehungsweise bei Vorliegen eines strukturellen Ungleichgewichts im Hinblick auf das subjektive Element, dass der Handelnde die Unterlegenheit des Erblassers beziehungsweise seine eigene Überlegenheit ausnutzt.388 Für das Vorliegen einer Ausnutzung reicht es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass der Handelnde Kenntnis derjenigen Umstände hat, die die Unterlegenheit des betroffenen Erblassers begründen und er sich diese Unterlegenheit vorsätzlich zu seinen Gunsten zunutze macht.389 Zentral ist hierbei die Differenzierung zwischen Ausnutzen und Benutzen, die der Bundesgerichtshof in dem zuvor referiertem Urteil vorgenommen hat. Das „schlicht[e] Benutzen einer günstigen Lage und die Zurückstellung fremder Interessen gegenüber den eigenen […]“390 soll nach dem Bundesgerichtshof für die Annahme eines Ausnutzens nicht genügen. Diese Differenzierung dürfte in der Praxis schwierig umsetzbar sein. Weitere Fragestellungen ergeben sich im Hinblick auf den Umgang mit einer etwaigen groben Fahrlässigkeit des beeinflussenden Dritten.391 An dieser Stelle wird die Unterscheidung der Rechtsprechung zwischen § 138 Abs. 1 BGB und § 138 Abs. 2 BGB virulent. Während für die Fälle des § 138 Abs. 2 BGB von der herrschenden Meinung ein Ausnutzen des strukturellen Ungleichgewichts nur bei positiver Kenntnis des Handelnden der die Über- oder Unter-
387
Vgl. dazu Kap. C. I. 1. f). Vgl. BGHZ 50, 63, 71; BGH LM, Nr. 1 zu § 138 (Bc) BGB; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 108; Palandt/Ellenberger BGB § 138, Rn. 35; Frank/Helms, Erbrecht, § 3, Rn. 13. 389 Vgl. BGHZ 50, 63, 71; BGH LM, Nr. 1 zu § 138 (Bc) BGB; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 108. 390 BGHZ 50, 63, 71. 391 So merkt insbesondere Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 108, an, dass demenzkranken Erblassern ihre Beeinträchtigung und die damit einhergehende Unterlegenheit regelmäßig nicht leicht anzumerken ist. Dies dürfte zu dem Entstehen erheblicher Beweisprobleme führen. 388
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
legenheit begründenden Umstände angenommen wird392, gilt dies für die Fälle des § 138 Abs. 1 BGB nicht.393 Vielmehr genügt es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass sich der Handelnde grob fahrlässig der entsprechenden Kenntnis verschlossen hat.394 Aus diesem Grund dürfte, zumindest dann, wenn der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefolgt wird, in den Fällen der unzulässigen Einflussnahme auf das selbstbestimmte Testieren nach § 138 Abs. 1 BGB eine grob fahrlässige Unkenntnis der Umstände, die die strukturelle Ungleichheit ausmachen, genügen, um das subjektive Element bei dem Beeinflussenden zu bejahen.395 Nachdem nunmehr die Anforderungen der Rechtsprechung an das subjektive Element des Sittenwidrigkeitsverdiktes bei unzulässiger Beeinflussung des Erblassers dargestellt wurden, stellt sich die Frage, wer die Beweislast im Hinblick auf diese subjektiven Voraussetzungen trägt. dd) Die Beweislast bei der Prüfung sittenwidriger Beeinflussung der Autonomie des Erblassers im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB Um zu überprüfen, inwiefern der § 138 Abs. 1 BGB und die Rechtsprechung die Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinträchtigung durch Dritte schützen, muss, insbesondere in praktischer Hinsicht, auch beachtet werden, wer die Beweislast für die Voraussetzungen trägt. Die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit muss grundsätzlich derjenige beweisen, der sich auf diese beruft.396 Dies gilt für die objektiven und subjektiven Voraussetzungen gleichermaßen.397 Probleme ergeben sich dabei ins392 So die ganz h.M. BGH NJW 1985, 3006, 3007; Erman/Arnold § 138 Rn. 48; BeckOK/Wendtland BGB § 138 Rn. 55; Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 74; MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 154; HK-BGB/Dörner § 138 Rn. 16; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band II, 373; abweichend aber BGH, NJW 1981, 1206, 1207, der grobe Fahrlässigkeit genügen lässt. 393 Erman/Arnold § 138 Rn. 21; Palandt/Ellenberger BGB § 138 Rn. 8; BeckOK/Wendtland § 138 Rn. 23; HK-BGB/Dörner BGB § 138 Rn. 4. 394 Vgl. dazu etwa BGH, NJW 1985, 3006, 3007; BGH, NJW 2001, 1127, 1127; BGH, NJW 2010, 363, 364. 395 So im Ergebnis auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 108. Boehm bezweifelt aber, dass die Umstände, die die Unterlegenheit des Erblassers ausmachen, wie bspw. eine Demenzerkrankung, regelmäßig überhaupt erkennbar sind. Das Gegenüber habe häufig keinen hinreichenden Anlass aufgrund bestimmter vorhandener Merkmale auf eine strukturelle Unterlegenheit des Erblassers zu schließen. Aus diesem Grund könne das subjektive Element regelmäßig schwer nachweisbar sein. 396 Vgl. BGHZ 53, 369, 379 f.; BGH, NJW 1995, 1425, 1429; BGH, NJW 2019, 676, 677; BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 705; MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 168; BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 39. 397 BGHZ 53, 369, 379 f.; BGH, NJW 1995, 1425, 1429; BGH, NJW 2019, 676, 677;
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besondere im Hinblick auf den Beweis der subjektiven Voraussetzungen, da diese regelmäßig schwierig nachzuweisen sind.398 Aus diesem Grund arbeitet die Rechtsprechung im Rahmen der subjektiven Voraussetzungen zum Teil mit Vermutungen. In dem Bereich des strukturellen Ungleichgewichts bei Fällen der Beeinflussung des Erblassers durch Dritte ist eine solche Vermutung jedoch bislang noch nicht aufgestellt worden.399 Das Fehlen einer solchen Vermutungswirkung wird von Teilen der Literatur massiv kritisiert. Diese Kritik wird an späterer Stelle noch näher untersucht. Für die Zwecke des vorliegenden Abschnitts kann festgehalten werden, dass derjenige, der sich auf die sittenwidrige Beeinflussung des Erblassers in Bezug auf den Testiervorgang beruft, sowohl die objektiven als auch die subjektiven Voraussetzungen darlegen muss. ee) Fazit: Geringe Wahrnehmung des Schutzes der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung über das Sittenwidrigkeitsverdikt durch die Rechtsprechung Die Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen aufgrund der unzulässigen Beeinflussung durch Dritte ist bislang noch nicht in den Fokus der Rechtsprechung gerückt. Verbunden mit dem Umstand, dass derjenige, der sich auf die Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen beruft, die entsprechende Beweislast trägt, ist das Schutzniveau, das derzeit durch die Rechtsprechung über § 138 Abs. 1 BGB in Bezug auf den Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte gewährt wird, als gering einzustufen. Besonders weil die Rechtsprechung in Bezug auf die Fälle des strukturellen Ungleichgewichts zwischen Erblasser und beeinflussendem Dritten noch keine Regelungen zu der Vermutung der subjektiven Voraussetzung aufgestellt hat, wird der Beweis ebendieser häufig nicht gelingen. Die wenigen Urteile der Rechtsprechung bestätigen diesen Befund. Die bisherige Nichtwahrnehmung des Schutzes des selbstbestimmten Testierens über das Sittenwidrigkeitsverdikt durch die Rechtsprechung kann dabei verschiedene Gründe haben. Zum einen könnten die bestehenden Schutzmechanismen den Erblasser hinreichend vor einer unzulässigen Einflussnahme schützen, sodass es eines verstärkten Schutzes des selbstbestimmten Testierens durch das Sittenwidrigkeitsverdikt nicht bedarf. Zum anderen könnte die Nichtwahrnehmung eines solchen Schutzes durch die Rechtsprechung auch schlichtweg darauf beruhen, dass die Rechtsprechung das
MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 168; BeckOGK/Jakl BGB § 138 Rn. 711 ff.; BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 39. 398 Dies wurde bereits in dem ersten Teil dieser Arbeit verdeutlicht, s. dazu Kap. C. I. 1. f). 399 Vgl. zu diesem Befund Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 108.
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Problem der unzulässigen Beeinflussung des selbstbestimmten Testierens nicht hinreichend wahrnimmt und daher § 138 Abs. 1 BGB auf diese Konstellationen fälschlicherweise nicht anwendet. Da Letzteres in der jüngeren Vergangenheit mehrfach entweder direkt oder indirekt durch die Forderung nach einer verstärkten Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung in der Literatur behauptet worden ist, sollen im Nachfolgenden die Positionen in der Literatur zu der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung näher untersucht werden. Erst danach kann überprüft werden, inwiefern die derzeitige Haltung der Literatur und Rechtsprechung eine Grenze der Testierfreiheit darstellt und die Frage beantwortet werden, ob es sich hierbei um eine unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit handelt. b) Forderungen der Literatur nach einer verstärkten Wahrnehmung des Schutzes des selbstbestimmten Testierens vor unzulässiger Beeinflussung über das Sittenwidrigkeitsverdikt Mehrere Stimmen in der Literatur, die sich mit dem Schutz des selbstbestimmten Testierens vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte befassen, fordern eine verstärkte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB um Beeinflussungshandlungen effektiv begegnen zu können.400 In grundrechtsdogmatischer Hinsicht soll dabei in Gefolge der Handelsvertreterentscheidung des Bundesverfassungsgerichts401 eine staatliche Schutzpflicht für eine „reale Testierfreiheit“ erzeugt werden, die durch den Richter realisiert wird. Zu Beginn dieses Kapitels ist bereits Röthel als führende Vertreterin dieser Ansicht ausgemacht worden.402 So stellt sie insbesondere fest, dass der Schutz der Testierfreiheit vor faktischen Beeinträchtigungen grundsätzlich der Rechtsprechung vorbehalten ist und diese einen solchen Schutz derzeit zu
400
So insbesondere Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Röthel, AcP 210 (2010), 32, 61 f.; Ludyga, NZS 2013, 201, 206; Lange, Erbrecht, § 12 Rn. 43. 401 So BVerfGE 81, 242, 256 (Handelsvertreterentscheidung): „Der entsprechende Schutzauftrag der Verfassung richtet sich hier an den Richter, der den objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte in Fällen gestörter Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu verschaffen hat und diese Aufgabe auch auf vielfältige Weise wahrnimmt.“ Nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat der Zivilrichter auch in den Fällen für die Durchsetzung der „objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte zu sorgen, in denen der Gesetzgeber selbst nicht tätig geworden ist und beispielsweise kein zwingendes Recht erlassen hat. Hierfür müsse der Zivilrichter auf die Generalklauseln der Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 138, 242, 826 BGB) zurückgreifen, vgl. dazu BVerfGE 7, 198, 206; BVerfGE 81, 242, 256. 402 Vgl. Kap. D. I. 4.; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 61 f.
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gering wahrnimmt.403 Dieser Sichtweise haben sich weitere Stimmen in der Literatur angeschlossen.404 So führt Lange aus: „All dies mag dafür sprechen, den Schutz der Testierfreiheit vor faktischen Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle der rechtswidrigen Drohung zunächst der Rechtsprechung im Rahmen einer auf § 138 gestützten Kontrolle der Verfügungsfreiheit zu überlassen. Dann müsste diese aber ihre bisherige Zurückhaltung aufgeben und § 138 zu einem wirksameren Instrument richterlicher Abschlusskontrolle ausbauen.“405
Auch Lange fordert die Rechtsprechung daher dazu auf, den Schutz des selbstbestimmten Testierens verstärkt in den Fokus zu rücken. Die Befürworter eines solchen Schutzes wollen allesamt eine richterliche Abschlusskontrolle einführen, die unabhängig von dem Inhalt der erbrechtlichen Verfügung und dem Motiv der Beeinflussung stets dann zu einer Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen gelangt, wenn diese nicht mehr auf hinreichender Selbstbestimmung beruht. Fremdbestimmte Verfügungen sollen daher stets, unabhängig von dem Inhalt und dem Motiv, dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen. Den Vertretern dieser Auffassung geht es darum, letztwillige Verfügungen dann für unwirksam zu erklären, „wenn sie – auch unterhalb der Schwelle zur rechtswidrigen Drohung – das Ergebnis subtiler Beeinflussung und Beherrschung sind.“406 Der vorhandenen Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 BGB im Kontext des Schutzes des Erblassers vor Fremdbestimmung und der Literatur ist gemein, dass als Voraussetzung einer unzulässigen Einflussnahme das Vorliegen einer strukturellen Unterlegenheit ausgemacht wird.407 In Anlehnung an den zuvor bereits referierten Fall des BayObLG hält auch die Literatur eine solche strukturelle Unterlegenheit des Erblassers in besonderen Verhältnissen, namentlich Betreuungs- und Pflegeverhältnissen, für möglich.408 Als weitere Kriterien werden das Ausmaß der Abhängigkeit des Erblassers von dem 403 So Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65: „Ganz anders liegen die Dinge im Bereich der Entschließungsfreiheit des Erblassers. Hier ist die richterliche Schutzgewähr außerhalb von § 14 HeimG noch zu entfalten.“ 404 Vgl. Ludyga, NZS 2013, 201, 206; Lange, Erbrecht, § 12 Rn. 43. 405 Vgl. Lange, Erbrecht, § 12 Rn. 43; in diese Richtung auch Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Röthel, AcP 210 (2010), 32, 61 f.; Ludyga, NZS 2013, 201, 206. 406 Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63; in diese Richtung auch Ludyga, NZS 2013, 201, 206: „Es muss den veränderten Erscheinungsformen pflegerischer Tätigkeiten nachgekommen werden und Beeinflussungen, die unterhalb der Schwelle einer rechtswidrigen Drohung gemäß § 2078 BGB liegen, sollten von § 138 Abs. 1 BGB erfasst werden. Nur eine solche Betrachtung wird der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Testierfreiheit und dem Sozialstaatsprinzip gerecht.“ 407 So für die Literatur explizit Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63: „Dies wird regelmäßig voraussetzen, dass sich der Erblasser gegenüber dem Begünstigten in einer Situation ,struktureller Unterlegenheit‘ befunden hat.“ 408 Vgl. Ludyga, NZS 2013, 201, 206; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63.
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Beeinflussenden und die generellen geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Erblassers genannt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sowohl die Rechtsprechung als auch Teile der Literatur es grundsätzlich für möglich halten, dass Verfügungen von Todes wegen aufgrund unzulässiger Beeinflussung dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen. Einigkeit besteht auch insofern, als dass dieser Art von Sittenwidrigkeit die Fallgruppe der strukturellen Ungleichheit zugrunde liegt. Lediglich im Hinblick auf das subjektive Element ergeben sich Unterschiede. Während die Rechtsprechung ausweislich der vorhanden Urteile nicht von ihren bisherigen Anforderungen zum subjektiven Element abweicht, will die überwiegende Literatur eine Prüfung losgelöst von dem Inhalt und vor allem auch von den Motiven des Beeinflussenden durchführen. Nachdem sowohl die Rechtsprechung als auch die Literatur zu der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des selbstbestimmten Testierens näher untersucht worden ist, sollen die entsprechenden Ansichten in einem nächsten Schritt bewertet werden. Dabei ist für die Zwecke dieser Arbeit insbesondere darauf einzugehen, ob durch die (verstärkte) Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB unzulässige Grenzen der Testierfreiheit entstehen würden. c) Bewertung der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des selbstbestimmten Testierens durch Rechtsprechung und Literatur Sowohl Röthel als auch die anderen Befürworter einer verstärkten Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes wollen den § 138 Abs. 1 BGB nutzen, um das selbstbestimmte Testieren und damit einhergehend auch die Testierfreiheit zu schützen.409 Fraglich ist aber, ob dieser vermeintlich gut gemeinte Schutz des Erblassers über § 138 Abs. 1 BGB als solches nicht bereits dogmatisch fehlerhaft ist (dazu aa)). Darüber hinaus könnte die Forderung nach einer verstärkten Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auch auf diversen fehlerhaften Grundannahmen beruhen, die sich auf die Testierfreiheit der Erblasser auswirken (dazu bb)). Diese beiden Aspekte sollen im Nachfolgenden untersucht werden, bevor abschließend die Auswirkungen der Forderung nach der extensiveren Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen auf die Testierfreiheit aufgezeigt
409
So Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65. Röthel stellt fest, dass die derzeitige Rechtsordnung und Rechtsprechung aufgrund des Umstands, dass diese unterhalb der Schwelle zur rechtswidrigen Drohung keine Beeinträchtigungen der Entschließungsfreiheit berücksichtigen, den grundrechtlichen Auftrag zur Ausgestaltung der Testierfreiheit nicht hinreichend wahrnehmen. In diese Richtung argumentiert auch Ludyga, der nur durch die verstärkte Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes die Testierfreiheit und das Sozialstaatsprinzip beachtet sieht.
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werden können (dazu d)). Letzteres ermöglicht es, die Frage zu beantworten, ob es sich hierbei um eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit handelt. aa) Dogmatische Schwächen der Ansichten der Literatur und der Rechtsprechung Zunächst ist festzuhalten, dass die derzeitige Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen diverse dogmatische Schwächen aufweist. Dies gilt sowohl für die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes in der Rechtsprechung als auch in der Literatur, was im Folgenden näher zu analysieren ist. (1) Die Unvereinbarkeit der Loslösung von dem subjektiven Element bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit Wie soeben dargelegt, will die überwiegende Literatur die Sittenwidrigkeit der erbrechtlichen Verfügungen unabhängig von dem Motiv der Beeinflussung prüfen. Die Befürworter einer solchen richterlichen Abschlusskontrolle, die unabhängig von den Motiven des Beeinflussenden erfolgen soll, verkennen jedoch, dass das subjektive Element für das Sittenwidrigkeitsverdikt auch im Kontext der unzulässigen Beeinflussung des Erblassers beim Akt des Testierens von zentraler Bedeutung ist.410 Wenn eine richterliche Abschlusskontrolle losgelöst von dem Inhalt und den Motiven der Verfügung von Todes wegen erfolgen soll, müsste zumindest die Existenz einer fremdbestimmten erbrechtlichen Verfügung als solche sittenwidrig sein. Anders ausgedrückt müsste der Umstand, dass die errichtete Verfügung von Todes wegen unter unzulässiger Beeinflussung zustande gekommen ist, bereits als solches gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen.411 Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Rechtsordnung behandelt unter unzulässiger Beeinflussung zustande gekommene Rechtsgeschäfte grundsätzlich zunächst als wirksam und gibt dem Betroffenen vielmehr die Möglichkeit, das Rechtsgeschäft anzufechten. Für Rechtsgeschäfte unter Lebenden ergibt sich dies aus § 123 BGB. Für Verfügungen von Todes wegen folgt die Anfechtbarkeit bei unzulässigen Beeinflussungshandlungen, wie beispielsweise der rechtswidrigen Drohung, aus § 2078 BGB.412 Das Zustandekommen einer Verfügung von Todes wegen unter einer unzulässigen Beein410
Die Maßgeblichkeit des subjektiven Elements für die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdikts auf letztwillige Verfügungen ist bereits in dem Kap. C. I. 1. f) aa) deutlich geworden. 411 In diese Richtung auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 159 f. 412 Vgl. MüKoBGB/Leipold BGB § 2078 Rn. 19 ff.; zu den Anfechtungsgründen s. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2078 Rn. 4–14; Damrau/Tanck/Seiler-Schopp/Rudolf BGB § 2078 Rn. 20–50.
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flussung als solches kann nicht die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes rechtfertigen, da die Rechtsordnung selbst Rechtsgeschäfte, die unter stärkeren Formen der Einflussnahme zustande gekommen sind, grundsätzlich für wirksam hält. Es ist daher unerlässlich, die Motive des Beeinflussenden zu betrachten. Aus dem § 123 BGB und § 2078 BGB lässt sich noch ein weiteres Argument ableiten, welches gegen die Anknüpfung des Schutzes vor Fremdbestimmung an das Sittenwidrigkeitsverdikt spricht. Fremdbeeinflussung führt nach der Konzeption der nationalen Rechtsordnung grundsätzlich nur zur Anfechtbarkeit und nicht zur Nichtigkeit.413 Aus diesem Grund ist der Versuch der Literatur und der Rechtsprechung, fremdbestimmte Verfügungen unter § 138 Abs. 1 BGB fallen zu lassen, wenig überzeugend.414 Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass bereits die grundsätzliche Eignung des § 138 Abs. 1 BGB zur Anwendung auf fremdbestimmte Verfügungen dogmatisch höchst fragwürdig ist. Die darüber hinausgehende Sichtweise der Literatur, die eine richterliche Kontrolle über § 138 Abs. 1 BGB losgelöst von einem subjektiven Element vornehmen möchte, ist jedoch mit den bestehenden Wertungen der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches vollständig unvereinbar und daher abzulehnen. Die Existenz eines fremdbestimmten Rechtsgeschäftes ist nach der nationalen Rechtsordnung nicht so unerträglich, als dass dies aufgrund eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein müsste. Die dargelegten dogmatischen Schwächen werden durch einen Blick auf den von Röthel angeführten Fall415 einer in bester Absicht beeinflussenden Tochter, welcher aufgrund der Loslösung von Inhalts- und Motivbewertungen unter § 138 Abs. 1 BGB fallen solle, belegt.416 Den Ausführungen Röthels ist zwar insoweit zuzustimmen, als dass Beeinflussungshandlungen unabhängig von dem Inhalt der Verfügung von Todes wegen zu beurteilen sind. Wenngleich daher die Loslösung von der Bewertung des Inhalts der Verfügung von Todes wegen überzeugt, gilt dies für eine Abkehr von der Prüfung der subjektiven Komponente nicht. Allein die objektive Existenz einer fremdbestimmten Verfügung von Todes wegen ist nicht sittenwidrig,
413 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 160; in diese Richtung auch Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 171b. 414 In diese Richtung wohl auch Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 171b. 415 Röthel, AcP 210 (2010), 32, 62 f. führt folgenden Fall an: Die Erblasserin begünstigt ihre mittellose Tochter. Diese Begünstigung beruht auf einem Mangel der Entschließungsfreiheit aufgrund der Beeinflussung der Erblasserin durch ihre eigene Tochter, die jedoch in bester Absicht handelt. Nach Röthel soll eine solche Verfügung von Todes wegen, unabhängig von den Motiven der beeinflussenden Tochter, dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen. Dem schließt sich auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 160 an. 416 Vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 62 f.; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 160.
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sodass der von Röthel angeführte Fall nicht dem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfallen kann.417 (2) Die Annahme einer psychischen Zwangslage des Erblassers – Berücksichtigung des Mehr an Rechten des Erblassers Auch die Annahme einer psychischen Zwangslage des Erblassers weist dogmatische Schwächen auf. Wenngleich es möglich erscheint, dass der Erblasser sich zum Zeitpunkt des Testierens in einer psychischen Zwangslage befindet, muss berücksichtigt werden, dass dieser gegenüber beeinflussenden Erbprätendenten stets über ein Mehr an Rechten verfügt, welches gegen die Annahme einer solchen Zwangslage spricht.418 So ist die Annahme einer psychischen Zwangslage des Erblassers in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall durchaus zweifelhaft. Dass der Erblasser sich wünscht, den Nachlass möglichst einheitlich an einen nahen Verwandten zu vererben ist zwar durchaus legitim, die Schwierigkeiten, die mit diesem Wunsch einhergehen, bringen den Erblasser jedoch nicht in eine Zwangslage. Die Frage nach der Testamentsgestaltung und das Problem, dass bestimmte nahe Angehörige aus Sicht des Erblassers für die Übernahme des Nachlasses ungeeignet sind und daher Hürden hinsichtlich der Testamentsgestaltung auftreten, dürfte häufig anzutreffen und in gewisser Weise einer wirklichen Testierfreiheit, die den Erblasser eine Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, immanent sein. Die Testierfreiheit gibt dem Erblasser diverse Ausgestaltungsmöglichkeiten der Weitergabe seines Vermögens von Todes wegen. Vereinfacht gesagt, verfügt der Erblasser aufgrund der Testierfreiheit über die Qual der Wahl. Hierin bereits eine Zwangslage zu sehen erscheint rechtstheoretisch abwegig. Aus diesem Grund ist in dem oben referierten Fall des Bundesgerichtshofs auch nicht von dem Vorliegen einer Zwangslage auszugehen. Der Umstand, dass der Erblasser eine „schwierige Entscheidung“ zu treffen hat, führt nicht dazu, dass eine psychische Zwangslage angenommen werden kann. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Annahme einer psychischen Zwangslage ist darüber hinaus mit der Ausgestaltung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches, die einen starken Erb417
Zu diesem Ergebnis müsste auch Otte gelangen, der in Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 171b ausführt: „Wenn die Frage nach der Sittenwidrigkeit eines einseitigen Rechtsgeschäfts nicht wegen seines Inhalts oder wegen der Absicht des Erklärenden, sondern wegen der Einflussnahme eines Dritten auf das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts gestellt wird, muss das Verhältnis von § 138 Abs. 1 zu § 123 BGB bedacht werden.“ 418 Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f.; die Motive sprechen daher bei der Erbeinsetzung auch von einem Angebot, s. dazu Kap. D. I. 1. a) aa) (3) (a).
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
lasser und schwache Erbprätendenten beinhaltet, nicht vereinbar.419 Der Erblasser verfügt schlichtweg über ein erhebliches Mehr an Rechten. Schwierigkeiten, die sich für den Erblasser ergeben, weil von den vielen verschiedenen Optionen, die ihm dieses Mehr an Rechten eröffnet, manche aufgrund der tatsächlichen Umstände ungeeignet erscheinen und der Erblasser seinen eigentlichen Willen daher nicht vollumfänglich realisieren kann, lassen eine Zwangslage jedenfalls nicht entstehen. Wenngleich dem Erblasser seine Handlungsoptionen missfallen mögen, bleibt er in seiner Entscheidung frei. Eine psychische Zwangslage kann nicht entstehen. (3) Die Annahme eines unzulässigen Ausnutzens – Berücksichtigung zulässiger Verhaltensweisen der Erbprätendenten Neben dem Vorliegen einer psychischen Zwangslage ist für die Fallgruppe der strukturellen Ungleichheit zumindest nach der Rechtsprechung ein subjektives Element erforderlich, welches in dem Ausnutzen der bestehenden psychischen Zwangslage des Erblassers besteht.420 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Trennung zwischen dem Ausnutzen einer Zwangslage und dem schlichten Benutzen einer günstigen Lage kaum möglich ist. Dies zeigt auch der dargestellte Fall, den der Bundesgerichtshof zu entscheiden hatte. Inwiefern in einer Abreiseandrohung ein unzulässiges Ausnutzen liegen kann, ist nicht ersichtlich. Vielmehr muss es Erbprätendenten möglich sein, mit dem Erblasser über eine Erbeinsetzung – sei es im Rahmen eines Erbvertrages oder einer einfachen testamentarischen Verfügung – zu kommunizieren. Dabei steht es Erbprätendenten auch grundsätzlich frei, ihre Missgunst bei Nichteinsetzung zum Erben durch den Abbruch der Beziehung kundzutun. Wenngleich es dabei bleibt, dass niemand einen Anspruch hat, Erbe zu werden421, so ist ein gewisser Grad an Einflussnahme der Erbprätendenten auf den Erblasser hinnehmbar. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Erblasser nicht zwingend ein manipulierbarer Mensch ist, sodass von ihm erwartet werden kann, dass er seine letztwillige Verfügung in besonnener Selbstbehauptung und unter Ausblendung offensichtlicher Manipulationsversuche regelt. Die Testierfreiheit ermöglicht es dem Erblasser auch, über den Inhalt seiner Verfügung von Todes wegen zu kommunizieren.422 Spiegelbildlich muss es Erbprätendenten ebenfalls möglich sein, die 419
Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. II. 1. a). Die Literatur will hingegen eine richterliche Abschlusskontrolle über das Sittenwidrigkeitsverdikt einführen, welche von der Betrachtung des subjektiven Elements losgelöst ist, vgl. dazu Kap. D. II. 7. b). 421 Vgl. dazu Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). 422 Auch der Erblasser darf mit seiner letztwilligen Verfügung in Kommunikation zu seiner Umwelt treten, vgl. dazu ausführlich Kap. B. VI. 6. b) bb); s. dazu auch Kap. D. III. 3. 420
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Pläne des Erblassers bezüglich der Weitergabe seines Vermögens nach dem Tod zu erfragen. Der Versuch der Erbprätendenten den Erblasser dabei zu einem gewissen Verhalten zu drängen, stellt, solange dies nicht die Schwelle zu einer rechtswidrigen Drohung überschreitet, eine legitime Handlung dar. Dass dieses Verhalten aus objektiver Sicht gegebenenfalls undankbar und daher unverständlich erscheint, spielt keine Rolle. Auch in dieser Hinsicht hat der Bundesgerichtshof daher vorschnell die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB angenommen. An dieser Stelle ist erneut festzuhalten, dass die vorliegende Arbeit bereits das Vorliegen einer Zwangslage bestreitet. Zusätzlich soll verdeutlicht werden, dass selbst bei der fehlehrhaften Annahme einer tatsächlich nicht bestehenden Zwangslage jedenfalls in der bloßen Ankündigung des Abbruchs der Beziehung noch kein unzulässiges Ausnutzen gesehen werden kann. Aus diesem Grund lässt sich die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch als Fehlentscheidung einordnen. Nachdem nunmehr die dogmatischen Schwächen der Sichtweisen von Rechtsprechung und Literatur dargelegt worden sind, soll in einem nächsten Schritt die Frage gestellt werden, ob der in der Literatur geforderte verstärkte Schutz des selbstbestimmten Testierens über das Sittenwidrigkeitsverdikt überhaupt sinnvoll ist, oder vielmehr auf fehlerhaften Grundannahmen beruht und daher abzulehnen ist. bb) Die fehlerhaften Grundannahmen der Forderung nach einem (verstärkten) Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen des Erblassers über das Sittenwidrigkeitsverdikt Wie zuvor näher dargestellt, fordern diejenigen Vertreter in der Literatur, die sich mit dem Schutz des selbstbestimmten Testierens vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte beschäftigen, eine verstärkte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB, um die Autonomie des Erblassers hinreichend abzusichern.423 Eine solche extensivere Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB wird befürwortet, weil „[d]as geltende Recht […] so [tut], als fänden oberhalb der Schwelle der Testierfähigkeit und unterhalb der Schwelle der rechtswidrigen Drohung keine relevanten Beeinträchtigungen der Entschließungsfreiheit des Erblassers statt.“424
423 Vgl. Kap. D. II. 7. b). Vgl. Röthel, AcP 210 (2010) 32, 62 f.; Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Lange, Erbrecht § 11 Rn. 15. 424 So Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 163: „Eine Schutzlücke besteht dort, wo der Erblasser nicht durch Testierverbote geschützt ist, eine Dauerbeeinflussung vorliegt, die aber weder durch eine Drohung noch durch eine Täuschung begangen wird […].“
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Dieser Sichtweise liegen zwei Annahmen zu Grunde. Zum einen wird angenommen, dass der bereits durch einfachgesetzliche Vorschriften bestehende Schutz vor Fremdbestimmung nicht ausreichend sei. Zu überprüfen ist daher, ob die bestehenden Regelungen des Erbrechts den Erblasser tatsächlich nicht hinreichend vor Beeinträchtigungen der Entschließungsfreiheit schützen (dazu (1)). Zum anderen wird der Schutz der Autonomie des Erblassers für notwendig erachtet und damit gleichzeitig als ein legitimes Anliegen ausgemacht. Wenngleich bereits festgestellt worden ist, dass Einschränkungen der Testierfreiheit zum Schutz der Autonomie des Erblassers möglich sind, stellt sich die Frage, ob die (verstärkte) Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auch tatsächlich diese Schutzrichtung verfolgt (dazu (2)). Die Beantwortung dieser Frage ist notwendig, um in einer abschließenden Betrachtung die Auswirkungen der von der Literatur geforderten verstärkten Wahrnehmung des Schutzes vor fremdbestimmten Verfügungen auf die Testierfreiheit darzulegen (dazu d)). (1) Die fehlerhafte Annahme der Notwendigkeit und der Zulässigkeit eines Schutzes vor fremdbeeinflussten Verfügungen von Todes wegen über § 138 Abs. 1 BGB In diesem Kapitel, welches sich mit den bestehenden gesetzlichen Vorschriften zum Schutz des selbstbestimmten Testierens und den damit einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit beschäftigt, sind bereits zahlreiche Vorschriften dargelegt worden, die zwar die Testierfreiheit einschränken, aber gleichzeitig auch die Autonomie des Erblassers schützen.425 Hier sei insbesondere auf die Vorschriften zur Testierfähigkeit, den Typen- und Formzwang, den Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit nach § 2064 BGB, die Regelungen zur Erbunwürdigkeit und auf das Pflichtteilsrecht verwiesen. Diese Vorschriften und Rechtsinstitute sichern das autonome Testieren des Erblassers in unterschiedlicher Weise, ohne die Testierfreiheit verfassungswidrig einzuschränken. Im Nachfolgenden ist zu überprüfen, ob das Gesetz gleichwohl Schutzlücken enthält, die eine verstärkte Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes notwendig machen.
425
Vgl. dazu Kap. D. II. 1.u. 2., 3. a), 4., 5. Auf die Ausführungen in Kap. D. II. 3. b) wird insofern nicht verwiesen, als dass die Untersuchung des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit ergeben hat, dass dieser mit der Testierfreiheit unvereinbar und daher abzuschaffen ist.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 377
(a) Wenige gesetzlichen Lücken im Hinblick auf den Schutz des autonomen Testierens Um zu überprüfen, ob gesetzliche Lücken im Hinblick auf den Schutz des autonomen Testierens vorhanden sind, müssen zunächst die verbleibenden gesetzlichen Schutzmechanismen, die eine Fremdbeeinflussung verhindern sollen, näher betrachtet werden. (aa) Berücksichtigung der Möglichkeit des Widerrufs, des Rücktritts oder der Aufhebung Die Möglichkeit des Erblassers, sein Testament zu widerrufen, von Verfügungen im Erbvertrag zurückzutreten oder Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments aufzuheben, stellt für den Erblasser eine Möglichkeit dar, sich von der unter Beeinflussung entstandenen Verfügung von Todes wegen zu lösen. Der Widerruf, der Rücktritt und die Aufhebung sind daher als Instrumente zum Schutz der Autonomie des Erblassers zu qualifizieren. Sie wurden nicht in einem eigenständigen Abschnitt in diesem Kapitel untersucht, weil mit ihnen nicht die Möglichkeit der Beschränkung der Testierfreiheit einhergeht. Daher sind sie für die Zwecke der vorliegenden Arbeit grundsätzlich nicht von Bedeutung. Gleichwohl erlangen sie in diesem Abschnitt erhebliche Relevanz, da nur eine umfassende Betrachtung aller Vorschriften und Rechtsinstitute zum Schutz des autonomen Testierens die Frage nach vorhandenen Schutzlücken beantworten kann. Die Wirkungen des Widerrufs, des Rücktritts und der Aufhebung sind dabei leicht beschrieben. Sofern der Erblasser bei Errichtung seiner Verfügung von Todes wegen unzulässig beeinflusst wurde, eröffnen ihm diese Rechtsinstitute die Option, den Erfolg der Beeinflussung rückgängig zu machen und erneut zu testieren. Diese verschiedenen Wege des Erblassers lassen bereits Zweifel an der Notwendigkeit der verstärkten Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz des selbstbestimmten Testierens entstehen. Zwar wird zutreffend betont, dass Widerruf, Aufhebung und Rücktritt nicht vor einer unzulässigen Beeinflussung durch Dritte schützen, sondern dem Erblasser lediglich einen „Ausweg“ eröffnen, um die beeinflusste Verfügung von Todes wegen zu vernichten, sich also ihrer Rechtsbindung und ihren Rechtswirkungen zu entziehen.426 Dies ist jedoch ein Einwand, der auf § 138 Abs. 1 426
So das BVerfG in seinem Nichtannahmebeschluss zu § 14 HeimG, s. dazu NJW, 1998, 2964, 2965: „Auch die allgemeinen Widerrufsregeln für Testamente können nicht als gleich wirksames milderes Mittel angesehen werden. Denn sie verhindern nicht, dass auf die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen offener oder versteckter Druck in Bezug auf eine bestimmte Testamentsgestaltung ausgeübt wird. Sie geben den Heimbewohnern lediglich ein Mittel in die Hand, sich der Rechtsbindung einer fremdbeeinflussten testamentarischen Erklärung wieder zu entziehen. Sie wirken aber nicht der Entstehung psychischer
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BGB gleichermaßen zutrifft, da auch das Sittenwidrigkeitsverdikt eine Beeinflussung als solche nicht verhindert. § 138 Abs. 1 BGB greift erst dann ein, wenn eine fremdbestimmte Verfügung von Todes wegen entstanden ist.427 Die bestehenden Zweifel an der Notwendigkeit der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf beeinflusste Verfügungen von Todes wegen kann dieser Hinweis daher nicht ausräumen. Verstärkt werden diese Zweifel noch, wenn die geringeren Widerrufsvoraussetzungen betrachtet werden. Gemäß den § 2254 ff. BGB kann der Erblasser sein Testament jederzeit widerrufen.428 Der Widerruf kann darüber hinaus formlos erfolgen.429 Der Erblasser kann dies „still“ und „heimlich“ durchführen, ohne dass der beeinflussende Erbprätendent hiervon erfährt. Dies ist im Hinblick auf etwaige weitere Versuche der Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit, die der Erbprätendent bei Kenntnis des Fehlschlagens seines ursprünglichen Verhaltens regelmäßig vornehmen wird, von großem Vorteil. Des Weiteren ist das Widerrufsrecht nach § 2303 BGB unbeschränkbar, so dass sich niemand zum Widerruf oder zum Unterlassen des Widerrufs verpflichten kann.430 Eine solche freie Widerrufbarkeit von Testamenten folgt aus der Testierfreiheit.431 Es scheint daher so, als wäre eine verstärkte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz der Entschließungsfreiheit des Erblassers nicht notwendig. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Grundsatz der freien Widerrufbarkeit sowohl bei einem Erbvertrag als auch bei einem gemeinschaftlichen Testament Einschränkungen erfährt.432 Zwar gilt sowohl für das gemeinschaftliche Testament, dass unter bestimmten Voraussetzungen wechselbezügliche Verfügen widerrufen werden können, als auch für den Erbvertrag,
Zwangslagen entgegen, die zur Errichtung vom freien Willen nicht getragener Testamente führen und zu deren Beibehaltung bewegen.“; zu § 14 HeimG s. Kap. D. III. 3. 427 Auch dies führt das BVerfG in seinem Nichtannahmebeschluss zu § 14 HeimG aus s. dazu NJW 1998, 2954, 2964 f.: „Zwar begründet auch § 138 BGB einen Schutz gegen Übervorteilung. Dieser Schutz greift aber nur ein, wenn eine tatsächliche Zwangslage besteht und wenn dies im nachfolgenden Prozess nachgewiesen werden kann.“ 428 Dabei regelt § 2254 BGB nur eine der vier zugelassenen Widerrufsmöglichkeiten, vgl. BeckOGK/Grziwotz BGB § 2254 Rn. 1. In §§ 2255, 2256 werden die übrigen Widerrufsformen genannt, vgl. MüKoBGB/Sticherling BGB § 2254 Rn. 1. 429 Vgl. dazu die Ausführungen Kap. D. II. 2. f) bb) (1). 430 Vgl. BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2253 Rn. 1. 431 So im Ergebnis auch BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2253 Rn. 1; s. auch BeckOGK/Grziwotz BGB § 2253 Rn. 2: „Ein Widerruf kann sogar menschlich unanständig sein; dennoch ist er von der Testierfreiheit gedeckt.“ Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. B. VII. 1. a), die sich mit der Testamentserrichtungsfreiheit befassen. 432 Für die Einschränkungen des Grundsatzes der freien Widerrufbarkeit bei einem Erbvertrag und für die Einschränkungen des Grundsatzes der freien Widerrufbarkeit bei einem gemeinschaftlichen Testament, s. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 128.
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dass unter bestimmten Voraussetzungen von vertragsmäßigen Verfügungen zurückgetreten werden kann. Im Hinblick auf die Frage nach dem Schutz der Autonomie des Erblassers muss dabei jedoch berücksichtigt werden, dass bei einem Rücktritt vom Erbvertrag und bei dem Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments der Ehe- beziehungsweise Vertragspartner erneut informiert werden muss. Ein heimliches Vorgehen scheidet an dieser Stelle folglich aus. Da regelmäßig davon auszugehen sein dürfte, dass der Beeinflussende bei einem gemeinschaftlichen Testament der Ehegatte beziehungsweise bei einem Erbvertrag der Vertragspartner ist, besteht die Gefahr einer erneuten Beeinflussung. Eine solche Argumentation dürfte indes jedoch eher theoretischer Natur sein. Ein Erblasser, der die Beeinflussung erkannt hat und sich von ihr durch Widerruf der errichteten Verfügung von Todes wegen lossagen will, wird einer erneuten Beeinflussung regelmäßig nicht zugänglich sein. Problematisch sind vielmehr Fälle, in denen eine andauernde Beherrschung und Beeinflussung vorliegt.433 Sofern der Erblasser unter einer dauerhaften Beeinflussung eines Dritten steht, versagen die Möglichkeiten des Widerrufs, Rücktritts und der Aufhebung.434 Selbiges gilt auch für die Möglichkeit des heimlichen Widerrufs eines eigenhändigen Einzeltestaments, wenngleich dies für den Erblasser noch die einfachste Möglichkeit ist, sich den in der errichteten Verfügung von Todes wegen widerspiegelnden Folgen einer unzulässigen Beeinflussung zu entziehen. Die Institute des Widerrufs, des Rücktritts und der Aufhebung erbrechtlicher Verfügungen schützen also nur solche Erblasser, die lediglich unter einer temporären Beeinflussung stehen. Erblasser, die einer fortdauernden Beeinflussung ausgesetzt sind, werden von diesen Möglichkeiten regelmäßig keinen Gebrauch machen können. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass die Vorschriften über den Widerruf den Erblasser grundsätzlich umfassend vor dem Erfolg einer Beeinflussung schützen. Die Vorschriften über die Aufhebung und den Rücktritt vom Erbvertrag sind an höhere Voraussetzungen geknüpft und erschweren die Loslösung von einem unter unzulässiger Beeinflussung zustande gekommenen Erbvertrag. Dieses Defizit können gegebenenfalls die Vorschriften über die Anfechtung kompensieren. Für den Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen und zu der Rückgängigmachung des Erfolgs der Beeinflussung sind der Widerruf, der Rücktritt und die Aufhebung lediglich bei einer andauernden Beeinflussung ungeeignet.435 Die verstärkte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB kann daher von vorn433
Vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 60; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 127. Vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 60; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 127. 435 So auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 60: „Gerade in den Fällen, in denen der Erblasser besonders nachhaltigen Beeinflussungen ausgesetzt und daher in höherem Maße schutzbedürftig ist, wird das Widerrufsrecht zu Theorie.“ 434
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herein nur in den Fällen notwendig sein, in denen der Erblasser andauernder Beeinflussung und Beherrschung ausgesetzt ist. Ein grundsätzlicher Schutz vor Beeinflussungen oberhalb der Schwelle der Testierfähigkeit, aber unterhalb der Schwelle der rechtswidrigen Drohung, ist daher nicht notwendig. Die von der Literatur ausgemachte Schutzlücke ist folglich auf Fälle dauerhafter Beeinflussung begrenzt. (bb) Berücksichtigung der bestehenden Regelungen zum Anfechtungsrecht Der Erblasser wird zudem durch die Möglichkeit der Anfechtung seiner letztwilligen Verfügung vor den Auswirkungen einer unberechtigten Einflussnahme Dritter geschützt. Verfügungen von Todes wegen die aufgrund eines Irrtums oder einer Drohung zustande gekommen sind, können gemäß der §§ 2281, 2078 BGB angefochten werden. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass das Anfechtungsrecht, genau wie der Widerruf436, erst dann einen Schutz gewährt, wenn die Einflussnahme bereits stattgefunden hat. Ähnlich wie bei einem Widerruf wird das Selbstbestimmungsrecht beziehungsweise der Wille des Erblassers durch die Anfechtungsmöglichkeit nur mittelbar geschützt, da bei einer erfolgreichen Anfechtung der unzulässigen Einflussnahme des Dritten der Erfolg entzogen wird. Neben Irrtümern, die keine unzulässige Beeinflussung darstellen und daher an dieser Stelle zu vernachlässigen sind, berechtigt auch die widerrechtliche Drohung zur Anfechtung. Eine Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt.437 Die Schwelle zur Annahme einer Drohung ist jedoch hoch. Insbesondere ist die Drohung von dem sogenannten „Hinweis“ abzugrenzen, der lediglich verdeutlicht, dass die bestehenden Verhältnisse unabhängig von dem Verhalten des Drohenden ein künftiges Übel erwarten lassen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass das Ausnutzen einer Zwangslage für die Annahme einer Drohung nicht ausreicht. Daraus folgt, dass eine Drohung nicht vorliegt, wenn der Erblasser bei Errichtung der Verfügung von Todes wegen befürchtet hat, der Erbprätendent werde ihm bei der Vornahme einer aus seiner Sicht „falschen“ Erbeinsetzung ein Übel zufügen. Eine solche Lage des Erblassers berechtigt nicht zur Anfechtung. Darüber hinaus hat das Reichsgericht bereits im Jahr 1910 festgestellt, dass eine Beeinflussung des Erblassers durch ein fortgesetztes aufdringliches Bitten für die Annahme einer rechtswidrigen Drohung nicht genügt438:
436
Vgl. dazu den vorherigen Abschnitt Kap. D. II. 7. c) bb) (1) (a) (aa). Vgl. BGH, FamRZ 1996, 605, 606; KG, NJW 2001, 903, 905; MüKoBGB/Leipold BGB § 2078 Rn. 54; BeckOK BGB/Litzenburger BGB § 2078 Rn. 14; BeckOGK/Harke BGB § 2078 Rn. 36 f. 438 MüKoBGB/Leipold BGB § 2078 Rn. 40 m.w. N.; KG, NJW 2001, 903, 905. 437
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 381 „Dass der Wille des Erblassers durch unablässige Vorstellungen, durch fortgesetztes aufdringliches Bitten und durch Erregung von Missstimmung gegen andere als Erben in Betracht kommende Personen beeinflusst worden ist, genügt nicht zur Anfechtung, da dadurch die freie Willensbestimmung des Erblassers nicht ausgeschlossen worden ist.“439
In diese Richtung hat auch der Bundesgerichtshof entschieden, der den (erfolgreichen) Widerspruch gegen die vom Erblasser beabsichtigte Verfügung ebenfalls als nicht ausreichend für die Annahme einer rechtswidrigen Drohung gehalten hat.440 Auch die Ausnutzung von Todesnot durch moralische beziehungsweise religiöse Vorhaltungen stellt nach Ansicht des KG Berlin keinen Anfechtungsgrund dar.441 Aus diesem Grund führt die mit der Äußerung, der Erblasser werde ohne Errichtung der Verfügung nicht in den Himmel kommen, verbundene Beeinflussung nicht zu einer Anfechtbarkeit der Verfügung von Todes wegen.442 Diese Haltung der Rechtsprechung, die in solchen Fällen noch kein Anfechtungsrecht annimmt und damit einen gewissen Grad an Beeinflussung für unbeachtlich hält, steht bei näherer Untersuchung in Übereinstimmung mit dem Willen des Gesetzgebers. Der frühere § 48 Abs. 3 TestG sah die Nichtigkeit einer Verfügung von Todes wegen vor, sofern ein beliebiger Dritter den Erblasser durch Ausnutzung seiner Todesnot zu der Errichtung ebendieser Verfügung von Todes wegen bestimmt hat.443 Das Gesetz zur Wiederherstellung der Gesetzeseinheit auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts sah diesen Grund ursprünglich ebenfalls vor. Die Bundesregierung wollte den Fall der unzulässigen Beeinflussung des Erblassers durch Ausnutzen der Todesnot des Erblassers zwar nicht als Nichtigkeitsgrund fortbestehen lassen, jedoch als Anfechtungsgrund in § 2078 Abs. 2 BGB aufnehmen. Der Bundestag ist diesem Vorschlag nicht gefolgt und hat § 2078 Abs. 2 BGB unverändert bestehen lassen. Der Grund hierfür war allerdings nicht, dass der Bundestag in den Fällen des Ausnutzens der Todesnot keine unzulässige Beeinflussung sah, sondern die Vertreter der Religionen nicht ungerechtfertigt verdächtigen wollte.444 Gleichwohl lässt sich an der Abschaffung des § 48 Abs. 3 TestG ohne eine Ergänzung der Anfechtungsgründe des § 2078 Abs. 2 BGB erkennen, dass der Gesetzgeber in der Fremdbestimmung durch Ausnutzen der Todesnot grundsätzlich weder einen
439
RG IV, 17. Februar 1910, 239/09 = RG, Das Recht, Beilage 1910, Nr. 1395. So ausdrücklich BGH, BWNotZ (Mitteilungen aus der Praxis) 1965, 349 f. (Urt. V. 21.05.1965 – V ZR 156/64): „Dass jemand den Erblasser durch Widerspruch gegen eine von diesem beabsichtigte Testamentserrichtung von dieser Absicht abbringt, ist für sich allein weder rechtswidrig, noch verstößt es gegen die guten Sitten.“ 441 Vgl. KG NJW 2001, 903, 905. 442 Vgl. KG NJW 2001, 903, 905. 443 Vgl. Finke, DNotZ 1953, 174, 180; MüKoBGB/Leipold BGB § 2078 Rn. 55. 444 Dies ergibt sich aus dem amtlichen Bericht über die 249. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 04.02.1953, s. dazu Finke, DNotZ 1953, 174, 181. 440
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Grund für die Regelung der Anfechtbarkeit noch der Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen gesehen hat. Mit der Abschaffung des § 48 Abs. 3 TestG wurde daher zumindest teilweise die Wertung getroffen, dass Beeinflussungen unterhalb der Schwelle der rechtswidrigen Drohung grundsätzlich unbeachtlich sind. Da die Rechtsprechung in Übereinstimmung mit dem Willen des Gesetzgebers dies ebenfalls zutreffend annimmt, bleibt an dieser Stelle kein Raum für eine Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes. Hinzu kommt der Umstand, dass die an den Erblasser gerichtete rechtswidrige Drohung lediglich zu der Anfechtbarkeit der Verfügung von Todes wegen führt. Aus diesem Grund kann eine Beeinflussung, die diesen Grad nicht erreicht, nicht zu der Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen führen. Die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf Verfügungen von Todes wegen, die das Ergebnis von Beeinflussungshandlungen sind, die unterhalb der Schwelle der rechtswidrigen Drohung liegen, würde einen massiven Widerspruch zu der grundsätzlichen Wirksamkeit solcher Verfügungen von Todes wegen führen, die unter einer rechtswidrigen Drohung als weitaus stärkere Form der Einflussnahme entstanden sind.445 (b) Zwischenfazit – keine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB zum Schutz vor unter Beeinflussung und Beherrschung errichteten Verfügungen von Todes wegen Im Ergebnis muss daher festgehalten werden, dass Erblasser bereits durch die ausführlich dargelegten Vorschriften und Rechtsinstitute446 vor Angriffen auf das autonome Testieren geschützt sind. Darüber hinaus halten die Regelungen zum Widerruf, Rücktritt, zur Aufhebung und Anfechtung weitere Möglichkeiten bereit, Verfügungen von Todes wegen, die Ergebnis von Beeinflussung und Beherrschung sind, „wirkungslos“ zu machen. Eine Schutzlücke für Fälle der Beeinflussung oberhalb der Schwelle der Testierfähigkeit und unterhalb der Schwelle der rechtswidrigen Drohung besteht daher grundsätzlich nicht. Lediglich im Fall einer dauerhaften Beeinflussung könnte eine verstärkte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB erwogen werden.447 Gleichwohl ist auch an dieser Stelle eine Anwendung dieser Norm nicht notwendig beziehungsweise mit der Systematik des Gesetzes unvereinbar. Bereits in dem vorherigen Abschnitt wurde darauf hingewiesen, dass Beeinflussungen nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches grundsätzlich nur zu Anfechtbarkeit und nicht zur Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung führen. Die Befürworter
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In diese Richtung bereits die Ausführungen zu der Unvereinbarkeit der Loslösung vom subjektiven Element bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit s. Kap. D. I. 1. f). 446 Vgl. dazu ausführlich Vgl. dazu Kap. D. II. 1.u. 2., 3. a), 4., 5. 447 Lediglich in dieser Hinsicht kann Röthel und Boehm daher zugestimmt werden.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 383
einer extensiveren Sittenwidrigkeitskontrolle wollen Verfügungen von Todes wegen, die unter Beeinflussungshandlungen entstanden sind, welche nicht den Grad der rechtswidrigen Drohung erreicht haben und damit schon nicht anfechtbar sind, über § 138 Abs. 1 BGB für sittenwidrig erklären. Dieser Widerspruch ist unüberwindbar. Daher ist festzuhalten, dass der Schutz vor Beeinflussung und Beherrschung unterhalb der Schwelle zur rechtswidrigen Drohung nicht über das Sittenwidrigkeitsverdikt wahrgenommen werden kann. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass das Gesetz einen gewissen Grad an Beeinflussung und Beherrschung zulässt. Anders gesagt geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine erbrechtliche Verfügung, die von einem testierfähigen Erblasser unter Beachtung der übrigen gesetzlichen Vorschriften errichtet wurde, hinreichend autonom ist und keiner weiteren Kontrolle und des damit einhergehenden verstärkten Autonomieschutzes bedarf. Sofern daher der Schutz des selbstbestimmten Testierens unterhalb der Schwelle zur rechtswidrigen Drohung gefordert wird, sind dafür grundsätzlich gesetzgeberische Änderungen notwendig. Diese werden zum Teil auch gefordert und an späterer Stelle in dieser Arbeit detaillierter untersucht.448 Damit ist insgesamt bereits deutlich geworden, dass die Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf unter Einflussnahme entstandene Verfügungen von Todes wegen in den meisten Fällen nicht notwendig ist und darüber hinaus mit der bestehenden generellen gesetzlichen Konzeption zur unzulässigen Einflussnahme und im Speziellen mit dem Anfechtungsrecht aufgrund rechtswidriger Drohung unvereinbar ist. Gleichwohl soll im Nachfolgenden eine weitere fehlerhafte Annahme, die der Forderung nach einer verstärkten Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz vor Beeinflussung und Beherrschung zugrunde liegt, untersucht werden, um die Auswirkungen auf die Testierfreiheit abschließend beurteilen zu können. (2) Die fehlerhafte Annahme der Notwendigkeit des Autonomieschutzes zur Sicherung der hinreichenden Legitimation für die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben Bereits zu Beginn dieses Kapitels wurde der Zusammenhang zwischen Autonomie und Testierfreiheit dargelegt und Einschränkungen der Testierfreiheit zur Sicherung des hinreichend selbstbestimmten Testierens als verfassungsrechtlich zulässig bewertet, solange diese verhältnismäßig sind.449 Als
448
Vgl. dazu die von Röthel und Boehm aufgestellte Forderung der Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme, s. dazu ausführlich Kap. D. III. 4.; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 62 Fn. 143; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 243. 449 Vgl. Kap. D. I. 1.
384
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
entscheidender Grund für die Zulässigkeit der Einschränkungen der Testierfreiheit zum Schutz der Autonomie des Erblassers wurde dabei ausgemacht, dass dieser im Ergebnis der Verwirklichung des Erblasserwillens dient und damit einhergehend die Testierfreiheit schützt. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf den Formzwang verwiesen, der die Testierfreiheit einerseits durch Anforderungen an ein wirksames Testieren beschränkt, andererseits aber auch dafür Sorge trägt, dass der Erblasserwille unverfälscht ermittelt und verwirklicht werden kann.450 Fraglich ist, ob eine solche Verwirklichung des Erblasserwillens mit der Forderung nach einer verstärkten Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes ebenfalls einhergeht. Bemerkenswert ist dabei, dass die Befürworter einer extensiveren Sittenwidrigkeitskontrolle eine solche Verwirklichung des Erblasserwillens und den damit einhergehenden Schutz der Testierfreiheit von vornherein nicht bezwecken. So führt Röthel als „Begründerin“ dieser Forderung aus: „Nicht hinreichend selbstbestimmte Verfügungen können die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben nicht legitimieren. Die Entschließungsfreiheit des Testators ist auch im Interesse der gesetzlichen Erben durch eine richterliche Abschlusskontrolle (§ 138 BGB) zu schützen.“451
Röthel betont damit, dass die Vorbehalte gegenüber nicht hinreichend selbstbestimmten Testierens aus der Zurückdrängung der gesetzlichen Erben resultieren.452 Das entstehende Autonomiedefizit führe zu einem Legitimationsdefizit, welches eine Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge nicht rechtfertigen könne.453 Um ein solches Legitimationsdefizit aufgrund fehlender Autonomie zu verhindern, diskutiert und fordert Röthel die Einführung verschiedener Maßnahmen454, die dem Schutz des selbstbestimmten Testierens dienen, darunter unter anderem die für diesen Abschnitt relevante verstärkte Abschlusskontrolle erbrechtlicher Verfügungen.455 450 Vgl. dazu Kap. D. II. 2. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die Formvorschriften eine Ausübung der Testierfreiheit erst möglich machen. Als ein durch Kompetenznormen ermöglichtes Freiheitsrecht ist die Testierfreiheit auf ausgestaltende Regelungen angewiesen, vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. V. 1. 451 Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; s. auch Röthel, Gutachten 68. DJT, A9 (A86). 452 Zu diesem Befund auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 124 Fn. 372: „Röthel […], die dadurch aber konsequent in erster Linie nicht den Erblasser, sondern die gesetzlichen Erben schützen will. Das Unbehagen gegenüber fremdbestimmtem Testieren erkläre sich nämlich im Wesentlichen aus der Zurückdrängung der gesetzlichen Erben (Autonomiedefizit als Legitimationsdefizit).“ 453 Vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; s. auch Röthel, Gutachten 68. DJT, A9 (A86); Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 124 Fn. 372. 454 Langfristig präferiert Röthel nicht die verstärkte Abschlusskontrolle über § 138 Abs. 1 BGB, sondern die Erweiterung der Anfechtungsbefugnis, vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 62; s. dazu auch die Ausführungen in Kap. D. III. 4. 455 Vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65, Ludyga, NZS 2013, 201, 206.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 385
Röthels Ausführungen beruhen dabei auf einem Missverständnis der Stellung der gesetzlichen Erben. Im Grunde wird den gesetzlichen Erben nach dieser Ansicht ein Anspruch auf die Erbschaft zugestanden, der unter der auflösenden Bedingung der Errichtung einer hinreichend selbstbestimmten und auch im Übrigen wirksamen Verfügung von Todes wegen steht. Eine solche notwendige Rechtfertigung für die Verdrängung der gesetzlichen Erben enthält das Gesetz jedoch nicht. Zwar ist die Folge des Nichtvorhandenseins einer wirksamen Verfügung von Todes wegen der Eintritt der gesetzlichen Erbfolge. Aus diesem Umstand können jedoch keine Legitimationsanforderungen entwickelt und auch keine Schutzerfordernisse begründet werden. Für die Verdrängung der gesetzlichen Erben reicht der dahingehende Wille des Erblassers, der sich in einer wirksamen Verfügung von Todes wegen manifestiert, aus. Wie in dieser Arbeit mehrfach gezeigt, gilt auch für die gesetzlichen Erben, dass ihre Aussicht, Erbe zu werden, nur als eine nuda spes zu charakterisieren ist.456 An dieser Stelle sei auf Gutmanns Ausführungen verwiesen, die bereits zu der Begründung der fehlerhaften Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB in Bezug auf den vermeintlichen Eingriff in die Entschließungsfreiheit herangezogen wurden: „Jenseits des Pflichtteilsrechts hat eine letztwillige Zuwendung den Charakter einer Schenkung, auf die niemand – auch nicht der nächste Familienangehörige – einen rechtlichen Anspruch hat.“457
Aus diesem Grund sind gesetzliche Erben insgesamt nicht schutzbedürftig. Den Schutz der Autonomie des testierenden Erblassers damit zu begründen, dass es andernfalls der Verfügung von Todes wegen an der nötigen Legitimation für die Zurückdrängung der gesetzlichen Erben fehlt, stellt folglich einen Fehlschluss und die wohl entscheidende fehlerhafte Grundannahme dieser Forderung dar. Im Ergebnis ist die Forderung nach einem verstärkten Schutz vor Beeinflussung und Beherrschung beim Akt des Testierens über das Sittenwidrigkeitsverdikt daher nicht nur wegen der dogmatischen Schwächen und dem
456
Vgl. Kap. D. I. 1. a) aa) (3) (a); Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f.; s. dazu auch Motive, die explizit von einem Angebot sprechen, Kap. D. I. 1. a) aa) (3) (a). 457 Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348. Mit den Ausführungen Gutmanns wird nicht nur die lediglich vage Aussicht der Erbprätendenten auf den Erhalt der Erbschaft, sondern zugleich auch ein weiterer Aspekt verdeutlicht. Lediglich in Bezug auf das Pflichtteilsrecht können nahe Angehörige, die sog. Pflichtteilsberechtigten, auf eine Zuwendung hoffen. In Bezug auf das Pflichtteilsrecht stellt der Gesetzgeber dann auch Hürden auf, die eine Entziehung des Pflichtteils erschweren. Für die Verdrängung der gesetzlichen Erben ist dies grundsätzlich nicht der Fall, sodass eine hinreichende Legitimation gerade nicht vorliegen muss.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
grundsätzlich bereits hinreichenden Schutz des selbstbestimmten Testierens durch andere gesetzliche Vorschriften, sondern auch deshalb abzulehnen, weil mit dieser Forderung kein Schutz der Testierfreiheit, sondern ein Schutz der gesetzlichen Erben bezweckt wird. Eine solche Umkehr der Schutzrichtung des selbstbestimmten Testierens hat auch Auswirkungen auf die Testierfreiheit.458 Diese sollen – zusammen mit den übrigen Auswirkungen der Forderung nach der extensiveren Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen – im Nachfolgenden dargelegt werden. d) Die Auswirkungen der Forderung nach einer extensiveren Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen auf die Testierfreiheit Selbstbestimmtes Testieren zu schützen, um ein Legitimationsdefizit aufgrund fehlender Autonomie im Hinblick auf die Abweichung von der gesetzlichen Erbfolge zu verhindern, bedeutet eine Abkehr von der eigentlichen Zielsetzung des Schutzes der Testierfreiheit. Dies ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. So könnte dies bei Zweifeln in Bezug auf das Vorliegen einer selbstbestimmten Verfügung von Todes wegen dazu führen, dass mangels hinreichender Legitimation die gesetzliche Erbfolge angewendet wird. Ein solches Vorgehen verhindert die möglichst umfassende Geltung des Erblasserwillens und widerspricht dem Grundsatz des favor testamenti. Soweit der Grad der Beeinflussung nicht feststellbar und weder die Schwelle zu der Testierfähigkeit noch zu der rechtswidrigen Drohung erreicht ist, sind nicht die bloßen Hoffnungen der gesetzlichen Erben, sondern der regelmäßig zumindest zum Teil vorhandene Wille des Erblasser und damit einhergehend die Testierfreiheit zu schützen.459 Überdies entsteht auch ein Folgeproblem für die Testierfreiheit der Erblasser. Sofern selbstbestimmtes Testieren für notwendig erachtet wird, um die gesetzliche Erbfolge und damit auch den Anfall der Erbschaft bei nahen Angehörigen zu verhindern, entsteht die Gefahr, dass bei Einsetzung naher Angehöriger, die ansonsten gesetzliche Erben geworden wären, eine unzulässige Beeinflussung nicht mehr hinreichend geprüft wird. Die Folgen einer 458 Die Umkehr der Schutzrichtung des selbstbestimmten Testierens meint an dieser Stelle, dass die eigentliche Zielrichtung, nämlich der Schutz des Willens des Erblassers und damit einhergehend die Testierfreiheit nicht mehr berücksichtigt wird, sondern die Interessen der gesetzlichen Erben in den Vordergrund gerückt werden. 459 Die Annahme eines solchen Legitimationsdefizit im Hinblick auf die Zurücksetzung der gesetzlichen Erben wegen fehlender Autonomie kann daher dazu führen, dass zum Schutz der gesetzlichen Erben vorschnell von der Unwirksamkeit der Verfügung von Todes wegen ausgegangen wird. In diese Richtung auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 124 f.
II. Bestehende einfach gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit 387
solchen unterbliebenen Prüfung des selbstbestimmten Testierens sind für die Testierfreiheit erheblich, da diese nur selbstbestimmte Verfügungen von Todes wegen schützt.460 Die Gefahr des Unterlassens einer nähren Prüfung des selbstbestimmten Testierens wird auch dem Umstand nicht gerecht, dass regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass die unzulässige Beeinflussung von nahen Angehörigen ausgeht. Enge Bindungen sind stets auch ein Einfallstor für andauernde und intensive Beeinflussung des Erblassers.461 Darüber hinaus hat die Untersuchung der Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz vor von Beeinflussung und Beherrschung geprägten Verfügungen von Todes wegen ergeben, dass ein solches Schutzerfordernis im Regelfall nicht besteht. Bei dem bislang einzigen Urteil des Bundesgerichtshofs wurden die Voraussetzungen des Sittenwidrigkeitsverdiktes fälschlicherweise bejaht. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass Beeinflussung nach der gesetzlichen Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches nur zur Anfechtbarkeit und nicht zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes führt. Unter Berücksichtigung dieser zahlreichen Aspekte, lässt sich abschließend feststellen, dass durch die Forderung nach einer Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Verfügungen von Todes wegen, die unter Beeinflussungen unterhalb der Schwelle zur rechtswidrigen Drohung entstanden sind, unzulässig in die Testierfreiheit des Erblassers eingegriffen wird. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass neben den zahlreichen dogmatischen Schwächen und Widersprüchen, die eine Einordnung des Autonomiedefizits als Legitimationsdefizit in Bezug auf die Zurückdrängung der gesetzlichen Erben mit sich bringt, eine solche Sichtweise auch die Testierfreiheit des Erblassers beeinträchtigt und daher abzulehnen ist. Diese Spielart stellt eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit dar.
8. Abschließende Beurteilung der bestehenden einfach-gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Testierfreiheit des Erblassers vor Beeinflussung durch Dritte und der damit einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit Nachdem nunmehr sämtliche relevante Rechtsinstitute, Vorschriften und Forderungen zu dem Schutz der Autonomie des Erblassers und die damit 460 Zu dem Zusammenhang zwischen selbstbestimmtem Testieren und Testierfreiheit, s. Kap. D. I. 1; Kap. B. I.; Kap. B. III. 5. 461 Vgl. dazu das IDEAL-Modell, Kap. D. Fn. 181; dies an anderer Stelle berücksichtigend Röthel, AcP 210 (2010), 32, 62: „Umgekehrt bliebe bei dieser berufsbezogenen Betrachtung außer Betracht, dass gerade die Familie, zumal unter den Anforderungen und Überforderungen dauernden Pflege am Lebensende, zu einem Ort machtvoller Beherrschung mutieren kann.“; in diese Richtung auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 381.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
einhergehenden Beschränkungen der Testierfreiheit untersucht worden sind, lässt sich feststellen, dass der Erblasser sowohl vor, während als auch nach der Errichtung der Verfügung von Todes wegen vor Angriffen in Form von Beherrschung und Beeinflussung geschützt ist. An zahlreichen Stellen gehen das Gesetz, die Rechtsprechung und die Literatur jedoch zu weit und schränken die Testierfreiheit in unzulässiger Weise ein. Die Unzulässigkeit dieser Begrenzungen der Testierfreiheit beruht dabei auf den zu Beginn dieser Arbeit dargelegten Missverständnissen. So wird grundsätzlich verkannt, dass ein Autonomieschutz nicht den gesetzlichen Erben oder anderweitigen Erbprätendenten, sondern allein der Verwirklichung des Erblasserwillens und damit einhergehend der Testierfreiheit dient. Erblasser müssen weder hinreichend legitimiert noch verantwortungsvoll testieren, um die gesetzliche Erbfolge zu verdrängen. Damit wird erneut die Testierfreiheit des Erblassers zugunsten der Interessen der Erbprätendenten unzulässig eingeschränkt. Dies ist weder mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar noch mit der individualistischen Grundlegung des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches. Die derzeitigen gesetzlichen Anforderungen sind überdies ausreichend, um ein hinreichend autonomes Testieren und damit einen zulässigen Gebrauch der Testierfreiheit als individuelles Selbstbestimmungsrecht zu sichern. Fraglich ist jedoch, ob dieser Befund für alle Gruppen von Erblassern gilt, oder ob für vulnerable Erblasser vielmehr ein besonderer Autonomieschutz und daher andere, die Testierfreiheit stärker einschränkende Regelungen eingeführt werden müssen. Diese Frage soll in dem kommenden Kapitel erörtert werden.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit – Untersuchung der Vorschläge und Vorschriften zum Schutz vulnerabler Erblasser und deren Auswirkungen auf die Testierfreiheit Menschen werden aufgrund des medizinischen Fortschritts immer älter.462 Dieser Trend lässt freilich auch Risiken für die Testierfreiheit der jeweiligen Erblasser entstehen, da im hohen Alter vermehrt Krankheiten auftreten können, die sich auf die geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Erblasser
462 Vgl. dazu die Beiträge von Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 346; Röthel, 68. DJT, A 9 (A 81); Grziwotz, MDR 2016, 737, 737; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 26 f.; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 1 ff.; Aden, ZRP 2011, 83, 83 ff.; Krispenz, ErbR 2015, 525, 525; Frieser, ErbR 2020, 309, 309, die allesamt auf die steigende Lebenserwartung hinweisen. Vgl. dazu auch die einleitenden Ausführungen zum Kap. D.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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auswirken.463 Veränderungen im Gehirn sorgen dafür, dass Erblasser beeinflussbarer werden.464 Dies hat Auswirkungen auf das selbstbestimmte Testieren der Erblasser. Insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Anzahl an Erblassern hohen Alters, vermehrt auch mit Demenzerkrankungen, sind in den vergangenen Jahren zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten entstanden, die sich mit dem Problem des vulnerablen Erblassers und dessen selbstbestimmten Testierens auseinandersetzen.465 Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, das Phänomen des beeinflussbaren Erblassers losgelöst von einzelnen Krankheiten, wie beispielsweise der Demenz, zu betrachten und die Auswirkungen des Mangels an Selbstbestimmungsfähigkeit auf die Testierfreiheit zu untersuchen. Dazu werden die verschiedenen Lösungsansätze, die das selbstbestimmte Testieren vulnerabler Erblasser schützen oder verbessern sollen, untersucht und insbesondere unter dem Aspekt der Auswirkungen auf die Testierfreiheit bewertet.
1. Die Forderung nach der Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit – Schutz des vulnerablen Erblassers durch Änderung des § 2229 Abs. 4 BGB Die Testierfähigkeitsvermutung wird zunehmend als ein Anknüpfungspunkt zum Schutz des selbstbestimmten Testierens angesehen. Dass das Bürgerliche Gesetzbuch eine Vermutung zu Gunsten der Testierfähigkeit enthält, ist bereits als solches keine Selbstverständlichkeit. § 2229 Abs. 4 BGB bestimmt, dass derjenige testierunfähig ist, der wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Mithin führt daher nicht jede Geisteskrankheit zu der Annahme der Testierunfähigkeit.466 Anders be463 Vgl. Grziwotz, MDR 2016, 737. 737; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 27 f.; Frieser, ErbR 2020, 309, 309 verweist auf die Zunahme von Demenzerkrankungen und Pflegebedürftigkeit: „Derzeit leiden ca. 1,6 Mio. Deutsche an demenziellen Erkrankungen, jedes Jahr erkranken weitere 300.000 Menschen, im Jahr 2050 könnten 3 Mio. Deutsche an Demenz leiden. Die Betroffenen, aber nicht nur diese, benötigen Pflege. Ende des Jahres 2017 gab es in Deutschland 3,4 Mio. Pflegebedürftige, im Dezember 2015 lag die Zahl noch bei 2,86 Mio., 10 im Jahr 2050 werden voraussichtlich 5,3 Mio. Menschen Pflegepersonal benötigen.“ 464 Zu den Veränderungen des Gehirns im Alter s. Platt, Biologie des Alterns, 206 ff.; vgl. auch Grziwotz, MDR 2016, 737. 737; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 27 f. 465 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 55 ff.; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 3 ff.; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345, 347 ff.; Frieser, ErbR 2020, 309, 309. 466 Auch die Erkrankung des Erblassers an einer Demenz steht somit der Testierfähig-
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
stimmt dies § 104 Nr. 2 BGB467 für die Geschäftsfähigkeit. Während die Geschäftsfähigkeit bereits entfällt, wenn sich der Handelnde in einem, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, gilt dies für die Testierfähigkeit nicht.468 Entscheidend für die Beurteilung der Testierfähigkeit ist mithin die Fähigkeit des Erblassers, die Bedeutung der letztwilligen Verfügung von Todes wegen zu erkennen. Das Vorhandensein dieser Fähigkeiten vermutet der § 2229 Abs. 4 BGB. Aufgrund der zunehmend höheren Lebenserwartung der Bevölkerung und der damit erhöhten Anfälligkeit für psychiatrische Krankheiten, werden vermehrt Zweifel daran geäußert, dass der § 2229 Abs. 4 BGB seinem Schutzanspruch in seiner derzeitigen Fassung gewachsen ist.469 So wird an der aktuellen Ausgestaltung des § 2229 Abs. 4 BGB unter anderem kritisiert, dass infolge der Festlegung der Testierfähigkeit als Regelfall die Praxis trotz Vorliegens einer psychiatrischen Krankheit gezwungen sei, die zur Testierunfähigkeit führenden Tatsachen im Prozess nachweisen zu müssen.470 Dies sei post mortem jedoch kaum realisierbar. Es entstünden vermehrt Rechtsstreitigkeiten, die auf die Probleme bei der Abgrenzung zwischen Testierfähigkeit und Testierunfähigkeit zurückzuführen seien.471 Um solche Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, wird in der Literatur zunehmend eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit diskutiert, die im Nachfolgenden näher untersucht werden soll. a) Die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung bei bestimmten Erblassergruppen Vielfach wird die Forderung nach einer Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung geäußert. So betont Krispenz:
keit und damit der Wirksamkeit seiner Verfügung von Todes wegen nicht entgegen – anders Krispenz, ErbR 2015, 525. 467 Auch im Hinblick auf § 104 Nr. 2 BGB gilt jedoch, dass eine Geschäftsunfähigkeit nur angenommen wird, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. 468 Vgl. Grziwotz, MDR 2016, 737, 739. 469 So insbesondere Krispenz, ErbR 2015, 525, 525 u. Sonnekus, Ageing Testator, 78, 90; vgl. dazu auch die Diskussionen bei Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 219 f.; Vgl. Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 154 f. 470 Krispenz, ErbR 2015, 525, 525. 471 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2229 Rn. 11a; zu den Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Testierfähigkeit, s. Schiemann, Festschrift Otte, 313, 315; Spickhoff, AcP 208 (2008), 345; Schmoeckel, NJW, 433, 433 ff.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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„Es zeichn[e] sich daher ein Bedarf danach ab, § 2229 Abs. 4 BGB um eine Regelung zu erweitern, wonach die Testierunfähigkeit des Erblasser bereits dann vermutet wird, wenn dieser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung an einer Demenzerkrankung litt und nach welcher das Testament ausnahmsweise nur dann wirksam ist, wenn der Erblasser trotz seiner Erkrankung noch hinreichend einsichts- und handlungsfähig war.“472
Auch zahlreiche weitere Stimmen in der Literatur diskutieren die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung für bestimmte Gruppen von Erblassern.473 Die Diskussionen beschränken sich dabei, anders als der Vorschlag Krispenz, nicht ausschließlich auf unter Demenz leidende Erblasser, sondern beziehen sich vielmehr auf verschiedene Gruppen vulnerabler Erblasser. Im Folgenden soll daher die Geeignetheit der verschiedenen Anknüpfungspunkte zur Umkehr der Testierfähigkeitsvermutungen untersucht werden. aa) Die Ungeeignetheit der Anknüpfungspunkte zur Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung Die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung wird überwiegend für kranke (dazu (1)), betreute (dazu (2)) und alte Erblasser (dazu (3)) diskutiert.474 (1) Die Krankheit des Erblassers als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung Mehrfach wird als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung das Vorliegen einer psychischen Beeinträchtigung des Erblassers ausgemacht. Insbesondere bei Vorliegen einer zumindest mittelschweren Demenz könne von der Testierunfähigkeit ausgegangen werden.475 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung bei Vorliegen einer medizinischen Beeinträchtigung dem Umstand nicht gerecht wird, dass Anhaltspunkte, die für das Vorliegen einer übermäßigen Beeinflussbarkeit sprechen, meist nicht medizinischer, sondern tatsächlicher Natur sind.476 Aus psychiatrischen Gesichtspunkten kann regelmäßig lediglich geprüft werden, ob aufgrund einer psychischen Störung477 472
Krispenz, ErbR 2015, 525, 525; die Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit erwägt auch Röthel, 68. DJT, A9 (A84) lehnt sie jedoch im Ergebnis ab. 473 Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 219 f.; Vgl. Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 154 f.; Sonnekus, Ageing Testator, 78, 90. 474 Vgl. dazu Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 154 f.; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 221; Röthel, 68. DJT, A9, A84. 475 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 155. 476 Vgl. Wetterling, ErbR 2015, 544, 544. 477 Hier sind überwiegend folgende neuropsychiatrische Störungen zu nennen: kognitive Störungen der Urteilfähigkeit, Apathie, schwere Depression, Wahn, Geistesschwäche, Bewusstseinsstörung und somatische Beeinträchtigungen, s. dazu Wetterling, ErbR 2015, 545.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
die Möglichkeit einer unzulässigen Einflussnahme verstärkt besteht.478 Zu dieser Möglichkeit der übermäßigen Einflussnahme muss dann aber auch eine tatsächliche Einflussnahme hinzutreten. Wenn aber medizinische Gesichtspunkte regelmäßig nicht ausreichen, um eine Testierunfähigkeit anzunehmen, ist eine Umkehr der Vermutung der Testierfreiheit aufgrund des Vorliegens einer psychischen Störung nicht gerechtfertigt. Der erkrankte Erblasser ist gegebenenfalls anfälliger für eine unzulässige Einflussnahme, dem Erblasser deswegen aber widerlegbar die Testierfähigkeit und damit einhergehend die Testierfreiheit abzusprechen, ist verfassungsrechtlich nicht realisierbar. Zudem wäre die pauschale Vermutung der Testierunfähigkeit kranker Menschen eine unzulässige Diskriminierung selbiger.479 Der Ansatz, die Vermutung der Testierfähigkeit aufgrund von bestimmten Krankheiten des Erblassers umzukehren, überzeugt daher nicht. (2) Die Betreuung des Erblassers als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung Die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung könnte auch an die Betreuung des Erblassers angeknüpft werden. Zutreffend stellt Röthel diesbezüglich jedoch fest, dass „[d]ie Verknüpfung von Betreuung und vermuteter Testierunfähigkeit […] einen bedenklichen Paradigmenwechsel in der Konzeption des Erwachsenenschutzes darstellen [würde]“480. Der Gesetzgeber verfolgt im Hinblick auf den Erwachsenenschutz das Prinzip des rechtlichen Schutzes ohne Eingriffe in die Handlungsfähigkeit.481 Mit der Anordnung einer Betreuung als Erwachsenenschutzmaßnahme darf daher nicht die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung verbunden werden. Auch mit der Wertung des Art. 12 Abs. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention, die eine Gleichbehandlung behinderter Menschen in allen Lebensbereichen fordert, ist eine automatische Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung unvereinbar. Im Übrigen könnte ein solcher Ansatz auch nicht erklären, warum dem Betreuten zu seinem Schutz die Testier-, nicht aber auch die Geschäftsfähigkeit widerlegbar abgesprochen wird. Auch die Betreuung eines Erblassers ist daher als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung ungeeignet. 478
Vgl. Wetterling, ErbR 2015, 544, 545. So im Ergebnis auch Grziwotz, MDR 2016, 737. Grziwotz betont, dass andernfalls hochbetagte Menschen unter den Generalverdacht der Beeinflussbarkeit gestellt werden würden. 480 Vgl. Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); in diese Richtung auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 154. 481 Vgl. Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Röthel, FamRZ 2004, 999, 999 ff.; vgl. auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 221; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 154. 479
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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(3) Das fortgeschrittene Alter des Erblassers als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung In der Literatur wird vielfach eine Anknüpfung der Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit an das Alter diskutiert, sodass ab dem Erreichen einer gewissen Altersgrenze eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit stattfindet.482 So betont Sonnekus: „[…] it is presumed that the testator who is 70 years or older is no longer capable of appreciating the nature and effect on his act unless otherwise proven [...]“483
Sonnekus plädiert – wie im angeführten Zitat erfasst – für eine Altersgrenze von 70 Jahren. Wenngleich mit zunehmendem Alter die Fähigkeit zum Treffen von autonomen Entscheidungen sinken dürfte, bestehen keine wissenschaftlich fundierten Erfahrungssätze, die belegen, dass ab einer gewissen Altersgrenze autonome Entscheidungen im Regelfall nicht mehr möglich sind.484 Darüber hinaus müsste die logische Konsequenz einer solchen Altersobergrenze auch eine Altersuntergrenze sein. Heranwachsende, welche noch nicht gefestigt im Leben stehen, dürften aufgrund mangelnder Lebenserfahrung in der Regel durchaus manipulierbarer sein als Senioren. Eine solche Untergrenze wird hingegen von den Befürwortern der Einführung einer Alters(ober)grenze nicht gefordert. Die Anknüpfung an das Alter von Erblassern ist daher insgesamt abzulehnen. Darauf aufbauend, dass es für die Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit bereits keine tauglichen Anknüpfungspunkte gibt, soll im Nachfolgenden dargelegt werden, warum dieser Vorschlag zudem ungeeignet ist, die Autonomie der Erblasser zu schützen und daher im Ergebnis die Testierfreiheit unzulässig einschränkt. bb) Die fehlende Eignung des Vorschlags zum Schutz vor unzulässiger Einflussnahme Das erklärte Ziel der Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit ist es, den Erblasser vor der unzulässigen Einflussnahme Dritter zu schützen.485 Da die Testierfreiheit nur selbstbestimmte Verfügungen schützt und eine zu starke Einflussnahme das autonome Testieren verhindert, muss eine solche Selbstbestimmtheit der Verfügung sichergestellt werden.486 In der Praxis wird eine 482 Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 219 f.; Vgl. Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 154 f.; Sonnekus, Ageing Testator, 78, 90. 483 Vgl. Sonnekus, Ageing Testator, 78, 90; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 424 f. 484 So zutreffend Röthel, 68. DJT, A 9 (A85). 485 So Krispenz, ErbR 2015, 525. 486 So explizit BVerfGE 99, 341, 351: „Es werden nur selbstbestimmte und selbstverant-
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Errichtung von Verfügungen von Todes wegen jedoch selten gänzlich ohne Einflüsse Dritter sein.487 Die Existenz von Verfügungen, die durch mehrere Personen errichtet werden müssen, wie beispielsweise das gemeinschaftliche Testament und der Erbvertrag488, zeigt, dass dies vom Gesetzgeber auch nicht gewünscht ist.489 Darüber hinaus haben auch die Ergebnisse des vorangegangenen Abschnitts gezeigt, dass das Gesetz an verschiedenen Stellen einen gewissen Grad an Einflussnahme zulässt.490 Die Rechtsprechung betont dennoch im Hinblick auf das Einzeltestament, dass sich der Erblasser „[…] aus eigener Überlegung, frei von Einflüssen Dritter, also selbständig und aus eigener Kraft ein Urteil zu bilden […]“491 hat. Diese Formel ist hinsichtlich der gefundenen Ergebnisse leicht missverständlich.492 Normalpsychologische Einflüsse493, die die Testierfähigkeit des Erblassers ausschließen, können nicht verhindert werden und sind folglich davon nicht erfasst. Entscheidend und von der Rechtsprechung494 auch als solches anerkannt, ist vielmehr, „[…] ob die Freiheit des Willensentschlusses gewahrt bleibt oder ob Fremdeinflüsse das Gewicht einer pathologischen Determinante erhalten, der gegenüber kritische Distanz, Abwägen und eigenständige Gegenvorstellungen nicht mehr möglich sind beziehungsweise nicht mehr handelnd verwirklicht werden können.“495 Es stellt sich daher die Frage, ab welchem Grad eine Einflussnahme das Vorliegen einer selbstbestimmten Entscheidung ausschließt.496 Mit Grziwotz ist daher zwischen wirksamen normalpsychologischen Einflüssen Dritter und solchen Einflüssen Dritter zu unterscheiden, die einen pathologischen Grad erreichen, welcher eine eigenständige Willensbildung ausschließt.497 Entscheidend ist damit stets wortete letztwillige Erklärungen von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit geschützt.“; vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 65; Sachs/Wendt GG Art. 14 Rn. 197a; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani GG Art. 14 Rn. 412.s. dazu auch die Ausführungen Kap. B. I., B. III. 5., D. I. 1. 487 So auch Grziwotz, MDR 2016, 737, 740. Grziwotz bezeichnet den Vorgang des Testierens ohne Einflussnahme durch Dritte als einen idealtypischen Vorgang. 488 Vgl. § 1941 BGB. Als Ergänzung sei auf den Erb- und Pflichtteilsverzichtvertrag hingewiesen – vgl. § 2346 BGB. 489 Vgl. Grziwotz, MDR 2016, 737, 740. 490 Vgl. dazu Kap. D. II. 7. c) aa) 491 OLG Bamberg, RNotZ 2015, 655, 657; vgl. auch BGH FamRZ 1958, 127, 128; BayObLGZ 2004, 237, 240 f. 492 Die Formel als realitätsfremd bezeichnend Grziwotz, MDR 2016, 737, 740. 493 Zu diesem Begriff Cording, ZEV 2010, 115, 119; Grziwotz, MDR 2016, 737, 740; Wetterling, ErbR 2015, 544. 494 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1990, 202. 495 Cording, ZEV 2015, 117, 119; s. auch BayObLG, NJW-RR 1990, 202. 496 So auch Grziwotz, MDR 2016, 737, 741. 497 Vgl. Grziwotz, MDR 2016, 737, 740.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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die Einflussnahme und nicht die Krankheit, das Alter oder etwa der Aspekt, dass der Erblasser unter Betreuung steht. Es kann nicht grundsätzlich von Vulnerabilität auf Testierunfähigkeit geschlossen werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass durch eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit vulnerable Erblasser auch nicht in ihrem autonomen Testieren geschützt werden können. Die Selbstbestimmungsfähigkeit des Erblassers wird durch die Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit nicht etwa gefördert oder besser geschützt. Vielmehr wird ein zusätzlicher Aufwand notwendig, der den Erblasser die Ausübung der Testierfreiheit erschwert. Das von Krispenz erklärte Ziel, den Erblasser vor unzulässiger Beeinflussung zu schützen, ist mit der Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung unerreichbar. Im Ergebnis wird daher auch nicht mittelbar die Testierfreiheit geschützt. Wenn nun aber die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung zum Schutz des autonomen Testierens ungeeignet ist, stellt sich die Frage, ob dieser Vorschlag einen anderen legitimen Zweck fördert. In der Literatur wird hierbei auf Rechtsunsicherheiten verwiesen, die durch Abgrenzungsschwierigkeiten im Hinblick auf die Testierfähigkeit und Testierunfähigkeit vulnerabler Erblasser entstehen. Diese und die daraus resultierenden rechtlichen Streitfälle könnten durch eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit zumindest reduziert werden. Fraglich ist aber, wer durch eine höhere Rechtssicherheit und der damit einhergehenden Vermeidung von juristischen Auseinandersetzungen geschützt werden soll. Der (verstorbene) Erblasser kann dies jedenfalls nicht sein. Bei näherer Betrachtung schützt eine solche Verhinderung von Rechtsunsicherheiten durch Heraufsetzen der Testieranforderungen allein die gesetzlichen Erben oder die in einem früheren Testament wirksam Bedachten. Dies haben auch die insofern vergleichbaren Ergebnisse zu der Diskussion über die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments gezeigt.498 Dass eine solche Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung hierzu in der Lage ist, ist durchaus nachvollziehbar, da, wie hier vertreten, die Ablehnung einer solchen Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit dazu führen kann, dass bei Nichterweislichkeit der Testierunfähigkeit eine Verfügung von Todes wegen in einem Zustand entsteht, in dem der Erblasser tatsächlich testierunfähig gewesen ist.
498
Auch hier wurden höhere formale Anforderungen an das Testieren aufgestellt, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, s. Kap. D. II. 2 f. Regelmäßig werden dadurch lediglich die gesetzlichen Erben und sonstigen Erbprätendenten begünstigt und nicht das autonome Testieren des Erblassers gefördert. Aus diesem Grund wurde die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments in dieser Arbeit auch ausdrücklich abgelehnt. Zu hohe Errichtungsvoraussetzungen stellen aufgrund ihrer Exklusionswirkung einen Eingriff in die Testierfreiheit dar.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Der Vorwurf, den diese Argumentationslinie der Vermutung der Testierfähigkeit entgegenhält, liegt folglich darin, dass ein ursprünglich wirksam eingesetzter oder ein gesetzlicher Erbe durch eine unwirksame Verfügung seine Erbenstellung verliert und nunmehr jemand aufgrund einer unwirksamen Verfügung von Todes wegen erbt. Anders ausgedrückt könnte die weitreichende Aufrechterhaltung der Testierfähigkeit bis zu dem Beweis des Vorliegens der Voraussetzungen des § 2229 Abs. 4 BGB unter Umständen dazu führen, dass vorherige wirksame Erbeinsetzungen zu Unrecht geändert werden. Ein solcher Vorwurf greift im Ergebnis jedoch nicht durch. Grundsätzlich gilt, dass die Vermutung des § 2229 Abs. 4 BGB widerlegbar ist. Eine erwiesene Testierunfähigkeit führt dazu, dass die Verfügung von Todes wegen unwirksam ist und vorherige Verfügungen, die durch die neue Verfügung beeinträchtigt worden sind, wieder aufleben. Sicherlich ist es nach dem Erbfall, also post mortem, schwieriger, die Tatsachen zu beweisen, die zur Testierunfähigkeit geführt haben. Solche Beweisschwierigkeiten rechtfertigen jedoch eine Abschaffung oder gar eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit nicht. Während die Testierfreiheit den Rechtsanwender dazu zwingt, dem Erblasserwillen weitestgehend Geltung zu verschaffen und diesen daher besonders zu schützen, gilt dies für die nuda spes der Erbprätendenten gerade nicht.499 Für den Fall, dass Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bestehen, rechtfertigen diese aber einen solchen Eingriff in die Testierfreiheit des Erblassers in Form der „sicherheitshalben“ Annahme der Testierunfähigkeit nicht. Die Enttäuschung früherer gewillkürter oder der gesetzlichen Erben kann außer Acht gelassen werden. Die grundlegende Einordnung der Erbaussicht als nuda spes wird an dieser Stelle erneut relevant.500 Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass der Vorschlag zur Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung weder das autonome Testieren und damit die Testierfreiheit noch einen anderen legitimen Zweck fördert. b) Fazit: Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung als unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit Folgend aus der Feststellung, dass die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung weder über einen geeigneten Anknüpfungspunkt verfügt noch das 499
So im Ergebnis auch Grziwotz, MDR 2016, 737, 741. Vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. a) (3) (a); Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f.; s. dazu auch die Motive V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210die von der Erbeinsetzung ausdrücklich als ein Angebot sprechen. 500
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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selbstbestimmte Testieren von Erblassern fördern kann, lässt sich festhalten, dass eine solche Forderung abzulehnen ist. Aufgabe der Rechtsordnung ist es, möglichst allen Menschen die selbstbestimmte Gestaltung ihres Lebens zu ermöglichen.501 Aus diesem Grund müssen sowohl alte, betreute als auch kranke Erblasser als testierfähig angesehen werden.502 Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit, die auch den sogenannten vulnerablen Erblassern zuteilwird, darf eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit nicht stattfinden. Das Bürgerliche Gesetzbuch verfolgt, mit dem das Erbrecht prägenden Grundsatz des favor testamenti, eine weitestgehende Verwirklichung des Erblasserwillens.503 Aus diesem Grund muss es auch bei der derzeitigen Regelung des § 2229 Abs. 4 BGB und der damit einhergehenden Vermutung der Testierfähigkeit für alle Gruppen von Erblassern bleiben. Eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit würde die davon betroffenen Erblasser dazu zwingen, gutachterlich feststellen zu lassen, dass sie testierfähig sind. Ohne eine solche gutachterliche Feststellung wäre der Erblasser nicht in der Lage, eine Verfügung von Tode wegen wirksam zu errichten. In den Fällen, in denen ein Testieren aufgrund des drohenden Todes des Erblassers schnell notwendig ist, wird den Erblassern das Testieren faktisch verwehrt.504 Die Anknüpfung an das Alter und an Krankheit würde zudem gerade die Erblasser treffen, die wohl über das größte Bedürfnis an einem schnellen und einfachen Testieren verfügen. Im Ergebnis stellt die Forderung nach der Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung daher eine unzulässige Begrenzung der Testierfreiheit dar. Mit Grziwotz ist festzuhalten: „Es wäre jedoch mit der […] Testierfreiheit nicht vereinbar, hochbetagte Menschen unter einen ,Generalverdacht‘ einer Geistesschwäche zu stellen. Hierzu gehören bereits Tests, wenn diese ab einem bestimmten Alter automatisch vorgenommen werden sollen. Die Erbhoffnung gesetzlicher oder bereits eingesetzter gewillkürter Erben rechtfertigt einen derartigen Eingriff in die Testierfreiheit nicht.“505
501
So Schmoeckel, NJW 2016, 433, 438. Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2229 Rn. 74; Schmoeckel, NJW 2016, 433, 438; s. auch OLG München, FamRZ 2015, 698; explizit auch OLG Frankfurt, FamRZ 1996, 635, 635: „Die Bestellung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge berührt die Testierfähigkeit des Betreuten in der Regel nicht.“ 503 Dies hängt mit der individualistischen Grundlegung des gesamten Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches zusammen, die nach dem Vorbild der römisch-rechtlichen Tradition vorgenommen worden ist. Vgl. dazu ausführlich die rechtshistorische Betrachtung der Testierfreiheit in Kap. B. II. und die Ausführungen zur Konzeption der Testierfreiheit in Kap. B. VI. 504 In diese Richtung Grziwotz, MDR 2016, 737, 741 f.: „Der Erblasser wäre ohne ein derartiges Gutachten nicht in der Lage, wirksam zu testieren. Damit ist ein Testieren „am Sterbebett“ leicht demenzkranken Personen faktisch verwehrt, wenn Eile geboten ist.“ 505 Grziwotz, MDR 2016, 737, 741 f. Grziwotz spricht an dieser Stelle zutreffend von 502
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
2. Die gesteigerte Förmlichkeit zum Schutz selbstbestimmten Testierens vulnerabler Erblasser Ein weiterer Anknüpfungspunkt zum Schutz des autonomen Testierens vulnerabler Erblasser wird in der Steigerung der formellen Anforderungen an ein wirksames Testieren gesehen.506 Im Wesentlichen wird dabei die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für sogenannte todesnahe Erblasser (dazu a)) und für unter Betreuung stehende Erblasser gefordert (dazu b)). a) Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für todesnahe Erblasser In dem Kapitel zum Formzwang wurden bereits die Vor- und Nachteile des eigenhändigen privatschriftlichen Testaments diskutiert. Dabei ist deutlich geworden, dass diese Testamentsform von vielen Stimmen in der Literatur als ein Einfallstor für sachfremde Einflüsse auf die Willensfreiheit des Testators angesehen wird.507 Gleichwohl haben an dieser Stelle die Vorteile des eigenhändigen Testaments überwogen, insbesondere aufgrund der leichten Errichtungsmöglichkeit bei gleichzeitigem ausreichenden Schutz des selbstbestimmten Testierens. In diesem Abschnitt geht es daher ausdrücklich nicht um die generelle Abschaffung des privatschriftlichen Testaments, sondern um die Abschaffung dieser Testiermöglichkeit für vulnerable Erblasser, die sich in Todesnähe befinden. Die Idee der Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für sogenannte todesnahe Erblasser stammt von und knüpft, ähnlich wie die Forderung nach der Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit, allein an den vulnerablen Erblasser und nicht mehr an etwaige konkrete Beeinflussungshandlungen an. Weitere Stimmen in der Literatur haben sich Aden angeschlossen und fordern daneben zusätzlich eine Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für ältere und kranke Erblasser.508 einer reinen „Erbhoffnung“ und befindet sich damit auf einer Linie mit der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung. Vgl. dazu ausführlich Kap. C. I. 1. a) (3) (a); Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 506 So ausdrücklich Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); vgl. auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 144 f., die zurecht darauf verweist, dass Ostlinning Mitte der 90er-Jahre eine Beschränkung der Testierformen nicht nur für Betreute, sondern v.a. für Heimbewohner vorgeschlagen hat, die zugunsten eines Heimes bzw. eines Heimmitarbeiters testieren wollen, s. dazu Ostlinning, Das Testament des Heimbewohners, 100 ff. 507 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11b; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 f.; Aden, ZRP 2011, 83, 83. 508 So vor allem Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11b: „Die Dunkelziffer beeinflusster, verfälschter und unterdrückter Privattestamente ist objektiv nicht feststellbar, dürfte aber deutlich in einem Bereich rechtspolitischer Relevanz liegen. Deshalb ist als rechtspolitische Mindestkorrektur des § 2247 BGB zu fordern, dass privatschriftliche Tes-
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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Der Grund für die Forderung nach der Abschaffung der Möglichkeit der eigenhändigen Testamentserrichtung für todesnahe Erblasser liegt nach Aden in dem Unterschied zwischen einer letztwilligen Verfügung, die in gesunden Tagen errichtet wird und solchen Verfügungen von Todes wegen, die in Todesnähe entstehen.509 Letztere entstünden regelmäßig unter Beeinträchtigungen der Willensfreiheit des Testators.510 Aus diesem Grund entwickelt Aden zwei Lösungsvorschläge, die im Nachfolgenden kurz dargestellt und im Anschluss daran bewertet werden (dazu cc)). Hierbei präferiert er die Einführung einer neuen Regelung in Bezug auf todesnahe Testamente (dazu bb)). Bis eine solche Neuregelung erfolgt, will Aden hilfsweise § 2247 Abs. 4 BGB analog auf die eigenhändigen Testamente todesnaher Erblasser anwenden (dazu aa)). aa) Die Verhinderung privatschriftlicher Testamente todesnaher Erblasser durch eine analoge Anwendung des § 2247 Abs. 4 BGB Bis zu der Schaffung einer eigenständigen Regelung für eigenhändige todesnahe Testamente wird der Anknüpfungspunkt zur Verhinderung solcher Testamente in der analogen Anwendung des § 2247 Abs. 4 BGB gesehen. Die Lage des Minderjährigen, der die vollständige Entscheidungsfreiheit noch nicht erlangt hat und die Lage des todesnahen Erblassers, der die vollständige Entscheidungsfreiheit nicht mehr habe, sei vergleichbar und sollte daher gleichermaßen gelöst werden.511 De lege lata fordert Aden daher, dass ein privatschriftliches Testament, das in Kenntnis des nahe bevorstehenden Todes eigenhändig errichtet wird, ungültig ist. Todesnahe Testamente bedürfen nach dieser Sichtweise für die Gültigkeit in Analogie zu § 2247 Abs. 4 BGB der notariellen Form.
tamente im Stadium der Todesnähe zum Schutz vor einer Beeinflussung durch Dritte de lege ferenda unwirksam sein sollten.“ 509 Vgl. Aden, ZRP 2011, 83, 83 f. Darüber hinaus führt Aden aus, dass der Deutsche Juristentag 2010 zwar die Frage gestellt hat, ob das Erbrecht noch zeitgemäß ist, die Gutachterin Röthel dabei jedoch praxisrelevante Fälle übersehen habe. So gebe es Fälle, in denen ein alter, aber gesunder Testator seit Jahren seinen Sohn zum Erben bestimmt habe und numehr beispielsweise ohne enges Verhältnis zur Religion die Kirche, die Kurzzeitpflegekraft der letzten Tage oder den Tierschutzbund, ohne dabei eine besondere Tierliebe gehabt zu haben, zum Erben einsetze. Diese Fällen geben Aden den Anlass, die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für todesnahe Erblasser zu fordern, vgl. dazu Aden, ZRP 2011, 83, 85. 510 Vgl. Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11b; Aden, ZRP 2011, 83, 84; Hosemann, RNotZ 2010, 520, 529; BeckOGK/Grziwotz BGB § 2231 Rn. 14 f. 511 So Aden, ZRP 2011, 83, 84.
400
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
bb) Einführung einer neuen Regelung in Bezug auf todesnahe Testamente Aden favorisiert die Einführung eines § 2230 BGB, der bestimmt, dass ein todesnahes Testament der notariellen Form bedarf.512 An dieser Stelle will Aden auch definieren, wann es sich um ein todesnahes Testament handelt. Aden schlägt dabei eine sogenannte Erwartungsfrist vor, die durch Gesetz oder Rechtsprechung den Umständen angepasst werden könne.513 Wenn der Tod außerhalb dieser Erwartungsfrist eintritt, zeige sich rückblickend, dass es sich nicht um ein todesnahes Testament gehandelt habe und es sei folglich gültig.514 Als Vorschlag für diese Erwartungsfrist unterbreitet er 90 Tage im Fall konkreter Todesnähe, die vorläge, wenn dem Testator bei Errichtung seines privatschriftlichen Testaments Umstände bekannt gewesen seien, die den Tod binnen 90 Tage wahrscheinlich machen. Im Fall abstrakter Todesnähe, die nach Vollendung des 70. Lebensjahres vorläge, solle die Erwartungsfrist 180 Tage betragen.515 Zur Rechtfertigung dieses Ansatzes führt Aden an, dass die Rechtsgemeinschaft einen Anspruch auf größtmögliche Bannung der Gefahr von beeinflussten erbrechtlichen Verfügungen hätte, welcher sich aus Art. 14 Abs. 2 GG ergebe.516 Wenn der Erblasser von der gesetzlichen Erbfolge abweichen möchte, zwinge ihn dieser Anspruch dazu, den Rechtsfrieden möglichst wenig zu gefährden. Daraus resultiere eine Pflicht zur Heranziehung eines Notars bei der Errichtung todesnaher Testamente. cc) Bewertung des Vorschlags zur Abschaffung des eigenhändigen Testaments für todesnahe Erblasser Die Vorschläge Adens können nicht überzeugen. Bereits die Grundannahme Adens, dass ein notarielles Testament stets frei von unzulässiger Beeinflus-
512 Zu dem Vorschlag Adens zur Einführung eines § 2230 BGB s. Aden, ZRP 2011, 83, 85: „§ 2230 Todesnahes Testament I. Ein todesnahes Testament bedarf der notariellen Form. ,§§ 2249 – 2252‘ bleiben unberührt. II. Todesnah ist ein nicht privatschriftliches Testament, wenn 1. dem Testator bei Abfassung Umstände bekannt waren, die seinen Tod binnen 90 Tagen wahrscheinlich machen, und wenn er nach Abfassung in dieser Zeit stirbt oder 2. der Testator bei Abfassung des Testaments das 70. Lebensjahr vollendet hatte, und wenn er binnen 180 Tagen danach stirbt. Nach Vollendung des 75. Lebensjahres verlängert sich die Frist auf 360 Tage. III. Wenn der Testator die in Abs. 2 S. 1 und 2 genannte Frist überlebt, gelten die allgemeinen Regeln für Gültigkeit und Widerruf des privatschriftlichen Testaments.“ 513 Vgl. Aden, ZRP 2011, 83, 84. Gleichwohl präferiert Aden feste Fristen, da diese für die Rechtssicherheit förderlich seien. 514 Vgl. Aden, ZRP 2011, 83, 84. 515 Dabei soll sich die Erwartungsfrist nach Vollendung des 75. Lebensjahres auf 360 Tage verlängern, so Aden, ZRP 2011, 83, 85. 516 Vgl. Aden, ZRP 2011, 83, 84.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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sung durch Dritte sei, erweist sich als fehlerhaft. Zwar ist der Notar durchaus dazu in der Lage bestimmten Arten von Einflüssen entgegenzuwirken, insbesondere der Momentbeeinflussung, eine weit im Vorfeld beginnende und fortwirkende Einflussnahme, kann aber auch durch den Notar nicht verhindert werden. Der Ansatz Adens ist auch deshalb abzulehnen, weil selbst nach 90, 180 oder auch 360 Tagen eine unzulässige Einflussnahme nicht auszuschließen ist. Vielmehr kann der verletzliche Erblasser auch über einen längeren Zeitpunkt unter einer dauerhaften Beeinflussung stehen, die einem Widerruf der unzulässig errichteten Verfügung von Todes wegen ebenfalls entgegensteht. Nach der Ansicht Adens müsste der Erblasser daher hoffen, dass er nach Errichtung des eigenhändigen Testaments noch lange genug überlebt, damit dieses als wirksam angesehen wird, andernfalls müsste der Erblasser ein notarielles Testament errichten. Da diese Wartezeit bis zur Gültigkeit des eigenhändigen Testaments für Erblasser wohl kaum eine zufriedenstellende Alternative darstellt, führt Aden faktisch ein verpflichtendes öffentliches Testament für Erblasser ab der Vollendung des 70. Lebensjahres ein.517 Ein solches „Quasi-Verbot“ der Errichtung privatschriftlicher Testamente für ältere Erblasser ist mit deren Testierfreiheit jedoch unvereinbar. Es muss auch älteren Erblassern möglich sein, ohne großen Aufwand ein Testament zu errichten und zu widerrufen. Diese Möglichkeit gibt ihnen das notarielle Testament nicht. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass auch ältere Erblasser hinreichend frei von Willensbeeinträchtigungen testieren können. Das QuasiVerbot privatschriftlicher Testamente für ältere Erblasser stellt daher eine verfassungsrechtlich unzulässige Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Die teilweise erhöhte Beeinflussbarkeit älterer Erblasser kann eine solche Ungleichbehandlung durch das Verbot privatschriftlicher Testamente für ältere Erblasser jedenfalls nicht rechtfertigen. Im Übrigen möchte Aden zwar das selbstbestimmte Testieren und damit einhergehend die Testierfreiheit der Erblasser schützen, sein sogenannter rechtspolitischer Ansatz, der den Eingriff in die Testierfreiheit älterer Menschen mit der Pflicht des Erblassers zur Schaffung von Rechtsfrieden rechtfertigen soll, schlägt jedoch fehl. Der Erblasser hat nicht die Pflicht, eine möglichst rechtssichere und verständliche Verfügung von Todes wegen zu errichten.518 Des Weiteren ist es nicht die Aufgabe des Erblassers, den Rechtsfrieden möglichst wenig zu gefährden.519 Die Testierfreiheit ermöglicht dem 517 Dies will im Ergebnis auch Sonnekus, Ageing Testator, 78, 90; vgl. dazu die Ausführungen in Kap. D. III. 1. 518 Dies wurde bereits bei den Ausführungen zu der Abschaffung des eigenhändigen Testaments (vgl. dazu Kap. D. II. 2 f.) und der Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung umfassend dargelegt (vgl. Kap. B. III. 1.). 519 Dagegen wohl Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11b. So führt Baumann zu-
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Erblasser vielmehr, innerhalb der gesetzlichen Regelungen, Verfügungen von Todes wegen beliebigen Inhalts zu errichten. Darüber hinaus ist es ihm auch gestattet, überhaupt keine Verfügung von Todes wegen zu errichten. Die Pflicht zur Errichtung einer möglichst rechtssicheren Verfügung von Todes wegen ist daher nicht nur mit der Testierfreiheit unvereinbar, sondern findet auch in den einfachgesetzlichen Vorschriften überhaupt keinen Anknüpfungspunkt. Die Vorschläge Adens sind daher in Gänze abzulehnen dd) Fazit: Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für ältere Erblasser als unzulässige Beschränkung der Testierfreiheit Aden und Baumann, die die Abschaffung des todesnahen privatschriftlichen Testaments fordern und damit im Ergebnis einen Reformbedarf ausmachen, verkennen, dass eine solche Regelung einen unzulässigen Eingriff in die Testierfreiheit darstellen würde. Sie würde älteren Erblassern nicht nur das privatschriftliche Testieren verbieten, sondern auch die individuelle Prüfung einer unzulässigen Einflussnahme. Das „Quasi-Verbot“ des privatschriftlichen Testaments für ältere Erblasser fördert damit weder das selbstbestimmte Testieren noch die Testierfreiheit, sondern erschwert ein Gebrauchmachen von selbiger. Auch für ältere Erblasser muss daher die uneingeschränkte Möglichkeit der Errichtung eines privatschriftlichen Testaments erhalten bleiben. Die Beschränkung der Testierfreiheit, die Aden und Baumann vornehmen wollen, stellt eine unzulässige Grenze der Testierfreiheit dar, die dem Schutz des selbstbestimmten Testierens des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte dient. Die in dieser Arbeit vorgenommene Kategorisierung kann daher aufrechterhalten werden. Darüber hinaus beruht die Unzulässigkeit dieser Grenze der Testierfreiheit auf einem fehlerhaften Verständnis des Autonomieschutzes und der Testierfreiheit. Die aufgestellten Thesen sehen sich insoweit auch an dieser Stelle als bestätigt an. b) Die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für unter Betreuung stehende Erblasser Den Ansatz einer gesteigerten Förmlichkeit in Form der Abschaffung des privatschriftlichen Testaments zum Schutz besonders vulnerabler Gruppen von Erblassern verfolgen auch verschiedene Stimmen in der Literatur.520 Annächst aus, dass durch Privattestamente älterer Erblasser der Rechtsfriede erheblich gestört würde und zudem vermeidbare Prozesse entstünden. Darüber hinaus bewertet er die Ansicht Adens, als eine „mit sachlich begründeten und vom Gesetzgeber zu berücksichtigenden Wertungstopoi gestellte […] Forderung“, Staudinger/Baumann BGB § 2247 Rn. 11b. 520 Vgl. Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 154.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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ders als Aden, der die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für sämtliche Erblasser ab einem bestimmten Lebensalter fordert, beschränken diese sich mit ihrer Forderung jedoch auf betreute Erblasser. Dem Verbot des privatschriftlichen Testaments für diese Gruppe von Erblassern liegt auch hier die Annahme zugrunde, dass der Notar eine mögliche „pathologische Beherrschungsaffinität“521 frühzeitig erkennen und so fremdbestimmte Verfügungen von Todes wegen verhindern kann. Ein solcher Vorschlag ist ebenfalls abzulehnen. Es wurde bereits gezeigt, dass die Betreuung ein untauglicher Anknüpfungspunkt ist.522 Darüber hinaus würde die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments lediglich die Ausübung der Testierfreiheit erschweren, ohne über nennenswerte positive Aspekte im Hinblick auf den Autonomieschutz des Erblassers zu verfügen. Die Steigerung von Förmlichkeiten ist daher im Ergebnis zum Schutz des selbstbestimmten Testierens vulnerabler Erblasser ebenfalls ungeeignet.
3. Der Schutz der Autonomie des Erblassers durch den Erlass von Testierverboten Als weiterer Anknüpfungspunkt für den Schutz solcher Erblasser vor einer unzulässigen Einflussnahme, die aufgrund ihrer Vulnerabilität leicht beeinflussbar sind, kommt die Anwendung des § 134 BGB in Verbindung mit einem Verbotsgesetz in Betracht. Letztwillige Verfügungen können gegen gesetzliche Verbote verstoßen. Ein solcher Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot führt dazu, dass die letztwillige Verfügung dann nach § 134 BGB für nichtig erklärt wird. Kein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB liegt hingegen vor, wenn gegen die zwingenden Vorschriften über die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen verstoßen wird, da sich die Nichtigkeitsfolge in diesen Fällen ohne Heranziehung des § 134 BGB aus den Vorschriften selbst ergibt.523 Zahlreiche Verbotsgesetze gegen die bei oder durch die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen verstoßen werden kann, sind im strafrechtlichen Bereich zu finden.524 Hier sei auf die Vorschriften über die Belohnung von
521
So Röthel, 68. DJT, A 9 (A 85). Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. D. III. 1, a) aa) (2), die gezeigt haben, dass die Betreuung als Anknüpfungspunkt für die Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung ungeeignet ist. 523 Vgl. Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 129; vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kap. D. II. 2. 524 Im Übrigen kommen in diesem Zusammenhang auch Vorschriften aus dem Devisenrecht zur Anwendung, vgl. Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 129. 522
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Straftaten gemäß § 140 StGB, die Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB und die Bestechung gemäß § 334 StGB verwiesen.525 Da diese Vorschriften allesamt Konstellationen zum Gegenstand haben, in denen der Erblasser durch seine Verfügung von Todes wegen einen Straftatbestand erfüllt und diese deshalb durch § 134 BGB in Verbindung mit dem jeweiligen Verbotsgesetz des Strafgesetzbuches für nichtig erklärt werden, sind sie für den vorliegenden Abschnitt, in dem es um den Schutz des Selbstbestimmungsrechtes des Erblassers beim Testieren geht, nicht von Bedeutung. Es handelt sich bei der Anwendung des § 134 BGB in Verbindung mit den oben genannten Verbotsgesetzen um Beschränkungen der Testierfreiheit, die dem Schutz einzelner und auch der Gesamtrechtsordnung vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen. Insoweit sind sie der Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zuzuordnen, die in dem vorherigen Kapitel C. näher betrachtet wurde.526 Es gibt jedoch ein weiteres Anwendungsfeld von Verbotsgesetzen, welches in diejenige Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit eingeordnet werden kann, die diesem Abschnitt zugrunde liegt. In jüngerer Vergangenheit wird vielfach der Erlass enumerativer Testierverbote in solchen Lebensbereichen und Situationen diskutiert, die durch Beeinflussbarkeit und Beherrschung geprägt sind.527 Ausgangspunkt dieser Diskussionen und Vorbild für den etwaigen Erlass weiterer Testierverbote sind der § 14 HeimG und dessen entsprechenden landesrechtlichen Regelungen.528 Bevor die Frage der Eignung des Erlasses von Testierverboten zum Schutz des selbstbestimmten Testierens beantwortet werden kann, ist zunächst eine Untersuchung des § 14 HeimG und dessen entsprechenden landesrechtlichen Regelungen notwendig.
525 Weitere relevante Vorschriften: Finanzierung einer für verfassungswidrig erklärten Partei oder einer verbotenen Vereinigung (§§ 84, 85 StGB) Wählerbestechung (§ 108 b StGB), Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung (§§ 129, 129a StGB). Vgl. dazu Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 129. 526 Da diese Grenzen in faktischer Hinsicht jedoch nur einen sehr geringen Anwendungsbereich haben und sich aus diesen auch keine weiteren Probleme hinsichtlich Reichweite und Anwendung ergeben, sind sie auch im Rahmen derjenigen Kategorie, der sie zuzuordnen sind, nicht näher betrachtet worden und damit insgesamt kein Gegenstand dieser Arbeit. 527 So Röthel, AcP 210 (2010), 32, 61: „Die Unsicherheiten, die mit der nachträglichen Erforschung der Umstände der Testierung verbunden sind, ließen sich am einfachsten dadurch überwinden, dass das Konzept des § 14 HeimG auf andere, ähnlich beherrschungsaffine Verhältnisse enumerativ übertragen wird.“; vgl. auch Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 II 3 d, 824; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 158 f. 528 Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen zu der Länderkompetenz in Kap. D. III. 3. a) aa) (1).
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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a) Untersuchung des § 14 HeimG und dessen entsprechenden landesrechtlichen Regelungen Wenngleich § 14 HeimG zu den entlegeneren Vorschriften der Rechtsordnung gehört, ist seine Bedeutung im Erbrecht doch beachtlich.529 Die Regelung enthält eine der praktisch wichtigsten Einschränkungen der Testierfreiheit.530 So verbietet sie dem Heimträger, sich von oder zugunsten von Bewohnerinnen oder Bewohnern oder den Bewerberinnen und Bewerbern um einen Heimplatz Geld- oder geldwerte Leistungen über das vereinbarte Entgelt hinaus versprechen oder gewähren zu lassen. Gleichzeitig erweitert § 14 Abs. 5 HeimG den Kreis der Verbotsadressaten und verbietet auch dem Leiter, den Beschäftigten und den sonstigen Mitarbeitern eines Heims, sich von oder zugunsten von Heimbewohnern neben der vom Träger erbrachten Vergütung solche Leistungen für die Erfüllung der Pflichten aus dem Heimvertrag versprechen oder gewähren zu lassen.531 In dogmatischer Hinsicht stellt § 14 HeimG ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB dar, sodass ein Rechtsgeschäft, welches die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 HeimG erfüllt, nichtig ist.532 Dabei verfolgt die Vorschrift des § 14 HeimG533 ausweislich der Gesetzesbegründung einen dreigeteilten Schutzzweck.534 So soll § 14 HeimG eine unterschiedliche und sachlich nicht gerechtfertigte Behandlung der Heimbewohner verhindern, um den Heimfrieden zu erhalten.535 Des Weiteren soll der § 14 HeimG die Bewohner eines Heimes auch vor finanzieller Ausbeutung bewahren.536 Erklärtes Schutzziel des § 14 HeimG ist überdies auch die Heim-
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Vgl. Petersen, DNotZ 2000, 739, 739. Die praktische Relevanz des § 14 HeimG lässt sich dabei insbesondere an der zahlreichen Rechtsprechung zu der Vorschrift erkennen, vgl. exemplarisch BayObLG NJW 1992, 55; BayObLG NJW 1993, 1143; KG FamRZ 1998, 1542; OLG Frankfurt, NJW 2001, 1504; OLG Düsseldorf ZEV 1997, 459; BGH, NJW 2000, 1875, 1877, BGHZ 110, 235; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 85, 85 ff.; BGH, ZEV 2012, 39. Auch ein Beschluss des BVerfG ist zu § 14 HeimG ergangen, vgl. BVerfG, NJW 1998, 2964, 2965. 531 Ausgenommen werden jedoch gem. § 14 Abs. 5 HeimG geringwertige Aufmerksamkeiten, vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 132 ff.; Spall, MittBayNot 2010, 9, 11; Ludyga, ZEV 2014, 177, 178. 532 Vgl. statt vieler BGHZ 110, 235; s. auch BGH, ZEV 2012, 39. 533 Selbiges gilt auch für die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen; vgl. dazu Karl, ZEV 2009, 544, vgl. dazu auch die nachfolgenden Ausführungen zu der Länderkompetenz in Kap. D. III. 3. a) aa) (1). 534 Vgl. BT-Drs. 11/5120, 17; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 134. 535 Vgl. BT-Drs. 11/5120, 17; Keim, notar 2017, 119, 119; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 134. 536 Vgl. BT-Drs. 11/5120, 17; Keim, notar 2017, 119, 119; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 134. 530
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bewohner vor unlauterer Willensbeeinflussung zu schützen, welches für den vorliegenden Abschnitt von besonderer Relevanz ist.537 Das Bundesverfassungsgericht hat sich positioniert und erklärt, dass die Vorschrift ältere Menschen davor bewahren soll, dass ihr Recht auf freie Verfügungen von Todes wegen durch offenen oder faktischen Druck gefährdet wird.538 Im Folgenden soll im Anschluss an einer kurzen Vorstellung des § 14 HeimG analysiert werden, ob durch § 14 HeimG ein Schutz des Selbstbestimmungsrechts der testierenden Erblasser zulässig gewährt werden kann, oder ob die derzeitige Regelung die Testierfreiheit der betroffenen Erblasser verfassungswidrig einschränkt. aa) Kurzüberblick über die Voraussetzungen und die Anwendung des Zuwendungsverbots nach § 14 HeimG § 14 Abs. 1 HeimG spricht von „Geld oder geldwerten Leistungen“, welches jede Zuwendung an Geld oder sonstigen Sachen oder Rechten meint, die einen Geldwert haben.539 Hiervon sind nach ständiger Rechtsprechung nicht nur lebzeitige Zuwendungen, sondern auch Zuwendungen durch Verfügungen von Todes wegen erfasst.540 Als weitere Voraussetzung normiert § 14 Abs. 1 HeimG, dass ein „Sich-gewähren-lassen“ vorliegen muss. Testamentarische Zuwendungen zu Gunsten des Heimträgers oder eines Heimmitarbeiters sollen aufgrund dieser Formulierung nach herrschender Meinung nur dann unwirksam sein, wenn der Begünstigte von der testamentarischen Zuwendung noch vor dem Tod des Erblassers Kenntnis erlangt hat.541 Die Kenntniserlangung, die dazu führt, dass das Zuwendungsverbot aus § 14 HeimG eingreift, lässt die überwiegende Meinung in Personen ausreichen, die der Heimträger mit der Wahrnehmung von Angelegenheiten der Heimbewohner betraut und die den Heimträger in diesem Bereich gegenüber den Heimbewohnern repräsentieren.542 Unerheblich ist dabei, durch wen diese
537 Dies rechtfertigt insoweit die Einordnung des § 14 HeimG als Grenze der Testierfreiheit zum Schutz vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte. 538 Vgl. BVerfG NJW 1998, 2964; Röthel, AcP (210) 2010, 32, 58. 539 Vgl. Dahlem/Giese/Igl/Klie/Igl HeimG § 14 Rn. 7; Münzel, NJW 1997, 112, 112. 540 Vgl. dazu etwa BVerwG, NJW 1990, 2268, 2268; VGH Mannheim, NJW 2004, 3792; MittBayNot 2005, 317, 318; BayObLG, NJW 1993, 1143, 1144; KG, NJW 1999, 730, 730; OLG München, NJW 2006, 2642, 2642.; vgl. dazu auch die Darstellung bei Spall, MittBayNot 2010, 9, 11. 541 Vgl. BGH, NJW 2012, 155; BayObLGZ 1992, 344; OLG Karlsruhe, ZEV 1996, 146; BayObLG NJW 2000, 1875; OLG Frankfurt NJW 2001, 1504; Burandt/Rojahn/MüllerEngels HeimG § 14 Rn. 11–13; Dietz, MittBayNot 2007, 453. 542 Vgl. BayObLGZ 1992, 344; OLG Karlsruhe, ZEV 1996, 146; KG, ZEV 1998, 437; BayObLG NJW 2000, 1875; OLG Frankfurt NJW 2001, 1504; Burandt/Rojahn/MüllerEngels HeimG § 14 Rn. 11.
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Kenntnis vermittelt wird.543 Auch die Art der Zuwendung ist für die Anwendung des § 14 Abs. 1 HeimG nicht maßgeblich. Umfasst werden daher sowohl Begünstigungen durch Vermächtnisse als auch durch Erbeinsetzungen unterschiedlicher Art.544 Ausgenommen von dem Zuwendungsverbot sind jedoch nach § 14 Abs. 2, Abs. 5 S. 2 HeimG geringwertige Aufmerksamkeiten sowie von der zuständigen Behörde genehmigte Zuwendungen gemäß § 14 Abs. 6 HeimG.545 (1) Heimrecht als Länderkompetenz – Erlass inhaltsgleicher Regelungen Seit der Umsetzung der Föderalismusreform Teil I im Jahr 2006 verfügen die Bundesländer über die Kompetenz, auf dem Gebiet des Heimrechts eigene Regelungen zu erlassen. Als Bundesrecht galt beziehungsweise gilt § 14 HeimG jedoch gemäß Art. 125a Abs. 1 GG bis zum Erlass entsprechender Gesetze durch die Bundesländer fort.546 Zuerst führten Baden-Württemberg und Bayern im Jahr 2008 eigene Gesetze ein.547 Nunmehr haben alle Bundesländer mit Ausnahme von Thüringen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und eigene Regelungen erlassen.548 In inhaltlicher Hinsicht haben die meisten Landesgesetzte § 14 HeimG vollständig übernommen.549 Teilweise wurde die Ausnahmemöglichkeit nach § 14 Abs. 6 HeimG in den landesrechtlichen Regelungen nicht übernommen. So enthielt beispielsweise der § 10 WTG in Nordrhein-Westfalen keine dem § 14 Abs. 6 HeimG vergleichbare Ausnahmemöglichkeit.550 Ein Zuwendungsverbot ohne Ausnah-
543 Möglich ist daher auch, dass gesetzliche Erben, die über die Erbeinsetzung des Heimträgers oder eines Heimmitarbeiters enttäuscht sind, den Verbotsadressaten informieren und diesen bösgläubig machen. 544 Vgl. dazu exemplarisch OLG Düsseldorf ZEV 1997, 459, 459 ff.; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 85, 85 ff. 545 Vgl. dazu auch Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 132 ff.; Spall, MittBayNot 2010, 9, 11; Ludyga, ZEV 2014, 177, 178. 546 In Niedersachen enthält das entsprechende HeimG (vom 06.07.2011 – GVBl 196) keine dem § 14 HeimG entsprechende Bestimmung, sodass § 14 des HeimG des Bundes weiterhin dort gilt. Dazu auch Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 133; Ludyga, ZEV 2014, 177, 178 ff. 547 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086 Rn. 132–134; Karl, ZEV 2009, 544, 545; vgl. dazu auch die Auflistung bei Ludyga, ZEV 2014, 177, 178. 548 Vgl. Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 133; Karl, ZEV 2009, 544, 545. 549 Vgl. Karl, ZEV 2009, 544, 545; Staudinger/Otte Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 133. 550 Die Vorschrift ist am 16. Oktober 2014 durch § 49 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes vom 2. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 625) außer Kraft getreten. Es gelten die Übergangsvorschriften nach § 47 Absatz 6 Nummer 2 des Wohn- und Teilhabegesetzes vom 2. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 625).
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memöglichkeit im Einzelfall bedeutet jedoch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine unzumutbare Einschränkung der Testierfreiheit der betroffenen Erblasser und ist daher verfassungswidrig.551 Insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass zwischen einem Heimbewohner und einem Pfleger durch jahrelange Pflege eine besondere Beziehung entstehen kann, ist von dem Erfordernis einer Ausnahmemöglichkeit auszugehen. Aus diesem Grund wurde die fehlende Ausnahmeregelung in den landesrechtlichen Vorschriften überwiegend nachträglich ergänzt.552 Lediglich kleine Unterschiede bestehen zwischen den einzelnen landesrechtlichen Regelungen fort. Da es für die Zwecke der vorliegenden Arbeit jedoch nicht darum geht, die Unterschiede zwischen den Regelungen und deren unterschiedliche Anwendung durch die jeweiligen Gerichte der Länder zu untersuchen, wird § 14 HeimG als Basisregelung die Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen bilden.553 (2) Die Bewertung der Anwendung des § 14 HeimG in Literatur und Rechtsprechung Die Bewertungen des § 14 HeimG und seiner entsprechenden landesrechtlichen Regelungen gehen weit auseinander.554 Während die Rechtsprechung eine extensive Auslegung der Vorschrift präferiert555, ist sich das Schrifttum bezüglich der Reichweite des Testierverbotes uneinig. So sehen Teile der Literatur in den Vorschriften eine übermäßige und daher unzulässige Einschränkung der Testierfreiheit der Erblasser.556 Andere kritisieren hingegen 551 So auch Karl, ZEV 2009, 544, 546, Fn. 49: Zutreffend weist Karl darauf hin, dass ohne die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung durch die zuständige Behörde das Verbot seinen öffentlich-rechtlichen Charakter verliert und damit rein zivilrechtlicher Natur ist. Insofern würde die Norm dann der Bundeskompetenz unterfallen; vgl. BVerfG, NJW 1998, 2964. 552 Für Nordrhein-Westfalen s. § 7 Abs. 4 WTG; für Rheinland-Pfalz s. § 11 Abs. 4 LWTG. 553 Zu den Unterschieden der einzelnen Regelungen und deren unterschiedliche Handhabung in der Praxis s. Karl, ZEV 2009, 544; Ludyga, ZEV 2014, 177, 178 f. 554 Vgl. statt vieler Röthel, AcP 210 (2010), 32, 58. 555 Vgl. OLG Düsseldorf ZEV 1997, 459: Ausdehnung der Anwendung des § 14 HeimG auf die Einsetzung der Kinder des Heimleiters als Nacherben; OLG Frankfurt, NJW 2001, 1504: Anwendung des § 14 HeimG auf die Zuwendung eines Heimbewohners an den Pförtner des Altenheims und seiner Ehefrau. Eine besonders weitreichende Anwendung nimmt das OLG München, NJW 2006, 2642 vor, indem es die § 14 auch auf ein Vermächtnis des Angehörigen eines Heimbewohners für anwendbar hält. Vgl. auch VG Würzburg, ZEV 2008, 601: Anwendung des § 14 HeimG auf eine Zuwendung zugunsten der dem Heim durch den Stiftungszweck verbundenen Förderstiftung; zur Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 14 HeimG durch die Rspr., Röthel, AcP 210 (2010), 32, 58. 556 Vgl. Brox, Festschrift Benda, 17, 18 ff.; Münzel, NJW 1997, 112, 112 ff.; Keim, notar 2017, 119, 120 f.
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den zu engen Anwendungsbereich und befürworten eine weitreichende Anwendung der Vorschrift.557 Insbesondere Röthel, die, wie bereits zu Beginn dieses Kapitels dargelegt, ein zu geringes Schutzniveau der derzeitigen Rechtsordnung für testierende Erblasser vor unzulässiger Beeinflussung ausmacht, begrüßt den durch § 14 HeimG gewährten Schutz der testierenden Heimbewohner.558 Diese Kontroverse zwischen Teilen der Literatur und der Rechtsprechung rechtfertigt eine genaue Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit des § 14 HeimG beziehungsweise dessen entsprechenden landesrechtlichen Regelungen. bb) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 14 HeimG und die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen Gegen den § 14 HeimG und die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen bestehen in mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtliche Bedenken. So wird zum einen die Testierfreiheit der Heimbewohner durch die heimrechtlichen Verbote in nicht unerheblicher Weise eingeschränkt. Normadressat des § 14 HeimG sind zwar nicht unmittelbar die Erblasser, sondern die Heimträger, im Ergebnis wirkt sich § 14 HeimG jedoch für die betroffenen Erblasser wie ein Testierverbot aus.559 Zum anderen wird die betroffene Erbfreiheit des Heimträgers und der Heimmitarbeiter erheblich eingeschränkt. Durch § 14 HeimG wird jedoch nicht nur die Testier- und Erbfreiheit eingeschränkt, auch eine Verletzung anderer Grundrechte erscheint bei näherer Betrachtung möglich. Da es für Krankenhauspatienten eine entsprechende Regelung nicht gibt, kommt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht.560 Münzel verweist hingegen auf eine Verletzung der Religionsfreiheit, die darin liegen soll, dass bei kirchlichen Einrichtungen eine Zuwendung an den Heimträger eine Ausübung der Religionsfreiheit darstelle und in der Untersagung einer solchen die Verletzung der Religionsfreiheit liege.561 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 14 HeimG hingegen eindeutig positioniert und die Einschränkung der Testierfreiheit durch § 14 HeimG als verhältnismäßig angesehen. Ein Verbot aus § 14 HeimG sei notwendig, da andere Schutzmechanismen, die das Gesetz vorsieht, nicht ausreichend seien.562 Weder das Sittenwidrig557 Vgl. statt vieler Lange/Kuchinke, § 35 II 3d, 824. Kuchinke möchte den beschränkten Anwendungsbereich durch eine analoge Anwendung des § 14 HeimG auf Betreuungsverhältnisse erweitern. 558 Vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 58 f. 559 So auch Keim, notar 2017, 119, 120 f. 560 Vgl. Keim, notar 2017, 119, 121. 561 Vgl. Münzel, NJW 1997, 112; Heide, Festschrift Rüfner, 223. 562 BVerfG, NJW 1998, 2964, 2964; Frank/Helms, Erbrecht, § 3 Rn. 8.
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keitsverdikt aus § 138 BGB noch die Vorschriften über den Testamentswiderruf563 könnten § 14 HeimG ersetzen. Die Widerrufsmöglichkeit verhindere nicht das Entstehen psychischer Zwangslagen, die zur Errichtung oder Aufrechterhaltung solcher Testamente führen, die nicht mehr Ausdruck eines freien Willens des Erblassers sind. Der Schutz aus § 138 BGB sei deshalb im Hinblick auf Heimkonstellationen zu gering, da er sich erst entfalte, wenn das tatsächliche Bestehen einer Zwangslage im Prozess nachgewiesen wurde.564 Aus diesen Gründen sei das Testierverbot aus § 14 HeimG zum Schutz der Testierfreiheit der Heimbewohner und der Sicherung des Heimfriedens geeignet. Insbesondere aufgrund der Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 14 Abs. 6 HeimG handele es sich bei § 14 Abs. 1 HeimG um eine erforderliche und verhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit. (1) Fehlerhafte Prämisse des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung In Bezug auf die verfassungsrechtliche Bewertung des § 14 HeimG wird, um die Intensität des Eingriffs in die Testierfreiheit der Erblasser abzuschwächen, regelmäßig auf die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 14 Abs. 6 verwiesen.565 Insbesondere das Bundesverfassungsgericht hielt in seinem Nichtannahmebeschluss diesen Umstand für maßgeblich: „Damit stellt sich ein Verbot der testamentarischen Vorteilsannahme jedenfalls dann als geringstmöglicher Eingriff dar, wenn es als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt angesehen wird und wenn dem Heimbewohner ein Anspruch auf Erlaubniserteilung eingeräumt wird, soweit die mit dem Verbot verfolgten Zwecke im Einzelfall nicht eingreifen.“566
Eine solche Argumentation kann jedoch nicht überzeugen, sie stellt im Ergebnis sogar den Sinn und Zweck der Verbotsnorm selbst in Frage.567 Nach der Argumentation des Bundesverfassungsgericht soll § 14 Abs. 6 HeimG den Heimbewohnern aus verfassungsrechtlichen Gründen568 einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung geben, obwohl diese als Ermessensnorm formuliert ist.569 Dies wirft die Frage auf, ob das Bundesverfassungsgericht 563
Vgl. dazu §§ 2253 ff. BGB und die Ausführungen in Kapitel Kap. D. II. 7. c) bb) (1) (a) (aa), die sich mit dem Widerruf eines Testaments befassen. 564 Vgl. Frank/Helms, Erbrecht, § 3 Rn. 8; in diese Richtung auch BVerfG, NJW 1998, 2964, 2964 f. 565 Vgl. statt vieler Karl, ZEV 2009, 544, 546; Petersen, DNotZ 2000, 739, 748. 566 BVerfG, NJW 1998, 2964, 2965. 567 Dazu zutreffend Muscheler, Erbrecht, Band I, 977 Rn. 1925. 568 Der verfassungsrechtliche Grund dürfte in der Testierfreiheit der Heimbewohner liegen. 569 Vgl. die Formulierung des § 14 Abs. 6 HeimG: „Die zuständige Behörde kann in Einzelfällen Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1 und 5 zulassen […]“.
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insgeheim davon ausgeht, dass die Mehrheit der Verfügungen von Todes wegen im Hinblick auf die Schutzzwecke des § 14 HeimG unbedenklich ist. Sofern dem so ist, wird der Nutzen der Verbotsnorm des § 14 Abs. 1 HeimG erheblich angezweifelt.570 Wenn nun aber davon auszugehen ist, dass der größte Teil der Testamente in Bezug auf den mit § 14 HeimG bezweckten dreiteiligen Schutz unbedenklich ist, wird ein weiterer Aspekt relevant, nämlich der Umstand, dass das Genehmigungsverfahren für die Erblasser hohe Hürden mit sich bringt. Eigentlich unbedenkliche Verfügungen von Todes wegen scheitern genau an diesen Hürden des Genehmigungsverfahrens. Besonders eindringlich beschreibt Heide die Probleme des Genehmigungsverfahrens und verdeutlicht, dass die zuständige Heimaufsicht regelmäßig mehrere Monate benötigt, bis sie das Verwaltungsverfahren aktiv betreibt571. Hinzu kommt, dass die Genehmigung bereits vor der Errichtung der letztwilligen Verfügung vorliegen muss, um die Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB ausschließen zu können.572 Sogar ein besonders weitsichtiger Erblasser, der den Antrag auf Genehmigung noch weit vor Aufnahme in ein Heim stellt, wird daran scheitern, dass die Heimaufsicht den Antrag mit der Begründung ablehnt, dass eine Genehmigung zu diesem Zeitpunkt weder erforderlich noch möglich ist, da der Antragssteller noch kein Heimbewohner oder Bewerber ist.573 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Genehmigungsverfahren als „praktisch undurchführbar“574 bezeichnet werden kann. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Möglichkeit der Einholung einer Ausnahmegenehmigung unterliegen daher einer fehlerhaften Prämisse. Die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung führt gerade nicht dazu, dass die Intensität des Eingriffs in die Testierfreiheit der Heimbewohner abgeschwächt wird. An dieser Stelle divergieren höchstrichterliche Erkenntnisse und Rechtswirklichkeit.575 Da sich aber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so verstehen lässt, dass ohne Ausnahmemöglichkeit das Testierverbot nach § 14 HeimG verfassungswidrig ist576, werden 570
Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 977 Rn. 1925. Vgl. Heide, Festschrift Rüfner, 217, 221 f.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 977 1925. 572 Vgl. BVerwG, NJW 1988,984, 985; Petersen, DNotZ 2000, 739, 748 f.; Münzel, NJW 1997, 112, 112 f.; Muscheler, Erbrecht, Band I, 977 Rn. 1925. 573 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 977 Rn. 1925; Heide, Festschrift Rüfner, 217, 222. Heide führt darüber hinaus aus, dass auch Rechtsmittel gegen eine ablehnende Entscheidung bereits aus zeitlichen Gründen nicht in Betracht kommen. 574 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 977 Rn. 1925. 575 So Heide, Festschrift Rüfner, 217, 221. 576 In diesem Sinne versteht auch Karl, ZEV 2009, 544, 546 die Ausführungen des BVerfG. Karl betont, dass in den Ländern, die die Ausnahmemöglichkeit des § 14 Abs. 6 HeimG nicht übernommen haben, die Gesetze bzw. die entsprechenden Entwürfe nach der Rechtsprechung des BVerfG verfassungswidrig sind. Gestützt wird die hier vertretene Auf571
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durch die praktische Undurchführbarkeit des Ausnahmeverfahrens bereits an dieser Stelle Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Ausgestaltung der Regelung des § 14 HeimG hervorgerufen. (2) Das stille Testieren als bloße theoretische Möglichkeit der Umgehung des Testierverbotes Verstärkt werden diese Zweifel dadurch, dass auch die Möglichkeit des stillen Testierens, die sowohl von der Literatur als auch von der Rechtsprechung zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit des § 14 HeimG herangezogen wird, lediglich eine rein theoretische sein dürfte. Wie eingangs bereits gezeigt, legt die Rechtsprechung den § 14 HeimG und die entsprechenden landesrechtlichen Nachfolgeregelungen dahingehend aus, dass das Testament eines Heimbewohners zugunsten eines Verbotsadressaten nur dann unwirksam ist, wenn der Begünstigte von der testamentarischen Zuwendung vor dem Erbfall erfahren hat.577 Das stille Testieren des Heimbewohners soll dadurch möglich bleiben. Diese Erwägungen dürften in praktischer Hinsicht jedoch fehlgehen. Es ist nämlich regelmäßig davon auszugehen, dass sich Erblasser, die ihre Heimeinrichtung oder ihre Heimpfleger bedenken wollen, vor Errichtung der Verfügung von Todes wegen darüber informieren möchten, ob und wie eine solche Zuwendung erfolgen sollte. Die einzigen Personen, die hierüber Auskunft geben können, sind die Heimmitarbeiter oder der Heimträger selbst, die bei Nachfragen des Erblassers bösgläubig werden.578 Im Übrigen wird dem Erblasser durch ein solches Verständnis des § 14 HeimG die Kommunikation über und mit dem Testament untersagt.579 Diese Auslegung des Merkmals „Sich-gewähren-lassen“ könnte daher im Hinblick auf die Testierfreiheit der Erblasser unzulässig sein. Dies gilt es im Folgenden zu überprüfen. (3) Testierfreiheitsbeschränkende Auslegung des Merkmals „Sich-gewähren-lassen“ Nach der Auffassung der Rechtsprechung soll das Merkmal „Sich-gewährenlassen“, welches die Annahme eines Vorteils beschreibt, bei Erbschaften dann
fassung durch die eingangs bereits zitierte eindeutige Formulierung des BVerfG, vgl. BVerfG, NJW 1998, 2964, 2965. 577 Vgl. exemplarisch BayObLG, NJW 1993, 1143; BayObLG FamRZ 2005, 142; Petersen, DNotZ 2000, 739, 748; Muscheler, Erbrecht, Band I, 975 Rn. 1923. 578 So auch Heide, Festschrift Rüfner, 217, 221. 579 Die Kommunikation wird dem Erblasser insofern untersagt, als dass bei Mitteilung über die geplante testamentarische Zuwendung selbige unwirksam wird, vgl. dazu BayObLG, MittRhNotK 1991, 257; BayObLG, ZEV 2001, 121, 122; LG München, MittBayNot 2005, 317; Spall, MittBayNot 2010, 9, 11; Muscheler, Erbrecht, Band I, 977 Rn. 1925.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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gegeben sein, wenn dem Heimträger die Erbeinsetzung zu Lebzeiten des Heimbewohners bekannt war.580 Durch diese Auslegung des Merkmals „Sich-gewähren-lassen“ des § 14 HeimG ist der Erblasser erheblich in seiner Testierfreiheit betroffen. Die Ausführungen in dem Kapitel B. VI. 6. b) haben insoweit gezeigt, dass die Testierfreiheit als fortgesetzte Eigentumsfreiheit auch eine Nutzungsfreiheit beinhaltet, die es dem Erblasser ermöglicht, mit dem Testament in Kontakt zu seiner Umwelt zu treten.581 Diese Möglichkeit wird dem Erblasser durch die derzeitige Auslegung des Merkmals „Sich-gewähren-lassen“ genommen. Die daraus resultierende Beeinträchtigung der Testierfreiheit ist insbesondere deshalb als kritisch anzusehen, weil alternative testierfreiheitsfreundlichere Auslegungsmöglichkeiten bestehen. So könnte beispielsweise angenommen werden, dass für die Bejahung des Merkmals erforderlich ist, dass ein Zusammenwirken oder Einvernehmen zwischen einem Heimbewohner und den begünstigten Verbotsadressaten vorliegt. Dies ist für die Testierfreiheit der Heimbewohner deshalb vorteilhaft, weil es nach der derzeitigen Auslegung des Merkmals „Sich-gewähren-lassen“ nicht darauf ankommt, auf welche Weise der begünstigte Verbotsadressat hiervon erfahren hat. So können beispielsweise gesetzliche Erben, die von der Einsetzung eines Heimträgers oder Heimmitarbeiters erfahren, durch Mitteilung des Inhalts der letztwilligen Verfügung diesen „bösgläubig machen“ und auf die Weise das stille Testieren unterbinden. Eine solche testierfreiheitsbeschränkende Auslegung des § 14 HeimG reicht allein jedoch nicht aus, um die Verfassungswidrigkeit der Regelung zu begründen. Vielmehr ist in einem nächsten Schritt darzustellen, welche Freiheits- und Gleichheitsrechte durch § 14 HeimG eingeschränkt werden und ob eine solche Einschränkung zulässig ist. Hierfür ist insbesondere zu untersuchen, ob § 14 HeimG überhaupt dazu geeignet ist, die von ihr verfolgten Schutzzwecke zu fördern. (4) Betroffene Freiheits- und Gleichheitsrechte Durch § 14 HeimG können verschiedene Freiheits- und Gleichheitsrechte betroffen sein. Im Wesentlichen wird in der Literatur über einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG (dazu (a)) und einen Verstoß gegen das in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV normierte kirchliche Selbstverwaltungsrecht (dazu (b)) sowie eine unzulässige Einschränkung der Testierfreiheit diskutiert (dazu (c)).
580
Vgl. BayObLG NJW 1992, 55; BayObLG NJW 1993, 1143; KG, FamRZ 1998, 1542; OLG Frankfurt, NJW 2001, 1504. 581 In diese Richtung auch Muscheler, Erbrecht, Band I, 225 ff. Rn. 402–406. Vgl. zu der Prägung der Testierfreiheit durch das Eigentum die Ausführungen in Kap. B. VI. 6.
414
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
(a) Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt vor, wenn eine unterschiedliche Behandlung gleicher Sachverhalte ohne rechtlichen Grund erfolgt.582 Einen solchen Verstoß nimmt Brox im Hinblick auf § 14 HeimG an.583 Die Testierfreiheit von Heimbewohnern werde durch § 14 HeimG erheblich eingeschränkt, während die Einschränkung der Testierfreiheit für solche Patienten, die stationär in einem Krankenhaus gepflegt werden, nicht gilt, obwohl diese beiden Gruppen miteinander vergleichbar seien.584 Die gesetzgeberische Zielsetzung des § 14 HeimG gelte mithin auch für stationäre Krankenhauspatienten, die sich im Rahmen ihres Krankenhausaufenthaltes in einer ähnlichen Zwangssituation wie Heimbewohner befinden könnten. In dieser Hinsicht ist Brox jedoch zu widersprechen. Betrachtet man den Zweck des Heimgesetzes, der in der Verhinderung finanziell begründeter Ungleichbehandlung und der Störung des Heimfriedens samt Schutz der Heimbewohner vor finanzieller Ausbeutung durch doppelte Inanspruchnahme und dem Schutz ihrer Testierfreiheit liegt585, wird deutlich, dass dieser Zweck nicht allgemeingültig ist, sondern als spezifisch für die Heimunterbringung zu charakterisieren ist.586 Heimbewohner sind regelmäßig deutlich länger untergebracht als stationäre Krankenhauspatienten.587 Hieraus ergibt sich ein deutlich größeres Potential der Beeinflussbarkeit der Heimbewohner. Auch ist bei einem Krankenhaus kein dem Heimfrieden vergleichbarer zu schützender Krankenhausfrieden ersichtlich. Das Heimklima unterscheidet sich erheblich von den Verhältnissen im Krankenhaus. Während in einem Heim ausschließlich und dauerhaft eine Vielzahl an Heimbewohner vorhanden sind und dadurch eine erhebliche Konkurrenzsituation geschaffen wird, gilt dies nicht gleichermaßen für Krankenhauspatienten. Es handelt sich damit bei Krankenhauspatienten und Heimbewohnern um keine wesentlich gleichen Gruppen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kommt daher nicht in Betracht. (b) Verletzung des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV Münzel sieht durch § 14 HeimG den kirchlichen Selbstverwaltungsgrundsatz, welcher in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV normiert ist, verletzt.588 Dies sei 582 Vgl. ständ. Rspr. des BVerfG: BVerfGE 8, 28, 37; BVerfGE 22, 249, 361; BVerfGE 25, 101, 110; BVerfGE 52, 369, 379; s. auch Brox, Festschrift Benda, 27 m.w.N. in Fn. 36. 583 Vgl. Brox, Festschrift Benda, 26. 584 Vgl. Brox, Festschrift Benda, 26. 585 Vgl. BT-Drs. 11/5120, 17. 586 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 121 f. 587 Dagegen Brox, Festschrift Benda, 26, der dieses Argument nicht gelten lassen will. 588 Vgl. Münzel, NJW 1997, 112, 113.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
415
stets dann der Fall, wenn Ordensangehörige in einem Heim kirchlicher Trägerschaft leben. Das katholische Kirchenrecht (can. 668 codex iuris canonici) zwingt Ordensangehörige dazu, ein Testament zu Gunsten des Ordens zu errichten.589 Da die Errichtung der Ordenstestamente innerhalb des Ordens überprüft wird, ist dem Orden die Existenz einer solchen Zuwendung bekannt. Wenn nunmehr Ordensangehörige gleichzeitig Heimbewohner kirchlich betriebener Altenheime sind, findet nach Münzel § 14 HeimG Anwendung. Im Übrigen ist auch die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung im Sinne des § 14 Abs. 6 HeimG nach Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht mehr möglich. Münzel übersieht bei seiner Argumentation jedoch, dass die Betreuung ordensangehöriger Personen im Alter in Altenheimen mit kirchlicher Trägerschaft innerkirchliche Angelegenheit ist und eine staatliche Intervention aufgrund der staatskirchlichen Verträge unmöglich ist.590 Folglich findet § 14 HeimG in diesem Kontext keine Anwendung, sodass Ordenstestamente wirksam sind und der kirchliche Selbstverwaltungsgrundsatz nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV nicht verletzt ist. (c) Verstoß gegen die Testierfreiheit Fraglich ist, ob § 14 HeimG gegen die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Testierfreiheit als Wesensgehalt des Erbrechts verstößt. Dass die Testierfreiheit der heimbewohnenden Erblasser durch das Testierverbot aus § 14 Abs. 1 HeimG eingeschränkt wird und somit ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG vorliegt, wurde bereits dargelegt.591 Da das verfassungsrechtlich geschützte Erbrecht und damit einhergehend auch die Testierfreiheit jedoch genau wie das Eigentum nicht grenzenlos gewährleistet ist, stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Einschränkung. Diese ist anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns zu messen.592 Hiernach muss der Eingriff durch das Gesetz zunächst zumindest geeignet sein, das vom Gesetz erstrebte Ziel zu erreichen oder zumindest den gewünschten Erfolg zu fördern.593 Inwiefern der durch das Testierverbot nach § 14 HeimG bestimmte Eingriff in die Testierfreiheit der Erblasser geeignet ist, das vom Gesetz erstrebte Ziel zumindest zu fördern ist daher im Nachfolgenden zu überprüfen. 589
Vgl. Münzel, NJW 1997, 112, 112. Vgl. Kunz/Butz/Wiedemann Heimgesetz § 1 Rn. 4; Heide, Festschrift Rüfner, 217, 223; a.A. Münzel, NJW 1997, 112, 113. 591 Vgl. Kap. D. III. 3. a) bb) (3). 592 Vgl. dazu die Ausführungen zu den Einwirkungen der verfassungsrechtlich-geschützten Testierfreiheit auf das einfache Recht in Kap. B. VII. Vgl. auch die st. Rspr. des BVerfG; vgl. BVerfGE 23, 127, 133, BVerfGE 33, 171, 187; vgl. auch Brox, Festschrift Benda, 17, 29. 593 Vgl. exemplarisch BVerfGE 33, 171, 187. 590
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
(aa) Eignung des § 14 HeimG zur Förderung der vom Gesetz erstrebten Zwecke Wie zu Beginn dieses Abschnitts dargelegt, verfolgt § 14 HeimG594 ausweislich der Gesetzesbegründung einen dreigeteilten Schutzzweck.595 So soll § 14 HeimG die Heimbewohner vor unlauterer Willensbeeinflussung bewahren und damit die Testierfreiheit der Heimbewohner sichern und daneben eine unterschiedliche und sachlich nicht gerechtfertigte Behandlung der Heimbewohner verhindern, um den Heimfrieden zu erhalten.596 Des Weiteren soll der § 14 HeimG die Bewohner eines Heimes auch vor finanzieller Ausbeutung durch nochmalige Abgeltung der Leistung des Heimbetriebs bewahren.597 Für jeden der mit § 14 HeimG verfolgten drei Zwecke ist zu prüfen, ob dieser durch das Testierverbot aus § 14 HeimG zumindest gefördert werden kann. (α) Sicherung der Testierfreiheit der Heimbewohner: § 14 HeimG als Akt gesetzgeberischer Zwangsfürsorge – vollständige Unbeachtlichkeit des Erblasserwillens Eine Auswertung der Rechtsprechung zu § 14 HeimG zeigt, dass bei dessen Anwendung ein entgegenstehender Erblasserwille unbeachtlich ist.598 Aus diesem Grund wird in § 14 HeimG auch ein Akt gesetzgeberischer Zwangsfürsorge gesehen, der der Disposition des Erblassers entzogen ist.599 Wenngleich dieses Verständnis im Hinblick auf die Formulierung des Testierverbotes und auch im Hinblick auf die mit § 14 HeimG verfolgten Zwecke, insbesondere den Schutz des Heimfriedens, zutreffend sein dürfe, zeigt dies, dass mit einem solchen Testierverbot eine erhebliche Einschränkung der Testierfreiheit einhergeht. Selbst wenn aufgrund der Formulierungen in der letztwilligen Verfügung deutlich wird, dass der Erblasser hinreichend autonom gehandelt hat und damit eine freie Willensentscheidung vorliegt, greift die Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 14 HeimG trotzdem ein. Solche paternalistischen Tendenzen, wie sie durch § 14 HeimG her594
Für die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen, vgl. Karl, ZEV 2009, 544,
546. 595 Vgl. Staudinger/Otte BGB Vorbemerkungen zu §§ 2064–2086, Rn. 134.; s. auch Kap. D. III. 3. a). 596 Vgl. BT-Drs. 11/5120, 17; Keim, notar 2017, 119, 119. 597 Vgl. BT-Drs. 11/5120, 17; Keim, notar 2017, 119, 119. 598 Vgl. insbesondere BGH, NJW 2000, 1875, 1877: „Dem LG ist auch zuzustimmen, dass mit dem Verbot nach § 14 Abs. 1 HeimG eine Einschränkung der Testierfreiheit einhergeht, die durch einen entgegenstehenden Erblasserwillen nicht aufgehoben werden kann.“ 599 Vgl. Petersen, DNotZ 2000, 739, 741. Petersen hält diesen Akt der gesetzgeberischen Zwangsfürsorge jedoch für zulässig, da insbesondere der Heimfrieden ein indisponibles Schutzgut sei.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
417
vorgerufen werden, sehen sich einem Legitimitätsdefizit ausgesetzt, da sie autonom handelnden Personen ihr zulässiges Handeln absprechen. Überdies widersprechen sie auch dem für einen Rechtsstaat fundamentalen Gedanken, dass Grundrechte einen Raum individueller Gestaltung schaffen.600 Die Sichtweise, dass ein legitimes Ziel unserer liberalen Rechtsordnung der Schutz erwachsener und selbstbestimmter Menschen vor ihren eigenen autonomen Entscheidungen sein kann, ist in dem rechtsphilosophischen Diskurs daher zu Recht kritisiert worden.601 Im Ergebnis ist daher der Schutz eines Freiheitsrechts vor autonomen Entscheidungen des Berechtigten kein Gemeinwohlbelang und kann folglich die Beschränkung des Grundrechts nicht rechtfertigen.602 Aus diesem Grund kann jedenfalls einer der drei Schutzzwecke des § 14 HeimG durch ein solches Testierverbot nicht gefördert werden. Die Annahme, § 14 HeimG könne die Testierfreiheit der Heimbewohner schützen, indem es autonome Entscheidungen der testierenden Erblasser untersagt und gleichzeitig in faktischer Hinsicht keine Ausnahme zulässt, entbehrt jeglicher Grundlage. Die Testierfreiheit durch ein in dem entsprechenden Teilbereich generell wirkendes Testierverbot zu schützen, ist damit ein nicht gangbarer Weg. Muscheler stellt insofern zutreffend fest: „Wenn mit der Vorschrift die Sicherung der Testierfreiheit bezweckt werden soll, so ist ein Testierverbot hierfür schlechterdings nicht geeignet.“603 (β) Schutz vor finanzieller Ausbeutung der Heimbewohner durch nochmalige Abgeltung der Leistung des Heimbetriebs Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass auch der von Gesetzgeber und Rechtsprechung angeführte Schutz der Bewohner vor finanzieller Ausbeutung durch nochmalige Abgeltung einer Leistung des Trägers nicht überzeugen kann. Ein solches Anliegen trifft auf Schenkungen unter Lebenden zu. Für die testamentarische Zuwendung gilt jedoch, dass der Bedachte bis zu dem Eintritt des Erbfalls lediglich die vage Hoffnung hat, in den Genuss des Nachlasses zu kommen. Der Erblasser ist jederzeit in der Lage, sein Testament zu widerrufen. Zutreffend betont Brox, dass selbst in dem Fall, in dem der Heimbewohner das von ihm errichtete Testament dem begünstigten Heimträger oder Heimmitarbeiter ausgehändigt hat, ein Widerruf möglich ist.604 Auch wenn der Erblasser den Begünstigten über die geplante Zuwen-
600
Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 237. Vgl. Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 237 m. w. N. 602 So zutreffend Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 237. 603 Vgl. Muscheler, Erbrecht, Band I, 978 Rn. 1925; ähnlich Brox, Festschrift Benda, 17, 601
30. 604
Vgl. Brox, Festschrift Benda, 17, 30.
418
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
dung informiert hat, kann der Erblasser die Verfügung von Todes später widerrufen, ohne dass jemand hiervon erfährt. Eine finanzielle Ausbeutung der Heimbewohner in ihrer Eigenschaft als Erblasser kann daher nicht erfolgen. Lediglich bei den gesetzlichen Erben oder bei zuvor wirksam eingesetzten Erbprätendenten könnte ein finanzieller Nachteil eintreten, da diese nunmehr die Erbschaft nicht oder zumindest eine geringere Erbschaft erhalten. Bei einer Erbaussicht handelt es sich jedoch lediglich um eine nuda spes, sodass bei der Auswechselung der Erben oder der Verdrängung der gesetzlichen Erbfolge nicht von dem Eintritt eines finanziellen Nachteils gesprochen werden kann.605 Im Übrigen soll § 14 HeimG diese Personengruppen auch nicht vor finanziellen Einbußen schützen, sondern allein die Heimbewohner. Diese bedürfen jedoch wie gezeigt eines solchen Schutzes vor finanzieller Ausbeutung nicht. Die einfach-gesetzlichen Bestimmungen des Erbrechts, insbesondere die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs einer letztwilligen Verfügung reichen an dieser Stelle aus. (γ) Schutz vor einer unterschiedlichen und sachlich nicht gerechtfertigten Behandlung der Heimbewohner und einer Störung des Heimfriedens Als verbleibendes Ziel des dreigeteilten Schutzzwecks des § 14 HeimG kommt lediglich der Schutz des Heimfriedens in Betracht.606 Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung des § 14 HeimG auch das Ziel verfolgt, eine unterschiedliche und sachlich nicht gerechtfertigte Behandlung der Heimbewohner zu verhindern und damit den Heimfrieden zu erhalten.607 In der Tat erscheint es auf den ersten Blick durchaus möglich, dass ärmere Heimbewohner eine schlechtere Pflege bekommen als vermögende Heimbewohner, von denen hohe Zuwendungen erwartet werden können. Eine solche Befürchtung kann jedoch § 14 HeimG nicht ausräumen. Für ärmere Heimbewohner besteht stets die Gefahr, dass wohlhabende Heimbewohner sich mit ihrem Vermögen einen Vorteil zu verschaffen versuchen, sofern der Heimträger oder die Heimmitarbeiter nur davon ausgehen, dass sie dadurch eine irgendwie geartete Gegenleistung bekommen. Überdies können sowohl der Heimträger, die Heimmitarbeiter und auch die übrigen Heimbewohner aufgrund der jederzeitigen Widerrufs- und Vernichtungsmöglichkeit nicht sicher sein, dass der im Testament Bedachte auch tatsächlich am Nachlass partizipiert.608 Aus diesem 605 Vgl. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a). Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtsbegriff, 208; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 762; gestützt wird diese Auffassung durch die Ausführungen in den Motiven zum BGB, vgl. dazu Motive, V, 397 = Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, V, 210. 606 Vgl. BT-Drs. 11/5120, 17. 607 Vgl. BT-Drs. 11/5120, 17. 608 Vgl. Brox, Festschrift Benda, 17, 24 f.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
419
Grund ist das von § 14 HeimG verfolgte Ziel, eine unterschiedliche Behandlung der Heimbewohner zu verhindern und den Heimfrieden zu sichern, durch eine Nichtigkeit der zugunsten des Heimträgers oder Heimmitarbeiters errichteten Verfügung kaum zu erreichen.609 (δ) Ergebnis: Ungeeignetheit des Testierverbotes zur Förderung der von § 14 HeimG verfolgten Zwecke Die Untersuchung hat ergeben, dass das Testierverbot aus § 14 HeimG den mit ihm verfolgten dreiteiligen Schutzzweck nicht fördern kann. Wie zu Beginn dieser Untersuchung deutlich geworden ist, wäre dies jedoch Voraussetzung, um den Eingriff in die Testierfreiheit zu rechtfertigen.610 (bb) Im Übrigen: Unverhältnismäßigkeit des Testierverbotes aus § 14 HeimG Selbst wenn, entgegen der hier favorisierten Auffassung, ein gewisser Nutzen des § 14 HeimG für die Testierfreiheit ausgemacht wird, so kann dieser geringe Nutzen kein für alle Heimbewohner geltendes Testierverbot rechtfertigen.611 Die vage Möglichkeit des geringen Schutzes des Heimfriedens steht einem Testierverbot und damit einhergehend auch der Verhinderung der Geltung autonomer Entscheidungen gegenüber. Verstärkt wird diese unverhältnismäßige Beschränkung der Testierfreiheit dadurch, dass das Verfahren zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung praktisch undurchführbar ist. (5) Besonderheit im Hinblick auf vertragsmäßige Verfügungen eines Erbvertrages Die zuvor angeführte Argumentation, die unter anderem deshalb von keiner Gefahr der finanziellen Ausbeutung und im Ergebnis auch von keiner Gefahr der Störung des Heimfriedens ausgeht, weil der Erblasser sich im Rahmen seiner testamentarischen Zuwendung aufgrund der jederzeitigen Widerrufsmöglichkeiten nicht bindet, gilt für die vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag nicht. Aus diesem Grund befürwortet Brox bei der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung der Testierfreiheit durch § 14 HeimG eine Differenzierung zwischen einer testamentarischen Zuwen609
So auch Brox, Festschrift Benda, 17, 25. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I. u. Kap. B. VII. 1. Die beiden Abschnitte haben zum einen gezeigt, dass die Testierfreiheit verfassungsrechtlich umfassend abgesichert ist. Zum anderen ist deutlich geworden, dass dieser verfassungsrechtliche Schutz Anforderungen an das einfache Recht stellt. Vgl. dazu auch BVerfGE 67, 329, 340; BVerfGE 91, 346, 360; BVerfGE 99, 341, 352; BVerfGE 112, 332, 348BVerfGE 23, 127, 133, BVerfGE 33, 171, 187; vgl. auch die Ausführungen in Kap. D. III. 3. a). 611 So zutreffend Muscheler, Erbrecht, Band I, 978 Rn. 1925; Brox, Festschrift Benda, 17, 25. 610
420
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
dung und einer vertragsmäßigen Verfügung im Erbvertrag. Bei vertragsmäßigen Verfügungen gilt es zu beachten, dass sich der Erblasser bindet. Aus diesem Grund ist für den Heimträger sicher, dass er die Zuwendung erhalten wird. Daher könnte § 14 HeimG an dieser Stelle geeignet sein, die von ihm verfolgten Zwecke zu fördern, sodass argumentiert werden könnte, dass § 14 HeimG zumindest bei Anwendung auf vertragsmäßige Verfügungen im Erbvertrag verfassungsmäßig ist. Da § 14 HeimG jedoch auch testamentarische Zuwendungen erfasst und dies ausweislich der Fülle an Rechtsprechung612 der praktisch relevante Anwendungsfall der Vorschrift ist, soll eine detaillierte Untersuchung des § 14 HeimG im Hinblick auf vertragsmäßige Verfügungen nicht erfolgen. Soweit ersichtlich ist hierzu auch noch keine Rechtsprechung ergangen. (6) Fazit – Verfassungswidrigkeit des § 14 HeimG In seiner derzeitigen Ausgestaltung und Anwendung auf testamentarische Zuwendungen eines Heimbewohners oder Bewerbers an den Heimträger oder einen Heimmitarbeiter ist § 14 HeimG verfassungswidrig. Das Testierverbot ist ungeeignet, die mit § 14 HeimG verfolgten Zwecke zu fördern. Im Übrigen ist ein solches Testierverbot auch unverhältnismäßig. In praktischer Hinsicht ist der Erhalt einer Ausnahmegenehmigung aufgrund der damit verbundenen hohen Hürden für den Erblasser unmöglich. Die Möglichkeit des stillen Testierens stellt keine ernstzunehmende Alternative dar. Den testierenden Heimbewohnern muss es gestattet sein, mit den Heimträgern und/oder Heimmitarbeitern über eine geplante Zuwendung zu sprechen. Enttäuschte gesetzliche oder vorherige gewillkürte Erbprätendenten könnten überdies den Heimträger oder den Heimmitarbeiter informieren und dadurch eine eigentlich wirksame Verfügung von Todes wegen verhindern, um ihre eigene Erbschaft zu sichern. Damit stellt sich § 14 HeimG, für zugunsten des Heimträgers oder eines Heimmitarbeiters testierende Heimbewohner, als ein umfängliches Testierverbot dar, welches mit der über Art. 14 GG gewährleisteten Testierfreiheit unvereinbar ist. cc) Unzulässigkeit der analogen Anwendung des § 14 HeimG Da das gefundene Ergebnis, die Verfassungswidrigkeit des § 14 HeimG, der überwiegenden Ansicht der Literatur und auch derjenigen der Rechtsprechung einschließlich dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wider612
Vgl. exemplarisch: BayObLG, NJW 1992, 55; BayObLG, NJW 1993, 1143; KG, FamRZ 1998, 1542; OLG Frankfurt, NJW 2001, 1504; OLG Düsseldorf, ZEV 1997, 459; BGH, NJW 2000, 1875, 1877, BGHZ 110, 235; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 85, 85 ff.; BGH, ZEV 2012, 39; s. auch BVerfG, NJW 1998, 2964, 2965.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
421
spricht, soll im Folgenden die analoge Anwendung des § 14 HeimG untersucht werden, obwohl diese aufgrund der Verfassungswidrigkeit des § 14 HeimG ohnehin schon nicht in Betracht kommt. In Literatur und Rechtsprechung wird in verschiedenen Bereichen eine analoge Anwendung des § 14 HeimG diskutiert.613 Gleiches gilt für die die zahlreichen landesrechtlichen Vorschriften.614 Im Wesentlichen wird diskutiert, ob § 14 HeimG analog auch bei der häuslichen Pflege (dazu (2)), in Betreuungsverhältnissen (dazu (3)) oder auf Umgehungstatbestände (dazu (4)) anzuwenden ist.615 Diese Aspekte sollen im Anschluss näher untersucht werden, nachdem zuvor die Frage geklärt wurde, inwiefern § 14 HeimG als Ausnahmebestimmung überhaupt analogiefähig ist (dazu (1)). Die Frage nach der Zulässigkeit der analogen Anwendung des § 14 HeimG ist dabei von zentraler Bedeutung, da mit dieser erneut ein erheblicher Eingriff in die Testierfreiheit des Erblassers einhergeht.616 (1) § 14 HeimG – Analogiefähigkeit einer Ausnahmebestimmung Gegen eine Analogie von § 14 HeimG wird zum Teil eingewandt, dass dieser als Ausnahmebestimmung nicht analogiefähig sei.617 Ein solcher Einwand geht jedoch fehl. Auch Ausnahmebestimmungen können in ihrem Teilgebiet einen allgemeinen Rechtsgedanken enthalten und daher analogiefähig sein.618 Sowohl die Methodenlehre619 als auch das Bundesverfassungsgericht620 bejahen daher die Analogiefähigkeit von Ausnahmebestimmungen und auch explizit die des § 14 HeimG.621
613 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 121; Ludyga, NZS 2013, 201; Niemann, ZEV 1998, 419, 421. 614 Vgl. Karl, ZEV 2009, 544, 546; s. dazu auch die Ausführungen Kap. D. III. 3. a) aa) (1). 615 Zu diesen drei Kernbereichen s. insbesondere Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 121. 616 So auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 125; Ludyga, NZS 2013, 201, 204.; Ludyga, ZEV 2014, 177, 181 f. 617 Vgl. dazu Würdinger, JuS 2008, 949. 618 Vgl. BVerfG, NJW 1998, 2964, 2964; Würdinger, JuS 2008, 949; Ludyga, NZS 2013, 201; Petersen, DNotZ 2000, 743, 743. 619 Vgl. Würdinger, JuS 2008, 949; Ludyga, NZS 2013, 201; Petersen, DNotZ 2000, 743, 743. 620 Vgl. BVerfG, NJW 1998, 2964, 2964. 621 Vgl. BVerfG, NJW 1998, 2964, 2964; Würdinger, JuS 2008, 949; Ludyga, NZS 2013, 201; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 125.
422
D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
(2) Analoge Anwendung des § 14 HeimG in der ambulanten Pflege Als eine der zentralen Varianten der analogen Anwendung des § 14 HeimG wird die Anwendung des Testierverbotes auf die ambulante Pflege diskutiert.622 Insbesondere Niemann hält die Interessenlage der häuslich Gepflegten jedenfalls dann mit derer der Heimbewohner für vergleichbar und eine analoge Anwendung des § 14 HeimG damit für gerechtfertigt, wenn im Wesentlichen drei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen müsse die betroffene häuslich gepflegte Person einen vergleichbaren Grad an Hilfsbedürftigkeit aufweisen, wie dies üblicherweise bei Heimbewohnern der Fall ist.623 Zum anderen müsse die Pflege auch entgeltlich erfolgen.624 Als dritte Voraussetzung führt Niemann an, dass sich das Angebot des Pflegeleisters an verschiedene Pflegebedürftige richten muss, mithin das Pflegepersonal also gewerblich tätig wird.625 Die Kriterien, die Niemann aufstellt, sind im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 14 HeimG und der dem Heimbetrieb zugrundliegenden Zwangslage durchaus nachvollziehbar. So soll beispielsweise das Kriterium der gewerblichen Tätigkeit des Personals, genauer gesagt das Angebot der Pflegeleistung, an eine Vielzahl Pflegebedürftiger sicherstellen, dass häuslich gepflegte Personen in einem ähnlichen Druck- und Abhängigkeitsverhältnis stehen, wie dies bei Heimbewohnern regelmäßig der Fall ist. Auch die Forderung nach einem vergleichbaren Grad an Hilfsbedürftigkeit erscheint gerechtfertigt, um sicherzustellen, dass eine erhöhte Beeinflussbarkeit des Erblassers und daher eine Gefahr für die Testierfreiheit vorliegt. Zwar sind die Kriterien Niemanns als solche daher stimmig, dennoch kann selbst bei Verwirklichung dieser Kriterien eine vergleichbare Interessenlage nicht angenommen werden. Während der ambulant gepflegte Erblasser die Möglichkeit hat, den Pflegedienst vergleichsweise einfach zu wechseln, gestaltet sich dies für Heimbewohner, bei denen ein Heimwechsel regelmäßig mit einem Umzug verbunden ist, deutlich schwieriger.626 Auch der dreigeteilte Schutzzweck des § 14 HeimG lässt sich bei einer ambulanten Pflege von vornherein nicht realisieren. So wollte der Gesetzgeber mit § 14 HeimG unter anderem auch den Heimfrieden wahren. Dieses Ziel kann § 14 HeimG bei einer analogen Anwendung auf die häusliche Pflege
622
Vgl. Niemann, ZEV 1998, 419, 421; vgl. zu dieser Thematik auch OLG Köln, ZEV 2019, 703, 704. 623 Vgl. Niemann, ZEV 1998, 419, 421. 624 Andernfalls bestünde nicht die Gefahr der finanziellen Ausbeutung durch „doppelte Bezahlung“ der Pflegeleistung, vgl. dazu die Gesetzesbegründung BT-Drs. 11/5120, 17. 625 Vgl. Niemann, ZEV 1998, 419, 421. 626 Vgl. Ludyga, NZS 2013, 201, 204.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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nicht erreichen. Zwar betreuen ambulante Pflegedienste ebenfalls eine Vielzahl an Pflegebedürftigen, diese stehen jedoch aufgrund der räumlichen Trennung nicht in einer solchen Konkurrenzsituation wie Heimbewohner.627 Zutreffend formuliert Ludyga deshalb, dass es bei der ambulanten Pflege an der „räumlichen Integration“628 fehle. Ambulant gepflegte Erblasser sind nicht „[…] der Organisationsmacht eines Heimträgers ausgeliefert und bei der ambulanten Pflege bestehen nicht derart komplexe Versorgungsstrukturen, die zu Konkurrenzsituationen führen können, wie bei einem vollstationären Heimaufenthalt.“629 Neben der vergleichbaren Interessenlage fehlt es an der für die Analogie erforderlichen Planwidrigkeit der Regelungslücke. Der Bundesgesetzgeber nahm zuletzt am 29. Juli 2009 zahlreiche Änderungen im Heimgesetz vor, ohne auf die ambulante Pflege einzugehen. Die Problematik von Zuwendungen an ambulante Pflegedienste war überdies auch schon dem historischen Gesetzgeber des Heimrechts bekannt.630 Der Gesetzgeber hat dennoch keine Korrekturen vorgenommen, die für eine Einbeziehung ambulanter Pflegedienste in die Zuwendungsverbote sprechen. Aus diesem Grund ist auch die Planwidrigkeit der Regelungslücke abzulehnen. (3) Analoge Anwendung des § 14 HeimG auf Betreuungsverhältnisse Es gibt keine gesetzlich normierten Zuwendungsverbote bei einer Betreuung. Insofern liegt hier eine Regelunglücke vor und die Frage nach der Planwidrigkeit derselben wird aufgeworfen. In der Entscheidung des Gesetzgebers, kein generelles Zuwendungsverbot bei bestehender erheblicher Abhängigkeit des Erblassers im Bürgerlichen Gesetzbuch zu verankern, wird von Boehm ein Argument gegen eine analoge Anwendung des § 14 HeimG gesehen.631 Dieser Umstand allein kann jedoch noch nicht gegen eine analoge Anwendung des § 14 HeimG auf Betreuungsfälle sprechen. So gibt es eine Vielzahl von Gründen, die gegen ein generelles Zuwendungsverbot sprechen. Exemplarisch sei hier auf das Problem der Bestimmtheit verwiesen, denn es ist
627
So Niemann, ZEV 1998, 421; s. auch Ludyga, NZS 2013, 201, 205. Im Ansatz auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 126. 628 Ludyga, NZS 2013, 201, 204. 629 Ludyga, NZS 2013, 201, 204. 630 Vgl. Ludyga, NZS 2013, 201, 204. 631 So Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 124: „Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht schon, dass der Gesetzgeber mit § 14 HeimG nicht den Weg gegangen ist, eine generelle, im BGB verankerte Norm zu schaffen, die letztwillige Zuwendungen, die unter bestimmten Voraussetzungen wie einer erheblichen Abhängigkeit zustande gekommen sind, untersagt, sondern sich vielmehr dazu entschieden hat, einzig und allein im Anwendungsbereich des HeimG ein Zuwendungsverbot mit Genehmigungsmöglichkeit zu normieren.“
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
durchaus schwierig ein solch generelles Zuwendungsverbot hinreichend präzise zu formulieren. Entweder ist dieses zu weit gefasst und wird daher zu einer Generalklausel oder es ist zu eng formuliert und erfasst daher eine Vielzahl relevanter Sachverhalte nicht. Besonders nachdrücklich fordert Kuchinke eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 1 HeimG auf das Verhältnis zwischen Betreuten und Betreuer.632 Kuchinke zeigt den Widerspruch auf, dass die Betroffenen, die körperlich behindert sind und daher in Pflegeheimen leben, durch § 14 HeimG und übrige dienstrechtliche Gesetze geschützt werden, nicht aber solche Personen, die psychisch krank sind oder an seelischen und geistigen Beeinträchtigungen leiden und deshalb der Betreuung bedürfen.633 Betreute stünden bereits aufgrund ihres geistigen Zustandes in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis, das die Testierfreiheit erheblich beeinträchtigt. Zwar erkennt Kuchinke damit ein Problem, nämlich den Umstand, dass Betreute regelmäßig in einem massiven Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Betreuer stehen, löst dieses jedoch dogmatisch nicht zutreffend und auch nicht interessengerecht. Wenn Betreute nicht in einem Heim untergebracht sind und damit § 14 Abs. 1 HeimG nicht direkt einschlägig ist, fehlt es aufgrund der mangelnden räumlichen Integration an einer vergleichbaren Interessenlage, wie dies bei ambulanten Pflegediensten ebenfalls der Fall ist. Der Heimbewohner ist vollständig in die Organisation und damit in den Heimbetreib eingliedert und von dieser abhängig. Zudem würde bei Betreuungsverhältnissen ein Zuwendungsverbot zu untragbaren Ergebnissen führen, da das Bürgerliche Gesetzbuch in § 1897 Abs. 5 die Betreuung durch Familienangehörige normiert und diese dann als Zuwendungsempfänger ausscheiden. Dies ist im Hinblick darauf, dass zu dem betreuenden Familienangehörigen regelmäßig ein besonderes Verhältnis besteht, mit der Testierfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und auch mit Art. 6 GG unvereinbar.634 Das entscheidende Argument gegen eine analoge Anwendung des § 14 HeimG auf die Betreuung ist an dieser Stelle erneut, dass dem Gesetzgeber bei Inkrafttreten des HeimG bekannt war, dass ein erheblicher Teil der potentiellen Erblasser betreut wird. Die Planwidrigkeit der Regelungslücke ist daher schon zu verneinen. Neben der nichtbestehenden vergleichbaren Interessenlage zwischen Betreuung und Heimunterbringung liegt daher auch keine Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke vor.
632 Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 II 3 d, 822: „Trotz der ins Auge springenden Abhängigkeit des Betreuten vom Betreuer hat der Gesetzgeber eine dem § 14 HeimG entsprechende Verbotsvorschrift nicht vorgesehen und die Rechtsprechung lehnt eine analoge Anwendung dieser Norm ab.“ 633 Vgl. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 35 II 3 d, 822. 634 So zutreffend Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 126. Die analoge Anwendung des § 14 HeimG auf das Verhältnis von Betreuer und Betreutem lehnen sowohl BayObLGZ 1997, 374, 376 f.; BayObLG, DNotZ 2003, 439 als auch Ludyga, ZEV 2014, 177, 181 f. ab.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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(4) Analoge Anwendung des § 14 HeimG bei Vorliegen eines Umgehungstatbestandes Bei Vorliegen eines Umgehungstatbestandes bejaht die Rechtsprechung635 und die Mehrheit der Literatur636 eine analoge Anwendung des § 14 HeimG.637 Grund für die Bejahung einer analogen Anwendung bei Vorliegen eines Umgehungstatbestandes ist, dass ein vom Gesetz missbilligter Erfolg nicht durch Umgehung erreicht werden darf.638 Als klassischer Umgehungstatbestand, der auch bereits von der Rechtsprechung entschieden worden ist, ist dabei die Zuwendung des Heimbewohners an den Ehegatten oder an ein enges Familienmitglied des Verbotsadressaten zu nennen.639 Selbiges gilt für den Fall, dass der alleinige Geschäftsführer der das Heim betreibenden Gesellschaft von einem Heimbewohner eine Zuwendung erhält. Die Tatbestände fallen alle nicht direkt unter § 14 Abs. 1 HeimG, da dieser seinem Wortlaut nach lediglich solche Zuwendungen untersagt, die an die Mitarbeiter des Heims oder an die Heimleitung gerichtet sind, sodass § 14 HeimG hier lückenhaft ist. Fraglich ist, ob diese Lücke planwidrig ist. Im Kern stellt sich hier die Frage, ob § 14 HeimG primär einen bestimmten Erfolg verhindern möchte oder den konkreten Weg zum Erfolg.640 Betrachtet man den oben bereits angeführten dreigeteilten Telos des § 14 HeimG wird deutlich, dass § 14 HeimG bestimmte Erfolge untersagt.641 Diese Schutzwecke können jedoch nur dann erreicht werden, wenn sichergestellt wird, dass der Heimmitarbeiter oder die Heimleitung die Zuwendung nicht auf Umwegen unter Umgehung des § 14 HeimG erhält. Dies wäre jedoch bei der Zuwendung an eine dem Verbotsadressaten nahestehende Person regelmäßig anzunehmen. Gleiches gilt für den Fall, in dem der alleinige Gesellschafter der das Heim betreibenden Gesellschaft von einem Heimbewohner eine Zuwendung erhält. Das BayObLG hat zutreffend 635
Vgl. BGHZ 85, 29, 46; BayObLG, NJW 2000, 1875, 1876. Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 126; NK-BGB/Looschelders BGB § 134 Rn. 156; Frieser/Scholz/Löhnig Fachanwalts-Kommentar Erbrecht, § 1923 Rn. 32; Suyter, ZEV 2003, 104, 105. 637 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 120. 638 Vgl. BGHZ 85, 29, 46; BayObLG, NJW 2000, 1875, 1876. Eine verbotene Umgehung liegt dabei vor, wenn durch die Art und Weise der gewählten rechtlichen Gestaltung der Tatbestand des Verbotsgesetzes selbst nicht erfüllt ist, dennoch der von ihm verbotene Erfolg herbeigeführt wird – dazu BGHZ 56, 285, 289; BGHZ 110,235,239. 639 Vgl. BayObLG, NJW 2000, 1875, 1876. 640 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 123. 641 Insofern sind auch die Gesetzgebungsmaterialien eindeutig, vgl. BT-Drs. 11/5120, 17: „Ziel des § 14 [HeimG] ist es, eine unterschiedliche (privilegierende oder benachteiligende), sachlich nicht gerechtfertigte Behandlung der Bewohner zu verhindern und die Bewohner vor finanzieller Ausnutzung oder Benachteiligung, insbesondere durch die nochmalige Abgeltung einer Leistung des Trägers, zu schützen sowie die Testierfreiheit der Bewohner zu sichern.“; s. auch BayObLG NJW 2000, 1875, 1876. 636
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erkannt, dass in einem solchen Fall der Geschäftsführer die GmbH nach § 35 GmbHG vertritt, zugleich deren Geschicke als Alleingesellschafter nach §§ 45 ff. GmbHG bestimmt und somit auf die Betreuung und Versorgung der Heimbewohner rechtlich und tatsächlich Einfluss nehmen kann.642 Die (nach der Argumentationslinie dieser Arbeit zu bezweifelnden) Schutzzwecke des § 14 Abs. 1 HeimG erfordern somit die analoge Anwendung auf den geschäftsführenden Alleingesellschafter einer GmbH, die ihrerseits Träger eines Heimes im Sinne von § 1 HeimG ist. Als verallgemeinerungsfähiges Prinzip kann daher die Frage abgeleitet werden, ob der Empfänger der Zuwendung so eng mit Verbotsadressaten verbunden ist, dass der Verbotsadressat an der Zuwendung wirtschaftlich partizipiert. Ist dies der Fall, liegt ein Umgehungstatbestand vor und eine analoge Anwendung des § 14 HeimG ist gerechtfertigt. Im Hinblick auf die hohe Schutzbedürftigkeit der älteren und leichtbeeinflussbaren Erblasser ist diese nach verbreiteter Ansicht in der Literatur auch wünschenswert, da der enge Wortlaut des § 14 HeimG die Testierfreiheit des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte andernfalls nicht hinreichend schützt. Die Möglichkeit der mittelbaren Zuwendung müsse unterbunden werden, damit der Schutzzweck von § 14 HeimG nicht auf diese – vergleichsweise einfache – Weise konterkariert wird.643 Eine solche Sichtweise ist jedoch abzulehnen. Ein Umgehungstatbestand darf aufgrund der daraus resultierenden Anwendung des § 14 HeimG und der damit verbundenen Einschränkung der Testierfreiheit nur in seltenen Fällen angenommen werden. Sofern daher entgegen der hier vertretenen Sichtweise von der Verfassungskonformität des § 14 HeimG ausgegangen wird, darf aufgrund des Umstands, dass § 14 HeimG tatsächlich einzig den Heimfrieden und diesen auch lediglich in geringem Maße schützen kann, nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen eine Umgehung des § 14 HeimG offensichtlich ist, von einer analogen Anwendung ausgegangen werden. (5) „Doppelt analoge“ Anwendung des § 14 HeimG In bestimmten Fällen könnte erwogen werden, § 14 HeimG „doppelt analog“ anzuwenden.644 So hatte das BayObLG in dem bereits oben zitierten Fall den § 14 HeimG zweifach anzuwenden.645 Zum einen musste es § 14 HeimG ana642
Vgl. BayObLG, NJW 2000, 1875, 1876. So auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 124: „Die Interessenlage ist jedenfalls dort vergleichbar, wo der Empfänger der Zuwendung wirtschaftlich mit dem Heimmitarbeiter/der Heimleitung so eng verbunden ist, dass es zu einer mittelbaren Partizipation des Verbotsadressaten an der Zuwendung kommt.“ 644 Gemeint ist an dieser Stelle die mehrfache analoge Anwendung des § 14 HeimG auf den zu beurteilenden Sachverhalt. Vgl. zu dem Begriff der „doppelten Analogie“ Regenfus, JA 2009, 579, 579 f. 645 Vgl. BayObLG, NJW 2000, 1875. 643
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log anwenden, um die Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung wegen Verstoßes gegen § 14 HeimG zu begründen, wenn das Pflegeheim in der Rechtsform einer GmbH betrieben wird und der geschäftsführende Alleingesellschafter von einem Heimbewohner zum Erben eingesetzt wird.646 Zum anderen musste § 14 HeimG analog angewendet werden, um eine Umgehung des Verbots durch Ersatzerbeinsetzung eines Angehörigen des Verbotsadressaten zu verhindern.647 Sofern jedoch von einer „doppelten Analogie“648 gesprochen wird, mag dies zwar plastisch verdeutlichen, dass eine analoge Anwendung des § 14 Abs. 1 HeimG an mehreren Stellen notwendig ist. Es handelt sich jedoch um eine einfache Analogie des § 14 Abs. 1 HeimG auf den Sachverhalt als solchen. In methodischer Hinsicht gibt es eine doppelte Analogie nicht.649 An dieser Stelle sei daher lediglich darauf verwiesen, dass in bestimmten Sachverhalten die analoge Anwendung des § 14 Abs. 1 HeimG an mehreren Stellen relevant wird. Für eine derartige mehrfache analoge Anwendung des § 14 HeimG gilt das zu der „einfachen analogen Anwendung“ des § 14 HeimG abschließend Gesagte umso mehr. Nur wenn offensichtlich eine Umgehung des Testierverbotes vorliegt und der von § 14 HeimG verfolgte Schutzzweck konterkariert wird, ist eine mehrfache analoge Anwendung des § 14 HeimG auf einen Sachverhalt möglich. (6) Fazit zur analogen Anwendung des § 14 HeimG Sofern entgegen der hier favorisierten Auffassung davon ausgegangen wird, dass § 14 HeimG eine verfassungskonforme Einschränkung der Testierfreiheit darstellt, scheitert eine analoge Anwendung der Norm regelmäßig schon an dem Erfordernis einer vergleichbaren Interessenlage, zumindest aber an der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Letzteres gilt insbesondere deshalb, 646 Hierzu führt das BayObLG, NJW 2000, 1875, 1876 aus: „Ist der Träger des Heims – wie hier – eine Kapitalgesellschaft, so sind die Heimbewohner diesen Gefahren in gleicher Weise gegenüber den für diese handelnden oder deren Geschicke bestimmenden Personen ausgesetzt. Das gilt auch im vorliegenden Fall: Der Bet. zu 2 hat im Zeitpunkt der Testamentserrichtung vom [0]1. [0]4. 1997 die GmbH als Geschäftsführer vertreten (§ 35 I GmbHG) und zugleich als Alleingesellschafter deren Geschicke bestimmt (§§ 45 f. GmbHG). Er war daher kraft seiner Geschäftsführungsbefugnis in der Lage, auf die Betreuung und Versorgung des im Heim dieser Gesellschaft untergebrachten Erblassers rechtlich und tatsächlich Einfluss zu nehmen.“ 647 Diesbezüglich führt das BayObLG, NJW 2000, 1875, 1876 aus: „Ohne Rechtsfehler ist das LG davon ausgegangen, dass auch die Ersatzerbeneinsetzung der Ehefrau des Bet. zu 2, der Bet. zu 3, als Umgehung des Verbots gem. § 14 I HeimG […] nichtig ist.“ Vgl. dazu bereits das Kap. D. III. 3. a) cc) (4). 648 So die Überschrift dieses Abschnitts und des Urteils BayObLG, NJW 2000, 1875. 649 Vgl. zu der „doppelten Analogie“ aus methodischer Perspektive Regenfus, JA 2009, 579, 579 f.
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weil den Landesgesetzgebern, die seit der Föderalismusreform über die Gesetzgebungskompetenz verfügen, die verschiedenen diskutierten analogen Anwendungen des § 14 HeimG bekannt gewesen sind. Die klassischerweise diskutierten analogen Anwendungen des § 14 HeimG auf Betreuungsverhältnisse und ambulante gepflegte Erblasser scheitert daher in jedem Fall, selbst wenn die Regelung fälschlicherweise für verfassungskonform gehalten wird. Überdies bestehen in dieser Hinsicht auch keine vergleichbaren Interessenlagen. Es bleibt lediglich Raum für eine analoge Anwendung des § 14 HeimG bei Vorliegen eines Umgehungstatbestandes. Ein solcher ist jedoch aufgrund der damit einhergehenden erheblichen Beschränkung der Testierfreiheit der Heimbewohner nur in Ausnahmefällen anzunehmen. Nach der Argumentationslinie dieser Arbeit scheidet eine analoge Anwendung des § 14 HeimG von vornherein aus, da das Testierverbot aus § 14 HeimG ohnehin nicht in der Lage ist, die von ihr verfolgten Zwecke zu fördern oder gar zu erreichen und gleichzeitig eine unverhältnismäßige Einschränkung der Testierfreiheit darstellt. b) Fazit: Unvereinbarkeit des Erlasses weiterer enumerativer Verbote nach dem Vorbild des § 14 HeimG mit der Testierfreiheit Nachdem nunmehr dargelegt wurde, dass § 14 HeimG verfassungswidrig ist, stellt sich die Frage, ob die in dieser Arbeit vorgenommene Kategorisierung und die aufgestellten Thesen auch in Bezug auf die Bewertung des § 14 HeimG zutreffen. Wie bereits deutlich geworden ist, soll diese Norm den heimbewohnenden Erblasser vor einer unzulässigen Willensbeeinflussung durch Dritte schützen. Damit stellt § 14 HeimG eine Grenze der Testierfreiheit dar, die dem Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte dient und insoweit der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zugeordnet werden kann. Auch die, für die jeweilige Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit ausgemachten Entwicklungslinien finden sich bei § 14 HeimG wieder. Für die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit ist charakteristisch, dass diese aufgrund der Forderung nach einem verstärkten Schutz der Autonomie des Erblassers zu extensiv angewendet werden. Dies zeigen an dieser Stelle vor allem die verschiedenen Bereiche, in denen § 14 HeimG (fehlerhaft) analog angewendet wird. Mit dem Testierverbot aus § 14 HeimG wird die Testierfreiheit des Erblassers in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, um einen vermeintlich stärkeren Schutz der Autonomie des testierenden Erblassers zu erzeugen. Dass ein Testierverbot dabei der denkbar schlechteste Weg ist, wird von Rechtsprechung und Literatur nicht berücksichtigt. Daneben wird bei der Auslegung des Merkmals des „Sich-gewähren-lassen“ auch die Testierfreiheit missverstanden, die im Rahmen der Nutzungsfunktion auch kommunikative As-
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pekte umfasst. Damit ist auch an dieser Stelle die zu Beginn der Arbeit aufgestellte These, dass verfassungswidrige Grenzen der Testierfreiheit auf einem fehlerhaften Verständnis von Autonomieschutz und der Bedeutung der Testierfreiheit beruhen, bestätigt. An der Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit des § 14 HeimG wird deutlich, dass Testierverbote grundsätzlich nicht geeignet sind, dass autonome Testieren der Erblasser zu schützen. Ein Schutz des Testierens mit Testierverboten zu begründen ist widersprüchlich und mit der Testierfreiheit unvereinbar. Auf den vielfach geäußerten Umstand, dass mit solchen Verboten auch ein „Generalverdacht“650 gegenüber den vermeintlich beeinflussenden Berufsgruppen geäußert würde, kommt es deshalb nicht mehr an.
4. Die Erweiterung der Anfechtungsbefugnis zum Schutz vulnerabler Erblasser vor Beeinflussung und Beherrschung Vielfach wird vorgeschlagen, dass zum Schutz des selbstbestimmten Testierens besonders leicht beeinflussbarer Erblasser die Anfechtungsbefugnis im BGB-Erbrecht erweitert werden soll.651 Boehm fordert dabei die Einführung einer eigenständigen Regelung: „§ 2078a BGB (1) Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die unberechtigte Einflussnahme eines Dritten bestimmt worden ist. Eine unberechtigte Einflussnahme liegt vor, wenn der Dritte einen so großen Einfluss auf den Erblasser ausgeübt hat, dass er dessen freien Willen überwunden und den Erblasser dazu veranlasst hat, eine letztwillige Zuwendung vorzunehmen, die dieser sonst nicht vorgenommen hätte. (2) Die Vorschrift des § 122 findet keine Anwendung.“652
Dieser Vorschlag geht zurück auf die Idee Röthels. Röthel will zwar keinen eigenständigen Paragrafen schaffen, jedoch die rechtswidrige Drohung um ähnliche Formen der Beherrschung und Beeinflussung ergänzen. Diesem Vorschlag hat sich auch Frieser angeschlossen.653 Dabei sei entscheidend, „[…] 650
Diesen Begriff nutzt Röthel, AcP 210 (2010) 32, 61 f., die zwar von der Verfassungsmäßigkeit des § 14 HeimG ausgeht und dabei den Erlass weiterer Testierverbote zum Schutz der Autonomie des Erblassers mit der Begründung ablehnt, dass Ärzte, Pfleger, etc. hierdurch unter einen Generalverdacht gestellt würden. Dass Testierverbote für einen Autonomieschutz und den damit verfolgten Schutz der Testierfreiheit ungeeignet sind, erkennt Röthel jedoch nicht. Auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 157 f. äußert diese Bedenken, ohne dabei zu berücksichtigen, dass ein Autonomieschutz durch Testierverbote von vorneherein nicht adäquat gefördert werden kann. 651 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 141; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 57 ff.; Lange, Erbrecht, § 11 Rn. 15; Frieser, ErbR 2020, 309, 312 f. 652 Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 243. 653 So Frieser, ErbR 2020, 309, 312 f.: „Es ist – in § 2078 Abs. 2 BGB – ein weiterer
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dass die Schwelle der Anfechtung wegen Beeinflussung oder Beherrschung niedriger anzusetzen ist als die derzeitige Schwelle der Testierunfähigkeit […].“654 Der Einführung einer solchen Anfechtungsbefugnis gibt Röthel gegenüber der bereits im vorherigen Kapitel diskutierten und abzulehnenden verstärkten Abschlusskontrolle erbrechtlicher Verfügungen über das Sittenwidrigkeitsverdikt den Vorzug, weil er ein Gestaltungsrecht schaffe und aufgrund der eigenständigen Regelung eine höhere Sichtbarkeit erzeuge.655 Zu berücksichtigen ist dabei, dass von der Erweiterung der Anfechtungsbefugnis sowohl sämtliche Erblasser als auch sämtliche Verfügungen von Todes wegen erfasst sind. Der im Nachfolgenden zu diskutierende Vorschlag beschränkt sich damit grundsätzlich nicht explizit auf den vulnerablen Erblasser. Da der Grund für die Erweiterung der Anfechtungsbefugnis aber darin liegen soll, dass es vermehrt Gruppen vulnerabler Erblasser gibt und die Erweiterung der Anfechtungsbefugnis primär auch nur für diese relevant sein soll, ist dieser Vorschlag in dem Kapitel „Vulnerabilität und Testierfreiheit“ zu untersuchen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der Vorschlag zur Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme nicht an bestehende gesetzliche Regelungen und deren Auslegung beziehungsweise Anwendung anknüpft, sondern eine gänzlich neue Vorschrift schaffen möchte. Während dieser Vorschlag, der erstmalig in dem Gutachten Röthels zu den Verhandlungen des 68. deutschen Juristentages vorgetragen wurde656, in der Literatur nahezu ausschließlich positiv bewertet wurde und breite Zustimmung erfahren hat657, will diese Arbeit einen anderen Weg gehen und eine Anfechtungstatbestand zuschaffen. Die fehlende Selbstbestimmung bei Verfügungen, die auf ,unwiderstehlicher‘ Beeinflussung durch Dritte beruhen, ist als ,ähnliche Form der Beherrschung oder Beeinflussung‘ der rechtswidrigen Drohung im Sinne des § 2078 Abs. 2 BGB gleichzustellen. Um die erforderliche ,Gesamtbetrachtung‘ zu gewährleisten, ist der Anfechtungstatbestand um eine subjektive Komponente zu ergänzen, gesprochen werden könnte von einer ,unangemessenen‘ Beeinflussung, die der ,rechtswidrigen Drohung‘ entspricht.“ 654 Röthel, AcP 210 (2010), 32, 62 Fn. 143; in diese Richtung auch Frieser, ErbR 2020, 309, 312 f.; ebenfalls eine Schutzlücke im Bereich der Dauerbeeinflussung unterhalb der Schwelle von Drohung, Täuschung und Sittenwidrigkeit ausmachend Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 243. 655 So Röthel, AcP 210 (2010), 32, 62, Fn. 143; auch Frieser, ErbR 2020, 309, 312 f. zieht die Einführung eines solchen Anfechtungsgrundes der verstärkten Sittenwidrigkeitsprüfung vor. Frieser, ErbR 2020, 309, 311 betont: „Die Testierfreiheit dürfte durch die Anwendung dieser Vorschrift nur eingeschränkt werden, wenn sich der Vorwurf sittenwidrigen Handelns des Testators auf eine ,deutlich umrissene Wertung des Gesetzgebers‘ oder eine ,allgemeine Rechtsauffassung‘ stütze könne. Im Ergebnis versagt damit die ,Lückenbüßerfunktion‘ des § 138 BGB […].“ 656 Vgl. Röthel, 68. DJT, A 9 (A 84); s. auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 62. 657 So haben sich Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 243 und Frieser, ErbR 2020,
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solche Erweiterung der Anfechtungsbefugnis kritisch betrachten. Insbesondere werden die Auswirkungen dieses Vorschlags auf die Testierfreiheit, die in der Literatur noch nicht hinreichend berücksichtigt wurden, genauer untersucht.658 Verschiedene miteinander zusammenhängende Aspekte lassen dabei Zweifel an der positiven Bewertung des Vorschlags zur Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme entstehen. So könnte die Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der „unzulässigen Einflussnahme“ nicht hinreichend bestimmbar sein und daher Rechtsunsicherheiten hervorrufen. Dabei ist zum einen fraglich, wann eine unberechtigte Einflussnahme vorliegt, die zur Anfechtbarkeit der Verfügung von Todes wegen führt. Auch ist zu prüfen, ob die Fremdbestimmtheit einer Verfügung von Todes wegen hinreichend nachweisbar ist oder ob hierfür auf Vermutungen zurückgegriffen werden muss (dazu a)). Diese Aspekte haben auch Auswirkungen auf die Testierfreiheit, die es abschließend zu untersuchen gilt (dazu b)). a) Unklare Tatbestandsvoraussetzungen – Unzulässige Einflussnahme nicht hinreichend bestimm- und nachweisbar Fraglich ist, wann eine unzulässige Beeinflussung vorliegen soll, die unterhalb der Schwelle zur rechtswidrigen Drohung liegt und daher nach dem vorliegenden Vorschlag zu einer Anfechtung berechtigen würde. An mehreren Stellen in dieser Arbeit wurde bereits gezeigt, dass die Willensbildung des Erblassers bei Errichtung der Verfügung von Todes wegen stets durch äußere Einflüsse geprägt wird. Solche äußeren Einflüsse von einer unzulässigen Fremdbestimmung abzugrenzen, dürfte in der Praxis freilich erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen.659 Dies gilt insbesondere dann, wenn Fremdbestimmung in indirekter Weise, zum Beispiel durch Manipulation des Erblassers im Wege von Informationszurückhaltung, erfolgt.660 Zu dieser Problematik nimmt keiner der Befürworter der Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme Stellung. Als unabdingbare Voraussetzung wird lediglich festgelegt, dass der 309, 312 f. den Vorschlag Röthels nahezu identisch zu Eigen gemacht. Vgl. dazu bereits die einleitenden Ausführungen in Kap. D. 658 In diese Richtung lediglich Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 18 ff., 85. 659 So explizit Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 84 f.: „Die Abgrenzung zwischen bloß äußeren Einflüssen und Fremdbestimmung erweist sich in der Praxis als schwierig, insbesondere dann, wenn Fremdbestimmung nicht offen […] erfolgt.“ 660 Vgl. dazu die Ausführungen bei Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 84 f. Christandl nennt als Beispiel der indirekten Einflussnahme Desinformation und Informationsverschweigung.
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beeinflussende Dritte zu dem Erblasser ein so enges Verhältnis hatte, dass er auf diesen Einfluss nehmen konnte.661 Gleichzeitig betont Boehm, dass Vertrauensverhältnisse auch nicht überbewertet werden sollten, da Erblasser auch aus Furcht oder Hilflosigkeit eine bestimmte Erbeinsetzung vornehmen könnten.662 Aus diesem Grund dürften Vertrauensverhältnisse nur dann berücksichtigt werden, wenn weitere, „[…] eine unberechtigte Einflussnahme nahelegend[e] Umstände […]“663 hinzuträten. Konkretere Methoden, wie eine Fremdbestimmung ermittelt werden soll, werden nicht genannt, obwohl dies einen der problematischen Aspekte bei der Anfechtung letztwilliger Verfügungen wegen unzulässiger Einflussnahme darstellen dürfte. Anhand der Verfügung von Todes wegen kann, selbst unter Hinzuziehung der Errichtungs- und sonstigen Lebensumstände, regelmäßig nicht erkannt werden, ob diese hinreichend selbstbestimmt ist oder doch auf die unzulässige Beeinflussung eines Dritten zurückgeht. Verstärkt wird diese Problematik durch den Umstand, dass im Rahmen der Anfechtung der Verfügung von Todes wegen die Fremdbestimmung erst nach dem Tod des Erblassers ermittelt wird. Der Erblasser weiß als einziger, was ihn zu der Errichtung der Verfügung von Todes wegen veranlasst hat und auf welchem Entschluss die konkrete Ausgestaltung der Verfügung von Todes wegen beruht. Selbst wenn der begünstigte Dritte mehrfach Beeinflussungshandlungen vorgenommen hat, spricht dies noch nicht dafür, dass der Erblasser bei Errichtung der Verfügung von Todes wegen nicht hinreichend selbstbestimmt gehandelt hat. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass eine Abgrenzung zwischen noch hinreichend selbstbestimmten und schon unzulässig fremdbestimmten Verfügungen von Todes wegen kaum möglich ist. Darüber hinaus ist das Vorliegen einer Fremdbestimmung post factum kaum nachweisbar. Um diese Schwierigkeit zu beheben, wird in jüngerer Zeit vermehrt diskutiert, ob die nationale Rechtsordnung Vermutungen aus dem U.S.-amerikanischen Institut der undue influence übernehmen sollte.664 aa) Die Einführung von Vermutungsreglungen nach dem Vorbild der U.S.-amerikanischen undue influence zur Verhinderung unzulässiger Fremdbestimmung Das U.S.-amerikanische Rechtsinstitut der undue influence, welches die unberechtigte Einflussnahme beschreibt, existiert im deutschen Recht bislang 661
Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 242. Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 242. 663 Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 242. 664 Vgl. dazu Boehm, Der demenzkranke Erblasser in einer alternden Gesellschaft, 165 ff.; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 125; Dittrich, ZEV 2013, 14, 17; Frieser, ErbR 2020, 309, 310 f. 662
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nicht. Wie bereits erläutert, wollen für Verfügungen von Todes wegen zahlreiche Stimmen in der Literatur, darunter Boehm und Röthel, ein vergleichbares Institut einführen, indem sie die Anfechtungsbefugnis auf die Fälle unzulässiger Beeinflussung erweitern. Wenn nunmehr der Vorschlag der Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um die unzulässige Einflussnahme an Beweisschwierigkeiten und an Nachweisschwierigkeiten „leidet“, stellt sich die Frage, wie das amerikanische Institut der undue influence diese löst. Die vorliegende Arbeit, die sich mit den nationalen Beschränkungen der Testierfreiheit beschäftigt, kann und will dabei eine umfassende Analyse des U.S.-amerikanischen Erbrechtes und des Instituts der undue influence samt Auswertung der Besonderheiten in den einzelnen Staaten nicht leisten. Eine vertiefte Betrachtung der U.S.-amerikanischen Regelungen und Rechtsprechung, die als solches schon genug Inhalt für eine eigenständige Arbeit liefern würde, ist aber auch nicht notwendig, da lediglich die Eignung der Übertragung der Vermutungsregelungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Testierfreiheit untersucht werden müssen. Im Folgenden soll daher das U.S.-amerikanische Modell der undue influence samt seiner Vermutungsregelungen zunächst dargestellt werden (dazu aa)), bevor in einem zweiten Schritt die Fragen nach der Eignung für die nationale Rechtsordnung und den Auswirkungen auf die Testierfreiheit beantwortet werden können (dazu bb)). (1) Die undue influence und deren Vermutungsregelungen im U.S.amerikanischem Recht Ziel des Instituts der undue influence ist es, den Handelnden vor einer unberechtigten Einflussnahme Dritter zu schützen und dadurch sein autonomes Handeln zu sichern.665 Entscheidend ist dabei nicht, auf welche Art und Weise die undue influence stattgefunden hat. Erfasst werden somit alle Fälle der Einflussnahme, sofern der Beeinflussende im Ergebnis erreicht, dass sein Wille an die Stelle des Erblasserwillens tritt.666 Das Rechtsinstitut der undue influence ist dabei in der U.S.-amerikanischen Rechtsordnung kein rein erbrechtliches, sondern vielmehr ein allgemeines, welches auch in anderen Rechtsbereichen, wie beispielswiese dem Schuldrecht, zur Anwendung kommt.667 Die jeweiligen Voraussetzungen der undue influence sind, wie das 665 Vgl. zu dem Institut der undue influence Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 43 ff.; McGovern/Kurtz/English Wills, Trusts and Estates, 326 Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 125 f.; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 183 ff.; Dittrich, ZEV 2013, 14, 17. 666 Vgl. Dittrich, ZEV 2013, 14, 17; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 183; vgl. dazu rechtsvergleichend Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 43 ff. 667 Vgl. insoweit den § 8.3 Restatement (Third) of Property (Wills & Other Don. Trans-
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Rechtsinstitut selbst, Richterrecht und variieren daher von Staat zu Staat.668 Dennoch gibt es einen staatenübergreifenden Kern an Voraussetzungen zur Annahme einer unzulässigen Beeinflussung.669 Exemplarisch sei hier auf § 8.3 Restatement (Third) of Property: Wills an Other Donative Transfers verwiesen.670 Eine unzulässige Beeinflussung liegt dementsprechend vor, wenn der Beeinflussende einen so starken Einfluss auf den Erblasser ausgeübt hat, dass von einem autonomen Willen nicht mehr gesprochen werden kann.671 Als Ergebnis der Beeinflussung muss der Beeinflusste eine Verfügung vornehmen, die dieser ansonsten nicht getroffen hätte.672 Dem U.S.-amerikanischen Institut der undue influence wohnen ebenfalls Beweisschwierigkeiten inne. Aus diesem Grund greifen die Gerichte auf zwei Möglichkeiten zurück, um dieses Problem zu beheben. Die dortigen Gerichte lassen zum einen indirekte Beweise, die sogenannten circumstantial evidence673 zu, die dem Nachweis solcher Umstände dienen, bei denen eine unberechtigte Einflussnahme anzu-
fers) (2003), der Schenkungen für nichtig erklärt, die unter einer undue influence zustande gekommen sind. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 183. 668 Vgl. Boehm, Der demenkranke Erblasser, 184. 669 Diese Gemeinsamkeiten arbeitet insbesondere Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 183 ff. heraus. 670 In dem Restatement (Third) of Property: Wills and Other Donative Transfers (2003) wird die undue influence in § 8. 3 definiert: „(a) A donative transfer is invalid to the extent that it was procured by undue influence, duress, or fraud. (b) A donative transfer is procured by undue influence if the wrongdoer exerted such influence over the donor that it overcame the donor’s free will and caused the donor to make a donative transfer that the donor would not otherwise have made.“ Vgl. dazu auch die Darstellung bei Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 185. 671 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 185; Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 42 ff. 672 Der § 8.3 Restatement (Third) of Property: Wills and Other Donative Transfers (2003) spricht von „caused the donor to make a donative transfer that the donor would not otherwise have made“. Vgl. dazu Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 185. 673 Zu den Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, um daraus auf eine undue influence zu schließen s. McGovern/Kurtz/English Wills, Trusts and Estates, 326: „The contestant must prove that (1) the testator was susceptible to undue influence, (2) the alleged influencer had an opportunity to exercise undue influence over the testator, (3) the influencer had a disposition to influence unduly in order to procure an improper favor, and (4) the will reflects a disposition clearly appearing to be the product of the undue influence.“ Der Erblasser muss daher für eine unberechtigte Einflussnahme zugänglich gewesen sein und der Beeinflussende muss auch die Möglichkeit zur Vornahme der Beeinflussungshandlung gehabt haben. Daneben muss noch die Bereitschaft zur Erlangung eines Vorteils bestanden haben. Die Verfügung muss im Ergebnis als das Produkt einer unberechtigten Einflussnahme erscheinen. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 187.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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nehmen ist.674 Zum anderen nutzen sie Fallgruppen, bei denen eine unberechtigte Einflussnahme widerlegbar vermutet wird.675 Diese Vermutungen sind der eigentliche Kern des Rechtsinstituts der undue influence und für die Zwecke der vorliegenden Arbeit relevant, da die Eignung ihrer Übernahme in das nationale Recht überprüft werden soll. Voraussetzung für die widerlegbare Vermutung der unzulässigen Einflussnahme ist regelmäßig die kumulative Erfüllung zweier Bedingungen. So muss zwischen Beeinflussendem und Erblasser eine confidential relationship, also eine vertrauliche Beziehung, bestehen und darüber hinaus noch suspicious circumstances, sogenannte verdächtige Umstände hinzutreten.676 Der Begriff des Vertrauensverhältnisses umfasst dabei verschiedene Arten von Vertrauensverhältnissen, wie beispielsweise Treuhandverhältnisse, die sogenannten fiduciary relationship, und enge Vertrauensverhältnisse, die sogenannten reliant relationships.677 Letztere bestehen zum Beispiel zwischen dem Erblasser und seinem Arzt.678 Eine weitere Art von Vertrauensverhältnissen bilden die sogenannten dominant-subservient relationships, die angenommen werden, wenn sich der Erblasser dem Willen einer anderen Person unterworfen hat.679 Das zweite erforderliche Kriterium, nämlich der sogenannte suspicious circumstance, beschreibt das Erfordernis des Hinzutretens von verdächtigen Umständen. Es gibt dabei eine Vielzahl von anerkannten verdächtigen Umständen, deren Auflistung nicht Gegenstand dieser Arbeit sein soll. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle aber, dass ein verdächtiger Umstand von der Rechtsprechung angenommen wird, wenn der Erblasser aufgrund geistiger oder körperlicher Beeinträchtigungen für eine unberech-
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Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 186 f., die betont, dass eine unberechtigte Einflussnahme in seltenen Fällen direkt nachgewiesen werden könne. Dies sei der Grund dafür, dass die U.S.-amerikanischen Gerichte den Nachweis von Umständen, bei denen eine unberechtigte Einflussnahme angenommen wird, ausreichen lassen. 675 Vgl. Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63; Dittrich, ZEV 2013, 14, 17; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 190 ff.; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 125 f.; Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 56 ff. 676 Vgl. Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 56 ff.; Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 191; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63. 677 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 191; Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 68. 678 Vgl. dazu die rechtsvergleichenden Ausführungen bei Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 53, 68, 99; vgl. auch Boehm, Der demenkranke Erblasser, 193; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63. 679 Maßgeblich sind hier insbesondere die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Boehm nennt als Beispiel für ein mögliches dominant-unterwürfiges Vertrauensverhältnis die Beziehung zwischen Erblasser und Pflegekraft, vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 196.
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
tigte Einflussnahme besonders empfänglich ist.680 Dies ist insofern bemerkenswert, als dadurch deutlich wird, dass das Problem des hinreichend autonomen Testierens beim alten und verletzlichen Erblassers von der U.S.amerikanischen Rechtsprechung ebenfalls erkannt und einem besonderen Schutz zugeführt wird.681 Ein weiteres Augenmerk ist auf die unnatural disposition zu richten. Eine unnatürliche Verfügung ist eine solche, die unbillig und ungerecht erscheint.682 An dieser Definition wird bereits deutlich, dass die unnatürliche Verfügung generalklauselartig wirkt und der Rechtsprechung daher einen weiten Wertungsspielraum eröffnet. Die entsprechenden Fallgestaltungen sind daher vielfältig. Dennoch macht Boehm zutreffend zwei Fallgruppen aus, bei denen Gerichte von einer unnatural disposition ausgehen.683 Eine dieser Fallgruppen ist für die bereits in dieser Arbeit herausgearbeiteten unzulässigen Beeinträchtigungen der Testierfreiheit von besonderem Interesse. Diese Fallgruppe beschreibt solche Verfügungen, bei denen der Erblasser diejenigen Personen nicht an dem Erbe teilhaben lässt, die aus moralischer Sicht vermeintlich den größten Anspruch auf das Erbe haben. Als diejenigen Personen, die den größten moralischen Anspruch auf den Erhalt des Erbes haben, werden von der Rechtsprechung regelmäßig Ehegatten und Abkömmlinge ausgemacht.684 Eine erbrechtliche Verfügung des Erblassers, die nicht diese Personen, sondern andere außenstehende Personen begünstigt, wird dann als unnatürlich erachtet und stellt damit einen suspicious circumstance dar. Auffällig ist dabei, dass die Personengruppe der natural objects of his bounty derjenigen ähnelt, die nach unserer nationalen Rechtsordnung die gesetzlichen Erben bilden.685 680 So § 8.3 Restatement (Third) of Property (Wills & Other Don. Trans.) (2003), comment h; vgl. dazu Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 197. 681 Vgl. dazu insbesondere Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 42. 682 Vgl. Fogel, 42 Real Prop. Prob. & Tr. J. (2007) 67, 70 f.; Leslie, 38 Ariz.L.Rev. (1996), 235, 236; s. dazu auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 203. 683 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 204; vgl. zur unnatural disposition Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 59. 684 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 204; Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 125; Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63. 685 So Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 125 f.: „Amerikanische Gerichte setzen ihre Sicht einer gerechten erbrechtlichen Verfügung […] teilweise nämlich dadurch um, indem sie Zuwendungen an Familienfremde häufiger und leichter beseitigen als Begünstigungen in der Familie. Nicht zufällig wurde die Anfechtung wegen undue influence daher funktional in die Nähe des Pflichtteilsrechts gerückt.“ Vgl. zu der funktionalen Nähe der undue influence zum Pflichtteilsrecht Skalis Jr., Duke Journal of Comparative & International Law 2008, 41, 81, der davon spricht, dass die undue influence und das Pflichtteilsrecht im Hinblick auf die Begrenzung der Testierfreiheit dieselbe Funktion erfüllen; vgl. dazu auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63.
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Im Ergebnis halten die U.S.-amerikanischen Gerichte daher solche Verfügungen von Todes wegen für unnatürlich, die die nahen Angehörigen nicht oder nur wenig berücksichtigen. (2) Die Eignung der Einführung von Vermutungen für die nationale Rechtsordnung nach dem U.S.-amerikanischen Vorbild der undue influence Nachdem nunmehr das U.S.-amerikanische Modell der undue influence und die damit einhergehenden Vermutungsregelungen kurz vorgestellt wurden, soll in einem nächsten Schritt die Frage aufgeworfen werden, ob die Vermutungsregelungen auf die deutsche Rechtsordnung übertragen werden sollten. Ein Hauptproblem der undue influence ist, dass regelmäßig Familienangehörige bevorzugt und außenstehende Dritte benachteiligt werden, indem die amerikanische Rechtsprechung die aus ihrer Sicht gerechte Verfügung umsetzt. Die fehlende Bestimmtheit und der damit einhergehende Mangel an Rechtssicherheit zeigt sich exemplarisch an einem Urteil des Court of Appeals of Arkansas aus dem Jahr 1987: „Where the provisions of a will are unjust, unreasonable and unnatural, doing violence to the natural instinct of the heart, to the dictates of parental affection, to natural justice, to solemn promises, and to moral duty, such unexplained inequality is entitled to great influence in considering the question of testamentary capacity and undue influence.“686
Den Begriff der unnatürlichen Verfügung, den Boehm zurecht aufgeben will687, kennt das deutsche Erbrecht nicht. Der Erblasser kann über sein Vermögen, mit Ausnahme des Pflichtteilrechts, völlig frei verfügen, ohne dass dies ungerecht erscheint.688 Für einzelne Angehörige und enge Vertraute mag dieses Ergebnis subjektiv hart und ungerecht wirken, objektiv ist es dies aber nicht. Auch an dieser Stelle muss sich vergegenwärtigt werden, dass die Erbaussicht lediglich eine nuda spes und ein Nichterhalt der Erbschaft damit auch nicht ungerecht ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, als dass dem deutschen Erbrecht ein Erdienen oder Erwirken der Erbschaft fremd ist.689 686 Carpenter v. Horace Mann Life Ins. Co., 730, S. W. 2d, 1987, 502, 507. Vgl. auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 125. Christandl sieht mit Verweis auf das oben genannte Urteil ebenfalls die Gefahr, dass ein für die gesetzlichen Erben nachteiliger Inhalt als Indiz für eine Fremdbestimmung verwendet wird. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 204 Fn. 832. 687 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 236. 688 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. B. I. u. VI. 6. 689 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a) (aa), die gezeigt haben, dass es ein sogenanntes Erbanwartschaftsrecht aus verschiedenen Gründen nicht geben kann. Die Übertragung des Regelungsinhalts des § 7 Abs. 2 HöfeO auf das gesamte Erbrecht des
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Das Modell der undue influence wird jedoch insbesondere dann herangezogen, wenn es sich um eine unnatürliche Verfügung handelt. Die Gründe der amerikanischen Rechtsprechung sind dabei einfach beschrieben. Es wird versucht, eine vermeintlich faire Behandlung von Familienmitgliedern zu schaffen. Boehm führt dahingehend aus, dass die Gefahr der Korrektur solcher Verfügungen, die im Hinblick auf Familienangehörige als ungerecht empfunden werden, in Deutschland nicht gleichermaßen bestehe, da ein extensives Pflichtteilsrecht genau diese Härten vermeide.690 Dem ist zu widersprechen. Zwar besteht aufgrund des Pflichtteilsrechts in objektiver Hinsicht ein geringerer Anlass, Korrekturen zugunsten naher Angehöriger durchzuführen, dies lässt jedoch keine Prognose zu, inwiefern die Rechtsprechung dies genauso berücksichtigen wird. Richtigerweise dürfte vielmehr festzustellen sein, dass es mit oder ohne das bestehende Pflichtteilsrecht keinen Anlass dazu gibt, Verfügungen von Todes wegen, die gegebenenfalls unter unzulässiger Beeinflussung entstanden sind, zugunsten von nahen Angehörigen zu korrigieren. Nahe Angehörige sind, genau wie Erbprätendenten außerhalb der Familie, nicht schutzbedürftig. Ihre Hoffnung, Erbe zu werden, ist eben keine gesicherte Aussicht, auf die sie sich verlassen können, sondern nur eine vage Hoffnung.691 Das Institut der undue influence weist insbesondere in solchen Situationen erhebliche Schwächen auf, in denen trotz Vorliegens der Merkmale, die für eine Beeinflussung sprechen, eine selbstbestimmte Verfügung des Erblassers vorliegt. Bei Anwendung der Prinzipien der undue influence würde die Rechtsprechung Verfügungen von Todes wegen, die tatsächlich hinreichend autonom und damit Ausdruck der Testierfreiheit sind, korrigieren. Eine solche Korrektur des Erblasserwillens führt zu einer Verletzung der Testierfreiheit. Boehm, die ein modifiziertes erbrechtliches Institut der undue influence-Anfechtung einführen will692, weist diese Kritik zurück und betont: Bürgerlichen Gesetzbuches ist auch in methodischer Hinsicht abwegig (so aber Staudinger/Otte BGB § 2074 Rn. 37 ff.). 690 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 233; in diese Richtung wohl auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 126. 691 Vgl. Kap. C. I. 1. a) aa) (3) (a); Gutmann, Freiwilligkeit als Rechtbegriff; 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, 189; Isensee, DNotZ 2004, 754, 758 f. 692 Vgl. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 242 f. Der § 2078a BGB soll bestimmen, dass eine letztwillige Verfügung angefochten werden kann, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die unberechtigte Einflussnahme eines Dritten bestimmt worden ist. Dabei soll der § 2078a BGB konkretisieren, wann eine unberechtigte Einflussnahme vorliegt. Dies sei dann der Fall, wenn der Dritte einen so großen Einfluss auf den Erblasser ausgeübt hat, dass er dessen freien Willen überwunden hat. Diese Einflussnahme muss als weitere Voraussetzung der Anfechtung dazu geführt haben, dass der Erblasser veranlasst wurde, eine letztwillige Zuwendung vorzunehmen, die dieser sonst nicht vorgenommen hätte.
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„In einer solchen Situation sind der angeblich Beeinflussende bzw. der Erblasser selbst am besten in der Lage, dem Eindruck einer unberechtigten Einflussnahme entgegenzuwirken, indem sich der Erblasser unabhängig beraten lässt und beispielsweise die Motive für sein Handeln darlegt. Dem trägt die U.S.-amerikanische Rechtsprechung dadurch Rechnung, dass sie das Darlegen von Gründen für eine zunächst unverständlich erscheinende neue Nachlassplanung sowie einer unabhängigen Beratung ausdrücklich als Beweismittel gegen eine unberechtigte Einflussnahme zulässt.“693
Als dem Erblasser und dem Erbprätendenten zur Verfügung stehende Möglichkeiten, um einer unberechtigten Korrektur durch das Institut der undue influence entgegenzutreten, nennt Boehm somit die Möglichkeit der unabhängigen Beratung und der Darlegung der Motive für das jeweilige Handeln. Einer solchen Sichtweise ist jedoch entschieden zu widersprechen. Der Erblasser, der wirksam eine Verfügung von Todes wegen errichtet, ist nicht in der Pflicht, die Wirksamkeit selbiger möglichst umfassend zu beweisen und darzulegen. Vielmehr ist Gegenteiliges der Fall, denn der favor testamenti erfordert es, dem Erblasserwillen weitestgehend Geltung zu verschaffen. Außerdem ist fraglich, wie ein Erblasser, der autonom handelt und daher von der Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen ausgeht, in praktischer Hinsicht erkennen soll, dass seine Verfügung unnatürlich wirkt und es daher angezeigt ist, Vorkehrungen zu treffen, damit diese nicht wegen undue influence korrigiert wird. Die entsprechende „Pflicht“ des Erblassers, die juristisch eine Obliegenheit darstellen würde, nämlich dahingehende Vorkehrungen zu treffen, damit die eigene wirksame Verfügung von Todes wegen von der Rechtsordnung auch als eine solche anerkannt wird, ist dem Erbrecht deshalb völlig fremd und daher abzulehnen. Erblassern eine Pflicht aufzuerlegen, die Verfügung von Todes wegen so errichteten, dass niemand von einer unberechtigten Einflussnahme ausgeht, bedeutet, die Testierfreiheit in ihr Gegenteil zu verkehren. (3) Fazit – Übertragung der Vermutungen der undue influence auf die nationale Rechtsordnung als Risiko für die Testierfreiheit Mit einer Übertragung der undue influence-Anfechtung aus den Vereinigten Staaten in die nationale Rechtsordnung würden zahlreiche Nachteile einhergehen, die mit der Testierfreiheit nicht vereinbar sind. Die Gefahr einer Begünstigung gesetzlicher Erben durch die unzulässige Abänderung einer ei-
Einen solchen Anfechtungsgrund wollen auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 57 ff. und Frieser, ErbR 2020, 309, 310 f. einführen. 693 Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 236; wenngleich Boehm im Ergebnis die wertenden Vermutungsregelungen der undue influence nicht übernehmen möchte, s. Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 239. Boehm thematisiert dabei jedoch nicht, wie mit den Abgrenzungs- und Beweisschwierigkeiten umzugehen ist, die ohne Vermutungsregelungen vorhanden sind.
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gentlich autonomen und auch im Übrigen wirksamen Verfügung von Todes wegen besteht trotz der Existenz des Pflichtteilsrechts und stellt eine Beeinträchtigung der Testierfreiheit dar. Insofern, als dass es ungewöhnliche, weil ungerechte erbrechtliche Verfügungen objektiv nicht gibt, schlägt bereits eine dahingehende Annahme der Fremdbestimmung fehl. Es muss berücksichtigt werden, dass die Testierfreiheit Erblassern gerade ermöglicht, auch vermeintlich ungerechte und daher nicht nachvollziehbare Verfügungen von Todes wegen zu errichten.694 Auch die Herleitung der Fremdbestimmung aus den confidential relationships, also den Vertrauensverhältnissen des Erblassers zum eingesetzten Erben, wird der Individualität von Erblasser und Erbe nicht gerecht. Dem Erblasser wird durch die Testierfreiheit ein individuelles Selbstentscheidungsrecht zugestanden, welches durch eine solche Schematisierung massiv eingeschränkt werden würde.695 So muss dem Erblasser auch die Einsetzung des langjährigen Vermögensverwalters zum Erben, ebenso wie die Einsetzung seiner Ehefrau, ohne weiteres möglich sein. Dabei steht außer Zweifel, dass bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse ein höheres Fremdbestimmungspotential und daher einen Anlass für die genaue Überprüfung einer unzulässigen Beeinflussung bieten.696 Gleichwohl dürfen aufgrund dieser gegebenenfalls erhöhten Gefahr der Fremdbestimmung keine Hürden entstehen, die eine autonome Entscheidung des Erblassers, zugunsten solcher Personen, zu denen dieser in einem vermeintlich typischen Abhängigkeitsverhältnis steht, erheblich erschweren oder gar unmöglich machen. Denn häufig werden hinter solchen Abhängigkeitsverhältnissen auch Beziehungen zu engen Vertrauten des Erblassers stehen, an deren Einsetzung der Erblasser ein von einer etwaigen Beeinflussung unabhängiges Eigeninteresse haben kann. Das U.S.amerikanische Modell der undue influence lässt mit seinen Vermutungsregelungen genau solche Hürden entstehen und ist daher mit der Testierfreiheit
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Vgl. dazu insbesondere die Ausführungen in Kap. B. I. u VI. die gezeigt haben, dass es sich bei der Testierfreiheit gerade nicht um eine gebundene, sondern um eine echte Freiheit handelt. Die Testierfreiheit begründet damit eine verfassungsrechtlich abgesicherte und damit auch von dem Staat zu achtende Willkür des Erblassers, vgl. dazu auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Depenheuer/Froese GG Art. 14 Rn. 520. Die Ausführungen in Kap. B. II. haben daneben gezeigt, dass das Erbrecht und damit einhergehend auch die Testierfreiheit gerade nicht nach der germanischen Tradition familiengeprägt ist, sondern in Gefolge der römischen Tradition über eine individualistische Grundlegung verfügt. 695 So auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 126; in diese Richtung auch Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63. Eine solche Schematisierung, die zugunsten naher Angehöriger wirkt, widerspricht auch den Ausführungen in Kap. B. VI. 4., die gezeigt haben, dass die Testierfreiheit gerade nicht familiaristisch geprägt ist. 696 Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 126.
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unvereinbar. Von einer Übertragung dieses Modells in Form der Ausweitung von Vermutungsregelungen ist somit im Ergebnis abzuraten.697 bb) Zwischenfazit: Nachweis der unzulässigen Fremdbestimmtheit einer Verfügung von Todes wegen kaum möglich Nachdem nunmehr festgestellt worden ist, dass sich die Vermutungsregelungen des US-amerikanischen Instituts der undue influence zur Übernahme in die nationale Rechtsordnung nicht eignen, stellt sich die Frage, wie mit dem Problem des Nachweises der unzulässigen Fremdbestimmung umzugehen ist. Im Ergebnis ist hierbei festzuhalten, dass dieses Problem nicht zu beheben ist. So mag es zwar äußere Indizien geben, die für eine Fremdbestimmung und damit gegen eine selbstbestimmte Verfügung von Todes wegen sprechen. Einen hinreichenden Beweis für die Fremdbestimmtheit der Verfügung von Todes wegen geben diese jedoch nicht. Helfen würde lediglich, den Erblasser selbst zu befragen. Die Abgrenzung zwischen hinreichend autonomer und daher wirksamer sowie fremdbestimmter und folglich nichtiger erbrechtlicher Verfügung ist jedoch in Bezug auf die Anfechtbarkeit der Verfügung von Todes wegen erst nach dem Erbfall und damit nach dem Tod des Erblassers zu treffen, sodass diese Möglichkeit ausscheidet. Neben diesen erheblichen Defiziten im Hinblick auf die Frage, wann die Tatbestandsvoraussetzungen einer unzulässigen Einflussnahme vorliegen und wie diese in einem Prozess nachgewiesen werden können, hat der Vorschlag zur Erweiterung der Anfechtungsbefugnis auch weitere Auswirkungen auf die Testierfreiheit, die es im Nachfolgenden zu untersuchen gilt. b) Die Auswirkungen des Vorschlags zur Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Fremdbestimmung auf die Testierfreiheit Wenngleich bereits dargelegt wurde, dass die von der überwiegenden Literatur getragene Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Fremdbestimmung bereits aufgrund von Abgrenzungs- und Nachweisschwierigkeiten nicht überzeugen kann, ist für die Zwecke der vorliegenden Arbeit von erheblicher Relevanz, welche Auswirkungen dieser Vorschlag auf die Testierfreiheit hat. Dabei ist insbesondere zu berücksich-
697 Zutreffend daher Röthel, AcP 210 (2010), 32, 63: „In der amerikanischen Rechtsprechung zu undue influence spielen insoweit Vermutungen eine große Rolle. Dies sollte nicht in derselben Form übernommen werden. Nicht jede Verfügung, die der seit Jahren hochgradig pflegebedürftige Erblasser zugunsten von Pflegern oder Betreuern macht, ist fremdbestimmt. Weder kann aus der Fremdnützigkeit auf die Fremdbestimmtheit geschlossen werden, noch darf Fürsorge in Generalverdacht geraten.“; In diese Richtung auch Boehm, Der demenzkranke Erblasser, 241 u. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 125 f.
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tigen, dass die Anfechtung, ähnlich wie das Sittenwidrigkeitsverdikt, ein Institut ist, welches grundsätzlich erst nach der Beeinflussung und nach dem Tod des Erblassers zur Anwendung gelangt. Die Anfechtung schützt vor der Beeinflussung mithin nicht ex-ante, sondern erst ex-post.698 Diese Unterscheidung ist von hoher Relevanz, da letztere Mechanismen erst zur Anwendung kommen, wenn der Erblasser zu einer erneuten Willensbildung nicht mehr in der Lage ist. Dies hat zur Folge, dass der Erblasser keine Möglichkeit zu einer erneuten freien Entscheidung hat. Eine Einsicht, die die Rechtsprechung und herrschende Ansicht unter anderem dazu veranlasst hat, den kategorialen Vorrang der Auslegung einer letztwilligen Verfügung vor ihrer postmortalen Anfechtung zu postulieren. Das Anfechtungsrecht kann lediglich die Existenz einer fremdbestimmten Verfügung von Todes wegen verhindern, nicht aber ein selbstbestimmtes Testieren ermöglichen. Inwiefern die Rechtsfolgen, die bei Anordnung der Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung in Folge der Anfechtung in der Anwendung der gesetzlichen Erbfolge liegen, tatsächlich dem Erblasserwillen entsprechen, kann nicht überprüft werden. Aus diesem Grund ist es durchaus möglich, dass dem Erblasser die gesetzliche Erbfolge nachträglich oktroyiert wird. Sowohl die im vorherigen Kapitel untersuchte verstärkte Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB als auch die Erweiterung der Anfechtungsgründe sind daher kaum in der Lage, die Testierfreiheit vulnerabler Erblasser wirksam zu schützen. Vielmehr lässt der Vorschlag der Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme, neben den bereits dargelegten Nachteilen, weitere Risiken für die Testierfreiheit entstehen. So erhöhen alle Vorschläge, insbesondere der Vorschlag zur Erweiterung der Anfechtungsbefugnis, die die Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit einer letztwilligen Verfügung anordnen, die Gefahr, dass „stets dann korrigierend zulasten der Testierfreiheit eingegriffen wird, wenn die allgemeinen Vorstellungen über eine gerechte und ,sittlich gebotene‘ Verfügung durch die Verfügungen des Erblassers enttäuscht werden.“699
Dies dürfte insbesondere bei familienfremden Zuwendungen der Fall sein.700 Bei Erweiterung der ex-post Maßnahmen besteht somit stets die Gefahr, dass 698
Diese Unterscheidung nimmt auch Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft 122 ff., vor. 699 Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 124. Als Beispiel führt Christandl die Zuwendung an außereheliche Partner oder viel jüngere Lebensgefährten oder auch bloße familienfremde Personen an. Bei diesen Verfügungen, die zulasten der nahen Angehörigen gingen, bestehe die Gefahr, dass zur Abänderung bzw. Vernichtung der Verfügung von Todes wegen eine tatsächlich nicht vorhandene, unzulässige Einflussnahme angenommen werden könne. 700 Vgl. Christandl, Selbstbestimmtes Testieren in einer alternden Gesellschaft, 124 mit Verweis auf Spivack, U. Kann. L. Rev. 58 (2009/2010) 268.
III. Vulnerabilität und Testierfreiheit
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ungewöhnliche, – weil für die gesetzlichen Erben nachteilige – Inhalte einer Verfügung von Todes wegen als Anzeichen für eine Fremdbestimmung gewertet werden. Werden die Ergebnisse dieses Kapitels zu den Grenzen der Testierfreiheit zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Fremdbestimmung betrachtet, wird deutlich, dass dieses Problem noch dadurch verstärkt wird, dass vielfach nicht die Erblasser und deren Autonomie, sondern die gesetzlichen Erben geschützt werden sollen. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass es für den Schutz der Autonomie des Erblassers nicht nützlich ist, die Anfechtbarkeitsgründe zu erweitern. Darüber hinaus bringen die Vorschläge erheblich nachteilige Auswirkungen auf die Testierfreiheit mit sich, sodass sie als unzulässige Begrenzungen der Testierfreiheit bewertet werden können. Die Erweiterung der Anfechtungsbefugnis würde dabei eine Grenze der Testierfreiheit darstellen, die dem Schutz der Testierfreiheit vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte dienen soll. Werden die in der Literatur angeführten maßgeblichen Gründe für die Einführung dieses Vorschlags betrachtet, so wird deutlich, dass erneut die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und gesetzlichen Erben verkannt wird. Die Anfechtungsbefugnis soll in erster Linie deshalb erweitert werden, um dem Autonomiedefizit als Legitimationsdefizit in Bezug auf die Zurückdrängung der gesetzlichen Erben begegnen zu können. Dass eine solche Sichtweise nicht überzeugen kann, wurde bereits an zahlreichen Stellen in dieser Arbeit verdeutlicht.701 Der vielfach gelobte Vorschlag zur Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme ist daher abzulehnen.
5. Fazit: Vorschläge und Vorschriften zum Schutz des vulnerablen Erblassers als unzulässige Grenzen der Testierfreiheit Wenngleich vulnerable Erblasser regelmäßig leichter zu beeinflussen und damit einhergehend auch stärker der Gefahr einer Einflussnahme ausgesetzt sind, bedeutet dies nicht, dass diese nur über eine eingeschränkte Testierfreiheit verfügen. Die in der Literatur diskutierten und im Gesetz bereits durch § 14 HeimG manifestierten Vorschläge zum Schutz solcher Erblasser sind allesamt abzulehnen. Es kann für diese Gruppe von Erblassern nicht förderlich sein, ihnen die Ausübung der Testierfreiheit durch gesteigerte Förmlichkeiten in Form der Abschaffung des privatschriftlichen Testaments zu erschweren. Erst recht ist der Erlass von Testierverboten zum Schutz der Testierfreiheit der denkbar schlechteste Weg, um die Testierfreiheit vulnerabler
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So insbesondere für den vergleichbaren Vorschlag der verstärkten Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes, s. dazu exemplarisch Kap. D. II. 7. b).
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
Erblasser zu schützen. Dies gilt auch für eine Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit. Den Erblasser dazu zu verpflichten, zunächst nachzuweisen, dass dieser über die notwendigen Fähigkeiten zur Errichtung eines Testaments verfügt, bedeutet die Testierfreiheit in das Gegenteil zu verkehren. Nicht zuletzt überzeugt auch die Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme nicht. Sie ist nicht in der Lage, die Testierfreiheit des Erblassers zu schützen, sondern schränkt diese vielmehr durch die Gefahr der Anfechtbarkeit einer vollumfänglich wirksamen Verfügung von Todes wegen ein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verfügung (vermeintlich) ungewöhnlich erscheint, weil familienfremde Personen anstatt der gesetzlichen Erben begünstigt werden. Die Ungewöhnlichkeit einer wirksamen Verfügung von Todes wegen wird dann regelmäßig zu deren Anfechtbarkeit und darauf aufbauend zur Nichtigkeit der Verfügung von Todes wegen führen. Verstärkt werden diese Gefahren für die Testierfreiheit dadurch, dass zahlreiche Stimmen in der Literatur mit dem Schutz vor der Fremdbestimmung in erster Linie nicht den Schutz des Erblassers, sondern der gesetzlichen Erben bezwecken.
IV. Abschließende Betrachtung der Ergebnisse zu der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit Die Untersuchung der zahlreichen Vorschriften und Forderungen zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung und die damit einhergehenden erheblichen Beschränkungen der Testierfreiheit hat die zu Beginn dieser Arbeit aufgestellte These, dass es sich hierbei um die zweite zentrale Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit handelt, bestätigt. Die vorgenommene Kategorisierung der Grenzen der Testierfreiheit kann daher aufrechterhalten werden. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der Erblasser durch das Gesetz hinreichend vor Beeinträchtigungen seiner Entschließungsfreiheit sowohl vor und während als auch nach der Errichtung der Verfügung von Todes wegen geschützt ist. Bestimmte „Schutzlücken“ bestehen zwar, diese sind jedoch in gewisser Weise vom Gesetz vorgesehen und folglich hinzunehmen. Nicht jede Einflussnahme hat daher Auswirkungen auf die rechtliche Beurteilung der Verfügung von Todes wegen. Ein Erblasser steht regelmäßig unter den heterogenen Einflüssen seiner Umwelt, die sich in der errichteten Verfügung von Todes wegen manifestieren. Der Mensch und seine Entscheidungen sind ein Produkt seiner Umwelt. Dies ist zu berücksichtigen, wenn wieder einmal der Schutz der Autonomie des Erblassers unterhalb der Schwelle zur rechtswidrigen Drohung gefordert wird.
IV. Ergebnisse zu der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
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Die Kapitel D. II. und III. haben zudem gezeigt, dass zahlreiche der untersuchten Vorschriften und Forderungen mit der Testierfreiheit unvereinbar sind. Sie stellen unzulässige Grenzen der Testierfreiheit dar. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die Verfassungswidrigkeit des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit aus § 2065 BGB und des Testierverbots nach § 14 HeimG verwiesen. Auch die Ablehnung der partiellen und relativen Testierfähigkeit durch die Rechtsprechung ist mit der Testierfreiheit unvereinbar. Dies gilt ferner für zahlreiche Forderungen der Literatur, wie beispielsweise für die Abschaffung des privatschriftlichen Testaments, die Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit für bestimmte Erblassergruppen und die Forderung nach einer verstärkten Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz vor fremdbestimmten Verfügungen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die Ursache für die Beeinträchtigung der Testierfreiheit regelmäßig in einem Verkennen des rechtlichen Verhältnisses zwischen Erblasser und Erbprätendenten, zu denen insbesondere auch die gesetzlichen Erben gehören, liegt. So wird die gesetzliche Erbfolge oder eine frühere wirksame Erbeinsetzung als besonders schützenswert ausgemacht und ein Abweichen von dieser als rechtfertigungsbedürftig angesehen. Dabei wird beispielsweise verlangt, dass der Erblasser verantwortungsvoll und hinreichend selbstbestimmt handelt, um von der gesetzlichen Erbfolge abweichen zu können. Tatsächlich betreiben Gesetz, Rechtsprechung und vor allem die Literatur an zahlreichen Stellen nicht den Schutz der Autonomie des Erblassers, sondern den Schutz der gesetzlichen und gewillkürten Erben. Sie betonen, die Autonomie des Erblassers schützen zu wollen, ohne dass ihre entsprechenden rechtlichen Instrumente dafür geeignet sind. Stattdessen schränken sie die Testierfreiheit ein und dienen lediglich dem Schutz der Erbprätendenten sowie insbesondere dem Schutz der gesetzlichen Erben. Besonders deutlich wird dies anhand der Vorschläge zu der Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme. Dies ist ein zentraler Lösungsvorschlag Boehms, die den Schutz des demenzkranken Erblassers untersucht. Demenzkranke Erblasser können durch eine solche Erweiterung der Anfechtungsbefugnis jedoch von vorneherein nicht geschützt werden. Vielmehr geht mit diesem Vorschlag die Gefahr der Missachtung des Erblasserwillens einher. Die Anfechtung wird regelmäßig erst nach dem Erbfall relevant und führt dazu, dass die Anordnungen des Erblassers für nichtig erklärt werden. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch ein selbstbestimmtes Testieren des Erblassers nicht mehr möglich. Es gilt dann grundsätzlich die gesetzliche Erbfolge, ohne dass dabei relevant ist, ob der Erblasser dies tatsächlich gewollt hätte. Gleiches gilt für die von Röthel vorgeschlagene extensivere Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes. Es handelt sich bei diesen Vorschlägen um Maßnahmen zugunsten gesetzlicher und früherer gewillkürter Erben. Dem zu dem Zeitpunkt der Anfechtung bereits verstorbenen Erblasser und seiner Autonomie nützen sie hingegen
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D. Die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
nicht. Lediglich als Reflex könnte ein Schutz des Erblasserwillens dann vorliegen, wenn dieser zufällig ohne die Fremdbestimmung die gesetzliche Erbfolge hätte gelten lassen wollen. Insofern lassen sich diese Vorschläge als „Gift für die Testierfreiheit“ charakterisieren, weil diese – anders als die ergänzende Testamentsauslegung – die Verwirklichung des Erblasserwillens in der Regel gänzlich zerstören. Darüber hinaus scheinen die Rechtsprechung und Literatur bei der Untersuchung erbrechtlicher Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches den Bedeutungsgehalt der Testierfreiheit zu „vergessen“. Besonders deutlich wurde dies unter anderem bei der Untersuchung des Grundsatzes der materiellen Höchstpersönlichkeit. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die aktuellen Kommentierungen Ottes verwiesen. So führt dieser in seiner Einleitung zum Erbrecht einerseits aus, dass es für die Übergehung der gesetzlichen Erben keiner Rechtfertigung bedürfe.702 Andererseits betont Otte in seiner Kommentierung zu § 2065 BGB, dass die Befugnis, von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen, dem Erblasser nur dann zustehen soll, wenn dieser einen eigenverantwortlichen Entschluss über etwaige erbrechtliche Anordnungen gefasst hat, da nur dieser die Verdrängung der gesetzlichen Erben rechtfertigen könne.703 Damit führt er mittelbar ein Rechtfertigungserfordernis ein. Diese gesamten aufgezeigten Tendenzen des Gesetzes, der Rechtsprechung und der Literatur sorgen dafür, dass zunehmend eine Abkehr von dem Prinzip der weitestgehenden Verwirklichung des Erblasserwillens stattfindet. Die Testierfreiheit sieht sich daher auch im Hinblick auf die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit in ihrer Funktion als ein den Erblasser schützendes Individualgrundrecht bedroht. Während ein derartiger Befund für die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit bereits an der Bezeichnung dieser Beschränkungen als solche, die dem Schutz der Erbprätendenten vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen, erkennbar war, ist dies für die zweite Kategorie nicht der Fall. So 702 So Staudinger/Otte Einleitung zum Erbrecht Rn. 54: „Die Testierfreiheit gibt dem Erblasser die Möglichkeit, das Schicksal seines Vermögens ohne Bindung an die gesetzliche Erbfolge zu regeln. Sie ist kein pflichtgebundenes Recht, das nur zum Wohl der Familie ausgeübt werden dürfte […]. Eine Begründung für die Übergehung aller gesetzlichen Erben braucht der Erblasser ebensowenig zu geben wie für eine von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Vermögensverteilung unter seinen Angehörigen.“ 703 So Staudinger/Otte BGB § 2065 Rn. 2: „Die Befugnis, von der gesetzlichen Ordnung der Vermögensnachfolge abzuweichen, soll dem Erblasser nur zustehen, wenn er einen eigenen Entschluss hinsichtlich der Geltung und des Inhalts seiner Anordnungen fasst und ihn in der gehörigen Form äußert; Entscheidungen über das Schicksal eines Vermögens nach dem Tod seines Inhabers sollen nicht von Dritten getroffen werden können, die sich der Verantwortung für die Verwendung dieses Vermögens nicht als Inhaber desselben bewusst werden konnten […].“; in diese Richtung wohl auch MüKoBGB/Leipold BGB § 2065 Rn. 1.
IV. Ergebnisse zu der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit
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wird bei zahlreichen Vorschriften und Vorschlägen angeführt, dass diese dem selbstbestimmten Testieren und damit einhergehend auch der Verwirklichung des Erblasserwillens und der Testierfreiheit dienen sollen. Tatsächlich hat sich jedoch bei näherer Untersuchung herausgestellt, dass diese Ansätze hierfür zum einen ungeeignet sind und zum anderen eine andere Zielrichtung verfolgen. Sie dienen tatsächlich lediglich dem Schutz der Erbprätendenten und gesetzlichen Erben und könnten daher faktisch zumindest teilweise auch der ersten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit zugeordnet werden. Als Ergebnis für die Untersuchung der zweiten Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit ist festzuhalten: 1. Die Testierfreiheit sieht sich auch innerhalb der zweiten Kategorie ihrer Grenzen zahlreichen Beschränkungen durch Gesetz, Rechtsprechung und Literatur ausgesetzt. 2. Einige Beschränkungen wollen die Autonomie des Erblassers schützen. Tatsächlich verfehlen sie dieses Ziel jedoch, indem sie allein die gesetzlichen Erben und andere Erbprätendenten begünstigen. 3. Die Unzulässigkeit dieser Beschränkungen beruht auf einem fehlerhaften Autonomieverständnis. 4. Dieses fehlerhafte Autonomieverständnis beruht wiederum regelmäßig auf einem Verkennen der Bedeutung der gesetzlichen Erbfolge und der rechtlichen Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten. 5. Der individualschützende Charakter der Testierfreiheit ist hierdurch in besonderer Weise beeinträchtigt. Dies gilt umso mehr, als dass die Beeinträchtigungen der Testierfreiheit vorgeben, den Willen des Erblassers zu schützen. Für die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit konnte festgestellt werden: Es müssen nicht Erbprätendenten oder Kollektivgüter vor der Testierfreiheit des Erblassers, sondern die Testierfreiheit des Erblassers vor dem Gesetz, der Rechtsprechung und der Literatur geschützt werden. Dieser Befund gilt für die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit gleichermaßen, jedoch mit folgender Ergänzung: Es bedarf keines weiteren Schutzes des selbstbestimmten Testierens und der Autonomie des Erblassers. Vielmehr muss die Testierfreiheit vor Bestimmungen und Vorschlägen geschützt werden, die einen Autonomieschutz betreiben wollen, tatsächlich jedoch allein den gesetzlichen Erben dienen. Bei diesen Vorschlägen handelt es sich um „Gift für die Testierfreiheit“, da sie einer Verwirklichung des Erblasserwillens regelmäßig entgegenstehen.
E. Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung Die vorliegende Analyse, die sich mit den Grenzen der Testierfreiheit befasst hat, hat zahlreiche unzulässige Beschränkungen derselben dargetan. Die Vielzahl der gefundenen Ergebnisse im Hinblick auf die Begrenzungen der Testierfreiheit macht es erforderlich, diese in einem eigenständigen Kapitel zusammenzufassen. Da die Ergebnisse des Kapitels B. bereits zusammengefasst wurden, bezieht sich die nachfolgende Auflistung nur auf die Ergebnisse der Kapitel C. und D. 1. Die Grenzen der Testierfreiheit lassen sich im Wesentlichen in zwei Kategorien einteilen. So gibt es zum einen Beschränkungen der Testierfreiheit, die dem Schutz der gesetzlichen Erben, anderer Erbprätendenten und von Kollektivgütern vor der Testierfreiheit des Erblassers dienen. Zum anderen wird die Testierfreiheit eingeschränkt, um das selbstbestimmte Testieren vor unzulässiger Einflussnahme Dritter zu schützen. 2. Die Testierfreiheit sieht sich verschiedenen unzulässigen Beschränkungen durch Rechtsprechung und Literatur ausgesetzt. Diese beruhen auf drei zentralen Missverständnissen: a. Sowohl Gesetz, Rechtsprechung als auch die Literatur verkennen die rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten. b. Rechtsprechung und Literatur übersteigern die Bedeutung der gesetzlichen Erbfolge. c. Literatur, Rechtsprechung und zum Teil auch der Gesetzgeber missverstehen die Zielrichtung und Bedeutung des Schutzes des selbstbestimmten Testierens. Im Vordergrund steht vielfach nicht die Verwirklichung des Erblasserwillens, sondern der Schutz der gesetzlichen Erben vor einer diese verdrängenden Verfügung von Todes wegen des Erblassers. 3. Diese drei Missverständnisse führen dazu, dass die Testierfreiheit vielfach unzulässig eingeschränkt wird. Der Umstand, dass gesetzliche Erben und andere Erbprätendenten als schutzbedürftig angesehen werden und aus diesem Grund die Testierfreiheit begrenzt wird, hat erhebliche Auswirkungen auf den individualschützenden Charakter.
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E. Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
4. Die Ergebnisse dieser Arbeiten zeigen, dass die zuvor aufgezeigten drei Missverständnisse erhebliche negative Auswirkungen auf die Testierfreiheit haben. Hinzu kommt, dass die Missverständnisse in Widerspruch zu den Ausführungen in den Motiven und Protokollen und damit einhergehend zu dem Willen des historischen Gesetzgebers stehen. 5. Für die erste Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit konnte festgestellt werden: Es müssen nicht Erbprätendenten oder Kollektivgüter vor der Testierfreiheit des Erblassers, sondern die Testierfreiheit des Erblassers vor dem Gesetz, der Rechtsprechung und der Literatur geschützt werden. 6. Für die zweite Kategorie der Grenzen der Testierfreiheit konnte ergänzend festgestellt werden: Es bedarf keines weiteren Schutzes des selbstbestimmten Testierens und der Autonomie des Erblassers. Vielmehr muss die Testierfreiheit vor Bestimmungen und Ansichten geschützt werden, die einen Autonomieschutz betreiben wollen, tatsächlich jedoch allein den gesetzlichen Erben und Erbprätendenten dienen. 7. Die Ergebnisse unter 3.–6. zeigen die Erforderlichkeit einer Korrektur der aufgezeigten Missverständnisse. Diese soll im nachfolgenden Kapitel (F.) vorgenommen werden. Das Ziel einer solchen Korrektur ist der Schutz der Testierfreiheit vor zukünftigen unzulässigen Beeinträchtigungen und die Wiederherstellung beziehungsweise Aufrechterhaltung ihres individualschützenden Charakters. 8. Die bereits bestehenden Begrenzungen der Testierfreiheit müssen zum Teil korrigiert beziehungsweise abgeschafft werden. 9. Für die Grenzen der Testierfreiheit der ersten Kategorie gilt daher: a. Die Theorie von der Ausübung unzulässigen Drucks auf die Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten durch den Erblasser ist aufzugeben. b. Diskriminierende Verfügungen von Todes wegen unterfallen nicht dem Sittenwidrigkeitsverdikt. c. Eine Verletzung familiärer Pflichten durch die Errichtung und Ausgestaltung einer Verfügung von Todes wegen ist nicht möglich. Verfügungen von Todes wegen, die die Interessen naher Angehöriger des Erblassers nicht berücksichtigen, unterfallen nicht dem Sittenwidrigkeitsverdikt. Dies gilt selbst im Falle der Bedürftigkeit naher Angehöriger. d. Ein sogenanntes Behindertentestament unterfällt ebenfalls nicht dem Sittenwidrigkeitsverdikt. e. Der in dieser Arbeit entwickelte Lösungsvorschlag zur Feststellung der Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen ist von der Rechtsprechung zu übernehmen. Da eine Verfügung von Todes wegen in objektiver
E. Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
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Hinsicht stets ein Angebot enthält, ist die subjektive Komponente bei der Sittenwidrigkeitsprüfung maßgeblich. Der Lösungsvorschlag ermöglicht es, die wenigen Fälle sittenwidriger Verfügungen von Todes wegen auch als solche zu erfassen. f. Die Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen beurteilt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen und den maßgeblichen Anschauungen zu dem Zeitpunkt der Errichtung. Eine Prognose und das damit einhergehende Prognoserisiko, das bei der Maßgeblichkeit des Zeitpunktes des Erbfalls und der richterlichen Würdigung entstehen würde, ist dem Erblasser nicht zuzumuten und mit der Testierfreiheit unvereinbar. g. Die Rechtsfolgen des Sittenwidrigkeitsverdiktes bestimmen sich nach dem Erblasserwillen. Die von der Literatur und Teilen der Rechtsprechung favorisierte Aufrechterhaltung des verbleibenden Teils der Zuwendung aus Gründen des Bedachtenschutzes und zwecks Sanktionierung des Erblassers beschränkt die Testierfreiheit erheblich und stellt einen unzulässigen Eingriff in die Testierfreiheit dar. h. An das Ereignis im Sinne des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB sind keine besonderen Anforderungen zu stellen. Die gegenteilige Auffassung, die an das Ereignis im Sinne des § 2109 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB strenge Anforderungen stellt und fordert, dass dieses eine besondere Beziehung zu der Person des Vor- oder Nacherben hat, stellt eine unzulässige Beschränkung der Nacherbfolgenanordnung dar. Sie verkennt, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG dazu führt, dass die einfach-gesetzlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches im Lichte der Testierfreiheit ausgelegt werden müssen. i. Dem Erblasser muss es erlaubt sein, das Ende der Testamentsvollstreckung nach § 2210 S. 2 BGB von einer Kombination der genannten Ereignisse abhängig zu machen, sodass ein Ende der Testamentsvollstreckung erst dann anzunehmen ist, wenn sämtliche Bedingungen erfüllt sind. Andere Sichtweisen sind nicht in der Lage, die mit diesen einhergehenden weiterreichenden Beschränkungen der Testierfreiheit zu rechtfertigen. Eine Testamentsvollstreckung beziehungsweise die Stellung als Testamentsvollstrecker kann nicht der Verwirkung unterfallen. j. Die überzogenen Anforderungen der Rechtsprechung im Hinblick auf die Pflichtteilsentziehung sind aufzugeben. Sie stellen eine unzulässige Beeinträchtigung der Testierfreiheit dar. Die vorgeschlagenen Rechtsprechungsänderungen sind zu übernehmen. k. Art. 64 Abs. 2 EGBGB muss ein völliges Abbedingen der landesrechtlichen Anerbengesetze ermöglichen. Solche Ansichten, die die Testierfreiheit bereits dann als beachtet ansehen, wenn dem Erblasser die Möglichkeit der freien Erbenbestimmung innerhalb des für ihn ansonsten verbindlichen Anerbenrechts gegeben ist, schränken die Testierfreiheit ein und verkennen die Einwirkung der verfassungsrechtlich geschützten Testierfreiheit auf das einfache Recht.
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E. Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
l. Die Höfeordnung ist dahingehend zu ändern, dass eine Begründung der Hofeigenschaft kraft Gesetzes und daher ohne Zustimmung des Hofeigentümers nicht erfolgt. Sogenannte „Ist-Betriebe“ darf es bei zutreffender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit nicht geben. Die „Ist-Betriebe“ widersprechen darüber hinaus dem ansonsten fakultativen Charakter des Landwirtschaftserbrechts. 10. Für die Grenzen der Testierfreiheit der zweiten Kategorie gilt: a. Die derzeitige Rechtsprechung, die sowohl eine partielle als auch eine relative Testierfähigkeit ablehnt, ist aufzugeben. Einem Erblasser, der sachoder personenbezogen geistesgestört und daher nur im Hinblick auf diesen Bereich testierunfähig ist und ansonsten wirksam testieren kann, darf nicht die Testierfähigkeit insgesamt abgesprochen werden. Darüber hinaus darf einem Erblasser auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung zur relativen Testierfähigkeit aus verfassungsrechtlichen Gründen die Testierfähigkeit nicht deshalb abgesprochen werden, weil er bestimmte erbrechtliche Zusammenhänge nicht versteht. b. Die derzeitige zulässige Ausgestaltung des Form- und Typenzwangs ist beizubehalten. Die in der Literatur zunehmend geforderte Abschaffung des eigenhändigen Testaments ist mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Testierfreiheit unvereinbar, weil sie die formalen Hürden für die Testamentserrichtung und die Testamentsänderung unverhältnismäßig erschweren würde. c. Der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit ist beizubehalten. Wenngleich durch § 2064 BGB die Testierfreiheit einschränkt wird, dient der Grundsatz der formellen Höchstpersönlichkeit auch dem Autonomieschutz und damit einhergehend der Verwirklichung des Erblasserwillens. d. Der Grundsatz der materiellen Höchstpersönlichkeit ist verfassungswidrig und daher abzuschaffen. Trotz der in Rechtsprechung und Literatur zahlreich vorhandenen Legitimationsansätze ist festzuhalten, dass § 2065 BGB zur Förderung eines legitimen Zwecks ungeeignet ist. Insbesondere ist die Argumentation der Rechtsprechung, die auf den Schutz der gesetzlichen Erben abstellt, aufzugeben, da diese nicht nur die Testierfreiheit in verfassungswidriger Weise einschränkt, sondern insbesondere auch ihren individualschützenden Charakter beeinträchtigt. e. Das Sittenwidrigkeitsverdikt ist zum Schutz des Erblassers vor unzulässiger Beeinflussung durch Dritte ungeeignet. Die bisherige, wenn auch vereinzelt gebliebene Rechtsprechung, die § 138 Abs. 1 BGB auf unzulässige Einflussnahmen bei der Errichtung der Verfügung von Todes wegen angewendet hat, ist aufzugeben. Der Forderung der Literatur nach einer verstärkten Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes auf Verfügungen von Todes wegen, die unter einer Beeinflussung unterhalb der Schwelle zur rechtswidrigen Drohung entstanden sind, ist nicht zu folgen. Sie schränkt die Testier-
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freiheit ein und verkennt, dass Beeinflussung nach der Zivilrechtsordnung stets nur zur Anfechtbarkeit und gerade nicht zur Sittenwidrigkeit der Verfügung von Todes wegen führt. Insbesondere führt auch die rechtswidrige Drohung als stärkere Form der Einflussnahme lediglich zu der Anfechtbarkeit der Verfügung von Todes wegen. f. Die in der Literatur vielfach geforderte Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung für sogenannte vulnerable Erblasser ist nicht zu übernehmen. Die Selbstbestimmungsfähigkeit der Erblasser wird durch die Umkehr der Vermutung der Testierfähigkeit nicht etwa gefördert oder besser geschützt. Vielmehr wird ein zusätzlicher Aufwand notwendig, der den Erblasser die Ausübung der Testierfreiheit erschwert. Der von Teilen der Literatur angeführte Schutz des selbstbestimmten Testierens ist daher mit einer Umkehr der Testierfähigkeitsvermutung unerreichbar. Im Ergebnis dient auch dieser Vorschlag lediglich dem Schutz der gesetzlichen Erben oder früherer Erbprätendenten und beeinträchtigt daher zusätzlich den individualschützenden Charakter der Testierfreiheit. g. Der Vorschlag zur Steigerung der Förmlichkeiten für das Testieren von vulnerablen Erblassern, wie beispielsweise die Forderung nach der Abschaffung des privatschriftlichen Testaments für todesnahe Erblasser, ist ebenfalls mit der Testierfreiheit unvereinbar und daher nicht zu übernehmen. h. § 14 HeimG und die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen sind verfassungswidrig und deshalb abzuschaffen. Testierverbote sind zum Schutz der Autonomie des Erblassers vollständig ungeeignet. Ein Schutz des Testierens mit Testierverboten zu begründen ist widersprüchlich und mit der Testierfreiheit unvereinbar. i. Auch der vielfach geäußerte Vorschlag zu der Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme überzeugt nicht. Dieser kann weder die Autonomie des Erblassers noch die Testierfreiheit schützen. Vielmehr soll die Anfechtungsbefugnis in erster Linie erweitert werden, um dem Autonomiedefizit als Legitimationsdefizit im Hinblick auf die Zurückdrängung der gesetzlichen Erben begegnen zu können. Auch bei diesem Vorschlag steht daher nicht der Erblasser, sondern der gesetzliche Erbe im Vordergrund. Der Gesetzgeber sollte die Anfechtungsbefugnis daher nicht um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme erweitern. Der Vorschlag ist als „Gift für die Testierfreiheit“ zu charakterisieren, weil dieser – anders als die ergänzende Testamentsauslegung – die Verwirklichung des Erblasserwillens in der Regel zerstören wird.
F. Korrektur der fehlerhaften Annahmen von Gesetz, Rechtsprechung und Literatur zur Verhinderung zukünftiger unzulässiger Beschränkungen der Testierfreiheit Die Ergebnisse dieser Arbeit haben gezeigt, dass unzulässige Grenzen der Testierfreiheit im Wesentlichen auf drei verschiedenen Missverständnissen beruhen. Aus diesem Grund sollen im Folgenden Forderungen in Bezug auf den Umgang mit den Begrenzungen der Testierfreiheit aufgestellt werden, die sowohl bestehende als auch künftige Beeinträchtigungen der Testierfreiheit verhindern. Dabei müssen Einschränkungen der Testierfreiheit offenkundig nicht nur diese drei Forderungen berücksichtigen, sondern darüber hinaus noch anderen Anforderungen, wie beispielsweise dem Angemessenheitserfordernis, gerecht werden. Gleichwohl haben die Ergebnisse dieser Arbeit gezeigt, dass diese drei Missverständnisse dazu führen, dass die Begrenzungen der Testierfreiheit regelmäßig keinen legitimen Zweck verfolgen. Aus diesem Grund kann der Schutz der Testierfreiheit und ihres individualschützenden Charakters durch die Korrektur dieser Missverständnisse realisiert werden. 1. Missverständnis: Die Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten Die Analyse der Grenzen der Testierfreiheit hat gezeigt, dass vielfach sowohl in Literatur als auch in Rechtsprechung Erbprätendenten für schutzbedürftig gehalten werden. Die fehlerhafte Annahme einer solchen Schutzbedürftigkeit hat die Folge, dass die Testierfreiheit des Erblassers zugunsten der Erbprätendenten erheblich eingeschränkt wird. Besonders deutlich zu erkennen ist dies an der derzeitigen Anwendung des Sittenwidrigkeitsverdiktes zum Schutz der Erbprätendenten vor vermeintlich unzulässiger Beeinflussung durch den Erblasser. Da die Erbeinsetzung unabhängig von ihrer Ausgestaltung für Erbprätendenten stets ein Angebot und damit eine Erweiterung ihrer Rechte darstellt, verfolgt eine Einschränkung der Testierfreiheit zum Schutz der Erbprätendenten keinen legitimen Zweck und stellt mithin stets eine verfassungswidrige Grenze der Testierfreiheit dar. Zur Auflösung dieses Missverständnisses gilt daher die Beachtung des Grundsatzes, dass
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F. Verhinderung zukünftiger unzulässiger Beschränkungen
Erblasser durch die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen, unabhängig von ihrer Ausgestaltung, nicht negativ auf Erbprätendenten einwirken können. Die Verfügung von Todes wegen stellt eine Art Schenkungsangebot an den Erbprätendenten dar, durch das dieser stets ein Mehr an Rechten erlangt. Erbprätendenten benötigen daher keinen Schutz vor der mit der Testierfreiheit verbundenen Testiermacht des Erblassers. 2. Missverständnis: Die Bedeutung der gesetzlichen Erbfolge Darüber hinaus ist in zahlreichen Abschnitten dieser Arbeit deutlich geworden, dass die gesetzliche Erbfolge von der Rechtsprechung und der Literatur als besonders schützenswert ausgemacht wird. Hierbei handelt es sich um das zweite zentrale Missverständnis in Bezug auf die Einschränkungen der Testierfreiheit. In einfachgesetzlicher Hinsicht ist dies besonders an den fehlerhaften Legitimationsversuchen zu § 2065 BGB deutlich geworden. In Bezug auf dieses Missverständnis ist hervorzuheben, dass die gesetzliche Erbfolge nicht schützenswert ist. Auch für die gesetzlichen Erben gilt, dass niemand – außerhalb des Pflichtteilsrechts – einen Anspruch auf Partizipation an dem Nachlass des Erblassers besitzt. Die Interessen der gesetzlichen Erben sind daher außerhalb des Pflichtteilsrechts nicht schützenswert. Die gesetzliche Erbfolge kann daher keine Anforderungen an die Verfügung von Todes wegen stellen, die sie verdrängt. Insbesondere muss der Erblasser nicht über eine hinreichende Legitimation verfügen und auch nicht verantwortungsvoll handeln. Sofern der Erblasser eine wirksame Verfügung von Todes wegen errichtet und darin eine gewillkürte Erbfolge vornimmt, tritt die gesetzliche Erbfolge zurück. Das Aufstellen höherer Anforderungen an die wirksame Errichtung einer Verfügung von Todes wegen, um die gesetzliche Erbfolge zu schützen, ist mit der Testierfreiheit unvereinbar. 3. Missverständnis: Zielrichtung und Bedeutung des Schutzes der Autonomie des Erblassers Als drittes zentrales Missverständnis ist ein fehlerhaftes Verständnis von der Zielrichtung und der Bedeutung des Autonomieschutzes zu nennen. So wird vielfach betont, dass der Schutz der Autonomie des Erblassers ein Legitimationsdefizit im Hinblick auf die Zurückdrängung der gesetzlichen Erben verhindern solle. Besonders deutlich ist dies im Rahmen der Diskussion um den Schutz des selbstbestimmten Testierens des vulnerablen Erblassers, welche im Ergebnis eine Diskussion um den bestmöglichen Schutz gesetzlicher Erben vor fremdbestimmten Verfügungen darstellt, geworden. Darüber hinaus kann eine Verhinderung beziehungsweise Erschwerung der Ausübung der Testierfreiheit, wie beispielsweise durch den Erlass von Testierverboten nach dem Vorbild des § 14 HeimG oder durch die Steigerung von Förmlichkeiten in Form der Abschaffung des eigenhändigen Testaments, ebenfalls
F. Verhinderung zukünftiger unzulässiger Beschränkungen
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nicht dem Schutz des selbstbestimmten Testierens dienen und damit einhergehend auch nicht die Testierfreiheit fördern. Richtig verstanden ist es vielmehr Ziel des Autonomieschutzes, dass allein der Erblasserwille und die damit einhergehende Testierfreiheit verwirklicht werden sollen. Er dient nicht der Verhinderung eines Legitimationsdefizites aufgrund eines Autonomiedefizites im Hinblick auf die Verdrängung der gesetzlichen Erben. Ex-post Schutzmechanismen, wie die vielfach geforderte Erweiterung der Anfechtungsbefugnis um den Tatbestand der unzulässigen Einflussnahme, sind zu einem Autonomieschutz nicht in der Lage. Sie begünstigen im Regelfall allein die gesetzlichen Erben und können folglich Beschränkungen der Testierfreiheit nicht rechtfertigen. Des Weiteren bedeutet Autonomieschutz nicht, die Ausübung von der Testierfreiheit erheblich zu erschweren oder unmöglich zu machen.
G. Schlussbetrachtung Die vorgenommene Untersuchung und die aufgestellten Forderungen sind als ein Plädoyer für die Stärkung der Testierfreiheit und ihres individualschützenden Charakters zu verstehen. Dabei gilt das Primat des Erblasserwillens und der Testierfreiheit nicht uneingeschränkt. Die Testierfreiheit findet ihre Grenze an Stellen, an denen der Gesetzgeber den Geltungsbereich des normgeprägten Grundrechts der Testierfreiheit zulässig zum Schutz von Kollektivgütern oder zum Schutz der Autonomie des Erblassers ausgestaltet. Gleichwohl hat die Gesamtbetrachtung der Grenzen der Testierfreiheit gezeigt, dass das Gesetz, die Rechtsprechung und die Literatur vielfach zu weit gehen und die Testierfreiheit ohne legitimen Zweck und im Übrigen auch unverhältnismäßig einschränken. Die durchgeführte Analyse hat dabei verdeutlicht, dass nahezu sämtliche Beeinträchtigungen der Testierfreiheit auf bestimmte, wiederkehrende gravierende Missverständnisse zurückzuführen sind. Dabei sieht sich die Testierfreiheit nicht nur unzulässigen Beschränkungen durch das Gesetz wie, beispielsweise durch § 2065 BGB oder § 14 HeimG, ausgesetzt. Vor allem die Rechtsprechung und Literatur entwickeln zunehmend ein Erbrecht, welches primär die Interessen der Erbprätendenten und insbesondere der gesetzlichen Erben berücksichtigt. So entscheidet die Rechtsprechung bei Abwägungen zwischen der Testierfreiheit des Erblassers und der Entschließungsfreiheit der Erbprätendenten überwiegend zugunsten der Erbprätendenten, ohne dabei zu berücksichtigen, dass eine solche Abwägung überhaupt nicht erforderlich ist. Ein ähnliches Phänomen hat sich bei der Untersuchung der Pflichtteilsentziehung offenbart. Gleichzeitig fordern weite Teile der Literatur einen verstärkten Schutz der Autonomie des Erblassers, jedoch nicht um den Erblasserwillen und die Testierfreiheit zu schützen, sondern um die gesetzlichen Erben vor einer Zurücksetzung zu bewahren, die nicht hinreichend autonom ist. Diese, auf Missverständnissen und Fehlinterpretationen beruhenden Entwicklungen haben zur Folge, dass die Testierfreiheit und insbesondere ihr individualschützender Charakter gegenüber den Interessen der Erbprätendenten und der gesetzlichen Erben zunehmend an Bedeutung verlieren. Aus diesem Grund kommt die vorgenommene Untersuchung zu dem folgenden, abschließenden Ergebnis:
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G. Schlussbetrachtung
Ein Schutz der Testierfreiheit vor unzulässigen Beeinträchtigungen und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust ist dringend angezeigt.
Die hierfür notwendigen Maßnahmen hat die vorliegende Arbeit dargetan. Es liegt nunmehr an dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung, diese umzusetzen.
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Register Abstammungsklausel 133 ff. actus contrarius 268 ff. Alter 133, 275 ff., 288 ff., 318, 355, 388 ff., 393, 398 ff., 403 Amtstheorie 221 ff. Analogiefähigkeit 352, 421 ff. Anerben 260, 262 – 273 Anerbenrecht, siehe Anerben Anerbengesetze 261 f., 265, 272 f. Anfechtungsbefugnis 429 ff., 441 ff. Angebotssituation 120 Angebotsverknappung 240 Anreizfunktion der Testierfreiheit 28 – 34 ante-mortem Person 44, 61 Anwartschaft 120, 124, 125 ff. Aufbau des Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches 22 – 27 Aufhebung 208 – 210, 378 – 380 Ausbeutung der Heimbewohner 405, 416 – 420 Auseinandersetzungsausschluss 102, 208 – 216, 240 f. Aushöhlung der Testierfreiheit 12, 59, 135, 287, 325, 330 Auslegungsmaxime 9, 89, 94, 96, 163, 228, 273 Auslegungsvariante 72, 94 ff., 198 ff., 321 f., 412 f. Ausnahmegenehmigung 408 – 414, 415, 419 Ausschließlichkeitsverhältnis 225 f. Ausstrahlungswirkung der Grundrechte 94 ff., 259, 288 Autonomie 41, 275 ff., 393, 403 Autonomieschutz 275 ff., 388, 402 f. Bedachtenschutz 194 – 197, 199, 201 bedingte Zuwendung 106 – 126, 128, 158 Bedrohung der natürlichen Gleichheit 49 Beeinflussung 284 ff., 316 ff., 355 ff., 360 ff., 393 ff., 429 ff. Behindertentestament 149 – 154 besitzlose Volksklassen 46 – 48
Besuchsbedingung 115 – 118, 127, 165 f., 200 Betreuung 293 – 295, 392 f., 402 f., 423 f. Bewertungsmaßstab 163 f. BGB-Kommission 23 f., 215 – 219, 239, 334 Bruchteilsgemeinschaft 208 – 216, 271 Dekret 78 Diskriminierende Verfügungen 131 ff. Drittbestimmungsverbot 331 – 334, 343, 345 Drohung 318, 362, 369 ff., 380 ff. Druck 106 – 130, 158, 170 Ebenbürtigkeitsklausel 109 – 129, 164, 171 eigenhändiges Testament 298, 309 ff. Eigentumsgarantie 77 ff., 84 ff. Einflussnahme, siehe Beeinflussung Einwirkungen der Testierfreiheit auf das BGB-Erbrecht 88 ff. Emanzipation der Testierfreiheit von Art. 14 Abs. 1. S. 1 GG 84 ff. Entschließungsfreiheit 106 – 130 Entstehungsgeschichte des Erbrechts 22 ff. Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches 22 ff., 208 Entziehungsgrund, siehe Pflichtteils entziehungsgrund Erbanwartschaftsrecht, siehe Anwartschaftsrecht Erbengemeinschaft 206 – 214 Erblassermotivation 28 ff. Erbrechtsgarantie 56, 75, 77 – 88, 90 Erbunwürdigkeit 284, 350 – 354, 376 Erbunwürdigkeitsgründe, siehe Erb unwürdigkeit Erdienen 120, 124, 183, 437 Errichtungsfreiheit 90 – 92, 94 Errichtungsvoraussetzungen 299 – 325 Errichtungszeitpunkt 168 – 191 faktische Testierunfähigkeit 297 f. Fälschungsgefahr 307, 317, 319 f.
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Register
familiäre Pflichten 106, 137, 139 ff., 149 Familienfideikommiss 217, 221 f., 237 ff. favor testamenti 16, 20, 189 f., 194, 201, 307, 313, 397, 439 Fideikommiss, siehe Familienfidei kommiss Formerfordernisse, siehe Formzwang Formzwang 299 – 325 fremdbestimmte Verfügungen von Todes wegen 283, 369, 372, 378, 403 funktionales Persönlichkeitsrecht 340 Funktionen der Testierfreiheit 27 – 42, 47, 64 f., 67, 72, 98 Geliebtentestament 102, 138 f., 159 f., 173, 198 geltungserhaltende Reduktion 198 – 201 Geschäftsgrundlage 210 Gesetzeswidrigkeit 186 – 191 gesetzliche Erben 24, 82, 84, 201, 291, 322, 328, 343, 347, 385 f., 407, 413, 449 Gestaltungsfreiheit, inhaltliche 10, 84, 86 Gierke, Otto von 22, 24 Habermas 168 Hegel 21, 49 f., 70 Heimfrieden 405, 410, 414, 416, 418 f., 422, 426 Heimgesetz 405 – 429 Heimleitung 93, 425 f. Heineccius 44 Heiratsklauseln 93, 111 Höchstpersönlichkeit – formelle 327 – 331, 336 – materielle 330, 338, 340 Höfeordnung 260 – 273, 452 Hoferben 40, 47, 123, 125, 260 – 273, 302 Hoferbfolge 260 – 273, 266, 269 f. Hoferklärung 266 – 272 Hohenzollern 1, 101, 106, 109, 110 – 118, 127, 129 ff., 156, 164, 168 – 174, 218, 226, 259 horizontale Drittwirkung der Grundrechte 97, 99, 104, 136 f. IDEAL-Modell 318 Inaussichtstellen eines Vorteils 116, 120, 128 Individualschutz 10, 60, 65, 119, 134 Inhaltsfreiheit 90, 92 – 94 Instrumentalisierung der Verfügung von Todes wegen 164 – 168
Intestaterbfolge 13 f., 43, 50 Ist-Betrieb 268 f., 272 f., 452 Justinian 15 f., 217 Kompetenznormen 55, 59, 61, 88, 98 Konzentration von Vermögen 341 – 343 Konzeption des Erbrechts des Bürger lichen Gesetzbuches 25 – 27, 34, 88, 137 Krankheit 277, 288, 298, 318, 388 – 397 Kritik an der Testierfreiheit 42 ff. Landwirtschaftserbrecht 260 – 272 lebzeitiges Fehlverhalten 147 f. legal fiction 45 Leiningen 110 f., 120, 124 mancipatio nummo uno 14 – 16 Miterben 115, 145 f., 202 – 217 Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte 95, 107, 110 Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch 71, 122, 125, 145, 158, 213, 351 Motiverforschung 159 f. Nachbildung familiärer Beziehungen 49 Nacherben 109 – 111, 150, 216, 227, 228 – 233, 244, 335 Nacherbfall 111, 114, 124, 228 – 233 Nacherbfolgenanordnung 228 – 233, 240 f., 244, 303, 451 Nachlasswerte 47, 114, 199 negative Hoferklärung 267 f., 272 Novelle 115 ökonomische Dysfunktionalität der Testierfreiheit 52 – 54 ökonomisches Engagement 31 partielle Testierfähigkeit 289 f. Persönlichkeitsrecht des Erblassers 73 – 76, 99, 340 Pflichtteilsberechtigte(r) 143, 145 f., 177, 212, 247 ff. Pflichtteilsentziehungsrecht 71, 73, 82, 84, 102, 119 f., 135 – 149, 245 – 259, 355 – 357 praeter legem 15 praktische Konkordanz 251 Primattheorie 222 f. pro non scripta habere 195 f. Protokolle der zweiten Lesung 220 f. psychische Zwangslage, siehe Zwangslage Pufendorf 44
Register
querela inofficiosi testament 15 rechtliche Beziehung zwischen Erblasser und Erbprätendenten 5, 140, 202, 213, 348, 443 Rechtsposition 120 – 126, 137, 213, 235, 343, 348 Rechtsstellung 26, 70, 95, 120 – 127, 137, 145 f., 206, 213, 235, 250, 343 f. Regelungsreihenfolge 25 regula catoniana 186 – 190 Reichweite der Testierfreiheit 15 f., 30, 63, 68, 79, 81 – 84, 135, 244, 276 relative Testierfähigkeit 293 – 295, 297, 452 Rücktritt 377 – 380, 382 Schmittscher Teilentwurf 22 – 25 Schutzbedürftigkeit der Erbprätendenten 118 – 131, 273 f., 426, 455 f. Schutzpflicht 105, 121, 127, 368 Schwabenspiegel 18, 49 Selbstbestimmungsprinzip 11, 56 f., 280, 287 Selbstbestimmungsrecht 278 – 281, 287, 380, 388, 404, 406 Sich-Gewähren-Lassen 406, 412 f., 428 Solidarität durch Testierfreiheit 33 ff. Sozialhilfe 149 – 154, 206 Sozialgebundenes Belieben 10 Statusprivilegien 48, 50 f. Steine statt Brot 196 – 201 stilles Testieren 162, 378, 412 f., 420 Stoffanordnung 23 subjektives Element 151, 156, 159 f., 161, 168, 179, 185, 364 – 366, 371, 374 suspicious circumstances 435 f. Teilnichtigkeit 193 – 196, 197 f., 306 Teilungsverbot 205 – 210, 214 f. Testamentserrichtung 59, 176, 280, 300, 310, 34 Testamentsvollstreckung 54, 81, 102, 146 – 151, 218 – 244 Testierfähigkeit 284 – 299, 375, 380, 389 – 397, 444 f., 452 f. Testierfähigkeitsvermutung 288, 389 – 397, 453 Testierunfähigkeit, siehe Testierfähigkeit Testierverbot 403 – 429, 443, 445, 453, 456
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Testierwille 64, 189, 236, 298, 305 f., 310 – 315 Thomasius 44 todesnahe Erblasser 389 – 402 Typenzwang 281, 284, 299 – 309, 452 undue influence 432 – 441 Unmöglichkeit 186, 188, 190 Unternehmertestament 40, 331 Verfassungsrechtliche Gewährleistung der Testierfreiheit 9, 88, 250, 252, 451 Verhaltensbezogene Bedingungen 66 f., 130 Verhaltenslenkung 164 – 168 Verhaltenssteuernde Verfügungen von Todes wegen 166 – 168 Vermögensbindung 238, 240 – 242 Vermögensperpetuierung 102, 202 – 244 Vernunftehe 129 Verwirkung 218, 224 f., 244, 251 Verzeihung 257 f., 260, 353 f. Vinkulierung 54, 241 Volkswirtschaft 30, 64, 242 Vorausvermächtnis 204 Vorerben 150 f., 229, 242 Vorrang der gewillkürten vor der gesetzlichen Erbfolge 23 ff. Wahlmöglichkeit 121, 226 Weimarer Reichsverfassung 8, 78, 217, 237 f., 413 – 415 Werteordnung 95, 104, 110, 155, 166 f., 173, 201 Wertvorstellungen 103, 152, 191 Widerruf 176, 316, 319 f., 335, 340, 361 – 364, 377 – 380 Wiederverheiratungsklauseln 113 – 115, 117, 127, 165, 199 Willensrichtung 108 Willenssubjektivität 43 ff. Wirtschaftsordnung 65, 241 Zeitgrenze 215 f., 233, 243 Zuordnungsgewissheit 242 – 244 Zwangsfürsorge 416 f. Zwangslage 129, 361 f., 365, 373 – 375, 380, 410, 422 Zwölf-Tafel-Gesetz 13