Gott und Vaterland: Betrachtungen aus der Kriegszeit [2., unveränderte Auflage, Reprint 2021] 9783112490822, 9783112490815


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Gott und Vaterland: Betrachtungen aus der Kriegszeit [2., unveränderte Auflage, Reprint 2021]
 9783112490822, 9783112490815

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Gott und Vaterland Betrachtungen aus der Kriegszeit

von

Hermann Schuster Zweite, unveränderte Auflage

Leipzig

I. C. Hinrichs'sche Buchhandlung

1917

Zum Geleit. Diese Blätter sollen dem Andenken des Mannes ge­

widmet sein, dem ich unter allen das Beste verdanke, dem Andenken meines Vaters, des Geh. Sanitätsrats Dr. Her­ mann Schuster-Uelzen. Wenn es nur ein schlichtes Denkmal ist, das ich ihm errichten kann, so entspricht daS ganz seiner Gesinnung; denn er war ein Muster edelster Bescheidenheit,

und er hat in einem ungewöhnlich entsagungsvollen, aber durch viel dankbare Liebe gesegneten Leben die Treue im Kleinen, im Beruf und sonst, vorbildlich geübt. In den Feld­ zügen von 1864 und 1866 hat er seiner hannoverschen Heimat als Militärarzt gedient, daS Jahr 1870/71 hat sein ganzes Herz für Bismarck und daS Reich gewonnen. Gott und Vaterland waren zeitlebens seine hellsten Sterne; und da seine Frömmigkeit ganz auf warmherzige, tätige Bewährung gerichtet war, darf daS Büchlein wohl im Geleit seines Namens erscheinen: will eS doch die Kräfte des Glaubens lebendig und wirksam machen für den höchsten irdischen Gedanken,

den deS Vaterlandes, für seine Stärkung und Belebung, für seine Reinigung und Vertiefung. So lasse ich diese Blätter auögehen in der Zuversicht, daß der Segen eines hochgesinn­ ten Mannes auf ihnen ruht.

Hannover-Kleefeld. Der Verfasser.

Inhaltsverzeichnis. Seite Zum Geleit........................................................................................... III 1. Ein festes Herz...................................... Hebr. 13, 9 . . . i 2. Die Gottesfurchtmacht furchtlos . . Matth. 10, 28 . . 3 3. Heilige Opfer...................................... Mark. 10, 45 . . . 6 4. Nicht müde werden!......................... Hebr. 12, 12 . . . 8 5. Saat auf Hoffnung............................. Psalm 126, 5. 6 . 10 6. Glaube (Reformationsfest)................. Hebr. 11, 1 . . . 13 7; Tapferkett ......... ............................................. 15 8; Die Kraft Gottes (Totensonntag). . Mark. 12, 24. 27 . 18 9t Advent .............. Röm. 12, 12 , . . 21 10; Bruderliebe (3. Advent)....................1. Joh. 2, 10 . . 23 11. Die Herzen auf! (4. Advent) . . . . Offenbarg. Joh. 3,20 26 12. Weihnachtsdank......................... .... . . Joh. 15, 13 . . . 29 13. Mit Gott ins neue Jahr! . . ; . . Luk. 9, 62 ... . 32 14; Wovon wir leben........................ ..... Matth. 4,4. . . . 34 15, Sorget nicht!............................ Matth. 6, 34 ? . 37 16. Geduldig und bereit..................Mark. 13, 32 f. . . 39 17; Kaisers Geburtstag ....... Psalm 21, 8 . . . 41 18. Die Schule Kants ........ Matth. 7, 12 , . . 44 19. Heiliges FastenNatth. 6, 16 f. . . 47 20. Opfere Gott Dank!(Winterfchlacht). Psalm 50, 14 . . 49 21. Die Reichsbank...................................... Luk. 19, 23. . . . 52 22. Die Treue im Kleinen..................... Luk. 16, 10. . . . 55 23. Segen und Fluch ..............................Gal. 6, 7 ... . 58 24. Viele berufen, wenige auserwählt. . Matth. 20, 16 . . 61 25. Die Jugend.......................................... Matth. 18, 3 . . . 64 26. Ein Brot — ein Leib (Konfirmation) 1. Kor. 10, 16. 17 67 27. Eine ewige Erlösung (Karfreitag) . . Hebr. 9, 12 . . . 70 28. Getreu bis in den Tod (Weddigen) . Offenbarg. Joh.2,10 73 29. Patriae inserviendo consumer (Bismarck) 2. Kor. 4, 16. . . 76 30. Wer seinLeben hingibt,wird es gewinnen Luk. 17, 33. . . . 80 31. Gott und Vaterland..........................Röm. 9, 3 ... . 83 32. Fürchte dich nicht, glaube nur! . . Mark. 5, 36 . . . 87 33. Der wahre Gottesdienst..................... Röm. 12, 1f. . . 90 34. Der Pfingstgeist als Quelle der Kraft. 2. Tim. 1, 7 . . . 93 35. Verrat! (Italien).................................. Psalm 41, 10 . . 96 36. Gott, Freiheit, Vaterland............... Gal.5,13;Joh.8,32 100 37. Vom rechten Beten.............................. Psalm 62, 9 . . . 103 38. Der Glaube und das Wetter.... Matth. 5, 45 . • . 107 39. Unserm Brudervolk! (Lemberg) . . . Psalm 24, 7 . . . 110 40. Gemeingefühl...................................... 1. Kor. 12, 26 113—116

Ein festes Herz. hebr. 13, 9: Er ist ein köstlich Ving, daß das her; fest werde durch Gnade.

Wenn wir in diesen Tagen zur Bibel greifen, so geschieht es nicht, um gelehrte geschichtliche Forschungen zu treiben, noch um spitzfindige Betrachtungen über unergründliche Ge­ heimnisse anzustellen. Nein, wir suchen lebendige und starke Gedanken, die uns Eisen ins Blut geben und Festigkeit ins Herz. Eine Vorratskammer soll uns die Bibel sein, aus der wir Brot zum Leben holen; ein Rüsthaus, das uns gute Wehr und Waffen spendet. Was tut uns in dieser gewaltigen, atemraubenden Zeit

am allermeisten not, was sollen wir zu allererst von Gott er­ bitten? Leben und Bewahrung? Begreiflich ist solche Bitte wohl, aber recht ist sie nicht. Jetzt ist die Zeit zum Opfern; und nur dem ist wahrhaft wohl und frei zumute, der sich

mit ganzer Seele zum Opfern entschlossen hat, der sich inner­ lich losgemacht hat von allem, was aufhält und beschwert. Sollen wir um Sieg und Frieden bitten?

Ja gewiß,

das sollen wir und dürfen wir; denn unsere Sache ist gerecht und rein. Aber der Weg zum Siege führt durch Schweiß und Blut, durch Not und Tod; und wenn wir einen ehrenvollen Frieden wollen, müssen wir auf alles gefaßt sein, darf nichts uns überraschen. Was wir darum zu allermeist und am aller­ ersten bedürfen, ist ein festes Herz, das jeden selbstischen Lebens­ willen von sich geworfen hat und mit unerschütterlicher Geduld um Sieg und Frieden ringt und harrt. Ein festes Herz: das ist die größte Gnade, die Gott uns jetzt erweisen kann; selig, wem es Gott beschert hat! Und Schuster: Gott und Vaterland.

1

2 wer es noch entbehrt, der kämpfe und bete darum mit allen Kräften und sei gewiß, daß dies Gebet, wenn es nur ernst­ lich ist, auch seine Erhörung findet. Wem aber ein festes Herz geschenkt ist, der hat das köstliche Vorrecht, von seiner Festig­

keit den Schwachen abzugeben. Und hier offenbart sich nun ein wundervolles, gnadenreiches Lebensgesetz, das jedermann er­ proben kann: auch wer nur geringe und schwankende Festigkeit besitzt, wird sie durch Mitteilen vermehren und verstärken, er

wird reich im Schenken. So nehme denn ein jeder alle Kraft zusammen, er emp­ finde es als seine heilige Pflicht, ein Kraftzentrum zu werden, von dem mit Worten und Werken, mit Händedruck und Blicken, mit dem Ton der Stimme und dem geraden, festen Gang Kraft

und Zuversicht ausströmt auf die schwächeren Brüder, bis es keinen Schwachen mehr unter uns gibt, bis ganz Deutsch­ land dasteht festen Herzens. Das feste Herz gibt starke Hände, helle Augen, kluge Ratschläge, eisernen Willen; das feste Herz gibt uns den Sieg.

Die Gottesfurcht macht furchtlos. Matth. 10, 28: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht vermögen zu töten; fürchtet euch vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle.

Wie wunderbar ist doch die Verbindung der Seelen über Zeit und Raum, wie geheimnisvoll die zeugende Wirkung eines echten Wortes. Da hat einst im jüdischen Land, am

galiläischen Meer, ein schlichter Aimmermannssohn aus seiner

demütigen und tapferen Seele ein eisernes, stolzes Wort ge­ sprochen von der Gottesfurcht, die uns von Menschenfurcht befreit Das haben seine Jünger weitergegeben, bis es einer aufzeichnete. Und nun ist es durch die Jahrhunderte gewan­ dert, um zur Zeit der tiefsten Demütigung unseres Volkes in

der Seele des Predigers Friedrich Daniel Schleiermacher wieder aufzuleben. Welch schöpferische Kraft muß in diesem Worte liegen; denn der Mann, in dessen Herzen es eine hell lohende Flamme entzündete, war ein tiefsinniger Gelehrter und Denker, ein weitherziger Prediger der Versöhnung und der Liebe. Er war freilich auch eine Seele voll feinsten Ehr­ gefühls, voll adeliger Tapferkeit, voll selbstloser Hingabe an das Ganze. So konnte dieses heldenhafte Jesuswort ihn be­

geistern zu seiner machtvollsten Predigt: „Was wir fürchten sollen, und was nicht." Und so konnte er mit seiner Predigt wieder der Trost eines Großen und Starken werden: Ms der Freiherr vom Stein, der Baumeister des neuen Preußen, von Napoleons Haß geächtet, in einsamer Winternacht im Schlitten

über das schlesische Gebirge nach Böhmen flüchtete, da stärkte ihn die Erinnerung an jene gewaltige Predigt. Der flüchtende 1*

4 Freiherr vom Stein, wie er Schleiermachers Predigt und Jesu Wort im Herzen bewegt, ist uns ein Symbol für die

Macht eines tapferen Wortes. Dieses große Symbol wollen wir uns heute vor die Seele stellen, und von der ehernen Kraft dieses Jesuswortes wollen wir uns durchdringen lassen.

„Fürchtet euch nicht vor den

Menschen, die den Leib töten." Wie ehrlich und wie tapfer! Ja, freilich können sie den Leib töten; hier gilt kein Versteckspie­ len, sondern der harten Wahrheit ins Gesicht sehen. Aber den­ noch : Fürchtet euch nicht I Das Leben ist der Güter höchstes nicht. Wir kennen etwas Höheres als diesen vergänglichen Leib: die ewige Seele; daß sie unversehrt bleibe, soll eure höchste Sorge sein; und nur ihren Schöpfer und Richter sollt ihr fürchten,

den heiligen, allmächtigen Gott. Diese Furcht soll euch allezeit gegenwärtig sein, soll alle Winkel eurer Seele durchdringen, soll euch immer wieder reinigen von der stets neu aufsteigenden

kleinmenschlichen Sorge und Furcht. Selig der Mann, in dessen Herzen diese Gottesfurcht wirklich wohnt; er hat den wunder­ baren Tarnhelm, in dessen Schutz er Not und Tod verachtet.

Indes, Gott und die Seele. Wenn wir diese großen, ge­ heimnisvollen Worte nur glauben, zu ihrem Inhalt uns be­ kennen könnten? Liebe, ehrliche Freunde, laßt uns in dieser großen Stunde, wo die Not auf unbestechlicher Wagschale allen Schein und Tand verurteilt, laßt uns nicht an Worten

haften, sondern auf die Sache sehen. Dein Herz zweifelt an der großen Botschaft, daß ein barmherziger Gott ist, der die Seele aus dieser Zeitlichkeit rettet und mit ewigem Leben begnadet. Daran zweifelst du? Aber du zweifelst nicht, daß

höher als das Leben die Ehre steht. Wir meinen nicht jenen Popanz gesellschaftlichen Ansehens, wir meinen die schlichte Mannesehre, die uns gebietet, unsere Pflicht über alles zu achten. Lieber Freund, wenn das deines Herzens aufrichtige Meinung ist, wenn du kein höheres Gut kennst als die Ehre,



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keine heiligere Furcht als Pflichtverletzung: dann sei getrosten Mutes, dann steht du mitten in der Gottesfurcht. Disziplin, Ausdauer, Tapferkeit, Besonnenheit, Brüderlichkeit, Selbst­ losigkeit, Menschlichkeit: das sind Gottes heilige Engel; wer sie verehrt, ist wahrhaft gottesfürchtig. Und nun dürfen wir sagen: Gott sei Dank, es lebt noch viel echte Gottesfurcht in unserem Volk, Gottesfurcht, die uns von Menschenfurcht befreit. So treibe denn, du deutsches Volk, in Gottesfurcht deine Arbeit, die tapfere, blutige Arbeit dort draußen, die stille, barmherzige Arbeit hier innen. Treibe in Gottesfurcht deine Arbeit; die Gottesfurcht wird dich frei machen von aller Menschenfurcht.

Heilige Opfer. Mark. 10, 45: Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern datz er diene und gebe sein Leben zur Erlösung für viele.

Wir sehen die langen Verlustlisten, wir lesen täglich die

schmerzbewegten Todesanzeigen, wir hören immer wieder furchtbar anschauliche Schilderungen von der grausigen Ernte, die der Tod auf blutgetränkten, seufzererfüllten Schlachtfeldern hält. Das Herz krampst sich uns zusammen, uns erscheint alles so grauenhaft und sinnlos; es ist uns, als hörten wir nichts als

das gellende Hohngelächter „des alten, bösen Feindes". Und doch dürfen wir Christen dem Grauen des Todes

nicht so ratlos gegenüberstehen. Haben wir denn den Ursprung

und das tiefste Wesen unseres Christentums ganz vergessen? Als der Reinste, Weiseste und Tapferste unseres Geschlechts, den Millionen als Gottes liebsten Sohn erkannt und verehrt haben, als er, verraten von den eifersüchtigen Führern seines Volkes, preisgegeben von der wankelmütigen Masse, am Marterholze hing: ertönte damals nicht auch das höllische Hohngelächter? Und doch mußte es bald verstummen vor der von Jesus vor­ ausgeahnten und vorher verkündeten siegreichen Wahrheit, daß

sein Tod ein Opfer sei zur Erlösung für viele. Nicht als be­ dürfe der himmlische Vater dieses Opfers; aber die Menschen­ kinder bedurften seiner, um erlöst zu werden von unreiner

Leidenschaft, von feiger Selbstsucht, um erfüllt zu werden mit dem heiligen Geist des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Was auf Golgatha geschah, steht nicht allein, es ist nur

die reinste Offenbarung des großen Weltgesetzes, daß heilige Opfer der Menschheit den Weg zum Segen bahnen.

7 Heilige Opfer! Gebe Gott, daß es wirklich heilige Opfer feien! Die draußen sorgen schon an ihrem Teil dafür, da sie gehorsam und tapfer ihre jungen, blühenden Leiber dem töd­

lichen Eisen entgegenwerfen. Aber nun müssen auch wir daheim das unserige tun. O, ihr Trauernden alle, die ihr Sohn oder Vater, Gatten oder Bruder beklagt, ringet und betet, daß ihr ein williges heiliges Opfer bringt. Niemand verlangt von euch, daß ihr den berechtigten Schmerz verleugnet; aber eure Toten erwarten von euch, daß ihr euch nicht vom Schmerz überwältigen laßt, sondern ihn überwindet durch den Blick auf

das Vaterland, für dessen Erlösung eure Lieben sich willig geopfert haben. Uns allen aber, denen die heiligen Opfer zugute kommen, rufen Stimmen der Geister zu: „Heiligt euch, damit ihr der großen Opfer wert seid. Legt von euch ab alle Selbstsucht und alle Eitelkeit, alle Angst und alle Sorge. Opfert Hab und Gut, Zeit und Kraft. Werdet der heiligen Opfer wert! Dann werden sie dienen zu einer Erlösung für viele."

Nicht müde werden! hebr. 12, 12: Richtet wieder auf die lässigen Hände und die müden Knie! Wer auf Vorposten steht, darf nicht müde werden, darf nicht eine Minute schlafen oder träumen; denn in dieser einen Minute könnte er überrascht und überwältigt werden, und mit ihm das ganze Heer, das seiner Wachsamkeit befohlen ist.

Nicht müde werden! Das gilt für die Truppe, die zur Schlacht marschiert, ihren bedrängten Kameraden zum Entsatz. Da feuert einer den anderen an: stärkt die müden Knie! Wir müssen rechtzeitig eintreffen, wir müssen es; denn

wenn wir zu spät kommen, geht die Schlacht, geht vielleicht der ganze Feldzug verloren. Nicht müde werden! Das ist die Losung der Hundert­

tausende von Tapfern und Ausdauernden, die seit Wochen in Sturm und Regen in den nassen, schmutzigen Schützen­ gräben liegen, dem feindlichen Feuer ständig ausgesetzt. Wohl will ihnen oft die Hand erstarren und der Arm erlahmen. Aber durch die Reihen läuft immer wieder das mahnende Wort: richtet die lässigen Hände auf; an eurer Ausdauer muß der feindliche Angriff zerschellen. Nicht müde werden! Das sagen sich vor allem die Männer, in deren Hand die oberste Leitung des ganzen Krieges liegt. Sie wissen ganz genau: wenn sie müde werden und versagen, so ist ein ganzes großes Volk verloren. Darum aber auch leuchtet in ihrem Herzen und Gewissen das Wort eines greisen Helden: „Ich habe keine Zeit, müde zu sein".

Nicht müde werden! Das gilt aber auch für uns daheim. Wir dürfen nicht laß werden und nicht zittern, wenn

9 die Siegesbotschaften ausbleiben, wenn die Kriegslage un­ sicher schwankt oder gar zu unseren Ungunsten sich neigen

sollte. Wenn böse Kunde kommt, wenn bange Spannung immer noch sich nicht lösen will, dann heißt es erst recht: Richtet auf die lässigen Hände und die müden Knie. Eure eigenen

Hände und Knie zuerst, aber auch die eurer Freunde und Nach­ barn, und nicht zum wenigsten die eurer Angehörigen im Felde.

Ein Verräter an der heiligen Sache, wer denen da draußen mit seiner Sorge und seinem Iweifel das Herz schwer macht! Gesegnet, wer sie mit guter Botschaft, mit tapferem Worte stärkt und erfreut! Nicht müde werden! Das gilt auch für alle unsere Liebestätigkeit daheim. Millionen stehen seit vielen Wochen im Felde. Wer wollte sich wundern, wenn immer neue Bitten um mannigfaltigste Liebesgaben bei uns anklopfen. Jehntausende sind verwundet daheim. Was ist nicht alles nötig, sie zu pflegen, zu zerstreuen, zu erheitern. Nichtmüdewerden, gilt es aber auch in dem Kampf gegen die wirtschaftliche Not im Lande. Millionen entbehren ihrer Ernährer, Hundert­

tausende sind halb oder ganz arbeitslos. Da gilt es, die Füße regen und die Hände öffnen, um die Kinder unseres Volkes zu versorgen, damit niemand leiblich verkümmert oder seelisch

verbittert. Nicht müde werden!

ES handelt sich um einen un­

geheuren Preis. Es handelt sich um die äußere Errettung und die innere Wiedergeburt unseres Volkes. Dort draußen streiten sie für das Dasein unseres Volkes und legen den Grund zu seiner Erneuerung. Auf diesen Grund müssen wir das neue, leiblich gesunde, geistig starke, sittlich vertiefte Deutschland bauen. Darum, arbeiten und nicht müde werden!

Saat auf Hoffnung. Psalm 126, 5 und 6: Die mit Tränen säen, werden mit Zreuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und kommen mit greuöen und bringen ihre Garben.

Es ist wieder Herbst geworden. Die Ernte des Sommers ist eingebracht. Anhaltender Regen hat den Acker aufgeweicht und empfänglich gemacht. Das ist die 3eit, wo der Landmann

für die neue Ernte des kommenden Jahres sorgt.

Mit dem

Pflug bricht er die Schollen des Ackers um, mit der Egge be­ reitet er ihn, um endlich den edlen Samen auf das zugerichtete Land zu streuen. Es geschieht dies Jahr wie alle Jahre. Und doch, mit welch

anderer Empfindung verrichtet diesmal der Landmann sein gewohntes Werk, mit welch anderer Teilnahme begleitet dies­ mal auch der Städter die Arbeit des Bauern! Ein solches Jahr hat auch der Älteste von uns nicht erlebt; dies Jahr öffnet uns die Augen des Verständnisses für ein Jahrtausende altes Wort, für das Psalmwort von der Tränensaat und der Freudenernte. Dies Wort ist uns lange vertraut und wert, einen lieblichen Klang hat es in unseren Ohren gehabt, über die Tränensaat

sind unsere Gedanken sonst schnell hinweggeglitten, um mit

innigem Wohlgefallen auf dem lustvollen Bild der Freuden­

ernte zu verweilen. Heute aber begreifen wir in seiner vollen Bedeutung auch die dunkle Seite des Bildes, die Tränensaat. Wohl haben wir eine gute Ernte eingebracht. Aber doch fragt mancher sorgen­ voll: Wird sie reichen bis zur nächsten Ernte? Wir sind ja durch

den gewaltigen Krieg von auswärtiger Aufuhr so gut wie ab-

11 geschnitten und fast nur auf die eigene Ernte angewiesen. DaS edle Korn schafft und das tägliche Brot, fristet uns das Leben, und nun sollen wir ein großes Teil des köstlichen Guts auf un­

gewisses Schicksal hin dem Erdreich anvertrauen, es den Launen der unberechenbaren und unbestimmbaren Witterung preiSgeben? Und wenn das Wetter des Himmels auch die Saat begünstigt, werden nicht feindliche Roßhufe sie zerstampfen, die Räder grausiger Kriegsfahrzeuge sie niederwalzen, oder fremde Männer verzehren, was deutscher Schweiß gedüngt hat? Aber es muß sein, wenn anders wir auch nächstes Jahr leben und gedeihen wollen. So gehen sie hin mit Sorgen und streuen

ihren Samen. Aber laßt den Sorgengeist nicht über euch herrschen. Haltet euch an die alte köstliche Verheißung: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten." Tut euer Werk mit allem Fleiß

und aller Sorgfalt. Tut es mit stillem, edlem Stolz, in dem Bewußtsein, daß ihr für das Allernötigste arbeitet, für das un­ entbehrliche Mittel des Kämpfens und des Siegens. Tut es aber auch mit demütigem und zuversichtlichem Vertrauen, treibt euer Werk so gut, wie ihr könnt; dann befehlt es Gott als

eine Saat auf Hoffnung und wartet mit Geduld auf den Tag, von dem es heißt: „Sie kommen mit Freuden und bringen ihre Garben."

Aber nach des Dichters Wort bergen wir noch köstlicheren Samen trauernd in der Erde Schoß. Auch von dieser Saat heißt es: „Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen". Ja, wahrlich edlen Samen, den edelsten, den es gibt, die Leiber hoffnungsvoller, vielgeliebter, geisterfüllter Menschenkinder. Und welch eine unmeßbare, unbezahlbare Saat ist hier auögestreut! Und mit welch heißen Tränen! Zwar sie, die selber die Saat bilden, streuen zu allermeist willig und freudig diesen

edelsten Samen. Aber nicht alle fallen in siegender Schlacht, viele bluten auf langem, bangem Schmerzenslager. Wer will

12 sie schelten, wenn die graue Sorge, der bange Zweifel, sich an ihr nächtliches Lager setzt und ihre keuchende Brust beklemmt?

Und zu Hause sitzen die Eltern und Kinder, die Frauen, Bräute und Schwestern. Sie erleben nichts von der stürmischen Be­ geisterung der Schlacht, sie fühlen nichts von der hohen Ehre des Opfertodes. Auf ihnen lastet nur der Verlust, sie empfin­

den nur den heißen Schmerz. Sie gehen hin und weinen. Und doch sagen wir auch euch, ja euch erst recht: Es ist Saat auf Hoffnung. Und um so viel köstlicher und auch tränenvoller diese Aussaat ist, um so viel herrlicher und seliger wird auch die Ernte sein. Die Ernte ist ja nichts Geringeres als die Er­ lösung und Wiedergeburt eines ganzen großen Volkes, der

Segen des Friedens und jeder Wohlfahrt für eure Kinder und

Kindeskinder. Ist diese Ernte nicht solche Aussaat dürft ihr diese Ernte erhoffen? Ja, so gewiß ihr geduldig und vertrauensvoll eure Aussaat gehet, wenn auch mit Trauer, und traget gläubig

wert? Und willig und wagt. So euren edlen

Samen; dann werdet ihr mit Freuden kommen und eure Gar­ ben bringen.

Glaube. hebr. 11, 1: (Es ist der Glaube eine gewisse Zuversicht des, was man hoffet, und ein Mchtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

Heute feiert die protestantische Kirche ihr ReformationSfest, aber in einer Weise, die unserer Zeit entspricht. In diesen Tagen, wo Katholiken und Protestanten zusammen unter feind­ lichem Granatfeuer stürmen, zusammen in den Schützengräben

stehen, nebeneinander auf blutigem Schmerzenslager liegen, nebeneinander in die kühle Erde gebettet werden, da müssen auch wir daheim fest zusammenstehen, müssen alles Trennende zurückstellen, alles Einigende hervorheben. Nach dem Kriege mag und wird die geistige Auseinandersetzung weitergehen — gebe Gott: mehr in der Form eines edlen Wetteifers, als eines feindlichen Streites — heute besinnen wir uns auf un­ seren gemeinsamen Besitz.

Und wir haben solchen gemeinsamen Besitz; wir haben ihn in unserem christlichen Glauben. Mögen die beiden Kon­ fessionen über manche Glaubenssätze des Paulus sich streiten,

in dem köstlichen Wort des Hebäerbriefes über den Glauben an die unsichtbaren Güter sind wir einig. Und auch dafür setzen wir bei vielen unserer katholischen Brüder Zustimmung

voraus, daß Luther Wesen und Wert dieses Glaubens beson­ ders tief und stark erlebt hat und ihm in seinem Heldenlied

„Ein feste Burg" eine unvergängliche, monumentale Gestal­ tung verliehen hat, so daß dies Lied heute wie kein anderes als unser aller Schutz- und Trutzlied gelten kann. Der Glaube an das Unsichtbare, an geistige Kräfte und Güter, den predigt uns unser heutiges Bibelwort. Und das ist genau der Glaube, den wir heute nötig haben, der uns durch alle Not und Gefahr hindurchtragen muß. Wenn wir uns ver-

14 lassen wollten nur auf das, was sichtbar ist, auf das, was man

wagen, messen und berechnen kann, so wären wir übel daran. Denn an Zahl der Menschen, an Menge der äußeren Hilfs­ mittel sind unsere Gegner uns weit überlegen. Aber wir hoffen auf den Erfindungsgeist unserer Technik, auf die Erfahrung,

Umsicht und Gewissenhaftigkeit unserer Beamten, auf die Tapferkeit und Ausdauer unserer Truppen, auf die Intelligenz und Besonnenheit ihrer Führer, auf die Weisheit und Uner­

schütterlichkeit unserer Oberleitung, auf die Opferwilligkeit und Festigkeit des ganzen Volkes. Wir hoffen auch auf die Gerechtig­ keit unserer Sache und auf die Reinheit unserer Ziele; denn

unser Endziel ist nicht Macht und Ruhm, sonder ein gesicherter

Friede und die Ausbreitung einer wahrhaft menschlichen Kultur über alle Völker. Wir vertrauen darauf, daß der allmächtige, gerechte und gnädige Gott sich zu diesen unseren Mtteln und zu unserem Ziele bekennen wird, daß er unsere Sache als gerecht anerkennen und mit dem Siege krönen wird.

Wir vertrauen darauf, obwohl wir diesen Sieg jetzt noch nicht mit Augen sehen können, obwohl es manchmal scheint, als läge er noch in weiter, dunkler Ferne. Wir vertrauen darauf, obwohl wir keine äußeren Bürgschaften für dies Vertrauen haben. Unser Glaube verläßt sich, wie jeder echte Glaube, auf unsichtbare, geistige Kräfte; aber er ist gewiß, daß er damit

nicht ins Leere tappt, sondern sich auf den Granit des ewigen Gottes gründet. Ein tapferer Freund hat uns dieser Tage daran erinnert, daß all die mutigen, stolzen, eisernen Worte aus den Freiheits­ kriegen, die Worte eines Fichte, Arndt, Schleiermacher, in der Zeit der dunkelsten Not gesprochen sind. Glaube auf Grund großer Erfolge verdient nicht diesen stolzen Namen. Der echte Glaube eilt der Wirklichkeit voraus, aber er schafft sie auch her­ bei. Gott schenke uns diesen Glauben; dann werden wir be­ stehen und den Sieg gewinnen.

Tapferkeit. Mir nach, spricht Christus, unser Held. Johann Scheffler.

Der 10. November hat unserem Volke drei Große geschenkt: Luther, Schiller und Scharnhorst. So verschieden sie sind nach

heimatlichem Ursprung und Temperament, nach Beruf und herrschenden Neigungen: in einem sind sie alle drei innerlichst verwandt, alle drei gleich vorbildlich, in ihrer auf tief sittlichem

Grunde ruhenden, unüberwindlichen Tapferkeit. Wer kennt nicht das trotzige Lutherwort: „Und wenn so viel Teufel wären zu Worms wie Ziegel auf den Dächern, ich wollte doch hinein!" Wahrlich, er hat recht geurteilt, der alte, tapfere Frundsberg, wenn er, der vielerprobte Kriegsmann, sich vor der Tapferkeit des Mönches beugte mit den Worten: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst jetzt einen Gang, dergleichen ich und mancher Kriegsoberster auch in unseren allerernstesten

Schlachten nicht getan haben." Aber die Tapferkeit Schillers ist nicht geringer, der sich durch abenteuerliche Flucht der Tyrannei seines Landesherrn entzog, einer dunklen, beruf­ losen Zukunft entgegenging, trotz größter Entbehrungen seine Muse nie zum bloßen Broterwerb und zur Dienerin seichten Kunstgeschmacks erniedrigte, der einer verzehrenden Krankheit bis zum letzten Atemzug die stolzesten Schöpfungen abrang. Und müssen wir noch die Tapferkeit des Generals rühmen, der bei Lützen die preußische Waffenehre wiederherstellte, mit der dort empfangenen Wunde nach Prag eilte, um, wie der Dichter sagt, mit seinem Blut um Österreichs Bundesgenossen­ schaft zu werben! Diese drei Tapferen rufen uns zu: Seid tapfer, vergeßt

nicht, daß Tapferkeit die erste und die letzte Mannestugend

16 ist, heiligstes Gebot für jeden echten Menschen. Schon in Frie­ denszeiten. Kämpfen mit Krankheit und Not, Kinder gebaren und ehrlich erziehen, die Wahrheit sagen vor leidenschaftlichen Volksversammlungen oder ungütigen Vorgesetzten, Zeugnis

ablegen vor Gericht, eigene Schwächen und Begierden be­ kämpfen: alles erfordert unbeugsame Tapferkeit. Und nun gar jetzt im Kriege! Kein Wort über den unschätzbaren Wert der Tapferkeit im Felde; nur eine Erinnerung daran, daß auch für uns Daheimgebliebene Tapferkeit die höchste Tugend und die heiligste Pflicht ist. Woher sollte sonst die Kraft und Be­ sonnenheit kommen, um alle die ungeheuren wirtschaftlichen,

militärischen, volkserzieherischen, wohltätigen Aufgaben der Gegenwart zu leisten; wo sollte sonst schließlich auch Geist und Stimmung unseres Feldheeres seinen Quellort finden?

Tapferkeit die höchste menschliche Tugend, aber auch eine echt christliche Tugend. Es ist wahr, das Wort Tapfer­ keit kommt im ganzen Neuen Testament nicht vor. Aber wir

wollen doch nicht Sklaven von Worten sein. Das Neue Testa­ ment ist ganz und gar durchweht und erfüllt vom Geist todes­ verachtender, siegesgewisser, seliger Tapferkeit. Die Erde hat keinen Menschen getragen, der tapferer gewesen wäre als Jesus. Er verläßt Haus und Heim und wird ein ruheloser Wander­

prediger, der nicht hat, da er sein Haupt niederlegt. Mutter und Geschwister verkennen und verlassen ihn; er spricht: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, kann nicht mein Jünger sein. Sein Landesherr, der „Fuchs" Herodes Antipas, der Mörder Johannes des Täufers, trachtet ihm nach dem Leben;

er predigt unbekümmert weiter. Er greift die geistigen Gewal­

ten im Volk, die verweltlichten Priester, die heuchlerischen Phari­ säer, die buchstabenklaubenden Schriftgelehrten, rücksichtslos an und macht sie sich zu Todfeinden. Aber auch die Massen des Volkes stößt er immer wieder vor den Kopf, da er ihre rohen

17 Vorstellungen von Freiheit und Macht nicht gelten läßt: erst sollen sie innerlich neu, erst des Sieges und der Herrschaft wert

werden; dann erst wird das erhoffte Reich kommen. Er weicht

dem Kampf nicht aus, er schont sich nicht, wie Petrus mit gut­ gemeinter Besorgnis ihm rät. Er sucht seine Gegner in ihrer

Hochburg, in Jerusalem, auf. Ein Jünger verrät ihn, einer verleugnet ihn, alle verlassen ihn. Einsam geht er in den Tod,

einsam, aber ungebrochen und als Sieger. Aus seinem tapferen Opfertode ist der Todesmut seiner Jünger erwachsen; und das

Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche geworden. Tapferkeit ist höchste Christentugend. Laßt uns in dieser schweren Zeit ein tapferes Christentum beweisen. Will uns der Mut entsinken, wir stärken ihn aufs neue im Gebet; wir halten uns immer wieder vor, daß Jesus unter allen Tapferen der Tapferste war, und lassen uns von dem frommen Dichter zurufen: „Mir nach, spricht Christus, unser Held!"

Schuster: Gott und Vaterland.

2

Die Kraft Gottes

(Totensonntag).

Mark. 12, 24 und 27: Ihr irret, weil ihr nichts wisset von der Kraft Gottes. Denn Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen.

Totensonntag im Kriege! Wer kann es fassen und be­ zwingen, was dieser Totensonntag uns zu sagen hat? Ein großer deutscher Künstler hat uns in zwei ergreifenden Bildern den Tod geschildert. Hoch oben auf seiner Glocken­

stube ist an einem milden Sommerabend der greise Wächter eingeschlafen, die Hände zum Gebet gefaltet, neben sich die aufgeschlagene Bibel. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne beleuchten das friedliche Antlitz, ein Vöglein auf der Fensterbank singt ihm das Abschiedslied. Ein Pilger aber ist

hereingetreten, hat Hut und Stab und Palmenwedel an die Wand gelehnt, und mit teilnahmsvoll gesenktem Haupt zieht er für den Entschlafenen die Abendglocke. Es ist der Tod, der ihm den Feierabend einläutet: der Tod als Freund. — Und nun das Gegenbild. Ein Tanzsaal in der Fastnachtszeit, mit

allen Zeichen der Lust und der Narrheit ausgeschmückt. Eben

noch war er eine Stätte wilder, überschäumender Ausgelassen­ heit, und jetzt ein Ort des Entsetzens. Am Boden liegen die lauten Tänzer, die lustigen Dirnen, schmerzverkrümmt; den Ausweg durch Fenster und Türen suchen die andern in wahn­ sinniger Angst. Dort in der Ecke sitzt ja mit stachelbewehrter Geißel die Pest, versteinernde Augen im starren Gesicht; in der Mitte des Saales aber stolziert mit tänzelndem Schritt,

die abgerissene Maske lässig am Arm, der Tod und spielt mit knöcherner Hand auf knöcherner Fiedel sein grausiges, höhni­ sches Lied: der Tod als Würger. Der Tod als Freund, der Tod als Würger; der Tod als Befreier und Erlöser, der Tod als Verderber und Vernichter. —

19 Wie ist er heute zu uns gekommen? Die Antwort scheint nicht zweifelhaft; denn ein furchtbares Massensterben liegt hinter uns, steht vor uns, umgibt uns von allen Seiten. Und welch ein Sterben! Die ins Grab sinken, sind ja nicht Greise, alt und

lebenssatt; es sind auch nicht Kranke, Schwache und Lebens­ müde. Nein, es sind unsere Stärksten und Gesündesten, unsere jugendfrischen Jünglinge, unsere reifen Männer in den besten

Jahren; es ist die Blüte unseres Volkes.

Und doch hat des Künstlers zweites Bild mit unserem Totensonntag nichts zu schaffen. Denn die, um die wir heute klagen, sind nicht „in ihrer Sünden Maienblüte", aus heißer Sinnenlust, aus frevelhaftem Leichtsinn jäh herausgerissen. Es sind ja unsere Edelsten und Besten, die Blüte unseres Volkes

an Geist und Seelenadel; und sie sind mit vollem Bewußtsein, in höchster Begeisterung und in tiefstem Ernst, dem Tode gradeaus entgegengegangen. Und noch einmal: Das grausige Bild des Würgers stimmt trotz allem äußeren Anschein nicht zu unserem Totensonntag. Denn jene Toten sind ohne Sinn und Zweck dahingesunken; darum kann ihr Anblick auch nichts als Grauen und Entsetzen wecken. Unsere Toten aber: sie wußten es, und w i r wissen

es, was ihr Sterben bedeutet. Es bedeutet die Erlösung eines ganzen, großen Volkes, seine Errettung aus unerträglicher politischer Einengung, seine Bewahrung vor Schmach und Schande, vor wirtschaftlicher und geistiger Knechtung. Ja, wir hoffen, ihr Sterben bedeutet noch mehr: die geistige und sittliche Erneuerung unseres Volkes, die Eröffnung einer großen und würdigen Zukunft für Kinder und Kindeskinder. Über ihrem Sterben steht geschrieben: „Ich will dich segnen, und du sollst

ein Segen sein". Ein Segen für uns und für unsere Zukunft. Und sie selber, sind sie nichts als ein Opfer für uns? Wir wissen wohl, s i e begehren nichts für sich; i h n e n genügt es, wenn ihr Sterben 2«

20 uns zugute kommt. Aber genügt uns diese Antwort, sollen wir für sie selber nichts mehr hoffen? Als unter den tapferen makkabäischen Brüdern das kleine jüdische Volk sich im heldenmütigen Kampf die Unabhängigkeit erstritt, und man das verheißene messianische Zeitalter vor der Türe glaubte, da konnte die Dankbarkeit es nicht ertragen, die

tapferen Toten von diesem Heil ausgeschlossen zu denken. So erwuchs aus Liebe und Verehrung der Glaube an die Aufer­ stehung der Toten und eroberte sich schnell die Herzen des

ganzen Volkes. Nur die kalten, selbstsüchtigen Sadduzäer wagten es, diesen Glauben zu verspotten. Ihnen hat Jesus ge­ antwortet: „Ihr wißt nichts von der Kraft Gottes. Gott ist ja nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen." Dies

große Wort tönt auch uns heute wie mächtiger Orgelklang im Ohre. Ob Auferstehung des Leibes, ob Unsterblichkeit der Seele — was kümmert uns die F o r m, wir schreiben Gott nichts vor. Aber wir glauben voll froher Zuversicht an die ge­ heimnisvolle Kraft Gottes. In seinem Reiche gilt das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, er läßt nichts umkommen, am allerwenigsten das Wertvollste: edle Menschenseelen. Zwischen dem Unglauben, der nichts gelten läßt, als was die Augen sehen, und dem Aberglauben, der mit dreister Neugierde Gottes

Geheimnisse ergründen will, schreitet demütig-fromm der echte Glaube, der Glaube an die Kraft Gottes, die alle irdischen An­ fänge zur Vollendung führt, und an das Reich Gottes, in dem alles Getrennte ewige Gemeinschaft findet. Totensonntag — wie erscheint uns heute der Tod? Dem leiblichen Auge ist er nichts als der grausige Würger; das Glaubensauge sieht in ihm den Erlöser und Befreier, den Be­ freier unseres Volkes, den Erlöser unserer tapferen Toten. Wir warten auf den deutschen Künstler, der uns diesen Tod im Bilde

malt. Oder geht das über Menschenkraft?

Advent. Römer 12, 12: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet. Advent — können wir in diesem Jahre Advent feiern?

Ist dafür im Kriege Muße, Sammlung, Stimmung vor­ handen? Mit wie anderen Herzen haben wir vor Jahresfrist den ersten grünen Tannenzweig an unsere Wand gesteckt,

das erste Lichtlein am kleinen Bäumchen entzündet, mit unseren Kindern die ersten Weihnachtslieder gesungen und mit den verschwiegenen, geheimnisvollen Vorbereitungen für das Fest

der Liebe angefangen. Damals war Friede, und unsere Herzen

waren leicht und fröhlich. Heute aber ist Krieg, und unser aller Herzen sind voll Ernst und Spannung, viele voll Leid und Sorge. Können wir da Advent feiern? Ich meine ja, doch in anderer, in tieferer und größerer Weise. Wir sind der Stimmung der ersten Christen näher Sie lebten in banger, dunkler Zeit, mußten sich mit Geduld rüsten gegen viel Trübsal, Verleumdung und Ver­ folgung. Aber sie stärkten immer wieder ihre Herzen im Gebet, im Aufblick zu ihrem verklärten Meister und im Ausblick auf gerückt.

sein kommendes, seliges Reich. So ward der Grundton ihres Lebens dieser: Fröhlich in Hoffnung. Wie ein heller Stern in dunkler Nacht leuchtete vor ihnen diese frohmachende Hoffnung. Wir erwarten nicht mehr, daß Jesus mit den Wolken des Himmels wiederkommt, um das Gottesreich sichtbar auf­ zurichten. Unsere Hoffnung hat die Gestalt gewechselt, aber

doch nur die Gestalt. Die Not der Zeit, der Untergang un­ gezählter Menschenwerke, das hunderttausendfache Sterben jungen, blühenden Lebens erinnert uns daran, daß wir nach diesem vergänglichen,irdischen Dasein ein unvergängliches, ewiges

22 Leben erwarten, ein Leben, von dem der neutestamentliche Seher sagt: „Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein. Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen". Darum rufen wir jetzt ein­ ander zu: Sursum corda, aufwärts die Herzen!

Aber das ist nicht die Meinung, daß wir nun dieser Erde, ihren Aufgaben und Pflichten, ihren Freuden und Hoffnungen sollten entfremdet werden. Wohl hat uns Gott eine unzerstör­ bare, ewige Hoffnung geschenkt, damit wir in unserer tiefsten

Seele einen ruhigen Hafen, einen unversieglichen Brunnen der Erquickung und der Kraft besäßen. Aber mit dieser Ruhe, mit dieser Kraft sollen wir an den irdischen Aufgaben, die Gott uns gestellt, unermüdet und tapfer arbeiten, geduldig in Trüb­ sal und fröhlich in Hoffnung. Fröhlich in Hoffnung auch unter Entbehrung und Tränen, so sollen wir auf die Zukunft unseres Volkes hoffen; sollen

glauben, daß wir nicht in der sinnlosen Zerstörung eines Erd­ bebens stehen, sondern in den Wehen und Schmerzen einer segenverheißenden Geburt.

Und wenn es noch länger, nock­

schmerzlicher und sorgenvoller heißen sollte: Geduldig in Trüb­ sal; so soll es doch immer wieder heißen: Fröhlich in Hoffnung. So sollen wir, so wollen wir gefaßten, starken Herzens dem Advent des deutschen Volkes entgegengehen. Und wenn wir uns noch mehr üben müssen in Geduld, so wollen wir uns immer wieder ermuntern zum Gebet, hinabsteigen in die tiefen Brunnen der Kraft, die Gott in unseren Seelen sprudeln lassen will, dann finden wir immer wieder Mut und Geduld, Zu­ versicht und Hoffnung. Dann wird ein tiefer, starker, innerlich

freudiger Adventssinn uns erfüllen.

Bruderliebe. 1. Iah. 2, 10: Wer seinen Bruder liebet, der bleibet im Licht.

Wir gehen dem Licht der Weihnacht entgegen. Aber manch einer mag jetzt an dies Licht nicht glauben. Es ist ihm wie ein Lämpchen im Sturm, das jeden Augenblick zu ver­

löschen droht; es kommt ihm vor, als wolle jemand mit einer winzigen Wachskerze die ganze dunkle Welt erleuchten. Wir verstehen diese verzagte Stimmung wohl; denn die Welt ist so voll Haß und Streit und Neid, voll Lüge, Verblendung und Verleumdung, daß sie uns wirklich oft wie ein öder, kalter, finsterer und toter Raum anmutet. Wir kennen diese Stimmung wohl, aber wir dürfen uns ihr nicht hingeben, und wir brauchen

ihr nicht zu unterliegen; wir können uns aus ihrem Bann lösen, wenn wir nur ernstlich wollen. „Das Auge ist des Leibes Licht; wenn dein Auge ein­ fältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein"; so lehrt Jesus

in der Bergpredigt. Und Johannes legt dies Bildwort praktisch aus, wenn er sagt: „Wer seinen Bruder liebt, der bleibet im Licht". Wir werden mit diesen Worten aufgefordert, uns daran zu erinnern, daß doch nicht alle Freude und alles Licht

von außen in die Menschenherzen kommt, sondern, daß wir eine Quelle von Licht und Frohmut in uns selber tragen. Wir müssen sie nur erbohren und fließen lassen. Diese Quelle heißt: Liebe, erwiesene, verschenkte Liebe. Welches sind in der Regel die glücklichsten Menschen? Sind es nicht diejenigen, denen ihr Beruf oder ihre Lebensführung am meisten Gelegenheit gegeben hat, Liebe zu üben, Wunden zu heilen, Tränen zu trocknen, zu trösten, zu helfen, glücklich

24 zu machen! Und umgekehrt, woher stammt die Verbitterung manches alten Griesgrams, die herbe Miene der unglück­ lichen, viel verspotteten alten Jungfer, als weil ihnen die

Möglichkeit versagt war, Liebe zu üben, weil sie die wahren Bedürfnisse ihres Herzens nicht erkannten und daher ver­ kümmern ließen. Aber die Mutter mit dem Kind, das Bild selbstloser, schenkender, aufopfernder Liebe, ist es nicht zu­ gleich das Bild höchsten menschlichen Glückes? Und wenn unsere katholischen Mitchristen dies Bild in der Gestalt der Gottesmutter mit heißer Inbrunst ausgemalt, mit himmlischer Heiligkeit und Seligkeit geschmückt haben, so verstehen wir den tiefen, wahren Sinn, der in dieser Marienverehrung be­ schlossen liegt. Die Liebe macht glücklich und stark, die reine, selbstlos aus­

geübte Liebe. Gilt das schon in gewöhnlichen Tagen, wieviel mehr in dieser gegenwärtigen Kriegeszeit. Welch ein Mensch, der nicht ganz stumpf und dumpf ist, hielte es jetzt aus, müßig und untätig dem schweren Leben zuzuschauen? In den ersten Wochen und auch später an einzelnen Tagen, da mochte man sich wohl berauschen an Siegesjubel. Aber was hilft uns hin­

durch durch das graue Einerlei ereignisloser Tage, was macht uns zu Herren über Kummer und Sorge, was füllt unsere Herzen immer wieder mit Vertrauen und mit froher Zuver­ sicht? Nichts sicherer als die Liebe, die selbstlose, tätige Liebe. Gott hat ihr die geheime Kraft mit auf den Weg gegeben, daß sie nicht nur nach außen wirkt, daß sie ihre stärkste und sicherste

Wirkung nach innen übt; sie erfüllt ihren Träger mit Lebens­ mut und Lebensfreude. Nur daß es die echte, reine Liebe sei, die frei ist von Eitel­ keit und Ehrgeiz, die nicht in den Listen stehen will, die nicht Dank und Aufmerksamkeit sucht, die auch nicht eigensinnig auf vorgefaßten Meinungen besteht, sondern sich der Eigenart,

den Bedürfnissen des andern anpaßt, die Liebe, die nichts

25 will als wohltun und helfen, und das nicht aufdringlich oder vornehm von oben herab, sondern in schlichtem Brudersinn.

Au dieser Liebe hat jedermann Gelegenheit. Wer kein Geld hat oder Geldeswert, der hat Zeit und Kraft für Liebes­ dienste. Auch ist kein Beruf so gering und so nüchtern, daß nicht irgendwo sich Gelegenheit fände, ihn durch Liebe zu adeln und sich selbst zur Segensquelle zu machen. Die Ärmsten aber unter den Armen können viel wahre Liebe üben, wenn sie es lernen, Hilfe und Wohltat richtig zu empfangen, über Un-

geschiMchkeiten hinwegzusehen, überall den guten Willen zu spüren und anzuerkennen. So ruft diese Adventszeit uns zu: Mache dich auf und werde licht! Wer seinen Bruder liebet, der bleibet im Licht!

Die Herzen auf! Gffenb. Zoh. 3, 20: Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.

Der vierte Advent! Das Weihnachtsfest steht vor der Tür und klopft an. Aber sollen wir Weihnachten feiern im

Grausen und Greuel des Weltkrieges, in einer Zeit voll Haß und Lüge, in einem Lande, wo Jehntausende um ihre Lieb­ sten trauern, Hunderttausende, nein, Millionen um ihre Nächsten

bangen?

Ja, wenn Weihnachten nichts wäre als ein harm­

loses, heiteres, gemütliches Familienfest, wenn es keinen anderen Inhalt hätte als Festschmauß und Festgebäck, als einen ge­

putzten Baum und einen Tisch voller Geschenke, als Wochen voll Hast und Unruhe und dann ein paar Tage bequemer Muße

und behaglichen Genießens, — wenn Weihnachten nichts wäre als das, dann paßte es nicht in unsere gewaltige Zeit, dann wäre seine Feier ein schriller Mißton zu dem Ernst und der Größe dieser Tage.

Aber gottlob, wir wissen mehr und Höheres vom Weih­ nachtsfest zu sagen. Wenn alle echten deutschen Herzen am Weihnachtsfest so innig hängen, mit ganzer Seele an ihm hängen, so fühlen sie, auch wenn sie es nicht mit Worten sagen mögen, daß hier eine Ahnung der Ewigkeit, ein Glanz himmlischen

Lichtes, ein Ton reiner Freude, eine Kraft der Unschuld und Liebe in ihr Leben fällt; lauter Güter, die sie nicht entbehren

können, die sie um so nötiger haben, je kälter, dunkler und un­ heimlicher draußen die Welt ist. Darum heißt es in diesem Jahr erst recht: Weihnachten feiern; und es heißt: sich vor­ bereiten auf das Fest, damit wir es mit reinem, feinem Herzen feiern und reicheren Segen gewinnen als je.

27 Der vierte Advent steht vor der Tür und klopft an. Die Herzen auf! Nicht leise und traumhaft ist diesmal sein Klopfen. Nein, mit dem Donner der Geschütze, mit dem Krachen stürzen­ der Mauern, mit dem vieltausendstimmigen Geschrei von Roß

und Mann, mit dem Rauschen und Dröhnen gewaltiger Kriegs­ schiffe, wahrlich mit eisenbewehrter Riesenfaust klopft er an die Tür des deutschen Volkes und ruft uns zu: Die Herzen auf! Die Herzen auf! Welche Gäste sollen wir aufnehmen? Dieselben wie sonst, Liebe und Glaube; aber mit heiligem Ernst sollen wir sie aufnehmen, unser ganzes Herz ihnen öffnen. Es darf keine Ecke, kein Winkel übrig bleiben, wo nicht Liebe

und Glaube wohnten. Die Herzen auf für die Liebe! Schenken sollt ihr und geben. Aber so, wie die Liebe gibt, die nicht prunken und prahlen will, die nicht Wohltaten erweisen, sondern wohltun will, die nach dem fragt, was der andere nötig hat und was ihm Freude macht, die sich nicht beschränkt auf Verwandte und Freunde, sondern derer am meisten gedenkt, die der Liebe am meisten bedürfen. Schenken so, wie die Liebe schenkt, die niemals nur tote Sachen schenkt, die immer ein Stück ihrer eigenen Seele mitgibt und damit der Gabe erst Leben und Segen verleiht. So kann auch der am Besitz Arme schenken; denn mit dem

Opfern seiner Zeit, mit Wort und Blick kann er wohltun und Liebe üben. So könnt ihr auch den armen Leidgebeugten wohl­ tun. Was sollen ihnen äußere Gaben? Aber ein freundlicher Besuch, eine herzliche Zeile, ein warmes Wort wird ihre Seele heilen und erheben. Die Herzen auf für die Liebe und für den Glauben! Den Glauben, daß über der dunkeln, kalten Welt, voll Angst und

Leid, uns ein ewiges Heimathaus bereitet ist. Den Glauben, daß kein irdischer Wert persönlichen Lebens verloren ist, daß jede Seele, in der ein göttlicher Funke glimmt, von Gott be­ hütet und vollendet wird. Die Herzen aber auch auf für den

28 großen, demütig-stolzen Glauben an den Sieg unserer gerechten Sache, an die Zukunft unseres Volkes, den Glauben, daß die

ungezählten Opfer der Edelsten nicht umsonst sind, daß aus Rauch und Blut ein größeres, schöneres, reineres und stärkeres Deutschland, gesegnet und segenspendend in gesichertem Frie­

den, wie die Frühlingssonne emporsteigen wird.

Denn es ist ein ew'ger Glaube, Daß der Schwache nicht zum Raube Jeder frechen Mordgebärde Werde fallen allezeit: Etwas wie Gerechtigkeit Webt und wirkt in Mord und Grauen, Und ein Reich will sich erbauen, Das den Frieden sucht der Erde.

Mählich wird es sich gestalten, Seines heil'gen Amtes walten, Waffen schmieden ohne Fährde, Flammenschwerter für das Recht, Und ein königlich Geschlecht Wird erblühn mit starken Söhnen, Dessen Helle Tuben dröhnen: Friede, Friede auf der Erde!

C. F. Meyer.

Weihnachtsdank. Eo. Joh. 15,13: Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Zreunde.

Fast überall in deutschen Landen haben wir Weihnachten gefeiert in sicherer Hut, am warmen häuslichen Herd. Nicht freilich mit üppigem Prunk, nicht in ausgelassener Lust — schlecht stimmt solches Treiben zu jeder Weihnacht, am schlech­ testen zu der heutigen, — aber doch mit grünem Baum und Lichterglanz, mit Liederklang und Kinderjubel, nicht ohne be­

scheidene Gaben der Liebe, nicht ohne die zaubervolle Poesie des deutschen Christfestes. Daß wir Weihnachten feiern konnten in festlichen Gotteshäusern, im traulichen Heim: wir danken es den Treuen und Tapfern da draußen, die für uns wachen und streiten, für uns hungern und frieren, für uns bluten und sterben.

„Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde". — Oh, ihr Freunde und Brüder

dort draußen, viele Tausende von euch haben ihr Leben gelassen für uns. Ihr alle setzt es täglich für uns aufs Spiel; zu unserem Besten entbehrt ihr Vater und Mutter, Weib und Kind, ver­

zichtet auf Behaglichkeit und Schmuck des Lebens, darbt leib­ Womit danken

lich und seelisch, opfert euch täglich neu auf. wir euch?

Die Last des Dankes wäre unerträglich, sie müßte dem Nachdenklichen jede harmlose Freude lähmen, sie müßte uns fast den Lebensatem ersticken, wenn wir uns nicht sagen dürften: Diese ungleiche Verteilung der Lose ist Gottes geheimnisvolle Ordnung, in seinem Reiche gilt das große Gesetz des Opfers,

30 des stellvertretenden Leidens; dies Gesetz gilt alle Zeit, aber jetzt muß es auch der Blinde sehen. Solche Besinnung auf Gottes ewige Ordnung macht uns die Annahme dieses un­

geheuren Liebesopfers erträglich, aber sie befreit uns nicht vom Dank, sie verpflichtet uns vielmehr zum lebendigen Dank mit der Tat: Gottes allsehende Augen prüfen uns und forschen nach unserem Weihnachtsdank. Welches soll unser Weihnachtsdank sein? Zuerst dieser, daß wir uns aufs neue geloben, für alle irgendwie notleiden­

den Angehörigen unserer Tapferen zu sorgen, so gut es nur in unseren Kräften steht. Wir können ihnen die Lieben, die draußen stehen oder gar gefallen sind, freilich nicht ersetzen; aber sonst sollen sie es nicht schlechter haben als ihre Brüder und Schwestern. Hier heißt es: Lasset uns Gutes tun und nicht

müde werden. Und das Zweite: Wir sollen auch unsererseits zu jedem Dienst, zu jedem Opfer, wie das Vaterland es fordert, bereit sein. Daß wir Arbeit und Beruf treu erfüllen, nicht alö Metlinge um Lohnes willen, sondern als Söhne und Bürger des

Vaterlandes um der gemeinsamen Sache willen: das sollte

selbstverständlich sein. Auch darüber sollte es keines Wortes bedürfen, daß wir unsere geringen Entbehrungen mit Lust er­ tragen. Wenn das Fest vorbei ist, tritt das Kriegsbrot wieder in sein Recht; soll dann nicht endlich alle Leckerei ein Ende haben, soll nicht unsere ganze Lebensführung der Größe und dem Ernst der Zeit entsprechen?

Wie wollen wir uns sonst

sehen lassen neben den Ungezählten, die im schwarzen Gewand um ihre Liebsten trauern?

Doch das Größte steht noch aus.

Ich las gestern einen

Feldbrief, in dem der Schreiber sich darüber beklagt, manch­ mal lasse ein Brief aus der Heimat durchblicken, daß sich in manchen Kreisen zu Hause Verzagtheit rühren will. „Wir

wollen weiterhin für euch wachen und kämpfen, wir wollen.

31 wenn es sein muß, für euch sterben; und wir wollen und werden auf jeden Fall für euch siegen. Sollen wir auch noch euch glauben?" Diese vorwurfsvolle Frage ist tief schämend. Wir alle wollen sie uns zu Herzen nehmen, alle wollen antworten: Nein, und nochmals nein. Das

für be­ wir soll

unser Weihnachtsdank sein, daß wir uns immer wieder mit unzerbrechlichem Glauben erfüllen. Wir wollen immer wieder die Quellen unserer seelischen Kraft aufsuchen: sie liegen in unserem Beruf, in unserem Volkstum, in Kunst und Wissenschaft, in unserer Gottesgemeinschaft. Daraus wollen wir — wir alle, auch die Trauernden und Leidge­ beugten — Glauben schöpfen an

den Sieg unserer

heiligen Sache: Die Bewährung dieses Glaubens, das sei unser Weihnachtsdank.

Mit Gott ins neue 3ahr! Lukas 9, 62: wer seine Hand an den Pflug legt und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.

Das Jahr 1914 ist geschieden und 1915 hat begonnen. Einen solchen Jahreswechsel hat keiner von uns erlebt. Darum mußten wir ihn auch anders begehen als andere Jahreswechsel.

Das fühlte ein jeder, der nicht ganz gedankenlos und stumpf war, daß lärmende Ausgelassenheit diesmal schlechterdings nicht am Platze war. Aber auch wehmütigen, beschaulichen Rückblicken durften und dürfen wir uns nicht hingeben. Und doch liegt unendlich vielen solch ein wehmütig-süßer Rückblick

so nahe.

DaS Jahr 1914 hat ihnen genommen, was ihres

Daseins Halt und Schmuck, was ihres Lebens Inhalt war. Was liegt näher, als zurückzublicken in vergangene schöne Zeit, zu versinken in süße Träumerei; um die graue, leere Gegenwart,

die trostlos öde Zukunft darüber eine Weile zu vergessen. Und auch die anderen, denen das schwerste Opfer noch nicht auf­

erlegt ist, auch sie fühlen die Versuchung, von der schier un­ erträglichen Spannung der Gegenwart auszuruhen im Rück­

blick auf die blühende Zeit vergangener Jahre des Friedens. Menschlich begreiflich ist diese Stimmung wohl, aber sie ist ein gefährliches Gift. Wenn es in unseren Adern kreist, so hüllt eö unser Hirn in Nebel und lähmt unsere Muskeln. Aufwecken und aufrütteln soll uns das herbe Jesuswort: „Wer die Hand an den Pftug legt und sieht zurück, der ist nicht ge­ schickt zum Reiche Gottes". Wenn der Pflüger gerade Furchen über den Acker ziehen will, muß er seine Augen fest geradeaus richten. So auch wir. Vor uns liegt noch ein ungeheures Stück Arbeit, das Gott unserem deutschen Volke aufgelegt hat. Das fordert die ungeminderte Kraft von Herz und Hand eines jeden

33 Deutschen.

Da wäre jeder Rückblick, der uns weichlich und

schwach machen wollte, ein schweres Unrecht. Aber einen Rückblick gibt es, den wir tun dürfen und tun

müssen, weil aus ihm Mut und Kraft erwachsen. Das ist der beschämende und spornende Rückblick des Dankes. Ihn wollen wir heute nicht vergessen. Dank zu allererst unseren Tapfern dort draußen, vom Kaiser bis zum Tagelöhner, vom Feld­ marschall bis zum Musketier, Dank für unerhörte Taten und

Leiden, die kein Wort erreichen kann. Dank allen treuen, fleißigen und klugen Arbeitern daheim, die das deutsche Leben in Gang halten und, mittelbar oder unmittelbar, die Kämpfe

und Siege unserer Heere ermöglichen. Dank all den tapferen Frauen, die in stillem Heldentum ihren großen Schmerz dem

Vaterland geheiligt haben und damit unseres Volkes Kraft adelten. Dank allen deutschen Männern und Frauen, Knaben und Mädchen, die den Ernst der Zeit erfaßten, die begrif­ fen, daß dies die große Prüfung unseres Volkes sei, daß von ihrem Bestehen das Schicksal ferner Geschlechter abhänge, die darum alle ihre leiblichen und geistigen Kräfte dem Vater­ land widmeten und mit Wort und Beispiel zu gleicher reiner Hingabe ermahnten und ermutigten. Dank zuhöchst dem All­ mächtigen, von dem uns dieser Segen kam, der mit seinem heiligenden Geist die Menschenherzen belebte und erneuerte.

Solch ein Rückblick wird uns heilsam sein. Denn in ihm liegt eine vorwärtstreibende Kraft. Wir denken an das, was

die anderen geleistet haben. Und dann fragen wir uns, ein jeder sich selbst: Hast du dein Teil getan? Hast du gearbeitet, was du konntest? Hast du Anwandlungen von Kleinmut stets tapfer bekämpft? Hast du, wo es nötig war, tröstend und mahnend geredet oder gebend und ratend geholfen?

Und

dann nehmen wir uns für das kommende Jahr vor: noch viel treuer, viel opferwilliger, viel tapferer zu werden. Gott aber

gebe zum Wollen auch das Vollbringen! Schuster: Gott und Vaterland.

3

Wovon wir leben. Matth. 4, 4: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeg­ lichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Aber er lebt doch zuerst vom Brot. Diese nüchterne Tatsache wird uns durch den Krieg zu deutlichstem Bewußtsein gebracht. Wir hören von den Verpflegungsschwierigkeiten unserer kämpfenden Trup­ pen, und lesen in Feldbriefen bisweilen, wie ein gutes Stück schlichten Brotes allen Kostbarkeiten vorgezogen wird.

Aber

auch wir daheim lernen das Brot neu schätzen. Wir wissen, daß unsere Gegner, weil sie an der Wirksamkeit ihrer Waffen zweifeln, mit dem Gespenst des Hungers uns einzuschüchtern und zu bezwingen hoffen. Diese Hoffnung soll zuschanden

werden und wird zuschanden werden, wenn anders wir wieder lernen, das Brot als heilige Gottesgabe zu ehren und sparsam, ehrfürchtig mit ihm umzugehen. Fromme Urgesühle der Mensch­ heit werden wieder in uns lebendig, wir beten mit neuer An­

dacht die vierte Bitte: „Unser täglich Brot gib uns heute", und bitten mit Luther, daß Gott es uns erkennen lasse als sein Ge­ schenk, damit wir es mit Danksagung empfangen.

Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Was wäre das für ein Leben, zumal in dieser Zeit des schrecklichen Krieges, wenn wir nichts hätten, als das Brot für den Hunger unseres Leibes. Wir denken an das Los der Gefangenen in Feindes­

land.

Man läßt sie wohl kaum Hunger leiden; aber sie ent­

behren fast alles, was des Lebens Würde und Schönheit be­

deutet; und unerträglich wäre ihr Schicksal, wenn nicht wenig-

35 stens der Stolz und unauslöschliche Hoffnung, genährt durch brüderliche Gemeinsamkeit und Liebeszeichen der Heimat, sie aufrecht erhielten.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht. „Ein jedes Wort, das durch den Mund Gottes geht". Dabei dürfen wir

zuerst an die geschriebenen Gottesworte unserer Bibel denken. Welch eine Fülle von Worten der Kraft, der Zuversicht, des Trostes steht auf ihren Blättern verzeichnet! Und die Feld­

briefe bezeugen es uns, wie die Seelen unserer Krieger sich an ihnen sättigen. Wohl dem, der den schmalen Band des Neuen Testaments, der Psalmen oder eine schöne Auswahl zur Hand hat und seinen Hunger aus dieser Kammer stillen

kann. Glücklich preist sich jetzt mancher, der einen reichen Vor­ rat kräftiger Trostsprüche gelernt hat, und im Augenblick der höchsten Gefahr oder in den langen Schmerzensnächten sich daran erquicken kann. Wenn wir in Angst und Not sind, wenn unsere Seele wie in wilden Wassern ertrinken will, dann sind solche Worte wie ein Rettungsgürtel, wie die ausgestreckte Hand

des Helfers. Wenn wir in unserer Seelenqual nicht wissen, wie wir beten sollen, so treten solche Worte wie Engel Gottes für uns ein, beten für uns und bringen uns den Segen des Gebets, Ruhe der Seele, Kraft und Zuversicht. So wollen wir das geschriebene Gotteswort nicht gering achten. Aber es ist nicht die einzige, nicht die höchste Form des Gottesworts. Im Neuen Testament wird öfter Jesus

als das Wort Gottes bezeichnet. Das Fleisch gewordene Wort, sagt Johannes; wir könnten auch sagen: das Mensch, das Person gewordene Wort Gottes. Größer und wirksamer als die Fülle einzelner Sprüche ist das lebendige Bild Jesu, wenn es uns mahnend, tröstend, anfeuernd begleitet wie ein fürsorgender Vater, wie ein gewissenhafter Freund. Dann wird seine

Kraft unsere Kraft, seine Treue unsere Treue; seine Zuver3*

26 sicht stärkt uns, sein Sieg über den Tod hilft auch uns über­ winden.

Aber der Geist Jesu ist nicht engherzig und eifersüchtig; er ist weit und groß, voll unendlichen Glaubens an Gott. Er sieht deshalb Gottes Wort, Gottes Offenbarung in allem, was gut ist. Er öffnet uns die Augen, daß auch wir überall Offenbarungen Gottes sehen; er rührt unsere Ohren an, daß wir hören, wie die Geschichte und wie die Gegenwart mit lautem

Mund uns Gottes heiligen Willen und Gottes hilfreiche Kraft bezeugt. Nun redet Gott zu uns durch alle die Helden unseres Volkes; ihre Taten werden zu lebendigen Sprüchen. Er redet aber auch zu uns durch Vater und Mutter, Gatten oder Gattin, Freund und Kameraden, durch jeden schlichten Menschen, in dem ein Funke des Guten aufblitzt.

So sind wir umgeben von Worten Gottes. Möchten wir nur lernen, ihre Sprache zu verstehen. So sollen aber auch wir, —• erhebend und beschämend! — unseren Nächsten Wort Gottes sein. Laßt uns beides lernen: Gottes Wort hören und Gottes Wort reden — reden vor allem mit der Tat, damit wir alle, damit unser liebes deutsches Volk wachse an Gottes Kraft und in diesem Krieg das schwere Werk vollende, das Gott ihm aufgelegt hat.

Sorget nicht! Matth. 6, 34: Sorget nicht für den anderen Morgen. (Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe. „Sorget nicht für den anderen Morgen." Das sieht aus

wie ein leichtsinniges, gefährliches Wort. Fürsorge zu treffen für den anderen Morgen nicht nur, sondern für Wochen, Mo­ nate und Jahre: ist das nicht unsere selbstverständliche Pflicht? Von dem Küchenzettel der sorgsamen Hausfrau bis zu dem Vor­ anschlag des gewissenhaften Staatsministers ruht doch unser Leben und Gedeihen auf sorgender Vorbedachtsamkeit. Was ist unser Sparkassenwesen, Lebensversicherung, Arbeiterschutz anderes als Vorhersorge im großen Stil. Und nun gar jetzt im Kriege! Wie wollten wir bestehen, wenn die leitenden Männer nicht vorgesorgt hätten für Krieger, Waffen und Vorräte. Und damit ist die Vorsorge nicht erschöpft. Die verantwortlichen Leiter

sorgen dafür, daß uns das unentbehrlichste Mittel zur Fort­ setzung des Kampfes nicht ausgeht, das tägliche Brot; und sie erziehen uns alle zu gleicher gewissenhafter Sorge. Ist es nicht der Geist planvoller Überlegung, reiflicher Vorsorge auf allen Gebieten, der unser Volk groß und reich und stark gemacht hat, der uns die Mittel und die Kraft zum Kriege und zum Siege gibt! Das ist alles richtig. Aber alles das will Jesu Wort uns auch nicht verwehren. Jesus will uns nicht verführen, leicht­ sinnig und gedankenlos in die Zukunft hineinzutappen. Junge

Leute, die unüberlegt, vom Strohfeuer schnell entflammter Begeisterung erwärmt, ihm nachfolgen wollten, hat er mit herben Worten zurückgewiesen, hat ihnen zur Warnung die beiden Gleichnisse vom Leichtsinn erzählt, von dem leicht-

38 sinnigen Bauherrn, der seinen Turm halbfertig stehen lassen mußte und zum Gespött der Leute wurde, und von dem gewissenlosen König, der einen aussichtslosen Krieg begann

und sich und sein Land ins Verderben stürzte. Nein, gewissenhafte Fürsorge hat Jesus nicht getadelt,

aber den ungesunden, feigen Sorgengeist, der sich wie Blei­ gewicht an die besten und sorgsamsten Pläne hängt, der das

Gemüt verdüstert, das Auge trübt und die Hand lähmt, der schon das halbe Mißlingen bedeutet, den hat er treffen wollen; und eine frische, fröhliche Zuversicht, die da leuchtet wie die brennendrote Anemone auf Palästinas sonniger Flur, die da klingt wie morgendlicher Lerchengesang, die will er uns ins

Herz gießen. Es ist ein köstlich Ding um eine echte und rechte Sorglosigkeit, um ein kindliches, blindes Vertrauen. Der Soldat im Felde soll seine Augen öffnen und seine Ohren spitzen, wenn er auf Wache steht, aber sonst soll er frohen, leichten Mutes sich auf seine Führer verlassen. Er soll nicht im voraus denken an alle Kugeln, die ihn heute treffen können, an die vielen Kilo­ meter, die er morgen marschieren muß. „Sorget nicht für den anderen Morgen; es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe." Diese Regel gilt aber auch für uns daheim. Es gibt Leute, die unglaublich erfinderisch sind, immer neue Schwierigkeiten,

immer neue Gefahren sich auszudenken und auszumalen. Das ist ein müßiges, nein, ein verderbliches Spiel; denn es lähmt

die Kräfte, mit denen wir Unglück ertragen und Gefahren ab­ wehren können. So ist es geradezu unsere Pflicht, diesen bangen Sorgengeist von uns abzuweisen. Will er uns überfallen, so sollen wir ihm ins Gesicht sagen: Weiche von mir, denn du bist

Gottes und der Menschen Feind. Die Pflicht des Tages erfüllen und die Zukunft getrosten Herzens dem großen Gotte überlassen: das ist höchste Lebens­

kunst schon im Frieden, es ist heilige Pflicht in Kriegeszeit.

Geduldig und bereit. Mark. 13, 32 f.: Tag und Stunde aber weiß niemand, nicht die Engel im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. Sehet zu, wachet; denn ihr wißt nicht, wann die Zeit da ist.

Sehnsüchtig schaute die älteste Christenheit nach der Wieder­ kunft ihres Herrn aus. Auf den Wolken des Himmels sollte er

kommen mit dem Gefolge seiner heiligen Engel, um das Reich Gottes aufzurichten und seinen Getreuen Erlösung und Selig­ keit zu bescheren. In alten heiligen Büchern blätterten zitternde Hände, den Himmel durchforschten glühende Augen; nach Weis­

sagungen und Zeichen suchten sie, um zu erfahren, wann der große, furchtbare und selige Tag anbrechen werde. In dieses heiße und hastige Treiben fiel das strenge Wort, das besonnene Jünger aus Jesu Munde überlieferten: Tag und Stunde weiß

niemand, weder die Engel im Himmel, noch auch der Sohn, sondern allein der Vater. Darum wartet in Geduld! Aber kein bequemes Ruhekissen soll diese Ungewißheit sein. Nie­ mand meine: Es wird noch lange dauern; ich habe also noch viel Zeit, mich auf den großen Tag zu rüsten. Nein, gerade weil ihr die Zeit nicht wißt, so heißt es: Seid wachsam und bereit! Haben wir es nicht auch erlebt, als der große Krieg ausbrach, daß die Menschen voll Angst und Neugierde die Zeichen der Zeit befragten, um die dunkle, bange Zukunft zu erforschen. Alter, fast erstorbener Aberglaube wachte wieder auf: aus vergilbten

Büchern, aus den Linien der Hand, aus den Sternen des Him­ mels sollten Werkzeuge gewonnen werden, um den Schleier

der Zukunft zu zerreißen. Eitles Bemühen! Wir haben erfahren,

daß diese Versuche nichtig sind; ja, wir haben gelernt oder

40 sollten es wenigstens gelernt haben, Gott zu danken, daß er uns in Gnaden die Zukunft verhüllt. Wer von uns ahnte nach den ersten gewaltigen,raschen Erfolgen, den gewonnenen Riesen­

schlachten, den eroberten starken Festungen diesen Süllstand, diese Verlangsamung, die nun schon lange andauern. Viele

Tausende hofften, das Weihnachtsfest in Frieden feiern zu können; länger als höchstens ein halbes Jahr, meinten auch ernsthafte Leute, könne dieser entsetzliche Krieg unmöglich dauern.

Alle diese Hoffnungen sind nicht erfüllt, und wir haben uns daran gewöhnt, wir haben uns eingelebt in den Gedanken, noch lange auszuhalten, und sind entschlossen, durchzuhalten

bis zum guten Ende. Aber war es nötig, daß wir diese Ent­ täuschungen im voraus kannten, daß wir diese harten Gedulds­ proben im voraus kosten mußten? Es ist Gnade und fordert Dank, wenn Gott die Zukunft unseren Blicken verbirgt. Denn alle Prüfungen ertragen wir um so leichter, wenn nicht vorher

Angst und Sorge unsere Kräfte zermürbt haben; und alles Schöne und Gute — dessen wir in den letzten Monaten auch genug

erlebt haben — wirkt um so überwältigender und herzerheben­ der, wenn es ungeahnt uns überkommt. Darum sollen wir nicht murren, wenn wir auf unsere große Frage: Wann kommt der hohe und gewaltige Tag, der Tag des endgültigen Sieges und des Friedens? keine Ant­ wort bekommen. Diesen Tag zu bestimmen, hat der All­ mächtige sich vorbehalten. Uns verweist er zu vertrauens­ voller Geduld und — zu wachsamer Bereitschaft. Denn frei­ lich die Mahnung zur Geduld ist keine Aufforderung zum Mchtstun. Wir sollen nicht mit müßigen Händen träumend warten, wir sollen die Augen öffnen für unsere Pflichten und die Hände fleißig rühren. Wir sollen uns rüsten und vor­ bereiten, als gelte es noch eine lange Probe. Geduldig und bereit sein! Das gute Ende kommt, wenn wir sein wahrhaft wert sind.

Gott segne den Kaiser. Psalm 21, 8: Der König hofft auf den Herrn und wird durch die Güte des höchsten fest bleiben.

Wir haben Kaisers Geburtstag gefeiert; nicht mit Fest­ essen und mit Festaufführungen, sondern mit Gottesdienst und mit Gebet. Eine solche Geburtstagsfeier hatten wir noch nie. Der ein Friedenskaiser sein wollte, der oft, auch im Aus­ land, als Friedenskaiser anerkannt und gerühmt ist, begeht seinen Geburtstag im Felde, inmitten des gewaltigsten und

schrecklichsten Krieges, den die Welt je gesehen hat. Er hat es nicht so gewollt, er hat es als göttliche Schickung auf sich ge­ nommen. Man sollte denken, das sei eine trübe Feier gewesen. Sie war es nicht! Ernst war sie, aber nicht trübe; vielmehr voll

inneren Leuchtens, voll Dankbarkeit aus vollem, ungeteiltem Herzen. Es hat Feiern gegeben, an denen auch das Herz guter Patrioten voll Zweifel war, an denen sie im Kaiser wohl Dar­ stellung und Sinnbild unseres Staates sahen, aber seiner P e r s o n nicht recht froh werden konnten. Das ist jetzt anders geworden. Wir fühlten uns diesmal eng verbunden mit seiner Person; wir empfanden es, daß wir zusammengehören, Volk und Kaiser, Kaiser und Volk, zusammengehören zum Leben und Sterben, zum Kämpfen und Siegen. Und wir wurden uns dessen be­ wußt, was wir ihm zu danken haben. Gewiß haben schon vor Jahrzehnten Hunderttausende ihm

gedankt, als er die Losung ausgab für Fortführung der deut­ schen Sozialreform; sie haben ihm gedankt, daß er ein Herz hatte für sein Volk, und daß er die Forderung der Zeit verstand.

42 Und Millionen haben ihm gedankt, als er die Losung ausgab für die deutsche Flotte; sie haben ihm gedankt, daß er an Deutsch­ lands Zukunft glaubte und den Weg wies zur Höhe. Aber jetzt danken wir ihm aus einem ganz anderen, einem viel umfassenderen und viel tieferen Grunde, aus einem Grunde,

den jeder rechte Deutsche versteht, dem wir insgesamt uns beugen. Wir danken ihm, daß er uns Verkörperung und Vor­ bild deutscher Gewissenhaftigkeit geworden ist. Es war Ge­ wissenhaftigkeit, wenn er jahrzehntelang uns den Frieden bewahrte; er bewahrte ihn uns, weil er die Zerstörungen des Krieges und sein unsagbares Herzeleid kannte, und weil er

die Güter des Friedens in Gewerbefleiß, Kunst und Wissen­ schaft liebte und pflegte. Es war Gewissenhaftigkeit, wenn er Heer und Flotte, die furchtbaren Kriegswaffen, vermehrte

und schärfte; denn nur so, wenn überhaupt, war ein fried­ liches Gedeihen zu schützen. Und es war Gewissenhaftigkeit, höchste, peinlichste Gewissenhaftigkeit, wenn er schließlich das scharfe Schwert zog. Er wußte, was er tat. Er wußte, daß nicht fremde Völker, nicht gemietete Söldner diesen Krieg ausfechten würden, sondern seine Landeskinder, die edelsten Söhne seines Volkes. Und die waren ihm nicht eine gleich­ gültige, verachtete Masse, sondern sein Fleisch und Blut. Er tat

es doch, und mußte es tun, denn er durfte nicht den treuen Bundesgenossen der Vernichtung, er durfte nicht sein eigenes Volk der Ehrlosigkeit, der Abhängigkeit und der Verkümme­ rung preisgeben. Vielleicht hat nie ein Mensch einen härteren Kampf ge­ kämpft, als unser Kaiser in jenen Stunden, da sein Gewissen ihm die Entscheidung des Krieges aufnötigte; und kaum hat jemand eine so schwere Last der Verantwortung auf sich ge­

nommen. Was gab ihm die Kraft, diesen Kampf zu bestehen und diese Last zu tragen? Im tiefsten Grunde seine Frömmig­ keit. Ob die in ihren Formen alt- oder neugläubig ist, wie

43 gleichgültig ist das doch! Wer von uns fragt danach! Daß sie echt, aufrichtig, beständig und stark ist, daß sie eine wirk­ liche Verbindung mit dem starken, gerechten, gnädigen Gott

ist, darauf kommt es an. Und wir wissen, daß dies unseres Kaisers Frömmigkeit ist; in dem Boden solcher Frömmigkeit ist seine Gewissenhaftigkeit fest verankert. Alle Glückwünsche hat unser Kaiser sich verbeten.

Wir

wollen, wir müssen ihm mit der Tat danken; mit der Tat der unbedingten, rückhaltlosen Hingabe für das heilige Vater­

land, dem auch er alle seine Kräfte weiht. Und Wir wollen nicht aufhören zu glauben, daß nicht Kaiser mit Gott, sondern auch Gott mit unserem Wir falten unsere Hände und sprechen: Der König

noch eins: nur unser

Kaiser ist! hoffet auf

den Herrn und wird durch die Güte des Höchsten fest bleiben.

Die Schule Kants. Matth. 7, 12: Alles, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch.

Volksseele und Volksgeist sind in diesen Monaten lebendig geworden. Dieselben Empfindungen des Liebens und Zürnens durchströmen unser aller Herzen. Und von denselben Gedanken an Krieg und Sieg sind wir alle bewegt. Unser aller Gefühle laufen meinem Gemeingefühl zusammen, unser aller Gedanken

in einem Gesamtgedanken. Aber die Einzelseele soll deshalb nicht untergehen in der

Gesamtseele.

Sie muß sich jetzt ihrer Aufgabe und Verant­

wortung doppelt und dreifach bewußt werden. Keiner denke: Auf mich kommt es ja nicht an, was ist der einzelne in der Masse? Ein Tropfen im Ozean! Ja, freilich ist der einzelne nur ein Tropfen im Ozean. Aber nur aus lebendigen Tropfen,

schrieb einst der alte Arndt, setzt sich der lebendige Ozean zu­ sammen. Darum ergeht jetzt an jeden von uns der Befehl: Raffe alle Kraft zusammen, spanne den letzten Willen an, laß die Pflicht deine Göttin sein. Denke groß von deiner Pflicht, denke aber auch nicht klein von dir; tue deine Pflicht, als ob von deiner Pflichterfüllung nichts Geringeres als die Rettung

des Vaterlandes abhinge. Oder wolltest du zur Seite sehen, ob auch die anderen ihre Pflicht tun, wolltest du sagen: Ja, ich will wohl meine Schuldigkeit tun, aber erst muß ich wissen, ob die anderen es auch wollen? So zu denken, ist feige, erbärmliche Selbst­ sucht.

Meinst du, wenn Sturmangriff befohlen wird, dann

schaue der Tapfere erst zur Seite, um zu sehen, ob die anderen

45 auch mitgehen? Mag sein, daß hier oder da einer zurückbleibt;

aber der Tapfere schaut nur gerade aus auf den Feind, auf sein Ziel. Und wenn es auf unserer Flotte, vor einem gefähr­

lichen Wagnis, heißt: „Freiwillige vor!", so tritt der Tapfere ohne Zaudern vor, und merkt erst hinterher, daß mit ihm die ganze Reihe vorgetreten ist. Der Tapfere handelt immer,

wie jeder handeln sollte, er tut dem Kameraden, dem Vater­ lands seine Pflicht, so wie er wünscht, daß man sie ihm erfülle:

getreu bis in den Tod. Und hier zu Haus, sollte es hier anders sein, sollte es hier auf den einzelnen nicht ankommen? Sollte wirklich der einzelne sagen dürfen: Ob i ch mein Goldstück auf die Reichsbank gebe,

ob ich meine Wolldecke beisteuere, ob ich am Brote spare, ob ich ein verzagtes Gesicht zeige: was macht das aus? Der so

denkt, scheint recht zu haben, er ist ja nur einer unter 60 Mil­ lionen, ein Tropfen im Meere, ein Sandkorn am Strande. Nein, er hat nicht recht. Denn wenn er so denkt und so handelt,

so feige, so selbstsüchtig, so gedankenlos: wer sagt ihm, daß die anderen, die 60 Millionen, tapferer, selbstloser und nach­ denklicher sind! Und noch einmal: er hat unrecht, völlig unrecht. Denn er lebt nicht für sich allein, abgeschnitten von aller Welt, sondern in lebendigen, oft geheimnisvollen, aber nichtsdesto­ weniger sehr wirksamen Wechselbeziehungen. Alles, was er tut oder läßt, das übt unberechenbare Wirkungen aus. Jetzt hat der Staat das Getreide beschlagnahmt; da kauft eine feige, selbstsüchtige Frau einen großen Vorrat Konserven ein; sie weiß nun, daß sie nicht zu hungern braucht. Und die anderen?

Was schadet denen ihr einzelner Einkauf?

Das böse Beispiel wird nachgeahmt, erst von wenigen, dann von immer mehreren. So entsteht Angst und Unruhe, Preistreiberei und künstliche Teuerung. Aber, gottlob, wirkt auch das Gute von selbst weiter; auch Besonnenheit, Zuversicht und Pflicht­ Sehr viel.

gefühl haben eine ansteckende Kraft. Du willst nichts tun als

46 deine Pflicht, unbekümmert, ob es die anderen tun; aber siehe da, du erziehst, ohne es zu wissen und zu wollen, durch dein

stummes Beispiel auch die anderen. Wir gehen hier alle in die Schule Kants, schrieb ein deut­ scher Offizier aus Frankreich. Was meinte er mit der Schule Kants? Nichts anderes als den Geist der unbedingten Pflicht­ erfüllung. Der Weise von Königsberg hat die goldene Regel aufgestellt: Ein jeder sollte so handeln, daß sein Handeln zum

Gesetz für alle werden könnte. Ein Wort, wie geprägt für unsere Tage. So handeln, daß das eigene Handeln zum Gesetz für alle werden könnte. Möchte doch dieses Wort jeden Morgen mit uns aufstehen und uns den ganzen Tag überallhin be­ gleiten! Wir würden andere Menschen werden. Es würde unendlich vieles von uns abfallen: viel Gedankenlosigkeit, viel Selbstsucht, viel Feigheit; aber auch viel Sorge, Mißmut und Kleinglaube. Denn der Geist der Pflicht ist nicht nur ein Geist strenger Selbstzucht, sondern auch froher, starker Zuversicht. Wer selbst im Guten lebt, der glaubt auch an den Sieg des Guten. Auf, ihr Freunde, laßt uns insgesamt in Kants Schule gehen!

Heiliges Fasten. Matth. 6, 16 f.: Wenn ihr fastet, fallt ihr nicht sauer sehen ... Wenn du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Kngesicht.

In dieser Woche beginnt die kirchliche Fastenzeit. Wer von uns hätte geglaubt, daß dieses alte erstorbene Wort jemals einen neuen, großen Sinn bekommen würde. Wir lasen in der Bergpredigt die Sprüche Jesu vom Fasten, wir lernten im Katechismus Luthers Worte zum Abendmahl: „Fasten und leiblich sich bereiten, ist wohl eine feine äußerliche Jucht", und wir hörten bei der Ordnung des Kirchenjahres etwas von einer „Fastenzeit". Aber das war uns ein graues, totes, inhaltleeres Wort, bei dem wir uns nichts dachten, das wir so in träger Ge­ wohnheit noch mitschleppten. Fastnacht, ja, das war ein überaus

lebendiges Wort, vielen das allerlebendigste; und auch in unserem

nüchternen protestantischen Norden hatte es ein merkwürdiges, fast bedenkliches Leben gewonnen; aber Fasten und Fastenzeit,

das blieb ein totes Wort. Und nun ist das plötzlich anders geworden. Die Fastnacht ist dieses Jahr geschlossen, ehe sie noch eröffnet war; ihr Mum­ menschanz ist gestorben, ehe er noch zum Leben erwachte. Aber das Fasten steht vor uns auf als eine ernste,große, nahe Wirklich­ keit. Eine heilige Fastenzeit bricht an, sie bricht an für ein ganzes, großes Volk; ohne Unterschied der Religion und der

Konfession, ohne Grenze zwischen Nord und Süd sind wir eins im gemeinsamen Fasten. Das hat der Krieg getan; er hat wieder Unterschiede hinweggetilgt, hat uns geeint zu neuer, großer Aufgabe. Fasten ist nicht hungern, aber doch entbehren und ver­ zichten ; entbehren vieles Angenehme, verzichten auf alles über-

48 flüssige, vielleicht auch auf manches, was uns bisher nötig Wie sollen wir dies Fasten tragen? Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer sehen, sagt uns Jesus, sondern euer Haupt salben und euer Antlitz waschen. Also ein schien.

fröhliches Gesicht sollt ihr zeigen, daß niemand euch euer Fasten

ansieht. Das ist ein stolzes, tapferes Wort, wie geprägt für unsere Zeit. Wir sollen nicht sauer sehen, nicht murren und nicht klagen. Es ist gewiß bedauerlich, daß die vielen, recht­

zeitigen Mahnungen zur Sparsamkeit von den meisten über­ hört sind; es mag auch sein, daß man schon eher gesetzliche Maß­

regeln hatte treffen sollen. Aber es ist zwecklos, über Ver­ säumnisse zu klagen. Wir wollen nicht rückwärts sehen, sondern vorwärts. Jetzt gilt'ö dafür zu sorgen, daß unser kämpfendes Heer reichlich versorgt wird, daß die Kranken und Schwachen im Lande keinen Mangel leiden. Dafür müssen wir Gesunden verzichten und entbehren ohne Murren, fröhlichen Herzens. Ja, wirklich fröhlichen Herzens. Soll es uns nicht eine Freude und eine Ehre sein, daß wir endlich auch ein wenig für des Vaterlandes Zukunft leiden dürfen. „Ich schäme mich jeden Abend, wenn ich mich in mein warmes, weiches Bett lege; denn ich denke immer an unsere Krieger im nassen, kalten Schützengraben!" so konnte man wohl ehrliebende Menschen klagen hören. Es muß uns wirklich bedrücken, wenn wir die Leiden unserer Krieger mit unserem ungestörten Behagen ver­ gleichen. Wollen wir nicht Gott danken, daß er uns endlich auch einen ganz geringen Anteil an Deutschlands Mühsal gewährt? Ein heiliges Fasten soll es sein, geheiligt durch Willig­ keit und Freudigkeit. Diese heilige Freude macht uns gesund und widerstandsstark an Leib und Seele, sie macht uns klug und erfinderisch, sie füllt uns mit brüderlichem Gemeinsinn, sie macht uns des Erfolges gewiß. Dank sei deshalb unseren Feinden: sie wecken in uns neue Kräfte, sie machen ganz Deutsch­ land zu einem großen Bruderbunds.

Opfere Gott Dank! Psalm 50, 14: Opfere Gott Dans und zahle dem höchsten deine Gelübde.

„Die Leistungen der Truppen sind über jedes Lob erhaben." „Die Operationen sind mit alter Meisterschaft geleitet und in glänzender Weise durchgeführt." Mt diesen Worten verkündete

die Oberste Heeresleitung dem deutschen Volk den letzten großen Sieg im Osten. Knappe Worte, so knapp, wie sie bester deut­

scher Art entsprechen; und doch inhaltschwere, stark gefühlte

Worte. Aus diesen Worten spricht das Herz unseres Kaisers, ein Herz voll tiefen Dankes. Und wir, wir sollten nicht mitdanken? Wir haben mit­

gedankt und unseren Dank bezeugt. Wir haben schwarz-weißrote Fahnen im frischen Winde wehen lassen, wir haben den Mund der Kirchenglocken im vollen Dreiklang läuten lassen —

ein frommes Geläut, von dem wir gewiß sind, daß es Gott, dem höchsten Herrn, wohlgefällt —, wir haben unsere Schul­ jugend nach Hause geschickt, damit sie ihre frische Freude, ihren

frohen Dank hineintrage in jedes Heim, in jedes Herz. Wir haben recht getan mit solchem Dank. Aber der beste

Dank war dies noch nicht. Unserem Dank würde die Seele fehlen, wenn wir nicht zu Hause still die Hände falteten, um nachzudenken über das, was Gott an uns getan hat. Nach­ denken sollen wir; denn ohne rechtes Nachdenken gibt es keinen rechten Dank. Das Tier mag dumpf und stumpf seinen Trieben

folgen, der Mensch soll wissen, was er tut und auch was er em pfängt! Mit vollem, wachem Bewußtsein soll der Mensch alle Gaben, die Gott ihm gibt, hinnehmen. Sonst verdient er nicht den Menschennamen. Je menschlicher, je adliger ein Schuster: Gott und Vaterland.

4

50 Mensch, um so bewußter und empfindlicher ist auch seine Dank­ barkeit. Ein wirklich vornehmer Mensch wird sich stumpfen Un­

dank schwer vergeben. So soll auch unser Dank bewußt und nachdenklich sein.

Wir wollen uns nicht berauschen an den großen, immer noch wachsenden Zahlen. Wir wollen auch denken an die Opfer, mit denen diese Erfolge errungen sind. Wir denken an die unendlichen Märsche in Schnee und Schlamm, an schlaflose Nächte und eisigen Ostwind, an Hunger und Durst, an Blut und Wunden und bitteren Tod. Wir denken nicht daran, um unseren Mut zu dämpfen und unsere Freude zu vermindern —

wir wissen ja: ohne Opfer kein Gewinn —, wir denken daran, um unsern Dank zu vertiefen und zu befestigen, damit wir ja des Segens der Dankbarkeit nicht verlustig gehen. Welches ist denn dieser Segen der Dankbarkeit? Es ist

die dauernde herzliche Verbindung mit unsern Wohltätern. Wie lieblich und köstlich ist es, wenn in friedlichen Zeiten die Herzen der Menschen, die Herzen der Brüder, der Freunde, der Nachbarn durch kleine Guttaten miteinander verbunden werden. Darum steckt ein ernster Sinn in den kleinen Aufmerk­ samkeiten und Gefälligkeiten, mit denen im Alltagsleben die

Menschen einander erfreuen. Werden sie aufrichtig gegeben und dankbar empfangen, so knüpfen sie Herz an Herz und füllen unsere Seele mit edlem Gut, mit Liebe, Frohsinn und Lebens­ mut. Aber wie ganz anders noch wirken die gewaltigen Opfer und Taten unserer kämpfenden Brüder, wenn wir sie in ein denkendes Herz aufnehmen. Wir kennen nur wenige Namen, aber unsagbare Dankesschuld knüpft uns an euch, macht uns zu euren Brüdern und Schwestern, macht uns zu Miterben des freien, großen Vaterlandes, das ihr uns erkämpft, und zu

Mitbesitzern des unvergänglichen Ruhmes, den ihr an Deutsch­

lands Namen heftet. Freilich unter einer Voraussetzung: unser Dank muß

51 auch zur Tat werden, zur Tat der eigenen Arbeit, des eigenen Opfers. Wer jetzt müßig geht und spielt und tändelt, wer jetzt

in feiger Selbstsucht dem Vaterlande sein Gold, sein Brot oder was es sei, vorenthält, wer irgendwie dahin wirkt, daß alle jene unsagbaren Leiden und Taten möchten vergeblich sein — Schande über ihn! In seinem Herzen lebt keine Dankbarkeit, kein Nachdenken, keine Ehre. „Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Ge­ lübde." Gott stellt die Dankbarkeit unter den Schatten seiner

heiligen Forderung. Nicht als sei er eifersüchtig auf seines Namens Ehre, dazu ist er viel zu groß. Er bedarf nicht unseres Dankes. Aber der Undankbare beraubt sich seines besten Segens.

Darum fordert der Heilige unseren Dank, den Dank mit der Tat. „Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde."

Die Reichsbank. Lukas 19, 23: Warum hast du denn mein Geld nicht auf die Lank gegeben? Schon manch ein Bibelspruch hat in diesen Kriegsmonaten neues Licht und neues Leben gewonnen. Wir denken vor allem an Worte wie: „Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde", oder „Wer sein Leben hin­ gibt, der wird es gewinnen", oder „Fürchtet euch nicht vor den Menschen, die den Leib töten und die Seele nicht vermögen zu töten". Aber unser heutiger Spruch enthält nichts Helden­

haftes, er redet von dem Allergemeinsten und Alltäglichsten, vordem Gelde. Was soll er uns sagen? Wir kennen alle das

Gleichnis von den anvertrauten Pfunden. Ein Fürst hat seinen Beamten große Geldsummen zur wirtschaftlichen Ausnutzung

anvertraut. Nach langer Abwesenheit fordert er Rechenschaft. Er lobt die fleißigen und geschickten Haushalter, die durch Kauf­ mannsgewinn den Besitz ihres Herrn vermehrt hatten; er tadelt

den trägen und feigen Knecht, der sein Pfund im Schweiß­ tuch behielt. „Warum hast du nicht wenigstens mein Geld auf die Bank gegeben, daß es mir Zinsen brächte?" Jur Strafe

wird ihm sein Geld genommen und er selbst aus seinem Amt gestoßen. Was Jesus hier erzählt, ist ein Gleichnis, und als solches

waren wir bisher gewöhnt, es zu behandeln. Wir erblickten in ihm die Mahnung zu treuem Fleiß im Blick auf die Rechen­ schaft vor Gottes Thron; wir entnahmen aus ihm die Warnung, unser „Pfund" nicht im Schweißtuch zu verbergen, unsere Ta­ lente und Fähigkeiten nicht brach liegen zu lassen, weil Gott

sie uns gegeben hat zum allgemeinen Besten. Heute aber wollen.

53 nein, heute müssen wir das Wort einmal ganz wörtlich^fassen:

„Warum hast du mein Geld nicht auf die Bank gegeben?" Aber man wird uns fragen: Was hat das Geld, was hat die Bank mit Gott und seiner Sache zu tun? Man wird uns schelten, daß wir das Heilige entweihen. Solche ängstliche Be­ denken, solche Vorwürfe können uns nicht irre machen. Wir

wissen ganz genau, daß der Glaube dazu bestimmt ist, uns die irdische Wirklichkeit zu verklären, daß er uns über das niedrige Getriebe des Alltagslebens erheben soll. Aber wir leben doch

nun einmal in diesem irdischen Alltag, und wir haben unsere höchsten und heiligsten Pflichten mitten in dieser niederen und gemeinen Wirklichkeit. Deshalb brauchen wir auch eine Religion, die nicht in blauen Lüften über der wirklichen Welt schwebt, sondern die in ihr wirkt und schafft. Arzte und Pfleger dürfen sich nicht scheuen vor Blut und Eiter, vor Schmutz

und Ungeziefer. Unser Glaube muß die gemeine Wirklichkeit tapfer anfassen, er muß uns unsere Pflichten deutlich weisen. Und ist es denn wirklich etwas so Gemeines, wenn wir vom Gelde reden? Gewiß, wenn mit Geld ein treuer Diener bestochen werden soll, um seinen Herrn meuchlings zu er­ morden, das ist gemein. Wenn mit Gold die Presse neutraler Länder erkauft wird, um ein edles Volk zu verleumden, das ist verrucht. Aber nicht das Geld ist ruchlos und gemein, son­ dern der es so frevelhaft mißbraucht. Wir aber reden nicht vom Mißbrauch, sondern vom rechten, heiligen Gebrauch. Uns sind Vaterland und Freiheit, Väterbrauch und Mutter­ sprache, unserer Kinder deutsche Zukunft, unser deutscher Bei­

trag zur Sitte und Kultur der Menschheit — uns sind das alles heilige, große Güter. Es ist Gottes Wille, daß wir dafür erkennt­

lich sind, daß wir sie uns, unseren Kindern, der Menschheit be­ wahren, wenn's nicht anders geht, mit Blut und Eisen. So ist uns dieser Krieg im vollen Ernst ein heiliger, ein von Gott uns auferlegter. Dann müssen wir aber auch das Mittel wollen.

54 das Geld, das heute mehr als je zum Kriege nötig ist. Dann ist das Geld uns heilig wie das liebe Brot. Freilich nur, wenn wir es nicht feig und selbstsüchtig für

uns behalten, sondern es dem Vaterlande widmen. Wer jetzt sein Gold im Strumpf bewahrt, statt es dem Reich auf seine Bank zu geben, versündigt sich am Vaterland, übertritt den Willen Gottes, der uns dies Vaterland geschenkt und uns ge­ boten, es zu schützen. Sein Wille ist es auch, daß wir jeden über­

flüssigen Taler, jeden entbehrlichen Schein dem Reich für seine Kriegsanleihe geben. Dem Vaterlande gehört jetzt unser Hab und Gut. Geben wir es ihm, dann dürfen wir vertrauen, daß Gott unser Vaterland erhalten wird. Was ist unser armseliges Gutopfer gegen das heilige Blutopfer da draußen? Keiner ziehe sich das Gericht der vorwurfsvollen Frage zu: „Warum hast du denn mein Geld nicht auf die Bank gegeben?"

Die Treue im Kleinen. Lukas 16, 10: wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im Geringsten unrecht ist, der ist auch im Großen unrecht.

Die Treue im Kleinen, was ist sie schon im Frieden wert! Ein sorglos weggeworfener Obstkern kann einem Men­ schen einen bösen Fall eintragen, eine schlecht gearbeitete Schraube kann einen Eisenbahnzug zur Entgleisung bringen und viele Menschenleben vernichten. Die Treue im Kleinen.

Wie wichtig ist es, daß der Erzieher seine Zöglinge zu dieser Treue anhält. Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordnung sind schein­ bar geringe Tugenden, zumal wenn sie im engen Kreis an kleinen Gegenständen geübt werden. Wenn ein Knabe mit un­ gewaschenen Händen sein Butterbrot verzehrt, wie gleichgültig scheint das; wenn ein Schüler unpünktlich zur Schule kommt,

wie eng, darob zu schelten. Aber jung gewohnt, alt getan. Ist es auch gleichgültig, wenn ein Arzt mit unsauberen Händen, mit ungereinigten Instrumenten seine Kranken operiert? Oder wenn gar ein Minister eine Sitzung versäumt, ein Feldherr den

Beginn der Schlacht verschläft, so können Throne wanken und Königreiche stürzen. Die Treue im Kleinen. Bedeutet sie nicht im Kriege beinahe alles? Hat der Reiter sein Roß nicht gut beschlagen, sein Sattelzeug nicht sorgsam geprüft, so stürzt er im rasenden Anritt. Hat der Fußsoldat seine eiserne Ration leichtsinnig vor der Zeit angegriffen, so versagen ihm die Kräfte beim tagelangen Umgehungsmarsch. Hat der Posten den Alkohol nicht vermieden, so übermannt ihn der Schlaf, und der Feind

überrascht das seiner Wachsamkeit vertraute Heer.

56 Die Treue im Kleinen ist auch für uns daheim das Erste und das Wichtigste. Peinlich muß der Arzt jeden Mann unter­ suchen, daß er keinen Tüchtigen zurückstellt, aber auch keinen Untauglichen einstellt; er fiele ja der Truppe nur zur Last, und unserer schwer bedrängten Volkswirtschaft wäre eine nütz­ liche Kraft umsonst entzogen. Auf das sorgfältigste muß jeder Mann ausgebildet werden, daß er so gut wie möglich und so rasch wie möglich sein eisernes Handwerk lernt. Ob das Regi­ ment einen Tag früher oder später zur Front kommt, ob es mehr oder weniger gut seine Waffe beherrscht, daran kann

das Schicksal einer großen Schlacht, eines ganzen Feldzuges hängen. Die Treue im Kleinen: denke nur niemand, sie werde

nicht auch von uns gefordert, die wir in unserem friedlichen bürgerlichen Beruf bleiben. Von uns erst recht; denn wir können ja nichts anderes leisten. Wir erhalten keine Gelegen­ heit zu großen, heldenhaften Taten, aber immerfort die mannig­ faltigsten Gelegenheiten zur Treue im Kleinen. Und denke

niemand, diese Treue im Kleinen, wie wir sie beweisen können, sei klein und unwichtig. Sie wird von keinem Lied gefeiert, mit keinem Orden ausgezeichnet. Aber das wäre ja auch keine Treue, die an Ruhm und Ehre dächte statt an die Pflicht und an des Reiches Wohlfahrt. Und das Reich beruht auf dieser Treue im Kleinen. Es ruht aus der Treue im Kleinen der Lokomotivführer und der Bahnwärter, der Postbeamten (die unseren Tapferen die Leib und Seele stärkenden Liebesgaben und Briefe vermitteln), der Gießer, Former und Dreher, der Sattler, Schneider und Schuster, die für das Heer arbeiten.

Es ruht auf der Treue im Kleinen der Geistlichen, Lehrer und Eltern, der Redner und Schriftsteller, die unser Volk erziehen, und nicht zum mindesten auf der Treue im Kleinen all der Mil­ lionen, die unser vielgestaltiges Wirtschaftsleben im Gang hal­

ten, bis herunter zur ärmsten Waschfrau und zum einfachen

57 Straßenkehrer. Davon, daß sie alle ihren Beruf treu erfüllen, hängt unser Leben und Gedeihen ab. Aber wir haben jetzt alle noch einen anderen, einen höchsten und heiligen, einen unmittelbar vaterländischen Beruf. Und hiervor allem wird von uns allen Treue im Kleinen gefordert; denn von dieser Treue irrt Kleinen, daß jeder sie übt, daß er sie unermüdlich übt, davon hängt unseres Vaterlandes Schick­ sal ab. Dreierlei vor allem fordert diese Treue im Kleinen jetzt von uns. Sie fordert von uns, daß wir auf das alleräußerste sparsam und wirtschaftlich sind mit unseren Lebensmitteln, daß wir uns umgewöhnen und abgewöhnen, daß wir die Opfer,

deren das Vaterland bedarf, bringen, ungezwungen, freiwillig, gern. Sie fordert von uns, daß wir jedes Goldstück, schlechthin jedes auf die Reichsbank bringen und jeden irgendwie ent­ behrlichen Hundertmarkschein zur Kriegsanleihe tragen. Sie fordert endlich von uns, daß wir uns durch nichts entmutigen

lassen, daß wir mit keinem Wort und keiner Miene einen anderen entmutigen, vielmehr aus allen Quellen schöpfen, irdischen und himmlischen, um unser aller Herzen mit immer neuem Glauben zu erfüllen. Auf die Treue im Kleinen kommt es an, auf die Treue der Geringen, auf die Treue jedes einzelnen. Deutscher Bru­ der, auf dich kommt es an, auf deine Treue im Kleinen. Gib die heilige Losung weiter!

Segen und Fluch. Gal. 6, 7: Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch säet, das wird er ernten.

Im Alten Testament wird uns erzählt, Moses habe vor seinem Sterben als letztwillige Verfügung angeordnet, es solle nach der Eroberung des Landes Kanaan von Bergeshöhen herunter der Hauptinhalt des Gesetzes dem Volke noch ein­

mal kundgetan werden, und Segen und Fluch solle ihm vor­ gelegt werden, Segen für treue Erfüllung der Gebote, Fluch

für frevelhafte Verletzung. Das ganze Volk soll sich in einem feierlichen Landtag versammeln, sechs seiner Stämme auf der einen Bergeshöhe und sechs auf der gegenüberliegenden; und dann sollen sie in einer überwältigenden Massenkund­ gebung Segen und Fluch aussprechen, Segen über jeden,

der die Gesetze, auf denen Bestand und Wohlfahrt des Volkes ruht, gewissenhaft beobachtet, Fluch über jeden, der sie leicht­ sinnig in den Wind schlägt. Diese alte Erzählung hat für uns wieder einen neuen, ungemein lebendigen und bedeutsamen Sinn gewonnen. Frei­ lich, die einzelnen bestimmten Vorschriften, die vor mehr als

3000 Jahren im fernen Osten dem Volke Israel gegeben wurden, die haben uns heute nichts mehr zu sagen; aber der Vorgang als Ganzes hat uns ungeheuer viel zu sagen. Denn auch uns ist jetzt ein Gesetz auferlegt, und von seiner Erfüllung hängt Be­ stand und Zukunft unseres Volkes und Reiches ab. Unser Volk

von 70 Millionen kann sich nicht auf engem Raum versammeln wie die Beduinenstämme Israels; aber die erwählten Ver­ treter unseres Volkes haben an unser aller Stelle das Gesetz

unserer Pflichten aufgestellt und beschworen. Von hoher Warte

59 haben wir die eindringliche Mahnung gehört: „Der Verschwen­ der notwendiger Lebensmittel und der Mammonsknecht, der

sich von seinen Schätzen nicht trennen kann, steht dem Deser­ teur gleich. Niemand darf sagen: Auf meine lumpigen Er­ sparnisse kommt es nicht an. Es kommt auf alle Ersparnisse an. Das deutsche Volk muß leisten, was es irgend leisten kann. Schande über jeden, der sich ausschließt!" Da ist auch uns Segen und Fluch vorgelegt. Wer nicht an der Nahrung spart, wer nur ein Goldstück der Reichsbank vorenthält, einen Hundertmarkschein der Kriegsanleihe ent­ zieht — Fluch über ihn als einen Fahnenflüchtigen; er be­ geht Verrat an siebenzig Millionen, über ihn der Fluch von siebenzig Millionen. Aber wer seine Opfer bringt, Opfer an Bequemlichkeit und Gewohnheit, an Hab und Gut — er hilft

seinem Volk zum Siege; Segen über ihn, der Segen eines ganzen, großen Volkes, der Segen von siebenzig Millionen Lebenden, der Segen der Väter und Ahnen, der Segen einer

ruhmreichen, wunderbaren Volksgeschichte. Niemand darf sich seiner Pflicht entziehen mit dem Hin­ weis auf andere, die ihre Schuldigkeit versäumen. Es ist die Art der kleinen, knechtischen Seelen, sich mit den Schlechten zu vergleichen. Freilich gibt es auch in dieser großen Zeit

noch viele kleine und schlechte Seelen; kleine Seelen, die nur an ihre Behaglichkeit und an ihr sattes Auskommen denken, die nicht entbehren und opfern mögen; und schlechte Seelen, die Wucher treiben mit dem Brot ihrer Volksgenossen, die reich werden mit dem Blut ihrer Brüder. Willst du dich im Ernst mit ihnen vergleichen, denkst du so gering von dir selbst?

Edle und stolze Seelen vergleichen sich nur mit den Guten und Besten — wenigstens wenn es auf Pflichten und Opfer an­ kommt. Wenn die anderen verschwenden, so wollen wir doppelt sparen; wenn die anderen raffen und wuchern, so wollen wir

um so mehr geben und opfern.

60 Lohn? Nach Lohn wollen wir nicht fragen. Wir tragen ihn ja in uns. Welch wundervolles Gefühl, ein lebendiges Glied zu sein am Leibe unseres Volkes, ein denkendes, mündiges Kind der heiligen Mutter Germania. Und die anderen? Auch

wenn des Gesetzes Scharfe sie nicht treffen sollte, weil ihr Tun nicht vor den Richter kommt, auch wenn die Verachtung der Guten sie nicht brandmarkt, weil ihre Nichtswürdigkeit im

Dunkeln bleibt: ihrer Strafe entgehen sie nicht. Des Apostels Wort ist wahr: „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht spotten;

denn was der Mensch säet, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch säet, wird vom Fleisch das Verderben ernten. Wer aber auf den Geist säet, der wird vom Geist das ewige Leben

ernten. Lasset uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören".

Diele sind berufen, aber wenige sind auserwähtt. Matth. 20,16: viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.

Ungeheures haben wir erlebt. Wunderbare Siege haben unsere Krieger erkämpft, übermenschliche Entbehrungen haben sie erduldet und eine Tapferkeit und Manneszucht bewiesen, vor der jedes Lob verstummen muß. Großes haben wir auch da­ heim erlebt, in der Organisation unserer Verwaltung, zumal der Eisenbahn, der Anpassungsfähigkeit unserer Volkswirt­ schaft, in opferwilliger Liebestätigkeit, im stillen Heldentum unserer Kriegswitwen, vor allem aber in Gemeingefühl und Gemeinschaftswollen. Aber leider haben wir auch andere Dinge erlebt: viel Unkraut unter dem Weizen. Wir wollten es zuerst nicht glauben, aber wir mußten es glauben. Denn es ist nicht weg­ zuleugnen. Wir brauchen nicht alles aufzuzählen, was uns

bekümmert hat. Nur eins müssen wir deutlich aussprechen, weil es uns zu schwer auf die Seele gefallen ist. Viele scheinen die Größe und den Ernst der Zeit gar nicht zu empfinden; sie leben heute wie alle Tage, sorglos und gedankenlos, leichtmütig und leichtsinnig, als ginge sie der Riesenkampf da draußen gar nichts an. Sie tun nichts Böses, sie tun aber auch nichts Gutes; sie lassen sich in ihrer Gemütlichkeit und Behaglichkeit, in ihrem Tändeln und Liebeln, in ihrer Putzsucht und Ver­ gnügungssucht nicht stören. Sind das nicht die Lauen, von

denen der neutestamentliche Seher sagt: „Weil du lau bist, und weder kalt noch warm, so will ich dich ausspeien aus meinem Munde"? Womit sollen wir uns über diesen bitteren Kummer trösten?

62 Sollen wir uns von denen trösten lassen, die uns sagen, auch dort draußen sei nicht alles, wie es uns hier scheine? Sie haben

ja nicht ganz unrecht: es geht auch draußen menschlich zu.

Aber soll uns das ein Trost sein, wenn wir hören, daß auch draußen menschliche Schwache ihre Opfer fordert! Wir

suchen einen besseren Trost. Das Neue Testament überliefert uns das Wort Jesu: „Mele sind berufen, aber wenige sind auserwählt". Ein Wort von herber Resignation. Ist das

ein besserer Trost, ist das uns eine Hilfe? Ja, es ist uns eine Hilfe; denn es stellt uns auf den richtigen Standpunkt, verleiht uns den Maßstab gesunden Urteils. Es ist eine alte Erfahrung, von allen Menschenkennern bestätigt, daß die Menge der Menschen menschlich, klein-menschlich ist, daß immer nur wenige über die Niederung emporragen. Wir aber hatten Unmögliches verlangt. Wir hatten gemeint, das ganze Volk müsse durch das Erlebnis des Krieges im Augenblick verwandelt

und erneuert sein. Wir hatten nichts Geringeres erwartet als ein unerklärbares Wunder. Und da dies Wunder ausblieb, waren wir enttäuscht und gerieten in Gefahr, zu murren und zu verzagen. Wie töricht und blind waren wir doch, als wir so bitter und

so kleinmütig urteilten! Nicht als ob wir Gespenster gesehen oder übertrieben hätten. Aber wir merkten nicht, daß die tiefen Schatten nur im Vergleich mit dem blendend hellen Licht all der herrlichen Erlebnisse draußen und daheim uns so schwarz erschienen. Wir hatten so unendlich Großes, so unsagbar Er­ habenes erlebt, Dinge, die wir früher nie für möglich gehalten hätten. Dadurch waren uns alle natürlichen Maßstäbe ver­ rückt, wir waren geneigt, schlechthin Unmögliches zu erwarten, und waren enttäuscht, als dies Unmögliche nicht wirklich wurde. Jesu herbes Wort bringt uns zur Wirklichkeit zurück, lehrt

uns nüchtern und gerecht urteilen. Dann bleibt genug, übergenug zu danken und zu preisen, aber auch noch viel zu beklagen und

63 zu tadeln.

Und das ist die richtige Stimmung, aus der eine

verständige und ernste Tat erwachsen kann, die Stimmung, die von Übermut und von Verzagtheit gleich weit entfernt ist. Wir haben Großes erlebt und haben deshalb guten Grund zu schönen Hoffnungen; aber wir sind noch weit vom Ziel und

haben deshalb allen Anlaß zu angespannter Arbeit. Laßt uns damit bei uns selbst beginnen, damit wir zu den Auserwählten gehören. Dazu gehört nicht wenig. Dazu gehört, daß wir willig alle Kräfte anspannen, willig alle Opfer bringen. Dazu gehört, daß wir nicht müde und nicht bitter werden, wenn rechts und links von uns viele andere versagen. Versäumen andere

ihre Pflicht, so müssen wir sie doppelt treu erfüllen, mit stiller Selbstverständlichkeit, der Arbeit und Opfer nur als Ehre gelten. Dazu gehört, daß wir uns hüten vor der Selbstzufriedenheit, vor dem Hochmut, der auf die anderen herabsieht. Dazu gehört vielmehr der frohe Glaube, daß die Aahl der Auserwählten in unserem lieben Vaterland noch immer weiter wachsen wird. Tun wir nur unsere Schuldigkeit, so wird uns dieser Glaube

nicht enttäuschen.

Die Jugend. Matth. 18,3: wahrlich, ich sage euch: wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kinöet, so könnt ihr nicht in dar Himmelreich kommen.

Wie fällt doch durch diesen Krieg immer neues Licht auf die Bibel, so daß ein Edelstein nach dem anderen in Hellem Glanz aufblitzt. „Wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die

Kinder". Wieviel ist über das Wort gegrübelt, wieviel an ihm gedeutelt worden. Warum werden die Kinder als Vorbild hingestellt? Wegen ihrer Demut, wird uns gewöhnlich gesagt.

Aber frische, lebhafte Kinder sind nicht „demütig", sollen es auch nicht sein; sie sind keck, voll frohen Vertrauens in ihre junge Kraft, und so sind sie uns lieb. Weshalb werden uns die Kinder, wird uns die Jugend als Vorbild hingestellt? Heute wissen wir die Antwort. Mögen

wir auch verschiedene Namen nennen, in der Sache sind wir

einig; denn wir haben die Jugend beobachtet in ihrem heiligen Glanz. Von Begeisterung leuchtet sie, von ungebrochenem frischen Mut, von selbstverständlicher Opferwilligkeit und von unüberwindlichem Vertrauen. Und das alles ohne Nebenund Hintergedanken. Sie ist nicht eitler Ehre geizig, sie denkt nicht an Titel und Würden, an Beachtung und Ehrenstellen;

sie ist nicht ehrgeizig, sondern ehrliebend, nicht eitel, sondern stolz. Sie dient der S a ch e; sie dient ihr mit vollem, ungeteiltem Herzen. Wenn das heilige Feuer in ihrem Herzen glüht, so schmilzt es alle Widerstände; wenn die Sache es fordert, so gibt es keine Bedenken. Die greisenhafte Sorglichkeit, die alle Für und Wider tausendmal erwägt, die in lauter Wenn und Aber

65 stecken bleibt — ihr liegt sie meilenfern; sie sieht das große Ziel und weiter nichts, sie stürmt ihm zu mit heißen Wangen. Wie sind sie hinausgezogen, unsere teuren Jungen, strahlend

vor Begeisterung in ihren jungen Augen, Fünfzehnjährige rissen sich los aus Vater- und Mutterarmen. Ein ver sacrum, ein heiliger Lenz im bunten Herbst!

Und dort draußen! Kamen uns nicht die Tränen in die Augen, würgte es uns nicht im Halse, als wir lasen, wie sie mit dem Liede: „Deutschland, Deutschland über alles" auf Feuer und Eisen losgestürmt sind! Wohl kann die Begeisterung

nicht immer in lohen Flammen aufschlagen. „An Stelle des sprühenden Feuers", schreibt uns ein junger, früh vollendeter Held, „tritt eine innere Glut, die einen nach vorn treibt; keiner spricht mit dem anderen darüber, doch jeder trägt sie in sich". Das ist eine heilige Flamme, die nie verlöscht, die glüht auch

über Tod und Grab. Und unsere Jugend daheim! Auch sie ist mit diesem Feuergeist getauft. Ihr Alten, Klugen freilich meint, ihr wißt es besser. Ihr habt mit eurer weisen, gewitzigten Lebens­ erfahrung, deren Losung das kühle Wort eines alten Dichters ist: nichts bewundern — ihr meint, ihr habt die Begeisterung der Jugend durchschaut, und belehrt uns, ihre Begeisterung sei nichts als Siegeödepeschen begaffen, Fahnen wehen, Mützen schwenken und schulfreie Tage genießen! Ihr irrt weit! Ihr habt nicht die Augen der Kleinen gesehen, als sie hörten, sie könnten durch Sparen am Frühstück, durch Verzicht auf alle

Leckereien mithelfen, des Vaterlandes Sieg gewinnen.

Ihre

Augen glänzten, und die Tat folgte auf dem Fuße. Und die Großen, mit welchem brennenden Eifer, mit welch erstaun­ lichem Verständnis sind sie den schwierigen Fragen der Kriegs­

ernährung gefolgt. Und alle zusammen, groß und klein, wie haben sie mit Eifer und Ausdauer Gold gesammelt, für die

neue Kriegsanleihe gewirkt und geworben. Schuster: Gott und Vaterland.

Sie haben ein 5

66 Maß nicht nur von Hingebung, sondern auch von Einsicht ge­ zeigt, das viele Alte beschämt. Immer wieder geht mir in diesen Tagen das alte Wort durch den Kopf: „Er wird die Herzen der

Väter bekehren zu den Kindern". Was sollen wir Alteren und Alten dabei tun? Zuerst uns sagen lassen, was Paulus seiner jungen Gemeinde schreibt: „Den Geist dämpfet nicht". Nicht dämpfen, nein hegen und

pflegen wollen wir dies heilige Feuer und uns selbst von ihm erwärmen lassen. Möchte uns Gott aber helfen, noch mehr zu tun, den edlen jungen Stahl, der im reinen Feuer glüht, zu schmieden zu Waffen und Geräten für Deutschlands Zukunft,

Es ist große Werdezeit, kaufet sie aus!

Ein Brot — ein Leib. 1. Kor. 10, 16. 17: Das Brot, das wir brechen, ist es nicht Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn Ein Brot ist es, so sind wir viele Ein Leib,' denn alle teilen wir uns in das Eine Brot.

In dieser Osterzeit werden wieder viele Tausende von jungen Christen als Glieder in die mündige Kirchengemeinde ausgenommen. Sie treten zum erstenmal an den Tisch, wo ihnen daö Brot gereicht wird, das den Leib Christi bedeutet.

Möchten sie tief im Herzen empfinden, was sie tun, und eine Wirkung fürs Leben mitnehmen von ihrer ersten Abendmahls­ feier, von diesem Abendmahl im großen Kriege. Jahrhundertelang ist die heiligste Feier der Christenheit der Gegenstand des bittersten Streites gewesen. An dieser Liebes- und Gemeinschaftsfeier haben sich Männer geschieden, die nach ihren besten Überzeugungen zusammengehörten;

Kirchen haben sich darüber getrennt und Völker sich befehdet, viel heißes Blut ist darüber geflossen. Das ist tief schmerz­ lich, aber noch kein Beweis gegen diese Feier; denn um die höchsten Güter wird am heftigsten gestritten. Uns hat der Krieg dem rechten Verständnis dieses heiligen Symbols näher gebracht. Alle Nebendinge, um die so oft die Gemüter sich erhitzten und erbitterten, sind jetzt dahingefallen oder wenigstens zurückgetreten. Aus dem wilden Gewirr, das sich um dies alte Heiligtum emporgerankt hat, leuchtet uns die Blüte zweier unvergänglicher und unentbehrlicher Gedanken hervor, zweier Gedanken, in denen wir alle einig sind, deren

Wert wir alle empfinden. An dem Abend, als Jesus verraten wurde, als er zum

68

letztenmal mit seinen Freunden traute Tischgemeinschaft hielt, nahm er ein Brot, brach es und teilte es unter sie aus. Sie aßen alle von dem Einen Brot. Er ahnte, daß er zum Tode ging. Aber er glaubte und hoffte, daß die Gemeinschaft, die er unter

seinen Jüngern gestiftet hatte, nicht aufhören würde, und daß er selbst auch fernerhin, ja jetzt erst recht das Band und der feste Kitt dieser Gemeinschaft sein werde. Die jetzt von dem Brote aßen, das er ihnen reichte, sollten Einen Leib bilden, sollten alle Glieder ein- und desselben Leibes sein; und er, der das Brot reichte, würde das Herzblut, der Lebensgeist dieses Leibes sein.

Wie tief empfinden wir heute die unvergängliche Wahrheit Bisher hatte es uns wohl ergriffen, wenn

dieser Gedanken.

Wort und Bild uns Kunde gaben von den todesernsten und doch so hochgestimmten Abendmahlsfeiern der Kriegsfrei­ willigen von 1813. Aber was sind die beredtesten Worte, die

farbigsten Bilder gegen die überwältigende Kraft erlebter Wirk­ lichkeit! Eine Kirche in den Mobilmachungstagen, gedrängt voll von einer im Tiefsten bewegten Gemeinde, Hunderte von Männern und Frauen, viele seit Jahren der Kirche und ihren Formen entfremdet, geschart um den Altar; sie genießen von Einem Brot und trinken aus Einem Kelch, sie wachsen zu Einem Leib zusammen, die Ausziehenden und die Daheimbleibenden,

und sind gewiß, daß diese Gemeinschaft des Glaubens und der Hoffnung, der Liebe und der Treue durch keinen Tod zu

lösen ist. Die wir von dem Einen Brote essen, sind auch Ein Leib. Bisher gingen wir wohl ein jeder für sich, jeder sah nur auf seinen Weg, kannte nur seine Sorgen und Leiden, seine Wünsche und seinen Gewinn. Aber die gemeinsame Not hat uns zu­ sammengebunden, hat uns zusammengeschweißt. Wir haben Eine gemeinsame Gefahr und Eine gemeinsame Hoffnung. „Wir sind Ein Leib und viele Glieder". „Wenn Ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn Ein Glied geehrt wird, freuen

69 sich alle Glieder mit". Wir tragen alle Leid mit den beraubten Grenzgebieten, wir begrüßen gemeinsam ihre Erlösung; wir

feiern alle dieselben Helden, die wenigen Vielgenannten an der Spitze, die vielen Unbekannten aus der Masse. Wir essen jetzt alle von demselben Kriegsbrot, sind entschlossen, gemeinsam zu entbehren, wollen zusammen aushalten bis zum endlichen

Siege. Wir sind Ein Leib, und uns beseelt Ein Geist, der Geist des Opferwillens und der Leidensbereitschaft, der Geist der Brüder­

lichkeit und der Treue, der Geist zäher Geduld und trotziger Tapferkeit, der Geist des Glaubens an den Sieg unserer ge­ rechten und guten Sache. Und unsere jungen Christen, die jetzt

zum erstenmal miteinander von dem Einen Brot essen, werden es eindringlicher gehört und tiefer erfaßt haben als andere Ge­ schlechter, daß ein gutes Stück, wir dürfen getrost sagen, der beste Teil dieses Geistes von dem Manne aus Nazareth stammt,

von dem Manne, der seinem Beruf getreu war bis zum Tode, der durch Glauben die Angst des Todes überwand, der sterbend eine neue Gemeinschaft stiftete und der Lebensgeist dieses Liebesbundes wurde. Die wir von dem Einen Brot essen, dem Brot der Gemeinde Jesu, dem Kriegsbrot unsers Volkes, wir sind Ein Leib, beseelt von Einem Geist. Gebe Gott, daß wir es immer besser, daß wir es wirklich alle werden! Dann ist uns der Sieg gewiß.

Eine ewige Erlösung. hebr. 9, 12: Er ist mittels seines eigenen Blutes ein für allemal in das Heiligtum gegangen, da er eine ewige Erlösung gefunden hat.

Karfreitag im Kriege. Welch eine Flut von Gefühlen, welch eine Fülle von Gedanken! Ist es möglich, in Worte zu fassen, was dieser Tag uns sagt? Der Heilige wird verraten, verleugnet und verlassen; der Gerechte wird verdammt, leidet und stirbt. Aber er geht nicht

unter, der Tod wird verschlungen in den Sieg; sein Sterben ist ein überwinden, sein Geist steht auf in den Seelen der Seinen, seine Sache triumphiert, und er selber herrscht als

König im Reiche der Geister. Das haben wir so oft gehört, so oft, daß es an viele taube Ohren, an viele stumpfe Seelen kam. Aber heute ergreift es uns mit frischer Kraft, heute fällt das alte Wort in neue, emp­ fängliche Herzen. Wir leben ja in einer Zeit von Blut und Schweiß, von Leiden und Sterben, in einer Zeit unerhörter Opfer, aber auch in einer Zeit starker Opferwilligkeit und heißen

Glaubens an den überschwenglichen Wert dieser Opfer. Besser als je verstehen wir deshalb heute den Karfreitag, näher als

sonst fühlen wir uns dem Mann am Kreuze. Aber den Unterschied wollen wir nicht vergessen, den

Abstand in Demut und Verehrung wahren, so fordert es die schlichte Wahrheit. Was unterscheidet denn den Meister von

allen seinen Jüngern? Sie gehen alle einen gebahnten Weg, er hat die Gasse gebrochen; sie wissen, es geht durch Kampf zum Sieg, er hat diesen Glauben erst erstreiten müssen, für

sich und für die Seinen. Wenn wir auf das Kreuz von Golgatha

71 blicken, so sehen wir wohl unsägliche Qualen und heldenmütiges überwinden. Aber Kreuzträger und Überwinder hat die

Menschheit noch mehr gesehen. Hier ist Jesus nicht einzigartig,

hier hat er nicht sein eigenstes Werk geleistet.

Die bitterste

Not hat er aber auch nicht am Kreuz gekostet, den wunder­

barsten Sieg nicht auf Golgatha errungen; die tiefste Not seiner Seele, die höchste Höhe seiner Kraft offenbart sich uns im Beten zu Gethsemane. Als Gottes liebsten Sohn wußte er sich, zum Erlöser und König seines Volkes fühlte er sich berufen. Und

nun sollte er sterben, und mit ihm sollte sein Werk untergehen?

Konnte etwas sinnloser sein als dieser Tod? War er nicht ein Hohn auf alle Arbeit und alle Hoffnung seines Lebens? Da

ist er mit blutigem Schweiß und Todesgrauen auf sein Antlitz niedergesunken, hat gerungen und gebetet. Nicht um sein Leben, aber um Sinn und Zweck seines Lebens, um seinen Glauben und seine Hoffnung, um seineSeele, um seinen Gott. Er kämpfte einen schier verzweifelten Kampf — und siegle. Er siegte allein aus dec Kraft seines Glaubens, ohne Hilfe von außen. Die

Jünger, die einzigen Freunde, schliefen, sie ahnten nicht, welch ein Kampf in ihrer nächsten Nähe gekämpft wurde. Und das heilige Buch, das von der frommen Geschichte seines Volkes berichtet, schwieg ihm; von einem leidenden Erlöser wußte es nur unverständlich zu stammeln; erst aus Jesu Geschichte haben die Menschen gelernt, dies Stammeln zu deuten. Er stand in seiner schwersten Stunde allein, ganz allein. Aber der Glaube in seiner Seele wuchs riesengroß, faßte Grund im Strudel der tosenden Wasser, reckte die Hand zum Himmel und ergriff die Rechte des Vaters. Noch verstand er die Wege Gottes nicht, er ahnte nur die Pläne der Weisheit. Aber er glaubte. Er hatte keine Formel für den Sinn seines Todes,

aber er glaubte einen göttlichen Sinn im sinnlosen Geschick.

Er glaubte, daß auch dieser Tod von Gott komme, und daß der Vater, der ihn sterben ließ, ihn nicht umsonst sterben

72 lasse, daß sein Tod irgendwie Sieg und Segen für sich und für

die Seinen, für seine heilige Sache bedeuten müsse. Und sein Glaube hat recht behalten, sein Geist ist in seinen Jüngern aufgestanden und hat den Sieg gewonnen. So hat er das Verhängnis als Gottes Willen erlebt und in seinen Willen ausgenommen, hat das Leiden zur Tat ge­

macht und den Tod überwunden. So hat er das Heiligtum des Leidens entdeckt und eine Erlösung von Tod und Todes­ angst gefunden; für sich und für uns alle. Darum heißt es von ihm: „Er ist mittels seines Blutes ein für allemal in das Heiligtum gegangen und hat eine ewige Erlösung gefunden". Ein für allemal, eine ewige Erlösung. Denn nun singt sein größter Apostel: „Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge müssen zum Besten dienen". Und Johannes jubelt: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet". Nun haben wir, auch für diesen unseren Krieg, die fertige Formel vom Gesetz des Opfers, vom Heiligtum des Leidens. Nun haben wir Losung und Feldgeschrei: „Durch Kampf zum Sieg, durch Kreuz zur Krone!" Nun ist die Gasse gebrochen, der Weg

gebahnt. Nur daß wir nicht vergessen: steil ist der Weg immer noch, tränenvoll und blutig. Ehrfurcht darum, stille, andächtige Ehr­ furcht vor allem tapferen Leiden, und gesammelte Bereit­ schaft für eigenes Leiden. Denn so ist die ewige Erlösung nicht

gemeint, daß uns alle Leiden und Opfer abgenommen und auf ihn gehäuft wären. Den schwersten Kampf freilich hat er für uns gekämpft, den Kampf um den Glauben an einen Sinn des Leidens. Diesen Glauben hat er uns erstritten. Aber wir sollen diesen Glauben mit eigener Tat bewähren, sollen ihn, in Jesu Nachfolge, immer neu erstreiten. Auch dieses Erbe müssen wir, um es zu besitzen, stets neu erwerben. „Mir nach, spricht Christus, unser Held!"

Getreu bis in den Tod. (Offenbarung 2, 10: Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.

Getreu bis in den Tod. Das wird heute täglich von Hunder­ ten und Tausenden bewährt. Und doch gibt es Unterschiede. Eine ganze Kolonne greift an, aber einer stürmt allen voran; er führt sie, er weist den Weg, sein Beispiel reißt die anderen

mit sich fort. Die sich dem Tauchboot anvertrauen, sehen alle dem Tode tapfer entgegen, verdienen alle unsere Verehrung,

aber unvergeßlich für unser ganzes Leben soll uns die Tat des einen Mannes bleiben: er stieg in die Tiefe des vom Feinde überraschten Bootes, öffnete die Wasserpforten und versenkte das kostbare Schiff, um es nicht dem Feinde auszuliefern. Seine Kameraden blieben oben im Lichte der Sonne, im Leben; er allein ging, nüchternen Sinnes, kalten Blutes, vollbewußt in den unentrinnbaren, dunklen Erstickungstod — getreu bis in

den Tod. Getreu bis in den Tod — so schreiben wir heute mit bluten­ der und doch stolzer Seele über ein frühvollendetes Heldenleben. Unser aller Herzen bewegen in diesen Tagen einen Namen, unser aller Gedanken sind seiner Erinnerung übervoll. Wir reihen seinen Namen an die heiligsten Namen aus der großen Zeit vor hundert Jahren. Mit Schill, Friesen und Körner

wird er im Gedächtnis von 100 Millionen Deutschen, diesseits und jenseits des Meeres, unsterblich weiterleben im Glanze unvergänglicher Jugend. Weshalb ist er der volkstümlichste unserer vielen Wasser-

74 Helden geworden, weshalb nennen wir heute seinen Namen vor allen anderen? Weil er der erfolgreichste gewesen ist? Ja, das war er, und er war es nach Verdienst; an ihm er­

füllte sich daS türkische Sprichwort: „Das Glück ist in den Tüchtigen verliebt". Aber wenn wir alle ihn nicht nur be­ wunderten, wenn wir ihn verehrten und liebten, so geschah es, weil er ein Urbild war schlichter Bescheidenheit und edler Ritterlichkeit. Heute aber geloben wir uns — ach nein, es bedarf keines Eides, heute wissen wir, daß wir ihn nie ver­

gessen können; zumal wir guten Grund haben, zu glauben,

daß er nicht einem ehrlichen Gegner unterlag, sondern feigem Verrat zum Opfer fiel. Er ist gefallen, wie der Siegfried unserer Sage, wie Friesen in den Freiheitskriegen. Darum sagen wir auch von ihm, was der Turnvater Jahn von seinem heldenhaften jungen Freunde schrieb: „Ihn hätte auch im Kampf keines Sterblichen Klinge gefällt". „Was unsterblich im Gesang soll leben, muß im Leben untergehen", singt der Dichter. Und doch sind unsere Herzen voll Wehmut, und wir gestehen es ohne Scheu: wir hätten

ihn über alles gern behalten; wenn der große Siegestag kommt, auf den wir alle mit Geduld und Glauben hoffen, wir werden keinen so schmerzlich vermissen wie ihn. Wir geloben nicht, ihn im Gedächtnis zu behalten, ihm den verdienten Dank zu wahren — eines solchen Gelübdes bedarf es nicht. Wir geloben nur neue Treue und Dienstbarkeit dem teuren Vaterland, dem er getreu war bis zum Tod. Mit unseren armen Kräften wollen wir helfen, daß aus seinem und der Seinen Tode eine Saat

des Lebens aufersteht: neue Treue, neuer Opferwille, neuer Mut und neuer Glaube. „Und preisen sollen stolze Töne — Ob auch die frische Wunde brennt —, Daß noch die Jugend solcher Söhne Germania ihr eigen nennt.

75 Wir fürchten keines Feindes Tücken Und bieten Trotz der Stürme Wehen, Solang auf den Kommandobrücken Noch Helden euresgleichen stehen."

(Presber.)

Aber waö hat unsere vaterländische Trauer, unser Stolz und unsere Hoffnung mit unserer Frömmigkeit, mit unserem Bibelspruch zu tun?

Müssen wir auf solche Frage noch ant­

worten? Haben wir nicht in diesen Kriegswettern die alte Wahrheit neu gelernt, daß alles menschlich Edle und Große

von Gott stammt, sein Geschenk und seine Gabe ist; und daß alle menschlichen, also auch alle vaterländischen

Pflichten zu Gott weisen, seine Aufgaben und Gebote sind? Wenn wir dankbar sind für die Treue unserer Helden, so danken wir für einen Gottessegen; wenn wir ihrem Beispiel folgen

und dem Vaterlande dienen, so stehen wir mitten in unserer frommen Pflicht und unserem Gottesdienst. Wir dürfen nicht nur, wir sollen unsere übervollen Herzen vor den Thron des Ewigen tragen. So wird unser Schmerz verklärt, unser Dank vertieft, unser Gelübde geadelt, unsere Kraft erhöht und unser Glaube geweiht. Aus dem Munde des Ewigen hören wir die heilige Forderung: „Sei getreu bis in den Tod". Aus seinem Munde vernehmen wir aber auch die tröstliche Ver­ heißung : „So will ich dir die Krone des Lebens geben". Nun wissen wir: Unsere Getreuen leben nicht nur in unserem mensch­

lichen Gedächtnis, sie leben ewig in Gott.

Patriae inserviendo consumor. 2. Kor. 4, 16: Darum werden wir nicht müde, sondern wenn auch unser Süßerer Mensch sich verzehrt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.

In eiserner Zeit haben wir das Gedächtnis des eisernen Kanzlers erneuert.

dacht.

Wir hatten diesen Tag uns anders ge­

Mit Lied und Wort, mit Becherklang und Festgesang,

mit bunten Farben und studentischer Fröhlichkeit wollten wir

den großen Tag begehen.

Und gewiß, solch eine Feier hätte

dem naturwahren Manne, der in der Mutter Erde wurzelte

und ihre natürlichen Gaben mit frohem Behagen zu genießen wußte, nicht übel angestanden.

Gott hat es anders gewollt.

Wir sollten sein Gedächtnis in der denkbar würdigsten Weise

begehen; den Mann der Tat sollten wir mit eigener Tat feiern, für sein Lebenswerk mit unserem Leben eintreten und be­ währen, daß wir seiner wert sind.

So haben wir uns seiner ehernen Worte erinnert, um sie fest und tief in unser Gedächtnis zu prägen; sein Mark

und Blut haben wir eingesogen, um unsere Knochen und Adern damit zu füllen, seinen Geist geatmet, um unser Hirn

und Herz damit zu beleben.

Oder pulst nicht sein Blut und

Geist in seinen Worten: „Nicht durch Reden und Majori­ tätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden,

sondern durch Eisen und Blut" — so klang die schmetternde Fanfare in seiner ersten großen Ministerrede.

Und in seiner

letzten großen Reichstagsrede hat er uns in lapidaren Sätzen sein vaterländisches Vermächtnis, zugleich ein ganz persön­

liches Zeugnis seines Wesens und seiner Gesinnung, hinter-

77 lassen: „Wir können durch Liebe und Wohlwollen leicht be­

stochen werden — vielleicht zu leicht —, aber durch Drohungen ganz gewiß nicht! Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst

nichts in der Welt; und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen läßt. Wer aber die deutsche Nation irgendwie angreift, wird sie einheitlich gewaffnet finden und jeden Wehrmann mit dem festen Glauben im Herzen: Gott wird mit uns sein!" Solche Bismarckworte sind unsere Leitsterne geworden; vor allem aber soll sein Wahlspruch auch unseres Lebens Losung sein: Patriae inserviendo consumor.

Im Dienst des Vaterlandes will ich mich verzehren. Und das soll unsere ganz persönliche Bismarckfeier sein, soll die Über­ führung der Erinnerungsfeier in die lebendige, tätige Gegen­ wart sein, daß wir diesen Spruch uns tief ins Herz schreiben und geloben, ihn an unserem bescheidenen Platz zur Wahrheit

zu machen. Neben das Bismarckwort haben wir den Paulusspruch gestellt: „Darum werden wir nicht müde, sondern wenn auch

unser äußerer Mensch sich verzehrt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert". Ängstliche Gemüter könnten meinen, diese beiden Sätze hätten nur eine äußere Ähnlichkeit, paßten aber in Wirklichkeit nicht zusammen, da ihre Urheber, der eiserne Kanzler, der Schmied eines großen irdischen Reiches, und der Märtyrer-Apostel, der Verbreiter eines Reiches des

Glaubens und der Liebe, durch eine Kluft getrennt seien, so weit wie Himmel und Erde. Solchen Bedenklichen könnten wir antworten: Die beiden Männer sind nach Charakter und Temperament viel ähnlicher, als ihr ahnt: beidesMänner von

vulkanischer Kraft, von verzehrender Leidenschaft; und auch ihre Ziele stimmten zusammen; denn wir alle sind der ehrlichen, wohlbegründeten Überzeugung, daß die göttliche Weisheit unser

Vaterland, unseres Vaterlandes Macht und Kraft als ein Mittel zu ihren ewigen Zwecken benutzen will.

Fern liegt uns die

78 Überhebung, unser Volk für das „auserwählte", unser Reich für Gottes Reich zu halten; das aber glauben wir froh und zuversichtlich, daß der Dienst an unserem Deutschen Reich

irgendwie auch dem Gottesreich zugute kommt. Indes, wenn wir Kanzlerwort und Apostelwort zusammen­

stellen, wenn wir das Kanzlerwort uns zur göttlichen Lebens­ regel wählen, so hat das noch einen tieferen Grund, einen Grund, der uns alle unmittelbar berührt. Bismarck verzehrt sich im Dienst des Vaterlandes, Paulus im Dienste der Mission. Worauf beruht denn der eigentliche Wert, das Preis- und

Verehrungswürdige ihres Wirkens? Doch nicht auf der Größe des Zieles, dem sie dienen — hier ein begrenztes irdisches Reich, dort ein ewiges, himmlisches — auch nicht auf der Größe der Kraft, die sie in den Dienst der Sache stellen — sie mag bei beiden Männern gleich gewesen sein —, sondern auf der selbst­ losen Reinheit, auf der restlosen Hingabe, mit der sie ihre ganzen

Kräfte dem erkannten und geglaubten Ziel, dem Ziel, das Gott ihrer Seele offenbarte, aufgeopfert haben. Ist das wahr — und wer von uns wollte bezweifeln, daß es wahr ist —, so dürfen wir jene beiden Großen auch nebeneinander stellen, und wir Geringen dürfen hinter sie, in ihre Gefolgschaft treten. Wir dürfen es, und wir müssen es. Uns ist ja der Dienst am Vaterland als höchste Pflicht, als heilige Pflicht, als eine Pflicht, die alle anderen verschlingt, glühend aufgegangen. Patriae inserviendo consumor, das steht als göttlicher Befehl vor unserer Seele. Wo und in welcher Form wir diesen Befehl erfüllen, darauf kommt wenig an; daß wir ihn erfüllen, daß wir ihn treu erfüllen, darauf kommt alles an. Wir blicken oft mit sehnsüchtigem Neid auf jene da draußen, die Leib und Blut verzehren im Dienst des Vaterlandes. Da kommt uns unser geruhsamer, sicherer Dienst so gering und unnütz vor. Er ist ja auch gering, aber unnütz ist er nicht; und es liegt in unserer Hand, ihn zu adeln durch selbstlose, unermüdliche Treue. Und

79 wenn es auch nichts ist als die Kraft der Nerven, die wir im Dienst des Vaterlandes verzehren, wir dürfen uns doch mit unter das demütig-stolze Wort stellen: Patriae inserviendo consumor.

Und auch die Verheißung des Apostels wird sich an uns erfüllen. Auszeichnung, die den Ehrgeiz oder die Eitelkeit be­ friedigt, begehren wir nicht; an Lohn, wie ihn der Geiz sucht, denken wir nicht. Aber eines begehren wir mit ganzer Seele: daß uns die Kraft nicht ausgeht, solange das Vaterland.uns notig hat. Wirken zu dürfen für das heilige Vaterland, ist unsere Ehre, unser Stolz; wirken zu können, ist unser Lohn und unser Glück. Da tröstet uns das tapfere Glaubenswort: „Darum werden wir nicht müde, sondern wenn auch unser äußerer Mensch sich verzehrt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert".

Wer sein Leben hingibt, der wird es gewinnen. Luk. 17, 33: wer sein Leben;u ge­ winnen sucht, der wird es verlieren,' wer es aber verliert, der wird es lebendig machen.

Ein widerspruchsvolles, fast widersinniges Wort, dies Jesuswort vom Leben: Wer sein Leben gewinnen will, verliert

es; wer es aber hingibt, der gewinnt es. Und doch ist hier ein ganz allgemeines und unverbrüchliches Gesetz ausgesprochen. Wieviel ist nicht bei uns in den letzten Jahren von Per­ sönlichkeit und Individualität geredet, von ihrem Recht, ihren Reizen und ihrer Schönheit. Was wahr ist an dieser Rede, wollen wir uns auch nicht nehmen lassen. Wir wollen immer

mit Goethe die Persönlichkeit, das tiefempfundene, stark er­ lebte Eigenleben, als „höchstes Glück der Erdenkinder" rühmen. Und, was noch viel wichtiger ist, wir wollen das Heranreifen zur Individualität, zur kraftvollen, selbständigen Eigenart, stets als höchstes Erziehungsziel vor Augen behalten; denn auf der Fülle mannigfaltiger, eigenartiger Einzelkräfte beruht der Reich­ tum und die Stärke unseres Volkes. Aber das ist die große Frage: Wie wird ein Mensch zur Persönlichkeit, zur Individualität? Darauf ist oft eine verkehrte Antwort gegeben. Der Leichtsinn hat das Ausleben gepriesen, das wilde Wachsen

aller Triebe; ohne zu bedenken, daß schon ein Baum der Schere des Gärtners und seiner bindenden Hand bedarf, wenn er Früchte bringen soll. Diese falsche Losung kann nur zum Zerr­ bild des Lebens und schließlich zu seiner Zerstörung führen. Andere, feine und sorgsame Menschen haben deshalb eine sorg­

fältige und liebevolle Pflege der Seele empfohlen; Pflege per­ sönlichen Lebens wurde ihre Losung. DerMensch sollte seine Seele

81 pflegen, wie die Mutter ihr liebstes Kind, wie der Gärtner eine seltene Blume; er sollte seinePersönlichkeit bilden, ausmeißeln und ausmalen, wie der Künstler seine Schöpfung. Aber die Gefahr war, daß so doch nur ein schwächliches, künstliches Ge-

mächte entstand, ein Ding, das nur den Schein echten, starken Lebens an sich trug, in seinem Kern aber morsch und hohl war. Denn das Leben muß wachsen, es kann nicht gemacht werden.

Wenn ein Mensch zu seiner Seele sagt: „Liebe Seele, halte stille, jetzt will ich dich zur Persönlichkeit ausbilden", so wird

eine kleine, schwache Seele wohl stillehalten — und wird zur eitlen Zierpuppe; eine große, starke Seele aber lacht über solch unverständiges Getue, sie zerreißt den papiernen Zügel und stürmt ins große, freie Leben hinaus. Also das freie Ausleben wird uns verwehrt, es führt zur Lebenszerstörung, und vor der liebevollen Persönlichkeits­ kultur werden wir gewarnt, sie führt zum falschen Kunst­ Es ist im Grunde so einfach: Sich hingeben an einen ernsten Gegenstand, sich verlieren in die Weite einer großen Sache, sein Leben stellen in den Dienst eines reinen, heiligen Zweckes. Dann strömt der Reichtum und die Schönheit, die Kraft und die Größe, der Adel und die Heiligkeit dieser Sache in unsere Seele über; gebilde.

Was aber sollen wir denn tun?

und, ohne daß sie es weiß und will, wird sie selber reich und stark und groß. Aber frei muß dieser Dienst sein, das heißt freiwillig muß er sein, keine aufgezwungene Arbeit, oder wenigstens keine bloß aufgezwungene Arbeit; wo sie uns von außen aufgelegt ist, muß das freiwillige Tragen hinzukommen. Und selbstlos muß dieser Dienst sein, um der Sache willen muß er geschehen; wer um Lohnes willen dient, um Geld oder Geldeswert, Ehre oder Auszeichnung, hat seinen Lohn dahin. Dieser freie Dienst entfaltet unsere Kräfte und Anlagen, er

entwickelt unsere Individualität. Er gibt uns den schönsten Gewinn: Bereicherung, Vertiefung, Beglückung der Seele. Schuster: Gott und Vaterland.

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82 Einer großen Sache sollen wir dienen; nur daß wir die

Größe einer Sache recht verstehen, nicht äußerlich, sondern innerlich. Es gibt Narren, die meinen, dem Vaterland zu dienen, genüge ihnen nicht; nur die ganze Menschheit könne ihr großes Herz ausfüllen. Und es gibt Schwätzer, die den stillen Dienst im Beruf und Haus und an den Kindern für engkreisiges Philistertum erklären und nur ihre lärmende Viel­ geschäftigkeit für großzügig halten. Wir aber wissen, daß Fa­ milie und Beruf die heiligen Keimzellen deutscher Tüchtigkeit sind, und daß der Dienst an unserem teuren Vaterland der beste

Wohl heißt es: Im engen Kreis verengert sich der Sinn; wir sollen deshalb unsere Augen in die Höhe heben. Aber deshalb soll doch unser Dienst der nächsten Pflicht gewidmet bleiben; sie wird groß, und wir mit ihr, wenn wir bedenken, wie das Kleinste mit dem Größten Beitrag zum Wohle der Menschheit ist.

zusammenhängt, wie jeder treue sachliche Dienst ein Gottes­ dienst ist, eine Arbeit an dem kommenden Reiche Gottes. Das alles konnten wir schon im Frieden lernen. Aber der Krieg predigt es uns mit ungeheurem Ernst, mit der über­ zeugenden Wucht gewaltiger Tatsachen. Wo ist die Wichtig­ tuerei mit der Persönlichkeit, das Getändel mit ihrer Pflege geblieben? Weggeweht, weggeschwemmt. Aber Persönlich­ keiten sind aufgestanden, Persönlichkeiten, erfüllt von der Größe der Sache, geheiligt durch den Adel des Dienstes. Sie leiten

unsere Heere, unsere Bahnen und Banken; sie lugen aus Schiffs­ türmen und aus Schützengräben; sie halten haus und erziehen Kinder, um dem fernen Krieger das Herz zu erwärmen und das Heim zu bereiten. Wer sein Leben hingibt, im treuen Dienst einer guten Sache, der erst gewinnt es. Hingabe des Lebens ist es, wenn Hab und Gut, Zeit und Kraft geopfert wird. Die höchste Hin­ gabe ist das Opfer von Leib und Blut. Sie trägt auch in sich

den höchsten Gewinn: ewiges Leben.

Gott und Vaterland. Römer 9, 3: Ich wünschte selbst aus der Gemeinschaft Christi verbannt zu sein zum Besten meiner Brüder, meiner leib­ lichen Stammverwandten. Nie ist ein Mensch von seinen Volksgenossen leidenschaft­

licher gehaßt worden als Paulus. Jahrelang haben die Juden

seiner Missionsarbeit alle erdenklichen Hindernisse bereitet und ihm selbst nach dem Leben gestellt; und auch die Judenchristen

haben ihn mit Neid und Mißtrauen betrachtet und mit Herze­

leid ihn überhäuft. Schließlich hat jüdischer Haß ihn den Römern überliefert und nicht geruht, bis ihm der Prozeß gemacht wurde,

und die Judenchristen haben keinen Finger zu seiner Befreiung gerührt. Das alles, weil er den Heiden das jüdische Gesetz nicht

auferlegte, weil er sie zu freien Menschen machte, weil er das Christentum als eine neue Religion erfaßte und verkündete.

Wir bewundern Paulus wegen der Entschiedenheit und Tapferkeit, mit der er seine neue Erkenntnis verteidigte; wir verehren ihn wegen der harten Seelenkämpfe, in denen er selbst

vom Alten sich gelöst hatte, und wegen der Treue und Liebe, die er seinem Volk immer bewahrt hat.

Er war kein herzloser

Überläufer. Er liebte sein Volk mit heißer, stürmischer Inbrunst.

So weit geht diese leidenschaftliche Liebe, daß er der römischen

Gemeinde schreiben kann: er wünsche, verbannt zu sein aus der Gemeinschaft Christi zum Besten seiner Brüder, seiner leiblichen

Stammverwandten. Man denke, was das bedeutet! Er, dessen Sinnen und Trachten in Christus aufging, der von sich sagt: Ich lebe nicht mehr als eigenes Ich, sondern, was ich noch lebe, das lebe ich in Christus — er möchte verbannt, verflucht sein

von Christus, ausgestoßen aus seinem Reich und seinem Heil,

6*

84 wenn er durch dieses sein persönliches Opfer seine Brüder aus

ihrer Verblendung erlösen und ihnen das Heil verschaffen könnte. Ein ganz unmöglicher Gedanke; denn wer zu diesem alleräußersten Opfer bereit ist, der ist Jesu treuester Jünger und vor allen seines Heiles würdig. Ein unmöglicher Gedanke, aber das ergreifendste Zeugnis für die Vaterlandsliebe dieses Mannes. Wenn er sich trotzdem von der Religion seiner Väter, und damit notgedrungen auch von seinem Volke, löste, so gilt

auch von ihm das Dichterwort: „Das Größte tut nur, wer nicht anders kann". Wir Späteren verstehen jetzt diesen tragischen Gegensatz zwischen Volkstum und Frömmigkeit. Wir begreifen die Er­ bitterung der Juden gegen den Mann, der das Gesetz ihrer Väter antastete; aber wir sehen auch ganz deutlich, daß Paulus recht hatte: er vertrat den gottgewollten Fortschritt. Wenn wir uns heute an den schmerzlichen Zwiespalt zwi­ schen Gott und Volkstum erinnern, der die Seele des großen Apostels zerriß, so geschieht es, um bei uns die Dankbarkeit

zu wecken. Wie müssen wir doch aus tiefstem Herzen dankbar sein, daß für uns die beiden gewaltigsten Gemeinschaft stiftenden Kräfte, die beiden erhabensten Leidenschaften, die eines Men­ schen Brust erfüllen können, Gottesliebe und Vaterlandsliebe, nicht gegeneinander, sondern miteinander stehen. Seit Kriegs­ ausbruch haben wir die starke, frohe Gewißheit, daß wir in einem heiligen Kriege stehen, daß wir nicht nur für Haus und Hof, für Weib und Kind fechten, daß wir auch die Sache

des Rechts und der Wahrheit vertreten. Als einen heiligen Krieg empfinden wir diesen Kampf. Das ist keine leere Redens­ art, keine eitle Einbildung; uns durchglüht die selige Gewißheit, daß Gott uns berufen hat, seine Sache zu führen. Diese Über­ zeugung lebt in uns als frommer Glaube; er ist durch keine Lüge umzustoßen und durch keine Überzahl von bestochenen oder be­

trogenen falschen Zeugen einzuschüchtern.

Er steht fest und

85 trotzig gegen eine Welt von Hassern und von Neidern, von

Lügnern und Verleumdern. Aber vor Gott steht er demütig, voll unausschöpflichen Dankes: Herr Gott, wir danken dir, daß du uns eine reine Sache zu verfechten gegeben, daß du uns ein blankes Gewissen geschenkt. Unseren Vätern hast du

die Losung gegeben: „Mit Gott für König und Vaterland", und wir dürfen bekennen: „Mit Gott für Kaiser und Reich".

Gott und Vaterland. Diese zwei Worte sollen uns für immer durch heilige Treue vermählt bleiben. In dieser Ver­

einigung liegt eine wundervolle Gabe und eine unendliche Aufgabe. Gott ist ein Gott des Reichtums und der Mannigfaltigkeit. Er hat die Menschen gemacht in der unübersehbaren Fülle verschiedener Individualitäten, keiner dem anderen ganz gleich, jeder eine Form für sich. So hat er auch die vielen Völker geschaffen mit ihren besonderen Eigentümlichkeiten und Vor­ zügen, und jedem das Recht und die Pflicht gewiesen, sich nach seiner Art zu bilden. Ihre vereinte Fülle erst soll den Chor der Menschheit ausmachen. Aber jedes Volk hat auch die Aufgabe, sein Volkstum zu veredeln, von aller Unart zu reinigen, von allen Schlacken zu läutern, zu wachsen nach Gottes Willen. Und auch das ist Gottes Wille, daß es die anderen ebenfalls in ihrer Art werden und wachsen läßt. Nur so entsteht die reine, vielstimmige Harmonie, an der der Schöpfer seine Freude hat. Und nun hat Gott unserem lieben deutschen Volke einen solchen Reichtum von Gaben beschert, daß es uns tief beschämt, wenn wir uns seiner voll bewußt werden. Es gibt keine mensch­

liche Kunst, die wir nicht verstünden; es gibt viele, in denen wir Führer und Meister sind. Die Überfülle sollte uns fast erschrecken;

denn wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel gefordert. Eine doppelte Verantwortlichkeit, ein dreifaches Maß von Selbstzucht fordert Gott von uns; ein neues Weltziel stellt er uns. Die Welt hat ein Volk gesehen, das sich einbildete, es sei das Gottesvolk, und sich daher das Recht anmaßte, die Erde

86 zu beherrschen. Aber der Schöpfer will kein Weltvolk, das die Erde beherrscht, um sich auf Kosten der anderen zu bereichern. Wenn er ein Volk groß macht an Kunst und Gaben, wenn er

ihm Macht und Gewalt schenkt, so soll es die anderen bereichern

und befruchten. Das sind die Wege der Zukunft, das ist der Wille Gottes. Das ist der Weg, den Gott jetzt unserem Volke weist. Er spricht zu ihm: Ich habe dich reich gemacht, ich mache dich stark; nun läutere dich und veredele dich, dann gehe hin und befruchte die Welt. Wenn unser Volk diesen Beruf ergreift, so bleiben Gott und Vaterland verbunden, und wir gehen einer großen Zu­ kunft entgegen: Deutschland, ein wahres Gottesvolk und ein Weltvolk.

Fürchte dich nicht, glaube nur! Mark. 5,36: Jesus aber sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, glaube nur!

Wir durchleben jetzt Tage atemloser Spannung, wir stehen vor folgenschweren Entscheidungen. Unsere tapferen Truppen

haben im Osten, aber auch im Norden und Westen, große, ver­ heißungsvolle Siege errungen. Aber gerade in diesen Tagen weht ein heißer, giftiger Wind aus Süden, und uns wird das Dichterwort ins Gedächtnis gerufen: „Solch eine Flucht und Felonie ist ohne Beispiel in der Welt Geschichten". Aber an beispiellose, nie für möglich gehaltene Dinge, beispiellose Helden­ taten und beispiellose Schandtaten, hat uns das letzte Jahr gewöhnt. So müssen wir denn mit der Möglichkeit eines un­ erhörten Verrates rechnen, mit dem Bruch dreißigjähriger

Bündnistreue. Niemand, dem der Menschenname etwas wert ist, darf wünschen, es zu erleben.

Denn von allem Niedrigen und

Gemeinen, wodurch in den vergangenen Monaten Menschen­ ehre besudelt ist, wäre dies das Niedrigste und Gemeinste.

Kein Vaterlandsfreund darf es wünschen; denn es würde uns den Sieg erschweren, den Frieden hinausrücken und neue, schwere Opfer kosten. Kein Frommer darf es wünschen; denn das wäre vermessen und hieße Gott versuchen. Aber noch weniger darf es uns erschrecken. Der Appell

an die Furcht darf keinen Widerhall in deutschen Herzen finden. Wir halten uns an das Wort, mit dem Jesus einst den Vater eines todkranken Kindes tröstete: Fürchte dich nicht, glaube nur! Fürchte dich nicht, glaube nur. Der Glaube kann uns furchtlos machen, er ist uns eine feste Burg, ein' gute Wehr

88 und Waffen.

In dieser Zuversicht soll uns die Nörgelei der

Kleinmütigen und Kurzsichtigen, die nicht weiter sehen, als ihre Hände reichen, nicht irre machen; ihr armer Spott soll uns den frohen Glauben, daß Gottvertrauen und gutes Gewissen die stärksten Bundesgenossen sind, nicht erschüttern. Freilich, den Ausgang genau vorherzusagen, zu bestimmen, wann und wo und wie unsere gerechte Sache siegen muß, das maßt sich der Glaube nicht an; dessen erdreistet sich nur der Aberglaube, der gern dort einzieht, wo Glaube und Mut gewichen sind. Aber auf den endlichen Sieg der gerechten Sache vertraut der Glaube, und dafür hat er gute Gründe. Sein erster Grund ist dieser, daß in aller Weltgeschichte noch nie ein großes, tüchtiges und gesundes Volk dauernd

ist. Ein Volk bleibt bestehen, solange es der Freiheit wert ist. Diese Lehre predigt uns die Welt­ geschichte. Freilich gilt das Dichterwort: „Er macht nicht überwunden

jeden Wochentag die Zeche". Aber dadurch wird die Wahrheit nicht erschüttert, daß in den Stürmen der Weltgeschichte das Tüchtige und Gesunde bestehen bleibt. Und unser Volk ist im Kern tüchtig und gesund. So hat es sich in dem Sturm dieses Weltkrieges erwiesen und bewährt, zuerst in der glänzenden, begeisterungdurchfluteten Erhebung des August, aber nicht minder in den langen, grauen Wintermonden des Harrens und Wartens; so hat es sich erwiesen in Kampf und Sieg dort draußen, aber auch in kluger, zäher Arbeit, in unerschöpfter Bruderliebe hier drinnen. Wir machen uns nicht besser, als wir sind, wir gestehen uns freimütig ein, daß noch viele böse Flecken zu tilgen, viele zarte Keime des Guten zu entwickeln sind. Wir wissen, daß wir nicht vollkommen sind; aber unsere besten Männer setzen Hirn und Herz daran, daß wir dem Urbild deutschen Wesens näher kommen. „Vor jedem steht ein Bild des, das er werden soll; solang' er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll." Das gilt heute von unserm deutschen Volk. Heilige

89 Werdelust glüht in ungezählten deutschen Herzen.

Heilige

Werdelust! Gibt es einen höheren Beweis für gesunde Tüchtig­ keit! So glauben wir, Gott hat mit unserem Volk noch Großes vor, umso Größeres, je härter er uns prüft. Ein schlechter Mann, wer nicht den Mut hat, diese Probe zu bestehen.

Oder sollen wir erschrecken, weil Preußens großer König ge­ sagt hat, der liebe Gott sei immer mit den stärksten Bataillonen? Worin besteht denn die Stärke der Bataillone? In ihrer Kopf­ zahl und Ausrüstung? Gewiß auch darin; aber wichtiger, ent­ scheidend sind andere Dinge. „80 Kilometer in IV2 Tagen marschieren und dann 8 Stunden ununterbrochen kämpfen" — das leistet nicht die Kopfzahl und die Ausrüstung, das leisten Ausbildung und vaterländisches Pflichtgefühl. Das Entschei­ dende sind Kräfte des Geistes und Gemütes, sind die sittlichen Kräfte. Wenn das wahr ist — und die Erfahrung hat es tausend­ fach bestätigt —, dann wissen wir auch, was für eine Macht das schlichte, echte Gottvertrauen bedeutet. Es erfüllt unsere Krieger, vom Marschall bis zum Musketier, mit der wundervollen Ruhe der Seele, ohne die kein genialer Plan zu fassen und durch­

zuführen ist, ohne die kein Steuer zu leiten, kein Ziel zu treffen ist; es erfüllt sie mit dem Geist der unbedingten Aufopferung, der sichersten Bürgschaft alles Gelingens. Es ist nicht Glaubens Art, ängstlich zu rechnen und zu messen, zu tüfteln und zu deuteln; es ist seine Art, zu vertrauen,

zu wagen und zu handeln. So haben es 1813 unsere Väter in viel größerer Not gehalten. So wollen auch wir es heute halten. Wir wissen: Recht muß doch Recht bleiben, und böses Tun muß

böse enden. Wir wissen: Gott gebietet uns, gegen das Böse und für das Recht zu streiten. Wir wissen: Wir stehen in unserer Pflicht, wir gehen mit Gott. Darum trauen wir der Verheißung: Fürchte dich nicht, glaube nur!

Der wahre Gottesdienst. Röm. 12, 1 f.: Bringet eure Leiber dar als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist: das fei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellet euch nicht dieser Welt gleich, sondern ver­ wandelt euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr verstehen lernt, was Gottes Wille ist: das Gute, wohlgefällige und vollkommene.

Einst hatte der Brief des Jakobus die Christen gelehrt, der wahre Gottesdienst sei dieser, die Witwen und Waisen

besuchen in ihrer Trübsal und sich von der Welt unbefleckt halten. Für die Masse der Menschen galt bis dahin die Schlach­ tung von Opfertieren, das Anzünden von Weihrauch, das Auf­ sagen bestimmter Gebetsformeln, die Vermeidung gewisser Speisen, die Vornahme geheimnisvoller Waschungen und der­ gleichen mehr als „Gottesdienst". All dies äußere Wesen, das dicht an Zauber und Aberglauben grenzte, sollte nun abgetan werden. Liebe und Herzensreinheit der wahre Gottesdienst — das bedeutete eine ungeheure Umwälzung des frommen Den­ kens; es bedeutete seine Vergeistigung, Vertiefung, Verinner­ lichung. Dieses Jakobuswort gilt noch heute. Die Witwen und Waisen, die der Krieg macht, besuchen in ihrer Trübsal, sie trösten und aufrichten, das ist eine feine Kunst und ein Dienst, der Gott wohlgefällt. An diesem Jakobuswort hat die Mensch­

heit noch lange nicht ausgelernt. Und doch ergeht heute an uns aufs neue die Aufforde­

rung, zu prüfen, welches der vernünftige Gottesdienst sei; verwandeln und erneuern sollen wir unseren Sinn, damit

91 wir lernen, welches der wahre Gotteswille ist, worin für unsere Zeit und Lage das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene

besteht. Wir stehen heute wieder in einer Zeit der Erneuerung. Mt dem Wehen gewaltiger Frühlingswinde, mit dem Blitzen und Donnern heißer, furchtbarer Sommergewitter ist sie über uns hereingebrochen, schreMch schön, aber segenspendend, ver­ heißungsvoll. Welches ist die neue Lehre, die diese eiserne Zeit uns predigt? Sie predigt uns den innigen Zusammenhang der

zwei großen Gedanken: Gott und Vaterland. Sie predigt unö: Der Dienst am Vaterland ist euer vernünftiger Gottes­ dienst; dem Vaterland Leib und Leben zu weihen, das sind die Opfer, die Gott wohlgefallen. Martin Luther hat einst noch traumhaft unbewußt den Samen dieser Wahrheit aus­ gestreut; in den Freiheitskriegen ist sie mit schönem Früh­

lingsschuß aufgesprießt; jetzt will sie wachsen und ein Stamm werden, der seine Zweige weithin über deutsche Lande breitet. Aber ist es auch wirklich eine Gotteswahrheit, die hier wachsen will, ist es nicht ein Blendwerk unserer Leidenschaft, eine Einflüsterung des bösen Feindes? Oh, meine Freunde, nur der bange Zweifel ist vom Bösen, aber der frohe Glaube

stammt von Gott. Das alte Christentum freilich kannte diese Verbindung Gott und Vaterland nicht; es konnte sie nicht kennen; denn es bestand aus wenigen zerstreuten einzelnen und erwartete in nächster Nähe das Ende dieser Erde. Aber das Christentum ist nicht als ein starres Gesetz, als eine fertige, abgeschlossene Größe in die Welt getreten. Was fertig und un­

veränderlich ist, das ist auch tot und dem Untergang verfallen. Das Christentum aber ist als ein lebendiger, triebkräftiger Keim

in die Welt gepflanzt, ist aufgebrochen als ein Brunnen, dessen Wasser stets aus der Tiefe neu nachquellen; daher kann es auch ein Jungbrunnen für die Menschheit sein: es erneuert uns, weil es sich ständig selbst erneuert.

92 Und diese Erneuerung, die wir jetzt erleben, ist wahrlich

von Gott. Er hat uns dies Vaterland gegeben, hat uns zu Kindern dieses Volkes gemacht. Er hat uns mit deutscher Sprache ausgerüstet, mit deutschem Gemüt begabt. Er hat uns hier unsere Aufgabe gewiesen, den Platz, an dem wir schaffen und wirken sollen. Wohl ist die Menschheit größer und wertvoller als ein einzelnes Volk, und sei es das größte und edelste. Aber wir können nicht ins Blaue hinein für die Mensch­ heit wirken; wir können etwas Dauerhaftes schaffen nur auf dem Boden, auf den uns Gott gestellt, in der Beschränkung auf die natürliche Aufgabe, die er uns gewiesen. Wir können auch nicht Menschen im allgemeinen sein, sondern nur deutsche Menschen, wenn anders wir Charakter und Wert gewinnen wollen. Unser Volkstum ist die natürliche Arbeitskraft, mit der Gott uns ausgestattet hat; unser Volk die natürliche Arbeits­ stätte, an die er uns gestellt hat. Für das Gedeihen und die Ver­ edelung unseres Volkes zu wirken, ist unser gottgewiesener Beruf: wer diese Schranke eigenwillig überspringen will, ver­ fällt fruchtloser Schwärmerei.

So fordert der Gottesgedanke das Vaterland, um in ihm Leib und Form zu finden. Aber der Vaterlandsgedanke fordert auch die Gottesidee, um in ihr Zucht und Läuterung zu ge­ winnen. Die vaterländische Leidenschaft ist machtvoll aufge­ schossen. Aber wir dürfen sie nicht wild wachsen lassen, wir

sollen sie beschneiden und veredeln. Wir sollen uns nicht der „Welt" unserer Feinde gleichstellen, nicht lügen, weil sie lügen, nicht in Roheit mit ihnen wetteifern; sondern wir sollen unsern Stolz darein setzen, unser Deutschtum immer wieder zu er­ neuern nach dem Bild der besten Männer, die Gott uns ge­

schenkt hat, damit wir vollkommen werden wie sie. Dann aber sollen wir nicht zweifeln, daß der Vaterlandsdienst Mensch­ heitsdienst, daß er Gottesdienst ist.

Der Pfingstgeist als Quelle unserer Kraft. 2. Tim. 1, 7: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondem der Urast und der Liebe und der Zucht. „Pfingsten, das liebliche Fest, ist gekommen". Aber wer empfindet heute die „Lieblichkeit" des Festes, wo es in den

Weltkrieg fällt, dessen Schrecken alles übersteigen, was die Welt bisher erlebt, ja was die Einbildungskraft bisher erdacht. Und wer hat jetzt Sinn für eine Feier dieses Festes, wo wir ge­ rade in diesen Tagen eine neue, unerhörte Treulosigkeit und

damit eine Verschärfung und Verlängerung des grauenvollen, opferreichen Krieges erleben: Der Bundesgenosse, der uns seine staatliche Einheit und seine wirtschaftliche Blüte verdankte, bereitet uns den Krieg! Jetzt muß der Engel der Menschheit in Scham und Schmerz sein Angesicht verhüllen; denn der böse

Feind triumphiert. Können wir in dieser Zeit Pfingsten feiern? Wir können es allerdings nicht feiern, wenn es uns nichts

ist als ein harmloses, fröhliches Frühlingsfest, an dem wir des blauen Himmels und der warmen Sonne, der zartgrünen Birken und der bunten Blumen uns erfreuen, an dem wir sommerliche Lust genießen und üppigen Früchtesegen sorgenlos erhoffen. Diese unschuldige Sommerlust, so gewiß sie sonst Gott wohlgefällig war, wo sie mit lauterem Dank gegen den Schöpfer sich verband, in diesen Weltkrieg paßt sie nicht. Aber der alte, echte Pfingstgeist, der Geist der ersten Christen, er paßt nicht nur in unsere Kriegszeit, wir können ihn gar nicht entbehren, wir können gar nicht genug von ihm haben, können garnicht inständig genug um ihn beten; denn er ist unsere stärkste innere Rüstung, die beste Quelle unserer Kraft. Und das ist nicht verwunderlich; denn unsere Lage ist in ihrem Wesenskern überraschend ähnlich der jener ersten Christen.

In einer Welt des Hasses und der Lüge, der Verleumdung

94 und Verkennung, lebten sie wie wir. Jesus preist die Fried­ fertigen, genauer übersetzt: die Friedensstifter, selig. Ein

Hort des Friedens war unser Vaterland über vierzig Jahre, und unser Kaiser sein vornehmster Schirmherr. Einst hat man das wohl gewußt, aber jetzt soll eine Sintflut von Lügen jede Erinnerung daran hinwegschwemmen. Doch wir trösten uns des Wortes: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei übles wider euch, so sie daran lügen". In einer Welt des Hasses und

der Feindschaft lebte die alte Christenheit; aber der Pfingstgeist hielt sie aufrecht. Aus der Not ist dieser Geist geboren, aus dem Kreuz Christi, dessen Schrecknis der Glaube überwand, und in der Not ist dieser Geist gewachsen, unter Verfolgungen

und Martyrien. Es war eine Tat höchster Tapferkeit, als die kleine Jüngerschar, vom Geist getrieben, am Pfingstfest sich her­ vorwagte und die Gemeinde gründete. Aber ihr Glaube hat Recht behalten, sie haben in seiner Kraft die Welt überwunden. Dieser alte Geist des Glaubens und der Tapferkeit hat in den ersten Kriegswochen stürmischer Siege unser Vaterland erhoben und mit den Wellen einer starken Flut vorwärts ge­

tragen. Er hat uns auftecht erhalten in den langen Monaten eines zähen, erbitterten Stellungskampfes; er hat uns auch

stark gemacht gegen den arglistigen Aushungerungsplan unserer

Feinde. Da haben wir gelernt, daß Begeisterung nicht nur in stürmischem Hochgefühl sich kundtut, daß sie noch viel groß­ artiger und echter in stiller, geduldiger Kraft, in williger Opfer­ bereitschaft, in unerschütterlicher Zuversicht sich offenbart. Das ist der Geist, den wir jetzt doppelt nötig haben und den dies Pfingstfest uns erneuern soll, indem es uns zu der gött­ lichen Quelle dieses Geistes führt. „Gott hat uns nicht ge­ geben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Jucht". Das ist ein Wort wie geschrieben für uns. Seien wir ehrlich: auch den Mutigen überkommt, wenn er an die

95 große Zahl der Feinde und ihre äußeren Hilfsmittel denkt,

wohl mal eine Besorgnis über den endlichen Ausgang. Aber er schüttelt die Furcht wieder ab, denn sie lähmt die Kraft; und er darfsie abschütteln, denn er gedenkt des tapferen Kaiser­ wortes: Ein Mann mit Gott ist immer die Mehrheit. Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft. Ist das nicht ein Sprung? Wir erwarten: den Geist des Mutes und der Zuversicht. Das meint unser Wort auch,

aber es ist ihm zu selbstverständlich, um es auszusprechen, es nennt gleich die Kraft, die aus diesem Glauben entspringt. Wir aber wollen es aussprechen und betonen, daß unser christ­

licher und unser vaterländischer Geist ein Geist des Mutes und des Glaubens ist, und daher auch der Kraft. Aber an eine Bedingung sind Glaube und Kraft geknüpft: unser Geist muß ein Geist der Liebe und der Jucht sein. Ein Geist der Jucht. Unzucht, Juchtlosigkeit in jeder Form wirkt, früher oder später, auflösend und zerstörend. Mag eine Kraft noch so naturwüchsig sein, mag sie noch so sehr durch Leidenschaft erregt werden: durch Juchtlosigkeit wird sie zer­

stört, und der Glaube an sie erweist sich als ein Aberglaube. Und der Geist der Liebe. Zuerst der Liebe gegen unsere Nächsten, unsere deutschen Brüder. Diese Liebe schafft un­ mittelbar Kraft; denn sie hält unseren Volkskörper gesund. Aber auch der Liebe gegen unsere Feinde, soweit es die harte Notwendigkeit des Krieges irgend erlaubt. Diese Liebe be­

wahrt uns vor Verrohung und Juchtlosigkeit, sie erst macht uns der höchsten göttlichen Gnadenverheißung wert.

So wollen wir, unbeirrt durch unserer Gegner wilde Lei­ denschaft, Gott bitten um den Geist der Liebe und der Jucht. Dann dürfen wir ihn auch bitten um den Geist des Glaubens

und der Kraft und gewiß sein, solche Bitte ist dem Vater im Himmel angenehm und erhöret. In diesem Pfingstgeist beten wir: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet.

Verrat! Psalm 41, 10: Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot atz, tritt mich mit Füßen.

Nun ist Wirklichkeit geworden, was wir seit Wochen kommen sahen. „Ein Treubruch, dessen gleichen die Geschichte nicht kennt", so hat Österreichs edler Kaiser mit vornehmer Mäßigung

diesen Verrat genannt. Er hätte mehr sagen dürfen: ein ganz beispielloser Treubruch, dem in aller Weltgeschichte nichts auch nur von ferne ähnlich ist. Wir waren zweiunddreißig Jahre lang Freunde, verknüpft durch ein festes, feierliches Bündnis,

das noch Jahre weiterlief. schaft gesucht, er verdankte staatliche Einheit mit seiner Gewinn von dem Bündnis

Der andere hatte unsere Freund­ uns schon vor dem Bündnis seine Hauptstadt; er hatte den größten genossen: Ausbreitung an Besitz

und Ansehen, alle Vorbedingungen zu wirtschaftlicher Blüte. Und nun handelt er an uns wie ein Erpresser, der die Verlegenheit des anderen ausnützt, überfällt uns wie ein Räuber und Wege­ lagerer, nein wie eine Hyäne des Schlachtfeldes, die einem wehrlosen Verwundeten den Goldfinger abschneidet. Und wofür dieser Verrat? Winkte ihm als Lohn ein ungeheurer Preis, so schwindelnd groß, so sinnverwirrend, herzbetörend, daß er auch eine zweiunddreißigjährige Treue erschüttern konnte, und daß aus ihm der Verrat dieser alten Treue allenfalls begriffen

und nach einem bekannten Sprichwort bis zu einem gewissen Grade gar entschuldigt werden konnte? War der Lohn für den Verrat so unermeßlich, wären die Opfer der Treue so schwer ge­ wesen, daß man sagen könnte: es ging über die Kraft, hier die Treue zu halten; daß man gestehen mußte: sie haben in mensch-

97 licher Schwäche menschlich gefehlt? Wir wissen natürlich nicht, was die Verführer dem Verführten verheißen haben. Aber das wissen wir: die Bewahrung der Treue sollte nicht Opfer auferlegen, sondern reichen Gewinn bringen; und da wir die Selbstsucht der Verführer genau kennen, so wissen wir auch: viel mehr als die Treue kann der Verrat auch nicht einbringen.

Um dreißig Silberlinge hat Judas seinen Herrn verraten. Der neueste Judaslohn kann nicht viel höher sein — wenn er nicht

schließlich auch diesem verführten Verräter zum Stricke wird. Wenn aber ein so elender Lohn genügt, die Treue abzukaufen, wie gering muß diese Treue dann gewesen sein! Das ist der tiefste Grund, weshalb wir sagten: es gibt nichts in der Welt­ geschichte, das diesem Treubruch nur von ferne ähnlich wäre. Und als wollte der Verräter zeigen, daß er die Sünde gegen den Heiligen Geist begeht, wählt er den Pfingsttag sich zur Kriegs­ erklärung ! Als der Verrat vor Monaten in unbestimmten Umrissen zuerst in unseren Umkreis trat, wollten, nein konnten wir nicht an ihn glauben; er erschien uns zu kurzsichtig und ver­ blendet, zu niedrig und gemein. Als er dann in den letzten

Wochen in seiner nackten Häßlichkeit aufstand und sich uns immer schamloser enthüllte, ergriff uns Empörung, ingrimmiger Zorn. Da hat mancher wohl in seinem Herzen das gewaltige Iorngedicht des größten Sängers der Freiheitskriege nachgesprochen: „Zu den Waffen, zu den Waffen, was die Hände blindlings raffen!" und ist auch nicht zurückgeschreckt vor der grausigen Aufforderung: „Schlagt sie tot, daö Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht!"

Und heute, welches sind heute unsere Stimmungen und Gefühle? Mt einer merkwürdigen, gelassenen Ruhe hat man,

wie es scheint, die Kriegserklärung des falschen Freundes hin­ genommen. Aber diese Ruhe war nicht Bedrücktheit oder schlaffer Verzicht, sondern im Gegenteil angespannte Zuversicht. Schuster: Gott und Vaterland.

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98 Nicht Leichtsinn freilich, wahrlich nicht, wir wissen: es wird

neue härteste Anstrengungen und schwerste Opfer kosten, es verlängert den Kampf und schiebt den Frieden wieder weit hinaus. Aber wir sind entschlossen und zuversichtlich; denn wir sind gerüstet auch auf diesen Gegner; wir wissen nun, woran

wir sind, und werden ohne Zaudern unsere Pflicht tun. Und wie sind wir innerlich, wie sind wir seelisch gerüstet? Wie mir scheint, lebt jetzt in vielen deutschen Herzen statt des lodernden Zornes vielmehr Ekel und Verachtung. Gegen

Kröten und Ottern gibt es nicht Zorn, sondern nur Ekel. Jede starke Erregung der Seele ist unwürdige Verschwendung. Be­ greiflich ist diese Stimmung vollkommen, aber wir suchen doch nach einer besseren und stärkeren seelischen Rüstung. Und wir kennen und haben eine bessere. Waren wir bisher schon trotz allem beschämenden Gefühl unseres weiten Abstandes von dem hehren Bilde echt deutschen Wesens, trotz aller Demut vor dem Angesicht des Heiligen, doch von dem guten Recht unserer Sache felsenfest überzeugt: jetzt ist diese Überzeugung noch trotziger, noch fröhlicher geworden. Wir möchten ungeachtet aller Not und Gefahr, ungeachtet aller kommenden blutigen Opfer, fast aufjubeln vor Dank, weil Gott uns eine heilige und reine Sache gegeben hat. Und so sprechen wir: wir wollen lieber für eine reine Sache leiden und untergehen, als für eine schlechte Sache die Schätze der Welt gewinnen. Aber wir ver­ trauen auf den Gerechten, der uns wohl leiden, aber nicht unter­ gehen läßt. Zehntausende mögen sterben, aber unsere Sache muß siegen; denn von dem Gegner heißt es: er ist gerichtet. Wann dies geschehen wird, wissen wir nicht; aber geschehen wird es: „Gottes Mühlen langsam mahlen, aber trefflich fein;

was mit Langmut er sich säumet, holt mit Schärf' er wieder ein!" Wenn unsere Gedanken so hoch gestiegen sind, sollen sie noch einen Schritt höher steigen,freilich einen großen und ent-

99 scheidenden Schritt.

Der alttestamentliche Sänger, der über

den Verrat seines falschen Freundes klagt, beschließt die Klage mit dem Wunsch, Gott möge ihm helfen, dem Verräter heim­

zuzahlen. Des Psalmisten Klage: „Der mein Brot ißt, tritt mich mit Füßen" erhebt der Evangelist Johannes auch gegen den Verräter Jesu. Aber Jesus lehrt uns, daß eö noch etwas Größeres gibt als Gerechtigkeit und Vergeltung, das ist Ver­ gebung und Liebe. Vielleicht geht es jetzt wirklich über die

Kraft,, solche Gesinnung von uns zu verlangen, trotzdem sich im gutmütigen deutschen Herzen oft etwas wie Mitleid mit den armen, von gewissenlosen Hetzern verblendeten oder gar wider­ willig mitgeschleppten Opfern im friedlichen Volke regen will. Aber Heuchelei soll unserm Herzen fern bleiben. In wessen Herzen noch kein Mitleid keimt, der soll auch nicht für seine

Feinde beten; denn nur die Aufrichtigkeit hat von Gott die Verheißung des Gelingens. Aber eins fordert von uns unsere Würde und Selbstachtung: daß nicht blinder Haß, tierische Wut unsere Herzen fülle, sondern edler, gehaltener Zorn. Sind wir überzeugt, im Recht zu sein, dann sind wir auch die seelisch

Starken und müssen die Stärke in würdiger, stolzer Ruhe bewähren. Dann wird auch der Tag kommen, wo Christi höchstes Gebot in uns eine wahre Gestalt gewinnt, dann ist

unsere Sache ganz rein und des Sieges wert.

Gott, Freiheit, Vaterland. Gal. 5,13: Ihr seid zur Freiheit berufen. Iah. 8, 32: Die Wahrheit wird euch frei machen. Diese Sonntage sind nach Trinitatis genannt, nach der altkirchlichen Dreiheit: Vater, Sohn und Geist. Ist es unehr­ erbietig, wenn wir heute mal von einer anderen Dreiheit reden? Es ist der Dreiklang: Gott, Freiheit, Vaterland. Dies Dreigestirn leuchtete in den Freiheitskriegen der akademischen

Jugend voran. Es soll in dieser Zeit auch unsere Leuchte sein. Von Gott und Vaterland haben wir schon geredet, aber diese beiden hohen Gedanken gewinnen einen neuen Schein, wenn wir das Licht der Freiheit in ihre Mitte stellen? Freiheit ist wie die Gesundheit.

Wir genießen sie ge­

dankenlos, wenn wir sie besitzen, und schätzen sie erst, wenn wir sie entbehren müssen. Schmerzlich entbehren wir heute die Freiheit der Meere. Wir sind abgeschnitten vom Aus­

tausch der überseeischen Waren, vom Verkehr mit unseren aus­ wärtigen Landsleuten und Freunden, vom Nachrichtendienst der anderen Erdteile. Wir sind deshalb abgeschnitten von der Wahrheit, oder vielmehr die Wahrheit ist abgeschnitten von uns: wir können ihr nicht zu Hilfe kommen, können es nicht hindern, daß eine Sintflut der giftigsten Lüge und Verleumdung die Erde überschwemmt. Freiheit der Meere! Sollte Gott uns berufen haben, dieses große Gut der Menschheit zu erstreiten? Jedenfalls hat er uns berufen, für die Freiheit unserer Heimaterde zu fechten. Es ist nicht auszudenken, welches Elend uns der Verlust der Freiheit bringen würde. Knebelung unserer Volkswirtschaft, tiefe Verarmung wären noch die geringsten Übel.

Armut wollten wir gern tragen, wenn wir nur frei uns bewegen, frei atmen, frei denken dürften. Aber es handelt sich um unsere

101 Eigenart, um alle Güter deutschen Geistes, um unsere Ehre

und Würde. Alle diese Gottesgaben gedeihen nur in der Frei­ heit. Darum hören wir tief in der Brust die mahnende Gottes­ stimme: Ihr seid zur Freiheit berufen.

Aber bedenken wir wohl: es geht um die Freiheit des Vaterlandes, nicht um unsere persönliche Freiheit. Es geht um die Freiheit der großen, heiligen Gemeinschaft, die uns alle trägt, die uns allen Wesen und Wert verleiht; nicht um unser kleines, armes Ich. Im Gegenteil. Wir sollen jetzt auf manche kleine „Freiheiten" verzichten, sollen unsere Launen und Be­ quemlichkeiten, Hab und Gut, Zeit und Kraft, Leib und Blut dem Vaterlande hingeben, seiner Freiheit opfern. Wer von uns hätte vor Jahresfrist geträumt, daß der Staat uns heute vorschreiben würde, was und wieviel wir essen sollen. Aber ist das eine Einbuße an Freiheit? Doch nur für denjenigen, der nicht weiß, was Freiheit ist. Haben nicht alle echten Vater­ landsfreunde diese feste Regelung unseres wirtschaftlichen Lebens dringend gewünscht? Bewähren sie nicht ihre Freiheit

darin, daß sie sich freudig allen Anordnungen unterwerfen? Tun die Besten unter ihnen nicht freiwillig mehr, manche viel mehr, als gefordert wird,weil sie wissen, es ist nötig für des Vaterlandes Freiheit, für die Freiheit, auf die jetzt alles ankommt? Steht es nicht ebenso mit der höchsten und letzten Leistung, die das Vaterland von uns fordert, dem Dienst mit der Waffe? Ganz gewiß, er ist Pflicht und Zwang, nicht Sache

unseres Beliebens und unserer Freiwilligkeit. Und doch ist er höchste Freiheit. Ich denke nicht nur an die Hunderttausende der Kriegsfreiwilligen: bei ihnen ist die Freiheit ja mit Händen zu greifen. Aber sie ist nicht geringer bei den Millionen, die der zwingenden Pflicht folgten, wofern sie ihr nur willig und

freudig folgten. Und wissen wir nicht, daß die allermeisten so gesinnt sind: ihre Seele haben sie in ihren Dienst gelegt, so ist ihre Pflicht zum höchsten Erweis ihrer Freiheit geworden.

102 So haben denn auch ihre Leistungen bewiesen, daß sie die

göttliche Stimme verstanden: Jur Freiheit seid ihr berufen. Wahrlich ein göttlicher Beruf ist es, der uns zur Freiheit ruft. Denn im Lichte der Heiligkeit Gottes gewinnen wir das tiefste Verständnis der Freiheit, das Verständnis, das unS be­ fähigt, unsere Willkür aufzuopfern für des Vaterlandes Freiheit, und auch für das Vaterland die Freiheit zu erstreben, die dieses hohen Namens wirklich würdig ist. Wie vieldeutig ist doch die Freiheit; gibt es ein Wort, das schlimmer mißverstanden und mißdeutet wird? Das allermeiste von dem, was als Freiheit

ausgegeben und gepriesen wird, kann vor den Augen der höchsten Wahrheit nicht bestehen; denn es ist nicht Freiheit, sondern ihr Jerrbild: Willkür und Juchtlosigkeit. Wo der Pöbel tobt und wo man sich an Phrasen berauscht, da geht die Freiheit unter, auch wenn man sie immerfort im Munde führt. Gott aber sei Dank, der unserem Volke Männer gegeben hat, die auf den Spuren Jesu, des freiesten Mannes, den die Erde trug,

uns das tiefste Wesen der Freiheit erschlossen haben: Freiheit als Willigkeit und Freudigkeit, unserer Pflicht gehorsam zu sein, gehorsam bis in den Tod. Wer mit seiner Pflicht eins geworden ist, so daß er kein höheres Glück kennt, als seine Pflicht zu tun, unbekümmert um Lohn und um Erfolg, der ist wahrhaft frei, die Wahrheit hat ihn frei gemacht.

Wollen wir nicht Gott danken, daß er uns die heilige Not gesandt hat, zu solcher Freiheit uns zu erziehen? Und wollen wir nicht alle geloben, wenn erst unsere Waffen unserem Vater­ land die erste und nötigste Freiheit, die vom Druck äußerer Feinde, erstritten haben, dann mit allen unseren Kräften da­ für zu wirken, daß auch die höchste und feinste Freiheit in un­ serem Vaterlande wachse und blühe, und aller Menschheit ihre Früchte schenke? Ja, wir wollen dankend bekennen: zur Freiheit sind wir berufen; und wollen bittend geloben: die Wahrheit soll uns frei machen.

Dom rechten Beten. Psalm 62, 9: hoffet auf Gott allezeit, lieben Leute, schüttet euer hey vor ihm aus; er ist unsere Zuversicht.

Der Krieg ist die große Probe für unsere Frömmigkeit,

er ist vor allem die große Probe für unser Beten. Ohne Gebet keine bewußte, lebendige Frömmigkeit. Im Gebet erreicht der Glaube seine größte Tiefe, den unversieglichen Quellort seiner Kraft und Erquickung; im Gebet erreicht er seine seligste Höhe, den Berg der Verklarung, der den Himmel berührt.

Aber hat dies Beten Sinn? Viele sagen uns, das Gebet sei nichts als eine Selbsttäuschung, vielleicht eine harmlose und angenehme, aber doch eben eine Selbsttäuschung. Eine solche Täuschung kann echter, tapferer Glaube nicht ertragen; er will Wahrheit und keine Lüge, sei sie noch so lieblich und ein­

schmeichelnd. Er will nicht Rauschtrank, sondern Kriegsbrot, nicht den Schein der Kraft, sondern ihr wirkliches Wesen. Echter Glaube ist immer tapfer und aufrichtig, er sieht jeder Wahrheit gerade ins Gesicht; er fürchtet sich deshalb auch vor keinem der Gründe, mit denen man uns das Gebet verleiden will.

Man sagt uns, das Gebet sei sinnlos; denn die kämpfenden

Parteien beteten ja beide zu demselben Gott, und Ein Gebet könne er doch nur erhören. Selbstverständlich. Es hat aber auch nie ein ernsthafter Christ behauptet, Gott müsse jedes Gebet erhören; dann wäre ja der Beter ein allmächtiger Zauberer und Gott sein gehorsamer Knecht. Eine solche Anschauung, die den allmächtigen Gott zu unserem willenlosen Werkzeug macht, ist roher Aberglaube und das gerade Widerspiel von echter

104 Frömmigkeit. Es kann sich nur um die Frage handeln, ob Gott rechte Gebete erhört. Welches aber sind rechte Gebete?

„Wir bitten nicht für unsere Lieben draußen im Felde; wenn's nötig ist, so sei ihr Leben dahingegeben; aber für unser

Deutschland bitten, wir, für seine Rettung, für seine Freiheit, für seinen Sieg." So hat am Anfang des Krieges ein tapferer

und frommer Mann Tausenden vorgebetet. Und er hat recht gebetet. Es gibt eine Art zu beten, für das eigene Leben und das der nächsten Angehörigen, die im Grunde selbstsüch­ tig und unfromm ist. Wir wissen ja ganz genau, daß es im Krieg nicht ohne Sterben, in diesem Krieg nicht ohne un­ geheures Sterben abgeht. Wollen wir da Gott mit unseren Gebeten unser und der Unseren Leben abtrotzen? Das hieße doch, Gott nötigen, er solle andere für uns leiden und bluten lassen. Ein solches Gebet wäre doch gegen die beiden höch­ sten Grundsätze aller Frömmigkeit, gegen die Demut, die wir Gott, gegen die Liebe, die wir dem Nächsten schulden; ein sol­

ches Gebet wäre also lieblos und gottlos. Aber für unsere große Sache, für den Sieg unserer Waffen, für das Gedeihen unserer Ernte und damit für die Errettung

unseres Vaterlandes dürfen wir doch bitten?

Ganz gewiß,

aber wir sollen uns nicht vermessen, Gott vorzuschreiben, wann und wie er helfen soll. Als wir im vorigen September

den Rückzug in Frankreich erlebten, da sind gewiß unendlich viele deutsche Beter enttäuscht worden; denn es kam anders, als sie gehofft und gefleht hatten. Aber es hat tapfere, auf die

höchsten sittlichen Güter gerichtete Frömmigkeit auch bald ge­ wagt, Gott für diese Enttäuschung zu danken. Wir Deutschen können es schwer ertragen, wenn es uns zu gut geht. Die üblen

Wirkungen der großen und raschen Erfolge des Jahres 70 traten ernstgesinnten Vaterlandsfreunden warnend ins Gedächtnis. Wer sein Volk liebte, konnte ihre Wiederholung nicht wünschen.

Das war nicht die kümmerliche Weisheit derer, die aus jeder

105 Not eine Tugend machen, das war die echte Weisheit derer, die ihresVolkesSeele, seine gcistigenGüter über alles lieben. Also sollen wir Gott um gar nichts Bestimmtes bitten,

nicht einmal um Sieg und Ernte? Beinah ist dieser Verzicht rich­

tig, und er ist nicht unfromm. Ist es nicht vielmehr unfromm, wenn wir kurzsichtigen Menschen, deren Urteil durch Eigen­ wünsche und Leidenschaften getrübt wird, Gott vorschreiben wollen, was er tun soll?

Ist nicht der Gedanke, wir sollten

mit unseren Gebeten Gott bewegen, etwas zu tun, was er sonst nicht getan hätte, ein widersinniger und vermessener Ge­ danke? Fehlt es Gott denn an Weisheit, daß er unserer Be­ lehrung bedürfte, oder an Güte, daß wir ihn erst erweichen

müßten? Das war die Meinung der Heiden, wenn sie ihre

Gebete zu schier unendlicher Länge ausdehnten und mit gehäuften Opfern verstärkten. Aber Jesus hat uns verboten, zu plappern wie die Heiden; denn „euer himmlischer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr ihn bittet". Also sind alle Gebete, wenigstens alle Bittgebete, über­ flüssig und abzustellen? Dagegen wehrt sich das fromme Ge­ fühl mit allen Kräften; wer uns das Beten verwehrt, will uns ersticken, das Beten ist uns Lebensbedürfnis wie das Atmen. Und nicht bloß das Dankgebet, sondern vor allem das Bitt­ gebet. Wenn wir in Not und Sorgen sind, so müssen wir unser Herz ausschütten vor Gott; wir müssen gewiß sein, daß wir

nicht ins Leere rufen, sondern daß ein Vaterohr uns hört. Wenn wir das nicht glauben dürften, so würden wir vergehen in unserer Qual. Stecken wir dann nicht in einem unlösbaren Zwiespalt zwischen Beten-müssen und Nicht-beten-dürfen? Nicht doch, wir stehen dicht vor der Lösung. Worauf alles ankommt, ist der starke Glaube, der Gott unbedingt vertraut, weil er die Macht, die Weisheit und die Güte selber ist. In diesem Glauben liegt die Kraft, zu tragen, was Gott uns auflädt, und zu tun.

106 was er befiehlt. Nicht wahr, darin besteht doch in Wirklichkeit

die Frömmigkeit, daß wir geduldig tragen und tapfer tun, was Gott für uns bestimmt. Darin besteht sie im Frieden, in nichts

anderem besteht sie auch jetzt im Kriege. Aber zu diesem Leiden und zu diesem Handeln gehört Glaube, starker, lebendiger Glaube, und dieser Glaube lernt sich nur im Gebet. Alle echten und rechten Gebete sind daher, so mannigfach ihre Gegen­ stände auch sein mögen, im Grunde nichts als Gebete um den

Glauben. So notwendig uns der Glaube ist, so notwendig auch

das Beten. Daher hat Jesus seine Jünger ermutigt: „Bittet, so wird euch gegeben", und der Apostel mahnt: „Betet ohne Unterlaß"; nur daß wir nicht die Bitte vergessen: „Dein Wille geschehe". Und nun hören wir die Aufforderung des Psalmisten: „Schüttet euer Herz aus vor ihm", und wir sind dankbar für

diese Weisung; denn wir wissen, daß wir es anders nicht aus­ halten können. Und so schütten wir unser ganzes Herz aus vor

ihm, mit allen seinen Wünschen, Sorgen und Nöten; wir be­ halten nichts zurück, nichts, was uns selbst und unsere Liebsten angeht, auch nicht kleine und vergängliche Dinge. Wir schütten unser ganzes Herz heraus; denn wir wissen, unser Gott ist ein Gott der Güte und der Geduld. Nur daß wir nicht eher auf­ hören mit Beten, als bis wir Jesu Gebet gelernt haben: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst". Und wenn wir dies höchste Gebet nicht heute und nicht morgen lernen, wir wollen nicht aufhören, bis wir es gelernt haben. Beten ist eine feine Kunst und will geübt sein bis an unser Lebensende. Darum lassen wir es uns immer wieder sagen: „Hoffet auf Gott allezeit,

lieben Leute, schüttet euer Herz vor ihm aus; er ist unsere Zu­ versicht".

Der Glaube und das Wetter. Matth. 5, 45: Er lägt seine Sonne aufgehen über die Böfen und über die Guten, und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.

Der Glaube und das Wetter, das Innerlichste und das Äußerlichste, was haben die miteinander zu tun? So hätte sonst wohl mancher gesagt, so wird heute wohl kaum einer denken. Wir leiden seit Wochen unter einer ganz ungewöhn­ lichen Trockenheit. Unsere Felder und Wiesen und Gärten dürsten und lechzen nach Regen. Wir Menschen empfinden dies Verlangen beinahe körperlich mit. Es ist uns, als wären auch wir selber ein Stück der dürstenden Natur, als lechzten alle trockenen Poren unserer Haut verschmachtend nach Regen. Von einem Tag zum andern, nun schon von einer Woche zur andern haben wir auf Regen gehofft und geharrt und sind immer wieder enttäuscht. Der Himmel ist wie ehern

über uns, und wenn er sich einmal mit Wolken überzog, so war es nur wie zum Spott. Wir aber verwünschten in unserem Herzen das „schöne Wetter", wir mochten die Sonne nicht mehr

sehen; ihr goldener Schein tut unseren Augen weh und ver­ wundet uns bis ins Herz. Wir wissen es ja alle, unsere Fluren bedürfen des Regens; vom Regen hängt unsere Ernte ab, und von der Ernte unseres Volkes Bestand. So haben das Wetter und der Glaube sich viel zu sagen, hängen ganz eng zusammen. Wenn wir in den Tagen des alten Heidentums lebten, wir würden die Regenmacher und Beschwörer zusammenrufen, daß sie mit ihrer Zauberkunst uns Regen schafften. Wir würden gehäufte Opfer bringen, unsere teuersten Kostbarkeiten, würden gar Menschenleben nicht

108 verschonen, um die rätselhaften Launen der Gottheit zu er­

weichen und ihre Gunst zu gewinnen. — Lebten wir noch im Geist des Alten Testaments, das in seinem Gott eine mechanische Gerechtigkeit verkörpert glaubte und allezeit pünktliche, äußer­ liche Belohnungen der Guten und Bestrafungen der Bösen von ihm erwartete, wir würden die anhaltende Dürre für einen

Beweis des göttlichen Zornes ansehen, würden fürchten, Gott habe sich von uns und unserer Sache abgewandt. Wir würden meinen, Gott habe damit unsere Sache als ungerecht verurteilt, würden selbst an ihr verzweifeln; im besten Falle würden wir

versuchen, durch Buße und Selbstdemütigungen Gottes Gericht von uns abzuwenden. Aber unser Gott ist nicht der Heiden Gott, er ist nicht

Willkür und nicht Laune; man kann ihn nicht begütigen und

bestechen. Er ist auch nicht die tote, mechanische Gerechtig­ keit, die mit äußerlichen Mitteln lohnt und straft. Diese enge, kleinliche Auffassung, die zu lieblosem Splitterrichten führt, weil sie alle Nothaften und Leidtragenden zu gerichteten Böse­ wichtern stempelt, hat Jesus immer wieder aufs schärfste ab­ gewiesen. Sein Gott ist groß und frei; er läßt seine Sonne auf­ gehen über die Bösen und über die Guten, er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Und wenn er uns den ersehnten Regen vorenthält, so sollen wir uns unsere Not nicht noch selbst vermehren durch den düsteren Wahn, wir ständen unter Gottes Zorn, wir seien böse und unsere Sache ungerecht. Aber hat Jesus uns nicht mehr zu sagen, als daß er uns von falschem Wahn befreit, läßt er uns in unserer Not ohne eine

erlösende Antwort? Nicht doch! Jesu Spruch über die Aus­ teilung von Sonne und Regen ist nicht so gemeint, daß Gott wahllos und gedankenlos seine Gaben ausschütte. Jesus will vielmehr Gottes unendliche Güte damit malen, wenn er ihn

auch über die Bösen und Ungerechten Sonnenschein und Regen verschwenden läßt. Uns aber, die wir zweifeln wollen an Gottes

109 Fürsorge, würde er sagen: wenn Gottes Großmut sogar die

Bösen nicht leer ausgehen läßt, sollte er euch nicht erst recht ver­ sorgen, oh, ihr Kleingläubigen! Es wäre wirklich Kleinglaube, wenn wir jetzt verzagen wollten. Haben wir uns nicht oft gesagt, dieser ganze Krieg sei eine große Glaubensprobe, und haben uns vorgenommen, diese Probe würdig zu bestehen? Dann sollen wir auch diese große Trockenheit als nichts anderes betrachten denn als eine große Glaubensprobe und an nichts anderes denken, als wie wir sie tapfer überwinden. Wir wollen doch die „heilige Not", die uns läutert und stählt, die uns zu Männern macht, nicht

nur in unseren Liedern feiern, wir wollen ihr doch mit tapferer Tat den Segen wirklich abgewinnen. In guten Tagen Glauben halten, ist keine Kunst; aber in bösen Tagen fest zu bleiben, das ist eine stolze Aufgabe. Wird der Tapfere nicht sagen: Gott muß mir viel zutrauen. Großes mit mir vorhaben, wenn er mir so schwere Proben auferlegt; ich muß mich seiner würdig zeigen. Wir wollen aber auch an den alten Spruch gedenken: „Gottes Rat ist wunderbar und führet es herrlich hinaus". Diese Wahrheit hat unser Volk sowohl in früheren Zeiten als auch im gegenwärtigen Krieg schon mehr als einmal erfahren. Solche Erinnerung soll uns den Glauben stärken. Dieser Glaube aber hat seinen unmittelbaren Wert. Er ist die stärkste Quelle für Kraft und Zuversicht, hilft uns, der Not klug entgegen­ zuwirken und ihre schlimmsten Folgen abzuwehren. So wollen wir im Gebet unsere Sorgen und Befürch­ tungen vor Gott ausschütten, um unser Herz zu erleichtern; aber mit diesem erleichterten Herzen auch schaffen, was in unseren Kräften steht, in der starken Gewißheit: Größer als der Helfer ist die Not ja nicht.

Unserm Brudervolk! Psalm 24, 7: Erhebt eure Häupter, ihr Tore, Erhöht euch, ihr uralten Pforten! Denn der König der Ehren zieht ein.

Abends spät noch Glockengeläut von allen Türmen unse­

rer Stadt, wehende Fahnen, freudig bewegte Menschen; einer ruft es dem andern zu: Lemberg ist gefallen!

Da ist uns

heiße Freude ins Herz gestiegen, und unsere Lippen wieder­

holten leise den alten Jubelgesang:

„Erhebt eure Häupter, ihr Tore, Erhöht euch, ihr uralten Pforten! Denn der König der Ehren zieht ein." Ja, wir wollen danken und jubeln; denn eine große,

schöne Stadt, ein alter Königssitz, die Hauptstadt einer reichen Provinz, ist unsern Freunden wiedergewonnen.

Sie hat die

Tore geöffnet und die Pforten aufgetan, um ihren rechtmä­ ßigen Herrn zu empfangen; mit dem Kranze der Ehren ge­ schmückt, sind die Sieger in ihr Eigentum eingezogen. Der Mann aus Jerusalem, der zuerst in überquellender Freude diesen Jubelgesang anstimmte, hat mit dem König

der Ehren seinen Gott gefeiert. Wer ist der König der Ehren? Er ist der Herr, stark und mächtig, Der Herr, mächtig im Streit. Er ist der Herr Zebaoth; Er ist der König der Ehren.

Mit der heiligen Lade, dem Thronsitz des großen Gottes, ist Israels Heer in den Krieg gezogen.

Nun kehrt es siegreich

heim, die Lade wird in feierlichem Aufzug in den Tempel

111 gebracht. Der ewige König hält seinen Einzug. Da müssen die alten Tempeltore sich recken und erhöhen, um den maje­ stätischen König, den Herrn Zebaoth, würdig zu empfangen. Es ist wahrlich nicht unfromme Anmaßung, wenn wir dies alte gottesdienstliche Jubellied auf unsere österreichischen Waffenbrüder anwenden. Wir tragen ja alle den festen

Glauben im Herzen, daß dieser Krieg, den wir zusammen ausfechten, ein heiliger Krieg ist, weil wir ihn für eine reine

und gerechte Sache führen, weil wir ihn mit gutem Gewissen, nach dem Willen und unter dem Segen Gottes führen. Dieser Glaube ist am Anfang des Krieges mit uns aufgestanden; er ist durch keine Wechselfälle und Opfer, durch keine Lügen und Listen auch nur aufs leiseste erschüttert. Im Gegenteil, er ist immer stärker und zäher geworden: Je mehr wir Heim­ tücke und Grausamkeit, Verkennung und Verleumdung und

schließlich schmählichsten Verrat erleben mußten, um so trotziger und sicherer und freudiger ist dieser Glaube in die Höhe ge­ wachsen. „Gott mit uns!" das steht nicht nur auf dem Waffenkleide unserer Krieger, das lebt in allen treuen Herzen

in den beiden Brudervölkern. Deshalb sprechen wir es mit demütiger Zuversicht aus: Mit den Regimentern unserer Waffenbrüder ist die Gerechtigkeit, ist der heilige Gott selber in die Tore der befreiten Stadt eingezogen. Das alte Israel erlebte Gottes Einzug in seinen Tempel mit dem Einzug der alten heiligen Lade. Der Glaube, den Jesus uns geschenkt hat, bedarf solcher sichtbaren, sinnlichen Unterpfänder nicht mehr. Ihm ist das gute Gewissen Bürgschaft genug für Gottes hilfreiche Nähe. Die befreite Stadt ist nicht unsere Stadt, und ihre Be­ freier nicht unsere Truppen; und doch haben wir alle uns aus ganzer Seele mitgefreut. Unser Bruderstaat gleicht dem Bräutigam, der die Braut gewonnen hat; unsere Freude aber ist die selbstlose Freude des Freundes, der sich am Glück

112 des Bräutigams freut.

Aber diese Freude ist stark und innig,

fast dürfte ich sagen: Wir haben uns gerade über das Glück unserer Brüder im Südosten doppelt gefreut; wir gönnen

es ihnen von ganzem Herzen. Wir gönnen ihnen diesen Erfolg von ganzem Herzen; denn ihre Not war größer als unsere, sie haben noch mehr gelitten als wir; und sie haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, von denen wir uns kaum eine rechte Vor­ stellung machen. So Großes sie ferner auch geleistet hatten,

sie waren doch bisher nicht so reich mit Siegen gesegnet wie unsere Truppen. Für sie bedeutet deshalb dieser Sieg etwas ungeheuer Großes: Er ist ihnen eine Fahne, um die ihre

Völker sich sammeln, eine Verheißung auf endgültigen Sieg, ein Adventsgesang, dem einst das Fest der frohen Erfüllung folgen soll. Darum, ihr Brüder von der Donau, wir freuen uns mit eurer Freude! Lemberg ist ein österreichischer Sieg, doch nicht ohne deutsche Hilfe. So ist uns diese Stadt ein Sinnbild treuer Waffenbrüderschaft. Deutsche und österreichisch-ungarische

Krieger haben im Schnee der Karpathen monatelang gemein­ sam Unsagbares erduldet im Kampf mit feindlicher Übermacht und im noch härteren Kampf mit verschneiten Bergen und eisigen Stürmen. Sie haben gemeinsam im Frühling den ehernen Wall der Gegner zerbrochen, sind gemeinsam unter sengender Sommersonne durch den galizischen Staub marschiert,

haben gemeinsam Stellung auf Stellung erstürmt, haben gemeinsam gehungert, gedürstet und geblutet. Sie haben nun gemeinsam den Kranz der Ehren erworben. Gott segne diese kampferprobte Blutsbrüderschaft! Er segne sie Kindern und Enkeln und fernen Geschlechtern!

Gemeingefühl. 1. Kot. 12, 26: Wenn ein Glied lei­ det, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.

Was für ein heißes, leicht erregtes Herz trug doch der große

Heidenmissionar in seiner Brust! Seinen Korinthern schreibt er einmal: „Wer leidet Ärgernis, und ich brenne nicht!" Es kann keine Not, keine Schmach in irgendeiner seiner vielen Ge­

meinden geben, die er nicht brennend heiß mit empfände. Er leidet mit ihnen allen. An dieses Wort des Apostels und sein schmerzliches Mit­

leiden haben wir in dieser Zeit oft denken müssen. Wir sind ja jetzt in gleicher Lage. Je inniger wir unser Vaterland lieben, je höher uns der Gedanke der Menschlichkeit und Menschen­ würde steht, um so schmerzlicher leiden wir mit unter den un­

sagbaren Schicksalen dieses Krieges. Wir denken zuerst an die unendlichen Ströme von Blut, die auf den Schlachtfeldern flie­ ßen, an die ungezählten, ach, so jungen Leben, die in dem Lenz ihrer Hoffnungen ausgelöscht sind. Wenn es auch fremde, unbe­ kannt e Namen sind, die wir täglich unter dem Kreuzeszeichen

lesen, es sind doch unsere deutschen Brüder, und von unseren deutschen Schwestern werden sie beweint. Schwer lastet auf un­ serer Brust das Schicksal der vom Krieg zerstörten Provinzen: zer­ stampfte Felder, zerstörte Städte, geplünderte Häuser, Brand, Mord, Mißhandlung, Hunger und Seuchen, die Bewohner

verschleppt, die Familien zerrissen,—ein Jammer, der alle Worte übersteigt. Und doch ist es noch nicht das Schlimmste. Zu uns kommen bisweilen Briefe aus dem dunklen Erdteil. Was sie berichten über die Leiden unserer Volksgenossen, auferlegt Schuster: Gott und Vaterland.

8

114 durch tierische Schwarze und vertierte Weiße, das spottet aller Begriffe. Es erscheint uns wie ein böser Traum, wie ein dämonischer Spuk. Doch es ist grause Wirklichkeit, nicht aus der Welt zu schaffen. Aber wir sind noch nicht am Ende unserer Aufzählung. Wir leiden nicht nur all das Übel mit, das unsere armen Volksgenossen — aber auch die Angehörigen fremder Völker — in aller Welt erdulden, wir leiden fast noch mehr unter all der Bosheit, die die Menschen hundertfältig, tausendfach immer neu ersinnen. Die Heimtücke des Franktireurkriegs, die rohe

Mßhandlung der Verwundeten, die sinn- und zwecklosen Zer­ störungen friedlicher Heimstätten, die viehischen Grausamkeiten gegen unschuldige bürgerliche Bevölkerung, die frechen, scham­ losen Lügen und Verleumdungen, die Heuchelei, die für den Frieden betet und Mordwerkzeuge für den Krieg liefert, der

gemeine Verrat, der seine schimpfliche Blöße mit leeren Redens­ arten verdeckt — es würgt uns oft wie körperlicher Ekel. Und doch gibt es etwas, unter dem wir noch schmerzlicher leiden, etwas, das brennt wie der entehrende Peitschenschlag auf der eigenen Haut. DaS ist die Ehrlosigkeit falscher Volksgenossen, die unseren deutschen Namen schänden. Wir haben sie draußen, Leute, die sich überstürzen, ihr Deutschtum abzuschwören und in Verdächtigung ihrer Heimat mit den Fremden zu wett­ eifern. Wir haben sie auch drinnen, das Heer der Trägen und Genußsüchtigen, die sich in ihrer Behaglichkeit, in ihrem niedrigen Vergnügen durch nichts stören lassen; die Gesellschaft der Aus­ beuter, die ihrer Brüder Not bewuchern. „Wer gibt Ärgernis, und ich brenne nicht!"

Wen dies nicht ärgert, wen dies nicht

brennt, der wäre ja selbst ein Schelm! Aber ist eö nötig, daß wir unsere Seelen martern mit den Bildern aller dieser Schrecknisse? Ganz gewiß, unsere Kranken und Schwachen, unsere Kinder vor allem sollen wir schonen, ihren Seelen keine Lasten auflegen, die sie nicht tragen können.

115 Auch uns anderen, den Gesunden, liegt oft die Versuchung nahe, unsere Augen zu verschließen vor all den Leiden und Bosheiten da draußen. Wir möchten uns in unser friedliches Heim zurückziehen und mit nützlicher Arbeit, mit einem guten Buch, mit einem frohen Zeitvertreib unser Gemüt gegen die

Aber dürfen wir das tun? Sieleiden dort draußen all das Furchtbare, Unbeschreibliche in grausiger Wirklichkeit, sie leiden es für uns; wir sitzen sicher in unserem behaglichen Haus, am gedeckten Tisch, gesund mit Weib und bösen Bilder schützen.

Kind. Und wir wollten nicht wenigstens in Gedanken mit ihnen leiden, wollten so selbstsüchtig sein, daß nicht einmal

die Abbilder ihrer Leiden unsere verweichlichte und verzärtelte Seele berühren dürften! Nein, hier heißt es: „Wo ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit". Wenn wir uns wehren, mit zu leiden, so sind wir tote Glieder am Leibe unseres Volkes. Wenn wir uns wehren, mit zu leiden, werden wir uns auch wehren, mit zu helfen, diese Leiden zu lindern und die Schäden zu bekämpfen. Dann sind wir nicht nur tote, dann sind wir faule Glieder, und müssen wie alles Faulende schonungslos

entfernt werden. Wollen wir gesunde, lebendige Glieder sein am Leibe unseres Volkes, dann müssen wir auch mit leiden. Je schmerzlicher wir mit leiden, um so inniger ist unsere Glied­ schaft am Leibe unseres Volkes. So wird dies Mitleidcn uns zur Ehre — vorausgesetzt, daß cö zum Handeln führt; denn was nicht zur Tat wird, ist nichts wert. Und nun dürfen wir all denen, die tapfer entschlossen sind, sich der Pflicht des Mitleidens nicht zu entziehen, noch ein

zweites sagen. Unsere Gemeinschaft mit unserem Volk ist ja nicht nur eine Gemeinschaft des Mitleidens, sie ist ebensosehr eine Gemeinschaft des Mitfreuens. „Wo ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit." Und haben wir nicht unendlich viel Ehrenvolles, unsagbar Hohes und Herrliches erlebt, Dinge, an denen teil zu haben unS höchste Ehre und höchste Wonne sein

116 muß! Haben wir nicht Heldentaten erlebt, — wir könnten mit dem Katechismus sagen: „oben im Himmel, unten auf Erden

und im Wasser unter der Erde" — so erhaben, so über alle Bei­ spiele und Begriffe, daß sie uns anmuten wie ein Stück Helden­

sage aus alter mythischer Vorzeit! Und erleben wir nicht auch hier drinnen beinah täglich neue Beweise eines schlichten, stillen Heldentums im tapferen Leiden, im klugen, zähen Wir­ ken, im freudigen Opfern! Jesus hat einst seine Jünger selig gepriesen, weil ihre Augen sahen, waö viele Fromme der Vor­ zeit vergeblich zu schauen sich sehnten. So hat im Anfang des Krieges ein Mann, der die große Zeit von 70 mit erlebt hatte, sich selig gepriesen, weil er diesen Frühling seines Volkes noch

erblicken durfte. Wir wollen freilich niemals sagen: Wir haben diese Stadt erobert, diesen Sieg erfochten. Aber wir wollen es immer tief empfinden: Die das leisten, das sind unsere

Brüder, und von ihrem Glanz fällt auch auf uns ein Schein.

„Wo ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit." Mitleiden und Mitsreuen, das ist heute unser Schicksal,

ist unsere Ehrenpflicht und unser Ehrenrecht. Mitleiden und Mitfreuen, welch eine gewaltige Bewegung, welch einen un­ geheuren Reichtum bringt es in unser Dasein! Wie wird unsere Seele ausgeweitet, zu welchen Höhen wird sie emporgerissen! Das Blut und der Geist eines ganzen großen Volkes pulst in unseren Adern; und was heute Großes von deutschen Herzen

getragen, von deutschen Hirnen ersonnen, von deutschen Händen

vollführt wird: eö geschieht nicht nur für uns, es geschieht irgendwie auch in uns und durch uns — wenn anders wir

lebendige Glieder sind am Leibe unseres Volkes. Ein Leib und viele Glieder — das lebendige Gemeingefühl ist der größte Gottessegen dieses Krieges, ist allein all die grausi­ gen Opfer wert. Weh uns, wenn wir diesen Gottessegen ver­ kennen, wenn wir nicht alles tun, ihn für den Frieden fest­ zuhalten und auözukosten.