Aus Bayerns schwersten Tagen: Erinnerungen und Betrachtungen aus der Revolutionszeit [Neue Ausgabe, Reprint 2020 ed.]
 9783112331064, 9783112331057

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Nus Bayerns schwersten Tagen Erinnerungen und Betrachtungen aus der

Revolutionszeit

Dr. Ernst Müller (Meiningen) Staatsminister a. D., langjähr. M. d. X und des bahr. L.

Tleue Ausgabe

Berlin und Leipzig )924 Malter de Gruyter & Co. vormals G. er< unglimpft. Müller- M., Bayern.



fahren, die von außen drohten.

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Gelobten: nach dem Kriege! Wir

waren bei all den Forderungen zuletzt in jener höchstgefährlichen Zeit­

spanne die Geschobenen, Vorwärtsgedrängten! Die Schuld des „Zu spät", die wahrhaftig nicht uns traf, die wir jahrzehnte­

lang vorher bereits auf alle Mängel militärischer und politischer Art hin­ gewiesen, Exzesse leidenschaftlich um des Heeres und des Staates willen bekämpft hatten, rächte sich nun in der auch uns am schlimmsten erscheinenden Zeit der äußeren Not. Aber es half nichts: das Parlament mußte den Wünschen der Massen draußen und zu Hause folgen, — draußen den Massen der alten Landwehr- und Landsturmleute, die der Stellungskrieg zusammenführte und an

die sich gefährliche Agitatoren von hinten und vorne, vom Osten und Westen heranmachteu. Die Drohungen mit der Ver­ weigerung der Kriegsmittel auch seitens der Mehrheitssozialdemo­ kraten waren nur die Äußerungen dieser Stimmungen in de» breitesten

Schichten des Volkes und — der Armee. Die Heeresleitung aber stellte sich fast bis zuletzt, als ob sie keine Ahnung von alledem gehabt hätte. Sie hatte sie scheinbar auch wirklich nicht. Ihre „Ahnungs­ losigkeit" — davon besitze ich drastische Beweise sehr hoher Führer im

Kriege — war oftmals erschütternd und trug Wesentliches zum Zusammenbruch des Ganzen bei. Wenn auch das vielgeschmähte alte Parlament eine Schuld gegenüber dem eigenen Volke traf, so war es höchstens die, daß es die ziel- und planlose äußere Politik Wilhelms IL, die überhaupt keine Orientierung hatte, die das Reich in die Leere setzte, nicht scharf und zielbewußt genug bekämpfte. Aber jeder, der sich auch heute mit den Fragen der äußeren Politik befaßt, weiß, wie ungeheuer schwierig und gefährlich gerade auf diesem Gebiete eine aktive Mitarbeit des Parlaments ist und war. Das heutige „souveräue Parlament — lucus a non lucendo — leistet hier nicht einen Deut mehr als das alte. Das englische und das französische dilettieren genau so, wie die beschämende Behand­

lung im Juli und anfangs August 1914 zeigte. Sir Edward Grey handelte gegenüber dem britische» Parlamente souveräner, als es jemals ein altdeutscher „Reaktionär" im alten Reichstag gewagt hat*). x) Kein Geringerer als Eugen Richter pflegte seine Vorsicht in auswärtigen Fragen mit der stereotypen Bemerkung zu begründen: „Fenster sind da schnell ein­ geworfen, aber schwer wieder ausgebessert." Das System unserer alten Diplomatie und ihrer Auswahl bekämpften wir seit Jahrzehnten. Trotz ihres Zusammen­ bruchs (1914) sitzt sie wie die Bureaukratie im Ganzen angesichts der Unfähig-

19 Es war der sehnliche Wunsch -es Verfassers dieser Schrift, in einigen umfangreichen Kapiteln auf die Frage der politischen und militärischen Ursachen des deutschen Zusammenbruchs wie

der Schuld am Kriege aus eigenem Erleben einjugehen und ebenso die Frage der „Kriegsverbrecher" zu streifen. Es schien die beste Gelegenheit, auf die manchmal fast unbegreiflichen Wider­

sprüche in den mit Unrecht verallgemeinernden Vorwürfen der Selbst­ angeklagten polemisch einzugehen und sie zu widerlegen. Der Verlag hat mich aus verschiedenen Gründen gebeten, von dieser weitaus­ holenden Polemik abzusehev. Ich begnüge mich daher, an geeigneten Stellen manches kurz über Einzelheiten wie „Friedensresolution" und „U-Bootkrieg", über militärische Spezialfragen einzuflechten,

darf im übrigen bezüglich der „Schuldfrage" und der „Kriegsverbrecher" auf die in Georg Reimers Verlag erschienenen zwei Kriegswerke des Verfassers selbst verweisen: „Diplomatie und Weltkrieg", ein Führer durch die Entstehung und Ausbreitung der Weltkrists, auf Grund der amtlichen Materialien, 1917, 2 Bände, das die Materialien bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten von Nord­

amerika in den Weltkrieg (1. April 1917) enthält und durch den Aus­ bruch der Revolution in seinem bereits vorbereiteten 3. Bande leider nicht vollendet werden konnte. Es enthält gerade über die Kriegs­ schuld unserer Feinde starkes Material, das freilich jetzt fast tagtäglich neuen Zuwachs erhält, so daß ein Abschluß dieser Arbeit nicht zu erzielen, wahrscheinlich auch durch das demnächst erscheinende 20 Bände umfassende amtliche Werk nicht zu erreichen ist. Ein einbändiger, zuverlässiger, aber populär geschriebener Auszug aus diesem W:rke ist die seit langem aufgestellte Forderung des Verfassers an die Reichs­ regierung! Die öffentliche Meinung der Welt, die unverantwortlich gering eingeschätzt zu haben eine schwere Schuld des alten Systems «ar, dürstet nach solcher Aufklärung, die freilich den endlichen amt­ lichen, feierlichen Protest gegen die Schuldlüge als höchste Forde­

rung der Nation nicht ersetzen kann. leit des Gros der heutigen Parteiminister wieder fest im Sattel, ist teilweise mächtiger als jemals. — Siehe über das obige Urteil über die ziemlich jämmerliche Haltung des englischen und französischen Parlaments Nittis inter­ essantes Werk „Das friedlose Europa", wo der Vorwurf erhoben ist, daß es an einer „wachsamen Demokratie" gefehlt habe und alle Entscheidungen von einigen Einzelpersonen abhängig waren. Wir sind heute auf dem besten Wege, aus der Demokratie eine nackte Oligarchie zu erhalten, die das Parlament erst recht an der Nase herumführt.

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Das andere Werk: „Ser Weltkrieg und der Zusammen­ bruch des Völkerrechts", 4. Auflage: „Eine Abwehr und An­ klage gegen die Kriegführung des Dreiverbandes, dem deutschen Heere und seiner Waffenehre gewidmet", das in 3. Auflage zugleich in englischer Sprache unter dem Titel „Who are the huns?“ erschien und nach dem übereinstimmenden Urteil der Presse aller bürgerlichen Parteien, der deutschen Militärpresse wie der sonstigen deutschen wie neutralen als in dieser Richtung „bestes Aufklärungsbuch" beurteilt wurdet. Diese Feststellung soll kein Eigenlob enthalten, sondern nur die Behauptung rechtfertigen, daß der Verfasser dieser Kriegswerke von der beschimpfenden allgemeinen Kritik gewisser Verteidigungsschriften gegen die damaligen „Mehrheitsparteien" und die bürgerliche „Demokratie" sich nicht betroffen fühlen kann und sich tatsächlich auch nicht getroffen fühlt. Niemand, der diese Schriften kennt, wird wagen, dem Verfasser vorzuwerfen, daß er „Kleinmut" oder „Mies­ macherei" gefördert habe. Wohl aber ist ihm das Gegenteil vor und nach der Revolution von radikaler und anderer Seite zu schwerem Vorwurfe gemacht worden. Sieges- und Durchhaltungswille bis zuletzt ist mit Ringen nach Wahrheit das Grundmotiv dieser und einiger kleinerer Arbeite» über die „Friedensresolution"-), über T) Der Verfasser hat in diesen beiden Werken seines Wissens als erster (1915—1917) versucht, unter Benutzung des gesamten amtlichen und sonst publi­ zierten Materials die Schuldlüge zu bekämpfen und die Frage der sogenannten „Kriegsverbrecher" aufzukläreu. Die „Deutsche Juristenzeitung" nannte das eine Werk eine wuchtige Anklage, „ein Stück selbsterlebter Weltgeschichte, eine Kulturund Jdeengeschichte"; das andere bezeichnete Franz von Liszt, der große Völker­ rechtslehrer, als ein „starkes Buch, die flammende Schrift eines von dem guten Rechte tiefdurchdrungenen Anwalts". 2) Der unselige Streit über den U-Bootkrieg und über die Friedensresolutiou trugen zur Zerreißung des deutschen Volks und zur fanatischen gegenseitigen Bekämpfung zuletzt mit am meisten bei. Der Verfasser möchte dazu hier nur zwei kurze Bemerkungen machen. 1. Der Streit, wann der unbeschränkte U-Bootkrieg einzusetzen hatte — 1915 oder 1916 —, ist heute m. E. müßig. Es gab nur einen Zeitpunkt, in dem das U-Boot mit entscheidender Wirkung hätte eingreifeu und den Sieg an die deutschen Fahnen hätte knüpfen können. Das war der 4. August 1914 und die folgenden Tage! Überraschend nach japanischem Muster hätte Großes erreicht werden können,— wenn wir die nötigen U-Boote gehabt hätten! Wer den Bau fahrlässig, schuldhaft verzögerte, wer zugunsten der großen Linienschiffe keinen „U-Bootfriedhof" haben wollte, wer es versäumte, der hoch­ entwickelten deutschen Industrie, die darauf brannte, Gelegenheit zu geben, zu rechter Zeit die nötige Anzahl von U-Booten zu bauen, der trägt

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das Verlangen innerer Verfassuagsreformen im Reiche und in Bayern (1917) *), über ein „Deutsches Zugendwehrgesetz"2) wie über „belgische Betrachtungen"3) gewesen. Die Haltung des Der, fassers blieb während des Krieges und nach seiner unglücklichen Beendigung die gleiche, jeder Miesmacherei, jedem „Defaitismus"

feindselige. Trotzdem oder besser: Deshalb hält er es für eine Pflicht

der Loyalität gegenüber seinen zahlreichen näheren Gesinnungsgenossen und Mitarbeitern in der alten liberal-demokratische« Fortschrittspartei,

die Pauschalvorwürfe, die ganz ungerecht in dieser Allgemeinheit gegen die „Demokratie" erhoben worden sind, zurückzuweisen. Diese falsch verallgemeinernden Angriffe gegen die „Mehrheitsparteien" oder die „Demokratie" lassen teilweise leider einen bedauerliche» Mangel an Fähigkeit erkennen, sich auch einmal in das Denken und Fühlen anderer Volksgenossen, die deswegen nicht weniger „national" und „patriotisch" denken und dachte», hineinzufinde». Wir habe« eine schwere historische Schuld au der Niederlage des deutsche» Volks, — selbst wenn er meisterhaft Bücher zur Verteidigung zu schreiben weiß und andere anstatt sich selbst anklagt. — 2. Wie in der Frage des U-Bootkrieges, so ist in der Frage der Friedens­ resolution das deutsche Volk schlecht unterrichtet. Die meisten, die mit Leiden­ schaft jetzt die eigenen Volksgenossen angreifeu, haben ihren Wortlaut nicht ein­ mal gelesen, die „mehr Pfeffer" nach dem Wunsche Hindenburgs in den Schluß­ sätzen bekam. Richt die Friedensresolution, die nichts als eine von unsern Bundes­ genossen stürmisch geforderte Beitrittserklärung der Volksvertretung zu der Regierungserklärung vom 12. Dezember 1916 war, sondern ihre einseitige Be­ handlung, der Mangel der Ausführung des zweiten Teils nach Ab­ lehnung seitens des über unsere innern Zustände längst genau unterrichteten feindlichen Auslandes war das Schlimme. Die innerpolitischen Gründe (Fest­ haltung der sozialdemokratischen Partei bei der Bewilligung der Kriegskredite usw.) leuchteten jedem von den zahlreichen hohen Offizieren ein, denen der Verfasser im Herbste 1917 bei seiner letzten Frontreise die Gründe auseinandersehen konnte. Man hatte durch eine echte ,,Querelle Allemande“ in schändlicher Weise bereits damals Volk und Heer gegen den deutschen Reichstag aufgehetzt und dadurch namenloses Unheil angerichtet. Und leider fährt mau heute in dieser sinnlosen Taktik weiter fort — nicht achtend, daß damit die so dringend notwendige ge­ meinsame Aufbauarbeit gelähmt wird. (Siehe im übrigen die Broschüre des Verfassers „Reichstag und Friedensschluß". Duncker u. Humblot, 1918. Zweite Auflage.) *) Flugschriften der „Münch. R. N." Nr. 2 vom Oktober 1917. 2) Flugschriften des Zentralausschusses für Volks- und Jugeudspiele. Neue Folge 1915, Heft 1. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig. 3) Belgische Eindrücke und Ausblicke, 1916. I. F. Lehmanns Verlag, München.

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bereits Jahrzehnte lang gefühlt, daß schwere Systemmängel in der Verwaltung nnd im Heere den einheitlichen nationalen Willen lähmten, die die Herren Kritiker erst zu bemerken schienen, als das katastrophale

Ende bereits da war und sie selbst in den allgemeinen Nervenzusammen­

bruch mitriß.

Die primitivste Staatsweisheit mußte diesen Führern

der Nation spätestens im Jahre 1914 sagen, daß der Opferpflicht eines Volkes auch seine Rechte entsprechen müssen. „Mitdulden—so

schrieb der Verfasser in der zitierten Flugschrift der „M.N.N." genau

ein Jahr vor dem Zusammenbruche warnend und genau schildernd, wie diese inneren Reformforderungen in der Armee und zu Hause über unsere Köpfe hinweg neu erstanden — heißt Mitverantworten.

Wer das Ventil nicht beizeiten öffnet, ehe aus grober Fahrlässigkeit der Dampf die Röhren sprengt, handelt verbrecherisch, wenn er dadurch ein ganzes großes Reich in seiner Existenz gefährdet." Gegen diese innere schwere Schuld gegenüber dem eigenen Volke kommt mau mit der nachträglichen widerspruchsvollen Behauptung nicht hinweg, daß der Sieg „in unmittelbarer Nähe" war, ja daß er sicher gewesen wäre, — wenn man eben selbst in allem recht behalten hätte: Eine durch verallgemeinernde Verunglimpfung des deutschen Volkes außerordentlich billige Beweisführung — fast so oberflächlich wie die ententistische Schuldlüge^)! Vor allem, wenn man die tat*) Die Frage der „Schuld am Kriege" kann hier leider nur audeutungsweise erörtert werden. Don einer vorsätzlichen Erregung oder Verursachung des Krieges auf deutscher Seite zu reden, ist kindlich und unehrlich. Nicht einmal von einer fahrlLsfigeu Erregung kann die Rede sein. Törichter Optimismus einzelner, Mangel au Vorausficht und richtiger Abschätzung der Kräfte, Verkennung der Mentalität des Gegners usw. find schwere intellektuelle Kehler von Politiken, und Staatsmännern wie der höchsten Heerführer gewesen; fie schaffen Verant­ wortlichkeit nach innen gegenüber dem eigenen Volke, find aber nicht Schuldgründe nach außen. Diese liegen in der Entwicklung der europäischen po­ litischen Zustände seit Jahrhunderten. Wer sie erörtern und dartun will, muß die Geschichte Europas, ja der Welt seit mehr als 100 Jahren schreiben. Englische „Einkreisuvgspolitik", — Fehler der österreichischen Balkanpolitik, — pansla­ wistische Entwicklung, — fravzöfische Revanchepolitik find nur kurze Andeutungen über einige Probleme dieser gewaltigen historischen Ursachen, die schließlich den Krieg brachten. Das deutsche Volk trug sicherlich am wenigsten zum Ausbruche des Krieges bei. Siehe im übrigen des Verfassers soeben zitiertes Werk „Diplomatie und Weltkrieg" Bd. 1 Kap. 1 über die Schuld an der Entwicklung der letzten Ereignisse vom Morde des österreichischen Tronfolgers bis zu den Kriegserklärungen. Die dort vertretene Auffassung ist durch die neuesten Enthüllungen der Sowjetrepublik, durch die Veröffentlichungen Pokrowstis, v. Sieberts, Boglitschewitschs, Paleologues usw. vollkommen bestätigt, ebenso

23 sächlichen politischen und Parteiverhältnisse seit 1871 wie Luft be­ handelt! Wie lange hat es gebraucht, bis das wirkliche Verständnis dafür eintrat, daß in einem solchen Volkskriege mit der Verwendung dieser Massen bejahrter Leute der engste Kontakt, das innigste Ver­ trauensverhältnis zwischen Heeresleitung und Volksvertretung eine der Hauptvoraussetzungen des „Durchhaltens" sein mußte? Nur so ließ sich der Volksgeist auf der Höhe vom 4. August 1914 erhalten! Der Schreiber dieser Zeilen, der den (1917) neu errichteten Ausschuß des Reichstags für das Heerwesen leitete, weiß ein Liedchen zu singen von dem lähmenden Mißtrauen, das bis ins Jahr 1918 herein zwischen der Armee und dem Parlamente bestand. Erst als den Herren im Sommer 1918 die Augen übergingen und sie merkten, daß sie — (wie ich annehme, wiederum, ohne daß sie eine Ahnung vorher hatten), — selbst die Opfer eines grundverkehrten Systems der Schön­ malerei und der falschen Rapporte über die Stimmung bei den Front­ truppen geworden waren, ging man das Parlament um die Hilfe an, die wir vergebens seit Jahr und Tag persönlich angeboten hatten (siehe in der Anlage 1 die Denkschrift des Verfassers an General v. Ludendorff). In Flugblättern, die das Oberkommando der Marken zensurierte und genehmigte, wies im Dezember 1917 -er Verfasser auf die Wege hin, das deutlich sichtbare militärische Unheil des Zusammenbruchs der Stimmung zu mildern und ihm vorzu­ beugen. Die scharfmacherischen stellvertretenden Generalkommavdeure, die an der moralischen Verwüstung in der Heimat teilweise einen großen Anteil hatten, ließen das Flugblatt hier verteilen, um es dort zu unterdrücken und zu beschlagnahmen: Ein kleines Bild aus der ganzen systematischen Zerfahrenheit dieser „Stimmungshalter", die die nachrevolutionäre Literatur, die aus Schwarz Weiß zu machen versteht, noch über den Schellenkönig zu preisen wagt! Wie das feine Kriegspresseamt mit seiner Stimmungsmache, die ein ganz anderseits durch die Bayrischen Dokumente zum Kriegsausbrüche, veröffent­ licht im Februar 1922; siehe ferner die Schriften von Morel, Longuet, Mon­ tagne, Georges Oemartial, Ritti, Vita Finje usw. Für jeden objektiv Denkenden ist der letzte Anlaß die russische, längst vorbereitete Mobilmachung gewesen, die bewußt zum Kriege führen sollte, da ihre Folgen seit Jahren jedem Verantwortlichen bekannt waren (siehe die Sachverständigen-Gutachten in dem Prozesse über die Eisnerschrn Aktenfälschungen, unten Kapitel 4 und Anmerkung S. 61, sowie das Heft „Poincare" der Süddeutsche» Monatshefte, ferner Morels „Foreign Affairs“ August- und September-Nr. 1922 und Gg. Demartials „LaGuerre de 1914 etc.“).

24 besonders ernstes Kapitel der Kritik bildet (s. jetzt die Erinnerungen des Kronprinzen als glänzende Rechtfertigung unserer Stellung­

nahme)! Ich kann auch durchaus nicht zugeben, daß in den Kreisen der liberalen bürgerlichen Demokratie der „Siegerwille" fehlte. Auch ihnen fehlte nur die richtige Übersicht über bas,

was tatsächlich war. Wir kamen uns zuletzt im Oktober 1918 alle ohne Ausnahme der Partei mehr oder minder belogen und betrogen vor.

Es war eine der schwerste» Unterlassungssünden

der O. H. L., daß man auch die Führer der Parteien bis in den Oktober hinein von dem furchtbaren Ernst der Dinge nicht unterrichtete. Als uns Bayern der damalige bayerische Ministerpräsident am 1. Oktober

1918 die Kunde von dem absoluten Zwang zu einem demütigenden Waffenstillstände offiziell mitteilte, waren wir alle — sogar Offiziere

aus dem besetzten Gebiete darunter — wie vor den Kopf geschlagen! Mit der traurigste Tag meines Lebens! Und nun erst gar die Wirkung auf die große Masse des Volkes, vor allem des immer siegestrunkenen Bürgertums! Daher die Stimmung völliger Verzweiflung, des willenlosen Stumpfsinns, der Unfähigkeit, sich gegen die Zertrümmerung

von Reich und Staat durch eine Handvoll Narren und Verbrecher zu wehren (siehe unten): Eine Apathie, die am meisten die Kreise in der schwersten Zeit vom November 1918 bis April 1919 beherrschte, die heute am lautesten die Vorwürfe gegen die bürgerliche Demokratie zu erheben belieben, damals aber am stärksten versagten. Es waren die­ selben Elemente, die unsere jahrzehntelangen ehrlichen Versuche, den al­ ten Obrigkeitssiaat mit dem Volksstaate zu verschmelzen, die ständischen bis aufs äußerste aufgepeitschten Klassengegensätze von rechts und links einigermaßen zu überbrücken oder wenigstens zu mildern, die künstlerische, aber auch künstliche Form des preußisch-deutschen Staates, die nach dem eigenen Geständnis ihres Schöpfers Bismarck nur eine Übergangsform bedeuten sollte, auf eine natürlichere, sicherere volks­ tümliche, d. h. gemäßigt demokratische Grundlage zu stellen, um für die kommenden ernsten Zeiten alle Kraft einsetzen zu können, mit Hilfe einer unverständigen Koalition von Feudalität und militärischer wie

ziviler Bureaukratie zerschlugen, — bis das Reich in Trümmer ging! (Siehe den französischen Geheimbericht Nr. 7 vom Februar 1917

über die Ansichten der Entente bezüglich der Wirkung wahrhaftiger demokratischer Reformen für den Ausgang des Krieges.) So wirkte zuletzt die militärische Niederlage als Besiegelung des poli­ tischen Bankrotts!

25 Dieser bürgerliche, demokratische Liberalismus kann daher ruhig der Geschichte — der objektiven Geschichtschreibung, nicht einer ein­ seitigen tendenziösen Parteischriftstellerei, die eigene schwere Schuld

durch solches Schrifttum zu verdecken versucht und damit bei einem staatsbürgerlich noch ebenso tief stehendem Volke wie vor 1914 vorüber­

gehende Erfolge erzielt — es überlassen, die wahren Schuldgründe des Zusammenbruchs des alten Reiches, die sich freilich als riesiges Mosaik verschiedenartiger äußerer und innerer Tatsachen darstellen werden, endgültig festzustellen (s. Kap. 3). — „In seiner überwindlich."

Einigkeit So heißt

ist das deutsche Volk un­ es in jener so viel verläster­

ten, sogenannten „Friedensresolution", aus der Parteifanatismus und echt germanische Hödurblindheit, statt geschickt eine Fanfare aus ihr zu machen, die jämmerlichste Chamade zu machen wußte, das Grab des Restes deutscher Einigkeit!

Doch der Satz bleibt ewig

wahr; er ist der Fundamental-Lehrsatz deutscher Geschichte. Der beste Wille der Verständigen, millionenfache Deklamation dieses Satzes in Wort und Schrift hat bis heute nur vermehrte Uneinigkeit, Haß und Zwietracht zu erzeugen vermocht, — denn deutscher Partei­

geist hält Rechthaberei und Klüngelherrschaft für das höchste Ziel, soviel auch schöne „Einigkeits"-Phrasen den eisernen Bestand der Dema­ gogenreden aller Parteien bilden mögen. Der Verfasser dieser Zeilen ist der festen Überzeugung, daß erst die größte Not unser körperlich und seelisch verlumptes Volk, das den Ernst unserer Lage heute kaum

noch in seinen breiten Massen ahnt — (denn die Notenpresse geht zur Stunde noch als bestes Geschäft, glänzend, wen« auch daneben Abgrund völligen wirtschaftlichen und finanziellen Bankrotts gähnt) zu der einigen, gewaltigen Leidens- und Notgemeinschaft

bis der —, zu-

sammenketten wird, ohne die wir fürGenerationenverloreo sind, — trotz der deutlich sich abhebenden Anzeichen für den neuen ge­ waltigen Weltkrieg, in dem wir vielleicht als willkommenste SöldverHilfstruppe unsere Freiheit uns wieder zu erkämpfen vermögen. Als größten Mann unserer Zeit würde ich den preisen, dem es gelänge, die Massen zu überzeugen, daß des Zankes und Streites solange übergenug ist, als nicht das Reich und der Staat gegen die Feinde von innen und außen hinreichend sichergestellt ist. Darüber im Schlußkapitel das Nähere! Gewinnen wir mangels einer Gesinvuagsgemeinschaft, die jedem Realpolitiker im heutigen Deutschland unmöglich erscheinen

26 wird, nicht wenigstens die nationale Arbeitsgemeinschaft zum Wiederanfbaa, schaffen wir nicht so die dauernde Kraftentfaltung für die vor uns liegende Zeit der größten nationalen Not und schwersten Entbehrung, der höchsten Anforderungen an die moralischen und physischen Fähigkeiten der Nation, — dann verdienen wir das Schicksal unwürdiger Sklaverei, dann dürfen wir uns nicht beklagen, wenn der Pole und Tscheche, ja der Neger aus dem Sudan uns als minderwertige Knechtnation behandeln, obwohl wir Jahre lang siegreich fast die ganze Welt in Schach gehalten haben. Daß wir in diesem Riesenkampfe nicht den Waffen, sondern großen elementaren Notwendigkeiten unterlegen sind, schließlich — bei ganz nüchterner Überlegung von heute — unterliegen mußten, ist wahrhaftig keine Schande für das deutsche Volk. Eine Schande und Schmach aber wäre es, wenn politische Kurzsichtigkeit, Rechthaberei, Streitsucht, internationale Blindheit und Verstiegenheit einerseits und blödes, unbelehrbares Herrenbewußtsein andererseits die Zertrümmerung des Reichs und die dauernde Versklavung des deutschen Volkes verschulden würden *). Auch ein geschlagenes, von Hunger über­ wältigtes Volk kann die Bewunderung und Sympathie der Welt, deren Urteil unsere Kriegsführer so unverantwortlich unterschätzt haben, sich wiedergewinnen, ein Volk aber, das in seiner Not jede Würde des Unterlegenen vermisse» läßt, das sich gebärdet wie ein Rudel tollgewordener Wölfe, unter die man den Köder wirft, muß schließlich die Verachtung aller Völker erzeugen. Kinder und Kindes­ kinder unserer großen Nation, die trotz aller selbstmörderischen Raserei nicht zugrunde gehen, sondern um so größer einstmals wieder erstehen wird, werden der jetzigen Generation fluchen, wenn sie nicht einhält in ihrer Selbstzerfleischungssucht! Es naht die zwölfte Stunde! Genug des „Zu spät!" ’) Siehe aach den verständigen Brief des letzten deutsche» Kronprinjen an den Univerfltätsprofeffor Zorn, der anfangs Februar 1922 in der Presse ver­ öffentlicht wurde: „Ruhe, Ordnung, Arbeit und Einigkeit sind die Faktoren", deren das Land bedarf.

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2. Kapitel.

Der Ausbruch der Revolution in München. Motto:

Der Zreiheitsörang üer uns kam über Nacht, Wird, fürcht ich, wenig leisten, wißt Ihr, was mir ihn verdächtig macht? Die Lumpen ergreift er am meisten. —

Gesetzgeber oder Revolutionäre, die Gleich­ heit und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Charlatans. (Goethe.)

I.

„Es kommt nicht mehr zur Reichstagswahl; vor dem 17. November kommt die Revolution," so schrie der Reichstagskandidat Kurt Eisner in der am 2. November 1918 vom Liberalen Verein „Frei-München" im Löwenbräu-Keller in München veranstalteten großen Volks­ versammlung. Die Tausende johlten und verlachten den sonderbare« Propheten in seinem struppigen Aufzuge, der wohl berechnet war. Jene Versammlung war gewissermaßen der „Auftakt" zur Revolution in München. Bereits nachmittags 6 Uhr hatte Eisner und seine Genossen Massen jugendlicher Krupp-Arbeiter im Saale postiert. Der Verlauf wurde immer stürmischer. Schon während der Rede des Verfassers als Referenten des Abends ging es recht lebhaft zu. Meine Wendung: „Solange die äußere Front aushält, haben wir die verdammte Pflicht zum Aushalten in der Heimat. Wir müßten uns vor unseren Kindern und Kindeskindern schämen, wenn wir der Front in den Rücken fielen und ihr den Dolchstoß versetzten," wurde mit ohrenbetäubendem, minutenlangem Radau begrüßt. Ebenso die Wendung am Schlüsse: „Gegen Anarchie und Reaktion, für Freiheit und Ordnung." Eisner war der erste Diskussions­ redner. Er sollte nur 5 Minuten Redezeit haben. Der Verfasser sorgte dafür, daß er nicht nur 10 Minuten sprechen konnte; nach Ablauf der Zeit bat er wiederholt dringend, da Eisner außerordentlich unglücklich und wirr sprach, ihn weiter reden zu lassen. Nach etwa einer Viertel­ stunde johlte und lachte die ganze Versammlung aber so, daß er nach gröbster Beschimpfung der Versammlung die Rednertribüne verlassen mußte. Unterleitner, Jaffe, Jung, all die „großen Kanonen" der Revolutionszeit, traten in der Diskussion auf. Der Verfasser ant­ wortete ihnen der Reihe nach. Am radikalsten gebärdete sich der Land­ sturmmann Jung — natürlich in Uniform. Er nannte den ganzen

28 Reichstag inkl. Haase und Ledebour ein „Gesindel, das an die Laterne gehöre"; Liebknecht sei „der einzige anständige Kerl".

Er forderte

ganz offen zur Revolution auf. Am schmutzigsten benahm sich der damaligeHandelshochschulprofessor Dr. Jaffe. Er fiel mir als angeblicher

„Demokrat" in boshafter Ausspielung meines Freundes und Kollegen Dr. Georg Kerschensteiner in den Rücken. Kerschensteiner war den Eisner und Genossen dadurch etwas in das Garn gelaufen, daß er seine Rede in der Diskussion mit den Worten begann: „Der Krieg ist endgültig

verloren. Aller Widerstand ist umsonst." Diese Wendung wurde weidlich gegen mich ausgenützt, da ich immer wieder das Thema

variierte, daß „die Heimat der Front durch Revolution auch jetzt nicht den Todesstoß versetzen dürfe". Man pries Kerschensteiner als „wahren

Demokraten", um mich um so mehr als krassen Reaktionär und „Mili­ taristen" beschimpfen zu können. Trotz großer Radauszenen blieb die Versammlung in unserer Hand. Aber es war charakteristisch, daß der Hinweis auf die Polizeistunde seitens des Vorsitzenden wahre Orgien von Wut entfesselte. Hunderte schrien: „Was geht uns die Polizei an!" „Die Polizei hat nichts mehr zu sagen." „Wir pfeifen auf die

Polizei und die Polizeistunde" usw. „Uns hat kein Mensch mehr

etwas zu sagen; das Volk regiert." Tatsächlich rührte sich auch die Polizei nicht. Tosenden Beifall fand der von einem Redner geforderte Rücktritt des Kaisers. Immer und immer wieder wurde dieser verlangt. Ich hatte von Berlin tags vorher aus bester Quelle gehört, daß der Kaiser auch nach Ansicht des Kabinetts nicht mehr gehalten werden könne, und machte daher die Bemerkung: „Man möge sich noch einige Tage gedulden, dann werde man sehen, daß dieForderung sich von selbst erfülle." Dies

fand die stürmische Zustimmung der über alle Maßen erregten Ver­ sammlung. Aber man drang in mich, Näheres über den Rücktritt des Kaisers zu sagen, was ich ablehnte, da ich wußte, wie schwer der Kampf in Berlin war, um den Rücktritt durchzusetzen. Man fürchtete vor allem die völlige Auflösung des alten Offizierkorps und dadurch der Armee selbst. Es war klar, daß der völlige Zusammenbruch der Front die Gefahr der Revolution in der Heimat aufs höchste steigerte. Aber wir hofften

immer noch, daß die Armee in einem Zustande den Rückzug angetreten habe, der das Äußerste vermeiden ließe. Wir wußten freilich seit langem, daß wir auf einem Vulkan saßen.

Das hatte der Verfasser

selbst in Schreiben und Denkschriften über die Verhältnisse und Stim-



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mung in der Armee als Vorsitzender der Heeres-Kommission an maßgebenden Stellen wiederholt, zuletzt im September 1918, mit­ geteilt. Trotzdem hielten wir es für möglich, damals das Ärgste in der Heimat zu verhüten.

Und es wäre vielleicht auch verhütet worden,

wenn die Behörden, die „Männer" in der Regierung der Heimat

nicht völlig versagt hätten. Am 3. November 1918 vormittags begannen die Versammlungen auf der Therestenwiese. Nachmittags verlangten einige hundert

Demonstranten in Stadelheim die Freigabe von drei Unabhängigen, die

beim

Januarstreik

verhaftet

worden

waren.

Es

zeigte

den beginnenden Zusammenbruch der alten Gewalten, daß man diesem Verlangen ohne weiteres — auf telegraphische Anweisung des Reichsanwalts in Leipzig — nachgab. Wie am 2. im LöwenbräuKeller, so verpfändete Eisner in einer Versammlung am 5. November auf der Theresienwiese durch förmlichen Schwur seinen Kopf, „daß München in den nächsten Tagen aufstehen und die Regierung stürzen werde". Trotz aW dieser Warnungen und Provokationen geschah seitens der Regierung nichts zur Sicherung der Lage und zum Schutze

gegen den zynisch-offen angesagten großen Putsch, den Eisner später selbst mit Recht einen „Kosakenritt" nannte. Am 8. November früh 7 Uhr telephonierte mich eine bekannte Dame in meiner Wohnung mit folgenden Worten an: „Nun, was

sagen Sie denn nun?" Ich: „Was denn?" Sie: „Ja, wissen Sie denn nichts? Heute nacht ist die Republik erklärt und der König ab­

gesetzt worden." Ich: „Reden Sie doch nicht so wirres Zeug daher. Sie wollen sich wohl über mich lustig machen. Es ist doch nicht 1. April." Eie: „Fragen Sie doch einmal in den „Münch. N. N." Was ich Ihnen sage, ist Tatsache." Ich: „Das alles ist ja Blödsinn. Lassen Sie sich doch solchen Klatsch nicht weismachen. Schluß l" Eine Viertelstunde

darauf wußte ich, daß das Unglaubliche wahr sei. Der Coup war glänzend gelungen. Die Überraschung war für «ns trotz des Vor­

spieles eine gänzliche'). ') Wie verblüffend rasch für alle zuletzt die Revolution begann, dafür zeugt folgendes Telegramm, das ich am Tage der Revolution, früh 9 Uhr erhielt: „Beginn geplanter Frontvortragsreise voraussichtlich über Hauptquartier Fritz 15. November. Dauer ungefähr 6—8 Tage einschließlich Reise. Nähere Nachricht folgt durch Kriegspresseamt. Falls Teilnahme nicht möglich, Draht­ antwort erbeten. Zentrale für Heimatdienst." Siehe oben Kapitel 1 die Aufklärung über diese ebenfalls „zu spät" angesetzte Hilfsreise der Abgeordneten.

30

Wir hatten die Überraschung ahnungslos verschlafen.

Das war

um so entschuldbarer, als folgendes vorausging: Die Hiobsposten von

der Front hatten nicht bloß in Berlin die Demokratie mit dem badi­

schen Prinzen Max als Reichskanzler und die Abtragung der alte« Bismarckschen Verfassung gebracht. Auch in Bayern hatte man endlich, wenn auch sehr spät, eingesehen, daß man mit der alten feudal-aristokratischen Wirtschaft der „Hohen Herren", d. h. der so­ genannten „Reichsratskammer" und den anderen etwas „petrefakten

Zuständen", nicht auskommen könne, obwohl unsere bayerische Ver­ fassung im Vergleich mit anderen liberal war. Dem Ministerpräsidenten v. Dandl war es endlich gelungen, den König Ludwig zu über­

zeugen, daß, wie in Berlin, so auch in München gewisse (freilich un­ genügende) Konzessionen an das demokratisch-parlamentarische System gemacht werden müßten. Vor allem sollte das Ministerium nach der Stärke der Parteien in der II. Kammer in der Hauptsache von diesen, nicht mehr ausschließlich von bureaukratischen Fachministern gebildet werden. Der König, von dem die formale Ernennung auch in Zukunft

ausgehen sollte, wollte am Freitag, dem 8. November, das zwischen den Parteien vereinbarte neue Ministerium, in dem nur Dandl als Ministerpräsident und Knilling als Kultusminister bleiben, während die anderen Plätze von den Abgeordneten Speck, Frank, Held, Casselmann, Dr. Ernst Müller, Hoffmann und Segitz besetzt werden sollten, dem Lande verkünden. Dieses letzte „königliche Mini­ sterium" trat schon vor seiner Proklamation im Zimmer des Finanz­ ausschusses des Landtags gewissermaßen außeramtlich am 6. November abends zu einer Besprechung zusammen, da die große Volksversammlung auf der Therestenwiese, die am 7. November stattfinden sollte, bei uns „Bürgerlichen" starke Bedenken erregte. Anwesend war auch der Kriegsminister v. Hellingrath und der sozialdemokratische Abgeordnete Erhard Auer. Ich stellte an den Kriegsminister die Frage, ob er die Armee auch wirklich noch in seiner Hand habe. Anzeichen sprächen dafür, daß die Zersetzung dort schon ziemlich weit gediehen sei. In der

etwas schläfrigen, von uns vordem als Kraftausdruck angenommenen schwerfälligen Ausdrucksweise erklärte der Kriegsminister: „Es gibt unruhige und unzuverlässige Elemente auch in der bayerischen Armee. Aber, meine Herren, Sie können ganz beruhigt sein. Die Armee als

Ganzes ist noch fest in unserer Hand (!). Es wird nichts passie­ ren." Ich warnte die Mehrheitssozialisten trotzdem vor der Teilnahme

an der Volksversammlung und dem angekündigte» Straßenumzuge.

31 Wörtlich äußerte ich: „Ich muß sagen, Eisner erscheint mir in seiner Kopierung von Christus mit der langen Propheten-Mähne außer­

ordentlich gefährlich. Ich würde raten, den Mann mit seiner Demagogie nicht zu unterschätzen, obwohl er in dec letzten großen Versammlung

noch niedergepfiffen worden ist." Auer antwortete mir in überlegenem Tone, den ich heute noch in den Ohren habe: „Reden Sie doch nicht immer von Eisner; Eisner ist erledigt. Sie dürfen sich darauf verlassen. Wir haben unsere Leute in der Hand. Ich gehe selbst mit dem Zuge. Es geschieht gar nichts." Derselbe Optimismus, der

Auer auch noch später manchen bösen Streich spiele» sollte!

Der 7. November brach anx). Ein schöner, warmer Herbsttag. Wie geschaffen für die Straße! Obwohl ich infolge meiner heftigen Zusammenstöße mit der Eisner-Garde von Freunden gewarnt worden

war, die „Wiese" zu betreten, da es mir, wenn ich erkannt würde, wahrscheinlich schlimm erginge, konnte ich meine Neugierde nicht überwinden. Ich ging zwischen y>3 und 3 Uhr mit den Massen, die an unserem Hause vorbeiwanderten, ebenfalls hinaus auf die Therestevwiese. Die schwarzen Massen wandten sich alle der Westseite an den

Abhängen bei der „Bavaria" und dem Schützenhause zu. Es mochten 40—50000 Menschen versammelt sein. Die erwähnte Broschüre der Sozialdemokraten schätzt sie übertrieben auf 200000 (siehe dort E. 7 die gefaßte Resolution). Deutlich hörte man das Geschrei der Redner und das Gebrüll „Hoch..., Nieder..Eine größere Schar wälzte sich von der Theresienhöhe zwischen 3 und 4 Uhr der „Elek­ trischen" entlang in die Stadt. Ich ging nach 4 Uhr in den Landtag, wo man in der epischen Breite, die diesem „hohen Hause" unterm alten Regime eigentümlich war (und die es leider bald unter dem neuen sich wiederum zu eigen machte), über eine „Kartoffel-Inter­ pellation" gemütlich, als wenn nichts wäre, debattierte. Gegen 6 Uhr verbreitete sich das Gerücht, daß Haufen von Demonstranten die Kasernen angriffen, sie seien aber in der Türkenkaserve mit „Stink­ bomben" (Gasbomben) abgewiesen worden, — so wurde triumphierend gemeldet. Nach 6 Uhr wurde die Kartoffel-Debatte auf deu nächsten Tag vertagt. Niemand ließ sich träumen, wie rasch die Dinge laufen

würden.

Als ich auf dem Heimwege zum Platze beim Stachus, der

späteren „Revolutionsmassen-Börse", kam, sah man zwar aufgeregte ’) Über die Vorgeschichte des 8. November flehe auch das Escherich-Heft Nr. 1, S. izff. sowie die unten öfters zitierte sozialdemokratische Broschüre über

den Prozeß Arco.

32 Massen Trambahvwagen anhalten, aber eine besondere Bewegung war kaum wahrnehmbar. Die Hauptmassen waren in der Nähe der

Kasernen und später bei der Residenz. Ich begab mich also arglos nach Hause. Das Militär war ja sicher und Auer bei den Massen! Da konnte Gefährliches nicht passieren! In der Nacht hörte man hier und da einen Schuß. Man legte aber der Sache keine besondere Bedeutung bei. So war die Überrumpelung für das Bürgertum eine vollständige.

Anders lag die Sache bei den Behörden.

Man war dort seit Tagen auf eine große Demonstration vorbereitet. Der Kriegsminister mußte, wenn er nicht sträflich seine Pflicht ver­ letzte, die Kasernen dagegen schützen, daß sie gegen Banden unreifer Jungen und Weiber kapitulierten. Es zeigte die völlige Verkommen­

heit der Heimsoldaten und ihrer Führer, daß die Revolutionäre, an ihrer Spitze Eisner, der blinde Gandorfer, Levien u. a., ohne erhebliche Schwierigkeiten sich der Kasernen und damit der Waffen

bemächtigen konnten. Was war Fahnen-, was Diensteid? Damals befanden sich Hunderte, wenn nicht Tausende von Offizieren in den militärischen Bureaus Münchens. Ein entschlossener, tapferer Mann, der sich an die Spitze dieser rasch zusammengerafften Leute mit Revolvern in der Hand gestellt hätte, hätte der Sache in München einen wesentlich

anderen Ausgang geben können. Nicht, daß ich der Meinung wäre, daß die Revolution, die ja bereits an der Wasserkante ausgebrochen

war und durch die Matrosen, die von dort als Führer ausgesavdt waren, weitergetragen wurde, völlig hätte niedergeschlagen oder verhütet werden können. Aber die Unruhen hätten sich anders, etwa wie in Stuttgart und Karlsruhe, in einer gewissen „Ordnung"

abgespielt. Das Narren-Regiment, das wir ein halbes Jahr in München hatten und das Bayern zum Schandfleck Deutschlands damals machte, wäre uns wohl erspart geblieben. Viel Blut, das später fließen mußte, um die Ordnung wieder zu schaffen, wäre er­ spart worden, wenn am 7. und 8. November nicht das HetmOffijierkorps und die damalige „alte Regierung" in unbegreiflicher Weise versagt hätten. Für 7. November abends hatte die Eisnerpartei eine Versamm­

lung einbernfen. Eisner sollte im Franziskanerkeller, Hochstraße, reden. Die Versammlung war nicht gut besucht; darum entschloß

sich Eisner, mit den Versammlungsteilnehmern durch die Stadt zum „Matthäser" zu ziehen. Im „Malthäser" angelangt, wurde im 1. Stock

der Soldatevrat und im Saale zu ebener Erde — mitten unter

33 den Abendgäsicn (!) — der Arbeiterrat, i. Vorsitzender Kurt Eisner, 2. Vorsitzender Hans Unterleitaer, gewählt. Dann traten Arbeiter- und Soldatenrat zusammen, um zu beschließen, was in den nächsten Stunden zu geschehen habe. Die vom Felde kommenden Urlauber wurden im Bahnhöfe abgefangen und zum Matthäser dirigiert. Wie wenig die Sache vorbereitet war, darüber von den vielen bekannten eine interessante und bezeichnende Episode, die mir von

einem der Nächstbeteiligten zuverlässig dargestellt wird: Ein Unteroffizier, der einen Zwicker trug, kam direkt vom Felde und ging, entsprechend der Einladung, die im Bahnhof ausgeschrien wurde, wie alle Urlauber vom Bahnhof zum „Matthäser". Er hatte sich kaum auf den Stuhl gesetzt, da kam Fechenbach, der spätere

Privatsekretär Eisners, zu ihm und sagte: „Kamerad, komm mit auf das Podium, du mußt jetzt die Versammlung leiten und die

Versammelten etwas beschäftigen." Der Unteroffizier: „Ich komme eben aus dem Felde, habe keine Ahnung, was los ist, weiß nichts, was soll ich da machen?" Fechenbach: „Macht nichts. Nur eine halbe Stunde mache es, dann kommen wir wieder." Unteroffizier S ein.

Nach einigem Zögern willigte der Fechenbach kam diese Nacht aber

nicht mehr in den Saal. Alle Urlauber wurden weiter in den „Matthäser" dirigiert. Es wurde ihnen gesagt, die Regierung be< absichtige zur Nationalverteidigung aufzurufen, zweckloses Blutver­ gießen und Morden beginne aufs nette. Die Sozialdemokraten seien mit den Plänen der Reaktion nicht nur einverstanden, sie förderten diese Pläne, usw. So lockte man die Ahnungslosen ins Netz. Wie von den Amtsstellen aber die Sache aufgefaßt wurde, zeigt eine andere kleine Episode: Der Hauptzug der Demonstranten zog durch die Stadt zum Friedensengel. Dort löste sich nach Ansprache des Abg. Auer und anderer der Zug auf. Die Arbeiter marschierten ge­ schlossen in ihre Quartiere. Auf dem Heimwege stießen Auer und seine

Begleiter auf eine Ansammlung von etwa 300 Leuten vor der preußischen Gesandtschaft. Auer nahm den Redner zur Seite, nach 5 Minuten zogen die Leute ab. Gegen 6 V> Uhr wurde vom Franzis­ kaner aus der Polizeipräsident Beckh von einer damals maß­ gebenden Seite, der ich diese Mitteilungen verdanke, angerufen und

gefragt, wie es allgemein stehe.

Kasernen gemeutert. Müller- M., Dsyem.

Antwort: „Nachmittag wurde in

Die Gefahr ist überwunden (!), die Züge 2

34 haben sich in den einzelnen Stadtteilen schon aufgelöst.

Vor dem

Wittelsbacher Palais war eine Ansammlung, die geht eben aus­

einander." Der Anrufende: „Herr Präsident! Die Arbeiter sind in ihren Wohnungen; es ist aber sehr viel Gesindel auf der Straße, das kann gefährlich werden. Denken Sie an die vom Felde kommenden Urlauber, deren Unkenntnis wird mißbraucht. Wenden Sie auch

dem Bahnhof ihre Aufmerksamkeit zu." Antwort: „Wird geschehen. Ich danke." Aber es geschah nichts! Rein nichts! Schuld über Schuld in dem Leichtsinn, der Mutlosigkeit und Unfähigkeit der Bureaukratie! So bildete sich in der Nacht vom 7./8. November aus teilweise ganz harmlosen, durch verlogene Erzählungen aufgereizten heimkehrenden Soldaten der Arbeiter- und Soldatenrat, der in wenigen Stunden — heute noch für jeden Vernünftigen ein völliges Rätsel! — das alte Regime über den Haufen warf, das Königtum beseitigte und das Chaos eiuleitete: Die erste Etappe

zum Bürgerkrieg! Es war niemand da — so entschuldigte man sich später, als der Zusammenbruch der iooo jährigen Dynastie über Nacht gegenüber einer kleinen Horde von wüstem Straßengesivdel tatsächlich erfolgt

war —, der die Tausende von Offizieren in München organisierte, führte, von einem Punkte aus dirigierte. Das war aber das Kläg­ liche, daß sich niemand fand, der das Selbstverständliche tat. Man wußte in eingeweihten Kreisen dort genau, daß uns schwere Tage bevorstanden. Gewarnt wurde von allen Seiten. Ein hoher Ver­ waltungsbeamter bot sich au, eine Offizierskompagnie für alle Fälle zu bilden. Es erfolgte überlegene Ablehnung. Zuletzt dachte jeder an sich selbst oder überhaupt nichts. Mau hielt eine Revo­ lution für etwas Unmögliches. Schon das In den Mund vehme» dieses Wortes erregte bei einigen der höchsten Würdenträger Zorn und Tadel. Beim Bürgertum, insbesondere dem Mittelstand, herrschte völlige Apathie, erzeugt durch Hunger, begiunendes Elend, Herzeleid, Kriegsverluste aller Art. Waffenlos und waffenunfähig stand es in seiner älteren Generation verzweifelt, weil völlig überrascht, den drohenden Dingen

gegenüber.

Die Blüte unserer Offiziere und

Mannschaften waren noch draußen an der Front, rang in größerer oder geringerer Haltung noch mit dem Feinde. Die au den gleichen Fahneneid gebundenen Heim- und Bureauoffiziere, strotzend von

Auszeichnungen für Heldentaten, die sie nie verrichtet, hatte» ver­ hältnismäßig wenig von den Nöten der Zeit gelitten. Ihre Bla-

35 mage kann so wenig wegdispntiert und weggeschrieben werden, wie die Charakterlosigkeit mancher — gottlob nicht allzu zahlreicher — hoher und niedriger Beamten, Kommerzien- und anderer „Räte", die sich rasch den Tyrannen der Masse anboten, — natürlich „nur

aus reinem Patriotismus und Sorge für den Staat"! Dabei möchte ich aber nicht mißverstanden werden. Man hat später oftmals geäußert — und wir waren zuerst selbst der Meinung —, die Beamtenschaft hätte es in der Hand gehabt, den „ganzen Schwindel" (wie der allgemeine Ausdruck für die Militär- und

Lumpenproletariats - Emeute

vom

8. November

lautete)

rasch

niederzuwerfen, wenn es den Beamten-Generalstreik sofort be­ gann. Gewiß, der Staatskarren wäre dann wahrscheinlich rasch in dem Sumpfe stecken geblieben. Aber nach ruhiger Überlegung muß man heute sagen: wir dürfen froh fein, daß die Beamtenschaft pflichtbewußt weiterarbeitete. Anderenfalls wären die Verluste au materiellem Gute, die an sich ungeheuer waren, noch viel größer gewesen und das Chaos, wohl auch die Menscheuverluste noch weit schlimmer geworden. Eisner lief sich gerade an dem zuverlässigen, staatstreuen Beamtentum, das sich sonst von der Verbrüderung mit den unsympathischen Revolutionsgrößen fernhielt, die Hörner sehr rasch ab (stehe unten). So rettete das Beamtentum einschließlich jener Offiziere, die es über sich gewannen, bei der Heeresabwicklung weiter mitzuarbeiten, doch noch vieles. Aber schmählich bleibt das Versagen der Spitzen der alten Bureaukratie, darunter am meisten des Kriegsministers und des Ministers des Innern und seiner nächsten Ausführungsorgane wie der Masse der Heimoffiziere! Der arme König war nachmittags noch im „Englischen Garten" spazieren gegangen! So weit ging der Leichtsinn der Behörden, daß man nicht einmal daran dachte, daß der Monarch und seine Familie Unangenehmes von den Massen erfahren könnten! Als diese sich vor der Residenz gegen Abend sammelten und: „Nieder mit dem Könige", „Wir brauchen keinen König mehr" brüllten, ging man erst daran zu denken, daß die Sache schief gehen könnte. Der König weh­ klagte, daß, wenn ein Schuß losginge, ein furchtbares Blutbad entstehen würde, das unter allen Umständen vermieden werden müsse; die Königin, die bereits schwer krank zu Bette lag, rüstete sich weinend auf die schleunige Abreise, zu der offenbar die nächste Umgebung, darunter der Leibarzt, drängte. Zuletzt wurde die Situation für die königliche Familie recht peinlich. Auch der letzte 3*

36 Schutz

vor

den

königlichen

Gemächern

war

verschwunden.

In

ruhigen Zeiten war es so hübsch, die Schneidigkeit und Königskreue zu zeigen! Nach 9 Uhr verließ die königliche Familie im Auto die Residenz. Richtung nach Südosten! Soviel bekannt, sah der König

seine heißgeliebte Münchener Residenz nie mehr.

Auch der un­

geheure Beerdigungszug von etwa 50000 Teilnehmern im No­ vember 1921 war keine Genugtuung für den erbärmlichen Verrat,

war

höchstens

eine

große

Abbitte

der

monarchisch

gesinnten

Bevölkerung und der Teile des Volkes, die sich auch bei anderer Gesinnung noch einen Rest von menschlichem Mitgefühl für das tragische Schicksal der mit München und dem bayerischen Lande so

nahe verbundenen früheren Königsfamilie erhalten hatten. Daß gewisse Elemente, wie jedes, so auch dieses traurige Erlebnis zu parteiegoistischen

Zwecken mißbrauchten, kann an dieser Auffassung nichts ändern. Der König war offenbar in seinem ganzen Verhalten außer­ ordentlich schlecht beraten. Daß er damals München mit der schwerkranken Frau vorübergehend verließ, konnte ihm niemand verübeln. Die Massenpsychose hätte am Abend des 7. November vielleicht zu Dummheiten geführt. Aber sein Umherreisen, vor allem seine Übersiedelung ins Ausland, wo er viele Monate lang eine teure

Hofhaltung unterhielt, war ein schwerer Fehler.

Er glaubte zuerst

sicherlich, daß man ihn bald wieder im Triumphe nach München

bringen würde. Er konnte sich den bodenlosen Undank gar nicht vor­ stellen, daß man ihn so schnöde davonjagte. Er und die arme Frau

litten unter dieser Vorstellung außerordentlich.

Sein heftiges und

etwas polterndes Temperament verursachte heftige Zornausbrüche über diese schmähliche Behandlung seitens seines Volkes, das ihm

und seinen Vorfahren nicht bloß nach seiner Auffassung viel zu ver­ danken hatte. Am meisten schadeten ihm auch wieder seine eigenen

Freunde. Der monarchistische General v. S., der an Stelle des angeblich zu den Truppen abgereisten, jedenfalls verschwundenen

Herrn von Hellingrath die Geschäfte führte, gab der staunenden Welt bekannt:„Der König ist unauffindbar". Diese unselige Wendung schadete der Monarchie mehr als alles andere. Man glaubte, die Monarchisten machten sich selbst über den König lustig. Das ganze Volk — auch die Kreise, die innerlich tieftraurig über die Ereignisse waren — lachte. Daß die Revolutionäre diese „Unauffindbarkeit" weidlich ausnützten, um den Monarchen und die Monarchie lächerlich zu machen, war selbstverständlich.

37 Man hat nachträglich den feigen Verrat an dem König seitens der Kreise, die noch wenige Tage vorher byzantinisch den Hof umschwärmten und sich an der königlichen Gunst sonnten, mit allen möglichen Märchen

und Erzählungen zu beschönigen gesucht. Gewiß, der König war im Kriege stark in das Lager der „Imperialisten" eingeschwenkt. Ec

schwärmte für den Gewinn von Antwerpen. Er hatte ein „GroßBayern" mit Elsaß und womöglich Lothringen im Auge. Er war so felsenfest wie99des deutschen Volkes vom Endsiege der deutschen Waffen überzeugt. Ein Zeichen, daß man nicht bloß die anderen, sondern sich selbst täuschte! Denn man muß doch annehmen, daß der König, vor allem durch seinen Sohn, so gut über die wahre Kriegs­

lage unterrichtet war, wie irgend jemand in der Armee, zumal er oftmals mit den Truppen, insbesondere mit den bayerischen Truppen, persönliche Fühlung nahm! Potemkinsche Dörfer, der Fluch der Fürsten, spielten natürlich auch mit. Aber jedenfalls war der König mit seinen imperialistischen Aspirationen nur der lebende Ausdruck der Ideen, die während des Krieges weite Kreise, vor allem der In­ telligenz ergriffen hatten. Sein verständiger Sohn, der damalige Kronprinz Rupprecht, teilte diese Ideen — ein Opfer seines Milieus!

Als der Verfasser 1915 in Belgien war, folgte er einer Einladung des Kronprinzen in sein Hauptquartier in Lille, wo er aus Gespräche« und vertraulich übergebenen Arbeiten des Kronprinzen entnahm, daß hier ein hochgebildeter Mann außerordentlich verständige politische

Anschauungen, auch über seine Stellungnahme zur Sozialdemokratie und zur Arbeiterschaft, hatte. Aber die elsaß-lothringische Idee spukte leider auch in seinem Kopfe. Der Verfasser bekämpfte in einer ein­ gehenden Denkschrift an den Kronprinzen die elsässischen Pläne und versuchte, das Ruinöse derselben für Bayerns Zukunst nachzuweisen. Ich hatte den Eindruck, daß Kronprinz Rupprecht — den ich als

Vertreter des Reichstags 1917 von neuem in Mons besuchte — dem Verfasser die Offenheit seiner Stellungnahme etwas übelgenommen hatte: Der alte Fluch der Fürsten, daß ihnen so wenig Leute offen und ehrlich die Wahrheit sagen! Erst spät scheint der Kronprinz seine Ansicht gegenüber der seines Vaters revidiert zu haben. II.

Was wußte man sonst noch gegen den König vorzubrivgen? Als demokratischer Linksliberaler stand der Verfasser dem Denken und Fühlen des starr-klerikalen Herrn fern. Ich hätte mir von meinem

38 persönlichen politischen Standpunkte aus auch damals natürlich einen viel freier gesinnten Fürsten gewünscht. Aber die Gerechtigkeit er­ fordert, zu sagen: König Ludwig III. hat sich ehrlich bestrebt, ein wirk­ licher „Bürgerkönig" zu sein. Trotz seines großen Dynastenstolzes trug er sich wie jeder andere Bürgersmann auch. Der alte Herr war unermüdlich im Besuche aller möglichen Vereine und Veranstaltungen und bewegte sich einfach und schlicht. Er sprach dabei neben vielen klugen auch vielleicht manch unvorsichtiges Wort. So denke ich an eine sehr chauvinistische Rede bei einer großen

Turner - Veranstaltung gegen Ende des Krieges, die glück­ licherweise gar nicht in die Presse kam. Aber damals jubelte

ihm alles zu.

Auch jene, die nach dem 8. November nicht genug

des Spottes hatten. Erst nach dem Unglücke suchte mau alles als Grund zur Unzufriedenheit heraus. Jedenfalls hatte der alte König Sinn für alle Wirtschaftsfragen, Interesse für fast alles! Temperament­ voll, wie ec war, mochte dabei manches Unreife, Anfechtbare mtt-

unterlaufen. In Glückszeiten hatten die Byzantiner auch dafür nur Anbetung. Als aber das Unheil eingetreten war, da erzählte man sich von dem Geize, der Streitsucht der Königin, von den Milch­ lieferungsgeschichten von Leutstetten die unglaublichsten Dinge, um — die eigene Gemeinheit, den Verrat und die Gesinnungslumperei zu bemänteln. Spätere Strafprozesse haben den ganzen Schwindel dieser bösen Nachreden aufgedeckt. Das ganze Ehe- und Familien­ leben der königlichen Familie wurde von den edlen Residenzlern durchgehechelt — ohne Scheu und Achtung: Ein klassisches Bei­

spiel für die unerreichbare Grausamkeit und Gemeinheit der Bestie Mensch, die sich damals wie in allen Revolutionszeiten in ihrer ganzen Nacktheit und Bosheit zeigte: Der einzelne, in nor malen Zeiten ein relativ anständiges Wesen, als Masse in unruhiger Zeit ein Scheusal, — schlimmer als das grausamste Katzengeschlecht! Die Fortsetzung der Flucht des Königs war ein schwerer Fehler; daß man dem Könige nicht nach dem Taumel der ersten Tage oder Wochen anriet, wenigstens in die nächste Nähe von München zu kommen — selbst mit einiger Gefahr für seine persönliche Sicher­

heit —, war bedauerlich.

Die Monarchen haben ja überhaupt —

vielleicht von Baden, Hessen und Württemberg abgesehen — dem monarchischen Gedanken leider den allergrößten Schaden selbst zu­

gefügt, voran der Kaiser, der, falls er ausgehalten und an der

39 Spitze der Truppen geblieben wäre, vielleicht die ganze Situation innerpolitisch hätte retten und der Revolution ein anderes, weniger

gewaltsames Gesicht hätte geben können. Oder er hätte viel eher freiwillig abtreten müssen, um das Land vor dem Umstürze zu bewahren. Und selbst, wenn er zugrunde gegangen wäre, so stände heute die Monarchie jedenfalls ganz anders da, als mit dem

Fluche der Selbstpreisgabe behaftet! Jedenfalls haben sich die Hohenzollern durch eigene Schuld zunächst um ihre Herr-schende Stellung unter den früheren deutschen Fürstenhäusern ge­ bracht! Die Berufung auf die Schuld der Berater, die ritterlich Feld­ marschall v. Hindenburg auf sich genommen, ändert daran nicht das

mindeste.

Ein Kaiser und König, der tagtäglich die Fahnenflucht als

größtes Verbrechen des Offiziers verfluchte und als schlechtestes Beispiel sie selbst beging, hatte sich und die Monarchie unmöglich gemacht. Für diese Rolle des Kaisers darf es im Interesse der Nation keine Entschuldigung geben. Wer sie versucht, frevelt am

deutschen Vaterlande! Den alten 7zjährigen Bayern-König und sein Haus mußte man jedenfalls anders als den Kaiser einschätzen. Sein Sohn Kronprinz Rupprecht hielt bis zuletzt bei der Armee treu aus,

stand zuletzt noch gegen Italien in Tirol, zog sich dann nach Berchtes­ gaden und Bad Kreuth zurück. Er war öfter als einmal längere Zeit in München, wo er ruhig — wenigstens seit Mai 1919 — wie die anderen wittelsbachischen Prinzen hätte seinen Wohnsitz nehmen können. Wenn er dies nicht getan hat, so war unzweifelhaft Takt und politisches Verständnis sein Wegleiter. Überhaupt hat der

Kronprinz

durch

sein

verständiges und

taktvolles

zurückhalten­

des Benehmen viel von dem, was die November-Fehler der Regierung angerichtet hatten, wieder gutgemacht. Ein tüchtiger

Heerführer, der seine Aufgabe außerordentlich ernst nahm und auch für den Mann im Schützengraben stets Interesse und Ver­ ständnis zeigte, hatte er sich schon während des Krieges die Sympathie auch jener Kreise geholt, die ihm früher wegen seiner offen zur Schau getragenen liberalen Gesinnung nicht sehr günstig gesinnt waren. Die Künstler- und Jntelligenzkreise hatten große Hoffnung auf diesen

verständigen und kunstbegabten, — weit über das Dilettantentum hinaus — kunstgelehrten Prinzen gesetzt. Daß Kronprinz Rupprecht nach dem Tode seines Vaters an der Familientradition festhielt und eine entsprechende öffentliche Erklärung mit der Danksagung ver­ band, kann ihm nur Mangel an legitimistischem Denken zum Vor-

4o

würfe machen^). Legitimisiisches Tun in der Republik in den teil­ weise skurrilen Formen des alten spanischen Hof-Schnickschnacks er­ scheint freilich lächerlich oder gefährlich: Es stieß selbst bei guten Monarchisten erheblich an, — selbst wenn es sich nur um verhältnis­ mäßige Kleinigkeiten handelte. Von ihm sollte sich ein so kluger Mann endlich freimacher! Freimachen auch vor gefährlichen Ratgebern, die sich ihm nahen! Andererseits hatte uns freilich der Ehrgeiz, die Eifersucht, der Machtkitzel der Fürsten schwere Streiche in diesem Kriege gespielt! Hätte man zu rechter Zeit die elsaßlothringische Autonomie — mit oder ohne einen Großherzog, mit oder ohne einen Wittelsbacher — anerkannt, wie ganz anders hätte sich nicht bloß die elsässische Frage, sondern vielleicht die ganze Friedensfrage gestalten können! Und erst Polen! Der unselige Jntrigantenkampf zwischen Österreich und dem Deutschen Reiche! ?) Trotz der unseligen Theaterposse vom 6. November 1916, fortgesetzt bis zum Tage des Zusammenbruchs! Und Litauen, jenes arme Volk, das wirklich treue Anlehnung an Deutschland suchte. Hie Wilhelm von Urach, dort der Sachse und dort Wilhelm II., der vom Königshügel in Wilna die Luft mit dem Schwerte zerteilen sollte. Theater über Theater! Und die Völker zahlten die Zeche! Wahr­ haftig die Monarchen haben — selbst der objektive, demokratische ') König Ludwig lil. hat übrigens niemals auf den Thron verrichtet. Er spricht in seiner Erklärung vom 13. November 1918 nur davon, daß er infolge der Ereignisse der letzten Tage nicht mehr in der Lage sei, die Regierung weiterznführen und die Beamten usw. daher vom Treueid entbinde. Der Minister­ rat hat daraus absichtlich den „Thronverzicht" Ludwigs III. zur Kenntnis genommen. -) Oer Versuch Ludendorffs, auch das polnische Fiasko wie alles Ungünstige dem Reichstage und der „Demokratie" in die Schuhe zu schieben, ist völlig miß­ lungen. Wir haben die hohen militärischen Erwartungen aus dem Warschauer Theater von Anfang an für einen Selbstbetrug angesehen und gewarnt. Die Ziellosigkeit und Planlosigkeit der wilhelminischen Periode beherrschte das ganze Ostproblem. Die Stimmungen und Absichten wechselten wie Aprilwetter. Alle Versuche der Mehrheitsparteien, hier Klarheit und Vertrauen zu schaffen, schei­ terten an dynastischen, politischen und militärischen Treibereien und Intrigen, die von Wien und Berlin aus jahrelang verwirrend durcheinanderwirbelten und denen sich die Führer der Mehrheitsparteien vergeblich entgegenstemmten. Ehrliche Anhänger des großen Strategen v. Ludendorff wie er selbst sollten zugestehen, daß auch er leider nicht bloß politisch, sondern zuletzt auch militärisch bedenklich hin und her schwankte.

4i Verstandes-Monarchist wird dies feststellen müssen —, schlecht be­ raten schwere Torheiten und viel Schuld im Laufe dieses Krieges auf ihr Haupt gehäuft! Im Osten wie im Westen. Wo Monarchen, da leider auch Kreaturen, die sie mißleiten und ihre persönlichen Schwächen mißbrauchen. — III.

Doch kehren wir in das revolutionäre München des frühen 8. November zurück! Der Verfasser ging gegen io Uhr in die Stadt, um das Unbegreifliche mit eigenen Augen anzusehen und sich zu über­ zeugen, daß es sich um mehr als einen schlechten Scherz handele. Zunächst hielt man tatsächlich die ganze Sache für einen unzeitgemäßen Karnevalsspaß. Schon die Figur des Führers Kurt Eisner, der ja erst durch sein tragisches Ende den Märtyrerkranz erhielt, damals aber für eine halb komische Straßenfigur galt, ließ den ganzen Ernst der Situation die meisten verkennen. Jeder fragte auf der Straße: Wer hat es getan? Eisner! Allgemeines Staunen und Ge­ lächter! Die revolutionäre Garde, an der Spitze Eisner, Unterleitner, Gandorfer usw., hatte sich im Landtage in der Nacht bereits ein­ genisiet und die Prannerstraße abgesperrt. Abgeordnete, die den Land­ tag betreten wollten, da um 9 Uhr Plenarsitzung stattfinden sollte, wurden mit dem Revolver bedroht und zurückgewiesen. Eisner diri­ gierte in der Frühe des 8. November bereits im Plenarsitzungssaale des Landtags. Die ganze revolutionäre Gesellschaft mit starkem galizischem Einschläge von jungem männlichem und weiblichem Per­ sonale trieb bereits ihr Unwesen im Landtagsgebäude, hatte rasch fast sämtliche Räume belegt und schaltete und waltete, als wenn sie dort hineingehörte. Was nicht niet- und nagelfest war, verschwand; damals mußte vorerst die bewegliche Habe der rechtmäßigen Ab­ geordneten (Bücher, Zigarren usw.) dran glauben. Auf der Straße erhielten wir als erstes Anzeichen der Revolution rote Zettel mit folgendem Inhalt in die Hand gedrückt: Volksgenossen!

Proklamation. Um nach jahrelanger Vernichtung aufzubauen, hat das Volk die Macht oer Zivil- und Militärbehörden gestürzt und die Regierung selbst in die Hand genommen. Die Bayerische Republik wird hierdurch proklamiert. Die oberste Behörde ist der von der Bevölkerung gewählte Arbeiter-, Soldaten- und Bauern­ rat, der provisorisch eingesetzt ist, bis eine endgültige Volksvertretung geschaffen werden wird. Er hat gesetzgeberische Gewalt.

42 Die ganze Garnison hat sich der Republikanischen Regierung zur Verfügung gestellt. Generalkommando und Polizeidirektion stehen unter unserem Befehl. Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!

Der Arbeiter- und Soldatenrat.

Kurt Eisner.

Der vom Volke gewählte „Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat"! Über das Zustandekommen des ersten Soldaten­

rates wurden die lustigsten Geschichten erzählt, deren Nachprüfung teil­ weise schwierig ist (stehe oben ©. 33 das Nähere von bestunterrichteter

Seite). Jedenfalls: wer damals auf der Straße lebte, konnte es zu hohen Ehren und viel Geld*) raschestens bringen! Eisner, der Mann der großen Worte, der sicherlich zu den Taten mehr durch die Energie des blinden Gandorfer, des Russen Levien, seines Adjutanten Fechenbach, des bei den Arbeitern beliebten Unterleitner

gedrängt wurde, erließ in den sofort beschlagnahmten Räumen der „Münch. N. N." einen Aufruf an die Bevölkerung Münchens, der so charakteristisch für diesen unseligen Mann war, daß ich ihn im Wortlaut hier folgen lasse: An die Bevölkerung Münchens! Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen, hat zu einer elementaren Bewegung der Münchener Arbeiter und Soldaten ge­ führt. Ein provisorischer Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat hat sich in dec Nacht zum 8. November im Landtag konstituiert. Bayern ist fortan ein Freistaat. Eine Volksregierung, die von dem Vertrauen der Massen getragen wird, soll unverzüglich eingesetzt werden. Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden. Eine neue Zeit hebt an! Bayern will Deutschland für den Völkerbund rüsten. Die demokratische und soziale Republik Bayern hat die mo­ ralische Kraft, für Deutschland einen Frieden zu erwirken, der es vor dem Schlimmsten bewahrt. Die jetzige Umwälzung war notwendig, um im letzten Augenblick durch die Selbstregierung des Volkes dieEntwicklung der Zustände ohne allzuschwere Erschütterung zu ermöglichen, bevor die feindlichen

Unsere Prozeßakten an den Münchener Gerichten enthalten ein prächtiges Beweismaterial für die damaligen russischen Zustände in München. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde gestohlen. Spezialisten auf jedem Gebiete Da stahl einer z. B. im Laufe weniger Wochen 12 Pferde aus den Ställen des Militärs, dort „machte" ein anderer in Unterkleidern, ein dritter war Spezialist in Automobilen. Kurzum, es war für Verbrecher eine „Lust zu leben"!

43 Heere die Grenzen überfluten oder nach dem Waffenstillstand die demobilisierten deutschen Truppen das Chaos herbeiführen. Oer Arbeitern, Soldaten- und Bauernrar wird strengste Ordnung sichern. Ausschreitungen werden rücksichtslos unterdrückt. Die Sicherheit der Person und des Eigentums wird verbürgt. Oie Soldaten in den Kasernen werden durch Soldatenräte sich selbst re­ gieren und Disziplin aufrechterhalten. Offiziere, die sich den Forderungen der veränderten Zeit nicht widersetzen, sollen unangetastet ihren Dienst versehen. Wir rechnen auf die schaffende Mithilfe der gesamten Bevölkerung. Jeder Arbeiter an der neuen Freiheit ist willkommen! Alle Beamten bleiben in ihren Stellungen. Grundlegende soziale und politische Reformen werden unverzüglich ins Werk gesetzt. Oie Bauern verbürgen sich für die Versorgung der Städte mit Lebens­ mitteln. Der alte Gegensatz zwischen Land und Stadt wird verschwinden. Der Austausch der Lebensmittel wird rationell organisiert werden. Arbeiter, Bürger Münchens! Vertraut dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalsschweren Tagen sich vorbereitet! Helft alle mit, daß sich die unvermeidliche Umwandlung rasch, leicht und friedlich vollzieht. In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blut­ vergießen. Jedes Menschenleben soll heilig sein! Bewahrt die Ruhe und wirkt mit an dem Aufbau der neuen Welt! Der Bruderkrieg der Sozialisten ist für Bayern beendet. Auf der revo­ lutionären Grundlage, die jetzt gegeben ist, werden die Arbeitermassen zur Ein­ heit zurückgeführt. Es lebe die bayerische Republik! Es lebe dec Frieden! Es lebe die schaffende Arbeit aller Werktätigen!

München, Landtag, in der Nacht zum 8. November 1918.

Der Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern: Der erste Vorsitzende: Kurt Eisner.

Darunter folgen zwei charakteristische Bekanntmachungen: Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit arbeitet von heute an das gesamte Polizei- und Sicherheitspersonal im Auftrag und unter Kon­ trolle des Arbeiter- und Soldatenrates. Den Anordnungen dieser Organe ist unbedingt Folge zu leisten.

Erklärung des Münchener Polizeipräsidenten. Ich verpflichte mich, bei der Ausübung des Sicherheitsdienstes den An­ ordnungen des Arbeiter- und Soldatenrates München Folge zu leisten. Soferne ich dieser Verpflichtung nicht nachkommen kann, muß ich mir das Recht des Rücktritts Vorbehalten.

München, 8. Nov. 1918, morgens 1 Uhr.

K. Polizeipräsident: gez. v. Beckh.

44 Man bemerke wohl: „Bayern hat die moralische Kraft, für Deutschland einen Frieden zu erwirken, der es vor dem Schlimmsten bewahrt." Das ist von der ersten Stunde an der Eisnersche Größen­ wahn. Der Berliner Eisner gibt sich als „Vollblutbajuvare" aus, der Bayern zu herrlichen Tagen führt. Die Kopie Wilhelms II. ist unverkennbar!*) Die ersten Heldentaten der Revolution geschahen, wie bemerkt, gegen die Kasernen und die Gefängnisse. Dort miserables Unterliegen der unzuverlässigen Truppen gegen eine Horde Heim­ soldaten, Abschaum, Weiber und Kinder, die brüllend und kreischend mitziehen. Der Sturm aufs Militärgefängnis gelingt. Räuber­ geschichten werden verbreitet über schmähliche, mittelalterliche Fesselungen von Unschuldigen. Auf Autos werden als Märtyrer Verbrecher mit Ketten an Händen und Füßen umhergefahren, um die völlig wahnsinnige Volksstimmung immer noch mehr zu erregen. Man läßt sie alle wahllos als Märtyrer los: Räuber und Mörder! Unter den „Märtyrern" ist der Frauenmörder Christof und andere. Ganz gleichgültig. Je größer der Verbrecher, desto höher sein Ruhm. Die ganze Menschheit steht auf dem Kopfe! Ist dieses sonst x) Über Eisners Leben und Äußeres siehe das Escherich-Heft Nr. i „Dec Kommunismus in München", Verlag Heimatland, S. n ff. Eisner behauptete selbst im Gegensatze zu der sonstigen sozialistischen Diktion, daß er „die Revolution gemacht" habe. Während er früher wörtlich gegen die Unabhängigen sagte: „Reaktionär ist, wer im Kampfe veralteter Waffen sich bedient. Jedermann hat gegenwärtig im Parlamentarismus einen Weg, um die politische Macht zu erobern. Ein Tor, der ihn nicht benutzt. Gassenrevolutionen sind ein Mittel früherer Zeiten, das heute höchstens noch Rußland angemessen ist", prahlte er später, daß er diese „Gassenrevolution" selbst „gemacht" habe. So erklärte er: „Ich kenne Sie nicht, ich kenne aber alles, was an der Revolution mit­ gewirkt hat!" (Zuruf: Wir waren im Felde!) „Dann haben Sie eben nicht an der Revolution mitgewirkt!" (Zuruf: Aktiv freilich nicht!) (Zuruf: Die Revolution ist gewachsen!) „Ach, die Revolution ist nicht gewachsen, die ist ge­ macht worden." „Ich bin, obwohl Sie es in der Presse gelesen haben, gar kein Ideologe. Ich habe Ihnen gezeigt, wie man sehr praktisch ganz nach den Mitteln moderner Technik mit geringstem Kraftaufwand die höchste Leistung erzielt, wie man Revolution macht." (Rede vor den bayer. Soldatenräten am 30. November 1918, 10 Uhr vorm.) Von der Eitelkeit und dem Dilettantismus Eisners zeugt seine Bemerkung in einer Rede vor den bayer. Soldatenräten: „Ich bin bereit, aus jedem von Ihnen einen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes zu machen und in 24 Stunden erledigt er diese Geschäfte, die rein technischen Geschäfte, besser als die Vorgänger".

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so nüchterne deutsche Volk auf einmal verrückt geworden? Und sie machen gute Geschäfte, die Vampyre der Revolution! Sie brauchen nur in die Kasernen zu laufe». Dort liegen die Schätze zu Millionen. Und wie prompt verstehen sie das Ausleeren. „Wir haben's ja im Krieg gelernt!" Mit diesem Spruche verteidigen sie alles, Mord und Totschlag, Raub und Plünderung. Jeder Lausbub, der nie den Feind gesehen hat, — und wirkliche Frontsoldaten sind ja leider nicht da, sie erschienen ja erst später, um den Scherbenhaufen anzustaunen —,

machte monatelang die Sprüche, daß sie all dies von den Vorgesetzten gelernt hätten. In der Trainkaserne standen am Abend des 7. No­ vember noch etwa 50 Wagen mit Lebensmitteln und Schnaps für den biederen Grenzschutz, — auch eine feine Gesellschaft. Am nächsten Tage alles leer. Betten und Kleider, Stiefel und sonstiges Lederzeug.

Alles, was nicht niet-- und nagelfest war, verschwand. Sie waren Virtuosen im Plündern! Die Sympathie mit Rußland und seinen Manieren zeigte sich von der ersten Stunde an! Levien und die anderen

hatten guten Boden und ein gelehriges Auditorium. Es waren tat­ sächlich keine Soldaten mehr, die die Münchener Kasernen füllten, son­ dern lose verwilderte Haufen einer nur äußerlich zusammengehörigen Masse, der jede Führung fehlte. Unreife, halbwüchsige Burschen, die schon bei der Ausbildung das Gift der Großstadt und der Revolution eingeimpft erhalten hatten, und ältere mißvergnügte Leute, die den Krieg gründlich satt hatten und das junge, zuchtlose Gesindel, das durch hohe Löhne in der Kriegsindustrie noch völlig verdorben war, aufpeitschten. Die von ihrem Parteigenossen Eisner und seinen Genossen anscheinend überrumpelten Mehrheitssozialdemokraten paßten sich rasch der Situation an. Ich sage: „anscheinend überrumpelt". Ich hatte das Gefühl, daß die Sozialdemokratie stark vorbereitet war, daß „etwas Großes komme". Die Verhandlungen über ein Re­ gierungsprogramm und über die Einsetzung des neuen Ministeriums wurden von den Vertretern der sozialdemokratischen Landtagsfraktion so sichtlich hinausgeschleppt und verzögert, daß wir wiederholt an die Vertreter derselben die Frage richteten, weshalb sie derart den Abschluß der Verhandlungen hinauszögen. Verlegenes Lächeln, Achselzucken! Vor allem der spätere Ministerpräsident Hoffmann wie auch Segitz schienen auf kommende Dinge vorbereitet zu sein. Die Nummer der „Münchener Post" vom 8. November hatte einen Aufruf Auers an die organisierte Arbeiterschaft Münchens, der mit folgenden Worten begann: „Unter dem Druck der furchtbaren Drangsale des deutschen

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Vaterlandes hat sich die gestrige Kundgebung ohne unser Zutun zu einem politischen Willensakt gesteigert, mit dem alle Teile der

Bevölkerung rechnen müssen" x). Sie haben rasch und stark mit ihm „gerechnet".

Ich war am

Freitag (8.), nachmittags 4 Uhr, mit dem Landtagskollegen v. Cassel­ mann bei dem Ministerpräsidenten v. Dandl, der jede Minute die „Ablösung" in seinem Amte erwartete. Telephon-Anrufe an den Minister des Innern zeigten, daß auch er bereits „unauffindbar" war. Auch die innere Bureaukratie war zunächst zusammengebrochen!^)

Als wir nach einer halben Stunde Herrn v. Dandl verließen, wurde gerade als neueste Nachricht aus dem Landtage, der immer noch durch

revolutionäre Soldaten abgesperrt war, die Nachricht gebracht, daß

das Ministerium Eisner soeben vom „Nationalrat" gewählt worden sei. Den „Nationalrat" selbst hatte niemand gewählt. Eisner hatte ihn

allein nach diktatorischem Gutdünken zusammengesetzt. Wer ihm nicht „reaktionär" erschien, den nahm er in Gnaden auf. So fand der alte Demokrat Kollege Köhl mit Quidde vor ihm Gnade; aber merkwürdigerweise fand auch mancher, der nationalistischen Aus­ schüssen angehörte, die Approbation des „hohen revolutionären Herrn", der über Nacht zu einem Selbstherrscher sonderbarster Art geworden war. — *) Im November 1921 tobte ein Pressekampf zwischen einigen Ministern des alten Regimes im „Bayr. Kurier". Auch aus ihm geht vor allem die Unfähigkeit und Vertrauensseligkeit einzelner Minister, insbesondere des damaligen Kriegsministers hervor, der am 7. November 1918 abends auf die Anfrage, ob er nicht wenigstens 20 (!) Offiziere für die Maschinengewehre habe, angeblich die klassische Antwort gab: „In meinem Ministerium ist kein Offizier, der mit Maschinen­ gewehr umgehen kann". Soweit ging die diviuatorische Begabung dieses Musters eines Kriegsministers nicht, um vorher einige Offiziere zu bestimmen, die mit Maschinengewehren umgehen konuteu'. Die Antwort erinnert mich an eine Epi­ sode im Landtag aus dem Februar 1919, wo man dauernd Maschinengewehre „zum Schutze des Landtags" aufstellte. Als ich einen der „Schutzengel" fragte, wohin er eventuell schieße, erklärte er mir lachend: „I kaun mit dem Ding nix anfaugen, i hab eh no nix damit zu schaffen g'habt." — Siehe über die Rolle der Mehrheitssozialdemokratie, insbesondere den Einfluß des Abg. Auer in jenen Stunden auch Döberl, Sozialismus usw., S. 172. 2) Die Aussprüche, mit denen damals die einzelnen Minister ihren Posten verließen, waren charakteristisch. Würdig hat sich der damalige Justizminister benommen, der das Amt mit der Aufforderung übergab, die Unabhängigkeit des Richters zu achten. Für einige seiner Minister pflegte der abgegangene König mit Recht einen außerordentlich drastischen Ausdruck, der hier nicht wiederzugeben ist, auzuwenden.

47 Im allgemeinen galt auch damals die alte RevolutionsErfahrung: Jede Revolution zieht magnetisch jene „eiskalten Na­ turen" an, die aus jeder Schmutzquelle zu fischen wissen und selber wie ein Kork immer oben schwimmen: „WadlerNaturen", wie man sie später genannt hat; eine Menschensorte, die heute chauvinistisch-monarchistisch, morgen republikanisch-demo­ kratisch, wenn es sein soll, sogar räterepublikanisch, gleich vorlaut und brutal handelt. Sie nehmen die trübsten Dinge mit Gleichmut hin, — wenn sie nur selbst zur Geltung kommen. Gelang es unter dem alten Systeme nicht, — nun, so mußte es das neue ihnen bringen. Moralische Skrupeln irgendwelcher Art gibt es für diese Sorte gefähr­ lichster Revolutionsgewinnler nicht; ihnen muß alles, auch der Zu­ sammenbruch aller Dinge, zum besten dienen. Unverfroren setzen sie sich über die Kritik, ja offene Beschimpfung der anderen, der „Renen" hinweg. Aber auch diese ehrenhaften Männer operieren selbstverständ­ lich nur mit „Staatswohl" und „Staatsinteresse". Auch sie behaupten mit eiserner Stirne, daß sie nur im Interesse der Gesamtheit „sich opfern". Eisner wußte diese Kreaturen ausgezeichnet für seine Zwecke zu gebrauchen, — so verächtlich ihm die Sorte innerlich sicherlich war, die die „Konjunktur" ausnutzte. Weniger gefährlich war jene Gattung von harmlosen „Gschaftelhubern", die überall dabei sein müssen, hinüber bis zu den unklaren Köpfen, die nichts wußten, als den alten Führern vorzuwerfen, daß „sie sich von der Revolution hätten überraschen lassen": Eine kindliche Phrase angesichts der ge­ schilderten Ereignisse und der damaligen Zuständigkeiten! Sie alle wußte Eisner klug für sein Tyranneuregiment zu benutzen! Überhaupt muß auch der Gegner zugeben, daß Kurt Eisner, der famose Lheaterkritiker, der durch den Fehler der bayerische» Justiz­ verwaltung seine revolutionären Umtriebe vom Februar 1918 nunmehr von neuem ins Werk setzen konnte, seine Rolle als revolutionärer „Mi­ nisterpräsident" zunächst mit großem Regiegeschicke durchführte. „Ohne Kragen", noch schmutzig von der Revolutionsnacht, wie er sich brüstete, war er nach schlafloser, durchgearbeiteter Nacht vom Landtage ivö Ministerium gekommen, um sich dem bisherigen Leiter Herrn v. Dandl als Nachfolger vorzustellen. Sein erstes Werk war der oben abgedruckte Aufruf au die Münchener Bevölkerung. Ursprünglich gedrückt, ver­ legen, schüchtern, ei» schlechter Redner mit deutlichem, abstoßendem Berliner Jargon, gewann Eisner mit seinem auch ihn selbst völlig ver­ blüffenden äußeren Erfolge eine große Sicherheit des Auftretens, die

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sich freilich im Lauf von Tagen zum Größenwahne und einer maßlosen Eitelkeit entwickelte (siehe unten im Anschlüsse an den Do-kumentenprozeß Näheres). Seine rednerische Gewandtheit stieg in geradezu frappierender Weise mit der über Nacht erworbenen Würde. Sein Erfolg riß nicht bloß seine nächste Umgebung, mit der er zuletzt alles vorbereitet hatte, sondern auch ihm feindliche Personen, die ihn 24 Stunden vorher noch mit dem Gros seiner eigenen Partei nicht recht ernst genommen hatten und in ihm eine halb und halb komische Figur erblickten (siehe unten das Urteil des „Vorwärts"), zunächst mit. Ich sprach damals mit Journalisten, die vorher weit rechts standen und später wieder dahin zurückkehrten, die von der Würde, der Geschicklichkeit und der Regiekunst des revolutionären Führers, ja seiner staatsmännischen Grandezza in der ersten pompös und theatralisch aufgemachten Sitzung des willkürlich zusammen­ geleimten „Nationalrates" im Landtage, in der Eisner bereits im schwarzen Gehrock auch den äußeren Menschen verändert hatte, in Worten höchster Begeisterung sprachen. Bis zur Nudelsuppe, die er aß, bis zur kleinsten galizischen Jungfrau, die ihn umgab, wurde alles, was der „große Mann" damals tat, dem staunenden Publikum, das gestern von Eisner überhaupt noch meistenteils nichts, aber auck gar nichts wußte, erzählt. Das ganze Volk, das unausgesetzt auf der Straße lag und dem sich der revolutionäre Massentaumel wie eine Epidemie mitteilte, war wie behext! Das Fluidum ging in alle Partei­ kreise. In und außerhalb des Theaters übte Eisner die revolutionäre Heldenrolle mit szenischem und dramatischem Geschicke. Zunächst in den Novembertagen als neuer Prophet unbeschränkt. Der Arg­ wohn stellte sich erst in dem Momente ein, wo ihm die Idee kam, daß Regieren und Verwalten das Gegenteil von Deklamation und Bombastik ist! Eine tolle Zeit! Alles, was an Unzufriedenheit, Zorn, Neid, Mißgunst, Eifersucht, an niedergehaltenem, unbefriedigtem, eigenem Ehrgeize sich aufgespeichert hatte, platzte jetzt los. Vor allem die alten Parteiführer, „Parteibonzen", mußten Vorwürfe über Vorwürfe hören. Dinge, die die anderen selbst mitgemacht hatten, die diese mit Begeiste­ rung und Fanatismus vertreten hatten, waren jetzt plötzlich Schuld­ beweise. Die „Eiskalten" machten den nötigen „Dreh" rasch. Die Schwerfälligen, die aus Sorge für die Zukunft noch an der Ver­ gangenheit festhielten, du nicht das, was gestern allen weiß war, heute als schwarz bezeichnen konnten, um sich der Zeit anzu-

49 passen — selbst wenn sie jahrelang an der Spitze des Kampfes gegen militärische und zivile Rückständigkeiten gestanden hatten —, fanden schlechte Behandlung. Wozu hatten sie auch solange dort ge­ standen? Und hatten nicht anderen Platz gemacht! Ein wahres moralisches Spießrutenlaufen setzte gegen diejenigen ein, die noch bis in die letzten Tage das Durchhalten der Heimat mit Leiden­ schaft öffentlich vertreten hatten und denen man zunächst, — vor­ dem 7-/8. November und vor der kritischen Übergangswoche, — aus vollem Herzen zugestimmt hatte. Jetzt waren sie auf einmal „suspekt", „belastet"! Auch wir alten Fortschrittler waren wiederholt in engern Parteikreise zusammengetreten, um zu beraten, was zu geschehen habe. Der Verfasser trat jeder Teilnahme an den von Eisner veranstalteten pseudoparlamentarischen Veranstaltungen als Verletzung der demokratischen Grundsätze von Anfang an leiden­ schaftlich entgegen und tat dabei noch am 8. November u. a. den Ausspruch: „Wir lassen uns nicht von einem Galizier aus Berlin regieren ...." Sofort — obwohl die Veranstaltung streng vertraulich war — wurde er in der sozialdemokratischen „Münchener Post" denun­ ziert und von dieser Zeit an als „krasser Antisemit" von einem Klüngel radikaler, vor allem jugendlicher Politiker auf das heftigste befehdet. Eine mehr als 20 jährige Kampftätigkeit für die staats­ bürgerliche Gleichberechtigung der Juden war in einem Tage ver­ gessen! Jeder grasgrüne Junge, der kaum der Schule entwachsen war, glaubte damals an den alten „Parteibonzen" sich reiben zu dürfen. Der Massentaumel, die Sucht, alles, was war, als schlecht und verkehrt zu bekämpfen, ging in jedem Kreise, in jedem Hause, in jeder Organisation um. Genau so wie bei jeder großen Umsturz­ bewegung seit Ramses' Zeiten, wie uns vor allem von der großen französischen Revolution erzählt wird! Wie streng kopiert sich in solchen Zeiten die Geschichte!J) Auch das Calumniare audacter, semper aliquid haeret spielte in jenen Tagen eine hervorragende Rolle! Je mehr sich einer dem allgemeinen Strome entgegenzustemmen suchte, desto schlimmer für ihn. Am besten fuhren jene vielgewandten *) Prof. Harnack erzählte bald darauf von einem altägyptischen Papyrus aus der Zeit von etwa 2000 v. Chr.; dort ist von einer großen Revolution die Rede. „Jede Stadt sagt: Laßt uns die Starken aus unserer Mitte vertreiben und andere Leute an ihre Stelle setzen" usw. Der Inhalt des ganzen Papyrus wirkte schlagend wie eine prophetische Voraussage des Milieus vom November 1918! Mi-ller,M, Biyrr».

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Herren, denen früher das bloße Wort „Demokratie" schon die Zornesader anschwellen ließ, die jetzt aber rebus sic stantibus sich erstaunlich rasch und oft aufdringlich als Musterdemokraten und Musterrepublikaner aufzutun wußten. Sie gewannen ja vielleicht sogar in kurzer Zeit führende Stellungen in den neuen oder alten Parteien, — selbstverständlich war auch ihr Tun nur beseelt von Staatsinteresse und reiner Vaterlandsliebe! Sie werden sich auch wohl wieder neuen Verhältnissen mit der gleichen Gewandtheit und Vaterlandsfürsorge anzupassen wissen: Die „politischen Edel­ pfaffen", wie ein derber, schwäbischer Parteigenosse sie einmal bezeichnete, bleiben unsympathische Figuren unserer Zeit, auf die kein Staat, keine Partei sich verlassen kann!') Der Pöbel herrschte unumschränkt. München war nicht mehr zu kennen. Es war, als wenn über Nacht die sämtlichen menschlichen Kloaken geöffnet worden wären, männliche und weibliche! Die Straßen waren gefüllt von jenen „Hyänen" der Revolution, die dickleibig 3—4 Mäntel übereinander am Leibe trugen, Kleider, Stiefel, Lebens­ mittel schleppten. Milliarden deutschen Staatsvermögens gingen damals nebenhinaus. Die revolutionären Soldaten, zum größten Teile blutjunge Burschen, die niemals einen Feind gesehen hatten, bei denen von „Kriegspsychose" oder Unterernährung keine Rede sein konnte, sondern die bei hohen Lohnverhältniffen in den Munitions­ und sonstigen Kriegsmaterialfabriken völlig verlumpt waren, tobten sich unter der Führung echter und unechter Matrosen, die damals das ekelhafteste Bild von Verkommenheit und innerer Verlumptheit zeigten, aus. Die Truppen, die allmählich von der Front herein­ kamen, waren noch Muster von Ordnung und patriotischem Sinn 1) Auch an tröstlichen komischen Episoden fehlte es in dieser traurigsten Zeit unseres Lebens nicht. Eines Tages, als ich schier an. der Menschheit ver­ zweifeln wollte, in den ersten Tagen der „neuen Menschheitsära", kamen meine Jungen, unzufrieden, daß sie sogar noch in die Schule gehen sollten, da ihnen doch auch von einer neuen „Ära" mit „Schüler-Räten", „Selbstverwaltung", vielleicht sogar Professorenwahl vorgeschwatzt wurde, von der Schule heim. Ich hörte sie folgendes verhandeln: „Der Rex (Rektor; im Freistaate, dem Staate des Verbots der Titel „Oberstudienrektor" benamst. Oer Verf.) muß jetzt auch weg; wir setzen ihn einfach ab; der paßt jetzt auch nimmer io die Zeit." Der Humor siegte! Was sollte es uns besser gehen als jenem trefflichen Schul­ manne? — Gottlob verflog dieser „Revolutionsrausch" bei der jungen Gene­ ration rasch! Rascher wie bei den Alten! Freilich um dem andern Extrem zu erliegen!

5i gegenüber dem Soldatengesindel, das die Revolution vom 8. November „gemacht" hatte. Die Fronttruppen kamen leiderzu spät. Die Revo­ lutionssoldatengarde hatte die Ordnung bereits zerschlagen. Tag

und Nacht sausten die Autos durch die Stadt, beladen mit Beute, die rasch verschwand, — ebenso wie die Autos selbst. Auf Lastautos durchfuhr die rote Soldateska, mit Maschinen-- und anderen Gewehren, mit Handgranaten und anderen Mordwerkzeugen bis zum Kopfe ausgestattet, unausgesetzt die Stadt, „ftocfi Eisner!" „Hoch die Revolution!" Den Offizieren, die vom Felde kamen, riß man die Kokarden und die

Feldachselstücke herunter, bespuckte und mißhandelte sie. Es war ekel­ haft! Dafür hatten die Wackeren also vierJahre lang geblutet und das Land vor den Schrecken des Krieges als eigentliche Sieger bewahrt, um jetzt von einer Meute vertierter Lausbuben und einem inter­ nationalen Gesindel, das sich sofort an die Spitze des ganzen Durch­ einanders drängte und die „Konjunktur" benutzte, bespeit und miß­ handelt zu werden! Undankbarer, tragischer hat noch

niemals in der Weltgeschichte ein großes weltgeschicht­ liches Drama geendet als dieser entsetzliche Krieg! Während sich das Etappen- und Heimsoldatengesindel, das der Front tat­ sächlich den letzten Dolchstoß versetzte hatte, mit Orden und Ehren­ zeichen beklext vorsichtig zurückzog und die Beute in Sicherheit brachte, riß man den Helden, die mit ihrem Blut ihr einfaches, schlichtes Kreuz von Eisen erworben hatten — ja selbst Schwerverwundeten —, ihre Auszeichnungen herunter. Es würgte einen geradezu, all diesen Gemeinheiten und Ekelhaftigkeiten auf der Straße zuzusehen. Lehvte

man sich dagegen auf, so hatte man — unbewaffnet, wie man war— die Aussicht, von den Rohlingen, die stark bewaffnet waren, nieder­ geschlagen zu werden. Es war wohl die entsetzlichste Zeit, die ein Volk erleben konnte! Krieg, Macht, Ehre, alles verloren! Es gehörte damals die ganze sittliche Kraft dazu, um nicht der Verzweiflung, dem Wahnsinn und dem Selbstmord zu verfallen! Die ihn begingen, waren Helden, die über dem Niveau der vertierten, stumpfsinnigen, ehrlosen Massen turmhoch standen!

Ehre ihrem Andenken!

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z. Kapitel.

Die Gründe des deutschen Zusammenbruchs. — Eisners und seiner Genossen würdelose Haltung nach außen, i. Die Gründe des Zusammenbruchs der Armee und damit des alten Staates können wir leider nur kurz an dieser Stelle an deut en. Die Literatur darüber nimmt ungeheure, ge­ fährliche Dimensionen an, ohne wesentlich neues zutage zu fördern. Cs sind — kurz zusammengefaßt — Gründe politischer, militärischer, sozialer, wirtschaftlicher und ethischer Natur. „Die Summe vieler Fehler in Verbindung mit der Hungerblockade und den militärischen, operativen Schwierigkeiten!" (Kronprinz Wilhelm.) Der militärische Mißerfolg, der seit der Marne-Schlacht für das Gros der Sachverständigen feststand und der durchaus nicht unverschuldet, sondern durch eine Fülle von Begehungs- und Unter­ lassungssünden der militärischen Stellen mitverschuldet war, für die nur völlige Unwissenheit oder blinder Fanatismus wiederum die Volksvertretung verantwortlich machen wollte, verursachte die allzulange Dauer des Krieges mit ihrer das ganze Volk zermürbenden Wirkung. Dazu u. a. die Täuschung des Volkes über die wahre Sachlage, zuletzt über den Mißerfolg der früher schmählich vernachlässigten U-Bootwaffe, die falsche militäri­ sche Einschätzung unserer Gegner, insbesondere Englands und der Vereinigten Staaten von Nordamerika, die Verzettelung der eigenen Truppen in ganz Europa und darüber hinaus, sohin der Verlust jeglichen Augenmaßes für das militärisch Erreichbare, der militärische und wirtschaftliche Zusammenbruch der sämtlichen Bundesgenossen, die eine falsche, auswärtige Politik als schwache Hilfe von Anfang an dem Reiche ankettete (Österreich und die Türkei, „ein Leichnam" und ei» „kranker Mann"), die mangelnde wirtschaftliche und militärische Vorbereitung auf einen längeren Defensivkrieg überhaupt, die Mängel an Menschen-, Rohstoff- und Materialienersatz, dazu die Überlegenheit der gegnerischen Industrie in der Ausrüstung (Tanks, Flug­ zeuge!), der Zusammenbruch der Stimmung an der Front und zn

53 Hause, teilweise hervorgerufen durch grandiose Torheiten massen­ psychologischer Art seitens der Heeresleitung (Verwendung der bolsche­ wistischen russtschen Gefangenen an der FrontJ), Verwendung der unzuverlässigsten deutschen Elemente „zur Strafe" in der Front usw.)2). dazu der von Tirpitz und Ludendorff bestätigte Mangel jeder plan­ öl In der offiziellen Sowjet-Zeitung, der Petersburger „Jsvestija", schreib! ein Wissender Ende 1920 als bester Zeuge: „Ich erkläre offen, daß General Fach die größte Hälfte seines Erfolges letzten Endes uns zu verdanken hat.... Wem glauben sie wohl? — Niemand anders als den verhetzte» Bolschewiki, di« den „gemeinen" Brester Friede» unterschrieben haben! Dieser gab der deutsche« Heeresleitung die Möglichkeit, ihre Armeen von der russischen Front abzuziehe« und gegen Paris zu werfen. Da diese Armeen aber von Agitation durchtränk! und von bolschewistischen Mikroben infiziert waren, brach die Heeresleitung siff und ihrem geliebten Kaiser den Hals. Das hatte sie nicht dem Talent des »e malen Foch, sondern vielmehr der zündenden Wahrheit des Bolschewistenwortek zu danken, die in die deutschen Laufgräben sicherer eindrang als jede Bombe/ Jedes weitere Wort erscheint überflüssig! 2) Emil Barth sagte a.a. O.: „Diese Einziehungen sind unsere Stärk, und Hoffnungen. Ludendorf stranguliert sich selbst, indem er den revolutionäre« Sauerteig in alle Zellen seines Organismus aufnimmt." Die Sozialdemokrate« und ihre Nachbeter suchten die jahrelange bewußte Unterminierung der Feldund Heimatfront — der richtige „Dolchstoß" — verächtlich immer alt

Märchen hinzustellen. E. Barth und die „Rote Fahne" wie die bekannt, Broschüre von Dr. Levi beweisen das Gegenteil. Siehe Rr. 43 der „Roten Fahne" vom 26. Januar 1922, wo von dem Meister der „illegalen Arbeit" Leo Jogiches erzählt wird: „Andere Genosse» besorgten die illegale Arbeit. Nicht so wie er, das konnte keiner, doch so gut es ging" (1917/18). Im „Vorwärts" (Nr. 260,1921) schrieben die „Nationalbolschewisten" Laufenberg «ud Wolffheim freilich gegen Levi u. a. folgendes: „Levi war es, der unmittelbar vor der Revolution jene verkommenen Gewalthaufen zu schaffe» begonnen hatte, die als „Roter Soldatenbund" nach seinem eigenen späteren Eingeständnis bis zu 60% von Lockspitzeln durchsetzt waren. Karl Liebknecht saß im Zuchthaus, Rosa Luxemburg im Gefängnis, Leo Jogiches in Schutzhaft, als Paul Levi gegen den einmütigen Willen aller revoluutionären Gruppen seinen berüchtigten Aufruf zur Massendesertion an die Front versandte, in welchem den Herren Deserteuren angekündigt wurde, in der Heimat würde für sie

gesorgt." Ähnliche Aufrufe zur Desertion haben längst vorher den Boden geschaffen für die Vorkommnisse, die u. a. der „Reichswart" (Nr. 22) mit Briefen urkund­ lich belegte: „...Am folgenden Tage wurde das Alpenkorps eingesetzt. Beim Einrücken in die angewiesenen Stellungen scholl den tapfer vorgehenden Truppen dieses Korps von den Resten der zurückflutende» Divisionen das böse Wort Streikbrecher2 entgegen." — S. über die Vorbereitung der Revolution jetzt auch W. Dreithaupts Erinnerungen (Tägl. Rundschau Nr. Z27 e. 28. 7. 22ff.): „Der Dolchstoß und die revolutionäre Jugend."

54 mäßigen Mobilmachung des Volks- und Wirtschaftslebens

unter

einer einheitlichen Leitung wie z. B. in England, das Fehlen jeglichen gemeinsamen Operationsplanes mit Österreich, der Mangel jedes

Einheitsplanes zwischen Armee und Flotte, über den Tirpitz geradezu unbegreifliche Dinge mitteilt (stehe Erinnerungen S. 328 ff.), — freilich durchaus nicht zu seiner eigenen Entlastung; die Unterlassung der rechtzeitigen Einsetzung der Hochseeflotte („fleet inbeing“), der Mangel jeder zentralen Leitung zwischen Luft-, See- und Landkrieg, auf den General v. Höppner mit Recht hinweist, völliges Versagen richtiger Kriegspropaganda im In- und Auslande gegenüber einer virtuosen, teuflischen Feindespropaganda, die behauptete, nur gegen die imperialistische Reaktion, nicht gegen das deutsche Volk zu kämpfen; ferner

die Verärgerung der Heimat durch die 38 000 Verordnungen der Kriegs­ wirtschaft und die Diktatur der stellvertretenden Generalkommandeure, dazu vor allem die Nahrungs- und Lebensmittelnot, der Hunger, die Unterernährung infolge der Blockade *), die immer wachsende

Korruption in und außerhalb der Armee, zuletzt die Drohung, noch­ mals 600000 Mann aus den Fabriken und Bureaus „auszukämmen", usw. usw.: Kurz, eine Fülle von militärischen und politischen Gründen, die neben den speziellen schweren militärischen Fehlern in der Führung der deutschen obersten Heeresleitung vor allem zu Beginn des Krieges, den endlichen Zusammenbruch des heldenmütig aushaltenden deutschen Volkes erklären und entschuldigen. Der Schreiber dieser Zeilen muß es der zukünftigen Geschicht­

schreibung überlassen, zu entscheiden, ob das Urteil der konservativen Zeitung „Die Post" nicht zu streng ist, daß schließlich der Nerven­ zusammenbruch der obersten Heeresleitung, insbesondere Ludendorffs, „den Reichswagen durch die verfrühte Waffenstillfiandsforderung den Abhang hinunterstürzte" („Post" vom 29. November 1918)*2) '). *) C’est le ventre, qui fait les revolutions. (Napoleon I.) 2) Der Verfasser bedauert außerordentlich, daß er die Vorwürfe, die General Ludendorff betr. Munition- und Kriegsgerät-, Ersatzreserven- und andere Bewilligungsmängel unrichtigerweise dem Reichstage macht, nicht an der Hand des Materials der Verhandlungen der Budgetkommission, an denen (1911—1914) der Verfasser als Militärreferent der Fortschrittlichen Volkspartei teilnahm, ein­ gehend hier widerlegen kann. Er beschränkt sich auf die Feststellung, daß der spätere Staatssekretär des Inneren und Vizekanzler Helfferich diese Vorwürfe als solche teilweise bereits im Reichstage zurückgewiesen hat. Sie sind in allen ihren Teilen unrichtig. Den Reichstag trifft vor allem an dem unseligen Munitiousund Kriegsgerätmangel nicht die mindeste Schuld. Er hat der Militär-

55 Die Armee wie das Volk zu Hause haben jedenfalls Bewunderns­ wertes an Tapferkeit, Ausdauer, Opfermut und Zähigkeit geleistet, um so lange einer erdrückenden feindlichen Mehrheit standzuhalten. Die Frage, die Adolf Koester in seiner Schrift: „Konnten wir im Herbst 1918 weiterkämpfen?" aufwirfi und die von ihm dahin beantwortet wurde, daß wir im Herbste wegen der Aushungerung durch die Blockade nicht imstande waren, weiter zu kämpfen, ist für einen militärischen Laien schwer zu entscheiden (siehe die Gegenschrift des Generals v. Kuhl, die die hier vertretenen Anschauungen in vielen Punkten nachträglich bestätigt). So wie die Dinge in der Verwaltung hierin alles bewilligt, was diese verlangte (siehe die sehr interessanten Ausführungen des Generals Graf Montgelas im „Eisner-Prozeß" Ende April 1922 über die Verteilung der Ergänzung der Munition von 1914 auf die Jahre 1915, 1916 und 1917). — Am 13. November 1918 schrieb dagegen die „Kreuze zeitung" (!): „Die militärische Leitung hat ohne jede politische Bestimmung ihrer Kampfziele und in Unterschätzung unserer Feinde geglaubt, den zer­ schmetternden Sieg nach allen Seiten erfechten zu können. So ging der Krieg verloren und begrub in seinem Ausgange den deutschen Kaiserstaat!" Und die deutschnationale „Post" schrieb am selben 13. No­ vember 1918: „Danach hat General Ludendorff am 1. Oktober dieses Jahres unsere militärische Lage für verzweifelt gehalten und sofortiges Waffenstillstands­ angebot gefordert. Acht Tage darauf gestand er ein, sich in der Bewertung der Kriegslage geirrt zu haben. Einen folgenschwereren Irrtum hat es nie gegeben. Er hat ein ganzes Volk dem Unglück und der Schande überliefert." Niemals hat die „Demokratie" ein so vernichtendes Urteil über Ludendorff gefällt, als hier die ihm am nächsten stehende Presse. Deshalb übt Duldung! 3) Wir sind auch, wie bemerkt, propagandistisch und damit psychologisch von unsern weit geschickteren Feinden und ihren virtuosen Regiekünsten nieder­ gerungen worden. Immer wieder hat der Verfasser die zuständigen Stellen auf diese englische Methode des Unterminierens aufmerksam gemacht (siehe z. B. „Fränk. Kurier" vom 16. August 1917). Unsere offiziellen Korrespondenzen haben meistens die diabolisch schlauen Propagandareden der Clemenceau, Lloyd George usw., die Volk und Regierung gegeneinander zu verhetzen berechnet waren, in voller Breite dem deutschen Volke wie feierliche deutsche amtliche Pronunciamenti, ja oft besser als deutsche Reichskanzlerreden aufgetischt: teils ohne jede Aufklärung, teils mit ungeschickter verspäteter Polemik. Verständnisund kritiklos hat sich so unsere offiziöse Presseberichterstattung, ja unser Kriegs­ presseamt selbst zum Gehilfen der feindlich en Propagandagemacht: „Nur gegen das kaiserliche Deutschland, gegen den Militarismus, aber für das deutsche Volk." Diese Giftsaat ist allmählich aufgegangen und hat die breitesten Schichten des deutschen Volkes unempfindlich für die Schmach des November 1918 gemacht. Regiefehler ohne Ende! Siehe darüber auch Nittis ausgezeichnete Schrift: „Das friedlose Europa" S. 96: „Diese Propaganda hat Deutschland mehr geschadet als Tanks und Hungerblockade".

56 Armee und in der Heimat seit 1916 sich tatsächlich gestalteten — der „Stoß mit dem Dolche von hinten" datiert nicht aus dem November 1918, sondern mindestens aus dem Januar 1918, man kann ihn auch viel früher ansetzen —, war eine längere Fort­ setzung des Kampfes auch nach Ludendorffs Ansicht unmöglich. Ob ein Aushalten für einige Wochen oder Monate an der Maaslinie möglich gewesen wäre, mögen die militärischen Sachverständigen entscheiden. Jedenfalls zeigte das Staunen und die Art, wie man viele Tage lang auf feindlicher Seite alles nur für eine schmähliche deutsche Kriegslist ansah, daß auch der Feind am Ende seiner Kraft war und den plötzlichen Zusammenbruch auf deutscher Seite für schier unbegreiflich hielt. Andererseits war alles geschehen, um die größte Heldenleistung eines Volkes in eine chaotische Zersetzung und Verlumpung ausarten und umkehren zu lassen. DieFront, die zunächst Ursache gehabt hätte, es „satt zu bekommen", hielt immerhin in wesentlichen Teilen noch bis zuletzt. Unsichere Divisionen, die das berüchtigte Wort „Streikbrecher" den Vorgehenden zuriefen, gab es freilich schon seit Frühling 1918, und sie häuften sich täglich. Man hätte trotzdem dem Feinde jedenfalls noch bös zu schaffen gemacht, — wenn nicht der seit vielen Monaten vorbereitete Mord von hinten, von der Etappe und der Heimat aus erfolgt wäre. Der vielumstrittene „Dolchstoß" kam durchaus von Elementen, die selbst unter der Kriegsnot gar nicht litten, — im Gegenteil eher als „Kriegsgewinnler" in Frage kamen. Diese skrupellosen Führer der Emeute benutzten die allgemeine Not, die Verwirrung und schließlich die verzweifelte Apathie, um Heer und Staat zu vernichten. Trotz vieler berechtigter Ursachen zu großer Unzufriedenheit in der Armee hätte der Kampf, da auch beim Gegner die Zersetzung große Dimensionen angenommen hatte, viel­ leicht mit einem ehrenvollen „blauen Auge", einem „Remis" geendet. Das steht jedenfalls fest: So schandbar, so schmählich, so ver­ nichtend, so zermalmend hätte der Waffenstillstand und der Friede niemals ausgesehen, wenn nicht gerade im kritischsten Moment die Revolution im Rücken der Armee ausgebrochen wäre. Daß sie einmal erfolgte, hat die Sehenden und Hörenden nicht gewundert, aber daß sie in einem Momente erfolgte, der durch den völligen Zusammen­ sturz der in der Krise stehenden, zurückflutenden Armee für eine Generation das Reich in Elend und Unterwerfung versetzen mußte, das war das größte Verbrechen der Welt-

57 geschichte, das die Urheber zu Fluchbeladenen für alle Zeiten stempeln muß ^). Kinder und Kiadeskinder werden einstmals die Namen Eisner, Jaffe und ihrer Trabanten im Norden und im Süden nur mit Verachtung als größte Schädling«» des deutschen Volkes aussprechen, wenn die furchtbaren Folgen des Versailler Schandfriedens sich erst in ihrer ganzen Tragweite aus­ gewirkt haben, wenn das Volk, vor allem die deutsche Arbeiterschaft am eigenen Körper merkt, daß sie die Lohnsklaven des brutalsten Entente-Kapitalismus durch diesen Verrat geworden sind, daß Ent­ artung, Hunger und Elend die Folgen der „Heldentaten" der großen Revolutions-Phrasenhelden bilden mußten, daß das Volk dem Schwindel des Puritaner-Pastors Wilson in seiner Mischung von Unfähigkeit und Willensschwäche in einer in der Weltgeschichte einzig dastehenden Naivität zum Opfer fiel und die Waffen ausliefern ließ 2).

II. Eisner benützte diese „Harmlosigkeit" des Volkes in raffiniertester Weise. Er stellte sich, als wenn er Deutschland durch seine eigene Diplomatie zu retten vermöchte. Er behauptete, intime Verbin­ dungen mit Clemenceau zu haben, aus denen er für Bayern ganz besonders gute Bedingungen herauszuholen vermochte. Dazu hatte er die fixe Idee, daß, wenn er Deutschland der alleinigen Schuld am Kriege zieh und das Volk und Land bis zur Zerknirschung in den Schmutz zog, er wohl Gnade vor der Entente finden würde (siehe das Nähere unten Kap. 4). Und das blinde, törichte Volk glaubte an den 1) Konrad Haußmann, dem ich nicht in allem recht geben kann, hatte darin wohl nicht unrecht, wenn er in einem Artikel des „Berl. Tagebl." vom 21. November 1920 die „Tragik Deutschlands auch in der Verschleppung des Rücktritts Kaiser Wilhelms sah, in dem Zusammenfallen von innerer und äußerer Krisis" (Waffenstillstand). Beides hing freilich eng zusammen. Die Anschauung, daß man im August oder September 1918 eine neue Regierung ohne Kaiser Wil­ helm II. hätte bilden müssen, ist post hoc ausgestellt. Haußmann wußte so gut wie wir, daß solches Verlangen damals auf noch größere Schwierigkeiten ge­ stoßen wäre als im November, wo auch demokratische Mitglieder des Kabinetts für das Verbleiben des Kaisers eintraten.

2) Siehe über den ungeheuerlichen Weltbetrug, den mau mit den sogenannten 14 Richtlinien Wilsons und dem Versailler Frieden dem deutschen Volke, ja der ganzen Welt vorspielte, die zitierte Schrift Nittis, wohl die beste Schrift der EntenteLiteratur, die jeder Deutsche studieren sollte (vor allem S. 44ff., ferner S. 74 ff.).

58 Erfolg dieser für jeden Menschenkenner geradezu wahnsinnigen Taktik. Um

Eisners Charakter, seine ewigen Widersprüche, seine Unzuverlässigkeit und Skrupellosigkeit, die ja zuletzt auch die Münchener Massen gegen

ihn aufbrachten und die ihn ohne des Grafen Arco unseligen Schuß schließlich auch bald bei den eigenen Parteigenossen unmöglich gemacht hätten, richtig zu würdigen, ist es notwendig, auf seine eigenen Schriften mit einigen Worten einzugehen. Er sprach in einer Schrift „Taggeist", Kulturglossen, 1901, bei John Edelheim, Berlin u. a. über Frankreich

folgendes Grundsätzliche aus:

„Frankreich vergißt keinen Augenblick seine Revanche, und den furchtbaren russischen Bergsturz erwartet das bebende Europa als sein unvermeidliches Schicksal.... Nur eins weiß man: Wir müssen alles an Soldaten aufbieten, was wir vermögen" (siehe auch S. 18ff.).

Und an anderer Stelle (siehe S. 66):

„Frankreich ist die eigentliche Gefahr für die Existenz Europas. Es ist russischer als Rußland. Der Zarismus beherrscht in Rußland nur die Regierung, in Frankreich das Volk. Am Chau­ vinismus Frankreichs wird der Fortschritt Europas scheitern. Möglich, daß einmal mit dem russischen Zarismus die Nihilisten fertig werden, das französische Ruffentum werden die Sozialisten schwerlich überwinden." So Eisner bereits vor der „Ein­ kreisung" von 1904—1914!

Im November 1918 kroch er dagegen würdelos vor Clemenceau, der wie er „auch ein Dichter ist". Bewußt unwahr behauptete er: „Unser Appell an das Weltgewiffen blieb nicht unerhört. Die Waffen­ stillstandsbedingungen wurden erheblich (!) gemildert. Der Geist des Patrioten, der die französische Republik leitet, spricht heute mit menschlichem Verständnis und Vertrauen" (!) (Regierungsprogramm vom 15. November 1918). In einer Wahlrede vom 12. Dezember

1918 wagte er folgendes auszusprechen: „Stellen Sie sich doch einmal vor, in welcher Lage namentlich

Frankreich ist. — Das Land, verwüstet durch die Methoden der deutschen Kriegführung, die bis in die letzten Augenblicke nach meinen Nach­ richten weitergeführt worden sind, im Innersten erregt. Ja, meine Herren, und da sollen Sie verhandeln mit Männern, die das über­

fallene Volk (!) noch verdächtigen, daß es der Schuldige gewesen ist."

59 „Sie mögen sie [bte Ententej für mitschuldig halten, genau so, wie ich sie für nichtschuldig halte, nicht einmal für mit­ schuldig" (Rede vom zo. November 1918).

Und an anderer Stelle:

„Parteigenossen, das können wir nicht so machen, daß wir sagen alle Regierungen seien miteinander schuldig." — „Ich fyabe... jedem, der lesen kann, jedem, der ehrlich ist, bewiesen, wie eine verbrecherische Horde von Menschen diesen Weltkrieg inszeniert hat, wie man ein Theaterstück inszeniert. Denn dieser Krieg ist nicht entstanden, er ist

gemacht worden. — Das Bekenntnis zur Wahrheit ist die Vor­ aussetzung, zu einem ehrlichen Frieden zu kommen" (!). Ferner:

„Allerdings auch drüben gibt es Kriegshetzer und Chauvinisten, aber die Schuld an diesem Kriege liegt bei Deutschland. Das ist die geschichtliche Wahrheit, und diese Wahrheit müssen wir bekennen"

(Wahlrede vor den Unabhängigen, 12. Dezember 1918). Was den „Beweis" Eisners für Deutschlands alleinige Schuld an­ langt, so deutete er hier offenbar aufdie Veröffentlichung der angeblichen Berichte des früheren bayerischen Gesandten Graf Hugo v. Lerchen­ feld an die bayerische Regierung, die, wie später bewiesen wurde, durch Weglassung wesentlicher Stellen im Originale und Unter­ drückung aller Aktenstücke, die die Vermittlungstätigkeit der deutschen Regierung und ihr ehrliches Streben, den Brand zu lokalisieren,

beweisen konnten, von Eisner gefälscht worden waren (siehe das Nähere Kap. 4). Eisner hatte, wie er einmal erklärte, „seinen eigenen Kopf". Größenwahn, Sensationssucht und Blindheit gegenüber offensichtlichen, unglücklichen Folgen seines eigenen Tuns machten diesen „eigenen Kopf" zum Unglück Bayerns und Deutschlands. Neutrale sozialdemokratische Stimmen warnten sofort in deutlicher Spitze gegen Eisner vor solcher Selbstkastrierung. So schrieb der Kopenhagener „Socialdemokraten" Ende November

1918: „Es ist verständlich, daß man im neuen Deutschland sich stark mit der Frage der Schuld am Weltkriege beschäftigt und daß man, um alle gegenrevolutionären Versuche abzuschwächen, schonungslos die Sünden des alten Regime enthüllt. Anderseits ist damit aber eine Gefahr für Deutschland verbunden. Denn die Entente-Chauvinisten, die vier Jahre lang von der Behauptung gelebt habe», daß Deutschland, besonders der Kaiser, die ganze Schuld am Kriege habe und

6o allein verantwortlich für den Krieg sei, werden nun diese Enthüllungen aufgreifen und sagen, daß die Deutschen ihre Schuld nun selbst eingestehen und daß daher nur noch von einem Straffrieden die Rede sein könne. Hierdurch wird in hohem Maße die Bildung des Völkerbundes erschwert und die Völkerver­ söhnung fast unmöglich gemacht."

Eisner mußte sich für seine würdelose Haltung die derbste Abschüttelung von Clemenceau selbst gefallen lassen. Ende November 1918 nahm nach einer Mitteilung aus Genf vom 30. November Clemenceaus „ L^Homme libre" Stellung gegen den bayerischen Ministerpräsidenten, „der mit unwahren Behauptungen über an­ gebliche Erklärungen Clemenceaus die Fernhaltung der Wahrheit vom deutschen Volke fördere" (!). Unwahr sei Eisners Versicherung, die Entente hätte ihm erklärt, sie wolle auch mit Arbeiter- und Soldaten­ räten verhandeln. Zu solcher Entwürdigung gebe sich die Entente nicht her. Deutschland setze die Ausgestaltung seiner bolschewistische» Arbeiter- und Soldatenräte fort und grabe sich damit sein Grab. Clemenceau habe deutlich erklärt, mit Soldaten- und Arbeiterräten in Deutschland gebe es keinen Frieden, sondern rücksichtslose Fort­ setzung des Krieges. (Siehe auch die Note der Agence Havas vom 30. November 1918, „Münchener Zeitung" Nr. 329; siehe auch die Bayerischen Dokumente S. 62 und 63 Nr. 9—14; siehe unten das Nähere. , Der Geist des französischen Patrioten Clemenceau wandte sich offenbar in tiefstem Ekel vor diesem „Patrioten" ab! Tiefer konnte die Demütigung eines „deutschen Ministerpräsidenten" vor dem Auslande nicht gehen! Aber nationales Schamgefühl war eine Eigen­ schaft, die m. E. für Kurt Eisner nicht existierte. Welche unseligen Wirkungen dieser Selbsibefleckungsfeldzug Eisners für die deutsche Sache hatte, das zeigte mehr als alles die Rede des damaligen franzö­ sischen Präsidenten Poincare, der die sogenannte Pariser „Friedens­ konferenz" im Jahre 1919 mit einer Rede eröffnete, in der er aus­ drücklich auf die Eisnerschen Veröffentlichungen und Fälschungen hinwies und erklärte: „Mit der Frage der Schuld am Kriege brauche man sich nun nicht mehr zu beschäftigen, denn man habe ja durch eine deutsche Regierung nunmehr den authentischen Beweis dafür bekommen." So hoch schätzte der größte Deutschenhasser das Eisnersche Zertrümmerungs­ werk: so wurde Eisner zum Vater des Versailler Schmach­ friedens, zum Totengräber der Idee deutscher Wieder-

6i

geburr und wirtschaftlicher Wiederaufrichtung für Jahrjehnte!y)2)

in.3) Geraume Zeit nach Fertigstellung des Manuskripts dieser Arbeit, aber vor ihrer zurückgehaltenen Veröffentlichung erschienen die Bayerischen Dokumente zum Kriegsausbrüche und zumVersaillerSchuldspruch, im Auftrage des Bayerischen Landtags bearbeitet vom Abgeordneten Dr. Dirr. Sie interessieren hier vor allem in ihrem ersten Teile. Sie wiederholen die Veröffentlichung Eisners vom 23. November 1918 in der Zu­ sammenstellung mit dem Original des Berichts des bayerischen Geschäftsträgers v. Schön an den damaligen Vorsitzenden des Ministerrats Grafen v. Hertling und weisen nochmals die seit August 1919 bekannte tendenziöse Fälschung durch Kurt Eisner nach (stehe S. 1—16). Die Auswirkung der Fälschung in Versailles im Schuld­ berichte der Entente, in der Mantelnote des Ultimatums vom 16. Juni 1919 wie in dem Berichte selbst ist dort (siehe S. 17 ff.) einwandfrei dargetan. Bon den Urkunden und Äußerungen Eisners interessieren hier am meisten die zur Vorgeschichte jener uv*) Über die Schuldfrage siehe gegen Eisners Schmach auch die Broschüre der Zentrale für Heimatdienst „Unser gutes Recht", 1921, das auch die mehrheitssozialistische Stellung wiedergibt; dann außer Lloyd Georges Reden vom 3. Dez. 1920 u.28. Juli 1922 Nitti a. a. O., der erklärt, alle Staaten, auch Italien, haben schuld am Kriege, starke Schuld der Kaiser, keine Schuld das deutsche Volk, Rußland vielleicht „die allergrößte" (S. 88), ferner Professor Beazley in seinen Schriften und Äußerungen, Bogitschewitschs Kriegsursachen, Edith Durhams „20 Jahre Balkanwirren", Loreburns „How the War came“; Sidney Fay in der ,,American Historical Review“, Juli bis Oktober 1920; Dokumente der russischen Regierung und Akten über den Suchomlinow-Prozeß. Das >,Livre Noir", Diplomatie d’avantguerre d’apr£s les documents des Archivs russes, Nov. 1910 — Juillet 1914 („correspondance Iswolsky“) und v. Siebert, Diplomatische Aktenstüae zur Poli­ tik der Entente 1921; ferner siehe die Merkblätter zur Schuldfrage, herausgegeben von der Zentralstelle zur Erforschung der Kriegsursachen von Dr. Ernst Sauerbeck; dort insbesondere das englische Schrifttum zur Schuldfrage von Hermann Lutz, 1922 zusammengestellt. Dazu C. E. Montagnes „Disenchantment“ („Ent­ zauberung") usw. Eine Riesenliteratur zur Beseitigung der Schuldlüge des Art. 231 des Versailler Diktats und zur Widerlegung des Eisner-Foersterichen Nachweises! 2) Während des Druckes dieser Arbeit spielte sich der Prozeß wegen Fälschung der Dokumente vor dem Münchener Gericht ab. Es wurde daher unten ein be­ sonderes Kapitel über diesen Prozeß in die Arbeit nachträglich eiugefügt. 3) Nachträglich während des Druckes eingeschaltet.

62 seligen, hochverräterischen, gefälschten Enthüllung vom 23. No­ vember 1918, die Scheidemann mit Recht einen „Keulenschlag" gegen die deutsche Sache genannt hat und die die eigentliche sogenannte „rechtliche" Grundlage des ganzen Versailler Diktats für die Entente bilden mußte (siehe dort S. 25 ff.). Besonders wertvoll, weil teil­ weise neu, sind die Briefe des damaligen bayerischen provisorischen Gesandten in der Schweiz, Professor Dr. Foerster. Sein Briefwechsel

mit Kurt Eisner zeigt den geradezu unfaßlichen Illusionismus dieser beiden Männer. Beide sind blind für die Verbrechen der Westmächte, sie sehen nur die Schuld der eigenen Nation. Diese schmähen sie fort­ gesetzt rückhaltlos; für die Feinde haben sie Entschuldigungen und

Beschönigungen. Der „Tiger Clemenceau" ist ihnen der milde Idealist, der nur darauf brennt, uns zu helfen, sobald wir uns von den Scheu­

salen -es alten Regiments losgemacht haben. Zu diesen zählen aber nicht nur Solf und Erzberger, sondern auch Ebert, Scheidemann und Dr. David. Foerster ist stolz, daß er „wegen seines Universitäts­

konflikts ein unbedingtes Vertrauen" bei der Entente besitze (Bericht vom 16. November 1918). Alles wird gut: Lebensmittel, gute Friedensbedingungen erhalten wir, wenn wir nur in Sack und Asche Buße tun und den „neuen Geist" anlegen, — aber in wirklicher Demut und völliger Zerknirschung. Die naive Vertrauensseligkeit, der stupende Mangel jeglicher Menschenkenntnis, die geradezu kind­ liche Art eines falschen, illusionistischen Idealismus tritt in jedem Be­ richte Foersters immer von neuem verblüffend hervor (siehe insbesondere Bericht vom 13. November a. a. £>. S. 29; vom 14. November S. 31;

vom r6. November S. 33). Ein großer Vertrauensmann Clemenceaus, der selbst die beiden bös von sich abschüttelt, spielt eine verhängnisvolle Rolle. Sein Name wird nicht bekannt. Er legt Foerster auf der ganzen Linie hinein. Clemenceau kam es offenbar nur darauf an, uns vor aller Welt durch unser eigenes Zeugnis ins Unrecht zu setzen,

dazu waren ihm Kurt Eisner, Foerster und Konsorten die Kronzeugen aus „deutschem Lager", die er brauchte. Der Mann, der mit Kurt Eisner die furchtbare Schuld zeitlebens mit sich herumträgt, sein Land schmählich an den Feind verraten zu haben—wenn auch offenbar ohne eine Ahnung der Folgen seines Tuns—/schreibt am 16. November an Eisner: „Sie dürfen als schönsten Lohn für alle Ihre Mühe das Bewußtsein haben, daß Sie in diesem Augenblicke Deutschland gerettet haben." Man greift sich an den Kopf, ob man es mit einem — Narren oder mit einem geistig hochstehenden Manne zu tun hat, der so mit

6z Blindheit geschlagen sein konnte! „Die Entente — ausgenommen Italien — ist absolut nicht vom Imperialismus beherrscht; ihre Politik ist daher im Einklänge mit dem wirklichen Sachverhalt.... Der Westen hat dem Gewaltregiment in jeder Form den Krieg er; klärt" (!). — Der Verfasser wundert sich, wie nach Versailles Pro; feffor Foerster überhaupt noch in der Öffentlichkeit aufzutreten wagt! Das ist nur in Deutschland möglich! Freilich eins scheint dieser Briefwechsel Foerster — Georg Herron—Eisner — Jaffe zu zeigen: Eisners Anteil an dem Verrat der deutschen Sache wurde bisher etwas überschätzt. Eisner er; scheint einigermaßen entlastet. Die Hauptschuldigen, wenigstens nach diesem Briefwechsel, sind George D. Herron, der später selbst schuldbeladen und niedergedrückt gestand, daß er das deutsche Volk ins Unglück mit hineingetrieben hätte (siehe Nr. 12 vom 17. November 1918 und Herrons Schrift „Der Pariser Frieden und die Jugend Europas" (erschienen im Verlage Ernst Rowohlt, Berlin 1920)x), und besonders Professor Foerster-) im Verein mit Jaffe und T) George D. Herron hat später in seiner zitierten Schrift folgendes eirrgestanden: ..„Es war wirklich im Grund genommen dieser Glaube des deutschen Volkes an die 14 Punkte und deren geistigen Urheber, der die Niederlage der deutschen Armee im Jahre 1918 veranlaßte. ... Es war Wilsons gegebenes Wort, das das Deutsche Reich inwendig ausgehöhlt und so jenen Sieg vorbereitet hat... Herron legt selbst ein persönliches Geständnis ab: „Später überzeugte ich die Deutschen von etwas, an das ich selber ebenfalls glaubte, von der absolut sicheren Einhaltung der 14 Punkte. Jene, die ich überzeugt hatte, überzeugten wiederum andere ihrer Landsleute von diesem gesicherten Versprechen. ... Der bestimmte Glaube, daß die Botschaft Wilsons die Grundlage des Friedens bilden würde und das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wurde, wurden schließlich so stark und allgemein, daß sie das ganze deutsche Volk (?) durchdrangen und endgültig zum Frieden bestimmten." Diese Auffassung Herrons von der zermürbenden Wirkung der 14 Richt­ punkte wird jetzt von einer Reihe amerikanischer Schriftsteller (siehe unten die erschütternde Äußerung von Bruce) geteilt und vertieft, der italienische Mi­ nisterpräsident Nitti bestätigte sie in seiner Schrift nach allen Richtungen. -) Wir sehen unten, daß sogar Foerster sehr bald, anfangs Dezember 1918, nachdem er sich — um mit Minister v. Frauendorfer zu sprechen — das „Bordell" in München, genannt Ministerium des Äußeren, angesehen hatte, Angst vor dem Bolschewismus seines Freundes Eisner bekam, was in einem sorgen­ vollen Artikel in der „Münch. Post" vom 2. Dezember 1918 zur Erscheinung kam. Anderseits macht die Art, wie Foerster nach dem Erscheinen der Bayer. Dokumente seine Sprüche von dem „intimsten Vertrauensmanne Clemenceaus" in eine harmlose, „durchaus inoffizielle Persönlichkeit" umzuretuschieren sucht („Münch.

64 Dr. Mückle, dem famosen Gesandten in Berlin, der noch einesMannes bedurfte, um das Kraut fett zu machen, — Maximilian Hardens. Es ist durch die Veröffentlichung nachgewiesen, daß Eisner ganz von -em Urteile dieses Kreises abhängig war. Was sie ihm raten und

soufflieren, das führt er aus. Er ist kein „eigener Kopf", so sehr sich im Prozesse auch nachträglich Unterleitner und Fechenbach an­ strengten, diesen zu rekonstruieren! Köstlich ist u. a. Mückles Bericht an Eisner vom 19. November

1918 (siehe dort 6.43ff.): „Während in Bayern förmlich lebens­ durstige Kräfte aufquellen, ein Drang zur Höhe (!) die Massen belebt und ein feierlicher Ernst das gewaltige Ereignis weiht (!), herrscht in Berlin Verdrossenheit, bange Schwüle...„Um die versinkende

Flamme des revolutionären Geistes zu beleben, müssen wir ver­ langen (das ist auch Hardens Meinung!): 1. sofortige Veröffent­ lichung der Geheimakten; Verhaftung der Schuldigen.... 2. Versuch, die Regierung sofort von den unfähigen Elementen zu säubern.... Sollte die Reichsregierung unseren ernstesten Vor­ stellungen kein Gehör schenken, so müßten wir den Abfall des Südens wenigstens androhen!..." Dann kommt die Er­ klärung Hardens als „bedeutendster Politiker", den Mückle bisher gesprochen, und Vorschlag, ihn als Delegierten bei den Friedens­ verhandlungen zu wählen! Also hier der Ursprung der unseligen Veröffentlichung (des „Keulenschlags gegen das deutsche Volk"): Mückle und Harden als Urheber des Aktes, gegen den vom Auswärtigen Amte (siehe Erklärung vom 25. November 1918, a. a. £>. S. 51) mit Recht als für das Reich verderblich sofort scharfe Verwahrung eingelegt wurde, gegen den inhaltlich der frühere Reichskanzler unterm 27. November 1918 in der Deutschen Allgemeinen Zeitung wie Staatssekretär Zimmer­ mann am 29. November sachlichen Protest erhoben und der bei der Berliner Konferenz vom 25. November scharfe Kritik seitens der Post" vom 21. Februar 1922), 'einen geradezu kläglichen Eindruck (stehe die Gegenüberstellung der beiden Äußerungen Foersters in „Münch. N. N." Nr. 85, 1922). Foerster, der sogar den Helden von „J’accuse“ zu offiziösen Dolksvorträgen im Auftrage der Regierung empfahl, spielt noch immer den be­ sorgten Patrioten: Wahrhaftig ein starkes Stück selbst für ein politisch so unreifes und harmloses Volk wie das deutsche, das an Selbsterniedrigung Unglaubliches leistet (siehe das „Masseninterview" von Or. Miles Bouton „Münch. N.N." vom 29. April 1922, der von „ekelhaften Proben des deutschen Pazifismus" verächtliche spricht).

65 anderen Länder fand. Die weiteren Verhandlungen vom 25. November 1918 (siehe a. a. O. S. 66ff.) führten Mückles Rat entsprechend zur Anzeige des Abbruchs der Beziehungen zum Auswärtigen Amt am 26. November 1918 (siehe S. 72), zur Kundgebung der Münchener Arbeiter--, Bauern- und Soldatenräte zwecks Beseitigung derr „Be­ lasteten" vom 27. bzw. 30. November 1918 und zu der aufreizenden Rede Eisners in der Landestagung (vom 28. November 1918) der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte (siehe a. a. O. S. 75), in der er gegen die Reichsregierung donnerte, die trotzdem den bayerischen Antrag auf Einberufung einer zweiten Konferenz der Vertreter der deutschen Freistaaten ablehnte (4. Dezember 1918, S. 83). „Repentir“, „repentir“, verlangt Foerster. Und seine krankhafte Vorstellung, durch Reue Frieden, guten Frieden, Brot, Achtung, Ehre, kurzum alles zu gewinnen — und zwar alles durch den „neuen, besonderen Geist Bayerns", der in Eisners und Foersters Vorstellung Deutschlands Stern ist, kommt immer wieder zum Durchbruche. Eisners Selb­ ständigkeit ist es, die wir vielleicht zu hoch eingeschätzt haben. Er steht im Bann der Foersterschen Ideen. „Le repentir est le seul ehern in de la rehabilitation.“ Einer sagt^s dem anderen nach und glaubt es vielleicht auch! Dazu der Größenwahn, die Föderativzentrale in München an die Stelle der Berliner Hegemonie zu setzen (Bericht vom 22. Dezember 1918), gegen den Baden im Januar ausdrück­ lich protestiert. Freilich ein starker Flecken blieb auf Eisuers „ideologischer Ehrlichkeit": die unverantwortliche Fälschung des Schön­ scheu Berichts, welche in ihrer Tragweite und Unwahrhaftigkeit erst durch Veröffentlichung des sonstigen Briefwechsels der bayerischen Vertreter in Berlin, Wien, Paris und Rom mit dem Grafen v. Hertling und dem Könige erst in das richtige Licht gesetzt wurden (siehe a. a. O. S. ui ff.).

Müller- M., Bayern.

66 4« Kapitel.

Der Prozeß über Eisners Schulddokumente.l) i. Der Ende April 1922 während des Druckes dieser Arbeit am Schöffengericht des Amtsgerichts München siattfindende Prozeß Fechenbach contra Coßmann, Müller und Genossen gab ein klassisches Bild von der wahrhaft tragischen Mischung von Raffiniertheit und

Narretei Kurt Eisners und seiner unreifen Umgebung (siehe im Prozeßberichte vor allem die Aussagen der Zeugen Universitäts­ professor Dr. Alexander v. Müller und Graf v. Soden). Dort wurde u. a. konstatiert, daß Eisner in der fraglichen Zeit (24. November 1918) Clemenceau, Lloyd George und Wilson als „die größten Idealisten" bezeichnete, was nicht nur im Gerichtssaale, sondern wohl in der ganzen Welt stürmische Heiterkeit auslöste. Der „£iget" Clemenceau, von dessen haßerfüllter wahrer Natur der italienische Ministerpräsident Nitti ein lebendiges Bild entwirft, als „idealer Friedensengel"! Wäre die Narretei für Deutschland nicht so ver­ hängnisvoll gewesen, man müßte herzlich darüber lachen (stehe über die Folgen u. a. die Aussage des Zeugen Frhr. v. Lersner). Zeuge Graf v. Soden erzählte u. a. folgenden charakteristischen Vorgang vom 24. November 1918 (nach dem Prozeßbericht der „Münchener Neuesten Nachrichten", den im folgenden der Verfasser, der teilweise persönlich dem Prozesse beiwohnte, benutzt): „Nach

Ausführung ereignete sich folgendes: Herr v. Stock­ hämmern ergriff das Wort und wies darauf hin, daß er in einer Eigenschaft als Mitglied der Waffensiillstandskommissiou sich davon habe überzeugen können, daß Clemenceau nicht daran denke, das deutsche Volk zu schonen, daß im Gegenteil die Verhandlungen ergeben hätten, daß die Franzosen das deutsche Volk absolut ver­ nichten wollen. So ungefähr lautete seine Erklärung. Daraufhin — ich sehe das Bild jetzt noch vor mir — sprang Eisner auf und rief: ,Oerartige Dinge werden von Gegnern der Revolution in die Welt gesetzt, um die berechtigte Wut des Volkes, die sich sonst gegen sie richten würde, auf die Entente abzulenken. Ich habe das größte Zu­ trauen zur Entente und lasse mich darin nicht irre machen." Wie Shaw Eisners

0 Auch dieses Kapitel wurde während des Druckes eingeschaltet.'

67 vom Fürsten Lichnowsky, der Sir Edward Grey als einen der größten

Freunde Deutschlands bezeichnete, so möchte man hier ausrufen: „0 sancta simplicitas!“

Aus der wichtigen, teilweise sensationell wirkenden Zeugenaussage der

des Sachverständigen General Graf v. Montgelas, Mitglied

Viererkommission, sei die Zusammenfassung über die Fälschung des v. Schönschen Berichts wiedergegeben:

Eisnersche

„Mein Gutachten über -en Bericht als solchen geht also dahin, daß er an mehreren Stellen absichtlich, an einigen Stellen infolge mangelnder politischer Schulung und Unkenntnis des Bearbeiters derart entstellt worden ist, daß ein Unparteiischer oder übelwollender Leser daraus entnehmen konnte, vielleicht sogar entnehmen mußte, Deutschland und Österreich hätten eine Aktion gegen Serbien vereinbart, von der sie hofften, nicht etwa fürchteten, daß daraus ein europäischer Krieg entstehen würde. Der Bericht der Ententekommisflon vom März 1919 (nach bem Zeugnis des Sachverständigen das „schlampigste Machwerk, das noch je ge­ schrieben worden ist". Oer Verfasser) läßt keinen Zweifel darüber, welch schädliche Wirkung dieser Bericht auf die 15 Mitglieder dieser Kommission ausgeübt Hai."

Selbst der sozialdemokratische Anwalt Philipp Löwenfeld des Privatsekretärs Eisners, Fechenbach, mußte am 2. Mai 1922 im Gerichtssaale erklären, „Eisner wäre der größte Schuft, wenn er in Kenntnis des jetzt bekannten Materials noch an seiner früheren An­

schauung über die Allein- oder Hauptschuld Deutschlands festhalten wollte". Und auch Fechenbach erklärte, daß er au seiner Ansicht bejüglich der Alleinschuld Deutschlands nicht festhalteu könne: Erfolg jenes Prozesses!

Ein

Die sämtlichen 24 Sachverständigen — nur in der Diktion und in subjektiver Beziehung etwas voneinander in der Nuancierung abweichend, ob mehr Fahrlässigkeit oder mehr mala fides — waren der Meinung, daß objektiv sich Eisner der „Fälschung" ent­ scheidender, wichtiger Urkunden und Tatsachen schuldig gemacht habe, die von größtem Schaden für die Behandlung der Schuldfrage zum Schaden Deutschlands waren (stehe Näheres in dem steno­ graphischen Bericht über die Schöffengerichtsverhandluagen vom 27. April bis 3. Mai 1922).

Aus den Sachversiändigen-Gutachten über die Wirkungen des Eisnerschen Verfahrens sei folgendes festgestellt. Ober­ archivrat Dr. Striedinger konstatierte: „Ich bin also der Überzeugung, daß die Absicht, den Text in seinem Sinn zu ändern, tatsächlich geherrscht hat...." Über die Frage, ob die Publikation Eisners den deutschen Interessen genützt oder geschadet habe, sagt der Sachverständige:

5*

68 „Ich finde es außerordentlich beschämend, daß Männer, die sich Deutsche nennen, sich dazu Herbeilaffen, dieses Fälschergeschäft unseren Gegnern abzunehmen. Die Absicht war, Clemenceau durch ein Schuldbekenntnis günstig zu stimmen. Diese Absicht aber ist mißlungen und war nichts anderes als ein Versuch mit unzu­ reichender Kraft und Kenntnissen, mit anderen Worten, das eine wie das andere war die Arbeit von Dilettanten, die sich zu Staatsleitern aufgeworfen haben, ohne dazu die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse zu besitzen." Andere Sachverständige verwiesen insbesondere auf die Auslassung in einem amtlichen englischen Weißbuch, wo von einem „furchtbaren Dokumente" Eisners die Rede ist, das „die Frage der Kriegsschuld Deutschlands erwiese" sowie auf das Zeugnis Morels hin, der erklärte, daß diese Flagellantenmanier die Bemühungen der englischen Arbeiterschaft, Gerechtigkeit zu schaffen, schwäche und lähme.

Geheimrat Dr. Hans Delbrück: „An der Feststellung, daß Deutschland und Österreich einen Weltkrieg geplant hätten, ist kein wahres Wort. Das ganze war eine notgedrungene Defensivaktion. Delbrück verwies arf Kautskys Äußerung in seiner Schrift „Delbrück und Wil­ helm II.": Ich war sehr überrascht, als ich Einsicht in die Akten bekam. Meine ursprüngliche Auffassung erwies sich als unhaltbar. Deutschland hat auf den Weltkrieg nicht planmäßig hingearbeitet. Es hat ihn schließlich zu vermeiden gesucht. Kautsky hat gefunden, daß die Beschuldigung, auf der der Versailler Vertrag auf­ gebaut ist, daß Deutschland nicht aus Fehlern, aus Dummheit, sondern aus bösem Willen den Krieg entzündete, von Grund aus falsch sei."

Der Sachverständige bemerkte, daß er nach dem bisherigen Prozeßergebnis, demzufolge Eisner Wilson, Clemenceau und Lloyd George als die größten Idealisten betrachtete, seine frühere Charakteristik als „Schurken" nicht aufrecht­ erhalten könne. Er habe Eisner immer für einen großen Phantasten gehalten, aber diesen Grad der Narrheit doch nicht erwartet. Wenn einer in solcher Narrheit etwas tue, dann könne er das wohl verurteilen, aber er könne es nicht mehr eine Schurkerei nennen. Die Fälschung bleibe auch nach seiner Überzeugung bestehen. Der Sachverständige wies ferner darauf hin, daß all das nicht bloß im Aus­ lande sehr geschadet habe, sondern auch bei uns. „Daran, daß bei uns der moralische Zusammenbruch so stark war und man sich immer mehr selbst beschuldigte, haben diese Veröffentlichungen mitgewirkt. Weshalb hat die Regierung, die wir im November bekommen haben, nicht viel schneller die Dokumente zusammenstellen und veröffentlichen lassen? Weil sich bei ihr auch schon die unselige Vorstellung gebildet hatte, es helfe alles nichts. Das deutsche Volk hat sich viel schuldiger gefühlt, als es in Wirklichkeit war. Das ist so weit gegangen, daß es in Versailles der Viererkommission schwer gelungen ist, ihren Bericht zur Annahme zu bringen, weil es den Herren in Berlin schien, als wäre er zu günstig.... Es wäre das Wirk­ samste, wenn einer der Minister im Reichstage aufstehen und mit aller Energie die Wahrheit, wie sie im Gerichtssaal hier ausgetreten ist, darlegen würde.. ♦. Wir verhindern selbst, uns eine andere Stellung zu schaffen, indem wir über diese Frage nicht einig werden können. Das hat seine Wurzeln in dem Niederbruch, in der Auffassung: Bekennen wir nur unsere Schuld, dann wird uns vergeben werden, dann werden die Völker in eine große Verbrüderung und Versöhnung

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69

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eintreten. Diese Stimmung hat das Schuldbekenntnis erzeugt, das uns nun tot? ein Mühlstein am Halse hängt" x).

Unter den Sachverständigen-Gutachten von Gelehrten der ganzen Welt ist das des Professor Eduard Dujardin von der Pariser Sorbonne besonders wichtig und interessant. Er sagt u. a.: „Es kann mehrere Arten von Fälschungen geben, wie es mehrere Arten von Lügen gibt. Es gibt die unbedachte (unüberlegte) Lüge eines Gassenbuben, der die Wirklichkeit der ihm zur Last gelegten Handlung leugnet; es gibt die aus­ geklügelte (wohlüberlegte) Lüge eines Escobar, der mit zweideutigen Mitteln und ohne etwas der Wahrheit geradezu Widersprechendes zu behaupten, den Glauben erweckt, daß das, was ist, nicht ist. Niemand wird zweifeln, daß die zweite Lüge unendlich gefährlicher und unendlich strafbarer ist als die erste.. ♦. Diese Person, die den Bericht veröffentlichte, hat nicht die Fälschung be­ gangen, die darin bestände, ein Wort zu verändern; aber sie hat jene unendlich schwerere begangen, die darin besteht, den Sinn eines Zeugnisses zu fälschen, indem man einen wesentlichen Teil davon ausläßt. Das ist nicht die unbedachte Lüge eines Gassenbuben; das ist die Betrügerei eines Escobar. Zusammenfassend ist meine Ansicht die, daß der Text, so wie ihn die „Bayerische Staatszeitung" veröffentlicht hat, eine der offenkundigsten und ruchlosesten Fälschungen der Geschichte ist."

II. Das Urteil vom 12. Mai 1922, das mit Freisprechung der drei Hauptangeklagten endete, stellte in völliger Übereinstimmung mit den

SachverständigemGutachten u. a. folgendes fest: „Aus all diesen weggelaffenen Teilen und Stellen geht hervor, daß Deutschland l) Der Sachverständige Dr. Dirr stellte u. a. folgendes fest: In der franzö­ sischen Kammer habe Barthou als Berichterstatter der Kammer den Eisnerschen Bericht in seiner gekürzten Form zum Mittelpunkt seiner Beweisführung gegen Deutschland gemacht. Bärthou habe erklärt, das Eisnersche Dokument genüge, um die Verantwortlichkeit der Berliner Regierung festzustellen (6. August 1919). Im französischen Senat sei die Veröffentlichung Eisners am 10. Oktober 1919 ebenfalls behandelt worden. Der amtliche Bericht in der Untersuchungs­ kommission des Senats habe nach dem Vorgang der Kommission in Versailles den gekürzten Bericht gleichfalls benutzt. Bezeichnend sei das ganze Verfahren, das auf Grund dieser Publikation beliebt wurde und das gläubig von der ganzen Welt entgegengenommen wurde. Auch im Vatikan und anderwärts habe man die volle Glaubwürdigkeit der Eisnerschen Auszüge angenommen Gegen dieses Verfahren, das nur möglich war auf Grund dieser einseitigen Publikation, habe sich sogar ein Franzose, Georges Demartial, gewendet (stehe dazu auch die aus­ ländischen Sachverständigen-Gutachten in jenem großen Prozesse sowie insbesondere auch die Aussagen der Sachverständigen Dr. Karo und Dr. Joh. Lepsins).

70 wohl die Gefahr des Weltkrieges erkannt hat, daß es den Weltkrieg aber nicht gewollt hat, daß es seinen Ausbruch zu hindern bestrebt war, daß es eine Lokalisierung des Krieges herbeizuführen sich be­ mühte." ... „Die Art der Veröffentlichung durch Eisner sei nach alledem eine unrichtige Wiedergabe, die den Sinn des Inhalts der Urkunden entstellte, ihn teilweise sogar in sein Gegenteil verkehrte."... „Die irreführende Art der Wiedergabe der Berichte und Fernsprech­ meldungen habe Eisner bewußt und absichtlich gewählt,... in der Art veröffentlicht, daß sie ein Schuldbekenntnis wurden, obwohl sie es nicht waren...." „Die Veröffentlichungen Eisners sind somit eine Fälschung im wahren Sinne des Wortes," und zwar eine amtliche Fälschung. Über die unselige Wirkung der Fälschung heißt es in dem Urteile u. a.: „Unsere Gegner haben sich mit Freuden der Veröffentlichung bemächtigt, nicht um einen Frieden der Völkerversöhnung zu schließen, sondern um den in dem eingangs erwähnten Artikel 231 des Friedensvertrags aufgestellten, von Deutsch­ land nicht aus Überzeugung, sondern nur unter dem Drucke der damals verzweifelten Lage anerkannten Spruch, Deutschland sei Urheber des Weltkrieges, durch ein deutsches Zeugnis mitzustützen, einen Spruch, der die Deutschland auferlegten unerträglichen Lasten rechtfertigen soll. Dem Vorsitzenden der Deutschen Friedens­ delegation, Kurt Freiherrn von Lersner, tönte nach seiner beeidigten Zeugen­ aussage, wenn er sich mit den Gegnern über die Schuldfrage unterhielt und dabei die Frage verneinte, der Name „Eisner" entgegen. In dem Berichte der Kom­ mission der Gegner für die Feststellung der Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges und die aufzuerlegeuden Strafen vom 29. März 1919 an die Konferenz der Friedenspräliminarien ist die Veröffentlichung Eisners zum Beweise von Deutschlands Schuld mehrfach erwähnt, dazu teilweise noch mit weiteren Ent­ stellungen. (Deutsches Weißbuch über die Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges, Berlin 1919, Seite 31 ff.) Die deutsche Viererkommission konnte in ihren Bemerkungen vom 27. Mai 1919 zum Bericht der Kommission der alliierten und assoziierten Regierungen über die Verantwortlichkeiten der Urheber des Krieges (Deutsches Weißbuch S. $6ff.) die Veröffentlichung Eisners nicht als Fälschung entlarven, weil ihr der volle Wortlaut der Berichte und Fernsprechmeldungen damals nicht bekannt war. Die Mantelnote des Ultimatums vom 16. Juni 1919, in dem die Gegner die unbedingte Annahme des Friedensdiktats von Deutschland forderten, und das Ultimatum selbst enthalten eine ausführliche Schuldanklage. Sie beruhen auf dem Bericht der Kommission der Gegner vom 29. März 1919 und dadurch mittelbar auch mit auf der Veröffentlichung Eisners. Die Fälschung ist eines der Hindernisse im Kampfe gegen die Behauptung der Alleinschuld Deutschlands im Weltkriege, einer Behauptung, die sich nach den eidlichen Aussagen der mit dem wirklichen Sachverhalt besonders vertrauten Sach­ verständigen, nach dem Inhalt der Bücher, die deutschen Dokumente zum Kriegs­ ausbruch und die bayerischen Dokumente zum Kriegsausbruch und zum Versailler Schuldspruch, nicht rechtfertigen läßt, einer Behauptung, die, wenn auch die Gegner

7i gleich Rußland einmal ihre Archive öffnen, wohl zweifelsfrei entkräftet werden wird, eine Behauptung, die auch Fechenbach nicht aufrechterhält."

Das Urteil wurde durch Verzicht auf die Berufung rechtskräftig: Rur außergewöhnliche Ungeschicklichkeit und Kurzsichtigkeit amtlicher

Stellen in Berlin konnte seine Bedeutung herabsetzen.

III.

Vielleicht darf der Verfasser seinen persönlichen Eindruck von Eisner in diesem Falle wie im allgemeinen nochmals kurz zeichnen. Das nil nisi bene de mortuis muß leider gegenüber einem Manne von dieser Schädlichkeit für das Schicksal eines großen Volkes zurücklreten. Falsche Sentimentalität hat das deutsche Volk nur zu oft ins Ver­ hängnis getrieben. Angesichts des völlig richtigen vernichtenden

Verdikts durch den Franzosen Dujardin wäre diese Sentimentalität ein Verbrechen gegenüber dem deutschen Volk. Der Verfasser hat in der Zeit vom November 1918 bis zu seiner Ermordung Eisner

persönlich in seinem Tun und Lassen mit großer Aufmerksamkeit und hohem Interesse beobachtet. Eisner, -er ihn mit seinem besonderen Hasse als „Verantwortlichen" des alten Regimentes beehrte, hat in seinem persönlichen Tun und Reden auf den Verfasser nach der Revo­ lution den Eindruck eines raffinierten Literaten und demagogischen Rhetors gemacht, dem, als er einmal in der Macht saß, jedes Mittel recht war, sich in der Macht zu halten. Jede Spur des früheren, wohl echten „Idealismus" oder besser einer bodenlosen „Ideologie", einer moralischen„Besessenheit" für eine „große Idee", für eine—freilich ganz schleierhafte — „neue Weltordnung" war dahin, als er die Macht über Nacht in die Hände bekommen hatte. Selbst sein intimster Berater

und Leiter Professor Foerster bezeichnet Kurt Eisner als einen Mann, „der sich von wechselnden Strömungen und Stimmungen zu zwei­ deutigen Reden und Auftreten bestimmen lief"x). Diese zweideutigen Reden und Handlungen dienten damals, als er die Fälschung beging, nur dem einen Ziele, sich in seiner Stellung zu halten. Er fürchtete ein rasches Umschlagen der Volksstimmung und suchte dies durch namenlose Übertreibungen („berghohe Akten" zu seinen Gunsten, „berghohe Akten des Auslands über die Schuld

*) Professor Foerster hat Eisner jetzt mit der ganzen Clemenceau-Lüge bloß­ gestellt (siehe „Vossische Zeitung" vom 3. Mai 1922).

72 Deutschlands", 95% des Volkes ständen hinter ihm usw.) ju verhindern. Eisner wollte um jeden Preis praktischen Erfolg markieren, um sich zu behaupten. Die alte Regie­

rung mußte über Nacht einem ungeregelten Haufen von Deser­ teuren und Straßengesindel weichen, weil sie „zu viel Unglück hatte". Er wollte sich dieses Unglück, das ihn bald ebenfalls zu erreichen drohte, vom Halse halten; er, der echte Abenteurer und

Glücksritter, mimte daher als schlechter Schauspieler „Glück" in allem. „Corriger la fortune“ war seine Parole! Dazu war ihm der v. Schönsche Bericht ein ausgezeichnetes Mittel. Mit raffinierter

Durchtriebenheit änderte er absichtlich und zielbewußt den Bericht Schöns zu einem Berichte Lerchenfelds, in dem alle Stellen, die die Friedensliebe Deutschlands beweisen konnten, weggelassen, die Stellen,

die der nicht sehr geschickt abgefaßte Bericht belastend für das alte Regime erscheinen ließ, aber noch besonders herausgehoben wurden (stehe das Urteil). Ich bin fest davon überzeugt — nach dem, was Eisner im politischen Kampfe bis zum 21. Februar 1919, vor allem im Wahlkampfe sich leistete —, daß er — um mit E. D. Morell zu sprechen — „sich im Staube der Selbstverurteilung wohlfühlte", d. h. sein eigenes Volk der ekelhaftesten Selbstkastrierung aussetzte, — nur um das Wohlgefallen der Entente zu ernten und ihre Unter­ stützung in seinem Kampfe gegen die Reichsregierung, in der er aus sachlichen und persönlichen Gründen seine Todfeinde sah, sich zu erwerbe». Der Schreiber dieser Zeilen hält Eisner in diesem Stadium seines Lebens fähig zu jeder, auch der unmoralischsten Handlung, um sich in der Macht zu erhalten. Daher auch sein zähes, zweideutiges, ja doppelzüngiges Verhalten in der Frage der Ein­ berufung der Nationalversammlung, von der er wußte, daß sie das Ende seiner Herrlichkeit bedeutete, daher seine Lüge von der engen Verbindung mit Clemenceau, daher seine tendenziöse Täuschung des Volkes von seinen angeblichen Erfolgen. Das „Recht seiner heiligen Zwecke, die sinkende Flamme des revolutionären Geistes wieder neu zu beleben", war nur das eingebildete Recht des Tyrannen, seine eigenen Zwecke mit jedem Mittel zu heiligen, — auch den

schlimmsten i). Der Sachverständige Dr. Lepsius hat recht, wenn er sagte: „Ich glaube die Nachwelt wird ein hartes Urteil sprechen *) Siehe hier vor allem die Rede Eisners vom 28. November 1919 vor den Arbeiter-, Bauern-und Soldatenräten: „Ich kam nach Berlin als Vertreter Bayerns und sah da zu meiner großen Überraschung, daß in Berlin die Konterrevolution

73 über die leichtsinnige Beschuldigung, die unter frivoler Begründung in Versailles gegen Deutschland ausgesprochen wurde. Das „Friedens­ werk von Versailles ist besonders auf die Schuldfrage so teuflisch ausgesonnen, daß, wenn der Teufel seine Großmutter beauftragt hätte, es zu machen, es nicht schlimmer hätte werden können.

Man muß sich nur die Ungeheuerlichkeit der gegen uns ausgesprochenen Beschuldigungen vor Augen halten. Darum ist auch das Verbrechen derjenigen so groß, welche die Welt in dem Wahne bestärken, daß diese

Beschuldigungen richtig seien. Wir müssen uns der Frivolität derer bewußt werden, die die Welt in dem Wahne bestärken wollen, als wenn das Verdikt von Versailles gerecht sei."

Zu den Gehilfen des „Teufels" in diesem Sinne wird die Nachwelt m. E. einstmals Kurt Eisner zählen. Er mag früher „Idealist" oder „Ideologe" gewesen sein — viele Anhaltspunkte sprechen dafür, daß

er dies war —, er war seit 8. November 1918 ein anderer geworden. Aus dem verlachten „Phantasten" und „Narren" war der selbst­ bewußte und doch furchtsame Tyrann und Diktator der Straße ge­

worden! Die plötzlich und völlig unerwartet erlangte Macht, der Machtrausch war ihm ins Gehirn und ins Herz gefahren. Er kannte nur noch einen Gedanken, dem er alles andere unterordnete: seine Macht und seinen über Nacht befriedigten Ehrgeiz! Sein erstes Verbrechen war die Anzettelung der Revolution in einem Augenblicke, in dem das Vaterland von äußeren Feinden aufs höchste bedroht war, sein zweites, fast ebenso großes Verbrechen die Fälschung jener Urkunde, die das furchtbarste Kampfmittel in der Hand skrupel­ loser Feinde zum Diktat des brutalsten Frieden, den die Welt vielleicht seit Karthagos Ende erlebt hat, bildete! Seine Gehilfen, Trabanten, Stützen und Einbläser verschiedener Ordnung — vonMühlon, Foerster und Lichnowsky bis zu Mückle, Harden und Fechenbach, dem mutigen „Stenotypisten", der einst Staatssekretär des Äußeren werden sollte

nicht droht, sondern daß sie ruhig regiert. Die Konterrevolution regiert in Berlin ganz gemütlich, als ob gar nichts geschehen wäre. Als ich das sah, da holte ich aus meiner Aktenmappe jenes Schriftstück, durch das nun der letzte Schleier von den Geheimnissen dieses Weltkriegs gerissen wird, jenen Bericht des Vertreters des Grafen Lerchenfeld, des Herrn von Schoen, an den Grafe» Hertling, in dem nun in aller Behaglichkeit auseinandergesetzt wird, wie man beabsichtigte, den Weltkrieg zu entfesseln. Damit wollte ich die Konterrevolution, die regierende Konterrevolution in die Luft sprengen" (Beil. z. d. Derhandl. d. Provis. Rationalrates d. Volks­ staates Bayern 1918, Bd. I, Beil. 1, S 3.).

74 oder wollte und im Prozeß plötzlich nur willenloser Schreiber war, — wird die Verachtung der Nachwelt als Mitschuldige treffen x). Wenn in den nächsten Jahrzehnten der deutsche Industriearbeiter

zum Lohnsklaven des westlichen Großkapitals herabsinkt, so hat er das Kurt Gsner und seiner „Besessenheit" in erster Linie zu ver­

danken! 2) x) i. Zweierlei fällt auf: Erstlich die Nichtanwendung des richtigen Originaltextes des Schönschen Briefes vom 18. Juli 1914 und damit die Auf­ deckung der Gsnerschen Fälschung bei der deutschen Gegendenkjchrift der deutschen Viererkommisflon. Die Akten wurden bekanntlich in Eisners Privatwohnung am 11. Mai 1919 aufgefunden. Die Abschriften kamen am 22. Mai 1919 laut Empfangsbestätigung in die Hand des Auswärtigen Amtes in Berlin. Die deutsche Gegendenkschrift gegen die Entente-Denkschrift über die Schuldfrage wurde am 28. Mai der Entente zugeleitet. Sechs Tage war Zeit, die Originale zu studieren und zu benutzen. Die Unterlassung ist um so auffallender, als auf Veranlassung der deut­ schen Friedensdelegation in Versailles die Nachsuche und Einsendung der Ab­ schriften „der Akten um die Zeit vom 18. Juli bis zum Kriegsausbrüche" von München aus geschah. 2. Das andere ist die Art, in der Kurt Eisner, der „Demokrat", seine oder Herrn Foersters auswärtige Politik auf eigene Faust betrieb. Gewiß leisteten ihm einige seiner provisorischen, revolutionären Ministerkollegeu, vor allem Auer und Timm, sowie z. B. Eduard Schmidt und andere Widerstand. Offenbar aber hatten sie nicht den Einfluß, die gefährlichen Dinge zu verhindern, um so mehr als die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte von Eisner vollkommen für seine illusionistische und halsbrecherische Politik gewonnen waren (siehe 1. c. S. 72, 73/ 75 ff./ 79 ff.); flehe S. 84 auch die heftige Rede Dr. Quiddes im provi­ sorischen Nationalrat gegen Eisners Illusionen. „O welche Illusion und welch eine phantastische Idee, hier von Bayern aus dem Deutschen Reiche den Frieden bringen zu können!" 2) Daß das reiflich überlegte Urteil des Verfassers nicht zu scharf ist, zeigt nicht bloß oben Dujardins Urteil, sondern u. a. die Stellungnahme der Konfe­ renz der britischen Arbeiterpartei in Edinburgh (anfangs Juli 1922), wo der Prä­ sident F. W. Jowett von dem „schamlosen Charakter der Lüge von Versailles" im Zusammenhänge mit den amtlichen neuen Dokumenten unter stürmischem Beifall sprach und der Kongreß einmütig die Revision des Versailler Vertrages verlangte (s. auch unten Kap. 7 und Kap. 8, II).

75

5« Kapitel.

Die innere Politik Eisners und die Lauernlchast. „Das Volk ist frei 1 Sehr an, wie Wohles ihm geht!" (Faust; Mephisto in Auerbachs Keller.)

1. Eisner lebte bald nach echter Tyrannenart in ständiger Angst

vor Konterrevolution und Konterrevolutionären. Da er sah, daß ohne die Bureaukratie, die er ebenso wie die Presse, aus der er hervorgegaugen war, mit Schmutz bewarf, nicht zu regieren war, so

mußte er immer, wenn er einen Angriff gegen sie machte, am nächsten Tage nach innen sich wieder selbst desavouieren. An leitenden Stellen wollte er weder Leute, die durch de« Krieg „kompromittiert", „belastet",

noch die der Konterrevolution verdächtig waren, haben.

Da bewies

man ihm, daß er selbst durch sein Verhalten bei Kriegsausbruch, das er freilich als irrtümlich später widerrief, das aber jedenfalls

anfänglich sehr „kriegsfreundlich" war, hochgradig verdächtig war, daß aber vor allem seine Mitarbeiter, nicht bloß der Verkehrsminister v. Frauendorfer, sondern auch sein „böser Geist" Dr. Jaffe außer­ ordentlich „suspekt" waren, da sie an Zeitungen hervorragend betelligt waren, die dem Annexionismus sehr nahe standen. Wider­ sprüche, wohin man sah! Aber wo es die Festhaltung oder Gewinnung der Macht galt, wußte der „eigene Kopf" und „Idealist" sehr cealpolitisch und „gerissen" vorzugehen. Schwerer als die Arbeiter und Soldaten, die gegebenen Subjekte der Revolution, konnte der dritte Stand, den ein Revolutions„macher" heute notwendig braucht, die Bauernschaft, von dem Ber­ liner Eisner für seine Zwecke gewonnen werden. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, daß Eisner mit Liebknecht usw. wesentlich bei dem blinden Ludwig Gandorfer in Niederbayern die Pläne für die bayerische

Revolution entwarf. Jedenfalls soll der bei einer Autofahrt in den ersten Tagen der Revolution verunglü e Gandorfer die eigentliche Seele des Münchener Putsches gewesen sein. Eisner war klug genug, zu erkennen, daß ohne die Bauern „seine Revolution" sofort im Sande verlaufen m u ß t e, daß sie eine E i n t a g s fl i e g e sein werde. Deshalb spielte bei ihm die Gewinnung der Bauernschaft, vor allemderradikalen niederbayerischen Bauernschaft, eine ganz besondere Rolle. Schon die Abendausgabe der am Donnerstag, dem 7. November 1918, abends

10 Uhr, besetzten „Münch. N. N." brachte am 8. November an die ländliche Bevölkerung folgenden Aufruf:

76 An die ländliche Bevölkerung Bayerns!

Die schweren Schicksalsschläge, die unser Vaterland seit Kriegsausbruch getroffen, haben zu gewaltigen Umwälzungen in der Hauptstadt des Vaterlandes geführt. Unter dem Drucke der drohenden Invasion habt ihr selbst nach dem Zu­ standekommen eines baldigen Friedens unter allen Umständen und mit allen Mitteln verlangt. Diesem Verlangen haben wir Rechnung getragen. In der Nacht zum 8. November hat sich ein provisorischer Arbeiter-, Sol­ daten- und Bauernrat im Landtage konstituiert. Eine Volksregierung, die das Vertrauen der Massen besitzt, soll unverzüglich eingesetzt werden. Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so rasch wie möglich einberufeu werden. Der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat betrachtet es als die erste und größte Aufgabe, dem Volke den heißersehnten Frieden zu bringen, und ist zum Zwecke der Einleitung von Friedensverhandlungen mit den Ententemächten in Verhandlungen getreten. Noch ist aber die Gefahr nicht vorüber. Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat lehnt es zwar ab, die nationale Verteidigung durchzuführen, er wird aber unter allen Umständen den Grenzschutz aufrechterhalten, damit Leben und Eigentum der bayerischen Bevölkerung geschützt und erhalten bleibt. Zu diesem Zwecke werden alle notwendigen militärischen Maßnahmen durchgeführt werden, und ihr könnt mit Ruhe uud Sicherheit der weiteren Ent­ wicklung der Dinge entgegensetzen. Der Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern wird alles tun, die Selbst­ auslösung der Heeresverbände zu verhindern, damit Zustände wie in Österreich und Tirol, wo heimkehrende Soldaten plündern und Kulturwerte zerstören, un­ möglich werden. Bauern! Die Lebensmittel in den Städten sind durch verkehrte Maß­ nahmen der bisherigen Militär- und Zivilverwaltung knapp. Wir fordern euch auf, die neue Regierung sofort durch rege Lebensmittellieferung in die Städte zu unterstützen, denn nur dadurch ist diese in der Lage, die Massen zu beherrschen uud Hungerkrawalle mit unausbleiblichen, unseligen Folgen für das flache Land hintanzuhalten. Beamte, Bürgermeister und Gendarmen! An euch ergeht die Auf­ forderung, für Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Lande zu sorgen und die Amts­ geschäfte in der bisherigen Form auszuführen. Nicht zerstören wollen wir, sondern wieder aufbauen, und wir wollen allen Volksgenossen ohne Unterschied des Standes eine sichere Existenz schaffen, eine Existenz, die es jedem möglich macht, ein menschenwürdiges Dasein zu führen.

Es lebe die soziale Republik! Der Arbeiter-, Soldaten- und Banernrat

Kurt Eisner Ludwig Gandorfer.

77 Man bemerke, wie sogar der verhaßte „Gendarm" neben dem „Beamten" zu Hilfe gerufen und umschmeichelt wird! Die Demagogie kennt keinen Stolz! Diesen ersten Aufrufen folgte am 15. November das „ Programm der neuen Regierung", voll von Übertreibungen und Phan­ tastereien. Auch vor direkten Lügen schreckte Eisner darin nicht zu­ rück. „Die ersten Handlungen der revolutionären Regierung haben bedeutsame Erfolge gezeitigt.... Die leitenden Männer der Entente sprechen nach der Umwälzung anders als zuvor. Unser Appell an das Weltgewissen blieb nicht ungehört. Der Geist des Pa­ trioten, der die französische Republik leitet, spricht heute mit mensch­ lichem Verständnis und Vertrauen (!)." In dieser jeder nationalen Scham baren Tonart, die mit den Tatsachen im tollen Widersprüche stand und von Eisner, vor allem auf dem Gebiete der Rohstoff- und Nahrungsmittelversorgung, selbst bald desavouiert wurde, ging es weiter. Dann folgte jene Rattenfänger-Geschichte mit dem „Neben­ parlament" im Deutschen Theater zu München, wo „Beamte, Lehrer und Privatangestellte, die freien Berufe, das Handwerk, der Handel und Industrie ihre Angelegenheiten unabhängig und selbständig erörtern, ihre Wünsche und Anregungen sowohl im Zentralparlament wie in der Regierung zur Geltung bringen sollten". Am verständigsten war noch das Zugeständnis, daß man nicht in einem einzelnen nationalen Gebiet der Weltwirtschaft die sozialistische Organisation durchführen könne. „Erst die in neuer Macht auf­ erstandene proletarische Internationale" könne die „Sozialisierung" durchführen. So sollte Bayern zu einem Lande umgestaltet werden, „in dem jeder frei atmen kann, und jeder, der arbeitet, schaffend beglücktes Leben gewinnt". Ein freies, beglücktes Leben haben wir in Bayern bis in die ersten Maitage 1919 geführt! Vor allem die Drohnen der Revolution, die das Land Bayern in den „Räten" brutalisierten, haben dahin ge­ arbeitet, das Land, wie der sozialdemokratische Minister Heine erklärte, in Umsturz in Permanenz, in ein fortwährendes Herabgleiten bis zur Räterepublik, der Tyrannei der roten Garde zu bringen. Ein Ver­ brecher- und Narren-Dorado erster Klasse! Auch dieser Aufruf enthielt, wie alle folgenden, wie bemerkt, zahlreiche Unwahrheiten. Der Münchener Arbeiter-, Bauern- und Sol­ datenrat trat niemals mit den Ententemächten in Friedensverhand­ lungen, weil es der Entente nie einfiel, mit den bolschewistischen „Räten"

78 in irgendwelche Verhandlungen einzutreten (siehe oben). Im Gegen­

teil, die englische, französische, amerikanische wie die italienische Re­

gierung lehnten schroff jede Verhandlung mit den „Räten" jeder Art ab. Aber für die Bauern hatte Eisner eine ganz besondere Note mit raffinierter List sich ausgesonnen. Sie zu gewinnen, spielte er,

der Berliner Journalist, sich als — bayerischer Partikularist auf. Es gab nichts, was so dumm war, daß es damals dem Münchener Proletariat und der südbayerischen Bauernschaft nicht mit Erfolg vor­ Er erklärte zwar, daß er in Berlin „eine starke Regierung, keine Horde von Männern, die um ihre Existenz zittern", haben wolle, aber er wollte, daß die Massen in Berlin sich eine neue Republik schaffen. Den Männern, die im Auswärtigen Amte saßen, erklärte er förmlich den Krieg. In dem Kampfe gegen dis Berliner Methode wollte er ganz Süddeutschland nebst Rheinland und Westfalen unter seiner Führung vereinigen. Aus diesem Kon­ flikte war er bereit, die letzten Konsequenzen zu ziehen. Dabei wollte er gesetzt werden durfte.

um jeden Preis den Frieden. Seine Naivität ging aber so weit, daß er der Welt weismachte, seinetwegen werde die Entente uns bei der Wiederaufrichtung des durch seine Schuld mit am meisten herab­

gewürdigten Reiches helfen. Er wollte, wenn es nicht anders möglich war, auch schließlich den bayerischen Separatfrieden, — gewisser­ maßen „als Versuch" für das ganze Reich schließen. Eisner, der sich nach eigener bescheidener Bemerkung als Fachmann auf dem Gebiete

der äußeren Politik" bezeichnete (Rede vom 30. November 1918), behandelte die Staatssekretäre des Reiches, als er im Salonwagen sine» ersten Ausflug (24. November) nach Berlin, von katzbuckelnden Schranzen des alten Systems begleitet, ausführte, ausgesucht schlecht. Freilich machte das Ganze auf die Mitglieder der anderen Regierungen

mehr den Eindruck einer Karnevalsposse. Man nahm Eisner auch damals in Berlin wie im außerbayerischen Süddeutschland in keiner Weise ernst. Um so schmählicher für das Bayernland, das sich von einem solchen — in ernsten politischen Kreisen als Charlatan angesehe­

nen —, sogar vom „Vorwärts" mit schlimmem Spotte begleiteten Manne