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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL) · Tobias Nicklas (Regensburg) J. Ross Wagner (Durham, NC)
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Glaube Das Verständnis des Glaubens im frühen Christentum und in seiner jüdischen und hellenistisch-römischen Umwelt
herausgegeben von
Jörg Frey, Benjamin Schliesser und Nadine Ueberschaer unter Mitarbeit von Kathrin Hager
Mohr Siebeck
Jörg Frey, geboren 1962; Studium der Ev. Theologie in Tübingen, Erlangen und Jerusalem; 1996 Promotion; 1998 Habilitation; Professuren in Jena und München; seit 2010 Professor für Neutestamentliche Wissenschaft mit Schwerpunkt Antikes Judentum und Hermeneutik am Theologischen Seminar der Universität Zürich; seit 2016 Research Associate der University of the Free State, Bloemfontein, Südafrika. Benjamin Schliesser, geboren 1977; Studium der Ev. Theologie in Tübingen, Glasgow und Pasadena; 2006 Promotion; 2010–2016 Oberassistent in Zürich; seit 2016 außer ordentlicher Professor für Neues Testament am Institut für Bibelwissenschaft der Universität Bern. Nadine Ueberschaer, geboren 1979; Studium der Ev. Theologie in München und Tübingen; Mitarbeiterin im Projekt „Bibel und Literatur“ (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) und Mentee der Ludwig-Maximilians-Universität in München; 2009–2014 wissenschaftliche Assistentin in Zürich; 2014–2016 Vikariat; 2016 Abgabe der Promotion; seit September 2016 Pfarrerin.
e-ISBN PDF 978-3-16-153879-7 ISBN 978-3-16-153878-0 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio nalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb. de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Das vorliegende Kompendium zur Rede vom Glauben im Neuen Testament, ihren alttestamentlichen, frühjüdischen und griechisch-römischen Kontexten und ihrer frühkirchlichen Entwicklung geht auf eine Fachtagung zurück, die vom 28. Februar bis 2. März 2013 an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich durchgeführt wurde. Diese Tagung war enger auf die Rede vom Glauben bei Paulus, ihre Kontexte und ausgewählte Formen ihrer Rezeption fokussiert. Inspiriert war diese Fragestellung von zwei Qualifikationsprojekten meiner langjährigen Mitarbeiter Benjamin Schliesser und Nadine Ueberschaer, die beide gewichtige Arbeiten zum Thema verfasst haben.1 Im Anschluss an die Tagung ergab sich die Chance, den Reigen der Beiträge zu ergänzen und ein Kompendium zum Glauben zusammenzustellen, das bislang nicht existierte. Allen Referenten der Zürcher Tagung danken wir für ihre Geduld mit diesem etwas ausgedehnteren Prozess, den Autoren der zusätzlichen Beiträge für ihre Bereitschaft, in ein schon laufendes Projekt mit einzusteigen. Benjamin Schliesser hat in großer Umsicht die Organisation des Projektes übernommen und auch nach seiner Berufung auf eine Professur an der Universität Bern zu Ende geführt. Veronika Niederhofer und Kathrin Hager haben die Beiträge editorisch bearbeitet und in das geforderte Druckformat gebracht, letztere hat dann auch die Erstellung und Korrektur der Druckvorlage mit größter Zuverlässigkeit zu Ende geführt. Ohne sie hätte dieses Buch nicht zustande kommen können. Die Register wurden schließlich von Christoph Heilig (Stellenregister), Marc Eggenschwiler (Autorenregister) und Nadine Ueberschaer (Sachregister) beigesteuert. Allen Genannten gilt für ihre Mitarbeit mein herzlichster Dank. Dank gebührt gleichfalls dem Team des Verlags Mohr Siebeck für die kompetente Begleitung der Herstellung, sowie Henning Ziebritzki für sein nachhaltiges Interesse an diesem Band. 1
Zu verweisen ist auf das kurz vor Abschluss befindliche Habilitationsprojekt von Benjamin Schliesser zum „Phänomen des Zweifels im frühen Christentum“ (vgl. auch B. SCHLIESSER, Abraham’s Faith in Romans 4. Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6, WUNT 2/224, Tübingen 2007; DERS., Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, ThSt.NF 3, Zürich 2011) sowie die Dissertation von Nadine Ueberschaer, Theologie des Lebens. Glaube und Leben bei Paulus und Johannes. Ein theologisch-konzeptioneller Vergleich auf dem Hintergrund ihrer Glaubenssummarien (Diss. theol, Zürich 2016; erscheint 2017 in WUNT).
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Vorwort
Wir hoffen, dass dieses Sammelwerk einen Beitrag leisten kann zum vertieften Verständnis der Entwicklung der frühchristlichen Sprache und nicht zuletzt des Phänomens „Glaube“ in Geschichte und Gegenwart. Zürich, im Oktober 2016
Jörg Frey
Inhaltsverzeichnis JÖRG FREY Was ist Glaube? Eine Hinführung ........................................................... XI
Einführung BENJAMIN SCHLIESSER Faith in Early Christianity. An Encyclopedic and Bibliographical Outline 3
Hebräische Bibel und Septuaginta ANJA KLEIN „Wie hast Du’s mit dem Glauben, Israel?“ – der Glaubensbegriff im Alten Testament ...................................................................................... 53 FRANK UEBERSCHAER Πίστις in der Septuaginta, oder: Der Glaube der Siebzig Von was spricht die Septuaginta, wenn sie von πίστις schreibt? .............. 79 FRIEDRICH V. REITERER Glaube und seine Vorstellungsquellen. Das Zeugnis spätalttestamentlicher Schriften in der Septuaginta ............................... 109
Frühjüdisches und rabbinisches Schrifttum ANKE DORMAN Abraham’s Happiness and Faith in the Book of Jubilees ....................... 143 MARTINA BÖHM Zum Glaubensverständnis des Philo von Alexandrien. Weisheitliche Theologie in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. ............................ 159
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Inhaltsverzeichnis
DENNIS R. LINDSAY Πίστις in Flavius Josephus and the New Testament ............................... 183 STEFAN KRAUTER „Glaube“ im Zweiten Makkabäerbuch................................................... 207 MICHAEL TILLY Der Begriff des „Glaubens“ in der rabbinischen Traditionsliteratur ....... 219
Hellenistisch-römische Welt PETER ARZT-GRABNER Zum alltagssprachlichen Hintergrund von πίστις. Das Zeugnis der dokumentarischen Papyri ...................................................................... 241 RAINER HIRSCH-LUIPOLD Religiöse Tradition und individueller Glaube. Πίστις und πιστεύειν bei Plutarch als Hintergrund zum neutestamentlichen Glaubensverständnis 251 TERESA MORGAN Πίστις Between Theology, Ethics, Ecclesiology, and Eschatology ........ 275 THOMAS SCHUMACHER Den Römern ein Römer. Die paulinischen Glaubensaussagen vor dem Hintergrund des römisch-lateinischen fides-Begriffs ............................. 299
Neues Testament MICHAEL WOLTER Die Wirklichkeit des Glaubens. Ein Versuch zur Bedeutung des Glaubens bei Paulus .............................................................................. 347 JAKOB SPAETH Der Glaube des Einzelnen und der Glaube der Gemeinschaft im Ersten Korintherbrief ............................................................................ 369 CHISTFRIED BÖTTRICH Glaube im lukanischen Doppelwerk ...................................................... 399
Inhaltsverzeichnis
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MATTHIAS KONRADT Die Rede vom Glauben in Heilungsgeschichten und die Messianität Jesu im Matthäusevangelium ................................................................ 423 NADINE UEBERSCHAER „...damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes...“ (Joh 20,31). Das Johannesevangelium als Medium der Glaubensvermittlung ............................................................................. 451 KARL-WILHELM NIEBUHR Glaube im Stresstest. Πίστις im Jakobusbrief ........................................ 473 BENJAMIN SCHLIESSER Glauben und Denken im Hebräerbrief und bei Paulus. Zwei frühchristliche Perspektiven auf die Rationalität des Glaubens .............. 503 BERNHARD MUTSCHLER Die Pastoralbriefe als kanonische „Vollender des Glaubens“. Integrierender und belastbarer Glaube als Grundbegriff des Christseins und als charakteristischer und zentraler Grundbegriff des Christentums 561 JÖRG FREY Between Holy Tradition and Christian Virtues? The Use of πίστις / πιστεύειν in Jude and 2 Peter ................................................................ 609
Frühchristliche und altkirchliche Perspektiven BERNHARD MUTSCHLER Glaube als Transformationsraum für Kirche und Gemeinde? Zum Glaubensverständnis des Polykarp von Smyrna ..................................... 643 WOLFGANG GRÜNSTÄUDL Kontinuität und Innovation. Πίστις im Ersten Clemensbrief und den Ignatianen ............................................................................................. 667 JAMES A. KELHOFFER Faith and Righteousness in Second Clement. Probing the Purported Influence of “Late Judaism” and the Beginnings of “Early Catholicism” ......................................................................................... 683
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Inhaltsverzeichnis
BEATRICE WYSS Gott denken oder Gott glauben. Zur Rolle der πίστις in den Stromateis des Klemens.......................................................................................... 721 TOBIAS NICKLAS und VERONIKA NIEDERHOFER „Glaube“ und „Glauben“ in den apokryphen Akten des Paulus und der Thekla ...................................................................................... 753 ENNO EDZARD POPKES Glaube und Erkenntnis – die Soteriologie des Johannesevangeliums und des Thomasevangeliums als Kontrast- und Konkurrenzkonzepte .... 773
Kirchengeschichtlicher und systematisch-theologischer Ausblick PETER OPITZ Die Rezeption des paulinischen Glaubensverständnisses in der reformierten Tradition am Beispiel von Heinrich Bullingers Römerbriefauslegung ............................................................................ 793 VOLKER LEPPIN Sola fide und monastische Existenz. Die Amalgamierung von Paulus und Mystik in Luthers Römerbriefauslegung ......................................... 807 ANNE KÄFER Glaube als Beziehungsfrage. Ein fundamentaltheogisches Gespräch mit Karl Barth und Friedrich Schleiermacher .............................................. 829 JOHANNA RAHNER Glaube. Katholische Thesen zu einem scheinbar protestantischen Thema ................................................................................................... 857 Stellenregister ....................................................................................... 877 Register der Autorinnen und Autoren .................................................... 933 Sachregister .......................................................................................... 945
Was ist Glaube? Eine Hinführung* JÖRG FREY Was ist Glaube? Worauf richtet sich christlicher Glaube, und wodurch ist er charakterisiert? Was ist sein Inhalt und sein Grund? Ist er intellektuell zu fassen als Zustimmung zu bestimmten Propositionen, als Bejahung der Tatsächlichkeit bestimmter historischer oder dogmatischer Aussagen, ist er also eine ‚Wahrheitsvermutung‘ oder ein ‚Fürwahrhalten‘? Oder ist Glaube eher ethisch zu fassen als eine gehorsame Reaktion auf ein Gebot, ein Wort, eine Offenbarung oder als ein existentieller Akt, eine ‚Tat‘? Oder ist sein Charakter primär relational – ein Sich-in-Beziehung-Setzen und InBeziehung-gesetzt-Sein? Ist Glaube in einer mehr oder weniger engen Analogie zu menschlichen personalen Relationen ein Vertrauen, eine „gewisse Zuversicht“1?
1. Theologische Grundfragen Egal, wie man den Charakter von Glauben primär bestimmt, stellen sich dabei folgenschwere Alternativen, die nicht nur zwischen der reformatorischen Theologie und dem neuzeitlichen Denken strittig sind: Gründet ein solches Vertrauen im Menschen, in seiner Disposition oder ‚Gläubigkeit‘, seinem (anthropologisch gefassten) ‚Auf-etwas-aus-Sein‘ – oder gründet es in der dem Menschen gegebenen Zusage, der promissio Dei, dem Wort der Offenbarung? Die ‚Gretchenfrage‘ für reformatorische Theologie lautet dabei letztlich: Ist Glaube menschliche Tat oder göttliche Gabe, aktiv oder passiv – oder ist er letztlich beides zugleich? Die Fragen lassen sich noch ausweiten und mit anderen Themen in Beziehung setzen: Wie verhält sich Glaube zur ‚Offenbarung‘, zum Wort der Verkündigung oder der Prophetie, und wie verhält er sich zur menschlichen Erfahrung, der Erfahrung von Freude und Leid, Gutem und Bösem, zu Anfechtung und Zweifel und nicht zuletzt zur Erfahrung von ‚Wun-
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Für die gründliche Durchsicht dieser Hinführung danke ich Benjamin Schliesser und Esther Marie Joas sehr herzlich. 1 So Luthers Übersetzung von Hebr 11,1.
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Jörg Frey
dern‘, die ja sprichwörtlich „des Glaubens liebstes Kind“2 sind? Wie verhält sich der Glaube zur Gabe des eschatologischen Lebens und wie zur konkret ethischen Lebensführung, zur Gerechtigkeit vor Gott und zur Gerechtigkeit vor Menschen? Wie konnte es schließlich dazu kommen, dass „Glaube“ die zentrale Chiffre christlicher Religionspraxis wurde – und seit wann ist sie dies? Und wie verhält sich der christliche Glaube zu dem, was in der Religion Israels, in den Schriften des Alten Testaments oder in der griechisch-römischen Welt mit korrespondierenden Begriffen bezeichnet wurde? Das sind die Sachfragen, die in dem vorliegenden Band einer breiten, wenngleich keineswegs alle Probleme abschließend auslotenden Diskussion zugeführt werden sollen. Gänzlich hinreichend kann die bibelwissenschaftliche Diskussion über die Hermeneutik des Glaubens deshalb nicht sein, weil die neutestamentlichen Aussagen nicht nur in ihren kulturellen, frühjüdischen und griechisch-römischen Kontext und ihre frühkirchlichen Rezeptionsformen einzuordnen sind. Sie erfordern zugleich notwendig eine Reflexion im Horizont ihrer – in den verschiedenen Konfessionstraditionen unterschiedlichen – Wirkungsgeschichte und im Horizont einer systematisch-theologischen Perspektive, die die verschiedenen, zum Teil auch gegensätzlichen Wahrheitsansprüche sichtet, gewichtet und miteinander ins Gespräch bringt. In den bibelwissenschaftlichen Diskussionen, v.a. in der Evaluation der diversen neutestamentlichen Befunde, lässt sich immer wieder der Niederschlag sachlich-theologischer Optionen erkennen. Auch dort, wo dies keineswegs programmatisch intendiert ist oder in einem ‚religionswissenschaftlichen‘ Ansatz explizit vermieden werden soll, ergeben sich aus der Präsentation der textlichen Befunde Perspektiven, deren sachliche Implikationen nur in Bezug auf die differenzierten theologiegeschichtlichen Diskurse zu klären sind. Hier zeigt sich, dass Exegese von so wirkmächtigen Texten wie z.B. der Paulusbriefe nie nur ‚reine Philologie‘ oder ‚neutrale‘ Religionswissenschaft sein kann, sondern immer mit Geltungsansprüchen unterschiedlicher Art verknüpft ist, die ihrerseits sachkundig und kritisch zu reflektieren sind.
2. Exegetische Probleme und Unterscheidungen Die Bedeutung von ‚Glaube‘ als Zentralbegriff christlicher Theologie lässt sich freilich „nur im Rückgang auf das biblische Reden von Glauben zu-
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Goethe, Faust 1, 766.
Was ist Glaube?
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treffend bestimmen.“3 Dabei ist – trotz der Wirkmächtigkeit einzelner alttestamentlicher Formulierungen wie z.B. Gen 15,6, Jes 7,9 und 28,16 sowie Hab 2,4 – der Befund im Neuen Testament entscheidend, nicht zuletzt deshalb, weil „für ein christl[iches] Verständnis des G[laubens] … dessen Zusammenhang mit Jesus Christus konstitutiv“ ist.4 Hier begegnet die Rede vom Glauben, in verbaler oder nominaler Form, in praktisch allen Traditionskomplexen. Formulierungen wie: „kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15), „dein Glaube hat dich gerettet“ (Mt 9,22; Mk 5,34; 10,52; Lk 7,50; 8,48; 17,19; 18,42), „wer glaubt und getauft wird, der wird gerettet werden“ (Mk 16,16), „wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben“ (Joh 3,36) oder „selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29), aber auch Lehrsätze wie „dass der Mensch gerecht wird (allein)5 durch den Glauben“ (Röm 3,28), die ‚Definition‘ des Glaubens in Hebr 11,1, die Rede vom „in der Liebe wirksamen“ Glauben (Gal 5,6) und die evtl. antipaulinisch akzentuierte Aussage in Jak 2,17, dass der Glaube ohne Werke „tot an sich selbst“ ist, haben die christliche Verkündigung durch die Jahrhunderte bestimmt und zugleich die theologischen Streitigkeiten befeuert. Im Horizont dieser Streitigkeiten wurde immer deutlicher, dass das Neue Testament selbst kein einheitliches Glaubensverständnis enthält, sondern signifikant unterschiedliche Konzepte und Implikationen. Die Pluralität von Glaubensverständnissen geht bereits auf den biblischen Kanon zurück, und das für reformatorische Theologie zentrale Motiv des Glaubens an die Heilsbedeutung von Tod und Auferstehung Christi ist schon im Neuen Testament nicht das einzige und beherrschende Glaubensverständnis, noch viel weniger in Anbetracht des gesamtbiblischen Zeugnisses. Die historische Bibelwissenschaft hat diese Probleme längst zutage gefördert: einerseits im Blick auf den alttestamentlichen Glauben und die im Alten Testament nur an wenigen Stellen explizit hervortretende Rede von einem (verbal gefassten) „Glauben“,6 andererseits in der historischen Dif3 So K. HAACKER, Art. Glaube II. Altes und Neues Testament, TRE 13 (1984), 277– 304, 277. 4 So E. J ÜNGEL, Art. Glaube 3. Dogmatische Orientierung, RGG4 3 (2000), 971–974, 972. 5 So die heftig diskutierte Übersetzung Martin Luthers, deren sachliche Berechtigung allerdings auch von römisch-katholischen Exegeten zugestanden wurde, s. dazu bereits O. KUSS, Der Römerbrief I. Röm 1,1 bis 6,11, Regensburg 1957, 177, weiter K. KERTELGE , Paulus zur Rechtfertigung allein aus Glauben, in: T. Söding (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg 1999, 64–75, 65. 6 Grundlegend R. SMEND, Zur Geschichte von האמין, in: DERS., Die Mitte des Alten Testaments. Gesammelte Studien 1, BEvTh 99, München 1986, 118–123; H. W ILDBERGER , „Glauben“. Erwägungen zu האמין, in: B. Hartmann u.a. (Hg.), Hebräische
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Jörg Frey
ferenzierung zwischen dem vorösterlichen Glauben Jesu und dem nachösterlich formulierten Glauben „an“ Jesus,7 als den Messias, den Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. In den vier kanonischen Evangelien, die allesamt die Geschichte des irdischen Jesus erzählen und mehr oder weniger stark auf Elemente der vorösterlichen Verkündigung und Praxis Jesu zurückgreifen, sind diese zwei Ebenen der erzählten Zeit des irdischen Jesus und der nachösterlichen Deutung im Licht von Kreuz und Auferstehung zu einem nur schwer aufzulösenden Gefüge verschmolzen. Hinzu kommt die bekannte Differenz zwischen dem in den synoptischen Evangelien immer wieder thematisierten ‚Vertrauensglauben‘8 und dem bei Paulus und dann auch bei Johannes formulierten Heilsglauben. Besonders auffällig sind schließlich die konzeptionellen Unterschiede zwischen dem Glaubensverständnis des Paulus und dem des Hebräerbriefs, der vielleicht schon antipaulinistisch formulierten Glaubensparänese des Jakobusbriefs9 und den soteriologischen Konzeptionen des Judasbriefs, des zweiten Petrusbriefs und anderer Schriften des zweiten Jahrhunderts. In der alltagssprachlichen Verwendung ist ein präzises Verständnis dessen, was „Glaube“ und „glauben“ in der biblischen und theologischen Tradition meint, verloren gegangen. Weithin wird darunter ein geringeres Maß an Wissen, ein bloßes Vermuten und damit letztlich Unsicherheit verstanden – ganz im Gegensatz zu der traditionell-theologischen Rede vom Glauben als einem „herzlichen Vertrauen“10, einem göttlichen Werk11 bzw. einer Schöpfung des Wortes12 und von der ‚Gewissheit‘ des Glaubens. Im Englischen, wo größere Differenzierungsmöglichkeiten bestehen wie z.B. Wortforschung (FS W. Baumgartner), VT.S 16, Leiden 1967, 372–386; DERS., אמן, THAT 1 (1971), 177–209. S. auch den Beitrag von Anja Klein in diesem Band. 7 Diese Differenzierung wurde wirkungsvoll eingeführt in G.E. Lessing, Die Religion Christi (1780), in: Lessings Werke, hg. von J. Petersen und W. v. Olshausen, 23.Teil: Theologische Schriften 4, hg. von L. Zscharnack, Berlin 1925, 352, § 3–4, wo prägnant der Graben zwischen der „Religion Jesu“ und der „christlichen Religion“ formuliert wird. 8 Allerdings ist bereits hier das Vertrauen auf Hilfe und Heilung mit Aspekten eines Heils verbunden, das die irdisch-leibliche Dimension übersteigt und z.B. die Vergebung von Sünden impliziert, s. dazu J. FREY, Heil. Neutestamentliche Perspektiven, in: DERS., Von Jesus zur neutestamentlichen Theologie. Kleine Schriften 2, WUNT 366, Tübingen 2016, 541–586, 569. 9 S. dazu den Beitrag von Jörg Frey in diesem Band, hier S. 614f., sowie – mit einer dezidiert anderen Sichtweise – den Beitrag von Karl-Wilhelm Niebuhr in diesem Band. 10 So der Heidelberger Katechismus, Art. 21. 11 So Martin Luther in seiner Vorrede zum Römerbrief von 1522 (WA DB VII,11,6f.: „Aber glawb ist eyn gotlich werck ynn uns…“ 12 So z.B. in den lutherischen Bekenntnisschriften Ap. conf. II,73: diximus… fidem ex verbo concipi. S. zur Sache auch G. EBELING, Dogmatik des christlichen Glaubens 1, Tübingen 1979, 83f., und ausführlich H. T HIELICKE, Der evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik 3, Tübingen 1978, 19–38.
Was ist Glaube?
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zwischen „faith“ und „belief“, kann der epistemische Gegensatz zwischen „belief“ und „knowledge“ konstruiert werden,13 wobei dann „faith“ als ein eher subjektives Moment der Glaubenshaltung zurückbleibt. So zeigt sich in jeder Sprachgemeinschaft auf je eigene Weise die Schwierigkeit, wie denn von „Glauben“ so gesprochen werden kann, dass die wesentlichen Aspekte des christlichen Glaubensverständnisses dabei erfasst sind. In der bibelwissenschaftlichen Diskussion wurden dabei verschiedene Klassifikationen neutestamentlicher Glaubensaussagen vorgeschlagen, deren Wert allerdings nicht unumstritten geblieben ist. a) Hier ist zunächst die klassische Unterscheidung Martin Bubers zwischen den ‚zwei Glaubensweisen‘ des (alttestamentlich-hebräischen) jüdischen Denkens und des (griechisch-philosophisch geprägten) christlichen Denkens zu benennen,14 die Unterscheidung zwischen ‚Vertrauen‘ und ‚Fürwahrhalten‘, wobei für Buber der jüdische Jesus dem ersten Typus des ‚Vertrauensglaubens‘ und das Christentum dem ‚dogmatischen‘ Glaubenstypus des ‚Fürwahrhaltens‘ zugeordnet wird. Diese Entgegensetzung, ebenso wie auch die Annahme einer fundamentalen Differenz zwischen ‚hebräischem‘ und ‚griechischem‘ Denken,15 hat sich durch die Einsicht in die frühe und nachhaltige Begegnung des Judentums mit der hellenistischen Sprache und Kultur – auch in Palästina16 – als unzutreffend oder zumindest als viel zu einseitig erwiesen. b) Mit der Unterscheidung zwischen dem jüdischen Glauben Jesu und dem auf Kreuz und Auferstehung bezogenen christlichen Glauben verband sich in der religionsgeschichtlichen Schule die Annahme einer Diastase zwischen Jesus und Paulus, zumal, wenn man letzteren ganz aus seiner hellenistischen Umwelt deutete und der Überlieferung über sein pharisäisches ‚Studium‘ in Jerusalem (Apg 22,3) Skepsis entgegenbrachte.17 Die Konsequenz war, dass man die Soteriologie des Paulus ganz aus paganhellenistischer Religiosität, etwa den Mysterien von sterbenden und auferstehenden Gottheiten, verstehen wollte. Schon das hellenistische Judentum 13 So klassisch J. HINTIKKA, Knowledge and Belief. An Introduction to the Logic of the Two Notions, Cornell 1962. 14 M. B UBER, Zwei Glaubensweisen, Zürich 1950. 15 Vgl. etwa T. B OMAN, Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, Göttingen 71983, dazu die vernichtende Kritik bei J. B ARR, Bibelexegese und moderne Semantik, München 1965 (engl. Original: The Semantics of Biblical Language, Oxford 1962). 16 S. dazu grundlegend M. HENGEL, Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 3 1988; DERS., Das Problem der ‚Hellenisierung‘ Judäas im 1. Jahrhundert nach Christus (unter Mitarbeit von Christoph Markschies), in: DERS., Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften 1, WUNT 90, Tübingen 1996, 1–90. 17 Grundlegend W. HEITMÜLLER, Zum Problem Paulus und Jesus, ZNW 13 (1912), 320–337.
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habe sich innerlich vom Judentum gelöst, und erst in einer Phase der ‚hellenistisch-heidenchristlichen Gemeinde sei es dann zur Verehrung Jesu als des gegenwärtigen Herrn, zum „Christuskult“, gekommen. Von dieser Auffassung sei Paulus durchgehend geprägt. Dasjenige Christentum, das seinen Siegeszug durch die Welt angetreten hat, muss nach dieser Auffassung geradezu als Stiftung des Paulus gelten.18 Hingegen ist es dann vom jüdischen Messiasglauben der palästinischen Urgemeinde und noch mehr von der Lehre und dem Glauben Jesu weit abgerückt; und gerade dies, die vermeintliche ‚Verfälschung‘ des ursprünglichen Glaubens Jesu, wurde nicht selten als Argument für eine tiefgreifende Christentums- und Dogmenkritik benutzt. Auch diese Konstruktionen, die von einer nachhaltigen Abwertung des zeitgenössischen Judentums bestimmt waren, wurden durch den Nachweis der frühen Begegnung des palästinischen Judentums mit hellenistischem Denken in Frage gestellt. Zudem konnte gezeigt werden, dass die einst nur aus paganen Einflüssen erklärbaren Elemente der frühen Christologie und Soteriologie ohne Weiteres aus der Sprach- und Vorstellungswelt des zeitgenössischen Judentums heraus zu verstehen sind, so dass zwischen der frühen Verehrung Jesu als des erhöhten Herrn (vgl. 1Kor 16,22) und der variantenreichen Messianologie und Eschatologie im zeitgenössischen Judentum kein unüberbrückbarer Graben mehr angenommen werden kann.19 Gewiss lassen sich die Unterschiede zwischen dem Gottesglauben Jesu und seiner vorösterlichen Anhänger einerseits und dem nachösterlichen Glauben an ihn als den Christus und Herrn nicht leugnen; Jesu Tod und Auferstehung begründen etwas Neues. Dennoch kann man dieses nicht als etwas ‚Fremdes‘ oder gar als ‚Verfälschung‘ bezeichnen,20 denn aus dem messianischen Glauben der Jesusnachfolger konnte sich angesichts der Ostererfahrungen und im Rückgriff auf vielfältige jüdische Traditionen21 schon früh und noch ganz im Rahmen des jüdischen ‚Monotheismus‘ eine neue Form der Verehrung entwickeln, die Gott mit seinem zum Herrn er18 So schon W. WREDE, Paulus, Halle 1904, 104. Exegetisch wurde diese Position in ‚christentumskritischer‘ Zuspitzung von dem jüdischen Gelehrten Hyam Maccoby erneuert, s. H. MACCOBY, The Mythmaker: Paul and the Invention of Christianity, London 1986, sowie dann auch G. LÜDEMANN, Paul: The Founder of Christianity, Amherst 2002. 19 Vgl. J. FREY, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, in: DERS., Von Jesus zur neutestamentlichen Theologie. Kleine Schriften 2, hg. von B. Schliesser, WUNT 366, Tübingen 2016, 29–84, besonders 55–84. 20 Die gerne gestellte Frage, ob der (vorösterliche Mensch) Jesus die nachösterliche Verehrung seiner Person ‚gewollt‘ hätte, führt hier in die Irre, weil sie eben von den Ereignissen von Kreuz und Auferstehung und dem damit initiierten Neuen absieht. 21 Hier sind vielfältige Traditionen von messianischen Psalmen (Ps 2; Ps 110) über das Shema Jisrael (Dtn 5,4–9) bis hin zu Vorstellungen von verherrlichten Patriarchen, oberen Engeln oder Mittlerfiguren (z.B. der Weisheit und des Logos) zu nennen.
Was ist Glaube?
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höhten Messias zum Gegenstand hatte und diesen in einer sonst nicht bekannten Weise in die Verehrung einschloss.22 Dieser ‚binitarische Monotheismus‘ – wie Larry W. Hurtado diese Form der Christusverehrung genannt hat – war auch für Paulus23 und die spätere Jesusbewegung leitend. Glaube „an Gott und Christus“ (vgl. z.B. Joh 14,1) ist auch noch im Johannesevangelium, dessen hohe Christologie gewiss Konflikte stimuliert hat, noch ganz an den Glauben an den einen Gott Israels gebunden, und es gilt, bei aller Diskontinuität die Kontinuität wahrzunehmen. c) Eine dritte, forschungsgeschichtlich einschneidende Diskussion hat sich im angelsächsischen Raum, zunächst in Auseinandersetzung mit der Theologie Rudolf Bultmanns und der deutschsprachig-reformatorischen Paulusexegese, etabliert. In ihr zeigt sich die gelegentlich wahrzunehmende ‚Kontinentaldrift‘ zwischen zentraleuropäischer und nordamerikanischer Bibelwissenschaft. Es ist die primär grammatische, aber in ihren Implikationen eminent sachliche Frage, ob das paulinische Syntagma πίστις (’Ιησοῦ) Χριστοῦ24 als genetivus obiectivus, d.h. im Sinne der verbalen Wendung πιστεύειν εἰς Χριστόν o.ä. (Gal 2,16b; vgl. Phil 1,29 u.a.) als ‚Glaube an Christus‘ oder vielmehr als genetivus subiectivus, d.h. im Sinne von Glaube (oder Vertrauen) des Messias (Jesus) zu verstehen ist.25 Die z.T. erbittert geführte semantische und syntaktische Diskussion26 hat eminente systematisch-theologische Hintergründe und Implikationen. Der letztgenannte Vorschlag von Richard Hays 27 kam zunächst in Abwehr einer existentialtheologischen Deutung auf, die Gefahr laufen könnte, das 22 S. zum Ganzen L.W. HURTADO, Lord Jesus Christ. Devotion to Jesus in Earliest Christianity, Grand Rapids 2003, und bereits zuvor DERS., One God, One Lord. Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism, Edinburgh 21998; grundlegend auch die Beiträge von M. HENGEL, Studien zur Christologie. Kleine Schriften 4, hg. von C.-J. Thornton, WUNT 201, Tübingen 2006. 23 S. dazu J. FREY, Eine neue religionsgeschichtliche Perspektive: Larry W. Hurtados Lord Jesus Christ und die Herausbildung der frühen Christologie, in: C. Breytenbach/J. Frey (Hg.), Reflections on the Early Christian History of Religion. Erwägungen zur frühchristlichen Religionsgeschichte, AJEC 81, Leiden 2013, 117–169, besonders 151–167. 24 Gal 2,16; 3,22; Röm 3,26; Phil 3,9; vgl. auch πίστις ’Ιησοῦ Röm 3,22 und πίστις τοῦ υἱοῦ τοῦ Θεοῦ Gal 2,20. 25 Dazu im vorliegenden Band im bibliographischen Beitrag von Benjamin Schliesser, hier S. 19f. sowie im Beitrag von Thomas Schumacher, hier S. 332–337. 26 S. dazu gründlich K.F. ULRICHS, Christusglaube: Studien zum Syntagma πίστις Χριστοῦ und zum paulinischen Verständnis von Glaube und Rechtfertigung, WUNT 2/227, Tübingen 2007; s. auch D. HELISO, Pistis and the Righteous One. A Study of Romans 1:17 against the Background of Scripture and Second Temple Jewish Literature, WUNT 2/235, Tübingen 2007, 200–242. 27 Zu der weithin übersehenen Vorgeschichte der Diskussion s. B. SCHLIESSER, ‚Exegetical Amnesia‘ and πίστις Χριστοῦ. The ‚Faith of Christ‘ in 19th Century Pauline Scholarship, JThS 66 (2015), 61–89.
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Heil vom menschlichen Akt des Glaubens abhängig zu machen, wogegen nun durchaus ‚evangelisch‘ der Bezug der ‚faithfulness of Christ‘ auf die (Bundes-)Treue Gottes herausgestellt wird. Doch impliziert auch diese Deutung letztlich problematische systematische Implikationen, insofern (Jesus) Christus nun allein als glaubensstarkes Vorbild, in der ‚steten Kräftigkeit seines Gottesbewusstseins‘ (wie Schleiermacher formulierte) und nicht mehr als der Gekreuzigte und Auferstandene, als die rettende ‚Gabe‘ vor Augen steht.28 Wie auch immer man das Syntagma sprachlich auflöst und mit anderen paulinischen Wendungen in Beziehung setzt,29 stellen sich auch hier systematische Fragen, die nur im Rahmen eines theologischen Gesamtverständnisses angemessen erörtert werden können. d) Eine vierte Grundfrage, die insbesondere durch die Arbeiten von Ernst Käsemann aufgeworfen wurde, betrifft das Problem der Divergenz zwischen dem (von Käsemann ganz reformatorisch entworfenen) Glaubensverständnis des Paulus und dem der neutestamentlichen Spätschriften, nicht zuletzt des lukanischen Werks, aber auch der nachpaulinischen und Katholischen Briefe, die gegenüber Paulus unter das Verdikt des ‚Frühkatholizismus‘ fallen konnten. Während bei Paulus das Evangelium als rettende Macht (Röm 1,16f.) und der Glaube als die von ihm stimulierte existentielle Antwort und Entscheidung verstanden sei, erscheine in den genannten Schriften Glaube als fixierte Lehrtradition, als ‚orthodoxes‘ Glaubensgut, womit für Käsemann bereits in diesen Schriften innerhalb des neutestamentlichen Kanons die Schwelle zur Häresie überschritten war. So zutreffend es ist, dass sich das Verständnis des Glaubens in der dritten Generation und im beginnenden zweiten Jahrhundert gegenüber der Frühzeit gewandelt hat – im Sinne eines stärkeren Rückbezugs auf eine verbürgte Tradition oder auch im Sinne einer stärkeren Betonung der Ethik –30 genügt es doch nach heutigem Stand der Diskussion nicht mehr, im Sinne der alten ‚Frühkatholizismus‘-Thesen vom Streit zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei im biblischen Kanon zu reden.31 Vielmehr 28
S. zu dieser Unterscheidung zwischen Christus als ‚Gabe‘ (donum) und ‚Vorbild‘ (exemplum) bereits erhellend die kurze Schrift Martin Luthers von 1522: ‚Ein kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten soll‘ (WA 10 I,1,8–18), jetzt auch in: Martin Luther. Deutsch-deutsche Studienausgabe 1: Glaube und Leben, hg. von D. Korsch, Leipzig 2012, 485–500. 29 Die Rede vom ‚Christusglauben‘ (so K.F. ULRICHS, Christusglaube [s. Anm. 26]) transportiert ja nur die sprachliche Ambivalenz ins Deutsche, ohne sachlich weiterzuführen. 30 S. dazu den Beitrag von Jörg Frey in diesem Band. 31 Dass der christliche Kanon die Vielfalt der Konfessionen wiederspiegelt, ist wohl im Gegensatz zu dem berühmten Diktum von Ernst Käsemann kein Schaden, sondern eher ein Zeichen des Reichtums. Vgl. E. KÄSEMANN, Begründet der neutestamentliche
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sind Hintergrund, Anliegen und Konzeption der jeweiligen Glaubensdiskurse historisch sorgfältig zu erheben und biblisch-theologisch miteinander in Beziehung zu setzen. Dabei sind die Differenzen ebenso wenig zu übersehen wie der Zusammenhang, der nicht zuletzt in der auffälligen Häufung der verbalen oder nominalen Rede vom „Glauben“ im frühen Christentum gründet. „Glaube“ wird – bei allen Unterschieden im Detail, in seinen existentiellen, epistemischen und ethischen Aspekten – zur Chiffre für die Zugehörigkeit zu Christus und seiner Gemeinde überhaupt, zum Kernbegriff des Christentums. Auffällig ist gleichwohl, dass übergreifende exegetische Arbeiten zum Glauben in den letzten Jahrzehnten eher selten geworden sind. Wichtige Gesamtdarstellungen liegen z.T. schon länger zurück32, und neuere Autoren haben sich nur noch selten an die Aufgabe des Zusammendenkens gewagt.33 Hingegen dominieren Arbeiten zum Glaubensverständnis bei einzelnen biblischen Autoren,34 natürlich besonders bei Paulus, daneben in den johanneischen Schriften, bei Markus und den Synoptikern, im Jakobusbrief, im Hebräerbrief oder den Pastoralbriefen, Arbeiten zu EinzelKanon die Einheit der Kirche?, in: DERS., Exegetische Versuche und Besinnungen 1, Göttingen 1960, 214–223, 221. 32 S. die klassischen Studien von A. SCHLATTER, Der Glaube im Neuen Testament, Leiden 1885 (Stuttgart 61982); D. LÜHRMANN, Glaube im frühen Christentum, Gütersloh 1976; sowie den kleinen Sammelband von F. Hahn/H. Klein (Hg.), Glaube im Neuen Testament (FS Hermann Binder), BThS 7, Neukirchen-Vluyn 1982, sowie neuerdings noch E. Vogelsang/J. von Lüpke (Hg.), Wie geht Glauben? Diskussion um einen theologischen Zentralbegriff, Begegnungen 43, Bonn 2015. S. weiter die großen Lexikonartikel von R. B ULTMANN, Art. πιστεύω κ. τ. λ., ThWNT 6 (1959), 174–230, D. LÜHRMANN, Art. Glaube, RAC 11 (1981), 48–123 und K. HAACKER, Art. Glaube. 2. Altes und Neues Testament, TRE 13 (1984), 277–304, sowie jetzt den Beitrag von B. Schliesser im vorliegenden Band. 33 S. jedoch F. HAHN, Theologie des Neuen Testaments 2. Die Einheit des Neuen Testaments, Tübingen 32011, 451–475, wo im Anschluss an die Reflexion des Glaubensverständnisses in der Jesusüberlieferung, bei Paulus und im Hebräerbrief explizit „Übereinstimmungen und Spannungen im Glaubensverständnis“ (470) reflektiert werden. S. weiter die Dissertation von N. UEBERSCHAER, Theologie des Lebens. Glaube und Leben bei Paulus und Johannes. Ein theologisch-konzeptioneller Vergleich auf dem Hintergrund ihrer Glaubenssummarien (Diss. theol., Zürich 2016; erscheint 2017 in WUNT), die einen sorgfältigen Strukturvergleich des Glaubensverständnisses bei Paulus und Johannes, fokussiert auf den Aspekt der Lebensvermittlung im Glauben, bietet. – Die klassische Verknüpfung des Glaubensverständnisses bei Paulus und Johannes in R. B ULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 91984, war demgegenüber stärker von sachlichen (existentialtheologischen) Aspekten bestimmt und erfolgte mit dem Ziel, dieses vermeintlich existentiale Glaubensverständnis von anderen frühchristlichen Glaubensverständnissen abzurücken. 34 S. für bibliographische Informationen den enzyklopädischen Beitrag von Benjamin Schliesser in diesem Band.
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fragen wie der Schriftargumentation mit Hab 2,4 oder Gen 15,6, dem Verständnis des Syntagma πίστις Χριστοῦ oder dem griechischen und römischen Kontext der Rede von πίστις. Hingegen wurde eine größere Zusammenschau exegetisch kaum mehr gewagt. Auch in der gegenwärtigen systematischen Theologie kommt Glaube nur noch selten in seiner biblisch-theologischen Bestimmtheit zur Sprache, hingegen wesentlich mehr in seinem Verhältnis zu Offenbarung und Erfahrung, zum Denken, Wissen und Handeln.
3. Zum vorliegenden Band Der vorliegende Band versucht, sich den komplexen Sachfragen in historisch-exegetischer Weise anzunähern. Dabei fällt zunächst auf, dass es im Kontext der frühen Jesusbewegung – und nur hier in der Antike – geradezu zu einer Explosion der Rede vom ‚Glauben‘ bzw. der Verwendung der Termini πίστις und πιστεύειν kommt,35 die ursprungshaft zusammenhängt mit dem Christusgeschehen, dem Auftreten, der Verkündigung und dem Geschick Jesu von Nazareth, das πιστεύειν oder πίστις aus sich heraussetzte bzw. provozierte. Zum Verständnis dieser Termini ist nach den konzeptuellen Bezugspunkten zu fragen, die für die frühen Verkündiger und Autoren sowie ihre Leserinnen und Leser vorlagen und den Sinn der Rede vom ‚Glauben‘ mitprägten. Dabei sollten nach dem heutigen Stand der Forschung religionsgeschichtlich überholte Alternativsetzungen (wie z.B. zwischen ‚jüdisch‘ und ‚hellenistisch‘) vermieden werden, zumal gerade neueste Arbeiten die Aspekte der Verwendung von πίστις in der griechisch-römischen Welt36 oder auch den möglichen Einfluss der römischen fides37 neu ins Bewusstsein gebracht haben.38 Dennoch ist es sachlich angemessen, dass in einem ersten Hauptteil die alttestamentlichen Hintergründe und Bezugspunkte der urchristlichen Rede vom Glauben gesichtet werden. Dabei soll dezidiert neben der Hebräischen 35 S. dazu B. Schliesser, in diesem Band, S. 3; K. HAACKER, Glaube (s. Anm. 3), 292, spricht von „Inflation“. 36 Dazu zuletzt T. MORGAN, Roman Faith and Christian Faith. Pistis and Fides in the Early Roman Empire and Early Churches, Oxford 2016. 37 S. bereits C. STRECKER, Fides – Pistis – Glaube. Kontexte und Konturen einer Theologie der ‚Annahme‘ bei Paulus, in M. Bachmann/J. Woyke (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005, 223–250, sowie zuletzt T. SCHUMACHER , Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις, BBB 168, Göttingen 2012. 38 S. auch die Beiträge von Teresa Morgan und Thomas Schumacher in diesem Band.
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Bibel39 die Septuaginta40 wahrgenommen werden als die wichtigste Vermittlungsgestalt, in der die Schriften Israels in einer ganz eigenständigen Text- und Sprachform den urchristlichen Autoren vorlagen. Im Unterschied zu der wirkungsvollen schroffen Entgegensetzung zwischen den ‚zwei Glaubensweisen‘ des alttestamentlich-jüdischen und des christlichen Glaubens zeigen sich hier differenzierte Rezeptionsprozesse, die schon in der inneralttestamentlichen Auslegungsgeschichte beginnen und deren Spätstadien dann die Anknüpfungspunkte für die weitere Rezeption bieten.41 Die Wiedergabe des hebräischen אמונהdurch das griechische πίστις impliziert keinen kategorialen Wechsel, sondern nur eine leichte Bedeutungsverschiebung hin zu einem stärker relationalen Verständnis.42 Die frühe Jesusbewegung kann ebenso wie andere Strömungen im zeitgenössischen Judentum an diese semantische Verbindung anknüpfen. Ein zweiter Teilabschnitt des vorliegenden Bandes beleuchtet auf diesem Hintergrund Einzelaspekte und Autoren im Frühjudentum einschließlich der späteren – die hebräische Sprachtradition fortsetzenden – rabbinischen Traditionsliteratur. Dabei verlangt das breit rezipierte Beispiel des Glaubens Abrahams (Gen 15,6) nach einer eigenen Reflexion, zumal in Verbindung mit dem Motiv der eschatologischen Freude Abrahams.43 Daneben stehen Philo von Alexandrien44 und Flavius Josephus45 sowie das 2. Makkabäerbuch46 als Zeugen der Variabilität des Verständnisses von πίστις und seinen Derivaten im zeitgenössischen Judentum. Und selbst für die rabbinische Tradition, für die immer wieder auf das Fehlen eines ‚dogmatischen‘ Glaubensbekenntnisses bzw. festgelegter Glaubensinhalte hingewiesen wird, zeigt sich ein differenzierter Befund.47 Komplementär zur Reflexion der Verwendung der Glaubensterminologie im antiken Judentum widmen sich vier Beiträge dem Sprachgebrauch in der nichtjüdischen, hellenistisch-römischen Welt. Während dabei aus dem Befund der nichtliterarischen Papyri Aspekte des alltagssprachlichen Gebrauchs erhoben werden können, die für das Verständnis der paulinischen Briefe durchaus weiterführend sind48, zeigen sich bei dem mittelplatonischen Philosophen und delphischen Priester Plutarch erhellende 39
S. den Beitrag von Anja Klein in diesem Band. S. den Beitrag von Frank Ueberschaer in diesem Band, speziell zu den sogenannten ‚deuterokanonischen Schriften‘ den Beitrag von Friedrich V. Reiterer in diesem Band. 41 S. dazu Anja Klein in ihrem Beitrag in diesem Band, zusammenfassend S. 77f. 42 S. dazu Frank Ueberschaer in seinem Beitrag in diesem Band S. 103. 43 S. dazu den Beitrag von Anke Dormann in diesem Band. 44 S. dazu den Beitrag von Martina Böhm in diesem Band. 45 S. dazu den Beitrag von Dennis R. Lindsay in diesem Band. 46 S. dazu den Beitrag von Stefan Krauter in diesem Band. 47 S. dazu den Beitrag von Michael Tilly in diesem Band, besonders S. 236f. 48 S. dazu den Beitrag von Peter Arzt-Grabner in diesem Band. 40
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Aspekte des Gebrauchs von πίστις im religiösen Kontext im Sinne religiöser Tradition und individuellen Glaubens.49 Interessanterweise lässt sich dabei „nicht ein religiös-nichtphilosophischer Glaube von philosophischer Rationalität abheben“:50 ein Gegensatz zwischen ratio und fides besteht hier gerade nicht. Dies erweist sich als wichtige Brücke zwischen philosophischen Autoren wie Plutarch (oder auch Philo von Alexandrien) und den frühchristlichen Autoren des 2. und 3. Jahrhunderts, die die urchristliche Botschaft im Horizont des philosophischen Denkens zu durchdringen versuchen. Auch die sorgfältige Reflexion über die römischen Vorstellungen von fides kann wesentliche Aspekte zum Verständnis der Rede vom ‚Glauben‘ im Kontext des Imperiums beitragen; vielleicht könnte hier sogar ein Ansatz zur Auflösung mancher Probleme der strittigen Wendung πίστις Χριστοῦ liegen, insofern sich von hier aus der Aspekt der ‚gemeinschaftstreuen‘ Zuwendung Jesu Christi zu den ihm Zugehörigen als Teilaspekt des Gesamtkonzepts von πίστις erfassen lässt.51 Auf diesem breiten alttestamentlich-frühjüdischen und hellenistischrömischen Hintergrund wird nun das Glaubensverständnis der neutestamentlichen Autoren in einer Reihe von Beiträgen reflektiert. Dass dabei Paulus den Ausgangspunkt bildet, ist einsichtig, bietet er doch neben den johanneischen Schriften den dichtesten und prononciertesten Gebrauch der Rede vom ‚Glauben‘.52 Für die paulinische Zeit stellt Michael Wolter den „Bekehrungsbezug“ des Glaubens53 wie auch seinen Bezug auf die ethische Lebensführung der Glaubenden heraus, bevor er dann das Wesen des Glaubens als „Wirklichkeitsgewissheit“54 im Bezogensein auf Christus bestimmt, während Jakob Spaeth am Beispiel des 1. Korintherbriefs dem Verhältnis von individuellem Christusbezug und überindividuellen, Gemeinschaft stiftenden Kennzeichen der Gruppe der Glaubenden nachgeht.55 Nach zwei profunden Untersuchungen zum Glauben im lukanischen Werk und im Matthäusevangelium von Christfried Böttrich und Matthias Kon49
S. dazu den Beitrag von Rainer Hirsch-Luipold in diesem Band. So R. Hirsch Luipold in seinem Beitrag in diesem Band, S. 271. 51 S. dazu den Beitrag von Thomas Schumacher in diesem Band, S. 337. 52 S. dazu den Beitrag von M. Wolter in diesem Band, S. 348; zum Vergleich der Glaubensverständnisse bei Paulus und Johannes s. jetzt N. UEBERSCHAER, Theologie des Lebens (s. Anm. 33). 53 So in diesem Band, S. 349. 54 So in diesem Band, S. 359; s. auch M. WOLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 86–96; dazu zuletzt kritisch S. ALKIER, Konstruktionen des Glaubens. Terminologische, philosophische und theologische Probleme in Michael Wolters Konzept des Glaubens als Wirklichkeitsgewissheit, in: J. Frey/B. Schliesser (Hg.), Die Theologie des Paulus in der Diskussion, BThS 140, Neukirchen-Vluyn 2013, 81–114. 55 S. den Beitrag von Jakob Spaeth in diesem Band. 50
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radt56 bietet Nadine Ueberschaer im Anschluss an ihre Dissertation57 eine prononciert textpragmatische Interpretation des Johannesevangeliums „als Medium der Glaubensvermittlung“.58 Den Reigen der Beiträge zu den Katholischen Briefen und den Deuteropaulinen eröffnet Karl-Wilhelm Niebuhr, der sich der naheliegenden Bestimmung des Glaubensverständnisses des Jakobusbriefs auf dem Hintergrund des paulinischen Denkens „nachdrücklich widersetzen“ will,59 um so nach der ureigenen Tradition und Aussageintention dieses Schreibens zu fragen. Dabei rücken Glaube und Werke gerade nicht in einen Gegensatz, sondern werden in eins gesehen, so dass die Werke ihrerseits – ganz anders als bei Paulus – „zur sichtbaren Seite des Glaubens“60 werden. An den Jakobusbrief anschließend soll mein Beitrag die eigenständigen Glaubensvorstellungen des kurzen, polemischen Judasbriefs und des Zweiten Petrusbriefs aufzeigen, die einerseits bereits eine ‚heilige Überlieferung‘ aufnehmen und sich gegen deviante Lehrer richten, und andererseits den Glauben – ganz in der Linie des Jakobusbriefes – mit der Herausbildung ‚christlicher‘ Tugenden verbinden.61 In explizitem Vergleich mit dem paulinischen Verständnis und unter besonderer Berücksichtigung der ‚denkerischen‘ Aspekte des Glaubens beschreibt Benjamin Schliesser in seinem ausführlichen Beitrag das Glaubensverständnis des Hebräerbriefs62, bevor Bernhard Mutschler im Anschluss an seine Heidelberger Habilitationsschrift die Rede vom Glauben in den Pastoralbriefen als ‚kanonische Vollendung‘ der paulinischen Traditionslinie angesichts neuer Herausforderungen interpretiert.63 Die in den nachpaulinischen und ‚katholischen‘ Briefen des Neuen Testaments angelegten Linien finden ihre Fortsetzung in den Schriften des zweiten Jahrhunderts, so dass es kaum angemessen wäre, hier an den Grenzen des biblischen Kanons die Erörterung zu beenden. So widmet sich Bernhard Mutschler in seinem zweiten Beitrag dem Glaubensverständnis des Polykarp von Smyrna, des wohl bedeutendsten Glaubenstheologen in 56 Ein Beitrag zum Markusevangelium fehlt leider in diesem Band. So ist hier auf zwei neuere Monographien zu verweisen: T. SÖDING, Glaube bei Markus, SBB 12, Stuttgart 1985, und C.D. MARSHALL, Faith as a Theme in Mark’s Narrative, SNTS.MS 64, Cambridge 1989. 57 N. UEBERSCHAER, Theologie des Lebens (s. Anm. 33). 58 S. den Beitrag von Nadine Ueberschaer in diesem Band. 59 S. den Beitrag von Karl-Wilhelm Niebuhr in diesem Band, S. 473. 60 S. den Beitrag von Karl-Wilhelm Niebuhr in diesem Band, S. 501. 61 S. den Beitrag von Jörg Frey in diesem Band. 62 S. den Beitrag von Benjamin Schliesser in diesem Band. 63 S. den Beitrag von Bernhard Mutschler in diesem Band; vgl. auch B. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen. Pistis als Mitte christlicher Existenz, WUNT 256, Tübingen 2010, 37–40.
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der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Hier ist Glaube „die Basis einzelnen wie gemeinsamen Lebens als Christ(en)“64 und ein Raum, in dem das Leben der Christen stattfindet und Gestalt gewinnt. Auch andere Texte der ‚Apostolischen Väter‘, wie die Ignatianen, 1 und 2 Clemens,65 sind für das Verständnis der Rede vom Glauben im frühen zweiten Jahrhundert von Bedeutung und bilden wichtige Parallelen zu den Spätschriften des Neuen Testaments. Deren Abstand vom paulinischen Denken, die stärkere Intellektualisierung und Ethisierung des Glaubens und das verstärkte Eindringen pagan-hellenistischer Konzepte66 (die z.T. schon bei hellenistischjüdischen Autoren rezipiert worden waren) wird in Anbetracht der ‚Apostolischen Väter‘ verständlich als eine Antwort auf neue Herausforderungen und in einer Zeit, in der nicht mehr das jüdische Gesetz, sondern ethische Indifferenz die wichtigste Herausforderung für die christlichen Gemeinden darstellte. Den Weg über die Apostolischen Väter hinaus zu Clemens, dem gebildeten alexandrinischen Theologen, bei dem Glauben und Denken bzw. philosophische Erkenntnis definitiv (wieder) zusammengeführt werden, erhellt der Beitrag von Beatrice Wyss67, bevor Tobias Nicklas und Veronika Niederhofer Aspekte des Glaubens in der ‚romanhaften‘, aber gleichwohl als ‚Fenster‘ zur Welt des frühen Christentums erhellenden Literatur der apokryphen Apostelakten, konkret der Acta Pauli et Theclae, vorführen.68 Mit einer Reflexion von Enno Edzard Popkes auf das koptische Thomasevangelium, dessen Soteriologie hier als Kontrast- und Konkurrenzkonzept zum Glaubensverständnis des Johannesevangeliums interpretiert wird, schließt der Teil zu den frühchristlichen und altkirchlichen Perspektiven, der natürlich noch viel weiter hätte verlängert werden können, um Autoren wie Irenäus, Tertullian, Origenes oder Augustinus mit zu berücksichtigen. Doch hätte dies das Fassungsvermögen des vorliegenden Bandes weit überschritten.
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S. den Beitrag von Bernhard Mutschler in diesem Band S. 665. S. zu den Ignatianen und zum 1. Clemensbrief den Beitrag von Wolfgang Grünstäudl in diesem Band, zum 2. Clemensbrief und seiner exegetischen Einordnung zwischen „Spätjudentum“ und „Frühkatholizismus“ bietet J.A. Kelhoffer in seinem Beitrag weiterführende Perspektiven. 66 Dazu z.B. J.A. KELHOFFER, Reciprocity as Salvation. Christ as Salvific Patron and the Corresponding ‘Payback’ Expected of Christ’s Earthly Clients according to the Second Letter of Clement, NTS 59 (2013), 433–456. 67 S. den Beitrag von Beatrice Wyss in diesem Band. 68 S. dazu weiter die aufschlussreiche Dissertation von V. NIEDERHOFER, Welten wechseln – Grenzen überschreiten. Konversion, Nachfolge und Glaubensentwicklung in den Akten des Paulus und der Thekla, Diss. theol. Regensburg 2016, erscheint 2017 in WUNT 2. 65
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Der abschließende kirchengeschichtlich-systematische Ausblick kann nur noch einige Dimensionen andeuten, die über die Reflexion des neutestamentlichen und frühchristlichen Glaubensverständnisses hinaus zu bedenken sind, wenn es um das sachliche Verständnis von Glauben in der Moderne und im ökumenischen Horizont geht: einerseits die vielfältigen Bezugnahmen auf den Glauben in der reformatorischen Theologie – nicht nur bei Luther,69 sondern auch bei Zwingli, Bullinger70, Calvin und anderen Reformatoren – und andererseits der Perspektivwechsel, der sich an der Schwelle zur neuzeitlichen Theologie ergibt und aufgrund dessen das reformatorische Denken heutigem Weltverständnis oft recht abständig erscheinen muss. Exemplarisch für die neuzeitlichen Diskurse wird von Anne Käfer das Gespräch mit den beiden protestantischen ‚Kirchenvätern‘ der Neuzeit, Friedrich Schleiermacher und Karl Barth, vorgeführt. Die Aufgabe, Glauben ‚auf der Höhe‘ der Zeit zu verstehen71, stellt sich in der Gegenwart unübersehbar im ökumenischen Horizont, in dem das Thema des Glaubens nicht mehr ein primär protestantisches Thema sein kann. So ist es kaum zufällig, dass der abschließende Beitrag von Johanna Rahner „katholische Thesen zu einem scheinbar protestantischen Thema“ formuliert,72 um so das Gespräch auch systematisch über die konfessionellen Grenzen hinaus zu öffnen. In diesem Horizont darf Glaube auch nicht mehr – wie in Teilen der protestantischen Tradition – in der Entgegensetzung zur Vernunft verstanden werden, so dass eine breite, schon auf Philo, Plutarch oder Clemens von Alexandrien zurückgehende Tradition der rationalen Durchdringung und Verantwortung des Glaubens aufgenommen werden kann. Schließlich führt der gemeinsame Rekurs auf die biblische Tradition auch zur Wahrnehmung einer legitimen Vielfalt von Glaubenskonzepten – schon innerhalb des biblischen Kanons und ebenso darüber hinaus bis in die Gegenwart. Damit bietet der Durchgang durch diesen Band zwar keine einheitliche ‚Gesamtsicht‘ des Glaubens, doch wäre dies angesichts der Pluralität der Konzeptionen kaum mehr in der hinreichenden Differenziertheit zu leisten und vielleicht auch nicht erstrebenswert. Wohl aber will die vorgelegte Zusammenstellung ihre Leserinnen und Leser dazu anregen, die Bausteine je neu zu verbinden und so zu einer je eigenen Zusammenschau und zu einem vertieften Verständnis der Anfänge und Grundlagen eines christlichen Glaubensverständnisses zu gelangen.
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S. dazu den Beitrag von Volker Leppin in diesem Band. Zu diesem in seiner Wirkung oft unterschätzten Zürcher Reformator und seiner Römerbriefauslegung s. den Beitrag von Peter Opitz in diesem Band. 71 So Johanna Rahner in ihrem Beitrag in diesem Band, S. 875. 72 So der Untertitel des Beitrags von Johanna Rahner in diesem Band. 70
Einführung
Faith in Early Christianity An Encyclopedic and Bibliographical Outline1 BENJAMIN SCHLIESSER In the context of emergent Christianity, no Jewish, Greek-Hellenistic or Latin text uses πίστις or πιστεύειν as intensively as the New Testament. One can justifiably talk of an explosive increase in talk of faith in early Christianity.2 Faith terminology has gained center stage in the religious language of the early Christian movement and developed into its central identity marker. Faith not only determines the self-understanding of an individual, but also functions as a social mark of a group. Statistically, the significance of faith for the self-conception of early Christianity manifests itself in the fact that the noun πίστις and the verb πιστεύειν occur over 240 times each in the New Testament; the adjective πιστός is used 67 times.3 The remarkably concentrated use of faith terminology in emergent Christianity can only be appropriately explained, if the intrinsic connection between faith and Jesus Christ is acknowledged. Faith relates both to the person of Jesus, to his words and deeds, but also to what God has done in Christ, specifically to the resurrection.4 In and of itself, the word group 1
Some sections of this essay overlap with my forthcoming article “Faith (New Testament)” for the Brill Encyclopedia of Early Christianity. I thank Brill Academic Publishers for allowing me to reproduce these sections. 2 Cf., Klaus Haacker, “Glaube II: Altes und Neues Testament,” TRE 13:277–304, 297, 292 (“‘Inflation’ des Redens vom Glauben”); Eberhard Jüngel, “Glaube: IV. Systematisch-theologisch,” RGG 3:953–74, 953. 3 A study on faith in Early Christianity cannot restrict itself to a simple word study on the πιστ-stem, not least because the phenomenon of “faith” is oftentimes expressed by semantically related words or is illustrated in a narrative context. Nevertheless, from a heuristic point of view, it is most reasonable to start from an analysis of πίστις κτλ. and extend the discussion to other expressions of faith. After all, “if there is one term or lexicon on which it is not arbitrary to focus in the New Testament, it is the pistis lexicon” (Teresa Morgan, Roman Faith and Christian Faith: Pistis and Fides in the Early Roman Empire and Early Churches [Oxford: Oxford University Press, 2015], 13). On the relationship between “word studies” and “thematic studies”, see op. cit., 31–34. 4 Clearly, the “explosive increase in talk of faith” corresponds with the fact that “Jesus-devotion appeared quickly and very early, more like a volcanic eruption than an incremental process” (Larry W. Hurtado, “Resurrection-Faith and the ‘Historical’ Jesus,” JSHJ 11 [2013]: 35–52, 35f.). Cf., already Gerhard Delling, “The Significance of the
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πίστ- is not limited to the religious realm, but associated with a plethora of meanings, and displays a wide range of usage in the historical context of early Christianity.
1. Semantics The “elasticity and multivalency”5 of πίστις/fides and cognates has been pointed out not only in standard dictionaries, but also in a number of linguistic and lexicographical studies.6 The noun πίστις/fides can denote both the subjective attitude of “faith,” “trust” or “confidence,” but also that which stimulates faith, i.e., “honesty,” “trustworthiness,” “loyalty” or “faithfulness” (with reference to persons or interpersonal relations) and “assurance,” “pledge,” “guarantee,” “argument,” or “proof” (with reference to things). Correspondingly, the adjective πιστός (credens/fidelis/fidus) comprises the aspects of both “believing”/“trusting” and “faithful”/ “trustworthy.” The verb πιστεύειν (credere/(con)fidere) can mean “to believe,” “to trust,” “to feel confident that,” “to put faith in,” “to rely on.” The semantic richness of πίστις/fides corresponds to its wealth of usage. It determines the “horizon of understanding” of the early Christian conception of faith. In other words, early Christian talk of faith evokes a complex network of impressions, imaginations, and reflections, which are embedded in a particular sociocultural milieu and which give meaning(s) to the concept of “faith” in a specific communicative situation. As with all cenResurrection of Jesus for Faith in Jesus Christ,” in The Significance of the Message of Resurrection for Faith in Jesus Christ, ed. Charles F.D. Moule (London: SCM, 1968), 77–104, 87f.; Jean Duplacy, “D’où vient l’importance centrale de la foi dans le nouveau testament?,” in Sacra Pagina: Miscellanea Biblica Congressus Internationalis Catholici de Re Biblica, ed. Joseph Coppens, Albert Descamps, and Édouard Massaux (Paris: Gabalda, 1959), 2:430–39. On the question of pre-Easter “faith” in Jesus, see below n. 79 and n. 151. 5 Morgan, Roman Faith (see n. 3), 13. 6 See, apart from the entries in the pertinent dictionaries and lexica, e.g., J. Eugene Botha, “The Meanings of pisteuo in the Greek New Testament. A SemanticLexicographical Study,” Neot 21 (1987): 225–40; F. Gerald Downing, “Ambiguity, Ancient Semantics, and Faith,” NTS 56 (2010): 139–62; Thomas Schumacher, Zur Entstehung christlicher Sprache: Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις, BBB 168 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012), 199–209 (πίστις), 274–85 (fides). Other lexical-semantic studies have been published in the context of the πίστις Χριστοῦ-debate (see below n. 57). On the contested semantic relationship between fides and πίστις, see most recently Morgan (Roman Faith [see n. 3], 7), who takes the side of those who minimize differences in semantic range. “There are perhaps a few more shades of commercial legal meaning attested in Latin, and in Greek rhetoric and philosophy pistis may mean ‘argument’ as well as ‘proof’…”
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tral ideas of early Christianity, “faith” too has a Jewish, Hellenistic-Greek and Roman history, which partly overlap, but which have to be studied each in its own right. In her comprehensive study on the concept of πίστις/fides in the wider Greco-Roman and Hellenistic Jewish worlds, Teresa Morgan describes this “basic principle of cultural historiography” as follows: “New communities forming themselves within an existing culture do not typically take language in common use in the world around them and immediately assign to it radical new meanings. New meaning may, and often do, evolve, but evolution takes time. This is all the more likely to be the case where the new community is a missionary one. One does not communicate effectively with potential converts by using language in a way which they will not understand. In its earliest years, therefore, we should not expect the meaning of Christian pistis (or fides) language to be wholly sui generis. We should expect those who use it to understand it within the range of meanings which are in play in the world around them, and our study of it should be culturally embedded.”7
2. The Religious and Cultural Milieu of Early Christian Faith-Terminology 2.1 Judaism Septuagint As for the Jewish history of the early Christian notion of “faith”, the usage in the Septuagint as well as in Josephus and Philo are of particular importance.8 In the Septuagint, the word group πίστ- correlates with the Hebrew (and Aramaic) stem אמןwith remarkable constancy.9 The translators of the Septuagint consistently render the hiphil of the Hebrew verb אמן with πιστεύειν, and the niphal of אמןwith πιστός. It is worth noting, however, that πίστις is not the only translation word used for אמתor אמונה, but is superseded by ἀλήθεια. Contrary to widespread Greek-Hellenistic usage, the sense “evidence” or “proof” is not attested in the Septuagint, with the exception of 2 Esd 20:1; 3 Macc 3:10. Mediated by the Septuagint the basic meaning of the stem אמןinfluenced and perpetuated the linguistic usage of early Christian writers (cf., Gen 15:6 in Rom 4:3; Gal 3:6; Jas 7
Morgan, Roman Faith (see n. 3), 4. On the notion of “faith” in the Septuagint, see the contributions by Frank Ueberschaer and Friedrich Reiterer (πιστέυειν, πείθειν, and ἐλπίζειν) in the present volume; also Morgan, Roman Faith (see n. 3), 176–211. 9 On an analysis of the basic “texts of faith” in the Old Testament, see Anja Klein’s contribution to the present volume. She observes that towards the end of the innerbiblical reception of texts of faith there is a tendency to individualize faith and to merge it with obedience to the law. 8
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2:23;10 Isa 28:16 in Rom 9:33; 10:11; 1 Pet 2:6; Hab 2:4 in Rom 1:17; Gal 3:11; Heb 10:38). “Faith” can be used in the absolute (e.g., Exod 4:31; Isa 7:9; 28:16), but is also directed to persons (e.g., Exod 4:1, 5, 8; 14:31: Moses; 2 Chr 20:20: Yahweh’s prophets) or words (e.g., Gen 42:20) in general, and quite frequently appears with reference to God (e.g., Gen 15:6; Exod 14:31; Deut 9:23), his salvific deeds (e.g., Ps 78[77]:22), his words (e.g., Ps 106:12, 24) or his commandments (e.g., Ps 119[118]:66). The Septuagint version of Isa 7:9 does not render the Masoretic play on words on the stem “( אמןIf you do not stand firm in faith, you shall not stand at all”), but introduces a cognitive dimension: καὶ ἐὰν μὴ πιστεύσητε, οὐδὲ μὴ συνῆτε (“If you do not believe, you will not understand”). Both the Peshitta and the Vetus Latina (si non credideritis non intelligetis) follow the Septuagint’s strand of tradition (cf., Isa 6:9: οὐ μὴ συνῆτε). Several suggestions have been made to explain the considerable variation.11 At any rate, the reading testifies to the specifically Greek epistemological nuance of πίστις, which is not preformed in the Hebrew Bible and which might even have precluded the reception of Isa 7:9 in the New Testament.12 10 On the multi-facetted reception of Gen 15:6 in Judaism and in the New Testament see Matthias Köckert, “Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum,” in Der Römerbrief als Vermächtnis an die Kirche, ed. Cilliers Breytenbach (NeukirchenVluyn: Neukirchener, 2012), 15–47; Sascha Flüchter, Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit: Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur, TANZ 51 (Tübingen: Francke 2010); Benjamin Schliesser, Abraham’s Faith in Romans 4: Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6, WUNT 2/224 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 152–220; Manfred Oeming, “Der Glaube Abrahams: Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zur Zeit des zweiten Tempels” (1998), in: idem, Verstehen und Glauben: Exegetische Bausteine zu einer Theologie des Alten Testaments, BBB 142 (Berlin: Philo, 2003), 77–91. See also Anke Dorman’s contribution on Abraham in Jubilees in the present volume. 11 A scribal error in the Hebrew Vorlage of the translator (already Eberhard Nestle, “Miscellen,” ZAW 25 [1905]: 201–23, 213–15), the intrusion of a gloss/marginal comment into the text (e.g., Gordon C.I. Wong, “A Cuckoo in the Textual Nest at Isaiah 7:9b?,” JTS 47 [1996]: 123f.) or the combination of “a mechanically trivial mistake … coupled with … an ancient conjectural emendation” (Glen M. Menzies, “To What Does Faith Lead? The Two-Stranded Textual Tradition of Isaiah 7.9b,” JSOT 80 [1998]: 111– 28, 127). 12 In the history of theology, the altered reading became enormously influential, particularly with patristic and scholastic theology (cf., Wilhelm Geerlings, “Jesaja 7,9b bei Augustinus: Die Geschichte eines fruchtbaren Mißverständnisses” [1987], in: idem, Fußnoten zu Augustinus: Gesammelte Schriften, ed. Georg Röwekamp, IP 55 (Turnhout: Brepols, 2010), 135–48; Peter Gemeinhardt, “Glauben und Verstehen: Jesaja 7,9b LXX in der patristischen Exegese und Theologie,” in “Let the Wise Listen and Add to Their Learning” (Prov 1:5): Festschrift for Günter Stemberger on the Occasion of his 75th
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The textual history, interpretation and New Testament reception of Hab 2:4 is convoluted;13 while the Masoretic text speaks of the faith(fulness) of the righteous one, the Greek implies God’s faithfulness. In texts unique to the Septuagint, Ben Sira’s associating “faith” and the law and his paralleling faith in the law with trust in the Lord stand out: “The one who ‘believes’ in the law (ὁ πιστεύων νόμῳ) heeds the commandments, and the one who trusts in the Lord (ὁ πεποιθὼς κυρίῳ) will not suffer a loss” (Sir 32:24; see also 1QpHab ΙΙ, 14f.).14 Abraham’s faithfulness to the law is exemplary (Sir 44:20; see also Jub. 24:11; 2 Bar. 54:2), and he proved it most plainly when he was tested (Sir 44:20; cf., 1 Macc 2:52; see also 4QPsJuba). Trust in God is associated with hope in God’s intervention (Sir 2:6; cf., 1 Macc 2:59–61; see also 2 Bar. 48:22). In 4 Macc the mother of the seven sons is said to have disregarded her pains because of “faith in God/faithfulness towards God” (πρὸς θεὸν πίστις) (15:24). Abraham and others, who were faithful in trials and did not violate God’s commandment (16:24), serve as a model in the mother’s philosophically colored exhortation to her sons: “You too must have the same faith in God and not be grieved. It is unreasonable for people who have religious knowledge not to withstand pain” (16:22–23). In the context of mission, faith is used as a term for the act of conversion to the one God and results in the protection from divine wrath and judgment (Jdt 14:10; Wis 12:2; cf., Jonah 3:5; see also 2 Bar. 42:2; 54:16; 57:2; 4 Ezra 7:24, 33f.).15 Extra-biblical literature portrays Abraham’s faith as his turning from pagan idols to the true God (e.g., Jub. 11:16–17; 12:1–8; Philo). Overall, Abraham embodies the basic motives of faith prevalent in early Jewish thought, which corresponds to the growing significance of the pa-
Birthday, ed. Constanza Cordoni and Gerhard Langer, StudJud 90 (Berlin: de Gruyter 2016), 457–80. 13 In recent years, it has been studied in Stephen Hultgren, Habakkuk 2:4 in Early Judaism, in Hebrews, and in Paul, CRB 27 (Paris: Gabalda, 2011); Wolfgang Kraus, “Hab 2,3–4 in der hebräischen und griechischen Texttradition mit einem Ausblick auf das Neue Testament,” in Die Septuaginta und das frühe Christentum – The Septuagint and Christian Origins, ed. Thomas S. Caulley and Hermann Lichtenberger, WUNT 277 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2011), 153–73. See further the collection Matthieu Arnold, Gilbert Dahan, and Annie Noblesse-Rocher, eds., „Le juste vivra de sa foi“ (Habacuc 2, 4), LD 246 (Paris: Cerf, 2012); and E. Ray Clendenen, “Salvation by Faith or by Faithfulness in the Book of Habakkuk?,” BBR 24 (2014): 505–13. 14 The textual transmission of the verse is not unproblematic; it is clear however that the Greek ὁ πιστεύων νόμῳ represents the Hebrew “( נוצר תורהkeeper of the Tora”) (Manuscript B). 15 Cf., Egon Brandenburger, “Pistis und Soteria: Zum Verstehenshorizont von ‘Glaube’ im Urchristentum,” ZTK 85 (1988): 165–98, 181–83. See also Stefan Krauter’s contribution to the present volume.
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triarch: He is the first who believed in the one God, he is the paradigmatic proselyte, he kept the divine law, and he proved faithful in trial.16 In extra-biblical pseudepigraphical literature, faith figures as a theological-ethical identity marker, which demarcates the pious both from “godless” Jews (4 Ezra 7:131; 2 Bar. 42:2; 54:16, 21) and from “pagans” (1 En. 46:8; Sib. Or. 3:69). Josephus Faith terminology plays a prominent role in the writings of the RomanJewish historiographer Flavius Josephus.17 Generally, his usage does not deviate from common Greek usage. Influences of the Old Testament idea of faith are discernible when he talks about giving credence to, or trusting in, God (τῷ θεῷ, e.g., B.J. 3.387; A.J. 2.117; 3.309) and the prophets (e.g., A.J. 9.12); he argues that the 22 books of scripture “are rightly trusted” (C. Ap. 1.38). As distinguished from εὐσέβεια, πίστις does not signify the proper relationship between humans and God, but is found in the sense of “faithfulness” or “fidelity” (e.g., B.J. 2.135: the Essene’s eminent “fidelity”) or “proof/evidence” (e.g., A.J. 15.69, 260; 16.21; 19.16: “evidence of the power of God”). The category of the genitive in the phrase πίστις τοῦ θείου (A.J. 17.179, 284) is disputed, as it could refer to the divinity’s faithfulness or to belief with respect to the divinity. With the expression πίστις περὶ θεοῦ, Josephus points to Moses as the lawgiver, who has to, and successfully does, convince (πείθειν) the people to follow the decrees of the law (C. Ap. 2,163; cf., 2.153, 169). Here, an existential faith-relation with God is not the primary connotation of πίστις, but rather: the most correct belief about God (i.e., πίστις being virtually synonymous with δόξα; cf., e.g., C. Ap. 2.179).18 In keeping with his overall linguistic usage and in 16
Cf., Beate Ego, “Abraham als Urbild der Toratreue Israels,” in Bund und Tora: Zur theologischen Begriffsgeschichte in alttestamentlicher, frühjüdischer und urchristlicher Tradition, ed. Friedrich Avemarie and Hermann Lichtenberger, WUNT 92 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1996), 25–40; eadem, “Abraham’s Faith in the One God – A Motif of the Image of Abraham in Early Jewish Literature,” in Biblical Figures in Deuterocanonical and Cognate Literature, ed. Hermann Lichtenberger and Ulrike Mittmann-Richert, DCLY 2008 (Berlin: de Gruyter, 2009), 337–54; Nancy Calvert-Koyzis, Paul, Monotheism and the People of God: The Significance of Abraham Traditions for Early Judaism and Christianity, JSNT.S 273 (London: T&T Clark, 2005). 17 Dieter Lührmann, “Pistis im Judentum,” ZNW 64 (1973): 19–38, 26–29; Dennis R. Lindsay, Josephus and Faith: Πίστις and πιστεύειν as Faith Terminology in the Writings of Flavius Josephus and in the New Testament, AGJU 19 (Leiden: Brill, 1993). See also Dennis Lindsay’s contribution to the present volume. 18 Adolf Schlatter, Wie sprach Josephus von Gott?, BFCT 14/1 (Gütersloh: Bertelsmann, 1910), 27: “Durch πίστις bezeichnet er diese δόξα (sc. περὶ θεοῦ) als gewiß.” John M.G. Barclay, Against Apion: Translation and Commentary, vol. 10 of Flavius Josephus: Translation and Commentary, ed. Steve Mason (Leiden: Brill, 2007), 260f.
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marked contrast to other lines of tradition (cf., esp. Philo), Josephus does not mention “faith” when referring to Abraham, but rather repeatedly attributes to Abraham “piety” (εὐσέβεια). Philo Wilhelm Bousset has dubbed the Jewish philosopher Philo of Alexandria “the first theologian of faith, the first who develops a detailed psychology of faith.”19 The abundant references to, and reflections on, faith in the vast corpus Philonicum testify to Philo’s attempt to mediate between philosophical and Old Testament traditions. In particular, Philo highlights the faith of Abraham. He presents the patriarch, who was of high repute even among non-Jews,20 both as the prototype of Gentiles who turn to the one God and as the perfect embodiment of the virtue of faith (e.g., Abr. 262–73; Virt. 211–18; Praem. 27–49; Migr. 43–44; Her. 90–101).21 Philo famously characterizes faith as “the most sure and certain of the virtues” (Virt. 216), the “queen of virtues” (Abr. 270), the “most perfect of virtues” (Her. 91), a “perfect good” (Migr. 44). Faith is firm and unswerving, as it distrusts “created being, which in itself is wholly unworthy of trust” (Her. 93), and rather trusts in God, the “Existent” (Abr. 270; Praem. 27; Her. 95). The path to faith leads through “learning” (μάθεσις, Leg. 2,89). Philo’s understanding of faith, however, is note 629: “practically synonymous with the more frequently used δόξα (2.179, 221, 224, 239, 254, 255, 256, 258).” 19 Wilhelm Bousset, Kyrios Christos: A History of the Belief in Christ from the Beginning of Christianity to Irenaeus (1926), trans. John E. Steely (Nashville: Abingdon, 1970), 200. Philo’s use of faith terminology and his “theology of faith” have been analyzed in numerous studies, oftentimes in relation to Paul’s and with respect to their appeal to Abraham: Among those are Lindsay, Josephus and Faith (see n. 17), 53–73; David M. Hay, “Pistis as ‘Ground for Faith’ in Hellenized Judaism and Paul,” JBL 108 (1989): 463–68; Halvor Moxnes, Theology in Conflict: Studies in Paul’s Understanding of God in Romans, NT.S 53 (Leiden: Brill, 1980); Martin Preisker, Der Glaubensbegriff bei Philon: Hauptsächlich dargestellt an Moses und Abraham (Breslau: Gärtner, 1936); Adolf Schlatter, Der Glaube im Neuen Testament (1st ed. 1885), 4th ed. 1927 = 6th ed. (Stuttgart: Calwer, 1982), 60–80; Émile Bréhier, Les Idées Philosophiques et Religieuses de Philon d’Alexandrie, EPhM 8 (Paris: Vrin, 1925), 206–25. 20 Günter Mayer concluded that the Jewish missionary propaganda centring on Abraham resulted in an extraordinarily positive image of the patriarch, which was in turn countered by a derogatory propaganda of both the leading philosophical schools and political propagandists (Günter Mayer, “Aspekte des Abrahambildes in der hellenistischjüdischen Literatur,” EvTh 32 [1972]: 118–27, 119f.). 21 Cf., Jérôme Moreau, “Entre Écriture sainte et παιδεία: Le langage exégétique de Philon d’Alexandrie: Étude sur la πίστις d’Abraham dans le Quis rerum divinarum heres sit 90–95,” in Philon d’Alexandrie: Un penseur à l’intersection des cultures grécoromaine, orientale, juive et chrétienne, ed. Sabrina Inowlocki and Baudouin Decharneux (Turnhout: Brepols), 2011, 241–63.
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not apprehended to its full extent, if only his use of πίστις and cognates is considered. The concept of εὐσέβεια represents another seminal idea within Philo’s sapiential worldview.22 A likewise important aspect is the “objective” notion of πίστις in Philo, which associates him with Aristotle’s application of faith terminology in the realm of rhetoric (cf., Philo, Plant. 173). In numerous instances he uses it to mean something like “objective ground for subjective faith,”23 i.e., “proof/evidence” (e.g., Opif. 93) or “pledge”, which is synonymous to other epistemological expressions like “demonstration” (ἀπόδειξις), “evidence” (δείγμα) or “(argumentative) proof” (τεκμήριον).24 Rabbinic Literature The use of אמן, אמונהund אמנהin Rabbinic texts clearly roots in the biblical linguistic world.25 This insight was shared even by those who – like Rudolf Bultmann – maintained that “in Rabb[inic] writings faith is understood one-sidedly as obedience to the Law.”26 While the element of obedience (to the law) undoubtedly figures strongly in the Rabbinic idea of faith,27 other features are part of the “encyclopedic knowledge” constituted by the terms אמןetc. In the realm of economics and private law – which is certainly enwrought religiously –, trustworthiness is required for a proper handling of business processes: For instance, one is to abstain from eating fruits bought from a merchant who cannot be regarded as trustworthy in terms of his tithing (( )נאמןm. Demai 4:1; cf., 4:2; 7:1, 3). Transposed to the religious sphere, the notion of trustworthiness implies that a teacher of the Torah distinguishes himself, among other things, by the trustworthiness of the wise men (( )אמונת חכמיםm. Ἀbot 6:5). Finally, faith establishes and nourishes the relationship between God and human beings, even amidst trials and tribulations. As numerous other Jewish texts, the Rabbinic writings revere Abraham as an exemplar of faithfulness, as God’s command to give away his son did not stop him from clinging on to God (Gen 22). Less 22
This is stressed by Martina Böhm’s contribution to the present volume. Hay, “Pistis” (see n. 19), 465. 24 As Beatrice Wyss shows in her contribution to the present volume, a century and a half later, Clement of Alexandria would seek to prove the significance of πίστις as an epistemological foundation by drawing on Aristotle. 25 On the theme of faith in Rabbinic literature, see apart from dictionary entries Günter Stemberger, “Glaube im rabbinischen Judentum,” TLZ 139 (2014): 1113–30, and Michael Tilly’s contribution to the present volume. 26 Rudolf Bultmann, “πίστις κτλ.,” TDNT 6:174–82, 197–228, 199. 27 Cf., Menachem Kellner, Must a Jew Believe Anything?, 2nd ed. (Oxford: Oxford University Press, 2006), 32 (on b. Shab 31a, which in turn refers to Hab 2:4): “The tzadik … is defined as one who lives by faith (emunah); faith … finds its expression in the fulfillment of the 613 commandments of the Torah.” 23
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frequently, the rabbis point to Abraham’s faith in the promise of offspring (Gen 15:6), though Mekhilta Beshallah 4 (98–99; on Exod 14:15) claims that the sea was divided by the merit of Israel’s faith and by the merit of Abraham’s faith. Just as faith was instrumental in Israel’s exodus from Egypt, it will also be the basis for eternal salvation. In Beshallah 7 (114; on Exod 14:31) it is said that Abraham received this world and the world to come by the merit of faith. Overall and notwithstanding the multivalence of the אמן-word group in Rabbinic literature, faith is defined “less in terms of specific propositions that are to be accepted or rejected (beliefs) than in terms of trust and reliance.”28 2.2 Greco-Roman World Epistemology and Rhetorical Theory In the Greco-Roman world, πίστις and fides play a most prominent role in all areas of human life and thinking,29 in rhetorical, philosophical, political, juridical, and socio-cultural contexts, and not least in the religious sphere. The concept of fides is at the heart of the Roman state system and emotional economy, it is virtually omnipresent and characterizes almost all sorts of interpersonal and interstate relationships, as well as those to the gods.30 In Plato’s epistemology πίστις denotes a form of inferior knowledge tied and limited to the sensual world (Tim. 27d–28a), while the world of 28 Menachem Kellner, “Dogma,” in Contemporary Jewish Religious Thought: Original Essays on Critical Concepts, Movements, and beliefs, ed. Arthur A. Cohen and Paul Mendes-Flohr, 4th ed. (New York: Scribner, 1988), 141–46, 142. This statement is also quoted in the essay by Michael Tilly (section 2.1), though he also emphasizes that the Rabbis did not exclude the cognitive dimension and the notion of what has later been called fides quae. Basic religious convictions establish and motivate proper religious praxis. 29 On the use of faith-terminology in everyday language, using the example of papyri, see Peter Arzt-Grabner’s contribution to the present volume. 30 Cf., Carl Becker, “Fides,” RAC 7:801–39, 801; Viktor Pöschl, “Politische Wertbegriffe in Rom,” AuA 26 (1980): 1–17, 3: “[Fides] ist der wichtigste Schlüssel zum römischen Wertesystem.” Gabriele Thome, Zentrale Wertvorstellungen der Römer: Texte – Bilder – Interpretationen, Auxilia 46 (Bamberg: Buchner, 2000), 2:50–84. See, apart from Thomas Schumacher’s and Teresa Morgan’s contributions in the present volume, the thorough discussion in Morgan, Roman Faith (see n. 3), on the role of “faith” in relation to oneself (39–45), to family members and lovers (45–51), in friendship (55–60), and in public life (60–74), as well as in military matters (77–85), politics (85–95), interstate relations (95–104), economics (105–8) and in the legal system (108–16). Morgan (op. cit., 472) repeatedly stresses the relational nature of “faith” in the Greco-Roman cultural world: It “is one of those qualities that can only be practised socially: it is inherently relational and characteristically expressed in action towards other human beings (or, occasionally, animals).”
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ideas requires ἐπιστήμη. “Belief” and “understanding” correspond to each other like the categories of “Becoming” (γένεσις) and “Being” (οὐσία) (Tim. 29c). In his Analogy of the Divided Line (Resp. 6.509d–513e) Plato discerns four levels of knowledge: “conjecture” (εἰκασία) and “belief” (πίστις) as pertaining to the sensual, “thought” (διάνοια) and “cognition” (νόησις) as grasping the intelligible. According to Plato, rhetorical efforts may aim at “belief” in the sense of “persuasion”, but will never reach at a real perception of truth (Gorg. 454e). In line with Plato, Aristotle uses the word group πίστ- to refer to a rhetorician’s attempt to persuade his audience, e.g., in court. He discerns three kinds of “persuasions” (πίστεις) that accomplish this task: the moral integrity of the orator, a certain mind-set of the audience, and a compelling line of argumentation (Rhet. 1.2.2–4 [1355b–1356a]). Particularly the first aspect pertains to trusting (πιστεύομεν) in the rhetorician.31 The use of πίστις in rhetorical theory is closely related to its colloquial understanding, according to which someone considers true a person’s testimony (or refuses to believe). To mention just two examples from a wide period of time: Xenophon (Hell. 6.1.8) has Jason of Pherae say: “hear from me, and believe nothing (ἄκουε καὶ μηδὲν πίστευέ μοι) that I say unless upon consideration it appears to you true,” and Plutarch in his treatise “Concerning Talkativeness” (Garr. 503D) holds that “chatterers are disbelieved even if they are telling the truth” (ἀπιστοῦνται δ᾿ οἱ λάλοι, κἂν ἀληθεύωσιν). In Stoic tradition, faithfulness ranks among the virtues, together with pietas and iustitia (Seneca, Ben. 2.31.1, citing Chrysippus; cf., SVF 3 no. 507), and stands for one significant characteristic of the truly wise man. Epictetus goes as far as to argue that “man is born for fidelity (πρὸς πίστιν),” i.e. fidelity to himself; “he who subverts fidelity subverts the peculiar characteristic of men” (Diatr. 2.4.1). As faith(fulness) is deemed one of the cardinal virtues, not only in Stoic thinking, it is also a social norm and shapes human coexistence. Sociality and Relationality of Faith The philosophers hold true friendship to be a relationship between men who are good, wise, and alike in virtue. Friendship rhetoric is pervaded by references to the notion and necessity of “faith(fulness)”: Already Xenophon juxtaposes φιλία and πίστις (Anab. 1.6.3), and Aristotle declares that “there is no stable friendship without faithfulness” (Eth. eud. 7.2 [1237b]). 31 James L. Kinneavy (Greek Rhetorical Origins of Christian Faith: An Inquiry [New York: Oxford University Press, 1987]) argues for the influence of the rhetorical usage of faith-language on the New Testament. Πίστις entails trust in the reliability of the one who speaks (in Christian terms: God) and assent to the message (the kerygma).
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Among Roman authors, it is Cicero, who ties together the virtues of love, benevolence, constancy, and loyalty (fides) as the main constituents of genuine friendship (Amic. 65). Seneca places fides (“loyalty”) next to libertas (“freedom of speech”) as the essential characteristics of a true friend (Ben. 6.30.4).32 The concept of friendship and the role of fides and πίστις therein, is most complex, as friendship terminology is applied in almost all social relations in public life, imperial politics, or business associations.33 “Faith” not only establishes and sustains friendship, but is also invaluable in the sphere of familial and domestic relationships, between family members and between masters and slaves, as well as between patrons and clients. The function of πίστις and fides in patronage is twofold: The patron expects “trustworthiness” or “dependability” from his clients, and the client places “trust” in his patron, awaiting the fulfilment of his obligation. Seneca raises doubts whether a relationship of client and patron can be characterized by true fides; rather, he allocates fides merely among friends (Ben. 6.34.3–5). In the ideology of Roman imperialism, the idea of patronage networks was transferred to inter-state relationships:34 The imperium Romanum proves its divinely sponsored “trustworthiness” to subject cities and nations, oftentimes labelled “friends” of Rome, which in turn show their “loyalty” to their protecting power. Deditio in fidem (Pol. 20.9.10– 12) was a distinctive type of capitulation, in which an autonomous state surrendered to Rome, trusting in its loyalty and expecting its protection. In the juridical and economic realm, πίστις and, less so, fides acquire the meaning “guarantee,” “pledge,” “evidence,” as in rhetorical terminology, though the ethical inflection never disappears. Among business partners, an ethic of “dependability” is vital. Cicero notes that just as friendship is kept up by truth (veritas), a business association requires fides (Quinct. 26: fide … societas colitur). In de officiis 1.23, Cicero estab32 Niklas Luhmann (Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie, 4th. ed. [Frankfurt: Suhrkamp, 1991], 577) labelled friendship according to ancient ideals “the society’s principle of perfection.” See also Benjamin Schliesser, “Paulus und ‘seine’ Philipper: Geschäftspartner, Wohltäter, Vereinsgründer? Sozialgeschichtliche Perspektiven auf den Philipperbrief,” in Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistischrömischen Welt, ed. Jörg Frey and Benjamin Schliesser, with assistance of Veronika Niederhofer, WUNT 353 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2015), 33–119, 54–61. 33 On the role of πίστις/fides among friends (in the broadest sense), see, e.g., David Konstan, Friendship in the Classical World, Key Themes in Ancient History (Cambridge: Cambridge University Press, 1997); Ralph M. Rosen and Ineke Sluiter, eds., Valuing Others in Classical Antiquity, Mnemosyne Supplements 323 (Leiden: Brill, 2010); Craig A. Williams, Reading Roman Friendship (Cambridge: Cambridge University Press, 2012). 34 Cf., e.g., Dieter Nörr, Die Fides im Römischen Völkerrecht (Heidelberg: Müller, 1991).
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lishes the principle that “good faith” is the basis of justice: Fundamentum … est iustitiae fides. Notably, a prerequisite of trusting others is trusting oneself: In his Tusculan Disputations (3.14) Cicero explains that whoever is brave is self-confident (fidens), and whoever is self-confident is without fear. Religious Life “Faith” is not only “powerfully functional” and “profoundly transformative” in the personal and public sphere, but also occupies an important place in the realm of religiosity.35 However, in Greco-Roman religious thinking πίστις/fides do not figure as the central terminology to capture the essence of divine-human relationships or the assent to religious propositions. One possible exception is the first century biographer and philosopher Plutarch, who was also a priest at the temple of Apollo at Delphi involved in interpreting oracles. Plutarch testifies to a remarkable, multifaceted religious usage of faith language,36 and he does so independently from early Christianity, of which – in contrast to Judaism – he obviously did not take notice. One aspect of Plutarch’s notion of πίστις concerns a people’s adherence to its inherited faith as sacrosanct prerequisite for meaningful religious and societal life: When faced with sophistic and atheistic inquiries, we are “to believe according to the faith of our forefathers” 35
Morgan, Roman Faith (see n. 3), 174f. See also Christian Strecker, “Fides – Pistis – Glaube: Kontexte und Konturen einer Theologie der ‘Annahme’ bei Paulus, in Lutherische und Neue Paulusperspektive: Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, ed. Michael Bachmann and Johannes Woyke, WUNT 182 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 223–50; Gérard Freyburger, Fides: Étude sémantique et religieuse depuis les origines jusqu’à l’époque augustéenne, Collection d’études anciennes (Paris: Les Belles Lettres, 1986). Morgan concludes her discussion of “faith” in Greco-Roman Religiosity (op. cit., 123–75) with the observation that “many of the foundations of pistis/fides are perceived as fragile” and that the fragility (and consequently: desirability) of πίστις and fides created opportunities for Christian missionaries (op. cit., 175). See also below section 5. 36 Plutarch’s notion of πίστις κτλ. has been studied in George van Kooten, “A NonFideistic Interpretation of πίστις in Plutarch’s Writings: The Harmony between πίστις and Knowledge,” in Plutarch in the Religious and Philosophical Discourse of Late Antiquity, ed. Lautaro Roig Lanzillotta and Israel Muñoz Gallarte, Ancient Mediterranean and Medieval Texts and Contexts: Studies in Platonism, Neoplatonism, and the Platonic Tradition 14 (Leiden: Brill, 2012), 215–33; Françoise Frazier, “Philosophie et religion dans la pensée de Plutarque: Quelques réflexions autour des emplois du mot πίστις,” Études platoniciennes 5 (2008): 41–61; eadem, “Göttlichkeit und Glaube: Persönliche Gottesbeziehung im Spätwerk Plutarchs,” in Gott und die Götter bei Plutarch: Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder, ed. Rainer Hirsch-Luipold (Berlin: de Gruyter, 2005), 111–137. See also Rainer Hirsch-Luipold’s highlighting of the two foci of Plutarch’s idea of faith in his contribution to the present volume: religious tradition and individual faith.
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(Amat. 13, 756B). Conversely, attending to paternal faith goes hand in hand with a firm confidence that trusts in God’s favorable affection and assistance. In Plutarch, therefore, faith has become “a key word of religious self-understanding,”37 though at the same time being at home in the domain of philosophy and coupled with epistemological and cognitive vocabulary. Plutarch also witnesses to the correlation of the miraculous and faith: Those, who cherish affection for the divine, will have a strong argument for their faith in the wonderful and in the supernatural character of the divine power (Plutarch, Cor. 38.3). However, the fact that among the naïve miraculous experiences evoke faith (cf., Lucian, Philops. 13, 15, 30) is criticized by the philosopher (cf., Marcus Aurelius 1.6) or ridiculed by the satirist (cf., Lucian, Dial. mort. 339; Icar. 2). Several ancient authors refer to a personification or a deification of Πίστις or Fides. The 6th century Greek poet Theognis of Megara laments that the “great goddess” Πίστις has returned to Mount Olympus and left the earth in a devastating moral condition (1135–38).38 Plutarch reports that Numa Pompilius, the legendary second king of Rome, has built a temple to Πίστις and “taught the Romans their most solemn oath by Faith” (Num. 16.1), and he documents a hymn praising the goddess Fides next to Zeus, divine Roma and the conqueror of Greece, Titus Quinctius Flamininus: “And the Roman faith we revere, which we have solemnly vowed to cherish” (Flam. 16.4). In the third century BC, the Romans established a temple of deified Fides on the Capitoline, right next to the temple of Jupiter.39 During the reign of Tiberius, Roman author Valerius Maximus praises the “venerable deity (numen) Fides” to be the “surest pledge of human salvation” (Memorabilia 6,6). In past decades, the study of the New Testament concept of faith has been dominated by the question of its religio-historical origin.40 For a long 37 Gerd Schunack, “Glaube in griechischer Religiosität,” in Antikes Judentum und frühes Christentum: Festschrift für Hartmut Stegemann zum 65. Geburtstag, ed. Bernd Kollmann, Wolfgang Reinbold, and Annette Steudel, BZNW 97 (Berlin: de Gruyter, 1999), 296–326, 322. 38 In Theognis, both the noun πίστις and its antonym ἀπιστία occur for the first time in Greek literature (cf., 66, 831, 1137, 1244). The juxtaposition of πίστεις and ἀπιστίαι in Hesiod, Op. 372, is part of a corrupt piece of text, whereby πίστεις might be a secondary addition (cf., Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Hesiodos Erga [Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1928], 84f.). 39 Cf., Christoph Reusser, Der Fidestempel auf dem Kapitol in Rom und seine Ausstattung: Ein Beitrag zu den Ausgrabungen an der Via del Mare und um das Kapitol 1926– 1943, Bullettino della commissione archeologica comunale di Roma: Supplementi 2 (Rome: L’Erma die Bretschneider, 1993). 40 For this phase of the discussion, the following studies are representative: Lührmann, “Pistis im Judentum” (see n. 17); Eduard Lohse, “Emuna und Pistis: Jüdisches und ur-
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time the judgment of the History of Religions School has been undisputed that while in classical Greek “[t]he words in πιστ- did not become religious terms,”41 they were used as catchwords in those religions engaged in missionary propaganda, whether Jewish or non-Jewish.42 This almost canonical proposition has been challenged by Dieter Lührmann’s proposal that “faith” was by no means a common category of the phenomenology of religion in the context of early Christianity. Rather, πίστις and πιστεύειν represent “semantic loan words” (Bedeutungslehnwörter), i.e., the Greek words are merely linguistic cases that encapsulate the semantics of the Hebrew אמןas mediated by Philo and the Septuagint, especially Jesus Sirach.43 Both extremes fail to account for the evidence. Faith terminology is neither commonplace in the religious language at the turn of the eras, nor is it merely part of a Jewish and early Christian in-group language.
3. New Testament 3.1 Corpus Paulinum With good reason Rudolf Bultmann wrote that “Paul put the concept of πίστις at the very center of theology.”44 He frequently uses the word group christliches Verständnis des Glaubens” (1977), in: idem, Die Vielfalt des Neuen Testaments: Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1982), 88–104; Gerhard Barth, “Pistis in hellenistischer Religiosität,” ZNW 73 (1982): 110–26; Axel von Dobbeler, Glaube als Teilhabe: Historische und semantische Grundlagen der paulinischen Theologie und Ekklesiologie des Glaubens, WUNT 2/22 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1987), 281–313; Brandenburger, “Pistis und Soteria” (see n. 15); Hay, “Pistis” (see n. 19); Dennis R. Lindsay, “The Roots and Developments of the πιστ-Word Group as Faith Terminology,” JSNT 49 (1993): 103–18; Schunack, “Glaube” (see n. 37). Summaries and evaluations of the proposals are found in Schliesser, Abraham’s Faith (see n. 10), 54–67. 41 Bultmann, “πίστις κτλ.” (see n. 26), 179. 42 Cf., Richard Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen: Nach ihren Grundgedanken und Wirkungen, 3rd ed. (Leipzig: Teubner, 1927), 234–36. 43 Lührmann, “Pistis im Judentum” (see n. 17), 24f. Against that, James Barr (The Semantics of Biblical Language [Oxford: Oxford University Press, 1961], 203, 218) had already blown the whistle on an “illegitimate totality transfer,” which disregards the principle that the meaning of a biblical word is determined by its respective context – and not by its “Hebrew” or “Greek” origin. 44 Bultmann, “πίστις κτλ.” (see n. 26), 217. Compared to the significance “faith” in Paul, few monographs on this topic have seen the light of day. See Schumacher, Entstehung (see n. 6); von Dobbeler, Glaube als Teilhabe (see n. 40), and among older studies Hermann Binder, Der Glaube bei Paulus (Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1968); Henrik Ljungman, Pistis: A Study of Its Presuppositions and Its Meaning in Pauline Use (Lund: Gleerup, 1964); Wilhelm Mundle, Der Glaubensbegriff des Paulus: Eine Unter-
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πίστ- in all of his seven undisputedly authentic letters, and the remaining letters of the Corpus Paulinum fall into line with this pattern. From a statistical perspective, the prevalence of the noun is noteworthy; it occurs 91 times, whereas the verb is found 42 times and the adjective 9 times (Rom: 40/21/0; 1 Cor 7/9/5; 2 Cor 7/2/2; Gal: 22/4/1; Phil 5/1/0; 1 Thess 8/5/1; Phlm 0/2/0; cf., Col 5/0/4; 2 Thess 5/4/1; Eph 8/2/2). As far as the referential context of Paul’s faith terminology is concerned, its concentration in Romans and Galatians corresponds to Paul’s desire to reinforce his core message that people are justified by faith, not by works of the law. Apart from the connection between faith and justification, other pairs of concepts have stimulated intense exegetical and dogmatic debates: faith and the word,45 faith and obedience,46 faith and Christ,47 faith and baptism,48 and faith and the Holy Spirit.49 suchung zur Dogmengeschichte des ältesten Christentums (Leipzig: Hinrichs, 1932); Erwin Wißmann, Das Verhältnis von ΠΙΣΤΙΣ und Christusfrömmigkeit bei Paulus, FRLANT 23 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1926); William Henry Paine Hatch, The Pauline Idea of Faith in Its Relation to Jewish and Hellenistic Religion, HTS 2 (Cambridge: Harvard University Press, 1917); see the account of the history of scholarship in Schliesser, Abraham’s Faith (see n. 10), 7–78. Recent syntheses include Michael Wolter, “Glaube/Christusglaube,” in Paulus Handbuch, ed. Friedrich Wilhelm Horn (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 342–347 (see also his contribution to the present volume); Benjamin Schliesser, Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, Theologische Studien N.F. 3 (Zürich: TVZ, 2011). 45 Cf., Peter Müller, “Der Glaube aus dem Hören: Über das gesprochene und das geschriebene Wort bei Paulus,” in Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World: Essays Honoring Dieter Georgi (on Occasion of his SixtyFifth Birthday), ed. Lukas Bormann, Kelly del Tredici, and Angela Standhartinger, NT.S 74 (Leiden: Brill, 1994), 405–442; Otfried Hofius, “Wort Gottes und Glaube bei Paulus,” in: idem, Paulusstudien, WUNT 51 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1990), 148–174; Gerhard Friedrich, “Glaube und Verkündigung bei Paulus,” in Der Glaube im Neuen Testament: Studien zu Ehren von Hermann Binder anläßlich seines 70. Geburtstags, ed. Ferdinand Hahn and Hans Klein, BThSt 7 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1982), 93–113. 46 Cf., Don B. Garlington, The Obedience of Faith: A Pauline Phrase in Historical Context, WUNT 2/38 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1991); idem, Faith, Obedience, and Perseverance: Aspects of Paul’s Letter to the Romans, WUNT 79 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1994); Andrie B. du Toit, “Faith and Obedience in Paul” (1991), in: idem, Focusing on Paul: Persuasion and Theological Design in Romans and Galatians, ed. Cilliers Breytenbach and David S. du Toit, BZNW 151 (Berlin: de Gruyter, 2007), 117– 27; Glenn N. Davies, Faith and Obedience in Romans: A Study in Romans 1–4, JSNT.S 39 (Sheffield: JSOT, 1990). 47 See below on πίστις Χριστοῦ. 48 Cf., Everett Ferguson, Baptism in the Early Church: History, Theology, and Liturgy in the First Five Centuries (Grand Rapids: Eerdmans, 2009), 147: “Paul binds faith and baptism together as two aspects of entering into Christ. One now belongs to Christ on the basis of faith in him by being baptized into him.” Cf., Otfried Hofius, “Glaube und Taufe nach dem Zeugnis des Neuen Testaments” (1994), in: idem, Neutestamentliche Studien
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Most references to faith in Paul fail to mention the orientation or content of faith. Already in his earliest correspondence he uses the term πίστις several times without further clarification. Apparently, for the addressees there was no uncertainty as to the grounds, essence, and effects of faith, because faith had been a key element in Paul’s (and other missionaries’) proclamation (cf., Acts 20:21). Coming to faith means attending to (Rom 10:16–17), accepting (1 Cor 1:21; 2:4–5; 15:1–2, 11, 14; cf., Phil 1:27), and assenting to the contents of the proclamation (Rom 10:9: confession), which springs from and participates in the power of the “gospel of Christ” (2 Cor 2:12; 9:13; 10:14; Gal 1:7; 1 Thess 3:2), and the “gospel of God” (Rom 1:1; 15:16; 2 Cor 11:7; 1 Thess 2:2, 8–9), respectively. Paul’s mission centered upon proclaiming the “word of faith” (Rom 10:8) and calling to the “obedience of faith” (Rom 1:5; cf., 16:26); he even came to be known as the one who is “proclaiming the faith” (Gal 1:23; cf., 3:2, 5). Faith is at first “faith in God” (1 Thess 1:850; cf., Rom 4:3, 17, 24), though for Paul this takes on the meaning that faith is directed to what God has done in Christ. Expressing this christological content of faith, Paul draws on early pistis-formulae, which refer to the salvific significance of Christ’s death and/or resurrection (e.g., Rom 4:24; 10:9; 1 Cor 15:3–5).51 In a nutshell: Christians “believe that Jesus died and rose again” (1 Thess 4:14). Such statements of faith even shaped early Christian predicates of God (Rom 8:11; 2 Cor 4:1452; Gal 1:1; cf., Col 2:12; 1 Pet 1:21: πιστὸς εἰς θεόν). Elsewhere Paul explicitly speaks of believing in Christ, using a variety of prepositional constructions, both nominal (Gal 3:26; cf., Eph 1:15; Col 1:4: with ἐν; Phlm 5: with πρός; cf., Col 2:5: with εἰς) and verbal WUNT 132 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), 253–75. See also Eph 4:5: εἷς κύριος, μία πίστις, ἓν βάπτισμα. 49 Rather than a simple causal nexus, which requires a conjectured sequence of faith and the Holy Spirit, a more open relationship suggests itself. Gordon Fee (God’s Empowering Presence: The Holy Spirit in the Letters of Paul [Peabody: Hendrickson, 1994], 853) proposes “that faith itself, as a work of the Spirit, leads to the experienced reception of the Spirit that also comes through that same faith. Although it does not fit our logical schemes well, the Spirit is thus both the cause and the effect of faith.” 50 Traugott Holtz (“‘Euer Glaube an Gott:’ Zu Form und Inhalt von 1. Thess 1,9f.” [1978], in: idem, Geschichte und Theologie des Urchristentums: Gesammelte Aufsätze, ed. Eckard Reinmuth and Christian Wolff, WUNT 57 [Tübingen: Mohr Siebeck, 1991], 270–96) argues that from the outset of his proclamation, Paul’s concept of God was “christological”. 51 The classic study dealing with these formulae is Werner Kramer, Christ, Lord, Son of God, trans. Brian Hardy, SBT 50 (Naperville: Allenson, 1966) (originally published in German in 1963). 52 Jerome Murphy-O’Connor, “Faith and Resurrection in 2 Cor 4:13–14” (1988), in: idem, Keys to Second Corinthians: Revisiting the Major Issues (Oxford: Oxford University Press, 2010), 93–104.
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(Rom 10:14; Gal 2:16; Phil 1:29: with εἰς; Rom 9:33; 10:11: with ἐπί; cf., 1 Pet 2:6). All these different forms can be understood as abbreviative variations of faith in relation to the Christ event, which does not exclude, but rather entails affective, personal trust directed “to the Lord Jesus” (Phlm 5).53 Another expression that correlates faith and Christ is the syntagma πίστις Χριστοῦ, which actually appears in different shapes: πίστις is linked with “Jesus Christ” (Rom 3:22; Gal 3:22), “Jesus” (Rom 3:26), “Christ Jesus” (Gal 2:16; cf., Eph 3:12); “Christ” (Gal 2:16; Phil 3:9), and “son of God” (Gal 2:20). Scholarship continues to debate intensely whether the genitive should be understood as an objective genitive (“faith in Christ”) or as a subjective genitive (“faithfulness of Christ”)?54 According to the first option, it refers to the faith of the Christian in Christ’s salvific work,55 while the alternative explanation considers it to denote Christ’s faithfulness unto death as the foundation of human salvation (cf., the explicit references to God’s faithfulness: Rom 3:3; 1 Cor 1:9; 10:13; 2 Cor 1:18).56 Both interpretations are able to present valid exegetical and theological arguments, and the issue cannot be settled by way of lexical or semantic
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Cf., Schliesser, Was ist Glaube? (see n. 44), 102–10, against, e.g., Bultmann, “πίστις κτλ.” (see n. 26), 219. 54 The literature produced in and on that debate is overwhelming and cannot be documented here comprehensively. For an overview of the main issues, see, e.g., Matthew C. Easter, “The Pistis Christou Debate: Main Arguments and Responses in Summary,” CBR 9 (2010): 33–47; Debbie Hunn, “Debating the Faithfulness of Jesus Christ in Twentieth Century Scholarship,” in The Faith of Jesus Christ: Biblical, Exegetical, and Theological Studies, ed. Michael F. Bird and Preston M. Sprinkle (Peabody: Hendrickson 2009), 15– 31. The almost entirely neglected early history of the subjective interpretation is presented in Benjamin Schliesser, “‘Exegetical Amnesia’ and πίστις Χριστοῦ: The ‘Faith of Christ’ in 19th Century Pauline Scholarship,” JTS (2015): 61–89. See also below on Mark 11:22 and Jas 2:1, but also on the patristic evidence. 55 Cf., e.g., James D.G. Dunn, “Once more, Πίστις Χριστοῦ” (1997), in The Faith of Jesus Christ: The Narrative Substructure of Galatians 3:1–4:11, ed. Richard B. Hays, 2nd ed. (Grand Rapids: Eerdmans, 2002), 249–71; Karl Friedrich Ulrichs, Christusglaube: Studien zum Syntagma πίστις Χριστοῦ und zum paulinischen Verständnis von Glaube und Rechtfertigung, WUNT 2/227 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007); R. Barry Matlock, “The Rhetoric of πίστις in Paul: Galatians 2.16, 3.22, Romans 3.22, and Philippians 3.9,” JSNT 30 (2007): 173–203. 56 Cf., e.g., Hays, The Faith of Jesus Christ (see n. 55); Morna D. Hooker, “Πίστις Χριστοῦ” (1989), in: eadem, From Adam to Christ: Essays on Paul (Cambridge: Cambridge University Press, 1990), 165–86; Douglas A. Campbell, “The Faithfulness of Jesus Christ in Romans 3:22,” in The Faith of Jesus Christ: Biblical, Exegetical, and Theological Studies, ed. Michael F. Bird and Preston M. Sprinkle (Peabody: Hendrickson 2009), 57–71.
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considerations.57 Based on the personification of πίστις in Gal 3:23, 25 a “third view” has been suggested that refuses the alignment to dichotomous grammatical categories (objective/subjective) and understands πίστις not in terms of a personal disposition or attitude (of Christ or a human being), but as an eschatological event of salvation that marks a turn of the times and opens up the salvation-historical possibility of faith.58 The enigmatic phrase “from faith to faith” (Rom 1:17) can be understood to encapsulate this dynamic from the salvation-historical to the individual perspective.59 Two intrinsically related corollaries result from the exclusive orientation of faith to Christ: In Paul, faith ranks as a soteriological and sociological particula exclusiva.60 (1) Paul’s argumentation, particularly in his letters to the Romans and the Galatians, makes clear that all human beings, Jews and Greeks alike, are “under (the power of) sin” (Rom 3:9; 7:14; Gal 3:22), which for him strikingly correlates with being “under (the power of) the law” (Rom 6:14–15; Gal 3:23; 4:5, 21; 5:18). Salvation from this predicament requires a radical change of dominion. The coming of Christ (Gal 3:19), which is equivalent to the coming of faith (Gal 3:23, 25), brings about this change and enables human participation in the realm of Christ 57 See, apart from Downing, “Ambiguity” (see n. 6): Wally V. Cirafesi, “ἔχειν πίστιν in Hellenistic Greek and Its Contribution to the πίστις Χριστοῦ Debate,” Biblical and Ancient Greek Linguistics 1 (2012): 5–37; R. Barry Matlock, “Detheologizing the ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ Debate: Cautionary Remarks from a Lexical Semantic Perspective,” NovT 42 (2000): 1–23; Stanley E. Porter and Andrew W. Pitts, “Πίστις with a Preposition and Genitive Modifier: Lexical, Semantic, and Syntactic Considerations in the πίστις Χριστοῦ Discussion,” in The Faith of Jesus Christ: Biblical, Exegetical, and Theological Studies, ed. Michael F. Bird and Preston M. Sprinkle (Peabody: Hendrickson 2009), 33– 53. It should not be ignored that Plutarch, among others, could use πίστις (and ἀπιστία) with an objective genitive (cf., Barth, “Pistis” [see n. 40], 122; Schunack, “Glaube” [see n. 37], 317 note 101; R. Barry Matlock, “Even the Demons Believe:” Paul and πίστις Χριστοῦ, CBQ 64 [2002]: 300–18, 304). 58 This view is inspired inter alia by Ernst Lohmeyer and elaborated in Benjamin Schliesser, “‘Christ-Faith’ as an Eschatological Event (Gal. 3.23–26): A ‘Third View’ on Πίστις Χριστοῦ, JSNT 38 (2016): 277–300; Preston M. Sprinkle, “Πίστις Χριστοῦ as an Eschatological Event,” in The Faith of Jesus Christ: Biblical, Exegetical, and Theological Studies, ed. Michael F. Bird and Preston M. Sprinkle (Peabody: Hendrickson 2009), 165–84. Another “third” view, interpreting πίστις Χριστοῦ against the backdrop of the Roman idea of fides, has been suggested by Thomas Schumacher in the present volume (section 6.3.2). 59 On different views on Rom 1:16–17, see John W. Taylor, “From Faith to Faith: Romans 1.17 in the Light of Greek Idiom,” NTS 50 (2004): 337–48; Charles L. Quarles, “From Faith to Faith: A Fresh Examination of the Prepositional Series in Romans 1:17,” NT 45 (2003): 1–21. 60 Cf., Ben C. Dunson, “Faith in Romans: The Salvation of the Individual or Life in Community?,” JSNT 34 (2011): 19–46. See also Jakob Spaeth’s contribution to the present volume.
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“through faith” (Gal 3:26) (cf., Paul’s formula “in Christ”).61 Conflicts with “Judaizers” in Galatia forced Paul to explicate his doctrine of justification in a pointed manner (cf., Gal 2:15–21; Rom 3:21–28), though it is not unlikely that his basic soteriological tenet – “a person is justified not by the works of the law but through Jesus-Christ-faith” (Gal 2:16; cf., Rom 3:28; see also Eph 2:8–10) – traces back to early Antiochene theology. Even Paul’s appeal to Abraham might have grown out of the Galatian Judaizers’ recourse to the obedience of the patriarch (Gal 3; Rom 4). In a keen relecture of the Abraham story, Paul demonstrates exegetically the temporal and factual priority of Abraham’s faith-righteousness over his circumcision, concluding that Abraham is also the father of uncircumcised believers (Rom 4:11) and that Gentiles, too, inherit the promises fulfilled in Christ (Gal 3:6–9; cf., Rom 11:17–24).62 Paul’s cutting the link between faith and law by appeal to the Abraham narrative is diametrically opposed to the Early Jewish image of the (Tora-)observant Abraham.63 In both Romans and Galatians, though with different emphases, Gen 15:6 (cf., Rom 4:3; Gal 3:6) serves as his primary proof text, seconded by Hab 2:4 (cf., Rom 1:17; Gal 3:11).64 Abraham’s faith in God “who gives life to the 61 Paul’s notions of “faith” and “in Christ” represent key elements of two distinctive soteriological models, a “juridical” and a “participationist”. For Paul – unlike for many of his interpreters – they do not conflict with, but rather complement, each other. On the participatory dimension of faith, see David M. Hay, “Paul’s Understanding of Faith as Participation,” in Paul and His Theology, ed. Stanley E. Porter, PaSt 3 (Leiden: Brill, 2006), 45–76; Douglas A. Campbell, “Participation and Faith in Paul,” in “In Christ” in Paul: Explorations in Paul’s Theology of Union and Participation, ed. Michael J. Thate, Kevin J. Vanhoozer, and Constantine R. Campbell, WUNT 2/384 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), 37–60. 62 Paul’s appeal to Abraham (and his faith) has been studied in detail in David S. du Toit, “Christlicher Glaube als endzeitliche Variante des Glaubens Abrahams,” in Paulus – Werk und Wirkung: Festschrift für Andreas Lindemann zum 70. Geburtstag, ed. idem and Paul-Gerhard Klumbies (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 325–50; Nicholas T. Wright, “Paul and the Patriarch: The Role of Abraham in Romans 4,” JSNT 35 (2013): 207–41; Orrey McFarland, “Whose Abraham, Which Promise? Genesis 15.6 in Philo’s De Virtutibus and Romans 4,” JSNT 35 (2012): 107–29; Schliesser, Abraham’s Faith (see n. 10); Maria Neubrand, Abraham – Vater von Juden und Nichtjuden: Eine exegetische Studie zu Röm 4, FzB 85 (Würzburg: Echter, 1997). A classic is Ferdinand Hahn, “Genesis 15,6 im Neuen Testament” (1971), in: idem, Bekenntnisbildung und Theologie in urchristlicher Zeit, vol. 2 of Studien zum Neuen Testament, ed. Jörg Frey and Juliane Schlegel, WUNT 192 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 169–86. 63 Cf., Schliesser, Abraham’s Faith (see n. 10), 152–220. 64 On Paul’s reception of Hab 2:4, see, e.g., Steve Moyise, “Does Paul Respect the Context of His Quotations?,” in Paul and Scripture: Extending the Conversation, ed. Christopher D. Stanley, SBL.ECL 9 (Atlanta: Society of Biblical Literature, 2012), 97– 114; Hultgren, Habakkuk 2:4 (see n. 13), 43–113. Within the πίστις Χριστοῦ-debate, the verse plays a significant role. Cf., Stephen L. Young, “Romans 1.1–5 and Paul’s Christo-
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dead” (Rom 4:17), prefigures Christian faith in God “who raised Jesus our Lord from the dead” (Rom 4:24). (2) The unique ecclesiological character of faith is contingent upon its exclusive orientation to Christ, which overrides all differences of status, gender and ethnicity (cf., Gal 3:28). God justifies both Jews and Gentiles through faith (Rom 3:29). Faith functions both as an identity marker that constitutes a common ethos including both believing Jews and Gentiles, and as a boundary marker that indicates the distinctiveness of the early Christian movement. Already in his first letter Paul uses the participle “believers” (1 Thess 1:7; 2:10, 13) to name the Jesus followers, and he maintains this parlance, oftentimes in conjunction with an inclusive “all” (cf., 1 Thess 1:7; Rom 1:16; 3:22; 4:11; 10:4, 11). The centrality of faith for the Christian group identity corresponds to a devaluation of other identity markers such as circumcision, Sabbath and food laws, the first of which representing the most significant nota Iudaica since the Maccabean crisis. Conflicts were to be expected and in fact ensued. As a consequence, in Paul’s thinking the patriarch Abraham not only anticipates the faith of the individual believer, but he is also an ecclesiological figure, the type of the eschatological people of God (cf., Gal 3:9). Accordingly, faith is the mode of existence of the people of God, which Paul not only addresses as “believers,” but also as “those of faith” (Gal 3:7, 9; cf., Rom 3:26; 4:16) and as “family of faith” (Gal 6:10; cf., 3:26: “in Christ Jesus you are all children of God through faith”). The ethos of faith corresponds with an ethic of faith. Faith is not an end in itself, but includes a responsive element and goes hand in hand with obedience (cf., Rom 1:5; 16:26; cf., 10:16), though obviously not towards the law, but towards the “law of Christ” (Gal 6:2) and to Christ (2 Cor 10:5–6). Faith is a fruit of the spirit (Gal 5:22), working through love (Gal 5:6) and being complemented by love and hope (1 Cor 13:13; 1 Thess 1:3).65 Depending logical Use of Hab. 2.4 in Rom. 1.17: An Underutilized Consideration in the Debate,” JSNT 34 (2012): 277–85; Debbie Hunn, “Pistis Christou in Galatians: The Connection to Habakkuk 2:4,” TynB 63 (2012): 75–91; Desta Heliso, Pistis and the Righteous One: A Study of Romans 1:17 against the Background of Scripture and Second Temple Jewish Literature, WUNT 2/235 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007); Brian Dodd, "Romans 1:17 – A Crux Interpretum for the Πίστις Χριστοῦ Debate?,” JBL 114 (1995): 470–73; Douglas A. Campbell, “Romans 1:17 – A Crux Interpretum for the Πίστις Χριστοῦ Debate,” JBL 113 (1994): 265–85. On Paul as an insightful interpreter of Scripture, employing a “hermeneutics of faith,” see Francis Watson, Paul and the Hermeneutics of Faith, 2nd ed. (London: Bloomsbury, 2015). 65 On the triad “faith – love – hope,” see Christine Jourdan, Foi, espérance, amour chez saint Paul: Aux sources de l’identité chrétienne, LiB 163 (Paris: Cerf, 2010); Mira Stare, “‘Die grösste unter diesen ist die Liebe:’ Überlegungen zur paulinischen Trias von Glaube, Hoffnung und Liebe,” in Horizonte biblischer Texte: Festschrift für Josef M. Oesch zum 60. Geburtstag, ed. Andreas Vonach and Georg Fischer, OBO 196 (Fribourg: Academic Press; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2003), 223–35; Ulrich Mell, “Die
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on the individual “measure” and strength of faith (Rom 12:3),66 ethical decisions might diverge (Rom 14:1–15:13). Paul deems this acceptable as long as believers “walk according to love” (Rom 14:15); correspondingly, “whatever does not proceed from faith is sin” (Rom 14:23). Pastoral Epistles Relative to their length, the Pastoral Epistles use the word family of πίστις more intensively than any other Christian text of the first or second century. 67 As in Paul, the noun dominates (33 times); the verb occurs only once in the clear sense of human “believing”: 1 Tim 1:16 (ἐπ’ αὐτῷ, “in him,” i.e. Christ; cf., 3:16). Until recently, it has been commonplace to read the Pastoral Epistles in the light of Paul’s authentic letters and to evaluate their understanding of faith by the yardstick of Paul. They are said to erode and degenerate Paul’s superior, dynamic theology of faith. More recently, however, there have been attempts to move closer together Paul and the Entstehungsgeschichte der Trias ‘Glaube Hoffnung Liebe’ (1.Kor 13,13)” (1999), in idem, Biblische Anschläge: Ausgewählte Aufsätze, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 30 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2009), 181–208; Jan Lambrecht, “The Most Eminent Way: A Study of 1 Corinthians 13,” in: idem, Pauline Studies: Collected Essays, BETL 115 (Louvain: Peeters, 1994), 79–107; Thomas Söding, Die Trias Glaube, Hoffnung, Liebe bei Paulus: Eine exegetische Studie, SBS 150 (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1992). 66 The meaning of the phrase μέτρον πίστεως is not clear. On different approaches, see John K. Goodrich, “‘Standard of Faith’ or ‘Measure of a Trusteeship’? A Study in Romans 12:3,” CBQ 74 (2012): 753–72 (cf., the response Stanley E. Porter and Hughson T. Ong, “‘Standard of Faith’ or ‘Measure of a Trusteeship’? A Study in Romans 12:3 – A Response,” JGRChJ 9 [2013]: 97–103); John C. Poirier, “The Measure of Stewardship: Pistis in Romans 12:3,” TynB 59 (2008): 145–52; Lloyd Gaston, “Faith in Romans 12 in the Light of the Common Life of the Roman Church,” in Common Life in the Early Church: Essays Honoring Graydon F. Snyder, ed. Julian V. Hills (Harrisburg: Trinity, 1998), 258–64. 67 In recent years, the assessment of the Pastorals’ idea of faith has undergone major developments. Cf., Michael Theobald, “Glauben statt Grübeln: Zum Anti-Intellektualismus der Pastoralbriefe,” Early Christianity 5 (2014): 5–34; Bernhard Mutschler, Glaube in den Pastoralbriefen: Pistis als Mitte christlicher Existenz, WUNT 256 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2010) (cf., the extensive review by Jens Herzer in Early Christianity 3 [2012]: 393–403); Wilfried Eisele, “Der gemeinsame Glaube der Auserwählten Gottes: Zum Glaubensbegriff der Pastoralbriefe nach Tit 1,1–4,” in, Ein Meisterschüler: Titus und sein Brief: Michael Theobald zu seinem 60. Geburtstag, ed. idem and Hans-Ulrich Weidemann, SBS 214 (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2008), 81–114. Among older studies see Georg Kretschmar, “Der paulinische Glaube in den Pastoralbriefen,” in Der Glaube im Neuen Testament: Studien zu Ehren von Hermann Binder anläßlich seines 70. Geburtstags, ed. Ferdinand Hahn and Hans Klein, BThSt 7 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1982), 115–40; Otto Merk, “Glaube und Tat in den Pastoralbriefen” (1975), in: idem, Wissenschaftsgeschichte und Exegese, ed. Roland Gebauer, Martin Karrer, and Martin Meiser, BZNW 95 (Berlin: de Gruyter, 1998), 260–71.
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Pastorals via their concept of faith.68 As in Paul, both the orientation of faith to Christ and its salvific significance are presupposed (1 Tim 1:16; 2 Tim 3:1569; the characteristically Pauline preposition εἰς is missing). Two major shifts can be observed: (1) The Pastorals display a tendency to objectify faith by focusing on its content: Christians have to continue “in faith” (1 Tim 2:15 etc.), i.e., “fight the good fight of the faith” (1 Tim 6:12), hold on to the doctrine of faith “with a pure conscience” (1 Tim 3:9; cf., 1 Tim 1:19; 4:6; 2 Tim 1:13), particularly in the face of false teaching (1 Tim 1:19; 2 Tim 2:18; 3:8; Titus 1:13). Faith has to be “sincere” (1 Tim 1:5; 2 Tim 1:5) and “sound” (Titus 1:13; cf., 2:2), just as the teaching (1 Tim 1:10; 2 Tim 4:3; Titus 1:9; 2:1) and Christ’s words are “sound” (1 Tim 6:3; cf., 2 Tim 1:13). A certain “style of thinking” accords to such faith, which differs from that of the opponents: anti-intellectualistic and unpretentious.70 (2) Faith is placed in an ethical frame of reference in that it appears next to other virtues such as “righteousness” (δικαιοσύνη), “sanctity” (ἁγιασμός), “purity” (ἁγνεία), “godliness” (εὐσέβεια), “love” (ἀγάπη), “perseverance” (ὑπομονή), “gentleness” (πραϋπαθία), “peace” (εἰρήνη), and “patience” (μακροθυμία) (1 Tim 2:15; 4:12; 6:11; 2 Tim 2:22; 3:10; Titus 2:2). Faith is the habitus of a Christian that brings forth “good works” (Titus 3:8) and excludes other attitudes such as “love of money” (1 Tim 6:10). 3.2 Synoptic Gospels and Acts Mark In the Synoptic Gospels and Acts, both the noun πίστις (Mark: 5; Matt: 8; Luke: 11; Acts: 15) and the verb πιστεύειν (10[14]/11/9/37) are represented, as is the adjective πιστός (0/5/6/4).71 68 Cf., the programmatic subtitle of Mutschler’s monographic treatment: Pistis als Mitte christlicher Existenz. See, as a summary, his contribution to the present volume. 69 The πίστις Χριστοῦ-debate is prolonged into the Pastorals. Cf., David J. Downs, “Faith(fulness) in Christ Jesus in 2 Timothy 3:15,” JBL 131 (2012): 143–60. 70 Cf., Theobald, “Glauben statt Grübeln” (see n. 67). 71 Recent general treatments on faith in the Synoptics are missing, as most studies focus on one gospel, one passage or one aspect of faith. Older and dated syntheses include Edward D. O’Connor, Faith in the Synoptic Gospels: A Problem in the Correlation of Scripture and Theology (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 1961); Pierre Benoit, “La foi dans les évangiles synoptiques,” LumVie 22 (1955): 45–64. On the opposition of faith and doubt in the Synoptics, see the essay Gerhard Barth, “Glaube und Zweifel in den synoptischen Evangelien,” ZTK 72 (1975): 269–92. Studies on the idea of faith of the individual gospels are noted at the beginning of the respective main section, and special studies on particular pericopes are documented when the passage is first mentioned.
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In the Marcan narrative, faith is a constituent theme, even though the word family πίστις appears only 15 times (plus four occurrences in Mark’s secondary ending).72 The first words spoken by Jesus at the beginning of his ministry, identified as “the good news of God” (1:14), are programmatic: “The time is fulfilled, and the kingdom of God has come near; repent, and believe in the good news (ἐν τῷ εὐαγγελίῳ)” (1:15).73 With the dawn of the new era corresponds the call to μετανοεῖν and πιστεύειν. The two verbs being virtually synonymous, they describe a transformative, existential change that implies an orientation towards the kingdom of God and personally following its representative, Jesus. From a narratological perspective, this call remains existent and effective across the narrated story, whenever Mark has Jesus preach (e.g., 1:38–39, 45; 5:20; cf., 3:14; 6:12; 7:36), teach (e.g., 8:31; 9:31: the suffering of the Son of Man) or even perform deeds and miracles. At the same time, the call transcends the gospel narrative and extends to its addressees (cf., 13:10; 14:9; 16:15). Consequently, the summary statement 1:14–15 reflects the post-Easter missionary setting of Mark’s gospel. Apart from 1:14–15, at least three distinct usages of the motive of faith can be discerned in Mark.74 The first two Mark shares with Matthew and Luke; both are frequently linked to the healing ministry and the teaching of the historical Jesus.75 (1) The saying “your faith has healed/saved you” is a characteristic element of the Synoptics’ miracle narratives (Mark 5:34//Matt 9:22//Luke 8:48; Mark 10:5276//Luke 18:42; Luke 7:50; 17:19). It points to an under72 Cf., Christopher D. Marshall, Faith as a Theme in Mark’s Narrative, SNTS.MS 64 (Cambridge: Cambridge University Press, 1989); Mary Ann Beavis, “Mark’s Teaching on Faith,” BTB 16 (1986): 139–42; François Vouga, “‘Habt Glauben an Gott:’ Der Theozentrismus der Verkündigung des Evangeliums und des christlichen Glaubens im Markusevangelium,” in Texts and Contexts: Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts: Essays in Honor of Lars Hartman, ed. Tord Fornberg and David Hellholm (Oslo: Scandinavian University Press, 1995), 93–109; Thomas Söding, Glaube bei Markus: Glaube an das Evangelium – Gebetsglaube und Wunderglaube im Kontext der markinischen Basileiatheologie und Christologie, SBB 12, 2nd ed. (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1987); Ferdinand Hahn, “Das Verständnis des Glaubens im Markusevangelium” (1982), in: idem, Grundsatzfragen, Jesusforschung, Evangelien, vol. 1 of Studien zum Neuen Testament, ed. Jörg Frey and Juliane Schlegel, WUNT 191 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 409–32. Mark’s and Paul’s understandings of faith have been compared in William Loader, “The Concept of Faith in Paul and Mark,” in Two Authors at the Beginning of Christianity, vol. 1 of Mark and Paul: Comparative Essays, ed. Oda Wischmeyer, David C. Sim, and Ian J. Elmer, BZNW 198 (Berlin: de Gruyter, 2014), 423–64. 73 Cf., Marshall, Faith (see n. 72), 34–56. 74 Cf., Hahn, “Das Verständnis des Glaubens im Markusevangelium” (see n. 72). 75 Cf., Dieter Lührmann, Glaube im frühen Christentum (Gütersloh: Mohn, 1976), 30. 76 Cf., Juan Carlos Ossandón, “Bartimaeus’ Faith: Plot and Point of View in Mark 10,46–52,” Bib 93 (2012): 377–402.
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standing of faith marked by situational urgency, directed to the one who is expected to help, and expressed as unconditional trust in God’s life-giving power (Mark 5:36//Luke 8:50: “Do not fear, only believe”; cf., Rom 4:17). Thus, even the faith of the paralytic’s friends induces Jesus’ help (Mark 2:5).77 In contrast to pagan Greek tradition (and John), faith is not the result of miracles and signs, but rather leads to healing; unbelief, on the other hand, inhibits Jesus’ healing activity (6:5–6).78 Faith is not (yet) individual faith in the person of Jesus (εἰς ἐμέ in Mark 9:42 is secondary and reflects Matt 18:6). Nevertheless, there is an evident trajectory from faith with respect to the transformative reality of God’s kingdom to faith in Jesus as its representative and agent (cf., Jesus’ own interpretation of his deeds in Luke 11:20 [Q]).79 (2) The canonical shape of the “mountain moving”-saying in Mark 11:22–23 with its ponderous and convoluted style suggests a long and complex prehistory.80 Furthermore, while the Marcan 77
Cf., François Vouga, “Maladie et péché, foi et guérison : Jésus, l’ami de Job ou l’ami de ses amis? (Mc 2,1–12 et Jn 9,1–12),” in Sola fide: Mélanges offerts à Jean Ansaldi, ed. Elian Cuvillier, Actes et Recherches (Geneva: Labor et Fides, 2004), 35–52. 78 The intricate relationship between faith and miracles is discussed, inter alia, in Bernd Kollmann, “Glaube – Kritik – Deutung: Gängige Deutungsmuster von Wundergeschichten in der Bibelwissenschaft,” BK 61 (2006): 88–93; Eduard Lohse, “Glaube und Wunder: Ein Beitrag zur theologia crucis in den synoptischen Evangelien” (1979), in: idem, Die Vielfalt des Neuen Testaments, vol. 2 of Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1982), 29–44. See also Wendy Cotter, The Christ of the Miracle Stories: Portrait through Encounter (Grand Rapids: Baker, 2010), and the collection of essays by Stefan Alkier and Annette Weissenrieder, Miracles Revisited: New Testament Miracle Stories and Their Concepts of Reality, SBR 2 (Berlin: de Gruyter, 2013) (especially the essays by Stefan Alkier, Michael Rydryck, and Elaine M. Wainwright). 79 In his influential essay “Jesus and Faith,” Gerhard Ebeling hypothesized that the Christian relationship of faith with Jesus can appeal to Jesus’ own concept of faith, indeed to Jesus’ own faith (Gerhard Ebeling, “Jesus and Faith” [1958], in: idem, Word and Faith, trans. James W. Leitsch [Philadelphia: Fortress, 1963], 201–46). Responding to methodological critique, Ebeling abandoned the idea of a historical continuity bound to the concept of faith, though he still argued that the connection of Jesus and faith constitutes the basis for the continuity between the historical Jesus and the Christ of faith (Gerhard Ebeling, “The Question of the Historical Jesus and the Problem of Christology” [1958], in op. cit., 288–304). See recently Sigurd Grindheim, “Faith in Jesus: The Historical Jesus and the Object of Faith,” Biblica 97 (2016): 79–100. Maureen Yeung (Faith in Jesus and Paul: A Comparison with Special Reference to “Faith that Can Remove Mountains” and “Your Faith Has Healed/Saved You,” WUNT 2/147 [Tübingen: Mohr Siebeck, 2002]) argued that Paul’s concept of faith is greatly indebted to the historical Jesus and that both share an eschatological understanding of faith. 80 See, with a focus on the Markan version, Jan Lambrecht, “Faith, Prayer and Forgiveness in Mark 11,22–25,” ETL 89 (2013): 107–12. On the saying in general, see Andreas Grandy, Die Weisheit der Gottesherrschaft: Eine Untersuchung zur jesuanischen Synthese von traditioneller und apokalyptischer Weisheit, NTOA 96 (Göttingen
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version of the logion parallels Matt 21:21 (cf., 1 Cor 13:2), there is another strand of tradition that talks about the uprooting of a sycamine tree (Luke 17:6 [Q]; cf., Matt 17:20, though there Matthew obviously replaced the motive of the tree by the motive of the mountain, in accordance with Matt 21:21). Scholarship disagrees over the traditio-historical priority of the two strands, but is inclined towards the Q-version and generally tends to attribute the centerpiece of the logion – whether sycamene tree or mountain – to the historical Jesus. Oftentimes, the comparison of faith with a mustard seed (Luke 17:6 [Q]; Matt 17:20) is considered Jesuanic as well, with Mark substituting the image by the imperative: “Have faith in God” (11:22).81 Mark’s concern that miracle-working faith may not be impeded by doubtful objections (11:23; cf., Matt 21:21) mirrors earliest reflections about the required character of faith. Mark also relates faith and prayer in a characteristic manner (11:24; cf., Matt 21:22). (3) In the story of the epileptic boy (9:14–29),82 it is the disciples’ lack of prayer (9:28–29) that prevented the healing of the boy. The episode reflects on the theme of faith in terms of a paradoxical dynamics, culminating in the father’s exclamation: “I believe; help my unbelief!” (9:24). His emphatic confession of faith does not proceed from a dispositional or actual intimation of truth, but expresses his acceptance of faith as a premise of his plea for his son’s healing; looking at himself, he can only confess disbelief. The father’s outcry responds to a saying of Jesus, whose meaning is disputed as well: “All 2012); Ferdinand Hahn, “Jesu Wort vom bergeversetzenden Glauben” (1985), in: idem, Grundsatzfragen, Jesusforschung, Evangelien, vol. 1 of Studien zum Neuen Testament, ed. Jörg Frey and Juliane Schlegel, WUNT 191 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 305– 26; Josef Zmijewski, “Der Glaube und seine Macht,” in Begegnung mit dem Wort: Festschrift für Heinrich Zimmermann, ed. idem and Ernst Nellessen, BBB 53 (Bonn: Hanstein, 1980), 81–103; Jean Duplacy, “La foi qui déplace les montagnes (Mt., XVII, 20; XXI, 21 et par.),” in A la rencontre de Dieu, ed. André Barucq, BFCTL 8 (Le Puy: Xavier Mappus, 1961), 273–87. 81 Mostly (and correctly so), the phrase πίστις θεοῦ is interpreted as an objective genitive construction (different from Rom 3:3). Contrast the views in Peter G. Bolt, “The Faith of Jesus Christ in the Synoptic Gospels and Acts,” in The Faith of Jesus Christ: Biblical, Exegetical, and Theological Studies, ed. Michael F. Bird and Preston M. Sprinkle (Peabody: Hendrickson, 2009), 210–14 (subjective genitive) and Jacqueline Assaël, “‘Ayez créance de Dieu’ (Marc 11, 22),” ETR 84 (2009): 161–75 (authorial genitive). 82 This pericope has inspired quite a number of exegetical and systematic-theological studies. Among recent essays that deal with the issue of faith, see, F. Scott Spencer, “Faith on Edge: The Difficult Case of the Spirit-Seized Boy in Mark 9:14–29,” RevExp 107 (2010): 419–24; Joel Marcus, “‘I Believe – Help My Unbelief:’ Human Faith and Divine Faithfulness in Mark 9.14–19,” in Paul, Grace and Freedom: Essays in Honor of John K. Riches, ed. Paul Middleton, Angus Paddison, and Karen Wenell (Edinburgh: T&T Clark, 2009), 39–49; Otfried Hofius, “Die Allmacht des Sohnes Gottes und das Gebet des Glaubens: Erwägungen zu Thema und Aussage der Wundererzählung Mk 9,14–29,” ZTK 101 (2004): 117–37.
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things are possible for the one who believes.” Grammatically, the dative τῷ πιστεύοντι could imply that Jesus himself believed,83 or that the believer participates in God’s omnipotence, or that Jesus avails the divine power (cf., 10:27; 14:36) for the sake of the believer (dativus commodi).84 Mark articulates the tension between faith and unbelief also in 4:40–41 (“The Stilling of the Storm”). Here, Jesus asks his disciples, who are lacking insight into Jesus’ identity (4:40): “Have you still no faith?” In other contexts, faith is linked to Jesus’ miraculous power and authority as sign of divine legitimation (11:31; 15:32; cf., 13:32). Matthew In Matthew’s85 version of the stilling of the storm, Jesus’ question is reformulated in terms of a particularly Matthean choice of language: ““Why are you afraid, you of little faith?” (Matt 8:26). The Greek word ὀλιγόπιστος represents specifically Christian terminology, though the concept is familiar in early Rabbinic narrations of Israel’s conduct at the Reed Sea or in the desert. Matthew’s consistency in his portrayals of the group of the disciples as having “little faith” (6:30//Luke 12:28 [Q]; Matt 8:26; 14:31; 16:8: ὀλιγόπιστος; 17:20: ὀλιγοπιστία)86 in distinction to the unbe83 The question Utrum in Christo fuerit fides (Thomas Aquinas, Summa Theologica 3,7,3; cf., Peter Lombard, Sententiae 3,26,4) has always been part of scholastic quaestiones. Note, in the more recent past, the dispute between Gerhard Ebeling and Rudolf Bultmann concerning this issue: Ebeling’s contention that “it is surely impossible, in view of the manner in which Jesus speaks of faith, to except him from faith himself” (Ebeling, “Jesus and Faith” [see n. 79], 234) is criticized by Bultmann as a logical fallacy that infers from Jesus’ own “understanding of existence” (Existenzverständnis), as expressed in his ministry and words, the historical Jesus’ own personal attitude (Rudolf Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus, SHAW.PH 3 [Heidelberg: Universitätsverlag, 1960], 20). On the relevant dogmatic issues, see R. Michael Allen, The Christ’s Faith: A Dogmatic Account, T&T Clark Studies in Systematic Theology (London: T&T Clark, 2009). 84 Thus, with good arguments, Hofius, “Die Allmacht des Sohnes Gottes” (see n. 82). 85 Studies on Matthew’s idea of faith are quite sparse; see only Andreas Dettwiler, “La conception mathéenne de la foi,” ETR 73 (1998): 333–47; Hans Klein, “Das Glaubensverständnis im Matthäusevangelium,” in Der Glaube im Neuen Testament: Studien zu Ehren von Hermann Binder anläßlich seines 70. Geburtstags, ed. Ferdinand Hahn and Hans Klein, BThSt 7 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1982), 29–42. See further Matthias Konradt’s contribution to the present volume, which analyzes the role of faith in Matthew’s healing narratives. 86 On the (deficient) faith of the disciples see Uta Poplutz, “Verunsicherter Glaube: Der finale Zweifel der Jünger im Matthäusevangelium aus figuranalytischer Sicht,” in Studien zu Matthäus und Johannes / Études sur Matthieu et Jean: Festschrift für Jean Zumstein zu seinem 65. Geburtstag / Mélanges offerts à Jean Zumstein pour son 65e anniversaire, ed. eadem and Andreas Dettwiler, ATANT 97 (Zürich: Theologischer Verlag Zürich, 2009), 29–47.
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lieving people (Matt 13:58: ἀπιστία; cf., 21:25, 32; 27:42; but see Matt 17:17//Mark 9:19: γενεὰ ἄπιστος87), reveals his deliberate shaping of the idea of faith. Further variations of the Marcan text confirm this.88 In sum, Matthew highlights the orientation of faith towards Jesus’ miraculous power and reduces the cognitive element (only Matt 16:8–9), which is accentuated in Mark’s correlation of faith and Jesus’ teaching and preaching: (1) Matthew omitted the programmatic imperative “believe in the good news!” (Mark 1:15), for in his theologizing, faith is never directed to an object (Mark 11:23–24: πιστεύειν ὅτι is rephrased in Matt 21:21–22), but to a person (18:6: with εἰς; 21:25, 32: with dative; 27:42: with ἐπί), it is nowhere commanded with an imperative construction (like Paul, but in contrast to Mark 1:15; 5:36//Luke 8:50; Mark 11:22, 24; Acts 16:31; John 4:21 etc.), and it does not mark the beginning of Christian existence. (2) Matthew moves together faith and miracles even closer than Mark: He identifies unbelief as obstacle to miracles (13:58: “because of … unbelief”) and in a number of miracle narratives expressly mentions the petitioners’ faith as the appropriate attitude, leading to healing. Apart from the references to faith that he shares with Mark and/or Luke (8:10; 9:2, 22), only Matthew has the expressions “let it be done for you as you have believed” (8:13), “Do you believe…? … according to your faith let it be done to you” (9:28–29; cf., Mark 10:52), and “great is your faith! Let it be done for you as you wish” (15:28). Furthermore, Matthew incorporates both Mark’s and Q’s versions of the “mountain moving”-saying (17:20; 21:21–22); the first citation of this logion takes the place of Jesus’ intense conversation with the father of the epileptic boy (Mark 9:23–24), which is why the episode aims at the broken and insufficient faith of the disciples rather than the dialectic faith experience of the father. (3) The special mention of the faith of the centurion (8:10, 13)89 and the Canaanite woman (15:28),90 two Gentiles, is programmatic for the universalistic outlook of Matthew’s gospel.91 87 The referent of Jesus’ rebuke in the Matthean parallel is disputed: Does it include the disciples or does it refer collectively to the “faithless generation” apart from the disciples, who are otherwise characterized as having “little faith”. 88 Cf., Hans Klein, Bewährung im Glauben: Studien zum Sondergut des Evangelisten Matthäus, BThSt 26 (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1996); succinctly in idem, “Glaubensverständnis” (see n. 85), 29–33. 89 Cf., Theodore W. Jennings and Tat-Siong Benny Liew, “Mistaken Identities but Model Faith: Rereading the Centurion, the Chap, and the Christ in Matthew 8:5–13,” JBL 123 (2004): 467–94. 90 Glenna S. Jackson, Have Mercy on Me: The Story of the Canaanite Woman in Matthew 15.21–28, JSNTSup 228 (Sheffield: Sheffield Academic Press, 2002); Elaine M. Wainwright, “‘Your Faith Has Made You Well.’ Jesus, Women, and Healing in the Gospel of Matthew,” in Transformative Encounters: Jesus and Women Re-viewed, ed.
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Luke-Acts In the Gospel of Luke several occurrences of faith terminology can be attributed to Luke’s editorial work and reveal his distinctive theological intentions.92 They are confirmed by the evidence of Acts and center on three elements, discernible in condensed form in the Lukan version of Jesus’ explanation to the parable of the sower (8:11–15). Luke accentuates that faith builds on hearing and receiving the word, brings about salvation, and requires perseverance in the face of testing (in 8:12–13). (1) The most distinct Lukan usage of faith is in the context of conversion.93 The expected reaction to the encounter with the message of faith is, apart from believing, “receiving (the word)” (δέχεσθαι, Luke 8:13[; 18:17]; 18:17]; Acts 8:14; 11:1; 17:11), “being persuaded” (πείθεσθαι, Acts 19:8; 28:24; cf., 14:2; 19:9), and most prominently “converting” (ἐπιστρέφειν, e.g., Luke 1:16–17; 22:32; Acts 3:19; 9:35; 11:21) and “repenting” (μετανοεῖν, e.g., Luke 13:3; 15:7, 10; Acts 2:38; 3:19). In the sense of “coming to faith”, the gospel and most abundantly Acts uses πιστεύειν in the (ingressive) aorist (e.g., Luke 1:20, 45; 8:12; 20:5; Acts 4:4; 8:12, 13; 9:42), but also in the imperfect (Acts 18:8; cf., Luke 24:11; Acts 28:24), and in the pluperfect (Acts 14:23). Even the noun can express the same idea (e.g., Luke 5:20; 7:9; Acts 3:16), as is evident from the formulaic expression “your faith has saved/healed you,” which occurs four
Ingrid R. Kitzberger, BIS 43 (Leiden: Brill, 2000), 224–44; Gail R. O’Day, “Surprised by Faith: Jesus and the Canaanite Woman” (1989), in A Feminist Companion to Matthew, ed. Amy-Jill Levine and Marianne Blickenstaff, FCNTECW (Sheffield: Sheffield Academic Press, 2001), 114–25. On the multifaceted reception of the narrative, see Nancy Klancher, The Taming of the Canaanite Woman: Constructions of Christian Identity in the Afterlife of Matthew 15:21–28, SBR 1 (Berlin: de Gruyter, 2013). 91 First, they frame the healing narratives that make reference to faith, and second, they exhibit redactional changes motivated by a certain theological rationale. 92 Even in syntheses on the synoptic or the New Testament understanding of faith, Luke’s portrayal has always been a “stepchild of scholarship” (Wolfgang Schenk, “Glaube im lukanischen Doppelwerk,” in Der Glaube im Neuen Testament: Studien zu Ehren von Hermann Binder anläßlich seines 70. Geburtstags, ed. Ferdinand Hahn and Hans Klein, BThSt 7 [Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1982], 69–92, 70). See, apart from Schenk’s study, Johannes M. Nuetzel, “Vom Hören zum Glauben: Der Weg zum Osterglauben in der Sicht des Lukas,” in Praesentia Christi, ed. Lothar Lies (Düsseldorf: Patmos, 1984), 37–49; Schuyler Brown, “The Lucan Use of πίστις/πιστεύω,” in: idem, Apostasy and Perseverance in the Theology of Luke, AnBib 36 (Rome: Pontifical Biblical Institute, 1969), 36–48. See also Christfried Böttrich’s contribution to the present volume, which regards Luke-Acts as the concept of a grand story of faith and hope, connecting the people of God with the Christian community. 93 Cf., Christoph W. Stenschke, Luke’s Portrait of Gentiles Prior to Their Coming to Faith, WUNT 2/108 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1999).
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times in Luke (7:5094; 8:48; 17:19; 18:42) and always implies a reorientation of the life of the one who has been healed. (2) Luke’s four-time reiteration of the logion testifies to the innate correlation of faith and salvation (σῴζειν) in his theology. In those occurrences unique to Luke, faith materializes as trust in the forgiveness of sins (7:48–50) and as the prerequisite for Jesus’ mercy on the unclean (17:13, 19). Physical healing and eschatological salvation are intertwined, which precludes a dissociation of “miracle faith” and “salvific faith” (cf., e.g., Luke 5:20; 7:9; 8:48, 50; 17:19; 18:42; Acts 3:1695; 14:9 with Luke 8:12; Acts 15:11; 16:31).96 Both contexts evidence that the life of the believer follows and focusses on Christ (cf., the prepositional constructions πιστεύειν εἰς: Acts 10:43; 14:23; 19:4; πιστεύειν ἐπί: Acts 9:42; 11:17; 16:31; 22:19; πίστις εἰς: Acts 20:21; 24:24; 26:18). (3) Luke illustrates the transition from becoming a believer to being a believer programmatically in Luke 8:12–13: The faith of some believers lasts only temporarily and lacks both permanence and perseverance. Luke’s attentiveness to a declining or endangered faith is evident in the disciples’ plea “Increase our faith!” (17:5, but see Jesus’ response: 17:6), in Jesus’ word to Peter “I have prayed for you that your own faith may not fail” (22:32), in the encouragement “to continue in the faith” (Acts 14:22; cf., 11:23; 13:43), and in the comment that “the churches were strengthened in the faith” (16:5). Finally, Stephanus (6:5) and Barnabas (11:24) are apostrophized as men “full of faith.” Luke refers to dispositional, enduring faith with the genuinely Lukan perfect participle (e.g., 15:5; 16:34; 18:27), the present participle (e.g., 2:44; 5:14), but also the nominal adjective (10:45; 16:1, 15) and the noun (e.g., Luke 8:25; 18:8).97 3.3 Johannine Writings Faith is a most crucial idea in the theology of the Gospel of John.98 Notably, the evangelist exclusively uses the verb πιστεύειν (98 times), and once 94 John J. Kilgallen, “Faith and Forgiveness: Luke 7,36–50,” RB 112 (2005): 372–84; idem, “Faith and Forgiveness: Luke 7,36–50,” RB 108 (2001): 214–27. 95 Cf., Jan Lambrecht, “The Lame Man’s Trust or Peter’s Faith? (Acts 3,12–16),” in: idem, Understanding What One Reads: New Testament Essays, ed. Veronica Koperski, ANL 46 (Leuven: Peeters, 2003), 125–31; Stefan Schreiber, “Der Glaube in der Wunderdeutung von Apg 3,16,” SNTU.A 22 (1997): 25–46. 96 See also Luke 13:3, 5 and Acts 3:19. 97 Note that two passages from Luke’s special material contain πιστεύειν (Luke 18:8; 22:67), while on the other hand he omits it in 17:23 (contrast Matt 24:23//Mark 13:21; Matt 24:26). 98 Cf., Johannes Beutler, “Faith and Confession: The Purpose of John” (2002), in: idem, Neue Studien zu den johanneischen Schriften: New Studies on the Johannine Writings, BBB 167 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012), 101–13; Horacio E. Lona,
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only the adjective πιστός (20:27). Among the Johannine epistles, 1 John, too, has a preference for the verb (10 times), though the noun occurs once (1 John 5:4), as does the adjective (1 John 1:9; cf., 3 John 5). The prominence of the verb is to be credited to John’s understanding of faith as an active, dynamic personal relationship with Jesus. The meaning of the various constructions with πιστεύειν is remarkably coherent: When focussing on the christological content of faith, John uses πιστεύειν in the absolute, with the preposition εἰς, with the dative or with a ὅτι-clause. The difference in expression does not imply a difference in substance. Those who believe him (5:38, 46; 6:30; 8:31, 45, 46; 10:37, 38; cf., 1 John 3:23), his word(s) (John 2:22; 4:50; 5:47), his deeds (10:38), in him (2:11; 3:16; 4:49; 7:38 etc.) or in his name (1:12; 2:23; 3:18) accept that he is the “Holy One of God” (6:69) and the Christ, the Son of God (11:27; 20:31; cf., 1 John 5:1, 5), that he is the “I am” (8:24; 13:19), that God has sent him (11:42; 17:8, 21), that he came from God (16:27, 30), that he is in the Father and the Father in him (14:10–11). Believing in Jesus, i.e., in the one whom God has sent (6:29), becomes identical with believing God, who sent him (5:24). This identity is expressed in the imperative: “Believe in God, believe also in me!” (14:1; cf., 12:44). Other “objects” of faith designated by the dative are the scripture (2:22; cf., 7:38), the scriptures of Moses (5:47), and Moses himself (5:46), as they testify to his mission. Overall, faith in John is the affirmative acknowledgement of Jesus’ identity and mission, the recognition of his self-revelation, which entails an intimate relationship with him. This is distinct from Paul, who centers on the salvation-historical significance of Jesus’ death and resurrection. Next to πιστεύειν, John uses other expressions to convey his idea of believing in Jesus: to hear his voice (ἀκούειν, e.g., 5:24–25), to come to him (ἔρχεσθαι, e.g., 5:40), to accept him (λαμβάνειν, e.g., 5:43), or to love him (ἀγαπᾶν, e.g., 8:42; cf., 1 John 5:1). Furthermore, believing is placed next to seeing (ὁρᾶν, 6:30; 20:8; cf., 4:48; 6:36; 20:29; θεωρεῖν, 2:23; 6:40) and knowing (γινώσκειν, 6:69; 8:31–32; 10:38; 17:8; εἰδέναι, 4:42; 16:30).99 “Glaube und Sprache des Glaubens im Johannesevangelium,” BZ 28 (1984): 168–84; Andrie B. du Toit, “The Aspect of Faith in the Gospel of John with Special Reference to the Farewell Discourses of Jesus,” Neot 25 (1991): 327–40; Jean Zumstein, “L’évangile johannique: Une stratégie du croire” (1989), in: idem, Miettes exégétiques, MoBi 25 (Geneva: Labor et Fides, 1991), 237–52 = idem, “Das Johannesevangelium: Eine Strategie des Glaubens,” TBei 28 (1997): 350–63; Ferdinand Hahn, “Das Glaubensverständnis im Johannesevangelium” (1985), in: idem, Grundsatzfragen, Jesusforschung, Evangelien, vol. 1 of Studien zum Neuen Testament, ed. Jörg Frey and Juliane Schlegel, WUNT 191 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 539–57. See also Nadine Ueberschaer’s contribution to the present volume. 99 Cf., Victor Hasler, “Glauben und Erkennen im Johannesevangelium: Strukturale und hermeneutische Überlegungen,” EvT 50 (1990): 279–96.
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The relation between “believing” and “knowing” is complicated. Faith can appear as the first step towards knowledge (6:69; 8:31–32), whereas, on the other hand, the reverse order is possible as well (16:30; 17:8; cf., 1 John 4:16). Finally, abiding (μένειν) in Jesus or in his word is the signature of true discipleship (8:31; cf., 6:56; 15:4–7, 9–10); this idea becomes particularly prominent in 1 John (2:6, 10, 24, 27, 28; 3:6, 9, 24; 4:13, 15, 16; cf., 2 John 9; see also 1 John 2:19). Though in the theology of John responses to the revelation in Jesus appear to have a dichotomous structure and result in either faith or unbelief,100 he does not describe the people in his narrative according to dualistic categories, but creates “ambiguous and complex” characters.101 John employs these characters as symbols or metaphors for the intricate relational dynamics stimulated by the people’s encounter with Jesus and the impression of his words and deeds upon them. The multifaceted characters include Nathanael (1:50), the disciples (e.g., 2:11; 6:69; 11:15), people from the crowd (2:23;102 7:31; 8:30; cf., 11:48), among them “many” Jews (8:31; 11:45), Nicodemus (3:12, 14–18), the Samaritan woman (4:21), the Samaritans (4:39–42), the royal official (4:50, 53),103 “many … of the authorities” (12:42), Martha (11:25–27, 40),104 the Beloved Disciple (20:8),105 or Thomas (20:24–29).106 The portrayal of such characters draws 100
See however Rainer Metzner, “Der Geheilte von Johannes 5: Repräsentant des Unglaubens,” ZNW 90 (1999): 177–93. 101 Susan E. Hylen, Imperfect Believers: Ambiguous Characters in the Gospel of John (Louisville: Westminster John Knox, 2009), 15. See also the compendium Steven A. Hunt, D. François Tolmie, and Ruben Zimmermann, eds., Character Studies in the Fourth Gospel: Narrative Approaches to Seventy Figures in John, WUNT 314 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013); Klaus Scholtissek, “Mündiger Glaube: Zur Architektur und Pragmatik johanneischer Begegnungsgeschichten: Joh 5 und Joh 9,” in Paulus und Johannes: Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, ed. Dieter Sänger and Ulrich Mell (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 75–105. 102 Cf., Debbie Hunn, “The Believers Jesus Doubted: John 2:23–25,” TJ 25 (2004): 15–25. 103 Cf., Nicole Chibici-Revneanu, “Königlicher Glaube: Der βασιλικός in Joh 4,46–54 als Paradigma eines nachösterlichen Jüngers,” BN 136 (2008): 85–104. On John 4:44f., see Gilbert van Belle, “The Faith of the Galileans: The Parenthesis in Jn 4,44,” ETL 74 (1998): 27–44. 104 Cf., Johannes Beutler, “Unterwegs von der Trauer zur Hoffnung und zum Glauben: Jesu Gespräch mit Marta in Joh 11,20–27,” in: idem, Neue Studien zu den johanneischen Schriften: New Studies on the Johannine Writings, BBB 167 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012), 153–64; Francis J. Moloney, “The Faith of Martha and Mary: A Narrative Approach to John 11,17–40,” Bib 75 (1994): 471–93. 105 Cf., Udo Borse, “Joh 20,8: österlicher oder vorösterlicher Glaube?” (1989), in: idem, Studien zur Entstehung und Auslegung des Neuen Testaments, ed. Regina Börschel, Wolfgang Fischer, and Franz-Josef Helfmeyer, SBAB.NT 21 (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1996), 211–21; Brendan Byrne, “The Faith of the Beloved Disciple and the
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the reader into the gospel narrative and offers both possibilities of identification and existential challenges. Two closely related interpretative cruxes emerge from John’s portrayal of the theme of faith: First, the correlation between faith and signs,107 and second, the soteriological relevance of faith. (1) In retrospection, the evangelist formulates the raison d’être of his book: “These [sc. the signs] are written so that you may come to believe that Jesus is the Messiah, the Son of God, and that as believers you may have life in his name” (20:31).108 A few verses prior, a variation of the gospel’s central message is placed in a narrative setting. Jesus says to Thomas, who requested tangible signs: “be not faithless, but believing” (20:27). The tension between the two conceptions is conspicuous and pervades the entire gospel: On the one hand signs may lead to faith (e.g., 2:11, 23–25; 4:53–54; 7:31; 11:47–48; cf., 6:2, 30; but see, e.g., 12:37), while on the other hand Jesus distances himself from those who believed upon seeing signs (2:23–25), rebukes those who reCommunity in John 20” (1985), in The Johannine Writings, ed. Stanley E. Porter and Craig A. Evans, Biblical Seminar 32 (Sheffield: Sheffield Academic Press, 1995), 31–45. 106 Cf., Benjamin Schliesser, “To Touch or not to Touch: Doubting and Touching in John 20:24–29,” EC 8 (2017): forthcoming; Dennis Sylva, Thomas – Love as Strong as Death: Faith and Commitment in the Fourth Gospel, LNTS 434 (London: Bloomsbury 2013); Christopher M. Tuckett, “Seeing and Believing in John 20,” in Paul, John, and Apocalyptic Eschatology: Studies in Honour of Martinus C. de Boer, ed. Jan Krans, B.J. Lietaert Peerbolte, and Peter-Ben Smit, NTSup 149 (Leiden: Brill, 2013), 169–85; Jörg Frey, “‘Ich habe den Herrn gesehen’ (Joh 20,28): Entstehung, Inhalt und Vermittlung des Osterglaubens nach Johannes 20,” in Studien zu Matthäus und Johannes / Études sur Matthieu et Jean: Festschrift für Jean Zumstein zu seinem 65. Geburtstag / Mélanges offerts à Jean Zumstein pour son 65e anniversaire, ed. Uta Poplutz and Andreas Dettwiler, ATANT 97 (Zürich: Theologischer Verlag Zürich, 2009), 267–84; Margareta Gruber, “Berührendes Sehen: Zur Legitimation der Zeichenforderung des Thomas (Joh 20,24– 31),” BZ 51 (2007): 61–83; Michael Theobald, “Der johanneische Osterglaube und die Grenzen seiner narrativen Vermittlung (Joh 20)” (1998), in: idem, Studien zum Corpus Iohanneum, WUNT 267 (Tübingen: Mohr Siebeck 2010), 443–71; Dorothy A. Lee, “Partnership in Easter Faith: The Role of Mary Magdalene and Thomas in John 20,” JSNT 58 (1995): 37–49. See also the study by Glenn W. Most, Doubting Thomas (Cambridge: Harvard University Press, 2005). 107 Cf., Craig R. Koester, “Jesus’ Resurrection, the Signs, and the Dynamics of Faith in the Gospel of John,” in The Resurrection of Jesus in the Gospel of John, ed. idem and Reimund Bieringer, WUNT 222 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2008), 47–74; idem, “Hearing, Seeing, and Believing in the Gospel of John,” Bib 70 (1989): 327–48; Marianne Meye Thompson, “Signs and Faith in the Fourth Gospel,” BBR 1 (1991): 89–108; Marie-Émile Boismard, “Rapports entre foi et miracles dans l’Evangile de Jean,” ETL 58 (1982): 357–64. 108 Cf., Thomas Söding, “Die Schrift als Medium des Glaubens: Zur hermeneutischen Bedeutung von Joh 20,30f.,” in Schrift und Tradition: Festschrift für Josef Ernst zum 70. Geburtstag, ed. Knut Backhaus and Franz Georg Untergaßmair (Paderborn: Schöningh, 1996), 343–71.
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quest signs (4:48), and blesses those “who have not seen and yet have come to believe” (20:29). Apparently, signs cannot proof, but may point to Jesus’ identity, and thus elicit faith. The gospel’s programmatic postEaster perspective focusses on the situation of the addressees: As personal encounter with Jesus is no longer possible, and as his signs are no longer performed, but rather remembered (cf., 17:20; 19:35; 20:30–31), they can and shall yet believe and receive salvation. In fact, retrospective realization of Jesus’ words and deeds after his glorification involves a deeper, previously inaccessible understanding of their christological-soteriological implication (cf., 2:22; 12:16; 13:7; 14:20). (2) The soteriological relevance of faith is encapsulated in the speech of John the Baptist: “Whoever believes in the Son has eternal life” (3:36; cf., e.g., 3:16; 6:40, 47). Faith leads to life (and not to righteousness, as in Paul), hence to full participation in salvation. Some passages, however, suggest that John also knows a deficient manifestation of faith, one that does not include a personal relationship with Jesus (2:23–25), that remains ignorant (7:31) or that lacks the courage of public confession (12:42–43). This has been ascribed to an inconsistent concept of faith with different traditio-historical origins (miracle faith vs. “true” christological faith), but should more likely be associated with John’s fluid idea of faith: As the design of John’s characters illustrates, he is aware of the dynamic existentiality of faith that transcends a clear-cut distinction between salvific faith and fatal unbelief. In the apocalypse of John,109 the adjective πιστός takes center stage: Faithfulness is both an outstanding characteristic of Jesus, the true witness (Rev 1:5; 3:14; cf., 19:11) and the required attitude of his followers: “Be faithful until death” (2:10; cf., 17:14). The words of the seer are called “trustworthy (πιστοί) and true” (21:5; 22:6). While the verb is missing, the noun twice denotes virtuous steadfastness of the Christians (2:19; 13:10: both with ὑπομονή). The implicit subject of the genitive constructions in 2:13 (πίστις μου) and 14:12 (ἡ πίστις Ἰησοῦ) is debated: Grammatically, both Jesus’ and the Christians’ faith(fulness) could be in view, though the conceptual proximity to Hebrews and James tips the scales toward a subjective genitive reading.110 109 Cf., Heinz Giesen, “Christlicher Glaube in Anfechtung und Bewährung: Zur zeitund religionsgeschichtlichen Situation der kleinasiatischen Gemeinden im Spiegel der Johannesoffenbarung,” in Mächtige Bilder: Zeit- und Wirkungsgeschichte der Johannesoffenbarung, ed. Bernhard Heininger, SBS 225 (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2011), 9–38. 110 See the extensive discussion and the opposing view in David A. deSilva. “On the Sidelines of the Πίστις Χριστοῦ Debate: The View from Revelation,” in The Faith of Jesus Christ: Biblical, Exegetical, and Theological Studies, ed. Michael F. Bird and Preston M. Sprinkle (Peabody: Hendrickson, 2009), 259–74 (objective genitive).
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3.4 Hebrews The theology of Hebrews has aptly been called a “theology of faith,”111 though compared to other such theologies, like Paul’s or John’s, the emphases are quite different.112 Most prominently, the author of Hebrews deploys the theme of faith almost exclusively in paraenetic sections. The ethical focus of “faith” in Hebrews has prompted a discussion on its “christology” and its “Christian” character in general. Some discerned in Hebrews a “dangerous departure” from the concept of faith represented by Jesus, Paul, and John113 and declared that the understanding of faith in Hebrews is “poor”, “profane” and “unchristological.”114 In the past decades the discussion has received new momentum. It is said that the auctor ad Hebraeos depicts Jesus as “model and enabler of faith,”115 either in a typological framework in terms of an antitype who has perfected the anticipatory faith of the witnesses116 or in a narratological framework in terms of a figure that inaugurated and fulfilled the “story” of faith.117 According 111
Otto Kuss, “Der theologische Grundgedanke des Hebräerbriefs” (1956), in: idem., Aufsätze zur Exegese des Neuen Testaments, vol. 1 of Auslegung und Verkündigung, (Regensburg: Pustet, 1963), 281–328, 311. 112 As with Paul, studies on the concept of faith in Hebrews continue to flourish. Among monographs and essays attempting an overview, cf., Dennis R. Lindsay, “Pistis and ᾽Emunah: The Nature of Faith in the Epistle to the Hebrews,” in A Cloud of Witnesses: The Theology of Hebrews in Its Ancient Contexts, ed. Richard Bauckham et al., LNTS 387 (London: T&T Clark, 2008), 158–69; Victor Rhee, Faith in Hebrews: Analysis within the Context of Christology, Eschatology, and Ethics, SBL 19 (New York: Peter Lang, 2001); Gerd Schunack, “Exegetische Beobachtungen zum Verständnis des Glaubens im Hebräerbrief: Eine kritische Anfrage,” in Text und Geschichte: Facetten theologischen Arbeitens aus dem Freundes- und Schülerkreis: Dieter Lührmann zum 60. Geburtstag, ed. Stefan Maser and Egbert Schlarb, MThSt 50 (Marburg: Elwert, 1999), 208–32; Thomas Söding, “Zuversicht und Geduld im Schauen auf Jesus: Zum Glaubensbegriff des Hebräerbriefes,” ZNW 82 (1991): 214–41; Dennis Hamm, “Faith in the Epistle to the Hebrews: The Jesus Factor,” CBQ 52 (1990): 270–91; Gerhard Dautzenberg, “Der Glaube im Hebräerbrief,” BZ 17 (1973): 161–77. Erich Gräßer’s monograph Der Glaube im Hebräerbrief, MThSt 2 (Marburg: Elwert, 1965) still stands out for its unmatched scope and precision, despite a number of shortcoming. See also my other contribution to this volume. 113 Werner Georg Kümmel, “Der Glaube im Neuen Testament, seine katholische und reformatorische Deutung” (1937), in idem, Heilsgeschehen und Geschichte: Gesammelte Aufsätze 1933–1964, MThSt 3 (Marburg: Elwert, 1965), 67–80, 74. 114 Gräßer, Glaube (see n. 112), 3.4.64–71. 115 Hamm, “Faith in the Epistle to the Hebrews” (see n. 112), 272. 116 Christopher A. Richardson, Pioneer and Perfecter of Faith: Jesus’ Faith as the Climax of Israel’s History in the Epistle to the Hebrews, WUNT 2/338 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2012). 117 Matthew C. Easter, Faith and the Faithfulness of Jesus in Hebrews, SNTSMS 160 (Cambridge: Cambridge University Press, 2014).
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to a “maximalist” view the structure of the letters testifies to an implicit christological orientation of faith, i.e., “faith in Christ,” even if this phrase is nowhere attested.118 In Hebrews, the noun πίστις occurs 32 times. The Verb πιστεύειν is used only twice (4:3; 11:6), the adjective πιστός five times (2:17; 3:2, 5; 10:23; 11:11; cf., ἀπιστία in 3:12, 19). There are a number of other terms, however, that are in a close semantic vicinity to the word group πίστις and should therefore be considered as part of Hebrews’ faith terminology: To these belong among the nouns “standing firm” (ὑπόστασις, 3:14; 11:1), “confidence” (παρρησία, 3:6; 4:16; 10:19, 35), “assurance” (πληροφορία, 6:11; 10:22), “confession” (ὁμολογία, 3:1; 4:14; 10:23), “patience” (μακροθυμία, 6:12), “endurance” (ὑπομονή, 10:36; 12:1), “obedience” (ὑπακοή, 5:8), and “hope” (ἐλπίς, 3:6; 6:11, 18; 7:19; 10:23); among the verbs “to hold fast” (κατέχειν, 3:6, 14; 10:23; κρατεῖν, 4:14; 6:18), but also “to be patient” (μακροθυμεῖν, 6:15), “to remain” (μένειν, 13:1), and “to obey” (ὑπακούειν, 5:9; 11:8). Semantic opposites are manifold as well: Next to “unbelief” (ἀπιστία, 3:12, 19) they include ideas such as “shrinking back” (ὑποστολή, 10:39), “transgression” (παράβασις, 2:2; 9:15), “disobedience” (ἀπείθεια, 4:6, 11; παρακοή, 2:2), as well as “to fall away” (ἀποστῆναι, 3:12; παραπίπτειν, 6:6), “to shrink back” (ὑποστέλλειν, 10:38), “to throw away (confidence)” (ἀποβάλλειν, 10:35). Most occurrences of πίστις are found in Heb 11.119 The chapter sets in with a “rhetorical definition” of faith,120 which responds to the critical situation of the addressees and does not offer an abstract, general and timeless definitio fidei. The interpretation of the verse is disputed. Most likely the description combines a “volitional” dimension with a “rational”
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See, not quite convincingly, Rhee, Faith in Hebrews (see n. 112). Exegetical treatises on Hebrews 11 as a whole and on (the faith of) single figures abound. See the monographs Pamela M. Eisenbaum, The Jewish Heroes of Christian History: Hebrews 11 in Literary Context, SBL.DS 156 (Atlanta: Scholars, 1997); Christian Rose, Die Wolke der Zeugen: Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Hebräer 10,32–12,3, WUNT 2/60 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1994). Pertinent essays are published in Richard Bauckham et al., eds., The Epistle to the Hebrews and Christian Theology (Grand Rapids: Eerdmans, 2009) (see especially the contribution of Loveday Alexander, Markus Bockmuehl, Nathan MacDonald, and Robert W. Moberly). Cf., Bertold Klappert, “Hoffender Glaube, kommender Christus und die neue Welt Gottes (Hebräer 11,1–12,3),” in Logos – Logik – Lyrik: Engagierte exegetische Studien zum biblischen Reden Gottes: Festschrift für Klaus Haacker, ed. Volker A. Lehnert and Ulrich Rüsen-Weinhold, ABG 27 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2007), 219–66. On a comparison of Sir 44 and Heb 11, cf., Frank Ueberschaer, “Mit gutem Glauben und vorbildlicher Weisheit: Zwei Ahnentafeln im Vergleich (Sir 44f. und Hebr 11),” PzB 20 (2011): 27–50. 120 Cf., Eisenbaum, Jewish Heroes (see n. 119). 119
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dimension:121 “Faith is standing firm (ὑπόστασις) with respect to the things hoped for, evidence (ἔλεγχος) of things unseen.”122 Firmness and steadfastness is required of the addressees, who are described as the wandering people of God (3:7–4:13), being in danger of losing sight of their promised eschatological goal: God’s rest (κατάπαυσις; e.g., 4:1, 3, 10–11), the heavenly things (3:1; 6:4; 8:5; 9:23), the heavenly Jerusalem (12:22; cf., 13:14), the “the promised eternal inheritance” (9:15). As second or third generation Christians, they find themselves in a period of fundamental change, struggling with maintaining their belief in the reality of the divine promises in the face of disillusioning experiences (e.g., 10:32–39; 12:12– 13). On their earthly pilgrimage as “strangers and foreigners” (11:13; cf., 13:14), they have to be called for lifting their drooping hands and strengthening their weak knees (12:12). The notion of “invisible things” situates the auctor ad Hebraeos in a Platonizing frame of reference, which he shares with Philo, though his work also incorporates both mystical and apocalyptical strands. The author encourages the disheartened Christians by reference to paradigmatic believers of Israel’s glorious past. Anaphoric “through faith” appears 18 times, emphatically insisting on the exigency of faith. Abraham stands out as supreme (human) example, who was convinced by, and oriented towards, the invisible, hoped-for things, as he “set out, not knowing where he was going” (11:8). He epitomizes those, who “through faith and patience inherit the promises,” which is why Christians are called to be his imitators (6:12). At the same time, his steadfast faith is contingent upon the steadfastness of God’s promises (6:16–18; cf., 11:11; 10:23: “he who has promised is faithful”). However, Abraham remained a stranger even after reaching the promised land (11:9–10), for no one has ever arrived at the final, heavenly destination (11:13, 39–40) – with exception of Christ. He is presented as the climax of the “great cloud of witnesses” (12:1), as 121
Cf., Schlatter, Glaube (see n. 19), 526. The meaning of ὑπόστασις is particularly controversial. While the rendering “confidence” or “assurance” (cf., NRSV; Luther: “gewisse Zuversicht”) should be dismissed on philological and contextual grounds, it is debated whether the accent is on the active notion of “standing firm/beneath” (ὑπό + στάσις; cf., Heb 3:14) in the face of the trials of faith, or on the (middle-platonic) idea of the transcendent, objective reality, which stands firm and grants firmness (cf., the influential essay Heinrich Dörrie, “Zu Hebr 11,1,” ZNW 46 [1955]: 196–202). The term ἔλεγχος signifies the cognitive dimension of faith: By means of logical reasoning an individual is convinced of the reality or substance of a certain subject matter (πράγμα). The rational aspect of Hebrews’ idea of faith is discussed in James W. Thompson, “The Appropriate, the Necessary, and the Impossible: Faith and Reason in Hebrews,” in The Early Church in its Context: Essays in Honor of Everett Ferguson, ed. Abraham J. Malherbe, Frederick W. Norris, and James W. Thompson, NT.S 90 (Leiden: Brill, 1998), 302–17. 122
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he is the only one who has finished the tedious and strenuous walk; he is the “forerunner” (6:20), “pioneer and perfecter of faith” (12:2).123 Nowhere does Hebrews speak of faith in Christ – the only specified personal object of faith is God (6:1: ἐπὶ θεόν) – but of the trust of the Messiah (2:13: πεποιθώς) and the faithfulness of Jesus, high priest, apostle, son of God (2:17; 3:2, 5–6: πιστός; cf., 5:7, 8: εὐλάβεια, ὑπακοή). First and foremost, an existential connection with Christ comes about not by believing in him, nor primarily by believing like him, but by “considering” him (3:1: κατανοεῖν), “looking” to him (12:2: ἀφορᾶν), and “reflecting” on him (12:3: ἀναλογίζεσθαι). Christ’s way of faith is not only something to contemplate on, but is also of singular soteriological significance: He suffered “for everyone” und thus became the “pioneer of … salvation” (2:9–10; cf., 5:9: “source of eternal salvation”), he is the faithful high priest according to the order of Melchizedek (5:10), who atones for the sins of the people (2:17), he is the “forerunner on our behalf” (6:20). Such predicates make him, who was “without sin” (4:15), both mediator and guarantee of a new and better covenant (7:22; 8:6; 9:15). 3.5 Catholic Epistles James As the auctor ad Hebraeos, James is an exponent of Jewish-Christian paraenetical tradition.124 Since and due to Martin Luther’s critique of James’ writing as an “epistle of straw,” his idea of faith has been regarded 123 The author of Hebrews has been described as “the only New Testament writer who explicitly explores and expounds upon the faith(fulness) of Christ in any degree of detail” (Todd D. Still, “Christos as Pistos: The Faith(fulness) of Jesus in the Epistle to the Hebrews,” in A Cloud of Witnesses: The Theology of Hebrews in Its Ancient Contexts, ed. Richard Bauckham et al., LNTS 387 (London: T&T Clark, 2008), 40–50, 48). See the recent monographs by Richardson, Pioneer and Perfecter of Faith (see n. 116); Easter, Faith and the Faithfulness of Jesus (see n. 117). 124 Cf., Stephan J. Joubert, “Homo reciprocus No More: The ‘Missional’ Nature of Faith in James,” in Sensitivity towards Outsiders: Exploring the Dynamic Relationship between Mission and Ethics in the New Testament and Early Christianity, ed. Jacobus Kok et al., WUNT 2/364 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), 382–400; Manabu Tsuji, Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung: Eine Untersuchung zur literarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohärenz des Jakobusbriefes, WUNT 2/93 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1997); Markus Lautenschlager, “Der Gegenstand des Glaubens im Jakobusbrief,” ZTK 87 (1990): 163–84. On a metaphorical, aesthetic dimension of “works,” see Jaqueline Assaël, “Mettre en œuvre la foi, selon l’Épître de Jacques,” Bib 90 (2009): 506–29. Despite the fact that in recent years there is a refreshing tendency to read James “with new eyes,” most studies on his understanding of faith contain a sidelong glance at Paul and at their different approaches to faith, justification/righteousness, and works (see the entries in the following notes).
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as lacking christological substance (despite 2:1125). In recent decades, the letter has escaped from the shadows of Pauline theology and is now interpreted on its own terms. James regards faith as a basic human attitude, which exceeds a simple monotheistic confession (2:19), but orients the entire existence towards God. James shares with Hebrews and Revelation, but also with 1 Peter, the view that faith will face trials and afflictions and therefore requires endurance (Jas 1:2–3; cf., 1 Pet 1:6–7; 5:9). The bulk of references to faith (14 occurrences) owes itself to the excursus-like argumentation in Jas 2:14–26: All three occurrences of πιστεύειν and eleven (of 14) occurrences of πίστις are found in this passage. In contrast to Paul, but in line with Jewish tradition, James combines the notion of Abraham’s faith (Gen 15:6) with the supreme test of his faithfulness (Gen 22) in order to prove from scripture “that faith was active along with his works, and faith was brought to completion by the works …, that a person is justified by works and not by faith alone” (Jas 2:22, 24).126 Particularly the latter conclusion has prompted readers of James to discern a head-on attack against Paul,127 a critique of a misconstrued or misunderstood Paulinism,128 or a critical dialogue with Pauline Christians of the second generation.129 Others conclude that Paul and James are concerned with a different
125
The style of Jas 2:1 is, as it stands, quite clumsy and has prompted several conjectures. However one reconstructs the text, the category of the genitive πίστις τοῦ κυρίου remains disputed. Cf., Cirafesi, “ἔχειν πίστιν” (see n. 57), 24–28 (objective genitive); Bruce A. Lowe, “James 2:1 in the Πίστις Χριστοῦ Debate: Irrelevant or Indispensable?,” in The Faith of Jesus Christ: Biblical, Exegetical, and Theological Studies, ed. Michael F. Bird and Preston M. Sprinkle (Peabody: Hendrickson, 2009), 239–57 (subjective genitive with primary reference to trust in God). 126 On Abraham and Rahab in James, cf., Pierre Keith, “La foi, les œuvres et l’exemple d’Abraham et Raab dans Jc 2,14–26,” in Bible et Terre Sainte: Mélanges Marcel Beaudry, ed. José Enrique Aguilar Chiu, Kieran J. O’Mahony, and Maurice Roger (New York: Lang, 2008), 313–31. 127 Cf., Martin Hengel, “Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik” (1987), in: idem, Paulus und Jakobus: Kleine Schriften 3 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2002), 520–48, 524f. 128 See the classic statement in Martin Dibelius, Der Brief des Jakobus, KEK 15, 12th ed. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1984), 221; cf., from a rhetorical perspective Jean-Noël Aletti, “James 2,14–26: The Arrangement and Its Meaning,” Bib 85 (2014): 88–101, 100: “The choice of a chreia allowed James to repeat an opinion that had become common in some Christian communities and to criticize it, showing that it was erroneous. By presenting the common opinion as a maxim (γνώμη), he did not need to cite Paul and thereby avoided attributing to him what was only an erroneous recapitulation of his doctrine of justification.” 129 Cf., Elian Cuvillier, “‘Jacques’ et ‘Paul’ en débat: L’épître de Jacques et la tradition paulinienne (Jc 2:14–26//Ep 2:8–10, 2 Tm 1:9 et Tt 3:5.8b),” NovT 53 (2011): 273– 91.
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“theme”130 or that only the semantics of their common vocabulary diverges.131 Again others assume a convergence of common early Jewish Abrahamic tradition and consider James’ argument un-Pauline rather than antiPauline.132 As yet, no one has seized the doctoral mortarboard, promised by Martin Luther to the one who is able to reconcile Paul and James. 1 Peter, Jude, 2 Peter 1 Peter is characterized by Pauline theologoumena, which also pertains to the language and phraseology of faith (e.g., 1 Pet 1:5: διὰ πίστεως εἰς σωτηρίαν; 1:8: πιστεύειν εἰς [Χριστόν]; 2:6), but its fundamental concern is paraenetic; thus it is not the soteriology or christology of faith per se that lies at the heart of the author, but its genuineness (1:7), which is to be proved at the parousia. Believers are guarded through faith (1:5133) and “will not be put to shame” (2:6 = Isa 28:16), whereas unbelievers stumble. Faith is directed to Christ (1:8), who mediates faith in God (1:21: πιστός εἰς θεόν134); God is predicated as the “faithful creator” (4:19), to whom suffering Christians should entrust themselves. In Jude, the “most holy faith” is presented as the foundation, upon which the addressees are to build themselves (Jud 20) and which they have to contend (3); lack of faith is fatal (5). In 2 Peter, “faith” ranks first among a series of important “Christian” concepts, which is concluded by “love” (2 Pet 1:5–7);135 all such virtues base upon and are embedded in “knowledge” (ἐπίγνωσις) of
130
Cf., Klaus Haacker, “Rettender Glaube und Abrahams Rechtfertigung: Zum Verhältnis zwischen Paulus und Jakobus (und Petrus?),” in Gottes Wort in der Zeit: Verstehen – verkündigen – verbreiten: Festschrift für Volker Stolle, ed. Christoph Barnbrock and Werner Klän, Theologie, Forschung und Wissenschaft 12 (Münster: Lit, 2005), 209–25. Haacker employs the text-linguistic distinction between theme and rheme. 131 Cf., Sharyn Dowd, “Faith that Works: James 2:14–26,” RevExp 97 (2000): 195– 205, 202: “James is using Paul’s vocabulary but not his dictionary.” 132 Cf., Matthias Konradt, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief: Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, SUNT 22 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998), 245. See also Cf., Serge Ruzer, “James on Faith and Righteousness in the Context of a Broader Jewish Exegetical Discourse,” in New Approaches to the Study of Biblical Interpretation in Judaism of the Second Temple Period and in Early Christianity, ed. Gary A. Anderson, Ruth Clements, and David Satran, STDJ 106 (Leiden: Brill, 2013), 79–104. The individuality of James’s idea of faith and its independence from Paul is also stressed in Karl-Wilhelm Niebuhr’s contribution to the present volume. 133 Mostly, διὰ πίστεως is regarded to refer to human faith. But see David G. Horrell, “Whose Faith(fulness) Is It in 1 Peter 1:5?,” JTS 48 (1997): 110–15 (God’s faithfulness). 134 Only here in the New Testament, πιστός is linked with the preposition εἰς. 135 In 2 Peter, the πιστ-word group is represented only through πίστις (2 Pet 1:1, 5).
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God and Christ (1:2f., 8; 2:20), the preeminent religious concept in 2 Peter.136
4. Further Developments Traits of the various notions of faith among the New Testament authors are represented and taken up in non-canonical early Christian literature.137 Neither the Apostolic Fathers nor the apologetic literature of the 2nd century exhibit significant developments of the New Testament idea of faith. Hebrews’ situating faith in paraenesis resonates in 1 Clement, the Shepherd of Hermas, and the Didache, whereas the Pauline “soteriological” trajectory is reflected in Ignatius of Antioch, Polycarp, and Barnabas, but also in Justin or Irenaeus.138 Though 1 Clement does echo Pauline parlance, predominantly that of 1 Corinthians, his idea of “faith” is closer to Hebrews:139 Πίστις features as the first of the Christian virtues (64:1) and denotes both patient endurance and obedience; it is jeopardized by doubting and being double-minded (11:2; 23:3–4; cf., Jas 1:8; 4:8). The prime examples of “faith” are, next to
136 On the notion of faith in Jude and 2 Peter, see Jörg Frey’s contribution to the present volume. He concludes that, in distinction from John and Paul, the two late New Testament writings place particular stress on the lifelong obligation inherent in the believers’ faith-relation. 137 Cf., Lührmann, “Glaube” (see n. 75), 79–102; Roland Rößler, Studien zum Glaubensbegriff im zweiten und beginnenden dritten Jahrhundert (PhD diss., Universität Hamburg, 1968); William Henry Paine Hatch, The Idea of Faith in Christian Literature from the Death of Saint Paul to the Close of the Second Century (Strasbourg: Imprimerie Alsacienne, 1925), 72–140. In the course of the πίστις Χριστοῦ-debate in Pauline scholarship, a number of studies traced the subjective genitive reading in patristic times. Their results contradict each other diametrically. Some argue that Christian tradition during the first three centuries clearly bears witness to interest in the faith of Jesus Christ (e.g., Michael R. Whitenton, “After ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ: Neglected Evidence from the Apostolic Fathers,” JTS 61 [2010], 82–109; Ian G. Wallis, The Faith of Christ in Early Christian Traditions, SNTSMS 84 [Cambridge: Cambridge University Press, 1995]), others remain very sceptical (e.g., Roy A. Harrisville III, “ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ: Witness of the Fathers,” NT 36 [1994]: 233–41; Mark W. Elliott, “Πίστις Χριστοῦ in the Church Fathers and Beyond,” in The Faith of Jesus Christ: Biblical, Exegetical, and Theological Studies, ed. Michael F. Bird and Preston M. Sprinkle [Peabody: Hendrickson, 2009], 277–89). 138 Cf., Lührmann, “Glaube” (see n. 75), 87f. To be sure, such categories should only be used with great caution and without inherent value judgments. 139 Differently Morgan, Roman Faith (see n. 3), 512: “1 Clement’s treatment of pistis builds largely, though not exclusively, on Paul’s.” See also a mediating position in Wolfgang Grünstäudl’s contribution to the present volume.
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Paul (5:5f.), Abraham (10:1, 7; 31:2) and Rahab (12:1, 7). Throughout, faith is faith in God (3:4; 12:7; 10:6; 34:4). The evidence is comparable in the Shepherd of Hermas: The object of faith is God (e.g., Mand. 4,3,3: εἰς τὸν κύριον),140 faith is monotheistic faith in the creator (Mand. 1,1). A moral-religious category, faith ranks highest among the virtues (Vis. 3,8,3; Sim. 9,15,2) and coordinates all other virtues. Simplicity and perfection of faith is the goal (Mand. 9,6); as in 1 Clement, the most vicious enemy of such faith is “double-mindedness” (διψυχία), an inner divisiveness that results in a deficient religious-ethical living out of faith. Hence the paradigmatic plea: “Believe (in) the Lord, you who are double-minded!” (Vis. 4,2,6). The Didache has, statistically, little to offer on the subject of faith; πίστις occurs a mere three times. The writing testifies to the view that “the whole time of your faith” (16,2), i.e., Christian existence since baptism (cf., 6,2), is worthless, “if in the end you have not been perfected” (16,2). Only endurance in faith leads to salvation (16,5; cf., Matt 24:13), not faith per se. 2 Clement, too, mentions faith only in passing: Christians are those who have once come to faith (2,3; cf., 15,3), but now have to prove their commitment through purity, righteousness, and endurance in order to receive eternal life. Doubts, double-mindedness, even unbelief might befall the Christian (11,1; 19,2).141 Ignatius of Antioch follows in Paul’s steps, though he bypasses the issue of the law. Faith is mediated through Christ (Phld. 8,2: ἡ πίστις ἡ δι’ αὐτοῦ; cf., Acts 3:16) and relates to Christ (Trall. 9,2) and the events of salvation, i.e., Christ’s death (with εἰς, Trall. 2,1), his blood (with εἰς, Smyrn. 6,1) and his bodily resurrection (Smyrn. 3,1). The phrase πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ and related expressions are as ambiguous as in Paul (Eph. 20,1; Magn. 1,1; Rom. Inscr.). Ignatius presses for the unity of faith (Eph. 13,1) and exhorts his addressees to gather “in one faith and one Jesus Christ” (Eph. 20,2). In distinction from the errors of the unbelieving rest of humankind, they are to be “steadfast in the faith” (Eph. 10,2), and within the community faith is accompanied by “love” as the standard of commu140 The phrase πίστις τοῦ κυρίου appears four times in the Shepherd of Hermas (Vis. 4,1,8; Mand. 11,4; Sim. 6,1,2; 6,3,6). It includes two ambiguities: the category of the genitive and the meaning of κύριος (God or Christ). Michael Whitenton (“After ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ” [see n. 137], 105; cf., Wallis, The Faith of Jesus Christ [see n. 137], 188) regards κύριος as a designation of Jesus and opts for a genitivus auctoris: “Given the emphasis on obedience to the Lord in each of the passages, a genitive of source is preferred so that reference is being made to ‘faithfulness from the Lord’.” See also the expression πίστις τοῦ υἱοῦ τοῦ θεοῦ (Sim. 9,16,5), which is analogous to Gal 2:20. 141 See Jim Kelhoffer’s contribution to the present volume, in which he adduces the category of reciprocity in a patron-client relationship to clarify the believer’s continuous obligations toward God.
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nal life (e.g., Eph. 1,1; Magn. 1,1f.; Rom. Inscr.; Smyrn. Inscr.). “The beginning [of life] is faith, the end is love; and if these two exist in unity, it is God.” Everything else follows from it (Eph. 14,1; cf., 9,1).142 In Polycarp’s letter to the Philippians faith also has a clearly christological orientation.143 It is directed to God, who raised Christ from the dead (with εἰς, 2,1), but also to Christ (with εἰς, 1,3; cf., 12,2), whose patient endurance serves as an example that is to be imitated and believed (8,2). Faith represents an ethical norm: In the letter’s Haustafel (4,1–6,3) the wives are instructed to “walk in the faith (ἐν τῇ … πίστει) given to them” (4,2), and the widows “must think soberly about the faith of/in the Lord (περὶ τὴν τοῦ κυρίου πίστιν)” (4,3). The Epistle of Barnabas stresses the soteriological implication of Christ’s suffering as the content of faith: “Let us believe that the Son of God could not suffer except for our sakes” (7,2; cf., 13,7, referring to Gen 15:6). The meaning of the phrase ἡ πίστις αὐτοῦ (4,8) is grammatically ambiguous and could refer to faith in Christ or the faith of Christ, but the following verse clearly envisages human faith (in Christ) when it talks about “the whole time of our life and faith” (4,9; cf., Did. 16,2). Faith relates to, and results from, hearing the word (of faith) (9,3; 11,11; 16,9: λόγος τῆς πίστεως), hence the objective genitive construction “faith in the promise” (6,17: πίστις τῆς ἐπαγγελίας). The author praises the “great faith” of his addressees (1,4), but intends with his letter to perfect their knowledge (γνῶσις) along with their faith (1,5). Faith is also associated with “love” and “hope” (1,4; 4,8; 11,8); “fear” (φόβος) and “endurance” (ὑπομονή) are called “helpers of our faith” (2,2). Faith appears as the basic Christian condition or disposition, while knowledge, love, hope, fear and endurance are its expressions and its required concomitants. The flood of new writings that would become “apocryphal” as a result of the construction of the canon or would be labelled and condemned as “heretical” in the formation of “orthodox” theology developed and diversified the Christian talk of faith. The almost infinite variety of writings and their respective views on faith cannot be assessed here.144 Rather, at the end of this tour de force, a number of aspects will be presented to conclude the previous discussion and to point to some implications. 142
On the unity of faith and love in Ignatius, see Wolfgang Grünstäudl’s contribution to the present volume. 143 This is also accentuated in Bernhard Mutschler’s contribution to the present volume. He describes “faith in Christ” as the operative basis of other aspects of Christian life such as love, truth, edification, justice or hope. 144 An exemplary selection of such writings is analyzed in the present volume by Tobias Nicklas and Veronika Niederhofer (Acts of Paul and Thecla) and Enno Edzard Popkes (Gospel of Thomas).
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5. Conclusions and Corollaries 1. Cultural compatibility of faith. A thorough analysis of the linguistic and social setting of early Christian communities yields findings of great value for our understanding of Christian faith language and at the same time opens up significant venues for future research: First, one-sided religiohistorical contextualizations and delineations are inadequate. Christian talk of faith is rooted in the religious sphere of Judaism, in the Greek-Hellenistic world of thought and in the socio-cultural and imperial atmosphere of the Roman Empire. Second, attempts at establishing a basic, “fideistic” Christian meaning of πίστις in distinction to a “pagan” are likewise misguided, as they neglect both the rich context of faith language and its polysemy, and potentially result in disconnecting the Christian texts from their “natural habitat in the ancient world.”145 Future discussion will, therefore, lay the primary focus neither on the question of influences, dependencies, and genealogies of the early Christian concept of faith, nor in an apologetic manner on its unequivocal singularity and uniqueness. Rather, it acknowledges that Christian authors inhabited the same physical, cultural and intellectual world as their contemporaries – and yet developed a distinctive conception of central identity-establishing tenets, such as faith.146 2. The newness of faith. The general openness of Christian theology and language to the existing discourses of the ancient world does not preclude its newness and innovativeness. Any cultural movement leaving a lasting impression in the course of history is distinguished by a specific, signal “surplus” which cannot be explained in its entirety from its sociocultural background. From a mere statistical perspective, the newness of faith is mirrored in the “explosive increase in talk of faith” in early Christianity in
145
Van Kooten, “A Non-Fideistic Interpretation of πίστις” (see n. 36), 216. See the quote by Teresa Morgan above n. 7, who employs the image of “evolution”, and Schliesser, Was ist Glaube? (see n. 44), 116–18, adopting the notion of “emergence.” The classic definition of emergence, a concept applicable to the rise of faith, is from the 19th century English philosopher George Henry Lewes (Problems of Life and Mind: First Series: The Foundation of a Creed, vol. 2 [Boston: Osgood, 1875]): “Every resultant is either a sum or a difference of the co-operant forces; their sum, when their directions are the same – their difference, when their directions are contrary. Further, every resultant is clearly traceable in its components, because these are homogeneous and commensurable. It is otherwise with emergents, when, instead of adding measurable motion to measurable motion, or things of one kind to other individuals of their kind, there is a co-operation of things of unlike kinds. The emergent is unlike its components insofar as these are incommensurable, and it cannot be reduced to their sum or their difference.” 146
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virtually all layers of its writings.147 In terms of historical linguistics, the frequent and multiform use of πίστις κτλ., its association with other central Christian terms, motives and images, and its christological focus contributed considerably to the emergence of a Christian idiomatics, making it a distinctive part of the ancient religious discourse.148 Materially, the precipitous increase of faith terminology relates to the “volcanic eruption” of Jesus-devotion, which “emerged consequent upon, and in connection with, the astounding conviction that God had raised Jesus from death and exalted him to heavenly glory.”149 Within his theological frame of reference, Paul expressed the newness of faith most succinctly by his idea of the “coming of faith” (Gal 3:23) at the turning point in salvation-history, which for him is coincidental with the coming of Christ. Finally, whereas in Greco-Roman and Jewish religiosity faith can be one feature of religious identity, Christianity propagates it as the exclusive characteristic of human relationship with God and Christ. This exclusivity reflects a novel development and is without parallel in the ancient world.150 The question why it is precisely faith that attained such unparalleled central status, has of yet not been explained conclusively and requires further analysis.151 3. The christology of faith. At any rate, the omnipresence of faith language roots in its christological concentration. Generally speaking, in the person of Christ and in the event of Christ, faith has its origin, content, and goal. The various early Christian writings accentuate different aspects of that Christ-faith, which in turn correspond to the referential context and the intended message. Drawing on Augustine’s influential distinction of Christ as both sacramentum and exemplum (Trin. 4,3), one can discern two main foci: The first emphasizes the soteriological significance of cross and res147
Jüngel, “Glaube” (see n. 2), 953. See the programmatic title of Thomas Schumacher’s monograph: Zur Entstehung christlicher Sprache. Cf., Udo Schnelle, “Das frühe Christentum und die Bildung,” NTS 61 (2015): 113–43, 130: “Die Entwicklung einer eigenen Sprachwelt war ein entscheidender Schritt zur Eigenständigkeit der neuen Bewegung der Christen.” 149 Hurtado, “Resurrection-Faith” (see n. 4), 35f. 150 Cf., Brandenburger, “Pistis und Soteria” (see n. 15), 169: “Eine solche Rede vom Glauben hat im klassischen Griechentum und auch im zeitgenössischen Hellenismus schlechterdings keine Analogien.” 151 See, however, the remarks in James D.G. Dunn, “In Grateful Dialogue: A Response to My Interlocutors,” in Memories of Jesus: A Critical Appraisal of James D.G. Dunn’s Jesus Remembered, ed. Robert B. Stewart and Gary Habermas (Nashville: B&H), 287–323, 289: “Jesus was a figure whose mission, in its character and its teaching, made a considerable impact on his immediate followers. It is this fact that I am confident can be taken as given, which allows me to speak of faith as already a factor before Easter. It is this fact that enables me to argue that high esteem for Jesus (faith) should not be set aside or stripped away from the data as post-Easter and ‘nonhistorical’.” See also above n. 4. 148
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urrection and regards faith as accepting and aligning one’s existence to what God has done in Christ, with all its ethical and doctrinal implications. The second – which occurs mostly, but not exclusively, in later writings – expresses and stresses these implications as such, pointing to the ethical significance of Christ’s path of faith(fulness), to the entailed conformity to the Crucified and to the well-defined and authoritative content of faith. Both aspects, the “soteriology of faith” and the “ethos and dogmatics of faith”, cannot be separated and have not been separated in infant Christianity, regardless of such tendencies in the history of (Protestant) exegesis.152 4. The sociality of faith. Faith is not only an integral part in the emergence of Christian language, theology and ethos, but also in the formation of Christian identity in distinction from other identities. Whoever believes in Christ enters and belongs to the Christian community irrespective of status, ethnicity, and gender. Faith in Christ is the necessary and sufficient mode of becoming and being part of the “body of Christ.” As has been stressed time and again by James Dunn, faith acquired the sociological function as both “identity marker” and “boundary marker.” “If circumcision could no longer serve as a boundary which had to be crossed by one who wanted to enter the people of God’s promise, what replaced in the emerging Christian communities? If a group’s identity depended on there being a boundary round the group, marking off those inside from those outside, what formed the boundary marking off infant Christianity? Faith in Christ is the first obvious answer.”153 In terms of their social function, there is a marked analogy between the centrality of πίστις κτλ. in the Christian identity discourse and the pivotal role of fides in Roman life and thinking, as “keystone of Roman morality”154 and as desirable characteristics of all relationships of dependence and loyalty. 155 5. The holism of faith. If faith is in the center of communal Christian self-understanding, it should also be in the center of the individual Chris-
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Emblematic for such an infelicitous separation is the concept of “Early Catholicism” (Frühkatholizismus) which was introduced to describe a phase of decline in early Christian history from the apostolic (Pauline) immediacy of faith to its dogmatization, institutionalizing and ethicizing in subsequent generations. See Jim Kelhoffer’s and my discussion in the respective contributions in the present volume on 2 Clement and Hebrews. 153 James D.G. Dunn, “Boundary Markers in Early Christianity”, in Gruppenreligion im römischen Reich: Sozialformen, Grenzziehungen und Leistungen, ed. Jörg Rüpke, STAC 43 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 49–68, 61f. 154 John H.W.G. Liebeschuetz, Continuity and Change in Roman Religion (Oxford: Clarendon Press, 1979), 175f. 155 Becker, “Fides” (see n. 30), 801.
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tian self-understanding.156 The insight of William Henry Paine Hatch, expressed 100 years ago, still holds true: “[F]aith is from the beginning much more than belief or conviction, for it involves the feelings and the will as well as the intellect.”157 Which shade of holistic faith comes to the fore is determined both by the context of the actual argument and by the cultural and religious context of author and audience: acceptance of a message, assurance, proof, persuasion, propositional belief, certainty, internal knowledge, trustworthiness, faithfulness, loyalty, trust, faith, and even Πίστις/Fides as divine manifestation. The semantic range of Christian faith language is fully compatible with the contemporary linguistic milieu, as all these shades are matched in Jewish and Greco-Roman parlance. But the fact that the language of faith monopolizes the linguistic perception of divine-human relationships and that the language of faith is itself monopolized by its relation to Christ, distinguishes early Christianity from its religious and sociocultural environment. 6. The attractiveness of faith. The expansion of Christianity, which finally led to the Christianization of the Roman Empire, is closely linked to the early Christian concept of faith. It is not a coincidence that the term “faith” should develop into a synonym for the Christian movement and later to a label for any religion. This linguistic development is prepared by Paul’s habit of describing followers of Christ as “believers” (cf., 1 Thess 1:7; 2:10, 13 etc.) and also by his phrase “proclaiming the faith” (Gal 1:23). The church fathers continued along this path, calling the Christians “believers” (Justin, 1 Apol. 53,3) and Christianity “our whole faith” (Melito of Sardis, in Eusebius, Hist. eccl. 4,26,13) or – to demarcate an orthodox from a heretical belief system – simply “the faith” (Irenaeus, Origen, Tertullian). Faith as a term lent itself to characterize Christianity, because 156
This aspect was focused – albeit one-sidedly – by Rudolf Bultmann. See, e.g., his Theology of the New Testament, trans. Kendrick Grobel, 2 vols. (New York: Scribner’s Sons, 1951–1955), 2:324: “‘Faith’ is the acceptance of the kerygma not as mere cognizance of it and agreement with it but as that genuine obedience to it which includes a new understanding of one’s self … [Faith] determines one’s living in its manifold historical reality …” Bultmann’s interpretation recurs in modified form in Michael Wolter’s cognitive construal of faith as a comprehensive concept of reality (Wirklichkeitsverständnis) (Michael Wolter, Paulus: Ein Grundriss seiner Theologie [NeukirchenVluyn: Neukirchener, 2011]). 157 Hatch, The Pauline Idea of Faith (see n. 44), 35. Cf., recently, Campbell, “Participation and Faith in Paul,” 44: “Christian believing is for Paul apparently both comprehensive and ethical, and even emotional; it is an entire mind or mentality.” Starting from the traditional threeness of the capacities of the mind – reason, will, emotion – I have described aspects of faith from a Pauline perspective in Schliesser, Was ist Glaube? (see n. 44), 42–68: “faith and reason” (accepting as true, being convinced, knowing, confessing); 69–87: “faith and volition” (deciding, obeying, loving), 88–115: “faith and emotion” (experiencing, trusting, being confident).
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faith as a concept of religious identity, both communal and individual, exerted a considerable power of attraction among people in the Roman Empire. In conclusion, I briefly hint at a few aspects regarding the attractiveness of faith, which are all related to what has been said in this final section:158 1. The inherent fragility of faith-relationships and, more concretely, the fragility of religious and interpersonal πίστις/fides in the early Roman empire might have played a role in the increasing attraction of the Christian faith-religion.159 2. The holistic nature of faith, which not only opened up a new understanding of reality but “create[d] a new reality that equally includes the cognitive, emotional, and pragmatic dimensions of human existence,”160 made an impression on non-Christians – not only the livedout faith of martyrs, missionaries and church leaders, but also of the faith of ordinary Christians in their respective context of life.161 3. The simplicity of Christ-faith was appealing – not only to the unsophisticated, but for those in particular. The message “Believe on the Lord Jesus, and you will be saved” (Acts 16:13) is easy to comprehend and does not require philosophical expertise or moral grandeur. Faith functions as an “equalizer,” as 158 On the whole array of questions, see the classic studies by Ramsay MacMullen, Christianizing the Roman Empire (A.D. 100–400) (New Haven: Yale University Press, 1984); Rodney Stark, The Rise of Christianity: A Sociologist Reconsiders History (Princeton: Princeton University Press, 1996). See also Christoph Markschies, Warum hat das Christentum in der Antike überlebt? Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Kirchengeschichte und Systematischer Theologie (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2004). 159 Cf., Morgan, Roman Faith (see n. 3), passim. Morgan reaffirms older and nowadays largely dismissed views (by, e.g., Arthur D. Nock, Conversion [Oxford: Oxford University Press, 1933], 99–121), which stress “how fragile pistis and fides are; how infinitely manipulable and constantly in danger of being undermined by lies, persuasion, fraud, envy, greed, ambition, faction, conspiracy, treachery, adultery, imperialism, and a host of other everyday attitudes and activities” (Morgan, Roman Faith [see n. 3], 6) and how the fragility of πίστις/fides might have “led to a growing interest in elective cults, including Christianity” (175). Nonetheless, as a matter of course even Christian religious faith is fragile, “always to some degree provisional and evolving” (370, on Matt 9:22), always in need of being reinforced, as especially the later New Testament writings amply demonstrate. 160 Udo Schnelle, Apostle Paul: His Life and Theology, trans. M. Eugene Boring (Grand Rapids: Baker Academic, 2005), 292. This is said on Paul’s idea of “communion with Christ,” but is equally applicable to faith. James Dunn refers to the oftentimes neglected fact that the vivacity and success of earliest Christianity was closely linked with the reception of the Spirit, which was seen “as a significant, trans-formative and sometimes eye-catching experience on the part of the recipient” (James D.G. Dunn, Beginning from Jerusalem, vol. 2 of Christianity in the Making [Grand Rapids: Eerdmans, 2009], 283). On the relationship between faith and the Spirit in Paul, see above n. 49. 161 Cf., Markschies, Christentum (see n. 158), 44.
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it were,162 which holds out the prospect of eternal σωτηρία for all who believe and transcends, by means of that prospect, existent social stratification and moral gradation (at least ideally). 4. By virtue of the sociality of faith, lower class and socially disadvantaged believers experienced a revaluation of their social identity, but also became beneficiaries of the social welfare, which was inherent in the Christian movement from its beginning and gained stable, effective structures early on. 5. Amidst the murky cloud of gods and goddesses prominent in popular religion, the exclusive christological focus of faith was appealing particularly to the educated. A belief system that devises a clear “either-or”-structure effects a “reduction of complexity” and at the same time an increase of cogency. It condenses reality “to the most simple and general concepts: the One Cause, the Sole Being, the One,”163 and, one might add, a single directedness of religious affiliation. 6. That Christianity was able to reach into more educated strata of society and to gain influence in the dominant religious and philosophical discourses can be explained not least by the “theologies of faith” of early Christianity’s most prolific thinkers: Paul, John, and the author of Hebrews, and later Justin, Irenaeus, and Clement of Alexandria. Even educated classes in the cities were attracted and responded to their distinct conceptualizations of faith as a fides quaerens intellectum. These presentations of a reasonable faith were appealing even to intellectuals, who would leave their former religious and social worlds to join the Christian movement.164
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Cf., Wolter, Paulus (see n. 156), 84 (“Gleichmacher”). Walter Burkert, Creation of the Sacred: Tracks of Biology in Early Religions (Cambridge: Harvard University Press, 1996), 26 (with reference to Niklas Luhmann). 164 Schnelle, “Das frühe Christentum” (see n. 148), 142. 163
Hebräische Bibel und Septuaginta
„Wie hast Du’s mit dem Glauben, Israel?“ – der Glaubensbegriff im Alten Testament1 ANJA KLEIN
1. Einleitung Mit der sogenannten Gretchenfrage „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion“2 versucht Margarete in Goethes Faust zu ergründen, wie es mit dem Glauben des Geliebten bestellt ist. Ihr Nachsatz „Allein, ich glaub, du hältst nicht viel davon“3 verrät allerdings schon Gretes Befürchtungen, dass es mit dem Glauben bei Faust nicht weit her ist. Der Glaube ist kein Begriff der kultischen Praxis, sondern der theologischen Reflexion.4 Als solcher bezeichnet der Glaube das innere Verhältnis des Menschen zu Gott. Martin Luther hat dieses personale Vertrauensverhältnis in seiner Auslegung des Ersten Gebotes wie folgt definiert: „ein Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und gläuben“.5 Der christliche Glaube ist dabei wesentlich auf die Heilsbedeutung von Tod und Auferstehung Jesu Christi bezogen. Allerdings benennt der Apostel Paulus mit dem Glauben Abrahams in seinen Briefen an die Gemeinden in Rom und Galatien (Röm 4; Gal 3) ein alttestamentliches Vorbild für diese Glaubenshaltung und auch der Hebräerbrief sieht im Glauben Abrahams das bezeichnende Charakteristikum, das den Patriarchen zu einem Zeugen der Verheißung macht (Hebr 11,8–11; vgl. Jak 2,21–23). Für den Alttestamentler und die Alttestamentlerin zieht das die Frage nach sich, in welcher Weise in der Hebräischen Bibel vom Glauben die Rede ist. Die hebräische Sprache kennt eine Reihe von Begriffen für das 1 Dieser Aufsatz geht auf die Probevorlesung gleichen Titels zurück, die im Rahmen des Habilitationsverfahrens am 29. Januar 2014 an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen gehalten wurde. Für die hilfreiche Durchsicht und einige Denkanstöße danke ich PD Dr. Christoph Berner und Prof. Dr. Reinhard G. Kratz. 2 J.W. von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Stuttgart 1986, 3415. 3 Goethe, Faust (s. Anm. 2), 3417. 4 Vgl. R.G. KRATZ, Art. Glaube, Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006, 221–222, 221. 5 M. Luther, Großer Katechismus, BSLK, 443–733, 560.
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Vertrauen des Menschen auf Gott als den Schöpfer, Erhalter und Retter in der Not (בטח: „vertrauen“; ירא: „fürchten“; ידע: „erkennen“; דרש: „suchen/ fragen nach“; יחל: „harren“; חכהpi.: „hoffen“). Davon noch einmal zu unterscheiden ist der spezifische Gottesglaube, der im Sinne eines grundsätzlichen Trauens bzw. Für-Wahr-Haltens auf Gott als Gegenstand gerichtet ist und in der Forschung mit der Wurzel אמןhif. in Verbindung gebracht wird.6 Die Bedeutung dieser Wurzel für das Glaubensverständnis wird auch daran ersichtlich, dass sie über das griechische Verb πιστεύω in der Septuaginta auf den neutestamentlichen Glaubensbegriff führt.7 Mit der einzigen Ausnahme von Jer 25,8 ( )שמעwird πιστεύω in der Septuaginta für die Übersetzung des Wortstammes אמןverwendet. Auf den ersten Blick spielt der hifcil-Stamm der Wurzel אמןkeine hervorgehobene Rolle im Alten Testament, da in nur wenigen Texten ein theologischer Gebrauch vorliegt, bei dem das Verb auf Gott bzw. auf Mose als den göttlichen Offenbarungsmittler gerichtet ist. Darüber hinaus ist es fraglich, wie die Belege zusammenhängen und ob sich eine Entwicklung des Glaubensbegriffs in den Texten nachweisen lässt. Als prägend hat sich in dieser Frage über eine lange Zeit die Position von Rudolf Smend erwiesen, der in Jes 7,9 „die Entstehung des wichtigsten alttestamentlichen Begriffs für das religiöse Glauben“8 beobachten wollte. Ihm galt es als gesichert, dass der absolute Aufruf zum Glauben, der in Jes 7,9 an König Ahas und das Volk ergeht, dem Gebrauch mit Jhwh als Objekt vorausgegangen sein müsse.9 Dabei ist es allerdings fraglich, ob der absolute Ge6
Vgl. dazu die einschlägigen Veröffentlichungen von E. P FEIFFER, Glaube im Alten Testament. Eine grammatikalisch-lexikalische Nachprüfung gegenwärtiger Theorien, ZAW 71 (1959), 151–163; R. SMEND, Zur Geschichte von האמין, in: B. Hartmann u.a. (Hg.), Hebräische Wortforschung (FS W. Baumgartner), VT.S 16, Leiden 1967, 284– 290; H. W ILDBERGER, „Glauben“. Erwägungen zu האמין, in: B. Hartmann u.a. (Hg.), Hebräische Wortforschung (FS W. Baumgartner) VT.S 16, Leiden 1967, 372–386; DERS., Art. אמן, THAT 1 (1971), 177–209; A. J EPSEN, Art. אָמַ ן, ThWAT 1 (1973), 313–347, und O. KAISER, Art. Glaube II. Altes Testament, RGG4 3 (2000), 944–947. Für 2016 ist darüber hinaus in der Reihe BZAW eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zum Glauben im Alten Testament von S. RUDNIG-ZELT angekündigt (Glaube im Alten Testament. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Jes 7,1–17; Dtn 1–3; Num 13–14 und Gen 22,1–19, BZAW 452, Berlin 2016). 7 Vgl. W ILDBERGER, „Glauben“ im Alten Testament, ZThK 65 (1968), 129–159, 130. 8 SMEND, Geschichte (s. Anm. 6), 288. 9 Vgl. SMEND, Geschichte (s. Anm. 6), 289; vgl. im Anschluss an diesen L. PERLITT, Jesaja und die Deuteronomisten, in: ders., Deuteronomium-Studien, FAT 8, Tübingen 1994, 157–171, 166f. (zuvor abgedruckt in: V. Fritz/K.-F. Pohlmann/H.-C. Schmitt [Hg.], Prophet und Prophetenbuch [FS O. Kaiser], BZAW 185, Berlin 1989, 133–149), und in der Sache auch J. GERTZ, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, FRLANT 186, Göttingen 2000, 223–226, der Jes 7,9 und 28,16 im Hintergrund der Pentateuchbelege sehen will. Umgekehrt argumen-
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brauch nicht vielmehr auf ein spätes Entwicklungsstadium des Glaubensbegriffs hindeutet, in dem der Gottesbezug bereits selbstverständlich ist. Dies zeigt, dass die Frage der literarhistorischen Entwicklung des Glaubensbegriffs bisher noch nicht befriedigend gelöst worden ist. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, in einem Überblick über das Textmaterial die Belege zu systematisieren und im Anschluss an Smend nach dem Entstehungsort für das religiöse Glauben zu fragen. Ausgangspunkt der Darstellung ist eine terminologische Grundlegung, auf die eine Analyse der Glaubenstexte in den Schriften der Hebräischen Bibel folgt. Die abschließende Zusammenfassung bündelt den Ertrag und zeigt darin auch, wie die alttestamentliche Rede vom Glauben im frühen Judentum und Christentum fortgewirkt hat.
2. Terminologische Grundlegung In der Einleitung ist bereits auf die Bedeutung des hebräischen Wortstammes אמןhif. für unsere Fragestellung hingewiesen worden. Diese Wurzel steht in ihrer Grundbedeutung für „fest, zuverlässig, sicher sein“, wobei der Grundstamm kal nur durch eine Reihe von Partizipien vertreten ist,10 während sich die Mehrzahl der Belege auf den nifcal- und den hifcil-Stamm der Wurzel verteilen. Der hifcil-Stamm deckt dabei ein Bedeutungsspektrum „zuversichtlich sein, festhalten an“ ab. Dieser Sprachgebrauch ist auch als „imitatio Dei“11 bezeichnet worden, was darin seine Berechtigung hat, dass Aussagen über die Treue und Zuverlässigkeit Gottes durch den nifcal-Stamm von אמןausgedrückt werden (vgl. Dtn 7,9: ;הנאמןJes 49,7: )אשר נאמן. In ähnlicher Weise werden auch die von derselben Verbalwurzel abgeleiteten Nomen „Treue“ ( )אמתund „Wahrhaftigkeit“ ( )אמונהzur Beschreibung von Gottes Wesen herangezogen. Der Nachahmungscharakter der hifcil-Belege liegt darin begründet, dass das gläubige Verhalten des tiert O. KAISER, Das Buch des Propheten Jesaja. Kapitel 1–12, ATD 17, Göttingen 1981, 142, für die Priorität der Pentateuchtexte im Vergleich mit den Belegen im Ersten Jesaja. 10 Hier ist allerdings umstritten, inwieweit die kal-Belege von der hier behandelten Wurzel אמןabzuleiten sind. Gegen die 17. und 18. Auflage des Handwörterbuches von Wilhelm Gesenius (W. GESENIUS/F. B UHL, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Berlin 1962 [Leipzig 171915] und W. GESENIUS u.a., Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Berlin 182013) ordnen L. KOEHLER/W. B AUMGARTNER, HALAT, Leiden 32004, die entsprechenden kalFormen mit der Ausnahme von Klgl 4,5 einer Wurzel אמןII zu (vgl. ebenso D.J.A. C LINES, The Dictionary of Classical Hebrew, Sheffield 1993–2011). 11 T. HIEKE, „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“ (Jes 7,9). Die Rede vom Glauben im Alten Testament, ThGl 99 (2009), 1–10, 4; vgl. auch KRATZ, Art. Glaube (s. Anm. 4), 222.
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Menschen zu Gott als Antwort auf das zuverlässige Wesen Gottes verstanden werden kann: Weil Gott treu und zuverlässig ist, verhalten sich auch die Menschen treu und zuverlässig ihm gegenüber, d.h. sie glauben an ihn: „Glauben ist eine Existenzweise, es ist die Nachahmung des treuen und zuverlässigen Gottes“.12 Einen (literarischen) Bezug zum Kult stellt dabei das formelhafte Adverb אָ מֵ ן, „Amen“, her, das ebenfalls von der Wurzel אמןabgeleitet wird und mit dem etwas zuvor Gesagtes bestätigt und angeeignet wird (vgl. Num 5,22; Ps 41,14; 72,19; 89,53; 106,48; Neh 8,6; 1Chr 16,36).13 Der hifcil-Stamm der Wurzel אמןist an 51 Stellen im Alten Testament belegt. Grammatisch sind dabei hauptsächlich drei unterschiedliche Konstruktionen der Verbalwurzel zu unterscheiden: der absolute Gebrauch des Verbums sowie die Konstruktion mit der Präposition ְ לbzw. der Präposition ְב. Dabei ist umstritten, ob der Gebrauch der zwei unterschiedlichen Präpositionen zu einer inhaltlichen Differenzierung des Glaubensbegriffs führt. In seiner breit angelegten Untersuchung der hebräischen Präpositionen plädiert Ernst Jenni (1992) für eine grundsätzliche Unterscheidung, insofern אמןhif. mit der Präposition ְ בein „dauerndes allgemeines FürGlaubwürdig-Halten“ bezeichne, während אמןhif. mit ְ„ לdie fallweise Reaktion auf ein Wort oder Zeichen hin“ ausdrücke.14 In ähnlicher Weise unterscheidet das Handwörterbuch von Gesenius in der 17. Auflage (1962 [1915]) im Eintrag zu אמןzwischen dem Gebrauch der Präposition ְ בfür die Person oder Sache, „in die man seine Hoffnung setzt, zu der man Vertrauen hat“, und der Verwendung von ְלfür die Person/Sache, „deren Zeugnis man glaubt“. Im entsprechenden Artikel ist weiter vermerkt, dass sich im Hinblick auf Gott beide Konstruktionen finden. In der 18. Auflage des Handwörterbuchs (2013) ist diese Unterscheidung allerdings aufgegeben und die zwei Präpositionen sind ohne inhaltliche Differenzierung unter dem Eintrag „jem. oder etw. für glaubwürdig bzw. vertrauenswürdig halten, glauben, trauen“ aufgeführt. Hier wird auch die theologische Verwendung eingeordnet: „an Jahwe glauben od. ihm vertrauen m. … ְלöfter mit ְ“בּ. Die 18. Auflage des Gesenius steht dabei repräsentativ für eine Tendenz in den neueren Wörterbüchern, die keine entscheidende Bedeutungs12
HIEKE, Glaubt ihr nicht (s. Anm. 11), 4. Vgl. KRATZ, Glaube (s. Anm. 4), 222; vgl. ausführlich E. J ENNI, Zu den doxologischen Schlussformeln des Psalters, ThZ 40 (1984), 114–120. 14 Vgl. E. JENNI, Die hebräischen Präpositionen, Band 1: Die Präposition Beth, Stuttgart 1992, 254f. Eine vergleichbare Differenzierung der Präpositionen findet sich davor schon bei W ILDBERGER, „Glauben“. Erwägungen (s. Anm. 6), 381–386, bzw. DERS., Art. ( אמןs. Anm. 6), 187–189; dagegen urteilt SMEND, Geschichte (s. Anm. 6), 285: „Es sei noch bemerkt, daß dabei hinsichtlich der Konstruktion (mit ב, לoder ;כיPerson oder Sache) keine auffällige Entwicklung festzustellen ist, deren Kenntnis uns bei der Gruppierung der Stellen zustatten kommen könnte.“ 13
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nuancierung im Gebrauch der unterschiedlichen Präpositionen vornehmen.15 Für die nachstehende Analyse der Einzeltexte bietet es sich deshalb an, nicht von einer Klassifizierung der Belege auszugehen, sondern den Gebrauch im Einzelnen zu untersuchen. Für die Untersuchung des Glaubensbegriffs sind im Folgenden 19 Texte näher zu analysieren, in denen die Wurzel אמןhif. in theologischen Zusammenhängen verwendet wird (Gen 15,6; Ex 4,1.8.9.31; 14,31; 19,9; Num 14,11; 20,12; Dtn 1,32; 9,23; 2Kön 17,14; Jes 7,9; 28,16; 43,10; Jon 3,5; Hab 1,5; 2,4; Ps 78,22.32; 106,12.24; 119,66; 2Chr 20,20). Die forschungsgeschichtliche Bedeutung von Jes 7 legt es nahe, mit der Analyse dieses Textes zu beginnen, um von hier aus die literargeschichtliche Differenzierung der weiteren Texte anzulegen.
3. Die Glaubenstexte im Alten Testament 3.1 Der Glaubensaufruf in Jes 7,9 und seine Nachgeschichte Der Glaubensaufruf in Jes 7,9 ist Teil der sogenannten „Jesaja-Denkschrift“ in Kap. 7–9, deren Erzählungen um die Bedrohung Jerusalems durch die Assyrer im 8. Jahnhundert kreisen. In dieser Situation wollen die ebenfalls gefährdeten Kleinstaaten Israel und Syrien-Palästina das Südreich Juda in eine anti-assyrische Koalition zwingen. Jes 7 berichtet in einer fiktiven Szene davon, wie der biblische Prophet Jesaja zu König Ahas kommt, um dem König ein Heilswort auszurichten. Jhwh sichert Ahas darin zu, dass die Koalition der Gegner keinen Erfolg haben wird, mahnt in Jes 7,9 aber zugleich eine entsprechende Haltung an: „Glaubt ihr nicht, dann bleibt ihr nicht“ ()אם לא תאמינו כי לא תאמנו. Darüber hinaus lässt Jhwh den König durch Jesaja auffordern, ein Beglaubigungszeichen zu erbitten (שאל לך אות מעם יהוה אליהך, 7,11); eine Forderung, die dieser aber im Folgenden zurückweist (7,12). Das Verbum אמןhif. wird in Jes 7,9 absolut gebraucht, wobei sich der Glaube im literarischen Kontext auf die Zusicherung Jhwhs bezieht, dass die Feindmächte Israel und Aram-Damaskus keine Bedrohung für das Südreich Juda darstellen werden (Jes 7,7–9). Von dem rechten Glauben ist in einem Wortspiel mit der Wurzel אמןdas Bleiben ( אמןni.) abhängig, wobei hier vor dem Hintergrund der Nathansweissagung 2Sam 7,16 (ונאמן ביתך )ממלכתך עד עולםan den Bestand der davidischen Dynastie gedacht ist.16 Der 15 Vgl. dazu die Einträge bei KOEHLER/B AUMGARTNER, HALAT (s. Anm. 10), sowie bei CLINES, Dictionary (s. Anm. 10). 16 Zum literarischen Rückraum von Jes 7,9 in der Nathansweissagung 2Sam 7,16 vgl. W ILDBERGER, „Glauben“ im Alten Testament (s. Anm. 7), 133; KAISER, Buch (s.
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Fortgang der biblischen Geschichte zeigt, dass der König die Glaubensprobe nicht bestanden und so den Bestand der Monarchie verspielt hat. Vermutlich steht hier das Zeugnis der Parallelerzählung 2Kön 16 im Rückraum, nach der Ahas den assyrischen König um Hilfe bittet, anstatt auf Jhwh zu vertrauen.17 Somit wird mit dem Unglauben des Ahas in der Situation des Syrisch-Ephraimitischen Krieges zugleich das Ende des Südreiches Juda besiegelt. Dass diese Katastrophe erst 200 Jahre später durch die Babylonier herbeigeführt wird, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Der Untergang Judas und das Ende der davidischen Dynastie sind in der Denkschrift Jes 7 bereits vorausgesetzt und sie werden post eventum mit dem fehlenden Glauben der Könige und des Volkes erklärt.18 Der Lehrsatz aus Jes 7,9 hat eine literarische Nachgeschichte im Alten Testament erfahren. Zuerst wird er in Jes 28,16 im Rahmen einer Warnung vor falschen Sicherheiten rezipiert. Dort findet sich ein Mahnwort, das daran erinnert, auf welchen Fundamenten zu bauen ist: „So spricht der Herr Jhwh: Siehe, ich lege einen Grundstein in Zion, einen kostbaren Eckstein als festen Grund. Wer glaubt, der wird nicht weichen (המאמין לא יחיש, 28,16)“. Der absolute Gebrauch des Partizips von אמןhif. ist im Alten Testament analogielos, kann aber vor dem Hintergrund von Jes 7,9 als Verallgemeinerung des Aufrufes zur Glaubensstärke verstanden werden, wobei die Entscheidung zum Glauben in 28,16 bereits gefallen ist.19 Offenkundig hat sich der Lehrsatz Jes 7,9 aus seinem literarischen Sitz in der JesajaDenkschrift gelöst und bekommt in 28,16 den Charakter einer weisheitlichen Belehrung. In die weitere Auslegungsgeschichte ist ferner 2Chr 20,20 einzuordnen, wo der Lehrsatz aus der Jesaja-Denkschrift dem judäischen König Joschafat in den Mund gelegt wird. Dieser wendet sich angesichts der Belagerung durch die Ammoniter mit einer Rede an das Volk: „Glaubt an Jhwh, euren Gott, dann werdet ihr bestehen. Glaubt an seine Propheten, dann wird es euch gelingen!“ (האמינו ביהוה אלהיכם ותאמנו האמינו בנביאיו )והצליחו. Was König Ahas nicht vermochte, nämlich sich auf Gottes Schutz Anm. 9), 147, sowie U. BECKER, Jesaja – von der Botschaft zum Buch, FRLANT 178, Göttingen 1997, 37.49–51. 17 Vgl. BECKER, Jesaja (s. Anm. 16), 53f. 18 Vgl. KAISER, Buch (s. Anm. 9), 147: „Das ‚Wenn ihr nicht glaubt, dann werdet ihr nicht bleiben‘ setzt die Lehre der glaubend gedeuteten Geschichte des Untergangs der Monarchie in die Mahnung an den König um, der sein Haus auf den politischen Weg geführt hatte, an dessen Ende dieser Untergang und zugleich die Dezimierung des Volkes stand.“ Ebenso urteilt BECKER, Jesaja (s. Anm. 16), 50, über die Stelle: „theologische Ursachenforschung in narrativem Gewande“. 19 Vgl. R.G. KRATZ, Jesaja 28–31 als Fortschreibung, in: ders., Prophetenstudien. Kleine Schriften 2, FAT 74, Tübingen 2011, 177–197, 191, vgl. auch dort insgesamt zum Verhältnis von Jes 28 und Jes 6–8.
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zu verlassen, anstatt eigene Maßnahmen zu ergreifen, vollbringt das Volk in 2Chr 20. Die Israeliten tun erst einmal gar nichts und heimsen nur die Beute ein, nachdem die Feinde sich auf Gottes Veranlassung hin untereinander vernichtet haben. Die Erzählung in 2Chr 20 hat damit in Bezug auf Jes 7 den Zweck, ein positives Gegenbeispiel zu geben, wie der Glaube an Gott funktionieren kann.20 Neben den Gottesglauben tritt dabei der Glaube an die Propheten als „Lehrer des Gesetzes“, an denen sich in 2Chr 20,20 gleichermaßen die Glaubensprobe entscheidet. Mit etwas anderer Konnotation wird אמןhif. auch im Zweiten Jesaja gebraucht. Hier will der biblische Prophet in der Gerichtsrede Jes 43,8–13 den Nachweis von Jhwhs Einzigkeit führen und argumentiert dabei auch mit dem Glaubensmotiv: „Ihr seid meine Zeugen, Spruch Jhwhs, und mein Knecht, den ich erwählt habe, damit ihr erkennt und mir vertraut und einseht, dass ich es bin! (( “)למען תדעו ותאמינו לי ותבינו כי אני הוא43,10). Das Verbum אמןhif. ist hier mit der Präposition ְ לkonstruiert und Teil einer Reihung von Erkenntnisverben (ידע, )בין, die auf den abschließenden כיSatz bezogen sind. Dies deutet darauf hin, dass das Verbum אמןin Jes 43,10 nicht in der personalen Bedeutung „glauben an“ verwendet wird, sondern auf die Zuverlässigkeit der כי-Aussage und damit auf die Gotteserkenntnis bezogen ist.21 Für diese Interpretation spricht schließlich auch die literarische Form der Gerichtsrede, in der „das Vertrauen hinsichtlich der strittigen Angelegenheit“22 zur Diskussion steht. In Ps 119 findet sich ebenfalls eine Verbindung des Erkenntnisbegriffes mit dem Glaubensbegriff. Hier bittet der Beter in 119,66 um Belehrung und begründet das mit seinem Glauben: „Lehre mich das Gut des Verstehens und Erkennens, denn deinen Geboten habe ich geglaubt“ (טוב מעם ודעת )למדני כי במצותיך האמנתי. Mit diesem Text liegt eine späte Reflexion des Glaubensbegriffs vor, wie besonders die Verbindung mit dem Gesetzesgehorsam in der zweiten Vershälfte zeigt: Der Glaube an Jhwh konkretisiert sich in der Beziehung des Beters zur Tora.23 Die vorangehende Bitte um Belehrung in 119,66a zeigt dabei, dass der Gesetzesgehorsam das intellektuelle Erkennen in einem umfassenden Verständnis nach sich zieht. 20 Zum Bezug auf Jes 7,9 vgl. H.G.M. W ILLIAMSON, 1 and 2 Chronicles, New Century Bible Commentary, Grand Rapids 1982, 299; S. J APHET, I & II Chronicles. A Commentary, OTL, Louisville 1993, 797. 21 So auch K. ELLIGER, Deuterojesaja. 1. Teilband Jesaja 40,1–45,7, BK 11/1, Neukirchen-Vluyn 1978, 322f.; W ILDBERGER, „Glauben“ im Alten Testament (s. Anm. 7), 155; in gleicher Weise versteht auch U. B ERGES, Jesaja 40–48, HThKAT, Freiburg i.Br. 2008, 284, das Verb an dieser Stelle im Sinne von „jemandem etwas glauben; etwas als zuverlässig ansehen“. 22 W ILDBERGER, „Glauben“. Erwägungen (s. Anm. 6), 382. 23 Vgl. F.-L. HOSSFELD/E. ZENGER, Psalmen 101–150, HThKAT, Freiburg i.Br. 2008, 372.
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3.2 Vom Exodus bis in das Land: Eine Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen Die entscheidende Frage, die bereits Smend gestellt hat, ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Glaubensbegriff in der prophetischen und in der erzählenden Überlieferung. Im Folgenden soll nun zuerst die literargeschichtliche Entwicklung in der erzählenden Literatur nachgezeichnet werden, bevor im Schlusskapitel speziell das Verhältnis zu Jes 7,9 zu klären ist.24 Der Glaube des Abraham in Gen 15,6 wird dabei in einem eigenen Unterkapitel zu untersuchen sein, da der Text ein Glaubensverständnis eigener Prägung aufweist und die weiteren Glaubensaussagen im Pentateuch bereits voraussetzt.25 Mit der Ausnahme von Gen 15,6 lassen sich diese Texte im narrativen Zusammenhang als eine „Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen“26 systematisieren. Darin verkehrt sich der anfängliche Glaube des Volkes an Gott und Mose nach der Rettung im Meerwunder (Ex 14,31) im weiteren Verlauf des Exodus immer mehr in sein Gegenteil. Zum entscheidenden Sündenfall wird der Unglaube bei der Verweigerung der Landnahme in der Kundschaftergeschichte (Num 14,11; vgl. Dtn 1,32), durch den das Volk den Besitz des Landes in dramatischer Art und Weise verspielt. Die negative Glaubensgeschichte findet schließlich eine Fortsetzung in dem Resümee 2Kön 17,14, das dem Volk im Land bescheinigt, sich in gleicher Weise wie seine Väter des Unglaubens schuldig gemacht zu haben. Die literarhistorische Differenzierung dieser Belege muss bei der Frage ansetzen, ob die Geschichte des Glaubens mit dem anfänglichen Glauben am Schilfmeer ihren Anfang nimmt oder mit dem Unglauben bei der Verweigerung der Landnahme. In dieser Frage gibt es m.E. gute Argumente dafür, die Glaubensgeschichte mit der Befehlsverweigerung in Num 14,11 beginnen zu lassen, wo sich die Entwicklung des Glaubensbegriffs am Text beobachten lässt. Darüber hinaus wird im Folgenden noch zu zeigen sein, dass der anfängliche Glaube in Ex 14,31 Teil einer Redaktionsschicht ist, die bereits auf die Murrerzählungen in der Wüstenwanderung reagiert; d.h. die negative Sicht auf die Wüstenzeit als Zeit des Unglaubens ist in Ex 14,31 bereits vorausgesetzt. Die Situation in der Kundschaftergeschichte Num 13f. stellt sich wie folgt dar: Während des Aufenthaltes in Kadesch-Barnea entsendet Gott Kundschafter in das Land. Diese kehren zurück und verbreiten das Gerücht unter dem Volk, in dem Land lasse es sich nicht leben: „Das Land … ist ein Land, das seine Bewohner frisst (( “)ארץ אכלת יושביה הואNum 13,32). In 24
Vgl. dazu u. Kap. 4. Vgl. dazu u. Kap. 3.3. 26 Vgl. zu diesem Begriff hier und im Folgenden C. B ERNER, Die Exoduserzählung. Das literarische Werden einer Ursprungslegende Israels, FAT 73, Tübingen 2010, 384f. 25
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einer grundsätzlichen Infragestellung des göttlichen Rettungsunternehmens beklagen die Israeliten, dass sie lieber nach Ägypten zurückkehren würden (Num 14,3). Gott nimmt die Verweigerung der Landnahme persönlich und versteht diese als einen Akt des Unglaubens: „Wie lange will mich dieses Volk verachten und wie lange wollen sie mir nicht glauben“ (עד אנה ינאצני העם הזה ועד אנה לא יאמינו בי, 14,11abα).27 Der Vorwurf des Unglaubens wird hier mit dem Vorwurf der Verachtung parallelisiert ( ;)נאץein Verbum, das auch im direkten Kontext Num 14,23 explizit mit der Verweigerung der Landnahme in Verbindung gebracht wird und in einer Reihe weiterer Belege das Fehlverhalten Israels in der Wüste kennzeichnet.28 Der Vorwurf des Unglaubens erscheint damit als Nebenanklagepunkt zum Hauptvorwurf, das Volk habe Gott mit der Befehlsverweigerung „verachtet“. Dieser Sachverhalt wird in Num 14,11 unter Verwendung von אמןhif. allerdings mit einem neuen theologischen Bezug formuliert: Das Volk verachtet Gott insofern, als dass es kein Zutrauen in die Zuverlässigkeit und Treue Gottes hat und ihm nicht glauben will. Es geht nicht nur um die konkrete Befehlsverweigerung, sondern um das Miss-Trauen gegenüber Gott. Ein späterer Redaktor erklärt in Num 14,11bβ nachklappend, dass die Glaubensverweigerung des Volkes den Zeichen gilt, die Jhwh in ihrer Mitte gewirkt hat ()בכל האתות אשר עשיתי בקרבו.29 Diese Zeichen werden in 14,22 näher erklärt als die Zeichen, die Gott in Ägypten und in der Wüste getan hat ( ;)ואת אתתי אשר עשיתי במצרים ובמדברd.h. der Unglaube in Num 14,11abα wird sekundär auf die gesamte Zeit des Exodus ausgedehnt. Der fehlende Glaube in Kadesch-Barnea hat weitreichende Folgen für Israel, da Gott die Verweigerungshaltung des Volkes zum Anlass nimmt, den Israeliten die Landnahme zu versagen (14,22f.). Und auch für Mose und Aaron hat die Episode noch ein bitteres Nachspiel: Sind sie anfangs von der Strafmaßnahme ausgenommen, verscherzen sie sich in Meriba (Num 20,1–13), einer nachfolgenden Station der Wüstenwanderung, den Einzug in das Land. Dort fordert Gott sie auf, die Gemeinde zu versammeln und zum Felsen zu reden, damit dieser Wasser für die Israeliten gebe (20,8). Gerade der Aufforderung, ein gesprochenes Wort an den Felsen zu richten, kommen die zwei Anführer aber nicht nach, und werden deshalb von Gott ihres Führungsamtes entbunden und von der Landnahme ausgeschlossen: „Weil ihr mir nicht geglaubt habt, mich vor den Augen der Israeliten zu heiligen ()לא האמנתם בי להקדישני, darum werdet ihr diese Versammlung nicht in das Land führen, das ich ihnen gegeben habe“ (20,12).30 27
Zur literarkritischen Differenzierung in Num 14,11 vgl. im Folgenden. Vgl. Num 16,30; Dtn 31,20; 32,19. 29 Vgl. H. SEEBASS, Numeri, BK 4/2, Neukirchen-Vluyn 1995, 117. 30 Zum Bezug des Unglaubens in Num 20,12 auf die nicht befolgte Aufforderung, zum Felsen zu reden (20,8) vgl. C. FREVEL, Mit Blick auf das Land an die Schöpfung 28
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Gegenüber Num 14,11 liegt mit diesem Vorwurf eine Steigerung vor, da der Unglaube sich nicht in der Verachtung Gottes manifestiert, sondern Gottes Heiligkeit und damit der Kern seines Wesens verletzt wird. Dies spricht dafür, Num 20,12 in die literarische Nachgeschichte von 14,11 einzuordnen. Vermutlich setzt der Text bereits die literarische Tradition vom Tod des Mose an der Schwelle des verheißenen Landes in Dtn 34 voraus. So führt der Autor von Num 20,12 im Nachhinein eine Begründung dafür ein, warum auch Mose das Land nicht betreten wird und findet dabei in Num 14,11 mit dem Unglauben der Väter ein paradigmatisches Fehlverhalten, das er auf Mose und Aaron überträgt. Auch die zwei Belege im Deuteronomium setzen die Rede vom Unglauben in Num 14,11 bereits voraus. Im Rahmen des Geschichtsrückblickes Dtn 1–3 erinnert Mose das Volk in Dtn 1,32 an die Vergehen in der Wüstenzeit: „Aber trotzdem hatte keiner unter euch Glauben in Jhwh“ ()ובדבר הזה אינכם מאמינם ביהוה. Mit der einleitenden Konstruktion בדבר הזה ist der schuldig gebliebene Glaube in 1,32 konkret auf die im vorhergehenden Vers thematisierte Führung und Fürsorge Gottes während der gesamten Wüstenzeit bezogen (1,31). Dabei zeigt die Verwendung des Partizips in 1,32 ( )מאמינםeine dauerhafte Verweigerungshaltung des Volkes an, das sich der Führung und Fürsorge Gottes während der Wüstenzeit grundsätzlich verschlossen hat.31 Vergleichbar mit der sekundären Einfügung von Num 14,11bβ hat sich der Unglaube in Dtn 1,32 von seinem ursprünglichen Verwendungszusammenhang in der Kundschaftergeschichte gelöst und charakterisiert nun im Rückblick das Fehlverhalten des Volkes während der gesamten Exoduszeit. Eine Generalisierung des Unglaubens ist schließlich auch im zweiten Text aus dem Deuteronomium, Dtn 9,23, zu beobachten. An dieser Stelle kommt Mose noch einmal konkret auf die Kundschafterepisode zu sprechen und fasst die Vergehen des Volkes in einer Reihe von Anklagen zusammen: „Als Jhwh euch aus Kadesch-Barnea sandte und sprach: Zieht hinauf und nehmt das Land in Besitz, das ich euch geben werde, da widersetztet ihr euch dem Befehl Jhwhs, ihr glaubtet ihm nicht und ihr hörtet nicht auf seine Stimme (ותמרו את פי יהוה אלהיכם ולא האמנתם לו ולא שמאתם “)בקלו. Auffällig ist zuerst, dass mit Dtn 9,23 einer der wenigen Belege vorliegt, wo אמןhif. mit der Präposition ְלkonstruiert wird. Dies lässt sich erinnern. Zum Ende der Priestergrundschrift, HBS 23, Freiburg 2000, 332f.336, und SEEBASS, Numeri (s. Anm. 29), 282f. 31 So auch J.R. LUNDBOM, Deuteronomy. A Commentary, Grand Rapids 2013, 180, über Dtn 1,32: „The participle … indicates a continued state of disbelief.“ Vgl. zum Gebrauch des Partizips an dieser Stelle des Weiteren L. PERLITT, Deuteronomium. 1. Teilband Deuteronomium 1–6*, BK 5/1, Neukirchen-Vluyn 2013, 111: „ein Ausdruck für wiederholte, andauernde Mißtrauensakte“.
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dadurch erklären, dass der Unglaube des Volkes konkret auf die Verweigerung des eingangs zitierten Auftrags zur Landnahme bezogen ist, den das Volk nicht für vertrauenswürdig hält.32 Über den Bezug auf den konkreten Anlass hinaus liegt aber auch eine Verallgemeinerung des Glaubensmotivs vor, indem die Verweigerungshaltung des Volkes durch die parallele Verwendung des Verbums מרהals Murrepisode der Wüstenwanderung ausgewiesen wird. Auf diese Weise wird der Unglaube in Num 14,11 in der Perspektive von Dtn 9,23 zu einer Manifestation der grundsätzlichen und wiederkehrenden Widersetzlichkeit des Volkes. Dieser redaktionsgeschichtliche Verweiszusammenhang erleichtert die Einordnung der positiven Glaubensaussage, die sich am Ende des Meerwunderberichtes in Ex 14 findet. So berichtet der Vers 14,30 zuerst die erfolgte Rettung Israels durch Jhwh, von der die am Ufer angetriebenen Leichen der Ägypter zeugen, die Israel mit eigenen Augen sieht (וירא ישראל )את מצרים מת על שפת הים. Dieser Anblick bewirkt nicht nur die Gottesfurcht der Israeliten, sondern auch den Glauben an Jhwh und den Gottesknecht Mose: „Da fürchtete das Volk Jhwh und sie glaubten an ihn und an seinen Knecht Mose“ (וייראו העם את יהוה ויאמינו ביהוה ובמשה עבדו, 14,31). In diesem Schlussabschnitt kann die Glaubensaussage in 14,31 als sekundärer Nachtrag eingeordnet werden, der auf die sinnliche Wahrnehmung in 14,30 die angemessene Reaktion erfolgen lässt.33 Die parallele Stellung des Verbums יראzeigt, dass der Glaube an dieser Stelle Ausdruck der Gottesfurcht ist. Bei der genauen Formulierung muss allerdings auffallen, dass der Glaube nicht nur auf Gott, sondern auch auf Mose als Knecht Jhwhs bezogen ist. Dies erklärt sich durch den inhaltlichen Rückbezug von 14,31 auf die Vorwürfe des Volkes in Ex 14,11, die vermutlich auf denselben Ergänzer zurückzuführen sind.34 In 14,11 wird der vorausgehende Angstschrei des Volkes beim Herannahen der Ägypter nachträglich mit Vokabular der Murrgeschichten als Kritik am göttlichen Befreiungsunternehmen und an der mosaischen Führung gekennzeichnet:35 „Gab es etwa keine Gräber in Ägypten, dass Du uns weggeführt hast, um in der Wüste zu sterben? Warum hast Du uns das angetan, dass Du uns aus Ägypten herausgeführt hast?“ (המבלי אין קברים במצרים לקחתנו למות במדבר מה זאת עשית לנו להוציאנו 32
Vgl. W ILDBERGER, „Glauben“. Erwägungen (s. Anm. 6), 382: „dort [Dtn 9,23] handelt es sich um den Ungehorsam gegenüber einem bestimmten Befehl“. 33 Vgl. B ERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 382f., der die Ergänzung allerdings auf 14,31aβb beschränkt und in 14,31aα einen noch jüngeren Zusatz sehen will. Zum Nachtragscharakter von 14,31 vgl. ferner SMEND, Geschichte (s. Anm. 6), 246; C. LEVIN, Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen 1993, 346, und GERTZ, Tradition (s. Anm. 9), 222f. 34 So LEVIN, Jahwist (s. Anm. 33), 346; GERTZ, Tradition (s. Anm. 9), 225f. und B ERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 385. 35 Vgl. BERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 385.
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)ממצרים. Da die Israeliten nicht nur den göttlichen Rettungsplan anzweifeln, sondern auch die Anführerschaft des Mose bei diesem Unternehmen in Frage stellen, schließt der Ergänzer in 14,31 entsprechend nicht nur mit dem Glauben an Gott, sondern auch mit dem Glauben an Mose. Dabei zeigt die Verbindung der zwei Motive „Murren“ und „Glauben“ in der Ergänzungsschicht, dass der Redaktor die Entwicklung des Glaubensbegriffs in Numeri und Deuteronomium bereits voraussetzt und in Ex 14,31 gezielt ein positives Gegenstück zu den Murrepisoden der Wüstenwanderung verfasst.36 So fügt er mit Ex 14,11 zuerst eine typische Murräußerung in die Szene des Meerwunders ein, die mit dem abschließenden Glauben des Volkes in 14,31 als überwunden dargestellt wird. Vor dem Hintergrund dieser ersten – positiven – Glaubensreaktion des Volkes wird es umso unverständlicher, dass sich der Idealzustand des Glaubens im Fortgang der biblischen Geschichte immer weiter in sein Gegenteil verkehrt. Im Licht dieser Redaktionsschicht werden der Auszug und die Verweigerung der Landnahme „zu Eckpunkten einer unter negativen Vorzeichen verlaufenden Glaubensgeschichte“.37 Diese negative Glaubensgeschichte ist redaktionell bis in die Königebücher hinein verlängert worden. Dort zieht ein Autor in 2Kön 17,14 Bilanz und sieht die grundsätzliche Schuld Israels darin, dass das Volk sich nicht an das Gesetz gehalten hat (2Kön 17,13.15), so dass Israels Königszeit im Rückblick zur nahtlosen Fortsetzung der Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen wird: „Aber sie hörten nicht, sondern waren halsstarrig, so wie ihre Väter halsstarrig waren, die Jhwh, ihrem Gott, nicht geglaubt hatten“ (ולא שמעו ויקשו את ערפם כערף אבותם אשר לא האמינו ביהוה אלהיהם, 2Kön 17,14). Neu ist in dieser Auslegung des Glaubensbegriffs, dass der mangelnde Glaube mit dem fehlenden Gesetzesgehorsam in Verbindung gebracht wird: Die Israeliten glauben nicht, insofern sie die Gesetze und den Bund Gottes missachten und den Götzen hinterherlaufen (2Kön 17,15). Explizit werden im vorausgehenden Vers 17,13 die Propheten als Überbringer des Gesetzes genannt; ein Motiv, das den Glaubensbegriff in 2Kön 17,14 in die literarhistorische Nähe von 2Chr 20,20 rücken lässt.38 Die Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen hat auch in der Exoduserzählung selbst eine literarische Nachinterpretation erfahren,39 die 36
So auch BERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 384. BERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 384f. 38 Vgl. dazu o. Kap. 3.1 und die literarhistorische Systematisierung u. Kap. 4. 39 Zur literarischen Differenzierung der Glaubensaussagen in der Exoduserzählung vgl. ausführlich B ERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 382–389. Dagegen sieht GERTZ, Tradition (s. Anm. 9), 222–227.334, die Glaubensaussagen in Ex 4 und 14,31 auf einer literarischen Ebene und weist sie seiner „Endredaktion“ zu, während er in 19,9 eine nachredaktionelle Ergänzung vermutet. Ähnlich will zuvor schon H.C. SCHMITT, Redaktion des Pentateuch im Geiste der Prophetie. Beobachtungen zur Bedeutung der „Glaubens“37
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bei der Doppelformulierung ansetzt, dass das Volk an Gott und den Gottesknecht Mose glaubte (ויאמינו ביהוה ובמשה עבדו, Ex 14,31). Wie bereits ausgeführt, erklärt sich diese Aussage im literarischen Nahkontext durch den redaktionellen Bezug auf Ex 14,11, wo das Volk nicht nur das göttliche Rettungsunternehmen, sondern auch die Führungsrolle des Mose anzweifelt. Auch wenn das Murren der Israeliten mit dem Glauben am Ufer des Schilfmeeres ein – im Fortgang der biblischen Geschichte vorläufiges – Ende findet, hat die Aussage in 14,31 die Frage nach sich gezogen, wie der Glaube an Mose konkret hervorgerufen werden kann. Auf diese Frage antwortet das Lehrstück in Ex 4, das als exegetische Ausarbeitung des Problems gelesen werden will. So stellt Mose im Rahmen seiner Beauftragung zur Herausführung der Israeliten in Ex 4,1 die angstvolle Frage, was er tun solle, wenn das Volk ihm nicht glauben will: „Und wenn sie mir nicht glauben und nicht auf meine Stimme hören wollen?“ ()והן לא יאמינו לי ולא ישמעו בקלי. Die Frage ist im literarischen Nahkontext auf die vorausgehende Szene in Ex 3,18 bezogen, wo Jhwh Mose zusagt, dass das Volk auf die von ihm auszurichtende Verheißung des Exodus hören wird ()ושמעו לקלך.40 In Kap. 4 legitimiert Jhwh die Zuverlässigkeit des Mose als Überbringer der Botschaft daraufhin durch eine Reihe von Zeichen, auf deren Stimme das Volk hören soll (והיה אם לא יאמינו לך ולא ישמעו לקל האת הראשון והאמינו לקל האת האחרון, 4,8).41 Der redaktionell zugehörige Szenenschluss in 4,30b.31 berichtet davon, wie Mose die Zeichen in Ägypten vor den Augen des Volkes wirkt, woraufhin das Volk glaubt (ויאמן העם, 4,31). In dieser exegetischen Ausarbeitung fällt zuerst die unterschiedliche grammatische Konstruktion des Verbums אמןhif. auf. So wird das Verbum in 4,1.8(.9) mit der Präposition ְ לverbunden, was dadurch zu erklären ist, dass die Zuverlässigkeit der konkreten Verheißung bzw. die Zuverlässigkeit des Mose als des göttli-
Thematik innerhalb der Theologie des Pentateuch, VT 32 (1982), 223–237, die Glaubensaussagen im Pentateuch als Teil einer den Pentateuch umfassenden Redaktion „im Geiste der Prophetie“ profilieren. 40 Vgl. zu diesem Textzusammenhang GERTZ, Tradition (s. Anm. 9), 306.311 und B ERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 107. Die Formulierung in Ex 4,1 speist sich darüber hinaus aus der Glaubensnotiz in Dtn 9,23; vgl. dazu im Folgenden. 41 Ursprünglich handelt es sich dabei um nur zwei Zeichen (4,1–4.6–8), während das dritte Zeichen in Ex 4,9 eine nachträgliche Ergänzung der Reihe darstellt, vgl. dazu BERNER , Exoduserzählung (s. Anm. 26), 108f.; anders zählt LEVIN, Jahwist (s. Anm. 33), 331f., nur das erste Zeichen in 4,1–4 zum Grundbestand, während GERTZ, Tradition (s. Anm. 9), 307–311, die gesamte Zeichenreihe in 4,1–9 seiner Endredaktion zuweisen will; zur literarischen Einheitlichkeit vgl. ebenso W.H. SCHMIDT, Exodus. 1. Teilband Exodus 1–6, BK 2/1, Neukirchen-Vluyn 1988, 188f.
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chen Offenbarungsmittlers auf dem Spiel steht.42 Dagegen berichtet die abschließende Erfolgsnotiz 4,31 in absoluter Formulierung vom Glauben des Volkes, womit im Ablauf der Exoduserzählung die – literarhistorisch vorausgehende – Glaubensaussage in Ex 14,31 eingeholt wird. Die Zeichen des Mose beseitigen nicht nur die Zweifel an seiner Person, sondern sie bewirken auch den Gottesglauben des Volkes, der sich in der abschließenden Proskynese der Ältesten manifestiert (וישתחוו, 4,31). Dabei zielt Ex 4 nicht nur auf die Glaubensaussage in Ex 14,31, sondern die weiteren Stichwortverbindungen zeigen, dass die exegetische Abhandlung auch auf die Glaubensepisoden der Wüstenwanderung bezogen ist. So stellt das in Ex 4,1 exponierte Problem nicht nur einen Rückbezug auf Ex 3,18 dar, sondern im Kontext der Murrgeschichten spielt die Formulierung שמע קולauch auf Dtn 9,23 an ()ולא שמעתם בקלו, wo der Ungehorsam des Volkes auf die Verweigerung der Landnahme bezogen ist (vgl. Num 14,11). Die Ausstattung des Mose mit Zeichen ( )אותותkontrastiert dagegen die (sekundäre) Klage Jhwhs in Num 14,11, dass ihm das Volk trotz der gewirkten Zeichen ( )בכל האתות אשר עשיתיnicht glauben will.43 Vergleichbar mit Ex 14,31 bildet das Verhalten des Volkes, das in Ex 4 durch die von Mose gewirkten Zeichen zum Glauben kommt (4,31), somit am Anfang des Exodus ein positives Gegenstück zum späteren Unglauben in der Wüstenzeit. Damit ist die literarische Diskussion um den Glauben an Mose aber noch nicht beendet, sondern nachfolgend greift auch ein in Ex 19,9 tätiger Redaktor das Thema auf. Hier berichtet die ursprüngliche Szene in Ex 19,3–8 zuerst davon, wie Mose das Volk am Gottesberg auf die Worte Jhwhs verpflichtet und dann auf den Berg zurückkehrt, um Gott die Reaktion des Volkes mitzuteilen. Nachdem dies eigentlich einen für alle Beteiligten befriedigenden Abschluss darstellt, kündigt Gott Mose nachträglich die Theophanie am Sinai an: „damit das Volk hört, dass ich mit Dir rede und auch dir ewig glaubt“ (בעבור ישמע העם בדברי עמך וגם בך יאמינו לעולם, 19,9).44 Mit diesem Nachtrag problematisiert ein Redaktor die Frage, wie das Volk auch an Mose glauben kann ()וגם בך יאמינו. Der Glaube an Jhwh wird in der vorausgehenden Szene, in der das Volk auf Jhwh hören soll (אם שומע תשמעו בקלי, 19,5), bereits als unproblematisch vorausgesetzt. Nicht nur der in 19,9 vorausgesetzte Gottesglaube (vgl. Ex 14,31), sondern 42
So in der Interpretation auch C. HOUTMAN, Exodus: Volume 1, HCOT, Kampen 1993, 388: „believing that Moses is the legitimate envoy of YHWH (the sign is meant to prove it; it aims to inspire trust, faith).“ 43 Vgl. BERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 107 44 In diesem Vers spricht die abschließende Wiederaufnahme von 19,8b in 19,9b, wo Mose die Worte des Volkes ein zweites Mal an Jhwh ausrichtet (ויגד משה את דברי העם אל )יהוה, für eine nachträgliche Ergänzung der ursprünglichen Szene 19,3–8; vgl. GERTZ, Tradition (s. Anm. 9), 226f.; B ERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 383f. (für 19,9a).
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auch die Steigerung in der Wahl des Legitimationsmittels zeigt, dass mit Ex 19,9 der jüngste Glaubens-Beleg in der Exoduserzählung vorliegt.45 Der Verfasser begegnet den Zweifeln an der Legitimation des Mose nicht mit Zeichen, sondern der Glaube wird durch die Theophanie Gottes selbst bewirkt. Dabei setzt die adverbiale Bestimmung „für immer“ (לעולם, 19,9) einen Schlusspunkt hinter die Diskussion und tatsächlich wird die Frage auch nicht mehr literarisch aufgenommen. Allerdings findet die Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen eine weitere Nachinterpretation in den Psalmen. Dort nehmen mit Ps 78 und Ps 106 zwei Psalmen dezidiert Bezug auf die Glaubensepisoden der erzählenden Überlieferung. In Ps 78,22 erscheint zuerst die Bitte des Volkes um Speisung während der Wüstenwanderung als Ausdruck des Unglaubens ()כי לא האמינו באלהים, auf den Gott mit einem Zornesausbruch reagiert (78,21). Der Unglaube des Volkes wird dabei durch den parallelen Gebrauch von לא בטחוnäher als mangelndes Gottvertrauen bestimmt; das Volk traut Gott nicht zu, dass er sie in der Wüste erhalten wird. Im Fall von 78,21f. kann allerdings gezeigt werden, dass diese Verse Teil einer durchlaufenden Redaktionsschicht im Psalm sind („Zornesredaktion“), durch die in 78,21f. die verständliche Bitte des Volkes um Nahrung (78,20) sekundär als Frevel interpretiert wird.46 Bei der Bewertung des Verhaltens als Unglaube handelt es sich also um eine sekundäre Einordnung des (Wüsten-)Geschehens. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die zweite Erwähnung des Glaubens in Ps 78,32. Der ursprüngliche Psalm weiß allein davon zu berichten, dass die Israeliten Gott in der Wüste mit der Forderung nach Speise auf die Probe stellen wollen, der sie daraufhin mit Manna und Wachteln versorgt (78,23–25). Eine spätere Überarbeitung, zu der auch Vers 32 gehört, bewertet das einmalige Aufbegehren Israels dagegen als Beispiel für die wiederkehrende Sünde der Wüstenzeit, durch die sich das Volk immer wieder gegen Gott vergeht.47 Die Sünde wird dabei durch den Glaubensbegriff näher konkretisiert: Sündigen heißt nach 78,32, nicht an die Wunder Gottes zu glauben ()ולא האמינו בנפלאתיו. In Ps 78 ist damit erst sekundär vom fehlenden Glauben Israels die Rede, und zwar als Synonym zum fehlenden Vertrauen in Gott bzw. als Ausdruck der grundsätzlichen Sünde Israels.
45 So auch GERTZ, Tradition (s. Anm. 9), 225, und B ERNER, Exoduserzählung (s. Anm. 26), 383f. 46 Vgl. dazu A. KLEIN, Geschichte und Gebet. Die Rezeption der biblischen Geschichte in den Psalmen des Alten Testaments, FAT 94, Tübingen 2014, 92.106f. So zuvor schon F.-L. HOSSFELD/E. ZENGER, Psalmen 51–100, HThKAT, Freiburg i.Br. 2000, 424f. 47 Es handelt sich bei dieser Überarbeitung um die Verse 78,32–39; vgl. dazu KLEIN, Geschichte (s. Anm. 46), 93f.107f.
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Ist der Glaube in Ps 78 ein literarischer und theologischer Nachgedanke, wird er im jüngeren Psalm 106 zum Leitmotiv.48 Der Psalm bietet einen Überblick über die Geschichte Israels vom Abrahambund über die Exilskatastrophe bis zur Zerstreuung Israels in die Fremde von Exil und Diaspora. Dabei bilden die zwei Glaubensepisoden am Schilfmeer und an der Schwelle des verheißenen Landes – in Aufnahme des Aufrisses der Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen – die Eckpfeiler der Darstellung. So ist in Ps 106,12 zuerst vom anfänglichen Glauben des Volkes nach dem Meerwunder die Rede, wo die Israeliten das Gotteslob singen ()ויאמינו בדבריו ישירו תהלתו.49 Der Fortgang der Geschichte im Psalm zeigt aber, dass dieser Glaube nur von kurzer Dauer ist – schon kurz danach vergisst das Volk die Taten seines Gottes (106,13) und 106,24 berichtet vom Unglauben bei der Verweigerung der Landnahme in Kadesch-Barnea: „Sie verschmähten das köstliche Land, glaubten nicht seinem Wort“ (וימאסו )בארץ חמדה לא האמינו לדברו. Die Besonderheit des Psalms liegt nun aber darin, dass sein Autor nicht nur auf diese Eckpfeiler der negativen Glaubensgeschichte Bezug nimmt, sondern dass er auch die anderen Glaubensepisoden aus der Frühzeit Israels kennt und literarisch verarbeitet.50 Zwar beginnt die Geschichte im Psalm nicht mit dem Glauben Abrahams, aber auch Ps 106 kennt die Vorstellung, dass jemandem das Verhalten zur Gerechtigkeit angerechnet wird. In 106,31 ist es der Priester Pinchas, der vermittelnd in den Konflikt zwischen Gott und Volk in der Wüste eingreift und dem dieses Verhalten „zur Gerechtigkeit“ angerechnet wird (ותחשב לו )לצדקה.51 Der Psalm weiß darüber hinaus auch zu berichten, dass Mose das Land wegen seines Fehlverhaltens in Meriba nicht betreten darf, wenngleich der Begriff des Unglaubens bei dieser Episode nicht fällt: „Da reizten sie [die Israeliten] ihn zum Zorn an den Wassern von Meriba und Mose erging es schlecht ihretwegen (ויקציפו על מי מריבה וירע למשה בעבורם, 106,32)“. Selbst wenn diese Darstellung in der Frage der Schuldzuweisung zu einem guten Teil Imagepflege in Sachen Mose betreibt, bleibt sein Verhalten in Meriba auch im Psalm der entscheidende Vorfall, durch den er die Führung in das Land verspielt. Mit der Aufnahme der zwei Glaubensepisoden am Schilfmeer und in Kadesch-Barnea sowie den Anspie-
48 Zur literarischen Differenzierung der zwei Psalmen vgl. KLEIN, Geschichte (s. Anm. 46), 233f.239f. 49 Der Vers 106,12 stellt eine innerbiblische Auslegung des Resümees in Ex 14,31 ( )ויאמינו ביהוה ובמשה עבדוim Zusammenhang mit dem nachfolgenden Meerlied Ex 15 dar; vgl. dazu KLEIN, Geschichte (s. Anm. 46), 245f. 50 Vgl. dazu ausführlich KLEIN , Geschichte (s. Anm. 46), 206.266–268. 51 Zur Rezeption von Gen 15,6 in Ps 106,31 vgl. auch B. SCHLIESSER, Abraham’s Faith in Romans 4. Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6, WUNT 2/224, Tübingen 2007, 152–157.
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lungen an die weiteren Glaubensgeschichten bietet Ps 106 gleichsam ein Kompendium der Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen. Schließlich gibt es mit Jon 3,5 noch einen Beleg im Zwölfprophetenbuch, der m.E. ebenfalls in die Nachgeschichte der Glaubensaussagen in der erzählenden Literatur einzuordnen ist. Hier werden die Bewohner von Ninive zum Gegenbild des ungläubigen Israel, indem sie der Gerichtspredigt des Jona Glauben schenken ()ויאמינו אנשי נינוה באלהים, ohne dass diesem Glauben aber Zeichen oder eine Machtdemonstration vorausgehen (vgl. Ex 4; 14).52 Anders als das Volk Israel, das seinem Gott den Glauben in der biblischen Geschichte immer wieder versagt, beweisen die Niniviten ihren Glauben auf die Bußpredigt des Jona hin. 3.3 Der Glaube Abrahams und die Verbindung mit dem Gesetz Dem Glauben des Abraham in Gen 15,6 kommt rezeptionsgeschichtlich eine zentrale Bedeutung zu, da der Text neben Hab 2,4 als alttestamentlicher Hauptzeuge in den paulinischen Glaubenstexten verwendet wird. Die Glaubensaussage Gen 15,6 ist Teil einer Verheißungserzählung in 15,1–6, wobei das gesamte Kapitel Gen 15 in seinem Grundbestand als „theologischer Programmtext“53 der späten Perserzeit gelten kann, der den Problemkreis von Landbesitz und Landerbe thematisiert. Das Geschehen wird in 15,1 durch die einleitende Zeitangabe אחר „( הדבריםnach diesen Worten“) von seinem vorhergehenden Kontext abgegrenzt und berichtet von einer Verheißung Gottes an Abraham. In der Sprache des Heilsorakels sagt Jhwh dem Erzvater zu, dass er ihn belohnen will (15,1). Zwar wird nicht genau gesagt, worin der Lohn bestehen soll, aber Abraham weist zwei Mal auf den fehlenden Stammhalter hin (15,2f.). Dies zeigt, „dass mit dem Lohn etwas gemeint ist, das ohne leiblichen Erben sinnlos bleibt“,54 so dass der Bezug auf das Land nahe liegt. Entsprechend der doppelten Klage des Abraham entkräftet Gott dessen Einwände in zwei Beweisgängen: Ist es in 15,4 die konkrete Verheißung eines leiblichen Sohnes, führt Jhwh dem Abraham in 15,5 mit dem Blick auf den Sternenhimmel die Vielzahl seiner Nachkommen vor Augen. Dass die gesamte Geschichte zu einem guten Ende kommt, macht das Fazit in 15,6 deutlich: „( והאמן ביהוה ויחשבה לו צדקהUnd er glaubte Jhwh, und er rechnete es ihm zur Gerechtigkeit an“). Die Übersetzung und Interpretation dieses 52 So auch J EPSEN, Art. ( אָמַ ןs. Anm. 6), 327f., und H.W. W OLFF, Dodekapropheton 3. Obadja und Jona, BK 14/3, Neukirchen-Vluyn 1977, 125. 53 Vgl. dazu M. KÖCKERT, Gen 15: Vom „Urgestein“ der Väterüberlieferung zum „theologischen Programmtext“ der späten Perserzeit, ZAW 125 (2013), 25–48, sowie DERS., „Glaube“ und „Gerechtigkeit“ in Gen 15,6, ZThK 109 (2012), 415–444, 418f., und die dort jeweils angeführte Literatur. 54 KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 420.
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Satzes haben von jeher Probleme bereitet, wobei sich das Verständnis der Glaubensaussage an drei Fragen entscheidet: Zuerst wird es darum gehen, die einleitende Perfekt-Form in 15,6a zu erklären, die aus dem narrativen Erzähltempus im Kontext herausfällt. Des Weiteren stellt auch das Verständnis der zweiten Vershälfte vor Schwierigkeiten, da nicht nur unklar bleibt, wer das Subjekt des Anrechenvorgangs ist, sondern auch zur Diskussion steht, was unter diesem Vorgang ( )חשב לו צדקהzu verstehen ist.55 Im Anschluss an die aktuelle Forschungsdiskussion sind diese Punkte im Folgenden kurz zu erörtern, bevor die Frage nach dem literarhistorischen Ort der Glaubensaussage Gen 15,6 im Vergleich mit den anderen Glaubenstexten der erzählenden Überlieferung gestellt werden kann. Für das einleitende Perfekt in Gen 15,6a lässt sich zuerst festhalten, dass das in dieser Verbform ausgedrückte Geschehen nicht auf einer Ebene mit den vorausgehenden, narrativisch berichteten Ereignissen von 15,2–5 liegt. Für die These, dass die Verbform in 15,6 als aramaisierendes Perfekt zu erklären ist, das den Vers als Zusatz kennzeichne,56 reicht der literarkritische Befund m.E. nicht aus, so dass man an die klassische Verwendung des Tempus im Hebräischen gewiesen ist.57 So ist zuerst vorgeschlagen worden, das Perfekt im Sinne eines frequentativ-iterativen Perfekts zu erklären, wobei hier aber einzuwenden ist, dass der Text nur von einer einmaligen Verheißung spricht.58 In ähnlicher Weise stellt die Interpreta-
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In einer Veröffentlichung aus dem Jahre 2012 diskutiert MATTHIAS KÖCKERT die neuere Forschungsgeschichte und legt einen überzeugenden Lösungsvorschlag zum Verständnis von Gen 15,6 vor (vgl. KÖCKERT, „Glaube“, [s. Anm. 53], 415–444); seinen Ausführungen wird hier in vielen Punkten gefolgt; vgl. dazu im Folgenden. Zu einer ausführlichen Analyse von Gen 15 vor dem Hintergrund der Rezeption des Textes im Neuen Testament siehe darüber hinaus die 2007 von Benjamin Schliesser veröffentlichte Studie (SCHLIESSER, Abraham’s Faith [s. Anm. 51], insbes. 79–151). 56 Vgl. LEVIN, Jahwist (s. Anm. 33), 151. Gegen eine singuläre aramaisierende Perfektform in Gen 15,6 spricht sich auch KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 422f., aus. 57 In der klassischen Definition von GESENIUS/KAUTZSCH dient das Perfekt „zum Ausdruck von Handlungen, Ereignissen oder Zuständen, die der Redende als faktisch vorliegende hinstellen will“ (W. GESENIUS/E. KAUTZSCH, Hebräische Grammatik, Hildesheim 1997 [Leipzig 281909], §106). 58 So gegen N. LOHFINK, Die Landverheißung als Eid. Eine Studie zu Gn 15, SBS 28, Stuttgart 1967, 32.46f., der wenig überzeugend für eine numerische Trennung der Einzelverheißungen in Gen 15,1–6 argumentiert. In einer Zwischenposition beschreibt M. OEMING, Ist Gen 15,6 ein Beleg für die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit? ZAW 95 (1983), 182–197, 190, das Perfekt in Gen 15,6 als ein „frequentatives Perfekt“, das „ein Zwischenglied zwischen Erzählung und Zustandsbeschreibung, zwischen Tun und Sein“ bilde. Eine vermittelnde Position nimmt auch SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 151, ein: „The verb [ ]והאמןdoes on the one hand describe Abraham’s believing acceptance of the promises conveyed to him by Yahweh, but it primarily points to his continuous believing disposition and thus transcends the narrative“.
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tion als ein stativisch-duratives Perfekt59 vor Probleme. Gegen das Verständnis des Glaubens Abrahams als eines länger anhaltenden Zustandes oder einer beständigen Haltung sprechen vor allem die Einwände Abrahams im literarischen Vorkontext 15,2.3, die diesen gerade nicht als „gläubig“ erweisen.60 Damit bleibt nur die vor kurzem von Matthias Köckert vorgelegte Interpretation, nach der das Perfekt in Gen 15,6 zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit gebraucht werde: „Dabei glaubte er an Jhwh, …“.61 Wird dieses Verständnis zugrunde gelegt, ist der Glaube des Erzvaters nicht Reaktion auf die Himmelsschau, sondern der Glaube ist Begleiterscheinung der Demonstration und Abraham muss in der Logik des Textes bereits aufgrund der vorausgehenden Verheißung Gottes in 15,4 geglaubt haben.62 Die zweite Frage ist, wer in der zweiten Vershälfte eigentlich anrechnet, da das Subjekt des Prädikats ויחשבהnicht ausdrücklich genannt wird und der Bezug auf Gott einen Subjektwechsel voraussetzt. Gegen die Vorschläge, hier in Fortsetzung der ersten Vershälfte eine Tätigkeit Abrahams in Bezug auf Gott zu sehen,63 sind aber zwei Einwände zu erheben: Zuerst gibt es mit Mal 3,16 nur einen sicheren Beleg für den Gebrauch von חשב für eine Tätigkeit des Menschen in Bezug auf Gott, wobei aber gerade an dieser Stelle das Anrechnen nicht in Bezug auf die dem Menschen eigene Gerechtigkeit erfolgt, sondern die Anrechnung auf die Achtung des göttlichen Namens als Objekt zielt ()ולחשבי שמו.64 Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass ein Subjektwechsel in hebräischen Texten nicht immer 59
Vgl. dazu R. MOSIS, „Glauben“ und „Gerechtigkeit“ – zu Gen 15,6, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels (FS J. Scharbert), Stuttgart 1989, 225–257, 242–244; dieser bezieht den Verbalsatz in V6a aber als Voraussetzung auf die in V6b geschilderte Handlung, die er Abraham als Subjekt zuschreiben will; vgl. dazu im Folgenden und Anm. 63. 60 Vgl. KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 424. 61 Vgl. KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 425f. (Zitat a.a.O., 426). Er verweist hier auf die grundsätzliche Untersuchung von E. B LUM, Das althebräische Verbalsystem – eine synchrone Analyse, in: O. Dyma/A. Michel (Hg.), Sprachliche Tiefe – Theologische Weite, BThSt 91, 2008, 91–142. 62 Ähnlich KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 434: „Die syntaktische Anbindung von v.6a mit we-AK setzt dagegen einen anderen Akzent, indem sie Abrahams Glauben als eine mit dem Reden Gottes in v.5b gleichzeitige Handlung einführt. Damit wird im Textablauf nicht der Umschlag von den Einwänden über deren Beseitigung zum gewonnenen Vertrauen hervorgehoben, sondern die Verheißung von Nachkommen, zahllos wie die Sterne des Himmels, die jene Einwände weit übersteigt.“ 63 So OEMING, Anrechnung (s. Anm. 58), 190–194; vgl. ebenso MOSIS, „Glauben“ (s. Anm. 59), 232–245.249; zur Kritik an dieser Position vgl. KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 431–434. 64 So gegen die Argumentation von OEMING, Anrechnung (s. Anm. 58), 192, und MOSIS, „Glauben“ (s. Anm. 59), 249f.
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angezeigt wird, wenn die Zuordnung der Subjekte klar ist.65 Die Lesart, dass Jhwh als Subjekt in Gen 15,6b vorausgesetzt ist, wird schließlich auch durch den nachfolgenden Vers 15,7 gestützt, der das Geschehen durch den Narrativ ויאמרfortsetzt, der durch die die wörtliche Rede eröffnende Selbstvorstellungsformel eindeutig auf Jhwh bezogen ist.66 Damit bleibt zu überlegen, wie der Anrechenvorgang ( )ויחשבהin 15,6b im Einzelnen zu verstehen ist. Die Interpretation dieser Aussage ist lange durch die Analyse von Rads bestimmt worden, der in der Anrechnung von Abrahams Glauben zur Gerechtigkeit die Spiritualisierung eines ursprünglich kultischen Vorganges vermutete.67 Nun ist aber in einer Reihe von Veröffentlichungen überzeugend gezeigt worden, dass der Konkordanzbefund zu חשבdie These nicht stützen kann, dass es sich bei diesem Verbum um einen terminus technicus der Kultsprache handelt.68 Vielmehr ist genereller von einem Vorgang des Anrechnens im Sinne eines zu-Gute-Haltens auszugehen.69 Abraham wird sein Glaube in 15,6 „zur Gerechtigkeit“ (לו )צדקהangerechnet, wobei das semantische Feld der Femininbildung צדקה darauf hindeutet, dass der Glaube des Abraham als „verdienstliche Tat“70 zu verstehen ist. So bezeichnet das feminine Nomen צדקהim Gegensatz zu
65 Vgl. zu diesem Argument K ÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 431; ferner weist auch SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 116, darauf hin, dass der Subjektwechsel von Gen 15,6a zu 15,6b im Alten Testament durchaus Parallelen hat („by no means unparalleled“). 66 Zu diesem Argument siehe auch SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 117, und KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 431, mit Verweis auf A. B EHRENS, Gen 15,6 und das Vorverständnis des Paulus, ZAW 109 (1997), 327–341, 331. 67 Vgl. G. VON RAD, Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit, ThLZ 76 (1951), 129–132, 129–131, ihm folgt z.B. W ILDBERGER, „Glauben“ im Alten Testament (s. Anm. 7), 144f. 68 Vgl. SEYBOLD, Art. חָ שַ ב, ThWAT 3 (1982), 243–261, 256; OEMING, Anrechnung (s. Anm. 58), 182–194; MOSIS, „Glauben“ (s. Anm. 59), 225–227.253; SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 118–125; KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 426–430. Mit anderen Argumenten zuvor schon LOHFINK, Landverheißung (s. Anm. 58), 58f. 69 Vgl. dazu den Eintrag zu חשבin der 18. Auflage des GESENIUS/B UHL, Handwörterbuch (s. Anm. 10), 405, wo Gen 15,6 unter der allgemeinen Bedeutung „anrechnen“ aufgeführt wird; ebenso nennt bereits SEYBOLD, Art. ( ָח שַ בs. Anm. 68), 260, das Resultat in Gen 15,6 „aus theologischer Sicht eine Abrechnung, wobei der Anklang an das Geschäftliche durchaus beabsichtigt ist“; jüngst hebt KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 430, hervor, dass das Verb „ חשבstets mit einem ‚Abwägen, Einschätzen, Kalkulieren‘, also mit einem ‚Bewerten‘ verbunden ist“. 70 KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 438 (dort kursiv); vgl. ebenso das Urteil von R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen, Topoi biblischer Theologie 1, Tübingen 2013, 294, über Gen 15,6: „In gewisser Weise ist Abrahams Glauben eine Tat.“ Anders SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 127–129; vgl. dazu u. Anm. 71.
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dem maskulinen Nomen צדקeine einzelne Gerechtigkeitstat, während bei צדקdie Handlungsweise bzw. Eigenschaft im Vordergrund steht.71 Im Vergleich mit den anderen Glaubensaussagen im Pentateuch kann Gen 15,6 mit guten Gründen als jüngster Glaubenstext eingeordnet werden. Wird das Perfekt in 15,6 im Sinne einer Gleichzeitigkeit verstanden, so kommt Abraham eben nicht aufgrund der Sternenschau zum Glauben, sondern er glaubt Gott bereits auf das Wort der Verheißung in Gen 15,4 hin und damit gerade gegen den Augenschein.72 Im Gegensatz zu den Israeliten, die die göttliche Verheißung in Frage stellen (Ex 14,11) und erst durch die von Mose gewirkten Zeichen (Ex 4,31) bzw. durch den mit eigenen Augen gesehenen Machterweis Jhwhs zum Glauben kommen (Ex 14,31), bewährt sich Abraham in vorbildlicher Weise.73 Die Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen wird damit zur dunklen Folie, vor der sich der Glaube des exemplarisch frommen Abraham umso deutlicher abhebt. In diesem Glauben wird er zum Vorbild für das Israel der persischen Zeit, gegen den Augenschein an der Verheißung von Volk und Land festzuhalten.74 In die literarische Nachgeschichte von Gen 15,6 ist der weisheitliche Lehrsatz in Hab 2,4 einzuordnen, nach dem der Gerechte durch seinen Glauben leben wird ()וצדיק באמונתו יחיה. Zwar findet sich hier nicht das Verbum אמןhif., sondern das verwandte Nomen אמונה, aber vergleichbar mit Gen 15,6 wird der Glaube mit der Gerechtigkeit in Verbindung gebracht. Das Habakkuk-Buch thematisiert allerdings nicht das Schicksal des exemplarisch frommen Abraham, sondern in Form der weisheitlichen Sentenz liegt eine allgemeingültige Aussage vor. Über Gen 15,6 hinaus weist der Lehrsatz auch Berührungen mit dem Mahnwort Jes 7,9 auf, das gleichermaßen den Glauben mit einem „Fortdauern“ in positivem Sinne in Verbindung bringt. Damit stellt sich aber die Frage, was konkret damit gemeint ist, wenn der Gerechte „durch Glauben“ leben soll. Ein Blick auf 71
Vgl. D. MICHEL, Begriffsuntersuchung über sädäq-sedaqa und ʼämät-ʼämuna, Habil. masch., Heidelberg 1964, 80. Dagegen notiert SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 127–129, Zweifel an dieser klaren Dichotomie: „Abraham’s ‚right‘ faith in Yahweh leads to a ‚right‘ stand before Yahweh, … A person’s action, a person’s being and the consequence of it remain innately connected“ (SCHLIESSER, a.a.O., 128f.). 72 Ähnlich auch JEPSEN, Art. ( אָמַ ןs. Anm. 6), 328: „gegen allen Augenschein“. 73 Zum Hintergrund von Gen 15,6 in Ex 14,31 (und 4,31) vgl. auch E. B LUM, Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn 1984, 369f., sowie KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 435, und DERS., „Urgestein“ (s. Anm. 53), 45: „Dass Gen 15,6 als kontrastierende Steigerung gegenüber Ex 14,31 gemeint ist, zeigt auch die Reaktion Gottes mit 15,6b.“ 74 Vgl. FELDMEIER/SPIECKERMANN, Gott (s. Anm. 70), 294; den Vorbildcharakter von Abrahams Glauben für Israel betont auch SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 149.
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die Parallelstellen der Formulierung „leben von/durch“ ( חיהin Verbindung mit der Präposition ְ )בzeigt, dass die Wendung mit Ausnahme von 2Kön 4,7 auf diejenigen bezogen ist, die durch ihren Gesetzesgehorsam am Leben bleiben.75 Der in Hab 2,4 vorausgesetzte Glaube realisiert sich in der Gesetzestreue des Einzelnen, der darin „gerecht“ ist. Einen Einzelgänger, der literarhistorisch nur schwer zu verorten ist, stellt schließlich Hab 1,5 dar. Hier ist vom Glauben an die göttliche Botschaft die Rede (לא תאמינו כי יספר, Hab 1,5), wobei der Glaube weniger auf den Urheber der Botschaft als vielmehr auf die Zuverlässigkeit ihres Inhaltes zielt.
4. Von der Verweigerung der Landnahme zum Glauben des Gerechten: Zur literargeschichtlichen Entwicklung Die vorangehende Sichtung der Belege hat eine Reihe von literarhistorischen Zusammenhängen sichtbar machen können, wobei aber bisher noch ungeklärt geblieben ist, wo der (theologische) Glaubensbegriff seinen literarischen Ursprungsort hat. Als Kandidaten kommen dabei nur noch das Mahnwort in der Jesaja-Denkschrift Jes 7,9 sowie die Glaubensnotiz in der Kundschaftergeschichte Num 14,11 in Frage. Entgegen der forschungsgeschichtlich lange dominierenden Zuordnung von Smend76 wird im Folgenden die Priorität der Glaubensaussage in Num 14,11 vertreten, wo beobachtet werden kann, wie das Verbum אמןhif. die Verweigerung der Landnahme als Verachtung Gottes mit einem neuen theologischen Bezug formuliert. Darüber hinaus deutet der absolute Gebrauch des Glaubensbegriffs, der in Jes 7,9 ohne Objekt steht, auf ein fortgeschrittenes Stadium der Entwicklung hin,77 in dem der theologische Bezug nicht mehr ausdrücklich expliziert werden muss. So kann das an König Ahas gerichtete Mahnwort zum Glauben gleichsam als eine Lehre aus der Glaubensgeschichte in Israels Frühzeit verstanden werden. Ist der Glaube dort die Vorbedingung für den Einzug in das Land, ist in der Jesaja-Denkschrift der Bestand der davidischen Dynastie an den Glauben gebunden. Genau wie den Vätern in der Wüste aufgrund ihres Unglaubens der Einzug in das Land verweigert wird, so verwirken die davidischen Könige und das Volk den Besitz des Landes, indem sie die Mahnung zum Glauben nicht beherzigen. Vor diesem literarischen Rückraum gewinnt auch der von Ahas abgelehnte Zeichenbeweis in Jes 7,12 zusätzlich an Bedeutung, da hier 75
Vgl. dazu L. PERLITT, Die Propheten Nahum, Habakuk, Zephanja, ATD 25/1, Göttingen 2004, 66. 76 Vgl. dazu o. Kap. 1. 77 Ähnlich in der Verhältnisbestimmung der Jesaja-Belege zu den Pentateuch-Texten auch KAISER, Buch (s. Anm. 9), 142.
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eine Steigerung des Unglaubens vorliegt. Wollen die Väter in der Wüste den göttlichen Zeichen keinen Glauben schenken (Num 14,11), lässt König Ahas es erst gar nicht so weit kommen und lehnt die Zeichenforderung grundsätzlich ab. Ist die Frage des Anfangs damit geklärt, kann unter konzeptionellen Gesichtspunkten eine dreistufige Entwicklung des Glaubensbegriffs im literarhistorischen Wachstum des Alten Testaments nachgezeichnet werden. Ausgangspunkt der Entwicklung ist der Beleg in der Kundschaftergeschichte Num 14,11, wo die Verweigerung der Landnahme als Verachtung Gottes mit dem Glaubensbegriff ausgedeutet wird. Auf diese Stufe der literargeschichtlichen Entwicklung ist auch der Beleg in Dtn 9,23 einzuordnen, dessen Autor ebenfalls voraussetzt, dass die Verweigerung der Landnahme in der Kundschaftergeschichte auf den fehlenden Gottesglauben zurückzuführen ist. Die zweite Stufe der literarhistorischen Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, dass die Rede vom Glauben aus ihrem ursprünglichen „Sitz im Buch“ in der Kundschaftergeschichte gelöst wird. In einer wechselseitigen Interpretation mit dem Murrmotiv wird der Unglaube zu einem wiederkehrenden Fehlverhalten Israels während der Wüstenwanderung. In der erzählenden Überlieferung entwickelt sich so sukzessive eine Darstellung der Frühzeit als „Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen“. Dabei bilden der anfängliche Glaube nach dem Meerwunder (Ex 14,31) und der fehlende Glaube in der Kundschaftergeschichte (Num 14,11) die Eckpfeiler einer (Un-)Glaubensgeschichte, in der Israel den Besitz des Landes verspielt. In Texten wie Dtn 1,32 und 2Kön 17,14 begegnet der Unglaube als grundsätzliches Fehlverhalten Israels in der biblischen Frühzeit, während 2Kön 17,14 die Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen in die staatliche Zeit hinein verlängert. Diese negative Darstellung der Geschichte hat in einer Reihe von Texten eine literarische Nachinterpretation erfahren. Zuerst nimmt in Ex 4 ein Autor die Aussage aus Ex 14,31 auf, dass das Volk an Mose glaubte, und er erörtert, wie dieser Glaube bewirkt werden kann. Diese Auslegungslinie setzt sich in Ex 19,9 fort, wo der Glaube an Mose bis in alle Ewigkeit ( )לעולםfestgeschrieben wird. Der in Num 20,12 tätige Autor setzt dagegen bei der Kardinalsünde von Num 14,11 an und lässt nachträglich auch Mose und Aaron des Unglaubens schuldig werden. Im corpus propheticum macht sich der Autor von Jes 7,9 diese Sicht auf die Glaubensgeschichte zu Eigen und wendet die Ermahnung zum Glauben auf die Königszeit an. Schließlich wird die Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen auch im Psalmenbuch rezipiert. Während Ps 78 nur vereinzelt in redaktionellen Nachträgen die Glaubenstexte des Pentateuch aufnimmt (vgl. Ps 78,22.32), kann der jüngere Psalm 106 als „Programmtext“ dieser Entwicklungsstufe gelten. Der
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Verfasser dieses Psalms rezipiert sämtliche Texte der erzählenden Überlieferung, in denen vom Glauben die Rede ist, und bietet eine geschlossene Darstellung des Glaubens in der biblischen Geschichte. Dabei ist in Ps 106 auch bereits der Glaube Abrahams aus Gen 15,6 vorausgesetzt, der unter konzeptionellen Gesichtspunkten zur dritten Stufe der literarhistorischen Entwicklung gehört. Eine literarische Rezeption hat die Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen auch im Zwölfprophetenbuch erfahren, wo der Glaube der Niniviten im Jonabuch zum positiven Gegenbild für den fehlenden Glauben Israel wird (Jon 3,5). Auf der bereits angesprochenen dritten Stufe der literarhistorischen Entwicklung ist eine Tendenz zur Individualisierung und zur Vergesetzlichung zu beobachten. So überträgt der Autor von Jes 28,16 das Mahnwort aus Jes 7,9 auf den Einzelnen, von dem nun der Glaube gefordert ist. Die Rezeption von Jes 7,9 in 2Chr 20,20 weitet die Forderung des Glaubens dagegen auf den Glauben an die Propheten als „Lehrer des Gesetzes“ aus. In vergleichbarer Weise konkretisiert sich auch im großen Tora-Psalm 119 der Glaube an Gott im Gesetzesgehorsam. An diesen drei Stellen zeichnet sich bereits das Glaubensverständnis des Frühjudentums ab, in dem der Glaubensbegriff das rechte Gottesverständnis beschreibt und der Glaube in der Treue zum jüdischen Gesetz Gestalt annimmt. Besondere Bedeutung gewinnt dabei der Glaube Abrahams, der in Gen 15,6 als „verdienstliche Tat“78 zu verstehen ist. An das Ende der literargeschichtlichen Entwicklung gehört vermutlich das Prophetenwort Hab 2,4. Die Verbindung von Glaube und Gesetz kommt hier darin zum Ausdruck, dass der Glaube sich in der Gesetzestreue des Einzelnen realisiert, der darin vor Gott Bestand haben wird. Der Durchgang durch die Glaubenstexte konnte auch die anfangs angesprochene Frage beantworten, inwieweit die zwei Präpositionen ְ בund ְ לin Verbindung mit der Wurzel אמןhif. auf einen Bedeutungsunterschied führen. Der literarhistorische Befund hat gezeigt, dass beide Präpositionen nebeneinander gebraucht werden, wobei der Gebrauch von אמןhif. in der Konstruktion mit der Präposition ְ בvorherrscht. Im Einzelnen ist die Verbindung mit der Präposition ְ לin den behandelten Texten nur in Ex 4,1.8.9; Dtn 9,23 und Jes 43,10 belegt, wobei in diesen Fällen der einleitend zitierten Differenzierung von Jenni79 gefolgt werden kann, der ein dauerndes Für-Wahr-Halten ( ְ )בvon einer fallweisen Reaktion ( ) ְלunterscheidet. So ist der Glaube in Ex 4,1.8.9 explizit auf die vorausgehende Verheißung des Exodus (Ex 4,1 mit Bezug auf 3,16f.), bzw. auf die einzelnen Zeichenhandlungen (Ex 4,8.9) gerichtet, während Dtn 9,23 sich auf den konkreten 78
Vgl. dazu o. Kap. 3.3; zum Zitat siehe KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 438 (dort kursiv). 79 Vgl. dazu o. Kap. 2; zum Zitat siehe JENNI, Präpositionen (s. Anm. 14), 254.
Der Glaubensbegriff im Alten Testament
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Fall der Verweigerung des Befehls zur Landnahme bezieht. Auch in Jes 43,10, das im literarhistorischen Abriss bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist, wird der mit der Präposition ְלverbundene Glaubensbegriff mit der Jhwh-Erkenntnis auf einen konkreten Streitfall bezogen. Das Prophetenwort erweist sich als ein literarischer Einzelgänger in der literarhistorischen Entwicklung des Glaubensbegriffs, der hervorhebt, dass der Glaube das Wissen um den einen und einzigen Gott mit einschließt.80
5. Ausblick Beim Blick auf die Rezeption der alttestamentlichen Glaubenstexte in Frühjudentum und Urchristentum muss auffallen, dass die Rezeption bei den Texten ansetzt, die am Ende der innerbiblischen Auslegungsgeschichte stehen (Gen 15,6; Jes 7,9; 28,16; Hab 2,4; 2Chr 20,20).81 Hier zeigt sich das auch an anderer Stelle beobachtete Phänomen, dass die „nachbiblische“ Rezeption dort ansetzt, wo die innerbiblische Rezeption endet.82 Ist gegen Ende der innerbiblischen Auslegungsgeschichte eine Tendenz zur Individualisierung zu beobachten und verbindet sich der Glaube auf dieser Stufe mit dem Gesetzesgehorsam, so setzt sich diese Entwicklung auch in der frühjüdischen Auslegung der Glaubenstexte fort. Besondere Bedeutung gewinnt dabei der Glaube Abrahams, der in der Rezeptionsgeschichte als der Gerechte und in Versuchungen Erprobte zum Vorbild des Glaubens wird (vgl. Sir 44,19–21; 1Makk 2,50–52; Jub 14,6.21; 17,15–18; 19,8f.).83 Dabei rückt zunehmend auch der Gesetzesgehorsam in den Blickpunkt (vgl. Sir 44,20; 1QpHab 2,4.14f.; 8,1–3; 1Makk 2,50; 4Esra 7,24.83), so 80
Vgl. ELLIGER, Deuterojesaja (s. Anm. 21), 323, und im Anschluss an diesen B ERJesaja (s. Anm. 21), 284. 81 Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der frühjüdischen Tradition und im Urchristentum vgl. ausführlich SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 152–220.221– 390, sowie KÖCKERT, „Glaube“ (s. Anm. 53), 439–443. 82 Dieses Phänomen ist verschiedentlich untersucht worden; vgl. zum Verhältnis des Hoseabuches und der Hosea-Pescharim R. V IELHAUER, Das Werden des Buches Hosea. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung, BZAW 349, Berlin 2007, 207–223; zum Pescher Nahum R.G. KRATZ, Der Pescher Nahum und seine biblische Vorlage, in: ders., Prophetenstudien. Kleine Schriften 2, FAT 74, Tübingen 2011, 99–145, sowie zu PseudoEzechiel A. KLEIN, Resurrection as Reward for the Righteous. The Vision of the Dry Bones in Pseudo-Ezekiel as External Continuation of the Biblical Vision in Ezek 37:1– 14, in: L.-S. Tiemeyer/E.R. Hayes (Hg.), „I Lifted My Eyes and Saw“. Reading Dream and Vision Reports in the Hebrew Bible, Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies 584, London 2014, 196–220. 83 Vgl. KRATZ, Art. Glaube (s. Anm. 4), 222; siehe auch SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 51), 212f. GES,
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dass der Glaube sich in der Treue gegenüber den Weisungen Gottes manifestiert (Sir 44,20; 2Bar 54,4). Wie bereits eingangs erwähnt, führt auch Paulus den gerechten Abraham in seinen Briefen als Vorbild des Glaubens an. So wird der Erzvater im Galaterbrief in einer Aufnahme von Hab 2,4 zum Exempel desjenigen, der aus Glauben leben wird (ἐκ πίστεως ζήσεται, Gal 3,11). Allerdings zielt die paulinische Auslegung in Abgrenzung von der frühjüdischen Tradition darauf, dass für die Gerechtigkeit Abrahams allein sein Glaube heilswirksam ist, mit dem er das Vertrauen auf Gott richtet. Zusammenfassend liegt die Bedeutung der Rede vom Glauben im Alten Testament darin, dass hier die Anfänge eines theologischen Konzeptes entwickelt werden, das später in der christlichen Tradition zum zentralen Bekenntnisbegriff wird. Über die Frage, inwieweit der Glaube den Gesetzesgehorsam miteinschließt, kommt es im Urchristentum allerdings zum Bruch mit der alttestamentlichen Tradition. Die nähere Erhellung dieses Sachverhalts sei den weiteren Beiträgen dieses Sammelbandes vorbehalten.
Πίστις in der Septuaginta, oder: Der Glaube der Siebzig Von was spricht die Septuaginta, wenn sie von πίστις schreibt? FRANK UEBERSCHAER Die Septuaginta ist die Übersetzung der Bibel ins Griechische. Was einfach klingt, wird komplex, sobald man ins Detail geht – sogar so komplex, dass diese einfache Aussage falsch wird, so sehr sie auch zutreffend ist. Tatsache ist allerdings, dass die Schriften der Septuaginta den frühen Christinnen und Christen die „heiligen“ Schriften waren, dass sie die biblischen Schriften in der Gestalt der Septuaginta lasen und vor dem Hintergrund dieser Sprachgestalt ihr Leben, ihr Erleben und ihren Glauben bzw. die Veränderungen in ihrem Glauben deuteten. So entnahmen sie auch der Septuaginta das theologische Vokabular, das sie nutzten und mit dem sie nach außen und innen kommunizierten. πίστις ist nur einer dieser Begriffe, auch wenn er durch die Theologie des Paulus ein zentraler geworden ist. In diesem Beitrag soll nun dem nachgegangen werden, was für den neutestamentlichen Gebrauch des Ausdrucks πίστις und der Derivate des πιστ-Stammes im Hintergrund steht. Dem Charakter der Septuaginta als Übersetzungsliteratur entsprechend werden dazu zwei Wege beschritten: Zum einen ist nach dem zu fragen, was der Übersetzung zugrunde liegt, was also übesetzt werden sollte. Zum anderen handelt es sich bei jeder Übersetzung immer auch um eine Inkulturation, weshalb ebenso die griechische Sprachwelt zu berücksichtigen ist, in die die Texte übersetzt wurden und deren Sprachhorizont die Ausdrucksweisen vorgab. Am Anfang steht eine kurze Einführung zur Septuaginta und Zusammenfassung wichtiger Aspekte, die für das Thema von Relevanz sind; am Ende wird auf die Textgestalten der Zitate aus der Septuaginta im Neuen Testament eingegangen, die Paulus verwendet und in denen der Begriff πίστις erscheint.
1. Die Septuaginta – Übersetzung und eigenes Textkorpus Die Septuaginta ist zweifellos eine der großen Übersetzungsleistungen der Weltliteratur. Ihre Anfänge und Ursprünge liegen aller Wahrscheinlichkeit
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nach in Alexandria. In dieser Metropole, die eine der größten ihrer Zeit war, gab es eine zahlenmäßig bedeutende jüdische Gemeinde. Ganz offensichtlich hat in einer Ära, in der Griechisch nicht nur Geschäftssprache war, sondern auch die Sprache der Bildung und Kultur, in der Griechisch sprechen können musste, wer „dazugehören“ wollte, in der jüdischen Gemeinde die Kompetenz, Hebräisch zu sprechen bzw. zu lesen und zu verstehen, so abgenommen, dass eine Übersetzung erforderlich gewesen zu sein scheint. Der Grund für die Übersetzung biblischer Schriften in die lingua franca der damaligen Zeit wird nämlich vermutlich eher in den internen Gegebenheiten der lokalen jüdischen Gemeinde gelegen haben als im Erweis der eigenen Weltgewandtheit, auch wenn dies verständlicherweise im Zentrum der Darstellung nach außen liegt, wie sie in den „Entstehungsmythen“ der Septuaginta zum Ausdruck kommt.1 1.1 Die Septuaginta und ihr Entstehungsmythos Dabei ist zunächst überhaupt bemerkenswert, dass ein solches Projekt eines Entstehungsmythosʼ bedurfte. Möglicherweise war es bereits im 3. Jahrhundert nicht unumstritten, die hebräischen Schriften in eine andere Sprache zu übersetzen. In jedem Fall aber hat der Ursprungsmythos ihnen ihren „kanonischen“ Status gesichert, zumal er sich auch im Lauf der Zeit selber verändert und zugespitzt hat. Ihren Anfang nimmt die Ursprungsmythologie der Septuaginta im „Brief des Aristeas“ aus dem 2. Jahrhundert.2 In diesem „Brief“, der von seinem Verfasser selber διήγησις (Bericht) genannt wird, beschreibt ein ansonsten unbekannter Autor, der sich Aristeas nennt, wie es zur Übersetzung der Tora gekommen sein soll. Der Name Aristeas ist möglicherweise ein Pseudonym; die Selbstdarstellung als Nicht-Jude ist aber in jedem Fall eine Fiktion:3 Nicht nur scheint es unwahrscheinlich, dass die Tora für einen nicht-jüdischen Hellenisten einen so hohen Stellenwert gehabt haben sollte, dass er sich so für sie einsetzt wie Aristeas, vor allem hätte er als Nicht-Jude das Innere des Tempels, das er in Arist 84–91 so bewegt beschreibt, kaum betreten dürfen. Hinzu kommen Passagen in der 1. Person, in denen der Verfasser an τὸν θεόν glaubt, auch wenn dies für sich genommen nur bedingt aussagekräftig ist (vgl. Arist 17). Es ist also zwischen 1
Vgl. auch S. KREUZER, Entstehung und Überlieferung der Septuaginta, in: ders. (Hg.), Einleitung in die Septuaginta, LXX.H 1, Gütersloh 2016, 29–88, 41f., der den Hinweis auf die Initiative des Ptolemaios für nicht unwahrscheinlich hält, auch wenn er die innerjüdische Notwendigkeit einer Übersetzung der Tora nicht in Abrede stellt (a.a.O., 44f.). 2 B.G. WRIGHT, The Letter of Aristeas. ‚Aristeas to Philokrates‘ or ‚On the Translation of the Law of the Jews‘, CEJL, Berlin 2015, 21. 3 Vgl. WRIGHT, Aristeas (s. Anm. 2), 16–20.
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dem Verfasser und der literarischen Figur des Aristeas zu unterscheiden, weshalb die Schrift auch Pseudo-Aristeas (PsArist) genannt wird. Dem Bericht des (Ps)Aristeas zufolge hat der königliche Bibliothekar Demetrius von Phaleron dem König Ptolemaios II. Philadelphos vorgeschlagen, in die bereits 200.000 Bücher umfassende Bibliothek von Alexandria auch die „Gesetze der Juden“ (τῶν Ἰουδαίων νόμιμα) aufzunehmen, weil sie es wert seien (Arist 10; vgl. auch Arist 30: τοῦ νόμου τῶν Ἰουδαίων βιβλία). Da jedoch nur griechischsprachige Literatur in die Bibliothek aufgenommen werde, müssten sie jedoch zuerst übersetzt werden (Arist 11; 30). Aus diesem Grund gibt der König den Befehl, eine Gesandtschaft nach Jerusalem zu schicken, die „Urtext“4 und Übersetzer nach Alexandrien holen soll. (Die Kriterien für die Auswahl der Übersetzer waren der Lebenswandel, das Lebensalter und die Erfahrung im Umgang mit dem Gesetz [Arist 32] – Griechischkenntnisse scheinen demgegenüber stillschweigend vorausgesetzt zu werden.) In einem langen Abschnitt (Arist 34–183) wird dann beschrieben, wie die Gesandtschaft des ptolemäischen Königs nach Jerusalem reist (Arist 51–83), wie sie dort ihre Zeit verbringt (Arist 84–172) und schließlich mit den Übersetzern zurückkehrt, die in Alexandria vom König mit höheren Ehren als ein Staatsgast empfangen werden (Arist 172–183). Nach ihrer Ankunft in Alexandria veranstaltet Ptolemaios ein Symposion, auf dem er die angereisten jüdischen Gelehrten nach der rechten Staatsführung befragt (Arist 184–300). Die Übersetzung selber erfolgt nach (Ps)Arist in einer gemeinsamen Sitzung der Gelehrten, in der sie Unstimmigkeiten beseitigten (σύμφονα ποιοῦντες) und das Ergebnis vom Bibliothekar Demetrios aufgeschrieben wurde (Arist 302). In 72 Tagen sei die Übersetzung von den 72 Gelehrten (von jedem Stamm Israels sechs Personen) fertiggestellt worden (Arist 307). Danach habe Demetrios die jüdische Gemeinde von Alexandria versammelt und ihr die Übersetzung vorgelesen. In einem zweischrittigen Prozess wird sie nun durch die jüdische Gemeinde approbiert: zuerst durch die Zustimmung der Gemeinde insgesamt (Arist 307) und anschließend durch ein Votum der Priester, Ältesten, der Vertreter des jüdischen Politeumas und der Vorsteher der Gemeinde, die sie als gut (καλῶς), fromm (ὁσίως) und genau (ἠκριβωμένως) qualifizieren (Arist 309). Anschließend wird die Übersetzung dem König übergeben, der einen sorgfältigen und angemessenen Umgang mit dieser Schrift anordnet (Arist 312–317). So erscheint der (Ps)Arist als groß angelegte Ätiologie der griechischen Übersetzung der Tora in Alexandria. Doch soll an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass es noch weitere Themen gibt, die in (Ps)Arist 4
Dieser „Urtext“ soll mit goldenen Buchstaben auf Pergamentrollen geschrieben gewesen sein: ἡ νομοθεσία γεγραμμένη χρυσογραφίᾳ τοῖς Ἰουδαϊκοῖς γράμμασι (Arist 176).
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behandelt werden. Zum einen gibt es den bereits erwähnten sehr langen Abschnitt über das Symposion, in dem es um die rechte Herrschaft geht und welche Lehren dazu die jüdische Tradition zu geben hat, und zum anderen einen weiteren Abschnitt, in dem der Hohepriester in Jerusalem eine Erklärung des Sinns und Zwecks der Gebote für das Judentum gibt (Arist 128–171). Beide Themen können aufgrund ihres Umfangs nicht einfach als nebensächlich betrachtet werden, sondern scheinen auf aktuelle Fragen einzugehen bzw. ausdrücken zu wollen, dass die jüdische Religion auf solche Fragen einsichtige Antworten zu geben hat, und zwar auch zur Erklärung ihrer Besonderheiten. Dennoch ist der Aspekt der Ätiologie allein schon aufgrund des Erzählduktus zweifellos der dominierende. Dabei scheinen in (Ps)Arist immer wieder einzelne Hinweise durch, die auf die vermutlichen historischen Hintergründe Rückschlüsse zulassen. So wird deutlich, dass die Septuaginta in Alexandria und nicht in Jerusalem entstanden ist; eine Übersetzung in Jerusalem scheint keine Option gewesen zu sein. Die Ausführlichkeit der Schilderung der Approbation durch die lokale jüdische Gemeinde und deren religiöse, politische und gesellschaftliche Vertreter, während zu diesem Zeitpunkt kein Kontakt zu Jerusalem aufgenommen wird, legt nahe, dass es sich bei der Übersetzung eigentlich um ein Unternehmen der jüdischen Gemeinde von Alexandria handelt, dem mit diesem Bericht eine Legitimation verschafft werden soll. Dass (Ps)Arist nun die Initiative dem (nicht-jüdischen) Bibliothekar der Bibliothek von Alexandria, Demetrios, zuschreibt, kann sowohl als Verschleierung dieser historischen Gegebenheiten verstanden werden als auch als Erweiterung der Legitimation und der Reputation der Übersetzung selber. Schließlich werden im Blick auf die Septuaginta zwei Punkte deutlich: Zum einen geht es in (Ps)Arist ausschließlich um eine Übersetzung der Tora; die weiteren biblischen Schriften finden keine Erwähnung. Zum anderen geht (Ps)Arist von einer pluralen Übersetzung aus, die in einer gemeinsamen Arbeit zu einer (Konsens-)Version verschmolzen wird. Diese Sicht verändert sich im Lauf der Zeit, denn der Entstehensmythos der Septuginta erfährt seine eigene Überlieferungsgeschichte. So behauptet Aristobul5, dass nicht nur die Tora, sondern ein Hexateuch übersetzt worden sei, wie aus seiner Inhaltsangabe der übersetzten Stücke hervorgeht. Während dies möglicherweise noch eine Erinnerung an eine parallele Überlieferung von Pentateuch und Hexateuch widerspiegeln könnte, lässt 5 Aristobul, Fragmenta 2. Die Datierung des Werkes des Aristobul ist angesichts der geringen Textmenge schwierig bis unmöglich. N. W ALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas, JSHRZ 3/2, Gütersloh 1975, 262, datiert zwar Mitte des 2. Jahrhunderts, weist aber auch auf die Problematik hin. Die deutlich zu beobachtende Tendenz im Blick auf die historische Plausibilität der Angaben zur Septuaginta legen allerdings eine Datierung Aristobuls nach dem Aristeasbrief nahe.
Πίστις in der Septuaginta
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sich allerdings seine Datierung der Übersetzung noch vor die Perserzeit unschwer als Versuch erkennen, die Philosophie des Platon auf jüdische Wurzeln zurückzuführen. Es ist allerdings bemerkenswert, dass Aristobul einerseits nur allgemein auf die Zeit vor der Herrschaft Alexanders und der Perser verweist, andererseits aber ausdrücklich den Bibliothekar Demetrios erwähnt, sodass ihm wohl (Ps)Arist bekannt gewesen sein dürfte. Das „Wunder“ der Septuaginta ist dann bei Philo greifbar. In De vita Mosis berichtet er (Philo, Mos. 2,37), die Übersetzer hätten in Abgeschiedenheit (ἐν ἀποκρύφῳ) und jeder für sich unter göttlicher Eingebung (ἐνθουσιῶντες προεφήτευον) denselben Text niedergeschrieben, als ob es ihnen diktiert worden sei (ὧσπερ ὑποβολέως ἑκάστοις ἀοράτως ἐνηχοῦντος). Während (Ps)Arist noch von Teamwork ausgeht, von mehreren Versionen, die in Übereinstimmung gebracht werden müssen, gibt es nach Philo gewissermaßen von der Arbeitsübersetzung an nur eine Version. Und mehr als das: Die Übersetzung habe dem Hebräischen vollkommen entsprochen (2,38). In der Folge also gilt die Septuaginta als fehlerfrei und von Gott inspiriert. Sie wird von einer Übersetzung zu einer eigenständigen Größe, wie sich auch am Werk des Philo und seinem Umgang mit der Septuaginta sehen lässt. Dabei bleibt allerdings bemerkenswert, dass sie so verstanden werden kann, nicht obwohl, sondern gerade weil sie mit dem hebräischen Text vollständig übereinstimmt – im Unterschied zur modernen Forschung, in der sie auch wegen ihrer Unterschiedenheit vom Masoretischen Text von Bedeutung ist. Josephus greift dagegen wieder auf (Ps)Arist zurück, setzt jedoch eigene Akzente. Vor allem lässt er den Hinweis des (Ps)Arist aus, dass verschiedene Übersetzungen miteinander in Einklang zu bringen waren. Da er nur von dem Gesetz (νόμος) spricht, ist zudem davon auszugehen, dass Josephus wiederum ausschließlich von der Tora spricht (Ant. 12,2,13/§107). Da Josephus aus palästinischer Perspektive schreibt, Philo dagegen in Alexandria wirkte, kommen bei beiden innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten Zeitdifferenz wahrscheinlich zwei unterschiedliche Lokaltraditionen zum Ausdruck, in denen sich zugleich auch die unterschiedliche Bedeutung der Septuaginta an den jeweiligen Orten widerspiegelt. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass Josephus in seinem Werk in völliger Selbstverständlichkeit auf die Septuaginta zurückgreift, wenn er seine Geschichte darstellt, und gelegentlich sogar einzelne Textzeugen stützt. 1.2 Das geistesgeschichtliche Umfeld in Alexandria Die Anfänge der Septuaginta in Alexandria werden demgegenüber etwas prosaischer gewesen sein. Dennoch sollte nicht verachtet werden, dass sie im Umfeld eines der bedeutendsten Zentren für Kultur und Bildung entstanden ist. Neben dem negativen Befund mangelnder Hebräischkenntnisse
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ist zweifellos auch damit zu rechnen, dass das ptolemäische Museion eine positive Katalysatorenfunktion hatte, auch wenn es wohl kaum darum ging, eine Übersetzung für dessen Bibliothek anzufertigen.6 Die Ptolemäer verbanden mit ihrer Bibliothek im Museion von Alexandria Herrschaftsrepräsentation und Wissenschaftsförderung in gewaltigen Ausmaßen. Zwischen dem 3. Jahrhundert und dem 1. Jahrhundert soll der Buchbestand von 200.000 auf 700.000 Bücher angestiegen sein.7 Hinzu kommt, dass diese Bibliothek nicht die einzige in Alexandria war, was auf seine eigene Weise widerspiegelt, wie sehr Bildung zum Selbstverständnis der hellenistischen Oberschicht gehörte. Einer der Arbeitsschwerpunkte am Museion und in der Bibliothek war die Philologie. Insbesondere das Werk Homers wurde ausgelegt und philologisch bearbeitet und kommentiert. Textkritik und Exegese entwickelten sich. Die aufkommenden „textkritischen“ Zeichen Asteriskus (※ ), Obelos (⸓) und Metobelos (⸔) finden noch in der Hexapla des Origenes Verwendung. Es entstanden sprachgeschichtliche Wörterbücher und Lexika, mit denen das alte Griechisch erschlossen wurde. Bemerkenswert sind auch die Anfänge eines Kanon-Denkens, denn es bildete sich ein Bildungskanon von zu lesenden Autoren heraus, die als beispielhaft und „normativ“ betrachtet wurden. Ihre Werke wurden nach Literaturgattungen und Themen gruppiert (s.u.). All dies geschah für die jüdische Gemeinde in Alexandria vor dem geistigen Hintergrund des Hellenismus. Im Unterschied zu allen vorhergehenden Kulturen, mit denen Judäer in Kontakt waren, war der Hellenismus nicht nur die Kultur der herrschenden Schicht, sondern bot auch seinerseits die Perspektive, am Leben einer internationalen Bildungsgemeinschaft teilzuhaben, wenn man Griechisch als Sprache und hellenistische Lebensart zumindest bis zu einem gewissen Grade übernahm. Das machte den Hellenismus als Kulturmacht unglaublich attraktiv und hat wohl auch die Grundlage dafür gelegt, dass die Juden in Alexandria ein Interesse daran hatten, einerseits teilzuhaben und andererseits in ihrer eigenen Tradition und Lebensart wahrgenommen zu werden.8 1.3 Die Septuaginta als Textkorpus Die Konzentration auf Alexandria und die Zeit der Ptolemäer darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Texte der Septuaginta niemals als Ganze und in einem Akt aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt worden sind. Dagegen sprechen nicht nur gerade ihre Entstehungsmythen, in denen primär von der Tora die Rede ist, sondern vor allem auch die Texte der 6
Siehe zu diesem Abschnit auch KREUZER, Entstehung (s. Anm. 1), 33–39. U. DUBIELZIG, Art. Buchwesen, Lexikon des Hellenismus (2005), 212–217, 214. 8 Vgl. dazu KREUZER, Entstehung (s. Anm. 1), 47f. 7
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Septuaginta selber. Diese erweisen sich nämlich in sich als völlig uneinheitlich und geben deutlich zu erkennen, dass sie in mehreren, durchaus sehr verschiedenen Übersetzungsstilen (wenn man nicht schon von Übersetzungstheorien sprechen möchte) erstellt worden sind. Daneben legt sich nahe, dass die Übersetzungen auch an verschiedenen Orten geschehen sind, also bei weitem nicht ausschließlich in Ägypten, sondern auch in Jehud selber. Schließlich lassen sich auch innerhalb der Septuaginta und ihrer Textgeschichte mehrere, voneinander unterschiedene Textstufen nachweisen, die eine lange und intensive Arbeit am griechischen Text belegen.9 Für die vorliegende Frage nach der Verwendung und Bedeutung von πίστις in der Septuaginta ist all dies insofern von Bedeutung, als darin gewisse Schwierigkeiten impliziert sind, von denen man nicht einfach absehen kann, wenn man sich mit „der“ Septuaginta beschäftigt: Die Texte der Septuaginta sind mehr als nur eine Übersetzung. Sie spiegeln eine Stufe in der Textentwicklung des Alten Testaments wider. Es handelt sich also nicht ausschließlich um Übersetzungen, sondern auch um konkrete Zeugen einer bestimmten Entwicklungsstufe des jeweiligen biblischen Textes. In diesem Zusammenhang sind natürlich die alttestamentlichen Zitate im Neuen Testament mit einzubeziehen. Die Texte der Septuaginta repräsentieren zudem unterschiedliche Übersetzungstechniken, die sich in derselben Bandbreite wie moderne Übersetzungstheorien bewegen: manche sind eher ausgangssprachlich, andere eher zielsprachlich orientiert. In der Folge weisen sie nicht alle denselben Umgang mit dem zugrundeliegenden hebräischen Text auf und besitzen durchaus unterschiedliche Ausdrucksweisen. Hinzu kommt, dass die Septuaginta als Übersetzung ein Hybrid aus Textzeugin und Inkulturation ist, die nicht ohne Veränderung des „Originals“ geschehen kann. Die Septuaginta ist kein Werk aus einem Guss, sodass über der Rede von der Septuaginta als einem Kanon nicht vergessen werden darf, dass ein solcher Kanon ja gerade nicht ein Werk ist, sondern eine Sammlung von verschiedenen Werken, die durchaus sehr disparat sind. Sie spiegelt damit dieselbe Vielfalt wider wie der hebräische Kanon auch bzw. beinhaltet sogar noch eine größere, wenn man die Schriften mitbedenkt, die im Septuagintakanon über den des Masoretischen Textes hinaus enthalten sind. Vor diesem Hintergrund wird nun der Bedeutung von πίστις in zwei Schritten nachgegangen. In einem ersten kommt die Septuaginta als Übersetzung hebräischer Texte in den Blick, wenn gefragt wird, was mit πίστις und Worten des πιστ-Stamms übersetzt wird. In einem zweiten geht es um die Zielsprache des Griechischen und um die Frage nach der/den Bedeu9 Für eine konzise Darstellung der Textentstehung der Septuaginta siehe KREUZER, Entstehung (s. Anm. 1), 49–82.
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tungsebene(n), die im Griechischen bei der Verwendung von πίστις mitschwingen (können). Abschließend wird in einem dritten Schritt der Text der Septuagintazitate besprochen, die Paulus mit den Stichworten πίστις bzw. πιστεύω verwendet.
2. Die hebräische „Vorlage“ für πίστις und die Derivate des πιστ-Stammes Das Wortfeld πιστ- besteht in der Septuaginta aus den Nominalformen πίστις, πιστός, πιστῶς und den Verben πιστεύω, πιστόω und πιστοποιέω. Die Darstellung von Hatch/Redpath10 gibt zu erkennen, welche hebräischen Worte jeweils übersetzt werden: πίστις wird 59-mal in der Septuginta verwendet und übersetzt vor allem ( אמונהmit 20 Belegen), ( אמתmit sechs Belegen) und je einmal אמוןund אמנה.11 ποστός erscheint 69-mal und übersetzt vor allem נאמן, d.h. das NifalPartizip der Wurzel אמן, mit 29 Belegen, dreimal אמוןund je einmal אמונה und אמת. Außerhalb der Derivate der Wurzel אמןübersetzt πιστός auch einmal צדיק. πιστῶς erscheint nur einmal (2Kön 16,2), hat jedoch keine Entsprechung im Hebräischen, weil es gegenüber dem Masoretischen Text eine Erweiterung darstellt, die die Rechtschaffenheit Davids betont. Das Verb πιστεύω (81x) übersetzt in der Regel אמןim Hifil (46x), nur einmal das Verb im Nifal, aber auch einmal שמע. πιστόω übersetzt demgegenüber mit seinen 16 Belegen neunmal die Wurzel אמןim Nifal, aber je einmal Wurzeln außerhalb des Bereichs von אמן, nämlich עמדim Hifil, קוםim Hifil und ( אמרdies jedoch deutlich interpretierend). πιστοποιέω ist zweimal belegt, hat jedoch kein hebräisches Pendant, weil es lediglich in 4Makk erscheint (7,9; 18,17). Bereits in dieser ersten Erhebung ist die Dominanz der Wurzel אמןunschwer erkennbar. Daraus ergibt sich die Frage, ob πιστ- und אמןin ihrer Bedeutung deckungsgleich sind bzw. welche Bedeutungsebenen mitschwingen bzw. mitgegeben oder ausgeblendet werden, wenn אמןmit πιστübersetzt wird.
10 A Concordance to the Septuagint and the Other Greek Versions of the Old Testament, hg. von E. Hatch/H.A. Redpath, Graz 1954. 11 Der statistische „Überschuss“ auf der griechischen Seite erklärt sich in dieser Aufstellung mit den Schriften der Septuaginta, die kein hebräisches Pendant haben.
Πίστις in der Septuaginta
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Hinzuweisen ist noch auf zwei weitere Zahlenverhältnisse: πίστις erscheint in der Septuaginta 59-mal, hat dabei jedoch nur 28-mal eine Entsprechung im Masoretischen Text, sodass weitere 31 Belege entweder aus Texten stammen, die eine hebräische Vorlage interpretierend übersetzen, oder sich in Schriften finden, die kein Äquivalent im Kanon der hebräischen Bibel haben. Da es sich hierbei zu einem großen Teil um spät entstandene Bücher handelt, gibt dieser Befund möglicherweise die Bedeutungszunahme des Begriffs πίστις zu erkennen. Dies steigert sich noch, wenn man ein zweites Zahlenverhältnis in Betracht zieht: Den 59 Belegen für πίστις in der Septuaginta stehen 243 im Neuen Testament gegenüber – das Vierfache in einem Textkorpus, das, nach Versen gezählt, gerade einmal ein Viertel (27%) des Umfangs der Septuaginta hat. Bei den weiteren Derivaten des πιστ-Stammes sieht dies ähnlich aus. Methodisch soll(en) nun im Folgenden die Bedeutungsebene(n) an den Texten selber erhoben werden. Der Ausgangspunkt wird also keine abstrakte Reflexion über das Verhältnis der Stämme des Hebräischen zueinander sein, weil dies in diesem Fall kaum zu Ergebnissen führt, sondern die Verwendung der Worte in ihren Bezügen. Angesichts dessen, dass es sich zumindest in der späteren Entwicklung um eine theologisch äußerst aufgeladene Vokabel handelt, wird der Ausgangspunkt der Beobachtungen und der daran angeschlossenen Überlegungen bei Zusammenhängen liegen, die weniger theologisch prominent sind und eher auf eine „allgemeinere“ Verwendung schließen lassen. Dabei haben alle genannten Sätze, Texte und Passagen exemplarischen Charakter, ohne Vollständgkeit anzustreben. Da das Hebräische eine Sprache ist, die sich aus ihren Verben erschließt, wird auch von diesen ausgegangen. 2.1 אמןim Hifil אמןim Hifil ist im Masoretischen Text 51-mal belegt und wird hauptsächlich verbal verwendet. Das Partizip ist relativ selten. Konstruiert wird אמן im Hifil in vier Varianten: mit den Präpositionen ~ בund ~ל, mit כיim Sinne von „dass“ sowie absolut. Übersetzt wird es in der Septuaginta ausschließlich mit πιστεύω, und dies meist im Aktiv.12 אמןim Hifil mit ~ לweist ein Bedeutungsspektrum auf, das von „jemandem oder etwas vertrauen“, „sich einlassen auf“ bis „etwas glauben“ reicht – wobei „glauben“ hier ganz im profanen Sinne zu verstehen ist, wie er sich auch in der Wendung „Das glaube ich dir (nicht)“ ausdrückt. Zeigen lässt sich dies an Texten wie Spr 14,15 (ֶפּ ִת י יַ ֲא מִ ין ְל כָל־דָּ בָ ר וְ ָﬠ רוּם שׁ רוֹ ֻ )יָבִ ין ַל ֲאund 1Kön 10,7 (את י ו ִַתּ ְראֶ ינָה ֵﬠ ינַי ִ )וְ ל ֹא־ ֶה ֱא מַ ְנ ִתּ י לַדְּ ָב ִר ים ַﬠ ד ֲא שֶׁ ר־ ָבּ, in denen sich אמןim Hifil mit ~ לauf eine Angelegenheit bezieht, oder an 12
Die Ausnahme ist 1Sam 27,12.
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Texten wie Gen 45,26 () ַו יַּגִּ דוּ לוֹ לֵא ֹמ ר עוֹד יוֹסֵ ף ַח י … ַו יָּ ָפ ג ִל בּוֹ כִּ י ל ֹא־ ֶה ֱא ִמ ין ָל ֶה ם, und Ex 4,1 ( )וְ ֵה ן ל ֹא־יַ ֲא ִמינוּ ִל י וְ ל ֹא ִי ְשׁ מְ עוּ בְּ ֹק לִ יund Jer 40,14 (וְ ל ֹא־הֶ ֱא ִמ ין לָהֶ ם )גְּ דַ לְ יָהוּ ֶבּן־ ֲא חִ יקָ ם, in denen sich die Wendung auf Menschen und auf das bezieht, wofür sie stehen. Daneben gibt es das Vertrauen, das in eine Person gesetzt wird, der man glaubt bzw. eben auch nicht: in Dtn 9,23 und Jes 43,10 ist es Gott, dem Israel nicht vertraut hat, und in 2Chr 32,15 warnt der Rab-Schake die Bevölkerung Jerusalems vor ihrem eigenen König: „“וְ אַל־תַּ ֲא ִמ ינוּ לוֹ. Die Konstruktion von אמןim Hifil mit ~ לmeint also, jemandem oder einer Botschaft vertrauen, ihm oder ihr zu glauben, sich darauf zu verlassen. Auffällig ist allerdings, dass alle Beispiele in der einen oder anderen Weise negativ sind, sei es, dass man nicht vertrauen sollte, sei es, dass man nicht vertraut hat, wo man hätte vertrauen sollen. Die Wendung אמןim Hifil mit ~ בweist ein ähnliches, aber nicht völlig deckungsgleiches Bedeutungsspektrum auf. Auch ihre Bezugsgrößen sind sehr unterschiedlich. In 1Sam 27,12 setzt der Philisterkönig Achisch sein Vertrauen auf David () ַו ַיּ ֲא מֵ ן אָכִ ישׁ בְּ דָ וִ ד, was sich bald als politisch unklug erwies. אמןim Hifil mit ~ בbezieht sich hier also auf einen Menschen. Ähnlich ist es auch in Mi 7,5 ()אַל־תַּ ֲא ִמ ינוּ בְ ֵר ַﬠ, Jer 12,6 (ûאַל־תַּ ֲא מֵ ן בָּ ם כִּ י־ ְי דַ בְּ רוּ אֵ לֶי )טוֹבוֹתund Spr 26,25 ()כִּ י־ ְי ַח נֵּן קוֹלוֹ אַל־תַּ ֲאמֶ ן־בּוֹ כִּ י שֶׁ ַב ע תּוֹ ֵﬠ בוֹת בְּ לִ בּוֹ. אמןim Hifil mit ~ בkann sich auch auf Sachverhalte beziehen: Nach Ps 78,32 hat Israel sein Vertrauen nicht auf die Wundertaten Gottes gesetzt. Ps 106,12 lobt sie dagegen dafür, dass sie Gottes Worten vertraut haben. In Ps 119,66 bekennt der Beter sein Vertrauen in Gottes Gebote. Häufig aber bezieht sich אמןim Hifil mit ~ בauf Gott: Abraham vertraut Gott in der berühmten Stelle Gen 15,6, Israel vertraut Gott nach dem Schilfmeerdurchzug (Ex 14,31) ebenso wie die Niniviten nach Jonas Untergangsdrohung (Jona 3,5). Umgekehrt beklagt sich Gott, dass Israel ihm nicht vertraue (Num 14,11; Dtn 1,32), und bestraft Mose und Aaron, weil sie ihm nicht vertraut haben (Num 20,12). So führt auch der Deuteronomist den Untergang des Nordreichs auf das fehlende Vertrauen gegenüber Gott zurück (2Kön 17,14; vgl. auch Ps 78,22). Eine bemerkenswerte Parallelstruktur weist 2Chr 20,20 auf: Hier wird das Vertrauen auf Gott und seinen Propheten parallel gesetzt (הֵ י ֶכ ם וְ תֵ אָמֵ נוּ ַה ֲא מִ ינוּ בִ ְנבִ יאָיו וְ הַ צְ לִ יחוּý) ַה ֲא ִמ ינוּ ַבּ יהוָה ֱא. Ebenfalls bemerkenswert ist Dtn 28,66. Gegen Ende des Segen- und Fluchkapitels findet sich die Wendung ûוְ ל ֹא תַ ֲא ִמ ין בְּ ַח יֶּי, die in diesem Zusammenhang soviel heißt wie „Du kannst dir deines Lebens nicht mehr sicher sein“. Die Wendung אמןim Hifil mit ~ בumfasst also ein Bedeutungsspektrum von „jemandem vertrauen“, „sich verlassen auf jemanden/etwas“ bis zu „sicher sein“. Eine exakte Differenzierung zwischen der Verwendung von ~ בund ~ לlässt sich nicht zeigen; allenfalls zeichnet sich ab, dass bei der
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Verwendung von ~ בdie personale Relation auch bei den Sachverhalten im Vordergrund steht, auf die sich אמןim Hifil mit ~ בbezieht, weil diese in der Konstruktion mit ~ לauch unpersönlich sein können (vgl. oben die Beispiele Spr 14,15; 1Kön 10,7). Weitaus überwiegend aber setzen beide Wendungen, אמןim Hifil mit ~ בund ~ל, eine Relation voraus, die das Agens, der מאמין, eingeht. Der Blick in die Septuaginta zeigt nun, dass sich die sprachliche Differenzierung zwischen ~ בund ~ לnicht widerspiegelt, da sich keine durchgängige Übersetzung von ~ בmit ἐν oder ~ לmit folgendem Dativ belegen lässt. Die Übersetzer der Septuaginta scheinen darin also keinen Unterschied gesehen zu haben, sodass sie sich wohl von ihrem eigenen Sprachgebrauch leiten ließen. So wird in Num 14,11 die Wendung וְ ַﬠ ד־אָנָה ל ֹא־ יתי ִ יַ ֲא מִ ינוּ בִ י בְּ ֹכ ל ָה ֹא תוֹת ֲא שֶׁ ר ָﬠ ִשׂmit καὶ ἕως τίνος οὐ πιστεύουσίν μοι ἐν πᾶσιν τοῖς σημείοις, οἷς ἐποίησα wiedergegeben, also die Konstruktion mit einem doppelten בeinmal mit Dativ und einmal mit ἐν aufgelöst. Ebensowenig lassen sich Übersetzungsvorlieben feststellen, nach denen πιστεύω mit ἐν oder mit Dativ sich auf etwas Spezifisches bezöge.13 Eine dritte Konstruktion ist אמןim Hifil mit כי, das die Bedeutung ‚für wahr halten, dass…‘ bzw. eben auch ‚glauben, dass…‘ hat. Es findet sich in Klgl 4,12 (ל ֹא הֶ ֱא ִמ ינוּ מַ ְל ֵכי־אֶ ֶרץ וְ ֹכ ל ] ֹכּל[ ֹי ְשׁ בֵ י תֵ בֵ ל כִּ י יָב ֹא צַ ר וְ אוֹיֵב בְּ שַׁ ﬠ ֲֵר י ) ְי רוּשָׁ ָל ִם, in Hi 9,16 ( )ל ֹא־אַ ֲא ִמ ין כִּ י־יַ ֲא ִז ין קוֹלִ יund Ex 4,4f. (ְל מַ ַﬠ ן ַו ְיהִ י לְ מַ טֶּ ה בְּ ַכ פּוֹ׃ הֵ י ֲא ֹב תָ םý ְיהוָה ֱאû)יַ ֲא מִ ינוּ כִּ י־ ִנ ְר אָה אֵ לֶי, und spiegelt in allen drei Fällen einen gewissen Pessimismus im Blick auf Überzeugung oder Überzeugungskraft wider. Auffällig ist allerdings die Konstanz, mit der אמןim Hifil durchgängig mit nur einem einzigen griechischen Verb übersetzt wird: πιστεύω. Diese Kontinuität ist vor allem dann überraschend, wenn man die Septuaginta gerade nicht mehr nur als einen Textblock versteht, sondern ihre lange und differenzierte Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte in Betracht zieht. Gerhard Barth hat dies auf den religiösen Sprachgebrauch der hellenistischen Umwelt zurückgeführt.14 Dennoch kann bei aller Auffälligkeit 13
In Ps 78(77LXX),22.32 bezieht sich πιστεύω mit ἐν einmal auf Gott und dann auf seine Wundertaten, in Ps 106(105LXX),12 auf Gottes Worte, in Sir 32,21 auf unbekannte Wege und die Taten anderer, in Jer 12,6 auf Verwandte und Hausangehörige. In Ex 14,31 bezieht sich πιστεύω mit Dativ auf Gott und Mose (im Masoretischen Text beides mit )!ב, in 1Makk 1,16 auf Menschen, in 4Makk 4,7 auf den Tempel, in Spr 14,15 auf gesprochene Worte (im Masoretischen Text mit )ל, in SapSal 14,5 auf Holz und in Sir 12,10 auf den Feind (im Hebräischen mit )ב, in Sir 13,11 auf Worte (im Hebräischen mit )ל, ebenso in Sir 19,15, auf sich selbst (Sir 32,23 [im Hebräischen mit )]ב, auf einen Räuber (Sir 36,26 [im Hebräischen mit )]ב. 14 Vgl. G. B ARTH, Pistis in hellenistischer Religiosität, ZNW 73 (1982), 110–126, auch wenn er in seinem Urteil a.a.O., 121, nicht Recht hat, wie der Durchgang oben zeigt.
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kaum von einer konstant durchgehaltenen Übersetzungstheorie gesprochen werden. Dagegen spricht, dass sich in den Übersetzungen der hebräische Sprachgebrauch mit ~ בund ~ לnicht abbildet, sondern hierbei relativ frei verfahren wird und man sich möglicherweise eher dem vom Übersetzer empfundenen griechischen Sprachgebrauch anschließt bzw. der jeweiligen Übersetzungstheorie der Septuagintaübersetzer entsprechend verfährt. So ist dieser Befund bei aller Besonderheit wohl auch nicht überzubewerten. 2.2 אמןim Nifal Das zweite große Cluster bei der Verwendung von אמןals Verbalwurzel findet sich im Nifal. In verbaler Verwendung erscheint אמןim Nifal 13-mal, wobei es sich bei 2Chr 6,17 um die Doppelung zu 1Kön 8,26 handelt, sodass von 12 eigentlichen Belegen auszugehen ist. Als Subjekte werden genannt: Aussagen (( )דבריםGen 42,20; 1Kön 8,26 || 2Chr 6,17; 1Chr 17,23; 2Chr 1,9), das Königshaus (2Sam 7,16), die Führenden des Nordreichs Israel (Jes 7,9), der Fluss des Wassers (Jer 15,18), der menschliche Geist (( )רוחPs 78,8), das Volk Israel (Ps 78,37; 2Chr 20,20), die Urkunden Gottes ()עדות (Ps 93,5), der Name Gottes (1Chr 17,24). Nicht aus allen Stellen lässt sich etwas über die jeweilige Bedeutung erschließen, doch lässt sich gerade den Belegstellen, in denen Aussagen das Subjekt sind, entnehmen, dass es darum geht, dass das jeweilige Wort sich als richtig, zutreffend bzw. als verlässlich erweisen möge.15 Der gelegentliche Zusatz ַﬠ ד־עוֹלָםverweist auf die Zukunftsperspektive und damit auf einen Aspekt zeitlicher Erstreckung. Dies gilt explizit auch für 2Sam 7,16, aber implizit ebenso für Gen 42,20 (vorausblickend); 1Kön 8,26 || 2Chr 6,17; 1Chr 17,23; 2Chr 1,9 (rückblickend). Dagegen schauen die beiden Belegstellen in Ps 78 auf ein Geschehen in der Vergangenheit zurück, während Ps 93,5 eine allgemeine und zu allen Zeiten immer neu gültige Aussage macht.16 Gemeinsam ist allen diesen Stellen ein Verständnis, nach dem etwas später einmal „eingelöst“ werden können soll, es sich dann also als verlässlich erweisen muss. In der Septuaginta wird der größte Teil dieser Belege (acht) mit πιστόω im Passiv, zwei mit πιστεύω im Passiv übersetzt.17 Angesichts des relativ geringen Umfangs der Belegstellen und ihrer Streuung im Kanon, ist eine Auswertung hinsichtlich möglicher Übersetzungsvorlieben mit Vorsicht zu
15
Bei allen Belegen handelt es sich um einen Jussiv. Dagegen sind Jes 7,9 und 2Chr 20,20 auf diese Bedeutungsaspekte angewiesen, um verstanden zu werden. 17 In Jer 15,18 wird ֶנ ֱא מָ נוּmit ἔχον πίστιν wiedergegeben und in Jes 7,9 mit συνῆτε. 16
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genießen. Allerdings fällt auf, dass in Büchern mit mehreren Belegstellen wie Ps und 1–2Chr einheitlich übersetzt wird.18 Als Partizip wird אמןim Nifal im Masoretischen Text 32-mal verwendet. Mit 70% handelt es sich um die weit überwiegende Mehrheit der Belege – ein auffälliger Unterschied zum Hifil, das primär verbal verwendet wird und selbst die Partizipien den verbalen Charater noch erkennen lassen. Dies ist im Nifal nicht der Fall, und so hat Alfred Jepsen dann auch durchaus folgerichtig unterschieden zwischen der verbalen und der partizipialen Verwendung; für letztere geht er davon aus, dass die verbale Herleitung keine Relevanz mehr hat, weil sie im Sprachgebrauch nicht mehr erkennbar sei.19 Dabei kann sich אמןim Nifal als Partizip ( )נאמןauf sehr Unterschiedliches beziehen. So ist Gott ( נאמןDtn 7,9; Jes 49,7), aber auch seine Gunst (Jes 55,3), seine Zeugnisse (Jer 42,5; Ps 19,8; 89,38), sein Bund (Ps 89,29) und seine Gebote (Ps 111,7), allerdings auch die Plagen und Krankheiten, die Israel beim Bundesbruch treffen (Dtn 28,59). Auch Menschen können bzw. sollten נאמןsein. Namentlich genannt werden Mose (Num 12,7), Samuel (1Sam 3,20) und David (1Sam 22,14). Als Gruppen, an die der Anspruch, נאמןzu sein, herangetragen wird, werden Priester genannt (1Sam 2,35), aber auch Zeugen (Jes 8,2). Dennoch handelt es sich um etwas, das eigentlich alle Menschen betrifft (Ps 101,6; Neh 9,8; 13,13; Spr 11,13; 25,13; 27,6). Vor allem aber sind Orte נאמןsowie Begrifflichkeiten, die in ihrer Grundbedeutung mit Orten verbunden sind: so beispielsweise allgemein in Jes 22,23.25 oder, namentlich genannt, die Stadt Jerusalem (Jes 1,21.26). Darüber hinaus kann es eine Dynastie bezeichnen (1Sam 25,28; 1Kön 11,38), sodass über die zeitliche Erstreckung, die bei einer Dynastie vorausgesetzt wird, bereits das Moment der Beständigkeit und Dauerhaftigkeit in den Fokus kommt. Besonders deutlich wird dies auch in Jes 33,16, wo konstant fließendes Wasser nicht nur zum Bild der Beständigkeit, sondern zum Garanten von Sicherheit und Wohlstand wird. Das Partizip von אמןim Nifal kann sich also auf Gott, Menschen, Sachen und Sachverhalte beziehen. Die Bedeutung lässt sich aus Jes 22,23.25 und 33,16 ermitteln: Nach Jes 22,23.25 ist ein Ort, der in der Lage ist, einen eingeschlagenen Pflock zu halten, נאמן, sodass mit dem Partizip etwas Festes, das wiederum Halt gibt, bezeichnet ist. In Jes 33,16 gilt Wasser als נאמן, das beständig fließt; es ist also verlässlich, weil der Bach nicht zeitweise versiegt, wie die meisten Wasserläufe im Nahen Osten. So umfasst נאמןdie Bedeutungsebenen Festigkeit und Dauerhaftigkeit. Der temporale Aspekt kommt zudem in Aus-
ab.
18
Es gibt eine Ausnahme in 2Chr 20,20, doch hier weicht die Übersetzung auch sonst
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A. J EPSEN, Art. אמן, ThWAT 1 (1973), 313–348, 316.
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sagen zum Ausdruck, in denen zeitliche Bestimmungen parallel zu נאמן stehen (z.B. in 2Sam 7,16: 20 ; ַﬠ ד־עוֹלָםvgl. auch חַ ְס דֵ י דָ וִ ד הַ ֶנּ ֱא מָ ִנ יםals Apposition zum בְּ ִר ית עוֹלָםin Jes 55,3 sowie den umgekehrten Fall in Ps 89,29). Beim Menschen kommen beide Bedeutungsbereiche in den Blick und lassen sich gut als Zuverlässigkeit zusammenfassen (vgl. Jes 8,2; Spr 15,13; Neh 13,13); und für Gott ist insbesondere Dtn 7,9 aufschlussreich: als ָה אֵ ל ַה ֶנּ ֱא מָ ןhält er Bund und Treue, wodurch er nicht nur verlässlich ist, sondern auch sich selbst treu. Die Verwendung des Partizips von אמןim Nifal umfasst also ein Bedeutungsspektrum, das Begriffe wie Festigkeit, Dauerhaftigkeit, Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit umfasst. All das wird in der Septuaginta durchgängig mit πιστός übersetzt21 – eine Einheitlichkeit, die angesichts der verschiedenen Übersetzungsverfahren und des langen Zeitverlaufs, in dem die Schriften der Septuaginta übersetzt wurden, auffällig ist und auf ihre Weise die These Jepsens stützt. 2.3 אמונה אמונהist wirkungsgeschichtlich wohl das bedeutendste Nomen der Wurzel אמן. Es handelt sich um ein qatūl-Abstraktnomen22 mit 49 Belegen im Masoretischen Text. In der Weisheitsliteratur wird אמונהmit צדקparallel gesetzt (Spr 12,17), in den Psalmen mit Geradlinigkeit ( ;ישרPs 33,4 || 32,4LXX)23; ihr Gegenteil ist die Lüge (Spr 12,22; Jer 9,2). Nach 2Kön wurden die Handwerker, die die Tempelrenovationen durchführten, nicht kontrolliert, sondern handelten in אמונה, also gewissermaßen „auf Treu und Glauben“ (2Kön 12,16; 22,7). Nur einmal wird אמונהin einer grammatikalisch allerdings auch problematischen Stelle von einem Gegenstand ausgesagt: In Ex 17,12 bleiben die Hände des Mose אמונהbis zum Sonnenuntergang, als Aaron und Hur sie in der Schlacht gegen Amalek stützen. אמונהscheint hier „fest“, „beständig“ zu bedeuten. אמונהumgreift demnach ein Bedeutungsspektrum, das am Besten mit ‚Beständigkeit‘ wiederzugeben ist: Beständigkeit in der Ordnung des Lebens ()צדק, Geradlinigkeit, Treue und der Wahrheit verpflichtet. Jepsen schlägt „Gewissenhaftigkeit“ vor.24 אמונהbezeichnet demnach bei Men20
Zwar haben die Masoreten נאמןals Perfekt punktiert und auch die Septuaginta versteht es so, doch spricht der Parallelismus zu נָכוֹןeher für ein Partizip. Zum Begriff עוֹלָם vgl. E. J ENNI, Das Wort olam im Alten Testament, Berlin 1953, 230. 21 Eine Ausnahme ist 2Sam 7,16 (s.o.). 22 P. J OÜON/T. MURAOKA, A Grammar of Biblical Hebrew, Rom 2006, 229 (88Ec). 23 Dabei handelt es sich um die einzige Stelle im Psalter, an der אמונהmit πίστις wiedergegeben wird; sonst wird אמונהim Psalter durchgängig mit ἀλήθεια übersetzt. 24 J EPSEN, ( אמןs. Anm. 19), 342.
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schen eine Person, wie sie sich in ihrer Lebensführung, in ihrem Handeln zeigt. Es geht also um ein Individuum und um seine „innere Haltung und das daraus folgende Verhalten“25. Im Unterschied zur verbalen Verwendung von אמן, insbesondere im Hifil, handelt es sich damit nicht um einen Beziehungsbegriff, sondern bleibt ganz bei der Person. Dies ändert sich in den Schriften von Qumran. In ihnen zeichnet sich ein Bedeutungswandel ab,26 mit dem es zu einem Verständnis von אמונהals ‚Glaube/Vertrauen‘ kam.27 In der Septuaginta wird אמונהmit seinen 49 Belegen zweimal mit πιστός, 17-mal mit πίστις und 24-mal mit ἀλήθεια übersetzt. Dabei ist die Übersetzung mit ἀλήθεια zum einen ein Kennzeichen des Psalters, in dem אמונהam Häufigsten im Kanon vorkommt, zum anderen aber auch der Übersetzung des Buches Jesaja, in dem אמונהallerdings nur vier Belege hat (Jes 11,5; 25,1; 33,628; 59,4). Auffällig ist in diesen beiden Büchern zudem die Verteilung der Bezugsgrößen für אמונה: Zwar bezieht sich אמונהin Jes auf Unterschiedliches (Jes 11,5: den erhofften neuen Davididen; Jes 45,1: Gottes Wirken; Jes 59,4: auf Menschen, die in ihrem Verhalten nicht zuverlässig und beständig sind), dafür aber im Psalter ausschließlich auf Gott.29 Umgekehrt handelt es sich bei den mit πίστις übersetzten Belegen ausschließlich um Aussagen über Menschen. Das ist ein noch viel erstaunlicherer Befund als die durchgängige Übersetzung von אמןim Hifil mit πιστεύω. Hier liegt zweifellos eine durchgehaltene theologische Entscheidung vor, nach der der ἀλήθεια auf der Seite Gottes die πίστις auf der Seite des Menschen entspricht. 2.4 Weitere Derivate von אמן Am häufigsten wird von den אמן-Derivaten wohl אמתgebraucht. Doch auch wenn אמתsich von אמןableitet, spielt dies in der Septuaginta keine Rolle 25
J EPSEN, ( אמןs. Anm. 19), 342. Vgl. 1QpHab 8,2 und 1QHa 4,26, wo אמונהnoch eher die Bedeutung ‚Beständigkeit‘, ‚Treue‘ hat, während in 1QHa 8,35 eher an ‚Vertrauen‘ bzw. ‚Glaube‘ gedacht ist und in 1QM 13,3 die אמונהals ‚Glaube‘ sogar Mittel der Erkenntnis wird. Beide Verständnisse haben in Qumran nebeneinander bestanden, was sich zum einen darin zeigt, dass es Texte gibt, die mit beiden Bedeutungen verständlich sind (vgl. 1QS 8,3; 2Q21 1,2), und zum anderen im Nebeneinander beider Bedeutungsebenen in ein und derselben Schrift (so in 1QHa). Vgl. auch D. HAMIDOVIĆ, Art. אמן, Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten 1 (2011), 209–219. 27 Vgl. dazu M. B UBER, Zwei Glaubensweisen, Zürich 1950, und die dadurch ausgelöste Debatte um Emunah und Pistis zwischen Judentum und Christentum. 28 In Jes 33,6 hat die Septuaginta einen anderen Text als den masoretischen vorliegen. 29 In Ps 119,30 ist es zwar der Mensch, der den Weg der אמונהwählt, aber die Qualifikation des Wegs geschieht von Gott her, sodass auch dieser Vers keine Ausnahme darstellt. 26
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mehr; אמתwird fast durchgehend mit ἀλήθεια und Derivaten übersetzt, sodass die Septuaginta hierbei das Wortfeld wechselt, ohne dabei eine ähnliche Differenzierung wie bei אמונהaufzuweisen. Von den weiteren Begriffen bezeichnet אמוןeinen Getreuen (drei Belege in 2Sam 20,19; Ps 12,2; 31,24). Die Lexika unterscheiden sich hier sowohl in der Vokalisierung als auch in der Aufnahme als Lemma: So führt Gesenius18, 72, אמוןals אָ מוּן, dagegen KAHAL, 33, als אֵ מוּןI.30 Es handelt sich um eine qātūl-Bildung von אמן, die im Übersetzungsvorgang allerdings nur bedingt als solche behandelt wird: Während in 2Sam 20,19 sinngemäß übersetzt wird, wird in Ps 12,2 (11,2LXX) und 31,24 (30,24LXX) den Sinn verändernd bzw. interpretierend mit αἱ ἀλήθειαι übersetzt. Letzteres zeigt allerdings auch, dass man sich bei der Psalterübersetzung eben auch in diesem Bereich durchgängig am Wortfeld orientiert hat. ( אֵ מֻןnach Gesenius18; אֵ מוּןII in KAHAL) ist eine Abstraktbildung und kann sowohl singularisch als auch pluralisch gebraucht werden, was darauf hindeutet, dass bei der Verwendung des Begriffs durchaus eine Vorstellung von etwas Konkretem mitschwingt und es sich nicht einfach nur um einen Abstraktplural handelt. Im Singular (Dtn 32,20) bezeichnet ‚ אֵ מֻןBeständigkeit‘, bei den Stellen, in denen es pluralisch gebraucht wird, schwingt dies ebenfalls mit (insb. in Spr 20,6), kommt aber auch als Gegenbegriff zur Lüge in den Blick (Spr 14,5). Die Bedeutung in den weiteren Belegstellen lässt sich kaum aus diesen selber heraus eruieren. In der Septuaginta spiegelt sich dies darin wider, dass in Dtn 32,20 mit πίστις übersetzt wird, in Jes 26,2, der Tendenz der Jes-Übersetzung folgend, mit ἀλήθεια (allerdings im Unterschied zur hebräischen Vorlage im Singular) und in den drei weiteren Belegen in Spr 13,17; 14,5; 20,6 unabhängig von Überlegungen zum Sinnzusammenhang mit πιστός, sodass aus der hebräischen constructus-Verbindung mit אֵ מֻןim Plural eine Adjektivverbindung mit πιστός im Singular wird. Schließlich spiegelt sich auch die hellenistische Verwendung von πίστις als Bezeichnung für Verträge wider: So wird in Neh 10,1 eine gemeinsame Vereinbarung ( ) ֲא מָ נָהmit πίστις übersetzt. 2.5 Zusammenfassung des Befundes Die hauptsächliche Vorlage für die Übersetzung mit dem πιστ-Wortstamm in der Septuaginta sind Derivate der Wurzel אמן. Mit ihnen schwingt nun ein Bedeutungsfeld mit, das bei den Verben im Hifil ‚jemandem/etwas vertrauen‘, ‚sich auf etwas einlassen‘, ‚sich auf 30 Gesenius. Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, hg. von H. Donner, Heidelberg 182013. Konzise und aktualisierte Ausgabe des Hebräischen und Aramäischen Lexikons zum Alten Testament, hg. von W. Dietrich/S. Arnet, Leiden 2013.
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jemanden verlassen‘ ‚etwas glauben‘ im Sinne von ‚etwas für wahr akzeptieren‘ und dementsprechend ‚sicher sein‘ umfasst. Im Hifil wird überwiegend eine Relation vorausgesetzt. Im Nifal geht es bei den Verben dagegen stärker um Verlässlichkeit, die sich darin erweist, dass man oder etwas auch nach einer zeitlichen Erstreckung noch so ist oder bei dem bleibt, wie es bzw. er/sie war. Dies spiegelt sich auch im Partizip נאמןwider, mit dem etwas Festes, Dauerhaftes, Verlässliches bzw. jemand Zuverlässiges bezeichnet wird. Im Folgenden wird nun der griechischen und hellenistischen Verwendung des πιστ-Wortstamms nachgegangen, also gewissermaßen die andere Seite beleuchtet, auf die die Übersetzung der Septuaginta zielsprachlich „traf“.
3. Die Verwendung von πίστις und weiteren Derivaten des πιστ-Stammes in der griechischen Literatur Für jede Übersetzung stellt sich innerhalb der Zielsprache die Frage, an welcher Sprachstufe, an welchem Stil und an welchem Sprachgebrauch man sich in ihr orientieren möchte. Das gilt auch für die Septuaginta. Und wie bei jeder Übersetzung, die einen langen Entstehungsprozess aufweist und von verschiedenen Personen und Personengruppen erarbeitet und überarbeitet worden ist, ist dies nicht immer einheitlich. Insbesondere gilt dies gerade auch für die Septuaginta. Damit stellt sich die Frage nach dem Referenzpunkt innerhalb des griechischen Sprachgebrauchs. Grundsätzlich bieten sich zwei Möglichkeiten an, denen im Folgenden beiden nachgegangen wird: Ein Ansatzpunkt ist die mehr oder weniger zeitgenössische Sprache des hellenistischen Griechisch, die sich bei Schriftstellern dieser Epoche ermitteln lässt; ein weiterer Ansatzpunkt ist der in den hellenistischen Bildungseinrichtungen wie dem Ephebeion und dem Gymnasium unterrichtete Bildungskanon, der zu einem großen Teil aus wesentlich älterer Literatur bestand. In beiden Fällen muss man sich allerdings auch dessen bewusst sein, dass zum einen die erwähnten Schriften nur eingeschränkt einen Rückschluss auf die tatsächlich gesprochene Sprache des 3.–1. Jahrhunderts zulassen und es sich zum anderen bei einer Übersetzung nicht um muttersprachliche Literatur handelt, sondern in einem gewissen Sinne um ein sprachliches Hybrid, das eben „Diener zweier Herren“ ist.31 31 Vgl. dazu K. USENER, Zur Sprache der Septuaginta, LXX.E, Suttgart 2011, 40–52. Siehe auch DERS., Griechisches im Griechisch der LXX, in: E. Bons/T.J. Kraus (Hg.), Et sapienter et eloqunter. Studies on Rhetorical and Sytlistic Features of the Septuagint, FRLANT 241, Göttingen 2011, 81–98.
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3.1 πίστις im hellenistischen Bildungskanon Nicht nur im Umfeld der ptolemäischen Bibliothek von Alexandria entstand eine Art Kanon an Literatur, die man gelesen haben musste, um als gebildet zu gelten. Schon im ausgehenden 5. Jahrhundert hatte Aristophanes die großen Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides als bildungsrelevant zusammengestellt.32 In hellenistischer Zeit wurden literaturgattungsspezifische Kanones für die Epik, Lyrik, Tragödien, Komödien, Reden, historische und philosophische Werke erstellt.33 Homer spielte dabei eine bedeutende Rolle, und die Exegese seiner Werke prägte die wissenschaftliche Arbeit der Zeit.34 Ein Beispiel für einen Schultext dieser Epoche ist der Papyrus Guéraud/ Jouguet aus dem 3. Jahrhundert.35 Er beginnt mit Silben in verschiedenen Schwierigkeitsstufen und bietet dann Listen mit Götternamen, Flussnamen und verschiedenen Wörtern, die nicht inhaltlich, sondern durch ihre Silbenzahl bestimmt sind (vier- und fünfsilbige Wörter). Am Ende des literarischen Teils stehen Auszüge aus literarischen Texten, u.a. von Homer und Euripides. Ihnen folgen noch einige Rechenbeispiele, u.a. zu Quadratzahlen. Aus weiteren Texten36 geht hervor, dass neben Homer und Euripides auch Hesiod, Choirilos von Samos, Apolonios von Rhodos, Sappho, Pindar sowie als Historiker Herodot, Xenophon, Hellanikos und Thukydides gelesen wurden – jeweils in Auszügen.37 Dabei ist die Präferenz für alte Werke deutlich erkennbar.38 Dies alles prägte das Bildungsideal der hellenistischen Zeit und damit auch dessen Sprache und Sprachempfinden. Im Folgenden wird deshalb zuerst auf die (damals) klassische Literatur eingegangen und dann in einem zweiten Schritt auf die (damals) zeitgenössische. 3.2 πίστις/πιστεύω und weitere Derivate des πιστ-Stammes in der für die Zeit der Septuaginta „klassischen“ Literatur Das Nomen πίστις umfasst mehrere Bedeutungsfelder, die angesichts der Fülle des literarischen Materials im Folgenden systematisierend dargestellt werden. Die angeführten Belegstellen haben aus demselben Grund ex32
KREUZER, Entstehung (s. Anm. 1), 36. U. DUBIELZIG, Art. Kanon, Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 2005, 513–519. 34 Vgl. die Untersuchung M.R. NIEHOFF, Jewish Exegesis and Homeric Scholarship in Alexandria, Cambridge 2014. 35 O. Guéraud/P. Jouguet (Hg.), Un livre d’écolier du IIIe siècle avant J.-C., Kairo 1938. 36 Vgl. beispielsweise Papyrus Argentorat 2374vs. 37 Vgl. des Weiteren F. UEBERSCHAER, Weisheit aus der Begegnung. Bildung nach dem Buch Ben Sira, BZAW 379, Berlin 2007, 123–134. 38 DUBIELZIG, Kanon (s. Anm. 33), 513f. 33
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emplarischen Charakter; es findet allerdings vor allem der hellenistische Bildungskanon Berücksichtigung.39 Eine der grundlegenden Bedeutungen von πίστις ist ‚Vertrauen‘. So erscheint es auch in seinem ersten literarischen Beleg bei Hesiod (vor 700) in dessen Werk „Werke und Tage“,40 denn im Rahmen seiner weisheitlich anmutenden Ratschläge hält dieser fest: „πίστεις δ’ ἄρα ὁμῶς καὶ ἀπιστίαι ὤλεσαν ἄνδρας – Vertrauen bringt genauso wie Misstrauen Männer ins Verderben“ (Hesiod, erg. 371/2). Dieselbe Gegenüberstellung findet sich auch bei Theognis in seinen Elegien: „Πίστει χρήματ’ ὄλεσσα, ἀπιστίηι δ’ ἐσάωσα· γνώμη δ’ ἀργαλέη γίνεται ἀμφοτέρων. – Durch Vertrauen habe ich Vermögen verloren, durch Misstrauen habe ich es bewahrt; eine traurige Erkenntnis kommt aus beiden“ (Theognis, Elegien 1,831). In beiden Fällen geht es um πίστις und ἀπιστία, die in dieser Gegenübersetzung hier nur im Sinne von ‚Vertrauen‘ bzw. ‚Misstrauen‘ verstanden werden können. ‚Vertrauen‘ ist eine der zentralen Grundbedeutungen von πίστις, wie es sich in der für den Hellenismus bereits klassischen Literatur zeigt, beispielsweise bei Sophokles (El. 735; Oid. T. 1420.1445; Trach. 588.590; Oid. K. 950), Thukydides (3,112,4; 7,67,4; 8,73,3), Herodot (3,70), Xenophon (Kyr. 1,6,19) und Euripides (El. 737f.). Vertrauen braucht nun zweierlei: einen Grund und einen, der bereit ist, Vertrauen zu schenken. Auch diese beiden Aspekte umfasst πίστις. Als Grund des Vertrauens im Sinne der Vertrauenswürdigkeit verwendet Theognis den Begriff als ‚Verlässlichkeit‘ (Theognis, Elegien 1,66) und als ‚Treue‘ (Theognis, Elegien 1,1243f.). Als letztere kann er die πίστις sogar personifizieren und als Göttin neben ἔλπις, σωφροσύνη und die χάριτες stellen (Theognis, Elegien 1,1137). Die Bedeutung ‚Treue‘ wird damit zu einer der Hauptbedeutungen von πίστις, vgl. exemplarisch bei Tragikern wie Aischylos (Pers. 443) und Sophokles (Oid. K. 611; Trach. 623; Phil. 813) sowie bei Historikern wie Thukydides (1,120,5); Herodot (3,70,1), Xenophon (Kyr. 1,6,19; hell. 7,2,17; mem. 2,6,20; an. 1,6,3) (vgl. auch Euripides, Med. 492, bei dem es um das treue Festhalten an einem gegebenen Eid geht, sowie Euripides, Hipp. 1055; 1321, wo dies auch bei anderen Aussagen beansprucht wird). Über den Grund im Sinne der Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit hinaus umfasst πίστις dann auch verschiedene Formen von deren Institutionalisierung. So bezeichnet πίστις zuweilen eine gegebene Garantie (Thukydides 1,133; Xenophon, an. 1,2,26; 3,2,8; Xenophon, hell. 1,3,4;), den Eid (Thukydides 3,82,6; 3,82,7; 4,51; 4,74,2; 4,86,2; 5,30,3; 5,45,2; 39
Vgl. auch R. B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ. A, ThWNT 6 (1959), 174–182. In der Regel wird für jede zu erhebende Bedeutung jeweils ein Beleg zitiert und weitere Belegstellen nur als solche angegeben. Auf eine Bibliographie wird verzichtet, stattdessen sei auf die einschlägigen Ausgaben verwiesen. 40
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8,73,3; Euripides, Med. 22; Euripides, Hipp. 1037.1309), die Bürgschaft (Euripides, Med. 731), auch allgemein eine ‚Abmachung‘ bzw. einen ‚Vertrag‘ (Sophokles, Oid. K. 950). Daneben steht zudem noch πίστις als Zeugenaussage (Thukydides 6,53,2) und als Beweis (Sophokles, El. 887). Einen eigenen Weg geht Plato in seinen philosophischen Schriften. Er verwendet πίστις als ‚Glauben‘ im Sinne von ‚Für-wahr-Halten‘ im Unterschied zum wirklich Gelernten (Platon, Gorg. 454d: Πότερον οὖν ταὐτὸν δοκεῖ σοι εἶναι μεμαθηκέναι καὶ πεπιστευκέναι, καὶ μάθησις καὶ πίστις, ἢ ἄλλο τι;) und zur sicheren Erkenntnis (Platon, Gorg. 454e: τὸ μὲν πίστιν παρεχόμενον ἄνευ τοῦ εἰδέναι, τὸ δ’ ἐπιστήμην; Platon, rep. 505e). In Platon, rep. 511de entwickelt er eine Wissenshierarchie aus νόησις, διάνοια, πίστις und εἰκασία und in Platon, rep. 533e–534a aus ἐπιστήμη, διάνοια und πίστις (vgl. auch Platon, rep. 601e). πίστις ist lediglich eine Vorstufe zur Wahrheit (Platon, Tim. 29c: ὅτιπερ πρὸς γένεσιν οὐσία, τοῦτο πρὸς πίστιν ἀλήθεια). Jenseits dieser Stellen verwendet allerdings auch Plato πίστις in der Bedeutung ‚Eid‘ (Platon, Kritias 119d; Platon, leg. 701b) und im Sinne von ‚Beweis‘ (Platon, leg. 966c) sowie den Akkusativ πίστιν wie Sophokles für ‚treu‘ (Platon, Kritias 117d). Das Adjektiv πιστός ist der älteste Beleg für einen Vertreter des πιστStammes und umfasst vor allem drei Bedeutungsebenen: ‚treu‘, ‚vertrauenswürdig‘ (bei Menschen und Sachen) und in determinierter Form τὸ πιστόν die ‚Garantie/Sicherheit‘, die vertraglichen Charakter haben kann. Der Bedeutungsaspekt ‚treu‘ findet sich bereits bei Homer und bezieht sich vor allem auf Menschen, indem es sie charakterisiert (z.B. Homer, Il. 15,437; 18,460). Diese Bedeutungsebene bildet im Anschluss daran einen der Schwerpunkte. Prominente Beispiele sind Hesiod, theog. 735; Pindar, P. 1,88; Aischylos, Pers. 528.681.980; Sept. 20; Choeph. 243; Eum. 291.670; Prom. 969; Isokrates, or. 10,38. Der Aspekt ‚vertrauenswürdig‘ kann sich sowohl auf Menschen als auch auf Sachen, insbesondere auf Eide oder Verträge beziehen. Menschen kommen an dieser Stelle beispielsweise als Zeugen in den Blick (Pindar, P. 1,88; vgl. auch Thukydides, 3,43,2; Isokrates, or. 10,38). Dabei kann Pindar πιστός aber auch auf die Götter beziehen (Pindar, N. 10,54), die vertrauenswürdig sind im Unterschied zu den Menschen (Pindar, N. 10,78). Aischylos verwendet πιστός im Sinne von ‚vertrauenswürdig‘ vor allem im Blick auf „vertrauenswürdige Zeichen“ (πιστὰ τεκμήρια, Aischylos, Suppl. 55; vgl. auch Suppl. 461; Ag. 272.352.1213; Cheoph. 901). Im Neutrum Plural (τὰ πιστά) kann πιστός auch der Ausdruck einer unverbrüchlichen Verbindung sein (Aischylos, Ag. 651: πῦρ καὶ θάλασσα, καὶ τὰ πίστ’ ἐδειξάτην; Cheoph. 397; Eum. 673; vgl. auch Xenophon, an. 3,2,5; 4,8,7; Kyr. 3,2,23; 4,2,13) und schließlich auch für Verträge (in der Regel im Plural) (Herodot 3,8,1; Aischylos, Ag. 651; Eum. 673).
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Bei den zum πιστ-Stamm gehörigen Verben ist zu unterscheiden zwischen πιστεύω und πιστόω, wobei πιστεύω mit großem Abstand häufiger belegt ist als πιστόω. Beide Verben leiten sich ab von πιστός, sodass im Griechischen der Weg exakt andersherum verläuft als im Hebräischen. πιστεύω umfasst im Aktiv im Wesentlichen die Bedeutungsebenen: ‚jemandem oder etwas vertrauen‘ und ‚etwas für wahr halten‘. Im Passiv gibt es die entsprechenden Bedeutungen: ‚für vertrauenswürdig gehalten werden‘ und ‚für wahr gehalten werden‘ (letzteres inklusive der Wendung ‚angenommen, dass‘). Die Bedeutung ‚jemandem oder etwas vertrauen‘ findet sich insbesondere bei den Historikern, beispielsweise bei Herodot 1,24,2; Thukydides 3,5,2; Xenophon, an. 1,9,8. Gebildet wird die Formulierung mit Dativ. Der Kontext ist dabei primär zwischenmenschlich und hat keine religiöse Konnotation. Daneben steht die eher epistemische Bedeutungsebene ‚etwas für wahr halten‘. Auch sie wird mit Dativ ausgedrückt (beispielsweise Herodot 4,96,1; Euripides, Hel. 710), darüber hinaus aber auch mit einem Infinitiv formuliert, in dem ausgesagt wird, was für wahr gehalten wird (beispielsweise Thukydides 5,105,3; Xenophon, an. 1,9,8), bzw. mit einem angeschlossenen ὅτι (Aristophanes, Eccl. 583). Letzteres erfreut sich in der Zeit im Übergang zum Hellenismus größerer Beliebtheit, wie unter anderem Aristoteles, phys. 254a 3; Epikuros 5,35 zeigen. Inhaltlich kann es um verschiedene Kontexte gehen. In Aischylos, Pers. 800 bezieht sich πιστεύω auf Prophezeiungen der Götter, bei Herodot 2,118,4; Sophokles, El. 886 dagegen auf Aussagen in zwischenmenschlichen Diskussionen ohne theologischen Hintergrund. Plato greift mit der Wendung „τοῖς ἔμπροσθεν λόγοις πιστεύομεν, οἷς ἐλέγομεν ...“ (Platon, Leg. 798d) auf eine frühere Argumentation zurück. Im Passiv bezeichnet πιστεύω die Richtung auf das Patiens, dem nicht nur Vertrauen entgegen gebracht wird, sondern das auch für vertrauenswürdig erachtet wird (vgl. Xenophon, Kyr. 4,2,8; 7,6,33; Platon, epist. 309a; Aristoteles, eth. Nic. 1156b 29; Aristoteles, pol. 1305a 22). Schließlich geht es darum, dass man jemandem etwas glaubt in dem Sinne, dass man das, was er sagt oder vertritt, für wahr hält, bzw. (ohne Nennung einer Person) einen Sachverhalt oder eine Aussage für wahr hält (vgl. Xenophon, Kyr. 5,3,17; 6,1,39; Aristoteles, eth. Nic. 1172b 6; Demosthenes, or. 32,2). Syntaktisch kann dies auch absolut im Sinne von ‚angenommen, dass‘ gebraucht werden (vgl. Xenophon, an. 7,7,25; Aristoteles, An. 428b 4). Wie in seinem Verständnis von πίστις schätzt Plato auch das πιστεύειν nicht sehr hoch ein. So verwendet er πιστεύω zwar auch im Sinne von ‚etwas glauben‘, das heißt ‚etwas für wahr halten‘ (Platon, apol. 18c), und im Sinne von ‚vertrauen auf‘. Doch gerade letzteres hat dabei eher die Bedeutung ‚von etwas ausgehen‘ (Phaid. 88d: Τίνι οὖν ἔτι πιστεύσομεν λόγῳ; apol. 19b), so beispielsweise auch ganz prominent in der Selbstaussage am
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Beginn der Apologie des Sokrates: ‚Ich gehe davon aus, dass…‘ (apol. 17c: πιστεύω γὰρ δίκαια εἶναι ἃ λέγω). Dabei wird deutlich, dass genauso wie πίστις auch πιστεύω für Plato durchaus eher fragwürdigen Charakter hat (so lässt er Sokrates am Beginn eines Redegangs mit Hermogenes sagen: Τῇ τοῦ Εὐθύφρονος ἐπιπνοίᾳ πιστεύεις, ὡς ἔοικας [Kratylus 399a, vgl. auch 400a; 425b u.ö.]). Und auch an Stellen, in denen πιστεύω als ‚vertrauen‘ in den Blick kommt, erhält es einen negativen Beigeschmack, so zum Beispiel in Phaid. 89d, da Plato dieses ‚Vertrauen‘ für voreilig hält: ἥ τε γὰρ μισανθρωπία ἐνδύεται ἐκ τοῦ σφόδρα τινὶ πιστεῦσαι ἄνευ τέχνης (ähnlich Phaid. 90b). Das Verb πιστόω ist im Aktiv, Medium und Passiv belegt. Im Aktiv hat es die Bedeutung ‚jemanden verpflichten‘ (vgl. Thukydides 4,88,1); gebildet wird es mit dem Akkusativ und einem dativus instrumentalis zur Angabe, wodurch jemand zu etwas verpflichtet wird (bspw. durch einen Eid). Im Medium ist es bereits bei Homer bezeugt in der Bedeutung, sich etwas gegenseitig zu versichern (Homer, Il. 6,233; 21,286). Diese Konnotation zieht sich durch die Zeiten durch, wie an Polybios zu erkennen ist (Polybios 17,39,6). Im Passiv wird πιστόω in der Bedeutung ‚durch einen Eid verpflichtet werden‘ verwendet (vgl. Euripides, Iph. A. 66). 3.2 πίστις/πιστεύω und weitere Derivate des πιστ-Stammes in der für die Zeit der Septuaginta zeitgenössischen Literatur Es ist immer schwierig, in der Rückschau zu erfassen, welche zeitgenössische Literatur auf den Sprachgebrauch Einfluss nimmt. Viel eher kommt sie in den Blick als Repräsentantin des jeweils üblichen Sprachgebrauchs. Doch auch hier bleibt letztlich offen, inwieweit damit Rückschlüsse auf die Sprache gezogen werden können, die die Übersetzer der Septuaginta als Ausdrucksweise vor Augen hatten. Textlich sollen hier Menander, Epikur und Polybios im Vordergrund stehen, da sie der Entstehung der Septuaginta zeitlich am nächsten kommen.41 Menander verwendet πίστις sehr unterschiedlich. Zum einen bezeugt auch er die Bedeutung als ‚Eid‘ (Menandros, Dysk. 308: πίστιν ἐπιθεὶς). Darüber hinaus scheint πίστις aber auch ‚Vertrauenswürdigkeit‘ zu bedeuten (Menandros, fr. 584/800: ἔργον γυναικὸς ἐκ λόγου πίστιν λαβεῖν). Daneben verwendet er πίστις aber auch oft absolut, sodass sich nichts für die konkrete Bedeutung von πίστις ablesen lässt (z.B. Menandros, Dysk. 280–283: für diejenigen, die ärmlich leben, sich aber damit abfinden, gilt: εἰς πίστιν ποτ’ ἐλθόντας χρόνωι; Menandros, fr. 523/781: συγκέχυκε νῦν τὴν πίστιν ὁ καθ’ ἡμᾶς βίος). 41
Verfasser wie Philo oder Plutarch scheiden hier aus, da sie von der Septuaginta bereits beeinflusst sind, und haben ihre Bedeutung eher als Indikatoren für den Sprachgebrauch des Neuen Testaments.
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Bei Epikur hat πίστις eine äußerst positive Konnotation und erscheint mehrfach als ‚Gewissheit‘ (Diogenes Laertius, Epikuros 63: Μετὰ δὲ ταῦτα δεῖ συνορᾶν ἀναφέροντα ἐπὶ τὰς αἰσθήσεις καὶ τὰ πάθη – οὕτω γὰρ ἡ βεβαιοτάτη πίστις ἔσται – ὅτι…; Epikuros 85: πίστιν βέβαιον), aber auch in einer Bedeutung, die einer positiven Weltsicht entspricht (evtl. als ‚Zuversicht‘: Epikuros, fr. 34: Οὐχ οὕτως χρείαν ἔχομεν τῆς χρείας [τῆς] παρὰ τῶν φίλων ὡς τῆς πίστεως τῆς περὶ τῆς χρείας). Dagegen schwierig zu deuten ist Epikuros, fr. 7 aufgrund der absoluten Verwendung von πίστις (Ἀδικοῦντα λαθεῖν μὲν δύσκολον, πίστιν δὲ λαβεῖν ὑπὲρ τοῦ λαθεῖν ἀδύνατον). Polybios stellt in der Einleitung zu seiner Geschichtsdarstellung πίστις gleichberechtigt neben die ἐμπειρία (Polybios 1,4,11), versteht sie aber auch als ‚Glauben‘ bzw. ‚Vertrauen‘ im Sinne von ‚Akzeptanz‘ (neben ,παραδοχή‘ in 1,5,5: παραδοχῆς ἀξιωθῆναι καὶ πίστεως; vgl. bezogen auf einen Menschen auch 1,9,2 u.ö.). Aber auch die Bedeutung Treue findet sich (1,7,7: διετήρουν τὴν πόλιν καὶ τὴν ἑαυτῶν πίστιν; 1,7,12 u.ö.). Das Adjektiv πιστός verwendet Menander im Wesentlichen im Sinne von ‚treu‘ (Dysk. 26: πιστὸν οἰκέτην; Menandros, Epitr. 983f.) oder ‚zuverlässig‘ (Pk. 187: παράνομοι ἅπαντες, οὐδὲν πιστόν), aber auch als ‚Beweis‘ (fr. 513,2). Polybios bezeugt πιστός als ‚zuverlässig‘ und ‚glaubwürdig‘ (3,9,5: πᾶν εὐθέως ἡγοῦνται τὸ λεγόμενον ὑπὸ τούτου πιστόν; 12,13,3 u.ö.) oder ‚treu‘ (10,18,15: πιστοὺς ἄνδρας u.ö.). Im Plural (τὰ πιστά) bedeutet es ‚Eid‘ (2,22,3; 2,41,15). Das Verb πιστεύω hat bei Epikur die Bedeutung ‚etwas für wahr halten‘. Der Inhalt dessen, was für wahr gehalten wird, wird in der Regel mit ὅτι angeschlossen (Epikuros 5,35; später auch Philo, spec. 1,242). In hellenistischer Zeit bzw. in der Zeit kurz davor tritt eine weitere Bedeutungsebene von πιστεύω hinzu: ‚jemandem etwas anvertrauen‘. Zwar erscheint sie schon bei Xenophon, mem. 4,4,17, doch findet sie dann breite Verwendung bei Menander (fr. 605,2, vgl. auch Gn. 142). Für das Passiv von πιστεύω ist über die bereits besprochenen Bedeutungsebenen hinaus in hellenistischer Zeit bei Polybios (200–120) zeitgenössisch die Bedeutungsebene ‚etwas als Pfand nehmen/akzeptieren‘ bezeugt (gebildet mit τινος) (vgl. 3,69,1; 6,56,13; 18,55,6; Diodorus Siculus 12,15,3). Gegenüber πιστεύω weist das Verb πιστόω durchaus davon unterschiedene Bedeutungsebenen auf. So verwendet es Polybios im Sinne von ‚sich für etwas verbürgen‘ (1,43,5: ἔτι δὲ πιστωσάμενοι τὰς προτεινομένας ἑκάστοις δωρεὰς ὑπὸ τοῦ στρατηγοῦ; vgl. auch 8,15,2) oder auch ‚sich gegenseitig versichern‘ (18,39,6: καὶ τότε μὲν ἐχωρίσθησαν πιστωσάμενοι περὶ τῶν ὅλων πρὸς ἀλλήλους). In späterer hellenistischer Zeit ist neben den oben bereits erwähnten Bedeutungsebenen für das Verb πιστόω bei
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Philo die Verwendung im Sinne von ‚beweisen, belegen‘ bezeugt (im Aktiv in Philo, spec. 3,206; im Medium: vgl. Philo, migr. 110; legat. 311; aet. 121 und bereits vorher Polybios 1,43,5). 3.3 Zusammenfassung des Befundes πίστις hat in der klassischen griechischen Literatur die grundlegende Bedeutung ‚Vertrauen‘ und umfasst dann davon ausgehend den Grund des Vertrauens – ‚Treue‘ und ‚Verlässlichkeit‘ – sowie dessen Institutionalisierungen als gegebene Garantie, als Eid, Bürgschaft, Abmachung oder Vertrag, als Zeugenaussage oder auch als Beweis. Plato spielt in diesem Zusammenhang in seinen philosophischen Schriften insofern eine Sonderrolle, als er πίστις im Gegensatz zu sicher Gewusstem versteht. Doch lassen sich in der hellenistischen Zeit weitere Bedeutungsverschiebungen beobachten. Zwar bleiben die alten Bedeutungsebenen wie ‚Eid‘ oder ‚Vertrauenswürdigkeit‘ bestehen, doch kann πίστις bei Epikur neben der Bedeutung ‚Gewissheit‘ auch eine positive Einstellung bezeichnen und bei Polybios die schlichte Akzeptanz von etwas meinen. Das Adjektiv πιστός behält dagegen durch die Zeiten hindurch die Bedeutungsebenen ‚treu‘, ‚zuverlässig‘ ‚vertrauenswürdig‘ sowie ‚Garantie‘, das heißt eine gegebene Sicherheit, sei es in einem Eid oder als Beweis. Das Verb πιστεύω hat im Aktiv die Bedeutungsebenen ‚jemandem oder etwas vertrauen‘ und ‚etwas für wahr halten‘. Im Passiv gibt es die entsprechenden Bedeutungen: ‚für vertrauenswürdig gehalten werden‘ und ‚für wahr gehalten werden‘. In einer absoluten Verwendung meint πιστεύω ‚angenommen, dass‘ bzw. ‚davon ausgehend, dass…‘ und trägt damit auch einen Aspekt der Unsicherheit in sich. In der hellenistischen Zeit treten Bedeutungen wie ‚jemandem etwas anvertrauen‘ (πιστεύω im Aktiv) bzw. ‚etwas als Pfand akzeptieren‘ (πιστεύω im Passiv) hinzu. Das zweite auf den πιστ-Stamm zurückgehende Verb πιστόω geht zwar in eine ähnliche Richtung, beinhaltet allerdings weniger den Aspekt des Vertrauens als vielmehr den des Verpflichtens (im Aktiv) bzw. des Verpflichtet-Werdens (im Passiv) oder des Sich-gegenseitig-Verpflichtens (im Medium). In der hellenistischen Zeit verschiebt sich dies noch einmal in die Richtung des Sich-Verbürgens. Eine spezifisch religiöse Konnotation hat der Wortstamm πιστ- also nicht. Dennoch ist er auch nicht „unreligiös“, denn schon bei Aischylos bezieht sich πιστεύω auf Prophezeiungen der Götter (Aischylos, Pers. 800). Umgekehrt ist allerdings auch zu sehen, dass der Wortstamm אמן ebenfalls keine spezifisch religiöse Bedeutung hat, sodass dieser Befund auch nicht überzubewerten ist.
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4. πίστις und – אמונהeine Zusammenschau Korreliert man nun beide Befunde, dann lassen sich große Übereinstimmungen feststellen. So unterscheiden sich πιστός und נאמןallenfalls noch in den in den alttestamentlichen Schriften erkennbaren lebensweltlichen Bezugsgrößen von נאמן, wobei dies aber keinen Einfluss auf die Bedeutungsnuancen hat, die letztlich semantisch synonym sind. Auch πιστεύω entspricht im Wesentlichen אמןim Hifil. Bemerkenswert ist die Wahl von πιστόω zur häufigsten Übersetzung der verbalen Verwendung von אמןim Nifal, denn hier wird das Feste und Verlässliche, das in אמןim Nifal steckt, mit einem Verb der Verpflichtung wiedergegeben. Der Hauptunterschied besteht allerdings ausgerechnet im Hauptwort des Bedeutungsfeldes, zwischen der griechischen πίστις und der biblischen אמונה. Denn während πίστις grundlegend eine Relation beinhaltet oder voraussetzt, ist dies bei אמונהnicht der Fall. Allerdings ändert sich dies im Laufe der Zeit, wie die Schriften aus Qumran zeigen, sodass sich in der Wahl von πίστις als Äquivalent für אמונהaller Wahrscheinlichkeit nach zweierlei widerspiegelt: zum einen die Bedeutungsverschiebung im Verständnis des Wortes אמונהhin zu einem Beziehungsgeschehen und Beziehungsbegriff, zum anderen aber auch eine Bedeutungskonzentration des Begriffs πίστις selber, der nun eine verstärkt religiöse Konnotation erhält. Auch darin ist die Septuaginta mehr als nur eine Übersetzung, sondern eben auch eine Zeitzeugin geistesgeschichtlicher Entwicklung.
5. Paulus und die Septuaginta. Die Septuagintazitate mit πίστις in den Briefen des Paulus Paulus verwendet in seinen Briefen vier Zitate aus der Septuaginta, in denen πίστις bzw. πιστεύω erwähnt wird: je zweimal zitiert er Gen 15,6 (Röm 4,3; Gal 3,6); Jes 28,16 (Röm 9,33; 10,11) und Hab 2,4 (Röm 1,17; Gal 3,11) sowie einmal Jes 53,1 (Röm 10,16). An dieser Stelle soll es nun um die Zitate selber gehen, zum einen um ihren Text, das heißt um ihre Textentwicklung im Zusammenhang von Masoretischem Text, Septuaginta und neutestamentlicher Bezeugung, und zum anderen um die Frage nach dem in ihnen zum Tragen kommenden Verständnis von πίστις bzw. πιστεύω. 5.1 Gen 15,6 und Röm 4,3; Gal 3,6 Paulus bietet den Text von Gen 15,6 weitestgehend in der Textfassung der anzunehmenden Old Greek; lediglich beim Zitatanfang unterscheidet er
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sich von dieser. Dabei ist für Gal 3,6 bereits auf den ersten Blick erkennbar, dass dies hier der Einbindung in den Argumentationszusammenhang geschuldet ist. In Röm 4,3 könnte es sich allerdings um eine textgeschichtlich bemerkenswerte Variante handeln, die Paulus bietet, denn statt καὶ ἐπίστευσεν Αβραμ bietet er ἐπίστευσεν δὲ Ἀβραάμ. Dabei sind die namentliche Nennung Abrahams und seine Namensschreibung weniger interessant als die Verwendung von καί bzw. δέ, denn die Erwähnung Abrahams stellt eine Vereindeutigung des Textes dar, also eine Interpretationsleistung des Übersetzers bzw. des Tradenten seiner Vorlage, die keinen Anspruch auf Ursprünglichkeit erheben kann. Dagegen handelt es sich bei δέ um eine interessante Variante, denn δέ wird in der Septuaginta von Gen häufig dazu benutzt, um in der Übersetzung bewusst eine Markierung zu setzen, auch wenn dies keinen Anhalt am hebräischen Text hat (vgl. Gen 4,16. 18.23.25 u.ö.). Die Verwendung von δέ spiegelt also weniger einen ursprünglichen Text als vielmehr das Textverständnis der Übersetzer wider. Dies könnte nun in der Septuagintaversion, die Paulus einmal vorgelegen hat (also auch unabhängig von der Frage, ob er von einem Schriftstück oder auswendig zitiert hat), der Fall gewesen sein, sodass er eben eine andere Version bezeugt als die sonst angenommene der Old Greek. Jene wäre auch viel näher an der Version des Masoretischen Textes, in dem ja der zitierte Satz aus dem Erzählduktus des Narrativs herausfällt ()וְ ֶה ֱא מִ ן בַּ יהוָה.42 Gerade dies stellt allerdings die Ursprünglichkeit der von Paulus bezeugten Version in Frage, da sich beobachten lässt, wie die Septuagintaübersetzungen nach und nach an den hebräischen Text angepasst wurden. Paulus wird also wahrscheinlich bereits eine überarbeitete Version des Septuagintatextes von Gen gehabt haben, in der er auf die markante Stellung von Gen 15,6 im Erzählverlauf aufmerksam gemacht wurde. Seine prominente Stelle in der Argumentation des Paulus hat der Vers dabei wohl seinem kanonischen Ort innerhalb der Abrahamerzählung zu verdanken, in der der Bundesschluss von Gen 15 eben vor dem in Gen 17 steht.43 Für das in Gen 15,6 zum Tragen kommende Verständnis von πιστεύω wird hier deutlich, dass es sich, wie oben dargestellt, um einen Beziehungsbegriff handelt. Die Freiheit der Übersetzung spiegelt sich auch hier darin wider, dass die im Hebräischen mit בkonstruierte Wendung im Grie-
42 Siehe zu den daraus resultierenden zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten T. KRÜGER, Lost in Translation: zu Gen 15,6, in: T. Wagner/J.R. Robker/F. Ueberschaer (Hg.), Text – Textgeschichte – Textwirkung, FS Siegfried Kreuzer, AOAT 419, Münster 2014, 29–37. Vgl. jüngst R. ALBERTZ, Exodus 1–18, ZBK.AT 2.1, Zürich 2012, 99, der Gen 15,6 einer spätdeuteronomistischen Redaktion zuschreibt, die die Glaubensthematik breit im Pentateuch verankert hat. 43 Vgl. die Argumentation in Röm 4.
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chischen mit Dativ wiedergegeben wird, wobei keine Bedeutungsverschiebung anzunehmen ist.44 5.2 Jes 28,16 und Röm 9,33; 10,11 Bei diesem Zitat gibt es zwei bemerkenswerte textliche Abweichungen. Während es in Qumran und im Masoretischen Text heißt: ַה מַּ ֲא ִמ ין ל ֹא יָחִ ישׁ, bietet die Septuaginta: καὶ ὁ πιστεύων ἐπ᾿ αὐτῷ οὐ μὴ καταισχυνθῇ. Zum einen gibt es also gegenüber dem hebräischen Text im Griechischen ein Mehr durch die Worte ἐπ᾿ αὐτῷ und zum anderen besteht eine semantische Differenz zwischen ‚( יָ חִ ישׁeilen, beschleunigen‘, wobei die genaue Wortbedeutung an dieser Stelle umstritten ist45) und καταισχυνθῇ (‚zuschanden werden‘ im Aorist). Paulus bringt nun eine dritte Variante ins Spiel: Während er ebenfalls ἐπ᾿ αὐτῷ bezeugt, gibt er im Unterschied zur Septuaginta καταισχυνθήσεται wieder, bezeugt also Futur statt Aorist. Im hebräischen Text hat also הַ מַּ ֲא מִ יןim Unterschied zum Griechischen keinen Bezug; diesen bieten dagegen sowohl die Septuaginta von Jes als auch Paulus durch das ἐπ᾿ αὐτῷ. In der Frage nach dem ursprünglichen Text hat schon Hans Wildberger mit Verweis auf Jes 7,9 geurteilt, dass ἐπ᾿ αὐτῷ kaum ursprünglich sei,46 worin ihm durchaus Recht zu geben ist. Denn für Jes scheint ַה מַּ ֲא מִ יןnicht zwingend einen sprachlich ausgedrückten Bezugspunkt zu brauchen – ein Umstand, dem auch der Septuagintaübersetzer in Jes 7,9 Rechnung trägt. Möglicherweise war diese Stelle aber auch so markant, dass er daran nichts ändern konnte, denn in Jes 28,16, fügt der Übersetzer nun diesen Zusatz hinzu. Arie van der Koij und Florian Wilk verstehen ihn dementsprechend auch nicht zu Unrecht als Erläuterung,47 denn in der Tat erschwert der Masoretische Text durch die absolute Verwendung von ַה מַּ ֲא ִמיןdie Deutung, die ja ohnehin problematisch ist,48 wogegen der Septuagintaübersetzer dem πιστεύων einen äußeren Bezugspunkt gibt und so das πιστεύειν theologisiert. Dieser Theologisierung entspricht auch die deutende Übersetzung von יָחִ ישׁmit καταισχυνθῇ bzw. καταισχυνθήσεται, durch die der ebenfalls schwierig zu verstehende hebräische Text eine Vereindeutigung erfährt. Offen ist damit noch die Frage, welche dieser beiden griechischen Lesarten von καταισχύνομαι die ur44
Zu weiteren Differenzen zwischen dem Masoretischen Text und der griechischen Textüberlieferung vgl. P. PRESTEL/S. SCHORCH, Genesis. Das erste Buch Mose, LXX.E, Stuttgart 2011, 145–257, 184. 45 Vgl. Genesius18 (s. Anm. 30), 333. 46 H. W ILDBERGER, Jesaja. Band 3. Jes 28–39, BK 10/3, Neukirchen-Vluyn 1982, 1067. 47 A. VAN DER KOOIJ/F. W ILK, Jesaja, in: M. Karrer/W. Kraus (Hg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Stuttgart 2011, 2484–2607, 2576. 48 Vgl. J EPSEN, ( אמןs. Anm. 18), 330.
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sprünglichere ist. Tatsächlich haben sie beide einen gewissen Anhalt am hebräischen Text: Der Aorist kann als gnomischer Aorist verstanden werden, mit dem auch sonst häufig die ebenfalls gnomischen hebräischen Präformativkonjugationen übersetzt werden, während das Futur eben die futurische Bedeutung der Präformativkonjugationen widerspiegelt, die angesichts des Kontextes einer Gerichtsankündigung ihren Sinn hat. Letztlich liegt also wahrscheinlich im Blick auf die Wiedergabe des יָחִ ישׁbeiden griechischen Versionen derselbe hebräische Text zugrunde, und es handelt sich um zwei alternative Übersetzungen,49 in denen sich jeweils unterschiedliche Textverständnisse niedergeschlagen haben. Da Paulus aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit dem hebräischen, sondern eben ausschließlich mit einem griechischen Text gearbeitet hat, ist es wahrscheinlicher, dass er eine solche Texttradition vorgefunden hat, auf der er für seine Glaubenstheologie aufbauen konnte, als dass er selber in den griechischen Text (in einem bestimmten Sinne des hebräischen Textes) eingegriffen hat. Im Blick auf das Verständnis von πιστεύω wird an der Textentwicklung deutlich, dass es nicht erst und nicht allein Paulus war, dem für πιστεύω ein Bezugspunkt fehlte, da sich diese Textveränderung bereits in den Septuagintatexten findet. Dabei ist die Wendung πιστεύειν ἐπί durchaus bemerkenswert, denn sie findet sich innerhalb der Septuaginta nur noch in SapSal 12,2 und ist auch außerhalb der biblischen Literatur höchst selten bezeugt,50 sodass sich nicht einmal sagen lässt, dass sich hier das Griechische mit seiner eigenen Sprach- und Ausdrucksweise niedergeschlagen habe. 5.3 Hab 2,4 und Röm 1,17; Gal 3,11 Zu dem Text von Hab 2,4 im Masoretischen Text, in seinen Bezeugungen in den Texten von Qumran und in der judäischen Wüste sowie in der Septuaginta, bei Paulus und den weiteren alten Übersetzungen ist bereits viel geschrieben worden, sodass dies hier nicht eigens thematisiert werden muss bzw. hier nicht der Platz dafür ist. Stattdessen sei hier nur verwiesen auf die einschlägigen Untersuchungen und Darstellungen, insbesondere auf die grundlegende Darstellung von Dietrich-Alex Koch51, die beiden neue49
Vgl. zu sog. Konkurrenzübersetzungen J.-H. KIM, Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher. Studien zur Textgeschichte ausgehend von 2Sam 15,1–19,9, BZAW 394, Berlin 2009, 230. 50 Der Thesaurus Linguae Graecae führt nur noch die Akten des zweiten Ökumenischen Konzils von Konstantinopel 680–681 an: οὕτως πιστεύω ἐπὶ τοῦ ἑνὸς τῆς ἁγίας τριάδος κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ ἀληθινοῦ θεοῦ ἡμῶν. 51 D.-A. KOCH, Der Text von Hab 2,4b in der Septuaginta und im Neuen Testament, ZNW 76 (1985), 68–85.
Πίστις in der Septuaginta
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ren Überlegungen von David Cleaver-Bartholomew52 und Debbie Hunn53 sowie auf den Beitrag von Wolfgang Kraus (mit umfassender Literaturliste)54. An dieser Stelle sei angesichts der oben skizzierten Beobachtungen zu אמונהim biblischen Hebräisch nur darauf hingewiesen, dass sich zwischen der Bedeutung von אמונהin den biblischen Texten und der Verwendung von πίστις bei Paulus – und eben auch seiner Lektüre des griechischen Hab-Zitats – eine Entwicklung ereignet hat, die nicht ausgeblendet werden darf und in deren Folge sich Hab 2,4 in seinem ursprünglichen Zusammenhang und in seiner Verwendung als Zitat in Röm und Gal in dem Verständnis von אמונהbzw. πίστις fundamental unterscheidet.55 5.4 Jes 53,1 und Röm 10,16 Zwischen der textlichen Bezeugung von Jes 53,1 in der Septuaginta und Röm 10,16 gibt es keine Differenzen. Ein Unterschied besteht allerdings zum hebräischen Text, denn die Septuaginta fügt dem kürzeren hebräischen Text das κύριε zu, sodass aus dem Klageruf ein an Gott gerichtetes Gebet wird. Dabei handelt es sich allerdings um eine Textinterpretation, die Paulus bereits vorlag und von der unsicher bleibt, ob es sich um eine theologische Eigenleistung der Septuagintaübersetzer oder um eine Variante schon aus der hebräischen Textüberlieferung handelt.56 Im Blick auf das zugrundeliegende Glaubensverständnis ändert sich inneralttestamentlich allerdings nichts, denn sowohl im Masoretischen Text als auch in der Septuaginta geht es um ein ‚Für-Wahr-Halten‘ einer Aussage; eindeutig theologisch konnotiert wird der Satz erst in dem Zusammenhang, in den Paulus ihn nun in seinen Argumentationsgang einfügt.
52 D. CLEAVER-B ARTHOLOMEW, One Text, Two Interpretations: Habakkuk OG and MT Compared, Bulletin of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies 42 (2009), 52–67. 53 D. HUNN, Habakkuk 2.4b in its Context: How far off was Paul?, JSOT 34 (2009), 219–239. 54 W. KRAUS, Hab 2,3–4 in der hebräischen und griechischen Texttradition mit einem Ausblick auf das Neue Testament, in: T. Scott Caulley/H. Lichtenberger (Hg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum. The Septuagint and Christian Origins, Tübingen 2011, 153–173. 55 Anders T. SCHUMACHER, Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Ideomatik und der Verwendung des Begriffs πίστις, BBB 168, Bonn 2012, 244. 56 Dies ist nicht auszuschließen, auch wenn eine zu κύριε äquivalente Nennung des Gottesnamens keinen Anhalt an der bezeugten hebräischen Textüberlieferung hat (vgl. 1QJesa und 1Q8).
Glaube und seine Vorstellungsquellen Das Zeugnis spätalttestamentlicher Schriften in der Septuaginta FRIEDRICH V. REITERER Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit den Zeugnissen ab dem 3. Jahrhundert v.Chr. Als textliche Grundlage wurden die sogenannten deuterokanonischen Schriften (Tobit, Judit, 1/2Makkabäer, Buch der Weisheit, Ben Sira, Baruch) und die wenigen einschlägigen Belege des jüngsten Teiles des Buches der Sprüche ausgewählt. Mit großer Verwunderung ist festzustellen, dass es trotz der Menge an Literatur über die spätalttestamentlichen Schriften bisher keine Untersuchung gibt, wie man „glauben“ in diesem Korpus zum Ausdruck bringt und wie sich „glauben“ darstellt. Denn an sich sind die Untersuchungen, Äußerungen und Beschreibungen zum Bereich „Glaube(n)“ in der – allgemein gesprochen – Theologie dermaßen zahlreich, dass die Rede davon innerhalb der theologischen Literatur geradezu eine eigene geistige bzw. theologische Metawelt entwickelt hat. Wie die nachfolgende Untersuchung zeigt, sind die „profanen“ – diese Bezeichnung wird im Beitrag vermieden und an dessen Stelle „alltäglich“ verwendet – und „religiösen“ wie auch die „theologischen“ Bereiche in biblischen Zeiten nicht getrennt worden. Daher sind die Worte, denen wir in diesem Textkorpus begegnen, im religiösen und im menschlich-persönlichen Kontext oft bedeutungsgleich. Trotzdem wurde aus methodischpraktischen Gründen eine Unterteilung vorgenommen. Konkret wird die Untersuchung in folgenden Schritten durchgeführt: (1) Im ersten Teil wird die Terminologie geklärt. (2) Im nächsten Teil werden die zuvor gefundenen Schlüsselworte untersucht, wobei vorwegzunehmen ist, dass nur die Verba untersucht werden, weil sich die Entwicklungen im Unterschied zu den Substantiven und Adjektiven auf der verbalen Ebene leichter nachzeichnen lassen.
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1. Zur Terminologie und den terminologischen Querbezügen Die meisten1 der untersuchten Schriften sind nur in der Septuaginta zugänglich. Dies hat zur Folge, dass wir uns auf der gleichen sprachlichen Ebene bewegen wie das Neue Testament. Die deutschen Worte Glaube, glauben und gläubig sind durch die theologischen Prägungen und die kirchliche Sprache derart festgelegt, dass es im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch eigentlich keine terminologische Vielfalt gibt. Intuitiv mag man vermuten, dass schon im griechischen Gesamtkorpus eine auf eine Wortfamilie konzentrierte Terminologie vorlag. Wenn man keine weiteren Untersuchungen anstellt, könnte man dann meinen, dass die Derivate von πιστ* die Bedeutungsbreite und die Vorstellungen abdecken. Die Begründung für das Hinterfragen dieser Annahme liegt im biblischgriechischen Wortgebrauch, wo man aufgrund der Parallelen oder der Verwendung anderer Worte in gleichem Kontext auf weitere Wortfamilien stößt, wie mit den folgenden Beispielen belegt wird: – Πιστεύειν // ἐλπίζειν: In einem synonymen Parallelismus beleuchten die sich entsprechenden Worte bzw. Phrasen unterschiedliche Aspekte des Inhaltes. Dafür verwendete Worte / Phrasen sind austauschbar, wenngleich auch nicht inhaltlich identisch. In Sir 2,6 steht nun am Versbeginn „glaube ihm (πίστευσον αὐτῷ)“ parallel zum am Versende stehenden „hoffe auf ihn (ἔλπισον ἐπ’ αὐτόν).“ Die Relativpronomen „ihm / ihn“ (αὐτῷ; ἐπ’ αὐτόν) beziehen sich auf κύριος in Sir 2,1. Das Verhältnis zum Herrn können demnach πιστεύειν und ἐλπίζειν bezeichnen. Zum Buch Tobit sei als Vorbemerkung angebracht, dass es mehrere Textformen gibt, eine ältere, zumeist längere (GII) und eine jüngere Version (GI) sowie eine Mischform dieser beiden (GIII). Die wenigen hebräischen bzw. aramäischen Funde in Qumran, welche meistens GII bestätigen, belegen die semitisch-sprachige Entstehung, sodass das griechische Material auf eine Übersetzung zurückgeht und da sind nun die Unterschiede auffällig. Tobit und Sara erwarten ihren Sohn Tobias, der sich auf den Weg gemacht hatte, erspartes Geld von einem Verwandten im fernen Rhagoi in Medien (Tob 4,1) zu holen. Wegen dessen Hochzeit, von der die Eltern noch nichts wissen, verzögert sich die Rückkehr. Richtig vermutet der Sohn Tobias, dass sich die Eltern wegen der Verzögerung Sorgen machen und wendet sich an den Schwiegervater: „Entlasse mich! Ich weiß nämlich, dass mein Vater und meine Mutter nicht (mehr) glauben, mich noch zu sehen (οὐ πιστεύουσιν ὅτι ὄψονταί με ἔτι“ (Tob 10,8). Dieses Ersuchen liest sich nach GI: „Lass mich heimreisen, sonst hoffen mein Vater 1 „Ausnahmen“ sind nur Spr 1–9, die hebräisch erhaltenen Teile von Ben Sira und die wenigen Fragmente von Tobit; alle anderen Schriften sind nur griechisch zugänglich.
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und meine Mutter nicht mehr, mich (wieder) zu sehen (οὐκέτι έλπίζουσιν ὄψεσθαί με).“ Leider ist die hebräische bzw. aramäische Vorlage nicht erhalten, doch ergibt sich, dass die ältere Version πιστεύειν und die jüngere im gleichen Kontext ἐλπίζειν verwenden. – Πιστεύειν // πείθειν: Das folgende Beispiel von Sir 32,24 steht im Parallelismus, in dem je das verbale Element ein Objekt im Dativ regiert, nämlich ὁ πιστεύων νόμῳ – ὁ πεποιθὼς κυρίῳ. Auf diese Weise zeigt der Autor auch die innere Verquickung von νόμος – hier ist mit dem absoluten νόμος wohl die verbindliche Offenbarung Gottes gemeinhin gemeint – und κύριος: „Der [der] Offenbarung (νόμῳ) glaubt (ὁ πιστεύων), befolgt die Gebote (ἐντολαῖς), und der dem Herrn (κυρίῳ) vertraut (ὁ πεποιθώς), wird keinen Verlust erleiden;“ vgl. dazu die Ausführungen unten 2.1.2. – Πείθειν // ἐλπίζειν: An sich genügen die bisherigen Belege, die ja mittels πιστεύειν Relationen herstellen. Nun gibt in der der Untersuchung zugrunde gelegten spätalttestamentlichen Literatur keine Parallele von πείθειν und ἐλπίζειν. Doch entspricht diese Parallelisierung dem Sprachgebrauch der LXX, wie der Übersetzung der hebräischen Vorlage von Ps 57,2 zu entnehmen ist: אֶ חְ סֶ ה ַﬠ דû ָח סָ יָה נַפְ ִשׁ י וּבְ ֵצל־כְּ ָנ ֶפ יû ְהִ ים ָח ֵנּ ִנ י כִּ י בý ָח ֵנּ ִנ י ֱא יַ ֲﬠ ֹב ר ַה וּוֹת. Im Griechischen steht dafür: „Erbarme dich meiner, Gott, erbarme dich meiner, denn wegen deiner (ἐπὶ σοί) ist meine Seele vertrauensvoll (πέποιθεν) [)]חָ סָ יָה נַפְ ִשׁי, und im Schatten deiner Flügel vertraue ich (ἐλπιῶ [)]אֶ חְ סֶ ה, bis die Gesetzlosigkeit vorüber gezogen ist“ (Ps 56,2). Die griechische Version ist erweitert worden, doch betrifft dies nicht die uns interessierenden Verba, die beide Male das gleiche „( חסהZuflucht suchen, sich bergen“) wiedergeben. Die Variation in der Wortwahl trifft seine Intention besser, als man es bei einfacher Übersetzung im Deutschen nachmachen kann. Denn πείθειν bedeutet u.a. „überzeugen, besänftigen, Glauben schenken, vertrauen“2 und die Bedeutung von ἐλπίζειν umfasst „erwarten, hoffen, vertrauen“3 sodass für die beiden Verben πείθειν und ἐλπίζειν „vertrauen“ nach dem griechischen Wortgebrauch die gemeinsame Schnittmenge ist. Diese Beispiele zeigen, dass für die inhaltliche Darstellung des Bereichs „glauben“ folgende Wortwurzeln relevant sind: πιστ*, ἐλπ[ιδ]* und πείθ*. Wenn man in diesem anfänglichen Stadium der Abhandlung sinnvollerweise keine inhaltlichen, sondern vorerst formale Kriterien anlegt, ergibt sich, dass in alt- oder neutestamentlichen Schriften als Derivate von πιστ*4 folgende Wörter vorkommen: πιστεύειν bzw. ἐμπιστεύειν, πίστις, πιστός, 2 W. GEMOLL/K. VRETSKA, Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, Oldenburg 102006, s.v. 587. 3 GEMOLL, Schul- und Handwörterbuch (s. Anm. 2), s.v. 266. 4 Folgende Wörter des Wortstammes πιστ* kommen in keiner biblischen Schrift vor: πίστευμα, πιστευτικός, πιστότης, πίστωμα, πίστωσις und πιστωτέος.
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πιστοῦν und πιστικός, als Derivate von ἐλπ[ιδ]*5 ἐλπίζειν, ἐλπίς sowie als Derivate von πείθ*6 πείθειν und πειθός. Da im Folgenden die Verba in den Mittelpunkt gestellt werden, werden πιστεύειν bzw. ἐμπιστεύειν, πείθειν und ἐλπίζειν näherhin untersucht.
2. Untersuchung der einzelnen Schlüsselverba Die eben registrierte innere Nähe von πιστ*, ἐλπ[ιδ]* und πείθ* wird also – vorerst formal – durch die Belege gestützt. Nun werden nach einander die einzelnen Worte im oben angegebenen Dreischritt behandelt. 2.1 Πιστεύειν Unter den drei Verben sind die Belege für πιστεύειν bzw. ἐμπιστεύειν am zahlreichsten, sodass der Akzent schon allein von der Zahl her darauf liegt. Die Objekte, welche πιστεύειν regiert, stehen größtenteils ohne Präposition im Dativ (z.B. πιστεύω αὐτῷ bzw. πιστεύω αὐτῇ); Tob 2,14 GI / GII; 5,2 GII; 14,4 GII; Jdt 14,10; 1Makk 1,30; 7,7.16; 8,16; 10,46; 12,46; 2Makk 3,12; Sir 2,6.8.10; 4,17; 6,7; 7,26; 11,21; 12,10; 13,11; 16,3; 32,22.23.24; 33,3; 36,31; SapSal 14,5; 16,26; 18,6. In SapSal 12,2 steht ἐπί; in Sir 32,21 ἐν; in Sir 38,31 εἰς; in 2Makk 7,24 διά; in Sir 1,15; 27,17; 29,3; 50,24 μετά. Ein direktes Objekt im Akkusativ lenkt πιστεύειν in 2Makk 7,24; 10,13; 12,25. Zusätzlich gibt es einige Belege, in denen πιστεύειν absolut verwendet wird (Tob 10,8 GII; 1Makk 2,59; Sir 2,13; 4,16; 19,4; 36,15), was voraussetzt, dass der Inhalt bekannt ist und nicht näher erläutert werden muss. 2.1.1 Πιστεύειν im alltäglichen Kontext – Wie der Rost das Eisen zerstört, so ist es mit der Schlechtigkeit eines Feindes, weswegen Sira davor warnt, ihm zu vertrauen (μὴ πιστεύσῃς / אל תאמיןSir 12,10), denn man vertraut ja auch keinem umher streunenden Räuber (τίς γὰρ πιστεύσει / ;מי יאמיןSir 36,31). Während man sich von einer zugetanen Frau keinesfalls trennen solle, kann man einer hasserfüllten Frau nicht vertrauen (μὴ ἐμπιστεύσῃς σεαυτόν / ;אל תאמן בהSir 7,26). Im letzten bipersonalen Verhältnis schwingt „sich verlassen können“ mit. Das Gleiche gilt wohl auch für den erblindeten Tobit, der die Gesetzestreue bei weitem überspannte und pedantisch darauf bedacht war, sein Ansehen zu wahren. Als nun seine tüchtige Frau Hanna von einem Käufer über die 5
Folgende Worte des Wortstammes ἐλπ[ιδ]* kommen in keiner biblischen Schrift vor: ἐλπιστός und ἔλπειν. 6 In keiner biblischen Schrift wurde πειθώ gebraucht.
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Bezahlung der Weberarbeit hinaus ein Ziegenböckchen geschenkt erhalten hatte und dies Tobit bemerkte, vertraute er ihr nicht (οὐκ ἐπίστευον αὐτῇ; Tob 2,14 GI / GII) und verlangte sogar, das Tier zurückzugeben. An dieser Stelle würde man im Alltagsdeutsch wohl auch sagen, Tobit glaubte den Worten Hannas nicht. Dies gilt auch für die Szene, in der Tobias seinen Vater bat, ihm ein Erkennungszeichen für sich selbst zu bennenen, damit der Verwandte in Rhagoi [Rages] dem bis dahin unbekannten Tobias glaube (πιστεύσῃ μοι; Tob 5,2 GII), er sei Tobits Sohn. Auch das absolut verwendete πιστεύειν kann diese Bedeutung haben, wobei ein markanter Akzent auf die Zukunft eingeschlossen ist. Vierzehn Tage lang dauerte die unerwartete Hochzeit Tobiasʼ, sodass sich die Rückkehr verzögerte. Zu Recht nimmt Tobias an, dass sich seine Eltern seinetwegen Sorgen machten. Er wendet sich an den Schwiegervater Raguel: „Entlasse mich! Ich weiß nämlich, dass mein Vater und meine Mutter nicht erwarten (οὐ πιστεύουσιν), dass sie mich noch sehen werden. Und nun bitte ich dich, Vater, dass du mich entlässt und ich zu meinem Vater reisen kann“ (Tob 10,8 GII). Der Akzent liegt auf dem Vertrauen auf das, was kommen wird, was wohl besser mit „erwarten“ oder „erhoffen“ wiederzugeben ist. – In den nächsten Beispielen ist gerade der Aspekt des „Sich-VerlassenKönnens“ zentral. „Einen Mann meines Vertrauens“ könnte man 1Makk 7,7 und 1Makk 8,16 überschreiben. Um den Makkabäer Judas in Verruf zu bringen, ersuchte Alkimus König Demetrius in hinterhältiger Absicht, durch einen von Alkimus präparierten Vertrauensmann die von ihm fälschlicherweise vorgebrachten Anschuldigungen an Ort und Stelle in Juda „verifizieren“ zu lassen, sodass der König – weil falsch instruiert – annehmen musste, Judas habe Gräueltaten durchführen lassen: „Sende nun einen Mann, dem du vertraust (ἄνδρα ᾧ πιστεύεις)! Er soll gehen und das ganze Ausmaß der Zerstörung ansehen, die sie uns und dem Land des Königs angetan haben, und er soll sie und alle, die sie unterstützen, bestrafen“ (1Makk 7,7). Die demokratische Regierung Roms wird in 1Makk 8,14–16 beschrieben. Dort gibt es keinen Kronenträger, vielmehr ein Beratungsgremium (βουλευτήριον; 1Makk 8,15) und „täglich berieten 320 Ratsherren immerfort über die Angelegenheiten des Volkes, um es gut zu regieren.“ Optimistisch interpretierend heißt es weiter, „alljährlich vertrauten sie einem Menschen an (πιστεύουσιν ἑνὶ ἀνθρώπῳ), sie zu regieren und über ihr ganzes Land zu herrschen, und alle gehorchten dem einen, und es gebe weder Neid noch Eifersucht unter ihnen“ (1Makk 8,16). Von Antiochus IV. erzählt man anlässlich einer Steuereintreibungsaktion in Jerusalem, er habe gegenüber den Einwohnern “hinterlistig versöhnliche Worte geäußert, und sie vertrauten ihm (ἐνεπίστευσαν αὐτῷ). Plötzlich überfiel er die Stadt, versetzte ihr einen heftigen Schlag und brachte viele aus Israel um“ (1Makk 1,30). In die Thronwirren im Seleu-
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kidenreich hineingezogen, versuchten Schriftgelehrte in Verhandlungen mit dem Vertreter des seleukidischen Hofes und dem Aaroniten Alkimus (1Makk 7,14), der den Zadokiten das Hohepriesteramt entreißen wollte, Frieden zu erreichen. Sie vertrauten ihm (ἐνεπίστευσαν αὐτῷ), als er vorschützte, „wir werden euch und euren Freunden kein Leid zufügen“, doch brach er umgehend sein Wort, „ergriff 60 Mann von ihnen und tötete sie“ (1Makk 7,16). Der Seleukidengeneral Tryphon wollte selbst das Königtum an sich reißen und empfing den mit starkem Herr anrückenden Jonatan mit Ehren. Er spielte Jonatan vor, ihm Bet Schean und die anderen wichtigen Städte übergeben zu wollen, weswegen er sich sogar selbst auf den Weg zu ihm gemacht hätte. Nun könne man aber die Truppen entlassen (1Makk 12,45). Jonatan vertraute ihm (ἐμπιστεύσας αὐτῷ; 1Makk 12,46), doch büßte er umgehend dieses unvorsichtige Vertrauen mit dem Tod (1Makk 12,48–52). – In kaum einer Untersuchung zu Sira wird darauf hingewiesen, dass ab der hellenistischen Zeit φίλος im Sprachgebrauch des gesellschaftspolitischen und verwaltungstechnischen Alltags eine geprägte Bedeutung besitzt. Die „Freunde / φίλοι“ sind politisch und gesellschaftlich führende Persönlichkeiten, die innerhalb der Herrschaftsstrukturen tragend tätig sind. Sie hatten sich seit Alexander dem Großen, der gleich seinem Vater einen großen Kreis von φίλοι als seine Berater um sich scharte, entwickelt. Wo immer man es mit Obrigkeiten zu tun hat, hat man es auch mit der Gruppe der Philoi zu tun. Daher stellen die vielen sirazidischen „Freundschaftsperikopen“ weniger allgemein-theoretische Statements über Freunde im Allgemeinen dar, sondern sind unter dem Gesichtspunkt der sich mehr und mehr in den Gegensatz zwischen Judentum und Hellenismus hinein entwickelnden gesellschaftlichen Lage zu sehen. Zudem scheint es, dass sich innerhalb des Judentums wegen der politischen Unsicherheiten in hellenistischer Zeit auch analoge Verbindungen in Form von Bruderschaften und Freundeskreisen entwickelt hatten. Darum sind viele Einstellungen und Verhaltensformen des konkreten Alltags, deren Funktionieren eine verlässliche Gesprächsgrundlage voraussetzt, im Blick einerseits auf die Philoi und andererseits auf die zwischenmenschlichen sowie persönlichen Bereiche gleich, sodass die Ratschläge Siras in unterschiedlichen Kreisen bzw. auf unterschiedlichen Ebenen brauchbar sind. Wenn man in Sir 6,7 liest, „wenn du einen Freund gewinnst, gewinne ihn durch Prüfung, und schenke ihm nicht zu rasch Vertrauen7 (μὴ ... ἐμπιστεύσῃς αὐτῷ / “)לבטח, dann ist der Aspekt „sich anvertrauen“, wie ihn die Übersetzung in „Septuaginta Deutsch“ angibt, eingeschlossen, doch 7
Die Übersetzung von Sir 6,7b folgt J. MARBÖCK, Jesus Sirach 1–23, HThK.AT, Freiburg 2010, 108.
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ist die reflexive Übersetzung nicht im Text grundgelegt und zudem inhaltlich zu eng. Obgleich die Thematik „Freundschaft“ in der griechischrömischen Antike große Bedeutung hat,8 warnt Marböck zu Recht vor voreiliger Gleichsetzung mit den dort gegebenen Empfehlungen. „Bei aller Plausibilität der Kenntnis aktueller Topoi der hellenistischen und ägyptischen Umwelt ist Zurückhaltung gegenüber vorschneller Annahme von Parallelen oder direkter Zitate Sirachs am Platz“9, denn Sira ist zwar von der kulturellen Umgebung herausgefordert, hat aber seine eigenen Probleme, nämlich die Entwicklung von Kriterien für die Auswahl von Gesinnungsgenossen. Im diesem Kontext übernimmt πιστεύειν eine gewichtige Aufgabe, denn die Folgen solcher Entscheidungen wirken in zentrale Bereiche des eigenen Lebens hinein. Daher ist große Vorsicht geboten, denn wenn das zwischenmenschliche Verhältnis so ist, dass man zu Recht das Wort „vertrauen“ gebrauchen kann, dann muss damit auch Sicherheit verbunden sein. Das nächste Beispiel zeigt, dass, um Siras Absicht zu erheben, die Positionierung seines Merksatzes innerhalb des literarischen Kontextes zu berücksichtigen ist. Anschließend an den Spruch „Blutvergießen (ἔκχυσις ἅιματος) ist der Streit von Überheblichen, und ihr Spott sind schwer zu ertragende Äußerungen“ (Sir 27,15), fügt Sira folgende Sprüche über den Freund an: „Wer Geheimnisse verrät, zerstört Vertrauen (πίστιν), er findet niemals einen Freund (φίλον) für sich. Liebe den Freund (στέρξον φίλον) und erweise dich vertrauenswürdig (πιστώθητι) ihm gegenüber, wenn du seine Geheimnisse verrätst, dann laufe ihm nicht nach“ (Sir 27,16f.). Das krasse Gegenteil zum Vertrauen ist der Verrat von Geheimnissen. Dass derartiges Fehlverhalten die Basis für die Freundschaft unter Mitmenschen zerstört, ist in sich einsichtig. Aber warum steht das im Kontext von Blutvergießen? Mit jemandem, der das Geheimnis verrät, bricht man den Kontakt, aber tötet ihn nicht sogleich. Dieser Konnex zeigt, dass Sira keine einfache Freundschaft im Sinn hat. „Freunde“ bewegen sich in einer Umgebung, in der man bei Konflikten auch mit dem Tod rechnen muss. Das ist dann der Fall, wenn das Wort „Freund“ einen einflussreichen gesellschaftlichen Stand bezeichnet. Aber gerade in diesem Umfeld braucht man Partner und Vertrauenspersonen. Verrät man in diesen Kreisen Geheimnisse, setzt man sein Leben aufs Spiel. Sira gibt aber auch Anleitung, wie man sich den Partnern gegenüber richtig verhält. Bezeichnenderweise wählt er dazu das Verb στέργειν, ein eher allgemeines Wort für „lieben“, das auch Zufriedenheit und Erfüllung der Wünsche einschließt, also einen besonnenen Umgang miteinander meint. Unter dieser Voraussetzung kann sich ein Vertrauensverhältnis (πίστις) unter gesellschaftspolitisch Gleichgesinnten entwickeln. 8 9
Vgl. die guten Belege bei MARBÖCK, Jesus Sirach (s. Anm. 7), 110f. MARBÖCK, Jesus Sirach (s. Anm. 7), 111f.
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– In Sir 38,25–30 bietet der Weisheitslehrer einen „kleinen kulturgeschichtlichen Blick in den Alltag des Handwerks im Jerusalem des 3. Jh. v.Chr.“10, in welchem er den Bauern, das Bauhandwerk, das Kunsthandwerk, den Schmied und den Töpfer vorstellt. Am Ende summiert er, „alle diese haben auf ihre Hände (εἰς χεῖρας αὐτῶν) vertraut (ἐνεπίστευσαν)“, und im Parallelismus stellt er eine Beziehung zum „weise sein“ her: „und jeder erweist sich in seinem Werk als weise“ (Sir 38,31). „Vertrauen“ realisiert sich in der Haltung zu den eigenen Fähigkeiten im erlernten Beruf, der „Stadt und Land vor dem Hunger“ schützt (Sir 38,32). Sira zeigt damit, dass die gelungene Berufsausübung eine fachkundige Seite der Lebensbewältigung darstellt und stellt somit den ganzheitlichen Zusammenhang zwischen „praktischer“ und „geistiger“ Lebensbewältigung als „weise“ hin. – Wort und Rede spielen in der Literatur allgemein, vor allem in den Weisheitsschriften, eine besondere Rolle, wofür auch die folgenden Beispiele zeugen, in denen für uns einschlägige Feststellungen stehen. Während der Thronstreitigkeit im Hause der Seleukiden wollte Demetrius (145–140 / 129–125 v.Chr.) Jonatan und das Volk mit großartigen Versprechungen aus dem Bündnis mit Alexander (150–145 v.Chr.) weglocken, wie er in einem Brief unterbreitete. So sollten Steuern erlassen, die religiösen Feste der Judäer gewährleistet, die Verwaltung vom Staate bezahlt und um die Städte im ganzen Land Schutzmauern errichtet werden; vgl. 1Makk 10,28–45. Die Erfahrungen mit den seleukidischen Herrschern waren allerdings nicht die besten. Es heißt deshalb, „als Jonatan und das Volk diese Versprechungen (τοὺς λόγους τούτους) hörten, vertrauten sie ihnen nicht (οὐκ ἐπίστευσαν) und nahmen sie nicht an“ (1Makk 10,46). Auch niedergeschriebene Worte werden als Informationsträger dem aktuellen Gespräch unter Menschen gleichgesetzt. Daher kann man Worten in einem Brief gleich wie einem direkten Gespräch vertrauen – oder eben nicht. Sira beschäftigt sich mehrfach und unter verschiedenen Gesichtspunkten mit dem Thema „Wort.“11 Wie soll man sich gegenüber den Mächtigen, welche vermutlich mehr oder weniger durchwegs Hellenen oder Helleni10 J. MARBÖCK, Mit Hand und Herz. Der schriftgelehrte Weise und das Handwerk in Sir 38,24–31, BN 139 (2008), 39–60, 40; vgl. vor allem 45–51. 11 Die umfassendsten Behandlungen dieses Themas sind bei Ben Sira zu finden; vgl. dazu J.I. OKOYE, Speech in Ben Sira with Special Reference to 5,9–6,1, EHS.T 535, Frankfurt a.M. 1995; A.A. DI LELLA, Use and Abuse of the Tongue: Ben Sira 5,9–6,1, in: A.A. Diesel, u.a. (Hg.), „Jedes Ding hat seine Zeit …“. Studien zur israelitischen und altorientalischen Weisheit (FS D. Michel), BZAW 241, Berlin 1996, 33–48; DERS., Ben Sira’s Doctrine on the Discipline of the Tongue. An Intertextual and Synchronic Analysis, in: A. Passaro/G. Bellia (Hg.), The Wisdom of Ben Sira. Studies on Tradition, Redaction, and Theology, DCLS 1, Berlin 2008, 233–253.
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sierte waren, verhalten? Vorsicht ist geboten! Erstens solle man sich nicht aufdrängen. Zurückhaltung und Diskretion werden dazu führen, als besonders verlässlich zu gelten. Wenn sich nun die gesellschaftliche Führungsschicht (δυνάστης) besonders leutselig und gesprächig gibt, sei man sehr vorsichtig. Denn trotz allen umgänglichen Gebarens steht man nicht auf der gleichen Augenhöhe. Man sei sich dessen bewusst, dass die Mächtigen immer misstrauisch sind und ständig die Verlässlichkeit der Untertanen testen. Daher ergeht der Rat: „Leg es nicht darauf an, mit ihm kumpelhaft umzugehen (ἰσηγορεῖσθαι), und der Fülle seiner Worte12 (τοῖς πλείοσιν λόγοις) traue nicht (μὴ πίστευε). Denn mit viel Gerede (ἐκ πολλῆς γὰρ λαλιᾶς) wird er dich versuchen und wie einer, der (dir) zulacht, wird er dich erproben“ (Sir 13,11). Lockeres Reden, vor allem dann, wenn man unbeschwert und auch unachtsam ins Plaudern kommt – das meint das Substantiv λαλιά –, zeigt einem bewertenden und misstrauischen Gesprächspartner oft unbeabsichtigt, wie man eigentlich denkt. Die Herrscher verfolgen aber Machtinteressen und wollen daher ihre Umgebung auskundschaften. Aber nicht nur der Obrigkeit gegenüber sollte man Vorsicht walten lassen, sondern auch solchen Personen, mit denen man existentielle Fragen erörtert; diese bezeichnet Sira natürlich auch als „Freunde.“ Mit dem Reden kann man viel Unheil anrichten, wofür Sira offensichtlich auch Verständnis hat: „Mancher gleitet aus, doch ohne Absicht; und wer hat sich nicht (schon) mit seiner Zunge verfehlt?“ (Sir 19,16). Wenn nun ein Freund einen Fehler gemacht hat, dann soll man diese Angelegenheit umgehend mit ihm besprechen. Als Beispiel für einen Fehler führt Sira den Fall an, dass etwas Unrechtes gesagt wird.13 Dann gilt: „Stelle den14 12
Die Übersetzung „den meisten seiner Worte“ (LXXD) hat den Kontext missverstanden. Sira geht es darum, dass man mit einem Redeschwall wirr gemacht wird; richtig daher Marböck „vertrau nicht seinen allzu vielen Worten.“ MARBÖCK, Jesus Sirach (s. Anm. 7), 173. 13 B.C. GREGORY, Slips of the Tongue in the Speech Ethics of Ben Sira, Bib. 93 (2012), 321–339, behandelt 330–333 den Abschnitt Sir 19,13–17, doch streift er Sir 19,15 nur beiläufig. Dies ist umso unverständlicher, als er richtig den Kontext dem griechischen Text folgend zitiert: „Reprove [ἔλεγξον] …“ (Sir 19,13.14.15.17). Da V. 16 (ἔστιν ὀλισθάνων …) als erläuternde Fortführung von V. 15 erscheint, hätten die in V. 15 gegebenen Stichworte untersucht werden sollen. Zudem schreibt er selbst: „Because v. 16 follows v. 15, it is possible …“, sodass es sich aufgedrängt hätte, V. 15 als Zentralinformation zu befragen. E.D. REYMOND, The Wisdom of Words in the Wisdom of Ben Sira, Bib. 95 (2014), 224–246, 232 beschäftigt sich mit dem Thema „do not believe everything you hear ...“ und meint, man müsse „before trusting gossip“ (232) die ins Gerede gekommene Person zum Zwecke der eigenen Überprüfung finden. Der Spruch selbst „reflects, in part, an unreliability due an unknown original context“ (232). Gerade das ist anzuzweifeln, denn die Stichworte in V. 15 weisen auf den „original context“, der in den zeitgeschichtlichen Problemen greifbar wird, und Reymond ahnt offensichtlich, dass es sich um etwas Bedeutsames handelt.
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Freund zur Rede, denn leicht entsteht eine Verleumdung (διαβολή); und vertraue nicht (μὴ ... πίστευε) jedem Wort (παντὶ λόγῳ)“ (Sir 19,15). In den sich immer stärker entwickelnden gesellschaftlichen Spannungen sind Verdächtigung und Verleumdung, beide Inhalte vereinigt διαβολή, gefährlich, ja können den Tod zur Folge haben. Daher ist verleumderische Rede nach Sir 19,15a.b umgehend zu unterbinden, da die Gerüchte – einmal auf den Weg gebracht – kaum noch gestoppt werden können. Wie es in einem Parallelismus üblich ist, werden in Sir 19,15a.b zwei sich ergänzende Themen behandelt, doch folgt in Sir 19,15c – gleichsam nachhängend – ein weiterer, und nach guter sirazidischer Art doppeldeutiger Satz: „Vertraue nicht jedem Wort“. Der Spruch zeigt (a) die Verunsicherung in jener Zeit, wonach man auch dann, wenn man sich redlich bemüht, durch eine offene Rede die Eintracht zu bewahren, nicht erfolgreich sein muss. Doch scheint in diesem Satz auch durch, dass es gut und richtig wäre, könnte man dem Wort eines Bündnisgenossen vertrauen. Das wiederum zeigt, dass das Vertrauen eine existenztragende und unverzichtbare Größe ist. Andererseits sagt uns (b) Sira auch, dass man nicht selbst Sprachrohr für Unwahrheiten werden dürfe. Daher steht die Warnung, nicht jedem Worte, das einem zugetragen wird, „Glauben“ zu schenken. Wenngleich hinsichtlich der Rede vor allem warnende Sprüche vorzufinden sind, so bietet Sira auch einen positiven Merksatz: Dieser steht im Kontext von Verborgen und Ausborgen (Sir 29,1–2). Einem in Not Geratenen greife man unter die Arme, doch gebe man zeitgerecht das zurück, was dem anderen gehört. „Halte dein Wort (λόγον) und erweise dich als vertrauenswürdig ihm gegenüber (πιστώθητι μετ’ αὐτοῦ), und zu jeder Zeit wirst du finden, was du brauchst“ (Sir 29,3). Eine einmal gemachte Zusage ist ohne Wenn und Aber einzuhalten, ein Grundsatz, auf dem das gegenseitige Vertrauen aufruht. Danach geht es nicht darum, vom anderen ein Zeichen der Verlässlichkeit einzufordern, vom anderen eine redliche Haltung und Handlung zu erwarten, sondern von sich aus diese Ansprüche zu erfüllen, die sich natürlich u.a. auch in der Einhaltung der Zusagen beweisen müssen. Vertrauenswürdigkeit sollte mehr sein als nur eine praktizierte Tugend, sie ist ein Existential. Diese persönliche Grundhaltung setzt eine Persönlichkeitsschulung und ein gesundes Selbstbewusstsein voraus. Dieses erarbeitet man sich, indem man lernt, sich auf sich selbst zu verlassen, wie es der folgende Spruch einfordert: „Bei jedem Werk vertraue dir selbst
14 Die Ergänzung „(deinen)“ vor „Freund“ (LXXD) ist interpretierende Hilfe, versteht aber „Freund“ offensichtlich sehr eng als ausschließlich persönlich-mitmenschliche Verbindung; es kommt dann aber nicht mehr in den Blick, dass „Freund“ vor allem eine Person mit gesellschaftlich-politischer Rolle bezeichnet.
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(τῇ ψυχῇ σου)15; denn das ist die Beobachtung der Gebote (τήρησις ἐντολῶν)“ (Sir 32,23). Auf den ersten Blick mag dieser Spruch für einen suchenden Menschen wie ein in sich widersprüchliches Wort erscheinen, das ineffektiv und ohne Bedeutsamkeit ist, setzt es doch das voraus, was erst erreicht werden soll. Wie soll ich mir Selbstsicherheit einreden, wenn gerade die Vertrauenswürdigkeit mir selbst gegenüber zum Problem geworden ist? Die Basis für die Verlässlichkeit zu sich selbst sieht Sira jedoch nicht als eine Art Blick in einen Spiegel, wo man tatsächlich nur sich selbst sieht, sondern im Kontext der Offenbarung. Dort gibt es Anforderungen Gottes, denen man nicht ausweichen kann, – und zu diesen gehört auch das Vertrauen zu sich selbst: Selbstsicherheit gewinne ich in der Lebenspraxis, die ihrerseits von Gott her ihr Gewicht erhält. Auf diese Weise wird ein rein menschliches Thema hineinverwoben in die Offenbarung, womit wir eigentlich die alltägliche Verwendung von πιστεύειν verlassen haben und zum religiösen Bereich kommen. 2.1.2 Πιστεύειν im religiösen Kontext – Das eben behandelte Beispiel zeigt, dass es nach biblischer Ausdrucksweise einen nahtlosen Übergang vom alltäglichen, profanen Gebrauch des Wortes zu einem religiösen gibt. Dies trifft auch für Gläubige anderer Religionen zu. Antiochos war es nicht gelungen, die sechs Brüder zum Abfall von Gott zu bewegen. Daher setzte er alles daran, beim Siebenten, dem Jüngsten, erfolgreich zu sein und er lockte damit, dass er ihn reich machen werde, ihn in den engsten seleukidischen Beraterkreis als „Freund“ aufnähme und ihm auch gewichtige Staatsagenden anvertrauen würde (χρείας ἐμπιστεύσειν; 2Makk 7,24). Dies geschähe unter der Voraussetzung, dass sich der junge Mann von seinen väterlichen Überlieferungen (ἀπὸ τῶν πατρίων) lossagt. Der König bekräftigte seine Zusicherung (ἐπίστου) durch Schwüre (δι’ ὅρκων; 2Makk 7,24). Die Vokabel πιστοῦν ist in diesem Kontext nicht leicht zu übersetzen, doch geht es sachlich darum, die eigenen Argumente „[durch Schwüre] vertrauenswürdig und glaubhaft zu machen“, weil der Schwur eine religiöse Bindung darstellt und man mit den religiösen Implikationen von Schwüren nicht spielen darf. Derart bekräftigten Äußerungen kann man Glauben schenken. Den Kindermord überlebte nur Mose, und das auch nur deshalb, weil er früh genug ausgesetzt worden war. Auf diese Begebenheit nimmt SapSal 18,5 Bezug. Zur Bestrafung der Übeltäter wurden deren eigene Kinder in der Nacht des Verderbens weggenommen, wobei nur die israeli15 Nach biblischer Ausdrucksweise gibt es mehrere Ausdrücke, welche in einer Pars pro Toto-Verwendung einen Körperteil benennen, jedoch den ganzen Menschen meinen, hier ist es eben die „Seele“, die vitale und emotionstragende Seite des menschlichen Innenlebens.
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tischen Vorfahren schon vor der Aktion informiert worden waren. Sie hatten daher keine Angst, weil sie „den Schwüren glaubten (ἐπίστευσαν ὅρκοις)“ (SapSal 18,6). Nun wird das Subjekt, welches die „Schwüre“ äußerte, nicht genannt; doch erweist sich im Blick auf SapSal 12,21 der Herr als das Subjekt.16 – Die aufgewühlten Wogen des Meeres forderten dem antiken Menschen wie auch dem Autor des Buches der Weisheit Respekt ab. Wer auf einer Meeresfahrt umhergeworfen wird, dem werden nachdrücklich die Grenzen des Menschenmöglichen, ja die Grenzen des Lebens vor Augen geführt. Auf Grund dieser Grenzerfahrungen ist es verständlich, dass man die Schiffe unter den Schutz der Gottheiten stellt. Dies geschieht konkret so, dass man eine Götterstatue mitnahm. Die Götterbildnisse lehnt der Autor des Buches der Weisheit subtil ab, wie sich aus der pejorativen Notiz des Autors ergibt, dass man eine aus noch morscherem Holz als das Schiff hergestellte Götterstatue „anschreit“ (SapSal 14,1), gemeint ist wohl „verzweifelt“ zur Hilfe ruft. Das Verb ἐπιβοᾶν impliziert sowohl die Angst als auch den Hilfeschrei. Seefahrer bangen also beständig um ihr Leben. Wer aber erkannt hat, dass des Herrn πρόνοια – Vorausschau wie Vorsehung – „in den Wogen einen sicheren Weg finden lässt“ (SapSal 14,3), kann sich getrost und ohne Furcht „dem Werk der Weisheit“ des Herrn überlassen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass „die Menschen ihr Leben einem ganz winzigen Holz anvertrauen (πιστεύουσιν)“ (SapSal 14,5). Die Anspielung ist offensichtlich. Der Autor erinnert an die Rettung des Noach, und damit der gesamten Menschheit. Es ist ungewöhnlich mit ἐλάχιστον ξύλον die Arche zu bezeichnen, doch geht es nicht an sich um die Größe oder Qualität des Holzes, sondern um die nicht ausdrücklich genannten Implikationen von „anno dazumal“, da Gott die Rettung mit einfachen Mitteln exekutierte. Jene Rettung ist das Vorbild für die Überwindung des Gefahrenpotentials bei gefährlicher Schifffahrt. Sie hat – so das Argument im Buch der Weisheit – nur aufgrund des Vertrauens auf den die Rettung planenden Gott funktioniert, weshalb eigentlich jede gelungene Schifffahrt jeweils wieder einen Beleg für die Wirkung des Glaubens an den schützenden Gott erbringt und zugleich durch die Erinnerung eine Gegenwärtigsetzung jener anfänglichen Rettung darstellt. – Schon vor dem Buch der Weisheit ist die Gefahr der Schifffahrt als Vergleichsbeispiel verwendet worden. „Wer das Gesetz (νόμον) nicht ernst nimmt, ist wie ein Schiff im Wirbelsturm“ (Sir 33,2). Sira fährt dann fort, dass „ein einsichtiger Mensch dem Wort Vertrauen schenken wird (ἐμπιστεύσει λόγω|) und ihm ‚das Gesetz‘ (ὁ νόμος) ‚glaubhaft‘ (πιστός) wie die Orakelbotschaften (δῆλα) sind“ (Sir 33,3a.b). Wie im Folgenden noch mit 16 Auf die Querverbindung zu den Schwüren an die Vorfahren macht H. ENGEL, Das Buch der Weisheit, NSK.AT 16, Stuttgart 1998, 276, aufmerksam.
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weiteren Beispielen belegt wird, bezeichnet λόγος das Offenbarungswort und ist ganz nahe am „das Wort“ aussprechenden Subjekt. Das Verb ἐμπιστεύειν wohl im Sinne der Wortelemente ἐν + πιστεύειν als „vertrauen auf“, aber auch „glauben an“ zu verstehen, wobei Gott zwar nicht als das sprechende Subjekt genannt, aber gemeint ist. In der Septuaginta bezeichnet das Substantiv δῆλα (Sir 33,3b) die nur den Priestern vorbehaltenen Offenbarungsinstrumente (vgl. Num 27,21; Dtn 33,8; 1Sam 28,6; Sir 45,10; Hos 3,4) oder allgemein Orakel (1Sam 14,41), sodass noch klarer wird, dass wir uns in religiösem Kontext bewegen. Für einen, der ein kluger Menschen ist (33,2a), ist das Offenbarungswort πιστός. Obgleich die deutsche Sprache leicht neue Wortkombinationen zulässt, ist es nicht leicht, πιστός im Sinne des vorliegenden Kontextes zu übersetzen. Weder das „vertraut sein“ der LXXD – πιστός in der Übersetzung noch dazu verbalisiert! –, noch zuverlässig (EÜ; Luther), verlässlich (Herder) oder dependable (NRSV, NAB) treffen Siras Intention, weil in keinem Wort die religiöse Dimension anklingt. Man könnte es mit der Wortneuschöpfung „glaubensgewiss“ versuchen, weil ja auch der Aspekt, dass es sich um eine sichere und untrügliche Gegebenheit handelt, impliziert ist. Die eben entfalteten Argumente bzw. religiösen Implikationen erfahren in Sir 32,24 nochmals eine Straffung und Präzisierung: „Der, der der Offenbarung glaubt (ὁ πιστεύων νόμω|), befolgt die Gebote (ἐντολαῖς), und der dem Herrn vertraut (ὁ πεποιθὼς κυρίω|), wird keinen Verlust erleiden.“ Eindeutig ist, dass die Relationen durch den Parallelismus unmissverständlich vorgegeben werden: ὁ πιστεύων / ὁ πεποιθώς und νόμῳ / κυρίῳ werden faktisch auf die gleiche Stufe gestellt. Aus diesem Befund ergibt sich, dass νόμος und die Gebote (ἐντολαί) nicht auf einer Ebene liegen. Für νόμος ist die religiöse Dimension durch die Parallele vorgegeben, die gesetzliche nicht, wenngleich auch das Merkmal des Verbindlichen erhalten bleibt. Wenn in der Übersetzung Offenbarung gewählt wurde, dann legt die Wortwahl die religiösen Konnotationen sofort offen, doch ist damit auch im umfassenden Sinne „Religion“ gemeint. Religion ist dann im Sinne des Ausgangsverbs religo „zurückbinden, anbinden, festbinden, befestigen“17 zu verstehen, ist doch der Charakter des (a) Verbindlichen im Sinne der Bindung an jemanden [= an den κύριος], (b) des Vertrauenswürdigen, aber auch (c) des Verpflichtenden mitgegeben. Am Ende des Buches rät der hochbetagte Tobit seinem Sohn Tobias eindringlich, nach Medien auszuwandern, weil Gott Propheten gesandt hatte und all das, was die Propheten Israels gesagt haben (ὅσα ἐλάλησαν οἱ προφῆται τοῦ Ισραηλ; Tob 14,4 GII), eintreten werde, sodass man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass das angekündigte Unheil über Assur 17 So E. P ERTSCH, Langenscheidts Handwörterbuch Lateinisch – Deutsch, Berlin 1981, s.v. 504f.
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und Ninive hereinbrechen werde. Mit betonter zweimaliger Verwendung von πιστεύειν wird die Verlässlichkeit dieser Ansage begründet. Denn, so Tobit, γινώσκω ἐγὼ καὶ πιστεύω ὅτι πάντα ἃ εἶπεν ὁ θεός, συντελεσθήσεται καὶ ἔσται, also „denn ich weiß und glaube, dass alles, was Gott gesprochen hat, in Erfüllung gehen wird und sein wird“ (Tob 14,4 GII). Hier wird wissen (γινώσκειν) und glauben (πιστεύειν) in Parallele gesetzt. An sich bedeutet γινώσκειν „erkennen, erfahren, einsehen“ und dann auch “wissen“18, das offensichtlich den Abschluss einer geistigen Betätigung bildet. Er ist das Ergebnis von Tobits Analyse dessen, was Gott angekündigt hat. Diese mentale Gewissheit ergänzt der Autor mit einer persönlichen, nämlich πιστεύειν, dem Vertrauen, dem Glauben. Damit haben wir eine biblisch vorgegebene Verhältnisbestimmung von γινώσκειν und πιστεύειν. Es wird von hier aus klar, warum πιστεύειν an vielen Stellen mehr oder weniger mit Vertrauen, und zwar persönlichem Vertrauen, gleich gesetzt wird. Das Objekt des Vertrauens ist das, was der Herr gesagt hat. Dass es sich um Gottes Rede handelt, wird nun nochmals festgehalten: πιστεύω ἐγὼ τῷ ῥήματι τοῦ θεοῦ („ich glaube dem Wort Gottes“; Tob 14,4 GII). Deutlich ist, dass die Bibel den Glauben an das Wort Gottes bezeugt, sodass von hier aus die oben Sir 33,3a vorgenommene Verbindung des Wortes mit dem, der es ausspricht, bekräftigt wird. Diese Konnotationen werden in SapSal 16,24f. mit dem Schöpfungsgedanken und dessen Auswirkungen auf die richtige Einordnung in den Wertekatalog verknüpft, da die Schöpfung bei der Bestrafung der Ungerechten (κατὰ τῶν ἀδίκων) und der Belohnung der Gläubigen (ὑπὲρ τῶν ἐπὶ σοὶ πεποιθότων) mitwirkt; SapSal 16,24. Daraus sollten die Kinder des Herrn lernen (μάθωσιν), dass nicht die Früchte die Menschen am Leben erhalten, sondern „dein Wort“ jene behütet (τὸ ῥῆμά σου ... διατηρεῖ), welche „dir glauben / τοὺς σοὶ πιστεύοντας“ (SapSal 16,26). Das nun wiederum besagt, dass der Glaube an das Wort Gottes uns an Gott selbst heranführt. 2.1.3 Πιστεύειν im theologischen Kontext – Wer ernsthaft bestrebt ist, sich Gott unterzuordnen (δουλεύειν; Sir 2,1), der braucht nicht damit zu rechnen, dass allein auf diesen Wunsch hin alles eitel und Wonne ist. Vielmehr ist die Nachfolge Gottes mit allerlei Selbsterniedrigung (ταπείνωσις; Sir 2,4f.)19 verbunden, eine Erfahrung, die alle kennen, die sich ganz dem Willen Gottes übergeben möchten. Doch dann, wenn du kompromisslos „an ihn glaubst (πίστευσον αὐτῷ; Sir 2,6a)“, dann nimmt er selbst sich deiner an und wird deine Lebenswege geraderichten 18
GEMOLL, Schul- und Handwörterbuch (s. Anm. 2), s.v. 173. N. CALDUCH-B ENAGES, Trial Motive in the Book of Ben Sira with Special Reference to Sir 2,1–6, in: P.C. Beentjes (Hg.), The Book of Ben Sira in Modern Research, BZAW 255, Berlin 1999, 135–151, 138–145. 19
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(τὰς ὁδούς σου; Sir 2,6b). Aber nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft wird sich dieser Glaube bewähren, wenn du an ihm festhältst (ἔλπισον ἐπ’ αὐτόν; Sir 2,6b). – Es ist ein Reizthema, dass offensichtlich Menschen, die sich gegen den Willen Gottes richten, also Sünder, Erfolg haben. Sira weicht dieser Problematik nicht aus, sondern lehnt als erstes kurzerhand und ohne Begründung Sympathien für derartige Personen folgend ab: „Bestaune nicht die [erfolgreichen] Unternehmungen (ἐν ἔργοις) eines Sünders“ (Sir 11,21a). Er wählt als Mittel der Gegenargumentation die Hinterfragung und den Zweifel. Seine Gegenposition fußt auf dem Glauben und dem implizierten Wirken Gottes. So fordert er: „Glaube (πίστευε) aber dem Herrn (κυρίῳ)“ (Sir 11,21b), eine Aufforderung, deren Gewicht er offensichtlich ohne weitere Argumente für überzeugend hält. Doch bleibt dem Realisten Ben Sira das Problem präsent, dass das Leben nach Gottes Willen sogar als der schwerere Lebensweg erfahren wird, weswegen er als erstes anfügt, „halte in deiner Anstrengung (τῷ πόνῳ σου) durch (ἔμμενε)“ (Sir 11,21b). „Denn (ὅτι)“ – so fährt er fort – Gott ist ja nicht blind und ihm ist es ein Leichtes, „den Armen reich zu machen (πλουτίσαι πένητα“; Sir 11,21c.d) und des Herrn Wohlwollen und Segen (εὐλογία κυρίου; Sir 11,22) wird dem Gottesfürchtigen Lohn und Erfolg bringen. Das ist nun seine eigentliche Antwort auf die bedrückende Faktizität des Erfolges der Bösen: Wer im Glauben an den Herrn festhält, dem wird er auch erfahrbar beistehen – so wird diese Frage sowohl zu einer Glaubensfrage als auch zu einer Erfahrungstatsache, ob und wie sich Gott auch tatsächlich als Herr erweist. – Die faktische, nicht nur die verheißene Wirkung des Glaubens an den Herrn20 ist und bleibt auch andernorts ein Anliegen Siras. Daher ist es verständlich, dass nach dem Aufruf „ihr Herrenfürchtende glaubt ihm!“ (Sir 2,8a) folgt „und euer Lohn (ὁ μισθὸς ὑμῶν) wird nicht straucheln (οὐ μὴ πταίσῃ)“ (Sir 2,8b). Sira verwehrt sich dagegen, dass es möglich wäre, dass der Lohn ins Stolpern kommt, was zur Folge hätte, dass er nie bei jenen anlangt, die er als „ihr Herrenfürchtende (φοβούμενοι κύριον)“ angesprochen hatte. Wenn man als Auslegung liest, dass „als Vertrauen (2,8.10.13) … Gottesfurcht auf Lohn (Sir 11,21f.; 36,21) als Gabe des Erbarmens hoffen [darf]“21, dann hat man nicht nur einen im Deutschen schwer verständlichen Satz vor sich, sondern einen, der die ausdrückliche
20 A.A. DI LELLA, Fear of the Lord and Belief and Hope in the Lord Amid Trials: Sirach 2:1-18, in: M.L. Barré (Hg.), Wisdom You Are My Sister. Studies in Honor of Roland E. Murphy, O.Carm., on the Occasion of His Eightieth Birthday, CBQ.MS 29, Washington (DC) 1997, 188–204. 21 MARBÖCK, Jesus Sirach (s. Anm. 7), 66f.
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Botschaft Siras verfehlt.22 Dass „Vertrauen“, das noch inhaltlich festzumachen wäre, mit „Gottesfurcht“ zu identifizieren ist, müsste erst belegt werden und ergibt sich nicht aus dem Text. Der interpretierende Satz schleust zudem neue Aspekte ein und schließt faktisch vorhandene Aussagen aus. Sira hatte nämlich einen direkten Zusammenhang zwischen dem Glauben und dem Erhalt des Lohnes hergestellt, weder Unsicherheit noch die Hoffnung auf Erbarmen (ἔλεος wird im vorangehenden Vers erwähnt) kommen in Sir 2,8 vor. Daher wird man betonen, dass der Glaube – oder vielleicht auch „Vertrauen“23 – direkte Wirkungen zeitigt. – Im folgenden Spruch nimmt Sira einen zentralen Wert seiner hellenistischen Umwelt auf, nämlich die „Ehre.“ Sira liebt mehrdeutige Ausdrucksweisen und so setzt er nicht direkt bei der Ehre, sondern deren Gegenpol, der Schande, ein und steigert durch die Negierung dieses ungeliebten Bereiches das Interesse an seiner Argumentation: „Blickt auf die früheren Geschlechter (εἰς ἀρχαίας γενεάς) zurück und seht: Wer glaubte an (ἐνεπίστευσεν) den Herrn und wurde zuschanden?“ (Sir 2,10).24 Vielfältig sind im Gebet (vgl. Ps 22/21,5f.) und auch in der Kindererziehung25 die Hinweise auf frühere Zeiten, wo sich das Vertrauen auf Gott und seine Großtaten bewährt hatte. Sie sind der Beleg für die Verlässlichkeit und die Effizienz Gottes, denn jene Beispiele können nicht mehr einschränkend in Zweifel gezogen werden, sind das doch unveränderbare Fakten, die man gerne anführt: „Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte! Frag deinen Vater, er wird es dir erzählen, frag die Alten, sie werden es dir sagen“ (Dtn 32,7). Auch Sira argumentiert gleich, jetzt aber nicht, um den Blick nach rückwärts zu richten, sondern in seiner Zeit eine grundlegende Fragestellung zu klären. Sira fährt mit rhetorischen 22 Diese unerwarteten Querbezüge, die Marböck herstellt, sind bei seinen weitgehend sehr sorgfältigen Analysen verwunderlich. Ich meine, dass er das Gewicht der Wurzel πιστ* im Buch Ben Siras unterschätzt; vgl. auch MARBÖCK, Jesus Sirach (s. Anm. 7), 164 zu Sir 11,20–22, wo er keine Notiz von ihr nimmt. 23 Mit „vertrauen“ übersetzt MARBÖCK, Jesus Sirach (s. Anm. 7), 65f.162. 24 Die Thematik von Schande und Ehre war in der hellenistischen Zeit offensichtlich ein ernsthaftes Problem. Im späten Jesajavers 28,16 kündigt der Herr, JHWH, an in Jerusalem ein Fundament zu legen, „Wer glaubt ();המַּ ֲא מִ ין, überstürzt nicht“, und hebt hervor, dass der Glaube bedächtig bleiben lässt. Die LXX deutet die Stelle auf eine Person hin, nimmt also den direkten Bezug zu Gott zurück, und übersetzt: „und wer auf ihn vertraut (ὁ πιστεύων ἐπ’ αὐτῷ), wird nicht zuschanden werden (οὐ μὴ καταισχυνθῇ)“ (Jes 28,16). Der Satz wird also abweichend vom Hebräischen auf eine Frage nach dem „Beschämtwerden“ umgepolt. – Dass MARBÖCK, Jesus Sirach (s. Anm. 7), 67, diesen Vers als Schriftbeweis für Sir 2,10 anführt ist bei den vielen Unterschieden nicht nachzuvollziehen. 25 Vgl. F.V. REITERER, Religious Identity and its Development. What May Children Learn from their Elders?, in: A. Passaro (Hg.), Family and Kinship in the Deuterocanonical and Cognate Literature, DCLY 2012, Berlin 2013, 241–269, 243–259.
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Fragen weiter, welche die in 2,10 aufgestellte These unterstützen sollen: „Oder wer verblieb in seiner Furcht und wurde verlassen? Oder wer rief ihn an, und er übersah ihn?“ (Sir 2,11). Die Antwort ist „keiner.“ So ergibt sich, dass für Sira die Glaubensgewissheit schon in der Frühzeit grundgelegt wurde und er sie in seiner Zeit noch immer gleich gültig sieht. – Sira verwies auf die früheren Zeiten, um einen Beleg für die Wirkung Gottes in seiner Gegenwart zu haben, demgegenüber wird im Buch Judit der Ammoniter Achior mit dem gleichen Ergebnis als Analyst jener Ereignisse, die er selbst erlebt hatte, dargestellt. Er kennt die verderbenbringenden Befehle Nabuchodonosors, die brutale Vorgangsweise seines Feldherrn Holofernes, dem er den Krieg mit den Westvölkern übertragen hatte, das Auftreten Judits, den Tod des Holofernes und die kopflose Flucht des feindlichen Heeres. Als er einsah (ἰδών; Jdt 14,10), dass Israels Gott all das veranlasst hatte (ἐποίησεν ὁ θεὸς τοῦ Ισραηλ), war er von Gott selbst, nicht nur von seinen Taten überzeugt, und „er glaubte Gott uneingeschränkt / ἐπίστευσεν τῷ θεῷ σφόδρα“ (Jdt 14,10). Er war also „zu einem festen Glauben an Gott“26 gelangt. Er ließ sich beschneiden und gehörte ab da zum Haus Israel, wobei schon aus formallogischen Gründen der Schluss nicht zulässig ist, das Volk Israel bestünde nur aus Personen, die genauso bedingungslos an Gott glauben. – Im Folgenden geht es um einen anderen Akzent, denn für das Leben eines Gläubigen ist das ethische Verhalten keinesfalls unbedeutend. An sich hat der Herr nach SapSal 15,11 den Menschen geschaffen, „ihm eine wirkende Seele (ψυχὴν ἐνεργοῦσαν) gegeben und den Lebensgeist (πνεῦμα ζωτικόν) eingehaucht.“ Als „seelenliebender Gebieter“ (δεσπότης φιλόψυχος; SapSal 11,26) kann er im Blick auf Umkehr (εἰς μετάνοιαν) schon einmal „an den Verfehlungen der Menschen vorbeisehen / παρορᾷς ἁμαρτήματα ἀνθρώπων“ (SapSal 11,26). Wenn er aber jene, die sich vergehen (τοὺς παραπίπτοντας), bestrafen muss, dann auch nur wenig, wobei er zugleich – pädagogisch geschickt – diese auch belehrt, „indem du ihnen ins Gedächtnis rufend einsichtig machst (ὑπομιμνῄσκων νουθετεῖς), wodurch sie sündigen, damit sie sich von der Schlechtigkeit (τῆς κακίας) abwenden und an dich glauben mögen, Herr (πιστεύσωσιν ἐπὶ σέ, κύριε)“ (SapSal 12,2). Auch dieser Glaubensbeschreibung geht das Wirken Gottes voraus, aber die Abwendung vom persönlich Schlechten, die Gott als Schöpfer einfordern kann, gehört zur vertieften Akzeptanz Gottes, zum Glauben an ihn. – Das absolut verwendete Verb πιστεύειν übernimmt eine eigenständige Rolle und bedeutet ohne Bezugssubjekt einfach „glauben.“ Denn „wer leichtgläubig ist (ὁ ταχὺ ἐμπιστεύων; Sir 19,4)“, zeigt damit, dass er im Inneren leichtfertig und gefährdet ist, durch Verfehlungen (ὁ ἁμαρτάνων) 26
B. SCHMITZ/H. ENGEL, Judit, HThK.AT, Freiburg 2014, 383.
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sich selbst zu schaden. An Ananja, Asarja, Misael kann man sehen, dass die Gläubigen (πιστεύσαντες; 1Makk 2,59) gerettet werden, wobei πιστεύειν in diesem Beleg schon in allgemeiner Form den Glauben an den Herrn bezeichnet. Die Dreierreihe der Wehe-Worte in Sir 2,12–14 hat zufolge Sir 2,12 und 2,14 religiösen Inhalt, der im mittleren Spruch Sir 2,13 durch πιστεύειν markiert wird. Das Gewicht des Glaubens wird durch die poetische Stellung im wahrsten Sinne des Wortes in den Mittelpunkt rückt: „Wehe dem erschlafften Herzen, weil es nicht glaubt (οὐ πιστεύει): Deswegen wird es nicht beschützt werden“ (Sir 2,13). Wer nicht glaubt, bleibt letztlich schutzlos, weil Gott nur dort wirken kann, wo er auch zugelassen wird. Man sieht die kommende Szene vorbereitet: καὶ οὐκ ἐποίησεν ἐκεῖ δυνάμεις πολλὰς διὰ τὴν ἀπιστίαν αὐτῶν (Mt 13,58). 2.2 Πείθειν Als Bedeutung von πείθειν liest man, „durch Bitten überreden, bereden, zu überzeugen suchen, überzeugen, gewinnen, besänftigen, … überzeugt sein, Glauben schenken, (ver)trauen, bauen … auf.“27 Nun steht die Frage an, wie dieses Verb in unserem Bereich verwendet wird. Die Objekte, welche πείθειν regiert, werden mehrheitlich von Präpositionen gelenkt. In Spr 3,5.29; Jdt 7,10; 1Makk 10,71.77; 2Makk 4,34; 7,40; 11,14; SapSal 3,9; 16,24 steht ἐπί; in Jdt 2,5 steht ἐν; in 2Makk 15,7 steht μετά. In Tob 10,7 GII; 14,4 GII; 2Makk 8,18; 10,20; SapSal 14,29; Sir 32,24 folgt ein Dativ ohne Präposition. Ein direktes Objekt im Akkusativ lenkt πείθειν in Jdt 12,11; 2Makk 4,45; 7,26; 10,34; 12,14; SapSal 13,7; 16,8. Absolut steht πείθειν in Spr 3,23; Tob 14,4 GI / GII; 1Makk 9,58; 2Makk 8,18; 9,27; Sir 4,15. 2.2.1 Πείθειν im alltäglichen Kontext – Die realistische Erfahrung ist ein Weg, sich von etwas zu überzeugen. Bergauf zu kämpfen ist schwerer als in der Ebene, einen Ort auf der Spitze eines Hügels anzugreifen, bedeutet erhöhte Anstrengungen. Daher sind tatsächliche und weitum bekannte Erfahrungswerte vorauszusetzen, wenn im Kriegsrat bei Holofernes über das Volk Israel gesagt wird, dass es weniger auf die Speere vertraut (οὐ πέποιθαν; Jdt 7,10) – also den Kampf Mann gegen Mann28 – als auf die Höhe der Berge. Die Gegner registrieren 27
GEMOLL, Schul- und Handwörterbuch (s. Anm. 2), s.v. 587. Die Annahme, Jdt 7,10 sei ein Beleg dafür, dass sich Israel nicht auf die „militärische Stärke“ verlasse, weil „Israels Stärke in seiner topographischen Lage“ (SCHMITZ, Judit [s. Anm. 26], 217) liege, ist unscharf. Topographie bedeutet militärisch gesehen keine Stärke – wovon auch nichts gesagt wird –, sondern kann durch Klugheit zu den eigenen Gunsten genutzt werden. Beim „Speer“ geht es um die wichtigste und entscheidendste Waffe für den direkten Kampf eines Soldaten gegen den anderen, wie uns die 28
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die Taktik der Israeliten und beschließen nun, sich nicht direkt in einen Kampf einzulassen, sondern eine Finte anzuwenden. Sie planen keinen direkten Angriff, sondern die Besetzung der für Betulias Einwohner lebensnotwendigen Wasserquellen (Jdt 7,13). – Dass sich Soldaten auf ihre Kraft verlassen (πεποιθότας ἐν ἰσχύι αὐτῶν; Jdt 2,5), Feldherrn sich auf ihre Truppen und Reitereien verlassen (1Makk 10,71.77), ist eine ganz normale Voraussetzung für einen Feldzug. Weil die Bewohner von Geser wie auch Kaspin wegen der Sicherheitsvorkehrungen auf Wälle, starke Mauern und großen Lebensmittelvorrat vertrauten (πεποιθότες), wurden die von Judas Truppen Belagerten übermütig, beschimpften das gegnerische Heer genauso wie Gott selbst; 2Makk 10,34; 12,14. Die beiden letzten Beispiele, die in einer Niederlage mündeten, zeigen, dass dieses Vertrauen auch voreilig und auf falscher Beurteilung der Lage erfolgt sein kann. – Ein anderer Weg, zu überzeugen, geht mittels des Redens. Kopflos vor Sorge um ihren Sohn Tobias fährt Mutter Hanna ihren Mann Tobit an, der sie beruhigen wollte: „Schweig vor mir und täusche mich nicht. Umgekommen ist mein Kind“ und sie „ließ sich durch niemanden überzeugen (οὐκ ἐπείθετο)“ (Tob 10,7 GII), dass ihr Kind lebe und wohlbehalten zurückkommen würde. Judit, die um die Einhaltung der Reinheits- und Speiseregeln besorgt war, lebte vollständig zurückgezogen im Lager der „Assyrer“. Der von ihr faszinierte Feldherr Holofernes veranstaltete nicht ohne Hintergedanken ein Fest (Jdt 12,10) und schickte den Eunuchen Bagoas mit dem Befehl: „Geh und überrede (πεῖσον) doch die Hebräerin, die bei dir ist, zu uns zu kommen und mit uns zu essen und zu trinken“ (Jdt 12,11). Antiochus bemühte sich, vor allem den letzten der sieben Brüder zum Abfall vom Glauben an JHWH zu bringen. Als er trotz vielen Aufwandes erfolglos war, versuchte er dessen Mutter dazu zu bringen, mit ihrem Sohn zu reden und „sie übernahm es, ihren Sohn zu überzeugen (πείσειν)“ (2Makk 7,26). Dass diese Überzeugung nicht den gleichen Inhalt hat wie die Intention des Königs, ergibt sich aus dem Kontext. Man kann auch, wenn man von seiner eigenen Überzeugung spricht, πείθειν verwenden, wie es der sich dem Tode nahe wissende Antiochus IV. in einem Brief an die Juden getan hat. Um die Unterstützung für seinen Sohn Antiochus V. (164–162 v.Chr.) zu gewinnen, schreibt er: „Ich bin nämlich überzeugt davon (πέπεισμαι), dass er [der Sohn], meinem Grundsatz folgend, in geziemender und menschenfreundlicher Weise mit euch umgehen wird“ Kriegszüge seit Alexander zeigen, der in einer Kriegslist den Schaft der Speere seiner Soldaten länger machen ließ, als es jener der Perser war, und der auch noch schnell noch verlängert werden konnte, sodass die Gegner schon von der Ausrüstung her unterlegen waren. Die Handhabung dieses Speeres setzt große Kraft und langes Training voraus. Jdt 7,10 zeigt, dass der Autor konkrete Kenntnis der damaligen Art der Kriegsführung im Vorderen Orient hatte. Die Römer haben das dann geändert.
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(2Makk 9,27). Wenn zwei zu einer Überzeugung gelangt sind, können Verbindlichkeiten inkludiert sein, die auch für jeweils weitere Partner Verpflichtungen einschließen. Nach seiner Niederlage wollte Feldherr Lysias einen Vertrag mit den Juden schließen. Mittels der Unterhändler „überzeugte er (ἔπεισεν) sie, sich unter vollkommen gerechten Bedingungen auszusöhnen, und deshalb auch den König unausweichlich dringlich (ἀναγκάζων γενέσθαι) zu überzeugen (πείσει), ihnen zum Freund [= zum verlässlichen Verbündeten] zu werden“ (2Makk 11,14). Auffällig ist die recht schwerfällige Formulierung. Das weist darauf hin, dass πείθειν in einen ungewöhnlichen Bezugsrahmen gebracht wird. An sich trifft man πείθειν zwischen zwei Personen oder bei einer Person zu irgendeinem Gegenstand oder einem Vorgang usw. Hier wird jedoch eine außenstehende Gestalt „zur Überzeugung gebracht“, d.h. πείθειν beschreibt die Überzeugungsarbeit an einer dritten Person. Dieser Gebrauch ist in den Augen des Autors offensichtlich ungebräuchlich und eignet dem Verb πείθειν nur indirekt, weswegen er auch die „ungeschickte“ Umschreibung bietet. – Dass in der politischen Überzeugungsarbeit gar manche Bestechung hilfreiche Dienste leisteten, sei nur kurz erwähnt; vgl. 2Makk 4,45; 2Makk 10,20. – Wenn die Überzeugung gegriffen hat, dann ist ein hohes Maß an Vertrauen inkludiert. Diese als selbstverständlich angenommene Sicherheit machte sich Bakchides zunutze, um Jonatan überraschend anzugreifen, denn dieser lebte mit seinen Anhängern seit dem zwei Jahre vorher erfolgten Tod des Alkimus „auf die Ruhe (ἐν ἡσυχίᾳ) vertrauend (πεποιθότες)“ (1Makk 9,58). – Im tagtäglichen Leben ist es klug, sich bei allem Tun von vorangehender Überlegung und Einsicht (βουλὴν καὶ ἔννοιαν; Spr 3,21) leiten zu lassen. Wer dies tut, wird für Leib und Seele (vgl. Spr 3,22f.) gewinnen, sodass du „vertrauensvoll (πεποιθώς) in Frieden (ἐν εἰρήνῃ) alle deine Wege gehen“ (Spr 3,23) kannst. „Wer sich an die [Weisheit] hält“, so Sira, „wird sein Zelt voll Zuversicht (πεποιθώς) aufschlagen“ (Sir 4,15) können, weil die Weisheit schon lange vor der aktuellen Notlage zur Vorsicht angehalten hatte, sodass vorgesorgt werden konnte. Unter Freunden ist Vertrauen ein unersetzliches Gut, daher gilt, wenn ein Freund bei dir wohnt und „auf dich vertraut / πεποιθότα ἐπὶ σοί (Spr 3,29)“, dann unternimm ja nichts Böses gegen ihn. Die Autoren rechnen offensichtlich damit, dass das mit πείθειν bezeichnete Vertrauen ganz unerschütterlich ist und in begründeter Weise in Sicherheit wiegen lässt, sodass man keinesfalls mit einem Bruch des Vertrauens rechnet. Sollte das geschehen, wurde eine „rote Linie“ mitmenschlicher Verlässlichkeit überschritten. 2.2.2 Πείθειν im religiösen Kontext Tobit beschwört seinen Sohn Tobias, mit dessen Kindern in das friedliche Medien zu ziehen, weil Ninive zerstört werde. Diese Ankündigung geht
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nicht auf seine eigenen Beobachtungen zurück, vielmehr „bin ich“, so sagt er, „durch das, was der Prophet Jona über Ninive sagte, überzeugt worden (πέπεισμαι)“ (Tob 14,4 GI). Beachtenswert ist, dass diesem „überzeugt werden“ eine solche Gewissheit innewohnt, dass der Vater alles daran setzt, dass sein Sohn mitsamt seiner Familie den angestammten Wohnsitz verlässt und in ein weit entferntes Land zieht. – Mit scharfen Worten kritisiert der Autor des Weisheitsbuches die geistige Schwerfälligkeit jener, die unfähig sind, durch Naturbeobachtung Gott zu erkennen. Daher gilt für ihn, dass „doch alle Menschen von Natur aus dumm waren, bei denen Nichterkenntnis Gottes (θεοῦ ἀγνωσία) war, und die aus den sichtbaren Gütern nicht den Seienden (τὸν ὄντα) zu erkennen vermochten, und – während sie ihre Aufmerksamkeit den Werken zuwandten – den Werkmeister (τὸν τεχνίτην) nicht erkannten (ἐπέγνωσαν)“ (SapSal 13,1). Der Autor geht noch weitere Argumente durch und ihn überkommen bei fortschreitendem Analysieren mehr Mitleid als Verärgerung und er gesteht den Gottsuchenden persönliche Redlichkeit zu. Er hat beobachtet, dass „sie sich nämlich bei seinen Werken aufhalten und diese durchforschen und sich schon vom Anblick überzeugen lassen (πείθονται), weil das, was sie sehen, schön ist“ (SapSal 13,7). So werden Naturbeobachtung und Nachsinnen über die Werke Gottes konkret-praktische Hilfen, um sich von Gottes Wirken überzeugen zu können bzw. zu lassen. Mit dem Vorwurf, dass „die Verehrung der unnennbaren Götterbilder (τῶν ἀνωνύμων29 εἰδώλων) Anfang, Ursache und Ende von allem Bösen ist“ (SapSal 14,27), polemisiert das Buch der Weisheit gegen die Götterverehrung in der Umwelt. Dies hat dann auch Folgen für den Umgang mit an sich für Gläubige aller Art verbindlichen religiösen Äußerungen, wie z.B. Schwüren; vgl. zur vergleichbaren Thematik oben 2.1.2. Der Autor unterstellt den Götterbilderverehrern, dass sie sich – ohne es öffentlich zuzugeben – dessen ohnedies sicher sind, dass jene Figuren keine Wirkung haben, und „da sie nämlich von den seelenlosen (ἀψύχοις) Götzenbildern überzeugt sind (πεποιθότες), erwarten, obwohl übel schwörend (κακῶς ὀμόσαντες), nicht Schaden zu erleiden“ (SapSal 14,29). Die Überzeugung 29
Schwer ist es, das Adjektiv ἀνώνυμος mit einer deutschen Vokabel wiederzugeben, weil der Autor bei seiner Wortwahl sehr geschickt war und mit einem Wort verschiedene, je bedeutsame Aspekte bündelte, die vermutlich alle eine Rolle spielen. An sich ist das Adjektiv ἀνώνυμος philologisch leicht zu analysieren: ἀ-νώνυμος. Das Alpha privativum spricht das (äolische) ὄνυμα (= ὄνομα) ab, also (a) den Namen, (b) die Benennung, (c) den Ruf. Wenn die Verwendung des Namens ausgeschlossen wird, besagt das, dass innerhalb des an den Herrn glaubenden Volkes die Namen gemieden und damit die Götter zurückgewiesen werden. Wenn die Bennenung verneint wird, heißt es, dass diese Götter nicht einmal mit einem Namen gerufen werden können; als Namenlose sind sie auch wirkungslos. Wenn der Ruf zurückgewiesen wird, haben diese Götter keinen guten Ruf, dann sind sie ohne Ehre, sie sind also ehrlos, eine Abwertung, die nach griechischer Vorstellung auf andere Weise kaum gleichwertig negativ formuliert werden kann.
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– πεποιθότες, ein Partizipium im Perfekt bestätigt eine abgeschlossene Entwicklung – hat Auswirkungen auf die Einstellung zu der „Sache“, über die man eine Überzeugung gewonnen hat, hier zu den Göttern. Man kann sich daher des Ergebnisses sicher sein bzw. man kann darauf „vertrauen“30, dass ein falscher Schwur, ein Meineid usw. vor Göttern abgelegt keine negativen Auswirkungen hat. 2.2.3 Πείθειν im theologischen Kontext Ab SapSal 16,5 bespricht der Autor lebensgefährliche Bedrohungen während der Auszugszeit. Unter anderem heißt es, dass die Betroffenen „durch Bisse tückischer Schlangen umzukommen drohten.“ Anders als in Num 21,931 steht aber: „Wer sich nämlich hinwandte, wurde nicht durch das Geschaute gerettet (οὐ διὰ τὸ θεωρούμενον ἐσῴζετο), sondern durch dich, den Erretter aller. Und dadurch überzeugtest du (ἔπεισας) unsere Feinde, dass du es bist, der aus allem Bösen befreit“ (SapSal 16,7f.). Hier distanziert sich der Autor von der religiösen Botschaft, welche durch sichtbare Darstellungen – es dürfte auch der damals schon gebräuchliche Äskulapstab als Zeichen der medizinischen Heilung eingeschlossen sein – Rettung zusagen oder ermöglichen. Die Überzeugung reift in der Erfahrung, dass einzig und allein Gott vor Lebensgefahren rettet. Nur Gottes Eingriff überzeugt! Keine religiösen Praktiken, keine Magie, keine Kunst eines Arztes haben Wirkungen, nur der Herr allein. Wie wenig zielführend es sein kann, eine scharfe Trennung zwischen der alltäglichen und der theologischen Wortverwendung zu versuchen, zeigt der folgende Beleg, wo der Makkbäer Judas seine Handlungsbasis gegen jene des seleukidischen Heerführers Nikanor und dessen Anhang stellt. Jene „vertrauen (πεποίθασιν) nämlich auf Waffen, zugleich auch auf Tollkühnheit, … wir jedoch vertrauen (πεποίθαμεν) auf den allmächtigen Gott (ἐπὶ τῷ παντοκράτορι θεῷ), der die uns Angreifenden wie auch die gesamte Welt mit einem einzigen Zucken der Wimpern niedermachen kann“ (2Makk 8,18). An dieser Stelle kann man im perfektischen Verb noch gut erkennen, dass die Überzeugung aufgrund der erprobten Erfahrung, über die man aus vergangenen Zeiten berichtet, gewonnen wurde. Diese Erfahrung hat sich schon bewährt, sodass man sich sicher auf den Erwartungswert verlassen kann, sodass sowohl die Sicherheit wie auch das Vertrauen zum Ausdruck kommen. 30 Die Sprache trägt dieser Entwicklung auch Rechnung, ist doch das Substantiv πεποίθησις als „Vertrauen“ belegt – wie viele Übersetzer sagen. 31 „Mose machte also eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an einer Fahnenstange auf. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte ( וְ הִ בִּ יט אֶ ל־ ְנ חַ שׁ ַה ְנּ ֹח שֶׁ ת/ καὶ ἐπέβλεψεν ἐπὶ τὸν ὄφιν τὸν χαλκοῦν), blieb er am Leben ( ָו ָח י/ καὶ ἔζη).“
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Sira parallelisiert in Sir 32,24 den Glauben an die Offenbarung, die er als Inbegriff seiner Religion interpretiert (vgl. oben 2.1.2), mit der Feststellung, dass jener „keinen Verlust erleiden wird, der dem Herrn vertraut hat (ὁ πεποιθὼς κυρίῳ).“ Damit zeigt er, dass sich der Glaube an den Herrn auch positiv auf den Verlauf des gesamten – auch des wirtschaftlichen – Lebens auswirkt. – Im Rahmen der Thematik „Vom Himmel Gesandtes als Strafe oder Wohltat“32 wird festgehalten, dass die Schöpfung für Ungerechte zum Strafinstrument wird. Die ἄδικοι werden denen gegenüber gestellt, welche ἐπὶ σοὶ πεποιθότων; (SapSal 16,24). Wieder weist einerseits das Perfekt auf eine fertige Haltung, andererseits das Partizip auf einen Dauerzustand. Zwar bevorzugen die Übersetzer an dieser Stelle „vertrauen“, doch legt sich der Verweis auf ein Vertrauensverhältnis – ohne es ausschließen zu können – aus dem Kontext nicht nahe, geht es doch vielmehr um die Erfahrung, wie die Natur reagiert hat,33 sodass man „überzeugt sein“ als Grundbedeutung vor sich hat. Es geht um solche, die vom Herrn überzeugt sind, wobei der Präpositionalausdruck ἐπὶ σοί schwer zu übersetzen ist, denn er impliziert: „sie sind auf dich hin überzeugt“, wozu man wohl besser sagen würde: „sie glauben an dich“. In Spr 3 werden stichwortartig zentrale Weisungen aufgelistet, die das Leben in Frieden führen lassen und es auch verlängern; Spr 3,2. Da es im Kontext keine weiteren Verständnishilfen gibt, muss der folgende Satz schon in sich einsichtig gewesen sein, macht jedoch eine Übersetzung nicht leichter: „Von ganzem Herzen sei überzeugt (πεποιθώς) gegenüber Gott (ἐπὶ θεῷ)“ (Spr 3,5). Da ἐν ὅλῃ καρδίᾳ die ganze Person einbezieht, das Perfektpartizipium eine abgeschlossene Entwicklung voraussetzt, wird man auch nicht fehl gehen, hier den Glauben angesprochen zu sehen. Nikanor beabsichtigte, durch einen imposanten Sieg über den Makkabäer Judas ein Exempel zu statuieren. Judas seinerseits bestärkte seine Leute dadurch, dass er auf die „bisher vom Himmel her zuteil gewordenen Hilfeleistungen“ (2Makk 15,8) ebenso verwies, wie er auch „aus dem Gesetz und den Propheten (ἐκ τοῦ νόμου καὶ τῶν προφητῶν)“ Belege für Gottes 32
So lautet die Überschrift von Engel in der LXXD über SapSal 16,16–29: H. ENGEL, Sophia Salomonos. Die Weisheit Salomos, in: W. Kraus/M. Karrer (Hg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 22010, 1057–1089, 1082. 33 Für Engel wird die Vertrauensthematik in einen auch „für einen hellenistisch gebildeten Menschen“ akzeptierbaren kosmologischen Gesamtzusammenhang und zugleich in den Argumentationskontext des Autors eingebettet. „Was im ersten Buchteil für die Gerechten auch nach einem schmählich erlittenen Tod erhofft wird, findet hier im dritten Buchteil seine kosmologische Begründung und ‚naturphilosophische‘ Erläuterung“ (H. ENGEL, Gebet im Buch der Weisheit, in: R. Egger-Wenzel/J. Corley [Hg.], Prayer from Tobit to Qumran. Inaugural Conference of the ISDCL at Salzburg, Austria, 5–9 July 2003, DCLY 2004, Berlin 2004, 293–312, 300f.).
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Beistand beibrachte (2Makk 15,9). Er selbst hatte erfüllt „mit aller Hoffnung (μετὰ πάσης ἐλπίδος) unerschütterlich (ἀδιαλείπτως) darauf vertraut (ἦν ... πεποιθώς), Hilfe vom Herrn (παρὰ τοῦ κυρίου) zu erhalten“ (2Makk 15,7). Das Vertrauen auf den Herrn fußte also offensichtlich einerseits auf der eigenen Erfahrung der schon erfolgten Hilfe Gottes und andererseits auf den schriftlichen Zeugnissen über Gottes helfenden Beistand, wie man sie im Gesetz, neuzeitlich: „Pentateuch“, und in den Schriften der Propheten nachlesen kann. – Während Antiochus mit Drohung und Verlockung versuchte, den jüngsten der sieben Brüder zum Abfall vom Glauben zu verführen, weist der Jüngling dieses Ansinnen mit folgenden Worten zurück: „Ich gebe wie die Brüder Leib und Leben hin für die Gesetze der Väter und rufe Gott an, dass er bald dem Volke milde gestimmt werde und dich unter Prüfungen und Geißeln bekennen lasse, dass er allein Gott ist (μόνος αὐτὸς θεός ἐστιν)“ (2Makk 7,37). Der eigentliche Kern der Auseinandersetzung zwischen Antiochus und den sieben Brüdern und deren Mutter ist also letztlich nicht eine Frage der religiösen Praxis, sondern eine des Glaubensbekenntnisses. Auf der einen Seite steht die Selbstvergöttlichung des Antiochus, auf der anderen der Glaube an den einzigen Gott.34 Aufgrund der Argumente des Jünglings vor den Kopf gestoßen, lässt Antiochus diesen noch mehr als seine vorher zu Tode gefolterten Brüder misshandeln, und der Autor fasst zusammen: „Und so verschied dieser rein (καθαρός) und unerschütterlich (παντελῶς) an den Herrn (ἐπὶ τῷ κυρίῳ) glaubend (πεποιθώς)“ (2Makk 7,40). Die Schwierigkeit der Übersetzung begleitet uns weiter, denn das deutsche Partizipium „glaubend“ zeigt nicht, dass es sich um das Ergebnis, eine – zeitlich – perfektische Feststellung handelt, welche vor allem auch den Aspekt der Sicherheit und Gewissheit einschließt. Das Argument, dass der Herr wegen der Übeltaten seiner Anhänger „für kurze Zeit erzürnt war, aber er sich auch wieder mit seinen Dienern versöhnen werde“ (2Makk 7,33), wird für das getötete Folteropfer nicht mehr in dieser Welt Realität. Die sichere Überzeugung und das unerschütterliche Vertrauen – Dimensionen, die im Perfektpartizipium πεποιθώς enthalten sind – auf diesen auch über den Tod hinaus für die Seinen wirkenden Gott trifft man wohl nur mit dem Stichwort „glauben“. Mehrere Jahrzehnte nach dem zweiten Makkabäerbuch steht die Frage, wie es mit der Existenz nach dem Tode beschaffen ist, wieder an, denn im Buch der Weisheit werden Machtmissbrauch, Rechtsbruch, Verfolgung, Folter und Tötungen als konkrete Realitäten voraus-
34 Vgl. die Darstellung der Zusammenhänge durch B. SCHMITZ, Antiochus Epiphanes und der epiphane Gott. Gefühle, Emotionen und Affekte im Zweiten Makkabäerbuch, in: R. Egger-Wenzel/J. Corley (Hg.), Emotions from Ben Sira to Paul, DCLY 2011, Berlin 253–279, 274.
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gesetzt.35 „Die Seelen der Gerechten“ (SapSal 3,1), welche zu Unrecht malträtiert worden waren, „scheinen in den Augen der Toren tot zu sein“ (SapSal 3,2). Aber damit täuschen sich die Leugner des Lebens nach dem Tode, denn „sie werden Völker richten und über Nationen herrschen und über sie wird der Herr in alle Ewigkeit König sein“ (SapSal 3,8). Diese Botschaft ist nicht leicht zu begreifen, „aber jene werden die Wahrheit verstehen (συνήσουσιν ἀλήθειαν), die an ihn (ἐπ’ αὐτῷ) glauben (οἱ πεποιθότες)“ (SapSal 3,9). Der Autor entfaltet diesen über den Tod reichenden Zustand weiter mit dem Argument, dass „die Glaubensstarken (οἱ πιστοί) in Liebe (ἐν ἀγάπῃ) bei ihm [= Gott] bleiben werden (προσμενοῦσιν αὐτῷ); (SapSal 3,9). Nach diesen Argumenten sind der Glaube an Gott und die Liebe jene Einstellungen, welche unerlässlich sind, um nach dem Tode bei Gott verweilen zu können. 2.3 Ἐλπίζειν Im Lexikon findet man unter ἐλπίζειν folgende Bedeutungsangaben: „hoffen, vertrauen, … ahnen, fürchten, … glauben, meinen“36, womit sich schon von der Profangräzität her anzeigt, dass das Verb für den hier untersuchten Bereich beherzigenswert ist. Die Objekte, welche ἐλπίζειν regiert, werden mehrheitlich von Präpositionen gelenkt. In Jdt 9,7 steht ἐν; in 1Makk 2,61; 2Makk 2,18; Sir 2,6; 34,7; Bar 4,22 steht ἐπί; in 2Makk 7,11 steht παρά; in Sir 2,9 εἰς. In Jdt 6,9 folgt ein Dativ ohne Präposition. Ein direktes Objekt im Akkusativ lenkt ἐλπίζειν in SapSal 2,22. Die absolute Verwendung von ἐλπίζειν in Tob 10,8 GI; Jdt 8,20 setzt voraus, dass der Inhalt des Verbums bekannt ist und nicht näher erläutert werden muss. 2.3.1 Ἐλπίζειν im alltäglichen Kontext Sira wendet sich gegen Wahrsagerei und Zeichendeutungen (Sir 34,5), aber auch gegen allerlei – gemeint sind vor allem philosophische – Spekulationen, weil sie ohne den Herrn auskommen können, ja oft sogar ohne ihn auskommen wollen. Als Begründung führt er an, dass „nämlich Träume viele in die Irre geführt haben, und jene gescheitert sind, die auf sie 35 Vgl. dazu F.V. REITERER, Die Macht und die Mächtigen im Buch der Weisheit, in: G.G. Xeravits (Hg.), Political Power and Ideology in Early Judaism, BN 161 (2014), 69– 75; DERS., „Wir wollen den armen Gerechten unterdrücken!“ Zwei Gesellschaftsgruppen im Spannungsfeld von Macht und Religion nach dem Buch der Weisheit, in: ders./ R. Egger-Wenzel/T.R. Elßner (Hg.), Gesellschaft und Religion in der deuterokanonischen und spätbiblischen Literatur, DCLS 20, Berlin 2014, 161–189, 168–171.181–183; DERS., Religion und hellenistische Realpolitik im Buch Judit, in: a.a.O., 29–54, 36–38; L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Weisheit und Gerechtigkeit in der Sapientia Salomonis – mit einem Ausblick auf die Politeia Platonis, in: a.a.O., 129–160, 143–145. 36 GEMOLL, Schul- und Handwörterbuch (s. Anm. 2), s.v. 266.
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hofften (ἐλπίζοντες)“ (Sir 34,7). Dieses Hoffen schließt offensichtlich ein, dass man sich auf die Spekulationen verlassen hat, also dem, was man sich so zusammenreimte, wirklich vertraute, wobei die erwarteten Wirkungen erst eintreten werden. Den auf das Kommende ausgerichteten Aspekt inkludiert auch das Wort des Tobias an Raguël, mit dem er den Schwiegervater dazu bringen will, dass er zu seinen eigenen Eltern gehen kann. Denn, so sein Argument, wenn er nicht bald komme, werden die Eltern nicht mehr „erwarten“ (οὐκέτι ἐλπίζουσιν; Tob 10,8), ihren Sohn wiederzusehen. Den gleichen auf das Kommende gerichteten Aspekt beinhaltet ἐλπίζειν in Jdt 6,9, wo Holofernes dem Achior spöttisch sagt, er bräuchte ja sein Gesicht nicht verängstigt gesenkt halten, sollte er wirklich innerlich (τῇ καρδίᾳ σου) ganz und gar überzeugt erwarten (ἐλπίζεις), dass Betulia nicht eingenommen würde und er, der deren Einwohner jetzt ausgeliefert wird, dann erst recht wieder in die Hände des Holofernes fallen werde. Zu dem auf das zukünftige Eintreten gerichteten Aspekt kommt jetzt noch die Sicherheit hinzu, sodass dem Verb ἐλπίζειν ein Element des in der Zukunft mit Sicherheit Eintreffenden eignet. 2.3.2 Ἐλπίζειν im religiösen Kontext Im Geschichtsrückblick erinnerte Judit daran, dass sich die Assyrer, die sich auf Ross, Reiter und kräftige Soldaten verlassen hatten, schwer täuschten, indem sie „auf Schild, Wurfspieß, Bogen und Schleuder hofften (ἤλπισαν)“, und „nicht begriffen (οὐκ ἔγνωσαν), dass du der Herr bist, der Kriege zerschlägt“ (Jdt 9,7). Es zeigt sich, dass „hoffen“ ein gerütteltes Maß an Vertrauen impliziert. Die Gewissheit, die in einer begründeten Hoffnung liegt, ist schon ein Vorzug der Gerechten, da die Gottlosen „die Geheimnisse Gottes nicht begriffen (οὐκ ἔγνωσαν) und keinen Lohn (μισθόν) für heiliges Leben erhofften (ἤλπισαν)“ (SapSal 2,22), weswegen sie auch gar nicht in der Lage sind, positive Zukunftsperspektiven und den Plan Gottes zu verstehen. Beachtenswert ist, dass in den beiden letzten Belegen jene, die nicht auf das Richtige hofften, deswegen versagten, weil sie zu wenig einsichtig waren. Begründete Hoffnung, so ergibt sich, setzt auch die Bereitschaft oder Fähigkeit voraus, das Richtige auch als solches zu erkennen. Als sichere Zusage dafür, dass das Erwartete Realität werden wird, ist Sira zu verstehen, da er die Herrenverehrer (φοβούμενοι κύριον) auffordert, „hofft (ἐλπίσατε) auf Güter (εἰς ἀγαθά) und auf ewige Freude und Erbarmen“ (Sir 2,9), was eintreten wird, wenn sie den Herrn ganz ernst nehmen. Hier deutet sich wie in SapSal 2,22 an, dass – wie auch oben anhand von Sir 11,21 gezeigt wurde, wo vom Lohn Gottes die Rede war – die auf Gott ausgerichtete Hoffnung, sich real in Gaben, die Gott spendet, auswirken werde.
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2.3.3 Ἐλπίζειν im theologischen Kontext Im Gespräch mit den Ältesten von Betulia legt Judit ein Bekenntnis ab, in welchem sie herausstreicht, was es in den bisherigen Generationen und auch heute nicht gibt, nämlich dass „ein Stamm oder eine Sippe oder die Bevölkerung oder eine Stadt von uns“ (Jdt 8,18) einen anderen Gott verehrt habe. „Wir aber nehmen außer ihm (πλὴν αὐτοῦ) keinen anderen Gott (ἕτερον θεόν) zur Kenntnis (οὐκ ἔγνωμεν); daher erwarten wir (ἐλπίζομεν), dass er über uns oder unser Volk nicht hinwegsehen37 wird“ (Jdt 8,20). In der ganzen Rede weist Judit den Verdacht zurück, dass Gott sich nicht einschalten würde, vielmehr will sie begründen, warum er mit Gewissheit für sein Volk eingreifen werde. Daher bringt das deutsche Wort „hoffen“ viel zu wenig den Aspekt zur Sprache, dass kein Zweifel daran berechtigt ist, dass das, was man erhofft, sicher eintrifft. Gott gegenüber bringt ἐλπίζειν nur insofern eine relativierende Dimension zur Sprache, dass kein Mensch von Gott etwas erzwingen kann. Wenn klar gestellt ist, dass niemand Gott zu dirigieren vermag, bedeutet das nicht, dass man nicht sichere Aussagen über Gottes künftiges Wirken machen kann. Mit der (a) auf Zukünftiges hingerichteten Dimension von ἐλπίζειν sind (b) Erwartungen, deren Erfüllung (c) als sicher angesehen wird, gekoppelt. Diese drei Dimensionen bringt Mattatias zur Sprache. Weil er bald sterben werde, legt er seinen Söhnen ans Herz, warum sie auch nach seinem Ableben „stark und mutig für die eigene Religion kämpfen sollen / ἰσχύσατε ἐν τῷ νόμῳ“ (1Makk 2,64). Er verweist auf acht beispielhafte Gestalten, nämlich Abraham, Josef, Pinhas, Josua, Kaleb, David, Elija und Daniel (1Makk 2,52–60). Von Daniel wird geschrieben, dass er „wegen seiner Unschuld aus dem Maul der Löwen herausgezogen wurde“ (1Makk 2,60). Daniel überlebte, weil ihn Gott in einer spektakulären Rettungsaktion am Leben erhielt. Von diesem Ereignis leitete der Autor eine Schlussfolgerung ab, die er auch verallgemeinerte, welche sich aber erst in der Zukunft bestätigen wird: „Und so erkennt (ἐννοήθητε) von Geschlecht zu Geschlecht, dass alle, die auf ihn vertrauen (οἱ ἐλπίζοντες ἐπ’ αὐτόν), nicht unterliegen werden“ (1Makk 2,61). Der hoffnungsvolle Glaube ist die Basis der Rettung. So wie das in vergangenen Zeiten zutraf, so wird das auch in Zukunft für alle unter der Voraussetzung der Fall sein, sie verlassen sich bedingungslos gläubig auf Gott. Mattatias bekräftigt mit diesem Argument, dass seine Söhne und alle anderen Gläubigen davon ausgehen können, dass sie 37 Mit dem Stichwort „darüber hinwegsehen, übersehen“ verbindet die alttestamentliche Spätzeit etwas Dramatisches. Das Buch der Weisheit kann mit diesem Verb das abschließende Bekenntnis zu Gott, und damit einen bedeutsamen Teil der Quintessenz des gesamten Buches zusammenfassen: „In allem nämlich, Herr, hast du groß gemacht dein Volk und es verherrlicht, und du hast es nicht übersehen (ὑπερορᾶν), da du ihm zu jeder Zeit und (an jedem) Ort beistehst“ (SapSal 19,22).
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nicht untergehen werden. Am Beginn des zweiten Makkabäerbuches wenden sich die Juden aus Jerusalem wie auch aus Judäa an die Brüder in Ägypten (2Makk 1,1) und werben mit unterschiedlichen historischen Argumenten dafür, dass es zu einer Wiedervereinigung zwischen ihnen und den weit entfernt lebenden Volksmitgliedern kommen möge. Ausgehend von mit Erfolg gekrönten Vorgängen in der Vergangenheit „setzen wir nämlich unser Vertrauen auf Gott (ἐλπίζομεν γὰρ ἐπὶ τῷ θεῷ), dass er sich unser bald erbarmen und uns aus allem Land unter dem Himmel wieder zusammenführen wird an die heilige Stätte“ (2Makk 2,18). Gottvertrauen wird auch zu einer Zusammenführung der Getrennten führen. Ein Teil von Sir 2,6 wurde schon oben im Kontext von πιστεύειν behandelt (vgl. 2.1.3). Über das Gesagte hinaus ist auf die poetische Gestaltung hinzuweisen, die – obwohl griechisch – ganz und gar hoher hebräischer Dichtkunst entspricht: a : b – c : a‘: „Glaube an ihn (πίστευσον αὐτῷ), und er wird sich deiner annehmen, – richte deine Wege gerade und verlasse dich auf ihn (ἔλπισον ἐπ’ αὐτόν)“.38 Wer an den Herrn glaubt (πίστευσον αὐτῷ), dessen wird er sich annehmen, wer sein Leben geradlinig führt, verlässt sich zu Recht auf den Herrn (ἔλπισον ἐπ’ αὐτόν). Man könnte die Verben „glauben“ und „verlassen auf“ austauschen. Die Verba sind an dieser Stelle also weitgehend bedeutungsgleich, doch ist daran zu erinnern, dass πιστεύειν stärker auf Erfahrungswerten, ἐλπίζειν auf sicherer Zukunftsansage basiert, sodass markant unterschiedliche Akzente inkludiert sind. Weiters ist anzumerken, dass ein ordentliches Leben Voraussetzung dafür ist, dass man sich begründet auf den Herrn verlässt. Die Erwähnung ethischer Implikationen ist nicht häufig in unserer Untersuchung vorgekommen. „Fasst Mut (θαρσεῖτε)“, beginnt in Bar 4,21 die Einheit (Bar 4,21–24), welche wiederum in drei Abschnitte geteilt ist, dessen mittlerer Teil „is the expression of Jerusalem’s confidence.“39 Da es kein anderes passendes Stichwort in diesem Vers gibt, wurde diese richtige Qualifizierung dem Verb ἐλπίζειν entnommen. In der vorausgehenden Strophe werden die Exilierten aufgefordert, intensiv zu Gott zu rufen, damit er sie „der Gewalt, der Hand der Feinde entreiße“ (Bar 4,21). Den Autor erfüllt es jetzt schon mit Freude, weil die Betroffenen in Kürze (ἐν τάχει) das Erbarmen – eine Umschreibung für das Ende der Verbannung – Gottes erfahren werden. Und diese Rettung leitet der Verfasser mit dem Bekenntnis ein, dass „ich ohnedies (γάρ) euer Heil vom Ewigen erwartet habe (ἤλπισα ἐπὶ τῷ αἰωνίῳ)“ (Bar 4,22). Der Aorist des Verbs spricht schon in abgeschlosse-
38 Hinzuweisen ist auf die inhaltliche Variante in der Parallelisierung des chiastisch gestalteten Verses, sind doch a und a‘ synonym, während b und c weiterführend sind. 39 G.G. XERAVITS, „Take Courage, O Jerusalem…“. Studies in the Psalms of Baruch 4–5, DCLS 25, Berlin 2014, 43.
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ner Zeitform vom Kommenden, was nur möglich ist, wenn der Autor sich durch und durch sicher ist, dass sich die Erwartung auch erfüllt. Durch Folter und Qualen erhofft sich Antiochus nach 2Makk 7, die sieben Brüder nacheinander gefügig zu machen. Der Dritte streckt den Folterknechten die Zunge und die Hände (2Makk 7,10) mit folgendem Argument entgegen: „Vom Himmel her (ἐξ οὐρανοῦ) habe ich diese empfangen, wegen seiner Gesetze (διὰ τοὺς αὐτοῦ νόμους) achte ich diese gering und von ihm (παρ’ αὐτοῦ) glaube ich (ἐλπίζω), diese wieder (πάλιν) zu erhalten (κομίσασθαι)“ (2Makk 7,10). Wenngleich man auch an dieser Stelle ἐλπίζειν mit „hoffen“ übersetzen könnte, so inhäriert dem üblichen deutschen Wortgebrauch zu viel Ungewisses, sodass „hoffen“ nicht gut passt. Wenn es in der Überzeugung des Folteropfers die geringste Ungewissheit gegeben hätte, würde er nicht bereitwillig und mit ungewöhnlichem persönlichem Nachdruck – sodass es in 2Makk 7,12 heißt, dass „selbst der König und seine Leute wegen der Einstellung (ψυχήν) des Jünglings betroffen waren“ – seine Gliedmaßen zur Verstümmelung angeboten haben. Aber er begründet seine Haltung damit, dass er, der seinen Körper vom „Himmel her“, also von Gott, erhalten hat, sich dessen gewiss ist, dass er Zunge und Hände nach dem Tod wieder erhalten werde, wobei dem Verb κομίζειν unerschütterliche Ruhe eignet. Dieser Glaube hat die Grenzen unserer Welt auf die kommende Welt hin überstiegen und bezeugt die Überzeugung des Glaubenden, dass nach dem Tode die hier zugefügte Deformation von Gott ersetzt wird. Derlei Implikationen sind bisher in keinem Beleg begegnet.
3. Zusammenfassung – Die breit gestreute Belegung in verschieden literarischen Werken zeigt, dass das Ergebnis die damalige Vorstellung von πιστέυειν, πείθειν und ἐλπίζειν in repräsentativer Weise beschreiben lässt. Das Ergebnis zeigt, dass man einen wichtigen Teil der spätalttestamentlichen Weltsicht vor sich hat. – Alle drei Verba kommen mehr oder weniger durchwegs an bedeutsamen Abschnitten der jeweiligen Passage vor. – Das Subjekt, dem πιστέυειν, πείθειν und ἐλπίζειν zugeordnet werden, ist durchwegs menschlich, ausgenommen SapSal 16,8, wo Gott das Subjekt für πείθειν ist. Daher bezeichnen diese Verben Einstellungen und Verhaltensformen, die ausschließlich dem Menschen zukommen und von Menschen wahrgenommen werden. – Die Parallelitäten in den Konstruktionen weisen auf die inhaltliche Nähe hin, welche im Zuge der Detailuntersuchungen dargestellt wurden:
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– Präpositionen: es stehen ἐπί bei πιστεύειν, πείθειν, ἐλπίζειν, ἐν bei πιστεύειν, πείθειν, ἐλπίζειν, μετά bei πιστεύειν, πείθειν, εἰς bei πιστεύειν, ἐλπίζειν, διά bei πιστεύειν und παρά bei ἐλπίζειν; – Dativobjekte stehen bei πιστέυειν, πείθειν, ἐλπίζειν; – Akkusativobjekte werden gelenkt von πιστέυειν, πείθειν, ἐλπίζειν; – die absolute Stellung des Verbs ist belegt für πιστεύειν, πείθειν und ἐλπίζειν. – Da es sich zeigt, dass in gar manchem Beleg profane und religiöse Dimensionen des Redens, des Denkens und des Lebens fließend ineinander übergehen, trifft die moderne Dichotomie dieser beiden Bereiche nicht zu. – Keines der untersuchten Verben πιστέυειν, πείθειν und ἐλπίζειν hat „glauben“ als Hauptbedeutung oder wird so elitär verwendet, wie das weitgehend für das deutsche „glauben“ der Fall ist. Jedes Verb hat sein eigenes Bedeutungsfeld, welches seinerseits wesentlich die Dimension beeinflusst und prägt, welche man mit „glauben“ bezeichnet. Wenn man die einzelnen Verben durchgeht, ergibt sich: – Von den behandelten Verben ist πιστεύειν das am häufigsten verwendete Wort. Wie in spätalttestamentlicher Zeit, so ist es bis zur Gegenwart geblieben, dass „Vertrauen … als eine unverzichtbare Basis für gesellschaftliches Zusammenleben“40 fungiert. Man achte daher gut darauf, wem man vertraut, wobei zwar nicht selten von missbrauchtem Vertrauen die Rede ist, jedoch von Seiten der biblischen Texte nie davon, dass man nur auf bestimmten Gebieten vertrauen solle, auf anderen jedoch nicht. Vertrauen schließt Verlässlichkeit, Verlassen-Können ein, mit dem dann auch Sicherheit verbunden ist. Dies kann in „Sich Anvertrauen“ münden. Weiters kann ein nachdrücklicher Akzent auf die Zukunft eingeschlossen sein. Wegen der von Gott souverän beherrschten Schöpfung kann man sich auf Elemente der Schöpfung verlassen, weil man letztlich nicht den Dingen, sondern der Vorsehung vertraut. Eine bedeutsame Ebene, auf der sich das Vertrauen realisiert, ist die des Wortes. Eine Besonderheit bilden die Schwüre, bei denen davon auszugehen ist, dass man ihnen ohne Rückfrage vertrauen kann. Besondere Vertrauenswürdigkeit kommt dem Wort Gottes zu. Dort wo der Herr das Bezugssubjekt ist, wird man von „glauben“ sprechen, der sich in konkretem Beistand zeigt. Das kann sich in Erfolg und Wohlergehen, vor allem auch in der Rettung aus lebensbedrohlichen Situationen zeigen. 40 Dieses Zitat wurde aus einer Einladung der österreichischen „Industriellen Vereinigung“, also keinem theologischen oder kirchlichen Forum, übernommen, mit der der „Preis für die Förderung des Dialogs von Wirtschaft, Ethik und Religion“ (die Wirtschaft hat also den inneren Konnex aller Lebensbereiche verstanden) vergeben wird. Die Festfeier am 6.11.2014 in Linz stand unter dem Titel „Trust? Vertrauen als Ressource in der Wirtschaft.“
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– Das Verb πείθειν kommt mehrheitlich in perfektischen Formulierungen vor. Das hat u.a. darin den Grund, dass es auf in der Tradition erzählten oder selbst gemachten realistischen Erfahrungen aufruht, sodass der Ausgangspunkt für „überzeugen / sich verlassen“ – weil schon bewährt – ein hohes Maß an bestätigter Sicherheit einschließt. Neben konkreten Erfahrungen spielt vor allem die Rede eine zentrale Rolle, worin sich die Bedeutsamkeit der persönlichen Beziehung zeigt. In religiösem Kontext spricht πείθειν vom „Überzeugtsein“, das auf erprobter Erfahrung mit Gott aufruht. Wenn Gott bzw. der Herr das Bezugssubjekt ist, bezeichnet man das Beziehungsgeflecht „glauben“, wobei ein intensives Vertrauensverhältnis inkludiert ist. Nachdrücklich ist die Wirkung über den Tod hinaus hervorzuheben, sodass mit πείθειν die eschatologische Dimension zur Sprache gebracht werden kann. – Die Erwartung, die Ausrichtung auf das Kommende ist für ἐλπίζειν kennzeichnend. Da das persönliche Verhältnis zu Gott bzw. zum Herrn in der Bibel prägend ist, ist es natürlich, dass man von Kommendem spricht, wobei neben der Ausrichtung auf das Zukünftige vor allem das sichere Erfüllen des Erwarteten inkludiert ist. Mit ἐλπίζειν wird auch die Sphäre über den Tod hinaus zur Sprache gebracht und mit ἐλπίς formuliert man die Auferstehungszusage, wie der vierte Sohn der makkbäischen Märtyrer sagt: „Gott hat uns die (Auferstehungs)Erwartungen (ἐλπίδας) gegeben, von ihm wieder auferweckt zu werden (πάλιν ἀναστήσεσθαι). Darauf warten wir gern, wenn wir von Menschenhand sterben. Für dich aber gibt es keine Auferweckung (ἀνάστασις) zum (erfüllten) Leben (εἰς ζωήν)“ (2Makk 7,14). – Es wurde kein einziger Beleg gefunden, in welchem es um die Fragestellungen geht, ob es Gott gäbe. Seine Existenz wird einfachhin vorausgesetzt. – Im Kontext von πείθειν und ἐλπίζειν trifft man auch auf Wissen oder Erkenntnis (γινώσκειν, ἐπιγινώσκειν und andere Worte dieser Wurzel) bezüglich der Schöpfung und des Handelns Gottes. Diese beiden Verben formulieren keinen Gegensatz, wie neuzeitlich immer wieder konstruiert. Erläutern will ich die innere Dynamik mit Beispielen: Man kann lernen und wissen, dass zwei und zwei vier sind. Ich kann vieles wissensmäßig ansammeln, doch muss damit keine persönliche Überzeugung verbunden sein. – Eine andere Ebene der geistigen Aneignung besteht im beständigen Üben, Wiederholen und in der persönlichen Beziehung, wie etwa beim Klavierspielen. Man kann noch so genau wissen, welchen Ton die jeweilige Taste von sich gibt, aber damit beherrscht man noch keineswegs das Klavierspiel, ja noch mehr: Wer sich nicht beständig persönlich mit Übung und Engagement vertieft, realisiert gar nicht, was Klavierspielen bedeuten kann, noch weniger kann man selbst dem Instrument wohlklingende Töne
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entlocken. Wer würde sich von jemandem am Herzen operieren lassen, der zwar die Muskeln usw. und die Schärfe eines Skalpells kennt, jedoch absolut keine Erfahrung hat? – Πείθειν und ἐλπίζειν bezeichnen Erfahrungen, Überzeugungen und persönliche Beziehungen, die – weil sie eine eigene Wirklichkeitswahrnehmung darstellen – auf einer anderen Ebene anzusiedeln sind wie jener Zugang zur Wirklichkeit, den man mit γινώσκειν vornimmt. – „Glauben“ ist nie belegt als Bekenntnis, schon gar nicht als aufzählendes Bekenntnis von zu „glaubenden Gegebenheiten“, wie das z.B. im „apostolischen Glaubensbekenntnis“ der Fall ist, vielmehr ist „glauben“ die konkrete Realisierung eines persönlichen Bezuges oder einer persönlichen Bindung. – Der Glaube als Einstellung, Haltung und Triebfeder für das Verhalten kann mit πιστεύειν, πείθειν und ἐλπίζειν zum Ausdruck gebracht werden. Diese Verben überschneiden sich in einigen Bedeutungsfeldern derart, dass man jene Bedeutung, die man im gegenwärtigen Sprachgebrauch als „glauben“ verwendet, als Schnittmenge dieser Termini bezeichnen kann.
Frühjüdisches und rabbinisches Schrifttum
Abraham’s Happiness and Faith in the Book of Jubilees ANKE DORMAN
1. Introduction In Romans 4:1–5 Paul uses Genesis 15:6 to illustrate his conception of faith: What then are we to say was gained by Abraham, our ancestor according to the flesh? For if Abraham was justified by works, he has something to boast about, but not before God. For what does the scripture say? “Abraham believed God, and it was reckoned to him as righteousness.” Now to one who works, wages are not reckoned as a gift but as something due. But to one who without works trusts him who justifies the ungodly, such faith is reckoned as righteousness.
Paul’s reception of Gen 15:6 in Rom 4:3 pictures Abraham as a model of faith in the face of the promises of progeny and land, the fulfillment of which seems rather unlikely in Abraham’s present situation.1 Abraham was not regarded as righteous because of his just works, but because of his faith. The exegesis of Gen 15:6 by Paul stands in a long tradition of a multifaceted reception history of this text, ranging from later Old Testament text to early Jewish literature from the Second Temple Period.2 This paper focuses on one literary work within the Jewish tradition which also uses Genesis 15:6 to develop the character of Abraham as a Jewish role model, namely the Book of Jubilees.
1
This paper consistently uses the name “Abraham,” even when in the narratives under consideration his name was still “Abram.” 2 Examples of pre-Pauline exegesis of Gen 15:6 can be found in Psalm 106, Nehemiah 9, Sirach 44, 1 Maccabees 2, 4QMMT, Philo, the Book of Jubilees, and 4QPseudoJubilees.
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The Book of Jubilees3 The Book of Jubilees is a Hebrew work from the second century BCE which retells the story of Genesis 1 through Exodus 24. It is a valuable work because it shows a very early exegesis of the first part of the Pentateuch in combination with other (Jewish) texts. The retelling of Israel’s primeval history is placed within the framework of an angel revealing the story to Moses on Mount Sinai (Jubilees 1). The book divides history into periods of weeks (a period of seven years) and jubilees (a period of 7 year weeks = 49 years). Certain ideological topics, such as the 364-day calendar, can also be found in some scrolls found at Qumran. It is likely that the work must have had authoritative status there, because numerous fragments of the book of Jubilees were found in Qumran.4 The only complete version of Jubilees is in classical Ethiopic (Geʻez), although large fragments in Greek, Latin and Syriac and some smaller fragments in Hebrew are also known. Jubilees is a re-written bible. This means that its author deleted or added elements from his biblical Vorlage and modified and rearranged the biblical material he was rewriting to match with his own Sitz-im-Leben and theological ideas. Paul’s Concept of Faith and Reception History The processes in the reception history and its importance for Paul’s concept of faith have been analyzed in depth by Benjamin Schliesser.5 He also analyzed the Book of Jubilees and focused on three sections which interpret Gen 15:6: Jub. 14:4–7.18; Jub. 30:17 and Jub. 31:23. He states that in the Book of Jubilees, Abraham’s faith appears in the context of God’s repeated promises of progeny and land. Schliesser describes Abraham’s faith as follows: “His faith is a constant disposition and deep-rooted, not dependent on outer appearances.”6 Abraham’s faith is tested on a number of occasions, but he always remains faithful and he never gives up his trust in 3
See for an introduction to the Book of Jubilees: Klaus Berger, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ 2/3 (Gütersloh: Mohn, 1981), 279–301; James C. VanderKam, “Book of Jubilees,” EDSS 1:434–37; idem, The Book of Jubilees, Guides to Apocrypha and Pseudepigrapha (Sheffield: Sheffield Academic Press, 2001), 11–22. 4 For the official edition of the Hebrew fragments found in Qumran cave 4 see: James C. VanderKam and Jósef T. Milik, “Jubilees,” in Qumran Cave 4: VIII: Parabiblical Texts, Part 1, ed. Harold Attridge et al., DJD 13 (Oxford: Clarendon, 1994), 1–185. For the official edition of the Jubilees’ fragments from Qumran cave 11 see: Florentino García Martínez, Eibert J.C. Tigchelaar, and Adam S. van der Woude, eds., Qumran Cave 11: II: 11Q2–18, 11Q20–31, DJD 23 (Oxford: Clarendon, 1998), 207–28. 5 Benjamin Schliesser, Abraham’s Faith in Romans 4: Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6, WUNT 2/224 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007). 6 Schliesser, Abraham’s Faith (see n. 5), 178.
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God. Abraham’s attitude is mentioned by God and for that reason his belief is “credited to him as something righteous” (14:6) and he “was recorded on the heavenly tablets as the friend of the Lord” (19:9). The idea that human behavior is registered by the Lord also appears in Jub. 30:17 and 31:23. This has clear eschatological dimensions: At the Day of Judgment, all persons will be judged according to their behavior. If somebody is recorded as “righteous,” or “a friend of the Lord,” this person has nothing to fear. Jubilees 23:30–31 pictures the following scenario for them:7 “Then the Lord will heal his servants. They will rise and see great peace. He will expel his enemies. The righteous will see (this), offer praise, and be very happy forever and ever. They will see all their punishments and curses on their enemies. Their bones will rest in the earth and their spirits will be very happy. They will know that the Lord is one who executes judgment but shows kindness to hundreds and thousands and to all who love him.”
Matthias Köckert discusses the Book of Jubilees in an article about Paul’s exegesis of Gen 15:6 and the reception history of this text in Jewish literature before and in Paul’s time.8 Köckert argues that Paul has an innovative interpretation of Gen 15:6 in which he sees Abraham as the father of every believer, both Jew and non-Jew. Contrary to his Jewish contemporaries, Paul did not equal Abraham’s righteousness with Torah adherence, but with his faith.9 In analyzing the way in the pre-pauline literature understood Abraham’s faith, Köckert refers to the Book of Jubilees in which the concept of faith is understood as an example of proved righteousness and obedience.10 This paper will not redo the work of Schliesser or Köckert, but focus on the reception history of Gen 15:6 and the concept of faith in the Book of Jubilees, with a special focus on the figure of Abraham. It appears, that the theme of happiness is indissolubly connected with Abraham’s faith, which is a unique element added to the biblical text by the author of the Book of Jubilees.11 Before addressing the relationship between Abraham’s faith and happiness, in the following it must first be understood how, according to Jubi-
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Quotations from Jubilees are from James C. VanderKam, The Book of Jubilees, II, CSCO 511; Scriptores Aethiopici 88 (Leuven: Peeters, 1989). 8 Matthias Köckert, “Abrahams Glaube in Röm 4 und im vorpaulinischen Judentum,” in Der Römerbrief als Vermächtnis der Kirche: Rezeptionsgeschichten aus zwei Jahrtausenden, ed. Cilliers Breytenbach (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2012), 15– 48. 9 Köckert, “Abrahams Glaube” (see n. 8), 16. 10 Köckert, “Abrahams Glaube” (see n. 8), 29–31. 11 Betsy Halpern-Amaru, “Joy as Piety in the ‘Book of Jubilees’,” JJS 56.2 (2005): 185–205, 185.
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lees, Abraham, who was born in Ur of the Chaldeans, where the people worshipped idols, became a faithful believer in the God of Israel.
2. The Beginning of Abraham’s Faith in the Book of Jubilees The story of Abraham and his relationship with God begins in Jubilees 11.12 It is important to note that from the beginning, the motivation for Abraham’s belief is not caused by external experiences or by divine revelation but originated from within himself.13 Jubilees 11:16–17 states that as a child, Abraham already sees the “errors of the earth – that everyone was going astray after the statues and after impurities (Jub. 11:16). He then decides “to separate from his father in order not to worship idols with him”. Abraham actively seeks contact with “the creator of all” by means of prayer (Jub. 11:17). Still being a child, Abraham prays that he will not fall into the errors of mankind and not go astray after impurity and wickedness (Jub. 11:17). Abraham recognizes the Lord as the creator of all, and emphasizes this role on various occasions. This means that his faith that originated from within himself, ultimately comes from the Lord, because he was created by the Lord. At the age of 28, Abraham tells his father not to worship idols (Jub. 12:1–7) who have no spirit in them, but worship “the God of heaven who makes the rain and dew fall on the earth and makes everything on the earth” (Jub. 12:4) instead. The death of his brother is caused by Abraham’s aversion of idol worship: Haran was burned in a fire that Abraham set to the temple of idols in Ur of the Chaldeans (Jub. 12:12–14). The fire and the death of his brother are the reason why Abraham had to leave Ur of the Chaldeans and settle in Haran. Abraham gets his first kind of revelation when he observes the stars while staying in Haran. Interestingly the revelation is not by divine intervention. Jub. 12:17–18 reads: “A voice came to his mind and he said: ‘All the signs of the stars and signs of the moon and the sun – all are under the Lord’s control. Why should I be investigating (them)?’ If he wishes he will make it rain in the morning and evening; and if he wishes, he will not make it fall. Everything is under his control’.” 12 The figure of Abraham in the Book of Jubilees is extensively treated by Jacques van Ruiten in his monograph Abraham in the Book of Jubilees: The Rewriting of Genesis 11:26–25:10 in the Book of Jubilees 11:14–23:8, JSJSup 161 (Leiden: Brill, 2012). 13 This idea stands in contrast to the biblical narrative, where Abraham’s awareness of the Lord’s existence first becomes apparent after the Lord directly commanded him to leave his country and his father’s house in Gen 12:1.
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The fact that Abraham’s faith is ultimately his own decision is very well illustrated by the beginning of the prayer that follows Abraham’s insights about the Lord’s control over everything: “My God, my god, God most High, You alone are my God. You have created everything; everything that was and has been is the product of your hands. You and your lordship I have chosen” (Jub. 12:19).
Thus, before the Lord has ever appeared to Abraham, Abraham already chose the Lord. He does not believe because he was told something that made him believe. His faith does not need the word of the Lord. The reason for Abraham’s prayer is the insecurity about his future. Abraham and his father and brothers left Ur of the Chaldeans because the people there were after Abraham because he set fire to their temple causing the death of his brother Haran. The prayer ends with a question to the Lord: “Shall I return to Ur of the Chaldeans who are looking for me to return to them? Or am I to remain here in this place? Make the path that is straight before you prosper through your servant so that he may do (it). May I not proceed in the error of my mind, my God” (Jub. 12:21).
Although Abraham is a deep thinker, he also is aware of the fact that the mind can be deceptive. He knows that he needs the Lord to make the right choices. This first prayer of Abraham is followed by the first answer by the Lord, through an angel. This part is a rewriting of Gen 12:1–3, the call to go to Canaan. From this moment, the relationship between the Lord and Abraham is really established. This can be concluded from the addition to the biblical text in Jub. 12:24 where the word of the Lord comes to Abraham: “I will become God for you, your son, your grandson, and all your descendants. Do not be afraid. From now until all the generations of the earth I am your God”. When Abraham arrives in Shechem and sees the Promised Land, the Lord repeats his promise to Abraham: “To you and your descendants I will give this land” (Jub. 13:3). As a reaction, Abraham builds an altar and sacrifices to the Lord who had appeared to him. Abraham also builds an altar in Bethel (Jub. 13:8) and there he calls on the name of the Lord saying: “You, my God, are the eternal God”. He repeats these words when he returns safely from his adventure in Egypt (Jub. 13:16): “You, Lord, most high God, are my God forever and ever.”
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3. Happiness and Faith in the Book of Jubilees Despite his trust in the Lord and his conviction that “everything is under the Lord’s control”, Abraham, similar as in the Book of Genesis, seems to become a little impatient when it comes to the promised offspring. This becomes clear both in Genesis and Jubilees, when the Lord visits Abraham in a dream (Jub. 14:1). In this scene Abraham answers the Lord’s comforting words: “Do not be afraid, Abram, I am your protector; your reward will be very large” with a desperate call for descendants (Jub. 14:2): “Lord, Lord, what are you going to give me when I go on being childless. The son of Maseq – the son of my maid servant – that is Damascene Eliezer – will be my heir. You have given me no descendants. Give me descendants” (Gen 15:1–2 // Jub. 14:1–2). The Lord disagrees with Abraham’s proposal and assures him that “someone who will come out of his loins will be his heir” (Gen 15:4 // Jub. 14:3). Afterwards, he takes Abraham outside to let him count the stars and tells him: “Your descendants will be like this”. The counting of the stars and the statement from the Lord about descendants creates a bridge with the following wordings in Jub. 14:6 that also appear in Rom 4:3: “He believed the Lord, and it was credited to him as something righteous.” The verb ḫwallaqwa (“to count”) is used in Jub. 14:4 when the Lord orders Abraham to count the starts, but in passive (taḫwallaqwa) the verb can also mean “to be credited to,” which appears in Jub. 14:6.14 Jubilees, contrary to the biblical text, explicitly mentions that Abraham indeed “looked at the sky and saw the stars,” (Jub. 14:5) after which the Lord promises him numerous descendants. By using the verb “to count” both in 14:4 and 14:6 Abraham’s obedience is strongly connected with the statement about his belief in Jub. 14:6.15 The last part of the phrase is an alteration of the ambiguous biblical wording in Gen: 15:6b “and he reckoned it to him as righteousness” in which case we don’t know who the ‘he’ is.16 14 The Hebrew uses two different verbs for “to count,” namely ספרin Gen 15:5 and חשׁבin Gen 15:6. 15 Köckert, “Abrahams Glaube” (see n. 8), 30. 16 The passive form is also attested in Syriac, LXX, Vulg., and Eth.Gen, which is probably the result of the fact that Jubilees’ Vorlage differs from the Masoretic text. For that matter “we cannot consider these deviations as variations of the biblical texts” (van Ruiten, Abraham [see n. 12], 146). Besides the already mentioned Rom 4:3, the passive form also appears in the Halakhic Letter (4Q398), Gal 3:6, Jas 2:23 and 1 Macc 2:52. See: VanderKam, Jubilees II (see n. 7), 84; James L. Kugel, Traditions of the Bible: A Guide to the Bible As It Was at the Start of the Common Era (Cambridge: Harvard University Press, 1998), 310–11; van Ruiten, Abraham (see n. 12), 123.
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This is the first time – both in Genesis and Jubilees – that Abraham is said “to believe”. Because Abraham believes, the Book of Jubilees states that he is regarded as righteous and that his righteousness is also recorded in heaven.17 The above already indicated that being recorded in a positive way on the heavenly tablets has consequences at the Day of Judgment: Abraham’s faith guarantees a positive fate. After the Lord’s promise of descendants, the Lord also holds out a prospect of the possession of the land Canaan. This promise is followed by a covenantal ceremony in Jub. 14:7–20, at the end of which the Lord again assures Abraham the possession of the land (// Gen 15:18–21). The reaction to all these events fills Abraham with great happiness. Jub. 14:21 says that: “Abraham was very happy and told all these things to his wife Sarai. He believed that he would have descendants.”
There is a striking similarity between these wordings in Jub. 14:21 and Abraham’s reaction after the first promise of descendants in Jub. 14:6: Abraham believes that he will have descendants.18 Thus, Jubilees does not pay so much attention to the fact that the Lord will give “this land”, but focuses on the fact that the Lord will give this land to Abraham’s descendants. The remark about Abraham’s belief that the Lord will give him offspring in Jub. 14:21 is not contained in Genesis, but deliberately added here by the author of Jubilees. The first reference to Abraham’s happiness in Jub. 14:21 is added just before Jubilees starts with the retelling Gen 16:1 which addresses Sarai’s barrenness. The addition may seem unimportant at first sight, but this is misleading. On the contrary, it appears to be very important for the understanding of the literary use of Abraham’s happiness and the concept of 17
According to Kugel (Traditions [see n. 16], 310–11) the term “righteousness” in Second Temple literature (both Greek and Hebrew) has the connotation of “observance of the divine commandments” or “religious observance”. Kugel states that Paul’s interpretation of Gen 15:6 in Rom 4:3 and elsewhere should be understood in the light of this meaning. 18 Van Ruiten (Abraham [see n. 12], 132) does not signal the importance of the remark in Jub 14:21 that Abraham was very happy. He only observes that Abraham might have thought to beget offspring through Sarai. He does however, point to the thematic overlap between the beginning and the end of Jubilees 14. First, the events at the beginning of the chapter are dated in Jub 14:1 “in the fourth year of this week.” The events at the end of the chapter take place “in the fifth year of this week” (Jub 14:24). Second, Abraham’s remark that he is childless and his request for offspring in Jub 14:2 parallel the observation that Sarai bore no children in Jub 14:21 and the fact that Hagar would give birth to Ishmael in Jub 14:22–24. Third, both the beginning (14:6) and conclusion (14:21) of the chapter refer to Abraham’s belief that the promise of offspring will be fulfilled (op. cit., 120).
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faith in the Book of Jubilees. Abraham, who already experienced the existence of the Lord God who created all things at a very early age, immediately believes the Lord when he is making him promises of land and descendants. It fills him with great happiness. The happiness is a natural consequence and an important trait of his faith. Although the happiness may come as a surprise, the phrase is carefully designed to create a link with the following covenant in Jubilees 15 (// Genesis 17). As is shown below, Abraham’s reaction to the second covenant in Jub. 15:17 is also interpreted as an expression of great happiness, which at the same time, manifests his faith. The reference to happiness in Jub. 14:21 is the first of many usages of the term throughout the Book of Jubilees. The frequent use of the term is striking because the very scarce use of the root שמחin Genesis and Exodus cannot be the motivation for Jubilees to develop the happiness motif. In the Hebrew Bible the verb שמחśmḥ occurs in qal and pi. “to rejoice” and in hi. “to be rejoiced”. Next to the verb the verbal adjective śāmēaḥ “happy” and the subject śimḥā “joy” appear. In total, forms of the root śmḥ appear 269 times, 154 times as a verb (qal 126 times, pi. 27 times and hi. 1 time in Ps 89:43). The root שמחappears most frequently in Qoheleth (17x), Proverbs (28x), Psalms (68x ), Esther (10x), Nehemiah (9x), Isaiah (25x) and Deuteronomy (12x). śmḥ refers to a spontaneous utterance of joy, and not to a certain mood that lasts longer. śmḥ is predominantly connected to festival joy, both profane and religious.19 In the Hebrew Bible, the root שמחis not used in the Abraham cycle, and only once in the rest of the book of Genesis (Gen 31:27) and once in Exod 4:14. In contrast, in the Book of Jubilees, the root appears more than 40 times, 21 times within the Abraham cycle and the addition about the Day of Judgment in Jubilees 23.20 This is at least remarkable and a characteristic deliberately added by the author of Jubilees to the Abraham narrative. The classical Ethiopic uses the root fśḥ, which is probably the Hebrew שמח. This can be gathered from two Hebrew Jubilees fragments in Qumran (4Q219 II,34 [Jub. 21:26]; 4Q223–224 2 III,10 [Jub. 36:18]).21 When it comes to the meaning of “joy” in the Book of Jubilees, it can be assumed that two distinct usages of joy that appear throughout the He19 Eberhard Ruprecht, “שׂמח, śmḥ, sich freuen,” THAT 2:828–35; Gottfried Vanoni, “שׂמח,” 7:808–22. 20 Jub. 13:27; 14:21; 15:17; 16:20(2x), 25, 27, 29, 31; 17:2, 3, 4; 18:18, 19; 19:21; 21:26; 22:1, 4, 26, 28; 23:29, 30, 31. 21 See: DJD 13 (see n. 4), 106–7. In four other fragments variants of שמחappear as part of a reconstructed text and are therefore less reliable. These are the fragments 4Q223–224 2 II,1 (Jub. 35:12); 4Q223–224 2 II,19 (Jub. 35:20); 4Q223–224 2 III,9 (Jub. 36:17) and 11Q12 I,5 (Jub. 4:7). See for the Cave 4 fragments: DJD 13 (see n. 4), 106–7 and for the Cave 11 fragment: DJD 23 (see n. 4), 46–47.
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brew bible are connected. On the one side the concept of joy is clearly understood as a subjective feeling of happiness. On the other side, joy is also experienced in a ritual and legal setting, as a discrete behavior as part of sacrificial feasting.22 Jubilees makes this connection in two steps. First, the book draws attention to Abraham’s subjective feeling of happiness over the covenantal promises. In a second step, Abraham’s personal happiness culminates in the celebration of the Festival of Booths, of which ritual joy is an important trait. Although there are clear examples that prove the contrary, Gary Anderson is of the opinion that utterances of joy in the Book of Jubilees are always linked to sacrificial experience, with the exception of the feast for Isaac in Jub. 17:3.23 It is true that in many cases, the joy is an expression of festal happiness. However, Anderson seems to overlook the fact that although later utterances of joy in a sacrificial setting have a behavioral dimension, their very cause lies in Abraham’s inner feelings of gratefulness and belief, the first of which are expressed in Jub. 14:21 and 15:17. Betsy Halpern-Amaru also observed the abundance of usages of the joy motif in a variety of contexts throughout the Book of Jubilees.24 Her article “examines how the joy motif is used to achieve a particular construction of patriarchal piety and investigates the biblical sources that may have fostered and/or exegetically supported its development.”25 Because the joy motif only occurs once in Genesis and Exodus each, she deems it unlikely that Jubilees developed its presentation of joy from these books. HalpernAmaru shows that the joy motif in the Book of Jubilees is based on the use of the motif in the legal texts (Leviticus, Numbers and Deuteronomy) and on later biblical historical narratives (Ezra, Nehemiah, Chronicles). The contexts into which Jubilees imports the joy motif “display an insight not 22
See for the distinct usages of “joy” in Hebrew: Gary A. Anderson, “The Expression of Joy as a Halakhic Problem in Rabbinic Sources,” JQR 80.3/4 (1990): 221–52, 222–25; idem, A Time to Mourn, A Time to Dance: The Expression of Grief and Joy in Israelite Religion (University Park: Pennsylvania State University Press, 1991), 19–23. 23 Anderson, “Expression of Joy” (see n. 22), 237, n. 46: “In Jubilees the following are situations which bring joy: the Feast of Weeks (6:27), Noah’s sacrifices (7:3, 6), the Feast of Booths (16:20, 27), the feast for Isaac when he is weaned (17:3), the offering of the first fruits (22:4), the joy at the end of time (23:29–30), Jacob’s sacrifice (32:7), and the Passover sacrifice 49:2, 22. Only the feast for Isaac (17:3) and the vague eschatological reference in 23:9–30 have no reference to an altar or sacrifice. The Isaac story is not unusual, since the eating and drinking celebrates a rite of passage in the life-cycle of the individual (…). The other texts all link the occasion of joy to sacrificial experience. In several places in the book the writer notes that one must eat and drink on the Sabbath (2:21, 30; 50:9–13) but he never calls this an act of rejoicing. This would imply an essential connection between the altar and the festal experience of joy”. 24 Halpern-Amaru, “Joy as Piety” (see n. 11), 185–205. 25 Halpern-Amaru, “Joy as Piety” (see n. 11), 185.
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only into the variable meanings rejoicing may convey, but also a creative awareness of its potential to express different aspects of piety.”26 An added meaning to the rejoicing of the patriarchs is the aspect of joy, as an expression of faith that becomes exemplary for all Israelites. Besides this innovative understanding of joy, Halpern-Amaru shows that the joy motif is predominantly used as an expression of gratefulness.27 Halpern-Amaru very clearly demonstrated the contexts and meanings of “joy” and related them to their biblical antecedents. Yet, she does not satisfactory answer the question as to what exactly prompted Jubilees to integrate the joy motif into his narrative on so many occasions. Thus far, it seems to have been overlooked that the biblical text Jubilees was rewriting does indeed contain a trigger to stress the happiness of the patriarchs. The idea of happiness as an expression of faith is contained in a particular interpretation of the words at the beginning of Gen 17:17 “And Abraham fell prostrate and laughed” as “And Abraham fell prostrate and was very happy” in Jub. 15:17. Jub. 15:17 is the second time when Abraham is said to be happy and this occurs just after the Lord informed him about Sarai’s name change and the promise of a son being born to her. The rendering of “to laugh” as “to be very happy” is also attested in other early Jewish literature, for the same rendering appears in Josephus, A.J. 1:198 and in Tg. Onq. on Genesis 17:17. Tg. Neof. and Tg. Ps.-J. in the same verse translate with the Aramaic תמח, “was astonished.”28 Because Gen 17:17 says that Abraham laughs, his reaction could be interpreted as a sign of disbelief of Abraham. Jubilees, on the other hand, deliberately turns it into a sign of belief.29 For this reason, the following words: “Will a son be born to one who is 100 years of age? Will Sarah who is 90 years of age give birth (to a child)?” must also be interpreted in light of Abraham’s happiness and not of his disbelief. The suspicious Abraham of Genesis is turned into a devoted believer. As was the case in Jub. 14:21, his happiness is connected with the promise of progeny. Thus far, it has not been observed that the motivation for Jubilees to stress happiness as an expression of faith and/or gratitude throughout his work is contained in its specific interpretation of Gen 17:17 in Jub. 15:17. This means that Jubilees, in creating an internal parallel between the first 26
Halpern-Amaru, “Joy as Piety” (see n. 11), 187. See Halpern-Amaru, “Joy as Piety” (see n. 11), 205. 28 James L. Kugel, A Walk Through Jubilees: Studies in the Book of Jubilees and the World of its Creation (Leiden: Brill, 2012), 98; Michael Segal, The Book of Jubilees: Rewritten Bible, Redaction, Ideology and Theology (Leiden: Brill, 2007), 305, n. 84. 29 VanderKam, The Book of Jubilees (see n. 3), 50; van Ruiten, Abraham (see n. 12), 174. 27
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covenant in Jub. 14 and the second in Jub. 15, inserted a similar reaction of happiness as an expression of faith in Jub. 14:21 where Abraham’s happiness occurs for the first time. This idea is underscored by the fact that this latter passage also says that Abraham “believed”. Abraham’s happiness as an expression of faith is deliberately added to the patriarchal narrative by Jubilees for two reasons. First, it solves the exegetical problem in Genesis that Abraham might have laughed out of disbelief. Second, it prompts the possibility to have joy function as exemplary pious behavior from Abraham’s time on. It is interesting to see that Sarah’s reaction to the good news is different. In Jubilees 16:1–4 the divine visit at the oak of Mamre is briefly referred to. Here, the promise of a son is repeated to Abraham and Sarah happens to hear this message. In this passage the author of Jubilees does not change the biblical statement that Sarah laughs in her eyes as a reaction to this quite unbelievable message (Jubilees 16:2 // Gen 18:12).30 However, at the end of the somewhat parallel narrative of divine beings visiting Abraham at the well of the oath (Jub. 16:15–19), the reaction to the promises is the same as Abraham’s in Jub. 15:17 and 14:21, with the exception that Sarah now too is involved: “the two of them were extremely happy” (Jub. 16:19). The passage is as follows: 16:15 In the sixth year of the fourth week we came to Abraham at the well of the oath. We appeared to him just as we had said to Sarah that we would return to her and she would have become pregnant with a son. 16:16 We returned during the seventh month, and in front of us we found Sarah pregnant. We blessed him and told him everything that had been commanded for him: that he would not yet die until he became the father of six sons and that he would see them before he died; but that through Isaac he would have a reputation and descendants. 16:17 All the descendants of his sons would become nations and be numbered with the nations. But one of Isaac’s sons would become a holy progeny and would not be numbered among the nations, 16:18 for he would become the share of the Most High. All his descendants had fallen into that (share) which God owns so that they would become a people whom the Lord possesses out of all the nations; and that they would become a kingdom, a priesthood, and a holy people. 16:19 Then we went on our way and told Sarah all that we had reported to him. The two of them were extremely happy.
The fact that Sarah is said to be extremely happy too may be inspired by Gen 21:6–7:31 “Now Sarah said, ‘God has brought laughter for me; everyone who hears will laugh with me.’ And she said, ‘Who would ever have 30 Cf., Kugel (Traditions [see n. 16], 311), who refers to Jub. 16:2 and raises the possibility “that Sarah had laughed not in disbelief, but because this intimate subject was being discussed openly by Abraham with the three strangers or angels; yet another was that her laughter was a sign of pleasure or amazement, rather than of doubt.” To strengthen this latter point Kugel refers to Abraham’s similar reaction of joy in Jub. 15:17 (see op. cit., 311, n. 9). 31 See also Segal, Book of Jubilees (see n. 28), 305, n. 84.
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said to Abraham that Sarah would nurse children? Yet I have borne him a son in his old age.’”32 The laughter brought by God is interpreted in the same way as the laughter in Jub. 15:17 // Gen 17:17. It is not a laughter of disbelief, but laughter out of happiness.33 Although Sarah did laugh at first when she heard she was going to conceive a son in Jub. 16:2, now that she is really pregnant with the child – a child that will become a holy progeny, she believes too. Abraham and Sarah know that Sarah is pregnant in the seventh month and that their son will be an elected one. Their overwhelming happiness about this immediately results in the institution of a joyful festival. Jubilees’ exegesis of Gen 21:6 of laughter as happiness thus connects the forthcoming fulfillment of progeny and the initiation of the festival of Booths.34 This festival can be seen as the result of a culmination of happiness experienced over the fulfillment of God’s repeated promises of descendants. An important feature of the description of the Festival of Booths in the Book of Jubilees is that it is full of references to happiness (16:20a, 20b, 25b, 27b, 27c, 29b, 31d):35 16:20 There he built an altar for the Lord who had rescued him and who was making him so happy in the country where he resided as an alien. He celebrated a joyful festival in this month – for seven days – near the altar which he had built at the well of the oath. (…) 16:25 He celebrated this festival for seven days, being happy with his whole heart and all his being – he and all those who belonged to his household. There was no foreigner with him, nor anyone who was uncircumcised. (…) 16:27 He gave a blessing and was very happy. He named this festival the festival of the Lord – a joy acceptable to the most high God. (…) 16:29 For this reason it has been ordained on the heavenly tablets regarding Israel that they should celebrate the festival of tabernacles joyfully for seven days during the seventh month which is acceptable in the Lord’s presence – a law which is eternal throughout their history in each and every year. (…) 16:31 So Abraham took palm branches and the fruit of good trees, and each and every day he would go around the altar with the branches—seven times per day. In the morning he would give praise and joyfully offer humble thanks to his God for everything.
32 Gen 21:6–7 is not directly taken up by Jubilees, and this may be caused by the fact that the angels rebuked Sarah for her laughing in Jub. 16:2 (//Gen 18:12–15). See: van Ruiten, Abraham (see n. 12), 188. 33 This reading might also have been influenced by Jubilees’ Vorlage, because the LXX (in contrast to the MT and SP) translates the second occurrence of the root צחקin Gen 21:6 with a form of συγχαίρω (“to rejoice”). See Segal, Book of Jubilees (see n. 28), 305, n. 84; van Ruiten, Abraham (see n. 12), 188. 34 See also Segal, Book of Jubilees (see n. 28), 305, n. 84. 35 See for an elaborate treatment of the Festival of Booths in the Book of Jubilees: Halpern-Amaru, “Joy as Piety” (see n. 11), 191–96; van Ruiten, Abraham (see n. 12), 191–95.
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4. Abraham’s Happiness and the Festival of Booths The regulations concerning the Festival of Booths in the Hebrew Bible can be found in the Festival Calendar in Lev 23:34–43, Deut 16:13–15, and Neh 8:14–17. All three texts mention joy as part of the festival, but not as often as Jubilees does. They each mention joy only once, whereas Jubilees contains seven references to happiness. Lev 23:40 says: “On the first day you are to take branches from luxuriant trees – from palms, willows and other leafy trees – and rejoice before the Lord your God for seven days” and Deut 16:14: “ Be joyful at your festival – you, your sons and daughters, your male and female servants, and the Levites, the foreigners, the fatherless and the widows who live in your towns” and Neh 8:17, “The whole company that had returned from exile built temporary shelters and lived in them. From the days of Joshua son of Nun until that day, the Israelites had not celebrated it like this. And their joy was very great.”36 Whereas the motif of joy in these biblical texts is clearly used in a ritual setting, the Book of Jubilees uses Abraham’s personal experience of happiness to expand it on the ritual setting it found in its Vorlage. In this way, the deuteronomistic command to be “rejoicing in all the undertakings in which the Lord your God has blessed you” (Deut 12:7) and to “serve the Lord your God joyfully and with gladness of heart for the abundance of everything” (Deut 28:47) is set in a personal context of the faithful patriarch who experiences happiness in the gratefulness for everything the Lord has given to him. This becomes clear in Jub. 16:26 where the main cause for Abraham to initiate the Festival of Booths is formulated as follows: “He blessed his creator who had created him in his generation because he had created him for his pleasure, for he knew and ascertained that from him there would come a righteous plant for the history of eternity and (that) from him there would be holy descendants so that they should be like the one who had made everything.”
This happiness about his descendants corresponds to Jub. 16:17 in which it is stated that one of Isaac’s sons will become a holy progeny. Gratefulness for his sons is also the reason for Abraham’s happiness in Jubilees 17:2–3. It is part of a larger section in Jubilees 17:1–14 that recounts the jealousy of Sarah towards Hagar. The episode begins with the large banquet that was held on the occasion of Isaac’s weaning. On this occasion Ishmael is also present, and Abraham is said to be very happy 36 Joy is also an important element in the celebration of the festival by Salomon in 1 Kgs 8 and 2 Chr 5–7. Although this festival is not called Sukkot, it can be identified as such, because it is celebrated in the seventh month. See Halpern-Amaru, “Joy as Piety” (see n. 11), 192.
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(Jub. 17:2) and he “blessed the Lord because he saw his own sons and had not died childless. He remembered the message which he had told him on the day when Lot had separated from him. He was very happy because the Lord had given him descendants on the earth to possess the land. With his full voice he blessed the creator of everything” (Jub. 17:2–3).
5. The Aqadah (Jub. 17:15–18:19 // Gen 22:1–19) Yet, despite the fulfillment of the promise and Abraham’s happiness, Abraham’s loyalty towards God is tested. Abraham has to offer his son, the only one of whom is said will become a holy progeny. The aim of the test is to see whether Abraham remains faithful (Jub. 17:16.17) in this difficult situation. The text of the Aqadah in Jubilees quite literally follows the biblical text of Genesis 22.37 Yet through his added introduction, Jubilees places the whole story in a different light. In the introduction in Jub. 17:15–18, Jubilees has Prince Mastema argue with God that Abraham would not remain faithful if he is ordered to sacrifice his son Isaac. Thus, the test is not for God to see if Abraham is loyal, but for others to show that Abraham is faithful. Of course, Abraham also endures this seventh test and for that reason the Lord blesses him abundantly (Jub. 18:15–16): 18:15 He said: ‘I have sworn by myself, says the Lord: because you have performed this command and have not refused me your first-born son whom you love, I will indeed bless you and will indeed multiply your descendants like the stars in the sky and like the sands on the seashore. Your descendants will possess the cities of their enemies. 18:16 All the nations of the earth will be blessed through your descendants because of the fact that you have obeyed my command. I have made known to everyone that you are faithful to me in everything that I have told you. Go in peace’.
The reaction to this promissory statement is comparable to the one in Jub. 16:20–31. It is said that Abraham returns to Beersheba where (Jub. 18:18– 19): 18 He used to celebrate this festival joyfully for seven days during all the years. He named it the festival of the Lord in accord with the seven days during which he went and returned safely. 19 This is the way it is ordained and written on the heavenly tablets re-
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See for a detailed analysis of the Aqedah in the Book of Jubilees: Jacques van Ruiten, “Abraham, Job and the Book of Jubilees: The Intertextual Relationship of Genesis 22:1–19, Job 1:1–2:13 and Jubilees 17:18:19,” in The Sacrifice of Isaac: The Aqedah (Genesis 22) and Its Interpretations, ed. Edward Noort and Eibert J.C. Tigchelaar, TBN 4 (Leiden: Brill, 2002), 58–85; van Ruiten, Abraham (see n. 12), 209–26.
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garding Israel and his descendants: (they are) to celebrate this festival for seven days with festal happiness.
Again Abraham’s faith, faithfulness, and the promises made by the Lord are the cause to celebrate a festival. Abraham’s expression of happiness during the festival becomes the example of how to convey joy during future festivals for generations of Israelites to come.
6. Abraham’s Last Days: Full of Happiness At the end of his life, Abraham also experiences many situations of happiness. This happiness firstly relates to the gratefulness he feels when he sees his sons. Abraham is very happy that his two sons came to Beersheba to celebrate the festival of weeks with him. The feast is described as a “joyful feast” (Jub. 22:4). A second reason for happiness at the end of his life is Abraham’s belief that through Jacob, God’s promises about a holy progeny will be fulfilled. After Abraham has blessed Jacob for the first time in Jub. 22:10–24, it is stated in Jub. 22:26 that Abraham is extremely happy with his grandson Jacob.38 Abraham blesses Jacob for a second time, and tells him in Jub. 22:28: “My son, with whom I am exceedingly happy with all my mind and feelings – may your grace and mercy continue on him and his descendants for all time.” From this remark in Jub. 22:28 that Abraham is exceedingly happy with Jacob with all his mind and feelings, it can be drawn that this happiness is rooted in trust, or better, faith. Abraham has faith in Jacob, therefore he is so happy with him. In the same way, most other causes for happiness are rooted in Abraham’s faith. He believes that what the Lord says will become true. Out of that feeling of confidence, Abraham behaves like a faithful man. A man who is also trusted by God. A man who had been tested, but who has never failed the test. At the beginning of this paper, it was already noted that Abraham’s believing is exactly the reason why he is recorded as righteous and a friend of God. Jub. 23:8–32 is a carefully constructed eschatological discourse, added by the author of Jubilees to the biblical text. In this section, the wickedness of human kind and the few exceptions therein are treated.39 Of Abraham it is said that he “was perfect with the Lord in everything that he did – being properly pleasing throughout all his lifetime.” (Jub. 23:10). 38
Jub. 22:26: “The two of them lay down together on one bed. Jacob slept in the bosom of his grandfather Abraham. He kissed him seven times, and his feelings and mind were happy about him.” 39 See Gene L. Davenport, The Eschatology of the Book of Jubilees, SPB 20 (Leiden: Brill, 1971), 32–46; VanderKam, Book of Jubilees (see n. 3), 57–59.
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The eschatological addition makes clear that those who live at the dawn of the new age and “study the laws, seek out the commands, and return to the right way” (Jub. 23:26) “will complete and live their entire lifetimes peacefully and joyfully. There will be neither a Satan not any evil one who will destroy. For their entire lifetimes will be times of blessing and healing” (Jub. 23:29). The faithful who have already died by that time will also experience peace and happiness (Jub. 22:30). “Their bones will rest in the earth and their spirits will be very happy. They will know that the Lord is one who executes judgment but shows kindness to hundreds and thousands and to all who love him” (Jub. 22:31).40 This fate must therefore also await the righteous and faithful Abraham. The spirit of Abraham, who already experienced great happiness during his life because of his faith in God, will experience it forever at the end of times, because of this faith. So it will also be for everybody who believes as faithfully and happily as Abraham.
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Jubilees does not envisage a physical resurrection, but only a happy existence for the spirits of the righteous after the Day of Judgment. See also VanderKam, Book of Jubilees (see n. 3), 59.
Zum Glaubensverständnis des Philo von Alexandrien Weisheitliche Theologie in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. MARTINA BÖHM
1. Zeitgenossen – Glaubensgenossen? Philo und Paulus waren Zeitgenossen. Beider Lebensdaten haben sich vermutlich für ca. vier Jahrzehnte überschnitten.1 Beide entstammten dem Diasporajudentum und sind in hellenistisch geprägten Metropolen der östlichen Küste des Mittelmeers aufgewachsen.2 Beide waren vom monotheistischen Gottesglauben geprägt und für beide gehörte der Pentateuch unbestritten zur normativen Grundlage des jüdischen Glaubens und einer entsprechenden Praxis. Für beide spielte Abraham und die mit ihm verbundene Aussage des Glaubens von Gen 15,6/LXX eine wichtige Rolle in ihrer Auslegung der heiligen Schriften.3 Und dennoch lagen beider Denkund Lebenskontexte wie auch ihre theologischen Konzepte weit auseinander.4 Zeugnis dafür ist auf beiden Seiten ein ganzes Corpus von Schriften, in dem Paulus und Philo jeweils das eigene Glaubensverständnis zu erken1
Philos Lebensdaten lassen sich nur vorsichtig aus einzelnen seiner eigenen Äußerungen ableiten. Nach legat. 1 war er bei seiner Gesandtschaftsreise nach Rom (39/40 n.Chr.) bereits ein weißhaariger γέρων. Der terminus post quem wird durch legat. 206 angezeigt. Demnach hat Philo mindestens bis 41 n.Chr. gelebt, vermutlich jedoch noch einige Jahre länger. Geboren ist er wahrscheinlich zwischen 20–10 v.Chr. Vgl. D.R. SCHWARZ, Philo, His Family, and His Time, in: A. Kamesar (Hg.), The Cambridge Companion to Philo, Cambridge 2009, 9–31, 10. 2 Zur Frage, ob Paulus auch in Tarsus geboren ist (so Apg 22,3), vgl. M. W OLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 10f. 3 Allerdings spielt für Philo nur Gen 15,6a/LXX eine entscheidende Rolle: ἐπίστευσε τῷ θεῷ (Abr. 262). 4 Ein ins Einzelne gehender Vergleich kann hier nicht vorgenommen werden. Philo entstammte anders als Paulus dem obersten gesellschaftlichen Stratum seiner Heimatstadt und er ist anders als Paulus zeit seines Lebens auch in Alexandria und dem näheren Umfeld der Stadt geblieben. Offenbar hat er Alexandria überhaupt nur zweimal für längere Zeit verlassen: für eine Pilgerreise nach Jerusalem (vgl. prov. 2,107) und die Gesandtschaftsreise nach Rom (legat.).
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nen gegeben haben.5 Es handelt sich um ihre Glaubenszeugnisse. Beide Corpora führen die synchron bestehende Diversität theologischer Konzepte innerhalb des Judentums in den Jahrzehnten vor der Zerstörung des Zweiten Tempels allerdings auch nur einmal mehr vor. Grundlegend trennend zwischen Philo und Paulus bleibt über alle im Bereich des Judentums des 1. Jh. n.Chr. bestehende und als „normal“ anzunehmende Diversität hinaus die Bedeutung des Christusgeschehens für das Gottesverhältnis und den Glauben des Menschen, nicht zuletzt auch für sein Weltverständnis.6 Philo zeigt keinerlei Berührung mit dem Thema, wiewohl eine solche rein chronologisch gesehen zumindest im Randbereich des Möglichen gelegen hätte.
2. Methodische und hermeneutische Überlegungen Eine Untersuchung zum Glaubensverständnis bei Philo sollte aus verschiedenen Gründen den Schwerpunkt nicht allein auf die Analyse des Wortfeldes von πίστις/πιστεύειν legen. Diese Analyse kann zwar auch nicht übersprungen werden, stärker als bisher soll Philos Glaubensverständnis hier jedoch im Rahmen seines jüdisch-weisheitlich bestimmten theologischen Gesamtkonzepts und damit im Kontext weiterer Aussagen über Gott, Welt und Mensch betrachtet werden, ohne dass in diesem Rahmen ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Schon A. Schlatter hatte das Glaubensverständnis Philos eingehend untersucht, hatte aber vor allem den Vergleich mit dem palästinischen Denken und den Vergleich mit der paulinischen Rede vom Glauben zum Ziel.7 In seiner Untersuchung sammelt Schlatter zunächst eine Fülle von wichtigen Einzelaspekten, um die Darstellung dann auf Abraham zu fokussieren. Schlatter folgt methodisch selbstverständlich noch dem Paradigma, das bis in die jüngere Vergangenheit für die Untersuchung von Themen im Corpus Philonicum unhinterfragt gegolten hat, wenn er die Belegstellen nicht nach Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Werkgruppen differenziert, sondern eine Gesamtsystematisierung versucht. Hier kann ihm nach heutigem Forschungsstand nicht mehr ohne Weiteres gefolgt werden, vor allem nicht dort, wo er Wertungen vornimmt. Dennoch zeigt seine Untersu5 Philos Glaubensverständnis lässt sich primär aus seinen drei großen Auslegungswerken zum Pentateuch erschließen: der Expositio Legis (12 erhaltene Traktate); dem Allegorischen Kommentar (21 erhaltene Traktate) und den Quaestiones et Solutiones in Genesim et in Exodum (sechs in armenischer Übersetzung erhaltene Traktate). Einen detaillierten Überblick über Philos Werke bietet J.R. ROYSE, The Works of Philo, in: A Kamesar (Hg.), The Cambridge Companion to Philo, Cambridge 2009, 32–64. 6 Vgl. 1Kor 8,6: ἀλλ’ ἡμῖν εἷς θεὸς ὁ πατὴρ ἐξ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡμεῖς εἰς αὐτόν,
καὶ εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς
δι’ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡμεῖς δι’ αὐτοῦ. 7 A. SCHLATTER, Glaube im Neuen Testament, Stuttgart 1905, 67–86. Aa.O., 578– 586, bietet er eine Stellenübersicht zum Wortfeld πίστις/πιστεύειν κτλ. im Corpus Philonicum.
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chung nach wie vor deutlich, dass das philonische Glaubensverständnis einen ganzen Kosmos darstellt, dem man sich mit einer kleineren Studie allenfalls annähern kann.8 Neuere Studien zum Glaubensverständnis Philos haben sich immer wieder an Schlatter orientiert, so D.R. Lindsay in seinem Kapitel zum Corpus Philonicum.9 In Aufnahme von Ergebnissen der religionsgeschichtlichen Schule, die bei Philo kein geschlossenes theologisches Konzept erkennen konnte, findet Lindsay zwar ein solches Konzept, kommt letztlich aber (auch) zu dem gleichen Ergebnis, das als beherrschendes Paradigma die Forschung bis in die Gegenwart hinein bestimmt hat: Philos Glaubenskonzept „is neither a truly Jewish concept nor truly Greek.“10 Interessante Neuansätze bei der Untersuchung des philonischen Glaubensverständnisses bietet demgegenüber die m.E. auch methodisch wegweisende (weil nach Auslegungsreihen differenzierende) Untersuchung von Christian Noack,11 der Philos Theologie im Rahmen jüdisch-weisheitlichen Denkens zu verstehen versucht.
Das theologische Konzept, das sich in allen drei der philonischen Auslegungsreihen zum Pentateuch zeigt – wenn auch in verschiedenen Ausformungsstufen und sehr deutlich nach verschiedenen Adressatenkreisen akzentuiert – ist zumindest in den Traktaten der Expositio Legis relativ gut zu erkennen. Auch wenn es selbst hier nicht ganz stringent und systematisch entfaltet wird, kann die Expositio Legis gut die exemplarische Textgrundlage bilden, um das Konzept vorzustellen und die darin verankerten wesentlichen Aspekte des philonischen Glaubensverständnisses aufzuzeigen. Das theologische Konzept bildet so etwas wie ein inhaltliches Koordinatensystem, in dem sich dann auch das Wortfeld πίστις/πιστεύειν in eindeutig (oder: enger gefasster) religiöser Bedeutung wiederfindet12 und genauer beschrieben werden kann. Die Expositio Legis ist allerdings auch für einen AdressatInnenkreis intendiert, der im weitesten Sinne mit SympathisantInnen des Judentums und dem Judentum Entfremdeten beschrie-
8 Einen Überblick über weitere der älteren Studien bietet D.M. HAY, Pistis as „Ground for Faith“ in Hellenized Judaism and Paul, JBL 108 (1989), 461–476, 463 Anm. 10. 9 D.R. LINDSAY, Josephus and Faith: Πίστις and Πιστεύειν as Faith Terminology in the Writings of Flavius Josephus and in the New Testament, AGJU 19, Leiden 1993, 53– 73. 10 LINDSAY, Josephus (s. Anm. 9), 73. 11 C. NOACK, Gottesbewußtsein. Exegetische Studien zur Soteriologie und Mystik bei Philo von Alexandria, WUNT 2/116, Tübingen 2000. 12 Das Urteil von W OLTER, Paulus (s. Anm. 2), 72, dass die Unterscheidung zwischen einem religiösen und profanen Gebrauch bei πίστις/πιστεύειν ganz unsachgemäß ist, weil sie den antiken Texten von außen übergestülpt wird, trifft für den Sprachgebrauch im Corpus Philonicum so nicht zu. Vgl. exemplarisch Jos. 168; spec. 3,114; Flacc. 86; u.ö. Allerdings stehen letztlich alle Belege, die zumindest in den Auslegungsreihen zum Pentateuch begegnen, schon durch ihren Kontext in einem engeren oder weiteren Zusammenhang mit Philos religiösen Überzeugungen.
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ben werden kann.13 Das Glaubensverständnis wird hier von Philo nicht für einen inner circle, sondern grundsätzlich-übersichtlich und mit einem insgesamt zurückhaltend-werbenden Charakter reflektiert. Das Schwergewicht der vorliegenden Untersuchung wird daher also auf der Darstellung des philonischen Konzepts liegen, wie es in der Expositio Legis zu erkennen ist. Nach einer kurzen Wortfeldanalyse, die das gesamte Corpus Philonicum erfasst (Kapitel 3), wird das Konzept zunächst in Form eines hypothetisch konstruierten Credo (Kapitel 4) im Überblick geboten. Dieser Überblick wird im Anschluss so entfaltet, dass die mit dem Wortfeld πίστις/πιστεύειν verbundenen Aussagen im philonischen Konzept genauer verortet und beschrieben werden können (Kapitel 5). Die dabei auftretenden Überschneidungen und Redundanzen zu Kapitel 4 wurden bewusst in Kauf genommen, um die einzelnen Aspekte des Glaubensverständnisses im Gesamtkonzept ausreichend deutlich erfassen und darstellen zu können. Abschließend wird ein Fazit gezogen, in dem das philonische und das paulinische Glaubensverständnis in eine vorsichtige Beziehung zueinander gesetzt werden (Kapitel 6). Bei diesem Procedere handelt es sich um eine doppelte, aber in jeder Hinsicht auch notwendige Beschränkung. Auf die differenziert zu betrachtenden Texte aus dem Allegorischen Kommentar konnte hier in der entfaltenden Darstellung nicht Bezug genommen werden. Die 21 erhaltenen Traktate dieses Kommentars waren von Philo – anders als die Expositio Legis – für einen innerjüdischen Adressatenkreis intendiert, der mit vertieften und speziellen Fragen des Glaubens beschäftigt war. Das Glaubensverständnis ist darum hier auch anders und eigen akzentuiert und erfordert eine von der Expositio Legis getrennte Behandlung.14 Ähnliches gilt für die Texte aus den sechs Traktaten der Quaestiones et Solutiones. Für eine in dieser Weise adäquate Einbeziehung aller Texte des Corpus Philonicum kann nur eine monographische Behandlung angeregt werden. Zum anderen muss bewusst bleiben, dass sich neben πίστις/πιστεύειν im theologischen Koordinatensystem des Philo noch weitere Begriffe finden, die zu seinem Glaubensverständnis gehören und inhaltlich vielleicht sogar eher das treffen, was bei einzelnen neutestamentlichen Verfassern mit πίστις/πιστεύειν ausgedrückt oder umschrieben wird. Dazu zählt insbesondere der z.B. bei Paulus nicht begegnende, aber in der jüdischen Weisheitstradition verankerte Begriff εὐσέβεια.15 Philo hebt an Abraham z.B. 13 Vgl. dazu M. B ÖHM, Rezeption und Funktion der Vätererzählungen bei Philo von Alexandria. Zum Zusammenhang von Kontext, Hermeneutik und Exegese im frühen Judentum, BZNW 128, Berlin 2005, 226–238. 14 Vgl. B ÖHM, Vätererzählungen (s. Anm. 13), 322–324. 15 Vgl. exemplarisch opif. 9.155.172; Abr. 24.60f.98.129.171.198; decal. 52.58. Der Begriff εὐσέβεια hat insgesamt 162 Belege im Corpus Philonicum. In der LXX findet
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im Traktat De Abrahamo in breiter Weise dessen εὐσέβεια hervor.16 Die πίστις stellt demgegenüber eher einen Einzelaspekt der εὐσέβεια dar: Sie ist die Erkenntnis der Frömmigkeit / γνῶσις εὐσεβείας.17 Zu den Begriffen, die bei Philo ebenfalls in den Bereich seines Verständnisses von Glauben gehören, zählen weiterhin die bei Paulus nicht belegten, in der LXX jedoch durchaus bezeugten Termini ὁσιότης18, τιμὴ θεοῦ19, θεοσέβεια20 und θεραπεία im Sinne der Gottesverehrung.21 Dazu zählen aber auch νομίζειν θεόν22 oder wie bei Paulus ἀγαπᾶν θεόν23. Allein schon die Zahl weiterer, dem Glaubensverständnis bei Philo im weiteren Sinn zuzuordnenden – von Paulus aber nicht, nicht in dieser Weise oder selten verwendeten – Begriffe24 und Syntagmen deutet an, dass wir es bei Philos Glaubensverständnis nicht nur mit einem komplexen und auf vielerlei Weise ausgedrückten Sachverhalt zu tun haben, sondern auch im Ganzen mit einem Paulus nicht einfach vergleichbaren theologischen Konzept. Eine Untersuchung des in diesem Gesamtkonzept zu sehenden Verständnisses von Glauben bei Philo sowie aller Begriffe, die ihm im religiösen Sinne zuzurechen sind, deren Beziehung zueinander wie auch möglicherweise deren Beziehung zur philonischen LXX-Rezeption, von der her man dann auch differenzierter nach Analogien bei Paulus fragen könnte, wäre eine weitere Monographie wert. Hier kann es daher nur um
sich εὐσέβεια, wie sie Philo versteht, vor allem im Sprüchebuch: vgl. Prov 1,7; 13,11; auch Prov 12,12; 13,19. 16 Vgl. Abr. 60.208; inhaltlich gefüllt wird die εὐσέβεια von Philo zuvor in Abr. 60– 207. 17 Abr. 268. Das genaue Verhältnis von εὐσέβεια und πίστις bei Philo müsste eigens untersucht werden. In Abr. 60 bezeichnet Philo etwa die εὐσέβεια als die höchste und größte Tugend (ἀρετῆς τῆς ἀνωτάτω καὶ μεγίστης); in Abr. 270 ist die πίστις die Königin der Tugenden (τὴν βασσιλίδα τῶν ἀρετῶν). 18 Vgl. opif. 155.172; Abr. 198.208; Mos. 1,190.198; u.ö. Der Begriff ὁσιότης hat insgesamt 72 Belege im Corpus Philonicum und begegnet häufig zusammen mit εὐσέβεια: opif. 155.172; Abr. 198.208; Mos. 1,98; u.ö. Der Begriff kommt in der LXX u.a. in Dtn 9,5; Prov 14,32 vor. 19 spec. 1,20.70 (hier zusammen mit ὁσιότης); u.ö. Vgl. Prov 3,9. 20 opif. 154; Abr. 114; spec. 4,134; virt. 186; u.ö. Vgl. Gen 20,11/LXX; Ex 18,21. 21 Exemplarisch virt. 40.221; praem. 81. Vgl. Joel 1,14/LXX. 22 decal. 59 für die Götter: νομίζειν θεούς; decal. 65 für den einen Gott: ἕνα τὸν ἀνωτάτω νομίζειν τε καὶ τιμᾶν θεόν; u.ö. Vgl. LINDSAY, Josephus (s. Anm. 9), 8: „Νομίζειν θεοὺς εἶναι is the normal expression in Classical Greek for belief in the gods.“ Das gilt auch für die Verwendung ohne εἶναι (a.a.O., 9). 23 Exemplarisch Abr. 50: (Abraham, Isaak, Jakob) ἀγαπήσαντας τὸν ἀληθῆ θεόν. Vgl. Röm 8,28; 1Kor 2,9; 8,3. 24 Von anderen Verfassern neutestamentlicher Schriften hingegen werden sie verwendet. Lukas etwa bietet neben πιστεύειν (wenn auch teils dezidiert in gegenteiligem Sinn) in Apg 3,12; 10,2; 17,23 das Wortfeld von εὐσέβεια und in Lk 1,75 ὁσιότης.
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einige exemplarische Grundlinien gehen. Gleichzeitig ist der bestehende Forschungsbedarf angezeigt.
3. Das Wortfeld πίστις/πιστεύειν im Corpus Philonicum Die Ausführungen in Kapitel 1 haben sicher andeuten können, dass im theologischen Denken des Philo von Alexandria das Wortfeld πίστις/πιστεύειν zwar einen wichtigen Platz einnimmt, es handelt sich aber nicht um die theologischen Zentralbegriffe zur Bezeichnung der menschlichen Beziehung und Haltung zu Gott schlechthin. Das dürfte m.E. auch damit zusammenhängen, dass das Wortfeld von πίστις/πιστεύειν im griechischen Pentateuch, den Philo in seinen zahlreichen exegetischen Werken ausschließlich darstellt und interpretiert, in religiöser Bedeutung relativ selten25 und in der Genesis, die er besonders intensiv behandelt, überhaupt nur einmal vorkommt. Es könnte sogar sein, dass Philo dem Wortfeld nur deshalb in seinem theologischen Denken einen bedeutsameren Platz eingeräumt hat, weil es in der Genesis – zwar nur einmal, dafür aber – an für ihn zentraler Stelle begegnet: in Gen 15,6/LXX bei Abraham, den für Philo neben Isaak und Jakob gleichermaßen wichtigen Stammvater seines Volkes. Für diese Vermutung spricht die Beobachtung, dass ca. die Hälfte der Belege für einen religiösen Gebrauch von πίστις/πιστεύειν κτλ. im Corpus Philonicum in einem Zusammenhang mit Abraham und Gen 15,6a/LXX stehen.26 Wenn man das Wortfeld von πίστις/πιστεύειν im Corpus Philonicum grundsätzlich bei den Vorkommen von πίστις/πιστεύειν/πιστός/ἀπιστία/ ἀπιστέω/ἄπιστος absteckt,27 erhält man insgesamt 336 Belege.28 Der Wortindex zum Corpus Philonicum gibt darüber Auskunft, dass das Lemma 25 In religiöser Bedeutung findet sich das Wortfeld m.E. nur in Gen 15,6; Ex 4,31; 14,31; Num 14,11; 20,12; Dtn 9,23; 32,20. Hinzurechnen kann man die beiden auf Gottes Treue bezogenen Belege Dtn 7,9; 32,4 (θεὸς πιστός). Die Begriffe ἀπιστία/ἀπιστέω/ ἄπιστος haben im LXX-Pentateuch keinen Beleg. 26 Von den ca. 85 Belegen steht etwa die Hälfte in diesem Zusammenhang. Vgl. die komprimiert zu findenden Belege in Abr. 262–273; virt. 216–218; praem. 28–49; LA 3,228f.; post. 173; Deus 4; migr. 43f.132; her. 90–101; mut. 177.186.218; u.ö. 27 Der Begriff πίστις allein ist m.E. nur bedingt repräsentativ; vgl. aber die Studie von HAY, Pistis (s. Anm. 8), 461–476. 28 Hinzu könnten noch die 8 Belege für προπιστεύειν gezählt werden. Sie begegnen zur Hälfte in religiöser Bedeutung, haben aber nie einen direkten Gottesbezug, sondern betreffen das Vertrauen auf Geschaffenes oder auf die eigene Person (vgl. Mos. 1,74; virt. 57; ebr. 193; conf. 140). Auch weitere, sehr selten begegnende Komposita wie ἀξιόπιστος, διαπιστεύω κτλ. werden hier nicht berücksichtigt. Die Begriffe ὀλιγοπιστία und ὀλιγόπιστος kommen im Corpus Philonicum nicht vor.
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πίστις 160x vorkommt, πιστεύειν 87x, πιστός 18x; ἀπιστία 21x; ἀπιστέω 21x und ἄπιστος 29x.29 Die Belege sind nahezu über alle der 48 erhaltenen Schriften verteilt.30 Überprüft man, wo die Begriffe in explizit (oder enger gefasster) religiöser Bedeutung verwendet werden, reduziert sich die Gesamtzahl erheblich. Dabei fällt – rein statistisch gesehen – auf, dass Philo πίστις und ἄπιστος mit Abstand häufiger in nichtreligiöser als in religiöser Bedeutung verwendet, während es sich bei πιστεύειν, πιστός, ἀπιστία und ἀπιστέω anders verhält und die religiöse Bedeutung überwiegt. In nichtreligiöser Bedeutung wird πίστις ca. 120x (bei 160 Gesamtbelegen) verwendet.31 Ganz überwiegend findet sich dabei die Bedeutung als “Beweis, Beweismittel” mit der Funktion, die jeweilige Argumentation des Verfassers abzustützen.32 Seltener sind die Bedeutungen „Treue/Vertrauen“33, „Redlichkeit“34, „Vertrauenswürdigkeit/Glaubwürdigkeit/Zuverlässigkeit“35, „Zuversicht“36, „Garantie“37 und „Bürgschaft“38. Πιστεύειν findet 29
Vgl. P. Borgen/K. Fuglseth/R. Skarsten (Hg.), The Philo Index. A Complete Greek Word Index to the Writings of Philo of Alexandria, Leiden 2000, 40.283f. Für die Quaestiones et Solutiones in Genesim et in Exodum, die zu einem großen Teil nur noch in einer armenischen Übersetzung aus dem Ende des 6. Jh. n.Chr. erhalten sind, kann man sich allein an den ca. 200 bei Johannes von Damaskus und einigen byzantinischen Chronisten erhalten gebliebenen (untereinander allerdings auch differierenden) griechischen Fragmenten orientieren. Vgl. zur Forschungssituation ROYSE, Works of Philo (s. Anm. 5), 32–64, 36f.; B ÖHM, Vätererzählungen (s. Anm. 13), 328f. 30 Das Wortfeld fehlt vollständig in drei von 21 Traktaten des Allegorischen Kommentars (De Gigantibus, De Sobrietate, Legum allegoriae 1) und in einigen der historischen (De Vita Contemplativa, Hypothetica) und philosophischen Schriften (De Providentia 1, De Animalibus). 31 So kann das Ergebnis auf eine allgemeine Sichtung hin formuliert werden. Für eine vollständige und exakte Bestimmung der nichtreligiösen Bedeutung müsste das Wortfeld πίστις/πιστεύειν im Corpus Philonicum monographisch untersucht werden. 32 Häufig in Verbindung mit den Attributen σαφής/σαφεστάτη oder ἐναργής/ ἐναργεστάτη (vgl. opif. 84.93.109.116.147; Abr. 39.141.226.247; Jos. 158; Mos. 1,247.261; 2,12.40.142; spec. 1,84.290.338; virt. 34.55.66; ebr. 93.175; conf. 198; congr. 178; somn. 2,220; QG 2,11; Flacc. 35.96.116.150.170; legat. 138.154.316; prob. 32.48.92; aet. 62); selten mit ἐμφανής/ἐμφανεστάτη (opif. 57; spec. 2,43.143) und βεβαιοτέρα (Jos. 100.107; spec. 3,114), aber auch ohne Attribut (Jos. 51f.127.168.185; Mos. 1,274.280.298; spec. 4,156.176; sacr. 34; post. 97; plant. 150; conf. 156; fug. 136.178; mut. 106.155; QE 2,16.45a; Flacc. 140; prob. 58; prov. 2,24; aet. 55.95.102. 104.137). Interessant ist die Beobachtung, dass Philo πίστις in der Bedeutung „Beweis“ besonders häufig in den Traktaten der Expositio Legis und in den historischen und philosophischen Schriften verwendet, überdies hier auch noch oft mit Attributen im Superlativ. Demgegenüber findet sich im Allegorischen Kommentar die Verwendung in der Bedeutung „Beweis“ nur vereinzelt (13x; vgl. die oben aufgeführten Belege). 33 Jos. 148f.; spec. 4,67; congr. 78; u.ö. 34 Jos. 258; Mos. 1,63. 35 Mos. 2,177; decal. 172; spec. 4,30.32–34.43.50.54.67; LA 3,204; Deus 101; ebr. 188; migr. 171; somn. 1,12; u.ö. 36 Mos. 2,288. 37 LA 3,208; mut. 135; legat. 37.
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sich in nichtreligiöser Verwendung ca. 33x (bei 87 Gesamtbelegen): z.B. als „vertrauen“39; „sich verlassen auf“40; „anvertrauen“41; „anerkennen“42. Das bei Philo seltenere πιστός wird 7x nichtreligiös verwendet (bei 18 Gesamtbelegen)43. Der Begriff ἀπιστία erscheint 8x (bei 21 Gesamtbelegen) in nichtreligiöser Verwendung 44; ἀπιστεύειν 7x (bei 21 Gesamtbelegen)45 und ἄπιστος 21x (bei 29 Gesamtbelegen)46. Daneben gibt es einige Belege, bei denen vom Kontext her schwer zu entscheiden ist, ob Philo die Begriffe mit religiösem Bezug oder nichtreligiös verwendet. Dazu gehören u.a. die Belege, die sich in Lasterkatalogen (sacr. 22.32) finden; Mos. 2,228; spec. 1,70; 2,8; Flacc. 19147 oder LA 2,6748. Hier müssten erst differenzierte Kriterien entwickelt werden, die eine plausible Zuordnung erlauben.
Eine eindeutig religiöse Bedeutung des Wortfeldes kommt bei Philo auf den Umfang des Gesamtwerkes gesehen nicht besonders häufig vor. Wo diese Belege begegnen, finden sie sich in der Expositio Legis häufig komprimiert und so, dass das ganze Wortfeld verwendet wird. Neben Einzelstellen wie opif. 4549 sind hier vor allem die größeren Zusammenhänge Abr. 262–273, virt. 216–218 und praem. 28–4950 zu nennen. Anders verhält es sich im Allegorischen Kommentar. Hier findet sich das Wortfeld in eindeutig religiöser Bedeutung überwiegend in Einzelstellen belegt.51 Für 38
her. 206. Abr. 228; Jos. 149.179; Mos. 1,196; 2,166; LA 2,88; det. 25; agr. 50; migr. 138; her. 251; u.ö. 40 spec. 1,343; spec. 4,28; u.ö. 41 spec. 2,45; spec. 4,36; u.ö. 42 det. 9. 43 In der Bedeutung „glaubwürdig“ (spec. 4,61; aet. 16), „zuverlässig“ (sacr. 17; Deus 113; ebr. 80.82), „treu“ (det. 65). 44 In der Bedeutung „Misstrauen“ (Jos. 30), „Unglaubwürdigkeit“ (decal. 84; spec. 2,8), „Untreue“ (decal. 172; spec. 4,32), „Unzuverlässigkeit“ (Deus 101); „Treulosigkeit“ (fug. 152). 45 In der Bedeutung „misstrauen“ (Jos. 17; virt. 153), „nicht trauen/vertrauen“ (Mos. 1,74; Mos. 2,69.177; her. 251), „nicht glauben“ (praem. 150; legat. 67; prob. 5). 46 In der Bedeutung „unwahrscheinlich“ (opif. 114), „unzuverlässig“ (Abr. 60; spec. 4,60.137; u.ö.), „unglaubwürdig“ (Jos. 252; somn. 1,12), „treulos“ (spec. 2,252; conf. 48), „unglaublich“ (spec. 4,155; Mos. 1,200; u.ö.) 47 In Flacc. 191 findet sich zwar die Bedeutung „Beweis“, aber es geht eindeutig um einen Beweis religiöser Art. Flacc. 191: τοιαῦτα καὶ Φλάκκος ἔπαθε γενόμενος ἀψευδεστάτη πίστις τοῦ μὴ ἀπεστερῆσθαι τὸ Ἰουδαίων ἔθνος ἐπικουρίας τῆς ἐκ θεοῦ. 48 In LA 2,67 wird zwar Num 12,7b/LXX (ἐν ὅλῳ τῷ οἴκῳ μου πιστός ἐστιν) zitiert, aber die Aussage über Mose legt in der LXX wie auch in der philonischen Auslegung der Stelle eher die Bedeutung „zuverlässig“ nahe. 49 Weiterhin gehören dazu Mos. 1,82f.90.225.284; 2,259; decal. 15; spec. 1,242; virt. 68.188. 50 Abr. 262–275 (10x); virt. 216–218 (3x); praem. 27–51 (7x). 51 Vgl. u.a. LA 2,89; 3,164.204.228f.; Cher. 85; sacr. 70; post. 13.173; Deus 4; plant. 70; ebr. 40.78; conf. 31.57; migr. 43f.68.132.140; her. 90–101.287; mut. 177f.181f. 186.188.201.218; somn. 1,68. 39
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die Quaestiones können aufgrund der besonderen überlieferungsgeschichtlichen Situation nur zwei Belege verwertet werden;52 innerhalb der historischen Schriften sind legat. 3.118 anzuführen.
4. Das philonische Credo53 oder: Die universal gültigen Grundsätze des von Gott belehrten Mose Wenn man davon ausgeht, dass die Traktate der Expositio Legis von Philo für prinzipiell mit dem Judentum nicht oder wenig vertraute RezipientInnen als fortlaufende Lektüre angelegt worden sind,54 fällt auf, dass von ihm in einem ersten Schritt zunächst Aussagen über Gott und den Kosmos im Allgemeinen getroffen werden. Erst am Ende von De Opificio mundi bietet Philo eine Art Credo in fünf Grundsätzen.55 Diese πέντε δὲ τὰ κάλλιστα καὶ πάντων ἄριστα werden bezeichnenderweise aber nicht mit Begriffen aus dem Wortfeld πίστις/πιστεύειν verbunden, sondern als Dogmen der Frömmigkeit und Heiligkeit bezeichnet,56 die immer mehr zu lernen und der Seele einzuprägen sind.57 Insofern ist eher von einem Discendum est als von einem Credo zu sprechen – oder auch von einer Adsensio, die individuell erst einmal erreicht werden muss.58 Ist sie erreicht, bindet sie das Individuum nicht notwendig in eine Gemeinschaft ein, sondern macht aus ihm primär ein Gott, Welt und Mensch besser begreifendes Subjekt, das sich nun auch der von Gott her gesetzten Weltordnung entsprechend verhalten und dabei Vollkommenheit erreichen kann. 52
QG 3,58 (2x). Der Begriff „Credo“ ist hier anachronistisch im Sinne eines Glaubensbekenntnisses gebraucht. Es handelt sich um die Aufnahme eines auf opif. 170–172 bezogenen Zitats von E.R. GOODENOUGH, An Introduction to Philo Judaeus, Oxford 21962, 37: „the first creed in history“. 54 Vgl. dazu B ÖHM, Vätererzählungen (s. Anm. 13), 116f.236–238. 55 In opif. 170–172 finden sich diese im Folgenden gebotenen πέντε δὲ τὰ κάλλιστα καὶ πάντων ἄριστα; in opif. 172 auch als Zusammenfassung. Vgl. dazu D.T. RUNIA, Philo of Alexandria. On Creation of the Cosmos According to Moses, Philo of Alexandria Commentary Series 1, Leiden 2001, 391: „… written in a strikingly didactic style. … In fact it is one of the most famous passages in the entire Philonic corpus.“ 56 opif. 172: δόγμασιν εὐσεβείας καὶ ὁσιότητος. 57 opif. 172: διανοίᾳ προμαθὼν καὶ ἐν τῇ αὑτοῦ ψυχῇ σφραγισάμενος. 58 Vgl. zu opif. 170–172 RUNIA, Creation (s. Anm. 55), 394: „Although they are taught by Moses, i.e. are revealed, they are not (pace Goodenough) a creed or articles of faith in which one must believe before one can belong to Judaism. Rather ... they represent the fundamental or preliminary doctrines (dogmata) of which one must be intellectually convinced in order to embark on an understanding of the scriptures ...“. 53
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Die fünf von Philo selbst zusammengestellten Grundsätze werden im Folgenden als Kernaussagen (A 1–5) in unmittelbarer Aufnahme von opif. 170–172 wiedergegeben. Im Anschluss finden sich weitere Aussagen (A 6–9), die als Entfaltung der Gottesaussagen von A 1–5 gelten können und die ein Extrakt aus De Opfificio mundi insgesamt darstellen. I. Der durch göttliche Offenbarungen belehrte Mose59 lehrt,60 A1 A2 A3 A4 A5
dass die Gottheit ist und existiert,61 dass Gott einer ist,62 dass die Welt geschaffen und nur diese eine ist63, und dass Gott für das Geschaffene Sorge trägt.64
A6 A7 A8 A9
Er ist der Schöpfer65 und Vater66 der Welt,67 der durch die Schöpfung die Macht seiner Herrschaft gezeigt hat.68 Er ist der Aufseher69, Lenker70 und Richter71, durch den alles verwaltet und geleitet wird72.
Philo zeigt sich hier wesentlich als ein auf das Thema Schöpfer und Schöpfung fokussierter Theologe. Dieses Thema stellt für ihn – wie im Pentateuch ja auch vorgegeben – den Anfang und die Grundlage für den Glauben dar. Anhand der „historischen Partien“ des Pentateuchs, insbesondere anhand der Erzelternerzählungen, entfaltet Philo dann auf der Literalsinnebene wie auch auf einer universal-allgemeingültigen (allegorischen) Bedeutungsebene seine Anthropologie und Ethik. Die von ihm historisch verstandene Patriarchentrias (Abraham, Isaak und Jakob) hat die in der Schöpfung angelegten kosmischen Gesetze, die zur Vollkommenheit führen, erstmalig paradigmatisch und als Vorbild eines Weisen für alle gelebt. 59
opif. 8: χρησμοῖς (…) ἀναδιδαχθείς. opif. 170: (Mose) ἡμᾶς ἀναδιδάσκει. 61 opif. 170f.: πρῶτον μὲν ὅτι ἔστι τὸ θεῖον καὶ ὑπάρχει ... ; vgl. auch virt. 215. 62 opif. 170f.: ... δεύτερον δ᾽ ὅτι θεὸς εἷς ἐστι; vgl. auch spec. 1,67; u.ö. 63 opif. 171: τρίτον ... ὅτι γενητὸς ὁ κόσμος … τέταρτον … ὅτι καὶ εἷς ἐστιν ὁ κόσμος. 64 opif. 171: πέμπτον δ᾽ ὅτι καὶ προνοεῖ τοῦ κόσμου ὁ θεός. Vgl. auch virt. 215; praem. 42; u.ö. Die Fürsorge besteht u.a. darin, vor Schaden und Verderben zu bewahren (praem. 13). 65 Ποιητής: opif. 7.53.77.88; Abr. 9; u.ö. 66 Πάτηρ: opif. 7.74.77.89.144.156; Abr. 9; u.ö. 67 opif. 7: κοσμοποιός; opif. 74: τῷ δὴ πάντων πατρὶ θεῷ. 68 opif. 7.45. 69 opif. 11: ἔφορος; opif. 144: βασιλεύς. 70 opif. 11: βραβευτής; an anderen Stellen auch κυβερνήτης (opif. 46; u.ö.); ἡνίοχος (Abr. 70; u.ö.); ἡγεμών (opif. 75; u.ö; opif. 78: τῶν ὅλων). 71 opif. 11: δικαστής. 72 opif. 11: ὑφ᾽ οὗ πάντ᾽ οἰκονομεῖσθαι καὶ πρυτανεύεσθαι θέμις. 60
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Was Abraham, Isaak und Jakob paradigmatisch als ungeschriebenes Gesetz gelebt haben,73 wurde schließlich von Mose aufgeschrieben, um Bildung und Erziehung zu leisten und Tugend zu fördern.74 Die Schöpfung mit ihren Ordnungen, die Geschichte der weisesten Männer seines Volkes, die diese Ordnungen gelebt haben, und die schließlich von Mose aufgeschriebenen göttlichen Gesetze werden von Philo Schritt für Schritt als in einem (göttlichen) Gesamtkonzept verwoben aufgezeigt. Versucht man, die auf das Gottesverhältnis des Menschen bezogenen, verstreuten Aussagen mit systematisierendem Interesse zusammenzusuchen und aus ihnen einen auf die wesentlichen Aussagen reduzierten zweiten Artikel „philonischer Grundsätze“ zu formulieren, könnte er wie folgt konstruiert werden: II. Der durch göttliche Offenbarungen belehrte Mose lehrt, B1
73
dass der Mensch durch Gebrauch des von Gott gegebenen75 Verstandes,76 mit Gottes Entgegenkommen,77 Unterstützung78 und Erbarmen79 das Wesen der Welt, ihren Schöpfer und dessen Fürsorge für die Welt80 erkennen und zur Vervollkommnung des Lebens81 gelangen kann, wenn er wie Abraham durch Lernen und Beobachtung der geschaffenen Welt auf deren Schöpfer schließt,82 wie Isaak seine Begabung zur Erkenntnis Gottes nutzt, wie Jakob sich durch Übung Erkenntnis aneignet,83
Vgl. u.a. Abr. 4f.276. Vgl. dazu detailliert B ÖHM, Vätererzählungen (s. Anm. 13), 70–73.123. 75 Vgl. opif. 77. 76 opif. 146: διάνοια. An anderen Stellen verwendet Philo andere Begriffe: νοῦς (opif. 69); ψυχὴ λογική (opif. 137); λόγος (Abr. 41). 77 So von Gott in Abr. 79: προϋπαντήσας. 78 Die von Gott ausgehende Aktivität wird mehrfach bei Philo angesprochen: vgl. u.a. Abr. 59. Dazu siehe auch unten Kapitel 5.2. 79 Vgl. praem. 39: ὁ πατὴρ καὶ σωτὴρ ἠλέησε … 80 Vgl. virt. 215. 81 Abr. 54: πρὸς τελειότητα τοῦ βίου. 82 Vgl. Abr. 48–61; praem. 24–48. 83 Abr. 61: ἐναργέσταται δὲ τῆς εὐσεβείας ἀποδείξεις εἰσίν. Die einzelnen Fähigkeiten versteht Philo als von Gott geschenkt (Abr. 54: κεχαρίσθαι) und es geht ihm dabei nicht um Alternativen. Alle drei Voraussetzungen und Fähigkeiten müssen grundsätzlich vorhanden sein, um zum Ziel – der Vervollkommnung des Lebens – zu kommen (vgl. Abr. 54f.). 74
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und dass er dann durch tätige Hingabe an den Schöpfer andauernden Glauben, Freude und Gottesschau erringen84 und so zum Gipfel der Glückseligkeit gelangen kann.85
5. Πίστις/πιστεύειν im Kontext philonischer Theologie 5.1 Glaube als Vertrauen in das von göttlicher Weisheit inspirierte Mosegesetz (mit paradigmatischem Charakter) Philos Theologie ist in die Tradition jüdischer Weisheitstheologie einzuordnen.86 Sie hat Anteil an wesentlichen Elementen weisheitlichen Denkens, dennoch stellt sie innerhalb der weisheitlichen Tradition einen eigenen und neuen theologischen Entwurf dar, der im Rahmen einer umfänglichen und intensiven Pentateuchrezeption entfaltet wird. Auch stilistisch geht Philo einen eigenen Weg, indem er ausschließlich (teils ausschweifend) lange, nichtpoetische Reflexionen zu einzelnen Textstellen und Episoden des Pentateuch bietet. Die klassische jüdische Weisheit stellt bekanntlich keine einheitliche Größe dar, sondern eher eine geistige Bewegung, „die in vielfältiger Weise um die Probleme der Ordnung und des Verstehens von Welt und Wirklichkeit kreist“87 und zur Bildung und Erziehung eingesetzt wird. Dabei wird Weisheit sowohl theoretisch reflektiert wie auch als Erkenntnis aus der Erfahrung gezogen. Das Allgemeingültige daran wird systematisiert, um das Individuum zu einem gelingenden – d.h. Krisen vermeidenden und/ oder bewältigenden – Leben zu motivieren und zu befähigen.88 In diese keineswegs auf das Judentum zu beschränkende, sondern im Alten Orient und der griechischen Welt breit verankerte geistige Bewegung gehört auch das Denken Philos. Vieles, was die klassische alttestamentliche Weisheit kennzeichnet, prägt auch sein theologisches Konzept: vor allem die zentrale Vorstellung vom Schöpfer, der die Welt in Weisheit geschaffen und so geordnet hat, dass der Mensch durch Erfahrung und Erkenntnis Zugang zu dieser ewig bestehenden Grundordnung erhalten und sich ihr entsprechend
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Vgl. zur Trias insgesamt exemplarisch Abr. 52–54. Vgl. opif. 77; opif. 154f. 86 Vgl. NOACK, Gottesbewußtsein (s. Anm. 11), 8. 87 M. SAUR, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, Darmstadt 2012, 153. 88 Vgl. J. HAUSMANN, Art. Weisheit (AT), www.bibelwissenschaft.de/wibilex/dasbibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/weisheit (erstellt: April 2009), aufgerufen am 10.08.2014. 85
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dann auch verhalten kann.89 Andersherum fehlt ihm das, was Teilen der jüdischen Weisheitsliteratur auch fehlt: Themen des Pentateuchs wie etwa Bund, Beschneidung, Nachkommenschaft, Segen und Land, die für jüdische Verfasser, die in anderen Traditionen beheimatet waren, wichtig sind, spielen keine Rolle,90 u.a. deshalb, weil weisheitliches Denken vorwiegend am Einzelnen und weniger an der Gemeinschaft orientiert sein konnte. Auch Philo fokussiert seine Anthropologie ganz auf das Individuum. In geographischer Hinsicht ist Philo daneben noch einmal im eigenen, stark hellenistisch beeinflussten Denk- und Traditionsbereich des alexandrinischen Judentums verwurzelt.91 Er partizipiert hier (ebenso wie die vermutlich nur geringfügig früher als seine Werke entstandene Sapientia Salomonis) sehr unmittelbar an hellenistischem Denken. Die philosophischen Konzepte der Griechen und die philosophische Sprache seiner Zeit spiegeln sich in seinen Schriften permanent; Denken und Sprache Philos sind unverkennbar geprägt vom philosophischen Bildungswissen seiner Zeit.92 Er integriert die philosophischen Konzepte und die philosophische Terminologie jedoch in seinen jüdischen Glauben, der durch den Pentateuch repräsentiert wird.93 Das Gesetz des Mose beschäftigt sich in Philos Perspektive genau mit den Fragen, die auch die griechischen Denker bewegt haben:94 Fragen nach dem Ursprung der Welt oder nach dem Weltzusammenhang und der Weltordnung.95 Weil das Mosegesetz göttlich inspiriert ist und göttliche Weisheit spiegelt, hat es auch einen universal89 Vgl. Pred 3; Ps 104; Spr 8,22–36; dazu HAUSMANN, Art. Weisheit (AT) (s. Anm. 88), aufgerufen am 10.08.2014. 90 An dieser Stelle wird Philos Verwurzelung innerhalb des jüdisch-weisheitlichen Denkens besonders deutlich. Den in der Expositio Legis vernachlässigten Themen stellt er sich dann allerdings in den anderen beiden Kommentarreihen – das m.E. aber nur deshalb, weil sie ihm als Exegeten bei der Wort-für-Wort-Auslegung des Pentateuchs vorgegeben waren. Vgl. dazu B ÖHM, Vätererzählungen (s. Anm. 13), 137f. 91 Ob und inwieweit auch die ägyptischen Weisheitstraditionen – zumindest mittelbar – von Bedeutung für sein Denken waren, müsste erst noch untersucht werden. 92 Vgl. NOACK, Gottesbewußtsein (s. Anm. 11), 9: „Ein wichtiges Merkmal jüdischer Weisheit von ihren Anfängen an war ihre Auseinandersetzung mit der jeweiligen internationalen Bildungskultur. Philo gehört in seiner Zeit zu jenen jüdischen ... Weisheitslehrern, die mit dem philosophischen Bildungswissen ihrer Zeit so intensiv vertraut waren und so selbstverständlich umgingen, dass dessen Fragestellungen und Antworten – und vor allem auch dessen Terminologie – in ihren jüdischen Glauben vollständig integriert waren.“ 93 Mose ist der von göttlicher Weisheit inspirierte Prophet, der den Pentateuch unter Gottes Anleitung verfasst hat (vgl. Mos. 2,11.188–190). 94 Alles, was die Griechen dachten, hatten sie nach philonischer Auffassung in Wahrheit von Mose gelernt: vgl. spec. 4,61; her. 214; LA 1,107; QG 2,6; 4,152; prob. 53–57. 95 Diese Themen werden auch in der alttestamentlichen Weisheitstradition aufgenommen: vgl. SAUR, Weisheitsliteratur (s. Anm. 87), 29.
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allgemeingültigen Anspruch darauf,96 dass ihm bzw. den durch Mose vermittelten göttlichen Worten „geglaubt“ bzw. Zustimmung entgegengebracht wird. Hier findet sich ein erster, in der Expositio Legis explizit allerdings selten aufscheinender Aspekt der philonischen Verwendung des Wortfeldes πίστις/πιστεύειν.97 5.2 Paradigmatischer Glaube als zweistufiges Nacheinander: Glauben an den einen Schöpfer als veränderte Wirklichkeitswahrnehmung – bleibendes Vertrauen als verdiente Prämie Ein zweiter und substanzieller Aspekt des philonischen Glaubensverständnisses betrifft die Erkenntnis, dass Gott existiert, dass er nur der eine ist und als Schöpfer der Welt ihr auch fürsorgend zugewandt ist. Die Ausräumung jeden Zweifels daran führt nach philonischer Überzeugung zu einer grundlegend veränderten Wirklichkeitswahrnehmung für den Menschen.98 Was für die klassischen weisheitlichen Texte des hebräischen Kanons (Proverbien, Qohelet, Hiob) wie für die zusätzlich in der Septuaginta enthaltenen, deuterokanonischen Schriften (Sapientia Salomonis, Jesus Sirach)99 gilt, trifft auch auf Philos Theologie zu: Natürlich ist sie vom Monotheismus im oben beschriebenen Sinne geprägt, aber das Gottesbild des weisheitlichen Denkens sieht doch weithin anders aus als etwa in der prophetischen Literatur. Gott ist tatsächlich vor allem der Schöpfer und als solcher der Urheber der Weltordnung, in die sich der Mensch nur einfügen muss.100 Im philonischen Konzept ist jedem (sic!) Menschen grundsätzlich 96
Zum universalen Anspruch des Pentateuch und praktischen Aspekten der Schriftfunktion bei Philo vgl. BÖHM, Vätererzählungen (s. Anm. 13), 67–69.89f.; DIES., Philo und die Frage der jüdischen Identität in Alexandria. Die Abrahamfamilie als Modellfall, in: M. Oehler (Hg.), Religionsgemeinschaft und Identität. Prozesse jüdischer und christlicher Identitätsbildung im Rahmen der Antike, BThSt 142, Neukirchen-Vluyn 2013, 69– 111, 69–72.91–95. 97 Nach decal. 15 sollte das Volk der Hebräer die Überzeugung gewinnen, dass die Gesetze nicht Erfindungen eines Menschen, sondern klare Offenbarungen Gottes sind: ἔδει πίστιν ἐγγενέσθαι ταῖς διανοίαις περὶ τοῦ μἠ εὑρήματα ἀνθρώπου τοὺς νόμους ἀλλὰ θεοῦ χρησμοὺς σαφεστάτους εἶναι. Diesem ersten Aspekt ist auch virt. 68 zuzurechnen. Hier geht es um den Glauben des Volkes an die (von Mose vermittelten) Gottessprüche (οἷς ἐπίστευσαν). Was an beiden Stellen in historischer Hinsicht für das Volk der Hebräer in Anspruch genommen wird, trifft in universal-allgemeingültiger Perspektive auf den gesamten Pentateuch zu. In diese Richtung weist Abr. 275: περὶ δὲ ὧν ὁ θεὸς ὁμολογεῖ, τὶ προσῆκεν ἀνθρώπους ἢ βεβαιότατα πιστεύειν. 98 So die Intention von virt. 215f. Vgl. dazu NOACK, Gottesbewußtsein (s. Anm. 11), 66. 99 Zu den weisheitlichen Spuren in anderen alttestamentlichen Schriften vgl. HAUSMANN, Art. Weisheit (AT) (s. Anm. 88), aufgerufen am 28.07.2014. 100 Vgl. H.D. PREUSS, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, Stuttgart 1987, 174.
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dank der ihm von Gott gegebenen Vernunft die Erkenntnis des Schöpfers und der von ihm geschaffenen Ordnungen möglich. Das Erkennen kann auf verschiedenen Wegen vor sich gehen: in der Regel aus der Beobachtung des Geschaffenen, es kann in selteneren Fällen aber auch unmittelbar geschehen.101 Das Erkennen der tieferen und wahren Dimensionen der Wirklichkeit, hinter der der eine Gott steht, führt in der Perspektive Philos zwangsläufig zu einem Umdenken, das den ersten wichtigen Schritt (bzw. die Initialzündung) auf dem Weg zu Tugend und Vollkommenheit bedeutet.102 Ist diese Erkenntnis vom Individuum vollzogen und das grundlegende Vertrauen in den Schöpfer und die von ihm hergestellte Ordnung gestiftet, kann der Mensch sich nun auch neu orientieren. Er kann sich den von Gott gesetzten Ordnungen gegenüber adäquat verhalten103 und in weiteren Schritten Heilsgüter wie Tugend, Gottesfurcht und Vollkommenheit erlangen.104 Das ist das „Heil“, wie Philo es versteht, und es kann in diesem zweistufigen Prozess je und je und mit Gottes Entgegenkommen105 von jedem Menschen individuell und selbständig realisiert werden. Terminologisch verwirrend ist bei Philo allerdings, dass er für beide Phasen des Weges – für das durch die veränderte Wirklichkeitswahrnehmung gestiftete Vertrauen wie für den Glauben als verdiente Prämie aufgrund adäquaten Handelns – das Wortfeld πίστις/πιστεύειν verwendet, obwohl der erste, entscheidende Schritt hin zur Erkenntnis des einen Schöpfergottes tatsächlich einen von den Prämien graduell unterschiedenen Aspekt darstellt. Erschwerend kommt hinzu, dass Philo beide Verwendungen, ohne selbst den unterschiedlichen Gebrauch explizit zu reflektieren, textlich miteinander so dicht verwoben hat, dass in zwei Sätzen hintereinander beide Verwendungen vorkommen können.106 Dieses Procedere trifft man in drei der vier Texte an, in denen Philo innerhalb der Expositio Legis auf den wichtigen ersten Schritt der Erkenntnis des Schöpfers breiter zu sprechen kommt und dabei auch explizit das Wortfeld 101 Vgl. die Ausführungen in praem. 41–46. Dazu NOACK, Gottesbewußtsein (s. Anm. 11), 66: Philo „hebt die Überlegenheit der mystischen Offenbarungserkenntnis Gottes gegenüber der naturwissenschaftlichen Erkenntnis hervor. Denn sie macht den Menschen gewisser.“ 102 Vgl. NOACK, Gottesbewußtsein (s. Anm. 11), 48, der unter Bezug auf virt. 214 darauf hinweist, dass Philo diesen Prozess an anderen Stellen auch als μετάνοια beschreiben kann – ein Begriff, der mit „Bekehrung“ oder „Reue“ bei Philo jedoch nur unzureichend übersetzt wäre, „weil er in erster Linie ein Umdenken und eine veränderte Wahrnehmung bezeichnet“ (ebd.). 103 Das Vertrauen ist durch die Tat zu beweisen, was allerdings schwer ist, so Abr. 262: ‚ἐπίστευσε τῷ θεῷ‘, ὅπερ λεχθῆναι μὲν βραχύτατόν ἐστιν, ἔργῳ δὲ βεβαιωθῆναι μέγιστον. 104 Vgl. Abr. 58. 105 Dazu siehe unten in diesem Kapitel. 106 Vgl. Abr. 269f.; virt. 216; praem. 27f.
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πίστις/πιστεύειν verwendet: Abr. 262–276, virt. 216–218 und praem. 27– 49.107 Einen Kompass zur Orientierung bietet Philo bei der Verwendung von πίστις/πιστεύειν immerhin selbst durch die mit dem Wortfeld verbundenen verschiedenen Kasus im Hinblick auf den Gottesbezug. Wo er den Gottesbezug mit dem Dativ herstellt (ἐπίστευσε τῷ θεῷ), wie es Gen 15,6a/LXX entspricht, geht es um die Erkenntnis des Schöpfers und das dadurch begründete Vertrauen auf ihn (im Gegensatz zum Vertrauen auf die geschaffenen Dinge).108 Wo er den Gottesbezug mit dem Akkusativ (πρὸς θεὸν πίστις) ausdrückt,109 beschäftigt Philo sich hingegen mit dem Glauben als Prämie, die aus dem Handeln erwächst.110 Hier kann die πίστις dann auch als Tugend (ἀρετή)111, als Gut (ἀγαθόν)112 oder als Kampfpreis/Prämie (ἆθλον)113 bezeichnet werden. Beide Aspekte sind bei Philo ausdrücklich mit Abraham verbunden, der paradigmatisch für jeden Menschen vorführt, wie Gottvertrauen in beiderlei Hinsicht erreicht und erlangt werden kann. Im Folgenden sollen die beiden Aspekte nun noch einmal systematisch nacheinander dargestellt werden. Die Erkenntnis des Schöpfers aus der Schöpfung und das Setzen des Vertrauens auf den einen Schöpfergott wurde für Philo in historischer Hinsicht zuerst von Abraham realisiert. Er ist allerdings tatsächlich nur der erste der drei Patriarchen, dem das gelungen ist.114 Von Isaak und Jakob muss in jedem Fall das Gleiche gesagt werden, sie haben die Erkenntnis des Schöpfers nur auf einem anderen Weg als Abraham gewonnen und bilden damit ebenso wie Abraham gleichberechtigte Paradigmen für die 107 In opif. 45f. geht es bei πίστις/πιστεύειν hingegen nur um das Vertrauen auf den Schöpfer im Gegensatz zum Vertrauen auf geschaffene Dinge. Philo sieht den Menschen hier kritisch: Gott hat von vornherein gewusst, dass die meisten Menschen mehr auf die geschaffenen Dinge als auf den Schöpfer vertrauen würden: πιστεύσουσι μᾶλλον τοῖς φαινομένοις ἢ θεῷ (opif. 45). 108 Abr. 262: ἐπίστευσε τῷ θεῷ; Abr. 263: τίνι γὰρ ἄλλῳ πιστευτέον; Abr. 269: ὁ δ᾽ ἀπιστῶν ἐκείνοις πεπίστευκε θεῷ; virt. 216: διὸ καὶ πιστεῦσαι λέγεται τῷ θεῷ πρῶτος; virt. 218: πιστεύσαντα δὲ μηδενὶ τῶν ἐν γενέσει πρὸ τοῦ ἀγενήτου καὶ πάντων πατρός; praem. 28: ὁ μὲν τοίνυν ἀψευδῶς πιστεύσας θεῷ τὴν ἐν τοῖς ἄλλοις ὅσα γενητὰ καὶ φθαρτὰ κατείληφεν ἀπιστίαν. Vgl. auch praem. 30. 109 Abr. 268: Μόνον οὖν ἀψευδὲς καὶ βέβαιον ἀγαθὸν ἡ πρὸς θεὸν πίστις; Abr. 270: πρὸς τὸ ὂν πίστιν … τὴν βασσιλίδα τῶν ἀρετῶν; Abr. 271: ἡ πρὸς θεὸν πίστις; Abr. 273: τῆς πρὸς αὐτὸν πίστεως; virt. 216: κτησάμενος δὲ πίστιν, τὴν τῶν ἀρετῶν βεβαιοτάτην; praem. 27: ἆθλον αἴρεται τὴν πρὸς θεὸν πίστιν; vgl. auch praem. 31.49. 110 Der Gebrauch ist also nicht parallel und synonym, wie LINDSAY, Josephus (s. Anm. 9), 63, annimmt. 111 Abr. 270; virt. 216. 112 Abr. 268. 113 praem. 27.31.49. 114 Vgl. grundlegend Abr. 48–61.
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Realisierung von Gotteserkenntnis und Gottvertrauen. Hat Abraham vor allem durch Lernen bzw. die Beobachtung der geschaffenen Welt auf deren Schöpfer geschlossen,115 hat Isaak demgegenüber primär seine natürliche Begabung zur Erkenntnis Gottes genutzt. Jakob indessen hat sich vordergründig durch Übung Erkenntnis angeeignet.116 Von den drei Einzeltraktaten über Abraham, Isaak und Jakob ist nur noch De Abrahamo erhalten. Dieser überlieferungsgeschichtliche Zufall kann dazu verführen, die Bedeutung Abrahams und die gerade mit ihm verbundenen Glaubensaussagen bei Philo zu überschätzen. Die systematisierenden Äußerungen zu den Erzvätern im letzten Traktat der Expositio Legis (praem. 27–49) zeigen hingegen, dass alle drei Väter im Hinblick auf die Erkenntnis des Schöpfers einen zwar je eigenen, aber gleichberechtigten Weg gegangen sind. Da nur De Abrahamo erhalten ist, lässt sich auch nur hier nachvollziehen, wie Philo den Erkenntnisprozess mit dem Wortfeld πίστις/πιστεύειν in Beziehung setzt. Erstaunlicherweise vermeidet er am Anfang der Abrahamdarstellung beim entscheidenden Akt der Gotteserkenntnis Abrahams das Wortfeld πίστις/πιστεύειν völlig.117 Das kann möglicherweise mit dem AdressatInnenkreis zusammenhängen. Wollte Philo Außenstehenden gegenüber nicht zu schnell ausführlicher den Begriff πίστις/πιστεύειν in religiöser Bedeutung zur Bezeichnung einer idealen Haltung einführen? Erst ganz am Ende des langen Traktates kommt er auf diesen ersten wichtigen Schritt des strebenden Individuums zurück und verbindet ihn mit πίστις/πιστεύειν.118 Hier erst zitiert er auch Gen 15,6a/LXX: ἐπίστευσε τῷ θεῷ. Fast hat es den Anschein, als ob ihm die Bezeichnung des mit der Erkenntnis des einen Gottes verbundenen Vertrauens auf den Schöpfer (im Gegensatz zum Vertrauen auf geschaffene Dinge) mit πίστις/πιστεύειν von Gen 15,6a/LXX her aufgezwungen worden ist. Er bietet sie im Kontext von Abr. 262–274 nur noch zweimal – und das eher beiläufig.119 Dennoch handelt es sich im theologischen Gesamtkonzept um den entscheidenden ersten Schritt des Menschen.120 Fragt man nach dem Anteil des Menschen dabei und nach dem Anteil der göttlichen Selbsterschließung, handelt es sich zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich um einen allein durch die menschliche Vernunft, Lernen, Begabung und Übung zu leistenden Akt. Philo redet bei Abrahams 115
Abr. 52; u.ö. Abr. 52; u.ö. 117 Abr. 62–88. 118 Abr. 262–276. 119 Abr. 263: τίνι γὰρ ἄλλῳ πιστευτέον; Abr. 269: ὁ δ᾽ ἀπιστῶν ἐκείνοις πεπίστευκε θεῷ. 120 Das kann vor allem virt. 214–219 belegen. 116
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Erkenntnisprozess auch von Gottes Entgegenkommen121 und bei Jakob vom göttlichen Erbarmen und Unterstützen bei dessen Erkenntnis, dass es Gott gibt.122 Der von Gott ausgehende Anteil bzw. die göttliche Selbsterschließung findet sich nicht zuletzt auch dort, wo Gott im Zusammenhang mit dem aktiv gebrauchten φαίνω durch die Schöpfung dem Menschen (exemplarisch Abraham) den Schöpfer offenbart.123 Eher dem eigenen Konzept und Verständnis des Wortfeldes von πίστις/ πιστεύειν scheint bei Philo die zweite Verwendung als Vertrauen auf den Schöpfer im Sinne der verdienten Prämie zu entsprechen, bei der sich der Gottesbezug im Akkusativ findet, und die chronologisch nach dem Erkennen dessen, dass es einen Schöpfer gibt, liegt. Diese Verwendung begegnet in der Expositio Legis erstmalig am Ende von De Abrahamo in Abr. 262– 276. Dort traktiert Philo sie zwar intensiver, aber im Ganzen ebenfalls zurückhaltend.124 Der Tugendstrebende, der die Erkenntnis des Schöpfergottes erreicht und sein Handeln der Weltordnung entsprechend ausgerichtet hat, erhält als wahres und sicheres Gut die Königin der Tugenden, das Vertrauen auf Gott.125 Systematischer bezieht sich Philo auf diesen Aspekt seines mit πίστις/ πιστεύειν verbundenen Glaubensverständnisses erst in praem. 27–49. Hier wird deutlich, dass das den ungeschriebenen Weltgesetzen wie auch der geschriebenen Gesetzgebung adäquate Handeln des Menschen Prämien/ Kampfpreise (oder im negativen Fall: Strafen) zugemessen bekommt.126 Die drei für jeden Menschen grundsätzlich zu erlangenden wichtigsten Prämien sind das Vertrauen auf Gott / ἡ πρὸς θεὸν πίστις (wie bei Abraham),127 die Freude / χαρά (wie bei Isaak)128 und das Schauen Gottes / 121
So von Gott in Abr. 79. Wichtig für Philo ist bei Abraham das in Abr. 77 aufgenommene Zitat Gen 12,7/LXX: ὤφθη δὲ ὁ θεός τῷ Αβραάμ, das er im Hinblick auf Gott in Abr. 79 so kommentiert: προϋπαντήσας δὲ τὴν ἑαυτοῦ φύσιν ἔδειξε. Vgl. auch virt. 215, wo von göttlichen Worten / λόγια χρησθέντα die Rede ist, die Abrahams Sehnsucht nach Erkenntnis des Schöpfers steigern. Dazu NOACK, Gottesbewußtsein (s. Anm. 11), 56: „Der Eifer des Menschen und Gottes Worte wirken in der Weise zusammen, dass Gott die Suche des Menschen unterstützt und mit vorantreibt.“ 122 Vgl. praem. 39: ὁ πατὴρ καὶ σωτὴρ ἠλέησε. 123 Abr. 75; u.ö. 124 Vgl. Abr. 268.270.271.273. 125 Abr. 268: Μόνον οὖν ἀψευδὲς καὶ βέβαιον ἀγαθὸν ἡ πρὸς θεὸν πίστις; Abr. 270: πρὸς τὸ ὂν πίστιν … τὴν βασσιλίδα τῶν ἀρετῶν. 126 Vgl. praem. 2: … ἐστὶ σπουδαίων καὶ πονηρῶν καὶ τὰ ὁρισθέντα ἑκατέροις ἐπιτίμια καὶ γέρα … In praem. 3 u.ö. werden die Belohnungen als ἆθλα bezeichnet. 127 praem. 27: (von Abraham) ἆθλον αἴρεται τὴν πρὸς θεὸν πίστιν. Erläutert werden die einzelnen Prämien in praem. 27–51. 128 praem. 27: κτησαμένῳ … χαρά. Inhaltlich gefüllt wird die Freude in praem. 32–35: Eine Seele voller Freude erfreut sich an Gott, dem Vater und Schöpfer aller Dinge, an Handlungen, die ohne Schlechtigkeit geschehen; etc.
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ὅρασις θεοῦ (das meint: dass er ist;129 wie bei Jakob)130. Diese drei Belohnungen bilden wie auch die drei Väter und der mit ihnen jeweils verbundene Erkenntnisweg eine Trias, aus der kein Element zu isolieren ist.131 So ist der Glaube in diesem Konzept einerseits unlösbar mit dem Aspekt des Lernens bzw. der eigenen Belehrung darüber verbunden, dass die Welt einen Schöpfer hat und nur auf ihn wirklich Verlass ist,132 im weiteren Prozess des Strebens nach Vollkommenheit ist er Belohnung und Tugendpreis. Als solcher steht er bei Philo in einer grundlegenden und festen Relation zur Freude und zum Schauen Gottes. Der Glaube ist in Philos weisheitlich bestimmtem theologischen Konzept also (wie auch Abraham selbst) in keiner Weise und bei keinem der beiden hier dargestellten Aspekte für sich zu betrachten. Er ist ein komplexes Phänomen und mit einer Himmelsleiter zu vergleichen, die von unten nach oben führt.133 Sie hat eine entscheidende erste Stufe: den erkenntnisgeleiteten Anfang und ein sich im Unendlichen verlierendes Ziel, das zwar nie vollständig zu erreichen sein wird (denn vollkommen ist nur Gott selbst), das zu erstreben aber immanent belohnt wird. Glauben, Freude und das Schauen Gottes (bzw. dessen, dass er ist) sind die miteinander korrespondierenden immanenten Heilsgüter, die von jedem und jeder auf dieser Leiter – bleibend – realisiert werden können.134 Das Mosegesetz, die Schrift, bietet dabei insgesamt Anleitung und Orientierung für das Individuum. Die Anleitungen der Schrift müssen zur Kenntnis genommen, zu verstehen versucht und dann auch praktisch umgesetzt werden. Philo verfolgt hier m.E. nicht nur allein eine aus Gen 15,6a/LXX und der Etymologie der Namen der Erzväter gebildete Theorie, sondern lässt auch reflektierte Erfahrung einfließen.135 Es ist in der Expositio Legis im Übrigen nicht ganz deutlich, wer die Prämien Glauben, Freude und Schauen Gottes an den Menschen, der dem Schöpfergott vertraut und sich seinen Ordnungen entsprechend verhält, verteilt. Ein medial gebrauchtes Verb wie αἴρεται in praem. 27 und die Verwendung von ἆθλα zur Bezeichnung der Belohnungen136 deuten darauf
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So erklärt es Philo in praem. 44: οὐχ οἷός ἐστιν θεός ... ἀλλ᾽ὅτι ἔστιν. praem. 27: ὁ στέφανός ἐστιν ὅρασις θεοῦ. 131 Vgl. u.a. in praem. 61–66. 132 Vgl. praem. 28. 133 In praem. 43 verwendet er den Vergleich mit einer Art Himmelsleiter, auf der von unten nach oben vorangeschritten wird: κάτωθεν ἄνω προῆλθον οἷα διά τινος οὐρανίου κλίμακος. 134 Vgl. praem. 27. 135 Vgl. die Ausführungen in praem. 28–48. 136 So häufig bei Philo: vgl. Abr. 38.47.110. Der Zusammenhang ist komplexer und der Gottesbezug deutlicher gegeben, als es hier von SCHLATTER, Glauben (s. Anm. 7), 130
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hin, dass sich der nach Wahrheit und Tugend Strebende die Belohnung selbst erwirbt und es einen immanent fest gegründeten Zusammenhang zwischen dem Befolgen der Ordnungen und dem Erreichen der Belohnungen gibt.137 An anderen Stellen ist es eher Gott, der die Preise gewährt.138 Im Zusammenhang der Strafen redet Philo dann auch deutlich vom großen Richterstuhl und vom göttlichen Gericht.139 Philo denkt sich den Zusammenhang von Schöpfer, Schöpfung und Vorsehung offenbar so eng, dass es auf der einen Seite einen „natürlichen“ Zusammenhang zwischen dem Tun und dem Ergehen gibt. Auf der anderen Seite handelt Gott gegenüber dem um Tugend Bemühten aber doch auch eigens und verleiht Belohnungen.140 Im negativen Fall verhängt er den Gesetzlosen gegenüber Strafen.141 In dieser Form kann Philo auch am Tun-Ergehen-Zusammenhang festhalten. Skeptisch sieht er nicht diesen Zusammenhang, sondern den Menschen selbst, der im Zusammenspiel von Anlage, Erziehung, Bildung und Mühe wie auch Gottes Entgegenkommen zwar grundsätzlich zu einem Weisen werden und damit das Vertrauen auf Gott, die Freude am Schöpfer und das Schauen dessen, dass Gott ist, erlangen kann, dem aber auch der Fall des φαῦλος gegenübersteht, der nicht zur Tugend und damit auch weder zu Glauben noch Freude noch Gottesschau kommen wird.142 Diesen Fall thematisiert er jedoch erst im Allegorischen Kommentar deutlicher. Dort beschäftigt er sich erst eingehender mit dem Problem eines nicht gelingenden, rechten Gottesverhältnisses.143
5.3 Glauben in primär historischer Hinsicht als erwartetes oder gefordertes Vertrauen in den fürsorgenden Gott Eine letzte Gruppe der mit πίστις/πιστεύειν verbundenen Aussagen in der Expositio Legis sind die wenigen, verstreut anzutreffenden Belege, die nicht in ein bestimmtes theologisches Konzept gehören, sondern eher eine ganz allgemeine religiöse (aber nicht universal-allgemeingültige) Bedeutung haben. Sie sind kaum zu systematisieren und überwiegend in den 72, gesehen wurde: „ἆθλον, … Kampfpreis ist es, weil wir zuerst uns selbst, nicht Gott vertrauen.“ 137 Vgl. so z.B. in Abr. 38 (hier ist es die φύσις). 138 Vgl. Abr. 110. Bei der Darstellung von Gen 18,10 heißt es vom Besuch der drei Männer bei Abraham, dass sie ihm einen Preis gewährten: παρέχουσιν ἆθλον. 139 praem. 69: … τὸ μέγα δικαστήριον … τῷ θείῳ δικαστηρίῳ. 140 Vgl. exemplarisch praem. 90 (den Tugendhaften schützt Gott und gewährt als Belohnung Unverletzlichkeit gegenüber wilden Tieren); praem. 119 (den um Tugend Bemühten verheißt Gott Befreiung von Krankheiten). Diese Zusammenhänge benötigen insgesamt eine eigene Untersuchung. 141 Vgl. praem. 127–161. 142 Vgl. dazu virt. 206–211. Vgl. dazu B ÖHM, Vätererzählungen (s. Anm. 13), 124.254.297.309.376–380; u.ö. 143 Vgl. LA 3,192–199; ebr. 9f.; post. 175–177; fug. 139–142; u.ö. Vgl. dazu B ÖHM, Vätererzählungen (s. Anm. 13), 124.254.297.309.376–380; u.ö.
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konkret-historischen Darstellungen der Geschichte des Volkes der Hebräer verankert. Dort haben sie zumeist einen kollektiven, weniger einen individuellen Bezug (eine Ausnahme bilden die auf Mose selbst bezogenen Stellen). Vermehrt finden sich diese Belege in den beiden Traktaten De Vita Mosis.144 Im Einzelnen geht es um den Glauben des Mose und des Volkes an die Möglichkeit eines Wunders,145 häufig auch um das Vertrauen des Volkes in die Worte des Mose.146 Es geht aber auch um Vertrauen, das – wie oben in Kapitel 3.2 aufgezeigt – den Gottesbezug im Dativ bietet und im weitesten Sinne das grundsätzliche Vertrauen in den fürsorgenden Schöpfergott in einer kollektiven Krise zum Gegenstand hat.147 Schließlich finden sich in De Specialibus Legibus und De Virtutibus noch zwei einzelne Belege. In spec. 1,242 geht es bei πιστεύειν eher um eine feste Überzeugung: Die im Tempel Opfernden sollen der festen Überzeugung sein, dass Gott gnädig denen vergibt, die ihre Sünden bereuen.148 Nach virt. 188 glauben manche nicht, dass von Gott die Vernunft gewählt worden ist als seiner Würde angemessenem Tempel.
6. Zeitgenossen – Glaubensgenossen. Ein Fazit Das konzeptuell ausgeprägte Glaubensverständnis des Philo von Alexandria gehört in den Kontext eines rein weisheitlich geprägten jüdischen Denkens ohne apokalyptische Einflüsse. Demgegenüber steht das paulinische Glaubensverständnis im Kontext eines stärker jüdisch-apokalyptisch geprägten Denkens mit weisheitlichen Einflüssen.149 Direkte Verbindungen, Analogien oder zumindest indirekte Bezugnahmen oder Abgrenzungen im Glaubensverständnis sind m.E. nicht zu erkennen. Interessant sind jedoch die fernen inhaltlichen Berührungen, die sich etwa beim Entstehen 144 Diese Beobachtung unterstützt die Vermutung, dass De Vita Mosis von Philo nicht von vornherein als Bestandteil der Expositio Legis konzipiert worden und erst sekundär von ihm in die Reihe aufgenommen worden ist. 145 Mos. 1,82f. 146 Mos. 1,90: εἰς πίστιν τῶν λεγομένων μεταβαλεῖν; 147 Mos. 1,225: τὰ δ᾽ ὅπλα καὶ μηχανήματα ἡμῶν καὶ πᾶσα ἡ δύναμις ἐν μόνῳ τῷ πιστεύειν θεῷ. Mos. 1,284: bei der Darstellung von Num 23f. hat das Volk Vertrauen auf den Einen, den Lenker des Weltalls (und setzt sein Vertrauen nicht auf Wahrsagerei etc.): ἑνὶ τῷ τοῦ κόσμου ἡγεμόνι πιστεύοντες. Mos. 2,259: bei der Darstellung von Ex 16,15 aufgrund der Erfahrung bei der Versorgung: πιστεύειν δεῖ τῷ θεῷ. Vgl. auch Mos. 1,174. 148 spec. 1,242: ἵνα βεβαιότατα πιστεύσωσιν, ὅτι οἷς ἁμαρτημάτων εἰσέρχεται μεταμέλεια ἵλεω τὸν θεὸν ἔχουσιν. 149 Damit ist nicht gesagt, dass Paulus sich in seinem christologischen Konzept nicht auch von apokalyptischem Denken abgrenzen kann. Vgl. etwa D. ZELLER, Studien zu Philo und Paulus, BBB 165, Göttingen 2011, 270–273.
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der rechten Gottesbeziehung des Menschen in beider Konzept zeigen. Auch für Philo leistet der Mensch hier nicht alles allein und gibt es ein Entgegenkommen Gottes bei seiner Selbsterschließung dem Menschen gegenüber. Dieser Gedanke zeigt sich bei Philo jedoch mehr angedeutet als konzeptuell ausgebaut. Die unterschiedlichen Denkhorizonte müssen ernst genommen werden. Sie fußen letztlich auf unterschiedlich gesetzten Schwerpunkten in einem gemeinsamen großen Glaubenshorizont, der auf der einen Seite durch den Glauben an den einen Schöpfergott, der für seine Schöpfung auch sorgt, und auf der anderen Seite durch die richtende Funktion Gottes, die auch Folgen zeitigt, begrenzt wird. Der gemeinsame Nenner dazwischen ist die anerkannte Autorität des Pentateuch für Glauben und Handeln. Doch schon die Interpretation des Mosegesetzes geht in den Kontexten des Philo und des Paulus weit auseinander, auch wenn sie sich teils gleicher Methoden bedient – allein die Rezeption und Auslegung von Gen 15,6/LXX jeweils bei Paulus und bei Philo kann das deutlich vorführen. Philo arbeitet sich nicht am exklusiven Verhältnis zwischen JHWH und seinem Volk oder an Fragen einer Heilsgeschichte ab; für ihn ist der jüdische Glaube von vornherein universal. Auch die Frage der unterschiedlichen Erfahrungshorizonte spielt vermutlich eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Ausprägung des jeweiligen Glaubensverständnisses. Während Philo ganz im Denk- und Erfahrungshorizont eines hoch gebildeten und dem obersten sozialen Stratum seiner Stadt zugehörigen Alexandriners verblieben ist, dürfte Paulus insgesamt vielfältigere Einflüsse und Erfahrungen aufgenommen und sich auch auf sehr unterschiedliche soziale Kontexte und Traditionen bei der Reflexion seines Glaubensverständnisses eingestellt haben. Die synchron (wenn auch in unterschiedlichen regionalen Kontexten) bestehende Diversität auf Gott bezogener Wirklichkeitsdeutung und damit des Glaubensverständnisses innerhalb des Judentums der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. vermittelt einen interessanten und gegenwärtig auch zum Nachdenken anregenden Eindruck. Ob und inwieweit diese Diversität im 1. Jahrhundert n.Chr. auch bewusst mit gegenseitiger Akzeptanz und Toleranz verbunden war, dürfte auf einem anderen Blatt stehen. Immerhin zeigt die Kanonisierung der alttestamentlichen Schriften, dass ganz verschiedene Konzepte jüdischen Glaubens nebeneinander stehen gelassen werden konnten und die Vielfalt der Zugänge und Beziehungsmodelle zum einen Gott, dem Schöpfer, Bewahrer, Gesetzgeber und Richter der Welt als gegeben verstanden wurde. Wenn man es so sieht, muss es auch nicht erstaunen, dass Philo kein sonderliches Interesse an Palästina bzw. an anderen theologischen Traditionen besaß. Dass wir auf der anderen Seite nichts von Reiseplänen des Paulus nach Alexandria wissen, bleibt ein zu-
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mindest interessantes Phänomen. Die jeweiligen Denkansätze, auch die Interpretation des Pentateuch, hätten innerhalb des großen gemeinsamen Glaubenshorizontes zwar sicher nur eine kleine Schnittmenge gefunden, aber diese doch immerhin. Das müssen auch diejenigen gesehen haben, denen wir verdanken, dass das Corpus Philonicum in späteren Jahrhunderten rezipiert und erhalten geblieben ist: christliche Theologen Alexandrias.150
150 Vgl. dazu G.E. STERLING, The Place of Philo of Alexandria in the Study of Christian Origins, in: R. Deines/K.-W. Niebuhr (Hg.), Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, WUNT 172, Tübingen 2004, 21–52, 21–23; D.T. RUNIA, Philo in Early Christian Literature. A Survey, CRI 3,3, Assen 1993, 16–33.135.
Πίστις in Flavius Josephus and the New Testament DENNIS R. LINDSAY In stark contrast to New Testament usage, in general, and to Pauline usage, in particular, Flavius Josephus primarily employs the noun πίστις and its cognates in a non-religious sense and as a non-theological concept. With few exceptions, Josephus’s use of this Greek terminology – which in the earliest Christian literature appears almost exclusively as theological language for faith – bears little resemblance to the way these words had been employed in the Septuagint and, subsequently, were being used by the New Testament authors. The evidence for Josephus’s variant understanding and use of the πιστwords in contrast to the early Christian usage is neither unsubstantial nor insignificant. Josephus uses the noun πίστις around 200 times in his writings and the verb πιστεύω appears some 225 times. Of these four hundred plus occurrences there are only a handful of instances, within limited contexts, where it is possible to identify a conceptual parallel to usage of the terms in the Greek scriptures of the Christian Bible. It is probably for this reason that few New Testament scholars seeking to understand the significance of this Greek word group as faith terminology have paid much attention to Josephus’s use of πίστις and πιστεύω. Rudolf Bultmann, for instance, in his foundational article on πιστεύω, κτλ. in TDNT gives no dedicated attention to the magnitude of Josephus’s usage of the word group and only cites a couple of instances buried in a large footnote.1 Other scholars have identified parallels in usage between Josephus and the New Testament, and, indeed, syntactical, grammatical, and, in some instances, conceptual parallels do exist.2 Highlighting these relatively few similarities, however, poses the risk of creating a misleading 1
Rudolf Bultmann, “πιστεύω κτλ.,” TDNT 6:197, note 149. E.g., Adolf Schlatter, Der Glaube im Neuen Testament, 6th ed. (Stuttgart: Calwer Verlag, 1982=1927), 582–85; Thomas Schumacher, Zur Entstehung christlicher Sprache: Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις (Bonn: University Press, 2012), 253–56; and Mark D. Nanos, “The Question of Conceptualization: Qualifying Paul’s Position on Circumcision in Dialogue with Josephus’ Advisors to King Izates,” in Paul Within Judaism: Restoring the First-Century Context to the Apostle, ed. Mark D. Nanos and Magnus Zetterholm (Minneapolis: Fortress Press, 2015), 105–52. 2
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impression about Josephus’s use and understanding of the word group in literally hundreds of other instances. Still, there is important background information we can gather from Josephus’s usage as we consider the concept of πίστις in the New Testament. My contention here is that the glaring absence of parallel theological usage of the πιστ- words between Josephus and the New Testament, coupled with the sheer volume of usage in the two respective sources, does not justify our dismissal of Josephus’s usage as irrelevant to New Testament usage. Much to the contrary, given the Jewish background and orientations of both Josephus and the New Testament writers, and given the fact that these writings were being produced during the same general time period, the contrast and the glaring absence of parallel theological usage are themselves significant and instructive for our understanding and interpretation of the word group in the New Testament and other early Christian writings. It is this significance that we shall explore in the present essay.
1. Josephus’s Routine Understanding of πίστις3 Adolf Schlatter observed that the πιστ- word group appears in Josephus with primary emphasis upon the multifaceted dimensions of purely human affairs. As a result, these Greek words – in noticeable contrast to their usage in the language of the Bible and the synagogue – have been emptied of their rich luster as faith terminology.4 It may be that Schlatter’s perspective is slightly misleading in its subtle suggestion that the language of Bible and synagogue was the norm for understanding πίστις, and that Josephus (and others) somehow deviated from that norm, emptying the word group of its religious faith nuance. It is likely that the very opposite of this was the case; i.e., that the biblical authors – especially the translators of the LXX and, later, the New Testament authors – adopted this particular word group and enriched it with new theological significance.5 Regardless, Schlatter’s assessment of the difference between Josephus’s use of πίστις 3 Josephus’s use of πίστις and πιστεύειν was the focus of my Tübingen dissertation, subsequently published in the E.J. Brill series: Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums. For a more thorough discussion of Josephus’s use of πίστις which I present in overview in this essay, see Dennis R. Lindsay, Josephus and Faith: Πίστις and Πιστεύειν as Faith Terminology in the Writings of Flavius Josephus and in the New Testament (Leiden: Brill, 1993), esp. chapters 5 and 6. 4 Schlatter, Glaube (see n. 2), 582. 5 See my article: Dennis R. Lindsay, “The Roots and Development of the pist- Word Group as Faith Terminology,” in New Testament Text and Language, ed. Stanley E. Porter and Craig A. Evans (Sheffield: Sheffield Academic Press, 1997), 176–90; reprinted from JSNT 49 (1993): 103–18.
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and that of the New Testament authors is accurate, in spite of the several verbal, syntactical, and grammatical parallels that he enumerates.6 Within the profane realm of normal human affairs, Josephus uses the noun πίστις in the sense of 1) trust, faith, confidence; 2) loyalty, fidelity, faithfulness; 3) a pledge that gives rise to confidence or trust; 4) that which is entrusted; 5) a treaty or other assurance of political protection; and 6) ‘belief’ in the specific sense of ‘credibility’. By and large, this aligns with the routine usage elsewhere in Greek literature of the period.7 The point at which one would expect to find the most common ground between Josephus and the New Testament is the first of these senses of πίστις as ‘trust, faith, confidence’. For Josephus, however, this trust or confidence only occurs on the human interpersonal plane. Πίστις in this sense is never directed towards God. The context for this understanding of πίστις is generally a political setting, where trust or confidence between parties is not an obvious given. Sometimes this can refer to a person-toperson relationship of trust, though these instances are relatively few. In B.J. 2,254, for instance, Josephus reports about a public panic in Jerusalem unleashed by the terrorist group which he identifies as the “sicarii” who “committed murders in broad daylight in the heart of the city.”8 The sicarii targeted festival seasons when the streets were teeming with people to carry out their cloak and dagger assaults and thus avoided detection in the ensuing chaos. As a result, Josephus reports, “men kept watch at a distance on their enemies and would not trust even their friends when they approached.”9 Πίστις in the sense of ‘confidence’ also appears a few times in reference to a level of trust between two persons or parties (e.g., A.J. 15,201; B.J. 2,468). When the object of πίστις has to do with a report or rumor of some kind, the noun carries the idea of ‘credence’ (A.J. 16,117) or ‘persuasion’ (B.J. 1,485). More frequent in Josephus and accounting for over one fourth of the total number of occurrences of πίστις is a more “subjective” use of the substantive in the sense of ‘loyalty, fidelity, faithfulness’.10 Again, this fidelity or faithfulness primarily manifests itself on the inter-personal, human level. While it can refer to loyalty and faithfulness between friends (e.g., between Jonathan and David; A.J. 6,276), this sense of πίστις occurs predominantly within the context of political and military relationships. 6
Cf., Schlatter, Glaube (see n. 2), 582–85. Cf., Henry George Liddell and Robert Scott, A Greek-English Lexicon, 9th ed. (Oxford: Clarendon Press, 1940, reprint 1958), 1408. 8 Unless otherwise noted, English translations are taken from the ten volumes of Josephus’s works in The Loeb Classical Library, ed. and trans. by Henry S.J. Thackeray, et al. (Cambridge, MA: Harvard University Press). 9 Josephus, B.J. 2,257: … καὶ οὐδὲ τοῖς φίλοις προσιοῦσιν πίστις ἦν. 10 Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 78–80. 7
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[Josephus] refers, for example, to the loyalty of the Greeks to Alexander (B.J. 1,94), the loyalty of the Jews to Demetrius (A.J. 13,48), Joab’s loyalty to King David (A.J. 7,160), etc. Josephus also speaks of the loyalty of the Jews to the nation of Rome (B.J. 2,341, et al.), loyalty between allies and members of a particular group or party (B.J. 5,121; 6,330; 7,365; A.J. 20,77), loyalty toward foreigners (B.J. 2,476; A.J. 14,186), and even loyalty between fellow conspirators (A.J. 19,273).11
Πίστις approaches for Josephus the moral category of human virtue with the nuance of ‘good faith’ and ‘personal fidelity’. Joseph in the Egyptian jail, for instance, demonstrates virtuous reliability in the tasks assigned to him by the Egyptian jailor (A.J. 2,61). In A.J. 12,147 Josephus cites a letter from Antiochus III to Zeuxis, the governor of Lydia, in which the Jewish people are commended for the virtues of ‘piety and fidelity’.12 Especially the Essene sect represents for Josephus the acme of the virtue of personal fidelity. In B.J. 2,135 he describes the sect as “righteous tamers of wrath, masters of temper, champions of fidelity, servants of peace.”13 Josephus begins his extended tribute to the virtuous lifestyle of the Essenes a few paragraphs earlier in B.J. 2,119–121, pointing out in the first instance their disdain for marriage. In this passage Josephus contrasts the Essenes’ virtue, of which πίστις is an integral component, with the moral wantonness14 of women (or ‘wives’) who, in the Essenes’ estimation, are incapable of maintaining loyalty (τηρεῖν πίστιν) towards one man/husband (2,121). Probably the most common understanding of πίστις in Josephus, accounting for roughly forty percent of the occurrences, is in the sense of what David M. Hay refers to as “ground for faith.”15 The idea here is that πίστις is something – a verbal pledge or word of honor,16 a gesture of friendship,17 a piece of evidence,18 a political treaty,19 etc. – that provides a basis for trust, credibility, security, or confidence. In the sense of political treaties we frequently find Josephus using the substantive in the plural: πίστεις.20 This plural usage, though completely foreign to the New Testament, is not uncommon in secular Greek literature,21 and it signals once again that πίστις for Josephus is not a terminus technicus for religious 11
Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 79. εὐσέβειάν τε καὶ πίστιν. 13 My translation. 14 ἀσέλγεια. 15 See David M. Hay, “Pistis as ‘Ground for Faith’ in Hellenized Judaism and Paul”, JBL 108,3 (1989): 468–70. 16 E.g., Josephus, A.J. 1,321; 9,145; 16,390. 17 Josephus, B.J. 3,334; cf., A.J. 12,396; 20,62. 18 Josephus, B.J. 4,337; 4,418; A.J. 19,16. 19 Josephus, A.J. 10,108; 14,27. 20 E.g., Josephus, B.J. 3,345; 4,61; 6,345; A.J. 1,242; 4,86; 6,234; 5,131; et al. 21 Liddell & Scott, Lexicon (see n. 7), 1408, cite occurrences of the plural πίστεις in Thucydides, Plato, and Democritus. 12
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faith. In a similar vein, Josephus employs the substantive in the sense of a personal or professional reputation: e.g., reputation as a prophet (B.J. 2,261); reputation for virtue (A.J. 5,52); or a reputation for telling the truth (A.J. 10,268). David Hay, in pointing to these uses of πίστις in Josephus as support for his argument for πίστις as “ground for faith” in Paul, is quick to note that Josephus “does not often link the term specifically with religion, however, and only rarely uses it to mean ‘evidence on which faith in God may be secured.’”22 In a few instances Josephus demonstrates his familiarity with the concept of πίστις as ‘that which is entrusted’. In this sense, the ‘charge’ or ‘trust’ can be a formal position of stewardship over a household (A.J. 2,57), a military command/office (A.J. 7,47), or a political appointment (A.J. 12,47). The verb πιστεύειν occurs much more frequently in Josephus with the idea of entrusting something to someone, or, in the passive voice, being entrusted with something. Once again the context for this understanding of the verb is dominated by political, governmental, or military contexts. The various things entrusted include: positions of power (A.J. 20,74); governmental oversight (A.J. 20,63); jurisdiction over a geographical district (B.J. 3,3); the administration of a war (A.J. 7,219); the siege of a city (A.J. 10,135); etc. There are some instances where Josephus employs πιστεύειν with reference to entrusting oneself (life, safety, salvation) to another person.23 This latter usage by Josephus recalls the New Testament passage in John 2:24 where πιστεύειν carries the sense of ‘entrusting oneself’ to others.24 Noteworthy in the comparison of usage, is that πιστεύειν as ‘entrust’ occurs freely in Josephus, but very rarely in the New Testament. Even in the John 2:24 passage this use of πιστεύειν as ‘entrust’ is theologically nuanced by the use of πιστεύειν in the immediately preceding verse where the reference is to many of the people in Jerusalem who “believed in [Jesus’] name, having witnessed the signs he was performing” (John 2:23). John plays on the variant nuances of the verb in these two instances, on the one hand, to point to Jesus’ reluctance to throw in his lot completely with the people gathered in Jerusalem, and, at the same time, to call into question the depth and genuineness of the peoples’ belief in him. Josephus does not use πιστεύειν in this way. By far, Josephus’s most common understanding and use of the verb πιστεύειν has to do with purely intellectual belief, persuasion, or assent. The verb, much like the noun πίστις, appears in primarily secular, nontheological contexts and religious ‘faith’ is very seldom nuanced. Thus we 22
Hay, “Ground for Faith” (see n. 15), 470. E.g., Josephus, B.J. 1,627; 7,288; A.J. 1,250; 9,212; 10,167. Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 119–121 for additional occurrences of πιστεύειν as ‘entrust’. 24 Compare the syntax of John 2,24 with Josephus, A.J. 1,250; 12,396. 23
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find a variety of ‘propositional objects’ of the verb: e.g., oral and written reports (A.J. 8,172; C. Ap. 2,14); charges and slanders (B.J. 1,545; A.J. 13,303; et al.); rumors (B.J. 1,75); confessions of prisoners (B.J. 1,497); etc.25 The object can also be a person, whereby the ‘belief’ is focused upon the factuality or reliability of what that person has said or written. An excellent example of this usage occurs in the opening paragraph of A.J. 14 where Josephus reflects on the role of the historian, not only to record facts and records of antiquity, but to do so with the use of language and literary conventions that will engage and entertain the audience. “Nevertheless,” Josephus concludes, “what historians should make their chief aim is to be accurate and hold everything else of less importance than speaking the truth to those who must rely upon them in matters of which they themselves have no knowledge” (A.J. 14,3). ‘Rely’ is a fitting translation for πιστεύειν in this passage, and inherent therein is the notion that the historian’s account is trustworthy. This sort of credibility, how-ever, risks little more than intellectual integrity; one does not want to be duped! With similar reference to the reliability or credibility of historical records (particularly those of the Jewish scriptures), Josephus notes in C. Ap. 1,41: “From Artaxerxes to our own time the complete history has been written, but has not been deemed worthy of equal credit with the earlier records,26 because of the failure of the exact succession of the prophets.” This understanding of the noun πίστις as ‘credibility’ appears also in a few other passages (e.g., B.J. 1,472; 5,509). The added nuance of reliability for the verb πιστεύειν can, in some instances in Josephus, signal a more existential and, when the object of the verb is another person, a more relational concept of ‘trusting’. This use of the verb corresponds to Josephus’s understanding of πίστις as ‘loyalty, fidelity, faithfulness’, as we discussed above, whereby πίστις functions as a basis for faith or believing. And so, for example, in A.J. 20,31 Queen Helena was urged by her nobles and satraps to appoint “someone in whom she had most confidence”27 as an interim ruler until her son Izates was able to arrive and assume the throne in the place of his deceased father. Again, this understanding of trust occurs primarily in the context of human relationships in Josephus and not in a theological sense. We see a similar use of πιστεύειν in A.J. 10,28 where Josephus recounts Hezekiah’s dire illness and miraculous recovery and how Hezekiah requested some sort of sign (σημεῖόν τι καὶ τεράστιον) from Isaiah so that he might believe the prophet (ἵν’ αὐτῷ πιστεύσῃ). It was actually the message of the prophet (i.e., the miraculous healing) that Hezekiah found incredib25
Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 114f. πίστεως δ’ οὐχ ὁμοίας ἠξίωται τοῖς πρὸ αὐτῶν. 27 ᾧ μάλιστα πιστεύει. 26
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le. Josephus mostly follows the biblical account from 2 Kgs 20:1–12 (cf., Isa 38), but, as usual, adds details of his own. In Josephus’s recounting the event, the heart of the matter was whether Isaiah’s message of restoration for Hezekiah was actually from God (παρὰ τοῦ θεοῦ); thus the request for a sign. Also noteworthy is that πιστεύειν does not appear in the Greek text of 2 Kgs 20, but Josephus uses the verb three times,28 all in reference to Hezekiah’s being able to lend credence to (or, perhaps, to put trust in) a message which appeared to be ‘beyond belief’ (παράδοξον, παράλογον) and ‘beyond hope’ (μείζω τῆς ἐλπίδος). It is interesting that Josephus makes the connection in this passage between ‘believing’ and ‘signs and wonders’ and casts this connection in a positive light. The New Testament also acknowledges some connection between miraculous signs and faith. Sometimes the relationship is a positive one; i.e., witnessing a sign has a direct outcome of faith or believing (e.g., John 2:11; 20:30f.); sometimes, however, the mere performance of signs is ineffectual with regard to faith, and the constant seeking of signs is characteristic of a “wicked and adulterous generation” (Matt 12:38f.). There is an ambivalent relationship between signs and faith especially in John’s gospel (e.g., John 2:23–24; 6:30–40). Craig Koester suggests that signs in John’s gospel are only a ground for faith insofar as the ones beholding the signs are already responding positively to Jesus’ words.29 It is entirely thinkable that this predisposition for faith on the part of Hezekiah (cf., A.J. 10,24–27) provided the context for Josephus to introduce πιστεύειν into the narrative of Hezekiah’s illness and miraculous recovery. If this is the case, then we have here a very strong, albeit rare, instance of a conceptual parallel between Josephus’s use of πιστεύειν and that of the New Testament. Dieter Lührmann has observed, as we have just demonstrated, that the dominant understanding of πίστις in Josephus’s writings is in the sense of: 1) the virtue of fidelity, 2) pledge(s) or securities, and 3) proof or evidence. Likewise πιστεύειν primarily occurs in the sense of holding an intellectual persuasion or in the sense of trusting.30 This usage, notes Lührmann, occurs largely within the framework of Josephus’s recounting of the history of Israel, but with a notable departure from the Old Testament pattern of usage. While Josephus freely uses of the πιστ- words 28
πιστεύειν occurs twice and ἀπιστεῖν once. See Craig R. Koester, The Word of Life: A Theology of John’s Gospel (Grand Rapids, MI: Eerdmans Publishing, 2008), 163–70. Robert Kysar, John: The Maverick Gospel (Atlanta: John Knox Press, 1976), 76, echoes this idea that, in John’s gospel, the efficacy of seeing signs for producing faith is tied to the predisposition towards faith on the part of the one who observes the sign: “a willingness to discern the deeper level of reality presented in [the] experience.” 30 Dieter Lührmann, “Pistis im Judentum,” ZNW 64 (1973): 26–27. 29
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throughout, very rarely does he follow the LXX usage of πιστ- (which almost exclusively represents words from the Hebrew אמןstem).31 In a footnote, however, Lührmann draws attention to Josephus’s frequent use of the perfect tense form of πιστεύειν, which appears in the LXX only in 2–4 Macc.32 The subtle suggestion is that Josephus’s use and understanding of πίστις and πιστεύειν is more akin the usage in Maccabees, which is distinguishable from the rest of the LXX (and, by extension, also distinct from the usage of the New Testament). Indeed, a cursory survey of the πιστgroup in the Maccabees literature reveals strong parallels to Josephus’s routine use.33 The point we wish to underscore here is that Josephus’s religious use of this terminology is, for the most part, distinct from what we find in the LXX and in the New Testament. This distinction is important to keep in mind – along with the fact that the vast majority of occurrences of the πιστ- words in Josephus are in a purely secular sense – as we turn now to consider Josephus’s religious understanding of πίστις.
2. Josephus’s Religious Understanding of Πίστις Probably Josephus’s most common religious understanding of πίστις and πιστεύειν focuses upon the ‘content of what is believed’. This creedal understanding of πίστις is especially prominent in C. Ap. 2,163.169.34 In the former passage Moses is portrayed as the discoverer of the most correct faith about God,35 and in the latter passage Moses is said to have implanted as immovable the faith about God36 for all generations of the Jewish folk. Sandwiched in between these two statements (C. Ap. 2,165–167) is the actual content of the πίστις of which Moses is said to be ‘discoverer’ and ‘implanter’. In 2,167 Josephus presents the heart of this creed: “[Moses] represented [God] as One, uncreated and immutable to all eternity; in beauty surpassing all mortal thought, made known to us by His power, although the nature of His real being passes knowledge.” Πίστις is employed 31
Lührmann, “Pistis” (see n. 30), 27. Lührmann notes the one exception in Josephus’s recounting of the God’s promise to Moses in Exod 4 that the Israelites would believe in him on account of the signs that Moses was given to perform; cf., Josephus, A.J. 2,270. 274. 276. 283. Lührmann also calls attention to the glaring absence of the πιστ- terminology in Josephus’s account of the Abraham tradition, the “classical context for ‘faith’.” 32 Lührmann, “Pistis” (see n. 30), see n. 50. 33 E.g., πιστεύειν as ‘entrust’: 2 Macc 3:22; 7:24; 10:13; as ‘intellectual persuasion’: 4 Macc 5:25; πίστις as a virtue of ‘fidelity, loyalty’: 3 Macc 3:3; 5:31; 6:25; as ‘that which is entrusted’: 1 Macc 10:37. 34 Cf., Lührmann, “Pistis” (see n. 30), 27–28. 35 τῆς δικαιοτάτης περὶ θεοῦ πίστεως ἐπιτυχών. 36 τὴν περὶ θεοῦ πίστιν ἐνέφυσεν ἀμετακίνητον.
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here by Josephus in the sense of ‘true doctrine’37 and the truth of this doctrine is further manifest by the fact that “the wisest of the Greeks [including Pythagoras, Anaxagoras, Plato, and the Stoics] learnt to adopt these conceptions of God” (C. Ap. 2,168). A similar instance of πίστις as a doctrinal affirmation occurs in reference to the Pharisees’ belief in the immortality of the soul and in the afterlife (A.J. 18,14). More often, though, Josephus makes use of the verb πιστεύειν with a ὅτι clause or with an infinitive clause to signal the content of what is believed. In C. Ap. 2,218 both the noun πίστις and the verb πιστεύειν are used to underscore the doctrine of a blessed afterlife for those who have faithfully kept the law. Moses again plays a central role, for the lawgiver’s prophecy provides the basis (perhaps even the content) for the belief in the afterlife. But even more striking in this passage is that God himself has provided38 the πίστιν ἰσχυράν, i.e., the ‘strong proof or security’, for this particular doctrinal persuasion. Another creedal affirmation appears in A.J. 6,263: “Concerning the Deity, [people] are persuaded that39 He is present in all that happens in life and that He not only sees the acts that are done, but clearly knows even the thoughts whence those acts are to come.” A.J. 4,60 provides additional insight into Josephus’s understanding of this creedal nature of faith as primarily an intellectual belief. The context has to do with Josephus’s recounting the aftermath of Korah’s rebellion in Num 16 and the ongoing unrest of the Israelites over against Moses and Aaron. Josephus indicates that there was a dichotomy between what the Israelites believed doctrinally concerning the foreknowledge of God (i.e., they believed that nothing occurred apart from God’s foreknowledge40) and what they believed41 actually to be the case of God adapting his actions to show preference to “Moses’ machinations.” In other words, the intellectual creedal persuasion for Josephus does not in and of itself imply an inward, life engaging commitment to the creed.42 However, there is evidence that Josephus can make this connection between intellect and ethic as regards the creedal nature of faith. In C. Ap. 2,160 he asserts: “for to
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Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 89. τοῦ θεοῦ παρεσχηκότος. 39 περὶ τοῦ θείου πεπιστεύκασιν … Note here Josephus’s characteristic use of ‘Deity’ (τὸ θεῖον) instead of ‘God’ (ὁ θεός)! 40 πεπιστευκότες μηδὲν γίνεσθαι δίχα τῆς τοῦ θεοῦ προνοίας. 41 ἐβούλοντο. 42 Lührmann, “Pistis” (see n. 30), 27f. suggests that πίστις in this sense is parallel to φρονεῖν for Josephus, referring to “Meinung, Überzeugung, Auffassung.” 38
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those who believe that their lives are under the eye of God all sin is intolerable.”43 Πίστις in the sense of ‘fidelity’ may carry a religious connotation for Josephus. As we noted above, B.J. 2,135 lauds the Essenes as “champions of fidelity.” Fidelity in this context is understood as a virtue – but, admittedly, a religious virtue. Lührmann maintains that πίστις as a religious virtue is actually a subcategory of εὐσέβεια – the primary category for all (religious) virtues.44 Josephus’s relegation of πίστις as a subcategory/component of the more prominent concept of εὐσέβεια is a significant insight to which we shall return later in this essay. Josephus occasionally employs πιστεύειν to refer more directly to faith or trust in God. Num 14:39–45 sets the context for A.J. 4,5, where Josephus recounts the refusal of the Israelites to listen to Moses who counseled them not to engage the Canaanites in battle in an attempt to take possession of the promised land, following their initial rejection of Joshua and Caleb’s report. Scorning Moses’ advice and claiming “faith in God” (τῷ θεῷ πιστεύοντες) they went up against the Canaanites and suffered humiliating defeat. Josephus presents πιστεύειν in this passage as a superstition or fetish on the part of the people – actually the opposite of what we would normally understand as faith in God. The folly and emptiness of this kind of faith or trust in God is apparent for Josephus in the fact that the people were deliberately pitting God against God’s chosen lawgiver (cf., A.J. 4,6). Ironically, there is one occurrence of πιστεύειν in LXX of Num 14, but it stands in stark contrast to Josephus’s use of the verb in his recounting of the episode. Num 14:11 records the Lord’s indictment upon the Israelite people because “they do not believe in me with regard to all the signs which I have performed among them.”45 Within this specific context Josephus employs πιστεύειν in a very different sense than what we find in the LXX. In A.J. 2,333; 3,309, on the other hand, Josephus demonstrates a closer affinity to the Old Testament concept of faith with his use of πιστεύειν to refer to faith in God. In the latter instance, A.J. 3,309, it is significant that trusting in God is directly connected with trusting in human agents in a specific endeavor. In this passage the spies Joshua and Caleb pleaded with the Israelites not to trust the naysayers who were discouraging them from going up to take possession of the promised land. Rather they encouraged the people to “trust in our leader, God, and [in] us who will show you the way.” The 43
οἱ γὰρ πιστεύσαντες ἐπισκοπεῖν θεὸν τοὺς ἑαυτῶν βίους οὐθὲν ἀνέχονται ἐξαμαρτεῖν. 44 Lührmann, “Pistis” (see n. 30), 27. 45 οὐ πιστεύουσίν μοι ἐν πᾶσιν τοῖς σημείοις, οἷς ἐποίησα ἐν αὐτοῖς. The Hebrew text uses the hiphil stem of אמן.
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dual object of faith directed toward God and a human agent appears also in A.J. 2,117 where Judah exhorts his father Israel to trust God and him (Judah) with respect to the safety of Benjamin on the return trip to Egypt to buy food. This dual object of πιστεύειν occurs most notably in the biblical text of Exod 14:31 where, after the crossing of the Red Sea and the destruction of the Egyptian army, ὁ λαὸς … ἐπίστευσαν τῷ θεῷ καὶ Μωυσῇ τῷ θεράποντι αὐτοῦ.46 Whether Josephus is picking up on this particular connection in Exodus between faith in God and faith in Moses is not clear. What is clear, however, is that Moses is a central figure for Josephus’s religious use of the πιστ- words. We have already noted passages above where Moses plays a prominent role in Israel’s faith. In C. Ap. 2,163. 169 we saw that Moses is portrayed as the ‘discoverer’ and ‘implanter’ of the most correct faith about God, where the focus was upon the content of faith. Also, from A.J. 4,5. 60 we have the strong indication from Josephus that faith/trust directed towards God, but not towards Moses (or even in opposition/contrast to Moses), is both counter-intuitive and ineffectual.47 There are other passages worth noting as well.48 The very circumstances surrounding the birth of Moses, according to A.J. 2,218, provided πίστιν – a basis for faith – with regard to the earlier promises of God. In this immediate context A.J. 2,219 reports that Moses’ father decided “to commit the salvation and protection of the child to [God], rather than to trust [πεπιστευκώς] the uncertain chance of concealment.” There is one instance where Moses’ own faith in God is expressed with Moses as subject of πιστεύειν in the active voice. Because of the miraculous signs that God consistently granted to and through Moses, he was unable to doubt (οὐκ ἔχων ἀπιστεῖν) the promises of God from the burning bush experience (A.J. 2,275); moreover, because of these signs “[Moses believed] that God would be his gracious protector”49 (2,276). A.J. 3,27 portrays Moses as an agent of faith for the Israelites who were initially wary of eating the manna. By tasting it himself, Moses provided [the basis] for them to believe.50 Not only is Moses considered by Josephus to be an agent of faith for the Israelites, but he is also rightly viewed as an object of the people’s faith.51 Picking up on the tradition from Exod 4, Josephus reports in A.J. 2,274 46 See also John 14:1 where Jesus instructs the disciples: πιστεύετε εἰς τὸν θεὸν καὶ εἰς ἐμὲ πιστεύετε. 47 Cf., Josephus, A.J. 1,23. 48 Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 125–27. 49 τὸν θεὸν εὐμενῆ παραστάτην ἕξειν πιστεύων. 50 αὐτοῖς παρεῖχε πιστεύειν. 51 E.g., Josephus, A.J. 3,317; 4,179.
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God’s instructions to Moses “to use the miraculous signs in order that all people might believe that you, having been sent by me, do all things according to my commandments.”52 As we noted earlier in Josephus’s discussion of Hezekiah and Isaiah in A.J. 10,28, so here too we find a direct and positive correlation between signs and faith. It is particularly noteworthy in the A.J. 2,274 passage that the substance of belief had to do with God’s sending Moses to accomplish everything according to God’s commandments. This language is very similar to the ‘believing in Jesus’ language that we find in John’s gospel.53 Lührmann suggests that Josephus’s reliance on the LXX text of Exod 4 in A.J. 2,274 is one of only two contexts where we find a direct correlation between Josephus’s use of πιστεύειν and that of the LXX.54 The other connection has to do with faith in the prophets and/or in their messages. In this context it is not surprising to find that Moses also was the object of faith due to his role as prophet, as well as lawgiver (C. Ap. 2,286). Lührmann cites these further passages as examples of faith in the prophets in Josephus: A.J. 8,232; 9,12. 72. 86; 10,28. 39. 104–107. Lührmann does not make explicit what Old Testament tradition he has in mind, though one might suspect passages such as Isa 7:9; 53:1. Only one of the passages that Lührmann cites demonstrates a direct link with the use of πιστεύειν in the corresponding LXX background text, but this is particularly significant. A.J. 9,12 recounts Jehoshaphat’s encouragement to the people of Judah and Jerusalem that they “must place trust in the words spoken by the prophet”55 who had advised them not to array themselves for battle, but to allow God to fight for them. This use of πιστεύειν corresponds to 2 Chr 20:20 where Jehoshaphat’s advice is: ἐμπιστεύσατε ἐν κυρίῳ ὑμῶν, καὶ ἐμπιστευθήσεσθε· ἐμπιστεύσατε ἐν προφήτῃ αὐτοῦ, καὶ εὐοδωθήσεσθε. There are two points to note from the 2 Chr passage. First, we have here in the LXX a further instance of a human object of faith alongside God, as we noted earlier in our discussion of A.J. 3,309 and 2,117. Second, the Hebrew text of 2 Chr 20:20 contains the identical word play with the hiphil and niphal stems of אמןthat we find in Isa 7:9 (though the LXX translation of Isa 7:9 does not attempt to reproduce the word play in Greek the way the 2 Chr 20:20 translation does). In both Old Testament instances putting trust in the prophet’s message is tantamount to trusting in God’s deliverance from enemy threats. Josephus’s references to faith in the prophets surely demonstrates, as Lührmann has suggested, some direct influence of the Hebrew under52
καὶ σημείοις πρὸς τὸ πιστεύεσθαι παρὰ πᾶσι χρῆσθαι, ὅτι πεμφθεὶς ὑπ’ ἐμοῦ πάντα κατὰ τὰς ἐμὰς ἐντολὰς ποιεῖς (my translation). 53 E.g., John 6:29–30, 38; 17:8, 20–21. 54 Lührmann, “Pistis” (see n. 30), 27. 55 δεῖ πιστεύειν τοῖς ὑπὸ τοῦ προφήτου εἰρημένοις (my translation).
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standing of faith upon his own religious understanding and use of πιστεύειν. By contrast, any direct influence of the LXX upon Josephus’s religious use of the noun πίστις is not so easily detectible. In the very few instances where πίστις occurs in the context of the prophets, it simply has the idea of ‘reputation’ (e.g., B.J. 2,261; cf., 2,586). In A.J. 10,268 the prophet Daniel is said to have gained among the people a “reputation for truth(fulness).” In this particular passage, ἀληθείας πίστιν is directly parallel to δόξαν θεότητος (“reputation for godliness”) so that πίστις and δόξα are virtually synonymous.56 Other religious uses of πίστις in Josephus include his use of the phrase πίστις τοῦ θείου in A.J. 17,179. 284. In both instances ‘the faithfulness of the Deity’ is called alongside human pledges or relationships as a way of making those pledges more binding and trustworthy.57 Here we note Josephus’s use of the neuter noun τὸ θεῖον instead of the more personal ὁ θεός. While we see some reference to God’s faithfulness in the Hebrew scriptures (e.g., 1 Sam 26:23), Josephus’s focus is clearly not the same. It is, in fact, difficult to locate any direct influence from the Hebrew concept of faith upon Josephus’s use of πίστις.
3. Πίστις in Josephus and the New Testament The common Jewish background of Josephus and many of the New Testament authors, the common language of composition, the common timeframe, and the fact that both bodies of literature make frequent use of the πιστ- words, would logically lead us to expect similarities in their respective use and understanding of πίστις and πιστεύειν. There are indeed similarities and perhaps a few direct parallel uses between Josephus and the New Testament that we will explore in this section. At the outset, however, it is important once again to bear in mind that, in general, the New Testament appears to be picking up on and developing a very different use and understanding of πίστις and πιστεύειν than what Josephus does. We have 56 Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 91. The equation of πίστις and δόξα is worth special note. In commenting on πίστις in Josephus, C. Ap. 2,169, A. Schlatter has suggested that the term for Josephus carries the connotation of ‘orthodoxy’: “Die Vorstellung, die sich ein Mensch über Gott bildet, nennt [Josefus] ἡ περὶ τοῦ θεοῦ δόξα. Die Formel “Orthodoxie” ist entstanden … Diese “Meinung” wird als wahr empfunden und vorbehaltlos bejaht. Darum wird aus der Meinung ein Glaube, aus der δόξα die πίστις.” Cf., Adolf Schlatter, Die Theologie des Judentums nach dem Bericht des Josefus (Hildesheim: Georg Olms Verlag, 1979), 103–4. 57 Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 87.
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noted above only a handful of instances in Josephus’s writings where there is noticeable influence upon his use and understanding of πίστις by the Hebrew concept of faith (via the LXX). This handful of instances stands in comparison to the 400 plus occurrences of the noun or the verb in Josephus’s writings overall.58 By contrast, I have argued elsewhere that the New Testament use and understanding of the word group is primarily influenced by the Hebrew understanding of faith as represented by the אמן root – especially as the verb appears in the hiphil stem.59 In other words, Josephus and the New Testament are eccentric from one another – operating from a different center – in their use of πίστις and πιστεύειν, with the result that commonalities of use occur at the periphery rather than at the respective centers. Adolf Schlatter’s three-page register of “Parallels to the New Testament Words in Josephus”60 helps to illustrate the eccentricity I have just described. In this list Schlatter identifies primarily ‘formal’ parallels; i.e., grammatical, syntactical, and in some instances verbal similarities (in terms of subjects, objects, circumstances, and modifiers of faith). This should not be surprising. The conventions of a common language will dictate to some extent how specific words are used and in what contexts. Upon closer examination, however, it quickly becomes apparent that, in spite of the similarities of Schlatter’s parallels, the πιστ- words themselves are not understood in the same way. Again, only a few of the parallels point to conceptual similarities between Josephus and the New Testament understanding of πίστις.61 In some instances the similarities between Josephus and the New Testament have to do with occurrences of πίστις or πιστεύειν in the New Testament where the sense is not necessarily a religious one. For example, in John 2:24 Jesus’ hesitancy to entrust himself (οὐκ ἐπίστευσεν αὐτόν) to the people in Jerusalem (who had believed in his name) reflects this normal profane Greek understanding of the verb as ‘entrust’. Of the eight or so instances where the New Testament employs πιστεύειν in this sense, most appear in the Pauline corpus. Josephus can employ this sense of the verb in a religious context as in A.J. 17,43 where the Pharisees had been entrusted [by God] with foreknowledge of the future. Similarly in Paul, the Jews were entrusted with the oracles of God (Rom 3:2) and Paul himself 58
T. Schumacher maintains even more emphatically that Josephus’s use of the πιστword group demonstrates no semantic elements beyond the [normal] Greek meanings. That is, he finds no evidence of semitic influence upon Josephus’s use of the word group. Cf., Schumacher, Entstehung (see n. 2), 256. 59 Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 188; see also Lindsay, “Roots and Development” (see n. 5), 189f. 60 Schlatter, Glaube (see n. 2), 582–85. 61 Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 93–96.
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was entrusted with his office (1 Cor 9:17) and with the gospel of uncircumcision (Gal 2:7).62 There is nothing particularly innovative in this use of the verb. Both Paul and Josephus reflect the normal Greek usage and understanding. Likewise parallel to Josephus, the New Testament can employ πιστεύειν in the routine Greek sense of ‘believing that something is or is not the case’. The religious leaders in John 9:18, for example, did not believe concerning the blind man who had been healed by Jesus that he had actually been blind and received his sight; and so they called in the parents of the man to confirm his identity and the facts surrounding his blindness. In Acts 9:26 the Jerusalem disciples were initially afraid of post-conversion Saul because they did not believe he was actually a disciple. Paul also uses the verb in this sense in 1 Cor 11:18 where he indicates his belief in the factuality of the report he had received about divisions in the Corinthian church. A rare use of πίστις in the New Testament in the sense of ‘proof’ or ‘sign’ (i.e., ‘basis for faith’) appears in Acts 17:31. In this speech attributed to Paul, God “provides proof” that Jesus is God’s chosen agent by raising Jesus from the dead. The formula πίστιν παρέχειν in this passage is identical to the formula that Josephus uses in C. Ap. 2,218 and A.J. 2,218 and with the same general sense. It is probably worth noting that this particular use of the formula in Acts 17 occurs within a very specific secular, Hellenistic setting in the Athenian Areopagus and among an audience that is primarily non-Jewish, so that the very context may have lent itself to a more secular understanding of the substantive πίστις.63 There are further scattered and isolated instances where πίστις and πιστεύειν in the New Testament reflect a more general, secular use of the words as we find routine and normal in Josephus.64 Of greater interest to us here are instances where Josephus’s use of the word group mirrors or approaches the theological understanding of πίστις that is routine and normal in the New Testament. Again, we proceed with caution. Some verbal similarities between Josephus and the New Testament in their religious usage of the word group do not actually support a parallel theological understanding of faith or believing. For instance, Josephus’s formula πίστις τοῦ θείου (A.J. 17,179. 284) looks very similar to the New Testament formula ἔχετε πίστιν θεοῦ in Mark 11:22. The religious sense, however, is not the same. For Josephus, the ‘faithfulness of the Divinity’ (possibly, ‘divine faithfulness’) is invoked as an additional security 62
Cf., also 1 Thess 2:4; 1 Tim 1:11; Tit 1:3. Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 95. 64 For further similarities of this nature, see Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 97–101; 134–38. 63
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to a human oath or pledge. In Mark, the genitive θεοῦ is probably best interpreted as an objective genitive so that the sense of Jesus’ command is for the disciples to exercise faith in God.65 Josephus rarely, if ever, employs πίστις with an objective genitive, but freely uses the subjective genitive, normally with the genitive form of a personal pronoun.66 While these instances in Josephus occur on the level of profane human interactions, his subjective genitive use is parallel to the frequent New Testament use in a theological, religious sense.67 There is some similarity between Josephus and the New Testament in the use of πίστις as ‘content of what is believed’. As noted above, this creedal understanding of πίστις appears only in a couple of passages in Josephus where he presents Moses as the one who provided Israel with the “faith about God” (C. Ap. 2,163. 169) or where he talks about the Pharisees’ belief in the immortality of the soul and the afterlife (A.J. 18,14). Regarding the latter, it is interesting that the New Testament also makes mention of this Pharisaic creed (e.g., Matt 22:23–33; Acts 23:6–9) but does not use πιστ- terminology. Paul in 1 Cor 15:14, however, does associate πίστις specifically with the doctrine of resurrection where πίστις seems to be parallel to κήρυγμα: εἰ δὲ Χριστὸς οὐκ ἐγήγερται, κενὸν ἄρα καὶ τὸ κήρυγμα ἡμῶν, κενὴ καὶ ἡ πίστις ὑμῶν. This may not be an exact parallel to the way Josephus understands πίστις as ‘content of faith’, but it is very close.68 We have also seen a convergence of faith language between Josephus and the New Testament in the context of a relationship between signs and faith. In Josephus, as in the LXX, this connection between faith and signs presents itself particularly in the context of Moses (cf., Exod 4; A.J. 2,274), as well as in the context of faith in the prophets (e.g., A.J. 10,28), and for Josephus there is a generally positive relationship between the two. As we have seen, however, the New Testament can be ambivalent about 65
It is interesting to note that the parallel passages in Matthew and Luke replace the genitive θεοῦ with the phrase ἔχετε πίστιν ὡς κόκκον σινάπεως: “Have faith like a grain of mustard”, suggesting that it is the quality of the disciples faith, rather than the object of their faith, that is crucial (Matt 17:20; Luke 17:6). Ralph Marcus’ translation of Josephus, A.J. 17,179. 284 for the Loeb Classical Library renders both instances of πίστις τοῦ θείου with the objective genitive ‘faith in God’. As I have argued elsewhere, the objective genitive interpretation does not fit logically into either passage, so that an alternative translation is necessary (cf., Lindsay, Josephus and Faith [see n. 3], 97). 66 E.g., Josephus, A.J. 2,61; 7,23; 13,45. 48; 18,337; B.J. 2,468; 3,6. Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 97. 67 E.g., ἡ πίστις σου σέσωκέν σε in Matt 9:22; Mark 5:34; 10:52; Luke 7:50; 8:48; 17:19; 18:42; cf., also Rom 4:12, 16; Col 2:12; Rev 13:10 (cf., Lindsay, Josephus and Faith [see n. 3], 96). 68 Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 99f.
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the efficacy of signs and wonders to generate faith, and the efficacy of the relationship is reliant upon a prior disposition to faith on the part of the ones who observe or receive the signs. We noted above that this is particularly true in the faith language of John’s gospel. But it is clear also for Paul that, in the case of Abraham, Abraham’s faith (πίστις) precedes the sign (σημεῖον) of circumcision (Rom 4:9–11). Conversely, the seeking of a sign without the predisposition of faith is ineffectual on both accounts (1 Cor 1:21–25) and refusal to believe the truth (2 Thess 2:12) is a precursor to believing the lie (2 Thess 2:11) that is based upon the false signs and wonders of Satan (2 Thess 2:9).69 More significant than the relationship between signs and faith for Josephus and the New Testament, however, are the persons around whom this relationship centers. As noted earlier, the key figures for Josephus are Moses and the prophets and the focus of faith is primarily upon their respective messages or teachings. Both πίστις and πιστεύειν in these contexts highlight the content of what is believed, and for Josephus this kind of belief is foremost an intellectual persuasion. The New Testament does not employ πίστις in this sense – at least not in the way that Josephus does. However, the verb πιστεύειν does appear in several passages with the Hebrew prophets and/or their message(s) as the object of belief (e.g., Acts 26:27; Luke 24:25; cf., John 2:22). The New Testament tends, more so than Josephus, to link explicitly the idea of believing in the prophets with the actual use of πιστεύειν in the LXX. 70 In the New Testament, however, the primary objects of faith are God and Jesus. Moses, who plays such a prominent role for Josephus, plays at best only a supporting role in the New Testament in passages such as John 5:46: εἰ γὰρ ἐπιστεύετε Μωυσεῖ, ἐπιστεύετε ἄν ἐμοῖ. John’s gospel is an interesting case in this respect because of the way that Moses and his ministry are eclipsed by Jesus and his ministry. The words of John the baptizer in John 3:30, “He must increase, but I must decrease”, apply equally well to the role of Moses in the fourth gospel. Faith language applied to Moses by Josephus appears similarly in John, but John applies the language to Jesus. For example, in A.J. 2,274 signs are given to Moses to perform (cf., Exod 4) so that the Israelites might believe that he was sent by God. In John 6:29–30 Jesus tells his Jewish audience that the work of 69 It should be noted, on the other hand, that Paul’s view of speaking in tongues as a sign, not for believers, but for unbelievers (1 Cor 14:22) is not easily reconciled here. Perhaps this is further indication of the New Testament’s ambivalence toward the relationship between signs and faith. 70 Note, for example, the quotation of Isa 53:1 in John 12:38; Rom 10:16. It is further likely, as Otto Betz indicated to me some years ago, that the Targum of Isa 53:1 provides the background for Mark 1:15: πιστεύετε ἐν τῷ εὐαγγελίῳ.
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God is ‘in order that they might believe in the one whom God sent.” Jesus’ listeners immediately ask for a sign “in order that we might see and believe in you.”71 This is not to suggest that John had read and was reacting to Josephus (or vice versa). Both authors are likely drawing from common language in the Jewish synagogue that applied faith language to Moses. But where Josephus adopts the language, John challenges the idea of Moses as the primary object of faith.72 This also holds true in the Hebrews Epistle in the way that faith language is used with reference to Moses and Jesus, respectively. As I have written in another article: On the surface we observe that both Josephus and the Hebrews author understand Moses as, in some way, exemplary of πίστις. Though in very different ways, both Josephus and Hebrews connect πίστις with the birth of Moses (A.J. 2,218; Heb 11:23) … More significant is Josephus’s understanding of Moses as a source or provider of faith. Faith in this context is not a relational term (faith or trust in God), but refers simply to the content of the Mosaic faith system (belief about God) … In C. Ap. 2,163 Josephus refers to Moses as the ‘discoverer of the most correct faith about God’; later in 2,169 he identifies Moses further as the ‘implanter of the faith about God’. The closer equivalent of Josephus’s understanding of πίστις in this context would be the Hebrews author’s use of ὁμολογία in Heb 3:1, where Jesus is assigned the dual distinction as ‘apostle and High Priest of our confession’. Within the structure of the Hebrews epistle, this dual distinction is clearly parallel to the dual distinction of Jesus in Heb 12:2 as the ‘pioneer and perfecter of πίστις’.73
I concede that it may be a stretch to force a direct connection between Josephus and Hebrews where, in the one, Moses is ‘discoverer and implanter of faith’ and, in the other, Jesus is ‘pioneer and perfecter of faith’.74 But the language is striking, and it underscores the current contention that, in contrast to Josephus, the New Testament replaces Moses with Jesus as the key figure of faith. Furthermore, Moses plays no role at all in Paul’s use of the πιστ- words. His focus, especially in Rom 4 and Gal 3, is rather upon Abraham as the patriarch of faith(fulness), and his source for this connection is clearly Gen 15:6 which he quotes in Rom 4:3, 9 and Gal 3:6.75 Conversely for Josephus with his focus on Moses, Abraham plays no role in his use of the πιστwords. But the difference between Josephus and Paul on this point goes 71
21.
72
The idea of ‘believing that Jesus was sent by God’ also appears in John 17:8, 20–
Note also John 9:28–29 where the Jewish leaders profess that they are disciples of Moses and affirm: “We know (οἴδαμεν) that God has spoken to Moses.” We might well imagine Josephus using the verb πιστεύειν where John uses οἴδαμεν. 73 Dennis R. Lindsay, “Pistis and ’Emunah: The Nature of Faith in the Epistle to the Hebrews”, in A Cloud of Witnesses: The Theology of Hebrews in its Ancient Contexts, ed. Richard Bauckham, et al. (London: T&T Clark, 2008), 163f. 74 Lindsay, “Pistis and ’Emunah” (see n. 73), 164. 75 Cf., also Jas 2:23.
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much deeper than their choice of a particular hero of faith. The ‘faith of Moses’ for Josephus has almost exclusively a creedal emphasis. For Paul, the ‘faith of Abraham’ derives from the relational verb אמןin Gen 15:6. This has nothing to do with creedal content, but everything to do with intimate relationship. This is not to say that Paul and Josephus have no common ground in the way they understand and use the word group. In a recent study, Thomas Schumacher suggests that Paul shared a religious understanding of these Greek words, formed within a common Greek-Hellenistic environment, with his Jewish contemporaries Philo of Alexandria and Flavius Josephus. Bei allen drei Autoren ist nicht nur der jüdische Hintergrund gemeinsam, sondern sie versuchen alle, jeder auf seine spezifische Weise, ihrem Umfeld jüdisches Gedankengut und den jüdischen Glauben zu vermitteln. Im Falle des Flavius Josephus sollte man ferner die phӓrisӓische Ausbildung mitbedenken, welche dieser mit Paulus teilt.76
Schumacher generally agrees with my analysis and assessment of Josephus’s use of πίστις and πιστεύειν, i.e., that Josephus adopts the normal Greek use and understanding for these words and that Josephus’s usage occurs predominantly in a profane context. He finds no evidence to argue for any semitic influence upon Josephus’s use of the word group.77 However, Schumacher also maintains that the LXX use of the πιστ- words falls within the normal Hellenistic semantic domain so that arguments about semitic influence upon the πιστ- words in the LXX are called into question.78 This is in stark contrast to what I maintain elsewhere, namely that the LXX use of the πιστ- words is heavily influenced by the semantic nuances of the אמןword group with which these Greek words are almost exclusively connected.79 The further extension of Schumacher’s argument is that Paul’s use of the word group is equally unaffected by any semitic influence: “weder im Bereich der Wortsemantik noch auf der syntaktischen Ebene.”80 Though I find Schumacher’s conclusion untenable, I must agree that Paul shares some uses of the πιστ- word group with Josephus and others less influenced by semitic backgrounds. Paul’s use of the formula πιστεύειν ὅτι in Rom 10:9 occurs in connection with a creedal affirmation of Jesus’ resurrection from the dead. This recalls Josephus’s use of the formula in C. Ap. 2,218 in his creedal affirmation about life after death (cf., A.J. 18,14). The formula also appears in 4 Macc 7:18–19, again with
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Schumacher, Entstehung (see n. 2), 256. Schumacher, Entstehung (see n. 2), 254–56. 78 Schumacher, Entstehung (see n. 2), 232–53. 79 Cf., Lindsay, ‘Roots and Development’ (see n. 5), 189f. 80 Schumacher, Entstehung (see n. 2), 273. 77
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reference to belief in the afterlife.81 In Rom 4:17 πιστεύειν is followed by a genitive absolute construction in a rather unique creedal formula affirming Abraham’s belief in God who raises the dead back to life. These instances underscore this common, and, as Schumacher suggests, ‘Pharisaic’ thread in Paul and Josephus, whereby the content of religious faith has to do with resurrection and afterlife. Josephus has an interesting syntactical and verbal parallel to Paul’s use of πιστεύειν in the familiar passage 1 Cor 13:7 where ἀγάπη is the subject of the string of verbs: πάντα στέγει, πάντα πιστεύει, πάντα ἐλπίζει, πάντα ὑπομένει. In C. Ap. 2,207, in the context of the Mosaic law to honor one’s parents and the [sacred] laws that govern true friendship, Josephus speaks of φιλία instead of ἀγάπη and declares: οὐ γὰρ εἶναι φιλίαν τὴν μὴ πάντα πιστεύουσαν (“for there is no [true] friendship that does not [en]trust all things”).82 The contextual and conceptual parallels between Josephus and Paul in these passages are compelling, so that their similar use of πιστεύειν points to a common understanding of the verb in these instances. One final, but significant, point of similarity between Paul and Josephus occurs in the context of faith and works. Embedded in a larger discussion of Paul’s position on circumcision, Mark Nanos finds parallel use of faith and work terminology between Josephus and Paul in Josephus’s account of the circumcision of the Jewish proselyte Izates, king of Adiabene, recorded in A.J. 20,17–48.83 Izates became king of Adiabene upon the death of his aged father Monobazus during the reign of Claudius Caesar. Via independent pathways, both Izates and his mother Helena, though Gentiles, came to embrace the Jewish religion and decided to convert. For Izates, naturally, there arose the question of circumcision, and Josephus highlights the conflicting views from two Jewish advisors to the king – one Ananias who (along with Helena) advised that the king’s worship to God “counted more than circumcision” (A.J. 20,41), and one Eleazar who insisted that the king was “guilty of the greatest offence against the law and thereby against God” for delaying circumcision (20,43). Izates was persuaded by the latter and submitted to the prescribed ‘work’ (ἔργον, 20,46). Josephus concludes that this act of obedience for Izates was a matter of ‘faithfulness’ to God, the like of which does not go unrewarded: “God thus demonstrated that 81
The formula πιστεύειν ὅτι occurs more frequently (14 times!) in John’s gospel. In a paper entitled “Believing in Jesus: A Johannine Theology of Faith”, delivered at the 2014 International Society of Biblical Literature Meeting in Vienna, Austria, and soon to appear in Restoration Quarterly, I suggest that the vast majority of occurrences of this formula in John actually represent the semitic construction האמין כיand should be viewed through the lens of Isa 43:10. 82 Cf., Lindsay, Josephus and Faith (see n. 3), 147. 83 Nanos, “Conceptualization” (see n. 2), 105–52.
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those who fix their eyes on Him and trust in Him alone do not lose the reward of their piety”84 (20,48). Underscoring the faith and work(s) terminology, Nanos finds in this pericope a conceptual framework whereby to interpret Paul’s rhetoric regarding faith and works within his own teachings on Gentile circumcision. Nanos presents a convincing case for understanding τὸ ἔργον in both Josephus and Paul as a terminus technicus for the rite of circumcision.85 This would seem to reflect common usage in the Hellenistic synagogue as evidenced by the arguments of Izates’ respective advisors. Josephus differs from Paul in his approval of Eleazar’s advice to Izates “wherein faith(fulness) alone involves circumcision as the decisive action for the non-Jew Izates”, whereas for Paul faithfulness exclusive of circumcision constitutes “the decisive action for the Christ-following non-Jews he addressed.”86 In other words, it is not a ‘working faithfulness’ that Paul rejects in his conception of πίστις, but rather this specific ‘work’ (i.e., the rite of circumcision). “The contrast Paul draws, just as does Josephus’s characters, is in terms of what best represents faithfulness for the players in view with respect to circumcision.”87 In this way, Paul’s position was much closer to that of Ananias in Josephus’s narrative, but the principle of ‘active faithfulness’ is present even in these opposing views of circumcision for Gentiles. It is important to note that Nanos assumes a common understanding of πίστις in Josephus and Paul as ‘active faithfulness’: “I use ‘faith(fulness)’ throughout to both respect and challenge the way that πίστις is generally translated and interpreted for Paul as if it represented ‘belief’ in contrast to action or deeds or works or effort, and for translating Josephus’s story, to highlight the comparison being drawn within Judaism. I am convinced that faithfulness in the sense of ‘trust,’ ‘loyalty,’ inclusive of the commitment to take the actions concomitant with what one believes, expresses better what Paul sought to communicate by way of πίστις and its cognates, just as it does for Josephus and other Jewish writers in general, including the LXX when translating ’emuna.”88
I readily agree with Nanos’ understanding of πίστις as faithfulness in Paul and in the LXX. It is further convincing that Josephus’s use of the verb πιστεύειν at the close of this pericope signals an understanding of active faithfulness towards God that, at the very least, approaches what we find in 84 τοῖς … [θεῷ] μόνῳ πεπιστευκόσιν ὁ καρπὸς οὐκ ἀπόλλυται ὁ Nanos (Nanos, “Conceptualization” [see n. 2], 118, 124) appears clause as an adverb with reference to ‘faith(fulness) alone’. As I μόνῳ should be taken as a substantival adjective functioning as πιστεύειν: ‘trusting in [God] alone’. 85 Nanos, “Conceptualization” (see n. 2), 117f., 123. 86 Nanos, “Conceptualization” (see n. 2), 124. 87 Nanos, “Conceptualization” (see n. 2), 125. 88 Nanos, “Conceptualization” (see n. 2), 118, n. 23.
τῆς εὐσεβείας. Note: to take μόνῳ in this have indicated here, the dative object of
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Paul and elsewhere in the New Testament. There are, however, a few difficulties in assigning a full equation between Josephus’s and Paul’s concept of faith as represented by πίστις and cognates. First, Nanos argues that ‘faithfulness’ towards God is a prominent theme throughout the Josephus passage. This may indeed be the case, but we only find one occurrence of πιστεύειν at the very end of the pericope, thus making the linkage of the ‘faithfulness’ concept with the πιστ- word group less convincing. Second, and similarly, the noun πίστις does not occur at all within the pericope so that we are left without a direct verbal parallel to Paul’s contrast between faith and work(s).89 This prompts us to ask how ‘faithfulness’ is expressed in the Greek of Josephus’s text, flagging up a third difficulty. The verbiage used by both of Izates’ advisors points us back in the direction of what we have observed above: i.e., that πίστις as a theological category in Josephus is really a sub-category of εὐσέβεια which represents for him the primary relationship of people towards God.90 So it was that Ananias advised Izates that it was possible for him to ‘worship’ (σέβειν) God without circumcision (20,41), in contrast to Eleazar who insisted that Izates’ postponement of circumcision was tantamount to ‘unfaithfulness/impiety’ (ἀσέβεια; 20,45). Even in the summary conclusion of the story (20,48) it is clear that Josephus understands πιστεύειν as a subcategory (alongside the verb ἀποβλέπειν) of the primary theological category of εὐσέβεια. If the idea of “faithfulness … inclusive of the commitment to take the actions concomitant with what one believes” is a prevalent theme in this passage from Josephus (as Nanos maintains,91 and with which I would agree), its primary semantic connection is with εὐσέβεια, and then, only by extension, with πιστεύειν. This is in clear distinction to Paul, where πίστις and πιστεύειν are the primary categories for expressing the religious concept of faithfulness towards God.
4. Conclusion What then can we learn from Josephus’s use of πίστις and πιστεύειν that helps us to understand more clearly the New Testament use of this word group? From the similarities and parallels we have seen, we can conclude that Josephus was aware of theological uses of the word group such as we find in the New Testament, even though this was not his primary understanding and use of the πιστ- words. It is possible that this familiarity 89
Cf., Nanos, “Conceptualization” (see n. 2), 121. Cf., Lührmann, “Pistis” (see n. 30), 27. 91 Nanos, “Conceptualization” (see n. 2), 118, n. 23. 90
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stemmed from Josephus’s direct knowledge of Christian writings, but it is more likely that it came through shared sources (i.e., LXX and synagogue). Conversely, the New Testament was aware of and could employ the word group in a profane and more ‘normative’ Greek sense, as we find common in Josephus, though this does not represent the primary theological significance of the πιστ- words in the New Testament in general. Schumacher, in particular, and Nanos, to a lesser degree, represent recent attempts to harmonize the New Testament understanding of πίστις with that of Josephus by flagging up important points of commonality, which indeed must not be ignored. However, both fail to take into account the focused theological emphasis of the New Testament’s use of the word group over against and beyond the predominantly secular use of the word group in Josephus. Schlatter has suggested that the ‘distance’ between Josephus and the New Testament in their use of the πιστ- words casts as much light upon the apostolic understanding as do the parallel uses.92 Indeed, the greater significance of Josephus’s use of πίστις for that of the New Testament lies not in their peripheral commonalities, but rather in their differentiation. Josephus is peripherally aware of πίστις and πιστεύειν as theological concepts but does not absorb this understanding into the center of his usage. In contrast to the New Testament which has a theological focus at its core understanding of πίστις, he follows primarily the normative and predominant secular Hellenistic use of the word group. Josephus, sharing a common Jewish background with the New Testament authors, sharing a common language of composition, writing in a common timeframe, and making extensive use of the πιστ- words throughout his writings does not demonstrate concentricity with the New Testament usage. Josephus, in contrast to the New Testament, does nothing to develop an understanding of πίστις beyond what he has adopted from the common Hellenistic usage. Thus Josephus compels us to look outside the normative Hellenistic use and understanding of πίστις and πιστεύειν in determining the appropriate Verstehenshorizont for the use of the word group in the New Testament. Even so, Josephus does not leave us clueless as to where to look. The few, significant instances where his religious use and theological understanding of πίστις most nearly reflect that of the New Testament are closely tied to the use of the word group in the LXX and synagogue. This supports the conclusion of D. Lührmann: “Der Verstehenshorizont für das frühchristliche Reden von ‘Glaube’ liegt also in der internen Sprache der jüdischen Tradition, nicht in der Auseinandersetzung mit der heidnischen Umwelt.”93
92 93
Schlatter, Glaube (see n. 2), 582. Lührmann, “Pistis” (see n. 30), 38.
„Glaube“ im Zweiten Makkabäerbuch STEFAN KRAUTER
1. πιστεύειν in 2Makk 3 Eine Untersuchung zum Thema „Glaube“ im Zweiten Makkabäerbuch scheint zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hat:1 Das Lexem πίστις ist im Zweiten Makkabäerbuch nicht belegt, πιστεύειν kommt nur dreimal vor (2Makk 3,12.22), und zwar im Zusammenhang mit Finanzen: Witwen und Waisen haben dem Jerusalemer Tempel Geld anvertraut und vertrauen auf die Sicherheit des Anvertrauten an diesem Verwahrort. Allerdings ist es im Erzählduktus von 2Makk 3 nicht unerheblich, dass es eben der Jerusalemer Tempel ist, dem das Geld anvertraut worden ist. So bekommt der Begriff aus dem Finanzwesen einen religiösen Oberton2 und es lässt sich sozusagen ein Bogen von Kredit zu Credo schlagen. Die Witwen und Waisen, denen die Einlagen gehören, vertrauen auf die Unverletzlichkeit des Tempels (2Makk 3,12). Diese Eigenschaft hat der Tempel aus Gründen, die auf verschiedenen Ebenen liegen: Es ist einerseits menschliche Konvention, die Unverletzlichkeit eines Heiligtums zu achten (2Makk 3,12: ἡ τοῦ τετιμημένου κατὰ τὸν σύμπαντα κόσμον ἱεροῦ σεμνότης), und Gott selbst wacht andererseits über sie. Letzteres wird in der Erzählung einer Art „Test“ unterworfen:3 Heliodor bricht die Konvention und will in den Tempel eindringen, um die dort deponierten Gelder zu beschlagnahmen.4 Die Priester und alle Einwohner Jerusalems wenden 1 Vgl. D. LÜHRMANN, Pistis im Judentum, ZNW 64 (1973), 19–38, 26: „Ein theologisch geprägter Sprachgebrauch von πιστ- fehlt auch in den ersten drei Makkabäerbüchern“. 2 So auch D.R. SCHWARTZ, 2 Maccabees, CEJL, Berlin 2008, 200; anders hingegen z.B. D. ARENHOEVEL, Die Theokratie nach dem 1. und 2. Makkabäerbuch, Mainz 1967, 120f. 3 Die sozialen und politischen Aspekte der Unverletzlichkeit des Tempels (vgl. dazu K.J. RIGSBY, Asylia. Territorial Inviolability in the Hellenistic World, Berkeley [CA] 1996) werden im Text nicht verschwiegen (vgl. auch 2Makk 3,32: das durchaus taktisch motivierte Opfer des Onias für Heliodor). Der Schwerpunkt liegt allerdings auf dem theologischen Aspekt, wie das Schlussfazit 2Makk 3,38f. zeigt. 4 Vgl. dazu die klassische Studie E. B ICKERMANN, Héliodore au temple de Jérusalem, in: ders., Studies in Jewish and Christian History, AGJU 9, 3 Bände, Leiden 1976–1986,
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sich daraufhin im Gebet an Gott, er möge das in den Tempel und somit letztlich in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigen (2Makk 3,22). Dies geschieht, indem Heliodor durch ein Wunder vom Tempel ferngehalten wird (2Makk 3,24–28). Das positive Ergebnis des Tests wird am Ende explizit festgehalten (2Makk 3,39). Dafür, dass der Test in dieser Weise positiv ausgeht, sind die Rahmenbedingungen entscheidend, wie aus der Kontrasterzählung über die Plünderung des Tempels durch Antiochos IV. Epiphanes in 2Makk 5 deutlich wird. Die dort eingefügte Metabemerkung 2Makk 5,17–20,5 die explizit auf 2Makk 3 zurückverweist, macht klar, dass der in der Einleitung 2Makk 3,1–3 geschilderte Zustand die Grundlage für das im Folgenden Erzählte ist: Es handelt sich um einen Zustand kollektiver Gesetzestreue in Jerusalem, repräsentiert durch den frommen (εὐσεβής) Hohepriester Onias.6 Πιστεύειν ist in 2Makk 3 zwar in der Tat kein theologisch gefüllter Begriff. Dennoch impliziert es im narrativen Kontext eine Einstellung, die man vielleicht mit „Vertrauen in die von Gott gegebene rechte Ordnung der Dinge“ umschreiben könnte. In dem am Beginn von 2Makk geschilderten Idealzustand kollektiver Frömmigkeit ist dieses Vertrauen sozusagen sichtbar und geradezu empirisch erfahrbar gerechtfertigt. Der Versuch, die Ordnung zu stören, ruft momentan eine äußerst heftige emotionale Reaktion hervor (wiederum vom Hohepriester repräsentiert: 2Makk 3,16f.). Doch am Ende steht wieder der Gleichklang von erfahrbarer Realität und „geglaubter“ Ordnung. In diese wird sogar – wiederum durch den Hohepriester – die negative Versuchsperson Heliodor redintegriert (2Makk 3,33.35).
Band 2, 159–191. Zum Vergleich der Heliodorlegende mit den thematisch verwandten Texten 1Makk 1,21; 2Makk 5,15–17; 3Makk 1,10f.; 4Makk 4,10f. vgl. S. KRAUTER, Bürgerrecht und Kultteilnahme. Politische und kultische Rechte und Pflichten in griechischen Poleis, Rom und antikem Judentum, BZNW 127, Berlin 2004, 161–165 (S. 162, Z. 7: lies „Seleukos“ statt „Antiochos“). 5 Zu dieser Stelle und der um sie kreisenden Forschungsdiskussion über die Bedeutung des Tempels für das zweite Makkabäerbuch vgl. B. EGO, Der Tempel im Zweiten Makkabäerbuch im Kontext der Jerusalemer Kultkonzeption, in: P. Bukovec/S. Krauter/M. Tilly (Hg.), Die Makkabäer. Literatur – Geschichte – Wirkung, WUNT, Tübingen (im Erscheinen). Dort ausführliche Hinweise auf die ältere Literatur. 6 Vgl. dazu SCHWARTZ, 2 Maccabees (s. Anm. 2), 184f.; R. DORAN, 2 Maccabees. A Critical Commentary, Hermeneia, Minneapolis (MN) 2012, 78f. Zur Komposition des Buches mit einem heilvollen Zustand zu Beginn (3,1–40) und am Ende (14,1–15,36) vgl. U. MITTMANN-R ICHERT, Historische und legendarische Erzählungen, JSHRZ VI.1.1, Gütersloh 2000, 41.
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2. πείθειν in 2Makk 7 Es gibt zwar keine weiteren Belege für πιστεύειν im Zweiten Makkabäerbuch, jedoch nimmt in 2Makk 7,40 das intransitive Perfekt von πείθειν eine vergleichbare Stellung ein.7 Es bezeichnet dort die Haltung, mit der der jüngste der sieben Brüder den Märtyrertod erleidet. Die Rahmenbedingungen sind dabei denkbar anders als in 2Makk 3: Nachdem die Hohepriester Iason und Menelaos, durch Ämterkauf zu ihrer Würde gelangt, bereits das Gesetz vernachlässigt hatten (2Makk 4f.), schildert 2Makk 6,1–11 das vollständige, gewaltsame Verbot jüdischer Bräuche. Unter diesen Rahmenbedingungen geschehen Dinge, die geeignet sind, das Vertrauen in Gott zu erschüttern (vgl. 2Makk 6,12: συστέλλεσθαι): Antiochos plündert ungehindert – sogar vom Hohepriester assistiert – den Tempel (2Makk 5,11–16). Jerusalemer, die jüdische Riten einhalten, werden getötet (2Makk 6,10f.). In zwei Metabemerkungen erklärt der Erzähler, warum das Geschilderte wider allen Augenschein nicht dagegen spreche, dass Vertrauen auf Gott berechtigt sei: Dass Antiochos anders als Heliodor ungestraft den Tempel habe betreten können, liege daran, dass das Volk sich nicht mehr in einem Zustand kollektiver Gesetzestreue befinde. Der Tempel habe daran teil; seine Heiligkeit sei nicht unabhängig von der Heiligkeit des Volkes zu denken (2Makk 5,17–20). Die Leiden von Juden seien als Strafen für den kollektiven8 Abfall vom Gesetz zu verstehen, genauerhin als Erziehungsmaßnahmen mit dem Ziel, das Volk so schnell wie möglich wieder in den in 2Mak 3,1 beschriebenen Idealzustand zurückzubringen (2Makk 6,12– 17). Diese Deutungen klingen auch in der Geschichte von den sieben Brüdern und ihrer Mutter in 2Makk 7 an: Antiochos kann nur darum Juden unterdrücken und quälen, weil diese kollektiv vom Gesetz abgefallen sind; die Brüder leiden als Strafe dafür und mit dem Ziel, Gott wieder gnädig zu stimmen und das Volk in den Zustand kollektiver Frömmigkeit zurückzu7
SCHWARTZ, 2 Maccabees (s. Anm. 2), 298, übersetzt durchaus zu Recht mit „faith“. Vgl. auch D.B. GARLINGTON, The Obedience of Faith. A Pauline Phrase in Historical Context, WUNT 2/38, Tübingen 1991, 152. Zur semantischen Nähe von πιστεύειν und πείθειν etwa auch in SapSal 3,9; 16,24.26 vgl. B.E. REYNOLDS, Art. Faith/Faithfulness, The Eerdmans Dictionary of Early Judaism, ed. J.J. Collins/D.C.Harlow, Grand Rapids (MI) 2010, 627f., 627. Dessen ungeachtet bleiben natürlich die methodischen Bedenken bei K. HAACKER, Art. Glaube II, TRE 13 (1984), 277–304, gegen Untersuchungen, die über Texte, in denen das Wort πίστις/πιστεύειν explizit vorkommt, hinausgehen, durchaus berechtigt. 8 Nicht den individuellen, denn es sind ja gerade die Gesetzestreuen, die unter den Zwangsmaßnahmen des Antiochos leiden. Vgl. dazu auch MITTMANN-R ICHERT, Erzählungen (s. Anm. 6), 52.
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führen (2Makk 7,18.31–33.37f.).9 Die Zustimmung zu dieser Deutung der Ereignisse und die Erwartung, dass tatsächlich eine Wende in der Situation des Volkes eintreten wird,10 wird mit Vertrauen (2Makk 7,40: πεποιθώς) bezeichnet. Dazu tritt in 2Makk 7 ein weiterer Glaubensinhalt,11 von dem im Vorangehenden noch nicht die Rede war: die Auferstehung der Toten und mit ihr eng verknüpft die individuelle Vergeltung. Es ist in diesem Rahmen nicht der Ort, auf dieses viel untersuchte Thema ausführlich einzugehen. Nur einige wenige Aspekte, die mit dem hier zu behandelnden Thema Glaube zusammenhängen, seien kurz dargelegt. Die individuelle Vergeltung von Freveltaten wird im Zweiten Makkabäerbuch als empirisch nachprüfbar dargestellt. Die Ankündigungen der sieben Brüder (2Makk 7,17.19.31.34–37) erfüllen sich in dem außerordentlich grausamen und ekelerregenden Tod des Antiochos (2Makk 9,5– 12.28). Dieser steht in einer Reihe mit weiteren Erzählungen über den Tod von Frevlern (2Makk 4,38 Andronikos; 5,8–10 Iason; 8,33 Kallisthenes; 13,4–8 Menelaos; 15,28–35 Nikanor). Sie alle stellen einen assoziativen Zusammenhang zwischen der Todesart und dem jeweils vorangehenden Vergehen gegen Gott her, so dass der Eindruck einer „passenden“ Strafe entsteht.12 Die Auferstehung der Toten ist demgegenüber nicht nachprüfbar oder auch überhaupt fassbar. Auf sie zu vertrauen lässt sich nur indirekt plausibilisieren: Erstens spricht das überprüfbare und – wie eben dargelegt – geradezu exakte Eintreten ihres „dunklen Pendants“, der Vergeltung für Frevler, für ihre Wahrheit.13 Zweitens erscheint das Vertrauen der Brüder, dass Gott aufgrund ihres Todes eine Wende im Geschick des Volkes heraufführen wird, durch den Fortgang der Ereignisse gerechtfertigt und damit implizit auch ihr Vertrauen auf die Auferstehung. Drittens wird die Vorstellung einer Auferstehung theologisch plausibilisiert, indem sie mit der Schöpfung in Verbindung gebracht wird. Diese hat wiederum zwei Aspek9 In 4Makk 6,28f.; 9,24; 12,17; 17,21f. wird dies als stellvertretendes Sühnopfer gedeutet (vgl. ἀντίψυχον, ἵλεως, ἱλαστήριον). Dies ist hier noch nicht so eindeutig (anders: M ITTMANN-R ICHERT, Erzählungen [s. Anm. 6], 55f.). 10 In 2Makk 7,6 mit einer Verheißung der Schrift begründet. 11 SCHWARTZ, 2 Maccabees (s. Anm. 2), 299, schreibt zu Recht von „belief“. 12 Vgl. dazu B. EGO, God’s Justice. The „Measure for Measure“ Principle in 2 Maccabees, in: G.G. Xeravits/J. Zsengellér (Hg.), The Books of the Maccabees. History, Theology, Ideology. Papers of the Second International Conference on the Deuterocanonical Books, Papa, Hungary, 9–11 June, 2005, JSJ.S 118, Leiden 2007, 141–154. 13 Zur Struktur „kurzes Leiden zum ewigen Leben“ versus „Vermeidung von gegenwärtigem Leid mit um so härterer späterer Strafe“ (so insbes. 2Makk 7,36) vgl. S. GATHERCOLE, Where is Boasting? Early Jewish Soteriology and Paul’s Response in Romans 1–5, Grand Rapids (MI) 2002, 53–56.
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te: einen unanschaulichen, nämlich dass Gott alles aus nicht schon Bestehendem geschaffen hat (2Makk 7,23.28), und einen – für damalige Rezipienten – anschaulich erfahrbaren, nämlich dass jeder Mensch im Mutterleib verborgen auf nicht erklärbare Weise entstanden ist (2Makk 7,22). Dass Gott einmal einen Menschen gemacht hat, macht plausibel, dass er dies trotz dessen Tod, ja der Vernichtung von dessen Körper durch Folter, nochmals tun kann.14 Insgesamt ergibt sich also ein ähnliches Bild wie in 2Makk 3: πείθειν bezeichnet in 2Makk 7 das Vertrauen in die von Gott gegebene und garantierte gerechte Ordnung der Welt, nur dass es aufgrund der anderen Rahmenbedingungen in diesem Falle ein Vertrauen in eine Ordnung ist, der die empirische Realität teilweise widerspricht. Zu diesen kognitiven und emotionalen Aspekten tritt ein Handlungsaspekt hinzu: das Festhalten an den traditionellen Bräuchen (verstanden als den von Gott gegebenen Gesetzen) um jeden Preis.15
3. πείθειν in 2Makk 8 Im achten Kapitel des zweiten Makkabäerbuches spielt πείθειν in einem anderen Kontext eine wichtige Rolle. Hier geht es nicht um den Märtyrertod und das mit ihm verbundene Vertrauen auf eine postmortale Rekompensation, sondern es geht um eine militärische Kampfsituation. Weil Judas bei mehreren Guerillaüberfällen und kleineren Scharmützeln erfolgreich ist, entsendet der Statthalter Ptolemaios die Feldherren Nikanor und Gorgias. Diese rücken mit mehr als dreifacher Übermacht gegen Judas und seine Leute vor. Die Haltung und die Erwartungen der verschiedenen Protagonisten auf beiden Seiten werden in der Erzählung deutlich herausgearbeitet: Nikanor ist so siegesgewiss, dass er schon vor der Schlacht den Verkauf der Besiegten als Sklaven organisiert und den Erlös daraus sozusagen schon im königlichen Haushalt verbucht, um nämlich den gegenüber Rom fälligen Tribut aufzubringen (2Makk 8,10f.). Diese Haltung wird vom 14
2Makk 7,28f. ist die nächste Parallele zu Röm 4,17 in der engen argumentativen Verbindung von Schöpfung und Auferstehung; vgl. dazu O. HOFIUS, Die Gottesprädikationen Röm 4,17b, in: ders., Paulusstudien II, WUNT 143, Tübingen 2002, 58–61, 60f.; B. SCHLIESSER, Abraham’s Faith in Romans 4. Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6, WUNT 2/224, Tübingen 2007, 377. 15 In 4Makk steht dafür in ähnlichem Zusammenhang πιστεύειν/πίστις: 4Makk 7,19.21; 15,24; 16,22; 17,2. Vgl. dazu J.W. VAN HENTEN, The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People. A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJ.S 57, Leiden 1997, 132. Zu πείθειν und πιστεύειν im Kontext von Martyrien vgl. auch Dan 3,95θ (3,28 MT) und 6,24θ.
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Erzähler als „nicht mit der gerechten Strafe rechnen (προσδέχεσθαι)“ bezeichnet und zugleich negativ bewertet (2Makk 8,11b). Judas spricht in seiner Feldherrenansprache vor der Schlacht vom „Vertrauen (πεποίθασιν) auf Waffen und Tollkühnheit“ und kontrastiert diesem das „Vertrauen (πεποίθαμεν) auf den Allmächtigen“ (2Makk 8,18). Wieder ist dieses Vertrauen durch – für damaliges Verständnis – nachprüfbare Erfahrungen gerechtfertigt, nämlich durch frühere Siege gegen eine feindliche Übermacht (2Makk 8,19f.).16 Eine innerjüdische Gegenposition stellen die Furchtsamen (δειλανδροῦντες) dar, die „nicht der Gerechtigkeit Gottes vertrauen (ἀπιστοῦντες)“ (2Makk 8,13) und darum vor dem Treffen mit Nikanors Truppen fliehen. Durch einen Vergleich mit der entsprechenden Passage des Ersten Makkabäerbuches wird das theologische Profil des Abschnittes noch deutlicher:17 In 1Makk 3,41 sind es die Kaufleute, die in der Hoffnung auf zahlreiche kriegsgefangene Juden schon vor der Entscheidungsschlacht anreisen. In 1Makk 3,56 werden gemäß Dtn 20,5–8 verschiedene Gruppen von „Kampfuntüchtigen“ vor der Schlacht nach Hause geschickt, darunter die „Feigen“. Diese Erzähldetails unterstreichen einerseits die Gesetzestreue des Judas: Er führt einen rituell korrekten Krieg (vgl. auch 1Makk 3,47–49). Andererseits heben sie die Größe, ja Wunderhaftigkeit des Sieges des Judas hervor. Diese Motive spielen in der Darstellung des Zweiten Makkabäerbuches durchaus auch eine Rolle (vgl. z.B. 2Makk 8,23f.). Wichtiger aber scheint 2Makk 8 zu sein, verschiedene Haltungen wertend zu kontrastieren: Selbstvertrauen (Nikanor), Gottvertrauen (Judas) und mangelndes Gott- und Selbstvertrauen (die Furchtsamen).18 Diese scharf herausgearbeitete Antithese zwischen Selbstvertrauen (bzw. Vertrauen auf irdische Machtmittel) und Gottvertrauen ist ein durchgehendes Stilmittel in der Darstellung des Zweiten Makkabäerbuches:19 In 2Makk 15,6f. wird ebenfalls das übersteigerte Selbstvertrauen des Nikanor, der schon vor der Schlacht den Sieg eingeplant hat, dem Gottvertrauen (πείθειν) des Judas gegenübergestellt, in 2Makk 15,25 auf die jeweiligen Heere ausgedehnt und sinnlich veranschaulicht durch den Kontrast zwischen Trompetenblasen und Schlachtgesängen auf der einen, Gebetsanrufungen auf der anderen Seite. Ähnlich verhält es sich auch in 2Makk 10,34 (auf die Unzugänglichkeit des Ortes vertrauen) und 2Makk 12,14 (auf die
16 2Makk 8,19 spielt auf die Niederlage Sanheribs an (2Kön 19,35f.; Jes 37,36f.). Welche Schlacht gegen die Galater in 2Makk 8,20 gemeint ist, ist unklar. 17 Vgl. dazu S. VON DOBBELER, Die Bücher 1/2 Makkabäer, NSK.AT 11, Stuttgart 1997, 211–214. 18 Ähnlich SCHWARTZ, 2 Maccabees (s. Anm. 2), 335. 19 SCHWARTZ, 2 Maccabees (s. Anm. 2), 77.
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Mauern vertrauen), wo besonders die Negativseite des Gegensatzpaares herausgearbeitet wird.20
4. εὐσέβεια in 2Makk 12 Als nächstes soll nun die Verwendung von εὐσέβεια/εὐσεβής analysiert werden. Beide Lexeme begegnen in 2Makk 12,45. Der Vers bildet den Abschluss der Erzählung über das Sühnopfer für die in der Schlacht bei Odollam Gefallenen. In dieser Erzählung spielt das Motiv der Spiegelstrafe wieder eine große Rolle: In der Schlacht sind genau diejenigen Juden gefallen, die ein Amulett der „Götzen von Jamneia“ unter ihrer Kleidung trugen, das sie vor Verwundung schützen sollte. Ein solches Amulett zu tragen sei Juden im Gesetz verboten.21 Der Tod in der Schlacht wird daher als (passende) Strafe für die Gesetzesübertretung gedeutet (2Makk 12,40).22 Die Reaktion auf diesen Vorfall ist zunächst die zu erwartende: Das Geschehene wird als Bestätigung der göttlichen Gerechtigkeit verstanden (2Makk 12,41). Darauf reagieren die Beteiligten mit einem Kultakt: einem öffentlichen, gemeinsamen Gebet um die „Abwaschung“ der Schuld – zu verstehen wohl in kollektivem Sinne, d.h. dass die Schuld, die die Gefallenen durch ihre Verwendung von Amuletten fremder Gottheiten über die Juden gebracht haben, von ihnen allen weggenommen werde. Zudem wird der Vorfall von Judas paränetisch ausgewertet (2Makk 12,42). Danach wird nun aber auch noch eine Reaktion geschildert, die nach dem bisher Erzählten nicht unbedingt zu erwarten und offensichtlich auch begründungsbedürftig ist: Judas sammelt Geld, um im Tempel einen ἐξιλασμός für die Verstorbenen durchführen zu lassen. Nach dem bisher v.a. in 2Makk 7 Gesagten ist für diejenigen, die in massiver Weise gegen die von Gott gegebenen Gesetze verstoßen, ein früher, qualvoller und/oder unehrenhafter Tod als adäquate Strafe zu erwarten, für diejenigen aber, die in besonderer Weise an der Erfüllung der Gesetze festgehalten und dafür Leid und Tod in Kauf genommen haben, ist eine Auferstehung, verstanden 20 Die weiteren Belege für πείθειν tragen für unser Thema nichts aus: 2Makk 4,34 (mit List Sicherheiten bieten – überreden), 2Makk 4,45 (den König bereden), 2Makk 9,27 (überzeugt sein), 2Makk 10,20 (sich bestechen lassen), 2Makk 11,14 (überreden, überzeugen). 21 Vermutlich ist Dtn 7,25 gemeint. 22 Vielleicht kann man im Hintergrund auch wieder das Thema „richtiges/falsches Vertrauen“ ausmachen: Die Gefallenen haben wie die im vorangehenden Abschnitt Erwähnten ihr Vertrauen auf die Falschen gesetzt. Allerdings wird das nicht explizit gemacht. Die Begründung für die Strafe ist schlicht, dass die Tat im Gesetz verboten ist.
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als leibliche Wiederherstellung,23 verheißen. Darüber hinaus wird in 2Makk 12 allen „in Frömmigkeit Entschlafenen“ (τοῖς μετʼ εὐσεβείας κοιμωμένοις) eine postmortale Belohnung in Aussicht gestellt (2Makk 12,45) und für diejenigen, die von einer ihrer Gesetzesübertretung adäquaten Strafe getroffen worden sind, eine Möglichkeit der postmortalen Sühne eröffnet (2Makk 12,43–44.45b). Dass Judas diese Möglichkeit nutzt, wird als „fromm“ (εὐσεβής) bezeichnet. Was bedeutet nun in diesem Zusammenhang εὐσέβεια/εὐσεβής? Einerseits ist damit wie schon in 2Makk 3,124 ein Verhalten gemeint, das der von Gott gegebenen rechten Ordnung der Welt entspricht, d.h. konkret: das sich durch Beachtung der Gesetze auszeichnet. Die „in Frömmigkeit Entschlafenen“ sind die, die anders als die von Gottes Strafe Getroffenen kein Gesetz übertreten haben. Andererseits bezeichnet „fromm“ ein Werturteil über eine religiöse Vorstellung, einen Glaubensinhalt, nämlich die postmortale Belohnung der in Treue zum Gesetz Verstorbenen. Aus dem Fürwahrhalten dieses Glaubensinhaltes folgt wiederum ein passendes Verhalten, in diesem Falle die Durchführung eines Kultaktes, der die „Unfrommen“ und daher von Gott Bestraften wenigstens nach ihrem Tod in den Zustand der „Frömmigkeit“ redintegriert.
5. πιστός in 2Makk 1 Zuletzt soll nun noch auf das Adjektiv πιστός in 2Makk 1,2 eingegangen werden. Dort heißt es: „Möge Gott euch Gutes tun und seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob, seinen treuen Dienern (τῶν δούλων αὐτοῦ τῶν πιστῶν), gedenken.“ Da diese Bezeichnung sich im ersten Einleitungsbrief findet, ist sie zunächst einmal unabhängig von den bislang untersuchten Stellen innerhalb von 2Makk 2,19–15,39, dem Werk des Epitomators, zu betrachten. Anders als in Neh 9,8/2Esdr 19,8 sowie 1Makk 2,52 und Sir 44,20, wo Abrahams Prädikation als πιστός auf eine bestimmte Passage in der Abrahamserzählung der Genesis – nämlich Gen 15,6 bzw. Gen 22,1–19 – bezugnimmt,25 ist πιστός hier auf Abraham, Isaak und Jakob bezogen und inhaltlich eher unbestimmt, ja beinahe formelhaft. Allerdings wird der Begriff von den Wünschen 2Makk 1,3–5 her gefüllt. Die in diesen Versen 23
Ebenso beim Suizid des Razis (2Makk 14,46). S. dazu o. Abschn. 1. Ähnlich auch in 2Makk 1,19: Die „frommen“ Priester sind diejenigen, die sich an die Kultgesetze halten. Im Gegensatz dazu ist Iason ἀσεβής und die unter ihm amtenden Priester vernachlässigen den traditionellen Kult (2Makk 4,13f., vgl. auch 2Makk 8,2). Vgl. auch GARLINGTON, Obedience (s. Anm. 7), 147f. 25 Vgl. zu diesen Stellen SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 14). 24
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beschriebenen Einstellungen und Verhaltensweisen kann man als beiderseitige Erfüllung der Bundesverpflichtungen verstehen: Auf Seite der menschlichen Bundespartner besteht sie in Verehrung und williger Erfüllung des Gesetzes, auf Seite des göttlichen Bundespartners in gnädigem Wohlwollen und Erfüllung der Gebetswünsche. Wie nun die Briefadressaten als Teilhaber des Bundes Gottes sein sollen, so waren Abraham, Isaak und Jakob als die ursprünglichen Bundespartner Gottes. Als „treue Diener“ zeichneten sie sich durch Verehrung Gottes und Beachtung seines Willens aus und lebten darum in Frieden. Die literarische Beziehung zwischen den das Zweite Makkabäerbuch im jetzigen Zustand eröffnenden Briefen und dem Textcorpus ab 2Makk 2,19 ist umstritten: die Forschungsmeinungen gehen von der Annahme von der Erzählung unabhängiger, ihr später hinzugefügter authentischer Festbriefe bis zur Annahme eines vom Endredaktor des Buches verfassten, fiktiven, mehrteiligen Einleitungsbriefes.26 Hier ist nicht der Ort, darauf weiter einzugehen. Vielmehr sollen mögliche inhaltliche Bezüge zum erzählenden Teil des Buches herauszuarbeiten versucht werden, denn diese können unabhängig davon bestehen, ob ursprünglich selbständige Texte (absichtsvoll) zusammengefügt oder einem Text ein auf ihn aufbauender anderer Text hinzugefügt wurde. Dabei ist zuerst auf den Begriff διαθήκη einzugehen: Dieser in 2Makk 1,2 zentrale Begriff kommt im erzählenden Teil des Buches nur zweimal vor. Dies allerdings in durchaus wichtiger Funktion: In 2Makk 7,36 bezeichnet der letzte der sieben Brüder das, was seine sechs Geschwister nach ihrem Sterben für die Gesetze erwartet, als „unter den Bund Gottes fallen“27. Gemeint ist, wie aus dem Kontext erhellt, dass sie (und er) sich aufgrund der von Gott zugesagten Bundesverpflichtungen darauf verlassen können, dass ihr kurzes Leiden zu ewigem Leben führt (bzw. geführt hat)28 und eine positive Wende für das Volk herbeiführen wird. In 2Makk 8,15 ist zwar die Grundidee – Vertrauen darauf, dass Gott seine Bundesverpflichtungen einhält – dieselbe, der Akzent aber etwas anders. Die Betenden stehen ja an der Wende einer Zeit, in der die menschlichen Bundespartner ihre Bundesverpflichtungen kollektiv nicht erfüllt haben, und darum verweisen sie von sich weg auf die Vorfahren als erste (wie auch in 2Makk 1,2 zu denken: bundestreue) Bundespartner. Als zweites ist nun noch einmal auf die Vorstellung von εὐσέβεια einzugehen. Sie bezeichnet, wie oben ausgeführt, im Rahmen des erzählenden 26
Vgl. dazu MITTMANN-R ICHERT, Erzählungen (s. Anm. 6), 46f.; SCHWARTZ, 2 Maccabees (s. Anm. 2), 519–529; DORAN, 2 Maccabees (s. Anm. 6), 33–38. 27 Übersetzung nach LXX.D. 28 Wie SCHWARTZ, 2 Maccabees (s. Anm. 2), 317, treffend ausführt: „once the brothers paid the price for eternal life, a covenant-keeping God must bestow it upon them“.
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Teils einen Zustand von kollektiver Frömmigkeit auf menschlicher und Garantie von Frieden und Wohlergehen auf göttlicher Seite. Das ist trotz der unterschiedlichen Begrifflichkeit in der Sache durchaus dasselbe wie das, was in 2Makk 1,3–5 ausgeführt wird. Im ersten Einleitungsbrief ist die Sprache hebräisch bzw. biblisch geprägt,29 in 2Makk 3 und 11 griechisch.30
6. „Glaube“ im Zweiten Makkabäerbuch Emisch/objektsprachlich findet sich im Zweiten Makkabäerbuch kein Äquivalent zu „Glaube“ bzw. „glauben“. Zwar hat πιστεύειν durchaus einen religiösen Oberton und πείθειν und εὐσέβεια kommen teilweise dem mit „Glaube“ Gemeinten nahe, aber etwas dem neutestamentlichen oder gar späteren christlich-theologischen Gebrauch von πίστις Vergleichbares gibt es nicht.31 Ist „Glaube“ etisch/metasprachlich ein passendes Konzept, um Vorstellungen des Zweiten Makkabäerbuches sachgerecht und erhellend zu analysieren? Obwohl, wie gesagt, der Begriff „Glaube“ nicht vorkommt und auch ein entsprechendes Konzept jedenfalls als bewusst durchdachtes nicht zu erkennen ist, lassen sich doch verschiedene Aspekte von „Glauben“ finden, die auch miteinander in Beziehung stehen, so dass sich insgesamt ein Vorstellungskomplex ausmachen lässt, der mit dem, was später im christlichen Bereich mit „Glaube“ bezeichnet wird, sinnvoll in Ähnlichkeiten und Unterschieden verglichen werden kann: a) Glaube im Sinne des Fürwahrhaltens bestimmter Glaubensinhalte (belief): Das Zweite Makkabäerbuch impliziert in seiner Geschichtserzählung die Ansicht und macht sie teilweise durch Autorenkommentare und durch Äußerungen oder Taten seiner Protagonisten explizit deutlich, dass es in der Welt so etwas wie eine gerechte göttliche Ordnung gibt. Diese Ordnung hat auch einen eschatologischen Aspekt, insofern Frevler eines zu ihrem Vergehen passenden grausamen Todes sterben und „in Frömmigkeit Entschlafene“ und insbesondere Märtyrer auferstehen werden. Diese Glaubensinhalte werden, da sie der Erfahrung teilweise widersprechen oder ihr nicht zugänglich sind, mithilfe verschiedener Strategien plausibilisiert: durch historische Exempla, durch theologische Argumentation und durch Verweis auf Autoritäten. 29 Je nachdem, ob man den Text für einen übersetzten echten Brief hält oder einen fiktiven, nach Septuagintastil gestalteten. 30 Vgl. dazu D. KAUFMANN-B ÜHLER, Art. Eusebeia, RAC 6 (1966), 986–1052, 986– 1020. 31 Insofern lässt sich die Einschätzung bei LÜHRMANN, Pistis (s. Anm. 1), 26, bestätigen.
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b) Glaube im Sinne von Vertrauen (faith): Das Zweite Makkabäerbuch macht in verschiedenen Zusammenhängen klar, dass zum Wissen und Fürwahrhalten des Glaubensinhaltes eine affektive Einstellung hinzugehört. Die positiv gezeichneten Protagonisten des Werkes haben Vertrauen in Gottes gerechte Ordnung. Der Kontrast zwischen diesem als richtig bewerteten Gottvertrauen und überheblichem Vertrauen auf eigene Fähigkeiten oder glückliche Umstände ist ein prägendes Motiv des Buches. c) Glaube im Sinne von Treue (faithfulness): Das genannte Vertrauen wird als handlungsleitend dargestellt. Es motiviert zum Halten der von Gott gegebenen väterlichen Gesetze, selbst in Situationen, in denen es augenscheinlich nur Nachteile mit sich bringt – bis hin zum Martyrium.32 Denn aufgrund von Gottes Treue zu seinen Bundesverpflichtungen werden diese Nachteile von umso größeren positiven Folgen aufgewogen, für das Volk als ganzes, das in einen Zustand von Frieden und Wohlergehen zurückkehren kann, und für den Einzelnen. Die Unterschiede insbesondere zum paulinischen Konzept von Glauben33 sind evident: Selbstverständlich kann „Glaube“ im Zweiten Makkabäerbuch nicht wie bei Paulus christologisch orientiert sein. Doch nicht nur dies – es geht überhaupt nicht um die Reaktion auf eine klar definierte vorausgehende Botschaft, also etwas, dem bei Paulus das „Evangelium“ entspräche. Darum kann auch nicht Glaube, d.h. die Zustimmung zu dieser Botschaft, ein identitätsstiftendes Gruppenmerkmal sein, wie dies bei Paulus der Fall ist. Diese Stelle nimmt im Zweiten Makkabäerbuch vielmehr die beiderseitige Bundestreue (faithfulness) ein: „Dazu“ gehört, wer seine Pflichten gegenüber Gott (und den anderen Menschen) treu erfüllt, d.h. „fromm“ (εὐσεβής) ist.34 Allerdings steht diese Treue nicht isoliert, sondern in engem Zusammenhang mit Vertrauen auf Gott (faith) und darum auch mit dem Fürwahrhalten bestimmter Aussagen über Gottes Handeln (belief). Die Wahrheit dieser Aussagen, das Gerechtfertigtsein dieses Vertrauens und darum die Richtigkeit (und der letztendliche Erfolg) des entsprechen32
Das ist dem Vierten Makkabäerbuch durchaus vergleichbar. Dort werden anders als im Zweiten Makkabäerbuch in diesem Sinne mehrfach die Begriffe πιστεύειν/πίστις verwendet (4Makk 7,19.21; 8,7; 16,22). Vgl. REYNOLDS, Faith (s. Anm. 7). 33 Zu Glaube bei Paulus gibt es eine Flut von Literatur. Ich weise darum an dieser Stelle nur auf die m.E. sehr präzisen und gelungenen Ausführungen bei M. W OLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 72–86, hin. 34 Dies in Übereinstimmung mit den meisten Schriften des antiken Judentums, vgl. G. STEMBERGER, Art. Glaube VI. Judentum 1. Antike, RGG4 3 (2000), 977–979; D.D. SWANSON, Art. Faith III. Judaism. A. Second Temple and Hellenistic Judaism, EBR 8 (2014), 702f., 702: „What the literature of the period seems to show is that the nature of ‚faith‘ is primarily that of fidelity, loyalty, and truthfulness. ‚Believing‘ is acknowledging honor or fidelity, confirming truthfulness, largely in a covenantal context.“
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den Tuns werden im Zweiten Makkabäerbuch immer wieder narrativ und argumentativ zu plausibilisieren versucht. Ja, man kann sagen, dass dies das (oder zumindest: ein) Ziel des Buches insgesamt sei. Insofern soll das Zweite Makkabäerbuch ein „Glauben“ stärkendes Buch sein.
Der Begriff des „Glaubens“ in der rabbinischen Traditionsliteratur MICHAEL TILLY
1. Einleitung „Der Nomismus des rabbinischen Judentums hat auch den Glauben völlig in seine Fesseln geschlagen“1 – so urteilt Strack-Billerbecks Kommentar zum paulinischen Rekurs auf den Glauben Abrahams in Röm 4,2f. Etwas differenzierter, aber sachlich durchaus vergleichbar, schreibt Rudolf Bultmann im Jahre 1959 in seinem Artikel πιστεύω κτλ. im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament über den rabbinischen Glaubensbegriff: „Infolge der Kanonisierung der Tradition in der ‚Schrift‘ gewinnt die gehorsame Treue den Charakter des Gesetzesgehorsams, dh sie ist nicht mehr eigentlich Treue gegen das erfahrene Handeln Gottes in der Geschichte im Vertrauen auf sein künftiges Handeln in ihr.“2 Fast zwei Jahrzehnte später gelangt auch der amerikanische Neutestamentler David E. Aune zu einem ähnlichen Schluss: „When we inquire into the central religious concerns which dominated the life and thought of Rabbinic Judaism, precisely what we do not find is the preoccupation with ideas and theories concerning God, Israel and Torah. For Rabbinic Judaism, as for modern Jewish Orthodoxy, the central religious concern was and remains the ritual purity and ethical behavior which was shaped by and itself shaped halakah.“3 Innerhalb des neuzeitlichen Judentums nimmt die Überzeugung, das rabbinische Judentum kenne (im dezidierten Gegensatz zum zeitgenössischen Christentum) eigentlich noch keine verbindliche Festlegung von Glaubensinhalten, ebenfalls breiten Raum ein. So schreibt bereits der Begründer des Conservative Jewish Movement, Solomon Schechter, im Jahre 1909 über die Rabbinen: „With God as a reality, Revelation as a fact, the 1 H.L. STRACK/P. B ILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München 91979, 188. 2 R. BULTMANN, πιστεύω κτλ. C. Der Glaube im Judentum, ThWNT 6 (1959), 197– 203, 201. Vgl. a.a.O., 199: „Doch ist bemerkenswert, daß in der rabb Lit der Glaube einseitig als Gesetzesgehorsam verstanden wird.“ 3 D.E. AUNE, Orthodoxy in First Century Judaism? A Response to N.J. McEleny, JSJ 7 (1976), 1–10, 6.
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Torah as a rule of life, and the hope of Redemption as a most vivid expectation, they felt no need for formulating their dogmas into a creed.“4 Und auch der jüdische Historiker Shaye J.D. Cohen merkt an: „Ancient Judaism in general and Rabbinic Judaism in particular did not have creeds.“5 In diesem Beitrag soll kritisch danach gefragt werden, ob bzw. inwieweit die in den angeführten Positionen zum Ausdruck kommende Überzeugung, das rabbinische Judentum kenne nur eine Orthopraxie, aber eben keine Orthodoxie, als zutreffend betrachtet werden kann.6 Dabei möchte ich mich dem Gegenstand meiner Untersuchung auf verschiedene Weise nähern. In einem ersten Abschnitt wird der lexigraphische Befund einer eingehenden Betrachtung unterzogen und in einem zweiten Abschnitt nach den Inhalten gefragt, die in der rabbinischen Traditionsliteratur mit dem Glaubensbegriff in Verbindung gebracht werden. Im dritten Abschnitt geht es auf der Basis von mSan 10,1 um den Begriff der „Rechtgläubigkeit“ und um seine Konturen. Der vierte Abschnitt widmet sich den Funktionen des Glaubensbegriffs und der Frage nach seinem bestimmbaren „Sitz im Leben“. Am Ende des Beitrags steht eine thesenhafte Zusammenfassung der Einzelergebnisse.
2. Der Begriff „Glaube“ bei den Rabbinen 2.1 Der lexigraphische Befund in der rabbinischen Traditionsliteratur Der Gebrauch des Nomens אמונהin den hebräischen heiligen Schriften7 ist grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, dass das zumeist mit „Gewissenhaftigkeit“8 wiederzugebende Wort in Anwendung auf Menschen9 oder auf ein überempirisches Sein, d.h. auf den Gott Israels10, keine unbestimmte 4
S. SCHECHTER, Some Aspects of Rabbinic Theology, London 1909, 12. Vgl. J. GUTTMANN, Die Philosophie des Judentums, München 1933, Ndr. Wiesbaden 1985, 39–54; A. ALTMANN, Art. Articles of Faith, EJ 3 (1972), 654–660, 654; M. W IENER, Art. Glaube, JL 2 (1927), 1163f., 1164: „Im J.-tum, das den Schwerpunkt des frommen Lebens in die Erkenntnis und Übung des Gesetzes verlegte, ist der Riß, den das Glauben durch das natürliche Denken zieht, nie mit solcher Heftigkeit gefühlt worden. Gewiß liegt das zum Teil daran, daß der Vernunft niemals jene Opfer zugemutet wurden wie beim Christentum.“ 5 S.J.D. COHEN, A Virgin Defiled. Some Rabbinic and Christian Views on the Origins of Heresy, USQR 36 (1980), 1–11, 5. 6 Vgl. G. STEMBERGER, Glaube im rabbinischen Judentum, ThLZ 139 (2014), 1113– 1130. 7 Vgl. A. JEPSEN, ART. אמן, ThWAT 1 (1973), 313–348, 341–345. 8 J EPSEN, אמן, (s. Anm. 7), 343. 9 Vgl. z.B. 1Sam 26,23; 2Kön 12,16; 22,7; Spr 12,17.22; Jer 5,1.3 u.ö. 10 Vgl. z.B. Dtn 32,4; Ps 33,4; 36,6; Jes 25,1; Klgl 3,23 u.ö.
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Haltung, sondern ein bestimmtes Verhalten zum Ausdruck bringt.11 Wenn es also in Hab 2,4 heißt: „Der צדיקwird באמונתוleben“, dann ist mit dem Nomen actionis אמונהzunächst kein „Fürwahrhalten“ bestimmter Glaubensinhalte oder gar ein objektivierbarer Zustand der „Glaubenstreue“ gemeint, sondern ein durch besondere Gewissenhaftigkeit gekennzeichnetes und relational orientiertes Verhalten des Gerechten.12 Auch in den normativen und narrativen Überlieferungen der Rabbinen während der formativen Periode des Judentums zwischen 70 n.Chr. und dem Abschluss des babylonischen Talmuds (7. Jahrhundert n.Chr.) stehen die hebräische Verbalform אמן, die Nif’alform נאמןund die Hif’ilform האמין sowie die von der Wurzel אמןabgeleiteten, inhaltlich zusammenhängenden Begriffe אמונהund אמנהin unterschiedlichen Kontexten zumeist für „Glauben“ im Sinne eines vertrauenden oder zuversichtlichen Verhaltens bzw. Verhältnisses.13 So hält mPea 8,2 fest, dass ein Armer, der auf dem Markt Weizen verkauft, generell beglaubigt bzw. glaubwürdig ( )נאמןist, da seine Ware sicher von Pea herrührt und deshalb nicht verzehntet werden muss. Glaubwürdig ( )נאמןist die Aussage der vergewaltigten Frau in mKet 2,2; glaubwürdig ( )נאמנותhinsichtlich der Überbringung eines Scheidebriefes sind gemäß mGit 2,7 auch die weiblichen Verwandten eines Mannes, der seine Frau fortschicken möchte. In der jerusalemischen Gemara (jGit 44c,11) zu dieser Mischna schließt sich die Frage an, ob sie auch glaubwürdig sind, wenn der Get nicht unter Anwesenheit von Zeugen unterschrieben wurde: „Kann man ihr Vertrauen entgegenbringen (אותה “?)מאמיניםAls glaubwürdig ( )נאמןerachtet R. Jehuda (bar Ilai [T 3]) die Aussage der auswärtigen Händler, das von ihnen zum Verkauf in die Stadt gebrachte Getreide sei bereits verzehntet (mDemai 4,7). mDemai 2,2 betont, dass man, um gewissenhaft ( )נאמןzu sein, alles, was man kauft, genießt und verkauft, verzehnten muss; mDemai 4,1 merkt an, dass man von Früchten, die man von einem Verkäufer erworben hat, der in Bezug auf die Verzehntung seiner Waren nicht als gewissenhaft gelten kann (מי )שאינו נאמן, nicht ohne weiteres essen darf. In mBB 10,8 begegnet ein Gläubiger, der jemandem im Vertrauen ( )אמונתוauf dessen Bürgen Geld geliehen hat. Im Anhang zu mAv (6,5) ist im Kontext einer listenartigen Aufzählung von Eigenschaften des idealen Toragelehrten die Rede von dem Vertrauen, das man den Weisen entgegenbringt ()אמונת חכמים. In mSo11
Vgl. M. KELLNER, Must a Jew Believe Anything?, Oxford 22006, 43: „The Torah understands emunah, faith or belief, less in terms of propositions affirmed or denied by the believer (‚belief that‘) and more in terms of relationship (primarily of trust) between the believer and God (‚belief in‘).“ 12 Vgl. W. RUDOLPH, Micha – Nahum – Habakuk – Zephanja, KAT 13/3, Gütersloh 1975, 216. 13 Vgl. E.E. URBACH, The Sages: Their Concepts and Beliefs, Cambridge 41995, 35: „In the Rabbinic idiom, the Word ’ëmùnä retained its original sense of ‚trust‘.“
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ta 9,12 wird erwähnt, dass es nach der Zerstörung des Heiligtums keine „( אנשי אמנהgewissenhaften Männer“) mehr gegeben habe. Es ist bereits hier anzumerken, dass dieser semantisch „offene“ Ausdruck im Verlauf der rabbinischen Tradition sukzessive eine begriffliche Klärung erfuhr. Während nämlich jSota 24b,58f. die אנשי אמנהals אנשי אמנה תורהinterpretiert, deutet bSota 48b sie als „( בני אדם שהן מאמינין בהקב״הMenschen, die auf Gott vertrauen“). Hieran schließt sich zunächst eine unter dem Namen R. Eliezer (ben Hyrkanos [T 2]) tradierte Baraita an, in der es heißt: „Wer Brot im Korb hat und sagt: ‚Was werde ich morgen essen?‘, gehört zu denen, die klein im Vertrauen ( )מקטני אמנהsind.“ Diese „Kleinheit“ ()קטנות der Frevler Israels wird in bSota 49a dahingehend erläutert, dass sie nicht auf Gott vertrauen, sondern sich seinem heilvollen Geschichtsplan widersetzen.14 Im jerusalemischen und im babylonischen Talmud setzt sich der spezifische Wortgebrauch der Mischna generell fort. So heißt es in jPea 15d,13f., Gott habe den Lohn derer, die gemäß den Geboten der Tora handeln, unwägbar gemacht, damit man nicht aus sicherem Kalkül, sondern stets aus vertrauensvoller Zuversicht ( )באמונהhandelt.15 In jSota 18b,3–5 wird die Akklamationsformel אמןals Ausdruck der festen Zuversicht gedeutet, dass etwas eintreten möge ()אמן ייאמנו הדברים. In bKet 19a/b werden ein Vertrauensschuldschein ( )שטר אמנהund die Glaubwürdigkeit ( )אמנהder Zeugen eines Rechtsgeschäfts erwähnt und bKet 102a setzt den Fall, dass jemand nachträglich eine Bürgschaft im unerschütterlichen Vertrauen ()על אמונתו auf die Redlichkeit des Schuldners übernimmt. Von der mangelnden Vertrauenswürdigkeit ( )אין נאמניםder Zeugen eines Rechtsgeschäftes ist in bBB 48b die Rede, von der Untreue aller Nichtjuden bei Handelsgeschäften ( )אין אמונה גויin bChul 133b. In bAS 55a findet sich ein unter dem Namen R. Akibas (T 2) tradiertes Gleichnis, das von einem ehrlichen Mann ( )אדם נאמןerzählt, bei dem einmal jemand einen Geldbetrag deponierte, ohne dass Zeugen anwesend waren, und dessen Frau ihm die Unterschlagung dieses Geldes vorschlug. Der Mann weigerte sich und begründete ihr gegenüber sein gewissenhaftes Verhalten damit, dass man seine erworbene Vertrauenswürdigkeit wegen eines Narren nicht aufgeben dürfe ()אנו נאבד את אמונתינו. Ein über den privatrechtlichen Kontext hinausgehender Gebrauch des Wortes begegnet zunächst in bTaan 28a, wo es heißt, der rechte Weg des Menschen bestehe darin, dass er an der strengen Gewissenhaftigkeit ( )אמונה יתירהfesthalte. Den אנשי אמנהaus mSota 9,12 entsprechen die in bTaan 8a begegnenden בעלי אמנהals Vorbilder des jüdi14 Zum Glaubensbegriff in der tannaitischen Literatur vgl. A. SCHLATTER, Der Glaube im Neuen Testament, Calw 31905, 17–66. 15 Vgl. F. AVEMARIE, Tora und Leben, Untersuchungen zur Heilsbedeutung der Tora in der frühen rabbinischen Literatur, TSAJ 55, Tübingen 1996, 356.
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schen Frommen. Das folgende, unter dem Namen R. Ammis (ben Natan [A 3]) tradierte Diktum spezifiziert diese Vorbilder als „solche, die auf Gott vertrauen“ ()המאמין בהקב״ה. In bAS 16b wird von R. Eliezer erzählt, dass er von der römischen Obrigkeit festgesetzt und verhört wurde. Während des Verhörs sagte er zum Hegemon: „Der Richter hat mein Vertrauen“ ()נאמן עלי דיין, worauf er wieder freigelassen wurde – tatsächlich hatte R. Eliezer nicht seinen irdischen Richter, sondern Gott gemeint. Die von dem jüdischen Frommen geforderte Solidarität im Vertrauen auf die umfassende göttliche Fürsorge wird in bBez 15b mittels eines Ausspruchs R. Jochanans (bar Nappacha [A 2]) im Namen R. Eleazars b. Simeon (T 4) begründet: „Gott sprach zu Israel: Vertraut auf mich, denn ich werde es bezahlen“ ()ואני פורע האמינו בי. Die Vorstellung des vertrauenden Glaubens dient auch der Darstellung des besonderen Gottesverhältnisses Israels. So werden die Israeliten in einem Diktum Resch Laqischs (A 2) in bShab 97a unter expliziter Bezugnahme auf die Exodus- (Ex 4,31) und auf die Abrahamtradition (Gen 15,6) als „Gläubige, Kinder von Gläubigen“ bezeichnet ()הן מאמינים בני מאמינים. Überhaupt gilt Abraham als vorbildhafte Idealfigur des vertrauenden Glaubens an Gott.16 Die schwerste Versuchung bzw. Prüfung seiner אמונה war für die Rabbinen die Bindung Isaaks („Akeda“; Gen 22), bei der der Patriarch von Gott versucht wurde, in der Ausführung seines Befehls zu zögern und daran zu zweifeln, dass dieser ihm das Verlangte tatsächlich auferlegte (vgl. BerR 55,1 zu 22,1 [p. 257,7–9 Mirkin]).17 Dieser dramatische Akt des unbedingten Gottvertrauens und Gehorsams wurde zum zentralen Modell der jüdischen Leidbewältigung in allen Notsituationen (vgl. mTaan 2,4f.); die letztendlich tröstende und hoffnungstiftende Bedeutung dieser Erzählung ist noch heute regelmäßig erfahrbar in der Schriftlesung aus Gen 22 während des synagogalen Gottesdienstes am Neujahrstag Rosch ha-Schana. Von hoher Bedeutung hinsichtlich unserer Fragestellung ist der tannaitische Midrasch Mekhilta de Rabbi Jischmael, ein textkontinuierlich vorgehendes Sammelwerk von rabbinischen Auslegungen zu Ex 12–14. Er enthält im Kontext einer aktualisierenden Deutung des Exodusgeschehens eine ganze Reihe von Bezugnahmen auf die Wörter אמןund אמנה. In MekhJ Beschalach 4 zu 14,15 (p. 98,15 Horovitz-Rabin) begegnet ein Diktum R. Jehudas (ha-Nasi [T 4]), das die Ermöglichung des Schilfmeerdurchzugs durch Gott mit dem Glauben begründet, den Israel ihm bisher 16
Vgl. M. T ILLY, Abraham im Judentum. Der Stammvater Israels als Erinnerungsfigur jüdischer Identität, GuL 28 (2013), 19–31. 17 Vgl. H.-J. BECKER, „In zehn Prüfungen erprobt…“. Abrahams Versuchungen in Talmud und Midrasch, in: R.G. Kratz/T. Nagel (Hg.), „Abraham, unser Vater“: Die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2003, 86–97, 88.
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entgegengebracht hat ()האמנה שהאמינו.18 Auch Schemaja und Avtaljon begründen diese Heilstat Gottes ausdrücklich mit dem Glauben Israels; begründet wird dies mit Gen 15,6 und Ex 4,3 (MekhJ Beschalach 4 zu 14,15 [p. 99,1–4 Horovitz-Rabin]).19 Dem entgegen steht eine Tradition, wie sie in bNed 32b begegnet, wo die ägyptische Knechtschaft als Folge des mangelnden Gottvertrauens Abrahams gedeutet wird, und wie sie dem TPsJ zu Gen 15,13 zugrunde liegt, wo das Wort Gottes an Abraham „Deine Nachkommen werden Fremde sein in einem Land, das nicht das ihre ist“ in begründender Weise ergänzt wird durch „weil du nicht geglaubt hast“ (חלף )דלא הימנת. In MekhJ Amalek 1 zu 17,11 (p. 180,3 Horovitz-Rabin) ist zu lesen, dass die Israeliten, solange Mose während des Kampfes gegen die Amalekiter die Hand hob, auf ihn blickten und an den glaubten ()מאמינין, der ihm befohlen hatte, solches zu tun, worauf das Schlachtenglück auf ihre Seite wechselte. Im Hinblick auf die Versorgung des Volkes durch Manna vom Himmel wird in MekhJ Wajassa 2 zu 16,4 (p. 161,11 Horovitz-Rabin) jeder, der von dem, was Gott ihm zu essen gab, etwas für den morgigen Tag aufbewahrt, als kleingläubig ( )מחוסר אמנהbezeichnet.20 Ebenso werden in MekhJ Wajassa 4 zu 16,19 (p. 167,14 Horovitz-Rabin) alle, die Manna horteten, weil sie der göttlichen Fürsorge nicht vertrauten, „Kleingläubige in Israel“ ( )מחוסרי אמנה שבישראלgenannt. Dem entspricht einerseits TPsJ zu Num 11,32, wo die Israeliten, die die Wachteln bevorrateten, als Kleingläubige ( )מחסרי הימנותאcharakterisiert werden, und andererseits ARN B 10 (p. 26,14–16 Schechter), wo die „Kleingläubigen“ ( )מחוסרי אמנהallein auf diesseitige Vergeltung hoffen, während die Weisen die Belohnung der glaubenden Gerechten in der kommenden Welt erwarten.21 In MekhJ Beschalach 7 zu 14,31 (p. 114,8–115,15 Horovitz-Rabin) begegnet ein ausführlicher Midrasch, der insbesondere den Glauben Israels thematisiert.22 Der Abschnitt beginnt mit einer schriftgelehrten Deutung des Verbs ויאמינוin dem als Parallelismus membrorum gestalteten Vers „( וייראו העם את־יהוה ויאמינו ביהוה ובמשה עבדוUnd das Volk fürchtete Jahwe und sie vertrauten auf Jahwe und seinen Diener Moses“). Die Stelle soll lehren, dass zum einen jedem Israeliten, der an den „treuen Hirten“ (רועה )נאמן, d.i. Moses, glaubt, dasselbe Verdienst vor Gott zukommt wie dem, der an den Schöpfer selbst glaubt (p. 114,9f. Horovitz-Rabin), und dass zum anderen jeder, der dem רועה נאמןzuwider redet, zugleich dem Schöpfer selbst zuwider redet (p. 114,11f. Horovitz-Rabin). Der Glaube der 18
Vgl. STEMBERGER, Glaube (s. Anm. 6), 1117. Vgl. URBACH, Sages (s. Anm. 13), 31. 20 Vgl. Mk 11,23. 21 Vgl. AVEMARIE, Tora (s. Anm. 15), 369–371. 22 Vgl. STEMBERGER, Glaube (s. Anm. 6), 1118–1120.
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Israeliten an den Schöpfer ist indes groß ( )גדולה האמנה שהאמינו ישראלund als Lohn ihres Glaubens ruht der heilige Geist auf ihnen (p. 114,13f. Horovitz-Rabin). An dieser Stelle merkt der Midrasch an, dass auch Abraham gemäß Gen 15,6 allein aufgrund des Verdienstes des Glaubens an Gott ( )בזכות אמנה שהאמין בה׳für seine Nachkommen diese Welt und die zukünftige Wert ererbte (p. 114,16 Horovitz-Rabin). Das folgende Diktum R. Nechemjas (T 3) hält fest, dass jeder, der auch nur ein einziges Gebot im Glauben ( )באמנהauf sich nimmt, des heiligen Geistes würdig ist (p. 114,17f. Horovitz-Rabin).23 Der Hinweis darauf, dass die Israeliten zur Belohnung ihres Glaubens ( )בשכר האמנהaus der ägyptischen Knechtschaft befreit wurden (p. 114,22 Horovitz-Rabin), wird mittels Ex 4,31 und Ps 31,24 begründet. Am Ende des Abschnitts wird zunächst die Geltung der בעלי אמנהals Vorbilder des jüdischen Frommen mittels Jes 26,2 verdeutlicht, wo von dem גוי־צדיק שמר אמניםdie Rede ist (p. 115,2–4 HorovitzRabin), und sodann der Lohn der in Ps 92,2–4 besungenen Freude mit dem Lohn des Glaubens ( )שכר האמנהder Väter Israels identifiziert (p. 115,6 Horovitz-Rabin), was seinerseits eine ausführliche Begründung mittels 2Chr 20,20; Jer 5,3; Hab 2,4; Klgl 3,23; Hhld 4,8; Hos 2,23 und Ps 106,12 erfährt (p. 115,7–15 Horovitz-Rabin). Hinsichtlich des Bedeutungsspektrums der Wörter אמן, אמונהund אמנהin der rabbinischen Traditionsliteratur ist zusammenfassend festzuhalten, dass bei ihrer (im biblischen Wortgebrauch wurzelnden) Verwendung in zwischenmenschlichen und insbesondere privatrechtlichen Kontexten zumeist entweder ein durch den Augenschein nicht gedecktes, unbedingtes Vertrauen oder eine unkalkulierte aufrichtige Gewissenhaftigkeit bzw. Glaubwürdigkeit zum Ausdruck gelangt. In beiden Fällen wird hierbei kein objektivierbarer Glaubensinhalt, sondern ein hierarchisch-relationales bzw. reziprokes Vertrauensverhältnis dargestellt: „Judaism … defines the term faith less in terms of specific propositions that are to be accepted or rejected (beliefs) than in terms of trust and reliance.“24 Hinsichtlich der Explikation des Gottesverhältnisses des einzelnen Frommen und ganz Israels bedeutet „Glauben“ sowohl das voraussetzungslose Vertrauen auf die vergeltende göttliche Gerechtigkeit und Fürsorge25 als auch das hiermit korrespondierende gewissenhafte Verhalten bzw. die
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Vgl. URBACH, Sages (s. Anm. 13), 35. M. KELLNER, Dogma, in: A.A. Cohen/P. Mendes-Flohr (Hg.), Contemporary Jewish Religious Thought, New York 41988, 141–146, 142. 25 Vgl. E. B AMMEL, Art. Glaube III. Zwischentestamentliche Zeit und rabbinisches Judentum, TRE 13 (1984), 304–305, 305: „Im rabbinischen Schrifttum … ist mit dem Wort zuallererst die willige Annahme und ständige Aneignung der Zusicherung Gottes gemeint.“ 24
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Treue zu Gottes Geboten in allen Lebensbereichen.26 Insbesondere in Mekhilta de Rabbi Jischmael wird „als Glaube immer wieder das vorbehaltlose Vertrauen auf Gottes Wort, ob Geheiß oder Versprechen, bezeichnet, durch das Israel die Kraft zu einem Handeln wider allen Augenschein und wider jede irdische Vernunft gewinnt.“27 Das Antonym von אמונהals Ausdruck der Gottesbeziehung ist somit nicht „Unglaube“ im Sinne einer Negation der Existenz Gottes, sondern mangelndes Gottvertrauen.28 Dieser affektive Glaubensbegriff geht nicht in der Orthopraxie auf. Zwar belohnt Gott die Gewissenhaftigkeit ebenso wie er mangelndes Gottvertrauen der kleingläubigen Frevler Israels bestraft, doch ist der zu erwartende Lohn für den Menschen niemals berechenbar oder gar garantiert. 2.2 Konturen eines rabbinischen Glaubensbegriffs Wenn die Untersuchung des lexigraphischen Befundes den Schluss nahelegt, dass die Rabbinen sehr wohl einen Glaubensbegriff besaßen, mit dem sie Aspekte der jüdischen Identität in ihrer Relation zum Mitmenschen und zu Gott darstellen konnten, dann stellen sich die Fragen, ob dieser Glaubensbegriff auch eine kognitive Dimension hat, ob er mit bestimmten benennbaren Glaubensinhalten verbunden ist und worin diese Inhalte bestehen. Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang auf die Uneinheitlichkeit bzw. innere Differenzierung der rabbinischen Tradition hinzuweisen, in der sich der prinzipielle Pluralismus der Meinungen und deren Konzentration und Sichtung als gegenläufige Tendenzen wiederfinden.29 Das Fehlen einer zentralen und allgemein anerkannten Lehrinstanz verhinderte durchweg die Entstehung eines als verbindlich geltenden Systems expliziter Glaubenslehren oder gar eines kohärenten systematisch-theologischen Lehrgebäudes. Unbestritten ist im rabbinischen Judentum die grundlegende soteriologische Bedeutung der Tora in ihrer schriftlichen und mündlichen Gestalt: „Personal salvation … did not depend upon orthodoxy in the strict sense of the term … but upon submission to the will of God as expressed in the
26 AVEMARIE, Tora (s. Anm. 15), 356. Vgl. G. STEMBERGER, Art. Glaube VI. Judentum 1. Antike, RGG4 3 (2000), 977–979, 978. 27 AVEMARIE, Tora (s. Anm. 15), 375 mit Anm. 103. 28 Vgl. URBACH, Sages (s. Anm. 13), 31: „The antithesis to heresy is faith. But just as we find that heresy is not the negation of God’s existence, but the denial of His providence, so the belief in God is not merely the recognition of His existence, but trust in Him.“ 29 Vgl. J. MAIER, Geschichte der jüdischen Religion, Berlin 1972, 160; D. B OYARIN, Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo-Christentums, ANTZ 10, Berlin 2009, 318.
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commandments of the Torah.“30 Dennoch erschöpft sich der rabbinische Glaubensbegriff nicht in der zuverlässigen Erfüllung der Toragebote. Die Rabbinen kannten neben der Gebotserfüllung und den „orthopraktischen“ traditionellen Bundeszeichen bzw. gemeinschaftlichen Identitätsmerkmalen (Beschneidung, Sabbatobservanz, Reinheitsbestimmungen und Speisegebote) durchaus auch eine Reihe von integrativen und distinktiven religiösen Überzeugungen als identitätstiftende und allgemein verbreitete Kennzeichen der Zugehörigkeit zum Judentum.31 Als Belege zu nennen sind zunächst die zweifache tägliche Rezitation des von den zentralen Glaubensinhalten Schöpfung, Offenbarung und Erlösung bestimmten „Schema Jisrael“ (vgl. mBer 1,1–2,8; tBer 1,1–9; 2,1.17.20) und die „Amida“ bzw. „Tefilla“, das „Achtzehngebet“ ( ;שמנה עשרהvgl. mBer 4,3–5,5; tBer 3,1–26), das in seinen ersten drei Berachot eine deutlich ausgeprägte Glaubenslehre enthält: Gepriesen seist du JHWH, unser Gott und Gott unserer Väter, Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs, großer, mächtiger und furchtbarer Gott, höchster Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde, unser Schild und Schild unserer Väter, unser Vertrauen in allen Geschlechtern! Gepriesen seist du, JHWH, Schild Abrahams! Du bist ein Held, der Hohe erniedrigt, der Starke, der die Gewalttätigen richtet, der ewig Lebende, der die Toten auferstehen lässt, der den Wind wehen lässt und den Tau herniederfallen, der die Lebenden versorgt und die Toten lebendig macht, in einem Augenblick möge uns Hilfe sprossen. Gepriesen seist du, JHWH, der die Toten lebendig macht! Heilig bist du und furchtbar dein Name, und kein Gott ist außer dir. Gepriesen seist du, JHWH, heiliger Gott!
Zur Sprache kommen hier der Glaube an den einig-einzigen, ewigen, allmächtigen und allwissenden Gott Israels als Schöpfer und Erhalter der Welt, als Führer und Beistand seines Volkes und als Richter und Erwecker der Toten. Durch ihre stetige Wiederholung eingeprägt erlangte die betende Vergegenwärtigung der Glaubensinhalte der Amida (ebenso wie die Rezitation des „Schema Jisrael“) die Funktion deklaratorischer Bekenntnisakte.32 Die einzelnen Bekenntnisformeln der Amida waren allerdings nicht von Anfang an fixiert, sondern konnten von Ort zu Ort nach Bedarf modifiziert werden (vgl. tBer 7,21). Fest standen allein ihre Anzahl und wohl auch die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Themen. Ein einheitlicher Wortlaut der 18 (bzw. 19) Berachot der Amida bildete sich erst im
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M. KELLNER, Dogma in Medieval Jewish Thought. From Maimonides to Abravanel, The Littman Library of Jewish Civilization, Oxford 1986, 2. 31 Vgl. B OYARIN, Abgrenzungen (s. Anm. 29), 92. 32 Vgl. A. FINKEL, Art. Glaubensbekenntnis(se) III. Judentum, TRE 13 (1984), 388– 392, 389.
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Verlauf eines längeren redaktionellen Vereinheitlichungsprozesses heraus.33 Auch in der rabbinischen Literatur spiegeln sich diese „ground patterns of thought and basic concepts“34 wider. An mehreren Stellen begegnen das Bekenntnis zu dem einen Gott Israels (z.B. tSchevu 3,6; bMeg 13a)35 und zur präexistenten Tora (z.B. BerR 1,1 zu 1,1 [p. 3,8f. Mirkin]) als Gabe und Aufgabe (z.B. ShemR 47,1 zu 34,27 [p. 110,24–26 Mirkin]),36 das jüdische Selbstverständnis als auserwähltes „Werkzeug des göttlichen Geschichtshandelns“37 (z.B. WaR 23,3 zu 18,3 [p. 45,9f. Mirkin]), und der Glauben an die Auferweckung der Gerechten und ein ausgleichendes Gerichtshandeln Gottes (z.B. bBer 60b) im Sinne verbindlicher Glaubensinhalte. Auch der Prozess der Formierung eines normativen Bestandes jüdischer heiliger Schriften im rabbinischen Judentum bezeugt die Existenz solcher „basic concepts“ als inhaltlicher Kriterien, die über die Aufnahme eines Buches in diesen Bestand entschieden. Z.B. wird in bShab 30b38 eine ausführliche Kontroverse über das Buch Kohelet überliefert, bei der die Zweifel an der Legitimität seines Gebrauchs mit dem Zweifel des Predigers an der Unsterblichkeit der Seele begründet werden. Der Schluss liegt nahe, dass auch die Bedenken der jüdischen Gelehrten gegen den gottesdienstlichen Gebrauch des Buches Ben Sira (vgl. jSan 28a,17f.) damit zu tun haben, dass in Sir 17,30 die Vergänglichkeit des ganzen Menschen ausdrückliche Erwähnung findet.39 Zu den „basic concepts“ gehört auch die (zeitgenössischen christlichen anthropologischen Vorstellungen und insbesondere der paulinischen Tradition zuwiderlaufende) Überzeugung von der menschlichen Willensfreiheit: „Alles ist in den Händen des Himmels, nur nicht die Gottesfurcht“ (bBer 33b; bNid 16b; bMeg 25a).40 Erhellend im Hinblick auf das rabbinische Verständnis des Verhältnisses zwischen Glaube und Toraobservanz ist ein unter dem Namen R. Simlais (A 2) tradiertes ausführliches Diktum bMak 23b–24a, das berichtet, die Mose überlieferten 365 Ver- und 248 33 Vgl. U. KELLERMANN, Das Achtzehn-Bitten-Gebet. Jüdischer Glaube in neutestamentlicher Zeit, Neukirchen-Vluyn 2007. 34 I. ABRAHAMS, Art. Belief, EJ 4 (1972), 429–434, 432. Vgl. MAIER, Geschichte (s. Anm. 29), 160. 35 Gegen dualistische Gottesvorstellungen scheinen sich mBer 5,3 und mMeg 4,9 zu richten. 36 Vgl. MAIER, Geschichte (s. Anm. 29), 170. 37 MAIER, Geschichte (s. Anm. 25), 161. Vgl. URBACH, Sages (s. Anm. 13), 36: „Faith is trust in the existence of the Divine Providence. The manifestations of man’s faith are the love and fear of the Lord.“ 38 Vgl. mJad 3,5. 39 Vgl. G. SAUER, Jesus Sirach/Ben Sira, ATD Apokryphen 1, Göttingen 2000, 18f. 40 Vgl. M. DIENEMANN, Art. Dogma, EJ(D) 5 (1930), 1167–1176.
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Gebote seien von David zu elf Geboten zusammengefasst worden, von Jesaja dann auf sechs, von Micha auf drei, von Habakuk schließlich auf eins, denn es heißt ( צדיק באמונתו יחיהHab 2,4). Die Gesamtheit der Toragebote wird hier mit dem voraussetzungslosen Vertrauen auf die göttliche Vorsehung identifiziert.41 In bShab 31a wird die ganze Tora von Hillel gegenüber einem Proselyten in anderer Weise in der „Goldenen Regel“ zusammengefasst: „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht.“42 Insgesamt kann hinsichtlich der inhaltlichen Füllung des rabbinischen Glaubensbegriffs festgehalten werden, dass unbeschadet aller Pluralität innerhalb der rabbinischen Bewegung durchaus einige religiöse Fundamentalsätze existierten, deren Akzeptanz die Innengrenze dessen markierte, was man als jüdisches Leben empfand. 2.3 mSan 10,1 und die Frage nach einer rabbinischen Orthodoxie Wenn nun sowohl ein kognitiver rabbinischer Glaubensbegriff als auch ein Grundbestand impliziter Glaubensinhalte existierten, dann stellt sich die Frage, ob die jüdischen Gelehrten auch mit dem identitätstiftenden Begriff der Rechtgläubigkeit operierten. In seiner Einleitung zum zehnten (Mischna) bzw. elften (babylonischer Talmud) Kapitel des Mischnatraktats Sanhedrin, wo Fragen der Auferstehung behandelt werden und in dessen babylonischer Gemara auch die messianische Zeit Erwähnung findet, fasste der bedeutende mittelalterliche jüdische Philosoph Rabbi Moses ben Maimon aus der spanischen Stadt Córdoba (1138–1204) dreizehn ucùl bzw. Ikkarim (verbindliche Glaubenssätze) zusammen, die gleichsam als eine dogmatische Apologie gegenüber dem zeitgenössischen Christentum und dem Islam fortan die Zugehörigkeit zum Judentum definieren und so das ewige Leben ermöglichen sollten (die Zahl 13 entspricht nach rabbinischer Tradition der Zahl der geoffenbarten Eigenschaften Gottes, herausgedeutet aus Ex 34,6f.). Mittels dieser 13 Glaubenssätze bzw. Artikel, an die ein jüdischer Häretiker eben nicht glaubt, formulierte Maimonides die eigenständige religiöse Identität des Judentums. In mSan 1,1, dem „kleinen Credo“ des rabbinischen Judentums,43 begegnet in Gestalt einer exkursartigen Aufzählung von idealen Abgrenzungskriterien, die die positive Zugehörigkeit zum Volk Israel mit der
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Vgl. FINKEL, Glaubensbekenntnis(se) (s. Anm. 32), 390. Vgl. KELLNER, Jew (s. Anm. 11), 32: „The tzadik, the righteous person, is defined as one who lives by faith (emunah); faith, in turn … finds its expression in the fulfillment of the 613 commandments of the Torah.“ 43 So STEMBERGER, Glaube (s. Anm. 26), 978. Vgl. ALTMANN, Articles (s. Anm. 4), 654. 42
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Bewährung des einzelnen Frommen verknüpfen,44 der früheste Ansatz einer jüdischen Glaubensnorm. In der Mischna heißt es: Ganz Israel hat Anteil an der zukünftigen Welt, denn es heißt (Jes 60,21): „Und dein Volk – sie sind allesamt Gerechte; für immer werden sie das Land besitzen.“45 Und das sind die, die keinen Anteil haben an der zukünftigen Welt: Wer da sagt: „Es gibt keine Auferstehung der Toten von der Tora aus“46 und: „Es gibt keine Tora vom Himmel her“ und der Epikuräer. Rabbi Akiba sagt: Auch der, der außenstehende Bücher liest, und wer über eine Wunde Zauberworte flüstert und spricht: „All die Krankheit, die ich auf Mizraim gelegt habe, werde ich nicht auf dich legen.“ Abba Saul sagt: „Auch wer den Gottesnamen mit seinen Buchstaben ausspricht.“
Gleich zu Beginn der Mischna findet sich ihre Kernaussage, dass prinzipiell alle Israeliten, d.h. auch die wegen ihrer Vergehen hingerichteten Verbrecher, innerhalb des Bundes bleiben und Anteil am עולם הבאhaben werden. Selbst der zu steinigende Verbrecher aus dem Gottesvolk Israel hat Anteil an der zukünftigen Welt, wenn er seine Sünden bereut und mittels Opfer, Versöhnung oder Leiden Sühne bewirkt (mSan 6,2). Das in mSan 10,1 unmittelbar folgende Jesajazitat dient hierfür als beglaubigender Schriftbeleg, konditioniert den voranstehenden Satz aber zugleich insofern, als die belohnten Israeliten bei Jesaja generell als צדיקיםbezeichnet werden. Im Folgenden werden nun keine positiven Heilskriterien bzw. Glaubensgrundsätze der mit ihrem Eingang in die zukünftige Welt belohnten צדיקיםgenannt, sondern zunächst drei anonym überlieferte (und damit als Mehrheitsmeinung ausgewiesene) Ausnahmen von dieser Regel aufgezählt:47 Vergleichbare Listen begegnen z.B. in mAv 3,11 (vgl. mChag 2,1); SifDev 329 zu Dtn 32,39 (p. 379,7–9 Finkelstein); bNid 73a; bBM 59a und in TPsJ zu Gen 4,8. Kein Anteil am עולם הבאkommt 1.) dem Auferstehungsleugner, 2.) dem Leugner der Göttlichkeit der Tora, und 3.) dem Epikuräer zu (d.h. nicht dem tatsächlichen Anhänger der epikuräischen philosophischen Schule, sondern dem paradigmatischen gottlosen Häretiker).48 Durch die namentliche Nennung der Tradenten als Einzelmeinungen 44
Vgl. K. SCHUBERT, Das Selbstverständnis des Judentums in der rabbinischen Theologie, Jud. 12 (1956), 193–247, 214; E.P. SANDERS, Paulus und das palästinische Judentum, StUNT 17, Göttingen 1977, 139–141; J. MAIER, Jesus von Nazareth in der talmudischen Überlieferung, EdF 82, Darmstadt 1978, 51f.; D.M. GROSSBERG, Orthopraxy in Tannaitic Literature, JSJ 41 (2010), 517–561. 45 In Ms. Kaufmann und Ms. Cambridge 470,1 fehlt der erste Satz der Mischna. 46 מן התורהfehlt in einigen Handschriften. 47 Vgl. das Fehlen positiver Heilskriterien in der paränetischen Argumentation des Paulus im 1. Korintherbrief, der hier durchweg nur die ethischen Grenzen aufzeigt, die Christen nicht überschreiten dürfen, um im erwarteten Gericht zu bestehen. 48 Vgl. URBACH, Sages (s. Anm. 13), 30; J.J. PETUCHOWSKI, Gibt es Dogmen im Judentum?, ThQ 160 (1980), 96–106, 100; B OYARIN, Abgrenzungen (s. Anm. 29), 77–88.
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ausgewiesen, folgen drei weitere Ausschließungen, nämlich 4.) der Leser außenstehender Bücher (es ist nicht deutlich, ob hier jüdische, pagane philosophische, gnostische oder gar christliche Schriften gemeint sind49), 5.) der Anwender magischer Heilpraktiken unter Verwendung der heiligen Schriften und 6.) derjenige, der das Tetragramm יהוהausspricht, wie es geschrieben steht. Die drei folgenden Mischnajot (mSan 10,2–4) fügen zu der Gruppe derer, die keinen Anteil am עולם הבאhaben werden, noch die sündhaften Könige Jerobeam, Ahab und Manasse sowie die Prophetengestalt Bileam aus Petor, den verräterischen Edomiter Doeg, den intriganten Ratgeber Davids Achitofel und Gehazi, den treulosen Diener Elisas hinzu. Ebenso werden das Geschlecht der Sintflut, die Bewohner Sodoms, die unaufrichtigen Kundschafter (Num 13,32; 14,37) und das gesamte murrende Geschlecht der Wüstenwanderung, die Rotte Korachs, die verlorenen zehn Stämme Israels sowie die Bewohner einer „verstoßenen Stadt“ ()הנדח עיר50 genannt. Obwohl das Ergehen aller Nichtjuden in der Mischna außerhalb des Blickfeldes bleibt, impliziert die Nennung des fremdstämmigen Bileam, dass auch sie offenbar nicht kategorisch vom Heil in der kommenden Welt ausgeschlossen sind.51 Die sachlich entsprechende Überlieferung in tSan 7,9–13,12 fügt zur Aufzählung der Mischna noch all jene hinzu, die sich von der Tora lossagen, die den Bund brechen, die die Tora subjektiv und ohne Berücksichtigung geltender Auslegungsregeln auslegen und die das Hohelied in einem profanen Kontext singen. Eine rabbinische Kontroverse in tSan 13,2 betrifft die strittigen Fragen, ob die unmündigen Kinder der Frevler Israels und der Frevler unter den Nichtjuden einen Anteil am עולם הבאhaben werden. Eine besondere Nachgeschichte hat das Diktum R. Jochanans am Ende des Abschnitts, in dem betont wird, es gebe stets auch „Gerechte unter den Völkern (bzw. Gestirneverehrern)“ ()צדיקים בעבדי כוכבים, die Anteil an der zukünftigen Welt haben werden. Die Aufzählung im jerusalemischen Talmud (jSan 27b,45–47) entspricht der Überlieferung der Tosefta, erweitert sie jedoch in 27c,28–34 durch eine Reihe von Erklärungen, Begründungen und Konkretionen: 49
Die palästinische Gemara in jSan 28a,17f. nennt explizit die Bücher Ben Sira und Homer. Vgl. J. MAIER, Jüdische Auseinandersetzung mit dem Christentum in der Antike, EdF 177, Darmstadt 1982, 102f. 50 Unter dem Begriff עיר הנדחתverstehen die Rabbinen eine Stadt, deren Bewohner mehrheitlich durch einen in ihr wohnenden Verführer vom jüdischen Glauben abgebracht wurden (vgl. mSan 1,5; tSan 14,1–3). 51 In bBer 17a/b wird die Liste aufgenommen und durch Jesus ( )ישו הנצריerweitert. Vgl. hierzu K. HRUBY, Die Stellung der jüdischen Gesetzeslehrer zur werdenden Kirche, Schriften zur Judentumskunde 4, Zürich 1971, 70; MAIER, Jesus (s. Anm. 44), 63–66; P. SCHÄFER, Jesus in the Talmud, Princeton 2007, 30–32.
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Wer das Joch zerbricht, wer den Bund bricht und wer das Antlitz gegen die Tora entblößt, hat keinen Anteil an der zukünftigen Welt. Wer das Joch zerbricht. Das ist der, der sagt: „Es gibt eine Tora, aber ich kümmere mich nicht um sie.“ Wer den Bund bricht. Das ist der, der sich eine Vorhaut zieht. Wer das Antlitz gegen die Tora entblößt. Der ist der, der sagt: „Die Tora ist nicht vom Himmel gegeben worden.“ Aber hast du nicht bereits gelernt: „Wer sagt, die Tora sei nicht vom Himmel“? Rabbi Chanina aus ’En-Tunka lehrte vor Rabbi Mani: „Das ist der, der die Worte der Tora öffentlich ( )בפרהסיהübertritt.“
In den Blick geraten hier diejenigen Juden, die die Geltung der Tora zwar annehmen, sich aber nicht nach ihr richten, die das Bundeszeichen der Beschneidung an ihrem Körper wieder rückgängig machen, und die den göttlichen Ursprung der Tora in der Öffentlichkeit leugnen. Der Epikuräer aus mSan 10,1 wird im jerusalemischen Talmud zudem als jemand ausgewiesen, der sowohl Gottes Vorsorge für die Welt und seine endzeitliche Vergeltung als auch die Prophetie Moses bestreitet (jSan 28a,1f.).52 In der sehr ausführlichen Gemara zu mSan 10 (11),1 im babylonischen Talmud San 90a–113b, in welcher zahlreiche Gründe für den Ausschluss nachgetragen werden, besteht das Vergehen des Epikuräers, das ihn seinen Anteil am עולם הבאkostet, in der respektlosen Missachtung und Verspottung eines rabbinischen Gelehrten (bSan 99b).53 Von besonderem Interesse ist eine in bSan 105a überlieferte Kontroverse, in der R. Jochanan hinsichtlich des Schicksals des heidnischen Propheten Bileam konstatiert: „Also ist nur Bileam nicht der zukünftigen Welt teilhaftig, wohl aber andere Nichtjuden!“ ()בלעם הוא דלא אתי לעלמא דאתי הא אחריני אתו. Am Ende des Abschnitts steht eine Differenzierung zwischen den Frommen und Gottlosen in Israel sowie zwischen allen Heiden ( )כל גויםund allen gottvergessenen Heiden ()שכחי אלהים כל גוים. Dieser zweifachen Differenzierung entspricht auch die Unterscheidung von jüdischen und nichtjüdischen Epikuräern in bSan 38b. Es ergibt sich der folgende Befund: Von den in mSan 10,1 genannten Ausnahmen von der generellen Regel, dass ganz Israel Anteil am עולם הבא haben wird, beziehen sich drei, nämlich die Lektüre außenstehender Bücher, die Anwendung magischer Heilpraktiken und die Aussprache des Tetragramms explizit auf verbotene Handlungen und keinesfalls auf bloße Glaubensüberzeugungen. Die jerusalemische und die babylonische Gemara entsprechen in diesem Punkt der Mischna. Die in der Tosefta zusätzlich festgehaltenen Ausnahmen werden im jerusalemischen Talmud ebenfalls als verbotene Handlungen gedeutet. Ebenso wird im babylonischen Talmud eine in der Mischna erwähnte Ausnahme, der Epikuräer, nicht mit einer bestimmten Überzeugung, sondern mit einem bestimmten illegitimen 52
Vgl. STEMBERGER, Glaube (s. Anm. 26), 978. In TPsJ zu Gen 4,8 begegnet Kain als ein Epikuräer. 53 Vgl. P ETUCHOWSKI, Dogmen (s. Anm. 48), 100.
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Verhalten in Verbindung gebracht, nämlich mit seinem mangelnden Respekt gegenüber den Rabbinen. Die beiden ersten Ausnahmen in der Mischna, der Auferstehungsleugner und der Leugner der Göttlichkeit der Tora, erscheinen nicht als innere Glaubensüberzeugungen, sondern als eine öffentlich kundgegebene Apostasie,54 erkennbar wohl auch am vorangestellten האומר. Menachem Kellner merkt dazu an: „We have here a list of ‚public enemies‘, so to speak; what we do not have is a statement of creed, or anything remotely resembling such a statement.“55 Auch sämtliche in mSan 10,2–4 genannte Gruppen erscheinen zunächst nicht als Vertreter heterodoxer Glaubensüberzeugungen, sondern als Sünder, deren registrierbare verfehlte Handlungen und soziale Bezüge grundsätzlich zu missbilligen sind und in deren dargestelltem eschatischen Unheilsgeschick zunächst die von den Rabbinen aktuell beanspruchte Autorität im Hinblick auf die normierende Gestaltung des idealen jüdischen Lebens zum Ausdruck gelangt.56 Tatsächlich erscheint es nicht wahrscheinlich, dass etwa dem gesamten Geschlecht der Wüstenwanderung ernsthaft die Zugehörigkeit zum Judentum abgesprochen wurde.57 Hinsichtlich ihrer Pragmatik kommt der Wendung „N.N. hat keinen Anteil an der kommenden Welt“ weniger informative als persuasive Funktion zu. Offenbar geht es in mSan 10,1 also nicht um ein „orthodoxes“ jüdisches Glaubensbekenntnis, dessen Akzeptanz oder Ablehnung tatsächlich über die Zugehörigkeit zu oder den Ausschluss aus der Synagogengemeinde entscheidet. 2.4 Funktionen des Glaubensbegriffs im rabbinischen Judentum Es ist hinreichend deutlich geworden, dass die in mSan 10,1–4 zusammengestellten verfehlten Handlungen nicht im eigentlichen Sinne eines via negationis formulierten und systematisierten jüdischen „Glaubensbekenntnisses“ zu verstehen sind. Dennoch erscheint es mir eine problematische Engführung des Textbefundes, wenn David M. Grossberg über mSan 10,1 urteilt: „The Mishnah, strictly speaking, has no doctrinal content at all.“58 Meines Erachtens dienen die angeführten verbotenen Handlungen, deren Vermeidung ihrerseits Identität stiftet, Gemeinschaft signalisiert und Ver54
Vgl. KELLNER, Jew (s. Anm. 11), 36. KELLNER, Jew (s. Anm. 11), 38. 56 KELLNER, Jew (s. Anm. 11), 37. 57 Vgl. A. SCHREMER, Thinking about Belonging in Early Rabbinic Literature: Proselytes, Apostates, and „Children of Israel,“ or: Does it Make Sense to Speak of Early Rabbinic Orthodoxy?, JSJ 43 (2012), 249–275, 269: „This mishnah says nothing about belonging in the Jewish people, and it does not deny the name ‚Israel‘ from a Jew who espouses these theological opinions.“ 58 GROSSBERG, Orthopraxy (s. Anm. 44), 519. 55
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bindlichkeit zum Ausdruck bringt, sowohl der Distinktion als auch der Integration mittels der Markierung von Außengrenzen des jüdischen Lebens in Relation zu anderen Menschen und in Relation zu Gott. Damit entsprechen sie in funktionaler Hinsicht der identitätstiftenden Bedeutung des voraussetzungslosen Gottvertrauens und der gewissenhaften Toratreue als Basiskriterien der Zugehörigkeit zum Volk Israel. Hinsichtlich der Frage, in welchen Lebensvollzügen diesem impliziten Glaubensbegriff nun eine besondere Bedeutung und Funktion zuzukommen vermag, sind nunmehr drei mögliche Bereiche näherhin in den Blick zu nehmen: 1.) Die umfängliche Partizipation an der jüdischen Gemeinschaft. 2.) Die Bedingungen des Eintritts in diese Gemeinschaft. 3.) Ihre Abgrenzung gegenüber der nichtjüdischen Welt.59 Zu 1.) Die eigentliche Voraussetzung der Partizipation an der jüdischen Gemeinschaft war (und ist) gerade kein bestimmtes Glaubensbekenntnis, sondern entweder die Abstammung von einer jüdischen Mutter oder der bewusste Übertritt zum Judentum.60 Auch das Eintreten der Volljährigkeit wurde von den Rabbinen nicht mit der Annahme bestimmter religiöser Lehren, sondern allein mit der Befähigung zu bestimmten Gelübden verbunden (vgl. mNed 5,6). Anders als im Christentum erforderte die Wahrnehmung der Zugehörigkeit zur Gemeinde Gottes aufgrund der fundamentalen Bedeutung der Abstammung zunächst keine Formulierung konfessioneller Kriterien: „The rabbis functioned in a context in which who was and who was not a Jew was relatively clear.“61 Selbst widergesetzliches Handeln bedroht die jüdische Identität zunächst nicht: Ein Jude bleibt ein Jude, auch wenn er sündigt (bSan 44a). Zu 2.) Im Kontext der in bJev 47a/b ausführlich beschriebenen Konversion eines Nichtjuden zum Judentum kommt ebenfalls keine explizite Glaubensaffirmation vor. Voraussetzungen seiner Aufnahme in das Judentum sind allein die Identifikation des beschnittenen Proselyten mit Israel und seine generelle Anerkennung der Tora,62 wobei es ganz unspezifisch heißt (bJev 47b), er solle im Verlauf des Übertritts „mit manchen der leichteren und manchen der strengeren Gebote“ (מקצת מצות קלות ומקצת מצות )המורותvertraut gemacht werden.63 Dass das Bekenntnis des Proselyten von den Rabbinen dennoch im Sinne eines öffentlichen Glaubensvollzugs betrachtet werden konnte, geht indes aus bJev 24b64 hervor, wo es heißt, 59
Vgl. dagegen KELLNER, Jew (s. Anm. 11), 27. Vgl. KELLNER, Dogma (s. Anm. 24), 2; SCHREMER, Belonging (s. Anm. 57), 269. 61 KELLNER, Jew (s. Anm. 11), 29. 62 Vgl. S. STERN, Jewish Identity in Early Rabbinic Writings, AGJU 23, Leiden 1994, 258f. 63 Vgl. KELLNER, Jew (s. Anm. 11), 28. 64 Ebenso bAS 23b/24a; Gerim 1,3. 60
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dass in der Zeit des Messias keine Nichtjuden mehr in das Gottesvolk aufgenommen werden, weil ihr Bekenntnis angesichts der offenkundigen Gegenwart des Heils nunmehr kein Akt des unbedingten gläubigen Gottvertrauens mehr ist.65 Zu 3.) In mSan 10,1 kam zum Ausdruck, dass Abweichler und Außenstehende von den jüdischen Gelehrten vor allem wegen ihres Verhaltens kritisiert wurden und nicht wegen der Inhalte ihres Glaubens. Auch die rabbinische Kritik am Christentum bezog sich zumeist nicht auf Aspekte der christlichen Heilsbotschaft selbst, sondern insbesondere auf dessen heterodox fundierte Handlungen wie z.B. die Aufgabe der Beschneidung (z.B. BerR 11,6 zu 2,3 [p. 78,17–19 Mirkin]) oder von den Rabbinen als illegitim betrachtete Praktiken wie Zauberei (z.B. bSan 43a) und verbotene Heilkunst (z.B. tChul 2,22f.; vgl. bAS 27b). Offenbar sahen die jüdischen Gelehrten solche in der Spätantike recht verbreiteten – und auch für die eigene Klientel durchaus attraktiven – Praktiken eher als Konkurrenz und Bedrohung an als die eigentlichen Inhalte des fremden Glaubens. Es ist zudem anzunehmen, dass dort, wo Juden und Christen an einem Ort lebten und sozial interagierten, vor dem Hintergrund aktueller Zugehörigkeitsund Abgrenzungsbedürfnisse zunächst wohl nicht abstrakten Glaubenssätzen, sondern eher pragmatischen Verhaltensfragen, etwa hinsichtlich des gemeinsamen Essens, der ehelichen Verbindung und der Festtermine, eine bekenntnishafte Bedeutung zuwuchs.66 Allein der notorische „Leugner der Wurzel“ ()כופר בעיקר, der das Grundprinzip des jüdischen Monotheismus bestreitet (z.B. tSchevu 3,7; vgl. mBer 5,3),67 und der im sogenannten „Ketzersegen“ in der zwölften Benediktion der Amida68 genannte מין, in dessen undeutlicher Gestalt sich entweder der Einfluss der Gnosis auf das Judentum oder der Ablösungsprozess des Christentums widerzuspiegeln scheint,69 bezeugen den engen Konnex von Glaubensfragen und jüdischer Identität. Von besonderem Interesse ist die Entstehung eines von dem Begriff מיןabgeleiteten abstrakten Nomens מינות, das sich in der rabbinischen
65
Vgl. SCHUBERT, Selbstverständnis (s. Anm. 44), 217. Vgl. G. LANGER, Die rabbinische Literatur – Zentrum oder Peripherie?, Chilufim 4 (2008), 29–58, 46. 67 Vgl. URBACH, Sages (s. Anm. 13), 26f.; A.F. SEGAL, Two Powers in Heaven, SJLA 25, Boston 22002, 7. 68 Vgl. tBer 3,25; jBer 8a,8–10; bBer 28b/29a; HRUBY, Stellung (s. Anm. 51), 16; KELLERMANN, Achtzehn-Bitten-Gebet (s. Anm. 33), 132–143; B OYARIN, Abgrenzungen (s. Anm. 29), 99. 69 Vgl. C. SETZER, Jewish Responses to Early Christians. History and Polemics, 30– 150 C.E., Minneapolis 1994, 90f. 66
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Tradition generell auf illegitimes religiöses Verhalten bezieht (z.B. S Numeri § 115 zu 15,39 [p. 126,19 Horovitz]).70 Insgesamt ist zwar Ulrich Kellermann zuzustimmen, der schreibt, „dass die meisten Zusammenstellungen der wichtigsten Inhalte des eigenen Glaubens eher als Antwort auf apologetische Herausforderungen reagieren, ohne für jüdisches Leben und Lehren selbst letzte Verbindlichkeit zu haben.“71 Gerade die Abgrenzungsproblematik kann als eine Art Katalysator für die inhaltliche Füllung des – den jüdischen Status von Juden sichernden – rabbinischen Glaubensbegriffes gelten.72 Jedoch ist zugleich einschränkend festzuhalten, dass die Rabbinen durchweg eine Definition des Judentums als eines Systems von bekenntnishaften und normativen Glaubenssätzen ablehnten, „dem man freiwillig anhängt und von dem abweichend man ein Häretiker wird“.73 Es wäre zu überlegen, ob sich hierin auch ein Bedürfnis nach Abgrenzung vom zeitgenössischen Christentum widerspiegelt.
3. Zusammenfassung und Schlussthesen Es hat sich gezeigt, dass hinsichtlich der rabbinischen Traditionsliteratur weder von einem fehlenden Glaubensbegriff noch von der Existenz eines systematisierten Bestandes verbindlicher Glaubensinhalte die Rede sein kann. Unbeschadet der Vielfalt der bezeugten rabbinischen Meinungen weist vielmehr bereits der lexigraphische Befund auf die Verwendung des Begriffs אמונהnicht zur Bezeichnung objektivierbarer Inhalte, sondern zur Darstellung eines hierarchisch-relationalen Verhältnisses hin, das einerseits durch unbedingtes Vertrauen sowie durch aufrichtige Gewissenhaftigkeit gekennzeichnet ist und sich andererseits in einem Cluster von Verhaltensweisen und Sozialbeziehungen realisiert.74 Mit dem affektiven Glaubensbegriff zumeist implizit und unsystematisch verbunden wurden sowohl kognitive „basic concepts“ hinsichtlich des Glaubens an den einen Gott Israels und an die durch ihn geschehene bzw. erhoffte Schöpfung, 70
Vgl. PETUCHOWSKI, Dogmen (s. Anm. 48), 97; M. GOODMAN, The Function of Minim in Early Rabbinic Judaism, in: P. Schäfer (Hg.), Geschichte – Tradition – Reflexion. Band 1. Judentum (FS M. Hengel), Tübingen 1996, 1501–1510, 1503f.; BOYARIN, Abgrenzungen (s. Anm. 25), 72–77 sowie 315. 71 KELLERMANN, Achtzehn-Bitten-Gebet (s. Anm. 29), 10. Vgl. ABRAHAMS, Belief (s. Anm. 30), 432. 72 B OYARIN, Abgrenzungen (s. Anm. 29), 93. 73 B OYARIN, Abgrenzungen (s. Anm. 29), 319; vgl. M. B UBER, Zwei Glaubensweisen, Zürich 1950, 5–9; SCHREMER, Belonging (s. Anm. 57), 274. 74 Vgl. KELLNER, Jew (s. Anm. 11), 31.
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Offenbarung, Erwählung und Erlösung als auch das Bewusstsein der menschlichen Willensfreiheit.75 In mSan 10,1 begegnet zwar ein die traditionellen Identitätsmerkmale transzendierendes Bestreben nach Fixierung normativer Kennzeichen jüdischer Identität, aber auch diese Kennzeichen sind keine Belege für die Existenz einer rabbinischen „Orthodoxie“, sondern erstrecken sich zunächst auf bestimmte „unjüdische“ Handlungen und Sozialbeziehungen.76 Im Hinblick auf die Funktionen und den „Sitz im Leben“ des rabbinischen Glaubensbegriffs sind also zwei gegenläufige Tendenzen festzuhalten. Während einerseits die Positionierung gegenüber der nichtjüdischen Philosophie und Religion, insbesondere aber gegenüber dem Christentum und seinen ausgeprägten Glaubenssatzungen, die Entstehung und Entwicklung der Konturen eines jüdischen Glaubensbegriffs beförderte, scheinen die jüdischen Gelehrten gerade eine mit der christlichen Sprachtradition77, der Entfaltung des christlichen Kerygmas und der weiteren kirchlichen Bekenntnisentwicklung (z.B. hinsichtlich der Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu und seiner Gottessohnschaft) analoge systematisierende Formulierung allgemeingültiger dogmatischer Glaubenssätze bewusst vermieden zu haben.78 Die Rabbinen kannten durchaus einen kognitiven Glaubensbegriff und Glaubensüberzeugungen, die die rechte individuelle religiöse Praxis fundierten und motivierten, aber sie verweigerten sich zugunsten eines grundsätzlich handlungsorientierten religiösen Bedeutungssystems der Fixierung und Tradierung einer verbindlichen und einheitlichen Glaubenslehre.
75
Vgl. STEMBERGER, Glaube (s. Anm. 6), 1128f. Vgl. MAIER, Geschichte (s. Anm. 29), 2f.; SCHREMER, Belonging (s. Anm. 57), 274. 77 Vgl. D. LÜHRMANN, Pistis im Judentum, ZNW 64 (1973), 19–38, 19. 78 Vgl. L. B AECK, Aus drei Jahrtausenden: wissenschaftliche Untersuchungen und Abhandlungen zur Geschichte des jüdischen Glaubens, Tübingen 1958, 25f.: „Das Judentum hat nie eine Kirche gebildet, es hat seinem Wesen nach die Gemeinde gestaltet. In der Kirche steht die glaubende Kirche begrifflich am Anfang, in der Gemeinde der Glaube des Einzelnen. Jeder Einzelne ist hier, in dem Recht und mit der Pflicht, der Träger des Glaubens.“ 76
Hellenistisch-römische Welt
Zum alltagssprachlichen Hintergrund von πίστις Das Zeugnis der dokumentarischen Papyri PETER ARZT-GRABNER Während sich ein deutschsprachiger „Gläubiger“ oft mit der saloppen Unterstellung „Glauben heißt nichts wissen“ auseinandersetzen soll, liegen die Dinge im Griechischen einfacher und vor allem eindeutiger. Hier wird streng zwischen νομίζω im Sinne von „glauben, meinen“ (eben „nicht sicher wissen“) und πιστεύω, das ein Glauben im Sinne von „vertrauen, sich auf jemanden verlassen“ bezeichnet, unterschieden. Dies gilt auch für Konstruktionen des Verbs mit einem AcI wie z.B. in P.Tebt. II 314,3–4 (2. Jh. n.Chr.):1 πιστεύω σε μὴ ἀγνοεῖν | ὃσον κάμ[α]τον ἤνεγ̣κα („ich glaube, dass du sehr wohl weißt, wie große Mühe ich ertrug“). Dem πιστεύω wohnt hier eine vertrauensvolle Sicherheit inne. Ähnliches ist für O.Did. 325,9–10 (vor ca. 77–92 n.Chr.) anzumerken, wo der Absender eines Briefes schreibt, dass er einer Aussage des Adressaten nicht geglaubt hat: κοὐ πε|πίστευκά σοι. In diesem Falle hat er seinem Gegenüber überhaupt kein Vertrauen entgegengebracht, er hält seine Aussage für unzuverlässig.2 Der eingangs zitierte Satz würde im Griechischen also schlichtweg als unsinnig erscheinen. Der gesamten Wortfamilie wohnt hier – insoweit es um eine Haltung unter Menschen oder von Menschen gegenüber einer Gottheit oder einer Gottheit gegenüber Menschen geht – eine vertrauensvolle Haltung inne, die auf Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit aufbaut. Dies gilt für das Substantiv πίστις („Glaube, Vertrauen“) ebenso wie für das Verb πιστεύω („glauben, vertrauen, sich auf jemanden verlassen“) und 1
Die Abkürzungen der zitierten Papyri sowie der papyrologischen Instrumenta richten sich nach: J.F. OATES u.a., Checklist of Editions of Greek, Latin, Demotic, and Coptic Papyri, Ostraca, and Tablets, BASPap.S 9, Oakville/Oxford 52001 (die aktuelle Fassung ist einsehbar im Internet: J.D. Sosin u.a. [Hg.], Checklist of Editions of Greek, Latin, Demotic, and Coptic Papyri, Ostraca, and Tablets, http://papyri.info/docs/checklist). 2 Siehe ferner UPZ I 70,28–30 (nach 20. September 152 v.Chr.): πλανόμενοι ὑπὸ τῶν | θεῶν καὶ πιστεύοντες | τὰ ἐνύπνια („getäuscht werden wir von den Göttern und glauben an Traumbilder“); PSI V 494,14–15 (27. November 258 v.Chr.): καὶ μηθὲν πίστευ|ε ὧν λέγει („und nichts glaube von dem, was er sagt!“).
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Peter Arzt-Grabner
das Adjektiv πιστός („zuverlässig, treu“ und dann auch – je nach Zusammenhang – „gläubig“). Was nun die Verwendung der Wortfamilie in den dokumentarischen Papyri betrifft, ist zunächst festzustellen, dass die Sinndimensionen natürlich nicht auf die Haltung eines Menschen (oder einer Gottheit) beschränkt sind. So begegnet πίστις neben „Treue, Zuverlässigkeit, Vertrauen, Zutrauen“ auch als „Verantwortlichkeit“, als „Glaubwürdigkeit“ (beruhend auf Rechtssicherheit), als „Vertrauensbeweis“3 sowie als „Sicherheit“ (insbesondere in Rechtsangelegenheiten4 im Sinne von Pfandsicherheit, Sicherheit zu treuer Hand, Sicherheitsurkunde, Schutzurkunde, Schutzbrief, Geleitbrief).5 Und πιστός begegnet vorrangig nicht als Bezeichnung für eine menschliche Haltung, sondern in der substantivisch gebrauchten Bedeutung „Zusicherung“.6 Da hier nun die Paulusbriefe das zu vergleichende Textkorpus bilden, kann die weitere Darstellung des alltagssprachlichen Hintergrundes auf die zwischenmenschliche und menschlichgöttliche Verwendungsweise von πίστις, πιστεύω und πιστός eingeschränkt werden. Für die menschlich-göttliche Verwendungsweise der Wortfamilie, also für die Bedeutung „religiöser Glaube“, gibt es in den dokumentarischen
3 So z.B. P.Sarap. 89,10 (90–133 n.Chr.; siehe dazu P. ARZT-GRABNER, 2. Korinther, PKNT 4, Göttingen 2014, 69f.). 4 Vgl. z.B. J.L. ALONSO, Πίστις in Loan Transactions: A New Interpretation of P.Dion. 11–12, The Journal of Juristic Papyrology 42 (2012), 9–30, 9. Siehe dazu insbesondere W. SCHMITZ, Ἡ πίστις in den Papyri, Diss., Köln 1964; A. P APATHOMAS, Juristische Begriffe im ersten Korintherbrief des Paulus. Eine semantisch-lexikalische Untersuchung auf der Basis der zeitgenössischen griechischen Papyri, Tyche. Supplementband 7, Wien 2009, 204f. 5 Beispiele für die unterschiedlichen Bedeutungen bei F. PREISIGKE, Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden, mit Einschluß der griechischen Inschriften, Aufschriften, Ostraka, Mumienschilder usw. aus Ägypten, Band 2: Λ–Ω, vollendet und hg. von E. Kiessling, Berlin 1927, s.v. πίστις (zu „Schutzbrief“ siehe ferner CPR XXVIII 4,5 [Mitte – spätes 3. Jh. v.Chr.]; PSI XV 1515,8 [2. Hälfte 2. Jh. n.Chr.]; BGU XVI 2621,6 [15. September 16 v.Chr.]; 2609,2 [28. September 7 v.Chr.]; vgl. C.M. KREINECKER, 2. Thessaloniker, PKNT 3, Göttingen 2010, 114 Anm. 28); siehe dazu auch R. MERKELBACH, Der griechische Wortschatz und die Christen, ZPE 18 (1975), 101–148, 143f. 6 Siehe PREISIGKE, Wörterbuch (s. Anm. 5), s.v. πιστός. Besonders häufig begegnet πιστός in der Wendung δίδωμι τὰ πιστά („die Zusicherung geben“), z.B. P.Petr. II 19 (1a),4 mit BL I 358 (3. Jh. v.Chr.); ähnlich P.Heid. VI 376,16 (2. März 220 v.Chr.); BGU IV 1152,24–26 (11–10 v.Chr.). – BL = Berichtigungsliste der Griechischen Papyrusurkunden aus Ägypten; im vorliegenden Artikel wird auf folgende Bände verwiesen: 1., hg. von F. Preisigke, Berlin 1922; 3., hg. von M. David/B.A. van Groningen/E. Kiessling, Leiden 1958; 4., hg. von M. David/B.A. van Groningen/E. Kiessling, Leiden 1964; 8., hg. von P.W. Pestman/H.-A. Rupprecht, Leiden 1992.
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Papyri allerdings keine Belege aus der Zeit vor Paulus.7 Der innerhalb der neutestamentlichen Schriften typische absolute Gebrauch des Verbs ist papyrologisch bisher nur ein einziges Mal belegt: P.Yale I 30 (ca. 265 v.Chr.) ist der Brief eines gewissen Zoilos an einen Plutarchos. Letzterer scheint über einen Dritten vom Absender etwas erhalten zu haben, das stark beschädigt war. Zoilos drückt nun seine Verwunderung darüber aus, dass Plutarchos glauben könnte, die Beschädigung stamme schon von ihm – Z. 9–10: θαυμάζω οὖν σοῦ | εἰ πιστεύεις („ich wundere mich nun über dich, wenn du [das] glaubst“).8 Die Beispiele, in denen die Wortfamilie die Haltung oder den Charakterzug einer menschlichen Person bezeichnet, lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: in solche, wo dies einer einzelnen Person zuerkannt oder abverlangt wird, und solche, in denen dies von beiden Partnern eines Rechtsoder Geldgeschäftes unbedingt erwartet wird.9
1. Πίστις als Eigenart von Menschen – im Allgemeinen und im Besonderen In einer Petition an den ptolemäischen König, einer sog. Enteuxis, erscheint πίστις als eine Eigenart, die grundsätzlich allen Menschen zu eigen 7
Zu πίστις in hellenistischer Religiosität siehe z.B. G. B ARTH, Pistis in hellenistischer Religiosität, ZNW 73 (1982), 110–126. Zu einer Deutung des neutestamentlichen Glaubensbegriffs von der griechischen Rhetorik her siehe J.L. K INNEAVY, Greek Rhetorical Origins of Christian Faith. An Inquiry, New York 1987 (in seinen Schlussfolgerungen bekräftigt KINNEAVY seine Hypothese: „Judged by the contemporary criteria of persuasive discourse, as seen in Greek rhetoric, the pistis of the New Testament can almost always be interpreted as persuasion“, a.a.O., 147). 8 Die Formulierung klingt ganz grundsätzlich: „wenn du glaubst“. Die Übersetzung kommt hier praktisch nicht ohne Ergänzung eines Objektes aus. – In P.Oxy. LXVII 4625,6–7 (3. Jh. n.Chr.?) werden mit dem entsprechenden aktiven Perfektpartizip „Gläubiger“ bezeichnet. 9 Zu πίστις in den dokumentarischen Papyri siehe auch P. ARZT-GRABNER, Philemon, PKNT 1, Göttingen 2003, 178–180; P APATHOMAS, Begriffe (s. Anm. 4), 204f.; KREINECKER, 2. Thessaloniker (s. Anm. 5), 114; ARZT-G RABNER , 2. Korinther (s. Anm. 3), 234; zu πιστεύω auch F. W INTER in ARZT-GRABNER u.a., 1. Korinther, PKNT 2, Göttingen 2006, 93f.; ARZT-GRABNER, 2. Korinther (s. Anm. 3), 308f.; zu πιστός auch F. W INTER und P. ARZT-G RABNER in ARZT-G RABNER u.a., 1. Korinther, 52f.; ARZT-G RABNER , 2. Korinther (s. Anm. 3), 220. Im Unterschied zu diesen Begriffsdarstellungen wird in diesem Artikel die gesamte Wortfamilie in einem untersucht; die angeführten Papyrusbelege wurden bes. hinsichtlich ediertem Text und Datierung auf den aktuellen Stand der Forschung gebracht, und neueste Belege wurden in die Darstellung zusätzlich aufgenommen. – Unter weiteren Belegen zu fragmentarisch für eine Deutung ist O.Did. 415,2 (vor ca. 140–150 n.Chr.).
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sein sollte, was aber leider nicht für alle gilt: Der Antragsteller Harendotes klagt darin, ein gewisser Herakleides sei ungerechterweise gegen ihn vorgegangen und habe alle unter Menschen vorhandene πίστις beiseite geschoben – P.Erasm. I 1,16–17 (148–147 v.Chr.): ἐ̣π̣ελθὼν ὁ Ἡρακλείδης καὶ ἀθετήσας τὴν | ἐν ἀνθρώποις ὑπάρχουσαν πίστιν. Recht zwiespältig scheint der Charakter eines gewissen Kopres wahrgenommen zu werden; einerseits spricht ihm sein Briefpartner volles Vertrauen aus, das ihm andererseits seine Frau verweigert: So heißt es in SB III 6264,17–20 (Ende 2. Jh. n.Chr.): πάντα̣ σοι γὰρ | πιστεύω, ἡ γὰρ | γυνή σου λέγι, ὅτι | οὐδὲν πιστεύη (l. πιστεύει) („denn in allem vertraue ich dir; deine Frau nämlich sagt, dass sie [dir] in keinem Punkt vertraut“).10 Welche konkreten ehelichen Auseinandersetzungen auch immer dahinter gestanden haben mögen, damals wie heute war es nicht selbstverständlich, dass sich eine eheliche Beziehung beständigen Vertrauens oder ebensolcher Zuverlässigkeit erfreuen konnte. So konnte z.B. in einem Testament extra betont werden, dass die Gattin dem Mann in voller Vertrauenswürdigkeit zugetan war: Derartiges geht aus dem Testament eines gewissen Akusilaos hervor, der seiner Gattin Aristus bestätigt, ihm volle Vertrauenswürdigkeit (oder Glaubwürdigkeit oder Zuverlässigkeit) erwiesen zu haben – P.Oxy. III 494,9 (28. Oktober – 26. November 165 n.Chr.): πᾶσαν πίστιν μοι ἐνδεικνυμένῃ.11 Im bekannten Zenon-Archiv finden sich mehrere Beispiele dafür, dass sich jemand vertrauensvoll an einen anderen wendet, der offenbar eine Position innehat, von der sich der Bittsteller Unterstützung oder Hilfe erhofft: Ein gewisser Patumis, der in Streitigkeiten um ein Stück Vieh verwickelt wurde, wendet sich im Brief P.Ryl. IV 569 (3. Jh. v.Chr.) vertrauensvoll an Zenon – Z. 9–10 (mit Pap.Lugd.Bat. XXI S. 138): [οὐδενὶ γ]ὰρ ἂν ἐπίστευσα ἀλλ’ ἢ σοὶ ἵνα σκεπά|[σῃς ἡμᾶ]ς („niemandem nämlich würde ich vertrauen außer dir, dass du uns beschützt“). In P.Col. IV 64,4–5 (ca. 257–255 v.Chr.?) teilt ein unbekannter Absender Zenon mit, dass ein gewisser Nikanor, an den er zuvor von Zenon empfohlen worden war, ihn „in sein volles Vertrauen aufgenommen habe“: προαγήγοχεν ἡμ̣ᾶ̣ς̣ ε̣ἰς | πᾶσαν πίστιν. 10
Weniger aussagekräftige Belege für ein Vertrauen, das jemandem grundsätzlich entgegengebracht wird, sind P.Zen.Pestm. 62,8–9 (nach 23. April 244 v.Chr.); BGU III 1011, Kol. II 13–14 (2. Jh. v.Chr.); P.Tebt. I 124,5 (ca. 118 v.Chr.); P.Fam.Tebt. 24,105 (24. Mai 124 n.Chr.). Um fehlendes Vertrauen geht es in PSI V 483,6 (vor 29. Februar 257 v.Chr.); P.Hib. I 72,18 (26. April 241 v.Chr.); P.Sarap. 83,12–13 (90–133 n.Chr.); O.Claud. I 134,8 (ca. 107 n.Chr.); P.Mich. VIII 465,19–20 (20. Februar 108 n.Chr.?); SB XII 11020,7 (2.–3. Jh. n.Chr.). 11 In erbschaftlichen Zusammenhängen siehe auch P.Mil.Vogl. II 73,11 (ca. 128–163 n.Chr.). Um die Sicherung von Privilegien hingegen geht es in P.Oxy. IV 705,32 (nach 202 n.Chr.).
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Grundsätzlich geht es hier also darum, dass einem sozial, finanziell oder rechtlich Höhergestellten das Vertrauen entgegengebracht wird, etwas Erstrebenswertes zu bewirken oder anzuordnen. Die Beispiele dafür sind insgesamt sehr vielfältig: „Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit“ (πίστις καὶ ἀσφάλεια) werden in P.Tebt. I 27,6.51 (113 v.Chr.) als Voraussetzungen für Leute genannt, die die Aufsicht über Getreide übernehmen sollen (ähnlich SB V 8754,13 mit BL III 208 [5. Februar 77 v.Chr.]).12 Analoges gilt für jene, die für die Einhebung der Biersteuer zuständig sind – SB XVI 12504,10 (nach 24. August 136 n.Chr.): μετὰ πάσης πίστεως καὶ ἐπιμελείας („mit aller Zuverlässigkeit und Sorgfalt“). Aus dem militärischen Bereich stammt P.Mich. VIII 485,12 (105 n.Chr.?). In umgekehrter Weise wird von Untergebenen Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit erwartet. In den Papyri ist diesbezüglich insbesondere von Boten und Sklaven die Rede. Für das erfolgreiche Überbringen eines Briefes (oft zusammen mit Gütern) war man auf einen zuverlässigen oder vertrauenswürdigen Menschen angewiesen, dem man möglichst uneingeschränkt vertrauen konnte. So heißt es in einem Brief, der um das Jahr 100 n.Chr. geschrieben wurde – P.Fay. 122,20–22: καὶ πέμψεις ε̣[ἰ]ς Χαλ̣ῶ̣θιν ἐάν τι|να εὕρῃς κ̣α̣τ̣ὰ̣ παρό[ντας] ἔχοντα | πείστιν πολλ̣ή̣ν̣ („und schicke [ergänze: jemanden] nach Chalothis, wenn du jemanden unter den Anwesenden findest, der großes Vertrauen verdient“). Häufiger werden derartige Bedingungen mit dem Adjektiv πιστός formuliert. So erwähnt der Schreiber des nur bruchstückhaft erhaltenen Briefes P.Yale I 80 (2. Jh. n.Chr.) in Z. 8, dass er keinen zuverlässigen Boten finden konnte (οὐχ εὗρον πιστόν), während er später in Z. 14 – im Zusammenhang mit einer anderen Sendung erwähnt: πέμψω σοι διὰ ἀνθρώπου πιστοῦ („ich werde dir durch einen zuverlässigen Menschen … schicken“).13 Beim Verkauf einer Sklavin oder eines Sklaven wird hin und wieder betont, dass diese/r „zuverlässig und nicht zum Entlaufen geneigt“ ist, so z.B. in SB III 6016,28 (28. März 154 n.Chr.): πιστοῦ καὶ ἀδράστου.14 Neben „vertrauen“ kann das Verb πιστεύω auch die Bedeutung „anvertrauen“ annehmen. Die aktive Verwendung ist durch O.Did. 406,20–21 (vor [?] ca. 115–140 n.Chr.) bezeugt: σοὶ γὰρ τὰ ἐμὰ πάντα ἐ|πίστευσα („denn ich habe dir alles, was ich habe, anvertraut“). Meist begegnet die 12 Siehe ferner BGU XVIII.1 2740,11 (87–86 v.Chr.?) und in diesem Sinn rekonstruiert in BGU XVIII.1 2736,3 (87–86 v.Chr.); 2739,8 (ca. 87–85 v.Chr.); 2737,10 (vor 1. August 86 v.Chr.); 2738,13 (1. August 86 v.Chr.?); 2755,9; 2756,8 (beide ca. 78–77 v.Chr.). 13 Ähnlich SB XIV 12172,23–28 (3. September 7 n.Chr.); P.Alex. 25,23–24 (2. Jh. n.Chr.); P.Phil. 35,29–30 (Ende 2. Jh. n.Chr.); P.Mich. VIII 514,13–14; P.Oxy. VII 1067,29–30 mit BL VIII 240 (beide 3. Jh. n.Chr.); SB XVI 12694,4–5 (3.–4. Jh. n.Chr.). 14 Zwei weitere Beispiele für diese Wendung stammen bereits aus dem 4. Jh. n.Chr.: P.Abinn. 64,14 (337–350 n.Chr.) und SB V 8007,5 mit BL IV 82 (1. Hälfte 4. Jh. n.Chr.).
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passive Verwendung, für die eine stehende Wendung in Ammenverträgen15 vom Ende des 1. Jh. v.Chr. ein gutes Beispiel bietet. So heißt es z.B. in BGU IV 1106,31–32 (vor 26. Februar 13 v.Chr.): ἅ τε ἐὰν λάβῃ ἢ πιστευθῇ σῶα συντηρήσιν (l. συντηρήσειν) | καὶ ἀποδώσειν ὅτ̣α̣ν̣ ἀπαιτῆται („und was immer sie [sc. die Amme] empfängt oder ihr anvertraut wird, wird sie unversehrt bewahren und zurückgeben, wenn es zurückverlangt wird“).16
2. Πίστις in Rechts- oder Geldgeschäften In zahlreichen Beispielen für πίστις geht es darum, dass Rechtsgeschäfte17 oder Warenlieferungen „auf Treu und Glauben“ hin (πίστει, lat. fide, oder καλῇ πίστει, lat. bona fide) abgeschlossen oder durchgeführt werden. Die Beispiele sind zeitlich breit gestreut.18 In einigen Kaufverträgen aus römischer Zeit wird die sogenannte Stipulationsklausel, die die Vertragsbedingungen in Form von Anfrage und Zusicherung nennt, mit doppeltem πίστει (lat. fide) ausgeformt.19 Hierbei ist auf den glücklichen Umstand zu verweisen, dass diese Formel mittlerweile 15
Siehe dazu ausführlich C.Pap.Gr. I S. 3–31. Weitere Beispiele (öfters mit leicht abweichenden Formulierungen) sind: C.Pap.Gr. I 13,19–21 (ca. 30 v.Chr.–14 n.Chr.); BGU IV 1107,14–15 (vor 27. März 13 v.Chr.); 1058,31–34 (30. März 13 v.Chr.); 1126,13–14 (13. November 9 v.Chr.); 1108,16 (5. Oktober 5 v.Chr.); 1109,19–20 (4. November 5 v.Chr.). In anderem Zusammenhang, aber von der Formulierung her ähnlich: SB VI 9050, Kol. V 12–13 (117–127 n.Chr.). 17 Zu πίστις im Rechtswesen (vom klassischen griechischen Recht bis zur πίστις als Wiedergabe der römischen fides) siehe SCHMITZ, πίστις (s. Anm. 4). 18 PSI V 512,24–26 (3. Juli 253 v.Chr.), ähnlich z.B. P.Tebt. V 1151,41 (nach 24. März 112 v.Chr.); PSI XV 1515,8 (2. Hälfte 2. Jh. v.Chr.); P.Yadin I 28,10–11; 29,9; 30,15–17 (alle ca. 125 n.Chr.); P.Hever 61, Frag. a und b 2 (25. April 127 n.Chr.); P.Yadin I 16,34–35 (nach 4. Dezember 127 n.Chr.); 17,16.38–39 (21. Februar 128 n.Chr.); 18,27–28.66–67 (5. April 128 n.Chr.); 20,40 (19. Juni 130 n.Chr.); 21,27–28; 22,29–30 (beide 11. September 130 n.Chr.); P.Hever 65,10.14 (7. August 131 n.Chr.); P.Mil.Vogl. I 25, Kol. III 32 (26. Mai – 24. Juni 127 n.Chr.); PSI XV 1527,8 (nach März 161 n.Chr.); P.Oxy. LXVII 4597,11 (19. November 294 n.Chr.); vielleicht P.Mich. V 238, Rekto 235 (26. Dezember 46 n.Chr.). Beachte auch P.Dion. 11,10 (vor 12. Oktober 108 v.Chr.) und 12,9 (13. Oktober 108 v.Chr.) und dazu ALONSO, Πίστις (s. Anm. 4), bes. 28–30 (zusammenfassend S. 29: „ἐν πίστει refers here to the fact that, by issuing the documents without having actually received the loan, and before Admetos performed his due, Dionysios was indeed acting on trust“). 19 Siehe dazu D. HAGEDORN zu P.Turner 22 (in P.Turner S. 112); D. SIMON, Studien zur Praxis der Stipulationsklausel, Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 48, München 1964, 49f.; als Einführung zur Stipulation allgemein auch R. T AUBENSCHLAG, The Law of Greco-Roman Egypt in the Light of the Papyri 332B.C.–640A.D., Warszawa 21955 (Nachdruck Milano 1972), 396f. 16
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für einen Zeitraum von mehr als 120 Jahren und für Gebiete zu belegen ist, die doch sehr weit auseinander liegen: Pamphylien, Dacia Superior im heutigen Rumänien, Syrien und Ägypten. Die einfachste, aber praktisch vollständig erhaltene Form enthält der Landkaufvertrag P.Dura 26,27–28 (Sachare in der Nähe von Dura Europos; 26. Mai 227 n.Chr.): πίστει ἐπ̣ηρώ̣τησ̣[εν] | ὁ̣ ἠ̣γ̣ο̣ρ̣α̣κ̣ὼ[ς] κ̣α̣[ὶ] πίστει ὡμολόγησεν Ὀταρναῖος ὁ π̣ε̣πρ[α]κ̣ώ̣ς („fide hat der Käufer die Forderung erhoben und fide hat der Verkäufer Otarnaeus zugestimmt“). Frühere Belege sind in den Sklavenkaufverträgen P.Hamb. I 63,5–7 (Thebais ?/Ägypten; 125–126 n.Chr.), P.Turner 22,5–7.22–24 (Side in Pamphylien; 142 n.Chr.) und BGU III 887,6–8.18–19 mit BL VIII 3620 (ebenfalls Side; 8. Juli 151 n.Chr.) erhalten geblieben, aber auch in dem lateinisch abgefassten Sklavenkaufvertrag CIL III p. 940–943 Nr. VII, intr. 11–14/extr. 17–20 (Wachstafeltriptychon aus Alburnus Maior/Dacia Superior; 142 n.Chr.); ein weiteres Beispiel aus Ägypten ist der Vertrag SB XIV 11705,17–19 (Arsinoites/Ägypten; nach 29. September 213 n.Chr.). Ein Vertrag, der vermutlich am 2. Oktober 251 n.Chr. abgefasst wurde und die Hinterlegung von 100 Denaren in Silber regelt, stammt aus Dura Europos (P.Dura 29,18). Die beiden Sklavenkaufverträge aus Side (P.Turner 22 und BGU III 887) wurden auf dem Forum in Side abgeschlossen und niedergeschrieben. Der jeweilige Sklavenhändler nahm mit der erworbenen Sklavin den dazugehörigen Vertrag nach Alexandria mit, wo auf dem Sklavenmarkt jeweils Sklavin samt Vertrag von einem endgültigen Käufer aus dem Landesinneren erworben wurde. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass diese beiden Verträge in der ägyptischen Chora erhalten blieben und gefunden wurden. Als – nach P.Dura 26,27–28 – weiteres Textbeispiel der für unseren Zusammenhang interessanten Stipulationsklausel sei P.Turner 22,22– 24 (bzw. Z. 5–7) zitiert, wo festgehalten wird: für den Fall, dass die Vertragsbedingungen nicht eingehalten werden, „dass dann der doppelte Preis ohne Anzeige richtig gezahlt wird, hat Pamphilos alias Kanopos, Sohn des Aigyptos, fide gefordert, und Artemidoros, Sohn des Aristokles, hat fide zugesagt, das zu zahlen“: τότε διπλῆ̣ν τὴ̣ν̣ τ̣ε̣[ι]μὴ̣[ν] χω̣ρ̣ὶ̣[ς] π̣α̣|[ραγγελίας καλῶς δο]θ̣ῆναι πίστει ἐπερώτη̣[σεν] Π̣ά̣μ̣φιλ̣ο̣[ς ὁ] κ̣α̣[ὶ] Κ̣ά̣ν̣ω̣[π]ο̣ς̣ | [Αἰγύπτου, πίστει δοῦ]ν̣αι ὡμολόγησεν Ἀ[ρ]τε̣[μίδωρ]ο̣ς̣ Ἀριστο[κ]λ̣έ̣ους.21 Während es in den erwähnten Rechtsgeschäften und Kaufverträgen auf die Richtigkeit der Formulierungen ankommt, damit ein rechtlich einwand20
Der Form nach handelt es sich bei beiden Dokumenten um Doppelurkunden; siehe dazu D. HAGEDORN zu P.Turner 22 (in P.Turner S. 108, beachte auch die Anm. 2–5). 21 Zum rechtlichen Verständnis des Textes siehe auch É. JAKAB, Praedicere und cavere beim Marktkauf. Sachmängel im griechischen und römischen Recht, Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 87, München 1997, 180–182.
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freier und gültiger Vertrag zustande kommt, sollen nun noch einige Beispiele für Geldgeschäfte angeführt werden, in denen freiere Formulierungen mit πίστις vorkommen. Dabei tritt die menschliche Seite der Geschäftspartner deutlicher in den Vordergrund. Bei SB XIV 12172 handelt es sich um den Brief eines gewissen Ptollas an einen Isas, der am 3. September 7 n.Chr. abgefasst wurde. Ptollas weist seinen Adressaten höflich, aber direkt darauf hin, dass dieser ihm noch Geld schuldet; in Z. 18–23 heißt es: ἐγὼ γὰρ μή εἰ ἤ̣δη | ὅτι πιστὸς ἶ οὐκ ἂν | ἔχρησά σοι. εἰδὼς | τὴν σὴν πίστιν | οὐδενὶ ἔδω̣κα | τὸ γράμα („ich nämlich, wenn ich nicht wüsste, dass du zuverlässig bist, hätte [es] dir nicht geliehen. Weil ich um deine Zuverlässigkeit weiß, habe ich den Zettel niemandem gegeben“; gemeint ist: „I did not turn over to anyone for collection the note in which you acknowledged your debt“22). Als πιστός gilt diesem Text zufolge also jener, der seine geschäftlichen Vereinbarungen einhält, auf den also Verlass ist. Nicht so zurückhaltend ist eine gewisse Johanna in P.Bad. II 35, einem Brief vom 16. Dezember 87 n.Chr., der an einen Epagathos gerichtet ist. Johanna wirft ihm vor, das Übereinkommen gebrochen zu haben, das sie zur Eigentümerin von 20 Drachmen und den Zinsen bestimmt hätte; demgemäß schreibt sie in Z. 6–7: θαυμάζο (l. θαυμάζω), πῶς τ̣ὴν πίστιν | σου ἤλλαξαι („ich wundere mich, dass du deine Glaubwürdigkeit verloren [wörtlich: geändert] hast“).23
3. Auswertung Der absolute Gebrauch von πιστεύω ist papyrologisch zwar nur ein einziges Mal belegt, doch ist dadurch immerhin eine Parallele zur häufigen absoluten Verwendung bei Paulus festzumachen. Bekräftigt wird dieser Befund durch die vielen Beispiele, in denen πίστις im Sinne einer grundsätzlichen Einstellung unter Menschen verwendet wird. Πίστις bezeichnet dann jene Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Treue, ohne die einer tragfähigen Beziehung – einer privaten ebenso wie einer geschäftlichen oder rechtlichen – das entscheidende Fundament fehlt. Bei Paulus handelt es sich zumeist um einen religiösen Zusammenhang,24 der für Papyri, die noch nicht christlich geprägt sind, bisher nicht festzumachen ist. 22 H.C. YOUTIE, P.Mich.Inv. 1429: Polite but Firm, ZPE 28 (1978), 262–264, 264; dort auch Lit. zu den verschiedenen Möglichkeiten der Schuldeneintreibung. 23 Siehe dazu auch R.S. B AGNALL/R. CRIBIORE, Women’s Letters from Ancient Egypt, 300 BC–AD 800, with contributions by E. Ahtaridis, Ann Arbor 2006, 291f. 24 Von einer πίστις sowohl unter Menschen als auch gegenüber Christus ist in Phlm 5 die Rede.
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Die Bedeutung einer grundsätzlichen vertrauensvollen und zuverlässigen Einstellung passt allerdings für beide Ebenen, für die zwischenmenschliche und die religiöse. Der Begriff πίστις ist einerseits als „Glaube“ (im Sinne der religiösen Treue und Zuverlässigkeit sowie des gegen einen Gott gehegten Vertrauens) zu deuten, andererseits als „Treue, Zuverlässigkeit, Vertrauen, Zutrauen“ gegenüber Menschen. Im Rahmen der Begriffsgeschichte kann ersteres im Sinne einer speziellen Variante der genannten Grundbedeutungen aufgefasst werden. Sich vertrauensvoll an einen Höhergestellten zu wenden, um Hilfe oder Unterstützung in einer Angelegenheit zu erlangen, lässt sich ebenfalls auf den religiösen Bereich bei Paulus übertragen: Denen, die auf Gott vertrauen und an ihn glauben, wird sein Rettungshandeln zuteil. Ein πιστός zu sein, kann als ganz besonderes Merkmal eines Funktionärs oder Amtsinhabers oder für besondere Aufgaben (z.B. Botendienste) gelten. Bei Paulus trifft dies auf ihn selbst (1Kor 7,25), auf Abraham (Gal 3,9), auf den οἰκονόμος von 1Kor 4,2 und auf Timotheos zu (1Kor 4,17), dann aber auch auf Gott selbst (1Kor 1,9; 10,13; 2Kor 1,18; 1Thess 5,24). Auch der paulinische Gott steht als πιστός zu dem einmal Begonnenen. Auf die mit πιστός angesprochene Zuverlässigkeit kann man etwas gründen und aufbauen (z.B. κοινωνία in 1Kor 1,9). Die passive Verwendung von πιστεύω in den Papyri deckt sich mit jener bei Paulus, wenn dieser davon spricht, mit einer „Verwaltung“ (οἰκονομία) betraut worden zu sein (1Kor 9,17), aber auch, wenn er betont, dass ihm das Evangelium „anvertraut wurde“ (so 1Thess 2,4; Gal 2,7).
Religiöse Tradition und individueller Glaube Πίστις und πιστεύειν bei Plutarch als Hintergrund zum neutestamentlichen Glaubensverständnis RAINER HIRSCH-LUIPOLD
1. Hinführung1 Am Ende des Johannesevangeliums2 fasst der Evangelist die Bedeutung der vorausgegangenen Erzählung folgendermaßen zusammen: Noch viele weitere Zeichen hat Jesus vor seinen Jüngern getan, die nicht in diesem Buch aufgeschrieben sind. Dies aber wurde aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr als Glaubende Leben habt in seinem Namen. 3 (Joh 20,31)
Der Glaube als die zentrale Kategorie des Heils, die schließlich zum Leben führt, entzündet sich an den Überlieferungen von der Präsenz Gottes in Jesus, die in diesem Buch als Erfahrungen unmittelbarer Gottesbegegnung aufgefangen sind. In Jesu „Zeichen“ (σημεῖα), von denen das Evangelium erzählt, wird der Gott, den „keiner jemals gesehen hat“ (Joh 1,184), gegenwärtig spürbar – und für den Leser gleichsam durch die Augen und Ohren der ersten Zeugen wahrnehmbar. Die Geschichten sind deshalb von einer geradezu irritierenden Körperlichkeit: der himmlische Geschmack des Weins, der den Speisemeister bei der Hochzeit zu Kana in Erstaunen versetzt (Joh 2), weil er die Herkunft des Weines nicht kennt, die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9), die diesem nicht nur körperlich die Augen öffnet, die Auferweckung des Lazarus, die nicht Todesgeruch (11,39), sondern den Geruch neuen Lebens in die Nase steigen lässt (12,3), schließ-
1 Der Aufsatz ist entstanden im Zusammenhang des Engagements als External research collaborator, Faculty of Theology, North-West University (Potchefstroom-Campus). 2 Wenn man, wie die Mehrheit der Exegeten, in Joh 21 ein Nachtragskapitel sieht. 3 ταῦτα δὲ γέγραπται ἵνα πιστεύσητε ὅτι Ἰησοῦς ἐστιν ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ, καὶ ἵνα πιστεύοντες ζωὴν ἔχητε ἐν τῷ ὀνόματι αὐτοῦ. 4 Noch auch ihn sehen kann (1Tim 6,16).
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lich die Berührung des Auferstandenen durch Thomas (Joh 20,24–29).5 Die Körperlichkeit ist jedoch soteriologisch notwendig: Wenn Leben stiftender Glauben in geschichtlicher Gottesbegegnung gründet, solche Gottesbegegnung aber aufgrund der Unkörperlichkeit Gottes und damit der Unbrauchbarkeit unserer Wahrnehmungsorgane gar nicht möglich ist, muss der vollkommen transzendente Gott sich der Welt zunächst analog machen.6 Laut dem Evangelisten ist dies an einem einmaligen Punkt innerhalb der Geschichte geschehen, als nämlich der göttliche Logos in Christus Fleisch (Joh 1,14) und damit Gott körperlich7 erfahrbar wurde. So relativiert diese körperliche Hermeneutik des Johannesevangeliums die Aussage des Hebräerbriefs, echter Glaube richte sich auf das, was man nicht sieht (Hebr 11,1): Christlicher Glaube, so fasst der sog. 1. Johannesschluss diese Hermeneutik zusammen, lebt von dem, was vom Wesen und der Herrlichkeit Gottes in Christus sichtbar geworden ist. In Christus ermöglicht der unsichtbare Gott den Zugriff auf sich selbst.8 Nirgendwo wird dies deutlicher formuliert als in der Thomaserzählung. Und zugleich macht Jesu Antwort auf das vollgültige Bekenntnis des Thomas, das durch eine äußerste körperliche Erfahrung, durch Berührung, zustande gekommen war („Selig, die nicht sehen und doch zum Glauben kommen“; 20,29) die Spannung zwischen Präsenz und Entzogenheit, zwischen der Eindeutigkeit Gottes und der schillernden Vieldeutigkeit jeder historisch-körperlichen Vermittlung deutlich. Die Rückbesinnung auf die Christusbegegnung bewirkt erst durch den nachösterlichen Erschließungsvorgang, durch die rechte Deutung und das rechte Verständnis Glauben. Nur so wird aus religiöser Tradition, als welche man das literarische Zeugnis von den Taten und Worten Jesu begreifen kann, individueller Glaube, der den Zugang zu Wahrheit und Leben eröffnet. Jedenfalls aber bestreitet das Evangelium vehement, dass es indes irgendeinen anderen Zugang zu Wahrheit und Leben jenseits dieser geschichtlichen Erfahrung geben könnte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer 5 Freilich erzählt die Geschichte nicht, ob Thomas Jesus tatsächlich berührt hat – der Möglichkeit zur Berührung eignet jedenfalls die Kraft, Glauben zu schaffen. 6 Zum Folgenden vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Gott wahrnehmen. Die Sinne im Johannesevangelium, Habil. masch. Göttingen 2010 (ersch. Tübingen 2016). 7 Vgl. Kol 2,9: ἐν αὐτῷ κατοικεῖ πᾶν τὸ πλήρωμα τῆς θεότητος σωματικῶς („in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit körperlich“). Es ist kein Zufall, dass diese Formulierung im Kontext der einzigen Stelle steht, an der Philosophie terminologisch im Neuen Testament erscheint und als etwas qualifiziert wird, das als leere (weil sich bloß auf die Plausibilitäten [2,4] menschlicher Überlieferungen stützende) Täuschung die Christen einzunehmen droht, die doch ihrerseits ihren Glauben, das heißt ihre festgegründete Überzeugung (2,5.7) auf den gründen können, der als Bild des unsichtbaren Gottes in die Welt gekommen ist (Kol 1,15). 8 Vgl. 1Joh 1,1–3; Apg 17,27.
Πίστις und πιστεύειν bei Plutarch
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über mich.“ (Joh 14,6) Dieser Anspruch gilt gegenüber allen anderen Formen der Suche nach Erkenntnis der Wahrheit. In mancherlei Hinsicht stehen der Pistisbegriff Plutarchs, den wir im Folgenden als Hintergrund zur Rolle der πίστις bei Paulus diskutieren wollen, und seine Hermeneutik der religiösen Tradition in einer frappierenden Nähe zu diesen johanneischen Gedanken. Die – wie wir sehen werden – durchaus religiös gefärbte Verwendung des Begriffs πίστις bzw. πιστεύειν bei dem mittelplatonischen Philosophen ist an die autoritative Tradition der Väter geknüpft. Die Verbindung von religiöser Tradition und philosophischer Erkenntnisfindung führt auch bei Plutarch auf die Begründungszusammenhänge von Glauben und Wissen. Während bei der Frage nach den Hintergründen des paulinischen Denkens in der zeitgenössischen Philosophie9 überwiegend die stoische Tradition im Blick war,10 richtet sich der Blick im vorliegenden Beitrag auf den kaiserzeitlichen Platonismus, und zwar auf jenen Teil, den man als religiöse Philosophie bezeichnen kann.11
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Die Debatte um die zeitgenössische Philosophie als Hintergrund frühchristlichen Denkens hat in den letzten Jahren erneut wesentliche Impulse bekommen: D. RUNIA, Ancient Philosophy and the New Testament. „Exemplar“ as Example, in: A.B. McGowan/K. Richards (Hg.), Method and Meaning (FS H.W. Attridge), SBL.RBS 67, Atlanta 2011, 347–361; J. THOM, Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World. Early Christianity 3 (2012), 279–295; S. VOLLENWEIDER, „Mitten auf dem Areopag“. Überlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament. Early Christianity 3 (2012), 296–320 (das ganze Heft ist dem Thema „Antike Philosophie und frühes Christentum“ gewidmet). Wichtig ist Vollenweiders Problemanzeige: „Philosophie ist in der kaiserzeitlichen Gesellschaft ein überaus vieldimensionales Unternehmen; das Spektrum reicht von elitären Philosophenschulen über Wanderprediger und Gruppen verschiedener sozialer und religiöser Konturen – fassbar beispielsweise in jenen Strömen, die die „Platonic Underworld“ hermetischer und gnostischer Zirkel bilden – bis zu unscharfem weltanschaulichem Material, das weit von seinem Ursprung entfernt in ganz andere Kreise und soziale Niveaus diffundiert“ (a.a.O., 298). 10 Vgl. insbesondere die Monographie von T. ENGBERG-P EDERSEN, Cosmology & Self in the Apostle Paul. The Material Spirit, Oxford 2010; DERS., Setting the Scene. Stoicism and Platonism in the Transitional Period in Ancient Philosophy, in: ders./T. Rasimus/ I. Dunderberg, (Hg.), Stoicism in Early Christianity, Grand Rapids 2010, 1–14. Völlig einverstanden bin ich mit Engberg-Pedersen darin, dass die Aussagen des Paulus auch als Beitrag zum philosophischen Diskurs gelesen werden können und sollten im Kontext einer Entwicklung der Philosophie, die sich in der frühen Kaiserzeit auch unter paganen Denkern immer stärker auf religiöse Traditionen zu stützen beginnt. 11 Zur religiösen Philosophie der Kaiserzeit als Kontext des Neuen Testaments vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Das Neue Testament im Rahmen der religiös-philosophischen Literatur der Zeit, in: ders./M. v. Albrecht/H. Görgemanns (Hg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit, Ratio Religionis Studien 1, STAC 51, Tübingen 2009, 117–146.
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Zuvor ist indes zu fragen: Lässt sich das Denken des Apostels überhaupt sinnvoll mit zeitgenössischer Philosophie ins Gespräch bringen? Der französische Philosoph Alain Badiou hat besonders prägnant die Entgegensetzung von Glauben und Rationalität als Grundlage des paulinischen Denkens formuliert12: Was Paulus aufgrund der persönlichen Erfahrung als Heilsgewissheit zu sagen habe, sei als Antiphilosophie zu charakterisieren: „Dieser Diskurs kann also (und das ist die Pointe der paulinischen Antiphilosophie) in keiner Weise dem Wissen angehören.“13 Zum Begriff der Antiphilosophie gehören für Badiou die Berufung auf historisch Singuläres sowie die Subjektivität des mit Wahrheitsanspruch Ausgesagten14, der Bekenntnischarakter eines dem Wissen gegenübergestellten Glaubens, den man im Begriff der πίστις zusammengefasst sehen kann. Die „Verachtung der philosophischen Weisheit“ sei, so Badiou, ein Signum des Denkens des Paulus15, 1Kor 2,1–4 eine „Bilanz der Expedition eines Antiphilosophen auf philosophisches Terrain“.16 Dieser letzte Satz gibt Anlass zum Nach12 A. B ADIOU, Paulus. Die Begründung des Universalismus, Zürich 2002 (22009; franz.: Saint Paul. La fondation de l’universalisme, Paris 1997). 13 B ADIOU, Paulus (s. Anm. 12), 86. Diesen Satz gilt es mit Stellen wie 1Kor 8,1–3 ins Gespräch zu bringen, wo die Terminologie des Wissens zentral wird; in 1Kor 13,8.12 ist zwar von stückweisem Erkennen die Rede, das sich in der eschatologischen Begegnung mit Gott auflösen wird, aber keineswegs wird ein Kontrast von Glauben und Wissen hergestellt. Badiou stellt Paulus in der Interpretation dieser Stellen zwischen den (jüdischen) Propheten und den (griechischen) Philosophen als jemand, der im Grunde nichts weiß. So schreibt er in Fortführung der oben zitierten Stelle: „Der Philosoph kennt die ewigen Wahrheiten, der Prophet kennt den univoken Sinn dessen, was kommen wird (selbst wenn er ihn nur figural und in Zeichen freilegt). Der Apostel aber, der eine unerhörte Möglichkeit, die selbst von einer ereignishaften Gnade abhängt, verkündet, weiß eigentlich nichts“ (a.a.O., 86). Was Badiou beschreibt, ist aber nicht die Haltung des religiösen Antiphilosophen, sondern jene des erkenntnistheoretischen Skeptikers. 14 Ganz anders als bei Plutarch dienen bei Paulus das individuelle Erlebnis und die eigene Biographie als Bestätigung der Wahrheit („Damaskus“). „Paulus zieht aus den Umständen seiner ‚Konversion‘ die Konsequenz, dass man nur vom Glauben ausgehen kann, vom Bekenntnis des Subjekts“ (B ADIOU, Paulus [s. Anm. 12], 36). Die Entscheidung zum Glauben sei, so Badiou, völlig subjektiv. „Die äußeren Kennzeichen und Riten können nichts zu ihrer Begründung beitragen, nicht einmal in Nuancen“ (a.a.O., 43). Der springende Punkt bleibt hier allerdings außer Acht: dass es nämlich gemäß der argumentativen Logik des Paulus eine neue „objektive“ Begründungsinstanz des Heils gibt: die historische Erfahrung der Realität Gottes in Christus. Bei Plutarch gibt es diese Form persönlich-biographischer Bestätigung im Rahmen der platonisierenden Kunstmythen, dort aber freilich deutlich als mythische Darlegung im Sinne Platons markiert. In beiden Fällen muss diese individuelle Erfahrung sich in der Auslegung der Tradition als gültig erweisen. 15 B ADIOU, Paulus (s. Anm. 12), 53. 16 B ADIOU, Paulus (s. Anm. 12), 54. Erstaunlich ist Badious Fazit, Paulus sei bei den „Griechen“ gescheitert (er denkt wohl wesentlich an den Misserfolg in Athen, von dem Apg 17 berichtet – sein unmittelbar paulinischer Beleg ist 1Kor 2,1–4, was er als Bilanz
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denken: Was kann es bedeuten, wenn ein „Antiphilosoph“ eine „Expedition in philosophisches Terrain“ macht? Er wird sich dort nicht nur umschauen wollen, sondern vielmehr seine eigenen Claims auf der Suche nach der Wahrheit abstecken. Ist er aber dann noch ein Antiphilosoph, oder nicht vielmehr einer, der den Philosophiebegriff selbst zu verwandeln trachtet?17 In Auseinandersetzung mit Badious These hat jüngst G. v. Kooten18 gefragt, ob der Begriff der πίστις denn bei Paulus als spezifisch christlich zu bezeichnen sei oder sich auch in der zeitgenössischen Philosophie in ähnlicher Verwendung nachweisen lasse (so dass also – dies ist die Logik seiner Argumentation – die im Begriff der πίστις sich bündelnden Aussagen des Paulus nicht als per se unphilosophisch oder gar antiphilosophisch betrachtet werden müssten). Die Untersuchung van Kootens zielt darauf, philosophische Verwendungsweisen des Begriffs πίστις bei einem zeitgenössischen Philosophen nachzuweisen, um auf diese Weise die Verwendung des Begriffs bei Paulus philosophisch zu adeln: „Against this background, I des Paulus über seine Beziehungen mit griechischem Denken liest; vgl. B ADIOU, Paulus [s. Anm. 12], 53–55). Denn die Erben der „Griechen“, das sind doch wohl „wir“, das ist das von der Rationalität bestimmte Denken des westlichen Christentums. Wäre Paulus mit seiner Botschaft bei den Griechen gescheitert, gäbe es heute kein Christentum. 17 Wenn Paulus in 1Kor 1,17, wie B ADIOU, Paulus (s. Anm. 12), 55 ebenfalls zitiert, sagt, seine Verkündigung des Evangeliums geschehe οὐκ ἐν σοφίᾳ λόγου, ἵνα μὴ κενωθῇ ὁ σταυρὸς τοῦ Χριστοῦ, so zeigt der Verweis auf das Kreuz Christi, dass es nicht um einen Ausschluss geht, sondern um hermeneutische Priorität; vgl. 1Kor 2,2, wo der Satz, Paulus wolle nichts wissen außer Christus, und diesem als dem Gekreuzigten, natürlich nicht bedeutet, dass Paulus absolut keinen Anspruch auf Wissen erhebt – dafür erscheinen οἶδα und γιγνώσκω zu häufig bei ihm. Vielmehr formuliert er die Grundvoraussetzung und Richtschnur alles menschlichen Wissens. Ganz ähnlich ist Plutarchs Argumentation (im Mund des Stoikers Sarapion) in de Pyth. or. 396D: Gegenüber Menschen, die von der (mangelnden) literarischen Qualität der Sprüche der Pythia darauf schließen wollen, dass diese Sprüche nicht von der Gottheit sind, gilt es den hermeneutischen Ansatzpunkt zu verändern. Wenn wir davon ausgehen (πιστεύοντες), dass die Sprüche von dem Gott stammen, wie können wir dann behaupten, dass sie in ihrer Schönheit den Gedichten Homers und Hesiods nachstehen? Die Sprüche der Gottheit müssen der ästhetische Maßstab sein. Die Frage stellt sich später in ähnlicher Weise bei Tatian, dem man immer wieder unterstellt, er sei antiphilosophisch. Das kann m.E. nur gesagt werden, solange man von einer Trennung zwischen Christentum und Philosophie ausgeht (wobei letztere als grundsätzlich pagan gilt). Tatian geht aber viel weiter. Er wehrt sich nicht grundsätzlich gegen philosophische Überlegungen, sondern er bestreitet der paganen Philosophie ihren Wahrheitsanspruch und ihre Legitimation, weil sie sich nicht auf die einzig dem Menschen zugänglichen, weil offenbarten Grundlagen der Wahrheit beruft. 18 G. V. KOOTEN, A Non-Fideistic Interpretation of ΠΙΣΤΙΣ in Plutarch’s Writings. The Harmony between ΠΙΣΤΙΣ and Knowledge, in: L.R. Lancillotta/I.M. Gallarte (Hg.), Plutarch in the Religious and Philosophical Discourse of Late Antiquity, Ancient Mediterranean and Medieval Texts and Contexts 14, Leiden 2012, 215–233.
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would suggest that many passages in Paul’s writings about ,belief in Christ‘ should not be taken to reflect a specifically religious belief in Christ.“19 Plutarch bietet sich für einen solchen Vergleich an, da seine Verwendung von pistis bereits in früheren Untersuchungen in einige Nähe zu einem christlich-jüdischen Glaubensbegriff gebracht wurde.20 In seiner Kategorisierung unterscheidet van Kooten zunächst solche Verwendungsweisen, die er religious oder fideistic nennt (definiert als „an unfounded religious faith as opposed to knowledge“21) von gewissermaßen philosophischen Verwendungsweisen, in denen πίστις/πιστεύειν „‚believing‘ in philosophical statements“ meine.22 Besonders hebt van Kooten bei Plutarch solche Stellen hervor, in denen pistis im Sinne der theologia tripertita auf Mythos, Gesetz und vernünftige Darlegung zurückgeführt wird.23 Auch wenn van Kooten in seinen abschließenden Bemerkungen dahin zielt, dass bei Plutarch philosophische und religiöse Verwendungen gerade ineinander gehen, greift diese Unterscheidung religiös-nichtrationaler von philosophischen Verwendungsweisen zu kurz, wie wir bei genauerer Betrachtung der relevanten Stellen sehen werden, und sie birgt die Gefahr, die gängige Entgegensetzung von Rationalität und Religion wieder einzuführen, die van Kooten gerade als modernes Konstrukt zu überwinden sucht. Vielmehr lässt sich Plutarch als Zeuge dafür anführen, dass die Unterscheidung selbst im Blick auf die Kaiserzeit problematisch ist; gerade religiöse πίστις erscheint ihm als entscheidender Weg zu Gottes transzendenter Wahrheit. Deshalb versuche ich im Folgenden zu zeigen, dass der umgekehrte Weg zum Ziel führt: Lässt sich die Verwendung des Begriffs der πίστις bei einem zeitgenössischen Philosophen in einer durchaus religiös aufgeladenen Weise24, aber doch eingeordnet in philosophische Argumentations19
KOOTEN, Interpretation (s. Anm. 18), 230. G. B ARTH, Pistis in hellenistischer Religiosität, ZNW 93 (1983), 110–126, bes. 115–118; G. SCHUNACK, Glaube in griechischer Religiosität, in: B. Kollmann u.a. (Hg.), Antikes Judentum und frühes Christentum (FS H. Stegemann), BZNW 97, Berlin 1999, 296–326, bes. 317–322, wo Schunack die Geschichte des Glaubensbegriffs in der paganen Tradition aufarbeitet und neben Platon und der antiken Tragödie auch Plutarch eine umfangreiche Analyse widmet. 21 V. K OOTEN, Interpretation (s. Anm. 18), 217. 22 V. K OOTEN, Interpretation (s. Anm. 18), 217. Weiter erscheine πίστις im relationalen Sinne der Glaubwürdigkeit einer Person (im Zusammenhang von Tugendlisten), im Sinne der rhetorischen Überzeugung (persuasion) oder im Sinne von „Beleg“, ebd. 23 V. K OOTEN, Interpretation (s. Anm. 18), 216f.; am. 763C. 24 F. Frazier hat in mehreren Aufsätzen auf die religiösen Konnotationen hingewiesen, die der Begriff in verschiedenen Zusammenhängen bei Plutarch annehmen kann: F. FRAZIER , Platonisme et Patrios pistis dans le discours central de l’Érotikos (chs 13–20), in: A. Pérez Jiménez/J. García López/R.M. Aguilar (Hg.), Plutarco, Platón y Aristóteles. Actas del V Congresso Internacional de la I.P.S. (Madrid-Cuenca, 4–7 de Mayo de 20
V.
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zusammenhänge nachweisen, so ist dies ein Hinweis darauf, dass dem Religiösen in der frühen Kaiserzeit ein neues Gewicht auf dem Weg der philosophischen Wahrheitsfindung eingeräumt wird – und dies nicht nur bei jüdischen und christlichen Denkern. Dieser religiöse Aspekt, der die Hermeneutik Plutarchs entscheidend mit prägt, bereitet Schwierigkeiten bei der philosophiegeschichtlichen Einordnung des Philosophen – und bietet zugleich entscheidende Anknüpfungspunkte zu Paulus. Die moderne Dichotomie zwischen Glauben und Vernunft erweist sich also nicht nur bei Paulus, sondern ganz wesentlich auch bei der Lektüre und Einschätzung Plutarchs als Problem.25 Es geht deshalb m.E. weniger um die Frage, ob sich Paulus an der einen oder anderen Stelle philosophischer Terminologie bedient oder gar philosophisch argumentiert. Vielmehr wird am vorliegenden Problem eine Auseinandersetzung unter den philosophischen Autoren der frühen Kaiserzeit darüber sichtbar, was überhaupt als Philosophie zu gelten beanspruchen kann. Nimmt man den allgemein religiösen Charakter der Philosophie Plutarchs und seiner Verwendung des Begriffs der πίστις wahr, so hat dies Rückwirkungen auf den Philosophiebegriff selbst und die Entwicklung der Philosophiegeschichte im 1./2. Jahrhundert, wie ich an anderer Stelle dargelegt habe – und damit natürlich auch auf die Einordnung des Paulus in dieser Frage.26 Dass hier ein paganer Philosoph die religiöse Tradition zur Begründungsinstanz von Wahrheitsaussagen macht, und dies – wie wir sehen werden – gerade in Auseinandersetzung mit den Wahrheitsaussagen anderer philosophischer Entwürfe und unter Verwendung des Begriffs der pistis, ist für die Untersuchung des Paulus von großer Bedeutung. Wird der religiöse Zusammenhang des Begriffs bei dem paganen Philosophen deutlich, dann lassen sich umgekehrt die religiösen Aussagen des Paulus als Beitrag im Streit um die Grundlagen der Wahrheit verstehen. Paulus entzieht sich, so deshalb meine These, nicht im Sinne einer Anti-Philosophie 1999), Madrid 1999, 343–356; DIES., Göttlichkeit und Glaube. Persönliche Gottesbeziehung im Spätwerk Plutarchs, in: R. Hirsch-Luipold (Hg.), Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder, RGVV 54, Berlin 2005, 111–137; DIES., Philosophie et religion dans la pensée de Plutarque. Quelques réflexions autour des emplois du mot πίστις, Études platoniciennes V (2008), 41–61. 25 Üblicherweise behandeln philosophiegeschichtliche Darstellungen Plutarch aufgrund des literarischen und religiösen Charakters seiner philosophischen Darstellungsform als Teil einer sich in hellenistischer Zeit ausbildenden „popular philosophy“. Zum Begriff, der in der jüngeren Diskussion einige Popularität gewinnt, vgl. etwa T HOM, Popular Philosophy (s. Anm. 9). Ähnlich schwer fällt die philosophiegeschichtliche Einordnung Philos – aus ähnlichen Gründen. 26 Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Die religiös-philosophische Literatur der frühen Kaiserzeit und das Neue Testament, in: ders./H. Görgemanns/M. v. Albrecht (Hg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit, Ratio Religionis Studien 1, STAC 51, Tübingen 2009, 117–146.
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dem philosophischen Gespräch. Es geht ihm – wie einem Teil der apologetischen Literatur christlich-jüdischer, aber auch pagan-religiöser Provenienz – um wesentlich mehr. Wir haben es mit einem Streit um die Begründungszusammenhänge von Wahrheit zu tun, und darum, wie der körperlich verfasste Mensch überhaupt Zugang zur transzendenten Wahrheit (Gottes) und damit zum Leben gewinnen kann.27 Einer sich absolut setzenden Vernunft, einer falsch verstandenen philosophischen Hermeneutik, die auch als Pseudo-Philosophie qualifiziert werden kann, weil sie sich lediglich in rhetorischer Attitüde gefällt, vor allem aber, weil sie eine vom göttlichen Ursprung der Weisheit abgelöste rein menschliche Weisheit propagiert, wird die eigene, auf göttlicher Offenbarung und der Tradition der Väter beruhende28 Wahrheit entgegengestellt. Dass Plutarch als philosophischer Denker eine ausgesprochen religiöse Hermeneutik vertritt, habe ich an anderer Stelle bereits mehrfach dargelegt und will es nur kurz in Erinnerung rufen, bevor ich an einigen ausgewählten Textbeispielen darlege, welche Rolle dem Begriff πίστις bzw. πιστεύειν in diesem Zusammenhang zukommt.
2. Religion und Philosophie bei Plutarch Bei Plutarch verbindet sich die philosophische Suche nach der Wahrheit an vielen Stellen mit Aspekten des Religiösen. In den Pythischen Dialogen und im Amatorius etwa situiert er das philosophische Gespräch im kultischen Bereich.29 Vor allem aber behauptet er die religiöse Tradition als 27
Wenn die erkenntnistheoretischen Aussagen des Paulus als Antiphilosophie zu verstehen sind, dann würde das in noch höherem Maße für die Philosophie der akademischen Skepsis gelten müssen, die sich doch auf Sokrates selbst zurückführt. Während dies aber tatsächlich eine „Anti-Philosophie“, eine antidogmatische Philosophie war in dem Sinne, dass sie aufgrund der vollkommenen Unzugänglichkeit des intelligiblen Bereichs, der zugleich als der Bereich der Wahrheit zu gelten hat, auf die Unmöglichkeit von Wahrheitsaussagen geschlossen hat, sucht Paulus den Weg zu äußersten Wahrheitsaussagen. In diesem Sinne handelt es sich seinem Verständnis nach nicht um eine Antiphilosophie, sondern um eine höhere Weisheitslehre, die in der Wahrheit und Weisheit Gottes selbst gründet. Wir werden sehen, dass sich hier enge Berührungen mit Plutarch sichtbar machen lassen. 28 Wunderbar zu sehen in Tatians Oratio ad Graecos, wo permanent der griechischen Philosophie, die als sophistische Klügelei figuriert, die eigene, barbarische Philosophie gegenübergestellt wird. Oder in den Weisheitsteilen der Septuaginta, wo Derivate von σοφός in genau diesem Sinne verwendet werden. 29 R. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarch. Religiöse Philosophie als Bildung zum Leben, in: I. Tanaseanu-Döbler/T. Georges/J. Scheiner (Hg.), „Die Lehre des Weisen ist eine Quelle des Lebens“ (Spr 13,14) – Bedeutende Lehrer in der Tradition der Antike und der monotheistischen Religionen, Tübingen 2014, 96–122.
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eine eigene Quelle menschlicher Erkenntnis.30 Nicht nur spekulative Theologie im Sinne des Nachdenkens über die ἀρχαί ist bei ihm also konstitutiv für die Philosophie, sondern der Bezug zur religiösen Tradition der Väter.31 Die religiöse Suche nach Gott und das philosophische Streben nach der Wahrheit gehören für Plutarch untrennbar zusammen, zumal bei ihm die platonische Ideensphäre zunehmend durch den Gottesgedanken interpretiert wird. Die phänomenale Welt und insbesondere die Traditionen der gelebten Religion32 mit ihren uralten Weisheitstraditionen enthalten gemäß der religiösen Ästhetik Plutarchs33 Spuren der göttlichen Wahrheit und können so zur Quelle von Gotteserkenntnis und Gotteslehre werden34, zu einer theologia als Krönung jeglicher Bemühung um die Wahrheit.35 Deshalb wirbt Plutarch für ein Vertrauen in die religiöse Tradition, die er πάτριος καὶ παλαιὰ πίστις nennt (756B) und als Ausgangspunkt, ἕδρα καὶ βάσις, des Denkens versteht. Traditionen gelebter Religion sind materialer Ausdruck, Grundlage, Beleg aller möglichen Aussagen über die Götter.
30
Vgl. etwa Is. 1. Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, „The Most Ennobling Gift of the Gods“ – Religious Traditions as the Basis for Philosophical Interpretation in Plutarch, in: P. Volpe Cacciatore (Hg.), Plutarch’s Writings: Transmission, Translation, Reception, Commentary, Neapel 2013, 203–217. 32 Wenn ich von Traditionen der gelebten Religion spreche, dann ist damit zweierlei gemeint: 1. Plutarch beschäftigt sich nicht mit Theologie im Sinne spekulativer Metaphysik, sondern tatsächlich mit gelebter Religion bzw. deren Traditionen (wie etwa dem Mythos von Isis und Osiris, dem rätselhaften E-Zeichen am Tempel des Apollon in Delphi oder den pythagoreischen Symbola). 2. Plutarch geht es nicht primär um die Vollzüge der Religion oder die religiöse Gemeinschaft, sondern um Traditionen, Erzählungen und Gebräuche. Mit Aussagen über seine eigene kultische Funktion als Priester ist er zurückhaltend, gibt aber insbesondere an einer Stelle einen wertvollen Einblick in seine Tätigkeit (An seni 17, 792F; vgl. 785C). Ebenso spricht er selten über die rituelle Praxis in seiner Vaterstadt Chaironeia (qu. R. 267D; qu. conv. 693F). Allgemein erfahren wir wenig über unmittelbare kultische Vollzüge, worin sich aber keineswegs eine Distanz zum Kult ausdrückt. Vielmehr gelten Opfervollzug, religiöses Fest und dergleichen Plutarch als Quelle der Lebensfreude, die nur von Atheisten und Abergläubischen nicht geteilt werde (Non posse 1002B–C; de tranq. anim. 477C–F). Er selbst war nicht nur Priester, sondern auch in die Mysterien des Dionysos und eventuell auch in jene der Isis eingeweiht (vgl. Is. 364E), woraus er in der Trostrede an seine Frau auch ein existentielles Argument bezieht, das er den philosophischen Überzeugungen der Epikureer entgegenhält (cons. ad ux. 611D). 33 R. HIRSCH-LUIPOLD, Aesthetics as Religious Hermeneutics in Plutarch, in: A. Pérez Jímenez/F. Titchener (Hg.), Valori letterari delle Opere di Plutarco. Studi offerti al Professore Italo Gallo dall’ International Plutarch Society, Malaga/Logan 2005, 207–213. 34 cons. ad ux. 612A; am. 756A. 35 Vgl. de def. or. 410B. Die Deutung der Stelle ist freilich umstritten. 31
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3. Bedeutungsdimensionen von πίστις und πιστεύειν bei Plutarch Nachdem die wichtigsten Stellen zu πίστις und πιστεύειν bei Plutarch von G. Barth im Überblick zusammengestellt36 und von G. Schunack in einen weiteren Zusammenhang eingeordnet worden sind, bleibt die Aufgabe, sie angesichts der neueren Untersuchungen zur religiösen Philosophie Plutarchs in dessen religiöser Hermeneutik zu verorten, also die Funktion der pistis im System Plutarchs zu erörtern und herauszuarbeiten, wie religiöse Tradition hier Teil der philosophischen Argumentation wird. 3.1 Glaube an die Götter Der Begriff πίστις erscheint zunächst zur Bezeichnung des allgemeinen Glaubens an die Götter37 bzw. an die Vorsehung.38 Parallel ist von den überlieferten Überzeugungen über die Götter die Rede39 (δόξα περὶ θεῶν). δόξα ist hier also keineswegs abwertend als Gegensatz zur Wahrheit verwendet, sondern gewissermaßen phänomenologisch: Im Bereich des Körperlich-Menschlichen können wir uns immer nur Meinungen bilden, während uns eine unmittelbare Einsicht in das Wesen der Götter verwehrt ist. Zum Glauben an die Existenz der Götter gehört nach Plutarchs Überzeugung auch der Glaube an ihre Güte, Unvergänglichkeit und Ewigkeit.40 3.2 Für-Wahr-Halten von Einzeltraditionen und -aussagen Solcher Glaube an die Götter und die über sie kursierenden Traditionen sowie insbesondere die Orakel und ihre Sprüche, die dem delphischen Priester besonders naheliegen, grenzt notwendig an das Für-wahr-Halten bestimmter Einzel-Überlieferungen41. In diesen Bereich gehört manches 36
B ARTH, Pistis (s. Anm. 20), 115–118; SCHUNACK, Glaube (s. Anm. 20), 317–322. Z.B. de Pyth. or. 402E; am. 756B; 763C; Non posse 1101C. 38 de sera 549B. 39 τὰ καθεστῶτα ... καὶ πάτρια τῆς περὶ θεῶν δόξης; De communibus notitiis 1074F; vgl. am. 756B; 763C sowie u. S. 271. 40 Z.B. De communibus notitiis 1075A. 41 Meist verbal ausgedrückt als πιστεύειν oder ἡγεῖσθαι; z.B. Septem sapientum convivium 151F; de Pyth. or. 396D; de gen. 593A; cons. ad ux. 612A–B; qu. conv. 624A; de Alex. fort. 328B; Num. 15,1; Sull. 12,5. Es gibt aber durchaus auch nominale Formulierungen: Historiker versuchen, die historischen Zusammenhänge so darzustellen, dass sich im Leser eine tiefe Überzeugung (πίστις ἰσχυρά) bildet, dass sich die Dinge tatsächlich so zugetragen haben (De Herodoti malignitate 855E–F). In 725C nennt Plutarch das unhinterfragte Für-wahr-Halten einer plausiblen Erklärung einer Sitte, das sich durch die Erfahrung (ἐμπειρία) des Fachmanns unterstützt und wissenschaftlich untermauert werden kann, ἄτεχνος πίστις. „Strengthened faith“ (VAN KOOTEN, Interpretation [s. Anm. 18], 217) scheint mir zu stark in eine religiöse Richtung zu weisen, die m.E. hier überhaupt nicht im Blick ist. 37
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Volkstümliche und Dichterische wie Mythen und Wunderzählungen (mit einem mehr oder weniger ernst zu nehmenden Gehalt42). Manches davon ist schlicht als unglaubwürdig43 oder falsch zurückzuweisen, anderes – insbesondere aus dem Bereich des Mythischen – führt zu falschen Überzeugungen über die Götter, wenn man es oberflächlich prima facie versteht. Auch bei den Orakeln markiert der Historiker Plutarch das Problem der Manipulierbarkeit.44 Rhetorisch ist das Ziel jeder Rede, bei den Hören für glaubwürdig gehalten zu werden.45 Solches Für-wahr-Halten bezieht sich also durchaus auch auf religiöse Phänomene, die Plutarch problematisch erscheinen46; bisweilen verhandelt er sie unter dem Stichwort δεισιδαιμονία (im Sinne des Aberglaubens47). Eine eindeutige Trennlinie zwischen legitimem Glauben und irregeleitetem Aberglauben lässt sich indes nicht ziehen48; die Legitimität hängt jeweils von dem Inhalt ab, auf den sich Vertrauen und Glauben beziehen. So kann πιστεύειν auch auf philosophische Positionen und ihre Vertreter bezogen sein, denen man Glauben schenkt – dies hebt v. Kooten mit Verweis auf cons. ad ux. 611D völlig zu Recht hervor.49 Indes zeigt diese Passage gerade, wie nahe philosophische und religiöse Überzeugungen bei Plutarch beieinander liegen, und: dass keineswegs eine philosophische Aussage per se einen höheren Wahrheitsgehalt für sich beanspruchen kann.50 42
Vgl. Quomodo adulator ab amico internoscatur 17B. Hierher gehören auch Wunder und Mirabilia wie etwa sich bewegende und schwitzende Götterbilder (Cam. 6). Oder mythische Überlieferungen wie die, dass Polydeukes einen Mann mit einem Faustschlag getötet habe (de frat. amor. 483C), der Verleumderisches über seinen Bruder gesagt hatte, oder die Erzählung über die Himmelfahrt des Romulus (Rom. 28,3). 43 Z.B. Is. 360A. Die Leichtgläubigkeit unterliegt an verschiedenen Stellen der Kritik Plutarchs. 44 Vgl. P.A. STADTER, Plutarch and Apollo of Delphi, in: R. Hirsch-Luipold (Hg.), Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder, RGVV 54, Berlin 2005, 197–214. 45 de garr. 503D; zur Glaubwürdigkeit vgl. auch adv. Col. 1114D–E mit Zitat aus Lehrgedicht des Parmenides; in Septem sapientum convivium 160E sagt Plutarch, man solle Feinden auch an Stellen misstrauen, wo sie vertrauenswürdig erschienen, Freunden indes auch in unglaubwürdigen Dingen Glauben schenken. 46 So in Is. 377B–C auf das problematische wörtliche Verständnis mythischer Identifikationen von Göttern mit Naturphänomenen. 47 Z.B. De superstitione 170F. 48 Sowohl ἀπιστεῖν als auch ein übermäßiges πιστεύειν ist zu vermeiden (Cam. 6,6). 49 Vgl. Non posse 1099D; ebenso auch von dem „weisesten Homer“: Septem sapientum convivium 164D. 50 Ein methodischer Aspekt sei in Klammern hinzugefügt: Während die systematische Lektüre Plutarchs und insbesondere die Interpretation seiner religiös-philosophischen Position andernorts (in den pythischen Dialogen wie im Amatorius, in denen die religiöse Position besonders prominent laut wird) dadurch erschwert wird, dass wir es mit Aussagen unterschiedlicher personae in Dialogen zu tun haben, spricht Plutarch hier mit
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Du vernimmst freilich auch, was jene andere Gruppe sagt, die viele davon zu überzeugen versteht, für das, was sich auflöst, gebe es nirgends mehr ein Übel oder Ungemach. Ich weiß: Daran, das zu glauben (πιστεύειν), hindert dich die von den Vätern überkommene Lehre, hindern dich die mystischen Formeln (ὁ πάτριος λόγος καὶ τὰ μυστικὰ σύμβολα) aus den geheimen Riten des Dionysoskults, deren Kenntnis wir, die wir (als Eingeweihte an den Feiern) teilnehmen, miteinander teilen.51
Plutarch tritt der philosophischen Einzelposition, der Menschen Glauben schenken, mit der philosophischen Lehre der Väter und mit den Symbolzeichen der Mysterien entgegen, die mit größerem Recht Glauben einfordern. Solches Für-wahr-Halten gibt es also in unterschiedlichen Graden von Plausibilität. Insofern kann und soll, wie van Kooten zu Recht hervorhebt, eine ἄτεχνος πίστις durch die Kenntnis des Fachmanns argumentativ gestärkt werden (725C).52 Dies betrifft allerdings nicht speziell den Aspekt, den van Kooten „fideistic“ nennt. Denn die Hermeneutik eines grundsätzlichen Vertrauens in die Wahrheit der religiösen Tradition, auf die wir nun zu sprechen kommen, bleibt von solchen Überlegungen gänzlich unberührt.53 3.3 Vertrauen in Grenzsituationen Neben dem Für-Wahr-Halten von Einzeltraditionen meint πίστις bei Plutarch eine Haltung des Vertrauens in die Götter, ihre Güte und ihr Eingreifen zugunsten der Menschen, die als ἕδρα καὶ βάσις das Denken und Leben der Menschen trägt. Dieses Vertrauen stützt sich auf bestimmte Theologumena, die auch in der religiösen Tradition zum Ausdruck kommen, wie etwa die Güte, Zugewandtheit und Gerechtigkeit Gottes54 oder eben die Unsterblichkeit der Seele.55 eigener Stimme, und er tut dies in einer sehr persönlichen Schrift, in der es um die Grundfesten des Lebens angesichts des Sterbens geht. 51 Καὶ μὴν ἃ τῶν ἄλλων ἀκούεις, οἳ πείθουσι πολλοὺς λέγοντες ὡς οὐδὲν οὐδαμῇ τῷ διαλυθέντι κακὸν οὐδὲ λυπηρόν ἐστιν, οἶδ’ ὅτι κωλύει σε πιστεύειν ὁ πάτριος λόγος καὶ τὰ μυστικὰ σύμβολα τῶν περὶ τὸν Διόνυσον ὀργιασμῶν, ἃ σύνισμεν ἀλλήλοις οἱ κοινωνοῦντες (cons. ad ux. 611D). 52 Wiederum zu Recht verweist van Kooten auf Aristoteles, rhet. 1355b35, wo Aristoteles über technische und untechnische Beweismittel (ἄτεχνοι und ἔντεχνοι πίστεις) redet, was hier von Plutarch auf die entsprechende Haltung des Rezipienten von Aussagen übertragen wird. 53 Ob man indes diese Hermeneutik angemessen als „fideistic“ charakterisiert, steht auf einem anderen Blatt. 54 Das Vertrauen in die göttliche Vorsehung hält Plutarch in Über die späten Strafen der Gottheit der skeptischen Kritik eines Epikureers entgegen (vgl. etwa de sera 549B–C, wo die verzögerte Bestrafung den Glauben an die Vorsehung zu untergraben scheint). 55 Glaube wird bei Plutarch zum „Grundzug und Kennwort religiösen Selbstverständnisses. Inhalt dieses Glaubens ist die Anteilnahme der Götter am menschlichen Dasein,
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Dies zeigt die eben genannte Stelle, die am Ende der Consolatio ad uxorem steht, Plutarchs Trostschrift an seine Frau anlässlich des Todes der zweijährigen Tochter Timoxena. Gerade hier, wo es um die Vergewisserung angesichts der Grenzsituationen des Lebens geht, zeigt sich, wie untrennbar bei Plutarch philosophische und religiöse Aussagen miteinander verknüpft werden.56 Als Plutarch in dem innigen Schreiben neben einer Reihe tröstlicher Erinnerungen gattungsgerecht auch die Bitte formuliert, die Gattin möge in der Trauer nicht das Maß verlieren, zeigt sich an der zitierten Stelle, dass der Trost, den die epikureische Philosophie bereithält (dass nämlich der Mensch sich mit dem Tod auflöst57), dafür freilich nicht sinnvoll in Anschlag gebracht werden kann. Vielmehr zeugen die philosophische wie die religiöse Tradition, der πάτριος λόγος ebenso wie die μυστικὰ σύμβολα, übereinstimmend für ein Weiterleben der Seele und den Gedanken der Wiedergeburt. Mit diesem „Glaubenssatz“ widerspricht Plutarch der ebenso bekenntnishaft vorgetragenen Überzeugung Epikurs. Die altväterlichen Gebräuche und Gesetze (πάτριοι καὶ παλαιοὶ ἔθη καὶ λόγοι), so heißt es wenig später, untermauern die Wahrheit des Gesagten.58 Die Festigung des Glaubens, von der van Kooten redet, kommt also nicht nur aus der philosophischen, sondern auch aus der religiösen Tradition. Das Stichwort ἀλήθεια ist hier entscheidend: Wenngleich es hier mit περὶ τούτων zunächst auf eine Einzelaussage bezogen ist, referiert Wahrheit für den Platoniker immer auf jenen transzendenten Bereich, der dem Zugriff menschlicher Rationalität letztlich entzogen bleibt. In Fragen nach dem Fortleben der Seele kann es deshalb keine glaubwürdigere Begründungsinstanz geben als die Lehren der Väter, die insbesondere in den Traditionen der Religion niedergelegt sind. Deshalb gilt, was im Anschluss in
ihr Vorherwissen, aber auch so etwas wie die Gewissheit, daß dem Menschen in allen Situationen seines Lebens Götter beistehen“ (SCHUNACK, Glaube [s. Anm. 20], 322). Die entgegengesetzte Position kann als ἀπιστία bezeichnet werden, als ein Nichtglauben gerade an das Gute, das in der jenseitigen Welt wartet (Fragmenta 178). 56 Plutarch befindet sich, wie der Schrift zu entnehmen ist, auf der Heimreise in Tanagra, ca. 70 km vor Chaironeia, als ihn die Nachricht vom Tod der Tochter erreicht. Wir wissen von vier Söhnen Plutarchs und eben dieser einen Tochter, die als jüngstes Kind geboren wurde. Zur Schrift insgesamt vgl. H.-J. KLAUCK, Plutarch. Moralphilosophische Schriften, Stuttgart 1997, 130–144. 57 Es geht um den zweiten der philosophischen Hauptsätze, der κύριαι δόξαι: „Der Tod geht uns nichts an. Was sich aufgelöst hat, hat keine Empfindung. Was aber keine Empfindung hat, geht uns nichts an.“ 58 cons. ad ux. 612A: Τοῖς δὲ πατρίοις καὶ παλαιοῖς ἔθεσι καὶ νόμοις ἐμφαίνεται μᾶλλον ἡ περὶ τούτων ἀλήθεια.
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612B gesagt wird, dass es nämlich schwerer sei, diesen Dingen, also der Lehre vom Fortleben der Seele an einem besseren Platz, nicht zu glauben (ἀπιστεῖν), als ihnen Glauben zu schenken.59 Einem atheistischen Nihilismus werden deshalb neben philosophischen Lehren die Überlieferungen der tradierten Religion entgegengehalten, hier eben die dionysischen Mysterien, die für ein Fortleben der unsterblichen Seele sprechen. Zugleich betrachtet Plutarch einen „ehrfürchtigen Glauben, von dem nahezu alle von früher Kindheit durchdrungen sind“ (τιμὴν καὶ πίστιν ὀλίγου δεῖν ἅπασιν ἐκ πρώτης γενέσεως ἐνδεδυκυῖαν)60 als selbstverständlichen und notwendigen Bestandteil der Götterverehrung, ja geradezu der menschlichen Existenz schlechthin. 3.4 fides quae creditur πίστις bezeichnet weiter den Glaubensinhalt, insbesondere die religiöse Überlieferung (also die fides quae creditur).61 Solche Zeugnisse der religiösen Überlieferung interpretiert Plutarch an unterschiedlichsten Stellen seines Werkes als Grundlagen philosophischer Aussagen. 3.5 Beleg oder Beweismittel Noch eine weitere Bedeutungsnuance zeigt sich in am. 763C: „Wahrscheinlich, mein Freund, gilt von allem, soweit es nicht durch die Sinneswahrnehmung in unsere Vorstellungen gelangt, dass es ursprünglich entweder durch mythische(r) Überlieferung oder durch Brauch und Gesetz oder durch rationale Überlegung seine Überzeugungskraft erhalten hat (πίστιν ἐξ ἀρχῆς ἔσχηκε). Erst recht sind für unsere Auffassung von den Göttern (τῆς δ’ οὖν περὶ θεῶν δόξης) die maßgeblichen Führer und Lehrer die Dichter, die Gesetzgeber und drittens die Philosophen gewesen.“62 Hier greift πίστις in die Frage nach den Begründungsinstanzen unserer Überzeugungen hinein. Sie haben die „Grundlage ihrer Überzeugungskraft/ihre
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Das Argument der Evidenz, also des consensus omnium, tritt zum Altersargument hinzu (vgl. Non posse 1101C: τὴν πίστιν, ἣν οἱ πλεῖστοι περὶ θεῶν ἔχουσιν; Is. 369B–C: διὸ καὶ παμπάλαιος αὕτη κάτεισιν ἐκ θεολόγων καὶ νομοθετῶν εἴς τε ποιητὰς καὶ φιλοσόφους δόξα, τὴν ἀρχὴν ἀδέσποτον ἔχουσα, τὴν δὲ πίστιν ἰσχυρὰν καὶ δυσεξάλειπτον, οὐκ ἐν λόγοις μόνον οὐδ’ ἐν φήμαις, ἀλλ’ ἔν τε τελεταῖς ἔν τε θυσίαις καὶ βαρβάροις καὶ Ἕλλησι πολλαχοῦ περιφερομένη...; vgl. Is. 359F; De communibus notitiis 1075A). 60 Is. 359F. 61 Vgl. B ARTH, Pistis (s. Anm. 20), 116. 62 Übers. Görgemanns. (Plutarch, Dialog über die Liebe. Amatorius, Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von H. Görgemanns u.a., SAPERE 10, Tübingen 22011.)
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Glaubwürdigkeit“ von Dichtern, Gesetzgebern und Philosophen.63 In der Rhetorik meint πίστις in juristischem Zusammenhang ein Beweismittel oder einen Beleg.64 Solche traditionellen Zeugnisse führt Plutarch als Beleg für eine bestimmte Position in einer philosophischen Debatte an und plädiert dafür, man solle den überlieferten Glauben, die überlieferte Tradition nicht fahrenlassen (τὴν δ’ εὐσεβῆ καὶ πάτριον μὴ προΐεσθαι πίστιν; de Pyth. or. 402E), weil sie eine unüberbietbare Quelle der Erkenntnis biete (am. 756A–B65). 3.6 Nichtglauben als μάχεσθαι πρὸς τὸν θεόν In der Auseinandersetzung mit den philosophischen Kontrahenten zur Frage eines Fortlebens der Seele nach dem Tod hatte sich bereits angedeutet, wie Plutarch philosophische Stellungnahmen beurteilt, die ihre eigene Rationalität über die den von den Vätern ererbten Glauben stellen: als ein μάχεσθαι πρὸς τὸν θεόν (de Pyth. or. 402E).66 Denn, so fährt Plutarch fort, eine solche Haltung hebe mit der Mantik (man könnte auch sagen: mit dem Glauben an die Mantik) zugleich die Vorsehung und damit letztlich das Göttliche selbst auf67. Diese Formulierung erklärt die Schärfe, in der Plutarch die Auseinandersetzung mit seinen philosophischen Kontrahenten bisweilen führt. Hier steht mehr auf dem Spiel als bloße Gedankenspielereien! Die philosophische Auseinandersetzung hat deshalb für den Chaironeer zugleich religiöse Qualität und wird gerade auf dem Gebiet der Theologie, des Gottesbegriffs, geführt. Die Aussagen der philosophischen Gegner, seien sie nun Epikureer oder auch die Plutarch in vielem so nahen Stoiker, werden gerade dort angegriffen, wo sich aus ihnen problematische religiös-theologische und entsprechend auch ethische Konsequenzen ergeben. Eine atheistische Position ist demnach sowohl philosophisch unplau-
63 Vgl. am. 763E. Was dort im Sinne einer theologia tripertita über die Rede von den Göttern gesagt wird, ist hier allgemeiner auf alle Aussagen ausgeweitet. 64 Vgl. Görgemanns, Plutarch. Dialog über die Liebe (s. Anm. 62), 171f. Anm. 273 und oben Anm. 52 zu Aristoteles. πίστις ist hier also bewusst parallel zur vorausgehenden Forderung nach ἀποδείξεις durch Pemptides formuliert und dieser Forderung entgegengestellt. Hier wird der Streit um die Begründungszusammenhänge rationaler Aussagen über das Göttliche besonders greifbar. Von einer „strongly fideistic colour“ (VAN KOOTEN, Interpretation [s. Anm. 18], 219) kann man also nur reden, wenn man die moderne Aufspaltung bereits voraussetzt. 65 Vgl. u. S. 267. 66 Vgl. am. 756B: τὰ ἀκίνητα κινεῖν τῆς περὶ θεῶν δόξης ἣν ἔχομεν. 67 de Pyth. or. 402E: δεῖ γὰρ μὴ μάχεσθαι πρὸς τὸν θεὸν μηδ’ ἀναιρεῖν μετὰ τῆς μαντικῆς ἅμα τὴν πρόνοιαν καὶ τὸ θεῖον, ἀλλὰ τῶν ὑπεναντιοῦσθαι δοκούντων λύσεις ἐπιζητεῖν τὴν δ’ εὐσεβῆ καὶ πάτριον μὴ προΐεσθαι πίστιν; Alex. 75: δεινὸν μὲν ἡ ἀπιστία πρὸς τὰ θεῖα καὶ περιφρόνησις αὐτῶν.
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sibel als auch religiös anstößig, vor allem aber ist sie eine Klippe, von der das Leben abstürzen kann.68 Die Stelle zeigt zudem die Umkehrung der Hermeneutik: Nicht die Gottheit muss sich rechtfertigen für das, was dem klügelnden Denken unverständlich oder widersprüchlich erscheint, sondern die Aufgabe menschlicher Wahrheitssuche besteht darin, für die scheinbaren Widersprüchlichkeiten des Lebens und der Vorstellung von den Göttern Lösungen zu suchen, die im Einklang mit der überlieferten Tradition von den Göttern sind69: πίστις schillert hier also zwischen den religiösen Zeugnissen der Wahrheit und der religiös-philosophischen Überzeugung, die sich daraus ergibt. Wie die Kritik an der religiösen Tradition von Plutarch letztlich als Angriff auf die Gottheit begriffen wird, lässt sich eindrücklich an einer Stelle am Anfang der Schrift über das Nachlassen der Orakel (De defectu oraculorum) aufweisen, obwohl das Wort πίστις dort überhaupt nicht vorkommt. Die Stelle zeigt zudem, dass dem Mythischen bei Plutarch in der Folge Platons eine eigene erkenntnisgründende Würde zukommt, die einer rationalen Überprüfung nicht unterworfen werden kann, dort nämlich, wo menschliche Rationalität notwendig an ihre Grenzen stößt.70 Es wird hier erzählt, wie der vorsokratische kretische Philosoph Epimenides den die Bedeutung des Apollonorakels (und das heißt: seinen Wahrheits68 Vgl. Is. 378A; vgl. De superstitione 171E. Verschiedentlich stellt deshalb Plutarch dem Glauben, auch dem unreflektierten Glauben des δεισιδαίμων in kritischer Weise das Nichtglauben als die Haltung des Atheisten gegenüber: „Der Atheist glaubt, dass es keine Götter gibt, aber der Abergläubische wünscht, dass es keine gäbe, und glaubt nur wider Willen an sie, weil er sich davor fürchtet, nicht an sie zu glauben“ (οὐκ οἴεται θεοὺς εἶναι ὁ ἄθεος, ὁ δὲ δεισιδαίμων οὐ βούλεται, πιστεύει δ’ ἄκων· φοβεῖται γὰρ ἀπιστεῖν; De superstitione 170F). Zur ἀπιστία als Gegenseite des Aberglaubens vgl. cons. ad ux. 612B; Alex. 75. 69 In De Pythiae oraculis stellt der Stoiker Sarapion den Glauben daran, dass die Sprüche tatsächlich von dem Gott stammen, hermeneutisch voran: Wenn man glaubt, dass die Sprüche tatsächlich von dem Gott stammen, dann darf man ihnen nicht mit den Maßstäben menschlicher Ästhetik entgegentreten, sondern muss letztere vielmehr nach jenen ausrichten (de Pyth. or. 396D). Ganz ähnlich in De sera numinis vindicta, wo ein „Epikur“ vor Beginn des Dialogs die Versammelten damit verunsichert hatte, der Lauf der Welt und insbesondere die Tatsache, dass mancher Übeltäter offensichtlich keine Strafe erhalte, widerspreche dem Gedanken einer guten Fürsorge Gottes für die Welt. Gerade umgekehrt, so entgegnet Plutarch, sind die historischen Ereignisse unter der Prämisse der Güte und Gerechtigkeit zu interpretieren, um zu einem sinnvollen Verständnis zu kommen. Diese Hermeneutik ist, wie bereits gesagt, durchaus vergleichbar mit derjenigen des Paulus in 1Kor 1–2. Was dem Menschen töricht scheinen mag, ist nicht töricht, wenn man es mit den Augen der Weisheit Gottes betrachtet. 70 Typischerweise ist die Stelle durch den Kontext religiös eingebunden. Ebenso nicht untypisch findet sich eine solche Grundsatzaussage in einem Proömium, in dem Plutarch gerne grundsätzliche Bemerkungen vorausschickt.
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gehalt) zementierenden Gründungsmythos Delphis71 auf die Probe stellen wollte und deshalb den Gott selbst befragt. Der Gott gab eine offenbar die Frage zurückweisende, jedenfalls änigmatische Antwort: οὐκ ἄρ’ ἔην γαίης μέσος ὀμφαλὸς οὐδὲ θαλάσσης· εἰ δέ τις ἔστι, θεοῖς δῆλος θνητοῖσι δ’ ἄφαντος. „Also hat weder Erde noch Meer einen Nabel inmitten. Gibt es ihn, ist er den Göttern bekannt, den Menschen verborgen.“ (Übers. Ziegler)
Die Gottheit wehrt sich dagegen, wie hier ein altehrwürdiger Mythos (μῦθος παλαιός) einem Kunstwerk gleich durch Anfassen inspiziert werden soll, so als wollte man die Qualität eines Bildes durchs Betatschen prüfen (de def. or. 409F–410A). πίστις bzw. πιστεύειν kommt in diesem Beispiel, wie gesagt, nicht vor. Ohne den Begriff zu verwenden beschreibt der Text aber sehr präzise die Sache, die Haltung der ἀπιστία gegenüber der religiösen Tradition. Mit dem Begrapschen als der niedrigsten, weil körperlichsten Erkenntnisform tritt der religiöse Skeptiker72 dem Göttlichen entgegen. Dass das Phänomen an dieser Stelle gar nicht terminologisch auf den Begriff gebracht werden muss, zeigt, dass es im Denken und in der Theologie Plutarchs noch viel grundsätzlicher verankert ist, als die Belege zu πίστις κτλ. vermuten lassen. Hier schließt eine Passage aus dem Amatorius an (am. 756A–D), wo gleich zweimal ἅπτεσθαι für eine Haltung verwendet wird, die sich an der göttlichen Wahrheit im Sinne der traditionellen Überzeugung im Bereich der Rede von den Göttern zu vergreifen versucht, eine Haltung, die hier als σοφιστικὴ πεῖρα, als „sophistische Prüfung“, bezeichnet wird. Die Passage erscheint in jener Schrift, die anlässlich der Hochzeit Plutarchs ein Preislied auf den Eros singt und diesen – in markantem Gegensatz zu seiner Rolle in Platons Symposium – in den Rang eines Gottes erhebt. 71 de def. or. 409E–F: Zwei Adler oder Schwäne seien einmal, so erzählt dieser alte Mythos (μυθολογοῦσιν), von den Enden der Erde losgeflogen und hätten sich in Delphi bei dem sogenannten Nabel der Welt getroffen. 72 Der religiöse ist grundsätzlich zu unterscheiden von einem erkenntnistheoretischen Skeptiker. Die mangelnde Unterscheidung hat hier zu viel Verwirrung geführt. Plutarch kritisiert heftig eine Haltung religiöser Skepsis, der es an Respekt für die überkommenen Weisheitstraditionen mangelt. Erkenntnistheoretisch dagegen ist er selbst ein Erbe der skeptischen Tradition: Ein Zugang zur transzendenten Wahrheit (des Göttlich-Intelligiblen) ist dem Menschen verschlossen. Gerade dieser Rückgriff auf die erkenntnistheoretische Skepsis legitimiert nach Plutarch den philosophischen Rekurs auf die religiöse Tradition; als von Gott selbst der Welt eingezeichnete und von den Vätern übermittelte Weisheit ist sie der zuverlässigste und letztlich einzig mögliche Zugang zur Wahrheit. Zu Plutarchs Verhältnis zur erkenntnistheoretischen Skepsis vgl. J. OPSOMER, In Search of the Truth. Academic Tendencies in Middle Platonism, Brüssel 1998, zu Skepsis und Religion insbesondere die ausgezeichnete Darstellung in 171–186.
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Da rührst du, wie mir scheint, ein großes und heikles Thema, lieber Pemptides, – oder noch mehr: Du verrückst den unverrückbaren Kern des Glaubens an die Götter (τῆς περὶ θεῶν δόξης), den wir hegen, indem du für jeden einzelnen Gott Rechtfertigung und Existenznachweis verlangst. Es genügt aber die von den Vätern ererbte alte Überzeugung (ἡ πάτριος καὶ παλαιὰ πίστις); über sie hinaus kann niemand einen klareren Beweis (τεκμήριον ἐναργέστερον) geben und entdecken, ,selbst wenn das Argument von feinstem Geist erdacht‘. Dies ist ein gemeinsames Fundament, eine Basis, die aller Frömmigkeit zugrunde liegt. Wenn ihre Festigkeit und Verbindlichkeit nur an einer Stelle gestört wird und ins Wanken gerät, wird sie überall brüchig und zweifelhaft... ... dieser Gott [Eros] ist nicht zu sehen, sondern nur mit dem Glauben zu erfassen (δοξαστός) als einer unter den ganz alten.73
Diesmal steht die göttliche Natur eines Einzelgottes, des Eros, auf dem Prüfstand, die einer der Gesprächspartner in Frage stellt. Die Haltung religiöser Skepsis, die er damit an den Tag legt, betrifft indes, so macht Plutarch deutlich, das Göttliche insgesamt. Das Tragödienzitat aus Euripides Bacchien, also von dem großen Rationalisten unter den Tragikern soll zeigen: Sophistischem Klügeln muss der Erfolg versagt bleiben, weil die menschliche Rationalität hier in einen Bereich vordringt, der ihr notwendigerweise verschlossen ist; es rüttelt aber an den Grundfesten, auf die sich Leben allein gründen kann.74 Solche sophistische Prüfung versagt der Gottheit bzw. der religiösen Tradition, die von ihr erzählt, den Glauben, wie die Verben am Ende von am. 756D zeigen, die aus dem Bereich der Gerichtssprache stammen: Wollte man für jeden einzelnen von ihnen einen Nachweis (τεκμήριον) verlangen, würde man alles Heilige antasten und jeden Altar einer kritischen Prüfung unterziehen (σοφιστικὴν ἐπάγων πεῖραν), so dass keiner von Verdächtigungen und Untersuchungen verschont bliebe (ἀσυκοφάντητον οὐδ’ ἀβασάνιστον).75
Ein Verleumden (συκοφαντεῖν) im Sinne eines grundsätzlichen In-FrageStellens und eine Untersuchung (βασανίζειν) und Prüfung mit der sich selbst absolut setzenden Vernunft der Sophisten (σοφιστικὴ πεῖρα), das kommt, wie wir bereits gesehen hatten, einem unangemessenen Betatschen des Heiligen gleich.76 73
Übers. Görgemanns (mit gewissen Änderungen). In den Bacchien führt solches frevlerische Eindringen in den Bereich Gottes (dort des Dionysos) ins Verderben. 75 ὧν ἂν περὶ ἑκάστου τεκμήριον ἀπαιτῇς, παντὸς ἁπτόμενος ἱεροῦ καὶ παντὶ βωμῷ σοφιστικὴν ἐπάγων πεῖραν, οὐδέν’ ἀσυκοφάντητον οὐδ’ ἀβασάνιστον ἀπολείψεις (am. 756D). 76 Dass freilich ein körperlicher Zugang zur Wahrheit Gottes auch positiv mit dem Aspekt der Berührung verbunden werden kann, zeigt die johanneische Thomasperikope ebenso wie die Metapher der Berührung in Apg 17,27; diese positive Wertung befindet sich völlig im Einklang mit der religiösen Ästhetik Plutarchs. Positiv zu beurteilen ist der körperliche Zugang aus der Sicht Plutarchs dann, wenn er auf einer Hermeneutik des 74
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Ist das eine Absage an Denken und rationale Prüfung? Oder gleich an das (philosophische) Denken insgesamt? Keineswegs. Es geht vielmehr um eine Begrenzung der Möglichkeiten und des Geltungsbereichs immanentmenschlicher Rationalität; ihr sind im Bereich des Göttlichen Aussagen mit letzter Gewissheit grundsätzlich nicht möglich, „und sei das Argument auch von noch so feinem Geist erdacht“ (am. 756B). Gewissermaßen wie Baron Münchhausen müsste sich der Mensch selbst am Schopf aus dem Schlamm seiner irdischen Existenz herausziehen. 3.6 Glauben ist mehr nützlich als Aberglauben schädlich: Augenlicht und Augenkrankheit Religiöser Glaube, dies wurde bereits aus dem Vorhergehenden deutlich, ist nicht durch eine eindeutige Trennlinie vom Aberglauben abzugrenzen. Hatte Plutarch wahre Frömmigkeit bereits in De superstitione ins Spannungsfeld von Unglauben und Aberglauben eingeordnet, so nimmt er dieses Thema in der antiepikureischen Schrift Non posse suaviter vivi auf, wo er sich mit der Lustethik Epikurs auseinandersetzt unter der (natürlich schon polemisch formulierten) Frage, ob man nach den Lebensmaximen Epikurs ein angenehmes, lustvolles Leben führen könne. In seiner Diskussion der Frage macht Plutarch deutlich, welche positive Bedeutung er dem religiösen Glauben selbst angesichts der Gefahr des Aberglaubens beimisst. Plutarch argumentiert erneut gegen die epikureische Aufklärung, die zur Vermeidung einer schädlichen Götterfurcht gleich jeglichen Glauben an Götter aufgibt.77 In der Einschätzung der δεισιδαιμονία als etwas Schädlichem und Hinderlichem stimmt er dabei durchaus mit den Epikureern überein. Plutarch illustriert seinen Punkt mit einem medizinischen Vergleich: Denn es ist besser, dass unser Bild von den Göttern (τῇ περὶ θεῶν δόξῃ) ein wenig emotionale Scheu und Furcht beigemengt enthält, als dass wir, um dies zu vermeiden, uns keinerlei Hoffnung auf ihre Gunst, keinerlei Zuversicht im Glück, keine Möglichkeit der Zuflucht zu den Göttern im Unglück mehr übriglassen. Zweifellos müssen wir von unserem Bild von den Göttern alle abergläubische Götterfurcht abheben wie einen schädlichen Augenbelag. Sollte sich das aber als unmöglich erweisen, so darf man den Glauben (τὴν πίστιν) weder herausschlagen noch blind machen, den die meisten über die Götter hegen (Non posse 1101B–C).78
Einverständnisses fußt und nicht, wie bei Epimenides, auf einer Selbstüberschätzung menschlicher Rationalität. 77 Jedenfalls den Glauben an solche Götter, die sich um die Welt kümmern. 78 βέλτιον γὰρ ἐνυπάρχειν τι καὶ συγκεκρᾶσθαι τῇ περὶ θεῶν δόξῃ κοινὸν αἰδοῦς καὶ φόβου πάθος, ἢ που τοῦτο φεύγοντας μήτ’ ἐλπίδα μήτε χάριν ἑαυτοῖς μήτε θάρσος ἀγαθῶν παρόντων μήτε τινὰ δυστυχοῦσιν ἀποστροφὴν πρὸς τὸ θεῖον ἐναπολείπεσθαι. Δεῖ μὲν γὰρ ἀμέλει τῆς περὶ θεῶν δόξης ὥσπερ ὄψεως λήμην ἀφαιρεῖν τὴν δεισιδαιμονίαν· εἰ
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Wie immer das gemeinte Phänomen medizingeschichtlich genau zu verorten ist, bei der λήμη handelt es sich jedenfalls um ein schädliches oder mindestens störendes Sekret, das sich in den Augen sammelt oder sie verklebt und so die Sicht behindert.79 Wieder erscheinen hier δόξα περὶ θεῶν und πίστις als Parallelbegriffe. Mit der Formulierung τὴν πίστιν ἣν οἱ πλεῖστοι περὶ θεῶν ἔχουσιν spricht Plutarch weder von einem philosophisch geklärten Gottesverständnis, noch von einer beliebigen Meinung der Volksmassen, sondern vom consensus omnium, dem selbstverständlichen, von den Vätern überkommenen Glauben an das Göttliche. Der Vergleich der deisidaimonia mit einer Augenkrankheit80 ist besonders interessant, weil er im Umkehrschluss eine Aussage enthält über das Organ, das von der deisidaimonia befallen wird: Der Götterglaube wird indirekt mit einem Auge verglichen. Das Bild dürfte kaum zufällig gewählt sein. Durch den Vergleich wird dem Glauben zunächst eine erkenntnistheoretische Bedeutung zugewiesen: Er macht es möglich, mit dem Göttlichen das tiefere Wesen der Welt zu erblicken! Damit kommt ihm zugleich eine Würde und Bedeutung für das individuelle Leben zu, die derjenigen des Auges entspricht.
4. Fazit Wir fassen zusammen mit Blick auf die beiden Bedeutungsaspekte von pistis, die bereits im Titel dieses Beitrags genannt waren: Religiöse Tradition und individueller Glaube. 1. Pistis erscheint in Plutarchs religiöser Philosophie zunächst material zur Bezeichnung der „Glaubensüberlieferung der Väter“ (am. 756A–B), wie sie sich in Mythen und Riten, in Sprüchen von Weisen und Dichtern, in Gleichnissen, in Riten, Mythen, Ikonographie und Etymologie sowie weiteren Traditionen der gelebten Religion verdichten. Diese Glaubensüberzeugungen der Väter bilden – neben der Philosophie Platons – eine autoritative Grundlage und Begründungsinstanz philosophischer Wahrδὲ τοῦτ’ ἀδύνατον, μὴ συνεκκόπτειν μηδὲ τυφλοῦν τὴν πίστιν, ἣν οἱ πλεῖστοι περὶ θεῶν ἔχουσιν. 79 Vgl. z.B. Galen, Quod animi mores 4,788,18; Aetius, Iatricorum liber 7,44 u.a. Zur metaphorischen Verwendung vgl. das Diktum des Perikles, man müsse Aigina vom Piräus wegwischen wie einen Belag aus den Augen (bei Plutarch: Per. 8,7; Demetr. 1,2; Praecepta gerendae reipublicae 803A), sowie z.B. Plotin, enn. 1,6,9; Synesius, De insomniis 6,136C; Gregor von Nyssa, c. Eun. 2,1,22 (von der ἀσέβεια); Gregor von Nazianz, De moderatione in disputando 36,208; Johannes Chrysostomus, in Joh. 59,148 (Zusammenhang der Erkenntnis Gottes). 80 Vgl. Is. 359F–360A: blind machen; das gilt gerade von der δεισιδαιμονία, die wie eine Augenkrankheit ist.
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heitssuche. Diese ist notwendig, weil dem Menschen aufgrund seiner körperlichen Verfasstheit ein unmittelbarer Zugang zur Wahrheit entzogen ist. Die religiöse Tradition ist legitimiert durch ihr Alter und ihre allgemeine Akzeptanz (consensus omnium), also von einem allgemeinen Gottesverständnis (δόξα περὶ θεῶν). In Plutarchs Oeuvre findet diese Hermeneutik breiten Ausdruck in seiner philosophischen Deutung unterschiedlichster Elemente gelebter religiöser Tradition. 2. πίστις/πιστεύειν charakterisiert andererseits die persönliche Haltung des grundsätzlichen Vertrauens in diese religiöse Tradition und die entsprechende Hermeneutik; wird hier ein Stück in Frage gestellt, so drohen nach Plutarch die Fundamente des Götterglaubens insgesamt ins Wanken zu geraten. Die entgegengesetzte Haltung wäre als ἀπιστεῖν oder gar als μάχεσθαι πρὸς τὸν θεόν zu qualifizieren. Von einem solchen Vertrauen auf die verlässlichen und heilsamen Traditionen ist indes eine unreflektierte Angst vor dem Göttlichen (δεισιδαιμονία) abzuheben, also ein unreflektierter Glaube an religiöse Phänomene und Theologumena, die dem überlieferten Gottesbegriff gerade widersprechen und den Menschen gefangenhalten, anstatt ihn zu befreien; sie ist nicht nur für die Psyche des Einzelnen schädlich, sondern auch theologisch anstößig.81 Diese Haltung des Vertrauens auf das Göttliche (oder Gott) impliziert eine entsprechende Ethik (ὁμοίωσις θεῷ; ἕπεσθαι θεῷ) – und eine Hoffnung im Leben und über das Leben hinaus. Aus dem Gesagten folgt: 3. Es lässt sich bei Plutarchs Verwendung des Begriffes πίστις nicht ein religiös-nichtphilosophischer Glauben von philosophischer Rationalität abheben in der Form, dass religiöse Überzeugungen einseitig durch philosophische Rationalisierung vertieft und bestärkt würden. Es geht vielmehr um die Begründungszusammenhänge jedweder Rationalität. Auf der Grundlage und zugleich in Überwindung skeptischer Erkenntniskritik erscheint die religiös-altväterliche Tradition, die sich der Initiative des den Menschen in seiner Wahrheitssuche anleitenden Gottes verdankt, als einzig möglicher Ausgangspunkt letzter Aussagen und damit individueller Gewissheit über das Göttliche und die ihm entsprechende Wahrheit. Solche Aussagen müssen sich freilich immer im Zusammenhang einer (an den Aussagen Platons orientierten) philosophischen Deutung der religiösen Tradition verstehen. Diese religiös-philosophische Hermeneutik wird von Plutarch an verschiedenen Stellen theologisch darin begründet, dass die Gottheit nicht nur den Inbegriff der Wahrheit in sich trägt, sondern dass sie selbst ihre Wahrheit in die religiöse Tradition hineingegeben hat (in den Symbolen der 81 Wenn etwa Götter fälschlicherweise als schadenbringend angesehen werden; De superstitione 170F.
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Tradition, in der Inspiration der Pythia u.ä.). Das freilich wird axiomatisch vorausgesetzt und kann nicht eigens begründet werden.82 Vielmehr steht der Wahrheitsanspruch göttlich-offenbarter Wahrheit jeder menschlichen Rationalität gerade gegenüber und stellt diese, sofern sie sich dem Göttlich-Überlieferten entgegenstellen will, radikal in Frage. 4. Für den religiösen Philosophen ist Religion damit in ihrem Wesen rational, ja sie repräsentiert – richtig verstanden und gedeutet – sogar die höchste Form der Rationalität. Es geht also nicht um einen Gegensatz und auch nicht um bloße Apologetik. Vielmehr fordert die religiöse Philosophie bloß immanente Begründungen der Rationalität hermeneutisch heraus. Hier scheint mir eine tiefe Übereinstimmung mit der religiösen Hermeneutik des Paulus zu liegen, wie sie Paulus in 1Kor 1–2 im Gegensatz zu immanent-menschlicher Rationalität etabliert.83 Die ägyptische Mythologie handelt gemäß der platonischen Interpretation Plutarchs bildhaft davon, wie die Rationalität Gottes zur Grundlage menschlicher Erkenntnis wird: Osiris, der göttliche Logos, so erzählt der Mythos in De Iside et Osiride, wird in die wahrnehmbare Welt hinein zersplittert und muss deshalb von Isis, dem menschlichen Erkenntnisstreben, aus Liebe wieder zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden. Strukturell ganz ähnlich deutet der Prolog des Johannesevangeliums Christus platonisierend als den fleischgewordenen göttlichen Logos, der die Wahrheit des schlechthin jenseitigen Gottes, den keiner jemals gesehen hat (Joh 1,18), unter den Bedingungen der Welt Gottes gegenwärtig erkennbar macht und so menschliche Erkenntnis im eigentlichen Sinn erst ermöglicht. Man könnte wohl kaum die Grundlegung der Rationalität in religiöser Tradition mehr betonen als dies in solchen Formulierungen geschieht. 5. Für Plutarch gibt es nur eine Form des Religiösen, die der ratio entgegengesetzt ist (jenseits des Atheismus, den er sowohl Epikureern als auch Stoikern vorwirft): eben die deisidaimonia, der er eine eigene Schrift gewidmet hat. Sie ist, wie wir gesehen haben, eine Form des Götterglaubens, die sich nicht an den vernünftigen Vorgaben der religiösen wie der philosophischen Tradition orientiert, nicht eigentlich Aberglaube, sondern eine verfehlte, gottlose Furcht vor dem Göttlichen. 6. In seiner Hermeneutik, die eine Trennung zwischen religiöser und philosophischer Argumentation zu überwinden sucht, insofern sie die 82 Dies wird bei Plutarch auch verschiedentlich ausbalanciert mit einer immanenten Erklärungsmöglichkeit, dass nämlich die Weisen der Vorzeit ihre Weisheit in den Symbolen niedergelegt haben (so am Anfang von De E apud Delphos) oder aber, dass die Einführung bestimmter Symbolsysteme durchaus auch politisch instrumentalisiert wurde (so bereits durch den legendären Gesetzgeber Numa; vgl. Num. 8). 83 Und auch mit der religiösen Hermeneutik Philos, die von ihrem Anspruch her in dieselbe Richtung geht.
Πίστις und πιστεύειν bei Plutarch
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Gottheit als Hort und Quelle jeglicher Wahrheit behauptet, scheint mir ein wesentlicher Punkt zu sein, in dem Plutarch als strukturelle Parallele zum frühchristlichen Denken dienen kann. Als „Antiphilosophie“ könnte diese religiöse Hermeneutik des paganen Philosophen und Lehrers, die sich wie diejenige des Apostels im Begriff der πίστις bündelt, allenfalls insofern bezeichnet werden, als sie den Kategorien rein immanent-logischer Wahrheitssuche vor dem Hintergrund der Überlegungen der akademischen Skepsis und auf der Basis platonischer Philosophie die einzig als Begründungsinstanz geeignete Wahrheit Gottes gegenüberstellt. Die Umwertung des Philosophiebegriffs, die damit zusammenhängt, findet sich schon bei Paulus in 1Kor 1–2 und bereitet ähnliche Argumentationen bei den sog. Apologeten vor. Die von griechischer Sprache und griechischem Denken beeinflussten Schriften der frühesten Christenheit dienen sich dem griechisch-philosophischen Denken nicht nur an und versuchen, sich verständlich zu machen, sondern setzen einer Weisheitssuche, die menschliche Erkenntnis zum Maßstab macht, ihre Hermeneutik der religiösen Tradition entgegen. Selbstbewusst und nicht nur apologetisch begeben sie sich auf diese Argumentationslinie, und konnten damit durchaus, im Gegensatz zu den Thesen Badious, auf Erfolg auch bei den „Griechen“, mindestens bei den Vertretern einer religiösen Philosophie hoffen. Freilich: Die Wahrheit, die in der religiösen Tradition mit ihren vielfältigen Momenten gegenwärtig ist, erschließt sich erst in einer philosophischen Deutung. Darin ist sich Plutarch ganz einig mit Philo sowie später mit Klemens und Origenes.
Πίστις Between Theology, Ethics, Ecclesiology, and Eschatology TERESA MORGAN It is an acknowledged paradox that the intensive thematic study of New Testament texts, which plays such a large part in contemporary research and yields such important insights, can also, at times, partition thinking about books, authors, or the corpus as a whole in unhelpful ways. Once we have distinguished, for example, between Paul’s theology, ethics, ecclesiology, and eschatology, and developed thinking about them into distinct fields, it can become a challenge to bridge the hermeneutic gap between them and explain how theology relates to ecclesiology or ethics to eschatology. At the same time, we inevitably wonder whether we have created gaps which are not there in the texts, and so lost something in our understanding of them overall.1 Scholars work to overcome such conceptual fault-lines in various ways, but one subject which has received relatively little attention in this context is πίστις and its cognate concepts and practices. πίστις itself is usually treated as a ‘theological virtue’, the means of salvation par excellence for most, if not all New Testament writers. πιστός, in contrast, is usually treat1 On relating theology and ethics see e.g., Udo Schnelle, “Die Ethik des 1. Thessalonicherbriefes,” in The Thessalonian Correspondence, ed. Raymond F. Collins and Norbert Baumert (Leuven: Leuven University Press, 1990), 295–305; Brian S. Rosner, “Introduction,” in Understanding Paul’s Ethics: Twentieth Century Approaches, ed. idem (Grand Rapids: Eerdmans, 1995), 2–21; Michael Parsons, “Being Precedes Act: Indicative and Imperative in Paul’s Writing,” in Understanding Paul’s Ethics: Twentieth Century Approaches, ed. Brian S. Rosner (Grand Rapids: Eerdmans, 1995), 217–47; Richard M. Hays, The Faith of Jesus Christ: The Narrative Substructure of Galatians 3:1–4:11, 2nd ed. (Grand Rapids: Eerdmans, 2002), 220–26; Roy R. Jeal, Integrating Theology and Ethics in Ephesians: The Ethos of Communication (Lewiston: Edwin Mellon, 2000); John G. Lewis, Looking for Life: The Role of Theo-Ethical Reasoning in Paul’s Religion (London: T&T Clark, 2005); on ethics and eschatology e.g., Eduard Lohse, Theological Ethics of the New Testament (Minneapolis: Fortress, 1991), 39–41; Wolfgang Schrage, “The formal ethical presentation of Pauline paraenesis,” in Understanding Paul’s Ethics, ed. Brian S. Rosner (Grand Rapids: Eerdmans, 1995), 301–35; James Louis Martyn, Theological Issues in the Letters of Paul (Edinburgh: T&T Clark, 1997), 252; on ethics and ecclesiology e.g., Richard M. Hays, “Ecclesiology and Ethics in 1 Corinthians,” Ex Auditu 10 (1994): 31–43.
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ed as an everyday ethical term, while the ecclesiological and eschatological dimensions of the lexicon have been relatively little discussed.2 In what follows, however, I shall argue that πίστις and its relatives all have theological, ethical, ecclesiological and eschatological dimensions in the New Testament, that we can and should seek to understand them in relation to one another, and that doing so helps to explain the importance of πίστις for very early Christians as a concept and a praxis. Behind this concern about the relationships between fields of New Testament study stands a larger one. By defining the study of the New Testament itself as a field, we are at risk of creating a hermeneutic caesura between these texts and the wider world – Jewish and gentile, social and intellectual – to which they belong. This risk has particular significance for the study of πίστις, because human πίστις towards God and Christ is often treated by New Testament scholars as qualitatively different from πίστις in any other divine-human or intra-human relationship. As Bultmann influentially put it in the Theology of the New Testament: ‘Faith’ [πίστις] is ‘faith in…’ That is, it always has reference to its object, God’s saving deed in Christ. Hence, ‘confess’ and ‘believe’ correspond to each other: “If you confess with your lips that Jesus is Lord and believe in your heart that God raised him from the dead, you will be saved.” (Rom 10:9) … Faith, therefore, is not ‘piety’ or trust-in-God in general. Rather, it has ‘dogmatic’ character insofar as it is acceptance of a word: ‘the word of faith’ (Rom 10:8) or ‘the heard word’ (ἀκοή, KJ: ‘the hearing’) of faith (Gal 3:2, 5). Hence, faith can also be called ‘faith of the gospel’ – i.e. faith in the gospel (Phil 1:27).3
Up to a point, of course, Bultmann must be right. πίστις is a relational term, so its meaning in any context will be defined at least partly by the relationship it describes. Trust, faithfulness, good faith or belief between a parent and a child, for instance, will inevitably be somewhat different from those between a subject and a king or between a worshipper and a god. All πίστις relationships, moreover, have a dogmatic aspect. To trust one’s parent one must, at the least, believe that she is one’s parent. But the account developed by Bultmann of the content of πίστις and the psychology of the person who adopts it is so complex, and visibly owes so much to Augustine’s later division of faith into fides quae and fides qua, to Lutheran fideism, and to modern philosophy, that it stretches the meaning and operation of the term far beyond its normal first-century range and divorces it 2 Though e.g., Rudolf Bultmann, Theology of the New Testament (Waco, TX: Baylor, 2007), 2:75–92 treats ‘faith’ as ‘eschatological existence’. I use the term ‘lexicon’ to refer to all forms of a term such as πίστις and all its cognates, as distinct from ‘lexeme’, which refers to a single term in all its forms. 3 Bultmann, Theology (see n. 2), 2:317–18 (discussing Paul) and 2:314–30; cf., e.g., Günther Bornkamm, Jesus of Nazareth (London: Hodder and Stoughton, 1960), 130.
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from other parts of the lexicon (with the possible exception of πιστεύειν).4 In the process, it contravenes a basic principle of cultural historiography: that one should not expect new communities developing within an existing culture to take language in common use and immediately assign new meanings to it. New meanings can and do evolve within communities, but this takes time. We should expect πίστις language, among at least the first generation or two of Christians, to belong within the (already wide) spectrum of uses current in the world of the first century, 5 and we should assume that it does so unless the texts compel us to conclude otherwise. We should also assume, unless the texts require a different interpretation, that early followers of Christ, like everyone else in their world, understood πίστις, πιστεύειν, πιστός, πιστικός and other parts of the lexicon as related.6 On this basis, we can accept that the person who affirms πίστις towards God and/or Christ is in a distinctive type of relationship insofar as s/he thinks (believes) certain things about God and/or Christ, but we should be cautious in assessing the content of that belief. We should not assume that what takes place in the person’s heart or mind is different from what would take place in the heart or mind of a pious Jew, Greek or Roman. We should not assume that early followers of Christ understood what it meant to have πίστις as discontinuous with what it meant, for instance, to be πιστός. Thematic studies are not the only means by which scholars create fields and gaps between them. Focusing on individual books, authors, or strands of tradition can have the same effect. In the study of the πίστις lexicon in the New Testament, distinguishing between books, authors, or layers of redaction is an important aspect of research, revealing significant differences between the way the language is used to explore, for example, the relationship of believers with Christ.7 At the same time, certain aspects of the treatment of πίστις and its relatives have much in common across layers of tradition, authors, and books, and some of these are the focus of what follows.
4
See especially Bultmann, Theology (see n. 2), 2:75–92. Which may include, among those of Jewish background, uses informed by Hebrew, Aramaic or Septuagintal Greek: see e.g., Erich Grässer, Der Glaube im Hebräerbrief (Marburg: Elwert, 1965), 79–85, 161–63; Dieter Lührmann, “Pistis im Judentum,” ZNW 64(1–2) (1973): 159–60; Dennis R. Lindsay, Josephus and Faith: Πίστις and Πιστεύειν as Faith Terminology in the Writings of Flavius Josephus and in the New Testament (Leiden: Brill, 1993), 22, 43–46. 6 Teresa Morgan, Roman Faith and Christian Faith (Oxford: Oxford University Press, 2015), chs. 1–4. 7 Morgan, Roman Faith (see n. 6), chs. 9–10. 5
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1. Conversion and community, earthly and eschatological One aspect of the treatment of πίστις which is shared by almost every New Testament writer, and is so well recognized as hardly to need restatement, is that πίστις and πιστεύειν are par excellence the means by which human beings are brought (if they are gentiles) or brought back (if they are Jews) into their proper relationship with God.8 For Paul, for example, in Romans, the gospel is “the power of God for salvation for everyone who has faith” (δύναμις γὰρ θεοῦ ἐστιν εἰς σωτηρίαν παντὶ τῶι πιστεύοντι) (Rom 1:16). Mark’s Jesus, telling the woman with the haemorrhage that her πίστις has healed her, uses a word that also means “saved from destruction” (ἡ πίστις σου σέσωκέν σε) (Mark 5:34, cf., 10:52). In John’s gospel Jesus tells Nicodemus that the Son of Man must be lifted up so that whoever trusts or believes in him may have eternal life (ἵνα πᾶς ὁ πιστεύων ἐν αὐτῶι ἔχηι ζωὴν αἰώνιον) (John 3:15). The author of Hebrews affirms that those who have πίστις and patience inherit the promises of God to Israel (Heb 6:12). Throughout the New Testament, πίστις and its cognates form the single most important cluster of theological concepts through which early Christians express what they understand God as wanting for humanity and how humanity should respond. Once human beings have come into a relationship of πίστις/πιστεύειν with God, or God and Christ, the same lexicon (among others) describes life in that relationship. Matthew’s parables of the coming of the Son of Man commend those followers of Christ who await the Son of Man like a πιστὸς δοῦλος, a faithful slave awaiting his master’s return from a journey (Matt 24:45, cf., 25:21). For the author of Revelation, πίστις until death is the quality above all of those who will eventually receive the “crown of life” (Rev 2:10, cf., 2:19, 13:10, 14:12, 17:14). Paul describes his own ongoing relationship with God by saying that “It is required of stewards that they be found πιστός.” (1 Cor 4:2) He worries about the continuing πίστις of the Thessalonians and sends Timothy to strengthen it (1 Thess 3:2, 5–7). Followers of Christ, it seems, should not only maintain πίστις; their πίστις may also grow or develop. In Luke’s gospel, Jesus’ disciples, who have already implicitly shown πίστις towards Jesus by following him, can still say “Increase our πίστις” (Luke 17:5). In these examples πίστις etc. may be towards both God and Christ, and it is both theological, since it continues to describe what God wants of human beings, and ethical, since it describes how people are to live in their 8
The πίστις lexicon appears in every book of the New Testament except 2 John, within layers of redaction and across them; occurrences far outnumber those of other key concepts such as love, righteousness, salvation or hope.
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relationship with God. Occasionally, the lexicon widens its scope to describe relationships between followers of Christ. When, at 1 Corinthians 4:17, Paul commends Timothy to the Corinthians as “my beloved and πιστός son in the Lord”, he means that Timothy is faithful to him, that he (Paul) accordingly trusts him, and that the Corinthians can therefore trust him too. When the author of the letter to Titus (Tit 2:9–10) asserts that slaves are to be wholly obedient to their masters, not answering back to them or stealing from them, but demonstrating πᾶσαν πίστιν … ἀγαθήν, “all good faith”, he is referring in the first place to good faith towards masters.9 These two passages exemplify why it is difficult plausibly to segregate the operation of different parts of the lexicon. The reason Paul trusts Timothy, as the last phrase in the quotation above makes clear, is because Timothy is πιστός toward the Lord, and the reason Timothy is also πιστός towards Paul must be because he recognizes that God has entrusted Paul with the gospel (Paul’s word for this elsewhere is πιστεύεσθαι).10 We can therefore say that Paul both trusts God and is trusted by him; Timothy trusts both God and Paul and is entrusted by Paul with this visit to the Corinthians; the Corinthians can trust Timothy because he comes from Paul and they already trust Paul’s relationship with God. The adjective πιστός points to and articulates multiple relationships between God, his apostle, the apostle’s emissary and the Corinthian community, parts of which elsewhere are described with πίστις and πιστεύειν, and which it would be perverse not to characterise as πίστις relationships. The πίστις lexicon here is again both theological and ethical. What is more, by commending certain kinds of behaviour to all concerned and linking them in a structure of authority, it is also ecclesiological: it helps to create, sustain, and articulate the divine-human community of those who put their trust in God and Christ. In the passage from the Letter to Titus, the writer says in the second half of verse 10 that the “good faith” (πίστιν … ἀγαθήν) Christian slaves show to their masters is an “adornment” of the teaching of God. Slaves, that is, practise πίστις towards their masters as a consequence and expression of their πίστις towards God and Christ. An everyday social relationship and everyday social ethics have here become theologized by being interpreted as an expression of commitment to a divine-human relationship.11 In the 9 At Rom 12:3 and Gal 5:22 it is debated whether πίστις is towards God and Christ or towards other community members: see Morgan, Roman Faith (see n. 6), 277, 298–99. 10 E.g., 1 Thess 2:4, 2 Cor 5:19. 11 Cf., Rikard Roitto, “Act as a Christ-Believer, as a Household Member or Both? A Cognitive Perspective on the Relation Between the Social Identity in Christ and Household Identities in Pauline and Deutero-Pauline Texts,” in Identity Formation in the New
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process πίστις has once more acquired an ecclesiological aspect too, as an expression of the authority of Paul and Titus to tell the slaves how to express their faith. The way is prepared for this at the beginning of the letter (Tit 1:3) when [Paul] describes himself as a “slave of God … for the sake of the πίστις of God’s chosen ones”, and says that he was “entrusted” (ἐπιστεύθην) with his proclamation by Godself. Titus, [Paul] affirms, practises πίστις towards God (1:4). He can also practise πίστις towards Paul because Paul has been entrusted with the gospel by God. Paul evidently trusts Titus too, because he has left him in Crete to appoint presbyters in the Christian communities (1:5) and instruct them in other things, including the behaviour of slaves. The Cretans, including their slaves, can trust Titus as Paul’s “child in our shared πίστις” (1:4), and [Paul] clearly expects them to do so, telling Titus to “Exhort and correct with all authority” (2:15).12 The Cretans’ trust of Titus and Titus’ authority are both a consequence and an expression of their πίστις towards God. A kind of domino effect or cascade of πίστις is in operation here, which, ultimately rooted in God and Christ, comes to strengthen and articulate a whole series of human relationships among of those who follow Christ, making πίστις equally theological, ethical, and ecclesiological.13 The multi-dimensional relationship of πίστις between God, Christ and those who put their trust or faith in God and Christ is described across the New Testament in a wide range of metaphors. It is a new creation, new or eternal life. It creates a new family or polity, populates a new city, or enables the faithful to enter God’s or Christ’s kingdom. It brings peace, freedom, and security, releasing the faithful from all the attachments and burdens of life as they know it. Within this relationship, God and/or Christ can be described as king, judge, master, and father, while Christ is also brother and friend. The faithful can be called children, heirs, slaves, and friends; they are members of a body; they belong “in Christ”; they are “fellow-citizens of the holy ones” (Eph 2:19) and subjects of God’s kingdom.14 They love God and Christ and are loved by them. Almost all New TestaTestament, ed. Bengt Holmberg and Mikael Winninge, WUNT 227 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2008), 141–61 who makes a similar argument. 12 Transl. NAB. 13 If the slaves’ masters are also Christians, their everyday relationship acquires a further ecclesiological dimension, but the author does not specify. 14 We need hear no tension between domestic and political imagery, which are interwoven in both Jewish and Graeco-Roman tradition where states are imagined as extensions of kinship groups and the household may be described as a microcosm of the state. Linking language of community, present or ultimate, with πίστις language see e.g., Rom 9:33, 15:13, 1 Cor 1:9, 1:19, 1:27–28, 7:21, Gal 5:13, Phil 1:27, 1 Thess 1:4, Eph 1:4, Jas 2:5, 2 Pet 1:10, cf., Col 3:12, 1 Tim 5:21, 2 Tim 2:10, Tit 1:1, 1 Pet 1:1, 2:4, 2:6, 2:9, 2 John 1, 13, Rev 17:14.
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ment writers use multiple images of the new community created by this new relationship: domestic and political, individual and corporate; images of enslavement and release, of arrival and renewal.15 In descriptions of this divine-human community, it can, as is widely recognized, be difficult to distinguish descriptions of the community on earth from visions of its eschatological form. The life, death, and resurrection of Jesus Christ are universally understood as having changed decisively the divine-human relationship. Those who will have eternal life after the final resurrection have it already by virtue of believing.16 The kingdom of God which is expected at the end time (whenever that will be) can also be thought of as having been inaugurated in Jesus’ lifetime: “[I]f it is by the spirit of God that I drive out demons, then the kingdom of God has come (ἔφθασεν) upon you.”17 Those who πιστεύειν are made δίκαιος by the sacrifice of Christ and by their πίστις. They may hope to be snatched from death at the last trump, but since “the sting of death is sin” (1 Cor 15:56), the δίκαιος are also already saved.18 If πίστις is integral to the beginning and continuation of the new divine-human relationship on earth, however, does it remain equally important in the eschatological community? Surely it does. The difficulty of disentangling the idea of salvation now from salvation in the eschaton is suggestive in itself.19 It is also noteworthy, for instance, that the faithful slave of Matthew’s parables of the end 15 Πίστις is one of very few qualities which can create and sustain so wide a range of communities (φιλία/amicitia is perhaps the only other): see Morgan, Roman Faith (see n. 6), 117–20. NB most New Testament images of the divine-human community are of communities to which its members contribute actively. The idea of God’s kingdom as a place of rest, or a place to which the faithful are invited as guests to be feasted and entertained (e.g., Matt 22:1–14, cf., Matt 8:11, Luke 14:15–24 [derived from e.g., Isa 25:6]) is relatively rare. Imagery of the eschatological Sabbath, which appears in contemporary Judaism, is also rare, perhaps in part because it might appeal less to gentiles, though it may lie behind e.g., Matt 11:28 and Heb 3:7–4:13. Ideal states elsewhere in the GraecoRoman world are also imagined as working πολιτείαι: e.g., Plato, Resp. and Aristotle, Pol. describe members as performing the tasks appropriate to their virtues. The author of Revelation describes the activities of the elect in heaven as praise of God (19:5, 7) and the lighting and healing of the nations (21:24, 22:2). Some New Testament writers surely understand one of the tasks of οἱ πιστεύοντες, at least until the end time, as being to inspire others and bring them to πιστεύειν, by active evangelism or example (e.g., Acts 2:12, 5:13, 8:18–25, 1 Thess 1:6–7). 16 John 3:36, 5:24, 6:53, 61–64, 11:25, 17:3. 17 Matt 12:28=Luke 11:20. 18 See discussions by e.g., Robin Scroggs, “Paul and the eschatological body,” in Theology and Ethics in Paul and His Interpreters: Essays in Honor of Victor Paul Furnish, ed. Eugene H. Lovering, Jr. and Jerry L. Sumney (Nashville: Abingdon, 1996), 29; Martyn, Theological Issues (see n. 1), 252. 19 The two can, of course, also be contrasted: e.g., 2 Cor 5:1–2, Matt 7:24, 8:19–21, cf., Philo, Conf. 17 (the patriarchs lived on earth but their real πολιτεία is heaven).
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time is imagined as having been πιστός not only up to the return of his master but afterwards, when he is rewarded and given further responsibilities.20 For Paul, and even more for John, πιστεύειν can be understood as a response to having already been chosen for eternal life. “Whoever is in Christ,” says Paul, “is a new creation; the old things have passed away”; “Insofar as I now live in the flesh, I live in πίστις of the son of God who loved me and gave himself up for me.”21 In the Book of Revelation, meanwhile, the exalted Christ is still πιστός (Rev 1:5, 19:11) and so are those who, after the final cosmic battle, are ‘with’ the Lamb (Rev 17:14).22 We should surely understand πίστις and its cognates across most, if not all New Testament writers, not only as theological, ethical, and ecclesiological, but also as eschatological: as part of the structure and operation of the divine-human community in its hoped-for ultimate form.
2. The πίστις relationship as social structure Given, as noted above, that the divine-human community of God, Christ and Christ’s followers, whether earthly, eschatological or both, can be described as a household, polity or kingdom, it would be easy (and would come naturally to most historians and sociologists) to assume that πίστις and its relatives, together with other valorized praxeis such as hope and love, are ancillary to the social structures of that community. The essence of the divine-human relationship, on this assumption, would be that God and Christ hold power over the world. Power may be mediated through and coloured by πίστις and other praxeis, but it does not depend on them and is not fundamentally shaped by them, any more than, one might assume, for instance, the power of the emperor over his subjects is fundamentally shaped by πίστις. To assume this, however, would do the New Testament’s treatment of πίστις (and, for that matter, that of other communities in the first century) less than justice. In a number of New Testament passages, the (re)new(ed) divine-human relationship is described in the language of πίστις itself and 20
Matt 24:45, 25:21, 23. 2 Cor 5:17, Gal 2:20, cf., e.g., John 5:24. On the interpretation of πίστις υἱοῦ θεοῦ, πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ etc. see Morgan, Roman Faith (see n. 6), 268–77, 286–89. 22 Cf., also the tradition among both Jews and gentiles of the unchangingness of God: e.g., Heb 1:10–12, quoting Ps 97:7; 1 Pet 1:4, cf., Matt 28:20, Eph 1:3–6, Rom 8:38–39. If God is unchangingly πιστός, loving (e.g., 1 John 4:16), true (e.g., Rom 3:4, cf., 15:7– 12) and can even be said to be love, truth etc., then the relationship of πίστις, δικαιοσύνη, ἀγάπη etc. into which human beings enter with God should also be unchanging, even eschatologically. 21
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other personal qualities: δικαιοσύνη, ἀγάπη, χάρις, ἀληθεία, εἰρήνη, ἔλεος, σοφία, εὐσέβεια, ἁγιασμός, ἔλπις. In such passages, these qualities, most of which are known to Greek speakers as virtues and all of which have cognitive-affective, active and relational dimensions, do more than colour the divine-human relationship: they form its structure. “God so loved (ἠγάπησεν) the world,” says John’s Jesus (John 3:16), “that he gave his only Son, so that everyone trusting/believing (πιστεύων) in him might not perish…” “The δικαιοσύνη of God has been manifested through the πίστις of Jesus Christ,” says Paul, and the one who puts his πίστις in Christ will be made δίκαιος (Rom 3:21–26). “All those πιστεύοντες were together,” says Acts (2:44), “and had everything in common”. “Those who trusted/believed (τῶν πιστευσάντων) were of one heart and mind…” (Acts 4:32).23 For Matthew, the kingdom of heaven is God’s righteousness.24 Paul’s vision of the kingdom at the end time in 1 Corinthians (15:42–44, 50–54) is conveyed above all through its qualities – glory, power, incorruptibility and immortality. Revelation, describing the New Jerusalem as a city, describes life in it in qualitative terms as the ending of grief and pain, as glory, beauty, wealth, purity, healing, light and life itself.25 God and/or Christ are described by Paul and his followers and by the authors of Revelation and the Johannine letters as faithful towards humanity (πιστός). Even more writers understand God as extending to (sometimes some, sometimes all) human beings grace, mercy, and peace, love, wisdom, pity, and righteousness. Human beings are urged to respond with πίστις, hope, and love, to be made δίκαιος or τέλειος.26 They may be given gifts such as the fruits of the spirit (Gal 5:22–23), all of which are qualities 23
Most scholars speak of the (other) institutions of churches as shaping their ethics rather than of ethics as an independent structure: e.g., Wayne A. Meeks, The Moral World of the First Christians (Philadelphia: Westminster, 1986), 110, David G. Horrell, “Restructuring Human Relationships: Paul’s Corinthian Letters and Habermas’ Discourse Ethics,” ExpTim 110 (1999): 321–25, and idem, “From ἀδελφοί to οἶκος θεοῦ: Social Transformation in Pauline Christianity,” JBL 120 (2001): 293–311. L. Michael White, “Morality Between Two Worlds: A Paradigm of Friendship in Philippians,” in Greeks, Romans and Christians: Essays in Honor of Abraham J. Malherbe, ed. David L. Balch, Everett Ferguson and Wayne A. Meeks (Minneapolis: Fortress, 1990), 201–15 discusses friendship in Philippians as grounded in Paul’s soteriological drama but still sees it as ancillary rather than a structure in its own right. 24 Matt 6:33, cf., Rom 14:17; see William David Davies and Dale C. Allison, Jr., The Gospel according to Saint Matthew, vol. 1, ICC (Edinburgh: T&T Clark, 1988), ad loc.; Hans Dieter Betz, The Sermon on the Mount, Hermeneia (Minneapolis: Fortress, 1995), ad loc. 25 1 Cor 15:24–28, 36–54; Rev 21:4–22:6. On these as goods, see e.g., Teresa Morgan, Popular Morality in the Early Roman Empire (Cambridge/New York: Cambridge University Press, 2007), 161–75. 26 Matt 19:21, cf., 5:48, Col 4:12, cf., 1 Cor 14:20, Phil 3:15.
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characteristic of and exercised by persons elsewhere in Greek writing, and almost all of which are virtues.27 Using slightly different clusters of terms, according to the aspects of the divine-human relationship they want to emphasize, to whom they are talking, and sometimes against whom they are defining themselves, New Testament writers repeatedly use these qualities to describe the structure and dynamics of the divine-human relationship in terms parallel to, but independent of, their language of the divine-human relationship as a family, polity, or assembly. The idea that a group might not only employ virtues and related qualities to inflect social structures and relationships, but might actually describe and articulate itself by means of such qualities, probably should not surprise us. I have argued elsewhere that ethics across societies ancient and modern have a good claim to be understood as a social structure which interacts with other social and political structures without being ancillary to them: Like political, social and economic behaviour, moral behaviour is endemic in human societies. Like them, it helps groups to organize themselves, to negotiate their inevitable differences and to survive … There is still a tendency among historians (not to mention archaeologists and literary critics) to treat cultural phenomena as ancillary to political, social or economic phenomena. I doubt that this is often justified, but in the case of ethics, it certainly is not. Ethics must, for the most practical reasons, be among the first systems to evolve in any developing human society. People cannot live together until they have agreed not to murder each other (and agreed what counts as murder); they cannot farm until they have agreed not to steal from one another; they cannot decide who belongs to an ongoing group without deciding who can legitimately breed with whom. There is as much justification for speculating that political and social structures come into being to encode, protect and enforce ethical structures as the other way around. We should therefore treat morality as an aspect of ancient society in its own right, to be assessed on its own terms… 28
First principles are not the only ones on which we should not be surprised to find ethical qualities sometimes defining the (re)new(ed) relationship between God and humanity. There are also more culturally specific reasons to do so. Early Christians saw their communities as, in principle, both a new community and an ideal one. And throughout the Hellenistic world and world of the early principate, both new and ideal communities (whether portrayed as essentially human or divine-human) can be characterized as structured especially by ethical qualities, including πίστις/fides, in many cases to the exclusion of other social structures.
27 28
Joy is not normally treated as a virtue (cf., Stobaeus, Ecl. 2.58.5–15). Morgan, Popular Morality (see n. 25), 1, 3.
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3. Πίστις (and fides), ethics, and socio-political collectives καὶ ἐπίστευσεν Αβραμ τῷ θεῷ, καὶ ἐλογίσθη αὐτῷ εἰς δικαιοσύνην, says Genesis 15:6 (LXX) of the establishment of the covenant between God and the future people of Israel: “Abraham put his trust in God, and it was reckoned to him as righteousness.” Close to the beginning of this exemplary divine-human relationship, and at a decisive moment in human history, the nature of that relationship and the ideal shape of the future community are articulated by means of ethical qualities.29 Later Jewish scriptures look forward to the renewal and idealization of the community founded by God and Abraham in visions of future messiahs, messianic ages, or times when God returns to his temple, which tend to offer little social and political detail but a great deal of ethical language and imagery. It will be a time of light, joy and peace, material abundance and justice, protection and vindication for the poor, and the crushing of oppressors. A king raised up by the Lord will rule in justice, wisdom, and safety. There will be a great refining or purification of the people’s sins. The Lord or his servant will look after his sheep, feeding and defending them. After defeating Israel’s enemies, the Lord or his representative will restore life, wisdom, justice – and faithfulness to his people.30 In the Greek versions of these texts which came to comprise the Septuagint, one of the qualities of God which gives the people of Israel confidence (πίστις) in such prophecies is that he is πιστός.31 Beyond scripture, Jewish writings of the Roman empire are increasingly interested in the perfection of the soul (in life or after death) and the reward of the righteous in heaven. In the Targumim, rabbinic Jews imagine the righteous dead enjoying eternal life in the garden of Eden (which may be identified with the biblical Eden or may be a world remade in the messianic age). Heaven, paradise and Eden are all places of ultimate belonging and reintegration, where human beings coexist with one another and with God without the danger of failed trust, of disobedience, sin or punishment.32 29 For discussion of πίστις and δικαιοσύνη here and in later interpretations of the passage see Morgan, Roman Faith (see n. 6), 178–88. Gen 17 offers an alternative version of the story in which the relationship of power between God and Abraham is much more to the fore. 30 E.g., Isa 9–11, passim; Jer 23:5–6, cf., 33:14–15, Mal 3:1–18, Ezek 34:11–12, 23, Dan 12:1–3; Morgan, Roman Faith (see n. 6), 200–4. 31 Morgan, Roman Faith (see n. 6), 196–200 (God as πιστός) 200–4 (human beings as πιστός towards God). 32 Explored by several contributors to Markus Bockmuehl and Guy G. Stroumsa eds., Paradise in Antiquity: Jewish and Christian Views (Cambridge/New York: Cambridge University Press, 2010); cf., Hindy Najman, Past Renewals: Interpretative Authority,
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Gentiles, meanwhile, are used to the idea that πίστις, together with δικαιοσύνη and other virtues, characterizes divine-human and intra-human relationships in aboriginal golden ages, the age of Saturn, or golden ages of the future. Plutarch tells us that when Saturn was king “there was no greed or injustice among human beings, but πίστις and δικαιοσύνη.” (Mor. 275a)33 Ovid describes the ‘first’ age at the beginning of the Metamorphoses: That first age was golden which, without compulsion, of its own accord, without law, kept faith and did what was right (fidem rectumque colebat). There was no fear nor punishment, nor were threatening words [inscribed] to be read on bronze, nor did the supplicating crowd fear the face of its judge, but they were safe without any protector … [M]ortals knew no shores except their own … without the need for soldiery, peoples spent their gentle leisure in security … [T]he earth bore fruit unploughed, and the fields turned white with heavy heads of wheat without needing to lie fallow.34
In ancient Sparta, which was imagined as having more of the characteristics of an ideal society than most cities, men are said to have trusted each other so well that they treated each other’s children as their own (Plutarch, Mor. 237e).35 In some cases, where golden ages are imagined as being in the extreme past or in the future, we hear little or nothing about the way they are organized other than that they are characterized by virtues such as πίστις/fides and δικαιοσύνη/iustitia.36 New Testament writers do not refer explicitly to such depictions of golden ages, past or future, in characterizing eternal life or the kingdom of God, but images like these may well have been known to them, and they are almost certain to have been familiar to their gentile (and Hellenized Jewish) audiences. In the view of many scholars, New Testament writers are more likely to have been influenced by the writings of contemporary philosophy: above all those of Stoicism, the school which had the widest impact on first-century society. Stoics too had much to say about the ethical configuration of the ideal society. Stoic visions of the ideal society are neither mythical, historical, nor teleological, but literally idealistic. Stoics did not think that a society of virtuous men and women had ever existed in the past, nor that it would, Renewed Revelation, and the Quest for Perfection in Jewish Antiquity (Leiden: Brill, 2010), ch. 12. 33 Cf., Juvenal, Sat. 13.34–40. 34 Ovid, Metam. 1.89–93, 96, 99–100, 109–10; cf., Cicero, Inv. 2.67–68, where human beings, before the beginning of civilization, are ruled by the “laws of nature” most of which are also virtues: religio, pietas, gratia, vindicatio, observantia, veritas. 35 Cf., Sallust, Bell. Cat. 9.1–2 on pre-imperial Rome as characterized by its piety and social virtues. 36 E.g., Horace, Carm. 57–60 (of the golden age initiated by Augustus), Ovid, Metam. 1.128–50, Vergil, Aen. 1.292–96, Babrius 102.
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necessarily, exist in the future, but some developed theories of what it would look like if it did. The first was Zeno, whose Republic has been persuasively reconstructed by Malcolm Schofield.37 Zeno seems to have held that education, as he knew it in Greek cities of the late fourth and early third centuries, was pointless, that true friendship pertains only between the good (who have the cardinal virtues of courage, justice, practical wisdom, and self-control), that women should be held in common, that public buildings such as temples, lawcourts and gymnasia, and institutions such as coinage should be abolished, and that dress should be simplified.38 This list suggests that Zeno was making a broad attack on the public, political, legal, military, economic, social, and cultural institutions common to late classical and early Hellenistic Greek polities. The only things Zeno is remembered as commending are some of the key virtues of Greek civic life, such as friendship and freedom.39 Later Stoics shared Zeno’s dislike of civic institutions, while moving away from the assumption that an ideal city would take any physical form.40 Later Stoics borrowed a term from the Cynic Diogenes, who called himself κοσμοπολίτης, a citizen of the universe, to capture the idea that the ideal city would be a community of the wise and virtuous whose home was the world as a whole.41 As Cicero describes it: “[T]he universe is, as it were, the shared household of gods and men, or a city belonging to both. For they alone [as opposed to animals etc.] live according to justice and law.” (Nat. d. 2.154) In this account, in addition to the idea that it is ‘home’, the cosmos is imagined as a household or a polity and as shared by gods and human beings. Schofield discusses whether those who live in accordance with justice and law should be understood as a community as opposed to a number of virtuous individuals.42 He argues convincingly that the Stoics do indeed see rational and virtuous beings as a community. As Clement of Alexandria will later put it, in an ideal world, an aggregation of good people is the definition of a proper (good and happy) household or city.43 37
Malcolm Schofield, The Stoic Idea of the City (Cambridge/New York: Cambridge University Press, 1991). 38 E.g., Diogenes Laertius, Lives 7.32–33, discussed by Schofield, Stoic Idea (see n. 37), 3–21. 39 Zeno identifies (erotic) love as creating and sustaining political relationships (Schofield, Stoic Idea, [see n. 37], 43–48) and bringing about friendship, freedom, and harmony between members of the state (Athenaeus 561c). 40 Plutarch, Mor. 329a–b attributes the beginning of this shift to Zeno himself. 41 E.g., Dio Chrysostom 36.20–27, cf., Clement of Alexandria, Strom. 4.26, discussed by Schofield, Stoic Idea (see n. 37), 57–63. 42 Schofield, Stoic Idea (see n. 37), 67–74. 43 Clement of Alexandria, Strom. 4.26, cf., Dio Chrysostom 36.23.
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By the early principate, the Stoic idea of an ideal society is that of a cosmic “community of virtue” structured by the shared virtues of its participants. Finally, Schofield traces the development of the cosmic city a step further to show its intersection with the developing concept of natural law. For Seneca, for example, as a Roman Stoic of the first century, the city to which human beings ideally belong is the cosmic one of human beings and gods, which is not only good, but natural.44 Schofield identifies the cosmic city as a theme of Book 3 of Chrysippus’ On Nature and of On Law, where Chrysippus explains law as regulating animals which are political by nature in what it is naturally just and unjust to do.45 “What citizenship now consists in [in the doctrine of the cosmic city], Schofield concludes, ‘is nothing but obedience by a plurality of persons to the injunctions of right reason on the just treatment of other persons: i.e. to law as nature formulates it … the stage is set for ius naturale as it appears in Cicero’s De officiis and the Digest – and in Grotius, Pufendorf and beyond.”46 In recent years a good deal of work has been done on possible connections between Stoicism and the writings of the New Testament, above all those of Paul.47 I am doubtful that Paul can be shown to have been decisively influenced by specific Stoic texts or doctrines (or those of any other school) but, given the wide diffusion of philosophical ideas, and especially those of Stoicism, through Greek- and Latin-speaking culture of the early principate, it is plausible, even likely, that Paul, and perhaps other writers of the New Testament, were acquainted with Stoic ideas. These ideas, moreover, were part of a widespread web of Greek and Roman thinking about the nature of society and the relationship between society, nature, 44
Seneca, De Otio 4. On the idea of the good as rooted in nature throughout ancient virtue ethics see Raymond J. Devettere, Introduction to Virtue Ethics: Insights of the Ancient Greeks (Washington, DC: Georgetown, 2002), 37–39. On virtue ethics as a model for New Testament ethics see e.g., Daniel J. Harrington and James F. Keenan, Jesus and Virtue Ethics: Building Bridges Between New Testament Studies and Moral Theology (Lanham: Sheed and Ward, 2002), 49–59. 45 SVF 3.314; Schofield, Stoic Idea (see n. 37), 70, cf., 102. On the Chrysippan form of the πολίτευμα of Stoic sages as ‘a community of all those people who are morally good wherever they live on earth’ see also Troels Engberg-Pedersen, “Stoicism in Philippians,” in Paul in His Hellenistic Context, ed. Troels Engberg-Pedersen (Edinburgh: T&T Clark, 1994), 256–90, 267. 46 Schofield, Stoic Idea (see n. 37), 103. 47 See especially Troels Engberg-Pedersen (e.g., Paul and the Stoics [Edinburgh, T&T Clark, 2000], “Paul’s Stoicizing Politics in Romans 12–13: The Role of 13.1–10 in the Argument,” JSNT 29 [2006]: 163–72); Runar M. Thorsteinnson, “Paul and Roman stoicism: Romans 12 and contemporary Stoic ethics,” JSNT 29 (2006): 139–61. Harm W. Hollander, “The idea of fellowship in 1 Cor 10.14–22,” NTS 55(4) (2009): 458–70 argues persuasively that the language of κοινωνία in Paul is better understood ecclesiologically than as participatory.
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and virtue which early Christians could have encountered in a number of contexts, and in which it was a common idea that ideal communities, including divine-human communities, could be structured largely or entirely without institutions or power relations but by the practice of virtues.48 Nor are ideal communities, past, future or potential, the only ones which can be described as structured by ethics. In Livy’s famous account of the Roman suppression of the Bacchanalia in 186 BCE, we find a new (to Italy) and dangerously radical (to Roman eyes) religious cult described, mutatis mutandis, in similar terms. In 186, according to Livy, the Roman consuls were instructed by the Senate to investigate an “internal conspiracy” (intestina coniuratio) which had arrived from the Greek east (39.8). This conspiracy involved the worship of Bacchus, “secret nocturnal rituals”, drinking and feasting, promiscuity and sexual corruption (39.8, 10). The Senate claimed that adherents were breaking the law by doing violence and murder (39.8, 9, 13) and committing perjury, false testimony, fraud, forgery and other crimes (39.8, 16, 18). They were creating their own, subversive economy by pooling their resources (39.18). They were assembling – not, like Romans, for legitimate political or military purposes – but to plot crime and immorality (39.14, 15). The ultimate aim of the cult, the consuls concluded, must be to destroy Rome itself: ad summam rem publicam spectat (39.16, cf., 13.17).49 The consuls called the citizenry, the gods, and the force of law (39.15, 18) to join forces to extirpate the conspiracy, and eventually they did so.50 Forms of the worship of Dionysus or Bacchus which involved nocturnal rituals, drinking, excursions beyond city walls and undomestic behaviour by women had a long history of marginalization, if not usually active persecution in the Graeco-Roman world. But the most striking aspect of Livy’s account is the way the cult is treated as a socio-political entity with its own social, political, legal, economic, and ethical structures. About most aspects of its internal organization Livy has little to say, though he mentions priests and initiation rituals. About its ethics, however, he says a great deal. He dwells on members’ immoderate drinking habits (39.8), sexual immorality,51 effeminacy (39.13, 16) and other vicious tendencies, all of which invert a series of paradigmatic Roman virtues including jus48
On the relationship between popular morality and high philosophy see Morgan, Popular Morality (see n. 25), 274–99. 49 When the consuls imprison or execute Bacchanals, sexual immorality and ‘all vice’ are described alongside murder, perjury and fraud as capital crimes (Livy 39.10), though in Roman law, with very rare exceptions, they are not. 50 Pre-existing cults of Bacchus in Italy continued, under strict regulation (Livy 39.18). 51 Livy 39.10, 11, 13, 14, 15, 16, 18.
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tice, continence, honesty, masculine dominance, and feminine submission. The Bacchanals’ behaviour, it emerges, is more than just subversive of Roman social order. It creates an alternative order based on alternative moral principles: a polity, organized around the worship of a god, which by its very existence is in competition with Rome and a threat to it. The consuls’ attitude to the Bacchanals would have surprised descendants of Abraham living under Greek or Roman rule very little, and early Christians even less. It is strikingly reminiscent of rhetorical attacks made periodically by Greeks or Romans on both groups. Leaving aside consular paranoia, however (and despite the fact that fides happens not to be one of the qualities discussed in this passage as under threat from the Bacchanal polity), the Bacchanals offer some thought-provoking parallels with the texts of the New Testament. In both groups, ethical ideas and practices are described as doing more than colouring or validating divine-human communities structured by other things. They constitute a structure in their own right, through which the nature and working of a community can be understood as well as through their priestly offices, habits of assembly, or distribution of property.
4. The natural goodness of the kingdom of God Alongside the idea that virtues or (more broadly) ethics are capable of structuring a society and, as Malcolm Schofield has shown, periodically intersecting with it, run two more, related but not identical, ideas which are also worth some exploration here: natural goodness and natural law. In Popular Morality in the Early Roman Empire, I sought to show that the idea of natural goodness would, in practice if not by name, have been familiar to everyone in the Graeco-Roman world who used proverbs, fables, gnomic sayings or exemplary stories to aid their ethical thinking.52 Popular morality, I argued – including thinking about πίστις and fides – identifies nature with social role and social role with appropriate behaviour. To be good means to be good of one’s kind in one’s social context: to herd sheep effectively if one is a shepherd; to protect the herd from wolves if one is a guard dog; to produce milk and wool if one is a sheep. In that book I had little to say about direct connections between nature and virtue, taking popular morality’s concept of ‘nature’ as indistinguishable from ‘the social position in which agents find themselves’. There are, however, traces of more definably naturalistic ethical thinking than that in popular moral material, especially in fables. Babrius’ Fable 41, for exam52
Morgan, Popular Morality (see n. 25), 185–89.
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ple (a version of an Aesopic fable from the first century CE) tells of a lizard which burst when it tried to make itself as long as a snake. “You too” Babrius concludes, “will damage yourself and achieve nothing, if you imitate someone who is greatly superior to you.” The moral could apply to an individual’s social position, but it could equally apply to his or her nature – or the two could be understood as indistinguishable. Fable collections abound with stories like this, from the jackdaw who dressed himself up in the feathers of other birds and was exposed as a fake (Babrius 72) to the turtle who wanted to fly and was dropped to his death from a great height by a hungry eagle (115). Any of them can be read as about their characters’ social position, but they can also be read as referring to the natural goodness which enables every human being or animal to survive and thrive in their own particular ecological or cosmological niche. In fables and other popular moral genres, practising the natural goodness of being a lizard or a turtle does not necessarily lead to what a philosopher might regard as a particularly good or happy life. The world of popular morality is one of constant struggle and competition, in which it is natural for the wolf to prey on sheep, for sheep to be preyed on, and so on. Happiness and virtue, in this world, seem to consist mainly in living to compete another day. 53 Philosophers who developed their own accounts of natural goodness, tended to be more optimistic than popular morality. Plato’s Republic and Aristotle’s Politics, for example, both sketch ideal states in which all the inhabitants achieve both virtue and happiness by living in accordance with their natural gifts in the social niche designed to accommodate them. (In philosophical contexts, this can be described as a form of ‘pluralist perfectionism’, the idea that there are many human goods to which human beings can aspire as appropriate to their nature.)54 What Plato, Aristotle, and popular morality share with one another, and also with Stoicism, is a vision of societies which are structured by ethics and which work because everyone in them practises what they define as virtues. They further share the view that social living is the natural way of life for human beings: the natural location in which to live well, however one defines ‘well’. As the second-century Stoic emperor Marcus Aurelius puts it: “The good of a rational being is community because we are born with a view to community” (5.16).55 Plato, Aristotle, and popular morality 53
See e.g., Morgan, Popular Morality (see n. 25), 188–90. Some, though not all forms of pluralist perfectionism are connected with nature. 55 Transl. Anthony A. Long and David Sedley, The Hellenistic Philosophers: Volume 1: Translations of the Principal Sources with Philosophical Commentary (Cambridge/New York: Cambridge University Press, 1987), 397; cf., Cicero, Off. 1.107–17, Diogenes Laertius, Lives 7.94, Stobaeus, Ecl. 2.77.16–17. Living in accord with nature is also described by Stoics as practising one’s ‘proper functions’; cf., Diogenes Laertius, Lives 7.88, Stobaeus, Ecl. 2.93.14–18, 2.96.18–97.5, 5.906.18–907.5. 54
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also have something in common which differentiates them from Stoicism: the idea that members of a society do not all need to have the same virtues. Rather than sharing a polity on the basis of their shared qualities, people may fit together, like a political jigsaw puzzle, by having complementary qualities. Though their language is rather different, these ideas find resonances in a number of New Testament passages. To live in the divine-human community of the faithful, imagined as a household or a state, must be natural, for the writers of the New Testament, since they understand God and Jesus as calling people into it. It must be good, since people enact in its qualities which they believe are also enacted or commanded by God. Some of these qualities, like πίστις, ἀγάπη and δικαιοσύνη, are practised by everyone (much as they are in a Stoic community of sages). Others, like wisdom or the gift of healing in 1 Corinthians 12:8–9, are practised by some for the benefit of all (as in the ‘jigsaw’ configuration of popular morality, or pluralist perfectionism). They describe the nature and working of the divinehuman community as definitively as do the Fatherhood of God, the Lordship of Christ or the citizenship of the faithful. I noted above that for Seneca, as a Roman Stoic, the divine-human community of virtue to which all human beings ideally belong is not only good but natural, and as such it intersects with the developing Graeco-Roman concept of natural law. The parallels and possible connections between natural law in Graeco-Roman thought, the Hebrew Bible and the New Testament have been much explored, but they deserve a mention here. In its classical (Thomist) version, natural law theory holds that natural law is given to human beings by the divine, that it is by nature authoritative over all human beings, and that it is by nature knowable by them. It argues that human beings are required to fulfil the good, as defined by the divine, by right action.56 Both Plato and Aristotle can be seen as holding (slightly different) theories of natural law, in which, for Plato, the good is defined (and embodied) by the divine, while, for Aristotle, the good constitutes the perfection of each human life in accordance with its own nature. Natural law has been identified as a theme both in the Jewish scriptures and in Paul’s letters. In Ethics and the Old Testament, for example, John Barton argues that the Bible enshrines a double concept of natural law. The good of humanity is what God decrees it to be, and the natural goodness of human beings consists in following God’s commands.57 At the same time 56
Philip E. Devine, Natural Law Ethics (Wesport: Greenwood, 2000). John Barton, Ethics and the Old Testament, 2nd ed. (London: SCM, 2002), 58–76. Matthew Levering, Biblical Natural Law: A Theocentric and Teleological Approach (Oxford: Oxford University Press, 2008), 60–67 argues, surely rightly, that the Bible does not recognize a distinction between divine and natural law. 57
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there are also moral goods, such as the prohibition against murder, which are recognized universally by human beings, and presumably would be even if they had not been subjects of divine command. In his discussion of natural law in Judaism, David Novak argues that the only explanation of the guilt and punishment of Cain or the generation of the flood is that they have natural knowledge of good and evil.58 Joseph Fuchs has argued persuasively that Paul, like the Jewish scriptures, takes the existence of natural law for granted, and identifies it with the commands of God. At Romans 1:18–32, for example, Paul says that gentiles, who lack the law, should nevertheless know God and God’s commands by looking at the natural world. Jews and gentiles, for Paul throughout Romans, all exist under the same universal law, though historically they have learned about it by different means. Jews learn about God’s commands both from the law and from the world around them. Gentiles, at Romans 2:14 and 2:27, can do by nature what the law requires, because the law communicates God’s commands.59 At Romans 8:1 and elsewhere, Christ sets Jews free from the law but, Fuchs holds, this freedom does not exempt Jews or anyone else from God’s natural law. In this argument Paul comes close to saying, though he does not say in so many words, that freedom is compatible with obedience towards God and Christ because obedience, which is identical to being ‘in Christ’, is the natural, in the sense of naturally right, condition for human beings.60 Paul probably derived his intuition of natural law more from scripture than from Greek philosophy, but the parallels between the two mean that his views would not have seemed strange to educated gentiles. They probably would not have sounded strange even to uneducated Greeks and Romans. A concept of natural law is strongly implicit in mainstream Greek and Roman religion too. No one used to the idea, for instance, that the gods abhor sacrilege, or that Zeus the Just punishes all wrongdoers eventually, would find Jewish formulations of natural law awkwardly foreign.61 Another minority cult of the early Roman empire offers an even closer parallel with early Christian understandings of divine-human community and the role of ethical qualities in structuring it, and deserves a brief discussion before we conclude.
58 David Novak, Natural Law in Judaism (Cambridge/New York: Cambridge University Press, 1998), 34–36. 59 Josef Fuchs, Natural Law: A Theological Interpretation (Dublin: Gill and Sons, 1965), 15–20, 30. 60 Fuchs, Natural Law (see n. 59), 24–26. 61 Cf., Aesop 126 (Chambry); Hugh Lloyd-Jones, The Justice of Zeus (Oxford: Oxford University Press, 1971).
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The cult of Isis, like those of Dionysus/Bacchus and of Christ, is, in the first century, a syncretizing immigrant to the Roman west, though it attracts less persecution than either of the others. In its Graeco-Roman form, the cult has often (arguably on somewhat superficial grounds) been compared with very early Christianity.62 Both are ‘elective’ (not state) cults, though both emerge from state cults (the Israelite cult of YHWH and the Egyptian cult of Isis) of states which were conquered first by the Macedonians, then by the Romans. Both practise initiation rituals. Both offer salvation to their adherents, though almost certainly of very different kinds.63 Christians see themselves as monotheists and the worship of God and Christ as precluding that of any other God. Worshippers of Isis are not forbidden to worship other gods, but the cult seems to have had strong henatheistic tendencies.64 Like the God of the Christians, Isis is understood as the creator of the universe. In her best-preserved aretalogy on stone, the famous Greek inscription from Kyme dated to the late first century BCE or early first century CE, Isis says of herself, I divided earth from heaven. I appointed the paths of the stars … I regulated the passage of sun and moon … I arranged that women should bring babies to light after nine months … I am mistress of rivers, winds and sea … I am mistress of the thunderbolt … I am in the rays of the sun...65
When, in Apuleius’ Metamorphoses, Lucius, after his many adventures in the form of an ass, receives a vision of Isis in which she promises to restore his human form, his praise of her includes the affirmation (11.26), “You turn the globe, you light the sun, you rule the world, you suppress Tartarus. The stars obey you, the seasons return for you, the powers of heaven rejoice, the elements serve you…” In the Kyme inscription, Isis also defines what is good or right and enforces it: 62
On possible links between Isis and New Testament writings, see Elizabeth A. McCabe, An Examination of the Isis Cult with Preliminary Exploration into New Testament Studies (Leiden: Brill, 2008). 63 Isis saves e.g., from the perils of childbirth, illness, and the sea (Hendrik S. Versnel, Inconsistencies in Greek and Roman Religion: Volume 1: Ter Unus, Isis, Dionysos, Hermes: Three Studies in Henotheism [Leiden: Brill, 1990], 44–48). From the second century, Isis is sometimes described as controlling fate (and so human death). 64 Aretalogies of Isis surviving in Greek and Latin identify every other (female) deity with Isis, implying that worshipping Isis is all one needs in a divine-human relationship (at least with a female divinity): e.g., Apuleius, Metam. 11.5–6. Initiation into the cult of Isis, however, may go alongside initiation into that of Osiris. 65 IG XII Suppl. 14=Inschr. Kyme 41, transl. Mary Beard, John North, and Simon R.F. Price, A Sourcebook, vol. 2 of Religions of Rome. ed. Mary Beard, John North, and Simon R.F. Price (Cambridge/New York: Cambridge University Press, 1998), 297–98.
Πίστις Between Theology, Ethics, Ecclesiology and Eschatology
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I made justice strong … I inflicted punishment on those who are not affectionately disposed towards their parents. I, with my brother Osiris, ended cannibalism … I taught [human beings] to honour images of the gods … I ended the rule of tyrants. I ended murders. I forced women to be loved by men. I made justice stronger than gold or silver. I legislated that truth be considered a fine thing … I made good and evil be distinguished by nature … I legislated mercy for the suppliant. I honour those who avenge themselves with justice. By me justice is mighty…
This is as clear a claim of divinely-ordained natural law as any in antiquity. Isis seems to legislate for all peoples, at least those laws which are universally shared because they are generally perceived by human beings as encoding what is naturally good or just. These include laws about marriage, the honouring of oaths and contracts, and respect for suppliants. Isis also punishes tyranny and murder.66 When she says, moreover, “I invented fishing and seafaring” and “I built the walls of cities”, she claims sovereignty over all human activities, whether or not they relate directly to the divine, in a way which would be familiar to Jews and Christians too. The world which Isis rules also has features in common with the cosmos of Stoic sages: everything that is good and right to do originates with the divine, is sponsored by the divine, and forms part of the cosmic divinehuman community. It seems clear, further, from the Kyme inscription that behaving as Isis wishes constitutes the ‘natural goodness’ of human beings. No one in the ancient world would argue that affection between parents and children, for example, or love between men and women, is not a natural good. If Isis seems to legislate for all peoples, the Kyme inscription also says that she gave Greeks and barbarians their different languages, making clear that she is content for human beings to inhabit differing cultures. In this context, when she describes herself as founding sanctuaries, building city walls, and as the “mistress of war”, she invites worshippers to see her as transcending individual human communities but accepting that different communities exist and come into conflict. This diverges from the picture among Jews, Christians or Stoic sages, where everyone who is in the right relationship with the divine belongs to the same community. In some ways, however, the worship of Isis makes an interesting comparison with the worship of God and Christ. In particular, she seems to be similarly closely identified with natural law and natural goodness, though the relationship between Isis and those who worship her is less like the idea of a cosmic community of the divine with the virtuous, or the idea of human pluralist
66 The gods are often credited with saving people from tyranny: see e.g., Versnel, Inconsistencies (see n. 63), 50–62.
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perfectionism, than the relationship between God, Christ, and οἱ πιστεύοντες may be.
5. Conclusion I began this essay by noting that – alongside its many dialectical advantages – the thematic study of New Testament texts always risks creating artificial boundaries between subjects. I suggested that the study of πίστις has suffered considerably from this practice, tending to be divided into theological treatments of πίστις and πιστεύειν (and their opposites) and ethical treatments of πιστός and πιστικός, while the ecclesiological and eschatological aspects of πίστις and its relatives have often been underplayed. I argued that all the parts of the lexicon were understood as related by speakers and readers of the first century and that they should be treated as related in New Testament texts, and I have tried to show that πίστις and related terms concepts and practices have theological, ethical, ecclesiological and eschatological aspects which are widely and closely interwoven across New Testament writings.67 Understanding πίστις and its relatives as central, as concepts and praxeis, to early Christians in all these linked ways, helps us to understand why πίστις language is both so prevalent throughout the New Testament, and so dominant in the consciousness of οἱ πιστεύοντες that, at some point remarkably early in its development, the new cult comes to be known simply as ἡ πίστις.68 If πίστις were used only of the way in which human beings enter a (re)new(ed) relationship with God, believing/putting their trust in God, Christ, and the gospel, it would still be crucially important to most of the writers of New Testament texts and their communities. As it is, it does far more work than that. πίστις proves to be not only a means to salvation or righteousness and a behaviour practised in the kingdom or household of God while Christians await the end time, but part of the very structure of the divine-human community itself, both earthly and eschatological.
67
Another topos for this discussion is the relationship between πίστις and δικαιοσύνη, which often appear together at the foundation of ideal or historical Greek, Roman, or Israelite societies and which can be understood both as qualities and praxeis that form community and as ethics that structure it. An approach to δικαιοσύνη in the New Testament analogous to that to πίστις for which I have argued might, among other effects, offer a resolution of the tension between ethical and juridical interpretations. 68 Though probably not in the texts of the New Testament: see Morgan, Roman Faith (see n. 6), chs. 7–8.
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In imagining the divine-human relationship as creating a πολιτεία structured by virtues, a new society in which οἱ πιστεύοντες live in accordance with both divine and natural law, I have argued that Christians had many precedents and parallels to draw on in the world around them, from popular morality to political theory, golden ages of myth to messianic prophecies, philosophical accounts of natural law to the structure of other, especially elective cults. The writers of the New Testament will certainly have been familiar with some of these, and, directly or indirectly, maybe with most or all of them. Despite much careful and illuminating work on possible connections between the New Testament and, in particular, philosophical ideas about communities of virtue and natural law, specific links remain elusive. This need not surprise us, and for early Christians it may even have been a strength. Assuming with most recent commentators that early churches encompassed a broad spectrum of society, ideas which resonated with people of different cultural and educational backgrounds will have been maximally accessible and minimally divisive. For all the parallels between Christian ideas and others, however, Christians’ divinehuman πολιτεία remains essentially and unmistakeably their own: a family and kingdom created by the grace of God which reached out through Jesus Christ and the holy spirit to bring all those who πιστεύειν to salvation and eternal life.69
69 Helmut Koester, “Paul’s Letters as Theology for the Community,” in Antiquity and Humanity: Essays on Ancient Religion and Philosophy Presented to Hans Dieter Betz on his 70th Birthday, ed. Adela Yarbro Collins and Margaret M. Mitchell (Tübingen: Mohr Siebeck, 2001), 215–25, 222–24, noting the Christological foundations of Christian ethics, also emphasizes, rightly, the communitarian nature of Christian ethics, but overdraws the contrast with philosophical ethics, which have a more communitarian aspect than he allows.
Den Römern ein Römer Die paulinischen Glaubensaussagen vor dem Hintergrund des römisch-lateinischen fides-Begriffs THOMAS SCHUMACHER
1. Einführung Für das Verständnis der Paulusbriefe wie für das gesamte neutestamentliche Schrifttum bildet die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Verstehenskontexte für das paulinische Schrifttum zu berücksichtigen sind, eine essentielle Voraussetzung. Üblicherweise wird der Blick dabei zunächst auf die alttestamentlich-jüdische und die griechisch-hellenistische Lebenswelt des Paulus gerichtet – fraglos zu Recht, haben doch diese beiden Verstehenskontexte vielfältige und tiefe Spuren in den paulinischen Briefen hinterlassen. Doch neben diesen beiden, fast schon als ‚klassisch‘ zu bezeichnenden Frageperspektiven – Neil Elliott spricht in diesem Zusammenhang von einem „double standard“1 – hat sich seit einiger Zeit in der neutestamentlichen Forschung auch der Blick auf den römischlateinischen Lebenskontext etabliert2. Und auch diese Fragestellung hat in der Paulusforschung ohne Zweifel ihre Berechtigung, denn schließlich
1 N. ELLIOTT, Paul and the Politics of Empire. Problems and Prospects, in: R.A. Horsley (Hg.), Paul and Politics. Ekklesia, Israel, Imperium, Interpretation (FS K. Stendahl), Harrisburg 2000, 17–39, 20–22; vgl. hierzu auch DERS., Romans 13:1–7 in the Context of Imperial Propaganda, in: R.A. Horsley (Hg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997, 184–204, 186–188. 2 Vgl. etwa die von der SBL-Arbeitsgruppe zur antiimperialen Paulusdeutung herausgegebenen Bände: R.A. Horsley (Hg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997; ders. (Hg.), Paul and Politics. Ekklesia, Israel, Imperium, Interpretation (FS K. Stendahl), Harrisburg 2000, sowie im Blick auf das ganze Neue Testament M. Labahn/J. Zangenberg (Hg.), Zwischen den Reichen. Neues Testament und Römische Herrschaft, TANZ 36, Tübingen 2002; K. WENGST, Pax Romana, Anspruch und Wirklichkeit. Erfahrungen und Wahrnehmungen des Friedens bei Jesus und im Urchristentum, München 1986, 34.97–100. Vgl. hierzu auch den Forschungsüberblick von W. POPKES, Zum Thema ‚Anti-imperiale Deutung neutestamentlicher Schriften‘, ThLZ 127 (2002), 850–862.
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trägt Paulus nicht nur „einen seltenen römischen Namen“3, sondern denkt auch „geographisch ganz in römischen Kategorien … und [hat] bei seiner weltweiten Missionsplanung nur das Imperium und seine Provinzen im Blick“4, um nur zwei Beispiele für die feste Verortung des Paulus in diesem kulturgeschichtlichen Kontext zu benennen. Angesichts dieses Befundes mehren sich mittlerweile die Stimmen, die für eine stärkere Berücksichtigung der römisch-lateinischen Lebenswelt bei der Auslegung der paulinischen Schriften plädieren, ja, man spricht im Zusammenhang mit dieser Frageperspektive – ähnlich wie bei der sogenannten „New Perspective on Paul“5 – mittlerweile bereits von einem „Paradigmenwechsel“ in der Paulusforschung6. Vor diesem Hintergrund legt sich der Gedanke nahe, dass die Berücksichtigung des römisch-lateinischen Entstehungskontextes auch auf manche semantischen Aspekte des paulinischen Schrifttums neues Licht zu werfen vermag. Es sei in diesem Zusammenhang nur an die Formulierung εἰρήνη καὶ ἀσφάλεια aus 1Thess 5,3 erinnert, die sicherlich eine deutliche Nähe zur lateinischen Wendung pax et securitas aufweist – eine begriffliche Äquivalenz, die bereits mehrfach als Verstehensschlüssel erwogen und zur Fundierung einer antiimperialen Deutung dieser paulinischen Textstelle herangezogen wurde.7 Faktisch gewinnt in der Paulusforschung jedenfalls die Überzeugung immer mehr an Plausibilität, dass nicht nur bei inhaltlich-motivischen Auffälligkeiten die Lebenswelt und die Lebensbedingungen im Imperium Romanum zu berücksichtigen sind, sondern dass auch bei semantischen Fragestellungen der sprachliche Kontext für eine adäquate Deutung fruchtbar zu machen ist.8 Ausgehend von dieser for3
M. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, in: M. Hengel, Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 177–293, 201. 4 M. HENGEL, Paulus (s. Anm. 3), 201. 5 Vgl. etwa C. STRECKER, Paulus aus einer „neuen Perspektive“. Der Paradigmenwechsel in der jüngeren Paulusforschung, KuI 11 (1996), 3–18, 3. 6 Vgl. etwa ELLIOTT, Politics (s. Anm. 1), 22. Zum Begriff des Paradigmenwechsels vgl. T.S. KUHN, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt a.M. 21976. 7 Vgl. etwa K.P. DONFRIED, The Imperial Cults of Thessalonica and Political Conflict in 1 Thessalonians, in: R.A. Horsley (Hg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997, 215–223, 216; ELLIOTT, Politics (s. Anm. 1), 25.31; H. KOESTER, Imperial Ideology and Paul’s Eschatology in 1 Thessalonians, in: R.A. Horsley (Hg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997, 158–166, 161f.; WENGST, Pax (s. Anm. 2), 34.97–100; S. SCHREIBER, Der erste Brief an die Thessalonicher, ÖTBK 13.1, Gütersloh 2014, 272–274. 8 Für das Nomen πίστις vgl. E.S. GRUEN, Greek πίστις and Roman fides, Athenaeum. Studi di letteratura e storia dellʼantichità 60 (1982), 50–68; D. GEORGI, God turned Upside down, in: R.A. Horsley (Hg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997, 148–157, bes. 149; H. CANCIK, Fides, Pistis und Imperium, in: ders., Aufsätze, Band 1, hg. von H. Cancik-Lindemeier, Tübingen 2008, 178–
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schungsgeschichtlichen Entwicklung soll in den folgenden Ausführungen die paulinische Verwendung des Begriffes πίστις vor dem Hintergrund der imperialen römischen Lebenswelt des Paulus und seiner Gemeinden beleuchtet werden.
2. Der lateinische fides-Begriff als Anknüpfungspunkt für die paulinischen Glaubensaussagen Wenn man nun die Frage nach möglichen Einwirkungen des römischen Lebenskontextes und der lateinischen Sprache auf die paulinischen πίστιςAussagen stellt, so bietet sich zu deren Beantwortung vor allem der Blick auf den lateinischen Begriff fides und die mit ihm verbundenen Vorstellungen an. Schließlich leiten sich die Wörter πίστις und fides nicht nur von derselben indogermanischen Wurzel ab (*beidh)9, sondern beide Nomina haben auch im Zuge ihrer sprachgeschichtlichen Entwicklung ein recht ähnliches Bedeutungsspektrum herausgebildet10. Daher ist es linguistisch betrachtet angemessen und nachvollziehbar, wenn das griechische πίστις gewöhnlich als Übersetzungsäquivalent für fides verwendet wird bzw. im Gegenzug das lateinische fides fast durchgängig mit πίστις wiedergegeben wird. Diese begriffliche Äquivalenz spiegelt sich besonders eindrücklich in jenen zweisprachigen Dokumenten wider, in denen sowohl fides als auch πίστις verwendet werden. Den wohl prominentesten antiken Beleg eines solchen Zeugnisses stellen die sogenannten res gestae divi Augusti dar, der 197; C. STRECKER, Fides – Pistis – Glaube. Kontexte und Konturen einer Theologie der „Annahme“ bei Paulus, in: M. Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005, 223–250; T. SCHUMACHER, Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις, BBB 168, Göttingen 2012, 274–299. 9 Vgl. G. FREYBURGER, Fides. Étude sémantique et réligieuse depuis les origines jusquʼà lʼépoque augustéenne, Paris 1986, 33. 10 Zu den semantischen Möglichkeiten von πίστις vgl. F. P ASSOW, Handwörterbuch der griechischen Sprache, Leipzig 51841–1857 (reprint Darmstadt 2008), s.v. πίστις; H.G. LIDDELL/R. SCOTT/H.S. J ONES, A Greek-English Lexicon. With a Revised Supplement, Oxford 91996, s.v. πίστις; H. MENGE, Langenscheidts Großwörterbuch. GriechischDeutsch, Berlin 271991, s.v. πίστις, sowie SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 199– 209. Zu den Verwendungsmöglichkeiten von fides vgl. K.E. GEORGES, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Band 1, Hannover 1913 (reprint Darmstadt 1988), s.v. fides; H. MENGE, Langenscheidts Großwörterbuch Lateinisch, Band 1: Lateinisch – Deutsch. Unter Berücksichtigung der Etymologie, Berlin 281994, s.v. fides, sowie S TRECKER , Fides (s. Anm. 8), 232f.; SCHUMACHER , Entstehung (s. Anm. 8), 274–285. Vgl. zudem S. 304f. des vorliegenden Beitrags.
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autobiographische Taten- und Rechenschaftsbericht des Kaisers Augustus.11 Die am besten erhaltene Fassung dieses Textes ist eine griechisch-lateinische Bilingualinschrift, die am Augustustempel von Ankyra angebracht ist und die gemeinhin unter dem vom Fundort abgeleiteten Namen Monumentum Ankyranum angesprochen wird12: Hier wird das Nomen πίστις durchgängig zur Wiedergabe des lateinischen Begriffes fides verwendet, womit dieses zweisprachige Dokument zu einem bedeutenden Beleg für die hier zum Ausgangspunkt der Überlegungen genommene begriffliche Nähe von fides und πίστις wird. Darüber hinaus kann als Beleg für diese sprachliche Äquivalenz auch auf eine Münzprägung der süditalischen Stadt Lokri verwiesen werden.13 Dabei handelt es sich um eine silberne Didrachme, die vermutlich – so der überzeugende Vorschlag von Maria C. Caltabiano14 – in das Jahr 282 v.Chr. zu datieren ist. Diese Prägung stammt somit aus einer Zeit, in der Rom seine Vormachtstellung auch in Unteritalien festigte und die zahlreichen griechischen Städte im Süden Italiens (Magna Graecia) – unter ihnen auch Lokri – dem Imperium Romanum zufielen. Auf dieser Münze ist nun die früheste Darstellung der römischen Göttin Fides zu sehen, die eine vor ihr sitzende Roma bekränzt und mit der griechischen Beischrift ΠΙΣΤΙΣ versehen ist.15 Somit spiegelt sich in dieser Münzprägung nicht nur die Berührung von römisch-lateinischer und griechisch-hellenistischer Kultur in Süditalien wider, sondern sie bezeugt zudem die begriffliche Äquivalenz von fides und πίστις in dieser sprachlich-kulturellen Begegnung. Trotz dieser unverkennbaren Berührungspunkte ist die Semantik von πίστις und fides aber nicht völlig deckungsgleich; vielmehr besteht zwischen beiden Begriffen auch eine gewisse semantische Differenz. Dies illustriert eine Begebenheit, die von dem griechischen Geschichtsschreiber Polybios überliefert wird, in eindrücklicher Weise.16 Polybios schildert den Versuch einer diplomatischen Einigung zwischen Griechen und Römern 11
Vgl. T. MOMMSEN, Res gestae divi Augusti, Berlin 21883; E. WEBER, Res gestae divi Augusti. Meine Taten, Düsseldorf 2004. 12 Vgl. H. VOLKMANN, Res gestae divi Augusti. Das Monumentum Ancyranum, Berlin 3 1969. Das lateinische Original der res gestae, das in Rom auf zwei Säulen vor dem Augustusmausoleum angebracht war, ist hingegen nicht erhalten. 13 Vgl. B.V. HEAD, Historia Numorum. A Manual of Greek Numismatics. New and enlarged Edition, Oxford 1911, 103f. (Abb. 57); FREYBURGER, Fides (s. Anm. 9), Taf. XVIII; STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 237.250 (Abb. 6). 14 M.C. CALTABIANO, Nota sulla moneta locrese, Zeus/Roma e Pistis, in: E. Livrea/ G.A. Privitera (Hg.), Studi in onore di A. Ardizzoni, Rom 1978, 99–116. 15 Die Abbildung der Fides bleibt auf Münzen zunächst singulär, doch in den Prägungen der Kaiserzeit wird dieses Motiv – natürlich ohne griechische Beischrift – dann immer wieder verwendet. Vgl. CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 193. 16 Vgl. Polybios 20,9.
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im Verlauf der zweiten Schlacht bei den Thermopylen im Jahr 191 v.Chr., die letztlich an einem semantischen Missverständnis scheiterte. Denn als sich im Verlauf dieser kämpferischen Auseinandersetzung abzeichnete, dass die griechischen Städte des Ätolischen Bundes der militärischen Übermacht der römischen Truppen nicht mehr viel entgegenzusetzen hatten, strebten die Griechen eine friedliche Lösung an und ließen dem römischen Truppenführer Manius Acilius Glabrio durch eine Gesandtschaft den Vorschlag unterbreiten, dass die Griechen bereit seien, sich in die πίστις der Römer zu übergeben (δόντες … εἰς τὴν Ῥωμαίων πίστιν). Doch während die Griechen bei ihrem Vorschlag mit der Milde und Nachsicht der Überlegenen rechneten und vielleicht gar an ein friedliches Bündnis dachten, verstanden die Römer das ihnen unterbreitete Angebot als Ausdruck der bedingungslosen Kapitulation und Unterwerfung. In dieser Begebenheit spiegelt sich ein Beispiel semantischer Inkommensurabilität von fides und πίστις wider, denn offenbar verbinden beide Kriegsparteien ganz unterschiedliche Vorstellungen mit dem jeweiligen Begriff, wie auch Polybios ausdrücklich hervorhebt: „(Die Aetoler) entschieden, alles dem Manus [Acilius Glabrio] zuzuwenden (ἐπιτρέπειν), indem sie sich in die πίστις der Römer übergaben, nicht wissend, welche Bedeutung das hat, in die Irre geführt durch das Wort, als ob ihnen durch dieses ein vollkommenes Erbarmen zukäme. Bei den Römern aber hat das ‚sich in die Pistis aushändigen‘ dieselbe Bedeutung wie ‚die Verfügungsgewalt (ἐπιτροπή) über sich den Übermächtigen geben‘“17. Vor dem Hintergrund dieses semantischen Missverständnisses dürfte es nicht verwundern, dass die von Polybios geschilderten weiteren Verhandlungen zwischen Griechen und Römern ins Leere liefen: Die Römer formulierten ihre Forderungen, die zu Irritationen bei den Griechen führten, was wiederum den Unmut der Römer nach sich zog – sodass schließlich die Verhandlung abgebrochen und die Schlacht fortgesetzt wurde. Diese drei sprachgeschichtlichen – oder vielleicht besser: übersetzungsgeschichtlichen – Schlaglichter ergeben somit ein disparates Bild: Denn während im Monumentum Ankyranum und der Münzprägung von Lokri der griechische πίστις-Begriff in der Lage zu sein scheint, die mit fides verbundenen Vorstellungen ins Griechische zu übertragen, spiegeln sich in dem von Polybios geschilderten semantischen Missverständnis die begrifflichen Differenzen, die zwischen beiden Nomina offenbar doch bestehen. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen soll daher im weiteren Ver17
Polybios 20,9: Οἱ δ᾽Αἰτωλοὶ καὶ πλείω λόγον ποιησάμενοι περὶ τῶν ὑποπιπτόντων ἔκριναν ἐπιτρέπειν τὰ ὅλα Μανίῳ, δόντες αὑτοὺς εἰς τὴν Ῥωμαἰων πἰστιν, οὐκ εἰδόντες τίνα δύναμιν ἔχει τοῦτο, τῷ δὲ τῆς πίστεως ὀνόματι πλανηθέντες, ὡς ἂν διὰ τοῦτο τελειοτέρου σφίσιν ἐλέους ὑπάρξοντος. Übersetzung nach CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 192.
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lauf der Überlegungen ein Blick auf die jeweiligen Verwendungsmöglichkeiten von fides und πίστις geworfen werden. Denn um zu einer Antwort auf die Frage nach dem Einfluss des lateinischen fides-Begriffs auf die paulinischen πίστις-Aussagen zu gelangen, gilt es zunächst, die semantischen Spezifika der beiden Nomina zu klären.
3. Die semantischen Möglichkeiten von πίστις und fides Ein Blick auf die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten von πίστις in den gängigen Lexika macht rasch deutlich, dass es sich bei diesem Nomen um ein Grundwort der griechischen Sprache handelt, das ein äußerst breites Bedeutungsspektrum aufweist.18 Zunächst bringt πίστις das ‚Trauen‘, ‚Vertrauen‘ oder ‚Zutrauen‘ zur Sprache; aber auch ‚Anerkennung‘, ‚Ansehen‘ und ‚Geltung‘ kann mit diesem Nomen ausgedrückt werden und, davon abgeleitet, etwas ‚Anvertrautes‘, eine ‚finanzielle Zuwendung‘ oder ein ‚Kredit‘. Hinzu kommen noch weitere Übersetzungsmöglichkeiten wie ‚Treue‘, ‚Ehrlichkeit‘, ‚Überzeugung‘, ‚Beglaubigung‘, ‚Garantie‘, ‚Gewähr‘, ‚Bürgschaft‘, ‚Bündnis‘, ‚Bund‘, ‚Vertrag‘, ‚Treueschwur‘, das ‚(eheliche) Treueversprechen‘, die ‚Beziehung‘, die ‚Glaubwürdigkeit‘. Aber auch die ‚Verteidigungsrede‘, die ‚Wahrheit‘, der ‚Beweis‘ und das ‚Beweismittel‘ können mit πίστις ausgedrückt werden. Auffällig ist in diesem Zusammenhang sicherlich, dass πίστις vor allem in Bezug auf Aspekte des zwischenmenschlichen Zusammenlebens verwendet wird; die recht frühe Übertragung auf religiöse Zusammenhänge liegt von daher nahe. So findet sich bei Platon etwa die Formulierung πίστις θεῶν19 und bereits Theognis bezeugt für das 6. Jahrhundert v.Chr. die Verehrung einer Göttin namens Πίστις in Athen20. Vergleicht man nun die lexikalischen Möglichkeiten des griechischen Nomens πίστις mit denen des lateinischen fides21, dann sticht zunächst die semantische Nähe beider Begriffe ins Auge. Denn genau wie mit πίστις im Griechischen kann mit fides im Lateinischen das ‚Vertrauen‘, das ‚Zutrauen‘ und die ‚Treue‘ zur Sprache gebracht werden und selbst solche Bedeutungsmöglichkeiten wie ‚Beweis‘, ‚Garantie‘, ‚Wahrheit‘ und ‚Kredit‘ teilt das lateinische fides mit seinem griechischen Äquivalent. Und 18 Vgl. P ASSOW, Handwörterbuch (s. Anm. 10), s.v. πίστις; LIDDELL/SCOTT/J ONES, Lexicon (s. Anm. 10), s.v. πίστις; MENGE, Großwörterbuch. Griechisch-Deutsch (s. Anm. 10), s.v. πίστις. 19 Platon, leg. 12,966d. 20 Theognis 1,1137. 21 Vgl. GEORGES, Handwörterbuch (s. Anm. 10), s.v. fides; MENGE, Großwörterbuch Lateinisch (s. Anm. 10), s.v. fides.
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ganz ähnlich wie πίστις ist auch fides in religiösen Kontexten fest verwurzelt, wie in besonderer Weise die Verehrung der Göttin Fides verdeutlicht, deren früheste Darstellung auf der Didrachme von Lokri erhalten ist. Doch im Unterschied zu πίστις wird fides im lateinischen Sprachraum besonders häufig in rechtlichen, politischen und militärischen Zusammenhängen verwendet. Dies spiegelt sich unter anderem darin wider, dass fides genau in diesen Lebensbereichen einige Verwendungsmöglichkeiten herausgebildet hat, die sich nicht in gleicher Weise beim griechischen πίστις finden lassen.22 Hier sind vor allem Bedeutungen wie ‚Schutz‘, ‚Obhut‘ und ‚Hilfe‘ zu erwähnen, aber auch Sonderbedeutungen wie etwa die geprägte Wendung debitio in fidem, mit der eine besondere Form der militärischen Kapitulation bezeichnet wird. Zwar findet sich auch das griechische πίστις in rechtlichen und politischen Kontexten – es sei hier nur an die Bedeutungen ‚Eid‘, ‚Bündnis‘ und ‚Vertrag‘ erinnert –, doch im Unterschied zu fides spielen solche Wortverwendungen eine eher untergeordnete Rolle. Dies erklärt nun auch das von Polybios tradierte Übersetzungsproblem, denn trotz der großen semantischen Schnittmenge von fides und πίστις scheitern die Verhandlungen zwischen Griechen und Römern ja gerade im politisch-militärischen Bereich, also in jenem Lebenskontext, in dem sich die beiden Nomina am deutlichsten voneinander unterscheiden. Nachdem nun die lexikalischen Verwendungsmöglichkeiten von πίστις und fides hinsichtlich ihrer semantischen Gemeinsamkeiten und Differenzen in groben Umrissen skizziert sind, kann auf der Basis dieses sprachlichen Befundes die Frage nach möglichen Einflüssen des fides-Begriffs auf die paulinische Verwendung von πίστις gestellt und konkretisiert werden.
4. Methodologische Schwierigkeiten Der methodologisch sicherste Zugang zur Klärung der Frage nach möglichen Einflüssen des lateinischen Begriffes fides auf der Ebene der Wortsemantik würde fraglos über paulinische Belege aus jenem Bedeutungsbereich führen, in dem dieses Nomen sich von den semantischen Möglichkeiten seines griechischen Äquivalents am klarsten unterscheidet: Wenn Paulus den Begriff πίστις im Sinne von ‚Schutz‘, ‚Obhut‘ oder ‚Hilfe‘ verwenden würde, so ließe sich dies allein auf den lateinischen Einfluss zurückführen, gehen doch die genannten Bedeutungsakzente über die lexikalischen Möglichkeiten des griechischen πίστις eindeutig hinaus. Auch denkbare Erklärungen aus der sprachgeschichtlichen Entwicklung des 22
Vgl. SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 275f.
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Griechischen oder durch andere Fremdeinflüsse – wie beispielsweise die hebräische Sprache – scheiden für die benannten semantischen Möglichkeiten aus. Durch ihr Auftreten wäre somit die methodologische Grundregel erfüllt, dass semantische Fremdeinflüsse nur dann anzunehmen sind, wenn sich ein Bedeutungselement weder aus den geläufigen Verwendungsmöglichkeiten eines Wortes noch aus seiner begriffsgeschichtlichen Entwicklung ableiten lässt. Doch dieser methodologisch sichere Nachweis kann im Falle der paulinischen Verwendung von πίστις nur schwer erbracht werden. Bei einer Durchsicht aller πιστ-Formen im Corpus Paulinum lässt sich nämlich – zumindest auf den ersten Blick – kaum eine solche Wortverwendung eindeutig belegen, sodass die besagte methodologische Voraussetzung zutreffen würde. Doch damit ist die Frage nach römisch-lateinischen Einflüssen auf den paulinischen πίστις-Begriff gewiss nicht abschließend beantwortet. Denn was durch den Blick auf die Semantik nur ansatzweise deutlich wird, sind die jeweiligen Kontexte und Vorstellungen, die mit den Begriffen πίστις und fides verbunden sind. Während sich nämlich der griechische Begriff πίστις durch eine ausgeprägte Wechselseitigkeit auszeichnet, trifft dies nicht in gleicher Weise auf das lateinische Nomen fides zu. Aus diesem Grund soll im Folgenden ein Blick auf die mit fides verbundenen Vorstellungen geworfen und im Anschluss daran die Frage gestellt werden, ob diese kontextuellen Implikationen womöglich Niederschlag in der paulinischen Verwendung von πίστις gefunden haben.
5. Die römisch-lateinische fides-Vorstellung Das lateinische Nomen fides gehört zu den zentralen römischen Wertbegriffen und spielt daher in vielfältigen Zusammenhängen und Lebenskontexten eine sehr bedeutsame Rolle.23 Es findet sich in nahezu allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens, denn sowohl im Rahmen von 23
Zu den Verwendungskontexten von fides vgl. E. FRAENKEL, Art. Fides, Thesaurus Linguae Latinae 6.1 (1914), 661–691; DERS., Zur Geschichte des Wortes fides, Rheinisches Museum für Philologie 71 (1916), 187–199; C. BECKER, Art. Fides, RAC 7 (1969), 801–839; GRUEN, Greek (s. Anm. 8); FREYBURGER, Fides (s. Anm. 9); D. NÖRR, Aspekte des römischen Völkerrechts. Die Bronzetafeln von Alcantara, München 1990, 145–153; DERS, Die Fides im römischen Völkerrecht, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe 191, Heidelberg 1991; G. THOME, Zentrale Wertvorstellungen der Römer. Texte – Bilder – Interpretationen, Band 2, Auxilia 46, Bamberg 2000, bes. 50–84; CANCIK, Fides (s. Anm. 8); STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 233–237; SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 274–281.
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sozialen und gesellschaftlichen Beziehungen als auch in politischen und zwischenstaatlichen Kontexten wird dieser Begriff immer wieder verwendet. Ja, selbst in religiösen Zusammenhängen kommt dem Begriff fides eine Schlüsselrolle zu. Man kann daher sagen, dass mit dem lateinischen fides fast alle Arten von Beziehungen, Relationen und Abhängigkeiten ausgedrückt werden konnten. 5.1 Die hierarchische Grundstruktur des römisch-lateinischen fidesBegriffs Ein entscheidender Verstehenshintergrund für die römisch-lateinische fides-Vorstellung stellt dabei gewiss das römische Klientel- und Patronagewesen dar, denn dieses gilt als „das Urfeld der Anwendung des fidesBegriffes“24. Das Klientel- und Patronagewesen kann in sozialer wie auch politischer Hinsicht als charakteristisch für das römische Reich qualifiziert werden.25 Es impliziert eine dauerhafte oder zeitlich begrenzte Verbindung zwischen Menschen verschiedener sozialer Stellungen, die näherhin darin besteht, dass die niederrangige Person, der cliens, sich in den Schutz und die Obhut, eben in die fides, des höherrangigen patronus begibt. Vor diesem Hintergrund lässt sich die römisch-lateinische fides-Vorstellung vor allem als eine hierarchische Beziehung qualifizieren. Dieses gesellschaftliche Modell prägt durchgehend das soziale Gefüge der römischen Gesellschaft, was sich in seinen vielfältigen Variationen deutlich widerspiegelt. Von seiner Grundidee beschreibt es zunächst das Verhältnis zweier nicht gleichgestellter Einzelpersonen. Faktisch hat man sich diese Beziehung aber nicht als eine exklusive vorzustellen; vielmehr konnten einem Patron mehrere Klienten, teilweise ganze Gruppen, als Schutzangehörige anvertraut sein. Dies führte schließlich zu der idealisierten Vorstellung, dass die gesamte Bevölkerung des Imperium Romanum sich auf entsprechende Patrone verteilte. Dadurch bot dieses gesellschaftliche Beziehungsmodell die entscheidende Voraussetzung dafür, dass der römische Kaiser schließlich all diese patronalen Beziehungen in seiner Person ‚monopolisieren‘ konnte: Der Kaiser konnte damit als oberster patronus betrachtet werden, womit die Beziehung zu seiner Person zugleich zu der wichtigsten aller Beziehungen wurde, die alle anderen gewissermaßen in sich einbarg. 24
T HOME, Wertvorstellungen (s. Anm. 23), 67. Vgl. R.P. SALLER, Personal Patronage under the Early Empire, Cambridge 1982; DERS., Patronage and Friendship in Early Imperial Rome. Drawing the Distinction, in: A. Wallace-Hadrill (Hg.), Patronage in Ancient Society, London 1989, 49–62; A. W ALLACE-HADRILL, Patronage in Roman Society. From Republic to Empire, in: ders. (Hg.), Patronage in Ancient Society, London 1989, 63–87; A. W INTERLING, Freundschaft und Klientel im kaiserzeitlichen Rom, Hist. 57 (2008), 298–316. 25
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Vor diesem Hintergrund wird nun auch verständlich, wie dieses Denkmodell seinen Weg in den politischen Bereich gefunden hat, insbesondere was die Verwendung von fides in zwischenstaatlichen Beziehungen betrifft. „Gerade im Bereich der internationalen Beziehungen beanspruchten die Römer, das Volk der fides zu sein“26, und so wird dieser Begriff auch im außenpolitischen Bereich ganz im Sinne der patronalen Beziehung verwendet, „also sozusagen in Erweiterung des Klientelwesens“27. Und schließlich hat das Klientelwesen auch im religiösen Bereich seine Spuren hinterlassen, denn im Laufe der Zeit wird dieses Beziehungsmodell selbst auf das Verhältnis zwischen Mensch und Gott bzw. Mensch und Gottheiten angewandt. Vor diesem Hintergrund wird nun auch verständlich, wie die hierarchische Struktur, die den Begriff fides kennzeichnet, mit der Göttin Fides verbunden werden konnte. Dies wird vor allem in solchen ikonographischen Darstellungen deutlich, bei denen diese Göttin mit ausgestreckter Hand, die sie den Menschen entgegenreicht, zu sehen ist.28 Auf diese Weise wird der fides-Begriff theologisch rückgebunden und die vielfältigen Formen von fides auf die gleichnamige Göttin zurückgeführt, was Valerius Maximus im 1. Jahrhundert n.Chr. sehr anschaulich formuliert: „Nun reicht uns die ehrwürdige Gottheit der Fides ihre Rechte, dieses sicherste Unterpfand menschlichen Heils“29. Diese Skizzierung der unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten von fides verdeutlicht somit den zentralen Stellenwert, der diesem Begriff im römischen Denken zukommt, sie veranschaulicht aber zugleich die hierarchische Struktur, die mit diesem Begriff aufs engste verbunden ist. Im Kontext des römischen Klientelwesens war die fides nämlich immer die Haltung, mit der die Patrone den Klienten begegneten; darüber hinaus spiegelt sich eine analog hierarchische Verwendungsweise des Wortes in anderen Kontexten wider, wenn etwa die fides Roms anderen Völkern gegenüber oder die Zuwendung der Göttin Fides den Menschen gegenüber angesprochen wurde. Trotz dieser Grundstruktur muss man das lateinische fides aber doch als reziproken Begriff verstehen. Denn grundsätzlich ist die fides eines Höhergestellten immer auf ein reaktives Verhalten auf Seiten des fides-‚Empfängers‘ hingeordnet. Doch dabei handelt es sich um keine Beziehung auf 26
NÖRR, Fides (s. Anm. 23), 4. T HOME, Wertvorstellungen (s. Anm. 23), 65. 28 Vgl. hierzu die Rekonstruktion der Fidesstatue vom Kapitol von C. REUSSER, Der Fidestempel auf dem Kapitol in Rom und seine Ausstattung. Ein Beitrag zu den Ausgrabungen an der Via del Mare und um das Kapitol 1926–1943, Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma. Supplementi 2, Rom 1993, 113. 29 Valerius Maximus 6,6: Cuius imagine ante oculos posita venerabile fidei numen dexteram suam, certissimum salutis humanae pignus, ostentat. Übersetzung nach STRECKER , Fides (s. Anm. 8), 235. 27
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gleicher Augenhöhe, sondern auch in diesem Fall sind die Beziehungen von der hierarchischen Grundstruktur geprägt. Im Rahmen des Klientelund Patronagewesens bedeutet dies, dass der cliens dem patronus seine Unterstützung zusichert, wenn dieser ihm seinen Schutz und seine Hilfe gewährt. Konkret handelte es sich dabei primär um politische oder juristische Formen der Unterstützung, etwa durch ein dem Willen des Patrons entsprechendes Stimmverhalten oder den Verzicht auf Eigentumsrechte oder sonstige Ansprüche. So hatte im Fall einer Kriegsgefangenschaft des Patrons der Klient die Verpflichtung, auf dessen Auslösung hinzuwirken. Diese wechselseitig-hierarchische Grundstruktur findet sich dementsprechend auch in den anderen Kontexten, in denen fides Verwendung gefunden hat. Im imperialen Kontext bedeutet dies absolute Treue, Loyalität und Aufopferung dem Kaiser gegenüber, im politischen Bereich die Verpflichtung zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bünde und Verträge einzuhalten und im religiösen Bereich die Göttin Fides nicht durch Untreue zu verletzen, etwa indem geleistete Eide und Schwüre gebrochen werden. Insofern muss bei dem lateinischen Nomen fides deutlich zwischen der fides des Höherstehenden und der fides-Reaktion – oder vielleicht besser der fides-Abhängigkeit – des Niederstehenden unterschieden werden, denn fides hat für Letzteren weniger den Charakter einer freien Antwort, sondern birgt stets eine Verpflichtung und hat, wie der Rechtshistoriker Dieter Nörr betont, einen ausgeprägten Appellcharakter.30 Zwar tritt diese hierarchische Grunddimension in einigen Verwendungskontexten etwas in den Hintergrund, aber grundsätzlich stellt sie ein entscheidendes Spezifikum des römisch-lateinischen fides-Begriffs dar. 5.2 Die Verwendung von πίστις und fides aus sprachgeschichtlicher Perspektive Ein ganz ähnlicher Befund spiegelt sich auch auf sprachgeschichtlicher Ebene wider. Dies vermag vor allem ein Vergleich der historisch-semantischen Entwicklungslinien von fides und πίστις zu verdeutlichen.31 30
Vgl. NÖRR, Aspekte (s. Anm. 23), 145–153, sowie DERS., Fides (s. Anm. 23). Zur Sprachgeschichte von πίστις vgl. E. SEIDL, Pistis in der griechischen Literatur bis zur Zeit des Peripatos (Diss.), Innsbruck 1952; R. B ULTMANN/A. WEISER, Art. πιστεύω κτλ. ThWNT 6 (1959), 174–230, 174–182; G. B ARTH, Pistis in hellenistischer Religiosität, ZNW 73 (1982), 110–126; A. VON DOBBELER, Glaube als Teilhabe. Historische und semantische Grundlagen der paulinischen Theologie und Ekklesiologie des Glaubens, WUNT 2/22, Tübingen 1987, bes. 287–298; E. B RANDENBURGER, Pistis und Soteria. Zum Verstehenshorizont von ‚Glaube‘ im Urchristentum, in: ders. (Hg.), Studien zur Geschichte des Urchristentums, SBAB 15, Stuttgart 1993, 251–288; G. SCHUNACK, Glaube in griechischer Religiosität, in: B. Kollmann/W. Reinbold/A. Steudel (Hg.), Antikes Judentum und Frühes Christentum (FS H. Stegemann), BZNW 97, Berlin 1999, 296– 326; F. FRAZIER, Göttlichkeit und Glaube. Persönliche Gottesbeziehung im Spätwerk 31
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Was zunächst das griechische Nomen πίστις betrifft, so finden sich die ältesten Belege dieses Nomens im zwischenmenschlichen Bereich; es wird hier ursprünglich eine wechselseitige und auf Vertrauen basierende Beziehung zur Sprache gebracht. Dieser Gebrauch von πίστις reicht bis ins 6. Jahrhundert v.Chr. zurück – vergleichbare Verwendungen des Verbs πιστεύω und des Adjektivs πιστός sind gar noch älter – und entstammt damit einer Zeit, in der Rom kaum mehr als eine Regionalmacht war.32 Dieser reziproke Charakter kann geradezu als Spezifikum des πιστ-Stammes angesehen werden und prägt selbst dann die Wortbedeutung, wenn die entsprechenden Begriffe nur auf einen der beteiligten Beziehungspartner angewandt werden. Dies lässt sich gut veranschaulichen am Beispiel der Verwendung des Begriffs im Kontext der Ehe: Einerseits kann πίστις diesbezüglich die reziproke Relation der Ehepartner zueinander, andererseits aber auch die vertrauensvolle Zuneigung eines Ehepartners zum anderen ausdrücken. Ja, vor dem Hintergrund dieser Wechselseitigkeit werden sogar zahlreiche Spezialbedeutungen von πίστις verständlich: Als Beispiel kann die Bezeichnung einer Verteidigungsrede benannt werden, denn in dieser Wortverwendung spiegelt sich wider, dass durch die gehaltene Rede die verletzte oder verlorene Vertrauenswürdigkeit einer Person wiederhergestellt werden soll. Im Unterschied dazu finden sich die sprachgeschichtlichen Wurzeln des lateinischen Wortes fides gerade nicht in privaten Kontexten, denn bereits ursprünglich ist dieses Nomen im Bereich des öffentlichen und offiziellen Lebens beheimatet. Zwar ist man sich in der altphilologischen Forschung nicht ganz einig, welche konkreten Vorstellungen ursprünglich mit dem Begriff fides verbunden waren – doch die, wenn man es so nennen möchte, ‚horizontale‘ Wechselseitigkeit, die das griechische Wort πίστις auszeichnet, ist es sicher nicht, denn von Anfang an ist fides mit einer gewissen ‚hierarchischen‘ Struktur verbunden, sodass man vielleicht am ehesten davon ausgehen muss, dass fides „ursprünglich etwas [ist], das gewährt bzw. gewährleistet wird“33. In diese Richtung weist auch die sprachgePlutarchs, in: R. Hirsch-Luipold (Hg.), Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder, RGVV 54, Berlin 2005, 111–141; STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 225–229; SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 199–209. Zur Sprachgeschichte von fides vgl. FRAENKEL, Fides (s. Anm. 23); DERS., Geschichte (s. Anm. 23); R. HEINZE, Fides, in: ders., Vom Geist des Römertums. Gesammelte Aufsätze, Hg. von E. Burck, Darmstadt 41972, 59–81; FREYBURGER, Fides (s. Anm. 9); F. W IEACKER, Römische Rechtsgeschichte, Band 1: Quellenkunde, Rechtsbildung, Jurisprudenz und Rechtsliteratur, HAW 10.3, München 1988, bes. 506; NÖRR, Aspekte (s. Anm. 23); DERS., Fides (s. Anm. 23); T HOME, Wertvorstellungen (s. Anm. 23), bes. 50–84; STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 232f.; SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 282–285. 32 Vgl. SEIDL, Pistis (s. Anm. 31); SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 199–209. 33 T HOME, Wertvorstellungen (s. Anm. 23), 56.
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schichtliche Untersuchung von Viktor Fraenkel, der von den Grundbedeutungen ‚Gewähr‘, ‚Bürgschaft‘ und ‚Garantie‘ für fides ausgeht.34 Zwar ist auch beim lateinischen fides die Gegenseite häufig mit im Blick, doch geht es dann vor allem um Ansprüche oder Erwartungen, die mit einer gewährten fides einhergehen: Fides impliziert den Aspekt der Abrufbarkeit, des zuverlässigen Gegeben-Seins von etwas. Und sprachgeschichtlich bezeichnet fides primär die in der Hierarchie höhergestellte Seite der Relation; erst im Laufe der Begriffsentwicklung wird mehr und mehr auch der niederrangige Part der Beziehung mit ausgedrückt. Insofern unterscheiden sich fides und πίστις auch in sprachgeschichtlicher Hinsicht recht deutlich, denn das, was den griechischen πίστις-Begriff ursprünglich kennzeichnet – also die Grundbedeutung ‚Vertrauen‘ und die Verortung im privaten Bereich –, tritt bei fides erst in einem zweiten Schritt hinzu, während im Gegenzug bei πίστις gerade diejenigen Bedeutungselemente sekundär sind, die den lateinischen fides-Begriff ursprünglich kennzeichnen. Diese sprachgeschichtliche Skizze verdeutlicht somit, dass sich fides und πίστις in ihren Bedeutungen allmählich annähern, und zwar näherhin – gefördert durch zunehmende Kontakte zwischen römischlateinischem und griechisch-hellenistischem Kulturkreis – dadurch, dass einerseits fides durch πίστις und andererseits πίστις durch fides semantisch aufgeladen wird. Dennoch gleichen sich beide Begriffe nicht völlig an, denn so, wie der lateinische Begriff fides auch weiterhin primär durch seine hierarchische Struktur geprägt bleibt, so wenig verliert das griechische Nomen πίστις seine Grundbedeutung einer wechselseitigen und vornehmlich horizontalen Beziehung. Insofern spiegelt sich in der – auf den ersten Blick vielleicht nur geringen – lexikalischen Differenz doch ein ganz entscheidender Unterschied zwischen dem lateinischen fides und dem griechischen πίστις wider. 5.3 Der römisch-lateinische fides-Begriff als ‚identity marker‘ des Imperium Romanum35 Der besondere Stellenwert und die spezifischen Akzentuierungen, welche dem lateinischen fides-Begriff im römischen Kontext zukommen, dürften damit bereits deutlich geworden sein. Doch diese Aspekte sind von so grundlegender Bedeutung für die Semantik von fides, dass sie noch ein wenig eingehender in den Blick genommen werden sollen. Im religiösen Bereich zeigen sie sich bereits darin, dass die Göttin Fides auf dem Kapi34
Vgl. FRAENKEL, Geschichte (s. Anm. 23), bes. 196–199. Vgl. zu dieser Qualifizierung STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 230f. Zum Begriff ‚identity marker‘ vgl. H. MOL, Identity and the Sacred. A Sketch for a New SocialScientific Theory of Religion, Oxford 1976; M. DOUGLAS, Purity and Danger. An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo, London 1996. 35
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tol, also im sakralen Zentrum Roms, verehrt wird. In dieser Topographie spiegelt sich die Schlüsselrolle, die man in Rom der fides beimisst, denn dieser Verehrungsort ist nicht nur „das höchste Haupt der Stadt“36, sondern eine „feste Burg für alle Nationen“37. Die monumentale, etwa sechs Meter hohe Statue der Fides, deren Fragmente bei archäologischen Grabungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gefunden wurden38, stand also im Zentrum des römischen Imperiums, ja, sie bildete römisches Selbstverständnis ab. Und da dieser Aufstellungsort aus römischer Perspektive als Mittelpunkt der gesamten antiken Welt wahrgenommen worden sein dürfte, lag es auch auf der Hand, dass man „völker- und staatsrechtliche … Verträge … an den Wänden des Fidestempels und in seiner Nähe“39 anbrachte. Dazu passt nun auch, dass in antiken Quellen die Einrichtung dieses Heiligtums in die „mythische Frühzeit Roms“40 datiert wird, während die historische Forschung von einer Errichtung des Fidestempels in der Mitte des 3. Jahrhunderts v.Chr. ausgeht41. Somit zeugen selbst die Datierungsversuche der antiken Quelle von dem hohen Rang der fides, ja, es scheint gerade so, als habe man sich „Rom ohne fides … gar nicht vorstellen“42 können. Der besondere Stellenwert von fides spiegelt sich aber auch in der religiösen Praxis wider. Denn wenn man bedenkt, dass „[e]iner der häufigsten Riten der römischen Religion … der Schwur“43 war – nach Apuleius (123– 170 n.Chr.) wurde er sogar häufiger praktiziert „als Gebet, Gelübde [oder] Tieropfer“44 – und die Göttin Fides als Schützerin der Eide und Schwüre galt, wird man erahnen können, wie häufig sie angerufen wurde und welche Präsenz ihr dadurch im religiösen Leben zuteilwurde45. Diese Bedeutung, die man der fides im römisch-lateinischen Denken beimisst, lässt sich aber auch im politischen Bereich sehr deutlich greifen. Aus der Außenperspektive scheint fides jedenfalls als ein Spezifikum des Imperium Romanum wahrgenommen worden zu sein, wie einer spöttischen Bemerkung des Historikers Philinos von Akragas zu entnehmen ist, wo36
Vgl. Laktanz, inst. 3,17,12; vgl. hierzu auch CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 178. Vgl. Cicero, Verr. 2 4,72,184; vgl. hierzu auch CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 178. 38 Vgl. REUSSER, Fidestempel (s. Anm. 28), 86–112. 39 STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 235. Vgl. hierzu auch CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 182f., sowie G. W ISSOWA, Religion und Kultus der Römer, HAW 4.5, München 1971, 130f. 40 STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 234. 41 Vgl. REUSSER, Fidestempel (s. Anm. 28), 55–61.64. 42 T HOME, Wertvorstellungen (s. Anm. 23), 53. 43 CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 185. 44 CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 185. 45 CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 185f. 37
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nach die Römer ständig von der fides redeten.46 Insofern lässt sich die fides „innerhalb wie außerhalb Roms“ – so die äußerst zutreffende Qualifizierung von Christian Strecker – „als eine Art identity marker römischer Kultur und Herrschaft“47 begreifen. Und in diesem Punkt dürfte sicherlich ein weiterer entscheidender Unterschied zu dem griechischen πίστιςBegriff gegeben sein, der nie einen so zentralen Stellenwert besaß.48 Nach diesem motivgeschichtlichen und sprachhistorischen Blick soll nun erneut die Frage nach möglichen Einwirkungen des lateinischen fidesBegriffs auf den paulinischen Sprachgebrauch gestellt werden. Denn selbst wenn sich auf der semantischen Ebene ein unmittelbarer sprachlicher Niederschlag des lateinischen Nomens fides auf den ersten Blick kaum ausmachen lässt, so heißt dies nicht, dass die mit fides verbundenen Vorstellungen und Anschauungen keine Spuren im paulinischen Schrifttum hinterlassen haben. Und es wird sich zeigen – um dies bereits vorgreifend anzudeuten –, dass dieser Zugriff neue Verstehensmöglichkeiten für einige paulinische πίστις-Belege zu eröffnen vermag und Paulus selbst als Zeuge für den Transfer der Bedeutungen von fides in den griechischen Begriff πίστις anzusehen ist.
6. Die paulinischen πίστις-Aussagen im Licht des römisch-lateinischen fides-Begriffs Wenn im Folgenden die Frage nach möglichen Spuren des römisch-lateinischen fides-Begriffs im Corpus Paulinum gestellt wird, so richtet sich angesichts der begrifflichen Äquivalenz von fides und πίστις der Blick natürlich auf die paulinische Verwendung des Nomens πίστις. Doch wie bereits ausgeführt wurde, lässt sich ein unmittelbarer Niederschlag von fides auf der Ebene der Wortsemantik kaum nachweisen, sodass man es in allen Fällen – um dies noch einmal deutlich hervorzuheben – mit einem Sprachgebrauch zu tun hat, bei dem sich πίστις und fides semantisch gera46 Vgl. Philinos, Fragmenta 174 sowie Diodorus Siculus 23,1,3; Polybios 3,25,4. Vgl. hierzu auch CANCIK, Fides (s. Anm. 8), 184.186.192. 47 STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 231. 48 In der griechischen Welt war seit archaischer und bis hinein in klassische Zeit die πίστις der Athener ebenfalls sprichwörtlich, ja, sie galt geradezu als „Symbol der attischen Treue und Wahrhaftigkeit“ (Seidl, Pistis [s. Anm. 31], 85), doch in neutestamentlicher Zeit scheint infolge der Vormachtstellung Roms und seiner fides-Ideologie selbst im hellenistischen Kulturraum der Begriff πίστις eher als ein römisches Spezifikum wahrgenommen worden zu sein. So war die griechische πίστις, das einstige Kennzeichen Athens, im 1. Jahrhundert n.Chr. nicht einmal mehr eine erinnerte Größe. Vgl. hierzu auch CANCIK, Fides (s. Anm. 8), bes. 193f.
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de nicht unterscheiden. Wenn also die Frage nach möglichen Einwirkungen des römisch-lateinischen fides-Begriffs gestellt wird, dann lässt sich diese nur im Hinblick auf den Bereich der Denk- und Anschauungsweisen beantworten, etwa indem man Vorstellungen und Denkmodelle findet, die sich durch den lateinischen fides-Begriff leichter erklären lassen als durch andere Verstehenshintergründe. Dass für die Deutung von πίστις in den Paulusbriefen der lateinische Begriff fides mit zu bedenken ist, dürfte mittlerweile deutlich geworden sein. Denn dieser Ausdruck war in der römischen Welt einfach zu bedeutend und die in neutestamentlicher Zeit zwischen fides und πίστις bestehende Äquivalenz einfach zu groß, als dass die Annahme plausibel erschiene, dass der Begriff und die mit ihm verbundenen inhaltlichen Aspekte sich der Kenntnis des Paulus entzogen haben könnten. Dafür spricht zumindest auch die wortstatistische Beobachtung, dass nahezu die Hälfte aller πίστις-Belege (44%) der authentischen Paulusbriefe49 in jenem Schreiben zu finden sind, das „Paulus an die Gemeinde in Rom, dem kulturellen, politischen und religiösen Zentrum der fides Romana, schickte“50. Von daher soll im Folgenden die Frage gestellt werden, an welchen Textstellen in den Paulusbriefen – insbesondere im Römerbrief – die römische fides-Vorstellung mit anklingt, wobei mit dieser Frageperspektive nicht angedeutet sein soll, dass diese als der alleinige Verstehenshintergrund für den paulinischen πίστις-Begriff zu werten sei. Jedenfalls sollen damit alttestamentlich-jüdische, griechisch-hellenistische und spezifisch christliche Kontextualisierungen explizit nicht ausgeschlossen werden. Wenn es um die möglichen Verstehenshintergründe von πίστις geht, lassen sich in der Paulusforschung mehrere Ansätze ausmachen. Zunächst sind hier sicherlich all jene Arbeiten zu erwähnen, die das Nomen πίστις vor dem Hintergrund des alttestamentlich-jüdischen51 und des griechischhellenistischen52 Denk- und Sprachhintergrundes – also auf der Basis des 49
Vgl. STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 239. STRECKER, Fides (s. Anm. 8), 240. 51 Vgl. W.H.P. HATCH, The Idea of Faith in Christian Literature, from the Death of Saint Paul to the Close of the Second Century, Straßburg 1925; G.A. HEBERT, ‚Faithfulness‘ and ‚Faith‘, Theology 58 (1955), 373–379; T.F. TORRANCE, One Aspect of the Biblical Conception of Faith, ET 68 (1957), 111–114; DERS., The Biblical Conception of ‚Faith‘, ET 68 (1957), 221f.; D. LÜHRMANN, Pistis im Judentum, ZNW 64 (1973), 19–83; DERS., Art. Glaube, RAC 11 (1981), 48–122. 52 Vgl. G.P. W ETTER, Der Sohn Gottes. Eine Untersuchung über den Charakter und die Tendenz des Johannes-Evangeliums. Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Heilandsgestalten der Antike, FRLANT 26, Göttingen 1916; R. REITZENSTEIN, Die hellenistischen Mysterienreligionen. Nach ihren Grundgedanken und Wirkungen, Leipzig 1910 (erw. u. umgearb. Aufl., Leipzig 31927); E. W ISSMANN, Das Verhältnis von Pistis und Christusfrömmigkeit bei Paulus, FRLANT 40, Göttingen 1926; F. NEUGEBAUER, In Christus. Eine Untersuchung zum paulinischen Glaubensverständnis, Göttingen 1961; W. B OUS50
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in der Exegese etablierten „double standards“53 – zu beleuchten versuchen. Es sind in diesem Zusammenhang aber auch solche Deutungen zu erwähnen, die πίστις als spezifisch christlichen Begriff deuten54, indem sie seine Eigenständigkeit hervorheben und die Differenz zur Verwendung in anderen Kontexten stark machen. Und dann gibt es seit einiger Zeit zudem jene Versuche, die den paulinischen πίστις-Begriff stärker im Lichte des römisch-lateinischen Verstehenskontextes zu lesen versuchen55. Doch trotz der unterschiedlichen Akzentsetzungen, welche die jeweiligen Kontextualisierungsversuche voneinander abheben, lässt sich doch ein gemeinsamer Grundkonsens in der Paulusforschung ausmachen. Denn ganz unabhängig davon, welcher Verstehenshorizont für dieses Nomen auch stark gemacht wird: πίστις wird meist im Hinblick auf die Beziehung des Menschen zu Christus und zu Gott gelesen. Doch ob diese Grundannahme zutrifft, lässt sich ausgehend vom römisch-lateinischen fides-Begriff und seinen Bedeutungsspezifika durchaus in Frage stellen. Gerade wenn man sich die verschiedenen Kontextualisierungen dieses Begriffs vor Augen führt, wird man entsprechende Verwendungsmöglichkeiten auch im paulinischen Schrifttum erwägen dürfen. 6.1 „Von eurer πίστις spricht man in der ganzen Welt“ (Röm 1,8) Ein erster Text, der vor dem Hintergrund der römisch-lateinischen fidesVorstellung ins Auge sticht, ist die Bemerkung des Paulus in Röm 1,8, dass von der πίστις seiner römischen Adressaten in der ganzen Welt gesprochen wird (ἡ πίστις ὑμῶν καταγγέλλεται ἐν ὅλῳ τῷ κόσμῳ). Zwar findet sich auch in anderen paulinischen Briefen eine positive Würdigung der πίστις auf Adressatenseite,56 doch die Erwähnung des Stichwortes κόσμος, mit dem auf eine weltweite Bedeutung – wie sie auch die römische fides-Konzeption kennzeichnet – angespielt wird, ist singulär im Römerbrief. Somit wird πίστις hier in einem Zusammenhang verwendet, der eine deutliche Nähe zu der römischen fides-Vorstellung aufweist, weshalb für Röm 1,8 dieser Hintergrund sicherlich zu bedenken sein wird. Zwar spricht Paulus an dieser Stelle nicht explizit von der römischen fidesSET/H. G RESSMANN, Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter, HNT 21, Tübingen 41966; R. B ULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, UTB 630, Tübingen 71977, 315–331, sowie B ULTMANN/WEISER, Art. πιστεύω (s. Anm. 31); B ARTH, Pistis (s. Anm. 31); VON DOBBELER, Glaube (s. Anm. 31); SCHUNACK, Glaube (s. Anm. 31). 53 Vgl. Anm. 1. 54 Vgl. G. EBELING, Was heißt Glauben?, SGV 216, Tübingen 1958; H. B INDER, Der Glaube bei Paulus, Berlin 1968. 55 Vgl. GEORGI, God (s. Anm 8); DERS., Aeneas und Abraham. Paulus unter dem Aspekt der Latinität, ZNT 10 (2002), 37–43; STRECKER, Fides (s. Anm. 8). 56 Vgl. Phlm 5 sowie auch Eph 1,15; Kol 1,4.
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Konzeption oder spielt auf die gleichnamige Göttin an, aber durch die kontextuelle Einbindung von πίστις greift er doch ein zentrales Grundmotiv der römischen fides-Vorstellung auf und bringt es mit der römischen Gemeinde in Verbindung. Dadurch eröffnet sich aber ein antiimperialer Subtext, denn schließlich greift Paulus ein Kompliment motivisch auf, das nach römischer Auffassung der Stadt Rom bzw. dem Imperium Romanum und damit letztlich dem Kaiser gebührt. Aus diesem ursprünglichen Kontext löst er es jedoch heraus, indem er es auf die stadtrömische Christengemeinde bezieht. Zugleich lässt er durch die Verwendung des κόσμοςMotivs die römische fides-Vorstellung anklingen und deutet auf diese Weise einen antiimperialen Gegenentwurf an. Röm 1,8 schließt damit an die vorausgehenden Verse (Röm 1,1–7) an, denn bereits dort werden mehrere Begriffe und Motive eingeführt, die auch in imperialen Kontexten begegnen, sodass bereits im Praeskript ein antiimperialer Subtext eingespielt wird.57 Es seien hier nur die Verwendung von εὐαγγέλιον im Zusammenhang von Kaiserinthronisationen,58 das Stichwort εἰρήνη im Kontext der pax Romana bzw. pax Augusta59 sowie die auffallende Titelplerophorie, die an die Amtssprache römischer Edikte erinnert,60 erwähnt. Vor diesem Hintergrund lesen sich die Aussagen zur Inthronisation des Auferstandenen (Röm 1,4) und die Friedenszusage (Röm 1,7) in einem anderen Licht. Und so dürften auch für das Verständnis von πίστις diese antiimperialen Anspielungen von Bedeutung sein. Es kann damit festgehalten werden, dass der Gebrauch des Ausdrucks πίστις am Anfang des Römerbriefs eine Relativierung des Imperium Romanum und seiner Ansprüche impliziert: Paulus und seine Gemeinden vertraten
57
Vgl. hierzu SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 291–299. Vgl. G. T HEISSEN, Auferstehungsbotschaft und Zeitgeschichte. Über einige politische Anspielungen im ersten Kapitel des Römerbriefs, in: S. Bieberstein/D. Kosch (Hg.), Auferstehung hat einen Namen. Biblische Anstöße zum Christsein heute (FS H.-J. Venetz), Luzern 1998, 59–68, 60; M. EBNER, Evangelium in: ders./S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 22013, 113–125, 117–120. 59 Vgl. in diesem Zusammenhang die bereits erwähnte Verwendung von εἰρήνη καὶ ἀσφάλεια in 1Thess 5,3 sowie E. FAUST, Pax Christi et Pax Caesaris. Religionsgeschichtliche, traditionsgeschichtliche und sozialgeschichtliche Studien zum Epheserbrief, NTOA 24, Freiburg (CH)/Göttingen 1993; WENGST, Pax (s. Anm. 2); S. SCHREIBER, Friede trotz Pax Romana. Politische und sozialgeschichtliche Überlegungen zum Markusevangelium, in: F. Sedlmeier/T. Hausmanninger (Hg.), Inquire Pacem. Beiträge zu einer Theologie des Friedens (FS V.J. Dammertz), Augsburg 2004, 85–104; J. ZANGENBERG, „Pax Romana“ im NT, in: K. Erlemann/K.L. Noethlichs (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Band 1: Prolegomena, Quellen, Geschichte, Neukirchen-Vluyn 22004, 165–168; S. SCHREIBER, Weihnachtspolitik. Lukas 1–2 und das Goldene Zeitalter, NTOA 82, Göttingen 2009, bes. 25–62. 60 Vgl. T HEISSEN, Auferstehungsbotschaft (s. Anm. 58), 60. 58
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ihre eigene Auffassung bezüglich der Frage, wer als Kyrios anzurufen sowie als Repräsentant des Friedens und Wahrer der fides zu verehren sei. Damit aber ist die Frage nach dem semantischen Akzent von πίστις in Röm 1,8 noch nicht beantwortet. Vor dem Hintergrund des antiimperialen Subtextes wird dabei zwar fraglos die Christus- und Gottesbeziehung angesprochen sein, doch wenn man die Breite des lateinischen fides-Begriffs bedenkt – und zwar vor allem seine integrale Funktion, durch die religiöse, politische und zwischenmenschliche Aspekte verbunden werden –, drängt sich die Frage auf, ob in Röm 1,8 nicht ein breiteres Verständnis von πίστις vorliegt. Zumindest dürfte ein Bewohner Roms, selbst wenn er Mitglied der christlichen Gemeinde gewesen ist, bei πίστις kaum nur an den Glauben an Christus gedacht haben. Dazu steht der Begriff einfach in einer zu engen inhaltlichen Verbindung mit dem römischen Reich und den sozialen, politischen und religiösen Facetten seiner Lebensrealität. In diesem Zusammenhang sei nun ein weiterer πίστις-Beleg erwähnt, der in Röm 1,12 und damit im selben Briefabschnitt zu finden ist.61 Es handelt sich dabei um die Formulierung διὰ τῆς ἐν ἀλλήλοις πίστεως ὑμῶν τε καὶ ἐμοῦ. Gewöhnlich versteht man πίστις hier im Sinne von ‚Glauben‘ und geht davon aus, dass Paulus an dieser Stelle auf den ‚gemeinsamen Glauben an Christus‘62 verweist, den er mit seinen Adressaten teilt. Diese Deutung hat jedoch mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass ἀλλήλων nicht ‚gemeinsam‘ heißt: ἀλλήλων ist ein reziprokes Pronomen mit der Bedeutung ‚wechselseitig‘, ‚gegenseitig‘,63 und daher sollte man πίστις an dieser Stelle auch eher in zwischenmenschlichem Sinn verstehen. Mit der Formulierung ἡ ἐν ἀλλήλοις πίστις würde Paulus dann auf das wechselseitig bestehende oder erhoffte Vertrauen zwischen ihm und der römischen Gemeinde anspielen.64 Diese Wechselseitigkeit von πίστις wird durch den Zusatz ὑμῶν τε καὶ ἐμοῦ noch besonders hervorgehoben. Zugleich fügt sich ein solches Ver61
Vgl. zum Folgenden auch T. SCHUMACHER, Der Begriff πίστις im paulinischen Sprachgebrauch. Beobachtungen zum Verhältnis von christlicher und profangriechischer Semantik, in: U. Schnelle (Hg.), The Letter to the Romans, BETHL 226, Leuven 2009, 487–501, 492f., sowie SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 212f. 62 Vgl. hierzu die Wiedergabe von Röm 1,12 in Katholisches Bibelwerk (Hg.), Die Bibel. Vollständige Ausgabe des Alten und Neuen Testaments in der Einheitsübersetzung, Stuttgart 1991. 63 LIDDELL/SCOTT/J ONES, Lexicon (s. Anm. 10), s.v. ἀλλήλων; MENGE, Großwörterbuch. Griechisch-Deutsch (s. Anm. 10), s.v. ἀλλήλων; P ASSOW, Handwörterbuch (s. Anm. 10), s.v. ἀλλήλων. 64 Vgl. hierzu auch N. B AUMERT, Charisma und Amt bei Paulus, in: ders., Studien zu den Paulusbriefen, SBAB 32, Stuttgart 2001, 239–271, 250f.; DERS., Der Dativ bei Paulus. Ein syntaktische Studie mit neuen Interpretationen, Estudios de Filología. Neotestamentaria 7, Córdoba 2005, 67.
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ständnis ausgesprochen gut in den Kontext des gesamten Proömiums ein, denn hier thematisiert Paulus ja gerade seine Beziehung zur römischen Gemeinde. Gleichzeitig scheint es sich bei dieser Formulierung um eine geprägte Wendung zu handeln, die mehrfach im griechischen Sprachgebrauch belegt ist.65 Wenn also Paulus das Proömium mit dem Gedanken eröffnet, dass von der πίστις der römischen Gemeinde in der ganzen Welt gesprochen werde, und nur wenige Verse später dieses Nomen auf den zwischenmenschlichen Bereich anwendet, dann wird man πίστις in Röm 1,8 sicherlich in einem sehr umfassenden Sinn zu verstehen haben, der sowohl den religiösen wie den zwischenmenschlichen Bereich impliziert. Und genau diese Begriffsverwendung weist nun eine deutliche Nähe zum lateinischen fides-Begriff auf, der ein ganz ähnliches Bedeutungsspektrum bzw. eine vergleichbare Applikationsbreite umfasst. Insofern dürfte ein römischer Christ des 1. Jahrhunderts bei πίστις in Verbindung mit dem κόσμος-Motiv wohl an fides gedacht und eine entsprechende Begriffsoffenheit mitgehört haben. Man wird im Falle von Röm 1,8 also durchaus von einer bewussten Anspielung auf das lateinische Nomen fides sprechen können, selbst wenn sich das lateinische fides und das griechische πίστις semantisch kaum differenzieren lassen. Davon aber unterscheidet sich die Verwendung von πίστις in Röm 1,12, denn hier dürfte sich der Ausdruck eher vor dem Hintergrund des griechischen πίστις-Begriffs und seiner ausgeprägten Wechselseitigkeit erklären lassen. Ein spezifisch lateinischer Einfluss lässt sich jedenfalls im unmittelbaren Kontext von Vers 12 nur schwer ausmachen. Denn selbst wenn fides in dieser Zeit bereits etwas von seiner hierarchischen Dimension eingebüßt hat, so scheint hier doch die methodologische Grundlage zu fehlen, um die Verwendung von πίστις in Vers 12 eindeutig seinem lateinischen Äquivalent fides zuzuordnen bzw. sie von diesem her abzuleiten. Wie aber im weiteren Verlauf der Überlegungen zu entfalten sein wird, fällt vom brieflichen Schluss her – insbesondere von Röm 15,22–24 – noch ein anderes Licht auf das πίστις-Motiv in Röm 1,12.66 6.2 Zur weiteren Verwendung von πίστις im Zusammenhang zwischenmenschlicher Beziehungen Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen lässt sich für das weitere Vorgehen nun eine noch etwas konkretere Frageperspektive formulieren: Wie der Blick auf das Proömium des Römerbriefs gezeigt hat, kann Paulus einerseits auf die römisch-lateinische fides-Vorstellung rekurrieren und 65
Vgl. etwa Plutarch, am. 768; Plutarch, Apophthegmata Laconica 221F; Dionysios Halicarnasseus, ant. 6; Theognis 2,1237. 66 Vgl. hierzu bes. S. 329f. (Kap. 6.2.3) des vorliegenden Beitrags.
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andererseits das Nomen πίστις auf den zwischenmenschlichen Bereich anwenden.67 Vor diesem Hintergrund lässt sich also die Frage formulieren, ob auch an anderen Textstellen ein vergleichbarer Sprachgebrauch von πίστις zu finden ist und zwar in Verbindung mit Denk- und Anschauungsweisen, die spezifisch für den lateinischen fides-Begriff sind. Gerade wenn man sich nämlich die hierarchische Grundstruktur dieses Begriffes vor Augen führt, wäre dies in methodologischer Hinsicht besonders aufschlussreich für die hier angezielte semantische Analyse. 6.2.1 ‚Starke‘ und ‚Schwache‘ im Römerbrief (Röm 14,1–15,13) Ein erster in diesem Zusammenhang zu bedenkender Textabschnitt ist die häufig als „spezielle Paränese“68 bezeichnete Passage des Römerbriefs (Röm 14,1–15,13). In diesen Versen bezieht Paulus zu konkreten Schwierigkeiten in der römischen Gemeinde Stellung, bei denen es um Fragen religiös motivierter Askese und Kalenderfrömmigkeit geht. Dabei stehen sich offenbar zwei Gruppierungen in der römischen Gemeinde gegenüber, die Paulus als ‚Starke‘ (Röm 15,1) und ‚Schwache‘ (Röm 14,1f.; 15,1) charakterisiert, wobei sich – um dies zumindest anzudeuten – die Position der jeweiligen Gruppe nicht ganz eindeutig bestimmen lässt.69 In Zusammenhang mit der Frage nach römisch-lateinischen Einflüssen auf den paulinischen πίστις-Begriff ist nun vor allem Röm 14,1, also jener Vers, mit dem Paulus seine Argumentation eröffnet, von besonderem Interesse. Darin mahnt Paulus die ‚Starken‘ – so die gängige Deutung dieses Verses –, sich der ‚Schwachen im Glauben‘ (ἀσθενοῦντα τῇ πίστει) anzunehmen bzw. diese aufzunehmen (προσλαμβάνεσθε).70 Bereits die Stichworte ‚Starke‘ und ‚Schwache‘ implizieren dabei ein hierarchisches Gefälle zwischen einer höherstehenden und einer niederstehenden Personengruppe. Durch diese Begrifflichkeit weist der Gedanke von Röm 14,1 eine deutliche motivische Nähe zu der mit fides verbundenen Grundstruktur und jenem Beziehungsgefälle auf, welches auf das römische Klientelwesen zurückzuführen ist. Vor diesem Hintergrund fällt nun ebenfalls auf, dass Paulus sich an die ‚Starken‘ richtet und ihnen ein positives Verhalten 67 Zur paulinischen Verwendung von πίστις in zwischenmenschlichen Zusammenhängen vgl. auch SCHUMACHER, Begriff (s. Anm. 61); SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 209–219. 68 Vgl. etwa E. LOHSE, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003, 367. 69 Vgl. etwa U. W ILCKENS, Der Brief an die Römer, Band 3: Röm 12–16, EKK 6.3, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1982, 109–115; LOHSE, Römer (s. Anm. 68), 372–374, sowie den forschungsgeschichtlichen Überblick bei V. GÄCKLE , Die Starken und Schwachen in Korinth und Rom. Zu Herkunft und Funktion der Antithese in 1 Kor 8,1–11,1 und in Röm 14,1–15,13, WUNT 2/200, Tübingen 2004, 22–32. 70 Vgl. etwa W ILCKENS, Römer (s. Anm. 69), 80f.; D. ZELLER, Der Brief an die Römer, RNT, Regensburg 1985, 221.224; LOHSE, Römer (s. Anm. 68), 368–370.
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gegenüber den Schwachen nahelegt. Und auch in diesem Punkt dürfte eine Nähe zur römisch-lateinischen fides-Vorstellung gegeben sein, denn grundsätzlich gehen Schutz und Hilfe immer von der höherstehenden Seite aus. Unklar ist nun aber, wie das Nomen πίστις in diesem Zusammenhang zu lesen ist. Wie bereits angedeutet, wird es meist im Sinne des christlichen Glaubens gelesen, welcher aufseiten der Schwachen nur unzureichend ausgeprägt zu sein scheint. Von grammatikalischer Seite bedeutet dies, dass man den Dativ τῇ πίστει in Abhängigkeit von ἀσθενοῦντα sieht: also der ‚Schwache im Glauben‘71. Doch dies ist nicht die einzige Möglichkeit, die syntaktische Beziehung von τῇ πίστει zu bestimmen. Gerade vor dem Hintergrund des römisch-lateinischen fides-Begriffs und seiner Verortung in zwischenmenschlichen Kontexten würde es sich anbieten, den Dativ τῇ πίστει auf προσλαμβάνεσθε zu beziehen.72 Dann aber würde Paulus gegenüber den ‚Starken‘ die Aufforderung formulieren, dass sie sich mit πίστις den ‚Schwachen‘ zuwenden sollen. In dieser Lesart würde πίστις von den Starken, also der höherstehenden Seite, ausgehen und wäre ganz im Sinne des lateinischen fides-Begriffs verwendet, sodass man πίστις problemlos durch fides ersetzen könnte.73 71 Vgl. hierzu exemplarisch die Wiedergabe der Wendung τὸν … ἀσθενοῦντα τῇ πίστει in der Einheitsübersetzung (s. Anm. 62), der Lutherbibel (Deutsche Bibelgesellschaft [Hg.], Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen. Revidierte Fassung von 1984, Stuttgart 1985) sowie die Übersetzungen von ZELLER, Römer (s. Anm. 70), 221 und LOHSE, Römer (s. Anm. 68), 368. 72 Vgl. hierzu auch S. SCHNEIDER, Glaubensmängel in Korinth. Eine neue Deutung der „Schwachen, Kranken, Schlafenden“ in 1 Kor 11,30, Filología Neotestamentaria 9 (1996), 3–20, 15; G. KUDILIL, An Exegetical Study of the Judgement Terminology in Rom 14:1–12 in the Context of the Paraenetic Part of Rom 12–15 (Diss.), Frankfurt 2000, 49–88; DERS., Gerichtsterminologie in Röm 14,1–2, in: N. Baumert (Hg.), NOMOS und andere Vorarbeiten zur Reihe „Paulus neu gelesen“, FzB 122, Würzburg 2010, 373– 384, 373f.; SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 210–212; N. B AUMERT, Christus – Hochform von ‚Gesetz‘. Übersetzung und Auslegung des Römerbriefs (Paulus neu gelesen), Würzburg 2012, 275–277. 73 Dieser syntaktischen Beziehungsmöglichkeit in Röm 14,1 steht auch die Wendung ἀσθενήσας τῇ πίστει aus Röm 4,19 (Einheitsübersetzung [s. Anm. 62]: „Und er [scil. Abraham] wurde nicht schwach im Glauben [ἀσθενήσας τῇ πίστει], als er auf seinen eigenen Leib sah, der schon erstorben war …“; Hervorhebung T.S.) nicht zwingend entgegen, denn dort ist ebenfalls zu erwägen, ob ἀσθενοῦντα und τῇ πίστει auf der Ebene der Syntax überhaupt zu verbinden sind. Es wäre nämlich denkbar, dass mit ἀσθενοῦντα ein erster Gedanke zum Abschluss kommt („Abraham wurde nicht schwach“), während mit dem Dativ τῇ πίστει eine neue Aussage eröffnet wird („sondern hat mit πίστις seinen erstorbenen Leib betrachtet“). Vgl. hierzu SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 227f. sowie B AUMERT, Hochform (s. Anm. 72), 78.80, der Röm 4,19 folgendermaßen wiedergibt: „[U]nd er [scil. Abraham] hat, ohne schwach geworden zu sein, mit diesem Vertrauen seinen eigenen, erstorbenen Leib betrachtet …“ (78).
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Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die im griechisch-deutschen Handwörterbuch von Franz Passow angeführte Wendung πίστι λαμβάνειν τινά, die sich von der paulinischen Formulierung nur durch das Präfix πρόσ- unterscheidet. Für diese geprägte Wendung gibt Passow folgende Bedeutungsmöglichkeiten an: „Jmd auf Treu u. Glauben annehmen, ihn auf guten Glauben hin zum Freunde machen“74. An diesen beiden Übersetzungsvorschlägen wird bereits deutlich, dass die besagte griechische Konstruktion in deutlicher Nähe zum lateinischen bona fide steht, womit sich für die paulinische Wendung in Röm 14,1 – wenn man sie denn in dem hier vorgeschlagenen Sinn versteht – sogar ein syntaktisches Äquivalent im Lateinischen finden ließe. Dieser Deutung steht nun auch das Verb πιστεύω nicht entgegen, das im anschließenden Vers 2 verwendet wird. Denn auch hier dürfte kaum der Akzent auf den christlichen Glauben gerichtet sein, sondern in Röm 14,2 wird die Form πιστεύει fast im Sinne von ‚meinen‘, ‚überzeugt sein‘ verwendet: ‚Der eine glaubt (scil. meint, denkt, ist überzeugt), dass er alles essen darf, der andere isst Gemüse‘75. Zwar lesen manche Ausleger das Verb πιστεύω in einem spezifisch religiösen bzw. christlichen Sinn76, doch diese Auslegung dürfte vor allem von der Deutung von πίστις in Vers 1 getragen sein77. Denn wenn man das Nomen πίστις in Röm 14,1 auf den zwischenmenschlichen Bereich bezieht, dann scheint sich eine theologische Aufladung der Verbform nur schwer begründen zu lassen. Und auch die drei übrigen πίστις-Belege dieses Kapitels, die in Vers 22 und 23 zu finden sind, würden vor dem Hintergrund dieser Überlegungen weniger Schwierigkeiten bereiten, als dies sonst der Fall ist. Das Hauptproblem wird vor allem daran deutlich, dass für die πίστις-Verwendungen von Röm 14,22f. immer wieder die Möglichkeit einer semantischen Multivalenz diskutiert wird. Man geht nämlich häufig davon aus, dass πίστις an dieser Stelle den Aspekt des Glaubens und zugleich den der Überzeugung zur Sprache bringt, weshalb man πίστις dann im Sinne von ‚(Glaubens-) Überzeugung‘ ausdeutet bzw. übersetzt.78 Diese semantischen Überlegun74
P ASSOW, Handwörterbuch (s. Anm. 10), s.v. πίστις. Vgl. K. HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHNT 6, Leipzig 1999, 280; LOHSE, Römer (s. Anm. 68), 370. 76 Vgl. etwa H. LIETZMANN, Einführung in die Textgeschichte der Paulusbriefe an die Römer, HNT 8, Tübingen 31928, 115; H. SCHLIER, Der Römerbrief, HThK 6, Freiburg i.Br. 1977, 402f. 77 Vgl. hierzu SCHLIER, Römerbrief (s. Anm. 76), 403: „Πιστεύειν ist hier angesichts der eben erwähnten πίστις wahrscheinlich […] doppelsinnig zu verstehen: ‚ist so stark im Glauben‘ und ‚ist überzeugt … zu dürfen‘.“ 78 Vgl. etwa ZELLER, Römer (s. Anm. 70), 222; N. B AUMERT, Das paulinische Wortspiel mit κριν-, Filología Neotestamentaria 15 (2002), 19–64, 22.57; K. STENDAHL, Das Vermächtnis des Paulus. Eine neue Sicht auf den Römerbrief, Zürich 2003, 96. 75
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gen gründen vor allem in kontextuellen Beobachtungen, denn in der argumentativen Grundlinie dieser Textpassage richtet sich der Fokus sehr viel stärker auf die Überzeugung als auf den christlichen Glauben. Aus diesem Grunde geben auch die Einheitsübersetzung79 und die New English Bible80 πίστις in Röm 14,22 mit ‚Überzeugung‘ bzw. mit ‚clear conviction‘ wieder. Und durch die vorgeschlagene Deutung von Röm 14,1 tritt der Glaubensaspekt sogar noch stärker in den Hintergrund und hängt letztlich an einer semantischen Multivalenz, die kontextuell nicht mehr gestützt ist. Wenn man also einerseits die inhaltlich-thematische Grundlinie von Röm 14 bedenkt und sich zugleich vor Augen führt, dass sowohl das griechische πίστις wie auch das lateinische fides im Sinne von ‚Überzeugung‘ verwendet werden können, dann dürfte dieser semantische Akzent aus kontextuellen Gründen für die drei πίστις-Belege von Röm 14,22f. wohl zu präferieren sein. Und in diesem Zusammenhang sei auch die Nähe der paulinischen Konstruktion zum lateinischen bona fide erneut in Erinnerung gerufen, denn diese Wendung wird nicht selten gebraucht, um ein Handeln ‚aus Überzeugung‘ und ‚mit gutem Gewissen‘ zur Sprache zu bringen. Damit lässt sich die Überlegung formulieren, dass Paulus die Essensfragen in Röm 14 vor dem Hintergrund bestimmter zwischenmenschlicher Haltungen wie gegenseitiges Vertrauen, Verständnis und einträchtiges Miteinander ausdeutet. Die in Röm 14,23 thematisierte Sünde würde somit in einer Verletzung der zwischenmenschlichen πίστις liegen, also darin, dass die ‚Schwachen‘ bzw. deren schwaches Gewissen in der Gemeinde nicht angemessen berücksichtigt und behandelt werden. Diese paulinische Stellungnahme weist eine deutliche Nähe zu den Gedanken von 1Kor 8,1–13 und 1Kor 10,23–11,1 auf, insofern auch an diesen beiden Textstellen Gewissensentscheidungen bei Essensfragen zum Bewertungsmaßstab für zwischenmenschliches Verhalten erhoben werden. Und auch dort finden sich die Ausdrücke ἀσθενέω (1Kor 8,12) bzw. ἀσθενής (1Kor 11,30) sowie – zumindest in 1Kor 8,12 – zweimal das Verb ἁμαρτάνω. Somit fügt sich dieser Vorschlag zur Deutung von Röm 14,1 sehr gut in den gesamten Textabschnitt ein, denn schließlich zielt die paulinische Argumentation auf ein bestimmtes Verhalten dem Mitmenschen gegenüber ab und nicht auf die Stärke – oder Schwäche – des Glaubens. Zugleich tritt diese Passage in noch deutlichere Nähe zu den entsprechenden Textabschnitten des 1. Korintherbriefs, also zu 1Kor 8,1–13 und 10,23–11,1. Ja, es entsteht fast der Eindruck, als würde Paulus das, was er der korinthischen Gemeinde gegenüber mit ἀγάπη, συνεἰδησις und γνῶσις – also mit Begriffen, die im griechischen Denken ein besonderes Gewicht haben – 79 80
Vgl. Anm. 62. Vgl. H. KNOWLES, New English Bible, Oxford 1972.
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thematisiert, im Brief an die stadtrömischen Christen mit dem πίστιςBegriff ausdrücken. 6.2.2 ‚Herr‘ und ‚Sklave‘ im Philemonbrief (Phlm 5f.) Eine weitere Textpassage, die im Zusammenhang der aufgeworfenen Frage zu bedenken ist, findet sich im Philemonbrief. In diesem Brief geht es unter anderem darum, wie zwei Einzelpersonen unterschiedlichen Sozialprestiges sich in einer konkreten, durchaus schwierigen Situation zueinander verhalten sollen.81 Auf der einen Seite steht Philemon, der Empfänger des paulinischen Schreibens, den Paulus bereits im Praeskript als Hauseigentümer und Vorsteher einer Hausgemeinde – also mit Blick auf seine soziale Stellung – anspricht.82 Auf der anderen Seite steht Onesimus, ein Sklave Philemons, den Paulus zu seinem Besitzer zurückschickt, wobei er diesen auf brieflichem Wege um eine gute Aufnahme des Zurückkehrenden bittet. Bereits diese Personenkonstellation impliziert eine Nähe zum römisch-lateinischen fides-Begriff, denn schließlich geht es um das Verhalten einer höherstehenden Person einer untergeordneten gegenüber. In diesem Zusammenhang sind daher die beiden πίστις-Belege von besonderem Interesse, die sich in den Versen 5 und 6 des Philemonbriefs finden. Die erste Verwendung steht in einer lobenden Bemerkung zur πίστις des Briefempfängers: „Ich höre von deiner Liebe und der πίστις, die du hast zum Herrn Jesus und allen Heiligen“ (Phlm 5). Im Rahmen dieser Formulierung stellt sich nun unmittelbar die Frage, wie πίστις zu verstehen und insbesondere, wie es syntaktisch einzubinden ist. Liest man πίστις nämlich im Sinne des christlichen Glaubens, so ergeben sich Schwierigkeiten dabei, den Begriff mit ‚den Heiligen‘ in Verbindung zu bringen. Aufgrund dieser Problematik wird Vers 5 meist chiastisch aufgelöst, indem man πίστις auf den Herrn Jesus und Liebe (ἀγάπη) auf die Heiligen bezieht.83 Der einzige Grund für diese syntaktische Zuordnung ist jedoch die 81 Zum situativen Hintergrund des Philemonbriefs vgl. I. BROER, Einleitung in das Neue Testament, Band 2: Die Briefliteratur, die Offenbarung des Johannes und die Bildung des Kanons, NEB.NT Ergänzungsband 2.2, Würzburg 2001, bes. 297–400; U. SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 52005, 166–173; M. EBNER, Der Philemonbrief, in: ders./S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 22013, 403–413, sowie außerdem P. LAMPE, Keine ‚Sklavenflucht‘ des Onesimus, ZNW 76 (1985), 135–137; N. B AUMERT, Ein Freundesbrief an einen Sklavenhalter? Der Brief des Paulus an Philemon, in: ders., Studien zu den Paulusbriefen, SBAB 32, Stuttgart 2001, 131–160, 131–136.156f. 82 Vgl. Phlm 2. 83 Vgl. A. SUHL, Der Philemonbrief, ZBK.NT 13, Zürich 1981, 27: „Abgesehen davon, daß der Chiasmus eine häufige Stilform ist, zeigt sich die Notwendigkeit, die Liebe auf die Mitchristen und den Glauben auf den Herrn Jesus zu beziehen, auch daran, daß
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Grundannahme, dass es sich bei πίστις um einen ausschließlich religiösen Begriff handelt, den Paulus nur auf die Beziehung des Menschen zu Gott und zu Christus anwendet.84 Wenn allerdings diese Grundannahme selbst ins Wanken gerät – was vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen der Fall zu sein scheint –, lässt sich kein weiteres Argument für eine chiastische Satzstruktur mehr anführen. Von daher ist es sicherlich am nächstliegenden, wenn man πίστις sowohl auf den Herrn Jesus wie auch auf die Heiligen bezieht.85 In diesem Zusammenhang sei auf eine textkritische Variante zu Eph 1,15 verwiesen, die eine deutliche Nähe zum Gedanken in Phlm 5 aufweist. Nach dem Haupttext bei Nestle-Aland86 – um den Blick zunächst darauf zu richten – wird in Eph 1,15 ebenfalls die πίστις und ἀγάπη der Briefadressaten gelobt, doch im Unterschied zum Philemonbrief findet sich dort genau jene begriffliche Zuordnung, die für Phlm 5 mit der chiastischen Zuordnung der beiden Begriffe erwogen wird. In Eph 1,15 ist also πίστις auf den Herrn Jesus und ἀγάπη auf alle ‚Heiligen‘ gerichtet, sodass an dieser Stelle πίστις gerade keine Aussage über den zwischenmenschlichen Bereich macht. Die Lutherübersetzung bildet diesen Befund ab, indem sie formuliert: „[N]achdem ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen …“87. Doch diese textkritische Entscheidung basiert auf äußerst schlechten Textzeugen und scheint allein von der Frage bestimmt zu sein, wie die Semantik von πίστις zu bestimmen ist.88 Im Unterschied dazu gibt es jedoch eine sehr gut bezeugte Lesart – sie wird vom Papyrus 46, dem Codex Sinaiticus, Codex Alexandrinus und Codex Vaticanus sowie den Minuskelhandschriften 33 und 1739, also von Textzeugen der höchsten Kategorie überliefert89 –, in der das Nomen ἀγάπη jedoch keine Verwendung findet, der Begriff ‚Glaube‘ einen völlig anderen – und unpaulinischen! – Sinn bekommen müßte, sollte er allein oder auch auf Menschen zu beziehen sein.“ Vgl. hierzu auch P. STUHLMACHER , Der Brief an Philemon, EKK 18, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1975, 32f.; J. GNILKA, Der Philemonbrief, HThK 10.4, Freiburg i.Br. 1982, 35f. 84 Vgl. hierzu die Bemerkung von SUHL, Philemonbrief (s. Anm. 83), 27, wonach der Begriff πίστις andernfalls in einem als „unpaulinisch“ zu bezeichnenden Sinn verstanden werden müsse. 85 Vgl. hierzu auch H.A.W. MEYER, Kritisch exegetisches Handbuch über die Briefe an die Philipper, Kolosser und an Philemon, KEK 9, Göttingen 21859, 360; GNILKA, Philemonbrief (s. Anm. 83), 35 Anm. 12; B AUMERT, Freundesbrief (s. Anm. 81), 152f. 86 Vgl. K. ALAND/B. ALAND (Hg.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 261986; K. ALAND u.a. (Hg.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 271993; Institut für neutestamentliche Textforschung (Hg.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 282012. 87 Vgl. Anm. 71. 88 Vgl. etwa SUHL, Philemonbrief (s. Anm. 83), 27. 89 Ich folge hier weiterhin der Einteilung der Handschriften in Kategorien, vgl. hierzu K. ALAND/B. ALAND, Der Text des Neuen Testaments, Stuttgart 21989, bes. 167–171.
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sodass das Nomen πίστις zweifelsfrei auf den Herrn Jesus und zugleich auf die Heiligen bezogen ist: ἀκούσας τὴν καθ᾽ ὑμᾶς πίστιν ἐν τῷ κυρίῳ Ἰησοῦ καὶ τὴν εἰς πάντας τοὺς ἁγίους – „nachdem ich gehört habe von der πίστις bei euch zum Herrn Jesus und von der zu allen Heiligen“. Bedenkt man diese Textvariante nun im Lichte der bisherigen Überlegungen zu den Verwendungsmöglichkeiten von πίστις, dann wird die Textkonstitution an dieser Stelle sicherlich zu überdenken sein.90 Denn wenn die Semantik von πίστις dieser gut bezeugten Lesart nicht entgegensteht, dann lässt sich kein einziges Argument mehr anführen, mit dem der Nestle-Aland-Text begründet werden könnte. Somit wird die für Phlm 5 vorgeschlagene πίστις-Deutung auch durch die textkritische Variante von Eph 1,15 gestützt. Mit dem chiastischen Lösungsvorschlag zur Übersetzung von Phlm 5 ist hingegen das gewichtige Problem verbunden, dass „kaum ein Hörer des Briefes in der Lage gewesen [sein dürfte], dies so aufzulösen“91. Damit steht aber die Aussage von Phlm 5 in einer deutlichen Nähe zur Verwendung von πίστις in Röm 1,8. Denn an beiden Textstellen wird die πίστις des bzw. der Adressaten gelobt, beide Male ist von einer gewissen ‚Strahlkraft‘ der πίστις die Rede und an beiden Stellen liegt ein Sprachgebrauch vor, der die zwischenmenschliche Beziehung mit der Gottes- und Christusbeziehung verbindet. Diese Verstehensmöglichkeit scheint jedoch im Hinblick auf den nachfolgenden Vers 6 mit gewissen Schwierigkeiten verbunden zu sein, denn dort ist schließlich vom „gemeinsame[n] Glauben“ (Einheitsübersetzung), von ἡ κοινωνία τῆς πίστεως die Rede. Mit dieser Formulierung scheint Paulus also das Nomen πίστις doch in einer ausschließlichen Weise auf den christlichen Glauben an Christus zu beziehen, durch den er sich mit Philemon verbunden weiß: „Ich wünsche, dass unser gemeinsamer Glaube in dir wirkt …“ – so die Wiedergabe dieser ersten Vershälfte nach der Einheitsübersetzung.92 Doch vor dem Hintergrund der bisherigen ÜberlegunZur aktuellen Diskussion um die Erhebung des Textwertes neutestamentlicher Handschriften vgl. bes. G. MINK, Eine umfassende Genealogie der neutestamentlichen Überlieferung, NTS 39 (1993), 481–499; G. MINK, Was verändert sich in der Textkritik durch die Beachtung genealogischer Kohärenz?, in: W.W. Weren/D.-A. Koch (Hg.), Recent Developments in Textual Criticism. New Testament, Other Early Christian and Jewish Literature, Studies in Theology and Religion 8, Assen 2003, 39–68. 90 Eine abweichende Textkonstitution von Eph 1,15, bei der die durch Papyrus 46, Codex Sinaiticus, Codex Alexandrinus und Codex Vaticanus überlieferte Variante in den Haupttext aufgenommen wird, findet sich bei B.F. W ESTCOTT/F.J.A. HORT, The Greek New Testament. With Comparative Apparatus Showing Variations from Nestle-Aland and Robinson-Piermont Editions, Peabody 2007. 91 GNILKA, Philemonbrief (s. Anm. 83), 36. Vgl. hierzu auch E. HAUPT, Die Gefangenschaftsbriefe, KEK 8, Göttingen 81902, 180. 92 Vgl. Anm. 62.
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gen kann durchaus die Frage aufgeworfen werden, ob mit der Wendung ἡ κοινωνία τῆς πίστεως diese Deutung zwingend verbunden ist oder ob sich für Vers 6 nicht doch eine weitere Verstehensmöglichkeit diskutieren lässt, die den Gedanken gemäß der vorgeschlagenen Textdeutung von Vers 5 fortsetzt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Semantik von κοινωνία, das als nomen regens von πίστις fungiert, zu klären. Es handelt sich bei κοινωνία um eine Nominalbildung des Verbs κοινωνεῖν, das im griechischen Sprachgebrauch ein recht breites Bedeutungsspektrum herausgebildet und in unterschiedlichen Zusammenhängen Verwendung gefunden hat.93 Überblickt man die verschiedenen semantischen Möglichkeiten von κοινωνία, so lassen sich vor allem zwei Grundlinien ausmachen. Die eine bringt den Aspekt der ‚Gemeinschaft‘ zur Sprache. Sie steht im Hintergrund von Bedeutungen wie ‚Verein‘, ‚Bündnis‘ und ‚Verbindung‘ und macht auch solch spezifische Verwendungen wie ‚Ehe‘, ‚Verwandtschaft‘ und ‚Geschlechtsverkehr‘ einsichtig. Und diese semantische Linie wird in der Regel auch für Phlm 6 veranschlagt, wie ein Blick in die Lutherbibel94 oder die Einheitsübersetzung95 verdeutlicht. Daneben aber lässt sich noch eine zweite semantische Grundlinie ausmachen, mit der insbesondere der Aspekt der ‚Mitteilung‘ verbunden ist. Er spiegelt sich in Verwendungsmöglichkeiten wie ‚Gabe‘, ‚Beisteuer‘ und ‚Spende‘, er macht aber auch Bedeutungsnuancen wie ‚Information‘, ‚Kunde‘ und ‚Freigebigkeit‘ verständlich96. Und genau diese zweite se93 Vgl. LIDDELL/SCOTT/J ONES, Lexicon (s. Anm. 10), s.v. κοινωνία; MENGE, Großwörterbuch. Griechisch-Deutsch (s. Anm. 10), s.v. κοινωνία; P ASSOW, Handwörterbuch (s. Anm. 10), s.v. κοινωνία. 94 Vgl. Anm. 71. 95 Vgl. Anm. 62. 96 In der Kommentarliteratur wird häufig noch eine weitere Verwendungsmöglichkeit von κοινωνία in Betracht gezogen, nämlich der Aspekt der ‚Teilhabe‘. Im Hintergrund dieses Lösungsvorschlags steht vor allem die semantische Untersuchung zu κοινωνία von H. SEESEMANN, Der Begriff KOINONIA im Neuen Testament, BZNW 14, Gießen 1933, in der dieser versucht, das gesamte Bedeutungsspektrum von κοινωνία auf eben diese Grundbedeutung zurückzuführen. Doch wenn man die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten von κοινωνία im griechischen Sprachgebrauch überblickt, wird deutlich, dass dieser semantische Akzent weder mit dem Verb κοινωνεῖν noch mit dem Nomen κοινωνία verbunden ist; vgl. hierzu bes. N. B AUMERT, ΚΟΙΝΟΝΕΙΝ und METECHEIN – synonym? Eine umfassende semantische Untersuchung, SBB 51, Stuttgart 2003. Es dürfte sich bei dem Vorschlag Seesemanns daher eher um ein Postulat handeln, welches von dem Anliegen getragen scheint, die beiden semantischen Grundlinien von κοινωνία zu verbinden und auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen. Doch das, was Seesemann als Grundbedeutung von κοινωνεῖν und κοινωνία vorschlägt, wird im Griechischen gewöhnlich durch μετέχειν ausgedrückt, „das semantisch immer klar von κοινωνεῖν verschieden ist und mit dem letzteren auch bei gemeinsamer Verwendung niemals synonym wird“ (B AUMERT, ΚΟΙΝΟΝΕΙΝ, 526).
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mantische Hauptlinie wäre vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen zu Phlm 6 durchaus in Betracht zu ziehen. Geht man nämlich von dieser zweiten Hauptbedeutung von κοινωνία aus, dann würde Paulus an besagter Stelle den Gedanken formulieren, dass die ‚Mitteilung‘ oder ‚Zuwendung‘ der πίστις in der vorliegenden Situation, die im Hintergrund des Philemonbriefs steht, wirksam werden soll97. Und was das konkret bedeutet, liegt sicherlich auf der Hand: Philemon soll dem Onesimus mit πίστις begegnen und ihn in entsprechender Weise bei sich aufnehmen. Der Gedanke von Phlm 6 steht somit in einer deutlichen Nähe zur römischen fides-Konzeption, denn schließlich geht die πίστις – oder vielleicht sollte man sogar fast besser sagen: die fides – von der sozial höherstehenden Person aus, indem sie die niederstehende in ihren Schutzbereich aufnimmt. Gerade im Zusammenhang von Phlm 6 sei nochmals an solche Bedeutungen wie ‚Hilfe‘, ‚Schutz‘ und ‚Obhut‘ erinnert. Mit dieser Deutung sind nun einige kontextuelle Implikationen verbunden, die hier zumindest angedeutet werden sollen. Gewöhnlich bezieht man das Erkenntnismotiv (ἐπίγνωσις) in Vers 6 auf die Erkenntnis des Philemon,98 doch im Lichte der hier vorgetragenen Textdeutung dürfte es sich eher ‚nach außen‘ – also auf die ‚Zeugen‘ von Philemons πίστις-Zuwendung – richten, sodass seinem Verhalten ein ausdrücklicher Zeugnischarakter zukäme99. Jedenfalls erscheint es schwer vorstellbar, dass Paulus bei Philemon einen in dessen eigenem Tun gründenden Erkenntnisgewinn annimmt. Dies erklärt zugleich die Verwendung des Nomens ἐπίγνωσις, das vom Simplex γνῶσις semantisch zu unterscheiden ist. Denn während γνῶσις grundsätzlich ein ‚Erkennen‘ bezeichnet, kommt – dem Präfix ἐπί gemäß – mit ἐπίγνωσις eine ‚Zu-Erkenntnis‘, also ein Erkenntnisgewinn zur Sprache.100 Somit ergibt sich eine textsemantische Linie, durch die die beiden πίστις-Belege von Vers 5 und 6 des Philemonbriefs inhaltlich miteinander verbunden sind. Denn während in Vers 5 zunächst die Rede davon ist, dass die Kunde von der πίστις des Philemon bereits bis zu Paulus vorgedrungen ist, so betont Vers 6, dass das konkrete ‚πίστις-Handeln‘ an Onesimus nun
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Vgl. hierzu auch B AUMERT, Freundesbrief (s. Anm. 81), 153.158, der für Phlm 6 die Übersetzung „Freigebigkeit des Trauens“ vorschlägt; vgl. auch B AUMERT, KOINONEIN (s. Anm. 96), 203–205. 98 Vgl. etwa STUHLMACHER, Philemon (s. Anm. 83), 34; GNILKA, Philemonbrief (s. Anm. 83), 37. 99 Vgl. B AUMERT, Freundesbrief (s. Anm. 81), 153f.158. 100 Zur Semantik von ἐπίγνωσις, insbesondere zum Verhältnis von ἐπίγνωσις zu γνῶσις vgl. N. B AUMERT, Ἐπίγνωσις bei Paulus. ‚Eifer der Juden‘ – ohne ‚Erkenntnis‘? (Röm 10,2), in: ders. (Hg.), NOMOS und andere Vorarbeiten zur Reihe „Paulus neu gelesen“, FzB 122, Würzburg 2010, 408–420 (zu Phlm 6 vgl. 414).
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dazu beitragen kann, dass diese πίστις noch weiter bekannt und auch von anderen erkannt wird. An diesen Gedanken schließt aber auch Vers 7 bündig an. Hier greift Paulus das Liebesmotiv (ἀγάπη) aus Vers 4 auf und spielt es in einer ganz ähnlichen Weise durch, indem er betont, dass er selbst durch die Liebe des Philemon (ἐπὶ τῇ ἀγάπῃ σου) bereits große Freude (χαρὰ πολύς) und Tröstung (παράκλησις) erfahren hat. Der Grund dieser Freude und Tröstung bleibt zwar recht unbestimmt, doch fraglos handelt es sich um ein konkretes Verhalten des Philemon gegenüber den ‚Heiligen‘, also vermutlich um eine Form der Liebes-Zuwendung auf der zwischenmenschlichen Ebene. Dadurch werden πίστις und ἀγάπη bzw. Onesimus und die Empfänger dieser Liebestat parallelisiert, wobei mit πίστις ein noch ausstehendes Verhalten zur Sprache kommt, während ἀγάπη den Blick auf eine bereits in der Vergangenheit erwiesene Wohltat lenkt. Und damit ist die Aufforderung impliziert, dass Philemon sich in einer vergleichbaren Weise zu Onesimus verhalten möge, wie er dies bereits bei den Heiligen getan hat. Auf diese Weise wird geschickt darauf angespielt, dass die dem Onesimus erwiesene πίστις aufseiten des Paulus eine vergleichbare Wirkung – also große Freude (χαρὰ πολύς) und Tröstung (παράκλησις) – mit sich brächte, wie dies bereits bei der Liebestat gegenüber den Heiligen der Fall war. Die inhaltliche Grundlinie von Vers 6 bestünde also in der durchaus mit einem gewissen Augenzwinkern vorgetragenen Bitte, dass Philemon den Paulus durch sein πίστις-Verhalten gegenüber Onesimus abermals erfreuen möge. Wenn man also im Proömium des Philemonbriefs einen Chiasmus ausmachen möchte, dann wäre er sicher nicht in Vers 5 zu verorten, sondern dürfte vermutlich eher die Verse 5–7 umgreifen: die äußeren Glieder enthielten dann das ἀγάπη-Motiv (Phlm 5a; 7), während die beiden inneren den πίστις-Gedanken vertiefen würden (Phlm 5b–6). Dies aber verdeutlicht nochmals den inneren Zusammenhang der beiden πίστις-Aussagen in Vers 5b und 6. Somit erweist sich die Deutung des πίστις-Motivs vor dem Hintergrund der römisch-lateinischen fides-Vorstellung als ein möglicher Verstehensschlüssel für den Philemonbrief, der es jedenfalls ermöglicht, das Proömium sehr viel stärker an das Briefkorpus anzubinden, als dies bei der gängigen πίστις-Deutung der Fall ist. Folgt man diesen Überlegungen, so dürften die Adressaten des Philemonbriefs in einem Kontext zu verorten sein, in dem die römischlateinische fides-Vorstellung vorausgesetzt werden kann. Zwar ist die Lokalisierung der Hausgemeinde des Philemon äußerst unsicher, doch wenn man mit der deuteropaulinischen Tradition Kolossä in Erwägung zieht,
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dann wären zumindest die kulturellen Voraussetzungen gegeben,101 Schließlich handelt es sich bei Kolossä um eine Stadt in der senatorischen Provinz Asia,102 also um ein Gebiet, für das sich in der Kaiserzeit der deutliche Einfluss der Caesarenreligion ausmachen lässt103. Dies bezeugen zumindest die Kaisereide aus dem kleinasiatischen Bereich, durch die die Provinzen stärker an den Kaiser und die Stadt Rom gebunden werden sollten.104 Führt man sich diese Entwicklungen in der Kaiserzeit vor Augen und bedenkt die Bedeutung der römischen fides-Konzeption in diesem imperialen Kontext, dann wären gewiss die entscheidenden Bedingungen für eine entsprechende πίστις-Deutung in Kolossä gegeben. Doch natürlich treffen diese Voraussetzungen auch auf zahlreiche andere Orte zu, sodass die Lokalisierungsfrage grundsätzlich offen bleibt. 6.2.3 Die römische Gemeinde und Paulus Nach diesen Ausführungen zur Brieferöffnung des Philemonbriefs sei der Blick erneut auf das Proömium des Römerbriefs gelenkt, denn die Ähnlichkeit der Argumentationsführungen sticht bei einem Vergleich der beiden Textpassagen unmittelbar ins Auge. In beiden Briefen lobt Paulus die πίστις seiner Adressaten und bittet sie um ein ihr gemäßes Verhalten. So wie Philemon den Onesimus mit πίστις bei sich aufnehmen soll, sollen die römischen Adressaten Paulus selbst begegnen. 101
Zur Lokalisierungsfrage vgl. M. WOLTER, Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, ÖTBK 12, Gütersloh/Würzburg 1993, 238f.; BROER, Einleitung (s. Anm. 81), 401–404; SCHNELLE, Einleitung (s. Anm. 81), 166–168; EBNER, Philemonbrief (s. Anm. 81), 408f., sowie im Kolosserbrief die Erwähnungen des Namens Onesimus (Kol 4,9) und anderer, ebenfalls aus dem Philemonbrief bekannter Namen (vgl. Phlm 2.23f. mit Kol 4,10–14.17). 102 Vgl. A. LINDEMANN, Die Gemeinde von „Kolossä“. Erwägungen zum „Sitz im Leben“ eines pseudopaulinischen Briefes, in: ders. (Hg.), Paulus, Apostel und Lehrer der Kirche. Studien zu Paulus und zum frühen Paulusverständnis, Tübingen 1999, 187–210; T. DREW-B EAR, Art. Kolossai, DNP 6 (1999), 667f.; A. Cadwallader/M. Trainor (Hg.), Colossae in Space and Time. Linking to an Ancient City, NTOA 94, Göttingen 2011. 103 Vgl. bes. A. CHANIOTIS, Der Kaiserkult im Osten des Römischen Reiches im Kontext der zeitgenössischen Ritualpraxis, in: H. Cancik/K. Hitzl (Hg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen 2003, 3–28; M. PEPPEL, Gott oder Mensch? Kaiserverehrung und Herrschaftskontrolle, in: H. Cancik/K. Hitzl (Hg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen 2003, 69–95; J. SÜSS, Kaiserkult und Urbanistik. Kultbezirke für römische Kaiser in kleinasiatischen Städten, in: H. Cancik/K. Hitzl (Hg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen 2003, 249–281. 104 Vgl. hierzu P. HERRMANN, Der römische Kaisereid. Untersuchungen zu seiner Herkunft und Entwicklung, Göttingen 1968; H. CANCIK, Der Kaiser-Eid. Zur Praxis der römischen Herrscherverehrung, in: H. Cancik/K. Hitzl (Hg.), Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen, Tübingen 2003, 29–45.
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Hier wird man sicherlich an seine positive Aufnahme in Rom denken, aber ebenso an die erhoffte Unterstützung bei seiner Spanienmission.105 Sie kommt zwar erst in Röm 15,22–24 zur Sprache, doch inhaltlich ist dieses Thema eng mit der Brieferöffnung verknüpft.106 Gerade in diesem Zusammenhang sei noch einmal an die spezifischen Verwendungsmöglichkeiten von fides, insbesondere an die Bedeutungen ‚Hilfe‘ und ‚Unterstützung‘ erinnert, die bei einem römischen Rezipienten dieses Briefes durchaus mitgeklungen haben mögen. In diesem Fall würde Paulus in Röm 1,12 auf eine Bedeutungsnuance rekurrieren, die für das Nomen fides, nicht aber für die griechische πίστις belegt ist, sodass an dieser Stelle ein lateinischer Einfluss auf semantischer Ebene zu greifen wäre. Allerdings wird man das πίστις-Motiv in der Brieferöffnung kaum auf diesen Aspekt reduzieren dürfen, denn dafür ist es sicherlich zu unbestimmt. Vielmehr wird man πίστις an dieser Stelle in einem recht umfassenden Sinn zu verstehen haben: Es geht um eine entsprechende Haltung zur Person des Paulus, zu seinem Brief, zu seiner Botschaft und zu seinem missionarischen Handeln – und letztlich um ein entsprechendes Verhalten gegenüber Gott und Christus. Vor diesem Hintergrund fällt nun wiederum ein anderes Licht auf die Wendung τῆς ἐν ἀλλήλοις πίστεως in Röm 1,12. Denn wenn man den brieflichen Rahmen mit in die Überlegungen einbezieht, lässt sich – trotz des reziproken Charakters von ἀλλήλων – doch eine leichte Differenz zwischen der πίστις der Römer und der des Paulus ausmachen. Jedenfalls dürfte auf Seiten der römischen Gemeinde sehr viel stärker als hinsichtlich des Verhaltens des Paulus der Aspekt einer positiven Aufnahme anklingen – auch wenn mit dem Stichwort χάρισμα die paulinische Gegengabe explizit genannt wird. Insofern lässt sich für das πίστις-Motiv von Röm 1,12 also doch ein leichter Anklang an den römisch-lateinischen fides-Begriff ausmachen. 6.2.4 Die theologische Rückbindung der zwischenmenschlichen Aussagen In den bisherigen Ausführungen hat sich der Blick vor allem auf die Verwendung von πίστις in zwischenmenschlichen Kontexten gerichtet. Mit dieser Frageperspektive waren also jene πίστις-Stellen ausgeblendet, an 105
Vgl. etwa M. THEOBALD, Der Römerbrief, EdF 294, Darmstadt 2000, bes. 35–42; S. SCHREIBER, Der Römerbrief, in: M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 22013, 281–301, bes. 295–297. 106 Zur Beziehung der πίστις-Aussagen des Proömiums zum brieflichen Schluss vgl. auch T. SCHUMACHER, Ein Schlüssel zum Römerbrief. Zur Bedeutung von Röm 1,16f. für die Briefkomposition, in: S. Loos/T. Schumacher/H. Zaborowski (Hg.), An die Römer. Urtext, Übersetzungen und Interpretationen, Interpretationen und Quellen 3, Freiburg i.Br. 22013, 351–393, 390f.
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denen Paulus diesen Begriff eindeutig auf die Gottes- und Christusbeziehung anwendet. Nun aber soll der Blick auch auf diese πίστις-Belege gerichtet werden. Dabei stellt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen vor allem die Frage, ob auch in diesen Verwendungskontexten eine ähnliche Denkstruktur wie bei den zwischenmenschlichen πίστιςBelegen aufscheint und ob auch in diesen Kontexten der lateinische fidesBegriff möglicherweise seine Spuren hinterlassen hat. Im Zusammenhang mit dieser Frage sei zunächst darauf verwiesen, dass an jenen Stellen, an denen πίστις in zwischenmenschlichen Kontexten verwendet wird, die Semantik häufig über diesen Bereich hinausreicht. Im Kontext von Röm 1,8 spiegelte sich dies in einem sehr offenen Wortgebrauch, der den zwischenmenschlichen Bereich übersteigt und die Gottesund Christusbeziehung impliziert. Dem zu vergleichen ist die Verwendung von πίστις in Phlm 5, wo sich dieses Nomen auf die Heiligen und zugleich auf den Herrn Jesus bezieht. Somit findet sich im paulinischen Schrifttum eine Verbindungslinie vom zwischenmenschlichen πίστις-Gebrauch zur Verwendung dieses Nomens im Rahmen der Gottes- und Christusbeziehung. Ja, es entsteht geradezu der Eindruck, als komme dem πίστις-Begriff eine integrative Funktion zu, indem er unterschiedliche Lebensaspekte zu verbinden vermag. Diese erste Beobachtung weist bereits eine gewisse Nähe zum römisch-lateinischen fides-Begriff auf, durch den ebenfalls unterschiedliche Dimensionen verknüpft werden können. Von daher schließt sich hier unmittelbar die Frage an, ob die in zwischenmenschlichen Kontexten greifbare hierarchische fides-Struktur sich auch in den paulinischen Aussagen zur religiösen Beziehung des Menschen zu Gott und zu Christus greifen lässt. Bei dieser Frageperspektive sticht im Zusammenhang der paränetischen Aussagen von Röm 14,1–15,13 vor allem eine theologische Rückbindung des πίστις-Motivs ins Auge. Wenn nämlich Paulus in Röm 14,3 betont, dass Gott den Schwachen angenommen hat (ὁ θεὸς γὰρ αὐτὸν προσελάβετο) und er diesen Grundgedanken in Röm 15,2–7 auch noch christologisch entfaltet, indem er seinen römischen Adressaten Christus als Vorbild vor Augen stellt und darauf verweist, dass auch Christus ‚uns angenommen hat‘ (προσλαμβάνεσθε ἀλλήλους, καθὼς καὶ ὁ Χριστὸς προσελάβετο ὑμᾶς), dann bindet er das in Röm 14,1 von den Starken geforderte Verhalten in eine soteriologische Gesamtsicht ein. Denn damit werden das Verhalten Gottes und das Verhalten Christi dem Menschen gegenüber zum Vorbild für jenes Verhalten, das Paulus in Röm 14,1 von den Starken fordert. Auffällig ist in diesem Zusammenhang vor allem das Verb προσλαμβάνω. Paulus verwendet es im Hinblick auf jenes πίστις/fidesVerhalten, das er von den Starken fordert, er sagt es aber auch im Hinblick
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auf Gott und auf Christus aus: ὁ θεὸς γὰρ αὐτὸν προσελάβετο – „Gott hat ihn [scil. den Schwachen] angenommen“ (Röm 14,3) bzw. ὁ Χριστὸς προσελάβετο ὑμᾶς – „Christus hat euch angenommen“ (Röm 15,7). Damit steht das πίστις/fides-Verhalten von Röm 14,1, das an dieser Stelle in zwischenmenschlichem Sinn verwendet wird, offenbar im Hintergrund der προσλαμβάνω-Aussagen von Röm 14,3 und 15,7. Angesichts dieser Beobachtung lässt sich also bereits eine erste Grundvermutung zu den paulinischen πίστις-Aussagen im Zusammenhang der Gottes- und Christusbeziehung formulieren, insbesondere was die Wendung πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ) betrifft. Denn es scheint gerade so, als denke Paulus bei dem Nomen πίστις auch im Rahmen der Gottes- und Christusbeziehung nicht zwingend an den Glauben des Menschen an Gott oder an Christus – also an eine ‚Bewegung‘, die vom Menschen ausgeht und auf Gott bzw. Christus gerichtet ist –, sondern als verbinde er πίστις auch in diesen Zusammenhängen mit jener Grundstruktur, die den römisch-lateinischen fides-Begriff kennzeichnet. 6.3 Die Verwendung von πίστις im Zusammenhang der Gottes- und Christusbeziehung Vor dem Hintergrund der theologischen Rückbindung der zwischenmenschlichen πίστις-Aussagen und angesichts der hierarchischen Grundstruktur von fides, die sich in diesem Bereich sehr deutlich greifen lässt, wäre fast zu erwarten, dass auch bei der Gottes- und Christusbeziehung πίστις von der höherstehenden Seite, also von Gott bzw. von Christus ausgeht und auf ein reaktives Verhalten des Menschen hingeordnet ist. In diesem Zusammenhang mag man sicherlich an die Wendung πίστις θεοῦ in Röm 3,3 denken, bei der fraglos von einer πίστις auf Seiten Gottes die Rede ist. Doch auch bei anderen paulinischen πίστις-Belegen ließe sich diese Möglichkeit durchaus erwägen. Daher soll in einem nächsten Schritt gefragt werden, ob auch bei weniger eindeutigen πίστις-Belegen wie in Röm 3,3 eine ähnliche Zuordnung dieses Nomens denkbar ist. 6.3.1 Die πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen Im Rahmen dieser Fragestellung sei zunächst die Wendung πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ) erwähnt, die in der exegetischen Diskussion äußerst kontrovers diskutiert wird. Dabei werden vor allem zwei Lösungsansätze in Betracht gezogen, die eng mit der Frage verknüpft sind, wie die Genitivverbindung im Rahmen dieser Wendung aufzulösen ist.107 Die in unserem Sprachraum 107
Es war vor allem die Dissertation von R.B. HAYS, The Faith of Jesus Christ. An Investigation of the Narrative Substructure of Galatians 3:1–4:11, SBL.DS 56, Chico 1983, in der eine genitivus subiectivus-Deutung der πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen
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sicher bekanntere Möglichkeit geht von einem genitivus obiectivus aus und liest die fragliche Formulierung im Sinne des menschlichen Glaubens an Jesus Christus. Diese Textdeutung hat sich in nahezu allen deutschen Bibelübersetzungen niedergeschlagen und bestimmt die gesamte Fragestellung der sogenannten Rechtfertigungslehre. argumentativ entfaltet wird, die den Diskurs zur Deutung dieser Genitivkonstruktion in der neueren Forschung ganz entscheidend prägte – selbst wenn bereits in früheren Arbeiten (vgl. etwa J. HAUSSLEITER, Der Glaube Jesu Christi und der christliche Glaube, NKZ 2 [1891], 109–145.205–230; DERS., Eine theologische Disputation über den Glauben Jesu, NKZ 3 [1892], 507–520; G. KITTEL, Πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ bei Paulus, ThStKr 79 [1906], 419–436) und einigen älteren Übersetzungen (vgl. etwa die syrische Peschitta, einige koptische bzw. sahidische Übersetzungen, die King James Bible sowie die Übersetzungen von John Wycliffe und Casiodoro de Reina) das genitivus subiectivusVerständnis anzutreffen ist. Zur Diskussion in der neueren Literatur vgl. D.W.B. ROBINSON, „The Faith of Jesus Christ“ – a New Testament Debate, Reformed Theological Review 29 (1970), 71–81; G. HOWARD, Notes and Observations on the „Faith of Christ“, HThR 60 (1967), 459–465; M. B ARTH, The Faith of the Messiah, HeyJ 10 (1969), 363– 370; G. HOWARD, The „Faith of Christ“, ET 85 (1974), 212–215; A.J. HULTGREN, The Pistis Christou Formulation in Paul, NT 22 (1980), 248–263; S.K. W ILLIAMS, The „Righteousness of God“ in Romans, JBL 99 (1980), 241–290; L.T. J OHNSON, Rom 3:21– 26 and the Faith of Jesus, CBQ 44 (1982), 77–90; R.B. HAYS, Jesus’ Faith and Ours. A Rereading of Galatians 3, in: M.L. Branson/C.R. Padilla (Hg.), Conflict and Context. Hermeneutics in the Americas, Grand Rapids 1986, 257–280; S.K. W ILLIAMS, Again Pistis Christou, CBQ 49 (1987), 431–447; M.D. HOOKER, ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ, NTS 35 (1989), 321–342; G.N. DAVIES, Faith and Obedience in Romans. A Study in Romans 1– 4, JSNT.S 39, Sheffield 1990; J.D.G. DUNN, Once more, ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ, SBL.SP 30 (1991), 730–744; R.B. HAYS, ΠΙΣΤΙΣ and Pauline Christology: What is at Stake?, SBL.SP 30 (1991), 714–729; G. HOWARD, Art. Faith of Christ, AncB Dictionary 2 (1992), 758–760; V. KOPERSKI, The Meaning of Pistis Christou in Philippians 3:9, LouvSt 18 (1993), 198–216; D.A. C AMPBELL, Romans 1:17. A Crux Interpretum for the ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ Debate, JBL 113 (1994), 265–285; B. DODD, Romans 1:17. A Crux Interpretum for the ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ Debate?, JBL 114 (1995), 470–473; I.G. W ALLIS , The Faith of Jesus Christ in the Early Christian Traditions, SBL.MS 84, Cambridge 1995; D.A. CAMPBELL, False Presuppositions in the ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ Debate. A Response to Brian Dodd, JBL 116 (1997), 713–719; P.J. ACHTEMEIER, Apropos the Faith of/in Christ: A Response to Hays and Dunn, in: D.M. Hay/E.E. Johnson (Hg.), Pauline Theology, Volume 4. Looking Back, Pressing On, SBL.SS 4, Atlanta 1997, 82–92; R.B. MATLOCK, Detheologizing the ΠΙΣΤΙΣ ΧΡΙΣΤΟΥ Debate. Cautionary Remarks from a Lexical Semantic Perspective, NT 42 (2000), 1–23; D. RUSAM, Was versteht Paulus unter der πίστις (Ἰησοῦ) Χριστοῦ (Röm 3,22.26; Gal 2,16–20; 3,22; Phil 3,9)?, Protokolle zur Bibel 22 (2002), 47–70; M. SILVA, Faith Versus Works of Law in Galatia, in: D.A. Carson/P.T. O’Brien/M.A. Seifrid (Hg.), Justification and Variegated Nomism, Band 2: The Paradoxes of Paul, WUNT 2/181, Tübingen 2004, 217–248; B. SCHLIESSER, Abraham’s Faith in Romans 4. Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6, WUNT 2/224, Tübingen 2007; K.F. ULRICHS, Christusglaube. Studien zum Syntagma πίστις Χριστοῦ und zum paulinischen Verständnis von Glaube und Rechtfertigung, WUNT 2/227, Tübingen 2007.
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Von dieser Verstehensmöglichkeit hebt sich nun ein zweiter Lösungsvorschlag deutlich ab, bei dem die Genitivverbindung als genitivus subiectivus begriffen wird. Dementsprechend liest man die Wendung πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ) als eine Aussage zur πίστις Jesu und denkt dabei an seine Glaubens- und Vertrauensbeziehung zu Gott. Dadurch lässt sich die fragliche πίστις-Konstruktion geradezu als soteriologische Chiffre für das Kreuzesgeschehen begreifen, denn in Jesu Tod konkretisiert sich seine Gottesbeziehung in besonders dichter Weise. Im Unterschied zum ersten Lösungsvorschlag, bei dem πίστις den menschlichen Glauben an Jesus – und zwar vor allem als den Auferweckten – zur Sprache bringt, richtet sich der Blick bei der zweiten Deutemöglichkeit auf die Person des irdischen Jesus. Diese zwei Verstehensmöglichkeiten bestimmen die gegenwärtige Debatte um die paulinischen πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen maßgeblich. Und beide sind nicht ohne Probleme, wie ein Blick in die entsprechenden Argumentationsführungen verdeutlicht. Vor dem Hintergrund der römischen fides-Vorstellung eröffnet sich aber noch eine dritte Verstehensmöglichkeit108, die hier zunächst an einer textkritischen Variante von Gal 2,20 aufgezeigt sei. In Papyrus 46, im Codex Vaticanus und in einigen weiteren Textzeugen ist nämlich die Formulierung πίστις τῇ τοῦ θεοῦ καὶ Χριστοῦ zu lesen. In diesen Handschriften finden sich also mit θεοῦ und Χριστοῦ zwei von πίστις abhängige Genitive, die vom Kontext her am ehesten als genitivi subiectivi zu verstehen sein dürften. Jedenfalls formuliert Paulus im unmittelbaren Anschluss den Gedanken, dass Christus ihn geliebt und sich für ihn hingegeben hat (τοῦ ἀγαπήσαντός με καὶ παραδόντος ἑαυτὸν ὑπὲρ ἐμοῦ) und dass er diese Zuwendung Gottes nicht zurückweist (οὐκ ἀθετῶ τὴν χάριν τοῦ θεοῦ). In dieser textkritischen Variante ist also von einer πίστις Gottes und einer πίστις Christi gegenüber dem Menschen – konkret: gegenüber Paulus – die Rede. Die erwähnte dritte Verstehensmöglichkeit der strittigen Genitivverbindung, die von diesem Befund ausgehend erwogen werden kann, weist eine deutliche Nähe zur römischen fides-Vorstellung auf. Denn wenn bei der Genitivverbindung πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ eine πίστις Jesu gegenüber dem Menschen im Blick wäre, dann würde sich die höherstehende Seite der niederstehenden in πίστις – ja, man könnte fast sagen: in fides – zuwenden. In diesem Zusammenhang sei nochmals an die Bedeutung ‚Hilfe‘ erinnert, die den lateinischen Begriff ja gerade kennzeichnet und die in römischen Ohren vermutlich mitgeklungen haben dürfte. Und dass Christus im paulinischen Denken der höherstehenden, d.h. der göttlichen Seite zuzuordnen ist, das dürfte vor dem Hintergrund des Inthronisationsmotivs in Röm 1,4 und angesichts seiner Verortung zur Rechten Gottes in Röm 8,34 kaum in Frage stehen. 108
Vgl. zum Folgenden auch T. SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 271f.310–326.
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Im Lichte dieser Überlegungen ist nun gewiss auffällig, dass im Kontext von Gal 2,20 von zwei ‚Zuwendungen‘ die Rede ist: Die Zuwendung Christi wird zunächst konkretisiert (τοῦ ἀγαπήσαντός με καὶ παραδόντος ἑαυτὸν ὑπὲρ ἐμοῦ), um danach als Zuwendung Gottes spezifiziert und theologisch eingeordnet zu werden (χάρις τοῦ θεοῦ). Dieses doppelte Zuwendungsmotiv würde also, wenn man der textkritischen Variante von Gal 2,20 folgt, in chiastischer Weise an die Formulierung πίστις τῇ τοῦ θεοῦ καὶ Χριστοῦ anknüpfen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang nun auch, dass die Wendung οὐκ ἀθετῶ, durch die das reaktive Verhalten des Paulus – also die menschliche Seite – eingeblendet wird, auf Christus und auf Gott zugleich bezogen ist. Somit wäre die πίστις-Zuwendung Jesu Christi an das Heilshandeln Gottes theologisch rückgebunden und zugleich auf eine entsprechende Gegenreaktion hingeordnet, durch die die niederstehende Seite (hier: Paulus) mit der höherstehenden (also Gott und Christus) in Beziehung treten kann. Im Rahmen dieser Lesart wäre die Genitivverbindung πίστις Χριστοῦ als genitivus subiectivus zu begreifen – jedoch mit einer anderen Bezugsgröße, als dies von den genitivus subiectivusVertretern sonst angenommen wird. Überblickt man vor dem Hintergrund dieser Verstehensmöglichkeit die exegetische Debatte zu den paulinischen πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen und zur Frage nach der Genitivvalenz, so ließen sich mit diesem Lösungsansatz einige strittige Punkte klären. Was zunächst die Deutung dieser Genitivverbindung im Sinne von ‚Glaube an Jesus Christus‘ betrifft, so wird von den Vertretern der genitivus subiectivus-Deutung immer wieder auf die Redundanz verwiesen, die bei fast allen πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)Aussagen auszumachen ist109 und die zugleich mit dem inhaltlichen Problem verknüpft ist, dass die Rettung des Menschen von seinem Glauben und nicht etwa von Gottes autonomem Heilswillen abzuhängen scheint110. Diese beiden Schwierigkeiten ließen sich jedoch vermeiden, wenn man die fragliche Genitivverbindung als genitivus subiectivus begreift – und zwar unabhängig davon, ob man dabei an die πίστις Jesu gegenüber Gott oder an seine πίστις gegenüber den Menschen denkt. Die Redundanz würde sich vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Subjekte erklären und die soteriologische Basis wäre nicht der menschliche Glaube, sondern Jesus selbst.111 109
Vgl. etwa HOWARD, The Faith (s. Anm. 107), 460; W ILLIAMS, Righteousness (s. Anm. 107), 273f.; HOOKER, ΠΙΣΤΙΣ (s. Anm. 107), 329; HOWARD, Art. Faith (s. Anm. 107), 758; W ALLIS, Faith (s. Anm. 107), 70f. 110 Vgl. etwa K. WENGST, „Freut euch, ihr Völker, mit Gottes Volk!“ Israel und die Völker als Thema des Paulus – ein Gang durch den Römerbrief, Stuttgart 2008, 153. 111 Vgl. etwa B ARTH, Faith (s. Anm. 107), 368; HAYS, Faith (s. Anm. 107), 175; HAYS, Jesus’ (s. Anm. 107), 263; W ILLIAMS, Again (s. Anm. 107), 443; HOOKER, ΠΙΣΤΙΣ (s. Anm. 107), 337; HAYS, ΠΙΣΤΙΣ (s. Anm. 107), 716f.
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Auch mit der genitivus subiectivus-Lösung sind nun aber gewisse Schwierigkeiten verbunden. Denn sollte Paulus bei der fraglichen Genitivverbindung an die πίστις Jesu gegenüber Gott denken, dann würde Paulus dieser eine ähnliche Vorbildfunktion zuweisen wie jener, die in seinen Augen auch der πίστις Abrahams zukommt. So bliebe letztlich unklar, weshalb Paulus mit Abraham und Jesus zwei Personen in ihrer vorbildhaften πίστις-Beziehung zu Gott vorstellt und wie deren Verhältnis zu bestimmen ist.112 Außerdem bliebe unklar, weshalb Paulus die πίστις Jesu nie mit dessen Gehorsam (ὑπακοή) in Verbindung bringt113, obwohl beide Verhaltensweisen – das betonen die Befürworter der genitivus subiectivusLösung immer wieder114 – in deutlicher Nähe zueinander stehen. Geht man aber von einem genitivus subiectivus aus und bezieht die πίστις Jesu auf seine Zuwendung zu den Menschen statt auf die Vertrauensbeziehung zu Gott, dann lassen sich diese kritischen Anfragen recht leicht beantworten. Für die Frage nach dem Verhältnis der πίστις Jesu zur πίστις des Abraham hieße das nämlich, dass Jesus sich dem Menschen in πίστις zuwendet und damit ganz der göttlichen Seite angehört, während mit der Person des Abraham viel stärker ein reaktives Verhalten auf eine Zuwendung Gottes verbunden ist. Folglich wäre das Motiv der vorbildhaften πίστις nicht mit Jesus, sondern allein mit Abraham verbunden. Zugleich wäre nun auch verständlich, weshalb Paulus nie die πίστις Jesu mit seiner ὑπακοή, seinem Gehorsam, verknüpft, denn nur bei ὑπακοή ist die Beziehung Jesu zu Gott im Blick, während mit πίστις sein Verhalten gegenüber den Menschen ausgedrückt wird115. Im Hintergrund der paulinischen πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen lässt sich also die römische fides-Vorstellung ausmachen, die sich einerseits durch ihre hierarchische Struktur und andererseits durch ihre Wechselseitigkeit auszeichnet. Jedenfalls geht die πίστις/fides-Zuwendung von Jesus Christus, also von der höherstehenden Seite aus und ist zugleich auf ein 112 Vgl. etwa J.D.G. DUNN, Romans 1–8, WBC 38a, Dallas 1988, 166; ACHTEMEIER, Apropos (s. Anm. 107), 89; ULRICHS, Christusglaube (s. Anm. 107), 206.
113 Vgl. etwa KOPERSKI, Meaning (s. Anm. 107), 205.213. 114 Vgl. etwa B ARTH, Faith (s. Anm. 107), 366; J OHNSON, Rom 3,21–31 (s. Anm. 107), 85–90; HAYS, Faith (s. Anm. 107), 166f.; HAYS, Jesus’ (s. Anm. 107), 261–263; HOOKER , ΠΙΣΤΙΣ (s. Anm. 107), 337; H AYS, ΠΙΣΤΙΣ (s. Anm. 107), 723f. 115 Die einzigen Textstellen, an denen ὑπακοή mit πίστις verbunden ist, finden sich in Röm 1,5 und 16,26. Doch an diesen Stellen ist durchaus fraglich, ob ὑπακοή überhaupt im Sinne von ‚Gehorsam‘ zu lesen oder aus kontextuellen Gründen besser mit ‚Botschaft‘ wiederzugeben ist. Von den semantischen Möglichkeiten dieses Nomens ist beides denkbar, doch aus kontextuellen Gründen, und zwar nicht zuletzt wegen der Verwendung von πίστις – gerade im Römerbrief –, scheint einiges für letztere Bedeutung zu sprechen. Vgl. hierzu G. FRIEDRICH, Muß ὑπακοὴν πίστεως Röm 1,5 mit „Glaubensgehorsam“ übersetzt werden?, ZNW 72 (1981), 118–123; SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 223; B AUMERT, Hochform (s. Anm. 72), 13.16f.308–311.
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reaktives πίστις/fides-Verhalten des niederstehenden πίστις/fides-Empfängers hingeordnet. Und so mögen die paulinischen πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)Aussagen einen römischen Bewohner durchaus an die Göttin Fides und ihre den Menschen entgegengereichte Rechte erinnert haben. Damit eröffnet sich vor dem Hintergrund des römisch-lateinischen Verstehenshintergrundes eine weitere Deutungsmöglichkeit der πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)Aussagen, mit der sich einige strittige Punkte in der exegetischen Diskussion ausräumen lassen. Zugleich fällt dadurch auch neues Licht auf die Argumentationsstruktur der jeweiligen Textpassagen, was ausgehend von Röm 1,16f. für den Römerbrief aufgezeigt werden soll. 6.3.2 Die Argumentationsstruktur des Römerbriefs im Lichte von Röm 1,16f. Eine Besonderheit des Römerbriefs, durch die sich dieses Schreiben von den übrigen Paulusbriefen unterscheidet, ist der programmatische Themasatz von Röm 1,16f., der als Verständnisschlüssel dieses Briefes zu begreifen ist.116 Angesichts dieser spezifischen Funktion von Röm 1,16f. soll die vorgeschlagene Deutung der πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen geprüft und nach ihrer Funktion im Rahmen der paulinischen Argumentationsführung gefragt werden.117 Von besonderem Gewicht sind im Rahmen dieser Fragestellung sicherlich die drei πίστις-Belege in Röm 1,17. Doch mit diesen drei Belegen verbinden sich mehrere Fragestellungen. Eine erste Schwierigkeit betrifft die Frage, wie die Doppelung von πίστις innerhalb der Wendung ἐκ πίστεως εἰς πίστιν zu begreifen ist. Wenn man πίστις beide Male auf den menschlichen Glauben bezieht, dann würde sich eine Deutung anbieten, bei der diese Doppelung als Emphase oder als Ausdruck eines Glaubenswachstums gelesen wird.118 Doch vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen legt sich nun der Verdacht nahe, dass hinter den zwei πίστις-Erwähnungen zwei unterschiedliche Subjekte stehen. Dann wäre die πίστις jenes Subjekts, das hinter ἐκ πίστεως steht, die Voraussetzung für die πίστις des zweiten Subjekts.
116 Vgl. etwa LOHSE, Römer (s. Anm. 68), bes. 76 (mit Blick auf Röm 1,16f. spricht er von einer „propositio principalis“); WENGST, Völker (s. Anm. 110), 149–154; SCHREIBER, Römerbrief (s. Anm. 105), 283. 117 Vgl. zum Folgenden auch SCHUMACHER, Schlüssel (s. Anm. 106); SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 8), 364–367. 118 Vgl. etwa A. FRIDRICHSEN, Aus Glauben zu Glauben: Röm 1,17, CNT 12, Lund 1948, 54; SCHLIER, Römerbrief (s. Anm. 76), 45; DUNN, ΠΙΣΤΙΣ (s. Anm. 107), 72f.; J.W. T AYLOR, From Faith to Faith: Romans 1.17 in the Light of Greek Idiom, NTS 50 (2004), 337–348; ULRICHS, Christusglaube (s. Anm. 107), 38.182.
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Diese Grundstruktur mag bereits an die römische fides-Konzeption erinnern, sodass man angesichts der Überlegungen zu den πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen wohl zunächst an Jesus Christus als Subjekt von ἐκ πίστεως denken mag.119 Dann ginge πίστις – oder man könnte fast wieder fides sagen – von ihm aus und wäre auf eine entsprechende Gegenreaktion hingeordnet. Dementsprechend stünde hinter der zweiten πίστις-Erwähnung (εἰς πίστιν) der Mensch, der auf diese Zuwendung des Höherstehenden mit einer entsprechenden Reaktion in Form von πίστις/ fides reagiert bzw. antwortet. Doch diese Verstehensmöglichkeit hat mit der erheblichen Schwierigkeit zu kämpfen, dass Jesus Christus im Themasatz des Römerbriefs gerade nicht erwähnt wird, sondern dass die gesamte Aussage äußerst theozentrisch formuliert ist. Hier ist vor allem das Motiv der δικαιοσύνη θεοῦ, der Gerechtigkeit Gottes, zu erwähnen, mit dem der Gedanke von Vers 17 eröffnet wird. Es ist daher zu erwägen, ob nicht Gott als Subjekt von ἐκ πίστεως zu denken ist, sodass Paulus in Röm 1,17 die bereits bekannte hierarchisch-reziproke Grundstruktur von fides auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch anwenden würde.120 Auf diese Weise ließe sich die Doppelung von πίστις erklären, die verwendeten Präpositionen ἐκ und εἰς wären verständlich und – was vermutlich das gewichtigste Argument sein dürfte – das Verhältnis der fraglichen Formulierung zur Wendung δικαιοσύνη θεοῦ würde deutlich. Denn schließlich dürfte bei dem Stichwort δικαιοσύνη θεοῦ der Gedanke der rettenden Zuwendung Gottes mit anklingen121, womit der innere Zusammenhang von δικαιοσύνη und πίστις angedeutet wäre: Es geht letztlich um die rettende Zuwendung Gottes zum Menschen122 und um dessen entsprechende Antwort. Auffällig ist in diesem Zusammenhang nun auch der dritte πίστις-Beleg, der bislang unberücksichtigt geblieben ist. Er findet sich innerhalb eines 119
Vgl. in diesem Zusammenhang auch die messianische Deutung von Hab 2,4 und die Identifizierung „des Gerechten“ (ὁ δίκαιος) mit Christus bei HAYS, Faith (s. Anm. 107), 151–157; D.A. CAMPBELL, The Rhetoric of Righteousness in Romans 3.21–26, JSNT.S 65, Sheffield 1992, 203–214; CAMPBELL, Romans 1:17 (s. Anm. 107), 265–285. Zur christologischen Verwendung von δίκαιος vgl. auch Mt 27,19.24 v.l.; Lk 23,27; Apg 3,14; 7,52; 1Petr 3,18; Apg 22,14; 1Joh 2,1.29; 3,7. 120 Vgl. hierzu L. GASTON, Paul and the Torah, Vancouver 1987, 118f.; DUNN, Romans (s. Anm. 112); DAVIES, Faith (s. Anm. 107), 43, sowie die Wendung πίστις θεοῦ in Röm 3,3. 121 Zur Semantik von δικαιοσύνη vgl. bes. G. QUELL/G. SCHRENK, Art. δίκη κτλ., ThWNT 2, 1935, 176–229, sowie H. SEEBASS, Art. Gerechtigkeit, TBLNT 1 (41977), 502–509; H. RINGGREN/B. JOHNSON, Art. צדק, ThWAT 6 (1989), 898–924. 122 Vgl. in diesem Zusammenhang bes. die Verwendungen von δικαιοσύνη in der Septuaginta, wo dieses Nomen zur Wiedergabe von ֶח סֶ דverwendet werden kann (vgl. etwa Gen 19,19; 20,13; 21,23; Ex 15,13; 34,7; Spr 20,22) sowie im Gegenzug die Übersetzung von צְ דָ ָק הmit ἔλεος (vgl. etwa Jes 56,1; Ez 18,19.21).
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alttestamentlichen Zitats am Ende von Vers 17, das Paulus Hab 2,4 entnommen hat und dem er eine begründende Funktion (καθὼς γέγραπται) für die beiden vorangegangenen πίστις-Belege beimisst. Vergleicht man nun die paulinische Zitation mit seiner alttestamentlichen Vorlage, dann sticht vor allem ins Auge, dass Paulus weder die Näherbestimmung des hebräischen Textes noch die der Septuaginta übernimmt. Denn während im hebräischen Text ausdrücklich vom menschlichen Vertrauen gegenüber Gott die Rede ist () ֶבּ ֱא מוּ ָנ תוֹ, spricht die Septuaginta explizit von der πίστις Gottes (ἐκ πίστεώς μου). Doch Paulus folgt weder der einen noch der anderen Vorlage und öffnet auf diese Weise den Habakuktext für eine reziproke Textdeutung: Der Gerechte wird ἐκ πίστεως – das heißt: auf der Basis von Gottes πίστις-Zuwendung und seiner eigenen πίστις-Antwort – ‚leben‘. Dadurch werden die zwei Subjekte, die bei der Wendung ἐκ πίστεως εἰς πίστιν hinter den beiden πίστις-Belegen stehen, in der Formulierung ἐκ πίστεως ζήσεται zusammengeführt, sodass dieser dritte πίστιςBeleg nun beide Aspekte umfasst: die Seite Gottes und die Seite des Menschen. In der Art der paulinischen Zitation spiegelt sich also nochmals die reziproke Grundstruktur der sprachlich prägnanten Wendung ἐκ πίστεως εἰς πίστιν wider. Mit den drei πίστις-Belegen von Röm 1,17 sind also drei unterschiedliche Akzentuierungen verbunden: 1. Die πίστις-Zuwendung Gottes (ἐκ πίστεως), 2. die πίστις-Antwort des Menschen (εἰς πίστιν) und 3. die πίστιςBeziehung und ein in ihr gründender Lebensvollzug (ἐκ πίστεως ζήσεται). Und diese drei Aspekte erweisen sich nun als ein Schlüssel für die weitere Argumentationsführung im Römerbrief. Im Blick auf die Gesamtlinie dieses Briefes fällt zunächst auf, dass Röm 3,21–31 unmittelbar an Röm 1,16f. anknüpft, sodass beide Textabschnitte in eine enge Beziehung zueinander treten und sich zugleich als Klammer um die Ausführungen zum Zorn Gottes (Röm 1,18–3,20) legen. Die begrifflich-motivische Nähe von Röm 1,16f. und Röm 3,21–31 spiegelt sich vor allem in den neun Formen des Stammes πιστ- (achtmal πίστις, einmal πιστεύω) wider. Zugleich handelt es sich bei Röm 3,21–31 um jene Passage, in der sich die πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen des Römerbriefs finden (Röm 3,22.25f.). Auffällig ist in diesem Zusammenhang nun vor allem, dass in Röm 3,21f. das Motiv der δικαιοσύνη θεοῦ aus Röm 1,17 aufgegriffen und durch die Formulierung πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ näherbestimmt wird. Und dies würde vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen zu dieser Genitivverbindung bedeuten, dass sich die Offenbarung der δικαιοσύνη θεοῦ in der Zuwendung Jesu Christi (πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ) gegenüber den Menschen konkretisiert und verdichtet. Zugleich wäre die Formulierung πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ und damit der ganze Textabschnitt Röm 3,21–31 an den Gedanken der Zuwendung Gottes, der sich in
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Röm 1,17 in der Wendung ἐκ πίστεως verdichtet, rückgebunden. Somit läuft der erste große Argumentationsabschnitt des Römerbriefs (1,18–3,31) auf den Gedanken zu, dass sich Gottes πίστις gegenüber den Menschen in der πίστις Jesu Christi konkretisiert und offenbart. Und so könnte man vor dem Hintergrund des Themasatzes den gesamten Argumentationsbogen bis Röm 3,21 als Entfaltung dessen begreifen, was in Röm 1,17 bei dem Schlagwort ἐκ πίστεως angeklungen war. Dem folgt nun in Röm 4 jenes Kapitel, in dem die Figur des Abraham und seine πίστις im Mittelpunkt stehen. Dies erweckt geradezu den Eindruck, als wolle Paulus seinen Adressaten in der Person des Abraham ein angemessenes Verhalten gegenüber einer πίστις-Zuwendung Gottes vor Augen führen. Somit tritt Röm 4 geradezu in ein inhaltlich-reziprokes Verhältnis zu den vorausgehenden Ausführungen, was sowohl die begriffliche Nähe zwischen Röm 3,21–31 und Röm 4123 als auch die inhaltliche Differenz zwischen beiden Textpassagen verständlich werden lässt124. Denn letztlich stehen die jeweiligen Aussagen in einem actio-reactioVerhältnis. Insofern ließe sich das 4. Kapitel des Römerbriefs geradezu als Entfaltung dessen begreifen, was in Röm 1,17 mit der knappen Formulierung εἰς πίστιν angedeutet wird. Und dem schließt sich in Röm 5–8 ein weiterer großer Bogen an, der vor allem durch das Stichwort ζάω bzw. ζωή geprägt ist. In diesem Abschnitt tritt der πίστις-Begriff sehr deutlich in den Hintergrund, doch die vorangegangenen πίστις-Aussagen lassen sich doch als eine Art Grundlegung für die Ausführungen von Röm 5–8 begreifen. Und so kann man diese dritte Argumentationslinie als Entfaltung des mit ἐκ πίστεως ζήσεται angedeuteten Gedankens auffassen. In dieser skizzenhaften Darstellung der argumentativen Grundstruktur von Röm 1–8 spiegelt sich also nochmals die hierarchisch-dialogische Grundstruktur wider, die im römisch-lateinischen Denken mit dem Begriff fides verknüpft ist. Denn auch hier zeigt sich, dass πίστις bzw. fides immer von der höherstehenden Seite, also von Gott und von Christus, ausgeht und zugleich auf ein reaktives Verhalten des Menschen, also eine πίστιςAntwort, hingeordnet ist. Es wird aber noch ein weiterer Aspekt deutlich, der eine spezifischere Bestimmung der πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Aussagen zulässt. Denn indem Paulus im Römerbrief die πίστις Ἰησοῦ (Χριστοῦ)-Formulierungen motivisch und begrifflich an den Gedanken der πίστις θεοῦ rückbindet, kommt 123
Vgl. hier besonders die parallelen Wendungen ἐκ πίστεως Ἰησοῦ in Röm 3,26 und ἐκ πίστεως Ἀβραάμ in Röm 4,16. 124 Hinsichtlich der in Röm 3,21–31 und Röm 4 verwendeten πιστ-Formen fällt auf, dass in ersterem Textabschnitt allein das Nomen begegnet, während in Röm 4 neben πίστις auch das Verb πιστεύω und das Adjektiv πιστός verwendet werden.
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die soteriologische Funktion dieser Zuwendung Gottes in Christus noch deutlicher zum Ausdruck125. Auf der Basis der paulinischen πίστιςFormulierungen lässt sich also sagen, dass sich in Jesus Christus Gottes rettende Zuwendung konkretisiert126, die zugleich auf eine entsprechende Antwort des Menschen und auf eine darin gründende Beziehung hingeordnet ist. Und so wird vor dem Hintergrund der römisch-lateinischen fidesVorstellung deutlich, in welcher Form Gott dem Menschen seine Hand entgegenreicht.
7. Fazit Im Sinne eines Resümees sind die folgenden Aspekte der vorangegangenen Überlegungen noch einmal besonders hervorzuheben: Den Ausgangspunkt der Argumentation bildeten einerseits die weitgehende begriffliche Äquivalenz zwischen dem griechischen Nomen πίστις und dem lateinischen Begriff fides und andererseits die semantisch-strukturelle Differenz, die beide voneinander unterscheidet. Die davon ausgehend entfaltete These war die, dass der römisch-lateinische fides-Begriff mit der ihm inhärenten dialogisch-hierarchischen Grundstruktur sich als ein möglicher Verstehensschlüssel für die paulinischen πίστις-Aussagen eignet. Dabei ist vor allem die integrierende Dimension zu nennen, vermittels derer das lateinische Nomen fides ganz unterschiedliche Bedeutungsaspekte zu verknüpfen und den zwischenmensch-lichen Bereich theologisch rückzubinden vermag. Es sei in diesem Zusammenhang nochmals an die römische Überzeugung erinnert, dass durch den Bruch eines Eides im Letzten die Göttin Fides selbst verletzt wird. Die Verwendung von πίστις im paulinischen Schrifttum weist hier deutliche Parallelen auf, insofern mithilfe dieses Nomens die zwischenmenschliche Beziehung an die Gottes- und Christusbeziehung rückgebunden wird. Als ein für die paulinische Verwendung des Nomens πίστις besonders hilfreicher Verstehensschlüssel hat sich die hierarchische und zugleich auf Wechselseitigkeit ausgerichtete Bedeutungsdimension von fides erwiesen. 125 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Gedanken von Gal 2,20v.l. (P 46, B, D*, F, G), wo sich eine vergleichbare Zuordnung der πίστις Χριστοῦ zur πίστις θεοῦ ausmachen lässt. Vgl. S. 334f. des vorliegenden Beitrags. 126 Die paulinische Vorstellung scheint dabei von einem ‚Repräsentanzmodell‘ geprägt zu sein, sodass Gott gewissermaßen in Christus präsent und geradezu ‚sichtbar‘ wird. Vgl. S. SCHREIBER, Gesalbter und König. Titel und Konzeptionen der königlichen Gesalbtenerwartung in frühjüdischen und christlichen Schriften, BZNW 105, Berlin 2000, bes. 541.551f.; S. SCHREIBER, Das Weihegeschenk Gottes. Eine Deutung des Todes Jesu in Röm 3,25, ZNW 97 (2006), 88–110, 109, sowie 2Kor 5,19.
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In diesem Kontext sind zunächst die zwischenmenschlichen πίστιςAussagen hervorzuheben, denn gerade in diesem Zusammenhang vermag der römisch-lateinische Hintergrund einige Bedeutungsebenen zu erschließen, die nicht in gleicher Weise zu Tage treten, wenn man die paulinischen πίστις-Aussagen im Lichte des griechisch-hellenistischen und des alttestamentlich-jüdischen Denk- und Sprachhintergrundes liest. Aber auch bei jenen πίστις-Belegen, wo dieses Nomen im Rahmen der Gottes- und Christusbeziehung verwendet wird, erweist sich der fides-Begriff als ein ausgesprochen hilfreicher Zugang. Bei diesem letzten Anwendungsbereich lässt sich in den untersuchten Stellen aus dem Corpus Paulinum eine Bedeutungsdimension sehr deutlich greifen, in der sich die paulinischen πίστις-Aussagen vom römisch-lateinischen fides-Begriff signifikant unterscheiden. Denn im Unterschied zum römisch-lateinischen Lebenskontext, wo die Reaktion der untergeordneten Seite auf eine erwiesene fides-Zuwendung vonseiten der höherstehenden kaum den Charakter einer freien Antwort trägt, betont Paulus gerade diesen Aspekt. Insofern gehen die paulinischen Aussagen in einem sehr entscheidenden Punkt über das römische Analogiemodell hinaus. Und so muss noch ein letztes Mal die methodologische Frage gestellt werden, ob die in diesem Beitrag entwickelten Überlegungen eine von Paulus vor dem Hintergrund seines römisch-lateinischen Denk- und Sprachhintergrundes intendierte Aussage treffen oder ob es sich dabei ‚nur‘ um eine aus Sicht römischer Rezipienten naheliegende Deutung handeln kann. Was zunächst die integrative Funktion von πίστις im paulinischen Sprachgebrauch angeht, so muss dieser Aspekt nicht zwingend vom römisch-lateinischen fides-Begriff abgeleitet worden sein. Denn auch im griechisch-hellenistischen Denken lässt sich die theologische Rückbindung der zwischenmenschlichen πίστις greifen. So führt beispielsweise Theognis bereits im 6. vorchristlichen Jahrhundert das Fehlen menschlicher Treue darauf zurück, dass die Göttin Πίστις die Menschen verlassen hat und in den Himmel entschwunden ist.127 Und auch im alttestamentlichjüdischen Denken lässt sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gottesbeziehung und dem zwischenmenschlichen Verhalten ausmachen. Dies zeigt sich etwa daran, dass das hebräische – ֱא מוּנָהjenes Nomen, das in der Septuaginta besonders häufig hinter der Übersetzung πίστις steht – sowohl auf Gott als auch auf Menschen angewandt werden kann128; insbesondere wird dies aber auch daran deutlich, dass die ֱא מוּנָהGottes geradezu als Vorbild für ein entsprechendes menschliches Verhalten dient. 127
Vgl. Theognis 1,1137. Vgl. W. GESENIUS, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. Hg. von H. Donner, Berlin 182013, s.v. ; ֱא מוּנָהH. W ILDBERGER, Art. אמן, THAT 1 (2004 6), 177–209; A. JEPSEN, Art. אמן, ThWAT 1 (1973), 313–348. 128
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Insofern lässt sich die integrative Funktion von πίστις im paulinischen Schrifttum keinem der möglichen Verstehenshintergründe in eindeutiger Weise zuordnen. Eindeutiger scheint hingegen der Befund bei den zwischenmenschlichen πίστις-Aussagen zu sein. Denn die hierarchisch-reziproke Struktur, die in manchen paulinischen Textstellen auszumachen ist, lässt sich wohl am leichtesten durch den römisch-lateinischen fides-Begriff erklären. Jedenfalls finden sich weder im alttestamentlich-jüdischen noch im griechischhellenistischen Bereich unmittelbare Analogien. Anders hingegen verhält es sich bei den πίστις-Aussagen im Zusammenhang der Gottes- und Christusbeziehung. Denn gerade die Art und Weise, wie Paulus die menschliche Gegenreaktion auf eine πίστις/fidesZuwendung Gottes umreißt, weist eine deutliche Nähe zum alttestamentlich-jüdischen Denken auf. Denn im lateinischen Denken hat, wie bereits ausgeführt, eine fides-Zuwendung der höherstehenden Seite immer einen ausgeprägten Appell- und Verpflichtungscharakter, sodass sich die Reaktion darauf gerade nicht als freie Antwort kennzeichnen lässt. Dies gilt auch noch für das 1. Jahrhundert, selbst wenn der römisch-lateinische fides-Begriff in dieser Zeit bereits etwas von seiner hierarchischen Struktur verloren hat. Würde man also den jüdischen Denk- und Sprachhintergrund des Paulus in die Überlegungen mit einbeziehen – was in diesem Beitrag bewusst nicht geschehen ist –, dann ließe sich die hier vorgeschlagene πίστις-Deutung auch von diesem Hintergrund her entwickeln. Gerade wenn man die Wendung πίστις θεοῦ in Röm 3,3 – die sicherlich dem alttestamentlich-jüdischen Hintergrund entnommen ist – bedenkt und sich den Stellenwert der אמן-Formen im jüdischen Schrifttum vor Augen führt, dann wäre durchaus denkbar, dass die paulinischen πίστις-Aussagen auf diesem Denk- und Sprachhintergrund fußen. So würde sich jedenfalls die Differenz zwischen den paulinischen πίστις-Aussagen und der römisch-lateinischen fides-Vorstellung vom alttestamentlich-jüdischen Hintergrund her erklären lassen. Wenn Paulus also im Zusammenhang mit der Christusund Gottesbeziehung vor allem den freien Antwortcharakter betont und seine Briefadressaten zu einer entsprechenden πίστις-Antwort einladen und auffordern will, dann spiegelt sich darin eine alttestamentlich-jüdische Denkstruktur, die aus römischer Perspektive den fides-Begriff überschreitet. Aber dennoch dürfte Paulus den πίστις-Begriff bewusst verwendet haben. Dafür spricht zumindest die wortstatistische Auffälligkeit im Römerbrief; und auch die Verwendung von πίστις im Galater- und im Philipperbrief steht dem nicht entgegen, denn auch in diesen Kontexten lässt sich ein deutlicher Einfluss des römisch-lateinischen Sprachkontextes
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Thomas Schumacher
nachweisen.129 So scheint es, als habe Paulus das Nomen πίστις sehr gezielt verwendet, um eine offenbarungstheologische Deutung des göttlichen Heilshandelns in Christus den im römisch-lateinischen Kultur- und Sprachhorizont beheimateten Menschen nahezubringen. Dass dies aus Sicht seiner Rezipienten durchaus gelungen sein dürfte, mag durch die vorangegangen Überlegungen deutlich geworden sein. Und so lässt sich selbst ein Einfluss auf semantischer Ebene letztlich auch nicht ausschließen. Zumindest dürften im Falle des Römerbriefs bei einigen πίστις-Verwendungen in den Ohren lateinischsprachiger Menschen solche Bedeutungen wie ‚Hilfe‘, ‚Schutz‘ und ‚Obhut‘ mitgeklungen haben, denn gerade diese Bedeutungsnuancen stehen in deutlicher Nähe zu Begriffen wie ‚Heil‘ und ‚Rettung‘. Beredtes Beispiel dafür ist die erwähnte Textstelle bei Valerius Maximus, wonach menschliches ‚Heil‘ (salus) letztlich in der Zuwendung der Göttin Fides gründet.130 Doch auch wenn Paulus sich dieses römischen Denkmodells bedient und die semantischen Möglichkeiten von πίστις und fides gekonnt auszunutzen vermag, so steht im Zentrum seiner Botschaft gewiss nicht die römische Gottheit Fides, sondern der Gott Israels, der in Christus den Menschen seine Hand entgegenreicht, um ihnen auf diese Weise eine fides-/πίστις-Beziehung zu ihm zu ermöglichen und ihnen sein Heil, seinen Schutz und seine Hilfe anzubieten. Und so kann das knappe Resümee der hier vorgelegten Ausführungen lauten, dass Paulus in seiner Verwendung des Nomens πίστις den ‚Römern ein Römer‘131 geworden ist.
129
Vgl. hierzu S.R.F. PRICE, Rituals and Power. The Roman Imperial Cult in Asia Minor, Cambridge 1984; CHANIOTIS, Kaiserkult (s. Anm. 103); SÜSS, Kaiserkult (s. Anm. 103); STRECKER, Fides, (s. Anm. 8), 240; G. SCHÖRNER, Opferritual und Opferdarstellung. Zur Strukturierung der Zentrum-Peripherie-Relation in Kleinasien, in: H. Cancik/A. Schäfer/W. Spickermann (Hg.), Zentralität und Religion. Zur Formierung urbaner Zentren im Imperium Romanum, STAC 39, Tübingen 2006, 69–94. 130 Vgl. Valerius Maximus 6,6 sowie S. 308 des vorliegenden Beitrags. 131 Vgl. hierzu die analogen Formulierungen aus 1Kor 9,20–23.
Neues Testament
Die Wirklichkeit des Glaubens Ein Versuch zur Bedeutung des Glaubens bei Paulus MICHAEL WOLTER
1. Vorbereitung Gegen Ende des 2. Jahrhunderts erörtert die Schrift an Diognet die Frage, was die Christen von Nichtchristen unterscheidet und was nicht. Man kann da lesen, dass Christen „nirgendwo eigene Städte bewohnen“ (οὔτε γάρ που πόλεις ἰδίας κατοικοῦσι) noch dass sie „ein auffälliges Leben führen“ (οὔτε βίον παράσημον ἀσκοῦσιν) (Diog 5,2). „Sie befolgen die landesüblichen Sitten in Kleidung und Kost sowie im übrigen Lebensvollzug“ (τοῖς ἐγχωρίοις ἔθεσιν ἀκολουθοῦντες ἔν τε ἐσθῆτι καὶ διαίτῃ καὶ τῷ λοιπῷ βίῳ; 5,4). Außerdem gehört zu den Gemeinsamkeiten, die Christen und Nichtchristen miteinander teilen, die Sprache (φωνή; 5,1): Mit der Sprache verhält es sich wie mit Essen und Trinken: Christen „bedienen sich nicht eines absonderlichen Dialekts“ (οὔτε διαλέκτῳ τινὶ παρηλλαγμένῃ χρῶνται; 5,2), sondern sie sprechen dieselben Sprachen wie die anderen Menschen „in den Städten der Griechen und Barbaren“, in denen sie leben, „wie es einem jeden zufällig zuteil wurde“ (ὡς ἕκαστος ἐκληρώθη; 5,4). Diese Gemeinsamkeit von christlicher und nichtchristlicher Sprache bringt es mit sich, dass ihr spezifisch christlicher Gebrauch stets von ihrer alltäglichen Verwendung mitbestimmt ist und niemals von ihr isoliert werden kann. Wenn wir nach einem Beispiel suchen, das diesen Sachverhalt illustrieren kann, bietet es sich an, gerade die Wörter „Glaube“ und „glauben“ zu nehmen: Hier haben wir auf der einen Seite das herausgehobene „Ich glaube ...“ im christlichen Glaubensbekenntnis oder Wilfried Härles Postulat, „die Identität des Christlichen lasse sich mit Hilfe und anhand des Begriffs ‚Glaube‘ bestimmen“1, und auf der anderen Seite einen ausgesprochen trivialen Gebrauch: Hier kann man trotz besseren Wissens daran ‚glauben‘, dass der Klapperstorch die kleinen Kinder bringt oder dass der 1. FC Köln vielleicht doch noch einmal deutscher Meister wird. Vielleicht 1
W. HÄRLE, Dogmatik, Berlin 1995, 55.
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ist das ungefähr dasselbe. Obwohl – zumindest im zuletzt genannten Fall kann auch dieser ‚Glaube‘ durchaus religiösen Charakter annehmen. Auch andernorts wird erkennbar, dass diese beiden Glaubensweisen sich miteinander berühren. Das wird z.B. erkennbar, wenn wir die johanneische Verhältnisbestimmung von „sehen“ und „glauben“, das in Joh 20,29 in dem Makarismus gipfelt „Selig, die nicht sehen und (doch) glauben“ (οἱ μὴ ἰδόντες καὶ πιστεύσαντες), neben einen Text aus dem Philopseudes Lukians von Samosata stellen. In ihm geht es um die Frage, „ob es Geister und Gespenster und umherschweifende Seelen von Toten gibt“ (δαίμονάς τινας εἶναι καὶ φάσματα καὶ νεκρῶν ψυχὰς περιπολεῖν; Philopseudes 29). Diese Frage beantwortet der Skeptiker in einer Weise, deren spannungsvolle Nähe zu dem gerade zitierten johanneischen Text offenkundig ist: „Ich glaube nicht, weil ich im Unterschied zu allen anderen nicht sehe; wenn ich jedoch sehen würde, würde ich sicherlich genauso glauben wie ihr“ (εἰ μὴ πιστεύω, διότι μηδὲ ὁρῶ μόνος τῶν ἄλλων. εἰ δὲ ἑώρων, καὶ ἐπίστευον ἂν δηλαδὴ ὥσπερ ὑμεῖς).2
Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Paulus. Neben den Verfassern der johanneischen Schriften ist er derjenige neutestamentliche Autor, bei dem das Glaubens-Thema so deutlich im Vordergrund steht wie nirgendwo sonst im frühen Christentum: bei ihm vor allem in Gestalt des Nomens πίστις, im Johannesevangelium ausschließlich in Gestalt des Verbs πιστεύειν3. Hinzu kommt noch, dass Paulus nicht nur der älteste christliche Autor ist, bei dem in dieser Dichte vom „Glauben“ die Rede ist, sondern dass gerade für ihn das gilt, was wir vorhin mit einem Zitat aus der Dogmatik von Wilfried Härle umschrieben haben und was jetzt noch einmal mit den Worten von Benjamin Schliesser wiederholt sei: dass der Glaube für Paulus nicht weniger ist als „nach innen verbindendes und zugleich nach außen abgrenzendes Kennzeichen christlicher Identität“.4 Angesichts dieses Sachverhalts ist die theologische Bedeutung der Frage nach dem Stellenwert des Glaubens bei Paulus kaum zu überbieten. Wenn wir uns dem Thema von außen annähern und zunächst nach der historischen und kontextuellen Grundlage fragen, auf der die paulinische 2 Vgl. hierzu auch Herodots Feststellung, dass „die Ohren unglaubwürdiger sind als die Augen“ (1,8,2: ὦτα ... ἀπιστότερα ὀφθαλμῶν), der u.a. bei Dio Chrysostomus, Orationes 12,71 und Lukian v. Samosata, Quomodo historia conscribenda sit 29 zitiert wird. – Vgl. hierzu auch den Kommentar von H. HOMEYER, Lukian. Wie man Geschichte schreiben soll. Griechisch und Deutsch, hg., übers. u. erl. von dems., München 1965, 233 sowie u. S. 353 mit Anm. 7. 3 In der johanneischen Literatur findet sich das Nomen nur ein einziges Mal, in 1Joh 5,4: „Das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube“ (καὶ αὕτη ἐστὶν ἡ νίκη ἡ νικήσασα τὸν κόσμον, ἡ πίστις ἡμῶν). 4 B. SCHLIESSER, Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, ThSt.NF 3, Zürich 2011, 31.
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Rede vom Glauben aufruht, bietet es sich an, mit der Entstehung des Glaubens zu beginnen:
2. Der Missions- und Bekehrungsbezug der paulinischen Rede vom Glauben Als Textgrundlage können wir 1Thess 2,13 nehmen. Paulus schreibt: „Und darum danken auch wir Gott unablässig, dass ihr, als ihr von uns das Wort der Predigt von Gott empfangen habt, es angenommen habt nicht als Wort von Menschen, sondern – was es in Wirklichkeit auch ist – als Wort Gottes, das auch wirksam ist – in euch, den Glaubenden“ (ὅτι παραλαβόντες λόγον ἀκοῆς παρ᾽ ἡμῶν τοῦ θεοῦ ἐδέξασθε οὐ λόγον ἀνθρώπων ἀλλὰ καθώς ἐστιν ἀληθῶς λόγον θεοῦ, ὃς καὶ ἐνεργεῖται ἐν ὑμῖν τοῖς πιστεύουσιν).
Dieser Text enthält zwei Elemente, die für unsere Fragestellung von Bedeutung sind: 1. Das ist zum einen das determinierte und attributlose Partizip „die Glaubenden“ (οἱ πιστεύοντες). Paulus verwendet diesen Begriff als Bezeichnung für die Gruppe der sog. ‚Christen‘, für die er noch keinen eigenen Begriff hat.5 In der außerchristlichen Literatur der Antike ist diese Verwendung von οἱ πιστεύοντες als Gruppenbezeichnung völlig unbekannt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, dass οἱ πιστεύοντες kein GenitivAttribut hat. Die mit diesem Partizip bezeichnete Gruppe unterscheidet sich demnach von den anderen Menschen nicht dadurch, dass sie etwas anderes glaubt als jene, sondern dass sie die einzige Gruppe von Menschen ist, deren Eigenart oder eben deren Identität dadurch sich konstituiert, dass sie „glauben“. Und weil die Menschen, die der Gruppe der πιστεύοντες angehören, ihre Gemeinsamkeit und Unterscheidung von anderen darin finden, dass sie „glauben“, werden alle anderen, die das nicht tun, zu „Ungläubigen“ (ἄπιστοι; 1Kor 6,6; 10,27; 14,22–23; 2Kor 4,4; 6,14). Sie glauben also nicht lediglich etwas anderes, sondern sie glauben gar nicht. In dieselbe Richtung weisen auch andere Formulierungen, mit denen die Gesamtheit der Christen, für die es damals diesen Namen noch nicht gab, charakterisiert werden. Da ist Gal 6,10, wo Paulus von „Hausgenossen des Glaubens“ (οἰκεῖοι τῆς πίστεως) spricht. Hierbei handelt es sich um eine Metapher, die die Gemeinschaft der Christen als eine Familie bezeichnet, deren soziale Zusammengehörigkeit dadurch hergestellt wird, dass ihr alle angehören, die „glauben“. Oder in Gal 3,7.9: οἱ ἐκ πίστεως („die aus Glauben“). Auch diesen Ausdruck hat Paulus selbst geprägt (s. auch Röm 3,26; 5 Vgl. 1Kor 1,21; 14,22; 1Thess 1,7; 2,10.13; s. auch Röm 3,22; 4,11; Gal 3,22. Apg 2,44; 4,32; 18,27; 19,18; Eph 1,19 sowie Hebr 4,3; 1Petr 2,7.
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4,16). Es handelt sich dabei um eine Analogiebildung zu Formulierungen wie οἱ ἐκ νόμου („die aus dem Gesetz“; Röm 4,14.16; s. auch Gal 3,10) und οἱ ἐκ περιτομῆς („die aus der Beschneidung“; Röm 4,12; Gal 2,12; s. auch Kol 4,11; Tit 1,10; Apg 10,45; 11,2). Paulus markiert dadurch wiederum eine Abgrenzung: In allen Fällen geht es darum, dasjenige Merkmal namhaft zu machen, das die mit ihm Bezeichneten zu einer eigenständigen Gruppe macht und sie von anderen Gruppen und Individuen unterscheidet. Dieses semantische Profil, das Paulus den Begriffen πίστις und πιστεύειν gibt, ist gegenüber dem gesamten außerchristlichen Sprachgebrauch einzigartig. Es gibt keine andere menschliche Gruppe oder Gemeinschaft, von der man sagen könnte, dass sie durch Glauben zu einer Gruppe oder Gemeinschaft wird. Andere Sammelbegriffe für die Christen gibt es bei Paulus im Übrigen kaum: Zweimal haben wir „die des Christus“ (οἱ τοῦ Χριστοῦ; 1Kor 15,23; Gal 5,24) und einmal „die in Christus Jesus“ (οἱ ἐν Χριστῷ ’Ιησοῦ; Röm 8,1), und – auch das ist bemerkenswert: Kein einziges Mal nennt Paulus die Christen ‚die Getauften‘ (οἱ βαπτισθέντες). 2. Doch kehren wir noch einmal zu 1Thess 2,13 zurück, denn es fehlt noch das zweite Element, das für unser Thema von Bedeutung ist. Es steckt in der syntaktisch relativ kompliziert formulierten Beschreibung des Vorgangs der Annahme der paulinischen Verkündigung. Hier kommen die Wörter „Glaube“ oder „glauben“ zwar nicht vor, doch geht aus dem Text sehr präzise hervor, auf welche Weise nach paulinischem Verständnis die Menschen zum Glauben kommen bzw. wie „glauben“ geht: „Glauben“ heißt nach diesem Text nichts anderes, als die von Paulus vorgetragene Christusverkündigung als „Gottes Wort“ hören (1Thess 2,13): als eine Botschaft, die in Gottes Auftrag ausgerichtet wird und die davon spricht, dass das Heil Gottes durch Jesus Christus erschlossen wird. „Hören“ bezeichnet dabei nicht lediglich einen akustischen Vorgang, sondern eine Weise der qualifizierten inhaltlichen Deutung. Ohne sie gibt es auch sonst kein Hören, denn das, was wir in diesem Sinne hören, entsteht immer nur durch unsere Deutung. Zwischen dem Hören und dem Glauben gibt es also keine Distanz. Wir können uns das mit Hilfe einer einfachen Überlegung deutlich machen: Es ist unmöglich, das paulinische Evangelium von Jesus Christus erst als Gottes Wort zu hören und dann zu entscheiden, ob man ihm Glauben schenkt oder nicht. Vielmehr ist in dem Augenblick, in dem die paulinische Christusverkündigung als Gottes Heilsbotschaft gehört wird, der Glaube in die Existenz der Hörenden eingelassen. Dieser Zusammenhang von „verkündigen“, „hören“ und „glauben“ hat auch anderswo bei Paulus seine Spuren hinterlassen: In Röm 1,5 spricht er davon, dass sein Apostolat das Ziel hat, „Gehorsam des Glaubens (ὑπακοὴ πίστεως) unter allen Völkern“ hervorzurufen. In Gal 3,2.5 ist vom „Hören
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des Glaubens“ die Rede, und in Röm 10,17 kann Paulus kurz und bündig schreiben: „der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch das Wort von Christus“. Die komplementäre Entsprechung dazu ist Röm 10,8, wo Paulus seine Verkündigung als „Wort des Glaubens, das wir predigen“ (ῥῆμα τῆς πίστεως, ὃ κηρύσσομεν), bezeichnet. Wir können dieses Verständnis von „Glaube“ und „glauben“ noch zusätzlich profilieren, wenn wir es in das Licht von Phil 1,27 stellen, wo Paulus von der πίστις τοῦ εὐαγγελίου, vom „Evangelium-Glauben“, spricht: Für die Interpretation dieser Redeweise können wir davon ausgehen, dass Paulus den Begriff εὐαγγέλιον mit drei unterschiedlichen Attributen versehen kann: Er spricht vom „Evangelium Gottes“ (Röm 1,1; 15,16; 2Kor 11,7; 1Thess 2,2.8.9) genauso wie vom „Evangelium Christi“ (Röm 1,9; 15,19; 1Kor 9,12; 2Kor 2,12; 4,4; 9,13; 10,14; Gal 1,7; Phil 1,27a; 1Thess 3,2) und von „meinem Evangelium“ (Röm 2,16; 2Kor 4,3; 1Thess 1,5). Mit diesen drei Näherbestimmungen will Paulus natürlich nicht drei verschiedene Evangelien voneinander unterscheiden. In allen drei Fällen ist vielmehr stets ein und dasselbe eine Evangelium gemeint: Das von Paulus verkündigte Evangelium („mein Evangelium“) gewinnt seine Eigenart dadurch, dass es sowohl „Evangelium Christi“ als auch „Evangelium Gottes“ ist. Wenn Paulus von Christus spricht, spricht er von Gott, und umgekehrt. Die Attribute „Gott“ und „Christus“ verweisen aufeinander und legen sich gegenseitig aus. Das paulinische Evangelium ist immer nur insofern „Evangelium Christi“, als es davon spricht, dass Gott an Jesus Christus zum Heil aller Menschen gehandelt hat, und es ist immer nur insofern „Evangelium Gottes“, als es die Erschließung von Gottes Heil durch Jesus Christus verkündet. Es ist darum auch genau diese theologische Wechselbeziehung von Gott und Christus im paulinischen Evangelium, die das paulinische Glaubensverständnis bestimmt: Glaube bedeutet nichts anderes als die Zustimmung zum Anspruch des Evangeliums, dass es von Gott spricht, wenn es von Jesus spricht, und dass es nicht lediglich über das in Jesus Christus erschlossene Heil Gottes informiert, sondern dass es dieses Heil im Wort der Verkündigung vergegenwärtigt, so dass diejenigen, die auf dieses Wort mit Zustimmung reagieren – die ihm also „glauben“ –, Anteil an seinem Inhalt bekommen. Auf eine extrem verdichtete Inhaltsangabe gebracht ist der Glaube, der dem Evangelium entgegengebracht wird, nichts anderes als die Überzeugung, dass es Evangelium ist und dass es mit jener reziproken Behauptung Recht hat: dass Gott an Jesus Christus zum Heil aller Menschen gehandelt hat und dass das Heil Gottes durch Jesus Christus erschlossen wird. 3. Wir können nun diese beiden Elemente, die die Eigenart von 1Thess 2,13 ausmachen, miteinander verknüpfen und sagen: Das eine (nämlich
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dass Paulus seine Gemeinden als Gemeinschaft von „Glaubenden“ [πιστεύοντες] charakterisiert) und das andere (der Zusammenhang von „Evangelium“ und „Glaube“) haben eine gemeinsame Grundlage. Sie besteht darin, dass das paulinische Christentum eine Missions- und Bekehrungsreligion war. Die von Paulus gegründeten Gemeinden wie überhaupt alle christlichen Gemeinden der ersten Generation waren dadurch entstanden, dass es Menschen gab, die der eben formulierten Deutung des Jesusgeschehens zugestimmt bzw. ihr „Glauben“ geschenkt haben. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie in nichtchristlichen Familien aufgewachsen waren. ‚Bekehrung‘ ist dabei nicht so verstanden, dass sie Hinwendung zu einer bereits bestehenden πίστις wäre, sondern Bekehrung entsteht durch πίστις und Bekehrung ist πιστεύσαι: der Gewinn der Überzeugung, dass das, was Paulus in seinem „Evangelium“ über Gott und Jesus gesagt hat, wahr ist. 4. Am Ende dieses Abschnitts sollen zwei kurze Bemerkungen stehen, die sich auf Umgangsweisen mit dem Glaubens-Thema beziehen, wie sie für nicht wenige moderne Untersuchungen charakteristisch sind: a) Da ist zum einen die Unterscheidung zwischen einem sog. „religiösen“ und einem sog. „profanen“ Gebrauch von πίστις/πιστεύειν, die häufig zum Leitparadigma der Frage nach der Bedeutung des Glaubens im frühen Christentum gemacht wird.6 Als theologisch maßgeblich gilt dabei immer nur die angeblich „religiöse“ Verwendung. Diese Unterscheidung basiert jedoch auf einer ganz anachronistischen Sichtweise, die den Texten von außen übergestülpt wird. Sie führt darum auch in die Irre. Dass diese Unterscheidung gänzlich unbrauchbar ist, kann man sofort erkennen, wenn man Apg 15,7 und 1Kor 11,18 nebeneinanderstellt: In Apg 15,7 leitet der lukanische Petrus seine Rede auf der Apostelkonferenz mit den Worten ein: „Männer, Brüder, ihr wisst, dass Gott mich vor langer Zeit unter euch ausgewählt hat, dass die Völker durch meinen Mund das Wort des Evangeliums hören und glauben (ἀκοῦσαι τὰ ἔθνη τὸν λόγον τοῦ εὐαγγελίου καὶ πιστεῦσαι)“. In 1Kor 11,18 schreibt Paulus über die Missstände bei der Feier des Herrenmahls in Korinth: „Vor allem höre ich, dass es Spaltungen gibt, wenn ihr in einer Gemeindeversammlung zusammenkommt, und zum gewissen Teil glaube ich (das auch)“ (ἀκούω σχίσματα ἐν ὑμῖν ὑπάρχειν καὶ μέρος τι πιστεύω)“.
Beide Texte reflektieren ein und denselben Zusammenhang von „hören“ und „glauben“, auch wenn es einmal um das Evangelium geht und einmal 6 So z.B. bereits W. B OUSSET/H. GRESSMANN, Die Religion des Judentums, HNT 21, Tübingen 31926, 193; R. B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ., ThWNT 6 (1959), 174–182.197– 230, 179f. Vgl. auch die Debatte bei D. LÜHRMANN, Pistis im Judentum, ZNW 64 (1973), 19–38; DERS., Glaube, Bekenntnis, Erfahrung, in: W. Härle/R. Preul (Hg.), Glaube, MJTh 4 = MThSt 33, Marburg 1992, 13–36 und G. B ARTH, Pistis in hellenistischer Religiosität, ZNW 73 (1982), 110–126.
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um Gerüchte. In Plutarchs Essay über die Geschwätzigkeit finden wir so etwas wie eine Verallgemeinerung dieses Prinzips: Plutarch schreibt dort (mor. 503d) über die Schwätzer: οὐδὲ πίστιν ἔχουσιν ἧς πᾶς λόγος ἐφίεται.
Sie finden keinen Glauben, nach dem jede Rede trachtet.
τὸ γὰρ οἰκεῖον αὐτοῦ τέλος τοῦτ᾿ ἐστί,
Denn das ist das ihr eigentliches Ziel,
πίστιν ἐνεργάσασθαι τοῖς ἀκούουσιν.
Glauben bei den Zuhörern hervorzurufen.
ἀπιστοῦνται δ᾿ οἱ λάλοι, κἂν ἀληθεύωσιν.
Doch Schwätzern glaubt man nicht, auch wenn sie die Wahrheit sagen.
Mit Hilfe dieses Textes könnte man auch das Anliegen erläutern, das Paulus in 1Thess 2,13 verfolgt. Dass damit die Unterscheidung zwischen einem „religiösen“ und einem alltagssprachlichen Gebrauch von „glauben“ unerkennbar wird, ist offensichtlich. Wir können darum das bisher Gesagte zu einer These verdichten: Das paulinische Glaubensverständnis basiert nicht auf dem Inhalt oder dem Gegenstand des Glaubens, sondern auf einem durch und durch alltagssprachlichen und trivialen Verständnis von „glauben“, nämlich als zustimmendes Hören, das das Gehörte für wahr hält.7 Es liegt nahe, dies auch mit den Worten Ernst Bizers zu sagen: Die fides kommt auch im alltäglichen Sprachgebrauch ex auditu.8 b) Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die viel diskutierte Frage, wodurch denn der Glaube zustande kommt. Diese Frage stellt sich auf Grund des empirischen Sachverhalts, dass nicht alle Menschen auf das paulinische Evangelium mit Glauben reagieren, sondern manche – die meisten – ihm die Zustimmung versagen. Martin Luther hat diese Frage 7
Für diesen Zusammenhang gibt es eine Vielzahl weiterer Belege in der antiken griechischen Literatur; exemplarisch verwiesen sei auf drei Texte, die weit auseinander liegen: Aesopus, Fabulae 301: „Als der Wirt dies hörte und glaubte (ἀκούσας οὖν ταῦτα … καὶ πιστεύσας), erschrak er“; Xenophon, hell. 6,1,8: „Höre und glaube mir nichts (ἄκουε καὶ μηδὲν πίστευέ μοι), was dir nicht auf Grund von eigener Überlegung als wahr (ἀληθές) erscheint“; 1Makk 10,46: „Als Jonathan und das Volk diese Worte hörten, glaubten sie ihnen nicht (ἤκουσεν ... τοὺς λόγους τούτους οὐκ ἐπίστευσαν αὐτοῖς)“; vgl. darüber hinaus auch Ex 4,1.8.9.31. – Innerhalb der großen Untersuchung von T. SCHUMACHER über πίστις bei Paulus, bleibt dieser Zusammenhang in dem Abschnitt über den profangriechischen Sprachgebrauch gänzlich unbeachtet (Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις, BBB 168, Bonn 2012, 199–232). Demgegenüber findet dieser Verwendungszusammenhang bei T. MORGAN, Roman Faith and Christian Faith. Pistis and Fides in the Early Roman Empire and Early Churches, Oxford 2015, 65–74 („Tradition, Hearsay, Discourse, Reason, Rhetoric“) Berücksichtigung. 8 E. B IZER, Fides ex auditu. Eine Untersuchung über die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes durch Martin Luther, Neukirchen 1966.
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bekanntlich mit dem Verweis auf den heiligen Geist beantwortet und viele – auch viele Paulusinterpreten – sind ihm darin gefolgt.9 Paulus selbst hat über dieses Problem ausgesprochen differenziert nachgedacht. Er nimmt es aber ganz anders wahr als die meisten seiner modernen Interpreten, denn an der positiven Seite der Frage, also: wodurch kommt der Glaube zustande?, hat er offenbar kein Interesse. Das hat er ganz offensichtlich nicht für erklärungsbedürftig gehalten. Jedenfalls gibt es dazu bei ihm keine Erklärung. Für sehr viel irritierender hat er demgegenüber die umgekehrte Frage gehalten: Wodurch kommt der Unglaube zustande? Wie kann es sein, dass nicht nur viele, sondern die meisten Menschen auf das Hören des Evangeliums nicht mit Glauben, sondern mit Unglauben reagieren? Hierzu gibt es bei ihm an zwei Stellen Antworten, die – wenn man sie interpretatorisch ein wenig belastet – eine aufschlussreiche Differenzierung erkennen lassen, in Röm 11,7–8 und in 2Kor 4,3–4: Röm 11,7–8: „Was Israel anstrebt, das hat es nicht erreicht. Die Auswahl hat es aber erreicht. Die übrigen wurden vielmehr verstockt, (8) wie geschrieben steht: ‚Gott gab ihnen einen Geist der Betäubung, Augen, um nicht zu sehen, und Ohren, um nicht zu hören – bis auf den heutigen Tag‘ (ἔδωκεν αὐτοῖς ὁ θεὸς πνεῦμα κατανύξεως, ὀφθαλμοὺς τοῦ μὴ βλέπειν καὶ ὦτα τοῦ μὴ ἀκούειν, ἕως τῆς σήμερον ἡμέρας).“ 2Kor 4,3–4: „Wenn unser Evangelium aber verhüllt ist, ist es bei denen verhüllt, die ins Verderben gehen – (4) bei denen der Gott dieser Welt die Gedanken der Ungläubigen blind gemacht hat (ἐν οἷς ὁ θεὸς τοῦ αἰῶνος τούτου ἐτύφλωσεν τὰ νοήματα τῶν ἀπίστων), damit sie nicht erkennen den Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit Christi, der das Abbild Gottes ist“.
In Röm 11,8 geht es um den Unglauben Israels – für ihn macht Paulus unter Rückgriff auf Dtn 29,3 und Jes 29,10 das Verstockungshandeln Gottes verantwortlich. Demgegenüber thematisiert Paulus in 2Kor 4,3–4 den Unglauben der Völker und der wird nicht auf Gottes Verstockungshandeln, sondern auf das Wirken des „Gottes dieser Welt“, also des Teufels zurückgeführt. Nun stehen „Glaube“ und „glauben“ bei Paulus aber nicht nur für das „Christwerden“, sondern auch für das „Christsein“ – um eine Formulierung
9 Vgl. in diesem Sinne exemplarisch die Erklärung zum 3. Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus („... dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten“; nach BSLK 511,46–512,5) und O. HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: DERS., Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 2 1994, 148–174, 165–169.
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von Jürgen Becker aufzunehmen10. – Und damit sind wir beim dritten Abschnitt.
3. „Wir“ – „die Glaubenden“ (1Kor 1,18.21): Die Funktion des Glaubens als Ethos und seine Auswirkungen „Glaube“ und „glauben“ bezeichnen nicht nur den einmaligen Vorgang der Bekehrung, der durch die Zustimmung zur Verkündigung des Evangeliums zustande kommt, sondern auch das dauerhafte Festhalten an dieser Zustimmung. Paulus gebraucht beide Begriffe auch als Signatur einer dauerhaften Lebensorientierung. Seinen Ausdruck findet dieses Verständnis in Formulierungen wie „im Glauben stehen“ (1Kor 16,13), „im Glauben sein“ (2Kor 13,5) oder auch „im Glauben leben“ (Gal 2,20) – um nur eine kleine Auswahl von Beispielen zu nennen. Soziologisch gesehen wächst dem Glauben im paulinischen Christentum damit dieselbe Funktion zu, wie sie der Tora im hellenistischen Judentum zukam: Er stiftet einerseits nach innen soziale Kohäsion und grenzt andererseits die Gruppe als soziale Minderheit nach außen, d.h. von der Mehrheitsgesellschaft ab. Mit den Begriffen von J.D.G. Dunn gesagt: Der Glaube fungiert nach paulinischem Verständnis sowohl als „identity marker“ wie auch als „boundary marker“: Er ist das, was alle Christen miteinander verbindet, und er markiert gleichzeitig den Punkt, der sie von allen anderen Menschen unterscheidet.11 Dementsprechend nimmt der Glaube bei Paulus diese Funktion in zwei Richtungen wahr: 1. Der Glaube fungiert als Gleichmacher, der den Unterschied zwischen den Menschen beseitigt. Am deutlichsten und am häufigsten betont Paulus diese Bedeutung des Glaubens mit Bezug auf die Aufhebung des Unterschieds zwischen Juden und Heiden. Am intensivsten sagt er das vielleicht in Röm 3,28–30: (28) Denn wir sind gewiss, dass der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird – ohne Werke des Gesetzes. (29) Oder (ist Gott) allein der Gott der Juden? (Ist er) nicht auch (der Gott) der Heiden? Natürlich (ist er) auch (der Gott) der Heiden, (30) (ist) doch Gott einer, der die Beschneidung aus Glauben gerecht macht und die Unbeschnittenheit durch den Glauben.
Diesem Text können noch drei weitere Texte an die Seite gestellt werden: 10 J. BECKER, Paulus. Der Apostel der Völker, UTB 2014, Tübingen 31998, 440 (Hervorhebungen M.W.). 11 Vgl. J.D.G. DUNN, The New Perspective on Paul, in: DERS., Jesus, Paul and the Law, London 1990, 192.194 u.ö.
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Röm 1,16: Das Evangelium δύναμις γὰρ θεοῦ ἐστιν εἰς σωτηρίαν παντὶ τῷ πιστεύοντι, Ἰουδαίῳ τε πρῶτον καὶ Ἕλληνι („ist eine Kraft Gottes zum Heil für jeden, der glaubt: vor allem für den Juden, aber auch für den Heiden“). Röm 10,11–12: πᾶς ὁ πιστεύων ἐπ᾽ αὐτῷ οὐ καταισχυνθήσεται. οὐ γάρ ἐστιν διαστολὴ Ἰουδαίου τε καὶ Ἕλληνος („jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden, denn es gibt keinen Unterschied zwischen einem Juden und einem Griechen“). Gal 5,6: ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ οὔτε περιτομή τι ἰσχύει οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ πίστις δι᾽ ἀγάπης ἐνεργουμένη („in Christus gilt weder Beschneidung etwas noch Unbeschnittenheit, sondern der Glaube, der durch die Liebe Gestalt gewinnt“).
„Glauben“ kann jeder – egal, ob er nun als Jude nach der Tora lebt oder ob er das als Nichtjude nicht tut. Der Juden und Heiden gemeinsame Glaube kann sogar ertragen, dass der eine weiter more judaico lebt und der andere nicht. Er vermag auch diesen Unterschied zu integrieren. Dieser Stellenwert des Glaubens kann auch erklären, warum Paulus im Galaterbrief und im Römerbrief die Abgrenzung von der Tora so in den Vordergrund stellt: Paulus wertet die theologische Bedeutung der Toraerfüllung nicht darum ab, weil der Mensch die „Werke der Tora“ benutzt, um sich seine Gerechtigkeit vor Gott selber zu beschaffen, wie man es vor allem bei protestantischen Exegeten immer wieder lesen kann.12 Paulus nimmt vielmehr eine theologische Depotenzierung der Tora vor, weil sie und ihre Erfüllung den Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden markieren und weil sie damit hinter dem inklusiven Anspruch des Evangeliums, der allen Menschen gleichermaßen gilt und mit dem Gott nach der ganzen Welt greift, zurückbleiben. Es ist aber nicht nur der Unterschied zwischen Israel und den Völkern, den Paulus durch den Glauben aufgehoben sieht, sondern auch die Unterschiede zwischen allen anderen alltagsweltlichen Statuszuschreibungen wie die Unterschiede zwischen Sklaven und Freien oder zwischen Männern und Frauen (1Kor 7,22; Gal 3,28). – Ethisch am folgenreichsten tritt uns diese gleichmacherische Bedeutung des Glaubens im kleinen Philemonbrief entgegen, der in dieser Hinsicht dem Römerbrief ausgesprochen nahe steht: In diesem Brief ist es die κοινωνία τῆς πίστεως, die gemeinsame Teilhabe am Glauben, die den Herrn mit seinem Sklaven verbindet und die von ihm verlangt, in seinem eigenen Sklaven den „Bruder“ zu sehen und ihn entsprechend zu behandeln. Der Glaube verändert hier nicht den 12 Vgl. z.B. R. B ULTMANN, Christus des Gesetzes Ende, in: DERS., Glauben und Verstehen 2, Tübingen 51968, 32–58, 37–42; DERS., Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 61968, 261.262; E. KÄSEMANN, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 41980, 82.83; O. MICHEL, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 51978, 144; D.J. MOO, The Epistle to the Romans, NIC, Grand Rapids 1996, 208.209: „‚Works of the law‘ is one specific form of ‚works‘ generally“; und: „the problem with Jewish works is essentially the same as the problem with Gentile works“.
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Rechtsstatus des Sklaven, wohl aber seinen sozialen Status – und das nicht lediglich in der außeralltäglichen religiösen Sinnwelt (ἐν Χριστῷ also), sondern auch ἐν σαρκί, d.h. in der alltagskulturellen Sinnwelt des Hauses. In diesem Begründungszusammenhang des Philemonbriefes kann man darum so etwas wie das ethische Gegenstück der Rechtfertigungslehre sehen.13 2. Die zweite Richtung ist komplementär dazu. Sie war bereits vorhin in unseren Blick getreten: Der Glaube reißt nicht nur alte Grenzen ein, sondern er richtet auch neue Grenzen auf, nämlich die Grenzen zwischen den „Glaubenden“ (den οἱ πιστεύοντες) und den „Ungläubigen“ (den ἄπιστοι). Wie beides zusammenwirkt, wird in 1Kor 1,18–25 deutlich, wo Paulus seinen Lesern erklärt, wie die Einstellung zu seiner Verkündigung, die er hier als „Wort vom Kreuz“ kenntlich macht, sowohl Grenzen niederreißt als auch neue Grenzen aufrichtet: 1Kor 1,18–25: „Denn das Wort vom Kreuz ist für diejenigen, die ins Verderben gehen, eine Torheit, für diejenigen aber, die gerettet werden, eine Kraft Gottes (τοῖς μὲν ἀπολλυμένοις μωρία ἐστίν, τοῖς δὲ σῳζομένοις ἡμῖν δύναμις θεοῦ ἐστιν). … (21) Denn weil die Welt auf Grund der Weisheit Gottes durch die (d.h. ihre) Weisheit Gott nicht erkannt hat, hat es Gott gefallen, durch die Torheit der Verkündigung die Glaubenden zu retten (διὰ τῆς μωρίας τοῦ κηρύγματος σῶσαι τοὺς πιστεύοντας). (22) Denn die Juden fragen nach Zeichen, und die Griechen suchen Weisheit. (23) Wir aber verkündigen Christus als Gekreuzigten, für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit, (24) für sie aber, die Berufenen, Juden und Griechen, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit (αὐτοῖς δὲ τοῖς κλητοῖς, Ἰουδαίοις τε καὶ Ἕλλησιν, Χριστὸν θεοῦ δύναμιν καὶ θεοῦ σοφίαν).“
„Glaube“ ist hier genauso verstanden wie in 1Thess 2,13, nämlich als eine Weise des Hörens: Glaube heißt in diesen Versen: die paulinische Verkündigung als „Gottes Kraft“ oder „Gottes Weisheit“ zu hören. „Unglaube“ wäre dementsprechend, sie als „Torheit“ oder „Ärgernis“ wahrzunehmen oder – mit den Worten von 2Kor 4,4 gesagt –: „den Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit Christi nicht erkennen“. Dieser Unterschied zwischen Glaube und Unglaube konstituiert den Unterschied zwischen Gott und Welt. Von Bedeutung ist dabei nun, dass die Unterscheidung zwischen Juden und Heiden auf beiden Seiten vorkommt: Es gibt Juden und Heiden auf der Seite Gottes (V24) und es gibt sie auf der Seite der Welt (V22–23). Paulus etabliert damit ein neues Leitparadigma, mit dessen Hilfe er die gesamte Menschheit neu ordnet. Alte Unterscheidungen wie die zwischen Israel und den Völkern verlieren ihre theologische Bedeutung, denn sie 13
Vgl. hierzu M. W OLTER, The Letter to Philemon as Ethical Counterpart of Paul’s Doctrine of Justification, in: D.F. Tolmie (Hg.), Philemon in Perspective. Interpreting a Pauline Letter, BZNW 169, Berlin 2010, 169–179.
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treten hinter einer neuen Unterscheidung zwischen den Menschen zurück, die sich daran orientiert, wie man zu Jesus Christus steht. Wir können von hier aus noch einmal zum Galaterbrief zurückkehren und Gal 6,14–15 in den Blick nehmen: „Mir aber sei das Rühmen fern – allein des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus (will ich mich rühmen), durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt. (15) Denn weder gibt es Beschneidung noch Unbeschnittenheit, sondern neue Schöpfung (οὔτε γὰρ περιτομή τί ἐστιν οὔτε ἀκροβυστία ἀλλὰ καινὴ κτίσις).“
In diesem Text kommt zum Ausdruck, dass dem Glauben bei Paulus noch ein sehr viel weitergehender Stellenwert zukommt. Zunächst ist nicht zu übersehen, dass Gal 6,14–15 sich mit 1Kor 1,18–25 überschneidet: Wir haben hier wie dort das Gegenüber zur Welt, den Bezug auf das Kreuz, das die Trennung von der Welt konstituiert, und wir haben die Aufhebung des Unterschieds zwischen Juden und Heiden. Darüber hinaus ist auch die Nähe von Gal 6,15 zu Gal 5,614 offenkundig: Beide Texte sind parallel aufgebaut, und sie interpretieren sich damit gegenseitig. In beiden Fällen geht es darum, dass die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden aufgehoben ist. Nach 5,6 ist es der „Glaube“, der an die Stelle dieser Unterscheidung getreten ist; in 6,15 ist es eine „neue Schöpfung“. Eben dadurch kommt aber auch Gott ins Spiel, denn allein von ihm, dem Schöpfer der Welt, kann auch eine neue Schöpfung kommen. Die Wirklichkeit dieser neuen Schöpfung steht der Wirklichkeit der „Welt“ (6,14) gegenüber. Von entscheidender Bedeutung ist nun aber, dass durch 5,6 auf der Seite von „Glaube“ und „neuer Schöpfung“ auch noch „in Christus Jesus“ hinzukommt. Diese Formulierung bezeichnet hier diejenige Wirklichkeit, in der die Unterscheidung zwischen Beschneidung und Unbeschnittenheit aufgehoben ist, d.h. – mit den Worten von 6,15 gesagt – die Wirklichkeit der „neuen Schöpfung“. „In Christus Jesus“, „Glaube“ und „neue Schöpfung“ stehen dabei der Wirklichkeit der „Welt“ gegenüber. Sie wirken dabei so zusammen, dass man sagen kann: Das Wesen des Glaubens besteht nach paulinischem Verständnis in der Gewissheit, dass Gott durch sein Handeln an Jesus Christus eine neue Wirklichkeit geschaffen hat. In dieser Wirklichkeit konstituieren nicht mehr Beschneidung und Unbeschnittenheit die Identität eines Menschen (wie es in der Wirklichkeit der „Welt“ der Fall ist), sondern ob man diese Gewissheit teilt, also „glaubt“, oder ob man diese Gewissheit nicht teilt, also gewissermaßen „unglaubt“ (ἀπιστεῖν). Man kann es auch anders herum sagen: Das Wesen des Glaubens besteht darin, dass er die „in Christus“ bestehende Sinnwelt als „neue Schöpfung“ Gottes deutet. Die Gewissheit des Glaubens, dass Gott sein Heil in Jesus Christus offenbart hat, impliziert nach paulinischem Verständnis darum 14
S.o. S. 356.
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auch die Gewissheit, dass Gott damit eine neue Wirklichkeit geschaffen hat, die sich von der nach wie vor bestehenden Wirklichkeit der „Welt“ kategorial unterscheidet. Damit können wir nun auch den nächsten Abschnitt in Angriff nehmen.
4. Der Glaube als Wirklichkeitsgewissheit 1. Was das heißen soll, können wir verstehen, wenn wir noch einmal auf 1Thess 2,13 zurückgehen.15 Wir hatten gesehen, dass es zwei Möglichkeiten gibt, auf die paulinische Christus-Verkündigung zu reagieren: Man kann ihr glauben oder man kann ihr nicht glauben. ‚Nicht glauben‘ wäre: man hört das Wort als einen λόγος ἀνθρώπων bzw. – mit Plutarch, mor. 503d gesagt16 – man hält es für das Wort eines „Schwätzers“, dem man auch dann nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt. Demgegenüber ist ‚glauben‘: Man hält es für einen λόγος θεοῦ, und Paulus beeilt sich hinzuzufügen, dass es sich „in Wirklichkeit“ (ἀληθῶς) auch tatsächlich so verhält. Von der Wirklichkeitsgewissheit des Unglaubens (das wäre im vorliegenden Fall das Urteil: ‚was Paulus sagt, ist Menschenwort‘), unterscheidet sich die Wirklichkeitsgewissheit des Glaubens dadurch, dass sie den Anspruch für wahr hält, den das paulinische Evangelium erhebt: dass es von Gott spricht, wenn es von Jesus spricht und dass es die Heilswirklichkeit Gottes im Modus der Verkündigung unter den Menschen präsent werden lässt. Glaube ist darum in demselben trivialen Sinn, den wir zu Beginn skizziert haben, ein ganz elementares Für-wahr-Halten von Behauptungen. Auf dasselbe Gegenüber von ‚Mensch‘ und ‚Gott‘ wie in 1Thess 2,13 treffen wir auch in Gal 1,11–12: „Denn ich lasse euch wissen, Brüder: Das Evangelium, das von mir verkündigt wird, ist nicht von menschlicher Art (οὐκ ἔστιν κατὰ ἄνθρωπον). (12) Denn ich habe es nicht von einem Menschen empfangen noch gelehrt bekommen, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi (οὐδὲ γὰρ ἐγὼ παρὰ ἀνθρώπου παρέλαβον αὐτὸ οὔτε ἐδιδάχθην ἀλλὰ δι᾽ ἀποκαλύψεως Ἰησοῦ Χριστοῦ)“.
Nach diesen Worten ist das von Paulus verkündigte Evangelium nicht κατὰ ἄνθρωπον, weil er es nicht durch einen Menschen empfangen oder gelehrt bekommen hat, sondern durch eine „Offenbarung Jesu Christi“ (s. auch Gal 1,1). Beide Texte kann man ineinander lesen: Was dafür gesorgt hat, dass der λόγος ἀκοῆς, den Paulus unter den Völkern verkündigt, nicht
15 16
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λόγος ἀνθρώπων ist, sondern λόγος θεοῦ, ist nichts anderes als die „Offenbarung Jesu Christi“, die ihm Gott hat zuteil werden lassen. 2. Dieser Charakter des Glaubens kommt vor allen Dingen dort zum Ausdruck, wo es um die Auferstehung Jesu geht. Das geht aus 1Thess 4,14 (πιστεύομεν ὅτι Ἰησοῦς ἀπέθανεν καὶ ἀνέστη) deutlich hervor: Paulus spricht hier das an, was Christen von den „Übrigen, die keine Hoffnung haben“ (V13b), unterscheidet: Im Unterschied zu diesen glauben sie, „dass Jesus gestorben und auferstanden ist“ (V14a). Das „Wir“ will inklusiv verstanden werden; es schließt alle Christen zusammen. Paulus kann so formulieren, weil er davon ausgeht, dass die Leser des Briefes dem Inhalt des Satzes unbedingt zustimmen: Alle Christen können sagen – bzw. alle Christen müssen sagen können: „Wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist.“ Vom Gestorben-Sein Jesu spricht Paulus hier ohne jede soteriologische Deutung. ‚Jesus ist gestorben‘, könnte jeder sagen. Dafür braucht es keinen „Glauben“, denn es kann sich dabei höchstens um eine historische Behauptung handeln, der Nichtglaubende genauso zustimmen können wie Glaubende. Das unterscheidet die beiden also nicht voneinander. Das Bemerkenswerte an diesem Text ist vielmehr, dass der Glaube nach paulinischem Verständnis hier so etwas wie ein Urteil ist, das der Auferstehung Jesu genau dieselbe historische Dignität zuschreibt wie dem Tod Jesu bzw. die Auferstehung Jesu für genauso ‚real‘ hält wie seinen Tod. Einen christlichen Glauben bzw. ein christliches Wirklichkeitsverständnis, dem die Auferstehung Jesu nicht als Tatsache gewiss wäre, kann es nach paulinischem Verständnis darum nicht geben. 3. Wir können das paulinische Verständnis des Glaubens als einer Wirklichkeitsgewissheit aber noch ein Stück deutlicher profilieren, wenn wir uns auch die andere Seite anschauen. Jene Seite, die nicht glaubt und deren ‚Unglaube‘ darin zum Ausdruck kommt, dass sie sagt: ‚Was Paulus als Evangelium ausgibt, ist doch nur λόγος ἀνθρώπων, Menschenwort.‘ Wir schauen uns dafür einen Text an, in dem die Wörter „Glaube“ und „glauben“ zwar nicht vorkommen, der aber dieselbe antithetische Struktur aufweist, wie 1Thess 2,13, nämlich 2Kor 5,14–16: „(14) Denn die Liebe Christi umfängt uns, die (wir) zu diesem Urteil gelangt sind (κρίναντας τοῦτο, ὅτι): Einer ist für alle gestorben. Darum sind alle gestorben. (15) Und er ist für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. (16) Darum kennen wir ab jetzt keinen in fleischlicher Weise (ὥστε ἡμεῖς ἀπὸ τοῦ νῦν οὐδένα οἴδαμεν κατὰ σάρκα). Und wenn wir Christus in fleischlicher Weise verstanden haben, verstehen wir ihn doch jetzt nicht mehr (εἰ καὶ ἐγνώκαμεν κατὰ σάρκα Χριστόν, ἀλλὰ νῦν οὐκέτι γινώσκομεν).“
Das, was Paulus in anderen Texten „glauben“ nennt, und was er in 1Thess 2,13 „von uns das Wort der Predigt von Gott ... als Wort Gottes annehmen“ genannt hat, umschreibt er in 2Kor 5,14–16 mit den drei semantisch isotopen Verben κρίνειν (V14: „urteilen, zu dem Urteil
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gelangen“), εἰδέναι (V16: „kennen“) und γιγνώσκειν (V16: „verstehen“): An derselben Stelle, wo sonst vom Glauben die Rede ist, steht zunächst in V14b das aoristische Partizip κρίναντας; seine Bedeutung entspricht damit dem Aorist von πιστεύειν. Darüber hinaus wird das, was Paulus sonst πιστεύειν εἰς Χριστόν nennt, in V16b–c mit den Worten „Christus nicht mehr nach dem Fleisch verstehen“ umschrieben. „Zum Urteil gelangen“ (V14b) sowie „ab jetzt keinen in fleischlicher Weise kennen“ (V16a) bzw. „Christus nicht mehr nach dem Fleisch verstehen“ (V16b–c) sind darum semantisch isotop, denn Paulus nimmt in V16 die beiden Aspekte des in V14c–15c entfalteten Urteils auf: in V16b–c den christologischen Aspekt („einer ist für alle gestorben“; V14c.15a) und in V16a den anthropologischen Aspekt („darum sind alle gestorben“ sowie „damit die Lebenden nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist“; V14d.15b–c). Das ist aber nur die eine Seite, die Seite des Glaubens. Welches Wort Paulus für die andere Seite hat, die Seite des Unglaubens, geht aus dem Text ebenfalls hervor: Er sagt zu ihm V16 erst εἰδέναι κατὰ σάρκα und dann γιγνώσκειν κατὰ σάρκα. Zu verstehen, was Paulus mit diesen beiden Ausdrücken bezeichnen will, fällt nach dem bisher Gesagten nicht mehr schwer: „κατὰ σάρκα verstehen oder kennen“ bezeichnet hier nichts anderes als eine Wirklichkeitsannahme, die die Wirklichkeit Gottes darum nicht erfasst, weil sie nicht davon ausgeht, dass Gott durch Jesus Christus zum Heil der Menschen gehandelt hat und dass durch Jesus Christus das Heil Gottes erschlossen wird. Wenn wir 1Thess 2,13 von 2Kor 5,16 her interpretieren, kann man darum sagen: Die paulinische Christusverkündigung nicht für einen λόγος θεοῦ zu halten, sondern als „Menschenwort“ zu hören, wäre ein γιγνώσκειν oder εἰδέναι κατὰ σάρκα. Ihre Spuren hat diese Weise der Charakterisierung eines Wirklichkeitsverständnisses, das nicht vom Glauben bestimmt ist, bei Paulus in einer ganzen Reihe von Texten hinterlassen: Röm 9,3 über diejenigen Juden, die nicht an Christus glauben: „Ich wünschte, selbst verflucht zu sein von Christus weg anstelle meiner Brüder, meiner Verwandten nach dem Fleisch (κατὰ σάρκα)“ Röm 9,5: „die Israeliten ..., ἐξ ὧν ὁ Χριστὸς in fleischlicher Hinsicht (τὸ κατὰ σάρκα)“ 1Kor 1,26: „Seht auf eure Berufung, Brüder: nicht viele Weise in fleischlicher Hinsicht (κατὰ σάρκα), nicht viele Einflussreiche, nicht viele Wohlgeborene“ 1Kor 10,18: „Schaut euch das Israel nach dem Fleisch (τὸν Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα) an“ 2Kor 11,17–22: „Was ich sage, sage ich nicht dem Herrn gemäß (κατὰ κύριον), sondern wie in Torheit ... Weil viele sich in fleischlicher Weise (κατὰ σάρκα) rühmen, will auch ich mich rühmen. ... (22) Hebräer sind sie? Ich auch! Israeliten sind sie? Ich auch! Nachkommen Abrahams sind sie? Ich auch!“
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Es fällt nicht schwer, auch 1Kor 1,18–2517 in dieses semantische Gefüge einzulesen: Die „Weisheit der Welt“ kann nur – mit den Worten von 2Kor 5,16 gesagt – κατὰ σάρκα erkennen, und darum hält sie das Wort vom Kreuz für ein σκάνδαλον und eine μωρία. Demgegenüber erkennen οἱ πιστεύοντες im Sinne von 2Kor 5,16 nicht mehr κατὰ σάρκα, und darum nehmen sie das Wort vom Kreuz als δύναμις θεοῦ und als θεοῦ σοφία wahr. – Von hier aus können wir darum noch einen Schritt weiter gehen: 4. Zu dem, was Paulus κατὰ σάρκα nennt, um damit eine Wahrnehmung zu kennzeichnen, wie sie dem alltagsweltlichen Wirklichkeitsverständnis entspricht, gibt es eine Entsprechung auf der Glaubensseite. Sie heißt aber nicht κατὰ πίστιν, sondern διὰ πίστεως oder διὰ τῆς πίστεως. Wir begegnen diesem Ausdruck in derjenigen Gestalt, die uns hier interessiert, mehrfach und immer in gleicher Weise: Röm 3,25: Röm 3,22: Gal 3,26: Eph 3,17:
ὃν προέθετο ὁ θεὸς ἱλαστήριον (πεφανέρωται) δικαιοσύνη δὲ θεοῦ πάντες γὰρ υἱοὶ θεοῦ ἐστε κατοικῆσαι τὸν Χριστὸν
διὰ [τῆς] πίστεως διὰ πίστεως Ἰησοῦ Χριστοῦ διὰ τῆς πίστεως διὰ τῆς πίστεως
ἐν τῷ αὐτοῦ αἵματι εἰς πάντας τοὺς πιστεύοντας ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν
Dieselben drei Elemente gibt es in abweichender Reihenfolge auch in: Eph 3,11f: Kol 2,12:
Jesus Christus, ἐν ᾧ ἔχομεν τὴν παρρησίαν καὶ προσαγωγὴν die Taufe, ἐν ᾧ καὶ συνηγέρθητε
διὰ τῆς πίστεως αὐτοῦ διὰ τῆς πίστεως ...
Die vier erstgenannten Texte weisen mehrere Gemeinsamkeiten auf. Die wichtigste ist sicher, dass die jeweils am Ende stehende präpositionale Wendung syntaktisch nicht von der διὰ-πίστεως-Formulierung in der Mitte abhängig ist. Sie bezieht sich vielmehr über sie hinweg auf die am Anfang stehende Aussage. Diesem Sachverhalt tragen Eph 3,11f. und Kol 2,12 dadurch Rechnung, dass sie diesen Satzteil nach vorne ziehen. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie in den διὰ-πίστεως-Formulierungen das διά zu interpretieren ist. Meistens wird es instrumental aufgefasst: ‚durch das Mittel des Glaubens‘. Das ist sicher nicht falsch, doch wenn man sich z.B. Eph 3,17 anschaut, kann man nicht sagen, dass es damit getan ist: Natürlich hat Christus „durch den Glauben“ „in unseren Herzen Wohnung genommen“. Er bleibt da aber nur so lange, wie es den Glauben gibt. Wenn der Glaube schwindet, zieht auch Christus wieder aus. Auch passt eine instrumentale Interpretation nicht zu Röm 3,25, denn sie würde die διὰ-πίστεως-Formulierungen in Konkurrenz zu der instrumentalen Aussage am Ende stellen (ἐν τῷ αὐτοῦ αἵματι). Dasselbe gilt auch für 17
Vgl. die Wiedergabe des Textes o. S. 1357.
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Gal 3,26, wo die Wirkung der Taufe beschrieben wird. Denn dass die Getauften durch ihre Taufe zu Kindern Gottes werden, vermag allein der Glaube zu sagen, der – und jetzt bedienen wir uns bei Martin Luther – dem „Worte Gottes im Wasser traut“ und für den das Wasser nicht „schlicht Wasser“, sondern eine „Taufe“ ist. Es liegt darum näher, διὰ πίστεως in allen Fällen modal zu interpretieren. Das ist vor allem auch aus dem Grunde angezeigt, weil in allen Fällen die jeweils im ersten und dritten Satzteil formulierte Aussage nur so lange zutrifft, wie es den Glauben gibt. Wenn man diesen Weg geht, erschließt sich auch die Gemeinsamkeit aller Texte: Paulus will mit ihnen jeweils zum Ausdruck bringen, dass es die in den Rahmenaussagen festgestellte Wirklichkeit allein für die Wirklichkeitsgewissheit des (Christus-)Glaubens gibt. Und wie bei den κατὰ-σάρκα-Feststellungen die Abgrenzung von der Wirklichkeitsannahme des Glaubens implizit mitgesagt war, so gilt hier das Umgekehrte: In jeder Feststellung ist auch eine κατὰ-σάρκαWahrnehmung der behaupteten Glaubens-Wirklichkeit im Hintergrund präsent und wird implizit zurückgewiesen. Interessant und besonders plausibel zugleich ist das natürlich im Fall von Röm 3,25: Paulus weiß – mindestens aus seiner eigenen vorchristlichen Vergangenheit – dass man den Tod Jesu auch anders deuten kann. Dass Gott Jesu Tod zu einem ἱλαστήριον gemacht hat (Röm 3,25), kann darum allein der Glaube für wirklich halten, den Paulus in V22 zuvor πίστις ʼΙησοῦ Χριστοῦ genannt hatte.
5. Der Glaube als πίστις ʼΙησοῦ Χριστοῦ Wir hatten gesehen: „Glaube“ ist für Paulus immer in dem Sinne πίστις ʼΙησοῦ Χριστοῦ, dass sich sein Gegenstand in einem Satz zusammenfassen lässt, der ein und denselben Sachverhalt von zwei Seiten aus beschreibt: dass Gott durch Jesus Christus zum Heil der Menschen gehandelt hat und dass durch Jesus Christus das Heil Gottes für alle Menschen erschlossen wird. Diese Gewissheit – so können wir die paulinische Sicht der Dinge fortschreiben – ist die inhaltliche Substanz des Osterglaubens. Der besteht darin, dass Gott an Ostern die Selbstauslegung Jesu von Nazareth ins Recht gesetzt hat: dass Jesus nämlich authentischer Repräsentant Gottes ist, durch den Gott zum Heil der Menschen handelt und der das Heil Gottes für alle Menschen erschließt. „Glaube“ und „Christus“ können dabei so eng zusammenrücken, dass sie nahezu ununterscheidbar werden. „Durch Glauben“ und „durch Christus“ werden für Paulus nahezu gleichbedeutend: In Röm 5 kann man das gut erkennen: In V1 heißt es erst, dass wir „aus Glauben gerechtfertigt wurden“ (δικαιωθέντες ἐκ πίστεως) und weni-
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ge Verse später spricht Paulus davon, dass es Jesu „Blut“ war, d.h. sein Tod, wodurch wir „gerechtfertigt“ wurden. Es lohnt sich darum, dass wir uns dieses Ineinander von „Glaube“ und „Christus“ etwas genauer anschauen: 1. Zunächst erlaubt uns der bisher zurückgelegte Weg, dass wir zu der Debatte um die πίστις-Χριστοῦ-Frage, die z.T. mit großer Verbissenheit geführt wird18, in sehr bestimmter Weise Stellung nehmen können. Diese Debatte wurde durch eine zur Zeit vor allem unter nordamerikanischen Exegeten verbreitete Position angestoßen. Ihr zufolge sei der Ausdruck πίστις (’Ιησοῦ) Χριστοῦ (Röm 3,22a.26; Gal 2,16; 2,20; 3,22; Phil 3,9; s. auch Eph 3,12) kein Genitivus objectivus und er bezeichne darum auch nicht den Glauben „an Christus“ („faith in Christ“), sondern es handele sich um einen Genitivus subjectivus, und zu übersetzen sei: „die Treue Christi“ bzw. die „faithfulness“ oder „fidelity of Christ“. Diese Interpretation basiert jedoch auf einem relativ schlichten Denkfehler: Wenn die Vertreter der Genitivus-subjectivus-Hypothese Jesu Tod als „loving act of faithfulness (πίστις)“ des Sohnes gegenüber dem Vater verstehen19 und von „unserem Glauben“ sagen, dass er Jesu Treue „beantwortet und reflektiert“20, dann übersehen sie dabei etwas ganz Elementares: dass es nach paulinischem Verständnis immer nur der Glaube der Menschen sein kann, der Jesu Leiden und Sterben in dieser Weise wahrzunehmen vermag. Oder um es in ihrer eigenen Sprache zu sagen: Einzig und allein der „faith in Christ“ kann überhaupt sagen, dass es so etwas wie „faith of Christ“ gibt. Demgegenüber sprechen die Vertreter der Genitivussubjectivus-Hypothese von Jesu „faith(fulness)“ in einer Weise, als würde es sich um eine Wirklichkeit an sich und nicht um eine Wirklichkeitsannahme des Glaubens der glaubenden Menschen handeln. Nur der Glaube ‚an Christus‘ kann Jesu Leiden und Sterben als einen Akt des Gehorsams wahrnehmen, und hierin besteht darum auch sein Wesen als πίστις Χρισ18
Vgl. dafür vor allem die Beiträge in dem Sammelband M.F. Bird/P.M. Sprinkle (Hg.), The Faith of Jesus Christ. Exegetical, Biblical, and Theological Studies, Peabody 2009. Vgl. darüber hinaus vor allem R.B. HAYS, The Faith of Jesus Christ. The Narrative Substructure of Galatians 3:1–4:11, Grand Rapids 22002, 142–148; M.C. EASTER, The Pistis Christou Debate: Main Arguments and Responses in Summary, CBR 9 (2010), 33– 47; J.D.G. DUNN, Once more, πίστις Χριστοῦ, in: E.E. Johnson/D.M. Hay (Hg.), Pauline Theology. Volume 4. Looking Back, Pressing On, SBL.SS, Atlanta 1997, 61–81; K.F. ULRICHS, Christusglaube. Studien zum Syntagma πίστις Χριστοῦ und zum paulinischen Verständnis von Glaube und Rechtfertigung, WUNT 2/227, Tübingen 2007; SCHUMACHER , Entstehung (s. Anm. 7), 304–468. 19 HAYS, Faith (s. Anm. 18), 275. – Richtig ist aber, dass Paulus den Ausdruck πίστις ʼΙησοῦ Χριστοῦ auf eine „story“ bezieht (HAYS, ebd.). Es handelt sich um die Jesusgeschichte, die der Glaube als Handeln Gottes zum Heil der Menschen deutet. 20 HAYS, Faith (s. Anm. 18), 297 („our faith answers and reflects his“).
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τοῦ. So etwas wie eine ‚Treue Christi‘ außerhalb der Wirklichkeitsannahme des Glaubens der Christen kann es gar nicht geben. Der „Glaube an Christus“ geht der „Treue Christi“ theologisch immer voraus. Das geht gar nicht anders. Was heißt dann aber „Glaube an Christus“? Diese Formulierung ist ja auch nicht besonders klar. Man kann sie aber durchaus so stehen lassen, wenn man sich im Klaren darüber ist, dass „Christus“ hierbei für eine bestimmte Auslegung des Geschicks Jesu steht: als metonymische Umschreibung für das Christusgeschehen, von dem der Glaube glaubt, dass Gott in ihm zum Heil der Menschen gehandelt hat und dass durch es das Heil Gottes für alle Menschen erschlossen wird. Diese Nachbarschaft der paulinischen πίστις-Χριστοῦ-Formulierungen legt es darum nahe, sich von der Alternative Genitivus subjectivus oder Genitivus objectivus zu lösen und den Genitiv als Gen. qualitatis zu interpretieren, der ein noch nicht vorhandenes Adjektiv ‚christlich‘ vertritt. Übersetzen könnte man den Ausdruck πίστις Χριστοῦ darum durchaus mit „christlicher Glaube“. Vielleicht wird aber eine Wiedergabe durch „Christus-Glaube“ der paulinischen Verwendung von πίστις Χριστοῦ am ehesten gerecht.21 2. Die Heilswirklichkeit Gottes als Glaubenswirklichkeit. Wir können noch einmal zu 1Thess 2,13 zurückkehren: der λόγος ἀκοῆς παρ᾽ ἡμῶν τοῦ θεοῦ „ist“, wenn es als λόγος θεοῦ angenommen wird, „wirksam“ (ἐνεργεῖται), und zwar „in euch, den Glaubenden“ (ἐν ὑμῖν τοῖς πιστεύουσιν). Nichts anderes sagt Paulus in einem anderen Text, der sehr viel bekannter ist: in Röm 1,16.22 Wir können die Berührungspunkte ganz leicht erkennen: Was Paulus in 1Thess 2,13 λόγος ἀκοῆς ... ἡμῶν τοῦ θεοῦ nennt, ist in Röm 1,16 das „Evangelium“. Für das, zu was er in 1Thess 2,13 relativ umständlich δέχεσθαι ... καθώς ἐστιν ἀληθῶς λόγον θεοῦ sagt, hat er in Röm 1,16 nur ein einziges Wort: πιστεύειν. Und was Paulus in 1Thess 2,13 vom Wort Gottes gesagt hatte, dass es „wirksam ist in euch, den Glaubenden“ (ἐνεργεῖται ἐν ὑμῖν τοῖς πιστεύουσιν), entspricht dem, was er in Röm 1,16 vom Evangelium sagt: dass es eine „Kraft Gottes ist zum Heil für jeden, der glaubt“. Wenn wir beide Texte aufeinander beziehen und sie sich gegenseitig interpretieren lassen, können wir sagen: Eine „Kraft zum Heil“ ist das paulinische „Evangelium“ nach Röm 1,16 darum, weil es nach 1Thess 2,13 21 So bereits A. DEISSMANN, Paulus, Tübingen 21925, 127; O. SCHMITZ, Die ChristusGemeinschaft des Paulus im Lichte seines Genetivgebrauchs, NTF 1/2, Gütersloh 1924, 134; ULRICHS, Christusglaube (s. Anm. 18); s. auch A.J. HULTGREN, The Pistis Christou Formulation in Paul, NT 22 (1980), 248–263, 257 („Christic faith“); M. W OLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 22015, 76–78. 22 S.o. S. 356.
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λόγος θεοῦ, Gotteswort, ist, denn nur als solchem geht von ihm eine Wirkung aus, wird es – das Evangelium – zu einem verbum efficax. Als Wort Gottes informiert es nicht lediglich über eine externe Wirklichkeit, sondern es stellt sie her. Mit Jes 55,11 gesagt: Es kehrt nicht leer zurück. Das alles vermag das paulinische Evangelium natürlich nur, weil es nach Röm 1,3–4 „Evangelium Gottes ... über seinen Sohn ..., Jesus Christus, unseren Herrn“ ist. Nur als solches ist die paulinische Verkündigung überhaupt „Evangelium“. Seine Wirkung bleibt darum exklusiv an diesen Inhalt gebunden. Wenn Paulus nun in Röm 1,16 mit παντὶ τῷ πιστεύοντι diejenigen nennt, denen die Heilswirkung des Evangeliums zuteil wird, so handelt es sich dabei zunächst um einen Dativus commodi, der die Person bezeichnet, zu deren Vorteil etwas geschieht. Seinen Gegenstand übernimmt der Glaube dabei nach paulinischem Verständnis von der Eigenart des Evangeliums: Weil das Evangelium das in Jesus Christus erschlossene Heil Gottes im Wort der Verkündigung vergegenwärtigt, bekommen diejenigen, die ihm „glauben“, die es also als „Wort Gottes“ hören, Anteil an seinem Inhalt. Für die Menschen, die in dieser Weise auf das paulinische reagieren, wirkt es sich als eine „Macht Gottes zum Heil“ aus. Eben darum hat der Dativ παντὶ τῷ πιστεύοντι aber auch noch eine zweite Bedeutung. Er ist nicht nur ein Dativus commodi, sondern auch ein sog. „Dativ des Urteilenden“ (Dativus iudicantis23): „Jeder, der glaubt“, hält das Evangelium für eine „Macht Gottes zum Heil“. Eben hierin besteht sein Glaube, und eben dadurch wird es für ihn zu dieser „Macht zum Heil“. Beides darf darum nicht voneinander getrennt werden. Dieser Glaube geht zu keinem Zeitpunkt dem Evangelium voraus oder ist gar von ihm unabhängig. Er kann vielmehr immer nur Reaktion auf das Evangelium sein; er ist auf es angewiesen, um überhaupt entstehen zu können. Das Ineinander von „Glaube“ und „Christus“, das durch das „Evangelium“ vermittelt wird, macht es unmöglich, den Glauben darauf zu reduzieren, dass er zu Gottes Handeln lediglich hinzutritt oder dass er „das Heil ergreift“24. So etwas können nämlich immer nur die sagen, die bereits 23
Begriff nach E. SCHWYZER/A. DEBRUNNER, Griechische Grammatik 2, HAW 2/1/2, München 51988, 151; s. auch R. KÜHNER/B. GERTH, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache 2/2, Hannover 51976, § 423,18b (2/1, 421). Im Neuen Testament kann z.B. der Dativ ἡμῖν in 1Kor 8,6 als ein solcher ‚Dativ des Urteilenden‘ interpretiert werden (vgl. O. HOFIUS, „Einer ist Gott – Einer ist Herr“. Erwägungen zu Struktur und Aussage des Bekenntnisses 1Kor 8,6, in: DERS., Paulusstudien 2, WUNT 143, Tübingen 2002, 166–180, 173–176 mit weiteren Beispielen). BDR § 192 führt ihn als „Dativus ethicus“ und nennt weitere Beispiele; s. auch L. RADERMACHER, Neutestamentliche Grammatik, HNT 1, Tübingen 21925, 126. Bei H. V. SIEBENTHAL, Griechische Grammatik zum Neuen Testament. Neubearbeitung und Erweiterung der Grammatik Hoffmann/ von Siebenthal, Gießen/Basel 2011, § 176,3.d heißt er „Dativ des Standpunktes“. 24 HOFIUS, Paulusstudien (s. Anm. 9), 171.
Die Wirklichkeit des Glaubens
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glauben. Allein der Glaube kann einen bestimmten Vorgang als ein Handeln Gottes wahrnehmen und darum ist es allererst der Glaubende, der Jesu Tod im Sinne von Röm 3,25 als ἱλαστήριον deutet, für den Jesu Tod zu einem ἱλαστήριον wird. In diesem Sinne ist für Paulus die Gewissheit, dass im Tod Jesu überhaupt eine „rettende Wirklichkeit“ begründet liegt, „von der der Hörer des Evangeliums immer schon umfangen ist“25, ohne den Glauben schlechterdings unerschwinglich. 3. Und schließlich können wir die Interaktion von „Glaube“ und „Christus“ auch noch aus einer ganz anderen Perspektive betrachten und dabei auf einen weiteren Aspekt ihrer individuellen Eigenart aufmerksam werden. Es geht dabei erneut um die Heilswirkung des Todes Jesu: In der Weise, wie Paulus über ihn spricht, wird deutlich, dass es einen ganz elementaren Unterschied gibt zwischen der Heilsfolge, die Paulus ihm – dem Tod Jesu – zuschreibt, und den Heilstod-Vorstellungen in seiner Umwelt: Wenn in den antiken Kulturen von der Heilswirkung die Rede ist, die von dem Tod eines Menschen oder auch von einem Opfer ausgeht, so ist dabei klar, dass dieser Wirkung ohne jede Ausnahme immer nur eine „synchron(e)“ Erstreckung zukommt (hierauf hat auch schon Jürgen Becker aufmerksam gemacht26): Sie erstreckt sich immer nur auf diejenigen Menschen, die in derselben Gegenwart leben wie der Mensch, der für sie stirbt, oder in der das Opfer für sie dargebracht wird. Eine Ausdehnung der Heilswirkung eines menschlichen Todes oder eines Opfers in die Zukunft und auf Nachgeborene ist den Heilstod-Vorstellungen, die Paulus in seiner Umwelt vorfand, gänzlich fremd. Es ist evident, dass diese zeitliche Limitierung bei Paulus durchbrochen ist, denn in seiner Theologie erstreckt sich die Heilswirkung des Todes Jesu selbstverständlich auch auf die Menschen, die noch gar nicht gelebt haben, als Christus für sie gestorben ist. Wodurch diese Übertragung nach paulinischem Verständnis möglich wird – und das heißt ganz dezidiert: in exklusiver Weise möglich wird –, liegt auf der Hand: allein dadurch, dass die Deutung des Todes Jesu als Heilstod durch das Evangelium immer wieder neu vergegenwärtigt wird und dass es Menschen gibt, die dieses Evangelium als Wort Gottes hören und ihm glauben. Und weil es allein der Glaube ist, der den Zugang zum Auftreten und Geschick Jesu eröffnet, befinden wir uns heute immer noch in derselben hermeneutischen Situation wie Paulus.
25
HOFIUS, Paulusstudien (s. Anm. 9), 171. J. B ECKER, Die neutestamentliche Rede vom Sühnetod Jesu, ZThK.B 8. Die Heilsbedeutung des Kreuzes für Glaube und Hoffnung des Christen, Tübingen 1990, 29–49, 46 (Zitat). 26
Der Glaube des Einzelnen und der Glaube der Gemeinschaft im Ersten Korintherbrief JAKOB SPAETH
1. Vorbemerkung Forschungsgeschichtlich kann die Paulusauslegung der vergangenen Jahrzehnte auch als Wiederentdeckung der Gemeinschaft bei Paulus beschrieben werden. Dank der New Perspective on Paul wurde eine alte Einseitigkeit lutherisch geprägter Paulusauslegung überwunden, die Paulus ganz im Zeichen individueller Heilsfragen interpretierte.1 Dass Paulus in seinen Korrespondenzen nicht nur die Frage der individuellen Gerechtigkeit, sondern auch (oder sogar stärker noch) die Frage nach dem Heil für Heiden und Juden im Blick hatte, ist inzwischen vielfach dargestellt worden und fast wissenschaftlicher Konsens. Die Rechtfertigung aus Glauben ist nicht nur die Antwort auf eine individuelle Frage. Daran schließt auch Ben Dunson an, der die Beziehung zwischen Individuum und Gemeinschaft bei Paulus ausführlicher verhandelt.2 In der Untersuchung beschränkt sich Ben Dunson allerdings auf den Römerbrief, wodurch er die Verhältnisbestimmung von Individuum und Gemeinschaft ausgerechnet an dem Brief unternimmt, der sich nicht an eine Gemeinde richtet, die Paulus persönlich kennt. Das bedeutet, dass die Aussagen über die Gemeinschaft und das Individuum in einem anderen Gemeindekontext stehen als in den anderen Briefen. Im vorliegenden Aufsatz soll darum bewusst der Schwerpunkt auf dem Ersten Korintherbrief liegen, in dem Paulus angesichts der konkreten Situation der Gemeinde in Korinth das Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum und deren Glauben thematisiert. Dass wir, wenn wir von dem Einzelnen und der Gemeinschaft sprechen, aus heutiger Perspektive andere Vorstellungen von Individualität und Sozialität haben als dies in der Antike der Fall war, ist ebenfalls in den 1 Prominente Vertreter der sogenannten New Pespective on Paul sind vor allem Krister Stendhal, Ed Parish Sanders, James D.G. Dunn und Nicholas T. Wright. 2 B.C. DUNSON, Individual and Community in Paul’s Letter to the Romans, WUNT 2/332, Tübingen 2012.
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vergangenen Jahrzehnten ausführlich erarbeitet worden.3 Dennoch kann, bei aller Fremdheit und Andersartigkeit der antiken Vorstellungen von Identität und Individualität, festgestellt werden, dass Paulus den Einzelnen und die Gemeinschaft unterscheiden kann. Im vorliegenden Aufsatz sollen nun weniger die von der kulturanthropologischen oder historisch-psychologischen Exegese entwickelten Persönlichkeitsmodelle im Vordergrund stehen als vielmehr die von Paulus zur Sprache gebrachte Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Gemeinde. Der Glaube ist bei Paulus Ausgangspunkt seiner Theologie und seines Verständnisses von Gemeinschaft, weil der Glaube an Jesus Christus der Grund der Gemeinschaft ist. Der Glaube bringt die Einzelnen erst zusammen, die vorher durch ethnische und soziale Grenzen getrennt sind. Der Glaube des Einzelnen und der Glaube der Gemeinschaft sind also ein zentrales Thema der Theologie des Apostels. In einem ersten Teil (2.) sollen zunächst als Horizont allgemeine Überlegungen zum Glauben bei Paulus erörtert werden. Im zweiten Teil (3.) werden das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft und besonders der Glaube des Einzelnen und der Glaube der Gemeinschaft im Ersten Korintherbrief thematisiert. Dabei soll es zunächst um das Verhältnis von Glaube und Verkündigung (3.1.1) sowie das Verhältnis des verkündigenden Paulus zu den glaubenden Korinthern (3.1.2) gehen. Im Anschluss daran soll der paulinische Umgang mit der Pluralität und Einheit in der Gemeinde untersucht werden (3.2). Schließlich wird das paulinische Modell von Vorbild und Nachahmung thematisiert (3.3). Abschließend soll der Umgang von Paulus mit der Tradition (3.4) schlaglichtartig beleuchtet werden.
2. Glaube bei Paulus Glaube ist ein häufiger Begriff im Neuen Testament und besonders bei Paulus.4 „Die Häufigkeit des Gebrauchs von πιστεύειν und πίστις ist ein 3
Vgl. hierzu einerseits die kulturanthropologischen Arbeiten beispielsweise von Bruce Malina und Jerome Neyrey (B.J. MALINA, The New Testament World. Insights from Cultural Anthropology, Louisville 2001; B.J. MALINA/J.H. NEYREY, Portraits of Paul. An Archaeology of Ancient Personality, Louisville 1996) andererseits die historisch-psychologischen Ansätze von Gerd Theißen und anderen (z.B. G. T HEISSEN, Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, Gütersloh 2007 oder ders. [Hg.], Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums, Gütersloh 2007). 4 U. SCHNELLE, Paulus. Leben und Denken, Berlin 22014, 567, zählt 91 Mal πίστις und 42 Mal πιστεύειν.
Glaube im Ersten Korintherbrief
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Ausdruck dafür, welchen Rang der Glaube in Verkündigung und Leben der urchristlichen Gemeinde eingenommen hat.“5 Dabei ist es keineswegs ausgemacht, was der Begriff πίστις bezeichnet. Der Begriff ist in seiner prominenten Stellung neu. Die Verwendung im Alten Testament oder in der paganen Umwelt des Neuen Testaments kann höchstens Hinweise auf die Bedeutung im Neuen Testament bieten.6 Welche theologische Größe aber bezeichnet πίστις? In der neutestamentlichen Forschung wurde der Glaube bei Paulus unterschiedlich interpretiert. Prominent (und häufig dargestellt) ist Rudolf Bultmanns Interpretation, Glauben einerseits als kognitiven Akt des Verstehens zu deuten, andererseits aber als existentielles Ergreifen einer Möglichkeit, die seit dem Tod und der Auferstehung Jesu existiert: der Vergebung und der neuen „Lebensmöglichkeit“.7 Michael Wolter geht davon aus, dass Glaube bei Paulus ein bestimmtes Wirklichkeitsverständnis bezeichnet. Im Glauben erscheint die Wirklichkeit des Glaubenden in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit Gottes.8 Zwar kann der Glaube von Wolter auch als „Haltung“ und „identity marker“ bezeichnet werden, dennoch ist seine Definition des Glaubens zunächst kognitiv ausgerichtet. Der Glaube ist ein Für-Wahr-Halten eines bestimmten Verständnisses von Wirklichkeit.9 Inhalt ist das Evangelium von Jesus Christus.10 5 G. FRIEDRICH, Glaube und Verkündigung bei Paulus, in: F. Hahn/H. Klein (Hg.), Glaube im Neuen Testament (FS H. Binder), BThSt 7, Neukirchen-Vluyn 1982, 93–113, 94. 6 Allerdings können die Bedeutungen im Alten Testament und der antiken Umwelt einen Klangraum erschließen, in dem der Begriff dann im Neuen Testament verwendet wird. So weist auch die Übersetzung von ֱא מוּ ָנ הin der LXX auf einen Aspekt hin, was πίστις auch heißen könnte. 7 So R. B ULTMANN, Die Christologie des Neuen Testaments, in: DERS., Glauben und Verstehen. Erster Band, Tübingen 51964, 245–267, 259. Glaube an Christus ist bei Bultmann der Gehorsam und die Unterwerfung unter die Heilstat Christi, durch die dem Menschen eine Lebensmöglichkeit zukommt. Vgl. a.a.O., 260, besonders 262: „Durch die Hingabe ins Kreuz kommt der Mensch von sich selbst los, und eben das ist sein Heil“. 8 Vgl. M. W OLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 86f. 9 Vgl. WOLTER, Paulus (s. Anm. 8), 72.86f. Vgl. auch die Deutung der „Religion des Paulus“ bei Bultmann als „neues Sich-Verstehen und ein damit gegebenes neues Leben“ B ULTMANN, Christologie (s. Anm. 7), 258. 10 So stellt Michael Wolter fest: „Paulus spricht vom Glauben über weite Strecken genauso wie vom Evangelium.“ W OLTER, Paulus (s. Anm. 8), 74. Den christologischen Aspekt betont auch Benjamin Schliesser, der sowohl systematisch-theologisch als auch exegetisch der Frage nachgeht, was Glaube ist. Vgl. B. SCHLIESSER, Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, ThSt.N.F. 3, Zürich 2011. Für Schliesser liegt die Antwort im Zusammenspiel von anthropologischer und christologischer Perspektive. Glaube ist zum einen anthropologische Kategorie und damit verortet im Menschen, zum anderen christo-
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Anders akzentuiert Udo Schnelle den paulinischen Sprachgebrauch. Auch wenn er den kognitiven Aspekt nicht ausschließt, ist für ihn Glaube vor allem ein relationales Geschehen: Glaube ist Vertrauen und „Beziehungsereignis“11. Hier kommt dem Glaubensbegriff ein größeres Bedeutungsspektrum zu; er wird aber auch weniger präzise: „Bei Paulus wird besonders deutlich, dass der Glaube eine neue Lebensdeutung, eine Lebenshaltung und ein Beziehungsereignis ist … Der Glaube ist bei ihm eine Gewissheitserfahrung, ein starkes Grundvertrauen, das jeder Reflexion vorausgeht, zugleich aber das Denken, Fühlen und Handeln bestimmt und inhaltlich prägt. Im Glauben tritt der Mensch ein in Gottes Zuwendung zur Welt, der Glaube ist eine Neuqualifikation des Ich.“12 Ferdinand Hahn integriert den Aspekt der Begrenztheit in seine Interpretation des Glaubens bei Paulus. Im Anschluss an 2Kor 5,7 und 1Kor 13,12 bestimmt er den Glauben als „die Erfahrung der Heilsteilhabe, wie sie der irdischen Lebenszeit entspricht“13. So kann das Glauben dem Irdischen zugeordnet und dann in Kontrast zum eschatologischen „Schauen“ verstanden werden. Der Glaube gehört daher zum irdischen Leben und kann verstanden werden als Bindung an die „nicht sichtbare Wirklichkeit“14. M.E. weisen die geschilderten Deutungen auf verschiedene Aspekte hin, die eine Interpretation des Glaubens bei Paulus aufgreifen sollte: Glaube ist das Für-Wahr-Halten des Evangeliums.15 Inhalt des Glaubens ist das Evangelium von Jesus Christus, wie Paulus es verkündigt. Weil der Inhalt des Evangeliums aber Vertrauen hervorruft und das Leben unter die Herrschaft Christi ruft, gehören die Elemente des Vertrauens und der neuen Lebensrealität zum Glauben wesentlich dazu.16 Jeder Einzelne ist in seiner logisch bestimmt, weil der Glaube mit Jesus Christus in die Welt kam und in Christus Ursprung, Inhalt und Ziel hat. 11 SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 4), 568. Vgl. zur Sicht des Glaubens als Beziehungsgeschehen auch H.-J. ECKSTEIN, Das Wesen des christlichen Glaubens. Nachdenken über das Glaubensverständnis bei Paulus, in: DERS., Der aus Glauben Gerechte wird leben. Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments, Beiträge zum Verstehen der Bibel 5, Münster 2003, 3–18, bes. 13. Hans-Joachim Eckstein hält eine Bestimmung als FürWahr-Halten für unzureichend; ein adäquates Verständnis umfasst für ihn vielmehr den Gehorsam und das Vertrauen zu einer Person als Hauptmerkmale. 12 SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 4), 568. (Hervorhebungen Jakob Spaeth) 13 F. HAHN, Theologie des Neuen Testaments. Band 1. Die Vielfalt des Neuen Testaments. Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 22005, 271. 14 HAHN, Theologie (s. Anm. 13), 271. 15 So auch W OLTER, Paulus (s. Anm. 8), 72. 16 Vgl. H. CONZELMANN, Grundriss der Theologie des Neuen Testaments, Einführung in die evangelische Theologie 2, München 1967, 192 zu Bedeutung des Inhalts für den Vorgang des Glaubens: Der Glaube „kann nicht zunächst formal als eine Art Überzeugung bestimmt werden, die dann erst nachträglich inhaltlich aufgefüllt würde.“
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irdischen Existenz durch die Bezogenheit auf Christus geprägt. Dem entspricht eine neue Praxis. Die bisher genannten Positionen beschreiben Glauben zunächst als individuelle Größe. Der Glaube des Einzelnen und der Gemeinschaft werden dann sekundär zueinander in Beziehung gesetzt. Der Glaube der Gemeinschaft ist so verstanden eigentlich der Glaube von vielen Einzelnen. Ein anderer Zugang zum Begriff und Phänomen des Glaubens bei Paulus versteht den Glauben nicht als je individuelle Einstellung und erst dann als Charakteristikum der Gemeinde, sondern als überindividuelles Phänomen, innerhalb dessen dann der Einzelne verortet wird:17 Besonders pointiert ist hier Hermann Binders Auslegung.18 Binder versteht Glaube nicht als menschliche Tätigkeit, sondern als „eine unabhängig vom Menschen bestehende, ihm vor- und übergeordnete Realität.“19 Der Glaube bestehe ohne Berührung zum Menschen an sich.20 Alfred Seeberg verortet diese Realität in der Gemeinde: Paulus denke bei Glaube „nicht an eine Funktion des einzelnen Individuums …, sondern an den von letzterem unabhängigen, in der Gemeinde waltenden Tatbestand der Heilsannahme“21. Diese Interpretationen weisen darauf hin, dass Paulus den Glauben nicht nur als Phänomen des Individuums wahrgenommen haben dürfte. Zwar ist der Glaube bei Paulus zunächst eine individuelle Größe, aber sie ist eingebunden in den Glauben vieler.22 Als Glaube aller Christen ist der Glaube dann allerdings nicht konkret zu fassen, sondern eine nur abstrakte Größe. Das heißt, er sollte nicht als eigene Wesenheit verstanden werden. Die bisher genannten Bestimmungen des Glaubens als neues Wirklichkeitsverständnis, als Vertrauen auf Christus und als neue Lebensrealität des Individuums erfassen noch nicht die gesamte Bedeutung des Begriffs bei Paulus. Der Glaube lässt den Menschen auch an der Gemeinschaft der Glaubenden teilhaben. Einleuchtend ist darum Michael Wolters Feststellung, dass die „Besonderheit der paulinischen Rede vom Glauben … darin [besteht], dass der Glaube … nicht lediglich als ‚Haltung des Menschen‘ gilt, … sondern dass er als ein überindividuelles und gemeinschaftsstiften-
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Vgl. zum Folgenden besonders FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5). Vgl. FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 96 mit dem Verweis auf H. B INDER, Der Glaube bei Paulus, Berlin 1968. 19 FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 11f. 20 Vgl. FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 55. 21 A. SEEBERG, Der Katechismus der Urchristenheit, Leipzig 1903, 165 (Hervorhebungen im Original), mit Verweis auf Gal 3,23. Auch Ernst Lohmeyer schreibt: „[N]icht ich glaube, sondern es glaubt in mir.“ E. LOHMEYER, Grundlagen paulinischer Theologie, Tübingen 1929, 117f. 22 Vgl. HAHN, Theologie (s. Anm. 13), 273. 18
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des Kennzeichen einer Gruppe fungiert.“23 Der Glaube ist das äußerlich nicht sichtbare Kennzeichen der Gemeinschaft. Er stiftet die Gemeinschaft aber m.E. nur insoweit, als sie die Gemeinschaft der Glaubenden ist, die sich durch ihren Glauben auf Christus bezieht. Dieser sozialbezogene Aspekt des Glaubensbegriffs spielt im Ersten Korintherbrief eine wichtige Rolle, wenn Paulus die Gemeinschaft in Christus thematisiert. Wenn im Folgenden das Thema des Glaubens in den Mittelpunkt gerückt wird, so sollte nicht vergessen werden, dass Paulus von der Identität der Gemeinde auch anders sprechen kann. Er kann auch formulieren, dass die Identität der Gemeinde durch Christus oder den Geist geprägt ist. Auch der Taufe kommt eine konstitutive Rolle für die Begründung der Gemeinschaft zu. So heißt es in 1Kor 12,13: καὶ γὰρ ἐν ἑνὶ πνεύματι ἡμεῖς πάντες εἰς ἓν σῶμα ἐβαπτίσθημεν, εἴτε Ἰουδαῖοι εἴτε Ἕλληνες εἴτε δοῦλοι εἴτε ἐλεύθεροι, καὶ πάντες ἓν πνεῦμα ἐποτίσθημεν. Gemeinde sind diejenigen, die in einem Geist durch die Taufe ein Leib geworden sind (1Kor 12,13),24 den Paulus kurz „Christus“ nennen kann (1Kor 12,12).25 Während der Glaube das äußerlich nicht sichtbare Kennzeichen ist, ist die Taufe das sichtbare Kennzeichen der Gemeinde.26 Es stehen also unterschiedliche Merkmale nebeneinander: die Gemeindeglieder sind die Glaubenden, es sind die, die den Geist haben (vgl. vor allem 1Kor 2,12; 3,16; 6,17; 12,4.8. 11.13; 15,45), die, die in Christus sind (1Kor 1,2.4.30; 3,1; 4,10.15.17; 15,18f.22.31; 16,24), und sie sind die Getauften (1Kor 12,13).27 Paulus grenzt die unterschiedlichen Bezeichnungen nicht klar voneinander ab. Der Normalfall ist für Paulus, dass jedes der Merkmale auch das andere mit sich bringt, wobei der Glaube immer die Grundlage zu sein scheint, der Geist und das In-Christus-Sein folgen. Gemeinsam ist dem Glauben, dem Geist oder dem In-Christus-Sein jeweils der Bezug auf Christus. Dennoch: Die Rede vom Glauben an Christus ist als Grundlage der Gemeinschaft für Paulus fundamental. Der Einzelne ist Teil der Gemeinschaft, weil er glaubt. In ihrer durch den Glauben geprägten Identität gleichen sich die Gemeindeglieder untereinander und sie gleichen Paulus. Der Glaube begründet die Beziehung der einzelnen Glaubenden unter-einander; Juden und Griechen sind durch den Glauben verbunden.
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WOLTER, Paulus (s. Anm. 8), 83. Die Annahme von W. SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther. 1 Kor 11,17– 14,40, EKK 7/3, Zürich 1999, 207, 13b könnte Paulus traditionsgeschichtlich vorgegeben sein, leuchtet aufgrund der Parallel in Gal 3,28 unmittelbar ein. 25 Vgl. SCHRAGE, Brief (s. Anm. 24), 211. 26 Im Bekenntnis wird natürlich auch der Glaube „sicht- bzw. hörbar“ gemacht: Die Gemeinde, das sind nach Paulus die, die Christus anrufen (1Kor 1,2). 27 Vgl. HAHN, Theologie (s. Anm. 13), 271–273. 24
Glaube im Ersten Korintherbrief
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3. Der Erste Korintherbrief Auch wenn der Begriff πίστις im Ersten Korintherbrief nicht besonders häufig vorkommt,28 ist der Glaube offensichtlich ein grundlegendes Thema. Betrachtet man den Ersten Korintherbrief unter der besonderen Frage nach der Beziehung zwischen dem Glauben des Einzelnen und dem Glauben der Gemeinschaft, ergibt sich folgendes Bild: 3.1 Glaube und Verkündigung – der Verkündiger Paulus und die glaubenden Korinther 3.1.1 Glaube und Verkündigung Für Paulus grundlegend ist die Verbindung des Glaubens mit dem Hören der Verkündigung. Verschiedene Texte wie 1Kor 1,21; 2,4f.; 15,11; 15,14 (in anderen Briefen u.a. Röm 1,5; 10,17; Gal 1,23; 3,2.5) sind dafür Beispiele.29 Der Zusammenhang von Glaube und Predigt wird von Paulus im Ersten Korintherbrief immer wieder explizit gemacht. Ist in 1Kor 1,21 die Rede davon, dass Gott durch die „Torheit der Predigt die Glaubenden“ errettet, verweist 1Kor 2,4f. darauf, dass durch die Predigt in der Kraft Gottes auch der Glaube auf diesem sicheren Fundament stehe. Die Verbindung von Verkündigung und Glauben kann ganz konkret gefasst werden. Wie verkündigt wurde, so wird geglaubt, schreibt Paulus in 1Kor 15,11 (εἴτε οὖν ἐγὼ εἴτε ἐκεῖνοι, οὕτως κηρύσσομεν καὶ οὕτως ἐπιστεύσατεÅ).30 In 1Kor 15,11b bezieht sich οὕτως auf den Glaubens- und Predigtinhalt, was durch den Vorlauf in 1Kor 15,1–10 deutlich wird. Der Glaubensinhalt und der Inhalt der Verkündigung entsprechen einander. Der locus classicus findet sich allerdings nicht im Ersten Korintherbrief, sondern im Römerbrief in Röm 10,17: ἄρα ἡ πίστις ἐξ ἀκοῆς, ἡ δὲ ἀκοὴ
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Verb und Substantiv kommen zusammen gerade einmal in fünfzehn Versen vor. Dabei bezeichnet nicht jedes Vorkommen „Glauben“ im religiösen Sinn, Sonderfälle sind 1Kor 9,17; 11,18. Darüber hinaus muss innerhalb der verbleibenden Belege noch differenziert werden zwischen einem Glauben als Sondercharisma (vielleicht verbunden mit Wundertätigkeit) und dem Glauben an Jesus Christus: 1Kor 1,21; 2,5; 3,5; 12,9; 13,2.7.13; 14,22; 15,2.11.14.17; 16,13. 29 Vgl. diese Texte bei W OLTER, Paulus (s. Anm. 8), 72f. 30 Gerhard Friedrich deutet 1Kor 15,11 so, dass er eine quasi „Identität“ zwischen Verkündigung und Glauben feststellt. FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 103. Vgl. a.a.O., 103: „‚unsere Predigt‘ und ‚euer Glaube‘ sind deckungsgleich.“
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διὰ ῥήματος ΧριστοῦÅ Der Glaube entsteht aus der Predigt.31 Die Verkündigung bewirkt den Glauben. Inhaltlich sind die Verkündigung und der Glaube nach Gal 3,1–5 auf Jesus Christus bezogen. Die ἀκοὴ πίστεως, die Predigt des Glaubens, heißt, den Inhalt des Evangeliums, den Gekreuzigten zu predigen.32 Die Predigt vom Gekreuzigten bewirkt den Glauben an Christus. Paulus nimmt wahr, dass sein Bericht Glauben wirkt. Gerhard Friedrich bestimmt die Verkündigung als „nicht referierendes, sondern geschehendes, schaffendes Wort, das schenkt, was es anbietet.“33 Nüchterner lässt sich sagen, dass Paulus Verkündigung als wirkendes und schaffendes Wort erlebte.34 Wie aus der menschlichen Rede dann wirkendes Wort wird, führt Paulus allerdings nirgends aus. Aus christlicher Tradition ist es natürlich naheliegend, im Übergang von Hören zu Glauben das Wirken des Heiligen Geistes zu sehen.35 Ob es aber auch nach Paulus der Geist ist, der diesen Übergang bewirkt, ist umstritten. Schnelle verweist für diese Sicht auf Texte wie 1Kor 12,9a und Gal 5,22.36 Der Kontext, in dem diese Textstellen stehen, zeigt allerdings, dass nicht der Glaube gemeint ist, der allen Christen gegeben ist, sondern Glaube im Sinne einer speziellen Gabe, eines besonderen Charismas. Unterscheidet man also innerhalb des Begriffs πίστις und nimmt für 1Kor 12,9a und Gal 5,22 eine andere Verwendung an als bei anderen πίστις-Stellen, so kann man durchaus wie Michael Wolter zu dem Schluss kommen, dass der Glaube im Allgemeinen keine Gabe des Geistes ist. Auch Rudolf Bultmann versteht die πίστις nicht als vom Geist inspiriert. Vielmehr sei „das πνεῦμα die Gabe, die der Glaube empfängt“37. Diese Interpretation kann auch auf Textstellen wie Gal 3,2 verweisen: ἐξ ἔργων νόμου τὸ μνεῦμα ἐλάβετε ἢ ἐξ ἀκοῆς πίστεως; (Vgl. auch Gal 3,5.) Der Glaube ist nicht daran geknüpft, dass zuerst der Geist empfangen wurde, sondern umgekehrt ist der Empfang des Geistes der ἀκοὴ πίστεως zeitlich und sachlich nachgeordnet.
31 Vgl. FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 107: „Die Anrede Gottes durch beauftragte Boten versetzt den Menschen in die Lage, glauben zu können.“ 32 Vgl. FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 101. 33 FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 108. 34 Vgl. dazu auch FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 108: „Da die Botschaft nicht das Wort eines Menschen, sondern Gottes Wort ist (1Thess 2,13), ist sie ein wirkendes Wort, das den Menschen in seiner Totalität erfaßt“. 35 So auch die bekannte Formel aus CA V: „… spiritus sanctus, qui fidem efficit, ubi et quando visum est Deo“. 36 So auch SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 4), 569. 37 R. B ULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 51965, 331. Bultmann stellt ebd. fest, „daß Pls die πίστις nicht als inspiriert bezeichnet, sie nicht auf das πνεῦμα zurückführt.“
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Gegen eine solche Interpretation wird als gewichtiges Argument, dass der Geist den Glauben wirkt, 1Kor 12,3b angeführt: καὶ οὐδεὶς δύναται εἰπεῖν· Κύριος Ἰησοῦς, εἰ μὴ ἐν πνεύματι ἁγίῳ, eine Textstelle, die Schnelle als Hinweis versteht, dass der Geist den Glauben wirkt. Sicher ist, dass in 1Kor 12,3b das Bekenntnis zu Jesus Christus mit dem Geist Gottes verbunden ist. Dennoch empfiehlt es sich, Glaube und Bekennen zu unterscheiden. Der Glaube wird durch die Predigt gewirkt; der Geist wird im Glauben empfangen; das Bekennen geschieht im Geist. Wie der Glaube im einzelnen Menschen jedoch entsteht, hat Paulus nirgends thematisiert.38 Möchte man eine paulinische Vorstellung skizzieren, so ließe sie sich vielleicht wie folgt darstellen: die Verkündigung erfolgt als menschliche Rede in der Kraft und im Geist Gottes (vgl. 1Kor 2,4); der hörende Mensch erkennt die Evidenz der Verkündigung, das heißt, er glaubt.39 Der Glaube empfängt Christus und den Geist. Der Glaube und der Geist Christi gehen eine Liaison ein, die sich in der Gemeinde vielfältig zeigt.
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So auch W OLTER, Paulus (s. Anm. 8), 80. Wichtig ist die Beobachtung von T HEISVerhalten (s. Anm. 3), 233 und ausführlicher 236, dass durch den Glauben verschiedene Aspekte im Menschen angesprochen werden: sowohl kognitive als auch emotionale und volitive Aspekte. 39 Vgl. beispielsweise Lukian von Samosatas Verwendung von πιστεῦειν in den Lügenfreunden (Lukian, Lügenfreunde, 30 [Übersetzung nach Lukian, Lügenfreunde oder: Der Ungläubige, hg. v. M. Ebner, SAPERE 3, Darmstadt 2001]): „ich glaube nicht [an Geschichten über umherwandernde Gespenster, Seelen, Wunder etc. J.S.], weil ich im Unterschied zu allen anderen nicht sehe; wenn ich jedoch sehen würde, würde ich sicherlich glauben wie ihr.“ Gleiches gilt auch für die Vision des Paulus bei Damaskus. Paulus sieht den Auferstandenen, diese Evidenz führt dazu, dass er glaubt. Paulus traut der Verkündigung dieselbe Evidenz, die den Menschen überzeugt, zu. Wird diese anerkannt, so folgt daraus der Glaube. Leugnet man die Evidenz, (was Paulus dann als Folge von Verstockung oder Teufelswerk [vgl. z.B. 2Kor 4,3–4] interpretiert,) ist die Folge der Unglaube, erkennt man die Evidenz an, ist die Folge der Glaube. Wie Paulus das Verhältnis von menschlicher Aktivität und göttlicher Souveränität bestimmt, ist häufig thematisiert: vgl. z.B. HAHN, Theologie (s. Anm. 13), 270 („Wort und Antwort“ und den Glauben als „Sich-Hineinnehmen-Lassen“), SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 4), 577 („Wer zum Glauben kommt, verdankt dies dem von Gott ausgehenden Evangelium, das auf Zustimmung aus ist und machtvoll den Widerstand des Menschen überwindet.“), oder R. BULTMANN, Erziehung und christlicher Glaube, in: DERS., Glauben und Verstehen 4, Tübingen 1965, 52–55, 53: „Christlicher Glaube ist ein Akt des Willens, ein Entschluß, genauer gesagt: eine Entscheidung, nämlich die Antwort auf das Wort Gottes, die Annahme der Einladung Gottes … Dies ist gesprochen vom menschlichen Gesichtspunkt aus; vom Gesichtspunkt des Glaubens selbst aus ist der Glaube ein Geschenk Gottes.“ SEN,
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3.1.2 Der verkündigende Paulus und die glaubenden Korinther Die nicht immer unproblematische Beziehung zwischen Paulus und der Gemeinde steht unter dem Vorzeichen des gemeinsamen Glaubens. Im Proömium des Ersten Korintherbriefs dankt Paulus Gott für die Gnade, die den Korinthern gegeben ist in der Lehre und der Erkenntnis (1Kor 1,4f.). Auch wenn das Briefformular einen solchen Teil erwarten lässt, darf das Proömium doch als Hinweis auf die Grundlage der Beziehung zwischen den Glaubenden verstanden werden: die empfangene Gnade. Für die Gnade zeichnet aber auch Paulus selbst verantwortlich durch seine Verkündigung des Evangeliums in Korinth. Das liegt daran, dass Paulus das Zeugnis Christi bei den Korinthern verkündigte (1Kor 1,6). Das Zeugnis von Christus ist das, wovon die Identität der Korinther in den Augen des Paulus geprägt wird. Diese Annahme des Christuszeugnisses bezeichnet Paulus normalerweise als πίστις, auch wenn er hier nicht ausdrücklich von πίστις spricht. Als Glaubende haben die korinthischen Gemeindeglieder alle Gnadengaben empfangen (1Kor 1,7). Deutlich ist die christologische Akzentuierung erkennbar: Die Gnade Gottes wurde in Christus gegeben (V. 4); die Gnadengaben (V. 7), inklusive Lehre und Erkenntnis (V. 5), sind ebenso auf Christus bezogen. Dass sich Paulus und die Korinther auf Christus als gemeinsamen Grund beziehen können, wurde durch die Predigt (V. 6) von Paulus ermöglicht. Berufen sind die Glaubenden zur κοινωνία Jesu Christi (1Kor 1,9). Diese κοινωνία Jesu Christi soll auch einen gewissen Grundkonsens innerhalb der Gemeinde mit sich bringen. Der Reichtum in der Lehre und Erkenntnis ist nur dann echter Reichtum, wenn in diesem Reichtum Einheit herrscht. Der Beginn der Paraklese in 1Kor 1,10 betont diese Einmütigkeit (1Kor 1,10b: ἵνα τὸ αὐτὸ λέγητε πάντες καὶ μὴ ᾖ ἐν ὑμῖν σχίσματα, ἦτε δὲ κατηρτισμένοι ἐν τῷ αὐτῷ νοῒ καὶ ἐν τῇ αὐτῇ γνώμῃÅ) Für Paulus ist die Predigt in ihrem Verweis auf Jesus Christus sowohl in Bezug auf ihren Inhalt als auch in Bezug auf ihre Wirkung eindeutig: Durch die (Torheit der) Predigt werden diejenigen selig gemacht, die daran glauben (1Kor 1,21b). Der Glaube des Einzelnen ist also zunächst einmal derselbe Glaube wie der der Gemeinschaft. Insofern entspricht es der Gemeinde, eines Sinnes, einer Meinung zu sein (1Kor 1,10). Der Erste Korintherbrief reagiert aber darauf, dass es in der Gemeinde keine Einmütigkeit, sondern Spaltungen gab. Für Paulus handelt es sich bei Meinungs-Verschiedenheiten nicht um Adiaphora. Denn die Verschiedenheit widerspricht der „Herkunft“ des Glaubens: der „einheitlichen“ Predigt des Paulus, die den einen Christus zum Inhalt hat. Die „Herkunft“ des Glaubens droht nun allerdings unter den Bedingungen der korinthischen Gemeinde zur Schwierigkeit zu werden, denn auf die Predigt des Paulus folgten Predigten anderer Verkündiger. Verkündigen
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diese ein anderes Evangelium und wirken somit einen anderen Glauben? Paulus ist mit einem solchen Vorwurf im Ersten Korintherbrief zurückhaltender als im Galaterbrief (vgl. Gal 1,6–9). Dennoch bestimmt er seine Predigt in Abgrenzung zu den anderen Predigten als eine, die οὐκ ἐν πειθοῖÎςÐ σοφίας ÎλόγοιςÐ ἀλλ’ ἐν ἀποδείξει πνεύματος καὶ δυνάμεως geschah (1Kor 2,4). In der paulinischen Predigt wirken der Geist und die Kraft Gottes. Die Basis des Glaubens der Korinther ist somit die Kraft Gottes, die sich in seiner Predigt erwiesen hat.40 Damit unterstreicht Paulus einerseits die Bedeutung seiner Predigt, andererseits charakterisiert er seine Predigt aber nicht als nur seine eigene Rede, sondern der Art nach als „mehr“ als Menschenrede.41 So gewinnt er ein Argument gegen die Mehrstimmigkeit der Predigten und die daraus resultierende Mehrstimmigkeit des Glaubens der Gemeinde.42 Die Prediger sind zwar unverzichtbar, aber sie bestimmen den Inhalt der Predigt nicht selbst. Sie sind Diener Jesu Christi (1Kor 3,5). Das paulinische Evangelium rettet (1Kor 15,2). Am Inhalt des Evangeliums entscheidet sich das Heil. Ist umgekehrt dieser Inhalt an sich falsch – ist also Christus nicht auferweckt worden –, ist damit auch der Glaube inhaltslos (1Kor 15,14). Der Gegensatz von „Menschenweise“ und „Gotteskraft“ (vgl. 1Kor 2,5 σοφία ἀνθρώπων/δύναμις θεοῦ oder 3,3f. οὐκ ἄνθρωποί ἐστε;) beschäftigt Paulus auch bei der Auseinandersetzung mit verschiedenen Gruppierungen in Korinth, die sich an den unterschiedlichen διάκονοι Apollos und Paulus orientieren. Als Gottes συνεργός (1Kor 3,9) beschreibt Paulus seine Arbeit nach dem Maß der Gnade, die ihm gegeben ist (1Kor 3,10). Die Einzelnen sind nur συνεργοί Gottes, nicht mehr. Sich an den Einzelpersonen zu orientieren und damit die Gemeinschaft in Gruppen aufzuteilen, hieße, die Gotteskraft zu verkennen, die aus allen Glaubenden eine Gemeinde macht. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Verkündigern und der Gemeinde stehen also immer im Rahmen der Beziehungen zu Gott. So schreibt Paulus in 1Kor 3,5: Τί οὖν ἐστιν Ἀπολλῶς; τί δέ ἐστιν Παῦλος; διάκονοι δι’ ὧν ἐπιστεύσατε, καὶ ἑκάστῳ ὡς ὁ κύριος ἔδωκενÅ43 Dass der Herr aber jedem Mitarbeiter ein je eigenes Maß zugemessen hat (1Kor 3,5) und Paulus dabei Besonderes zugemessen ist, macht die 40 Vgl. dazu auch die Ausführungen in 1Kor 2,10–16, besonders Vers 13: ἃ καὶ λαλοῦμεν οὐκ ἐν διδακτοῖς ἀνθρωπίνης σοφίας λόγοις ἀλλ’ ἐν διδακτοῖς πνεύματος, πνευματικοῖς πνευματικὰ συγκρίνοντες. 41 Dasselbe Argument findet sich auch in Gal 1. 42 Im Blick auf die gegenwärtige Notwendigkeit des ökumenischen Dialogs sollte die Einlinigkeit und Absolutheit des paulinischen Anspruchs in die historischen Bedingungen eingeordnet werden. 43 „Was ist also Apollos? Und was ist Paulus? Diener, durch die ihr gläubig geworden seid, und zwar wie der Herr es jedem gegeben hat.“
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Sonderstellung von Paulus aus. Paulus hat nach 1Kor 4,15 die Gemeinde gezeugt (ἐγὼ ὑμᾶς ἐγέννησα) und zwar durch die Verkündigung, die zum Glauben führt. Durch den Glauben ist die Gemeinde entstanden. Nach 1Kor 9,1c ist die korinthische Gemeinde das „Werk“ des Paulus „in dem Herrn“ (τὸ ἔργον ἐν κυρίῳ). Auch wenn Paulus nach 1Kor 9,2 in den Augen anderer kein Apostel ist, so ist er es doch für die korinthische Gemeinde. Sie ist das Siegel des paulinischen Apostolats. Die Zeugung wird in 1Kor 4,15b von Paulus näher bestimmt: ἐν γὰρ Χριστῷ Ἰησοῦ διὰ τοῦ εὐαγγελίου ἐγὼ ὑμᾶς ἐγέννησα. Um die Formulierung ἐν Χριστῷ gibt es eine anhaltende Diskussion in der Forschung. Das ἐν Χριστῷ wird unter anderem lokal,44 „mystisch“,45 als Ausdruck der Zugehörigkeit46 oder als metaphorische Sinnwelts- oder Identitätsbezeichnung47 gedeutet. Auch wenn ich auf die Diskussion hier nicht eingehen kann, ist zunächst davon auszugehen, dass Paulus und seine Zeitgenossen persönlichkeitspsychologisch die Realität anders erlebt haben als wir das heute tun.48 Ob nun die Deutung stärker den Ausdruck einer uns fremden Erfahrung oder die Bildhaftigkeit der Sprache betont, deutlich wird jedenfalls, dass das ἐν Χριστῷ in 1Kor 4,15 als Bezogenheit der Gemeinde auf Christus, als Christuszugehörigkeit und als Zugehörigkeit zum Leib Christi zu interpretieren ist. Die zweite Näherbestimmung ist aussagekräftiger: διὰ τοῦ εὐαγγελίου. Die Zeugung der Gemeinde geschieht durch das Evangelium. Insofern es Charakteristikum des Glaubens ist, dass er das Evangelium zum Inhalt hat, ist die Predigt des Evangeliums der Akt der Zeugung. Da es nur ein Evangelium gibt, wirkt das Evangelium auch nur einen Glauben, der als solcher auch eine Gemeinschaft definiert. Es gibt keine Anzeichen, dass Paulus bei der jeweils individuellen Rezeption des Evangeliums Formen von Varianz annimmt. Für Paulus ist der Glaube der Gemeinschaft nicht als polyphones Phänomen zu begreifen, sondern „einstimmig“. Das könnte vor allem damit zusammenhängen, dass ein paulinisches Hauptanliegen die Konsolidierung der Gemeinde ist. Am Beispiel von Timotheus in 1Kor 4,17, der von Paulus (sicherlich auch als Spitze gegen die Korinther) mit ὅς ἐστίν μου τέκνον ἀγαπητὸν καὶ πιστὸν ἐν κυρίῳ bezeichnet wird, zeigt Paulus, dass die Beziehung zwischen Verkündiger und Hörenden grundsätzlich mit dem Bild der Zeugung 44
Vgl. z.B. SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 4), 519. Vgl. z.B. A. DEISSMANN, Die neutestamentliche Formel „in Christo Jesu“, Marburg 1892 oder A. SCHWEITZER, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930. 46 So B ULTMANN, Christologie (s. Anm. 7), 257. 47 So W OLTER, Paulus (s. Anm. 8), 238f. und 241. 48 So zwar unterschiedlich, aber der Sache nach ähnlich K. BERGER, Historische Psychologie des Neuen Testaments, SBS 146/147, Stuttgart 1991 und T HEISSEN, Verhalten (s. Anm. 3). 45
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und der Kindschaft umschrieben werden kann. Die Verkündigung als Voraussetzung des Glaubens bindet die Hörerinnen und Hörer auch an den Verkündiger. In dieser Hinsicht ist Paulus deutlich, weil zumindest einige Korinther diesen Zusammenhang negieren wollen. Die Verknüpfung von Verkündigung und Glaube durch das Amt der Verkündigung ist auch in anderen Briefen von Bedeutung und grundlegend für die paulinische Theologie.49 Interessant ist, dass Paulus selbst nicht durch die Predigt zum Glauben an Christus kam, sondern durch die Vision des sich offenbarenden Christus.50 Dieser Erfahrung von Paulus entspricht, dass er Glaube immer wieder als Entscheidung Gottes darstellt.51 Die persönliche Erfahrung von Paulus, dass der Glaube auf Gottes Wirken zurückzuführen ist, wird auf die menschliche Verkündigung übertragen. Gott wirkt, indem er eine einzelne Person sendet, um zu predigen. Allerdings ist nach Paulus, wie 1Kor 2,4 (καὶ ὁ λόγος μου καὶ τὸ κήρυγμά μου … ἐν ἀποδείξει πνεύματος καὶ δυνάμεως) zeigt, Gottes Wirken nicht allein auf die Sendung der Verkündiger beschränkt. Auf die Frage, wer als Verkündiger berufen ist, gibt Paulus m.E. keine explizite Antwort. Nur die Apostel oder alle Glaubenden? Dass Glauben zum Bekennen führt,52 schreibt Paulus in Röm 10,9f.53 Aber wie steht es mit der Verkündigung? Ist sie dem Bekennen gleichzusetzen? Der unmittelbare Kontext von Röm 10,9 thematisiert, dass der Glaube aus dem Hören kommt (so Röm 10,14). Ist also das Reden, Bekennen und Verkün49
Das sieht FRIEDRICH, Glaube (s. Anm. 5), 100, nicht ausreichend klar, der nur Verkündigung und Glauben bzw. eigentlich Evangelium und Glaube miteinander verbindet, ohne das Bindeglied des Apostolats und der Sendung in den Blick zu nehmen. Paulus ist gemäß der Selbstvorstellung in Röm 1,5 als Apostel der Prediger des Evangeliums – als Apostel richtet er den Gehorsam des Glaubens unter den Heiden auf. 50 Vgl. 1Kor 15,8 („zuletzt von allen ist er auch von mir … gesehen worden“); oder auch Gal 1,15f. 51 Vgl. FRIEDRICH , Glaube (s. Anm. 5), 109: „In der Macht Gottes, die durch die Verkündigung seiner Boten von ihm ausgeht, hat der Glaube seinen Ursprung.“ 52 Zur Rolle des Geistes s.o. zu 1Kor 12,3: 3.1.1. 53 Vgl. SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 4), 573. In Röm 10,9f. ordnet Paulus den Begriffen Glaube und Bekennen die Begriffe Gerechtigkeit und Rettung zu. Das Bekennen ist ein Strukturmoment des Glaubens. Wie der Glaube aus dem Hören der Predigt kommt (Röm 10,14), muss das Hören wieder zum Reden führen. M.E. bleibt aber nach Röm 10,15 unklar, ob alle Glaubenden in diesem Sinn Gesandte und somit Verkündiger sind. Die Formulierung in Röm 10,10b („Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Mund bekennt, so wird man gerettet.“) bezieht sich zwar auf alle Glaubenden, es geht aber in diesem Zusammenhang nicht um die Verkündigung, sondern um das persönliche Bekenntnis. Vgl. O. HOFIUS, Art. ὁμολογέω/ὁμολογία, EWNT 2 (1981), 1255–1263, 1257 und W. KIRCHSCHLÄGER, Art. ἐπικαλέναι, EWNT 2 (1981), 72–74.
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digen eigentlich dasselbe, besonders in seiner Wirkung auf die Hörenden? Der Vergleich mit 2Kor 4,13 („Wir glauben, darum reden wir.“ Ἔχοντες δὲ τὸ αὐτὸ πνεῦμα τῆς πίστεως κατὰ τὸ γεγραμμένον· ἐπίστευσα, διὸ ἐλάλησα, καὶ ἡμεῖς πιστεύομεν, διὸ καὶ λαλοῦμεν) hilft nicht weiter, weil Paulus in 2Kor 4 über sich als Apostel schreibt. Die erste Person Plural ist hier als Plural maiestatis zu interpretieren. Einiges deutet darauf hin, dass Paulus in Röm 10 allen Gemeindegliedern die Aufgabe des Bekennens und Verkündigens zuschreibt, während er in anderen Gemeinden diese Aufgabe eher auf wenige, besonders Gesandte einschränkt. Möglicherweise lässt sich das mit der besonderen Gemeindeund Kommunikationssituation erklären: Paulus kennt in Rom die Gemeindegründer und „Gesandten“ nicht – und weitet darum den Kreis derer aus, die vom Glauben sprechen sollen. In den eigenen Gemeinden belässt es Paulus bei einem kleineren Kreis von Verkündigern. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Glaube von Paulus drückt sich in seiner Verkündigung aus. Er ist als apostolischer Glaube eines Einzelnen prägend für den Glauben der Gemeinde. Die Predigt des Paulus ist eindeutig und soll darum auch zur Einheit in Christus anleiten und sich in einem Sinn äußern (1Kor 1,10). Die Identität der Gemeinde wird durch den Glauben als identity marker bestimmt. Die Tatsache, dass unterschiedliche Personen verkündigen, bedeutet für Paulus nicht, dass dadurch Mehrstimmigkeit entstehen könnte, denn durch die Predigt, die den Glauben wirkt, wirkt der eine Geist und die eine Kraft Gottes. Obwohl Paulus in diesem Sinne auch die Predigt anderer anerkennen kann, versteht Paulus seine Predigt dennoch als maßgeblich. 3.2 Pluralität und Einheit im Glauben 3.2.1 Erkenntnis, Liebe und die Gemeinschaft im Glauben Soviel ist klar geworden: Auf der Basis des gemeinsamen Glaubens leben die Gemeindeglieder miteinander. Das gemeinsame Leben der Gemeinde als soziale Dimension des Glaubens wird aber auch durch weitere Größen bestimmt: durch die Erkenntnis, durch die Liebe und durch unterschiedliche Gaben. Damit stellt sich aber die Frage: Wie verhalten sich Erkenntnis und Liebe als Charakteristika der Glaubenden zum Glauben selbst? Wie prägt dieses Verhältnis die Gemeinschaft und den Einzelnen? In 1Kor 12,9 zeigt Paulus, dass derselbe Geist unterschiedliche Begabungen zuteilt. Die Begabungen dienen der Gemeinde oder der Mission, wie 1Kor 14,22 zeigt. Unter allen Größen, die das Leben der Gemeinde prägen, wird der Liebe eine Sonderrolle zugeschrieben (1Kor 13,2; 1Kor 13,7 oder 1Kor 13,13).
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Wie Erkenntnis und Liebe das Leben des Einzelnen und der Gemeinde prägen, beschreibt Paulus in 1Kor 8–11,1.54 Der Einzelne wird in seiner sozialen Verbundenheit in der Gemeinde dargestellt. Sein Glaube ist ein Glauben mit anderen Christen, sein Handeln ist ein Handeln vor anderen Christen. Das Verhältnis von Erkenntnis und Glaube Anhand der Fragestellung, wie in der korinthischen Gemeinde mit Götzenopfer umzugehen ist, zeigt sich exemplarisch, wie sich Paulus das Verhältnis von Erkenntnis, Liebe und Glaube vorstellt. Zunächst steht die Beziehung von Erkenntnis und Glaube im Vordergrund. In Bezug auf den Umgang mit dem Götzenopfer geht Paulus nämlich von einer grundsätzlichen Gemeinsamkeit aller Glaubenden aus – der gemeinsamen Erkenntnis (1Kor 8,1). Sie beruht auf dem gemeinsamen Glauben an den einen Gott, der Göttern (und Götteropfern) keine Bedeutung mehr beimisst. Diese Erkenntnis im Glauben wird aber sofort einer grundsätzlichen Kritik unterzogen: Erkenntnis macht aufgeblasen, weil sie Unterschiede und Hierarchien setzt. Sie trennt also den Einzelnen von den anderen (1Kor 8,2; vgl. 1Kor 13,4). Damit widerspricht sie der im Glauben gesetzten gemeinschaftlichen Identität. Paulus relativiert die Bedeutung der Erkenntnis, indem er das Erkanntwerden durch Gott höher wertet als das Erkennen des Glaubenden selbst (1Kor 8,3b).55 Diese Pointe unterstützt Paulus sprachlich durch die Parallelisierung von εἴ τις in Vers 2 und 3. Noch stärker wird die Gabe der Erkenntnis dadurch relativiert, dass als Voraussetzung für das Erkanntwerden des Glaubenden nicht die Gotteserkenntnis, sondern die Liebe zu Gott genannt ist. Das Erkanntwerden durch Gott wird daran gekoppelt, dass der Einzelne Gott liebt (1Kor 8,3). Die Erkenntnis hat in der Ökonomie des Glaubens aber trotzdem ihren Ort und wird in würdigender Perspektive in 1Kor 2,6–16 thematisiert. Nach 1Kor 2,12 haben die Christen den Geist aus Gott empfangen und können darum wissen, was ihnen von Gott geschenkt ist (ἵνα εἰδῶμεν τὰ ὑπὸ τοῦ θεοῦ χαρισθέντα ἡμῖν). Dieses Wissen beruht auf Erkenntnis, für die Paulus in 1Kor 2,16 die Bezeichnung νοῦς Christi verwendet. Christof Strüder stellt einen Zusammenhang her zwischen besonderem Glaubenswissen und Geistbesitz. „So ist schließlich der νοῦς als dasjenige Instrumentarium wahrzunehmen, mit dessen Hilfe der Mensch unter Beweis
54
Vgl. dazu auch V. GÄCKLE, Die Starken und die Schwachen in Korinth und Rom. Zu Herkunft und Funktion der Antithese in 1Kor 8,1–11,1 und in Röm 14,1–15,13, WUNT 2/200, Tübingen 2004. 55 Vgl. Gal 4,9, wo Paulus ebenfalls mit der Umkehrung der Subjekte spielt: γνόντες θεόν, μᾶλλον δὲ γνωσθέντες ὑπὸ θεοῦ.
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stellen kann, dass er den göttlichen Geist tatsächlich angenommen hat.“56 Auch wenn der Ausdruck „unter Beweis stellen“ irritiert und bei Paulus wohl auch wenig angebracht ist, so ist der Hinweis dennoch richtig, dass Erkenntnis bei Paulus zum Glauben dazu gehört. Wer glaubt, erkennt und weiß auch. Die Geistgabe der Erkenntnis bezieht sich nach Strüder besonders auf das Leben der Gemeinde.57 Damit ordnet er den Begriff in die paulinische Grundbemühung um die Gemeinde ein. Der νοῦς Christi ist nach Strüder eine Folge der Geistbegabung, eine Bezeichnung der „Urteilsfähigkeit“ und hat darin auch eine ethische Relevanz.58 Wem kommt diese besondere Urteilsfähigkeit zu? Zunächst einmal Paulus selbst, insofern er die korinthische Gemeinde beurteilt. Er selbst ist im Besitz des Geistes, der Erkenntnis, des νοῦς Christi. Aber auch die anderen Glaubenden haben den Geist. Im Geist sollten sie die Erkenntnis haben, einige Korinther entsprechen aber ihrem geistlichen Sein nicht, wie Paulus in 1Kor 3,1 schreibt: οὐκ ἠδυνήθην λαλῆσαι ὑμῖν ὡς πνευματικοῖς („ich konnte nicht zu euch wie zu Geisterfüllten reden“). Bei anderen Glaubenden, so Paulus, ist die Erkenntnis verdeckt vorhanden, bei ihnen soll sie noch ans Licht kommen.59 In welchem Verhältnis steht also der νοῦς Christi zum Glauben? Der νοῦς ist nicht unmittelbar mit dem Glauben gegeben, sondern eine besondere Erkenntnis und ein besonderes Wissen im Geist. Die Erkenntnis folgt dem Glauben als Geistgabe je individuell nach. Der Einzelne kann also Erkenntnis haben, die die anderen nicht haben. Diese Begabung ist nach Paulus ambivalent. Der Einzelne soll die Begabung deshalb so einbringen, dass sie der Gemeinschaft dient.
56 C.W. STRÜDER, Paulus und die Gesinnung Christi. Identität und Entscheidungsfindung aus der Mitte von 1Kor 1–4, BEThL 190, Leuven 2005, 254. 57 Vgl. STRÜDER, Paulus (s. Anm. 56), 255: „Vor diesem Hintergrund ist W. Willis zuzustimmen, wenn er feststellt: ‚The ‚mind of Christ‘ is not focused upon special wisdom or experiences, but on community life‘.“ Zitat aus W.L. W ILLIS, The „Mind of Christ“ in 1 Corinthians 2,16, Bib 70 (1989), 110–122, 119. 58 Vgl. STRÜDER, Paulus (s. Anm. 56), 121 wieder mit Verweis auf Willis mit der Bezeichnung als ethical outlook. 59 Gegen L. SCHOTTROFF, Der Glaubende und die feindliche Welt. Beobachtungen zum gnostischen Dualismus und seiner Bedeutung für Paulus und das Johannesevangelium, Neukirchen-Vluyn 1970, 218, die vom „Psychiker“ sagt, er „ist nicht ein Anfänger im Christentum, sondern ein Verlorener.“ Dies ist er nur, wenn er Psychiker bleibt, was die Verkündigung des Paulus ja eben verhindern soll. Hier ist der Psychiker, wie er von Paulus angesprochen wird, also potentiell Verlorener, gegenwärtiger Anfänger und für Paulus besonders potentieller Pneumatikos aufgrund der Predigt des Paulus.
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Das Verhältnis von Liebe und Glaube Ähnlich ist zu fragen, wie das Verhältnis von Glaube und Liebe zu bestimmen ist. Anhand der Verwendung in Phlm 5–760 (vgl. 1Thess 3,6) könnte man vermuten, dass die Liebe für die Beziehung der Glaubenden untereinander maßgeblich ist und damit eine horizontale Funktion hat, während der Glaube auf Gott und damit vertikal ausgerichtet ist.61 In 1Kor 8,3 spricht Paulus aber nicht nur von der Liebe zu Menschen, sondern auch von der Liebe zu Gott. Die Liebe scheint also einen doppelten Bezug zu haben. Ist die Liebe aber in der doppelten Bezogenheit ein Aspekt von πίστις oder eine eigene „Größe“ neben dem Glauben? In Gal 5,6 bestimmt Paulus die Liebe als Form, durch die der Glaube tätig wird (πίστις δι’ ἀγάπης ἐνεργουμένη). In 2Kor 6,6 heißt es, dass sich in der Liebe der apostolische Dienst bewährt.62 An beiden Stellen bezeichnet die Liebe die aus dem Glauben erwachsende Praxis. Anders stellt sich die Zuordnung in 1Kor 13,8 dar. Hier werden unterschiedliche „Begabungen“ von Glaubenden (ἀγάπη, προφητεία, γλῶσσα, γνῶσις) genannt, ohne dass der Bezug zum Glauben noch näher bestimmt wird. Liebe scheint dann eine (besondere) unter vielen Geistesgaben zu sein, die dem Glaubenden geschenkt werden. In 1Kor 13,13 stehen die beiden Begriffe unverbunden nebeneinander, ohne dass das Verhältnis zwischen Liebe und Glaube näher bestimmt würde.63 Darum erkennen Otto Michel und Klaus Haacker in Glaube, Hoffnung und Liebe „verschiedene Aspekte, die aus der Verkündigung abgeleitet sind und den Aufbau der Gemeinde tragen.“64 Sie interpretieren also sowohl Glaube als auch Liebe als Folge der Verkündigung. Es deuten sich für die Liebe zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen an: zum einen als Geistgabe, die, wie andere Geistgaben auch, dem Glaubenden geschenkt wird, zum anderen als eine relativ eigenständige Kraft Gottes. Deutlich aber ist, dass die Liebe eine Sonderstellung gegenüber der Erkenntnis und anderen Geistesgaben hat. In der Liebe hat die Gabe der Erkenntnis ihr Korrektiv. In Kontrast zu 1Kor 8,1 „wir alle haben die Erkenntnis“ steht nämlich in 1Kor 8,7 „nicht jeder hat die Erkenntnis“. Nicht 60
Löst man in Phlm 5–7 die chiastische Struktur den Folgeversen gemäß auf, so ergibt sich Liebe gegenüber allen Heiligen und Glaube an den Herrn Jesus. 61 Vgl. so auch W OLTER, Paulus (s. Anm. 8), 336. 62 Da die Liebe hier in einer bunt wirkenden Aufzählung (im Gefängnis, im Heiligen Geist, in Angst, in dem Wort der Wahrheit, in Liebe etc.) genannt wird, ist die Zuordnung an dieser Stelle allerdings schwierig. 63 Zudem wird in 1Kor 12,31a noch von den Charismen gesprochen, während in 31b die Passage über die Liebe als „Weg“ (und nicht als besonders wertvolles Charisma) eingeführt wird. 64 Vgl. O. MICHEL/K. HAACKER, Art. Glaube, ThBLNT 1 (1997), 786–797, 793.
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jeder in der Gemeinde teilt die gleiche Erkenntnis, auch wenn sie den gleichen Glauben haben. Das wird zum Problem für das Heil im Glauben, wenn der eine dem anderen ein falsches Vorbild ist.65 Denn der Einzelne, der erkennt, dass Götzenopferfleisch einfaches Fleisch ist und davon isst, kann den anderen dazu verleiten, das Fleisch zu essen, obwohl dieser es fälschlicherweise für Götzenopfer hält. Dann, so Paulus, geht dieser aufgrund des falschen Vorbilds zu Grunde. Handelt der Einzelne gemäß seiner Erkenntnis im Glauben, aber ohne Liebe, d.h. Rücksicht auf den anderen, der diese Erkenntnis nicht teilt, so wird er zu einem Vorbild, das für andere zur Gefahr wird. Dadurch wird das Gemeindegefüge empfindlich gestört. Das Heil des Schwachen steht zur Disposition. Die Erkenntnis führt so zu Handlungen, die dem Maßstab des Glaubens nicht entsprechen, obwohl sie sich aus ihm speisen. Anders verhält es sich mit der Liebe. Sie entspricht dem Maßstab des Glaubens. Anders als andere Gnadengaben tritt sie als Größe neben den Glauben. Sie ist in gewisser Hinsicht sogar die übergeordnete Größe, wenn es in 1Kor 13,7 heißt, dass die Liebe „glaubt“ und „hofft“, also die beiden Größen der Trias Glaube, Liebe, Hoffnung integriert.66 In diesem Sinn bestimmt Helmut Koester die Liebe bei Paulus als Wegweisung zwischen zwei polaren Möglichkeiten der Führung durch Gott: der Führung durch das Gesetz und der Führung „nur“ durch den Geist.67 Denn auch wenn im Geist den Glaubenden eigentlich alles erlaubt ist (vgl. 1Kor 10,23), baut nicht alles auf (vgl. οἰκοδομεῖ in 1Kor 8,1 und 10,23). Handlungen werden nicht daran gemessen, ob sie im Geist geschehen, sondern daran, ob sie dem Aufbau der Gemeinde dienen. Helmut Koester schreibt: „the ‚spirit‘ alone can therefore not function as a guide to the new life in Christ of the believer as an alternative to the fulfillment of the law. Only love can serve as a guide to conduct.“68 Der Geist kann nicht handlungsleitend sein, dies soll die Liebe sein.69 Nach Koester fungiert 65
Siehe zum Thema Vorbild und Nachahmung unten 3.1. Dass die Liebe die anderen Gaben übertrifft, zeigt sich in 1Kor 13,13, wenn Paulus in eschatologischer Perspektive formuliert: wenn die anderen Gaben wie Prophetie, Zungenrede und Erkenntnis an ein Ende kommen (1Kor 13,8) oder darüber hinaus voll-endet werden (z.B. die Erkenntnis 1Kor 13,12), wird die Liebe bleiben. Vgl. MICHEL/HAACKER , Glaube (s. Anm. 64), 793: „Unter dem Gesichtspunkt der eschatologischen Verwandlung ergibt sich eine Differenzierung: Glaube und Hoffnung treten in die Erfüllung, die Liebe bestimmt allein den neuen Äon“. 67 Vgl. H. KOESTER, Νόμος, Ἀγάπη, and Χαρίσματα in Paul’s Writings, in: P. Spitaler (Hg.), Celebrating Paul (FS J. Murphy-O’Connor, O.P., and J.A. Fitzmyer, S.J.), Washington 2011, 233–244, passim, z.B. 238: „[F]ollowing the guidance of the spirit would establish pious individuals, who could boast of their status.“ 68 KOESTER, Νόμος (s. Anm. 67), 240. 69 So KOESTER, Νόμος (s. Anm. 67), 241–244. Anders, so Koester, stelle es sich im Römerbrief dar. Hier bezeichne Paulus statt der Liebe die Vernunft als handlungsleitend. 66
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Liebe bei Paulus als eine Art Leitlinie, durch die Paulus die Zerrüttungen überwinden will, die aufgrund der Konkurrenz bezüglich unterschiedlicher Geistesgaben, beispielhaft in der korinthischen Gemeinde, entstanden sind.70 Liebe soll die Gemeinde aufbauen, wo die Fokussierung auf den Geist nicht weiterführt. Als Fazit lässt sich zusammenfassen: Liebe gehört bei Paulus zum Glauben dazu, ist aber gleichzeitig eine eigenständige Größe. Während der Glaube die Gemeinschaft konstituiert, pflegt die Liebe die Gemeinschaft. Der Glaube ist Grund des neuen Lebens, die Liebe aber die Form, in der der Mensch in der Gemeinde tätig wird. Die anderen Gnadengaben des Glaubenden wären dann als einzelne Gaben davon zu unterscheiden.71 Vielfalt und Einheit in der Gemeinschaft im Glauben Der Glaube ist für Paulus immer der eine Glaube an das eine Evangelium. Der Glaube fordert daher die Einheit der Gemeinde. Gleichzeitig kann er die Einheit aber nicht gewährleisten, denn durch Erkenntnis und andere Begabungen entsteht eine sichtbare Vielfalt. Auch die unterschiedlichen sozialen Gruppierungen scheint der Glaube nicht vereinen zu können: So heißt es, dass beim Herrenmahl die einen vor dem Mahl ausgiebig feiern, die anderen hungern (1Kor 11,21). Dass Vielfalt dazu führt, dass die Gemeinde ausgerechnet das Herrenmahl nicht als Gemeinschaft zu sich nimmt, ist für Paulus besonders erschreckend (1Kor 11,18–34). Im Anschluss an die Ermahnungen zum Herrenmahl wird die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Gemeinde in 1Kor 12–14 explizit zum Thema gemacht. Während in 1Kor 12,4–11 die vielen Gaben dem einen Geist zugeordnet werden (1Kor 12,4.28f.), wird in 1Kor 12,12–31 die Beziehung durch das Bild von dem einen Leib und den vielen Gliedern dargestellt (1Kor 12,12). Beide Male wird die Vielfalt der Gemeinde auf ein einheitsstiftendes Moment bezogen, das aber jeweils unterschiedlich Neben der Prophetie führe Paulus in Röm 12 auch alltägliche Handlungen auf, die den Glaubenden kennzeichnen. So werde die Beschreibung des Lebens im Glauben von Paulus „down to earth“ gebracht (243). Die Aufzählung der Früchte des Geistes in Gal 5,22– 23 liest sich dann wie eine Verknüpfung zwischen Geist und Liebe: Früchte des Geistes sind hier nicht Zungenrede, Ekstase o.ä., sondern Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit etc. Vgl. a.a.O., 238f. 70 „Rather, everything that is done must be done subject to the commandment of love and accomplished with reason and thoughtful understanding.“ KOESTER, Νόμος (s. Anm. 67), 243. Koester (243f.) sieht darin einen Kontrast zur römischen Moral und damit auch zur jüdischen Diaspora. 71 Vgl. MICHEL/H AACKER, Glaube (s. Anm. 64), 793, die die Trias nicht als Charismen bezeichnen, sondern als selbständig. Die Einordnung des Glaubens als Gaben wie andere Geistesgaben auch (1Kor 12,9) bezieht sich für Michel und Haacker auf einen anderen Glauben – nicht auf den rechtfertigenden.
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bestimmt wird: in 1Kor 12,4–11 als Geist, in 1Kor 12,12–31 als Christus. In beiden Fällen steht dem einheitsstiftenden Moment die sichtbare Pluralität der Gemeinde gegenüber: die vielen Gaben und die vielen einzelnen Gemeindeglieder. In dieser sichtbaren Vielfalt soll die Einheit Gottes sichtbar werden in der Einheit der Gemeinde. Während Paulus die sichtbare Vielfalt der Begabungen feststellt, kommt eine Vielfalt der Glaubensüberzeugungen bei ihm nicht in den Blick. Die Einheit der Gemeinde beruht auf dem einen Glauben. Wenn Paulus in 1Kor 12,13 auf den einen Geist und den einen Leib verweist, so expliziert Paulus, was der Glaube glaubt und was dem Glauben folgt. Die Einheit der Gemeinde ist begründet im Glauben, zeigt sich aber und konkretisiert sich in der Liebe. Sie ist der „bessere Weg“ (καθ’ ὑπερβολὴν ὁδόν) (1Kor 12,31), denn die Liebe führt die Vielfalt zusammen. Nach 1Kor 13,2 ist der Glaubende mit seinen vielen Gaben wie Prophetie, Erkenntnis und wunderwirkendem Glaube „nichts“ ohne die Liebe. Unter der Perspektive der Liebe sind auch die anderen Begabungen zu sehen. (1Kor 13,2: καὶ ἐὰν ἔχω προφητείαν καὶ εἰδῶ τὰ μυστήρια πάντα καὶ πᾶσαν τὴν γνῶσιν καὶ ἐὰν ἔχω πᾶσαν τὴν πίστιν ὥστε ὄρη μεθιστάναι, ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, οὐθέν εἰμιÅ) Die Liebe ist der bessere Weg, der keine der negativen Eigenschaften anderer Begabungen mit sich bringt – sie neidet nicht, tut nicht groß, bläht nicht auf etc. (1Kor 13,4–6: οὐ ζηλοῖ, Îἡ ἀγάπηÐ οὐ περπερεύεται, οὐ φυσιοῦται, οὐκ ἀσχημονεῖ, οὐ ζητεῖ τὰ ἑαυτῆς, οὐ παροξύνεται, οὐ λογίζεται τὸ κακόν, οὐ χαίρει ἐπὶ τῇ ἀδικίᾳ.) Vielmehr macht die Liebe die anderen Gaben zu dienenden Gaben. Die Gaben des Einzelnen sollen den Vielen dienen, im Hinblick auf deren Glauben und im Hinblick auf die Erbauung der Gemeinde. Sie haben ihren Wert darin, wie sie dem Glauben dienen. In 1Kor 14 werden die Gaben des Geistes ihrer Funktion für die Gemeinde entsprechend bewertet (vgl. 1Kor 14,2–4 oder 14,7). Unter den Gaben des Geistes ist das Verstehen eine besondere Gabe, weil es andere zum Heil führen kann. Aus dem Verstehen kann verstehbare Rede erwachsen, also Verkündigung, die wieder Glauben weckt. Dann steht diese Gabe im Dienst der Liebe – und der Einheit der Glaubenden. 3.2.2 Ausschluss statt Integration Ein Konfliktfall, von dem in 1Kor 5 die Rede ist, wirft nochmals Licht auf das Verhältnis von Glaube und Gemeinschaft. Dabei sind zwei Beziehungen von Bedeutung: die Beziehung von Paulus zur Gemeinde und die
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Beziehung eines „Unzuchtsünders“ zur Gemeinde. Interessant ist dabei die negative Wendung.72 Der Fall ist bekannt: Ein Mann hatte eine Beziehung mit der „Frau seines Vaters“. Exegetisch ist nicht geklärt, was mit „Frau des Vaters“ konkret bezeichnet wird (Konkubine73 oder Stiefmutter74) und damit auch, ob in der Gemeinde jüdische oder pagane Maßstäbe angelegt werden.75 Für unsere Frage ist das weitgehend unbedeutend. Paulus und die Gemeinde sind sich uneinig in der Beurteilung „dieser Rechtsfrage“76. Nach 1Kor 5,12 ist die Gemeinde aber dazu verpflichtet, das Verhalten ihrer Glieder zu beurteilen.77 Paulus und die Korinther An dem Fall zeigt sich, wie Paulus sein Verhältnis zur Gemeinde versteht. Paulus selbst zieht die Grenze, was innerhalb des Glaubens möglich ist und was nicht. Er darf nach seinem eigenen Verständnis als Apostel die Grenzlinie markieren. Luise Schottroff sieht in 1Kor 5 eine Auseinandersetzung um die richtige Anwendung der Richtlinien der Tora. „Die Rechtsprechung für die Gemeinde geschieht in der Gemeinde als Auslegungsgemeinschaft. Paulus hat mit seiner Stimme keine größere Macht als andere Beteiligte.“78 Das scheint angesichts von Formulierungen wie 1Kor 5,3–5 jedenfalls dem eigenen Anspruch des Paulus kaum angemessen zu sein. Auch entspricht der Duktus der Verse 1–13 nicht einem Gespräch über Rechtsauslegung.79 Gerade die Vorwegnahme des Urteils (ἤδη κέκρικα, V. 3) lässt nicht auf
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Vgl. dazu W OLTER, Paulus (s. Anm. 8), 329f. sowie den Beitrag M. W OLTER, Der Brief des sogenannten Unzuchtsünders, in: DERS., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 181–196. In den Anmerkungen zu dem von Wolter fingierten Brief des Unzuchtsünders führt Wolter aus, dass möglicherweise schon der Zusammenhang von Privatsphäre und Ekklesia im Urchristentum unterschiedlich beurteilt wurde. Der Unzuchtsünder wäre dann der Meinung gewesen, sein Verhalten außerhalb des Gottesdienst- und Gemeinderaumes sei letztlich nicht von Belang für die Darstellung christlicher Identität (a.a.O., 192f.). 73 So z.B. W OLTER, Brief (s. Anm. 72), 192f. 74 So z.B. L. SCHOTTROFF, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, ThKNT 7, Stuttgart 2013, 81 oder W. SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther. 1 Kor 1,1–6,11, EKK 7/1, Zürich 1991, 369: „Verbindung mit der zweiten Frau seines Vaters“. 75 Vgl. dazu SCHRAGE, Brief (s. Anm. 74), 369–371. 76 SCHOTTROFF, Brief (s. Anm. 74), 81. 77 Vgl. SCHOTTROFF, Brief (s. Anm. 74), 81. 78 SCHOTTROFF, Brief (s. Anm. 74), 84. 79 Das sieht Schottroff anders und postuliert gerade im Vergleich mit der Mischna, dass auch in 1Kor 5 „der Rechtsprechung ein lebendiger Austausch von Meinungen über Toraauslegungen zugrundeliegt.“ SCHOTTROFF, Brief (s. Anm. 74), 85.
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eine „Auslegungsgemeinschaft“ schließen.80 Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Paulus spricht das Urteil aus der Ferne quasi „für“ die Gemeinschaft. Paulus ist der Überzeugung, hier einen Fall vorzufinden, in dem „die Toleranzgrenze christlicher Freiheit in untragbarer Weise überschritten worden“81 ist. Darum lässt er in 1Kor 5,3 keinen Zweifel, dass er Autorität hat (ἐγὼ μὲν γάρ).82 Die Gemeinde ist das Forum, Paulus ordnet an und nimmt damit auch das Urteil vorweg.83 Dass das Urteil erst vollzogen werden kann, wenn die Gemeinde versammelt ist, mindert die Souveränität des Urteils nicht. Die Anwesenheit von Paulus im Geist (1Kor 5,4) ist ein Zeichen der herausgehobenen Stellung des Paulus.84 Trotzdem verweist Paulus auch darauf, dass der Vollzug nur mit der Kraft des Herrn (1Kor 5,4) möglich ist, also Gott der Handelnde bleibt, der sein „Recht“, wie Ernst Käsemann feststellt, „durch Charismatiker verkünden und vollziehen läßt“85. Dass Paulus ein so deutliches Urteil über den Unzuchtsünder fällt, irritiert zunächst, da das Handeln nicht direkt den Kern der Christusbotschaft betrifft.86 Durch die Gefährdung der Heiligkeit des Leibes Christi aber wird die Identität der Gemeinde gefährdet, die nach 1Kor 3,16 Tempel Gottes und Wohnstätte des heiligen Geistes ist.87 Paulus sieht im Hinblick 80 Vgl. SCHRAGE, Brief (s. Anm. 74), 373: „Paulus selbst hat sein Urteil … schon gefällt (V 3 ist kein bloßer Rat) …“ 81 SCHRAGE, Brief (s. Anm. 74), 372f. 82 Diese Autorität muss nicht dadurch verstärkt werden, dass man 1Kor 5,4a (ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου ÎἡμῶνÐ Ἰησοῦ) nach vorne zieht. Vgl. SCHRAGE, Brief (s. Anm. 74), 372, der zwar die Möglichkeit aufzeigt, aber dann auch verwirft. 83 So m.E. zu Recht E. KÄSEMANN, Sätze heiligen Rechts im Neuen Testament, in: DERS., Exegetische Versuche und Besinnungen. Zweiter Band, Göttingen 1964, 69–82, 72f. 84 KÄSEMANN, Sätze (s. Anm. 83), 73 vergleicht Käsemann diese Stellung mit der Stellung des Propheten. Auch Paulus ist dabei natürlich nicht „selbständig … Worauf alles ankommt ist dieses, daß durch das Zusammenwirken des Apostels und der Gemeinde der Geist, und das heißt der anwesende Herr selber handelt.“ 85 KÄSEMANN, Sätze (s. Anm. 83), 74. 86 Anders als beispielsweise bei der rechtfertigungstheologischen Pointe der Auseinandersetzung mit Petrus in Antiochia im Galaterbrief (Gal 2,11–21). Vgl. die Markierung der Grenzlinie durch die Rede vom „anderen Evangelium“ in Gal 1,6.7.9 und Gal 2,14! Die Handlung von Petrus in Antiochia stellt den theologischen Grundsatz der paulinischen Predigt in Frage und relativiert den Glauben als Grund des Heils durch die Wieder-Einführung des Gesetzes. Das ist beim korinthischen Fehlverhalten zunächst nicht der Fall. 87 Hier spielt die Sexualethik von Paulus eine Rolle. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass die Irritation bei den modernen Leserinnen und Lesern gerade bei der paulinischen Setzung des sexualethischen Axioms entsteht. Dass Paulus im Bereich der Sexualethik einen anderen ethischen Grundsatz walten lässt als bei anderen ethischen Fragen, zeigt Michael Wolter (W OLTER, Paulus [s. Anm. 8], 328–330, vgl. 330): „Paulus
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auf die Ekklesiologie erhebliches Gefahrenpotential. Der Glaube soll die Identität prägen – dies ist, wie noch zu zeigen ist, im vorliegenden Fall nach Paulus nicht mehr gegeben. Im Hinblick auf die Identität der Gemeinde kann Paulus über das Verhalten des Gemeindeglieds urteilen. Der eine Glaube lässt in diesem Fall nur eine Meinung zu – Paulus hat keinen Zweifel, dass seine Sicht ganz im Sinne Christi (1Kor 5,4) ist.88 Der Sünder und die Korinther Das Ausschlussverfahren, das Paulus fordert, öffnet den Blick auf die Relation zwischen dem Einzelnen und der Gemeinde, hier auf das Verhältnis der Gemeinde zu dem einzelnen Sünder. Der Fall stellt den Glauben als die Basis der Gemeinde auf die Probe. Paulus schließt den Mann, der die „Frau des Vaters“ hat, den πονηρόν, aus der Gemeinde aus und er erwartet, dass die Gemeinde diesen Ausschluss vollzieht. In 1Kor 5,5 fordert Paulus, dass der Mensch dem Satan übergeben werden soll. Sein Fleisch soll verderben, damit der Geist am Tag des Herrn gerettet wird.89 Was bedeutet die Übergabe an den Satan? Tangiert die Strafe den Glauben an Christus? Zunächst bedeutet die Übergabe an den Satan den Ausschluss aus der Gemeinde. Ernst Käsemann sieht zu Recht, dass es sich dabei nicht nur um die „Distanzierung von dem Sünder“90 handelt, denn der Ausschluss zieht Paulus zufolge ja das Verderben des Fleisches nach sich. Was das konkret bedeutet, darüber gibt es nur Vermutungen: Ernst Käsemann denkt bei der Übergabe an den Satan an ein Gegenstück zur Taufe. Wie die Taufe leibliche Konsequenzen nach sich ziehe, so habe auch die Übergabe an den Teufel leibliche Folgen.91 Ein Gemeindebeschluss könnte somit die bei der Taufe vollzogene Christuseingliederung quasi aussetzen. Luise Schottroff vermutet, dass der Ausschluss aus der Gemeinde lebensbedrohlich sein konnte, weil das Leben außerhalb der Gemeinde und ohne deren Schutz per se gefährdet war.92 Diese Deutung fußt m.E. auf der Annahme, dass die Gemeinde der alleinige Lebensraum der einzelnen macht hier von ihr [der ekklesiologischen Grundlage, J.S.] aber nicht wie sonst einen integrativen, die Pluralität der alltagsweltlichen Lebensweisen tolerierenden Gebrauch, sondern er geht mit der Identität der christlichen Ekklesia defensiv um“. 88 Vgl. die Überlegungen zum νοῦς Christi im Anschluss an 1Kor 2,16, siehe oben 3.2.1 89 Vgl. Friedrich Langs Aussage F. LANG, Die Briefe an die Korinther, NTD 7, Göttingen 1986, 70, dass es sich in 1Kor 5,5 um eine „zeitliche Strafe“ handelt, „die der Rettung im Endgericht dienen soll“. 90 KÄSEMANN, Sätze (s. Anm. 83), 73. 91 Vgl. KÄSEMANN, Sätze (s. Anm. 83), 74. 92 Vgl. SCHOTTROFF, Brief (s. Anm. 74), 85.
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Christen war. Mit ihrer Vermutung überträgt Schottroff wohl zu Unrecht das Schema der lebensnotwendigen Zugehörigkeit zur Körperschaft des Volkes Israel auf die recht andere soziale Wirklichkeit der ersten christlichen Gemeinden. Wolfgang Schrage geht davon aus, dass nach Paulus „der Fluch über ihn ausgesprochen werden soll“93. Im Ersten Korintherbrief begegnen auch sonst Hinweise auf Flüche.94 Während aber bei Vergleichsstellen wie 1Kor 3,17 und 16,17 sowie im Galaterbrief die eschatologische Perspektive m.E. nahe liegt, finden wir im 1Kor 5 gerade die irdische Verfluchung, die der eschatologischen Rettung dienen soll. Vergleichbar ist darum 1Kor 11,31, wo Krankheiten und Todesfälle auf die falsche Herrenmahlspraxis zurückgeführt werden.95 Eine solche im weiteren Sinn magische Vorstellung ist bei Paulus am ehesten leitend.96 Für den Glauben des Einzelnen bedeutet das dann, dass die irdische Heils- und Schutzwirkung der Christusteilhabe streng genommen unter dem Vorbehalt steht, dass die Gemeinde den Einzelnen nicht ausschließt. Dabei geht es nicht um einen sozialen Schutz wie Luise Schottroff das annimmt, sondern um einen „magischen“. Die Gemeinde kann zwar nach Paulus über den Glauben und das Heil des Einzelnen nicht verfügen, aber sie verfügt über die Gemeindezugehörigkeit und die damit verbundenen Folgen. Die Frage, ob die Gemeinde oder der Apostel über Glaube und Geistbesitz eines Einzelnen urteilen dürfen, ist nach Paulus falsch gestellt. Denn nach paulinischer Auffassung zeigt der Unzuchtsünder durch sein Handeln, dass er den Geist nicht hat. Christus treibt ihn nicht, sonst hätte er anders gehandelt. Der Zusammenhang zwischen Glauben und Christuszugehörigkeit wird also nicht dadurch zerstört, dass die Gemeinde den Unzuchtsünder ausschließt. Er ist es für Paulus schon. Ist der Geist nicht in dem Glaubenden, so ist der Glaubende auch nicht in der Gemeinde. Die Gemeinde realisiert also durch ihre „Verfluchung“, was längst geschehen ist. Immerhin hat Paulus in 1Kor 5,5 im 93
SCHRAGE, Brief (s. Anm. 74), 374. Vgl. dazu KÄSEMANN, Sätze (s. Anm. 83). Vgl. a.a.O., 72: „Der Charismatiker warnt nicht bloß, sondern proklamiert die bereits gegenwärtige Macht des Richters, deren Antizipation vor dem jüngsten Tage im Dienst der Gnade steht, nämlich Raum zur Umkehr gewährt.“ So findet sich in 1Kor 3,17 die Wendung, dass Gott den verderben wird, der den Tempel Gottes verdirbt, sowie in 1Kor 16,22 die direkte Verfluchung derer, die den Herrn nicht lieb haben. Vergleichbar sind wohl auch Formulierungen wie Gal 1,9, wo die Vollmacht von Paulus besonders deutlich wird. Gal 1,9b: Wenn euch jemand ein Evangelium verkündigt gegen das, was ihr empfangen habt, sei er verflucht. εἴ τις ὑμᾶς εὐαγγελίζεται παρ’ ὃ παρελάβετε, ἀνάθεμα ἔστω. 95 So auch SCHRAGE, Brief (s. Anm. 74), 376. 96 Die magische Komponente ist bei Paulus nur an wenigen Stellen überhaupt von Bedeutung. Christus ist bei Paulus nicht generell als die magische Kraft der Gemeinde zu verstehen. 94
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Blick, dass Gott eschatologisch Wege finden kann, den Unzuchtsünder zu retten (ἵνα τὸ πνεῦμα σωθῇ ἐν ἡμέρᾳ τοῦ κυρίου). Das ist auf seine Art eine menschenfreundliche Fokussierung auf das Heil des Unzuchtsünders. 3.3 Vorbild und Nachahmung Wie schon dargestellt sieht sich Paulus in einer Sonderstellung als Verkündiger. Er schreibt sich aber auch eine Sonderstellung zu als Paradigma für das Leben im Glauben:97 Die Gemeinde soll zu ihm aufsehen. Sie soll ihn imitieren wie er in 1Kor 4,16 schreibt (μιμηταί μου γίνεσθε/werdet meine Nachahmer). Auch hinsichtlich der Rücksicht auf andere ist Paulus nach 1Kor 10,33 Vorbild der Gemeinde (κἀγὼ πάντα πᾶσιν ἀρέσκω/so wie auch ich in allem allen zu gefallen versuche). Paulus selbst orientiert sich ebenfalls an einem Vorbild. Nach 1Kor 11,1 ist er Nachahmer Christi (μιμηταί μου γίνεσθε καθὼς κἀγὼ ΧριστοῦÅ/Seid meine Nachahmer, wie auch ich Christi [Nachahmer bin].).98 Das Mimesis-Konzept ist von Paulus nicht ausführlich beschrieben. Begriffe des Lexems μιμη- begegnen nur fünf Mal bei Paulus.99 Es findet sich jedoch an zentralen Stellen des Korintherbriefs. Der Sachverhalt ist immer derselbe: Der eine ist Vorbild für die anderen. Paulus arbeitet dabei mit Modellen für richtiges und für falsches Verhalten. In diesem Sinn waren in Korinth die Starken negatives Vorbild für die Schwachen (s.o.). Als warnendes Modell stellt Paulus den Korinthern die abfallenden Israeliten vor Augen (vgl. 1Kor 10,1–11). Er selbst hingegen ist Modell für richtiges Verhalten im Glauben. Durch die Formulierung in 1Kor 11,1 (μιμηταί μου γίνεσθε καθὼς κἀγὼ Χριστοῦ) stellt sich Paulus darüber hinaus in eine Mittlerfunktion zwischen Gemeinde und Christus.100 Während die Gemeinde Paulus imitieren soll, imitiert Paulus selbst Christus. Paulus stellt sich in der Beziehung zu den Korinthern in eine analoge Position wie Christus zu ihm steht. Insofern ist 1Kor 11,1 für das Selbstverständnis von Paulus als Vorbild für die Korinther zentral. Schon in 1Kor 4,16 hat Paulus die Korinther ermahnt: Παρακαλῶ οὖν ὑμᾶς, μιμηταί μου γίνεσθε.101 Paulus bezieht sich hier auf seine „Zusammenarbeit“ mit Apollos in Korinth. Die Korinther sollen an diesem 97
Natürlich kann Paulus auch Verhalten einfach „anordnen“ (vgl. διατάσσομαι in 1Kor 7,17). 98 Vgl. die negative Nachahmung in 1Kor 10,6–9, die in jedem Vers mit καθώς eingeführt wird. 99 1Kor 4,16; 11,1; 1Thess 1,6; 2,14; Phil 3,17. Dasselbe wird auch mit dem Begriff τύπος bezeichnet, der in 1Kor 10,6.11 (τυπικῶς); Phil 3,17; 1Thess 1,7 begegnet. 100 Anders pointiert Paulus in Röm 15,7, wo er die Römer auffordert, einander anzunehmen, wie Christus sie angenommen hat. Das könnte so zu erklären sein, dass Paulus in Rom als Unbekannter nicht als Vorbild fungieren kann. 101 Die Formulierung findet sich fast wortgleich auch in Phil 3,17.
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Beispiel lernen, sich nicht übereinander zu erheben (1Kor 4,6b) (ἵνα ἐν ἡμῖν μάθητε τὸ μὴ ὑπὲρ ἃ γέγραπται, ἵνα μὴ εἷς ὑπὲρ τοῦ ἑνὸς φυσιοῦσθε κατὰ τοῦ ἑτέρου.). Anders als im Ersten Korintherbrief erscheint das Thema der Nachahmung im Ersten Thessalonicherbrief. Hier ermahnt Paulus die Gemeinde nicht zur imitatio, sondern lobt sie in 1Thess 1,6 dafür, dass sie ihn und Christus nachahmt.102 Zudem lobt Paulus die Gemeinde auch dafür, dass sie andere Gemeinden imitiert (1Thess 2,14). Die Belege im Thessalonicherbrief zeigen, dass Paulus grundsätzlich auch die anderen Christen als Vorbilder bezeichnen kann. Paulus hebt seine eigene Vorbildfunktion hervor, aber die anderen können (je nach Kontext) einander ebenso Vorbilder sein. Wie Paulus als Einzelner innerhalb der Gemeinde zum Vorbild wird, so wird eine Gemeinde für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja zum Vorbild (1Thess 1,7). Im Ersten Thessalonicherbrief wird darüber hinaus erkennbar, dass Paulus die Nachahmung eng an die Thematik des Glaubens bindet.103 Schreibt er in 1Thess 1,6f. von der Nachahmung und der Vorbildfunktion der Gemeinde, so stellt er in 1Thess 1,8 fest, dass der Glaube der Gemeinde an allen Orten bekannt geworden ist. 3.4 Paulus und die Traditionen Der Umgang eines Einzelnen mit dem Glauben der Gemeinde zeigt sich auch darin, wie Paulus Traditionsgut aufnimmt. Hierzu sollen nur ein paar Beobachtungen angeführt werden. In unterschiedlicher Form greift Paulus im Ersten Korintherbrief auf Gemeindetraditionen zurück. Dabei ist unklar, ob seine Kenntnis der Tradition sich auf die Ausschnitte beschränkt, die in den Briefen überliefert sind, oder ob Paulus die Traditionen des frühen Christentums im Wesentlichen kannte.104 Sicher ist, dass er auf alttestamentliche Schriftzitate Bezug 102
Paulus stellt sich also hier nicht in dieselbe Mittlerposition wie in 1Kor 11,1. Imitieren lässt sich nicht der Glaube, sondern das Handeln im Glauben. Mimesis bezieht sich auf Handlungen. Vgl. C. B ENNEMA, Mimesis in John 13. Cloning or Creative Articulation?, NT 56 (2014), 261–274, 266, über Mimesis im Johannesevangelium: „Mimesis involves physical action: something is visibly shown which is then repeated in a similar, concrete bodily act.“ 104 Vgl. die Literaturhinweise bei M. ZIMMERMANN/R. ZIMMERMANN, Zitation, Kontradikation oder Applikation? Die Jesuslogien in 1Kor 7,10f. und 9,14: Traditionsgeschichtliche Verankerung und paulinische Interpretation, ZNW 87 (1996), 83–100, 84 Anm. 7. D.A. F IENSY, The Synoptic Logia of Jesus in the Ethical Teachings of Paul, Stone-Campbell Journal 13 (2010), 81–98, 85–87 argumentiert, dass sowohl die Tatsache, dass Paulus überhaupt Gemeindetraditionen aufgreift, Jesus „zitiert“ und Jesu grobe Lebensdaten kennt, dafür spreche, dass er mit der Tradition vertraut war. Ebenso würden dafür der Kontakt mit Petrus und Barnabas und die Erwähnung der Vorbildfunktion von 103
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nimmt,105 sowie auf Jesusworte (1Kor 7,10f. und 9,14) und auf das, was er ausdrücklich „empfangen hat“ – „vom Herrn“ (1Kor 11,23) oder (wahrscheinlich) von der Gemeinde (1Kor 15,3). Dazu kommen unter Umständen andere Traditionen wie Bekenntnisformeln (1Kor 8,6) und Gemeindeordnungen (1Kor 14,34f.). Durch die Aufnahme dieser Traditionen zeigt Paulus, dass sein Glaube und seine Verkündigung verbunden sind mit dem Glauben und der Verkündigung anderer, etwa der Autoren des Testaments Israels oder der christlichen Gemeinden – und auch an Jesu Verkündigung anschließt. In 1Kor 7,10f. und 9,14 finden sich explizite Jesusworte. Die Aufnahme der Jesustradition bei Paulus wurde in der Wissenschaft unterschiedlich diskutiert.106 Sie wurde entweder als Beispiel dafür ausgelegt, dass Paulus in einem distanzierten Verhältnis zu dieser Tradition stehe, oder auch umgekehrt als Nähe der paulinischen Theologie zu Jesus.107 Auffallend ist zunächst, dass die Jesusüberlieferung bei Paulus nicht von großer Bedeutung zu sein scheint. Die Tatsache, dass es nur wenige Zitate, aber möglicherweise eine große Zahl von Anspielungen gibt, zeigt jedoch die unklare Ausgangslage für derlei Überlegungen.108 Mirjam und Ruben Zimmermann werten die Aufnahme der Jesustraditionen in 1Kor 7,10f. und 9,14 als Applikationen.109 Paulus zitiert die Jesusworte in selbst formulierten Varianten.110 Gleichwohl scheinen sie dabei nicht exakt den paulinischen Argumentationszielen zu entsprechen.
Jesus sprechen. Vgl. zur Thematik der Jesusüberlieferung bei Paulus besonders C. J AJesusüberlieferung bei Paulus? Analogien zwischen den echten Paulusbriefen und den synoptischen Evangelien, BZNW 213, Berlin 2015. Diese Arbeit konnte leider noch nicht inhaltlich aufgenommen werden. 105 Vgl. dazu A. LINDEMANN, Die Schrift als Tradition. Beobachtungen zu den biblischen Zitaten im Ersten Korintherbrief, in: K. Backhaus/F.G. Untergaßmair (Hg.), Schrift und Tradition (FS J. Ernst), Paderborn 1996, 199–225. 106 Siehe die Zusammenstellung bei D. HÄUSSER, Christusbekenntnis und Jesusüberlieferung bei Paulus, WUNT 2/210, Tübingen 2006, 1–38. 107 Vgl. HÄUSSER, Christusbekenntnis (s. Anm. 106), 21, und die Darstellung bei F IENSY, Synoptic (s. Anm. 104), 81–85. 108 Explizit werden im Ersten Korintherbrief nur an zwei Stellen und in der Paradosis Herrenworte zitiert. Bei anderen Texten sind zwar Analogien beobachtbar, aber es bleibt unsicher, ob Texte wie z.B. 1Kor 5,6 auf Jesus zurückführbar sind. Vgl. A. RESCH, Der Paulinismus und die Logia Jesu, Leipzig 1904, der 215 Allusionen im Ersten Korintherbrief annehmen konnte oder z.B. die Liste möglicher Anspielungen bei FIENSY, Synoptic (s. Anm. 104). 109 Vgl. ZIMMERMANN/ZIMMERMANN, Zitation (s. Anm. 104). 110 Vgl. ZIMMERMANN/ZIMMERMANN, Zitation (s. Anm. 104), 90: „Gerade auch der dem κύριος zugewiesene Passus ist von Paulus formuliert“. COBI,
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Paulus adaptiert die Aussage für die Diskussion im Ersten Korintherbrief, aber er geht frei damit um.111 David Fiensys Analyse möglicher Anspielungen und Aufnahmen von Jesustradition lässt einen ähnlichen Schluss zu: Fiensy findet einen großen Bestand an Jesustraditionen, die aber nicht direkt erkennbar sind.112 Stimmt man dem zu, dann spricht das andererseits auch für eine relative Freiheit des Apostels bei der Aufnahme der Jesustradition. Paulus kennzeichnet sie selten und nimmt sie so auf, dass sie seiner Darstellung des Evangeliums entspricht. Die Aufnahme der Tradition soll dem Zweck der Evangeliumsverkündigung dienen.113 Gleiches gilt dann aber auch für den freien Umgang mit der Tradition: In der Hierarchie des Paulus steht sein Evangelium auf einer anderen Stufe als die Jesustraditionen der Gemeinde. Im Hinblick auf die Tradition der Gemeindeformeln stellt sich zunächst die Frage, wie solche Gemeindeformeln zu identifizieren sind.114 Naheliegend ist die Annahme einer Tradition in 1Kor 15,3–7. Durch ὅτι werden die einzelnen Inhalte wiedergegeben: Christus ist für unsere Sünden gestorben nach der Schrift, begraben, auferstanden, gesehen worden etc. Paulus selbst verweist darauf, dass er diese Formeln empfangen hat: ὃ καὶ παρέλαβον.115 In 1Kor 15,11 zeigt sich, dass Paulus davon ausgeht, dass bezüglich des Inhalts der Formeln grundsätzliche Übereistimmung herrscht (1Kor 15,11: εἴτε οὖν ἐγὼ εἴτε ἐκεῖνοι). In Glaubensfragen vermutet Paulus Einigkeit. Nach 1Kor 15,12 wird aber in Korinth darüber gestritten, welche Schlussfolgerung aus dem, was gepredigt wird, zu ziehen ist, konkret: Ob
111
Vgl. in diesem Sinn A. LINDEMANN, Die Funktion der Herrenworte in der ethischen Argumentation des Paulus im ersten Korintherbrief, in: F. van Segbroeck u.a. (Hg.), The Four Gospels (FS F. Neirynck), Leuven 1992, 677–688, 687, nach dem „Paulus sich legitimiert sah, die gegenwärtige zu verantwortende Entscheidung im Einzelfall höher einzustufen als eine überkommende, allgemeine Norm – und ginge diese auch auf den κύριος selbst zurück“. ZIMMERMANN/ZIMMERMANN, Zitation (s. Anm. 104), 88, weisen aber darauf hin, dass die Annahme einer abstrakten Norm nicht notwendig ist. Es ist möglich, dass Paulus die Traditionen in ihrem „jeweiligen Sinnkontext gekannt hat“ (100) und dann entsprechend applizierte. 112 Vgl. FIENSY, Synoptic (s. Anm. 104). 113 Vgl. in ähnlicher Weise ZIMMERMANN/ZIMMERMANN, Zitation (s. Anm. 104), 99. 114 Detlef Häußer verhandelt die Gemeindetradition unter dem Titel der Jesusüberlieferung, so auch 1Kor 15,3b–7/8. Vgl. HÄUSSER, Christusbekenntnis (s. Anm. 106), 147– 158. 115 Die Feststellung bleibt, auch wenn man innerhalb der Passage noch einmal paulinische Zusätze identifizieren kann, vgl. Häußer, der 1Kor 15,6b.8 als Ergänzungen bzw. Erklärungen durch Paulus sieht (HÄUSSER, Christusbekenntnis [s. Anm. 106], 155).
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aus der Auferstehung Christi die Auferstehung der Toten gefolgert werden kann.116 Paulus greift häufiger auf Formulierungen zurück, die den Inhalt des Glaubens beschreiben, vgl. auch Röm 1,3f. oder 1Thess 4,14. Die Formeln variieren deutlich im Wortlaut. Gemeinsam ist ihnen, dass sie inhaltlich, wie Friedrich feststellt,117 ohne Verweis auf das für Paulus zentrale Theologumenon des Sterbens Jesu am Kreuz auskommen. Daran wird sichtbar, dass sich die paulinische Verkündigung nicht in der Wiedergabe der verwendeten Tradition erschöpft, dass die Kernaussagen des paulinischen Glaubens und seiner Verkündigung aber in der Tradition schon vorlagen.118 Paulus nimmt im Ersten Korintherbrief außerordentlich häufig Bezug auf die Schrift. Nicht immer ist der Schriftbezug in seiner Funktion evident, nicht immer scheint er notwendig.119 Dennoch argumentiert Paulus mit der Schrift in einem Brief an die wohl doch überwiegend aus Heidenchristen bestehende Gemeinde. Paulus geht wahrscheinlich davon aus, dass die heidenchristlichen Gemeindeglieder in der Lage seien, die Hinweise auf die Schrift zu entschlüsseln.120 Wenn Andreas Lindemanns Analyse zutrifft, dass der Erste Korintherbrief von Paulus so verfasst ist, dass die Schriftzitate von den Korinthern zugeordnet werden können, so scheint Paulus davon auszugehen, dass die Schrift als ein gemeinsamer Traditionsboden aller Gemeindeglieder angesehen werden kann. Andererseits zeigt der Umgang mit der Schrift, dass Paulus die Schriftstellen größtenteils aus ihrem Kontext herauslöst und für seine Argumentation funktionalisiert.121
4. Abschluss Zusammenfassend lässt sich sagen: Paulus sieht im Glauben an Jesus Christus das identitätsstiftende Merkmal für den Einzelnen und die Gemeinde. Glaube ist das Für-Wahr-Halten des Evangeliums, das Vertrauen weckt und den Menschen darin neu ausrichtet. Im Glauben ist der Einzel116 Für Paulus ist die Bestreitung einer Auferstehung der Toten auch ein Bestreiten des Bekenntnisses zum auferstandenen Christus. 117 Vgl. FRIEDRICH , Glaube (s. Anm. 5), 102. 118 Vgl. ähnlich, aber konkret im Hinblick auf 1Kor 15,3b–7/8: HÄUSSER, Christusbekenntnis (s. Anm. 106), 156–158. 119 Vgl. dazu die Überlegungen zu den einzelnen Aufnahmen bei LINDEMANN, Schrift (s. Anm. 105). 120 Vgl. LINDEMANN, Schrift (s. Anm. 105), 225. 121 Vgl. dazu die einzelnen Analysen von LINDEMANN, Schrift (s. Anm. 105).
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ne, so hat sich gezeigt, auf die Gemeinschaft der Glaubenden bezogen. Sein Glaube gleicht dem Glauben der anderen bezüglich seines Inhalt und seiner Herkunft: Er hat zu seinem Inhalt den einen Christus, ist durch die Predigt des einen Evangeliums entstanden und steht in der Tradition der einen Gemeinde. Der Glaubende empfängt den Geist. Die Pluralität der Geistesgaben auf der Basis des Glaubens wird von Paulus im Ersten Korintherbrief ausführlich verhandelt. Diese Pluralität hat nach Paulus ihr Korrektiv in der Liebe. In der Liebe dienen die Geistesgaben der Gemeinde und damit dem Glauben. Die Einheit im Glauben und in der Liebe hat ihre Grenze, wenn ein Einzelner „gegen“ die Gemeinde handelt – dann wird er aus der Gemeinde ausgeschlossen. Als ein besonderer Fall des Verhältnisses des Glaubens des Einzelnen und des Glaubens der Gemeinschaft wurde die Einzelperson „Paulus“ in ihrer herausgehobenen Stellung im Gegenüber zur Gemeinde in den Blick genommen. Diese Sonderstellung schreibt sich Paulus nicht aufgrund persönlicher Charakterzüge zu, sondern aufgrund seiner Theologie.122 Dabei spielen zwei Aspekte eine besondere Rolle: Einerseits die Bedeutung seines Apostolats und seines Verkündigungsdienstes, durch den das Evangelium und somit der Inhalt des Glaubens vermittelt wird, andererseits die Bedeutung von Vorbild und Nachahmung für das Leben im Glauben. Bei Mehrstimmigkeit in Glaubens- und daraus resultierenden ethischen Fragen kommen sowohl dem paulinischen Glauben als auch seiner Interpretation des christlichen Lebens die Rolle eines Maßstabs zu, wodurch der Glaube dieses Einzelnen eine besondere Bedeutung für die Gemeinschaft erhält.123
122 Inwiefern diese durch persönliche Charaktereigenschaften geprägt ist, kann man wohl kaum eruieren. 123 Danken möchte ich den Studentinnen und Studenten im Evangelischen Stift Tübingen für den Austausch über Paulus in meinen Stifts-Loci im Wintersemester 2013/14 und Sommersemester 2014 sowie Christiane Wille und Frieder Spaeth für die Diskussionen und Anregungen zum Thema des Aufsatzes.
Glaube im lukanischen Doppelwerk CHRISTFRIED BÖTTRICH Der Begriff des Glaubens weckt bei mir Erinnerungen, die mit Konflikten besetzt sind. In dem Pfarrhaus meiner Eltern hatte der Glaube einen angestammten Platz. Er prägte das alltägliche Leben und wurde am Sonntag ganz selbstverständlich im Gemeindegottesdienst bekannt. In der Schule jedoch, die „allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeiten“ hervorzubringen beabsichtigte, war Glaube unerwünscht und fungierte allenfalls als Fremd- oder Reizwort. Hier galt es, dieses Relikt einer vergangenen Zeit zu überwinden. Was das Philosophische Wörterbuch in gestelzter Definition formulierte – Glaube als eine „unbeweisbare Überzeugung von der Existenz übernatürlicher, immaterieller Wesenheiten und Kräfte, die in das Naturgeschehen, das gesellschaftliche Leben und das individuelle Schicksal der Menschen eingreifen“1 –, das brachte der Schulalltag auf die kurze Formel: Glaube und Wissen sind unvereinbar. Zwei Welten, zwei Optionen. Dass diese Alternative nicht stimmen konnte, war leicht zu erahnen. Aber gegen eine „wissenschaftliche Weltanschauung“ argumentiert es sich nicht so einfach – zumal nicht als Schüler. Erst während meiner Studienzeit erfuhr ich, dass auch die marxistische Philosophie den Begriff des Glaubens wiederzugewinnen suchte. Ende der 70er Jahre hatte eine Debatte begonnen, die auf eine Bestimmung des Glaubens im Sinne eines allgemeinmenschlichen Bewusstseinsphänomens abzielte.2 Grundlegend war dafür die Unterscheidung zwischen religiösem und nichtreligiösem Glauben: Während der erste auf irrationalen Annahmen beruhe, sei der letztere rational begründet. Entweder geht der Glaube dabei in erkenntnistheoretischer Perspektive von wahrscheinlichen Annahmen aus, die er für wahr hält und durch die er auf diese Weise ein kreatives Potential freisetzt – oder er steht in anthropologischer Perspektive für die emotionale Fähigkeit, ein Ziel zu erstreben oder für eine Sache 1 Art. religiöser Glaube, Philosophisches Wörterbuch 2, hg. von G. Klaus und M. Buhr, Leipzig 121976, 1052f. 2 Präzise nachgezeichnet findet sich diese Debatte bei M. PETZOLDT, Glaube und Wissen. Marginalien zu einer marxistischen Diskussion, in: ders., Christsein angefragt. Fundamentaltheologische Beiträge, Leipzig 1998, 121–144. Der Aufsatz beruht auf Matthias Petzoldts Antrittsvorlesung im September 1987 am Theologischen Seminar Leipzig, die mir noch lebendig vor Augen steht.
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zu kämpfen. Der Grat ist schmal, der dabei betreten wird. Um den Begriff materialistisch besetzen zu können, muss seine religiöse Dimension möglichst eng begrenzt und auf das Für-Wahr-Halten von Irrationalem wie jeder Form von Offenbarung festgelegt werden. Die positive Füllung bereitet indessen Mühe: Begriffsbildungen wie theoretischer, wissenschaftlich begründeter, optimistischer, schöpferischer oder sozialistischer Glaube bleiben weitgehend verschwommen. Interessant wird es da, wo auch die marxistische Diskussion nicht umhin kann, sich dem Urmodell des biblischen Glaubensverständnisses anzunähern: der Beziehung personalen Vertrauens.3 Vor dieser Schwelle bleibt sie freilich stehen. Das fällige Gespräch mit der Theologie wird 1989 von der Geschichte überholt. Gegen die Reduktion des christlichen Glaubens auf die schlichte Zustimmung zu feststehenden (irrationalen) Bekenntnisinhalten erhebt bereits die biblische Überlieferung massiven Einspruch. Sie tut es mit einer Stimme, denn sowohl der Begriff der „Emuna“ ( )אמונהwie auch der Begriff der „Pistis“ (πίστις) enthalten ein breites semantisches Spektrum, das nicht ohne weiteres auf Sprachbereiche oder eben auf ein jüdisches und ein christliches Verständnis aufgeteilt werden kann.4 „Glaube“ bezeichnet in erster Linie ein Beziehungsgeschehen, dessen Grundbedeutung in der vertrauensvollen Zuwendung besteht. Was in der zwischenmenschlichen Erfahrung vorgegeben ist, erweist sich dabei auch in religiöser Hinsicht als transparent. Es liegt auf der Hand, dass man von einem so verstandenen Glauben am besten in narrativer Form reden kann. Der Glaube kommt deshalb weniger in Definitionen oder Auflistungen von Glaubensinhalten5 als vielmehr in konkreten Lebensgeschichten zur Sprache. Solche Geschichten durchziehen die gesamte biblische Überlieferung. Sie werden erinnert und immer wieder neu erzählt.6 Daran wird bereits deutlich, dass die erstaunliche Karriere, die der Glaubensbegriff in den Schriften des Neuen Testaments erfährt, weniger das Ergebnis eines innovativen Impulses als einer schlich3 Umgangssprachlich geläufig war der vielzitierte Spruch Lenins: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ 4 Das war die lange Zeit einflussreiche These von M. BUBER, Zwei Glaubensweisen, Zürich 1950/Darmstadt 21994; vgl. dazu G. EBELING, Zwei Glaubensweisen?, in: H.J. Schultz (Hg.), Juden, Christen, Deutsche, Stuttgart/Olten 1961, 159–168; E. LOHSE, Emuna und Pistis. Jüdisches und urchristliches Verständnis des Glaubens, ZNW 68 (1977), 147–163. 5 Genau diese Perspektive nehmen jedoch die zahlreichen Meinungsumfragen nach dem Muster „Was glauben die Deutschen“ ein – und stellen dann zwangsläufig einen Rückgang des Glaubens auf allen Gebieten fest. 6 Ein besonders anschauliches Beispiel bietet hier die „Wolke von Zeugen“ in Hebr 11,1–40, die dem Lesepublikum einen Paradigmenkatalog alttestamentlicher Glaubenszeugen vor Augen stellt.
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ten Wiederentdeckung ist.7 Kronzeuge dieser Wiederentdeckung ist kein geringerer als Abraham, der Stammvater des Gottesvolkes Israel.8 An seiner Geschichte orientiert die junge Christenheit nun den Begriff des Glaubens, um damit das Verhältnis zwischen Gott und Mensch zu beschreiben.9 Sie tut das mit einer solchen Ausschließlichkeit, dass hier in der Folge so etwas wie eine neue Mitte ihrer Theologie sichtbar wird.10 Dazu leistet auch der Erzähler Lukas einen ganz entscheidenden Beitrag. Rein statistisch betrachtet spricht er zwar weniger von „Glaube“ und „glauben“ als etwa Paulus oder Johannes.11 Dafür aber entwirft er das Konzept einer großen Glaubens- und Hoffnungsgeschichte, die das Gottesvolk Israel und die christliche Gemeinde miteinander verbindet.12 Eine Reihe von Erzählfiguren repräsentiert diese lange Geschichte an der Schwelle zur Geschichte Jesu von Nazaret: der Priester Zacharias, der gerecht und untadelig nach den Geboten der Tora lebt (Lk 1,5–6), erhält die ersten weitreichenden Zusagen im Rahmen einer Tempelliturgie; der Prophet Simeon, der gerecht und fromm ist, erwartet die Tröstung Israels (Lk 2,25); die Prophetin Hannah, die ein Leben mit Fasten und Gebet führt, gehört zu jenen, die auf die Erlösung Jerusalems warten (Lk 2,37– 38); der Täufer Johannes, dem schon vor seiner Geburt Geist und Kraft des Elia zugesagt waren (Lk 1,17), ruft das Volk zur Umkehr und verkündigt Evangelium (Lk 3,18); Josef aus Arimatäa, ein guter und gerechter Mann, der auf die Königsherrschaft Gottes wartete, trägt Sorge für die Bestattung des Leichnams Jesu (Lk 23,50–53). Diese Figuren werden zwar nicht explizit als Glaubenszeugen vorgestellt. Aber sie repräsentieren die Frommen 7 So pointiert H. W EDER, Die Entdeckung des Glaubens im Neuen Testament, in: ders., Einblicke ins Evangelium. Exegetische Beiträge zur neutestamentlichen Hermeneutik, Göttingen 1992, 137–150. 8 Zur Bedeutung Abrahams vgl. C. BÖTTRICH, Abraham im Christentum, in: C. Böttrich/B. Ego/F. Eißler (Hg.), Abraham in Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2009, 62–115. 9 Programmatische Bedeutung hat die Interpretation Abrahams bei Paulus; vgl. dazu B. SCHLIESSER, Abraham’s Faith in Romans 4. Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Gen 15:6, WUNT 2/224, Tübingen 2007. 10 Vgl. zum Ganzen den Sammelband: F. Hahn/H. Klein (Hg.), Glaube im Neuen Testament (FS H. Binder), BThSt 7, Neukirchen-Vluyn 1982 (mit Beiträgen von G. Strecker, H. Klein, F. Hahn, W. Schenk, G. Friedrich, G. Kretschmar); dazu auch K. HAACKER, Was meint die Bibel mit Glauben?, in: ders., Biblische Theologie als engagierte Exegese, Wuppertal 1993, 102–121; DERS., Glaube im Neuen Testament, in: ebd., 122–138. 11 W. SCHENK, Glaube im lukanischen Doppelwerk. in: F. Hahn/H. Klein (Hg.), Glaube im Neuen Testament (s. Anm. 10), 69–92. 12 M. W OLTER, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: C. Breytenbach/J. Schröter (Hg.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung (FS E. Plümacher), AJEC 57, Leiden 2004, 253–284; DERS., Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 26–30, spez. 28 (graphische Darstellung).
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Israels, die bereits jene Gottesbeziehung leben, die in anderen Zusammenhängen dann unter dem Stichwort des Glaubens zur Darstellung kommt. Abrahams Vorbild taucht immer wieder im Hintergrund verschiedener Textzusammenhänge auf, ohne dass sein Glaube jedoch eigens expliziert würde. Der Beginn der Erzählung nimmt die an ihn gerichtete Verheißung betont auf (Lk 1,55.73); der Täufer weist die schlichte Berufung auf die genealogische Seite der Abrahamskindschaft vehement zurück (Lk 3,8); diejenigen, die sich Jesus vertrauensvoll zuwenden, werden „Tochter“ bzw. „Sohn Abrahams“ genannt (Lk 13,16/19,9); Vater Abraham fungiert schließlich beim eschatologischen Freudenmahl als Hoffnungsträger derer, die ihr Vertrauen auf Gott setzen (Lk 13,28; 16,22–31). Seine Geschichte wird dann auch in den Reden der Apostelgeschichte rückblickend wieder in Erinnerung gerufen.13 Insofern verfehlt es die Sache, wenn Adolf Schlatters bahnbrechende Arbeit über den Glauben im Neuen Testament trotz einer differenzierten und kenntnisreichen Darstellung des jüdischen Kontextes immer wieder den Glauben Jesu im Gegensatz zu einer „zeitgenössischen Verdiensttheologie“ zu beschreiben versucht.14 Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft, in der die Zuwendung Gottes auf eine ganz unmittelbare Weise hörbar und spürbar wird, setzt sich nicht ab, sondern schließt sich an. Sie schöpft mit vollen Händen aus der Glaubensgeschichte Israels, ohne sich bei deren Abgründen oder Verfehlungen aufzuhalten. Das Potential, das in dem unverbrüchlichen Vertrauen in die Barmherzigkeit und Güte Gottes längst schon gegeben ist, wird darin lediglich zu neuer Entfaltung gebracht. Der Glaube Israels intensiviert sich und gewinnt in der Begegnung mit Jesus von Nazaret erneut Gestalt. So wird er zu einer Art Markenzeichen der Jesusbewegung wie der jungen Christenheit überhaupt. Den Glauben als ein Beziehungsgeschehen vermag Lukas auf ausgesprochen facettenreiche Weise darzustellen. Heilungsgeschichten, Streitgespräche, Gleichnisse, Logien, Missionsreden und -episoden oder Charakterisierungen von Personen stellen dafür die jeweiligen Kontexte bereit. Fünf Aspekte des Glaubensbegriffs treten besonders in den Blick, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen: 1. Glaube wird herausgefordert,
13 Apg 3,25; 7,2.16.17; zum Ganzen vgl. J. JESKA, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas. Apg 7,2b–53 und 13,17–25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels, FRLANT 195, Göttingen 2001. 14 A. SCHLATTER, Der Glaube im Neuen Testament, Stuttgart 41927, 95 u.ö.; hier ist Schlatter als Kind seiner Zeit offensichtlich ganz von der Vorgabe lutherischer Rechtfertigungstheologie bestimmt. Vgl. zum Kontext H. LICHTENBERGER, Adolf Schlatter und das Judentum, in: C. Böttrich/J. Thomanek/T. Willi (Hg.), Zwischen Zensur und Selbstbesinnung. Christliche Rezeptionen des Judentums, GThF 17, Frankfurt a.M. 2009, 321– 346.
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2. Glaube setzt in Beziehung, 3. Glaube bewirkt Rettung, 4. Glaube ist gefährdet, 5. Glaube motiviert zum Handeln.
1. Glaube wird herausgefordert Für Lukas wie auch für die Autoren des Neuen Testamentes insgesamt ist der Glaube mehr als nur eine in jedem Menschen angelegte Fähigkeit, die lediglich in Gebrauch genommen werden müsste. Glaube entsteht vielmehr durch einen Anstoß, der von außen kommt. Er bedarf der Herausforderung. Erst im Rahmen einer Beziehung wird er zu dem, was er ist: „Glaube entsteht, wo das Rettende erscheint. Glaube ist etwas, das mir zugespielt werden muss, so wie das Lachen durch den Witz zugespielt wird, oder der Tanz durch die Musik.“15 Deshalb kann der Glaube auch immer wieder als eine Gabe Gottes, eine eschatologische Größe oder eine transzendente Macht beschrieben werden.16 Erst dort, wo Gottes Zuwendung den notwendigen Raum schafft, hat auch der Glaube einen Ort. Er ist frei, in diesen Raum einzutreten. Gottes Zuwendung vereinnahmt den Menschen nicht. Doch ohne die vorausgehende Zuwendung, das Wort oder die Tat, würde dem Glauben der entscheidende Bezug fehlen. Paulus formuliert diesen Zusammenhang kurz und prägnant, wenn er in Röm 10,17 als Fazit einer längeren Argumentationskette schreibt: „Folglich kommt der Glaube aus der Botschaft, die Botschaft aber kommt durch das Wort Christi.“17 Das „Wort Gottes“ ist auch bei Lukas die entscheidende Bezugsgröße für den Glauben. Sein ganzes Werk ist von einer sorgfältig konzipierten Wort-Gottes-Theologie geprägt, die in einem weiten, umfassenden Horizont steht:18 Gottes Wort, das von den Propheten ausgerichtet wurde und das in den „Schriften“ zugänglich ist, wird von dem Propheten aus Nazaret aufgenommen und aktualisiert; seine Schüler, die „Apostel“ und schließlich auch Paulus sind „Zeugen“ dieses Wortes und tragen es in der missionarischen Verkündigung bis an die Enden der Erde; in der allmählich entstehenden Kirche findet dieses Wort seine neue Heimstätte und bietet den Funktionsträgern in den Gemeinden die maßgebliche Orientierung. So weit wie der Evangelist Johannes, der das Wort (λόγος) zum 15
So formuliert es pointiert W EDER, Entdeckung (s. Anm. 7), 144. Vgl. B. SCHLIESSER, Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, Theologische Studien 3, Zürich 2011, 34–41 (= 3. Glaube als göttliche Geschehenswirklichkeit). 17 Als ein lukanisches Pendant könnte man das Schlussgleichnis der Feldrede (Lk 6,47–49) verstehen, das mit der Eröffnung beginnt: „Jeder, der zu mir kommt und meine Worte hört und sie tut – ich werde euch zeigen, wem jener ähnlich ist …“; konkrete Lebensgestaltung, die vor Gott Bestand hat, erwächst aus dem Hören. 18 C.-P. MÄRZ, Das Wort Gottes bei Lukas, EThSt 11, Leipzig 1974. 16
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christologischen Hoheitstitel macht, geht Lukas nicht.19 Doch er identifiziert Jesus in einer Weise mit dem Wort Gottes, die unter den Synoptikern ihresgleichen sucht.20 Zwei Perikopen haben dabei für Lukas Schlüsselcharakter. Die Antrittspredigt Jesu in Nazaret, die Lukas nach vorn gezogen und zum programmatischen Auftakt für das öffentliche Auftreten Jesu ausgestaltet hat (Lk 4,16–30), beginnt mit der üblichen Schriftlesung in der Synagoge. Jesus „findet“ eine Schriftstelle, die es in sich hat, und liest einen der dichtesten Hoffnungstexte aus Deuterojesaja (Jes 61,1–2). In diesem „Gotteswort/Prophetenwort/Schriftwort“ spiegelt sich das Vertrauen Israels auf die Treue seines Gottes in einer Situation, die ein solches Vertrauen gerade zu widerlegen scheint. Es ist eines der großen Glaubenszeugnisse, mit dem die Exulanten unverbrüchlich an Gott festhalten. Die anschließende „Predigt“ Jesu reduziert der Erzähler Lukas dann auf eine knappe Proklamation: „Heute ist diese Schriftstelle erfüllt in euren Ohren“ (Lk 4,21). Der Erzähler aber fügt hinzu, dass alle staunten über „die Worte der Gnade, die aus seinem Mund kamen.“ Gottes Wort kommt in der Botschaft Jesu nicht nur von neuem zu Gehör – es wird durch ihn zugleich auch repräsentiert und durch seine Taten mit Lebenswirklichkeit erfüllt.21 Dazu müssen sich die Adressaten verhalten. Sie tun es in genau jener ambivalenten Weise, die bereits der Prophet Simeon im Tempel vorausgesagt hatte: „Siehe, dieser ist bestimmt zum Fall und zum Aufstehen vieler in Israel ...“ (Lk 2,34). Das Wort Gottes provoziert Ablehnung und Zustimmung, Unglauben und Glauben. Es überrollt nicht einfach diejenigen, die es hören, aber es lockt sie aus ihrer Deckung und ruft somit überhaupt erst den Glauben hervor. Eine zentrale Rolle spielt das Wort Gottes auch in dem Gleichnis vom Sämann (Lk 8,5–15). Seine Deutung, von den Schülern erfragt, setzt mit einer schlichten Feststellung ein: „Der Same ist das Wort Gottes“ (Lk 8,11).22 Die Logik des Bildfeldes spricht für sich. Alles hängt zunächst 19 Ob man wie MÄRZ, Wort Gottes (s. Anm. 18), 11–14, in Apg 13,48 das Wort Gottes schon als eine „hypostasierte Größe“ beschreiben kann, bleibt fraglich; immerhin tritt hier der Lobpreis des „Wortes Gottes“ an die Stelle des Lobpreises Gottes selbst. Der klare Bezug auf die vorausgehende Predigt rät indessen dazu, einer solchen situationsbedingten Zuspitzung nicht zu viel an theologischem Gewicht beizulegen. 20 In der langen Diskussion um die Bezüge zwischen Johannes und Lukas ist dieser Aspekt kaum beachtet worden. Es scheint, als korrespondiere die Wort-Gottes-Theologie des Lukas der Logos-Christologie des Johannes auf eine geradezu kongeniale Weise. 21 Zur Einheit von Wort und Tat im Auftreten Jesu vgl. z.B. Lk 5,15; 6,18; 9,1–2.11; 10,17–20; 11,20. 22 Mit der Wendung ὁ λόγος τοῦ θεοῦ präzisiert Lukas Mk 4,14: „Der Sämann sät das Wort“; Mt 13,19 präzisiert auf seine Weise: „Jeder, der das Wort von der Königsherrschaft hört ...“.
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von der Aussaat ab. Wo nichts gesät wird, kann auch nichts wachsen. Ohne das Wort Gottes gibt es auch keinen Glauben. Das Saatgut wiederum wird nicht einfach in den Wind geblasen, sondern ausgesät. Es braucht den Boden, um Frucht zu bringen. Gottes Wort kann nicht für sich bleiben, sondern braucht Adressaten, die es hören. Besser als mit diesem Bildmaterial lässt sich das Beziehungsgeschehen, das von Gottes Wort ausgelöst wird, kaum erfassen. Die Wirkung fällt indessen ganz unterschiedlich aus. In der Deutung zielt „das Wort“ ganz klar auf „den Glauben“.23 Doch diesem Glauben stehen verschiedene Hindernisse im Weg. Der Teufel, die Zeit der Versuchung, die Sorgen, der Reichtum und die Genüsse des Lebens – sie alle verhindern, dass der Same aufgeht und das Wort Gottes Glauben hervorbringt. Allein „diejenigen, die hörend das Wort in einem guten und tüchtigen Herzen bewahren“,24 kommen zum Glauben. Hören und Bewahren sind die beiden Komponenten, aus denen Glaube entsteht. Das Wort Gottes erklingt bei Lukas in vielfältiger Gestalt. Das ganze Doppelwerk ist auf die Überlieferungen derjenigen gestützt, „die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind“ (Lk 1,2) und zielt darauf ab, „die Sicherheit der Worte“ zu erkennen, in denen Theophilos und der von ihm repräsentierte Adressatenkreis unterwiesen worden sind – also Glauben zu stärken. Auf der Erzählebene wird dieses Wort durch Gottesboten gesprochen, in der Schriftlesung zu Gehör gebracht, von der prophetischen Gestalt des Täufers bildgewaltig und provozierend inszeniert, von Jesus in Anspruch genommen, von den Schülern verbreitet, von den Frauen am Ostermorgen übermittelt und schließlich von Aposteln und Zeugen weit über Jerusalem hinausgetragen. Immer geht es nur darum, an die Erfüllung dieser Worte zu glauben. Die unterschiedlichen Reaktionen werden durch verschiedene Figuren und Figurengruppen charakterisiert: Zacharias glaubt dem Wort des Engels nicht, Maria tut es; das Volk glaubt dem Wort des Täufers, die Pharisäer und Gesetzeslehrer verweigern jedoch diesen Glauben; die Worte Jesu stoßen auf Annahme und Ablehnung; die Frauen am Ostermorgen glauben den Worten der Gottesboten, ihre eigenen Worte aber werden dann von den Männern als Geschwätz abgetan; die Worte der Missionspredigten in der Apostelgeschichte polarisieren und führen zur Entstehung neuer christlicher Gemeinden.
23 Diesen Akzent setzt wiederum nur Lukas: Der Teufel „nimmt das Wort aus ihrem Herzen weg, damit sie nicht zum Glauben kommen und gerettet werden“; Mk 4,15/ Mt 13,19 lassen den Satan bzw. den Bösen lediglich „das in sie gesäte (Wort)“ wegnehmen bzw. rauben. 24 Deshalb wird Gott auch gerade bei Lukas wiederholt als „Herzenskenner“ bezeichnet: Lk 16,15; Apg 1,24; 15,8; Mk 4,20 spricht von denen, „die das Wort hören und aufnehmen und Frucht tragen“; Mt 13,23: von dem, „der das Wort hört und versteht, und der Frucht trägt und bringt“.
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Diese Grundstruktur durchzieht das gesamte lukanische Erzählwerk. Das Wort Gottes fordert den Glauben heraus – aber es nötigt ihn nicht auf. Gott hat „jedermann den Glauben angeboten“ (Apg 17,31). Man kann „über den Glauben an Christus Jesus“ auch auf distanzierte Weise hören wie der Prokurator Felix (Apg 24,24). Glaube wird gesucht wie in der Frage Jesu nach der Sturmstillung: „Wo ist euer Glaube?“ (Lk 8,25) Er lässt sich finden wie bei dem Hauptmann von Kafarnaum: „Ich sage euch – nicht einmal in Israel habe ich solchen Glauben gefunden.“ (Lk 7,9) Ob der Menschensohn bei seinem Kommen jedoch Glauben finden wird, bleibt wiederum fraglich (Lk 18,18).25 Dem Angebotscharakter entspricht es, dass man „dem Glauben gehorsam werden“ kann (Apg 6,7). Ansonsten aber beherrscht der ingressive Aorist die schlichte Wendung, dass Menschen in der Begegnung mit dem Wort Gottes „zum Glauben kommen“.26 Der Glaube ist nicht einfach da wie eine anthropologische Konstante, sondern hat einen Ausgangspunkt. Er wird hervorgelockt und herausgefordert. Glaube ist Teil einer Beziehung, die von Gottes Wort her begründet wird.
2. Glaube setzt in Beziehung Das Beziehungsgeschehen, in dem Glaube entsteht, hat grundsätzlich personalen Charakter. Auch da, wo der Glaube wie in Lk 24,25 „allem, was die Propheten gesagt haben“ gelten kann, enthalten diese prophetischen Schriften doch nichts anderes als das Wort Gottes, das eben zum Glauben an Gott führt.27 Gott ist deshalb maßgeblich das Gegenüber bzw. die Adresse des Glaubens. Dieser Sachverhalt ist für Lukas so selbstverständlich, dass er ihn kaum eigens thematisiert. Durch seine Wort-Gottes-Theologie hat er ihn fest etabliert und abgesichert. An einigen wenigen Stellen bringt Lukas dieses Gegenüber Gottes dann auch ganz direkt zur Sprache. Von der Erzählchronologie her einleuchtend wird etwa Maria selig gepriesen, weil sie „an die Erfüllung dessen geglaubt hat, was ihr vom Herrn gesagt wurde“ (Lk 1,45). Dieser Kyrios ist Gott, denn der Kyrios Jesus befindet sich noch im Status der Verheißung. Der Gefängnisaufseher von Philippi kommt mit seinem ganzen Haus zum Glauben an Gott (Apg 16,34), weil er als Nichtjude zunächst erst einmal in eine Beziehung zu dem Gott Israels als dem 25 D.R. CATCHPOLE, The Son of Man’s Search for Faith (Luke XVIII 8b), NT 19 (1977), 81–104. 26 Apg 4,4; 8,12.13; 9,42; 13,12.48; 17,12.34; 18,8. 27 Wenn Paulus Apg 24,14 beteuert, dass er „allem glaube, was im Gesetz und in den Propheten geschrieben steht“, dann will er damit lediglich seine Bekenntnistreue zu den väterlichen Überlieferungen feststellen.
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Vater Jesu Christi treten muss.28 Paulus bekundet in Seenot gegenüber den Mitreisenden sein Vertrauen auf Gott, der sie retten werde (Apg 27,25), weil allein das in dieser Situation verständlich ist. Zu dieser Perspektive kommt jedoch eine weitere, zunehmend dominierende hinzu: Viel häufiger als von dem Glauben an Gott begegnet bei Lukas nun die Rede vom Glauben an den „Herrn Jesus Christus“. Im Kontext der lukanischen Jesus-Christus-Geschichte29 bleibt die Adresse des Glaubens in einer ganzen Reihe von Fällen zunächst offen. Immer wieder wird Menschen in der Begegnung mit Jesus „Glauben“ attestiert, ohne dass dabei deutlich gemacht würde, ob dieser Glaube nun Gott oder Jesus gilt. Damit erreicht der Erzähler, dass Jesus in einer Art Funktionseinheit mit Gott erscheint. In den Wundergeschichten lässt sich diese Perspektive ganz besonders deutlich erkennen. Jesus handelt souverän und in göttlicher Vollmacht – so dass die Menge staunt und die Kritiker opponieren. Er richtet Gottes Wort nicht nur aus, wie das die Propheten taten, sondern repräsentiert die Gegenwart Gottes auf unmittelbare Weise. Der Glaube, der dadurch hervorgerufen wird, richtet sich somit auf das Heilshandeln Gottes, wie es mit dem Auftreten Jesu Wirklichkeit wird. Die Begegnung mit Jesus geht in einer neuen Form der Gottesbeziehung auf. Gott selbst begegnet in Jesus von Nazaret, wie das die Menge nach der Auferweckung des Jünglings zu Nain zutreffend konstatiert: „Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden! und: Gott hat sein Volk besucht!“ (Lk 7,16) In der Apostelgeschichte ändert sich die Erzählsituation. Der Auferstandene und zu Gott Entrückte wird nun viel eindeutiger zur Adresse des Glaubens, weil sich die christliche Verkündigung auf genau dieses Ereignis von Tod und Auferstehung konzentriert. Das „Christusereignis“ stellt das Neue dar, für das Juden und Nichtjuden gleichermaßen gewonnen werden sollen. An der Deutung dieses Lebens und dieses Todes scheiden sich die Geister. Deshalb muss auch der Sachverhalt eindeutiger benannt werden. Weil aber der Auferstandene auch weiterhin bei seiner Gemeinde ist und ihren Weg durch die Zeit begleitet, besteht das Proprium des christlichen Glaubens unmissverständlich in dem Glauben „an den Herrn“ (Apg 9,42; 16,15; 18,8), „an den Herrn Jesus“ (Apg 16,31; 20,21) oder noch volltönender „an den Herrn Jesus Christus“ (Apg 11,17).30 Doch auch hier lassen die christologischen Titel keinen Zweifel daran, dass dieser 28 Vgl. 1Thess 1,9: „... wie ihr euch von den Götzen weg Gott zugewandt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen.“ 29 Zu diesem Begriff vgl. E. REINMUTH, Hermeneutik des Neuen Testaments. Eine Einführung in die Lektüre des Neuen Testaments, UTB 2310, Göttingen 2002, 11–38. 30 Gelegentlich lässt sich diese Adresse auch nur aus dem Kontext erschließen; so z.B. in Apg 10,43; 19,4.
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Glaube in dem Glauben an Gott sein letztes Ziel hat: Der „Kyrios“-Titel setzt den Auferstandenen in die Machtfülle Gottes ein; der „Christus/Messias“-Titel nimmt die gesamte Hoffnungs- und Verheißungsgeschichte des Gottesvolkes Israel auf. In 26,18 zitiert Paulus die Worte des Auferstandenen vor Damaskus mit dessen direktem Hinweis auf den „Glauben an mich“. Einen Sonderfall stellt die Wendung vom Glauben „an seinen (Jesu Christi) Namen“ dar (Apg 3,16).31 Dabei ist jedoch klar, dass der Name für die Person steht und dass es auch hier um die personale Beziehung geht.32 Der Unglaube gegenüber den Worten eines Gottesboten (Lk 1,20) oder eben gegenüber den Frauen am Ostermorgen (Lk 24,11) weist wiederum auf eine Beziehungsstörung hin. Sprachlich ist das Beziehungsgeschehen des Glaubens durch die Formeln „πιστεύειν/πίστις ἐπί“ und „πιστεύειν/πίστις εἰς“ zum Ausdruck gebracht, die beide die Richtung des Glaubens angeben.33 Bedeutungsunterschiede lassen sich dabei kaum ausmachen. In beiden Formen klingt semitischer Sprachgebrauch nach. Ohne das personale Gegenüber aber ist der Glaube für Lukas nicht vorstellbar. Der Glaube an bestimmte Bekenntnisinhalte, wie ihn Paulus etwa in Röm 10,9 formuliert, geht bei Lukas ganz in der narrativen Entfaltung des „Christusereignisses“ auf.34 Da, wo auch Lukas einmal die Formel „πιστεύω ὅτι“ gebraucht, hat er jedenfalls kein Bekenntnis im Blick.35
31 In diesem Fall geht es um den Glauben des Petrus und des Johannes, der „durch Jesus“ (Apg 3,16) – d.h. durch das Vertrauen der beiden Apostel in die Macht des Auferstandenen – das Heilungswunder bewirkt; vgl. J. LAMBRECHT, The Lame Man’s Trust or Peter’s Faith? (Acts 3,12–16), in: ders., Understanding What One Reads. New Testament Essays, hg. von V. Koperski, Leuven 2003, 125–131. 32 Ein magisches Namensverständnis vermutet W. HEITMÜLLER, „Im Namen Jesu“. Eine sprach- und religionsgeschichtliche Untersuchung zum Neuen Testament, FRLANT 2, Göttingen 1903, 232; zum Zusammenhang vgl. C.K. BARRETT, Faith and Eschatology in Acts 3, in: E. Gräßer (Hg.), Glaube und Eschatologie (FS W.G. Kümmel), Tübingen 1985, 1–17. 33 R. BULTMANN/A. W EISER, Art. πιστεύω κτλ., ThWNT 6 (1959), 174–230, spez. 203–204; G. B ARTH, Art. πίστις/πιστεύω, EWNT 3 (21992), 216–231. 34 Eine Ausnahme stellt der sekundäre Vers Apg 8,37 dar, der ein Taufbekenntnis nachliefert: „Ich glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist.“ Hier ist der Bekenntnisinhalt durch einen abhängigen Infinitiv ausgedrückt. 35 Apg 9,26 (man glaubt nicht, dass der bekehrte Saulus tatsächlich ein „Jünger“ sei); 27,25 (Paulus glaubt, dass alles so eintreffen werde, wie ihm gesagt wurde). In Lk 1,45 ist es die „Vollendung des Gesagten“ und somit wiederum das von Gott kommende Wort, das Gegenstand von Marias Glauben ist.
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3. Glaube bewirkt Rettung Über die Frage, ob der Glaube vor allem ein Terminus hellenistischer und frühchristlicher Missionsterminologie gewesen sei, ist lange gestritten worden.36 Immerhin besteht ein auffälliger Zusammenhang zwischen Glaube und Rettung, der im Kontext einer Lebenswende, häufig verbunden mit Wunderheilungen, konstatiert wird. Dabei spielt vor allem die Formel „ἡ πίστις σου σέσωκέν σε / dein Glaube hat dich gerettet“ eine wichtige Rolle.37 Lukas, der die Formel in Mk 5,34 (Blutflüssige) und Mk 10,52 (Blinder vor Jericho) vorfand, hat ihr noch einmal ein ganz neues Gewicht verliehen. Er wiederholt sie zwei weitere Male – LkS 7,50 (Salbungsgeschichte) und LkS 17,19 (Zehn Aussätzige) – und fügt über Markus hinaus den Zusammenhang zwischen Glaube und Rettung in das Sämannsgleichnis (Lk 8,12) und die Auferweckung der Jairustochter (Lk 8,50) ein; in der Heilung des Gelähmten in Lystra (Apg 14,9–10), dem Votum des Petrus auf dem Apostelkonvent (Apg 15,7–11) sowie der Bekehrung des Gefängnisaufsehers von Philippi (Apg 16,31) platziert er ihn ebenso. Matthäus ist den umgekehrten Weg gegangen und hat gegenüber Markus die Formel auf einen einzigen Beleg (Mt 9,22 – Blutflüssige) reduziert. Die Formel weist bei Lukas eine stereotype Gleichförmigkeit auf, die allein in verschiedenen Erweiterungen auch Modifikationen erkennen lässt: – Lk 7,50: „Dein Glaube hat dich gerettet! Geh hin in Frieden!“ – Lk 8,48: „Tochter, dein Glaube hat dich gerettet! Geh hin in Frieden!“ – Lk 17,19: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet!“ – Lk 18,42: „Werde wieder sehend! Dein Glaube hat dich gerettet!“ Das erste Vorkommen erzählt die Geschichte einer Lebenskrise und Lebenswende (Lk 7,36–50): Jene Frau, die in die Tischrunde einer Männergesellschaft eindringt und Jesu Füße salbt, vollzieht eine Umkehr und erlangt die Vergebung ihrer Sünden. In den drei folgenden Fällen geht es um Heilungswundergeschichten:38 Die blutflüssige Frau (Lk 8,40–56) wird von einem zwölfjährigen Leiden geheilt; der aussätzige Samaritaner (Lk 17,11–19) kehrt in seine früheren sozialen Beziehungen zurück; der Blinde 36 E. B RANDENBURGER, Pistis und Soteria. Zum Verstehenshorizont von „Glaube“ im Urchristentum, in: ders., Studien zur Geschichte und Theologie des Urchristentums, SBAB 15, Stuttgart 1993, 251–288. 37 Jak 2,14 scheint das Anliegen dieser Formel in Frage zu stellen: „Kann etwa der Glaube ihn retten?“ Hier geht es indessen um die Unterscheidung von totem und lebendigem Glauben. Retten kann nur der lebendige Glaube, der auch in der Liebe aktiv wird; nichts anderes ist bei Lukas vorausgesetzt. 38 Diesem Zusammenhang denkt das Referat eines Theologen vor Medizinern nach: H.J. STOEBE, Heilung und Glaube, in: ders., Geschichte, Schicksal, Schuld und Glaube, BBB 72, Frankfurt 1989, 305–316.
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vor Jericho (Lk 18,35–43) vermag wieder zu sehen. In allen vier Fällen geht die Initiative von den Notleidenden aus, die an Jesus herantreten und ihr Anliegen vortragen. Das wird wiederum nur dadurch ermöglicht, dass Jesus in ihre Nähe kommt und die Begegnung zulässt. In diesen Begegnungsgeschichten laufen zwei Bewegungen aufeinander zu, die dann in der Formel „Dein Glaube hat dich gerettet!“ ihren Höhepunkt erreichen. In drei von vier Fällen verbindet sich damit die Aufforderung, „hinzugehen“ – also aufzubrechen und ein neues Leben zu beginnen. Sie fügt sich in die Wegmetaphorik des Lukas ein, die das Leben als einen Weg und ganz besonders das Leben der christlichen Gemeinde als Weg durch die Zeit beschreibt. Die Heilung des Aussätzigen und die des Blinden finden ohnehin auf dem bedeutungsschweren „Weg“ Jesu nach Jerusalem statt, der sich in der Apostelgeschichte im Leben jener als „Weg“ bezeichneten Gruppe von Christusgläubigen fortsetzen wird. Auch die salbende Frau und die erst zwölfjährige Tochter des Jairus bleiben nicht auf das Haus, in dem die Erzählung spielt, fixiert; ihre „Rettung“ bringt sie nun erst auf den „Weg“ eines neuen Lebens. Der gleiche Zusammenhang,39 jedoch ohne formelhafte Prägnanz, begegnet noch einmal in den folgenden Aussagen: – Lk 8,12: „Die auf dem Weg sind diejenigen, die es hören, danach aber kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen weg, damit sie nicht zum Glauben kommen und gerettet werden.“ – Lk 8,50: „Fürchte dich nicht! Glaube nur, und sie wird gerettet!“ – Apg 14,9–10: „Als er (Paulus) ihn anblickte und sah, dass er Glauben hatte, gerettet zu werden, / sprach er mit lauter Stimme: Stelle dich aufrecht auf deine Füße!“ – Apg 15,11: „Sondern durch die Gnade des Herrn Jesus glauben wir, gerettet zu werden, auf dieselbe Weise, wie auch jene.“ – Apg 16,30–31: „Ihr Herren – was muss ich tun, um gerettet zu werden? / Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so werden du und dein Haus gerettet!“ Das Sämannsgleichnis (Lk 8,4–15) erfährt bei Lukas in seiner Deutung eine bemerkenswerte Erweiterung: Der Teufel (bzw. der Satan oder der Böse) nimmt das Wort nicht wie in Mk 4,15/Mt 13,19 einfach nur weg, sondern verhindert damit auch explizit, dass dieses „Wort Gottes“ nun im Herzen Glauben erweckt und zur Rettung führt. Die Formulierung „ἵνα μὴ πιστεύσαντες σωθῶσιν / damit sie nicht, indem sie zum Glauben kommen, 39
Ihm entspricht das paulinische Pendant in Röm 10,9–10: „Denn wenn du bekennst (ὁμολογήσῃς) mit deinem Mund: ‚Kyrios ist Jesus!‘, und wenn du glaubst (πιστεύσῃς) in deinem Herzen: ‚Gott hat ihn auferweckt von den Toten!‘, dann wirst du gerettet werden. / Denn mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, mit dem Mund aber bekennt man zur Rettung.“
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gerettet werden“ signalisiert, dass der Glaube dabei als ein fester Bestandteil der Rettung des Menschen verstanden ist. Jairus wird zum Glauben aufgefordert mit Blick auf die Rettung seiner Tochter (Lk 8,40–56).40 Der Gelähmte in Lystra (Apg 14,8–10) hofft in der Begegnung mit Paulus zunächst auf seine Heilung, doch Lukas gebraucht dafür die längst eingeführte und bedeutungsschwere Rede von dem Glauben an die Rettung; auch diese Heilungsgeschichte weist damit wie die früheren weit über sich hinaus. Während des Apostelkonventes (Apg 15,1–41) erinnert Petrus daran, dass Gott Juden und Nichtjuden seinen Geist gegeben hat; deshalb besteht, nachdem er „ihre Herzen durch den Glauben gereinigt hat“, auch kein Unterschied mehr, so dass beide durch den Glauben gerettet werden. Der Gefängnisaufseher von Philippi (Apg 16,23–34) wiederum fragt ganz direkt, was er für seine Rettung tun müsse – und erhält daraufhin die Antwort: „Glaube an den Herrn Jesus!“ Dieser Glaube ist es, der ihm und seinem Haus die erfragte Rettung bewirkt.41 Was die Formel „Dein Glaube hat dich gerettet!“ in vier konkreten Situationen konstatiert, wird durch die Erweiterung in Lk 8,12 und 8,50 sowie die Auskünfte in Apg 14,9/15,11/ 16,30–31 in Aussicht gestellt. Glaube und Rettung bedingen einander. Die Vervielfachung der markinischen Formel durch Lukas kommt nicht von ungefähr. Sie ist Teil eines Gesamtkonzeptes von „σωτηρία – Rettung/Heil“ und damit Ausdruck der lukanischen Soteriologie, die bekanntlich eine Reihe von Besonderheiten aufweist. Lange Zeit hat man Lukas unterstellt, dass der Kreuzestod Jesu für ihn keine Heilsbedeutung habe und vor allem als vorbildliches Martyrium unter der Regie eines göttlichen Heilsplanes dargestellt sei. Diese Sicht bedarf inzwischen einer ganzen Reihe von Korrekturen.42 Zutreffend bleibt jedoch, dass Heil und Rettung bei Lukas nicht auf den einen Punkt des Kreuzestodes konzentriert sind. Jesu Sterben ist Teil seines Weges, der im Ganzen für die heilvolle Zuwendung bzw. für das Moment der Rettung steht. Dieser Sachverhalt kommt am besten in dem Begriff der „Proexistenz“ zum Ausdruck, der diesen Weg vom ersten Auftreten in Galiläa über Tod und „Hinaufnahme“ in Jerusalem bis in die Gegenwart in der christlichen Gemeinde hinein um-
40 Mk 5,36 formuliert: „Fürchte dich nicht! Glaube nur!“ Matthäus lässt die ganze Szene aus und strafft die Erzählung auch insgesamt deutlich. 41 Nach Apg 11,14 berichtet Petrus in Jerusalem von der Vision des Kornelius: Simon Petrus werde ihm Worte sagen, durch die „du und dein ganzes Haus gerettet wirst“. Der Glaube an diese Worte ist offensichtlich vorausgesetzt. 42 Am weitesten in der Kritik an der Lukaskritik geht U. MITTMANN-R ICHERT, Der Sühnetod des Gottesknechtes. Jesaja 53 im Lukasevangelium, WUNT 220, Tübingen 2008.
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fasst.43 Dass Jesus am Kreuz zum „Retter“ wird, bereitet sich in den zahlreichen Begegnungen vor, in denen er Menschen „Rettung“ zusagt, und setzt sich in der „Rettung“ derer fort, die auch nach Ostern von der Verkündigung des Evangeliums erreicht werden. Das Kreuzesgeschehen stellt hier den Mittelpunkt, jedoch längst nicht den einzigen Haftpunkt dar. Mit dem Wortfeld der „σωτηρία“ hat Lukas ein dichtes Netz von Aussagen geknüpft, das sein ganzes Doppelwerk überspannt. An bestimmten Knotenpunkten tituliert er Jesus Christus ganz direkt als „σωτήρ / Retter“ (Lk 2,11; Apg 5,31; 13,23).44 Schon mit dem Kind ist die Hoffnung auf Rettung verbunden.45 Immer wieder wird die Heilung körperlicher Leiden als Rettung bezeichnet, weil die Begegnung mit Jesus eben nicht auf die Beseitigung der Krankheit beschränkt bleibt.46 Exemplarisch erscheint hier die Begegnung mit Zachäus, die in die Feststellung einmündet: „Heute ist diesem Haus Rettung zuteil geworden!“ (Lk 19,9) Damit bringt der lukanische Jesus insgesamt das Ziel seiner Sendung auf den Punkt: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um das Verlorene zu suchen und zu retten!“47 (Lk 19,10) Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die dreifache Verspottung des Gekreuzigten noch einmal an Schärfe, bei der die Autoritäten des Volkes, die Soldaten und der eine Mitgekreuzigte vorschlagen, der Delinquent möge sich doch am besten selbst „retten“ (Lk 23,35.37. 39).48 Die Apostelgeschichte nimmt diese Gesamtsicht Jesu als eines Retters völlig sachgemäß auf, wenn sie nun die Verkündigung des Evangeliums unter der Bezeichnung „Wort der Rettung“ (Apg 13,26) oder „Weg der Rettung“ (Apg 16,17) zusammenfasst, denn „in keinem anderen ist Rettung“ (Apg 4,12). Damit klingt das Zitat von Joel 3,5 in Apg 2,21 43 Vgl. C. B ÖTTRICH, Proexistenz im Leben und Sterben. Jesu Tod bei Lukas, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005, 413–436. 44 Im Magnifikat wird damit noch Gott selbst bezeichnet (Lk 1,47); zu dem Gottestitel, der hier zunehmend für Jesus übernommen wird, vgl. insgesamt C. B ÖTTRICH, „Gott und Retter“. Gottesprädikationen in christologischen Titeln, NZSTh 42 (2000), 217–236. 45 Im Benedictus verweist das Stichwort der Rettung voraus auf das angekündigte Heilsgeschehen (Lk 1,69.71.77); Simeon hat in dem Kind die „Rettung / τὸ σωτήριον“ (Lk 2,30) gesehen; Lk 3,6 zitiert Jes 40,5LXX mit der Verheißung, dass alles Fleisch „die Rettung / τὸ σωτήριον“ Gottes sehen werde. 46 Lk 8,36.48.50; 17,19; 18,42; Apg 4,9; 14,9; hinsichtlich der Heilung der verkrümmten Frau stellt sich die Frage, ob es am Sabbat erlaubt sei, Leben zu retten oder zu zerstören (Lk 6,9). 47 Diesem explizit formulierten Programm entspricht der Gleichniskomplex Lk 15,1– 32 bzw. das Logion vom Arzt und den Kranken Lk 5,31–32. Nachfolge steht unter der Perspektive „sein Leben retten oder verlieren“ (Lk 9,24). 48 In Mk 15,29–32(/ Mt 27,39–42) hat Lukas die Verspottung durch das Volk und seine Autoritäten mit dem Vorschlag, sich selbst zu retten, schon vorgefunden. Seine dreifache Staffelung hat eher den Charakter einer Antiklimax.
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zusammen: „Wer den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden!“49 Die gesamte Missionspredigt läuft nun auf die „Rettung“ der Völker hinaus.50 Intern gilt es dabei vor allem zu klären, dass die Beschneidung kein Zusatzkriterium sein darf und dass Rettung allein durch die Gnade des Herrn Jesus erfolgt (Apg 15,1.11). Denn der Begriff „σωτηρία – Rettung/Heil“ steht für die Zuwendung Gottes zu allen Menschen, wie sie im Auftreten Jesu erfahrbar wird. Rettung schafft eine neue, intakte Gottesbeziehung.51 In dieses thematische Netzwerk ist auch die Formel von dem Glauben, der rettet, eingebunden. Damit stellt sich erneut die Frage: Ist der Glaube für Lukas die Voraussetzung dafür, dass Menschen in der Begegnung mit Jesus Rettung erfahren? Ist der Glaube demnach so etwas wie eine Vorleistung, die von Seiten des Menschen zu erbringen wäre und ohne die er nicht zu Gott gelangen könnte? Solche Fragen spitzen sich zu, wenn die Rettung in Gestalt eines Heilungswunders erzählt wird. Bringt also der Glaube das Wunder hervor? Darauf lässt sich relativ einfach mit Nein antworten. Die Formel hat ihren Ort in narrativen Kontexten, in denen es um Heilungen und andere Lebenswenden geht. Hier öffnet die Formel eine Dimension, die über das Erzählte hinausgeht. Man darf ihr deshalb auch nicht die Stringenz einer logischen Deduktion abverlangen – und erst recht nicht ihre Umkehrung erwägen. Der Glaube wird in der Begegnung erst herausgefordert oder hervorgerufen. Gottes Zuwendung (sein Heil oder sein Rettungshandeln) ist grundsätzlich frei und lässt sich weder erzwingen noch durch irgendetwas einschränken oder ausschließen. Der Zusammenhang zwischen Glaube und Rettung, den Lukas mit einem so starken Akzent versieht, liegt auf einer anderen Ebene. Er ist Teil jenes Beziehungsgeschehens, in dem sich Rettung ereignet. Gott verfügt nicht einfach über den Menschen, sondern nimmt ihn ernst. Der Mensch wiederum artikuliert im Glauben sein Vertrauen und seine Offenheit gegenüber Gott bzw. das Wissen darum, dass er der Rettung bedarf. Die lukanischen Erzählungen, in denen die Formel platziert ist, sind als Begegnungsgeschichten angelegt. Beide Protagonisten bewegen sich aufeinander zu. Denn das Wort Gottes braucht den, der es hört; Zuwendung wird nur als solche wahrgenommen, 49 Vgl. noch Röm 10,13. Als Bezeichnung für die Gruppe der Christusgläubigen fungiert die Wendung „die den Namen des Herrn anrufen“ in 1Kor 1,2; Röm 10,12; Apg 9,14.21; 2Tim 2,22; auch Stephanus ruft in seiner Todesstunde den Herrn an (Apg 7,59). 50 Apg 2,40.47; 4,12; 13,26; 16,17. 51 Lukas geht immerhin davon aus, dass es auch Gerechte gibt, die der Umkehr und damit der Rettung nicht bedürfen (Lk 15,7); dem korrespondiert die Aufforderung zur Mitfreude an den älteren Bruder (Lk 15,31–32) oder das Doppel-Logion von den Gesunden, die des Arztes nicht bedürfen sowie von den Sündern, die anstatt der Gerechten zur Umkehr gerufen sind (Lk 5,31–32).
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wenn man ihr vertraut; Rettung kommt nur dort zum Zug, wo dafür auch ein Problembewusstsein besteht.52 Nicht mehr, aber auch nicht weniger an Wirksamkeit gesteht Lukas dem Glauben zu. Diesem Gedanken der Rettung entspricht es, wenn Lukas in einem anderen Zusammenhang von der „Reinigung“ spricht. In Apg 15,9 berichtet Petrus auf dem Apostelkonvent von seinen missionarischen Erfahrungen unter Nichtjuden und stellt fest, Gott habe „keinen Unterschied gemacht zwischen uns und ihnen, nachdem er ihre Herzen gereinigt hatte durch den Glauben.“ Im Herzen hat der Glaube seinen angestammten Ort (vgl. auch Röm 10,9): hier wird das Wort Gottes bewahrt (Lk 2,19.51; 8,12.15); aus dem Herzen stammt Gutes und Böses (Lk 6,45); mit ganzem Herzen gestaltet sich die Liebe zu Gott (Lk 10,27); Gott kennt die Herzen (Lk 16,15; Apg 1,24; 15,8); mangelhaftes Verstehen kann deshalb auch als „Herzensträgheit“ bezeichnet werden (Lk 24,25). Der Glaube trägt dazu bei, das Herz des Menschen auf Gott zu richten und sein Handeln an den Worten Jesu zu orientieren. Das „reinigen / καθαρίζειν“ der Herzen zielt in diesem Zusammenhang auf den Punkt der Umkehr ab, auf den Beginn einer neuen Gottesbeziehung. Ob damit auch schon in einem weiteren Horizont der Prozess der Heiligung im Sinne einer schrittweisen Vervollkommnung der Glaubenden anvisiert ist, bleibt offen.
4. Glaube ist gefährdet Lukas ist sich dessen bewusst, dass der Glaube kein unverlierbares Gut darstellt. Wenn er dem Menschen geschenkt oder im Menschen hervorgerufen wird, dann kann er ihm auch wieder abhanden kommen. Glaube kann aufhören. Sehr nüchtern hat Lukas diese Gefahr in dem Gleichnis vom Sämann (Lk 8,5–15) beschrieben. „Die auf dem Fels“ nehmen das Wort zwar mit Freuden auf, doch ohne ausreichenden Wurzelboden bleibt das eine vorübergehende Episode: „Sie glauben eine bestimmte Zeit lang, und in der Zeit der Versuchung fallen sie wieder ab.“53 (Lk 8,13) Vor allem 52 WEDER, Entdeckung (s. Anm. 7), 146, hat das sehr klar formuliert: „Daraus ersehen wir, dass das heilende und rettende Tun Jesu auf Glauben angewiesen ist. Darin liegt seine Ohnmacht, darin liegt überhaupt die Ohnmacht des Helfens. Es kann in der Welt keine Hilfe geben, wenn es keine Menschen gibt, die sich helfen lassen. Es kann in der Welt kein gutes Wort geben, wenn es keine Menschen gibt, die sich ein solches Wort sagen lassen, ohne ihm ins Wort zu fallen mit allen möglichen Abwehrstrategien. Das rettende Tun Jesu ist auf Glauben angewiesen, wenn es zum Ziel kommen soll. Denn der Glaube erst gesteht es Jesus zu, helfen zu können.“ 53 Nur Lukas spricht hier ganz ausdrücklich von einer Befristung des „Glaubens“. Mk 4,17/Mt 13,21 betonen lediglich die Unbeständigkeit und den Anstoß, den jene Wur-
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sind es äußere Bedrohungen, die dem Glauben ein Ende setzen. Das muss selbst eine so prominente Figur wie Petrus erfahren. Während der Tischgespräche beim letzten Mahl teilt Jesus ihm mit: „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ (Lk 22,32) In genau dieser Gefahr steht Petrus angesichts der bevorstehenden Passionsereignisse. Der Auslöser ist kein geringerer als der Satan, der begehrt, den Schülerkreis „zu sieben wie den Weizen“ (Lk 22,31), also durchzurütteln und auseinanderzustieben.54 Trotz seines aufrichtigen Treueversprechens (Lk 22,33) wird Petrus dieser Gefahr erliegen und wird Jesus verleugnen (Lk 22,54– 62). Allerdings ist sein gefährdeter Glaube von der Fürbitte Jesu umfangen, weshalb er – anders als Judas – nach seinem Scheitern den Weg zur Umkehr findet. Möglichkeiten, um vom Glauben abgehalten zu werden, gibt es viele. Zu den äußeren Bedrohungen treten nach Lk 8,14 die Annehmlichkeiten des Lebens hinzu, auch wenn hier der Glaube nicht ausdrücklich genannt wird. In Apg 13,6–12 erzählt Lukas vom Aufenthalt des Barnabas und des Paulus auf Zypern. Der Statthalter Sergius Paulus zeigt sich offen für „das Wort Gottes“, der Magier Elymas aber versucht, ihn „vom Glauben abzuwenden“.55 Auf das Beziehungsgefüge, in dem durch die Verkündigung des Wortes Gottes Glaube entstehen könnte, wirken gegenläufige Kräfte ein, die sich aus gegensätzlichen Interessen speisen. Solche Konkurrenzsituationen schildert Lukas mehrfach, ohne jedoch dabei den Glauben noch einmal eigens zu benennen. Gefährdeter Glaube bedarf der Stärkung und Festigung. Die Fürbitte Jesu für den Glauben des Petrus will den Erstapostel instand setzen, nach seiner Umkehr seinerseits „die Brüder zu stärken“ (Lk 22,32). Ein solches Anliegen setzt sich in der Apostelgeschichte fort in der seelsorgerlichen Bemühung der Missionare um den Glauben ihrer noch jungen Gemeinden. Auf der Rückkehr von der ersten großen Reise besuchen Barnabas und Paulus noch einmal die Gemeinden in Lystra, Ikonion und Antiochia; dabei „stärkten sie die Seelen der Jünger und ermahnten sie, im Glauben zu bleiben.“ (Apg 14,22) Das wiederholt sich auch auf der zweiten Reise: Als die Gemeinden in Kleinasien von den Beschlüssen des Apostelkonventes erfahren, werden sie „im Glauben gestärkt“ (Apg 16,4–5) und erleben ein weiteres Wachstum. zellosen in der Verfolgungssituation an dem einst mit Freuden aufgenommenen „Wort“ nehmen. 54 Der Satan, der nach der Versuchungsgeschichte von Jesus „für einige Zeit“ abgelassen hatte (Lk 4,13), betritt zu Beginn der Passionsereignisse von neuem die Bühne (Lk 22,3) und forciert die Eskalation der Ereignisse. In Lk 22,31 agiert er so wie im Hiobprolog und erbittet sich gleichsam freie Hand für die Prüfung der Frommen. 55 Man wird hier wohl an eine direkte Gegenpropaganda denken müssen.
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Am Zweifel, der als eine Art produktives Element zum Glauben hinzugehört, zeigt Lukas wenig Interesse.56 Den verzweifelten Ruf des Vaters in Mk 9,24 – „Herr ich glaube! Hilf meinem Unglauben!“ –, in welchem das ganze Wissen um die Unzulänglichkeit des eigenen Glaubens zum Ausdruck kommt, hat Lukas in seiner Fassung dieser Exorzismusgeschichte (Lk 9,37–43) gestrichen. Den Begriff „Kleinglaube / ὀλιγοπιστία“, den Matthäus allein fünfmal verwendet,57 übernimmt er nur an einer einzigen Stelle (Lk 12,28/Mt 6,30). „Ungläubig“ sind die Elf vor allem gegenüber der Botschaft der Frauen am Ostermorgen (Lk 24,11); bei seiner Erscheinung im Schülerkreis sind sie dann „vor Freude noch immer ungläubig“ (Lk 24,41) – was sie aber schon wieder entschuldigt.58 Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Immerhin weiß Lukas wohl, dass der gefährdete Glaube nicht nur abnehmen oder aufhören kann. Um im Glauben zu „bleiben“ oder darin „gestärkt“ zu werden, muss der Glaube wachsen. Er kann demnach auch mehr werden. Glaube hat nicht nur einen qualitativen Aspekt – er ist offensichtlich auch quantifizierbar. Die Quantifizierung des Glaubens ist Thema einer kurzen Chrie, die vermutlich der Logienquelle entstammt und insgesamt eine komplizierte Traditionsgeschichte aufweist.59 Während in Mt 17,20 das Stichwort „Kleinglaube“ den Anstoß gibt, setzt Lk 17,5–6 ganz direkt mit einer Bitte der Apostel ein: „Füge uns Glauben hinzu! / Πρόσθες ἡμῖν πίστιν!“ Der Sinn dieser Bitte erschließt sich nicht sofort: Wollen die Bittsteller ihr bereits vorhandenes, jedoch noch geringes Quantum an Glauben vermehrt haben – oder geht es ihnen darum, zu allen anderen Gaben nun auch noch die des Glaubens hinzugefügt zu bekommen? Das letztere ist – zumal an dieser Stelle der Erzählung – nur schwer vorstellbar, da die Apostel dann als Ohrenzeugen der Feldrede, Augenzeugen zahlreicher Wundertaten, Teilnehmer mehrerer Streitgespräche und längst schon treue Wegbegleiter, die alles verlassen haben, noch immer ohne Glauben dastünden. Das erste 56 Der neutestamentliche Sprachgebrauch ist insgesamt uneinheitlich: mit διακρίνεσθαι: Mk 11,23/Mt 21,21; Röm 4,20; 14,23; Jak 1,6; 2,4; Jud 22; mit διστάζειν: Mt 14,31; 28,17; mit διαλογισμός: Lk 24,38; Phil 2,14; 1Tim 2,8; Schlüsselcharakter hat Jak 1,6–8. Vgl. zum Ganzen G. B ARTH, Glaube und Zweifel in den synoptischen Evangelien, in: ders., Neutestamentliche Versuche und Beobachtungen, Waltropp 1996, 135– 167. 57 „Kleingläubig“: Mt 6,30/Lk 12,28; Mt 8,26; 14,31; 16,8; „Kleinglaube“: Mt 17,20. 58 Den Emmausjüngern hält der Auferstandene in Lk 24,25 vor, „herzensträge / βραδεῖς τῇ καρδίᾳ“ zu sein, was jedoch eher auf Begriffsstutzigkeit als auf Unglauben zielt. 59 Sie ist Teil der Doppelüberlieferung: Mk 11,23/Mt 21,21 auf der einen, Lk 17,5–6/ Mt 17,20 auf der anderen Seite. 1Kor 13,2 spielt vermutlich darauf an; EvThom 48 und 106 bieten sehr eigenständige Fassungen. Generell geht es um Glauben, der Berge versetzen kann; allein Lk 17,6 spricht von der Verpflanzung eines Maulbeerbaumes. Vgl. dazu F. HAHN, Jesu Wort vom bergeversetzenden Glauben, ZNW 76 (1985), 149–169.
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könnte sich indessen aus dem Bild selbst (Senfkorn und Verpflanzung eines Maulbeerbaums) ergeben, das von der Vorstellung eines Größenunterschieds lebt. Schon in einem anderen Zusammenhang (Lk 13,19) war das Senfkorn ein Bild für das Potential, das gerade im Unscheinbaren steckt: Aus einem der kleinsten Körner wird schließlich ein Baum, in dem die Vögel wohnen. „Glaube wie ein Senfkorn“ assoziiert dieses Wachstumspotential und steht für die Anfänge, aus denen noch etwas werden kann – also für Glauben, der sich entwickelt und mehrt. Diesem Gedanken korrespondiert der Tadel des „Kleinglaubens“ (Lk 12,28), der voraussetzt, dass der Glaube der Schüler durchaus größer sein könnte. Auch die „Stärkung des Glaubens“ lässt sich damit verbinden im Sinne einer Festigung durch Zunahme, Weiterentwicklung, Vertiefung oder eben Mehrung. Dennoch bleibt die Antwort Jesu rätselhaft. Denn sie entspricht der vorausgegangenen Bitte in keiner Weise. Vielmehr hält sie den Bittstellern entgegen, was schlicht unmöglich ist: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, dann würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und pflanz dich ins Meer, dann würde er euch auch gehorchen.“ (Lk 17,6) Kein Baum verpflanzt sich aufgrund eines Befehls! Genau das aber wird den Fragenden nun als eine der leichteren Übungen des Glaubens vorgehalten: Nur ein ganz kleines bisschen Glaube würde schon genügen! Wenn ihr den hättet – aber den habt ihr ja nicht. Wird damit den „Aposteln“, wie sie hier auch noch pointiert genannt werden, nicht am Ende doch jeder Glaube abgesprochen? Als eine Ermutigung, auf die „Kraft des Glaubens“ zu vertrauen, lässt sich diese ernüchternde Antwort jedenfalls nicht verstehen. Auch die Auskunft, hier ginge es gleichsam um alles oder nichts – also gerade nicht um ein mehr oder weniger –, kann nicht überzeugen.60 Denn damit würde das Glauben ja geradezu unmöglich und müsste schon hier die bange Frage von Lk 18,28 vorwegnehmen: „Wer kann denn dann gerettet werden?“ Und wären die „Apostel“ dann nicht gegenüber allen jenen umkehrbereiten „Sündern“ weit im Hintertreffen, denen Jesus bislang schon „Glauben“ zugestanden hatte? Vielleicht erschließt sich der Sinn aus dem Zusammenhang, in den Lukas den kurzen Dialog eingefügt hat. Unmittelbar zuvor geht es um die unbegrenzte Vergebungsbereitschaft (Lk 17,3–4): Dem Bruder, der siebenmal am Tag gegen mich sündigt, soll ich im Falle der Reue siebenmal vergeben – also immer;61 entsprechend könnte das Wort von Senfkorn und Maulbeerbaum von den unbegrenzten Möglichkeiten des Glaubens han60
So votiert z.B. HAHN, Jesu Wort (s. Anm. 59), 167–169: Der Glaube betrifft die ganze Existenz des Menschen, er ist ein ganzheitlicher und ungeteilter Glaube. 61 Die Zahl 7 steht bereits für Vollständigkeit und Vollkommenheit; die Parallele in Mt 18,21–22 überhöht diesen Gedanken dann noch einmal drastisch mit der Antwort an Petrus: „Ich sage dir: Nicht bis zu 7 mal, sondern 77 mal (= 77)/70 x 7 mal (= 490)!“
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deln. Nicht der Vorwurf, den man dem Konjunktiv abzulauschen geneigt ist, trägt dann den Ton, sondern das erstaunliche Potential, das schon in einem geringen Glauben steckt. Natürlich überspannt das Bild die Sache. Aber das tun viele andere Jesuslogien auch. Hier darf man die Versetzung des Baumes nicht beim Wort nehmen, sondern muss darin vor allem die Ermutigung sehen. Nichts ist unmöglich! Genau deshalb lohnt es auch, um die Mehrung von Glauben zu bitten und gegen Kleinglauben, schwindenden Glauben oder gar aufhörenden Glauben in seine Zunahme zu investieren. So verstanden würde die kryptische Antwort Jesu die Bitte der Apostel schlicht bestätigen – auch wenn ihre Erfüllung selbst letztlich offen bleibt. Wenn Glaube gegen den Trend (Lk 8,12–13) wachsen soll, bedarf er der Pflege und Unterstützung. Insofern hat die Bitte der Apostel bereits die richtige Adresse. Die Fürbitte Jesu für den gefährdeten Glauben des Petrus (Lk 22,32) wird ihnen auch darin noch einmal Recht geben.
5. Glaube motiviert zum Handeln Der Ansatz christlicher Ethik ergibt sich aus den Implikationen des Glaubens. „Glaube als Bindung an Jesus Christus äußert sich im Tun, und das Dasein für andere, das Jesus gelebt hat, wird zum Signum der Existenz des Glaubenden.“62 Diese Grundüberzeugung durchzieht mehr oder weniger ausgeprägt alle Schriften des Neuen Testaments.63 Das gilt selbst für die nur scheinbare Spannung zwischen Jakobus und Paulus: Wenn Jakobus einen „lebendigen Glauben“ im Sinne eines tätigen Glaubens von einem „toten Glauben“ abhebt (Jak 2,14–26), dann entspricht das voll und ganz Paulus, der in Gal 5,6 von einem Glauben spricht, „der durch die Agape wirksam ist (πίστις δι’ ἀγάπης ἐνεργουμένη)“.64 Lukas hat diesen Aspekt in seinem Doppelwerk breit entfaltet – allerdings weniger terminologisch als vielmehr in einer ganzen Reihe von Sachzusammenhängen.65 Als einen Schlüsseltext kann man in dieser Hin62
J. W IEBERING, Handeln aus Glauben. Grundriß der theologischen Ethik, Berlin 1981, 43; vgl. insgesamt 39–43 (= 2.4. Der Ansatz bei den Implikationen des Glaubens). 63 Ganz besonders hebt der Hebräerbrief den Glauben im Zusammenhang seiner Gemeindeparänesen hervor (z.B. Hebr 3,7–4,13; 5,11–6,20; 10,19–13,17); Ethik ist Orientierung an Jesus als „dem Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,2), der seiner Gemeinde auf dem Weg zu Gott bereits vorausgegangen ist. 64 Vgl. zum Ganzen K. H AACKER, Rettender Glaube und Abrahams Rechtfertigung. Zum Verhältnis zwischen Paulus und Jakobus (und Petrus?), in: C. Barnbrock (Hg.), Gottes Wort in der Zeit. verstehen – verkündigen – verbreiten (FS V. Stolle), Münster 2005, 209–225. 65 Vgl. grundlegend und umfassend F.W. HORN, Glaube und Handeln in der Theologie des Lukas, GTA 26, Göttingen 1983, 21986.
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sicht die Erzählung von der Heilung des Gelähmten (Lk 5,17–26) verstehen. Wie in Mk 2,5/Mt 9,2 betont auch Lukas den Glauben derer, die den Gelähmten herbeibringen und auf spektakuläre Weise durch das Dach herablassen: „Und als er ihren Glauben sah, sprach er ...“ (Lk 5,20). Glaube kann sichtbar werden und sich in konkretem Verhalten erkennbar machen. Die vier Träger sprechen in der Erzählung kein einziges Wort, aber sie handeln auf eine zielstrebige, auf den Erfolg ihrer Unternehmung vertrauende Weise. Das genügt, um ihnen Glauben zu attestieren. Der Glaube bleibt nicht bei sich selbst, sondern exponiert sich. Entweder tut er das im Bekenntnis66 – oder eben im Handeln, das dadurch ebenfalls Bekenntnischarakter erhält.67 In dem Glauben, der sich durch konkretes Verhalten erkennbar macht, äußert sich auch die Wirksamkeit des Geistes Gottes. Das verdeutlicht Lukas im Besonderen an seinen Erzählfiguren. Generell notiert er zunächst bei einer ganzen Reihe von Protagonisten, dass sie „vom heiligen Geist erfüllt“ seien.68 Im Falle des Stephanus (Apg 6,5) und Barnabas (Apg 11,24) aber tritt hier noch der Glaube hinzu – beide sind Männer „voll Glaubens und heiligen Geistes“. Ganz nebenbei wird durch diese enge Verbindung auch noch einmal bestätigt, dass der Glaube sich nicht der Leistung des Menschen, sondern Gottes Geist verdankt. Die Sachzusammenhänge, in denen christliches Handeln als Ausdruck von Glaube erscheint, sind vielfältig. Im Evangelium werden sie in der Begegnung mit Jesus bzw. im Kontext der Nachfolge dargestellt; in der Apostelgeschichte erscheinen sie in dem programmatischen Rückbezug auf die Autorität des Kyrios. Während die Worte Jesu im Evangelium ihre Transparenz für den Lebensvollzug der christlichen Gemeinde erweisen, beschreibt die Apostelgeschichte die wachsende Gemeinschaft derer, die zu Christus gehören. Diese Gemeinschaft wird zunächst noch auf unterschiedliche Weise umschrieben: die Brüder und Schwestern, die Schülerinnen und Schüler, die Heiligen, die Christianer oder die auf dem Weg.69 Dabei kann jedoch auch der Glaube schon als das entscheidende 66
Klassisch hat Paulus diesen Zusammenhang in Röm 10,9–10 formuliert. Vgl. zum Ganzen C. B ÖTTRICH, „Sorgt euch nicht, was ihr sagen sollt ...“ – Bekenntnisbildung im frühen Christentum, in: T. Kuhn (Hg.), Bekennen, Bekenntnis, Bekenntnisse. Ringvorlesung anlässlich des 450. Jubiläums des Heidelberger Katechismus (1563) im Sommersemester 2013 an der Theologischen Fakultät Greifswald, Leipzig 2014, 61–102. 68 Johannes der Täufer: Lk 1,15.17.80; Maria: Lk 1,35; Elisabeth: Lk 1,41; Simeon: Lk 2,25–27; Jesus: Lk 3,22; 4,1.14.18–21; 10,21; die Bekenner vor Gericht: 12,11–12; die Elf: Apg 1,8; alle Getauften: Apg 2,38; 10,45; Petrus: Apg 4,8; die Sieben: Apg 6,3.5; Stephanus: Apg 6,5; 7,55; Barnabas: Apg 11,24; Saulus/Paulus: Apg 13,9. 69 Vgl. A. VON HARNACK, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten I, Leipzig 41924, 410–445. 67
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Charakteristikum genannt werden. Nach Joel 3,5 gelten die Christusgläubigen als diejenigen, „die den Namen des Herrn anrufen / ἐπικαλούμενοι τὸ ὄνομα κυρίου“ – womit nun der Kyrios-Name Jesu gemeint ist (Apg 9,14.21). Noch direkter heißen sie gelegentlich nun aber auch „die Gläubigen / οἱ πιστεύοντες“ (z.B. Apg 2,44; 4,32; 5,14; 11,21; 19,18). Es ist der Glaube an den Kyrios Jesus Christus, der ihre religiöse Identität kennzeichnet. Aus diesem Glauben resultiert demnach auch die ethische Orientierung an den Worten Jesu. Dieser Sachverhalt kommt in der Abschiedsrede des Paulus in Milet (Apg 20,17–38) auf geradezu programmatische Weise zum Ausdruck: Die für die lukanische Ethik zentrale Forderung sozialgerechten Verhaltens wird damit begründet, sich „an die Worte des Herrn Jesu zu erinnern / μνημονεύειν τε τῶν λόγων τοῦ κυρίου Ἰησοῦ“ (Apg 20,35). Das gesamte Doppelwerk verfolgt mit seinen paränetisch zugespitzten Episoden letztlich keine andere Absicht als die, der christlichen Gemeinde eine entsprechende „Erinnerungshilfe“ zu bieten. In der kleinen Chrie über die Hinzufügung oder Mehrung von Glauben (Lk 17,5–6) kommt die Überzeugung zum Ausdruck, dass der Glaube tatsächlich auf die Lebenswirklichkeit einzuwirken vermag. Glaube ist auf Veränderung aus. Das Bild von der Verpflanzung eines Maulbeerbaumes – oder wie bei Matthäus noch drastischer vom Bergeversetzen – übertreibt ganz bewusst. Grundsätzlich aber geht es dabei nur um eines: Veränderung ist möglich! Glaube bewirkt etwas – und das in grenzenloser Weise. Eine stärkere Motivation lässt sich dem Glauben kaum abgewinnen. Man fühlt sich dabei unwillkürlich an 1Joh 5,4 erinnert, wo dem Glauben eine die Welt überwindende Kraft zuerkannt wird. Auch für Lukas ist der Glaube die Kraft, die in Bewegung setzt und der kein Hindernis widerstehen kann. Das wird sehr anschaulich in Apg 27–28 geschildert: Weder Gefangenschaft, noch Attentatsversuch, noch Rechtsstreit, noch Schiffbruch noch Schlangenbiss oder andere Widrigkeiten vermögen den Boten des Evangeliums aufzuhalten, der unverbrüchlich an die Zusage Gottes glaubt (Apg 27,25). So stellt sich der Weg der Evangeliumsverkündigung „bis an die Enden der Erde“ (Apg 1,8) letztlich auch als das Wachstum einer Glaubensbewegung dar. Die missionarischen Erfolge werden stets mit dem stereotypen Verweis auf jene, die „zum Glauben kamen“,70 dokumentiert. Nach der Rückkehr von ihrer ersten großen Reise berichten Barnabas und Paulus in Antiochia zusammenfassend davon, „wie viel Gott durch sie getan und wie er den Heiden die Tür des Glaubens geöffnet“ habe (Apg 14,27). Der Genitiv in der Wendung „θύρα πίστεως“ hält dabei sachgemäß beide Bewegungsrichtungen offen, auf die es hier ankommt: Einerseits geht es um die Tür „hin zum Glauben“, der den Völkern bislang verschlossen war und 70
Apg 4,4; 8,12.13; 9,42; 13,12.48; 17,12.34; 18,8.27; 19,18; 21,20.25.
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durch den sie nun erst einen Zugang zu Gott erhalten; andererseits ist es der Glauben selbst, der als ein „Türen öffnender Glaube“ neue Wege erschließt. Von beiden Bewegungen ist das gesamte lukanische Doppelwerk durchzogen. Mit seiner erzählerischen Darstellung des Glaubens, der in Bewegung setzt und zum Handeln motiviert, hat Lukas ein wichtiges Wesensmerkmal des christlichen Selbstverständnisses festgehalten und den folgenden Generationen überliefert.
Die Rede vom Glauben in Heilungsgeschichten und die Messianität Jesu im Matthäusevangelium MATTHIAS KONRADT
1. Präliminarien Dem matthäischen Glaubensverständnis ist in der neutestamentlichen Forschung bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. In Untersuchungen zum Verständnis des Glaubens im entstehenden Christentum spielt das Matthäusevangelium, wenn es überhaupt vorkommt, kaum eine Rolle.1 In der Matthäusforschung korrespondiert dem, dass die Rede vom Glauben allenfalls den Rang eines Randthemas beansprucht.2 Insbesondere fehlt eine Studie, die die Vorkommen von πίστις κτλ. nicht 1 R. B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ. D. Die Begriffsgruppe im NT, ThWNT 6 (1959), 203–230 entfaltet – analog zu seiner Theologie des Neuen Testaments (Tübingen 91984) – allein Paulus und Johannes als eigenständige Konzeptionen. D. LÜHRMANN behandelt die Synoptiker in seiner Monographie zum Thema (Glaube im frühen Christentum, Gütersloh 1976, 17–30) nicht je für sich, sondern en bloc und zudem primär unter überlieferungsgeschichtlichen Gesichtspunkten bzw. als Quelle zum historischen Jesus. Letzteres gilt ähnlich für den TRE-Artikel von K. HAACKER (Art. Glaube II/3. Neues Testament, TRE 13 [1984], 289–304, 292–294) sowie für H.-J. HERMISSON/E. LOHSE, Glauben, BiKon, Stuttgart 1978, 89–102. 2 Einen knappen Überblick über die matthäische Rede vom Glauben bietet H. KLEIN, Das Glaubensverständnis im Matthäusevangelium, in: F. Hahn/H. Klein (Hg.), Glaube im Neuen Testament (FS H. Binder), BThSt 7, Neukirchen-Vluyn 1982, 29–42. Im Blick auf die Wundergeschichten spielt das Glaubensmotiv eine gewichtige Rolle in der Untersuchung von H.J. HELD, Matthäus als Interpret der Wundergeschichten, in: G. Bornkamm/ G. Barth/H.J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen 71975, 155–287. Siehe ferner G. B ARTH, Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus, in: G. Bornkamm/G. Barth/H.J. Held, Überlieferung (s.o.), 54–154, 105–108; J. ZUMSTEIN, La condition du croyant dans l’Évangile selon Matthieu, OBO 16, Fribourg 1977, 233–238; E. LOHSE, Glaube und Wunder. Ein Beitrag zur theologia crucis in den synoptischen Evangelien, in: C. Andresen/G. Klein (Hg.), Theologia crucis – Signum crucis (FS E. Dinkler), Tübingen 1979, 335–350, 343–345. Anders als im Falle des Markusevangeliums (s. T. SÖDING, Glaube bei Markus. Glaube an das Evangelium: Gebetsglaube und Wunderglaube im Kontext der markinischen Basileiatheologie und Christologie, SBB 12, Stuttgart 1985 sowie C.D. MARSHALL, Faith as a theme in Mark᾿s narrative, MSSNTS 64, Cambridge 1989) fehlt zum Matthäusevangelium aber eine umfassende monographische Untersuchung.
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bloß je für sich atomistisch untersucht, sondern mit der Entwicklung der Gesamterzählung in Beziehung setzt. Etwas Interesse hat allein das für Matthäus charakteristische Motiv des Kleinglaubens der Jünger (6,30; 8,26; 14,31; 16,8; 17,20) auf sich gezogen.3 Bei diesem Sachstand könnte man es bewenden lassen, wenn Matthäus in der Rede vom Glauben keinen eigenen Gestaltungswillen zeigte.4 Dies aber ist keineswegs der Fall. Vielmehr gibt Matthäus – auch abseits des Motivs des Kleinglaubens – durchaus einen theologisch reflektierten Gebrauch von πίστις κτλ. zu erkennen. Der Befund sei vorab knapp skizziert: Die Verwendung des Nomens πίστις ist im Matthäusevangelium auf zwei Verwendungszusammenhänge konzentriert. Zum einen nimmt der Evangelist das Motiv der Macht des Glaubens, der sogar Berge versetzen kann, auf (Mt 17,20 [par Lk 17,6]; 21,21 [par Mk 11,22f.]). Zum anderen ist in einer in sich differenzierten Weise vom Glauben von Menschen die Rede, die mit der Bitte um Heilung an Jesus herantreten (8,10 [par Lk 7,9]; 9,2 [par Mk 2,5]; 9,22 [par Mk 5,34]; 9,29 [red., vgl. Mk 10,52]; 15,28 [red.]). Ansonsten begegnet das Nomen nur noch in der Trias κρίσις, ἔλεος, πίστις in 23,23, mit der Matthäus τὰ βαρύτερα τοῦ νόμου kennzeichnet.5 Ein Teil der Belege des Verbs ist ebenfalls den beiden genannten Verwendungszusammenhängen zuzuordnen (21,22 [par Mk 11,24] bzw. 8,13 [red.]; 9,28 [red.]), doch wird das Verb darüber hinaus zur Bezeichnung der personalen Relation zu Johannes dem Täufer (21,25 [par Mk 11,31]; 21,32 [red.]) und zu Jesus (18,6 3
Siehe z.B. HELD, Interpret (s. Anm. 2), 278–284; G. B ARTH, Glaube und Zweifel in den synoptischen Evangelien, ZThK 72 (1975), 269–292, 282–290; ZUMSTEIN, Condition (s. Anm. 2), 239–255; J.K. BROWN, The Disciples in Narrative Perspective. The Portrayal and Function of the Matthean Disciples, AcBib 9, Atlanta 2002, 101–107. Ferner auch U. P OPLUTZ, Verunsicherter Glaube. Der finale Zweifel der Jünger im Matthäusevangelium aus figuranalytischer Sicht, in: A. Dettwiler/U. Poplutz (Hg.), Studien zu Matthäus und Johannes/Etudes sur Matthieu et Jean (FS J. Zumstein), AThANT 97, Zürich 2009, 29–47. Speziell zu Mt 14,22–33 A. DETTWILER, La conception matthéenne de la foi (à l’example de Matthieu 14/22–33), ETR 73 (1998), 333–347. 4 In diesem Sinne notiert KLEIN, Glaubensverständnis (s. Anm. 2), 29: „In den Abhandlungen zum Thema ‚Glauben‘ wird das Glaubensverständnis des Matthäus nicht genauer untersucht. Das hat seine Berechtigung darin, daß Matthäus vom ‚Glauben‘ so redet, wie es seine Tradition auch tat.“ 5 πίστις wird in Mt 23,23 häufig im Sinne von „Treue“ gefasst (vgl. für viele U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, 3. Teilband: Mt 18–25, EKK 1/3, Zürich 1997, 333). Anders aber z.B. W.D. DAVIES/D.C. ALLISON, The Gospel According to Saint Matthew, Volume 3, ICC, Edinburgh 1997, 294, die für die Bedeutung „Glaube“ statt „Treue“ votieren, weil Matthäus zum einen πίστις sonst nicht im Sinne von „faithfulness“ verwendet und zum anderen intertextuell die Verbindung mit Mi 6,8 dafür spreche, dass hier mit πίστις die Relation zu Gott im Blick sei: „if our verse depends upon Mic 6.8, the third member of its triad has to do with God: ‚walk humbly with your God.‘“
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[par Mk 9,42]; 27,42 [par Mk 15,32]) verwendet. Daneben begegnet das Verb nur noch im Rahmen der eschatologischen Rede (24,3–25,46) in 24,23.26 in der Warnung, denen, die behaupten „siehe, hier ist der Christus!“ (24,23 [par Mk 13,21]) oder „siehe, er ist in der Wüste!“ bzw. „siehe, in den Kammern!“ (24,26 [red.?, vgl. Q 17,23]), kein Vertrauen zu schenken. Von ἀπιστία spricht Matthäus nur in 13,58 (par Mk 6,6); der Unglaube der Nazarener ist dabei negatives Gegenstück zu den Vorkommen von πίστις in Wundergeschichten. Das Adjektiv ἄπιστος kommt im Matthäusevangelium allein in 17,17 (par Mk 9,19) vor und ist dort der Thematisierung der Macht des Glaubens zugeordnet.6 Das Motiv des Kleinglaubens hat Matthäus ausweislich Lk 12,28 in Q vorgefunden, aber, wie die oben bereits genannten Belege zeigen, erheblich ausgebaut und zu einem gewichtigen Moment seiner Darstellung der Jünger gemacht. Das bestimmende Moment des Glaubens bildet dabei sowohl in den beiden genannten charakteristischen Verwendungszusammenhängen von πίστις wie auch in der für Matthäus typischen Rede vom Kleinglauben – gut alttestamentlich7 – der Aspekt des Vertrauens.8 Im Blick auf Jesus geht es zentral um das Vertrauen in seine helfende und rettende Vollmacht, die sich in seinen Heilungen (8,5–13; 9,2–8.20–22.27–31; 15,21–28), aber auch in seinem bewahrenden und rettenden Mit-Sein mit den kleingläubigen Jüngern manifestiert (8,23–27; 14,22–33; 16,8). In Bezug auf Gott steht dem zur Seite, dass der Glaubende darauf vertraut, dass Gott in seiner Schöpfergüte für seine Geschöpfe Sorge trägt (6,30) und machtvoll in das Geschehen auf Erden einzugreifen vermag. Letzteres bildet die Basis für die Logien vom Berge versetzenden Glauben in 17,20; 21,21f., in denen dem Glaubenden (im Gebet) sogar die Teilhabe an göttlicher Macht verheißen wird. Glaube wird hier zum „Vertrauen in die zugesagte Wirkmächtigkeit“9 des eigenen Handelns, zu dem die Jünger im Blick auf die Heilungen von Jesus nicht nur beauftragt (10,8), sondern auch befähigt wurden (10,1).10 Die zu Mk 11,22–24 parallele ausführlichere Fassung in 6 Vgl. zu Mt 17,14–20 unten in Abschnitt 4. – Das Adjektiv πιστός begegnet im Sinne von „treu, zuverlässig“ in Mt 24,45; 25,21.23. 7 Zum „Glauben“ im Alten Testament s. z.B. H.D. PREUSS, Theologie des Alten Testaments, Band 2: Israels Weg mit JHWH, Stuttgart 1992, 171–177; O. KAISER, Art. Glaube II. Altes Testament, RGG4 3 (2000), 944–947; T. HIEKE, „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“ (Jes 7,9). Die Rede vom Glauben im Alten Testament, ThGl 99 (2009), 27–41. 8 Vgl. exemplarisch B ARTH, Gesetzesverständnis (s. Anm. 2), 105–108; ZUMSTEIN, Condition (s. Anm. 2), 233; D. LÜHRMANN, Art. Glaube, RAC 11 (1981), 48–122, 72. 9 P OPLUTZ, Glaube (s. Anm. 3), 42. 10 Beispielhaft illustriert wird das Moment des Glaubens als Vertrauen in die durch Jesus zugesprochene eigene Vollmacht der Jünger im missglückten Seewandel des Petrus in 14,28–31, der auf Jesu Wort hin (V.29) im Vertrauen auf dieses zunächst selbst auf dem Wasser zu gehen vermag, aber in dem Moment zu sinken beginnt, als sein Vertrauen
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Mt 21,21f. macht – anders als die auf Q 17,6 beruhende kürzere Version in 17,20 – den Zusammenhang dieses Glaubens mit dem Gebet ausdrücklich. Nähe zum Gebetsglauben ist auch für die synoptische Rede vom Glauben in den Heilungsgeschichten vorgebracht worden.11 Der Glaube ist hier bekanntlich nicht erst – wie anderorts – Folge des erfahrenen Wunders (s. z.B. Lukian, Philopseudes 13; 15; 30), sondern geht diesem voran12: Dem Glaubenden wird die Heilung gewährt. Die Nähe zum Gebetsglauben bringt Heinz Joachim Held pointiert mit den Worten zum Ausdruck, dass sich „der Glaube … zu dem Wunder wie die Bitte zu ihrer Erhörung [verhält]“13. Im Mt findet dieses Moment seinen prägnanten Ausdruck in dem für Matthäus charakteristischen Zuspruch Jesu, dass dem Bittsteller geschieht, wie er geglaubt (8,13, vgl. 9,29) bzw. gewollt hat (15,28): Dem Glaubenden wird seine Bitte um Heilung gewährt.14 Mit den Aspekten des Vertrauens und der Nähe zum Gebetsglauben ist allerdings, wie zu zeigen sein wird, keineswegs alles gesagt, was sich im Matthäusevangelium mit dem Vorkommen von πίστις κτλ. im Zusammenhang von Heilungen verbindet. Ausgelassen hat Matthäus die Aufforderung Jesu in Mk 1,15fin. πιστεύετε ἐν τῷ εὐαγγελίῳ.15 Das besagt nicht, dass christlicher Glaube bei Matthäus nicht auf dem Hören und Annehmen einer Botschaft beruhen kann; aber Matthäus bezeichnet nirgends den Akt der Annahme der Botschaft selbst bzw. diesen allein als Glauben. Statt dessen zeigt Matthäus die Tendenz, den personalen Bezug des Glaubens auf Jesus zu betonen. Pointiert zum Ausdruck kommt dies in 18,6 in der Rede von „diesen Geringen, die an mich glauben“. Wenn in Mk 9,42 εἰς ἐμέ textkritisch als
beim Blick auf den starken Wind der Furcht (V.30) und dem Zweifel (V.31) weicht, so dass Jesus ihn als ὀλιγόπιστος (V.31) schilt. 11 Vgl. für viele B ULTMANN, πιστεύω κτλ. (s. Anm. 1), 206; HELD, Interpret (s. Anm. 2), 268–276, darin 272–276 speziell zu Matthäus; ZUMSTEIN, Condition (s. Anm. 2), 236–238; LOHSE, Glaube und Wunder (s. Anm. 2), 343–345 (speziell zu Matthäus). 12 Vgl. exemplarisch G. B ARTH, Art. πίστις, πιστεύω, EWNT 3 (21992), 216–231, 224. 13 HELD, Interpret (s. Anm. 2), 269. 14 Vgl. U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, 2. Teilband: Mt 8–17, EKK 1/2, Zürich 1990, 16 zu 8,13: „Γενηθήτω erinnert an das Unservater (Mt 6,10) und zeigt, wie sehr Glaube für Matthäus Gebetsglaube ist.“ 15 Der matthäische Jesus fordert auch sonst nirgends zum Glauben auf (vgl. KLEIN, Glaubensverständnis [s. Anm. 2], 32). Siehe neben Mk 1,15 noch die Auslassung von Mk 5,36 (μὴ φοβοῦ, μόνον πίστευε) und Mk 11,22 (ἔχετε πίστιν θεοῦ). Vgl. ferner Mt 21,22 (πάντα ὅσα ἂν αἰτήσητε ἐν τῇ προσευχῇ πιστεύοντες λήμψεσθε) mit Mk 11,24 (πάντα ὅσα προσεύχεσθε καὶ αἰτεῖσθε, πιστεύετε ὅτι ἐλάβετε, καὶ ἔσται ὑμῖν). Bei Matthäus begegnen allein verneinte Imperative (Mt 24,23.26).
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sekundär auszuscheiden ist16, hat erst Matthäus aus den „Geringen, die glauben“ „die Geringen, die an mich glauben“ gemacht (Mt 18,6) und so im Glaubensbegriff die personale Bindung an Jesus betont, die sonst eher durch den Begriff der Nachfolge (ἀκολουθεῖν) zum Ausdruck kommt. Zu verweisen ist ferner darauf, dass in der Verspottung Jesu durch die jüdischen Autoritäten, er solle vom Kreuz herabsteigen, an die Stelle von ἵνα ἴδωμεν καὶ πιστεύσωμεν (Mk 15,32) bei Matthäus καὶ πιστεύσομεν ἐπ᾽ αὐτόν (27,42) getreten ist; πιστεύειν meint hier dem Kontext nach die Anerkennung der Gottessohnwürde Jesu, die für die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten die Unterstellung unter Jesu messianische Autorität implizierte.17 Die in 18,6 und 27,42 ansichtig werdende matthäische Tendenz wirft die Frage auf, wie sich die Rede vom Glauben von Bittstellern in Heilungsgeschichten dazu verhält. Der Vergleich mit dem Markusevangelium zeigt, dass Matthäus hier keineswegs bloß der markinischen Jesusgeschichte folgt und dabei nicht nur in den einzelnen Texten Änderungen vorgenommen hat, sondern sich im Gefolge dieser Änderungen zugleich in kompositorischer Hinsicht ein auffälliger Befund ergibt. Bei Markus begegnet das Glaubensmotiv in fünf Heilungserzählungen, nämlich in 2,5 (Heilung des Gelähmten), in 5,34 (Heilung der blutflüssigen Frau), in 5,36 (Auferweckung der Tochter des Jairus), in 10,52 (Heilung des blinden Bartimäus) sowie in komplexer Weise in 9,23f. (Heilung des epileptischen Knaben).18 Mk 10,46–52 hat Matthäus nicht nur in Mt 20,29–34 aufge16
Vermutlich liegt hier Paralleleinfluss aus Mt 18,6 vor. Vgl. exemplarisch J. GNILDas Evangelium nach Markus, 2. Teilband: Mk 8,27–16,20, EKK 2/2, Zürich 1979, 64, Anm. 7. Anders aber A.Y. COLLINS, Mark. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2007, 443. 17 Eng verwandt sind damit die oben angesprochenen auf den Täufer bezogenen Belege von πιστεύειν. Die sich ebenso in der Markusparallele (Mk 11,31) findende Überlegung der jüdischen Autoritäten, dass sie sich die Frage gefallen lassen müssen, warum sie Johannes nicht „geglaubt“ haben, wenn sie konzedieren, dass seine Taufe „vom Himmel“ war (Mt 21,25), wird von Matthäus im Sondergutgleichnis von den ungleichen Söhnen (21,28–32) in V.32 aufgenommen. Deutlich ist an diesen Stellen, dass es beim Glauben nicht um ein bloßes Fürwahrhalten geht. Matthäus insinuiert ja vielmehr, dass die Autoritäten durchaus wissen, dass die Taufe des Johannes vom Himmel war. Die Aussage, dass sie ihm nicht „geglaubt“ haben, zielt darauf, dass sie ihm den Gehorsam schuldig geblieben sind. Sie haben sich nicht auf Johannes und den von ihm gewiesenen „Weg der Gerechtigkeit“ eingelassen. 18 Die Interpretation von πάντα δυνατὰ τῷ πιστεύοντι in Mk 9,23 ist chronisch umstritten. Am plausibelsten ist m.E. die Deutung von O. HOFIUS, Die Allmacht des Sohnes Gottes und das Gebet des Glaubens. Erwägungen zu Thema und Aussage der Wundererzählung Mk 9,14–29, in: ders., Exegetische Studien, WUNT 223, Tübingen 2008, 3– 23, 13–15, nach dem es um das Vermögen Jesu und den Glauben des Vaters (τῷ πιστεύοντι ist dativus commodi) geht. Vgl. M. KONRADT, Art. Faith II. New Testament, KA,
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nommen, sondern in freierer Form auch in 9,27–31. Das Glaubensmotiv von Mk 10,52 findet nur in Mt 9,27–31 ein Pendant (9,28f.), doch hat Matthäus dieses neu ausgestaltet; in 20,29–34 hingegen hat Matthäus den abschließenden Zuspruch ὕπαγε, ἡ πίστις σου σέσωκέν σε aus Mk 10,52 durch die Notiz, dass Jesus die Augen der Blinden berührte, ersetzt. Mk 9,23f. hat Matthäus ebenso wie Mk 5,36 ganz ausgelassen.19 Im Blick auf die Makrostruktur des Matthäusevangeliums ergibt sich aus diesen Veränderungen, dass in den Hauptteilen ab 16,2120 das Motiv des Glaubens von Bittstellern nicht mehr begegnet.21 Trotz der genannten Auslassungen kommt Matthäus wie Markus auf fünf Heilungserzählungen, in denen das Glaubensmotiv vorkommt. Denn zum einen hat Matthäus das Motiv in der Logienquelle in der Erzählung von der Heilung des Sohnes22 des Hauptmanns von Kafarnaum (Mt 8,5–13 par Lk 7,1–10) vorgefunden. Zum anderen hat er es, offenbar durch diesen Q-Text inspiriert, in die von ihm gezielt als Parallele zu 8,5–13 gestaltete Erzählung von der Heilung der Tochter der Kanaanäerin (15,21–28) eingetragen (15,28). Die Besonderheit des Vorkommens des Glaubensmotivs in der Q-Erzählung vom Hauptmann von Kafarnaum besteht darin, dass sein Glaube von Jesus in komparativischer Weise als besonders groß herausgestellt wird.23 Dem korrespondiert in 15,28, dass Jesus der Kanaanäerin am Ende einen großen Glauben attestiert: ὦ γύναι, μεγάλη σου ἡ πίστις. Der Fortgang des Wortes Jesu an die Kanaanäerin mit γενηθήτω σοι ὡς θέλεις sowie die abschließende Notiz des Erzählers (καὶ ἰάθη ἡ θυγάτηρ αὐτῆς ἀπὸ τῆς ὥρας ἐκείνης) erhärten die Annahme, dass Matthäus hier eine gezielte Querverbindung zur Hauptmannerzählung gesetzt hat, denn diese schließt mit einem ganz ähnlichen Wort Jesu an den Hauptmann (ὕπαγε, ὡς ἐπίστευσας γενηθήτω σοι) und einer analogen Heilungsnotiz (καὶ ἰάθη ὁ παῖς αὐτοῦ ἐν τῇ ὥρᾳ ἐκείνῃ). Die Signifikanz dieser Konvergenz wird zudem noch dadurch unterstrichen, dass das Verb ἰάομαι bei Matthäus
EBR 8 (2014), 691–701, 696: „as the agent of God, for whom all things are possible (10:27; 14:36), Jesus works miracles where he encounters faith“. 19 In beiden Fällen hat Matthäus die markinischen Erzählungen insgesamt bedeutend gestrafft. 20 Ich untergliedere das Matthäusevangelium nach dem Prolog in 1,1–4,16 in die Hauptteile 4,17–11,1; 11,2–16,20; 16,21–20,34; 21,1–25,46; 26,1–28,20. Zur Erläuterung s. M. KONRADT, Das Evangelium nach Matthäus, NTD 1, Göttingen 2015, 2–4. 21 Vgl. KLEIN, Glaubensverständnis (s. Anm. 2), 32. 22 Zur Übersetzung von παῖς mit Sohn in Mt 8,6.8.13 s. LUZ, Evangelium 2 (s. Anm. 14), 14, Anm. 17. 23 Mt 8,10 (παρ᾽ οὐδενὶ τοσαύτην πίστιν ἐν τῷ Ἰσραὴλ εὗρον) und Lk 7,9 (οὐδὲ ἐν τῷ Ἰσραὴλ τοσαύτην πίστιν εὗρον) konvergieren an diesem Punkt, so dass die Rückführung dieses Zuges auf Q alle Wahrscheinlichkeit für sich hat.
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überhaupt nur in 8,8.13 und 15,28 in Heilungsgeschichten begegnet.24 Kompositorisch bilden 8,5–13 und 15,21–28 also einen Rahmen um die drei Erzählungen in 9,2–8; 9,20–22 und 9,27–31. Ich setzte im Folgenden mit den Erzählungen in Mt 9 ein.
2. Das Glaubensmotiv in den Heilungsgeschichten in Mt 9 2.1 Mt 9,2–8 Die markinische Version der Heilung des Gelähmten (Mk 2,1–12) bietet eine ausführliche Exposition, die den großen Aufwand der Leute schildert, die den Gelähmten zu Jesus bringen: Da sich Jesus in ein Haus begeben hat und sie wegen der ihn umgebenden Menschenmenge nicht zu ihm vorzudringen vermögen, decken sie das Dach ab und lassen den Gelähmten von oben hinab. Matthäus hat all diese narrativen Ausschmückungen in 9,2a zu einer schlichten Notiz verdichtet, deren Formulierung (καὶ ἰδοὺ προσέφερον αὐτῷ παραλυτικὸν ἐπὶ κλίνης βεβλημένον) sich in eine Reihe verwandter Aussagen mit einer Form von προσφέρειν + αὐτῷ einfügt.25 Insbesondere im Lichte des Vorkommens dieser Wendung in den in 4,24; 8,16 vorangehenden Summarien wird auf diese Weise deutlich, dass es sich in 9,2a um eine Begebenheit handelt, die geradezu zum Alltag des Wirkens Jesu gehörte. Dennoch fährt Matthäus in V.2b analog zu Mk 2,5 mit der Bemerkung fort, dass Jesus ihren Glauben sah (καὶ ἰδὼν ὁ Ἰησοῦς τὴν πίστιν αὐτῶν), wobei das Personalpronomen neben den Helfern auch den Gelähmten selbst einschließen dürfte.26 Die Veränderung der Einleitung führt allerdings weder dazu, dass das Glaubensmotiv in Mt 9,2, wie verschiedentlich postuliert wurde, durch die Kürzungen „in der Luft“ hängt27, noch ist zu folgern, dass Matthäus hier die Kenntnis der markini24
Neben den genannten Stellen im Matthäusevangelium nur noch in 13,15 im Zitat von Jes 6,9f. 25 Siehe Mt 4,24; 8,16; 9,32; 12,22; 14,35. 26 In diesem Sinne z.B. auch D.A. HAGNER, Matthew 1–13, WBC 33A, Dallas 1993, 232; P. FIEDLER, Das Matthäusevangelium, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 1, Stuttgart 2006, 214; vgl. auch W.D. DAVIES/D.C. ALLISON, The Gospel According to Saint Matthew, Volume 2, ICC, Edinburgh 1991, 88. Allein auf den Glauben der Träger deuten hingegen z.B. LUZ, Evangelium 2 (s. Anm. 14), 36; D.J. HARRINGTON, The Gospel of Matthew, SaPaSe 1, Collegeville 1991, 121; J. NOLLAND, The Gospel of Matthew. A Commentary on the Greek Text, NIGTC, Grand Rapids 2005, 380. 27 Gegen W. W IEFEL, Das Evangelium nach Matthäus, ThHK 1, Leipzig 1998, 175, Anm. 5. Siehe ferner E. KLOSTERMANN, Das Matthäusevangelium, HNT 4, Tübingen 2 1927, 80; J. SCHMID, Das Evangelium nach Matthäus, RNT, Regensburg 51965, 169 sowie auch HELD, Interpret (s. Anm. 2), 165, der die matthäische Kürzung mit den Wor-
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schen Version (bei seinen Adressaten) voraussetzt.28 Vielmehr dürfte gerade das Bestreben, den Fall seines besonderen Kolorits zu entkleiden, konstitutiv für das matthäische Verständnis des Glaubens in den Heilungserzählungen sein. Dadurch, dass der Glaube der Träger und des Gelähmten nicht mehr an den besonderen Umständen, wie sie zu Jesus gelangen, festgemacht wird, erscheint die Konstatierung des Glaubens stärker als eine exemplarische Aussage: Wenn Kranke Jesus um Hilfe bitten oder Menschen ihre Kranken zu ihm bringen, ist (allein) dies (schon) Ausdruck ihres Glaubens.29 Dieser Deutungsansatz wird durch 8,10 unterstrichen. Im markinischen Erzählduktus ist Mk 2,1–12 die erste Heilungserzählung, in der vom Glauben die Rede ist. Bei Matthäus hingegen ist Mt 9,2–8 allein die erste Erzählung, in der das Glaubensmotiv im Rahmen einer Heilung eines der „verlorenen Schafe des Hauses Israel“ begegnet, denen die irdische Sendung Jesu gilt (15,24)30, denn durch die Einfügung der Q-Erzählung vom Hauptmann von Kafarnaum geht nun 8,10.13 voran. Auf die Worte des Hauptmanns in 8,8f. reagiert Jesus in 8,10 mit der Aussage: „Bei niemandem habe ich so großen Glauben in Israel gefunden.“ Auf die Frage, worin die besondere Größe des Glaubens des Hauptmanns besteht, wird später in Abschnitt 3.2 einzugehen sein. Hier ist zunächst nur von Interesse, dass die Aussage impliziert, dass Jesus auch in Israel auf Glauben gestoßen ist, wenngleich sich dieser quantitativ vom Glauben des Hauptmanns unterschied. Dies wird erzähllogisch dann verständlich, wenn Matthäus auch in der summarischen Notiz von 4,24, dass die Menschen ihre Kranken zu Jesus brachten, die πίστις der Betreffenden impliziert sah: Die Menschen kamen zu Jesus, weil sie glaubten und darauf vertrauten, dass er zu helfen vermag. 9,2 macht im matthäischen Erzählduktus betrachtet also „nur“ explizit, was zuvor – ausweislich 8,10 – bereits vorausgesetzt wurde. Bezieht man das diachrone Profil von 9,2a mit ein, ist des Näheren festzuhalten: Nur dadurch, dass die Einleitung in Mt 9,2–8 der außergewöhnlichen Umstände, die bei Markus das Glaubensmotiv mit der besonderen Entschlossenheit verbinden, entkleidet wird, kann 9,2a die dargelegte Implikation von 8,10 aufnehmen und explizieren. Einzustellen ist hier ferner 13,58, wo Matthäus den markinischen Schluss der Darstellung des Auftretens Jesu in seiner Vaterstadt signifikant ten kommentiert, „daß bei ihm die Darstellung des Glaubens fehlt, den die Träger des Kranken beweisen“. 28 Anders HAGNER, Matthew 1–13 (s. Anm. 26), 232. Als Frage bei DAVIES/ALLISON, Gospel 2 (s. Anm. 26), 88, ferner auch R.T. FRANCE, The Gospel of Matthew, NIC.NT, Grand Rapids 2007, 344. 29 Ähnlich NOLLAND, Gospel (s. Anm. 26), 380. 30 Vgl. dazu M. KONRADT, Israel, Kirche und die Völker im Matthäusevangelium, WUNT 215, Tübingen 2007, bes. 17–94.
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verändert hat. Dass Jesus nicht viele Machttaten in Nazareth wirkte, liegt für Matthäus nicht daran, dass er dies nicht vermocht hätte – dies würde nicht in seine hohe Christologie passen –, sondern „an ihrem Unglauben“, der in Mk 6,6 lediglich als Gegenstand der Verwunderung Jesu erscheint. Via negationis bildet sich hier ab, dass Jesus dort heilt, wo er auf Glauben stößt, wo Menschen ihr Vertrauen in ihn setzen, da sie überzeugt sind, dass er derjenige ist, der ihnen helfen kann.31 Die im Folgenden zu untersuchenden Texte werden dies konkretisieren. 2.2 Mt 9,20–22 Die Erzählung von der Heilung der blutflüssigen Frau aus Mk 5,25–34 ist von Matthäus in 9,20–22 auf ein dürres Gerippe ohne jedes farbige Detail reduziert worden. Nichts verlautet über das Versagen der Ärzte, die die Frau auch noch um ihre Habe gebracht haben (Mk 5,26), oder über das Gedränge der Menge (Mk 5,24.27) – bei Matthäus folgen nur die Jünger Jesus (V.19). Auch Mk 5,30–33 ist vollständig gestrichen: Weder redet Matthäus davon, dass eine Kraft von Jesus ausging und er dies bemerkte, noch findet Jesu in die Menge hineingesprochene Frage, wer seine Kleider berührt habe (5,30), bei Matthäus ein Pendant. Die matthäische Szene ist ganz auf die Begegnung der Frau mit Jesus konzentriert: Sie tritt hinzu, um die Quasten seines Gewandes zu berühren, weil sie, wie die in Mt 9,21 eingeschobene Erläuterung ausführt, davon ausgeht, dass die bloße Berührung seines Gewandes sie retten wird; V.22 schildert bündig die Reaktion Jesu, der, als er sich umdreht, sofort über die Frau und das Geschehene im Bilde ist. Die Erwartung der Frau, durch die Berührung des Gewandes gerettet zu werden, wird durch Jesu Zuspruch ἡ πίστις σου σέσωκέν σε (V.22) gedeutet. Eine Auslassung des Glaubensmotivs analog zu Mk 5,36; 9,23f. kam hier wohl schon deshalb nicht in Frage, weil dieses dem Evangelisten hier als ein notwendiges Interpretament des Heilungsvorgangs erschien, um ein (rein) magisches Verständnis des Geschehens, als würde die Berührung für sich schon genügen, auszuschließen: Das entscheidende Moment ist der Glaube. Die Rede vom σῴζειν blickt dabei zunächst einmal auf die körperliche Gesundung der Frau, doch ist das Wort hier darüber hinaus auch in einem weiteren Sinn zu verstehen: Es geht umfassend um das Heil, das Jesus bringt und in der Heilung seinen physischen Ausdruck findet.32 Der 31 Da V.58 impliziert, dass Jesus zumindest wenige Machttaten vollbrachte (vgl. V.54), ist hier streng genommen vorausgesetzt, dass nicht ganz Nazareth Unglauben zeigte. Der Akzent liegt hier aber auf dem – negativen – Gesamtbild. 32 Vgl. zu dieser umfassenderen Dimension der Heilungen den Konnex von Heilung und Sündenvergebung in 9,2–8 sowie die symbolische Dimension der Blindenheilungen (dazu unten in Abschnitt 2.3, s. ferner KONRADT, Israel [s. Anm. 30], 48–51).
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sorgfältige Tempusgebrauch bei den beiden Formen von σῴζειν in 9,22 unterstreicht dies. Der perfektischen Aussage ἡ πίστις σου σέσωκέν σε steht im Schlusssatz von V.22, in dem die Heilung konstatiert wird, der punktuelle Aorist gegenüber. Die Heilung ist „nur“ ein Aspekt der Rettung.33 Durch die Auslassung von Mk 10,52 in Mt 20,34 ist Mt 9,22 das einzige matthäische Vorkommen des Zuspruchs ἡ πίστις σου σέσωκέν σε. Kompositorisch betrachtet steht er im Zentrum der drei „Glaubensperikopen“ in Mt 9. Der Sache nach hebt er 9,20–22 nicht von den übrigen Glaubensperikopen ab, sondern er gilt ebenso für diese: Die Voraussetzung dafür, dass Menschen von Jesus Heilung und Heil zuteilwird, ist der Glaube, mit dem die Menschen an Jesus herantreten. Deshalb ist es auch nur konsequent, dass Matthäus die Ambivalenz von Mk 9,23f. gemieden hat und ferner auch den Zuspruch und die Aufforderung Jesu an den Synagogenvorsteher Jairus in Mk 5,36 μὴ φοβοῦ, μόνον πίστευε, nachdem dieser mit der Nachricht des bereits eingetretenen Todes seiner Tochter konfrontiert wurde, ausgelassen hat. Die zweistufige Dramaturgie der markinischen Erzählung – der Vorsteher tritt an Jesus heran, als seine Tochter im Sterben liegt (Mk 5,22f.); dann trifft die Nachricht ihres Todes ein (5,35) – ist bei Matthäus gänzlich aufgelöst. In Mt 9,18 ist die Tochter bereits verstorben, als der Vorsteher Jesus um Hilfe ersucht. Im Lichte der obigen Ausführungen ist davon auszugehen, dass Matthäus seinen Glauben selbstverständlich voraussetzt. Das heißt: Der Vorsteher zeigt von Anfang an einen Glauben, der Jesus nicht nur eine wundersame Heilung, sondern die Auferweckung einer Toten zutraut.34 Der matthäische Jesus fordert also nirgends in Heilungserzählungen zum Glauben auf.35 Dass Jesus πίστις entgegengebracht wird, ist vielmehr Grundlage für die rettende Zuwendung Jesu. 9,27–31 hilft, dies zu konkretisieren. 2.3 Mt 9,27–31 Mt 9,27–31 ist ein in mehrfacher Hinsicht eigentümlicher und auffälliger Text. Der Passus basiert, wie angesprochen, auf der Erzählung in Mk 10,46–52, die Matthäus an ihrem markinischen Ort und mit engerer Anlehnung an die Vorlage in Mt 20,29–34 noch einmal aufnimmt. Mit 9,32–34 steht ihm ein weiterer Text zur Seite, den Matthäus dupliziert hat, 33
Vgl. dazu LUZ, Evangelium 2 (s. Anm. 14), 53f. In diesem Sinne auch HELD, Interpret (s. Anm. 2), 169f. 35 Bei Markus ist neben 5,36 wiederum auch auf 9,23 zu verweisen, denn Jesu Wort an den Vater πάντα δυνατὰ τῷ πιστεύοντι (zur Deutung s. Anm. 18) ist nach dessen vorangehender Einschränkung εἴ τι δύνῃ (V.22) eine implizite Aufforderung zum Glauben. V.24 schließt daran folgerichtig an. – Aufforderungen zum Glauben begegnen im Mk ferner noch außerhalb von Heilungsgeschichten in 1,15 und 11,22. Matthäus hat beide Passagen nicht übernommen. Vgl. oben Anm. 15. 34
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denn 9,32–34 hat eine innermatthäische Parallele in 12,22–24, wo Matthäus den zugrunde liegenden Q-Text (vgl. Lk 11,14f.) mit dem in Q nachfolgenden Kontext bietet. Mit 9,27–31.32–34 setzt Matthäus den Schlusspunkt seiner Komposition in 8,1–9,34, mit der – als Pendant zur Bergpredigt als exemplarischer Illustration der Lehre Jesu – Jesu vollmächtiges Handeln grundlegend illustriert wird. Der Grund für die Duplizierung der Texte und ihrer Platzierung am Ende des Zyklus 8,1–9,34 wird im Allgemeinen darin gesehen, dass Matthäus als Hintergrund für 11,5 noch die Heilung eines Blinden und eines Taubstummen braucht36, doch ist daneben darauf zu verweisen, dass der Evangelist mit 9,27–34 am Ende der Komposition und damit paradigmatisch für das Ganze den Bezug des Wirkens Jesu auf Israel unterstreicht. In 9,33 wird dies durch die den Volksmengen in den Mund gelegte Äußerung signalisiert, dass so etwas noch nie in Israel geschehen sei; in 9,27–31 wird der Israelbezug durch die Anrufung Jesu als „Sohn Davids“ (V.27) eingespielt.37 Auffallend ist auch die Gestaltung des Textes im Einzelnen: Bildet Mk 10,46–52 die Basis, so fließen daneben in Mt 9,30b.31 Versatzstücke aus Mk 1,43.45 ein, die Matthäus in seiner Version der Heilung des Aussätzigen in Mt 8,1–4 (par Mk 1,40–45) ausgelassen hat (vgl. auch Mk 5,43a). Vor allem aber begegnen in 9,27–31 zahlreiche Reminiszenzen an andere Texte in Mt 8–9.38 Das Nebeneinander vom παράγειν Jesu und ἀκολουθεῖν dürfte durch 20,30.34 inspiriert sein, begegnete zuvor aber auch in 9,9. Die Einkehr in das Haus greift auf 9,10 zurück (vgl. auch 8,14), die Bitte um Erbarmen (ἐλέησον ἡμᾶς) lässt an die Zitation von Hos 6,6 (ἔλεος θέλω …) in Mt 9,13 zurückdenken, mit der Jesus sein Verhalten rechtfertigte. Das Glaubensmotiv, auf das gleich näher einzugehen sein wird, verbindet den Text mit den oben angesprochenen Passagen in 9,2 und 9,22. Jesu Frage, ob die Blinden glauben, dass er dies zu tun vermag (…δύναμαι τοῦτο ποιῆσαι), erinnert an die Bitte des Aussätzigen in 8,2: κύριε, ἐὰν θέλῃς δύνασαί με καθαρίσαι; nur an diesen beiden Stellen kommt das Vermögen (δύνασθαι) Jesu in Heilungsgeschichten explizit zur Sprache.39 Der Heilungszuspruch in V.29b (κατὰ τὴν πίστιν ὑμῶν γενηθήτω ὑμῖν) ist 8,13 nachgebildet (ὡς ἐπίστευσας γενηθήτω σοι). In V.31 (οἱ δὲ ἐξελθόντες διεφήμισαν αὐτὸν ἐν ὅλῃ τῇ γῇ ἐκείνῃ) klingt zu36 Siehe für viele C. B URGER, Jesus als Davidssohn. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung, FRLANT 98, Göttingen 1970, 76; DAVIES/ALLISON, Gospel 2 (s. Anm. 26), 134.138; NOLLAND, Gospel (s. Anm. 26), 400.403. 37 Ausführlicher zu diesem Aspekt von 9,27–34 KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 55f. Zum Bezug des Titels „Sohn Davids“ auf die Zuwendung zu Israel im Matthäusevangelium s. a.a.O., 18–52. 38 Vgl. zum Folgenden z.B. NOLLAND, Gospel (s. Anm. 26), 399f. 39 Im Blick auf das Unvermögen der Jünger vgl. Mt 17,16.19. Mk 6,5 hat Matthäus (Mt 13,58) umgearbeitet (vgl. oben in Abschnitt 2.1).
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dem deutlich V.26 (καὶ ἐξῆλθεν ἡ φήμη αὕτη εἰς ὅλην τὴν γῆν ἐκείνην) nach. Als Erklärung für diesen Befund genügt es kaum, auf das Bestreben des Evangelisten zu verweisen, „to sound again many of the notes that have sounded through the section as he moves things towards a climax“40. Es ist vielmehr zugleich nach dem eigenen Sinn der durch die skizzierte Kompositionsarbeit entstandenen Erzählung in 9,27–31 zu fragen. Matthäus hat in 9,27f. eine merkwürdige szenische Konstellation entworfen. Nachdem Jesus die Tochter des Oberen auferweckt hat (V.18f.23– 26), begibt er sich zurück in das Haus, in dem zuvor das Gastmahl mit den Zöllnern und Sündern stattgefunden hat (9,10–13).41 Während des Rückwegs werden die beiden Blinden darauf aufmerksam, dass Jesus vorbeigeht. Anders als in 20,29–34 findet die Heilung aber nicht in der Öffentlichkeit der Straße statt, sondern Matthäus lässt die beiden Blinden (!) Jesus nachfolgen (ἠκολούθησαν) und währenddessen, offenbar wiederholt, ihren Bittruf42 äußern: „Erbarme dich unser, Herr, Sohn Davids!“ Das Verb ἀκολουθεῖν verbindet 9,27–31, wie angemerkt, mit der Parallelerzählung in 20,29–34, wo es aber wie in der Markusvorlage am Ende steht (20,34 par Mk 10,52). Das Verb kann bloß meinen, dass sie hinter Jesus her gingen, oder es kann „nachfolgen“ im technischen Sinn bedeuten. Ähnlich wie bei der Rede vom ἀκολουθεῖν der Volksmengen43 dürfte Matthäus auch hier gezielt mit der semantischen Ambiguität des Wortes spielen: Die Blinden folgen Jesus auf dem Weg, aber assoziativ wird das Motiv der Nachfolge eingespielt, zumal ihre Anrufung Jesu als Sohn Davids ihre christologische Erkenntnis andeutet (dazu gleich). Erst als Jesus in das Haus eingekehrt ist, können die Blinden herzutreten.44 Das Gespräch wird nun von Jesus eröffnet. Matthäus lässt Jesus aber nicht wie in 20,32 (par Mk 10,51) fragen, was sie wollen, dass er ihnen tun soll, sondern er fordert die Blinden auf, ihren Glauben zu bekunden: 40
NOLLAND, Gospel (s. Anm. 26), 400. Das Haus dürfte jenes sein, in dem Jesus auch sonst in Kafarnaum einzukehren pflegt (vgl. 8,14; [13,1]; 13,36; 17,25). Matthäus sagt jedenfalls nicht wie Lk 5,29, dass das Mahl von dem Zöllner in seinem Haus ausgerichtet wird. Möglich, wenn nicht wahrscheinlich ist, dass des Näheren an das Haus des Petrus gedacht ist (vgl. 8,14). 42 Die Verwendung von κράζειν in diesem Zusammenhang (9,27) ist durch Mk 10,47.48 inspiriert. Matthäus verwendet das Verb durchgehend, wenn Menschen Jesus als Sohn Davids um Hilfe anrufen (s. neben 9,27 noch 15,22.[23]; 20,30.31). Vgl. ferner auch die Verwendung des Verbs in den Davidsohnakklamationen in 21,9.15. 43 Siehe 4,25; 8,1; 14,13; 19,2; 20,29; (21,9). 44 Man kann prima vista aus dieser szenischen Konstellation die Beharrlichkeit der beiden Blinden ableiten und daraus im Blick auf das matthäische Glaubensverständnis folgern, dass Glaube „ein aktiver, beharrlicher Glaube sein muß“ (LUZ, Evangelium 2 [s. Anm. 14], 61), doch ist zu beachten, dass 9,2, wie gesehen, einen anderen Akzent setzt. Zudem wäre dann in 9,27–31 zu erwarten, dass Jesus den Glauben der beiden Blinden in V.28 konstatiert, doch geht Matthäus hier einen anderen Weg. 41
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πιστεύετε ὅτι δύναμαι τοῦτο ποιῆσαι; τοῦτο kann sich dabei nur darauf beziehen, dass Jesus in der Lage ist, sich der Blinden zu erbarmen, d.h. sie zu heilen. Der Heilungszuspruch in V.29b bestätigt dies. Wurde das Vermögen Jesu, Menschen zu heilen, vom Aussätzigen in 8,2 als gegeben vorausgesetzt, so macht nun Jesus selbst dieses Vermögen explizit zum Thema. Auch dies ist schon insofern ein auffälliger Zug in der Erzählung, als er im Matthäusevangelium singulär ist. Ebenfalls ohne Parallele ist, dass Jesus nach dem Glauben seines Gegenübers fragt; ansonsten erkennt Jesus jeweils den Glauben derer, die seine Hilfe suchen, und bescheinigt ihn den Bittstellern. Die Besonderheit von 9,28 lässt danach fragen, welche Intention Matthäus mit diesem kleinen „Glaubensscrutinium“45 verfolgt. Dies gilt umso mehr, als das Glaubensmotiv, wie angemerkt, in der Markusvorlage (10,46–52) vorgegeben war, dort aber am Ende steht (10,52). Hätte Matthäus die markinischen Worte Jesu aus Mk 10,52 (ἡ πίστις σου σέσωκέν σε) übernommen, hätte sich eine perfekte Analogie zu Mt 9,22 ergeben. Warum hat Matthäus das Glaubensmotiv stattdessen in einen konstruiert wirkenden Dialog vorgezogen? Die Suche nach einer Erklärung für den auffälligen Textbefund wird bei einem weiteren wichtigen Charakteristikum des Textes einzusetzen haben: Während die Leser/innen schon an der prominenten Stelle der Überschrift des Matthäusevangeliums darauf hingewiesen wurden, dass Jesus der Sohn Davids ist (1,1)46, wird er in der erzählten Welt zum allerersten Mal in 9,27 von Menschen, denen er begegnet, als „Sohn Davids“ tituliert. Der Davidsohntitel ist bei Matthäus fest mit Jesu heilendem Wirken verbunden47, wobei es mit der Ausnahme des Sonderfalls in 15,22 stets um Blindenheilungen geht. Diese Konzentration der Verwendung des Titels impliziert 45 J. GNILKA, Das Matthäusevangelium, 1. Teil: Kommentar zu Kap. 1,1–13,58, HThK 1.1, Freiburg 21988, 345. 46 Die Frage, ob 1,1 lediglich Überschrift über den Stammbaum (bzw. Mt 1) oder über den Prolog (1,1–4,16) oder über das gesamte Evangelium ist, wird in der Forschung kontrovers beurteilt. Zur Diskussion der Argumente s. die Ausführungen bei W.D. DAVIES/D.C. ALLISON, The Gospel According to Saint Matthew, Volume 1, ICC, Edinburgh 1988, 149–154; U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, 1. Teilband: Mt 1–7, EKK 1/1, Düsseldorf 52002, 117–119 und M. MAYORDOMO-MARÍN, Den Anfang hören. Leserorientierte Evangelienexegese am Beispiel von Matthäus 1–2, FRLANT 180, Göttingen 1998, 208–213. 47 Siehe neben Mt 9,27 noch 12,22f.; 15,22; 20,30f; 21,9 (im Kontext von 20,29–34) sowie 21,14f. Indirekt ist auch 11,2–6 heranzuziehen, da der Christustitel in τὰ ἔργα τοῦ Χριστοῦ aufgrund des Bezugs der Wendung auf den in 4,23–9,35 vorangehenden Kontext davidisch koloriert ist (vgl. LUZ, Evangelium 2 [s. Anm. 14], 167; D.J. VERSEPUT, The Role and Meaning of the ‚Son of God‘ Title in Matthew’s Gospel, NTS 33 [1987], 532–556, 535). – Zu Jesus als dem heilenden davidischen Messias s. L. NOVAKOVIC, Messiah, the Healer of the Sick. A Study of Jesus as the Son of David in the Gospel of Matthew, WUNT 2/170, Tübingen 2003 und KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 41–52.
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nicht, dass die davidische Messianität für Matthäus ein bestenfalls zweitrangiges Christologoumenon darstellt.48 Matthäus hat sie vielmehr zu einem Leitmotiv seiner Christologie gemacht.49 Zu bedenken ist dabei grundlegend, dass die Vorkommen der Wendung „Sohn Davids“ nicht isoliert zu betrachten sind, sondern der Davidsohntitel, wie sich dies bereits aus Mt 1–2 ergibt, in seinem konzeptionellen Zusammenhang mit der Rede von Jesus als „König der Juden“ (2,2), als „Christus“ (2,4) oder als „Hirte“ (2,6) zu sehen ist50 und mithin „Sohn Davids“ lediglich die titularische Verdichtung eines umfassenderen christologischen Konzepts darstellt: Die matthäische Hervorhebung der davidischen Messianität Jesu bildet das christologische Korrelat zur Betonung der – während des irdischen Wirkens Jesu exklusiven – Zuwendung zu Israel51: Als Hirte Israels (2,6) ist Jesus allein zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (15,24). Die Konzentration der davidischen Messianität Jesu auf sein heilendes Wirken dient in diesem Zusammenhang positiv dazu, die barmherzige Zuwendung Gottes herauszustellen, die Israel durch seinen messianischen König Jesus zuteilwird. Die Verbindung der Anrufung Jesu als Sohn Davids mit der Bitte um Erbarmen in 9,27, die sich in 15,22 und 20,30.31 wiederholt52, fügt sich hier ein. Die Fokussierung auf Blindenheilungen spielt darüber hinaus eine Sinndimension ein, die über die Heilung im physischen Sinn hinausgeht: Israel wird vom davidischen Messias von der geistigen „Blindheit“ geheilt, die durch die inkompetenten alten Autoritäten, die „blinde Führer“ sind (15,14; 23,16–26), verursacht wurde. Der davidischen Messianität Jesu wird zudem intertextuell durch Bezüge auf die Schrift Tiefenprofil verliehen, wobei die eben angesprochene Hirtenmetaphorik, die in 2,6 durch das Mischzitat aus Mi 5,1; 2Sam 5,2 eingeführt wird, von leitender Bedeutung ist. Weiterer wichtiger Referenztext
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Gegen J.D. K INGSBURY, The Title „Son of David“ in Matthew’s Gospel, JBL 95 (1976), 591–602. 49 Ein diachroner Blick bekräftigt dies: Das Christologoumenon der Gottessohnschaft hat Matthäus im Markusevangelium als ein Leitmotiv vorgefunden (s. v.a. Mk 1,11; 9,7; 15,39). Die Hervorhebung der Davidsohnschaft Jesu geht hingegen auf seine eigene Hand zurück. Denn neben den vier aus dem Markusevangelium übernommenen Belegen (Mt 20,30.31; 22,42.45 par Mk 10,47.48; 12,35.37) hat Matthäus den Titel an weiteren sechs Stellen eingefügt. Resultiert der Beleg in 9,27 aus der Duplizierung von Mk 10,46– 52 und hat die Verwendung des Titels in Mt 21,9 in der Vorlage Mk 11,10 („... gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt“) zumindest einen gewissen Anhalt, so sind die sonstigen vier Belege (1,1; 12,23; 15,22; 21,15) sowie auch die Bezeichnung Josephs als υἱὸς Δαυίδ (1,20) dem Matthäusevangelium eigen. 50 Siehe dazu KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 33–35. 51 15,22 steht dem nicht entgegen. Vgl. unten in Abschnitt 3.1. 52 Die Erbarmensbitte begegnet im Matthäusevangelium nur in 17,15 ohne Verbindung mit der Anrufung Jesu als Sohn Davids.
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ist für Matthäus in dieser Hinsicht Ez 3453: Angesichts des Versagens der bisherigen Autoritäten (V.2–10) nimmt Gott sich seines Volkes an (V.11– 31), indem er den davidischen Messias als Hirten einsetzt (V.23f.).54 Mt 9,27–31 ist in diesen größeren Zusammenhang einzubetten. Mit dem ersten Vorkommen der Anrufung Jesu als Sohn Davids bildet 9,27 im Blick auf Matthäus’ Entfaltung seiner christologischen Konzeption einen ersten Gipfelpunkt. Der Sinn der matthäischen Einfügung der Frage Jesu erschließt sich vor diesem christologischen Hintergrund. 9,28 dient dazu, das Augenmerk auf den in 9,27 aufgeworfenen Aspekt der Identität Jesu zu lenken. „Glaubt ihr, dass ich dies tun kann“ lässt sich entsprechend paraphrasieren mit: „Glaubt ihr, dass ich der messianische Davidsohn bin, in dem Gott sich, wie in Ez 34 verheißen, heilend seinem Volk zuwendet?“ Die Antwort der Blinden mit ναὶ κύριε bildet ein weiteres Element, das 9,27–31 mit 15,21–28 verbindet (vgl. 15,27), nur genügt in 9,28 die knappe Bejahung der Frage, während die Kanaanäerin in 15,27 noch aufweisen muss, warum auch sie als Nichtjüdin vom zu Israel gesandten „Sohn Davids“ (15,22.24) Erbarmen erhoffen kann (dazu gleich). In 9,29 kann hingegen sogleich die Heilung folgen, Jesus waltet in V.29 gewissermaßen seines „Amtes“ als davidischer Messias: Er heilt die beiden Blinden „gemäß ihrem Glauben“, dass er sie zu heilen vermag, da er als messianischer Sohn Davids das Medium der barmherzigen Zuwendung Gottes zu seinem Volk ist. Die Konstatierung der Heilung in V.30a bekräftigt die oben angesprochene intertextuelle Tiefendimension der davidischen Messianität Jesu, denn die Wendung ἠνεῴχθησαν αὐτῶν οἱ ὀφθαλμοί (vgl. 20,33 diff. Mk 10,51) lässt die prophetische Heilsverheißung in Jes 35,5LXX anklingen55 (vgl. noch Jes 42,7 sowie 29,18; 61,1), auf die Matthäus in 11,5 – in direktem Zusammenhang mit der Rede von den Werken des Christus (11,2) – erneut anspielen wird: Die prophetische Heilsverheißung erfüllt sich in Jesu Wirken. Die Bedeutung der 9,27–31 einleitenden Anrufung Jesu als Sohn Davids bildet schließlich auch die Basis für den in V.30b folgenden Schweigebefehl. Denn dessen Einfügung an dieser Stelle wird verständlich, wenn man beachtet, dass es in der matthäischen Jesusgeschichte ganz zentral die 53 Vgl. dazu J.P. HEIL, Ezekiel 34 and the Narrative Strategy of the Shepherd and the Sheep Metaphor in Matthew, CBQ 55 (1993), 698–708; W. B AXTER, Healing and the „Son of David“: Matthew’s Warrant, NT 48 (2006), 36–49, bes. 43–45; KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 38f. 54 In der Passionserzählung ist ferner das Sacharjabuch als Referenztext von Gewicht (s. v.a. das Zitat von Sach 13,7 in Mt 26,31 und die Aufnahme von Sach 11,4–13 in Mt 26,14–16; 27,3–10, dazu C. MCAFEE MOSS, The Zechariah Tradition and the Gospel of Matthew, BZNW 156, Berlin 2008, 157–188). 55 Vgl. DAVIES/ALLISON, Gospel 2 (s. Anm. 26), 137.
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Würdestellung Jesu als des messianisch-davidischen Königs ist, die die feindliche Haltung und den Widerstand der (alten) Autoritäten gegen ihn evoziert. Dieser Grundzug der matthäischen Erzählung wird bereits in 2,1–6 exponiert. Die Konstellation wiederholt sich in 12,23f. und in 21,9–17.56 Das Schweigegebot ist vor diesem Hintergrund als Versuch lesbar, den Konflikt mit den jüdischen Autoritäten, zu dem 9,2–13 bereits ein erstes Vorspiel lieferte, nicht zu schüren. Die Geheilten halten sich allerdings nicht an Jesu Gebot und machen ihn (!), d.h. Jesus als heilenden Sohn Davids, bekannt, womit der sich in 9,32–34 bereits andeutenden Zuspitzung des Konfliktes die Bahn bereitet ist. Stellt das Davidsohnmotiv die Grundlage in V.30b–31 dar, bekräftigt dies zugleich indirekt, dass dieses auch den Bezugspunkt des Dialogs in V.28f. bildet. Mit anderen Worten: Das Motiv der davidischen Messianität Jesu bestimmt die gesamte Perikope. Der personale Bezug des Glaubens, wie er in Mt 18,6 und 27,42 hervortritt, spiegelt sich damit auch in 9,28f.: Bei dem Glauben der beiden Blinden geht es um Glauben an Jesus als den davidischen Messias, in dessen Wirken sich Gottes Erbarmen mit seinem Volk manifestiert. Im Lichte von 9,27–31 ist nun auch noch einmal auf 13,53–58 zurückzukommen. Der sich nahelegenden Antwort nach der Herkunft der Weisheit Jesu und seiner δυνάμεις (13,54), dass diese von Gott stammen und Jesus der erwartete Messias ist, wie die Volksmengen dies bereits in 12,22f. aufgrund des heilenden Wirkens Jesu in Erwägung gezogen haben (vgl. dann 21,9.15)57, versperren sich die Nazarener, weil sie auf Jesu (vermeintliche) Herkunft aus einfachen Verhältnissen blicken (13,55f.). In der Konstatierung ihres Unglaubens schwingt entsprechend mit, dass sie in Jesus trotz der ihn ausweisenden Weisheit und seiner δυνάμεις nicht den zu sehen vermögen, den Gott als messianischen Hirten des Volkes gesandt hat (2,6; 15,24), um dem Gottesvolk das verheißene messianische Heil zu bringen.
3. Der große Glaube des Hauptmanns von Kafarnaum (8,5–13) und der Kanaanäerin (15,21–28) Auf die Zusammengehörigkeit dieser beiden Texte ist bereits einleitend anhand der von Matthäus parallel gestalteten Schlussabschnitte hingewiesen worden. In beiden Texten bittet ein Nichtjude Jesus um Hilfe nicht für sich selbst, sondern für einen Angehörigen; beide werden von Jesus zu56
Siehe dazu KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 110–112.123f.133f.146f. Zur „Erkennbarkeit“ Jesu als des davidischen Messias anhand seiner Werke (vgl. auch 11,2–6) s. KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 46. 57
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nächst zurückgewiesen; beiden gelingt es im Gespräch, Jesu ablehnende Haltung zu überwinden. Begründet ist dies jeweils in ihrem Glauben, den Jesus erkennt und ihnen attestiert. Die entscheidende Frage ist, was die Größe des Glaubens des Hauptmanns und der Kanaanäerin ausmacht. Die geläufigen Antworten sind, dass das Vertrauen des Hauptmanns zu Jesus so groß ist, dass er ihm eine Fernheilung durch das Wort zutraut58, und die Kanaanäerin durch ihre Beharrlichkeit besticht.59 Beides reicht schwerlich aus, um die abschließende Zuwendung Jesu suffizient zu erklären. 3.1 Mt 15,21–28 Die Größe des Glaubens der Frau an ihrer Beharrlichkeit festzumachen, ist deshalb keine überzeugende These, weil die Frau in der matthäischen Erzählung auch dann noch eine dezidierte Ablehnung erfährt, als sie ihre Beharrlichkeit bereits bewiesen hat. Matthäus hat die Perikope zu einem viergliedrigen Dialog ausgestaltet, der von knappen szenischen Rahmennotizen (V.21–22a.28fin.) eingefasst ist. In diesem Dialog kommt Jesus jeweils die „antwortende“ Position zu. Genauer: Zunächst antwortet er der Frau mit keinem Wort (V.23: ὁ δὲ οὐκ ἀπεκρίθη αὐτῇ λόγον). Darauf bekräftigt er die Intervention der Jünger, sie wegen ihres lästigen Geschreis fortzuschicken (V.23b.c)60, mit dem Verweis auf seine exklusive Sendung zu Israel (V.24). Als die Frau, die ihnen auf dem Weg hinterherlief, nahe gekommen ist, vor ihm niederfällt und ihr Bitten fortsetzt, erneuert Jesus seine Ablehnung: „Es ist nicht gut, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden vorzuwerfen“ (V.26). Trotz ihrer bereits bewiesenen Beharrlichkeit wird die Frau noch zurückgewiesen, wobei die Beharrlichkeit durch die Verwendung von iterativ bzw. durativ zu verstehenden Imperfektformen in V.22 (ἔκραζεν) und V.25 (προσεκύνει) noch unterstrichen wird. Wie zuvor in V.24 fehlt zudem auch in V.26 in der Einleitung zur Rede Jesu mit ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν ein Dativobjekt; Jesus spricht nach wie vor nicht direkt mit der Frau. Erst in V.28 ändert sich dies (τότε ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτῇ). Diese Wende ist für Matthäus allein in dem Argument der Kanaanäerin in V.27 begründet. Matthäus lässt sie durch die Einfügung des ναί vor 58
Siehe für viele G. T ISERA, Universalism According to the Gospel of Matthew, EHS.T 482, Frankfurt a.M. 1993, 121; HAGNER, Matthew 1–13 (s. Anm. 26), 204. 59 Siehe exemplarisch J.P. MEIER, Matthew 15:21–28, Interp. 40 (1986), 397–402 (398f.); J.P. HEIL, The Narrative Roles of the Women in Matthew’s Genealogy, Bib. 72 (1991), 538–545, 544 und K.M. W OSCHITZ, Erzählter Glaube. Die Geschichte vom starken Glauben als Geschichte Gottes mit Juden und Heiden (Mt 15,21–28 par), ZKT 107 (1985), 319–332, 326: „ein Glaube, der der Vollmacht Jesu vertraut, das Moment der unbeirrbaren Zuversicht bei sich hat, zielstrebig und unbeugsam in der Ausdauer ist“. 60 Zu diesem Verständnis von ἀπόλυσον αὐτήν s. KONRADT, Israel, 66 (s. Anm. 30), Anm. 269 und die dort genannte Literatur.
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κύριε in V.27 zunächst ausdrücklich bestätigen, dass es nicht gut ist, den Kindern (= Israel61) das Brot, das hier für das Heil stehen dürfte62, zugunsten der Hunde63 (= der „Heiden“) wegzunehmen. Ihrer Zustimmung zu Jesu Aussage, dass die Kinder zu versorgen sind, korrespondiert zu Beginn der Perikope, dass sie Jesus als den Sohn Davids um Erbarmen gebeten hat; sie wendet sich also an Jesus als den zu Israel gesandten Messias.64 Warum sie dennoch von ihm die Heilung ihrer Tochter erhofft, geht aus ihrer Erweiterung des von Jesus in V.26 eingeführten Bildes hervor: „Und doch essen ja die Hunde von den Brocken, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Das Argument der Frau in V.27 bewegt sich im Rahmen der heilsgeschichtlichen Differenz von Israel und „Heiden“65, legt aber das Augenmerk darauf, dass unbeschadet der Versorgung der Kinder etwas für die Hunde abfällt.66 Redaktionskritisch ist hier zu beachten, dass Matthäus die markinische Rede von den „Brocken der Kinder“ (Mk 7,29) durch „die Brocken, die vom Tisch ihrer Herren herabfallen“ ersetzt und damit den Akzent vom Brot als Besitz der Kinder auf Jesus als den κύριος67 verlagert 61
Zu Israel als Gottes (erstgeborenem) Sohn s. Ex 4,22f.; Hos 11,1; SapSal 18,13; Sir 36,11; Jub 2,20; 4Esr 6,58; LibAnt 32,16; 4Q504 Fragm. 1–2 3,5f. u.ö. Entsprechend werden Israeliten als Kinder bzw. Söhne und Töchter Gottes bezeichnet (Dtn 14,1; 32,5.19; Jes 43,6; 45,11; Hos 2,1; Jdt 9,4; Est 8,12qLXX; SapSal 9,7; 12,7.19–21; 16,10.21.26; 18,4; 19,6; 3Makk 6,28; PsSal 17,27; Jub 1,24f.; TestJud 24,3; TestMos 10,3; Sib III 702 u.ö.). 62 Vgl. DAVIES/ALLISON, Gospel 2 (s. Anm. 26), 553; S. SCHREIBER, Cavete Canes! Zur wachsenden Ausgrenzungsvalenz einer neutestamentlichen Metapher, BZ NF 45 (2001), 170–192, 175; H. GIESEN, Jesu Sendung zu Israel und die Heiden im Matthäusevangelium, in: C. Niemand (Hg.), Forschungen zum Neuen Testament und seiner Umwelt (FS A. Fuchs), LPTB 7, Frankfurt a.M. 2002, 123–156, 132. 63 Mit „Hunden“ sind in alttestamentlich-frühjüdischer wie in frühchristlicher Literatur vorwiegend negative Assoziationen verbunden (s. den Überblick bei SCHREIBER, Cavete Canes [s. Anm. 62], 171–174). Dass es sich in Mt 15,26 um Haushunde – und nicht um die verachteten Straßenköter – handelt, wird, wenn nicht schon durch die Verwendung des Diminutivs (vgl. LUZ, Evangelium 2 [s. Anm. 14], 435; SCHREIBER, Cavete Canes [s. Anm. 62], 175), spätestens durch V.27 evident. 64 Vgl. LUZ, Evangelium 2 (s. Anm. 14), 434; R.H. GUNDRY, Matthew. A Commentary on His Handbook for a Mixed Church under Persecution, Grand Rapids 21994, 311. 65 Vgl. exemplarisch GIESEN, Sendung (s. Anm. 62), 131: Mit der Anrede Jesu als Sohn Davids erkenne die Frau „die Vorrangstellung Israels“ an. 66 Zur Illustration lässt sich die Speisungsgeschichte in 14,13–21 heranziehen: Nach der Speisung der 5000 bleibt mit 12 Körben voll Brot reichlich übrig (vgl. J.M.C. SCOTT, Matthew 15.21–28: A Test-Case for Jesus᾿ Manners, JSNT 63 [1996], 21–44, 40). Siehe auch 15,37 (dazu C.S. KEENER, A Commentary on the Gospel of Matthew, Grand Rapids 1999, 419). 67 Der im Blick auf die „Sachebene“ auffällige Plural κυρίων ergibt sich aus der allgemeingültig gehaltenen Formulierung des Bildes: Hunde essen Brocken, die vom Tisch ihrer Herren (= ihres jeweiligen Herrn) herabfallen (vgl. DAVIES/ALLISON, Gospel 2 [s. Anm. 26], 556: „The one plural, ‘dogs’, demands the other plural, ‘masters’.“). Es ist
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hat, der dem Mahl vorsteht und das Brot gibt. Ohne Jesu Aufgabe, die „Kinder“ mit „Brot“ zu versorgen, in Frage zu stellen, weist die Kanaanäerin durch ihre kreative Weiterführung des von Jesus in V.26 verwendeten Bildwortes darauf hin, dass über Jesu Heilswirken in Israel das Heil auch zu den „Heiden“ gelangt. Man kann hier geradezu in nuce einen Kernpunkt der matthäischen Erzählkonzeption abgebildet finden: Das in 1,21 vorgebrachte „Zentrum der Sendung Jesu“, sein Volk (= Israel) von den Sünden zu retten68, findet seine finale Realisierung in der Lebenshingabe Jesu für die „Vielen“ (20,28; 26,28) „zur Vergebung der Sünden“ (26,28); Jesu Heilstod für die „Vielen“ (= für alle)69 bildet aber zusammen mit seiner Auferweckung und Einsetzung zum Weltenherrn (vgl. 28,18b) zugleich die christologische und soteriologische Voraussetzung für die nachösterliche Ausweitung der Heilszuwendung auf alle Völker. Eben darin nun, dass die Kanaanäerin in V.27 einen Glauben an Jesus zu erkennen gibt, dem zufolge die mit seinem Wirken verbundene Heilszuwendung über Israel hinaus auf die Völker überfließen wird, liegt begründet, warum Jesus ihr am Ende einen großen Glauben bescheinigt. Ihr Glaube antizipiert das letztendliche Ziel der Sendung Jesu, die Universalität des Heils, die Jesus selbst erst nach seiner Auferstehung und Erhöhung zum Weltenherrn kundtun wird (28,18–20). Deshalb gewährt Jesus ihr schon jetzt – in Anlehnung an 8,29 gesprochen: vor dem Kairos der mit Ostern anbrechenden Ausweitung der Heilszuwendung auf alle Völker70 – ihre Bitte. Kulminierten die Glaubensperikopen in Mt 9 in dem Glauben an Jesus als dem davidischen Messias, durch den Gott sich seines also nicht wegen des Plurals an Gott und Jesus als „Herren“ zu denken (erwogen von C. BURCHARD, Zu Matthäus 8,5–13, in: ders., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, hg. v. D. Sänger, WUNT 107, Tübingen 1998, 65–76, 73) oder an Jesus und seine Jünger (anders F. W ILK, Jesus und die Völker in der Sicht der Synoptiker, BZNW 109, Berlin 2002, 146). 68 Vgl. U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, 4. Teilband: Mt 26–28, EKK 1/4, Düsseldorf 2002, 116: „Die Vergebung der Sünden ist für Matthäus das Zentrum der Sendung Jesu.“ 69 Zur universalistischen Interpretation von περὶ πολλῶν in 26,28 vgl. für viele J.P. HEIL, The Death and Resurrection of Jesus. A Narrative-Critical Reading of Matthew 26–28, Minneapolis 1991, 38; J. GNILKA, Das Matthäusevangelium, 2. Teil: Kommentar zu Kap. 14,1–28,20 und Einleitungsfragen, HThK 1.2, Freiburg 21992, 401; W. CARTER, Matthew. Storyteller, Interpreter, Evangelist, Peabody 1996, 215.219; H. FRANKEMÖLLE, Matthäus. Kommentar 2, Düsseldorf 1997, 449f. Anders GUNDRY, Matthew (s. Anm. 64), 528 („‘the elect’“) und LUZ, Evangelium 4 (s. Anm. 68), 116: „Mit den aus dem einen Becher trinkenden Jüngern identifiziert sich die das Herrenmahl feiernde Gemeinde, die bei περὶ πολλῶν in erster Linie an sich selbst denken wird. Der Sinn von περὶ/ὑπὲρ πολλῶν (Mt/Mk) ist also wohl kein grundsätzlich anderer als der von ὑπὲρ ὑμῶν (Lk/Pls).“ 70 Zur Deutung von πρὸ καιροῦ in Mt 8,29 s. KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 62f.
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Volkes erbarmt, so wird der christologische und soteriologische Horizont des Glaubens durch Mt 15,21–28 dahingehend ausgeweitet, dass der Messias Israels, der Sohn Davids (V.22), zugleich der Heilsbringer für die Völker ist.71 3.2 Mt 8,5–13 Der Kanaanäerin steht der Hauptmann von Kafarnaum in 8,5–13 zur Seite. Nachdem er Jesus angesprochen und auf das Leiden seines Sohns aufmerksam gemacht hat (V.6), erfährt er – anders als in der lukanischen Parallele in Lk 7,1–10 (und in Joh 4,46–54) – zunächst Jesu Zurückweisung, denn V.7 ist schwerlich als Aussagesatz, sondern als Fragesatz zu lesen und damit nicht als eine Einwilligung, sondern als eine Zurückweisung zu verstehen: „Ich soll kommen und ihn heilen?“72 Durch diese anfängliche Zurückweisung erscheinen die Worte des Hauptmanns in V.8f. – wiederum anders als in Lk 7 – weniger als Ausdruck von Demut, sondern sie erhalten analog zu Mt 15,27 einen stärker argumentativen Charakter. Zur damit aufgeworfenen Frage, wodurch Jesus bewegt wird, von seiner Ablehnung abzugehen, bzw. woran er den besonders großen Glauben des Hauptmanns festmacht, wird, wie oben angemerkt, in der Regel auf das außerordentliche Vertrauen verwiesen, das der Hauptmann in V.8c Jesus bzw. näherhin der Wirkmacht seines Wortes entgegenbringt: Ein bloßes Wort aus der Ferne genüge (ἀλλὰ μόνον εἰπὲ λόγῳ), um den Sohn gesund werden zu lassen (καὶ ἰαθήσεται ὁ παῖς μου). Deutet man so, käme V.9 lediglich die Funktion zu, den Folgezusammenhang zwischen Wort und Wirkung zu illustrieren. Allerdings spricht Matthäus bereits in 8,16 redaktionell wiederum von Heilungen λόγῳ, und hier sind es jüdische Volksmengen, die Kranke zu Jesus bringen. Im Lichte von V.16 ist es daher wenig plausibel, das, was den Glauben des Hauptmanns von dem anderer abhebt, allein darin zu erblicken, dass er Jesus eine Heilung λόγῳ – und sei es eine Fernheilung – zutraut. Anders gesagt: Der Hauptmann unterscheidet sich an diesem Punkt nicht so von den in V.10 angeredeten Volksmengen73, dass V.10(–12) begründet erscheint.74 71 Dieser Konnex prägt bereits im Prolog die Erzählung von den Magiern aus dem Osten in 2,1–12: Sie suchen den „König der Juden“ auf, weil sie auf diesen ihre eigene Heilshoffnung richten. 72 Zur Begründung s. KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 71 (dort in Anm. 300 auch weitere Vertreter dieser Deutung). – Das Zurückweisungsmotiv entstammt m.E. nicht der QVorlage, sondern geht auf Matthäus zurück. Im Zuge seiner Einfügung hat Matthäus zugleich, um die Schroffheit zu mildern, die Krankheitsangabe entschärft: Aus einer lebensbedrohlichen Krankheit (Lk 7,2, vgl. Joh 4,47) hat Matthäus eine Lähmung gemacht. Zu Details der matthäischen Bearbeitung in 8,5–7 s. a.a.O., 71–77. 73 Jesus bescheinigt in 8,10 den großen Glauben des Hauptmanns nicht diesem selbst, sondern spricht zu τοῖς ἀκολουθοῦσιν. Dem Kontext nach sind damit an erster Stelle die
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Den Vorzug verdient daher eine alternative Option: Mit V.8 gibt der Hauptmann zu verstehen, dass ihm die Differenz zwischen dem erwählten Volk und den „Heiden“ bewusst ist und er um den konstitutiven Bezug des Wirkens Jesu auf Israel weiß: Als er Jesus ansprach, wollte er gar nicht, dass dieser sich der – ihn von seinem eigentlichen Auftrag, von seiner Sendung zu Israel, abbringenden – Mühe unterziehe, eigens zu ihm zu kommen; er hatte nicht mehr im Sinn, als dass Jesus quasi en passant durch sein Wort heilt.75 Erst mit V.9 folgt die eigentliche Erläuterung, wieso der Hauptmann trotz der Sendung Jesu zu Israel und entsprechend seiner eigenen „Unwürdigkeit“ davon ausgeht, dass auch er bei Jesus „an der richtigen Adresse“ ist. Das entscheidende Stichwort ist hier die ἐξουσία, von der, was Jesus angeht, unmittelbar zuvor in 7,29 noch die Rede war. Auch dann, wenn man dem Vorschlag, ὑπὸ ἐξουσίαν mit ἔχων zu verbinden76, nicht folgt und die Wendung, wie üblich, zum Voranstehenden zieht77, ergibt sich hier nicht dergestalt eine grundlegende Differenz zwischen dem Hauptmann und Jesus, dass Jesus ἐξουσία hat, während der Hauptmann unter ἐξουσία steht, da auch in diesem Fall die ἐξουσία des Hauptmanns impliziert wäre: Dass er Soldaten unter sich hat, ist Folge dessen, dass er selber unter einer Befehlsgewalt steht, die er seinen Soldaten gegenüber vertritt. Beachtet man dieses Implikat, ergibt sich von selbst, worin die durch καὶ γὰρ ἐγώ angezeigte Analogie besteht, die der Hauptmann zwischen sich und Jesus sieht: Beide haben ἐξουσία und können daher, wie der Hauptmann in V.9b aus seiner Lebenswelt illustriert, Befehle geben, die befolgt werden.78 Liest man nun V.8f. im Volksmengen aus 8,1 (vgl. 4,25) gemeint. Die Formulierung ist allerdings offen dafür, dass man auch die Jünger impliziert sehen kann. 74 Ähnlich B URCHARD, Matthäus 8,5–13 (s. Anm. 67), 72 sowie W ILK, Jesus (s. Anm. 67), 114. 75 Zu beachten ist, dass μόνον matthäische Redaktion ist. Vgl. U. WEGNER, Der Hauptmann von Kafarnaum (Mt 7,28a; 8,5–10.13 par Lk 7,1–10). Ein Beitrag zur QForschung, WUNT 2/14, Tübingen 1985, 206f. 76 So B URCHARD, Matthäus 8,5–13 (s. Anm. 67), 70f. – ἄνθρωπος wäre dann – anders als in Apg 10,26; 14,15 – tonlos im Sinne von „jemand“ zu fassen (s. a.a.O., 70). Gesagt wäre dann nicht, dass der Hauptmann unter einer Befehlsgewalt steht, sondern dass er jemand ist, der Soldaten unter der seinen hat. 77 So auch die Interpunktion im Nestle-Aland26–28. 78 Vgl. DAVIES/ALLISON, Gospel 2 (s. Anm. 26), 23 sowie J.A. OVERMAN, Church and Community in Crisis. The Gospel According to Matthew, The New Testament in Context, Valley Forge 1996, 117, der die Aussage des Hauptmanns, dass er ὑπὸ ἐξουσίαν ist, sogar positiv in die Analogie zwischen diesem und Jesus einbezieht: „The centurion understands how authority works. He understands that both he and Jesus receive their power and authority from somewhere or someone.“ Siehe auch HARRINGTON, Gospel (s. Anm. 26), 114; NOLLAND, Gospel (s. Anm. 26), 355f. Wollte man hingegen aus V.9 einen grundlegenden Gegensatz zwischen dem Hauptmann und Jesus im Blick auf die
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Zusammenhang, so bietet V.9 weit mehr als bloß eine Illustration von V.8c. Vielmehr wird hier mit der ἐξουσία das entscheidende Moment genannt, weshalb das gesprochene Wort Verwirklichung findet.79 Im Blick auf Jesus bedeutet dies, dass der Hauptmann davon ausgeht, dass Jesus eine Vollmacht besitzt, die nicht auf Israel beschränkt ist, sondern auch ihn als „Heiden“ umgreift. Zu verbinden ist dies – analog zu 15,21–28 – damit, dass Jesus als Auferstandener seine universale ἐξουσία kundtun wird (28,18b) und diese im Fortgang als die Basis für die Aussendung der Jünger zu allen Völkern erscheint (28,19).80 Wenn in ἐδόθη in 28,18b ein konkreter Zeitpunkt im Blick ist, bietet sich prima vista der Geschehenszusammenhang von Jesu Tod, Auferweckung und Erhöhung (vgl. 26,64) als nahe liegende Option an. Die im Matthäusevangelium vorangehenden ἐξουσία-Belege zeigen freilich, dass die Aussage in 28,18b eher mit dem Irdischen verbindet als von ihm trennt. 11,27 ist geradezu eine Vorwegnahme von 28,18b; zudem lassen Texte wie 14,22–33 oder 26,52–54 bereits für den irdischen Herrn Partizipation an göttlicher Macht deutlich werden. In diesem Lichte ist das Neue in 28,18b nicht in der Vollmacht an sich bzw. in ihrem Vollmaß zu sehen81, sondern darin, dass Jesus nun zur Rechten Gottes sitzt und seine ἐξουσία als eine universale kundtut.82 Besessen hat er – als der an der Macht Gottes partizipierende Sohn Gottes83 – sie schon vorher, aber erst mit seiner Inthronisation zum Weltenherrn ist er in die Position eingesetzt, sie auszuüben. Während seiner irdischen Sendung hingegen gilt sein Auftrag Israel. Christologisch ἐξουσία ableiten, würde die in καὶ γὰρ ἐγώ angezeigte Analogie zwischen Jesus und dem Hauptmann unverständlich. 79 Vgl. das begründende γάρ zu Beginn von V.9! 80 Siehe das folgernde οὖν in 28,19. 81 Anders z.B. A. VÖGTLE, Das christologische und ekklesiologische Anliegen von Mt 28,18–20, in: ders., Das Evangelium und die Evangelien. Beiträge zur Evangelienforschung, KBANT, Düsseldorf 1971, 253–272, 257; G. B ORNKAMM, Der Auferstandene und der Irdische. Mt 28,16–20, in: ders., Studien zum Matthäus-Evangelium, hg. v. W. Zager, WMANT 125, Neukirchen-Vluyn 2009, 95–116, 99. 82 Vgl. A. SAND, Das Evangelium nach Matthäus, RNT, Regensburg 1986, 599: Die Vollmacht ist dem Auferweckten „nicht als etwas völlig Neues hinzugegeben worden, sondern findet als immer schon vorhanden im Sieg über den Tod ihre Bestätigung“ (Hervorhebung von mir). Siehe auch NOLLAND, Gospel (s. Anm. 26), 1265: „Mt. 28:18 is most likely to represent a reaffirmation of authority after the rejection of Jesus by the Jerusalem authorities which led to his death. Through resurrection God has vindicated Jesus, who is now able to freshly affirm his authority.“ 83 Zu diesem Aspekt des matthäischen Verständnisses der Gottessohnschaft Jesu s. M. KONRADT, Die Taufe des Gottessohnes. Erwägungen zur Taufe Jesu im Matthäusevangelium, in: P. Lampe/M. Mayordomo/M. Sato (Hg.), Neutestamentliche Exegese im Dialog. Hermeneutik – Wirkungsgeschichte – Matthäusevangelium (FS U. Luz), Neukirchen-Vluyn 2008, 257–273, 267–269.
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gesprochen: Während seines irdischen Wirkens hat der Gottessohn Jesus der Aufgabe nachzukommen, die ihm als davidisch-messianischer Hirte Israels zugewiesen ist.84 Der Hauptmann aber antizipiert bereits wie in 15,21–28 die Kanaanäerin, was Jesus erst als Auferstandener offenbart. Genauer: Er stellt zum einen das Vorrecht Israels und die entsprechende irdische Sendung Jesu nicht in Frage, zum anderen erkennt er aber die Universalität der ἐξουσία Jesu: Wie der Befehlsgewalt des Hauptmanns Soldaten (und ein Sklave) unterstehen und diese seine Befehle ausführen, so hat Jesus als der Kyrios (8,6), auch wenn dies im Rahmen seiner irdischen Sendung noch nicht vorgesehen ist, prinzipiell die Macht, auch außerhalb Israels Heil zu wirken. Der Hauptmann zeigt damit wie die Kanaanäerin einen Glauben, nach dem Jesus der Heilsbringer auch für die Menschen aus den Völkern ist. Eben dies hebt den Glauben des Hauptmanns von dem ab, was Jesus (bis dahin) in Israel an Glauben angetroffen hat.85 Auch die jüdischen Volksmengen haben zwar erkannt, dass Jesus Vollmacht besitzt (7,29) und erwarten Wunder von ihm, die er λόγῳ ausführt (8,16), und „einzelnen bestätigt Jesus ihren Glauben (9,2.22.29). Aber an Jesu universale Sendung glauben sie nicht“86. 8,5–13 und 15,21– 28 zeigen sich damit auch im Blick darauf, worin jeweils die besondere Größe des Glaubens besteht, als zwei parallele Erzählungen.
4. Resümee und Folgerungen: Die Rede vom Glauben in Heilungsgeschichten und der Glaube der Jünger Überblickt man den voranstehenden Durchgang durch die relevanten Texte, zeigt sich in mehrfacher Hinsicht ein gezielter Gestaltungswille des Evangelisten. Festzuhalten ist erstens, dass die matthäische Rede vom Glauben in den Heilungserzählungen von der in 18,6 (und 27,42) ansichtig werdenden Tendenz zur Betonung des personalen Bezugs des Glaubens 84 Zum narrativen christologischen Konzept des ersten Evangelisten mit seiner doppelten Entfaltung der Messianität Jesu durch die Motive der David- und der Gottessohnschaft s. KONRADT, Israel (s. Anm. 30), bes. 329–334. 85 In diesem Sinn auch B URCHARD, Matthäus 8,5–13 (s. Anm. 67), 74: „Der große Glaube des Hauptmanns ... besteht ... nicht einfach im Vertrauen auf Jesu Macht ..., sondern genauer darauf, daß Jesus auch denen Heil bringt, die nicht zu Israel gehören und von Haus aus kein Recht darauf haben.“ Siehe ferner W ILK, Jesus (s. Anm. 67), 114f.144. 86 B URCHARD, Matthäus 8,5–13 (s. Anm. 67), 74. Siehe auch W ILK, Jesus (s. Anm. 67), 115. – Zur Funktion der Einfügung des Doppellogions in Mt 8,11f. in diesem Zusammenhang s. KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 218–224.
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nicht völlig unberührt ist. Zwar ist hier noch nicht, wie sich dies in 18,6 andeutet, im umfassenderen Sinn eine personale Bindung an Jesus im Blick, doch geht es auch hier insofern um Glauben an Jesus, als die Glaubenden ihr Vertrauen nicht auf eine abstrakte Wundermacht oder die Fähigkeit irgendeines Wunderheilers, sondern eben auf die Person Jesu richten und dabei das auf Jesus gerichtete Vertrauen mit dem Glauben einhergeht und von ihm getragen wird, dass Jesus aus einer ihm von Gott verliehenen Vollmacht heraus handelt. Das Glaubensmotiv in den Heilungsgeschichten kann daher nicht unabhängig von der christologischen Dimension verhandelt werden, die Matthäus dem heilenden Wirken Jesu beigemessen hat. Genauer: Glaube ist hier mit der christologischen Erkenntnis verbunden, dass Jesus der davidische Messias ist, in dem sich die Heilshoffnungen Israels erfüllen und der auch den Völkern das Heil bringt.87 Ersteres bildet den Kulminationspunkt der Glaubensperikopen in Mt 9; Letzteres ist das bestimmende Motiv in den beiden „Rahmentexten“ in 8,5–13; 15,21–28. Auch Matthäus verbindet somit mit dem Glaubensthema das Motiv, dass nicht die Herkunft über die Heilszuwendung entscheidet (vgl. auch 3,9), sondern der Glaube.88 Zweitens ist auf den eingangs aufgeworfenen kompositorischen Befund zurückzukommen, dass Matthäus seine Quellen so bearbeitet (und kompositionell platziert) hat, dass alle Texte, in denen Jesus Menschen, die ihn um Hilfe ersuchen, Glauben bescheinigt, zwischen 4,17 und 16,20 stehen. Von 16,21 an kommt das Glaubensmotiv – vom Konflikt mit den Autoritäten (21,25.32; 27,42) abgesehen – nur noch in ekklesialer Ausrichtung bzw. mit Bezug auf die Jünger vor. Die Rede von „diesen Geringen, die an mich glauben (… τῶν μικρῶν τούτων τῶν πιστευόντων εἰς ἐμέ)“ in 18,6 bezieht sich auf in ihrer christlichen Lebensorientierung noch ungefestigte
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Die These von HELD, Interpret (s. Anm. 2), 264 zur Rede vom Glauben im Zusammenhang der Wundergeschichten, dass der Glaube „nicht die Anerkennung der Christuswürde Jesu“ bedeute, lässt sich für das Matthäusevangelium nicht halten. Im Blick auf den historischen Jesus wird man zwar schwerlich mit der Kategorie der Messiaswürde operieren können (zu dieser Frage s. M. KONRADT, Stellt der Vollmachtsanspruch des historischen Jesus eine Gestalt „vorösterlicher Christologie“ dar?, ZThK 107 [2010], 139–166), doch gilt mutatis mutandis auch hier, dass der Glaube mehr meint als das Vertrauen in die Fähigkeiten eines Wunderheilers. Vielmehr ist für den historischen Jesus im Lichte seiner eigenen Interpretation seines heilenden Handelns in Q 11,20 zu folgern, „that faith is more specifically the confidence and conviction that God’s reign, and its salvific power, is made manifest in Jesus’ deeds“ (KONRADT, Faith [s. Anm. 18], 692, vgl. F. HAHN, Das Verständnis des Glaubens im Markusevangelium, in: F. Hahn/H. Klein [Hg.], Glaube im Neuen Testament [FS H. Binder], BThSt 7, Neukirchen-Vluyn 1982, 43–67, 55; SÖDING, Glaube [s. Anm. 2], 52 mit Anm. 74). 88 Vgl. DAVIES/ALLISON, Gospel 2 (s. Anm. 26), 25: „Faith conquers the separation between Jew and Gentile“.
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Gemeindeglieder.89 18,6 steht zur Seite, dass bei den beiden Versionen des Logions vom Berge versetzenden Glauben in 17,20 und 21,21f. (wie im Übrigen auch bei den Warnungen in 24,23.26) jeweils die Jünger adressiert sind. 17,20 führt zugleich das Thema des Kleinglaubens der Jünger weiter, das zuvor in 6,30 eingeführt und durch 8,26; 14,31 und 16,8 verstärkt worden ist. Die Konzentration der Rede vom Glauben auf die Jünger ab 16,21 korrespondiert mit der Akzentverlagerung in der Erzählung im Ganzen. In 16,21 beginnt Jesus den Jüngern aufzuzeigen, dass er sterben und auferweckt werden wird. Damit tritt zugleich die Unterweisung spezifisch der Jünger für die Zeit nach dem Weggang Jesu in den Vordergrund. Auch in der Heilungsgeschichte in 17,14–20 liegt das Hauptaugenmerk nicht mehr auf Jesu heilendem Handeln selbst, sondern auf der Rolle der Jünger angesichts der Abwesenheit Jesu, genauer: auf ihrem Unvermögen.90 Schon deshalb hat Matthäus kein Interesse an dem Gespräch zwischen Jesus und dem Vater über den Glauben, sondern rückt den Glauben der Jünger ins Zentrum (17,17.20).91 Liest man die Perikope im Lichte von 9,2, muss man für Matthäus annehmen, dass für ihn der Glaube des Vaters – gänzlich ohne die Ambivalenz von Mk 9,22–24 – in seinen Worten in V.15 impliziert ist92, aber er wird nicht mehr eigens zum Thema. In 20,29–34 schließlich, der einzigen weiteren ausgeführten Heilungsgeschichte in 16,21–28,20, liegt das Augenmerk darauf, im Vorblick auf 21,9 noch einmal das Motiv der Davidsohnschaft Jesu vorzubringen. Auch hier hat Matthäus das Motiv des Glaubens des Bittstellers (Mk 10,52) übergangen. Übernommen wird am Ende der Erzählung allein die Rede von der Nachfolge, was wiederum gut zum genannten Fokus auf die Jüngerschaft passt. Im Blick auf den Glauben von Bittstellern an Jesus als dem heilenden Messias ist mit den fünf im zweiten und dritten Abschnitt untersuchten Texten zwischen 8,5 und 15,28 alles gesagt, was Matthäus in diesem Zusammenhang zum Ausdruck bringen wollte. 15,21–28 kann man dabei als Gipfelpunkt der narra89 Zur Deutung der Wendung auf noch ungefestigte Gemeindeglieder s. M. KONRADT, „Whoever humbles himself like this child …“. The Ethical Instruction in Matthew’s Community Discourse (Matt 18) and its Narrative Setting, in: R. Zimmermann/J.G. van der Watt (Hg.), Moral Language in the New Testament. The Interrelatedness of Language and Ethics in Early Christian Writings, WUNT 2/296, Tübingen 2010, 105–138, 112f. (dort auch zu anderen Deutungen). 90 Das Motiv des (Un-)Vermögens der Jünger bildet den roten Faden in 17,14–20. Siehe die Klage des Vaters in 17,16 (οὐκ ἠδυνήθησαν αὐτὸν θεραπεῦσαι), die Frage der Jünger in 17,19 (διὰ τί ἡμεῖς οὐκ ἠδυνήθημεν ἐκβαλεῖν αὐτό;) und schließlich das abschließende Wort Jesu in 17,20 (καὶ οὐδὲν ἀδυνατήσει ὑμῖν). Vgl. HELD, Interpret (s. Anm. 2), 178. 91 Zum Bezug von 17,17 auf die Jünger und zum Verhältnis der Rede vom Kleinglauben in 17,20 zum Vorwurf des Unglaubens in der Klage in 17,17 s. KONRADT, Israel (s. Anm. 30), 258–260 und POPLUTZ, Glaube (s. Anm. 3), 42. 92 Ebenso z.B. HELD, Interpret (s. Anm. 2), 180.
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tiven Entfaltung des Motivs des Glaubens von Bittstellern ansehen. 8,5–13 hat das mit der πίστις verbundene Motiv der Universalität des Heils eingeführt. 9,27–31 exponierte als Klimax der Thematisierung des Glaubens in Mt 9 die christologische Dimension des Bezugs des Glaubens auf Jesus als den heilenden davidischen Messias. 15,21–28 bindet beide Aspekte zusammen. Der kompositorische Befund ist nun drittens damit zu vernetzen, dass die Vorkommen von πίστις im Blick auf den Glauben von Bittstellern in den Heilungsgeschichten, die Rede vom Kleinglauben der Jünger und die ihnen gegebene Verheißung, dass Glaube sogar Berge versetzen kann, sachlich an der Wurzel miteinander verbunden sind: Je auf ihre Weise geht es in allen Belegen um das auf Gott und auf Jesus gerichtete Vertrauen in ihre Macht, bewahrend, helfend und rettend einzugreifen. In den Heilungsgeschichten ist dieses Moment, wie gesehen, darauf konzentriert, dass die Bittsteller darauf vertrauen, dass Jesus als der davidische Messias, auf den auch die Völker ihre Hoffnung richten, die Heilsverheißungen, die die Überwindung von das Leben mindernden bzw. beeinträchtigenden Krankheiten einschließen93, erfüllt und sie zu heilen vermag. Bei denen, die in die Nachfolge eingetreten sind, sind die Situationen, in denen sich ihr Vertrauen zu zeigen vermag und sich zu bewähren hat, vielfältiger, und damit ist zugleich der Glaube selbst umfassender bestimmt. So geht es hier etwa auch um das Vertrauen darauf, dass für das zum Leben Notwendige gesorgt sein wird (6,30; 16,8), oder um das Vertrauen in ihre Bewahrung und Rettung (8,26) angesichts der Bedrängnisse, der die Nachfolger Jesu ausgesetzt sind (5,10–12; 10,16–39 u.ö.). Schließlich gehört in Korrespondenz dazu, dass den Jüngern mit ihrer Sendung aufgetragen ist, das Wirken Jesu fortzusetzen, dass ihnen als Glaubenden zugesprochen ist, selbst „Berge versetzen“, also wirkmächtig handeln zu können (17,20; 21,21f.). Auch hier liegt zugrunde, dass Glaube Vertrauen in die Wirkmacht Gottes bzw. Jesu meint, nur gewinnt der Glaubende hier nicht für sich „Anteil an Christus und seinen Wohltaten“94, sondern wird selbst zum Vermittler der Wohltaten des Messias. Mit dem in 16,21 eingeführten neuen Schwerpunkt der matthäischen Jesusgeschichte wird die Thematisierung des Glaubens auf diesen Aspekt des Glaubens der Jünger konzentriert. Dem grundlegenden Aspekt des Vertrauens sowohl in der Rede vom Glauben der Jünger wie der Bittsteller steht zur Seite, dass hier wie dort zum Glauben auch das noetische Moment der Erkenntnis der Vollmacht Jesu und damit seiner messianischen Würde gehört. Daraus, dass den Jüngern Verstehen (συνιέναι) zugeschrieben wird oder sie zum Verstehen 93
Siehe die Rezeption von Jes 29,18f.; 35,5f.; 61,1 in Mt 11,4f. sowie ferner Ez 34,16 und 4Q521 Fragm. 2 2; 2Bar 29,7; 73,2. 94 HELD, Interpret (s. Anm. 2), 262.
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geführt werden95, sie aber dennoch kleingläubig sind, ist keineswegs zu folgern, dass dem Glauben überhaupt kein noetisches Moment innewohnt.96 Vielmehr ist der spezifische Bezug des durch συνιέναι formulierten noetischen Aspekts auf Jesu Gleichnisrede und seine lehrhafte Unterweisung zu beachten. Gegen eine völlige Ausklammerung des Erkenntnisaspekts aus dem Glaubensbegriff spricht nicht nur, dass der Unglaube der Nazarener in 13,53–58 mit ihrem Unverständnis über das „Woher“ der Vollmacht Jesu (13,54.56) verbunden ist97, sondern ebenso, dass der Kleinglaube der Jünger in 16,8–11 überwunden werden soll, indem Jesus sie an ihre Erfahrungen bei den Speisungen erinnert, damit sie diese Ereignisse verstehen98, d.h. begreifen, welche Vollmacht sich darin dokumentierte.99 Verstehen sie dies, erübrigt sich ihr kleingläubiger Blick darauf, dass sie keine Brote mitgenommen haben. Zugleich ist aber umgekehrt festzuhalten: Sosehr Glaube Verstehen voraussetzt und impliziert, sosehr geht der Glaubensbegriff weit über dieses hinaus und schließt, wie ausgeführt, das existentielle Moment des Vertrauens ein, des Sich-Einlassens und Sich-Verlassens auf Gott und auf Jesus. Kurz gesagt: Glaube ist Vertrauen auf Gottes respektive Jesu vollmächtiges Handeln und ihre heilvolle Gegenwart als gelebte Konsequenz aus der theologischen bzw. christologischen Erkenntnis.100 Analog zum eben Gesagten gilt dabei auch hier: Bei den Jüngern geht es um umfassendere theologische und christologische Erkenntnisse als bei den Bittstellern. Sie haben Jesus nicht nur als messianischen Davidsohn, sondern als den „Christus, den Sohn des lebendigen Gottes“ (16,16, vgl. 14,33) erkannt, der an göttlicher Macht partizipiert, und sehen in ihm den 95
Siehe 13,11 sowie 13,23.51; 16,12; 17,13. Anders B ARTH, Gesetzesverständnis (s. Anm. 3), 105–108, der Verstehen und Glauben je für sich fasst. Glaube setze zwar Verstehen voraus (vgl. a.a.O. 108: „das πιστεύειν hat bei Mt. stets das συνιέναι zur Voraussetzung und ist ohne dieses nicht möglich“), doch sei „die Erkenntnis der ἐξουσία Jesu … kein Strukturmoment der πίστις“ (106). „Das noetische Moment … wird bei Mt. aus dem πίστις-Begriff ausgeklammert und an das συνιέναι überwiesen“ (ebd., vgl. ferner U. LUZ, Die Jünger im Matthäusevangelium, in: J. Lange [Hg.], Das Matthäus-Evangelium, WdF 525, Darmstadt 1980, 377–414, 384; ZUMSTEIN, Condition [s. Anm. 2], 234). Der analytische Blick reißt hier auseinander bzw. etabliert als separate Größen, was bei Matthäus eng zusammengehört, wie die Beispiele im Folgenden illustrieren. 97 Vgl. dazu D.J. VERSEPUT, The Faith of the Reader and the Narrative of Matthew 13.53–16.20, JSNT 46 (1992), 3–24, 13. 98 Siehe die beiden Fragen οὔπω νοεῖτε … in 16,9 und πῶς οὐ νοεῖτε … in 16,11! 99 Vgl. VERSEPUT, Faith (s. Anm. 97), 19–21; BROWN, Disciples (s. Anm. 3), 105f. 100 Die Frage, wie Glaube entsteht, wird von Matthäus nicht verhandelt (hingegen betont KLEIN, Glaubensverständnis [s. Anm. 2], 36f.41 den Gabecharakter des Glaubens). Man kann nur im Lichte von 16,5–12 sagen, dass Matthäus davon ausgeht, dass Erinnerung an die Selbstevidenz des Wirkens Jesu Glauben zu fördern vermag. 96
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zu Gott erhöhten Weltenherrn, der ihnen sein Mit-Sein zugesagt hat (28,20). Darauf sollen sie in allem, was das Leben in seiner Nachfolge mit sich bringt, vertrauen.101 Die Erzählungen von Heilungen, in denen der Glaube der Menschen, die sich an Jesus gewandt haben, nicht enttäuscht wurde, fungieren im Gesamtkontext betrachtet für die Adressaten als ermutigende Beispiele für das Vertrauen, das man Matthäus zufolge zu Recht in Jesus setzen kann. Für die Jünger selbst sind aber andere Bereiche relevant. Der beobachtete kompositorische Befund bildet dies ab. Dies marginalisiert nicht die Bedeutung der oben behandelten Texte. Wohl aber tritt ihre dienende Funktion im Blick auf die Ermutigung der Jünger hervor. Darüber hinaus bleibt ihre Bedeutung im Blick auf den Zugang von Menschen aus den Völkern zum Heil festzuhalten: Der Glaube wird zum entscheidenden Moment für den Empfang des Heils.
101 Einzubeziehen ist hier die Schlussszene des Evangeliums: Als Jesus den elf Jüngern erscheint, zweifeln einige von ihnen (28,17, zur Deutung von οἱ δέ s. P. VAN DER HORST, Once More: The Translation of οἱ δέ in Matthew 28:17, JSNT 27 [1986], 27–30). Der Gebrauch von διστάζειν verbindet den Vers mit 14,31, wo die Rede vom Zweifel mit dem Motiv des Kleinglaubens verknüpft ist, das damit hier mit anklingt. In 14,28–31 hat der kleingläubige Petrus beim Blick auf den starken Wind an seiner Bevollmächtigung durch Jesus gezweifelt. Angesichts des Rückverweises wird man für 28,17 einen analogen Sinnhorizont vorauszusetzen haben: Der Zweifel bezieht sich hier nicht darauf, ob es Jesus ist, der ihnen begegnet, sondern darauf, was Jesu Auferweckung im Blick auf seine Stellung und für ihre – durch ihr Versagen in der Passion belastete – Jüngerschaft bedeutet. Das in 28,18–20 folgende Wort Jesu hat im Kontext daher auch die Funktion, den Zweifel der Jünger zu überwinden. Ihm ist alle Vollmacht im Himmel und auf Erden gegeben; die Jünger dürfen auf sein Mit-Sein mit ihnen vertrauen.
„...damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes...“ (Joh 20,31) Das Johannesevangelium als Medium der Glaubensvermittlung NADINE UEBERSCHAER
1. Prolog und Epilog als hermeneutische Lektüreanweisung zur Verwendung von πιστεύειν im Johannesevangelium Πιστεύειν gehört zu den johanneischen Vorzugswörtern, wie bereits die Anzahl der Belegstellen für das Verb im Evangelium zeigt. So thematisiert das Johannesevangelium an 98 Stellen den Glauben, jedoch niemals mit dem Substantiv πίστις. Das Nomen findet sich innerhalb der johanneischen Schriften allein im ersten Johannesbrief (1Joh 5,9), in dem daneben auch das Verb mit neun Belegen vertreten ist. Wichtiger als die Wortstatistik erweist sich für die Bedeutsamkeit des johanneischen Glaubensbegriffs die Verwendung von πιστεύειν im Pround vor allem im Epilog des Evangeliums. Denn die beiden Belege in Joh 1,7 und 20,30f. zeigen, dass sich das Evangelium als Medium versteht, das Glauben hervorrufen möchte, damit seinen Adressaten das Leben zuteil wird. So heißt es in Joh 1,7, dass Johannes der Täufer über das Licht Zeugnis ablege, damit alle durch ihn zum Glauben kämen. Und in Joh 20,30f. fassen die Herausgeber die Intention des Evangeliums damit zusammen, dass die Zeichen Jesu aufgeschrieben worden seien, damit die Adressaten glauben, dass Jesus der Christus und Sohn Gottes ist. In dem angefügten mit der Konjunktion ἵνα eingeleiteten Finalsatz benennt das Evangelium schließlich als soteriologische Gabe dieses Glaubens das Leben. Es erscheint als Besitz, das den Glaubenden gegenwärtig zuteil wird.1 Über die Funktion, Glauben zu vermitteln, hinaus geben zudem Joh 1,7 und 20,31 Auskunft darüber, worauf sich nach dem Johannesevangelium πιστεύειν bezieht: auf Jesus als den Christus und Sohn Gottes bzw. als das Licht. Demnach ist Glaube nach dem Johannesevangelium bezogen auf Christus – allerdings unter einer bestimmten Perspektive. Auf diese ver1 Vgl. zum Leben aus Glauben, N. UEBERSCHAER, Theologie des Lebens. Glauben und Leben bei Paulus und Johannes (erscheint 2017).
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weist in Joh 1,7 der unmittelbare Kontext, wenn Jesus aufgrund seiner Herkunft von Gott als Licht beschrieben wird, und in Joh 20,31 die Bezeichnung Jesu als ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ. So liegt der Fokus in der Beschreibung Jesu als Objekt des Glaubens beide Male darauf, seine soteriologische Funktion und seine Identität von seiner Relation zu Gott her darzulegen. Damit liefern die beiden genannten Stellen aus dem Pro- und Epilog in ihrer textpragmatischen Funktion als hermeneutische Lektüre- bzw. Relecture-Anweisungen erste wichtige Informationen zum Verständnis von πιστεύειν im Johannesevangelium, aus denen sich folgende Fragestellungen zur Verwendung von πιστεύειν im vierten Evangelium ergeben: Welche Objekte bzw. Bezugsgrößen des Glaubens nennt das Johannesevangelium, um sich als Medium der Glaubensverkündigung zu inszenieren? Kann ein Überblick über die πιστεύειν-Belege im vierten Evangelium die an Prolog und Epilog gemachte Beobachtung bestätigen, dass das Johannesevangelium πιστεύειν inhaltlich füllt als Glaube an Christus in seiner Relation zu Gott? Und was folgt daraus für das Verhältnis von Glauben an Jesus einerseits und dem Vertrauen auf Gott andererseits?2
2. Das Evangelium als Glauben vermittelndes Medium: πιστεύειν + Dativobjekt Die an Joh 1,7 und 20,31f. gemachte Beobachtung, dass sich das Evangelium als Glauben vermittelndes Medium versteht, lässt sich sprachlich an der Konstruktion πιστεύειν + Dativobjekt nachzeichnen.3 Folgende Übersicht soll dies veranschaulichen: 2
Einen anderen Akzent setzt R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium 1–4, HThKNT 4/1 Sonderausgabe, Exkurs 7: Das joh. Glauben, Freiburg 41979, 508–524, wenn er Glauben bei Johannes „als grundlegende, allumfassende Entscheidung und Haltung gegenüber dem eschatologischen Gottgesandten und seiner heilbringenden Offenbarung“ (a.a.O., 508) und demgegenüber den in Joh 14,1 geforderten Glauben an den Vater und den Sohn als „einzige Ausnahme“ (a.a.O.) bezeichnet. Im Unterschied dazu wird im vorliegenden Beitrag angenommen, dass Glauben an Jesus nach Johannes nicht vom Glauben an den Vater getrennt werden kann. Anders jedoch G. B ARTH, Art. πίστις, EWNT 3 ( 21992), 216–231, der festhält: „an Jesus glauben kann mit glauben an Gott gleichgesetzt werden“ (a.a.O., 227f.), ohne diese Beobachtung auszuwerten. 3 Vgl. zum Sprachgebrauch auch den Überblick bei SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 1–4 (s. Anm. 2). Schnackenburg nimmt eine etwas andere Deutung der sprachlichen Konstruktion πιστεύειν + Dativobjekt vor, wenn er darin die Absicht des Johannes erkennen möchte, das Glauben „stets auf Zeugen und Zeugnisse“ (a.a.O., 512) zu gründen. Schnackenburg deutet folglich Joh 17,20 in dem Sinne, dass Glauben durch „das Hören des apostolischen Zeugnisses“ (a.a.O., 519) in der Zeit nach Ostern vermittelt würde, und nimmt allein für Joh 20,29 an, dass das Johannesevangelium „die Annahme
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2,22: ὅτε οὖν ἠγέρθη ἐκ νεκρῶν, ἐμνήσθησαν οἱ μαθηταὶ αὐτοῦ ὅτι τοῦτο ἔλεγεν, καὶ ἐπίστευσαν τῇ γραφῇ καὶ τῷ λόγῳ ὃν εἶπεν ὁ Ἰησοῦς. 4,50: λέγει αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς· πορεύου, ὁ υἱός σου ζῇ. Ἐπίστευσεν ὁ ἄνθρωπος τῷ λόγῳ ὃν εἶπεν αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς καὶ ἐπορεύετο. 5,47: εἰ δὲ τοῖς ἐκείνου γράμμασιν οὐ πιστεύετε, πῶς τοῖς ἐμοῖς ῥήμασιν πιστεύσετε 10,38: εἰ δὲ ποιῶ, κἂν ἐμοὶ μὴ πιστεύητε, τοῖς ἔργοις πιστεύετε, ἵνα γνῶτε καὶ γινώσκητε ὅτι ἐν ἐμοὶ ὁ πατὴρ κἀγὼ ἐν τῷ πατρί 12,38: ἵνα ὁ λόγος Ἠσαΐου τοῦ προφήτου πληρωθῇ ὃν εἶπεν·κύριε, τίς ἐπίστευσεν τῇ ἀκοῇ ἡμῶν; καὶ ὁ βραχίων κυρίου τίνι ἀπεκαλύφθη Die fünf Belege zeigen, dass das vierte Evangelium die Konstruktion πιστεύειν + Dativobjekt dazu benutzt, sich selber als Glauben hervorrufendes Medium darzustellen. Dabei ist die nachösterliche Perspektive, aus der heraus das Johannesevangelium das Leben und Wirken Jesu narrativ inszeniert, von besonderer Bedeutung. Darauf verweist bereits der erste Beleg für die erwähnte sprachliche Formulierung in Joh 2,22. Explizit werden dort mit der formelhaften Rede von der Auferweckung Jesu aus den Toten (2,22a) die Osterereignisse als hermeneutischer Horizont genannt, vor dem sich Glaube erschließt. Für Johannes ist damit – wie für das vorpaulinische Christentum – das Kerygma von Jesu Tod und Auferweckung das Geschehen, auf das sich der Glaube nachösterlich bezieht und von dem sich daher retrospektiv Jesu Sein und Wirken erschließen.4 Diese Deutung wird durch den unmittelbaren Kontext bestätigt, innerhalb dessen Joh 2,22 zu stehen kommt. Denn V.22 gehört zur sog. Tempelreinigung, die Johannes im Unterschied zu den Synoptikern zu Beginn des Wirkens Jesu platziert. Auf die Frage der οἱ Ἰουδαῖοι (2,18), durch welches Zeichen sich Jesus für sein autoritäres Auftreten gegenüber den Händlern im Tempel legitimieren könne, folgt eine Aufforderung des johanneischen Jesus: Die Juden sollten den Tempel zerstören, und er werde ihn als legitimierendes Zeichen seines Handelns in drei Tagen wieder „erwecken“ (V.2,19: ἐγείρω). Damit nimmt das vierte Evangelium eine metaphorische des apostolischen Wortzeugnisses“ fordere, in dem die „Offenbarung Jesu aufgenommen und weitergegeben“ (a.a.O., 521) werde. Er legt allerdings die hier vorgestellten Belege für die Formulierung πιστεύειν + Dativobjekt nicht daraufhin aus. 4 Vgl. zur ausführlichen Darlegung UEBERSCHAER, Theologie (s. Anm. 1). Dieser Aspekt wird häufig übersehen. So blenden ihn R. B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ., IV. πιστεύω bei Johannes, ThWNT 6 (1959), 224–230, und SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 1–4 (s. Anm. 2), völlig aus. B ARTH, Art. πίστις (s. Anm. 2), nimmt an, Johannes sei „weniger an der soteriologischen Bedeutung von Jesu Tod und Auferstehung orientiert als vielmehr daran, daß Gott sich in Jesus offenbart hat“ (a.a.O., 227). Vgl. dazu auch unten unter Punkt 3.1.2
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Identifikation des Leibes Jesu mit dem Jerusalemer Tempel als Ort der Gegenwart Gottes vor, der nach drei Tagen im Tode auferweckt werden wird (vgl. 2,22).5 In V.22 schließlich erinnern sich die Jünger, dass Jesus dies gesagt habe, und glauben der Schrift und diesem Wort Jesu. V.22 kommt damit eine Schlüsselfunktion zu, sowohl für das Selbstverständnis der johanneischen Evangeliumsdarstellung als Glauben vermittelndes Medium als auch für das johanneische Glaubensverständnis. Denn zum einen wird das Wort Jesu hier als Gegenstand des Glaubens bezeichnet, so dass das Evangelium als Sammlung und Überlieferung von JesusWorten als exklusive Größe erscheint, die seinen Adressaten einen Zugang zum Glauben ermöglicht. Zum anderen legt sich aufgrund der Verwendung des Begriffs λόγος im Singular die bereits erwähnte Deutung nahe, dass sich Glauben auf die Rede von Jesu Tod und Auferstehung bezieht. So ist mit λόγος im unmittelbaren Kontext Jesu Wort von seinem Leib als Tempel gemeint. Damit führt Joh 2,22 jedoch zugleich ein weiteres Phänomen vor Augen, das für das johanneische Glaubensverständnis charakteristisch ist: Glauben bezieht sich auf Jesus.6 Denn neben 2,22 legt sich vor dem Hintergrund des Prologs und der dortigen Bezeichnung Jesu als λόγος nahe, den johanneischen Jesus als sprechendes Wort Gottes zu begreifen, so dass in seinen Worten der Zugang zu einem angemessenen Verständnis seiner Person und – wie später zu zeigen sein wird – Gottes liegt. Das zeigen auch die übrigen Belege für die Konstruktion von πιστεύειν mit angeschlossenem Dativobjekt,7 wie beispielsweise Joh 5,24, wenn Gott als der Sendende des Sohnes das Objekt des Glaubens bildet und in V.28 Jesus als der Gesandte das Bezugsobjekt des Glaubens ist. Ebenso ist Joh 14,11 zu nennen. Hier wirbt Jesus um den Glauben der Jünger, dass er im Vater sei und der Vater in ihm.8 Indem nun im Textabschnitt Joh 2,13–22 das geforderte Zeichen vom vierten Evangelium als „Wort“ bezeichnet wird, werden die Adressaten gleich zu Beginn der Darstellung des Wirkens Jesu daraufhin gelenkt, Jesu Worte und Semeia in ihrem aufeinander verweisenden Zusammenhang zu begreifen. Dieser schlägt sich in Joh 2 in der metaphorischen Identifikation Jesu mit dem Jerusalemer Tempel nieder, kommt in dem Ich-bin-Wort in Joh 11,25f. dadurch zum Ausdruck, dass dieses Wort im Kontext anhand 5 Diese Identifikation wird in V.21 mit Hilfe eines erzählerischen Kommentars erklärt. 6 Wenngleich dies zumeist mit πιστεύειν + Akkusativobjekt konstruiert wird (s. dazu unten), so findet sich auch hier die Formulierung mit Dativ. Vgl. Joh 5,28; 6,30; 8,31; 8,45f. 7 Hierzu zählen nicht Joh 2,24; 4,21, da πιστεύειν hier anders konnotiert ist. 8 Vgl. hierzu unten Punkt 3.1.1.
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eines Zeichens veranschaulicht wird, indem Lazarus aus dem Tode ins Leben gerufen wird, und zeigt sich schließlich im Epilog darin, dass sich das Evangelium als Verschriftlichung der Zeichen Jesu versteht (Joh 20,30). Dasselbe Phänomen liegt in Joh 10,38 vor. Denn dort sind es die Werke, die im Plural das Dativobjekt zu πιστεύειν bilden.9 Die bislang thematisierten Aspekte werden zudem besonders deutlich an Joh 4,50. Hier erscheint erneut das Wort Jesu als Bezugsobjekt des Glaubens. Im Zusammenhang einer Fernheilung (Joh 4,48–54) heißt es, dass der Vater eines im Sterben liegenden Kindes dem Wort Jesu, „Dein Sohn lebt!“ (V.50), glaubte. Im Folgenden wird erzählt, dass seine Sklaven ihm auf dem Rückweg zu seinem Kind begegnen und ihm mitteilen, dass sein Kind lebe. Der Vater erfragt daraufhin von ihnen die Stunde, von der ab es ihm besser gegangen sei, und erkennt (V.53: γινώσκω),10 dass es in der Stunde war, als Jesus zu ihm gesagt hatte, dass sein Sohn lebe. Daraufhin glaubte der Vater und mit ihm sein ganzes Haus (V.53: καὶ ἐπίστευσεν αὐτὸς καὶ ἡ οἰκία αὐτοῦ ὅλη). In dieser Wundererzählung lässt sich erneut die innere Korrelation zwischen dem Wort Jesu und seinem zeichenhaften Handeln beobachten.11 Dabei betont das Johannesevangelium durch die Darstellung des Leben schenkenden Wunders als Fernheilung die physische Abwesenheit Jesu, so dass es sich nahe legt, hierin einen Hinweis auf die nachösterliche Zeit der Adressaten zu vermuten. Wie dem kranken Sohn, so wird auch ihnen das Leben auf das im Evangelium ergehende Wort Jesu zuteil, auch wenn dieser nicht mehr mit eigenen Augen gesehen werden kann.12 Zudem rückt die Wundererzählung mit der wörtlichen Wiederholung der Zusage Jesu ὁ υἱός σου ζῇ aus V.50 in V.53 das Erzählte 9
Vgl. die korrespondierende negative Formulierung in Joh 10,37. Hier entgegnet der johanneische Jesus in der Auseinandersetzung mit den οἱ Ἰουδαῖοι, dass sie ihm nicht glauben bräuchten, wenn er nicht die Werke des Vaters wirke. 10 Das Erkennen kann hier bereits als Glauben verstanden werden, denn schließlich verwendet das Johannesevangelium das Verb γινώσκω synonym zu πιστεύειν. Vgl. dazu z.B. Joh 17,8 oder Joh 17,9 mit 17,25. Abzulehnen ist die Annahme von SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 1–4 (s. Anm. 2), 514f., der neben einer semantisch synonymen Verwendung für γινώσκω davon ausgeht, dass es sich hierbei an einigen Stellen um „eine ‚höhere‘ Stufe“ (a.a.O., 515) des Glaubens handele. 11 Dies steht nicht im Widerspruch zu der johanneischen Kritik an einem Glauben, der Zeichen fordert (vgl. z.B. Joh 4,48; 6,30). Gemeint ist hier, dass sich Jesu Reden in Zeichen konkretisieren und daher Reden und Zeichen in einem aufeinander verweisenden Zusammenhang stehen. Johannes spricht in diesem Zusammenhang zuweilen statt von Zeichen von Werken. Vgl. dazu Joh 14,11. Hier fordert der johanneische Jesus seine Jünger dazu auf, doch wenigstens aufgrund seiner Werke zu glauben. Zum glaubenden Sehen der Zeichen Jesu vgl. B ARTH, Art. πίστις (s. Anm. 2), 227. 12 Vgl. dazu die Abschiedsreden und die Rede vom Parakleten als bewusste Reflexion der nachösterlichen Situation der johanneischen Gemeinde sowie die Seligpreisung derjenigen, die glauben, ohne zu sehen, in Joh 20,29.
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in die Nähe von Joh 20,30, wo als Intention des Evangeliums formuliert wird, dass die Adressaten glauben mögen und ihnen so die soteriologische Gabe des Lebens zuteil werde. Damit bildet die Erzählung der Fernheilung einen Bestandteil der das gesamte Evangelium prägenden Konzeption, dass das Leben im Glauben empfangen wird.13 Sofern in der Wundererzählung die nachösterliche Perspektive deutlich zu erkennen ist und sich auch an den übrigen ζωή-Belegen zeigen lässt, dass sie die Ereignisse um Ostern voraussetzen, muss auch bei der Wundererzählung das Kerygma von Jesu Tod und Auferstehung als sachliche Voraussetzung für das im Glauben an das Wort Jesu empfangene Leben angenommen werden.14 So stellt Joh 4,50 einen weiteren Beleg dafür dar, dass sich das vierte Evangelium als Glauben hervorrufendes Medium versteht, das nachösterlich an die Stelle der Verkündigung Jesu – in der Gestalt, wie sie ihr das Johannesevangelium gegeben hat – tritt.15 Explizit formuliert wird dies in Joh 17,20, wenn der johanneische Jesus für diejenigen betet, die durch das Wort der Jünger zum Glauben kämen (Οὐ περὶ τούτων δὲ ἐρωτῶ μόνον, ἀλλὰ καὶ περὶ τῶν πιστευόντων διὰ τοῦ λόγου αὐτῶν εἰς ἐμέ). Interessant ist schließlich der Aspekt, den das Johannesevangelium in seiner Selbstdarstellung als Glauben vermittelndes Medium mit der Rede von der Schrift (V.22: τῇ γραφῇ) einführt. Zwei Deutungsaspekte legen sich nahe. Zum einen ist anzunehmen, dass es sich hierbei um eine Anspielung an die den Adressaten schriftlich vorliegende Form des Johannesevangeliums handelt, das sich als ‚die Schrift’ versteht, der geglaubt werden soll. Zum anderen ist es plausibel, die Rede von der Schrift als eine heilsgeschichtliche Verortung des Johannesevangeliums zu verstehen, mit der es sich in Bezug setzt zu den Schriften Israels. Denn auch von diesen spricht das vierte Evangelium bis auf Joh 5,3916 ausschließlich im Singular,17 so dass anzunehmen ist, dass das Johannesevangelium hier bewusst mit dieser Doppeldeutigkeit – γραφή als Bezeichnung für das Evangelium sowie für die Schriften Israels – spielt. 13
B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ. (s. Anm. 2), SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 1–4 (s. Anm. 2). Vgl. zum Lebensbegriff im Johannesevangelium weiter C. HOEGENROHLS, Ewigkeit und Leben. Der biblische Vorstellungskreis III: Johannes, in: P. Bahr/ S. Schaede (Hg.), Das Leben. Historisch-systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs, Protestantismus und Kultur 2, Tübingen 2009, 129–152. 14 Zur ausführlichen Begründung dieser Argumentation vgl. N. UEBERSCHAER, Theologie (s. Anm. 1). 15 Vgl. zum Glauben aufgrund des Wortes Jesu auch Joh 4,41. Dort findet sich die Formulierung ἐπίστευσαν διὰ τὸν λόγον αὐτοῦ. Ganz ähnlich auch im folgenden Vers, dort allerdings bezogen auf die λαλιά der Samaritanerin. 16 Und in Joh 5,45.47 der Plural von γράμμα. 17 Vgl. hierzu Joh 7,38.42; 10,35; 13,18; 17,12; 19,24.28.36f.; 20,9.
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Versteht sich das Johannesevangelium selber nun als die Schrift, der die Adressaten Glauben schenken sollen, dann kommt darin aber auch ein Exklusivitätsanspruch zum Ausdruck. Denn dann erschließt sich das Verständnis der alttestamentlichen Schriften allein vor dem Hintergrund des Christusereignisses und der Deutung, die das vierte Evangelium damit sowohl der Schrift als auch dem Christusgeschehen selber gibt. Gestützt wird diese Interpretation durch Joh 5,39 (vgl. auch 5,46),18 wonach die Schriften Zeugnis ablegen über Jesus, aber auch durch die Verweise auf Abraham und Mose als zwei prominente Figuren der Schrift. So postuliert das vierte Evangelium, dass Abraham gejubelt habe, weil er den Tag19 Jesu sah (8,56); und nimmt an, dass Mose von Jesus geschrieben habe, während es hingegen die soteriologische Bedeutung Jesu in Abgrenzung zu Mose beschreibt (vgl. Joh 1,17.45).20 Dass damit jedoch keine Aufhebung der mosaischen Schrift verbunden ist, belegt zudem Joh 5,47. Denn dort bilden zunächst in V.47a die geschriebenen Dinge (τοῖς γράμμασιν) des Mose das Dativobjekt zu πιστεύειν und dann erst (in V.47b) die Worte Jesu.21 Betont wird hier in einem konditionalen Satzgefüge herausgestellt, dass nach johanneischem Verständnis der Glaube an die mosaischen Schriften die Voraussetzung dafür bildet, den Worten Jesu Glauben schenken zu können. Welche Bedeutung dabei neben den Schriften des Mose der alttestamentlichen Überlieferung in der Selbstdarstellung des vierten Evangeliums als auf Glauben zielendes Schriftstück insgesamt zukommt, lässt sich an Joh 12,38 beobachten.22 Hier zitiert das Johannesevangelium Jes 53,1LXX23 und verwendet das Prophetenwort als „Erfüllungszitat“, das dazu dient, den Unglauben zu erklären. Wenngleich Jes 53,1LXX in Joh 12,38 vom unmittelbaren Kontext her primär dazu dient, die ablehnende Haltung den Worten Jesu gegenüber zu erklären, so ist die Stelle doch zugleich transparent für die nachösterliche Verkündigung der johanneischen Gemeinde. Schließlich zeigt allein die Verwendung des Zitates, dass hier 18 Vgl. ferner Joh 5,45 im Zusammenhang mit 5,39.46. In 5,46 wird Mose als Objekt des Glaubens genannt. 19 Mit M. T HEOBALD, Das Evangelium nach Johannes, Kapitel 1–12, RNT, Regensburg 2009, 618, soll die Rede vom „Tag“ Jesu auf den Jom Jahwe bezogen werden, an dem sich Heil und Unheil entscheiden. 20 Auf eine ausführliche Diskussion der weiteren Belege, die auf Mose verweisen (3,14; 6,32; 7,19.22f.; 8,5; 9,28f.), kann hier verzichtet werden, da sie nichts zum Thema austragen. 21 Anstelle des Begriffs λόγος verwendet das Johannesevangelium hier den Plural des Nomens ῥῆμα. 22 Zu weiteren Argumentationen mit Schriftworten vgl. die in Fußnote 4 erwähnten Stellen. 23 Vgl. dazu auch Röm 10,16. Im unmittelbaren Kontext folgt dann in Joh 12,40 eine Anspielung auf Jes 6,10, das ebenso wie Jes 6,9 eine im frühen Christentum verbreitete Begründung für den Unglauben darstellt. Vgl. Mk 4,12; Mt 13,14; Apg 28,26.
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auf einer metareflexiven Ebene argumentiert wird. Das Zitat fungiert mithin dazu, die ablehnende Haltung, die den johanneischen Christen seitens ihrer Umwelt entgegengebracht wird, zu erklären. Damit stellt das Zitat aus Jes 53,1LXX mit der sprachlichen Wendung πιστεύειν mit seinem angeschlossenen Dativobjekt τῇ ἀκοῇ einen weiteren Hinweis darauf dar, dass das vierte Evangelium den Anspruch erhebt, ein Glauben hervorrufendes Medium zu sein. Vor dem Hintergrund dieser Textbeobachtungen lässt sich festhalten, dass Joh 2,22 den ersten prominenten Beleg dafür bildet, an dem auch für die übrigen erwähnten Belege gezeigt werden konnte, dass das Johannesevangelium die sprachliche Konstruktion πιστεύειν + Dativobjekt verwendet, um sich selber als Glauben vermittelndes Medium zu präsentieren. Da es in dieser Funktion letztlich auf den Glauben an Jesus als den Gesandten Gottes zielt, in dem sich Gott offenbart, kann neben die Dativobjekte „Wort“, „Schrift“, „Werke“ auch Jesus bzw. der Sendende als Objekt im Dativ treten.24
3. Πιστεύειν als „glauben an Christus“ in seiner Relation zu Gott Neben der Beobachtung, dass sich das Johannesevangelium als Medium der Glaubensvermittlung präsentiert, ließ sich an Pro- und Epilog als hermeneutischen Lektüre-Anweisungen ein weiteres Phänomen von πιστεύειν im vierten Evangelium wahrnehmen: Glaube ist nach dem Johannesevangelium Glaube an Jesus in seiner Relation zu Gott. Während sich das Selbstverständnis des Evangeliums als auf Glauben zielendes Schriftstück insbesondere an den Formulierungen mit πιστεύειν + Dativobjekt nachzeichnen lässt, sind es bei der Frage nach dem Bezugsobjekt des Glaubens vornehmlich die sprachliche Konstruktion πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt25 sowie die mit der Konjunktion ὅτι eingeleiteten Sätze. Beides soll im Folgenden betrachtet werden.
24 Wenngleich der hier vertretene Ansatz, der zwischen der Konstruktion πιστεύειν + Dativobjekt und πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt unterscheidet, von B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ., (s. Anm. 4), abweicht, da dieser beide Wendungen für semantisch synonym hält und darin die johanneische Darstellung der „Einheit des Verkündigers u des Verkündigten“ (a.a.O., 224) erkennen möchte, trifft dennoch dessen Beobachtung für jene Stellen zu, bei denen Jesus bzw. der ihn Sendende als Objekt des Glaubens im Dativ erscheint. 25 Wie bereits oben gezeigt, findet sich daneben allerdings auch noch die Formulierung mit πιστεύειν + Dativobjekt.
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3.1 „glauben an ...“: πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt Insgesamt 32-mal benutzt das Johannesevangelium die sprachliche Wendung πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt, um den Bezugspunkt des Glaubens zu beschreiben. Dabei handelt es sich ausschließlich um Objekte, die pronominal oder in Form eines „Titels“ auf Jesus bzw. dessen Namen oder auf Gott verweisen. Das heißt, dass nach dem Verständnis des vierten Evangeliums der Glaube an Jesus nicht vom Glauben an Gott getrennt werden kann, wie es besonders eindrücklich Joh 14,1 belegt, wenn der johanneische Jesus innerhalb der Abschiedsreden seine Jünger auffordert: πιστεύετε εἰς τὸν θεὸν καὶ εἰς ἐμὲ πιστεύετε (Joh 14,1). Für diesen Aspekt lassen sich zudem eine Vielzahl weiterer Belege für das Verb πιστεύειν mit der Präposition εἰς sowie angeschlossenem Akkusativobjekt fruchtbar machen. Denn an ihnen lässt sich beobachten, dass hier entweder Jesu Wesen und Funktion in Relation zu Gott gesetzt werden oder dass das Glauben an Jesus durch den Bezug zu Gottes heilvollem und richtendem Handeln bestimmt wird. Damit eignet dem vierten Evangelium trotz seiner christologischen Konzentration eine dezidiert theozentrische Ausrichtung. Die folgende Übersicht veranschaulicht dies. 1,12: ὅσοι δὲ ἔλαβον αὐτόν, ἔδωκεν αὐτοῖς ἐξουσίαν τέκνα θεοῦ γενέσθαι, τοῖς πιστεύουσιν εἰς τὸ ὄνομα αὐτοῦ Bereits die Aussage in Joh 1,12, dass er – der Logos bzw. das Licht – denjenigen, die an seinen Namen glauben, die Vollmacht gab, Kinder Gottes zu werden, muss im Zusammenhang mit den Aussagen über die prämondiale Existenz des Logos bei Gott gelesen werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Aussage in V.1bc καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.26 Damit macht das Johannesevangelium bereits im Prolog als hermeneutischer Leseanweisung darauf aufmerksam, dass alle Aussagen über den johanneischen Jesus in einem Bezug zu Gott stehen. Denn, so formuliert es Joh 1,18, Jesus fungiert als Exeget Gottes (ἐκεῖνος ἐξηγήσατο). Folglich muss dieser Bezug auch dann bedacht werden, wenn es sich um Aussagen zum Glauben an Jesus handelt. Ebendies ist schön an Joh 3,16.18.36 zu beobachten. 3,16: οὕτως γὰρ ἠγάπησεν ὁ θεὸς τὸν κόσμον, ὥστε τὸν υἱὸν τὸν μονογενῆ ἔδωκεν, ἵνα πᾶς ὁ πιστεύων εἰς αὐτὸν μὴ ἀπόληται ἀλλ᾿ ἔχῃ ζωὴν αἰώνιον. 3,18: ὁ πιστεύων εἰς αὐτὸν οὐ κρίνεται· ὁ δὲ μὴ πιστεύων ἤδη κέκριται, ὅτι μὴ πεπίστευκεν εἰς τὸ ὄνομα τοῦ μονογενοῦς υἱοῦ τοῦ θεοῦ.
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Mit THEOBALD, Evangelium (s. Anm. 19), 110, ist θεός in V.1c als Prädikatsnomen zu bestimmen, so dass hier keine Identität zwischen Gott und dem Logos ausgesagt ist, sondern mit θεός die „Qualität des Subjekts Logos bezeichnet“ (a.a.O., 110) wird.
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3,36: ὁ πιστεύων εἰς τὸν υἱὸν ἔχει ζωὴν αἰώνιον· ὁ δὲ ἀπειθῶν τῷ υἱῷ οὐκ ὄψεται ζωήν, ἀλλ᾿ ἡ ὀργὴ τοῦ θεοῦ μένει ἐπ᾿ αὐτόν. Bei den VV.16.18 handelt es sich um Sätze aus der ersten großen Selbstoffenbarungsrede Jesu, die nahtlos an die nächtliche Unterhaltung mit dem Pharisäer Nikodemus anschließt. Im Anschluss hieran überliefert das Johannesevangelium ein Gespräch zwischen Johannes dem Täufer und seinen Jüngern, das dann ebenfalls in eine Rede des Täufers übergeht und mit Joh 3,36 endet. An zahlreichen inhaltlichen Bezügen sowie dem parallel gestalteten Aufbau beider Textabschnitte – Exposition, Dialog, Monolog – wird deutlich, dass Joh 3 eine strukturierte Einheit darstellt,27 so dass es sich nahe legt, die VV.16.18 und 36 gemeinsam zu betrachten. Sie alle thematisieren den Glauben an Jesus, indem sie jeweils ein substantiviertes Partizip im Nominativ Singular maskulinum – ὁ πιστεύων – verwenden und daran in V.16.18a die Präposition εἰς und das pronominale Akkusativobjekt αὐτόν anschließen. (V.16 stellt dem Subjekt zudem das verallgemeinernde Adjektiv πᾶς voran.) In V.36 hingegen ist das Bezugsobjekt, auf das sich der Glaubende ausrichtet, nicht pronominal formuliert, sondern als τὸν υἱόν bezeichnet. Inhaltlich stimmt es damit mit den pronominalen Objekten der VV.16 und 18 überein, wenn berücksichtigt wird, worauf sich diese beziehen: den einzigen Sohn (Gottes), wobei dies in V.18 negativ formuliert ist, wenn es um das Nicht-Glauben εἰς τὸ ὄνομα τοῦ μονογενοῦς υἱοῦ τοῦ θεοῦ geht. In der Bezeichnung Jesu als einzigem Sohn Gottes kommen sein Wesen und die damit einhergehende Relation zum Vater zum Ausdruck, an die die Funktionen zu retten und zu richten gebunden sind.28 Heil und Unheil entscheiden sich demnach am Glauben an den Sohn.29 Denn schließlich manifestiert sich in dessen Sendung und Hingabe30 die Liebe Gottes zur Welt, so dass die ablehnende Haltung gegenüber dem Sohn zur Folge hat, dass der Zorn Gottes auf dem Ungehor27
Für eine ausführliche Auslegung zu Joh 3 sei exemplarisch verwiesen auf O. HOFIDas Wunder der Wiedergeburt. Jesu Gespräch mit Nikodemus Joh 3,1–21, in: ders./ H.-C. Kammler (Hg.), Johannesstudien. Untersuchungen zur Theologie des vierten Evangeliums, WUNT 88, Tübingen 1996, 33–80; J. FREY, Die johanneische Eschatologie, Band 3: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, WUNT 117, Tübingen 2000, 241–321. 28 Hierbei wird das Retten mit der verneinenden Formulierung, dass der Glaubende μὴ ἀπόληται (V.16), bzw. οὐ κρίνεται (V.18), beschrieben, dem in V.16 antithetisch die Gabe des ewigen Lebens gegenübergestellt wird. Der Unglaubende ist nach V.18 bereits aufgrund seines Nicht-Glaubens gerichtet. 29 V.36 bezeichnet den Ungläubigen als einen, der ungehorsam ist gegenüber dem Sohn. Zu Recht betont SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 1–4 (s. Anm. 2), 517, daher die soteriologische Konzentration des johanneischen Glaubens. 30 Zur möglichen Deutung von δίδωμι in Bezug auf den Kreuzestod Jesu vgl. FREY, Eschatologie 3 (s. Anm. 25), 287–289. US,
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samen bleibt (V.36). Damit zeigen die VV.16.18.36, dass das Johannesevangelium den Glauben an Jesus fordert, diesen dabei in seinem Wesen und seiner Relation zu Gott beschreibt und die Funktionen des Handelns Jesu als Retten bzw. Richten transparent für das Wirken Gottes macht, indem dieser als Subjekt des an den Glauben gebundenen Heilshandelns erscheint und umgekehrt der Unglaube an den Sohn den Zorn Gottes nach sich zieht. Somit wird Glaube im Johannesevangelium inhaltlich gefüllt als Glauben an Jesus, ohne dass dieses Glauben unabhängig von Gott als Agens seiner Sendung und Hingabe betrachtet werden kann. Ein vergleichbares Phänomen zeigt sich in Joh 6,29.40. 6,29: ἀπεκρίθη [ὁ] Ἰησοῦς καὶ εἶπεν αὐτοῖς· τοῦτό ἐστιν τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ, ἵνα πιστεύητε εἰς ὃν ἀπέστειλεν ἐκεῖνος. 6,40: τοῦτο γάρ ἐστιν τὸ θέλημα τοῦ πατρός μου, ἵνα πᾶς ὁ θεωρῶν τὸν υἱὸν καὶ πιστεύων εἰς αὐτὸν ἔχῃ ζωὴν αἰώνιον, καὶ ἀναστήσω αὐτὸν ἐγὼ [ἐν] τῇ ἐσχάτῃ ἡμέρᾳ. Auch hier wird der johanneische Jesus als Bezugsobjekt des πιστεύειν in Verbindung zu Gott beschrieben, indem er als Sohn und Gesandter bezeichnet wird. Zudem wird das Glauben an den Gesandten als Werk Gottes charakterisiert, so dass deutlich wird, dass Gott derjenige ist, der Glauben wirkt. Indem schließlich das Ziel31 des Glaubens (V.29) bzw. synonym hierzu des Sehens des Sohnes (V.40) 32 – die soteriologische Gabe des Lebens und die Zusage einer zukünftigen Auferstehung – auf den Willen Gottes zurückgeführt wird, legitimiert das Johannesevangelium den Glauben an den Sohn mit dem Heilswillen Gottes. Somit lässt sich aus Joh 6,29.40 folgern, dass das vierte Evangelium das Leben intendierende Glauben theologisch begründet und seine soteriologische Wirkung als christologisch verwirklichte darstellt.33 Dieser Aspekt konzentriert sich in den Ich-bin-Worten, in denen die besondere Hoheit Jesu aufgrund seiner Wesensverwandtschaft und seiner Beziehung zum Vater zum Ausdruck kommt. Denn mit den Ich-bin-Worten stellt das Johannesevangelium einen Bezug zur alttestamentlichen Selbstoffenbarung Gottes in Ex 3,14 und seiner Selbstdeklaration in Jes 43,10f. her. Nach Hartwig Thyen „macht die Intertextualität zwischen Jo31
Das zeigt die Formulierung mit der Konjunktion ἵνα in V.40b. Das Johannesevangelium verwendet in Joh 6,40 das Verb θεωρέω synonym zu πιστεύω. Dasselbe Phänomen trifft für die Verben ἔρχομαι (vgl. Joh 6,35) und ὁράω (vgl. Joh 6,36) zu. Vgl. dazu auch B ULTMANN, Art. πιστεύω (s. Anm. 22), 224, sowie SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 1–4 (s. Anm. 2), 513–515. 33 Diese Deutung ergibt sich für Joh 6,29 aus dem unmittelbaren Kontext Joh 6,27f., wo es ebenfalls um die Gabe des Lebens geht, hier metaphorisch beschrieben als βρῶσις εἰς ζωὴν αἰώνιον (Joh 6,27). 32
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hannes u. Jesaja evident, daß Jesus mit dem ἐγώ εἰμι nicht eine beliebige Botenformel der Umwelt in den Mund gelegt wird, sondern daß sich darin der einzigartige „Ich Bin“ von Jes 43,10f in Zeit und Geschichte zu Wort meldet“.34 So präsentiert das Johannesevangelium Jesus als Selbstoffenbarung Gottes, ohne damit eine Identität von Vater und Sohn auszusagen. Vielmehr erscheint Jesus als Vermittler eines Heils, das im Willen und in der Liebe Gottes gründet und im Glauben an den johanneischen Jesus empfangen wird. Dies wird in Joh 6,35 deutlich: 6,35: εἶπεν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς· ἐγώ εἰμι ὁ ἄρτος τῆς ζωῆς· ὁ ἐρχόμενος πρὸς ἐμὲ οὐ μὴ πεινάσῃ, καὶ ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ οὐ μὴ διψήσει πώποτε. Der johanneische Jesus bezeichnet sich selbst als Brot des Lebens. Im angeschlossenen Satz wird eine Heilszusage formuliert,35 die dem gilt, der zu Jesus kommt bzw. an ihn glaubt. Da dieser Vers aus dem LebensbrotDialog36 stammt, werden die soteriologischen Gaben metaphorisch als ‚nicht hungern’ und ‚nie mehr dürsten’ beschrieben. Dabei zeigt die innere Korrelation des ἐγώ εἰμι-Worts mit den partizipialen Wendungen ὁ ἐρχόμενος πρὸς ἐμέ bzw. ὁ πιστεύων εἰς ἐμέ die bereits an den übrigen Belegen gemachte Beobachtung, dass das Johannesevangelium das Glauben an Jesus vor dem Hintergrund seines Wesens und Wirkens als ἐγώ εἰμι, als Gesandten und als Sohn entwirft: Wer zu ihm – πρὸς ἐμέ – kommt und an ihn – εἰς ἐμέ – glaubt, der vertraut auf den, der in der Vollmacht des ἐγώ εἰμι wirkt. Dies illustrieren in eindrücklicher Weise die folgenden Verse aus der Lazarus-Perikope (Joh 11,1–54).37 34
H. THYEN, Art. Ich-Bin-Worte, RAC 17 (1996), 147–213, 174; zum alttestamentlichen Bezugsrahmen der Ich-bin-Worte vgl. R. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004, der im Ich-bin bei Johannes „eine christologische Vereinnahmung atl. Sprachformen der Gottesrede“ erkennt (a.a.O., 132). Vgl. auch den Überblick zu den Ich-bin-Worten, deren Bedeutung im Johannesevangelium und ihrem traditionsgeschichtlichen Hintergrund in H. ROOSE, Art. Ich-binWorte, wibilex, 2013: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/46917/ (abgerufen am 11.3.2016). 35 Zur sprachlichen Gestalt der Ich-bin-Worte und der angeschlossenen soteriologischen Verheißungen am Beispiel von Joh 11,25f. vgl. FREY, Eschatologie 3 (s. Anm. 25), 445–448. 36 Vgl. dazu T HEOBALD, Evangelium (s. Anm. 19), 453, der mit der Bezeichnung darauf verweist, dass es sich um mehrere Gesprächs-Sequenzen und weniger um eine Rede handelt. Vgl. für eine ausführliche Auslegung zu Joh 6 M. STARE, Durch ihn leben. Die Lebensthematik in Joh 6, NTA 49, Münster 2004; UEBERSCHAER, Theologie (s. Anm. 1). 37 Zum Glaubensverständnis in Joh 11 sei verwiesen auf R. ZIMMERMANN, The Narrative Hermeneutics in John 11. Learning with Lazarus How to Understand Death, Life, and Resurrection, in: C.R. Koester (Hg.), The Resurrection of Jesus in the Gospel of
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11,25: εἶπεν αὐτῇ ὁ Ἰησοῦς· ἐγώ εἰμι ἡ ἀνάστασις καὶ ἡ ζωή· ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ κἂν ἀποθάνῃ ζήσεται 11,26: καὶ πᾶς ὁ ζῶν καὶ πιστεύων εἰς ἐμὲ οὐ μὴ ἀποθάνῃ εἰς τὸν αἰῶνα. πιστεύεις τοῦτο 11,45: Πολλοὶ οὖν ἐκ τῶν Ἰουδαίων οἱ ἐλθόντες πρὸς τὴν Μαριὰμ καὶ θεασάμενοι ἃ ἐποίησεν ἐπίστευσαν εἰς αὐτόν· 11,48: ἐὰν ἀφῶμεν αὐτὸν οὕτως, πάντες πιστεύσουσιν εἰς αὐτόν, καὶ ἐλεύσονται οἱ Ῥωμαῖοι καὶ ἀροῦσιν ἡμῶν καὶ τὸν τόπον καὶ τὸ ἔθνος Denn auch hier ist es ein Ich-bin-Wort, das mit einer soteriologischen Zusage für denjenigen verbunden wird, der an den johanneischen Jesus glaubt (Joh 11,25f.). Veranschaulicht wird das Ich-bin-Wort sowie die mit ihm verbundenen soteriologischen Verheißungen an dem im Folgenden erzählten Wunder.38 Bei diesem ruft der johanneische Jesus Lazarus aus dem Tod ins Leben, nachdem er zuvor in einem Gebet auf die besondere Verbindung zwischen sich und dem Vater hingewiesen hat (11,38–44): der Vater erhört ihn allezeit (11,42). Damit betont das Johannesevangelium, dass Jesu Wunderwirken in der Willenseinheit mit dem Vater geschieht. Die Menschenmenge, die sich am Grab des Lazarus versammelt hat, soll dadurch dazu veranlasst werden zu glauben, dass Gott Jesus gesandt hat. Und so wird schließlich erzählt, welche Reaktion das Wunder auslöste: Viele Juden glaubten an Jesus (11,45). Zugleich wird das Lazarus-Wunder allerdings auch zum Anlass, Jesus zu töten. Ein Grund dafür nämlich ist nach dem Johannesevangelium, dass die Pharisäer und der Hohe Rat befürchteten, dass aufgrund der Semeia Jesu alle an ihn glauben würden (11,47f.). Damit ist Joh 11 ein weiteres eindrückliches Beispiel dafür, dass nach dem vierten Evangelium Glauben bezogen ist auf Jesu Sein und Wirken als Offenbarer Gottes, der in der Willenseinheit mit dem Vater wirkt. Dabei zeigen sowohl das Ich-bin-Wort als auch das Gebet Jesu am Grab des Lazarus, dass sich Glauben nach Johannes immer auf Jesus und seine Relation zum Vater bezieht. Damit erschließt sich Glauben an den Gesandten erst dann, wenn in dessen Auftreten Gottes Wirken erkannt wird.39 Dies trifft auch für die weiteren hier zu erwähnenden Belege in Joh 9,35f. zu, die vor dem Hintergrund der Selbstprädikation Jesu als Licht gelesen werden müssen. John, WUNT 222, Tübingen 2008, 75–101, der Lazarus, Maria und Martha als „prototypes of faith“ (a.a.O., 97) charakterisiert und beschreibt; vgl. weiter UEBERSCHAER, Theologie (s. Anm. 1). 38 Für eine detaillierte Auslegung zu Joh 11,25f. und dem sich daraus ergebenden Verständnis des Grabwunders vgl. UEBERSCHAER, Theologie (s. Anm. 1). 39 Die Stellen aus Joh 11 sind zu ergänzen durch Joh 12,11, denn dort wird der Glaube vieler Juden mit dem an Lazarus geschehenen Wunder begründet (vgl. 12,10).
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9,35: Ἤκουσεν Ἰησοῦς ὅτι ἐξέβαλον αὐτὸν ἔξω καὶ εὑρὼν αὐτὸν εἶπεν· σὺ πιστεύεις εἰς τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου 9,36: ἀπεκρίθη ἐκεῖνος καὶ εἶπεν· καὶ τίς ἐστιν, κύριε, ἵνα πιστεύσω εἰς αὐτόν Nachdem sich der johanneische Jesus bereits in Joh 8,12 als ἐγώ εἰμι τὸ φῶς τοῦ κόσμου bezeichnet hatte, kehrt diese Selbstaussage in Joh 9,5 im Kontext der Blindenheilung wieder, zu der die VV.35f. gehören. Ebendiese Aussage – dieses Mal formuliert als φῶς εἰμι τοῦ κόσμου – bildet den hermeneutischen Horizont, vor dem das erzählte Wunder gelesen werden muss. Denn in der Blindenheilung offenbart sich die Identität Jesu als Licht der Welt, indem er den Blindgeborenen sehend macht, das heißt zum Glauben an den Menschensohn führt. Auf diesen narrativen Höhepunkt läuft die Erzählung hinaus. So kulminiert sie in einer Begegnung zwischen dem Blindgeborenen und Jesus, bei der sich Jesus als Menschensohn zu erkennen gibt, und der Blindgeborene auf die Frage Jesu, ob er an den Menschensohn glaube, mit einem Bekenntnis antwortet: πιστεύω, κύριε (9,39). In mehreren Spannungsbögen und einzelnen szenischen Sequenzen werden die Adressaten des Evangeliums mit der Erzählung dazu ermutigt, in das Bekenntnis des Blindgeborenen einzustimmen. Erzählstrategisch fällt dabei auf, dass das Johannesevangelium den Fokus bei der Wundererzählung von Anfang an auf die Frage nach der Identität Jesu richtet.40 So spielt es zunächst mit der tiefer gehenden Bedeutung des Namens Schiloach und lässt damit den Namen des Teiches, in dem sich der Blindgeborene waschen soll, zum Hinweis auf den Wundertäter werden (9,7). Schließlich wird als Reaktion auf das Wunder ein Streit um die Identität Jesu erzählt, in dem die Pharisäer von dem ehemals Blinden und seinen Eltern wissen wollen, wer ihn sehend gemacht habe und wie das geschehen sei.41 Dabei gelingt es dem Johannesevangelium mit dieser narrativen Inszenierung, die Frage nach der Herkunft Jesu (9,29f.) zu diskutieren und in einem narrativen Kommentar in Joh 9,31–33 die Einsicht formulieren zu können, dass Gott keine Sünder erhöre, sondern jenen, der gottesfürchtig sei und den Willen Gottes tue. So wird schließlich das Fazit gezogen: εἰ μὴ ἦν οὗτος παρὰ θεοῦ, οὐκ ἠδύνατο ποιεῖν οὐδέν (Joh 9,33). Damit tritt in Joh 9 aufgrund der narrativen Inszenierung noch eindrücklicher als an den bislang diskutierten Belegen hervor, worauf sich Glauben 40 Vgl. hierzu auch das Repertoire an Würdebezeichnungen für Jesus: V.17: προφήτης; V.22: χριστός; V.35: υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου; V.39: κύριος. 41 Es werden mehrere Auseinandersetzungen zwischen den Pharisäern als auch zwischen den Pharisäern mit dem Blindgeborenen und seinen Eltern dargestellt. Vgl. hierzu Joh 9,16, mit der berichteten Spaltung unter den Pharisäern infolge der umstrittenen Einschätzung, ob jemand, der von Gott sei, am Sabbat heilen könne bzw. ob ein sündiger Mensch dies vollbringen könne.
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nach dem vierten Evangelium richtet: auf den Gesandten, der von Gott ist und als Licht der Welt zum Heil der Menschen wirkt. Indem in dieser heilenden Zuwendung Jesu das Wirken Gottes offenbar wird (9,3), trifft auch für Joh 9 zu, dass für Johannes das Vertrauen auf den Gesandten ein Glauben an den umfasst, dessen Wirken sich im Handeln des Sohnes verwirklicht. Als Letztes sollen hier Joh 12,44 und 46 als Belege für die sprachliche Konstruktion πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt besprochen werden. Sie sind Bestandteil des Mikrokontextes Joh 12,44–50. Diese Verse drücken nun expressis verbis aus, was bei den bislang besprochenen Belegen zum einen aus den Kontexten und zum anderen aufgrund der sprachlichen Form der Ich-bin-Worte im Johannesevangelium gefolgert werden konnte: Glauben an den Gesandten inkludiert das Vertrauen auf den Sendenden. Denn in Joh 12,44 heißt es im Mund des johanneischen Jesus: „Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat.“ 12,44: Ἰησοῦς δὲ ἔκραξεν καὶ εἶπεν· ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ οὐ πιστεύει εἰς ἐμὲ ἀλλ᾿ εἰς τὸν πέμψαντά με Und im folgenden Vers: „Und wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“ 12,45: καὶ ὁ θεωρῶν ἐμὲ θεωρεῖ τὸν πέμψαντά με. Nach einer nochmaligen Selbstprädikation Jesu als des in die Welt gekommenen Lichtes und einer damit verbundenen soteriologischen Zusage an jeden Glaubenden, wird in den VV.47f. die Licht-Finsternis-Metaphorik im Zusammenhang von Rettung und Gericht erläutert. Dabei wird zunächst betont, dass das Kommen Jesu in die Welt ausschließlich auf Rettung ziele. Das Gericht hingegen versteht das Johannesevangelium als selbstverantwortetes, da es aus der Ablehnung der Worte Jesu resultiert. Daher wird es auch das Wort Jesu sein, das denjenigen, der seine Worte nicht angenommen hat, am jüngsten Tag richten wird. In V.49 schließlich wird erläutert, weshalb dem Logos Jesu die Autorität zu richten eignet. Es ist das Wort dessen, der den Sohn gesandt hat. Denn der Sendende ist es, der dem Gesandten geboten hat, was er sagen und reden solle (12,50).42 So hat 42 Vgl. hierzu ebenso Joh 14,6–11. Dort lässt das vierte Evangelium den johanneischen Jesus auf der Grundlage eines Ich-bin-Wortes (Joh 14,6) sagen, dass die Jünger, wenn sie ihn erkannt hätten, auch den Vater erkennen würden bzw. ihn von jetzt an kennten und ihn nun gesehen hätten. Philippus äußert daraufhin den Wunsch, Jesus solle ihnen den Vater zeigen, woraufhin Jesus antwortet: τοσούτῳ χρόνῳ μεθ᾿ ὑμῶν εἰμι καὶ οὐκ ἔγνωκάς με, Φίλιππε; ὁ ἑωρακὼς ἐμὲ ἑώρακεν τὸν πατέρα (Joh 14,9). Im folgenden Vers schließlich begründet der johanneische Jesus die Behauptung, dass wer ihn sehe und erkenne ebenso den Vater erkenne und sehe mit der Einheit zwischen Vater und Sohn – hier formuliert in Form einer „Glaubens-Frage“ an Philippus: οὐ πιστεύεις ὅτι ἐγὼ ἐν τῷ
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der Gesandte nichts aus sich selbst heraus geredet, sondern ausschließlich das, was Gott ihm gesagt hat. Indem der Inhalt dessen, was der Gesandte verkündigen soll, als ewiges Leben bezeichnet wird, kommt erneut der universale Heilswille Gottes zum Ausdruck. Da das Johannesevangelium nach Joh 17,3 ewiges Leben als Erkenntnis Gottes und seines Gesandten definiert, wird auch an 12,44–50 erneut deutlich, dass das Glauben an den Gesandten stets eine verweisende Funktion hat. Denn im Glauben an den Gesandten erkennt der Glaubende Gottes Heilswillen und bejaht diesen für sich. Mit diesen Worten in Joh 12,44–50 setzt das Johannesevangelium einen fulminanten Schlusspunkt unter das öffentliche Wirken und die Offenbarungsreden Jesu.43 Demnach ist Glauben an Jesus Glauben an den Sendenden, denn dieser ist es, der im Sein und Handeln Jesu zu sehen ist und seine Worte sind es, die der johanneische Jesus verkündigt hat. Dieser Überblick über die Belege für die sprachliche Konstruktion πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt konnte die an Pro- und Epilog gemachte anfängliche Beobachtung bestätigen, dass das vierte Evangelium Glauben inhaltlich füllt als Glauben an Jesus in seiner Relation zu Gott.44 Damit verbunden ist, dass Glauben an Jesus nach dem Johannesevangelium nicht vom Glauben an Gott getrennt werden kann,45 ohne dass dabei die bestehende Differenz zwischen Jesus und Gott aufgehoben würde. Vielmehr erscheint der Sohn als Heilsmittler, in dessen Wirken und Verkündigung Gottes liebevoller Heilswille zum Kosmos zum Ausdruck kommt. Als „Ich-bin“ tritt Jesus als durch Gott Legitimierter auf. Indem Menschen
πατρὶ καὶ ὁ πατὴρ ἐν ἐμοί ἐστιν (Joh 14,10). Im daran anschließenden Teilvers schließlich erscheint eine Joh 12,50 vergleichbare Aussage. Denn demnach stammen die Worte des johanneischen Jesus nicht von ihm selber. Der Vater, der bleibend in ihm ist, wirkt seine Werke (τὰ ῥήματα ἃ ἐγὼ λέγω ὑμῖν ἀπ᾿ ἐμαυτοῦ οὐ λαλῶ, ὁ δὲ πατὴρ ἐν ἐμοὶ μένων ποιεῖ τὰ ἔργα αὐτοῦ). 43 Obwohl es nach Joh 12,36f. so scheint, als ob dort bereits das Ende des öffentlichen Wirkens erzählt würde, stellt das Johannesevangelium Jesus hier noch einmal als in der Öffentlichkeit Redenden vor. Diese Spannung möchte THEOBALD, Evangelium (s. Anm. 19), dadurch auflösen, dass er Joh 12,44–50 als redaktionellen Nachtrag begreift. 44 Vgl. dazu weiter Joh 8,30 und 10,42, die ebenfalls die Wendung πιστεύειν εἰς + auf Jesus bezogenes Akkusativobjekt aufweisen und deren Mikrokontext belegt, dass Jesus auch hier in seiner Beziehung zum Vater und Sendenden (vgl. Joh 8,28f.) gezeichnet wird. Dasselbe trifft für Joh 10 zu, denn hier bilden die Auseinandersetzung um die Selbstaussage Jesu, dass er und der Vater eins seien (10,30) und er sich als Sohn Gottes bezeichne (10,36), den Rahmen für die Glaubensaussage in 10,42. Vgl. weiter Joh 12,36, das im Zusammenhang der Licht-Metapher zu verorten ist, sowie 14,12, da hier das Vollbringen größerer Werke des Glaubenden an die Rückkehr Jesu zum Vater gebunden ist. 45 Das widerspricht auch nicht Stellen wie Joh 2,11.23; 4,39; 7,31.38f.
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seiner Botschaft glauben,46 vertrauen sie darauf, dass Jesu Leben und Wirken auf den verweisen, der ihn gesandt hat und in Jesus als dem Logos Gottes Gottes Wort ergeht. So ist Glaube nach dem Johannesevangelium Glauben an den Vater und den Sohn in ihrer differenzierten Einheit, wie sie das Evangelium in den Aussagen zur wechselseitigen In-Existenz beschreibt.47 Neben der Formulierung πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt verwendet das Johannesevangelium an einigen Stellen die sprachliche Konstruktion πιστεύειν + Dativobjekt, um den Sohn als Objekt des Glaubens zu benennen (8,31; negativ in Joh 8,45f.; 10,37f.). Dabei belegen Joh 5,24.38, dass das vierte Evangelium ebenso mit dem an πιστεύειν angeschlossenen Dativ die Zusammengehörigkeit vom Glauben an den Vater und Glauben an den Sohn ausdrückt, wobei die Anzahl der Belegstellen zeigt, dass das Johannesevangelium die Formulierung πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt bevorzugt. Schon Schnackenburg hat festgehalten, dass darin die im Glauben konstituierte „personale Bindung“ zum Ausdruck komme.48 Die an der Wendung πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt nachgezeichnete Ausrichtung des Glaubens als Glauben an Jesus in seiner Beziehung zum Vater sowie der daraus folgenden soteriologischen Funktion des Sohnes wird zudem bestätigt durch die mit πιστεύειν ὅτι eingeleiteten Sätze. 3.2 Die mit πιστεύειν ὅτι eingeleiteten Sätze Im Folgenden sollen die mit πιστεύειν ὅτι eingeleiteten Sätze besprochen werden. Da sie lediglich die Funktion haben, die an den Belegen für die Formulierung πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt gemachten Beobachtungen zu bestätigen,49 genügt hier eine knappe Skizze.
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Vor diesem Hintergrund sind jene Stellen zu verstehen, die allein den Glauben an Jesus formulieren (vgl. 2,11.23; 4,39; 7,31.38f.; 12,42) bzw. das Nicht-Glauben (Joh 7,5.48; 12,37; 16,9), denn sie müssen im Gesamtkonzept der Aussagen zur Relation zwischen Vater und Sohn gelesen werden. 47 Zu erwähnen sind hier Joh 10,38 mit der Aussage ἐν ἐμοὶ ὁ πατὴρ κἀγὼ ἐν τῷ πατρί sowie Joh 14,10f. mit den Formulierungen ἐγὼ ἐν τῷ πατρὶ καὶ ὁ πατὴρ ἐν ἐμοί (ἐστιν) (Joh 14,10f.) und ὁ δὲ πατὴρ ἐν ἐμοὶ μένων ποιεῖ τὰ ἔργα αὐτοῦ (Joh 14,10) als auch Joh 17,21.23. Weiter sind die Aussagen innerhalb des Johannesevangeliums zu nennen, die die Einheit von Vater und Sohn ausdrücken (Joh 10,30; 17,11.21f.). 48 SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 1–4 (s. Anm. 2), 510. 49 Auch SCHNACKENBURG, Johannesevangelium 1–4 (s. Anm. 2), 513, gelangt zu dem Ergebnis, dass die mit πιστεύειν ὅτι eingeleiteten Sätze inhaltlich dasselbe aussagen wie die Formulierungen πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt, bezieht diese jedoch aufgrund seiner von der hier vertretenen Deutung abweichenden Ansicht, dass der johanneische Jesus „der einzige ‚Gegenstand‘ und ‚Inhalt‘ des Glaubens ist“, auf den zu glaubenden „Anspruch Jesu“ (a.a.O., 513).
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10,38: εἰ δὲ ποιῶ, κἂν ἐμοὶ μὴ πιστεύητε, τοῖς ἔργοις πιστεύετε, ἵνα γνῶτε καὶ γινώσκητε ὅτι ἐν ἐμοὶ ὁ πατὴρ κἀγὼ ἐν τῷ πατρί. 11,27: ὅτι σὺ εἶ ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ ὁ εἰς τὸν κόσμον ἐρχόμενος 11,42: ὅτι σύ με ἀπέστειλας 13,19: ὅταν γένηται ὅτι ἐγώ εἰμι 14,10f.: ὅτι ἐγὼ ἐν τῷ πατρὶ καὶ ὁ πατὴρ ἐν ἐμοί (ἐστιν) 16,27: ὅτι ἐγὼ παρὰ [τοῦ] θεοῦ ἐξῆλθον 16,30: ὅτι ἀπὸ θεοῦ ἐξῆλθες 17,8.21: ὅτι σύ με ἀπέστειλας 20,31: ὅτι Ἰησοῦς ἐστιν ὁ χριστὸς ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ An zehn Stellen innerhalb des Evangeliums finden sich Sätze, die mit πιστεύειν ὅτι eingeleitet werden. Ihre Subjekte variieren: Während es sich bei der Mehrzahl der Belege um den johanneischen Jesus handelt, stellen zwei Belege Bekenntnissätze dar. Sie finden sich innerhalb der LazarusPerikope als Bekenntnis der Martha (11,27) sowie in den Abschiedsreden im Munde der Jünger (16,30). In 20,31 schließlich melden sich die Herausgeber des Evangeliums zu Wort und formulieren dort in einem mit der Konjunktion ὅτι eingeleiteten Satz, worauf die Verschriftlichung der Zeichen Jesu im Evangelium ziele. Gemeinsam ist allen zehn Belegstellen, dass eine Aussage über Jesus gemacht wird bzw. dieser eine Aussage über sich selber macht, bei der es um Jesu Würde und seine soteriologische Bedeutung geht. Entscheidend hierfür ist der dabei ausgesprochene Bezug auf Gott. So erscheint dieser an drei Stellen als Subjekt der Sendung Jesu. Dass der Vater ihn gesandt habe, so bittet der johanneische Jesus am Grab des Lazarus ebenso wie im sog. hohepriesterlichen Gebet, möge die trauernde Menschenge (11,42) bzw. der Kosmos (Joh 17,21) glauben. Nicht Gegenstand einer Bitte hingegen ist dieser inhaltliche Aspekt des Glaubens in Joh 17,8. Denn hier erklärt der johanneische Jesus, dass seine Jünger bereits glaubten, dass Gott ihn gesandt habe. In Joh 16,27.30 geht es um das Glauben daran, dass Jesus von Gott ausgegangen ist und in Joh 14,10f.50 um die wechselseitige In-Existenz von Vater und Sohn. Verbunden mit der Sendung sowie der wechselseitigen Immanenz und der Herkunft Jesu von Gott ist Jesu besondere Würde und Vollmacht, wie sie im Bekenntnis der Martha (Joh 11,27) deutlich wird. Es stimmt überein mit dem Credo, zu dem die Lektüre des Johannesevangeliums bei seinen Ad50
Vgl. dazu auch Joh 10,30. Hier wird dieselbe Aussage formuliert, dieses Mal unter Verwendung der semantisch synonym gebrauchten Verben γινώσκω und πιστεύω, wobei hier der Begründungssatz an γινώσκω angeschlossen ist.
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ressaten führen will (Joh 20,31). Lediglich das Bekenntnis zum „in die Welt Gekommenen“ in Joh 11,27 geht über Joh 20,31 heraus. Es dürfte sich im Kontext der Selbstprädikation Jesu als „die Auferstehung und das Leben“ der Absicht des Evangeliums verdanken, an der Identität des inkarnierten Logos mit dem Auferstandenen festzuhalten51 (vgl. Joh 20,24– 29) und so antidoketische Tendenzen, von denen der 1Joh handelt, zurückzuweisen. Gemeinsam ist Joh 11,27 und 20,31, dass Jesus als Christus und Sohn Gottes geglaubt werden soll. Dabei verwendet das Johannesevangelium „Christus“ titular als Wiedergabe für Messias, wie Joh 1,41; 4,25 belegen. Obwohl der Christus-Titel im Evangelium nicht häufig verwendet wird, benutzt ihn das Johannesevangelium dafür an entscheidenden Stellen innerhalb seiner Darstellung, so dass der johanneische Jesus als der gezeichnet wird, in dem jüdische Messiashoffnungen erfüllt sind.52 Zur Bedeutung und Funktion von ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ hält Ferdinand Hahn zusammenfassend fest: „Es geht um die Betonung der ausschließlichen Offenbarungsvollmacht und der uneingeschränkten Heilsmittlerschaft. Die Gottessohnschaft Jesu ist Ausdruck seines göttlichen Wesens, ohne daß hier schon metaphysische Reflexionen eine Rolle spielen.“53 Damit stehen im Zentrum der mit der Konjunktion ὅτι eingeleiteten Sätze Aussagen zur Identität Jesu, was besonders deutlich wird, wenn es in Joh 13,19 heißt: ἵνα πιστεύσητε ὅταν γένηται ὅτι ἐγώ εἰμι. Denn dort geht es darum, im johanneischen Jesus den zu erkennen, der im gesamten Evangelium immer wieder von sich als ἐγώ εἰμι spricht.54 Indem nun hier auf die Ereignisse um die Passion Jesu angespielt wird, betont das vierte Evangelium, dass die volle Identität und soteriologische Bedeutung Jesu an sein Sterben und Auferstehen bzw. seine Rückkehr zum Vater gebunden ist. Damit tritt ein wichtiger Aspekt in Erscheinung, der bei einer bloßen Betrachtung der übrigen Belege der mit ὅτι eingeleiteten Sätze in Gefahr steht, übersehen zu werden: dass die Sendung Jesu nicht zu trennen ist von seiner Rückkehr und damit seinem Tod und seiner Auferstehung.55 Dasselbe trifft für die Formulierungen mit πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt sowie einiger an πιστεύειν angeschlossener auf Jesus bezogener Dativobjekte zu, wenn dabei die nachösterliche Gesamtperspektive der Darstellung unbeachtet und die Kontexte nicht bedacht werden. 51 Eindrücklich wird dieser Aspekt in der Szene Joh 20,24–29 illustriert, wenn der Auferstandene erscheint und den zweifelnden Thomas auffordert: φέρε τὸν δάκτυλόν σου ὧδε καὶ ἴδε τὰς χεῖράς μου καὶ φέρε τὴν χεῖρά σου καὶ βάλε εἰς τὴν πλευράν μου, καὶ μὴ γίνου ἄπιστος ἀλλὰ πιστός (Joh 20,27). 52 F. HAHN, Art. Χριστός, EWNT 3 (21992), 1147–1165, 1161. 53 F. HAHN, Art. υἱός, EWNT 3 (21992), 912–937, 923. 54 Vgl. hierzu auch die übrigen absolut gebrauchten ἐγώ εἰμι-Worte in Joh 4,26; 6,20; 8,24.28; 18,5f. 55 Vgl. dazu das letzte Wort Jesu am Kreuz: τετέλεσται (Joh 19,30).
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Summa summarum ist festzuhalten: Glauben ist nach dem Johannesevangelium Glauben an Jesus in seiner Identität und seiner damit verbundenen soteriologischen Bedeutung, wie sie beide in seiner Relation zum Vater begründet sind. Im Unterschied zu Schnackenburg muss dabei stärker akzentuiert werden, dass Glauben an den Gesandten nach Johannes untrennbar zusammenhängt mit Glauben an Gott, den das Johannesevangelium als Subjekt der Sendung, der Hingabe bzw. der Verherrlichung des Sohnes56 in der Erhöhung zeichnet. Glauben an den Sohn kommt damit nach dem Johannesevangelium eine verweisende Funktion auf den Vater in seinem Heilshandeln am Kosmos zu. Besonders pointiert kommt dies in Joh 17,3bc zum Ausdruck: ἵνα γινώσκωσιν σὲ τὸν μόνον ἀληθινὸν θεὸν καὶ ὃν ἀπέστειλας Ἰησοῦν Χριστόν. So werden im sog. hohepriesterlichen Gebet Jesu die glaubende Erkenntnis, dass der Vater der einzig wahre Gott sei und Jesus der von ihm Gesandte, durch parataktisches καί miteinander verbunden. Da in ebendieser Erkenntnis das „ewige Leben“ besteht, das ja nach dem Johannesevangelium die soteriologische Gabe des Glaubens ist, wird erneut sichtbar, dass das Erkennen des einzigen wahrhaften Gottes an die Sendung des Sohnes gebunden ist, so dass die Aussagen zum Glauben an den Gesandten und dessen Herkunft von Gott nicht unabhängig von der damit verbundenen und nach Joh 17,3 intendierten Erkenntnis Gottes gelesen werden können.
4. Fazit Ein Durchgang durch die πιστεύειν-Belege des Johannesevangeliums zeigt, dass sich das Evangelium als Medium inszeniert, das Glauben vermitteln will. Neben der prominenten Stelle im Epilog (Joh 20,31), lässt sich das insbesondere an der sprachlichen Konstruktion πιστεύειν + Dativobjekt beobachten. Denn die her erwähnten Objekte des Glaubens, wie λόγος, ῥῆματα, γραφή und ἀκοή verwiesen allesamt darauf, dass nach dem johanneischen Selbstverständnis im Evangelium die Worte Jesu tradiert und nachösterlich zugänglich sind. Dabei lässt sich beobachten, dass die johanneische Schule den Anspruch erhebt, dass sie in ihrer Verkündigung die Verkündigung Jesu fortsetzt. Neben dem Wort bzw. den Worten und der Schrift fungieren ebenso die Werke Jesu als Gegenstand des Glaubens, die an den diskutierten Stellen mit den Zeichen Jesu identifiziert werden können. In diesem Zusammenhang erklärt sich, weshalb im Epilog nicht auf die Worte verwiesen wird, stattdessen jedoch erwähnt wird, dass die Zei56 Dabei denkt das Johannesevangelium die Verherrlichung stets als wechselseitige zwischen Vater und Sohn (vgl. 11,4; 17,1).
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chen aufgeschrieben worden seien, damit die Adressaten glauben, dass Jesus der Christus und Sohn Gottes ist. Das heißt, dass in dem zeichenhaften Wirken die Identität dessen erkannt werden soll, an den die Adressaten nach Johannes glauben sollen: den Vater und den Sohn. Ebendies zeigt auch der Überblick über die Belege für die sprachliche Konstruktion πιστεύειν εἰς + Akkusativobjekt – und an einzelnen Stellen ebenso die Wendung πιστεύειν + Dativobjekt – sowie die mit πιστεύειν ὅτι eingeleiteten Sätze. Denn hier lässt sich beobachten, dass das Johannesevangelium den Glauben an den Sohn immer mit dessen Relation zum Vater und seiner daraus resultierenden soteriologischen Bedeutung verbindet. Zentral war dabei die Einsicht, dass Glauben an den Sohn transparent ist für das heilvolle Handeln Gottes in der liebenden Zuwendung zum Kosmos, denn dieses heilvolle Handeln zielt letztlich darauf, dass die Glaubenden das ewige Leben als soteriologische Gabe des Glaubens empfangen. Besonders profiliert tritt dieses Phänomen in den Ich-bin-Worten Jesu in Erscheinung. Dem johanneischen Jesus kommt damit die Funktion zu, auf den zu verweisen, der ihn gesandt hat, so dass im Glauben an den Gesandten zugleich die Erkenntnis dessen beschlossen liegt, der der einzige wahrhafte Gott ist (Joh 17,3). Damit jedoch umfasst nach johanneischem Verständnis das Glauben an den Sohn immer auch den Glauben an den Vater, in deren Gemeinschaft die Glaubenden integriert werden sollen (Joh 17,20f.). Ebendiesen Glauben zu wecken intendiert das Johannesevangelium als Medium der Glaubensvermittlung.
Glaube im Stresstest. Πίστις im Jakobusbrief KARL-WILHELM NIEBUHR Wenn im Rahmen eines Kompendiums zum Thema Glaube im frühen Christentum auch der Jakobusbrief einen Platz erhält, dann ist das nicht nur darin begründet, dass allein die Anzahl der Belege für πίστις im Verhältnis zum Umfang des Schreibens ihm eine Spitzenstellung bei der benannten Thematik zuweist. Es eröffnet darüber hinaus vor allem den Raum, die ganz eigene theologische Konzeption zu entfalten, die dieser neutestamentlichen Schrift zugrunde liegt und in die ihre Aussagen zum Glauben mit spezifischer Funktion eingeordnet sind.1 Ausgangspunkt des Projekts, das dem vorliegenden Band zugrunde liegt, war die Erschließung des paulinischen Glaubensverständnisses. Das könnte eine Behandlung des Themas nach dem viel verwendeten Schema „Paulus und/oder Jakobus“ nahelegen.2 Dem will ich mich aber nachdrücklich widersetzen und stattdessen die möglichst genaue Erfassung dessen in den Mittelpunkt stellen, was der Autor des Jakobusbriefes selbst mit seinen Aussagen über den Glauben sagen will. Erst ganz am Ende und nur sum1
Zur jüngeren Forschung, die im Gegensatz zu der früher verbreiteten, vor allem auf den großen Kommentar von Martin Dibelius zurückgehenden Einschätzung der Einsicht folgt, dass der Brief sowohl eine Gestaltungskonzeption als auch ein eigenständiges theologisches Profil hat, vgl. K.-W. NIEBUHR, „A New Perspective on James“? Neuere Forschungen zum Jakobusbrief, ThLZ 129 (2004), 1019–1044. Einen ausführlichen Forschungsbericht bietet T.C. PENNER, The Epistle of James and Eschatology. Re-reading an Ancient Christian Letter, JSNT.S 121, Sheffield 1996, 33–120. 2 Dieses die Forschung vor allem aus paulinischer Perspektive immer wieder beschäftigende Thema wird in den aktuellen Kommentaren, oft im Zusammenhang mit der Diskussion um die Verfasserfrage oder in Exkursen zu 2,14–26, bündig zusammengefasst, vgl. D.C. ALLISON, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle of James, ICC, New York (NY) 2013, 62–71; S. MCKNIGHT, The Letter of James, NIC, Grand Rapids (MI) 2011, 259–263; W. P OPKES, Der Brief des Jakobus, ThHK 14, Leipzig 2001, 36–39; C. B URCHARD, Der Jakobusbrief, HNT 15/1, Tübingen 2000, 125f.130f.; L.T. J OHNSON, The Letter of James. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 37A, New York (NY) 1995, 58–65; H. FRANKEMÖLLE, Der Brief des Jakobus, ÖTBK 17, Gütersloh/Würzburg 1994, 461–474. Einen eigenen Akzent in dieser Diskussion hat F. AVEMARIE, Die Werke des Gesetzes im Spiegel des Jakobusbriefs. A Very Old Perspective on Paul, ZThK 98 (2001), 282–309, gesetzt. Vgl. auch M. HENGEL, Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik, in: ders., Paulus und Jakobus. Kleine Schriften 3, WUNT 141, Tübingen 2002, 511–548.
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marisch werde ich dann auch auf sein Verhältnis (oder besser, um es gleich vorauszuschicken, auf sein Nicht-Verhältnis) zum paulinischen Verständnis des Glaubens zu sprechen kommen. Ein solcher Zugang erfordert zunächst einmal die sorgfältige Erhebung der Textzusammenhänge, in denen im Jakobusbrief vom Glauben die Rede ist,3 und damit zugleich die Erfassung seines Gedankengangs und seines theologisch-ethischen Anliegens (1.).4 Sodann werden die Wortfelder näher betrachtet, in die der Glaube im Jakobusbrief eingeordnet erscheint und in denen er seine spezifische Rolle zu spielen hat (2.). Da aber bei einem so kurzen Schreiben wie dem Jakobusbrief (im Unterschied zu der relativ umfangreichen paulinischen Korrespondenz) die Bedeutung des Glaubens und der Aussage- und Lebenszusammenhänge, in denen er hier zur Sprache kommt, durch innertextliche Analysen nicht ausreichend erschlossen werden kann, werde ich auch einen Seitenblick auf die hellenistischrömische popularphilosophische Ethik und die frühjüdische Literatur werfen, denn dort begegnen partiell ähnliche Wortfelder und Aussagezusammenhänge wie an den Stellen im Jakobusbrief, wo vom Glauben die Rede ist (3.). Eine kurze Zusammenfassung bildet den Schluss (4.).
1. Textzusammenhänge 1,2–8 Ausgangspunkt des Schreibens sind die Selbstvorstellung des Autors als „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“, die Anrede der Adressaten als „die zwölf Stämme in der Zerstreuung“ (1,1)5 und ihre Ermutigung zu einem freudigen, belastbaren, bewährten Glauben (1,2– 11/12). Wenn im folgenden Brief vom Glauben die Rede ist, muss daher immer dessen dezidierte Ausrichtung auf Gott und den Herrn Jesus Christus mitgehört werden, die im Briefpräskript als Basis solchen Glaubens
3 Vgl. zum Thema auch den ausführlichen Exkurs bei FRANKEMÖLLE, Jakobus (s. Anm. 2), 222–231. 4 Dass es so etwas tatsächlich gibt, entspricht einem stetig wachsenden Konsens der neueren Forschung zum Jakobusbrief, vgl. NIEBUHR, New Perspective (s. Anm. 1), 1032– 1039. Vgl. den jüngsten Überblick über die aktuelle Diskussion zu Struktur und Kohärenz des Briefes bei M. J ACKSON-MCCABE, Enduring Temptation: The Structure and Coherence of the Letter of James, JSNT 37 (2014), 161–184. 5 Zum Jakobusbrief als Diasporabrief vgl. K.-W. NIEBUHR, Der Jakobusbrief im Licht frühjüdischer Diasporabriefe, NTS 44 (1998), 420–443; L. DOERING, Ancient Jewish Letters and the Beginnings of Christian Epistolography, WUNT 298, Tübingen 2012, 452–463.
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explizit benannt und in 2,1 im Blick auf „unsern Herrn Jesus Christus“ noch einmal aufgegriffen wird.6 Der Abschnitt 1,2–11/12 kann im Briefeingang als summarische Exposition angesehen werden,7 mit einer Grundlegung im erprobten Glauben (1,2–4) und ihrer Entfaltung einerseits im Spannungsfeld von Glaube und Zweifel (1,5–8), andererseits im Spannungsfeld von arm und reich vor Gott (1,9–11). πίστις bildet dabei die exakte Mitte der Eingangsmahnung (1,2–4). Die beiden Spannungsfelder aus der Exposition werden im Briefkorpus nacheinander entfaltet, zunächst der Glaube als Einheit von Hören und Tun (1,12/13–3,12), dann das Verhältnis von arm und reich in der Gemeinde (3,13–5,6). Ein Epilog (5,7–20) unterstreicht den Grundton der Ermunterung zu ausdauerndem, tätigem Glauben. Schon am Textaufbau des Briefes zeigt sich damit: Die wesentlichen Bestimmungen des Glaubens im Jakobusbrief werden in der Ausrichtung der Lebenspraxis der Gemeinden auf Gott und Jesus Christus verankert und mit Blick auf ihre sozialen Beziehungen profiliert. Lange bevor von „Werken“ die Rede ist (vor allem in 2,14–26) und bis zum Schluss geht es um den Glauben an Gott und Jesus Christus, einen lebendigen, dauerhaften, erprobten, tätigen Glauben. Um ihn herum sind Erfahrungen angeordnet, die das Leben der Glaubenden bestimmen: Freude und Zweifel, Bewährung und Scheitern, Selbstlosigkeit und Selbstsucht, Tun des Gerechten und scheinheiliges Frömmeln, gegenseitige Fürsorge und heillose Streitereien – für dies alles und noch mehr gibt es zahlreiche Belege im Brief.8 1,12–25 Zwei Makarismen (1,12 und 1,25)9 verklammern die theologische Grundlegung für den gesamten Brief. Der erste bestimmt wie ein Vorzeichen die Tonart des Schreibens. Alle folgenden Mahnungen stehen unter seinem 6 ALLISON, James (s. Anm. 2), 382–384, hat zuletzt wieder unter Verweis auf zahlreiche Vorgänger dafür plädiert, die Wendung ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ als Interpolation auszuscheiden. Ich kann mich dieser Emendation nicht anschließen. 7 In der Gliederung des Briefes folge ich mit leichten Abweichungen dem Vorschlag von B URCHARD, Jakobusbrief (s. Anm. 2), 12f. Vgl. zur Analyse jetzt auch J ACKSONMCCABE, Enduring Temptation (s. Anm. 4), 165–168. 8 Vgl. dazu auch K.-W. NIEBUHR, Ethik und Anthropologie nach dem Jakobusbrief. Eine Skizze, in: F.W. Horn/R. Zimmermann (Hg.), Jenseits von Indikativ und Imperativ. Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Contexts and Norms of New Testament Ethics. Band 1, WUNT 238, Tübingen 2009, 329–346. 9 Vgl. dazu K.-W. NIEBUHR, Die Seligpreisungen in der Bergpredigt nach Matthäus und im Brief des Jakobus. Zugänge zum Menschenbild Jesu?, in: P. Lampe/M. Mayordomo/M. Sato (Hg.), Neutestamentliche Exegese im Dialog. Hermeneutik – Wirkungsgeschichte – Matthäusevangelium (FS U. Luz), Neukirchen-Vluyn 2008, 275–296, 282–284.
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Zuspruch. Selig gepriesen wird der gegenwärtig Glaubende, der genau das tut, was die Eingangsmahnung 1,2–4 fordert: Er zeigt in der Versuchung Ausdauer, die aus dem Glauben kommt (τὸ δοκίμιον ὑμῶν τῆς πίστεως κατεργάζεται ὑπομονήν, 1,3; vgl. 1,12: ὑπομένει πειρασμόν … δόκιμος γενόμενος), im Gegensatz zu dem, der zweifelt, der gespalten in seiner Seele ist und hin und her gerissen auf seinen Wegen (διακρινόμενος, ἀνὴρ δίψυχος, 1,6.8). Während jener gar nichts vom Herrn empfangen wird, erhält der im Glauben Ausdauernde den „Kranz des Lebens“, die Erfüllung der Verheißungen. An diese Heilszusage schließt sich eine Reihe von Imperativen (1,13–22), die am Ende wieder in eine Seligpreisung münden, wenngleich formal kein Makarismus (οὗτος μακάριος ἐν τῇ ποιήσει αὐτοῦ ἔσται, 1,25). Seligkeit wird hier dem zugesprochen, der sich in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft und daraus zum Täter, nicht allein Hörer des Wortes wird. Damit ist das Hauptthema des Briefes eingeführt: die Einheit von Hören und Tun im Glauben unter Druck.10 Dort, wo das soteriologische Zentrum des Schreibens liegt (1,12–25),11 ist allerdings nicht explizit vom Glauben die Rede (freilich erst recht nicht von Werken), sondern primär vom Empfangen (1,12.21) und Hören (1,22f.), vom Siegerkranz des Lebens (1,12), von der guten Gabe Gottes, die von oben auf den Menschen herabsteigt (1,17), vom Wort der Wahrheit, durch das wir geboren wurden als Erstlingsgabe seiner Geschöpfe (1,18), vom eingepflanzten Wort, das Seelen retten kann, davon, sich dauerhaft in das vollkommene Gesetz der Freiheit zu vertiefen, das zum Tun des Wortes erst befähigt und zur Seligkeit führt (1,25).12 Ob in diesen Aus-
10 Etwas anders akzentuiert JACKSON-MCCABE, Enduring Temptation (s. Anm. 4), 164: „The letter of James … is a coherent appeal to endure temptation in humble reliance on a provident deity, elaborated particularly with respect to the three broad areas of good deeds, control of speech and a gentle disposition.“ Vgl. zur theologisch-ethischen Intention des Briefes auch R. BAUCKHAM, James. Wisdom of James, Disciple of Jesus the Sage, London 1999, 73: „the overarching theme of the whole work: ‚perfection‘“; P.J. HARTIN, A Spirituality of Perfection. Faith in Action in the Letter of James, Collegeville 1999, 55: „it aims at providing moral exhortation in the form of a focused, sustained argument and demonstration“. 11 Vgl. dazu umfassend M. KONRADT, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, StUNT 22, Göttingen 1998, 41–100.171–206. 12 Vgl. M.J. KAMELL, Life in the Spirit and Life in Wisdom. Reading Galatians and James as a Dialogue, in: M.W. Elliott u.a. (Hg.), Galatians and Christian Theology. Jusitification, the Gospel, and Ethics in Paul’s Letters, Grand Rapids 2014, 353–363, 357: „The key to James is the presupposition of a new birth by God’s will … This lies behind the ethical exhortations“. Vgl. DIES., The Implications of Grace for the Ethics of James, Bib. 92 (2011), 274–287.
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sagen indirekt auf die spezifisch christliche Glaubenserfahrung angespielt wird, ist umstritten.13 Ausgeschlossen werden kann es m.E. nicht.14 2,1–13 Die erste ausführlicher entfaltete Mahnung des Briefes, 2,1–13, greift das Thema von 1,9–11 auf. Sachlich zusammengehalten wird der Abschnitt durch das Verhältnis von arm und reich in der Gemeinde. Die interne Textgliederung wird in dieser Passage des Briefes durch die Bruderanrede signalisiert (vgl. 2,1.5.14). Als entscheidende Argumente für die Ermahnung, den Glauben in der Gemeinde nicht durch „Ansehen der Person“ (προσωπολημψία) zu missbrauchen, fungieren zum einen der Rekurs auf die biblische Überlieferung von Gottes erwählender Zuwendung zu den Geringen (2,5), zum andern der Verweis auf die Tora (2,8–11). Ein doppelter Imperativ (οὕτως λαλεῖτε καὶ οὕτως ποιεῖτε, 2,12) greift das Leitthema der Einheit von Reden/Hören und Tun wieder auf (vgl. 1,19.22–25), und ein Verweis auf das Endgericht (2,13) rundet die Mahnung ab. Glaube bezeichnet in diesem Zusammenhang zunächst die Haltung des Menschen zu Jesus Christus als Kyrios (ἔχετε τὴν πίστιν τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ τῆς δόξης, 2,1), die zugleich aber auch ein Verhalten anderen Menschen gegenüber impliziert. Glaube kann ‚habitualisiert‘ werden (ἔχειν), sei es (positiv) im Sinne der Nächstenliebe (2,8) oder (negativ) in der Bevorzugung der glanzvollen Reichen gegenüber den schmutzigen Armen (προσωπολημπτεῖτε, 2,9; vgl. προσωπολημψία, 2,1). Die Bewertung solchen Verhaltens ergibt sich jeweils aus der Tora (2,8f.: εἰ μέντοι νόμον τελεῖτε … καλῶς ποιεῖτε/εἰ δὲ προσωπολημπτεῖτε, ἁμαρτίαν ἐργάζεσθε). Aus der Perspektive Gottes rückt der Glaube zudem die Maßstäbe von oben und unten zurecht: Die Armen (in) der Welt sind als von Gott Erwählte Reiche im Glauben und Erben seiner Verheißung der Königsherrschaft (2,5: οὐχ ὁ θεὸς ἐξελέξατο τοὺς πτωχοὺς τῷ κόσμῳ πλουσίους ἐν πίστει).15 13
Vgl. zur Diskussion ALLISON, James (s. Anm. 2), 255–287. In einem weiteren Aufsatz zum Jakobusbrief argumentiere ich, dass der Zusammenhang der Aussagen in 1,13–18 ein heilsgeschichtliches Szenario voraussetzt, das nur auf der Grundlage der endzeitlichen Christusbotschaft vorstellbar ist. Es geht in 1,18 um das Neugeschaffenwordensein (ἀπεκύησεν) des Menschen durch ein Wort der Wahrheit, also um einen eschatologischen Vorgang, der bereits geschehen ist. K.-W. NIEBUHR, Jakobus und Paulus über das Innere des Menschen und den Ursprung seiner ethischen Entscheidungen, NTS 62 (2016), 1–30, 10. 15 S. J OUBERT, Homo reciprocus No More. The ‚Missional‘ Nature of Faith in James, in: J. Kok u.a. (Hg.), Sensitivity Towards Outsiders. Exploring the Dynamic Relationship Between Mission and Ethics in the New Testament and Early Christianity, WUNT 2/364, Tübingen 2014, 382–400, 396, sieht hier einen entscheidenden missionarischen Akzent des Briefes, der sich gegen das in der antiken Welt vorherrschende, die sozial Be14
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2,14–26 Der Abschnitt, in dem der Gegensatz von Glaube und Werken dann bestimmend wird (hier allein 11 mal πίστις und 3 mal πιστεύειν), bildet im Aufbau des Briefes eine Digression, näherhin eine Entfaltung der Mahnung von 2,12: „So redet und so handelt, nämlich als solche, die künftig durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden.“16 Es geht im Gedankengang des Briefes weiter (wie schon seit 1,22–25) um die Einheit von Reden (bzw. Hören) und Tun und um den Maßstab der Tora zur (eschatologischen) Bewertung des rechten Tuns, nicht um eine grundsätzliche Vorordnung der Werke vor den Glauben und auch nicht um die Geltung der Tora, schon gar nicht um ‚Werkgerechtigkeit‘. Die Gegenüberstellung von Glaube und Werken in 2,14–26 ist also eine Einschaltung im Hauptgedankengang des Briefes. Dieser ist geleitet von der Aufforderung, den empfangenen Glauben in den Prüfungen des Lebens zu bewahren (1,2–4), nicht allein Hörer, sondern auch Täter des im Glauben empfangenen Heilswortes zu sein (1,22). Miteinander verbunden werden Glaube und Werke im Jakobusbrief erst dort, wo es um die Entfaltung und Gestaltung des neuen Lebens geht, das Gott geschenkt hat. Erst am Handeln wird erkennbar, ob jemand die gute Gabe des Glaubens empfangen hat. Deshalb soll er anhand seines Lebenswandels zeigen, was er empfangen hat (3,13: δειξάτω ἐκ τῆς καλῆς ἀναστροφῆς τὰ ἔργα αὐτοῦ). So ist der Glaube zwar an den Werken aufweisbar, zeigbar (2,18: δείξω ἐκ τῶν ἔργων μου τὴν πίστιν), aber nicht in ihnen begründet oder durch sie produzierbar. Um das Sichtbarwerden des Glaubens im Tun des Gerechten, um die Einheit von Hören und Tun, von Glauben und Leben, geht es im Jakobusbrief, wenn Glaube und Werke nebeneinander gestellt werden, nicht um den Ursprung des Glaubens oder das zum Glauben Kommen. 5,7–20 Im Briefschluss (5,7–20)17 nimmt der erste Abschnitt (5,7–11) die Eingangsmahnung des Briefes (1,2–4) wieder auf. Mit einem neuen Wortfeld wird das alte Thema Ausdauer in Anfechtungen erneut artikuliert, nun aber zugespitzt mit Blick auf die Parusie (zweimal in 5,7f.) und das Endgericht nachteiligten diskriminierende Prinzip der Reziprozität richte: „For James a countercultural (= missional) way of life implies enduring tests and hardships patiently without resorting to socially acceptable forms of reciprocal justice.“ 16 KONRADT, Existenz (s. Anm. 11), 208: „Jakobus dekliniert in 2,14–26 … die Thematik von 2,12f im Blick auf den Glauben durch.“ Zur Einzelauslegung des Abschnitts kann hier nur pauschal auf die in Anm. 2 genannten Kommentare verwiesen werden. Vgl. aber auch ausführlich Konradt, a.a.O., 207–240. 17 Der Abschnitt 5,7–20 wird allgemein als Briefschluss angesehen, vgl. KONRADT, Existenz (s. Anm. 11), 21; BURCHARD, Jakobusbrief (s. Anm. 2), 13.
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(5,9).18 Das „Ende des Herrn“ (5,11) impliziert allerdings (wie in 1,12) eine uneingeschränkte Heilszusage, denn der Herr ist „erbarmungsvoll … und mitleidig“. Briefautor und Briefadressaten sind im Bekenntnis zu diesem erbarmungsvollen Gott Israels miteinander verbunden (1. Pers. Plur. μακαρίζομεν, 5,11). So bildet der Makarismus über die bedrängten Glaubenden auch eine Klammer um den gesamten Brief.19 Wieder richtet sich der Zuspruch künftiger Heilserfahrung an diejenigen, die in der Gegenwart in ihrem Glauben bedrängt sind.20 Überzeugungskraft gewinnt er aus der biblischen Überlieferung, die den Adressaten vertraut ist (ἠκούσατε, εἴδετε, 5,11). Glaube äußert sich hier in erster Linie in Formen religiöser Praxis wie Gebet (προσεύχεσθαι, προσευχή, 5,13.17f.), Fürbitte (προσευξάσθωσαν ἐπ’ αὐτόν, 5,14; εὔχεσθε ὑπὲρ ἀλλήλων, δέησις, 5,16), Sündenbekenntnis (5,16: ἐξομολογεῖσθε οὖν ἀλλήλοις τὰς ἁμαρτίας), Krankensalbung (5,14: ἀλείψαντες ἐλαίῳ ἐν τῷ ὀνόματι [τοῦ] κυρίου). Entsprechend knapp kann er „Gebetsglaube“ bzw. „Glaubensgebet“ genannt werden (ἡ εὐχὴ τῆς πίστεως, 5,15) und kann ihm Leben erhaltende und Sünden vergebende Kraft zugesprochen werden.21
2. Wortfelder 2.1 Tun, Täter, wirken, Werk, haben, zeigen Bestimmendes Wortfeld für den Sinn des Glaubens im Jakobusbrief ist von seinem Aufbau und seiner Intention her eindeutig der Bereich menschlichen Handelns. Bei der Ausgestaltung seiner Aussageintentionen in der Beschreibung des Zusammenhangs von Glauben und Tun unter Druck legt der Verfasser hohe sprachliche Kreativität an den Tag.22 Schon in dem 18
Zu Gott als Richter im Jakobusbrief vgl. S. WENGER, Der wesenhaft gute Kyrios. Eine exegetische Studie über das Gottesbild im Jakobusbrief, AThANT 100, Zürich 2011, 225–257; zur eschatologischen Rahmenkonzeption des Briefes umfassend P ENNER, Eschatology (s. Anm. 1), 121–213. 19 Vgl. die beiden Seligpreisungen in 1,12.25. 20 5,9: μὴ στενάζετε, 5,10: κακοπαθία, 5,13: κακοπαθεῖν, 5,14: ἀσθενεῖν, 5,15: κάμνειν. 21 5,15: σώσει τὸν κάμνοντα, καὶ ἐγερεῖ αὐτὸν ὁ κύριος· κἂν ἁμαρτίας ᾖ πεποιηκώς, ἀφεθήσεται αὐτῷ, vgl. 5,20: ὁ ἐπιστρέψας ἁμαρτωλὸν ἐκ πλάνης ὁδοῦ αὐτοῦ σώσει ψυχὴν αὐτοῦ ἐκ θανάτου. 22 Dass die Kohärenz der brieflichen Argumentation im Jakobusbrief im Wesentlichen semantisch begründet ist, weniger im Sinne eines strukturiert aufgebauten Gedankengangs, hat besonders H. FRANKEMÖLLE, Das semantische Netz des Jakobusbriefes. Zur Einheit eines umstrittenen Briefes, BZ 34 (1990), 161–197, herausgearbeitet. Vgl. auch schon W.H. W UELLNER, Der Jakobusbrief im Licht der Rhetorik und Textpragmatik, LingBibl 43 (1978), 5–66.
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stark von Erfahrungen von Bedrängnis und Zweifel durchzogenen Eingangsabschnitt 1,2–8 tritt neben das emotionale Element (χαρὰν ἡγήσασθε, 1,2)23 und die Leitsemantik des Empfangens (s. dazu u. 2.2) der Aspekt der Bewährung des Glaubens im Wirken, in ausgeübter Ausdauer (κατεργάζεται ὑπομονήν).24 Ihr entspricht habituell ein „vollkommenes Werk“ (ἔργον τέλειον ἐχέτω); diejenigen, deren Tun vollkommen ist, und zwar als ein solcher Habitus, die sind es auch selbst, und zwar „ganzheitlich“ und vollständig (1,4: ἵνα ἦτε τέλειοι καὶ ὁλόκληροι, ἐν μηδενὶ λειπόμενοι).25 Profiliert wird dieses Leitmotiv eines dauerhaft wirksamen Glaubens durch den Gegensatz zum Hören bzw. Reden allein (1,22). Wenn man die Seligpreisungen in 1,12.25 als Klammer um den Briefeingang versteht und zugleich als erste Entfaltung dessen, was den Glauben ausmacht, dann wird hier der Glaubende in seinem Tun (ἐν τῇ ποιήσει) selig gepriesen, nicht aufgrund oder vermittels seiner „Werke“, vielmehr in seinem Habitus als „Täter“ und nicht allein „Hörer“.26 Das in der Septuaginta und im Neuen Testament nur sehr selten verwendete Wort ποιητής27 gewinnt bei Jakobus ein ganz eigenes Profil. Es ist je zweimal mit dem empfangenen Gotteswort (1,22f.) und mit dem Gesetz verbunden (1,2528; 4,11) und bildet in 1,25 ein Gegensatzpaar mit ἀκροατής29 als nomen regens zu ἔργον. Auch darin zeigt sich der Bezug zu 1,4, der einzigen weiteren Stelle im Jakobusbrief, wo ἔργον im Singular steht. Konkret illustriert wird das geforderte Tun sogleich in den traditionell so genannten ‚Liebeswerken‘, die einen „reinen heiligen Dienst“ 23 Vgl. dazu P. VON GEMÜNDEN, Einsicht, Affekt und Verhalten. Überlegungen zur Anthropologie des Jakobusbriefes, in: dies./M. Konradt/G. Theißen (Hg.), Der Jakobusbrief. Beiträge zur Rehabilitierung der „strohernen Epistel“, BVB 3, Münster 2003, 83– 96. 24 Zu traditionsgeschichtlichen Zusammenhängen mit Röm 5,1–5 und 1Petr 1,6f. vgl. M. KONRADT, Der Jakobusbrief als Brief des Jakobus. Erwägungen zum historischen Kontext des Jakobusbriefes im Lichte der traditionsgeschichtlichen Beziehungen zum 1. Petrusbrief und zum Hintergrund der Autorfiktion, in: von Gemünden/Konradt/Theißen (Hg.), Jakobusbrief (s.o.), 16–53; DERS., Existenz (s. Anm. 11), 101–109. 25 Vgl. WENGER, Kyrios (s. Anm. 18), 25–30, 29: „Die angeschriebenen Christen sollen sich in und mit einem Glauben auszeichnen, der sich gegenüber unterschiedlichen Versuchungen und in entsprechenden Werken bewährt, so dass sie selbst als ‚vollkommen‘ gelten können.“ Zur Thematik der Vollkommenheit im Jakobusbrief vgl. auch HARTIN, Spirituality (s. Anm. 10), 17–39.57–127. 26 Vgl. 1,22: οὐκ ἀκροατής … ἀλλὰ ποιητὴς ἔργου. 27 Vgl. vor allem Röm 2,13: οὐ γὰρ οἱ ἀκροαταὶ νόμου δίκαιοι παρὰ τῷ θεῷ, ἀλλ’ οἱ ποιηταὶ νόμου δικαιωθήσονται (im Neuen Testament außerdem nur noch Apg 17,28 für Dichter); in LXX nur 1Makk 2,67: πάντας τοὺς ποιητὰς τοῦ νόμου. Häufiger verwendet Philo das Wort für Gott als Schöpfer. Nach Josephus, Ant. 18,63, war Jesus παραδόξων ἔργων ποιητής. 28 Dort auch noch mit dem neutestamentlichen hapax legomenon ποίησις. 29 Im Neuen Testament außer den drei Belegen in Jak 1,22.23.25 nur noch Röm 2,13.
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(θρησκεία καθαρά) auszeichnen: Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis beizustehen (1,27), Arme nicht zu benachteiligen und zu beschämen (2,2.6), Nackte und Hungrige nicht mit billigen Worten abzuspeisen (2,15f.).30 Damit ist der Gegensatz von Glaube und Werken in 2,14–26 durch den vorangehenden Kon-text auch semantisch klar profiliert: Mit dem Verweis auf „Werke“ (zwölf Mal ἔργα, immer im Plural) ist kein abstrakt anthropologisches Prinzip gemeint (im Sinne des Stereotyps einer ‚erworbenen Existenz‘) und auch nicht der Gegensatz von Glaube und „Werken des Gesetzes“, wie bei Paulus, sondern weiterhin der ethische Grundgedanke der Einheit von Hören, Reden und Tun unter besonderer Berücksichtigung von arm und reich: „So sollt ihr reden und so sollt ihr tun!“ (2,12) Dementsprechend wird in 2,14–26 die semantische Opposition von Reden bzw. Hören und Tun aufgenommen und in derjenigen von πίστις und ἔργα entfaltet (vgl. 2,17.24.26). Besonders klar zeigt sich diese Wiederaufnahme in der Parallelität von 1,22 und 2,24: 1,22 γίνεσθε δὲ ποιηταὶ λόγου 2,24 ὁρᾶτε ὅτι ἐξ ἔργων δικαιοῦται ἄνθρωπος
καὶ μὴ ἀκροαταὶ καὶ οὐκ ἐκ πίστεως
μόνον μόνον
Mit dem Stichwort σῶσαι wird zudem der eschatologische Gerichtshorizont von 2,13 (κρίσις) weiterhin offen gehalten. Auch beim Gegensatz zwischen Glaube und Werken geht es um einen Habitus. πίστις kann man, ebenso wie ἔργα, „haben“.31 Darüber hinaus kann man beides aber auch zeigen (δείξω, 2,18).32 Die entscheidende Interpretationsfrage mit Blick auf die zweite Vershälfte lautet dann, ob ein solcher sichtbarer Nachweis des Glaubens realiter geführt werden kann oder gar soll oder ob der Dialogpartner hier lediglich rhetorisch ad absurdum geführt werden soll.33 Im ersten Fall wären die „Werke“ (im Sinne der o.g. ‚Liebeswerke‘) die sichtbare Seite des Glaubens, im zweiten ließe sich der Glaube grundsätzlich gar nicht sichtbar machen, weder mit noch ohne Werke. Die explizite Mahnung zu Beginn des zweiten Hauptteils des Briefes (3,13) spricht für die zuerst genannte, paränetische Interpretation. Jedenfalls kann der Glaube nach dem Jakobusbrief vervollkommnet bzw. vollendet werden (ἐτελειώθη, 2,22). Darüber hinaus hat der Glaube auch eine Geschichte, genauer gesagt: eine Lebens- und Sterbensgeschichte: Empfangen und geboren wurde er 30 Zur sozialen Ausrichtung der frühjüdischen Paränese vgl. K.-W. NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT 2/28, Tübingen 1987, 23f.116.188–192.204f.232–235. 31 Vgl. ἔχειν in 2,14.17.18; s.a. 2,1: ἔχετε τὴν πίστιν τοῦ κυρίου ἡμῶν. 32 Bei Paulus fehlt diese Wortverbindung völlig. In Jak vgl. noch 3,13: δειξάτω ἐκ τῆς καλῆς ἀναστροφῆς τὰ ἔργα αὐτοῦ. 33 Zur exegetischen Debatte ausführlich KONRADT, Existenz (s. Anm. 11), 217–232.
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durch das „Wort der Wahrheit“ (1,18.21).34 Wenn er aber keine Werke „hat“, stirbt er ab (νεκρά ἐστιν καθ’ ἑαυτήν, 2,17), liegt er brach (ἀργή35 ἐστιν, 2,20), ist er tot (νεκρά ἐστιν, 2,26). Die Werke sind also so etwas wie Nahrungsmittel, Lebenssaft für den Glauben. Sie können ihn zwar nicht bewirken, aber doch am Leben halten. Wenn sie fehlen, stirbt der Glaube. Schließlich kann man den Glauben auch bekennen und zwar mit dem klassischen biblisch-jüdischen Bekenntnis zu dem Gott Israels: „Einer ist Gott“ (2,19; vgl. Dtn 6,4).36 Freilich ist damit die endzeitlich rettende Kraft des Glaubens, die ihm zuvor zugesprochen worden war, gerade noch nicht verbunden, denn bekennender Glaube kann auch lediglich dazu führen, vor dem einen, einzigen Gott zu zittern. 2.2 Bitten, empfangen, hören, Gabe, geboren werden Dort, wo das soteriologische Zentrum des Briefes liegt (1,12–25), so haben wir gesehen, ist noch nicht der Gegensatz von Glaube und Werken bestimmend, sondern zunächst weiterhin die menschliche Haltung des Empfangens (1,12.21) und Hörens (1,22f.). In theozentrischer Ausrichtung wird denen, die Gott lieben, der Siegerkranz des Lebens verheißen (1,12), die gute Gabe Gottes versprochen, die von oben auf den Menschen herabkommt (1,17). Vom Wort der Wahrheit ist hier die Rede, durch das wir geboren wurden als Erstlingsgabe seiner Geschöpfe (1,18), vom eingepflanzten Wort, das Seelen retten kann, und vom vollkommenen Gesetz der Freiheit, das zum Tun des Wortes allererst befähigt und zur Seligkeit führt (1,25). Glaube und Werke in ihrem Verhältnis zueinander werden erst näher betrachtet (2,14–26), nachdem diese Grundhaltung des Empfangens, der vollkommenen Passivität auf Seiten des Menschen bei der Heilszuwendung ausreichend klargestellt worden ist.37 Zu den guten Gaben, die „von oben herab“ kommen und vom Menschen dankbar empfangen werden (1,5; 3,13.15.17), gehört die Weisheit, von der Jakobus an prominenter Stelle spricht (3,13–18). Weisheit ist, wie die lange Reihe der Prädikate der „Weisheit von oben“ zeigt (3,17), der Modus des Tuns, das aus dem Glauben entspringt, ist „Frucht der Gerechtigkeit in Frieden … für die, die Frieden machen“ (3,18).38 Erst an seinem Handeln 34
Vgl. dazu KONRADT, Existenz (s. Anm. 11), 41–66. Auch in ἀργή steckt das semantische Feld von Arbeit: „arbeitslos“ (vgl. Mt 20,3.6; 1Tim 5,13). 36 Vgl. dazu WENGER, Kyrios (s. Anm. 18), 32–50. 37 Vgl. FRANKEMÖLLE, Jakobus (s. Anm. 2), 91: „Gottes Sein und kommunikatives Handeln bilden den Grund und die Ermöglichung für das von Jakobus intendierte innovatorische, kommunikative Handeln der Christen.“ 38 Übers. nach B URCHARD, Jakobusbrief (s. Anm. 2), 152. 35
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wird erkennbar, ob jemand diese gute Gabe empfangen hat. Deshalb soll er anhand seines guten Lebenswandels zeigen, was er empfangen hat, und zwar „in Sanftmut der Weisheit“ (3,13). Das Wortfeld „zeigen“, „Werke“, „Wandel“ nimmt den Gedanken von 2,18 auf und führt ihn mit Blick auf die Weisheit weiter. Damit ist der Abschnitt zum Verhältnis von Glaube und Werken (2,14–26) eng eingepasst in die Semantik des Bittens und Empfangens, die den Gedankengang des Briefs von Beginn an bestimmt. Christen sind von Gott Beschenkte. Aus dem, was sie von Gott empfangen haben, können sie leben, aber aus dem Leben, das ihnen durch Christus geschenkt ist, sollen sie auch etwas machen. 2.3 Gesetz, Übertretung, Gerechtigkeit, Freiheit Nicht erst in 2,19 bezieht sich der Glaube auf ein klar identifizierbares biblisches Gebot (Dtn 6,4). Explizit zitiert wird die Tora auch schon in der ersten ausgeführten Mahnung des Briefes zur Einheit von Wort und Tat gegenüber Armen und Reichen in der Gemeinde (2,1–13). Zunächst bildet hier das Liebesgebot nach Lev 19,18 die entscheidende Autorität zur Beurteilung ethischen Handelns (καλῶς ποιεῖτε, 2,8). Es wird als „königliches Gesetz gemäß der Schrift“ (νόμος … βασιλικὸς κατὰ τὴν γραφήν) bezeichnet, das zu erfüllen ist. Dann dienen ausgewählte Dekaloggebote zum Nachweis der umfassenden und ‚ganzheitlichen‘ Forderung zur Toratreue im Tun (2,10f.: ὅλον τὸν νόμον τηρήσῃ). Dass der Wille Gottes im Blick auf das rechte Tun des Menschen in der Tora nachzulesen ist und bei Bedarf auch aus ihr zitiert werden kann, ergibt sich aus dem Hinweis auf die „Schrift“ (κατὰ τὴν γραφήν, 2,8; vgl. noch 2,23; 4,5). Zugleich ist die Tora aber auch lebendiges, gegenwärtig zu vernehmendes Wort Gottes (2,11: ὁ γὰρ εἰπών … εἶπεν καί), das man hören und wieder vergessen kann (ἀκροατὴς ἐπιλησμονῆς γενόμενος, 1,25), in das man sich aber auch hinein vertiefen und darin verbleiben kann (1,25: ὁ δὲ παρακύψας εἰς νόμον τέλειον τὸν τῆς ἐλευθερίας καὶ παραμείνας). Der endzeitlich-endgerichtliche Charakter dieser Verbindung des Tuns mit der Tora wird unmissverständlich betont: Übertretung der Tora durch προσωπολημψία ist Sünde und überführt vor Gottes Gericht bzw. unterstellt den Gesetzesübertreter dessen Schuldspruch.39 Maßstab des Gerichts ist das „Gesetz der Freiheit“, das zur Beurteilung des Tuns, genauer, der Übereinstimmung von Reden und Tun, herangezogen wird (2,12). Es ist demjenigen gegenüber unbarmherzig, der selbst nicht barmherzig ist (2,13). Auch bei den Mahnungen zum innergemeindlichen Verhalten fun-
39 2,9f.: εἰ δὲ προσωπολημπτεῖτε, ἁμαρτίαν ἐργάζεσθε ἐλεγχόμενοι ὑπὸ τοῦ νόμου ὡς παραβάται, γέγονεν πάντων ἔνοχος. Vgl. auch 2,11: γέγονας παραβάτης νόμου.
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giert das Gesetz als Maßstab und wird die Autorität des einen Gesetzgebers und endzeitlichen Richters herausgestellt (4,11f.).40 Wichtiger aber sind die Prädikate, die der Tora beigefügt werden: Sie begegnet im Brief nicht in erster Linie als Forderung, sondern als „vollkommenes Gesetz der Freiheit“ (1,25: νόμος τέλειος ὁ τῆς ἐλευθερίας), in das man sich vertiefen41 kann, und als „königliches Gesetz“, das zu „erfüllen“ ist (2,8: νόμον τελεῖτε βασιλικόν). Wer dabei bleibt, sich in dieser Weise intensiv in das Gesetz zu vertiefen, der ist kein vergesslicher Zuhörer mehr, sondern erlangt den Status eines ‚Werk-Tätigen‘ (ποιητὴς ἔργου), der bei seiner ‚Poesie der Werke‘ auch noch glücklich wird (1,25: μακάριος ἐν τῇ ποιήσει αὐτοῦ ἔσται). Im Blick auf das Tun des Gesetzes verwendet Jak die in frühjüdischer Toraparänese üblichen Verben τελεῖν und τηρεῖν sowie deren Antonyme παραβαίνειν und πταίειν (vgl. παραβάτης, 2,9.11).42 Das Wort νόμος steht in diesem Zusammenhang synonym zu λόγος,43 auch wenn die Wendung ποιητὴς νόμου, ‚Gesetzes-Poet‘, hier noch nicht, sondern erst in 4,11 gebildet wird. Der semantische Akzent des Ursprungs der Tora bei Gott ist aber in 2,11 dadurch klar signalisiert, dass es Gott ist, der hier „spricht“, und deshalb auch für den Zusammenhang von νόμος und λόγος an dieser Stelle konstitutiv.44 Von daher können auch die Aussagen zum „Wort der Wahrheit“ (1,18) und zum „eingepflanzten Wort, das die Seelen retten kann“ (1,21) zur semantischen Erschließung von νόμος in 1,25 herangezogen werden, obwohl νόμος und λόγος in 1,18.21 nicht einfach synonym sind. Im Blick auf das Geborenwerden durch das Wort der Wahrheit bzw. das Empfangen des eingepflanzten Wortes ist zwar der Sprecher des Wortes derselbe, nicht aber der Inhalt der Rede. Das Gesetz gehört zu den guten Gaben Gottes, dessen heilsames Wirken an den Glaubenden im Christusgeschehen mit Geburts- und Schöpfungsmetaphorik ausgedrückt wird.45 Das Gesetz begegnet im Jakobusbrief damit durchgehend als Ganzheit, als Forum, vor dem sich das Leben des Menschen vollzieht und an dem es gemessen wird, geradezu als personales Gegenüber für den Menschen. 40
Zum Gesetz im Jakobusbrief vgl. meine knappe Zusammenfassung in K.-W. NIEArt. Nomos. B. Jüdisch, C. Neues Testament, RAC 25 (2013), 1006–1061, 1058f. 41 παρακύπτω = „sich vorbeugen (um etw. genau zu sehen)“ (W. B AUER, Griechischdeutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. 6., völlig neu bearbeitete Auflage, herausgegeben von K. Aland und B. Aland, Berlin 1988, 1251). 42 Vgl. NIEBUHR, Gesetz (s. Anm. 30), Griechisches Wortregister s.v. παραβαίνειν. 43 Vgl. 1,22f.: ποιηταὶ λόγου καὶ μὴ ἀκροαταί … ἀκροατὴς λόγου … καὶ οὐ ποιητής. 44 Vgl. die Rede vom Gesetzgeber in 4,12: νομοθέτης καὶ κριτής. 45 Zu meiner Interpretation von 1,18 s.o., Anm. 14, zur Diskussion vgl. ALLISON, James (s. Anm. 2), 288–317. BUHR,
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Entscheidend sind die Begegnungen und Berührungen zwischen beiden. Die erste ist prägend für das ganze Leben, jedenfalls wenn es eine vertiefte ist (1,22–25). Die zweite lässt den Menschen dem Gesetz wie seinem König und Richter gegenübertreten (2,8f.): Wer das Liebesgebot der Tora als Königsgesetz erfüllt, tut gut daran, wer nicht, indem er sich z.B. nach dem Ansehen der Person richtet, wird vom Gesetz als Übertreter überführt und im Gericht verurteilt (2,9f.). Das Gesetz kann nur als Ganzes gehalten oder übertreten werden und führt damit geradezu zwangsläufig in das Gericht. Das ist dann die dritte Begegnung zwischen Mensch und Gesetz (2,12f.). Die Totalität der rechten oder verfehlten Haltung des Menschen gegenüber dem Gesetz zeigt sich am Halten oder Übertreten einzelner seiner Forderungen. Die Forderung, das königliche Gesetz zu erfüllen, wird expliziert und konkretisiert an der Haltung gegenüber den Armen (2,1–7.15–17). Gegenbegriff zum umfassenden Toragehorsam ist die προσωπολημψία (2,1, vgl. 2,9). Dem entspricht, dass sich die Gerichtsankündigung besonders gegen die Reichen richtet, die schon in der Gemeinde die Armen verächtlich behandeln und unterdrücken (2,6; vgl. dann vor allem 5,1–6), aber ebenso gegen diejenigen in der Gemeinde, die sich in Zank und Streit, Hochmut und gegenseitigen Verleumdungen zu Richtern ihrer Nächsten aufspielen, anstatt ‚Gesetzes-Poeten‘ zu sein (4,1–12). Von der Gerechtigkeit Gottes und der Rechtfertigung des Menschen ist im Jakobusbrief im Vergleich zu den zahlreichen Aussagen zum Gesetz insgesamt nur selten die Rede. In 1,20 heißt es, „der Zorn eines Mannes bewirkt nicht Gottes Gerechtigkeit“ (δικαιοσύνην θεοῦ οὐκ ἐργάζεται). Vom Kontext her ist damit im Umkehrschluss die Anerkennung gerechten Tuns durch Gott impliziert, obwohl das so nicht explizit gesagt wird. Jedenfalls kann der Mensch solche Anerkennung nicht von sich aus bewirken, sondern nur als rettendes Wort empfangen (1,21b). In 2,14–26 bestimmt, wie wir gesehen haben, der Leitgedanke den Zusammenhang, dass der Glaube, der von Gott empfangen wurde und von ihm zu erbitten ist, sich im Tun zeigen muss. Abraham und die Hure Rahab werden jetzt als biblische Beispiele dafür eingeführt, dass Glaube ohne Werke brach liegt bzw. tot ist (2,17.20.26) und dass Gott dem gerechten Tun des Menschen, das seinen Glauben sichtbar macht und vollendet, seine Anerkennung nicht versagt.46 In all diesen Aussagen ist Gott der Handelnde, der Mensch der Empfangende, Bittende, von Gott Beschenkte. Die Besonderheit der Aussagen zur Gerechtigkeit Gottes und zur Rechtfertigung des Menschen liegt im Jakobusbrief von daher darin, dass sie zwar das Tun der Glaubenden in den Blick nehmen, aber nicht als Voraussetzung oder gar Bedingung für den Empfang des Heils, sondern als Konsequenz des Glau46 2,21.24.25: ἐδικαιώθη, δικαιοῦται, 2,23: ἐλογίσθη αὐτῷ εἰς δικαιοσύνην, jeweils passivum divinum.
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bens. Werke sind bei Jakobus die Außenseite des Glaubens. Sie legen Zeugnis davon ab, dass der Mensch den Glauben empfangen hat und dass der Glaube in ihm lebendig ist. Das Stichwort „Freiheit“ kommt im Jak nur in der Wendung νόμος … ἐλευθερίας vor (1,25; 2,12).47 Dem Hörer allein, der nicht auch Täter des Wortes ist, wird derjenige entgegengestellt, der in seinem Tun selig gepriesen wird (μακάριος ἐν τῇ ποιήσει αὐτοῦ ἔσται). Voraussetzung dafür war, dass er sich „in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft“ hat und darin „verblieben“ ist (εἰς νόμον τέλειον τὸν τῆς ἐλευθερίας παρακύψας καὶ παραμείνας), natürlich nicht in passiver Regungslosigkeit, sondern als ‚Werk-Tätiger‘ (ποιητὴς ἔργου)! Einem solchem konstatierenden und bewertenden Blick auf das Tun der angeredeten Glaubenden entspricht der Sache nach auch der appellative Ausblick auf ihr Geschick im göttlichen Gericht: Als künftig durch das Gesetz der Freiheit Gerichtete (ὡς διὰ νόμου ἐλευθερίας μέλλοντες κρίνεσθαι) soll ihr Reden und Tun auf Barmherzigkeit mit den sozial Bedürftigen ausgerichtet sein und darin dem Gesetz als ganzem und allen seinen Forderungen entsprechen (2,12f.).48 Gerechtigkeit und Freiheit sind damit im Jakobusbrief den Aussagezusammenhängen um das Gesetz, den Glauben und die Einheit von Hören bzw. Reden und Tun ein- und untergeordnet, werden aber nicht eigenständig profiliert. Aus den oben skizzierten Textzusammenhängen und semantischen Befunden ergibt sich, dass auch die Aussagen zum „Gesetz der Freiheit“ in den Argumentationsrahmen der Leitthese von der Einheit von Reden bzw. Hören und Tun im Glauben unter Bedrängnissen gehören. Mit der zitierten Wendung sind darüber hinaus aber Konnotationen verbunden, die über den textinternen Diskurs hinaus in den Bereich hellenistischrömischer und frühjüdischer Ethik verweisen. Die Nachbarschaft zu weiteren Termini wie δικαιοσύνη, νόμος, βασιλικός, die ebenfalls in den politisch-ethischen Bereich führen, deutet auf einen Anwendungsbereich des Glaubens im Jakobusbrief hin, der sich angesichts der nur spärlichen Belege im Brief und der Kürze des Textes nur unter Berücksichtigung traditionsgeschichtlicher Bezüge genauer erschließen lässt. Wir müssen es hier allerdings bei einem sehr knappen, skizzenhaften Seitenblick darauf bewenden lassen. 47
Vgl. dazu S. VOLLENWEIDER, Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt, FRLANT 147, Göttingen 1989, 184–188; M.A. J ACKSON-MCCABE, Logos and Law in the Letter of James. The Law of Nature, the Law of Moses, and the Law of Freedom, NT.S 100, Leiden 2001, 135–192. 48 Zum Zusammenhang von Vollkommenheitsforderung, Gesetzesgehorsam und eschatologischem Gericht im Jakobusbrief vgl. M. KLEIN, „Ein vollkommenes Werk“. Vollkommenheit, Gesetz und Gericht als theologische Themen des Jakobusbriefes, BWANT 139, Stuttgart 1995.
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3. Traditionen 3.1 Hellenistisch-römische Popularphilosophie Während das Verhältnis zwischen Freiheit und Gesetz(en) in der hellenistisch-römischen Ethik breit diskutiert und diese Diskussion u.a. auch bei hellenistisch-jüdischen Autoren wie Philo und Josephus rezipiert wird,49 fehlt bezeichnenderweise in allen diesen Diskursen das für den Jakobusbrief so bedeutsame Element des Glaubens völlig. Stattdessen ist für die stoische Ethik die Orientierung des Verhaltens am „Naturgesetz“ maßgeblich.50 Besonders eng kann hier das Verhältnis zwischen Freiheit und Gesetz beschrieben werden. So ereignet sich für Epiktet „Eleutheria gerade im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gesetz“.51 „Der stoische Weise teilt in seiner Unmittelbarkeit zum göttlichen Nomos die erhabene Herrschaft des Zeus über die Welt. Seine Freiheit ist wahrhaft königlich.“52 Als Beispiel dafür kann Epiktets Diatribe „Was ist wahre Freiheit“ angeführt werden.53 Für Epiktet gilt: „Frei ist, wer lebt, wie er will. … Wer nun will in Verfehlung leben? – Keiner. … Also lebt kein schlechter Mensch so, wie er will. … Also gibt es (unter den schlechten) auch keinen freien Menschen.“ (Dissertationes 4,1,1–5) Anschließend buchstabiert Epiktet diesen Grundsatz an der ganzen Skala der sozialen Pyramide der römischen Gesellschaft durch, vom Kaiser bis zum Sklaven, und kommt zu dem Ergebnis, dass „weder die sogenannten Könige leben, wie sie wollen, noch die Freunde der Könige“. Kann es dann überhaupt Freie geben, fragt er, und antwortet geradezu biblisch: „Suche und du wirst finden. Denn du hast von der Natur die Anlagen dazu, die Wahrheit zu finden.“ (4,1,51) Streben nach Freiheit hat also mit Suche nach Wahrheit zu tun wie das rechte Wollen mit dem rechten Wissen. Entscheidend für die Freiheit sind nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen oder die sozialen Schichten, sondern „das Wissen, wie man lebt“ (4,1,63). „Wer also das Wissen vom Leben im Ganzen besitzt, was kommt Anderes in Frage, als dass dieser der Herr sein muss?“ Und wer der Herr aller ist, der ist niemandes Sklave und somit wahrhaft frei (4,1,118).
49 Vgl. dazu VOLLENWEIDER, Freiheit (s. Anm. 47), 82–96; NIEBUHR, Nomos (s. Anm. 40), 1025–1031. 50 Vgl. dazu ausführlich J ACKSON-MCCABE, Logos (s. Anm. 47), 29–86. 51 VOLLENWEIDER, Freiheit (s. Anm. 47), 82. 52 VOLLENWEIDER, Freiheit (s. Anm. 47), 83, mit Verweis auf Epiktet, diatr. 3,22,72.95; 3,24,118. 53 Hier und im Folgenden benutze ich die zweisprachige kommentierte Ausgabe von S. VOLLENWEIDER u.a. (Hg.), Epiktet. Was ist wahre Freiheit? Diatribe 4/1, eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 22, Tübingen 2013.
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Als philosophischen Reisebegleiter für einen durchaus gefährlichen Lebensweg in Freiheit – immerhin hat er künftige Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor sich! – empfiehlt Epiktet seinen Schülern keinen geringeren als Gott (4,1,91–98): „‚Kann ich nicht einen Mitreisenden finden, der zuverlässig, treu, stark ist und mir nicht nachstellt?‘ So denkt er (sc. der nach Wegweisung Suchende) nach und überlegt, dass er, wenn er sich an Gott anschließt, sicher durchkommt.“ Wie meinst du das, fragt der fiktive Gesprächspartner, und bekommt zur Antwort: „So, dass er das, was jener will, auch selbst will, und das, was jener nicht will, auch selbst nicht will. Wie geht denn das? – Wie denn anders als so, dass er auf die Willenskundgebungen und die Verwaltung Gottes schaut? Was hat er mir als meinen Zuständigkeitsbereich gegeben, was hat er sich selbst behalten? Die Willensentscheidungen hat er mir gegeben, hat sie mir so zugeordnet, dass sie weder gestört noch gehindert werden können.“ (4,1,97–100) Theologisch begründet kann man demnach die Ethik bei Epiktet durchaus nennen,54 aber von Glauben ist bei ihm keine Rede. Auch Philo55 vertritt die stoische Grundüberzeugung, dass der Weise, der seine Leidenschaften im Zaum hält und dem Gesetz der Natur folgt, indem er sein Verhalten an den Tugenden ausrichtet, wahrhaft frei ist (prob. 45). Allerdings verankert er in seiner Expositio legis56 das jüdische Gesetz nach bib-lischer Vorlage in der Erschaffung der Welt durch Gott und identifiziert damit die jüdische Tora mit dem universal geltenden Naturgesetz.57 Gleich zu Beginn seiner Interpretation des biblischen Schöpfungsberichts stellt er heraus, dass „sowohl die Welt mit dem Gesetz als auch das Gesetz mit der Welt im Einklang steht (ὡς καὶ τοῦ κόσμου τῷ νόμῳ καὶ τοῦ νόμου τῷ κόσμῳ συνᾴδοντος) und dass der gesetzestreue 54 Vgl. dazu S. VOLLENWEIDER, Lebenskunst als Gottesdienst. Epiktets Theologie und ihr Verhältnis zum Neuen Testament, in: ders. u.a. (Hg.), Epiktet (s. Anm. 53), 119–154. 55 Vgl. zu ihm VOLLENWEIDER, Freiheit (s. Anm. 47), 124–133. 56 Bestehend aus den Traktaten opif., Abr., Jos., decal., spec., virt., praem. Vgl. dazu A. REINHARTZ, Philo’s Exposition of the Law and Social History. Methodological Considerations, in: T. Seland (Hg.), Reading Philo. A Handbook to Philo of Alexandria, Grand Rapids 2014, 180–199; M.R. NIEHOFF, Philo’s Exposition in a Roman Context, StPhilo Annual 23 (2011), 1–21. 57 Vgl. dazu M. KONRADT, Tora und Naturgesetz. Interpretatio graeca und universaler Geltungsanspruch der Mosetora bei Philo von Alexandrien, in: ders./R.C. Schwinges (Hg.), Juden in ihrer Umwelt. Akkulturation des Judentums in Antike und Mittelalter, Basel 2009, 87–112; H. NAJMAN, A Written Copy of the Law of Nature: An Unthinkable Paradox?, StPhilo Annual 15 (2003), 54–63; R. W EBER, Das „Gesetz“ bei Philon von Alexandrien und Flavius Josephus. Studien zum Verständnis und zur Funktion der Thora bei den beiden Hauptzeugen des hellenistischen Judentums, Frankfurt a.M. 2001, 78– 114; DERS., Das Gesetz im hellenistischen Judentum. Studien zum Verständnis und zur Funktion der Thora von Demetrios bis Pseudo-Phokylides, Frankfurt a.M. 2000, 410– 449.
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Mann ohne weiteres ein Weltbürger (κοσμοπολίτης) ist, da er seine Handlungsweise nach dem Willen der Natur (πρὸς τὸ βούλημα τῆς φύσεως) regelt, nach dem auch die ganze Welt gelenkt wird.“ (opif. 3)58 In Mose, dem idealen Gesetzgeber, sieht Philo den νόμος ἔμψυχος, die Verkörperung aller Tugenden.59 Ihm schreibt er die Autorität eines Königs, Philosophen, Gesetzgebers, Priesters und Propheten zu.60 Auch die Patriarchen kann Philo als „Ahnen unseres Volkes und gleichsam als Verkörperungen ungeschriebener Gesetze“ bezeichnen, im Unterschied zu den im Pentateuch aufgeschriebenen Geboten, an anderer Stelle auch als „beseelte und vernünftige Gesetze“.61 In seiner allegorischen Auslegung des Namens Josef (= κυρὶου πρόσθεσις [„Zusatz zum Herrn“]) ordnet Philo die eine Verfassung des „Weltstaates“ (μεγαλόπολις … κόσμος), die er mit der universal geltenden Vernunft der Natur (λόγος φύσεως) identifiziert, den verschiedenen Staatsgesetzen kategorial über. Jene gebietet, was von allen Menschen getan oder unterlassen werden muss, diese dagegen sind lediglich wegen der Habgier und des Misstrauens der Völker untereinander als Zusätze zu der einen Naturverfassung ‚hinzugetan‘ worden (Jos. 28–31). Vom Zusammenhang der Expositio legis her ist auch hier klar, dass für Philo mit „der einen Verfassung und dem einen Gesetz“ (29) kein anderes als das Mosegesetz gemeint sein kann, auch wenn der Gedanke von der Einheit des universalen Naturgesetzes der stoischen Philosophie entspricht. Dass letztlich der Gesetzgeber kein anderer als der eine Gott Israels selbst ist, wird also in all diesen Aussagen vorausgesetzt und nie in Frage gestellt.62 Obwohl Philo sein Gesetzesverständnis damit durchaus theologisch begründet, fehlt auch hier jeder Hinweis auf den Glauben als menschliche Haltung gegenüber dem göttlichen Gesetz und seinem Urheber. An seiner Stelle steht bei ihm (wie bei Epiktet!) die Einsicht in die Harmonie zwischen dem göttlichen Gesetz und den durch Vernunft erkennbaren Strukturen des Kosmos und, daraus folgend (nun anders als bei Epiktet), der Gehorsam gegenüber dem in der Tora kodifizierten Willen des Schöpfers. Neben solchen popularphilosophisch-ethischen sind auch die politischen Konnotationen unverkennbar, die bei Philo wie bei Epiktet 58 Wie D.T. RUNIA, On the Creation of the Cosmos According to Moses. Introduction, Translation, and Commentary, Philo of Alexandria Commentary Series 1, Atlanta 2001, 119–123, nachgewiesen hat, folgt Philo in seiner philosophischen Interpretation des biblischen Schöpfungsberichts insgesamt allerdings im Wesentlichen nicht stoischen, sondern platonischen Gedankengängen, was sich insbesondere an der Paraphrase von Argumenten zur Erschaffung der Welt nach Platons Timaios (27C–28B) in opif. 12 zeigt. 59 Mos. 1,162; vgl. 2,8–11. 60 Mos. 2,2–6. 61 Decal. 1: ἀρχηγέτας τοῦ ἡμετέρου ἔθνους καὶ νόμους ἀγράφους. Abr. 5: ἔμψυχοι καὶ λογικοὶ νόμοι (vgl. auch 275f.). 62 Vgl. Mos. 2,48; opif. 61; sacr. 131; spec. 1,279.
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in der Terminologie mitschwingen und die er zur Erfassung des Ursprungs und der Intentionen der Tora verwendet. Ganz ähnliche Gedanken zum Zusammenhang von Gott, Natur und Gesetz entwickelt auch Flavius Josephus im Proömium der Antiquitates (Ant. 1,1–26).63 Der Darstellung der jüdischen „Altertumskunde und Staatsverfassung“ (ἀρχαιολογία καὶ διάταξις τοῦ πολιτεύματος, 1,5) stellt er hier einige grundsätzliche Überlegungen zum Sinn der „Naturgeschichte“ (φυσιολογία, 18) voran: Die Leser sollen ihren Sinn auf Gott richten und darauf achten, „ob unser Gesetzgeber (sc. Mose) dessen Natur würdig betrachtet habe“ (τὴν φύσιν ἀξίως αὐτοῦ κατενόησε, 15), denn wer sein Leben selbst gut führen und andern Gesetze geben wolle, müsse (wie Mose zu Beginn der Genesis) zuerst Gottes Natur betrachten (θεοῦ πρῶτον φύσιν κατανοῆσαι, 19) und dann Gottes Werke für seinen eigenen Lebenswandel zum Vorbild nehmen. Die von Mose gegebenen Gesetze folgen also denen der Natur, die wiederum in ihrer Ordnung der „Natur Gottes“ entspricht. Deshalb haben auch die Menschen ihren Sinn auf Gott und auf die Einrichtung seiner Schöpfung zu lenken, um zu erkennen, dass Gott die Tugend in Reinheit besitze, an der Anteil zu gewinnen sie in ihrem Leben versuchen sollen; „denn alles folgt dem Grundsatz der Harmonie mit der Natur des Universums“ (πάντα γὰρ τῇ τῶν ὅλων φύσει σύμφωνον ἔχει τὴν διάθεσιν, 24).64 Ähnlich wie Philo hat also auch Josephus bei seiner Interpretation des Mosegesetzes Grundgedanken zeitgenössischer stoischer Ethik rezipiert, nach welcher der Grundsatz vom „Leben nach der Natur“ durchaus theologisch begründet werden kann.65 Dieser Gedanke von der Natur als kosmischer Ordnung, die für das menschliche Denken und Verhalten normative Bedeutung hat, entwickelte sich in popularphilosophischen Kontexten aus der Kombination stoischer Ethik und platonischer Metaphysik, die in der Philosophiegeschichtsschreibung unter dem Begriff ‚Mittelplatonismus‘ firmiert.66 Im Unterschied zu dieser philosophischen Tradition stehen aber für Philo und Josephus die „ungeschriebenen Gesetze“ der Natur nicht im Gegensatz zu den geschriebenen Geboten der Tora, sondern bilden mit 63
Vgl. dazu WEBER, „Gesetz“ (s. Anm. 57), 284–293. Zu Mose als Tugendvorbild vgl. auch den Abschluss des Mose-Teils, Ant. 4,331. 65 Zur ἐλευθερία bei Josephus vgl. VOLLENWEIDER, Freiheit (s. Anm. 47), 133–138. 66 Grundlegend für die Etablierung des Begriffs „Mittelplatonismus“ war die Monographie von J. DILLON, The Middle Platonists. A Study of Platonism 80 B.C to A.D. 220, Revised edition with new afterword, London 1996. Wichtigster Vertreter des Mittelplatonismus (abgesehen von Philo) ist Plutarch, vgl. dazu F. FERRARI, Plutarch. Platonismus und Tradition, in: M. Erler/A. Graeser (Hg.), Philosophen des Altertums. Vom Hellenismus bis zur Spätantike. Eine Einführung, Darmstadt 2000, 109–127; H.-J. KLAUCK, Die religiöse Umwelt des Urchristentums 2. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis, Stuttgart 1996, 124–142. 64
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ihnen eine harmonische Einheit. Das Mosegesetz ist sozusagen Abschrift des Naturgesetzes, das wiederum in der Erschaffung der Welt durch Gott angelegt ist. Es lässt sich zugleich ablesen am tugendhaften Leben der Patriarchen Israels. Demgegenüber fehlt aber bei den beiden frühjüdischen Autoren die explizite Verbindung der Einsicht in das der Natur innewohnende Gesetz und des dieser Einsicht folgenden Tugendideals mit dem Gedanken der Freiheit, die für Epiktet so charakteristisch war, obgleich Philo in anderen Zusammenhängen sehr wohl das stoische Freiheitspathos des Weisen teilen kann (vgl. prob. 45–47). Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser popularphilosophischen Tradition im Vergleich zu den Aussagen zu Glaube, Gesetz und Freiheit im Jakobusbrief liegen damit deutlich zutage: Wie für Philo und Josephus so steht auch für den Jakobusbrief die Identität des νόμος mit dem Mosegesetz außer Frage. Ebenso stimmen sie darin überein, dass kein anderer als der Gott Israels Urheber dieses Gesetzes ist, das gleichwohl in seinem Geltungsbereich in keiner Weise eingeschränkt wird. Das göttliche Gesetz wurzelt in der Erschaffung der Welt durch den Gott Israels und ist zugleich Lebensregel und Tugendideal für das Verhalten eines jeden Menschen, das ihm von seiner Erschaffung her sozusagen ‚angeboren‘ ist. Dieser schöpfungstheologische Grundgedanke bildet eine weitere unverkennbare Gemeinsamkeit der Überzeugungen zwischen den beiden jüdisch-hellenistischen Autoren und dem Verfasser des Jakobusbriefes und unterscheidet sie zugleich deutlich von ethischen und metaphysischen Grundüberzeugungen stoischer oder mittelplatonischer Ethik. Während aber Philo und Josephus die schöpfungstheologische Grundlegung ihres jüdischen Toraverständnisses explizit mit dem Gedanken eines einheitlichen, den ganzen Kosmos bestimmenden Naturgesetzes verbinden, fehlt im Jakobusbrief der Verweis auf die Natur in diesem umfassenden philosophischen Sinn völlig.67 Dafür findet sich bei ihm an zentraler Stelle die der stoischen Ethik verwandte Wendung ὁ ἔμφυτος λόγος (1,21),68 die im Rahmen der soteriologischen Grundlegung des Briefes einerseits auf den Ursprung endzeitlicher Heilshoffnung für die Glaubenden verweist (δυνάμενον σῶσαι τὰς ψυχὰς ὑμῶν), andererseits aber zugleich auch auf das Gesetz als Ausdruck des Gotteswillens, dem sie in ihrem gemeindlichen und persönlichen Alltag folgen sollen. Der auffälligste Unterschied zwischen dem Jakobusbrief einerseits und den jüdisch-hellenistischen ebenso wie den paganen philosophischen Quellen andererseits liegt in dem Verweis auf die πίστις, wenn die theologische Basis des Gesetzes und die menschliche Haltung ihm gegenüber zur Spra67
Das Wort φύσις kommt nur in Jak 3,7 vor. Vgl. dazu ALLISON, James (s. Anm. 2), 311–316; J ACKSON-MCCABE, Logos (s. Anm. 47), 135–192. 68
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che gebracht werden soll. Die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen dem Jakobusbrief und zeitgenössischer popularphilosophischer Ethik im Unterschied zu Philo und Josephus zeigt sich demgegenüber in der expliziten Verbindung von Gesetz und Freiheit. Schon dieser differenzierte Befund lässt erkennen, dass eine schematische Unterscheidung zwischen ‚jüdischen‘ und ‚paganen Einflüssen‘ weder dem Jakobusbrief noch den beiden frühjüdischen Autoren gerecht werden kann. Die religionsgeschichtlichen Zusammenhänge sind viel komplexer!69 3.2 Toratraditionen Gleichwohl bleibt die durchgängige Prägung des Jakobusbriefes durch theologische Grundüberzeugungen des Frühjudentums70 und Traditionen aus der frühjüdischen Toraparänese unverkennbar.71 Das zeigt sich schon an den expliziten Zitaten und Verweisen auf die Schrift (2,8.11.23; 4,5), darüber hinaus aber auch an den biblischen Exempla, die in der Mitte und gegen Ende des Briefes geradezu geballt auftreten.72 So wird in dem kleinen Exkurs zum Gegensatz von Glaube und Werken als Beispiel für das rechte Verhältnis zwischen beiden Größen nicht bloß der im Frühjudentum populäre Abraham herangezogen (2,21–24), sondern auch die Hure Rahab (2,25). Diese Dame kann zwar im Rahmen biblischer Überlieferung und
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Dies ist auch gegenüber der ansonsten überaus gründlichen Monographie von J ACKSON-MCCABE, Logos (s. Anm. 47), festzuhalten, die m.E. zu einseitig die stoischen Kontexte des Verständnisses von Gesetz und Freiheit im Jakobusbrief betont und die eigenständige, christologisch und soteriologisch begründete Reflexion des Autors darüber etwas vernachlässigt (vgl. zur Kritik NIEBUHR, Perspective [s. Anm. 1], 1033f.). 70 Eine Verbindung der Wendung ὁ ἔμφυτος λόγος (1,21) zur frühjüdischen Bundestheologie mit Bezug auf Jer 31 sehen J.A. WHITLARK, ἔμφυτος λόγος. A New Covenant Motif in the Letter of James, HBT 32 (2010), 144–165; M.J. KAMELL, Incarnating Jeremiah’s Promised New Covenant in the ‚Law‘ of James: A Short Study, EQ 83 (2011), 19–28. 71 Zur Interpretation der Wendung „vollkommenes Gesetz der Freiheit“ auf dem Hintergrund frühjüdischer Toratraditionen vgl. S. RUZER, James on Faith and Righteousness in the Context of a Broader Jewish Exegetical Discourse, in: G.A. Anderson/R.A. Clements/D. Satran (Hg.), New Approaches to the Study of Biblical Interpretation in Judaism of the Second Temple Period and in Early Christianity, STDJ 106, Leiden 2013, 79–104, 82–96. 72 Vgl. dazu jetzt R.J. FOSTER, The Significance of Exemplars for the Interpretation of the Letter of James, WUNT 2/376, Tübingen 2014. Zur summarischen Rezeption biblischer Gestalten und Geschichtsepisoden im Frühjudentum vgl. K.-W. N IEBUHR, Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte. Überlegungen in Anknüpfung an Herder, in: C. Böttrich (Hg.), Eschatologie und Ethik im frühen Christentum (FS G. Haufe), Frankfurt a.M. 2006, 195–211. Zu Abraham in der Argumentation des Jakobusbriefes vgl. RUZER, James (s. Anm. 71), 96–103.
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Theologie eine durchaus bemerkenswerte Karriere vorweisen73 und dient außer im Jakobusbrief auch dem Verfasser des Hebräerbriefes zum Glaubensmuster, aber außerhalb biblisch-jüdischer Traditionskreise dürfte sie schwerlich ein akzeptables Vorbild abgegeben haben. Das ist ein nicht zu überschätzendes Signal für die implizierten Adressatenkreise des Jakobusbriefes! Im Schlussabschnitt des Briefes werden dann noch mehrere weitere biblische Leitfiguren als Paradigmen für Glaubenshaltungen und für ein Verhalten herangezogen, das der Verfasser seinen Adressaten nahe legen möchte, ohne dass er seine Auswahl an Beispielen eigens begründen oder erläutern müsste. Die Propheten, die im Namen des Herrn gesprochen haben, werden zum Musterbeispiel für Leidensfähigkeit und Geduld,74 womit nach dem argumentativen Zusammenhang des Briefes, der am Ende in Weisungen für das Gemeindeleben kulminiert, nicht weniger als der ausdauernde Glaube gemeint ist, der schon zu Beginn im Blick war.75 Die Ausdauer Hiobs wird zum biblischen Modellfall für die Erwartung der Parusie und den Ausblick auf das „Ende des Herrn“, bei dem sich seine unermessliche Barmherzigkeit erweisen wird.76 Und Elija, „ein leidender Mensch wie wir“, ist Vorbild für jeden unverdrossenen Beter, der dem Himmel und der Erde zutraut, all das zu schenken, was zu erhoffen und zu erwarten dem Menschen dienlich ist (5,17). Auch wenn in diesen Schlusspassagen des Briefes das Stichwort πίστις eher unbetont fällt (5,15), sind doch die hier assoziierten biblischen Erzählüberlieferungen umso eindrucksvollere Musterbeispiele für den Glauben, zu dem der Autor die Adressaten ermahnen und führen will. Auch die Hauptintention des ganzen Briefes, die Einheit von Reden und Tun im Festhalten am Vertrauen auf Gott, den Geber guter Gaben und Urheber des Gesetzes, entspricht erkennbar Tendenzen und Intentionen der 73 Vgl. neben Jos 2; 6 auch Josephus, Ant. 5,5–15.28–30 sowie im Neuen Testament Hebr 11,31; Mt 1,5; rabbinische Belege in Bill. 1, 20–23. Zu Abraham und Rahab in der frühjüdischen und rabbinischen Überlieferung vgl. M.R. N IEHOFF, The Implied Audience of the Letter of James, in: Anderson/Clements/Satran (Hg.), New Approaches (s. Anm. 71), 57–77, 61–69. 74 5,10: ὑπόδειγμα … τῆς κακοπαθείας καὶ τῆς μακροθυμίας. Dahinter dürften frühjüdische Traditionen stehen, die in den Vitae Prophetarum gesammelt überliefert worden sind und auch in Hebr 11,32–38 rezipiert werden; vgl. dazu A.M. SCHWEMER, Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden. Vitae Prophetarum. Band 1: Die Viten der großen Proheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel. Einleitung, Übersetzung und Kommentar, TSAJ 49, Tübingen, 1995, 79–82. 75 Vgl. 1,2–4; zum Zusammenhang s.o., 474. 76 5,11: πολύσπλαγχνός ἐστιν ὁ κύριος καὶ οἰκτίρμων. Zum Zusammenhang des Jakobusbriefes mit frühjüdischen Endzeitüberlieferungen vgl. PENNER, Eschatology (s. Anm. 1), 214–241; NIEBUHR, Diasporabriefe (s. Anm. 5), 437–440.
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frühjüdischen Toraparänese.77 Die Forderung der Einheit von Wort und Tat ist ein Topos, den z.B. Josephus unmittelbar aus der mosaischen Gesetzgebung herleiten kann. Im zweiten Buch Contra Apionem78 streicht er die besonderen Qualitäten der jüdischen „Theokratia“ gegenüber den Gesetzgebungen anderer Völker heraus. So habe Mose „da er eine Handlungsweise empfiehlt übereinstimmend mit den Gesetzen (τὰ ἔργα παρέχων τοῖς νόμοις79 σύμφωνα), … nicht nur seine eigene Generation überzeugt, sondern … auch denen, die jeweils von ihnen abstammen würden, diejenige Überzeugung von Gott eingepflanzt, die unerschütterlich ist (τὴν περὶ τοῦ θεοῦ πίστιν ἐνέφυσεν ἀμετακίνητον). … Denn all unsere Taten, unsere Beschäftigungen und all unsere Worte haben zu unserer Frömmigkeit gegen Gott ihren Bezug“.80 Während Spartaner und Kreter die Erziehung durch praktische Einübung von Sitten, nicht durch Worte, pflegten, die Athener und alle übrigen Griechen dagegen geschriebene Gesetze bevorzugten, dabei aber die Praxis vernachlässigten, habe Mose „beides mit großer Sorgfalt zusammengefügt: denn weder ließ er die Einübung in die Gebräuche wortlos hingehen noch die Unterrichtung aus dem Gesetz tatenlos bleiben“.81 Auch für Philo stimmen Taten und Worte, Leben und Reden bei Mose in idealer Harmonie überein (Mos. 1,29), und dasselbe kann er für den vorbildlichen indischen Philosophen Kalanos behaupten (prob. 96). Ideale Übereinstimmung von Wort und Tat behauptet auch das 4. Makkabäerbuch für den greisen Priester Eleazar, der für seine Treue zur Tora das Martyrium erlitten hat. Er wird als personifizierter „Gleichklang des Gesetzes mit der göttlichen Philosophie“ gepriesen (σύμφωνος νόμου καὶ φιλόσοφος 77
Vgl. dazu NIEBUHR, Ethik (s. Anm. 8), 336–341; DERS., Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: B. Ego/A. Lange/P. Pilhofer (Hg.), Gemeinde ohne Tempel / Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460, 452–455. 78 Text und Übersetzung nach F. Siegert (Hg.), Flavius Josephus. Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem), 2 Bände, Göttingen 2008; vgl. auch C. GERBER, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 90, Leiden 1997. 79 Eine Konjektur (v.l. λόγοις), für die sich Siegert ausspricht und die auch Gerber voraussetzt. 80 Apion. 2,169–171. Beachte hier πίστις im Sinne von „Gottesverständnis“! 81 Apion. 2,173: οὔτε γὰρ κωφὴν ἀπέλιπε τὴν τῶν ἠθῶν ἄσκησιν οὔτε τὸν ἐκ τοῦ νόμου λόγον ἄπρακτον. Vgl. zum Topos bei Josephus C. SCHÄUBLIN, Josephus und die Griechen, Hermes 110 (1982), 316–341, 334f. mit Anm. 123. S.a. K.-W. NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: M. Konradt/U. Steinert (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistischrömischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50, 42–44.
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θείου βίου), denn er hat „durch geduldiges Ausharren unsere Gesetzestreue aufs glänzendste bestätigt“ (τὴν εὐνομίαν ἡμῶν διὰ τῶν ὑπομονῶν εἰς δόξαν ἐκύρωσας), indem er „durch Taten den Worten über (s)eine göttliche Philosophie Glaubwürdigkeit verliehen“ hat.82 Schließlich sei noch auf den Topos der ἐπιθυμία verwiesen, der in der frühjüdischen Ethik eine ebenso bedeutsame Rolle spielt wie in der hellenistisch-römischen Popularphilosophie.83 Nach stoischer Ethik gehört die ἐπιθυμία zu den Affekten (πάθη), die im Interesse eines tugendhaften Lebens auszurotten sind. Im Unterschied zu solcher prinzipiellen Ablehnung aller Affekte verfolgt die primär ethisch ausgerichtete Popularphilosophie unter Verknüpfung platonischer, stoischer und kynischer Elemente das Anliegen, durch Vernunft (λόγος) und Besonnenheit (σωφροσύνη) die Affekte zu dämpfen und zu beherrschen. Die frühjüdische paränetisch ausgerichtete Literatur rezipiert diese Auffassung und ordnet die ἐπιθυμία in ihr an der Tora orientiertes Wertesystem ein.84 Als πάθος unterliegt die ἐπιθυμία auch hier der negativen Bewertung der Affekte und kann, etwa im 4. Makkabäerbuch, ähnlich wie in der paganen Popularphilosophie, den vier „Kardinaltugenden“ gegenübergestellt werden.85 Der λόγος, der zu ihrer Unterwerfung oder wenigstens zur Eindämmung ihrer negativen Auswirkungen dient, ist hier dann der εὐσεβὴς λογισμός, die an der Tora geschulte und auf Gott ausgerichtete „fromme Urteilskraft“.86 Philo kann solche Beherrschung der Leidenschaften mit dem (typisch stoischen) Gedanken der wahren Freiheit des Weisen verbinden, der mit Hilfe seiner Vernunft, in der sich nach Philo ja bekanntlich Naturgesetze und Mosegesetz in Harmonie miteinander befinden, die Leidenschaften beherrscht: „Diejenigen, bei denen Zorn oder Begierde oder sonst ein Affekt oder auch eine hinterhältige Schlechtigkeit regiert, sind gänzlich Sklaven, während die, welche ein Leben in Übereinstimmung mit dem Gesetz führen (μετὰ νόμου ζῶσιν), frei sind. Das untrügliche Gesetz aber ist die aufrechte Vernunft (ὁ ὀρθὸς λόγος). Es ist nicht von einem beliebigen Sterblichen aufgeschrieben und so selbst sterblich …, sondern es wurde von der unsterblichen Natur als unsterbliches der unsterblichen Vernunft 82 4Makk 7,7–9 (Übers. nach H.-J. KLAUCK, 4. Makkabäerbuch, JSHRZ 3/6, Gütersloh 1989). Vgl. NIEBUHR, Ethos (s. Anm. 81), 44. 83 Vgl. dazu knapp H. SCHÖNWEISS/K.-W. NIEBUHR, Art. begehren, TBLNT 1 (1997), 126–136. 84 Vgl. NIEBUHR, Gesetz (s. Anm. 30), Griechisches Wortregister s.v. ἐπιθυμία. 85 So z.B. in 4Makk 1,2–6; vgl. 1,18f.; 5,22–24. Vgl. dazu H.-J. KLAUCK, Hellenistische Rhetorik im Diasporajudentum. Das Exordium des vierten Makkabäerbuchs (4 Makk 1,1–12), in: DERS., Alte Welt und neuer Glaube. Beiträge zur Religionsgeschichte, Forschungsgeschichte und Theologie des Neuen Testaments, NTOA 29, Freiburg (CH)/Göttingen 1994, 99–113. 86 4Makk 1,3 u.ö.
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eingeprägt (ὑπ’ ἀθανάτου φύσεως ἄφθαρτος ἐν ἀθανάτῳ διανοίᾳ τυπωθείς).“87 Im Rahmen frühjüdischer Toraparänese gehört die Begierde zu den klassischen Topoi. An ihr kann die Gefährdung des Menschen durch verfehltes Tun besonders plastisch illustriert werden. So wird das Verbot des Begehrens aus dem Dekalog (Ex 20,17; Dtn 5,21) in der frühjüdischen Literatur – unter Kürzung oder Streichung der Objekte des Begehrens – zum umfassenden Ausdruck für sämtliche Verbote verfehlten Verhaltens durch die Tora.88 Im Jakobusbrief wird die Begierde als geradezu personifizierte Macht profiliert, die im Menschen wirkt, ihn verführt und ihm letztlich den Tod einbringt (1,14f.).89 Auch die Betrachtung frühjüdischer Toratraditionen, die mit den im Jakobusbrief zur Sprache kommenden Zusammenhängen zwischen Glauben und Tun in Verbindung stehen, führt uns also in ein breit gefächertes, in seinen textlichen Ausprägungen überaus farbiges Milieu antiker philosophisch-ethischer Überlieferungen, das nicht nach klaren Grenzen zwischen ‚jüdischen‘, ‚paganen‘ oder gar ‚christlichen‘ Gebieten kartographiert werden kann. Erneut erweist sich der markante Gebrauch des Stichworts „Glauben“ bei Jakobus in solchen Zusammenhängen als durchaus spezifisch, während die Bezüge zum νόμος ebenso wie zum λόγος ihn mit frühjüdischen ebenso wie mit hellenistisch-römischen popularphilosophischen Überlieferungen verbinden. Von daher stellt sich abschließend die Frage, ob die Rede vom Glauben im Jakobusbrief auf traditionsgeschichtliche Verbindungen zurückzuführen ist, die in besonderer Weise mit der frühchristlichen Traditionsentwicklung in Verbindung stehen. 3.3 Frühchristliche Traditionen Nicht nur im Rahmen des vorliegenden Sammelbandes, sondern auch angesichts einer Auslegungsgeschichte des Jakobusbriefes, die bereits mit Augustinus einsetzt und durch Luther ihre spezifisch konfrontative Zuspitzung erlangt hat, verdienen die Bezüge zu Paulus besondere Aufmerksamkeit. Allerdings kann hier kein Vergleich der Aussagen zum Glauben bei Paulus und im Jakobusbrief durchgeführt werden, und ebenso wenig soll die viel diskutierte Frage nach einer möglichen traditionsgeschichtlichen oder gar literarischen Abhängigkeit zwischen beiden erneut aufge-
87
prob. 45f. Vgl. VOLLENWEIDER, Freiheit (s. Anm. 47), 124f., sowie o. 488–491. 4Makk 2,4–6; Philo, decal. 51.142.150.173; spec. 4,84; her. 173; vgl. VitAd 19; ApkAbr 24,8; PsSal 14,7. 89 Zu den anthropologischen Implikationen im Kontext hellenistisch-römischer Popularphilosophie und frühjüdischer Weisheitsüberlieferung N IEBUHR, Jakobus und Paulus (s. Anm. 14), 13–22, sowie DERS., Ethik (s. Anm. 8), 332–341. 88
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griffen werden.90 Der Aufgabenstellung des vorliegenden Beitrags entsprechend beschränke ich mich ganz darauf, vom Jakobusbrief her mögliche Überschneidungsgebiete mit der paulinischen Tradition zu benennen, in die seine Aussagen zum Glauben führen.91 Dabei hat an erster Stelle die dezidiert christologische Definition zu stehen, die Jakobus dem Glauben im Präskript wie in der Argumentation seines Briefes gibt.92 Wenn auch nicht wörtlich, so entspricht die Formulierung in 2,1 doch in der Sache dem, was Paulus mit der viel diskutierten Wendung πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ meint (vgl. Gal 2,16; Röm 3,22), ganz unabhängig davon, wie man die vieldeutigen Genitivverbindungen im einzelnen interpretiert. Entscheidend ist, dass für beide Autoren eine solche signifikante Kurzformel, geradezu ein Kürzel, ausreicht, ihren Adressaten gegenüber unmissverständlich klar zu machen, worin sie den Glauben, der einzig zählt, der Sache nach begründet sehen. Gerade der Blick in ethisch-theologische Aussagezusammenhänge der zeitgenössischen popularphilosophischen und frühjüdischen Literatur macht die theologische Verwandtschaft von Jakobus und Paulus miteinander und ihre Differenz zu jenen unübersehbar. Freilich braucht man dazu keinerlei traditionsgeschichtliche oder literarische Abhängigkeiten zwischen beiden frühchristlichen Briefautoren anzunehmen. Die Verwandtschaft liegt schlicht darin begründet, dass beide in prominenter Rolle zur nachösterlichen JesusBewegung zählten.93
90 Die Forschungsmeinungen zu dieser viel diskutierten Frage sind weiterhin geteilt, vgl. nur exemplarisch auf der eine Seite KONRADT, Existenz (s. Anm. 11), 241–246; B AUCKHAM, James (s. Anm. 2), 113–140; L.T. J OHNSON, James’s Significance for Early Christian History, in: DERS., Brother of Jesus, Friend of God. Studies in the Letter of James, Grand Rapids 2004, 1–23, 10–17, auf der anderen AVEMARIE, Werke des Gesetzes (s. Anm. 2); M.M. MITCHELL, The Letter of James as a Document of Paulinism?, in: R.L. Webb/J.S. Kloppenborg (Hg.), Reading James with New Eyes. Methodological Reassessments of the Letter of James, JSNT.S 342, London 2007, 75–98. Zuletzt plädierten J. HEATH, The Righteous Gentile Interjects (James 2:18–19 and Romans 2:14–15), NT 55 (2013), 272–295, und NIEHOFF, Audience (s. Anm. 73), 64–75, für eine literarische Bezugnahme auf die paulinischen Argumentationen, während RUZER, James (s. Anm. 71), sich tendenziell dagegen aussprach. 91 Zu möglichen traditionsgeschichtlichen Bezügen zum 1. Petrusbrief vgl. KONRADT, Jakobusbrief (s. Anm. 24), 19–30. 92 Vgl. dazu den Exkurs „Die Christologie des Jakobus“ bei FRANKEMÖLLE, Jakobus (s. Anm. 2), 376–387. 93 Im Übrigen sind biographische Berührungen zwischen Paulus und Jakobus unbestreitbar (vgl. nur Gal 1,19; 2,1–10; Apg 15; 21,18), während eine gegenseitige Kenntnis der Briefe bzw. der darin entwickelten theologischen Positionen weder aus biographischen noch chronologischen Gründen zwingend anzunehmen ist.
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Auch der häufige absolute Gebrauch von πίστις verbindet den Jakobusbrief mit Paulus94 und unterstreicht den allein schon durch die Häufigkeit der Belege erweckten Eindruck einer theologischen Verwandtschaft. Wenn sich nun bei beiden prominenten frühchristlichen Briefschreibern (und nur bei ihnen) auch noch die prägnante Gegenüberstellung von πίστις und ἔργα wiederfindet95 und im unmittelbaren Zusammenhang damit auf Abrahams Rechtfertigung, noch dazu unter Verweis auf dieselbe Stelle der Schrift (Gen 15,6), verwiesen wird,96 dann scheint eine mehr als nur ‚geistige Verwandtschaft‘ beider unausweichlich. Doch Vorsicht! Wie wir gesehen haben, hat die Gegenüberstellung von πίστις und ἔργα in der Argumentation des Jakobusbriefes eine ganz spezielle, der Hauptintention des Briefes untergeordnete Funktion. Sie soll in einer Art Digression den Gedanken der Einheit von Wort und Tat im Glauben unter Bewährung vertiefen. Zu diesem Thema finden sich vergleichbare Gedanken bei Paulus, wenn überhaupt, dann in ganz anderen Textzusammenhängen, nämlich im Rahmen seiner brieflichen Paränesen,97 aber nicht dort, wo er vom Gegensatz zwischen Glaube und „Werken des Gesetzes“ spricht (diese Wendung kommt bekanntlich bei Jakobus überhaupt nicht vor). Hinzu kommt, dass Paulus seine charakteristische Argumentation zur Rechtfertigung aus Glauben ohne „Werke des Gesetzes“ für uns erkennbar erst im Zuge seiner Auseinandersetzungen im so genannten galatischen Konflikt entwickelt hat, wo die Beschneidung erwachsener nichtjüdischer Gemeindeglieder zur Debatte stand.98 Im Jakobusbrief lassen sich nicht die geringsten Spuren einer auch nur annähernd vergleichbaren Konfliktkonstellation ausmachen, wie ja überhaupt jeglicher Hinweis auf Nichtjuden im Brief völlig fehlt. Man würde wohl die Schriftkenntnis des Autors des Jakobusbriefes und seine exegetischtheologische Kreativität weit unterschätzen, wollte man ihm nicht zutrauen, von selbst auf Abraham gekommen zu sein, wo es ihm darum ging, die Einheit von Wort und Tat im Sinne der von Gott geforderten Gerechtigkeit biblisch zu begründen, zumal dies der üblichen Rezeption der
94
Jak 1,3.6; 2,5.14–26; vgl. Röm 1,18; 3,27 u.ö. Jak 2,14–26; vgl. Gal 2,16–21; Röm 3,20.28. 96 Jak 2,21–24; vgl. Gal 3,6–9; Röm 4,1–12. 97 Gal 5,13–26; Röm 13,8–14. Vgl. KAMELL, Life (s. Anm. 12), 354: „Examining how Paul and James describe the faithful life may move us forward in developing a biblical theology of sanctification that is thoroughly integrated with soteriology in both epistles.“ 98 Vgl. meine Sicht der Dinge dazu in K.-W. NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, in: T. Söding (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg 1999, 106–130. 95
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Abrahamgestalt im Frühjudentum entsprach.99 Dass er es versteht, biblische Exempla für seine Argumentationsziele fruchtbar zu machen, hat er mit Blick auf Hiob, Elija und die Propheten ausreichend bewiesen, nicht zu vergessen die Hure Rahab! Schließlich hat unser Seitenblick auf popularphilosophische Traditionen, in denen Gesetz und Freiheit miteinander verbunden werden, Verbindendes und Unterscheidendes zwischen dem Jakobusbrief, hellenistischrömischen und frühjüdischen Texten zutage gefördert, was auch für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Jakobus und Paulus aussagekräftig ist. So kann Jakobus wie die stoische Ethik, Gesetz und Freiheit miteinander verbinden, wenn es darum geht, ethische Argumentationen theologisch zu begründen. Dasselbe gilt für Paulus ebenso wie für frühjüdische Autoren in ihrer jeweiligen Rezeption popularphilosophischer Ethik.100 Freilich werden die dabei im Einzelnen entwickelten Gedankengänge bei den verschiedenen Autoren jeweils ganz unterschiedlich aus-gearbeitet und lassen sich keineswegs auf eine in sich kohärente traditionsgeschichtliche Linie bringen. Das zeigt sich auch an den immer nur partiell übereinstimmenden Wortfeldern. So spielt zwar sowohl bei Paulus als auch im Jakobusbrief der Glaube im Rahmen ihrer Aussagezusammenhänge eine wichtige Rolle, im Unterschied zu allen übrigen hier herangezogenen Belegtexten, freilich bei den beiden frühchristlichen Briefautoren entsprechend ihrer briefichen Intentionen eine je ganz verschiedene! Demgegenüber kann etwa Epiktet seine ethischen Positionen durchaus theologisch untermauern, braucht dazu aber nicht vom Glauben zu reden. Und dasselbe gilt für die jüdisch-hellenistischen Autoren, ob-wohl sie in ihrer theologischen Grundorientierung auf den einen Gott Israels mit Paulus und dem Autor des Jakobusbriefes übereinstimmen.
4. Zusammenfassende Interpretation Die Aussagen zum Glauben im Jakobusbrief verdienen es, als eigenständige, theologisch reflektierte und gezielt ausformulierte Zeugnisse der neutestamentlichen Traditionsbildung wahrgenommen zu werden. Damit nicht genug: Es ist auch möglich, sie zu einer Konzeption von Glauben zusammenzuführen, die ihren Platz neben anderen im frühesten Christentum
99
Vgl. dazu auch die sorgfältig abwägende Diskussion bei RUZER, James (s. Anm. 71), 85f.94f.96–101, der die Zusammenhänge mit zeitgenössischen frühjüdischen Toratraditonen herausstellt und gegenüber einer direkten Beziehung zu Paulus oder der paulinischen Tradition skeptisch bleibt. 100 Zu Paulus vgl. umfassend VOLLENWEIDER, Freiheit (s. Anm. 47), 199–396.
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behaupten kann. Die Konturen dieses Glaubensverständnisses im Jakobusbrief sollen abschließend kurz zusammengefasst werden. Glaube im Jakobusbrief ist explizit auf Gott und den Herrn Jesus Christus ausgerichtet (1,1; 2,1). Die darin verankerte theologisch-christologische Spannung im Gottesverständnis, die sich weder ‚ditheistisch‘ noch ‚subordinatianistisch‘ auflösen lässt, ist Markenzeichen frühchristlicher Traditionsbildung insgesamt und muss als theologisches Vorzeichen für den gesamten Brief verstanden werden. Glaube im Jakobusbrief ist dezidiert ‚christlich‘ definiert. Glaube im Jakobusbrief ist unlösbar mit Aussagen zum Hören und Tun des Gerechten verbunden. Solcher ‚werk-tätiger‘ Glaube wird schon in der Brieferöffnung in die Mitte aller paränetischen Ermahnungen gestellt (1,2– 4) und bestimmt die Hauptintention des gesamten Briefes, die Ermahnung zur Einheit von Hören bzw. Reden und Tun im Glauben unter Druck. Auch die Ausführungen zum Verhältnis von Glaube und Werken (2,14–26) sind dieser Intention eingeordnet und entfalten einen ihrer Aspekte vertieft anhand konkreter sozialer Herausforderungen und mit Hilfe biblischer Exempla. Glaube im Zusammenhang von Hören und Tun wird im Jakobusbrief in den Zusammenhang von Gottes Reden und Tun gerückt, d.h., in den Zusammenhang frühjüdischen Toraverständnisses. Hierin gründet die explizite Bezugnahme auf die Tora und ihre Gebote, die eine zentrale Funktion für die theologische Argumentation des Briefes hat. Hören und Tun der Briefadressaten werden zugleich ausgerichtet auf das „Wort der Wahrheit“, das das Potential eschatologischer Rettung in sich birgt (1,18). Eine dissoziierende Interpretation dieser Wendung entweder auf das (frühere) Reden Gottes in der Tora oder sein (gegenwärtig-endzeitliches) Offenbarungswort in Jesus Christus verkennt die theologisch-christologische Grundorientierung des Briefes. Gottes Reden und Tun in der Tora und im Christusgeschehen, in ‚Gesetz und Evangelium‘, bildet die Basis für alles Reden und Tun der Glaubenden. Die religions- und philosophiegeschichtlichen Bezüge, in denen die Aussagen zum Glauben im Jakobusbrief stehen, erfordern in keinem Fall die Annahme traditionsgeschichtlicher oder literarischer Abhängigkeiten, weder zur hellenistisch-römischen Popularphilosophie noch zur hellenistisch-jüdischen Literatur noch auch zu Paulus oder der paulinischen Tradition. Die charakteristische Zentralstellung des Glaubens verbindet den Jakobusbrief am engsten mit Paulus und unterscheidet ihn zugleich von allen jüdischen und paganen popularphilosophischen Quellen. Das muss nicht mit unmittelbarer oder indirekt vermittelter gegenseitiger Beeinflussung erklärt werden.
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Die theologische Basisaussage des Jakobusbriefes besteht in der Metapher von Gott als dem „Vater der Lichter“ und Geber guter Gaben (1,17f.). In ihr ist die theologische Grundanschauung verankert, dass alles gerechte Tun des Menschen in dem vorangehenden Handeln Gottes wurzelt. Auf dieser theologischen Grundlage kann der Autor des Jakobusbriefes das Empfangen des Glaubens und das Tun des Gerechten, also Glaube und Werke, in eins sehen und muss sich gegen die Entgegensetzung von beiden verwahren. Die Werke werden zur sichtbaren Seite des Glaubens.
Glauben und Denken im Hebräerbrief und bei Paulus Zwei frühchristliche Perspektiven auf die Rationalität des Glaubens BENJAMIN SCHLIESSER Was Erich Gräßer im Jahr 1990 noch als aktuellen Trend verzeichnen konnte, ist ein Vierteljahrhundert später längst common sense: „In der Gegenwart mehren sich jedoch die Stimmen derer, die im Hebräerbriefautor den ‚dritten großen Theologen des Neuen Testaments‘ (neben Paulus und Johannes) erblicken und sein Werk zu den ‚wichtigen Dokumente[n] ntl. Theologie aus der nachpaulinischen Zeit der westlichen Kirche‘ zählen.“1 Mit Recht werden die Entwürfe der drei neutestamentlichen Autoren gelegentlich als „Theologien des Glaubens“2 bezeichnet; in ihnen dokumentiert sich eine „Neubestimmung des Glaubens“,3 entwickelt im Rückgriff auf den Sprachgebrauch und die Denktraditionen des hellenistischen Judentums und der griechisch-römischen Welt.4 Eine solchermaßen analoge Charakterisierung lädt zu einer Gegenüberstellung ihrer Glaubensverständnisse ein.
1
E. GRÄSSER, An die Hebräer, Band 1: Hebr 1–6, EKK 17/1, Zürich/NeukirchenVluyn 1990, 38, mit einem Zitat von Leonhard Goppelt. 2 Vgl. z.B. zu Paulus: E. FUCHS, Die Sprache im Neuen Testament (1959), in: ders., Zur Frage nach dem historischen Jesus, Gesammelte Aufsätze 2, Tübingen 1960, 258– 279, 271–274; zum Hebräerbrief: O. KUSS, Der theologische Grundgedanke des Hebräerbriefes (1956), in: ders., Auslegung und Verkündigung 1, Regensburg 1963, 281–328, 311; C. SPICQ, Art. Paul 5. Hébreux (Épître aux), DBS 7 (1961), 226–279, 227; E. GRÄSSER , Der Hebräerbrief 1938–1963 (1964), in: ders., Aufbruch und Verheißung. Gesammelte Aufsätze zum Hebräerbrief (hg. von M. Evang und O. Merk), BZNW 65, Berlin 1992, 1–99, 90; D. W IDER, Theozentrik und Bekenntnis. Untersuchungen zur Theologie des Redens Gottes im Hebräerbrief, BZNW 87, Berlin 1997, 2; H.-F. WEISS, Der Brief an die Hebräer, KEK 15, Göttingen 1991, 566; zu Johannes: F. SIEGERT, Das Evangelium des Johannes in seiner ursprünglichen Gestalt. Wiederherstellung und Kommentar, Göttingen 2008, 613. Vgl. auch den Aufsatz von Nadine Ueberschaer im vorliegenden Band. 3 D. LÜHRMANN, Glaube im frühen Christentum, Gütersloh 1976, 77. 4 Vgl. U. SCHNELLE, Das frühe Christentum und die Bildung, NTS 61 (2015), 113– 143, 128.
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Besonders reizvoll scheint mir ein Vergleich zwischen dem Hebräerbrief und den paulinischen Briefen, allen voran dem Römerbrief. Hat doch Paulus die „πίστις in den Mittelpunkt der Theologie gestellt“5 und der Hebräerbrief sie zu seiner „Master-Idea“ ausgestaltet.6 Beide stehen in einem verwandten Traditionsstrom, beide entwickeln ihre Glaubenstheologie für je spezifische Gemeindesituationen, und beide bieten einen einzigartigen, kohärenten Entwurf. Während Paulus allerdings kaum ernsthaft der Ruf streitig gemacht wurde, der maßgebliche Theologe der frühen Christenheit zu sein,7 musste der Verfasser des Hebräerbriefes immer wieder darum kämpfen, als eigenständiger theologischer Kopf anerkannt zu werden.8 Angesichts der Eigenart der beiden Entwürfe ist besonders interessant, dass die in Rom zu lokalisierende Hebräerbriefgemeinde und die römische „Paulus-Schule“ wohl „konkrete soziale und theologische Beziehungen“ unterhielten und dass es so zu einer Verschränkung ihrer Traditionslinien in einem „umfassende[n] Kommunikations- und Integrationsprozess“ kam.9 Ein Vergleich ist auch deshalb von Interesse, weil bis in die neuere Forschung teils abgegriffene und überholte Gemeinplätze zur Beschreibung der jeweiligen Glaubensauffassungen wiederholt werden. Das reformatorisch zugespitzte paulinische Glaubensverständnis wird im Sinne einer christologisch ausgelegten fides iustificans zur Norm erhoben, demgegenüber der als vorchristlich, nicht spezifisch christlich, unsoteriologisch, unchristologisch, ethisch oder rationalistisch apostrophierte Glaube des Hebräerbriefes im Grunde nur abfallen kann. Freilich wird (v.a. in apologetischer Absicht) auch die gegensätzliche Position vertreten, die das Glaubensverständnis des Hebräerbriefs möglichst nah an das paulinische heranrückt und die Differenzen herunterspielt.
Die vorliegende Gegenüberstellung zielt nicht darauf, den Abstand zwischen dem Verständnis des Glaubens im Hebräerbrief und der paulinischen 5
218.
R. B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ. A, C, D, ThWNT 6 (1959), 174–182.197–230,
6 P.P. SAYDON, The Master-Idea of the Epistle to the Hebrews, Melita Theologica 13 (1961), 19–26. 7 So programmatisch J. BECKER, Paulus – der maßgebliche Theologe am Anfang des Christentums, in: R. Preul (Hg.), Glücksfälle der Christentumsgeschichte. Ringvorlesung der Emeriti, Kieler theologische Reihe 9, Münster 2008, 25–56. 8 Vgl. GRÄSSER, Hebräer I (s. Anm. 1), VII. 9 K. B ACKHAUS, Der Hebräerbrief und die Paulus-Schule (1993), in: ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 21–48, 42. Nicht plausibel scheint mir die These von Clare ROTHSCHILD (Hebrews as Pseudepigraphon. The History and Significance of the Pauline Attribution of Hebrews, WUNT 235, Tübingen 2009, 153), dass der Hebräerbrief als paulinisches Pseudepigraph konzipiert wurde, um jüdischen Leserinnen und Lesern ein Testament des Paulus zu bieten im Sinne eines „tool for understanding the [Pauline] corpus, in particular, Romans“. Vgl. auch W. MANSON, The Epistle to the Hebrews. An Historical and Theological Reconsideration, London 21953.
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πίστις zu vermessen, sondern will vielmehr verschiedene Ausprägungen ihrer Glaubensauffassung sichtbar werden lassen. Ein Vergleich ist dann ertragreich, wenn innerhalb eines übergeordneten Bezugsrahmens – der „Glaubenstheologie“ zweier großer frühchristlicher Theologen – ein tertium comparationis benannt wird, das „analytisch einschlägig“ ist, um „verschiedene Gegenstände miteinander in Beziehung setzen zu können.“10 Der hier gewählte Fokus der Gegenüberstellung verdankt sich einer in der Forschung häufig notierten Besonderheit der πίστις-Struktur des Hebräerbriefs: ihrem Erkenntnismoment. Dass der auctor ad Hebraeos den Glauben „auch als denkerisches Drama für faszinierend hält“,11 ist eine hervorstechende Eigenheit seiner Schrift; sie gründet auf seinem grundlegenden „Optimismus, … Intellektualität zur Bewältigung einer kirchlichen Lebenskrise“ einsetzen zu können.12 Ein Vergleich mit Paulus unter dem Aspekt der rationalen Dimension des Glaubens ist vielversprechend, nicht zuletzt weil der mit Glaubensterminologie durchtränkte Brief an die Römer ebenfalls als „Versuch einer denkerischen Bewältigung“ einer Krisensituation gelesen werden kann, die freilich ganz anders gelagert ist.13 Dass sich auch durchaus andere Vergleichspunkte angeboten hätten, um die Neuauslegung des Glaubens bei beiden Autoren zu profilieren, belegt ein Gang durch die Forschung der vergangenen zwei Jahrhunderte.
1. Der Hebräerbrief und Paulus zum „Glauben“: Etappen der Auslegungsgeschichte 1.1 Der Hebräerbrief als Paulusbrief H.E.G. Paulus Einer der letzten kritischen Forscher, die sich mit Verve dagegen stemmten, den Hebräerbrief dem Paulus abzusprechen, war Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, der große Heidelberger Gelehrte und Dogmatiker des so10 V. KRECH, Wie lassen sich religiöse Sachverhalte miteinander vergleichen?, in: A. Mauz/H. von Sass (Hg.), Hermeneutik des Vergleichs. Strukturen, Anwendungen und Grenzen komparativer Verfahren, Interpretation interdisziplinär 8, Würzburg 2011, 149– 176, 151. 11 K. B ACKHAUS, Der Hebräerbrief, RNT, Regensburg 2009, 17. 12 K. B ACKHAUS, Der Hebräerbrief: Potential und Profil, in: ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 1–19, 6. 13 U. SCHNELLE, Paulus: Leben und Denken, Berlin 22014, 323; vgl. a.a.O., 324: „Wie in keinem anderen Brief tritt uns Paulus im Römerbrief als theologischer Denker entgegen, der in einem intensiven argumentativen Ringen versucht, jene Probleme einer Lösung zuzuführen, die sein Lebenswerk und die Einheit der ἐκκλησία bedrohten.“
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genannten Rationalismus vulgaris. In seinem 1833 veröffentlichten Hebräerbriefkommentar zeigt er sich seiner Sonderstellung wohl bewusst: „Dem Zug, welchen die Gleichzeitigen genommen haben, nicht zu folgen, ist immer etwas Unangenehmes und Gewagtes.“14 H.E.G. Paulus war der Auffassung, dass sich im Christentum eine „Gesellschaft der überzeugungstreu Gutwollenden“ konstituiert, die sich dem Programm einer „progressiven Ethisierung der Menschheit“ verschreibt.15 Damit korrespondiert ein ethischer Glaubensbegriff, der ihm aus den paulinischen Briefen entgegentritt. Der Rationalist Paulus kann als einer der ersten kritischen Exegeten gelten, der die enigmatische Genitivverbindung πίστις Χριστοῦ im Sinne eines genitivus subjectivus interpretiert und damit Jesus selbst eine solche „Überzeugungstreue“ zuschreibt:16 In Gal 2,16 etwa spreche Paulus von der „Ueberzeugungstreue Jesu des Gottgesalbten“ und meine damit „das Ueberzeugtseyn und treue Befolgenwollen, wie dieser Messias es nicht nur lehrte, sondern selbst, als Menschen möglich bewies und in seinem Gottesreich verwirklichen will.“17 Der paulinische Glaubensbegriff umfasse mehr als lediglich „ein mit einer Art von Vertrauen verbundenes Wahrachten,“ mehr als die „subjective Annahme eines objectiven Glaubensinhalts“: Paulus gehe es immer zugleich um den „beharrlichen Gemüthszustand“ und eine „Neigung, der gefaßten Überzeugung treu und folgsam zu sein.“18
Ein solches Glaubensverständnis findet unmittelbar Anschluss an den Hebräerbrief, der πίστις gleichfalls im Sinne der „Überzeugungstreue“ verstehe und der auch Christus als Subjekt des Glaubens an Gott betrachte. Blicke man auf die Gesamtheit der paulinisch anmutenden Ingredienzen der Glaubensvorstellung des Hebräerbriefes, bleibe als einzig möglicher Schluss: „Des Paulinischen ist so viel, daß, man rathe, auf welchen Pauliner man will, man endlich auf Paulus selbst wieder zurückkommen muß.“19 Diesen Schluss freilich wollte die Forschung schon zu Paulus’
14 H.E.G. P AULUS, Des Apostels Paulus Ermahnungs-Schreiben an die Hebräer-Christen. Wortgetreu übersetzt, mit erläuternden Zwischensätzen, einer fortlaufenden Sinnerklärung, kritischen Einleitung, und Bemerkungen über schwerere Stellen, Heidelberg 1833, III. 15 F.W. GRAF, Frühliberaler Rationalismus. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761– 1851), in: ders., Profile des neuzeitlichen Protestantismus, Band 1: Aufklärung, Idealismus, Vormärz, Gütersloh 1990, 128–155, 141. 16 Vgl. B. SCHLIESSER, „Exegetical Amnesia“ and Πίστις Χριστοῦ. The „Faith of Christ“ in 19th Century Pauline Scholarship, JThS 66 (2015), 61–89, 64–67. 17 H.E.G. P AULUS, Des Apostels Paulus Lehr-briefe an die Galater und RömerChristen. Wortgetreu übersetzt mit erläuternden Zwischensätzen, einem Überblick des Lehrinhalts und Bemerkungen über schwerere Stellen, Heidelberg 1831, 9. 18 P AULUS, Lehr-briefe an die Galater und Römer-Christen (s. Anm. 17), XL, XLIII, XLI. 19 P AULUS, Hebräer (s. Anm. 14), XXXVI.
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Zeiten zumeist nicht mehr ziehen,20 doch versuchte sie sich in immer neuen Anläufen an verschiedenen Zuordnungen. 1.2 Der „Paulinismus“ des Hebräerbriefes: Ein theologisches Vergleichsparadigma Im 19. Jahrhundert erlebte die Methode des biblisch-theologischen Vergleichs eine regelrechte Blüte, und mit Blick auf das Nebeneinander der theologischen Entwürfe des Paulus und des Hebräerbriefes wurde eine Reihe von durchaus widersprüchlichen Verhältnisbestimmungen ins Gespräch gebracht. Schon früh wurde ein schroffer Kontrast zwischen dem Hebräerbrief und Paulus festgestellt (D. Schulz), doch wurden die Differenzen in einem harmonisierenden Interesse bald wieder eingeebnet, so dass die Mehrheit der Exegeten dem Hebräerbrief lange Zeit einen mit dem paulinischen „Lehrbegriff“ grundsätzlich vereinbaren Charakter zusprachen (M.W.L. de Wette, F. Bleek, F. Delitzsch, J.H. Kurtz, G. Lünemann). Diejenigen, die den Hebräerbrief im Spannungsfeld zwischen jüdischem Partikularismus und paulinischem Universalismus sahen, würdigten die Verschiedenheit – innerhalb ihrer geschichtsphilosophischen Prämissen – und erkannten in dem Schreiben entweder ein sich dem Paulinismus akkomodisierendes Judenchristentum (F.C. Baur) oder einen sich dem Judenchristentum akkomodisierenden Paulinismus (E. Zeller). Infolge des schon früh anerkannten Aufweises einer „alexandrinische[n], speziell philonische[n] Färbung“21 des Hebräerbriefes meinten dann die einen, eine Abschwächung der paulinischen Lehre durch alexandrinische Einflüsse ausmachen zu können (C. Weizsäcker), andere schlicht einen durch den Alexandrinismus modifizierten Paulinismus (O. Pfleiderer, A. Hilgenfeld).22
Ich nenne exemplarisch eine Auswahl früher, wegweisender Abhandlungen, insofern sie für die Gegenüberstellung der Glaubensauffassungen des Paulus und des Hebräerbriefes relevant sind. In den einschlägigen Stellungnahmen aus dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts treten die entscheidenden Argumente in wünschenswerter Deutlichkeit zutage und werden von den Späteren nur geringfügig ausgeweitet.
20 Vgl. die Aufzählung der (wenigen) Befürworter einer paulinischen Verfasserschaft bei W.M.L. DE WETTE, Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in die Bibel Alten und Neuen Testamentes, Teil 2: Die kanonischen Bücher des Neuen Testaments, Berlin 5 1848, 322. 21 H.J. HOLTZMANN, Lehrbuch der neutestamentlichen Theologie (hg. von A. Jülicher und W. Bauer), Band 2, Tübingen 21911, 329. Einen Vergleich zwischen Paulus und Philo stellte bereits Johann Benedikt Carpzov an (Sacrae exercitationes in S. Paulii Epistolam ad Hebraeos ex Philone Alexandrino, Helmstedt 1750). 22 Vgl. zu dieser Typisierung HOLTZMANN, Lehrbuch II (s. Anm. 21), 324–335; E. GRÄSSER, Der Glaube im Hebräerbrief, MThSt 2, Marburg 1965, 5 Anm. 32. Dort auch weitere Rubriken und Namen.
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David Schulz In einer mit „Fleiß und Scharfsinn“23 – aber auch Scharfzüngigkeit – vorgetragenen Beweisführung kommt der Breslauer Rationalist David Schulz (1779–1854) zum Schluss, dass mit dem Hebräerbrief „ein ganz eigenthümliches und in seiner Art … einziges“ Werk vorliegt.24 Die Details und die „Totalansicht“ des Schreibens seien ebenso einzigartig wie die „Ansicht und das Streben“ des Schreibers (59). Das treffe auch und gerade auf den Glaubensbegriff zu: Schulz mutmaßt, dass schon eine „scharfe Vergleichung“ der Belegstellen zur πίστις hinreichend nachweisen könnte, dass die Paulusbriefe und der Hebräerbrief verschiedene Urheber haben (111f.). Der Christusglaube, nach Paulus „das Wesen des Christenthums“ (115) und „das Element der ganzen Religion“ eines Menschen, stehe „merkwürdigerweise im Briefe an die Hebräer … nicht an einer einzigen Stelle“ (111).25 Der umfassende paulinische Sinn – „eine Gemüthsbeschaffenheit, … das ganze innerliche Christenthum, dessen Außenseite sich als Liebe offenbart“ – sei dem auctor ad Hebraeos „durchaus fremd“ (112f.). Die πίστις richte sich nicht auf Christus, sondern auf Gott, sie blicke nicht auf Gegenwärtiges, sondern auf „etwas Entferntliegendes, Zukünftiges“ (113), und sie stehe nicht im Gegensatz zum Gesetz, sondern zu den Zweifeln an Gottes Verheißungen. „Kurz es ist deutlich, daß jedem von beiden das Glauben, insbesondre Glauben an Christus, etwas völlig verschiedenes ist“ (114). W.M.L. de Wette Bald nach der Veröffentlichung von Schulz’ Aufsatz erschien eine Replik aus der Feder Wilhelm Martin Leberecht de Wettes (1780–1849),26 der zwar voll des Lobes für Schulz’ Beobachtungsgabe ist, dann aber feststellt, dass Schulz in seiner Kritik „zu weit gegangen“ sei (50) und es letztlich keinen „Gegensatz der Sache nach“ festzustellen gebe (49). Freilich stimmt de Wette mit Schulz in wesentlichen Punkten überein: Der „Glaube unsers Briefstellers ist … nicht ganz derselbe, von welchem der Apostel Paulus am meisten spricht“ (48), denn πίστις sei bei Paulus in erster Linie eine „vertrauende Hingebung“, die sich auf den geschehenen „Versöh23 So das Urteil bei W.M.L. DE WETTE, Ueber die symbolisch-typische Lehrart des Briefes an die Hebräer; in Beziehung auf Herrn Dr. Schulzens Bearbeitung desselben, Theologische Zeitschrift 3 (1822), 1–51 (dazu gleich). 24 D. SCHULZ, Der Brief an die Hebräer. Einleitung, Uebersetzung und Anmerkungen, Breslau 1818, 59 (Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf dieses Buch; Analoges gilt für die im Folgenden vorgestellten Werke). 25 Nach SCHULZ (Hebräer [s. Anm. 24], 112) nimmt bei Paulus auch die absolute Verwendung von πίστις stets Bezug auf Christus. 26 DE W ETTE, Lehrart (s. Anm. 23).
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nungstod Christi“ beziehe und „in Gegensatz gegen die Anmaßlichkeit der gesetzlichen Werkheiligkeit“ stelle (49), während sie sich im Hebräerbrief – analog zur paulinischen ἐλπίς27 – auf das Unsichtbare und Zukünftige beziehe und keine Polemik gegen das Gesetz enthalte.28 Jedoch spreche auch Paulus vom Glauben an Gott (1Thess 1,8; Abrahamsglaube); und das Zukünftige, auf das sich der Glaube des Hebräerbriefes bezieht, habe ja in Christus Eingang in die Gegenwart gefunden und sei in dieser Hinsicht mit dem Gegenstand des paulinischen Glaubens vereinbar. Anders als Schulz kann de Wette „in der christlichen Ansicht selbst keine wesentliche Verschiedenheit“ erkennen, sondern allenfalls „eine Verschiedenheit im Ausdruck“ und „in der Lehrweise und dem Vortrag“ (49).29 Friedrich Bleek De Wette hat seine Position in seinen späteren Veröffentlichungen weitgehend beibehalten30 und konnte sie bestätigt finden im dreibändigen Kommentar seines Schülers Friedrich Bleek (1793–1859), für den er allergrößte Bewunderung hegte.31 Weit ausholend und die bisherige Forschung rekapitulierend erörtert dieser die Frage nach dem Verfasser des Hebräerbriefes,32 und mit großer Gelehrsamkeit stützt er den „geistreichen“ (I, 270 Anm. 392), harmonisierenden Ansatz seines Lehrers, um so der weiteren Forschung den Weg zu weisen. Auch er moniert, dass Schulz den Gegensatz zwischen Paulus und dem Verfasser des Hebräerbriefes „viel schärfer und greller“ dargestellt habe als er in Wahrheit sei (II, 268 Anm. 389). Zwar bestehe beim Begriff der πίστις zwischen den beiden Autoren „wirklich eine Verschiedenheit,“ insofern Paulus den Glauben enger als recht27
Vgl. W.M.L. DE WETTE, Kurze Erklärung der Briefe an Titus, Timotheus und die Hebräer, Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zum Neuen Testament 2/5, Leipzig 2 1847, 225 (zu Hebr 10,38). 28 Vgl. DE WETTE, Kurze Erklärung (s. Anm. 27), 163. 29 Obwohl de Wette eine „wesentliche“ Übereinstimmung konstatiert, will er dem Schriftsteller im Einklang mit dem Urteil Martin Luthers „den apostolischen Charakter und den ersten Rang in der Canonicität absprechen“ (Lehrart [s. Anm. 23], 51). S.u. Anm. 34 zu Bleek und Gräßer. 30 Vgl. DE W ETTE, Kurze Erklärung (s. Anm. 27), 126; DERS., Lehrbuch (s. Anm. 20), 318–322, v.a. 321. 31 Vgl. DE W ETTE, Kurze Erklärung (s. Anm. 27), VII: Ein Werk, „das gleich ausgezeichnet ist durch umfassende Gelehrsamkeit und gründlichen unermüdlichen Fleiss wie durch reine klare Wahrheitsliebe und gediegene theologische Gesinnung, und das unter den exegetischen Arbeiten unseres Zeitalters eine der ersten Stellen wo nicht die erste einnimmt.“ 32 F. B LEEK, Der Brief an die Hebräer. Erläutert durch Einleitung, Uebersetzung und fortlaufenden Commentar, Band 1: Versuch einer vollständigen Einleitung in den Brief an die Hebräer, Berlin 1828, 476, 273–430. Die Argumente für und wider die Verfasserschaft durch Paulus werden auf 120 Seiten abgewogen (a.a.O., 273–392).
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fertigenden Glauben und polemisch in Antithese zu den Gesetzeswerken fasse.33 Doch im Grunde stimmten beide wesentlich darin überein, dass sie im Glauben die „Grundbedingung der Theilnahme an dem Heile“, ein „demüthiges Vertrauen auf Gottes Gnade“ und ein inneres Ergreifen von etwas Unsichtbarem sehen (I, 310f.). Aufgrund der nötig gewordenen Ermahnung an die Adressaten des Hebräerbriefes, standhaft zu bleiben, erscheine die Behandlung des Glaubens „von einer ganz andern Seite“ als bei Paulus, was aber keineswegs ausschließe, dass ihn auch Paulus „von derselben Seite“ hätte betrachten können, wie etwa 2Kor 5,7 zeige (I, 312). Bleek überlegt, die Verfasserschaft dem Apollo zuzuschreiben, der ja „eine selbständige evangelische Wirksamkeit ausübte“ (I, 475); und wie auch Paulus keinen Grund hatte, ihn wegen einer irreführenden Evangeliumsverkündigung zu tadeln, so werden auch die Leser seines Briefes keinen Grund haben, ihm die „völlige Uebereinstimmung mit der Lehre und Ueberlieferung der Apostel“ abzusprechen (I, 476).34
Die wesentlichen Argumente waren bereits in dieser Phase der Forschung ausgetauscht, die Sachverhalte benannt; umstritten blieben Deutung und Wertung. Konsens herrschte v.a. darüber, dass im Hebräerbrief der rechtfertigende, an Christus ausgerichtete Glaube und die Antithese zwischen Glauben und Werken fehlen, dafür aber die Orientierung des Glaubens an das Unsichtbare, Zukünftige in den Mittelpunkt rückt. Offen blieb, ob der Befund zurückzuführen sei auf eine grundlegend verschiedene „Totalansicht“ der beiden Theologen oder auf eine spezifische Perspektive, die sich der Adressatensituation und der Aussageabsicht verdanke. Die spekulative Geschichtsbetrachtung der Tübinger Schule verortete das Schreiben in der gleichen Phase frühchristlicher Lehrbildung wie den Epheser- und den Kolosserbrief und erkannte in ihm das Interesse „nach einer Vermittlung der Gegensätze und einer Vereinigung der beiden noch immer nicht völlig miteinander verschmolzenen Hauptparteien, der Judenchristen und Heidenchristen.“35 Dieses Interesse manifestiere sich im Glaubensbegriff, der das „Schroffe und Abstossende“ der paulinischen Antithese gegen das Judentum abschwäche und die strenge christologische 33 Paulus hätte auch bei den Adressaten des Hebräerbriefes ausreichend Veranlassung gefunden, jene Opposition von Glaube und Werken auszusprechen – für Bleek ein entscheidender Gesichtspunkt, den Brief als nicht-paulinisch zu betrachten (B LEEK, Hebräer I [s. Anm. 32], 312f.). 34 Da allerdings der Brief nicht die Würde apostolischer Verfasserschaft aufweist, komme ihm eine kanonische Autorität „zweite[r] Klasse“ zu (B LEEK, Hebräer I [s. Anm. 32], 478). Auch darin bleibt Bleek also der Auffassung seines Lehrers treu (s.o. Anm. 29). Noch Erich GRÄSSER (Glaube [s. Anm. 22], 219) stellt die Frage, „ob unser Vf mit seiner Neuinterpretation des Kerygmas dem Kriterium der ‚inneren Kanongrenze‘ standhält.“ Er kommt zu einem positiven Urteil, wenngleich er „Grenzüberschreitungen“ feststellen muss (z.B. bei der Leugnung der zweiten Buße). 35 F.C. B AUR, Das Christentum. Geschichte der christlichen Kirche, Band 1: Das Christentum und die christliche Kirche der drei ersten Jahrhunderte, Tübingen 1853, 105.
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Orientierung des Glaubens verallgemeinere zu einem Glauben, der auf Gott gerichtet sei.36 1.3 Die Eigenständigkeit des Hebräerbriefes: Ein religionsgeschichtliches Vergleichsparadigma Je stärker die spezifische und zu Paulus verschiedene religionsgeschichtliche Stellung des Hebräerbriefes in Anschlag gebracht wird, desto mehr rückt sein Verfasser als eigenständiger frühchristlicher Theologe in den Fokus – und von Paulus ab. So meint James Moffatt: „The author writes from a religious philosophy of his own – that is, of his own among the NT writers.“37 Angebahnt hatte sich die neue Sicht bereits in den genannten Ansätzen, die den Brief im Licht des jüdisch-alexandrinischen Denkens lasen, doch erst die intensivierten Bemühungen um die religionsgeschichtliche Kontextualisierung der neutestamentlichen Schriften um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brachten einen grundlegenden Wandel des exegetischen Diskurses, der auch den Glaubensbegriff des Hebräerbriefes nicht unberührt lassen konnte. Doch auch wenn der Brief nun primär aus sich selbst und aus seinem unmittelbaren situativen und religiös-kulturellen Kontext verstanden wurde, geschah das kaum ohne einen Seitenblick auf Paulus und dessen Glaubensauffassung. Bei allen Differenzierungen im Einzelnen lassen sich mit Blick auf die Verortung des Hebräerbriefes in der spätantiken Religiosität vier maßgebliche Paradigmen unterscheiden. Diese grundlegenden Optionen bestimmen auch die gegenwärtige Forschung, die sich allerdings immer mehr von „einlinigen Erklärungsmodellen“ löst und die eigenständige und „kreative Verarbeitung mehrerer Traditionslinien“ durch den Autor des Hebräerbriefes hin zu einer kohärenten, neuartigen Synthese betont.38 Die Nähe des Hebräerbriefes zur Sprach- und Denkwelt, zur ‚Psychologie‘ und zur exegetischen Arbeitsweise Philos von Alexandrien verweist in den Bereich des hellenistischalexandrinischen Judentums (J. Moffatt, C. Spicq, A. Strobel, H. Hegermann).39 Damit korrespondiert die Präsenz von mittelplatonischem Gedankengut, das im Hebräerbrief
36
B AUR, Christentum (s. Anm. 35), 103. J. MOFFATT, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle to the Hebrews, ICC 40, Edinburgh 1924, XXXI. 38 U. SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 82013, 458. J. P UNT, Hebrews, Thought-Patterns and Context. Aspects of the Background of Hebrews, Neotestamentica 31 (1997), 119–158, 145: „Hebrews gives testimony of utilising a number of traditions, wittingly and unwittingly. It shares the terminology, thoughts and ideas of a variety of diverse and different traditions, movements and groups.“ 39 Vgl. B. SMALL, The Characterization of Jesus in the Book of Hebrews, Biblical Interpretation Series 128, Leiden 2014, 7 Anm. 20: „In the first half of the twentieth century, it was almost taken for granted that Hebrews was influenced by Philo/Alexandrianism.“ 37
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fassbar wird in einer „metaphysischen Sphärendichotomie“40 und in der daraus resultierenden „Diastase zwischen erschütterlicher und unerschütterlicher Welt,“41 zwischen Irdischem und Himmlischem, Sichtbarem und Unsichtbarem, Veränderlichem und Unwandelbarem (K. Backhaus, W. Eisele, J.W. Thompson, M. Karrer).42 Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts und noch darüber hinaus wurde der Hebräerbrief auch im gnostischen Milieu lokalisiert und das Erlösungsgeschehen vom gnostischen Mythologem der „gemeinsamen himmlischen Präexistenz von Erlöser und Erlösten“43 und der gnostischen Lehre der συγγένεια, d.h. der Wesensverwandtschaft zwischen Erlöser und Erlösten, gedeutet (E. Käsemann, E. Gräßer, G. Theißen, F. Laub). In bewusster Abgrenzung zum gnostischen Erklärungsmodell interpretierten andere den Hebräerbrief im Licht der jüdischen Apokalyptik, die u.a. in der Zuordnung von Verheißung und Erfüllung durchscheine (C.K. Barrett, O. Michel, O. Hofius).44
Ceslas Spicq Aus der Vielzahl der Entwürfe wähle ich wiederum eine Reihe besonders profilierter Standpunkte aus. Die Analyse des Hebräerbriefes vor dem Hintergrund eines „Philonismus“ erreichte ihren Kulminationspunkt in den Arbeiten von Ceslas Spicq,45 der befand, dass es sich beim auctor ad Hebraeos um einen konvertierten Anhänger philonischer Philosophie handeln musste.46 Unter der Überschrift „Le philonisme de l’Épître aux Hébreux“ (I, 39–91) wendet sich Spicq in seinem Kommentar auch der πίστις zu und sieht gerade in der alexandrinischen Philosophie die Voraussetzung 40 K. B ACKHAUS, Per Christum in Deum. Zur theozentrischen Funktion der Christologie im Hebräerbrief (1996), in: ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 49–75, 70. 41 W. EISELE, Ein unerschütterliches Reich. Die mittelplatonische Umformung des Parusiegedankens im Hebräerbrief, BZNW 116, Berlin 2003, 132. 42 Vgl. J.W. THOMPSON, The Beginnings of Christian Philosophy. The Epistle to the Hebrews, CBQ.MS 13, Washington 1982; DERS., What Has Middle Platonism to Do with Hebrews?, in: E.F. Mason/K.B. McCruden (Hg.), Reading the Epistle to the Hebrews. A Resource for Students, SBL.RBS 66, Atlanta 2011, 31–52. 43 E. KÄSEMANN, Das wandernde Gottesvolk. Eine Untersuchung zum Hebräerbrief, FRLANT 55, Göttingen (1939) 21957. 44 Weitere religionsgeschichtliche Standortbestimmungen (Qumran, Merkabah Mystik, samaritanische Theologie, Mysterienreligionen) werden forschungsgeschichtlich knapp eingeordnet bei SMALL, Characterization (s. Anm. 39), 7–9 mit Anm. 19f. 45 C. SPICQ, Le philonisme de l’épître aux Hébreux, RB 56 (1949), 542–572; RB 57 (1950), 212–242; DERS., Alexandrinismes dans l’épître aux Hébreux, RB 58 (1951), 481– 502; vgl. Spicqs Kommentarwerk, auf das die im Haupttext angeführten Seitenzahlen verweisen: DERS., L’Épître aux Hébreux, Études Bibliques, Band 1: Introduction, Paris, 1952; Band 2: Commentaire, Paris 1953. 46 Vgl. dagegen die nicht immer stichhaltige (und auch nicht immer faire) Kritik von Ronald W ILLIAMSON (Philo and the Epistle to the Hebrews, ALGHJ 4, Leiden 1970, 579), die mit dem Satz endet: „The Writer of Hebrews had never been a Philonist, had never read Philo’s works, had never come under the influence of Philo directly or indirectly.“
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für die charakteristischen Unterschiede zwischen dem Hebräerbrief und dem paulinischen Schrifttum (I, 79–83).47 Mit Philo und anders als Paulus verstehe der Verfasser den Glauben als eine grundlegende Haltung der Seele gegenüber Gott, als Maßstab und Quelle aller religiösen und moralischen Tugenden (I, 79; II, 421). „La foi est la vertu du peuple de Dieu, à quelque époque que ce soit de son histoire, en marche vers le repos et la sainte Sion“ (I, 148). Als intellektuelle und affektive Tugend (II, 373) zeichne sich die πίστις im Hebräerbrief durch folgende Strukturelemente aus: das Hören auf Gottes Wort (vgl. Hebr 4,2), reflexive Erkenntnisfähigkeit (11,3.19), Hoffnung und Vertrauen in die Allmacht Gottes sowie tätige Treue (3,1–7) (I, 80). Während in diesen Einzelaspekten keine Diskrepanz zu Paulus vorliege, zeige sich bei der Verortung des Glaubens in der christlichen Existenz ein deutlich eigener Akzent: Für Paulus sei der Glaube der erste Schritt des religiösen Lebens, für Philo wie für den Hebräerbrief dessen Vollendung und Ziel (I, 80f.). „Elle [sc. la πίστις] est moins l’acte initial et sauveur de la vie chrétienne que la caractéristique de la τελείωσις, l’épanouissement de la vie spirituelle“ (I, 148).48 Wie bei Paulus impliziere der Glaube völlige Selbsthingabe, jedoch sei der auf Gott bezogene Aspekt stärker hervorgehoben: Während der Glaubende nach Paulus in eine mystische Verbindung mit Christus trete (Gal 2,20), schwäche der Hebräerbrief dieses Moment zugunsten einer an Gott und seinem Wort orientierten Bindung ab (vgl. Hebr 11,6) (I, 148). Überhaupt spielten im Hebräerbrief diejenigen paulinischen Ausdrücke, die das Verhältnis zwischen den Glaubenden und Christus kennzeichnen, keine Rolle. Gleichwohl gebe es keine neutestamentliche Schrift, die die Rolle Christi in der Heilsökonomie so gründlich ausgeleuchtet habe wie der Hebräerbrief (II, 377).
Nach Spicq eignet dem Glauben im Hebräerbrief weniger ein mystisches denn ein intellektuelles Moment: „La foi se vivifie dans la contemplation du Fils de Dieu crucifié, et glorifié, humilié et couronné d’honneur (βλέπω, II, 9), elle s’y attache, elle réfléchit, infère et raisonne (λογίζομαι, XI, 19; ἀναλογίζομαι, XII, 3), elle discerne, elle comprend (νοέω, XI, 3) de plus en plus nettement le rôle du sacerdoce de Jésus-Christ entre Dieu et les hommes, comment la grâce et le salut dépendent de cet unique médiateur (κατανοέω, III, 1). Bref, elle fait de la théologie (cf., VI, 1 sv.)“ (II, 378).
Trotz aller Differenzen findet Spicq keine grundlegenden Widersprüche und Unvereinbarkeiten zwischen dem Glaubensverständnis des Hebräerbriefes und dem paulinischen; lediglich der traditionsgeschichtliche Kontext, ihre Anliegen und ihre Sprache weichen voneinander ab (I, 149). 47 Vgl. v.a. die These bei SPICQ, Hébreux I (s. Anm. 45), 79: „La conception de la πίστις elle-même dans Hébr. a de singulières affinités avec celle de Philon.“ S. ferner den Exkurs „La foi dans l’Épître aux Hébreux“ in DERS., Hébreux II (s. Anm. 45), 371–381. 48 Allerdings kenne auch der Hebräerbrief „le rôle de la πίστις paulinienne dans la première justification“ (SPICQ, Hébreux I [s. Anm. 45], 148, mit Verweis auf Hebr 6,11; 11,6).
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Ernst Käsemann Mit Ernst Käsemanns in einer Gefängniszelle niedergeschriebenen Untersuchung „Das wandernde Gottesvolk“49 gelangte die Forschung zu einem „Durchbruch zu wirklich neuen Fragestellungen“.50 Religionsgeschichtlich nimmt der Hebräerbrief nach Käsemann maßgebliche Impulse von Philo (45–52: „Der Königsweg bei Philo“) und v.a. der Gnosis (52–58: „Die Himmelsreise in der Gnosis“) auf. Im gnostischen Mythos finde sich „das Motiv vom wandernden Gottesvolk in denkbar ausgeprägtester Gestalt“ (52). Das wandernde Gottesvolk und die christliche Gemeinde sind in typologischer Weise miteinander verbunden; sie treffen sich in ihrer „Grundhaltung“, insofern sie auf den zur Wanderschaft rufenden λόγος τῆς ἀκοῆς gehört haben (Hebr 4,1–2) (5) und sich nun im Glauben auf einer „getrosten Wanderschaft“ befinden, die sie zur „Überwindung der irdischen Gegenwart“ befähigt (24). Es liege auf der Hand, dass die πίστις gegenüber Paulus eine „Bedeutungsverschiebung“ (19) erfahren habe: Zunächst stimme der Hebräerbrief zwar mit Paulus überein, das der Gehorsam als das wesentliche Strukturelement des Glaubens anzusehen sei, doch bewähre sich bei Paulus der Gehorsam in erster Linie gegenüber dem Ärgernis des Kreuzes, im Hebräerbrief jedoch gegenüber dem Ärgernis, das durch die „Verzögerung der Heilsvollendung“ entzündet wird (20). Nach dem Hebräerbrief weise sich der Glaube darin aus, dass das wandernde Gottesvolk sich treu und geduldig „durch die Gegenwart des Leidens in die himmlische Zukunft führen läßt“ (20).
Nach Käsemann beziehen also sowohl der auctor ad Hebraeos wie auch Paulus den Glauben primär auf das Wort, doch mit dem Unterschied, dass das Wort nach dem Hebräerbrief auf die göttliche Zukunft gerichtet sei und es nach Paulus das geschehene Heil vergegenwärtige. Das aktualisierende Anliegen Käsemanns angesichts der Wirren seiner Zeit wird deutlich, wenn er betont, dass die Gemeinde die Glaubenswanderschaft durch die „Kampf- und Todeszone“ durchstehen müsse, nicht zu „Fahnenflüchtigen“ verkommen dürfe und auf „Solidarität und totale Zusammenfassung“ bedacht sein solle (24). Wer nicht als „Christus-Genosse“ dessen Leidensbeispiel folge, dem werde das Schicksal eines gleichsam „vom Gottesvolk ‚Weggespülten‘“ (παραρυόμενος, Hebr 2,1) zuteil (8). Erich Gräßer Erich Gräßer, der Verfasser der ersten Monographie zum Glaubensbegriff des Hebräerbriefes, teilt mit Käsemann nicht nur eine ‚gnostisierende‘ Deutung des Schreibens, sondern auch den kirchlich-theologischen Impetus: „Geschärfte theologische Denkanstrengung wird eingesetzt als Waffe gegen den kirchlichen Niedergang. Bessere Theologie und nichts als bessere Theologie! Ein denk-würdiger Vorgang, der seine Wirkungsge49 50
KÄSEMANN, Gottesvolk (s. Anm. 43). So das Urteil bei GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 8.
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schichte immer wieder neu vor sich hat.“51 Gräßer gesteht dem Verfasser des Schreibens zu, eine „legitime Neuinterpretation des urchristlichen Kerygmas in der 2. christlichen Generation“ zu bieten (219), doch könne dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein „dürftige[s] Glaubensverständnis“ vertrete (3), das stellenweise „geradezu profanen Charakter“ annehme (4) und weit von der „christologischen Ausgelegtheit“ des Glaubens bei Paulus abstehe (64–71). In seinem Bemühen, die ‚Profanisierung‘ des Glaubens im Hebräerbrief theologiegeschichtlich aufzuklären, stellt Gräßer folgende Überlegungen an: Der Autor ist ein Repräsentant „nachapostolischer“ Theologie, die sich mit der Dialektik zwischen der Gegenwärtigkeit und der Zukunft des Heils auseinanderzusetzen hatte und so zu einem Verständnis des Glaubens als einer „christliche[n] Verhaltensweise (στάσις)“ gelangte, die nun nicht mehr wie Paulus das „eschatologische Ereignis der καινὴ κτίσις fixiert“ (144), sondern vielmehr „das mit dem Christsein Erreichte festmacht“ (215). Ihre Festigkeit und Standhaftigkeit gewinnen die Glaubenden aus ihrer rechten Einsicht (γνῶσις bzw. ἐπίγνωσις) in das wahrhaft Seiende, das zwar unsichtbar ist, aber im Glauben „gesehen“ wird. „Pistis ist einfach die durch das objektiv vorgegebene und sicher verbürgte Hoffnungsgut herausgeforderte στάσις, die der ἐπαγγελία angemessene ἀρετή“ (19). Nach Gräßer repräsentiert der Hebräerbrief einen Glaubensbegriff, der weder an Paulus noch an den Sprachgebrauch der Urgemeinde anknüpfe (79) und daher nicht spezifisch christlich sei. Vielmehr stehe er in einer geistesgeschichtlichen Tradition, die primär „durch das philosophischhellenistische Erbe geprägt“ sei (95), die πίστις als Tugend fasse, ihr einen (der „Heterodoxie“ verdächtigen52) gnostisch-erkenntnisorientierten Zug eintrage und sie ihres soteriologischen und eschatologischen Gehalts entleere. Gerade mit dem Intellektualismus trage der Verfasser ein „fremdes Moment“ in den frühchristlichen Glaubensbegriff ein, das ihn in „einen radikalen Dissensus“ zu Paulus setze (126) und aus dem „Raume biblischen Glaubensverständnisses“ (134) aussondere. Konkret werde der soteriologisch formatierte Glaube des Paulus im Hebräerbrief durch gnostische Vorstellungen ersetzt (216).53 Die Beziehung zwischen Erlöser und Erlösungs51
GRÄSSER, Hebräer I (s. Anm. 1), 27; vgl. bereits DERS., Glaube (s. Anm. 22), 144 (noch weniger pointiert). 52 Vgl. GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 215. So schon Gräßers Lehrer Werner Georg Kümmel: „Der Glaube erscheint hier als eine Teilfunktion des Intellekts und Willens, das Handeln des Menschen tritt neben den Glauben. Und dieser Glaube richtet sich dann auch nicht ausschließlich auf ein göttliches Handeln, sondern auf eine ruhende Wahrheit, eine Gotteslehre“ (W.G. KÜMMEL, Der Glaube im Neuen Testament, seine katholische und reformatorische Deutung [1937], in: ders., Heilsgeschehen und Geschichte. Gesammelte Aufsätze 1933–1964, MThSt 3, Marburg 1965, 67–80, 74). 53 In Übereinstimmung mit KÄSEMANN, Gottesvolk (s. Anm. 43), 79.
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bedürftigen bzw. zwischen Heilsbringer und Heilsempfänger drücke sich nicht (wie sonst im Neuen Testament) durch die πίστις aus, sondern durch gnostische Terminologie wie die der „Teilhabe“ (κοινωνεῖν und μετέχειν: Hebr 2,14), des „Ähnlich-Werdens“ (ὁμοιοῦν: Hebr 2,17) oder des „Vollendens“ (τελειοῦν: Hebr 2,10; 10,14; 11,40; 12,23). Auch die Formel „Anfänger und Vollender des Glaubens“ (12,2) sei mystischen Ursprungs und verdanke sich der gnostischen Vorstellung „vom Erlöser als Führer der Erlösten“ (59).54 Der Hebräerbrief entfalte sein Glaubensverständnis „als Wanderschaft zu den ἐπουράνια,“ analog zur „gnostischen Himmelsreise der Seele“ (115).
Trotz gewisser (später teils korrigierter oder modifizierter) Einseitigkeiten, die religionsgeschichtliche und theologische Urteile betreffen,55 bleibt Gräßers tiefgründige und bewundernswert konsistente Habilitationsschrift m.E. der Maßstab für die kritische Rekonstruktion des im Hebräerbrief bezeugten Glaubensverständnisses. Gräßer selbst hatte, was die πίστις angeht, die Kritik von Gerhard Dautzenberg akzeptiert und in seiner weiteren Arbeit berücksichtigt: „Der Vergleich zwischen Paulus und dem Hebr,“ so Dautzenberg, „ist immer fruchtbar, aber es ist ein Fehler, den Hebr an Paulus zu messen. Beide stellen verschiedene Ausprägungen einer breiten biblischen Tradition über den Glauben dar.“56 An exponierter Stelle, auf den Schlussseiten seines Kommentars, begrüßt Gräßer ausdrücklich die Tendenz neuerer Arbeiten, den Hebräerbrief „aus dem tiefen Schlagschatten des Apostels Paulus heraustreten“ zu lassen und betont selbstkritisch, dass man den Glaubensbegriff des Hebräerbriefes nicht „dem Diktat der paulinischen Pistis unterwerfen darf.“57 1.4 Christi Glaube und Christusglaube Einen regelrechten Trend markieren die zahlreichen neueren HebräerbriefStudien zur Frage nach dem Glauben bzw. der Treue Jesu.58 Ein Grund für 54
Im Anschluss an KÄSEMANN, Gottesvolk (s. Anm. 43), 80f. Allerdings hält Gräßer in seinem Kommentarwerk am ‚gnostisierenden‘ Erklärungsmodell trotz teils massiver Kritik fest (vgl. nur GRÄSSER, Hebräer I [s. Anm. 1], 130– 133, 136; DERS., An die Hebräer, Band 3: Hebr 10,19–13,25, EKK 17/3, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1997, 239–241). Die Einwände gegen die Existenz eines in neutestamentlicher Zeit bereits ausgebildeten Erlösermythos nimmt GRÄSSER (Hebräer I [s. Anm. 1], 132) so auf, dass er zwar auf religionsgeschichtliche Genealogien verzichtet, nicht aber auf die Erhellung der ἀρχηγός-Vorstellung durch „gnostisierende Vorstellungsschemata und Sachzusammenhänge“. 56 G. DAUTZENBERG, Der Glaube im Hebräerbrief, BZ 17 (1973), 161–177, 166. 57 GRÄSSER, Hebräer III (s. Anm. 55), 419 (explizit gegen seine eigene Habilitationsschrift gewandt); vgl. noch a.a.O., 93.107. 58 Einen Forschungsüberblick bieten C.A. R ICHARDSON, Pioneer and Perfecter of Faith. Jesus’ Faith as the Climax of Israel’s History in the Epistle to the Hebrews, WUNT 2/338, Tübingen 2012, 1–14; M.C. EASTER, Faith and the Faithfulness of Jesus in Hebrews, Society for New Testament Studies Monograph Series 160, New York 2014, 11– 23. 55
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das wachsende Interesse an der Frage mag sein, dass die „πίστις ΧριστοῦWelle“ der Paulusforschung in die Hebräerexegese herübergeschwappt ist.59 Freilich beschäftigt sich die Exegese (wie auch die Dogmatik) schon seit langem und intensiv mit dem Topos der fides Christi im Hebräerbrief, und schon immer geschah dies mit einem Seitenblick auf Paulus. Wer von der paulinischen Theologie geleitet einen dogmatischen Glaubensbegriff im Sinne des πιστεύειν εἰς Χριστόν voraussetzt, dem scheint es abwegig zu sein, Christus als Glaubenden zu bezeichnen. Noch Lünemann stellte apodiktisch fest: „Allein die Tugend der πίστις konnte der Verfasser des Hebräerbriefs unmöglich von Christus gleicherweise wie von den Christen prädiciren,“ und folglich musste er Christus, „wie der Apostel Paulus, als Gegenstand der πίστις betrachten.“60 In der neueren Forschung bildet sich demgegenüber ein Konsens heraus, demzufolge der Hebräerbrief unter den neutestamentlichen Schriften am deutlichsten von der πίστις Jesu spricht: „The Letter to the Hebrews furnishes us with the most explicit references to Jesus’ faith in the New Testament.“61 Die Entwürfe unterscheiden sich jedoch nochmals in einem fundamentalen Punkt: Einerseits wird gesagt, dass der Hebräerbrief keinen kausalen Zusammenhang zwischen Jesus und dem Glauben der Gemeinde herstelle. Er beschreibe den Glauben lediglich als „Wanderschaft“, „auf der Christus und Gläubige durch das Gleiche Geschick u[nd] dessen Meisterung kraft des Glaubens als dem Vermögen zur Standhaftigkeit zusammengebunden sind.“62 Das wandernde Gottesvolk und Christus sind in der Haltung der πίστις untereinander verbunden. Sie ist als zielgemäße und
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Diesen Eindruck erweckt zumindest die Bemerkung bei R ICHARDSON, Pioneer (s. Anm. 58), 2. Vgl. zum Motiv des Glaubens Jesu neben den Monographien von Richardson und Easter: T.H. OLBRICHT, The Faith (Faithfulness) of Jesus in Hebrews, in: M.W. Hamilton/T.H. Olbricht/J. Peterson (Hg.), Renewing Tradition. Studies in Texts and Contexts in Honor of James W. Thompson, Princeton Theological Monograph Series 65, Eugene 2007, 116–132; T.D. STILL, Christos as Pistos. The Faith(fullness) of Jesus in the Epistle to the Hebrews, in: R. Bauckham u.a. (Hg.), Cloud of Witnesses. The Theology of Hebrews in Its Ancient Contexts, Library of New Testament Studies 387, London 2008, 40–50; vgl. noch M.J. MAROHL, Faithfulness and the Purpose of Hebrews. A Social Identity Approach, Princeton Theological Monograph Series 82, Eugene 2008. 60 G. LÜNEMANN, Kritisch exegetisches Handbuch über den Hebräerbrief, KEK 13, Göttingen 31867, 389. 61 I.G. W ALLIS, The Faith of Jesus Christ in Early Christian Traditions, MSSNTS 84, Cambridge 1995, 145. Vgl. STILL, Christos as Pistos (s. Anm. 59), 48: „[T]he author of Hebrews is the only New Testament writer who explicitly explores and expounds upon the faith(fulness) of Christ in any degree of detail (cf., also 1 Pet. 2.18–25).“ T. SÖDING, Zuversicht und Geduld im Schauen auf Jesus. Zum Glaubensbegriff des Hebräerbriefes, ZNW 82 (1991), 214–241, 215. 62 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 60 Anm. 280.
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zielorientierte Bewegung der Seele zu Gott, nicht aber als „Einigung mit Christus“ aufzufassen63 (E. Gräßer, G. Dautzenberg64). Die in sich durchaus weit gefächerte alternative Position setzt eine kausale und dann auch inhaltlich bestimmte Verknüpfung zwischen Jesus und dem menschlichen Glauben voraus. So gelangt man zur These eines christologisch formatierten Glaubens, die Christus nicht nur als Vorbild betrachtet, sondern auch als Ermöglicher des Glaubens (D. Hamm65). Eine ‚maximalistische‘ Auslegungsvariante liest aus der Struktur des Schreibens gar eine durchgängige christologische Orientierung des Glaubens in paulinischem Sinne heraus: „The author of Hebrew portrays Jesus as both the model and the object of faith as other books of the New Testament“ (V. Rhee66). Ungleich differenzierter versuchen zwei jüngst erschienene Studien die Christologie des Glaubens zu bestimmen, einerseits mittels einer typologischen Hermeneutik (C. Richardson), andererseits auf der Basis identitätstheoretischer Überlegungen (M.C. Easter). So wird Jesus zum einen als der Antitypos der alttestamentlich Glaubenden betrachtet, in dessen Glaube sich die Überlegenheit und Vollkommenheit des neuen Bundes erweise. „[Jesus’] superlative example of faith(fulness) is both the model to consider and imitate … and the means by which salvation for God’s people has been accomplished“.67 Zum anderen wird betont, dass die Glaubenden in der story Christi – und damit seines Glaubens – partizipieren und dass sich in diesem Partizipationsgeschehen christliche Identität konstituiere.68 Zwar sind insbesondere die neueren Arbeiten bemüht, den Hebräerbrief
63 So die Formulierung bei A. SCHLATTER, Der Glaube im Neuen Testament, Stuttgart 1927 = 61982, 529. 64 DAUTZENBERG, Glaube (s. Anm. 56), 171: „Obwohl der Hebr unzweifelhaft eine urchristliche Schrift ist, hat sein Glaubensbegriff keine eindeutig christlichen Züge.“ Darin stimmen Gräßer und Dautzenberg bei aller Gegensätzlichkeit überein. 65 D. HAMM, Faith in the Epistle to the Hebrews. The Jesus Factor, CBQ 52 (1990) 270–291, 272: „Jesus is presented as a model and enabler of Christian faith and, in some ways, even as object of faith.“ Vgl. a.a.O., 291: „After the death and exaltation of Jesus, faith in God is implicitly faith in Jesus.“ Diese These bleibt allerdings unausgeführt. 66 V. RHEE, Faith in Hebrews. Analysis within the Context of Christology, Eschatology, and Ethics, Studies in Biblical Literature 19, New York 2001, XV. Vgl. die Kritik bei EASTER, Faith (s. Anm. 58), 15–19, v.a. 16: „Rhee’s monograph is hamstrung by a legion of debilitating problems.“ 67 RICHARDSON, Pioneer (s. Anm. 58), 15. Vgl. a.a.O., 9 zur Hermeneutik der Typologie: „[T]he examples [of faith] from Israel’s history were regarded by the author as typological anticipations of Jesus’ faith.“ 68 EASTER, Faith (s. Anm. 58), 31: „[T]he author of Hebrews presents the story of Jesus as the paradigmatic story of faith. The story of Jesus is not a story that we are asked to emulate only or from a distance, but a story in which we are to conceive of our identity.“ A.a.O., 194: „In Christ we see precisely what faith looks like: endurance even to the point of death that ends in eschatological life. The nature of human faith, therefore, is consistently christological even when the faithful one par excellence (Jesus) is not pre5
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von seinen eigenen Voraussetzungen her zu interpretieren, doch sind ihre exegetischen Urteile nicht unbeeinflusst von ihrem Verständnis der paulinischen πίστις Χριστοῦ.69 Eine markante Ausnahme in dieser Hinsicht bildet der letztlich kaum überzeugende Versuch, den Hebräerbrief als paulinisches Pseudepigraphon zu erweisen und in diesem Rahmen das Verständnis des Glaubens Jesu im Hebräerbrief als eine Entfaltung der paulinischen Wendung πίστις Χριστοῦ zu verstehen: „Hebrews develops the distinctly Pauline ‚faith of Christ‘“ (C.K. Rothschild).70
Im Gang durch die Forschung der vergangenen zwei Jahrhunderte hat sich eine Reihe von Gesichtspunkten herauskristallisiert, die das jeweilige Glaubensverständnis des Hebräerbriefes und der paulinischen Schriften konturieren: der Umgang mit alttestamentlichen Glaubenstexten und -gestalten (Hab 2,4, Abraham), die religionsgeschichtliche Kontextualisierung (Apokalyptik, Mittelplatonismus, Gnosis), die Frage nach dem Subjekt des Glaubens (Christus, Christen), nach der Intentionalität des Glaubens (Christus, Gott), nach seiner temporalen Orientierung (Vergangenheit, Zukunft), nach seinen Kehrseiten (Gesetzeswerke, Zweifel, Müdigkeit), nach seinen Strukturelementen (Gehorsam, Vertrauen, Hoffnung, Durchhalten, Erkenntnis), nach seinen erkenntnistheoretischen Rahmenbedingungen (Geschehenes, Erhofftes, Unsichtbares), nach seiner religiösen ‚Funktion‘ (soteriologisch, ethisch, paränetisch), nach seinem Ort innerhalb des religiösen Lebens (Anfang, Ziel) sowie nach seinem Wesen (Signatur eschatologischer Existenz, Diathesis der Seele). In den folgenden Ausführungen soll mit dem Erkenntnismoment des Glaubens ein Aspekt ins Zentrum rücken, der die Vielzahl der möglichen Vergleichspunkte integriert und in besonderer Weise geeignet ist, Übereinstimmungen und Differenzen der beiden „Glaubenstheologien“ aufzuweisen.
sent in a given passage. Faith remains christological by virtue of its story being pioneered and perfected by Jesus.“ 69 Vgl. z.B. RICHARDSON, Pioneer (s. Anm. 58), 225; EASTER, Faith (s. Anm. 58), 224f.; s.a. DERS., The Pistis Christou Debate. Main Arguments and Responses in Summary, CBR 9 (2010), 33–47. 70 C.K. ROTHSCHILD, Hebrews as a Guide to Reading Romans, in: J. Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen, WUNT 246, Tübingen 2009, 537–573, 572. Rothschild verweist auf C.R. HOLLADAY, A Critical Introduction to the New Testament. Interpreting the Message and Meaning of Jesus Christ, Nashville 2005, 463: „[T]he understanding of Jesus’ faith in Hebrews is a more fully developed understanding of what many scholars now understand Pauline ‚faith of Christ‘ to mean – the absolute fidelity of Christ to the will of God and its fully exemplary character for other believers.“ Vgl. ausführlich ROTHSCHILD, Hebrews as Pseudepigraphon (s. Anm. 9).
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2. Glauben und Erkennen im Hebräerbrief: Überführt-Sein im Blick auf das Nicht-Sichtbare Immer wieder entstand in der Hebräerbriefforschung ein Dissens darüber, ob das Schreiben ein „rationales“ oder ein „paradoxes“ Verständnis des Glaubens verkörpere. Einerseits wird festgehalten, dass dem Hebräerbrief „ein bestimmter ‚rationaler‘ Zug“,71 ein „intellektuelles Moment“72 bzw. ein „élément intellectuel“73 eigen ist. Erich Gräßer fand geradezu eine „rationalistische … Grundeinstellung“ vor, in der sich das griechische Erbe des Verfassers spiegle.74 Er geht davon aus, dass dieser die philosophischen Denkformen „ganz bewußt in die Explikation seiner Glaubensthematik auf[nahm], um der ‚zweifelnde[n] Überlegung, die das Glauben nach seinem Recht und Wert untersucht und zur Rechenschaft zieht‘, wirkungsvoll zu begegnen.“75 Allerdings legt sich Gräßer nicht endgültig fest, ob er das intellektuelle Moment noch für einen Teil der legitimen Auslegung des urchristlichen Kerygmas halten kann oder ob die Akkommodation an das griechisch-philosophische Weltbild das christliche Glaubensverständnis so stark überformt, dass „die Grenze der Rechtgläubigkeit“ überschritten ist.
Einen Gegenpol zu dieser „rationalistischen“ Lesart stellt Ernst Käsemanns Entwurf dar. Er hält die Rede vom intellektuellen Moment des Glaubens für „kaum glücklich“ und streicht den paradoxen Charakter des glaubenden Vertrauens heraus: Die himmlische Welt ist nicht durch Gedankenexperimente und intellektuelle Anstrengungen zugänglich, sondern kann dem glaubenden Menschen nur deshalb zur Sicherheit werden, weil und insofern sie ihm unverfügbar ist: „Als Echo des objektiven göttlichen Wortes ist folglich der Glaube eine objektiv begründete und an Sicherheit alle irdischen Möglichkeiten überragende Gewißheit.“76 Diese Paradoxie, die das Unsichtbare für sicher hält, sei zwar schon bei Philo vorgebildet, allerdings nicht in „echt christlichem Sinne“, da Philo dem menschlichen Geist noch eine Kontrollfunktion zuschreibt, insofern er „die Unbeständigkeit des Kosmischen und die Unveränderlichkeit des Ewigen … erkennt und beweist.“77 71
WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 569. H. W INDISCH, Der Hebräerbrief, HNT 14, Tübingen 21931, 106. 73 SPICQ, Hébreux I (s. Anm. 45), 148. 74 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 56. Das „das intellektuelle Moment“ sei „genuin griechisches Erbe“ (a.a.O., 145). 75 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 144, mit einem Zitat von SCHLATTER, Glaube (s. Anm. 63), 521. 76 KÄSEMANN, Gottesvolk (s. Anm. 43), 22. 77 KÄSEMANN, Gottesvolk (s. Anm. 43), 49. In Käsemanns Sinne auch C. ROSE, Die Wolke der Zeugen. Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Hebräer 10,32–12,3, WUNT 2/60, Tübingen 1994, 123. 72
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Beide Positionen enthalten eine particula veri. Im Hebräerbrief verschränken sich rationales und paradoxes Moment des Glaubens – wie dies in anderer Weise auch bei Paulus der Fall ist. 2.1 Das Ineinander von Rationalität und Paradoxalität des Glaubens Hebr 11,1 Die Glaubensauffassung des Hebräerbriefes kulminiert in dem berühmten Satz Hebr 11,1: Ἔστιν δὲ πίστις ἐλπιζομένων ὑπόστασις, πραγμάτων ἔλεγχος οὐ βλεπομένων. Allerdings war das Verständnis des Verses schon immer höchst umstritten. Zu den wichtigsten Diskussionspunkten gehören die Frage nach dem Stil bzw. der Gattung des Satzes, nach der Zuordnung der beiden Satzteile und nach der Bedeutung der einzelnen, teils singulären Begriffe, die hier dicht gedrängt beieinander stehen. Die beiden Prädikationen des Glaubens als ὑπόστασις und ἔλεγχος benennen die beiden entscheidenden Strukturmomente des Glaubens im Hebräerbrief. M.E. hat Adolf Schlatter der sachgemäßen Interpretation des Verses den Weg gewiesen, wenn er sagt: „Die zweite Bestimmung [sc. Hebr 11,1b] sagt, wie fern [= inwiefern] das Glauben ein Wissen ist … [I]n der ersten Aussage [sc. Hebr 11,1a] tritt dagegen hervor, wie fern das Glauben ein Wollen und Handeln ist. Die zweite hebt mehr die Passivität, die erste die Aktivität im Glauben hervor.“78 Der zweite Teil der vorliegenden „Glaubensdefinition“ dient also nicht lediglich der Erklärung oder Vertiefung des ersten, sondern setzt die beiden Teile in ein Verhältnis, das mit den Kategorien „Ursache“ und „Wirkung“ bzw. „Voraussetzung“ und „Folge“ wiedergegeben werden kann.79 Aus dem Wissen folgt das Wollen und Handeln. Schlatter hatte auch auf den theologiegeschichtlich wichtigen Sachverhalt aufmerksam gemacht, dass es dem Hebräerbrief nicht wie den früheren neutestamentlichen und gerade auch den paulinischen Schriften darum gehe, „der Gemeinde den Wert des in ihr lebendigen Glaubens deutlich zu machen,“ denn „[d]er Kreis, zu dem der Hebräerbrief redet, hat diese frische, ungebrochene Glaubenskraft nicht mehr.“80 Aus der lehrhaften Darstellung des Christusgeschehens ergibt sich
78 SCHLATTER, Glaube (s. Anm. 63), 132. Die Diskussion um die Zuordnung der beiden Satzhälften, entscheidet man am besten im Sinne einer Progression vom Teil zum Ganzen (so schon J.A. BENGEL, Gnomon Novi Testamenti, Tübingen 31855, 907 [gradatio]). Denn „[d]ie πράγματα οὐ βλεπόμενα … bilden einen weiteren Begriff, als τὰ ἐλπιζόμενα. Sie umfassen nicht bloss solches, was wir hoffen, und was überhaupt zukünftig ist; sondern auch solches, was gar nicht in die Sinneswahrnehmung fällt, das Uebersinnliche, Geistige, Himmlische“ (F. B LEEK, Der Hebräerbrief [hg. von K.A. Windrath], Elberfeld 1868, 422). 79 So auch ROSE, Wolke (s. Anm. 77), 132 mit Verweis auf GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 52f.; SCHLATTER, Glaube (s. Anm. 63), 525f. u.a. Umgekehrt beispielsweise M. KARRER, Der Brief an die Hebräer, Band 2: Kapitel 5,11–13,25, ÖTK 20/2, Gütersloh 2008, 273. 80 SCHLATTER, Glaube (s. Anm. 63), 520.
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nicht nur die Mahnung „glaubt ihm [sc. Christus] nun! sondern auch das Glauben selbst wird noch der Gegenstand einer lehrhaften Erörterung.“81
Es zeigt sich ein doppelter kognitiver Zugriff auf den Glauben: Einerseits wird er mittels einer „Kontext-Definition“ inhaltlich bestimmt und in einen argumentativen Zusammenhang eingebunden,82 andererseits nimmt schon die Definition selbst mit ἔλεγχος einen erkenntnistheoretisch gefärbten Begriff auf. Insofern „der Glaube ein Wissen ist“, geht mit der Hinwendung zum Glauben die Übernahme eines Wissensbestandes einher (vgl. Hebr 10,26: ἐπίγνωσις τῆς ἀληθείας).83 Terminologisch tritt die ‚rationale‘ Dimension des Glaubens im Begriff ἔλεγχος am deutlichsten zutage.84 Doch wie lässt sich die Rationalität des Glaubens hier präzise fassen? Ἔλεγχος meint in der griechischen Literatur häufig „Beweis“ oder „Überführung.“85 Eine regelmäßig zitierte Parallele aus einem zeitgenössischen philosophischen Zusammenhang ist ein Satz Epiktets, in dem sich wie in Hebr 11,1 ἔλεγχος mit einem Genitiv von πράγμα (allerdings im Singular) verbindet: ἐνθάδ᾽ ὁ ἔλεγχος τοῦ πράγματος, ἡ δοκιμασία τοῦ φιλοσοφοῦντος („Hier ist der Beweis der Sache, die Überprüfung des Philosophen“).86 Es geht darum, dass ein denkendes 81
SCHLATTER, Glaube (s. Anm. 63), 522. In unserem Zusammenhang und wohl auch für die Hebräerbriefexegese insgesamt (so zurecht G.L. COCKERILL, The Epistle to the Hebrews, NIC.NT, Grand Rapids 2012, 520 Anm. 1) ist die Frage nach der „Gattung“ von Hebr 11,1 sachlich von untergeordneter Bedeutung. Mit B LEEK (Der Brief an die Hebräer. Erläutert durch Einleitung, Uebersetzung und fortlaufenden Commentar, Band 2/2, Berlin 1840, 721) und anderen ist festzuhalten, dass es sich kaum um eine „vollständige und schulgerechte Definition von πίστις“ handelt, die als These den folgenden Darlegungen vorangestellt wäre (so aber Thomas von Aquins These: definitio apostoli includit omnes alias definitiones de fide datas [Summa II, II, 4, l Ende]). Sachgemäßer sind Wendungen wie „rhetorical definition“ (P.M. EISENBAUM, The Jewish Heroes of Christian History. Hebrews 11 in Literary Context, SBL.DS 156, Atlanta 1997, 143) oder „Kontext-Definition“ (GRÄSSER, Hebräer III [s. Anm. 55], 93), insofern sie zum Ausdruck bringen, dass die vorliegende Bestimmung des Glaubens eine spezifische rhetorische Funktion annimmt und den Glauben weder in einer vollständigen noch in einer zeitlos gültigen Form beschreibt. 83 Dazu s.u. Abschnitt 2.2. 84 Vgl. SPICQ, Hébreux I (s. Anm. 45), 148: „[L]’élément intellectuel de la foi est davantage mis en lumière (XI, 1), elle est connaissance de Dieu et du monde invisible.“ 85 In der Septuaginta ist demgegenüber die Bedeutung „Zurechtweisung“ oder „Vorwurf“ dominant (vgl. z.B. Hiob 6,26; 13,6; Prov 1,25 [zitiert in 1Clem 57,4]; SapSal 2,14). In Hiob 23,4 nimmt ἔλεγχος allerdings die Bedeutung „Beweis“ an (vgl. Hiob 23,7). Im Neuen Testament ist ἔλεγχος in Hebr 11,1 hapax legomenon (v.l. für ἐλεγμόν in 2Tim 3,26; vgl. daneben 2Petr 2,16: ἔλεγξις). Vgl. F. B ÜCHSEL, Art. ἔλεγχος κτλ., ThWNT 2 (1935), 473f. 86 Epiktet, diatr. 3,10,11. Epiktet legt dar, wie man sich in Krankheit – hier: bei Fieber – zu verhalten habe. Er fragt sein Gegenüber, was ihn davon abhalte, auch im Fieberzustand seine Vernunft in Übereinstimmung mit der Natur (κατὰ φύσιν) zu gebrauchen. 82
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Individuum auf dem Vernunftweg von der Wirklichkeit bzw. vom Wahrheitsgehalt einer Sache (πράγμα) überführt wird. Im Genitiv steht jedoch nicht nur die Sache, auf die der „Beweis“ zielt, sondern auch das, was dem Vorgang des Überführens „die argumentative Kraft verleiht und wovon er ausgeht.“87 So etwa im Satz Demosthenes: τὸ δὲ πρᾶγμ᾽ ἤδη τὸν ἔλεγχον δώσει (or. 4,15). Mit der Genitivverbindung πραγμάτων ἔλεγχος οὐ βλεπομένων macht der Verfasser des Hebräerbriefes deutlich, dass das Nichtsichtbare Ziel und Grund des ἔλεγχος ist. Angesichts des unmittelbaren Kontexts von Hebr 11,1 bietet sich eine Wiedergabe von ἔλεγχος an, die die „Dialektik des subjektiven und des objektiven Glaubensmoments“ wiederspiegelt:88 Glaube ist das ÜberführtSein vom Nicht-Sichtbaren. Die Wortwahl und der Definitionscharakter von Hebr 11,1 sprechen also dafür, dass der Autor den Glauben dem Bereich der ratio zuordnet, was denjenigen Recht zu geben scheint, die in der Glaubensdefinition einen „intellektuellen Zug“ erkennen. Doch auch die von Käsemann und anderen89 vertretene Gegenposition kann gewichtige Argumente geltend machen: Zum einen ist die πίστις das grammatische Subjekt der Satzkonstruktion und damit vordergründig ungeeignet, mit dem Vorgang einer logischen Überführung verbunden zu werden. Belangreicher noch ist, dass der Glaube die Angeredeten hinsichtlich einer Sache überführt hat bzw. überführen soll, die jeglicher Sinneswahrnehmung entzogen ist, insofern sie das eschatologische Heilsgeschehen in ihrer Unanschaulichkeit bezeichnet. Damit scheint sich die Behauptung von Heinrich Dörrie zu bestätigen, der in der Aussage von Hebr 11,1b einen „kühne[n] Schritt über alle ratio hinweg“ ausmacht; der Glaube werde bezeichnet als „ein Organ überrationalen Wirkens und Erkennens.“90 Zwei Aspekte sind zu bedenken: Erstens ist der Verfasser nicht daran interessiert, einen „nach außen zu führenden Beweis“ anzustellen,91 sondern er ruft den Adressaten in Erin-
Daraufhin folgt der philosophische Beweis. – Weitere Belege für die Verbindung von ἔλεγχος und πράγμα in den Kommentaren, darunter Josephus, Bell. 4,337: ἔλεγχός τις τῶν κατηγορουμένων οὔτε τεκμήριον. 87 KARRER, Hebräer 2 (s. Anm. 79), 273. 88 SÖDING, Zuversicht (s. Anm. 61), 225. „Beweis“ ist „zu objektivierend“. 89 Die Überrationalität des Glaubens bestehe darin, dass der Hebräerbrief „das kosmisch Greifbare für ungewiß und das unsichtbar Göttliche in seinen Zusagen für absolut sicher hält“ (KÄSEMANN, Gottesvolk [s. Anm. 43], 49). Vgl. R. B ULTMANN, Art. ἐλπίς κτλ., ThWNT 2 (1935), 515–531, 527: „[D]as hinzugefügte ἔλεγχος πραγμάτων οὐ βλεπομένων betont … den paradoxen Charakter dieses hoffenden Vertrauens, sofern es schlechterdings nicht mit Verfügbarem rechnen kann.“ 90 H. DÖRRIE, Zu Hbr 11,1, ZNW 46 (1955), 196–202, 199. 91 So zurecht E. RIGGENBACH, Der Brief an die Hebräer, Kommentar zum Neuen Testament 14, Leipzig 2/31922, 342.
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nerung, dass ihrem glaubenden Denken die Wirklichkeit des Unanschaulichen bereits einmal eingeleuchtet hat und noch immer, wenngleich schwächer, einleuchtet. Er kann davon ausgehen, dass sie „die erleuchtende, heiligende und beseligende Wirkung der göttlichen Heilsoffenbarung und ihrer Bezeugung durch Wort und Tat aus eigener Erfahrung kennen, hierüber nicht im unklaren sind“ (vgl. 2,3–4; 6,4–5; 10,26.29).92 Zweitens stellt die Unanschaulichkeit des Nichtseienden in der Logik des Verfassers keine Einschränkung der Überzeugungskraft der πράγματα dar. Im Gegenteil: Innerhalb seiner mittelplatonisch geprägten Sinnwelt ist ihm das wahre Sein, die feste und unerschütterliche Wirklichkeit, gerade diejenige, die den Sinnen verborgen ist. Somit steht fest, dass nur gemäß der ratio fidei und nur für die Glaubenden der Glaube ein „Überführt-Sein von unsichtbaren Dingen“ sein kann, nicht gemäß einer von außen herangetragenen Logik.93
Hebr 11,3 In Hebr 11,3 wird die Vorstellung des „Unsichtbaren“ (οὐ βλεπόμενα) durch die semantisch isotope Formulierung μὴ φαινόμενα wieder aufgegriffen und mit einem reflektierenden, denkenden Glauben in Verbindung gebracht. Der Glaube erkennt, „dass die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist; so ist aus Dingen, die nicht in Erscheinung treten, das Sichtbare geworden.“ Die Qualifizierung des Glaubens als ἔλεγχος manifestiert sich in grundsätzlicher Weise im Schöpfungsglauben, den der Autor mit seinen Adressaten und allen Glaubenden teilt (νοοῦμεν). Das Verb νοεῖν bezeichnet „die innere, durch den νοῦς vermittelte, Wahrnehmung“,94 die zum Wesen einer Sache durchdringt, hier: zu der wahren Verhältnisbestimmung zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. Hinter dem Sichtbaren (Abbild) steht das Unsichtbare (Urbild). Die Formulierung πίστει νοοῦμεν, die auf eine in den biblischen Schriften singuläre Weise Glauben und Erkennen verknüpft,95 macht deutlich, dass die Haltung des Glaubens der Erkenntnis zugrunde liegt. Νοοῦμεν meint im Zusammenhang „das kritische Verstehen hinsichtlich der wahren Realitätsverhältnisse im Kosmos, und zwar πίστει, kraft des Glaubens, und nicht – wie im Rahmen der theologia naturalis – kraft eigener Fähigkeit des νοῦς.“96 Die in dem Satz 92
RIGGENBACH, Hebräer (s. Anm. 91), 342. Die Formulierung, dass der Glaube in seiner Eigenschaft als ἔλεγχος „eine Möglichkeit des Verstandes“ sei (so EISELE, Reich [s. Anm. 41], 392) ist zumindest missverständlich, da sie den Eindruck erweckt, der Glaube habe seinen Ermöglichungsgrund in der menschlichen Natur und entstehe ex humano ingenio (so die Formulierung Zwinglis zu Hebr 11,1, die eine von ihm abgelehnte Ansicht widergibt). 94 LÜNEMANN, Hebräerbrief (s. Anm. 60), 350. 95 Vgl. GRÄSSER, Hebräer III (s. Anm. 55), 106. Vgl. ähnlich 1Clem 27,3. 96 GRÄSSER, Hebräer III (s. Anm. 55), 106. EISELE (Reich [s. Anm. 41], 392f.) weist darauf hin, dass der Hebräerbrief bisweilen so vom menschlichen πνεῦμα spricht, dass sich eine Analogie zum νοῦς bei den Mittelplatonikern nahelegt: Hebr 4,12; 12,9; 12,23. An diesen Stellen werde deutlich, „daß der Geist des Menschen in die verstandesmäßige Welt hineinragt, weil er von dort stammt und dorthin zurückkehrt, wohingegen der Leib untrennbar mit der irdischen Existenz des Menschen verbunden ist.“ 93
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vorausgesetzte Interferenz von Glauben und Erkennen ist jedenfalls offen für das scholastische fides quaerens intellectum, auch wenn er noch weit von ihm entfernt ist.97 Hebr 11,6 Auch mit Hebr 11,6 schließt sich der Autor eng an die Wesensbeschreibung des Glaubens in 11,1 und an seinen ἔλεγχος-Charakter an: „He does indicate the fundamental ‚invisible‘ thing seen by faith.“98 Zum ÜberführtSein durch die schöpferische Wirksamkeit Gottes (11,3) gehört als dessen Voraussetzung das Überführt-Sein von der Existenz Gottes. Sie ist durch die menschliche Wahrnehmung nicht verifizierbar, da zu Gottes Wesensmerkmalen das ἀόρατος gehört (11,27). Es geht dem Autor daher wohl kaum um die Widerlegung eines theoretischen Atheismus oder um die Problematisierung des Agnostizismus „in pointiert philosophischer Manier“.99 So wenig Hebr 11,1 eine schulgerechte Definition der Wesensart des Glaubens bietet, so wenig findet sich in 11,6 eine abstrakte Bestimmung des Glaubensinhaltes, die ein nüchternes Fürwahrhalten fordert.100 Denn im Kontext steht nicht zur Debatte, ob es Gott an sich gibt, sondern vielmehr, wie mit Gott zu rechnen ist, „auch und gerade dort, wo nach dem Urteil der Welt (V. 7!) angesichts des ‚Noch-nicht-Sichtbaren‘ nicht mit ihm zu rechnen ist.“101 In der Sinnwelt des Hebräerbriefs hätte ein abstraktes Fürwahrhalten keinen Ort; der Glaube, dass es Gott gibt, gründet in der Erfahrung seines geschichtlichen Handelns und hat andererseits existentielle Konsequenzen.102 97 Ob er einen „Abstand zum biblischen Glaubensverständnis“ dokumentiert (so GRÄSSER, Hebräer III (s. Anm. 55), 107, was immer das heißt, sei dahingestellt. 98 H. ATTRIDGE, The Epistle to the Hebrews. A Commentary on the Epistle to the Hebrews, Hermeneia, Philadelphia 1989, 318. 99 So aber GRÄSSER, Hebräer I (s. Anm. 1), 100 Anm. 4 (fast wortgleich DERS., Glaube, 133); gegen MOFFATT, Hebrews (s. Anm. 22), 167. 100 Vgl. die sachkritische Anmerkung bei KÜMMEL, Glaube (s. Anm. 52), 74 (s.u. bei Anm. 275). 101 WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 579 Anm. 32. Trotz dieser richtigen Einsicht spricht Weiß (a.a.O., 578) in Anlehnung an Gräßer davon, dass sich in Hebr 11,6 „ein merkwürdig blasses, um nicht zu sagen: rationalistisches Verständnis von Glauben … Ausdruck verschafft.“ Vgl. GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 130: „Hb 11,6 ist in seiner Rationalität ohnegleichen im NT.“ 102 Vgl. B ACKHAUS, Hebräerbrief (s. Anm. 11), 387: „Der Glaube an Gott ist von dem an seine Lebensrelevanz gar nicht zu trennen … Der Glaube an die Existenz Gottes … und eine entsprechende Lebensform gehören zusammen.“ S.a. den vielleicht allzu schlicht gefassten Gedankengang in EASTER, Faith (s. Anm. 58), 219: „Faith as cognitive belief … is a possibility in 11:6, where the author writes, ‚for it is necessary for the one who comes to God πιστεῦσαι that he is and that he rewards the ones who seek him.‘ God is the object of πιστεύω, and the author of Hebrews may be referring to belief in God’s
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An Abraham wird dies besonders einprägsam vor Augen geführt: Er lässt sich durch die Unanschaulichkeit des Hoffnungsguts nicht vom Glauben abbringen, sondern lässt sich von der Treue Gottes und der Wirklichkeit des Verheißenen überführen, das er immerhin „von ferne“ zu sehen bekam (11,13). Dass diese Vergewisserung nicht jenseits des Verstandes erfolgt, wird wiederum durch die auffällige Wortwahl deutlich: Im Zusammenhang der Nachkommensverheißung wird von Abraham gesagt, dass er den für treu „erachtete“ (ἡγήσατο), der die Verheißung gegeben hatte (Hebr 11,11),103 und sein Gehorsam in der Aqedah-Szene wird mit den Worten kommentiert, dass er damit „rechnete“ (λογισάμενος), dass Gott die Macht hat, von den Toten aufzuerwecken. „Sight [11,13] is matched by rationality and deliberateness in judgment: while faith does not as yet know (ἐπιστάμενος, 11:8) the destination, it takes account of God’s life-giving power in judging him trustworthy and able to deliver.“104 Die „religionsphilosophische Gesprächsfähigkeit“ allerdings, die sich prima vista in dem Satz vom Glauben an die Existenz Gottes (11,6) anbahnt, ist also deutlich eingeschränkt, indem der Autor „das antike Denken im Sinne seiner Theologie“ interpretiert und seine „Hermeneutik des Fremden“ zuallererst durch das Eigene – z.B. der Geschichte des Stammvaters – bestimmt sein lässt.105 2.2 Der Erkenntnisstand des Glaubens Hebr 10,26 Die Formulierung ἐπίγνωσις τῆς ἀληθείας in Hebr 10,26 meint nicht etwa eine allgemeine „eschatologische Erkenntnis“, die den Glauben an Jesus Christus noch nicht einschließt,106 sondern vielmehr „den durch die Hinwendung zum christlichen Glauben bewirkten ‚Erkenntnisstand‘.“107 Mögexistence. It is conceivable, however, that the author wishes us to understand πιστεύω as ‚trust‘ as well as ‚believe.‘ ‚Trust‘ and ‚belief‘ are related: if a person were to ‚trust‘ someone, she surely must ‚believe‘ that the object of her trust exists. ‚Trust‘ and ‚belief,‘ therefore, are not mutually exclusive.“ 103 Zur umstrittenen Frage nach dem Subjekt des Satzes (Sara oder Abraham) vgl. z.B. P.T. O’BRIEN, The Letter to the Hebrews, The Pillar New Testament Commentary, Grand Rapids 2010, 414f. (für Abraham votierend). 104 M. B OCKMUEHL, Abraham’s Faith in Hebrews 11, in: R. Bauckham u.a. (Hg.), The Epistle to the Hebrews and Christian Theology, Grand Rapids 2009, 364–373, 370. 105 KARRER, Hebräer 2 (s. Anm. 79), 279. 106 So H. KOSMALA, Hebräer – Essener – Christen. Studien zur Vorgeschichte der frühchristlichen Verkündigung, StPB 1, Leiden 1959, 137. Kosmala begründet seine These v.a. damit, dass der Sohn Gottes erst in Hebr 10,29 „im Zusammenhang mit einer logischen Schlußfolgerung“ genannt wird. 107 WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 538.
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licherweise greift der Autor auf eine im frühen Christentum bereits festgefügte Terminologie zurück,108 die den Anfang des Glaubens, das „Gläubigwerden“ zum Ausdruck bringt.109 Der ‚vorchristliche‘ Erkenntnisstand hat sich mit dem Empfang der „Wahrheitserkenntnis“ als Irrtum entpuppt. Wer in einer individuellen Stunde der Wahrheit zur „Erkenntnis der Wahrheit“ gelangt ist, der kann nach dem Verständnis des Hebräerbriefes nicht mehr naiv und ungestraft dahinter zurückfallen. Es wurde ihm ein neuer „Wissens- und Bewusstseinsstatus“ vermittelt.110 Das λαβεῖν ist ein passiver Vorgang, der von manchen auf den Taufakt bezogen wird (vgl. 10,22)111 und einen Zeitpunkt nennt, mit dem sich den Angeredeten das Bekenntnis als „Wahrheit“ erschlossen hat. In einer Situation der Krise, die den Wahrheitscharakter des Bekenntnisses verdunkelt, hilft die Erinnerung an die Erstlingszeit des Glaubens (vgl. 10,32–34). Der Verfasser rechnet mit der Möglichkeit – und sieht sie durch die Erfahrung bestätigt –, dass die christliche Wahrheit ihre existenzielle Überzeugungskraft verlieren kann, doch er lässt keinen Zweifel an der Konsequenz eines solches Verlusts: Wer für die anfängliche „Erkenntnis der Wahrheit,“ die ihm ein für alle Mal ‚eingeleuchtet‘ hat (6,4: ἅπαξ φωτισθέντας; vgl. 10,32), nichts mehr übrig hat, „für den bleibt nunmehr konsequenterweise auch nichts mehr ‚übrig‘ von jenem ‚Sündopfer‘, das der Hohepriester Christus ein für allemal dargebracht hat“ (10,26: ἀπολείπεται).112 Die Rede von der ἐπίγνωσις τῆς ἀληθείας meint also zunächst den Eintritt in die Existenz des Glaubens, die glaubende „Anerkenntnis“113 der christlichen Wahrheit, die „auch und zuerst eine transzendente, unverfügbare Größe“ ist.114 Innerhalb dieser ganzheitlichen Perspektive ist das rationale Moment ein Aspekt: Die Wahrheit des Bekenntnisses erschließt sich in ihrer Tiefe im konkreten Lebensvollzug – in einer entsprechenden Lebenshaltung (10,22–25), aber auch im Durchleben eines harten Leidenskampfes (10,32); doch nach Meinung des auctor ad Hebraeos, der wie 108 Eine Reihe von Belegen, die die Verbindung von ἐπίγνωσις bzw. γνῶσις und ἀλήθεια aufweisen, sind notiert bei H. LÖHR, Umkehr und Sünde im Hebräerbrief, BZNW 73, Berlin 1994, 46f. Anm. 200. In der Septuaginta fehlt diese Verbindung, im Corpus Pastorale findet sie sich in 1Tim 2,4 (mit ἐπιγινώσκειν in 2Tim 4,3; 2Tim 2,25; 3,7; Tit 1,1). Reiches Material bieten die frühe patristische Literatur (z.B. Clemens von Alexandrien, Irenäus und Origenes) sowie gnostische Texte. 109 LÖHR, Umkehr (s. Anm. 108), 48. Vgl. auch C.R. KOESTER, Hebrews, AncB 36, New York 2001, 451 („conversion or ‚enlightenment‘“). 110 LÖHR, Umkehr (s. Anm. 108), 49. 111 So u.a. W EISS, Hebräer (s. Anm. 2), 538 mit Verweis auf M. D IBELIUS, ΕΠΙΓΝΩΣΙΣ ΑΛΗΘΕΙΑΣ, in: ders., Botschaft und Geschichte. Gesammelte Aufsätze, Band 2, Tübingen 1956, 1–13, 5. 112 WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 539. 113 O. MICHEL, Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 71975, 234 Anm. 3. 114 LÖHR, Umkehr (s. Anm. 108), 46 Anm. 196.
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kein zweiter neutestamentlicher Theologe die Vernunftgemäßheit des Heilswerkes Christi zu erweisen suchte, ist die Wahrheit nicht „ohne intellektuellen Einsatz“ zu haben.115 Freilich wird sie nie zum leeren Theoriewissen, sondern will betätigt und erfahren werden.116 Hebr 5,11–6,3 Die Wendung ἐπίγνωσις τῆς ἀληθείας wurde zurecht als eine „prägnante Summierung“ der in Hebr 5,11–6,3 beschriebenen Reifestadien der christlichen Erkenntnis bezeichnet.117 In der Digression 5,11–6,20, die seine Ausführungen zum hohepriesterlichen Amt Christi unterbricht, zeigt sich der Verfasser erschüttert über die niedrige Erkenntnisstufe der Angesprochenen und geht sie direkt und mit scharfer Rhetorik an: „Ihr seid harthörig geworden“ (5,11).118 In einprägsamer, bildhafter Sprache, die in der hellenistisch-römischen Philosophie und auch in der hellenistisch-jüdischen Schultradition zahlreiche Analogien hat, kritisiert er die geistig verkümmerten und unmündigen Adressaten: Obwohl sie der Zeit nach (διὰ τὸν χρόνον) schon Lehrer sein müssten, haben sie es nötig, über die elementaren Inhalte des christlichen Glaubens unterwiesen zu werden (5,12). Immer noch sind sie völlig „unkundig/unerfahren“ (ἄπειρος) und „unmündig“ (νήπιος), was die „Unterweisung über die Gerechtigkeit“ (λόγος δικαιοσύνης) angeht (5,13)119 und – so ist im Umkehrschluss aus 5,14 abzuleiten – unfähig Gutes und Böses zu unterscheiden. In dem pädagogischen Bemühen des Autors verschmelzen sittliche und intellektuelle Dimension, praktische Anweisung und lehrhafte Unterweisung. Er hat das Glaubensleben in seiner Gesamtheit im Blick. Doch im Fokus seiner Bemühungen scheint die „intellektuelle Unbeweglichkeit“ seiner Zuhörer zu stehen, die eines kräftigen Impulses bedarf.120 Wenn er ankündigt, entgegen seiner Unterstellungen nun doch ‚Vollkommenheitsnahrung‘ anzubieten, konterkariert er damit nicht seine Analyse des beschämenden Erkenntniszustands seiner Adressaten, sondern motiviert sie, ihm zu folgen und die nächste Stufe zu erklimmen (6,1: ἐπὶ τὴν τελειότητα 115
GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 137 (= DERS., Hebräer III [s. Anm. 55], 38). Vgl. GRÄSSER, Hebräer III (s. Anm. 55), 38: „Hebr bleibt insgesamt mit seinem Erkenntnisbegriff unter dem Einfluß des Alten Testaments, sofern die Verwirklichung der ἐπίγνωσις, eine entsprechende Lebenshaltung wie z.B. in 10,22–25 beschrieben, gegenüber dem rationalen Begreifen dominant bleibt.“ 117 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 137. 118 Die rhetorische Funktion der Digression beschreibt Craig KOESTER (Hebrews [s. Anm. 109], 307) so: „This digression … is designed to secure their [sc. the readers’] attention by addressing them with reproof, warning, and encouragement.“ 119 Mit dem Nomen δικαιοσύνη ist hier wohl „Werterfahrung, glaubenspraktische Urteilskraft, ethische Übung“ gemeint (B ACKHAUS, Hebräerbrief [s. Anm. 11], 219). 120 B ACKHAUS, Hebräerbrief (s. Anm. 11), 214. 116
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φερώμεθα). Er tritt ihnen entgegen als Psychagoge und Theologe, der herauszufordern weiß und dabei auch „der theologischen Reflexion einiges an mobilisierender Kraft zutraut.“121 Es geht ihm dabei nicht um die Übermittlung einer „Geheimlehre“122 oder um esoterisches Wissen über das Hohepriesteramt Christi, sondern um nachvollziehbare, schriftgelehrte Überlegungen, die sich wegen – nicht: trotz – ihres intellektuellen Anspruchs auch auf die Glaubens- und Lebenspraxis der Christen auswirken.123 Er schärft ihnen ein, dass sie die „‚Überzeugungsgewissheit‘ der Hoffnung“ (6,11: πληροφορία τῆς ἐλπίδος; vgl. 10,22) bis zum Ende durchhalten, dass sie das unsichtbare Hoffnungsgut „als feste, durch Zweifel unbeirrte Glaubenszuversicht“ in sich tragen.124 Nehmen sie diese Haltung ein, zählen sie zu den Nachahmern (μιμηταί) derer, die durch Glauben und Geduld die Verheißungen ererben (6,12), allen voran des prototypischen Empfängers göttlicher Verheißungen: Abraham (6,13–15). 2.3 Glaubensgründe gegen Müdigkeit und Zweifel Die ratio fidei des Hebräerbriefs Der Verfasser des Hebräerbriefs hat sich zum Ziel gesetzt, eine müde und zweifelnde Gemeinde in der „doppelten Fassung des Glaubens als στάσις und ἐπίγνωσις“ zum Durchhalten zu ermutigen.125 Sowohl das ethische Moment (Standhaftigkeit) als auch das rationale Moment (Erkenntnis) wirken primär nach innen. Die anfängliche „Erkenntnis der Wahrheit“, die der Gemeinde doch ein für alle Mal „eingeleuchtet“ hat, soll durch die innergemeindliche Paraklese und durch „didaktische“ Bemühungen wieder zum Leuchten gebracht werden (vgl. 5,11–6,3).126 121 122
137f.
B ACKHAUS, Hebräerbrief (s. Anm. 11), 214f. So aber KÄSEMANN, Gottesvolk (s. Anm. 43), 119; GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22),
123 Eine vergleichbare wechselseitige Bezogenheit von geistigem und ethischem Anspruch äußert sich bereits in Hebr 2,1, wo der Autor aus dem Erweis der Erhabenheit des Sohnes praktische Konsequenzen für die Christen zieht. Aus der Tatsache, dass der Sohn höher ist als die Engel (vgl. 1,4) folgt mit innerer Notwendigkeit (δεῖ; vgl. 9,26; 11,6), dass wir in höherem Maße auf das Wort achtgeben. Weil Gott „im Sohn“ endgültig geredet hat (1,1–2), müssen die Hörer dieses Wortes demselben umso mehr Aufmerksamkeit schenken. „Für konsequentes Denken ergibt sich aus der größeren Verheißung notwendig die größere Verantwortung“ (GRÄSSER, Hebräer I [s. Anm. 19], 100). 124 LÜNEMANN, Hebräerbrief (s. Anm. 60), 217. 125 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 218. 126 MICHEL (Hebräer [s. Anm. 113], 58f. Anm. 1) weist auf die „didaktische[n] Züge“ von Hebr 5,11–6,20 hin; vgl. WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 55. Mit ironischem Zungenschlag kommentiert Rudolf B ULTMANN (Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 9 1984, 483) dieses Anliegen: „Der Verf von Hebr … ist sichtlich stolz auf das, was er seinen Lesern an Erkenntnis bieten kann.“
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Wie in keiner anderen neutestamentlichen Schrift sind die Ausführungen zum Glauben im Hebräerbrief durchdrungen von einer ‚rationalen‘ Terminologie, die markante Anklänge an philosophische Sprachtraditionen und Denkfiguren aufweist. Indes besteht kein Zweifel, dass die „Logik“ seiner Überlegungen letztlich „nur für den Glaubenden selbst Überzeugungskraft besitzt.“127 Nur wer glaubt, erkennt: πίστει νοοῦμεν (Hebr 11,3). Es versteht sich also von selbst, dass er keine „für jedermann einsehbare intellektuelle Beweisführung“ bieten will.128 Aus dem parakletisch-didaktischen, nach innen gerichteten Grundanliegen des Hebräerbriefes129 folgt nun nicht, dass seine Argumentation den Kriterien und Regeln des nicht schon christlich formatierten vernünftigen Denkens fremd wäre. Im Gegenteil! Er sieht seine Aufgabe darin, die Bekenntnisüberlieferung auch denkerisch verantwortet für die Gemeindesituation auszulegen und zu aktualisieren.130 In diesem hermeneutischen Kraftakt besteht die eigentliche theologische und intellektuelle Leistung des Hebräerbriefes. Es dokumentiert sich in ihr ein „frommes Denken“, eine Rationalität sub specie fidei, die dem noch atmenden Glauben Argumente und der Glaubenspraxis eine Grundlage bieten soll. Zu diesem Zweck setzt er alle ihm zur Verfügung stehenden literarischen und argumentativen Mittel ein.131
127
RIGGENBACH, Hebräer (s. Anm. 91), 342. Vgl. B OCKMUEHL, Abraham’s Faith (s. Anm. 104), 371: „The believer … perceives with clarity the reality of what is promised.“ 128 ROSE, Wolke (s. Anm. 77), 125: „Es geht dem Hebr überhaupt an keiner Stelle um eine nach außerhalb von der christlichen Gemeinde zielende Überzeugungsarbeit, sondern in jedem seiner Hauptteile um die aus den theologischen Einsichten zu ziehenden Konsequenzen (Paränese).“ ROSE (a.a.O., 123 Anm. 211) freilich will dem Hebräerbrief deshalb zu Unrecht jegliches „intellektuelle Moment“ absprechen. 129 Vgl. zugespitzt GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 32: Er will „konservieren, nicht missionieren.“ 130 Vgl. WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 55. 131 Vgl. das gelehrte Kapitel „Langue et caractéristiques littéraires“ in SPICQ, Hébreux I (s. Anm. 45), 351–378. Mit den Arbeiten von Barnabas LINDARS (The Rhetorical Structure of Hebrews, NTS 35 [1989], 382–406), David A. DES ILVA (Despising Shame. Honor Discourse and Community Maintenance in the Epistle to the Hebrews, SBL.DS 152, Atlanta 1995) und vielen anderen wurden antike rhetorische Kategorien (wieder) für die Analyse des Hebräerbriefes einbezogen. Zum Stand der Forschung vgl. G. GELARDINI, Rhetorical Criticism in Hebrews Scholarship. Avenues and Aporias, in: A.B. McGowan/ K.H. Richards (Hg.), Method and Meaning. Essays on New Testament Interpretation in Honor of Harold W. Attridge, SBL.RBS 67, Atlanta 2011, 213–236; SMALL, Characterization (s. Anm. 39), 15–24; vgl. aber auch Smalls resignierte Feststellung angesichts der sich teils widersprechenden Pluralität der Zugänge: „we are at an impasse“ (a.a.O., 103). Schon deshalb ist mir hier mehr an den Strategien und Techniken der Überzeugungsarbeit des Hebräerbriefs gelegen als an den Kategorien und Termini der antiken Rhetorik.
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Die Vernunftnotwendigkeit des Glaubens Schon Ernst Dobschütz machte auf die Sonderstellung des Werkes innerhalb des frühchristlichen Schrifttums aufmerksam, wenn er sagt: „[S]ein frommes Denken ist rational, d.h. hier überwiegt der Versuch, das Tun Gottes, das Heilswerk Christi als vernunftnotwendig zu erweisen.“132 Somit ist nicht nur der Sprachstil des auctor ad Hebraeos „griechischer“ (Ἐλληνικωτέρα) als der paulinische, sondern auch seine Gedankenführung.133 Neben der Schrift beruft er sich beständig auf Prinzipien, die keinen Widerspruch zulassen (vgl. Hebr 7,7: χωρὶς δὲ πάσης ἀντιλογίας). Immer wieder wurde in der Forschung darauf hingewiesen, dass zu diesen Prinzipen, mit denen er sein christliches Bekenntnis auch nach rationalen Maßstäben untermauert, das „Angemessene“ (vgl. Hebr 2,10.17; 7,26), das „Notwendige“ (7,12.27; 8,3; 9,16.23) und das „(Un)mögliche“ (6,4–18; 10,4; 11,6) gehören. Diese rhetorische Strategie ist – so James Thompson – seit dem Rationalismus des Xenophanes bis zu den Kirchenvätern gängig und einsichtig: „Arguments from necessity, appropriateness, and (im)possibility were commonplace in Greco-Roman rhetoric and philosophy.“134
Die Logik des Hebräerbriefes ist nicht weltanschaulich „neutral“. Sie hat das fromme Denken im Blick. Mag etwa das formale Kriterium des „Angemessenen“ den Eindruck einer logischen Notwendigkeit erwecken, so kann der Gegenstand dessen, was „angemessen“ ist, am Ende doch nur die Glaubenden überzeugen. Nur wer mit der spezifisch christlich verstandenen Kategorie der „freien und unverfügbaren ‚Gnade Gottes‘“ (2,9)135 etwas anzufangen weiß, lässt sich von der Folgerung überzeugen, dass es Gott „entspricht“ (ἔπρεπεν … αὐτῷ), den Anführer des Heils „durch Leiden zur Vollendung zu bringen“ (2,10).136 Auch das Axiom in Hebr 11,6, 132 E. VON DOBSCHÜTZ, Rationales und irrationales Denken über Gott im Urchristentum. Eine Studie besonders zum Hebräerbrief, ThStKr 95 (1923/1924), 235–255, 247. 133 Vgl. P. P ILHOFER, ΚΡΕΙΤΤΟΝΟΣ ΔΙΑΘΗΚΗΣ ΕΓΓΥΟΣ. Die Bedeutung der Präexistenzchristologie für die Theologie des Hebräerbriefs (1996), in: ders., Die frühen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufsätze 1996–2001, 58–72, 69, mit Verweis auf das bekannte Origenes-Zitat, dass der Hebräerbrief „in seiner sprachlichen Form [im Vergleich zu Paulus] ein besseres Griechisch aufweist“ (bei Euseb, h.e. l. 6,25,11). 134 J.W. T HOMPSON, The Appropriate, the Necessary, and the Impossible. Faith and Reason in Hebrews, in: A.J. Malherbe/F.W. Norris/J.W. Thomspon (Hg.), The Early Church in its Context (FS E. Ferguson), NT.S 90, Leiden 1998, 302–317, 306. Vgl. auch H. LÖHR, Reflections of Rhetorical Terminology in Hebrews, in: G. Gelardini (Hg.), Hebrews. Contemporary Methods – New Insights, Atlanta 2005, 199–210, 203–208. 135 WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 204. 136 ATTRIDGE, Hebrews (s. Anm. 98), 82: „The use of the term [sc. ἔπρεπεν] in this context is a rather bold move, since in Greek and Greco-Jewish theology it would not have been thought ‚proper‘ to associate God with the world of suffering.“ John DUNNILL (Covenant and Sacrifice in the Letter to the Hebrews, Society for New Testament Studies Monograph Series 75, Cambridge 1992, 118) spricht mit Blick auf Hebr 2,10 von einer
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dass es ohne Glauben unmöglich (ἀδύνατον) ist, Gott zu gefallen, wird nicht eigens begründet, sondern vorausgesetzt. So spricht die argumentative Strategie des Hebräerbriefes nur diejenigen an, die sich dem Glauben gegenüber geöffnet haben, nicht aber neutrale Betrachter oder gar Verächter des Glaubens. Die πίστις als Gegenstand der Rhetorik Der Hebräerbriefautor steht nicht nur in Hinsicht auf die rationale Auslegung des frommen Denkens innerhalb des neuen Testaments „ganz isoliert“.137 Einzigartig ist auch sein Bemühen, mithilfe einer rhetorisch gewandten Darstellung des Glaubensbegriffs selbst zur Stärkung und Erneuerung des Glaubens beizutragen. In Hebr 3,12–19 zieht der Autor mit einer kunstvollen Inklusion durch die Wiederholung der Stichworte „sehen“ und „Unglaube“ (3,12.19) ein Fazit aus dem Beispiel der Exodusgeneration.138 „Und so sehen wir, dass sie nicht in sie eingehen konnten wegen ihres Unglaubens“ (3,19). Der Grund für den Ausschluss von der Heilszusage, δι᾽ ἀπιστίαν (3,19) wird wirkungsvoll und „[m]it Nachdruck an’s Ende gestellt“.139 In Hebr 10,39 und dem folgenden Kapitel lässt sich sehen, wie er mit seinem vorzüglich ausgestatteten rhetorischen Repertoire sein Auditorium auf verschiedenen Bewusstseinsebenen ansprechen und so sein Argumentationsziel erreichen will. Hebr 10,39 ist ein besonders sorgfältig komponierter Vers. Das verwundert nicht, ist er doch nicht weniger ist als „der Skopos des Hebr überhaupt.“140 Nicht nur die durch einen antithetischen Parallelismus ausgedrückte semantische Opposition zwischen dem verderblichen Zurückweichen und dem heilvollen Glauben, die die Adressaten auf der emotionalen Ebene ansprechen soll, sondern auch die subtilere, mit den harten Verschlusslauten π bzw. ψ arbeitende Figur der Alliteration141 zeugen vom rhetorischen Geschick des Autors. So markiert der Vers einen äußerst wirkungsvollen, einprägsamen Endpunkt der Paränese 10,32–38 und mittels des Stichwortes πίστις zugleich eine Überleitung zur Wesensbeschreibung des Glaubens 11,1 und dem anschließenden großen Paradigmenkatalog. Das Klangspiel mit dem Laut π setzt sich in Hebr 11,1 fort (in Verbindung mit Assonanz auf o),142 doch ändert sich nun der Stil, und der Autor „curious logic“. Zu rhetorisch vergleichbarem ἔπρεπεν bei Philo vgl. T HOMPSON, Appropriate (s. Anm. 134), 309–314 (z.B. Philo, LA 1,48; conf. 175.179.180; fug. 66). 137 DOBSCHÜTZ, Rationales und irrationales Denken (s. Anm. 132), 247. 138 Vgl. GRÄSSER, Hebräer I (s. Anm. 1), 184. 139 LÜNEMANN, Hebräerbrief (s. Anm. 60), 141. 140 GRÄSSER, Hebräer III (s. Anm. 55), 82. 141 Vgl. ATTRIDGE, Hebrews (s. Anm. 98), 304 mit Anm. 95. 142 Vgl. ATTRIDGE, Hebrews (s. Anm. 98), 307 („rich in alliteration and assonance“).
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schlägt einen lehrhaft-paränetischen Ton an, der die schwankende Leserschaft zu einem Leben „im Glauben“ ermuntern und ermutigen will. Zu diesem Zweck zieht er wiederum alle rhetorischen Register.143 Schon immer fiel den Kommentatoren das in dieser Dichte sonst nicht belegte Stilmittel der Anaphora auf.144 Insgesamt 18-mal erscheint das Schlagwort πίστει. Ceclas Spicq urteilt: „Par sa répétition de πίστει, πίστει, πίστει … au début des propositions successives, le chapitre XI fournit le plus bel exemple d’anaphore de toute la Bible et peut-être de la littérature profane.“145 Die Wirkung der Anaphora, die sich am besten beim Hören entfaltet, wird durch weitere Stilmittel unterstützt.146 Die Exempelreihe erweist den Glauben als ganzheitliches Geschehen, das auch und gerade auf das Erkennen hin offen ist. Abraham etwa hätte allen Grund gehabt, an der empfangenen Verheißung zu zweifeln und zu verzweifeln. Doch er blieb standhaft; er kam durch Abwägen zum Schluss (11,19: λογίζεσθαι), dass Gott mächtig ist, auch von den Toten aufzuerwecken, dass also der göttlichen Verheißung mehr zuzutrauen ist als dem vor Augen Liegenden. Wieder begegnet das aufschlussreiche Denkmuster, dass der Glaubende gerade durch Nachdenken zum Ausharren im Glauben durchdringt.
3. Glauben und Erkennen bei Paulus: Bezwungen von der Weisheit Gottes Während dem Hebräerbrief die philosophisch-hellenistische Prägung und die ‚Intellektualisierung‘ seines Denkens und speziell seines Glaubensverständnisses gelegentlich angekreidet wurde, behauptete sich andererseits „das ‚Märchen von einem unintellektuellen Paulus‘ mit großer Zähigkeit.“147 Weil der im jüdischen Pharisäismus sozialisierte Paulus weit von der Höhe griechisch-römischer Kultur abstehe, sah man in ihm weniger den systematischen Denker als vielmehr den Kämpfer für die „Torheit“ 143
Vgl. GRÄSSER, Hebräer III (s. Anm. 55), 86. Vgl. ROSE, Wolke (s. Anm. 77), 84 mit Anm. 21, der noch auf weitere Beispiele aus jüdischer und frühchristlicher Literatur verweist. 145 SPICQ, Hébreux I (s. Anm. 45), 362. 146 Vgl. ausführlich M.R. COSBY, The Rhetorical Composition and Function of Hebrews 11. In Light of Example Lists in Antiquity, Mercer 1988, 25–91. A.a.O., 4: „The author composes it in such a way as to sound persuasive to his audience. He relies heavily on artistic use of language, on implementation of rhetorical techniques that greatly enhance the effectiveness of his message. The forcefulness of his words is therefore somewhat diminished if one does not hear the convincing sound of his message.“ 147 M. T HEOBALD, Glaube und Vernunft. Zur Argumentation des Paulus im Römerbrief (1989), in: ders., Studien zum Römerbrief, WUNT 136, Tübingen 2001, 417–431, 417 mit einem Zitat von Hans Dieter Betz. 144
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der Kreuzesbotschaft, den Repräsentanten einer mystischen Christ-Innigkeit oder den eifrigen Missionspraktiker. Neuerdings vertritt u.a. Alain Badiou die Auffassung, dass Paulus und sein Glaubensverständnis nicht als unphilosophisch, sondern als radikal „antiphilosophisch“ zu bezeichnen seien, insofern der Inhalt seines Glaubens der Erkenntnis prinzipiell unzugänglich bleibe.148 Andererseits drängt die neuere Paulusexegese zunehmend darauf, Paulus als eigenständigen theologischen Denker ernst zu nehmen.149 So betont Udo Schnelle in der Neuauflage seines Paulusbuchs, dass der Apostel den Vergleich mit zeitgenössischen Philosophen wie Plutarch oder Epiktet „nicht scheuen muss“, sondern dass ein solcher Vergleich vielmehr zeige, „dass Paulus ihnen gegenüber auch in denkerischer Kraft in nichts zurücksteht.“150 Schnelle fügt freilich hinzu: „Zwar war Paulus zweifellos auch nach antiken Kategorien kein Philosoph, aber seine Theologie weist eine denkerische Kraft auf.“151 Schon Bultmann hatte sich in einem bedeutsamen Abschnitt seiner „Theologie des Neuen Testaments“ in diesem Sinne geäußert und den Zusammenhang von Glauben und Erkennen herausgestellt: „Die Tatsache, dass Paulus nicht, wie etwa griechische Philosophen oder moderne Theologen, seine Gedanken über Gott und Christus, über Welt und Mensch theoretisch zusammenhängend in einer selbständigen wissenschaftlichen Schrift entwickelt hat … darf nicht zu dem Urteil verführen, dass Paulus kein eigentlicher Theologe gewesen sei, und dass man, um seine Eigenart zu erfassen, ihn vielmehr als einen Heros der Frömmigkeit verstehen müsse … Vielmehr erhebt das theologische Denken des Paulus nur die im Glauben als solchem enthaltene Erkenntnis zur Klarheit bewussten Wissens. Ein Gottesverhältnis, das nur Gefühl, nur ‚Frömmigkeit‘ und nicht zugleich ein Wissen um Gott und Mensch in Einem wäre, ist für Paulus nicht denkbar. Der Akt des Glaubens ist zugleich ein Akt des Erkennens, und entsprechend kann sich das theologische Erkennen nicht vom Glauben lösen.“152
148 Vgl. A. B ADIOU, Saint Paul. La fondation de l’universalisme, Paris 1997, 62: „La thèse de Paul n’est pas que la philosophie est une erreur, une illusion nécessaire, un phantasme, etc., mais qu’il n’y a plus de lieu recevable pour sa prétention.“ Sein Glaubensdiskurs orientiere sich an der durch das „Ereignis“ eröffneten Möglichkeit und habe also mit Wissen nichts zu tun: „Il ne saurait donc, d’aucune façon (et c’est la pointe de l’antiphilosophie des Paul) relever de la connaissance“ (a.a.O., 48). Ein „Ereignis“ ist unvorhersehbar, zufällig, „überzählig“ und mit jeder vorhandenen kulturellen Enzyklopädie inkommensurabel – und daher jeder Rationalität unzugänglich. 149 U. SCHNELLE, Der Römerbrief und die Aporien des paulinischen Denkens, in: ders. (Hg.), The Letter to the Romans, BEThL 226, Leuven 2009, 3–23, 22f. 150 SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 13), Vorwort und 22. 151 SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 13), 22. Paulus hat „die wegweisende theologische Interpretation des Christusgeschehens“ vorgelegt (a.a.O., 175 Anm. 125), ohne „dem Wunsch nach durchgängiger Einheitlichkeit und Systematisierbarkeit“ nachzukommen (a.a.O., 22). 152 B ULTMANN, Theologie (s. Anm. 126), 191f. Vgl. G. B ORNKAMM, Glaube und Vernunft bei Paulus (1957), in: K.H. Rengstorf (Hg., in Verbindung mit U. Luck), Das Paulusbild in der neueren deutschen Forschung, WdF 24, Darmstadt 21969, 519–612.
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Auch in der paulinischen Theologie scheint es also zu einer charakteristischen Verschränkung von „widervernünftiger“ Glaubensbotschaft und denkerisch verantworteter, verständiger Durchdringung derselben zu kommen. Nur einige wenige Aspekte können hier angedeutet werden.153 3.1 Die Torheit des Glaubens 1Kor 1,18–25 Unbestreitbar steht am Anfang des paulinischen Denkweges die Einsicht in die Absurdität und das Ärgernis des Wortes vom Kreuz. Explizit wird dies v.a. im 1. Korintherbrief. „Der Gekreuzigte ist eine Torheit, die sich in kein rationales … System integrieren lässt, und er ist ein Skandal … Das Kreuz ist die Klippe, an der die Weisheit der Griechen und die Frömmigkeit der Juden zerschellen.“154 Weisheit und Bildung scheitern an der Kreuzesrede, weil Gott selbst „die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht“ hat (1Kor 1,20). Mit der Formulierung „die Weisheit der Welt“ meint Paulus – so Günter Bornkamm – „eine sehr bestimmte, inhaltlich qualifizierte Weise des Denkens, die immer schon an der Weisheit Gottes gescheitert ist und darum den Menschen in die Verlorenheit gestürzt hat, aus der Gott ihn, den Menschen, durch die Torheit der Kreuzesbotschaft zu retten beschlossen hat.“155 Der Glaube, den Paulus durch seine Missionspredigt erwirken will, beruht deshalb nicht auf menschlicher Weisheit (1Kor 2,5) und Rhetorik (1,17), sondern auf Gottes Kraft. Auch die Bejahung der Glaubensbotschaft, das Überzeugt-Sein von ihr – beides schwingt im Wort πίστις mit – schreibt Paulus dem göttlichen Wirken zu. Eine derart offensive anti-rationale Qualifizierung des Glaubensinhalts sucht man im Hebräerbrief vergebens. Sein Verfasser tritt rhetorisch die Flucht nach vorne an, indem er das Paradoxe für logisch erklärt: Er stellt die Verbindung der göttlichen Sphäre mit der Welt des Leidens gerade nicht als widersinnig dar, sondern als denknotwendig (Hebr 2,10: ἔπρεπεν).156 Um die christlichen Gemeinden ihrer Identität zu vergewissern, wiederholt Paulus immer wieder die ‚Elementargründe‘ ihres Glaubens, nämlich den Tod und die Auferstehung Christi. An diesen Stellen tritt eine eigentümliche „kognitive Dimension“ des Glaubens
153 Ausführliche Darlegungen finden sich in meinen Bänden Abraham’s Faith in Romans 4. Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6, WUNT 2/224, Tübingen 2007 und Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, ThSt.NF 3, Zürich 2011. 154 J. ZUMSTEIN, Das Wort vom Kreuz als Mitte der paulinischen Theologie, in: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 27–41, 36. 155 B ORNKAMM, Glaube und Vernunft (s. Anm. 152), 593. 156 Vgl. unter 2.3 den Abschnitt „Die Vernunftnotwendigkeit des Glaubens“.
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in Erscheinung, die keine Parallele im Hebräerbrief hat.157 Dieser nämlich setzt die „Anfangslehre über Christus“ (ὁ τῆς ἀρχῆς τοῦ Χριστοῦ λόγος) ausdrücklich voraus (Hebr 6,1). Der Inhalt des paulinischen Kerygmas wird v.a. im Auferstehungskapitel des 1. Korintherbriefes thematisch, in dem Paulus die fides quae creditur ausdrücklich mit dem Inhalt des gepredigten Evangeliums identifiziert (vgl. 1Kor 15,11). Im Bekenntnisstil und in Übereinstimmung mit der frühchristlichen Tradition führt er den Glauben nach seinem Inhalt aus (1Kor 15,3b–5). Im Römerbrief greift Paulus eine weitere frühchristliche „Pistisformel“ auf, die in der Auferweckung Jesu seine Würde als κύριος begründet sieht und diese zum Grund und Inhalt christlichen Bekennens und Glaubens macht (Röm 10,9). Auf die kürzeste Form gebracht beinhaltet der Glaube, „dass Jesus gestorben und auferstanden ist“ (1Thess 4,14; vgl. Röm 4,24).
Röm 4,18–21 Nun ist allerdings aufschlussreich, dass dort, wo Paulus etwas ausführlicher, nämlich anhand des Abrahambeispiels, über den Vollzug des Glaubens in seiner geschichtlichen Bedingtheit reflektiert, er etliche Elemente nennt, die auch die Charakterisierung des Glaubens im Hebräerbrief auszeichnen.158 So weist er der Hoffnung, die gegen allen Anschein hofft, eine entscheidende Rolle zu (Röm 4,18: παρ’ ἐλπίδα ἐπ’ ἐλπίδι) und macht deutlich, dass der Glaube das Moment der Perseveranz einschließt (Röm 4,19). Nicht zuletzt begegnet in der Bemerkung, dass Abraham seinen Leib als bereits erstorbenen wahrnahm (Röm 4,19: κατανοεῖν),159 ein ‚noetischer‘ Wesensaspekt des Glaubens, der ihm gedankliche Klarheit und realistische Nüchternheit abverlangt (vgl. Hebr 11,19: λογίζεσθαι)160 und seiner „Überzeugungsgewissheit“ gegenüber der Verheißung keinen Ab157
Vgl. ATTRIDGE, Hebrews (s. Anm. 98), 313f.: „Paul’s references to faith and belief clearly involve a cognitive dimension, the content of which is the kerygma or gospel message … Such an explicit specification of the content of faith is quite lacking in Hebrews.“ 158 Röm 4,18–21 wird gelegentlich als eine paulinische „Definition“ (S.J. GATHERCOLE , Justified by Faith, Justified by his Blood. The Evidence of Romans 3:21–4:25, in: D.A. Carson/P.T. O’Brien/M.A. Seifrid [Hg.], Justification and Variegated Nomism. A Fresh Appraisal of Paul and Second Temple Judaism, Band 2: The Paradoxes of Paul, Tübingen 2004, 147–184, 162) oder „Wesensbeschreibung“ (J. ROLOFF, Abraham im Neuen Testament. Beobachtungen zu einem Aspekt Biblischer Theologie, in: ders., Exegetische Verantwortung in der Kirche. Aufsätze [hg. von M. Karrer], Göttingen 1990, 231–254, 247) des Glaubens bezeichnet. Vgl. zum Ganzen SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 153), 378–387: „Romans 4:18–21: Faith and Reality – the Nature of πίστις“. 159 M. T HEOBALD, „Abraham sah hin…“. Realitätssinn als Gütesiegel des Glaubens (Röm 4,18–22), in: ders., Studien zum Römerbrief, WUNT 136, Tübingen 2001, 398– 416, 412 Anm. 57: „Gemeint ist kein ergebnisoffenes oder neutrales Betrachten, sondern ein solches, das zu einem kritischen Urteil gelangt.“ Das Verb erscheint in diesem Sinn auch in Hebr 3,1 (s.u. Abschnitt 4.2); vgl. 10,24. 160 H. SCHLIER, Der Römerbrief, HThKNT, Freiburg i.Br. 1977, 134: „Gerade in der Nüchternheit, die die menschlichen Fakten nicht übersieht, bewährt sich die Hoffnung, die gegen alle Hoffnung ist.“
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bruch tut (4,21: πληροφορεῖν). Im Glauben hatte er Gewissheit, dass Gott „die Toten lebendig macht und was nicht ist, ins Dasein ruft“ (4,17). Ein paralleler, auf die πίστις des Paulus gerichteter Gedanke findet sich in 2Kor 5,7, einem Vers, der in mehrerlei Hinsicht Grundgedanken des Hebräerbriefs nahesteht und doch einen anderen Akzent setzt: διὰ πίστεως γὰρ περιπατοῦμεν, οὐ διὰ εἴδους. Zum Glauben, von dem Paulus hier spricht, gehört ein „Wissen“, von dem in 2Kor 4,14 (εἰδότες ὅτι) und 5,1 (οἴδαμεν ὅτι) die Rede war. Wie Abraham ist Paulus gewiss, dass Gott aus dem Tod ins Leben überführt, dass er, „der Jesus … auferweckt hat, mit Jesus auch uns auferwecken“ (4,14) und uns einen unvergänglichen Leib geben wird. Dieser Glaube kennzeichnet nach Paulus die christliche Existenz. Das „Wandeln im Glauben“ ist „die Signatur seines irdischen Lebens“.161 Mit εἶδος bezeichnet Paulus nicht etwa (aktivisch) das „Schauen“, sondern (passivisch) die Erscheinung bzw. das Sichtbare, nämlich „die kommende neue Leiblichkeit“,162 derer er sich im Glauben gewiss ist, die aber in seiner irdischen Existenzweise noch nicht „zu Gesicht“ bekommt. Der Satz ist daher so zu übersetzen: „Denn in Glauben wandeln wir, nicht in Sichtbarem.“163 Hierzu steht Hebr 11,1 in greifbarer Nähe.
3.2 Die Überzeugungskraft des Glaubens Der „Denkstil“ des Römerbriefs Bultmann betont zurecht, dass das frühchristliche Glaubensverständnis ohne das Element der Erkenntnis gar nicht vorstellbar ist: „Der Glaubende muß ja verstehen, was ihm von Gott und Christus verkündigt wird und wie dadurch seine eigene Situation bestimmt ist.“164 Vom Glauben kann und muss rational einsichtig Rechenschaft gegeben werden, weil er „von Anfang an das Strukturmoment der Erkenntnis in sich enthält.“165 Dass Paulus von der „Torheit des Kreuzes“ überführt wurde, hält ihn nicht davon ab, die Heilswirksamkeit des Kreuzestodes Jesu auch mit rhetorischen und argumentativen Mitteln166 und in Anknüpfung an Topoi, 161
O. HOFIUS, „Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“? Zum Problem der Übersetzung und Auslegung von 2Kor 5,7, ZThK 111 (2014), 271–283, 281. 162 C. W OLFF, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 8, Berlin 22011, 113. Die meisten neueren Kommentare gehen von einer aktivischen Bedeutung von εἶδος aus (vgl. die Belege bei HOFIUS, „Wandeln im Glauben“ [s. Anm. 161], 272 Anm. 7). 163 WOLFF, Korinther (s. Anm. 162), 98. HOFIUS („Wandeln im Glauben“ [s. Anm. 161], 281) paraphrasiert: „Ich führe mein gegenwärtiges irdisches Leben als ein Glaubender, der im Glauben der Gabe des neuen Leibes gewiss ist, nicht aber als einer, an dem dieser neue Leib bereits sichtbar in Erscheinung tritt.“ 164 B ULTMANN, Theologie (s. Anm. 126), 481. Das gelte nicht nur für die Spätschriften des Neuen Testaments, sondern gerade auch und gerade für die Paulusbriefe. Was Paulus im Galaterbrief und im Römerbrief theologisch erörtert, dient gerade dazu, „die mit dem Glauben gegebene Erkenntnis zu entfalten“ (ebd.). 165 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 144 Anm. 465. 166 Bahnbrechend war in dieser Hinsicht H.D. BETZ, Galatians. A Commentary on Paul’s Letter to the Churches in Galatia, Hermeneia, Philadelphia 1979. Vgl. zum Rö-
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Motive und Denkfiguren der zeitgenössischen Philosophie167 für das Denken aufzuschließen und dadurch aufzuweisen, dass der Akt des Glaubens zugleich ein Akt des Erkennens ist. Davon zeugt insbesondere der Römerbrief, in dem Paulus weniger als Pioniermissionar denn als Missionsstratege in Erscheinung tritt. Doch richtet sich die Gedankenführung des Römerbriefs nicht wie im Hebräerbrief nur nach innen auf die vom Glauben bereits überführte, nun aber angefochtene Gemeinde, sondern auch nach außen: Wie Michael Theobald überzeugend nachgewiesen hat, bemüht Paulus sich um eine „möglichst breite, jedermann treffende Argumentationsweise.“168 Versteht man die briefliche Selbstempfehlung im Sinne einer „Ethos-Beschaffung“ des Autors, dann spricht schon aus Röm 1,14 der Anspruch des Paulus, intellektuell redlich und nach anerkannten Kriterien der Vernunft zu argumentieren.169 In Röm 1,18–3,20 beispielsweise versucht Paulus zu zeigen, dass seine pessimistische Anthropologie (vgl. summarisch 3,23: πάντες … ἥμαρτον) nicht nur innerhalb der Wirklichkeitsgewissheit des Glaubens einsichtig ist, sondern einen „eigenständigen Erkenntniswert“ beanspruchen kann.170 „In dem Maß dieser Aufweis gelingt, gewinnt auch die Not-wendigkeit der Heilsbotschaft Jesu an Plausibilität.“171 Die πίστις als Thema und Gliederungsprinzip des Römerbriefs Der Römerbrief bezeugt darüber hinaus einen rhetorischen Spielzug, der innerhalb der frühchristlichen Literatur ohne Parallele ist: Paulus macht die πίστις aus sachlicher und rhetorischer Sicht zum Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation.172 Die vierfache Nennung des Glaubens in den vielmerbrief F. S IEGERT, Argumentation bei Paulus, gezeigt an Röm 9–11, WUNT 34, Tübingen 1985. 167 Vgl. zusammenfassend S. VOLLENWEIDER, „Mitten auf dem Areopag“. Überlegungen zu den Schnittstellen zwischen antiker Philosophie und Neuem Testament“, Early Christianity 3 (2012), 296–320 (zum Römerbrief: a.a.O., 301–303): Röm 1,19–20: aristotelisch-stoisch gefasste natürliche Gotteserkenntnis; 2,14–15: stoischer Topos vom „Naturgesetz“; 6,1–8,39: platonische Metaphorik vom Sterben und Neuwerden; 7,14–25: platonisch-dualistische Sicht auf den inneren Konflikt des Menschen; 12,1–2: stoisch formatierte Autonomie des Handelns; 13,1–7: Reflex politischer Philosophie. S.a. SCHNELLE, Das frühe Christentum (s. Anm. 4), 136–138. Das Ethos des Paulus wird untersucht in Kristin DIVJANOVIC , Paulus als Philosoph. Das Ethos des Apostels vor dem Hintergrund antiker Populärphilosophie, NTA 58, Münster 2015. 168 T HEOBALD, Glaube und Vernunft (s. Anm. 147), 431. 169 Vgl. T HEOBALD, Glaube und Vernunft (s. Anm. 147), 422 Anm. 22. 170 T HEOBALD, Glaube und Vernunft (s. Anm. 147), 420. 171 T HEOBALD, Glaube und Vernunft (s. Anm. 147), 419 (zum Römerbrief). 172 Vgl. hierzu T. SCHUMACHER, Ein Schlüssel zum Römerbrief. Zur Bedeutung von Röm 1,16f. für die Briefkomposition, in: H. Zaborowski/S. Loos/T. Schumacher (Hg.), An die Römer. Urtext – Übersetzungen – Philosophische und theologische Interpretatio-
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schichtigen Leitversen Röm 1,16–17 ist ein deutliches Signal für seine Bedeutsamkeit. Nach den Regeln antiker Rhetorik stellt die propositio den „gedankliche[n] Kernbestand“ und den Beginn der folgenden Beweisführung dar.173 Auf jedem einzelnen Wort liegt Gewicht. Das „Evangelium“ als macht- und heilvolles Werkzeug zur Rettung aller, die glauben, ist für Paulus das Leitwort, das er expliziert. „Kraft Gottes“ und „Gerechtigkeit Gottes“ stellt er betont vor die beiden folgenden Begründungssätze. Und doch „scheint der Brennpunkt der Satzreihe insgesamt … die Glaubensthematik zu sein, denn sie ist es, die alle einzelnen Aussagen zusammenbindet.“174 Was Paulus über das Evangelium, die Kraft und Gerechtigkeit Gottes sagt, ist bei seinen Adressaten unumstritten; aber dass dies alles auf den Glauben hinausläuft und an den Glauben gebunden ist, das erweist sich als Stein des Anstoßes. Für die Auslegung des Römerbriefes legt sich nun nahe, diesen „am meisten umstrittenen und alles umfassenden Begriff des Glaubens“175 in den zentralen Aussagen und entscheidenden Wendungen des Gedankengangs zu erwarten. In der Tat kann gezeigt werden, dass Paulus die πίστις als literarischen Topos verwendet, um mittels des Motives des Glaubens die Überzeugungskraft des Glaubens selbst herauszuarbeiten.176
4. Der Anschluss an Christus nach dem Hebräerbrief: „kognitive Christusmimesis“ 4.1 Jesus als Glaubender Die exegetisch177 wie auch dogmatisch178 motivierte Ablehnung der Ansicht, dass der Hebräerbrief Jesus als Subjekt der πίστις versteht, musste nen, Interpretationen und Quellen 3, Freiburg i.Br. 2013, 351–393; M. THEOBALD, Der „strittige Punkt“ (Rhet. a. Her. I,26) im Diskurs des Römerbriefs. Die propositio 1,16f und das Mysterium der Errettung ganz Israels (1999), in: ders., Studien zum Römerbrief, WUNT 136, Tübingen 2001, 278–323. S.a. SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 153), 240–251. 173 H. LAUSBERG, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart 42008, §346. Vgl. Quintilian, inst. 4,1,1 (propositio … omnis confirmationis initium). 174 T HEOBALD, Der „strittige Punkt“ (s. Anm. 172), 283. 175 So E. LOHMEYER, Grundlagen paulinischer Theologie, BHTh 1, Tübingen 1929, 115. 176 Der Nachweis kann hier nicht im Einzelnen geführt werden. Vgl. zusammenfassend SCHLIESSER, Was ist Glaube? (s. Anm. 153), 54f. 177 Vgl. z.B. SPICQ, Hébreux II (s. Anm. 45), 386: „[J]amais l’Écriture ne parle du Christ comme d’un croyant.“ A. VANHOYE, La lettre aux Hébreux. Jésus Christ, médiateur d’une nouvelle alliance, Jésus et Jésus-Christ 84, Paris 2002, 91f.: „[L]e Nouveau
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der mittlerweile weithin anerkannten Auffassung weichen, dass er „Jesus ausdrücklich selbst als Glaubenden vor[stellt].“179 Christopher Richardson will in seiner neuen Studie sogar zeigen, dass der Glaube Jesu nicht nur zum Thema gemacht wird, sondern zur wichtigsten Lehre des Briefes avanciert.180 Freilich trifft der Autor des Hebräerbriefs nirgendwo eine Aussage nach dem Muster ἡ πίστις ἧν ἔχει Ἰησοῦς,181 und nirgendwo fällt ein Satz wie Ἰησοῦς ἐπίστευσεν. Doch redet der Hebräerbrief vom Vertrauen des Messias Jesus (2,13: πεποιθώς), von der Treue des Hohepriesters und Apostels (2,17; 3,2: πιστός), von der Gottergebenheit (5,7: εὐλάβεια) und dem Gehorsam (5,8: ὑπακοή) des Gottessohnes und schließlich von der Eigenschaft Jesu als „Anführer und Vollender des Glaubens“ (τὸν τῆς πίστεως ἀρχηγὸν καὶ τελειωτήν) (12,2). Ebenso deutlich, wie der Verfasser Jesus zum Subjekt des Glaubens macht, stellt er die Einzigartigkeit des Glaubens Jesu heraus. Schon David Schulz hat auf den merkwürdigen Sachverhalt hingewiesen, dass sich der Glaube an Christus, „das Fundament der meisten christlichen Ansichten“, nirgendwo im Hebräerbrief finde.182 In der Tat ist der Glaube im Hebräerbrief augenscheinlich ausschließlich auf Gott gerichtet, und alle Versuche, in der „impliziten Logik“ des Briefes den Gedanken eines Glaubens an Christus im paulinischen Sinne zu entdecken,183 scheitern am Textbefund. Insbesondere die Monographie von Erich Gräßer arbeitete sich an der Frage ab, wie der Verfasser des Hebräerbriefes „das urchristliche Kerygma in einer so explizit christologischen Weise entfalten kann, ohne die Pistis in einen direkten Bezug zu Christus zu setzen.“184 Man könne für den Hebräerbrief nur das „Fehlen eines spezifisch christlichen Glaubensbegriffes“185 konstatieren und müsse sich damit abfinden, dass
Testament n’attribue jamais à Jésus l’action de ‚croire‘.“ Vgl. die Zusammenschau bei R ICHARDSON, Pioneer (s. Anm. 58), 2–6. 178 Vgl. LÜNEMANN, Hebräerbrief (s. Anm. 60), 389 (s.o. bei Anm. 60). 179 SÖDING, Zuversicht (s. Anm. 61), 215. Vgl. KARRER, Hebräer 2 (s. Anm. 79), 302. 180 RICHARDSON, Pioneer (s. Anm. 58), 15 („the most important doctrine in the epistle“; weniger absolut a.a.O., 255). Zurückhaltender äußert sich T.R. SCHREINER, Commentary on Hebrews, Biblical Theology for Christian Proclamation, Nashville 2015, 101 Anm. 115: „Richardson overstates the importance of this theme but rightly sees its presence.“ 181 Vgl. M. SILVA, Faith versus Works of Law in Galatians, in: D.A. Carson/P.T. O’Brien/M.A. Seifrid (Hg.), Justification and Variegated Nomismus, Band 2: The Paradoxes of Paul, WUNT 2/181, 217–248, 231 Anm. 36: „[N]o NT author ever uses an unequivocal expression to indicate Jesus’ faith(fulness), such as ἡ πίστις ἡ [sic] ἔχει Ἰησοῦς or anything of the sort.“ 182 SCHULZ, Hebräer (s. Anm. 24), 111. 183 So in extremer Einseitigkeit V. RHEE, Christology and the Concept of Faith in Hebrews 5:11–6:20, JETS 43 (2000), 83–96 (84: „implicit logic“); DERS., Faith in Hebrews, 56: „Thus it may be said that Christ is implicitly depicted as the object of faith throughout the book.“ 184 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 214. 185 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 217.
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„der ‚Glaube an Jesus‘ kein Gegenstand theologischer Reflexion“ sei.186 Doch ist die Frage nach der Christologie des Glaubens damit noch nicht erledigt.
4.2 „Kognitive Mimesis“ Nun könnte der Gedanke, dass Jesus als „Anführer und Vollender des Glaubens“ den Weg des Glaubens vorangegangen ist und die Weggemeinschaft der Glaubenden zum Ziel führt, mit der Aufforderung einhergehen, Jesus und seinem Beispiel zu folgen, seinen Weg nachzugehen. Doch auch davon spricht der Hebräerbrief nicht. Weder wird ausdrücklich zum „Glauben an Jesus“ aufgerufen, noch zum „Glauben wie Jesus.“ Die Orientierung an Jesus und am Vorbild des ‚Jesusglaubens‘ vollzieht sich in der Sphäre des Reflexiven und Kontemplativen; es fallen Begriffe wie κατανοεῖν (3,1; vgl. 2,9), ἀφορᾶν (12,2) und ἀναλογίζεσθαι (12,3). Es steht außer Frage, dass für den auctor ad Hebraeos aus dem Nach-denken auch das Nach-folgen erwächst, doch ist die kognitiv-geistige Akzentuierung markant.187 Der Anschluss an Christus nach dem Hebräerbrief kann daher als „kognitive Mimesis“ umschrieben werden.188 Hebr 3,1 Christus ist als der πρόδρομος (Hebr 6,20) Gegenstand einer eindringlichen Betrachtung derer, die nachkommen. Die erste unmittelbare Anrede an die Adressaten des Hebräerbriefs ergeht als ein nachdrücklicher Appell, der in der übrigen neutestamentlichen Literatur kein Gegenstück hat.189 „Daher, heilige Brüder, ihr Teilhaber (μέτοχοι) einer himmlischen Berufung, gebt Acht (κατανοήσατε) auf den Gesandten und Hohepriester unseres Bekenntnisses: Jesus, der treu ist (πιστὸν ὄντα) dem, der ihn eingesetzt hat …!“ (3,1–2). Der Satz ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich für die Gestalt der Beziehung zwischen den Christen und Jesus, dem Hohepriester und Apostel.
186 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 77. Vgl. a.a.O., 79: „Der spezifisch christliche (‚christologische‘) Glaube findet im Hb keine Fortsetzung, weder in der reflektierten Weise des Apostels Paulus, noch in der unreflektierten der Synoptiker.“ 187 Auch Agon-Metaphorik ist präsent (Hebr 12,1–2), jedoch werden die beiden Aufforderungen, Ballast abzuwerfen und ausdauernd zu laufen, nicht direkt mit einer Ausrichtung auf den Vorauseilenden in Verbindung gebracht. 188 Der Hebräerbrief verwendet den Begriff μιμητής freilich nicht im Blick auf Christus, sondern im Blick auf diejenigen, die durch Glauben und Geduld die Verheißung ererben (Hebr 6,12). 189 Vgl. B ACKHAUS, Hebräerbrief (s. Anm. 11), 136. A.a.O., 134 auch die folgende Übersetzung.
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Zunächst fällt die Verwendung des Verbs κατανοεῖν mit Blick auf Jesus ins Auge,190 mit dem der Verfasser dazu auffordert, den Blick – „euren Glaubensblick, denn πίστει νοοῦμειν [11,3]“191 – auf Jesus zu richten. Gemeint ist ein eindringliches, verweilendes, empathisches Betrachten,192 das auch den Verstand engagiert und zur Einsicht durchdringt, dass Jesus treu ist (vgl. 2,17). Es ist, zweitens, kein Zufall, dass hier wie auch andernorts pointiert von Ἰησοῦς die Rede ist, denn die Angeredeten sind aufgefordert, Jesus als Menschen und in seiner Menschlichkeit zu betrachten und aus seiner Standhaftigkeit Mut und Motivation für ihre eigene Glaubenspraxis zu ziehen. Drittens ist es für die Glaubensauffassung des Schreibens höchst bedeutsam, dass Jesus als πιστός apostrophiert wird.193 Er hat seine Treue darin erwiesen, dass er sich in seinen eigenen Versuchungen bewährt hat und dadurch denen helfen kann, die gegenwärtig Versuchungen ausgesetzt sind (2,18). Die Standhaftigkeit Jesu kulminiert im „Schmecken des Todes“, der äußersten Erniedrigung, aus der gleichsam die Heilsbedeutung dieser Erniedrigung erwächst (ὑπὲρ παντὸς) (2,9; vgl. 2,14). Der Teilhabe Jesu an der Menschlichkeit der Glaubenden (2,14) korrespondiert ihre Teilhabe an ihm (3,14: μέτοχοι τοῦ Χριστοῦ): „Das Sein der Christen als ‚Teilhaber des Christus‘ verwirklicht sich nicht anders als dadurch, daß sie die ἀρχὴ τῆς ὑποστάσεως bis ans Ende fest bewahren – und gerade so nun auch ihrerseits den Weg gehen, den Jesus selbst als ‚Anfänger und Vollender des Glaubens‘ bereits gegangen ist (12,2).“194 Mit der Wendung „Teilhaber des Christus“ erläutert der Verfasser also, was es heißt, „Teilhaber an der himmlischen Berufung zu sein“ (3,1; vgl. 1,9). Seine Botschaft ist eindeutig: Wer das Treu-Sein des Hohepriesters Jesus reflektiert (im doppelten Wortsinn) und daraus seine Konsequenzen zieht, dessen Glaube wird nicht wanken. „Christ bleibt, wer auf Christus
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Das Wort ist offensichtlich ein Vorzugswort des Lukas: Lk 6,41; 12,24.27; 20,23; Apg 7,31.32; 11,6; 27,39). Jedoch findet es auch im übrigen Neuen Testament Verwendung, darunter im Römerbrief (s.u.). 191 F. DELITZSCH, Commentar zum Briefe an die Hebräer. Mit archäologischen und dogmatischen Excursen über das Opfer und die Versöhnung, Leipzig 1857,104. 192 Vgl. mit diskursanalytischer Rahmentheorie C.L. WESTFALL, A Discourse Analysis of the Letter to the Hebrews. The Relationship between Form and Meaning, Library of New Testament Studies 297, London, 2005, 111: „The readers are … the intended sensors of the cognitive process of thinking intently.“ S.a. Hebr 10,24 (ebenfalls imperativisch gebraucht): καὶ κατανοῶμεν ἀλλήλους. Dies ist als Anweisung „zur wechselseitigen Kontrolle loyalen Glaubensvollzugs“ zu versehen (K. B ACKHAUS, Auf Ehre und Gewissen! Die Ethik des Hebräerbriefs, in: ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 215–237, 220). 193 Mit dem Adjektiv πιστός werden neben dem Hohepriester Jesus (Hebr 2,17; 3,1) auch Gott (10,23; 11,11) und Mose (3,5 im Zitat aus LXX Num 12,7) bezeichnet. 194 WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 264.
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schaut.“195 Und wer – auf Christus schauend – Christ bleibt, hat Anteil an seinem Geschick und seiner endzeitlichen Würde und tritt ein in „die soteriologische Teilhaberschaft am Erlösungsgeschehen.“196 Hebr 12,2–3 Hebr 12,3 ist sachlich auf Engste verwandt mit Hebr 3,1. Wieder erscheint ein Appell an das vernünftige, fromme Denken, das zu lebenspraktischen Konsequenzen führt: „Betrachtet (ἀναλογίσασθε) den, der eine solche Anfeindung durch die Sünder gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermattet, ausgezehrt an euren Seelen.“ Das Verb ἀναλογίζεσθαι bezeichnet „das vergleichende oder erwägende Betrachten.“197 Wieder soll die Kontemplation und die reflektierte Aneignung der Erniedrigung Jesu dazu dienen, Energie für den Glaubensweg zurückzugewinnen und Müdigkeit abzuschütteln. Der wirkungsgeschichtlich bedeutsamste Ausdruck in diesem Abschnitt ist ἀφορᾶν (12,2; vgl. 11,26: ἀποβλέπειν). Er ist wie ἀναλογίζεσθαι neutestamentliches (und biblisches) hapax legomenon, ist aber bei jüdischen und paganen Autoren belegt, wo er (wie in 12,2 mit εἰς oder auch mit πρός τι gebraucht) die Bedeutung hat, den Blick auf jemanden zu richten – und zwar nicht bloß „die leiblichen Augen … sondern vornehmlich das Auge des Geistes, um worauf Acht zu geben …, und sich dadurch in seinem Wandel stärken oder leiten zu lassen.“198 Wieder sticht die ‚intellektuelle‘ Färbung des Gedankens hervor: Es kann nicht darum gehen, dem „Vorläufer“ blindlings hinterherzulaufen, ohne sich über Kosten und Konsequenzen im Klaren zu sein, sondern sich durch die Kontemplation seines Beispiels anspornen zu lassen und seinem Lauf im Geiste nachzugehen, um wie er zum Ziel zu gelangen. Es schwingt in dem Satz auch mit, dass die ganze Aufmerksamkeit auf Jesus gerichtet sein soll – weg (ἀπό) von allem, was potentiell vom eigentlichen Fokus ablenkt, hin (εἰς) zu dem, der allein „Anführer und Vollender“ ist.199 195
B ACKHAUS, Hebräerbrief (s. Anm. 11), 136. GRÄSSER, Hebräer I (s. Anm. 1), 160. 197 LÜNEMANN, Hebräerbrief (s. Anm. 60), 391. 198 B LEEK, Hebräer Band 2/2 (s. Anm. 82), 862. Aus dem griechisch-römischen Schrifttum wird häufig eine Passage Epiktets angeführt, der dazu auffordert, seinen Lehren und Darlegungen nachzusinnen und den Beispielen Beachtung zu schenken (Epiktet, diatr. 4,1,170). Auch Gott ist Gegenstand der Betrachtung (vgl. Epiktet, diatr. 2,19,29; Josephus, Ant. 8,290; 4Makk 17,10). 199 Vgl. O’BRIEN, Hebrews (s. Anm. 103), 453 mit Anm. 33: „The author’s appeal calls for concentrated attention that turns away from all distractions, with eyes only for Jesus.“ S. in diesem Sinn auch N.C. CROY, Endurance in Suffering. Hebrews 12:1–13 in Its Rhetorical, Religious, and Philosophical Context, Society for New Testament Studies Monograph Series 98, Cambridge 1998, 174. 196
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Es wird nicht gesagt, dass der Modus des Anschlusses an Jesus im Glauben besteht, obwohl doch – analog zu ἀναλογίσασθε (12,3) und κατανοήσατε (3,1) – der Imperativ πιστεύετε eigentlich „nicht unangebracht“ wäre.200 Doch hat einerseits die Formel vom „Glauben an Christus“ keinen Ort in der an einer „axe théocentrique“201 aufgehängten Gedankenwelt des auctor ad Hebraeos, und andererseits geschieht der Anschluss an Christus nicht im Glauben an ihn, sondern in der Reflexion und Realisierung seines vorbildhaften Glaubens. Diejenigen, die (wie er) ausdauernd glauben, gehen (wie er) ein in den himmlischen Ruheort: Εἰσερχόμεθα γὰρ εἰς [τὴν] κατάπαυσιν οἱ πιστεύσαντες (4,3). Indem die Christen das Geschick Jesu betrachten und es sich reflexiv aneignen, verlieren andere Plausibilitäten ihre Anziehungskraft bzw. ihr Bedrohungspotential.202 Die sich an Christi Glauben orientieren, bannen die allseits lauernde Gefahr des Rückfalls ins Heidentum und erhalten als Christi „Genossen“ Anteil am Heil.203 Die partizipatorische Christologie des Hebräerbriefes ist einzigartig im Neuen Testament und hat doch in der paulinischen Theologie ein noch wirkmächtigeres Pendent.
5. Der Anschluss an Christus nach Paulus: partizipatorische „Christusmystik“ 5.1 Christi Gehorsam und πίστις Χριστοῦ Paulus’ Rede von Christi Gehorsam,204 seinem vorbildhaften Leiden205 und seinem heilsbringenden Tod weist den Apostel zunächst in einen mit dem 200
So GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 62 mit Anm. 387. SPICQ, Hébreux I (s. Anm. 45), 149 Anm. 7 („axe théocentrique de la théologie de Hébr.“). 202 Dazu gehört auch, sich entgegen der sozialen Codes und Normen des Leidens Jesu nicht zu schämen. Vgl. z.B. KOESTER, Hebrews (s. Anm. 109), 536: „[T]o despise shame is to reject the view of those people who have declared that the cross is dishonourable. Hebrews argues that Jesus suffered in obedience to God (2:10–18; 5:7–10; 10:5–10), following a standard different from that of Greco-Roman society.“ Wegweisend in diesem Zusammenhang ist die sozialgeschichtlich angelegte Studie von DESILVA, Despising Shame (s. Anm. 131). 203 Vgl. B ACKHAUS, Auf Ehre und Gewissen (s. Anm. 192), 221 mit Anm. 23. Der Autor warnt vor einem „Rückfall“ nicht in die jüdische Mutterreligion (so pointiert B. LINDARS, The Theology of the Letter to the Hebrews, Cambridge 1991, 4), sondern in die dominante Kultur des stadtrömischen Heidentums. 204 Vgl. Röm 5,19; Phil 2,8; Hebr 5,8. Wie Hebr 5,8 sind auch die paulinischen Formulierungen durch eine „Objektlosigkeit des Gehorsams“ gekennzeichnet (U.B. MÜLLER, Der Brief des Paulus an die Philipper, ThHK 11/1, Leipzig 22002, 107, zu Phil 2,8). Richtig sicherlich J. REUMANN, Philippians. A New Translation with Introduction and 201
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Hebräerbrief verwandten christologischen Traditionsraum. Doch er spricht an keiner Stelle vom Glauben Jesu (lässt man die umstrittenen Stellen Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; Phil 3,9 einmal außer Acht), dafür aber auf vielfältige Weise – verbal, nominal, adjektivisch – vom Glauben Abrahams.206 Nichtsdestotrotz erblickt eine wachsende Zahl von Exegetinnen und Exegeten in Phil 2,5–11 und Röm 5,15–21 eine Entfaltung der enigmatischen Genitivverbindung πίστις Χριστοῦ.207 Die mittlerweile ausufernde Debatte zu dieser Wendung kann hier nicht einmal im Ansatz ausgewertet werden.208 Wenn oben gesagt wurde, dass die πίστις ΧριστοῦWelle in die Hebräerforschung überschwappt, dann scheint umgekehrt, dass die Rede vom Glauben Jesu im Hebräerbrief gelegentlich auf paulinische Texte übertragen wird. Vertreter der genitivus subjectivus-Interpretation stellen ihre Deutung des Glaubens Christi in den Rahmen einer „representative christology“, 209 einer „interchange soteriology“, 210 bzw. eines grundlegenden „participatory rationale“.211 Grundlegend ist der Gedanke, dass Christi Glaube und Gehorsam ein Muster für die christliche Existenz darstellen. Wie es zur existentiellen Aneignung des vorbildhaften Glaubensgehorsams Christi kommen kann, wird auf unterschiedliche Weise beschrieben, z.B. als metaphorische Analogie zu Christi Glaube,212 als Teilhabe an Christi Glaubensgehorsam,213 als „isomorphe“ Mi-
Commentary, AncB 33B, New Haven 2008, 352: „Christ’s obedience to the will of God is implied …, but not stated.“ 205 Vgl. z.B. 2Kor 1,5; Phil 3,10; Hebr 2,9 (τὸ πάθημα τοῦ θανάτου).18; 5,8. 206 Vgl. nur Röm 4,3; Gal 3,6: ἐπίστευσεν δὲ Ἀβραάμ; Röm 4,16: πίστις Ἀβραάμ; Gal 3,9: ὁ πιστὸς Ἀβραάμ. 207 Vgl. exemplarisch L.T. JOHNSON, Romans 3:21–26 and the Faith of Jesus, CBQ 44 (1982), 77–90, 87–89; R.B. HAYS, Πίστις and Pauline Christology: What Is at Stake? (1997), in: ders., The Faith of Jesus Christ. The Narrative Substructure of Galatians 3:1– 4:11, Grand Rapids 22002, 272–297, 286. 208 Vgl. den Aufsatz von T. Schumacher in diesem Band, der durchaus anders akzentuiert. Meine eigene Sicht ist ausführlich dargelegt in B. SCHLIESSER, „Christ-Faith“ as an Eschatological Event (Galatians 3.23–26). A „Third View“ on Πίστις Χριστοῦ, JSNT 38 (2016), 277–300. 209 Vgl. HAYS, Faith (s. Anm. 207), 204. 210 Vgl. M.D. HOOKER, Πίστις Χριστοῦ (1989), in: DIES., From Adam to Christ. Essays on Paul, Cambridge 1990, 165–186, 173–175. 211 D.A. CAMPBELL, The Deliverance of God. An Apocalyptic Rereading of Justification in Paul, Grand Rapids 2009, 757; vgl. DERS. Participation and Faith in Paul, in: M.J. Thate/K.J. Vanhoozer/C.R. Campbell (Hg.), „In Christ“ in Paul. Explorations in Paul’s Theology of Union and Participation, WUNT 2/384, Tübingen 2014, 37–60. 212 Vgl. HAYS, Πίστις and Pauline Christology (s. Anm. 207), 297: „The relation between our faith and the faith of Christ is … metaphorical: our faith answers and reflects his – indeed, participates in his.“ „The ‚mapping‘ of one concept onto the other is not strictly isomorphic, because the correspondences are metaphorical.“ 213 Vgl. HOOKER, Πίστις Χριστοῦ (s. Anm. 210), 185: „[T]he believer’s initial response – his faith – is a sharing in the obedient, faith response of Christ himself.“
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mesis von Jesu Glaubensleben214 oder als die Übernahme des messianischen Erkennungszeichens, d.h. der πίστις.215 Am Ende bleibt m.E. die Zuordnung von christlichem Glauben und Christusglaube im Lager der „subjectivists“ so vieldeutig wie vage.
Bezeichnend ist, dass weder der Hebräerbrief noch Paulus großes Gewicht auf einzelne Episoden des „kurzen“ (Hebr 2,7.9) irdischen Weges Jesu legen.216 Die Bedeutung des Lebens Jesu liegt in seinem πάθημα τοῦ θανάτου (Hebr 2,9) bzw. seinem Gehorsam μέχρι θανάτου (Phil 2,8): „Heilsbedeutsam sind Tod und Erhöhung, nicht die vita Jesu.“217 Andere Elemente erfahren eine je eigene Akzentuierung. Die Erhöhungsperspektive, die beide Autoren miteinander verbindet, ist unterschiedlich ausgeprägt: Paulus denkt im ‚Philipperhymnus‘ an die Inthronisation Jesu, die mit einer Übertragung der Herrschaft durch Gott einhergeht (Phil 2,9–11), während der Hebräerbrief die „Inauguration zum Hohenpriester des Neuen Bundes“ vor Augen hat (vgl. Hebr 5,10; 6,19–20).218 Röm 5,19 Die in Röm 5,19 formulierte These, dass durch den „Gehorsam des Einen“ die Vielen zu Gerechten werden, erinnert in soteriologischer Hinsicht an den Hebräerbrief, doch fehlt bei Paulus die paradigmatische Komponente, die im Hebräerbrief eine herausragende Funktion einnimmt und einen Kerngedanken seiner Soteriologie darstellt. Bei Paulus ist keine Rede davon, dass aus dem Gehorsam Christi der Gehorsam der Vielen erwachsen solle. Auch sieht Paulus keine Veranlassung, den Gehorsam Christi mit einem alttestamentlichen Glaubensparadigma zu verknüpfen. Im Unterschied zum Hebräerbrief wird hier nicht die Ahnenreihe der Glaubenden durch Christi Gehorsam zu einem krönenden Abschluss gebracht, sondern Christi singulärer Gehorsam legt die Grundlage für die Rechtfertigung des Gottlosen aus Glauben (vgl. Röm 4,5; vgl. 5,6), die in einem Leben im
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Vgl. CAMPBELL, Deliverance (s. Anm. 211), 756: „‚Christian faith,‘ which seems to embrace several aspects ranging from right beliefs about God, through trust, to steadfast fidelity over time, is isomorphic with Christ’s own ‚faith‘.“ 215 Vgl. N.T. WRIGHT, Paul and the Faithfulness of God, Christian Origins and the Question of God 4, London 2013, 1000: „Jesus’ pistis evokes the pistis of all those who believe the gospel, and this pistis thereby becomes the appropriate badge both of their membership in the covenant family and of their sharing in the results of his ‚faithful‘ sinbearing vocation.“ 216 Dies gilt für Paulus unbenommen der Tatsache, „that knowledge of and interest in the life and ministry of Jesus was an integral part of his theology albeit referred to only sotto voce in his written theology“ (J.D.G. DUNN, The Theology of Paul the Apostle, Grand Rapids 1998, 195). 217 GRÄSSER, Hebräer I (s. Anm. 1), 297. 218 B LEEK, Hebräer 2/2 (s. Anm. 82), 93.
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Glauben Gestalt gewinnt (vgl. Röm 4,18–21; 5,2–5).219 Beides – in dogmatischer Terminologie: die iustificatio impii und die perseverantia – sieht Paulus im Glauben des Stammvaters Abraham präfiguriert und im Gehorsam Christi grundgelegt. Auch der bei Paulus stets präsente, enge Konnex zwischen dem Glauben und der Gottlosigkeit bzw. der Sünde lässt es als unwahrscheinlich erscheinen, dass er sich Jesus als Glaubenden vorstellt.220 Gal 3,23–25 Insbesondere machen die πίστις (Χριστοῦ)-Belege in Gal 3,23–25 die disparaten Denkvoraussetzungen der beiden „Glaubenstheologen“ sichtbar: In „apokalyptischer“ Begrifflichkeit (Gal 3,23.25: ἔρχεσθαι, ἀποκαλύπτεσθαι) beschreibt Paulus den Christusglauben als eschatologisches Ereignis, das natürlich nicht mit einer Seelenverfassung (διάθεσις) Christi zu identifizieren ist,221 sondern vielmehr mit Christi Kommen am πλήρωμα τοῦ χρόνου (Gal 4,4). Paulus redet „pointiert temporal von der πίστις“ im Sinne eines in Zeit und Raum hereinbrechenden Heilsgeschehens.222 Schon allein deshalb käme Paulus nicht auf die Idee, eine lange Reihe von Glaubenszeugen aufzuzählen, die von Christus besiegelt würde. Dass Abraham glaubte, ist ein „Anachronismus“, denn er glaubte, bevor der Christusglaube als neue Heilssetzung überhaupt erst existentiell realisiert werden konnte. So ist Abraham für Paulus der „präexistente“ Glaubende und als solcher „das präexistente Glied der Ekklesia“, „Typus des neuen Gottes-
219 Nur wer diese Verzahnung zwischen Kapitel 4 und 5 übersieht und eine direkte Verbindung zwischen der subjektiv verstandenen πίστις Christi in Röm 3,21–26 und seiner ὑπακοή in Röm 5,15–21 herstellen will, kann zum Urteil gelangen, dass das Abrahamkapitel den Gedankengang störe (so HOOKER, Πίστις Χριστοῦ [s. Anm. 210], 169: „something of an intrusion“). 220 Vgl. C.E.B. CRANFIELD, On the Πίστις Χριστοῦ Question, in: ders., On Romans and Other New Testament Essays, Edinburgh 1998, 81–97, 96: „It [sc. faith] is the attitude of one who knows and confesses that he is a sinner. This ‚negative‘ function of πίστις/πιστεύειν is very evident in Paul’s appeal to Abraham in Romans 4 … If πίστις … was in Paul’s mind as strongly associated with the situation of the sinner who knows that he has no ground on which to stand before God except God’s own sheer grace in Jesus Christ as I think it was, then this would suggest that it would not be likely to come at all naturally to him to speak of Jesus Christ’s πίστις.“ Für den Hebräerbrief besteht diese Verbindung nicht: Jesus war „ohne Sünde“ (4,15: χωρὶς ἁμαρτίας) und erweist gerade darin seine einzigartige πίστις. 221 So aber der Sache nach H.-S. CHOI, ΠΙΣΤΙΣ in Galatians 5:5–6. Neglected Evidence for the Faithfulness of Christ, JBL 124 (2005), 467–490, 476, der allerdings gleichzeitig vom Christusglauben als einem eschatologischen Ereignis spricht. 222 E. J ÜNGEL, Das Gesetz zwischen Adam und Christus. Eine theologische Studie zu Röm 5,12–21, in: ders., Unterwegs zur Sache, Tübingen 32000, 145–172, 151.
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volkes“.223 An ihm als προπάτωρ (Röm 4,1) des Gottesvolkes hat Gott in typologischer Weise gehandelt und ihm „proleptisch“ Teilhabe am Heil gewährt. Eine analoge, keineswegs identische Rolle nimmt Christus im Hebräerbrief ein: Christus ist der πρόδρομος (Hebr 6,20) des wandernden Gottesvolkes, der als Anfänger des Heils viele in die Herrlichkeit führte (2,10). Im Unterschied zum Hebräerbrief identifiziert Paulus Abraham als das Urbild und Vorbild des Glaubens, nicht Christus,224 und Christus „ist nicht wie Abraham Urbild des Glaubens, sondern Herr seiner Gemeinde.“225 5.2 „Sein in Christus“ Der Anschluss an den „Christusglauben“ vollzieht sich nach Paulus weder im Rahmen einer reflexiven Versenkung in die Glaubensweise Christi wie im Hebräerbrief noch in einer existentiellen Aneignung des Glaubensgehorsams Christi. Am Anfang steht das durchaus auch in einem kognitiven Sinn aufzufassende „Fürwahrhalten des christlichen Kerygmas“, d.h. die innere Zustimmung zum Inhalt der Botschaft des Evangeliums, dass Christus gestorben und wieder auferstanden ist.226 Freilich weist der paulinische Gebrauch der Glaubensterminologie über das bloße geistige Aneignen hinaus und fasst darin ein die ganze Existenz in Beschlag nehmendes Verhältnis zu Christus, welches wiederum nicht ohne eine soziale Dimension gedacht werden kann. Um die Christusbeziehung in Worte zu kleiden, bewegt sich Paulus in zwei ineinander verschränkten Vorstellungsbereichen: dem juridisch konnotierten Bereich der Rechtfertigung aus Glauben und dem partizipatorisch gefassten Bereich der Teilhabe der Glauben223
F. NEUGEBAUER, In Christus = En Christoi. Eine Untersuchung zum paulinischen Glaubensverständnis, Göttingen 1961, 168f. 224 Zur Beschreibung Abrahams als Urbild des Glaubens vgl. z.B. E. KÄSEMANN, Der Glaube Abrahams in Röm 4, in: ders., Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969, 140– 177, 141; ausführlich SCHLIESSER, Abraham’s Faith (s. Anm. 153), 404–408. 225 KÄSEMANN, Der Glaube Abrahams (s. Anm. 224), 142. 226 E. W ISSMANN, Das Verhältnis von ΠΙΣΤΙΣ und Christusfrömmigkeit, FRLANT 23, Göttingen 1926, 38. Wissmann (a.a.O., 66f.) gelangt allerdings zu dem gewiss einseitigen Schluss, dass πίστις bei Paulus nichts anderes sein könne als „glauben im nackten, nüchternen Sinn der bejahenden Aneignung und Zustimmung“. Vgl. B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ. (s. Anm. 5), 218f., der allerdings die Einseitigkeit seines Schülers Wissmann vermeidet, wenn er schreibt: „Ist die πίστις die gläubige Annahme dessen, was das Kerygma verkündigt, so reduziert sie sich doch nicht auf eine fides historica, weil sie als das Bekenntnis zu Gottes Tat deren Gültigkeit je für mich anerkennt.“ Bultmanns „je für mich“ unterschlägt umgekehrt den konstitutiven Gemeinschaftsbezug des Glaubens (vgl. A. VON D OBBELER, Glaube als Teilhabe. Historische und semantische Grundlagen der paulinischen Theologie und Ekklesiologie des Glaubens, WUNT 2/22, Tübingen 1987, 271; B.C. DUNSON, Faith in Romans. The Salvation of the Individual or Life in Community?, JSNT 34 [2011], 19–46; s.a. den Aufsatz von Jakob Spaeth in diesem Band).
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den an Christus. Die Frage, wie die juridische und die partizipatorische Dimension aufeinander zu beziehen sind, ist notorisch umstritten,227 kann hier aber außer Acht bleiben.
Von Interesse ist in unserem Zusammenhang auch die paulinische Ausprägung des imitatio Christi-Gedankens und die damit verknüpfte Verwendung des Verbes φρονεῖν (vgl. Röm 15,5; Phil 2,5). Der Begriff trägt durchaus einen reflexiven Akzent, doch er meint in einem umfassenderen Sinn eine Gesinnung, „in der Denken und Wollen eine Einheit bilden“.228 Der in den „Philipperhymnus“ überleitende Satz Τοῦτο φρονεῖτε ἐν ὑμῖν ὃ καὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Phil 2,5) birgt eine Vielzahl von exegetischen Problemen. Gleichwohl steht außer Frage, dass sich die von den Philippern angemahnte Geisteshaltung nicht wie im Hebräerbrief unmittelbar auf die Person Christi richtet. Mit dem Pronomen τοῦτο nimmt Paulus Bezug auf die eindringlichen Sätze des voranstehenden Abschnitts (Phil 2,1–4), weist aber zugleich und vor allem voraus (ὅ) auf die gleich folgenden christologischen Voraussetzungen der Mahnung im „Hymnus“ (Phil 2,6–11). Sehr kontrovers wird die Bedeutung der Wendung ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ diskutiert. Es lässt sich ein „ethisches“ von einem „kerygmatischen“ Verständnis unterscheiden. 229 Ist Paulus zuallererst auf die ethischen Implikation des Beispiels Christi bedacht – „He wants this example imitated and followed, not merely admired or contemplated“230 – oder liegt ihm daran, dass die Philipper „in ihrer ganzen Existenz, in ihrem Denken und Handeln, in ihrem individuellen wie sozialen Bezug darauf gesinnt sein [sollen], was gerade aufgrund der Christusherrschaft sich notwendig ergibt“?231 Möglicherweise hat Paulus bewusst doppeldeutig formuliert und richtet an die Philipper sowohl eine „direkte Aufforderung, Christus, die Gesinnung, die ihn auf seinen Weg geführt hat, als Vorbild für die eigene Gesinnung zu nehmen“ als auch „eine indirekte, die betont, dass die Philipper die richtige Gesinnung gemeinsam und untereinander haben sollen und dass diese Gesinnung die einzige ist, die ihrem neuen Sein in Christus entspricht.“232
Die Dramaturgie des „Hymnus“ zielt aber darauf, dass Christus aufgrund (Phil 2,9: διό) seines Gehorsams zum Herrscher eingesetzt und als Herr bekannt wird und weniger darauf, dass der vorbildhafte Gehorsam ein Exempel statuiert und zum Nachahmen und Nachfolgen auffordert. Das 227 Vgl. die integrative Sicht z.B. bei C. LANDMESSER, Umstrittener Paulus. Die gegenwärtige Diskussion um die paulinische Theologie, ZThK 105 (2008), 387–410, 402. 228 B ULTMANN, Theologie (s. Anm. 126), 215. 229 So nach einer Typisierung in M. B OCKMUEHL, The Epistle to the Philippians, BNTC, Peabody 1998, 122. 230 B. W ITHERINGTON, Paul’s Letter to the Philippians. A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids 2011, 117. Vgl. BOCKMUEHL, Philippians (s. Anm. 229), 123. 231 MÜLLER, Philipper (s. Anm. 204), 92, in der von Ernst Käsemann vorgezeichneten Linie. 232 P. W ICK, „Ahmt Jesus Christus mit mir zusammen nach!“ (Phil 3,17). Imitatio Pauli und imitatio Christi im Philipperbrief, in: J. Frey/B. Schliesser (Hg., unter Mitarbeit von V. Niederhofer), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt, WUNT 353, Tübingen 2015, 309–326, 313f.
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Sein im Herrschaftsbereich Christi verpflichtet zu einer christusgemäßen Gesinnung, die dem Leben und der Einheit der Gemeinschaft zuträglich ist (vgl. Röm 15,5: τὸ αὐτὸ φρονεῖν ἐν ἀλλήλοις κατὰ Χριστὸν Ἰησοῦν). Der Herrschaftsaspekt scheint in der „ethischen“ Lesart häufig unterbelichtet. Während der Hebräerbrief also darauf dringt, Jesu Glauben gedanklich nachzuvollziehen, sich von ihm inspirieren zu lassen und dadurch neu motiviert und entschlossen den eigenen Glaubensweg zu bewältigen, konzentriert Paulus den imitatio-Gedanken auf die Verwirklichung des Herrschaftsanspruchs Christi, dem sich die Christen durch ihre Teilhabe an der Glaubenswirklichkeit und ihrem „in Christus“-Sein unterstellt haben. „The thrust is not ‚here is a model to be followed‘ so much as ‚here is a Master to be obeyed‘.“233 Das Sein im Herrschaftsbereich Christi denkt Paulus zusammen mit der Partizipation an der „Christussphäre“, am „pneumatischen Christus“.234 Folglich repräsentieren der auctor ad Hebraeos und Paulus zwei eigenständige Partizipationsmodelle. Einem ‚kognitiv-mimetischen‘ Modell steht ein ‚mystisch-hierarchisches‘ Modell gegenüber.235 Nach dem Hebräerbrief bleibt Christ, wer auf Christus schaut und vertrauend (Hebr 4,3: πιστευών) seiner Spur folgt; nach Paulus bleibt Christ, wer im Glauben (Röm 11,20; 1Kor 16,13; 2Kor 1,24) und in Christus steht (Phil 4,1; 1Thess 3,8) und sich Christi Herrschaft unterstellt. Beiden Partizipationsmodellen ist eine ethische Perspektive eigen: Die paulinische „Christusmystik“ zielt auf die Christusförmigkeit der glaubenden Existenz, sie ist „demokratisch und kommunitär, nicht individualistisch und elitär“.236 Entsprechend knüpft der Gedanke der Betrachtung Christi im Herbräerbrief an der in der Antike weit verbreiteten Wechselseitigkeit von Ethik und Epistemologie an.237 Aus religiöser Erkenntnis erwächst individualethisches 233 234
97.
235
G.F. HAWTHORNE/R.P. MARTIN, Philippians, WBC 43, Nashville 2004, 135. A. DEISSMANN, Die neutestamentliche Formel „in Christo Jesu“, Marburg 1892,
Vgl. hierzu U. LUZ, Paul as Mystic, in: G.N. Stanton/B.W. Longenecker/S. Barton (Hg.), The Holy Spirit and Christian Origins (FS J.D.G. Dunn), Grand Rapids 2004, 131– 143; DERS., Paulus als Charismatiker und Mystiker, in: T. Holtz, Exegetische und theologische Studien II (hg. von K.-W. Niebuhr), ABG 34, Leipzig 2010, 75–93; G. THEISSEN, Paulus und die Mystik. Der eine und einzige Gott und die Transformation des Menschen, ZThK 110 (2013), 263–290; D. MARGUERAT, Paul the Mystic, in: DERS., Paul in Acts and Paul in His Letter, WUNT 310, Tübingen 2013, 162–178. 236 LUZ, Paulus als Charismatiker und Mystiker, 89. MARGUERAT (Paul the Mystic [s. Anm. 235], 176) spricht in einem vergleichbaren Sinn von einer Demokratisierung der Mystik bei Paulus. 237 Vgl. F.D. AQUINO, Hebrews and Philosophy. A Question of Intersection, in: M.W. Hamilton/T.H. Olbricht/J. Peterson (Hg.), Renewing Tradition. Studies in Texts and Contexts in Honor of James W. Thompson, Princeton Theological Monograph Series 65, Eugene 2006, 195–206, 206.
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und sozialethisches Handlungswissen. Wie Paulus denkt der Hebräerbrief „kollektiv, nicht anthropologisch-individualistisch“.238
6. Bündelung Mit einprägsamen antithetischen Schemata wurde in der Forschung die Gegenläufigkeit der Glaubensauffassungen des Hebräerbriefs und der paulinischen Schriften zum Ausdruck gebracht und häufig einer Wertung unterzogen. Bei Paulus finde sich eine christologisch-soteriologische Fassung der πίστις, in der das „Bezogensein des Glaubens auf seinen Gegenstand und – damit – auf seinen Ursprung und (bleibenden) Grund“239 im Zentrum stehe. Der Hebräerbrief hingegen repräsentiere ein „vor-christliches Glaubensverständnis in hellenistisch-jüdischer Tradition“.240 Für Paulus sei die πίστις Signatur der eschatologischen christlichen Existenz, während der Hebräerbrief (wie auch Philo) einen „Flachsinn der Pistis“241 repräsentiere, indem er sie als eine Diathesis der Seele auslegt, als menschliche Haltung, Verhaltensweise oder Tugend. Nach Paulus stehe der Glaube am Beginn des Christseins, nach dem Hebräerbrief 242 Die πίστις schaue bei Paulus „primär auf das, was Gott sei er dessen Vollendung. getan hat,“243 während sie im Hebräerbrief „ganz und gar vorwärts“ auf die göttliche Zukunft und auf die Wirklichkeit des Unsichtbaren gerichtet sei.244 Bei Paulus liege alles Gewicht auf der gnadenhaften Zurechnung der Gerechtigkeit, im Hebräerbrief dränge sich die Verdienstlichkeit der Glaubensanstrengung in den Vordergrund.
Die Problematik solcher Schemata liegt weniger in den pointierten Formulierungen an sich, als in der sich darin artikulierenden Voreingenommenheit, die aus der Höhe paulinischer Theologie auf die am eigentlichen Ziel „vorbeiströmenden“ (vgl. Hebr 2,1) Denkbewegungen des Hebräerbriefs herabblickt. Wie Knut Backhaus hervorhebt, liegt in der Tat „einige Ironie darin, dass die neuzeitliche Theologie diesen Denker nicht zu schätzen weiß, gerade weil er die Hohlheit all der Alternativen, die ihr wichtig sind … als Theologe durchschaut, konzeptionelle Grenzen unterläuft und überquert, Wahrheit perspektivisch umschreitet.“245 Auch der Sachgehalt seines Glaubensverständnisses erschließt sich erst dann, wenn man sich von einer auf Alternativen fixierten Deutung löst und die Perspektivität seines Denkens wahrnimmt. In neueren Veröffentlichungen tritt der Hebräerbrief 238
GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 216. WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 569. 240 WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 568. 241 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 29. 242 SPICQ, Hébreux I (s. Anm. 45), 80f. 243 B ULTMANN, Art. πιστεύω κτλ. (s. Anm. 5), 209. 244 KÄSEMANN, Gottesvolk (s. Anm. 43), 23. 245 B ACKHAUS, Potential und Profil (s. Anm. 12), 6f. 239
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zunehmend aus dem paulinischen Schatten heraus, und auch sein Glaubensbegriff wird von seinen eigenen Voraussetzungen her gewürdigt. Ein Vergleich zielt daher nicht auf eine (von Paulus her normierte) Wertung, sondern auf eine präzise Bestimmung der jeweiligen Ausarbeitung und Begründung der πίστις. Im Folgenden fasse ich zusammen, was sich aus der Gegenüberstellung von Hebräerbrief und Paulusbriefen im Blick auf die Rationalität des Glaubens sagen lässt. 6.1 Zur Erkenntnisfunktion des Glaubens Der Autor des Hebräerbriefs fasst den Glauben nicht als Substrat eines neuen Wirklichkeitsverständnisses und noch weniger als ein sich jeglicher vernunftmäßigen Annäherung verschließendes Ereignis, sondern betont zunächst die „Erkenntnisfunktion der Pistis“.246 Terminologisch zeigt sich dies am deutlichsten in der Bezeichnung des Glaubens als ἔλεγχος (Hebr 11,1: ἔστιν δὲ πίστις … ἔλεγχος) und rhetorisch an der Stellung der „Kontext-Definition“ der πίστις vor dem Glaubenskapitel, das die Bedeutung des Glaubens durch den 18-maligen anaphorischen Gebrauch des Dativs πίστει den Adressaten geradezu einhämmert – am anschaulichsten im Rückgriff auf die Abrahamgestalt. Die Erkenntnis des Glaubens (11,1b) ist für den Hebräerbriefautor die Voraussetzung für das Durchhalten im Glauben (11,1a). Er betont nachdrücklich die Wechselseitigkeit von intellektueller Anstrengung und ethischem Anspruch, – in den Worten von H.E.G. Paulus – „[w]ie das Handeln nach redlicher Ueberzeugung zu wohlthätigen Erfolgen führe.“247 Wenn der Hebräerbrief wie auch Paulus ihre Anliegen „besonders gerne aus Abrahams Geschichte“ zeigen, dann deutet dies freilich nicht auf paulinische Verfasserschaft des Hebräerbriefs,248 sondern auf den ihnen gemeinsamen jüdischen Traditionsbereich. Abrahams Haltung illustriert für beide Autoren das Wesen des christlichen Glaubens und markiert sein Ziel, in Bezug auf die Verheißung zur Fülle des Glaubens zu gelangen (vgl. Röm 4,21: πληροφορεῖν; Hebr 6,11; 10,22: πληροφορία). Im Unterschied zum Hebräerbrief sieht sich Paulus nicht veranlasst, den Glauben als solchen zu problematisieren oder ihn gar zu „definieren“.249 Er setzt ihn als diejenige Größe voraus, die verkündigt wird, die den Zugang zum Heil gewährt, die die Identität der Christen konstituiert und die exklu246
GRÄSSER, Hebräer III (s. Anm. 55), 69 (zu 11,1.2.6.19). P AULUS, Hebräer (s. Anm. 14), 102. Vgl. KARRER, Hebräer 2 (s. Anm. 79), 274: „[A]us der Gewissheit und Evidenz des Glaubens [erwächst] stets ein dem gemäßes Handeln.“ 248 So aber P AULUS, Hebräer (s. Anm. 14), 102. S.o. Abschnitt 1.1. 249 Vgl. THOMPSON, Beginnings (s. Anm. 42), 70 (zu Hebr 11,1): „Such a statement, with its use of words from a philosophical background is far removed from the descriptions of faith in Paul or other early Christian literature.“ 247
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siv durch ihre Bezogenheit auf das Christusereignis bestimmt ist.250 Insbesondere der bei Paulus hervorstechende Ereignischarakter der πίστις (Χριστοῦ), nach dem der Glaube gleichsam zur „objektiven, realen, ontologischen Notwendigkeit für alle, für jeden Menschen“ wurde,251 entzieht sich a priori eines „analytischen“ Zugriffs. Weil der Glaube nach Paulus fides adventitia ist und außerhalb des Glaubenden begründet wird, wäre es verfehlt, ihn „primär vom Glaubenden als einem erkennenden Subjekt“ begreifen zu wollen.252 Eine „Glaubensdefinition“ findet sich bei Paulus allenfalls im Rahmen seiner Exegese von Gen 15,6 in Röm 4: Abraham, der „vor der Zeit“ von der Realität des Glaubens erfasst wurde, repräsentiert das „Paradox des Daseins“,253 insofern er das Dilemma menschlicher Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit bewusst wahrnimmt und akzeptiert (Röm 4,18–21) und darin zur Gewissheit und Standhaftigkeit gegenüber der göttlichen Verheißung durchdringt. Abraham präfiguriert damit die christliche Glaubensexistenz, die nicht trotz, sondern wegen ihres Realitätssinns in der „Sphäre“ des Glaubens erstarkt und sich nicht gegen die göttliche Verheißung stellt.254 Er ließ sich nicht vom Sichtbaren, d.h. dem Betrachten seines erstorbenen Leibes (Röm 4,19), zum Unglauben überführen. Umgekehrt ist Abraham nach dem Hebräerbrief ein Exempel für diejenigen, die durch das Nicht-Sichtbare zum Glauben überführt werden (Hebr 11,8; vgl. 11,19).
6.2 Die Begründung des Glaubens: Denkstil und Argumentationsweise Der Hebräerbrief repräsentiert die „Paradoxie des christlichen Seins zwischen den Zeiten,“255 und mit dieser ‚situativen‘ Paradoxie, nach der sich die Christen in der Spannung zwischen der Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit des Heils vorfinden, korrespondiert die Paradoxie seines Glaubensverständnisses: Der Glaube ist eine „Gewißheit von dem Ungewissen, ein 250
Vgl. M. W OLTER, Glaube/Christusglaube, in: F.W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 342–347, 343. S. ferner SCHLIESSER, Was ist Glaube? (s. Anm. 153). 251 So mit einer Formulierung von KARL B ARTH (Die kirchliche Dogmatik, Band 4/1: Die Lehre von der Versöhnung, Zürich 1960, 835). 252 So durchaus in paulinischem Sinne E. J ÜNGEL, Zur Lehre vom Heiligen Geist. Thesen, in: U. Luz/H. Weder (Hg.), Die Mitte des Neuen Testaments. Einheit und Vielfalt neutestamentlicher Theologie (FS E. Schweizer), Göttingen 1983, 97–118, 115. 253 O. SCHMITZ, Abraham im Spätjudentum und im Urchristentum, in: Aus Schrift und Geschichte (FS A. Schlatter), Stuttgart 1922, 99–123, 123 (nach S. Kierkegaard). 254 Paulus ist – anders als der Hebräerbrief und Philo – nicht an einer „Psychologie“ des Glaubens (und Zweifelns) interessiert, sondern betont vielmehr, dass Abraham nicht wie die gefallene adamitische Menschheit (vgl. Röm 1,18–32) mit „verfinstertem Herz“ (1,21) eigene Weisheit beanspruchte (1,22) und sich der göttlichen Schöpfungsabsicht und –ordnung entgegenstellte (1,22–25), dass er nicht wie „einige Juden“ (vgl. 3,1–8) die „Wahrheit Gottes“ verwarf (3,3) und sich den „Worten Gottes“ widersetzte (3,4). Vgl. zur Begründung B. SCHLIESSER, „Abraham Did not ‚Doubt‘ in Unbelief“ (Rom. 4:20). Faith, Doubt, and Dispute in Paul’s Letter to the Romans, JThS 63 (2012), 492–522; zu den gegenläufigen Perspektiven bei Paulus und Philo vgl. a.a.O., 519f. 255 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 214.
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Sehen des Unsichtbaren.“256 Es scheint, als hätte in der ‚Zwischenzeit‘ das Anstößige des Christusereignisses seine Prägekraft für die Adressaten verloren, als stellte es keine existentielle Herausforderung mehr dar, als verblasse seine identitätsstiftende Ausstrahlung. Der müde Glaube gewinnt nicht durch eine Wiederholung der elementaren Lehre neue Frische. Es bedarf anderer Mittel: Der auctor ad Hebraeos appelliert eindringlich an das Urteilsvermögen seiner Adressaten und versucht sie, durch tiefschürfende theologische Gedankenarbeit und rhetorische Kunstfertigkeit wieder vom Wahrheitsgehalt der Heilsbotschaft zu überzeugen, „damit sie ihrerseits in die Lage versetzt werden, aus der ‚Lehre‘ die entsprechende Konsequenz für ihre Existenz im Glauben zu ziehen.“257 Der seit alters beobachtete „logisch-rationale Grundzug“ des Hebräerbriefes,258 der sich auch auf die Ausführungen zur πίστις niederschlägt, richtet sich nach innen, er zielt auf die christliche Sinnwelt, in der sich die Angesprochenen (noch) verorten. Nur gemäß einer ratio fidei kann der Glaube ein Überführt-Sein von unsichtbaren Dingen sein und in der Folge einen festen Stand im Glauben verschaffen.259 Nach außen will und kann die in Hebr 11,1 gefasste Bestimmung des Glaubens keine Überzeugungskraft beanspruchen, was freilich nicht heißt, dass die ihr zugrundeliegende Denkfigur nicht an außerchristliche Diskurse anschlussfähig wäre.260 Die „Paradoxie des Glaubens“ bleibt im Hebräerbrief implizit; er kleidet sie in die Sprach- und Denkformen der Vernunft, um den Adressaten ihren Glauben wieder einsichtig zu machen.261 Lässt sich der Glaube auch mittels des Verstandes vom Unsichtbaren überführen, kann er sich (wieder) als „Anker der Seele“ hinter dem Vorhang festmachen (Hebr 6,19) und hinsichtlich des Hoffnungsgutes feststehen. Der „Sitz im Leben“ des Denkstils im Hebräerbrief ist eine Gemeinde, die durch Mutlosigkeit gelähmt und durch Zweifel gefährdet ist. Nichtsdestotrotz wird ihr intellektuell viel zugetraut und zugemutet. Ganz anders Paulus: Er hält mit seiner Auffassung nicht hinter dem Berg, dass der zentrale Inhalt des Glaubens, „dass Jesus gestorben und auferstanden ist“ (1Thess 4,14), nach dem Maßstab der Vernunft widersinnig ist. Mit dem Wort vom Kreuz gelangt die Anschlussfähigkeit seiner 256
R. GYLLENBERG, Die Christologie des Hebräerbriefes, ZSTh 11 (1934), 662–690, 667 (zitiert bei KÄSEMANN, Gottesvolk [s. Anm. 43], 23). 257 WEISS, Hebräer (s. Anm. 2), 51. 258 GRÄSSER, Hebräer I (s. Anm. 1), 100. 259 Die „Pistisförmigkeit“ des Erkennens bringt die neutestamentlich singuläre Formulierung πίστει νοοῦμεν (Hebr 11,3) auf den Punkt. 260 Zu Plutarch vgl. den Aufsatz von Rainer Hirsch-Luipold in diesem Band. 261 Dies gilt auch und gerade für die „fundamentale[] Paradoxalität von Erniedrigung und Erhöhung“ (W IDER, Theozentrik [s. Anm. 2], 56; zu Hebr 2,9), die der Autor zur Notwendigkeit erklärt (2,10: ἔπρεπεν).
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Botschaft an eine unüberwindliche Grenze; es markiert „die entscheidende Differenz zu den Sinnwelten der Juden und Griechen“ und stellt „jede geläufige kulturelle Plausibilität auf den Kopf“.262 Erkenntnistheoretisch formuliert ist Glaube für Paulus die „Konzeptualisierung einer bisher nicht gekannten Wirklichkeit als Wirklichkeit Gottes“, gegenüber der sich andere Wirklichkeitsannahmen als lediglich „von Menschen konstruierte Wirklichkeiten“ ausnehmen können.263 Doch auch Paulus ist eine Rationalisierung seiner Glaubenserkenntnis sub specie fidei nicht fremd, insofern dem Glauben ein Erkenntnisgehalt innewohnt, der „weiterer Entfaltung fähig und bedürftig ist“.264 Während er im Rückblick auf seine korinthische Mission in Erinnerung ruft, dass seine Verkündigung „nicht mit großartigen Worten und abgründiger Weisheit“ daherkam (1Kor 2,1), zeigt er sich im Römerbrief als Missionsstratege. Die Überzeugung vom wesentlich irrationalen Kern seines Evangeliums hat er auch in seinem mutmaßlich letzten Brief nicht abgelegt, doch sie hindert ihn nicht daran, im Rückgriff auf die Bildungstraditionen und philosophischen Diskurse seiner Zeit für seine Botschaft einzustehen. Die Konzeptualisierung bzw. Rationalisierung der Wirklichkeit des Glaubens erfolgt mit Mitteln und nach dem Maßstab der Vernunft. Hier trifft er sich mit dem Anliegen des Hebräerbriefes.265 Doch im Gegenüber zum Hebräerbrief ist der „Sitz im Leben“ des im Römerbrief sich abzeichnenden Denkstils eine dynamische Missionspraxis und damit auch „eine missionarisch-offene Gemeinde“.266 Zwar sind die primären Adressaten seines Briefes die Christusgläubigen der römischen Gemeinde, doch reicht seine Bemühung um argumentative Vermittlung der Glaubensbotschaft über die Grenzen der Gemeinde hinaus. Paulus’ Rechenschaft über den Glauben erfolgt auch und gerade den Gebildeten gegenüber „in so disziplinierter Weise und auf so hohem argumentativen Niveau …, daß er selbst gegen Ende gestehen muß, er habe doch ‚zum Teil etwas zu gewagt geschrieben‘“ (Röm 15,15).267 Für beide Glaubenstheologien ist überdies bezeichnend, dass der Glaube nicht nur sachlich im Zentrum steht, sondern auch rhetorisch zur Geltung gebracht wird: Im Hebräerbrief geschieht dies v.a. in Kapitel 11, das um 262 263
95.
264
SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 13), 175.487. So M. W OLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011,
B ULTMANN, Theologie (s. Anm. 126), 326. Anders THOMPSON (Appropriate [s. Anm. 134], 305): „Unlike the apostle Paul, who acknowledges that the cross is wisdom to the initiated but foolishness to the world …, the author appeals to rational argument to persuade his readers and to provide the basis for his exhortations.“ 266 T HEOBALD, Glaube und Vernunft (s. Anm. 147), 431. 267 T HEOBALD, Glaube und Vernunft (s. Anm. 147), 422. 265
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den Leitbegriff πίστις kreist, bei Paulus in der Gesamtanlage des Römerbriefs, der von der πίστις her konzipiert ist. 6.3 Der religionsgeschichtliche Standort Beide Theologen sehen sich in je eigener Weise konfrontiert mit der Herausforderung, die Spannung zwischen dem rationalen und widervernünftigen Element des Glaubens auch denkerisch auszuhalten und für ihre Adressaten in eine produktive Spannung zu überführen. Beide sind gewillt, über ihren Glauben intellektuell Rechenschaft abzulegen und ihn nicht zuletzt für die städtischen Eliten Roms rezipierbar zu machen.268 Keiner von ihnen übernimmt zu diesem Zweck ein philosophisches System, sondern beide beweisen – gerade auch, was den Glauben angeht – sowohl erhebliches Innovationspotential wie auch „Traditionstiefe“, sprachliche Kreativität und denkerische Kompetenz und in alledem die Entschlossenheit, etwas Neues, Eigenständiges zu bilden.269 Im Hebräerbrief liegen eine zeitlich-apokalyptische und eine räumlichontologische Linie nebeneinander, wobei die zweite Linie deutlicher wahrzunehmen ist. Indem der Verfasser des Briefes das „Überführtsein vom Unsichtbaren“ zu einem Wesensmerkmal des Glaubens erhebt, transponiert er gewissermaßen „den heilsgeschichtlichen Dualismus der sich ablösenden Aeonen … in den platonisch-idealistischen Dualismus von Irdisch/ Sichtbar und Himmlisch/Unsichtbar“270 – allerdings ohne eine schroffe Alternative zwischen beiden Denkformen zu konstruieren. Und indem er den Glauben als eine Haltung und Verhaltensweise darstellt, die sich in bestimmten Personen – allen voran Jesus selbst – vorgezeichnet findet, wendet er hellenistische Tugend- und Mimesis-Vorstellungen auf den Glaubensvollzug an. Nichtsdestotrotz streben die Glaubenden nach einem eschatologischen Ziel: der κατάπαυσις. Die synthetische Leistung des auctor ad Hebraeos kann kaum überschätzt werden. Sie erweist ihn als einen „Modellfall mehrdimensionalen, integrativen Denkens im Christentum,“
268 Vgl. SCHNELLE, Das frühe Christentum und die Bildung (s. Anm. 4), 140. Nach B ACKHAUS (Auf Ehre und Gewissen [s. Anm. 192], 216 Anm. 5) handelt es sich bei der Hebräerbrief-Gemeinde um „eine bildungssoziologisch profilierte, relativ eigenständige Gruppe innerhalb der stadtrömischen Christenheit“. Ähnlich M. KARRER, Der Brief an die Hebräer, Band 1: Kapitel 1,1–5,10, ÖTK 20/1, Gütersloh 2002, 11. 269 Vgl. SCHNELLE, Das frühe Christentum und die Bildung (s. Anm. 4), 128–130 (zur neuartigen „Sprache des Glaubens“),140. 270 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 215. Etwas einseitig bei EISELE, Reich (s. Anm. 41), 132: „An die Stelle der Spannung zwischen Schon und Noch-nicht rückt die Diastase zwischen erschütterlicher und unerschütterlicher Welt, die beide schon jetzt nebeneinander existieren.“
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der sich nicht von falschen theologischen Alternativen beeindrucken lässt, sondern „konzeptionelle Grenzen unterläuft und überquert.“271 Und Paulus? Auch er ist in der Lage, philosophisch einschlägige Figuren neu zu kontextualisieren, nur geht er den umgekehrten Weg. Seine ‚Rahmentheorie‘ ist nicht eine „metaphysische Sphärendichotomie“,272 sondern eine apokalyptisch geprägte Eschatologie.273 Das „Kommen des Glaubens“ wird präsentiert als ein eschatologisches Ereignis, das die Menschheit in universaler Weise in Beschlag nimmt und ihre Existenzbedingungen radikal transformiert. Zugleich zeichnet er das individuelle Glauben ein in die platonisch inspirierte „Grundfigur“ seiner Theologie, der „Partizipation der Menschen an umfassenden Sphären“.274 6.4 Die Christologie des Glaubens Die Näherbestimmung des Glaubens als Glaube an die Existenz Gottes (Hebr 11,6) löste bei seinen protestantischen Interpreten heftigste Abwehrreaktionen aus. Werner Georg Kümmel vermisst das paulinische Element, das den Glauben „als Leben in einem neuen Sein durch den Anschluß an Christus“ fasst, und folgert, „daß damit ein gefährliches Abrücken von dem bei Jesus, Paulus und Johannes vorliegenden Glaubensverständnis angebahnt wird.“275 Nun hat sich einerseits gezeigt, dass auch für Paulus der Aspekt des Fürwahrhaltens des christlichen Kerygmas konstitutiv ist, und andererseits wurde deutlich, dass auch der Hebräerbrief den Glauben als existentielle Bindung an Jesus auslegt, die Sein und Haltung des wandernden Gottesvolks charakterisiert. Natürlich ist für Paulus die Annahme des Kerygmas nie bloßes Fürwahrhalten, sondern schließt immer „die seinem Willen und seiner Verfügung entzogene Schenkung der καινὴ κτίσις“ ein.276 Doch Analoges gilt auch für den Hebräerbrief: Auch ihm geht es nicht um eine nüchterne, nackte Bejahung des Wortes (vgl. Hebr 1,1; 2,3; 4,2: ὁ λόγος τῆς ἀκοῆς) oder eines Lehrsatzes von der Existenz Gottes, sondern immer zugleich um lebenspraktische Konsequenzen und den gesamten Lebenswandel. Den Glaubenden wurde ein neuer „Wissens- und 271
B ACKHAUS, Potential und Profil (s. Anm. 12), 6f. Die in seiner Akkommodation mittelplatonisch geprägter Denkformen vollzogene geistig-religiöse Synthese stellt ihn in eine Linie mit Philo und Plutarch (vgl. a.a.O., 5). S.a. die Aufsätze von Martina Böhm und Rainer Hirsch-Luipold in diesem Band. 272 B ACKHAUS, Per Christum in Deum (s. Anm. 40), 70. 273 Vgl. VOLLENWEIDER, „Mitten auf dem Areopag“ (s. Anm. 167), 301. 274 VOLLENWEIDER, „Mitten auf dem Areopag“ (s. Anm. 167), 301f. 275 KÜMMEL, Glaube (s. Anm. 52), 74. Vgl. hierzu B ACKHAUS, Per Christum in Deum (s. Anm. 40), 72: Die theozentrische Ausrichtung des Glaubens „ist oft beklagt worden [Verweis auf Kümmel u.a.], kann aber nach den bisherigen Einsichten nicht überraschen, entspricht vielmehr dem von Anfang an verfolgten Darstellungsinteresse des Verfassers.“ 276 GRÄSSER, Glaube (s. Anm. 22), 70 Anm. 33.
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Bewusstseinsstatus“ zugeeignet (vgl. 10,26: ἐπίγνωσις τῆς ἀληθείας), der sich im Alltag zu bewähren hat. Die perspektivische Differenz zwischen dem Hebräerbrief und Paulus rührt u.a. daher, dass die „Veralltäglichung“277 des Christusereignisses und der Neuschöpfung an einem entwicklungsgeschichtlichen Prozess teilhat, nach dem eine Bewegung dazu tendiert, das Überkommene zu traditionalisieren, zu habitualisieren und zu rationalisieren.278 Diese Tendenz, die auch das Glaubensverständnis des Hebräerbriefes kennzeichnet, dient dazu, den Ursprungsbezug zu validieren und gerade einem „Abrücken“ vom Ursprung entgegenzuwirken. Das Interesse, den Glaubensinhalt in der Glaubenshaltung der Adressaten sichtbar werden zu lassen und zu habitualisieren, hat zur Konsequenz, dass der Verfasser nicht von neuem den Grund zu legen und das „Anfangswort über Christus“ (6,1) explizieren will, sondern vielmehr das Moment der im Glauben liegenden Erkenntnis und Bewährung betont.279
Adolf Schlatter bemerkte zurecht, dass für den Hebräerbriefautor und seine Adressaten die grundlegende „Glaubensfrage … mit der Erkenntnis des Christus“ bereits gelöst sei, denn sie kennen keinen anderen Glauben als den, der sich durch „die ausschließliche und streng personhafte Beziehung … auf Jesus“ auszeichnet.280 Freilich findet sich die paulinische Wendung „an Christus glauben“ ebenso wenig wie die seiner Theologie vordergründig näherliegende Vorstellung eines „wie Jesus glauben“. Die Zugehörigkeit zu Jesus als dem „Anführer und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,2) erfolgt im Rahmen einer „kognitiven Mimesis“ und äußert sich sprachlich mittels Verben des Erkennens (vgl. 3,1: κατανοεῖν; 12,2: ἀφορᾶν; 12,3: ἀναλογίζεσθαι). Durch ihre „Wahrnehmung des Glaubens“,281 die nichts Anderes ist als die Wahrnehmung des Christusgeschehens, erhalten die Adressaten Anteil und Anschluss an Jesus. „Was die Adressaten sind, das sind sie im Vollzug dieses ‚Sehens Jesu‘ als des ‚Sich 277 In Anlehnung an Max Webers Begriff von der „Veralltäglichung des Charisma“ (M. WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie [1922], Tübingen 51980, 146). 278 Vgl. W. GEBHARDT, Einleitung – Grundlinien der Entwicklung des CharismaKonzeptes in den Sozialwissenschaften, in: ders./A. Zingerle/M.N. Ebertz (Hg.), Charisma. Theorie – Religion – Politik, Materiale Soziologie 3, Berlin 1993, 1–12, 6. 279 Letztere hat im Hebräerbrief viele Namen (vgl. GRÄSSER, Hebräer I [s. Anm. 1], 208): παρρησία (Hebr 3,6; 4,16; 10,19.35), ἐλπίς 3,6; 6,11.18; 7,19; 10,23), ὑπόστασις (3,14; 11,1), ὑπομονή (10,36; 12,1), μακροθυμία (6,12[15]) und πληροφορία 6,11; 10,22). 280 SCHLATTER, Glaube (s. Anm. 63), 522. Teile des Zitats werden auch von GRÄSSER (Hebräer III [s. Anm. 55], 84) zustimmend zitiert. In seiner Habilitationsschrift kam GRÄSSER (Glaube [s. Anm. 22], 102) zu einer ebenso bemerkenswerten wie weitgehend unbeachteten Aussage, die den Glaubensbegriff des Hebräerbriefes unversehens in paulinische Reichweite stellt. Man müsse bedenken, „daß ja der spezifisch christliche Glaubensbegriff, also der Glaube an Jesus als die fides salvifica zu jener Zeit bereits Allgemeingut der christlichen Gemeinden gewesen sein dürfte.“ 281 H. BRAUN, An die Hebräer, HNT 14, Tübingen 1984, 56.
Glauben und Denken im Hebäerbrief und bei Paulus
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Einlassens‘ auf das christologische Bekenntnisbild (3,1.6).“282 Gerade auch in der Aussage βλέπομεν Ἰησοῦν (3,1), die ebenfalls im Zeichen des Glaubensthemas steht,283 wird eine bemerkenswerte Nähe zur Auslegung des Glaubens bei Paulus deutlich: Ihnen ist gemeinsam „die Neubestimmung des Glaubens vom Leidensgeschick Jesu her“.284 Die Adressaten werden beim reflektierenden Blick auf Jesus behaftet, der durch sein Leiden vollendet wurde (2,10), und werden dadurch motiviert, trotz Leidensdrucks (10,32–33) und entgegen aller konkurrierenden Plausibilitäten ihren Weg weiterzugehen.285 Paulus weiß m.E. nichts von einem Glauben bzw. einer Treue Christi als einer διάθεσις der Seele, die ihn auf seinem Gang zum Kreuz Durchhaltevermögen schenkte und die für die Glaubenden Vorbildcharakter hätte.286 Die Rolle, die Christus im Hebräerbrief als abschließendes und krönendes Beispiel in der Reihe der Glaubenszeugen zukommt, fällt bei Paulus Abraham zu. Der Stammvater Abraham, nicht Jesus, ist Urbild und Vorbild des Glaubens. Individueller Glaube realisiert sich nach Paulus als Teilhabe an Christus (εἶναι ἐν Χριστῷ). Schlatter, dem gewiss nicht vorzuwerfen ist, dass er die Differenzen zwischen den neutestamentlichen Schriften überbetont, hält fest: Der Hebräerbrief hat „nicht jene unmittelbare Innigkeit der Gemeinschaft mit Christus, wie sie Paulus hat, jenes Hineinwirken der Tat des Christus in das eigene Leben des Glaubenden, durch das er an dem Teil bekommt, was Christus hat, jenes Bei-uns-sein des Christus und Inihm-sein des Glaubenden, in dem das Glauben des Paulus seine besondere Tiefe hat.“287 Der Hebräerbrief ist – in den Worten von Knut Backhaus – gekennzeichnet von der „kantigen Schönheit“ eines „intellektuellen Durchbruchs zum ‚Himmel‘“288 und strahlt einen „intellektuellen Charme“ aus, der seine 282
W IDER, Theozentrik (s. Anm. 2), 56. Vgl. W IDER, Theozentrik (s. Anm. 2), 56. 284 LÜHRMANN, Glaube (s. Anm. 3), 77. Dass die Neuauslegung des Glaubens vom Leiden Jesu her erfolgt, ist keine frühchristliche Selbstverständlichkeit, wie das Johannesevangelium zeigt. Vgl. KARRER, Hebräer 2 (s. Anm. 79), 303: „Im Resultat ergibt sich eine faszinierend eigenständige Kreuzestheologie.“ 285 Jesu Glauben im Leiden lehrt auch „to count as nothing the opinion of human beings“ (DESILVA, Despising Shame [s. Anm. 131], 173). In diesem Sinne ist der Glaube im Hebräerbrief wie auch bei Paulus „the identity descriptor of the addressees“ (MAROHL, Faithfulness [s. Anm. 59], 146), nur dass es Ersterem um die Bewährung dieser Identität geht, Paulus um ihre Konstitutionsbedingungen. 286 So aber, stellvertretend für viele, C.H. COSGROVE, The Cross and the Spirit. A Study in the Argument and Theology of Galatians, Macon 1988, 57: „Jesus’ own faithfulness unto death is the prototype of believing faith.“ 287 SCHLATTER, Glaube (s. Anm. 63), 535f. 288 K. B ACKHAUS, Vorwort, in: Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, V–VI, VI. 283
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griechisch-römische Prägung verrät; innerhalb der neutestamentlichen Schriften profiliert er sich dadurch, dass er sich den Glauben als „denkerisches Drama“ vorstellt.289 Von Paulus wird man kaum sagen, dass er intellektuellen „Charme“ ausstrahlt. Es ist vielmehr die Kraft seines apostolischen Selbstverständnisses und Sendungsbewusstseins, die beeindruckt; in ihm brodelt ein Vulkan, der in seinem missionarischen Eifer und in seiner „Christ-Innigkeit“ zum Ausbruch kommt.290 Das verrät seine Prägung als Apokalyptiker und als „Mystiker“. Ihn fesselt der Glaube als Protagonist in einem heilsgeschichtlichen Drama, der mit seinem Kommen eine neue Ära einläutet und das Gottesverhältnis des Menschen auf eine neue Grundlage stellt.291 Beide jedoch, der Hebräerbriefautor und Paulus, denken dem Glauben nach und entwerfen eine eigenständige „Theologie des Glaubens“. Beide sind bemüht, ihren Glauben für kritische Zeitgenossinnen und -genossen fassbar und einleuchtend zu machen. Beide erinnern daran, dass Glauben und Erkennen im Neuen Testament verschwistert sind und dass das Neue Testament „nicht nur auf existentielle Nachfolge zielt, sondern auch Nachdenken entfesseln will.“292
289
B ACKHAUS, Hebräerbrief (s. Anm. 11), 14.17. A. DEISSMANN, Paulus, Tübingen 21925, 111. Zum Bild des Vulkans, vgl. SCHNELLE, Paulus (s. Anm. 13), 132. Schnelle kann sich auf Deißmann berufen, der über Paulus schrieb (a.a.O., 88): „Philo ist ein Pharus, Paulus ist ein Vulkan. Philo ist Forscher und Theolog, Paulus Prophet und Herold.“ Die Gegenüberstellung trifft auch auf Paulus und den Hebräerbriefautor zu. 291 Vgl. HAYS, Faith (s. Anm. 207), 200: „In these verses [sc. Gal 3,23–25], ‚the Faith‘ seems to be a quasi-personified (or objectified) entity which is said to appear on stage at a specific point in the unfolding of the salvation historical drama.“ A.a.O., 204: „[T]he coming of πίστις is indeed the coming of a new possible mode of disposing one’s self toward God.“ Hays fährt im Sinne des Hebräerbriefs, aber m.E. nicht im paulinischen Sinne fort: „[B]ut this mode is possible precisely because it was first of all actualized in and by Jesus Christ.“ 292 VOLLENWEIDER, „Mitten auf dem Areopag“ (s. Anm. 167), 320. 290
Die Pastoralbriefe als kanonische „Vollender des Glaubens“ Integrierender und belastbarer Glaube als Grundbegriff des Christseins und als charakteristischer und zentraler Grundbegriff des Christentums BERNHARD MUTSCHLER Christoph Schwöbel zum 19.02.2015 Für die Formulierung und Durchdringung eines christlichen Gottes-, Wirklichkeits- und Selbstverständnisses und der diesen entsprechenden Verhältnisse mit Hilfe der Lexeme „glauben“ und „Glaube“ spielen die Pastoralbriefe eine herausragende und sogar einzigartige Rolle. Wie in keinem anderen Textcorpus des frühen Christentums kommt in ihnen die zentrale Rolle und die weitreichende, umfassende Bedeutung von „Glaube“ und „glauben“ zum Ausdruck. Dadurch wird der am weitesten fortgeschrittene Stand innerhalb der Entwicklung frühchristlicher Sprache und Theologie innerhalb des Neuen Testaments dokumentiert. Pointiert kann man – wie bereits die Überschrift andeutet – mit Hilfe einer Wendung aus der Schrift An die Hebräer formulieren: Ist Paulus der „Anfänger des Glaubens“ (τῆς πίστεως ἀρχηγός), so ist der (bzw. sind die) Verfasser der Pastoralbriefe sein (bzw. ihre) „Vollender“ (τελειωτής, vgl. Hebr 12,2). Hier wird nachweislich und mit weitem Abstand am meisten und am intensivsten – innerhalb des Neuen Testaments und für mehr als ein weiteres Jahrhundert – vom Glauben gesprochen. Im Folgenden wird mit einem (1) formalisierten Zugang in Zahlen begonnen, der die stetige Steigerung des Begriffsgebrauchs von alttestamentlichen Wurzeln bis zu den Pastoralbriefen zeigt, ehe der Hauptabschnitt mit einer (2) inhaltlichen, exegetisch stark abgekürzten Darlegung des Glaubensverständnisses der Pastoralbriefe fortfährt. Daraufhin werden einige (3) Schlussfolgerungen zum integrierenden und belastbaren Glauben in den Pastoralbriefen und zum Glauben als Grundbegriff des Christseins gezogen, ehe eine (4) Zusammenfassung die wichtigsten Aspekte resümiert.
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1. Stetige Steigerung des Begriffsgebrauchs. Glaube in den biblischen Schriften und in den Pastoralbriefen So wie Paulus am Beginn der neutestamentlichen Entwicklung der Rede vom Glauben steht, stehen die Pastoralbriefe an deren Ende und bilden zugleich die Spitze. Im Folgenden wird dies nachgezeichnet von (1) zurückhaltenden alttestamentlichen Vorgaben über die (2) neutestamentliche Entdeckung des Glaubens und (3) Paulus als sein Archeget bis hin zu den (4) Pastoralbriefen als intensivstem Glaubenstext des Neuen Testaments. Abschließend wird (5) die skizzierte Entwicklung im Überblick verdeutlicht. Zahlen und Statistik spielen bei diesem Einstieg ins Thema eine wichtige Rolle. Das ist nicht unumstritten. Unübersehbare Vorteile liegen in Klarheit, Prägnanz, Kürze (auch bei großen Textmengen), Systematisierung, Intersubjektivität und Aussagekraft. Zudem sind Vergleiche zwischen verschiedenen Textcorpora möglich. Textinterpretationen werden dadurch keineswegs ersetzt. Denn Zahlen und Statistiken eignen genauso Verkürzung, Verallgemeinerung, Informationsverlust (bis zu inhaltlicher Leere) und Arithmetisierung. Trotz ihrer unbestreitbaren Ambivalenz scheinen Zahlen und Statistik für eine Annäherung und einen ersten Überblick über ein größeres Feld als sehr geeignet. 1.1 Zurückhaltende alttestamentliche Vorgaben Bekanntlich nimmt das Wortfeld „Glaube“ im Alten Testament eine zwar wichtige, aber keinesfalls zentrale Rolle ein: Insgesamt werden 330 Belege für die Wurzel אמןund ihre diversen Ableitungen in der Hebräischen Bibel gezählt.1 Allerdings ist אמןnicht einfach mit „glauben“ zu übersetzen. Beschränkt man sich daher auf den insbesondere relevanten Stamm Hifil, dann sind lediglich 51 Belege in der gesamten Hebräischen Bibel nachweisbar.2 Daneben sind zwar eine Reihe weiterer Wurzeln wie בטח („vertrauen“), „( ידעerkennen“), „( יראfürchten“), „( דרשׁsuchen“), יחל („harren“) oder das Piel von „( חכהhoffen“) in Betracht zu ziehen, die ebenfalls zum Wortfeld „glauben“ gehören.3 Das mit Abstand wichtigste Wort für „glauben“ stellt jedoch zweifellos der Hifilstamm von אמןdar. In den Büchern Hiob, Exodus und im Psalter ist es mit 24 Verwendungen (9, 1
H. W ILDBERGER, Art. ’ אמןmn fest, sicher, THAT 1 (41984), 177–209, 181f. W ILDBERGER, Art. ( אמןs. Anm. 1), 181f., hier auch die weiteren Zahlen zur Hebräischen Bibel. 3 Zu בטחs. etwa Ps 4,6; 22,5; 25,2; zu ידעs. 1Kön 8,43; Jes 11,2; Ps 119,79; zu יראs. Gen 22,12; Ex 14,31; Jer 10,7; zu דרשׁs. Ps 22,27; Hi 5,8; Klgl 3,25; zu יחלs. Ps 71,14; 130,5f., Mi 4,7; zum Piel von חכהs. Jes 8,17; 64,3, vgl. R. BRANDSCHEIDT, Art. Glauben (AT), als Online-Ressource: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/19652/ (30.03.2015). 2
Kanonische „Vollender des Glaubens“?
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8, 7) am häufigsten belegt, daneben in Jesaja und dem zweiten Chronikbuch jeweils viermal. Ohne hier auf das Bedeutungsspektrum, inhaltliche Differenzierungen, den verschiedenen Gebrauch oder konkrete Kontexte im Einzelnen einzugehen,4 zeigt bereits dieser kleine arithmetische Einblick: Das Wortfeld „Glaube“ spielt im Alten Testament eine insgesamt deutlich untergeordnete, in vielen Büchern gerade einmal wahrnehmbare Rolle. Dieser Eindruck wird auch durch die Einbeziehung der 85 Belege in der zwischentestamentarischen griechischen Literatur insgesamt bestätigt und nur geringfügig, aber nicht wesentlich verändert.5 Alttestamentliche Aspekte der Wortfamilie „glauben“ werden im Neuen Testament inhaltlich aufgenommen und fortgeführt,6 nicht aber oder nur peripher bei Flavius Josephus. Bei Jesus Sirach oder Philo werden sie in erheblicher Weise modifiziert bzw. synthetisiert.7 1.2 Neutestamentliche „Entdeckung des Glaubens“ (H. Weder) Gegenüber einer vorsichtigen Zunahme in der zwischentestamentarischen Literatur steigen die Belege für „Glaube“ und „glauben“ in den neutestamentlichen Schriften geradezu sprunghaft an: Allein πίστις und πιστεύειν kommen dort jeweils 243mal vor. Angesichts der vergleichsweise viel kleineren Textbasis des Neuen Testaments kann dies nur als eine immense Ausweitung des Gebrauchs von „Glaube“ und „glauben“ interpretiert werden. Diese betrifft das Neue Testament in seiner Breite: Nur die beiden kürzesten der 27 Schriften (2Joh, 3Joh) enthalten – gewissermaßen als Ausnahme von der Regel – weder „glauben“ noch „Glaube“.8 Bereits bei äußerlicher Betrachtung und unabhängig von inhaltlichen Gesichtspunkten ist also erkennbar, dass die Verwendung von „Glaube“ und „glauben“ zwischen dem Alten und Neuen Testament sehr stark wächst. Nicht nur nach der absoluten Zahl von Belegstellen, sondern auch im relativen Vergleich zum Wortschatz des Neuen Testaments kann die sehr 4
S. dazu ausführlich F. UEBERSCHAER, Πίστις in der Septuaginta, oben in diesem Band 79–107. 5 Vgl. A.-M. DENIS, Concordance grecque des pseudépigraphes d’ancien testament. Concordance, Corpus des textes, Indices, Louvain-la-Neuve 1987, 167.632f.: 32 Belege für πιστεύειν, 20 für πίστις, 19-mal πιστός, fünfmal ἀπιστεῖν, viermal ἄπιστος, dreimal πιστοῦν sowie jeweils einmal ἀπιστία und πιστοποίησις. 6 S. zuletzt B. MUTSCHLER, Glaube als vertrauensvolle Entsprechung zur Verheißung Gottes in seinem Wort. Alttestamentliche Wurzeln eines neutestamentlichen Zentralbegriffs, in: F. Vogelsang/J. von Lüpke (Hg.), Wie geht Glauben? Diskussion um einen theologischen Zentralbegriff, Begegnungen 43, Bonn 2015, 29–55, 41–47. 7 Vgl. D.R. LINDSAY, Josephus and Faith. Πίστις and Πιστεύειν as Faith Terminology in the Writings of Flavius Josephus and in the New Testament, AGJU 19, Leiden 1993, passim, bes. 50f.75.183–189. 8 S. jedoch πιστός in 3Joh 5.
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starke, geradezu exponentielle Zunahme von „Glaube“ und „glauben“ aufgezeigt werden: Sieht man von drei Dutzend semantisch und theologisch wenig aussagekräftigen Wörtern ab – in der Hauptsache handelt es sich um Partikel, Artikel, Pronomina und Präpositionen –,9 dann schieben sich „Glaube“, „glauben“ und „gläubig/treu“ (πίστις, πιστεύειν, πιστός) zusammengenommen auf den vierthäufigsten Platz im Neuen Testament! Als sinntragende theologische Wörter sind nur „Gott“ (θεός, 1318-mal),10 „Jesus“ (Ἰησοῦς, 919-mal) und „Kyrios“ (κύριος, 719-mal) häufiger belegt als πιστεύειν, πίστις und πιστός (553-mal). Auffälligerweise sind sogar theologisch zentrale Begriffe wie „Christus“ (531-mal), „Mensch“ (551-mal), „Vater“ (414-mal), „Sohn“ oder „Geist“ (jeweils 379-mal) weniger häufig belegt. Zählt man die übrigen Mitglieder der neutestamentlichen Wortfamilie von „Glaube“ hinzu (πιστικός, πιστοῦν, ἀπιστεῖν, ἀπιστία, ἄπιστος, ὀλιγοπιστία, ὀλιγόπιστος), dann ist das Ergebnis mit 604 Belegstellen noch klarer und eindrücklicher. Angesichts dieses an Deutlichkeit kaum zu überbietenden Befundes spricht Hans Weder in einem viel beachteten Vortrag vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland „geradezu von einer Entdeckung des Glaubens“ im Neuen Testament11, und Gerd Theißen formuliert zutreffend: „Im Neuen Testament steigt der Glaube schließlich zum zentralen Begriff für das Gottes- und Selbstverhältnis auf.“12 Glaube kann infolgedessen nicht als phänomenologischer oder neutraler Begriff aus der Welt der Religionen betrachtet werden. Vielmehr handelt es sich um ein eminent christlich geprägtes Wort.13 1.3 Paulus als Archeget des Glaubens im Neuen Testament Größten Anteil daran, dass Glaube im Neuen Testament zum „zentralen Begriff für das Gottes- und Selbstverhältnis“ wird (G. Theißen), hat nach9
In absteigender Häufigkeit: ὁ, ἡ, τό, καί, αὐτός, δέ, ἐν, εἶναι, ὑμεῖς, εἰς, ἐγώ, οὐ, οὗτος, ὅς, λέγειν, ὅτι, πᾶς, σύ, μή, γάρ, εἰπεῖν, ἐκ, ἐπί, ἡμεῖς, ἔχειν, πρός, ἵνα, γίνεσθαι, διά, ἀπό, ἀλλά, ἔρχεσθαι, ποιεῖν, τίς, τις, εἰ, s. R. MORGENTHALER, Statistik des neutestamentlichen Wortschatzes, Zürich 31982, 165. 10 Die Zahlen orientieren sich an: Konkordanz zum Novum Testamentum Graece von Nestle-Aland, 26. Auflage und zum Greek New Testament, 3rd edition, herausgegeben vom Institut für Neutestamentliche Textforschung und vom Rechenzentrum der Universität Münster, unter besonderer Mitwirkung von H. Bachmann und W.A. Slaby, Berlin 3 1987. 11 H. W EDER, Die Entdeckung des Glaubens im Neuen Testament, in: Glauben heute. Christ werden – Christ bleiben. Im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 1988, 52–64, 53. 12 G. T HEISSEN, Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, Gütersloh 2007, 235. 13 S. ausführlich B. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen. Pistis als Mitte christlicher Existenz, WUNT 256, Tübingen 2010, 37–40.
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weislich der Apostel Paulus. Einerseits ist dies historisch zu begründen. Denn Paulus ist der früheste und älteste namentlich und durch sein Werk bekannte Autor des Neuen Testaments. Immer wieder knüpft er an alttestamentlichen Vorgaben an.14 Andererseits nimmt die Wortfamilie πίστις κτλ. eine in zuvor unbekannter Weise herausragende Bedeutung in seinen Briefen ein. Dies wird durch einen Vergleich innerhalb des Neuen Testaments deutlich: Mehr als ein Drittel der neutestamentlichen Belege von „Glaube“ vereint Paulus auf sich (91 von 243), in analoger Weise mehr als ein Sechstel des Verbs „glauben“ (42 von 243). Während ansonsten im Neuen Testament (ohne die protopaulinischen Briefe) durchschnittlich jedes 256. Wort aus der Wortfamilie πίστις κτλ. stammt, ist es bei Paulus durchschnittlich jedes 149.15 Noch deutlicher ist der Unterschied, wenn man von allen dreizehn proto- oder deuteropaulinischen Briefen absieht; dann ergibt sich für das Neue Testament ein Wert von 300,16 d.h. eine nur halb so intensive Sättigung mit πίστις κτλ. wie im Corpus Paulinum. Was zeigen diese nur formalistisch-oberflächlich vermessenden,17 auf den ersten Blick vielleicht eher abstoßenden, sozusagen schnöden Rechenspiele? Der Völkerapostel gebraucht das Wort „Glauben“ und stammverwandte Wörter deutlich öfter – beinahe doppelt so häufig – als die Verfasser des übrigen Neuen Testaments. Über seine eigenen Schriften hinaus initiiert und verstärkt „der dreizehnte Zeuge“ in seinem Einflussbereich eine Sprach- und Denktradition des Glaubens, die seinen eigenen Gebrauch deutlich übersteigt. Der bei Paulus am frühesten greifbare theologische Impuls, vom Glauben groß und in sehr grundlegender Weise zu sprechen und zu denken (s. nur Röm 14,23b), verstetigt und verstärkt sich in den deuteropaulinischen Briefen. Aufschlussreich ist sodann ein differenzierter Blick auf die Verteilung der Wortfamilie πίστις κτλ. innerhalb des Corpus der protopaulinischen Briefe. Denn sie ist sehr ungleich. Drei Gruppen lassen sich unterscheiden: (1) Mit Abstand am häufigsten ist Glaubensterminologie im Galaterbrief belegt, dicht gefolgt vom ersten Thessalonicher- und dem Römerbrief. Dort stammt durchschnittlich jedes 83. bzw. 105. bzw. 108. Wort aus der Wortfamilie πίστις κτλ. (2) Etwas weniger verbreitet sind „Glaube“ und
14
Beispiele bei MUTSCHLER, Entsprechung (s. Anm. 6), 41–47.51f. NT: (137490 – 24053) : (604 – 161) = 256,1; Paulus: 24053 : 161 = 149,4; Zahlen nach MORGENTHALER, Statistik (s. Anm. 9), 164 (linke Spalte). 16 In Zahlen: (137490 – 32349) : (604 – 253) = 299,5. 17 Einen zeitgenössischen Trend zur ausufernden Vermessung innerhalb der Wissenschaft kritisiert mit guten Argumenten M. B INSWANGER, Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren, Freiburg i.Br. 2010. 15
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stammverwandte Wörter im Philemonbrief und im ersten Korintherbrief.18 (3) Noch etwas weniger ist die Wortfamilie πίστις κτλ. im Philipperbrief belegt, am wenigsten schließlich im zweiten Korintherbrief.19 Dieser letztgenannte Paulusbrief mit der geringsten „Pistishäufigkeit“ (durchschnittlich jedes 319. Wort) liegt freilich immer noch in etwa gleichauf mit dem Neuen Testament außerhalb der proto- oder deuteropaulinischen Briefe (durchschnittlich jedes 300. Wort). Auf diesem „Glaubensfundament“ bauen die deuteropaulinischen Briefe nachweislich auf. In drei deuteropaulinischen Briefen ist vergleichbar intensiv wie in den sieben allgemein anerkannten Paulusbriefen vom Glauben die Rede: In den Paulusbriefen bezieht sich durchschnittlich jedes 149. Wort auf Glaubensterminologie, im Kolosser-, Epheser- und zweiten Thessalonicherbrief durchschnittlich jedes 155. Wort. Allerdings bestehen Unterschiede zwischen den einzelnen Briefen: Während der Kolosserbrief durchschnittlich in jedem 175. Wort einen Bezug auf πίστις κτλ. aufweist, tritt dies im Epheserbrief leicht zurück (jedes 202. Wort). Im Gegensatz dazu weist der zweite Thessalonicherbrief jedoch einen signifikanten Anstieg auf, so dass er darin sogar den Galaterbrief leicht übertrifft.20 Darin knüpft der jüngere zweite Thessalonicherbrief einerseits am ersten Thessalonicherbrief an und bildet andererseits bereits eine Brücke zur Betrachtung der Pastoralbriefe. Aus dem hier nur knapp Dargelegten ergibt sich sehr deutlich: Paulus ist zweifellos der allererste Theologe des Neuen Testaments, wenn es um Stellenwert und Bedeutung von „Glaube“ oder „glauben“ geht. Mit Fug und Recht kann er als „Archeget des Glaubens“ (vgl. Hebr 12,2) im Neuen Testament bezeichnet werden. Diese These auch inhaltlich und theologisch zu begründen und zu erläutern, kann jedoch hier nicht geleistet werden.21
18
Zu Letzterem s. den Beitrag von J. SPAETH in diesem Band, 369–398 und zum paulinischen Glaubensverständnis die Beiträge von M. WOLTER, 347–367 und T. SCHUMACHER , 299–344. 19 Im Einzelnen ergibt sich (auf ganze Zahlen gerundet) für Gal: 2229 : 27 = 83; für 1Thess: 1475 : 14 = 105; für Röm: 7105 : 66 = 108; für Phlm: 335 : 2 = 168; für 1Kor: 6811 : 32 = 213; für Phil: 1629 : 6 = 272 und für 2Kor: 4469 : 14 = 319. 20 Kol: 1575 : 9 = 175; Eph: 2418 : 12 = 202; 2Thess: 821 : 10 = 82 (zum Vergleich Gal: 83). 21 Für inhaltliche Bestimmungen s. beispielsweise T. SCHUMACHER, Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes pistis, BBB 168, Göttingen 2012, 191–473; B. SCHLIESSER, Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, ThSt.NF 3, Zürich 2011; M. W OLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 72–96; H.-J. ECKSTEIN, Das Wesen des christlichen Glaubens. Nachdenken über das Glaubensverständnis des Paulus, in: DERS., Der aus Glauben Gerechte wird leben. Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments, Beiträge zum Verstehen der Bibel 5, Münster 2003, 3–18.
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1.4 Die Pastoralbriefe als intensivster Glaubenstext des Neuen Testaments Die spätesten deuteropaulinischen Briefe im Neuen Testament sind die Pastoralbriefe. Als fingierte Paulusbriefe22 rekurrieren sie ausdrücklich auf paulinische Theologie und Sprache. Dementsprechend wird die fundamentale Bedeutung des Glaubens in ihnen ebenfalls aufgenommen – und verstärkt. Wiederum lässt sich dies in einer ersten Annäherung mit Hilfe von Zahlen eindrucksvoll belegen. Während in den protopaulinischen Briefen durchschnittlich jedes 149. Wort auf πίστις-Terminologie rekurriert, geschieht dies in den Pastoralbriefen bei jedem 57. Wort (ebenfalls durchschnittlich).23 M.a.W., die relative Häufigkeit von πίστις κτλ. in den Pastoralbriefen ist zwei- bis dreimal höher als in den unbestrittenen Paulusbriefen! Eine Binnendifferenzierung bestätigt diesen Befund: Während der „pistishaltigste“ Brief unter den Homologoumena, der Galaterbrief, bei durchschnittlich jedem 83. Wort auf πίστις κτλ. rekurriert, liegt – gerade umgekehrt – der am wenigsten pistishaltige unter den Pastoralbriefen (2Tim) in etwa demselben Bereich, nämlich bei durchschnittlich jedem 88. Wort. Der Titusbrief hingegen bezieht sich auf πίστις κτλ. bei jedem 55. und der erste Brief an Timotheus, der längste unter den Pastoralbriefen, sogar bei jedem 45. Wort.24 Zwar ist damit prinzipiell noch nichts über Inhalt und Theologie der einzelnen Belege wie des Gesamtbildes ausgesagt. Andreas Lindemann gibt dennoch bereits vor über einer Generation zu bedenken: „Der statistische Befund ist an dieser Stelle durchaus einmal von Interesse“, mehr noch: „der Vf. der Past … hat – und das sollte nicht übersehen werden – das Stichwort ‚Glaube‘ keineswegs nur formal aufgenommen“.25 Berücksichtigt man den sehr ausgedehnten Wortbestand der Pastoralbriefe und ihre „ausgesprochen moderne Ausdrucksweise“,26 dann ist die intensive und verstärkte Aufnahme traditioneller, paulinischer Glaubensterminologie umso bemerkenswerter. Sie erfolgt ganz und gar beabsichtigt. Insofern vermögen auch einige markante („bloße“) Zahlen hier 22 Dazu A. MERZ, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, NTOA/StUNT 52, Göttingen/Freiburg (CH) 2004, 382–387, ausführlich ebd., 195–375. 23 Paulus: 24053 : 161 = 149,4; Pastoralbriefe: 3482 : 61 = 57,1; Zahlen wiederum nach MORGENTHALER, Statistik (s. Anm. 9), 164 (linke Spalte). 24 Wiederum auf ganze Zahlen gerundet ergibt sich für 1Tim: 1588 : 35 = 45; für 2Tim: 1236 : 14 = 88; für Tit: 658 : 12 = 55. 25 A. LINDEMANN, Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption der paulinischen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979, 143. 26 W. SCHENK, Die Briefe an Timotheus I und II und an Titus (Pastoralbriefe) in der neueren Forschung (1945–1985), in: ANRW 2.25.4, Berlin 1987, 3404–3438, 3408–3410 (Zit. 3409).
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durchaus zu sprechen und verdienen folglich Beachtung: Die unbestrittenen Paulusbriefe sind zwar länger und enthalten in absoluten Zahlen deutlich mehr Bezugnahmen auf πίστις κτλ. als die Pastoralbriefe; 24053 Wörter mit 161 Bezugnahmen stehen 3482 Wörtern mit „nur“ 61 Bezugnahmen gegenüber. Aber aufgrund der sehr divergierenden Textlänge verkehrt sich dieser Befund bei einer Betrachtung der relativen Häufigkeit der Wortfamilie von „glauben“ in sein Gegenteil. Zusammenfassend ergibt sich: Die Pastoralbriefe sind zwar weder der erste und älteste noch der grundlegende, wohl aber der am dichtesten gewirkte „Glaubenstext“ des Neuen Testaments. Bisher ist m.W. auch kein anderer Text aus dem ersten oder zweiten nachchristlichen Jahrhundert bekannt, der eine höhere oder auch nur vergleichbar hohe relative Häufigkeit von Mitgliedern der Wortfamilie πίστις κτλ. aufweist. Die Pastoralbriefe sind ohne Übertreibung als die pistishaltigsten Texte des Neuen Testaments und des frühen Christentums zu betrachten. Diese Beobachtung erhält angesichts der „Entdeckung des Glaubens“ im Neuen Testament zusätzliches Gewicht. Denn exakt dieses Hauptmerkmal des Neuen Testaments und des frühen Christentums ist in den Pastoralbriefen am meisten und am deutlichsten ausgeprägt: die Rede vom Glauben. Von daher gewinnt eine Beleuchtung von Wort und Sache des Glaubens in den Pastoralbriefen ihren Wert und ihren Sinn. Entsprechenden Untersuchungen kommt ein besonderes theologisches und theologiegeschichtliches Interesse zu. 1.5 Die skizzierte Entwicklung im Überblick Die verschiedenen Schritte der bisher skizzierten Entwicklung können zu folgendem Überblick zusammengefasst und zugleich in der Tiefe weiter geschärft werden: LXX
Zwischentesta- Neues ment. Schriften Testament
Protopaulinische Briefe
Pastoralbriefe
πιστεύειν
92
32
243
42
6
πίστις
57
20
243
91
33
πιστός
74
19
67
9
17
πιστικός
–
–
2
–
πιστοῦν
17
3
1
1
πίστωσις
1
–
–
– – –
ἀπιστεῖν
6
5
8
1
1
ἀπιστία
2
1
11
4
1
ἄπιστος
3
4
23
14
2
–
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Kanonische „Vollender des Glaubens“? LXX
Zwischentesta- Neues ment. Schriften Testament
πιστοποίησις
–
1
πιστοποιεῖν
2
ὀλιγοπιστία
– –
– – –
1
254
85
ὀλιγόπιστος
– –
Protopaulinische Briefe
Pastoralbriefe
5
– – – –
– – – –
604
161
61
In der Übersicht sind ausschließlich griechische Texte berücksichtigt. Dadurch kann eine zweifelsfreie Eingrenzung auf die Wortfamilie πίστις κτλ. vorgenommen werden. Die aufgeführten Textcorpora werden tendenziell von links nach rechts kleiner; dabei bilden sie teilweise Teilmengen (Neues Testament: Paulusbriefe, Pastoralbriefe). Trotz des im Verhältnis zur Septuaginta viel kleineren Neuen Testaments enthält dieses eine auffällig höhere Zahl von Belegen der Wortfamilie πίστις κτλ. Fast die gesamte in der Septuaginta belegte Wortfamilie wird auch im Neuen Testament aufgegriffen; Ausnahmen bilden πίστωσις, πιστοποίησις und πιστοποιεῖν. Von den knapp 350 vorneutestamentlichen Belegen entfallen allerdings nur vier auf diese drei Vokabeln, was weniger als einem Prozent entspricht. Während die vorneutestamentlichen Texte die Verbform πιστεύειν gegenüber dem Substantiv πίστις klar bevorzugen (124-mal πιστεύειν, 77-mal πίστις, d.h. 124:77), ist der verbale „Überhang“ im Neuen Testament aufgehoben; πιστεύειν und πίστις sind hier beide gleich stark vertreten (jeweils 243-mal). In den protopaulinischen Briefen ist eine Entwicklung zu Gunsten von πίστις sehr deutlich erkennbar (42:91) und in den Pastoralbriefen spielt die Verbform nur noch eine deutlich untergeordnete Rolle (6:33).27 Ähnliches gilt für die Briefe nach Kolossä (0:5) und Ephesus (2:8),28 für die Schrift An die Hebräer (2:32), für den Jakobusbrief (3:16) und auch für die Johannesapokalypse (0:4), während umgekehrt die Apostelgeschichte (39:15), die synoptischen Evangelien (34:24) und insbesondere das Johannesevangelium (98:0) πιστεύειν gegenüber πίστις sehr klar bevorzugen. Letzteres weist ebenso wie das Corpus Paulinum Praepastorale (CPP),29 das Corpus Pastorale, die drei übrigen deuteropaulinischen Briefe, die Schrift An die Hebräer und der Jakobusbrief einen sehr ausge27 Gründe dafür zu ermitteln, ist naturgemäß schwierig und grenzt an Spekulation. Mögliche Ansatzpunkte sind: Mit der fortschreitenden Bildung und Entwicklung theologischer Vorstellungen wird das Nomen zunehmend relevant. Diesem kommt ohnehin unter der Perspektive heidnischer Adressaten eine wachsende Bedeutung zu, s. dazu SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 21), 274–303; MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 63–67. 28 Demgegenüber bilanziert der zweite Thessalonicherbrief mit vier gegenüber fünf Belegen ausgeglichen. 29 Zu diesem Begriff s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 88.
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prägten Begriffsgebrauch der Wortfamilie πίστις κτλ. auf; umgekehrt ist die Glaubensterminologie schwächer ausgeprägt in den synoptischen Evangelien, der Apostelgeschichte und der Johannesapokalypse. Mit Ausnahme eines einzigen Belegs (πιστοῦν) finden sich alle in den Pastoralbriefen eingesetzten Mitglieder der Wortfamilie πίστις κτλ. bereits in den protopaulinischen Briefen. Auch hier schließen sich die Pastoralbriefe den paulinischen Homologoumena an. In beiden Briefsammlungen schließlich sind Komposita nur in Form von Verneinungen enthalten, die durchweg mit α-privativum gebildet sind. All dies zeigt: Historisch, in der Verwendung von Glaubensterminologie (und dadurch arithmetisch messbar), inhaltlich-theologisch und traditionsgeschichtlich eröffnet Paulus den Reigen neutestamentlicher Glaubenstheologie. Er ist der prägnante und unhintergehbare „Archeget des Glaubens“ im Neuen Testament. Hinsichtlich der Intensität der Rede vom Glauben liegen jedoch die Pastoralbriefe absolut an der Spitze, an deren Spitze wieder der erste Timotheusbrief. Die Pastoralbriefe übertreffen darin die Paulusbriefe (angeführt vom Galaterbrief), diese wiederum das Neue Testament und dieses das Alte. Das Glaubensthema ist demnach nicht nur sehr wichtig, sondern zentral in den Pastoralbriefen, und diese sind es für das Glaubensthema. Mit einer Anlehnung an Hebr 12,2 formuliert: Ist Paulus der „Anfänger des Glaubens“ (τῆς πίστεως ἀρχηγός), so ist der (bzw. sind die) Verfasser der Pastoralbriefe sein (bzw. ihre) „Vollender“ (τελειωτής). Hier wird nachweislich und mit weitem Abstand am meisten und am intensivsten in der Bibel vom Glauben gesprochen.
2. Einblicke in das Glaubensverständnis der Pastoralbriefe Auf (1) methodische Bemerkungen zum weiteren Vorgehen folgt als längerer Unterabschnitt eine (2) Gesamtperspektive für das Glaubensverständnis der Pastoralbriefe in seinen einzelnen Dimensionen. Dabei kommen zunächst die Belegstellen in den Blick; anschließend werden die einzelnen Glaubensdimensionen systematisch entfaltet und zugleich verdichtet. 2.1 Nähe und Ferne zu vorausliegenden Briefen und eine methodische Maxime Ohne jeden Zweifel bilden die den Pastoralbriefen vorausliegenden Paulusbriefe (Corpus Paulinum Praepastorale, CPP)30 den entscheidenden und wichtigsten Ausgangs- und Orientierungspunkt für die Entstehung der Pastoralbriefe. Die nähere Verhältnisbestimmung zwischen beiden Briefgrup30
Dazu s. die vorige Anm.
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pen wurde in der Vergangenheit oft gegensätzlich vorgenommen. Während eine Gruppe von Forschern, zu der u.a. Adolf Schlatter gehört (1885), die Pastoralbriefe als von Paulus oder kurz nach ihm verfasst sieht, betonen andere wie Heinrich Julius Holtzmann (1880) einen zeitlichen Abstand von einigen Jahrzehnten zwischen beiden. Beide einander entgegengesetzte Positionen werden bis in die jüngste Vergangenheit weiter vertreten.31 Oft sind damit bestimmte Akzentuierungen des Glaubensverständnisses in den Pastoralbriefen verbunden, „je nachdem man Nähe oder Ferne zu Paulus betont“.32 Bei einem größeren historischen Abstand zu Paulus scheint eine Betonung des Glaubensinhalts und Glaubensbestands, gewissermaßen der objektive Aspekt, im Vordergrund zu stehen. Umgekehrt scheint eine Akzentuierung von Glaube als persönlichem Vertrauensvorgang, gewissermaßen der subjektive Aspekt, eher mit der Hypothese einer größeren historischen Nähe zu Paulus verbunden zu sein. Verbreitete und schlagwortartige Bezeichnungen dafür wie fides qua creditur und fides quae creditur sind unzureichend und aus mehreren Gründen „für die Interpretation des NT“ unangemessen;33 sie sollten daher vermieden werden. Ethische Aspekte des Glaubensverständnisses schließlich spielen zwar prinzipiell für beide skizzierte Forschungspositionen eine wichtige Rolle, eine stärkere freilich für die liberal geprägte (mit H.J. Holtzmann). Angesichts der Verquickung des Glaubens in den Pastoralbriefen mit Einleitungsfragen, mit theologischen und bisweilen auch frömmigkeitlichen Präferenzen, mit Fragen des Verhältnisses zu Paulus und zum Corpus Paulinum Praepastorale (CPP) und mit all den damit verbundenen Unsicherheiten und vielfach arbiträren Beurteilungen legt sich zumindest eine methodische Schlussfolgerung im Sinne einer Forschungsmaxime nahe: Es sollte versucht werden, das Glaubensverständnis der Pastoralbriefe zuallererst aus diesen selbst zu erheben, d.h. aus ihrem eigenen literarischen und theologischen Kontext und unabhängig von vorausliegenden Paulusbriefen, jedenfalls soweit dies möglich ist. Angesichts der Nähe zum Corpus Paulinum Praepastorale (CPP) stößt man im Einzelnen jedoch – und letztlich unvermeidbar – früher oder später auf paulinische Denk- und Sprachtraditionen. Aber deren Deutung des Glaubens sollte nicht kurzerhand eingetragen und eingelesen werden in die Pastoralbriefe. Sätze des Corpus Paulinum Praepastorale (CPP) stehen weder am Beginn noch im Zentrum 31 Zu beiden Forschungslinien bis in die Gegenwart hinein s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 7–16.31f. bzw. a.a.O., 17–25.32f. 32 H. VON LIPS, Glaube – Gemeinde – Amt. Zum Verständnis der Ordination in den Pastoralbriefen, FRLANT 122, Göttingen 1979, 25. 33 So bereits D. LÜHRMANN, Art. Glaube 2. Neues Testament, EKL 2 (31989), 190– 193, 193; s. auch ausführlich MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 40–43.
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der hier vorzunehmenden Bestimmung von „Glaube“. Diese methodische Entscheidung bedeutet in der Konsequenz, dass sämtliche 61 Belegstellen der Wortfamilie πίστις κτλ. in den Pastoralbriefen einzeln und insbesondere in ihrem eigenen Kontext zu deuten und auf das jeweils zugrunde liegende Glaubensverständnis hin auszulegen sind. Das ist zwar mühsam und langwierig. Aber erst daraus kann sich eine genuin und primär aus den Pastoralbriefen erhobene Gesamtsicht ihres Glaubensverständnisses ergeben. Lange Zeit, über hundert Jahre hinweg, wurde ein solch induktives Vorgehen nur auf die fünfmal in den Pastoralbriefen – nota bene nicht bei Paulus – belegte Formel πιστὸς ὁ λόγος angewendet, nicht aber auf die Vielzahl aller πίστις κτλ.-Belege. Wegen des Fehlens dieser Formel im Corpus Paulinum Praepastorale (CPP) bildete sie bereits in der Vergangenheit einen eigenen kleinen Forschungsbereich mit einer eigenen Auslegungsgeschichte;34 beide sind für die Erhebung des Glaubensverständnisses der Pastoralbriefe zwar unverzichtbar, allerdings nicht von zentraler Bedeutung. 2.2 Eine systematische Gesamtperspektive für das Glaubensverständnis der Pastoralbriefe und ihre einzelnen Dimensionen Nach der Vorstellung der (1) systematischen Gesamtperspektive werden deren Dimensionen oder Abschnitte der Reihe nach entfaltet: (2) zum Glauben kommen, (3) Habitus, (4) Unglaube, gläubig/ungläubig, (5) Trennung und Abfall, (6) Rahmenbegriff und Grundwort, (7) Rechtgläubigkeit und Lehre, (8) Treue und schließlich (9) zuverlässig. Ein (10) knappes Fazit beendet den Abschnitt. 2.2.1 Systematische Gesamtperspektive Die methodische Forderung einer durchgängigen Auslegung aller 61 Einzelbelege der Wortfamilie πίστις κτλ. auf das zugrunde liegende Glaubensverständnis hin wurde eingelöst. Solide Exegesen mit Begriffsbestimmungen liegen bereits vor35 und finden hier nicht statt. Allenfalls kurze Einblicke sind möglich entlang des aus den Exegesen gewonnenen Bedeutungsspektrums zum Glauben. Trotz der Vielzahl der Belege und einem weit gespannten Bedeutungsspektrum des Begriffs Glaube ist aus sprachlichen und theologischen Gründen an der Einheit dieses Begriffs festzuhalten: Es handelt sich im Griechischen um ein und dasselbe Wort und 34 Vgl. den Überblick in MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 25– 30.34f. 35 MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 113–382. Für Tit 1,1–4 s. auch W. EISELE, Der gemeinsame Glaube der Auserwählten Gottes. Zum Glaubensbegriff der Pastoralbriefe nach Tit 1,1–4, in: H.-U. Weidemann/W. Eisele (Hg.), Ein Meisterschüler. Titus und sein Brief (FS M. Theobald), SBS 214, Stuttgart 2008, 81–114.
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nirgends in den Pastoralbriefen oder im Neuen Testament ist eine Pluralbildung von πίστις belegt oder impliziert. Daher bezeichnet die Rede von Aspekten, Bedeutungen oder Dimensionen des Glaubens stets (nur) einen Teil eines größeren und gemeinsamen Ganzen. Ethische, objektive oder subjektive Akzentuierungen bilden also an keiner Stelle in den Pastoralbriefen einen eigenständigen, abgeschlossenen Glaubensbegriff für sich. Sie sind durch die nicht nur sprachliche Einheit des Begriffs stets mit all seinen Aspekten und Dimensionen verbunden. Nach diesen Vorbemerkungen ist die Gesamtperspektive offenzulegen, wie sie auf der Basis von Einzelauslegungen gebildet wurde. Demnach ergibt sich, abstrahiert von Wortarten und konkreten Einzelbelegen, folgendes Bedeutungsspektrum von πίστις κτλ. in den Pastoralbriefen: (1) „Glaube“ mit der Nuancierung – Rahmenbegriff und Grundwort – Rechtgläubigkeit und Lehre – Zum Glauben kommen – Habitus – Unglaube, gläubig/ungläubig – Trennung und Abfall (2) „Treue“ (3) „Zuverlässig“
Diese Darstellung enthält eine doppelte Leserichtung. Erstens wird die theologisch qualifiziertere und nuancenreichere Bedeutung vor der weniger theologisch qualifizierten und weniger nuancenreichen genannt: Dadurch wird der Blick von der Bedeutung „Glaube“ über „Treue“ auf „zuverlässig“ gelenkt. Zweitens ist das Teilspektrum der Bedeutung „Glaube“ in einer bestimmten Weise angeordnet, nämlich vom Allgemeinen zum Besonderen, von der Kognition über Erleben und Ethos (Verhalten) zur Differenz. Diese systematische Anordnung entspricht weder einer historisch angelegten Entfaltung noch einer anthropologisch orientierten Reihenfolge. Anthropologisch und historisch, d.h. menschlichem Erleben und Verhalten folgend und insofern zugleich einer historischen Entwicklung entsprechend, sollte stattdessen folgendermaßen angeordnet werden: Zu beginnen ist mit den Aspekten „Zum Glauben kommen“ und „Habitus“, ehe als Gegenüber und in Abgrenzung dazu die Aspekte „Unglaube, gläubig/ungläubig“ und „Trennung und Abfall“ zu berücksichtigen sind. An letzter Stelle schließlich sind die umfassenden und eher verobjektivierenden Aspekte „Rahmenbegriff und Grundwort“ sowie „Rechtgläubigkeit und Lehre“ zu betrachten. Da diese Anordnung zugleich gut zur Häufigkeit
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der Belegstellen passt (nämlich 16, 17 und elf Belege),36 wird das Bedeutungsspektrum im Folgenden in dieser Reihenfolge mit Belegen knapp vorgestellt: – zum Glauben kommen: 1Tim 1,14.16; 3,16; 2Tim 1,12; 3,14; Tit 3,8. – Habitus: 1Tim 1,5.19; 2,15; 3,9.13; 4,12; 6,11.12; 2Tim 2,22; 3,10. – Unglaube, gläubig/ungläubig: 1Tim 1,13; 4,3.10.12; 5,8.16; 6,2; Tit 1,15. – Trennung und Abfall: 1Tim 1,6.19; 4,1; 5,8; 6,10.21; 2Tim 2,18; 3,8. – Rahmenbegriff und Grundwort: 1Tim 1,2; 2,7; 2Tim 1,5.13; 3,15; Tit 1,1.4; 3,15. – Rechtgläubigkeit und Lehre: 1Tim 4,6; Tit 1,13; 2,2. – Treue: 1Tim 1,4.11.12; 5,12; 2Tim 2,13; 4,7; Tit 1,3; 2,10. – zuverlässig: 1Tim 1,15; 3,1.11; 4,9; 2Tim 2,2.11; Tit 1,6.9; 3,8.
Innerhalb der einzelnen Abschnitte werden die Einzelbelege nicht in bibelkundlicher Reihenfolge, sondern nach inhaltlicher Nähe zueinander vorgestellt. Daran anschließend wird jeweils auf die betreffende Dimension des Glaubens hin zugespitzt, so dass sich ein verdichtetes Bild von dieser ergibt. 2.2.2 Zum Glauben kommen In der kanonischen Reihenfolge der Briefe begegnet die Akzentuierung „zum Glauben kommen“ erstmals in 1Tim 1,14 im Blick auf die Bekehrung des Paulus: „Überaus überschwänglich aber erwies sich die Gnade unseres Herrn mit dem Glauben (μετὰ πίστεως) und der Liebe in Christus Jesus.“37 Auf dem Hintergrund des vorausgehenden Unglaubens wirkt die überfließende Gnade des Herrn in Gestalt von Glaube und Liebe an Paulus. Diese Gnade ist schöpferisch und bewirkt eine neue Grundorientierung (πίστις), die mit der „Liebe in Christus Jesus“ einhergeht. Im Kontext der Bekehrung des Paulus ist „Glaube“ auf das Zum-Glauben-Kommen zugespitzt. Keineswegs erschöpft er sich jedoch darin. Wenig später, in 1Tim 1,16, bekennt Paulus: „Aber (gerade) deshalb ist mir Erbarmen zuteil geworden, damit an mir als erstem Christus Jesus seine ganze Langmut erweise zum Vorbild derjenigen, die an ihn glauben werden (τῶν μελλόντων πιστεύειν ἐπ’ αὐτῷ) zum ewigen Leben.“ „Glauben“ im Sinn von „zum Glauben kommen“ hat hier eschatologisch rettenden Charakter kraft der Bindung an Christus Jesus („an ihn“). Dabei dient Paulus als Leitund Vorbild für diejenigen, die zum Glauben an Christus Jesus kommen werden. Auf das Zum-Glauben-Kommen des Paulus wird auch am Beginn 36
Vgl. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 393f. Übersetzung nach MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 257. Auch die weiteren Übersetzungszitate richten sich nach dieser Untersuchung, ohne dass jeweils explizit darauf verwiesen wird. 37
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des zweiten Briefes in 2Tim 1,12 Bezug genommen: „Aus diesem Grund erleide ich auch dieses: Aber ich schäme mich (dessen) nicht, denn ich weiß, auf wen ich mein Vertrauen gesetzt habe“ (ᾧ πεπίστευκα). Die in der Vergangenheit begonnene πίστις-Relation des Paulus bezeichnet ein persönliches Gottvertrauen, das bis in die Gegenwart trägt (resultatives Perfekt). Mit Hilfe dieses Gottvertrauens wird die Gefangenschaft des Paulus nicht als schamvoll erlebt (vgl. Röm 1,16a). Auch in 2Tim 3,14 stellen die Aufforderungen an Timotheus ein persönliches Vertrauen in den Mittelpunkt und vermitteln „dem Vertrauenden Gewissheit und Stärke innerhalb einer Situation der persönlichen Anfechtung“:38 „Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast und wozu du Vertrauen gefasst hast (ἐν οἷς ... ἐπιστώθης), da du weißt, von wem du es gelernt hast“. Das neutestamentliche Hapaxlegomenon πιστοῦν steht parallel zu „lernen“. Beide Verben bezeichnen eine kognitive Aneignung (notitia) und – darauf aufbauend (epexegetisch) – eine existenzielle Beziehung (fiducia). Das Passivum divinum verweist auf Gott als Urheber. „Wozu“ (s. ἐν οἷς) hat Timotheus Vertrauen gefasst? Zu denken ist an εὐαγγέλιον, μαρτύριον oder κήρυγμα auf der Basis von παραθήκη, διδασκαλία oder διδαχή. In jedem Fall ankert das Vertrauen in Gott und Christus. Eine weitere Belegstelle enthält der kaum vom Briefautor gebildete Hymnus 1Tim 3,16: „Und anerkanntermaßen groß ist das Geheimnis der Gottesverehrung: Der offenbart worden ist im Fleisch, gerecht erwiesen im Geist, erschienen den Engeln, verkündigt unter den Völkern, geglaubt in der Welt (ἐπιστεύθη), emporgenommen in Herrlichkeit.“ Christus Jesus, das „Geheimnis der Gottesverehrung“, wird „geglaubt in der Welt“. Träger dieses Glaubens sind diejenigen Menschen, die zum Glauben gekommen sind (ingressiver Aorist) und damit ihr Vertrauen in das „Geheimnis der Gottesverehrung“ gesetzt haben. Im Kontext von 1Tim 3,16 ist der Glaube missionarisch und zumal christologisch bestimmt. Schließlich wird Titus gegen Ende des Briefes an ihn ermahnt, Tit 3,8: „Und ich will, dass du dies kräftig vertrittst, damit diejenigen, die zum Glauben an Gott gekommen sind (οἱ πεπιστευκότες θεῷ), darauf bedacht sind, sich guter Werke zu befleißigen: Dies ist gut und nützlich für die Menschen.“ Das in der Vergangenheit begonnene Vertrauensverhältnis zu Gott hat Konsequenzen für die Gegenwart (resultatives Perfekt, analog zu 2Tim 1,12). Der grundlegende kausale und darum eigentlich selbstverständliche Zusammenhang zu „guten Werken“ wird erinnert und neu eingeschärft. Da sie allgemein auf „die Menschen“ bezogen sind, ist neben Verkündigung (Mission) und Diakonie (Mildtätigkeit) auch der soziale Friede der Gesellschaft im Blick. Offenbar sind verschiedene Aspekte und
38 MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 360. In 2Tim 1,12 handelt es sich um Gefängnis, in 3,14 um Irrlehrer.
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Lebensbezüge des Glaubens auf der Basis eines Vertrauensverhältnisses zu Gott stetig zu entwickeln. Auffälligerweise sind fünf der sechs Belege mit der Nuance „zum Glauben kommen“ verbal formuliert.39 Dies ist umso bemerkenswerter als die Pastoralbriefe überhaupt nur acht verbale Belege von πίστις κτλ. enthalten. Das Zustandekommen einer Beziehung wird am besten verbal ausgedrückt. Jeweils zweimal sind Christus (1Tim 1,16; 3,16) und Gott (2Tim 1,12; Tit 3,8) Bezugsperson. Beide sind in den Pastoralbriefen als Handlungseinheit gedacht, beide werden darum als σωτήρ prädiziert.40 „Glauben“ bezeichnet in den Pastoralbriefen zuerst und vor allem eine Beziehung zwischen Gott und Mensch. Es handelt sich um die zentrale, grundlegende und lebensrettende (1Tim 1,16), insofern soteriologische Interaktion und Kommunikation zwischen Mensch und Gott. Sie ist eine Wirkung der Gnade (1,14) und Barmherzigkeit Gottes (1,16), geht mit der „Liebe in Christus Jesus“ einher (1,14), ist unvertretbar persönlich (1,16), gibt Selbstachtung, Mut, Kraft und Beharrlichkeit zur Bewältigung von Leiden (2Tim 1,12), kann pädagogisch vertieft werden (2Tim 3,14; Tit 3,8), stellt in eine Gemeinschaft der Glaubenden (1Tim 1,16; 3,16; Tit 3,8) und spornt zum Nutzen der Gesellschaft zu guten Werken an (Tit 3,8). Glaubenskommunikation ist zuerst auf Christus und Gott ausgerichtet (1Tim 1,16; 3,16; 2Tim 1,12; Tit 3,8). Ihr geht eine Verkündigung Christi als zentraler Verkündigungsinhalt („Geheimnis der Gottesverehrung“) an alle Völker auf Erden voraus (1Tim 3,16). Alle drei in den Pastoralbriefen auffindbaren Belege von πιστεύειν im Aktiv sind als „zum Glauben kommen“ akzentuiert. Dies ereignete sich in der Vergangenheit (2Tim 1,12; Tit 3,8; ferner 1Tim 1,14), wirkt in der Gegenwart (2Tim 1,12; Tit 3,8) und wird sich in Zukunft ereignen (1Tim 1,16). Aber auch in der Passivform kann formuliert werden, sei es im Blick auf Menschen (1Tim 3,16), sei es von Gott veranlasst (2Tim 3,14). Abgesehen vom personalen Charakter und der theologischen Konzentration auf Christus und Gott ist dabei keinesfalls irgendeine theologische Exklusivität oder gar Enge wahrnehmbar. Mehrfach wird explizit auf paulinische Theologie und Erfahrung rekurriert (1Tim 1,14.16; 2Tim 1,12). Die Beziehung zwischen dem Apostel und Timotheus (2Tim 3,14) bzw. Titus (Tit 3,8) wird gepflegt, so dass diese für ihre vielfältigen Aufgaben als Gemeindeleiter gestärkt werden. Dies alles zeigt: Wenige erste Belege geben eine Vorstellung davon, wie grundlegend, umfassend und groß in den Pastoralbriefen vom Glauben gedacht und gesprochen wird.
39
Für detaillierte Interpretationen der Belegstellen s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 226–229.256–264.353–360. 40 Vgl. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 182–185.
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2.2.3 Habitus Πίστις κτλ. bezeichnet nicht nur die Bekehrung, sondern auch die dadurch auf Dauer neu gewonnene Lebenshaltung, die innere und äußerlich aufgrund eines bestimmten Habitus sichtbare Zustimmung zu dieser Bekehrung. Kommt eine ethische Dimension des Glaubens bereits durch die Mahnung zu „guten Werken“ in Tit 3,8 in den Blick, so werden eine dem Glauben entsprechende „Haltung“ und ein entsprechendes Verhalten (habitus) in 1Tim 1,5 deutlicher angesprochen: „Das Ziel der Weisung aber ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben (πίστεως ἀνυποκρίτου)“. Die innerhalb der Formulierung des Arbeitsziels eines Gemeindeleiters genannte Begriffstrias aus Herz, Gewissen und Glaube bildet eine Klimax und ist als solche zu interpretieren. „Herz“ und „Gewissen“ bezeichnen die Personmitte eines Menschen; sie ist umfassend vom Glauben bestimmt. „Ungeheuchelter Glaube“ impliziert ein Verhalten und eine Lebenshaltung, die dem Glauben entsprechen und deshalb – gut paulinisch – durch die Liebe bestimmt sind.41 Eine entsprechende Haltung des Glaubens bestimmt Leben, Herz und Gewissen eines Menschen. Das darin sich abzeichnende breite, umfassende Glaubensverständnis hat programmatischen Charakter für den ersten Brief wie für das gesamte Corpus Pastorale. In ähnlicher Weise werden Glaube (ἔχων πίστιν) und gutes Gewissen in 1Tim 1,19 genannt, wo Timotheus in diesem Sinn zum „Kämpfen des guten Kampfes“ ermuntert wird.42 Dieser Kampf ist auf das konkrete Leben des Apostelschülers bezogen und impliziert insofern eine Akzentuierung als Glaubenshaltung, als Habitus, innerhalb eines weiten und umfassenden Glaubensbegriffs. Die Aufforderung an Timotheus „Kämpfe den guten Kampf (Wettstreit) des Glaubens!“ (τῆς πίστεως) wird in 1Tim 6,12 (als motivische und inhaltliche inclusio zu 1,19 und zu 2Tim 4,7) wiederholt. Die in dieser Metapher liegenden Mahnungen zu Einsatz, Mut und Ausdauer lassen auf Auseinandersetzungen in der eigenen Person (im Gewissen), in der Gemeinde (einzelne Gruppen, Lehre) und nach außen (Abgefallene, Irrlehrer) schließen. „Glaube“ ist dabei auf alle Lebenskontexte bezogen und wird habituell akzentuiert. Mahnung und Ermunterung des jungen Gemeindeleiters enthält sodann 1Tim 4,12: „Niemand soll dich wegen deiner Jugend geringschätzen. Du aber werde ein Vorbild der Gläubigen im Wort, in der Lebensführung, in Liebe, im Glauben (ἐν πίστει), in Lauterkeit.“ Der artikellose Ausdruck impliziert eine Offenheit des Glaubens, die hier ethisch-habituell kontextualisiert ist. Dass Timotheus tatsächlich entsprechend gelebt und gehandelt hat, bestätigt 2Tim 41 Vgl. πίστις δι’ ἀγάπης ἐνεργουμένη, Gal 5,6. Neun von neunzehn πίστις-Belegen in den Pastoralbriefen sind von ἀγάπη flankiert, s. dazu ausführlich MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 223f. 42 S. dazu auch u. in Abschnitt 2.2.5 (Trennung und Abfall).
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3,10 (τῇ πίστει) mit Hilfe einer zu 1Tim 4,12 analogen Reihung.43 2Tim 3,10 knüpft explizit an den paulinischen Glaubensbegriff an. Die rettende Bedeutung eines Glaubens mit einer Leben und Wandel bestimmenden Haltung „auch durch das Kindergebären hindurch“44 wird in 1Tim 2,15 unterstrichen (ἐν πίστει). An jedermann gerichtet sind die durch einen Imperativ auf ein habituelles Glaubensverständnis hin akzentuierten Ermahnungen zur „Verfolgung“ des Glaubens in 1Tim 6,11 (δίωκε δὲ ... πίστιν) sowie in einer kürzeren, in ihrem Grundbestand aber ganz ähnlichen Reihung in 2Tim 2,22 (δίωκε δὲ ... πίστιν). Innerhalb eines weiten Glaubensverständnisses habituell akzentuiert sind schließlich die beiden Belege mit Bezug auf den Gemeindediakonat, zunächst 1Tim 3,9: „Sie sollen das Geheimnis des Glaubens (τῆς πίστεως) in reinem Gewissen bewahren.“ Dürfte es sich beim „Geheimnis des Glaubens“ um den Glauben selbst im Sinne eines umfassenden, mehrdimensionalen Glaubensbegriffs handeln, so weist der Kontext des reinen Gewissens45 auf eine spezifisch ethischhabituelle Akzentuierung hin: Die Ausrichtung des Glaubens auf Jesus Christus wird auf die Lebensführung der Diakone bezogen. Insofern diese „ihren Dienst gut versehen haben, verschaffen sie sich gutes Ansehen und viel Freimut im Glauben an (ἐν πίστει τῇ ἐν) Christus Jesus“, so heißt es am Ende des Diakoninnen- und Diakonenspiegels in 1Tim 3,13. Kommt durch „Freimut“ (παρρησία) heilvolle Verkündigung in den Blick (vgl. Eph 3,11f.), so bezieht sich „Glaube“ auf den gemeindediakonischen Arbeitsbereich in verkündigendem, gemeindepädagogischem, seelsorglichem, prosozialem und stellvertretendem Handeln im Auftrag der Gemeinde, in der Gemeinde und für die Gemeinde.46 Diese Arbeit ist ganz von Christus Jesus her bestimmt und geschieht in der gemeindlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Daher liegt ein christologisch bestimmter, habituell akzentuierter Glaubensbegriff vor. 43 S. ausführlich MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 363f. Zu 1Tim 4,12 vgl. im folgenden Abschnitt (Unglaube, gläubig/ungläubig). 44 Zur sprachlich gut begründeten und zugleich theologisch sinnvollen Interpretation von διὰ τῆς τεκνογονίας in diesem Sinn s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 274–277. 45 Zum Gewissen in den Pastoralbriefen s. ausführlich MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 266–268. 46 Zum gegenwärtigen Stand auf diesem Arbeitsfeld s. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.), Perspektiven für diakonisch-gemeindepädagogische Ausbildungs- und Berufsprofile. Tätigkeiten – Kompetenzmodell – Studium. EKD Texte 118, Hannover 2014; zugleich als Online-Ressource: www.ekd.de/download/ekd_ texte_118_ausbildung.pdf (27.09.2014). Grundlage dieser „Perspektiven“ ist A. NOLLER/ P. HÖFFLIN, Diakonische und gemeindepädagogische Studien- und Ausbildungsgänge. Eine Erhebung im Raum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Schriften der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg 17, Stuttgart 2015.
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Nicht weniger als zehn Stellen47 deuten auf einen habituellen, ethisch akzentuierten Glaubensbegriff hin. Dieser erschöpft sich jedoch nicht im Handeln und in Appellen, sondern ist in der Tradition des Apostels (1Tim 4,12; 2Tim 3,10) christologisch fundiert und bestimmt (1Tim 3,13). Eng auf die Mitte der Person – Herz und Gewissen – bezogen (1,5.19; 3,9), geht von diesem Glauben ein starker, geradezu sportlich-kämpferischer Impuls (1,19; 6,12; ferner 4,10; 2Tim 4,7) zur Gemeinschaftspflege und zur Weltgestaltung im Sinne des Glaubens aus, der in der Liebe tätig ist (1Tim 1,5; 2,15; 4,12; 6,11; 2Tim 2,22; 3,10; vgl. Gal 5,6). Dieser Impuls richtet sich an Gemeindeleiter (1Tim 4,12; 2Tim 3,10) ebenso wie an Diakoninnen und Diakone (1Tim 3,9.13), an Frauen in allen, auch lebensgefährlichen Situationen (2,15) und an jeden „Menschen Gottes“ (6,11; 2Tim 2,22). Sie alle gehören gemäß einem paulinischen Ausdruck zur κοινωνία τῆς πίστεως (Phlm 6), die die Basis für eine prosoziale und verbindliche Ethik bildet.48 2.2.4 Unglaube, gläubig/ungläubig Das Substantiv „Unglaube“ ist nur in 1Tim 1,13 belegt, wo (der fiktive Briefautor) Paulus im Blick auf seine vorchristliche Lebensphase bekennt: „Aber mir ist Erbarmen zuteil geworden, weil ich es unwissend getan hatte im Unglauben“ (ἐν ἀπιστίᾳ). „Unglaube“ erscheint als negativer Gegensatzbegriff zum göttlichen Erbarmen (ἐλεήθην, Passivum divinum) und umfasst alle Bereiche des menschlichen Lebens. Aufgrund des näheren Kontexts eignet dem Unglauben insbesondere eine kognitive und eine ethische Dimension. Im Spiegel von „Unglaube“ wird via negationis für das Glaubensverständnis deutlich: Glaube verdankt sich einer barmherzigen Initiative Gottes und etabliert eine Beziehung zu Gott, die sowohl „Wissen“ als auch ein entsprechendes Leben und Handeln einschließt. Pluralisches πιστοί bezeichnet an vier Stellen allgemein die Gläubigen. So hält 1Tim 4,3 fest, dass Gott die Speisen „geschaffen hat zum dankbaren Gebrauch für die Gläubigen (τοῖς πιστοῖς), die die Wahrheit erkannt haben“. In paulinischer Tradition wird Glaube hier mit Freiheit gegenüber einer möglichen heidnischen Kontamination bestimmter Speisen verbunden. „Die Gläubigen“ zeichnen sich durch Dankbarkeit gegenüber Gottes Gaben, ein reflektiertes Bewusstsein (Wahrheitserkenntnis) über das Geschaffensein aller Speisen durch den lebendigen Gott und einen dementsprechend unbefangenen, sachgemäßen und freien Gebrauch dieser Speisen aus. Als Gruppenbezeichnung für die Gemeinde Jesu Christi wird οἱ 47 Ausführlichere Auslegungen in MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 265–289.360–365. 48 Zu „Πίστις κτλ. als Basis der Gemeinschaft“ s. ausführlich MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 397–400.
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πιστοί außerdem in 1Tim 4,12 verwendet: „Du aber werde ein Vorbild der Gläubigen“ (τῶν πιστῶν).49 Dem Gemeindeleiter Timotheus kommt die Rolle eines umfassenden Vorbilds für „die Gläubigen“ zu. Ein weiter und umfassender Begriff der „Gläubigen“ kann jedoch auch ohne Artikel zum Ausdruck gebracht werden, wie 1Tim 4,10 zeigt: „Dass wir unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt haben, der ein Retter aller Menschen ist, besonders der Gläubigen“ (πιστῶν). „Gläubige“ werden hier „in besonderem Maß“ (μάλιστα) eschatologisch und soteriologisch konnotiert.50 Die Aktivität des eschatologisch rettenden Glaubens liegt beim „Retter“ Gott. Als Gruppenbezeichnung im Plural kommt „gläubig“ zuletzt im Rahmen der Sklavenparänese in 1Tim 6,2 zweimal vor: „Die aber gläubige Herren haben, sollen sie nicht geringschätzen, weil sie Brüder sind, sondern sollen ihnen umso mehr (als Sklave) dienen, weil sie Gläubige (πιστοί) sind und Geliebte, die sich das Wohltun angelegen sein lassen.“ „Gläubig“ markiert hier eine kategoriale Unterscheidung, die (entgegen Phlm 16) nicht eine Aufhebung der Sklaverei mit sich bringt, sondern ganz im Gegenteil „umso mehr“ zu Sorgfalt und Respekt im Dienen verpflichtet. Gläubigkeit wird mit wechselseitiger liebevoller Bruderschaft und einer Verpflichtung zum „Wohltun“ (Fürsorge, Mildtätigkeit) für den stärkeren Part verbunden. Glaube wird somit für beide Seiten, Sklaven wie Herren, ethisch und sozial konkret, ohne überkommene Statusdifferenzen grundsätzlich infrage zu stellen, sondern sie im Gegenteil umso mehr zu respektieren. Ebenfalls ethische und soziale Konkretion impliziert die Gläubigkeit einer vermögenden Witwe, die der Gemeinde (und zumal ihrer Kasse) Lasten abnimmt, indem sie für andere Witwen sorgt, 1Tim 5,16: „Wenn eine gläubige Frau (τις πιστή) Witwen hat, soll sie für sie sorgen“. Eine „Gläubige“ ist Mitglied der Gemeinde und trägt als solches den eigenen Möglichkeiten und Gaben entsprechende Versorgungslasten innerhalb und für diese Gemeinde. Umgekehrt bedeutet nach 1Tim 5,8 eine Verweigerung oder Vernachlässigung von Versorgungslasten für Angehörige, dass jemand „den Glauben (τὴν πίστιν) verleugnet und schlimmer ist als eine Heidin“ (ἀπίστου χείρων, wörtlich: „Ungläubige“). Sowohl nach Paulus (1Kor 5,1) wie nach Matthäus (5,47; 6,7; 18,17) wird eine Unterbietung heidnischen Sozialverhaltens keinesfalls akzeptiert. Deutlich impliziert Glaube hier ethische und soziale Standards und ein eminent prosoziales Verhalten. Alles andere hieße „den Glauben verleugnen“. In Richtung Heidentum weist schließlich auch der letzte Beleg aus Tit 1,15: „Ungläubigen (ἀπίστοις) ist nichts rein, sondern sowohl ihr Verstand als auch ihr Gewis49
Zu dieser Stelle s. bereits im vorigen Abschnitt zu Glaube als Habitus. Vgl. dazu auch B. MUTSCHLER, Eschatology in the Pastoral Epistles, in: J.G. van der Watt (Hg.), Eschatology of the New Testament and Some Related Documents, WUNT 2/315, Tübingen 2011, 372. 50
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sen sind befleckt.“ Unglaube und Unreinheit werden miteinander verbunden im Blick auf kognitive Leistungen und persönliche Integrität. Letzteres verweist auf die Bedeutung guter Werke.51 Im Gegensatz dazu wird Reinheit durch das Selbstopfer Christi ermöglicht (2,14). „Gläubig/ungläubig“ bzw. „Unglaube“ wird als Gruppenbezeichnung verwendet (1Tim 4,3.10.12),52 die eine kategoriale Unterscheidung markiert und eine Reihe von Implikationen für den Glauben mit sich bringt: Neben die barmherzige Initiative Gottes (1,13) als Retter (4,10) und die eschatologisch-soteriologische Bedeutung für die Gläubigen (4,10; vgl. 2Kor 4,4) treten insbesondere ethisch-soziale Konkretionen (1Tim 5,8.16; 6,2). Glaube ermächtigt zum freien, dankbaren Gebrauch der guten Schöpfungsgaben Gottes (4,3), initiiert ein Verhältnis geschwisterlicher Liebe (6,2), verpflichtet zu Sorgfalt und Respekt auch unter Ungleichen (6,2), leitet zum „Wohltun“ an anderen z.B. durch Übernahme von Versorgungslasten an (5,16; 6,2), fördert ein eminent prosoziales Verhalten (5,8) und befähigt zu eigener, mündiger Unterscheidung im Gebrauch von Dingen (4,3; Tit 1,15). Durch all dies wird Glaube zu einer umfassenden Identitätsbestimmung nach innen (1Tim 5,16) und zur Differenzbestimmung nach außen (1Tim 5,8; Tit 1,15).53 Analog dazu umfasst auch die Negation „Unglaube“ kognitive (1Tim 1,13) und ethische Dimensionen (1,13; 5,8; Tit 1,15). 2.2.5 Trennung und Abfall Achtmal ist von Trennung und Abfall vom Glauben zu lesen, und zwar in sämtlichen Zeitperspektiven: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Bereits in 1Tim 1,6 wird im Anschluss an den „ungeheuchelten Glauben“ in 1,5 (πίστεως ἀνυποκρίτου) formuliert: „Von diesem (sc. Glauben)
51 Zu ihrer Bedeutung in den Pastoralbriefen s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 233f. 52 Für eine ausführlichere Interpretation der Belegstellen s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 230–235.290–307. 53 Differenz und Identität gehören nach Überlegungen von H. MOL, Identity and the Sacred. A Sketch for a New Social-Scientific Theory of Religion, Oxford 1976, 57f. zusammen: „it is precisely the boundary … which provides the sense of identity“. Dieser innere Zusammenhang führt zu den Begriffen „identity marker“ und „boundary marker“, wie sie zuerst J.D.G. DUNN, The New Perspective on Paul, in: DERS., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005, 89–110, 99f. = Jesus, Paul and the Law. Studies in Mark and Galatians, London 1990, 183–214, 192.194 gebraucht. „Faith in Christ is the first obvious answer“ auf die Frage nach neuen „Christian boundary markers“, so J.D.G. DUNN, Boundary Markers in Early Christianity, in: J. Rüpke (Hg.), Gruppenreligion im römischen Reich. Sozialformen, Grenzziehungen und Leistungen, STAC 43, Tübingen 2007, 49–68, 61f.
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sind manche abgeirrt und haben sich leerem Gerede zugewandt“.54 Fast mit denselben Worten bildet der letzte Vers des Briefes, 1Tim 6,21, eine inclusio dazu:55 „Manche … sind in Bezug auf den Glauben (περὶ τὴν πίστιν) abgeirrt“. Beide Stellen sprechen vom Glauben als einer Ganzheit, von der man „abirren“ kann und sich stattdessen „leeres Gerede“ (1,6), „leere Geschwätze“ (6,20), „fälschlich so genannte Erkenntnis“ (6,20), aber auch Unreinheit im Herzen (1,5) und ein schlechtes Gewissen (1,5.19) einhandelt. Glaube stellt eine umfassende und wahrhaftige Ganzheit dar, die mehr als kognitive Aspekte wie z.B. „Erkenntnis“ oder „Gerede“ umfasst. In ähnlicher Weise wird in 1Tim 1,19 im Blick auf „Glaube und gutes Gewissen“ erklärt:56 „Das haben manche von sich gestoßen und am Glauben (περὶ τὴν πίστιν) Schiffbruch erlitten“. Werden gutes Gewissen, Glaube und die Metapher vom Schiffbruch zusammengebracht, so zeigt dies: „Der Glaube ist das größere Ganze der christlichen Existenz, das ohne das gute Gewissen notwendig zerbricht.“57 Glaubensvertrauen, Glaubenswissen, Glaubenskommunikation und Glaubenspraxis werden gewissermaßen vom „guten Gewissen“ wie von einer Kompassnadel überwacht. So wenig ein bisschen Schiffbruch denkbar ist, so umfassend muss von „dem Glauben“ im Anschluss an die Pastoralbriefe gedacht und gesprochen werden. Neben „fälschlich so genannter Erkenntnis“ (6,20f.) und mangelnder Gewissenssensibilität (1,19) kommt in 1Tim 6,10 Geldgier als Motiv des Abfalls in den Blick: „Ihr sind manche verfallen und vom Glauben (ἀπὸ τῆς πίστεως) abgeirrt und haben sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt“. Geldgier oder Glaube erscheint hier als frühchristliche Variation des Gegensatzes von Gott oder Mammon (vgl. Mt 6,24). Wenn ein Abirren von „dem Glauben“ – er kommt erneut betont als Ganzes in den Blick – einer Selbstverletzung und Selbstverstümmelung gleichkommt, dann bedeutet dies im Umkehrschluss: Im Glauben kommt der Mensch nicht nur mit Gott und Christus in Beziehung, sondern auch ganz und gar zu sich selbst. Insofern geht es beim Glauben nicht um eine Dimension des Menschseins neben anderen, sondern um die eine fundamentale, die ganze Person (Herz, Hirn bzw. Verstand, Hand) umfassende und gründende Lebensbeziehung des Menschen mit Christus und Gott. „Glaube impliziert insofern Totalität, als 54
Zur Auslegung von 1Tim 1,5 s. bereits o. am Beginn von Abschnitt 2.2.3 (Glaube als Habitus). 1Tim 1,6 schließt zwar relativisch an den πίστις-Beleg in 1,5 an, enthält aber selbst das Wort nicht. Daher kommt 1,6 in Aufstellungen und Zählungen der Wortfamilie πίστις κτλ. nicht vor. Rechnet man 1,6 virtuell dazu, dann würde es sich um 62 (statt 61) Belege in den Pastoralbriefen handeln. 55 Vgl. ὧν, 1Tim 1,6, mit ἥν, 6,21; ἀστοχήσαντες, 1,6, mit ἠστόχησαν, 6,21; ἐξετράπησαν, 1,6, mit ἐκτρεπόμενος, 6,20; ματαιολογίαν, 1,6, mit κενοφωνίας, 6,20; τινες schließlich ist wortgleich in 1,6 und 6,21. Keine Entsprechung findet εἰς, 1,6. 56 Zu diesem Aspekt s. bereits o. am Beginn von Abschnitt 2.2.3 (Glaube als Habitus). 57 MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 313.
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ein Mensch ganz oder gar nicht von ihm bestimmt ist.“58 Ein bisschen Glaube ist demnach so wenig wie ein bisschen Schiffbruch – bzw. wie ein bisschen kein Schiffbruch und also Rettung – denkbar. In 2Tim 2,18 wirkt das „Abirren von der Wahrheit“ zweier namentlich genannter Personen gegenwärtig nach: „und sie bringen den Glauben von manchen (τήν τινων πίστιν) zu Fall“. Die namentliche Erwähnung stellt eine öffentliche Stigmatisierung und zugleich eine besondere Warnung dar. Glaube ist persönlich zu verantworten und als ganzer anfechtbar. Er ist „Ausdruck für die gesamte christliche Existenz eines individuellen Menschen“.59 Mit Bezug auf zwei Personen zur Zeit des Mose formuliert 2Tim 3,8: „so widersetzen sich auch diese der Wahrheit: Menschen mit zerstörtem Verstand, unbewährt im Glauben“ (περὶ τὴν πίστιν). Von der harschen Herabsetzung weiterer aktueller Gegner abgesehen, werden Glaube, Wahrheit und menschliche Verstandeskraft eng miteinander korreliert. Die lieblose Diskreditierung von Abtrünnigen widerspricht im Kern einem anderweitig entfalteten und inhaltlich konkreteren Glaubensbegriff. Schließlich hat 1Tim 5,8 keinen grundsätzlichen Abfall, sondern eher eine temporäre Glaubensverleugnung hinsichtlich eines bestimmten Verhaltens im Blick: „Wenn aber eine für ihre Angehörigen und besonders für ihre Hausgenossen nicht sorgt, dann hat sie den Glauben (τὴν πίστιν) verleugnet“. Mit drohendem Unterton gegenüber einer Frau wird ein schonungsloser Rückschluss aus einem konkreten Verhalten auf den gesamten Glauben vollzogen. Die soziale Dimension gehört demnach untrennbar zum Glauben; ein ethikfreier oder „unethischer“ Glaube wäre somit ein Selbstwiderspruch. Trotz seiner verschiedenen Dimensionen ist Glaube unteilbar. Eine gewisse Übertreibung (Stilmittel) könnte auch pädagogischer Absicht geschuldet sein. Reflektierten die bisher behandelten Belege das Thema Trennung und Abfall in Vergangenheit und Gegenwart, so wird in 1Tim 4,1 prophezeit: „Der Geist sagt ausdrücklich, dass in den letzten Zeiten manche vom Glauben (τῆς πίστεως) abfallen werden und sich betrügerischen Geistern und Lehren von Dämonen zuwenden“. Pauschalierend und polemisierend werden Geister, Lehren und Dämonen „dem Geist“ und „dem Glauben“ gegenübergestellt. Glaube wird sichtbar als Ganzheit, als etwas Wahrhaftiges und als eschatologisch angefochten. Ethik, Lehre und Spiritualität kommen als elementare Dimensionen des Glaubens in den Blick. Die Prophezeiung kann sowohl als vaticinium ex eventu mit Blick auf die Ver-
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MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 316. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 371.
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gangenheit aufgefasst werden als auch als Vergewisserung und Trost mit Blick auf Vorgänge in Gegenwart und Zukunft.60 Parallel zu den mit α-privativum gebildeten Verneinungen „Unglaube“ und „ungläubig“, die im vorhergehenden Unterabschnitt betrachtet wurden, wird die mit „Trennung und Abfall“ verbundene Bedeutungsdimension von πίστις stets pejorativ und meist mit einer Verneinung oder einer entsprechenden Vorsilbe ausgedrückt: Menschen sind „unbewährt“ im Glauben (ἀδόκιμοι, 2Tim 3,8); sie „sind abgeirrt“ (ἀστοχήσαντες, 1Tim 1,6; ἀπεπλανήθησαν ἀπό, 6,10; ἠστόχησαν, 6,21), „bringen zu Fall“ (ἀνατρέπουσιν, 2Tim 2,18) oder „werden abfallen“ (ἀποστήσονται, 1Tim 4,1) vom Glauben. Sprachlich zwar positive, aber semantisch nicht weniger pejorative Formulierungen sind: Jemand „verleugnet“ (ἤρνηται, 1Tim 5,8) den Glauben, sie „erlitten Schiffbruch“ (ἐναυάγησαν, 1,19) „am Glauben“ (περὶ τὴν πίστιν, 1Tim 1,19; 6,21; 2Tim 3,8).61 Die Subjekte der Trennung vom Glauben bzw. des Abfalls werden durch das Indefinitpronomen (τινες) und dadurch distanzierend, unscharf und für weitere Konkretionen offen bezeichnet.62 Als Gründe für Trennung und Abfall kommen das Gewissen (1Tim 1,5f.19), Geldgier (6,10), „leeres Gerede“ (1,6; 6,20) oder eine zu Unrecht vollmundig genannte „Erkenntnis“ (6,20f.) in den Blick. Durchgängig und in allen Fällen wird der Glaube als Ganzheit aufgefasst; er wird im Singular mit Artikel bezeichnet (1Tim 1,19; 4,1; 5,8; 6,10.21; 2Tim 2,18; 3,8).63 Überblickt man diese Aspekte, dann wird zusammenfassend deutlich: Trennung und Abfall vom Glauben sind zu allen Zeiten möglich. Die Motive der Trennung können verschieden sein. Eine Trennung ist jeweils in dreifacher Weise ganzheitlich: Sie betrifft den ganzen Glauben (im Gewissen, kognitiv, ethisch), bezieht sich auf das gesamte Weltverhältnis und hat Auswirkungen auf die ganze Person bzw. zieht diese in Mitleidenschaft (1Tim 6,10). Kritisch ist festzuhalten, dass die vollzogenen Abgrenzungen zu von „dem Glauben Abgeirrten“ auch Diskreditierungen, unsachliche Polemiken und Herabsetzungen von Personen umfassen; darin weisen die Pastoralbriefe einen Weg in streitbare Auseinandersetzungen des zweiten Jahrhunderts und späterer Zeiten. Zumal in der Abgrenzung nach außen schließt sich „der Glaube“ perspektivisch als eine Einheit zusammen. Eine Tendenz zum „Rahmenbegriff“ (z.B. 2Tim 3,8) ist bereits in greifbarer Nähe. 60 Zur Rede von letzten Tagen und Zeiten in den Pastoralbriefen s. MUTSCHLER, Eschatology (s. Anm. 50), 378–382. 61 Für ausführliche Interpretationen s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 307–321.365–371. 62 1Tim 1,6.19; 4,1; 6,10.21; im Singular: 5,8, dazu ausführlich MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 310f. 63 Der in 1Tim 1,5f. fehlende Artikel hat sprachliche Gründe.
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2.2.6 Rahmenbegriff und Grundwort Ebenfalls achtmal wird πίστις als meist artikelloser Rahmenbegriff oder als Grundwort verwendet, darunter jeweils die Erstbelege in allen drei Briefen. In 1Tim 1,2 wendet sich Paulus „an Timotheus, mein rechtmäßiges Kind im Glauben“ (ἐν πίστει). Sowohl aufgrund des biographischen Hintergrunds von Timotheus64 als auch aufgrund der protopaulinischen Verwendung von ἐν πίστει (Gal 2,20, s. daneben nur 2Thess 2,13; Jak 1,6; 2,5) und des expliziten Anschlusses an paulinische Tradition mit Hilfe der Adoptionsvorstellung ist der zugrunde liegende Glaubensbegriff einerseits ein qualifiziert christlicher und andererseits denkbar weit geöffnet und umfassend. Analoges gilt für die kanonische inclusio mit 1Tim 1,2, nämlich Tit 3,15: „Grüße diejenigen, die uns im Glauben (ἐν πίστει) lieben! Die Gnade sei mit euch allen!“ Da sich diese beiden Sätze gegenseitig auslegen, handelt es sich um einen zwar weiten, aber durch Gottes „Gnade“ charakterisierten Glaubensbegriff, der seinerseits eine Gemeinschaft konstituiert. Ein grammatischer Doppelausdruck liegt in 1Tim 2,7 vor: Paulus wurde eingesetzt „als Herold und Apostel …, als Lehrer der Völker in Glaube (ἐν πίστει) und Wahrheit“. Im Rahmen seiner Einsetzung zum Apostel der Völker (Heiden) ist der Glaubensbegriff hier nicht spezifisch, sondern weit, gleichzeitig aber in der paulinischen Christusverkündigung zentriert. Glaube ist ein Rahmenbegriff für den Inhalt der Missions- und Lehrtätigkeit des Paulus unter den Völkern. Mit „Liebe“ wird Glaube zu einem Doppelausdruck kombiniert in 2Tim 1,13: Timotheus soll festhalten, „was du von mir gehört hast in Glaube (ἐν πίστει) und Liebe in Christus Jesus“. So allgemein der Begriff Glaube einerseits verwendet wird, so klar ist er andererseits christologisch zentriert.65 Der Bezug auf das Hören ist zutiefst paulinisch (Röm 10,17; ferner Gal 3,2.5; 1Thess 2,13). „Glaube“ ist hier als weiter Rahmenbegriff und Grundwort christlicher Lehre und christlicher Existenz zu bestimmen. Am Beginn des Titusbriefs wird als Verkündigungsziel formuliert, Tit 1,1: „zum Glauben (κατὰ πίστιν) der Auserwählten Gottes“. Zweck und Ziel paulinischer Verkündigung ist die Weckung des Glaubens, die im anschließenden Kontext sowohl kognitiv als auch ethisch akzentuiert wird.66 Glaube kommt als weiter Rahmenbegriff auch in der Adressatenangabe in Tit 1,4 vor: „an Titus, mein rechtmäßiges Kind gemäß dem gemeinsamen Glauben“ (κατὰ κοινὴν πίστιν). Im Unterschied zu 1Tim 1,2 (s.o.) wird ausdrücklich die Gemeinsamkeit 64
Vgl. πίστις κτλ. in 2Tim 1,5; 3,10f.14f.; Apg 16,1–3. Zur Reihenfolge von „Christus“ und „Jesus“ in den Pastoralbriefen s. ausführlich MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 124–126. 66 Zu dem in den Pastoralbriefen häufigen und geprägten Ausdruck „Wahrheitserkenntnis“ (ἐπίγνωσις ἀληθείας) s. ausführlich MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 133–145.204f. 65
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des Glaubens zwischen Paulus (als einem Beschnittenen) und Titus (als einem Unbeschnittenen) betont.67 Weder Herkunft noch ein Religionsgesetz, sondern der gemeinsame Glaube ist Basis und Rahmen ihres Verhältnisses rechtmäßiger Kindschaft. „Gemeinsamer Glaube“ ist ein besonderer Ausdruck, der weder in der Septuaginta noch anderweitig im Neuen Testament oder den so genannten Apostolischen Vätern belegt ist. Er betont die Zusammengehörigkeit aufgrund des Glaubens. Glaube wird dadurch zum Grundwort der persönlichen Identität und der Gemeinschaft untereinander. Der Begriff ist spezifisch christlich gefüllt (vgl. „Jesus Christus“ und „Auserwählte Gottes“, Tit 1,1) und kann nicht zu „Religion“ oder „Gottesverehrung“ verallgemeinert werden. In der auf das Präskript folgenden Danksagung des zweiten Timotheusbriefs schreibt (der fiktive) Paulus in 2Tim 1,5: „Ich gedenke des ungeheuchelten Glaubens in dir“ (τῆς ... ἀνυποκρίτου πίστεως). Zunächst ist unschwer eine sprachliche Verbindung zum Beginn des ersten Briefes zu erkennen (πίστεως ἀνυποκρίτου, 1Tim 1,5). Für den Glaubensbegriff ergeben sich wichtige Aspekte aus dem Kontext: Timotheus’ Glaube ist erinnernswert (immerhin ist er Mitautor von sechs Briefen: 1Thess, 2Kor, Phil, Phlm, Kol, 2Thess), aufrichtig, wohnt in Timotheus ein wie auch der Heilige Geist (vgl. 2Tim 1,14) und ist für Paulus zugleich Grund zur Dankbarkeit und zur Ermutigung. Diese vielfachen Bestimmungen des Glaubens erweisen diesen schon bei seiner ersten Erwähnung im zweiten Timotheusbrief als Rahmenbegriff und Grundwort für den gesamten folgenden Brieftext. Dabei handelt es sich um einen mehrdimensionalen, theologisch (pneumatologisch und christologisch), sozial und ethisch qualifizierten und gefüllten Begriff. Sowohl hier wie im abschließenden Beleg desselben Briefs (inclusio) wird die lange Glaubensgeschichte des Timotheus im Kontext erwähnt, 2Tim 3,15: „… weil du von Kindheit an die heiligen Schriften kennst, die dich weise machen können zum Heil durch den Glauben (διὰ πίστεως) an Christus Jesus“. Ziel des Schriftstudiums ist demnach „Rettung durch den Glauben an Christus Jesus“.68 Glaube ist soteriologisch, christologisch, existenziell und zugleich hermeneutisch konnotiert. Rettender Glaube ist Ausdruck einer erfreulichen Gottesbeziehung und erbauender Schriftlektüre. Wenn diese Dimensionen den Glauben bestimmen, dann wird er als ein theologisches Grundwort verwendet. Dann bezeichnet er das Vertrauen auf Christus zum Heil des Menschen.
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Näheres zu Titus bei MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 187–
68 Vgl. Gal 3,26; Röm 3,22; Eph 3,11f.; zu „durch Glauben“ s. ferner Röm 3,25; Eph 3,17; Kol 2,12.
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An den aufgeführten Stellen69 ist Glaube ein Rahmenbegriff für das Christliche, für christliche Verkündigung und Überzeugung, für christliches Leben und Vertrauen. Weithin artikellos gebraucht, bildet „Glaube“ den Rahmen und gewissermaßen einen sehr weiten Raum für alles Reden und Denken über Gott, Christus und den Heiligen Geist und für Orientierung und Verhalten in diesem Raum. Als umfassendes Grundwort mutiert Glaube aber nicht zu einer leeren Worthülse. Das Grundwort Glaube ist christologisch, soteriologisch, kognitiv, ethisch usw. gefüllt. Trotzdem handelt es sich um ein weites Wort, das alle diese Dimensionen umschließt und mitbezeichnen kann. Glaube entwickelt sich zum Rahmenbegriff und qualifizierten Grundwort für das, was christlich ist. 2.2.7 Rechtgläubigkeit und Lehre Sehr wenige Stellen sind im Sinn von Rechtgläubigkeit und Lehre akzentuiert. Für seine Amtsführung erhält Timotheus in 1Tim 4,6 die Weisung: „Wenn du den Geschwistern dies vorträgst, wirst du ein guter Diener Christi Jesu sein, der sich von den Worten des Glaubens (τῆς πίστεως), und zwar der guten Lehre nährt, der du gefolgt bist.“ Verweisen „vortragen“ und „gute Lehre“ in den Bereich von Rechtgläubigkeit und Lehre, so kann Glaube doch nicht darauf beschränkt werden. Zwar könnte man bei „den Worten“ ebenfalls an eine kognitive Akzentuierung denken. Viel wahrscheinlicher ist aber doch, dass es sich – im Blick auf Timotheus, den Mitverfasser paulinischer Briefe, mehr als für jeden anderen – bei „den Worten des Glaubens“ um einen Anschluss an paulinische Tradition und an ein paulinisches Glaubensverständnis handelt, dem der Apostelschüler „folgt“. Wenn Timotheus sich davon „nährt“ (vgl. Dtn 8,3; Mt 4,4 par Lk 4,4), kann keine Beschränkung auf Glaubensinhalte intendiert sein. Glaube ist vielmehr in einem weiten, umfassenden Sinn zu verstehen, der anschließend (wie häufig in Doppelausdrücken der Pastoralbriefe) epexegetisch akzentuiert wird. Glaube und Lehre sind daher nicht als Synonyme zu denken. Glaube umfasst zwar „gute Lehre“, beschränkt sich aber nicht darauf. Gegenüber bereits mehrfach verunglimpften Gegnern wird Titus in Tit 1,13 ermahnt: „Überführe sie streng, damit sie gesunden im Glauben“ (ἐν τῇ πίστει). Aufgrund des Kontextes ist der zugrunde liegende Glaubensbegriff als weit zu bestimmen. Das „Gesunden“70 im Glauben impliziert freilich einen Akzent der Rechtgläubigkeit, Geradheit und Korrektheit. Durch „strenges Überführen“ oder „scharfes Widerlegen“ soll Titus die Rechtgläubigkeit wiederherstellen. Wenig später ist erneut vom „Gesunden im Glauben“ die Rede. Nach Tit 2,2 sollen ältere Männer (ab etwa 69
Für ausführliche Interpretationen s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 126–133.186–203.216f.246–252.343–353. 70 Vgl. zu dieser Ausdrucksweise 1Tim 1,10; 6,3; 2Tim 1,13; 4,3; Tit 1,9; 2,1.2.8.
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40) „gesund sein im Glauben (τῇ πίστει), in der Liebe und in der Geduld“. Glaube, Liebe und Geduld erscheinen zunächst als ungewöhnliche Trias. Sie kann zurückgeführt werden auf 1Thess 1,3 und damit auf den ältesten Beleg für eine paulinische Begriffstrias: „euer Werk im Glauben, eure Arbeit in der Liebe, eure Geduld in der Hoffnung“. Nicht zuletzt durch diese implizite Bezugnahme ist der in Tit 2,2 vorliegende Glaubensbegriff ebenfalls als weit zu bestimmen. Durch seinen Kontext ist er zwar analog zu Tit 1,13 auf Rechtgläubigkeit und Lehre hin akzentuiert, aber nicht darauf zu beschränken. Die Rubrik „Rechtgläubigkeit und Lehre“71 ist eng assoziiert mit der vorausgehenden („Rahmenbegriff und Grundwort“) und wurde von dieser auch deshalb getrennt betrachtet, um das vielfach überkommene und gängige Urteil zu entkräften, dass der Glaubensbegriff in den Pastoralbriefen reduziert, „veräußerlicht“ oder „verobjektiviert“ wurde im Sinne einer reinen Lehre.72 Diese Behauptung bleibt eine überzeugende Begründung weiterhin schuldig, und sie wird m.E. auch zukünftig nicht erbracht werden können. Im Gegenteil ist deutlich: Nur wenige Stellen (gerade drei von 61) sind im Sinne von Rechtgläubigkeit und Lehre akzentuiert und diese sind durchgängig keineswegs darauf beschränkt, sondern zeigen trotz ihrer Akzentuierung einen sehr weiten und umfassenden Glaubensbegriff, der auch an diesen drei Stellen zugrunde liegt. 2.2.8 Treue Das Griechische verwendet für „Treue“ dasselbe Wort wie für Glauben. Im Deutschen werden beide Begriffe klar unterschieden. Die Homonymie impliziert jedoch, dass dem Glauben zumindest eine Treue gegenüber sich selbst zueigen ist. Aus diesen Gründen werden die Stellen im Folgenden nur knapp betrachtet. In 1Tim 1,4 wird vor „Mythen und Genealogien“ gewarnt, „die Spekulationen bereithalten, aber nicht Gottes Verwalteramt in Treue“ (ἐν πίστει). Im Zusammenhang der Übertragung eines „Verwalteramtes“ (οἰκονομία) bedeutet ἐν πίστει durchgängig im Neuen Testament „in Treue“. Gegenüber ihren Herren sollen Sklaven auch weiterhin nach Tit 2,10 „alle gute Treue erweisen“ (πίστιν) und nichts unterschlagen. Damit ehren sie letztlich Gott. Eine verantwortungsvolle Ethik beglaubigt ihre Gottesbeziehung. Ähnliches gilt nach 1Tim 5,12 für jüngere Witwen insofern, als sie durch eine erneute Heirat „dem Urteil verfallen, dass sie ihre erste Treue (πίστιν) gebrochen haben“. Bereits die Nummerierung
71 Für ausführliche Exegesen aller drei Stellen s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 217–225.252–256. 72 Auseinandersetzungen dazu werden in MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 40–43.248.283.285f.290f.312f.321.367 geführt.
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sperrt sich gegen eine Interpretation im Sinn von „Glaube“.73 Menschliche Untreue im Blick auf Christus und Gott nimmt 2Tim 2,13 in den Blick: „Wenn wir untreu sind (ἀπιστοῦμεν), bleibt jener (dennoch) treu“ (πιστός). Situative Untreue auf Seiten des Menschen – an eine dauerhafte Untreue ist wohl weniger zu denken – kann Gottes Treue nicht infrage stellen. Paulus wurde nach 1Tim 1,12 von „Christus Jesus, unserem Herrn“ „für vertrauenswürdig (πιστόν) erachtet und zum Dienst eingesetzt“. Gemäß 1Tim 1,11 wurde er nämlich „nach dem Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes … betraut“ (ἐπιστεύθην). Analog wurde er nach Tit 1,3 mit der Verkündigung „betraut“ (ἐπιστεύθην). Diesen apostolischen Dienst hat Paulus zuverlässig versehen. Nach 2Tim 4,7 hat er „den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten“ (πίστιν). An allen neun Belegstellen haben πίστις, πιστός, πιστεύεσθαι oder ἀπιστεῖν keine Bedeutung im Sinn von Glauben, sondern von „Treue“, „treu“, „betraut werden“ oder „untreu sein“.74 Insofern leisten sie allenfalls einen indirekten Beitrag zur Erhellung des Glaubensverständnisses. „Treue“ bezeichnet ein Verhältnis gegenüber einem Auftrag, einem Amt, einer Aufgabe oder einer Person. Es handelt sich um die Eigenschaft einer Person, die „treu“ (2Tim 2,13, Gott als Subjekt), „vertrauenswürdig“ (1Tim 1,12), „untreu“ ist (2Tim 2,13), „Treue“ (1Tim 1,4) hält (2Tim 4,7), erweist (Tit 2,10), bricht (1Tim 5,12) oder mit einer Aufgabe von Gott „betraut wird“ (1Tim 1,11; Tit 1,3). Trotz etymologischer Zusammenhänge75 wird im Deutschen zwischen Glauben (meist religiös) und Treue (meist nicht religiös) unterschieden. 2.2.9 Zuverlässig In insgesamt fünf Versen, die sich auf alle drei Pastoralbriefe verteilen, wird die Formel „Zuverlässig ist das Wort“ (πιστὸς ὁ λόγος) verwendet. Zweimal kommt sie in einer verlängerten Form vor, das erste Mal in der Mitte der einleitenden Paulusanamnese des ersten Briefs, 1Tim 1,15: „Zuverlässig ist das Wort (πιστὸς ὁ λόγος) und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, um Sünder zu retten, von denen ich der erste bin.“ Diese christologisch-soteriologische Grundmaxime wird hier durch die Langformel anempfohlen. „Aller Annahme wert“ impliziert einen missionarischen Kontext, wie er auch in 1Tim 4,9 vorliegt: „Zuverlässig ist das Wort (πιστὸς ὁ λόγος) und aller Annahme wert“. Voraus geht 73 Zu den verschiedenen Deutungsoptionen s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 330–332. 74 Vgl. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 160–176.235– 237.321–332.371–378. 75 Vgl. SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 21), 199–209; MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 44–77, bes. 59.
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eine soteriologische und eschatologische Überzeugung, dass Frömmigkeit die „Verheißung des Lebens“ in sich trägt, „des jetzigen und des zukünftigen“ (4,8), und es folgt die Überzeugung von der „Hoffnung auf den lebendigen Gott“ als Motivation: „darum arbeiten wir so hart und kämpfen wir, denn er ist der Retter aller Menschen“.76 In der Kurzfassung leitet die Formel ein neues Thema in 1Tim 3,1 ein: „Zuverlässig ist das Wort (πιστὸς ὁ λόγος): Wenn einer ein Bischofsamt anstrebt, begehrt er eine schöne Aufgabe.“ Auf dieser Basis werden anschließend Anforderungen für einen Bischof formuliert (1Tim 3,2–7). In 2Tim 2,11 leitet die Kurzformel einen kleinen Hymnus ein: „Zuverlässig ist das Wort“ (πιστὸς ὁ λόγος). Der nachfolgende Hymnus verheißt eine eschatologische Entsprechung zwischen Christus und seiner Gemeinde.77 Schließlich beglaubigt in Tit 3,8 die Kurzformel „Zuverlässig ist das Wort“ (πιστὸς ὁ λόγος) den vorausgehenden theologischen Kernabschnitt (3,4–7) und leitet über zu einer Art letzten Anweisungen am Briefende. Weitaus weniger einheitlich sind die übrigen vier Belege. In Tit 1,9 endet das Anforderungsprofil an einen „Aufseher“ (ἐπίσκοπος) mit der Hervorhebung des Wortamtes: „Er soll sich an das der Lehre entsprechende zuverlässige Wort (πιστοῦ λόγου) halten“. Die „Entsprechung“ zur Lehre darf in diesem frühen Stadium am Beginn des zweiten Jahrhunderts keinesfalls überinterpretiert werden. Der Anschluss an die schriftlich und mündlich überlieferte Worttradition in Verkündigung und Lehre ist jedoch intendiert. Was als „zuverlässiges Wort“ gelten darf, wird im unmittelbaren Kontext jedoch nicht inhaltlich konkretisiert. Dass es sich um den Anschluss an mündliche Verkündigung handelt, erhellt aus 2Tim 2,2: „Du nun, mein Kind, werde stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist, und was du von mir gehört hast vor vielen Zeugen, das vertraue zuverlässigen (πιστοῖς) Menschen an, die geeignet sein werden, auch andere zu lehren.“ Demnach soll Timotheus um die Weitergabe der paulinischen Verkündigung an „zuverlässige Menschen“ besorgt sein. Nach 1Tim 3,11 sollen Frauen im Amt des Diakonats „in gleicher Weise (sc. wie Männer) ehrbar sein, nicht verleumderisch, nüchtern, zuverlässig (πιστάς) in allem.“ Diese Bestimmungen stellen eine abgekürzte Variation der in 3,8–10 vorausgehenden Aufzählung dar und sind professions- und funktionsspezifisch auf die Aufgaben von Diakoninnen in der Gemeinde bezogen. Schließlich gehört zu den Anforderungen an Älteste nach Tit 1,6 eine bestimmte Erwartung auch an ihre Kinder: „mit vertrauenswürdigen (πιστά) Kindern, die nicht heillosen Treibens beschuldigt werden oder ungehorsam sind“. Weder unbotmäßig noch „heillos“, sondern „vertrauenswürdig“ sollten Kinder von Ältesten sein. Eine Zuspitzung auf „gläubig“ (statt „vertrauenswürdig“) ist zwar denkbar, aber weder 76 77
Zu eschatologischen Aspekten s. MUTSCHLER, Eschatology (s. Anm. 50), 365.472. Vgl. MUTSCHLER, Eschatology (s. Anm. 50), 369f.
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im Kontext noch im Vergleich mit 1Tim 3,1–7 oder 1Kor 4,17 wahrscheinlich. Allerdings könnte „Vertrauenswürdigkeit“ (inklusive Treue, Zuverlässigkeit und Loyalität) in Tit 1,6 ebenso wie an den anderen Stellen eine religiöse Konformität mit dem pater familias gut einschließen. „Vertrauenswürdige“ Kinder eines Presbyters implizieren eine Übereinstimmung in religiösen Grundfragen mit diesem. Fünf der neun hier konzis vor Augen geführten Belege78 für πιστός kommen innerhalb der Formel πιστὸς ὁ λόγος vor. Sie stellt einen Relevanzmarker, eine Unterstreichung, eine Art Siegel und gewissermaßen ein rhetorisches Ausrufezeichen dar. Was sie hervorhebt und beglaubigt, folgt entweder auf die Formel (1Tim 1,15; 3,1; 2Tim 2,11) oder geht dieser voraus (1Tim 4,9; Tit 3,8): ein Kernsatz (1Tim 1,15), ein neues Thema (3,1), ein Hymnus (2Tim 2,11), eine Maxime (1Tim 4,9) oder ein theologischer Kernabschnitt (Tit 3,8). Um die Verlässlichkeit von Worten und nicht von Personen geht es auch in 1,9. An den übrigen Stellen ist die Trennschärfe zu Bedeutungsnuancen wie „treu“ oder „loyal“ zumindest diskutabel (1Tim 3,11; 2Tim 2,2; Tit 1,6) bis hin zu arbiträr. „Zuverlässigkeit“ bzw. „Vertrauenswürdigkeit“ (1,6) kann zwar „Gläubigkeit“ einschließen und mit implizieren – was in den vorliegenden Fällen wohl auch der Fall ist –, hebt aber nicht genau oder auch nur schwerpunktmäßig darauf ab. Denn „Zuverlässigkeit“ bezeichnet eine allgemeine, auch nicht religiöse Charakterisierung einer Person oder einer anerkannten Grundwahrheit, eines Leitsatzes oder einer Maxime. 2.2.10 Ein knappes Fazit In der bisherigen Forschung ist häufig eine Korrelation zwischen Einleitungsfragen, insbesondere der Nähe zu protopaulinischen Briefen, und der Rekonstruktion des Glaubensbegriffs in den Pastoralbriefen zu beobachten (vielfach als Gegensatz, Dekadenz, „Verobjektivierung“ oder „Veräußerlichung“ im Verhältnis zu Paulus). Durch eine vollständige und konsequente Interpretation aller Belege von πίστις κτλ. aus dem eigenen Briefkontext wurde ein anderes Bild gewonnen. „Glaube“ erweist sich vielmehr als aspektreicher, integrativer, aber keinesfalls einseitig akzentuierter Grundbegriff für das, was wesentlich christlich ist. Als prägnante Aspekte, Dimensionen oder Schwerpunkte des Wortspiels Glaube konnten gezeigt werden: zum Glauben kommen, Glaube als Haltung und Verhalten (habitus), Unglaube als Gegensatz zum Glauben, Trennung und Abfall vom Glauben, Glaube als Rahmenbegriff und Grundwort sowie – diese Dimension ist am wenigsten vertreten – Glaube als Rechtgläubigkeit und Lehre. 78 Für ausführliche Interpretationen s. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 237–244.333–342.378–382.
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Auch die Bedeutungen „Treue“ und „zuverlässig“ werden im Griechischen durch die eine und selbe Wortfamilie πίστις κτλ. zum Ausdruck gebracht.
3. Integrierender und belastbarer Glaube. Glaube als Grundbegriff des Christseins in den Pastoralbriefen Nach dem sehr knappen Durchgang durch die umfangreiche Zahl der Belege sind einige weiterführende Gedanken möglich. Sie fokussieren das (1) Spannungsfeld zwischen paulinischer Rezeption und aktueller Weiterentwicklung, (2) Glauben als integrierenden, belastbaren, zentralen und aspektreichen theologischen Begriff sowie (3) Glauben als Grundbegriff im frühen Christentum und bis heute. 3.1 Zwischen Anschluss an paulinische Tradition und Anpassung an aktuelle Herausforderungen in Kirche und Gemeinde Die Pastoralbriefe stellen sich von Anfang an, durchgängig und konsequent in paulinische Tradition. Beginnend mit dem allerersten Wort – der Angabe des pseudepigraphen Verfassers „Paulus“ – über Präskript, Prooemium und durch das ganze Corpus hindurch bis zum fiktiven Abschied des Apostels am Ende des zweiten Timotheusbriefs (z.B. 2Tim 4,6–8) steht Paulus als leitende Autorität im Hintergrund der Briefe und der Theologie. Intendiert ist allerdings an keiner Stelle eine detailgenaue historische Rekonstruktion oder eine Repristinierung paulinischer Tradition um der Tradition willen, sondern eine Anwendung paulinischer Tradition auf aktuelle Herausforderungen in Kirche und Gemeinde. Wodurch sind diese gekennzeichnet? Michael Theobald hat jüngst mit Hilfe sprachlicher Beobachtungen zu den Wortfeldern „Lehre“, „Streit“ und „Erkenntnis“ wahrscheinlich gemacht, dass mit den in den Pastoralbriefen bekämpften Gegnern religiös Intellektuelle adressiert sind: ein „theologische(r) Denktyp, der vom Bestreben bestimmt scheint, hinter der satzhaften Oberfläche der Glaubensartikulation die eigentlich gemeinte, tiefere Wahrheit zu erforschen“.79 Dabei geht es um „einen bestimmten Gegnertyp“, für dessen Profilierung „mehr als ein Phantombild … nicht erreichbar ist“.80 Denn die Gegner werden kaum eines inhaltlichen Hinweises gewürdigt. Stattdessen werden sie mit rhetorischen, religiösen und moralischen Abqualifizierungen bedacht; Diskreditierungen und Warnungen stehen im Mittelpunkt
79
M. T HEOBALD, Glauben statt Grübeln. Zum Anti-Intellektualismus der Pastoralbriefe, Early Christianity 5 (2014), 5–34, 26. 80 T HEOBALD, Glauben (s. Anm. 79), 11.
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ihrer Erwähnung.81 Da freilich auch die Gegner „ihren ‚traditionskritischen‘ Ansatz des intellektuellen Theologietreibens … in einem bestimmten Traditionsstrom zur Geltung brachten“,82 ist mit Michael Theobald von einer Art „Wettstreit“ um das paulinische Erbe auszugehen.83 Dafür spricht auch, dass die Gegner nicht als Heiden – auch nicht zum Zweck der Diffamierung – angesprochen werden,84 sondern die Front der Auseinandersetzung offenbar intern verläuft. Eine innerchristliche Trennlinie wird markiert (z.B. 2Tim 2,18). Möglicherweise liegt daher „so etwas wie die erste innerchristliche Erneuerungsbewegung“ vor.85 Auf diesem Hintergrund sind pseudepigraphe Paulusbriefe ein sehr verständliches und für mehrere Jahrhunderte überaus wirkungsvolles, probates Mittel der Auseinandersetzung (der einstige Vorteil verkehrte sich in der Neuzeit jedoch in einen Nachteil).86 Gegenüber einer versuchten Fortentwicklung, Intellektualisierung, Adaptierung für Bildungsorientierte und Modernisierung christlichen Glaubens lehnen die Pastoralbriefe nicht zuletzt durch ihr Glaubensverständnis eine „(frühe) Spielart eines ‚intellektuellen Christentums‘“ ab.87 In den Bahnen paulinischen Denkens vertreten sie einen nicht nur für wenige, sondern für möglichst alle in der Gemeinde leicht zugänglichen und gut fassbaren, weithin traditionellen Glaubensbegriff.88 Da „der Versuch einer (wie auch immer zu bestimmenden) spekulativen Durchdringung des Glaubens“89 in den Paulusbriefen selbst nicht vorkommt,90 schließen die Pastoralbriefe zwar sehr bewusst an traditionelle paulinische Theologie an, müssen aber gleichzeitig darüber hinausgehen, um ihr Ziel 81
T HEOBALD, Glauben (s. Anm. 79), 12–19. T HEOBALD, Glauben (s. Anm. 79), 31. 83 T HEOBALD, Glauben (s. Anm. 79), 8. 84 Der Begriff ἔθνος ist nicht Teil einer aktuellen Auseinandersetzung, sondern bereits historisiert und Teil der Pauluserinnerung, s. 1Tim 2,7; 3,16; 2Tim 4,17. 85 So M. WOLTER, Die Entwicklung des paulinischen Christentums von einer Bekehrungsreligion zu einer Traditionsreligion, Early Christianity 1 (2010), 15–40, 38; etwas anders DERS., Die Pastoralbriefe als Paulustradition, FRLANT 146, Göttingen 1988, 264: Es dürfte „so gut wie ausgeschlossen sein, daß auch die Gegner sich auf Paulus beriefen und es bei dem Konflikt um eine Kontroverse innerhalb des paulinischen Christentums … der Paulusschule ging“. 86 Vgl. EISELE, Glaube (s. Anm. 35), 81: „Seit der Entdeckung ihres pseudepigraphischen Charakters wurde ihre Theologie im Vergleich zu derjenigen der echten Paulusbriefe jedoch weitgehend negativ beurteilt.“ 87 T HEOBALD, Glauben (s. Anm. 79), 7 (Hervorhebung im Original). 88 Analoges gilt im Blick auf die Ethik, s. W OLTER, Entwicklung (s. Anm. 85), 38: „Während die Pastoralbriefe ein ausgesprochen inklusives Ethos propagieren und eben dadurch ihr Interesse an einer Integration der christlichen Gemeinde in ihren gesellschaftlichen Kontext zu erkennen geben, wird auf Seiten der Gegner ein ausgeprägt exklusives Ethos erkennbar.“ (Hervorhebung im Original). 89 T HEOBALD, Glauben (s. Anm. 79), 7. 90 S. jedoch die Auseinandersetzung mit „Überaposteln“ in 2Kor 10,1–13,10. 82
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zu erreichen. Eine bildungsorientiert-progressive Theologie mit gnoseologisch subtiler Argumentation wird in ihnen rundweg abgelehnt, zurückgewiesen und diffamiert. An dieser Stelle spielt auch die Kritik gegenüber einem theologischen „Fortschritt“ (προκοπή) eine Rolle.91 Eine weitere Veränderung gegenüber paulinischen Vorlagen ist ebenso im Verfasser wie in seiner Umgebung begründet: Der pastoralbriefliche „Paulus“ ist kein ehemaliger jüdischer Schriftgelehrter wie der Apostel Paulus und die Situation der Pastoralbriefe ist keine primär missionarische (bekehrungstheologische), sondern eine traditions- und konkurrenztheologische. „Es ist nicht zu übersehen, dass der Autor der drei Briefe das Christentum als eine Traditionsreligion versteht“ und nicht zuallererst als „Bekehrungsreligion“.92 Daher spielt der Gegensatz zwischen dem Glauben sowie den paulinischen Werken des Gesetzes (ἔργα νόμου)93 bzw. dem jüdischen Gesetz selbst keine Rolle in den Pastoralbriefen.94 Als Folge davon wird die paulinische Rechtfertigungslehre zwar „der Sache nach unverfälscht rezipiert“, kommt aber in den „entsprechenden Passagen ohne den Begriff des Glaubens aus“.95 Deutlich ist: Der Anschluss an paulinische Tradition erfolgt somit zwar in betonter Weise explizit, aber genauso erkennbar in einer mehrfachen Anpassung an aktuelle Herausforderungen in Kirche und Gemeinde.96 3.2 Integrierender und belastbarer Glaube als zentrales und aspektreiches Theologoumenon Die innergemeindliche Situation der Pastoralbriefe ist gegenüber derjenigen der protopaulinischen Briefe wesentlich fortgeschritten. Von einer „Bekehrungsreligion“ hat sich das Christentum zu einer „Traditionsreligion“ entwickelt (M. Wolter). Die in den Paulusbriefen erstmals nachweisbare „Entdeckung des Glaubens“97 wird in den Pastoralbriefen weiter 91
Vgl. T HEOBALD, Glauben (s. Anm. 79), 23–27. WOLTER, Entwicklung (s. Anm. 85), 38. 93 Gal 2,16; 3,2.5.10; Röm 2,15 (Singular); 3,20.28; 9,32 (v.l.); ferner als Kurzform in 3,27; 4,2.6; 9,12.32; 11,6. 94 Zu Tit 3,5 (οὐκ ἐξ ἔργων τῶν ἐν δικαιοσύνῃ) s. M. BACHMANN, Zur Rezeptionsund Traditionsgeschichte des paulinischen Ausdrucks ἔργα νόμου: Notizen im Blick auf Verhaltensregeln im frühen Christentum als einer ‚Gruppenreligion‘, in: J. Rüpke (Hg.), Gruppenreligion im römischen Reich. Sozialformen, Grenzziehungen und Leistungen, STAC 43, Tübingen 2007, 69–86, 73f. 95 EISELE, Glaube (s. Anm. 35), 83; zum Ganzen a.a.O., 82–85. 96 Zu diesem Ergebnis kommt auch C. HEIL, Die Rezeption der paulinischen Rechtfertigungstheologie in der Apostelgeschichte und in den Pastoralbriefen, in: R. Hoppe/ M. Reichardt (Hg.), Lukas – Paulus – Pastoralbriefe (FS A. Weiser), SBS 230, Stuttgart 2014, 163–177, (169–)177 anhand von Tit 3,4–7 und 2Tim 1,9. 97 WEDER, Entdeckung (s. Anm. 11), 53. 92
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verfolgt, verstärkt und ausgebaut. Eine Begriffseinführung oder Definition des Glaubens (vgl. etwa Hebr 11,1) unterbleibt dabei: „Der Begriff πίστις ist für die Past[oralbriefe] eine Selbstverständlichkeit, die keiner Erläuterung bedarf und daher nirgends erläutert wird.“98 Πίστις bezeichnet jedoch ein Abstraktum mit einem weiten Nuancenreichtum. Daher ergibt sich als Aufgabe: „Die spezifische Bedeutung des Glaubens muss … jeweils aus dem Kontext erschlossen werden.“99 Dies ist umso notwendiger, als die Pastoralbriefe durchweg an der Einheit des Begriffs festhalten. Πίστις wird weder durch ein Kompositum (z.B. ὀλιγοπιστία) noch durch irgendeine Vorsilbe (so bei ἐπίγνωσις gegenüber γνῶσις) von einer anderen Art oder Weise des Glaubens unterschieden. Da die bereits in den protopaulinischen Briefen belegten Formen mit α-privativum das Gegenteil oder die Abwesenheit von πίστις bezeichnen, sind sie zwar sprachlich, aber nicht semantisch als Kompositum von πίστις zu bewerten. Auch keine feste Verbindung („Gemeindeglaube“) oder auch nur eine Art ständiges Attribut (wie z.B. „einfacher Glaube“, „echter Glaube“, „unverfälschter Glaube“, „apostolischer Glaube“ und dergleichen) trennen einen bestimmten Glauben von einem anderen. Attribute werden nur an wenigen Stellen verwendet; dabei werden Aspekte hervorgehoben, die auf πίστις insgesamt zutreffen.100 Statt begrifflicher Aufgliederungen werden die verschiedenen Aspekte und Kontexte des Glaubens im einheitlichen, aber weiten Wort πίστις integriert. Ein Plural von „Glaube“ ist für die Pastoralbriefe nicht denkbar und auch nicht in ihnen belegt. Daher hat Glaube begrifflich und sachlich integrierenden Charakter. Thomas Schumacher sieht in seinem Beitrag101 eine „weitgehende begriffliche Äquivalenz zwischen dem griechischen Nomen πίστις und dem lateinischen Begriff fides“. Insbesondere sei dabei „die integrierende Dimension zu nennen, vermittels derer das lateinische Nomen fides ganz unterschiedliche Bedeutungsaspekte zu verknüpfen und den zwischenmenschlichen Bereich theologisch rückzubinden vermag“. Dies würde zugleich einen verstärkten substantivischen Gebrauch von πίστις in den Pastoralbriefen motivieren. Trotz des Nuancenreichtums der Mitglieder der Wortfamilie πίστις κτλ. in den Pastoralbriefen bleibt die Verwendung allerdings präzis. Glaube mutiert nicht zu einem 98
VON LIPS, Glaube (s. Anm. 32), 25. EISELE, Glaube (s. Anm. 35), 86. 100 S. πίστεως ἀνυποκρίτου, 1Tim 1,5; τὴν πρώτην πίστιν, 5,12; τῆς ἐν σοὶ ἀνυποκρίτου πίστεως, 2Tim 1,5; πᾶσαν πίστιν ... ἀγαθήν, Tit 2,10; Glaube ist „ungeheuchelt“ im Sinn von aufrichtig, offen heraus, geradlinig, ohne Hintergedanken, ehrlich; Treue ist „erste“, d.h. ununterbrochen, kontinuierlich, ursprünglich, steht zu sich selbst; sie ist „gut“. 101 T. SCHUMACHER, Den Römern ein Römer. Die paulinischen Glaubensaussagen vor dem Hintergrund des römisch-lateinischen fides-Begriffes, oben im Band 299–344, 341– 344. 99
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blassen Allerweltswort, zu einem konturlosen Passe-partout, sondern wird jeweils durch den Kontext wesentlich mitbestimmt. Bedeutungsbestimmungen setzen deshalb sorgfältige Kontextexegesen voraus. Wie aufgezeigt, können sechs verschiedene Aspekte, Dimensionen oder Bedeutungen von „Glaube“ anhand des Kontexts unterschieden und erkannt werden: zum Glauben kommen, Habitus, Unglaube und gläubig/ ungläubig, Trennung und Abfall, Rechtgläubigkeit und Lehre, Rahmenbegriff und Grundwort. Von diesen sechs Aspekten können zwei auf die Anfänge des Christentums zurückgeführt werden und der traditionellen paulinischen „Bekehrungsreligion“ zugeordnet werden: zum Glauben kommen (= Bekehrung) sowie Habitus (christliches Verhalten im Alltag als Konsequenz der Bekehrung, Ethik). Drei Aspekte von Glaube verdanken sich der aktuellen konkurrenztheologischen Auseinandersetzung (die bei Paulus anderen Gegnern gegenüber geführt wird): Unglaube und gläubig/ungläubig, Trennung und Abfall, Rechtgläubigkeit und Lehre. Besonders innovativ und zugleich prägend für die Folgezeit ist jedoch Glaube als Rahmenbegriff und Grundwort für das Christliche. In alledem erweist sich Glaube nicht nur als integrierender, sondern auch als belastbarer Glaube. Denn Auseinandersetzungen mit Gegnern können mit Hilfe von „Glauben“ genauso gut sprachlich und theologisch erfasst werden wie ethische Fragen, der Akt der Bekehrung oder das Christliche in einem umfassenden und sehr weiten Sinn. Daher hat Glaube in den Pastoralbriefen begrifflich und sachlich integrierenden und belastbaren Charakter. Glaube wird als integrierend und belastbar gezeigt. Dies betrifft sowohl Fragen des persönlichen als auch des gemeindlichen Lebens. Sowohl der Beginn des Christseins als auch Herausforderungen und Konsequenzen des Christseins im Blick auf Vernunft, Gefühl und Wille, im Blick auf Hirn, Herz und Hand, werden durch πίστις κτλ. ausgedrückt. Theologische Auseinandersetzungen werden mit Hilfe von πίστις κτλ. sprachlich und theologisch bewältigt. Für das christliche Profil des Einzelnen – sei es als Gemeindeleiter, sei es als Mann oder Frau, als Bischof oder Diakon – wie der Gemeinde als Ganzer ist „Glaube“ der zentrale Begriff. Es ist das zentrale Theologoumenon der Pastoralbriefe. Aufgrund seiner Abhängigkeit vom Kontext kann man „Glauben“ als Containerbegriff einordnen, der viele und vielfältige Assoziationen zulässt (vergleichbar mit „Liebe“, „Spiritualität“ oder „Integration“). Im Zentrum dieses Containerbegriffs steht als Bedeutungskern „Vertrauen“, „Trauen“, „anvertrauen“ oder „betrauen“.102 In diesem Sinn umfasst πίστις κτλ. auch die in den Pastoralbriefen verwendeten Bedeutungen „Treue“ und „zuverlässig“. Da der Bedeutungskern eine selbständige lexikalische Bedeutung 102 Vgl. SCHUMACHER, Entstehung (s. Anm. 21), 200–204; MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen (s. Anm. 13), 61–63.
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darstellt, ist πίστις κτλ. als autosemantisch und kategorematisch zu betrachten. Trotz des Nuancenreichtums und der jeweiligen Abhängigkeit vom Kontext liegt daher kein synkategorematischer Charakter vor: Bedeutungsgehalte von πίστις κτλ. sind nicht ausschließlich aus ihrem Kontext ableitbar. Mit Hilfe von πίστις κτλ. werden zugleich Identität und Grenze des Christlichen in den Pastoralbriefen formuliert. Πίστις bezeichnet die Grundrelation zwischen Gott bzw. Christus und Mensch(en). Darin ist der Begriff ungeachtet seines variantenreichen Gebrauchs auch über die Pastoralbriefe hinaus im frühen Christentum univok. Die zwischenzeitlichen Äquivokationen (z.B. im Sinn von „Konfession“, „Weltanschauung“ oder „Religion“) sind neuzeitlicher Herkunft. 3.3 Glaube als charakteristischer und zentraler Grundbegriff im frühen Christentum Der sehr starken christologisch-soteriologischen Bedeutung des Glaubens in den frühen Paulusbriefen entsprechend können namhafte Schriften des frühen Christentums an die Seite gestellt werden, in denen Glaube ebenfalls sehr bedeutsam ist. In allen Evangelien – am stärksten im Johannesevangelium – und in der Schrift An die Hebräer spielt der Glaube eine herausragende theologische Rolle. Damit vereinen sich im Blick auf die Bedeutung des Glaubens alle großen Traditionsströme des frühen Christentums: der paulinische, der synoptische, der johanneische und (sofern man eine solche Zusammenfassung vornimmt) derjenige der übrigen Schriften. Auffällig ist zweierlei: Insgesamt spielt das Substantiv gegenüber dem Verb eine zunehmend wichtige Rolle. Diese Entwicklung ist von den vorneutestamentlichen Texten (77 substantivische und 124 verbale Belege, d.h. 77:124) über die protopaulinischen Briefe (91:42) über Kolosser-, Epheser- und zweiten Thessalonicherbrief (18:6) bis hin zu den Pastoralbriefen (33:6) darstellbar.103 In denselben Trend fügen sich die Schrift An die Hebräer (32:2), der Jakobusbrief (16:3) und die Johannesapokalypse (4:0) ein.104 Im Gegensatz dazu kennzeichnet ein verbaler Überhang von πιστεύειν gegenüber πίστις, wie er in den vorneutestamentlichen Texten feststellbar ist, lediglich die synoptischen Evangelien (24:34), die Apostelgeschichte (15:39), die Johannesbriefe (1:9) und bekanntlich in höchstem Maß das Johannesevangelium (0:98). Letzteres nimmt zweifellos eine Sonderrolle ein und nur dadurch wird erreicht, dass πίστις und πιστεύειν insgesamt gleich stark vertreten sind im Neuen Testament. Deutlich ist in jedem Fall, dass neutestamentliche Schriften in der theologischen Denkweise und im konkreten Begriffsgebrauch einen Weg 103
S. bereits SCHENK, Briefe (s. Anm. 26), 3415: „Das Subst. πίστις hat im 1Tim die größte relative Häufigkeit im Neuen Testament“. 104 Vgl. dazu auch bereits o. in Abschnitt 1.5.
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gehen, der nicht nur die Wortfamilie πίστις κτλ. als Ganze, sondern in zunehmendem Maß das Substantiv πίστις in den Vordergrund rückt. Auffällig ist weiter, dass am Beginn des frühen Christentums zwar weitere Begriffe als „Grundbegriffe“ im Spiel waren, allen voran Geist, Gnade, Leben, Liebe, Gerechtigkeit, Evangelium oder auch Erkenntnis, um nur sieben zu nennen. Keiner von ihnen war jedoch auf lange Sicht ähnlich erfolgreich und durchsetzungsstark wie derjenige des Glaubens. Hauptsächlich vier Gründe dürften für die überragende Stellung der Glaubensterminologie ausschlaggebend sein: (1) Nur einer der genannten sieben Begriffe wird ähnlich häufig gebraucht und ist demzufolge ähnlich anwendungsfreudig und beliebt wie Glaube (243 Belege), nämlich Geist (379 Belege). Alle übrigen stehen weit dahinter zurück: Gnade (155), Leben (135), Liebe (116), Gerechtigkeit (91), Evangelium (76) und Erkenntnis (49).105 Unter Einbeziehung ihrer ein bis zwei häufigsten Familienmitglieder ergibt sich zwar eine andere Reihung; aber alle Begriffe stehen dann – meist sehr weit – hinter Glaube (553) zurück: Geist (405), Erkenntnis (314), Leben (275), Liebe (257), Gerechtigkeit (209), Gnade (195) und Evangelium (130).106 Selbst theologisch basale und unverzichtbare Begriffe wie Christus (531), Mensch (551), Vater (414) oder Sohn (379) sind weniger häufig als Glaube (553) belegt. (2) Die einzelnen Begriffe sind in den großen neutestamentlichen Traditionsströmen (die Pastoralbriefe bilden aus gegebenem Anlass eine eigene Untergruppe) verschieden stark präsent. Unter Berücksichtigung ihres Anteils am Gesamtaufkommen innerhalb des Neuen Testaments107 ergeben sich folgende Schwerpunkte für die einzelnen Begriffe:
105
Zahlen nach MORGENTHALER, Statistik (s. Anm. 9), 67.85.89.98.101.103.132f.155; dort auch zum Folgenden. Da in den späteren neutestamentlichen Briefen γνῶσις (29) vielfach durch ἐπίγνωσις (20) ersetzt wird, werden hier beide berücksichtigt. 106 Vgl. MORGENTHALER, Statistik (s. Anm. 9), 67.85.89.98.101.103.132f.155. Berücksichtigt wurden πνεῦμα (379), πνευματικός (26), γνῶσις (29), γινώσκειν (221), ἐπίγνωσις (20), ἐπιγινώσκειν (44), ζωή (135), ζῆν (140), ἀγάπη (116), ἀγαπᾶν (141), δικαιοσύνη (91), δίκαιος (79), δικαιοῦν (37), χάρις (155), χαρίζεσθαι (23), χάρισμα (17), εὐαγγέλιον (76), εὐαγγελίζειν (54), πίστις (243), πιστεύειν (243 [unter Einbeziehung von Apg 8,37bis, abweichend von MORGENTHALER: 241]) und πιστός (67). 107 Ermittelt in drei Schritten: (1) Die Belegstellen der in der vorigen Anm. genannten Begriffe (unter Berücksichtigung ihrer ein bis zwei häufigsten Familienmitglieder) werden auf die Schriftengruppen verteilt. (2) Der Anteil am Gesamtaufkommen innerhalb des Neuen Testaments wird für jede Schriftengruppe als Prozentzahl ermittelt. (3) Aus allen Prozentzahlen einer Schriftengruppe wird ein Durchschnittswert ermittelt. Überdurchschnittliche Einzelwerte ragen nun in jeder Schriftengruppe heraus und sind leicht erkennbar.
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Kanonische „Vollender des Glaubens“? protopaulinische Briefe
synoptische Evangelien
Geist
+
Erkenntnis
+
johanneische Schriften
+ +
Liebe
+ +
Gnade
+
Evangelium
+
Glaube
übrige Schriften +
Leben
Gerechtigkeit
Pastoralbriefe
+
+ +
+
+
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Die meisten Begriffe lassen Schwerpunkte in zwei Schriftengruppen erkennen: Geist, Erkenntnis, Leben, Gerechtigkeit und Evangelium. Für Liebe dagegen zeigt sich nur ein einziger, allerdings massiver Schwerpunkt in den johanneischen Schriften, während Gnade und Glaube jeweils durch drei Schwerpunkte repräsentiert sind. Diese beiden Begriffe sind folglich in größerer Breite im Neuen Testament präsent. (3) Sucht man nach einer Entwicklung innerhalb des Neuen Testaments, so zeigt die vorausgehende Tabelle trotz ihres skizzenhaften Charakters, dass allein Glaube in der zweiten Hälfte der Entwicklung durchgängig überdurchschnittlich gebraucht wird. Trotz des bereits überaus zahlreichen Beginns mit 142 protopaulinischen Belegen (für πίστις, πιστεύειν und πιστός) verläuft die Performanz des Begriffs Glaube von allen betrachteten Begriffen insgesamt am nachhaltigsten und am steilsten. (4) Schließlich ist das theologische Potential der Begriffe zu betrachten. Da Glaube mehr als die übrigen Begriffe Vorgänge der personalen Beziehung zwischen Gott und Mensch bezeichnet, eignet ihm größeres Potential als diesen. Glaube verfügt sowohl über eine große Integrationsfähigkeit für verschiedenste Fragestellungen bis hin zu Fragen der Lebensführung, -haltung und Ethik als auch über immense theologische Belastbarkeit. Im Gegensatz dazu bezieht sich das sehr häufige Wort Geist (vgl. o. Argument unter 1) nur auf eine einzige Dimension des göttlichen Wirkens und ist damit weniger integrierend. Der Begriff Gnade ist zwar ebenfalls breit (vgl. Argument 2), aber weniger als halb so oft belegt wie Glaube (vgl. Argument 1). Beide Begriffe, Geist und Gnade, haben im Verhältnis zu Glaube eine kleinere Reichweite und ein geringeres Anwendungspotential für Fragen des Christseins. Dies zeigt sich auch am absolut gebrauchten Partizip von glauben in verschiedenen neutestamentlichen Schriften. Οἱ
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πιστεύοντες dient seiner Funktion nach als Selbstbezeichnung für „Christen“.108 Aus alledem ergibt sich: Allein dem Glauben wächst mehr als anderen Begriffen bereits im sehr frühen Christentum eine entscheidende und theologisch höchst sinntragende Funktion zu. Akzeptanz, Verbreitung und theologisches Potential sind größer als bei den (exemplarisch gewählten) Vergleichsbegriffen Geist, Erkenntnis, Leben, Liebe, Gerechtigkeit, Gnade oder Evangelium. Interessanterweise hält diese Entwicklung über längere Sicht an. Abgesehen von gewissen Zeiten (z.B. der Epoche der Gnosis) oder einzelnen Theologen bleibt Glaube für sehr lange Zeit – letztlich bis heute – der bestimmende und typische Begriff christlicher Theologie. Von mehreren theologischen Grundbegriffen in der Anfangsphase des frühen Christentums setzt sich der Glaubensbegriff als grundlegender, innovativer, charakteristischer und zentraler Identitäts- und Abgrenzungsmarker des Christentums durch. Die Pastoralbriefe bringen den Glauben als integrierenden und belastbaren Grundbegriff des Christseins massiv und nachhaltig ins Spiel, mehr als jemals zuvor. Man könnte von einer paulinischen inclusio sprechen: Am Ende des Corpus Paulinum und beinahe am Ende des Kanons steht mit den Pastoralbriefen erneut eine (deutero-)paulinische Tradition, die noch dichter und noch intensiver vom Glauben spricht als der Archeget des Glaubens im Neuen Testament selbst, der Apostel Paulus. Weithin artikellos gebraucht, bilden Wort und Sache des Glaubens in den Pastoralbriefen den Rahmen und gewissermaßen einen sehr weiten Raum für alles Reden und Denken über Gott, Christus und den Heiligen Geist und für Orientierung und Verhalten in diesem Raum. Zugespitzt und mit Begriffen aus Hebr 12,2 formuliert: Paulus ist „der Anfänger“ der Rede vom Glauben im Neuen Testament, die Pastoralbriefe sind ihr kanonischer „Vollender“. Sie sind „Vollender des Glaubens“, insofern sie Vollender der Entdeckung des Glaubens im Neuen Testament sind. Für das folgende und die folgenden Jahrhunderte stehen die Pastoralbriefe allerdings am Anfang: Dass Glaube zum spezifischen theologischen Begriff des Christentums wurde, ist zuallererst in ihnen nachweisbar. In dieser Perspektive sind sie es, die die Funktion eines „Anfängers des Glaubens“ einnehmen. Sie sind das erste Glied einer Kette des zweiten Jahrhunderts, an dessen Ende Theologen wie Irenäus von Lyon, Klemens von
108 S. nur 1Kor 1,21; 14,22; 1Thess 1,7; 2,10.13; ferner Röm 3,22; 4,11; Gal 3,22; Eph 1,19; Apg 2,44; 4,32; 18,27; 19,18; Hebr 4,3; 1Petr 2,7. Die Pastoralbriefe verwenden dafür das Adjektiv πιστός, während πιστεύειν zum Glauben kommen bedeutet, vgl. dazu Abschnitt 2.2.2, o. S. 576–578.
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Alexandrien oder Tertullian von Karthago stehen.109 Seit den Pastoralbriefen ist klar: Glaube ist – sieht man von Personen mit höchster Autorität wie „Gott“, „Kyrios“ und „Jesus“ ab – der spezifische, charakteristische und zentrale Grundbegriff des Christentums. In diesem Sinn sind die Pastoralbriefe allerdings „Anfänger des Glaubens“. Denn ihre am stärksten mit Hilfe des Begriffs Glaube gedachte und artikulierte Theologie ist bis heute richtungsweisend für die Bestimmung des Christentums (und wirkt darüber hinaus bis hin zum Synonym für „Religion“). Die Entwicklung des Wortes Glaube zum Grundbegriff des Christseins und des Christentums ergibt sich keineswegs zwangsläufig aus dem großen Variantenreichtum frühchristlicher Sprache und Theologie. Die Voraussetzungen dafür werden in den Pastoralbriefen gelegt.
4. Zusammenfassung Blickt man auf den zurückgelegten Weg, dann sollten eine Reihe von Ergebnissen festgehalten werden. Sie sind gegliedert in folgende drei Blickrichtungen: (1) Voraussetzungen und Umfeld des Glaubens in den Pastoralbriefen, (2) Glaube in den Pastoralbriefen, (3) Schlussfolgerungen und Wirkungen des Glaubensverständnisses der Pastoralbriefe. Voraussetzungen und Umfeld des Glaubens in den Pastoralbriefen 1. Abgesehen von der sprachlichen Besonderheit, dass „Glaube“ und „glauben“ in den alttestamentlichen Schriften zwar hauptsächlich, aber nicht allein durch das Hifil von )האמין( אמןausgedrückt wird, fällt besonders der überaus zurückhaltende Gebrauch des Wortes auf. Etwa die Hälfte der 51 Belege entfällt auf die Bücher Exodus, Hiob und den Psalter, wenige weitere auf Jesaja und das zweite Chronikbuch. 2. Verlässlichere Aussagen sind für die zwischentestamentarische griechische Literatur möglich: 85 Belegstellen. Jesus Sirach, Philo oder Flavius Josephus nehmen πιστεύειν und πίστις zwar auf, knüpfen aber allenfalls peripher an die alttestamentlichen Verwendungen an. 3. Wesentlich intensiver, weiter verbreitet und grundlegender wird die Wortfamilie πίστις in den neutestamentlichen Schriften verwendet. Nur der dritte Johannesbrief kommt ohne πίστις κτλ. aus. 686 Belege sind allein für 109
Zum Glaubensverständnis bei Irenäus und Klemens s. eine Skizze bei B. MUTSCHPistis und Gnosis. Drei Verhältnisbestimmungen im zweiten Jahrhundert: Justin, Irenäus, Klemens, in: G. Theißen/P. von Gemünden (Hg.), Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums, Gütersloh 2007, 343– 365, 346f.354–357. Zum Glaubensverständnis des Polykarp von Smyrna s. meinen anderen Artikel in diesem Buch, 645–668, sowie eine in Kürze erscheinende Monographie.
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πίστις und πιστεύειν nachweisbar. Die zehn Mitglieder umfassende Wortfamilie wird bereits in den ältesten Briefen zu einem sehr wichtigen theologischen Begriff. Eine explosionsartige Zunahme im Neuen Testament ist auch daran ablesbar, dass selbst Begriffe wie Vater, Sohn, Christus, Geist oder Mensch weniger häufig belegt sind als πίστις κτλ. Nur Füllwörter sowie Gott, Kyrios und Jesus kommen öfter vor. 4. Dass Glaube „zum zentralen Begriff für das Gottes- und Selbstverhältnis“ aufsteigt (G. Theißen), gilt bereits für die echten Paulusbriefe, deren „Pistishaltigkeit“ (d.h. Sättigung mit Gliedern der Wortfamilie πίστις κτλ.) doppelt so hoch wie im gesamten Neuen Testament ist. Namentlich der Galater-, der erste Thessalonicher- und der Römerbrief ragen unter den Paulusbriefen heraus. Im Gefolge von Paulus reihen sich auch Kolosserbrief, Epheserbrief und zweiter Thessalonicherbrief in diese neue Hochschätzung des Glaubens ein. Paulus ist der „Archeget des Glaubens“, sein „Anfänger“ innerhalb des Neuen Testaments (vgl. Hebr 12,2). 5. Fast dreimal so häufig wie Paulus handeln die einige Jahrzehnte späteren deuteropaulinischen Pastoralbriefe vom Glauben. Insbesondere der erste Brief an Timotheus und der Titusbrief bilden hier die Spitze, die sich über Corpus Pastorale, Corpus Paulinum Praepastorale, Neuem und zuletzt Altem Testament erhebt. Die Pastoralbriefe nehmen also das neue, bei Paulus erstmals nachweisbare Basiswort Glauben auf, und sie verdreifachen beinahe seinen Gebrauch gegenüber den älteren, unbestrittenen Paulusbriefen. Sie bilden die pistishaltigsten Texte des Neuen Testaments, des frühen Christentums und der ersten beiden Jahrhunderte n.d.Z. überhaupt. 6. Während in der vorneutestamentlichen Literatur (LXX, zwischentestamentarische Schriften) die verbale Form „glauben“ bevorzugt wird, ist für Paulus und die Pastoralbriefe, aber auch für die Schrift An die Hebräer, den Jakobusbrief und die Johannesapokalypse das Substantiv „Glaube“ wesentlich geläufiger. Ein Gegengewicht zum Prozess der Substantivierung der Rede vom Glauben bilden die synoptischen Evangelien, die Apostelgeschichte und insbesondere das Johannesevangelium. 7. Alles in allem ist deutlich: Die Homologoumena unter den Paulusbriefen und die Pastoralbriefe bilden im Blick auf die Rede vom Glauben eine begriffliche Klammer um das Neue Testament. Steht man auf der einen Seite am Beginn der neutestamentlichen Rede vom Glauben, so auf der anderen Seite an ihrem Ende. Paulus ist der „Anfänger“, die Pastoralbriefe sind die biblischen und kanonischen „Vollender des Glaubens“ (vgl. Hebr 12,2).
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Glaube in den Pastoralbriefen 8. Die den Pastoralbriefen vorausliegenden Paulusbriefe, das Corpus Paulinum Praepastorale (CCP), bilden die wichtigsten Ausgangspunkte für die Entstehung der Pastoralbriefe. Nimmt man eine zeitlich enge Entstehung der beiden Corpora an, dann wird vielfach eine größere Nähe im Glaubensverständnis festgestellt. Umgekehrt wird bei einer größeren Distanz auch mit größerer Differenz im Glaubensverständnis gerechnet. Um diese immer wieder zu beobachtenden Zusammenhänge zu vermeiden, ist ein induktiver Weg in Form einer Berücksichtigung aller 61 Belege von πίστις κτλ. empfehlenswert. 9. Eine Pluralbildung von πίστις ist im Neuen Testament an keiner einzigen Stelle belegt oder impliziert. Bedeutungen des Wortes Glaube sind daher als Aspekte oder Dimensionen desselben einen Wortes zu verstehen. Für die Pastoralbriefe ergibt sich folgendes Bedeutungsspektrum: zum Glauben kommen (6 Belege), Habitus (10), Unglaube und gläubig/ungläubig (8), Trennung und Abfall (8), Rahmenbegriff und Grundwort (8), Rechtgläubigkeit und Lehre (3), Treue (9), zuverlässig (9). Was ist signifikant für diese Aspekte oder Dimensionen des Glaubens? 10. Zum Glauben kommen: Fünf der sechs Belege sind verbal formuliert. Bezugsperson ist Christus (1Tim 1,16; 3,16) oder Gott (2Tim 1,12; Tit 3,8). Glaube bezeichnet die gnädige (1Tim 1,14), lebensvermittelnde (1,16) elementare Beziehung zwischen Gott bzw. Christus und dem einzelnen Menschen. Dieser Beziehung geht eine Verkündigung Christi voraus (1Tim 3,16); ihr innerster Kern ist Vertrauen (2Tim 3,14). Sie ist pädagogisch zu begleiten (2Tim 3,14; Tit 3,8), stellt in eine Gemeinschaft der Glaubenden (Tit 3,8; 1Tim 1,16; 3,16) und befähigt zur Bewältigung von Leiden (2Tim 1,12) und zu guten Werken (Tit 3,8). 11. Habitus: Auch hier wird vom Glauben grundlegend, umfassend und groß gesprochen. Denn er betrifft die ganze Person (1Tim 1,5.19; 3,9) und umfasst daher auch ethische Konsequenzen. Diese sind christologisch begründet (3,13). Ähnlich wie für Paulus (1Tim 4,12; 2Tim 3,10) gehen vom Glauben geradezu sportlich-kämpferische Impulse aus (1Tim 1,19; 6,12). Insbesondere ist der Glaube in der Liebe tätig (1Tim 1,5; 2,15; 4,12; 6,11; 2Tim 2,22; 3,10); dies gilt unabhängig davon, ob jemand als Gemeindeleiter (1Tim 4,12; 2Tim 3,10), im Diakonat (1Tim 3,9.13), in einer Familie (2,15) oder einfach als „Mensch Gottes“ lebt (1Tim 6,11; 2Tim 2,22). 12. Unglaube, gläubig/ungläubig: Unglaube ist der Gegensatzbegriff zu Glaube (sprachlich) und zum göttlichen Erbarmen (1Tim 1,13). Ihm eignen existenzielle, kognitive und ethische Anteile. Gläubige erfahren Rettung von Gott (4,10); sie bilden als Verschiedene eine Gemeinde (6,2), übernehmen Lasten für diese (5,16), blicken auf ihren Gemeindeleiter als Vorbild (4,12) und sind selbst so rein nach außen, dass sie sich von Un-
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gläubigen grundlegend unterscheiden (Tit 1,15), und nach innen, dass sie dankbar und ohne Skrupel ihre Speisen genießen (1Tim 4,3). Gläubig wird zur Gruppenbezeichnung im Sinn von Christen. 13. Trennung und Abfall: Werden Identität und Grenze einer Gruppe durch den Glauben bezeichnet, dann wird eine Trennung von ihr als Abfall vom Glauben thematisiert. Dieser ist zu allen Zeiten möglich: in Vergangenheit (1Tim 1,6.19; 6,10.21), Gegenwart (1Tim 5,8; 2Tim 2,18; 3,8) und Zukunft (1Tim 4,1). Motive sind z.B. inhaltsleeres Wortgeklingel (1Tim 1,6), fehlgeleitete Erkenntnis (6,21) oder eine oberflächliche Profitgier (6,10). Die Folgen sind gravierend und reichen von mangelnder Übernahme sozialer Verantwortung für Hausangehörige (1Tim 5,1) über Abkehr von Wahrheit und Verstand (2Tim 3,8) bis hin zu Selbstverstümmelung (2Tim 6,10) und zur Hinwendung zur Dämonie (1Tim 4,1). 14. Freilich sind solche Formulierungen weder unpolemisch noch frei von Diskreditierung und Herabsetzung; ihre Absicht und ihre Intention sind Abgrenzung, Ausgrenzung und Trennung. Im Spiegel dieser Rhetorik von Abfall und Trennung wird jedoch deutlich: „Der Glaube“ bildet einen Gesamtrahmen der Orientierung. Er bezeichnet das gesamte Gottesverhältnis, betrifft das gesamte Weltverhältnis und bezieht sich jeweils auf die ganze Person. Auch hier wird Glaube zum Rahmenbegriff für das konkret gelebte Christsein. 15. Rahmenbegriff und Grundwort: Hierher gehören die Erstbelege aller drei Briefe, aber auch der letzte im Briefcorpus (1Tim 1,2; 2Tim 1,5; Tit 1,1; 3,15). Beziehungen unter den Christusgläubigen werden durch den Rahmen eines weiten und offenen Verständnisses von „im Glauben“ qualifiziert und gestärkt (1Tim 1,2; 2,7; 2Tim 1,5; Tit 1,4; 3,15). Unentbehrliche Grundlage dafür ist jedoch der Christusbezug (2Tim 1,13; 3,15). Glaube beruht auf der Verkündigung Jesu Christi (2Tim 1,13; Tit 1,1); er schließt Wahrheit (1Tim 2,7) und Liebe fest mit ein (2Tim 1,13). 16. Glaube ist in den Pastoralbriefen das Grundwort der persönlichen Identität und der Gemeinschaft untereinander und zugleich ein mehrdimensionaler Rahmenbegriff, der insbesondere christologisch, soteriologisch, existenziell, ekklesiologisch, ethisch, kognitiv, hermeneutisch und eschatologisch konnotiert ist. Insofern bilden Wort und Sache des Glaubens den Rahmen und bezeichnen gewissermaßen einen sehr weiten Raum für alles Reden und Denken über Gott, Christus und den Heiligen Geist und für Orientierung und Verhalten in diesem Raum. 17. Rechtgläubigkeit und Lehre: Mit dem sehr weiten und umfassenden Glaubensbegriff eng verbunden sind drei Stellen mit einem gewissen Akzent auf Rechtgläubigkeit und Lehre. Von den Worten des Glaubens, besonders seiner „guten Lehre“ kann man sich auch dadurch nähren (1Tim 4,6), dass man anderen davon mitteilt. Analog dazu ist ein „Gesun-
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den im Glauben“ bei denjenigen anzustreben (Tit 1,13), die „unnützes Zeug reden und die Leute betören“ mit „ungehörigen Lehren“ (1,10f.). Indem sich Gesundsein auf Glaube, Liebe und Geduld bezieht (Tit 2,2; vgl. 1Thess 1,3), zeigt sich eine sehr umfassende Vorstellung von Glaube. 18. Treue: Die griechische Homonymie zwischen Glaube und Treue impliziert für den Glauben Beständigkeit, Verlässlichkeit und Konstanz, kurz: Treue. Treue ist im Deutschen meist nicht religiös konnotiert. In 2Tim 2,13 ist das Verhältnis zwischen Gott und Mensch im Blick; Gott hält Paulus für vertrauenswürdig (1Tim 1,12) und betraut ihn (1Tim 1,11; Tit 1,3). Treue bezeichnet aber auch eine menschliche Eigenschaft gegenüber einem Amt (1Tim 1,4), einem Menschen (1Tim 5,12), einer Haltung oder persönlichen Orientierung (2Tim 4,7). In diesen Fällen ist ein christologischer Bezug nicht explizit im Blick. 19. Zuverlässig: Die Formel „zuverlässig ist das Wort“ ist in allen drei Briefen belegt (1Tim 3,1; 2Tim 2,11; Tit 3,8), im größeren Brief mit der Erweiterung „und aller Annahme wert“ (1,15; 4,9). Damit wird entweder eine vorausgehende Maxime (4,9), ein Kernabschnitt (Tit 3,8) oder ein nachfolgender Kernsatz (1Tim 1,15), ein neues Thema (3,1) oder ein Hymnus (2Tim 2,11) abgesichert. „Verlässlich“ sind aber auch Menschen, die andere lehren werden (2,2), Frauen und Männer im Diakonat (1Tim 3,11) und – jedenfalls als Anspruch und Wunsch – Kinder aus kirchlich hervorgehobenen Familien (Tit 1,6). 20. Alle acht Dimensionen oder Aspekte des einen Begriffs Glaube zeigen diesen als integrierenden und belastbaren Grundbegriff für das, was wesentlich christlich ist in Lehre, Leben und Handeln verschiedenster Glieder der Gemeinde. Christologisch und soteriologisch ist Glaube ebenso klar bestimmt wie eschatologisch und ekklesiologisch oder ethisch und kontroverstheologisch. Glaube ist der integrierende und belastbare Grundbegriff des Christseins in den Pastoralbriefen. Schlussfolgerungen und Wirkungen des Glaubensverständnisses der Pastoralbriefe 21. Steht das Glaubensverständnis der Pastoralbriefe einerseits in paulinischer Tradition, so ist es andererseits weder historisierend noch dogmatisierend darauf beschränkt. Es entwickelt sich vielmehr von paulinischen Wurzeln und Traditionen her mit Blick auf aktuelle Herausforderungen in Kirche (Gemeinde) und Theologie weiter. So findet einerseits ein Wettstreit um das paulinische Erbe mit intellektualisierenden Modernisierern in der Kirche statt; andererseits spielen traditionell paulinische Topoi wie „Werke des Gesetzes“ keine Rolle mehr. Ein christologisch fundierter, für alle zugänglicher Glaubensbegriff wird als theologische Mitte des Christentums, einer neuen Traditionsreligion, festgeschrieben.
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22. Glaube wird in den Paulusbriefen erstmals als christliches Theologoumenon entdeckt und als Paradigma etabliert. In den Pastoralbriefen wird es als Leitparadigma mit einem weiten Nuancenreichtum entfaltet. Dennoch bleibt es ein und derselbe Begriff in verschiedenen Kontexten: (1) Eine bekehrungsreligiöse Prägung eignet den beiden Aspekten zum Glauben kommen und Glaube als Habitus. (2) Konkurrenztheologischen Charakter haben die drei Aspekte Unglaube und gläubig/ungläubig, Trennung und Abfall sowie Rechtgläubigkeit und Lehre. (3) Besonders innovativ, besonders konsequent und besonders folgenreich ist Glaube als Rahmenbegriff und Grundwort für das Christliche. Der Übergang zu einer Traditionsreligion ist in den Pastoralbriefen deutlich erkennbar. 23. Diese Vielfalt, Tiefe und Breite erweisen Glaube als zentrales Theologoumenon der Pastoralbriefe. Trotz variabler Bezugsmöglichkeiten in verschiedensten Kontexten mutiert das Wort nicht zur Profillosigkeit oder zur Beliebigkeit. Bedeutungskern des Containerbegriffs sind Vertrauen, Trauen, anvertrauen und betrauen. Mit Hilfe von πίστις κτλ. ist die Grundrelation zwischen Mensch(en) und Gott in beide Richtungen aussagbar, aber auch Verlässlichkeit im Blick auf Worte und Gedanken sind damit formulierbar. Glaube kann sowohl die Identität, den Charakter und die Basis (als Fundament und Grund) als auch die Grenze des Christlichen bezeichnen. Πίστις steht daher für die Mitte christlicher Existenz! 24. Glaube spielt in allen großen neutestamentlichen Traditionsströmen eine herausragende Rolle. Zugleich gibt es einen sprachlichen Prozess der Substantivierung, dem jedoch die synoptische und zumal die johanneische Tradition nicht folgen. Andere Begriffe des frühen Christentums sind deutlich weniger erfolgreich, sich als integrierende Grundbegriffe zu etablieren, obwohl sie in einzelnen Traditionen ebenfalls sehr gebräuchlich sind. Neben Erkenntnis, Leben, Liebe, Gerechtigkeit und Evangelium stehen auch Gnade und Geist gegenüber Glaube im Blick auf Anzahl, Verbreitung (Präsenz), Integrationsfähigkeit (Belastbarkeit, theologisches Potential) und Gesamtentwicklung (Performance) zurück. 25. Der wahrscheinlich entscheidende Vorteil von Glaube gegenüber anderen frühchristlichen Grundbegriffen besteht in der Möglichkeit, mit diesem Begriff eine personale Beziehung zwischen Gott und Mensch(en) umfassend und grundlegend zu bezeichnen und zu bestimmen. Dadurch wird Glaube zum bestimmenden, geradezu typischen, spezifischen, charakteristischen und zentralen Grundbegriff des Christseins und des Christentums. Kurz, man kann vom Glauben gar nicht hoch genug sprechen! In der paulinischen Theologie war dies bereits angelegt, so etwa in Röm 14,23: „Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde.“ 26. Glaube bezeichnet die Mitte christlicher Existenz. Das Verdienst, den Glaubensbegriff so zu weiten, dass er als Rahmenbegriff und Grund-
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wort für das Christliche steht, gebührt den Pastoralbriefen. Sie sind darin kanonische „Vollender des Glaubens“ (vgl. Hebr 12,2) – und eröffnen zugleich seine weitreichende und dominante Stellung für die folgende Zeit (vgl. nur Credo). Mit den Pastoralbriefen stehen die pistishaltigsten Texte des zweiten Jahrhunderts gleichwohl an dessen Beginn. Sie handeln von einem integrierenden und belastbaren Glauben, der seither als Grundbegriff des Christseins und des Christentums betrachtet wird.
Between Holy Tradition and Christian Virtues? The Use of πίστις / πιστεύειν in Jude and 2 Peter* JÖRG FREY
1. Introduction: Faith between Paul and ‘Early Catholicism’ If the use of the terms πίστις and πιστεύειν is a significant element of the making and development of a Christian language,1 it is somewhat disturbing that the concept of ‘faith’ or ‘belief’ is far from uniform or consistent in the New Testament. The Pauline concept of belief ‘in Christ’ (εἰς Χριστόν), which focuses on the saving power of the cross and the gospel as a divine power for salvation to anyone who believes (Rom 1:16), differs significantly from the idea of ‘faith’ in the Synoptic Gospels, where it refers to both a trust in Jesus’s ability and willingness to help and to heal as well as a kind of πίστις that saves a person: ἡ πίστις σου σέσωκέν σε.2 There are also significant differences between the Pauline concept of belief in Christ, the crucified and risen one, and the notion of πίστις in the Epistle to the Hebrews, where Jesus is enumerated in line with the faithful fathers of the Old Testament period; although Jesus is called the “pioneer and perfecter of faith” (Heb 12:2), his endurance and his steady confidence in God are presented as an example or archetype of Christian faith. One of the most noteworthy changes of the early Christian concept of faith consists in the shift in Christianity from a conversion-orientation to a tradition-orientation,3 which can be observed in the New Testament between the earliest writings, especially the Pauline Epistles, and the writings from the third or fourth generation, such as the Pastorals, in which the *
I am grateful to Dr. Benjamin Schliesser for numerous suggestions and to Andrew Bowden (Munich) for polishing the language of the present article. 1 Cf., the significant title of the inspiring book by Thomas Schumacher, Zur Entstehung christlicher Sprache: Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις, BBB 168 (Göttingen: V&R unipress and Bonn University Press, 2012). 2 Mark 5:34 // Matt 9:22 // Luke 8:48; Mark 10:52 // Luke 18:42; Luke 7:50 and 17:19. 3 Cf., Michael Wolter, “Die Entwicklung des paulinischen Christentums von einer Bekehrungsreligion zu einer Traditionsreligion,” Early Christianity 1 (2010): 15–40.
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Christian teaching is much more strongly shaped by the idea of a normative tradition and the addressees are exhorted to keep the “sound teaching” (1 Tim 1:10; 4:6, etc.). In New Testament scholarship this change has often been considered a decline from the ‘original’ concept of faith. Interpreters who follow a Reformation-oriented reading of the New Testament have usually preferred the Pauline concept of faith and have sometimes applied the label “Early Catholicism” to other concepts. The term “Early Catholicism” – first introduced by Ernst Troeltsch4 and then polemically used by Ernst Käsemann and other interpreters from the second and third generation of the Bultmann school5 – was used to characterize writings from the ‘post-Apostolic’ period, such as Luke-Acts, the Pastoral Epistles, the Epistles of Jude and 2 Peter, as well as some of the so-called ‘Apostolic Fathers,’ such as 1 Clement, 2 Clement, the letters of Ignatius, the letter of Polycarp, and others. As the term indicates, the period was considered a period of transfer from ‘Primitive Christianity’ to the later ‘Catholic’ church. In the perspective of a predominantly Protestant exegesis and theology, this was a period of decline from an early, eschatologically-oriented faith to a later situation in which eschatology was no longer the fundamental core of Christian thought, and ‘orthodoxy’ was established by constructing a sacred history (thus Luke/Acts) or by referring to an authoritative tradition or authoritative offices in the church. For a radical Protestant such as Käsemann, this was a disastrous development through which the fundamental and liberating impacts of the gospel were ultimately veiled by dogmatism and by establishing church structures. The label ‘Early Catholicism,’ however, has been strongly criticized. It was too strongly bound to dogmatic categories (which were often consid4 The term was introduced in 1908 by Ernst Troeltsch in “Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen,” Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Neue Folge 26 (1908): 1–55, 292–342, 949–62, in Gesammelte Schriften vol. 1 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1912), see op. cit., 85. At that time, the term “frühkatholisch” was introduced instead of the term “altkatholisch,” which had become problematic for various reasons. Cf., earlier Albrecht Ritschl, Die Entstehung der altkatholischen Kirche: Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Monographie, 2nd ed. (Bonn: Adolph Marcus, 1857). 5 On Early Catholicism in the New Testament, see in particular Ernst Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnungen, 2 vols. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1960/64); cf., the English translation Essays on New Testament Themes (London: SCM, 1964); see also Das Neue Testament als Kanon, ed. E. Käsemann (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1970). Other authors who programmatically used that label include Willi Marxsen, Der “Frühkatholizismus” im Neuen Testament, BibS(N) 21 (NeukirchenVluyn: Neukirchener Verlag, 1958) and, most radically, Siegfried Schulz, Die Mitte der Schrift: Der Frühkatholizismus im Neuen Testament als Herausforderung an den Protestantismus (Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1976). In Schulz’s view, only the authentic Pauline Epistles can be considered normative in a strict sense, and seventeen out of twenty-seven writings of the New Testament are said to be “frühkatholisch.”
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ered identical with a strict historical-critical exegesis), and exegetes could not reach a consensus about its precise meaning. Does “Early Catholicism” simply describe a period of theological development between the early apostolic period and the later establishment of the ‘catholic’ church,6 or is it linked with particular aspects, such as the decline of the apocalyptic expectation of the end, the construction of a sacred ‘salvation history,’ the replacement of the Spirit by church offices, and the growth of the sacraments? Because the writings assembled under “Early Catholicism” show a wide variety of viewpoints with regard to the aspects mentioned, the label must be considered not only inappropriate but also incapable of encompassing those writings.7 In the present essay, I will focus on two writings that, for various reasons, including their concept of ‘faith,’ have been characterized consistently as ‘Early Catholic,’ namely the two ‘Catholic’ Epistles of Jude and 2 Peter.8 Both writings exhibit a critical distance towards the Pauline or Deutero-Pauline tradition, and, significantly, in the New Testament canon the corpus of the Catholic Epistles is smaller than the Pauline corpus. The Catholic Epistles are written under the authority of the ‘pillars’ of the Jerusalem community who were Paul’s counterpart in the Jerusalem Council,9 and the arrangement of this corpus in the New Testament follows the sequence of Gal 2:9: James (the brother of the Lord), Peter and John (the sons of Zebedee). While the corpus opens with the Epistle of James, the Epistle attributed to his brother Jude forms its counterpart in closing the corpus.10 Embedded between them are the two Epistles attributed to Peter and the three Johannine Epistles. We cannot discuss the complicated histo6
This view was rejected by Ulrich Luz, “Erwägungen zur Entstehung des ‘Frühkatholizismus’,” ZNW 65 (1975): 88–111. 7 Cf., the thorough criticism of the concept by Ferdinand Hahn in the articles “Frühkatholizismus als ökumenisches Problem” and “Das Problem des Frühkatholizismus,” both of which can be found in Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch: Gesammelte Aufsätze Band 1 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986), 39–56, 57– 75 respectively. 8 For all aspects of introduction and interpretation, I refer to my recent commentary on the two Epistles; cf., Jörg Frey, Der Brief des Judas und der zweite Brief des Petrus, THKNT 15,2 (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2015). 9 Cf., Dieter Lührmann, “Gal 2,9 und die katholischen Briefe,” ZNW 72 (1981): 65– 87; Robert W. Wall, “A Unifying Theology of the Catholic Epistles: A Canonical Approach,” in The Catholic Epistles and the Tradition, ed. Jacques Schlosser, BETL 176 (Leuven: Peeters, 2004), 43–71, 55–59; David R. Nienhuis, Not by Paul Alone: The Formation of the Catholic Epistle Collection and the Christian Canon (Waco: Baylor University Press, 2007), 7–8, who suggests “that the outward shape of the collection was intended to signify the letter group as a literary witness to the Jerusalem apostolate.” 10 Closure is provided by the weighty doxology in Jude 24–25; cf., Wall, “Unifying Theology” (see n. 9), 71.
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ry of the collection here,11 but we note that this collection as a whole provides an account of Christian origins that is not dependent on Paul, as well as (in some parts) a critical dispute with developments in the Pauline or Post-Pauline tradition.12 Second Peter 3:15–16 explicitly mentions a collection of the Pauline Epistles and claims ‘Petrine’ authority to interpret those Epistles properly. In New Testament scholarship, these writings have often been read from a Pauline perspective, with a focus on identifying the differences between them.13 Scholars such as Käsemann used these differences to marginalize Jude and 2 Peter, whereas some Roman Catholic scholars sought to interpret the hints about an authoritative tradition (Jude 3),14 and in particular the author concept of 2 Peter, as an important step toward the fully developed Catholic church or even as an acknowledgement of Petrine authority. 15 The comparison with the Pauline tradition often includes the use and notion of πίστις in the two Epistles, which is often characterized as a significant departure from the Pauline concept, either in terms of a development toward a ‘holy tradition’ (in Jude 3) or in terms of a rather intellectual understanding of faith as a mere ‘orthodox’ doctrine, linked with a moralizing ethics (cf., 2 Pet 1:5–7). More recent interpretation argues that the two Epistles should be understood in their own right and in their proper historical context, instead of being dismissed on the basis of external (even Pauline) criteria. Thus, the current essay will look in detail at the use of πίστις in Jude and 2 Peter. Comparison cannot be totally avoided, as these writings seem to distance 11 Cf., Jacques Schlosser, “Le corpus des épîtres catholiques,” in The Catholic Epistles and the Tradition, ed. Jacques Schlosser, BETL 176 (Leuven: Peeters, 2004), 3–41, and Andreas Merkt, Der erste Petrusbrief, Novum Testamentum Patristicum 21.1 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015), 15–31. 12 Wall, “Unifying Theology” (see n. 9), 59, suggests that “a principle concern of the second collection of epistles is to bring balance to a Tendenz toward religious syncretism” considered to be dangerous for “the church’s substantially Jewish theological and cultural legacy.” 13 On the marginalization of the Catholic Epistles, see also Carey C. Newman, “Jude 22, Apostolic Theology, and the Canonical Role of the Catholic Epistles,” PRSt 41 (2014): 367–78, 367–68. 14 Cf., e.g., Karl-Hermann Schelkle, Die Petrusbriefe – der Judasbrief, 3rd ed., HThK 13.2 (Freiburg: Herder, 1970), 150: “Das katholische Traditionsprinzip scheint geradezu fertig ausgebildet.” 15 Cf., Schelkle, Petrusbriefe (see n. 14), 218: “Die richtige Auslegung, die der Verfasser besitzt, ist für ihn jene der großen und allgemeinen Kirche, der er angehört. Sie besitzt den untrüglichen Geist des Schriftverständnisses.” See also Josef Zmijewski, “Apostolische Paradosis und Pseudepigraphie im Neuen Testament: ‘Durch Erinnerung wachhalten’ (2. Petr. 1,13; 3,1),” BZ 23 (1979): 161–71; Peter Dschulnigg, “Der theologische Ort des zweiten Petrusbriefes,” BZ 33 (1989): 166–71.
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themselves from Paul, but they deserve to be evaluated from their own presuppositions.
2. James, Jude, and 2 Peter – A Line of Thought in Discord with Paul The Catholic Epistles are a collection of letters based on authorities other than Paul and, occasionally, in a critical distance from Paul. The Epistles point to the Jerusalem apostolate and not to a direct connection with the earthly Jesus.16 Although the date of James and its function as the collection’s point of departure is critically debated,17 there are good arguments for reconstructing a line of thought from James to Jude and then from Jude to 2 Peter. For the discussion of the notion of ‘faith’ in Jude and 2 Peter, it is first useful to take a brief look at the Epistle of James.18 2.1 James and Paul – And the Issue of an Anti-Pauline Stance in James The relationship between James and Paul is one of the classical themes of New Testament scholarship, and the question about whether faith alone “without works” can save (thus, Paul in Rom 3:20, 24, 26, 28 and Gal 2:16; 3:11; cf., Jas 2:14–26) has been debated since the era of the Church Fathers.19 Even if more recent scholarship has liberated the reading of James from the corset of the Pauline perspective20 by arguing that the issue
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Cf., Karl-Wilhelm Niebuhr, “‘A New Perspective on James?’ Neue Forschungen zum Jakobusbrief,” TLZ 129 (2004): 1019–44, 1041. 17 Although some authors still accept the ‘authenticity’ of James and an early date of composition (cf., Niebuhr, “New Perspective” [see n. 16], 1021–32), Nienhuis (Not by Paul Alone [see n. 9], 225) suggests that the letter was written only late in the second century “in order to create a literarily and theologically robust Pillars collection.” In my view, the argument for such a late date is unconvincing. The shape of the collection could also be developed in the later period by the arrangement of the Epistles. There is no need to assume that they were written with that order in mind. The assumption that James was written with a certain canonical awareness or with the intention of shaping a canonical collection is as problematic as the corresponding hypothesis with regard to 2 Peter (as advocated by David Trobisch, The First Edition of the New Testament [Oxford: Oxford University Press, 2000]). 18 On James, see the article by Karl-Wilhelm Niebuhr in the present volume. 19 Cf., Augustine, Enarrat. Ps. 31.2.2–3 (CCSL 38, 225–27); Fid. op. 14.21–23 (CSEL 41, 61); see the excursus in Dale C. Allison, Jr. The Epistle of James, ICC (London: Bloomsbury; New York: T&T Clark, 2013), 426–41 who rightly states (426 n. 5): “The Wirkungsgeschichte of the passage accordingly escapes the mastery of anyone.” 20 Thus, Niebuhr, “New Perspective” (see n. 16), 1019–21.
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of ‘faith and works’ is not the primary concern of the author,21 the total dismissal of an intertextual relationship between James and the Pauline epistles seems questionable. Even if both authors wrote independently (i.e., without any interaction), the canonical juxtaposition of Paul and James demands some reflections on their mutual relationship: Is there an open contradiction between them, perhaps a doctrinal battle within the canon, or does James merely intend “to bring back a Paulinism that had been misinterpreted and distorted to the truly Pauline position”?22 Do both authors use the same terms with different meanings, so that there is no real contradiction, or is it impossible to disentangle both views so easily, if James in fact reacts to Pauline terms or a Pauline slogan advocating a dissenting view? While a considerable trend in recent research points to the Jewish background (particularly to the Wisdom tradition) of James’s thought, thereby denying an anti-Pauline intention,23 the late Martin Hengel still boldly interpreted James as an authentic writing of the Lord’s brother composed as a direct polemic against Paul.24 While such an interpretation is probably too bold and some of the polemical points seem too subtle, the argument of a more or less explicit reaction to Paul or his followers (at least in Jas 2:14–26) gains plausibility if James was written at a later date and by a pseudonymous author.25 Such a reaction by the Epistle of James would be 21
Cf., Niebuhr, “New Perspective” (see n. 16), 1020. Thus Willi Marxsen, Introduction to the New Testament: An Approach to its Problems (Oxford: Basil Blackwell, 1968), 231. 23 Cf., e.g., the interpretation by Christoph Burchard, Der Jakobusbrief, HNT 15.1 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), 125–26: “Man verdirbt sich die Auslegung, wenn man Jak durchlaufend von Paulus weg oder auf ihn zu interpretiert” (p. 126). See also Matthias Konradt, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief, SUNT 22 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998); idem, “Der Jakobusbrief im frühchristlichen Kontext,” in The Catholic Epistles and the Tradition, ed. Jacques Schlosser, BETL 176 (Leuven: Peeters, 2004), 171–212, 189: “Die Genese der in 2,14(ff) angegangenen Problematik lässt sich ohne weiteres auf der Basis der allgemein-frühchristlichen Rede vom rettenden Glauben und damit abseits spezifisch paulinischer Zuspitzung durch die Antithese von ‘Glauben – Werken des Gesetzes’ verständlich machen.” 24 Martin Hengel, “Der Jakobusbrief als antipaulinische Polemik,” in Paulus und Jakobus: Kleine Schriften 3, ed. M. Hengel, WUNT 141 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2002), 510–48. 25 Cf., Kari Syreeni, “James and the Pauline Legacy: Power Play in Corinth,” in Fair Play: Diversity and Conflict in Early Christianity: Essays in Honour of Heikki Räisänen, ed. Ismo Dunderberg, Christopher M. Tuckett, and Kari Syreeni, NovTSup 103 (Leiden: Brill, 2002), 397–437, who accepts the later date and pseudonymity of James. David Nienhuis, because of his very late dating of James, has no problems admitting that James reacts to Paul (Nienhuis, Not by Paul Alone [see n. 9], 230): “Everyone knew the stories of disagreements between James and Paul, and our author felt no real need to pretend they did not exist … Our author used their traditional ‘difference’ to his advantage, creat22
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possible even if the author had not read Paul’s epistles or did not have them at his disposal when writing his letter. A knowledge gained from secondary orality, or from some kind of exaggerated or distorted slogans transmitted by followers or opponents of Paul, would suffice. The fact that the relationship between faith and works was never explicitly discussed in pre-Pauline Judaism26 strongly supports the view that the author of James did not adopt the juxtaposition from Jewish wisdom traditions. The only example of such a juxtaposition of faith and works is Paul’s reception of Gen 15:6 in Gal 3 and Rom 4.27 Friedrich Avemarie, therefore, concludes that Jas 2:14–26 most probably reacts to Paul.28 Thus, we should at least assume an intertextual relationship between James and the discussion of faith and works in Paul, although that discussion may have been transmitted indirectly. And if it is true that Jas 2:14–26 “is not trying to change bad behavior, but to refute a defective opinion,”29 then it is hard not to locate that opinion in Paul or later Paulinism.30 We cannot discuss the precise meaning of James’s refutation in detail here, but it is possible to conclude that the Epistle of James takes a position that contrasts Paul and his followers. By using James the brother of Jesus as the author, and the authority of the Jerusalem community, the real author might have deliberately composed the Epistle in opposition to Paul. The later reception of the figure of James “the Just” – the martyr and the hero of Jewish-Christian groups – may confirm such a reading. The reception of
ing a text that would ensure the proper reception of the Pauline message when the two were read in canonical conversation.” 26 Hengel, “Jakobusbrief” (see n. 24), 526; Friedrich Avemarie, “Die Werke des Gesetzes im Spiegel des Jakobusbriefs: A Very Old Perspective on Paul: Für Professor P. Stuhlmacher und Professor J.D.G. Dunn,” ZTK 98.3 (2001): 291; see also Allison, James (see n. 19), 448. 27 Cf., the survey of the Jewish reception of Gen 15:6 in Benjamin Schliesser, Abraham’s Faith in Romans 4: Paul’s Concept of Faith in Light of the History of Reception of Genesis 15:6, WUNT 2/224 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 152–221. 28 Avemarie, “A Very Old Perspective” (see n. 26), 292: “Das einzige uns bekannte Vorbild, auf das sich Jakobus hier bezogen haben kann, ist die paulinische Entgegensetzung von ἔργα und πίστις in ihrer Verbindung mit Gen 15,6. Daß sich Jakobus hier auf Paulus bezieht, ist darum nur wahrscheinlich.” Avemarie demonstrates that Konradt’s attempt (in his dissertation; see Konradt, Christliche Existenz [see n. 23], 241–46) to explain the wording of Jas 2:14 without any reference to Paul is unconvincing (Avemarie, “A Very Old Perspective” [see n. 26], 289–92.) 29 Allison, James (see n. 19), 448. 30 Cf., Allison, James (see n. 19), 453: “It would not be at all remarkable if the author of James, as a representative of Christian Judaism, and as one who was so keen on the integrity of word and deed, was troubled by Paul’s apparent denigration of ‘works’ – whether he understood Paul to be disparaging ‘works of the law’ or ‘good works’ in general.”
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the Epistle still deserves some further exploration,31 but the Epistle of Jude, in which James is most probably received, continues the trend of distancing from the Pauline tradition. 2.2 Jude as a Second James and its Opposition towards Post-Pauline Views The concise Epistle of Jude is one of the most enigmatic writings in the New Testament. If its authorship is pseudonymous, as many interpreters assume, the author’s choice of such an unknown figure for his polemical Epistle is puzzling. Why choose an obscure ‘brother of the Lord,’ rather than better known names, such as James, Peter, or Matthew? And why does the author not introduce himself as ἀδελφὸς τοῦ κυρίου or ἀδελφὸς (τοῦ) Ἰησοῦ, but apparently more humbly as ἀδελφὸς … Ἰακώβου?32 The reason may be that he does not simply want to authorize his writing by referring to a prominent figure, but rather to draw on a particular line of authority, represented by James, or more widely the relatives of Jesus. But the question immediately arises why the author did not just choose James as pseudonymous author.33 Did knowledge of the Epistle of James prevent him from writing another James, ‘Second James’?34 This theory is not persuasive when we consider that the author of 2 Peter was able to write a letter in the name of Peter although his own letter differs strongly in form and content from 1 Peter. A consideration of Jude’s opponents and its particular focus on angel veneration might provide a satisfying explanation of the Epistle’s authorship:35 If the opponents and the related debates
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Cf., Allison, James (see n. 19), 99–100 who points to the large silence about James. There is no further need to discuss the identity of Ἰάκωβος in Jude 1. All the options apart from the well-known ‘brother of the Lord’ can be left aside, so that Jude – the fictional author of the Epistle of Jude – can only be one of the brothers mentioned in Mark 6:3 // Matt 13:55. Origen first suggested this (in Comm. Matt. 10:17), but it might have been obvious already for the earliest readers of Jude. However, most interpreters between Tertullian and Johann Gottfried Herder attributed the letter to another Jude, “(son) of James” from the circle of the twelve apostles (cf., Luke 6:14–16; Acts 1:13), so that it could be considered an ‘apostolic’ letter; cf., Frey, Brief (see n. 8), 17–20. 33 Cf., Ingo Broer and Hans-Ulrich Weidemann, Einleitung in das Neue Testament, 3rd ed. (Würzburg: Echter, 2006), 642; adopted in Christian Bemmerl and Wolfgang Grünstäudl, “Wahlverwandtschaften: Notizen zum Verhältnis von Jakobus- und Judasbrief,” SNTU 38 (2013): 5–22, 20. 34 Thus Wolfgang Schrage, “Der Judasbrief,” in Die Briefe des Jakobus, Petrus, Johannes und Judas, ed. Horst Balz and Wolfgang Schrage, NTD 10 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1973), 217–232, 220. 35 On the identification of the precise problem between the author of Jude and his opponents, see the discussion in Frey, Brief (see n. 8), 27–37, as well as Jörg Frey, “The Epistle of Jude Between Judaism and Hellenism,” in The Catholic Epistles and Apostolic 32
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can be located in Asia Minor where Pauline and Deutero-Pauline views about principalities and powers were discussed (cf., especially Colossians36), it would not be appropriate to compose a critical intervention by a figure who is so strongly linked with Jerusalem. In the Epistle of James, the brother of the Lord functions as an authority from Jerusalem, addressing the wide diaspora (Jas 1:1–2) with general themes, rather than addressing particular communities with particular issues. There is thus no need to indicate whether James is personally acquainted with the situation of his first readers. In contrast to such a genuinely universal (i.e., ‘catholic’) writing, Jude apparently addresses particular communities and shows a closer knowledge of their situation and the teaching of the opponents. As the (fictional) author of such a writing, James was probably less ‘useful’ than a more unknown figure from the same line of tradition: Jude was less ‘defined’ in early Christian texts, so that he could be more easily portrayed as doing some missionary work in the diaspora (cf., 1 Cor 9:5) and interacting with the problems of those communities. And although the Epistle neither elaborates the relationship between Jude and the addressees nor suggests that the recipients personally knew Jude, vv. 3–4 suggest that the (real) author is very familiar with the situation of the addressees. Thus, there was a reason for choosing a figure other than James from the period of the early Palestinian Jewish-Christianity, an authority from the origins who stood in marked contrast to Pauline tradition, an authority linked with James (and thus also with Jesus) but less firmly confined to Jerusalem or Palestine. Fur such a purpose, Jude was certainly appropriate. For the present context it is important to note that Jude, when drawing on the authority of James, may not only imagine the ‘historical’ James – the leader of the Jerusalem community as well as the martyr and hero of later Jewish Christianity – but more precisely the ‘literary James,’ the author of the Epistle.37 Jude’s reference is occasionally disputed by authors who apply overly rigorous criteria.38 One must consider the best manner Tradition, ed. Karl-Wilhelm Niebuhr and Robert W. Wall (Waco: Baylor University Press, 2009), 309–30. 36 Cf., the discussion in Colossians, which is most certainly located in Asia Minor. On the relationship between Colossians and Jude, see Frey, “The Epistle of Jude” (see n. 35), 326–29. 37 Cf., already Frey, “The Epistle of Jude” (see n. 35), 325–26. 38 Thus, in my view, Bemmerl and Grünstäudl, “Wahlverwandtschaften” (see n. 33), who end with a purely negative argument that remains unconvincing. While they can easily question the superficial collection of stylistic similarities presented by J. Deryl Charles in his apologetic interest to support the ‘authenticity’ of both letters (cf., J. Deryl Charles, Literary Strategy in the Epistle of Jude [Scranton: University of Scranton Press, 1993], 65–90), their discussion of Jude 19/Jas 3:15 and especially of Jude 1/Jas 1:1 is methodologically too narrow: Their search for similarities that can ‘prove’ Jude’s know-
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for determining a historically plausible and balanced view. Here, we should not ignore the first and strongest similarity between James and Jude: the opening statement ‘identifies’ the (fictional) author Ἰούδας as Ἰησοῦ Χριστοῦ δοῦλος and then links him with his well-known brother Ἰάκωβος. The phrase Ἰησοῦ Χριστοῦ δοῦλος in Jude 1 corresponds exactly with Jas 1:1. Such an immediate ‘echo’ of the text authored by Ἰάκωβος cannot be overestimated and should be seen as a decisive reason to read Jude intertextually against the background of James. Other correspondences or allusions cannot prove any acquaintance but only serve as an occasional support of an intertextual reading. This is true for the characterization of the opponents as ψυχικοί in Jude 19, which may allude to the characterization of the wisdom of other teachers as ἐπίγειος, ψυχική, and δαιμονιώδης in Jas 3:15, but does not clearly draw on that background. This is also true for the thematic correspondences in the closure of Jude, when Jude 21 briefly focuses on mercy, which was also focused on in Jas 2:12–13; Jude 22–23 addresses the problem of converting errant community members, which is also the case in the conclusion of James (Jas 5:19–20), although the situation in Jude is much more dangerous. On a more formal level, both Epistles do not adopt the epistolary form of Paul’s letters, which was quite influential for early Christian letter-writing: both lack a formal epistolary closure, both are familiar with Jewish tradition and techniques of interpretation, both are also composed in a relatively elaborated style, and – quite interestingly – there is a striking number of matches in the vocabulary between James and Jude: Twenty-seven words occur more than twice in both texts. Thus, “Aside from Jude – 2 Peter and Colossians – Ephesians comparisons, the verbal correspondence in James and Jude, considering the brevity of the latter, is unmatched anywhere in the NT.”39
These observations cannot prove a literary dependence. Only the explicit reference in the beginning of Jude supports a reading that draws upon thoughts from the ‘literary James.’ The mention of James and the identification of Jude as his brother (cf., Jude 1) elevates Jude as a ‘Second James’40 who wields considerable authority, derived from James and Pales-
ledge and use of James is an almost impossible task, given the brevity of the text, the stylistic skills of the author, and the fact that, apart from Enoch, none of the Scriptures are quoted. If we can assume that the author draws on ‘James,’ then the issue is merely what the reference to ‘James’ implies. Is this merely an unclear image of James as the brother of the Lord, the leader of the Jerusalem community, and a kind of ‘opponent’ of Paul, or does the image of James also include the author of an epistle elaborating a number of topics? If the first is accepted, it raises another question, namely: did the addressees of Jude known about James from the Pauline references, from Acts, or from oral tradition? And if they knew of James, why should they be unaware of the Epistle of James? The difficulty in all these issues is that we do not know enough about Jude’s addressees and their traditions. 39 Charles, Strategy (see n. 38), 77. 40 Cf., Anton Vögtle, Der Judasbrief. Der zweite Petrusbrief, EKK 22 (Solothurn: Benzinger; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1994), 17: Such a reference author-
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tinian Jewish Christianity. With the choice of the pseudonym, the author shows that he is aware of James’s authority and utilizes it as a force against the opponents he fights. The issue of Jude’s opponents still remains. If these opponents are introduced as ungodly people41 who turn God’s grace into licentiousness (τὴν τοῦ θεοῦ ἡμῶν χάριτα μετατιθέντες εἰς ἀσέλγειαν), then the mention of ‘God’s grace’ may indicate that the opponents draw on certain views about ‘grace’ (χάρις), a term which in the New Testament is most frequently used in Paul and the Deutero-Pauline epistles.42 It is unclear whether they justified their views by reference to the πνεῦμα (cf., Jude 19), which would also (but not exclusively) correspond to the Pauline tradition. But the most distinctive censure, apart from all the topical charges of immorality, dishonesty, arrogance, etc., is that the opponents reject or dishonor angelic beings (Jude 8–10). In the view of the author and his theological tradition (in particular 1 Enoch), dishonor of angels constitutes an inappropriate behavior against powers and principalities in charge of the world and its divine order. The relevance of angelic powers was particularly questioned by Paul (cf., 1 Cor 6:4; Rom 8:38–39) and the post-Pauline tradition, where the veneration of angels was explicitly rejected (Col 2:18). Consequently, the central issue of Jude is squarely positioned in critical debate with tendencies in the post-Pauline development, viz. in the reception history of Paul. Thus, not only the adoption of James’s authority but also the opposition to tendencies in the Pauline tradition might indicate that Jude takes a deliberately critical stance towards Paul. 2.3 Second Peter and the Claim of Properly Interpreting Paul With regards to 2 Peter our discussion can remain brief. Most scholars today accept the view that this pseudonymous Epistle extensively utilizes the Epistle of Jude, especially in the polemical section of 2 Pet 2:1–3:3. In 2 Pet 3:1 the author refers to another Epistle written by the same author, most probably canonical 1 Peter, with which the intended readers assumedly are familiar. I have argued elsewhere that the author also draws on the Apocalypse of Peter, which was held in high esteem by numerous authors
izes Jude “gewissermaßen als einen zweiten Jakobus, als eine ebenfalls maßgebliche Gestalt des Anfangs.” 41 This term is inspired by the Enochic tradition; cf., the quotation in Jude 14–15. 42 Cf., James R. Harrison, Paul’s Language of Grace in Its Graeco-Roman Context, WUNT 2/172 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), and most recently John M.G. Barclay, Paul and the Gift (Grand Rapids: Eerdmans, 2015).
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in the second century.43 Thus, 2 Peter enters a kind of ‘Petrine discourse,’ complementing and correcting other images of Peter or traditions associated with him. In the conclusion of the Epistle, after the polemical refutation of the opponents, 2 Peter explicitly mentions Paul and his Epistles (2 Pet 3:15–16). The remark respectfully mentions Paul, the “beloved brother,” concedes that he has written “according to the wisdom given him,” but mentions that his Epistles are “hard to understand” and misinterpreted or distorted by “the untaught and unstable.” “Peter” thus presents himself in harmony with Paul, who is said to have written the same in all his letters, although they are often misunderstood. Under the surface of such an agreement, 2 Peter also presents some veiled criticism: Paul’s Epistles appear rather unclear and dangerous, whereas the present author explains what Paul actually meant. “Peter” thereby claims the authority of truly interpreting Paul’s Epistles. Such a claim is even more striking in view of the fact that 2 Peter’s theology and wording is quite unrelated to the Pauline tradition.44 The themes and language of Pauline tradition are not adopted in this Epistle. With his dense reception of Jude, the author follows a different line of thought, which from its very beginning was established in critical distance to Paul. An open criticism of Paul might have inappropriately portrayed disagreement between the apostles; the author of 2 Peter subtly advocates a very different theology while claiming total agreement with the “brother” and fellow apostle. We can only speculate why the author felt the need to mention Paul at all. The mention that the “untaught and unstable” misinterpret his letters may indicate (1) that perhaps the opponents of 2 Peter justified some of their views by referring to Paul, and (2) that Paul’s letters, probably already as a collection, were a widely accepted authority so that a refutation of the opponents had to tackle the problem and to discuss the correct understanding of Paul. If this is true, claiming accord between the two apostles might have been the most promising strategy, although the author actually advocates a view in marked distance from Paul.
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Cf., Frey, Brief (see n. 8), 170–74, and most thoroughly Wolfgang Grünstäudl, Petrus Alexandrinus: Studien zum historischen und theologischen Ort des zweiten Petrusbriefes, WUNT 2/353 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 97–143. 44 Thus already Richard J. Bauckham, Jude, 2 Peter, WBC 50 (Waco: Word, 1983), 147: “There is little sign of Pauline influence in 2 Peter.”
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3. The Concepts of Faith in Jude and 2 Peter What about ‘faith’ in these traditions positions them in critical distance from Paul and his followers? How are πίστις and πιστεύειν used, what are they related to, what are their connotations, and what other words and contexts occur as their equivalent or opposite? 3.1 πίστις in Jude: Between Holy Tradition and Communal Practice In Jude πίστις occurs twice (vv. 3, 20), and the verb πιστεύειν is used only once (v. 5). This is not too little for such a brief epistle,45 but it creates difficulties for determining the meaning of the terms. A warning is appropriate. Although our investigation focuses specifically on distinctions that arose in later theological debates, we will not find sufficient answers to the following questions from the few passages under consideration. Is faith directed to God or to Jesus, is it based on the narrative of Jesus’s earthly ministry or merely on his cross and resurrection? Is it confidence in final salvation or rather a steadiness in present life? Is it a spontaneous reaction to certain experiences or ‘the word,’ or is it considered a firm conviction? Is it merely oriented to the person of Jesus or is it bound to a certain content, to a formula or confession? Is it a divine gift or human activity; is it a human decision or rather a certain teaching? Is it considered to be an intellectual insight or an inner ‘feeling’? And how is ‘faith’ linked with good works, with piety and ethics? All these questions, phrased in view of the biblical canon, in the course of later debates about Pelagianism, the Reformers’ views, or modern existential theology, can only find partial and insufficient answers from our texts (and perhaps also from the Pauline and other New Testament writings), as many of these questions anachronistically introduce later debates and try to solve them by reference to texts from a different world.
The difficulties are obvious in the interpretation of passages such as Jude 3, where the pseudonymous author exhorts his addressees “to contend earnestly for the faith which was once for all delivered to the saints” (ἐπαγωνίζεσθαι τῇ ἅπαξ παραδοθείσῃ τοῖς ἁγίοις πίστει). Interpreters have presented explanations that attempt to discount this exhortation and the related concept of faith. The Roman Catholic commentator Karl Hermann Schelkle considered this a biblical testimony for the almost completely developed Catholic principle of tradition.46 He concluded that it is the church that is entrusted with caring for Christian faith and that the church can merely unfold the tradition passed down to her. Protestant authors concurred with Schelkle’s reading of the text but with negative implications: 45
Cf., e.g., 2 and 3 John, where both lexemes are completely missing. Schelkle, Petrusbriefe (see n. 14), 150: “Das katholische Traditionsprinzip erscheint geradezu fertig ausgebildet. Der Glaube ist der Kirche ein für alle Male überliefert. Ihr ist die Sorge für den Glauben anvertraut. Sie kann von ihm nichts hinwegnehmen, aber auch nichts hinzufügen. Sie kann lediglich das anvertraute Glaubensgut entfalten. Das Glaubensgesetz ist also bereits im NT aufgerichtet.” 46
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Jude 3 is said to present faith in the form of ritualized, fixed phrases, or even as a depositum fidei. Protestant scholars thus considered Jude a dangerous step towards an ‘orthodox’ tradition that even adopts an eschatological dignity.47 Ernst Käsemann critically remarked that in this concept of faith as a doctrine, the ecclesial teaching office became the owner of the Spirit.48 The question is, however, whether this reading is appropriate or whether it is caused by the intrusion of anachronistic terms and images. Authors from both sides seem to overlook that the Epistle does not claim any ecclesial authority. Jude is neither an apostle nor is there any indication that the author is in charge of a certain ministry. There is no appeal to any kind of institutional power, let alone a teaching office. The intrusion of anachronistic categories has led to a misinterpretation and an inappropriate utilization of the passage, and perhaps even to a premature dismissal of the Epistle.49 a) The ‘Most Holy Faith’ and the Communal Practice How, then, can we aptly understand the passage and the notion of faith in Jude? It is helpful to start with Jude 20 and the unique phrase “your most holy faith” (ἁγιώτατη ὑμῶν πίστις). Based on this phrase in the brief paraenetic section of Jude, we can first conclude that πίστις is something very precious for the author. The superlative shows the rhetorical effort to communicate the high value and urgency of the exhortation to the addressees. The idea of ‘holiness’50 primarily implies that faith is linked with
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Schulz, Mitte (see n. 5), 292: “Der Glaube, der ‘den Heiligen ein für allemal überliefert’ wurde (3), ist bereits die kirchlich-orthodoxe Lehrtradition, der durch das urchristlich-eschatologische ‘ein für allemal’ eindeutig und höchst befremdlich eschatologische Dignität zugesprochen wird. Dieser Glaube als Rechtgläubigkeit im Sinne fixierter, endgültiger und nur der Kirche als Heilsanstalt anvertrauter Glaubenssätze, also des bereits traditionellen Depositum fidei, ist als fides catholica typisch für den werdenden Frühkatholizismus. Dieser Glaube ist nicht mehr die vom Evangelium geforderte Glaubensentscheidung (= fides qua creditur), sondern die objektive, unentbehrliche, abgeschlossene und sakrosankte Summe von tradierten kirchlichen Lehren (= fides quae creditur), übrigens wie in 2. Petr.” 48 Käsemann, Kanon (see n. 5), 220–21: “Hier wirkt der Geist ja nicht mehr auch durch die Überlieferung, sondern hier geht er in der Tradition auf, ist deshalb … das kirchliche Lehramt Besitzer des ‘Amtsgeistes,’ … kurz: ist die Grenze des Urchristentums überschritten und der Frühkatholizismus etabliert.” Cf., E. Käsemann, “Eine Apologie der urchristlichen Eschatologie”, in: idem: Exegetische Versuche und Besinnungen 1, 3rd ed. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1964), 135–157, 154. 49 This was already stated by Vögtle, Judasbrief (see n. 40), 24–25. 50 On the “holy faith,” see also Acts Pet. 8, where the problem of departing from the “holy faith” is also addressed.
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God51 and with the ultimate fate of humans. The following finite verb “guard yourselves (ἑαυτοὺς … τηρήσατε) in God’s love,” which forms the center of the whole exhortation, clearly expresses the responsibility of the addressees to be alert against the threat of falling astray. This corresponds to the exhortation from the beginning (v. 3) to contend earnestly for the traditional faith. Linked with ἁγιώτατη πίστις is the participle ἐποικοδομεῖν, and this exhortation is phrased positively: The addressees are called to build themselves (as a community rather than merely individually) on that most holy faith.52 The prefix ἐπ- implies that faith is not the instrument of the building activity but rather the foundation on which the community can firmly stand.53 The manner of edification is specified as “praying in the Holy Spirit” (ἐποικοδομοῦντες ἑαυτοὺς τῇ ἁγιωτάτῃ ὑμῶν πίστει, ἐν πνεύματι ἁγίῳ προσευχόμενοι). This demonstrates that such faith is closely linked to the practice of spiritual life, to communal prayer, and to the awareness of the presence and activity of the Spirit. Consequently, faith is not a theoretical matter, but a very practical one, not a mere doctrine but a communal practice of daily life, prayer, and care for other members.54 In contrast to the interpretations cited above, faith is, according to Jude 20, not limited to a fixed tradition or even to ‘orthodoxy.’ b) Ungodliness and Unbelief The only instance where the verb πιστεύειν is used is a brief reference to the wilderness generation, which serves as the first example for the divine judgment on ungodly people. Here, the behavior of those who were finally destroyed, i.e. who died in the wilderness, is summarized by saying that they “did not believe” (τοὺς μὴ πιστεύσαντας ἀπώλεσεν, v. 5). Thus, the whole biblical story of murmur, complaint, and unbelief by the wilderness generation is summarized in the single term μὴ πιστεύσαντας (cf., Num 14:11). Later references to the opponents as ‘murmuring’ (v. 16) might also allude to the wilderness story, although no further connection is indicated. In the present context, πιστεύειν clearly denotes the proper human 51
Cf., John N.D. Kelly, The Epistles of Peter and of Jude, BNTC (London: Black, 1969), 285: “it has been revealed by the holy God and sanctifies those who hold it.” 52 Cf., Henning Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, KEK 17.2 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992), 83 n. 204. There is no reason to assume that the metaphor of ‘building up’ is meant only with regard to individual believers. As elsewhere in the New Testament (cf., 1 Cor 3:9–17; 2 Cor 6:16–17; Eph 2:20–22; 1 Tim 3:15; 1 Pet 2:5, etc.) the metaphor points to the image of the community or church as a temple. The implication is that the precious faith is considered the fundament on which the community can firmly stand. 53 Cf., Bauckham, Jude. 2 Peter (see n. 44), 112. 54 Cf., also Peter H. Davids, The Letters of 2 Peter and Jude (Grand Rapids: Eerdmans, 2006), 94: “‘Faith’ means primarily a commitment, not a body of data believed.”
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attitude in response to God’s saving activities, whereas the opposite – as is clearly expressed with regard to the opponents – leads to judgment and destruction. ‘Not to believe’ is only one expression for the much more common label of ‘ungodliness’ or being ‘ungodly’ (ἀσεβής), which is densely used in the citation from 1 Enoch 1:9, quoted in Jude 14–15. Ungodliness is also explicated with “denying the one master (δεσπότης) God” and “the Lord Jesus Christ” (v. 4), with arrogant and disrespectful speech, especially against dignities (cf., vv. 8–10), with licentious conduct (vv. 4, 16, 18), and with other aspects of a sinful life. Apart from the biblical example in v. 5, Jude specifies the accusations against his opponents by use of various terms and aspects, but not with terms of belief or unbelief. This may implicitly show that in the view of the author, the reason for the judgment of the ungodly is primarily their disrespect and immorality rather than their lack of faith. In other words, their sinful conduct is in view rather than their lack of faith. The opponents themselves possibly advocated a certain concept of faith that differed from the views of the author, particularly with regard to the position of the angels. They might also have permitted a different, less rigid lifestyle. On the other hand, it is clear that for the author it is not simply faith that grants salvation but rather faith in combination with an appropriate conduct and – as v. 3 emphasizes – the true, original, and unchanged faith. From here, we can now return to the phrase in v. 3 and the issue of faith and tradition. c) The Faith Once Delivered to the Saints as Normative Criterion An interpretation of Jude 3 has to consider the situation of the Epistle: Because of deviant views (which may have been inspired by the Pauline tradition), the author perceives a considerable danger to those adhering to ‘his’ concept of Christian faith. His aim is to exhort the faithful within the community and to encourage them to distance themselves from those considered ungodly and already sentenced to eternal damnation (v. 3). Thus, it is in fact the author who aims at division,55 as he considers the presence of the deviant members at the communal meals inappropriate and dangerous (v. 12). As already mentioned, the author does not claim any official position in the church. There is no indication that he was actually a ‘prophet,’ a ‘teacher,’ a ‘presbyteros,’ or an ‘episkopos’ in the communities addressed. Instead, he veils his real identity and claims the authority of Jude as a ‘Second James’ in order to refute opposing views. The communication 55
In contrast, this is phrased as a charge against the opponents in v. 19.
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situation might have been particularly difficult if the opponents’ views were (perhaps indirectly) inspired from developments in post-Pauline Christianity, and the author could not have been certain that his addressees would follow him and that the crisis would come to a favorable end.56 With the choice of a figure from the early Palestinian Jesus-movement, indirectly connected with the opposition to Pauline views, the author does not claim the authority of a certain church office, let alone ‘apostolicity,’ but he draws on another authority, and the appeal to the ‘original’ faith is used to support this exhortation. The problem, however, is that correspondence with the ‘original faith’ is hard to prove, and from our perspective it seems only natural that there had been changes and developments from the first to the third or fourth generation. So the claim of being ‘traditional’ is historically problematic and theologically suspect. Nevertheless, in the dispute with the deviant community members, there was no other compelling argument, and we can interpret the polemical rhetoric of the author as a sign that he was well aware of those problems. In his situation, there was not yet a ‘canon’ of early Christian writings that could provide a basis to demonstrate correspondence with the ‘original’ teaching, and the access to the Christian origins was lost with the passing of time. In a slight slip from his authorial fiction in v. 18, the author shows an awareness of the problem that he is actually writing from a later viewpoint and that “the apostles” are figures of the past. The best strategy in this situation was to provide Scriptural examples and to claim accordance with the apostolic authorities, even if this meant adopting the ‘mantle’ of an authority from the early period in order to present his teaching as a voice from Christian origins.
Presupposing that Jude’s faithful addressees share the true faith, the author merely reminds them of what they are supposed to know (v. 5). The brief references to the biblical tradition (vv. 5–7, 11) and the shorter appeal to the words of the apostles (v. 17) also presuppose a broad knowledge of Scripture and possibly also of early Christian tradition, although the Epistle gives little to specify this. When the author of Jude claims originality, his thought is strongly shaped by apocalyptic views and in many aspects is inspired by the Enochic tradition.57 Within the New Testament, such a theology is rather unique, although there might have been wider JewishChristian circles with similar views. 58 The idea, however, that this concept of thought corresponds to the ‘original’ faith – either the faith of the first Jesus-followers in Jerusalem or of later Palestinian Jewish believers, not to mention the faith of the Pauline communities – can hardly be confirmed. Thus, the ‘originality’ of the faith advocated in Jude 3 remains only a claim, a strategy to delegitimize the opponents’ concept of faith as an altered or forged one, or even a disrespectful ‘denial’ or apostasy. We have to keep in mind this polemical strategy when analyzing Jude’s concept of faith.
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Cf., vv. 22–23, where the author shows awareness of the gravity of the situation. On the theology of Jude, cf., Frey, Brief (see n. 8), 37–47. 58 Cf., especially Richard J. Bauckham, Jude and the Relatives of Jesus in the Early Church (Edinburgh: T&T Clark, 1990). 57
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What, then, is “the faith that was once delivered to the saints”? The adverb ἅπαξ reminds of the significant ἐφ’ ἅπαξ in Rom 6:10, which stresses the validity of Jesus’s death once and forever (cf., the corresponding usage of ἐφ’ ἅπαξ in Heb 7:27, 9:12, and 10:10). Therefore, interpreters concluded that the term used in Romans and Hebrews referring to the Christ event was transferred to characterize the communal faith, which is now considered unchangeable and having eschatological dignity.59 Although ἅπαξ in Jude 3 may also be translated “once for all” (as the ἐφ’ ἅπαξ in Rom and Heb), there is no reason to assume that the author has adopted this meaning or transferred the eschatological dignity of the Christ event to a certain concept of faith or human teaching. Of course the faith once transmitted to the community of addressees is considered normative and should be preserved unchanged and defended against the challenge of falsification and corruption. This corresponds in some manner to the idea of a commissioned teaching (παραθήκη) in the Pastorals (1 Tim 6:20; 2 Tim 1:12), although in Jude there is no interest in the particular responsibility of an ecclesial ministry.60 The whole community, viz. all faithful members are called to fight for the true faith. The “faith once delivered to the saints” also includes a number of basic truths, and for the author this also encompasses respect of angelic powers, which some Christians disputed on uncertain grounds. Jude’s concept of faith, therefore, clearly implies a certain content (“fides quae creditur”), although this is not irreconcilable with the existential dimension of faith and the aspect of communal practice. The disjunction between fides quae and fides qua is a modern idea,61 and we will not find any kind of belief in early Christianity without a certain content. But there is no reason to say that the author considered the original faith ‘defined’ in a certain formula or creed. We should neither interpret it with reference to the ‘canon formula’ of ‘not adding nor removing anything’ (cf., Rev 22:18–19) nor utilize the image of later creeds and their ecclesial and juridical context. The au59
Cf., Schulz, Mitte (see n. 5), 292. Cf., Jörg Frey, “Apostelbegriff, Apostelamt und Apostolizität: Neutestamentliche Perspektiven zur Frage nach der ‘Apostolizität’ der Kirche,” in Grundlagen und Grundfragen, vol. 1 of Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, ed. Theodor Schneider and Gunther Wenz, Dialog der Kirchen 12 (Freiburg i. Br.: Herder; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004), 91–188, 175. 61 The distinction between both was first phrased by Augustine (Trin. 12.2.5), but the idea of an un-dogmatic faith, a mere act of faith without a certain set of beliefs, is a particularly modern idea prominently represented, e.g., by Schleiermacher and Bultmann. Cf., Bernhard Mutschler, Glaube in den Pastoralbriefen: Pistis als Mitte christlicher Existenz, WUNT 256 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 42: “[D]ie häufig als augustinisch betrachtete Formulierung ist zwar durch Augustin inspiriert, aber selbst nicht augustinisch (Luther z.B. ist sie unbekannt), sondern nachreformatorisch.” 60
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thor does not write in the authority of a bishop or ‘the church’ but as a prophetic admonisher in a rather unclear situation. Only when his polemics were later read in a canonical context could they appear to be phrased in an ‘apostolic’ or church-official authority. There is also some uncertainty about the relationship between faith and tradition. What is meant by ἅπαξ παραδοθείσῃ τοῖς ἁγίοις? When does the author think that the true faith was handed over, and who are the “saints” who received it? Of course, the author does not point to the apostles, but it is also doubtful whether he simply means the communities addressed.62 By using the term ἅγιοι, the author adopts the self-designation of early Christian communities, but without further specification he creates an image that transcends the communities of addressees. So the author does not merely point to the time when they were evangelized by some apostles, but presuppose the relatively vague image of a Christian truth that is given to all “saints,” i.e. to the whole church, and that has been transmitted to the addressees as tradition. This tradition is not merely considered a particular community tradition, but the true and original faith that is given to all saints and thus unites the faithful addressees with all true believers and therefore with the entire church. We might interpret this as an early forerunner of the idea of a ‘regula fidei,’ although such ‘faith’ is not yet fixed in quotable phrases and thus can hardly serve as a formula in the communal conflict. d) The Judgment of the Sinners and the Preservation of the Faithful A marked difference between this concept of communal faith based on a ‘holy’ tradition, which serves as the foundation of the community, and the Pauline view is located in the relation of faith and works. Unlike James, Jude does not explicitly focus on this relation, and the word ἔργον only appears in the quotation from 1 Enoch 1:9 in Jude 14–15. At the last judgment when the Lord (κύριος)63 comes with his myriads of angels, the Enochic quotation states that he will execute judgment and convict all the ungodly of their ungodly deeds. Jude adopts this idea (not only) from the Enochic tradition: Judgment over the ungodly will be executed according to ‘works.’ With respect to the faithful (i.e., his addressees), Jude rephrases this as “they shall expect the mercy of our Lord for eternal life” (προσδεχόμενοι τὸ ἔλεος τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ εἰς ζωὴν αἰώνιον), and in the concluding doxology (vv. 24–25), they are assured that God is able to preserve his faithful from stumbling. The exhortation to “keep themselves” in God’s love (v. 22) and 62
Thus Bauckham, Jude. 2 Peter (see n. 44), 33. Unlike 1 Enoch 1:9 where κύριος points to God, the author of Jude most certainly pictures the coming of the Lord Jesus Christ. 63
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to “build themselves” in the most holy faith (v. 21) is balanced by the assurance of divine protection until the end and the mercy of the Lord in judgment. On the other hand, it is obvious that the faithful are not in a state of definitive salvation, since they have not yet overcome sin or death, but are still facing the last judgment, and their present faith is still in a state of probation. The encounter with the mercy of the Lord and the final appropriation of eternal life can only be expected in the future. Such a concept markedly differs from the Pauline view that believers have peace with God (Rom 5:1), have new life, are liberated from the power of sin (Rom 6:18), and cannot be separated from God’s love (Rom 8:39).64 The Johannine concept differs as well, according to which the believers have passed over from death to life and have eternal life at present (John 5:24, etc.). Jude’s view accords with other New Testament views of the last judgment (cf., e.g., Matt 25:31–46) and with James’s view that faith has to be active in an ethical lifestyle and produce ‘works’ in order to grant salvation. Of course, the polemical label “synergism”65 is inappropriate for this concept, and we must also concede that the brevity of the letter and its polemical focus prevent the author from elaborating his views of the Christ event, the forgiveness of sins, baptism, etc. Nevertheless, the ethical orientation links Jude’s concept of faith more with James or Matthew than with Paul. e) Concluding Remarks With these differences in view, we can draw some conclusions. “Faith” (πίστις) is used in Jude as a term that can encompass the whole status of being a Christian, both individually and as a community. It is the foundation, the existence of the faithful, and also the substance on which the Christian community is built. Interestingly, such “faith” can now be called “holy,” as it is not only most precious but keeps humans in their relationship with God and Christ and determines their eschatological destiny. Of course, such “faith” includes a certain set of beliefs, but it can neither be limited to a set of beliefs that can be asserted nor to a body of fixed dogma, but is rather embedded in a communal practice and a personal commitment of the community members. Because of dissenting views and the danger of falling astray, Jude calls Christians to keep their faith, to defend it against deviant teachings, and to hold onto what was transmitted to them. Such a ‘conservative’ view seems less prepared to appreciate change or progress, as there is no later instance that could further specify Christian identity. Neither a church office nor a 64
The difference is obvious, although Paul can also use the example of the wilderness generation in order to warn his addressees from falling astray (1 Cor 10:12). 65 Thus Schulz, Mitte (see n. 5), 293: “der Synergismus von Glauben und Werk.”
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canon of Scriptures nor the work of the Spirit are introduced in such a function, but only the appeal to the tradition, which is said to correspond to the original faith. In the short Epistle, it remains unclear how the faith of the community is based on the Christ event. ‘Grace’ and ‘mercy’ are mentioned (vv. 4, 21) as is God’s ‘love’ (v. 21), but in the present polemical argument, Christ’s Parousia and the judgment of the ungodly takes much more space.66 The soteriological concept underlying the present Epistle certainly implies the obligation of a moral lifestyle, as can be seen from the charges against the opponents. Misconduct in the form of licentiousness and excesses in feasting and sexual behavior, disrespect of authorities (including angels), and disobedience towards the ‘Master and Lord’ Jesus Christ (v. 4) are considered sins that will ultimately lead to damnation. We can conclude that “faith” only leads to salvation if it is also linked with corresponding conduct. In this aspect, Jude follows James rather than Paul. Like Paul (1 Cor 10:13), however, the faithful are also warmly assured that God can preserve their steadfastness and blameless appearance before him. Thus, in spite of both the rigid views about judgment on sinners and the dangers in the present situation, there is some pastoral warmth in Jude’s exhortation (vv. 20–21); the faithful addressees are assured that they can and will finally reach the goal of salvation through the preserving power of God. 3.2 πίστις in 2 Peter: Between Divine Calling and Christian Virtues We enter a different intellectual world when we consider 2 Peter. Although the author frequently utilizes Jude and probably agrees with its polemical view of the judgment of the ungodly, the Petrine author writes in a different situation and fights against different opponents, and his concept of faith has to be considered on its own. In 2 Peter πίστις is mentioned twice, but only in the opening section, i.e. in the prescript (2 Pet 1:1) and as the first point in the catalogue of virtues (2 Pet 1:5). The verb πιστεύειν is not used, and the meaning and connotations of πίστις have to be discussed by considering the lexeme’s textual relations with other terms, such as ἐπίγνωσις (2 Pet 1:2–3, 8; 2:20), γνῶσις (2 Pet 1:5–6; 3:18), εὐσέβεια (2 Pet 1:3, 6–7; 3:11), and ἀρετή (2 Pet 1:3, 5).
66 Here we should be particularly cautious not to equate the polemical focus of the Epistle with the whole theological cosmos of the author. Eschatology and judgment were certainly important aspects of his concept of Christian faith, but the danger of over interpretation is quite present in reading such a short Epistle.
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a) Faith and the State of Being a Christian as a Divine Gift In the opening prescript, the author addresses his audience without further specification as those “who have received a faith of the same value (ἰσότιμον … πίστιν) as ours.” Thus, the Epistle is addressed quite broadly to all ‘orthodox’ Christians who share the apostolic faith. 1:15 shows that the author particularly addresses Christians in the period after Peter’s death in order to remind them and keep them awake in the truth (1:12). The characterization of the addressees in 1:1 demonstrates that this author also uses πίστις as a general term that describes the entire status of Christian existence. The interesting comparison of “Peter” with the addressees stresses their unity in the same faith,67 or rather in a faith of the same value. One might ask whether the author allows for different types of (more or less valuable) faith. How can the author claim that the faith of his addressees is as precious as that of the apostles? Perhaps we should interpret the phrase as emphasizing the real faith (contrasted with the views of the opponents), or the truth, which, according to 1:12, is present among the addressees, so that the author only has to remind them. The term ἰσότιμος, unique in both the New Testament and LXX, but used in Josephus, Philo, and Greco-Roman authors, usually expresses a status of equal rights or equal rank, often in political and other dimensions.68 Thus, the phrase simply highlights the faith of the addressees, which is considered true and ‘orthodox’ in spite of the challenges and temptations they face. This assertion at the beginning is not only rhetorically important, as a captatio benevolentiae,69 but should also be taken seriously in subject matters: The author unequivocally esteems the belief of his readers and presupposes that they will listen to him und reject the views of the opponents. Of course, this does not mean that they are secure or that the danger of falling astray is irrelevant to them. In contrast to the opponents, however, who are accused of apostasy and considered to be already damned to judgment, the author addresses his audience as believers who share the true faith and are thus united not only with the real author but also with the apostolic origins of Christianity.
67 The closest parallel in the New Testament is Tit 1:4 where the fictive author Paul addresses Titus as “son according to common faith.” 68 Cf., Thomas J. Kraus, Sprache, Stil und historischer Ort des zweiten Petrusbriefes, WUNT 2/136 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2001), 333; Ceslas Spicq, Notes de lexicographie néotestamentaire, Supplément, OBO 22/3, Éditions Universitaires Fribourg Suisse (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1982), 359–60. 69 Because 2 Peter addresses a general audience rather than a particular community, v. 1 is not a verdict about particular addressees the author knows but functions as a general introduction between the author and his readers.
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One aspect should not be overlooked: The addressees have received the true faith, and the verb λαγχάνειν can imply that the gift is assigned by lot or divine attribution. Although 2 Peter does not reflect how faith begins or evolves, nor even how it is rooted in the Christ event, the author shares the idea that faith is a gift, granted by “our God and Savior Jesus Christ.” As vv. 3–11 immediately show, such a gift implies certain obligations for those who have received it, but its foundation is not human dignity or activity, but rather the “just” gift of Christ. In this context, δικαιοσύνη has to be understood as a divine attribute of Christ, who has acted rightly and generously as a divine benefactor in granting ‘equal faith’ to the readers. b) Faith and Knowledge – The Intellectual Side of the Concept of Faith Interestingly, 2 Pet 1:3 adds a parallel phrase concerning the divine gifts: The faithful, i.e. Peter as well as the addressees, have obtained “everything pertaining to a godly life,70 through the true knowledge of him who called us by his own virtuous glory.”71 The logical connection of this sentence is not totally clear, but we can reconstruct two steps: Christ has called them in his proper divine virtue (ἀρετή) and glory (δόξα), and with his call, the addressees have obtained the knowledge (ἐπίγνωσις) of him who called them. Through this knowledge they have been granted everything that is necessary or helpful for a life in godliness (εὐσέβεια). In this phrase, the ‘knowledge of Christ’ (ἐπίγνωσις) corresponds to the ‘faith’ (πίστις). It is granted through Christ or through his calling. Through its correspondence with ἐπίγνωσις, πίστις takes the nuances of recognition, insight, or knowledge. ἐπίγνωσις is a central term in 2 Peter. Like πίστις, it occurs densely in the introductory section (2 Pet 1:2, 3, 8). Its object is usually personal: God or Christ (1:2), the one “who has called us” (1:3), “our Lord Jesus Christ” or “our Lord and Savior Jesus Christ” (2:20). It is similar to γνώσις, although there are some differences.72 Originating in philosophical discourses, ἐπίγνωσις was adopted in Christian contexts for religious and moral insights73 and, most prominently, for the knowledge of God (Col 70 The phrase ζωὴν καὶ εὐσέβειαν should probably be read as a hendiadys, meaning “a godly life.” 71 Perhaps the phrase δόξῃ καὶ ἀρετῇ can also be read as a hendiadys, i.e., not his “glory and virtue,” but his “virtuous glory.” In any case, the use of ἀρετή with reference to Christ is remarkable. 72 γνώσις can be used absolutely without a genitive; cf., the catalogue of virtues in 2 Pet 1:5 and the concluding exhortation in 2 Pet 3:18. But it is remarkable that γνώσις is used positively, as also later in Clement of Alexandria, in marked contrast to the strongly negative usage in 1 Tim 6:20. 73 In the Pastorals, the object of insight is “the truth” (1 Tim 2:4; 2 Tim 2:25; 3:7; Tit 1:1), similarly in Hebrews (10:26); cf., already Phlm 6: “every good thing.”
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1:10; Eph 1:17; 4:13; Diogn. 10:1). In this particular usage as a term for the personal knowledge of Jesus Christ as Savior and Lord, ἐπίγνωσις becomes a central term for the personal Christian existence74 and nearly an equivalent to πίστις. From this we can conclude that 2 Peter conceptualizes faith in intellectual terms as an insight or a teaching. On the other hand, the knowledge of the Savior Christ is the means of “escaping the defilements of the world” (2 Pet 2:20), i.e. the means of salvation.75 Those who have come to the knowledge of Christ are converts who are then exposed to danger from the teaching of the opponents. It would be inappropriate, however, to contrast this intellectual dimension of faith as ‘knowledge of Christ’ with the ethical or practical dimension of faith. Even in 2 Peter, faith is not merely a body of doctrinal sayings that has to be acknowledged. Rather, the personal object of ἐπίγνωσις shows that such a knowledge is constituted by mutual relations: The Christians have come to know Christ, they were drawn into a relation with him as their Savior and Lord, or – phrased differently – as their divine benefactor.76 Within the context of beneficial relations in antiquity, a relation to a benefactor is a mutual one, so the receipt of gifts can also imply the obligation to act in response to the gifts received. This is expressed in connection with the term ἐπίγνωσις in 2 Pet 1:8: Knowledge of the Savior Jesus Christ means the addressees should not be idle or unfruitful but produce corresponding virtues and live the godly life for which they are well-equipped. In the knowledge of God and Christ, they also experience ‘grace and peace’ (cf., the blessing formula in 2 Pet 1:2). This is finally confirmed by the brief concluding exhortation that connects the call to steadfastness and active resistance against the false teachers with the positive exhortation to grow in the grace and knowledge of the Lord and Savior Jesus Christ (2 Pet 3:18). Although the term γνώσις is used here instead of ἐπίγνωσις, the meaning is probably the same. Knowledge of Christ is not confined to an initial recognition or insight but is rather a dynamic relation that can be deepened in practical life and ethical behavior. Thus, γνώσις is also a part of the catalogue of virtues in 2 Pet 1:5–7, mentioned in a chain-like sequence among various attitudes. 74 Cf., Hans Windisch, Die katholischen Briefe, ed. Herbert Preisker, HNT 15, 3rd ed., (Tübingen: Mohr Siebeck, 1951), 84: “Grundbegriff des persönlichen Christentums.” 75 It is no coincidence that scholars have connected this concept with Gnosticism or the idea of a saving ‘gnosis.’ The predominant term, however, is ἐπίγνωσις, which is used in close proximity with πίστις. Furthermore, we should see nothing else in the views of the author that can link his concept with Gnosticism. 76 This is the appropriate term chosen by Terrance Callan for the title of his recent commentary; see Terrance Callan, Acknowledging the Divine Benefactor: The Second Letter of Peter (Eugene: Pickwick, 2014).
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The close connection between faith and knowledge shows on the one hand that the author of 2 Peter conceptualizes faith in a rather intellectual manner. The separation of the intellectual and the practical dimension, however, would be a total misunderstanding: The knowledge of Jesus Christ as their Savior and Lord – and benefactor – impacts the addressees’ daily lives; as the believers practice virtues, the author also expects a growth in their knowledge and thus a deepening of their faith. c) Faith and Virtues: The Calling of a Christian Lifestyle A final characteristic of 2 Peter’s concept of faith must be added. In the opening section of the Epistle, the proem presents an impressive ethical exhortation, a catalogue of virtues that starts with πίστις and ends with ἀγάπη (2 Pet 1:5–7). The catalogue is designed in a chain structure (‘Sorites’) according to which one virtue is practiced or rooted “in” the one mentioned before, although the logical relation between the eight elements is not always clear. Starting with “faith”77 and aiming at “love,” the catalogue is clearly Christian,78 although some of its elements, in particular “virtue” (ἀρετή), “self-control” (ἐγκράτεια), and “godliness” (εὐσέβεια), are strongly paralleled in catalogues of other Greco-Roman texts.79 It is also quite remarkable that πίστις is the first element of a catalogue of virtues. In this respect, πίστις is not merely a divine gift but also a human virtue, and if we can assume that the addressees were well-acquainted with the non-religious meaning of πίστις (or lat. fides) as an attitude of loyalty in patron-client relations,80 πίστις also has the notion of the Christians’ fundamental loyalty toward their divine Savior and Lord. πίστις is, therefore, both gift and obligation. One can ask, however, whether πίστις functions as the first of eight virtues in the catalogue or as the starting point and source of the seven virtues mentioned afterwards, so that ἀρετή (‘virtue’) is the first and all-encompassing virtue. If this is true, the virtues are thought to flow from ‘faith’ or to be practiced as a fruit of ‘faith.’ Accordingly, the author exhorts his ad77 Cf., Herm. Vis. 3.8.1, which is also framed by “faith” and “love”; the catalogues in 1 Clem. 1:6; 62:2; 64:4; Barn. 2:2–3; Herm. Mand. 6.1.1; 8.9; Herm. Sim. 9.15.2; Acts John 29 and Acts PlThecl. 17 also start from πίστις. 78 Cf., also Ign. Eph. 14:1: “The beginning is faith, and the end is love.” 79 Cf., Frey, Brief (see n. 8), 227–32, and the extensive discussion in Martin G. Ruf, Die heiligen Propheten, eure Apostel und ich: Metatextuelle Studien zum zweiten Petrusbrief, WUNT 2/300 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2011), 265–83, and J. Daryl Charles, Virtue Amidst Vice: The Catalogue of Virtues in 2 Peter 1, JSNTSup 150 (Sheffield: Sheffield Academic Press, 1997). 80 Cf., Teresa Morgan, Roman Faith and Christian Faith (Oxford: Oxford University Press, 2015), 60–65.
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dressees in 1:8 not to be “idle” or “unfruitful” “in the knowledge of the Lord Jesus Christ,” i.e. in their faith. The general structure is obvious: The Christians have been granted the “equally valuable” faith and are now exhorted to give all diligence to add (ἐπιχορηγεῖν) virtue (ἀρετή) to their faith, and to their virtue (ἀρετή) other virtues, etc. (2 Pet 1:5). Faith has to produce virtue; it leads to a life of virtues. The use of the term ἀρετή, however, deserves some attention: ἀρετή is rarely used in early Christian catalogues of virtues,81 but quite regularly in analogous Hellenistic-Roman lists as a term that sums up all the other virtues. Though rarely used in the LXX, it was adopted in Hellenistic-Jewish writings (2–4 Maccabees; Wisdom; Philo; Josephus) where aspects of Hellenistic-Roman moral philosophy were employed. In Philo,82 ἀρετή can be used as the starting point of catalogues of virtues, in Leg. 2.64. Also in Wis 8:7 it is used to sum up the four cardinal virtues. In contrast to the very rare use in the New Testament where, apart from 2 Peter, the term is only used twice, and only once (Phil 4:8) in a ‘moral’ sense for human virtues,83 texts from the second century begin to use it more frequently and in the sense of distinctively ‘Christian’ ethics.84 The use of ἀρετή in the sense of Christian ethics or practical piety is a clear sign that 2 Peter belongs in a second century context and comes from a Christian milieu in which Hellenistic education (possibly mediated through Hellenistic-Jewish tradition) was widespread.
Notably, the term ἀρετή is not only used for Christian virtues but in the preceding section also for the excellence of the divine Savior Christ (2 Pet 1:3). In his own (i.e. divine) glory and excellence (ἰδίᾳ δόξῃ καὶ ἀρετῇ), he has granted all the precious gifts and benefactions to the faithful addressees. Thus, the benevolent act of granting divine gifts is a sign of his divine “glory” (or should we translate δόξα with “honor” here?) and “excellence” (ἀρετή). Translators have hesitated to render ἀρετή with “virtue,” thus applying to Christ a term so strongly shaped by the idea of human moral behavior.85 Since the term is already applied to God in Hellenistic Judaism,86 there is no reason to avoid it here, as there is “surely … a resonation in the mind of the readers between the way in which ἀρετή is used here and its application to ethics immediately following (1:5) … There exists a relationship between God’s (or rather Christ’s [J.F.]) moral character and ours.”87 And as Christ has demonstrated his moral excellence by granting divine gifts, Christians are now called to produce corresponding virtues in their lives in order to reach the goal of final salvation. 81
Cf., only Phil 4:8 and Herm. Mand. 12.3.1. Sacr. 27, Leg. 2.64. 83 First Peter 2:9 uses the term for the benefactions of God. 84 2 Clem. 10:1; Herm. Mand. 1.1.2; Herm. Sim. 6.1.4; 8.10.3. 85 Cf., the discussion in Bauckham, Jude. 2 Peter (see n. 44), 178–79. 86 Cf., Philo, Leg. 2.14. 87 Charles, Virtue Amidst Vice (see n. 79), 137. 82
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d) The Pattern of Euergetism as Argument The correspondence between Christ’s virtue and the virtues to be produced in Christian life deserves further consideration. As particularly Frederick W. Danker has observed, the structure of 2 Pet 1:3–7 is shaped according to the form of ancient decrees honoring a benefactor.88 Such decrees, which were widespread in antiquity and in their general form probably well-known to any inhabitant of one of the cities of the empire, consist of a first part (preamble) that mentions the good deeds or benefactions of the person honored, whereas a second part (resolution) phrases the decision that the benefactor is honored by certain acts, privileges, games, etc. Such inscriptions are part of the social practice of benefaction and euergetism. That practice89 was always characterized by a certain reciprocity, in spite of the social difference between benefactor and recipients. Honoring the benefactor by gratitude or other forms of social behavior was considered mandatory for those who had received benefits. By utilizing elements of the language of such honorary decrees, the author of 2 Peter adopts a widespread pattern of social behavior from the contemporary world to create plausibility and urgency for the exhortation phrased in 2 Pet 1:5. Because the divine benefactor, the Savior and Lord Jesus Christ, has given precious gifts to the addressees, thus bestowing his divine excellence and virtue on them, they are now obliged to respond properly by honoring their divine benefactor and producing corresponding virtues resulting from their faith. From this context, we can explain the heavily debated phrase in 2 Pet 1:4 about the addressees escaping the corruption that is in the world through sin in order to become partakers of the divine nature (θείας κοινωνοὶ φύσεως). In contrast to many interpretations, ‘divine nature’ is not understood physically,90 in the sense of a ‘divinization’ (theiosis) of humans, but rather ethically, in the sense of an imitation of divine attitudes. Becoming partakers of the divine nature is thus a term for adopting elements of divine behavior, that is, an imitation of the divine virtue by producing corresponding virtues. Although the phrase in 2 Pet 1:4 has an undeniable eschatological notion, the ethical aspect is fundamental in the present context.
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Frederick W. Danker, “2 Peter 1: A Solemn Decree,” CBQ 40 (1978): 64–82. For introduction, see Stephan Joubert, Paul as Benefactor: Reciprocity, Strategy and Theological Reflection in Paul’s Collection, WUNT 2/124 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1997), 37–58; cf., also Frederick W. Danker, Benefactor: Epigraphic Study of a GraecoRoman and New Testament Semantic Field (St. Louis: Claytin, 1982). 90 Against, e.g., Käsemann, “Apologie” (see n. 48), 144, who accused the author of abandoning the biblical notion of God and to regress into a kind of Hellenistic dualism. 89
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The soteriological structure of the present passage is clear: If the addressees provide (ἐπιχορηγεῖν, 1:5) virtues as a ‘fruit’ to their faith, they will be provided (ἐπιχορηγεῖν, 1:11) “the entrance into the eternal kingdom of our Lord and Savior Jesus Christ,” i.e. the eschatological salvation and the fulfilment of the salutary promises, whereas those who do not provide such virtues but remain idle and fruitless (1:8) will stumble (1:10). The faithful, who have received most precious promises of salvation (1:4) and everything necessary for a pious life (1:3), are now obliged to make sure their calling (βεβαίαν … ποιεῖσθαι, 1:10) by practicing a corresponding lifestyle in Christian virtues in order to be ultimately granted the fulfilment of the promises. e) Concluding remarks Although 2 Peter nowhere shows a knowledge of the Epistle of James, the soteriological structure presented in 1:3–11 is quite close to the relation between faith and ‘works’ advocated in Jas 2:14–16. Additionally, 2 Peter does not adopt Pauline terms or slogans, although the relation with Paul is explicitly addressed in the conclusion of the writing. Instead, the author creates plausibility for his view by the appropriation of a social practice that was probably well-known to the addressees, namely reciprocity as commonly experienced and practiced in the relations between a benefactor and the recipients of his benefactions. By using this image from the social world and applying it to the relation between Christ and his faithful followers, the author produces an efficient and strong exhortation. By producing Christian virtues and living a pious life, the addressees confirm their calling. In particular, in view of the dissenting views of the ‘false teachers’ (2 Pet 2:1) and their disastrous moral consequences, the addressees are called to remain steadfast and to resist temptations (2 Pet 3:18). For the concept of faith, the structure is clear: Faith is a gift, as the Epistle explains in the very beginning, but the faithful have to confirm their calling by responding appropriately to the benefactions of their Savior, that is, by living a life shaped by Christian virtues and moral conduct. Only under this condition will final salvation be granted to them. The soteriological structure is quite similar to that in Jude: Christian faith – even the original, ‘apostolic,’ and ‘equally valuable’ faith – does not save. It does so only in connection with a life of Christian virtues. The faithful are called to distance themselves from sin and immorality and to ‘imitate’ the virtues of their Savior and Lord. Their status is a status on probation, and only in the last judgment will the definitive salvation – the entry into the eternal kingdom of Jesus (2 Pet 1:11) and the participation in the ‘new creation’ (2 Pet 3:13) – be granted to them.
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Again we have to state that this soteriological concept is closer to James and Matthew, but is quite different from the views of Paul and John, according to whom the believers participate in salvation and eternal life already at present, and the powers of sin and death are already defeated.
4. Concluding Perspectives Differences within the New Testament call for theological reflection: Do the soteriological concepts discussed represent a decline from the heights of Pauline insights, a lapse into ‘Early Catholicism’? Do later New Testament authors simply reject what has been defended by Paul as the gift of salvation ‘without works’? Or do these authors add a complementary aspect within the biblical canon, a balance to the Pauline view that (as 2 Peter notes) could so easily be misunderstood91 in terms of what has later been called antinomianism or libertinism? Did these writers simply react to new challenges, to the problems of a later generation, namely the rise of deviant teachers and the struggle to preserve the identity of the original faith in a growing distance from its origins? It is essential to evaluate the arguments and viewpoints of these Epistles within this changed context, although the theological tensions within the New Testament canon cannot be totally ignored. These wide-ranging issues cannot be amply discussed in the present article.92 A few observations concerning Jude and 2 Peter must suffice: a) In Jude as in 2 Peter, πίστις can be used in a very wide sense to express the general status of Christians as those who have πίστις. This does not deny that πίστις is focused on Jesus Christ as Savior and Lord, but there is no object of faith, such as ‘the gospel’ (Rom 1:16–17), the ‘word of the cross’ (1 Cor 1:18), the crucified and resurrected one, or even the healing ministry of the earthly Jesus. πίστις encompasses a certain body of beliefs, although this is not yet dogmatically fixed. Such πίστις is also the common basis of communal practice, prayer, care for fellow Christians (in Jude), and the source of a distinctive Christian conduct (in 2 Peter). b) It is obvious that in Jude and 2 Peter, πίστις already has a ‘history’ and Christianity is developing a tradition. In Jude, the faith of the readers is linked with the faith once given to the ‘saints,’ whose faith should correspond to this precious tradition. Likewise, the author of 2 Peter is convinced that the true faith once given to the apostles is present within 91
As claims 2 Peter 3:15–16. For 2 Peter, see my discussion in Jörg Frey, “Hermeneutical Problems Posed by 2 Peter,” in Core or Fringe, ed. Wolfgang Grünstäudl, Tobias Nicklas, and Uta Poplutz, WUNT (Tübingen: Mohr Siebeck, forthcoming 2017). 92
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the communities he addresses, so that they share the same equally valuable faith. In both cases, the ‘original’ faith should be preserved unchanged. The ‘original’ or ‘apostolic’ faith thus provides the norm for contemporary Christianity. Of course, an exhortation to stay in the message once accepted (1 Cor 15:1–3) and to build on the fundament once laid (1 Cor 3:10–12) can be found in the Pauline writings. But with the passing of time and the death of the apostles, the immediate access to the apostolic origins was lost, and the authors of later writings were well aware of this and the related problems. Furthermore, cultural and doctrinal differences could increasingly endanger the identity and unity of the communities. The writings of the third or fourth generation react to these challenges. They are all involved in the struggle for the identity of Christian faith. Within this struggle, the argument of originality or ‘apostolicity,’ i.e. of the correspondence to the original faith and message, plays an important role. The only question is how the correspondence with the origins can be ensured. Unlike other early Christian writings, which draw on the continuous work of the Spirit (cf., John 14:26; 16:13–15), the continuity of a particular tradition (thus the Deutero-Paulines, esp. Colossians and Ephesians), and the development of church offices (thus the Pastorals and the letters of Ignatius),93 the two Epistles discussed here can only claim originality for their viewpoint, and the pseudonymous authors try to support this claim. c) Both Epistles show a strong ethical orientation, which is not only caused by the polemical accusations against the respective opponents but also characterizes the respective concept of Christian faith. Although Paul issues a similar exhortation to a ‘renewed’ conduct and lifestyle (cf., Rom 12:1–2), and rigid community ethics is a general and distinctive feature of most early Christian groups, the focus on an ethical lifestyle and the exhortation to do ‘good works’ is a particular characteristics of later New Testament writings (e.g., the Pastorals, the Johannine Epistles, Revelation) and of other roughly contemporary writings (e.g., 1–2 Clement, Shepherd of Hermas). d) In marked contrast to the Pauline and Johannine view(s), Jude and 2 Peter mention that Christians are ‘on probation’ during their lifetime and that salvation is only granted in the end at the Last Judgment. In light of this, the ethical exhortation to appear unblemished before the judge (God or Christ) takes a particular urgency. Avoiding sins, doing ‘good works,’ and producing virtues is mandatory for obtaining salvation. An idle or fruitless faith cannot provide salvation or participation in the eternal kingdom. The Pauline and Johannine idea that faith grants immediate partici93
Cf., Frey, “Apostelbegriff” (see n. 60), 149–78.
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pation in eternal life,94 or that the power of sin and death is decisively broken, does not fit the systems of Jude and 2 Peter, whose presuppositions, especially the concept of sin, are different. e) Interestingly, Jude still conveys a strong confidence in the final salvation of his faithful addressees. In spite of the threat of judgment against the sinners, the author encourages his addressees to expect the mercy of the Lord Jesus Christ and the ultimate reception of eternal life (Jude 21). The concluding doxology conveys the assertion that God can preserve the addressees from stumbling and present them blameless before the presence of his glory. Consequently, it is the work of God himself, not only the Christians, to persevere until final completion. In contrast to this, 2 Peter avoids such “tender notes of pastoral solicitude,”95 perhaps because this might weaken the exhortation to remain steadfast and to reject the teaching and the conduct of the opponents. Second Peter’s soteriology is therefore considerably more rigid than that of Jude, since the divine activity is confined to the past and the future. God (or the divine Savior Jesus Christ) called the faithful into a relationship with himself, gave them the precious promise of final salvation, and equipped them with everything pertaining to a godly life, but it is the responsibility of the faithful to confirm their calling by conducting a godly life and producing the necessary fruits of their knowledge. f) It is interesting to observe that in these Epistles, especially in 2 Peter (as in other contemporary writings), novel patterns of language and argument are adopted. This is particularly true of 2 Peter, which makes use of the term ‘virtue’ and adopts concepts from Hellenistic moral philosophy. The idea of ‘mimesis’ or of the imitatio Christi gets new strength. Although the call to imitate Christ is also well-attested in other New Testament writings (cf., John 13:15, 34, etc.), the idea of imitating his virtue and thus getting a share in his divine nature is unattested in early Christianity before 2 Peter. Most important, however, is the application of the structure of a patron-client (i.e., benefactor relation) and its inherent reciprocity to the relation between Christ and his faithful followers. From such a pattern, which is deeply rooted in its culture, the exposition of the mutual relation between Christ and his followers is highly plausible and adopts novel aspects unattested in earlier texts. Second Peter in particular opens a new dimension of thought that is closely connected with Hellenistic education. This, along with other observations, confirms that because of its unique94
Cf., the dissertation by Nadine Ueberschaer, Glaube und Leben bei Paulus und Johannes (ThD diss. University of Zürich, 2016; to be published in WUNT 2). 95 Ralph P. Martin, “The Theology of Jude, 1 Peter, and 2 Peter,” in The Theology of the Letters of James, Peter, and Jude, ed. Andrew Chester and Ralph P. Martin, New Testament Theology (Cambridge: Cambridge University Press, 1994), 65–163, 162.
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ness in the New Testament, 2 Peter paves the way for the texts of the later second century.
Frühchristliche und altkirchliche Perspektiven
Glaube als Transformationsraum für Kirche und Gemeinde? Zum Glaubensverständnis des Polykarp von Smyrna BERNHARD MUTSCHLER Im Gedenken an P. Dr. Dr. h.c. Laurentius Klein OSB (1928–2005) den Vater des Ökumenischen Theologischen Studienjahres in Jerusalem Glaube bildet einen geräumigen und leistungsfähigen, auf Ausgleich bedachten Transformationsraum für Kirche und Gemeinde. Dieser Transformationsraum nimmt drängende Fragen der Gegenwart auf, verändert den Blickwinkel auf sie und leitet zu getrosten und wahrhaftigen, geduldigen und liebevollen Antworten in der Nachfolge Jesu Christi an. So etwa könnte man die implizite Grundidee und die Funktion des Glaubens nach Polykarp von Smyrna bestimmen. Im Folgenden werden ausgehend von Vorüberlegungen zum (1) Glauben in den Apostolischen Vätern und der Bedeutung Polykarps für das zweite Jahrhundert, den (2) zahlreichen Belegen für πίστις bei Polykarp und (3) literarischen sowie historischen Fragen zum Polykarpbrief zunächst (4) Akzente, Merkmale und Grundcharakteristika des Glaubens in Polykarps Philipperbrief dargestellt. Danach werden systematisierende Überlegungen zu (5) Mittelpunkt und Inhalt von Polykarps Glaubensverständnis und zum Kontext der Briefkommunikation unternommen, ehe der (6) Versuch einer Interpretation von Polykarps Glaubensverständnis folgt. Eine (7) Zusammenfassung resümiert und rundet den Vortrag ab.1
1. Glaube in den Apostolischen Vätern und die Bedeutung Polykarps für das zweite Jahrhundert Es gibt nach meiner Kenntnis bisher keine monographische oder anderweitig zusammenfassende Behandlung des Themas Glaube in den so genann1
Die Form des am 2. März 2013 in Zürich gehaltenen Vortrags wurde beibehalten.
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ten Apostolischen Vätern.2 Diese Texte zu beachten, ist aber notwendig, um die Bedeutungsentwicklung des Begriffs „Glaube“, die zwischen neutestamentlichen Texten und Texten des dritten und vierten Jahrhunderts liegt, nachvollziehen zu können. Bereits ein Begriff wie regula fidei am Ende des zweiten Jahrhunderts zeigt, dass gegenüber neutestamentlichen Texten eine wesentliche Bedeutungserweiterung und -veränderung stattgefunden hat. Ein lohnendes Fernziel wäre freilich, eine Geschichte des christlichen Glaubensbegriffs in vorkonstantinischer Zeit wenigstens in Grundzügen zu entwerfen.3 Von besonderem Interesse sind innerhalb der Apostolischen Väter die beiden Autoren Ignatius von Antiochien und Polykarp von Smyrna. Von beiden sind ein oder mehrere Briefe erhalten, beide stehen am Beginn des zweiten Jahrhunderts und beide üben ihr Bischofsamt in solchen Gemeinden des Ostens aus, die für die Vermittlung des Christentums nach Westen eine bedeutende Rolle spielen. Beide sind sowohl über den Brief des Ignatius an Polykarp als auch über den Brief des Polykarp an die Philipper, der ein Begleitbrief zu den von der Gemeinde in Philippi erbetenen Ignatiusbriefen ist (Polyk 13,2),4 miteinander verknüpft. Beide erleiden den Märtyrertod. Es dürfte daher besonders interessant sein, das Glaubensverständnis beider zu erheben und miteinander zu vergleichen, zumal die 2
Eine monographische Bearbeitung zu Polykarp wird in Kürze vorgelegt. Einzelne Ergebnisse daraus werden hier zwar vorgestellt, sind aber im Einzelnen dort begründet. 3 Für einen ersten Überblick zu den Autoren Justin, Irenäus und Klemens von Alexandrien s. B. MUTSCHLER, Pistis und Gnosis. Drei Verhältnisbestimmungen im zweiten Jahrhundert: Justin, Irenäus, Klemens, in: G. Theißen/P. von Gemünden (Hg.), Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums, Gütersloh 2007, 343–365. 4 Τὰς ἐπιστολὰς Ἰγνατίου τάς πεμφθείσας ἡμῖν ὑπ’ αὐτοῦ καὶ ἄλλας, ὅσας εἴχομεν παρ’ ἡμῖν, ἐπέμψαμεν ὑμῖν, καθὼς ἐνετείλασθε· αἵτινες ὑποτεταγμέναι εἰσίν τῇ ἐπιστολῇ ταύτῃ, Polyk 13,2 (SC 10, 174 Camelot; SUC 1, 246,8f. Fischer; SQS 2 1/1, 120,8f. Funk/Bihlmeyer = 256,8f. Lindemann/Paulsen). Aus Platzgründen werden Stellen im Folgenden nur durch Kapitel und Abschnitt angegeben; d.h. auf die Angabe von Seiten und Zeilen der nachfolgend genannten Textausgaben wird verzichtet: Ignace d’Antioche/ Polycarpe de Smyrne, Lettres. Martyre de Polycarpe. Texte grec, introduction, traduction et notes de Th. Camelot, SC 10bis, Paris 42007 (= 41969); Die Apostolischen Väter. Eingeleitet, herausgegeben, übertragen und erläutert von Joseph A. Fischer, SUC 1, Darmstadt 61970 (1956); Die Apostolischen Väter. Neubearbeitung der Funkschen Ausgabe von Karl Bihlmeyer. Erster Teil: Didache, Barnabas, Klemens I und II, Ignatius, Polykarp, Papias, Quadratus, Diognetbrief, 3. Auflage, unveränderter Nachdruck der mit einem Nachtrag von Wilhelm Schneemelcher versehenen 2. Auflage, SQS 2/1, 1, Tübingen 1970; A. Lindemann/H. Paulsen (Hg.), Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Franz Xaver Funk/Karl Bihlmeyer und Molly Whittaker mit Übersetzungen von Martin Dibelius und Dietrich-Alex Koch, Tübingen 1992. Übersetzungen entstammen im Folgenden überwiegend der zuletzt genannten zweisprachigen Edition.
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Ignatiusbriefe in der Wahrnehmung des Polykarp „von Glaube, Geduld und jeder Erbauung in Bezug auf den Herrn“ handeln (Polyk 13,2).5 Wir beschränken uns hier auf Polykarp von Smyrna, dem der Kirchenhistoriker Hans von Campenhausen in einem Heidelberger Akademievortrag (1950) eine starke historische Nähe zum Verfasser der Briefe an Timotheus und Titus bescheinigte.6 Wie dem auch sei, in jedem Fall bildet der erst nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts in hohem Alter verstorbene Polykarp ein für Theologie und Geschichte zentrales Glied, das die apostolische Zeit mit dem langen zweiten Jahrhunderts verbindet – mit Gestalten wie Justin oder Irenäus – und diesen Graben sozusagen in persona überbrückt. Polykarp ist darin einzigartig und wird schon bald nach seinem Tod „der Vater der Christen“ genannt.7
2. Keine Definition, aber zahlreiche Belege für πίστις bei Polykarp Im Opus Polycarpi, dem teils griechisch und teils lateinisch überlieferten Werk des Polykarp von Smyrna, sind jeweils acht Belege für πίστις oder fides und für πιστεύειν oder credere enthalten. Zwar sucht man darunter eine Definition oder eine zumindest definitorisch deutbare Bestimmung vergebens; aber mit dreizehn eindeutig theologisch verwendeten Belegen ist die Basis doch breit genug, um nach Gemeinsamkeiten Ausschau zu halten und Grundprägungen für ein Glaubenskonzept zu ermitteln. An drei Stellen werden πιστεύειν bzw. credere in einem nichttheologischen Sinn verwendet, so dass sie für die Bestimmung eines Glaubenskonzepts von
5
Mit insgesamt 36 Belegen der Wortfamilie πίστις, vgl. H. KRAFT, Clavis Patrum Apostolicorum. Catalogum vocum in libris patrum qui dicuntur apostolici non raro occurrentium adiuvante Ursula Früchtel, Darmstadt 1964, 354–357, wäre eine ausreichende Vergleichsbasis gegeben: Πιστεύειν kommt 19-mal vor, πίστις zwölfmal und πιστός fünfmal. 6 H. VON CAMPENHAUSEN, Polykarp von Smyrna und die Pastoralbriefe, in: DERS., Aus der Frühzeit des Christentums. Studien zur Kirchengeschichte des ersten und zweiten Jahrhunderts, Tübingen 1963, 197–252, 197. 7 MartPol 12,2 (OECT, 10,26f. Musurillo [= H. Musurillo, The Acts of the Christian Martyrs. Introduction, Text and Translations by Herbert Musurillo, OECT, Oxford 1972]; SC 10, 258 Camelot [s. Anm. 4]; SQS 2 1/1, 126,17f. Funk/Bihlmeyer = 272,17f. Lindemann/Paulsen [s. Anm. 4]). In einer gewissen Analogie ist (mit Blick auf die Widmung dieses Artikels) P. Dr. Dr. h.c. Laurentius Klein OSB (geb. 08.03.1928 in Engers bei Neuwied, gest. 29.07.2002 in Trier) zum Vater vieler Theologinnen und Theologen geworden, die heute in nahezu allen Bereichen in Schulen, Hochschulen und Bildungseinrichtungen, in Gemeinden, Kirchen und Gesellschaft wirksam sind.
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Polykarp ausscheiden müssen.8 Doch selbst unter diesen Umständen ist πίστις und πιστεύειν das konkurrenzlos häufig und insgesamt am kontinuierlichsten gebrauchte Theologoumenon für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch. Demgegenüber liegen Begriffe wie Gerechtigkeit, Gnade, Wahrheit, Liebe oder Evangelium mehr als deutlich zurück.9 Umgekehrt entfallen mehr Belege als auf πίστις/fides und πιστεύειν/credere nur auf Herr (25 Belege) und Gott (18),10 während so grundlegende Begriffe wie z.B. Christus (15), Jesus (11), Mensch (4) oder Geist (2) ebenfalls dahinter zurückstehen.11
3. Einer oder zwei Briefe, Früh- oder Spätdatierung und die Frage nach weiteren Texten Ehe das Glaubensverständnis untersucht werden kann, sind einige Vorklärungen zum Opus Polycarpi in aller Kürze notwendig, nämlich Fragen nach (1) Integrität, (2) Datierung und (3) weiteren Texten, die möglicherweise vom Smyrnenser Bischof stammen könnten. 3.1 Ein oder zwei Briefe? Seit der im Jahr 1936 von Percy N. Harrison vorgebrachten Briefteilungshypothese wird das Schreiben Polykarps an die Philipper vielfach geteilt in einen kürzeren Abschnitt, der aus dem recht kurzen Kapitel 13 besteht – es umfasst auch bei wohlwollender Zählung nur sechs Sätze (76 Wörter) – und in die Lebenszeit des Ignatius datiert wird, und einen längeren Briefteil, bestehend aus den Kapiteln 1–12, nach Harrison erst um 135 n.Chr., also rund zwanzig Jahre später, verfasst. In der Folgezeit wurde diese Hypothese vielfach aufgenommen, wobei das Schlusskapitel 14 bald dem einen, bald dem anderen Schreiben zugerechnet wurde. Eine allgemeine Akzeptanz blieb der Hypothese jedoch mit guten Gründen, die hier nicht dargelegt werden können, versagt. Doch bereits im selben Jahr 1936 schließt der noch junge Hans von Campenhausen aus, dass „die Abfassung des Briefes … genau so gut ein Menschenalter nach dem Martyrium des Ignatios erfolgt sein“ könne.12 Der Polykarpbrief ist als zusammenhängen8
Es handelt sich um Polyk 6,1; 12,1; 14. Der Begriff Gerechtigkeit kommt achtmal vor (nicht belegt sind δίκαιος und δικαιοῦν), Wahrheit sechsmal, Liebe viermal, Gnade nur zweimal, Evangelium fehlt vollständig, s. KRAFT, Clavis (s. Anm. 5), 6.24f.110.454.480.500. 10 KRAFT, Clavis (s. Anm. 5), 211.260.476. 11 KRAFT, Clavis (s. Anm. 5), 41.222.361.461.473.481. 12 Vgl. H. VON CAMPENHAUSEN, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche. Zweite, durchgesehene und ergänzte Auflage, Göttingen 1964, 78 mit Anm. 8. 9
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der Brief überliefert und auch nach wie vor als solcher verständlich und sinnvoll interpretierbar. 3.2 Früh- oder Spätdatierung? Während Adolf von Harnack den Rahmen für die Datierung mit „zwischen 110 und 154“ bestimmt,13 werden heute in der Regel nur eine frühe Phase für die Datierung erwogen, die „auf das Todesjahr des Ignatius (110/117)“ bezogen ist, sowie eine rund zwanzig Jahre später liegende.14 Sehr späte Datierungen werden dagegen nicht mehr erwogen. M.E. ist eine Datierung nur wenige Monate nach dem Tod des Ignatius nach wie vor am wahrscheinlichsten. Für die Ermittlung des Glaubenskonzepts sind freilich sowohl alternative Datierungen als auch literarkritische Hypothesen nur von untergeordneter Bedeutung, zumal Kapitel 13 nur einen einzigen – insgesamt recht typischen – Beleg für πίστις enthält. 3.3 Die Frage nach weiteren Texten Verschiedentlich gibt es Versuche, Polykarps Philipperbrief, der mit knapp 1600 Wörtern etwa so lang wie der paulinische Philipperbrief, der Kolosserbrief oder der erste Timotheusbrief ist, durch weitere frühchristliche Texte zu ergänzen, die dann ebenfalls Polykarp zugeschrieben werden. Damit würde die Textbasis verbreitert, was – wenn es valide wäre – zweifellos zu begrüßen ist. Namentlich wurden durch Hans von Campenhausen die Pastoralbriefe vorgeschlagen sowie durch Pier Franco Beatrice und Charles E. Hill die so genannten Presbyter-Texte des Irenäus (haer. IV 27– 32,1) und die Schrift An Diognet, die ihrerseits zu den Apostolischen Vätern zählt. Nach einer ausführlicheren Prüfung an anderer Stelle15 sei hier gleich das Ergebnis zusammengefasst: Bei allen drei Vorschlägen ergeben sich erhebliche historische und sprachliche Schwierigkeiten. Keiner der auf den ersten Blick reizvollen Erweiterungsvorschläge kann insgesamt als wahrscheinlich oder zumindest gut möglich eingestuft werden. Es bleibt daher nolens volens beim bekannten Philipperbrief als einzig sicherer Textgrundlage, die von dem einflussreichen Kirchenmann erhalten ist. Sie wird hier zugrunde gelegt mit dem Ziel, Polykarps Glaubensverständnis sukzessive zu entdecken und freizulegen.
13 A. VON HARNACK, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius 2/1, 2. erweiterte Auflage. Mit einem Vorwort von Kurt Aland. 2 Teile in je 2 Bänden, Leipzig 1958, 388. 14 So z.B. A.-M. RITTER, De Polycarpe a Clément: aux origines d’Alexandrie chrétienne, in: ΑΛΕΞΑΝΔΡΙΝΑ. Hellénisme, judaïsme et christianisme à Alexandrie, Paris 1987, 151–172, 152. 15 Vgl. o. Anm. 2.
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4. Akzente, Merkmale und Grundcharakteristika des Glaubens in Polykarps Philipperbrief Auf der Suche nach Polykarps Vorstellungen vom Glauben erfolgen gleichsam Kreisbewegungen von außen nach innen. Dabei kommen nacheinander (1) Akzente und Kontexte, (2) Merkmale und schließlich (3) Grundcharakteristika des Glaubens in den Blick. 4.1 Akzente und Kontexte des Glaubens Nach Polykarp ist Glaube (1) „gegeben“, hat (2) dynamischen Charakter und verfügt über (3) einige typische begriffliche Kontexte. (4) Bezugnahmen auf den ersten Petrusbrief sind charakteristisch und zwei Bilder sind leitend, nämlich Glaube als (5) feste Wurzel einer Gemeinde, die Frucht bringt, und (6) als gemeinsame Mutter aller Glaubenden. Am Ende des Abschnitts steht die Frage nach einem (7) Mehrwert der beiden einprägsamen Metaphern. 4.1.1 Glaube ist durch die Gnade Gottes „gegeben“ Ein erster Akzent zum Thema Glauben besteht darin, dass dieser nicht hervorgebracht oder geleistet wird, sondern bereits vorliegt und also – wörtlich – „gegeben“ ist. Dafür stehen zwei Stellen: „Ihr könnt erbaut werden zu dem euch gegebenen Glauben“ (δυνηθήσεσθε οἰκοδομεῖσθαι εἰς τὴν δοθεῖσαν ὑμῖν πίστιν 3,2), und die philippischen Frauen sollen zu einem Wandel „in dem ihnen gegebenen Glauben“ belehrt werden (ἐν τῇ δοθείσῃ αὐταῖς πίστει, 4,2). In beiden Fällen fehlt der Urheber beim Passiv, durch wen oder was der Glaube „gegeben“ ist. Sprachlich ist die Formulierung ἡ δοθεῖσα mit folgendem Dativus commodi allerdings unschwer als Paulusreminiszenz zu erkennen.16 Auch wenn beim Apostel die Gnade und nicht der Glaube entsprechend attribuiert wird, ist doch deutlich, dass das „Gegebensein“ nichts weniger als einen göttlichen Geschenkakt darstellt. Daher ist für die Polykarpstellen zu interpretieren: Glaube ist durch die Gnade Gottes „gegeben“. Insofern liegt bei „gegeben“ ein Passivum divinum vor. Polykarps Wendung „der (jemandem) gegebene Glaube“ ist also einerseits innovativ und verdankt sich andererseits einem Rückgriff auf paulinische Diktion und Theologie.
16 Mit μοί: Röm 12,3; 15,15; 1Kor 3,10; Gal 2,9; Eph 3,2.7; ferner Kol 1,25; mit ἡμῖν: Röm 12,6; 2Tim 1,9; mit ὑμῖν: 1Kor 1,4; ferner 2Kor 8,1.
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4.1.2 Glaube hat dynamischen Charakter Ein weiterer Akzent liegt im dynamischen Charakter des von Gott her „gegebenen“ Glaubens. Obwohl der Glaube „seit alten Zeiten“ (ἐξ ἀρχαίων ... χρόνων, 1,2) in Philippi ist, entfaltet er gegenwärtige Aktivität: Er „besteht bis heute und trägt Frucht“ (μέχρι νῦν διαμένει καὶ καρποφορεῖ, 1,2). In ähnlicher Weise ist im Kontext der zuvor genannten Stellen von „belehren“ (διδάξωμεν, 4,1), „wandeln im Gebot des Herrn“ (πορεύεσθαι ἐν τῇ ἐντολῇ τοῦ κυρίου 4,1), „Kindern eine Erziehung zur Gottesfurcht geben“ (τὰ τέκνα παιδεύειν τὴν παιδείαν τοῦ φόβου τοῦ θεοῦ, 4,2) oder vom „Erbaut-werden-Können“ (δυνηθήσεσθε οἰκοδομεῖσθαι, 3,2) die Rede. Ein so verstandener Glaube ist also mit ethischen und praktischen Konsequenzen verbunden, namentlich mit religions- und gemeindepädagogischen Aufgaben. Das Bisherige zusammenfassend ist also festzuhalten: Aus der Vergangenheit überkommener und von Gott her „gegebener“ Glaube ist gegenwarts- und zukunftsorientiert. Er hat einen dynamischen Charakter, der pädagogische und ethische Früchte trägt. 4.1.3 Begriffliche Kontexte des Glaubens: Liebe, Wahrheit und Erbauung Ein dritter Akzent für das Thema Glaube liegt in seinen begrifflichen Kontexten. Es sind nicht weniger als zwölf, wobei elf von ihnen ausschließlich oder mehrheitlich im Zusammenhang mit Glaube genannt werden. Damit bilden die Begriffe Liebe, Wahrheit, Erbauung, Zorn, sodann Milde, Leiden, Keuschheit, Furcht und schließlich Hoffnung, Besonnenheit, Freude und Gerechtigkeit einen regelrechten Hof um Glaube als zentralen theologischen Begriff. Drei Besonderheiten sind erwähnenswert: Der zuletzt genannte Begriff – Gerechtigkeit – ist der einzige, der öfter außerhalb als im Kontext von Glaube belegt ist.17 Er stellt ein eigenes, kleineres Zentrum innerhalb der Theologie dieses Briefes dar. Sodann ist der einzige ausschließlich negativ konnotierte Begriff – Zorn – nur zum Zweck seiner Überwindung genannt. Schließlich bilden die Begriffe Liebe, Wahrheit und Erbauung den engsten Kreis um Glaube.18 Die Liebe zu Gott, Christus und dem Nächsten geht dem Glauben sogar voran (προαγούσης τῆς ἀγάπης,
17 Insgesamt acht Belege, s. KRAFT, Clavis (s. Anm. 5), 110. Weitere Begriffe derselben Wortfamilie wie δίκαιος oder δικαιοῦν sind nicht belegt. Zur Interpretation s. ausführlich M. T HEOBALD, Paulus und Polykarp an die Philipper. Schlaglichter auf die frühe Rezeption des Basissatzes von der Rechtfertigung, in: M. Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion. Unter Mitarbeit von Johannes Woyke, WUNT 182, Tübingen 2005, 349–388, 369–382(–388). 18 Zu Liebe s. Polyk 1,1f.; 3,3; 4,2; 10,1; zu Wahrheit s. 4,2; 10,1; 12,2; zu Erbauung s. 3,2; 12,2; 13,2.
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3,3). Liebe, Wahrheit und Erbauung stehen in einem sehr engen Verhältnis zum Glauben. 4.1.4 Wichtige Aussagen zum Glauben aus dem ersten Petrusbrief An drei Stellen wird Glaube durch einen impliziten, aber eindeutigen Bezug auf den ersten Petrusbrief erläutert. Dieser Brief wird auch sonst an vielen Stellen aufgenommen. Auffälligerweise sind es grundlegende dogmatische Sachverhalte, die in Anlehnung an den ersten Petrusbrief formuliert werden, so der Glaube „an den, der unseren Herrn Jesus Christus von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat“ (2,1 mit 1Petr 1,21) oder glauben, „ohne ihn gesehen zu haben in unaussprechlicher und verklärter Freude“ (1,3 mit 1Petr 1,8) oder die Wendung „fest im Glauben“ (10,1 mit 1Petr 5,9; vgl. auch 1Kor 16,13). Charakteristische und zentrale Aussagen über den Glauben werden mehrfach mit Bezug auf den ersten Petrusbrief formuliert. 4.1.5 Glaube als feste Wurzel einer Gemeinde, die Frucht bringt An zwei Stellen spricht Polykarp vom Glauben im Bild einer Metapher. Am Briefbeginn bekennt er seine Freude darüber, „dass die feste Wurzel eures Glaubens, von der man seit alten Zeiten spricht, bis heute besteht und Frucht trägt“ (ἡ βεβαία τῆς πίστεως ὑμῶν ῥίζα, 2,1). Dieses aus der Pflanzenwelt entnommene Bild von der Wurzel und dem Fruchttragen ist ein „Entsprechungsbild“.19 Es würdigt – im Gegensatz zum Gerichtsbild – in positiver Weise einen Sachverhalt oder Zustand, der in der Gegenwart stattfindet. In dem von der Wurzel her zur Frucht aufgebauten Bild wird der Mittelteil, das Grüne an der Pflanze, nicht eigens erwähnt. Aber gerade das Mittelstück stellt die entscheidende Verbindung zwischen Wurzel und Früchten dar. Bei den Früchten denkt man vielleicht intuitiv an sozial, pädagogisch, diakonisch oder ethisch Gutes, was vom Text natürlich nicht ausgeschlossen wird. Aber sowohl die Zeitangabe ἐξ ἀρχαίων … χρόνων als auch μέχρι νῦν διαμένει zeigen, dass es primär um das Bleiben im Glauben geht: Dass die philippische Gemeinde seit der Erstverkündigung bis zum jetzigen Tag im Glauben „an den Herrn Jesus Christus …, den Gott auferweckt hat“ – wie es im nachfolgenden Kontext heißt (2,1) –, bleibt, ist die elementar wichtige und grundlegende „Frucht“, die die Gemeinde trägt. Die Gemeinde ist am Briefbeginn angeredet, und sie ist Trägerin des Glaubens, entspricht also im „Entsprechungsbild“ der Pflanze. Damit ist ein ekklesiologischer Akzent gesetzt: Der Singular von Wurzel und Glaube zeigt die Einheit der Ortsgemeinde, die aus einer Viel19 Nach P. VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt. Eine Bildfelduntersuchung, NTOA 18, Freiburg (CH)/Göttingen 1993, 415.
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zahl von Hausgemeinden20 und Einzelpersonen besteht. Indem die Gemeinde „Frucht bringt“, zeigt sie ihr Bleiben im Glauben und steht in Kontinuität zur „festen Wurzel des Glaubens“. Im Bild der „festen Wurzel“ – bei einer Pflanze ist sie normalerweise nicht sichtbar – wird der Glaube hier als die eine Grundlage der örtlichen Gemeinde beschrieben, die ihr Stand, Halt und Festigkeit, Saft und Lebenskraft für das Bleiben und Fruchtbringen gibt. Der Glaube ist Voraussetzung und Triebfeder einer vitalen Gemeindeentwicklung und eines fruchtbaren Gemeindelebens. 4.1.6 Glaube als gemeinsame Mutter aller Gemeinden Die zweite Metapher spricht vom Glauben als „Mutter von uns allen“ (μήτηρ πάντων ἡμῶν, 3,3): „Ihr könnt erbaut werden zu dem euch gegebenen Glauben; er ist unser aller Mutter“. Unschwer ist eine sprachliche Verbindung zu Gal 4,26 zu erkennen, wo „das obere Jerusalem“ als „unsere Mutter“ bezeichnet wird. Im vorliegenden Kontext bringt der Begriff Mutter ihre Rolle als Ernährerin, Erzieherin und Versorgerin ins Spiel.21 Glaube ist die vorausliegende und elementar grundlegende Wirklichkeit der Gemeinde. Auch hier ist der Singular von Mutter und Glaube auffällig: Es handelt sich um die vitale und suffiziente Lebensader der Gemeinde. Mehr noch: aller Gemeinden, denn Polykarp formuliert inklusiv „unser aller Mutter“. Damit wird zugleich eine wahrhaft ökumenische Brücke zwischen den verschiedenen Gemeinden aufgezeigt. Zwischen ihnen besteht sachgemäß – um im Bild zu bleiben – ein geschwisterliches Verhältnis. Sie alle stehen auf dem Fundament desselben Glaubens, der ihnen geschenkweise von Gott „gegeben“ ist. Trotz dieses Gabecharakters des Glaubens ist ausdrücklich eine Entwicklungsaufgabe mitgesetzt: das „Erbaut-Werden zu“ diesem Glauben. Obwohl hier doch eher im Passivum divinum als im Medium formuliert wird, kann die Erbauung nach dem Kontext durch das gewissenhafte Studium religiöser Literatur wie z.B. der Paulusbriefe gefördert werden (3,2). Geistliche Lesung, gründliche Exegese sowie ansprechend gestaltete Religions- und Gemeindepädagogik haben demnach eine wichtige Funktion, man möchte fast sagen: die Verheißung des ErbautWerdens. Die Erbauung geschieht zu einem Glauben in Begleitung von Hoffnung und Liebe: Die Liebe zu Gott, Christus und dem Nächsten geht dem Glauben voran (προαγούσης τῆς ἀγάπης, 3,3), während die Hoffnung ihm folgt (ἐπακολουθούσης τῆς ἐλπίδος, 3,3). Glaube ist die gemeinsame Mutter und daher die Lebensader aller Gemeinden. Liebe, Hoffnung und Erbauung zum Glauben begleiten diesen. 20
Vgl. B. MUTSCHLER, Art. Hausgemeinde. Als Online-Ressource: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/46869/ (10.03.2014). 21 Ob auch Gebärerin, muss m.E. offen bleiben.
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4.1.7 Gibt es einen Mehrwert der beiden einprägsamen Metaphern? Der frühchristliche Briefschreiber hat durch die Wahl der beiden Bilder „Wurzel“ (1,2) und „Mutter“ (3,3) einen Assoziationsraum geschaffen, der es ermöglicht, Gemeinsamkeiten und Hintergründe beider Metaphern weiter auszuleuchten als es bei Polykarp selbst der Fall ist. Für eine Auslegung ist dies m.E. legitim. Inwiefern dieses Vorgehen überzeugt, muss sich an den Ergebnissen beurteilen lassen. Welche Gemeinsamkeiten gibt es, und worin könnte demzufolge eine Art Mehrwert bestehen? „Wurzel“ und „Mutter“ bezeichnen beide eine Relation der Unverfügbarkeit, des Vorgegebenseins und der Herkunft. Sie bilden die vitale Lebensader für das von ihnen Hervorgebrachte und versorgen dieses. Sie drücken Angewiesenheit und Zugehörigkeit aus, die auch Geborgenheit und eine Rückzugsmöglichkeit einschließt. Sodann bieten sie die Basis für sämtliche weitere Entwicklungsmöglichkeiten mit der Freiheit und dem Auftrag zur Entfaltung. Schließlich zeigen sie ein elementares Abhängigkeitsverhältnis an. Alle diese Aspekte können m.E. auf das Verhältnis zwischen dem gottgeschenkten Glauben und der oder den Gemeinden gut übertragen werden. Ungeachtet der Beurteilung dieser Gemeinsamkeiten beider Metaphern ist freilich deutlich: Beide Metaphern – Wurzel und Mutter – sind jeweils auch für sich leicht verständlich, kompakt, einprägsam, dicht und insofern gut gewählt. Anschaulicher und klarer wird kein anderes Theologoumenon illustriert. Beide Metaphern finden sich im Eingangsteil des Briefes, und zwar bei den ersten beiden Erwähnungen von Glaube (πίστις). Dadurch sind sie hervorgehoben, auch wenn es sich nicht um Definitionen des Glaubens handelt, da beide Metaphern jeweils einem übergeordneten Gedankengang eingeordnet sind. In beiden Fällen werden bereits bekannte Bilder innovativ auf den Glauben übertragen. Polykarp gibt dadurch nicht nur ein Beispiel für seine durch paulinische und andere frühchristliche Texte angeregte theologische Kreativität. Er legt damit zugleich seine eigenen Grundlagen in puncto Glauben offen und vergewissert diejenigen seiner Adressaten in Philippi und darüber hinaus. 4.2 Merkmale des Glaubens Sichtbarer als die genannten Akzente und Kontexte des Glaubens sind drei weitere Merkmale, die im Folgenden beschrieben werden. Es handelt sich um (1) den Bezug auf Paulus, (2) den Kontext von Eschatologie und Geduld sowie um (3) die Nennung Gottes. 4.2.1 Anspielungen, Übernahmen oder Anklänge an das Corpus Paulinum Im Kontext von knapp der Hälfte aller Belegstellen von Glaube oder glauben finden sich insgesamt zehn Anspielungen, Übernahmen oder Anklänge
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an das Corpus Paulinum Praepastorale.22 Sie sind nicht alle im selben Maß offensichtlich.23 Explizite Anspielungen liegen an den Stellen vor, wo „Briefe“ „des seligen und berühmten Paulus“ (τοῦ μακαρίου καὶ ἐνδόξου Παύλου … ἐπιστολάς, Polyk 3,2) oder sogar „Paulus selbst und die übrigen Apostel“ (καὶ ἐν αὐτῷ Παύλῳ καὶ τοῖς λοιποῖς ἀποστόλοις, Polyk 9,1) ausdrücklich genannt sind. Auch das explizite Zitat aus Eph 4,26, eine doppelte Warnung vor dem Zorn, kann hier angeführt werden (Polyk 12,1). Nicht explizite, aber doch offensichtliche Bezugnahmen auf Paulus liegen in der Trias Glaube, Hoffnung und Liebe vor (Polyk 3,2; 1Kor 13,13) sowie in der bereits vorgestellten Metapher „unser aller Mutter“ (Polyk 3,3; Gal 4,26). Weniger offensichtlich sind übernommene Wendungen wie „würdig wandeln“ (ἀξίως πολιτευσώμεθα, Polyk 5,2; Phil 1,27), „nicht vergeblich gelaufen“ (οὐκ εἰς κενὸν ἔδραμον, Polyk 9,2; Phil 2,16; Gal 2,2) oder „stark und unbeweglich“ (firmi … et immutabiles, Polyk 10,1; ἑδραῖοι … ἀμετακίνητοι, 1Kor 15,58; Kol 1,2324). Der Sache nach, aber mit anderen Worten werden die Bekanntheit des Glaubens aus Röm 1,8 und die Dauer „bis jetzt“ aus Phil 1,5 in der einleitenden captatio benevolentiae von Polykarp imitiert (Polyk 1,2). Untersucht man diese Bezugnahmen nach Anklängen auf ein paulinisches Glaubensverständnis hin, dann bleiben vor allem die Imitation des Motivs aus Röm 1,8 und die Übernahme der Begriffstrias aus 1Kor 13,13. Damit liegen zwei theologische Anleihen des Polykarp bei Paulus vor, die gleichzeitig literarisch nachweisbar sind. 4.2.2 Eschatologie und Geduld An mehreren Stellen ist eine eschatologische Dimension des Glaubens wahrnehmbar. So sind die „in Glaube und Gerechtigkeit“ Gelaufenen – namentlich werden z.B. Ignatius und Paulus genannt – „beim Herrn, mit dem zusammen sie auch gelitten haben“ (9,2). Der Glaube bedingt das eschatologische Mitherrschen (συμβασιλεύσωμεν αὐτῷ εἴγε πιστεύομεν, 5,2). Dementsprechend sollen alle, „die zum Glauben kommen werden“ (qui credituri sunt, Polyk 12,2), zu den „Heiligen“ gehören. Viele wünschen, in die „unaussprechliche und verklärte Freude“ (1Petr 1,8), die mit 22 S. zu diesem Begriff B. MUTSCHLER, Glaube in den Pastoralbriefen. Pistis als Mitte christlicher Existenz, WUNT 256, Tübingen 2010, 88. 23 S. dazu ausführlich K. B ERDING, Polycarp and Paul. An Analysis of Their Literary and Theological Relationship in Light of Polycarp’s Use of Biblical and Extra-Biblical Literature, SVigChr 62, Leiden 2002, 33–125; P. HARTOG, Polycarp and the New Testament. The Occasion, Rhetoric, Theme, and Unity of the Epistles to the Philippians and its Allusions to the New Testament Literature, WUNT 2/134, Tübingen 2002, 216–235. 24 Ein möglicher Anklang an diesen Vers liegt auch in omnibus, qui sunt sub caelo (12,2) vor, vgl. ἐν πάσῃ κτίσει τῇ ὑπὸ οὐρανόν, Kol 1,23.
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Glauben verbunden ist, „einzugehen“ (πολλοὶ ἐπιθυμοῦσιν εἰσελθεῖν, Polyk 1,3). Dabei bezieht sich der Glaube auf Jesus Christus, „der da kommt als ein Richter über die Lebenden und die Toten“ (Polyk 2,1).25 In Polyk 1,3 liegt im Übrigen eine Form präsentischer Eschatologie vor, an den übrigen Stellen eher futurische. Auf dem Weg zum Eschaton ist Geduld zu üben. Sie ist an den Ignatiusbriefen (Polyk 13,2) und an seinem und dem Geschick weiterer Verstorbener zu lernen (Polyk 9,1), besonders aber im Nachahmen von Christi Leidensgeduld (μιμηταὶ οὖν γενώμεθα τῆς ὑπομονῆς αὐτοῦ κτλ., Polyk 8,2), der „euch in Glaube … und Geduld erbaue“ (qui aedificet vos in fide … et in patientia, Polyk 12,2). 4.2.3 Bezug auf Gott Vielfach kommt Gott im Zusammenhang des Themas Glaube vor. So geht die „Liebe zu Gott“ dem Glauben voran (3,3).26 Kinder sollen glaubensgemäß „zur Gottesfurcht“ erzogen werden (4,2). Witwen sollen besonnen im Glauben und „ein Altar Gottes“ sein, da Gott „alles auf seine Tadellosigkeit“ – auch Gedanken, Gesinnungen und „Geheimnisse des Herzens“ – prüft (4,3). Dass Gott Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, wird mehrfach im Zusammenhang des Glaubens betont (1,2; 2,1; 9,1; 12,2). Zum Glauben „an den, der unseren Herrn Jesus Christus von den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit und einen Thron zu seiner Rechten gegeben hat“, wird in 2,1 aufgerufen. Weiter rettet Gott „durch Jesus Christus“ (1,3); Gott und Jesus Christus – als Handlungseinheit verstanden, d.h. mit nachfolgendem Singular – „erbaut im Glauben“ die Gemeinde (12,2). Belohnt werden die „zum Glauben kommen werden an unseren Herrn Jesus Christus und an seinen Vater, der ihn von den Toten auferweckt“ (12,2). Alles in allem schenkt Gott nicht nur den „gegebenen“ Glauben (3,2; 4,2) und „erbaut im Glauben“ (12,2), sondern ist auch in direkter Weise Adressat des Glaubens (2,1; 12,2), insbesondere aber der, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Die zuletzt genannten Belege weisen bereits in die Christologie.
25 Vgl. Apg 10,42; 2Tim 4,1, dazu B. MUTSCHLER, Eschatology in the Pastoral Epistles, in: J.G. van der Watt (Hg.), Eschatology of the New Testament and Some Related Documents, WUNT 2/315, Tübingen 2011, 362–402, 389f.; 1Petr 4,5. 26 Genauer: „die Liebe zu Gott und Christus und zum Nächsten“ (εἰς θεὸν καὶ Χριστὸν καὶ εἰς τὸν πλησίον). Im Hintergrund steht das aus Mk 12,29–31 parr. Mt 22,37–39 und Lk 10,27 bekannte Doppelgebot der Liebe als Zusammenfassung der ethischen Tora, vgl. Dtn 6,5; Lev 19,18.
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4.3 Grundcharakteristika des Glaubens Über die genannten Akzente und Merkmale hinaus gibt es drei Grundcharakteristika des Glaubens, nämlich (1) Christus als Bezugsperson des Glaubens, (2) die Vorordnung des Glaubens und (3) seinen ethischen Impuls. 4.3.1 Christus als Bezugsperson des Glaubens Wir beginnen mit dem Bezug auf Christus. Glaube wird syntaktisch vielfach mit Christus verbunden. Beispiele sind „glauben an ihn“ (πιστεύειν εἰς ὅν, 1,3), Glaube „an den Herrn“ (ἡ τοῦ κυρίου πίστις, 4,3) oder „an unseren Herrn Jesus Christus“ (in dominum nostrum Iesum Christum, 12,2). Gott und Jesus Christus „erbaut“ – das Prädikat steht im Singular – „im Glauben“ (aedificet … in fide, 12,2). Daneben gibt es Verbindungen zwischen Christus und dem Glauben im Horizont der Eschatologie: „Wir werden mit ihm herrschen, wenn wir glauben“ (συμβασιλεύσωμεν αὐτῷ εἴγε πιστεύομεν, 5,2); die „in Glaube und Gerechtigkeit gelaufenen“ Blutzeugen dagegen sind bereits „beim Herrn“ (παρὰ τῷ κυρίῳ, 9,2). Das Sein „beim Herrn“ ist zugleich Ziel und Lohn eines gläubigen Lebens. Auf dem Weg dorthin ist eine Ethik der Christusnachfolge und Christuskonformität zu bewähren. So werden die Adressaten allgemein zur „Nachfolge des Beispiels des Herrn“ aufgerufen (domini exemplar sequimini, 10,1), und zwar durch „Festigkeit im Glauben“ (firmi in fide, 10,1). Ähnlich wird zum Vertrauen auf Christus und zu seiner Nachahmung im Blick auf Geduld im Leiden aufgerufen (8,2). Die Kapitel 8 und 9 des Polykarpbriefs können als ein hohes Lied der Geduld und des Leidens bezeichnet werden. Das Ziel eines solchen Lebens „in Glauben und Gerechtigkeit“ ist „beim Herrn“ (9,2). Die „Liebe zu Christus“ ist deshalb engstens mit dem Glauben verbunden und „geht ihm voran“ (3,3). Da auch an allen übrigen Stellen, an denen kein direkter und unmittelbarer Bezug zu Christus vorliegt, er im selben Kontext vorkommt, lässt sich zusammenfassen: Glaube ist durchgängig und eindeutig christologisch konnotiert, sei es syntaktisch, semantisch oder kontextuell.27 Wo Christus und Gott gemeinsam genannt werden, ist ihre Verbindung so eng, dass beide mitunter grammatisch als Singular aufgefasst werden (12,2). 4.3.2 Vorordnung des Glaubens Bereits die durchgängig enge Verbindung zwischen Glaube und Christus lässt vermuten, dass Glaube innerhalb der theologischen Begriffshierarchie sehr weit oben steht. Dies ist bereits am Briefeingang zu erkennen, wo Polykarp den Glauben der philippischen Gemeinde lobend hervorhebt und in 27 Syntaktische Verbindung: 1,3; 2,1; 4,3; 12,2 (2x); semantische Verbindung: 3,2f.; 5,2; 8,2; 9,2; 10,1; Verbindung im Kontext: 1,2; 4,2; 13,2.
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diesem Zusammenhang auch von der „festen Wurzel“ ihres Glaubens spricht (1,2). Der Glaube wird hier als Grundlage und Lebenselixier des Christseins überhaupt betrachtet. Als ebenso fundamental erscheint der Glaube, wenn man sich die insgesamt sieben Aufzählungen des Briefes ansieht, in denen er genannt ist.28 Ausnahmslos alle sieben beginnen mit der Nennung des Glaubens, so dass bereits sprachlich die Vorordnung des Glaubens zu erkennen ist. Begriffe wie Liebe und Hoffnung, Gebet und Gerechtigkeit, Wahrheit und Geduld erscheinen durchweg im Gefolge des Glaubens. Die Vorordnung des Glaubens ist dadurch sehr deutlich erkennbar. Beim Verb πιστεύειν bzw. credere ist eine Vorordnung zwar schwerer zu ermitteln. Aber auch hier enthalten fast alle Belegstellen eine zumindest kleine sprachliche Hervorhebung. Schließlich ist noch einmal an die Metapher „unser aller Mutter“ zu erinnern, mit der der Glaube ausgezeichnet wird (3,3). Dies alles zeigt, dass dem Glauben nicht nur eine, sondern schlechterdings die Schlüsselrolle im theologischen Denken und Schreiben des Polykarp zukommt. 4.3.3 Ethischer Impuls des Glaubens Sowohl die Vorordnung als auch die Christuszentrierung des Glaubens lassen weiter vermuten, dass er für Ethik und Paränese einen hohen Stellenwert hat. Aufforderungen zum Glauben finden sich mehrfach, sowohl allgemein (2,1) als auch an eine bestimmte Gruppe (4,3) oder freundlichlobend an die ganze Adressatengemeinde (1,2). Ausdrücklich geht „die Liebe zu Gott und Christus und zum Nächsten“ dem Glauben voran (προαγούσης τῆς ἀγάπης τῆς εἰς θεὸν καὶ Χριστὸν καὶ εἰς τὸν πλησίον, 3,3). Dies bedeutet: Die Form eines glaubensgemäßen Umgangs mit Gott, Christus und dem Nächsten ist die Liebe. Sachlich, wenngleich nicht sprachlich, liegt hier eine Anlehnung an Gal 5,6 vor: „Glaube, der sich durch die Liebe als wirksam erweist“ (πίστις δι’ ἀγάπης ἐνεργουμένη, fides caritate formata). Im Glauben wird ein Christus „würdiger Lebenswandel“ ermöglicht und gelebt (ἀξίως πολιτευσώμεθα … εἴγε πιστεύομεν, 5,2). Gerade im Leiden bedeutet dies, das Beispiel Christi nachzuahmen und ihm nachzufolgen (8,2; 9,2; 10,1). Auch einige Aufzählungen enthalten ethische Impulse; sie beginnen stets an erster Stelle mit Glaube als Ermöglichungsgrund für alles christusgemäße und darum ethisch geforderte Verhalten (4,2; 12,2; 13,2). Sind ethische Impulse des Glaubens leicht nachweisbar, dann bedeutet dies allgemein: Der allem übrigen vorgeordnete Christusglaube umfasst nicht nur den Bereich der Ethik, sondern begründet und trägt letztlich die gesamte christliche Handlungsorientierung. 28 S. Polyk 3,2f.; 4,2; 4,3; 9,2; 10,1; 12,2; 13,2, d.h. alle übrigen substantivischen Belegstellen außer der einleitenden (1,2).
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Mehr noch: Er leitet zu konkreten Schritten auf dem Weg der Christusnachfolge an. Liebe und Geduld sind auf diesem Weg von hervorgehobener Bedeutung.29
5. Mittelpunkt und Inhalte von Polykarps Glaubensverständnis und der Kontext der Briefkommunikation Nach der sukzessiven Ermittlung von Akzenten, Merkmalen und Grundcharakteristika des Glaubens kann nun gezielter nach dem (1) Mittelpunkt und den (2) Hauptinhalten im Glaubenskonzept Polykarps gefragt werden. Daran anschließend wird (3) der konkrete Kontext der Briefkommunikation beleuchtet, da er Auswahl und Akzentuierung der Hauptinhalte mitbeeinflusst. 5.1 Christus als Mitte des Glaubens Obgleich der Philipperbrief des Polykarp keine Glaubensdefinition enthält und erst recht keine Abhandlung über den Glauben im Sinn eines tractatus de fide ist, kann doch eine klare Mitte von Polykarps Glaubensverständnis bestimmt werden. Diese Mitte ist Christus: „unser Herr Jesus Christus“, wie mehrfach zu lesen ist.30 Christus steht theologisch im Zentrum, ist die Verbindungsperson zu Gott, nimmt die Toten auf und ist Vorbild für die Lebenden. Christus ist die Mitte, von der her und auf die hin sich gleichermaßen Gotteslehre, Eschatologie und Ethik erschließen. Etwas schematisch könnte man dementsprechend die drei Ecken eines Dreiecks bezeichnen, Christus dagegen steht dann mittig zwischen diesen Eckpunkten und stellt die Verbindung zwischen ihnen her: Gotteslehre
Christus
Ethik 29 30
Eschatologie
Vgl. zu Liebe Polyk 1,1; 1,2; 3,3; 4,2; 10,1; zu Geduld 8,2; 9,1; 13,2. Vgl. Polyk 1,1; 1,2; 2,1; 12,2 bis; s. ferner Praescr.; 14.
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Da Glaube eine Beziehung zu Christus bezeichnet, werden auch alle übrigen Bereiche durch Christus bestimmt. Ihm kommt eine Schlüsselrolle für das Glaubensverständnis wie für das gesamte theologische Denken Polykarps zu. Christologie und Glaubensverständnis führen jeweils aufeinander zu. Diese Gedanken leiten bereits über zur Frage nach den Inhalten des Glaubens. 5.2 Hauptinhalte des Glaubens Im Zusammenhang des Glaubens fehlen eine Reihe von erwartbaren Aussagen, so zur Schöpfungslehre, zu Taufe und Herrenmahl, Pneumatologie und zur Trinität. Jeweils mehrere Aussagen finden sich dagegen zu Gott, zu einer eschatologischen Grundorientierung oder zur Ethik. Im Zusammenhang von Gotteslehre, Eschatologie und Ethik finden sich auch Aussagen zu Heil und Sünde,31 die vielfach christologisch durchdrungen und im Großen und Ganzen von Paulus her gedacht und formuliert sind. Zu den Entfaltungen des Glaubens in ethischer Hinsicht gehören allgemeine Paränesen an die Adressaten (2,1) und an einzelne Gruppen wie Frauen (4,2) und Witwen (4,3; ferner Presbyter, s. 6,1), paränetische Reihungen (12,2; 13,2, mit Beispielen) und Leidensparänese (8,2; 9,2; 10,1). Insbesondere Liebe und Geduld spielen eine in diesem Zusammenhang hervorgehobene Rolle.32 Sie stellen im Brief eine wichtige Entfaltung des Glaubens dar. Dies führt einen Schritt weiter zu Aspekten der Briefkommunikation. 5.3 Kontext der Briefkommunikation Da ein Gelegenheitsschreiben nicht als systematische oder monographische Ausarbeitung zu einem Thema gelesen werden sollte, verdient der briefliche Charakter besondere Beachtung. Im vorliegenden Fall spricht Polykarp für das Smyrnenser Presbyterium „zur Gemeinde Gottes, die in Philippi wohnt“ (Praescr.). Wo im Brief vom Glauben die Rede ist, handelt es sich nicht um eine theoretische oder abstrakte Erörterung. Vielmehr ist in den allermeisten Fällen vom Glauben der Adressaten die Rede, entweder explizit oder implizit.33 An einigen Stellen wird auch in der ersten Person Plural formuliert: „unser Glaube“ (3,3) bzw. „wir glauben“ (5,2; 8,2). Bei genauer Betrachtung handelt es sich freilich um ein inklusives Unser, das Absender und Adressaten einschließt (z.B. μήτηρ πάντων ἡμῶν, 3,3). Trägerin des im Brief thematisierten Glaubens ist daher in erster Linie die altehrwürdige Adressatengemeinde in Philippi. Ihre Presbyter (6,1), Dia31
Zur Soteriologie s. 1,2; 1,3; 5,2; 9,2; zur Hamartiologie s. 1,2; 2,1. S. bereits o. Anm. 29. 33 S. Polyk 1,2; 1,3; 2,1; 3,2; 4,2; 4,3; 9,2, 10,1; 12,2 bis; 13,2. 32
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kone (5,2), junge Männer (5,3), Frauen (4,2), Jungfrauen (5,3) und Witwen (4,3) stehen im Glauben und sollen ihn weiterhin bewahren und bewähren. Als äußere Anlässe des Briefes können zwei Sachverhalte identifiziert werden. Zum einen hatte die Gemeinde in Philippi Polykarp um ein Schreiben gebeten (ὑμεῖς προεπεκαλέσασθέ με, 3,1), um die Übersendung aller in Smyrna vorhandenen Briefe des Ignatius nach Philippi (καθὼς ἐνετείλασθε, 13,2) sowie um die Weiterleitung eines aus Philippi stammenden Briefes nach Syrien, was wohl in erster Linie nach Antiochien am Orontes bedeutet (τὰ παρ’ ὑμῶν ἀποκομίσῃ γράμματα, 13,1). Gleich dreifach sollte dadurch die Briefkommunikation von Smyrna nach Philippi und Antiochien angeregt werden. Zum anderen gab es in Philippi den lapsus des ehemaligen Presbyters Valens (11,2), der sich durch Geldgier mit Götzendienst befleckt hatte und deshalb nicht mehr als Verkündiger geeignet war (11,2). Er und seine Frau bedurften „wahrer Buße“ und in Philippi bestand offenbar die Frage, ob die Gemeinde die beiden Gefallenen wieder aufnehmen sollte (11,4). Äußere Anlässe für Polykarps Brief waren also Bitten der philippischen Gemeinde im Zusammenhang mit dem Geschick des Ignatius, der bereits als „selig“ (μακάριος, 9,1), d.h. verstorben, bezeichnet wird, und eine im Detail nicht rekonstruierbare Geldsünde des philippischen Ex-Presbyters Valens und seiner Frau. Auf beide Anlässe hat Polykarp reagiert: Die Briefe betreffenden Bitten hat er erfüllt oder würde dies „bei günstiger Gelegenheit tun“, wie er schreibt (ποιήσω, ἐὰν λάβω καιρὸν εὔθετον, 13,1). Im Gegenzug bittet er um weitere Informationen zum Geschick der Gruppe um Ignatius (13,2). Im Fall des Valens rät er, sich selbst von Geldgier fernzuhalten (11,1) und „irrende, gleichsam leidende Gemeindeglieder zurückzurufen“ (sicut passibilia membra et errantia eos revocate, 11,4). Bereits an früheren Stellen im Brief wird das Thema jedoch implizit vorbereitet und bearbeitet: durch das Motiv der Geldgier (2,2; 4,1.3; 6,1), durch eine Berufung auf die Herrenworte vom Nicht-Richten, Vergeben und Barmherzig-Sein (2,3) – es handelt sich um eine von zwei expliziten Berufungen auf Herrenworte im ganzen Brief34 –, durch weitere Hinweise auf die Pflicht zu vergeben (6,2) und auf die Milde des Herrn mit der Mahnung, „niemanden zu verachten“ (10,1). Im Anschluss an das Valens-Kapitel 11 folgt schließlich die Warnung, nicht durch Zorn in Sünde zu geraten und die bekannte Mahnung, die Sonne nicht über dem Zorn untergehen zu lassen (12,1). Durchgängig nimmt Polykarp eine vermittelnde Haltung ein und ist auf Ausgleich bedacht. Beide äußere Anlässe – Valens und das Thema Vergebung sowie Ignatius und das Thema Leiden – werden an mehreren und an verschiedenen Stellen im Brief bearbeitet. 34
Auch die andere passt zum „Fall“ (i.S. von lapsus und casus) des Valens, s. 7,2.
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Dass der Polykarpbrief in einer konkreten Kommunikationssituation entstanden ist und erkennbar auf Erwartungen der Adressaten eingeht, sollte beim abschließenden Versuch einer Interpretation seines Glaubensverständnisses auf jeden Fall berücksichtigt werden. Nur so kann dieses als Teil des Philipperbriefs sachgemäß interpretiert werden. Unter Berücksichtigung der Briefkommunikation dürfen vorhandene oder fehlende theologische Inhalte nicht einseitig überbetont oder zu Unrecht ausgeblendet werden.
6. Polykarps Glaubensverständnis – Versuch einer Interpretation Dass der Philipperbrief einerseits ein Begleitschreiben zur Übersendung der Ignatiusbriefe ist und im Gegenzug die Gemeinde in Philippi zu weiteren Informationen über Ignatius und seine Gefährten konsultiert (13,1), lässt das Gewicht der Bereiche Leiden – Geduld – Eschatologie im Brief verständlich werden. Dass er andererseits ein Antwortschreiben im Sinne eines mutuum colloquium auf die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem vom Geld verführten ehemaligen Presbyter Valens ist (3,1; 11), erklärt den Stellenwert der Themenbereiche Warnung vor Geldgier und Zorn – Milde – Vergebung – Ethik. Unter diesen Voraussetzungen könnte der Brief eine Überschrift tragen wie: Über die Vergebungsbereitschaft und die Leidensbereitschaft, die aus dem Glauben kommen. Tatsächlich könnte man die allermeisten Abschnitte des Briefes auf diese drei Bereiche aufteilen.35 Wie hängen sie miteinander zusammen? Sowohl Polykarps Paränese zur Vergebung als auch diejenige zum Leiden reagieren auf konkrete Anfragen und Herausforderungen aus dem Alltagsleben der philippischen Gemeinde. Auf beide antwortet Polykarp aber weder enggeführt und personalisiert – sozusagen kasuistisch – noch mit einer Denkbeschränkung auf die Bereiche Ethik oder Eschatologie. Vielmehr führt er beide Aktualitäten auf die s.E. allein tragfähige Grundlage des Christseins zurück: den Glauben. Der Glaube stellt für ihn die wesentliche Beziehung zwischen Gott und Mensch dar. Darum wird der Glaube einleitend als „Wurzel“ (1,2) und „Mutter“ (3,3) der Gemeinde(n) bezeichnet. Er ist von vitaler Bedeutung für das Leben der Gemeinde, für ihre Krisen, Konflikte und Bedürfnisse. Wie ist der Glaube auf diesem Hintergrund zu beschreiben? Glaube bezeichnet die Dimension der religiösen Rückbesinnung auf den Grund der eigenen, von Gott geschenkten Existenz. Durch Glauben werden Sachverhalte des Alltags im Licht Christi und Gottes beleuchtet; in diesem 35
Eine dementsprechende Gliederung des Briefes ist an anderer Stelle vorzulegen.
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insgesamt warmen, lebensförderlichen Licht entwickelt und kongruiert der Glaube Handlungsoptionen für das christliche Leben. Mit einem gewagten, vielleicht allzu gewagten Bild formuliert: Glaube wirkt wie ein Transformator, sozusagen wie ein Umspannwerk. Spannungen, Störungen und Brüche werden angenommen und vom Glauben aufgenommen. Im Licht Christi und Gottes – durch die Begegnung mit seinem Wort – werden sie transformiert. Schließlich werden christusgemäße Haltungen und Handlungsoptionen auf der Basis des Glaubens – sei es Vergeben und Verzeihen, sei es Leidensgeduld und Langmut – auch gegen Widerstände im Alltag durchgehalten und gelebt. Glaube ist insofern einem Transformationsraum für Kirche und Gemeinde vergleichbar. Auch mit ungewohnten, neuen oder großen Spannungen von innen oder außen kommt er zurecht. Das Ergebnis ist zwar nicht immer gleich komfortabel für alle, führt aber immer zusammen und dient dem Wachsen und Reifen der ganzen Gemeinde sowohl am konkreten Ort als auch weltweit. Ungewohnt für gegenwärtiges Empfinden ist, dass als Handlungssubjekt nicht nur viele Einzelpersonen im Blick sind, sondern primär die ganze Gemeinde eines Ortes. Dies könnte bis zu einem gewissen Grad dem Charakter eines offiziellen Briefes geschuldet sein. Das Gefüge und der Organismus einer Ortsgemeinde bilden offenbar aber auch so etwas wie ein größeres „Glaubens-Ich“. Ist Glaube ein Transformationsraum von Kirche und Gemeinde? Zumindest wären die Vorordnung des Glaubens, Christus als Mitte des Glaubens und der ethische Impuls des Glaubens auf diese Weise gut verständlich. Das Gesamtbild der Glaubensinterpretation, wie es nun im Philipperbrief entdeckt und freigelegt wurde, sei abschließend in seinen Grundzügen folgendermaßen skizziert: Herausforderung durch Valens und seine Frau
Tod des Ignatius und seiner Gefährten
Vergebungsbereitschaft Liebe Ethik: Milde, Erbauung, Begrenzung des Zorns
Leidensbereitschaft Geduld Eschatologie/ Leidensparänese
Glaube als Basis christlichen Lebens und zugleich Transformationsraum für Kirche und Gemeinde, da grundlegende und vitale Verbindung zu Christus und Gott der selbst vergibt, barmherzig ist
der mitleidet, Märtyrer annimmt
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7. Zusammenfassung Das Resümee unserer Überlegungen ist untergliedert in (1) literarische und historische Vorfragen (u. Nr. 1–3), (2) das Spektrum von Polykarps Glaubensverständnis (Nr. 4–7), (3) Schritte zu seiner Systematisierung (Nr. 8– 12), (4) Aspekte der Briefkommunikation (Nr. 13f.) und schließlich eine (5) Gesamtinterpretation des Glaubensverständnisses im Brief des Bischofs Polykarp von Smyrna an die Gemeinde in Philippi (Nr. 15–19). Literarische und historische Vorfragen 1. Die Untersuchung des Glaubensverständnisses bei den Apostolischen Vätern bildet eine notwendige Brücke zwischen neutestamentlichem und apologetischem Schrifttum. An ihrem Beginn stehen die Bischöfe Polykarp von Smyrna und Ignatius von Antiochien. Beide beziehen sich aufeinander, weisen mehrere Parallelen auf und spielen für die Vermittlung des Christentums nach Westen eine wichtige Rolle. Während Polykarps Brief 16 Belege für πίστις κτλ. aufweist, sind es in den – allerdings mehrfach so umfangreichen – Briefen des Ignatius 36. 2. Entgegen literarkritischer Vorschläge ist der Polykarpbrief bis heute als ein zusammenhängender Brief verständlich und interpretierbar. Seine Datierung im Zusammenhang des Todes von Ignatius ist nach wie vor plausibel, während sich spätere Datierungen als problematisch und weniger wahrscheinlich erweisen. Neben seinem Brief sind – leider – keine weiteren Texte Polykarps erhalten: Weder die Pastoralbriefe noch die so genannten Presbyter-Texte des Irenäus (haer. IV 27–32,1) und auch nicht die Schrift An Diognet können ihm überzeugend zugewiesen werden. Die genannten Kontroversen spielen freilich keine entscheidende Rolle für eine Interpretation des Glaubensverständnisses. 3. Dreizehnmal verwendet Polykarp πίστις oder πιστεύειν in einem eindeutig theologischen Sinn. Andere Theologoumena stehen demgegenüber (sieht man von „Herr“ und „Gott“ ab) sehr deutlich zurück. Zwar bietet „der Vater der Christen“, wie Polykarp schon bald nach seinem Tod genannt wird (MartPol 12,2), keine Definition des Glaubens; aber seine ersten beiden Bestimmungen sind weitreichende und im wahrsten Sinn des Wortes tiefgründige Metaphern: „feste Wurzel“ (Polyk 2,1) und „Mutter von uns allen“ (3,3). Einzelheiten von Polykarps Glaubensverständnis 4. Glaube ist nach Polykarp durch Gottes Gnade „gegeben“ (3,2; 4,2); damit knüpft der Bischof an eine paulinische Vorstellung an. Glaube ist zwar „aus alten Zeiten“ überkommen (1,2), im Blick auf Gegenwart und Zu-
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kunft jedoch dynamisch. Sowohl in pädagogischer (4,1f.) als auch in ethischer Hinsicht (4,1) ist er wirksam und „trägt Früchte“ (1,2) zur „Erbauung“ von Menschen in der Gemeinde (3,2). Seine häufigsten Kontexte sind Liebe, Wahrheit und Erbauung. Geht die Liebe „zu Gott und Christus und zum Nächsten“ dem Glauben voran, so folgt ihm die Hoffnung (3,3). Neben Paulus stellt der erste Petrusbrief ein wichtiges Referenzschreiben für das Glaubensverständnis dar (1,3; 2,1; 10,1). 5. Gleich eingangs schreibt Polykarp von der „festen Wurzel des Glaubens“ seiner Adressaten (2,1). In diesem Bild gedacht, wächst die Gemeinde von Philippi gleichsam aus dieser Wurzel hervor. Sie ist Trägerin des Glaubens und vermittelt zwischen diesem als etwas Vorgegebenem und den „Früchten“ der Gemeinde. Die Wurzel ist „fest“ (analog zu den Gläubigen, s. 10,1 mit 1Petr 5,9), und es ist eine: „Der Glaube“ ist Voraussetzung und Triebkraft vitaler Entwicklung und fruchtbaren Gemeindelebens. Seine vornehmste und wichtigste Frucht ist das Bleiben im Glauben. 6. Mit übergemeindlichem Horizont wird der Glaube sodann als „Mutter von uns allen“ bezeichnet (Polyk 3,3). Diese offensichtliche Paulusreminiszenz (vgl. Gal 4,26) steht zugleich im Zusammenhang der Trias von Liebe, Glaube und Hoffnung (Polyk 3,3). Insofern der Glaube „Mutter von uns allen“ ist, verbindet er die einzelnen Gemeinden an verschiedenen Orten, d.h. ökumenisch. Denn es ist stets derselbe Glaube, aus dem mehrere und verschiedene Gemeinden hervorgehen. 7. Die Bilder von der „Wurzel“, die Halt gibt (2,1), und derselben „Mutter“ aller (3,3) enthalten gemeinsame Tiefendimensionen, die indirekt auf Eigenschaften des Glaubens zurückschließen lassen: Glaube ist unverfügbar und vorgegeben. Er bildet die vitale Lebensader und versorgt mit allem, was notwendig ist. Glaube vermittelt Geborgenheit, Zugehörigkeit und Rückzugsmöglichkeit. Er ist Basis für Entwicklungen und möchte entfaltet und gelebt werden. Eine elementare Abhängigkeit vom Glauben einerseits steht einem Auftrag zum „Fruchtbringen“ aus der Kraft dieser „Wurzel“ oder „Mutter“ andererseits gegenüber. Polykarps Glaubensverständnis ist in beiden Bildern anschaulich konkret und verständlich begreifbar. Auf dem Weg zu einer Systematisierung 8. Begibt man sich auf den Weg zu einer systematisch-theologischen Betrachtung, dann ist zunächst der hohe Anschluss an das Corpus Paulinum auffällig, der an zehn von dreizehn Belegstellen vorliegt. Am offensichtlichsten sind die Übernahme der Begriffstrias Glaube, Hoffnung und Liebe (3,2; 1Kor 13,13) sowie die Wendung „unser aller Mutter“ (Polyk 3,3; Gal 4,26). Mit der Bekanntheit des Glaubens der Adressaten (Röm 1,8) „bis
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jetzt“ (Phil 1,5) liegen aber auch literarische „Zitierungen“ (Anspielungen) vor (Polyk 1,2). 9. Inbegriff der Leidensgeduld sind namentlich Paulus, Ignatius und seine Gefährten (9,2) sowie letztlich Christus (8,2); die Stilisierung dieser Vorbilder dient der Ermutigung der Adressaten (10,1) und ihrer Erbauung (12,2). Kapitel acht und neun bilden geradezu ein hohes Lied der Geduld und des Leidens. 10. Dass Gott Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, wird mehrfach betont (1,2; 2,1; 9,1; 12,2). Insbesondere Gott, aber auch Jesus Christus, bald einzeln, bald als Handlungseinheit, sind Urheber des vitalisierenden, schöpferisch wirkenden Glaubens. Letzterer richtet sich „an unseren Herrn Jesus Christus“ (12,2). Glaube ist bei Polykarp eindeutig und durchgängig, d.h. an sämtlichen Belegstellen, christologisch konnotiert. 11. Entsprechend ist der Glaube allen übrigen theologischen Begriffen vorgeordnet und wirkt. Sieben substantivische Reihungen beginnen mit der Nennung des Glaubens. Glaube ist der Ermöglichungsgrund für ein christliches, christusgemäßes, ethisch gefordertes Leben, letztlich für jede Handlungsorientierung in der Nachfolge Jesu Christi. Die Form eines glaubensgemäßen Umgangs „mit Gott und Christus und mit dem Nächsten“ ist freilich die Liebe (3,3, vgl. Gal 5,6). Ethische und paränetische Anweisungen ergehen an die Adressaten insgesamt (Polyk 1,2) wie an einzelne Gruppen, z.B. an Frauen, Presbyter oder an Leidende. 12. „Unser Herr Jesus Christus“ (belegbar von 1,1 bis zum Schlusskapitel 14) steht theologisch unangefochten im Zentrum. Von dieser Mitte her erschließen sich Gotteslehre, Ethik und Eschatologie des Briefes. Nicht genannt sind im Brief Aussagen zu Gott als Schöpfer allen Seins, zu Taufe und Herrenmahl, zur Pneumatologie und zur Trinität. Dies dürfte am besten durch den Charakter des Briefes als Gelegenheitsschreiben erklärt sein. Denn der Brief wendet sich durchgängig an die damalige konkrete Gemeinde in Philippi. Aspekte der Briefkommunikation 13. Mit der Berücksichtigung brieflicher Kommunikation rücken wesentliche Koordinaten für Aufbau, Inhalt und Zielsetzung des Schreibens in den Vordergrund. Zwei konkrete Anlässe sind erkennbar: Die altehrwürdige Gemeinde in Philippi bat Polykarp um die Übersendung aller in Smyrna vorhandenen Ignatiusbriefe (13,2), um Weiterleitung eines Schreibens von ihr nach Osten (13,1) sowie um einen Brief des Bischofs Polykarp (3,1), mit dem der jüngst zum Märtyrer gewordene Bischof Ignatius seinerseits in brieflicher Verbindung gestanden hatte. 14. Zudem hatten sich der ehemalige Presbyter Valens und seine Frau etwas zuschulden kommen lassen (im Zusammenhang mit Geld, zugleich
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Götzendienst, 11,2) und bedurften „wahrer Buße“ (11,4) sowie christlicher Nächstenliebe und geschwisterlicher Vergebung. Daher kommen die Motivkreise Geldgier (2,2; 4,1.3; 6,1; 11,1) sowie Vergeben und Verzeihen (2,3; 6,2; 10,1; 11,4; 12,1) fast durchgängig im Brief vor. Beide Anlässe sind bei einer Gesamtinterpretation des im Brief erkennbaren Glaubensverständnisses zu berücksichtigen. Gesamtinterpretation 15. Polykarps Paränesen zur Vergebung und zum Leiden antworten auf diese beiden Anlässe seines Schreibens. Beide bindet er an die gemeinsame Grundlage des Glaubens als der wesentlichen Beziehung zwischen Gott und Mensch zurück und begründet seine Paränesen theologisch vom Glauben aus. Angesprochen wird die Gemeinde als Kollektiv. Sie ist Trägerin des übergemeindlichen Glaubens, in den sich Polykarp mit einschließt (3,3; 5,2; 8,2). Der Polykarpbrief handelt daher von der Vergebungsbereitschaft und der Leidensbereitschaft, die aus dem Glauben kommen. 16. Wie hängen diese drei Bereiche miteinander zusammen? Glaube ist für Polykarp die Basis einzelnen wie gemeinsamen Lebens als Christ(en). Er ist sowohl „feste Wurzel“ (2,1) als auch „Mutter von uns allen“ (3,3). Deshalb können Spannungen, Störungen oder Brüche des Lebens an sich ebenso wie des christlichen Lebens vom Glauben aufgenommen werden wie von einem immensen Transformator. Im Raum des Glaubens werden sie transformiert, so dass christusgemäße Bewertungen, Haltungen und Handlungsoptionen sichtbar, formulierbar und umsetzbar (implementierbar, lebbar) werden. 17. So betrachtet wäre Glaube sowohl bei exogenen Gemeindekonflikten (wie dem Tod des Ignatius) als auch bei endogenen (wie der Verfehlung des Valens) eine Art Transformationsraum für Kirche und Gemeinde. In beiden Fällen entstehen und wachsen vom Glauben her Inspiration und Kraft für neue, zeitgemäße „Früchte“ eines christlichen Lebens. Polykarps Bild für den Glauben ist dasjenige einer „festen Wurzel“. Neuere Bilder dafür sind z.B. ein Transformationsraum oder ein Kraftwerk. Deren beide Funktionen vereint eine „feste Wurzel“ in sich. Glaube wäre demzufolge zugleich Transformationsraum und Kraftwerk. 18. Ob nun Wurzel, Mutter, Kraftwerk oder Transformationsraum als Bilder dienen: Polykarps Glaubensverständnis ist zuallererst christologisch (in paulinischer Prägung, vgl. Röm 6,3–5; 1Kor 3,11; 4,7; 15,10; 2Kor 5,14f.17; Gal 2,20 und öfter, aber auch durch den ersten Petrusbrief geformt), dann aber insbesondere ekklesiologisch, ethisch und eschatologisch bestimmt. Der Glaube ist für den „Vater der Christen“ des zweiten Jahrhunderts (MartPol 12,2) die eine gottgegebene Kraftquelle und das eine gottgegebene Kraftzentrum christlichen Lebens. Glaube ist für Polykarp
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von Gott gegeben, christologisch be- und gegründet, ekklesiologisch eingebunden, ethisch konkret und eschatologisch ausgerichtet. 19. All dies erklärt, weshalb dem Glauben im theologischen Denken und Schreiben des Polykarp eine durch und durch maßgebliche Rolle zukommt. Andere häufige Begriffe wie Liebe, Wahrheit, Erbauung, Gerechtigkeit oder Hoffnung sind demgegenüber nachgeordnet; ihr Ermöglichungsgrund ist der Glaube an „unseren Herrn Jesus Christus“. Um diese Achse dreht sich, aus dieser Quelle speist sich, in diesem Raum bewegt sich nach dem Philipperbrief des Polykarp in einer christlichen Gemeinde alles.
Kontinuität und Innovation Πίστις im Ersten Clemensbrief und den Ignatianen WOLFGANG GRÜNSTÄUDL Da sowohl 1Clem als auch Ign nachweislich Paulusbriefe kennen und nutzen, ist die Frage nach Charakter und Funktion der πίστις in diesen ihrer theologischen und historischen Einordnung nach so unterschiedlichen Texten hochgradig spannend, zumal beide – zumindest in der Perspektive klassischer Forschungspositionen – eine eher frühe Epoche der später nicht Teil des Neuen Testaments gewordenen frühchristlichen Literatur repräsentieren. Aufgrund der genannten Unterschiedlichkeit der beiden hier zu besprechenden Texte ist es angezeigt, Gebrauch und Bedeutung von πίστις und dem mit diesem Begriff verbundenen paulinischen Erbe zunächst je gesondert für 1Clem und die Ignatianen zu untersuchen, ehe in einer resümierenden Zusammenschau auch versucht werden kann, Verbindungslinien und Differenzen zwischen beiden frühchristlichen Schriftzeugnissen zu skizzieren.
1. Glaube und rechtes Leben – πίστις im 1Clem Folgt man der traditionellen, auf Eusebius, h.e. 3,15f. zurückgreifenden Datierung des 1Clem an das Ende des ersten Jahrhunderts1, so ist dieser „vermutlich die älteste erhaltene Schrift des Urchristentums außerhalb des Neuen Testaments“2. Auch wenn man für die zeitliche Einordnung des 1Clem ein größeres Zeitfenster offenhält3, lädt die mögliche chronologische Nähe zu den Schriften des späteren Neuen Testaments natürlich in 1
Nun wieder neu verteidigt von H.E. LONA, Der erste Clemensbrief, KAV 2, Göttingen 1998, 75–78. 2 A. LINDEMANN, Der Erste Clemensbrief, in: W. Pratscher (Hg.), Die Apostolischen Väter. Eine Einleitung, UTB 3272, Göttingen 2009, 59–82, 59. 3 Dafür votiert etwa mit Nachdruck A.F. GREGORY, Disturbing Trajectories. 1Clement, the Shepherd of Hermas and the Development of Early Roman Christianity, in: P. Oakes (Hg.), Rome in the Bible and the Early Church, Carlisle/Grand Rapids 2002, 142–166; vgl. auch DERS., 1Clement. An Introduction, ET 117 (2006), 223–230.
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besonderer Weise zu der Frage ein, inwiefern diese bereits in dem Schreiben der stadtrömischen Christinnen und Christen an die korinthische Gemeinde aufgegriffen und verarbeitet werden. Nur in geringem Maße ist dabei durch den 1Clem Unterstützung zu erhalten: 1Clem 47,1 belegt die Kenntnis des 1Kor und 1Clem 35,5f. dürfte unmittelbar auf Röm 1,29–32 Bezug nehmen; ansonsten – auffallenderweise auch hinsichtlich der Evangelien – muss es bei Wahrscheinlichkeitsurteilen bleiben4. Dem gegenüber hebt sich die vielfältige und umfangreiche Zitat-Passagen bietende Verwendung der Schriften Israels5 deutlich ab: Nach der Berechnung von Horacio Lona machen die Schriftzitate über ein Viertel des Gesamttextes des 1Clem aus6. Schon diese rein formale Beobachtung weist darauf hin, wie stark in 1Clem der Anschluss an die theologischen Traditionen des späteren Alten Testaments ausgeprägt ist, was nicht zuletzt auch Folgen für die Konzeption von πίστις im 1Clem zeitigt. 1.1 πίστις als gefährdete Gabe Markant ist bereits die erste Erwähnung der πίστις in 1Clem: Als „vortreffliche und feste“ wird sie in 1Clem 1,2 als erste der den Korinthern zugeschriebenen Tugenden (neben εὐσέβεια, ἦθος und γνῶσις) genannt – allerdings als Teil der Beschreibung eines vergangenen Zustandes. Die Pointe liegt demnach darin, dass es den Korinthern zur Zeit der Abfassung des 1Clem gerade an πίστις mangelt bzw. ihre πίστις eine defiziente ist. Dem entspricht, dass in einer Art „Inhaltsangabe“ am Ende des 1Clem (1Clem 62,1–3) πίστις wiederum an erster Stelle unter den im Schreiben der Römer behandelten Themen begegnet (vgl. 1Clem 62,2f.) und im sogenannten Kleinen Schlussgebet 1Clem 64 als göttliche Gabe (vgl. 1Clem 35,1.4) für πᾶσα ψυχή ἐπικεκλημένη τὸ μεγαλοπρεπὲς καὶ ἅγιον ὄνομα αὐτου (und damit wohl nicht zuletzt auch für die Korinther) erfleht wird. Der Verlust der die Korinther in der Vergangenheit auszeichnenden πίστις wird unter Rückgriff auf den Bereich der Licht-Metaphorik (ἀμβλυωπέω, vgl. Clemens Alexandrinus, Paedagogus 1,29,5) konsequent auch in 1Clem 3,1–4 als wesentlicher Teil der korinthischen Problematik 4
Dazu nun umfassend A.F. GREGORY, 1 Clement and the Writings that Later Formed the New Testament, in: ders./C. Tuckett (Hg.), The Reception of the New Testament in the Apostolic Fathers, The New Testament and the Apostolic Fathers, Oxford 2005, 129– 157, vgl. insbesondere D.A. HAGNER, The Use of the Old and New Testaments in Clement of Rome, NT.S 34, Leiden 1973. 5 Möglicherweise haben auch gerade diese Schriftzitate zu der späteren rezeptionsund textgeschichtlichen Verbindung mit 2 Clem geführt, vgl. W. GRÜNSTÄUDL, Epilog, Ouvertüre oder Intermezzo? Zur ursprünglichen Funktion von 2 Clem 19,1–20,4, Early Christianity 4 (2013), 242–260, 254. 6 Vgl. LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 31.
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identifiziert. Inhaltlich ist πίστις hier als ein Glaube an Gott (als Referenzpunkt des αὐτοῦ), also strikt theologisch gefasst. Wenn überhaupt7, dann begegnet eine christologische Akzentuierung der πίστις in 1Clem nur in der Gestalt eines Glaubens ἐν Χριστῷ (so 1Clem 22,1). Wie kurz zuvor in 1Clem 21,8 – ἡ ἐν Χριστῷ παιδεία ist im Sinne von „christlicher Erziehung“ verstanden als die Unterweisung in der Bedeutung von Demut, Liebe und Gottesfurcht (vgl. auch 1Clem 21,6) – ist dabei „ἐν Χριστῷ wohl im abgeschliffenen, nicht mehr paulinischen Sinn“8 gefasst und bezeichnet schlicht den christlichen Glauben9. Wie die im unmittelbaren Anschluss entfaltete Konzeption von Christus als in den inspirierten Schriften (1Clem 22,1–8 = Ps 33,12–18 LXX; Ps 31,10 LXX; vgl. 1Clem 8,1; 13,1; 16,210) sprechendes, d.h. präexistentes Subjekt sowie die u.a. in 1Clem 7,4; 12,7; 21,6; 49,6 klar betonte soteriologische Bedeutung des Todes Jesu (ausgedrückt im Stichwort „Blut“) verdeutlichen, ist mit der akzentuierten theozentrischen Orientierung des 1Clem aber kein christologischer Verzicht gegeben11. Vielmehr gilt: „Gemäß der vorherrschenden Theozentrik des Schreibens ist Gott das Subjekt der Handlung, aber diese verwirklicht sich schließlich durch Jesus Christus.“12 Jesu Christi Rolle als Vermittler des von Gott gewirkten und geschenkten Heils markiert somit nachgerade „einen Eckpfeiler der Christologie in IClem“13. Im Gebrauch von πίστις drückt sich diese enge heilsökonomische Zusammenordnung unter anderem in der triadischen Formulierung 1Clem 58,2 (vgl. auch 1Clem 46,4) aus, wo ὁ θεός, ὁ κύριος Ἰησοῦς Χριστός und τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον zusammen als der Inhalt14 von πίστις und ἐλπίς benannt werden, auch wenn dabei wohl schon geprägte Sprache übernommen wird. 7 Grundsätzlich urteilt A. LINDEMANN, Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption der paulinischen Literatur in der frühchristlichen Literatur bis Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979, 186: „Zu beachten ist weiter, daß πίστις hier [sc. in 1Clem 32,4, Anm. Grünstäudl] wie auch an anderen Stellen im 1Clem nicht christologisch bestimmt ist...“. 8 A. LINDEMANN, Die Clemensbriefe, HNT 17/Die Apostolischen Väter 1, Tübingen 1992, 80. Die Formel begegnet, verbunden mit anderen Termini wie εὐσέβεια, ἀγάπη, etc., noch in 1Clem 1,2; 32,4; 38,1; 43,1; 46,6; 47,6; 48,4; 49,1; 54,3 (vgl. auch 3,4). 9 Vgl. LINDEMANN, Clemensbriefe (s. Anm. 8), 81. 10 Vgl. LINDEMANN, Clemensbriefe (s. Anm. 8), 81f. 11 Dies verdeutlicht bereits die Anzahl und Vielfalt der christologischen Aussagen in 1Clem (vgl. etwa die Liste bei LONA, Clemensbrief [s. Anm. 1], 401–403). 12 LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 403. 13 LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 403. 14 Vgl. auch den Zusammenhang von πίστις und „Wort Gottes“ in 1Clem 42,3 – „wobei nicht deutlich wird, ob das Wort der Gegenstand oder die Ursache ihres [sc. der Apostel] Vertrauens bzw. ihrer Treue ist“ (LONA, Clemensbrief [s. Anm. 1], 444) – sowie von πίστις und παρρησία in 1Clem 35,2.
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Andererseits muss man sehen, dass gerade die πίστις eine Größe ist, die im 1Clem zur Etablierung heilsgeschichtlicher Kontinuität dient (prägnant 1Clem 26,1 [mit entsprechenden Schriftbeweisen in 1Clem 26,2f.]: jede/r, die/der in „gutem Glauben“15 dem Schöpfer dient, darf auf die Auferstehung hoffen) und in einer ganz selbstverständlichen Weise verschiedenen Gestalten der Geschichte Israels zugesprochen werden kann. Dort wo (im Anschluss an Num 12,7 LXX) Mose als πιστός bezeichnet wird (1Clem 17,5; 43,1), wird man zumeist mit der Übersetzung „treu“ das Auslangen finden, wobei sich von dort aus natürlich auch das grundsätzliche Problem stellt, ob nicht auch an anderen Belegstellen von πιστός/ πίστις in einem recht großen Maße eine Bedeutung im Sinne von „treu“/ „Treue“ vorauszusetzen ist16. So ist etwa Gott selbst „treu in seinen Verheißungen“ (1Clem 27,1), ja sogar „der Treue in allen Geschlechtern“ (1Clem 60,1). Jedenfalls ist an keiner Stelle so etwas wie ein christologisches Bekenntnis ante Christum im Blick, wie das z.B. bei Ignatius von Antiochien der Fall ist (vgl. IgnPhld 5,2; dazu unten 2.1). Das gilt für den vollkommenen Glauben der Ester (1Clem 55,6: τελεία κατὰ πίστιν) in gleicher Weise wie für den Glauben Noahs (1Clem 9,4; vgl. 7,6) und Abrahams (1Clem 10,1.7)17. Selbst dort, wo wie im Falle Rahabs (vgl. 1Clem 12,1.7f.) christologische Allegorik Verwendung findet, erfährt πίστις selbst keine betont christologische Zuspitzung, sondern wird vielmehr (in 1Clem 12,8) durch die auf Christus ausgerichtete (vgl. 1Clem 12,7) προφητεία ergänzt. Entsprechendes verdeutlicht auch der Blick auf das Gesamt der in 1Clem 9–12 aufgeführten Vorbilder: Erstens sind die ausgewählten fünf 15
Dazu LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 308 (unter Verweis auf 1Clem 27,3): „Der Glaube ist durch den Inhalt des Geglaubten definiert: die Nähe des Schöpfers zu seiner Schöpfung.“ 16 Um zwei Beispiele zu nennen: Nach LINDEMANN, Clemensbriefe (s. Anm. 8), 91, bezeichne ἡ πίστις αὐτοῦ in 1Clem 27,3 „natürlich nicht ‚seine Treue‘“, gemeint sei vielmehr „‚der Glaube‘, allenfalls ‚das Vertrauen‘, das die Gläubigen Gott entgegenbringen sollen“ (Hervorhebung Grünstäudl). Doch ist das so klar? Vorsichtiger hält LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 517, fest, πιστός werde „in I Clem im Sinn von ‚treu‘ gebraucht“, erwägt aber zu 1Clem 48,5: „Hier hingegen dürfte die Bedeutung ‚gläubig‘ zutreffen.“ An diesen (tatsächlich nicht leicht zu entscheidenden) Grenzfällen (vgl. auch noch 1Clem 63,3: Wird die Treue oder der Glaube der Überbringer des römischen Schreibens empfehlend hervorgehoben?) wird ein grundsätzlicher Zug des πίστιςGebrauchs in 1Clem deutlich. 17 Richtig notiert LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 186 Anm. 91, die Differenz zu Paulus an diesem Punkt: „Natürlich wurde auch nach Paulus Abraham durch Glauben von Gott gerechtfertigt; aber er ist darin ein Typos der Glaubensgerechtigkeit der Christen.“ Einen analogen Vorgriff finden wir in 1Clem nicht; auch nicht in 1Clem 60,4 (vgl. 1Tim 2,7, wobei hier die Nähe zu Ps 144 LXX wohl stärker ins Gewicht fällt, vgl. LINDEMANN, Clemensbriefe [s. Anm. 8], 172f.).
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Personen (Henoch, Noah, Abraham, Lot, Rahab) nach 1Clem 9,2 allesamt Vorbilder für den vollkommenen Dienst (λειτουργέω) an Gott. Zweitens zeigt die enge kontextuelle Verzahnung der Beschreibungen Henochs und Lots, die beide im Unterschied zu den anderen drei Genannten nicht explizit als „gläubig“ bezeichnet werden, dass der Gebrauch von πίστις hier in einen größeren begrifflichen Zusammenhang eingebettet ist (Gehorsam: 1Clem 9,3; 10,1f.7; Gastfreundschaft: 1Clem 10,7; 11,1; 12,1; εὐσέβεια: 1Clem 11,1; Hoffnung: 1Clem 12,7 [vgl. 1Clem 58,2]; Gerechtigkeit/Gerechtfertigtsein: 1Clem 9,3.4; 10,1). Anders: Die Güte der Gottesbeziehung, auf die 1Clem 9–12 (und der gesamte 1Clem) abhebt, kann auch durch πίστις bezeichnet werden – diese ist aber in dieser Hinsicht nicht von exklusiver Bedeutung, sondern in einen Rahmen in gewisser Weise analoger bzw. komplementärer Haltungen eingebunden18. 1.2 Rechtfertigung durch Glauben und die Bedeutung der Werke Diese stärker heilsgeschichtliche Kontinuität denn christologisches Novum betonende πίστις-Verwendung erhält auf dem Hintergrund der expliziten Erwähnung des Paulus (1Clem 5) und des doch sehr deutlichen Rückgriffs auf Konzept und Terminologie seiner Rechtfertigungslehre (1Clem 33,1f.; 32,3f.) noch zusätzliche Konturen. In 1Clem 5 steht Paulus zusammen mit Petrus in einer Reihe von ὑποδείγματα19, die den Korinthern das verheerende, zerstörerische Wirken des ζῆλος veranschaulichen, zugleich aber auch zahlreiche Vorbilder erfolgreicher Bewährung in durch ζῆλος verursachten Bedrängnissen vor Augen stellen sollen (1Clem 5,3 auch mit λάβωμεν πρὸ ὀφθαλμῶν ἡμῶν formuliert20). Als „größtes Vorbild der Geduld“ (ὑπομονῆς ... μέγιστος ὑπογραμμός) markiert Paulus zwar nicht den Abschluss, wohl aber den Höhepunkt der Exempla-Reihe. Die Lehre, in welcher der κήρυξ Paulus „die ganze Welt“ unterwies, wird in dem Stichwort δικαιοσύνη21 zusam18
In diesen Kontext gehört z.B. auch die Beobachtung von P. STOCKMEIER, Glaube und Religion in der frühen Kirche, Freiburg 1973, 35, εὐσέβεια (in 1Clem 1,2 auch mit ἐν Χριστῷ verbunden!) sei „mit πίστις nachgerade austauschbar“ (Beleg: 1Clem 10,7//1,1). Zu beachten ist auch die Verbindung zum Konzept des φόβος τοῦ θεοῦ/κυρίου (vgl. 1Clem 3,4 sowie 21,6.8; 22,1). 19 Zur Argumentationsstruktur des gesamten Abschnittes vgl. LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 158–162, und H. LÖHR, Zur Paulus-Notiz in 1Clem 5,5–7, in: F.W. Horn (Hg.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, BZNW 106, Berlin 2001, 198–206. 20 Zum paränetischen Gebrauch der die Adressaten inkludierenden 1. Person Plural in 1Clem vgl. LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 37 (mit Belegen), und z.B. bereits K. HEUSSI, Die römische Petrustradition in kritischer Sicht, Tübingen 1955, 20 Anm. 2. 21 Dabei ist mit Blick auf 1Clem 32,4 durchaus anzunehmen, dass dieser Begriff nicht sozialethisch, sondern soteriologisch gefüllt ist.
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mengefasst, während von der πίστις nur hinsichtlich der Person des μακάριος ἀπόστολος (1Clem 47,1) selbst die Rede ist22. Bleibt somit dort, wo explizit von Paulus die Rede ist, πίστις merkwürdig unterbestimmt, so begegnet in 1Clem 32,4 ohne Nennung des Apostels „das Grundschema der paulinischen Rechtfertigungslehre: δικαιούμεθα οὐδὲ διὰ ... ἔργων ... ἀλλὰ διὰ τῆς πίστεως“23. Auch wenn der Verfasser des 1Clem an dieser (singulären) Stelle „einen bewußten Paulinismus vertreten will“24, wie insbesondere die bei geringer semantischer Schnittmenge doch klar zu Röm 5,21–6,2 strukturparallel geschaffene Fortsetzung in 1Clem 33,1 nahelegt25, so sind nichtsdestotrotz entscheidende Differenzen zu notieren. Diese sind zum einen im unterschiedlichen Verständnis der ἔργα begründet, die in 1Clem „keine theologische Qualität“26 besitzen und deren Bedeutung kurz zuvor (1Clem 30,3) in einer Formulierung begegnet, „die klingt, als solle die paulinische Theologie ausdrücklich zurückgewiesen werden“27. Zwischen dem Verweis auf den um seines διὰ πίστεως vollbrachten Tuns von Gerechtigkeit und Wahrheit gesegneten Abraham (1Clem 31,2), der Ermahnung an die Adressaten, sich durch Werke, nicht durch Worte zu rechtfertigen (1Clem 30,3) und der Rechtfertigung nicht durch Werke, sondern διὰ τῆς πίστεως (1Clem 32,4), erkennt der Verfasser des 1Clem offenbar keine Spannung. Zum anderen ist aber eben auch hier πίστις „nicht christologisch bestimmt ... [sondern] bezeichnet im Grunde das unbedingte ‚Vertrauen‘ auf Gott, das Menschen zu allen Zeiten verwirklicht haben“28 (vgl. den zweifachen Verweis auf die πάντες in 1Clem 32,3.4). Somit zeigt sich das heilsgeschichtliche Kontinuität betonende πίστιςVerständnis des 1Clem gerade auch dort, wo die konkreten Formulierungen an die christologisch zugespitzte Konzeption des Paulus nicht nur heranreichen, sondern diese wohl auch bewusst rezipieren. 1.3 Zusammenfassung Überblickt man die Verwendung von πίστις in 1Clem, wird man sicher nicht sagen können, sie sei für die Theologie dieses frühchristlichen Textes nur von geringer Bedeutung. Ganz im Gegenteil spielt sie – als verlorene 22 Zutreffend resümiert LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 77: „Offenbar gehören zu dem Paulusbild, das der Vf des 1 Clem kennt und weitergibt, seine Leiden, die weltweite Verkündigung und schließlich – wenn auch nur schlagwortartig – der Glaubensbegriff.“ 23 LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 186. 24 LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 186 (Hervorhebung Grünstäudl). 25 Vgl. LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 186. 26 LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 186. 27 LINDEMANN, Clemensbriefe (s. Anm. 8), 96. 28 LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 186.
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und wieder zu erlangende Gabe – eine wichtige Rolle in der Konturierung der in 1Clem bearbeiteten korinthischen Krisensituation. Darüber hinaus ist sie ein zentrales Merkmal und Konstitutivum jenes gelungenen Gottesverhältnisses, dessen sich die Frommen Israels in einer Weise erfreuten, wie sie auch den Adressaten als erstrebenswertes und erstrebbares Ziel vor Augen gestellt wird. Dabei spannt πίστις auch ein verbindendes Band zwischen den Gläubigen vor und nach dem Christusereignis, dessen heilsstiftende Wirkung (vgl. die Betonung des Blutes Christi!) dabei keineswegs negiert oder marginalisiert wird. Nimmt man das Verhältnis zu Paulus in den Blick, so fällt auf, dass 1Clem Paulus nicht nur als geschätzte Person kennt, sondern auch dessen prägnante Formulierungen zur Rechtfertigung durch πίστις aufgreift, ohne dabei seine eigene, stark heilsgeschichtliche Kontinuitäten betonende πίστις-Konzeption zu verlassen. Angesichts der großen Nähe des 1Clem zum hellenistischen Judentum29 wäre sogar zu fragen, ob 1Clem trotz (!) seiner chronologischen Nachordnung und bereits expliziten Paulus-Rezeption die Erforschung paulinischer Theologie nicht eher als Zeuge ihres theologiegeschichtlichen Hintergrundes (im weiteren Sinne) denn als (mehr oder weniger wertgeschätztes) Beispiel ihrer Wirkungsgeschichte befruchten könnte.
2. Die Einheit von Glaube und Liebe – πίστις in den Ignatianen Die Briefe des Ignatius von Antiochien in der sogenannten mittleren Rezension, wie sie dieser Untersuchung zugrunde gelegt werden sollen, sind sieben frühchristliche Texte, die in ihrer Authentizität wie in ihrer lokalen und zeitlichen Einordnung jüngst wieder heftig umstritten sind30. Im Folgenden wird weder eine eigene Lösung der Einleitungsfragen zu den Ignatianen angestrebt noch eine bestimmte Hypothese zu ihrer Entstehung vorausgesetzt. Vielmehr soll in der Perspektive der hier verhandelten Leitfrage ausschließlich untersucht werden, welche Konzeption(en) mit dem Begriff πίστις in den genannten sieben Texten verbunden ist/sind. Dazu nehme ich an, dass diese sieben Texte in einem engen literarischen und theologischen Zusammenhang stehen und aus einer Hand stammen (was auch von Bestreitern ihrer Authentizität zumeist nicht bezweifelt wird). Zudem verwende ich zur Bezeichnung des realen Autors der Einfachheit halber den Namen „Ignatius“, mit dem der implizite Autor der sieben Texte sich jeweils selbst benennt. 29
Vgl. LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 58–61. Nur als ein Hinweis zur Einführung in die aktuelle Diskussion sei genannt: T.D. B ARNES, The Date of Ignatius, ET 120 (2008), 119–130. 30
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Was die mit Blick auf die mit der frühchristlichen Verwendung des Begriffes πίστις natürlich besonders bedeutsame Frage nach der Paulusrezeption des Ignatius angeht, so ist zum einen offensichtlich, dass Ignatius Paulus als Person kennt und schätzt (IgnEph 12,2; IgnRöm 4,3), sowie um die epistolographische Tätigkeit desselben weiß. Wesentlich schwieriger ist es hingegen zu bestimmen, welche Paulusbriefe Ignatius kennt und an welchen Stellen er sie bewusst oder unbewusst nutzt, denn nur hinsichtlich einer Verwendung des 1Kor durch Ignatius sind die entsprechenden Textsignale so klar, dass in den einschlägigen Spezialuntersuchungen diesbezüglich Konsens herrscht31. In diesem Punkt ergibt sich somit eine interessante Parallele zum oben untersuchten 1Clem, der ebenfalls gerade den 1Kor unzweifelhaft verwendet, während Bezüge auf andere paulinische Texte diskutabel bleiben. Erwähnt sei dabei auch, dass ab und an eine Verwendung des 1Clem durch Ignatius erwogen wird32, was aber – anders als für Polycarp von Smyrna – nicht überzeugend nachzuweisen ist. Unabhängig von der Bewertung möglicher Zitate und Anspielungen auf paulinische Briefe lässt sich aber doch an vielen Stellen eine deutliche Nähe zu paulinischem (und auch deuteropaulinischem) Denken und Sprechen konstatieren33. Ohne damit Ignatius schon einseitig als paulinischen Theologen zu charakterisieren, wird damit klar, welche Relevanz der Frage nach dem πίστις-Konzept des Ignatius auf dem Hintergrund der Wirkungsgeschichte des paulinischen Glaubensverständnisses zukommt. 2.1 Die πίστις und ihr Grund Ermöglichungsgrund und Ausgangspunkt des ignatianischen πιστεύειν34 sind Tod und Auferstehung Jesu, die zusammen jenes μυστήριον bilden, 31 Vgl. etwa den Überblick bei A. MERZ, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, NTOA 52, Göttingen 2004, 141–145. Zur Verwendung neutestamentlicher Texte bei Ignatius vgl. nun umfassend P. FOSTER, The Epistles of Ignatius of Antioch and the Writings that Later Formed the New Testament, in: ders./C. Tuckett (Hg.), The Reception of the New Testament in the Apostolic Fathers, The New Testament and the Apostolic Fathers, Oxford 2005, 159– 186. 32 Vgl. die entsprechenden Hinweise bei LONA, Clemensbrief (s. Anm. 1), 89f. Anm. 3. 33 Klassisch dazu das – entschieden positiv gemeinte – Urteil von R. B ULTMANN, Ignatius und Paulus, in: DERS., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments. Ausgewählt, eingeleitet und herausgegeben von Erich Dinkler, Tübingen 1967, 400–411, 400: „Mir scheint, daß keiner der christlichen Autoren nach Paulus (und Johannes) – ob die Verfasser der späteren neutestamentlichen Schriften oder die apostolischen Väter – den christlichen Glauben als eine existentielle Haltung verstanden haben außer Ignatius…“ 34 Ignatius kennt auch eine „nicht-technische“ Verwendung des Verbums, vgl. IgnRöm 8,2 (… glaubt mir!); 10,2; IgnPol 7,3 (Ich vertraue der Gnade).
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„durch das wir den Glauben empfangen haben“ (IgnMagn 9,1). Es ist der „neue Mensch“ (IgnEph 20,1) Jesus Christus, durch den der Glaube begründet bzw. gestiftet wurde (vgl. IgnPhld 8,2)35. Jesus Christus ist nach Ignatius sogar für den „Glauben Gottes“ gekreuzigt worden (IgnEph 16,2), wobei der in seinem Tod gestiftete Glaube auch inhaltlich auf diesen (lebensschaffenden!) Tod bezogen ist (IgnTrall 2,1)36. Nach dem Bild Christi werden auch „die an ihn Glaubenden“ durch seinen Vater vom Tode erweckt werden (IgnTrall 9,2)37. Christliches Glauben ist dabei, wie das schöne Bild vom „unbeweglichen Glauben“ der gleichsam an das Kreuz Christi genagelten Smyrnäer besonders sinnenfällig unterstreicht (IgnSm 1,1), so sehr bleibend an den wahrhaftigen (ἀληθῶς) Tod Jesu fixiert, dass eine christliche Existenz, die annimmt, Jesus hätte nur zum Schein gelitten, als eine ungläubige zu qualifizieren ist (vgl. IgnSm 2)38. So wie die Apostel den Auferstandenen 35
In diesem Sinne wird das Verb zur Wendung ἡ πίστις ἡ δι᾽ αὐτοῦ zu ergänzen sein. T. SCHUHMACHER, Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffs πίστις, BBB 168, Göttingen 2012, 467, kommentiert: „Selbst wenn an dieser Stelle nicht von der πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ die Rede ist, so bestätigt dieser Beleg doch, dass die πίστις des Menschen in der πίστις Christi ihren Grund findet.“ Doch anders als Schuhmacher annimmt, fungiert αὐτός – wie die Wortstellung und die Verknüpfung mit der Präposition διά deutlich machen – nicht als „Possessivpronomen“ (ebd., also: „sein Glaube“) sondern als Personalpronomen (wörtlich: „der Glaube der durch ihn“). Der Glaube der Christinnen und Christen ist in IgnPhld 8 also nicht in der πίστις Christi (vgl. dazu IgnEph 20,1), sondern in seinem Tod und seiner Auferstehung begründet. 36 Entsprechend ist auch die vieldiskutierte Martyriumssehnsucht des Ignatius keine Todessehnsucht, sondern Verlangen nach dem unvergänglichen Leben. Den sich gegenüber Paulus dadurch verschiebenden Akzent hat O. T ARVAINEN, Glaube und Liebe bei Ignatius von Antiochien, Schriften der Luther-Agricola-Gesellschaft 14, Joensuu 1967, 68, treffend beschrieben: „Nicht das Streben nach der Gerechtigkeit, sondern die Sehnsucht nach dem Leben beherrscht die Gedanken des Ignatius.“ 37 Der Text von IgnTrall 9,2 wirkt korrupt, v.a. das zweite „sein Vater“ bereitet Schwierigkeiten, vgl. die Diskussion bei W. SCHOEDEL, Die Briefe des Ignatius von Antiochien. Ein Kommentar, München 1990 (engl. Original 1985), 254 mit Anm. 10. Meines Erachtens ist es durchaus nahe liegend, dass die Wiederholung von „sein Vater“ sekundären Charakter besitzt, so H. P AULSEN, Studien zur Theologie des Ignatius von Antiochien, FKDG 29, Göttingen 1978, 65 Anm. 28, anders aber DERS., Die Briefe des Ignatius von Antiochia und der Brief des Polykarp von Smyrna. Zweite, neubearbeitete Auflage der Auslegung von Walter Bauer, HNT 18/Die Apostolischen Väter 2, 63. Ihren textgeschichtlichen Ursprung könnte man etwa in einer das ἐγερεῖ explizierenden Randglosse (motiviert z.B. durch den inhaltlichen Kontrast zu IgnSm 2, wo gerade Christi Macht, sich selbst aufzuerwecken, betont wird) vermuten. 38 Deshalb wird man für πίστις/πιστεύειν in den Ignatianen durchgängig eine entsprechende inhaltliche Ausrichtung auf das Christusereignis annehmen dürfen, vgl. auch LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 217. Darüber hinaus kann πίστις bei Ignatius auch betont zur Abgrenzung und Betonung der Gruppenidentität Verwendung finden, vgl. IgnEph 8,2
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„berührten und glaubten“, „weiß und glaubt“ Ignatius, dass Jesus Christus auch/sogar (καί) nach seiner Auferstehung „im Fleisch“ (ἐν σαρκί) verblieben war (IgnSm 3,1; vgl. Lk 24,39). Sowenig es für Ignatius christliches Leben und den Empfang des Heils ohne den im Kreuz Christi begründeten und auf dieses hin ausgerichteten Glauben gibt, sosehr kann er ein dem Ostergeschehen chronologisch vorgeordnetes Glauben annehmen, sofern es „in Christus“ bzw. „auf Christus hin“ geschieht. In dieser Hinsicht kann er die Propheten Israels wie auch die Patriarchen als wahre Gläubige identifizieren und ihre bereits vollzogene Rettung konstatieren (IgnPhld 5,2)39. Im Rahmen der in IgnPhld 8 referierten schrifthermeneutischen Debatte vertritt Ignatius eine zu diesen Gedanken gewissermaßen analoge „Beweislastumkehr“: Nicht die Christus-Botschaft muss sich in ihrer Schriftgemäßheit erweisen, sondern umgekehrt sind die Grundelemente dieser Botschaft (Leiden, Kreuz, Auferstehung) die entscheidenden Urkunden, von denen her alles seinen Wert gewinnt: „Alles aber ist gut, wenn ihr in Liebe glaubt!“ 2.2 πίστις und ἀγάπη Bereits ganz zu Beginn des IgnEph findet sich die für Ignatius typische prägnante Zusammenstellung von πίστις und ἀγάπη40. Die Adressaten führen als Gemeinde41 den „vielgeliebten Namen“ – möglicherweise ein Wortspiel mit Ἔφεσος und ἔφεσις – und zwar κατὰ πίστιν καὶ ἀγάπην (IgnEph 1,1). Wenn sich die feststehende Zusammenordnung von πίστις und ἀγάπη hier in einer fast beiläufigen Selbstverständlichkeit ausdrückt, so tritt an anderen Stellen klar hervor, wie sehr sie in den Ignatianen „inhaltlich das Christentum definiert“42 wobei insbesondere „die Verbindung beider Größen für [die] ign[atianische] Theologie konstitutiv ist“43. Die diesbezügliche Spitzenaussage findet sich ebenfalls im Epheserbrief: „Hiervon bleibt euch nichts verborgen, wenn ihr in vollkommener Weise den Glauben und die Liebe, die Anfang und Ende des Lebens sind, auf Jesus Christus richtet; der Anfang der Glaube, das Ende die Liebe. Die beiden aber zur Einheit geworden, das ist Gott (Glaube und Unglaube sind inkommensurabel!); 10,2 (Heiden/Christen); IgnMagn 5,2 (Gläubige/Ungläubige) und 10,3 (Christentum/Judentum). 39 Vgl. hierzu z.B. T. ZAHN, Ignatius von Antiochien, Gotha 1873, 460–464. 40 Vgl. dazu insbesondere die knappe Studie (105 Seiten) von T ARVAINEN, Glaube (s. Anm. 36). Eine erneute monographische Untersuchung dieses ignatianischen Begriffspaares wäre mit Sicherheit ein lohnendes Unterfangen. 41 Vgl. die in diesem Sinne prägnante und spannungsvolle Wendung τὸ πολυαγάπητόν σου ὄνομα ὃ κέκτησθε in IgnEph 1,1. 42 P AULSEN, Briefe (s. Anm. 37), 25. B ULTMANN, Ignatius (s. Anm. 33), 409: „Immer wieder dient die Zweiheit von Glaube und Liebe dazu, das christliche Sein zu charakterisieren...“. 43 P AULSEN, Briefe (s. Anm. 37), 25.
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(τὰ δὲ δύο ἐν ἑνότητι γενόμενα θεός ἐστιν; vgl. IgnMagn 7,1; 10,2); alles andere, was zur Vollkommenheit gehört, folgt daraus.“ (IgnEph 14,1)44
Auf den zuvor in IgnEph 13,1f. vermittels mythologischer Kategorien („die Mächte Satans“, IgnEph 13,1) vorgestellten Kampf „himmlischer und irdischer“, also göttlicher und widergöttlicher Kräfte Bezug nehmend45, verweist Ignatius die Epheser auf den Wurzelgrund aller wahren, heilsschaffenden Erkenntnis (οὐδὲν λανθάνει ὑμᾶς) und gelingender christlicher Existenz (καλοκἀγαθία), nämlich auf die Einheit von Glaube und Liebe. Dabei setzt er zwei Akzente: Zum einen werden – durch die inhaltlich redundante (weil in ihrem explizierenden Charakter unnötige) Wiederholung noch rhetorisch geschickt intensiviert – Glaube und Liebe als konstitutive Rahmenelemente des ignatianischen Zentralbegriffs „Leben“ präsentiert. Dabei scheint weniger eine Entwicklungslinie angedacht zu sein (etwa: christliches Leben, das im Glauben und dem entsprechenden Bekenntnis begründet ist, reift und entfaltet sich hin zur Vollform der Liebe), als eine durch beide Begriffe bestimmte Basis. Zum anderen wird Gott selbst als Einheit von Glaube und Liebe beschrieben, womit Ignatius unter Verwendung eines weiteren Zentralbegriffs seiner Theologie (ἑνότης, vgl. IgnEph 4,2; 5,1; IgnPhld 2,2; 3,2; 5,2; 8,1; 9,1; IgnSm 7,2; IgnPol 8,3) – die Hermut Löhr treffend als „eine Theologie der Einheit“46 bezeichnet – an Spitzensätze johanneischer Theologie (1Joh 4,8.16) erinnert47. Die unter Verwendung des Bildwortes vom Baum und seinen Früchten (vgl. Mt 7,17f.; 12,33/Lk 6,43f.) auf die Unvereinbarkeit von Glaube und Sünde resp. Liebe und Hass hinweisende Fortsetzung macht dann deutlich, dass Ignatius an dieser Stelle nicht so sehr an einer bestimmten, korrekten Form des Bekenntnisses interessiert ist, sondern vielmehr an den ethischen Konsequenzen des Bekennens (vgl. die Stichwortlinie ἐπαγγελλόμενος – οἱ ἐπαγγελλόμενοι Χριστοῦ – ἐπαγγελίας), die dieses als ein vollgütiges ausweisen. Nur diejenigen, die von Gott (εὑρεθῇ als passivum divinum, vgl. 44
Deutsche Übersetzung hier und wenn nicht anders angegeben, nach P AULSEN, Briefe (s. Anm. 37). 45 Zugleich wird man aber auch einen Rückverweis auf die gesamte in IgnEph 2–13 entfaltete Paränese annehmen dürfen. 46 H. LÖHR, Die Briefe des Ignatius von Antiochien, in: W. Pratscher (Hg.), Die Apostolischen Väter. Eine Einleitung, UTB 3272, Göttingen 2009, 104–129, 117. In den Kontext dieser einheitsfördernden Funktion der πίστις gehören auch IgnEph 13,1 (die Eintracht des Glaubens löst die zerstörende Kraft des Satans auf); IgnMagn 6,1 und IgnTrall 2,1. Die Betonung des Motivs der „Einheit (im Glauben)“ macht Ignatius aber nicht zu „eine[r] Art Vorläufer der ökumenischen Bewegung“, wie T ARVAINEN, Glaube (s. Anm. 36), 99, meint, denn theologische Pluralität kommt bei Ignatius als legitime Größe gerade nicht in den Blick. 47 Etwas anders T ARVAINEN, Glaube (s. Anm. 36), 17, der die Wendung so versteht, „dass in der Verwirklichung des Glaubens und der Liebe Gott selbst anwesend ist.“
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z.B. 2Petr 3,10.14) in der Kraft des Glaubens „jetzt“ (also wohl unter den Bedingungen der Verfolgung) „bis zum Ende“ (also bis in den Tod) gefunden werden, sind tatsächlich οἱ ἐπαγγελλόμενοι Χριστοῦ. Im Hintergrund steht dabei der für Ignatius wesentliche Gedanke, dass jene πίστις, deren Kraft sich in einer vollkommenen, eben auch todesbereiten christlichen Existenz zu erweisen hat, im Leiden Christi begründet ist und auch inhaltlich fundamental auf dieses bezogen ist (vgl. IgnMagn 11; IgnPhld 9,2). Ähnlich expressive Prägnanz gewinnt die Verbindung von Glaube und Liebe in IgnTrall 8,1b, wenngleich nicht in strikt theologischer, sondern vielmehr in christologischer Perspektive: ὑμεῖς οὖν τὴν πραϋπάθειαν ἀναλαβόντες ἀνακτήσασθε ἑαυτοὺς ἐν πίστει ὅ ἐστιν σὰρξ τοῦ κυρίου καὶ ἐν ἀγάπῃ ὅ ἐστιν αἷμα Ἰησοῦ Χριστοῦ. (IgnTrall 8,1b)
Wieder bilden πίστις und ἀγάπη eine unauflösliche Einheit, die in einer Ineinssetzung dieser beiden Größen mit dem Fleisch und Blut Jesu Christi Gestalt annimmt, wobei sowohl die voraufgehenden Hinweise auf das in „diesen Leuten“ (IgnTrall 7,1) wirksame, „geheime Anschläge“ inszenierende und die Trennung vom Bischof anstrebende Treiben des Teufels (IgnTrall 8,1a), als auch die nachfolgende Ermahnung zur Eintracht (IgnTrall 8,2: „Niemand unter euch soll etwas wider den Nächsten haben“; vgl. Mt 5,23; Offb 2,4.14) es sehr nahe legen, dass es gerade das Motiv der Einheit ist, welches Ignatius zu dieser „kühnen Identifikation“48 führt, nicht so sehr die inhaltliche Bedeutung von Fleisch und Blut Christi als Repräsentationen der Eucharistie oder als Zeichen der Realität des irdischen Daseins (und Leidens!) Jesu Christi49, wie an vielen anderen Stellen. Gegenüber diesen Spitzensätzen der Identifikation Gottes als Einheit von Glaube und Liebe (in IgnEph 14,1) und der Korrelation der Einheit von Glaube und Liebe mit derjenigen von Christi Fleisch und Blut (in IgnTrall 8,1) erscheinen die übrigen Verwendungen der Verbindung von Glaube und Liebe bei Ignatius deutlich weniger spektakulär, lassen aber die in den eben besprochenen Stellen sichtbar gewordenen Verbindungslinien zum rechten Bekenntnis, zum Konzept der Einheit und zum paradigmatischen wie heilsstiftenden Todesschicksal Jesu immer wieder durchscheinen. So stellt etwa IgnEph 9,1 Glaube und Liebe bildhaft in ein Kooperationsverhältnis im Rahmen der Unterstützung des nach Vollkommenheit strebenden Christen: Während die Liebe der Weg ist, auf dem die Nähe Gottes angestrebt werden kann, bildet der Glaube den nötigen Begleiter auf diesem Weg. Dabei bildet diese Wendung in IgnEph 9,1b gewisserma48
P AULSEN, Briefe (s. Anm. 37), 62. Gegen SCHOEDEL, Ignatius (s. Anm. 37), 247f., mit T ARVAINEN, Glaube (s. Anm. 36), 21. 49
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ßen ein Scharnierstück zwischen der zuvor verwendeten architektonischen und der danach gebrauchten prozessionalen Metaphorik und muss deshalb weder in den einen noch in den anderen Zusammenhang gepresst werden50. Eher wird zu beachten sein, dass es offenbar gerade die für Ignatius selbstverständlich enge Verbindung des Begriffspaars Glaube und Liebe ist, die es als zur Verknüpfung disparater Bildwelten im Zuge ein und desselben Argumentationsganges geeignet erscheinen lässt. In IgnMagn 1,1f. und IgnSm 6,1 wird die Einheit von Glaube und Liebe auch explizit thematisiert, wobei IgnMagn 1,1f. zur Einigung (ἕνωσις) von Glaube und Liebe aufruft, während IgnSm 6,1 festhält, Glaube und Liebe seien „das Ganze“, was wiederum an IgnEph 14,1 erinnert, wo die Einheit von Glaube und Liebe mit Gott identifiziert wird. Die beiden Stellen sind freilich nicht in einer solch engen Weise parallel, dass „das Ganze“ in IgnSm 6,1 gar als Gottesprädikation zu verstehen wäre. Vielmehr bezeichnet es die Gesamtheit des Heilsmysteriums bzw. das, worauf es im Hinblick auf die christliche Existenz ankommt51, wobei wiederum die christologische Rückbindung des Glaubens („an das Blut Christ“) zu beachten ist. Die Einigung von Glaube und Liebe in IgnMagn 1,1f. hingegen steht parallel zur Einigung des Fleisches und Geistes Jesu sowie der Einigung des Vaters mit Jesu und stellt die Interpretation vor die Aufgabe, Grad und Funktion dieser Parallelität zu bestimmen. Zu beachten ist dabei, dass die selben drei Begriffspaare (Fleisch – Geist, Glaube – Liebe, Vater – Jesus bzw. Vater und Sohn – Geist) in IgnMagn 13,1 in derselben Reihenfolge wieder begegnen. William Schoedel meint nun, dass sich „die Bedeutung der Reihenfolge … aus 13.1 klarer als aus 1.2“52 ergebe und insbesondere „[die Fülle der] Einheit in der Gemeinde … durch die Gegensatzpaare von Fleisch und Geist und von Glaube und Liebe verdeutlicht“53 werde. Man wird aber trotz der Beobachtung, dass ἕνωσις von Ignatius normalerweise im Hinblick auf die Einheit der Gemeinde verwendet wird, angesichts der antidoketischen Konnotierung der Verbindung von Geist und Fleisch (Christi) bei Ignatius doch überlegen müssen, ob die Einigung der beiden Größen, die Ignatius in IgnMagn 1,1f. vorschwebt, nicht doch eine christologische ist. Dann wäre diese Stelle vor allem ein Aufruf zum rechten Bekenntnis – zum Bekenntnis zu Fleisch und Geist Christ, zu einem in der Liebe realisierten Glauben, zu einem mit der Person Jesu verknüpften Gottesbekenntnis.
50
Vgl. P AULSEN, Briefe (s. Anm. 36), 35. Dazu T ARVAINEN, Glaube (s. Anm. 36), 16: „Rechtes Christentum wird nach der Auffassung des Ignatius von Glaube und Liebe getragen.“ 52 SCHOEDEL, Ignatius (s. Anm. 37), 221. 53 SCHOEDEL, Ignatius (s. Anm. 37), 221. 51
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Wie auch immer, die Einheit von Glaube und Liebe wird von Ignatius nicht nur explizit als erstrebenswertes Ziel benannt, sondern geradezu formelhaft zum Ausdruck gebracht (vgl. auch IgnPhld 11,2, wo Glaube und Liebe um „Eintracht“ zu einer Triade erweitert und der anthropologischen Triade „Fleisch, Seele und Geist“ an die Seite gestellt werden), was auch dadurch deutlich wird, dass sie mehrmals zu Beginn bzw. Ende eines Briefes begegnet (vgl. neben den bereits genannten Stellen IgnMagn 1,1f. und IgnPhld 11,2 auch IgnSm 1,1; 13,2). Prägnant verdichtet wird sie überdies in der ignatianischen Rede vom „in der Liebe Glauben“ (vgl. IgnMagn 5,2; IgnPhld 9,2). Interessant ist schließlich noch, wie in IgnEph 20,1f. Jesus Christus mit πίστις und ἀγάπη verbunden wird: προσδηλώσω ὑμῖν ἧς ἠρξάμην οἰκονομίας εἰς τὸν καινὸν ἄνθρωπον Ἰησοῦν Χριστόν ἐν τῇ αὐτοῦ πίστει καὶ ἐν τῇ αὐτοῦ ἀγάπῃ ἐν πάθει αὐτοῦ καὶ ἀναστάσει. Hier stellt sich auch in Bezug auf Ignatius die für Paulus intensiv diskutierte Frage, ob die Verbindung mit dem Genitivattribut Ἰησοῦ Χριστοῦ (bzw. mit dem dieses repräsentierenden Pronomen αὐτοῦ) als Genitivus subjectivus oder als Genitivus objectivus zu verstehen ist54. Theodor Zahn votierte für die erstere Deutung und berief sich dabei auf die markante Wortstellung55, doch lässt sich diese auch umgekehrt als Differenzmarker zur Rede von „seinem Leiden und (seiner) Auferstehung“, wo αὐτοῦ sicherlich als Genitivus subjectivus zu verstehen ist, auffassen. Gleichzeitig „sind bei Ignatius Glaube und Liebe [sonst] immer die religiösen Eigenschaften der Glaubenden“,56 was ein solches Verständnis dann doch auch für IgnEph 20,1 nahelegt57. Ignatius will hier also sagen, dass der mit dem „neuen Menschen“ (vgl. Eph 2,15; 4,24) verknüpfte Heilsplan (οἰκονομία), den er in einem zweiten Schreiben an die Epheser weiter zu entfalten hofft, „(subjektiv) etwas mit Glaube und Liebe und (objektiv) mit Christi Leiden und Auferstehung zu tun hat“58. 2.3 Zusammenfassung Ignatius, der sich selbst als „Geringsten unter den Gläubigen“ Syriens59 (IgnEph 21,2) bezeichnet, sich einer Salbung mit Glauben bedürftig weiß (vgl. IgnEph 3,1) und darauf hofft, aufgrund seines Zeugnisses auch in der
54
Vgl. nun z.B. SCHUHMACHER, Sprache (s. Anm. 35), passim. Vgl. ZAHN, Ignatius (s. Anm. 39), 457 Anm. 1. 56 SCHOEDEL, Ignatius (s. Anm. 37), 173 Anm. 13. 57 So auch P AULSEN, Briefe (s. Anm. 37), 45. 58 SCHOEDEL, Ignatius (s. Anm. 37), 173. 59 In der Übersetzung bei SCHOEDEL, Ignatius (s. Anm. 37), 171, sind versehentlich „Smyrna“ und „Syrien“ vertauscht. 55
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jenseitigen Welt als Gläubiger60 bezeichnet werden zu können (vgl. IgnRöm 3,2), bindet πίστις in vielfältiger Weise in die von ihm mitgestalteten theologischen Diskurse ein. Dabei ist πίστις ein zutiefst christologisch geprägter Begriff, der nicht nur auf Christus als den Grund und den Inhalt des Glaubens, sondern konkret auch auf das Kreuzesgeschehen verwiesen ist. Die Opposition von Glauben und Werken ist kein Thema des Ignatius, wohl aber die Grundüberzeugung, dass ein Glaube, der sich nicht in der Liebe erweist, kein Glaube ist (vgl. Gal 5,6). Glaube und Liebe begegnen im Gesamt der Ignatianen immer wieder als ein geprägtes Begriffspaar, dessen innere Einheit Ignatius in unterschiedlichen Zusammenhängen unterstreichen und auch explizit diskutieren kann, während der Zusammenhang von Glaube und Gerechtigkeit bei Ignatius nicht in einem paulinischen Sinn zu spüren ist61. Betont sei schließlich noch, dass Ignatius neben πίστις noch weitere Motive und theologische Muster (wie die imitatio Christi, ein Vorbild für die Gemeinde sein, das Sprechen mit quasi-apostolischer Autorität,…) mit Paulus teilt bzw. möglicherweise gezielt von diesem übernimmt. Diese berechtigen auch dazu, von einem „gewissermaßen ‚schwebende[n]‘ Einfluß paulinischen Denkens und paulinischer Redeweise auf Ignatius“62 zu sprechen, sind aber nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung.
3. Zusammenschau Die Analyse der πίστις-Konzeptionen in 1Clem und den Ignatianen lässt bei allen Varianzen innerhalb der beiden Texte/Textkorpora zwei deutlich verschiedene Profile hervortreten. Während πίστις in 1Clem als eine Haltung, die Christinnen und Christen an Vorbildern aus der Geschichte Israels lernen sollen, beschrieben ist und als solche das grundsätzliche Interesse des 1Clem an einer in der bleibenden Nähe des Schöpfers zu seiner Schöpfung (vgl. 1Clem 21,3) begründeten heilsgeschichtlichen Kontinuität zum Ausdruck bringt, betont Ignatius durchweg vom christologi-
60 Man könnte hier auch überlegen, ob nicht besonders auf die Treue des standhaften Märtyrers abgehoben wird. Im Textsinne P AULSEN, Briefe (s. Anm. 37), 71: „πιστός ist hier so gewiß = ‚gläubig‘ wie Eph 21,2; Magn 5,2; Sm 1,2“. 61 Ob das Fehlen der paulinischen Rechtfertigungslehre bei Ignatius dessen Unkenntnis von Röm und Gal geschuldet ist, wie LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 218, vorsichtig vermutet, muss demgegenüber Spekulation bleiben. 62 LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 205.
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schen Novum her, dass der „Gottesglaube ... im Horizont des Kreuzes [steht]“63. Die Antwort auf die angesichts der expliziten Erwähnung des Paulus und dem Gebrauch seiner Schriften bei beiden Autoren berechtigte Frage nach dem Verhältnis dieser πίστις-Konzeptionen zu Denken und Theologie des Paulus hängt natürlich in großem Maße davon ab, welches Verständnis von πίστις bei Paulus vorausgesetzt wird64. Auf dem Hintergrund der jüngeren Forschung wird man das klare Urteil Rudolf Bultmanns, Ignatius habe wie kein anderer frühchristlicher Theologe Paulus’ Glaubensverständnis „richtig“ aufgegriffen und fortgeführt, 1Clem hingegen verfehlt65, jedenfalls nicht einfach nachsprechen können66. Das faktische Fehlen der paulinischen Rechtfertigungslehre bei beiden Autoren – mag sich auch 1Clem stärker in der Begrifflichkeit (vgl. 1Clem 32,4) und Ignatius stärker in der (christologischen) Sache mit dieser berühren – zeigt nicht nur, dass sie in andere theologische Diskurse verstrickt sind als Paulus67. Es verdeutlicht angesichts ihrer expliziten PaulusRezeption auch die Selbstständigkeit, mit der sie sich zur paulinischen Tradition verhalten und ihren jeweils eigenen theologischen Stil ausprägen. Kurz: Clemens und Ignatius sind keine Epigonen.
63
LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 216. Eine solche Darstellung und Beurteilung des paulinischen Denkens ist hier nicht zu leisten, vgl. dazu die entsprechenden Beiträge in diesem Band. 65 Prägnant tritt diese Einschätzung in der Besprechung beider Texte/Textkorpora bei R. B ULTMANN, Theologie des Neuen Testaments. 9. Auflage, durchgesehen und ergänzt von Otto Merk, Tübingen 1984, 536–548, hervor. 66 Nur angedeutet werden kann hier, dass sich einer gegenwärtigen christlichen Theologie, die sich ihrer bleibenden Verwurzelung im Judentum bewusst ist, in der πίστιςKonzeption des 1Clem positive Anknüpfungspunkte bieten könnten, während Ignatius’ πίστις-Verwendung gerade auch zur Abgrenzung gegenüber (wie auch immer näher zu bestimmenden) „judaisierenden/judaistischen“ Positionen in ihrer Problematik zu benennen wäre, vgl. dazu nun T. N ICKLAS, Jews and Christians? Second Century ‚Christian‘ Perspectives on the ‚Parting of the Ways‘. Annual Deichmann Lectures 2013, Tübingen 2014, 124–129. Für sich spricht auch die Notiz von LINDEMANN, Paulus (s. Anm. 7), 213 (zu IgnPhld 8): „Eben darin aber zeigt sich Einfluß paulinischen Denkens: Ohne die Kenntnis der paulinischen Theologie hätte Ignatius seine antijudaistische Position zumindest nicht in dieser Weise formuliert haben können.“ 67 Das hat bereits B ULTMANN, Ignatius (s. Anm. 33), 403, richtig gesehen: „Vergleicht man ihn [sc. Ignatius] mit Paulus, so muß man freilich sehen, daß seine Theologie nicht aus der für Paulus gegebenen Fragestellung herauswächst und nicht in der gleichen Frontstellung wie von Paulus in Röm und Gal entwickelt wird.“ Analoges ließe sich zu 1Clem formulieren. 64
Faith and Righteousness in Second Clement Probing the Purported Influence of “Late Judaism” and the Beginnings of “Early Catholicism” JAMES A. KELHOFFER ἐσόμεθα δίκαιοι (2 Clem. 11:1a) οὐδὲν ἡμᾶς ῥύσεται ἐκ τῆς αἰωνίου κολάσεως, ἐὰν παρακούσωμεν τῶν ἐντολῶν αὐτοῦ. (2 Clem. 6:7b)
The dueling characterizations by Hans Windisch and Helmut Koester of the so-called Second Letter of Clement illustrate the difficulty of categorizing that work. In his introduction to History and Literature of Early Christianity, Koester begins with Second Clement to illustrate “the beginnings of Catholicism.”1 Koester advocates such a classification in opposition to the often cited view of Hans Windisch that Second Clement’s theology is, above all, an expression of “Synoptic Christianity” influenced by “Late Judaism.”2 How might those categorizations color our understanding of the presentation of faith(fulness) and righteous(ness) in Second Clement? Does the writing signify the beginning of something new – for example, an early Catholic theology of faith and righteousness? Alternately, might it be more accurate to see Second Clement as principally representing a development or older (for example, Synoptic) traditions – perhaps even, as Windisch holds, as a devolution3 from those traditions? More broadly, we may ask if 1 Helmut Koester, History and Literature of Early Christianity, vol. 2 of Introduction to the New Testament, 2nd ed. (Philadelphia: Fortress, 1982 [1980]), 2:233–36. 2 Hans Windisch, “Das Christentum des 2. Clemensbriefes,” in Harnack–Ehrung: Beiträge zur Kirchengeschichte ihrem Lehrer Adolf von Harnack zu seinem 70. Geburtstage (7. Mai 1921) dargebracht von einer Reihe seiner Schüler (Leipzig: Hinrichs, 1921), 119–34 at 126: “als spätjüdisch verstandenes und spätjüdisch verflachtes synoptisches Christentum zu verstehen.” See further below, on Koester’s (Introduction, 2:235) criticism of Windisch. In contemporary scholarship, the term “Late Judaism” is usually avoided (and appropriately so!) because it is pejorative and, with its pejorative connotations of Second Temple Judaism as a legalistic religion, historically inaccurate. We find it necessary to use the term in this essay to show Windisch’s pejorative perspective toward both “Late Judaism” and Second Clement. 3 As will be discussed, below, on Windisch, “Christentum” (see n. 2), 124, 131.
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Spätjudentum and Frühkatholizismus are at all helpful as heuristic categories for analyzing Second Clement. In this essay we consider the respective rationales for Windisch’s and Koester’s main conclusions about Second Clement; the mandate in 2 Clement 1 that believers practice reciprocity with Christ, their Savior and Judge; and what the expectation of reciprocity might say about the author’s understanding of faith and righteousness. Next, we analyze passages where Second Clement refers to faith(fulness) and righteous(ness). In the conclusion, we evaluate the extent to which it is helpful to characterize Second Clement in relation to older traditions or, mutatis mutandis, to construe the writing as emblematic of an emerging, “catholic” form of Christianity. An overarching argument we will make is that to label this writing as legalistic (R. Bultmann) is a misguided explanation of the orthopraxis that the writing insistently and repeatedly mentions. We hold that, according to Second Clement, orthopraxis does not earn salvation but is a matter of justice (δικαιοσύνη) and a necessary means of fostering and sustaining the divinehuman patronage relationship.
1. Spätjudentum, Frühkatholizismus and Second Clement This section is devoted to describing the views of Hans Windisch and Helmut Koester, since these scholars have had continuing influence on the interpretation of Second Clement. Despite prominent differences in their characterizations of Second Clement, we will see that their views are actually quite similar and that, although Koester sharply criticizes Windisch, he does not provide a substantive alternative to Windisch’s view. We will also call into question both scholars’ views. 1.1 Windisch on Resources from “Late Judaism” to Combat Gnosticism Writing in 1921, Windisch insightfully observed that the intersections between the New Testament writings and other early Christian literature were “fluid,” and that the New Testament does not comprise a unified type of teaching (Lehrtypus).4 He construes the diversity within the New Testament in terms of four sharply contrasting types of material – the Synoptic, the Pauline, the Johannine, and the common Gentile-Christian types.5 He further notes that the history of dogma began already within the New Tes-
4 5
Windisch, “Christentum” (see n. 2), 121. Windisch, “Christentum” (see n. 2), 121.
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tament writings, and that both Late Judaism and Hellenism exercised a “decisive influence” on those writings.6 One can readily understand why Windisch, utilizing such categories, would emphasize the Synoptic type of material for comparison with Second Clement.7 His consideration of influences from Late Judaism rather than from Hellenism would seem to be due to Second Clement’s citations of the Old Testament and to the lack in that writing of prominent Hellenistic philosophical or rhetorical influences.8 Although the use of such crude categories would be highly problematic in scholarship today, in Windisch’s generation it was arguably a step forward to place the Apostolic Fathers, including Second Clement, in conversation with earlier Christian literature and to weigh influences on those writers from Judaism and Hellenism. In Windisch’s judgment, the Christianity represented in Second Clement is “a ‘simplification’” (eine ‘Verflachung’), because the author restricted himself to moral and eschatological materials from the Synoptic Gospels and passed over Synoptic materials about the forgiveness of sins and teaching about grace (Sündenvergebung, Gnadenlehre).9 “With this emphasis on externals,” claims Windisch, the author of Second Clement “strikes a chord with the spirit of Late Judaism.”10 Windisch further infers that the purpose of opposing “gnostische Leugner” accounts for the author’s selectivity in using only certain Synoptic materials.11 The three aforementioned factors – the use of the Synoptic “type” of New Testament material, influences from Late Judaism, and the opposition to Gnosticism – undergird Windisch’s conclusion, mentioned above, that Second Clement’s theology is “als spätjüdisch verstandenes und spätjü-
6
Windisch, “Christentum” (see n. 2), 121. Several of the gospel materials cited and alluded to in Second Clement are similar, if not identical, to those in Matthew and Luke, but there are very few parallels to Pauline or Johannine materials in Second Clement. See Andrew F. Gregory and Christopher M. Tuckett, “2 Clement and the Writings That Later Formed the New Testament,” in The Reception of the New Testament in the Apostolic Fathers, ed. Andrew F. Gregory and Christopher M. Tuckett (Oxford: Oxford University, 2005), 251–92; Christopher M. Tuckett, “2 Clement and Paul,” in Paulus – Werk und Wirkung (FS A. Lindemann), ed. Paul-Gerhard Klumbies and David S. du Toit (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 529–45. 8 See above, on Windisch, “Christentum” (see n. 2), 126; see further op. cit., 122. 9 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 124. 10 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 124: “[M]it dieser Veräußerlichung berührt er sich mit dem Geist des Spätjudentums.” See also op. cit., 131: “Dieser engere Anschluß an die ältere synoptische Lehrweise und die starke Beeinflussung durch den Geist des Spätjudentums hat jene spezifisch christlichen Lehrstücke zurücktreten lassen.” It is problematic that Windisch seems to build on an essentialist view of “Late Judaism” as a legalistic religion, a view we will discuss critically later in this essay. 11 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 125–26, 130, 133. 7
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disch verflachtes synoptisches Christentum zu verstehen.”12 Windisch alleges that the writing is so thoroughly marked by Late Judaism that the only “non-Jewish” elements – namely, the complete freedom from the ritual law and from particularism – are owing to the Jesus of the Synoptic Gospels.13 The ways that Jesus purportedly tried to reform Late Judaism, laments Windisch, are “ignored or only lightly implied.”14 1.2 Koester on Developments in Early Catholicism to Combat Gnosticism Whereas Windisch found in Second Clement Late-Jewish influences on the Synoptic type of Christianity, Koester connects the writing with “the beginnings of Catholicism.”15 After citing Windisch’s view that “[t]he theological basis of 2 Clement is, stated briefly, a Synoptic-Gospels Christianity understood in terms of contemporary Judaism,”16 Koester interjects that the writing “is actually the Christianity of a later period” that opposed “a more dominant gnostic faith.”17 In particular, Koester construes Second Clement as emblematic of “vernacular Catholic Christianity.”18 Koester’s category of “vernacular Catholic Christianity,” we will suggest, corre-
12
Windisch, “Christentum” (see n. 2), 126. Windisch, “Christentum” (see n. 2), 126: “Unjüdisch ist nur die volle Freiheit vom rituellen Gesetz und vom Partikularismus: ein Gewinn, den der Verfasser dem synoptischen Jesus zu danken hat.” 14 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 126: “Aber sonst sind die großen reformatorischen Gedanken, mit denen Jesus sich gegen das Spätjudentum kehrt übergangen oder nur leise angedeutet.” Following an analysis of terms for faith and righteousness in Second Clement, we will assess the value of Windisch’s basis for understanding those terms in this writing. 15 Koester, Introduction (see n. 1), 2:233–36. 16 Koester’s translation (Introduction [see n. 1], 2:235) of Windisch, “Christentum” (see n. 2), 126: “als spätjüdisch verstandenes und spätjüdisch verflachtes synoptisches Christentum zu verstehen.” Koester’s ET (cited above) glosses over Windisch’s (twofold) use of the pejorative adjective “spätjüdisch” and the likewise judgmental “verflachtes” (“flattened, simplified, made shallow”). 17 Koester, Introduction (see n. 1), 2:235, emphasis added; see above, on Windisch, “Christentum” (see n. 2), 126. Koester does not state why he believes the “gnostic faith” opposed in Second Clement was “more dominant” than the version of Christianity propagated by that writing. Cf., the assessment of Walter Bauer, Orthodoxy and Heresy in Earliest Christianity (Philadelphia: Fortress, 1971 [21964]), 86 that, already in the early second century, “gnosticism predominated” in Egypt. 18 Koester, Introduction (see n. 1), 2:233. In addition to Second Clement, Koester identifies the Epistula Apostolorum with “the beginnings of Catholicism” (Koester, Introduction [see n. 1], 2:236–38). 13
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sponds to Windisch’s common Gentile-Christian Lehrtypus.19 We will return to these claims below. A key consequence of Koester’s switching out Windisch’s Synoptic type for a Gentile type of Christianity is to shift from analyzing Second Clement’s revision of older traditions to construing Second Clement as part of a new(er), anti-gnostic movement. Our task in this essay is to assess which, if either, of these paradigms is more helpful for analyzing faith and righteousness in Second Clement. To do this, we must first say something about the central place of reciprocity in the writing’s soteriology.
2. Reciprocity in Second Clement’s Soteriology I have argued elsewhere that a main purpose of Second Clement is to persuade believers of their continuing obligation of reciprocity with Christ, who functions as their salvific patron.20 Second Clement presents salvation not as a one-way gift that the faithful must simply receive. On the contrary, salvation represents the beginning of a divine-human patronage relationship. The maintenance of that relationship requires contributions from both parties – from Christ (or God) and from believers. At the very beginning, the author sets the tone for this central assertion and exhortation with the parallel occurrences of οὕτως … ὡς … ὡς, of δεῖ, of φρονεῖν, and of μικρά/μικρῶν: Ἀδελφοί, οὕτως δεῖ ἡμᾶς φρονεῖν περὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ, [1b] ὡς περὶ θεοῦ, ὡς περὶ κριτοῦ ζώντων καὶ νεκρῶν. [1c] καὶ οὐ δεῖ ἡμᾶς μικρὰ φρονεῖν περὶ τῆς σωτηρίας ἡμῶν· [2a] ἐν τῷ γὰρ φρονεῖν ἡμᾶς μικρὰ περὶ αὐτοῦ, μικρὰ καὶ ἐλπίζομεν λαβεῖν. [2b] καὶ οἱ ἀκούοντες ὡς περὶ μικρῶν ἁμαρτάνουσιν, καὶ ἡμεῖς ἁμαρτάνομεν, [2c] οὐκ εἰδότες πόθεν ἐκλήθημεν καὶ ὑπὸ τίνος καὶ εἰς ὃν τόπον, [2d] καὶ ὅσα ὑπέμεινεν Ἰησοῦς Χριστὸς παθεῖν ἕνεκα ἡμῶν. Brothers, we must (δεῖ) have an opinion (φρονεῖν21) about Jesus Christ, [1b] in the way (οὕτως … ὡς) [we do] about God [and] as (ὡς) [we do] about the Judge of the living and the dead. [1c] And we must not (οὐ δεῖ) regard (φρονεῖν) our salvation as unimportant (μικρά22). [2a] For when we regard (φρονεῖν) him23 as unimportant (μικρά), we hope to 19 See above, on Windisch, “Christentum” (see n. 2), 121. Windisch and Koester would seem to agree – and I would concur – that the Pauline and Johannine materials are less relevant for an analysis of Second Clement. 20 James A. Kelhoffer, “Reciprocity as Salvation: Christ as Salvific Patron and the Corresponding ‘Payback’ Expected of Christ’s Earthly Clients according to the Second Letter of Clement,” NTS 59 (2013): 433–56. 21 See BDΑG, 1065, s.v. φρονέω def. 1. 22 See BDΑG, 650–51, s.v. μικρός def. 2. The adjective μικρός often designates size (“small, little”; e.g., 2 Clem. 8:5; 15:1c; Herm. Sim IX 1.7) but can also, or instead, signify what is “unimportant,” as in 2 Clem. 1:1c–2b. See also 2 Clem. 15:1a, that the author has not given “unimportant advice” (οὐκ οἴομαι δέ ὅτι μικρὰν συμβουλίαν
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receive little (μικρά). [2b] And those who listen, as if to unimportant things (μικρῶν), are in error. [2c] And we are in error if we do not acknowledge24 from where, by whom, and to what place we have been called, [2d] and how much Jesus Christ endured to suffer for our sake. (2 Clem. 1:1–2d)
Believers need to hold Jesus Christ in high regard (φρονεῖν) in the way (οὕτως … ὡς … ὡς) that they, apparently, already honor God as Judge (1:1a–b). Not having a sufficiently high opinion of Christ and of one’s salvation entails hoping to receive (λαβεῖν) a paltry gift (1:1c–2a). The faithful must both change their thinking (φρονεῖν) and acknowledge the importance of the salvation they have received. These programmatic convictions undergird the author’s overarching argument that believers have an ongoing obligation to give “payback” (ἀντιμισθία), “fruit,” and “holy acts” to Christ because they have received salvation from him.25 Additional examples of what believers owe in response to divine beneficence include rejoicing (εὐφραίνω) and not growing weary in offering prayers to God (2:1–2); “keeping [their] flesh pure” (8:4, 6) in anticipation of future judgment and resurrection (9:1–2); changing their perspective (or “repenting”; μετανοήσωμεν, 13:1a); not living in such a way that God’s name is “blasphemed” (13:1b–4);26 and “help[ing] one another to restore those who are weak with respect to goodness, so that we may all be saved” (17:2a). God, too, is presented as “faithful” (πιστός) and ἐποιησάμην περὶ ἐγκρατείας); cf., 5:5, on what is “unimportant and short-lived” (ἡ ἐπιδημία ἡ ἐν τῷ κόσμῳ τούτῳ τῆς σαρκὸς ταύτης μικρά ἐστιν καὶ ὀλιγοχρόνιος); 6:6, also on what is “unimportant and short-lived” (τὰ ἐνθάδε μισῆσαι, ὅτι μικρὰ καὶ ὀλιγοχρόνια καὶ φθαρτά). Likewise, Matt 11:11 // Luke 7:28 (ὁ δὲ μικρότερος ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν) differentiates between importance, not size. In several other early Christian writings, a contrast is drawn between the unimportant people (οἱ μικροί) and the honored, important people (οἱ μεγάλοι): Rev 11:18 (τοὺς μικροὺς καὶ τοὺς μεγάλους); 13:16; 19:5, 18; 20:5; 1 Clem. 37:4; Mart. Pol. 8:1 (μικρῶν τε καὶ μεγάλων). Moreover, Ignatius presents himself to the Magnesians “as less important than you” (ὡς μικρότερος ὑμῶν, Ign. Magn. 11:1). 23 The antecedent for αὐτοῦ (“him”) must be Ἰησοῦ Χριστοῦ (not the feminine σωτηρίας). 24 Gk.: εἰδότες. Since the meaning of οἶδα can include the showing of respect or honor (see BDAG, 693–694, s.v. οἶδα, def. 6), our translation “acknowledge” is connected (however indirectly) with the verb γινώσκω and denotes the desired response to what a person knows, by acknowledging it. 25 See 2 Clem. 1:3: τίνα οὖν ἡμεῖς αὐτῷ δώσομεν ἀντιμισθίαν, ἢ τίνα καρπὸν ἄξιον οὗ ἡμῖν αὐτὸς ἔδωκεν; πόσα δὲ αὐτῷ ὀφείλομεν ὅσια; For other occurrences of the ἀντιμισθία that believers owe, see 2 Clem. 1:5; 9:7; 15:2. 26 2 Clem. 13:1a is the second of three times that the author makes a hortatory use of μετανοέω (cf., 8:1–3; 16:1–17:1). The clear connection to orthopraxis in 13:1b–4 suggests that changing one’s perspective about how to conduct oneself (rather than repenting of bad conduct or sin) is the primary referent of μετανοήσωμεν. See further, Kelhoffer, “Reciprocity as Salvation” (see n. 20), 449–50, 452, 453–54.
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“the one who promised to give out ‘the repayments’ (τὰς ἀντιμισθίας)27 in accord with each person’s works” (11:6). That understanding of God’s role within the economy of salvation informs the pronouncement, “Therefore, if (ἐάν) we do what is right (δικαιοσύνη) in God’s sight, we will enter his kingdom and receive the promises” (11:7). Such obligations, we will argue, although central in the author’s soteriology, should not be construed as an anti-Pauline expression of legalism or as a “works righteousness” conviction. Rather, the giving of salvation establishes a patronage relationship between Christ and believers, a relationship that both Christ and believers must maintain through ongoing reciprocity. Given the prominence of reciprocity in Second Clement,28 we may ask to what extent reciprocity surfaces in expressions of faith and righteousness. We will attempt to show that, for the author’s use of those terms, reciprocity has far greater explanatory power than do Late-Jewish influences or an emerging Early Catholicism.
3. Faith and Faithfulness in Second Clement We turn now to examine seven places in 2 Clement 1–18 where words for faith occur – 2:3 (πιστεύω); 8:5 (πιστός [2 occurrences]); 11:1 (πιστεύω); 11:6 (πιστός); 15:2–3 (πίστις, πιστεύω); 17:3a (πιστεύω); 17:5 (ἄπιστος, πιστεύω).29 Two of these passages also mention those who are “righteous.”30 We will proceed straight through the writing and will summarize themes and tendencies at the end of this section. With regard to the theology of Second Clement, Christopher Tuckett observes “that the prime message which the author seeks to convey is the vital importance of proper ethical behaviour” and that “[a]ll other ‘theological’ themes … are brought in to bolster and sustain this primary 27
Gk.: τὰς ἀντιμισθίας ἀποδιδόναι. Cf., 2 Clem. 1:3a (τίνα οὖν ἡμεῖς αὐτῷ δώσομεν ἀντιμισθίαν), on what believers owe to Christ. 28 See further, Kelhoffer, “Reciprocity as Salvation” (see n. 20), esp. 447–54. 29 Cf., 2 Clem. 19:2 (ἀπιστία); 20:2 (πιστεύω). Most scholars, myself included, view 2 Clement 19–20 as a later addition. See, e.g., Andreas Lindemann, Die Clemensbriefe, Die Apostolischen Väter 1/HNT 17 (Tübingen: Mohr, 1992), 255–56; Paul Parvis, “2 Clement and the Meaning of the Christian Homily,” in The Writings of the Apostolic Fathers, ed. Paul Foster (London/New York: T&T Clark, 2007), 32–41 at 34–35; Wolfgang Grünstäudl, “Epilog, Ouvertüre oder Intermezzo? Zur ursprünglichen Funktion von 2 Clem 19,1–20,2,” Early Christianity 4 (2013): 242–60. The parameters of the present essay do not allow for an analysis of references to faith(fulness) and righteous(ness) in 2 Clement 19–20. 30 Gk.: δίκαιοι (2 Clem. 11:1; 15:3). In the following section, we examine eleven passages in 2 Clement 1–18 that mention the righteous and their righteousness.
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theme.”31 Perhaps not surprisingly, then, having faith is not a chief concern in this writing. But our analysis of the aforementioned passages will show how Second Clement emphasizes not what, or in whom, a person believes but the (desired) effects of faithfulness, as shown in ethical conduct within a divine-human patronage relationship. 2 Clem. 2:3 (πιστεύσαντες) ὃ δὲ εἶπεν· ὅτι πολλὰ τὰ τέκνα τῆς ἐρήμου μᾶλλον ἢ τῆς ἐχούσης τὸν ἄνδρα, ἐπεὶ ἔρημος ἐδόκει εἶναι ἀπὸ τοῦ θεοῦ ὁ λαὸς ἡμῶν, νυνὶ δὲ πιστεύσαντες πλείονες ἐγενόμεθα τῶν δοκούντων ἔχειν θεόν. And what he said, “The children of the childless woman are more numerous than [the children] of her who has a husband,”32 [was] because our people seemed to be made orphans33 by God. But now that we have come to believe,34 we have become more numerous than those who seemed to have God.
Scholars routinely mention that Justin Martyr (1 Apol. 53.5–6), writing around the same time as Second Clement, also interprets Isaiah 54 as referring to the numerousness of the Christians. Tuckett calls attention to a small, but significant, difference between Justin and Second Clement: “Justin interprets the numerical contrast as between Gentile and Jewish Christians, not,” as in 2 Clem. 2:3, “between (Gentile) Christians and Jews.”35
31
Christopher M. Tuckett, 2 Clement: Introduction, Text, and Commentary, Oxford Apostolic Fathers (Oxford: Oxford University, 2012), 65; cf., 76. 32 Isa 54:1; cf., Gal 4:27. 33 On τῆς ἐρήμου . . . ἔρημος, see BDAG, 391–92, s.v. ἔρημος def. 1.b. The Greek calls to mind both the geographic isolation of the wilderness and, perhaps even more strongly, the social isolation of a childless woman and of those who, metaphorically, are orphaned by God – who, if only temporarily, seemed to abandon his duty to the Israelites as their patron and protector. Both aspects, the geographic and the social isolation, can be difficult to convey in translation. My translation (“the childless woman … [to be] orphans”) brings out the parallelism of the woman’s and the Israelites’ social isolation. 34 Construing πιστεύσαντες as an ingressive aorist. My thanks to Mikael Tellbe (Örebro) for this suggestion. 35 Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 143 (emphasis original). Contrast Robert M. Grant and Holt L. Graham, First and Second Clement, The Apostolic Fathers 2 (New York: Nelson, 1965), 113 [hereafter: Graham, Second Clement]: “Justin also [sic] affirms … that Gentiles are greater in number” than are Jews. So also Klaus Wengst, Didache (Apostellehre): Barnabasbrief: Zweiter Klemensbrief: Schrift an Diognet: Eingeleitet, herausgegeben, übertragen und erläutert, Schriften des Urchristentums 2 (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft; München: Kösel, 1984), 271 n. 20; Wilhelm Pratscher, Der zweite Clemensbrief, KAV 3 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007), 79. Additionally, Graham, op. cit., 113, refers positively to Windisch’s characterization of Late Judaism as legalistic: “On the contrast between the Church and Judaism, see Windisch p. 130.”
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Accordingly, 2:3 touts one benefit of a relationship to Christ – growing numerous – that the Christians have but that the Jews do not.36 That benefit comes through “believing” (πιστεύω). Along with the Apology of Aristides,37 this is the earliest example of presenting Christians as a “people” (λαός) distinct from the Jews. Since those whom the author construes as “our people” (ὁ λαὸς ἡμῶν) were “abandoned by God” already at the time of the prophet Isaiah, that abandoned “people” would seem to include both the ancient Israelites and Christ-believers.38 Such a construal of a single λαός would, by implication, place in separate λαοί contemporary (nonChrist-believing) Jews (who only “seemed to have God”) and their Israelite forebears.39 We thus regard Rudolf Knopf’s suggestion that “ὁ λαὸς ἡμῶν ist das tertium genus” as an oversimplification, since the ethnography in 2 Clem. 2:3 distinguishes between Israelites and Jews.40 Tuckett’s observation, that “there is no clear instance elsewhere in 2 Clement of an attempt to differentiate the Christian community from the Jews,”41 correlates with our inference that the author simply assumes a clear distinction between church and synagogue. Whether, or to what extent, such a separation from Judaism may actually have been the case for the community addressed in Second Clement is, historically speaking, unknowable.42 As we shall see, Second Clement strives to make a different demarcation – between Christians who respond adequately or inadequately 36 Against Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 79 (on 2:3), who dismisses as “problematisch” the inference that 2:3 makes a comparison with Judaism on the grounds that “eine Auseinandersetzung mit diesem [Judentum] in 2 Clem fehlt.” Although other parts of Second Clement clearly have different interests, the mention in 2:3 of the proportion of Christians to Jews sets the stage for those other interests. 37 In the surviving Greek version, Aristides (Apology II) divides humanity into three main groups – worshippers of false gods, Jews, and Christians. The first group was comprised of Chaldeans, Greeks and Egyptians. In the Syriac version (Apology II), humanity is divided into four groups – Barbarians, Greeks, Jews and Christians. Cf., Barn. 7:5, on Jesus’ “new people” (τοῦ λαοῦ μου τοῦ καινοῦ); Barn. 5:7 (αὐτὸς ἑαυτῷ τὸν λαὸν τὸν καινὸν ἑτοιμάζων). 38 I am indebted to Carl Johan Berglund (Uppsala) for this insight. 39 See further, Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 74–75 at 75: in Second Clement there is no “reflection of antagonism, or competition, from non-Christian Jewish (or ‘Judaizing’) groups, as seems to be reflected in Ignatius or the Didache. Neither does the writer evidently feel any need to address the issue of non-Christian Judaism (as e.g., in Barnabas).” See also Wengst, Zweiter Klemensbrief (see n. 35), 271 n. 20, that in 2 Clem. 2:3 “denkt der Verfasser sicherlich an die Juden.” 40 Rudolf Knopf, Die Lehre der zwölf Apostel; die zwei Clemensbriefe, HNT Ergänzungsband 1 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1920), 156 (on 2:3). 41 Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 143. 42 The author’s opponents are clearly not non-Christ-believing Jews. The positing, without argument or any developed polemic, of such a supersessionist theology may be unique in second-century Christian literature.
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to the gift of salvation. In 2 Clem. 2:3, though, the author begins on common ground with his Christ-believing brethren – assuming the superiority of a Christian faith, as demonstrated by its popularity relative to contemporary Judaism. 2 Clem. 8:5 (πιστός, 2 occurrences) [a] λέγει γὰρ ὁ κύριος ἐν τῷ εὐαγγελίῳ· [b] εἰ τὸ μικρὸν οὐκ ἐτηρήσατε, [c] τὸ μέγα τίς ὑμῖν δώσει; [d] λέγω γὰρ ὑμῖν ὅτι [e] ὁ πιστὸς ἐν ἐλαχίστῳ καὶ ἐν πολλῷ πιστός ἐστιν. [a] For the Lord says in the Gospel, [b] “If you do not keep watch over something insignificant, [c] who will give you something important? [d] For I say to you, [e] the one who is faithful with something trivial43 will be faithful with much.”
The author presumes that the reader(s) and hearers understand to what authoritative writing he refers as “the Gospel.”44 The last part of the cited gospel material (ὁ πιστὸς ἐν ἐλαχίστῳ καὶ ἐν πολλῷ πιστός ἐστιν, 8:5e) is identical to Luke 16:10a45 and could derive, whether directly or secondarily, from there. But it is clear that the author is not citing only Luke here: no surviving Gospel contains material like that cited in 2 Clem. 8:5b–d (εἰ τὸ μικρὸν … γὰρ ὑμῖν ὅτι).46 Rather, some (to us) extracanonical Gospel seems to have been quoted. By citing an authoritative writing, the author is giving more than an exhortation from a single elder (cf., 2 Clem. 15:2–3; 17:7). None other than “the Lord” (Jesus?) “speaks” about what “the faithful person” (ὁ πιστός) will do with what has been given. The responsibility incumbent upon the
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In 2 Clem. 8:5, there is a descending in intensity from τὸ μικρόν to the superlative adjective ἐλαχίστῳ, which the translation (“something insignificant … something trivial”) attempts to reflect. Such a progression is not evident in τὸ μέγα … ἐν πολλῷ, however. 44 Likewise Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 193–94, 200; Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 224, who rightly criticizes Karl Paul Donfried, The Setting of Second Clement in Early Christianity, NovTSup 38 (Leiden: Brill, 1974), 72–73, who holds that, in 2 Clem. 8:5, εὐαγγέλιον refers not to a writing but to “the oral message of salvation.” See further on 2 Clem. 8:5, James A. Kelhoffer, “‘How Soon a Book’ Revisited: ΕΥΑΓΓΕΛΙΟΝ as a Reference to ‘Gospel’ Materials in the First Half of the Second Century” (2004), in: idem, Conceptions of “Gospel” and Legitimacy in Early Christianity, WUNT 324 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), 39–75, esp. 53–54; Gregory/Tuckett, “2 Clement and the Writings” (see n. 7), 268–270. 45 See, e.g., Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 131–132. 46 If our author had been looking at Luke 16:10a in context (cf., 2 Clem. 8:5a), it is hard to fathom why he would have overlooked the threefold occurrence of ἀδικός in Luke 16:10b–11a (καὶ ὁ ἐν ἐλαχίστῳ ἄδικος καὶ ἐν πολλῷ ἄδικός ἐστιν. [11a] εἰ οὖν ἐν τῷ ἀδίκῳ μαμωνᾷ πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε, τὸ ἀληθινὸν τίς ὑμῖν πιστεύσει;). As we will see below, terms for righteous(ness) occur frequently in Second Clement.
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one who receives something is of utmost importance. As we will see, the author will develop the subject of Christians’ ongoing responsibilities.47 2 Clem. 11:1 (δίκαιοι, τὸ μὴ πιστεύειν) ἡμεῖς οὖν ἐν καθαρᾷ καρδίᾳ δουλεύσωμεν τῷ θεῷ, καὶ ἐσόμεθα δίκαιοι. ἐὰν δὲ μὴ δουλεύσωμεν διὰ τὸ μὴ πιστεύειν ἡμᾶς τῇ ἐπαγγελίᾳ τοῦ θεοῦ, ταλαίπωροι ἐσόμεθα. Let us therefore serve God with a pure heart, and we will be righteous. But if we do not serve [God] because we do not believe God’s promise, we will be wretched.
A common question that scholars pose to 11:1 is the extent to which ἐσόμεθα δίκαιοι is eschatological: is a future state of being “righteous” to be realized after the final judgment? Or does the author mean that “we will be righteous” now or, in any case, soon? In what follows, we will resist the arbitrary posing of a dichotomy between the present-ethical and the futureeschatological for the interpretation of ἐσόμεθα δίκαιοι and τὸ μὴ πιστεύειν in 11:1. It is significant, we hold, that in 10:1–11:1 the author moves effortlessly from a focus on the present-ethical (10:1–2)48 to the futureeschatological (10:3–5) and back to the present-ethical (11:1). Andreas Lindemann holds that ἐσόμεθα δίκαιοι “ist nicht moralisch zu deuten, sondern hat eschatologischen Sinn: Wir werden am Tage des Gerichts (vgl. 10.3–5) ‘gerecht’ sein.”49 Tuckett challenges, however, such a wholly eschatological interpretation of when believers will be δίκαιοι. After recalling that “[m]ost commentators take the [two occurrences of ἐσόμεθα] as eschatological,” Tuckett objects that “this may be too Pauline a reading: δίκαιος and its cognates in 2 Clement normally refer to moral behaviour, not as such to the verdict to be received at the final judgment.”50 We side, however, with Lindemann, who highlights the contrast drawn in the immediately preceding verses (10:3–5) between present enjoyment and the future promise. Additionally, the οὖν (11:1a) firmly connects the first of two hortatory uses of δουλεύσωμεν to the presenteschatological contrast drawn in 10:3–5.51 Likewise, “the coming promise” in 10:3 (τὴν μέλλουσαν ἐπαγγελίαν) is followed by the mention of “God’s promise” in 11:1b (τῇ ἐπαγγελίᾳ τοῦ θεοῦ). 47 See the discussion below, on 2 Clem. 11:1; 15:2–3 and, in the following section, on 4:2; 5:6–7; 6:9b. 48 E.g., 2 Clem. 10:1a (ποιήσωμεν τὸ θέλημα τοῦ πατρός); cf., 11:1a (δουλεύσωμεν τῷ θεῷ). 49 Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 232 (on 11:1). Likewise Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 151 (“eschatologisch zu verstehen”). 50 Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 220, 221. Tuckett, op. cit., 221, warns, moreover, that one ought not overplay the contrast between being “miserable” (ταλαίπωροι) in the (nearer) future and after the final judgment. 51 Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 232 (cited at the beginning of the previous paragraph).
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We regard as unhelpful, however, the dichotomy that Lindemann poses between what is (not) “moralisch” and what is “eschatologisch” in 11:1.52 In that verse, the state of being “just,” or “righteous,” comes from what a person does – serving God (δουλεύω) in the present. Likewise, not serving God is due to (διά) not believing in God’s promise (διὰ τὸ μὴ πιστεύειν ἡμᾶς, 11:1b). Faith, then, does not ipso facto lead to being “righteous,” but must lead to action, which, in turn, will lead to being “righteous.” As we saw in 2 Clem. 8:5, the preoccupation is with how a person responds to what has been given. Present conduct indicates a person’s response to “the promise of God” (11:1b) and is therefore determinative of the fate to be awarded at the eschatological judgment. Rephrasing Lindemann, we hold that ἐσόμεθα δίκαιοι (11:1a) “ist moralisch zu deuten und hat eschatologischen Sinn.”53 2 Clem. 11:6 (πιστός) πιστὸς γάρ ἐστιν ὁ ἐπαγγειλάμενος τὰς ἀντιμισθίας ἀποδιδόναι ἑκάστῳ τῶν ἔργων αὐτοῦ. For faithful is the one who promised to give out the repayments to each person according to his [or her] deeds.
Whereas 11:1 speaks of believers’ serving God (δουλεύω), 11:6 turns to God’s faithfulness in repaying humans (ἀποδίδωμι). The verb ἐπαγγέλλομαι implies an “obligation to carry out what is stated.”54 Perhaps not coincidentally, that obligation is a key ongoing element in a patronage relationship.55 An arbitrary distinction ought not to be posed between what in 11:6 is to inspire hope and what can pose a threat, for, as Tuckett observes, this “promise is a two-edged sword, offering both encouragement and a warning: for those who behave ethically, there is encouragement; for those who do not, the promised ‘recompense’ represents a real threat in highly negative terms.”56 The promise-and-threat issued in 11:6 implies that God’s gift has not yet been fully given or received. God is faithful (πιστός) precisely because “repayments” (ἀντιμισθίας) will continue to be made – positive or negative, depending on a person’s “deeds” (ἔργα). What God has promised 52
Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 232. See above, on Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 232; cf., Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 151. 54 BDAG, 356, s.v. ἐπαγγέλλομαι def. 1. 55 See Kelhoffer, “Reciprocity as Salvation” (see n. 20), 434–36. 56 Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 225 (on 11:6). Cf., ibid.: “God’s faithfulness is shown here in being consistent in judging human beings on the basis of their behaviour.” Against Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 234 (on 11:6): “die Ankündigung der bevorstehenden Vergeltung nach den Werken hat hier natürlich nicht die Funktion einer Drohung . . . sondern will Hoffnung begründen.” Likewise Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 156. 53
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is to uphold God’s side of the divine-human relationship. The rest depends on the “deeds” of those who, with God, wish to foster that relationship. Left vague is what the “repayments” are that God is expected to give. The use of the definite article τάς with ἀντιμισθίας suggests the recompenses have already been specified when they, in fact, have not. Thus, the hearer is left to wonder what rewards to expect “according to his [or her] deeds.” 2 Clem. 15:2–3 (πίστις, ἐπιστεύσαμεν, δίκαιοι) ταύτην γὰρ ἔχομεν τὴν ἀντιμισθίαν ἀποδοῦναι τῷ θεῷ τῷ κτίσαντι ἡμᾶς, ἐὰν ὁ λέγων καὶ ἀκούων μετὰ πίστεως καὶ ἀγάπης καὶ λέγῃ καὶ ἀκούῃ. [3] ἐμμείνωμεν οὖν ἐφ᾿ οἷς ἐπιστεύσαμεν δίκαιοι καὶ ὅσιοι, ἵνα μετὰ παρρησίας αἰτῶμεν τὸν θεὸν τὸν λέγοντα· ἔτι λαλοῦντός σου ἐρῶ· ἰδοὺ πάρειμι. For we have this repayment to give to the God who created us, if the one who speaks and listens does so with faith and love. [3] Let us thus persevere in what we have believed, [as] just and holy [people], so that we may with confidence make requests to the God who said, “While you are still speaking I will say, ‘Behold, I am here.’”57
Having just mentioned the “reward” (μισθός) for “turning back a misled and perishing soul” (15:1c), the author again takes up the “repayment” (ἀντιμισθία, 15:2a) that believers owe, whether to Christ (1:3, 5) or, as here, to God (also 9:7). To help a misled brother or sister can both earn a μισθός and satisfy part of the ἀντιμισθία owed to God. The condition (ἐάν) for giving that repayment is “speaking and hearing with faith and love” (15:2b). The only occurrence of πίστις in Second Clement is related to action – not to in what or whom one has “faith.” In addition, it is not presumed that all in the Christian assembly exhibit such faith-in-action. The placement of the dependent conditional clause (ἐάν … ἀκούῃ) after the indicative ἔχομεν (15:2a) invites the reader(s) and hearers to reconsider the preceding statement of obligation: no “repayment” would be required of those who lack “faith and love,” but would any Christ-believer want to admit such a lack? The placement of the subjunctive clause after the possibly controversial indicative thus creates a rhetorical catch-22: one must either concede the author’s supposition of an ongoing obligation to God (15:2a) or admit to deficiencies (15:2b) that could endanger one’s very salvation. Later, in 17:5 (discussed below), the author makes explicit the salvific implications of heeding, or not heeding, his message, and warns of the eternal punishment that awaits “the unbelievers” who “did not believe” or heed the elders’ admonitions to the Christian assembly. In the present context, however, the provocatively placed ἐάν (15:2b) merely hints at such a dire outcome.
57
Cf., Isa 58:9.
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In 15:3a, the adjectives δίκαιοι καὶ ὅσιοι (“[as] righteous and holy [people]”) are subject complements to the implied subject of ἐμμείνωμεν (“we”).58 According to 15:3, believers are, or are to become, “righteous and holy” if they “persevere” (ἐμμένω). Since the persevering is to be done now or in the near future, the subject complements δίκαιοι καὶ ὅσιοι speak of believers as “righteous” prior to the final judgment. We therefore note a shift in the author’s presentation of when believers are “righteous.” As argued above, in 11:1 (following 10:3–5) being “righteous” is futureeschatological.59 But in 15:3, being “righteous and holy” clearly belongs to the same nearer future envisioned in the hortatory subjunctive ἐμμείνωμεν. Whatever these Christians have believed (ἐφ᾿ οἷς ἐπιστεύσαμεν) is, by comparison, insignificant unless they persevere. We concur with Pratscher that, according to 15:3, God’s “Geschenk … soll bewahrt werden.”60 Pratscher does not persuade, however, in regard to what is “assumed” in this verse: “In dem ἐπιστεύσαμεν ist der Geschenkcharakter des christlichen Seins jedenfalls vorausgesetzt.”61 Rather than a one-way “gift” (Geschenk) from God to humans, the author has just highlighted, in 15:2a, the “repayment” that “we have” (ἔχομεν τὴν ἀντιμισθίαν) to give to God. More helpful, then, is Holt L. Graham, who holds that, although 15:2 focuses on “reward-return,” in 2 Clement 15 as a whole “the underlying thought … is mutuality.”62 Believers who have given repayment to God (15:2) and who “persevere” (15:3a) will “request,” if not “demand” (αἰτέω), God’s continued beneficence, knowing that God is already present when they ask (15:3b). The “Geschenkcharakter” set forth in Second Clement is based on mutuality, shown in continual giving both from God and to God. 2 Clem. 17:3a–b (πιστεύειν) [3a] καὶ μὴ μόνον ἄρτι δοκῶμεν προσέχειν καὶ πιστεύειν ἐν τῷ νουθετεῖσθαι ἡμᾶς ὑπὸ τῶν πρεσβυτέρων, [b] ἀλλὰ καὶ ὅταν εἰς οἶκον ἀπαλλαγῶμεν μνημονεύωμεν τῶν τοῦ κυρίου ἐνταλμάτων.
58
Michael W. Holmes, The Apostolic Fathers: Greek Texts and English Translations, 3rd ed. (Grand Rapids: Baker, 2007), 159, is incorrect to translate at 2 Clem. 15:3 “in righteousness and holiness,” turning the adjectives δίκαιοι καὶ ὅσιοι into substantives. Also problematic is Tuckett’s characterization of 15:3 as a “plea to be ‘righteous and holy’”; the plea is that they “endure,” and the subject complements assume that they are, or will be, “righteous and holy” if they do so. 59 See also, below, on 2 Clem. 17:7. 60 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 193 (on 15:3). 61 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 193, perhaps overcorrecting for the notion of some scholars that Second Clement is legalistic. 62 Graham, Second Clement (see n. 35), 127; cf., 129: “The theme of mutuality is continued here [17:1–7] and comes to more explicit expression.”
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[3a] And let us not seem to pay attention and believe only now, while we are being admonished by the elders, [b] but let us also, when we have returned home, remember the Lord’s commands.
The author specifies two contexts – “when we are being admonished by the elders” (17:3a) and “when we have returned home” (17:3b). As we saw in 15:2–3 (discussed immediately above), having faith is not a substitute for having an unswerving orthopraxis. Just seeming to give heed and to believe (πιστεύειν) while in the Christian assembly (17:3a) would be inadequate. One must hear and heed at home. Believing (πιστεύειν, 17:3a) is presented here not as something that a person visibly does (or does not do) but as what one “seems” (δοκέω) to do. The confirmation of having faith comes from what one does when away from the Christian community and the oversight of elders. Heb 13:7a, on remembering the leaders and their teaching,63 offers a close analogy to the use of μνημονεύω (“remember”) in 2 Clem. 17:3b. Primarily on the basis of two quite vague details – a community gathered and elders who admonish – most scholars extrapolate that Second Clement is a “homily” or a “sermon” that was composed for use in a worship service.64 The inference could be correct but is far from self-evident.65 2 Clem. 17:3 suggests nothing about “worship” – only that elders, including the author, exhort the faithful, hoping that the hearers will put the elders’ message into practice at home. Building on the plausible notion that the hearers are not catechumens preparing to enter the community of faith, Pratscher proffers, “Sie sind bereits eingeführt in die Grundaussagen des Glaubens, bedürfen aber noch der Ermunterung zur Bewährung im Alltag.”66 However, the notion of a 63 Heb 13:7: Μνημονεύετε τῶν ἡγουμένων ὑμῶν, οἵτινες ἐλάλησαν ὑμῖν τὸν λόγον τοῦ θεοῦ, ὧν ἀναθεωροῦντες τὴν ἔκβασιν τῆς ἀναστροφῆς μιμεῖσθε τὴν πίστιν. One difference with Heb 13:7b is that in 2 Clem. 18:1–2 (discussed below) the author does not present himself as such an example that others should follow. On the contrary, he is πανθαμαρτωλός (18:2a). 64 Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 281: “The context is a community gathered together for some kind of worship receiving an exhortation of the ‘elders’, to be followed by a return to daily life at home.” So also Graham, Second Clement (see n. 35), 129; Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 207. 65 A voluntary association or even a philosophical school could gather for instruction without additional religious accoutrements. Notably, Second Clement divulges nothing about a shared community meal that would foster a collective memory. See further, on the problem of using “sermon” or “homily” as a genre designation, James A. Kelhoffer, “If Second Clement Really Were a ‘Sermon,’ How Would We Know, and Why Would We Care? Prolegomena to Analyses of the Writing’s Genre and Community,” in Early Christian Communities between Ideal and Reality, ed. Mark Grundeken and Joseph Verheyden, WUNT 342 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2015), 83–108. 66 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 207 (on 17:3).
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mid-second-century catechumenate process would be anachronistic. Moreover, Second Clement nowhere claims that the addressees have completed such a process. When one takes into account that considerable portions of Second Clement are devoted to arguing for quite basic tenets (Grundaussagen) of a proper response to salvation, the very lack of such a process could bespeak the central problem that Second Clement aims to tackle. That problem is similar to what the author of Hebrews complains about – wanting to move beyond basic teachings when remedial instruction remains a necessity for those already accepted into the community of faith (Heb 6:1–2). 2 Clem. 17:5 (οἱ ἄπιστοι, ἐπιστεύομεν) καὶ ὄψονται τὴν δόξαν αὐτοῦ καὶ τὸ κράτος οἱ ἄπιστοι, καὶ ξενισθήσονται ἰδόντες τὸ βασίλειον τοῦ κόσμου ἐν τῷ Ἰησοῦ, λέγοντες· οὐαὶ ἡμῖν, ὅτι σὺ ἦς καὶ οὐκ ᾔδειμεν καὶ οὐκ ἐπιστεύομεν, καὶ οὐκ ἐπειθόμεθα τοῖς πρεσβυτέροις τοῖς ἀναγγέλλουσιν ἡμῖν περὶ τῆς σωτηρίας ἡμῶν, καὶ ὁ σκώληξ αὐτῶν οὐ τελευτήσει καὶ τὸ πῦρ αὐτῶν οὐ σβεσθήσεται, καὶ ἔσονται εἰς ὅρασιν πάσῃ σαρκί. The unbelievers will see his [Jesus’] glory and power, and they will be astounded when they see the kingdom of the world in Jesus, [and] they will say, “Woe to us, because it was you and we did not recognize [it/you?] or believe. Nor were we persuaded by the elders who proclaimed to us about our salvation.” And “their worm will not die. Nor will their fire be extinguished. And they will be a spectacle for all flesh.”67
Although the author refers to “the unbelievers” (οἱ ἄπιστοι) and has them acknowledge that they “did not believe” (οὐκ ἐπιστεύομεν), it is clear that this eschatological warning is aimed not at outsiders but at some people within the Christian assembly.68 The problem is that, despite repeated entreaties,69 they have not heeded what “the elders” warned of in advance70 in regard to salvation. Notably, Second Clement begins with such a warning about taking one’s salvation for granted (1:1–2, discussed above). The author implicitly identifies himself as an elder who issues to believers a warning with salvific implications. Lindemann, however, resists the notion that οἱ ἄπιστοι refers to “untreue, ungläubige Christen,” since “ein solcher Sprachegebrauch wäre ganz ungewöhnlich.”71 Lindemann’s objection is uncompelling. The use of οἱ 67
Isa 66:24, LXX; cf., Mark 9:48. With Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 284 (on 17:5); see also op. cit., 286 (on 17:6, mentioning “the ungodly among us”), on the “seamless transition from v. 5 to v. 6.” 69 See Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 285: “The author seems to have in mind a continuous process of (what he takes to be) continuous disobedience (cf., the verbs in the imperfect) and a refusal to listen to the teaching of the elders in his community.” 70 On the use of ἀναγγέλλω for “proclamation of what is to come in the future,” see BDAG, 59, s.v. ἀναγγέλλω def. 2. 71 Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 252 (on 17:5). 68
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ἄπιστοι in 17:5 is indeed “ganz ungewöhnlich,” but the lack of conventionality correlates with the lack of collegiality that the author extends to some within the assembly. It is equally striking and confrontational to label as “the unbelievers” certain would-be Christians who do not heed warnings (such as those given in this writing) and who, as a result, will face eternal punishment. Summation: Faith and Faithfulness in Second Clement Perhaps our most striking conclusion about faith and faithfulness in this writing is how relatively little the author has to say – and what he does not say – in the seven passages we have examined. The need to be faithful (πιστός, 8:5) is underscored by citing an authoritative “Gospel,” which adds weight to the admonition about keeping the flesh pure (8:6; cf., 15:2– 3; 17:7). Later, 11:6 presents God as “faithful” (πιστός) in giving “repayments” (ἀντιμισθίας) to people according to their “works.” The only occurrence of πίστις in Second Clement describes the “repayment” (ἀντιμισθία, 15:2a) that believers owe to God, a repayment satisfied not by having a static faith but by expressing one’s faith in action through “speaking and hearing with faith and love” (15:2b). In regard to forms of πιστεύω, the first reference to believing assumes a common ground within the Christian community as a whole, trumpeting the large numbers of “our people” since “we came to believe” (πιστεύσαντες, 2:3), as compared with the number of contemporary Jews. Elsewhere in this writing, however, believing needs to be coupled with action. For example, Christians must “persevere” in what they have believed.72 Or, stated negatively in 11:1, not “serving” God (δουλεύσωμεν) is due to (διά) a lack of belief (τὸ μὴ πιστεύειν). Likewise, merely to “seem to believe” (δοκέω + πιστεύειν) while in the Christian assembly would be wholly inadequate; one must also “remember the Lord’s commands” at home (17:3). Because “the unbelievers” (οἱ ἄπιστοι), who are clearly part of the assembly, have repeatedly (imperfect tense: οὐκ ἐπιστεύομεν) not heeded the elders’ admonitions, those unbelievers will face eternal punishment (17:5). These observations support our inference that Second Clement is not written to inspire faith in its hearers (contrast John 20:31). Nowhere does the author even specify what – or in whom – they believed. That they have come to believe (in) something is assumed. What is of concern in Second Clement is whether faith has been embodied in actions befitting a proper and continuing response to the gift of salvation. Because eternal punishment is a real possibility for some who consider themselves part of the author’s community (17:5), Second Clement does not just give uplifting 72
2 Clem. 15:3a: ἐμμείνωμεν οὖν ἐφ᾿ οἷς ἐπιστεύσαμεν.
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pastoral advice but attempts to make an intervention among some Christians who, in the author’s view, may rely on their faith rather than their faithfulness to an ongoing obligation. The question of how those Christians may have viewed the adequacy of their own fidelity is open to speculation. It is hard to imagine, though, that terrifying some Christians with the threat of eternal punishment would have been uncontroversial. It remains, in the following section, to examine the author’s uses of δίκαιος and δικαιοσύνη and to see what correlations may be made of the author’s statements about faith with his statements about righteousness. We will see that, in Second Clement, if having faith is largely construed as precursory, the state of being “righteous” could be realized in the near future (15:3) or after the eschatological fulfillment (11:1; 17:7).
4. The Righteous and Their Righteousness in Second Clement ὁ ἀδικῶν ἀδικησάτω ἔτι … καὶ ὁ δίκαιος δικαιοσύνην ποιησάτω. (Rev 22:11)
Having examined how Second Clement uses terms for faith, we turn to eleven passages that mention righteousness and those who are righteous: 2:4 (δίκαιος); 4:2 (δικαιοσύνη); 5:6–7 (δικαίως, δίκαιος); 6:9 (δίκαιος [2 occurrences], δικαιοσύνη); 11:1 (δίκαιος); 11:7 (δικαιοσύνη); 12:1 (δικαιοσύνη); 13:1 (δικαιοσύνη); 15:3 (δίκαιος); 17:7 (δίκαιος); 18:2 (δικαιοσύνη).73 Pratscher identifies δίκαιος as “ein wichtiger paränetischer [terminus technicus] in 2 Clem.” and one of the author’s Lieblingsworte.74 We will see that Second Clement has considerably more to say about being “righteous” and “carrying out justice” than about faith and faithfulness. A thesis for which we will argue is that, although orthopraxis is of utmost importance in this writing, the requirement for giving “payback” (ἀντιμισθία) due to Christ (1:3, 5) or God (9:7; 15:2) is not tantamount to legalism. Rather, for the author of Second Clement it is a matter of justice (δικαιοσύνη) that the just (οἱ δικαίοι) give a proper response to God’s gift of salvation.
73 As we did in the previous section, we will, again, proceed straight through the occurrences in 2 Clement 2–18 and, at the end, summarize themes and tendencies in the presentation of the righteous and their righteousness. Adopting the view that 2 Clement 19–20 is a later addition (see footnote 29), we bracket from the present analysis 2 Clem. 19:2–3 (δικαιοσύνη [2 occurrences]) and 20:3 (δίκαιος [4 occurrences]). 74 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 193 (on 15:3), 92 (on 4:2).
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2 Clem. 2:4 (δίκαιοι) καὶ ἑτέρα δὲ γραφὴ λέγει ὅτι οὐκ ἦλθον καλέσαι δικαίους, ἀλλὰ ἁμαρτωλούς. And another [part of] Scripture says, “I did not come to call righteous people but sinners.”
The language used in 2:4 may be described as traditional inasmuch as the author cites a revered authority. How much is to be made of the fact that the citation is attributed to γραφή (without the definite article), rather than to ἡ γραφή? In our view, not much.75 Tuckett holds that “[t]he text cited is probably taken from the Gospel of Matthew.”76 Whatever its origin, this “other [part of] Scripture” (ἑτέρα γραφή) is accorded the same authority as Old Testament Scripture – Isa 54:1, which is cited and interpreted in the preceding verses (2:1–3). Citing “another” authoritative “Scripture,” 2 Clem. 2:4 describes believers’ state prior to salvation (cf., 1:6–8). In our analysis of πιστεύσαντες in 2:3 (above), we showed that the author begins on common ground with his Christ-believing brethren, who, after they came to believe, became more numerous than the Jews.77 Since, according to 2:4, those who are “called” were not “righteous” (δικαίοι) but “sinners,” those who are not called would, by implication, remain “sinners.” It is noteworthy that the Scripture cited in 2:4 does not specify Christbelievers’ current status. Although Jesus (or, possibly here, God) did not call people who were already “righteous,” it will soon become clear that the author of Second Clement expects Christians to be, or to become, “righteous.”78 Their status as “righteous” does not automatically come from having faith but is a repercussion of their response to the gift of sal75
Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 205, points out that in Second Clement, Old Testament citations come with the article (ἡ γραφή, “the Scripture,” 6:8; 14:1, 2) and that “die sonstigen Zitate aus christlicher Überlieferung werden in anderer Weise eingeführt.” Likewise Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 80. I doubt that Lindemann can demonstrate, based on the purported difference between γραφή and ἡ γραφή, that in 2:4 the author cites this logion “als ‘Schrift’ … aber eben noch nicht als ‘die Schrift’ im Sinne der Bibel,” which, nonetheless, “als Bestandteil autoritativ gültiger Tradition angesehen wurde.” The author of Second Clement would hardly have recognized such a nuanced distinction between “the Scripture” and some other authoritative tradition, let alone have been cognizant of carefully making such a distinction through citing γραφή (but not ἡ γραφή). 76 Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 144–45. So also Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 205 (“vermutlich”). See further Gregory/Tuckett, “2 Clement and the Writings” (see n. 7), 255. See Matt 9:13 // Mark 2:17 // Luke 5:32. 77 See the discussion above. Following a citation of Isa 54:1 (2 Clem. 2:3a), the author asserts, “But now that we have come to believe, we have become more numerous than those who seemed to have God” (2:3b). 78 See the discussion of 2 Clem. 11:1 and 15:3 in the previous section and of 17:7, below.
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vation. In light of what is to follow in Second Clement, we reject Pratscher’s claim that the citation in 2:4 “markiert den Gegensatz EinstJetzt.”79 A generalization that all believers are righteous because God called them is, in fact, the very opposite of what 2:4 states: believers were “sinners,” but no claim is made that all of them have ceased being “sinners” or that all of them are, or will be, “righteous.” 2 Clem. 4:2 (δικαιοσύνη) λέγει γάρ· οὐ πᾶς ὁ λέγων μοι, κύριε, κύριε, σωθήσεται, ἀλλ᾿ ὁ ποιῶν τὴν δικαιοσύνην. For he says, “Not everyone who says to me, ‘Lord, Lord’ will be saved, but [only] the one who carries out justice.”
We have just seen that, according to 2:4, Jesus (or God) called “sinners,” not “righteous people.” Now “he says” that they must “carry out justice” (τὴν δικαιοσύνην) to be saved (4:2). If, as seems likely, this Jesus logion is based on Matt 7:21,80 the version in 2 Clem. 4:2 would substitute being “saved” for entering the kingdom of heaven and substitute “doing righteousness” for doing “the will of my Father in heaven.”81 Pratscher sees that σῴζω and δικαιοσύνη are among the author’s “favorite words” (Lieblingsworte),82 which would correlate with the explanation that the author himself changed his text of Matt 7:21 to include those two words. According to 2 Clem. 4:2, eschatological salvation is tied solely to what a person does – not to what, or in whom, a person believes. As Lindemann expresses it, “Das zitierte Logion bindet die eschatologische Rettung nicht an das Bekenntnis zu Jesus, sondern allein an das Tun der Gerechtigkeit.”83 The very same connection, we suggest, would hold for Matt 7:21. That similarity can account for why the author of Second Clement chose to cite this particular saying of Jesus here. Pratscher plausibly posits that 2 Clem. 4:2 turns against those who (in the author’s view) do not satisfy the requirement of a proper Christian orthopraxis.84 Again, the very same atti79
Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 81. With Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 162 (“probably from Matt. 7.21”). See further the analysis in Gregory/Tuckett, “2 Clement and the Writings” (see n. 7), 258–260 at 259: “the version in 2 Clement does agree with Matthew [7:21] in what is (probably) Matthew’s restructuring of the saying from Q[/Luke 6:46]; and the further points where 2 Clement differs from Matthew … can be adequately explained by the linguistic preferences of ‘Clement’ himself.” 81 Cf., Matt 7:21: Οὐ πᾶς ὁ λέγων μοι· κύριε κύριε, εἰσελεύσεται εἰς τὴν βασιλείαν τῶν οὐρανῶν, ἀλλ᾿ ὁ ποιῶν τὸ θέλημα τοῦ πατρός μου τοῦ ἐν τοῖς οὐρανοῖς. 82 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 92 (on 4:2); cf., 193 (on 15:3). 83 Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 209. 84 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 93: “Eine konkrete Wendung gegen Leute, die der christlichen Praxis, wie der Vf. es sich vorstellt, nicht entsprechen, muss vorausgesetzt werden.” 80
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tude can be attributed to Matt 7:21. Could these similarities support situating Second Clement in relation to (post-)Matthean Christianity?85 Windisch’s contention (discussed above), that Second Clement represents a Synoptic type of Christianity, could have some merit here.86 2 Clem. 5:6–7 (δικαίως, δίκαιος) τί οὖν ἐστὶν ποιήσαντας ἐπιτυχεῖν αὐτῶν, εἰ μὴ τὸ ὁσίως καὶ δικαίως ἀναστρέφεσθαι καὶ τὰ κοσμικὰ ταῦτα ὡς ἀλλότρια ἡγεῖσθαι καὶ μὴ ἐπιθυμεῖν αὐτῶν; [7] ἐν γὰρ τῷ ἐπιθυμεῖν ἡμᾶς κτήσασθαι ταῦτα ἀποπίπτομεν τῆς ὁδοῦ τῆς δικαίας. What, then, must we do to obtain these things, except to conduct ourselves in a holy and righteous manner, and to regard these worldly things as foreign and not to desire them? [7] For when we desire to acquire these things, we deviate from the righteous path.
The things that in 5:6a the faithful are “to obtain” – the antecedent of αὐτῶν – are “rest in the coming kingdom and eternal life” (5:5d). What is at stake in what believers “do” (ποιήσαντας), then, is not a differentiation between good and better Christians but the ultimate realization – or nonrealization – of salvation. Whereas 5:6 uses “holy and righteous” as adverbs (ὁσίως καὶ δικαίως) for Christian conduct, 6:9b, to which we next turn, applies the cognate adjectives to “holy and righteous works” (ἔργα ὅσια καὶ δίκαια). 2 Clem. 6:9 (οἱ δίκαιοι, δικαιοσύναι, δίκαιος) [6a] εἰ δὲ καὶ οἱ τοιοῦτοι δίκαιοι οὐ δύνανται ταῖς ἑαυτῶν δικαιοσύναις ῥύσασθαι τὰ τέκνα αὐτῶν, [b] ἡμεῖς, ἐὰν μὴ τηρήσωμεν τὸ βάπτισμα ἁγνὸν καὶ ἀμίαντον, [c] ποίᾳ πεποιθήσει εἰσελευσόμεθα εἰς τὸ βασίλειον τοῦ θεοῦ; [d] ἢ τίς ἡμῶν παράκλητος ἔσται, ἐὰν μὴ εὑρεθῶμεν ἔργα ἔχοντες ὅσια καὶ δίκαια; [6a] But if such righteous men could not, by their own righteous deeds, save their children, [b–c] with what assurance will we, if we do not keep our baptism holy and without blemish, enter the kingdom of God? [d] Or who will be our advocate if we are not found to have holy and just works?
Lindemann directs attention to the preceding verse (6:8) as a free paraphrase of Ezek 14:13–20, where Noah, Daniel and Job are presented “als Beispiele frommer Lebensführung.”87 The warning given in 6:9 is based on a comparison of οἱ τοιοῦτοι δίκαιοι with the addressees (ἡμεῖς). How, then, does the author present “us” in relation to those “righteous” Old Testament figures? Pratscher correctly identifies the argumentation as 85 This relationship merits consideration but lies outside the parameters of the present essay. 86 See also above, on 2 Clem. 2:4; cf., Matt 9:13. 87 Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 216. See also Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 181: “a summarizing précis of … Ezek. 14.13–20.” In 2 Clem. 6:8 (“Noah and Job and Daniel”), the order of the second and third names is reversed from the order in Ezekiel 14.
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a maiore ad minus (“from the greater to the lesser”):88 the three exemplary righteous Israelites set the standard for how Christians are expected to act in order to keep their baptism pure. Apparently overlooking the force of τοιοῦτοι, Pratscher unpersuasively suggests that the Christians are not implicitly called “righteous” here.89 We hold, on the contrary, that those who have become, or who need to become, “righteous”90 are compared with these renowned righteous characters in Scripture. The relative proximity (or, the desired proximity) of the addressees to these righteous Israelites is the basis for the argumentation a maiore ad minus. The comparison made in 6:9 with the three Old Testament figures would not be possible without an implicit, if also conditional, understanding that believers, too, are “righteous,” provided that they keep their baptism pure. The reference to ταῖς ἑαυτῶν δικαιοσύναις (“by their own righteous deeds,” 6:9a) in the plural is somewhat perplexing, especially given the singular formulation in the LXX of Ezek 14:14 (ἐν τῇ δικαιοσύνῃ αὐτῶν, “by their righteousness”).91 A plural form of δικαιοσύνη never occurs in the New Testament or elsewhere in the Apostolic Fathers. In the LXX, δικαιοσύνη occurs only occasionally in the plural (including four occurrences elsewhere in Ezekiel).92 In opting for the plural, the author of Second Clement could have reasoned that, since Ezekiel mentions three Israelites who lived in different times and places, a plural formulation was more apt. Additionally, the plural ταῖς ἑαυτῶν δικαιοσύναις (6:9a) may be seen as parallel to ἔργα ὅσια καὶ δίκαια (6:9d): as Noah, Job and Daniel had performed “acts of righteousness” (6:9a), so are “holy and righteous works” expected of all Christians (6:9d). A limitation in the effects of Noah, Job and Daniel’s status as “righteous” (δίκαιοι) seems to impress our author in 2 Clem. 6:8–9: if they were to rise up (ἀνίστημι), they would not thereby “save/deliver” (ῥύομαι) their “children” (= later Israelite descendants?).93 That limitation underscores
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Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 115. Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 116 (on 6:9): “Implizit sind die Christen (ἡμεῖς) durch die Gegenüberstellung zu den δίκαιοι nicht als solche bezeichnet.” 90 See the analysis, above, of 2 Clem. 11:1 (ἐσόμεθα δίκαιοι) and 15:3 (ἐμμείνωμεν … δίκαιοι καὶ ὅσιοι). 91 Ezek 14:14 (LXX): καὶ ἐὰν ὦσιν οἱ τρεῖς ἄνδρες οὗτοι ἐν μέσῳ αὐτῆς, Νωε καὶ Δανιηλ καὶ Ιωβ, αὐτοὶ ἐν τῇ δικαιοσύνῃ αὐτῶν σωθήσονται, λέγει κύριος. Likewise, in the MT of Ezek 14:14, “( בְ צִ דְ קָ תָ םby their righteousness”) is singular. 92 See Deut 9:4, 6; Ps 11:7 (10:7, LXX); Ezek 3:20 (2 occurrences); 18:24b; 33:13b; Dan 9:18; Tob 2:14; 12:9; Sir 44:10; Pss. Sol. 9:3. 93 2 Clem. 6:8: “And the Scripture also says in Ezekiel, ‘Even if Noah and Job and Daniel should rise up, they will not save their children’ in the captivity.” 89
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the individual mandate incumbent on all Christians94 to act properly and not to rely on anyone else’s righteousness. In this context, observes Lindemann, the lack of “einen Hinweis auf Christi stellvertretende δικαιοσύνη” is striking.95 Rather than relying on Christ’s righteousness, one must keep one’s own baptism “holy and pure.” By lifting up the renowned examples of Noah, Job and Daniel, the author makes his hearers acutely (if uncomfortably) aware that righteous works (whether δικαιοσύναι or ἔργα δίκαια) are expected of them, too. It should be remembered, however, that producing such works does not ipso facto make a sinner righteous. On the one hand, a person does not legalistically earn salvation by performing “holy and just works.”96 On the other hand, the lack of such works would be damning enough to jeopardize a person’s salvation. The a maiore ad minus comparison between the δικαιοσύναι of “such righteous men” makes it clear that ἔργα δίκαια are likewise expected of Christians. We infer that they, too, will be “righteous” if they behave correctly.97 2 Clem. 11:1 (δίκαιοι, τὸ μὴ πιστεύειν); 11:7a (δικαιοσύνη) ἡμεῖς οὖν ἐν καθαρᾷ καρδίᾳ δουλεύσωμεν τῷ θεῷ, καὶ ἐσόμεθα δίκαιοι. ἐὰν δὲ μὴ δουλεύσωμεν διὰ τὸ μὴ πιστεύειν ἡμᾶς τῇ ἐπαγγελίᾳ τοῦ θεοῦ, ταλαίπωροι ἐσόμεθα. (11:1, discussed above) ἐὰν οὖν ποιήσωμεν τὴν δικαιοσύνην ἐναντίον τοῦ θεοῦ, εἰσήξομεν εἰς τὴν βασιλείαν αὐτοῦ καὶ ληψόμεθα τὰς ἐπαγγελίας. If, then, we carry out justice in the sight of God, we will enter his kingdom, and we will receive the promises. (11:7a)
Above, we discussed the eschatological anticipation in 11:1 of being either “righteous” (δίκαιοι) or “wretched,” depending on whether or not the addressees serve God now (cf., 10:3–5). The author returns to, or rephrases, that argument in 11:7a: if we are to enter God’s kingdom, we will now “carry out” (lit.: “do”) justice/righteousness.”98 Being “righteous” (δίκαιοι, 11:1a) seems to be synonymous with doing what is just (τὴν δικαιοσύνην, 94 As Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 185, points out: according to 2 Clem. 6:9, “only we ourselves can do what is required for salvation.” Curiously, however, Tuckett’s translation (op. cit., 95) of ἔργα ὅσια καὶ δίκαια (“what is holy and righteous,” 2 Clem. 6:9d) obfuscates this point by glossing over ἔργα. 95 Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 217. So also Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 185: “It is also perhaps striking that there is no reference to any saving work of Christ at this point!” Tuckett, op. cit., 186 n. 32 (concurring with Lindemann, Clemensbriefe [see n. 29], 217) further notes that “any specifically Pauline language of justification is not visible here.” 96 We will return to this lack of legalism, below. 97 Against Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 116 (on 6:9, cited above). 98 2 Clem. 11:7: τὴν δικαιοσύνην. Cf., ὁ ποιῶν τὴν δικαιοσύνην, in the Jesus logion cited in 4:2b (discussed above).
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11:7a). Earlier (in 4:2b, discussed above), the author cites a Jesus logion to the effect that (only) “the one who carries out justice” (ὁ ποιῶν τὴν δικαιοσύνην) will be “saved.”99 In 11:7a, the meaning of ἐναντίον τοῦ θεοῦ is open to question. Pratscher finds in this verse a contrast between what one does “before God” and “before people.”100 However, 2 Clement 11 nowhere expresses a concern about doing things to please people rather than God. It seems unnecessary, we think, to bring to 2 Clem. 11:7 the warning mentioned, for example, in 2 Clem. 13:1 (discussed below) and in Matt 6:1.101 The danger addressed heretofore in Second Clement is not hypocrysy or gaining the favor of people rather than God (as is the case in Matt 6:1–8, 14–18). Instead, the author berates a lack of actions – whether carried out (or not) for people or for God. In addition, ἐναντίον τοῦ θεοῦ need not mean “before God” (so Pratscher) but could well mean “in the judgment of God.”102 For example, Luke 1:6 mentions Zechariah and Elizabeth, who, “in God’s judgment (ἐναντίον τοῦ θεοῦ), were both righteous.”103 Such an understanding of ἐναντίον in 2 Clem. 11:7a would dovetail nicely with the imploration to “do justice” in the way that God (read: the author of Second Clement) deems fitting. If entering God’s kingdom is promised to those who do justice (11:7b), an implicit threat may be seen against Christians who do not carry out justice in the way that God deems fitting. 2 Clem. 12:1 (δικαιοσύνη) ἐκδεχώμεθα οὖν καθ᾿ ὥραν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ ἐν ἀγάπῃ καὶ δικαιοσύνῃ, ἐπειδὴ οὐκ οἴδαμεν τὴν ἡμέραν τῆς ἐπιφανείας τοῦ θεοῦ. With love and righteousness, let us therefore await God’s kingdom hour by hour, since we do not know the day of God’s appearance.
In sequential verses, the author shifts from entering God’s kingdom (11:7, discussed immediately above) to awaiting its arrival (12:1),104 and from carrying out justice (δικαιοσύνη, 11:7) to awaiting with righteousness/justice (δικαιοσύνη, 12:1). Pratscher is correct to observe that, despite the sudden mixing of metaphors, here, too, δικαιοσύνη “nicht abstrakte 99
See further Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 234. Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 157: “Es muss eine Gerechtigkeit sein, die vor Gott Bestand hat … Nicht eine vor Menschen geltende Gerechtigkeit ist gemeint … ” 101 Matt 6:1a: προσέχετε [δὲ] τὴν δικαιοσύνην ὑμῶν μὴ ποιεῖν ἔμπροσθεν τῶν ἀνθρώπων πρὸς τὸ θεαθῆναι αὐτοῖς· 102 See BDAG, 330, s.v. ἐναντίον, def. 1b. 103 Luke 1:6: ἦσαν δὲ δίκαιοι ἀμφότεροι ἐναντίον τοῦ θεοῦ. 104 See Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 235: “Gegenüber 11,7 ist die Vorstellung in [12,]1 verändert: Es geht nicht um das Eingehen in die βασιλεία, sondern um deren Kommen …” 100
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Gerechtigkeit meint, sondern das rechte Tun …”105 In both cases, the believer’s δικαιοσύνη is (the) key to accessing God’s kingdom. Elsewhere, I have discussed that, in a patronage relationship, clients were expected to be in place for the morning salutatio, and to repay the patron by greeting him or her in public, thus adding to the patron’s social stature.106 Since a common meaning of ἐκδέχομαι in early Christian literature is “to remain in a place or state and await an event or the arrival of someone,”107 12:1 may call to mind a client’s obligation to pay honor to God at the eventual arrival of God’s kingdom. Since the “day” (ἡμέρα) of the kingdom’s arrival is unknown, believers must each “hour” (καθ᾿ ὥραν) be prepared to welcome it. It is a matter of “justice” (δικαιοσύνη) to do so. Not to await the kingdom would be not to show respect (or value) to God and God’s kingdom, and would thus be emblematic of a lack of reciprocity. 2 Clem. 13:1c (δικαιοσύνη) καὶ μὴ γινώμεθα ἀνθρωπάρεσκοι, μηδὲ θέλωμεν μόνον ἑαυτοῖς ἀρέσκειν, ἀλλὰ καὶ τοῖς ἔξω ἀνθρώποις ἐπὶ τῇ δικαιοσύνῃ, ἵνα τὸ ὄνομα δι᾿ ἡμᾶς μὴ βλασφημῆται. And let us not become people-pleasers. Nor let us, with [our] righteousness, desire to please only ourselves but also outsiders, lest the Name may be blasphemed because of us.
One can wonder if anything is to be made of the difference between the prepositions in 12:1 (ἐν δικαιοσύνῃ) and 13:1c (ἐπὶ τῇ δικαιοσύνῃ). We find the meanings are similar, if not the same, since the instrumental dative seems to govern both prepositional phrases.108 The reference to δικαιοσύνη in 13:1c is most likely to be understood in terms of the ethical mandate, developed in 13:2–4, that all believers be seen by all people to show love to all people. Nevertheless, the meaning of δικαιοσύνη in 13:1c, is somewhat difficult to pinpoint, because the author here goes off on two undeveloped tangents. First, the faithful are not to become “people-pleasers” (ἀνθρωπάρεσκοι) – which could involve seeking to please Christians or non-Christians. The ἀλλὰ καί extends that undeveloped aside to those outside the Christian community (τοῖς ἔξω ἀνθρώποις).109 Pratscher infers that ἐπὶ τῇ δικαιοσύνῃ is a general reference to 105
Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 160. See Kelhoffer, “Reciprocity as Salvation” (see n. 20), 451–52; Richard P. Saller, Personal Patronage under the Early Empire (Cambridge: Cambridge University, 1982), 11 n. 15; 61–62; 128–29. 107 BDAG, 300, s.v. ἐκδέχομαι. 108 In 2 Clem. 12:1, ἐν (“with”) could indicate not just how, but the means by which, one is to await the coming of God’s kingdom. 109 Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 239–40 (against Donfried, Setting [see n. 44], 159), is probably correct that those outsiders are non-Christians rather than false Christian teachers. 106
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bad behavior;110 his caution seems prudent, since 2 Clement 12–13 says nothing (else) about why an unbeliever would view as problematic a Christ-believer’s δικαιοσύνη. What the context does specify is the problem that when outsiders discover that “our actions (ἔργα) are not worthy of the words we speak,” they subsequently “turn to blasphemy” (13:3b). Given that those outsiders “see that we do not love … even those who love [us]” (13:4d), “righteousness” (13:1c) would again be a reflection of a person’s conduct – in this case, doing things that even outsiders would recognize as just and good. 2 Clem. 15:3 (ἐπιστεύσαμεν, δίκαιοι) ἐμμείνωμεν οὖν ἐφ᾿ οἷς ἐπιστεύσαμεν δίκαιοι καὶ ὅσιοι, ἵνα μετὰ παρρησίας αἰτῶμεν τὸν θεὸν τὸν λέγοντα· ἔτι λαλοῦντός σου ἐρῶ· ἰδοὺ πάρειμι. (15:3, discussed above)
In the preceding section, we noted that in this verse δίκαιοι καὶ ὅσιοι (“[as] righteous and holy [people]”) are subject complements of the implied subject of ἐμμείνωμεν (“we”). Believers are not “righteous” because of what they “believed”; rather, they will be “righteous” if they “persevere” in what they believed. In contrast to 11:1 (also 17:7, discussed below), the use of δίκαιοι in 15:3 is not eschatological but refers to a nearer time in the future. 2 Clem. 17:7 (οἱ δίκαιοι) οἱ δὲ δίκαιοι, εὐπραγήσαντες καὶ ὑπομείναντες τὰς βασάνους καὶ μισήσαντες τὰς ἡδυπαθείας τῆς ψυχῆς, ὅταν θεάσωνται τοὺς ἀστοχήσαντας καὶ ἀρνησαμένους διὰ τῶν λόγων ἢ διὰ τῶν ἔργων τὸν Ἰησοῦν, ὅπως κολάζονται δειναῖς βασάνοις πυρὶ ἀσβέστῳ, ἔσονται δόξαν διδόντες τῷ θεῷ αὐτῶν, λέγοντες ὅτι ἔσται ἐλπὶς τῷ δεδουλευκότι θεῷ ἐξ ὅλης καρδίας. But the righteous, because they did what is right, endured the torments and hated the pleasures of the soul, whenever they see how those who have gone astray and denied Jesus through their words or through their deeds are being punished with dreadful torments in unquenchable fire, will be giving glory to their God as they say, “There will be hope for the one who has served God with all [his] heart.”
To “give (back) glory” to God is what characterizes those who are “righteous” (οἱ δίκαιοι), who stand in contrast to “the unbelievers” (οἱ ἄπιστοι, 17:5a, discussed above) and who, in 17:7, are contrasted with those who “denied Jesus.” Within the Christian assembly, the author makes his pronouncements in the strongest possible terms,111 setting up an eternal demarcation between “the righteous” Christ-believers and others who fan110 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 171: “allgemein an ein verkehrtes Handeln zu denken.” 111 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 215, is correct to describe 2 Clem. 17:7 as an “envisioning of horror.”
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cy themselves as Christ-believers but who, actually, will face eternal punishment (cf., 17:5). Such a perspective within any faith community would hardly be without detractors, especially since the differences concern possibly subjective judgments about “ethical behaviour.”112 The three occurrences of ὑπομένω in Second Clement reveal a connection between the author’s christology and ethics. Just as “Jesus Christ endured (ὑπέμεινεν) to suffer much for our sake” (1:2b), the faithful have been exhorted to “endure” (ὑπομείνωμεν, 11:5). Now, according to 17:7, to avoid “dreadful torments” (δειναῖς βασάνοις) one must have “endured the torments” (ὑπομείναντες τὰς βασάνους) in this life. The author does not specify what those “torments” could entail. What is clear is that “torments” are to be borne, whether now or in the eschaton. The author’s soteriology is thus not substitutionary (Christ endured suffering for us, so we do not have to do so) but exemplary (Christ withstood torments, leaving a model of what is expected of us now). As in 11:1, being “righteous” is part of the eschatological fulfillment, when οἱ δίκαιοι will witness the punishment of others. 2 Clem. 18:2b (δικαιοσύνη) σπουδάζω τὴν δικαιοσύνην διώκειν, ὅπως ἰσχύσω κἂν ἐγγὺς αὐτῆς γενέσθαι, φοβούμενος τὴν κρίσιν τὴν μέλλουσαν. I make every effort to pursue righteousness, so that I will at least113 be able to come close to it, because I fear the coming judgment.
In the (original) writing’s final verse, the author indicates that he, too, struggles to live up to his own ethical ideal.114 “To pursue righteousness” has to do with proper conduct.115 Mercifully (if, perhaps, belatedly), one learns that the goal is the pursuit (διώκω), not a perfect result.116
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With Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 287 (on 17:7): “rather than any doctrinal issues …, the criterion is above all one of ethical behaviour.” Further (ibid.), “[t]he same language” of denying Jesus occurs in 2 Clem. 3:1, “with an allusion to the gospel saying Matt. 10.32//Luke 12.8.” Cf., op. cit., 286: “Those who are ‘righteous’ are thus those who have behaved properly in their lifetime, even to the point of suffering, and certainly not indulging themselves.” 113 On the use of κἄν in 2 Clem. 18:2b (also 7:3), see BDAG, 507, s.v. κἄν def. 3. 114 Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 217 sees a connection between 2 Clem. 18:2 and the admonition in 10:1, διώξωμεν μᾶλλον τὴν ἀρετήν. See further Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 289. 115 With Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 218: “δικαιοσύνη = hier das Rechttun.” 116 Likewise, 2 Clem. 7:3 stipulates the goal of being “crowned” (στεφανόω) but also sets a less demanding (and more inclusive) goal: “Let us at least come near [to] the crown” (κἂν ἐγγὺς τοῦ στεφάνου γενώμεθα).
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Could, as Holt Graham maintains, the formulation τὴν δικαιοσύνην διώκειν in 2 Clem. 18:2 be “reminiscent of Philippians 3:12”?117 Probably not; the occurrences of διώκω in these two verses do not suffice to overturn the verdict of Gregory and Tuckett that the strongest evidence for Second Clement’s use of the Corpus Paulinum amounts to only a “possible” use of Ephesians.118 Nevertheless, a comparison with Paul yields a fruitful element of comparison: whereas Paul speaks of arriving at the resurrection of the dead (see Phil 3:11b), 2 Clem. 18:2 addresses the believer’s present conduct – or the pursuit (διώκω) of right conduct – prior to the eschaton. Summation: The Righteous and Their Righteousness in Second Clement Relative to its pronouncements about faith and faithfulness, Second Clement reflects considerably more concern about the Christ-believers as δίκαιοι and about their δικαιοσύνη. In regard to being “righteous,” 2:4 declares that Christians were “not righteous but sinners” when they were called. We suggested that, after identifying with all those gathered in the Christian assembly (cf., 2:3), the author subsequently holds that only some of the people gathered to hear his message will ultimately be deemed “righteous.” Whereas 5:6 uses the adverbs ὁσίως καὶ δικαίως (“holy and righteous”) for the manner of Christian conduct, in 6:9b the author employs the cognate adjectives to desscribe the “holy and righteous works” (ἔργα ὅσια καὶ δίκαια) expected of all believers. The latter verse calls attention to three renowned Old Testament figures, who, despite being “such righteous men” (6:9a), could not, by their own righteous deeds (δικαιοσύναι), have saved their own children. As a consequence of that argument “from the greater” Old Testament figures “to the lesser” believers of Second Clement’s day, each Christian was expected to perform “holy and just works” (6:9b). Given the eschatological context of 2 Clem. 10:3–5, just prior to 11:1, the future state of being “righteous” seems likewise to be eschatological. Similarly, 17:7 anticipates (surely not without controversy) that a distinction will be made within the believing community at the final judgment: only οἱ δίκαιοι will escape eternal torments, in part because they at present “bear the torments.” However, 15:3 intimates that being “righteous” can be realized in the nearer future: by “persevering” (ἐμμένω) in what they have 117 So Graham, Second Clement (see n. 35), 130. See further, Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 218. Phil 3:12: Οὐχ ὅτι ἤδη ἔλαβον ἢ ἤδη τετελείωμαι, διώκω δὲ εἰ καὶ καταλάβω, ἐφ᾿ ᾧ καὶ κατελήμφθην ὑπὸ Χριστοῦ [Ἰησοῦ]. 118 See Gregory/Tuckett, “2 Clement and the Writings” (see n. 7), 278–89 at 286–88, on 2 Clem. 14:2 and Eph 1:22; 5:23. In their essay, Gregory and Tuckett do not consider Phil 3:12. See further Tuckett, “2 Clement and Paul” (see n. 7).
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“believed,” they will be “righteous and holy” (15:3). It is notable that believers are not “righteous” because of what they “believed” (οἷς ἐπιστεύσαμεν) but because they “persevere.” In what they should “persevere,” or how they should do so, is not specified, however. With righteousness (δικαιοσύνη), one of ‘Clement’s’ “favorite words,”119 we find consistent connections to what the faithful are expected to do. For example, a Jesus logion probably indebted to Matt 7:21 includes “carrying out justice” as a requirement for being “saved” (2 Clem. 4:2). And in 11:7a to “carry out justice” is a prerequisite for entering God’s kingdom. Likewise, the arrival of God’s kingdom is to be awaited “hour by hour with righteousness” (12:1). In 13:1, “with [our] righteousness” likely refers to believers’ ethical conduct, as perceived by outsiders. In concluding his work, the author emphasizes that the pursuit (διώκω) of righteousness is key, and he acknowledges that it is still his own pursuit (18:2). In none of these verses about the righteous and their righteousness have we found a legalism advocating that one earn righteousness by means of works. Rather, it is a matter of justice to give repayment (ἀντιμισθία) to one’s salvific patron (1:3, 5; 9:7; 15:2), and thereby to remain in relationship120 with that patron, who, likewise, is “faithful” (πιστός) in making “repayments” (ἀντιμισθίας, 11:6). We infer that works cannot earn the status of being “righteous”; however, the hope of attaining that status could be lost due to a believer’s lack of reciprocity. In the conclusion to this article, we revisit this principle.
5. Noch einmal: Spätjudentum und Frühkatholizismus To what extent does the preceding analysis of faith and righteousness in Second Clement confirm, or call into question, a highlighting of Late Judaism’s influence on the writing (Windisch) or a construal of the writing as emblematic of Early Catholicism (Koester)? We will indicate serious flaws in both proposals. 5.1 Windisch on Resources from “Late Judaism” to Combat Gnosticism Above, we outlined Windisch’s views that Second Clement selectively121 uses the Synoptic “type” of New Testament material, that Second Clement 119
See above, on Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 92 (on 4:2); 193 (on 15:3). Second Clement never specifies how one gets into the relationship with the salvific patron except to emphasize that it was Christ’s initiative to “save” us. See above, on 2 Clem. 1:1–2. 121 A judgment about the author’s selectivity would, in our view, be difficult to make, even if there may well have been a selection based on his rhetorical purposes. One can120
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is markedly (if also lamentably) influenced by “Late Judaism,” and that Second Clement is written to oppose Gnosticism.122 Windisch presumes, moreover, that the “core of the New Testament teaching about Christ” is about Christ’s redemptive work through death and resurrection.123 In Second Clement, holds Windisch, that central New Testament doctrine “ganz und gar keine Rolle spielt.”124 Such a conspicuous deficiency in Second Clement’s theology represents, for Windisch, “a negation (Negierung) of the specifically Pauline gospel of grace.”125 Elsewhere, however, Windisch characterizes the writing’s theology as “pre-Pauline.”126 But the two conclusions are inconsistent: if Second Clement’s theology were “prePauline,”127 it would be anachronistic to dub the work a “negation” of the Pauline gospel.128 Today’s scholarship would rightly be reticent to construe a priori Paul as the (singular) basis for comparison with second-century Christian movements and literature, deeming those movements and that literature as either continuations or corruptions of Paul.129 The same reservation would hold for construing Second Clement as either a continuation or a corruption of the Synoptic “type” of Christianity. Nor would it follow, as Windisch seems to hold, that any deviation from Synoptic Christianity could be ascribed to Late-Jewish influences. Nevertheless, we may ask: are any of Windisch’s conclusions helpful for understanding faith(fulness) or righteous(ness) in Second Clement? The answer, we will suggest, depends a great deal on what one can assume about (the corrupting influences of) Late Judaism in relation to a (pure?) form of Synoptic or Pauline theology. Our analysis did not find that any of the seven passages on faith(fulness) unequivocally reflects a theology that not, however, presuppose that the author had access to all of the Synoptic Gospels (or even to all of Matthew), even if Second Clement seems to have used parts of Matthew. Moreover, the use of additional gospel materials (e.g., “the Gospel” cited in 2 Clem. 8:5) renders Windisch’s thesis difficult to demonstrate. 122 See above, on Windisch, “Christentum” (see n. 2), 126. 123 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 129. 124 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 129. 125 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 129. 126 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 133: “Sein Christentum ist in der Hauptsache als primitiv urchristlich und als vorpaulinisch zu bezeichnen.” 127 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 133. See the immediately preceding footnote. 128 Windisch, “Christentum” (see n. 2), 129. 129 Similarly Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 79 n. 26 (in response to R. Bultmann): “the tendency to assess, and judge, other texts by constant reference to Paul may betray an anachronistic, post-Reformation point of view that is unfair to the non-Pauline partner in the comparison.” Cf., op. cit., 80. Additionally, the use of a (presumed) canon within the canon could be an impetus for making Paul the standard by which his successors’ theologies are to be judged.
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scholarship of an earlier generation would have classified as “LateJewish.” Nor did we find a works-based legalism in any of the eleven passages that mention righteous(ness). Perhaps the closest Second Clement comes to a legalistic soteriology is in the paraphrase of Ezek 14:13–20 (2 Clem. 6:8–9, discussed above).130 On the surface, calling Noah, Job and Daniel “righteous” (δίκαιοι), referring to “their righteous deeds” (ταῖς ἑαυτῶν δικαιοσύναις), and claiming that Christians must, likewise, “have holy and just works” (ἔργα ἔχοντες ὅσια καὶ δίκαια) could sound quite legalistic. That purported legalism could then be seen to correlate with the legalistic stereotype of what Windisch derides as “the spirit of Late Judaism,”131 a stereotype that modern scholarship rightly rejects as historically inaccurate and prejudiced.132 Significantly, the message in Ezekiel 14 is decidedly not legalistic: each person is responsible for his or her conduct, and neither righteousness nor sinfulness can be inherited from one’s ancestors. Ezekiel 14 nowhere claims that a person’s δικαιοσύνη could earn salvation. Nor do we find that Second Clement ever makes such a claim. For Windisch’s inference about the corrupting influence of Late Judaism to hold water, it would be necessary to posit, first, that any deviation from the central teaching of Jesus or Paul would represent a corruption. Moreover, that corruption would have to be shown to have been caused by an external culprit – in this case, “der Geist des Spätjudentums” – not by, for example, inner-Christian conflicts or polytheistic influences. We would have absolutely no objection to comparing Second Clement with materials from the HB and Second Temple Judaism – an approach that we take up in this essay’s final subsection. Our main objection to Windisch is that his comparisons are superficial and based on a stereotype of ancient Judaism.133 For these reasons, we dismiss as unhelpful for understanding faith(fulness) and righteous(ness) in Second Clement Windisch’s remarks about Late Judaism. 130 2 Clem. 6:8–9: “And the Scripture also says in Ezekiel, ‘Even if Noah and Job and Daniel should rise up, they will not save their children’ in the captivity. [9] But if such righteous men could not, by their own righteous deeds, save their children, with what assurance will we, if we do not keep our baptism holy and without blemish, enter the kingdom of God? Or who will be our advocate if we are not found to have holy and just works?” 131 See above, on Windisch, “Christentum” (see n. 2), 124: “[M]it dieser Veräußerlichung berührt er sich mit dem Geist des Spätjudentums.” Likewise op. cit., 131: “[D]ie starke Beeinflussung durch den Geist des Spätjudentums hat jene spezifisch christlichen Lehrstücke zurücktreten lassen.” 132 See, e.g., E. P. Sanders, Judaism: Practice and Belief: 63 BCE – 66 CE (Philadelphia: TPI, 1992), 275–78, who correctly identifies Judaism of the Hellenistic-Roman period as “a religion of grace.” 133 Additionally, Windisch seems to construe Late Judaism as a monolithic entity that was wholly separate from the earliest Jesus movements.
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Writing in 1965, Holt Graham singled out Second Clement as something of an exception to G. W. H. Lampe’s generalization that, in the early second century, there were tendencies “toward an antinomian version of Paulinism or ‘a relapse into a Judaistic religion of moralism where salvation was once again to be won by human effort [and] the Kingdom of God was to be gained by merit’ …”134 “This is not entirely just if applied to our author,” says Graham, “for he is equally empathic in chapters 1–2 … that the Lord has saved us as he is here in his insistence on fidelity (also 3:3; 9:2, 5); and indeed the same flat contradiction, if it is that, is found in Philippians 2:12–13.”135 Graham’s response to Lampe, we hold, is also applicable to Windisch’s analysis of Second Clement’s theology and, as we will attempt to show, even to Rudolf Bultmann’s. Excursus: Bultmann’s Attribution of Second Clement’s “Legalism” to Influence from Hellenistic Asceticism In his Theology of the New Testament, Rudolf Bultmann labels Second Clement “a clear-cut peculiar kind of Christian legalism.”136 Although “clear-cut,” its legalism, Bultmann found, was by no means unique in early Christian literature: “The Christianity of II Clem[ent], then, is no less a legalistic one than is that of Herm[as], Ja[me]s, Did[ache], Barn[abas], and Hebrews.”137 Bultmann goes on to differentiate between the “legalism” of those five Christian writings, on the one hand, and that in Second Clement, Second Peter and Jude, on the other hand: “The Christianity of II Clem … differ[s] from theirs138 only in the fact that its legalism (as in II Pet. and Jude) is less shaped by the synagogue tradition and is more strongly influenced by certain Hellenistic tendencies of asceticism and flight from the world.”139 Relative to Windisch’s problematic basis for making comparisons with Late Judaism, we find two things particularly noteworthy. For one thing, Bultmann does not blame ancient Judaism for Second Clement’s (purported) legalism – a stance with which we would concur. Yet like Windisch, Bultmann seems to regard the similarity with “Hellenistic tendencies of asceticism” to be self-evident and not requiring argumentation based on 134
Graham, Second Clement (see n. 35), 122, paraphrasing, and then citing, Geoffrey W. H. Lampe, The Seal of the Spirit: A Study in the Doctrine of Baptism and Confirmation in the New Testament and the Fathers (London: Longmans, 1951), 100. 135 Graham, Second Clement (see n. 35), 122. 136 Rudolf Bultmann, Theology of the New Testament (London: SCM, 1959 [1948– 53]), 169–71 at 169. 137 Bultmann, Theology (see n. 136), 171. 138 I.e., from the Christianity (singular) of Hermas, James, Didache, Barnabas and Hebrews. 139 Bultmann, Theology (see n. 136), 171.
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a comparison with specific examples from the ancient world. Although Windisch and Bultmann draw divergent conclusions about what influenced the writing’s purported legalism (whether Judaism or Hellenism), their argumentation is equally feeble. 5.2 Koester on Developments in Early Catholicism to Combat Gnosticism Whereas Windisch and Bultmann discuss Second Clement’s theology relative to Jewish or Hellenistic influences, respectively, Helmut Koester highlights inner-Christian developments – in particular, in the rise of Early Catholicism. Several questions may be posed to Koester’s reclassification of Windisch’s categorization of Second Clement. Above all, we object to the fact that Koester, despite purporting differences from Windisch’s interpretation,140 does not provide a substantive alternative. Like Windisch, Koester acknowledges the influence on Second Clement of “the New Testament gospels of Matthew and Luke.”141 Also like Windisch, Koester places Second Clement in a role of opposing “gnosticism.”142 Koester’s alternative may thus be viewed as favoring, as most influential for Second Clement Windisch’s common Gentile-Christian type of Christianity (which Koester seems to relabel as “vernacular Catholic Christianity”), over Windisch’s Synoptic type of Christianity. Curiously, Koester does not define “Catholic Christianity,” a construction that, for him, seems to be synonymous with “anti-gnostic Christianity.”143 Nor does he state why he believes the “gnostic faith” opposed in Second Clement was “more dominant” than the version of Christianity propagated in that writing.144 We question the categorization of the nongnostic (and, for that matter, the non-Marcionite) forms of Christianity as “catholic” – a label that could seem to suppose that the various protoorthodox groups comprised a united, universal constituency.145 140
See above, on Koester, Introduction (see n. 1), 2:235 (“is actually”). Koester does not, however, advert to the similarity of his and Windisch’s views on this point. See Koester, Introduction (see n. 1), 2:235: Matthew and Luke “were probably drawn from a harmonizing collection of sayings which was composed on the basis of those two gospels”). See further Kelhoffer, “‘How Soon a Book’ Revisited” (see n. 44), esp. 40–49, 53–55; Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 160, 169–170, 202. 142 Koester, Introduction (see n. 1), 2:235, emphasis added. See above, on Windisch, “Christentum” (see n. 2), 126. Again, Koester does not note that he and Windisch agree on this opposition. 143 Koester, Introduction (see n. 1), 2:233, 235–236. 144 Koester, Introduction (see n. 1), 2:235. 145 Elsewhere in his Introduction (2:239), however, Koester insightfully problematizes the arbitrary positing of a distinction between “catholic Christians” and “the gnostics,” since both groups treasured Paul’s letters and “no clear literary borderlines between orthodoxy and heresy were established.” 141
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Perhaps the most decisive critique of labeling Second Clement as protoCatholic is the lack of any mention in the writing of an ecclesiastical hierarchy and the lack of an appeal for believers to submit to the teaching of that hierarchy.146 Nowhere does Second Clement connect faith with a set of beliefs or practices approved by a recognized church leader(ship). Nor is being “righteous” or carrying out “justice” subject to the approval of recognized leaders. The author presents himself as but a single elder among a group of elders, who speak of approval – and “repayments” (11:6) – directly from God without mediation from earthly bishops. For these reasons, we question the usefulness of “Early Catholic” as a heuristic category for understanding faith and righteousness Second Clement. The writing could, instead, be described as “pre-hierarchical,” since it does not display the very symptom (the monarchical episcopate) that New Testament scholarship has tended to identify with the rise of “Early Catholicism.” The lack of a bishop’s ability to separate the “righteous” from those in the Christian assembly who ultimately will be “miserable” (11:1) and who will face eternal “torments” (17:5–7) could have been part of the conundrum that, for the author of Second Clement, necessitated this writing. Might it, then, be helpful to describe Second Clement (along with, for example, the Didache and Hermas) as “pre-Catholic”?147 The answer, we suggest, could depend on whether “Early Catholicism” is pejorative, encompassing whatever does not fit the approved trajectory from Paul to Augustine to Luther.
6. Conclusion 6.1 Summation We have called into question the helpfulness of the categories “Late Judaism” (H. Windisch) and “Early Catholicism” (H. Koester) for analyzing words for faith and faithfulness, righteous and righteousness in Second Clement. We have, instead, at several junctures, found it illuminating to 146
See Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 127–128: “The writer seeks to exhort his addressees, and there is little evidence of a developing hierarchy or ‘church order’ in the community – or if there is (cf., the reference to the ‘presbyters’ in 17.3), the writer does not appeal to it in any significant way to bolster his own authority (beyond perhaps being the preacher of the sermon).” Tuckett (op. cit., 128 n. 3) also notes, “The situation seems to be rather different in e.g., the Pastoral epistles or Ignatius, where there is a clearly developed church ‘order’ and/or hierarchy.” 147 To address that question would require a separate essay. The answer would likely hinge on the explanatory power of “pre-Catholic” as a chronological (or developmental) antecedent to what could be construed as “Early Catholic.”
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interpret the writing’s repeated calls for reciprocity with Christ (or God) in light of the mutual expectations in a patron-client relationship (esp. 2 Clem. 1:1–3, 5; 9:7; 11:6; 12:1; 15:2). The interpretive framework of reciprocity between patrons and clients that we have suggested allows for a full appreciation of the believer’s ongoing obligations toward God without construing those obligations as an expression of legalism (R. Bultmann). The author of Second Clement can, without promoting legalism, both acknowledge salvation as the gift of God (for example, 1:1–2, 6–7) and demand a proper, and continuing, response to that gift (for example, 1:3, 5). We have also cited overcorrections by scholars, who, in our view, unnecessarily downplay the reciprocity with God that the writing repeatedly enjoins.148 Furthermore, we have shown how dubious it is to pejoratively criticize differences in Second Clement’s soteriology from those of Paul or the Synoptic Gospels by construing those differences as corruptions of earlier Christian traditions due to “the spirit of Late Judaism” (Windisch) or to the influence of Hellenistic asceticism (Bultmann). Our analysis shows that faith and faithfulness are valorized in Second Clement only insofar as they lead to an orthopraxis commensurate with the gift of salvation.149 Those who carry out “justice” (δικαιοσύνη)150 will themselves be “just” (δίκαιοι), whether in the nearer future (15:3) or after the final judgment (11:1; 17:7).151 Shedding the imprecise and unhelpful categories “Late Judaism” and “Early Catholicism” has allowed a more nuanced understanding of faith and righteousness in Second Clement to emerge.152 6.2 Limitations This essay’s conclusions are naturally limited to the passages on faith and righteousness that we have examined and may not pertain to other parts of Second Clement. In however a preliminarily fashion, we are inclined to infer that the passages examined here are representative of this writing as a whole, since we have highlighted numerous examples where reciprocity with God is not tantamount to legalism or evidence that an ostensibly pure Synoptic Christianity has become corrupted by ignoble Late-Jewish influences.
148 See above, on Lindemann, Clemensbriefe (see n. 29), 232 (on 11:1), 252 (on 17:5); Pratscher, Clemensbrief (see n. 35), 81 (on 2:4), 116 (on 6:9), 151 (on 11:1), 193 (on 15:3), 207 (on 17:3). 149 2 Clem. 2:3; 8:5; 11:1, 6; 15:2–3; 17:3a, 5. 150 See 2 Clem. 4:2; 6:9; 11:7; 12:1; 13:1; 18:2. 151 See further, on the occurrences of δίκαιος in 2 Clem. 2:4; 5:6–7; 6:9; 17:7. 152 The results of those analyses are summarized above.
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We have not taken a stand on the complex question of whether Second Clement does, indeed, respond to some form of “gnosticism” – a question whose treatment would require a separate essay.153 Additionally, we have mentioned in passing several similarities between Second Clement and the Gospel of Matthew.154 The extent to which Second Clement may perpetuate a particularly Matthean ethic may also be worth pursuing. 6.3 The Discounting of Present Legitimacy In regard to constructions of legitimacy in the present, relative to the need to be faithful under an actual or anticipated persecution, I have suggested, “Perhaps a correlation can be noted between devaluing a believer’s present standing, on the one hand, and the need to face present or anticipated adversity with courage, on the other hand.”155 Although Second Clement has rather little to say about persecution,156 an interest in devaluing some believers’ unfounded confidence in their present standing is quite conspicuous: at the final judgment, the author counters, each Christian’s conduct will or will not confirm his or her standing before God (11:1; 17:5–7). Repeatedly, our author casts doubt upon an overconfidence in believers’ present standing and admonishes that the faithful adhere to ethical conduct in anticipation of the final judgment. Second Clement is therefore to be viewed not merely as practical and hortatory but also as argumentative, theological and cautionary.157 6.4 Possible Comparisons with Paul and Judaism A proper comparison of Second Clement with Second Temple Jewish literature in all its variety, and without the legalistic stereotype denoted by 153
Many scholars, including H. Windisch, H. Koester and W. Pratscher, assume with little or no argument that Second Clement responds to some form of “Gnosticism,” a contention on which Tuckett, 2 Clement (see n. 31), esp. 50–57 casts doubt. See also Wengst, Zweiter Klemensbrief (see n. 35), 227. The question merits further investigation. 154 See 2 Clem. 2:4 and Matt 9:13; 2 Clem. 3:1 and Matt 10:32; 2 Clem. 4:2 and Matt 7:21; 2 Clem. 13:1 and Matt 6:1. 155 James A. Kelhoffer, Persecution, Persuasion and Power: Readiness to Withstand Hardship as a Corroboration of Legitimacy in the New Testament, WUNT 270 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 182, emphasis added. 156 But see above, on ἐμμείνωμεν (“let us endure,” 2 Clem. 15:3) and ὑπομείναντες τὰς βασάνους (“because they endured the torments,” 17:7a); see also a possible reference to persecution in 5:4 (μὴ φοβεῖσθε τοὺς ἀποκτέννοντας ὑμᾶς). That 10:3 likely does not refer to a situation of persecution, see Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 212–13. 157 See further Kelhoffer, “If Second Clement Really Were a ‘Sermon’” (see n. 65), esp. 96–99, on the problematic dichotomy many scholars have posed between the features of a practical “sermon,” on the one hand, and a theological letter (e.g., of Paul), on the other hand.
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the label “Late Judaism,” remains to be done. Likewise, a comparison of Second Clement with the Corpus Paulinum remains a desideratum. On both points, might E. P. Sanders suggest a way forward with his wellknown affirmations about how “Paul is in agreement with Palestinian Judaism”? Sanders holds that, for both Paul and Palestinian Judaism, “salvation is by grace but judgment is according to works”; that “works are the condition of remaining ‘in’” the covenant; and that works “do not earn salvation.”158 One need not accept all of Sanders’s conclusions159 to see their potential for constructively reconceptualizing Second Clement in relation to ancient Judaism. Tentatively, we suggest that the author of Second Clement would concur with the notions that “God saves by grace” (see above, on 2 Clem. 1:1–8) and that “within the framework established by grace [God] rewards good deeds and punishes transgression.”160 Second Clement does not, however, divulge a particularly “covenantal” theology,161 whether in relation to the Mosaic covenant or to that covenant’s fulfillment in Christ. Nor does the author of Second Clement ground his ethical admonitions in a
158 See E. P. Sanders, Paul and Palestinian Judaism: A Comparison of Patterns of Religion (London: SCM, 1977), 543 (emphases original): “[O]n the point at which many have found the decisive contrast between Paul and Judaism – grace and works – Paul is in agreement with Palestinian Judaism … There are two aspects of the relationship between grace and works: salvation is by grace but judgment is according to works; works are the condition of remaining ‘in’, but they do not earn salvation … The point is that God saves by grace, but within the framework established by grace he rewards good deeds and punishes transgression.” 159 See, e.g., Philip S. Alexander, Review of E. P. Sanders, Jesus and Judaism (London: SCM, 1985), in JJS 37 (1986): 103–6 at 105, who objects: “And what is wrong with ‘legalism’, once we have got rid of abusive language [e.g., in New Testament scholarship] about ‘hypocrisy’ and ‘mere externalism’? It is neither religiously nor philosophically self-evident that a ‘legalistic’ view of the world is inferior to one based on ‘grace’. If we fail to take a firm stand on this point we run the risk of seriously misdescribing Pharisaic and Rabbinic Judaism, and of trying to make it over into a pale reflection of Protestant Christianity.” 160 Alexander, Review (see n. 159), 105. See the citation in the immediately preceding footnote. 161 Cf., Sanders’s definition of covenantal nomism (Sanders, Paul, [see n. 158], 75): “Briefly put, covenantal nomism is the view that one’s place in God’s plan is established on the basis of the covenant and that the covenant requires as the proper response of man his obedience to its commandments, while providing means of atonement for transgression.” In the introduction to his commentary, Tuckett, 2 Clement (see n. 31), 71 states that the author of Second Clement “presents a ‘pattern of religion’ which is very similar in one way to the ‘covenantal nomism’ as identified by Sanders.” Tuckett does not take up this similarity elsewhere in his commentary, however. See further Tuckett, “2 Clement and Paul” (see n. 7), 537–38.
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particular concept of νόμος – including a (new) “law of Jesus Christ.”162 Nevertheless, the repeated demands that each believer produce “holy and just works” (2 Clem. 6:9b) and thereby render “repayment” to Christ (1:3, 5) or God (9:7; 15:2) could merit comparison with Sanders’s construal of grace in relation to judgment in Paul and Second Temple Jewish literature. To remain within God’s salvific framework, “payback” in the form of gratitude and good works is a sine qua non. Given that, in the last four decades, scholarship on Paul has been challenged and enriched by newer perspectives on the apostle in relation to ancient Judaism,163 the time is ripe for scholarship on Second Clement to embrace a similar challenge.
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See Ign. Magn. 2:1; Barn. 2:6. The word νόμος never occurs in Second Clement. See above, on 2 Clem. 6:9b. The recent study of John M. G. Barclay, Paul and the Gift (Grand Rapids: Eerdmans, 2015), focusing on the notion of the divine gift in Romans and Galatians, offers much food for thought in this regard. In a paper given at Uppsala University (“Did Paul Believe in the One-Way Gift?” on 11. September 2014), Barclay outlined his study’s goal of going beyond E. P. Sanders and the “new perspective,” without returning to traditional Protestant understandings of grace. Barclay also discusses the notion of the gift in a variety of Second Temple Jewish writings. 163
Gott denken oder Gott glauben Zur Rolle der πίστις in den Stromateis des Klemens BEATRICE WYSS
1. Einleitung – Thesen Eine Untersuchung über den Glauben im Werk eines Christen mag müßig scheinen: Christen glauben, was ist daran besonders? Credo heißt das Bekenntnis. Ein genauerer Blick auf die Vorstellungen, die der christliche Lehrer Klemens aus Alexandria mit dem Glauben verknüpft, lohnt sich gleichwohl.1 Denn seine Gedanken zeigen, dass er nicht nur theologische Fragen des Glaubens behandelt, wie man das von einem Christen erwartet, sondern auch den erkenntnistheoretischen Wert der πίστις begründet, genauer, Klemens sucht πίστις als Wahrheits- und Handlungskriterium zu erweisen. Die philosophisch-theologische Diskussion des Glaubens unternimmt Klemens in den Stromateis.2 Deshalb bildet dieses Werk, das die 1
Einführung in Klemens’ Leben und Werk: R. FEULNER, Clemens von Alexandrien, Frankfurt a.M. 2006. H. CHADWICK, Early Christian Thought and the Classical Tradition, Oxford 1966, 31–65, zu πίστις 51–54; S. LILLA, Clement of Alexandria. A Study in Christian Platonism and Gnosticism, Oxford 1971, zum Glauben bes. 118–142; E.A. C LARK, Clement’s Use of Aristotle. The Aristotelian Contribution to Clement of Alexandria’s Refutation of Gnosticism, New York 1977, zu πίστις 16–26; D. W YRWA, Die christliche Platonaneignung in den Stromateis des Clemens von Alexandrien, Berlin 1983, zu πίστις 152–162; U. SCHNEIDER, Theologie als christliche Philosophie, Berlin 1999, zu πίστις 281–298. – Wo nicht anders vermerkt, stammen die Übersetzungen von der Autorin; Klemens zitiere ich nach der Ausgabe von L. FRÜCHTEL/O. STÄHLIN/ U. TREU, Clemens Alexandrinus, Bände 2–3, Berlin 1960/1970, deutsche Übersetzung: O. STÄHLIN, Des Clemens von Alexandreia Teppiche wissenschaftlicher Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie, 3 Bände, Nendeln 1968 (Erstdruck München 1936–38). 2 FEULNER, Clemens (s. Anm. 1), 31–33 zu den Stromateis. Der Titel Stromateis bedeutet „Teppiche“, das Werk gehört zur literarischen Gattung der Buntschriftstellerei, die im 2. Jahrhundert beliebt war: Claudius Aelianus (160/170–222/238) verfasste 14 Bücher Varia historia, Aulus Gellius (etwa 125/130 – nach 170) 20 Bücher Noctes Atticae, Athenaios aus Naukratis (2. Jh.) 15 Bücher Deipnosophistai. Klemens’ Stromateis gehören zu dieser Gattung im Hinblick auf den Umfang des Werkes, die Fülle der literarischen Anspielungen, die Vielfalt des Inhalts und die auf den ersten Blick zufällige
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Verknüpfung philosophischer mit biblischen Gedanken gleichsam im Titel trägt, die Grundlage des Folgenden. Innerhalb dieses Großwerks konzentriert sich die Beschäftigung mit dem Glauben auf unterschiedlich große „Blöcke“.3 Klemens gestaltet seine Gedanken in den Stromateis verschlungen in Form eines literarischen Teppichs; das Motiv des Glaubens knüpft er aus verschiedenen Fäden, paganen, alttestamentlichen, hellenistischjüdischen und christlichen, außerkanonischen bis gnostischen, wie Stählin in den Anmerkungen seiner Übersetzung zeigt. Klemens’ Argumentation, dass πίστις das Wahrheits- und Handlungskriterium sei, leitet zu einer weiteren auf den ersten Blick naiven Frage: Warum versucht er, πίστις als Wahrheits- und Handlungskriterium zu erweisen? Warum ist es ihm so wichtig, einen consensus omnium philosophorum zu behaupten, wonach die Basis jeder Philosophie und wichtiger noch, der Wahrheit überhaupt, im Glauben liegt? Auf diese Frage scheinen zwei Antworten möglich: Erstens reagiert Klemens auf zeitgenössische Debatten unter Philosophen, ob und wie Erkenntnis möglich ist, und damit verbunden, worin das Wahrheitskriterium besteht; diese Vermutung legt eine genaue Lektüre des 8. Buches der Stromateis nahe. Zweitens unternimmt Klemens in den Stromateis eine intellektuelle Begründung des Christentums als „barbarische Philosophie“4 und kommt deshalb nicht umhin, ein zentrales Element christlichen Nachdenkens über Gott, den Glau-
Anordnung der Gedanken und unterscheiden sich von den paganen Beispielen im philosophischen Ernst, der intellektuellen Anforderung an den Leser und der spirituellen Ausrichtung des Ganzen. 3 Stromateis 2,1,1–55,6; 5,1,1–13,4; 7,55,1–56,2; 8,5,1–4; 8,7,1–8. Die Grenzen des Blockes in Buch 5 sind deutlich. Der Beginn 5,1,1 „Jetzt wollen wir uns dem Folgenden zuwenden und zwar müssen wir nochmals den Glauben genau betrachten.“ Das Ende 5,14,1 „Über den Glauben haben wir nun genug Zeugnisse aus den griechischen Schriften angeführt.“ – Die Grenzen des Blockes in Buch 2 lassen sich nicht scharf ziehen. Die Angaben im Text bieten eine Annäherung: 2,1,1 „Ferner wird in den Abschnitten über Glauben und Weisheit, über Erkenntnis und Wissen, über Hoffnung und Liebe, über Busse und Enthaltsamkeit und vor allem über die Gottesfurcht … all das besprochen werden.“ (Die Übersetzungen in dieser Anmerkung sind von STÄHLIN [s. Anm. 1]). 4 Ἡ βάρβαρος φιλοσοφία ist als Bezeichnung für Christentum (und Judentum) geläufig: Stromateis 1,89,2; 2,1,1; 2,5,1; 5,51,1; 5,96,5; 6,123,3; 6,130,1; 8,1,2. Auch Tatian spricht von sich als ὁ κατὰ βαρβάρους φιλοσοφῶν (Oratio ad Graecos 42,1); G. BOYSSTONES, Post-Hellenistic Philosophy. A Study of Its Development from the Stoics to Origen, Oxford 2001 (22003) plädiert für das Konzept der „ancient wisdom“, womit sich Stoiker, Platoniker, Juden, Ägypter, seit dem 1. Jahrhundert v.Chr. identifizierten. Zu Grunde liegt der Gedanke, dass „alte, ursprüngliche Völker“ (z.B. Ägypter, Inder, Kelten) über ursprüngliches, wahres Wissen verfügten; sowohl Juden als auch Christen versuchten, ihre Weltanschauung als βάρβαρος φιλοσοφία innerhalb dieses Schemas zu etablieren (BOYS-STONES, Post-Hellenistic Philosophy, 76–95 zu den Juden, 176–202 zu den Christen).
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ben, rational zu begründen; diese Sicht legt ein Blick auf weitere, zeitgenössisch-philosophische Texte nahe. Das Wort πίστις ist mehrdeutig, ebenso das deutsche Wort „Glauben“: a) wir glauben an Gott, b) wir glauben jemandem (wir gehen davon aus, dass das, was dieser Jemand sagt, wahr ist), c) wir glauben etwas, weil wir entweder keine Beweise dafür haben, aber der unmittelbare Eindruck evident ist, d) oder wir glauben etwas, weil die Sache uns hinlänglich bewiesen worden ist: Glauben kann sowohl die Haltung vor der rationalen Argumentation bezeichnen (manche Dinge müssen geglaubt werden, weil sie nicht bewiesen werden können, z.B. das Axiom 1 + 1 = 2), manches glauben wir, nachdem wir uns durch Argumente oder Beweise haben überzeugen lassen. Je nach Kontext betrifft Glauben religiöse, erkenntnistheoretische oder ethische Fragestellungen. Ähnlich steht es mit Klemens’ Verwendung des Lexems πίστις, das er sowohl im Sinn von „religiöser Glaube“ kennt als auch im Sinn von „Vermuten“ und „Annehmen“ sowie „Glauben“ im Sinn von „Für-Wahr-Halten“. Dieser Befund scheint banal, ist es aber nicht: in Klemens’ Lebenszeit hatte πίστις nicht die theologische Bedeutung „Glauben“, und in den philosophischen Diskussionen der Zeit (1.–2. Jh.) findet sich das Lexem bevorzugt in der Bedeutung „Beweis“. Es ist daher wichtig, sowohl Klemens’ theologische als auch philosophische Argumentation zur πίστις zu untersuchen, um Klemens’ eigenen Beitrag zur theologisch-philosophischen Diskussion seiner Zeit zu erfassen. Das Motiv des Glaubens ist vielfältig, doch bei aller Vielfalt einheitlich, wie folgender systematisierender Überblick zeigt. Der Nachteil dieser Systematisierung liegt darin, dass sie die Einheit des gedanklichen Gewebes zerreißt und Verbindungen schafft, die Klemens so nicht vorgesehen hat, und Gedankenverknüpfungen löst, die Klemens gewollt hat. Der zweite Nachteil liegt darin, dass die Auflösung des Textgewebes in einen theologischen und einen philosophischen Strang Klemens’ Grundanliegen hintertreibt, eine theologisch begründete Philosophie bzw. eine philosophisch begründete Theologie zu etablieren.5 Wenn wir aber Klemens’ Beitrag zur damaligen philosophischen Diskussion erkennen wollen, kommen wir um eine Trennung und Systematisierung seiner Gedanken nicht umhin.
5
Eine gute Geschichte des Begriffs θεολογία gibt C. MARKSCHIES, Kaiserzeitliche christliche Theologie und ihre Institutionen. Prolegomena zu einer Geschichte der antiken christlichen Theologie, Tübingen 2007, 11–31.
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2. Der theologische Wert der πίστις Klemens verortet den Glauben sehr hoch, nah bei Gott: Der Glaube ist eine Macht Gottes, da er eine Kraft der Wahrheit oder der Weisheit ist (2,48,4: καὶ ἡ πίστις δύναμίς τις τοῦ θεοῦ, ἰσχὺς οὖσα τῆς ἀληθείας; 5,83,5), wobei Wahrheit in diesem Zusammenhang weniger als erkenntnistheoretische Größe, sondern als ein Attribut Gottes zu verstehen ist (Joh 1,14). Es ist der Glaube, der ohne Nachforschung Gottes Existenz kennt (7,55,2). Der Glaube ist nicht nur eine Macht, sondern auch ein Gnadengeschenk Gottes (2,14,3: ἡ πίστις δὲ χάρις). Versucht man, diese Aussagen auf einen Nenner zu bringen, so beruht die Beziehung zwischen Mensch und Gott auf Glauben. Der Glaube hat eine soteriologische Funktion, denn er wirkt über das Leben hinaus, er ist die Kraft zur Rettung des Menschen und eine Macht zum ewigen Leben (2,53,5: πίστις δὲ ἰσχὺς εἰς σωτηρίαν καὶ δύναμις εἰς ζωὴν αἰώνιον, vgl. 5,85,1). Auch wenn Klemens’ Ausführungen zum Glauben bisweilen widersprüchlich oder zirkulär erscheinen, wird doch deutlich, dass πίστις die Größe ist, welche das Verhältnis von Mensch zu Gott regelt, die Brücke des Menschen zu Gott, um ein Bild zu benutzen; πίστις umfasst auf der Zeitebene Vergangenheit (2,53,1) und Zukunft (5,85,1); πίστις im Verbund mit weiteren Tugenden (2,31,1–2) ist eine innere Haltung und ein Verhalten, das nicht nur den Einzelnen und sein Verhältnis zu Gott betrifft, sondern auch die Gemeinde als Ganzes: Glaube ist die Kraft, die die Kirche zusammenhält (2,55,3); in Klemens’ Worten: „die Liebe schafft durch die Freundschaft mit dem Glauben die Gläubigen, Glaube aber ist Grundlage der Liebe“ (2,30,3: ἡ μὲν γὰρ ἀγάπη τῇ πρὸς τὴν πίστιν φιλίᾳ τοὺς πιστοὺς ποιεῖ, ἡ δὲ πίστις ἕδρασμα ἀγάπης). Kernthemen christlichen Denkens wie eben die Liebe (ἀγάπη), aber auch Gottesfurcht (φόβος κυρίου 2,53,3; 2,55,4), Gehorsam (2,48,4), Buße und Reue (2,27,1; 2,45,1; 2,56,1), Hoffnung (2,27,1; 5,13,4), Friede (2,51,5),6 Gerechtigkeit (2,29,3) sind auf eine nicht immer ganz genau rekonstruierbare Weise mit der πίστις verknüpft. Beispiele für Klemens’ komplexe Komposition und zirkuläre Gedankenführung sind folgende: Glaube gründet in der Liebe (2,30,2: ὑπὸ ἀγάπης ἐθεμελιώθη), Glaube ist Grundlage der Liebe (2,30,3), wobei Liebe, ἀγάπη, in spezifisch christlich-theologischen Sinn zu verstehen ist 6 Für den, in paganen Augen, willkürlichen Zusammenhang von Glaube und Friede bringt Klemens andernorts Beispiele aus der paganen Philosophie: Er erwähnt den römischen König Numa, der ihm als Pythagoreer gilt, der einen Tempel der Pax und der Fides gestiftet habe (Stromateis 5,8,4 Πίστεως καὶ Εἰρήνης ἱερὸν ἱδρύσατο, vgl. Plutarch, Numa 16,1); Platon nimmt Klemens als Gewährsmann für die Ansicht, dass der größte Wunsch der nach Friede sei (2,23,5).
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(1Joh 4,7–21): Ob jetzt der Glaube die Grundlage der Liebe oder die Liebe die Grundlage des Glaubens ist, ist vielleicht von untergeordneter Wichtigkeit. Die Liebe erscheint als eine Art Mittlerinstanz zwischen Gott und dem Menschen, etwas, das alles durchzieht und einen Kontakt zwischen dem Göttlichen und Menschlichen ermöglicht.7 Andernorts bezeichnet Klemens Glaube, Liebe und Erkenntnis als Anfang und Ende der christlichen Lehre (7,55,6). Die Erkenntnis (γνῶσις), die Klemens höher wertet als πίστις, lasse ich hier aus: πίστις ist die Grundlage der γνῶσις, beide bedingen einander (5,1,3). Der Glaube zeigt sich als die erste Hinneigung zum Heil, nach ihm bringen Furcht, Hoffnung und Buße zusammen mit Enthaltsamkeit und Geduld den Fortschritt und führen den Gläubigen zu Liebe und Erkenntnis (2,31,1). πίστις wird so zum Zentrum des Nachdenkens über Gott und zur Basis des Handelns des Christen. Ein Aspekt möchte ich besonders hervorheben, und das sind die erkenntnistheoretischen Implikationen des Glaubens. Klemens entwickelt in den Stromateis eine Art christliche theologische Erkenntnistheorie. Als platonisch geprägter Christ ist er von der Unerfassbarkeit Gottes überzeugt. Den ontologisch-erkenntnistheoretischen Graben überbrückt der Glauben gleichsam dreifach: 1. Ausgehend vom johanneischen Diktum, dass Gott Liebe ist (1Joh 4,16), erklärt Klemens, dass Gott von denen erkannt werde, die ihn lieben; Erkenntnis Gottes bedingt Liebe zu Gott (vgl. 2,31,1). Christen müssen Gott lieben, um durch das Gleiche das Gleiche zu schauen (5,13,2). Andernorts schreibt Klemens, dass man dem Lehrer erst glaubt, und ihn dann liebt (5,17,1). Liebe ist, bezogen auf Gott oder einen menschlichen Lehrer, unabdingbar zur Erkenntnis.8 2. Christologie und Erkenntnistheorie gehen zusammen. Dies zeigt sich zum einen zu Beginn des 5. Buches der Stromateis, zum anderen in den Überlegungen, die Klemens dem Hören widmet. Ausgehend von der Feststellung, dass Gnostiker zwischen dem Glaube und der Erkenntnis unterscheiden,9 weil sich der 7 Für den wahren Gnostiker, Klemens’ Ideal, hat die Liebe alles durchdrungen, weil er weiß, dass es einen einzigen Gott gibt (2,53,2: διὰ πάντων γὰρ ἡ ἀγάπη τῷ γνωστικῷ πεφοίτηκεν ἕνα θεὸν εἰδότι). Klemens spricht von διὰ πάντων … πεφοίτηκεν; SapSal 7,23: καὶ διὰ πάντων χωροῦν πνευμάτων und 8,1: διατείνει δὲ ἀπὸ πέρατος ἐπὶ πέρας vermitteln einen ähnlichen Gedanken: Sophia als Mittlerinstanz, die alles durchdringt. 8 Liebe zur Erkenntnis: Dieser Gedanke ist nur auf den ersten Blick verwunderlich: In Platons Denken, genauer im Symposion, ist es der Eros, der den Menschen zur Ideenschau und damit zur Erkenntnis anregt. 9 In der Forschung denkt man, dass er die Ausführungen zum Glauben besonders gegen gnostische Ansichten richtet: C LARK, Use of Aristotle (s. Anm. 1), 23f. mit Verweis auf Stromateis 2,10,1–2,11,2 und 2,52,3; SCHNEIDER, Theologie (s. Anm. 1), 291, J. KOVACS, Divine Pedagogy and the Gnostic Teacher according to Clement of Alexandria, JECS 9 (2001) 3–25, 20 Anm. 75 mit Verweis auf Stromateis 5,1,1–5,5,3. Klemens erwähnt folgende Gnostiker und ihr Anhänger namentlich: Basilides (2,10,1; 2,10,3; 2,27,2; 2,36,1; 5,3,2–3), Valentinus (2,10,2; 2,36,2–5,3,3), Marcion (2,39,1; 5,4,2), Si-
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Glaube auf den Sohn, die Erkenntnis auf den Vater beziehe (5,1,1), fasst Klemens die erkenntnistheoretische Bedeutung der Menschwerdung Christi in eine prägnante Formel: ἐκ πίστεως γὰρ εἰς γνῶσιν, διὰ υἱοῦ πατήρ (5,1,4), „aus Glauben“ kommt man „zur Erkenntnis, durch den Sohn“ wird „der Vater“ erkannt (5,12,2: ὅτι δι’ υἱοῦ ὁ πατὴρ γνωρίζεται). Denn Gott selbst verkündigte durch seinen Sohn die Schriften. Niemand hat den Vater erkannt als der Sohn (Mt 11,27; Stromateis 5,84,3). Weil Christus, der Logos, der Lehrer der Menschen ist, spielt Christus in der Vermittlung des göttlichen Heilsplanes für die Menschen eine zentrale Rolle.10 Klemens schreibt: „Denn da die Seele zum Erfassen des Seienden zu schwach war, bedurften wir eines göttlichen Lehrers; herabgesandt wird der Retter, der Lehrer zum Erwerb des Besten und Chorführer“ (5,7,8: ἐπεὶ γὰρ ἠσθένει πρὸς κατάληψιν τῶν ὄντων ἡ ψυχή θείου διδασκάλου ἐδεήθημεν· καταπέμπεται ὁ σωτήρ, τῆς ἀγαθοῦ κτήσεως διδάσκαλός τε καὶ χορηγός – zu κατάληψις s. unten S. 731). In dieser Vermittlung spielen Glaube und Gehorsam eine wichtige Rolle: Dem Logos, dem Lehrer, gehorchen, heißt, ihm glauben, wobei der Gegenstand des Glaubens die Erkenntnis und Gegenstand der Erkenntnis der Glaube sei (2,16,2, ähnlich 2,12,1; 2,25,3). 3. Die enge Verknüpfung von Gott, Glauben und Erkenntnis dient, erkenntnistheoretisch gesprochen, als Wahrheitskriterium. Wer dem Wort des Herrn glaubt, weiß, dass der Inhalt wahr ist (2,9,6; 2,12,1: καὶ ὁ τῷ λόγῳ πιστεύσας οἶδεν τὸ πρᾶγμα ἀληθές). Der Glaube dient aber auch als Handlungskriterium: Wer den göttlichen Schrifmon (2,52,2). Es geht freilich nicht nur um die Gnostiker; andernorts wendet er sich an die Juden: 2,2,1 und A. LE B OULLUEC, Pour qui, pourquoi, comment? Les stromates de Clément d’Alexandrie, in: A. Le Boulluec/C.G. Conticello (Hg.), Alexandrie antique et chrétienne. Clément et Origène, Paris 2006, 95–108, 102–104. Dass Klemens im 2. Buch der Stromateis eine Auseinandersetzung mit den griechischen Philosophen plant, macht er zu Beginn deutlich (2,2,1–2). Später weist Klemens in der Glaubensdiskussion zweimal explizit auf die Griechen hin (2,8,4; 2,30,1). 10 Zu Christus als Lehrer KOVACS, Divine Pedagogy (s. Anm. 9). – Die Frage, die in der Forschung viel diskutiert wurde, nach den Ursprüngen der sogenannten alexandrinischen Katechetenschule, betrifft meine Fragestellung nicht. Für Interessierte z.B. C. SCHOLTEN, Die Alexandrinische Katechetenschule, JAC 38 (1995), 16–37. Scholten beschäftigt sich hauptsächlich mit Origenes und nur am Rand mit Klemens (34–37); Scholten löst die Schule vom Katechumenat, plädiert für eine theologische Akademie (37) nach Art der paganen, besonders platonischen Philosophenschulen. A. VAN DEN HOEK, The „Catechetical“ School of Early Christian Alexandria and Its Philonic Heritage, HThR 90 (1997), 59–87. Sie hält Eusebios für eine zuverlässige Quelle. Klemens war Priester und an der Taufausbildung der Konvertiten beteiligt (Katechese, Paedagogus). D. W YRWA, Religiöses Lernen im zweiten Jahrhundert und die Anfänge der alexandrinischen Katechetenschule, in: B. Ego/H. Merkel (Hg.), Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung, WUNT 180, Tübingen 2005, 271–305, zu Klemens 291–301.
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ten glaubt, hat ein festes Urteil (2,9,6; 2,12,1). Klemens widerspricht sich hier nicht, sondern betont den umfassenden Wert des Glaubens, sowohl als Wahrheits- als auch als Handlungskriterium. Medium der Glaubensvermittlung ist die Predigt, oder allgemeiner, das Hören des Gotteswortes: Der Glaube kommt aus der Predigt, die Predigt durch das Wort Christi.11 Klemens führt den Glauben über das Hören (δι’ ἀκοῆς) und die Predigt der Apostel (τῆς τῶν ἀποστόλων κηρύξεως) hinweg auf das Wort des Herrn (ἐπὶ τὸ ῥῆμα κυρίου) und den Sohn Gottes zurück (τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ 2,25,3; vgl. 2,9,6). Klemens spricht von ῥῆμα, nicht von λόγος: Es ist das gesprochene Wort, das wirkt und den Glauben bringt, und keine intellektuelle Mittlerinstanz: Diese Vorstellung würde Klemens mit dem Gebrauch des Lexems λόγος wachrufen. Klemens betont, dass das Hören zum Glauben führt (5,2,1 mit Zitat Mt 11,15). Während der philosophisch versierte Tora-Exeget Philo aus Alexandria, dem Klemens in Vielem folgt, das Gehör als störungsanfälligen Sinn gering achtet (z.B. fug. 208), spricht Klemens dem Gehör einen hohen Wert zu: Das Hören der guten Botschaft, des Gotteswortes, führt unmittelbar zum Glauben. Im Hintergrund steht zum einen wohl tatsächlich die mündliche Unterweisung im christlichen Glauben, zum anderen ringt Klemens, wie alle Platoniker und platonisch geprägten Denker, mit der ontologischerkenntnistheoretischen Kluft, die zwischen Gott und Mensch besteht: Gott ist nicht erfassbar (Philo, Deus 62: ὁ [sc. ὁ θεὸς] δ’ ἄρα οὐδὲ τῷ νῷ καταληπτός – Gott ist also auch nicht mit dem Verstand erfassbar), von dieser Prämisse geht auch Klemens aus (5,7,7–8, mit Zitat Ex 33,20). Das christliche Denken bietet eine Lösung, diesen ontologisch-erkenntnistheoretischen Abstand zu überbrücken, im Dogma der Menschwerdung Gottes (Joh 1,14: Καὶ ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡμῖν, καὶ ἐθεασάμεθα τὴν δόξαν αὐτοῦ, δόξαν ὡς μονογενοῦς παρὰ πατρός, πλήρης χάριτος καὶ ἀληθείας). Gott manifestiert sich in seinem Sohn Jesus Christus. Die Worte, die Jesus sprach, sind also Worte Gottes; Jesu Mitstreiter, die Apostel, waren Ohrenzeugen dieser Worte und vermittelten sie in der Predigt weiter: So hört der Mensch vermittelt über die Predigt der Apostel und die Worte Jesu in den Evangelien Gottes Wort (2,25,3): Den tiefen Graben zwischen Gott und Mensch überbrückt der Glauben, der sich einstellt, wenn der Mensch die über die Apostel und die Evangelien vermittelten Worte Gottes hört.12 Auch in der Etymologie des Namens „Abraham“ sieht Klemens einen Hinweis auf die Wichtigkeit des Hörens: Abraham bedeutet „auserwählter Vater des Schalls“, das ausgesprochene 11 Διὰ ῥήματος Χριστοῦ, Röm 10,17, Stromateis 2,25,1 – von ῥῆμα κυρίου spricht die LXX, z.B. Gen 15,1. 12 Clemens Alexandrinus, Stromateis 5,2,1; 5,2,3, Zitat Röm 1,11.17. Zum Glauben der Apostel s. auch 5,2,4–6; 5,3,1; 5,9,2, dazu LILLA, Clement (s. Anm. 1) 136–142.
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Wort (ὁ γεγωνὸς λόγος) schallt, dessen Vater aber ist der Geist (νοῦς), auserwählt ist der Geist des Guten.13 Die Kenntnis Gottes vermittelt der Unterricht den Gläubigen (5,13,1). Freilich braucht es für die Aufnahme der Botschaft eine natürliche Fähigkeit der Zuhörer.14 Wenn aber der Wille zum Glauben fehlt, nützt Unterweisung nichts (2,26,1). Diese natürliche Prädisposition macht den Hörer empfänglich für das Gehörte. Am besten ist laut Klemens die Untersuchung, die sich mit dem Glauben verbindet und auf der Grundlage des Glaubens die Erkenntnis der Wahrheit aufbaut (5,5,2). So wie es Gläubige gibt, die für den Glauben empfänglich sind, so gibt es Ungläubige, diese sind unverständig (5,5,1 mit Jes 59,8) und verhindern die Aufnahme des Glaubens, indem sie spitzfindige und trügerische Fragen stellen (ein Katalog sinnloser Fragen findet sich 5,5,3). Die einen sind ungläubig, die anderen streitsüchtig,15 beide kommen nicht zum Guten (5,7,1). Klemens spricht in Anspielung auf den Korintherbrief von Scheinweisen und Wortkämpfern (1Kor 1,19–20; Stromateis 5,8,1). Von Gott Beweise (ἀποδείξεις) zu verlangen, betrachtet Klemens ebenfalls als gottlos (5,6,1). Wenn der Mensch zum Glauben bereit ist, benötigt er dennoch ein Bündel Tugenden, um durch den Glauben zur Erkenntnis zu gelangen, es sind dies: Furcht, Geduld, Langmut, Selbstbeherrschung, Weisheit, Einsicht, Wissen, Erkenntnis.16 Er schließt daraus: Da nun diese Tugenden Voraussetzungen der Erkenntnis (γνῶσις) sind, muss der Glaube die noch wich13
Philo, Cher. 7, fast wörtlich zitiert Stromateis 5,8,6 (zu Klemens’ Verwendung von Philo s. A. VAN DEN HOEK, Clement of Alexandria and His Use of Philo in the Stromateis. An Early Christian Reshaping of a Jewish Model, SVigChr 3, Leiden 1988). – Andernorts gilt gestützt auf Gen 15,6 Abraham als exemplarisch Glaubender, eine Sicht, die bereits Paulus vertreten hat (z.B. Röm 4,1–25). Gen 15,6: καὶ ἐπίστευσεν Αβραμ τῷ θεῷ, καὶ ἐλογίσθη αὐτῷ εἰς δικαιοσύνην, zitiert oder paraphrasiert z.B. in Röm 4,3.9.22; Gal 3,6; Jak 2,23. Abraham als Exemplum des Glaubens bei Klemens: Stromateis 2,28,4; 5,4,1; 5,8,5–7. Abraham als Exemplum des Glaubens ist nur eine mögliche Sicht auf den Erzvater; weitere s. C. B ÖTTRICH/B. EGO/F. EISSLER, Abraham in Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2009, 11–61 (Judentum), 62–115 (Christentum – ohne Klemens). 14 Clemens Alexandrinus, Stromateis 2,25,4: οὕτω καὶ τὴν διδασκαλίαν ἀξιόπιστον εἶναι συμβέβηκεν, ὅταν ἡ πίστις τῶν ἀκροωμένων, τέχνη τις ὡς εἰπεῖν ὑπάρχουσα φυσική, πρὸς μάθησιν συλλαμβάνῃ. Die Lehre wird glaubwürdig, wenn der Glaube der Schüler, gleichsam eine Art natürliche Fähigkeit, beim Lernen hilft. 15 Klemens spielt unter der Bezeichnung Eristiker (ἐριστικοί) u.a. auf Vertreter der philosophischen Richtung der pyrrhonischen Skepsis an; dazu B. W YSS, Akademie, Akademiker und Skeptiker. Studien zur Rezeption der Akademie in der lateinischen und griechischen Literatur des zweiten Jahrhunderts nach Christus, Freiburg (CH) 2008, 37– 40. Mehr zu Klemens’ Auseinandersetzung mit dem Pyrrhonismus S. 736–747. 16 Clemens Alexandrinus, Stromateis 2,31,2 mit Zitat Barn 1,5; 2,2, φόβος, ὑπομονή, μακροθυμία, ἐγκράτεια, σοφία, σύνεσις, ἐπιστήμη, γνῶσις.
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tigere Voraussetzung sein; er ist für den Träger der Erkenntnis so notwendig wie für den Lebenden das Atmen zum Leben (2,31,3). Damit verlassen wir Klemens’ Ausführungen zur theologischen Bedeutung der πίστις und widmen uns seinen philosophisch scheinenden Glaubensdefinitionen. Zwei Bemerkungen vorneweg: Glauben als religiöse Kategorie kennen pagane Philosophen nicht. Πίστις spielt im Denken zahlreicher kaiserzeitlicher Philosophen im Allgemeinen keine große Rolle, und wenn wir das Lexem in philosophischen Texten finden, dann meist in der Bedeutung „Vertrauen“, „Vermuten“ oder „Beweis“.17 In Aristoteles’ umfangreichen Corpus kommt πίστις oft in der Bedeutung „Beweis“ vor; diesen Wortgebrauch übernehmen der Kommentator Alexander aus Aphrodisias und der Pyrrhoneer Sextus Empiricus; in ihrem Werk finden wir das Lexem πίστις häufig, und zwar in Alexanders Diskussion der Syllogismen und in Sextus Empiricus’ Diskussion des Wahrheitskriteriums.
3. Philosophisch: πίστις als Kriterium In der paganen Philosophie gibt es grundsätzlich zwei Wege zur Erkenntnis. Entweder gilt die Sinneswahrnehmung als Garantin der Erkenntnis oder der Verstand; anders formuliert: Entweder taugt die Sinneswahrnehmung als Wahrheitskriterium oder der Verstand. Das Kriterium selber bezieht sich sowohl auf die Wahrnehmung als auch auf die Handlungen;18 diese Doppelfunktion des Kriteriums übernimmt Klemens und sucht πίστις sowohl als Handlungs- als auch als Wahrheitskriterium zu erweisen. Für den Fortgang der Argumentation ist die Diskussion des Wahrheitskriteriums wichtig, also die Frage nach der Zuverlässigkeit von Sinneswahrnehmung und Verstand. Grundsätzlich sind folgende Positionen möglich: Die Sinneswahrnehmung und der Verstand taugen als Kriterium (Ansicht
17 Die Platoniker: Albinos (2. Jh.) erwähnt πίστις nie; Alkinoos (2. Jh.) zweimal (Didaskalikos 7,5 bis), Maximos aus Tyros (2. Jh.) 6 mal (1,4; 3,3.6; 8,3; 27,8; 28,4; einmal in der Wendung Σωκράτης μὲν πιστεύει τῷ Ἀπόλλωνι 3,8), zu Plutarch S. 751. Der Stoiker Epiktet (etwa 50–130) 10 mal (Dissertationes ab Arriano digestae 1,3,4; 1,28,3; 2,2,7; 2,4,1; 2,22,30; 3,7,12; 3,14,13; 4,3,7; 4,13,5.23). Der Aristoteles-Kommentator Alexander aus Aphrodisias (spätes 2. – Mitte 3. Jh.) und der Pyrrhoneer Sextus Empiricus (2. Jh.) verwenden πίστις häufig, meist im Sinn von „Beweis“, dazu unten 743f. 18 Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,21: κριτήριον δὲ λέγεται διχῶς, τό τε εἰς πίστιν ὑπάρξεως ἢ ἀνυπαρξίας λαμβανόμενον, τό τε τοῦ πράσσειν, ᾧ προσέχοντες κατὰ τὸν βίον τὰ μὲν πράσσομεν τὰ δ’ οὔ, περὶ οὗ νῦν λέγομεν. – Kriterium heißt zweierlei: Einmal das, was zur Bestätigung (εἰς πίστιν) des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von etwas hinzugezogen wird, … zum anderen das Handlungskriterium, an das wir uns im Leben haltend das eine tun, das andere nicht.
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der Stoiker, Peripatetiker und Epikureer),19 die Sinneswahrnehmung taugt nicht als Kriterium, der Verstand hingegen schon (Ansicht der Platoniker), weder die Sinneswahrnehmung noch der Verstand taugen als Kriterium (Ansicht der Pyrrhoneer, der radikalen Skeptiker).20 Wo ordnet sich Klemens in der Frage nach der Zuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung und des Verstandes als Mittel der Gotteserkenntnis ein? Der Befund mag erstaunen, er befindet sich auf Seite – des Pyrrhoneers: Weder die Sinneswahrnehmung noch der Verstand führen zur Erkenntnis Gottes. Folgende Textstellen belegen diesen Befund (2,13,3 – Text S. 736): Die Sinneswahrnehmung ist eine Durchgangsstation auf dem Weg zur Erkenntnis, aber nicht das Kriterium der Erkenntnis; ebenso wenig taugt der Verstand zur Letztbegründung von Wahrheit. Diese doppelte Verneinung sowohl der Sinneswahrnehmung als auch des Verstandes als Weg zu Gott bekräftigt Klemens im 5. Buch der Stromateis. Die Passage gebe ich leicht gekürzt im Wortlaut wieder: Stromateis 5,7,4–8: 4 Eingebunden in diesen erdhaften Körper nehmen wir die sinnlich wahrnehmbaren Dinge durch den Körper wahr, der geistig wahrnehmbaren hingegen werden wir durch die logische Fähigkeit habhaft. 5 Wenn jemand meint, auf sinnlich wahrnehmbare Weise alles zu erfassen, ist er weit von der Wahrheit abgefallen … 7 Dasselbe will auch der Vers von Moses sagen (Ex 33,3): „keiner wird mein Angesicht sehen und leben.“ Es ist nämlich klar, dass niemand je zeit seines Lebens den Gott deutlich erfassen kann. 8 Denn da die Seele zum Erfassen des Seienden zu schwach war, bedurften wir eines göttlichen Lehrers: herabgesandt wird der Retter, der Lehrer zum Erwerb des Guten und Chorführer.21
19 Epikur und Epikureismus: M. ERLER, Epikur – Die Schule Epikurs – Lukrez, in: H. Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike, Band 4.1: Hellenistische Philosophie, Basel 1994, zum Wahrheitskriterium 131–136. A.A. LONG/D. SEDLEY, The Hellenistic Philosophers (2 Bände), Cambridge 1987, 1,78–93; 2,83–91. Zur Stoa: P. STEINMETZ, Stoa, in: H. Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike, Band 4.2: Die Hellenistische Philosophie, Basel 1994, 495–716. Sinneswahrnehmung und Wahrheitskriterien in der Stoa: LONG/SEDLEY, a.a.O., 1,236–241; 2,238–254; STEINMETZ, a.a.O., 528–533, 570, 593– 595. Bei Aristoteles war Logik wichtiger als Erkenntnistheorie, zur Logik H. F LASHAR, Aristoteles, in: H. Holzhey (Hg.), Die Philosophie der Antike, Band 3: Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos, Basel 2004, 277–292. 20 Als viertes wäre denkbar: die Sinneswahrnehmung taugt als Kriterium, nicht aber der Verstand. Diese Ansicht hat niemand vertreten. 21 Clemens Alexandrinus, Stromateis 5,7,4: ἐνδεδεμένοι γὰρ τῷ γεώδει σώματι τῶν μὲν αἰσθητῶν διὰ σώματος ἀντιλαμβανόμεθα, τῶν δὲ νοητῶν δι’ αὐτῆς τῆς λογικῆς ἐφαπτόμεθα δυνάμεως. 5 ἐὰν δέ τις αἰσθητῶς τὰ πάντα καταλήψεσθαι προσδοκήσῃ, πόρρωθεν τῆς ἀληθείας πέπτωκεν·… 7 τὰ ἴσα τούτοις βούλεται τὰ παρὰ Μωυσεῖ· «οὐδεὶς ὄψεταί μου τὸ πρόσωπον καὶ ζήσεται». δῆλον γὰρ μηδένα ποτὲ δύνασθαι παρὰ τὸν τῆς ζωῆς χρόνον τὸν θεὸν ἐναργῶς καταλαβέσθαι· … 8 ἐπεὶ γὰρ ἠσθένει πρὸς κατάληψιν τῶν ὄντων ἡ ψυχή, θείου διδασκάλου ἐδεήθημεν· καταπέμπεται ὁ σωτήρ, τῆς ἀγαθοῦ κτήσεως διδάσκαλός τε καὶ χορηγός… – STÄHLIN (s. Anm. 1) verweist für die
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Nicht die Sinneswahrnehmung führt zur Wahrheit, wer dies glaubt, „ist von der Wahrheit abgefallen“ und im Irrtum gelandet. Diese Geringschätzung der Sinneswahrnehmung im Werk eines platonisch geprägten Christen zu finden, ist nicht erstaunlich; erstaunlicher ist vielmehr Klemens’ Ansicht, dass auch die rationale Überlegung allein nicht zum Erfassen des Seienden, des Gottes, führt. „Zu schwach zur Erfassung (κατάληψις) des Seienden“ ist die Seele, niemals wird jemand „zeit seines Lebens Gott deutlich erfassen“ (ἐναργῶς καταλαβέσθαι): κατάληψις und καταλαμβάνειν sind Fachausdrücke der stoischen Erkenntnistheorie22; der erkenntnistheoretische Hintergrund des Problems der Gotteserkenntnis ist somit auch auf lexikalischer Ebene deutlich. Den Gedanken, dass Gott unerfassbar ist, finden wir freilich bereits im Werk des platonisch geprägten Tora-Exegeten Philo aus Alexandria23. Jetzt nehmen wir Klemens’ Argumente in den Blick, mit denen er den erkenntnistheoretischen Wert des Glaubens zu erweisen sucht. Der erkenntnistheoretische Stellenwert, den Klemens der πίστις zuweist, ist fundamental: ohne Glauben kein Wissen, weil treues Festhalten am Glauben zu Wissen wird (2,9,3; 2,54,4). Glaube ist der Weg zur Wahrheit (2,4,2: ἐπὶ τὴν ὁδὸν τῆς ἀληθείας, ὁδὸς δὲ ἡ πίστις) und die Grundlage aller unserer Handlungen (2,9,2). Der wahre Gnostiker muss erkennen, dass der Glaube die Grundlage der Wahrheit ist (2,31,3: αὕτη [sc. ἡ πίστις] τοίνυν κρηπὶς ἀληθείας), weil die Kenntnis des Urgrundes aller Dinge auf Glauben, nicht auf Beweisen beruht (2,24,2: δέδεικται δὲ τῆς τῶν ὅλων ἀρχῆς ἐπιστήμη πιστή, ἀλλ’ οὐκ ἀπόδειξις εἶναι). Mit anderen Worten: Ohne Glaube keine Erkenntnis (2,31,3: οὐδ’ ἄνευ πίστεως γνῶσιν ἐπακολουθῆ-σαι). Ein weiterer, deutlicher Hinweis auf den erkenntnistheoretischen Wert des Glaubens gibt Klemens mit der Bemerkung, dass „Glauben eine Gnade sei, die aus unbeweisbaren Grundlagen das Einfache zum Ganzen heraufführe“.24 Aussagen dieser Art würde kein paganer Philosoph unterschreiben. Das weiß auch Klemens, wenn er schreibt, dass die Griechen schlecht über den Glauben reden, da sie ihn für unbegründet und barbarisch halten (2,8,4). Deshalb verteidigt er den Wert des Glaubens als Kriterium. Klemens ist sich der Schwierigkeit des Unterfangens, πίστις als Wahrheits- und Handlungskriterium zu begründen, sehr wohl bewusst. Er
platonisch anmutende Wendung vom „Eingebundensein in den Körper“ 5,7,4 auf Platon, Phaid. 79cd, 81ce. 22 Weiterführende Literatur dazu in Anm. 29. 23 S. oben S. 729 mit Zitat Philo, Deus 62. 24 Clemens Alexandrinus, Stromateis 2,14,3: ἡ πίστις δὲ χάρις ἐξ ἀναποδείκτων εἰς τὸ καθόλου ἀναβιβάζουσα τὸ ἁπλοῦν.
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treibt nicht geringen Aufwand, seine These mit Ansichten fast aller philosophischen Schulen seiner Zeit zu belegen.25 Klemens insistiert, dass unser Wissen auf unbeweisbaren Annahmen beruht, die geglaubt werden (2,13,4, hier arbeitet Klemens mit Anspielungen auf Aristoteles, ähnlich 2,14,1, 7,95,6). Wissen beruht auf Glauben (2,14,1). Er belegt diese Behauptung nicht nur mit einem Hinweis auf Aristoteles (384–322 v.Chr.), sondern er führt auch Stoiker, Pythagoreer, Epikur (342–271/70 v.Chr.) und Platon (428/7 – 348/7 v.Chr.) als seine Gewährsleute an. Der Hinweis auf Aristoteles führt zwar ins Leere (2,15,5), andernorts weist Klemens’ Argumentation Anklänge an Aristoteles’ Nikomachische Ethik auf (2,14,1, eine Anspielung auf Aristoteles eth. Nic. 1139b26). Wichtiger als die Frage nach der Korrektheit der Zitate scheint mir etwas anderes zu sein: Klemens’ zentrale Behauptung, dass alles Wissen auf Glauben beruht, versucht er mit Zitaten von Vertretern sämtlicher Philosophenschulen zu belegen: Der Hedonist Epikur findet dabei für einmal genauso Zustimmung (2,16,3), freilich nur in diesem Punkt, wie die Stoiker (2,9,4: unter den „Söhnen der Philosophen“ φιλοσόφων παῖδες sind die Stoiker zu verstehen; Chrysippos, Lebenszeit 289 oder 281/277 – 208/204 v.Chr., 2,48,1; 2,54,5); er führt weiter als Gewährsleute an: Xenokrates als Vertreter der Alten Akademie (2,24,1, Lebenszeit 396/5 –314/3 v.Chr.) und Theophrast, Aristoteles’ Nachfolger in der Leitung des Peripatos (2,9,5, Lebenszeit etwa 371/0–287/6 v.Chr.), sowie die Anhänger des Pythagoras (2,24,3). Sogar Platon bemüht Klemens für diese Argumentation, ein unmögliches Unterfangen, wenn man bedenkt, welch tiefen ontologisch-erkenntnistheoretischen Wert Platon der Meinung und dem Glauben zuweist: den untersten. Dessen ist sich Klemens bewusst und so flicht er Platonzitate auch nicht als Beleg für die These ein, Wissen beruhe auf Glauben, sondern für die untergeordnete These, dass Wissen sich auf Unkörperliches zu beziehen habe und sich nicht auf sinnlich Wahrnehmbares beschränke.26 Andernorts verweist er auf Platon für die Aussage, πίστις sei die Mutter aller Tugenden (2,23,5: μεγίστη δὲ ἀρετῶν μήτηρ ἡ πίστις).27 Beim oberflächlichen Lesen stellt sich der Eindruck ein, dass alle griechischen Philosophen der Ansicht seien, Wissen beruhe auf Glauben. In der Tat fälscht Klemens hier die Philosophiegeschichte. Nur in Aristoteles’ 25
Klemensʼ Verhältnis zu Platon und dem Platonismus behandeln W YRWA, Platonaneignung (s. Anm. 1) und LILLA, Clement (s. Anm. 1), Klemens̕ oft verborgene Verbindung zu aristotelischem Gedankengut C LARK, Clement (s. Anm. 1). 26 Platon, soph. 246ab, Clemens Alexandrinus, Stromateis 2,15,1–2, W YRWA, Platonaneignung (s. Anm. 1), 153–156. 27 Stromateis 2,23,1–4, mit Zitat leg. 1,628c.630bc, WYRWA, Platonaneignung (s. Anm. 1), 158–160. Platon erwähnt in den zitierten und angespielten Stellen das Stichwort πίστις nicht, sondern er spricht von πιστός bzw πιστότης.
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umfangreichen Werk lässt sich dieser Gedanke finden. Epikur spricht von πρόληψις (Annahme), ein Ausdruck, den Klemens übernimmt und ihn stillschweigend mit πίστις gleichsetzt (2,16,3–17,1). Unter πρόληψις verstanden die Epikureer eines der Wahrheitskriterien.28 Wenn Klemens den Glauben als eine „freiwillige Zustimmung“ bezeichnet (2,27,4: ἡ ἑκούσιος … συγκατάθεσις), oder wenn er von „Erfassen“ spricht (2,28,1: κατάληψις), klingt die Definition stoisch.29 Es geht hier um Erkenntnistheorie und wiederum, wie bei Epikurs πρόληψις, um die Frage nach dem Wahrheitskriterium. Es geht nicht um die Frage nach Gott und es geht schon gar nicht um den Glauben. Dessen dürfte sich auch Klemens bewusst sein, wenn er schreibt: „Alles Meinen, Entscheiden, Vermuten und Lernen, wodurch wir leben und immer mit dem Menschengeschlecht verbunden sind, ist Zustimmung: Diese dürfte wohl nichts anderes als Glaube sein.“ (2,55,1: πᾶσα οὖν δόξα καὶ κρίσις καὶ ὑπόληψις καὶ μάθησις, οἷς ζῶμεν καὶ σύνεσμεν αἰεὶ τῷ γένει τῶν ἀνθρώπων, συγκατάθεσίς ἐστιν· ἣ δ’ οὐδὲν ἄλλο ἢ πίστις εἴη ἄν – man beachte den Optativ: Klemens ist sich bewusst, dass diese Gleichsetzung von πίστις und συγκατάθεσις kein Stoiker treffen würde). Man kann freilich Klemens nicht vorwerfen, die Vermischung von stoischen, epikureischen und aristotelischen Begriffen selbst erfunden zu haben, denn es gibt Belege, dass dieser Wortgebrauch in den philosophischen Schulen seiner Zeit üblich war.30 Warum verknüpft Klemens Theologie und Erkenntnistheorie? Es ist communis opinio, dass Klemens Erkenntnistheorie und Theologie über das Lexem πίστις verknüpft.31 Den besten Zugang zur Frage, wie Klemens dazu kam, Erkenntnistheorie und Glaube miteinander zu verknüpfen, bietet eine Stelle im sogenannten 8. Buch der Stromateis.32 Inhaltliche Parallelen 28
Zu den Wahrheitskriterien Epikurs s. LONG/SEDLEY, Philosophers (s. Anm. 19), 1,87–90; 2,91–93, zu πρόληψις bes. 1,88–89; ERLER, Epikur (s. Anm. 19), 131–136, zur πρόληψις bes. 134–135. Zu Klemens‘ Umgang mit Epikur: LILLA, Clement (s. Anm. 1), 129–131. 29 Zustimmung (συγκατάθεσις) ist ein terminus technicus stoischer Erkenntnistheorie, ebenfalls κατάληψις (Erfassen). Zur Erkenntnistheorie der Stoiker LONG/SEDLEY, Philosophers (s. Anm. 19), 1,236–241; 2,238–243, STEINMETZ, Stoa (s. Anm. 19), 528–532; zu Klemens’ Verwendung dieser Fachworte: LILLA, Clement (s. Anm. 1), 127–129. 30 Συγκατάθεσις und πίστις: Alexandros von Aphrodisias, De anima 67,11–20, ähnlich Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 2,141; κατάληψις und πίστις: Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 7,27; 7,258; πρόληψις und πίστις: Alexandros von Aphrodisias, De mixtione 227,5–17; πίστις in der Bedeutung „Beweis“. 31 CHADWICK (s. Anm. 1), 51, LILLA, Clement (s. Anm. 1), 137, CLARK, Use of Aristotle (s. Anm. 1), 16, W YRWA, Platonaneignung (s. Anm. 1), 152, SCHNEIDER, Theologie (s. Anm. 1), 282–291. 32 Das achte Buch der Stromateis ist deutlich kürzer als die übrigen 7, es ist literarisch weniger ausgefeilt und zeigt inhaltlich Ähnlichkeit mit byzantinischen Einführungen in
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zur These, dass die Grundlagen einer Theorie geglaubt werden müssen, finden sich in den Kommentaren des Alexander aus Aphrodisias; Klemens greift in den Stromateis auf Argumente zurück, die in der aristotelischen Schulphilosophie diskutiert und vermittelt wurden. Wenn wir aber nach den philosophischen Fragestellungen oder Diskursen suchen, auf die Klemens mit seiner These reagiert, dass πίστις das Wahrheits- und Handlungskriterium ist, finden wir frappierende Parallelen beim Pyrrhoneer Sextus Empiricus.
4. Die Diskussion um das Wahrheitskriterium und die Auseinandersetzung mit dem Pyrrhonismus Ehe wir Klemens’ Auseinandersetzung mit dem Pyrrhonismus betrachten, gebe ich einige Hinweise zu dieser philosophischen Richtung.33 Eine weitere Bezeichnung der Pyrrhoneer lautet Skeptiker (σκεπτικοί). Erhalten ist aus dem 2. Jahrhundert das Werk des Sextus Empiricus, der zugleich der letzte, bekannte Vertreter dieser Geistesrichtung in der Antike ist. Wo genau Sextus gewirkt hat, wissen wir nicht, Alexandria ist eine Möglichkeit.34 Begründet wurde die Richtung von Ainesidemos wohl im 1. Jahrhundert v.Chr., der sich für seine Art zu philosophieren auf Pyrrhon aus Elis beruft. Pyrrhon seinerseits gehört zu den Philosophen, die nachweislich keine Schriften hinterlassen haben.35 Philo aus Alexandria übernimmt in De ebrietate eine lange Passage aus dem Werk des Ainesidemos, es handelt sich um das Zentrum seines Denkens, die sogenannten 10 Tropen (Möglichkeiten), die fehlende Zuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung
Platons bzw. Aristoteles‘ Philosophie (W YSS, Akademie [s. Anm. 15], 45–46). Wahrscheinlich handelt es sich um eine Materialsammlung, die Klemens angelegt und die er selber nicht zur Publikation bestimmt hat, und nicht um das von ihm selbst angekündigte 8. Buch der Stromateis. (Diskussion a.a.O., 47–48) – Das Folgende (S. 736–747) beruht auf W YSS, Akademie (s. Anm. 15), 40–50. 33 Zum Pyrrhonismus: M. HOSSENFELDER, Sextus Empiricus. Grundriss der pyrrhonischen Skepsis, Frankfurt a.M. 1985, 9–88, LONG/SEDLEY, Philosophers (s. Anm. 19), 1,468–488; 2,458–475, W. GÖRLER, Älterer Pyrrhonismus, in: H. Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike, Band 4.2: Die hellenistische Philosophie, Basel 1994, 72–774; W YSS, Akademie (s. Anm. 15), vi–xiii. 34 WYSS, Akademie (s. Anm. 15), 46–47. L. FLORIDI, Sextus Empiricus. The Transmission and Recovery of Pyrrhonism, Oxford 2002, 3–7 zum Leben, 3–4 zum Wohnort (er endet in einer Aporie). 35 Zu Pyrrhon: F. DECLEVA CAIZZI, Pirrone, Testimonianze, Frammenti, edizione, traduzione e commento, Neapel 1981. Zu Ainesidemos, GÖRLER, Pyrrhonismus (s. Anm. 33), 983–986, Quellen: Photios, Bibliotheca 212.169b18–171a4.
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und des Verstandes zu erweisen.36 Dies ist der Hauptpunkt dieser Philosophie: Der Pyrrhoneer spricht sowohl der Sinneswahrnehmung als auch dem Verstand jede Zuverlässigkeit ab; bezogen auf die Sinneswahrnehmung spricht Sextus von ἀκαταληψία, Nichterfassen: Weil es kein Kriterium gibt, auf Grund dessen eine Erscheinung (φαντασία) zweifelsfrei eine zuverlässige, erfassende Vorstellung (καταληπτική φαντασία) eines vorhandenen Gegenstandes oder Sachverhaltes ist, folgt daraus die Notwendigkeit, das Urteil zurückzuhalten (ἐποχή): Die καταληπτική φαντασία war das Wahrheitskriterium der Stoiker. In Bezug auf den Verstand spricht Sextus von ἰσοσθένεια, Gleichwertigkeit der Argumente: Weil Argumente für und gegen eine Theorie gleich plausibel scheinen, folgt daraus die Zurückhaltung im Urteilen. Argumentationsmuster, die zur Zurückhaltung im Urteilen führen, sind neben dem Nachweis der Gleichwertigkeit der Argumente der unendliche Regress oder die Diallele. Wenn wir die folgende Stelle in Klemensʼ 8. Buch lesen, finden wir einige dieser Argumentationsmuster wieder: Stromateis 8,6,7: Entweder benötigt alles einen Beweis oder einiges ist von sich aus glaubwürdig. 7,1 Aber wenn ersteres der Fall wäre, verlangen wir für jeden Beweis einen Beweis und kommen in den unendlichen Regress und so geht der Beweis kaputt. Wenn aber das Zweite der Fall ist, wird gerade das von sich aus Glaubwürdige selbst zur Grundlage des Beweises. 2 Sofort geben die Philosophen zu, dass die Grundlagen von Allem unbeweisbar sind. Wenn es einen Beweis gibt, ist es nötig, dass jeder zuvor etwas von sich aus Glaubwürdiges ist, was man dann Erstes und Unbeweisbares nennt. Zum unbeweisbaren Beweis/Glauben (πίστις) wird also jeder Beweis (ἀπόδειξις) zurückgeführt.37
Das Problem, das Klemens hier anspricht, kennt man in der Philosophie als „unendlichen Regress“: Ein Beweis (Fachausdruck: πίστις oder ἀπόδειξις)38 braucht einen Beweis, dieser bedarf ebenfalls eines Beweises und 36
Philo, ebr. 154–205, dass Philo hier Ainesidemos’ 10 Tropen nutzt, hat als erster gesehen H. V. ARNIM, Quellenstudien zu Philo von Alexandria, Berlin 1888; später J. ANNAS/J. B ARNES, The Modes of Scepticism, Cambridge 1985. 37 Clemens Alexandrinus, Stromateis 8,6,7: Ἤτοι δὲ πάντα ἀποδείξεως δεῖται ἢ καί τινα ἐξ αὑτῶν ἐστι πιστά. 7,1 ἀλλ’ εἰ μὲν τὸ πρότερον, ἑκάστης ἀποδείξεως ἀπόδειξιν αἰτοῦντες εἰς ἄπειρον ἐκβησόμεθα καὶ οὕτως ἀνατραπήσεται ἡ ἀπόδειξις· εἰ δὲ τὸ δεύτερον, ταῦτα αὐτὰ τὰ ἐξ αὑτῶν πιστὰ τῶν ἀποδείξεων ἀρχαὶ γενήσονται. αὐτίκα οἱ φιλόσοφοι ἀναποδείκτους ὁμολογοῦσι τὰς τῶν ὅλων ἀρχάς. 2 ὥστ’ εἴπερ ἐστὶν ἀπόδειξις, ἀνάγκη πᾶσα πρότερον εἶναί τι πιστὸν ἐξ ἑαυτοῦ, ὃ δὴ πρῶτον καὶ ἀναπόδεικτον λέγεται. ἐπὶ τὴν ἀναπόδεικτον ἄρα πίστιν ἡ πᾶσα ἀπόδειξις ἀνάγεται. 38 ἀπόδειξίς (wörtl. Darstellung, lat. demonstratio) bezeichnet den logischen Beweis, πίστις ist umfassend und kann auch einen Beleg aus der Geschichte (z.B. Alexandros von Aphrodisias, In meteor. 102,10) oder der Lebenserfahrung bezeichnen (z.B. Alexandros von Aphrodisias, In Aristotelis metaphysica commentaria 711,37). Dieser Sprachgebrauch ist aus der Gerichtsrede entlehnt, wo πίστις „Bürgschaft“ bedeutet und Zeugen, Eide und dergleihen bezeichnet (z.B. Gorgias, Palamedes 8, = Fragmenta 11a, dazu
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so immer weiter. Im Hintergrund steht die Frage nach der Letztbegründung von Wahrheit und Erkenntnis. Bereits Aristoteles hat das Problem erkannt und als Lösung festgesetzt, dass die Grundlagen eines Beweises akzeptiert werden, oder in Aristoteles̕ Worten, glaubwürdig sein müssen: Aristoteles, top. 100b18–25: Wahr aber und das Erste ist das, was nicht durch etwas anderes, sondern durch sich selbst die Glaubwürdigkeit hat. (Man muss nämlich bei den Wissensgrundlagen nicht das „Weshalb“ suchen, sondern jede der Grundlagen [ἀρχή] selbst muss aus sich heraus glaubwürdig [πιστή] sein.)39
Im Mittelplatonismus ist dieser Gedanke verbreitet, wie Salvatore Lilla gezeigt hat.40 Klemens macht daraus Folgendes: Stromateis 2,13,3: Der Glauben bahnt sich einen Weg durch das sinnlich Wahrnehmbare und lässt die Vermutung hinter sich, zum Untrüglichen eilt er und verbleibt bei der Wahrheit. 4 Wenn jemand sagt, das Wissen sei beweisbar durch den Verstand, soll er hören, dass auch die Grundlagen unbeweisbar sind: Weder durch Kunst noch durch Überlegung sind sie erkennbar. … 2,14,1 Nur durch den Glauben ist es möglich, zur Grundlage von allem zu gelangen.41
Zwar fehlt in dieser Passage das Stichwort des unendlichen Regresses; wenn er indes von den „unbeweisbaren Grundlagen“ spricht und den Glauben als „Grundlage von allem“ postuliert, sind das deutliche Anklänge an die zuvor zitierte Stelle aus Stromateis 8.42
T. B UCHHEIM, Gorgias von Leontinoi. Reden, Fragmente und Testimonien, Hamburg 1989). 39 Aristoteles, top. 100b18–21: ἔστι δὲ ἀληθῆ μὲν καὶ πρῶτα τὰ μὴ δι’ ἑτέρων ἀλλὰ δι’ αὑτῶν ἔχοντα τὴν πίστιν: οὐ δεῖ γὰρ ἐν ταῖς ἐπιστημονικαῖς ἀρχαῖς ἐπιζητεῖσθαι τὸ διὰ τί, ἀλλ’ ἑκάστην τῶν ἀρχῶν αὐτὴν καθ’ ἑαυτὴν εἶναι πιστήν. 40 LILLA, Clement (s. Anm. 1), 121–123; er verweist auf Alkinoos, Didaskalikos 5,4– 5. (Lilla spricht von Albinus; inzwischen sieht man den handschriftlich überlieferten, aber ansonsten unbekannten Alkinoos als den Autor des Didaskalikos an, dazu O.F. SUMMERELL/T. ZIMMER, Alkinoos, Didaskalikos. Lehrbuch der Grundsätze Platons, Berlin 2007, ix–xi). 41 Clemens Alexandrinus, Stromateis 2,13,3: ἡ πίστις δὲ διὰ τῶν αἰσθητῶν ὁδεύσασα ἀπολείπει τὴν ὑπόληψιν, πρὸς δὲ τὰ ἀψευδῆ σπεύδει καὶ εἰς τὴν ἀλήθειαν καταμένει. 4 εἰ δέ τις λέγοι τὴν ἐπιστήμην ἀποδεικτικὴν εἶναι μετὰ λόγου, ἀκουσάτω ὅτι καὶ αἱ ἀρχαὶ ἀναπόδεικτοι· οὔτε γὰρ τέχνῃ οὔτε μὴν φρονήσει γνωσταί. … 2,14,1 πίστει οὖν ἐφικέσθαι μόνῃ οἷόν τε τῆς τῶν ὅλων ἀρχῆς. 42 Τὴν ἐπιστήμην ἀποδεικτικὴν εἶναι (2,13,4), αἱ ἀρχαὶ ἀναπόδεικτοι (2,13,4), πίστει οὖν ἐφικέσθαι μόνῃ οἷόν τε τῆς τῶν ὅλων ἀρχῆς (2,14,1) und πάντα ἀποδείξεως δεῖται (8,6,7), ἀναποδείκτους … τὰς τῶν ὅλων ἀρχάς (8,7,1), πρῶτον καὶ ἀναπόδεικτον λέγεται. ἐπὶ τὴν ἀναπόδεικτον ἄρα πίστιν ἡ πᾶσα ἀπόδειξις ἀνάγεται (8,7,2). Vgl. Clemens Alexandrinus, Stromateis 8,7,1: ταῦτα αὐτὰ τὰ ἐξ αὑτῶν πιστὰ τῶν ἀποδείξεων ἀρχαὶ γενήσονται und Aristoteles, top. 100b20: ἑκάστην τῶν ἀρχῶν αὐτὴν καθ’ ἑαυτὴν εἶναι πιστήν. Dass Klemens in Stromateis 2,13–14 Material aus Stromateis 8,6–7 verwertet und christlich umdeutet, zeigen diese Passagen ebenso deutlich wie die Verwandtschaft der Gedanken mit Aristoteles (ich habe eine Stelle aus den Topica gewählt; es gäbe noch
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Andernorts kommt Klemens über ein anderes Argument ebenfalls auf den unendlichen Regress zu sprechen, er arbeitet hier mit dem pyrrhonischen Schlagwort der „Gleichwertigkeit der Argumente“ (ἰσοσθένεια)43. Stromateis 8,4,1: Wenn es nun nicht reicht, über das Gesuchte einfach nur zu sagen, was einem richtig scheint (denn es ist möglich, dass das Gegenüber nach Belieben ein gleich starkes Argument dagegen vorbringt), sondern man das Gesagte beweisen muss, [und] wenn die Untersuchung dieses [Forschungsgegenstandes] zu einem in gleicher Weise strittigen Resultat führt, und [die Untersuchung] davon wiederum zu einem strittigen weiteren Resultat, wird sie ins Unendliche fortschreiten und unbeweisbar bleiben. Wenn jedoch der Glaube in Fragen, wo keine Einigkeit herrscht, zu [Prinzipien] führt, denen alle zustimmen, so muss man da den Ausgangspunkt für den Unterricht machen.44
Diese Argumentation findet sich, mit signifikanten Änderungen, im 7. Buch der Stromateis: Stromateis 7,95,6: Weil wir natürlich das unbeweisbare Prinzip durch den Glauben erfasst [und] die Beweise für das Prinzip vom Prinzip selbst erlangt haben, werden wir durch die Stimme des Herrn in der Erkenntnis der Wahrheit unterrichtet. 7 Wir richten uns nicht nach den bloßen Ansichten der Menschen, wogegen es möglich ist, ein gleich starkes Argument vorzubringen. 8 Wenn es nun nicht reicht, einfach nur zu sagen, was einem richtig scheint, sondern man das Gesagte beweisen muss, dann warten wir nicht auf das Zeugnis der Menschen, sondern wir beweisen das Gesuchte mit der Stimme des Herrn, welche mehr Sicherheit gewährt als alle [übrigen] Beweise, oder besser: welche überhaupt der einzige Beweis ist.45
Hier übernimmt Klemens das Argument der „Gleichwertigkeit der Argumente“ (7,95,7), lässt aber den Hinweis auf den unendlichen Regress weg. Dennoch ist die Diskussion deutlich von der Frage nach der Grundlage des Wissens geprägt: Wenn es möglich ist, dass für jedes Argument ein gleich starkes Gegenargument vorgebracht werden kann, gerät man in den unendweitere, s. STÄHLINs, Clemens [s. Anm. 1] Anmerkungen ad loc. und LILLA, Clement [s. Anm. 1], 121–122, 133). 43 WYSS, Akademie (s. Anm. 15), X. 44 Clemens Alexandrinus, Stromateis 8,4,1: Εἰ δ’ οὐκ ἀρκεῖ τοῦτο μόνον ἁπλῶς εἰπεῖν περὶ τοῦ ζητουμένου τὸ δόξαν (ἔξεστι γὰρ καὶ τὸν ἀντικαθιστάμενον ἐπ’ ἴσης ἀνταποφήνασθαι ὃ βούλεται), ἀλλὰ πιστώσασθαι χρὴ τὸ λεχθέν, εἰ μὲν εἰς ὁμοίως ἀμφισβητούμενον ἀναφέροιτο αὐτοῦ ἡ κρίσις κἀκείνου πάλιν ὁμοίως εἰς ἀμφισβητούμενον ἕτερον, εἰς ἄπειρον προβήσεται καὶ ἀναπόδεικτον ἔσται, εἰ δ’ εἰς ὁμολογούμενον ἅπασιν ἡ τοῦ ὁμολογουμένου πίστις ἀναφέροιτο, ἐκεῖνο τὴν ἀρχὴν τῆς διδασκαλίας ποιητέον. Übersetzung W YSS, Akademie (s. Anm. 15), 42. 45 Clemens Alexandrinus, Stromateis 7,95,6–8: εἰκότως τοίνυν πίστει περιλαβόντες ἀναπόδεικτον τὴν ἀρχήν, ἐκ περιουσίας καὶ τὰς ἀποδείξεις παρ’ αὐτῆς τῆς ἀρχῆς περὶ τῆς ἀρχῆς λαβόντες, φωνῇ κυρίου παιδευόμεθα πρὸς τὴν ἐπίγνωσιν τῆς ἀληθείας. 7 οὐ γὰρ ἁπλῶς ἀποφαινομένοις ἀνθρώποις προσέχοιμεν, οἷς καὶ ἀνταποφαίνεσθαι ἐπ’ ἴσης ἔξεστιν. 8 εἰ δ’οὐκ ἀρκεῖ μόνον ἁπλῶς εἰπεῖν τὸ δόξαν, ἀλλὰ πιστώσασθαι δεῖ τὸ λεχθέν, οὐ τὴν ἐξ ἀνθρώπων ἀναμένομεν μαρτυρίαν, ἀλλὰ τῇ τοῦ κυρίου φωνῇ πιστούμεθα τὸ ζητούμενον, ἣ πασῶν ἀποδείξεων ἐχεγγυωτέρα, μᾶλλον δὲ ἣ μόνη ἀπόδειξις οὖσα τυγχάνει. Übersetzung W YSS, Akademie (s. Anm. 15), 43.
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lichen Regress; diesem entgeht der Christ und wahre Gnostiker, indem er nicht auf „das Zeugnis eines Menschen“ vertraut, sondern die „Stimme des Herrn“ als einzigen Beweis (ἀπόδειξις) anerkennt. An dieser Stelle sieht man deutlich, denke ich, dass Klemens das Christentum, genauer die Vorstellung, die Schrift und das Wort Gottes als Grundlage zu nehmen, als Lösung für das philosophische Problem der Letztbegründung von Wahrheit gesehen hat. Zur Lösung dieses Problems kam er über das semantisch mehrdeutige Lexem πίστις: πίστις (Glauben) ist der Weg zur Wahrheit im christlichen Denken (Stromateis 2,4,2), im aristotelischen Denken müssen die Grundlagen eines wissenschaftlichen Systems πιστή sein (glaubwürdig, Aristoteles, top. 100b20). Die Parallelen gehen weiter: πίστις ist eine Vermutung (z.B. Alexander von Aphrodisias, In Aristotelis topicorum libros octo commentaria 346,6: ἀκολουθεῖ μὲν γὰρ τῇ πίστει ἡ ὑπόληψις· ἡ γὰρ πίστις ὑπόληψις – Clemens Alexandrinus, Stromateis 2,28,1: καὶ ἡ μὲν πίστις ὑπόληψις ἑκούσιος), oder: ein Syllogismus ist auch eine Art πίστις (Beweis); der Schluss beruht auf Geglaubtem und macht das Umstrittene glaubwürdig.46 Alexander aus Aphrodisias spricht von πίστις σφοδρά (starker Beweis, In Aristotelis topicorum libros octo commentaria 352,7); ein Christ würde hier „starken Glauben“ lesen. Vom Griechischen her kommend ist die Identifikation des philosophischen terminus πίστις (Beweis) mit dem theologischen πίστις (Glauben) naheliegend. Oder anders gesagt: Für einen Christen, der sich mit dialektischen Fachtexten beschäftigt, ist der Schluss, dass diejenige πίστις, welche die Grundlage des Beweises oder überhaupt von allem bildet, eben der christliche Glaube ist, der einzig mögliche. Die Frage, wie Klemens dazu kam, den christlichen Glauben mit Fragen der paganen Erkennntnistheorie zu verknüpfen, ist also beantwortet. Noch nicht beantwortet ist die Frage, was Klemens dazu veranlasst haben könnte. Lilla geht davon aus, dass Klemens sich für seine Definitionen des Glaubens auf Schulschriften stützt, die letztlich auf Antiochos aus Askalon zurückgehen47; er belegt seine Ansicht mit Textstellen aus Schriften des 46
Alexandros von Aphrodisias, In Aristotelis analyticorum priorum librum i commentarium 43,6–9: ἐπεὶ δέ ἐστιν ὁ συλλογισμὸς πίστις τις (πιστοῦται γὰρ διά τινων ὁ συλλογιζόμενός τι καὶ δείκνυσι·διὰ γὰρ τῶν πεπιστευμένων τὸ ἀμφισβητούμενον πιστὸν ὁ συλλογιζόμενος ποιεῖ). LILLA, Clement [s. Anm. 1], 121) verweist auf Clemens Alexandrinus, Stromateis 8,7,6: ἐὰν οὖν τις εὑρεθῇ λόγος τοιοῦτος οἷος ἐκ τῶν ἤδη πιστῶν τοῖς οὔπω πιστοῖς ἐκπορίζεσθαι τὴν πίστιν δυνάμενος, αὐτὸν τοῦτον εἶναι φήσομεν οὐσίαν ἀποδείξεως. Wenn nun ein derartiges Argument gefunden wird, das fähig ist, aus dem bereits Geglaubten für das noch nicht Geglaubte den Beweis (πίστις) zu erbringen, so werden wir dieses Argument als das Wesen des Beweises (ἀπόδειξις) bezeichnen. – Zu Alexanders Kommentar zu den Analytica priora s. J. B ARNES u.a., Alexander of Aphrodisias, On Aristotle Prior Analytics 1.1–7, London 1991. 47 LILLA, Clement (s. Anm. 1), 125–131.
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Mittelplatonikers Alkinoos48 und des Aristoteles-Kommentators Alexander aus Aphrodisias49. Wenn wir diese Stellen genauer betrachten, sehen wir, dass sie aus der Diskussion über dialektische Analysen (Alkinoos, Didaskalikos 5) oder über Syllogismen kommen (Alexandros von Aphrodisias, In Aristotelis analyticorum priorum librum i commentarium 43,1–44,14; 68,20; In Aristotelis topicorum libros octo commentaria 62,7). Lillas Beobachtungen, dass Klemens aus einer platonisch-aristotelischen Schultradition schöpft, stimmen; meiner Meinung nach zeigt aber gerade das 8. Buch der Stromateis, welche Auseinandersetzung hinter diesem philosophischtheologischen Ringen um den Glauben steht: Es ist die Auseinandersetzung mit dem Pyrrhonismus. Dafür spricht Folgendes: Zwei Abschnitte im 8. Buch der Stromateis sind den Pyrrhoneern bzw. den Vertretern der ἐποχή gewidmet;50 verteilt im 8. Buch findet sich eine Diskussion pyrrhonisch-akademischer Schlagworte,51 die sich oft, in veränderter Form, auch in einem der früheren Bücher der Stromateis finden; es sind dies neben der bereits erwähnten „Gleichwertigkeit der Argumente“ (8,4,1; 8,22,3 und 7,95,7) die „Unerfassbarkeit“ (ἀκαταληψία, 8,32,6 und 6,70,1), die „Zurückhaltung im Urteilen“ (ἐποχή, 8,15,2–16,1; 8,22,1–3), der unlösbare Widerstreit unterschiedlicher Vorstellungen, der zur Urteilsenthaltung führt (Klemens spricht von φαντασία, andernorts spricht man von φαινόμενα, 8,22,2) und widersprüchliche Ansichten in Ethik, Politik und Recht, welche zur Urteilsenthaltung führen (8,22,3–4). Die pyrrhonischen Schlagworte werden ohne Erklärung eingeführt und argumentativ widerlegt. Dies deutet auf eine gewisse Vertrautheit mit Vokabular und Gedankengut der kritisierten Denkrichtung hin. Es gibt noch weitere Indizien, die darauf hindeuten, dass Klemens den Glauben gerade im Hinblick auf die pyrrhonische Fundamentalkritik an der Philosophie stark macht: Sextus Empiricus verwendet das Lexem πίστις bisweilen im Zusammenhang der Diskussion des Wahrheitskriteriums (z.B. Pyrrhoniae hypotyposes 1,21; 7,27) und der Frage nach der Letztbegründung von Wahrheit (z.B. Pyrrhoniae hypotyposes 1,166; 3,22; Adversus mathematicos 8,78). Betrachten wir Sextus’ Argumentation zum unendlichen Regress und zur Diallele: Der unendliche Regress tritt dann ein, wenn für einen Beweis einer zu untersuchenden Sache ein weiterer Beweis verlangt wird und dafür wieder einer und so immer weiter; weil dies nicht möglich ist, folgt daraus die Urteilsenthaltung: 48
LILLA, Clement (s. Anm. 1), 122–123, 135. LILLA, Clement (s. Anm. 1), 133 mit Anm. 5. 50 Die Pyrrhoneer 8,15,2–16,3, Vertreter der ἐποχή 8,22,1–4, W YSS, Akademie (s. Anm. 15), 32–34, 40–42. 51 Pyrrhonische Schlagworte: S.E. PH 1,187–209, W YSS, Akademie (s. Anm. 15), viii– xiii, 42–45. 49
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Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,166: ὁ δὲ ἀπὸ τῆς εἰς ἄπειρον ἐκπτώσεως ἐστὶν ἐν ᾧ τὸ φερόμενον εἰς πίστιν τοῦ προτεθέντος πράγματος πίστεως ἑτέρας χρῄζειν λέγομεν, κἀκεῖνο ἄλλης, καὶ μέχρις ἀπείρου, ὡς μὴ ἐχόντων ἡμῶν πόθεν ἀρξόμεθα τῆς κατασκευῆς τὴν ἐποχὴν ἀκολουθεῖν.
In die Diallele gerät man, wenn man für etwas sinnlich Wahrnehmbares nach einem Beweis sucht. Dieser muss entweder aus dem sinnlich oder geistig wahrnehmbaren Bereich stammen; wenn aus dem sinnlich wahrnehmbaren, benötigt er einen weiteren, sinnlich wahrnehmbaren Beweis und dieser wiederum einen anderen und so immer weiter; desgleichen fällt man in den unendlichen Regress, wenn man mit einem geistig wahrnehmbaren Beweis zu beweisen sucht; auch dafür wird wiederum ein Beweis verlangt und so immer weiter (Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,169–172). Sextus’ Bezeichnung für Beweis lautet πίστις. Es ist der unendliche Regress, dem Klemens zu entgehen sucht mit seiner Forderung, dass die Grundlagen eines Beweises geglaubt werden müssen (Clemens Alexandrinus, Stromateis 8,7,1–3). Und es ist der Glaube (πίστις), der die Grundlage jedes Beweises bildet (Clemens Alexandrinus, Stromateis 2,13,3–14,1) und der „ohne Suchen“ Gottes Existenz erkennt (Clemens Alexandrinus, Stromateis 7,55,2). „Suchen“ ist das Kennzeichen pyrrhonischen Denkens (Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,3: ζητοῦσι δὲ οἱ σκεπτικοί). Wenn Klemens eigens erwähnt, dass πίστις ohne Suchen Gottes Existenz erkennt (7,5,22: πίστις … ἄνευ τοῦ ζητεῖν τὸν θεὸν ὁμολογοῦσα εἶναι τοῦτον καὶ δοξάζουσα ὡς ὄντα), scheint mir eine versteckte Kritik an den Pyrrhoneern vorzuliegen, die für alles einen Beweis verlangen, dessen Gültigkeit sie aber nie anerkennen und deshalb weiter suchen. Suchen (ζητεῖν) hat andernorts indes eine positive Bedeutung, Klemens beansprucht wissenschaftliches Suchen und Forschen für sich (Stromateis 8,1,1: τὸ ζητεῖν, τὸ διερευνᾶσθαι) und grenzt dies von Philosophenschulen ab, deren Vertretern es nur um das Widerlegen (ἐλεγκτικῶς), Nichtwissen (τὸ ἀπορεῖν) und Streiten geht (τὸ ἀμφισβητεῖν, ἐριστικῶς): Stromateis 8,1,1–2: ** ἀλλ’ οὐδὲ οἱ παλαίτατοι τῶν φιλοσόφων ἐπὶ τὸ ἀμφισβητεῖν καὶ ἀπορεῖν ἐφέροντο. ἦ πού γ’ ἂν ἡμεῖς οἱ τῆς ὄντως ἀληθοῦς ἀντεχόμενοι φιλοσοφίας, οἷς ἄντικρυς ἡ γραφὴ εὑρέσεως χάριν ἐπὶ τὸ διερευνᾶσθαι τὸ ζητεῖν παρεγγυᾷ· 2 οἱ μὲν γὰρ νεώτεροι τῶν παρ’ Ἕλλησι φιλοσόφων ὑπὸ φιλοτιμίας κενῆς τε καὶ ἀτελοῦς ἐλεγκτικῶς ἅμα καὶ ἐριστικῶς εἰς τὴν ἄχρηστον ἐξάγονται φλυαρίαν, ἔμπαλιν δὲ ἡ βάρβαρος φιλοσοφία τὴν πᾶσαν ἔριν ἐκβάλλουσα „ζητεῖτε“ εἶπεν „καὶ εὑρήσετε, κρούετε καὶ ἀνοιγήσεται, αἰτεῖσθε καὶ δοθήσεται ὑμῖν“. Doch die ältesten Philosophen stürzten sich nicht auf das Bestreiten und in die Ratlosigkeit. Sollen dann etwa wir [es tun], die wir Anhänger der wirklich wahren Philosophie sind und denen die Schrift, um des Findens willen, zum Forschen das Suchen empfiehlt? (2) Denn bei den Griechen treiben sich die jüngeren der Philosophen wegen nichtiger und endloser Eifersucht kritik- und streitsüchtig zur nutzlosen Geschwätzigkeit, während hingegen die barbarische Philosophie, die Streit ganz von sich weist, sagt: „Sucht und ihr
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werdet finden, klopft und euch wird aufgetan, bittet und euch wird gegeben werden“ (Mt 7,7).52
Bemerkenswert ist Klemens’ Feststellung, dass am Anfang des Erkenntnisprozesses die Einsicht in die eigene Unwissenheit steht: „Wenn einer merkt, dass er etwas nicht weiß, dann beginnt er zu suchen, und wenn er gesucht hat, findet er den Lehrer, und wenn er ihn gefunden hat, dann glaubt er ihm und wenn er ihm geglaubt hat, dann liebt er ihn, und wenn er ihn lieb gewonnen hat, wird er dem Geliebten ähnlich, indem er sich beeilt, das zu sein, was er zuvor lieb gewonnen hatte“ (5,17,1). An dieser Stelle fällt nicht nur die Verknüpfung von Glaube und Liebe auf, ein Kennzeichen von Klemens’ christlicher Philosophie, sondern auch die direkte Linie, die vom Nichtwissen über das Suchen zum Finden nicht des Wissens, sondern des Lehrers führt und dann zur Liebe. Ob Klemens sich hier kritisch gegen diejenige philosophische Richtung wendet, welche die Aufgabe der Philosophie im Suchen, nicht im Finden sah, die pyrrhonische Skepsis?53 Jedenfalls versteht er unter dem Lehrer Christus. Nach der Erkenntnis der eigenen Unwissenheit folgt als zweiter Schritt die Erkenntnis, dass Wahrheit auffindbar ist (anders als es die Skeptiker behaupten) und dass der Weg zur Wahrheit über den Glauben führt (2,4,2: ἐπὶ τὴν ὁδὸν τῆς ἀληθείας, ὁδὸς δὲ ἡ πίστις). Auch in der Diskussion des Kriteriums spielt das Lexem πίστις, verstanden als Beweis, eine Rolle (Pyrrhoniae hypotyposes 1,21, Text Anm. 18); hier unterscheidet Sextus zwischen Wahrheitskriterium und Handlungskriterium; das Wahrheitskriterium ist dasjenige Kriterium, das zum Beweis der Existenz oder Nichtexistenz von etwas hinzugezogen wird (τό τε εἰς πίστιν ὑπάρξεως ἢ ἀνυπαρξίας λαμβανόμενον), das Handlungskriterium dasjenige, an das man sich in der Lebensführung hält. In Klemens’ Diskussion ist der Glaube an die heiligen Schriften und die Stimme Gottes sowohl das Wahrheits- als auch das Handlungskriterium (Stromateis 2,9,6: ὁ πιστεύσας τοίνυν ταῖς γραφαῖς ταῖς θείαις, τὴν κρίσιν βεβαίαν ἔχων, ἀπόδειξιν ἀναντίρρητον τὴν τοῦ τὰς γραφὰς δεδωρημένου φωνὴν λαμβάνει θεοῦ, s.a. Stromateis 2,12,1). Während der Pyrrhoneer als einziges Kriterium die Erscheinungen (φαινόμενα) gelten lässt, gewinnt der Christ aus der semantischen Breite des Lexems πίστις, das er auch als Glaube versteht, das Kriterium. Dies ist Klemens’ Antwort auf die mögliche Frage, worin denn das Kriterium der christlichen Philosophie bestehe: im Glauben. Betrachten wir nun Sextus’ Diskussion des pyrrhonischen Schlagwortes der „Gleichwertigkeit der Argumente“: 52
Übersetzung WYSS, Akademie (s. Anm. 15), 38 – zu den Eristikern s. Anm. 15. Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,7. Die These, dass Klemens sich mit pyrrhonischem Gedankengut kritisch auseinander setzt, habe ich andernorts vertreten (W YSS, Akademie [s. Anm. 15], 48–50). 53
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Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,10: ‚Gleichwertigkeit‘ nennen wir die Gleichheit entsprechend der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, so dass keines der sich bekämpfenden Argumente einem anderen als glaubwürdiger vorzuziehen ist.54 Mit christlicher Brille gelesen schreibt Sextus: „Die Gleichheit entsprechend Glaube oder Unglaube“, eine Relativität, die Klemens nicht zugestehen würde, die er als Theorem aber kennt (7,95,7; 8,4,1–2) und der er den christlichen Glauben als Kriterium entgegenhält (2,9,6; 2,12,1). Weitere Hinweise darauf, dass Klemens’ Diskussion der πίστις unter die Rubrik Wahrheitskriterium gehört, geben die Fachausdrücke der stoischen und epikureischen Philosophie, die Klemens aufnimmt. Wenn Klemens πίστις mit Vermutung (πρόληψις, 2,16,3–17,1) gleichsetzt, setzt er πίστις mit einem der Wahrheitskriterien der epikureischen Philosophie gleich (Diogenes Laertius 10,31). Wenn er andererseits von Zustimmung (συγκατάθεσις, 2,27,4) und von „Erfassen“ (κατάληψις, 2,28,1; 5,7,8) spricht, nimmt er Fachausdrücke aus der stoischen Erkenntnistheorie in seine Argumentation auf.55 Wenn er von ὑπόληψις spricht (2,13,2; 2,28,1), folgt er Aristoteles und den Aristoteles-Kommentatoren (z.B. Aristoteles, top. 126a1; 126b18, Alexandros von Aphrodisias, In Aristotelis topicorum libros octo commentaria 346,6). Ich fasse diesen Gedankengang noch einmal zusammen: Lilla weist mit Recht auf zahlreiche Parallelen in Klemens’ πίστις-Diskussion mit Alexander aus Aphrodisias’ Aristoteles-Kommentaren hin. Freilich geht es in den angegebenen Stellen bei Alexander um Syllogismen, während Klemens die πίστις-Diskussion implizit unter die Rubrik „Wahrheitskriterium“ stellt. Wenn Klemens den Wert des Glaubens zu erweisen sucht, könnte er auf die pyrrhonische Fundamentalkritik an der Möglichkeit der Philosophie überhaupt reagieren. Darauf deutet besonders das 8. Buch der Stromateis hin, das nicht nur Pyrrhoneer namentlich erwähnt und kritisiert, sondern zahlreiche pyrrhoneisch-akademische Schlagworte nennt, kritisiert und in ihrer Folge unmittelbar den Glauben als Ausweg aus der Gleichwertigkeit der Argumente und dem daraus folgenden unendlichen Regress präsentiert. M.E. gestaltet sich Klemens’ Auseinandersetzung um den erkenntnistheoretischen Stellenwert der πίστις folgendermaßen: Konfrontiert mit der radikalen Ansicht der Pyrrhoneer, dass weder die Sinneswahrnehmung noch der Verstand eine sichere Basis (ἀρχαὶ πισταί, πίστις) für Wissen und Handeln bieten, findet er dank der Bedeutungsvielfalt des Le54
Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,10: „ἰσοσθένειαν“ δὲ λέγομεν τὴν κατὰ πίστιν καὶ ἀπιστίαν ἰσότητα, ὡς μηδένα μηδενὸς προκεῖσθαι τῶν μαχομένων λόγων ὡς πιστότερον. 55 Erfassen (κατάληψις): Cicero, ac. 2,30–31, Zustimmung (συγκατάθεσις): ac. 2,37– 39; Diogenes Laertius 7,46.54.
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xems πίστις die Lösung des Problems im Glauben (πίστις): Es ist der Glaube, der die zwar unbeweisbare, aber glaubwürdige Basis sowohl für die Wissenschaft als auch für das praktische Leben bietet. Der Glaube ist das Wahrheits- und das Handlungskriterium. Die Zuversicht, mit dem Glauben tatsächlich eine feste Basis gefunden zu haben, gewinnt Klemens aus der Überzeugung, dass der Glaube die direkte Verbindung zu Gott ist, eine Macht Gottes (2,48,4), dass der Glaube ohne Suchen Gottes Existenz erkennt (7,55,2), und dass der Mensch über das Hören des Gotteswortes in den Evangelien und über das Hören dessen, was die Apostel, die Ohrenzeugen des Gottessohnes, sagten, und über das Lesen der heiligen Schriften eine direkte Verbindung zum Ausgangspunkt des Glaubens, zu Gott, hat (2,25,1–3; 2,9,6). Erkenntnistheorie und Theologie bedingen sich und bilden eine Einheit, die Klemens in eine kurze Formel fasst: πίστις … θεοσεβείας συγκατάθεσις (2,8,4 Glaube … eine Zustimmung zur Gottesverehrung). Eine Untersuchung der Verwendung von πίστις und πιστεύειν in der jüdisch-hellenistischen Literatur sprengt den Rahmen eines Aufsatzes; eine Stelle ist im Hinblick auf Klemens’ eigentümliche Verquickung von Erkenntnistheorie bzw. Diskussion des Wahrheitskriteriums und des Glaubens besonders aufschlussreich, wir finden sie in De opificio mundi. Philo aus Alexandrea erklärt in der Exegese des Schöpfungsberichtes (Gen 1,9– 19), warum Gott am dritten Tag die Erde mit Pflanzen bestückte, und erst danach, am vierten Tag, Sonne, Mond und Sterne am Himmel schuf. Die Erklärung ist inhaltlich erstaunlich und sprachlich frappierend: opif. 45: Weil Gott von den noch nicht entstandenen Menschen zum Voraus wusste (προλαβών), wie sie in ihrer Gesinnung sein würden, dass sie auf das Wahrscheinliche und Überzeugende zielen, worin viel Wohlbegründetes liegt, aber nicht auf die unvermischte Wahrheit, und dass sie eher den Erscheinungen glauben als Gott, weil sie die Scheinweisheit statt die Weisheit bewundern, und weil sie wiederum die Umlaufbahn von Sonne und Mond erblicken, durch die der Wechsel von Sommer, Winter, Frühling und Herbst [bewirkt wird], würden sie vermuten, dass der Umlauf der Sterne am Himmel auf der Erde die Ursache aller Pflanzen und Lebewesen während des ganzen Jahres seien.56
Inhaltlich auffällig ist der Hinweis auf die Scheinweisheit, oder allgemeiner, auf die „sophistische Gesinnung“ der Menschen, die Philo offenbar als gegeben annimmt, gegen die Gott aber bereits im Schöpfungswerk rea-
56 Philo, opif. 45: προλαβὼν γὰρ περὶ τῶν οὔπω γεγονότων ἀνθρώπων, οἷοι τὰς γνώμας ἔσονται, στοχασταὶ τῶν εἰκότων καὶ πιθανῶν, ἐν οἷς πολὺ τὸ εὔλογον, ἀλλ’ οὐχὶ τῆς ἀκραιφνοῦς ἀληθείας, καὶ ὅτι πιστεύσουσι μᾶλλον τοῖς φαινομένοις ἢ θεῷ σοφιστείαν πρὸ σοφίας θαυμάσαντες, κατιδόντες τε αὖθις τὰς ἡλίου καὶ σελήνης περιόδους, δι’ ὧν θέρη χειμῶνες καὶ ἔαρος καὶ μετοπώρου τροπαί, τῶν ἐκ γῆς ἀνὰ πᾶν ἔτος φυομένων καὶ γιγνομένων ἁπάντων αἰτίας ὑπολήψονται τὰς τῶν κατ’ οὐρανὸν ἀστέρων περιπολήσεις, …
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giert.57 Der Hinweis auf Gottes Vorauswissen der Neigung des Menschen, den Erscheinungen mehr zu glauben als Gott, dient dem Nachweis von Gottes umfassenden Allwissen, ein theologisches Argument. Auffällig ist sodann die Häufung von termini technici, die wir aus der Diskussion um das Wahrheitskriterium der Epikureer und Aristoteliker bereits kennen (προλαβών – πρόληψις: Epikur; ὑπολήψονται – ὑπόληψις: Aristoteles), ergänzt mit Fachausdrücken aus der akademischen und pyrrhonischen Diskussion um das Wahrheitskriterium: Die Wendung πιστεύσουσι μᾶλλον τοῖς φαινομένοις entspricht dem Wahrheitskriterium der Pyrrhoneer (Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,21–24); μᾶλλον bzw. οὐ μᾶλλον ist eines der pyrrhonischen Schlagworte (Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes 1,188–191). Die Begriffe εὔλογον, εἰκός, πιθανόν, στοχασμός entstammen der akademisch-platonischen Philosophie: Das „Wohlbegründete“ (εὔλογον) war das Handlungskriterium des Arkesilaos,58 das „Überzeugende“ (πιθανόν) das Kriterium des Karneades.59 Philo spielt also auf die Handlungskriterien der beiden wichtigsten Vertreter der hellenistischen Akademie an, ebenso auf das Kriterium der Pyrrhoneer in der Nachfolge des Ainesidemos, die sich seit dem 1. Jahrhundert v.Chr. in Alexandria aufgehalten haben. Bereits Platon sprach von einem „wahrscheinlichen Argument“, auf Grund dessen man sagen soll, dass „dieser Kosmos ein mit Verstand begabtes Lebewesen und in Wahrheit durch die Vorsehung des Gottes entstanden“ sei.60 Auch er verknüpft eine Aussage zu Gott mit einer 57
D.T. RUNIA, Philo of Alexandria. On the Creation of the Cosmos according to Moses. Introduction, Translation and Commentary, Philo of Alexandria Commentary Series 1, Leiden 2001, 187–196; zur akademischen Herkunft von εὔλογον, εἰκός, πιθανόν, bes. 189 und zu στοχασμός 239. Runia weist ebenfalls auf die Verknüpfung von Erkenntnistheorie und Theologie hin. Zu Philos Sicht der „Sophisten“ und „sophistischen Verhaltens“ B. W YSS, Philon und die Sophisten – Philons Sophistendiskurs vor dem Hintergrund des alexandrinischen Bildungsumfelds, in: M. Hirschberger (Hg.), Jüdischhellenistische Literatur in ihrem interkulturellen Kontext, Frankfurt a.M. 2012, 89–105. Zur Rolle der Skepsis in Philos Denken und zur Verknüpfung mit dem Glauben: E. BRÉHIER, Les idées philosophiques et religieuses de Philon d’Alexandrie, Paris 31950, 207–220 und V. NIKIPROWETZKY, Le commentaire de l’écriture chez Philon d’Alexandrie, Leiden 1977, 183–192. Zur Erkenntnistheorie Philos immer noch lesenswert: M. FREUDENTHAL, Die Erkenntnislehre Philos von Alexandria, Berlin 1891. 58 Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 7,158, GÖRLER, Pyrrhonismus (s. Anm. 33) 786–828, zum εὔλογον 807–811. 59 Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 7,166–175, GÖRLER, Pyrrhonismus (s. Anm. 33) 849–897, zum πιθανόν 859–877. – πιθανόν übersetzt man üblicherweise mit „wahrscheinlich“; um εἰκός („wahrscheinlich“) und πιθανόν zu unterscheiden, habe ich die Übersetzung „überzeugend“ gewählt, die von der Wortbedeutung her auch möglich ist; πείθεσθαι, wovon πιθανόν das Verbaladjektiv ist, bedeutet „überreden“, „überzeugen“. 60 Platon, Tim. 30b: οὕτως οὖν δὴ κατὰ λόγον τὸν εἰκότα δεῖ λέγειν τόνδε τὸν κόσμον ζῷον ἔμψυχον ἔννουν τε τῇ ἀληθείᾳ διὰ τὴν τοῦ θεοῦ γενέσθαι πρόνοιαν. – πιθανόν war
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Aussage zur Erkenntnismöglichkeit. Auffallend in Philos Text ist die Fortsetzung der Anspielung an das pyrrhonische Kriterium, πιστεύσουσι μᾶλλον τοῖς φαινομένοις ἢ θεῷ: Philo setzt dem Glauben in die Erscheinungen den Glauben an Gott entgegen: Er gesteht zu, dass es im Wahrscheinlichen und Überzeugenden viel Wohlbegründetes gibt. Philo übernimmt also die Haltung der Pyrrhoneer und Akademiker, dass es in der sinnlich wahrnehmbaren Welt zwar Wahrscheinliches, aber keine Wahrheit gibt (ebr. 154–205, Jos. 125–147), dennoch kritisiert er das Vertrauen auf die Erscheinungen, auf das sinnlich Wahrnehmbare, das den Blick auf den Urheber des Alls, auf Gott, versperrt; dies macht er deutlich im Fortgang des Satzes σοφιστείαν πρὸ σοφίας θαυμάσαντες: Scheinweisheit setzt er parallel zum Glauben in die Erscheinungen, Weisheit zum Glauben an Gott. Warum Philo den Glauben an Gott zusammen mit Anspielungen auf und Bezeichnungen des Kriteriums verschiedener Philosophenschulen erwähnt, macht er nicht deutlich. Die Dominanz der akademisch-pyrrhonischen Kriterien scheint darauf hinzudeuten, dass Philo (wie später Klemens) den Glauben als Ausweg aus der Aporie der Akademiker und Pyrrhoneer gesehen hat, als Mittel zur Letztbegründung von Wahrheit. Jetzt verlassen wir die innerphilosophischen, etwas akademischen Diskussionen um Wahrheitskriterien, Syllogismen und die Frage nach der Möglichkeit der Letztbegründung von Wahrheit und widmen uns der Frage, was denn Klemens außerhalb der dialektischen Diskussionen veranlasst haben könnte, nicht nur πίστις als Wahrheits- und Handlungskriterium zu behaupten, sondern gleich einen, wie wir gesehen haben, etwas gekünstelten consensus omnium philosophorum in dieser Frage nachzuweisen.
5. Eine Auseinandersetzung um den richtigen Weg zu Gott: Glauben oder Denken Der Weg zu Gott ist in Klemens’ Denken der Glaube. Dies mag für Theologen eine Trivialität sein, für Philosophiegeschichtlerinnen ist es das nicht.61 Klemens behauptet etwas, was kein Philosoph behauptet hat: Der Mensch glaubt an Gott. Im paganen Umfeld lauten die entsprechenden Wendungen θεοὺς νομίζειν bzw. deos colere. Νομίζειν (νόμος) bedeutet, etwas als Gesetz, Sitte, Brauch, Tradition haben, auch „meinen“ und in Platons Lebenszeit kein Fachbegriff der Philosophie. – Akademisch-pyrrhonische Tendenzen im Mittelplatonismus s. J. OPSOMER, In Search of the Truth. Academic Tendencies in Middle Platonism, Brüssel 1998. 61 Darauf hat bereits verwiesen W. NESTLE, Die Haupteinwände des antiken Denkens gegen das Christentum (1948), in: J. Martin/B. Quint (Hg.), Christentum und antike Gesellschaft, WdF 649, Darmstadt 1990, 17–80, bes. 43–45.
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„glauben“. Θεοὺς νομίζειν bedeutet demzufolge nicht, an die Götter zu glauben, so wie wir das Wort „Glauben“ verstehen, sondern, der Etymologie des Verbs entsprechend, sich dem Üblichen, der Tradition und der Sitte gemäß den Göttern gegenüber zu verhalten, also die ihnen zukommenden Opfer, Kulthandlungen und Gebete zu verrichten. Deos colere bezeichnet ebenfalls das Verhalten den Göttern gegenüber, salopp gesagt: So wie man den Acker bebaut (agros colere), im Jahreslauf die entsprechenden Tätigkeiten wie pflügen, eggen, säen, ernten etc. ausführt, so hat man sich auch den Göttern gegenüber zu verhalten: Regelmäßige Opfer, Gebete und Kulthandlungen prägen das Verhältnis des Menschen zu den Göttern. Weder νομίζειν noch colere haben einen erkenntnistheoretischen Nebensinn: d.h. die Existenz der Götter steht außer Frage, es kommt hingegen darauf an, sich ihnen gegenüber korrekt zu verhalten, ihnen das Zukommende zu verschaffen und an den öffentlichen Festen und Opfern teilzunehmen. Wenn wir den Bereich der Alltagssprache verlassen, und uns die Frage stellen, wie denn die Philosophen an Gott oder Götter glaubten, stellen wir rasch fest: Sie glauben nicht an Götter, sie denken sie: Ob es nun Stoiker, Epikureer oder Platoniker sind, sie alle glauben nicht an Gott, sondern denken ihn. Am deutlichsten ist die Beziehung von Gott und Denken im Platonismus und bei Aristoteles und seinen Nachfolgern. Locus classicus ist Aristoteles: metaph. λ 1074b34: Αὑτὸν ἄρα νοεῖ, εἴπερ ἐστὶ τὸ κράτιστον, καὶ ἔστιν ἡ νόησις νοήσεως νόησις. – „Sich selbst also denkt es weil es das Beste ist, und das Denken ist Denken des Denkens.“
Subjekt ist das unbewegte Bewegende (metaph. λ 1072b7: τι κινοῦν αὐτὸ ἀκίνητον ὄν).62 Mit dem Postulat des Sichselbstdenkens des göttlichen ersten Bewegenden hat man sich auch später befasst (z.B. Alexandros von Aphrodisias, In Aristotelis metaphysica commentaria 712,35). Deutlich von Aristoteles geprägt ist, um nur ein Beispiel zu nennen, die Gottesvorstellung des Platonikers Alkinoos (Didaskalikos 10,2): Er verbindet die Transzendenz des Demiurgen, die wir aus Platons Timaios kennen, mit der Vorstellung des ersten unbewegten Bewegenden, das als erster Gott identifiziert wird und dessen Tätigkeit das Sichselbstdenken ist.63 Eine Stufe höher oder besser transzendenter hebt Kelsos Gott: „Nicht Geist oder Den62
Zu Aristoteles’ Theologie s. FLASHAR, Philosophie (s. Anm. 19), 335–338. Alkinoos, Didaskalikos 10,3: Ἐπεὶ δὲ ὁ πρῶτος νοῦς κάλλιστος, δεῖ καὶ κάλλιστον αὐτῷ νοητὸν ὑποκεῖσθαι, οὐδὲν δὲ αὐτοῦ κάλλιον· ἑαυτὸν ἂν οὖν καὶ τὰ ἑαυτοῦ νοήματα ἀεὶ νοοίη. – Weil aber der erste Geist der schönste ist, muss er auch ein schönstes Denkbares haben, nichts aber ist schöner als er: sich selbst also und seine eigenen Gedanken denkt er wohl immer. Dazu SUMMERELL/ZIMMER, Alkinoos (s. Anm. 40) Kommentar. 63
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ken oder Wissen ist er, sondern für den Geist Ursache des Denkens, für das Denken, dass es durch ihn existiert, und für das Wissen, dass es durch ihn erkennt, für alles Denkbare und für die Wahrheit und die Wesenheit selbst Ursache des Seins, jenseits von allem ist er und durch eine unsagbare Kraft denkbar.“64 Das Besondere an der Gottesvorstellung der Stoiker ist die Immanenz oder Körperlichkeit des Göttlichen;65 Gott oder Zeus wird identifiziert mit der Weltvernunft (Cicero, nat. deor. 1,39, Diogenes Laertius 7,134),66 andernorts mit der Weltseele und der Kraft, die den Kosmos belebt (Cornutus, Epidrome 2,1, Epiktet, Dissertationes ab Arriano digestae 1,14,6). Wenn das Göttliche im Menschen in seiner Vernunft liegt, folgt daraus implizit, dass die dem Göttlichen entsprechende Tätigkeit des Menschen das Denken ist. Dion aus Prusa (um 40 bis nach 112) spricht davon, dass alle Menschen eine allgemeine Meinung und Vermutung haben, dass es Götter gibt (Orationes 12,27: δόξα καὶ ἐπίνοια κοινὴ τοῦ ξύμπαντος ἀνθρωπίνου γένους), er spricht von δόξα und ἐπίνοια, nicht von πίστις. Epikur schreibt (Epistula ad Menoeceum 123): „Denn Götter gibt es. Offensichtlich nämlich ist die Kenntnis von ihnen.“67 Die Existenz der Götter erkennt man, Epikur spricht von γνῶσις, andernorts nennt er das Vorwissen, dass es Götter gibt, πρόληψις, Zeuge hierfür ist Cicero (nat. 64
Origenes, Cels. 7,45: τοῦτο ἐν τοῖς νοητοῖς ἐκεῖνος, ὅσπερ οὔτε νοῦς οὔτε νόησις οὔτ’ ἐπιστήμη, ἀλλὰ νῷ τε τοῦ νοεῖν αἴτιος καὶ νοήσει τοῦ δι’ αὐτὸν εἶναι καὶ ἐπιστήμῃ τοῦ δι’ αὐτὸν γιγνώσκειν καὶ νοητοῖς ἅπασι καὶ αὐτῇ ἀληθείᾳ καὶ αὐτῇ οὐσίᾳ τοῦ εἶναι, πάντων ἐπέκεινα ὤν, ἀρρήτῳ τινὶ δυνάμει νοητός. – Dazu H. LONA, Die ‚Wahre Lehre‘ des Kelsos, Freiburg 2005, 46–49, 412–417; M. FRIEDROWICZ/C. B ARTHOLD, Origenes, Contra Celsum. Gegen Celsus, Einleitung, Kommentar und Übersetzung, 5 Bände, Freiburg i.Br. 2011–2012. 65 Zur Theologie der Stoa: LONG/SEDLEY, Philosophers (s. Anm. 19), 1,323–333; 2,321–332, STEINMETZ, Philosophie (s. Anm. 19), 539–540, 570–574, 609–610, R. SALLES (Hg.), God and Cosmos in Stoicism, Oxford 2009. Der einzige erhaltene Primärtext aus hellenistischer Zeit zur Gottesvorstellung der Stoa ist Kleanthes̕ Zeus-Hymnus (J.C. THOM, Cleanthes’ „Hymn to Zeus“. Text, Translation, and Commentary, STAC 33, Tübingen 2005); aus der Kaiserzeit sind zu nennen: z.B. Seneca, epist. 41, Dion aus Prusa Orationes 12 (H.-J. KLAUCK/B. B ÄBLER, Dion von Prusa, Olympische Rede, oder, Über die erste Erkenntnis Gottes, SAPERE 2, Darmstadt 2000), Cornutus, Epidrome (H.-G. Nesselrath, [Hg.], Cornutus. Die griechischen Götter. Ein Überblick über Namen, Bilder und Deutungen, SAPERE 14, Tübingen 2009), und Epiktet aus Hierapolis, Dissertationes ab Arriano digestae 1,3, 6, 14, 16. 66 Cicero, nat. deor. 1,39: Chrysippus … ait enim vim divinam in ratione esse positam et in universae naturae animo atque mente, ipsumque mundum deum dicit esse – Chrysippus … sagt nämlich, dass eine göttliche Kraft in der Vernunft liege und in der Seele und dem Geist der gesamten Natur; und er sagt, die Welt sei Gott. 67 Epikur, Epistula ad Menoeceum 123: θεοὶ μὲν γὰρ εἰσίν· ἐναργὴς γὰρ αὐτῶν ἐστιν ἡ γνῶσις. Epikurs Theologie: LONG/SEDLEY, Philosophers (s. Anm. 19), 1,139–149; 2,143– 154, ERLER, Epikur (s. Anm. 19), 149–153.
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deor. 1,44): „Man muss einsehen, dass es Götter gibt, weil wir ja eingepflanzte oder besser angeborene Kenntnis von ihnen haben; … diese Vorwegnahme haben wir, wie ich eben gesagt habe, oder diese Vorkenntnis der Götter (man muss nämlich neuen Konzepten neue Begriffe zuweisen, so wie Epikur selbst von πρόληψις sprach, was zuvor niemand mit diesem Wort bezeichnete) – diese Vorkenntnis haben wir also, dass wir die Götter zu den glücklichen und unsterblichen rechnen.“68 Dem Begriff der πρόληψις sind wir bereits begegnet, und zwar in der Diskussion des Wahrheitskriteriums69: Wenn nun Epikur auch im Zusammenhang von Göttern von einer πρόληψις (Annahme) spricht, die die Menschen haben, scheint Klemens’ Gleichsetzung von πίστις und πρόληψις nicht ganz unbegründet zu sein; er könnte Epikur so verstanden haben, dass Epikur von πρόληψις der Götter spricht, wenn der Christ von πίστις an Gott spricht. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass Epikurs πρόληψις mit der christlichen πίστις wenig gemeinsam hat: πρόληψις ist kein umfassendes theologisches Konzept, sondern in erster Linie ein Wahrheitskriterium. Gibt es also bei paganen Philosophen keine Verwendung von πίστις im Zusammenhang von Göttern oder Göttlichem? Einige Hinweise gibt es: Sextus Empiricus spricht mehrmals von „mythischem Glauben“ (μυθικὰς πίστεις, Pyrrhoniae hypotyposes 1,37, 145, 150, 154, 159), Alexander aus Aphrodisias von „Glauben ans Schicksal“.70 Andernorts nennt Alexander als Grund für den Glauben ans Schicksal die Denkfaulheit der meisten Menschen.71 Hier sind wir schon in der Nähe einer theologischen Verwendung von πίστις, insofern als die Mythen von Göttern handeln und das Schicksal in den Bereich der theologischen Vorstellungen gehört (die Stoiker identifizierten bisweilen das Schicksal mit Zeus, z.B. Diogenes Laertius 7,135:
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Cicero, nat. deor. 1,44: intellegi necesse est esse deos, quoniam insitas eorum vel potius innatas cognitiones habemus; … hanc nos habere sive anticipationem, ut ante dixi, sive praenotionem deorum (sunt enim rebus novis nova ponenda nomina, ut Epicurus ipse πρόληψιν appellavit, quam antea nemo eo verbo nominarat) – hanc igitur habemus, ut deos beatos et inmortales putemus. 69 Siehe oben S. 735. 70 Alexandros von Aphrodisias, De fato 165,22: τῇ κοινῇ τῶν ἀνθρώπων πίστει περὶ εἱμαρμένης, vgl. 186,31; 187,4; 191,15; 191,22. Dazu R.W. SHARPLES, Alexander of Aphrodisias on Fate. Text, Translation and Commentary, London 1983. 71 Alexandros von Aphrodisias, De anima liber mantissa 180,30: οἳ καὶ τοὺς πλείστους τῶν ἀνθρώπων ἀναπεπείκασιν δι’ ἀργίαν ἀφεμένους τοῦ σκοπεῖν, ὅπῃ ποτὲ ταῦτα ἔχει, καὶ τίς ἡ τάξις ἐν τοῖς οὖσιν τῆς εἱμαρμένης, πάντα τὰ γιγνόμενα καθ’ εἱμαρμένην γίγνεσθαι λέγειν. – Sie (die Scharlatane) haben die meisten der Menschen, die aus Faulheit das Nachforschen, wie sich das wohl verhalte und welche Ordnung in den Wesenheiten der Heimarmene sei, aufgegeben haben, überzeugt zu sagen, dass alles, was geschieht, entsprechend der Heimarmene geschieht.
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Ἕν τ’ εἶναι θεὸν καὶ νοῦν καὶ εἱμαρμένην καὶ Δία – Eines sei Gott, Vernunft, Schicksal und Zeus). Der christlichen Verwendung von πίστις am nächsten kommt Plutarch an einer singulären Stelle im Amatorius (756b), wo er von einer „väterlichen und alten Überzeugung“ spricht, welche „die allgemeine Basis für die Frömmigkeit“ bilde (ἡ πάτριος καὶ παλαιὰ πίστις … ἕδρα τις αὕτη καὶ βάσις ὑφεστῶσα κοινὴ πρὸς εὐσέβειαν).72 Ein Christ könnte hier „väterlicher und alter Glaube“ lesen. Im Hinblick auf Klemens’ Diskussion der πίστις wichtig ist, dass Plutarch die Frage nach einem Beweis (ἀπόδειξις) zur Existenz des Gottes Eros eben mit dem Hinweis auf die πάτριος καὶ παλαιὰ πίστις beantwortet: Diese soll zur Bestätigung (τεκμήριον) genügen: πίστις wird sinngemäß zum Wahrheitskriterium in der Frage nach der Existenz eines Gottes. Eine Krux in der Auseinandersetzung zwischen gebildeten Christen und Paganen liegt also darin, dass die Christen aus Sicht der paganen Philosophen einen falschen Weg zu Gott wählen: Man glaubt nicht an ihn, man vertraut nicht auf Gott, sondern man denkt ihn (νοεῖν) oder man verhält sich wie von der Tradition geboten gegenüber den Göttern (θεοὺς νομίζειν). Dies liegt am tiefen erkenntnistheoretischen Stellenwert des Glaubens in allen philosophischen Richtungen und besonders im Platonismus: Glaube, Meinung, Vermutung sind auf den Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Sphäre beschränkt; sie führen nicht zu sicherem Wissen, sondern nur zu Vermutungen und Annahmen. Gott aber gehört zum Bereich des geistig Wahrnehmbaren; er ist die Ursache unseres Denkens und Inhalt unseres Denkens. Die geistig wahrnehmbare Sphäre zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass sie geistig und nicht sinnlich wahrnehmbar ist, sondern auch durch Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Sein: Dies ist der Bereich, der Gott, dem Ewigen, Unveränderlichen, dem Seienden, wesenhaft zukommt. Das menschliche Vermögen, sich in diesem Bereich „zu bewegen“ ist das Denken, die Vernunft. Nur über Vernunft (νοῦς) und rationales Denken (λόγος) gelangen wir zu einer angemessenen Vorstellung von Gott. Das lässt sich auf den Punkt bringen: Der Christ glaubt an Gott, der Philosoph denkt ihn. Aus Sicht platonischer Philosophen begehen Christen einen Kategorienfehler, wenn sie an Gott glauben: Glaube und Vermutung beziehen sich auf die sinnlich wahrnehmbare Sphäre, in der Gott nicht ist. In Bezug auf Gott ist nur Denken möglich. Obwohl Klemens die Grundannahme Platons übernimmt, dass Geistiges nur durch Geistiges erkannt wird, geht er in der Begründung der Gotteserkenntnis andere Wege als die Platoniker: Nicht über den νοῦς, über das 72
Zum Amatorius s. H. GÖRGEMANNS, in: R. Feldmeier/H.-G. Nesselrath/R. HirschLuipold (Hg.), Plutarch. Dialog über die Liebe. Amatorius, SAPERE 10, Tübingen 2006, 147 Anm. 126 mit weiterer Literatur.
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Denken, erkennt der Mensch die Existenz Gottes,73 sondern über den Glauben. Glauben bildet das Fundament der Erkenntnis bzw. der Wahrheit (2,31,3; 2,48,4; 2,49,3). Konsequent schreibt er den Glauben in das platonisch geprägte Erkenntnismodell ein, wenn er behauptet, dass Glaube und Erkenntnis der Wahrheit bewirken, dass die sie wählende Seele sich immer gleich und auf die nämliche Weise verhält (2,52,3). In dieser Passage sind die Anklänge an Platons Bereich des Seienden deutlich (Stählin verweist auf Platon, Phaid. 78d, soph. 248a); dass die Seele geistig das geistig Wahrnehmbare erkennt, indem sie sich dem unbeweglichen, immer gleich bleibenden Sein der Ideen möglichst angleicht, entspricht Platons Denken; dass sich die Seele so verhält, weil sie Glauben hat, ist Klemens’ Ergänzung: Glauben bezieht sich in Platons Denken nie auf den Bereich des geistig Wahrnehmbaren, der Ideen und des Seins, sondern stets auf den Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Welt, wo Veränderung und Meinen herrschen.74 Aus Sicht der Platoniker schreibt Klemens hier Unsinn. Indem Klemens aufzeigt, dass alles Wissen letztlich auf Glauben beruht, wertet er den Glauben erkenntnistheoretisch auf: Glauben ist die Grundlage für Erkenntnis. Weil aber Wissen und Wahrheit für Klemens letztlich identisch sind mit Gott,75 ist Glaube in seinem Denksystem nicht nur eine erkenntnistheoretische Größe, sondern auch eine theologische – da steht er natürlich in der jüdisch-christlichen Tradition. Klemens versucht, πίστις als theologische Größe auch im philosophischen Diskurs zu etablieren: πίστις ist nicht nur ein minderwertiger Weg zu ungenauen Meinungen, wie das im philosophischen Diskurs der Zeit gesehen wurde, sondern πίστις ist die Grundlage rationalen Denkens: nur wer glaubt, erkennt (5,1,4). Deshalb ist πίστις der richtige Weg zu Gott: Gott, den man sinnlich nicht wahrnehmen kann, dessen Existenz eigentlich auch das Denken übersteigt (5,7,8), kann nur geglaubt werden. Ob Klemens mit seiner Argumentation bei paganen Philosophen Gehör gefunden hat? Wir wissen es nicht, ebenso wenig, ob sie sich hätten über73 Gotteserkenntnis der Platoniker, z.B. Alkinoos, Didaskalikos Kap. 10, bes. 2–4; Kelsos, Alethes logos 7,45: Maximos aus Tyros, 11,6–8. Mehr Quellentexte in: H. DÖRRIE u.a., Die philosophische Lehre des Platonismus, Band 7: Theologia Platonica, Stuttgart 2008. 74 Platon, rep. 6,509d–511e, Liniengleichnis: νόησιν μὲν ἐπὶ τῷ ἀνωτάτω, διάνοιαν δὲ ἐπὶ τῷ δευτέρῳ, τῷ τρίτῳ δὲ πίστιν ἀπόδος καὶ τῷ τελευταίῳ εἰκασίαν 511de: Denken für den höchsten, Überlegung für den zweiten, für den dritten Glauben und für den letzten Vermutung. – Die ersten beiden Seelenregungen (511d παθήματα ἐν τῇ ψυχῇ) beziehen sich auf den Bereich des geistig Wahrnehmbaren, das dritte und vierte auf den Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Locus classicus für eine ontologisch-erkenntnistheoretische Zweiteilung der Welt ist Tim. 27d–28a. 75 Der Glaube hört auf, Glaube zu sein, wenn er auf fester Grundlage beruht: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29; Stromateis 2,9,6).
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zeugen lassen. Klemens scheint der erste christliche Autor zu sein, der sich der philosophischen Probleme, die am Konzept des Glaubens hängen, bewusst war und der erkannte, dass aus Sicht paganer Philosophen die Christen mit ihrer Betonung des Glaubens gegenüber dem Wissen einen falschen Weg zu Gott einschlugen.76 Deshalb belegt er die Wichtigkeit des Glaubens nicht nur mit Schriftzitaten, sondern versucht, gestützt auf Aristoteles (Platon ist ihm hier keine Hilfe), Glauben als erkenntnistheoretisches Fundament zu etablieren.
76 Vor diesem Hintergrund ist auch die Kritik an den Christen zu lesen, dass sie „leichtgläubig“ seien (LILLA, Clement (s. Anm. 1), 118 Anm. 1 verweist auf Walzer, Galen on Jews and Christians, z.B. Galen, De pulsuum differentiis 2,4. Selber verweist er auf Kelsos, apud Orig. C.Cels. 1,9; 6,7. Zu nennen sind auch Lukian, Peregrinos 13, Minucius Felix, Octavius (Plädoyer des Heiden für den hergebrachten Kult) 8,4 und 11,9 credulus). Zum Christenbild im 1.–2. Jh. bei Paganen s. S. B ENKO, Pagan Criticism of Christianity, ANRW II 23.2, 1055–1118.
„Glaube“ und „Glauben“ in den apokryphen Akten des Paulus und der Thekla TOBIAS NICKLAS und VERONIKA NIEDERHOFER
1. Einleitung Bis vor wenigen Jahrzehnten noch als „geschmacklos“ und theologisch belanglos geschmäht,1 haben die apokryphen Apostelakten, besonders die „Big Five“ aus Andreasakten, Petrusakten, Paulusakten, Johannesakten und Thomasakten, in den vergangenen Jahren mit Recht ein deutlich gesteigertes wissenschaftliches Interesse erfahren, führen sie uns doch, abgeleitet von der Gattung des hellenistischen „erotischen Romans“,2 hinein in eine Zeit, in der das Christentum neue gesellschaftliche Schichten erreichte und dabei mit neuen Denkwelten konfrontiert wurde. So hat etwa Janet E. Spittlers Arbeit zur „Tierwelt“ apokrypher Apostelakten in jüngster Zeit deutlich gemacht, wie sehr eine angemessene Kenntnis hellenistisch-römischer Mythologien dazu beitragen kann, Texten, die uns heute in Teilen fremd erscheinen mögen, gerecht zu werden; herausgegeben von Jan N. Bremmer und Istvan Czachesz hat sich zudem eine wissenschaftliche Reihe entwickelt, in deren besonderem Fokus die Erforschung apokrypher Apostelakten (sowie inzwischen auch weiterer christlicher Apokryphen) in ihren antiken Kontexten steht.3 So wenig historisch zuver1 Vgl. noch in allerjüngster Zeit K. J AROŠ, Das Neue Testament und seine Autoren. Eine Einführung, Köln 2008, 295, oder – schon etwas älter, dabei aber besonders drastisch – J.B. B AUER, Die neutestamentlichen Apokryphen, Die Welt der Bibel, Düsseldorf 1968, 12f. 2 Zur Diskussion der Gattung apokrypher Apostelakten – die Texte müssen zudem natürlich noch einmal in ihrer Variationsbreite gesehen werden – vgl. knapp die Einführung von H.-J. KLAUCK, Apokryphe Apostelakten. Eine Einführung, Stuttgart 2005, 14–21; ausführlicher zudem die Monographie von C.M. T HOMAS, The Acts of Peter, Gospel Literature, and the Ancient Novel. Rewriting the Past, Oxford 2003; konkret zu den Akten des Paulus und der Thekla zudem J. B ARRIER, The Acts of Paul and Thecla. A Critical Introduction and Commentary, WUNT 2/270, Tübingen 2009, 7–20. 3 Vgl. J.E. SPITTLER, Animals in the Apocryphal Acts of the Apostles. The Wild Kingdom of Early Christian Literature, WUNT 2/248, Tübingen 2008; viele Gedanken Spittlers finden sich übernommen bei ihrem Doktorvater H.-J. KLAUCK, Die apokryphe Bibel. Ein anderer Zugang zum frühen Christentum, Tria Corda 4, Tübingen 2008, 95–
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lässig die apokryphen Apostelakten sein mögen, wenn wir sie auf Ereignisse der apostolischen Zeit des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung hin befragen, so sehr vermögen sie uns (auf pragmatischer Ebene) jedoch Aspekte der Welten vornehmlich des 2. und 3. Jahrhunderts zu erschließen, in denen und für die sie verfasst wurden.4 Zu den in den genannten Texten erkennbaren Verschiebungen z.B. gegenüber der kanonisch gewordenen Apostelgeschichte des Lukas gehört die Tatsache, dass die Auseinandersetzung der neuen „christlichen“ Bewegung mit dem Judentum nun sehr weitgehend zurücktritt und die Öffnung auf „pagane“ Welten hin zum zentralen Thema wird. Eine solche Öffnung lässt sich natürlich schon von frühester Zeit an beobachten – ihr entscheidender Protagonist ist Paulus, der „Apostel der Völker“ und umstrittener Vertreter einer „beschneidungsfreien“ Mission von „Heiden“.5 Während Paulus jedoch sich zeitlebens als Jude versteht6 und auch in Konfrontation mit Problemen (vornehmlich) heidenchristlicher Gemeinden z.B. dazu neigt, mit Hilfe zum Teil gewagter Exegesen der Schriften Israels zu argumentieren, dürften die Autoren der genannten apokryphen Apostelakten bereits einer seit mehreren Generationen heidenchristlich geprägten Bewegung angehören. So wenig unsere Kategorien „jüdisch“, „christlich“ oder „pagan“7 geeignet sind, die tatsächliche Vielfalt antiken Lebens und Denkens adäquat zu beschreiben, so sehr stellt sich damit doch die Frage, inwieweit pagane Denkmodelle und Denkmöglichkeiten in diesen veränderten Kontexten die Gesamtmatrix der zunächst jüdisch – wenn auch sicherlich von Anfang an in weiten Teilen hellenistisch jüdisch – geprägten Bewegung „Christentum“ veränderten. Im Hinblick auf diese sehr grund138. – Vgl. zudem die zunächst bei Kok (Kampen), inzwischen jedoch vom Verlag Peeters (Leuven) publizierte Reihe Studies on the Apocryphal Acts of the Apostles, deren Titel allerdings inzwischen in Studies on Early Christian Apocrypha umgewandelt wurde. 4 Natürlich gilt dies auch für die noch immer wenig untersuchten späteren apokryphen Apostelakten (wie z.B. die Akten des Philippus) oder auch für die verwandten Pseudoclementinen, die auch wegen der Schwierigkeiten ihrer Textüberlieferung vielleicht noch stärker von der Forschung vernachlässigt sind. 5 Da die Tora von Paulus an keiner Stelle für obsolet erklärt wird, halten wir dagegen die Rede von einem „gesetzesfreien“ Heidenchristentum für nicht adäquat. Zu Paulus als Heidenmissionar vgl. weiterführend z.B. die entsprechenden Beiträge in F.W. HORN (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 91–118. 6 Hierzu grundlegend z.B. J. FREY, Das Judentum des Paulus, in: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen 2006, 5–43 (mit weiterführender Sekundärliteratur). 7 Die Verwendung des Begriffs „pagan“ stellt natürlich von allen dreien am stärksten einen Anachronismus dar. Zur Geschichte dieses Begriffs, der sich erst nach der konstantinischen und noch stärker nach der theodosianischen Wende in der Bedeutung durchsetzte, in der wir ihn heute kennen, vgl. A. CAMERON, Pagans and Polytheists, in: DERS., The Last Pagans of Rome, Oxford 2011, 13–32.
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legende Frage – sie wurde und wird gerne mit dem (u.E. nicht ganz adäquaten) Begriff der „Hellenisierung“ des Christentums umschrieben8 – bieten die apokryphen Apostelakten eine bisher zu wenig beachtete, gleichwohl hoch bedeutsame Quelle. In den Kern der eben formulierten großen Frage gehört das Problem, inwiefern die apokryphen Apostelakten einen Glaubensbegriff voraussetzen (bzw. formulieren), der sich von dem der ersten „christlichen“ Generationen unterscheidet. Dies schließt sich auch an einer anderen Diskussion an: In einer Reihe jüngerer Studien hat Thomas Schumacher erarbeitet, dass noch bei Paulus keineswegs durchgehend von einer „christlich“ geprägten Verwendung des Begriffs πίστις im Sinne einer religiösen Beziehung „Glauben“ gesprochen werden kann, sondern dass weiterhin – je nach Kontext – verschiedenste Bedeutungsnuancen des profanen Sprachgebrauchs mit zu berücksichtigen sind; dabei legt er Wert darauf, dass das Wort zunächst für Beziehungen im zwischenmenschlichen und dann auch im religiösen Bereich stehen kann.9 Vor diesem Hintergrund hat etwa Norbert Baumert in seinen jüngsten Auslegungen paulinischer Literatur an die Stelle paulinischen πίστις bzw. πιστεύειν das deutsche „Trauen“ gesetzt, in dem sich auch die für das paulinische Denken wichtige Dimension der (gegenseitigen) „Treue“ von Gott, Christus und „Glaubendem“ sprachlich niederschlägt, und dies in besonderem Maße seiner Exegese des Galater- wie des Philipperbriefs zugrunde gelegt.10 8
Im weiteren Sinne könnte man in diesem Zusammenhang von der „Hellenisierung“ des Christentums sprechen, wäre dieser Begriff nicht an so vielen Stellen problematisch. Weiterführend (in Auseinandersetzung mit Gedanken von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI.) vgl. z.B. den grundlegenden Beitrag von W. BEIERWALTES, Griechische Metaphysik und christliche Theologie, in: E. Dirscherl/C. Dohmen (Hg.), Glaube und Vernunft. Spannungsreiche Grundlage europäischer Geistesgeschichte, Forschungen zur Europäischen Geistesgeschichte 9, Freiburg 2008, 33–44. 9 Vgl. z.B. T. SCHUMACHER, Der Begriff πίστις im paulinischen Sprachgebrauch. Beobachtungen zum Verhältnis von christlicher und profangriechischer Semantik, in: U. Schnelle (Hg.), The Letter to the Romans, BEThL 226, Leuven 2009, 487–501, 489: „Dass πίστις nicht zwangsläufig nur den ‚christlichen Glauben‘ zur Sprache bringen muss, sondern ein Wort mit einem äußerst breiten Bedeutungsspektrum ist, zeigt der Blick in die gängigen Griechischwörterbücher. Mit πίστις kann das ‚Trauen‘, ‚Vertrauen‘, oder ‚Zutrauen‘, aber auch die ‚Anerkennung‘, das ‚Ansehen’ und die ‚Geltung‘ zur Sprache gebracht werden. Es kann etwas ‚Anvertrautes‘, eine ‚finanzielle Zuwendung‘, oder einen ‚Kredit‘ bezeichnen. … Dieses Wort ist keineswegs auf den religiösen Bereich beschränkt, sondern hat vor allem auch im zwischenmenschlichen Bereich Verwendung gefunden.“ Ausführlich DERS., Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις, BBB 168, Göttingen, 2012. 10 Vgl. N. B AUMERT, Der Weg des Trauens. Übersetzung und Auslegung des Briefes an die Galater und des Briefes an die Philipper, Paulus neu gelesen, Würzburg 2009. Natürlich variiert die Auffassung vom „Glaubensverständnis“ des Paulus von Autor zu
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Was lässt sich – auch vor diesem Hintergrund – über das Verständnis von „Glaube“ und „Glauben“ in apokryphen Apostelakten sagen? Eine Antwort auf diese Frage kann auch wegen des Charakters der Quellen nicht einfach pauschal ausfallen: So sehr wenigstens die „großen fünf“ apokryphen Apostelakten aufgrund ihres Genres verwandt sind, so wenig spiegeln sie einfach identische Situationen, Kontexte und Gruppierungen. Zudem zeigen sich im Zusammenhang mit jeder der fünf genannten Einzelschriften Fragen der Entstehung und Überlieferung wie, damit zusammenhängend, im Grunde selbst der zu bearbeitenden Textgrundlage. Wir haben uns deswegen entschlossen, nur einen Text genauer zu betrachten, einen Abschnitt der Akten des Paulus, die in den Diskussionen der vergangenen Jahre sicher von allen apokryphen Apostelakten das meiste Interesse auf sich ziehen konnten;11 da diese wiederum, wie jüngst Glenn Snyder überzeugend gezeigt hat,12 sich kaum als in einem Guss entstandene Gesamtschrift verstehen lassen, sondern als ein in mehreren Schritten entwickeltes Konglomerat mehrerer Schriften anzusehen sind, unter ihnen der 3. Korintherbrief, das Martyrium des Paulus und schließlich die Akten des Paulus und der Thekla, mag es im Rahmen eines Aufsatzes interessant sein, sich wiederum auf einen dieser ursprünglich unabhängigen Texte zu konzentrieren. Die mit Abstand höchste Dichte von Aussagen über „Glaube“ bzw. „Glauben“ schließlich findet sich in letzterer Schrift, den Akten des Paulus und der Thekla, die wir im Folgenden genauer untersuchen. Dabei interessieren wir uns für die folgenden Fragen: Autor. Dies zu diskutieren ist hier jedoch nicht der Raum. Vgl. hierzu jedoch die relevanten Beiträge des vorliegenden Bandes wie auch (klassisch) O. HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: DERS., Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 1989, 148–174, oder (aktuell) B. SCHLIESSER, Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, Theologische Studien 3, Zürich 2011 und M. W OLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 72–96 sowie knapp DERS., Glaube/Christusglaube, in: Horn (Hg.), Paulus Handbuch (s. Anm. 5), 342–347. 11 Die Angaben berufen sich auf W. SCHNEEMELCHER, NTApo 62, 197f., M. EBNER /M. LAU, Überlieferung, Gliederung und Komposition, in: M. Ebner (Hg.), Aus Liebe zu Paulus? Die Akte Thekla neu aufgerollt, SBS 206, Stuttgart 2005, 1–9, 2 und KLAUCK, Apokryphe Apostelakten (s. Anm. 2). 12 Die kürzlich erschienene Arbeit von G. Snyder warnt davor, die „Paulusakten“ nicht zu schnell als ein in einem Guss vorliegendes, konzipiertes Werk (etwa vergleichbar der lukanischen Apostelgeschichte) misszuverstehen. Die ActPaul seien eine Zusammenstellung verschiedener Paulustraditionen, die nebeneinander im Umlauf waren und durch „composition, reception and development of the traditions“ als Acts of Paul bewahrt/erhalten sind. G.E. SNYDER, Acts of Paul. The Formation of a Pauline Corpus, WUNT 2/352, Tübingen 2013, 1. Anders jedoch der jüngst erschienene Kommentar von R.I. P ERVO, The Acts of Paul. A New Translation with Introduction and Commentary, Eugene 2014, 6, der zumindest eine letzte, die verschiedenen Quellen redaktionell einende Hand entdeckt.
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1. In welchen Kontexten begegnen die Worte πίστις, πιστεύειν oder Verwandtes? 2. Inwiefern ist der vorausgesetzte bzw. explizit formulierte „Glaube“ inhaltlich gefüllt bzw. durch konkrete Handlungen und Haltungen bestimmt? Inwiefern werden Abgrenzungen zu anderen Inhalten, Handlungen und Haltungen formuliert? 3. Inwiefern können wir schon von einem „christlich“ geprägten Glaubensbegriff sprechen? Inwiefern zeigen sich weiterhin wenigstens in Ansätzen Aspekte der ursprünglichen Bedeutungsvielfalt?
2. Die Akten des Paulus und der Thekla Die konkrete Datierung der Akten des Paulus und der Thekla ist in hohem Maße umstritten: Zwar erwähnt bekanntlich Tertullian in seiner um die Wende des 2. zum 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstandenen Schrift De baptismo kritisch die Akten des Paulus,13 will man von diesem terminus ante quem jedoch die den Paulusakten als eine von mehreren Quellen zugrunde liegenden Akten des Paulus und der Thekla genauer datieren, stößt man auf erhebliche Schwierigkeiten. Selbst die Tatsache, dass die im Text erwähnte Königin Tryphaena an eine historische Gestalt aus der Mitte des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung erinnern dürfte, hilft kaum für die Datierung des Texts;14 mutig und originell ist der Vorschlag von J.N. Bremmer, die im Text erwähnte Falconilla mit der Frau des römischen Konsuls von Sizilien, Pompeia Sosia Falconilla, zu identifizieren und den Text deshalb in die 60er Jahre des 2. Jahrhunderts zu datieren15 – letzte Sicherheit scheint uns aber nicht möglich, selbst frühere Datierungen sind vor allem dann nicht vollkommen auszuschließen, wenn man den Text in Konkurrenz zu Konstruktionen von Gemeinde- und Frauenbildern set-
13 Zur konkreteren Diskussion dieser Passage vgl. W. RORDORF, Tertullien et les Actes de Paul, in: DERS., Lex Orandi – Lex Credendi. Gesammelte Aufsätze zum 60. Geburtstag, Paradosis 36, Freiburg 1993, 475–483 sowie A. H ILHORST, Tertullian and the Acts of Paul, in: J.N. Bremmer (Hg.), The Apocryphal Acts of Paul and Thecla, Studies on the Apocryphal Acts of the Apostles 1, Kampen 1996, 150–163. 14 Hierzu u.a. W. RORDORF, Traditon and Composition in the Acts of Thecla, Sem. 38 (1986), 43–52, 46, der auf A. VON GUTSCHMID, Die Königsnamen in den apokryphen Apostelgeschichten. Ein Beitrag zur Kenntnis des geschichtlichen Romans, Rheinisches Museum für Philologie 19 (1864), 161–183 verweist (diskutiert auch bei B ARRIER, Acts of Paul and Thecla [s. Anm. 2], 23). 15 Weiterführend J.N. BREMMER, The Apocryphal Acts. Authors, Place, Time and Readership, in: J.N. Bremmer/I. Czachesz (Hg.), The Apocryphal Acts of Thomas, Studies on Early Christian Apocrypha 6, Leuven 2001, 149–170, 153.
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zen will, wie sie sich in den Pastoralbriefen finden.16 Dass der Text in Kleinasien entstand, entspricht dagegen einem Konsens.17 In den Akten des Paulus und der Thekla werden Worte des Stamms πίστ- 10x verwendet. Sowohl erzählende Passagen als auch direkte Redepassagen gebrauchen Verbal- wie auch Nominalformen des Verbes und Nomen in unterschiedlichen Kasus. Der Text wiederum kann in zwei Einheiten gegliedert werden,18 die jeweils ein dramatisch erzähltes Martyrium der Thekla schildern – Thekla überlebt bekanntlich beide Male auf wunderbare Weise. 2.1 Als Paulus auf der Flucht aus Antiochien nach Ikonium gelangt, wird er von einem „Mann namens Onesiphoros“ (vgl. 2Tim 1,16; 4,19) in seinem Haus aufgenommen,19 wo er „das Wort Gottes von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung“ (§ 5) verkündet.20 Thekla, eine Jungfrau, die als Tochter der Theoklia und Verlobte des Thamyris vorgestellt ist, lauscht von einem Fenster im Haus nebenan Tag und Nacht den Worten des Apostels (§ 7). Gebannt von den Worten des Apostels, drängt sie darauf, ihn nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen (§ 7). Sie beobachtet zahlreiche junge Frauen, die in das Nachbarhaus eintreten, und wünscht, auch unter ihnen zu sein. Im „Glauben“ und „über alle Maßen voller Freude“ (ἀλλὰ τῇ πίστει 16
Vgl. hierzu u.a. A. MERZ, Gen(de)red Power. Die Macht des Genres im Streit um die Frauenrolle in Pastoralbriefen und Paulusakten, HTS 68.1 (2012) [http://dx.doi.org/ 10.4102/hts.v68i1.1185]; zur Ekklesiologie der Pastoralbriefe und den damit verbundenen Rollenmodellen im Kontext der römisch-hellenistischen Welt vgl. nun K. ZAMFIR, Men and Women in the Household of God. A Contextual Approach to Roles and Ministries in the Pastoral Epistles, NTOA 103, Göttingen 2013. 17 So etwa PERVO, Acts of Paul (s. Anm. 12), 70f. 18 Die Paragraphenzählung ist der Edition von R.A. LIPSIUS (Acta I 235–272) entnommen. 19 Zur Bedeutung dieser Szene für frühchristliche Ideen von Mission vgl. R.I. PERVO, The Hospitality of Onesiphorus. Missionary Styles and Support in the Acts of Paul, in: C.K. Rothschild/J. Schröter (Hg.), The Rise and Expansion of Christianity in the First Three Centuries of the Common Era, WUNT 301, Tübingen 2013, 341–352. 20 Zum Enkratismus der Akten des Paulus und der Thekla vgl. u.a. J.W. B ARRIER, Asceticism in the Acts of Paul and Thecla’s Beatitudes. The Coptic Heidelberg Papyrus as an Exegetical Test Case, in: H.-U. Weidemann (Hg.), Asceticism and Exegesis in Early Christianity. The Reception of New Testament Texts in Ancient Ascetic Discourses, NTOA 101, Göttingen 2013, 163–185; zur Stelle vgl. auch M. EBNER, Paulinische Seligpreisungen à la Thekla. Narrative Relecture der Makarismenreihe in ActThecl 5f., in: DERS.: Aus Liebe zu Paulus? Die Akte Thekla neu aufgerollt, SBS 206, Stuttgart 2005, 64–79. sowie M. LAU, Enthaltsamkeit und Auferstehung. Narrative Auseinandersetzungen in der Paulusschule, beide in: M. Ebner (Hg.), Aus Liebe zu Paulus? Die Akte Thekla neu aufgerollt, SBS 206, Stuttgart 2005, 52–63 sowie 64–89.
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ἐπήγετο ὑπερευφραινομένη § 7) reagiert sie weder auf Anfragen ihres Verlobten noch auf Ermahnungen ihrer Mutter. Die Zuwendung der jungen Frau zu Paulus erweckt die Eifersucht des Thamyris, der (zu Recht) befürchtet, seine Verlobte zu verlieren. Mit Hilfe der (falschen) Reisebegleiter des Paulus wiegelt er die Menge gegen den Apostel auf, der vor den Statthalter gebracht wird (§ 15). Beim Verhör antwortet der Apostel auf die Frage, wer er sei und was er lehre (τίς εἶ, καὶ τί διδάσκεις; § 16), ausführlich: In diesem Zusammenhang stellt Paulus seinen Gott vor, der seinen Sohn sandte, „damit die Menschen nicht mehr unter dem Gericht seien, sondern Glauben hätten und Gottesfurcht und Erkenntnis der Ehrbarkeit und Liebe zur Wahrheit“ (ἵνα μηκέτι ὑπὸ κρίσιν ὦσιν οἱ ἄνθρωποι, ἀλλὰ πίστιν ἔχωσιν καὶ φόβον θεοῦ καὶ γνῶσιν σεμνότητος καὶ ἀγάπην ἀληθείας § 17). Auch von der Gefangennahme des Paulus lässt sich Thekla nicht abhalten; sie folgt ihm sogar ins Gefängnis, um dort seinen Worten lauschen zu können. Eine Erzählnotiz beschreibt die Situation: „Und Paulus fürchtete nichts, sondern wandelte voller Zuversicht zu Gott. Und ihr Glaube nahm zu, und sie küsste auch seine Fesseln“ (καὶ οὐδὲν ἐδεδοίκει ὁ Παῦλος, ἀλλὰ τῇ τοῦ θεοῦ παρρησίᾳ ἐνεπολιτεύετο·κἀκείνης ηὔξανεν ἡ πίστις, καταφιλούσης τὰ δεσμὰ αὐτοῦ § 18). Als Thamyris (und die Familie Theklas) sie mit eigenen Augen, „mitgefesselt durch ihre Liebe“ vor Paulus im Gefängnis sitzen sieht, berichten sie dem Statthalter, der Paulus geißeln und zur Stadt hinauswerfen lässt, Thekla aber zum Tod durch das Feuer verurteilt (§§ 20–21). In diesem Kontext ist, wie bereits angedeutet, mehrfach von „Glaube“ bzw. vom „Glauben“ die Rede: Dreimal begegnet das Wort πίστις, jeweils als Substantiv und in Verbindung mit einem Verb (τῇ πίστει ἐπήγετο § 7; πίστιν ἔχωσιν § 17; ηὔξανεν ἡ πίστις § 1821), einmal davon im Munde des Apostels, zweimal in einer Erzählnotiz, die jeweils eine Aussage über Thekla trifft. Bereits in § 7, der Thekla vorstellt, ist davon die Rede, dass sie „über alle Maßen voll Freude“ (ὑπερευφραινομένη) „dem Glauben hinzugeführt wurde“ (τῇ πίστει ἐπήγετο) – die Imperfektform ἐπήγετο deutet dabei nicht ein punktuelles Ereignis, sondern einen Prozess an, der auch im Satz vorher durch die Information über das Verweilen Theklas am Fenster zum Ausdruck kommt. Die räumliche Distanz zum Sprechen des Paulus an die Gemeinde im Haus des Onesiphoros erlaubt, erzählerisch zum Ausdruck zu bringen, dass Theklas Glaube alleine „vom Hören kommt“: So gesehen, kann man § 7 geradezu als narrative Illustration von Röm 10,17 deuten – Theklas Glaube kommt ἐξ ἀκοῆς. Nun jedoch möchte sie auch „vor dem 21 Die syrische Fassung des Textes unterscheidet sich hier und spricht von „großer Freude“.
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Angesicht des Paulus stehen“ und „die Christusrede bzw. das Christuswort hören“ (ἀκούειν τὸν τοῦ Χριστοῦ λόγον;22 vgl. Röm 10,17b: ἀκοὴ διὰ ῥήματος Χριστοῦ), was ihr jedoch noch nicht gelingt; sie bleibt alleine auf das Hören beschränkt. Offen bleibt, ob das „Christuswort“ als „Wort über Christus“ oder doch auch als „Wort Christi“ zu verstehen ist: Die im Text mehrfach, besonders intensiv aber in A. Paul. et Thecl. § 21 (εἶδεν τὸν κύριον καθήμενον ὡς Παῦλον) zum Ausdruck gebrachte tiefe Beziehung und Nähe des Apostels Paulus zu Christus,23 könnte gar nahelegen, dass die Verkündigung des Paulus, die in § 5 als „Wort Gottes von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung“ beschrieben werden kann, letztlich als Christusrede verstanden ist. Während, anders etwa als in den Evangelien, keine (wie auch immer problematisierte) Beziehung zwischen Wundern, Zeichen oder irgendwelchen anderen Handlungen des Paulus zu Theklas Glaube hergestellt wird, wird die aufgrund der Worte des Paulus erfolgte Lebenswende Theklas, die geradezu am Fenster „klebt“ (vgl. auch § 8), auch mit Hilfe von Begriffen beschrieben, in denen sexuelle Untertöne mitschwingen, die für A. Paul. et Thecl. jedoch gegen ihre übliche Bedeutung die Abwendung von jeglicher sexuellen Beziehung und gleichzeitige Hinwendung zu Paulus, dem Verkünder enthaltsamen Lebens, andeuten. Diese sind in § 7 (παρθένους εἰσπορευομένας πρὸς τὸν Παῦλον//ἐπεπόθει [Thekla hat „Sehnsucht/Verlangen“ Paulus zu sehen]) noch eher vage angedeutet,24 werden aber im Verlauf der Erzählung noch deutlich klarer ausgesprochen werden (s.u.). Nicht übersehen werden sollte auch die Verbindung zwischen „Glaube“ und – hier sogar „übermäßiger“ – Freude (vgl. auch § 5: ἐγένετο χαρὰ μεγάλη [Haus des Onesiphoros] und § 20: ἡ δὲ μετὰ χαρᾶς ἀπίει ἀγαλλιωμένη; [beim Gang zum Gericht!]). Ist hier an eschatologische Freude gedacht? Dies ist möglich, lässt sich jedoch u.E. im Text nicht sicher nachweisen. Wie auch immer: im Text der A. Paul. et Thecl. korrespondiert die mit dem „Glauben“ zusammenhängende Freude Theklas mit der Trauer des Thamyris, der Theoklia, ja selbst ihrer Dienerinnen über ihren Verlust – § 10 beschreibt ihr Heim wörtlich als οἴκος πένθους, d.h. als „Trauerhaus“, in dem man über Thekla, die für ihr bishe-
22 Vgl. auch die Wortwahl in A. Paul. et Thecl. 1: ὥστε πάντα τὰ λόγια κυρίου … κατὰ ῥῆμα διηγεῖτο αὐτοῖς. 23 Weitere Beispiele in T. NICKLAS, No Death of Paul in Acts of Paul and Thecla?, in: J.M.G. Barclay/J. Frey/A. Puig i Tàrrech (Hg.), The Last Years of Paul, WUNT 352, Tübingen 2015, 333–342; vgl. aber auch R.I. PERVO, Shepherd of the Lamb. Paul as a Christ-figure in the Acts of Paul, in: S.E. Myers (Hg.), Portraits of Jesus. Studies in Christology, WUNT 2/321, Tübingen 2012, 355–369. 24 Vgl. auch den knappen Hinweis bei B ARRIER, Acts of Paul and Thecla (s. Anm. 2), 86.
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riges Leben und ihre Beziehungen verloren scheint, geradezu Totenklage hält.25 Theklas Glaube wächst im Lauf der Erzählung und wird durch neue Dimensionen bereichert: Zur Komponente Hören tritt auch das Sehen hinzu, als sie viele junge Frauen beobachtet, die das Haus, in dem Paulus lehrt, betreten. Paulus jedoch selbst bekommt sie zunächst nicht zu Gesicht. Er zieht viele Jungfrauen an26 und weckt auch in Thekla zunehmend „Verlangen“ (§ 7; s.o.). Um letztendlich zu Paulus zu gelangen, ist sie schließlich gar bereit, die Türwächter am Gefängnis mit Wertgegenständen zu beschenken, um Zugang zu Paulus zu bekommen (§ 18). In seiner Anwesenheit und wohl auch im Angesicht seiner παρρησία (hier evtl. „Zuversicht“) zu Gott nimmt ihr Glaube zu (ηὔξανεν ἡ πίστις). Dies geht mit einer weiteren sinnliche Ebene einher: sie möchte dem Apostel nahe sein und ihn berühren. Sie küsst seine Fesseln und verharrt wie „mitgefesselt durch ihre Liebe“ (εὗρον αὐτὴν τρόπον τινὰ συνδεδεμένην τῇ στοργῇ § 19) vor seinen Füßen. Auch während seiner Vernehmung bleibt sie an diesem Ort und „wälzte sich auf der Stelle, wo Paulus lehrte, als er im Gefängnis saß“ (Θέκλα ἐκυλίετο ἐπὶ τοῦ τόπου οὗ ἐδίδασκεν ὁ Παῦλος καθήμενος ἐν τῇ φυλακῇ § 20).27 Dass auch diese Passagen deutliche sexuelle Untertöne zeigen, lässt sich kaum von der Hand weisen. „Glauben“ hat für die Akten des Paulus und der Thekla ganz offenbar eine wichtige leibliche Dimension, in der Beziehung hergestellt werden soll: Über die Worte des Apostels hinaus werden Orte entscheidend, an denen die Präsenz des Apostels geradezu leiblich erfahrbar wird. Die Idee, selbst Orte berühren zu wollen, an denen der nicht mehr erreichbare Apostel lehrte, scheint schon eine Stufe christlichen Lebens zu spiegeln, in der die Reliquien von Märtyrern und Aposteln eine große Rolle für das Glaubensleben spielen;28 wie wichtig diese Dimension im Verlauf der Geschichte wurde, zeigt sich explizit etwa an den Passagen, in denen das Martyrium des Polycarp vom Ringen um die 25
B ARRIER, Acts of Paul and Thecla (s. Anm. 2), 96 betont stattdessen den Aspekt von „honor and shame“ in dieser Szene, der sicherlich mitspielen mag, jedoch nicht deutlich ausgedrückt ist. 26 Zu den spannenden Aspekten der Akten des Paulus und der Thekla gehört die Vorstellung, dass die – hier gar betont enkratitische – Botschaft des Apostels in besonderem Maße junge Menschen anzieht. Dies erinnert deutlich an ähnliche Strukturen in den Akten der Perpetua und Felicitas. Hierzu weiterführend auch die Beiträge in J.N. Bremmer/ M. Formisano (Hg.), Perpetua’s Passions. Multidisciplinary Approaches to the Passio Perpetuae et Felicitatis, Oxford 2012. 27 Interessant ist der im Text zum Ausdruck gebrachte Kontrast: Von ihrer Familie wie auch Thamyris wird sie gesucht, wird als „verloren“ angesehen – was sie, aus Sicht des Textes für die Familie und ihr altes Leben tatsächlich ist. 28 PERVO, Acts of Paul (s. Anm. 12), 131, spricht dagegen von „fetishistic behavior“ und vergleicht die Szene mit einer Passage aus Xenophon von Ephesus 2,7,5.
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sterblichen Überreste des Märtyrerbischofs erzählt (MartPol 17f.) oder noch plastischer an den – immerhin zwei Jahrhunderte später entstandenen Homilien etwa des Johannes Chrysostomus aus Anlass von Märtyrerfesten in Antiochien am Orontes:29 Die vielen Reliquien, die sich im Besitz der Kirche Antiochiens befanden, erinnerten einerseits an das Leben wie den Tod der Märtyrer, die so zu Vorbildern würden, andererseits aber gehe von ihnen auch tatsächliche Kraft und Schutz gegen alle Formen des Bösen aus. Um dieses Schutzes teilhaft zu werden, fordert Johannes explizit dazu auf, am Grab des Märtyrers zu weinen, ihn zum Anwalt in seinen Gebeten zu machen und sich mit dem ganzen Körper auf die Särge der Märtyrer zu werfen (z.B. De sanctis martyribus, Mayer 122).30 So sehr zwischen beiden Zeugnissen Jahrhunderte liegen, so deutlich wird also, dass bereits in den Akten des Paulus und der Thekla der Apostel zum Mittler des Glaubens wird, an dem der Glaubende sich auszurichten hat. In einer Zeit, in der kein Apostel mehr direkt erreichbar ist, wird versucht, ihn durch die Erzählung seiner Taten und Worte, offenbar aber auch durch Handlungen „präsent“ zu machen, die den Glaubenden in Bezug zu Orten setzen, an denen er einst wirkte. Auch inhaltlich bestimmt ist der Glaube Theklas von den Worten des Paulus, die jedoch in den Akten des Paulus und der Thekla, deutlich anders als in den echten Paulusbriefen, kaum mehr den gekreuzigten Christus als ihr Zentrum haben.31 Vor der Versammlung im Haus lehrt er das „Wort Gottes von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung“ (καὶ λόγος θεοῦ περὶ 29
Die folgenden Gedanken verdanken sich M. HARTL, Johannes Chrysostomus und die Reliquien (unveröffentlichter Vortrag aus Anlass eines Regensburger Symposiums zur christlichen Archäologie, 2013) – wir sind Frau Hartl dankbar, dass sie uns ihre Unterlagen bereitwillig zur Verfügung gestellt hat. 30 Vgl. HARTL, Johannes Chrysostomus (s. Anm. 29): „Auf der einen Seite entfalten sie eine Stoßkraft gegen das Böse (die Dämonen und den Teufel), indem sie mit ihrer Geschichte und ihrer Macht beständig an das Wirken Christi und seine Auferstehung erinnern. Zum anderen spenden sie den Christen, die ihnen Verehrung erweisen, Wohltaten und dienen ihnen als Vorbilder für ein tugendhaftes Leben.“ 31 Zur Christologie der Akten des Paulus vgl. PERVO, Acts of Paul (s. Anm. 12), 73f. – Interessant und programmatisch ist sicherlich der Beginn der A. Paul. et Thecl., wo wir lesen, dass Paulus den Reisebegleitern Demas und Hermogenes „alle Worte des Herrn, sowohl von der Geburt wie von der Auferstehung des Geliebten schmackhaft/süß zu machen versuchte“ (…πάντα τὰ λόγια κυρίου καὶ τῆς γεννήσεως καὶ τῆς ἀναστάσεως τοῦ ἠγαπημένου ἐγλύκαινεν αὐτούς μεγαλεῖα τοῦ Χριστοῦ, πῶς ἀπεκαλύφθη αὐτῷ, κατὰ ῥῆμα διηγεῖτο αὐτοῖς). Interessanterweise vereinigt dies bereits zwei christologische Grundlinien von Inkarnation und Auferstehung, wie sie sich u.W. in authentisch paulinischer Christologie nicht finden. Zu den Hintergründen dieser beiden Linien als entscheidenden Wurzeln frühester christologischer Ansätze vgl. F. B OVON, Premières christologies. Exaltation et incarnation, ou de Pâques à Noël, in: DERS., Dans l’atelier de l’exégète. Du canon aux apocryphes, Genf 2012, 13–28.
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ἐγκρατείας καὶ ἀναστάσεως § 5)32. Im Gefängnis sind die „großen Taten Gottes“ (ἤκουσεν τὰ μεγαλεῖα τοῦ θεοῦ § 18), die er Thekla verkündet, welche aber nicht weiter inhaltlich gefüllt werden.33 Etwas deutlicher werden die Inhalte des Glaubens, für den Paulus missionarisch wirbt, zudem in seiner Rede vor dem Prokonsul (§ 17): Paulus beschreibt seinen θεός als „lebendig, rächend, eifernd, nicht bedürfend, das Heil der Menschen wollend“ (Θεὸς ζῶν, θεὸς ἐκδικήσεων, θεὸς ζηλωτής, θεὸς ἀπροσδεής, χρῄζων τῆς τῶν ἀνθρώπων σωτηρίας § 17). Er als Apostel ist zur Vermittlung dieses Heils eingesetzt. Die Menschen sollen der Vernichtung, der Unreinheit der Lust und dem Tod entrissen werden, und dazu hat Gott seinen Sohn gesandt, der von Paulus als frohe Botschaft verkündet wird. Durch die Sendung des Sohnes ist nicht mehr das Gericht das Los der Menschen, sondern es ist möglich, „Glaube, Gottesfurcht, Erkenntnis der Ehrwürdigkeit und Liebe zur Wahrheit“ (πίστιν ἔχωσιν καὶ φόβον θεοῦ καὶ γνῶσιν σεμνότητος καὶ ἀγάπην ἀληθείας § 17) zu erlangen. Glaube wird hier mit anderen Gütern34 in Verbindung gebracht und in Kontrast zum Gericht (κρίσις § 17) gesetzt. Die mit dem Glauben einhergehende Fixierung an der Figur des Apostels (wie seinen Anhängern) und seinen Worten vor allem von einem Leben in Enthaltsamkeit durchtrennt gleichzeitig in radikaler Weise bisher bestehende Bande und ändert Lebensstrukturen: Thekla richtet ihren Tagesablauf nach dem Apostel aus, verbringt drei Tage und Nächte vor dem Fenster, um den Apostel zu hören und unterlässt es dabei sogar, Nahrung zu sich zu nehmen (§ 8). Vor allem aber ist sie bereit, das Versprechen der Verlobung zu brechen. Theklas vorbildhafter Glaube ist mit der Haltung der Abgrenzung verbunden. Sie legt alte Normen ab, löst Bindungen zu Familie und Verlobtem in so radikaler Weise, dass um sie wie um eine Tote getrauert wird (§ 10); auch das Motiv der Eifersucht spielt regelmäßig eine Rolle (Δημᾶς δὲ καὶ Ἑρμογένης ἐζήλωσαν § 4; Θάμυρις … πλησθεὶς ζήλου § 15). Narrativ werden in den A. Paul. et Thecl. so zwei Welten mit 32 Zu dem eigenartigen Verhältnis von Enkratismus und Auferstehungsvorstellung, wie es hier, besonders in den Makarismen der §§ 5–6 zum Ausdruck kommt, vgl. ausführlicher K. ZAMFIR, Asceticism and Otherworlds in the Acts of Paul and Thecla, in: T. Nicklas u.a. (Hg.), Other Worlds and Their Relation to This World. Early Jewish and Ancient Christian Traditions, JSJ.S 143, Leiden 2010, 281–303. 33 Ist diese inhaltliche Füllung so zu denken, dass beim Rezipienten der A. Paul. et Thecl. jeweils die Vorkenntnis paulinischer Theologie mitzudenken ist? Oder geht es dem Text gar nicht um eine solche inhaltliche Füllung? Dann bliebe die „Chiffre“ „Taten Gottes“ als solche stehen. 34 In Gal 5,22 wird πίστις auch im Rahmen einer Auflistung verschiedener Tugenden gebraucht. Doch nur der Kontext des Wortgebrauches, nicht aber die einzelnen Tugenden/Güter sind vergleichbar (in Gal werden ἁγάπη, χαρά, εἰρήνη, μακροθυμία, χρηστότης, ἀγαθωσύνη, πραΰτης, ἐκράτεια genannt).
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ihren Wertesystemen unterschieden, die sich nicht durch Kompromisse überbrücken lassen – besonders die Gestalt der Mutter Theklas, Theoklia, die in § 20 die Hinrichtung ihrer Tochter am lautesten fordert, aber auch die mehrfach begegnende Fehleinschätzung des Paulus als Magier35 zeigen das Aufeinanderprallen unüberbrückbar unterschiedlicher Perspektiven dramatisch auf. In einer so dargestellten Welt ist es konsequent, dass Glauben „Standhaftigkeit“ verlangt, die bis zum Martyrium geht. 2.2 Noch häufiger als im ersten Teil ist in der zweiten, in Antiochien (am Orontes) spielenden Hälfte der Akten des Paulus und der Thekla von „Glauben“ die Rede: viermal von Thekla selbst, zweimal von Tryphäna, einmal in einer Erzählnotiz. Es wird jeweils eine Verbform von πιστεύω gebraucht.36 Verbform
Thekla
Tryphäna
Verbalform
Κύριε ὁ θεὸς ᾧ ἐγὼ πιστεύω … (§ 31)
Νῦν πιστεύω ὅτι νεκροὶ ἐγείρονται·…
… ὁ θεὸς υἱὸν αὐτοῦ ἐπίστευσα
νῦν πιστεύω ὅτι τὸ τέκνον μου ζῇ·… (§ 39)
Erzählnotiz
… καὶ ἁπαξαπλῶς ὃς ἐὰν μὴ πιστεύσῃ εἰς αὐτόν … (§ 37)
Nominalform
35
… δύνασαι πιστεῦσαι ὅτι ζῇ κύριος ἐν οὐρανοῖς; (§ 43)
… ὥστε πιστεῦσαι καὶ τῶν παιδισκῶν τὰς πλείονας … (§ 39)
Zu diesem in apokryphen Apostelakten immer wieder begegnenden Motiv vgl. G. P OUPON, L’accusation de magie dans les Actes apocryphes, in: F. Bovon et al. (Hg.), Les Actes apocryphes des apôtres, Genf 1981, 71–93. Wichtige grundlegende Gedanken auch bei F. B OVON, Miracles, magie et guérison dans les Actes apocryphes des apôtres, in: DERS., Dans l’atelier de l’exégète (s. Anm. 31), 253–266. 36 Zweimal wird πιστεύω mit Dativ, einmal mit der Präposition εἰς mit folgendem Akkusativ αὐτόν, einmal mit Akkusativ konstruiert. Dreimal wird πιστεύω mit der Konjunktion ὅτι verbunden, einmal mit ὥστε.
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Da sie die Liebe eines gewissen Alexander, eines „mächtigen Manns“ (πολὺ δυνάμενος § 26) mit deutlichen Gesten abweist, wird Thekla zum Kampf mit den Tieren verurteilt.37 Tryphäna, eine „reiche“ (τις πλουσία ὀνόματι Τρύφαινα § 27) Bürgerin der Stadt, später überraschend auch „Königin“ (ἡ βασίλισσα Τρύφαινα § 28)38 genannt, tritt für Thekla ein und steht ihr im Tierkampf bei. Sie ist voller Trauer, da ihre Tochter Falconilla bereits verstorben ist und sie nun auch Thekla zu verlieren droht. Für sie spricht Thekla zu Gott und bittet, er, „an den sie glaube“ (κύριε ὁ θεὸς ᾧ ἐγὼ πιστεύω § 31), möge Tryphäna belohnen, so wie auch diese mit ihr Mitleid hatte und ihr half, rein zu bleiben. Nachdem die Tiere Thekla im Stadion zur Verwunderung aller verschonen, betet sie und tauft sich dort in einem Wasserbecken voller (offenbar als gefährlich verstandener) Robben selbst.39 Der Statthalter bittet um ihre Begnadigung, weil er erkennt, dass unerklärliche Dinge um Thekla geschehen und selbst die Königin um sie besorgt ist. Er fürchtet um das Heil der Stadt. Thekla wird wiederum vor dem Statthalter zur Rechenschaft gezogen, und um eine Erklärung gebeten, weshalb wilde Tiere sie nicht angreifen würden. Sie gibt umfassende Auskunft und stellt sich in diesem Zusammenhang als „Dienerin des lebendigen Gottes“ (Ἐγὼ μέν εἰμι θεοῦ τοῦ ζῶντος δούλη § 37) vor, die „an den glaubt, an dem Gott Wohlgefallen hatte, an seinen Sohn“ (εἰς ὃν εὐδόκησεν ὁ θεὸς υἱὸν αὐτοῦ ἐπίστευσα § 37). Ihre Erklärungen schließt sie „mit einem Wort: wer nicht an ihn glaubt, wird nicht leben, sondern tot sein in Ewigkeit“ (ἁπαξαπλῶς ὃς ἐὰν μὴ πιστεύσῃ εἰς αὐτόν, οὐ ζήσεται ἀλλὰ ἀποθανεῖται εἰς τοὺς αἰῶνας § 37). Der Statthalter lässt sie per Verfügung frei und Tryphäna bekennt daraufhin, Thekla umarmend: „Jetzt glaube ich, dass die Toten erweckt werden! Jetzt glaube ich, dass mein Kind lebt! (Νῦν πιστεύω ὅτι νεκροὶ ἐγείρονται· νῦν πιστεύω ὅτι τὸ τέκνον μου ζῇ… § 39). Eine Erzählnotiz erwähnt, dass Thekla noch acht Tage bei Tryphäna verweilt, dort im Haus das Wort Gottes lehrt und dadurch „die Mehrzahl der Dienerinnen zum Glauben kamen“ (ὥστε πιστεῦσαι καὶ τῶν παιδισκῶν τὰς πλείονας § 39). Thekla macht sich anschließend wieder auf die Suche nach Paulus und findet ihn in Myra. Nachdem sie ihm alles erzählt hat, bricht sie wieder nach Ikonium auf, um dort, so wie Paulus es ihr aufgetragen hat, das Wort Gottes zu lehren. Sie 37 Zwiespältig ist dabei das Verhalten des Paulus, der sich Alexander gegenüber von Thekla distanziert (§ 26); überraschend ist auch die Verurteilung als „Tempelräuberin“ bzw. „Tempelschänderin“ (§§ 28 und 32); B ARRIER, Acts of Paul and Thecla (s. Anm. 2), 147 jedoch übersetzt „guilty of sacrilege“; der von A. JENSEN, Thekla – die Apostolin. Ein apokrypher Text neu entdeckt, Freiburg 1995, 34 hergestellte Bezug zur Kritik Jesu am jüdischen Tempel zu Jerusalem dagegen scheint uns wenig hilfreich. 38 Zum möglichen historischen Hintergrund dieser Figur siehe oben Anm. 21. 39 Diese Szene hat Ausleger immer wieder fasziniert. Vgl. hierzu z.B. SPITTLER, Animals (s. Anm. 9), 162–181.
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trifft auf ihre Mutter, der sie die Frage stellt, ob sie glauben könne, „dass ein Herr im Himmel lebt“ (δύνασαι πιστεῦσαι ὅτι ζῇ κύριος ἐν οὐρανοῖς § 43) und ihr Hilfe in allen Nöten durch den Herrn und durch sie selbst versichere. Anders als im ersten Teil wird πιστεύω nun mehrfach als Haltung des „Vertrauens“ auf Gott vorausgesetzt, so etwa, wenn Thekla das Verb im Fürbittgebet für Tryphäna verwendet. In ihrer Not ist der Adressat des Gebetes der „Herr, Gott“ (κύριε ὁ θεός § 31)40, „an den sie glaubt“ (ᾧ ἐγὼ πιστεύω § 31), zu dem sie Zuflucht nahm und der sie bereits einmal aus dem Feuer gerettet hat. Dass sie glaubt, und warum sie glaubt, wird so in einem Zug erwähnt. Während es im ersten Teil der A. Paul. et Thecl. noch Paulus war, der Inhalte dieses Glaubens bezeugte, rückt nun Thekla mehr und mehr in eine ihm vergleichbare Rolle – bezeichnend ist ihre Antwort auf die Fragen des Statthalters (§ 37) nach der zweiten Urteilsvollstreckung und, damit verbunden, auch nach ihrer „Selbsttaufe“41. Sie verstehe sich als „Dienerin des lebendigen Gottes“ (θεοῦ τοῦ ζῶντος δούλη § 37)42, spricht von ihrem Glauben an Gottes Sohn, der „allein … das Ziel bzw. Weg der Rettung und die Grundlage unsterblichen Lebens“ (μόνος σωτηρίας ὅρος καὶ ζωῆς ἀθανάτου ὑπόστασίς § 37)43 sei, weshalb sie die Tiere unberührt gelassen hätten. Ist es im Gebet in § 31 noch der Glaube an Gott Vater, so spricht sie nun davon, dass sie zum Glaube an den Sohn, „an dem Gott Wohlgefallen gefunden hat“ (§ 37; vgl. Mk 1,11par.; Jes 42,1), gekommen sei (Aor. πιστεῦσαι). Um Leben anstatt Tod in Ewigkeit zu erlangen, ist ein πιστεύειν εἰς αὐτόν44 nötig. Die Alternative dazu ist der Tod in Ewigkeit.45 40
Die gesamte Episode lässt erkennen, dass Κύριε ὁ θεός Gott Vater meint, der Thekla zuvor aus dem Feuer gerettet hat (A. Paul. et Thecl. § 24). 41 Herausfordernd hierzu die sakramentengeschichtlichen Überlegungen bei D. LINCICUM, Thecla’s Auto-Immersion (A. Paul. et Thecl. 4.2–14 [3.27–29]). A Baptism for the Dead?, Apocrypha 21 (2010), 203–213. 42 Mit der Selbstbezeichnung Theklas als δούλη (§§ 26, 31, 37, 38) setzt der Text Thekla wenigstens indirekt in Bezug zur Selbstbezeichnung des Paulus als „Knecht“ bzw. „Sklave Christi“ (vgl. z.B. die Präskripte von Römer- und Philipperbrief). – Zur Rede vom „lebendigen Gott“ vgl. zudem ActPaul 2,32f.: ἵνα [μ]ηκέτι εἰδώλοις λατρεύῃς καὶ κνείσαις ἀλ[λ]ὰ ζῶν[τ]ι θεῷ. 43 Die Rede vom ὁδός, der zum Leben führt, erinnert an Joh 14,6 (ἐγώ εἰμι ἡ ὁδὸς καὶ ἡ ἀλήθεια καὶ ἡ ζωή). Im Johannesevangelium tritt eine Verbindung zweier das Evangelium prägender Begriffe, ὁδός und ζωή, auf. Der Kontext erklärt, dass „Leben“ ewiges Leben beim Vater meint. In A. Paul. et Thecl. wird der Ausdruck ὁδός verwendet; in Verbindung mit der griechischen Wortkombination ζωῆς ἀθανάτου ὑπόστασίς, wird auf andere Weise „Weg“ mit „Leben“ verbunden, aber Leben im johanneischen Sinn verstanden. 44 Zur Übersetzung: πιστεύειν εἰς αὐτόν: Die Verbindung des Verbes πιστεύειν mit Präp. und Akk meint den Glauben in etwas hinein; die (Aus-)Richtung auf etwas hin.
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Hier wird πιστεύω zum einen eng mit dem Ausdruck „Leben“ verbunden: der „lebendige Gott“ hat Thekla bewahrt, ihr Leben erhalten und er wird darauf von ihr als der bekannt, der zu ζωῆς ἀθανάτου verhilft.46 Zum anderen kommt zu Leben und Glauben das πιστεύω εἰς αὐτόν hinzu – der Glaube an Christus schenkt Leben in Ewigkeit. Wie sehr im zweiten Teil der A. Paul. et Thecl. nun Thekla die vermittelnde Rolle des Apostels spielt, zeigt sich nicht nur im Auftrag des (zunächst lange Thekla gegenüber zögerlichen) Apostels „Gehe hin und lehre das Wort Gottes“ (§ 41; vgl. auch das Fazit ihres Handelns § 43),47 sondern auch in ihrer weiteren Tätigkeit – auch sie verkündet ihren Glauben an bisher Ungläubige, wie am Beispiel ihrer Mutter Theoklia (§ 43) illustriert wird,48 die bei der ersten Anklage vor dem Statthalter noch für die Verbrennung ihrer Tochter plädierte (§ 20).49 Im Grunde kann dies – mit dem Text (vgl. § 43: ταῦτα διαμαρτυραμένη) – als Theklas drittes „Martyrium“ (im Sinne von Glaubenszeugnis) verstanden werden. Erst nach diesem Zeugnis und einer (offenbar längeren) Tätigkeit, in der sie „viele mit dem Wort Gottes erleuchtete“, entschläft sie friedlich in Seleukia. Wenn in Teil 1 noch die Figur des Paulus als Mittler des Glaubens gezeichnet wurde, kann dies am Ende der Akten des Paulus und der Thekla nun auch für Thekla selbst gesagt werden – über ihr Zeugnis kommen andere zum Glauben.50 Gleichzeitig wird betont, dass auch Thekla nicht ihren Bezug zu dem nun abwesenden Apostel aufgibt: In § 42 lesen wir, dass sie sich vor ihrer Abreise nach Ikonium noch einmal an der Stelle auf den Bo45
Siehe bei E. Esch-Wermeling, Thekla – Paulusschülerin wider Willen? Strategien der Leserlenkung in den Theklaakten, NTA.NF 53, Münster 2008, 217: „Glauben heißt, in Ewigkeit leben – nicht glauben heißt, in Ewigkeit tot sein. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für sie selbst, sondern für alle Gläubigen.“ 46 Wiederum eine Anlehnung an das Johannesevangelium und an johanneische Theologie: vgl. v.a. Joh 5,24: Ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι ὁ τὸν λόγον μου ἀκούων καὶ πιστεύων τῷ πέμψαντί με ἔχει ζωὴν αἰώνιον καὶ εἰς κρίσιν οὐκ ἔρχεται, ἀλλὰ μεταβέβηκεν ἐκ τοῦ θανάτου εἰς τὴν ζωήν. 47 Ein Blick in § 42 lehrt, dass dies genau das ist, was auch die Tätigkeit des Paulus zusammenfasst. 48 Diese Erzählnotiz thematisiert auf ganz einfache Weise auch die den Erzähltext bestimmende Thematik Leben–Tod, indem „nur“ vom Tod bzw. noch am Leben-Sein der Verwandten berichtet wird. 49 Inhaltlich ändert sich nichts Wesentliches: Erneut wird das Verb πιστεύω mit Leben (in Ewigkeit) in Verbindung gebracht; Gott der Herr wird Theoklia alles durch ihre Tochter geben, die an ihrer Seite steht. 50 Selbst der Hinweis auf Seleukia kann in dieser Linie begriffen werden – immerhin entwickelte sich Seleukia mit dem Grab der Thekla zu einem bereits in der Spätantike wichtigen Pilgerzentrum. Dass an diesem Ort zum Gedenken an Thekla selbst die Akten der Thekla gelesen wurden, bezeugt eine Passage im Itinerarium der Pilgerin Egeria (Itin.Eg. 23,5, um 400).
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den wirft und zu Gott und Christus betet. Dass wiederum Glaube nun durch eine Frau vermittelt wird, gehört zu den spannendsten Aspekten der Akten des Paulus und der Thekla. Zu den Figuren, die über Thekla zum Glauben kommen, gehört im Grunde auch Tryphäna, die „Ersatzmutter51 der Thekla“. Tryphäna vernimmt die Worte des Statthalters und geht mit der Volksmenge auf Thekla zu. Der Inhalt des Edikts wird als „Frohe Botschaft“ (εὐαγγελισθεῖσαν § 39) aufgefasst, die Tryphäna große Aussagen über ihren eigenen Glauben machen lässt: Zweimal äußert sie νῦν πιστεύω (§ 39). Ihre Glaubensaussage wird mit mehreren Komponenten verbunden: Inhaltlich gesehen trifft Tryphäna zuerst eine allgemeine Glaubensaussage: Νῦν πιστεύω ὅτι νεκροὶ ἐγείρονται, darauf eine konkrete νῦν πιστεύω ὅτι τὸ τέκνον μου ζῇ. Auch ihr πιστεύω ist inhaltlich mit der Erweckung von den Toten und dem Leben in Ewigkeit gefüllt: das Wunderereignis um Thekla, ihre Rettung durch Gott lassen Tryphäna annehmen, dass Gott auch ihre verstorbene Tochter erweckt hat und ihr Leben schenkt. Tryphäna findet aufgrund sichtbarer Zeichen zum Glauben: Thekla wird gerettet, daher kann sie eine Glaubensaussage treffen. Aus diesem sichtbaren Werk leitet sie ab, dass Gott auch auf die Bitten einer solchen Person hören wird. Sie glaubt daher daran, dass die Bitte Theklas, die ewiges Leben für ihre Tochter erbeteten hat, erhört wird. Vorher bittet sie um ewiges Leben, nach der Rettung Theklas, nach52 einem Wunder, glaubt sie auch daran. Glaube veranlasst zu konkreten Handlungen. Gastfreundschaft und das Teilen von Hab und Gut prägen die Lebenshaltung der Tryphäna: Sie nimmt Thekla nun wiederum in ihr Haus auf und sagt ihr das Erbe ihres gesamten Besitzes zu (§ 39). Bereits vor dem Tierkampf hatte sie Thekla zu sich genommen, doch ihre Motivation hat sich inzwischen geändert: Während sie ursprünglich in Thekla einen Ersatz für ihre verstorbene Tochter sah und Trost für sich suchte, zudem hofft, dass durch das Bittgebet Theklas ewiges Leben für die tote Falconilla möglich werde, ist sie nach der Rettung Theklas so sehr vom Glauben an deren Gott überzeugt, dass sie diesen Glauben nicht nur explizit bekennt, sondern gleich Grund-
51
Auffällig ist auch die parallele Konstruktion in der Schilderung der beiden „Mütter“ der Thekla. Nach der Rettung der Thekla spielt die Thematik „Leben“ eine große Rolle. Tryphäna äußert, sie glaube an die Erweckung Toter und an das ewige Leben, Theoklia wird gefragt, ob sie an einen Gott glaubt, der im Himmel lebt. 52 Im Griechischen zweimal durch das temporal gebrauchte Adverb νῦν formuliert. Wird das Adverb νῦν temporal verstanden, wird eher der gegenwärtige Aspekt des Glaubens betont. Da das Adverb zweimal in direkter Verbindung mit einem Verb auftritt, ist diese Übersetzungsvariante gewählt.
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züge des christlichen Glaubens übernimmt: Teilen und Gastfreundschaft.53 Glaube ist mit Weitergabe, Vermittlung und Unterweisung verbunden, und von Hören und Nachfolge bestimmt. Acht Tage bleibt Thekla bei Tryphäna und „unterweist“ (κατηχέω § 39) sie im christlichen Glauben, im „Wort Gottes“ (τὸν λόγον τοῦ θεοῦ § 39). So kommen auch weitere im Haus lebende Frauen54 zum Glauben, die Thekla auf ihrer anschließenden Reise nach Myra, wo sie Paulus aufsuchen möchte, begleiten. Wie sehr durch die gemeinsame Haltung des Glaubens in den Akten des Paulus und der Thekla die Entstehung einer (hier klar von Frauen bestimmten) Gemeinschaft beschrieben ist, zeigt sich daran, dass auch im zweiten Teil das Motiv gemeinsamer großer Freude (μεγάλην εἶναι χαρά § 39) begegnet oder dass Tryphäna Thekla bei ihrem Bekenntnis umarmt (περιπλακῆναι τῇ Θέκλῃ § 39). Dass eine solche Darstellung einer Gemeinschaft lehrender und lernender, asketischen Idealen verpflichteter Frauen in dramatischem Gegensatz zu dem steht, was die Pastoralbriefe fordern, in denen Frauen (wie auch Männern, die außerhalb der werdenden Ämterhierarchie stehen) verboten ist zu lehren, während ihre positive Aufgabe in erster Linie in der Mutterschaft definiert wird,55 ist überdeutlich.
3. Fazit Der Blick in den ja nur kurzen Text der Akten des Paulus und der Thekla zeigt bereits eine Fülle von Nuancen des Glaubensbegriffs, der sowohl im Nomen πίστις, als auch durch das Verb πιστεύω (sowie verwandte Begriffe [z.B. παρρησία]) zum Ausdruck gebracht werden kann.
53 Die Reaktion der Tryphäna gleicht dem Verhalten des Onesiphoros zu Beginn der Szene. Er lädt als frommer Mann die beiden Weggefährten des Paulus in sein Haus ein, damit sie sich ausruhen können (ἀναπαύσασθε). Bedingung für die Aufnahme ist eine „Frucht der Gerechtigkeit“ (καρπὸν δικαιοσύνης), die er von ihnen erwartet (§ 4). Tryphäna handelt wie der glaubende Onesiphoros. Auch die Wortwahl der Aussage von Tryphäna ist der des Onesiphoros angelehnt: Beide Male wird das Verb ἀναπαύω gebracht, zudem die Verwendung der Präposition εἰς in Verbindung mit dem folgenden Nomen im Akkusativ. Das Verhalten der Tryphäna (§ 29 und § 39) entspricht der Lebenshaltung der ersten christlichen Gemeinden: Nächstenliebe in Form von Teilhabe an Hab und Gut und Gastfreundschaft (vgl. Apg 2,44f.; 4,32–34). 54 παιδίσκη im Griechischen meint junges Mädchen, junge Frau, junge Sklavin. Die Verwendung der Diminutivform des Substantivs betont, dass es junge Leute sind, die aufgrund der Worte der Thekla innerhalb kurzer Zeit von ihrer Lehre überzeugt sind. Ebenso in A. Paul. et Thecl. §§ 10; 39; 40. 55 Vgl. ZAMFIR, Men and Women (s. Anm. 16), 160–288.
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3.1 Glaube und sinnliche Elemente Der Glaube Theklas kommt zuerst vom Hören. Sie verfolgt die Worte des Paulus zuerst als Hörende vom Fenster aus, dann als Hörende und Sehende im Gefängnis. Hinzu tritt eine weitere sinnliche Ebene: sie möchte dem Apostel nahe sein, ihn berühren. Auch die Orte und Räume, an denen Paulus verweilt und wirkt, gewinnen an Bedeutung. Die Erzählung ist zudem stark von verschiedenen Emotionen bestimmt. Im Mittelpunkt steht dabei die „Freude“, die von und bei glaubenden Personen ausgesagt wird. Im Gegensatz dazu steht die Beschreibung der Häuser der Trauer. Dieser Ausdruck ist zum einen auf die Situation im Haus der Mutter der Thekla zu beziehen, zum anderen auf die Zusammenkunft im Haus des Verlobten, wenn er sich mit den falschen Begleitern des Paulus verschwört. 3.2 Vermittlung des Glaubens Glaube geschieht durch Weitergabe, dies geschieht zunächst durch den Apostel Paulus, dann durch Thekla selbst, andere Figuren sind in diesem Zusammenhang nicht im Blick. Thekla vernimmt von Paulus die Worte Gottes; ihr Glaube wächst, sie bezeugt ihn mehrfach und kann deswegen auch als Frau (und trotz eines gewissen Zögerns auf Seiten des Paulus) selbst zur weiteren Vermittlung berufen werden. Tryphäna wie auch den Dienerinnen in ihrem Haus verkündet sie den Glauben. Nach der Beauftragung durch Paulus zieht Thekla los und spricht im Haus, in dem Paulus gelehrt hat, also vor schon Kundigen, wie auch vor ihrer Mutter, einer Ungläubigen. 3.3 Glaube und Abwendung von der Welt bei gleichzeitigen neuen Bindungen Glaube meint Ausrichtung auf den Apostel und auf seine Worte. Thekla, weder aufgefordert noch überzeugt, ergreift selbstständig die Initiative, ihrem Paulus nahe zu sein. Ihr genügt es nicht, ihn gehört zu haben, sondern sie sucht ihn auf, zuerst im Nachbarhaus, dann im Gefängnis. Thekla ist zu radikaler Nachfolge bereit und verlässt gewohnte Strukturen. Sie richtet den Tagesablauf nach dem Apostel aus und verbringt drei Tage und Nächte vor dem Fenster, um ihn zu hören und unterlässt es dabei sogar, Nahrung zu sich zu nehmen. Sie ist bereit, das Versprechen der Verlobung zu brechen und damit auch eine gewisse Sicherheit, die in bisherigen Bindungen liegt, aufzugeben. So ist Theklas Glaube mit der Haltung der Abgrenzung verbunden; diese jedoch ist in der Logik des Textes nötig, denn nur „Glaube“ und die entsprechende Haltung der Enthaltsamkeit führt zu Leben bzw. Auferstehung, alles andere bleibt in der Sphäre des Todes.
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3.4 Inhalte des Glaubens Der Glaube Theklas orientiert sich an der Lehre des Paulus. Dieser spricht das „Wort Gottes von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung“, er berichtet von den „großen Taten Gottes“ oder auch vom „Wort Christi“. Nicht das Christusereignis als Ganzes, Geburt, Kreuz und Auferstehung stehen im Mittelpunkt, sondern der Glaube an einen lebendigen und dem Glaubenden auch in extremen Nöten wunderbar hilfreich beistehenden Gott, der seinen Sohn sendet, damit die Menschen Tugenden und Güter erlangen, durch die sie zu ewigem Leben gelangen. 3.5 Zeugnis des Glaubens Zu Beginn der Handlung ist es Paulus, der Zeugnis von seinem Gott gibt. Im Erzählverlauf ist es dann auch Thekla, die in Wort und Tat Zeugnis von ihrem neuen Glauben gibt. Bei der Vernehmung vor dem Statthalter bekennt sie sich als θεοῦ τοῦ ζῶντος δούλη zu ihrem Gott. Nach ihrer Rettung vor den Tieren nimmt sie sogar die „Rolle“ des Apostels an und vermittelt den Glauben in seinem Auftrag an weitere Personen. 3.6 Glaube als Haltung Auf vielfache Weise wird ein Gegensatz hergestellt zwischen dem „neuen“ Glauben, den Paulus verkündet und der Welt und dem System, in dem die Ikonier leben. Am Beispiel der beiden „Mütter“ der Thekla werden in ihrem Verhalten ihrer „Tochter“ gegenüber auf ähnliche Weise und doch kontrastär zueinander geschildert. Die leibliche Mutter, Theokleia, stellt sich gegen die Tochter und fordert sogar deren Hinrichtung. Tryphäna dagegen nimmt Thekla in ihren Schutz. Zwei Systeme bzw. Welten treffen aufeinander, wobei die Unterschiede nicht in den einzelnen Gesellschaftsschichten anzutreffen sind. Tryphäna als bedeutende Frau bzw. Königin bietet in ihrem Haus ein von Liebe und Fürsorge geprägtes Umfeld und ermöglicht die Weitergabe des Glaubens. Christliche Identität annehmen oder verstehen ist unabhängig von verschiedenen gesellschaftlichen Ständen oder Schichten, denen man zugehörig ist. Zwar können die Worte πίστις bzw. πιστεύειν auch in den A. Paul. et Thecl. weiterhin neben den Bedeutungen „Glaube“ und „Glauben“ auch „Vertrauen“ bzw. „trauen“, „vertrauen“ meinen, doch zeigen sich einige u.E. recht deutliche Verschiebungen zu dem, was sich im Corpus der echten Paulusbriefe findet: So ist weiterhin die Christusbeziehung des Apostels Paulus stark betont, ja wird der Apostel geradezu zu einer Christusähnlichen Figur, gleichzeitig tritt die Christusbeziehung des Einzelnen stark zurück – Vorstellungen, dass jeder Glaubende Christus wie ein Kleid
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anziehe und deswegen Kind Gottes „in Christus Jesus“ sei (Gal 3,26), finden wir nicht mehr gespiegelt. Die paulinische Vorstellung, dass „Glaube“ vom Hören komme (Röm 10,17), wird durch weitere Elemente ergänzt. Zwar lassen sich auch in den echten Paulinen Zusammenhänge zwischen der Glaubensverkündigung und visuellen, ja die gesamte Leiblichkeit des Apostels betreffenden Elementen aufzeigen (vgl. z.B. Gal 3,1)56, diese sind jedoch auf Christus als den Gekreuzigten bezogen, der in den A. Paul. et Thecl. auch als Glaubensinhalt weitestgehend zurücktritt. Wo sinnlich-leibliche Elemente wie Sehen oder Berühren in den A. Paul. et Thecl. mit dem Prozess des zum Glauben Kommens in Bezug gesetzt sind, so beziehen sie sich stattdessen auf die Möglichkeit, Kontakt mit dem Apostel aufzunehmen. Während Gottes Vater und sein Sohn, Christus, der v.a. als der Auferstandene verstanden ist, zumindest an manchen Stellen nahezu austauschbar scheinen, tritt die Rolle des für Paulus noch so wichtigen Geistes nahezu vollkommen zurück. Auch bei Paulus geht Glaube mit dem Eingehen von Bindungen einher, die eine Abwendung von bestimmten Elementen der Welt bedeuten – schön ist dies bereits in 1Thess 1,9–10 zum Ausdruck gebracht.57 Im Vergleich dazu jedoch ist in den A. Paul. et Thecl. noch einmal eine deutliche Radikalisierung zu erkennen – die Welt der Glaubenden und derer, die nicht zum Glauben kommen, stehen sich so unvereinbar gegenüber, dass offenbar auch immer die Gefahr des Abfalls mitgedacht werden muss – selbst nach einem ersten Martyrium wird Thekla noch nicht getauft – dies geschieht in dramatischer Weise erst, als sie sich nach ihrem zweiten Martyrium selbst in das Becken der Robben stürzt und die Taufe vollzieht. Die Ungewöhnlichkeit dieses Akts dagegen wird nicht reflektiert – die A. Paul. et Thecl. wollen auch unterhalten und haben offenbar ein Publikum vor sich, bei dem die Martyrien der Thekla weniger die Angst erwecken, selbst unmittelbar in vergleichbare Situationen zu geraten als eher dazu dienen, eine nicht ganz unangenehme Mischung aus Schaudern und Spannung erzeugen.
56 Weiterführend hierzu D. KUREK-CHOMYCZ, Performing the Passion, Embodying Proclamation. The Story of Jesus’ Passion in the Pauline Letters, in: C. Karakolis/K.-W. Niebuhr/S. Rogalsky (Hg.), Gospel Images of Jesus Christ in Church Tradition and Biblical Scholarship, WUNT 288, Tübingen 2012, 373–402. 57 Hierzu auch T. NICKLAS/H. SCHLÖGEL, Mission to the Gentiles, Construction of Christian Identity, and its Relation to Ethics according to Paul, in: J. Kok u.a. (Hg.), Sensitivity towards Outsiders. Exploring the Dynamic Relationship between Mission and Ethics in the New Testament and Early Christianity, WUNT 2/364, Tübingen 2014, 324– 339.
Glaube und Erkenntnis – die Soteriologie des Johannesevangeliums und des Thomasevangeliums als Kontrast- und Konkurrenzkonzepte ENNO EDZARD POPKES
1. Vorwort und methodische Vorüberlegungen Die Soteriologie des Johannesevangeliums und des Thomasevangeliums können als Kontrastkonzepte verstanden werden. Diese These ist für sich genommen nicht sonderlich bemerkenswert, insofern im Spektrum frühchristlicher Traditionsbildungen viele unterschiedliche soteriologische Konzepte existieren. Anders verhält es sich hingegen, wenn man die Soteriologie des Johannesevangeliums und des Thomasevangeliums als Konkurrenzkonzepte versteht. Wie hinlänglich bekannt ist, leitet sich der Begriff Konkurrenz von dem lateinischen Verb concurrere ab. Dieses bezeichnet in seiner Grundbedeutung zunächst schlicht „zusammenlaufen“. Erst im weiteren Sinne gewinnt es jene Bedeutung, welche mit dem Begriff Konkurrenz assoziiert ist. Wenn die These aufgestellt wird, dass das Johannesevangelium und das Thomasevangelium Konkurrenzkonzepte sind, so ist damit gemeint, dass die Verfasser bzw. Trägerkreise dieser Werke zunächst einen gemeinsamen Weg beschritten haben, bevor sich ihre Wege trennten. Während dieses Prozesses sind sie nicht nur nebeneinander hergelaufen, sondern sie sind auch – nun im vertrauten Sinne des Wortes – in Konkurrenz zueinander getreten. Wenn man diesen Trennungsprozess mit den Worten einer der beiden Sprecherpositionen umschreiben möchte, so könnte man sich jener Worte bedienen, die der Verfasser des ersten Johannesbriefs verwendet, um das Phänomen der Spaltung der johanneischen Gemeinden zu beschreiben (vgl. 1Joh 2,19a: ἐξ ἡμῶν ἐξῆλθαν ἀλλ’ οὐκ ἦσαν ἐξ ἡμῶν, εἰ γὰρ ἐξ ἡμῶν ἦσαν, μεμενήκεισαν ἂν μεθ’ ἡμῶν).1 Dies führt konsequent zu einer Leitfrage der folgenden Ausführungen. Es soll 1 Zur Diskussion potentieller Zielgruppen dieser Polemik vgl. U. SCHNELLE, Die Johannesbriefe, ThHK 17, Leipzig 2010, 103–105; H.-J. KLAUCK, Der erste Johannesbrief EKK 23/1, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1991, 127–129; H. SCHMID, Gegner im 1. Johannesbrief? Zur Konstruktion und Selbstreferenz im johanneischen Sinnsystem, BWANT 159, Stuttgart 2002, 303; M. HENGEL, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch. Mit einem Beitrag zur Apokalypse von J. Frey, WUNT 67, Tübingen 1993, 72f.
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nicht nur der Frage nachgegangen werden, ob das Johannesevangelium und das Thomasevangelium als Kontrast- und Konkurrenzkonzepte verstanden werden können. Es soll auch gefragt werden, in welchem Verhältnis die Trägerkreise des Thomasevangeliums zu jenen Gruppierungen stehen, die sich offensichtlich von den johanneischen Gemeinden distanziert haben. Diese Frage wurde seit den ersten wissenschaftlichen Kommentierungen des Thomasevangeliums immer wieder neu gestellt.2 Obwohl bereits vorausgreifend hervorgehoben werden muss, dass es eventuell gar nicht möglich ist, auf der Basis der zur Verfügung stehenden Quellen diesbezüglich eine abschließende Antwort zu finden, so ist es m.E. unumgänglich, ein Bewusstsein für diese komplexe Fragestellung zu entwickeln. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, das Verhältnis des Johannesevangeliums und des Thomasevangeliums aufzuarbeiten. Im Folgenden soll dies in Bezug auf die jeweiligen soteriologischen Konzepte vorgenommen werden, und zwar speziell in Bezug auf das Verständnis der Begriffe ,Glaube‘ und ,Erkenntnis‘. Dabei soll zunächst betrachtet werden, warum die Soteriologie des Johannesevangeliums und des Thomasevangeliums als Kontrastkonzepte verstanden werden können (2.). Vor diesem Hintergrund wird erläutert, in welcher Weise sie auch als Konkurrenzkonzepte verstanden werden können (3). Zunächst muss jedoch noch eine Vorbemerkung zu den Prämissen dieser Studie formuliert werden, da sich diesbezüglich massive methodische und religionshistorische Widrigkeiten beobachten lassen. Bereits die separaten Erörterungen der einleitungswissenschaftlichen Grundkenntnisse zum Johannesevangelium und zum Thomasevangelium können für sich genommen kaum im Rahmen der vorliegenden Studie geleistet werden. Noch komplexer wird die Sachlage, wenn man versucht, die jeweiligen Theorien miteinander in Beziehung zu setzen. Aus diesem Grunde soll im Folgenden eine auf den ersten Blick schlichte Zugangsperspektive gewählt werden. Zunächst sollen jeweils im Sinne einer synchronen Textwahrnehmung die überlieferten Fassungen beider Evangelien betrachtet werden. Speziell in Bezug auf das Thomasevangelium bedeutet dies, dass zunächst die vollständig erhaltene koptische Übersetzung analysiert wird, die im zweiten Kodex der Nag-Hammadi-Schriften überliefert ist. Fragen nach 2 Zu Skizze der diesbezüglichen Forschungsdiskussionen vgl. S. W ITETSCHEK, Thomas und Johannes – Johannes und Thomas. Das Verhältnis der Logien des Thomasevangeliums zum Johannesevangelium, HBS 79, Freiburg i.Br. 2015, 11–13; S. GATHERCOLE , The Gospel of Thomas. Introduction and Commentary, Texts and Editions for New Testament Studies 11, Leiden 2014, 176–180; E.E. P OPKES, ,Ich bin das Licht‘ – Erwägungen zur Verhältnisbestimmung des Thomasevangeliums und der johanneischen Schriften anhand der Lichtmetaphorik, in: J. Frey/U. Schnelle (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums. Religions- und traditionsgeschichtliche Studien, WUNT 175, Tübingen 2004, 641–674, passim.
Glaube und Erkenntnis im Johannes- und Thomasevangelium
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etwaigen früheren Textstadien werden sich von selbst ergeben und können an gegebener Stelle angesprochen werden. Entsprechend soll auch die Frage einer chronologischen und geographischen Verortung dieser Zeugnisse erst zu einem späteren Zeitpunkt thematisiert werden.
2. Die Soteriologie des Johannesevangeliums und des Thomasevangeliums als Kontrastkonzepte Im Folgenden soll zunächst dargestellt werden, in welcher Weise der Begriff ,Glaube‘ als soteriologischer Zentralbegriff des Johannesevangeliums fungiert und inhaltlich bestimmt wird (2.1). Daraufhin wird der Begriff ,Erkenntnis‘ als soteriologischer Zentralbegriff des Thomasevangeliums zur Geltung gebracht (2.2). 2.1 ,Glaube‘ als soteriologischer Zentralbegriff des Johannesevangeliums Welche zentrale Bedeutung der Begriff ,Glaube‘ für das vierte Evangelium hat, wird an exponierter Stelle explizit hervorgehoben, nämlich an dessen Ende (Joh 20,30f.). Mit den letzten Worten des Johannesevangeliums wird hervorgehoben, dass die gesamten vorhergehenden Erzählungen vor allem ein Ziel verfolgt haben. Die Leser bzw. Hörer dieses Werkes sollen zu dem Glauben gelangen, dass Jesus der Christus sei, der Sohn Gottes. Und dieser Glaube verleiht Anteil am (ewigen) Leben. Das Johannesevangelium mündet somit in die These, dass der Glaube an Jesus als Christus und als Sohn Gottes von fundamentaler soteriologischer Relevanz ist.3 Die Implikationen dieser These wurden im vorhergehenden Erzählverlauf des vierten Evangeliums in unterschiedlichen Kontexten und mit verschiedenen theologischen Konzeptionen entfaltet. Im Kontrast zum Thomasevangelium lässt sich dabei eine kunstvolle erzählerische Vermittlung erkennen. Im Folgenden können nur thetisch einige zentrale Aspekte dieser johanneischen Soteriologie in Erinnerung gerufen werden. Die erste Erwähnung der soteriologischen Relevanz des Glaubens wird bereits in jenem berühmten Prätext situiert, welcher den textexternen Lesern des vierten Evangeliums zentrale Aspekte johanneischer Theologie darlegt, nämlich im Johannes-Prolog. Wie im folgenden Erzählcorpus des Evangeliums wird dabei der Glaubensbegriff mit der christologisch pointierten 3
Zur Funktion dieses Bekenntnisse für das Gesamtverständnis des vierten Evangeliums resümiert H. T HYEN, Das Johannesevangelium, HNT 6, Tübingen 22014, 767: „Dies ist das adäquateste und gefüllteste Bekenntnis des gesamten Evangeliums. In ihm gipfeln alle bisherigen Prädikationen Jesu, und zugleich werden hier die Aussagen des Prologs ... wieder eingeholt.“
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Lichtmetaphorik und mit dem Motiv der Gotteskindschaft verbunden. Diese Zuordnung begegnet bemerkenswerterweise auch in der entsprechenden Selbstprädikation Jesu, welche der vierte Evangelist in den Jerusalemer Streitgesprächen lociert (Joh 8,12). Zunächst bezeichnet sich der johanneische Jesus in sachlicher Analogie zu Joh 1,4f.9f. als Licht der Welt. Daraufhin folgt ein literarisch stilisierter Disput, der die Motive der Gotteskindschaft und Teufelskindschaft kontrastiert (Joh 8,30f.).4 Entsprechend wird der Glaubensbegriff mit verschiedenen weiteren Aspekten biblischer Traditionen in Beziehung gesetzt und theologisch reflektiert. Eindrücklich zeigt sich dies in der Nikodemus-Perikope. Zunächst verbindet der vierte Evangelist den Glaubensbegriff mit der Tradition über den Nechuschtan.5 Numeri 21,8 zufolge soll Mose aufgrund göttlicher Instruktionen ein bronzenes Schlangensymbol an einer exponierten Position situiert haben. Letzteres soll der Erzählung zufolge eine Heilung von Schlangenbissen gewähren. Diese Schlangen wiederum seien aufgrund des mangelnden Vertrauens, des Unglaubens der Israeliten von Gott gesendet worden. Das Sehen auf den Nechuschtan wird in Joh 3,14f. als das Sehen auf den erhöhten Menschensohn gedeutet, also als biblisches Korrelat zur Kreuzigung Jesu. Auf dieses komplexe Motiv folgt im Kontext der Nikodemusperikope unmittelbar eine der bekanntesten und wirkungsreichsten Aussagen über die soteriologische Bedeutung des Glaubens, die im facettenreichen Spektrum frühchristlicher Schriften überhaupt zu finden ist, nämlich die Verse Joh 3,16–18, die zu Recht verschiedentlich als komprimierte Kurzfassung der Botschaft des vierten Evangeliums bezeichnet wurden.6 Zunächst exponiert Joh 3,16 das Motiv der Liebe Gottes zur Welt, welche als Ursache der Dahingabe seines eigenen Sohnes benannt wird. Nachdem diese These im Folgevers nochmals in Bezug auf die Sendungsmotivik modifiziert wird, folgt mit Joh 3,18 eine These, welche die Bedeutung des Glaubens unmissverständlich und antithetisch formuliert hervorhebt:
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Zur Korrespondenz dieser Motive vgl. M. THEOBALD, Die Fleischwerdung des Logos. Studien zum Verhältnis des Johannesprologs zum Corpus des Evangeliums und zu 1 Joh (NTA.NF 20), Münster 1988, 306–309. 5 Grundlegend hierzu vgl. J. FREY, „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat ...“ Zur frühjüdischen Deutung der ‚ehernen Schlange‘ und ihrer christologischen Rezeption in Johannes 3,14f., in: M. Hengel/H. Löhr (Hg.), Schriftauslegung im antiken Judentum und im Urchristentum, WUNT 73, Tübingen 1994, 153–205. 6 Ausführlich hierzu E.E. P OPKES, Die Theologie der Liebe Gottes in den johanneischen Schriften. Studien zur Semantik der Liebe und zum Motivkreis des Dualismus, WUNT 2/197, Tübingen 2005, 222–225.
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