Giacomo Casanova und die Medizin des 18. Jahrhunderts 3515101756, 9783515101752

Kaum eine Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts wurde in den vergangenen 200 Jahren so einseitig rezipiert wie der Venezia

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German Pages 214 [218] Year 2012

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1 Giacomo Casanova – Mann von Welt und Liebhaber der Wissenschaften
2 Medizin und medizinische Praxis im 18. Jahrhundert – zwischen Tradition und Aufklärung
3 Kindheit und Jugend in Venedig – erste medizinische Erfahrungen und Beobachtungen
4 Gesundheit als einziger Reichtum? Zu Giacomo Casanovas Gesundheitsbegriff
5 Begegnungen mit berühmten Ärzten
6 „Galanteriekrankheiten“: Amors unliebsame Folgen
7 Weibliche Gesundheit im 18. Jahrhundert
8 Das Jahrhundert der Widersprüche: Magie, Alchemie und Exorzismus
9 Zwei Patientinnengeschichten: Giacomo Casanova als Zeitzeuge
10 Giacomo Casanova und die Zahnmedizin
11 Eine besondere Arzt-Patienten-Beziehung
12 Tod im Exil: Der Vorhang fällt
Epilog: „Mythos Casanova“ und die Entdeckung des„anderen Casanova“
Bibliographie
Abbildungsverzeichnis
Register
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Giacomo Casanova und die Medizin des 18. Jahrhunderts
 3515101756, 9783515101752

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Giacomo Casanova und die Medizin des 18. Jahrhundertse ni

von Sabine Herrmann MedGG-Beiheft 44

Franz Steiner Verlag Stuttgart

Giacomo Casanova und die Medizin des 18. Jahrhunderts

Medizin, Gesellschaft und Geschichte Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung herausgegeben von Robert Jütte Beiheft 44

Giacomo Casanova und die Medizin des 18. Jahrhunderts von Sabine Herrmann

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2012

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Robert Bosch Stiftung GmbH

Umschlagabbildung: Detail aus Pietro Longhi (1702–1785), Il farmacista (1752). Mit freundlicher Genehmigung der Gallerie dell’Accademia (Venedig).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-10175-2

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2012 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Printed in Germany

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Giacomo Casanova – Mann von Welt und Liebhaber der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2 Medizin und medizinische Praxis im 18. Jahrhundert – zwischen Tradition und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Giacomo Casanova – ein typischer Mensch des 18. Jahrhunderts? 2.2 Theorien zur Ansteckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Besondere Heilkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Therapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Bäder- und Trinkkuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Kindheit und Jugend in Venedig – erste medizinische Erfahrungen und Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Das kränkliche Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der Tod des Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Im Kampf gegen die Pocken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Krankheit als List . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Quarantäne in Ancona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Der galante „Arzt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Rettung in letzter Minute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Ein außergewöhnliches Therapeutikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Medizinische Versorgung im Gefängnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Gesundheit als einziger Reichtum? Zu Giacomo Casanovas Gesundheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Gesundheit und Körpererfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Selbsttherapie und Schutz vor „gefährlichen“ Ärzten . . . . . . . . . . 4.3 Wie der Lehrer so der Schüler? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Brüder Herrenschwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Universalgelehrte Albrecht von Haller . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Der „Modearzt“ Théodore Tronchin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der österreichische Hof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Francesco Antonio Algardi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Felice Tadini – nur ein Scharlatan? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6 „Galanteriekrankheiten“: Amors unliebsame Folgen . . . . . . . . 122 7 Weibliche Gesundheit im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 7.1 Der „Streit um den Uterus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Inhalt

8 Das Jahrhundert der Widersprüche: Magie, Alchemie und Exorzismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 9 Zwei Patientinnengeschichten: Giacomo Casanova als Zeitzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 9.1 Die Krankengeschichte der Elisabetta Piovene . . . . . . . . . . . . . 163 9.2 Die Familie Buschini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 10 Giacomo Casanova und die Zahnmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . .

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11 Eine besondere Arzt-Patienten-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12 Tod im Exil: Der Vorhang fällt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Epilog: „Mythos Casanova“ und die Entdeckung des „anderen Casanova“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Vorwort Kaum eine Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts wurde in den vergangenen 200 Jahren so einseitig rezipiert und interpretiert wie der Venezianer Giacomo Casanova (1725–1798). Nahezu zweihundert Jahre nach der Veröffentlichung seiner Lebenserinnerungen, der Histoire de ma vie, ist das Bild des vielleicht bekanntesten Venezianers daher noch immer von der Vorstellung des großen Verführers, Libertins und ruhelosen Abenteurers geprägt.1 Wie so oft wurde der Grundstein dafür bereits sehr früh gelegt: Eine überarbeite Fassung der mehrere tausend Seiten umfassenden Histoire de ma vie erschien ausgerechnet in der Biedermeierzeit, deren Lebensphilosophie kaum mehr etwas mit dem lebensfrohen esprit des galanten Jahrhunderts gemeinsam hatte.2 Durch diese einseitige Sichtweise des historischen Kontextes enthoben und zum Mythos stilisiert, entstand bereits im 19. Jahrhundert eine fiktive Figur, die mit dem wirklichen Casanova nur noch wenig zu tun haben sollte. Gelehrte wie Edgar von Schmidt-Pauli (Der andere Casanova, 1930) oder der amerikanische Diplomat James Rives Childs (Giacomo Casanova. Eine Biographie, 1977) bemühten sich zwar um eine kontextbezogene und auf fundierten Quellenrecherchen beruhende historische Betrachtungsweise, jedoch blieb nicht zuletzt durch Federico Fellinis Filmepos (1976) lediglich das verzerrte Bild eines egoistischen Erotomanen. Weitere Annährungen an den Menschen Casanova hat es bisher gegeben, darunter die brillante und feinfühlige Studie der Psychoanalytikerin Lydia Flem, Casanova ou l’exercise du bonheur (1995). Doch was verrät mehr über einen Menschen, als sein Verhältnis zu seinem Körper oder die therapeutischen Maßnahmen, die er ergriff, um seine angegriffene Gesundheit wiederzuerlangen? Neben den literarischen Hinterlassenschaften, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren, enthält insbesondere der umfassende private Nachlass des Venezianers zahlreiche persönliche Notizen, Briefe und Studien, die Casanovas Leben neben der Histoire de ma vie über mehrere Jahrzehnte ausführlich dokumentieren: Auf der einen Seite begegnet dem Leser Giacomo Casanova so als Patient: Hin- und hergerissen zwischen traditionellen und innovativen Therapien, gelang es ihm durch Empirie, eine individuell zusammengestellte Therapieform zu finden. Der Nachlass Casanovas ist jedoch nicht nur eine Fundgrube für die Patientengeschichte, sondern zugleich auch ein Spiegel der medizinischen Welt des 18. Jahrhunderts. Individuelle Erfahrungen und Beobachtungen zu Krankheitsfällen, besonderen Heilkonzepten und Therapeutika kommen dort mehrfach zur Sprache. Casa1

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Casanova selbst betrachtete sich selbst nie als Abenteurer, vgl. hierzu S. Roth, Les Aventuriers au XVIIIe siècle, Paris 1980; Ch. Thomas, Casanova. Un voyage libertin, Paris 1985; A. Stroev, Les Aventuriers des Lumières, Paris 1997. Vgl. zur Rezeptionsgeschichte der Histoire de ma vie H. Sembdner, Schütz-Lacrimas. Das Leben des Romantikerfreundes, Poeten und Literaturkritikers Wilhelm von Schütz, Berlin 1974, 147–156; G. Forsch, Casanova und seine Leser. Die Rezeption von Casanovas Histoire de ma vie in Deutschland, Frankreich und Italien, Rheinbach/Merzbach 1988. Das bürgerliche Ideal der Biedermeierzeit wird behandelt von F. Sengle, Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848, Stuttgart 1971, Band 1, 56 ff.

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Vorwort

nova begegnete auf seinen zahlreichen Reisen auch bekannten und berühmten Ärzten, die ihre Zeit geprägt haben und mit denen er später weiter in brieflichem Kontakt bleiben sollte. Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte soll nun erstmals versucht werden, die Person Giacomo Casanova aus einem gänzlich anderen Blickwinkel vor dem Hintergrund der Lebens- und Geisteswelt des 18. Jahrhunderts zu interpretieren. Ermöglicht wurde diese Studie nicht zuletzt durch ein großzügiges Stipendium des deutschen Studienzentrums in Venedig (Centro tedesco di Studi Veneziani), ohne das es nicht möglich gewesen wäre, Originaldokumente in venezianischen Archiven und Bibliotheken zu kollationieren. Dem deutschen Studienzentrum, insbesondere dem Vorsitzenden der Auswahlkommission, Herrn Prof. Dr. Dr. Klaus Bergdolt von Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität zu Köln, sei daher herzlich gedankt. Für zahlreiche hilfreiche Hinweise während meiner Recherchen und die Aufnahme in die Institutsreihe danke ich insbesondere Herrn Prof. Dr. Robert Jütte vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung (Stuttgart). Dr. Marco Leeflang (Utrecht) stand mir bei der Analyse und Aufarbeitung der Dokumente aus dem Staatsarchiv in Prag stets hilfreich zur Seite und gewährte mir Zugang zu bisher unpublizierten Abschriften. Des Weiteren gilt mein aufrichtiger Dank Herrn Dr. med. dent. Kai Christensen (Hamburg), Frau Dr. med. Helma Jung (Stuttgart), Herrn Dr. med. Didier Kihli-Sagols (Strasbourg), Prof. Ezio Toffolutti (Venedig), Prof. Antonio Trampus (Venedig) und Helmut Watzlawick (Genf).

Abb. 1 Giacomo Casanova im Alter von 71 Jahren

1 Giacomo Casanova – Mann von Welt und Liebhaber der Wissenschaften Am 2. April 17251 in Venedig als Sohn des Schauspielers Gaetano Giuseppe Casanova (1697–1733) und der Schauspielerin Zanetta Farusso (1707–1776) nahe der Kirche San Samuele im sestiere San Marco geboren,2 wuchs der junge Giacomo Casanova inmitten der Traumwelt des Theaters auf, in deren Mittelpunkt damals weniger das zur Aufführung gebrachte Stück als vielmehr das gesellschaftliche Erleben stand.3 Seinen Wurzeln als Kind zweier Schauspieler sollte Casanova stets verbunden bleiben: Die Welt wurde für ihn zur Bühne, auf der er brillieren und sich inszenieren wollte, immer unterwegs, um ein neues Publikum zu begeistern, sei es durch die ergreifende Schilderung seiner Flucht aus den venezianischen Gefängnissen, angetan mit herrschaftlichem Putz oder als aufmerksamer Gastgeber bei ausgefallenen Festen und Diners.4 Nicht zuletzt verglich Casanova sogar sein Leben mit einem aus drei Akten bestehenden Theaterstück. Für den aus einfachen Verhältnissen stammenden Casanova bot auch der venezianische Karneval eine passende Gelegenheit, seine Identität zu verändern und die gesellschaftlichen Schranken verschwimmen zu lassen. Hatte sich Johann Caspar Goethe (1710–1782) am 27. Februar 1740 noch schockiert über die dionysische Ausgelassenheit geäußert, bei der die Grenzen zum Anstößigen überschritten worden seien, da die venezianischen Nobili nicht davor zurückschreckten, sich als Kranke(r), Verwundete(r), Krüppel und Aussätzige(r) zu verkleiden und sich in dieser Aufmachung noch an den belebtesten Orten zeigten, damit man sich von den Vorübergehenden bestaunen oder vielmehr verabscheuen lassen kann, so erfasste seinen Sohn Johann Wolfgang (1749–1832) alsbald die unbändige Lust, einen tabarro, den traditionell mit der weißen bauta getragenen venezianischen Mantel, zu erwerben und sich dem ausgelassenen Reigen der Maskierten anzuschließen.5 Um seine Anonymität zu wahren, bediente sich Casanova neben tabarro und bauta oft auch der Maske des Pierrot aus der Comedia dell’arte, da es keine geeignetere Maske gäbe, jemanden zu vermummen, sofern 1

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Das Taufregister der parrocchia di San Samuele (P. Chiara (Hrsg.), Storia della mia vita, Milano 1964–65, Band 7, 24) vermerkt: Addì 5 aprile 1725 Giacomo Casanova fig(li)o di D. Gaietano Giuseppe Casanova del q(uondam) Giac(om)o Parmegiano comico, et di Giovanna Maria, giogali, nato il 2 corr. battezzato da P. Gio. Batta Tosello sacerd(ote) di chiesa de licentia, P. Comp. il signor Angelo Filosi q(uondam) Bartolomeo stà a S. Salvador. Lev. Regina Salvi. F. Montecuccoli degli Erri, Dov’era la casa di Zanetta Casanova?, Intermédiaire des Casanovistes 20, 2003, 3–16. Das Geburtshaus Giacomo Casanovas befindet sich in der Calle degli Orbi und trägt heute die Nummer 3089. 1740 berichtete Johann Caspar Goethe ausführlich über die heruntergekommenen Sitten an den venezianischen Theatern, vgl. A. Meier (Hrsg.), Johann Caspar Goethe, Reise durch Italien im Jahre 1740, München 1986 (Brief vom 16. Februar 1740). Auch Casanova sollte als confidente der Staatsinquisition in seinen Spitzelberichten über die Verwahrlosung der Sitten in den venezianischen Theatern berichten. L. Flem, Casanova ou l’exercise du bonheur, Paris 1995, 131–162. Italienische Reise (4. Oktober 1786).

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Giacomo Casanova – Mann von Welt und Liebhaber der Wissenschaften

er weder bucklig ist noch hinkt, verberge doch das Pierrotkostüm jedes etwaige Merkmal seiner Gestalt, an dem ihn einer seiner persönlichen Freunde erkennen könnte.6 Waren nicht auch die zahlreichen Namen, derer sich Casanova nach und nach bediente (darunter Casanova de Seingalt, Bertuccio, Casanova di Galliera, Eupolemo Pantaxeno, Comte de Farussi, Goulenoire oder Longin) Versuche, in eine neue Rolle zu schlüpfen? Wer ohne bedeutendes Vermögen geboren wurde, vermochte zumindest auf den Beistand der launischen Göttin zu hoffen, die dem Spieler im Ridotto7 zu klingenden Zechinen beim pharo oder biribi verhelfen konnte. Auch hier begünstigte die Maske die Anonymität, während sich nur die Patrizier, die die Bank hielten, unverhüllt zeigen mussten. Als leidenschaftlicher Spieler,8 den das Glücksspiel zuweilen zu einem vermögenden Mann machte, hatte Casanova auch die Wechselhaftigkeit des Glücks kennengelernt: Über Jahrhunderte ererbte Vermögen wurden hier oft an einem einzigen Abend verspielt. Als 1774 das Ridotto geschlossen wurde, um die Bürger vor dem endgültigen Bankrott zu bewahren, lebte Casanova, der ehemalige Günstling des Glücks, zeitweise in den Räumen des ehemaligen Spielcasinos. Als Kind seiner Stadt spielte für Casanova die Kultivierung der Sinne und des Vergnügens eine wichtige Rolle. Sein umfassendstes Werk, die Histoire de ma vie, besticht daher weniger durch die Beschreibung von Venedigs Kunstschätzen und architektonischen Denkmälern als vielmehr durch seine Funktion als mondäner Schauplatz und Bühne zwischenmenschlicher Beziehungen, zahlreicher Intrigen und amouröser Begegnungen.9 Die Histoire de ma vie möchte dabei noch etwas anderes deutlich machen: Der Kosmopolit Casanova war zwar einer der ersten „Europäer“, hörte jedoch nie auf, Venezianer zu sein. Die Familie Casanova hatte insgesamt sechs Kinder,10 von denen außer Giacomo noch die Brüder Francesco und Giovanni Battista Berühmtheit erlangen sollten. Mit seinem ältesten Bruder Francesco (1727–1803), der ein bekannter Schlachtenmaler werden sollte, verband Casanova eine lebenslange,

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HdmV 1, 768: J’ai décidé de me masquer en Pierrot. Il n’y a pas de masque plus propre à déguiser quelqu’un s’il n’est pas bossu, ni boiteux. Vgl. hierzu auch L. Flem, Casanova ou l’exercise du bonheur, 151–156; G. Toubiana, Casanova, Le pierrot et les jeux de l’apparence, Intermédiaire des Casanovistes 11, 1994, 13–16. Das Ridotto war im Palazzo Dandolo zwischen der heutigen Calle del Ridotto (Nr. 1362) und der Calle Vallaresso (Nr. 1332) untergebracht und hatte ehemals die französische Botschaft beherbergt. J. Rives Childs, Casanova as Gambler, Casanova Gleanings 3, 1960, 4–14. Das tägliche Leben in Venedig zur Zeit Casanovas ist ausführlich behandelt bei N. Jonard, La vie quotidienne à Vénise au XVIIIe siècle, Paris 1965; M. Andrieux, Daily Life in Venice in the Time of Casanova, London 1972; F. Decroisette, Vénise au temps de Goldoni, Paris 1999. Neben Giacomo (1725), Francesco (1727), Giovanni (1730) und Gaetano (1734) gab es noch zwei Schwestern, Faustina und Maddalena. Vgl. zur Familie Casanova HdmV 1, 962–969; H. Watzlawick, Les vrais débuts d’une actrice – Naissance et baptême de Zanetta Casanova, Intermédiaire des Casanovistes 20, 2003, 49–54.

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aufrichtige Freundschaft.11 Distanzierter gestaltete sich sein Verhältnis zu dem um sechs Jahre jüngeren Bruder Giovanni Battista (1730–1795),12 der seiner Mutter Zanetta nach Dresden gefolgt war, ebenfalls Malerei studiert hatte und schließlich Direktor der dortigen Akademie der schönen Künste wurde.13 Der nach dem Tod des Vaters geborene Bruder Gaetano (1734–1783) war wie Giacomo für eine kirchliche Laufbahn bestimmt gewesen, schaffte es jedoch nie, Fuß zu fassen und hielt sich mit Messelesen und Predigten über Wasser. Bereits in jungen Jahren war Casanova auf sich allein gestellt, da seine Eltern das Interesse an dem kränklichen Kind aufgegeben hatten, dem von den Ärzten nur ein kurzes Leben vorausgesagt worden war.14 Aufrichtige Zuneigung fand der erst achtjährige Knabe bei seiner Großmutter Marzia Farusso (ca. 1669–1743), die nach der Abreise Zanettas aus Venedig seine Betreuung übernommen hatte. Am „Makel“ seiner Geburt litt Casanova Zeit seines Lebens und sollte später in Né amori né donne ovvero la stalla ripulita (1782) behaupten, nicht der Schauspieler Gaetano Casanova sei sein leiblicher Vater gewesen, sondern vielmehr der Patrizier Michele Grimani (1796–1775), dessen Bruder Alvise seine Vormundschaft übernommen hatte.15 Schnell lernte er, dass die einzige Möglichkeit Erfolg zu haben für einen jungen Mann ohne Stand in der Bildung bestand. Die Fahrt nach Padua mit dem burchiello16 wurde für den achtjährigen Giacomo Casanova schließlich zum Schlüsselerlebnis:17 Die Erkenntnis eines Naturgesetzes, die selbstständige Widerlegung des ptolemäischen Weltbildes, bildete den Beginn seiner Existenz als denkendes Wesen.18 Bereits als Kind wurde er so zu einem aufmerksamen und neugierigen Beobachter seiner Umwelt, etwa des geschliffenen Kristalls in der Werkstatt des Vaters oder der seltsamen Lichtreflexe, die er als junger Mann auf dem Fußweg nach Rom beobachtete und sich physikalisch nicht zu erklären ver11

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Francesco entstammte möglicherweise einer Liaison von Zanetta mit dem zukünftigen König von England, George II. (1683–1760). 1763 wurde er in die Académie Royale de Peinture in Paris aufgenommen. Wirtschaftlich ruiniert kehrte Francesco Paris 1783 den Rücken und ließ sich in Wien nieder, wo er 1803 verarmt starb. Vgl. zu Zanettas Aufenthalt in London G. Rees, The Italian Comedy in London, 1726–1727, with Zanetta Casanova, Intermédiaire des Casanovistes 13, 1996, 25–32. F. Luccichenti, Incisioni, libri e medaglie di Giovan Battista Casanova, Intermédiaire des Casanovistes 13, 1996, 47–50. Giovanni studierte in Dresden, Venedig und Rom bei Anton Raphael Mengs (1728–1779). Er verfasste mehrere Werke zur Malerei, darunter den Discorso delle Bell’Arti di Dresda (Leipzig 1770). Mit seiner bereits 1772 verstorbenen Frau Teresa hatte er vier Kinder. L. Flem, Casanova ou l’exercise du bonheur, 27–63. In der Commediante in fortuna (1755) bezeichnete auch Pietro Chiari (1711–1788) Casanova als Bastard, vgl. A. Ravà, Giacomo Casanova e l’abate Chiari, Nuovo Archivio Veneto 22/1, Venezia 1911. Ein mit einer Kabine ausgestattetes hölzernes Boot. P. del Negro, Gli anni padovani di Giacomo Casanova, Intermédiaire des Casanovistes 16, 1999, 7–16. HdmV 1, 16 und Précis de ma vie (Marr 21–1; E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Vermischte Schriften, 407–410).

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mochte. Eine Dichotomie zwischen rationaler Analyse und der durch Erfahrungen gewonnenen Erkenntnis lag Casanova jedoch fern: Der epistemologische Prozess kann daher sowohl über den (Aber-)Glauben (stellte seine Heilung durch die „Hexe“ von Murano nicht den eindrücklichsten Beweis dafür dar?) als auch durch logisches Denken in Gang gesetzt werden. Wissen(schaft) bedeutete im Verständnis Casanovas folglich ein grenzenloses Misstrauen gegenüber jedem System und ein stetes Überdenken von Wissensinhalten. In seinem utopischen Roman Icosameron belehrt Élisabeth ihren Bruder Édouard daher folgendermaßen: Der Mensch müsse sehr zufrieden sein und sich damit bescheiden, die Wahrheit zu kennen, um aus ihr selbst Nutzen zu ziehen, ohne sich um die ganze übrige Menschheit zu kümmern, die von Natur aus dazu neige, lieber den Vorspiegelungen der Einbildungskraft zu folgen als Erklärungen der Gelehrten, und ihre eigene Ansicht, auch wenn sie jeder wirklichen Grundlage entbehrt, immer einer anderen, durch Erfahrung erhärteten, vorziehe.19 Im Hause des traditionsverbundenen paduanischen Lehrers Antonio Maria Gozzi (1709–1783),20 der sogar einen Exorzisten zur Heilung seiner „besessenen“ Schwester Bettina bestellte, erlernte Casanova zwar die Grundzüge der Philosophie, der alten Sprachen und der Mathematik,21 doch die Kunst, das Gelernte kritisch zu reflektieren, verdankte der junge Mann nur sich selbst. Dabei traf er in seiner Umgebung meist auf Unverständnis. Lediglich der durch seine erotischen Epigramme bekannte Dichter Giorgio Baffo (1694–1768) ermunterte den Knaben: Verliere nicht den Mut, bilde dir stets dein eigenes Urteil und laß die anderen ruhig lachen.22 Da das damalige Bildungssystem auch eine akademische Grundausbildung zur Aufgabe der Universität machte, wurde der erst Dreizehnjährige im November 1737 an der Universität von Padua unter die signori scolari leggisti immatrikuliert und studierte Moralphilosophie, Mathematik und Rechtskunde (Kirchenrecht) bei Ercole Francesco Dandini (1691–1747), sollte er doch einmal die geistliche Laufbahn antreten.23 In Padua erwarb er bei dem Antiquar

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Icosameron, Band 1, 189 (zitiert nach E. Loos / H. von Sauter (Hrsg.), Eduard und Elisabeth oder die Reise in das Innere unseres Erdballs, Frankfurt a. M. / Berlin 1964). Vgl. zu einer Neuedition F. Bourin (Hrsg.), Icosameron ou Histoire d’Édouard et d’Élisabeth qui passèrent 81 ans chez les mégamicres, Paris 1988. 20 Die Bekanntschaft mit der Familie Gozzi sollte Casanova noch lange aufrechterhalten. Noch 1775 war der doctor utriusque juris Gozzi (gest. 1783) Subskribent der Ilias. Das Haus der Familie befand sich ganz in der Nähe der Universität, in der parrocchia von S. Egidio, nahe der heutigen Via Roma. Gozzi hatte möglicherweise aus finanziellen Gründen beschlossen, selbst eine Schule zu gründen, in der junge Pensionäre auf das Studium vorbereitet wurden, vgl. P. del Negro, Gli anni padovani, 13. 21 J. Rives Childs, Casanova. Eine Biographie, München 1977, 19–24. 22 GmL 1, 88. 23 P. del Negro, Giacomo Casanova e l’università di Padova, Quaderni per la storia dell’Università di Padova 25, 1992, 405–416; J. Irmscher, Casanova als Student, in: M. Kunze (Hrsg.), Die Casanovas. Beiträge zu Giacomo, Francesco und Giovanni Casanova sowie Silvio della Valle di Casanova, Stendal 2000, 77–82. Über die Zustände an der Unversität von Padua im Jahre 1739 berichtete ausführlich der damalige Rektor Charles de Brosses (1709–1777) in den Lettres écrites d’Italie à quelques amis en 1739 et 1740 (Brief 13; vgl. W.

Giacomo Casanova – Mann von Welt und Liebhaber der Wissenschaften

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Carlo Ottaviani24 erste Kenntnisse in (Al)Chemie, die er für eine exakte Wissenschaft hielt, deren praktische Anwendung dem Menschen dienen sollte.25 Mit welcher Sicherheit sich Casanova in der lateinischen und griechischen Literatur bewegte, machen seine Überlegungen zur Philologie – seiner Ansicht nach unentbehrliche Grundlage der Philosophie – nur allzu deutlich.26 Ohne die Philologie sei, so Casanova, auch keine Beschäftigung mit der Philosophie möglich, da man erst durch die Beherrschung der Sprache Zugang zur Seele eines Volkes fände. Der Venezianer zeigte sich deshalb höchst empört in dem nur wenige Jahre vor seinem Tod erschienenen Lexikon À Leonard Snetlage (1797), einer Satire gegen die „neue Sprache“ des postrevolutionären Frankreich.27 Casanovas eigentliches Interesse galt jedoch der Medizin. Im Gegensatz zu Johann Wolfgang von Goethe, der in Dichtung und Wahrheit ausführlich über die Vertiefung seiner medizinischen Kenntnisse während seiner Studienzeit berichtete, lässt uns Casanova im Unklaren, auf welche Weise er sich medizinische Grundkenntnisse aneignete. War er vielleicht doch Zaungast bei Vorlesungen Giovanni Battista Morgagnis (1682–1771), der ab 1711 den Lehrstuhl für Anatomie in Padua innehatte?28 Oder hatte er bereits als Student die Aphorismen (1727) des Leidener Arztes Herman Boerhaave (1668–1738) gelesen, die Grundlage des damaligen medizinischen Unterrichts? Nach seiner Rückkehr nach Venedig (1739) vertiefte Casanova seine Kenntnisse in Philosophie und Recht bei dem Gelehrten Biago Schiavo (1668– 1738), der insbesondere junge Patrizier unterrichtete. 1742 war er für kurze Zeit auf Vermittlung seines Protektors Alvise Grimani Student am Seminar von San Cipriano.29 Eine Abschlussprüfung scheint Giacomo Casanova jedoch nie abgelegt zu haben, existieren doch im Archiv der Universität von Padua außer den Immatrikulationsbescheiden keine weiteren Hinweise. Rückblickend war sich Casanova aber bewusst, durch Vermittlung seiner Protektoren eine außergewöhnlich gute Ausbildung für einen Mann aus einfachen Ver-

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Schwartzkopf (Hrsg.), Charles de Brosses. Des Präsidenten de Brosses vertrauliche Briefe aus Italien an seine Freunde in Dijon 1739–1740, München 1918). Der Antiquar und Chemiker Carlo Ottaviani (HdmV 1, 21, 27) scheint etwa 1740 von Padua nach Venedig gezogen zu sein. Er war mit Elisabetta Marcolini verheiratet. G. Moggi, Casanova as Chemist, Casanova Gleanings 13, 1970, 12–21; J. Rives Childs, Biographie, 24; Il Mondo di Giacomo Casanova: un Veneziano in Europa, Venezia 1998, 119. In einem Brief an Franz von Waldstein (Marr 14M007) bezeichnet Casanova die Chemie 1797 als science de dieu. F. Furlan, Casanova et Horace, Casanova Gleanings 21, 1978, 29–32; H. Watzlawick, Casanova philologue classique, Intermédiare des Casanovistes 24, 2007, 25–28. W. Theile, Casanova contre Leonhard Snetlage. Diffusion de la langue et de la culture françaises en Allemagne aux environs de 1800, Intermédiaire des Casanovistes 21, 2004, 41–52. Sein wichtigstes Werk war eine Abhandlung über die Nosologie, De sedibus et causis morborum per anatomen indagatis (1761). Vgl. W. Eckart / C. Gradmann (Hrsg.), Ärzte Lexikon: Von der Antike bis zur Gegenwart, 2Berlin 2001, s. v. a. „Morgagni, Giovanni Battista“. Casanova vermerkt in der Histoire de ma vie, selbst Vorlesungen Morgagnis in Padua besucht zu haben. Im Duxer Archiv wird der Arzt ebenfalls in mehreren Dokumenten erwähnt. P. del Negro, Gli anni padovani, 15.

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hältnissen erhalten zu haben.30 Um auf der Bühne des Lebens bestehen zu können, musste der junge Mann jedoch auch lernen, sich in Gesellschaft zu bewegen, geistreich zu sein, zu unterhalten und im passenden Augenblick das richtige bonmot zu finden. Eine erste Gelegenheit dazu bot sich durch die Bekanntschaft mit dem Senator Alvise Gasparo Malipiero (1664–1745), einem an Gicht leidenden, aber überaus lebensfrohen Junggesellen, der dem jungen Abate, der am 14. Februar 1740 die Tonsur und die niedrigen Weihen erhalten hatte, erstmals Zugang zu höheren gesellschaftlichen Kreisen ermöglichte.31 Zu diesem Zeitpunkt gehörte Casanova zwar offiziell bereits zum Klerus, hatte aber noch keine weitreichenden Verpflichtungen. Der Status des Abate war bei mittellosen jungen Männern daher sehr begehrt, stellte er doch den einzigen Weg zu höherer Bildung und einem regelmäßigen Einkommen in Form eines Beneficiums dar.32 Als er auf Vermittlung seiner Mutter Zanetta eine Stelle beim zukünftigen Bischof von Martirano, Bernardo di Bernardis (1699– 1758), in Kalabrien antreten sollte, stellte Casanova zu seiner Enttäuschung fest, dass es in dem ärmlichen Nest weder gute Bücher, noch gebildete Männer und schöne Frauen gab. Casanova sah sich außerstande, ohne eine gute Bibliothek, ohne einen geselligen Kreis, ohne Anregung und literarischen Umgang im Alter von nur achtzehn Jahren in Martirano zu bleiben.33 Sein Weg führte ihn schließlich nach Rom, wo er als Sekretär in den Dienst des einflussreichen, für seine Ausschweifungen bekannten römischen Kardinals Trajano Acquaviva (1696–1747) trat.34 Unfreiwillig wurde Casanova in ein romantisches Abenteuer verstrickt und büßte seine aussichtsreiche Stellung am päpstlichen Hof ein. Den wohlgemeinten Ratschlag des Kardinals, Französisch zu lernen, die grundlegende Voraussetzung, um auf gesellschaftlichem Parkett bestehen zu können, hatte er aber noch beherzigen können. An eine kirchliche Karriere hingegen war nun nicht mehr zu denken, und Casanova spielte mit dem Gedanken, eine militärische Laufbahn einzuschlagen, kaufte sich ein Leutnantspatent und ließ sich eine weiße Phantasieuniform schneidern, durch deren Anlegen er zwar symbolisch die endgültige Trennung von der Kirche vollzog, dem christlichen 30 Il Duello ovvero Saggio della vita di G. C. Veneziano: Un uomo nato a Venezia da poveri parenti, senza beni di fortuna e senza nessuno di que’titoli, che nelle città distinguono le famiglie dalle ordinarie del popolo, ma educato come piacque a Dio, nella guisa di quelli che sono destinati a tutt’altro furoché a mestieri coltivati dal volgo […]. 31 Die Gunst Malipieros verlor er nur wenig später in Folge einer Liebelei mit dem Schützling des Senators, Teresa Imer (1723–1797). Casanova begegnete Teresa, die eine berühmte Sängerin werden sollte, später in Den Haag unter dem Namen Teresa Pompeati und in London unter dem Namen Madame Cornelys, wo sie einen Vergnügungssalon unterhielt. Vgl. hierzu G. Gugitz, Casanova und sein Lebensroman, Wien 1922, 40 ff.; G. Rees, An Evening at Carlisle House, Intermédiaire des Casanovistes 26, 2009, 13–16; HdmV 1, 974–975. 32 Durch das Studium des geistlichen Rechts hatte Casanova auch die Möglichkeit, geistlicher Anwalt zu werden. Von August bis Oktober 1743 und im April 1744 arbeitete Casanova in der Kanzlei von Marco Lez(z)e, 1745 und 1746 für den Anwalt Giovanni Maria Manzoni (1702–1786). 33 GmL 1, 289. 34 Vgl. zu Trajano Acquaviva HdmV 1, 984.

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Glauben aber dennoch bis zum Ende seines Lebens verbunden blieb. Obwohl er regelmäßig die Messe besuchte und die Beichte ablegte, vermochte er dem antiquierten Welt- und Wissenschaftsverständnis der Kirche und dem Reliquienkult jedoch nichts mehr abzugewinnen.35 Auch wenn ihm die atheistischen Ideen eines Voltaire oder de LaMettries vertraut waren, war er fest davon überzeugt, dass Religion und (Aber-)Glaube gleichwohl ein wichtiges Instrumentarium für eine Regierung darstellten. Der utilitaristische Gedankengang des Philosophen Helvetius (1715–1771), der in seiner gegen Montesquieus De l’esprit des loix (1748) gerichteten Schrift De l’esprit (1758) den Menschen auf sein Interesse festlegte und nachzuweisen versuchte, dass das Gute somit keinen Selbstzweck verfolge, beunruhigte den altruistischen Casanova daher zutiefst.36 Casanovas Beziehung zum Glauben war aber keinesfalls widersprüchlich, sondern komplementär: In einem Dialog über das Wesen Gottes kam er zu dem Schluss, dass sich theologisches und materialistisches Gedankengut nicht unbedingt ausschließen müssten.37 Als Sensualisten bildeten Seele und Körper für ihn jedoch eine untrennbare Einheit, weshalb eine rein spirituelle Existenz für ihn auch unvorstellbar bleiben sollte.38 Welche grundlegende Bedeutung die Sinne für Casanova hatten, zeigt sich etwa in der Tatsache, dass die Megamikren, jene fabelhaften Wesen im phantastischen Roman Icosameron, sogar über einen sechsten Sinn verfügen, dessen Empfindungen uns durch die Nerven und das Blut bewußt wurden, die das zarte Reiben unserer Haut in Erregung versetzte.39 Nach einem kurzen enttäuschenden Intermezzo als Soldat hatte Casanova auch seine Absicht aufgegeben, eine militärische Laufbahn einzuschlagen, und war nach Venedig zurückgekehrt. Der junge Venezianer, der durch seinen scharfen Verstand und seine umfassende Bildung stets Aufsehen erregte, war zwar bereits weit gereist und hatte berühmte und einflussreiche Persönlichkeiten kennengelernt, jedoch fehlte ihm ein geregeltes Einkommen. Unversehens kam ihm das Glück zu Hilfe. Als er 1746 nach einer Hochzeitsfeier im Palazzo Soranzo dem Senator Matteo Giovanni Bragadin (1689–1767) durch seine schnelle Geistesgegenwart das Leben rettete, dankte es ihm der Senator durch lebenslange finanzielle Unterstützung und väterliche Freundschaft. Matteo Bragadin und seine beiden Freunde Marco Dandolo (1704–1779) und Marco Barbaro (1688–1771)40 waren dem Okkultismus verfallen, was Casanova mithilfe seines kabbalistischen Wissens geschickt für sich zu nutzen wusste. Dieses Nebeneinander von Weltklugheit, Realitätssinn und Aberglaube war für das 18. Jahrhundert durchaus charakteristisch: Giacomo Casanova sollte in seinem Leben noch vielen Persönlichkeiten aus der Aristokratie41 begegnen, die 35 36 37 38 39 40 41

H. Scheible (Hrsg.), Giacomo Casanova. Ein Venezianer in Europa, Würzburg 2009, 125. H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 112–113. E. von Schmidt-Pauli, Der andere Casanova, Berlin 1930, 238. GmL 10, 26. Icosameron, Band 1, 207. HdmV 1, 997–999. H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 122.

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er durch seine Zahlenmystik und Orakelsprüche beeindrucken konnte. Hierbei suchte er sich jedoch explizit von vagabundierenden Abenteurern wie Giuseppe Balsamo alias Cagliostro (1743–1795)42 und dem Grafen von SaintGermain (gest. 1784)43 zu differenzieren. War es vielleicht gerade die Entzauberung der Welt durch die Ratio, die die Menschen im 18. Jahrhundert so empfänglich für Magie und Zauberei gemacht hatte? In diesem Sinne ließe sich auch der wachsende Erfolg der Freimaurerei erklären: Im Gegensatz zu anderen geheimen Verbindungen, bilden für den Freimaurer Aufklärung und Geheimnis keine Antithese.44 Das Leben als „Adoptivsohn“ des Senators eröffnete dem ehemals fast mittellosen Giacomo Casanova ungeahnte Perspektiven. Rückblickend erinnerte er sich aber auch an die negativen Entwicklungen, die diese finanzielle Unabhängigkeit in Gang setzte: Ich war ziemlich reich, von der Natur mit stattlichem Aussehen begabt, ein leidenschaftlicher Spieler, ein Verschwender, ein großer Plauderer mit stets schneidenden Formulierungen, keinesfalls bescheiden und kannte keine Furcht. Ich machte den hübschen Frauen den Hof, stach Rivalen aus und ließ nur die Gesellschaft gelten, die mich unterhielt. So zog ich mir unweigerlich Hass zu. Da ich bereit war, mit meinem Leben zu bezahlen, glaubte ich, mir sei alles erlaubt, denn Amtsanmaßungen, die mich störten, forderten meinen Widerstand geradezu heraus.45 Die Schilderung seines ersten Paris-Aufenthalts (1750) enthält neben zahlreichen Kuriositäten auch denkwürdige Begegnungen mit Schriftstellern wie Prosper Jolyot Crébillon (1674–1762) und einflussreichen Damen der Pariser Gesellschaft. Auch wenn Casanova sich anfangs über die Gepflogenheiten der Pariser und deren Leichtlebigkeit wunderte, so übte doch das leichte Leben einen unwiderstehlichen Reiz auf ihn aus. Es war das Paris des vorrevolutionären Frankreich mit prächtigen, das Ufer der Seine flankierenden Stadtpalais, dem eleganten Palais Royal mit seinem reichhaltigen Warenangebot und mit der extravaganten Mode, die wohlhabende Damen und Herren auf ihren Promenaden zur Schau trugen. Alles Französische wurde zu Casanovas Vorbild, dem er stets nacheiferte. Nicht gerade schmeichelhaft porträtierte der Dichter Pietro Chiari (1743–1795) Casanovas Frankophilie nach seiner Rückkehr nach Venedig im Jahre 1755: Unter anderem gab es da einen gewissen Signor Vanesio von unbekannter, und, wie man sagte, illegitimer Herkunft, der mit affektiertem Gehabe und unbeschreiblicher Freimütigkeit auftrat und sich anmaßte, mein Liebhaber werden zu wollen. […] Er war von einer Schwärmerei für alles Fremde und jenseits der Alpen Kommende besessen, führte nur London und Paris im Munde, fast, als ob die Welt au-

42 I. McCalman, Der letzte Alchemist. Die Geschichte des Grafen Cagliostro, Frankfurt a. M. / Leipzig 2004; K. H. Kiefer (Hrsg.), Cagliostro. Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus, München 1991. 43 G. B. Volz (Hrsg.), Der Graf von Saint-Germain – das Leben eines Alchemisten nach größtenteils unveröffentlichten Urkunden, Dresden 1923. 44 H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 121. Vgl. zu Casanova und der Freimaurerei Il Mondo di Giacomo Casanova, 137–143. 45 GmL 2, 223.

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ßerhalb jener beiden großartigen Metropolen gar nicht existierte.46 Tatsächlich schien der junge Venezianer die Augen davor verschlossen zu haben, unter welchen verheerenden Lebensbedingungen ein Großteil der Bevölkerung leben musste. Ein anderes Bild zeichnet hingegen der kurz vor der französischen Revolution erschienene erotische Roman Les aventures du Chevalier Faublas von Jean-Baptiste Louvet de Couvray (1760–1797). Als der junge Romanheld 1783 durch den Faubourg Saint-Marceau, einen der ärmsten und heruntergekommensten Stadtteile, in die französische Hauptstadt einfuhr, bot sich ihm ein erschreckendes Bild: Vergebens blickte ich nach der prächtigen Stadt aus, von der ich die entzückendsten Schilderungen gelesen hatte. Nichts von alledem! Hohe, abscheuliche Baracken, sehr schmale Gassen, allerhand in Lumpen gehülltes Gesindel, eine Schar halbnackter Kinder; ich sah die übermäßige Bevölkerung, sah das grauenvolle Elend. „Ist das Paris?“ fragte ich meinen Vater.47 Die Lebensbedingungen in der französischen Hauptstadt mögen sich um 1750 in der Tat kaum von jenen unterschieden haben, die 1787 auch der französische Chronist Louis-Sébastien Mercier (1740–1814) in seinem zweibändigen Werk Le tableau de Paris ausführlich beschrieb.48 Mercier resümierte eindrucksvoll die hygienischen Misstände, die schlechte Wasserversorgung, die überfüllten und schmutzigen Latrinen, die Überbevölkerung und letztendlich auch die alltäglichen Gefahren, die den Passanten auf Straßen ohne Bürgersteig drohten. Als Casanova in Dux die Paris-Episode in der Histoire de ma vie niederschrieb, gab es das Ancien Régime nicht mehr und Frankreich war im Umsturz begriffen. Die unkontrollierbare Macht des Volkes sah Casanova dabei keineswegs in günstigem Licht: Nun wird man sehen, was der Despotismus eines stets unbändigen, heißblütigen und unbezähmbaren Volkes bedeutet, das sich zusammenrottet, Leute aufhängt, Köpfe abhackt und alle umbringt, die aus der Masse hervorragen und ihre Meinung zu sagen wagen.49 Jedoch musste auch er eingestehen, dass Frankreich eine Reihe fauler und tyrannischer Monarchen erlebt habe, gegen die eine Revolte eine natürliche Sache (car elle est naturelle) sei.50 Fiktive Dialoge zwischen Ludwig XVI. (1754– 1793) und Marie Antoinette (1755–1793), Studien zur Unfähigkeit Ludwigs XVI. und zu seinem Schicksal sowie Gedanken zur französischen Revolution bis hin zu (schriftlichen) Angriffen auf Robespierre zeigen deutlich, dass sich Casanova als alter Mann intensiv mit der im Zusammenbruch begriffenen Welt auseinandersetzte, mit der er sich nun nicht mehr identifizieren konnte.51 Und trotzdem: Er, der stets unter dem Makel seiner Geburt gelitten hatte, 46 Vgl. zur Satire La commediante in Fortuna (1755) auch H. Scheible (Hrsg.), Mythos Casanova. Texte von Heine bis Buñuel, Leipzig 2003, 56; Casanova erfuhr davon durch den englischen Botschafter John Murray (1714–1775): Es war eine Satire, die den Kreis um Signor Marcantonio Zorzi verunglimpfte und in der mich der Abate eine sehr üble Rolle spielen ließ. (GmL 4, 168). 47 J.-B. Louvet de Couvray, Die Liebesabenteuer des Chevalier Faublas, München 1979, Band 1, 11. 48 J. Kaplow (Hrsg.), Sébastien Mercier. Tableau de Paris, Paris 1998; E. Bourguinat, Les rues de Paris au XVIIIe siècle: le regard de Louis Sébastien Mercier, Paris 1999. 49 GmL 3, 155–156. 50 HdmV 1, 596–598. 51 In deutscher Übersetzung abgedruckt bei E. von Schmidt-Pauli, Der andere Casanova, 107 ff.

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Abb. 2 Karikatur, wahrscheinlich Casanova darstellend

kam als alter Mann zu der überraschenden Einsicht, wirklicher Adel sei keine Frage der Genealogie, sondern der Persönlichkeit, die man nur sich selbst verdanke.52 Während Casanova nach seiner Rückkehr nach Venedig ein unbeschwertes Leben zwischen diversen Liebesabenteuern und Glücksspiel führte, beobachtete ihn aufmerksam ein Spion der venezianischen Staatsinquisition, Giovanni Battista Manuzzi.53 In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1755 wurde er von der Inquisition verhaftet und in den Piombi, dem sichersten Gefängnis der damaligen Zeit, festgesetzt.54 Da betrügerisches Glücksspiel und „unsittlicher“ Lebenswandel nicht als Gründe für eine Verhaftung ausreichten, wurde Casanova der Besitz verbotener Bücher und Frevel gegen die Religion vorge-

52 HdmV 1, 1377. 53 G. Comisso, Agenti segreti Veneziani nell’ 700’ (1705–1797), Milano 1941; HdmV 2, 1003– 1010. 54 U. Franzoi, The Prisons of the Doge’s Palace in Venice, Milano 1997; G. Scarabello, Carcerati e carceri a Venezia dal XII al XVIII secolo, Venezia 2009.

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worfen.55 Am 31. Oktober 1756 gelang ihm letztendlich die spektakuläre Flucht über die Dächer des Dogenpalastes.56 Seit seiner Flucht aus den Piombi war Casanova aus seiner Heimatstadt ausgestoßen. Gnade von Seiten der Inquisition wurde ihm erst als fast sechzigjährigem Mann gewährt. In der autobiographischen Novelle Il duello (1780) machte Casanova dieses einschneidende Ereignis für sein ruheloses Leben als Abenteurer verantwortlich.57 Casanova beschloss, sein Glück in Paris zu suchen, wo er genau zur Zeit des Attentats auf König Ludwig XV. (1710–1774) durch Robert François Damiens (1715–1757) eintraf.58 Er war sich bewusst, dass er nun niemals in seine Heimatstadt würde zurückkehren können und diesmal alles auf eine Karte setzen musste: Dieses zweite Mal war ich darauf angewiesen, jenen Leuten den Hof zu machen, bei denen die blinde Göttin zu Hause war. Ich erkannte, dass ich, um es zu irgendetwas zu bringen, meine gesamten körperlichen und geistigen Fähigkeiten einsetzen, die Großen und Mächtigen kennenlernen, klaren Verstand behalten und mich allen jenen anpassen musste, deren Wohlwollen mir von Nutzen sein konnte.59 Durch Unterstützung des ehemaligen französischen Botschafters François-Joachim de Pierre de Bernis (1715–1794)60 erhielt der junge Venezianer Zugang zu den besten und einflussreichsten Häusern der französischen Metropole und machte bald darauf die Bekanntschaft des Italieners Giovanni Antonio „Jean“ Calzabigi (geb. 1714?),61 der dem verschuldeten französischen Staat zu mehr Einnahmen durch Einführung einer Lotterie verhelfen wollte. Casanova und Calzabigi wurden umgehend Partner und die Lotterie wurde durch zwei Dekrete vom 15. August und vom 15. Oktober 1757 zugelassen.62 Durch die Vermittlung des Kardinals wurde Casanova auch mit diversen geheimen Missionen betraut, unter anderem nach Dünkirchen, wo er den Stand der französi-

55 ASV, Inquisitori di stato, b. 962 und b. 208. Nach der relazione del segretario degli Inquisitori di stato wurde Casanova eine Haftstrafe von fünf Jahren wegen Frevel gegen die Religion auferlegt: condannato anni 5 per colpa di religione (ASV, Inquisitori di stato, b. 208). 56 GmL 4, 312; Vgl. zu den Hintergründen von Casanovas Verhaftung und seiner Flucht Ch. Samaran, L’évasion de Casanova et la critique, HdmV 2, 1010–1028. 57 Il duello, 194: Quest’uomo, divenuto avventuriere per forza. 58 Der Hinrichtung Damiens am 28. März 1757 auf dem Place de Grève, dem jetzigen Place de l’Hôtel de Ville, wohnte Casanova als Zuschauer bei. Im Gegensatz zu dem Schotten James Boswell (1740–1795), der stets ein morbides Vergnügen an öffentlichen Hinrichtungen empfand, verabscheute Casanova derartige Spektakel zutiefst. 59 GmL 5, 42. 60 J.-M. Rouart, Bernis, le cardinal des plaisirs, Paris 1998. 61 HdmV 2, 922. 62 Möglicherweise nahmen auch die Enzyklopädisten Jean-Baptiste Le Rond d’Alembert (1713–1784) und Dénis Diderot (1717–1783) an mindestens einer Sitzung teil, die zur Gründung der Lotterie führte. Als Direktor erhielt Casanova insgesamt sechs Büros, von denen er fünf gleich für je zweitausend Livres verkaufte. Nur ein einziges behielt er für sich, das sich jedoch als lukrative Einnahmequelle erwies. Der Hauptsitz der Lotterie lag in der Rue Montmartre, vgl. J. Rives Childs, Biographie, 93–96. 1759 trennte sich Casanova von der Lotterie und auch von Calzabigi, den er fünf Jahre später in Berlin wiedertraf, wo er im Begriff war, für Friedrich II. von Preußen eine Lotterie einzurichten.

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schen Flotte auskundschaften sollte.63 Während seines zweiten Aufenthalts in Paris (1757–59) feierte Giacomo Casanova seine wohl größten gesellschaftlichen Erfolge, sei es als gerngesehener Gast in den Salons oder als großzügiger und vermögender Gastgeber. Seine kabbalistischen Kenntnisse öffneten ihm die Türen zu dem Okkultismus verfallenen Damen. Durch den Verkauf64 französischer Obligationen in Amsterdam, dem finanziellen Zentrum Europas, und den Kauf von Wertpapieren von Ländern, die kreditwürdiger waren, erwies er der französischen Regierung unschätzbare Dienste, die großzügig entlohnt wurden. Seine Einkünfte ermöglichten Casanova ein verschwenderisches Leben, eine prächtige équipage und den Unterhalt eines Landhauses (Petite Pologne) auf dem Grund des heutigen Bahnhofes St. Lazare, das mit zwei Gärten, einem Stall für zwanzig Pferde und drei Appartements ausgestattet war.65 Durch seinen unreflektierten Umgang mit Geld offenbarte sich Casanova als Anhänger des Ancien Régime, galt „bürgerliche“ Sparsamkeit doch nicht als Tugend und durch Arbeit erworbenes Vermögen nur als Ausdruck mangelnder Vornehmheit.66 Trotz seiner vielfältigen Tätigkeiten schuf sich Casanova stets Freiräume für die Vertiefung seiner Bildung. Auf Reisen verfügte er über eine umfassende Handbibliothek, und zeitweise zog er sich auch in die Abgeschiedenheit berühmter Bibliotheken zurück, wie etwa in die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, in der er 1764 an der Übersetzung der Ilias in den venezianischen Dialekt arbeitete.67 Im Laufe seiner Reisen vermochte er sein Wissen in allen Fachbereichen zu vermehren, sei es im Bergbau, der Chemie, der Färbetechnik oder sogar der Schafzucht. Kein noch so abwegiger Bereich war ihm zu fremd. Am 6. Juli 1767 schrieb Casanova an den kurpfälzischen Regierungsrat Heinrich Anton Beckers von Westerstetten (1697–1790): Ich weiß über Bergwerke, Mineralien, Salz, Schwefel und fast alles, was diesen Bereich betrifft, Bescheid. Ich selbst bin weder Ingenieur noch Wasserbauer, aber ich weiß, was dazu nötig ist. Jener Bereich der Chemie, der die Farben betrifft, ist mir vertraut, und ich verstehe Baumwolle, Leinen und Hanf mit geringen Kosten färben zu lassen. Ich habe Manufakturen für Kupfer, Malachit und Salpeter gebaut. Ich habe einen Plan, die Züchtung von Schafen zu verbessern, um ihre Wolle zu vervollkomnen.68 Stets suchte und hielt er den Kontakt zu führenden Persönlichkeiten, sei es nun zum Universalgelehrten und Mediziner Albrecht von Haller (1708–1777), zum Enzyklopädisten Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1717–1783), zu François Jacquier (1711–1788), Professor für Theologie, Physik und Mathematik an der Sapienza und am Kollegium De Propaganda Fide, oder zu dem bekannten Mathematiker, Astronomen und Physiker Roger Joseph Boskovitch (1711– 63 In der Histoire de ma vie äußerte sich Casanova, obwohl er für seine Dienste letztendlich reichlich entlohnt wurde, über die Unsinnigkeit dieser Mission, vgl. J. Rives Childs, Biographie, 96. 64 Insbesondere zur Finanzierung des Siebenjährigen Krieges. 65 J. Rives Childs, Biographie, 105–118. 66 H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 67. 67 C. Pavese, Casanova traduttore di Omero, Intermédiaire des Casanovistes 25, 2008, 11–18. 68 Marr 9–15 (C. Curiel et al. (Hrsg.), Patrizi e avventurieri, dame e ballerine in cento lettere inedite o poco note, Milano 1930, 97).

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1787), Professor in Rom, Pavia und Mailand. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen verfügte Casanova dank seiner Reisen über einen entscheidenden Vorteil: seine umfassende Erfahrung. Seinen Aufenthalt in England nutzte er für eine aufmerksame Studie von Land und Leuten und deren spezifischen Charaktereigenschaften, höfischen Sitten und der Ernährung der Inselbewohner. Als Einführung dienten ihm auf seinen Reisen oft die damals verbreiteten Guides touristiques, etwa jene des Iren Thomas Nugent.69 Casanovas Aufenthalt in London (1763)70 war nicht von Erfolg gekrönt gewesen, nach Frankreich konnte er jedoch wegen des Skandals um die alchemiebegeisterte Marquise d’Urfé, die er über mehrere Jahre um etliche Millionen erleichtert hatte, nicht zurückkehren. Seine ruhelosen Reisen führten Casanova schließlich nach Berlin, wo er das Angebot Friedrichs II. von Preußen (1712–1786) ablehnte, als Erzieher an der königlichen Kadettenschule tätig zu sein. Es folgte ein neunmonatiger Aufenthalt in Russland. In St. Petersburg unterbreitete Casanova Zarin Katharina II. (1729–1796) eine Kalenderreform, die jedoch nur auf verhaltenes Interesse stieß. Während seiner Rückreise verweilte Giacomo Casanova für kurze Zeit in Polen und die dort gesammelten Eindrücke bildeten die Basis für seine mehrbändige Abhandlung über die polnischen Unruhen (Istoria delle turbolenze della Polonia, 1774–1775). Der Höhepunkt seines Aufenthalts war jedoch das Duell mit dem polnischen Adeligen Francisek Ksawery Branicky (1730–1819), bei dem beide Gegner lebensgefährlich verletzt wurden.71 Nach einem erneuten kurzen Aufenthalt in Paris (1767) reiste Casanova weiter nach Spanien, wo er für kurze Zeit eingekerkert wurde.72 Zwischen 1769–1772 setzte er sein unruhiges Wanderleben fort und gelangte nach Triest.73 An dieser Stelle endet auch das Manuskript der Histoire de ma vie, deren letzter Satz Casanovas bisheriges Leben – das Theater, die Frauen, Padua, seine Erinnerungen sowie die in Europa herumreisende Mutter – kurz und prägnant zusammenzufassen scheint.74 Zur Rekonstruktion der noch verbleibenden vierundzwanzig Jahre von Giacomo Casanovas Leben sind wir nun auf die zahlreichen Dokumente, Briefe und Notizen aus seinem umfangreichen Nachlass angewiesen, der sich heute im Staatsarchiv in Prag befindet. In Triest blieb Casanova zwei Jahre, stets hoffend, dass seinem Gnadengesuch bei der venezianischen Inquisition nun endlich stattgegeben werden könnte. Seit langem hatte er vergeblich versucht, endlich in seine Heimatstadt zurück69 The Grand Tour (1756); Travels in Germany (1768). 70 J. Rives Childs, Biographie, 180–206; G. Rees, A Residence in Pall Mall, Intermédiaire des Casanovistes 24, 2007, 11–14. 71 H. Scheible, Qu’on porte au Monsieur du chocolat! Giacomo Casanova und seine autobiographische Novelle Das Duell, in: H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 37–84. 72 J. Rives Childs, Biographie, 226–246. 73 C. Pagini, Impressioni di vita triestina (1776–77) dal diario inedito del conte Carlo di Zinzendorf primo governatore di Trieste, Trieste 1978; ders., Casanova a Trieste, Trieste 1979; A. Trampus, Talent et Erudition: Casanova nelle lettere del barone Sigismondo Zois, Intermédiaire des Casanovistes 7, 1990, 25–35. 74 Au commencement de Carême elle partait avec toute la troupe, et trois ans après je l’ai vue à Padoue où j’ai fait avec sa fille une connaissance plus tendre.

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kehren zu dürfen, wobei er die während seiner Reisen erworbenen Fähigkeiten in den Dienst seiner Heimat stellen wollte.75 Auch Casanovas schriftstellerische Tätigkeit hatte bis zu diesem Zeitpunkt insbesondere dem Zweck gedient, die Inquisitoren zum Einlenken zu bewegen.76 Mithilfe des venezianischen Konsuls Marco Monti (gest. 1782) wurde Casanova 1773 schließlich freier Kollaborateur der venezianischen Regierung zu einem Lohn von zehn Zechinen und am 3. September 1774 erhielt der Konsul endlich den ersehnten Brief mit der Erlaubnis zur Rückkehr, unterzeichnet vom circospetto und Sekretär des Consiglio dei Dieci.77 Obwohl er sich nach seiner Rückkehr nach Kräften bemühte, das Vertrauen des Tribunals zu gewinnen, schien Casanova letztendlich damit keinen Erfolg gehabt zu haben.78 Wie hatte sich Venedig doch nach Casanovas Rückkehr verändert! Seine ehemaligen Protektoren Matteo Bragadin und Marco Barbaro waren verstorben, nur Marco Dandolo war übriggeblieben. Testamentarisch sollte Casanova jedoch eine kleine Rente von sechs Zechinen pro Monat erhalten. Nachdem er ab 1776 zeitweise in der Frezzeria in der Corte del Luganegher oder bei Marco Dandolo in den ehemaligen Räumen des geschlossenen Ridotto gewohnt hatte, zog Casanova schließlich in die Barbaria delle Tolle im Stadtteil Castello, wo er mit der Näherin Francesca Buschini, einem Mädchen aus einfachen Verhältnissen, und ihrer Familie zusammenlebte.79 Um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, wurde er ab 1774 confidente der Staatsinquisition und 1776 offiziell Spion unter dem Pseudonym Antonio Bratolini.80 In thematischer 75

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So etwa bereits 1760, als er Papst Clemens XIII. (1693–1769) um Erlaubnis zur Rückkehr bat. Im November 1763, genau sieben Jahre nach seiner Flucht aus den Bleikammern, verfasste Casanova in London einen Brief an die Inquisitoren mit dem Vorschlag, Stoffe zu einem erschwinglichen Preis zu kolorieren (A. Ravà / G. Gugitz (Hrsg.), Giacomo Casanovas Briefwechsel, München/Leipzig 1913, 14–16): Tingere il bombace con la grana istessa con cui si fa lo scarlatto […] Le mie ricerche, i miei viaggi, i miei studi, m’hanno reso padrone di questo secreto, e l’offro oggi alla mia patria. 1769/70 hatte Casanova der Inquisition ein Exemplar seiner Gegenschrift zum antivenezianischen Werk von Abraham Nicolas Amelot de la Houssaye (Histoire du gouvernement de Vénise) mit dem Titel Confutazione della Storia del Governo Veneto d’Amelot de la Houssaie (1769) übersandt. B. Brunelli, Vita di Giacomo Casanova dopo le sue Memorie (1774–1798), Roma 1997, 13: […] munendolo intanto del salvacondotto, che avrà inserto, e di trasferirsi a questa parte, e di presentarsi a me segretario, già comandato delle ricerche da fargli, e di rendergli noti gli atti della loro clemenza per la opera, ch’egli ha contribuita sin hora utilmente, e che può impiegare in avvenire. In einem Brief vom 25. Oktober 1778 bat Casanova Andrea Querini um Hilfe, eine Beschäftigung zu finden, vgl. C. Curiel et al. (Hrsg.), Patrizi e avventurieri, 223–224. S. Herrmann, Francesca Buschini an Giacomo Casanova. Ein Frauenleben im Venedig des Settecento, Berlin 2010. Casanovas Spionageberichte, von denen insgesamt neunundvierzig erhalten sind, stammen ausschließlich aus der Zeit von 1774 bis 1782, vgl. G. Comisso, Agenti segreti Veneziani nell’ 700’ (1705–1797), Milano 1941; G. Damerini, Casanova a Venezia dopo il primo esilio, Turino 1957. Alle Dokumente befinden sich heute im ASV, Inquisitori di stato, riferti dei confidenti, b. 565, Nr. 1–50. Der letzte Bericht Casnovas stammt vom 31. Oktober 1782. Vgl. zu den servizi secreti in Venedig auch P. Preto, I servizi segreti di Venezia, Milano 1994. Das offizielle Dokument (Marr 40–238) schreibt allerdings „Pratolini“.

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Hinsicht sind Casanovas Spionageberichte keinesfalls spektakulär; zumeist geht es darin um Streitereien unter Venezianern, die Pläne Österreichs, Venedig zu annektieren, die öffentliche Moral oder „gefährliche“ Bücher. Die Rückkehr aus dem Exil war zugleich der Beginn von Casanovas schriftstellerischer Tätigkeit.81 Ab 1774 hatte er ein Buch über die polnischen Unruhen publiziert,82 welches nicht nur einen umfassenden Überblick über die Geschichte Polens,83 sondern auch über seine politische und gesellschaftliche Gliederung bietet. Casanovas Selbstverständnis als Historiker zeichnet sich – im Sinne der Aufklärung und entgegen der noch Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts üblichen romanhaften Art der Geschichtsschreibung – durch eine starke Konzentration auf die Fakten aus. 1775 erschien seine Übertragung der Ilias in den venezianischen Dialekt (Dell’ Iliade di Omero tradotta in ottava rima). 1779 besann sich Casanova während eines Kuraufenthalts in Abano Terme noch einmal auf den eben verstorbenen Voltaire und verfasste eine Streitschrift, den Scrutinio del libro Eloges de M. de Voltaire. 1780 publizierte er in den Opuscoli miscellanei diverse kleinere Schriften, darunter Il duello und die Lettere della nobil donna Silvia Belegno alla nobildonzella Laura Gussoni. 1780 versuchte Casanova, zu seinen Wurzeln zurückzukehren und sich als Theaterdirektor zu profilieren und gab zugleich die kritische Theaterzeitschrift Le Messager de Thalie heraus. 1782 geriet Casanova aber durch die Publikation seines Buches Né amori né donne ovvero la stalla ripulita, das einen Skandal unter der venezianischen Aristokratie provozierte, in heftige Kritik84 und musste im Januar 1783 zum zweiten und letzten Mal aus Venedig fliehen. Der inzwischen Achtundfünfzigjährige trat nun seine letzte Reise durch Europa an, jedoch bereitete ihm seine körperliche Kondition in Verbindung mit der Tatsache, im Winter eine so beschwerliche Reise auf sich zu nehmen, große Sorgen: Ich bin 58 Jahre alt und kann mich nicht zu Fuss auf den Weg machen; Der Winter ist bald da; der Gedanke, wieder ein Abenteurerleben zu führen, lässt mich lachen, besonders wenn ich mich im Spiegel betrachte. Doch ich muss abreisen, zumal meine Abreise beschlossen, ja mehr als beschlossen ist.85 Von Triest aus reiste Casanova nach Wien, da der österreichische Kaiser Joseph II. (1741–1790), seit 81 82 83 84

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J. Rives Childs, Casanoviana, Wien 1956, 24–58; B. Brunelli, Vita di Giacomo Casanova, 41–62. H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 85–100; K. Zaboklicki, La Polonia di Giacomo Casanova, Ateneo Veneto 37, 1999, 23–42. Vgl. zur Geschichte Polens Ende des 18. Jahrhunderts G. Bozzolato, Polonia e Russia alla fine del XVIIIe secolo, Padova 1964. A. Baschet ist der Ansicht, dass Casanova bereits 1781 aufgrund eines Briefes an die Regierung in Ungnade gefallen sei, vgl. A. Baschet, Les archives de Vénise. Histoire de la chancellerie secrète, Paris 1870, 642–643. Die Annahme Baschets könnte durch weitere Dokumente der confidenti bestätigt werden (ASV, Inquisitori di stato, riferti dei confidenti, b. 199), jedoch gibt es auch Berichte Casanovas von 1782 (b. 565 Nr. 49 und 50). Vgl. zur Reaktion der venezianischen Aristokratie auf Né amori né donne ovvero la stalla ripulita A. Ravà / G. Gugitz (Hrsg.), Giacomo Casanovas Briefwechsel, 50–51; 150–155; B. Brunelli, Vita die Giacomo Casanova, 63–70. Brief an Lorenzo Morosini (B. Brunelli, Vita di Giacomo Casanova, 65–66): Ho cinquantott’anni; non posso andar via a piedi; sopraviene l’inverno; e se penso a ritornare a diventare av-

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1780 Nachfolger Maria Theresias (1717–1780), für seine Offenheit, Reformbereitschaft und Zugänglichkeit bekannt war.86 Erfolglos setzte er schließlich seine beschwerliche Reise fort und gelangte über Trient, Augsburg und Aachen nach Spa. In einem Brief an Eusebio della Lena (1747–1818), den Direktor des Theresianums in Wien, berichtete Casanova ausführlich über seine Pläne, darunter seine Absichten, in Spa eine Lotterie zu gründen oder vielleicht doch lieber nach Madagaskar auszuwandern.87 Nachdem er keines seiner Projekte hatte realisieren können, begab sich Casanova nach Paris zu seinem hochverschuldeten Bruder Francesco,88 in dessen Begleitung er sobald wie möglich nach Wien abreiste. Während Francesco in den Dienst des Fürsten Wenzel Anton Kaunitz-Rietberg (1710–1794) trat, einem großzügigen Förderer der Künste, begann Casanova eine weitere beschwerliche zweiundsechzigtägige Reise, die ihn über Dresden, Berlin und Prag führte, in der Hoffnung, nun doch endlich eine adäquate Beschäftigung zu finden, die ihm finanzielle Sicherheit bieten könnte.89 Mitte Februar 1784 wurde er schließlich Sekretär des venezianischen Botschafters Sebastiano Foscarini (1717–1785) in Wien.90 Nach dessen überraschendem Tod am 23. April 1785 nahm der verzweifelte Casanova das Angebot von Joseph Carl Emmanuel von Waldstein (1755–1814) an, diesen auf sein Schloss nach Dux zu begleiten, das etwa hundert Kilometer von Prag entfernt lag. Möglicherweise hatte Casanova dieses großzügige Angebot anfangs noch abgelehnt um sich letztendlich nach einer kurzen Reise von Töplitz nach Karlsbad doch dafür zu entscheiden. In Dux sollte Casanova die letzten Jahre seines ereignisreichen Lebens als Bibliothekar verbringen, wo er von seinem Dienstherrn mit der Katalogisierung der über vierzigtausend Bände umfassenden Bibliothek betraut wurde.91 Seinem eintönigen Los in der Provinzstadt Dux versuchte Casanova durch eine intensive Korrespondenz und reichhaltige schriftstellerische Tätigkeit92 zu entfliehen. Insbesondere das Schlosspersonal machte ihm das Leben zunehmend schwer, darunter der Verwalter des Schlosses, Georg Feldkirchner (1730–

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venturiero, mi metto a ridere guardandomi nello specchio. Convien dunque ch’io parta (poiché la mia partenza è decisa, decisissima). F. Bourin (Hrsg.), Prince de Ligne, Mémoires, lettres et pensées, Paris 1989, 794. H. Watzlawick, Casanova, Madagascar and Spa, Intermédiaire des Casanovistes 4, 1987, 1–10. Marr 16K47 (C. Curiel et al. (Hrsg.), Patrizi e avventurieri, dame e ballerine, 262): Monsieur Mon ami et tres cher frere, Vendredy à deux heures dans ton appartement au Louvre. Sono arrivato da Spa questa notte, e fui male albergato. La prima cosa che feci, uscita di casa questa mattina, fu di farti una visita. Brief von Francesca Buschini vom 28. Februar 1784, poste restante à Vienne (Marr 8–182). Précis de ma vie (Marr 21–1). Joseph Carl Emmanuel von Waldstein (1755–1814) war der Sohn von Emmanuel Philip von Waldstein (1731–1775) und der Prinzessin Maria Anna Teresa von Liechtenstein (1738–1814) sowie Neffe von Charles Joseph de Ligne (1735–1814). Il Mondo di Giacomo Casanova, 202–211.

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1805).93 Sogar einen Suizid zog der Verzweifelte in Erwägung94 und versuchte mehrmals, der Hölle von Dux zu entfliehen, wobei er einen bitterbösen Abschiedsbrief hinterließ, um dann doch reumütig zurückzukehren. Die Abgeschiedenheit auf Schloss Dux war aber zugleich Casanovas schriftstellerisch fruchtbarste Phase. Die dort entstandenen Schriften (moral) philosophischer und theologischer, poetischer oder sogar pädagogischer95 Natur folgen nun mehrheitlich einer privaten Zielsetzung und wurden nicht mehr für einen bestimmten Adressaten verfasst, etwa um die Gunst der Staatsinquisition zu gewinnen oder eine Anstellung zu erhalten. Bereits zu Beginn seines Aufenthaltes wandte sich Casanova im Selbstgespräch eines Denkers, dem Soliloque d’un penseur (1786), gegen den Scharlatan Cagliostro. Seine Flucht aus den Bleikammern, die Histoire de ma fuite des Plombes, wurde in Form einer kleinen Erzählung publiziert.96 Während bei der Niederschrift der Histoire de ma fuite gesundheitliche Gründe im Vordergrund standen, hatte die Drucklegung von Il duello noch einen ganz anderen Zweck verfolgt: Casanova war bestrebt zu zeigen, dass auch er, der nun Gescheiterte und Erniedrigte, einmal die durch seine Herkunft gezogenen Grenzen überschritten hatte.97 Der technische Fortschritt der Aufklärung hatte bereits viele Schriftsteller beflügelt, phantastische Romane zu verfassen. Louis-Sébastien Mercier veröffentlichte in London L’an deux mille quatre cent quarante, rêve s’il en fût jamais (1771–86) und Rétif de la Bretonne machte durch den futuristischen Roman La découverte australe par un homme volant (1781) auf sich aufmerksam. Auch Casanova sollte 1788 seinen Zukunftsphantasien im Icosameron ou Histoire d’Édouard et d’Élisabeth qui passèrent quatre-vingt-un ans chez les Mégamicres, habitants aborigènes du Protocosme dans l’intérieur de notre globe (1788) Gestalt verleihen. Seine naturwissenschaftlichen, chemischen und medizinischen Kenntnisse dienten ihm dabei als Basis für seinen utopischen Roman: Der Romanheld Édouard entdeckt die Reibungselektrizität, die Bewohner der rätselhaften Welt, die Megamikren, fahren in durch aufgezogene Federn angetriebenen „Automobilen“ und der Magnetismus spielt eine wichtige Rolle. 1794, nur vier Jahre vor seinem Tod, entstand eine Reflektion über die Wissenschaften seiner Zeit: der

93 Georg Feldkirchner arbeitete von 1787–1793 als Majordomus für Waldstein. Bei seinen Schikanen wurde er von einem gewissen Karl von Wiederholt unterstützt. Casanova schilderte seine Leiden in den Lettres écrites au sieur Faulkircher par son meilleur ami Jacques Casanova de Seingalt le 10 janvier 1792 (Nachdruck Caen 1988). Die originale Version ist noch unpubliziert (abgesehen von Marr 39–1; Marr 40–312). 94 Vgl. zu Casanovas ablehnender Haltung des Suizids M. Kempter / L. Müller (Hrsg.), G. Casanova. Über den Selbstmord und die Philosophen, Frankfurt a. M. / New York 1994. 95 Vgl. etwa Casanovas Abhandlung zum Geschichtsunterricht oder zur Algebra und Arithmetik (publiziert in HdmV 1, 1404–1411). 96 Die Fuite wurde auch von deutschen Schülern zur Erlernung der französischen Sprache gelesen, vgl. S. Herrmann / M. Leeflang, Casanova at School, Intermédiare des Casanovistes 26, 2009, 1–6; S. Herrmann, Christian Carl Andrés Bearbeitung der Histoire de ma fuite von Giacomo Casanova, Germanisch-romanische Monatsschrift 60, 2010, 485–492. 97 H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 65.

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Essai de critique sur les moeurs, sur les sciences, et sur les arts.98 In dieser wohlkomponierten, dreißig Artikel umfassenden enzyklopädischen Abhandlung beschäftigte sich Casanova kritisch mit allem Wissenswerten, wobei er die Essenz seiner Studien mit seiner reichhaltigen Lebenserfahrung verband. Die Artikel setzen sich mit unterschiedlichen Themen aus allen Wissensbereichen auseinander, wobei sozialpolitische Themen (esclavage, liberté, les riches) genauso angesprochen werden wie theologische und philosophische Fragen (morale, croyance) sowie kulturelle Errungenschaften (langue latine, architecture). Im Zentrum platzierte Casanova die traditionellen Wissenschaftsbezeichnungen, darunter die histoire naturelle,99 die seiner Ansicht nach ein Teil der Physik sei und auch Botanik, Landwirtschaft, Medizin und Astronomie umfasse. Die Anatomie ist dabei nach traditioneller Manier die Geschichte des Mikrokosmos. Die (Al)Chemie beginnt dagegen nach Casanovas Ansicht dort, wo die histoire naturelle ende.100 Casanovas Wissenschaftsbegriff blieb dabei offensichtlich ein traditioneller: Mit der Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Aufspaltung der einzelnen Wissenschaften vermochte er sich anscheinend nicht zu identifizieren. Auf Schloss Dux begann Casanova auch mit der Niederschrift seines bekanntesten Werks, der Histoire de ma vie, wozu ihn Charles Joseph de Ligne (1735–1814), der Casanovas Wissensschatz erkannt und schätzen gelernt hatte, stets ermutigte.101 Die Erinnerung an ein bewegtes Leben sollte dem gealterten Venezianer über die Grausamkeiten, denen er nahezu täglich ausgesetzt war, hinweghelfen.102 Durch die Niederschrift seiner Erlebnisse gelang es dem Sinnenmensch Casanova noch einmal, sein Leben vor dem inneren Auge vorbeiziehen zu lassen: Das Schreiben diente somit nicht der Kodifizierung des Erlebten für die Nachwelt, sondern wurde zu einem wirksamen narkotisierenden Therapeutikum gegen die Einsamkeit auf Schloss Dux.103 98 E. Straub, Giacomo Casanova als Wissenschaftler. Zu seinem „Essai de critique sur les mœurs, sur les sciences, et sur les arts“ (1794), in: M. Kunze (Hrsg.), Die Casanovas, 41–50; J.-J. Casanova et al. (Hrsg.), Casanova. Essai de critique sur les moeurs sur les sciences et sur les arts, Publications de l’Université de Pau 2001. 99 Essai de critique, § 11. 100 Essai de critique, § 12. 101 Ph. Mansel, Der Prinz Europas. Prince Charles-Joseph de Ligne 1735–1814, Stuttgart 2006. Das Fragment sur Casanova ist publiziert bei Prince de Ligne. Fragment sur Casanova suivi de lettres à Casanova, Paris 1998, 9–11. Charles de Ligne schrieb in einem Brief vielsagend (vgl. Fragment sur Casanova, 68): Vous me convainquez comme physicien habile. Vous me subjuguez métaphysicien profond, mais vous me désobligez comme antiphysicien timide, peu digne de votre pays. 102 HdmV 3, 723: […] écrire mes Mémoires fut le seul remède que j’ai cru pouvoir employer pour ne pas devenir fou ou mourir de chagrin à cause des désagréments que les coquins qui se trouvaient dans le château du comte de Waldstein à Dux m’ont fait essuyer. En m’occupant à écrire dix à douze heures par jour, j’ai empêché le noir chagrin de me tuer ou de me faire perdre la raison. 103 Dieser Aspekt verbindet Casanova mit einem weiteren Biographen des 18. Jahrhunderts, dem Schotten James Boswell (1740–1795), der seine Erinnerungen in Form eines Journals als Therapeutikum gegen seine Melancholie niederschrieb, vgl. H. Winter (Hrsg.), James Boswell. Journal, Stuttgart 1996, 485–486.

2 Medizin und medizinische Praxis im 18. Jahrhundert – zwischen Tradition und Aufklärung Im Zentrum der Aufklärung, die – ausgehend von England – seit dem 17. Jahrhundert auch in Frankreich und Deutschland nach und nach Fuß gefasst hatte, stand das Anliegen, Tradition und Autorität durch die Vernunft (ratio) und die freie Entfaltung des Geistes zu ersetzen. Der starke Rationalismus der Aufklärer wandte sich mit der zunehmenden Naturerforschung auch gegen die Kirche und die Grundsätze des christlichen Glaubens. Vertrauen auf Wissenschaft und Fortschritt sowie eine Neuordnung der Gesellschaft, in der das Ideal von Freiheit und Gleichheit eine zentrale Bedeutung erlangte, wurden somit zu Grundsätzen aufklärerischer Tendenzen.1 Auch Medizin und medizinische Praxis erhielten im 18. Jahrhundert durch diese Entwicklungen neue Impulse:2 In Anatomie, Physiologie, Pharmakologie und Botanik hatte sich im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts das medizinische Wissen beträchtlich vermehrt und zu zahlreichen Buchproduktionen und der Entstehung wissenschaftlicher Zeitschriften geführt. Es entstanden Akademien und gelehrte Zirkel, und neue Medikamente wie das Guajakholz, die Chinarinde oder die Sarsaparille gelangten im Zuge der Entdeckung Amerikas nach Europa.3 Das späte 17. und das 18. Jahrhundert stellten so eine 1

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Eine ausgezeichnete Einführung in die geistesgeschichtlichen Entwicklungen des 18. Jahrhunderts bietet der Ausstellungskatalog Kunst und Wissenschaft, Geist und Galanterie im 18. Jahrhundert aus dem Musée du Petit Palais, Paris (13. Dezember 2002–6. April 2003). In der Medizingeschichte scheiden sich hinsichtlich der Epocheneinteilung die Geister. Während der Arzt und Botaniker Kurt Sprengel (1766–1833) in seinem Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneykunst (1828) noch enthusiastisch auf die Einzigartigkeit der medizinischen Entdeckungen, Schulen, Krankheitsbilder und die Etablierung einzelner Fachgebiete im gesamten 18. Jahrhundert verwies, beschränkte der Medizinhistoriker Erwin Ackerknecht in seiner Kurzen Geschichte der Medizin (1967) den wissenschaftlichen Fortschritt bereits auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts (Krankenwesen, öffentliche Gesundheitspflege, Psychiatrie). Gunter Mann (Medizin der Aufklärung: Begriff und Abgrenzung, Medizinhistorisches Journal 1, 1966, 63–74) ging zwar davon aus, dass nicht alle Ereignisse der Medizin der Aufklärung zuzuordnen seien und sich Periodenbereiche auch überschneiden könnten, sah die Medizin des 18. Jahrhunderts jedoch trotz aller Widersprüche als Einheit. Einer traditionellen Epocheneinteilung folgte auch der Medizinhistoriker Wolfgang Eckart in seiner Geschichte der Medizin (Berlin/Heidelberg / New York 2005). Fritz Hartmann verfasste 1997 eine ausführliche Studie über das 18. Jahrhundert, wobei er die Entwicklungsgeschichte anhand führender Persönlichkeiten vorstellte (Medizin der Aufklärung, in: R. Enskat (Hrsg.), Wissenschaft und Aufklärung, Opladen 1997, 31–73). Heinz Schott folgte in seiner Monographie Der sympathetische Arzt. Texte zur Medizin im 18. Jahrhundert, München 1998 dem Ansatz der Historikerin Dorinda Outram (The Enlightenment, Cambridge 1995), die in der Aufklärung keine einheitliche abgeschlossene Epoche sieht. Stattdessen zeichne sich diese durch erhebliche nationale, regionale, und konfessionelle Unterschiede aus. G. Beisswanger, Der Arzneimittelmarkt um 1800: Arzneimittel zwischen Gesundheits-, Berufsund Gewerbepolitik, in: B. Wahrig / W. Sohn (Hrsg.), Zwischen Aufklärung, Policey und Verwaltung. Zur Genese des Medizinalwesens 1750–1800, Wiesbaden 2003, 147–161; H. Cook, Matters of Exchange: Commerce, Medicine, and Science in the Dutch Golden Age, Yale 2007.

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Periode des Umbruchs und der Neuorientierung dar, in der jahrhundertealte medizintheoretische Ansätze mit neuen medizinischen Strömungen konkurrierten,4 die durch naturwissenschaftliche Entdeckungen und gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen favorisiert wurden (pluralism of theories): Es entstanden Spezialisierungen und verfeinerte Untersuchungsmethoden, etwa Temperatur- und Blutdruckmessung. Physiologische Untersuchungen wurden der Verdauung, der Atmung und der elektrischen Nervenleitung gewidmet. Italien büßte seine Vormachtstellung in der medizinischen Forschung ein, und neue Zentren wie Halle, London, Leiden und Edinburgh entstanden. Wissen wurde erstmals kodifiziert (Encyclopédie) und systematisiert, etwa in dem monumentalen Systema Natura des dänischen Botanikers Carl von Linné (1707–1778). Der dogmatischen Medizin, noch ganz in der jahrhundertealten, durch die galenisch-hippokratische Humoralpathologie gekennzeichneten medizinischen Praxis verankert, standen auf einmal philosophisch begründete Gedankenmodelle und naturwissenschaftliche Entdeckungen gegenüber. Während Empirie und Erfahrung so einerseits an Bedeutung gewonnen hatten, zeichnete sich die praktische Medizin jedoch mitnichten durch eine höhere Effizienz aus. Zwar war bereits Ende des 17. Jahrhunderts Kritik an der traditionellen Behandlungsmethodik der Ärzte geübt worden, denen Medicinische Mordmittel5 wie Aderlass, Purgieren und Abführmittel unabhängig von der jeweiligen Diagnose noch immer als Allheilmittel galten,6 doch blieben diese therapeutischen Maßnahmen auch noch im 18. Jahrhundert weit verbreitet. Auch Therapeutika der „Dreckapotheke“ waren noch lange in Apotheken erhältlich, darunter Panazäa wie Theriak oder Mumia.7 Gerade im 18. Jahrhundert fanden Magie, Alchemie und Astrologie, die insbesondere in der Renaissance und der Frühen Neuzeit sehr populär gewesen waren, wieder zahlreiche be4 5 6

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Vgl. zu den Entwicklungen in Italien im 18. Jahrhundert F. della Porta et al. (Hrsg.), Malattia e medicina, Torino 1984. Etwa Janus Abrahamus à Gehema, Grausame Medicinische Mordmittel, Brehmen 1688. Vgl. etwa die Aussage des französischen Dichters Molière im Malade imaginaire (1673): clysterium donare, postea saignare, ensuita purgare (vielsagend wird der Arzt Argan auch „Monsieur Purgon“ genannt!). Im Malade imaginaire wird die Medizin des 17. Jahrhunderts parodiert: Obwohl bereits bahnbrechende Entdeckungen gemacht worden waren (Harvey), regte sich starker Widerstand gegen diese Entwicklungen von Seiten der anticirculationistes. Im Prolog lässt Molière daher die Schäferin klagen: Ignorants médecins, vous ne sauriez le faire: / Votre plus haut savoir n’est que pure chimère /Ces remèdes peu sûrs dont le simple vulgaire /Croit que vous conaissez l’admirable vertu, /Pour les maux que je sens n’ont rien de salutaire; /Et tout votre caquet ne peut être reçu /Que d’un Malade imaginaire. Vgl. zur Medizinkritik bei Molière G. Couton (Hrsg.), Molière. Le Malade imaginaire, Paris 1999, 13–16; zum medizinischen Vokabular L. Drack, Das medizinische Vokabular Molières, Bonn 1970; zur Praxis des Aderlasses im 18. Jahrhundert M. Ruisinger, The Circulation of the Blood and Venesection: On the Relation between Medical Theory and Practice in the Early Eighteenth Century, in: J. Helm / R. Wilson (Hrsg.), Medical Theory and Therapeutic Practice in the Eighteenth Century, Stuttgart 2008, 37–60. R. Jütte, Menschliches Gewebe und Organe als Bestandteil einer rationalen Medizin im 18. Jahrhundert, in: J. Helm / R. Wilson (Hrsg.), Medical Theory, 137–158.

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geisterte Anhänger.8 Trotz Kritik an Wunderglauben und Astrologie9 kam dem Sympathiezauber, der neben naturphilosophischen und mystisch-religiösen Aspekten auch physiologische und psychosomatische Ansätze vereinte, noch immer große Bedeutung zu. Im Gegensatz zur Dämonologie berief sich die Alchemie, basierend auf der antiken Pneumalehre, auf die „natürliche Magie“ (magia naturalis), also eine magische Kraft, die von der Natur selbst ausginge. Mithilfe dieses naturphilosophischen Ansatzes sollten Zeichen in der Natur gedeutet und neue Therapeutika hergestellt werden können (Arcana). Die Alchemie war, da sie sich als geheime Wissenschaft nur einem Kreis von Eingeweihten erschloss, selbst in aufgeklärten Kreisen beliebt.10 Die Bedürfnisse des einfachen Volkes wurden oft von wandernden Astrologen befriedigt, die auf öffentlichen Plätzen dem Volk ihre Künste darboten und Horoskope erstellten.11 Auch Casanova schätzte die Astrologie, hielt sie aber andererseits für eine Phantasterei, wenn man sie soweit treibt, dass man die Sterne für unser Handeln verantwortlich macht.12 Als anachronistisches Erbe wurde noch immer der Exorzismus praktiziert, wobei sich religiöse Heilkunde und empirisch rationale Medizin in vielen Fällen die Waage hielten.13 Die jahrhundertelange Tradition so bedeutender Heilkonzepte wie Magie, Alchemie und Naturphilosophie sollte daher noch das gesamte 18. und frühe 19. Jahrhundert durchziehen. Schlüsselereignis wurde die Entdeckung der Elektrizität, da diese alte Erfahrungen mit neuen Konzepten verknüpfen konnte:14 Die „Urkraft“ der Natur konnte man nun mittels neuer Apparate messen und diese therapeutisch einsetzen.15 Neben den auf der ratio begründeten Fortschritt gesellte sich ein Konzept der Naturphilosophie,16 wobei beide Bereiche nicht als span-

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Auch Johann Wolfgang Goethe äußerte sich in seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit noch über die Sternenkonstellation am Tag seiner Geburt (28. August 1749), vgl. J. Göres (Hrsg.), Johann Wolfgang Goethe. Dichtung und Wahrheit, Frankfurt a. M. / Leipzig 1975, 15. Vgl. zur Magie auch Ch. Daxelmüller, Zauberpraktiken. Eine Ideengeschichte der Magie, Zürich 1993; Ch. Meinel, Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftslehre, Wiesbaden 1986. Vgl. etwa Fontenelles Histoire des oracles (1687) und Bayles Pensées diverses sur la comète (1682). Johann Wolfgang Goethe berichtete in Dichtung und Wahrheit, durch eine alchemistisch zubereitete Universalmedizin geheilt worden zu sein und befasste sich während seiner Leipziger Studentenzeit mit alchemistischen Studien und den Schriften des Paracelsus und van Helmont ( J. Göres (Hrsg.), Johann Wolfgang Goethe. Dichtung und Wahrheit, 369 ff.). Soliloque d’un Penseur, 35–36: Dans toute l’Italie nous voyons dans les places publiques des astrologues mâles et femelles assis sur des tréteaux, appelant le peuple, qui leur donne de l’argent pour ce qu’il leur arrivera dans ce monde. Nous savons tous que ce sont des fripons, et nous ne les croirions pas astrologues quand même nous croirions à l’astrologie. GmL 6, 48. C. Ernst, Teufelsaustreibungen, Die Praxis der katholischen Kirche im 16. und 17. Jahrhundert, Bern/Stuttgart/Wien 1972; R. Jütte, Geschichte der alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute, München 1996, 66–114. H. Schott (Hrsg.), Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus, Stuttgart 1985. H. Schott (Hrsg.), Der sympathetische Arzt, 339–341. P. Reill, Vitalizing Nature in the Enlightenment, Berkeley / Los Angeles 2005.

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nungsgeladene Widersprüche, sondern als zueinander komplementäre Systeme verstanden werden konnten. Mit dem Arzt, der eine akademische Ausbildung abgeschlossen hatte, konkurrierten im 18. Jahrhundert chirurgisch tätige Handwerker, die ihre Dienste in lokalen Zeitungen offerierten17 und „Handwerkskünste“ wie Starstich, Steinschneiden oder Zahnziehen öffentlich anboten. Oft erbrachten diese Wundärzte, wie das Beispiel des Doktor Eisenbarth (1663–1727) zeigt, jedoch hervorragende Leistungen und sicherten die Gesundheit ärmerer Bevölkerungsschichten.18 Diese Teilung des Heilerberufs fand ihre Entsprechung auch in den angewendeten Therapieformen. Die vom Wundarzt vorgenommene cura externa von Krankheiten der Körperoberfläche (Behandlung von Knochenbrüchen, Entzündungen und Fieber, das Anlegen von Verbänden, aber auch Baden, Schröpfen und Aderlass) war der cura interna entgegengesetzt, die von akademischen Ärzten unter Zuhilfenahme von Medikamenten ausgeführt wurde. Heilberufe wie Bader, „Zahnreisser“ und Hebamme genossen nichtsdestotrotz eine fundierte Ausbildung,19 da viele Wundärzte oft weite Wanderungen unternommen und einen umfangreichen Wissensschatz erworben hatten. Der Pariser Chronist Louis-Sébastien Mercier lobte 1787 im Tableau de Paris das Vorgehen des Empirikers, der im Gegensatz zum studierten Arzt mit seinen mehrdeutigen Aussagen und seiner Abtasterei (médecin de la faculté, avec sa parole incertaine et ses tâtonnements) dem Kranken keine Hoffnung einzuflößen vermöge. Der Empiriker, so Mercier, begnüge sich mit einem kurzen Nehmen Sie und werden Sie gesund! (Prenez et guérissez)! Nicht wenige wirkungsvolle Medikamente seien auf diese Weise von einem Empiriker erfunden worden.20

Abb. 3 Chirurgische Eingriffe im 18. Jahrhundert: Starstich (a), Aderlass (b), Trepanation (c), künstliche Beatmung (d) 17

E. Buchner, Ärzte und Kurpfuscher. Kulturhistorisch interessante Dokumente aus alten deutschen Zeitungen (17. und 18. Jahrhundert), München 1922. 18 R. Porter, Health for Sale: Quackery in England 1660–1850, Manchester 1989; S. Sander, Handwerkschirurgen. Sozialgeschichte einer verdrängten Berufsgruppe, Göttingen 1989; N. Fenouillat, Médecins et charlatans en Angleterre (1760–1815), Bordeaux 1991; Ch. Probst, Fahrende Heiler und Heilmittelhändler: Medizin von Marktplatz und Landstrasse, Rosenheim 1992. 19 S. Horn, Verwaltete Gesundheit – verwaltete Krankheit, in: H. Lachmayer (Hrsg.), Mozart. Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Wien 2006, 205–213, bes. 208. 20 J. Kaplow (Hrsg.), Louis-Sébastien Mercier. Le tableau de Paris, Paris 1998, 279–282.

2.1 Giacomo Casanova – ein typischer Mensch des 18. Jahrhunderts?

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2.1 Giacomo Casanova – ein typischer Mensch des 18. Jahrhunderts? In Casanovas schriftlichen Hinterlassenschaften sind Elemente fast aller Strömungen der medizinischen Praxis des 18. Jahrhunderts belegt. Beispielhaft kann daran aufgezeigt werden, unter welcher Vielfalt von Behandlungsmethoden (traditionell oder innovativ) ein Patient des 18. Jahrhunderts wählen konnte.21 Casanova selbst war zwar stets an neuen Entdeckungen der Naturwissenschaften interessiert, griff aber fast ebenso häufig auch auf traditionelle Heilmethoden wie Aderlass22 oder Quecksilberkuren zurück. Er bekannte sich als Anhänger der traditionellen Humoralpathologie, der selbst im Laufe seines Lebens alle vier Temperamente gehabt habe. Hervorzuheben ist letztendlich nicht nur Casanovas wache und stets aufmerksame Beobachtungsgabe bezüglich der Reaktionen seines eigenen Körpers auf außergewöhnliche Situationen, sondern auch die zahlreichen Einzelbeobachtungen des medizinisch Interessierten zu diversen Krankheiten, darunter zu Pocken, Spina bifida,23 Hermaphrodismus24 und diversen Hautkrankheiten.25 Casanova war insofern auch in medizinischer Hinsicht ein typischer Mensch der Aufklärung, da er sich einerseits kritisch mit jahrhundertealten medizinischen Praktiken auseinandersetzte, sie an anderer Stelle aber ohne Zögern als selbstverständlich akzeptierte. Damit stellte er gewiss keine Ausnahme dar, beklagte doch auch der Chronist Louis-Sébastien Mercier 1787 die Vielfältigkeit der medizinischen Versorgung im 18. Jahrhundert, die entweder den Grundsätzen des Hippokrates, Galens oder Paracelsus folgte.26 Die Medizin des 18. Jahrhunderts kannte somit kein verbindliches Dogma, kein vorherrschendes Heilkonzept und kein einheitliches Menschen- und Weltbild. Weder konnte sich Casanova mit den 21

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Vgl. zur Fokussierung auf den Patienten J. Lachmund / G. Stollberg, The Doctor, his Audience, and the Meaning of Illness. The Drama of Medical Practice in the Late 18th and Early 19th Centuries, in: J. Lachmund / G. Stollberg (Hrsg.), The Social Construction of Illness, Stuttgart 1992, 53–66; M. Stolberg, Therapeutic Pluralism and Conflicting Medical Opinions in the Eighteenth Century: The Patient’s View, in: J. Helm / R. Wilson (Hrsg.), Medical Theory, 95–112. Zur Krankheits- und Körpererfahrung insbesondere M. Stolberg, Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2003. Casanova bezeichnet den Aderlass stets als saignée/saigner. In À Leonard Snetlage, 49, schreibt er unter dem Stichwort „paralyser“ über die unterschiedlichen Ausdrucksformen für diesen therapeutischen Eingriff: On dit aussi en bon français phlébotomiser, au lieu de saigner. Mais j’aime mieux celui-ci que le didactique. Flebotomizzare fut sifflé en Italie. Salasso signifiant saignée, on a tenté de dire salassare, mais sa laideur ayant déplu à nos maitres, nous nous déterminames à nous passer de ce verbe, et dire tout simplement: caver sangue. HdmV 1, 550–551. HdmV 2, 367. HdmV 2, 370–380; HdmV 2, 25. J. Kaplow (Hrsg.), Louis-Sébastien Mercier. Le tableau de Paris, 91: La médecine a encore ses branches dans les guerisseurs de toute espèce, qui courent de maison en maison, la lancette ou la médecine à la main, soit pour rassurer les gens qui se portent bien, soit pout traiter les malades, hypocratiquement, galéniquement ou paracelsétiquement. Zur medizinischen Versorgung im vorrevolutionären Frankreich vgl. C. Jones, The Medical World of Early Modern France, Oxford 1997; J. Goubert, Médecins d’hier, médecins d’aujourd’hui. Le cas du docteur Lavergne (1756– 1831), Paris 1992.

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Iatrochemikern, jener sich im 18. Jahrhundert formierenden Gruppe aus Anhängern der Naturwissenschaften identifizieren, die versuchten, jegliches Leben ausschließlich chemisch zu erklären, noch mit der insbesondere durch Jean Offroy de LaMettrie (1709–1751)27 vertretenen Richtung, nach der das Leben mittels Maschinen, Hydraulik und Mathematik erklärt wurde. Casanova drückte in der Histoire de ma vie jedoch großes Bedauern aus, de LaMettrie nicht persönlich kennengelernt zu haben, an den er sich im Bericht über seine eigene Lebensmittelvergiftung von Schönbrunn im Jahre 1753 erinnerte.28 Auf eine nähere Auseinandersetzung mit de LaMettries Iatromechanismus mag sogar seine Schilderung über die körperlichen Folgen der Angst während seines Aufenthaltes in den Bleikammern von Venedig verweisen. Mit wissenschaftlicher Neugier analysierte Casanova dort die Reaktion seines Körpers auf eine beängstigende Situation: Jede Viertelstunde habe er urinieren müssen, obwohl er nichts zu sich genommen habe und es sehr heiß gewesen sei.29 Die Bewertung seiner Erfahrungen wolle er zwar den Ärzten überlassen,30 erwäge aber auch eine eigene Theorie: Sein Gehirn (esprit) habe die ständig zirkulierenden Flüssigkeiten, die es zum Denken bräuchte, an den Körper abgegeben: Offenbar musste zur gleichen Zeit, da mein bedrängter Geist Zeichen der Schwäche bei der Ausübung seiner Denkfähigkeit zeigte, auch mein Körper, gleichsam wie in einer Kelter, einen guten Teil jener Flüssigkeit von sich geben, die mit ihrem ständigen Umlauf unserer Denkfähigkeit Kraft verleiht; so kann auch ein unvorhergesehener Schrecken die Ursache eines plötzlichen Todes werden und uns, Gott bewahre, ins Paradies befördern, denn er kann das Blut stocken lassen.31 Obwohl Casanova sich deutlich zum Materialismus bekannte, bereitete dem Sinnenmensch die allzu strenge und geistfeindliche Mensch-Maschine-Theorie de LaMettries

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Jean Offroy de LaMettrie, der einer Familie von Kaufleuten entstammte, studierte Medizin in Paris und Reims, wo er 1733 auch promovierte. Bei Herman Boerhaave setzte er in Leiden sein Studium fort, um sich 1742 in Paris niederzulassen. Zu seinen bedeutendsten Arbeiten gehören Histoire naturelle de l’âme (1745), La politique des médecins (1746) und L’homme-machine (1748). Friedrich II. holte den stark in Kritik geratenen de LaMettrie schließlich nach Preußen, wo er ihm vollständige Forschungsfreiheit versprach. 1751 verstarb er dort an den Folgen einer Lebensmittelvergiftung durch Trüffelpastete (mort d’ingestion). 28 HdmV 1, 648–649. 29 HdmV 1, 861: J’ai passé là quatre heures toujours dormant, me réveillant à chaque quart d’heure pour lâcher de l’eau; phénomène fort extraordinaire, car je ne connaissais pas la strangurie, la chaleur était excessive, et je n’avais pas soupé; malgré cela j’ai rempli d’urine deux grands pots de chambre. 30 HdmV 1, 861: J’avais fait autrefois l’expérience que la surprise causée par l’oppression faisait sur moi l’effet d’un grand narcotique, mais je n’ai appris qu’à cette occassion-là que dans un haut degré elle est diurétique. J’abandonne cela aux physiciens. 31 Jegliches Interesse für die „ketzerischen“ Schriften de LaMettries musste er als confidente der Staatsinquisition verstecken. In einem Bericht vom 22. Dezember 1781 zählte Casanova auf, welche verbotenen Bücher sich in Venedig im Umlauf befanden. Neben Werken von Voltaire, Rousseau und Crébillon fils waren dies auch tutte le empissime opere dell’ateo LaMetrie (Marr 40–269; G. Comisso, Agenti segreti, 257).

2.1 Giacomo Casanova – ein typischer Mensch des 18. Jahrhunderts?

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sichtlich großes Unbehagen.32 In der eben zitierten Passage findet sich auch noch der Hinweis auf eine weitere Glaubensrichtung der Aufklärung, den Animismus, nach dessen Vorstellung der menschliche Körper einer höheren Macht unterworfen sei. Körperliche Reaktionen, die Affekte, würden dabei von der Seele gesteuert.33 So beschrieb Casanova die körperlichen Auswirkungen auf seine Festnahme in Stuttgart folgendermaßen: Seine Schilderung versetzte mich in solche Erregung, dass es mir schien, als wolle binnen weniger als einer Stunde meine ganze Körperflüssigkeit ihren bisherigen Platz verlassen und einen Ausgang suchen.34 In der autobiographischen Novelle Il duello möchte Casanova dagegen darlegen, dass die Affekte nun keine Wirkung mehr auf sein Handeln hätten.35 Insbesondere in der Diätetik des 18. Jahrhunderts36 spiegeln sich beispielhaft die medizinischen Richtungen der Aufklärung wider. Aufschlussreich ist dabei der grundlegende Begriff der santé in der von Dénis Diderot und Jean le Rond d’Alembert seit 1751 herausgegebenen Encyclopédie, deren Erläuterung 1765 von einem Schüler des Leidener Arztes Herman Boerhaave (1668– 1738)37 verfasst worden war. Hierbei wurde der individuellen Gesundheit besondere Bedeutung beigemessen, die sich durch die aktuellen Lebensumstände, das Klima, das Geschlecht oder das Alter ableitete38 und durch ein bestimmtes Regimen, also eine bestimmte Speisenauswahl, aber auch gymnastische Übungen wie Kutschenfahren und Reiten, aufrechterhalten werden sollte. Bedeutende Diätetiker waren der Hallenser Arzt und Iatrochemiker Friedrich Hoffmann (1660–1742), der Krankheitsdispositionen nach Alter, Geschlecht, Vererbung und den vier Temperamenten klassifizierte und sieben Regeln zur Erhaltung der Gesundheit aufstellte.39 Nach Ansicht Albrecht von Hallers (1708–1777) beruhte die richtige Lebensweise dagegen auf dem harmonischen Zusammenspiel von Nervenleitung und Mechanik,40 während gemäß des Hallenser Arztes und Animisten Georg Ernst Stahl (1659–1734) in der Seelenruhe die Grundlage für die Gesundheit läge, da der gesamte mechanische Apparat des menschlichen Körpers und der Intellekt durch die Seele gesteuert würden. Die Vorschriften einer erfolgreichen Diätetik beruhten auch im 18. Jahrhundert noch immer auf der hippokratisch-galenischen Viersäftelehre (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle), wobei diese vier Säfte möglichst im 32 H. Scheible, Casanova und die Aufklärung, in: H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 101–114. 33 Vgl. zu den Affekten als Krankheitsursache M. Stolberg, Homo patiens, 62–63. 34 GmL 6, 90. 35 H. Scheible (Hrsg.), Ein Venezianer in Europa, 65. 36 K. Bergdolt, Leib und Seele. Eine Kulturgeschichte des gesunden Lebens, München 1999, 251– 264. 37 G. A. Lindeboom, Herman Boerhaave: The Man and his Work, London 1968. 38 G. Rudolph, La santé dans l’Encyclopédie de Diderot, in: H. von Holzhey / U. Boschung (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit im 18. Jahrhundert, Amsterdam/Atlanta 1995, 117–140. 39 K. Bergdolt, Leib und Seele, 252. 40 K. Bergdolt, Leib und Seele, 253.

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Gleichgewicht gehalten werden sollten und jegliches Missverhältnis Krankheit und Unwohlsein bedeuten musste, ein ausgeglichenes Verhältnis dagegen für Gesundheit und Wohlbefinden stand.41 Die Aufgabe des Heilers bestand darin, durch eine spezielle Diät und die Verschreibung von Therapeutika das verlorene Gleichgewicht (Eukrasie) wiederherzustellen. Ein Ungleichgewicht (Dyskrasie) der Säfte, etwa bedingt durch Umwelteinflüsse, musste, so die damalige Vorstellung, durch deren Abfliessen korrigiert werden, wobei insbesondere der Aderlass noch bis Ende des 18. Jahrhunderts als probates Mittel galt, die Säfte wieder ins Gleichgewicht zu bringen.42 Die Lehre von den Temperamenten, wohl das wichtigste Element der hippokratischen und galenischen Medizin, sollte seine Bedeutung also auch in der Neuzeit nicht verlieren, obgleich im Grunde bereits William Harveys (1578–1657) Beschreibung des großen Blutkreislaufes43 das Ende der antiken Humoralpathologie als wissenschaftliches Leitsystem hätte bedeuten können. Auch wenn die Ansätze Harveys in der zeitgenössischen Philosophie rezipiert wurden – etwa von René Déscartes (1596–1650) – wurden diese insbesondere von überzeugten Galenisten zurückgewiesen. So blieb William Harveys epochenmarkierender Ansatz auch im 18. Jahrhundert noch weitgehend unbeachtet und die antike Humoralpathologie ein wichtiges Element der medizinischen Dogmatik, die in ihren Grundzügen in der Iatrochemie übernommen wurde. Interessanterweise schien Casanova William Harveys Ansatz nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch in seiner Bedeutung erkannt zu haben, als er 1769 in der Confutazione44 konstatierte, William Harvey habe den Blutkreislauf entdeckt.45

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K. Stukenbrock, „Wer seine Gesundheit liebt, der fliehe die Medicos und Artzneyen“ – zum Verhältnis von medizinischer Theorie und diätischer Praxis, in: J. Helm / R. Wilson (Hrsg.), Medical Theory, 77–91. M. Ruisinger, The Circulation of the Blood and Venesection, in: J. Helm / R. Wilson (Hrsg.), Medical Theory, 37–59. De motu cordis et sanguinis (1628). Der Engländer William Harvey hatte 1599 in Padua Medizin studiert und kehrte nach seiner Promotion 1601 nach London zurück, wo er Professor für Anatomie und Chirurgie und königlicher Leibarzt wurde. Wie bereits der Italiener Renaldo Colombo (1510/15–1559) vor ihm, arbeitete Harvey mit lebenden Tieren (Vivisektion). Harvey entdeckte nicht nur, dass die Venenklappen die Fließrichtung des Blutes bestimmten, sondern stellte auch Überlegungen zur Menge des Blutes (copia sanguinis) an. Dabei gelang es ihm zu zeigen, dass das Blut quasi im Kreise (quasi in circulo) fließe. Die Entdeckung der Kapillaren sollte jedoch erst Marcello Malpighi (1628–1694) gelingen. So bedeutend Harveys Ansatz auch war, so stark blieb er doch dem aristotelischen Denken verhaftet, da er sowohl die Physiologie des Blutkreislaufes als auch die Embryologie in das aristotelische Weltbild einordnete. Confutazione III, 49. Zitiert nach einem Original in der Biblioteca Marciana in Venedig. In pari modo sosteneste tesi contro Harvei, quando ebbe scoperta la circulazione del sangue. Vgl. zur Geschichte des Blutes M. Gadebusch-Bondio (Hrsg.), Blood in History and Blood Histories, Firenze 2005.

2.1 Giacomo Casanova – ein typischer Mensch des 18. Jahrhunderts?

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Elemente

Säfte (humores)

Organe

Qualitäten

Luft

Blut (sanguis)

Herz

warm und feucht

Feuer

Gelbe Galle (cholera)

Leber

warm und trocken

Erde

Schwarze Galle (melancholia)

Milz

kalt und trocken

Wasser

Schleim (phlegma)

Gehirn

kalt und feucht

Die vier Elemente und die ihnen zugeordneten Säfte, Organe und Qualitäten

Trotzdem hielt Casanova stets an den Grundsätzen der Humoralpathologie fest: So vermerkte er bereits im Vorwort seiner Lebenserinnerungen, in seiner Kindheit sei er Phlegmatiker gewesen, Sanguiniker in seiner Jugend, dann Choleriker – um letztendlich, als alter Mann, Melancholiker zu werden.46 Das sanguinische Temperament habe ihn sehr empfänglich für jegliche Form von Vergnügungen gemacht und seine Phantasie beflügelt, solche zu erfinden.47 Die Temperamente konnten auch die jeweilige Stimmung eines Menschen beeinflussen. Als die rachsüchtige Mme F. Casanova in der Schweiz wissentlich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert hatte, habe er aus Wut darüber erbrechen müssen, wobei er auch bitteren schwarzen sowie zähen grünen Schleim (glaires) von sich gegeben habe – ein Zeichen dafür, dass das Gift, das er erbrochen habe, durch die „schwarze“ Wut ausgelöst worden sei, die, sollte sie nicht durch Rache versöhnt werden, einen Menschen töten könne.48 Den verschiedenen Charaktertypen – Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker – wurden auch spezielle Eigenschaften nachgesagt, die aus ihrer Physiognomie erkennbar sein sollten. So galt der Choleriker als „warm-trocken“ und ihm wurden die gelbe Galle, als Organ die Leber, als Jahreszeit der Sommer, als Element das Feuer und als Sternzeichen Widder, Löwe und Schütze zugeordnet. In gleicher Weise wurde mit dem Phlegmatiker („kalt-feucht“, Schleim, Hirn, Winter, Element Wasser, Sternzeichen: Krebs, Skorpion, Fische), dem Melancholiker („kalt-trocken“, schwarze Galle, 46 HdmV 1, 5: J’ai eu tous les quatre tempéraments; le pituiteux dans mon enfance, le sanguin dans ma jeunesse, puis le bilieux, et enfin le mélancolique, qui apparemment ne me quittera plus. […] Le tempérament sanguin me rendit très sensible aux attraits de toute volupté, toujours joyeux, et empressé de passer d’une jouissance à l’autre, et ingénieux à en inventer. Vgl. zu den Temperamenten M. Stolberg, Homo patiens, 116–121; zu Casanova und der Melancholie auch G. Ficara, Casanova e la malinconia, Torino 1999. 47 HdmV 1, 5–6. 48 HdmV 2, 344: J’ai passé une cruelle nuit, ce qui fut toujours très extraordinaire dans mon tempérament. La seule juste colère, mère du désir de la vengeance, eut toujours la force de m’empêcher de dormir, et souvent aussi la nouvelle d’un grand bonheur que je n’espérais pas. […] À peine pris mon chocolat je le vomis pour la première fois de ma vie. […] Une minute après j’ai vomi tout ce que j’avais mangé à souper, et avec de grands efforts, des glaires amères, vertes et visqueuses qui me convainquirent que le poison que j’avais vomi m’avait été administré par la noire colère qui, quand elle est forte, tue l’homme qui lui nie la vengeance qu’elle lui demande. Elle me demandait la vie de la F., et sans le chocolat qui lui força à décamper, elle m’aurait tué.

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Milz, Herbst, Erde, Sternzeichen: Stier, Jungfrau, Steinbock) und dem Sanguiniker („warm-feucht“; Blut, Herz, Frühling, Luft, Sternzeichen: Zwilling, Waage, Wassermann) verfahren, der als der Charaktertyp mit den besten Eigenschaften galt. Maßgeblich war im 18. Jahrhundert Johann Caspar Lavaters (1741–1801) Werk Essai sur la physiognomie.49 An mehreren Stellen der Histoire de ma vie wird deutlich, dass auch Casanova anhand der Physiognomie eines Menschen auf seinen Charakter und sogar auf sein späteres Schicksal schloss. Luigi Torriano di Valsassina (1741–1794), der ab 1786 unter staatlichem Schutz stand, da er für verrückt erklärt wurde, bescheinigte Casanova bereits 1773 eine „finstere“ Physiognomie (physionomie patibulaire), die sich durch Grausamkeit, Verrat, Stolz und Brutalität im sexuellen Bereich auszeichne.50 In ähnlicher Weise charakterisierte Casanova den Verbrecher und Zuhälter Antonio Pocchini (1705–1783), dem er auf der Insel Cerigo erstmals begegnet war.51 Über seinen Mitgefangenen in den Piombi des Palazzo Ducale, Pater Marino Balbi (1719–1783), äußerte er sich wie folgt: Dieser nicht einmal vierzigjährige Mann war nicht nur hässlich, sondern seine Physiognomie verriet auch Gemeinheit, Feigheit, Frechheit und törrichte Bosheit.52 Und tatsächlich entfloh der Geistliche aus einem Kloster, dessen Abt ihn gütigst aufgenommen hatte, in Begleitung einer Dienstmagd sowie einer stattlichen Summe Geldes, einer goldenen Uhr und zwölf silbernen Bestecken. Welche Bedeutung diese Wissenschaft als Mittel der Charakterisierung für Casanova hatte, geht auch aus dem Tagebuch von „Lolo“ Charles Joseph Clary Aldringen (1777–1831) hervor.53 Anhand seiner 49 C. J. Lavater, Essai sur la physiognomie destiné à faire connaître l’homme et à le faire aimer, La Haye 1781–1803; U. Stadler, Der gedoppelte Blick und die Ambivalenz des Bildes in Lavaters „Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe“, in: C. Schmölders (Hrsg.), Der exzentrische Blick. Gespräch über Physiognomik, Berlin 1996, 77–92. Von dem Antiphysiognomen Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) wurde die Lehre Lavaters eifrig bekämpft und lächerlich gemacht, vor allem in seiner Abhandlung Über Physiognomik wider Physiognomen (1777). Lavater stand auch mit Johann Wolfgang von Goethe in brieflichem Kontakt. 50 HdmV 3, 1045: Il faisait un chyle qui l’enrageait, et dans les heures de la digestion la rage qui le dominait le forçait à être féroce, cruel, injuste, sanguinaire. Ses appétits devenaient des fureures, il mangeait, et comme c’était par rage, il avait l’air de dévorer par haine une bécasse succulente […]. Der Wahrnehmung Casanovas entspricht auch die Beobachtung einer Mätresse des Conte, die ihm einen gewalttätigen Charakter bescheinigte (HdmV 3, 1045): Elle me dit que dans l’accouplement amoureux, quoique très fort au combat, il enrageait de ce qu’il ne pouvait pas parvenir à se procurer le plaisir qui conduit à la crise attachée à sa fin, et qu’il la menaçait de l’étrangler lorsqu’elle ne pouvait pas s’empêcher de laisser paraître par des marques extérieures la volupté qui dans la besogne lui inondait l’âme. Für Casanova war er un homme dangereux qu’il fallait éviter (HdmV 3, 1049). 51 HdmV 2, 237. 52 GmL 5, 36. 53 M. Leeflang, LOLO. Le journal du comte Charles Joseph Clary-Aldringen, Band 1 (1795– 1798), Utrecht 1996, 33 ( Jeudi, 23 Juillet 1795): Casanova prétend que malgré le petit air doux du prince (d. h. Lobkowitz), il a quand on l’examine bien, quelque chose d’atroce dans la phisionomie. Cas. dit qu’il a beaucoup d’esprit et que tout celui de sa jambe est remonté dans sa tête, comme un arbre pousse mieux d’un coté lorsqu’il est taglié de l’autre.

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eigenen Physiognomie auf seine Charaktereigenschaften zu schließen, dies wollte Casanova jedoch dem Beobachter überlassen: Er selbst enthielt sich eines Urteils.54 Bereits in der Antike waren mit Muttermalen besondere Eigenschaften verbunden worden, etwa, dass diese die „Gelüste“ (envies; voglie) der Mütter während der Schwangerschaft widerspiegelten. Während eines festlichen Diners in der Villa Medici in Rom im Jahre 1743 entbrannte zwischen Casanova, einem überzeugten Befürworter dieser Theorie, und dem kritischen Arzt und Botaniker Natale Salicetti (1714–1789), dem Leibarzt Papst Pius VI. (1717– 1799), ein eifriger Disput.55 Anhand von offen sichtbaren Muttermalen, etwa im Gesicht, glaubte man, auch auf diejenigen schließen zu können, die von der Kleidung verborgen waren.56 Da Casanova überzeugt war, die von ihm verehrte Esther, die ein ausgeprägtes Muttermal am Kinn hatte, besitze auch an der entsprechenden verdeckten Stelle ein adäquates,57 spielte er ihr bei einer kabbalistischen Sitzung die Frage zu. Die überraschte Esther konnte sich gar nicht erklären, woher ihr Gesprächspartner davon Kenntnis hätte haben können, ohne diese Stelle persönlich in Augenschein genommen zu haben. Mit entwaffnenden Argumenten lieferte ihr Casanova alsbald die passende Erklärung.58 Auch diese Beobachtung geht möglicherweise auf den Physiognomen Lavater zurück: Auf einer seltenen Lithographie ist das Portrait einer Dame zu sehen, die zwanzig envies im Gesicht und am Hals hat. Darunter werden diejenigen Bereiche des Körpers, der Arme, Brüste und Beine genannt, auf denen sich die entsprechenden Zeichen wiederholen sollten.59

54 HdmV 1, 6: Je laisse à autres à décider si le mien est bon ou mauvais, mais tel qu’il est il se laisse facilement voir par ma physionomie à tout connaiseur. 55 HdmV 1, 186–187. Der Naturforscher Natale Salicetti wurde 1756 päpstlicher Arzt in Rom und hatte zur gleichen Zeit eine Professur an der Universität inne. Nach seinem Tod 1789 äußerte sich die Allgemeine Literaturzeitung ( Jena, Intelligenzblatt 1789, Kolumne 510) über Salicettis spezielle therapeutische Methoden: So habe Salicetti meist zum Aderlass als Allheilmittel gegriffen, weshalb er zwar in Kritik geraten sei, aber durch diese Methode auch zahlreiche Menschen geheilt habe. Die Bibliothek Salicettis war für ihre bibliophilen Schätze berühmt (Catalogo della biblioteca della ch. me. di monsignore Natale Saliceti, archiatro di N. S. Papa Pio 6, Roma 1789). Vgl. zu Salicetti etwa M. Beretta / A. Tosi (Hrsg.), Linnaeus in Italy: The Spread of a Revolution in Science, Sagamore Beach 2007, 254; S. Roettgen, Anton Raphael Mengs: 1728–1779, München 2003, 456, Anm. 293. 56 HdmV 2, 231–250. Es handelt sich um „Esther d’O.“ in Amsterdam. 57 HdmV 2, 231. 58 HdmV 2, 249–250: Je lui ai alors communiqué toute la théorie de la correspondance des signes qui se trouvent sur le corps humain […]. 59 G. Gugitz, Casanova und sein Lebensroman, 223.

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Abb. 4 Phlegmatiker, Choleriker, Sanguiniker und Melancholiker nach Lavater

Nicht selten wurden Menschen mit spezifischen körperlichen Merkmalen auch besondere geistige Fähigkeiten zugeschrieben. So galten an Rachitis Erkrankte nach dem Glauben der Volksmedizin als besonders intelligent.60 1760 schrieb Casanova über seine Begegnung mit einer buckligen Schauspielerin: […] denn obwohl sie vorne und hinten einen gewaltigen Höcker hatte, war sie ungewöhnlich hoch aufgeschossen und wäre sicherlich sechs Fuss groß geworden, hätte die Rachitis sie nicht zu einer Verwachsenen gemacht. Dazu nahm ich an, dass sie wohl, wie alle Buckligen, recht klug war.61 Im Zeitalter der Aufklärung gesellte sich noch ein weiterer Aspekt zur traditionellen Humoralpathologie: die Erziehung. Der Charakter eines Menschen, geprägt durch Herz und Geist, hänge insbesondere von der Erziehung ab und könne deshalb auch verbessert werden; Fehler des Temperaments seien dagegen nicht mehr korrigierbar. Bei Casanova kommt dieser wesentliche Gedanke gleich im Vorwort der Histoire de ma vie zur Sprache.62 Jedoch 60 HdmV 1, 502: Rien d’ailleurs n’est si rare qu’un bossu bête. Tous les gens d’esprit n’étant pas bossus, et tous les bossus étant gens d’esprit, j’ai décidé depuis longtemps que ce n’est pas l’esprit qui donne la rachitis; mais la rachitis qui donne l’esprit. 61 GmL 7, 92. 62 HdmV 1, 5: Les défauts du tempérament sont incorrigibles, parce que le tempérament même est indépendant de nos forces; mais le caractère est autre chose. Ce qui le constitue est le cœur et l’esprit; et le tempérament y ayant très peu d’influence, il s’ensuit qu’il dépend de l’éducation, et qu’il est

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verweist Casanova in diesem Zusammenhang auch auf die untrennbare Einheit von Charakter und Physiognomie, offenbare sich doch in dieser der individuelle Charakter eines Menschen.63 Im Lauf des 18. Jahrhunderts wurde der Erziehung zunehmend Bedeutung beigemessen, um die Gestaltung einer Gesellschaft planbarer zu machen. Jean-Jacques Rousseaus Hauptwerk Émile (1762), in dem die fiktive Erziehung eines Jungen beschrieben wird, stellte einen Meilenstein in der Entwicklung der Pädagogik dar. Die Erziehung erfolgte bei Rousseau jedoch abgeschottet von jeglichen kulturellen Einflüssen: Ausschließlich die Natur sollte lenkend eingreifen. Der hervorzuhebende Ansatz Rousseaus, die Sprache als das primäre Medium pädagogischen Handelns zu etablieren, beeinflusste zahlreiche bedeutende Philosophen wie Johann Gottfried Herder und Alexander von Humboldt sowie Pädagogen wie Immanuel Kant und Johann Heinrich Pestalozzi. Casanova selbst war der Ansicht, das Klima habe eine viel größere Auswirkung auf den Charakter des Menschen als die Erziehung. Als er während eines Aufenthaltes in Neapel eine Vorstellung im Teatro San Carlo besuchte und dort die Bekanntschaft einiger Schöngeister machte, veranlasste ihn dies zu folgender Bemerkung: Ich lachte innerlich über die Leute, die nicht glauben wollten, dass der Geist einer Nation viel stärker vom Klima abhängt als von der Erziehung. Solche Kritiker müsste man nach Neapel schicken. Welch sprühender Geist! Wäre Boerhaave, der große Boerhaave, in Neapel gewesen, hätte er die Wirkung des Schwefels auf die Pflanzen, und offenkundiger noch auf die Tiere, besser erkannt. Nur hier genügt das Wasser, um eine Reihe von Krankheiten zu heilen, an denen man bei uns ohne die Künste der Apotheker sterben würde.64 Spielte Casanova an dieser Stelle vielleicht bewusst auf die Klimatheorie im L’ esprit des loix (1748) Montesquieus an? In der Tat hatte eine Klimaveränderung den jungen Casanova zumindest zeitweise von seinem Nasenbluten befreit und sich positiv auf seine geistige Entwicklung ausgewirkt. Eine ungünstige Luftveränderung konnte jedoch auch einen negativen Einfluss auf die Gesundheit haben. So sei etwa das Pariser Klima vielen italienischen Damen nicht zuträglich: Die Natur hatte diese einzigartige Frau (d. h. Silvia Balletti) um zehn Jahre ihres Lebens betrogen. Im Alter von sechzig Jahren magerte sie völlig ab, zehn Jahre, nachdem ich sie kennengelernt hatte. Das Klima von Paris setzt den italienischen Frauen manchmal in dieser Art zu.65 susceptible de corrections et de réforme. Casanova beschäftigte sich auch mit Pädagogik. In seinem Nachlass wurden mehrere Aufzeichnungen zu diesem Thema gefunden, vgl. HdmV 1, 1405–1426. 63 HdmV 1, 6: Ce n’est que là que le caractère de l’homme est un objet de la vue, car c’est son siège. Observons que les hommes qui n’ont pas de physionomie, et dont le nombre est très grand, n’ont pas non plus ce qu’on appelle un caractère. Par conséquent la diversité des physionomies sera égale à la diversité des caractères. 64 GmL 7, 257; vgl. zu Casanovas Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Klimatheorie L. Müller, Der Abenteurer, die Bücher und der Tod. Über Casanova, den Philosophen und Homme de Lettres (1725–1798), in: M. Kempter / L. Müller (Hrsg.), Giacomo Casanova. Über den Selbstmord und die Philosophen, Frankfurt a. M. / New York 1994, 38. 65 GmL 3, 160. Eine interessante Darstellung über die schlechte Luft (l’air vicié) in Paris gibt auch Louis-Sébastien Mercier in seinem Tableau de Paris (vgl. J. Kaplow (Hrsg.), Louis-Sé-

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Seit der Antike und verstärkt durch die Bibelauslegung der Kirchenväter66 war man überzeugt, dass zwischen den Geschlechtern nicht nur ein physiologischer Unterschied bestand. Seit Aristoteles galt das Männliche als aktive, formende Kraft, das Weibliche als passiver, empfangender und fruchtbarer „Nährboden“, wobei das weibliche Element mit Erde und Mond (Materie), das männliche mit Himmel und Sonne (Geist) gleichgesetzt wurde. Im 18. Jahrhundert wurde die lebhafte Diskussion über den Unterschied der Geschlechter wieder aufgegriffen. In den Fokus der medizintheoretischen Diskussion gerieten die „Weiberkrankheiten“,67 da man das Nervensystem von Frauen insgesamt als delikater und empfindsamer betrachtete, weshalb starke geistige Anspannung für das weibliche Geschlecht auch nicht geeignet sei.68 Dem weiblichen Temperament wurden besondere Eigenschaften zugeschrieben, da es von den Bewegungen des Uterus stark beeinflusst werde, der als ein unabhängig vom Gehirn existierendes Wesen galt, das im Körper der Frau umherwandere.69 Aus diesem Grund dürfe man, so die Nonne M. M.,70 Frauen auch ihre Launenhaftigkeit nicht zur Last legen, stehe doch der Uterus (matrice) mit dem Gehirn, also dem Sitz der Vernunft, in keinem Zusammenhang. Die Vernunft (raison) beziehe das Kind folglich nicht von der Mutter, sondern vom Vater.71 Frauen galten daher auch als besonders gefährdet, an Nymphomanie zu erkranken: 1786 begegnete Casanova in Spanien der Frau des Marquis de Villadrias (gest. nach 1773), die im Ruf stand, sich zur Nymphomanin zu entwickeln, wenn der fureur utérine sie ergriff.72

bastien Mercier. Le tableau de Paris, 39–44). 66 Platon, Timeus 91b; L. Beck (Hrsg.), Zur Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe. Aus Anlass des 100jährigen Bestehens der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Berlin 1986; M. O’Dowd / E. Phillip, The History of Obstetrics and Gynaecology, New York / London 1994; J. le Goff / N. Truong, Die Geschichte des Körpers im Mittelalter, Stuttgart 2003, 58–62. 67 E. Fischer-Homberger, Krankheit Frau und andere Arbeiten zur Medizingeschichte, Bern/Stuttgart 1979. 68 M. Stolberg, Homo patiens, 241–243. 69 M. Stolberg, Homo patiens, 226–227. 70 R. Selvatico, Note casanoviane – Suor M. M., Atti dell’Instituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti 142, 1983–84, 235–266. 71 HdmV 1, 765: Il (d. h. l’amant de M. M.) dit que la liqueur que nous autres femmes distillons ne peut pas partir du cerveau, la matrice n’ayant aucune correspondance avec le siège de l’entendement. D’où il s’ensuit, dit-il, que l’enfant n’est pas fils de la mère à l’égard du cerveau, qui est le siège de la raison; mais du père, et cela me semble vrai. Dans ce système la femme n’a que tout au plus la raison qui lui est nécessaire: il ne lui en reste pas pour en donner une dose au fœtus. 72 HdmV 3, 649–651: J’y ai vu la duchesse de Villadrias, fameuse pour son andromanie. Quand la fureur utérine la surprenait rien ne pouvait la retenir. Elle s’emparait de l’homme qui lui excitait l’instinct, et il devait la satisfaire. Cela lui était arrivé plusieurs fois dans des assemblées publiques, d’où les assistants avaient dû se sauver.

2.2 Theorien zur Ansteckung

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2.2 Theorien zur Ansteckung In der vormikrobiologischen Ära gab es verschiedene Theorien zur Entstehung von Krankheiten. Einerseits wurde ein Ungleichgewicht der Säfte für eine Erkrankung verantwortlich gemacht, andererseits glaubte man, dass Krankheitsstoffe, die bis in das Gehirn eindringen konnten, Krankheiten auszulösen vermochten. 1743 begegnete Casanova in Neapel einem schwergewichtigen Mann namens Gennaro Polo, der stets mit einem Lachen antwortete, auch wenn die Angelegenheit nicht zum Lustigsein anregte.73 Auf die erstaunte Frage Casanovas hierzu antwortete dieser, an einer Familienkrankheit, den flati,74 zu leiden. Nach Ansicht seines Arztes handele es sich dabei um eine Krankheit, die Hippokrates noch nicht in dieser Form gekannt habe, da diese affections hypocondriaques ihn nicht traurig, sondern fröhlich stimmen würden. Diese flati würden auf die Milz wirken, das nach damaliger medizinischer Vorstellung für das Lachen verantwortliche Organ. Lakonisch bemerkte Casanova, dass es sich hierbei keinesfalls um eine Entdeckung handele, da diese Vorstellung bereits sehr alt sei. Casanova spielte mit dieser Anekdote auf ein charakteristisches Krankheitskonzept des 18. Jahrhunderts an: Das griechische Wort für Milz (gr. splďn) bedeutet nämlich auch „schlechte Laune, Ärger“, da die Milz bereits in der Antike als Sitz des Gemüts und als Ursache für Hypochondrie („Milzsucht“) galt. Das Krankheitsbild der Hypochondrie, das ursprünglich im Oberbauch und der Milz lokalisiert und für „hypochondrische Schmerzen“ verantwortlich gemacht wurde (Koliken, Völle- und Spannungsgefühle, Veränderungen von Gemüt und Geist), überschnitt sich im 18. Jahrhundert zunehmend mit dem neuen Krankheitsbild der vapeurs.75 Unter vapores wurden nach galenischer Vorstellung ursprünglich aus dem Bauchraum aufsteigende Dämpfe und Dünste verstanden, die für Krankheiten mit einer spezifischen Symptomatik verantwortlich sein sollten, darunter Beschwerden im Bauchraum, Brustenge, Atemnot und Kopfweh bis hin zu Veränderungen des Gemütszustandes. Eine weitverbreitete Vorstellung der vormikrobiologischen Ära Ansteckung zu erklären, war das miasma, der „Hauch“ oder die Existenz eines bestimmten Erregers als Ansteckungsstoff (contagion).76 Auch Casanova war überzeugt, dass Krankheitsstoffe durch die Luft als Trägersubstanz übertragen werden könnten.77 1743 bemerkte er als junger Abate, die Luft Kalabriens

73 HdmV 1,167–169. 74 Gemeint sind schädliche Dämpfe, die bis ins Gehirn aufsteigen können. 75 M. Stolberg, Homo patiens, 222–223. 76 G. Penso, La conquête du monde invisible: parasite et microbes à travers les siècles, Paris 1981; M. Stolberg, Homo patiens, 61, 158–162; K.-H. Leven, Miasma und Metadosis. Antike Vorstellungen von Ansteckung, MedGG 11, 1992, 43–72; D. Kihli-Sagols, Un „Mauvais Air“, Intermédiaire des Casanovistes 22, 2005, 27–32. 77 HdmV 1, 82: Nanette se lèva pour porter dehors la chandelle, qui mourant en notre présence nous aurait infectés.

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2 Medizin und medizinische Praxis im 18. Jahrhundert

würde Lungenerkrankungen begünstigen.78 Auch der für die medizinische Versorgung in den Piombi verantwortliche Arzt warnte den Gefangenen ausdrücklich, dass die staubige Luft in den berüchtigten Gefängnissen tödlich sein könnte.79 Um eine Ansteckung durch die Luft zu vermeiden, riet Casanova seiner Brieffreundin Francesca Buschini, die Fenster gut geschlossen zu halten, damit das Fieber nicht hereinkomme und sie anstecke.80 Krankmachende Luft wurde anscheinend auch bewusst als Strafe eingesetzt. Im vierten Buch der Histoire de ma vie erwähnt Casanova die inzestuöse Beziehung des nobile Zuan Antonio Gritti (1702–1768), genannt il sgombro (die Makrele), der 1768 wegen Missbrauchs an einem seiner Söhne nach Cattaro verbannt wurde.81 Der Fall kam erst ans Licht, nachdem sich der Sohn einem Wundarzt hatte anvertrauen müssen. In der Zitadelle von Cattaro wurde der tyrannische Vater, so Casanova, vom „Pesthauch“ umgebracht, den man dort einatme. Die Wirkung der Luft sei den Staatsinquisitoren bekannt, weshalb nur diejenigen Venezianer dorthin geschickt werden würden, bei denen die Staatsraison eine öffentliche Verhandlung und eine eventuelle Hinrichtung nicht gestatte.82 2.3 Besondere Heilkonzepte Zu den charakteristischsten Veränderungen auf medizinischem Gebiet gehörten im 18. Jahrhundert besondere Heilkonzepte, darunter die elektrische Medizin.83 Bereits um 1600 diskutierte der englische Naturforscher Wiliam Gilbert (1544–1603) in seinem Werk Tractatus, sive physiologia nova de magnete, magneticisque corporibus et de magno magnete tellure. Sex libris comprehensus (1600) die durch Reibung bestimmter Körper hervorgerufene Anziehungskraft. 1729 entdeckte schließlich der Physiker Stephen Gray (1666–1736) die Phänomene der elektrischen Übertragung durch „leitende Körper“, und um 1730 wurde erstmals eine Elektrisiermaschine entwickelt. Mithilfe eines Glaszylinders, angetrieben von einem Schwungrad, konnte hierbei Reibungsenergie erzeugt werden. Therapeutische Maßnahmen mithilfe des „elektrischen Feuers“ wurden

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HdmV 1, 133: […] car dans l’air gras de la Calabre le trop d’application pourrait me faire devenir poumonique. 79 HdmV 1, 888: […] et il conta qu’un jeune perruquier venait de mourir de la poitrine par cette raison, car, selon lui, la poussière aspirée ne s’expirait jamais. Möglicherweise handelte es sich um den erst fünfundzwanzigjährigen Giacomo Gobbato (verstorben am 25. November 1755). 80 Marr 8–189 (14. Januar 1784): vi ringrazio del bon aviso che mi date di tener la finestra dela mia camera serata ma credetimi che la febre non mi è venuta per aver tenuto la finestra aperta poiche adeso che ze fredo per lo piu la tengo senpre serata, poiche fa molto fredo. 81 Annotazione vom 16. April 1768 (HdmV 1, 1047). 82 HdmV 1, 707: Les Inquisiteurs d’État envoyèrent ce père tyran à la citadelle de Cataro où il mourut au bout de l’an empoisonné par l’air qu’on y respire. 83 H. Schott, Heilkräfte aus der Maschine: Elektrische und magnetische Kuren im 18. Jahrhundert, Gesnerus 44, 1987, 55–66.

2.3 Besondere Heilkonzepte

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bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts praktiziert.84 Zwischen 1733 und 1745 bewies der Franzose Charles François de Cisternay (1698–1739) als Erster, dass auch der Mensch „leitfähig“ sei und für die Philosophen wurde die Elektrizität die Entdeckung des „Atems des Lebens“. In den Salons und gelehrten Zirkeln faszinierten die elektrischen Experimente, die der Abbé JeanAntoine Nollet (1700–1770)85 der neugierigen Öffentlichkeit präsentierte, und man fragte sich, ob ein solcher Funke nicht auch die Sinne entzünden könnte. Man stritt sich regelrecht darum, einen „elektrischen Schlag“ zu bekommen, und diskutierte darüber, ob ein Mann eigentlich „intakt“ sein müsse, damit diese Experimente erfolgreich sein konnten. Eine Überlegung, die schließlich an Kastraten widerlegt wurde. Es war somit nur ein kleiner Schritt zu der Überlegung, ob die Elektrizität nicht auch therapeutische Wirkung haben könnte. In den 1780er Jahren unternahm etwa der schottische Arzt und Scharlatan James Graham (1754–1794) in London diverse Therapieversuche mit elektrischer Medizin.86 Graham versprach ein langes Leben und sexuelle Verjüngung mittels Schlammbädern und einem speziellen elektrischen Himmelbett, welches sich in seinem Tempel der Gesundheit in der Nähe des Strand in London befand. Auch Casanovas Freund und Vertrauter Max Lamberg (1729– 1792) schrieb in einem Brief vom 21. April 1784, Graham wolle Frauen durch Schlafen auf diesem elektrisierten Bett zu mehr Fruchtbarkeit verhelfen.87 Als ein weiteres Faszinosum des 18. Jahrhunderts gilt der Magnestismus.88 Der bekannteste Magnetiseur war der Theologe und Arzt Friedrich Anton Mesmer (1734–1815), der mit Hilfe eines Stöckchens den Körper abtastete.89 Seine Lehren bildeten ein verwinkeltes Durcheinander verschiedener Wissensbereiche. Mesmer versuchte bereits 1766 in seiner Dissertationsschrift (Dissertatio physico-medica de planetarum influxu) zu beweisen, dass die Planeten einen starken Einfluss auf das menschliche Befinden hätten. Weiterhin vertrat er die These, dass die Kraft des Magneten dem durch die Sterne auf die Menschen wirkenden fluidum vergleichbar sei (Mémoire sur la découverte du magnetisme animal, 1778). Magnete spielen zwar auch in Casanovas phantastischem 84 J. Heilbron, Electricity in the 17th and 18th Centuries. A Study of Early Modern Physics, Berkeley / Los Angeles / London 1979; M. Brazier, A History of Neurophysiology in the 17th and 18th Centuries. From Concept to Experiment, New York 1984; H. Schott (Hrsg.), Der sympathetische Arzt, 219–231. 85 Leçons de physique expérimentale (1743). 86 A. Hirsch, Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Wien/Leipzig 1884, Band 2, 825; L. Syson, Doctor of Love: James Graham and his Celestial Bed, London 2008. 87 Marr 2–38 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, Wien 1935, 53): Vous m’avez écrit il y a du tems que vous iriez à Londres; y auriez vous connû un certain médecin qui rend les femmes fertiles en les faisant coucher dans un lit électrisé, posé dans une sale ou tout ce que la volupté a de plus attrayant s’y manifeste et y respire. 88 H. Schott (Hrsg.), Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus, Stuttgart 1985. 89 „Die Methode des Herrn Mesmer“ war in Frankreich außerordentlich populär. In den Aventures du Chevalier Faublas (Band 1, 161) macht Jean-Baptiste Louvet de Couvray den Arzt zutiefst lächerlich. Von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1790) wurde Mesmer in Così fan tutte ossia La scuola degli amanti (1791) parodiert.

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2 Medizin und medizinische Praxis im 18. Jahrhundert

Roman Icosameron eine große Rolle, jedoch ist unbekannt, ob er sich selbst je magnetischen Kuren als therapeutischem Mittel unterzog. 2.4 Therapeutika Trotz eines besser entwickelten Gesundheitsystems, das von den Behörden gefördert und von der medizinischen Akademie unterstützt wurde, einer gezielteren Ausbildung des medizinischen Nachwuches und Bemühungen um ein größeres Hygienebewusstsein bei der Bevölkerung, spielte die Volksmedizin insbesondere im ländlichen Bereich noch eine prominente Rolle. Nicht selten stießen die Therapeutika studierter Ärzte dort sogar auf ausdrückliche Ablehnung, und man bevorzugte seit Generationen bewährte Hausmittel. Im Laufe der Arzneimittelreform in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Heilmittel, deren Wirksamkeit nicht erwiesen war, zwar nach und nach verdrängt, jedoch war die Anwendung sympathetischer und magischer Therapeutika noch immer weit verbreitet. Dem Arzt standen so neben pflanzlichen Drogen (Galenica) auch Chemiatrica (Spagyrica) zur Verfügung, die nach der Devise contraria contrariis therapieren sollten. Dabei wurden die bereits von Paracelsus eingeführten Metalle wie Antimon, Quecksilber, Schwefel, Eisen oder Opium verwendet. Auch viele renommierte Ärzte90 boten solche „Geheimmittel“ (Arcana) an, deren genaue Zusammensetzung unbekannt war. Zunehmender Popularität erfreute sich im 19. Jahrhundert auch die Homöopathie Samuel Hahnemanns (1755–1843) die nach dem Prinzip similia similibus verfuhr und als einzige medizinische „Mode“ des 18. Jahrhunderts bis heute angewendet wird.91 Sehr gefragt war noch immer das Universalmittel Theriak.92 Venedig galt in der Renaissance als bekannteste Fabrikationsstätte für Theriak, das noch bis Ende des 19. Jahrhunderts als Heilmittel gegen venerische Krankheiten und viele andere Gebrechen eingesetzt wurde.93 In Filippo Pasinis mehrere tau90 Etwa der Hallenser Arzt Georg Stahl (1660–1734), der „balsamische Pillen“ vertrieb. 91 R. Jütte, Samuel Hahnemann. Begründer der Homöopathie, München 2005. 92 Es bestand aus einer Mischung diverser Kräuter, darunter Anis, Fenchelsamen und Kümmel. Das Rezept des Theriaks war ursprünglich auf den Mauern des Asklepiostempels auf der Insel Kos eingemeißelt gewesen. Die erste schriftliche Erwähnung stammt von dem griechischen Arzt Nikandros aus Kolophon (ca. 170 v. Chr.). Durch Mithridates VI. Eupator (132 v. Chr.–63 v. Chr.) wurde die Rezeptur auf vierundfünfzig Inhaltsstoffe erweitert. Später wurde diese Zusammenstellung auch um Opium ergänzt. Von mehreren römischen Kaisern wurde Theriak aus Angst vor Giftanschlägen zur Immunisierung eingenommen. Im Mittelalter wurde Theriak, die „Himmelsarznei“, als universelles Wundermittel eingesetzt und sowohl in Apotheken als auch von umherziehenden „Quacksalbern“ verkauft. Vgl. zum Theriak ausführlich Th. Holsten, Der Theriakkrämer. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Arzneimittelwerbung, Pattensen/Hannover 1976; M. Stössl, Lo spettacolo della Triaca. Produzione e promozione della „Droga Divina“ a Venezia dal Cinque al Settecento, Stuttgart 1998. 93 C.-Ch. von Kospoth / R. Münster (Hrsg.), Otto Carl Erdmann von Kospoth. Von Berlin nach Venedig. Tagebuch einer musikalischen Reise im Jahre 1783, Weißenhorn 2006 (3. Oktober

2.5 Bäder- und Trinkkuren

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send Seiten umfassenden Tagebuch über seinen unfreiwilligen Aufenthalt in den Piombi94 finden sich zahlreiche Bemerkungen darüber, ob das eingenommene Theriak wirkungsvoll gewesen sei oder nicht.95 Casanova muss letztendlich gewusst haben, dass es sich beim Theriak um ein Heilmittel mit begrenzter therapeutischer Wirkung handelte, an dem lediglich der Apotheker oder der Arzt verdiente: 1760 bot ihm in Augsburg der Komödiant Bassi96 Theriak zum Wiederverkauf an. Da Casanova vorgegeben hatte, von Beruf Arzt zu sein,97 riet ihm Bassi, das Theriak für zwei Florin pro Livre98 zu verkaufen, obwohl die Herstellung gerade vier Gros99 koste. Wie genau Theriak zur Zeit Casanovas in Venedig hergestellt wurde, wird aus einem Codex des Collegium medicum ersichtlich, der heute in der Biblioteca Marciana aufbewahrt wird.100 Dort ist die Zubereitung dieses Therapeutikums im Jahre 1787 in der Spezieria del Dose in San Sepolcro, die einem gewissen Vincenzo Varè gehörte, ausführlich beschrieben. Dieses Dokument zeigt zugleich, welche rigiden administrativen Auflagen mit der Theriak-Herstellung verbunden waren.101 2.5 Bäder- und Trinkkuren Obwohl die heilende Wirkung des Wassers bereits in der Antike102 hochgeschätzt wurde, setzten erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts wissenschaftliche Analysen zur Heilkraft des Wassers ein. Die Mode, während der Sommerfrische Bäderkuren zu unternehmen, war jedoch nicht ausschließlich auf den medizinischen Fortschritt zurückzuführen. Man entwickelte Freude an langen Fußmärschen, die den Menschen der Natur näherbrachte und zu einem einzigartigen Naturgefühl führen sollte. In Form von Bäderkuren sollte Wasser insbesondere bei Hypochondrie und Nervenerkrankungen helfen.103 Im Nachlass Casanovas, insbesondere seiner Korrespondenz, gibt es zahlreiche

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1783): Von da ab gingen wir alle ins Casin der Donna, weil ich aber starkes Kopfweh hatte, ging nach hauß, nahm ein wenig Theriack, soupirte nichts, und legte mich gleich zu Bette. ASV, Inquisitori di stato, b. 1209, 1210, 1211, 1212. […] notte passata con qualche quiete à forza di Triacca, che ebbe efetto. Casanova hatte mit dem Komödianten Bassi am Seminar von San Cipriano in Venedig studiert. HdmV 2, 723–724: Lorsqu’il me demanda quel métier je faisais le caprice me fit lui répondre que j’étais médecin – Ce métier vaut bien mieux que le mien, me dit-il, et je suis hereux de pouvoir vous faire un présent d’importance. Möglicherweise sind zwei Gulden pro Pfund gemeint. Vielleicht Groschen. P. Falchetta, La preparazione della triaca, in: N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Dalla scienza medica alla pratica dei corpi, Padova 1993, 178–182. P. Falchetta, La preparazione della triaca, 182. K.-H. Leven (Hrsg.), Antike Medizin. Ein Lexikon, München 2005, 914 (Lit.). V. Krizek, Kulturgeschichte des Heilbades, Stuttgart 1990; R. Porter, The Medical History of Waters and Spas, London 1990; S. Hähner-Rombach (Hrsg.), „Ohne Wasser ist kein Heil“. Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser, Stuttgart 2005.

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2 Medizin und medizinische Praxis im 18. Jahrhundert

Hinweise auf diverse Bäderkuren: 1779 weilte er zu einer kurzen Kur in Abano Terme, südlich von Padua, wo er sich in einer medizinischen Notiz über die besonderen Heilkräfte des Wassers äußerte, die durch den paduanischen Arzt Rivier de’Basegi entdeckt worden seien.104 Zu den bekanntesten Kurbädern, die Casanova regelmäßig besuchte, gehörte neben Spa im heutigen Belgien auch Karlsbad in Böhmen. Als Casanova in Dux als Bibliothekar tätig war, fuhr er ebenso wie sein Freund Friedrich Karl von König (ca. 1752–1839) oft dorthin, um sich einer Bäderkur zu unterziehen. Vielleicht ließ er sich diese Kuren von einem Arzt namens Karl Wenzel Ambrosi verschreiben, der als Arzt in den Bädern von Töplitz tätig war.105 Dass sich ein Aufenthalt in einem Kurbad aber auch sehr langweilig gestalten konnte, erfahren wir aus der Korrespondenz Giacomo Casanovas mit Pierre Ratzenbeck, einem Armeearzt in Prag (1795).106 Der möglicherweise durch die Strapazen der Reise erkrankte Ratzenbeck107 hatte sich zu einer Bäderkur begeben und wollte bei dieser Gelegenheit auch alle kompetenten Ärzte konsultieren, um einem Bekannten namens Franckenbusch eine optimale Behandlung angedeihen zu lassen.108 In seinem zweiten Brief vom 21. Juli berichtete Ratzenbeck jedoch, er habe Karlsbad so schnell wie möglich verlassen, da ihm die Scharlatanerie der Ärzte und das monotone Leben dort nicht gefallen hätten.109 Auch habe er ein wirksameres Heilmittel gegen seine Erkrankung gefunden: die Beschäftigung. Diese sei nämlich das beste Therapeutikum, genauso wie Casanova es ihm

104 Marr 4–8: Nei colli Euganei nella villa di S. Georgio di Valle nel comun di Val di sopra dell’Aba si trova un monte chiamato Spizzigion dal quale scaturisce strillante in copia grande di gorcie un acqua limpidissima, freddissima, leggera più che la Nocera, ottima al gusto, che non depone, che all’analisi abbonda di sali dolci, color azzurro celestino in poca copia, il che indica, ben che depuratissima, una parte vitriolitica dolce con un poco di mercuriale [?]. Quest’acqua purge per secesso, e per urina. Fu utile ad inclinati alle tisi, inviò mestrui sospesi, si può prendere senza osservar niuna regola. Bäderkuren waren im Veneto seit dem 15. Jahrhundert äußerst populär, vgl. etwa Michele Savonarolas De balneis e thermis (1485) oder Bartolomeo Montagnanas Tractatus de balneis patavinis (1440); hierzu G. Ongaro, La medicina nello studio di Padova e nel Veneto, Storia della Cultura Veneta 3/III, Vicenza 1981, 75–134, bes. 75–88; K. Bergdolt, La vita sobria – Gesundheitsphilosophie und Krankheitsprophylaxe im Venedig des 16. Jahrhunderts, MedGG 11, 1992, 25–42. 105 Marr 39–1: Mais vous avez dû l’exclure de la table le jour que vous avez invité le docteur Ambrosi. Vous n’avez pas eu cet egard pour le docteur O-Reilli, ni pour le commissaire. 106 Marr 14G1–4, vom 7. Juli [1]795, vom 21. Juli [1]795, vom 28. Juli und vom 8. August 1795. 107 […] je me console cependant de l’esperance de recouvrer entièrement ma santé, mais au moment que j’arrive, le tems devient si mauvais, qu’on me déconseille l’usage des eaux. j’en aurois pourtant plus besoin dans ce moment que jamais, car le chagrin, que la maladresse et l’inexperience de mon cocher m’ont donné et la rude saison ont tellement alteré ma santé, que de soidisant malade je le suis devenu réellement. 108 Après la consultation de tous les habiles medecins que j’ai rencontré, il en resulte, que, à en juger d’après tous les simptomes, qu’il m’a indiqués, sa maladie paroit provenir d’une scirhosité de l’orifice superieure de l’estomac, et qu’en ce cas aucune eau minerale ne lui conviendroit […]. 109 Outré de l’ignorance et de la charlatanerie des medecins, ennuyé de la roideur et de l’insipidité monotone des gens que j’y rencontrois, je pris mon parti, et je suis retourné ici sans bien savoir comment.

2.5 Bäder- und Trinkkuren

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geraten habe.110 Über die drohende Langeweile in den Kurbädern berichtet auch Johann Wolfgang von Goethe, der Karlsbad regelmäßig besuchte, sei es nun wegen Magen-Darm-Beschwerden oder rheumatischen Übeln. Für Abwechslung sorge dabei die Erkundung der Natur und ein „Kurschatten“: eine kleine Liebschaft [als] das einzige, was uns einen Badeaufenthalt erträglich machen kann; sonst stirbt man vor langer Weile.111 Während der Bäderkuren wurden Bade- sowie Trinkkuren (Hydrotherapie) angeboten. Auch Wasser aus bestimmten Flüssen galt häufig als wirksames Therapeutikum gegen vielerlei Leiden.112 Als Giacomo Casanova während seines Aufenthaltes in Russland an einer Analfistel erkrankte,113 riet ihm der rund achtzigjährige Arzt Damian Sinopeus zum Genuss von Wasser aus dem Fluss Neva, da dieses bei einer derartigen Erkrankung, die übrigens in dieser Gegend häufig anzutreffen sei, bereits hervorragende Wirkung gezeigt habe.114 Weit verbreitet waren auch heilbringende Wasser wie jenes von Thomas Goulard (1697– ca. 1784), Professor für Chirurgie in Montpellier, bei dem es sich um ein acqua saturnina (weißes Wasser) handelte, also eine Mischung auf Basis von Bleioxid.115 Simone Stratico (1733–1824), Professor für Medizin in Padua, schrieb an Casanova aus Neapel am 25. Juni 1771, dass er dieses Wasser sowie eine Pomade von Goulard wegen des therapeutischen Erfolgs regelmäßig verwende.116 In der Histoire de ma vie erwähnt Casanova noch ein weiteres Wunderwasser, ebenfalls eine weißliche Flüssigkeit, die er 1760 von dem „Russen“ Charles Iwanoff117 erhalten habe: Bei Tisch spricht man von seinem Wunderwasser. Monsieur Morin erzählte mir, er habe damit innerhalb von drei Minuten eine Platzwunde an der Stirn eines jungen Mannes zum Verschwinden gebracht; eine abprallende Kugel hätte diesen getroffen, dass man glaubte, der Knochen sei gebrochen. Der Russe habe die Wunde nur mit seinem Wasser behandelt. Dieser sagte bescheiden, die Mischung sei nicht des Erwähnens wert, und sprach mit Valengart118 viel über Chemie.119 110 Je me suis persuadé que l’occupation et l’activité sont les meilleurs remèdes contre ma maladie, et que vous n’aviés pas si tort en la qualifiant de paresse ou d’engourdissement d’esprit. […] Vous n’avés pas d’idée, Monsieur, de la haine que les medecins m’ont inspirée. 111 E. Beutler (Hrsg.), Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Zürich 1948 ff., Band 24, 761. 112 Davon berichtet bereits Plinius in der Naturgeschichte 5 : 92 (der Fluss Kydnos soll heilende Kräfte haben) und Naturgeschichte 31 : 11. 113 HdmV 3, 415–416. Dieses Leiden sollte Casanova die nächsten Jahre noch häufiger belasten. 114 La fistule complète à l’anus était une maladie fort commune par toute la province où l’on buvait l’eau excellente de la Nèva qui avait la faculté de purifier le corps en forçant les mauvaises humeurs à en sortir. 115 Sein wichtigstes Werk, der Traité sur l’effets des préparations de plomb, et principalement de l’extrait de saturne, employé sous différentes maladies chirurgicales (1760) wurde mehrfach aufgelegt und übersetzt. 116 Marr 14L31; F. Luccichenti, Simone Stratico. Lettere a Casanova, Roma 1992, 33. 117 Es handelt sich wohl um Carl von Kurland (geboren ca. 1732), der in vielen zeitgenössischen Dokumenten erwähnt wird. 118 Baron François Léonard Valanguard (Valengard), Offizier der Lorraine (Grenoble 1760). 119 GmL 7, 68.

3 Kindheit und Jugend in Venedig – erste medizinische Erfahrungen und Beobachtungen 3.1 Das kränkliche Kind Giacomo Casanova war ein kränkliches Kind; in unregelmäßigen Abständen litt der Knabe an starkem Nasenbluten, Schwächezuständen und Appetitlosigkeit, und es bereitete ihm außerordentliche Mühe, sich über längere Zeit mit einer Angelegenheit intensiver zu beschäftigen. Die Ärzte hatten bereits jede Hoffnung aufgegeben und prognostizierten nur ein kurzes Leben, waren sich jedoch nicht einig, was nun eigentlich die Ursache für diese rätselhaften Blutungen sein könnte: Die Ärzte stritten sich über die Ursache meiner Krankheit. „Er verliert jede Woche zwei Pfund Blut“, meinten sie, „und er kann doch nur sechzehn bis achtzehn haben. Wie kann es dann zu einer so übermäßigen Blutbildung kommen?“ Der eine meinte, mein ganzer Milchsaft1 werde zu Blut; ein anderer behauptete, die Luft, die ich einatme, müsse bei jedem Atemzug in meinen Lungen das Blut um einiges vermehren, und aus diesem Grund hielt ich den Mund ständig offen.2 Wie prägend diese Zeit für den jungen Casanova gewesen sein muss, macht folgende Bemerkung im Précis de ma vie nur allzu deutlich: Bis zum Alter von achteinhalb Jahren war ich stumpfsinnig. Nachdem ich ein drei Monate lang anhaltendes Nasenbluten überwunden hatte, schickte man mich nach Padua, wo ich mich, von der Blödheit geheilt, dem Studium widmete.3 Ein Freund der Familie, der venezianische Dichter Giorgio Baffo (1694– 1768),4 hatte jedoch inzwischen brieflich den paduanischen Arzt Alexander Knipps-Macoppe (1662–1744) konsultiert, ihm die beunruhigenden Symptome ausführlich geschildert und um einen fachlichen Rat gebeten. Der Arzt teilte Baffo seine Diagnose umgehend schriftlich mit und riet zu einer Luftveränderung, um das Blut zu verdünnen: In diesem Schreiben, das ich noch besitze, steht, unser Blut sei eine elastische Flüssigkeit, die mehr oder weniger dicht sein könne, 1

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Im Original (HdmV 1, 20) steht chyle. Gemeint ist das in (Pflanzen-) Organismen gebildete flüssige Sekret, das u. a. im Pflanzenkörper in Milchröhren gebildet und transportiert wird. Die Bezeichnung Milchsaft bezieht sich auf das milchig-trübe Aussehen. In der menschlichen Anatomie bezeichnet die chyle den durch Fettgehalt milchig trüb aussehenden Inhalt der Lymphgefäße (des Darms, im Ductus thoracius). Vgl. zu einer zeitgenössischen Definition der chyle J. Millar, Encylopaedia britannica, 2London 1810, Band 1, 735. In Lana Caprina, 66, beschreibt Casanova ausführlich den Lymphtransport vom Bauchraum über den Ductus thoracius: […] et qui (d. h. les médecins) n’ayant pas vieilli dans les études anatomiques, ne peuvent savoir que les parties les plus subtiles du chyle passent des intestins dans les vaisseaux lactés (d. h. die Lymphgefäße), et successivement dans le réservoir du chyle, dans le canal thoracique, dans la veine sous-clavière, dans la veine cave, dans le ventricule droit du cœur, dans l’artère pulmonaire, et de là dans la veine du même nom, dans le ventricule gauche du cœur et dans l’aorte. GmL 1, 86. Marr 21–1(HdmV 3, 1229): Je fus imbecille jusqu’à huit ans et demi. Après un hemoragie de trois mois on m’a envoyé à Padoue, oû gueri de l’imbecillité je me suis adonné à l’etude; Übersetzung nach E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Vermischte Schriften, 407. HdmV 1, 961–962.

3.1 Das kränkliche Kind

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nie aber ihre Menge verändern würde, und meine Blutungen kämen gewiss nur von der Dickflüssigkeit des Stoffes. Dieser schaffe sich auf natürlichem Weg Erleichterung, um den Kreislauf zu entlasten. Ich wäre bereits tot, wenn die Natur, die ja leben wolle, sich nicht selbst geholfen hätte. Er schloß daraus, dass die Ursache dieser Dickflüssigkeit in der Luft zu suchen sei, die ich atmete. Man müsse mir eine Luftveränderung verschaffen oder sich mit dem Gedanken vertraut machen, mich zu verlieren. Seiner Ansicht nach war die Dicke meines Blutes auch die Ursache des stumpfsinnigen Ausdrucks, den mein Gesicht zeigte.5 Der ursprünglich aus einer in Köln beheimateten Familie stammende Alexander Knipps-Macoppe6 war als angesehener Professor für Medizin in Padua tätig und genoß einen ausgezeichneten wissenschaftlichen Ruf. Nach seiner Promotion 1681 war Knipps-Macoppe erst als Arzt in Venedig tätig gewesen und wurde schließlich Leibarzt des Prinzen Alessandro Farnese (1635–1689), des Flottenkommandeurs der Republik Venedig. Der umfassend interessierte Arzt bereiste ganz Europa und verbrachte zwei Jahre in Montpellier, wo er sich mit Chemie und Pharmakologie beschäftigte. 1703 kehrte er schließlich nach Padua zurück und wurde zunächst Professor für Pharmazie (ad lecturam simplicium) und 1716 Professor für theoretische Medizin (medicina teoretica ordinaria). Als ausgewiesener Empiriker war Knipps-Macoppe der Ansicht, Diät und Wasser seien die besten Therapeutika. Bei der Behandlung von Syphilis favorisierte er dagegen den weitverbreiteten Einsatz von Quecksilber. Er verfasste zahlreiche medizinische Abhandlungen, darunter über den Aortenpolypen7 und eine Schrift über die empirische Medizin.8 Insbesondere seine Aphorismen wurden in ganz Europa geschätzt.9 Das herausragende medizinische Wissen des paduanischen Arztes muss den jungen Casanova damals stark beeindruckt haben, denn noch in der Jahrzehnte später entstandenen Confutazione nahm er auf diesen Arzt Bezug und gab folgende Anekdote zum Besten: Alexander Knipps-Macoppe habe jedem ratsuchenden Patienten versichert, er würde ihn heilen, da dies nicht seine letzte Krankheit sei!10 Am 2. April 1734, seinem neunten Geburtstag, wurde der junge Venezianer über den Brentakanal nach Padua gebracht und bei einer Slawonierin namens Mme Mida in Pension gegeben. Die Beschreibung der verheerenden hygienischen Zustände dieser Unterkunft ist eine der wenigen Schilderungen

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GmL 1, 86. A. Hirsch, Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte, Band 3, 558–559; DBI (online), s. v. a. „Alessandro Knips Macoppe“; J. Forrester, Case reports, British Museum Journal 311, 1995, 1694–1696; G. Ongaro, Alessandro Knips Macoppe, in: S. Casellotto / L. S. Rea (Hrsg.), Professori e scienziati a Padova nel Settecento, Treviso 2002, 465–467. De aortae polypo epistola medica praeclarissimo, ac eruditissimo viro Carolo Patino (1694). Pro empirica secta adversus theoriam Medicam (1717). Aphorismi medico-politici centum (1795); neu editiert von T. Berti (Hrsg.), Centum aphorismi medico-politici di Alexandri Knips Macoppe, Padova 1991. Confutazione II, 184: Macop istesso, che sopraccennati, quando qualche ammalato di premura lo mandava a chiamare, soleva entrare nella stanza dell’infermo dicendo queste parole: Ammalato mio consolatevi, e state sicuro, che se la malattia, che vi opprime, non è la vostra ultima, vi guarirò.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

zum Thema Hygiene11 in der Histoire de ma vie: Die Pensionäre mussten mit einem Holzlöffel die widrigen Mahlzeiten zu sich nehmen und aus dem gleichen irdenen Krug trinken. Im Bett plagten den Knaben Flöhe, Wanzen und Läuse. Umherlaufende Ratten liessen ihn nachts kein Auge schließen. Der englische Kupferstecher Thomas Rowlandson (1756–1827) hat in einer Karikatur mit dem vielsagenden Titel A summer night’s amusement (1811) treffend eine vergleichbare Szene dargestellt, in der mit Schlafrock und Nachtmütze ausgestattete „Nachtwandler“ Jagd auf Bettwanzen machen.12 Eine erotische Konnotation erhält schließlich die in der Gouache Die Flohsucherin von Nicolas Lavreince (1737–1807) dargestellte Szene im Stil der holländischen Genremalerei: Eine junge Frau sucht in ihrem Nachtgewand nach einem Floh und entblößt dabei einen Großteil ihres Busens.13 Ein Floh spielt daher auch eine wichtige Rolle in den „Liebestaten“ des Vicomte de Nantel (Les faits et gestes du Vicomte de Nantel): Ein Floh wollte Madame Dupont oberhalb des Knies beißen. Sie suchte ihn, ich folgte ihr dabei, das Insekt ergriff die Flucht, wir beide hinterher […] Meine Hand entfernte sich dabei zufällig so weit vom Knie, wie das Knie vom Unterschenkel entfernt ist.14 Aufgrund der mangelnden Hygiene waren Parasiten in allen Gesellschaftsschichten im 18. Jahrhundert weit verbreitet,15 weshalb der wohlhabende Perückenträger häufig „Flohfallen“ in seiner Perücke unterbrachte,16 die mit Blut bestückt waren und Flöhe anlocken sollten. Ungezieferbefall wurde noch immer als Folge von Säfteüberschuss interpretiert und nicht mit Hygienemangel in Verbindung gebracht.17 Möglicherweise hielt auch Casanova ein derart verbreitetes Leiden nicht für erwähnenswert, da jeder (mehr oder weniger) damit zu kämpfen hatte. Ein Floh wurde einfach zertreten18 oder als notwendiges Übel angesehen, das man ertragen musste.19 Nur an wenigen Stellen in der Histoire de ma vie beklagt sich Casanova daher ausdrücklich über Ungeziefer, etwa bei seiner Festsetzung in den Piombi und während eines erneuten Gefängnisaufenthaltes im ehemaligen Königspalast Buen Retiro in Barcelona. 11

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R. Löneke / I. Spieker (Hrsg.), Reinliche Leiber, schmutzige Geschäfte. Körperhygiene und Reinlichkeitsvorstellungen in zwei Jahrhunderten, Göttingen 1996; G. Vigarello, Wasser und Seife, Puder und Parfum. Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter, Frankfurt a. M. 1988; zur Hygiene in Versailles W. R. Newton, Hinter den Fassaden von Versailles. Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hofe des Sonnenkönigs, Berlin 2008. J. Busvine, Insects, Hygiene and History, London 1976, 80–81. Kunst und Wissenschaft, Geist und Galanterie im 18. Jahrhundert, 231 (mit Literatur). H. Leonhardt (Hrsg.), Die Liebestaten des Vicomte de Nantel, Hamburg 1964, 36–37. J. Busvine, Insects, 75–82. E. S. Turner berichtete, seine Laus sei im Diner König Georges III. gefunden worden. Rowlandson hielt auch diese Szene in einer Gravur fest, vgl. J. Busvine, Insects, 76–77. Auch Samuel Pepys berichtet in seinem Tagebuch (18. Juli 1664 und 27. März 1667), er habe seine verlauste Perücke dem Perückenmacher (periwigg maker) zum Reinigen gebracht. G.Vigarello, Wasser und Seife, 54 f. E. von Schmidt-Pauli, Der andere Casanova, 88–89. Brief des Prince de Linge an Giacomo Casanova vom 16. Dezember 1795 (Fragment sur Casanova, 60): Mes puces grandissent et sautent de joie de trouver notre cher Casanova cet été ici.

3.1 Das kränkliche Kind

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Flöhe, Wanzen und Läuse seien, so Casanova, in Spanien derart verbreitet, dass niemand mehr Anstoß nimmt. Man betrachtet sie wohl als eine Art Haustiere.20 Einen interessanten Hinweis auf eine weitere Parasitose liefert Casanova jedoch 1761: Während eines Aufenthaltes in Bologna machte er die Entdeckung, dass die Bologneser Damen zwar schön anzusehen seien, sich jedoch andauernd kratzen müssten.21 Möglicherweise handelte es sich hier um die weitverbreitete Krätze (Scabies),22 die durch die Krätzmilbe ausgelöst wird und ebenfalls durch Hygienemangel entsteht. Die unter der Haut abgelegten Larven können dabei zu allergischen Reaktionen und ständigem Juckreiz führen. Trotz all dieser Widrigkeiten in der Pension von Mme Mida besserte sich der Gesundheitszustand des jungen Casanova rasch, sein Appetit stieg an, und seine schulischen Leistungen verbesserten sich ebenfalls zunehmend. Kurz darauf erbarmte sich auch der paduanische Schulmeister Gozzi seines fleißigen Schülers, befreite ihn aus der schmutzigen Pension und nahm ihn nach Genehmigung durch dessen Großmutter Marzia in seine Obhut. An Nasenbluten sollte der Knabe jedoch trotz der von Knipps-Macoppe verordneten Luftveränderungen weiterhin sporadisch leiden. So berichtet er in der Histoire de ma vie im Rahmen der Christina-Episode (1748), dass eine heftige emotionale Reaktion bei ihm dieses Leiden auslösen konnte: Ich war über diese gänzlich unerwartete Vereinbarung,23 die so leicht zustande gekommen war, derart erstaunt, dass mir das Blut in den Kopf stieg. Fast eine Viertelstunde lang hatte ich ein starkes Nasenbluten, ohne deshalb in Sorge zu geraten, denn ich hatte das schon öfter erlebt; nur der Pfarrer fürchtete, es könne eine schlimme Blutung sein.24

20 GmL 5, 148. 21 HdmV 2, 663: C’est un dommage, que soit l’air, soit l’eau, soit le vin on y contracte un peu de gale, ce qui produit aux Bolonais le plaisir de se gratter, qui n’est pas si indifférent qu’on le pense, lorsque la démangeaison est légère. Les dames principalement dans le mois de mars remuent leurs doigts pour se chatouiller les mains avec des grâces enchanteresses. Interessanterweise vermag auch Ange Goudar (1708–1791) über die Bologneserinnen Ähnliches zu berichten: En général les Bolonaises sont belles; mais leur proximité fait encore plus d’impression que l’amour. Il faut se tenir à deux pas de leurs visages, car pour peu qu’on se familiarise avec leur beauté, elle fait naître de petites excrescences sur la peau, qui causent une grande démangeaison. Leurs charmes ainsi déchirent encore plus la peau que le cœur. Cela n’empêche pas, toutes les démangeaisons à part, qu’elles ne soient fort aimables. (L’Espion chinois ou l’Envoyé secret de la cour de Pékin pour examiner l’état présent de l’Europe, Londres 1765, Band 3, 133, Brief Nr. 68; Casanova vermerkt in der Histoire de ma vie, einige Passagen des Espion chinois verfasst zu haben. War er möglicherweise auch der Autor des zitierten Briefes? (HdmV 2, 663, Anm. 2). 22 W. Theopold, Das Krankheitsbild der Krätze in der Medizin des 18. Jahrhunderts, Deutsches Ärzteblatt 65, 1968, 988–990; S. Winkle, Über die Krätze als eine „Geschichte der Irrungen“, Hamburger Ärzteblatt 58, 2004, 214–225. 23 D. h. Christinas Zustimmung zur Ehe mit einem Advokaten. 24 GmL 2, 270.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

3.2 Der Tod des Vaters Giacomo Casanovas erste einprägsame persönliche Begegnung mit einem Arzt ereignete sich 1733, kurz vor Beginn seiner Studienzeit in Padua. Sein Vater Gaetano Casanova (1697–1733) war plötzlich schwer erkrankt, worauf der venezianische Arzt Domenico Zambelli gerufen wurde.25 Dieser verschrieb dem an einer Entzündung des Innenohres(?) Erkrankten Opiate (des opilatifs) gegen die Schmerzen und erfolglos das Laxativ Bibergeil (Castoreum).26 Nach nur acht Tagen verstarb der Patient unter schmerzhaften Krämpfen. Rückblickend auf dieses einprägsame Ereignis ging Casanova von einer Fehldiagnose mit anschließender falscher Behandlung aus, habe der Arzt doch durch seine unsinnige „Therapie“ das Leiden des Patienten nur verstärkt und letztendlich dessen Tod beschleunigt: Er wurde von einem eitrigen Geschwür im Innern des Ohres befallen, das ihn binnen acht Tagen ins Grab brachte. Zambelli, der Arzt, gab dem Kranken zuerst stopfende Mittel, glaubte aber dann, er könne seinen Fehler mit Bibergeil gutmachen, das meinen Vater unter Krämpfen sterben ließ. Der Abszeß (l’apostème) öffnete sich durch das Ohr eine Minute nach seinem Tod und verschwand, nachdem er meinen Vater umgebracht hatte, als sei bei ihm nun nichts mehr auszurichten.27 Das Sterberegister der parrocchia von San Samuele bestätigt Casanovas Aussage: Gaetano Casanova verstarb am 18. Dezember 1733 im Alter von nur sechsunddreißig Jahren an Fieber und Krämpfen. Als behandelnde Ärzte werden Zambelli und ein gewisser Monticelli genannt.28 Die Erfahrung ärztlichen Unvermögens bei der Behandlung seines Vaters bestimmte möglicherweise nachhaltig Casanovas Verhältnis zu Ärzten.29 Ein Arzt namens Battista Zambelli, wohl ebenfalls ein Mitglied dieser Familie, wird noch mehr als zwanzig Jahre nach diesem Ereignis in den venezianischen Archiven erwähnt, unter anderem im Spitzelbericht des confidente Manuzzi30 über Casanova vom 16. November 1754, als dieser sich in der bottega di Filippo in der Merceria mit Anhängern und Gegnern des Dichters Chiari traf. Anwesend waren neben diversen anderen Personen auch Bernardo Memmo (1730–1815), der Bruder Andreas (1729–1793) und der Apotheker von San Bartolomeo.31

25 HdmV 1, 19. Möglicherweise handelt es sich um Domenico Zambelli, Dott. in Padova il 9 ottobre 1710 (ASV, Provveditori di sanità, filza 583; registro dei medici e chirurgi). 26 Castoreum wurde als Beruhigungsmittel verwendet und wirkt krampflösend, vgl. S. Hahnemann, Apothekerlexikon, Leipzig 1793, s. v. a. „Biber“. 27 GmL 1, 85. 28 18 dicembre 1733. Gaetano Casanova parmegiano q(uondam) Giacomo d’anni 36 ammalato g(iorni) 15 da febre e convulsione, habitante nella nostra contradà per el corso d’anni 10 finì di vivere questa notte all’hore 13. Med. Monticelli e Zambelli. Sarà fatto sepellir da sua consorte. 29 HdmV 1, 19. 30 Giovanni Battista Manuzzi (gest. nach 1774) war Edelsteinhändler und von 1740 bis 1774 confidente der Staatsinquisition. 31 Marco 40–167 (G. Comisso, Agenti segreti, 45): […] che presenti a questo discorso del Gatti vi furono diverse persone, fra gli altri il N. H. ser Bernardo Memo, Gio. Batta Zambelli, e il speciale della Madonna a S. Bartolomio.

3.3 Im Kampf gegen die Pocken

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3.3 Im Kampf gegen die Pocken Zwei Tage vor Lichtmess, also am 31. Januar 1737, hatte sich Bettina, die Schwester von Casanovas Lehrer Antonio Maria Gozzi (1709–1783), mit heftigem Schüttelfrost zu Bett begeben. Zwar vermutete der junge Casanova anfangs noch eine List des Mädchens, wurde aber am folgenden Tag eines besseren belehrt, als der paduanische Arzt Jacobo Olivo (1708–1789), der letzte Schüler des Alexander Knipps-Macoppe, eindeutig Fieber diagnostizierte. Am dritten Tag stieg das Fieber dann höher und höher, und verdächtige Flecken auf der Haut führten zu der Vermutung, dass es sich um die gefürchteten Pocken handelte, was am vierten Tag letztendlich auch bestätigt werden konnte.32 Die Pocken gehörten im 18. Jahrhundert zu den schlimmsten Infektionskrankheiten,33 lösten die Pest als gefürchtetste Krankheit ab und betrafen alle sozialen Schichten. In Frankreich starb sogar König Ludwig XV. an den Pocken, und der Schriftsteller und Revolutionsführer Mirabeau (1749–1791) behielt stark entstellende Narben zurück. Die Furcht vor den Pocken schlug sich auch in der zeitgenössischen Literatur nieder: So ließ der französische Schriftsteller Choderlos de Laclos (1741–1803) in den Liaisons dangereuses (1789) die intrigante Marquise de Merteuil als Strafe für ihre Intrigen an den Blattern erkranken. Durch eine Impfung (Inokulation), die durch die Frau des britischen Botschafters in Konstantinopel, Lady Mary Worteley Montagu (1689– 1762), 1721 aus der Türkei in England eingeführt wurde, stand erstmals ein wirksames Mittel der Pockenbekämpfung zur Verfügung. Im Orient war die Inokulation bereits seit langem bekannt gewesen, während in Europa eine Pockenerkrankung hauptsächlich durch den entkräftenden Aderlass „behandelt“ worden war, der häufig zum Tode des Patienten führte. Oder man bediente sich einfach diverser magischer Praktiken: So bemerkte auch Casanova in der Histoire de ma vie,34 die Marquise d’Urfé habe ihrem an den Pocken erkrankten Cousin durch den Comte de la Tour d’Auvergne35 ein Päckchen Elektrum36 zukommen lassen. Dieses sollte um den Hals gebunden eine sichere Heilung von dieser entstellenden Krankheit bewirken können.37 Obwohl anfänglich stark kritisiert, erlangte die Inokulation 1756 durch die Initiative des Herzogs von Orléans, der seine Kinder durch den französischen Arzt Théodore Tronchin (1709–1781) impfen ließ, erstmals Bedeutung. Der vollständige Durchbruch der Pockenimpfung gelang jedoch erst 1796 dem 32 L. André, Considérations médicales sur la variole de Bettina, Intermédiaire des Casanovistes 15, 1998, 57–60. 33 K.-H. Leven, Die Geschichte der Infektionskrankheiten. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Landsberg 1997; D. Hopkins, The Greatest Killer: Smallpox in History, Chicago 2002. 34 HdmV 2, 92–93. 35 Gemeint ist Nicolas François Julie de la Tour d’Achier, Comte de la Tour d’Auvergne (geb. 1720). Er soll seiner magiebesessenen Tante in nichts nachgestanden und sich ebenfalls mit Zauberern, Magiern und Kabbalisten umgeben haben. 36 Hier wohl ein Gold-Silber-Gemisch. 37 HdmV 2, 92–93: Elle lui dit de le lui mettre au cou en sautoir, et d’être sûr d’une heureuse éruption, et d’une guérision très certaine.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

englischen Landarzt Edward Jenner (1749–1823),38 der die Vakzination einführte. Auch Casanova beschäftigte sich ausführlich mit der Inokulation und widmete in der Confutazione diesem Thema sogar eine ganze Seite,39 wobei er sich als eifriger Verfechter dieser vorbeugenden Maßnahme erwies, könne sie doch Tausenden das Leben retten.40 Die von Casanova in der Histoire de ma vie geschilderte Beschreibung der Pockenerkrankung Bettina Gozzis besticht insbesondere durch ihre Präzision und Beobachtungsgabe.41 Bettina erkrankte an einer besonders schweren Form der Pocken, die in den meisten Fällen den Tod des Patienten zur Folge hatte. Ausgehend von Casanovas Darstellung ist es sogar möglich, in etwa den Zeitpunkt des Beginns der Erkrankung festzustellen. Bettina muss sich um den 23. Januar 1737 infiziert haben, da die Inkubationszeit der Pocken etwa elf bis zwölf Tage beträgt. Elf Tag später nun, also am 2. Februar („1. Tag“), litt die Patientin an hohem Fieber und Schüttelfrost, den untrüglichen Zeichen für das Ende der Inkubationszeit und den Beginn der klinischen Phase. Die Zeit zwischen dem Auftreten von Fieber und dem Erscheinen der Eruptionen beträgt in der Regel dann vier Tage. Nach Aussage Casanovas befand sich die Patientin am „2.Tag“ im Delirium und hatte immer noch Fieber, welches am „3. Tag“ noch weiter anstieg. Am „4. Tag“ zeigten sich dann auf der Haut (rötliche) Flecken (des taches sur la peau), untrügliche Zeichen für eine Infektion: Am nächsten Tag stellte der Arzt Olivo bei ihr ein heftiges Fieber fest und sagte dem Doktor, sie werde wohl irre reden, aber das komme vom Fieber und keinesfalls von den Teufeln.42 Bettina lag wirklich den ganzen Tag in Fieberphantasien; der Doktor, der sich der Ansicht des Arztes angeschlossen hatte, ließ seine Mutter reden und schickte nicht nach dem Jakobiner.43 Am dritten Tag stieg das Fieber noch höher, und Flecken auf der 38 An inquiry into the causes and effects of the variolae vaccinae … known by the name of cow pox (1798). 39 Confutazione III, 48–49. 40 Il metodo dell’inoculazione salva la vita a migliaia d’uomini; voi impiegate per corso d’altri quarant’anni tutt’ i modi escogitabili per iscreditare questa salutare scoperta. Se qualche volta menando alla tomba le vostre mogli, e i vostri figli morti dal vaiuolo vi sentite un momento di rimorso (come già si fa, che per un momento siete soggetti, ed al dolore, ed al rincrescimento) se vi pentite allora di non aver imitata la pratica di nazioni più saggie della vostra, e più intraprendenti, se vi promettete d’osar fare ancor voi una cosa, che presso d’esse è affatto semplice, questo movimento della vostra mente passa ben presto, e’l pregiudizio, e la leggerezza tornano a prendere in voi il loro solito impero. Ignorate, o fingete d’ignorare, che negl’ospitali di Londra destinati a curare il vaiuolo naturale, ed artificiale, la quarta parte di quelli, che hanno il naturale vi muore, e che degli inoculati ve ne muore appena uno in quattrocento. Voi lasciate dunque perire la quarta parte dei vostri concittadini, e quando vi trovate spaventati da questo computo, che vi dichiara sì imprudenti, e colpevoli, che fate allora? Consultate dottori fondati, o non fondati da Roberto {de} Sorbon (d. h. der Begründer der Sorbonne). Presentate istanze! In pari modo sosteneste tesi contro Harvei, quando ebbe scoperta la circolazione del sangue. 41 L. André, Considérations médicales, 57–60. Auch Johann Wolfgang von Goethe schildert seine Pockenerkrankung ausführlich in Dichtung und Wahrheit ( J. Göres (Hrsg.), Johann Wolfgang Goethe. Dichtung und Wahrheit, 43–44). 42 Bettina war kurz zuvor wegen Besessenheit von einem Exorzisten behandelt worden. 43 Dem Priester als Exorzisten.

3.3 Im Kampf gegen die Pocken

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Haut ließen Pocken befürchten, die auch tatsächlich am vierten Tag zum Ausbruch kamen.44 Die anderen Schüler Gozzis wurden umgehend weggeschickt, da sie die Pocken noch nicht gehabt hatten. Zurück blieb der junge Casanova, der die Kranke alleine pflegte.45 In Anbetracht der Gefährlichkeit der Infektion und des abstoßenden Äußeren der Patientin, das nicht selten mit einem unangenehmen Geruch verbunden war, bewies der erst Zwölfjährige einen erstaunlichen Mut. Nach und nach war der Körper der Patientin von häßlichen Pusteln überzogen, die die Haut schließlich vollständig bedeckten. Die Nahrungsaufnahme gestaltete sich zunehmend schwierig: Die arme Bettina wurde so schwer von dieser Geißel heimgesucht, dass man am sechsten Tag nirgends an ihrem Körper mehr die Haut sah. Die Augen schwollen zu, man musste ihr alle Haare abschneiden, und man gab alle Hoffnung auf, als man entdeckte, dass sie auch Mund und Kehle voller Pusteln hatte und es unmöglich war, ein paar Tropfen Honig in ihren Schlund zu träufeln. Man nahm an ihr keine andere Regung mehr wahr als das Atemholen. Ihre Mutter wich nicht von ihrem Bett, und man fand es bewundernswert von mir, als ich meinen Tisch mit meinen Heften neben ihr Bett trug. Das Mädchen bot einen scheußlichen Anblick; ihr Kopf war um ein Drittel größer geworden, man sah keine Nase mehr daran, und man fürchtete für ihre Augen, falls sie davonkommen sollte. Am ärgsten belästigte mich, obwohl ich es standhaft ertragen wollte, ihr übelriechender Schweiß.46 Der Zustand Bettinas war so besorgniserregend, dass man die Hoffnung auf vollständige Heilung aufgab. Am „20. Tag“ wurde schließlich ein Priester gerufen, um Bettina die Beichte abzunehmen. Die Mutter wollte umgehend vom Arzt wissen, ob der Teufel(!) wirklich in so einem scheußlichen Körper bleiben wolle, was Casanova rückblickend amüsiert kommentierte.47 Am „21. und 22. Tag“ brachen die durch Hämorrhagie schwarz gewordenen Pusteln auf und hinterliessen einen unangenehmen und beißenden Geruch: Am zehnten und und elften Tag fürchtete man jeden Augenblick, Bettina zu verlieren. Alle ihre fauligen Pusteln wurden schwarz, eiterten und verpesteten die Luft; niemand konnte es aushalten außer mir, weil mir der Zustand des bedauernswerten Geschöpfs in tiefster Seele leidtat. In diesem schauderhaften Zustand flößte sie mir die große Zuneigung ein, die ich ihr nach ihrer Genesung entgegenbrachte.48 Überraschenderweise wendete sich das Blatt, und es geschah, was niemand zu hoffen gewagt hatte. Etwa zwei Tage später ging es der Patientin bereits wesentlich besser, und das Fieber war verschwunden. Casanova war sich seinerseits sicher, dass kein Heilmittel Bettina schneller gerettet hätte außer seinen Worten, sie solle sich keinesfalls kratzen, wolle sie nicht in Zukunft entstellt sein. Kein anderes Heilmittel außer der Aussicht auf Hässlichkeit wäre bei einem ehemals schönen

44 GmL 1, 128. 45 In der Histoire de ma vie berichtet Casanova jedoch nicht von einer eigenen Pockenerkrankung. 46 GmL 1, 129. 47 HdmV 1, 50: Dans une scène si triste les dialogues de la mère de Bettine avec le docteur me faisaient rire. 48 GmL 1, 130.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

Mädchen derart wirksam gewesen.49 An dieser Stelle stellte der gewitzte Venezianer wiederum unter Beweis, welche Wirkung psychologische „Therapeutika“ auf den Heilungserfolg haben können! Bettina überlebte die Pocken, behielt jedoch einige häßliche Narben zurück. Auch Casanova wurde für sein Ausharren am Krankenbett mit ein paar Narben „belohnt“, die in seinem Gesicht unauslöschliche Spuren hinterlassen sollten: Endlich schlug Bettina ihre schönen Augen wieder auf; man bettete sie um und brachte sie in ihre Kammer. Ein Geschwür, das sich an ihrem Hals bildete, fesselte sie noch bis Ostern ans Bett. Mich steckte sie mit acht oder zehn Pusteln an, von denen drei in meinem Gesicht unauslöschliche Spuren hinterlassen haben. Sie brachten mir Bettinas Achtung ein, denn sie erkannte daran, dass ich allein ihre Zuneigung verdiente. Ihre Haut blieb mit roten Flecken übersät, die erst im Laufe des Jahres verschwanden.50 Bettina blieb für den jungen Casanova trotz seiner ehrlichen Zuneigung nur eine platonische Liebe. Zwei Jahre später ehelichte sie einen Schuster namens Pigozzo, der sie zutiefst unglücklich machen sollte. Schließlich kehrte sie zu ihrem Bruder zurück, der fünfzehn Jahre später zum Erzpriester im Valle San Giorgio ernannt wurde. 1776 traf Casanova Bettina wieder, die in seinen Armen verstarb – nur vierundzwanzig Stunden nach seiner Ankunft.51 Etwa sechsundreißig Jahre nach diesem einprägsamen Ereignis wurde Casanova noch einmal mit den Auswirkungen einer Pockenerkrankung konfrontiert, als er in Rom einem Mädchen namens Marguerite,52 das sein Augenlicht durch die Pocken verloren hatte, ein Glasauge schenkte. Dieses hatte er bei dem Okulisten John Taylor (1708–1776) erworben,53 der damals zu den bekanntesten Fachleuten seiner Zeit zählte und unter anderem von dem stark kurzsichtigen Johann Sebastian Bach (1685–1750) konsultiert wurde, der sich 1749–1750 operieren ließ. Die Operation des Stars scheiterte, und der Komponist verlor sein Augenlicht. Ähnlich erging es auch Georg Friedrich Händel (1685–1759), der nach einer Operation durch John Taylor sein Augenlicht einbüßte.54 Trotz dieser Fehlschläge genoss der englische Okulist internationales 49 HdmV 1, 50: On peut défier tous les physiciens de l’univers de trouver un frein plus puissant que celui-ci contre la démangeaison d’une fille qui sait avoir été belle, et qui se voit dans le risque de devenir laide par sa faute si elle se gratte. 50 GmL 1, 130. 51 HdmV 1, 51: Elle expira sous mes yeux l’an 1776 vingt-quatre heures après mon arrivée chez elle. 52 Es handelte sich wohl um die Tochter eines Kochs namens Poletti und seiner Frau Maria Angela. Marguerite heiratete am 30. Oktober 1773 einen Engländer mit Namen Georg Goodman (HdmV 3, 853–854, Anm. 3). 53 HdmV 3, 854: Elle avait une fille de seize à dix-sept ans, qui, malgré sa peau un peu trop brune, aurait été fort jolie si la petite vérole ne l’avait pas privée d’un œil. Elle en portait un postiche qui étant d’une couleur différente de celle de l’autre, et aussi plus grand, rendait sa figure désagréable. […] mais malgré cela, je n’ai pu m’empêcher de lui faire un cadeau, dont aucun autre ne pouvait lui être plus cher. Un Anglais, oculiste, qu’on appelait le chevalier Taylor, se trouvant alors à Rome, et étant logé sur la même place, j’y ai conduit Marguerite avec sa mère et moyennant six sequins, je lui ai fait mettre un œil de porcelaine égal à l’autre, dont on ne pouvait rien voir de plus beau. 54 F. Luccichenti, Casanova, Johann Sebastian Bach e Georg Friedrich Händel, Intermédiaire des Casanovistes 12, 1995, 45–46; zu John Taylor G. Coats, The Chevalier Taylor, The Royal London Ophthalmic Hospital Reports 20/1, 1915, 1–92; A. Henning, Die Okulisten Joseph

3.4 Krankheit als List

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Renommée, verfasste zahlreiche Werke zur Augenheilkunde und war sogar als Sekretär der Royal Society tätig. 1769 trug er den Titel eines königlichen Okulisten seiner Hohheit des Großherzogs der Toskana.55 3.4 Krankheit als List Die nächste erwähnenswerte Begegnung mit einem Arzt spielte sich 1743 ab, als Casanova für kurze Zeit wegen einiger Jugendstreiche in der Festung San Andrea festgesetzt war.56 Dort sollte er sich auch erstmals bei einer Griechin mit einer unangenehmen Geschlechtskrankheit infizieren. Um sich dieses schmachvollen „Geschenks“ so schnell wie möglich zu entledigen, suchte er den Rat eines Spagyrikers, der nach sechs Wochen eine vollständige Heilung erzielte.57 Ein Spagyriker war in der Kunst der Spagyrik, einer alchemistischen Medizin nach Paracelsus (1493–1541), bewandert, die oft zur Bekämpfung venerischer Krankheiten eingesetzt wurde.58 Kaum hatte Casanova seine Gesundheit wiedererlangt, nützte er die Gutgläubigkeit des in der Festung stationierten Wundarztes aus, um das Fort für ein paar Stunden zu verlassen. Dabei hatte er eine schmerzhafte Verstauchung vorgetäuscht und nach dem Wundarzt der Festung rufen lassen, der den „verrenkten“ Knöchel in Kampfertücher wickelte und strenge Bettruhe verordnete. Der zur Pflege des simulierenden Kranken abkommandierte Soldat wurde durch Branntwein in Tiefschlaf versetzt, der Wundarzt und der Geistliche fortgeschickt. Heimlich gelangte der „Kranke“ dann mit einem Boot nach Venedig und erteilte seinem Widersacher Antonio Lucio Razzetta, der seine Festsetzung maßgeblich unterstützt hatte, eine handfeste Lektion, darunter eine gebrochene Nase, drei ausgeschlagene Zähne und schwere Quetschungen. Um nicht in Verdacht zu geraten, täuschte Casanova nach seiner Rückkehr noch eine schwerwiegende Kolik vor: Es schlug gerade Mitternacht, als ich durch das Fenster in mein Zimmer stieg. Im Handumdrehen war ich ausgezogen, weckte mit durchdringendem Geschrei meinen Soldaten und befahl ihm, den Wundarzt zu holen, denn mir sei von einer Kolik sterbensübel. Durch mein Geschrei aufgeweckt, kam der Geistliche herunter und fand mich in Krämpfen. In der Überzeugung, dass mir ein schmerzstillendes Mittel helfen werde, holte er die Medizin und brachte sie mir; doch anstatt sie einzunehmen, versteckte ich sie, während er Wasser holte. […] Bevor der Major nach Venedig fuhr, besuchte er mich und meinte, die Kolik rühre wohl von einer Melone59 her, die ich gegessen hatte. […] Die

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Hillmer und John Taylor in Leipzig, Aktuelle Augenheikunde 17, 1992, 204–214. John Taylor verfasste auch eine Autobiographie (The History of the Travels and Adventures of the Chevalier John Taylor, Opthalmiater Pontifical, Imperial and Royal, etc. written by himself, London 1761). Oculiste imp., de la personne de S. A. R. et grand-duc de Toscane. HdmV 1, 114 ff. HdmV 1, 119. S. Pumfrey, The Spagyric Art; Or, the Impossible Work of Separating Pure from Impure Paracelsianism. A Historigraphical Analysis, in: O. Grell (Hrsg.), Paracelsus. The Man and his Reputation, his Ideas and their Transformation, Leiden 1998, 21–51. Melonen galten bereits in der Renaissance als gesundheitsgefährdend.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

ganze Festung wusste von meiner Verstauchung, und der Kaplan, der Wundarzt, der Soldat und mehrere andere, die von nichts wussten, schworen, ich wäre um Mitternacht fast an einer Kolik gestorben.60 In der Tat waren auch andere Ärzte in dieser Zeit nicht vor den rabiaten Streichen des jungen Casanova sicher gewesen, wenn er während seiner Tätigkeit als Geiger am Theater San Samuele im Gefolge anderer junger Männer das nächtliche Venedig durchstreifte: Häufig weckten wir Hebammen, ließen sie sich ankleiden und mitkommen, um Frauen zu entbinden, die sie bei ihrem Erscheinen für verrückt halten mussten. Den gleichen Streich spielten wir den berühmten Ärzten; wir störten ihre Nachtruhe, um sie zu Adeligen zu schicken, die angeblich einen Schlaganfall erlitten hatten. Wir trieben auch die Priester aus ihren Betten, um durchaus gesunden Personen die letzte Ölung bringen zu lassen, weil sie angeblich im Sterben lagen.61 Diese Streiche konnten den jungen Männern allerdings nie nachgewiesen werden und wurden deshalb auch nie geahndet. 3.5 Quarantäne in Ancona Nur kurze Zeit nach dieser komödiantischen Darbietung sollte Casanova von Venedig nach Rom aufbrechen, wo er auf seinen Mentor und zukünftigen Dienstherren Bernardo de Bernardis treffen sollte. In Ancona musste er dabei vorerst achtundzwanzig Tage in Quarantäne verbringen, der sich jeder, der entweder ins venezianische Territorium einreisen oder dieses verlassen wollte, unterwerfen musste. Die Quarantäne stellte eine entscheidende Präventivmaßnahme im venezianischen Gesundheitswesen dar, deren Einführung auf die verheerenden Folgen der Pest zurückzuführen war, die ihren Ausbruch 1347 in Süditalien gehabt und 1348 in Venedig rund drei Viertel der Bevölkerung das Leben gekostet hatte.62 1423, im Jahr der Wahl des Dogen Francesco Foscari (1373–1457), war wiederum eine Pest ausgebrochen, und die erste Quarantänestation, das lazzaretto vecchio, wurde gegründet. Krankheitsverdächtige wurden während dieser Zeit vierzig Tage isoliert untergebracht,63 wobei sich alle Reisenden, die die Republik Venedig verlassen oder in diese einreisen wollten, der Quarantäne unterziehen mussten. Als 1484 noch einmal die Pest in Venedig ausbrach, wurde erstmals eine Gesundheitsbehörde, der Magistrato alla sanità, eingesetzt, der von den Provveditori alla sanità (oder Prov-

60 GmL 1, 231. 61 GmL 2, 206. 62 Vgl. hierzu ausführlich K. Bergdolt, Der Schwarze Tod in Europa. Die Große Pest und das Ende des Mittelalters, München 2003. 63 M. Crovato, L’isola del Lazzaretto Vecchio nella laguna di Venezia: regesto storico, funzioni ed organizzazioni sanitarie, sviluppo d’uso nel 15. e 16. secolo, restauri e decadenza delle fabbriche nel 18. secolo, il presidio militare e la storia recente, Venezia 1980; M. Brusatin, Il muro della peste: spazio della pieta e governo del lazzaretto, Venezia 1981; N.-E. Vanzan-Marchini, Venezia e l’invenzione del Lazzaretto, in: N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Rotte mediterranee e baluardi di sanità, Milano 2004, 17–45.

3.5 Quarantäne in Ancona

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veditori sopra la sanità) geleitet wurde.64 Den strengen Dekreten und Verordnungen dieser Gesundheitsbehörde, die nahezu jeden Bereich des täglichen Lebens regelte, war es schließlich zu verdanken, dass die Pest in Venedig ausgerottet werden konnte.65 Im 18. Jahrhundert stellte die Pest zwar nur noch entfernt eine Bedrohung dar,66 jedoch wurde der seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Gesundheitsgesetzgebung in Venedig noch immer Beachtung geschenkt67 und Übertretungen der Gesundheitsvorschriften wurden rigoros überprüft und bestraft. Zahlreiche Reisende, darunter der Engländer John Howard, mussten die Quarantäne über sich ergehen lassen. Howard favorisierte zwar die Präventivmaßnahmen der Serenissima Repubblica, kritisierte jedoch auch die entsetzlichen hygienischen Zustände, die im lazzaretto nuovo in Venedig herrschten, darunter ein schmutziges, mit Ungeziefer verseuchtes Zimmer, das weder mit einem Tisch, noch mit einer Sitzgelegenheit, geschweige denn einem Bett ausgestattet war.68 In Ancona gab es wie in Venedig zwei Lazarette, das lazzaretto vecchio, in dem Casanova vier Wochen – vom 26. Oktober bis zum 23. November 1743 – untergebracht sein sollte,69 und das lazzaretto nuovo, das in Form eines Pentagons gestaltet war. Letzteres wurde in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts unter dem Pontifikat Clemens XII. (1730–1740) errichtet. Die Arbeiten waren zwar bereits im Februar 1743, also acht Monate vor den Ankunft Casanovas, abgeschlossen worden, jedoch diente das lazzaretto nuovo erst ab 1748 als Quarantänestation. Nach dem Fall der Republik wurde es als Kaserne genutzt.70 Kurz vor dem Zeitpunkt, als sich Casanova im lazzaretto vecchio in Ancona befand, hatte ein genuesisches Schiff am 23. März 1743 die Pest aus dem Orient nach Messina in Süditalien gebracht, was fast 30 000 Menschen das Leben kosten sollte. Dieses Ereignis, das zu weitreichenden Restriktionen 64 Die Gesundheitsbehörde befand sich an den Ufern des bacino di San Marco. Über die Tätigkeit der venezianischen Gesundheitsbehörde sind wir dank der 1793 erschienenen Sammlung von Gesetzen und Dekreten durch Antonio Boncio genaustens informiert (N.E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Le leggi di sanità, Vicenza/Treviso 1993–2003, Band 1, 13). 65 Diese Dekrete regelten den Personen- und Warenverkehr. Nachdem man die Übertragbarkeit der Seuche erkannt hatte, wurden Dekrete zur Einhaltung der Quarantäne (contumacie) für Personen und Waren erlassen, die aus pestverdächtigen Gebieten kamen. Des Weiteren wurde der Fährverkehr mit den Quarantänestationen genau geregelt. Dort durfte auch nicht von anderen Personen gegessen und Wein mit den Insassen ausgetauscht werden. 66 Etwa der Ausbruch der Pest in der Provence 1720/21. 67 In dieser Zeit entstand auch die Informationsschrift des Magistrato alla sanità für den holländischen Konsul (Informazione alla sanità a richiesta del Signor console di Olanda) vgl. N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Le leggi di sanità, Band 1, 100–128. 68 G. Howard, Ragguaglio de’ principali lazzaretti in Europa con varie carte relative alla peste (1789), Venezia 1814, 26, 27, 28–49. 69 Vgl. zum lazzaretto vecchio in Ancona F. Luccichenti, Quatro settimane nel lazzaretto, Intermédiaire des Casanovistes 28, 2011, 7–12. 70 C. Mezzetti et al. (Hrsg.), Il lazzaretto di Ancona. Un’ opere dimenticata, Ancona 1978; V. Martines, Il lazzaretto nuovo di Ancona, in: N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Rotte mediterranee, 222–223.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

in ganz Italien führte, wurde von Casanova nur beiläufig in der Histoire de ma vie erwähnt: Wir landeten in Ancona bei dem alten Lazarett, wo man uns eine achtundzwanzigtägige Quarantäne auferlegte, weil Venedig die Besatzung zweier Schiffe aus Messina nach einer dreimonatigen Quarantäne aufgenommen hatte, wo vor kurzem eine Seuche gewütet hatte.71 Dabei wurde von den venezianischen Behörden auch diese Seuche aufmerksam beobachtet und kommentiert: Die in den Akten festgehaltenen Einträge beziehen sich auf die Periode zwischen dem 22. Juni 1743 und dem 6. Oktober 1744.72 Sogar weit über die Grenzen des venezianischen Territoriums hinaus wurde über das Pestuebel von Messina berichtet, darunter ausführlich im Wienerischen Diarium.73 Seit 1631 hatte es in Venedig zwar keine Pestfälle mehr gegeben,74 das Osmanische Reich galt aber noch immer als Gebiet, in dem regelmäßig Seuchen auftraten, weshalb für Personen und Waren aus diesem Gebiet gesonderte Vorschriften galten.75 Im zweiten Buch der Histoire de ma vie berichtet Casanova, man habe sich im Sprechzimmer mit seinen Gesprächspartnern über einen Schlagbaum hinweg unterhalten müssen, wobei diese zusätzlich dazu angehalten wurden, hinter einer Barriere zu stehen: Wegen der Quarantäne – in Italien eine Dauereinrichtung für alle, die aus der Levante kommen – dachte ich nicht daran, länger an Land zu gehen, sondern begab mich sogleich in das Sprechzimmer, wo man über einen Schlagbaum mit Partnern spricht, die in einer Entfernung von zwei Klaftern hinter einer Barriere stehen.76 Die Zeit, die der junge Casanova in Ancona verbringen musste, wurde zunehmend unerträglich. Die Aussicht auf Essen in Hülle und Fülle führte schließlich dazu, dass er sich von einem Reisebegleiter zum Verfassen diverser Bittbriefe an alle wohlhabenden Häuser Anconas sowie sämtliche Prioren der umliegenden wohlhabenden Klöster überreden ließ: Die Unmenge an Esswaren, die am dritten und vierten Tag ankamen, war erstaunlich. Man schickte uns Wein für die ganze Quarantäne. Es war gekochter Wein, der mir übel bekommen wäre, aber ich trank ohnedies aus Diätgründen nur Wasser, denn ich wollte möglichst rasch gesund werden.77 An Esswaren erhielten wir alle Tage für fünf bis sechs Personen. Wir schenkten vieles unserem Wärter, der arm und Vater einer zahlreichen Familie war.78 In Anbetracht der strengen Regeln, die augenblicklich der Einfuhr und dem Umgang mit Lebensmitteln in den Quarantänestationen galten, war Casanovas Freigebigkeit ein gewagtes Unterfangen.79 Es gab allerdings auch Möglichkeiten, die Quarantäne zu umgehen, ein wegen der rigiden Vorschriften jedoch riskantes Unternehmen. Bei einer Reise von Mantua nach Venedig gab es nämlich keine Beschränkung, ebensowenig 71 72 73 74 75 76 77 78 79

GmL 1, 257. N.-E. Vanzan-Marchini (Hsrg.), Le leggi di sanità, Band 2, 245–247. Vgl. etwa 21. September 1743; 28. September 1743; 13. November 1743. Venezia e la peste 1348–1797, Venezia 1980. N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Le leggi di sanità, Band 1, 105. GmL 2, 157. Casanova litt zu diesem Zeitpunkt an einer venerischen Erkrankung. GmL 1, 259. N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Le leggi di sanità, Band 1, 289 ff.

3.6 Der galante „Arzt“

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bei der Fahrt von Modena nach Mantua. Der listenreiche Casanova entschied sich deshalb bei seiner Rückkehr nach Venedig, die Grenze bei Mantua zu passieren und glaubhaft zu machen, er käme aus Modena. Da ihm aber das hierfür erforderliche Gesundheitsattest fehlte, bestach er einen Fuhrmann, der ihn auf Umwegen nach Revere brachte, wo er sich als Offizier der spanischen Armee ausgab, der eine wichtige Nachricht für den Herzog von Modena zu überbringen habe. Ohne die geringste Schwierigkeit erhielt der junge Casanova die erforderliche Bestätigung. Dem Kriegsminister sollte er nach seiner Rückkehr nach Venedig später berichten, dass diejenigen, die aus Mantua kämen, von der Quarantäne befreit seien.80 Das forsche Auftreten des jungen Venezianers stieß dabei auf Missfallen. So vermutete der Abate Alvise Grimani folgerichtig, dass sein protégé die Kontumanz verletzt habe und fädelte umgehend ein persönliches Gespräch mit einem Provveditore alla sanità ein, um die Wogen zu glätten.81 Letztendlich zeigte sich der Provveditore dankbar, dass Casanova ihn darüber aufgeklärt habe. 3.6 Der galante „Arzt“ Eine weitere Anekdote von medizinischer Relevanz ereignete sich während Casanovas zweitem Aufenthalt in Korfu, das im 18. Jahrhundert noch zum venezianischen Territorium gehörte.82 Mme F.,83 die Ehefrau des Gouverneurs, hatte sich während eines Spaziergangs im Garten an einem Rosenstock einen schmerzhaften Riss von rund zwei Zoll Länge am Bein zugezogen. Verletzungen galten, so lässt uns Casanova wissen, in Korfu als äußerst gefährlich, da sie nur schwer heilten. Oft sei daher ein Ortswechsel vonnöten, um die Wunde zum Vernarben zu bringen.84 Der herbeigerufene Wundarzt verordnete der Erkrankten umgehend strenge Bettruhe, und täglich stattete ein alter Wundarzt der Patientin einen Besuch ab. Als sich die besorgte Patientin, die Wundbrand (resipelle) befürchtete, eines Tages über ihre Aussicht auf baldige Heilung erkundigte, sprach der Arzt beruhigend auf sie ein, verordnete erneut Bettruhe und schickte sich an, einen Breiumschlag (cataplasme) zuzubereiten. Da auch die Kammerzofe das Zimmer kurz verlassen hatte, um frische Wäsche zu holen, warf Casanova, der der Aussage des Arztes nicht traute, selbst einen Blick auf das Bein der Patientin, vermochte jedoch Entwarnung zu geben, da er die charakteristischen Symptome des Wundbrandes nicht erkennen konnte: Da die Kammerzofe hinausging, 80 GmL 2, 61–65. 81 Die aus drei nobili bestehenden Provveditori alla sanità wurden vom Senat eingesetzt. 82 J. Rives Childs, The False Prince de La Rochefoucauld at Corfu, Casanova Gleanings 5, 1962, 12–20; J. Rives Childs, Biographie, 28–29; zu Korfu im 18. Jahrhundert E. Bacchion, Il dominio veneto su Corfù (1386–1797), Venezia 1956, 203–224. 83 Es handelt sich um Andriana Foscarini (geb. 1720), die am 4. Dezember 1742 Vincenzo Foscarini, den sopracomito von Korfu, geheiratet hatte. 84 HdmV 1, 354: Les blessures aux jambes sont très dangereuses à Corfou: si on n’en a pas grand soin, on n’en guérit pas. On est souvent obligé d’aller ailleurs pour parvenir à les cicatriser.

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um Wäsche zu holen, fragte ich die Kranke, ob in der Wade harte Stellen zu fühlen seien und ob die Röte in Streifen bis zum Schenkel hinaufziehe; diese Frage begleitete ich ganz selbstverständlich mit meinen Händen und meinen Augen. Weder fühlte ich harte Stellen, noch sah ich Rötungen.85 Die medizinische Untersuchung wurde an dieser Stelle Teil des Werbens um die verehrte Frau, war es doch nur unter diesem Vorwand erlaubt, einen flüchtigen Blick auf verborgene Körperstellen zu erhaschen. Bewusst stellte Casanova an dieser Stelle seine wissenschaftlich präzise Aussage dem Handeln des Wundarztes gegenüber. Die geschickte Dame verhüllte sich umgehend, nicht ohne ihrem Galan einen flüchtigen Kuss zu gewähren.86 Voll Inbrunst bedeckte Casanova die Wunde der Kranken mit seinem Speichel, in der Hoffnung, dieses süße Therapeutikum könne die Wundheilung beschleunigen: Nach dem Kuss berührte ich ihre Wunde mit meiner Zunge, in dem festen Glauben, das müsse Balsam für sie sein; aber die Rückkehr der Kammerzofe zwang mich, diese süße Behandlung einzustellen, die meine heilkundige Liebe mir in diesem Augenblick als unfehlbar erscheinen ließ.87 Ein leichtsinniges Techtelmechtel Casanovas mit der Kurtisane Melulla, die ihn mit einem besonderen Geschenk bedachte (möglicherweise war dies der Grund, weshalb die Kurtisane großzügig auf eine Entlohnung für ihre Dienste verzichtete!), bot seinem Werben jedoch Einhalt.88 Diesmal gelang es Casanova auch nicht, sich selbst mittels einer sechswöchigen Diät zu kurieren: Die Symptome waren eindeutig, und er musste einen alten erfahrenen Wundarzt zu Rate ziehen, der den Patienten in zwei Monaten vollständig heilte.89 Als der tragische Held das Missgeschick seiner Angebeteten berichtete, war an eine Fortsetzung der Liebelei nun nicht mehr zu denken. Mme F. sollte gemäß der Histoire de ma vie ebenfalls nach Venedig zurückkehren, wo sie sich kurz darauf in Giacomo da Riva (1712–1790) verliebte, der später an Schwindsucht (phtisie) gestorben sein soll. Sie selbst wurde zwanzig Jahre nach dieser Begegnung blind.90

85 GmL 2, 182–183; im Original lautet die Passage (HdmV 1, 355): […] et la femme de chambre étant allée chercher du linge, je lui ai demandé, si dans le gras de la jambe il y avait des duretés, et si la rougeur montait en sillonnant jusqu’à la cuisse: faisant ces questions il était naturel que je les accompagnasse avec mes mains, et avec mes yeux: je n’ai ni touché des duretés, ni vu des rougeurs. 86 HdmV 1, 355: […] mais la tendre malade d’un air riant baissa vite la toile, me laissant cependant cueillir sur ses lèvres un baiser dont, depuis quatre jours de diète, j’avais besoin de me rappeler la douceur. 87 GmL 2, 183. 88 HdmV 2, 363: […] je reste pétrifié me voyant infecté du poison de Melulla. 89 HdmV 2, 363–364: […] mais je me trompais encore. Melulla m’avait communiqué tous les désastres de son enfer, et en huit jours j’en ai vu tous les pitoyables symptômes. J’eus pour lors besoin de me confier à un vieux docteur, qui plein d’expérience m’assura qu’il me guérirait en deux mois, et il tint parole. Ob es sich um den gleichen Arzt handelt, von dem Casanova in einer in seinem Nachlass gefundenen Notiz (Marr 16K32) schreibt: A Corfu le chirurgien qui m’a branlé ? 90 HdmV 1, 365.

3.7 Rettung in letzter Minute

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3.7 Rettung in letzter Minute Mittellos kehrte der junge Casanova nach Venedig zurück. Da er seinen Lebensunterhalt mittlerweile als Violinist am Theater San Samuele für einen Silberdukaten am Tag verdienen musste, mied er aus Furcht, man könnte ihn für seine Tätigkeit verachten, die gute Gesellschaft. An zwei Dinge vermochte er seine Hoffnung noch zu klammern: das Glück und vor allem seine Jugend. Eines Abends bemerkte er während einer Hochzeit im Palazzo Soranzo auf dem Campo San Polo91 einen gut gekleideten Herrn, der einen Brief verloren hatte, während er auf seine Gondel wartete. Casanova ergriff umgehend die Gelegenheit und überreichte dem Senator – es handelte sich um den venezianischen nobile Matteo Giovanni Bragadin (1689–1767) – das verlorene Schriftstück.92 Erfreut über das Zuvorkommen des jungen Violinisten bot ihm der Senator an, ihn nach Hause zu bringen. Kurz darauf geschah das Unerwartete: Der Senator bat den jungen Begleiter, seinen linken Arm zu schütteln, der so gefühllos sei, dass es ihm so vorkomme, als gehöre er nicht mehr zu ihm.93 Casanova vernahm kurz darauf die schlechtartikulierten Worte des Senators, in seinem linken Bein stelle sich das gleiche Gefühl ein. Beim Anblick des Mundes, der bis zum linken Ohr hin verzerrt war, erschrak der junge Mann zutiefst: Ich schüttelte ihn mit aller Kraft und hörte ihn mit schlechtartikulierten Worten sagen, er fühle, dass er auch sein Bein verliere, und er meine, den Tod zu spüren. Voller Schrecken zog ich den Vorhang auf, nahm die Laterne und leuchtete in sein Gesicht. Beim Anblick seines Mundes, der zum linken Ohr hin verzerrt war, und seiner erlöschenden Augen erschrak ich sehr.94 Casanova erkannte sogleich, dass der Senator einen Schlaganfall erlitten hatte und sich in Lebensgefahr befand. Er wies die Gondolieri an, umgehend anzuhalten, damit er einen Wundarzt aufsuchen könne, der den Patienten zur Ader lasse. In einem nahegelegenen Café nannte man ihm den Weg zum Haus des nächsten Wundarztes, der dem jungen Venezianer mit seinem Etui, das die notwendigen Utensilien für einen Aderlass enthielt, zur Gondel des Senators folgte. Aus zeitgenössischen Quellen wird ersichtlich, dass die Symptome der Apoplexie auch medizinischen Laien bekannt waren und in vergleichbarer Weise wie in der Histoire de ma vie geschildert wurden: Lähmungserscheinungen, ein bis zum Ohr verzerrter Mund und Sprachstörungen.95 Da man die Ursache in der plethora, dem übermäßigen Blutandrang, suchte, musste das überflüssige Blut nach damaligem Verständnis durch einen Aderlass abgeleitet werden.96 Kurz darauf erreichte die Gondel den Palazzo des Senators in Santa Marina,97 und der Kranke 91 Girolamo Cornaro heiratete eine Dame aus der Familie Soranzo. 92 HdmV 1, 376–382. 93 HdmV 1, 376: Trois minutes après, il me prie de lui secouer le bras gauche: j’ai, me dit-il, un engourdissement si fort qu’il me semble absolument de n’avoir pas de bras. 94 GmL 2, 212. 95 M. Stolberg, Homo patiens, 126–127. 96 M. Stolberg, Homo patiens, 128–129. 97 Der Palazzo liegt etwa auf gleicher Höhe mit dem heutigen Teatro Malibran.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

wurde in seine Gemächer gebracht. Mittlerweile war auch der Leibarzt des Senators, ein gewisser Ludovico Ferro (1682–1757), eingetroffen, der laut den Registern der parrocchia von Santa Marina als medico fisico tätig war. Nach dem registro dei medici e chirurgi promovierte Ferro am 15. April 1705, im Alter von dreiundzwanzig Jahren.98 Während der Arzt den Kranken noch einmal zur Ader ließ, stießen auch die Freunde des Senators hinzu, der sich mittlerweile in einem hoffnungslosen Zustand befand: Der Kranke lag unbeweglich da; das einzige Lebenszeichen war seine Atmung. Man machte ihm warme Umschläge,99 und der Priester, den man geholt hatte, erwartete seinen Tod.100 Ludovico Ferro teilte jedoch ebenso wie die beiden Freunde des Senators die Überzeugung, den Kranken durch Quecksilberpflaster heilen zu können: Er stellte sich aufgrund einer ganz eigenartigen Überlegung vor, er könne ihn wieder gesund machen, wenn er ihm die Brust mit Quecksilber einrieb, und man ließ es geschehen.101 Die schnelle Wirkung des Quecksilbers führte umgehend zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten: Die rasche Wirkung dieses Heilmittels, die von den beiden Freunden als günstig angesehen wurde, erschreckte mich. Sie zeigte sich darin, dass der Kranke nach weniger als vierundzwanzig Stunden von einem großen Blutandrang (une grande effervescence à la tête) im Kopf gequält wurde. Der Arzt sagte, er habe diese Wirkung der Einreibung vorausgesehen, aber die Hitzewallungen im Kopf würden am nächsten Tag abnehmen und in die anderen Körperteile übergehen, die künstlich und durch das Gleichgewicht in der Zirkulation der Säfte belebt werden müssten.102 Um Mitternacht litt der Patient an hohem Fieber (était tout en feu) und war dem Tode nahe (une agitation mortelle). Casanova, der die tödliche Gefahr, die von dieser Therapie ausging, erkannt hatte, bewies umgehend Geistesgegenwart, entfernte die Pflaster und wusch den Patienten mit warmem Wasser. Bereits kurze Zeit später erholte sich der Patient nach und nach und fiel schließlich in einen ruhigen, erholsamen Schlaf: (Ich) entblößte seine Brust, entfernte die Pflaster, wusch ihn hierauf mit warmem Wasser, und drei oder vier Minuten später war er erleichtert, ruhig und in einen sanften Schlummer gesunken.103 Casanovas schnelle Reaktion rettete dem Senator vermutlich das Leben, hätte doch die Therapie des Arztes Ferro höchstwahrscheinlich seinen Tod bedeutet. Quecksilberkuren waren in der Tat bei der Behandlung von Apoplexie ungewöhnlich. So erwähnt der französische Arzt Simon Auguste Tissot (1728–1797) 1770 in seiner populären medizinischen Aufklärungsschrift, dem Avis au peuple

98 ASV, Provveditori di sanità, filza 583. Die Familie Ferro scheint sehr einflussreich gewesen zu sein. Ein anderes Mitglied der Familie, Aloisio Ferro, wurde 1773 Prior des Collegio medico chirurgico, vgl. N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Dalla scienza medica alla pratica dei corpi. Fonti e manoscritti per la storia della sanità, Padova 1993, 183–192, bes. 190. Aus der gleichen Familie stammte möglicherweise auch Luigi Ferro, der im Totenregister von San Zuane Nuovo am 4. Mai 1762 genannt wird. 99 Formentations. 100 GmL 2, 213. 101 GmL 2, 214. 102 GmL 2, 214. 103 GmL 2, 214.

3.8 Ein außergewöhnliches Therapeutikum

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sur sa santé,104 die zu einem europäischen „Bestseller“ wurde, bei Apoplexie keine Quecksilberkuren mehr, sondern empfahl stattdessen, den Kopf des Kranken zu entblößen, den Rest des Körpers ein wenig zu bedecken, dabei einen Aderlass am Arm vorzunehmen und jegliche Aufregung zu vermeiden. Am folgenden Tag kehrte der Arzt zurück, erfreut, dass seine „Kur“ nun doch angeschlagen habe, musste aber eine Überraschung erleben: Der Arzt kam in aller Frühe und freute sich, seinen Kranken in guter Verfassung zu finden. Signor Dandolo sagte ihm, was wir getan hatten und aufgrund welcher Maßnahmen ihm der Kranke weniger krank vorkomme. Der Arzt beklagte sich über die Freiheit, die wir uns herausgenommen hatten, und fragte, wer seine Kur zunichte gemacht habe. Signor Bragadin sagte ihm, von dem Quecksilber, das ihn fast getötet hätte, habe ihn ein Arzt befreit, der mehr verstehe als er; mit diesen Worten wies er auf mich.105 Ludovico Ferro war überzeugt, hinterlistig von einem Scharlatan hintergangen worden zu sein und verließ zornig das Haus, nicht ohne seinen Patienten davon in Kenntnis gesetzt zu haben, dass er nun Casanova seinen Platz abtrete. Casanova wurde so unversehens der Arzt eines der hervorragendsten Mitglieder des Senats von Venedig und riet seinem „Patienten“ zu einer strengen Diät und dazu, die vollständige Heilung der Natur zu überlassen.106 Der beleidigte Arzt sollte in ganz Venedig von dieser Geschichte berichten. Erstaunt zeigte man sich darüber, dass der Senator als Leibarzt nun einen Violinisten des Theaters San Samuele beschäftige, worauf der Senator schmunzelnd antwortete, ein Geigenspieler könne mehr von der Heilkunst verstehen, als alle Ärzte Venedigs zusammen. 3.8 Ein außergewöhnliches Therapeutikum Zu den bekanntesten Ärzten Venedigs gehörte in der damaligen Zeit Giovanni Maria Righelini (1710–1772),107 dessen Bekanntschaft der junge Casanova erstmals gemacht hatte, als er im gleichen Haus mit der von dem jungen Arzt umschwärmten Tänzerin Tintoretta108 wohnte. Von Righelini sind lediglich zwei medizinische Schriften erhalten. Die erste, 1749 erschienene Abhandlung

104 Avis au peuple sur sa santé, 41770, Kap. 11; vgl. hierzu P. Singy, The Popularization of Medicine in the Eighteenth Century: Writing, Reading, and Rewriting Samuel Auguste Tissot’s Avis au peuple sur sa santé, Journal of Modern History 82, 2010, 769–800. 105 GmL 2, 215. 106 HdmV 1, 378: J’ai alors dit au malade qu’il ne fallait que du régime, et que la nature ferait tout le reste dans la belle saison à laquelle nous nous acheminions. Vgl. auch S. A. Tissot, Avis, 176. 107 Righelini stammte aus Schio (Lettera chirurgica, 20). Nach dem registro dei medici e chirurgi promovierte er am 4. September 1742 in Pisa: Rhegelini, Giov. IIIa Dottorato in Pisa il 4 settembre 1742 (ASV, Provveditori di sanità, filza 583). 108 Margarita Giovanna Grisellini (1724–1791) erlangte einen hervorragenden Ruf als Tänzerin (Neapel, Venedig, Wien) und war noch 1776 tätig (HdmV 1, 981). Die Tintoretta wurde von Karl-August von Waldeck als auch von ihrem früheren Gönner, einem Venezianer aus der Familie Lin, finanziell unterstützt.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

in Form einer Fallstudie, befasste sich mit der Augenheilkunde (Katarakt)109 und war dem berühmten florentinischen Anatomieprofessor Antonio Cocchi (1695–1758) gewidmet, den der Arzt bereits 1744 in Venedig kennengelernt zu haben scheint.110 Diese Schrift wurde in der Merceria bei San Salvador al segno della salamandra gedruckt. Aus dieser kurzen Abhandlung geht hervor, dass Righelini auch selbst Staroperationen vornahm, unter anderem an der berühmten Pastellmalerin Rosalba Carriera (1675–1757)111 und einen ausgezeichneten Ruf als Starstecher genossen haben muss. Bei einer seiner Operationen waren auch zahlreiche Freunde und Bekannte Giacomo Casanovas anwesend, darunter Andrea Memmo (1729–1793) und der Konsul Joseph Smith (1674?– 1770).112 1764 publizierte Righelini eine weitere Abhandlung mit Beobachtungen zu insgesamt sechs ungewöhnlichen Krankengeschichten, wobei sich der zweite und sechste Fall wiederum mit der Kataraktoperation beschäftigen.113 Casanova sollte den jungen Righelini, den er als klugen und anständigen Mann bezeichnete,114 zwölf Jahre später (1755) im Hause des englischen Botschafters und Lebemannes John Murray (1714–1775) wiedersehen. Der Arzt schien zu dieser Zeit allerdings nicht ausschließlich medizinisches Interesse am schönen Geschlecht gehabt zu haben, bot er sich Casanova während eines Besuchs im Kloster Santa Maria delle Vergini doch auch als Kuppler an: Als ich Righelini gegenüber Schwester M. E., die eine vollendete Schönheit war, bewunderte, flüsterte er mir ins Ohr, dass er sich erbötig mache, sie mir gegen Geld zu verschaffen, falls es mich danach gelüste. Hundert Zechinen115 für sie und zehn für den Kuppler war der Preis; er versicherte mir, dass Murray sie besessen habe und sie auch wieder haben könne.116 Der Umgang in den venezianischen Klöstern des 18. Jahrhunderts war alles andere als prüde und mit heutigen Vorstellungen kaum vergleichbar. Nicht selten pflegten auch die dort untergebrachten Nonnen diverse Liebschaften. Etwa zur gleichen Zeit war Casanova auf der Suche nach einer Wohnung, und Righelini, mit dem er mittlerweile freundschaftlich verbunden war, bot sich an, dabei behilflich zu sein. Am folgenden Tag sollte er den Arzt zu einem Krankenbesuch auf die Fondamenta Nuove begleiten, habe doch die Mutter einer Patientin, die Righelini seit fast neun Monaten betreute, zwei gut

109 Lettera chirurgica del dottore Giano Reghellini medico e chirurgo in Venezia all’illustriss. Signore Antonio Cocchi […] sopra l’offesa della vista in una donna, consistente nel raddoppiamento degli oggetti, seguita dopo la depressione della cataratta, Venezia: appresso Pietro Bassaglia (1749; verfasst am 19. Juni 1749). Vgl. auch Francesco Zaccaria, Storia letteraria d’Italia, Venezia 1750, 103. 110 Lettera chirurgica, 3. 111 Lettera chirurgica, 22. 112 Lettera chirurgica, 34. 113 Osservatori sopra alcuni casi rari medici e chirurgici (Venezia 1764), vgl. hierzu auch J. Hirschberg, Geschichte der Augenheilkunde, Berlin 1918, Band 2, 151, § 404. 114 GmL 4, 173. 115 Heute in etwa eine Summe von umgerechnet fast 10 000 Euro. 116 GmL 4, 172.

3.8 Ein außergewöhnliches Therapeutikum

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ausgestattete Zimmer zu vermieten.117 Beim Eintreffen der beiden Männer wurde die Patientin gerade zur Ader gelassen: Ich ging mit ihm in ihr Zimmer und glaubte, eine Wachsstatue zu erblicken. Ich sagte ihr, sie sei schön, aber der Bildhauer müsse ihr noch Farbe geben; da lächelte die Statue. Righelini meinte, ich dürfe mich über ihre Blässe nicht wundern, denn man habe sie gerade zum hundertviertenmal zur Ader gelassen.118 Das erst achtzehnjährige Mädchen119 habe, so Righelini, noch nie ihre Monatsblutung gehabt und fühle sich deshalb drei- oder viermal in der Woche dem Tode nahe. Da man im 18. Jahrhundert noch weitgehend annahm, das im Körper verbleibende Menstruum könne eine schädliche Wirkung entfalten, erschien der Aderlass noch immer als ein geeignetes Mittel, das körperliche Gleichgewicht wiederherzustellen.120 Giovanni Maria Righelini erhoffte sich zwar von einer Luftveränderung ebenfalls eine positive Wirkung, hielt einen kräftigen Liebhaber jedoch für das beste Therapeutikum.121 Als Casanova fragte, ob nicht der Arzt zugleich ihr Apotheker sein könne, entgegnete Righelini: Das wäre ein zu gefährliches Spiel für mich, denn ich könnte mich zu einer Heirat verpflichtet sehen, die ich mehr fürchte als den Tod.122 Nachdem Casanova die Aussage seines Begleiters genau bedacht hatte, kam er zu der Ansicht, der Arzt könne mit seiner Annahme durchaus recht haben. Zugleich wunderte es ihn aber, dass gerade in Venedig ein derart einfaches Therapeutikum nicht aufzutreiben sei: Als ich mich schlafen legte und über dieses Mädchen nachdachte, hielt ich es für unmöglich, dass sie krank war. Sie sprach lebhaft, war heiter, gebildet und sehr gescheit. Wenn ihre Krankheit nur das Heilmittel erforderte, das Righelini als das einzige bezeichnete, verstand ich nicht, durch welches Verhängnis sie daran gehindert wurde, in einer Stadt wie Venedig geheilt zu werden, denn trotz ihrer Blässe schien sie mir durchaus wert, einen rührigen Verehrer zu haben.123 Da kein Konkurrent in Sicht war, und er von den Reizen der schönen Kranken durchaus angetan war, bemühte sich Casanova um ihre Gunst, beeindruckte das Mädchen mit seinen Tanzkenntnissen und führte lange Gespräche mit ihr. Seine Bemühungen wirkten sich positiv auf den Gesundheitszustand der Kranken aus, was Mutter und Tochter nach und nach Hoffnung schöpfen ließ: Ein117 Nach Aussage der Inquisitionsakten muss sich das Haus nahe der Cavallerizza (di Mendicanti) dei SS. Giovanni e Paolo (heute Calle della Gorna) befunden haben, vgl. G. Gugitz, Casanova und sein Lebensroman, 176 (Photo); G. Tassini, Curiosità veneziane, ovvero origini delle denominazioni stradali di Venezia, Venezia 2009, 169. 118 GmL 4, 200. 119 Es handelt sich möglicherweise um Anna Maria dal Pozzo (geb. 1725). Ihr Vater war der Mosaikleger Leopoldo dal Pozzo, der 1728 ein Mosaik an der Fassade der Markuskirche legte. Seine Witwe Cattarina dal Pozzo starb 1764 im Alter von fünfundsechzig Jahren. 120 M. Stolberg, Homo patiens, 180–181. 121 HdmV 1, 844–845: Me parlant de la maladie de cette fille, il me dit que le vrai remède qui la guérirait serait un amoureux robuste. Die körperliche Liebe als Therapeutikum ist auch in der galanten Literatur belegt. So „heilt“ der junge Vicomte de Nantel in den „Liebestaten“ auf der Krankenstation des Klosters, in das er durch eine List gelangt war, gleich mehrere Pensionärinnen von diversen Leiden (vgl. H. Leonhardt (Hrsg.), Die Liebestaten des Vicomte de Nantel, Hamburg 1964, 97 ff.). 122 GmL 4, 200. 123 GmL 4, 202.

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

mal überfiel sie nicht mehr ihre Atemnot, zum anderen hatte ich mich in sie verliebt. Ihre Regel war noch nicht eingetreten, aber es war nicht mehr nötig gewesen, den Wundarzt holen zu lassen. Righelini kam zur Visite, und als er sah, dass sie sich besser fühlte, stellte er ihr für den Herbst die Wohltat der Natur in Aussicht, ohne die sie nur durch Kunstgriffe am Leben erhalten werden konnte.124 Nur zehn bis zwölf Tage nach dieser positiven Bilanz erlitt die Kranke einen unvorhergesehenen Rückfall. Während des Tanzunterrichts überkam sie eine Atemnot, die schlimmer als Asthma war. Umgehend wurde der Wundarzt benachrichtigt, der sie kurzerhand zur Ader ließ, woraufhin wieder Leben in ihre Augen zurückkehrte und sie sogar kurz danach den Tanzunterricht fortsetzte. Dieser Vorfall veranlasste Casanova dazu, über die gesundheitlichen Auswirkungen der Blutabnahme zu reflektieren, da diese unbedingt notwendig sei, würden doch ansonsten die überfüllten Gefäße den Durchfluss verhindern: Da er ihr kaum vier Unzen125 Blut abgenommen hatte, und da ich von ihrer Mutter erfuhr, dass man nie eine größere Menge abnehmen musste, merkte ich, dass das Wunder gar nicht so groß war, wie Righelini es darstellte. Wenn er sie in dieser Weise zweimal in der Woche zur Ader ließ, erleichterte er sie um drei Pfund Blut im Monat; das entsprach der Menge, die bei den Regeln abgehen sollte. Da die Gefässe bei ihr überfüllt waren, brachte die Natur, die sich immer zu erhalten bestrebt ist, sie dem Tode nahe, wenn sie nicht von dem Überschuss entlastet wurde, der den freien Durchfluss behinderte.126 Anfang Juli erlitt die Kranke einen erneuten Rückfall. Wieder wurde der Wundarzt gerufen, der der Kranken strenge Bettruhe ans Herz legte. Casanova übernahm die Krankenpflege, nahm seine Mahlzeiten am Krankenbett ein und stellte dem Mädchen im Laufe mehrerer Gespräche die sichere Heilung in Aussicht, falls sie bereit sei zu lieben. Die Kranke antwortete, auch sie sei davon überzeugt, auf diese Weise wieder gesund zu werden. Aber wie könne sie denn lieben, ohne zu wissen, dass ihre Liebe erwidert werden würde? Das Eingeständnis seiner Zuneigung und die Erklärung, nichts von ihr zu verlangen, als was sie ihm zugestehe, beflügelten den Appetit der schönen Kranken, die sogleich die Hälfte von Casanovas Mittagessen verspeiste. Noch am gleichen Abend gesellte sich das Mädchen zu Casanova, der mit Freuden seiner Rolle als Liebhaber gerecht wurde, nicht ohne entsprechende Verhütungsmaßnahmen zu ergreifen. Bereits nach wenigen Wochen trat die „Wohltat der Natur“ ein: Die Furcht, sie schwanger zu machen, hatte mich daran gehindert zu sterben, ohne mein Leben einzubüßen. Sie schlief mit mir ohne Unterbrechung drei Wochen hintereinander; sie musste niemals mehr nach Luft ringen, und ihre Regel trat auch ein. Ich hätte sie geheiratet, wenn nicht gerade am Ende dieses Monats, wie man gleich sehen wird, die Katastrophe127 über mich hereingebrochen wäre.128 Und tatsächlich: Die von Casanova angedeutete Katastrophe sollte seinem Leben eine überraschende Wendung geben. 124 125 126 127 128

GmL 4, 204. Eine Unze beträgt etwa 28 Gramm. GmL 4, 205. Also seine Inhaftierung. GmL 4, 209.

3.9 Medizinische Versorgung im Gefängnis

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3.9 Medizinische Versorgung im Gefängnis Im Leben Giacomo Casanovas gibt es zwei herausragende Ereignisse, die zugleich wesentliche Wendepunkte in seinem Leben darstellten: Seine abenteuerliche Flucht aus den Bleikammern und das lebensgefährliche Duell mit dem polnischen Adeligen Branicky in Polen. Casanovas Aufenthalt und Flucht aus den Bleikammern waren mit ernsthaften physischen und psychischen Folgen verbunden und gehörten zu den eindrücklichsten Erlebnissen im Leben des dreißig Jahre zählenden Venezianers.129 Inhaftierung, Aufenthalt und Flucht hielt Casanova nicht nur in der Histoire de ma vie fest, sondern auch in der ausschließlich seiner Flucht gewidmeten Erzählung Histoire de ma fuite des Plombes de Vénise (1788).130 Der Grund für die Publikation liege, so Casanova, in den starken psychosomatischen Reaktionen, die sich beim Erzählen noch immer einstellten und die er in seinem Alter nun nicht länger ertragen könnte.131 In den venezianischen Gefängnissen, insbesondere den Piombi, die unter dem Dach der alten Gefängnisse (prigioni vecchie) lagen und deren Konstruktion auf das 11. Jahrhundert zurückgeht, wurden im Laufe der Zeit Tausende von Gefangenen festgesetzt, darunter auch etliche prominente wie Giordano Bruno, Silvio Pellico, Daniele Manin oder Niccolò Tommaseo. Lediglich Filippo Pasini hinterließ Ende des 18. Jahrhunderts in Form eines Tagebuchs einen mehrere tausend Seiten umfassenden ausführlichen Bericht: Penibelst dokumentierte der gefangene Pasini jede noch so kleine Veränderung an seinem Körper, etwa die Auswirkungen von Wärme und Kälte oder Wind und Regen auf seine Gesundheit.132 Zahlreiche zeitgenössische Quellen vermitteln ein lebhaftes Bild der Lebensbedingungen in den venezianischen Gefängnissen,133 darunter von der unmenschlichen Hitze, dem ständigen 129 In einer Akte der Staatsinquisition (ASV, Inquisitori di stato, annotazioni, b. 534, 245) wird die Verurteilung Casanovas erwähnt: 2 agosto 1755 venute a cognizione del tribunale le molte riflessibili colpe di Giacomo Casanova principalmente in disprezzo publico della Santa Religione, SS. EE. Lo fecero arrestare e passar sotto li piombi. Unterzeichnet wurde dieses Schriftstück von den Inquisitoren Andrea Diedo, Antonio Condulmer und Antonio da Mula. Die Strafe Casanovas wurde auf fünf Jahre Haft festgesetzt: l’oltrascritto Casanova condannato anni cinque sotto li piombi. 130 Die Erzählung erschien 1788 in Leipzig bei Schönfeld. 131 Fuite, Avant-Propos, 8–9: Il m’est arrivé cent fois de me trouver après le récit de cette histoire quelque altération dans la santé, causée par le fort souvenir de la triste aventure ou par la fatigue soutenue par mes organes en devoir d’en détailler les circonstances. 132 ASV, Inquisitori di stato, b. 1209–1212. 133 G. Scarabello, Carcerati e carceri a Venezia nell’età moderna, Roma 1979; ders., La pena del carcere. Aspetti della condizione carceraria a Venezia nei secoli XVI–XVIII: l’assistenza e l’associazionismo, in: G. Cozzi (Hrsg.), Stato, società e giustizia nella repubblica veneta (sec. XV–XVIII), Roma 1980–1985, 319–376; U. Franzoi, The Prisons of the Doge’s Palace in Venice, Milano 1997; L. Fadalti et al. (Hrsg.), Gli artigli del leone. Giustizia e carcere a Venezia dal XVI al XVIII secolo, Treviso 2007; B. Pullan, The Relief of Prisoners in Sixteenth Century Venice, Studi Veneziani 10, 1986, 221–229. Über die Zustände in venezianischen Gefängnissen im 18. Jahrhundert berichtete auch C. Cavalieri, Historia in verso sciolto dell’Ecc.mo Sier Cesare Cavalieri medico fisico sopra le miserie dell prigioni di Venezia (BMV, mss. it. Cl. IX,

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3 Kindheit und Jugend in Venedig

Mangel an Sonnenlicht, der schlechten Luftzufuhr134 und letztendlich auch der mangelhaften Versorgung mit Nahrungsmitteln. In den Zellen herrschten verheerende hygienische Zustände, und die Insassen wurden von Ungeziefer und Ratten geplagt. Oft waren in zu kleinen Zellen gleich mehrere Häftlinge untergebracht, die sich gegenseitig mit gefährlichen Krankheiten ansteckten. Die Lebensbedingungen mancher Gefangener aus höheren sozialen Schichten unterschieden sich dabei kaum von denen ärmerer Bevölkerungsschichten in Venedig: Viele Zellen waren vorher sogar als Wohnräume genutzt worden und wurden später in Büros, Wachräume oder wieder in Wohnräume umgewandelt. Bereits im 16. Jahrhundert hatten sich zuerst im Consiglio dei Dieci und nach und nach auch in allen anderen involvierten administrativen Einrichtungen kritische Stimmen gegenüber den schlechten Lebensbedingungen für die Insassen der venezianischen Gefängnisse erhoben.135 Schließlich wurden Architekten angewiesen, die Zellen derart zu gestalten, dass den Gefangenen ausreichend Licht, Luft und Platz zur Verfügung standen.136 Auch Ärzte prangerten die gesundheitsgefährdenden Umstände an. In den venezianischen Archiven sind daher auch zahlreiche Petitionen von Gefangenen erhalten, die um eine Verlegung in komfortablere Zellen baten.137 Kranke Gefangene wurden auf ihre Bitte hin zwar in anderen Zellen untergebracht, mussten dafür aber meist eine hohe Summe entrichten, die oft zugunsten einer kirchlichen Einrichtung ging.138 Die Oberaufsicht über die Gefängnisse fiel in die Kompetenz verschiedener Behörden, insbesondere der Avogadori di comun, deren Büros im Dogenpalast untergebracht waren. Bereits 1443 wurde das Amt des Avvocato d’ufficio dei prigionieri geschaffen, das später von zwei Avvocati ausgeübt wurde. Diese mussten die Gefängnisse besichtigen und die Krankenstationen und Zellen überprüfen. Bei diesen Avvocati konnten die Gefangenen ihre Beschwerden vorbringen, über die der Consiglio dei Dieci nach Anhörung des Kapitäns der Wache entschied. Dieser Rat der Zehn beschäftigte auch einen

134

135 136

137 138

253, No. 6362). Die meisten dieser Dokumente werden heute im ASV aufbewahrt (die Fraterna Prigioni umfasst insgesamt 43 buste). Erhalten sind auch zahlreiche fedi mediche (ASV, Insquisitori di stato, b. 925). Insbesondere die pozzi waren davon betroffen: Am 16. Februar 1781 schrieb ein Arzt nach seinem Besuch in den berüchtigten Gefängnissen, dass der Gefangene krank sei, da die schlechte Luft das Atmen erschwere (ASV, Inquisitori di stato, b. 925 (fedi mediche): L’altra è quella di respirare da tanto tempo un’aria grassa, malsana, e piena di pessime valazioni. U. Franzoi, The Prisons, 64–65. U. Franzoi, The Prisons, Quellen 55–58. Am 22. Februar 1552 wurde bei den Avogadori di comun die Bitte erhoben, Gefangene aus dem Gefängnis Liona in den gabbioni di terra nuova unterzubringen, da man die Zellen vergrößern wolle. Viele Gefangene würden nämlich an „Petechien“ leiden, und ansonsten andere anstecken: molti delli quali se ritrovano amalati di petechie con pericolo d’infetar tutti gli altri. Vgl. auch die Quelle vom 7. April 1564: Il che oltra che non si può fare opera più grata alla Maestà di Dio di questa, ritornerà anco a beneficio di tutta questa città venendosi a liberarla dal pericolo di esser infettata per causa di tanti che muoreno in dette prigioni per la maggior parte da petecchie, contagione affine et propinqua alla pestilentia, et specialmente in questa prima stagion che hora regna così calsa et secca. U. Franzoi, The Prisons, 66–67. U. Franzoi, The Prisons, 67.

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Arzt, der ausschließlich die Kranken behandelte,139 wobei dieser einen Eid leisten musste (medico fisico sopra detto affermo ut sopra con giuramento), dass er bei jeder Diagnose die Schwere der Krankheit korrekt vermerkte, und auf welche Weise der Patient behandelt werden müsse. Sobald der Patient genesen war, musste der Arzt den Avogadori di comun wiederum einen Bericht abstatten, worauf der Gefangene umgehend von der Krankenstation in seine Zelle zurückgebracht werden konnte. Aus Angst vor Seuchen wurden die Avogadori di comun angewiesen, alle Gefängnisse einmal jährlich vor Ostern reinigen und mit Essig schrubben zu lassen.140 Nach und nach wurde die medizinische Versorgung, die anfänglich nur besonders wohlhabenden Gefangenen zustand, auch für weniger Begüterte möglich. Vom Collegium medicum wurde zu diesem Zweck ab dem 7. April 1564 ein Arzt gestellt, der alle Gefangenen der Krankenstationen behandeln sollte.141 Aus den Akten der Inquisition wird ersichtlich, dass es sich bei den Krankheiten der Gefangenen neben hygienisch bedingten Infektionskrankheiten wie Typhus, Parasitalinfektionen (u. a. Krätze), auch um Geschlechtskrankheiten und manische Krankheiten handelte.142 Die Therapeutika wurden von Apotheken in Venedig geliefert und den Kranken durch die Wächter ausgehändigt. Wenn der Gefangene über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügte, bezahlte er die Therapeutika selbst, andernfalls kamen die Avogadori di comun für die Kosten auf. Die letzten Berichte über den Zustand der venezianischen Gefängnisse stammen von dem Arzt Francesco Dalessi.143 Nach seiner Verhaftung144 war Casanova über eine hohe geschlossene Brücke über dem Rio di Palazzo vom Dogenpalast ins Gefängnis gebracht und auf einen großen, hässlichen und schmutzigen Dachboden geführt worden, der nur durch eine Dachluke spärlich erleuchtet war. Von dort aus gelangte er in eine schlecht beleuchtete Zelle, die hinter ihm verschlossen wurde.145 Casanova wurde ein persönlicher Wächter namens Lorenzo Basadonna zur Betreuung gegeben, der ihn mit allem Notwendigen versorgen sollte. Im Archivio di Stato in Venedig sind die Listen dieser Ausgaben erhalten, die Lorenzo für die Gefangenen tätigte, wobei sich die Aufwendungen für Casanova im obersten Drittel befinden.146 Aufgrund seiner Körpergröße war es dem Gefangenen nicht möglich, aufrecht zu stehen. In der Zelle befanden sich neben einer Art Alkoven auch ein 139 140 141 142

143 144 145 146

U. Franzoi, The Prisons, 70–71. Quelle vom 7. April 1564 (nach U. Franzoi). U. Franzoi, The Prisons, Quelle 77. U. Franzoi, The Prisons, 63–73. Die Ärzte fertigten auch Listen aller kranken Gefangenen und ihrer Leiden an (vgl. die Liste des Arztes Ignazio Galli vom 12. Mai 1783; ASV, Avogaria di comun, penale, b. 142). ASV, Avogaria di comun, b. 3617/1. Im ASV ist der Rapport des Messer grande Varutti über Casanovas Inhaftierung am 27. Juli erhalten, vgl. ASV, Inquisitori di stato, b. 672. Die Zelle Casanovas kann noch heute besichtigt werden, vgl. U. Franzoi, The Prisons, 42. ASV, Inquisitori di stato, ricevute, b. 962. Lorenzo Basadonna erhielt am 1.Oktober drei Monatsgelder im Gesamtwert von 220 Lire.

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Kübel für die natürlichen Bedürfnisse und eine Planke als Ablage für die Kleidung. Da die Zelle direkt unter dem Dach lag, war die Hitze unerträglich, ganz zu schweigen von riesigen Ratten, die auf dem angrenzenden Dachboden herumliefen. Während der ersten Tage seiner Gefangenschaft sah sich Casanova unerträglichen körperlichen Qualen durch das Ungeziefer ausgesetzt: Eine Million Flöhe stürzten sich hocherfreut auf meinen Körper, voll Gier nach meinem Blut und meiner Haut, die sie mit einem Fanatismus durchlöcherten, von dem ich keine Ahnung gehabt hatte. Diese verfluchten Insekten ließen mich ständig zusammenzucken, verursachten mir krampfartige Zustände und vergifteten mir das Blut.147 Neben dem mangelhaften Essen machte dem Gefangenen die unerträgliche Hitze zu schaffen, insbesondere während der Hundstage vom 23. Juli bis zum 23. August. Vierzehn Tage hatte Casanova keinen Stuhlgang und erkrankte an Hämorrhoiden, an denen er noch heute, während er diese Episode seines Lebens zu Papier brachte, leide. Diese Erkrankung habe ihm, so wie in Konstantinopel der Schnupfen, in Russland jedoch Komplimente148 eingebracht: Die unbeschreibliche Hitze und die Entkräftung infolge des Mangels an Nahrung hatten mich erschöpft. Es war die Zeit der drückendsten Hundstage. Durch die Kraft der Sonnenstrahlen, die auf das bleigedeckte Dach meines Gefängnisses niederbrannten, war ich wie in einem Schwitzbad; der Schweiß, der durch meine Haut drang, rieselte auf den Fußboden rechts und links von meinem Lehnstuhl, in dem ich ganz nackt saß. Die ersten vierzehn Tage, die ich dort war, hatte ich keinen Stuhlgang gehabt. Als er nun kam, glaubte ich, vor unvorstellbaren Schmerzen zu sterben. Sie kamen von inneren Hämorrhoiden. Hier habe ich mir diese qualvolle Krankheit zugezogen, von der ich nicht mehr genesen bin; dieses Andenken erinnert mich von Zeit zu Zeit an die Ursache und trägt nicht dazu bei, sie mir wert zu machen. Wenn uns auch die Natur keine Arzneien verrät, um verschiedene Leiden zu heilen, so bietet sie uns wenigstens eine sichere Methode, sie zu erwerben.149 Binnen weniger Tage erkrankte der Gefangene an einem heftigen Schüttelfrost und hohem Fieber. Als der Wärter Casanova im Bett fand und das Essen unberührt, informierte er trotz heftiger Widersprüche den Gefängnisarzt, wobei er den Gefangenen darüber in Kenntnis setzte, dass der Consiglio dei Dieci alle Kosten für Arzt, Arzneien, Medikamente und einen Wundarzt übernehmen werde. In einem Gespräch unter vier Augen vertraute der Erkrankte dem ernsthaft besorgten Arzt an, dass möglicherweise die religiöse Lektüre, die der Sekretär des Consiglio, Domenico Maria Cavalli, ihm verordnet habe, für seinen Zustand verantwortlich sei. Zugleich forderte Casanova den Arzt auf, ihm ein Rezept zu schreiben und es einem bestimmten Apotheker zu übergeben. Dieser zog sich zurück, nicht ohne für den Kranken, wie Casanova in der Histoire de ma vie betonte, persönlich eine verdünnte Limonade zubereitet zu haben. Möglicherweise handelte es sich bei dem für die Insassen der Bleikammern zuständigen Arzt um einen gewissen Paolo Carlo Bellotti. Ein Blick in die Akten der Avogadori di comun bestätigt tatsächlich, dass 147 GmL 4, 231. 148 Hämorrhoiden galten als vorteilhaft, da durch die Blutungen das Gleichgewicht der Säfte wiederhergestellt wurde. 149 GmL 4, 235.

3.9 Medizinische Versorgung im Gefängnis

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für den Zeitraum von 1756–1764 ein Arzt dieses Namens als Gefängnisarzt fungierte.150 Paolo Carlo Bellotti promovierte laut dem registro dei medici e chirurgi am 18. Dezember 1739 in Venedig.151 Am nächsten Tag erschien ein Wundarzt, der den Gefangenen zur Ader ließ und ihm ein Therapeutikum und eine kräftigende Fleischbrühe übergab. Von Lorenzo Basadonna erhielt Casanova zu seiner Freude als Lektüre das Werk des Boethius sowie eine Spritze und Gerstenwasser für Darmeinläufe.152 Als besonderes Zugeständnis wurde dem Gefangenen erlaubt, die Zelle zu verlassen und sich zu waschen, während das Bett gemacht und ausgekehrt wurde, um die Flöhe zu vertreiben. Kaum ging es Casanova besser, plante er auch schon den ersten Fluchtversuch. Auf dem Dachboden, auf dem er sich zeitweise bewegen durfte, fand er einen Metallriegel, den er mittels eines Marmorstücks in wochenlanger Arbeit zurechtschliff, um das Eisen als Bohrer, Meißel und Hebel zu benutzen. Da seine Zelle, wie Casanova richtig vermutete, über den Amtsräumen des Dogenpalastes lag, plante er mit diesem Werkzeug ein Loch in den Fußboden zu graben, durch das er sich mit Hilfe seiner Bettücher hinablassen konnte. Um den Wächter daran zu hindern, beim Auskehren auf das Loch im Boden zu stoßen, verbot er ihm diese Maßnahme, da der aufgewirbelte Staub in die Lunge geraten könne und dort zu Tuberkeln führe. Als der Wächter anbot, den Boden stattdessen mit Wasser zu bespritzen, untersagte ihm Casanova auch dies, da Feuchtigkeit zu hohem Blutdruck führen könne. Als eine Woche später doch ausgekehrt werden sollte, ersann der findige Venezianer eine weitere List: Er stach sich in den Finger, machte das Taschentuch blutig und berichtete dem verdutzten Wärter, ihn habe ein derartiger Husten befallen, dass eine Ader in der Brust geplatzt sei. Zugleich forderte er einen Arzt, der einen Aderlass verordnete und ein Rezept schrieb. Casanova gab umgehend dem Wächter die Schuld, da dieser die Zelle ausfegen wollte, worauf der Arzt ihm beipflichtete und den Wächter rügte:Er machte ihm (d. h. dem Wächter) zum Vorwurf, dass gerade ein junger Perückenmacher aus dem gleichen Grund an einem Brustleiden gestorben sei; denn seiner Meinung nach atme man den eingeatmeten Staub niemals aus. […] Ich lachte insgeheim darüber, dass der Arzt nicht besser hätte sprechen können, wenn er mit mir im Einverständnis gewesen wäre. Die Büttel, die bei dieser Belehrung zugegen waren, freuten sich über diese Neuerung und fügten ihren Akten von Mildtätigkeit noch den Hinweis hinzu, nur in den Kerkern derer zu kehren, denen sie übelwollten.153 Den Aderlass, vermerkte der ansonsten so kritische Casanova, habe er jedoch nötig gehabt, denn er gab mir den Schlaf zurück und heilte mich von krampfartigen Zuckungen, die mich beunruhigten.154 Die langen und dunklen Winternächte erschwerten die Arbeit, und der Gefangene war nun auf künstliches 150 ASV, Avogaria di comun, penale, b. 142 (fedi mediche). 151 ASV, Provveditori di sanità, filza 583. 152 Casanova scheint dieses Mittel wirklich angewendet zu haben. In der Fuite, 41, schreibt er: Plusieurs clystères d’eau d’orge me guérirent en huit jours de la fièvre et calmèrent l’autre cruelle incommodité, et huit jours après l’appétit vint. 153 GmL 4, 258. 154 GmL 4, 258.

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Licht angewiesen. Dazu baute er sich eine Lampe, deren Zutaten er unter List von seinem Wächter erbeten hatte: Öl aus Lucca, da ihm das gewöhnliche Öl nicht guttäte und einen Flintstein, der gegen starkes Zahnweh helfen sollte. Casanova hatte im Laufe seiner Gefangennahme an einer Art Masern gelitten, die nach ihrer Abtrocknung auf den Armen einen Ausschlag zurückließen, der mir ein unangenehmes Jucken verursachte.155 Vermutlich handelte es sich dabei um Krätze, die unter den hygienischen Bedingungen eines Gefängnisses einen ausgezeichneten Nährboden fand. Als er den Arzt schriftlich um ein weiteres Therapeutikum bat, verordnete dieser einen Tag Diät und vier Unzen Öl von süßen Mandeln, um die Haut zu kurieren, als Alternative eine Einreibung mit einer Salbe aus Schwefelblüte, wobei dieses Mittel allerdings gefährlich sei. Unter dem Vorwand, sich die Salbe selbst zuzubereiten, entschied sich der Gefangene für Schwefel und Holzspäne; Zündmaterial gewann er aus dem Innenfutter seines Taftrocks. Letztendlich sollten alle Mühen umsonst sein: Casanova wurde in eine andere Zelle verlegt, das Loch unter dem Bett entdeckt und die Schäden umgehend repariert.156 Regelmäßig wurden in der neuen Zelle der Fußboden und die Wände abgeklopft. Da die Zellendecke nicht überprüft wurde, schmiedete Casanova neue Pläne. Mittels einer List nahm er zu einem Mitgefangenen, Pater Marino Balbi (1719–1783), Kontakt auf, schmuggelte den Meißel, der unentdeckt geblieben war, in die Zelle des Mönchs und wies ihn an, erst sich selbst zu befreien und dann ein Loch in die Decke seiner Zelle zu schlagen. So könnten sie beide über den Dachstuhl des Dogenpalastes fliehen. Ein neuer Zellengenosse schien den wohldurchdachten Plan anfangs zu verhindern, doch sollte Casanova und Marino Balbi schließlich doch noch die Flucht aus dem sichersten Gefängnis der Welt gelingen. Die abenteuerliche Flucht über die glitschigen Bleidächer bis zum Dachstuhl brachte die Gefangenen nicht nur in Todesangst, sondern hinterließ auch mehr oder minder schwerwiegende Verletzungen, mussten sie doch eine geeignete Luke finden, um außerhalb des Gefängnistraktes in den Dogenpalast zu gelangen. Am 1. November 1756, an Allerheiligen, erreichten sie über den Dachboden die cancelleria ducale. Als Passanten den in seine Prachtkleider gewandeten Casanova erblickten, waren sie der Ansicht, am Vortag sei jemand eingeschlossen worden. Sie informierten umgehend den Hausmeister, der den beiden Männern die Tür öffnete. Neben den erwähnten körperlichen Folgen hinterließ ein so aufreibendes Erlebnis tiefe Spuren in der Seele, die erst nach und nach sichtbar wurden. In München musste sich Casanova aus diesem Grund erst vollständig auskurieren, da die erlittenen Anstrengungen Schmerzen und heftige Nervenkrämpfe ausge155 GmL 4, 259. In der HdmV 1, 890, spricht Casanova von une espèce de rougeole, qui après s’être desséchée m’avait laissé sur les bras des dartres qui me causaient une démangeaison qui m’incommodait. In der Fuite, 71, ist es eine efflorescence dartreuse, qui de temps en temps m’envahissait en me causant une très incommode démangeaison sur tout le corps, m’assaillit […]. 156 Im ASV ist eine Aufstellung der von dem Zimmermann Battista Piccini ausgeführten Arbeiten erhalten geblieben. Die Kosten beliefen sich auf rund 695 Lire (ASV, Inquisitori di stato, ricevute, b. 925).

3.9 Medizinische Versorgung im Gefängnis

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löst hatten. Eine gute Diät von weniger als drei Wochen ließ ihn jedoch zumindest in körperlicher Hinsicht wieder zu Kräften kommen.157 Giacomo Casanovas Wächter Lorenzo Basadonna sollte für seine Unachtsamkeit dagegen hart bestraft werden: Er musste eine zehnjährige Gefängnisstrafe in den pozzi absitzen.158

157 GmL 5, 34. 158 ASV, Inquisitori di stato, annotazioni, registro 535, c. 83: Lorenzo Basadonna era custode delle prigioni de Piombi, che esisteva nei camerotti per difetti del suo ministero, da quali ne provenne la fuga al primo novembre decorso da Piombi stessi del P. Balbi somasco, e di Giacomo Casanova, che vi erano condannati, per tenui motivi di contrasto con Giuseppe Ottaviani pur condannato ne’ camerotti, ne commise la interfezione. Presi dal tribunale gl’essami per rilevare l’origine, e i modi del non ordinario avvenimento, risultò infatti per la confessione stessa del reo il caso per proditorio in ogni sua circostanza. Tutto che però meritasse il supplizio maggiore, la clemenza del Tribunale con pieni riflessi di carità e di clemenza è devenuta alla sentenza qui contro estesa. Alvise Barbarigo Inq(uistito)r, Lorenzo Grimani Inq(uisito)r, Bortolo Diedo Inq(uisito)r, Lorenzo Basadonna sia condannato ne’ Pozzi per anni dieici. Alvise Barbarigo Inq(uisito)r, Lorenzo Grimani Inq(uisito)r, Bortolo Diedo Inq(uisito)r.

4 Gesundheit als einziger Reichtum? Zu Giacomo Casanovas Gesundheitsbegriff 4.1 Gesundheit und Körpererfahrung Wenn man von diversen venerischen Krankheiten absieht, scheint Casanova über eine außergewöhnlich stabile Gesundheit verfügt zu haben,1 die für ihn einen wesentlichen Bestandteil des allgemeinen Wohlbefindens darstellte, wenn nicht sogar die Voraussetzung für alles andere: Ich konnte nicht umhin, mich im tiefsten Grunde glücklich zu fühlen. Bei vollkommener Gesundheit, in der Blüte meiner Jahre, ohne irgendwelche Verpflichtungen, ohne die Notwendigkeit, vorsorgen zu müssen, reichlich mit Geld versehen, von niemandem abhängig, glücklich im Spiel und gern gesehen bei den Frauen, die mich interessierten, konnte ich mir mit vollem Recht sagen: Nur weiter so!2 Eine robuste Gesundheit und eiserne Disziplin war bei Casanovas Lebenswandel überaus wichtig, war doch das Reisen im 18. Jahrhundert mühevoll und mit vielen Gefahren verbunden. Die Straßen waren holprig, manchmal unpassierbar und staubig, und viele Herbergen waren nicht gerade komfortabel.3 Reisen erforderte zudem einen ungeheuren Organisationsaufwand und alles musste genau beachtet werden, vor allem Pässe, Währungen oder auch Landessitten. Nicht selten war der Postillon betrunken, um die Kälte auf dem Kutschbock nicht zu spüren. Auf der Fahrt von Paris nach Wien im Dezember 1783 bekam so auch Casanova die unliebsame Seite des Reisens am eigenen Leib zu spüren, als er sich bei einem Sturz aus der Kutsche die Schulter verstauchte und sie von einem „Knochenbrecher“ wieder einrenken lassen musste.4 Nur durch eiserne Härte zu sich selbst konnte er manche Schmerzen ertragen. Oft stürzte er in der eisigen Kälte nachts in den Schnee,5 erholte sich jedoch rasch wieder von den erlittenen Strapazen.6 Insbesondere der russische Winter war bei Reisenden gefürchtet. Casanova berichtet, dass durch unzureichenden Schutz schnell ein Ohr oder die Nase unwiderbringlich verloren sein konnten.7 Kennzeichnend für das 1 2 3

4 5 6 7

L. Flem, Casanova ou l’exercise du bonheur, Paris 1995. GmL 7, 56. Der etwa Mitte des 18. Jahrhunderts erschienene Reiseführer von Thomas Nugent berichtet ausführlich, welche Herbergen zu meiden wären, und in welchen man einkehren konnte. Marr 8–185 (13. Dezember 1783). Marr 8–182 (28. Februar 1784). Marr 8–182 (28. Februar 1784). HdmV 3, 405: Le malheur de perdre une oreille, tout le nez, l’os excepté, un morceau de la joue, une lèvre, arrive souvent si on n’y prend pas garde. Un Russe s’est aperçu que j’allais perdre une oreille un jour que je suis arrivé à Petrow en traîneau, le froid étant sec. Il vint vite me frotter avec une poignée de neige jusqu’à ce que toute la partie cartilagineuse que j’allais perdre s’est ranimée. Interrogé à quoi il s’était aperçu que j’étais en danger, il me dit qu’on s’aperçoit facilement, puisque la partie meurtrie par le froid devient extrêmement blanche. Ce qui me surprit, et qui me paraît encore aujourd’hui incroyable, est que la partie perdue quelquefois revient. Le prince Charles de Courlande m’assura qu’il perdit un jour en Sibérie le nez, qu’il regagna cependant dans l’été. Plusieurs mosik m’assurèrent du même phénomène.

4.1 Gesundheit und Körpererfahrung

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Menschenbild Casanovas war stets der uralte Glaube an die natürliche Heilkraft des menschlichen Körpers, erstmals geprägt durch die hippokratische Medizin (physis/natura) und insbesondere vertieft durch den Renaissance-Gelehrten Paracelsus (1493–1541) sowie durch den Leidener Arzt und Theologen Herman Boerhaave (1668–1738).8 Die Natur galt dabei als Heilerin und zentrale Kraftquelle, die den Menschen speist und seine Selbstheilungskräfte mobilisiert. Casanova war daher auch überzeugt, seine Geliebte Caterina Capretta werde durch die heilsame Wirkung der Natur wieder gesund werden, und dem Senator Matteo Bragadin riet er, die endgültige Heilung der Natur zu überlassen und diese ausschließlich mit einer Diät zu unterstützen. Casanova war sich bewusst, dass ein exzessiver Lebensstil seine Gesundheit langfristig ruinieren konnte, weshalb er durch wohldosierte Erholungspausen, eine spezielle Diät9 sowie durch Ruhe und Abstinenz seinen ursprünglichen Gesundheitszustand stets wiederherzustellen vermochte: Die wiedererlangte Gesundheit konnte letztendlich wieder neue Exzesse garantieren. In der Histoire de ma vie zog Casanova daher eine kurze Bilanz, welche Einstellung er zu Gesundheit und Krankheit in seinem Leben überhaupt gehabt hatte: Mein Leben lang habe ich nichts anderes getan, als mich angestrengt, krank zu werden, wenn ich mich meiner Gesundheit erfreute, und mich angestrengt, meine Gesundheit wiederzuerlangen, wenn ich sie verloren hatte. Sowohl bei der einen wie bei der anderen Mühe habe ich in gleicher Weise besten Erfolg gehabt und erfreue mich heute in dieser Hinsicht einer vollkommenen Gesundheit, die ich gern noch schädigen würde; aber das Alter verwehrt es mir.10 Gesundheit bedeutete für Casanova nach traditionellem Verständnis die harmonische Mischung aller Körpersäfte und war für ihn letztendlich ein unersetzbarer Reichtum, vielleicht sein einziger wirklicher. Casanovas diätetische Maßnahmen waren an seinen individuellen Lebensstil angepasst, und durch Empirie gewann er die Erkenntnis, was er sich selbst zumuten konnte. Dies setzte exzellente, auf Beobachtungen basierende Kenntnisse des eigenen Körpers voraus. Jeden Morgen, wenn er aufwache, so berichtet Casanova in der Histoire de ma vie, betrachte er seinen Körper und seine geistige Verfassung und sei glücklich: Am Morgen beim Erwachen betrachtete ich meine äußere und innere Lage und fand, dass ich glücklich war.11 Als alter Mann auf Schloss Dux kommentierte er, was den Kranken vom Gesunden letztendlich unterscheide: Um einen Menschen zu beurteilen, muss man sein Verhalten prüfen, wenn er gesund und frei ist; der Kranke oder der Gefangene ist nicht mehr er selbst.12 Mit analytischer Präzision beschrieb er daher auch die Verschlechterung seiner körperlichen Verfassung mit zunehmendem Alter: Ich fühlte mich nicht mehr jung. Sechsundvierzig Jahre erschienen mir ein hohes Alter. Es geschah mir zuweilen, dass ich den Liebesgenuß weniger stark, weniger bezaubernd fand, als ich ihn mir vorgestellt hatte; außerdem nahm schon seit acht Jahren meine Manneskraft allmählich ab. Ich stellte fest, dass auf 8 9 10 11 12

Vgl. zur Diätetik Boerhaaves K. Bergdolt, Leib und Seele, 241 ff., 251 ff. Vgl. zur Diätetik der Aufklärung K. Bergdolt, Leib und Seele, 246–248. GmL 3, 255. GmL 9, 409. GmL 10, 51.

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Zu Giacomo Casanovas Gesundheitsbegriff

einen langen Kampf nicht mehr ein tiefer ruhiger Schlaf folgte, und dass mein Appetit bei Tisch, den die Liebe früher gesteigert hatte, geringer wurde, wenn ich liebte, und auch nach dem Genuß der Liebe. Schließlich merkte ich, dass sich das schöne Geschlecht nicht mehr einfach bei meinem Anblick für mich interessierte, sondern dass es der Worte bedurfte. […] Wenn man von mir sagte, ich sei ein Mann im mittleren Alter, so gab ich das zu, aber diese Wahrheit ärgerte mich. In Augenblicken, in denen ich allein war und mein Inneres erforschte, brachte mich das alles zur Überzeugung, dass ich an einen würdigen Rückzug denken musste.13 Er sei, als alter Mann in Dux, nun in einer Lebensphase, in der man der Gesundheit die größten Opfer bringen müsse: Zahnlos und einer seiner größten Vergnügungen, des Erzählens, beraubt, sah Casanova sich mit der Vergänglichkeit seines eigenen Körpers konfrontiert.14 Krankheit sollte für Casanova oft auch einen Wendepunkt in seinem Leben symbolisieren, und nicht selten ist sie eine Begleiterscheinung oder Folge einer Trennung von der Geliebten, darunter insbesondere von der geheimnisvollen Henriette.15 Den schwierigsten Einschnitt in seinem Leben stellte jedoch das unglückliche Werben um die Gunst der Schweizer Kurtisane Charpillon (ca. 1746–1777)16 in London dar: Arm und gedemütigt, und dazu noch unter der Anklage, einen falschen Wechsel eingelöst zu haben, musste Casanova in einem erbärmlichen Gesundheitszustand London heimlich verlassen. Drohte eine Erkrankung, griff er stets zu Präventivmaßnahmen. Als eingefleischter Hippokratiker, der das Maßhalten als Fundament für die Gesundheit erachtete, passte er seine Ernährung der körperlichen Beschaffenheit und seinem jeweiligen Gesundheitszustand an: Da ich meine Ernährung meiner körperlichen Verfassung anpasste, erfreute ich mich stets einer guten Gesundheit; und da ich in Erfahrung gebracht hatte, dass es stets Maßlosigkeit oder große Enthaltsamkeit beim Essen sind, die die Gesundheit verderben, hatte ich nie einen anderen Arzt als mich selbst.17 Im utopischen Roman Icosameron sollten die Köche und Apotheker der Megamikren daher sogar eine besondere Ausbildung absolvieren, um eine gesunde Ernährung zubereiten zu können: Die Köche und Apotheker, alles ausgebildete Chemiker, gelten als bedeutende Persönlichkeiten […]. Um Küchenchef zu werden, muss man die Approbation eines naturwissenschaftlichen Kollegiums besitzen, dessen Mitglieder höchst gelehrt und sehr geachtet sind und die alle Prüfungen in allgemeiner Pflanzenkunde abgelegt haben.18 Durch Erfahrung hatte Casanova gelernt, welche Heilmittel und Kuren ihm am besten bekamen. So riet er 1752 der Duchesse de Chartres zu einem 13 14

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GmL 12, 117. Fuite, 9: Celui de survivre au dépérissement de nos membres et à la perte de ce dont notre individu a besoin pour son bien-être est un gran malheur, car la misère ne peut dépendre que du manque du nécessaire; mais ce malheur arrive quand on est vieux, il ne faut pas s’en plaindre, puisque, si l’on a enlevé nos meubles, on nous a laissé du moins la maison. […] Il n’est pas possible de vivre longtemps sans que nos outils s’usent. Entweder Jeanne-Marie d’Albert de St. Hippolyte (1718–1795) oder Marie-Anne d’Albertas (1722–1792), vgl. HdmV 3, 1328. Eigentlich Marie-Anne Geneviève Au(g)spurgher (HdmV 3, 1271–1272). GmL 1, 5. Icosameron, Band 1, 239 f.

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bestimmten Therapeutikum, mit dem er selbst erfolgreich ein Hautleiden bekämpft habe. Auch bei venerischen Infektionen griff er regelmäßig auf bewährte Therapeutika zurück. Nur wenige Male war Casanova in seinem Leben so krank, dass er voll und ganz auf medizinische Hilfe und Versorgung angewiesen war. Nach seiner Rückkehr aus Spanien verspürte er in Aix-enProvence eines Nachts starke Schmerzen in der Brust und spuckte Blut: Beim Schlafengehen schmerzte mich eine Stelle in der rechten Brust sehr, und als ich nach sechsstündigem Schlaf erwachte, fühlte ich mich höchst unwohl. Daraus entwickelte sich eine Brustfellentzündung.19 Ein alter Arzt übernahm meine Behandlung, doch wollte er mich nicht zur Ader lassen. Ein heftiger Husten quälte mich immer stärker; am nächsten Tag begann ich, Blut zu spucken, und in sechs oder sieben Tagen verschlechterte sich mein Zustand derart, dass man mir die Beichte abnahm und mir die letzte Ölung gab.20 Schließlich wurde der Patient drei Tage lang bewusstlos, doch hielt ihn der Arzt am zehnten Tag für außer Lebensgefahr und erst am achtzehnten Tag hörte Casanova auf Blut zu spucken. Die langsam einsetzende Genesung dauerte drei Wochen, während der sich der Kranke furchtbar langweilte: Ich fand sie viel schwerer zu ertragen als die Krankheit, denn der Kranke leidet zwar, langweilt sich jedoch nicht. Um sich zu langweilen, ohne etwas zu tun, muss man Geist haben; den besitzt ein Kranker aber kaum.21 Während der gesamten Dauer der Krankheit wurde Casanova von einer geheimnisvollen Frau umsorgt, die sogar im Zimmer des Patienten schlief, bis sich Besserung einstellte. Nachdem er sie für ihre Dienste entlohnt hatte, bedankte sich Casanova bei dem alten Arzt für die ausgezeichnete Pflege, die er ihm habe angedeihen lassen. Dem überraschten Arzt und sogar der Wirtin des Gasthofes war die geschickte Pflegerin jedoch unbekannt. Nur kurze Zeit später wurde das Rätsel gelöst: Als Casanova im Schloss seiner ehemaligen Geliebten Henriette, das nur wenig entfernt von der Croix d’Or bei Aix-en-Provence lag, einen Brief abgeben wollte, traf er seine Pflegerin wieder, die ihm gestand, ihre Herrin habe ihr den Auftrag gegeben, ihm die gleiche Pflege zuteil werden zu lassen wie für sie selbst. 4.2 Selbsttherapie und Schutz vor „gefährlichen“ Ärzten Casanovas Auseinandersetzung mit seinem Leibarzt James Columb O’Reilly (geb. um 1725) zeigt deutlich, dass Casanova sich als medizinischer Laie intensiv mit medizinischen Inhalten beschäftigte und exzellente anatomische Kenntnisse besessen haben muss. In einer rund sechzehn Seiten umfassenden Streitschrift, in der es um die Erkrankung eines gewissen Captain James Plunkett geht, warf er dem Arzt sogar vor, grundlegende medizinische Werke nicht konsultiert zu haben: Sie haben mich in Erstaunen versetzt, als Sie mir sagten, Sr. van Swieten erwähne in seinen Kommentaren zu Boerhaave nicht den Durchfall. Sie hätten besser daran getan, sich ein einziges Mal dazu durchzuringen, die Wahrheit zu 19 Pleuresie. Wahrscheinlich handelte es sich um eine kavernöse Lungentuberkulose. 20 GmL 11, 192–193. 21 GmL 11, 193.

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sagen: Sie haben sie nicht gelesen. Und meiner Ansicht nach ist dies der Grund dafür, dass Sie diesen großen Mann nicht schätzen.22 Casanova ging sogar soweit zu behaupten, der Arzt könne einen Patienten nicht richtig behandeln, wenn er keine fundierten anatomischen Kenntnisse habe: Sie sind frei, mein Herr, zu glauben, dass anatomische Fragestellungen nichts mit der praktischen Medizin zu tun haben, die sich allein auf die Erfahrung, die Kenntnis des Temperaments des Erkrankten und die zur rechten Zeit verabreichten einfachen Heilmittel gründet, und alles übrige können Sie als reine Neugier oder sogar Scharlatanerie abtun. Doch werden Sie, wenn Sie seit drei Jahren unter einer unheilbaren Diarrhoe leiden, sich recht ungern in die Hände eines Arztes begeben, der den Gang nicht kennt, durch den Ihre Nahrung hindurch muss, nachdem Ihr Magen sie zu Speisesaft und Exkrementen verarbeitet hat, und sie über den Pförtner, den Zwölffingerdarm und den Leerdarm, das Darmbein, den Blinddarm und den Grimmdarm zum Mastdarm gelangt. Wenn Sie bemüht sind, von Ihrer Diarrhoe zu gesunden, so wollen Sie keinen Arzt, der die Geschichte der Verdauung nicht kennt, die in der Antike als Chylopoyesis23 bezeichnet wurde. Ein solcher Arzt könnte Sie nur aufgrund seiner empirischen Kenntnisse behandeln, und Sie wissen, dass das Wort empirisch oft gleichbedeutend ist mit Scharlatanerie. Anatomische Studien, etwa eine ausführliche Beschreibung des Aufbaus des Auges, integrierte Casanova sogar in seinen phantastischen Roman Icosameron,24 in dem er auch einen chirurgischen Eingriff beschrieb: Mit einem kleinen Operationsmesser entfernte ich eine Art Geschwulst ganz hinten im Schlund, wobei ich mich sehr in acht nahm, die zum Kehlkopf gehörigen Muskeln nicht zu verletzen.25 Casanovas medizinische Vorkenntnisse und schlechte Erfahrungen mit inkompetenten Vertretern ihres Faches mögen nicht zuletzt für seine kritische Haltung gegenüber Ärzten und ärztlicher Behandlung verantwortlich gewesen sein. So vertrat er vehement die Ansicht, die Zahl derer, die durch die Hände der Ärzte stürben, sei größer als die Zahl der tatsächlich Geheilten.26 Öffentliche Operationen führten, so Casanova, lediglich Quacksalber und Scharlatane durch.27 Stets habe er daher die Selbstmedikation der ärztlichen Behandlung vorgezogen28 und Ärzte erst nach erfolgreicher (Selbst)Therapie konsultiert.29 Eine ärztliche Behandlung sei schon deshalb nicht unbedingt erfolgver22 Marr 21–007: Vous m’avez étonné en me disant que le docteur Wan Switten ne parle pas de la diarrhée dans ses commentaires sur Boerhaave. Vour auriez mieux fait de vous determiner pour une fois à dire la verité. Vous ne l’avez pas lu; et je juge que c’est la cause de cela que vous n’aimez pas ce gran homme. Es handelte sich um die zwischen 1742 und 1776 erschienenen Commentaria in Hermanni Boerhaave aphorismos de cognoscendis et curandis morbis. Libri VI. Lugduni Batavorum 1742–1776. Die deutsche Ausgabe erschien unter dem Titel Erläuterungen der Boerhaavischen Lehrsätze von Erkenntnis und Heilung der Krankheiten (1755–1775). 23 Wörtl. „Machen von chyle“. 24 Icosameron, Band 2, 204–206. 25 Icosameron, Band 3, 102. 26 HdmV 1, 52: […] et ceux qui meurent tués par les médecins sont beaucoup plus nombreux que ceux qui guérissent. 27 Icosameron, Band 2, 207. 28 HdmV 1, 5: […] je n’ai eu d’autre médecin que moi-même. 29 HdmV 1, 52: […] appeler les médecins quand (il a) eu des maladies.

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sprechend, werde dem Patienten doch oft von Seiten der Ärzte die Schuld am misslungenen Heilungserfolg gegeben.30 Unter Umständen traf er durch diese überaus kritische Haltung jedoch den Falschen: So beklagte sich am 8. Mai 1789 James Columb O’Reilly gegenüber Colonel Bettmann, sein eigenwilliger Patient habe sich durch eigenständige therapeutische Maßnahmen fast umgebracht.31 Casanovas betont kritische Haltung gegenüber der ärztlichen Kunst war jedoch nicht untypisch für viele Intellektuelle im 18. Jahrhundert. So neigte auch Johann Wolfgang von Goethe sehr zum Unwillen seiner Ärzte zur Selbsttherapie und experimentierte als begeisterter Botaniker insbesondere mit Heilpflanzen. Casanovas Freund Max Lamberg schilderte in einem Brief vom 16. Mai 1789,32 er habe an unerklärlichen Schwindelanfällen gelitten, die von den Ärzten als Auswirkungen einer überfüllten Gallenblase interpretiert wurden. Deshalb ließ man den Patienten zur Ader, was sich jedoch ungünstig auf seinen Gesundheitszustand auswirkte. Max Lamberg griff schließlich auf eigene therapeutische Maßnahmen, insbesondere die Zerstreuung, zurück, ohne sich auf die Ärzte und ihre Therapeutika zu verlassen: Unter diesen beunruhigenden und schrecklichen Umständen zog ich die Wissenschaft zu Rate – und die Wissenschaft hätte mich umgebracht. Ich machte Schluss mit den Aderlässen, mit den Ärztebesuchen, mit der Einhaltung einer allzu strengen Diät, ich aß meine zwei Mahlzeiten wie gewöhnlich – ich überließ und überlasse noch „in quantum possum“ nicht die Pflichten, aber die Machtvollkommenheit meiner kirchentreuen Schwester. Ich reiste – ich zerstreute mich, und wenn ich noch heute das Vergnügen empfinde, das die Jahreszeiten einflößen, wenn ich im Ruf stehe, mich bei schönen Frauen wacker zu schlagen, so verdanke ich mein ganzes Renommée nur mir allein und verlache Hippokrates, Galenus, Scharlatan und Konsorten.33 In ähnlicher Weise handhabte es auch der französische Philosoph Jean-Baptiste le Rond d’Alembert, als er am 17. September 1764 an Friedrich II. von Preußen schrieb, dass er so spät wie möglich die Medizin zu Rate ziehen werde, betrachte er diese und die Metaphysik doch als etwas Gleichwertiges.34 Max Lamberg spielte in seiner Empörung sogar

30 HdmV 2, 371: C’est le langage de tous les médecins empiriques qui n’a d’autre force que celle que la bonhomie du malade lui donne, quelquefois ils le guérissent; mais quand même ils ne le guérissent pas ils savent se faire payer démontrant facilement que s’il n’est pas guéri c’est pas sa faute. 31 Marr 13G1: La maladie de Monsieur de Casanova n’étant pas suffisament ecclaircie, il faut absolument que je le vois, d’autant plus, qu’il me paroit que cette affaire pourroit avoir une mauvaise suite. Cet brave homme en voulant se guérir, a rendu son mal plus opiniatre par des évacuations, qui lui otoient ses peu de forces. Il auroit du scavoir, qu’il n’est plus jeune, et qu’il est affoibli par des études. 32 Marr 2–44 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, Wien 1935, 108). 33 Marr 2–44; Übersetzung nach E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 88– 89. 34 Ch. Henry (Hrsg.), Oeuvres et correspondances inédites de D’Alembert, Genève 1967, Band 5, 254: Si j’avais néanmoins le malheur de ne pouvoir me passer de remèdes, j’essayerais des eaux minérales que votre majesté me conseille; mais j’aurai recours à la médecine le plus tard que faire se pourra; je la regarde comme la sœur presque jumelle de la métaphysique, par son incertitude; et il me semble qu’elle a l’obligation à la théologie de n’être pas la première des impertinences humaines.

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mit dem Gedanken, nach der Korpuskularphysik von Johann Christian Wolff35 selbst eine mathematische Medizin zu kreieren, indem er nach Heilmitteln suchte, deren Verhältnis so beschaffen war, dass sie die schädlichen Säfte beseitigen sollten.36 In der Ausführung sah sich Max Lamberg jedoch vor ein großes Problem gestellt: Aber wie soll man sich vorstellen, dass eine über den Blutkreislauf in alle Gefäße gebrachte Droge noch zu dem Organ gelangt, auf das sie wirken soll, ohne geschwächt oder verändert zu werden? Wird die Kombination zweckentsprechend angewendet, werden zahlreiche Rechnungen, sowohl numerische wie algebraische, meinen Arzt neuer Prägung in die Lage versetzen, aus der Mathematik einen Geist der Folgerichtigkeit und Genauigkeit zu gewinnen, den sie wohlgeschulten Gehirnen verleiht; übrigens hat der englische Arzt Keill37 bereits vor mir diese Theorie aufgestellt, ich habe sie von ihm übernommen.38 Casanova selbst stand der Einnahme von Therapeutika meist skeptisch gegenüber,39 verdankte er dem weisen Senator Malipiero doch die Einsicht, dass in den Händen eines Unvorsichtigen jede Medizin ein Gift sei, wie andererseits das Gift in der Hand des Weisen zur Medizin werde.40 So ist alles eine Frage der Konzentration: Was in geringen Dosen ein Therapeutikum darstellt, ist oft in höheren Dosen ein Gift (etwa Arsen). Diese vorsichtige Haltung drückte auch Max Lamberg aus, der Casanova am 30. Mai 1789 noch einmal aus Brünn schrieb, er werde das raisonnement eines Philosophen den Heilmitteln des Hippokrates, Herman Boerhaave und Gerard van Swieten vorziehen.41 In zahlreichen Schriften Casanovas wird dem Leser die Unfähigkeit von Ärzten vor Augen geführt. So gelingt es im utopischen Roman Icosameron dem Geschwisterpaar Édouard und Élisabeth einen von den Ärzten bereits für tot erklärten Megamikren durch einen Aderlass wieder zum Leben zu erwecken.42 Geschickt vermochte Casanova jedoch die Rolle des Arztes als Respektsperson in der Gesellschaft zu nutzen, um persönliche Interessen durchzusetzen. So gelang es ihm, das Bauernmädchen Christina von der (richtigen) Wahl ihres Bräutigams mit dem Hinweis zu überzeugen, sie werde alles über ihn er35 Johann Christian Wolff (1679–1754) war ein deutscher Philosoph und Professor für Mathematik in Halle. Er wird mehrfach in der Histoire de ma vie und in der Fuite erwähnt. 36 Gemeint ist eine bestimmte Medikamentenkonzentration. 37 James Keill (1673–1719) war ein englischer Mediziner, der insbesondere durch seine Publikationen zur menschlichen Anatomie bekannt wurde, vgl. A. Hirsch, Biographisches Lexikon, Band 3, s. v. a. „James Keill“. 38 Marr 2–21 (Brief vom 19. November 1786); deutsche Übersetzung nach E. Straub /H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 85. 39 HdmV 3, 1033: Si le malade guérit, c’est par la protection de quelque saint, et s’il meurt ce sont les remèdes qui l’ont tué. 40 GmL 1, 203. 41 Marr 2–58a (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 113): Ce n’est pas que l’art des medecins ne change quelque fois les poisons mêmes en remede; que le pronostic du vrai medecin ne mette souvent dans sa bouche ces oracles divins, qui prolongent, qui procurent la vie, et qui semblent ressusciter les morts; Je ne prefererois pas moins cependant le raisonnement sain d’un philosophe versé dans l’étude des passions, perçant dans les replis d’une ame ulcerée par le malheur ou par les circonstances, aux drogues administrées par Hypocrate Boerhave et Van Swieten. 42 Icosameron, Band 1, 395–400.

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fahren, da der Arzt ihn kenne. Ärztliche Schweigepflicht war damals nicht selbstverständlich. Um ihren gesellschaftlichen Status zu unterstreichen, pflegten die studierten Ärzte oft einen antiquierten, Ehrfurcht gebietenden Kleidungsstil,43 der von Casanova in seiner medizinischen Abhandlung Lana Caprina lächerlich gemacht wurde. Mit in Orangenwasser getunkten Wimpern würden sie sich in der Öffentlichkeit präsentieren, elegant gekleidet, um den Hals ein riesiges weißes Tuch, eine narkotische Duftwolke verbreitend, die von den Salben herrühre, mit denen sie ihre Allongeperücke eingerieben hätten.44 Die ärztliche Untersuchung bestünde lediglich im Abtasten des Pulses des Patienten, die verschriebenen Therapeutika aus dem Standardrepertoire: Er (d. h. der Arzt) hört ihnen zu und verschreibt, nachdem er ihnen den Puls gefühlt hat, ein Therapeutikum um den Kopf freizumachen, ein Fußbad, ein Abführmittel oder ein Zäpfchen. Als wirksamstes Mittel erachtet er aber noch immer den gefährlichen Aderlass.45 Während Casanovas Haltung gegenüber dem Aderlass zwiespältig ist – auf der einen Seite ist er sich der Gefährlichkeit dieser therapeutischen Maßnahme durchaus bewusst, auf der anderen greift er oft darauf zurück – scheint er sich mit den Vor- und Nachteilen diuretischer Therapeutika nicht kritisch auseinandergesetzt zu haben. Über die generelle Akzeptanz der Einnahme von Abführmitteln46 berichtet Casanova in einer amüsanten Episode, die sich 1750 während seines ersten Aufenthaltes in Paris zutrug. Casanova war von einer gewissen Madame Préaudeau gebeten worden, ihr Italienischunterricht zu geben. Diese teilte dem jungen Venezianer eines Tages mit, sie verspüre keine Lust auf eine Unterrichtsstunde, da sie am Abend zuvor eine Arznei genommen habe. Als Casanova sich nun erkundigte, ob sie sich während der Nacht „gut entleert“ habe, mokierte sich die Dame über seine Neugier. Wozu man sonst eine Arznei nähme, als um sich zu entleeren, lautete die Antwort des Venezianers. Eine Arznei führe ab und lasse nicht entleeren, so die belehrende Antwort der Dame.47 Es ging in diesem Gespräch also nicht um die Art des Therapeutikums, sondern vielmehr um die korrekte Terminologie. 43 Vgl. hierzu auch W. Tilmann, Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert. Einkünfte, Status und Praktiken der Repräsentation, MedGG 27, 2008, 31–73. 44 Lana Caprina, 201: ils se montrent au public après s’être bien frotté les paupières chassieuses avec de l’eau de fleur d’oranger; pleins d’élégance, ils se sont entourés les amygdales d’un énorme mouchoir de poche blanc, tout en répandant devant eux une atmosphère infecte d’onguents narcotiques dont ils empâtent leur tignasse. Hippocrate ne verra pas des toges tombant jusqu’aux talons, mais des bas en soie, des chausses moulées, tout au plus capables de leur couvrir le derrière et le pénil. 45 Lana Caprina, 201: Il les entendra, après avoir tâté le pouls, ordonne un remède pour dégager la tête, un bain de pieds, un clystère, un suppositoire, gardant toujours pour suprême ressource la périlleuse saignée. Das von Casanova vermittelte Bild des Arztes entspricht auch der Wahrnehmung von Louis-Sébastien Mercier ( J. Kaplow (Hrsg.), Louis-Sébastien Mercier. Le tabelau de Paris, 279–282): Un médecin blême avec une voix flûtée, l’oeil indécis, vous tâte le pouls mollement, profère de ces phrases élégantes, mais dont on sent le vide. Il semble vouloir temporiser la maladie, en faire un objet de curiosité. 46 R. Jütte, „Klistier“, in: E. Gerabek et al. (Hrsg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin / New York 2004, 757. 47 GmL 3, 197.

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Um Leib und Leben vor „gefährlichen“ Ärzten zu schützen, konnte Casanova durchaus auch handgreiflich werden. 1753 erkrankte er in Wien an einer ernsthaften Lebensmittelvergiftung, die ihn innerhalb von vierundzwanzig Stunden dem Tode nahebrachte,48 habe man doch die Empfindung unbeschreiblicher Beklemmung, möchte auch nicht erbrechen, weil das Erbrechen nicht hilft.49 Ohne Wissen des Kranken wurde ein Arzt in Begleitung eines Baders gerufen, der den Geschwächten zur Ader lassen sollte: Ich wandte den letzten Rest des mir gebliebenen Verstandes darauf, mein Leben zu retten. […] Ich hatte Campioni,50 bei dem ich wohnte, und die Herren Roggendorf51 und Sarotin52 an meinem Bett. Der letztere, der eine innige Freundschaft zu mir gefasst hatte, war mit einem Arzt erschienen, obwohl ich ausdrücklich erklärt hatte, dass ich keinen wolle. Der Arzt glaubte, mit der Eigenmächtigkeit seiner Zunft vorgehen zu können, und hatte nach einem Bader geschickt, der mich gegen und ohne meine Zustimmung zur Ader lassen sollte.53 Als der Patient mit halbgeöffneten Augen sah, wie der Bader die Lanzette ansetzte, um die Vene anzustechen, zog er den Arm weg und fühlte sich aufs neue gepackt. Da griff der Kranke zum letzten Verteidigungsmittel: einer Pistole, die auf dem Nachttisch lag. Durch einen gezielten Schuss verlor der Bader eine Locke seiner Perücke, worauf Arzt, Bader und alle weiteren Anwesenden umgehend die Flucht ergriffen. Casanova kurierte sich selbst innerhalb von vier Tagen durch das Trinken von reichlich Wasser – ein Rezept, das er in München von einem Miniaturmaler namens Marolles erhalten hatte, der an einem verdorbenen Magen infolge eines Aderlasses gestorben war. Casanovas wagemutiges Handeln machte in Wien umgehend die Runde. Selbst wenn der Schuss tödlich gewesen wäre, hätte er keine Strafe zu fürchten gehabt, da er nicht in die Behandlung eingewilligt hatte. Auch die Kollegen des Arztes ergriffen für ihn Partei: Außerdem hörte ich überall, dass die Wiener Ärzte sagten, ich wäre gestorben, wenn man mich zur Ader gelassen hätte. Es ist freilich richtig, dass ich mich hüten musste, krank zu werden, denn kein Arzt hätte es gewagt, mich zu besuchen.54 Auf einer ganz anderen Ebene ist das berühmte Duell zwischen Casanova und dem polnischen Grafen Francisek Ksawery Branicky (gest. 1819) situiert, das im März des Jahres 1766 in Polen stattfand.55 Auch diese Erzählung sollte Casanova, ebenso wie die Fuite des Plombes de Vénise, in einer separaten, leicht

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HdmV 1, 648–649. GmL 3, 268. Ein Tänzer. Gemeint ist Ernst von Roggendorf (1714–1790), der Vater von Cécile (Zénobie) von Roggendorf (1775–1814), Ehrendame am Hof von Kurland und Frau von Antal Batthyani. Sie stand im Briefwechsel mit Casanova, als er als Bibliothekar in Dux tätig war. Für sie schrieb Casanova den Précis de ma vie (Marr 21–1). Es handelt sich entweder um Jean Charles Zierotin oder Felix Sarentein. GmL 3, 268. GmL 3, 169. HdmV 3, 455–474. Im Nachlass Casanovas ist noch ein Schriftstück mit der Annahme des angebotenen Duells durch Branicky vom 5. März 1766 erhalten (Marr 11C1; E. von Schmidt-Pauli, Der andere Casanova, 61).

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veränderten Monographie vorlegen.56 König Stanislaus von Polen hatte am 4. März 1766 zu einem Abendessen mit nachfolgendem Theaterbesuch eingeladen. Casanova wusste nicht, dass sich die Theatergemeinde in zwei Lager geteilt hatte: Die einen verehrten die Tänzerin Teresa Casacci, die anderen seine venezianische Freundin Anna Binetti (gest. nach 1784). Als sich Casanova der Wahl seiner Freunde, die auf der Seite der Casacci standen, anschloss, fühlte sich die Binetti in ihrer Ehre gekränkt und veranlasste ihren Liebhaber Branicky dazu, einen handfesten Streit anzuzetteln. Als der Großmarschall Casanova als venezianischen Feigling (poltron vénétien) titulierte, forderte der Angegriffene umgehend Satisfaktion, und der polnische Adelige willigte ein, sich gegen die üblichen Konventionen mit einem bourgeois zu duellieren. In Polen erregte dieses Duell großes Aufsehen, und durch die Presse war bald ganz Europa darüber informiert.57 Letztendlich handelte es sich um ein Ereignis mit schwerwiegenden körperlichen Folgen für beide Männer: Casanovas Kugel war bei seinem Gegner rechts bei der siebten Rippe in den Leib eingedrungen und links unterhalb der letzten Rippe wieder ausgetreten. Die Ärzte fürchteten um das Leben des Verwundeten, da die beiden Löcher zehn Zoll groß waren, und man glaubte, die Eingeweide seien zerschossen worden. Casanova selbst war ebenfalls schwer verletzt worden, denn Branickys Kugel war zwischen den Mittelfingerknochen in die Hand eingetreten, wenn auch deren Durchschlagskraft durch einen Metallknopf der Weste abgefangen worden war: Die Kugel Branickys war mir unterhalb des Zeigefingers in die Mittelhand gedrungen, hatte mir den ersten Knochen zerschmettert und war dann steckengeblieben. Ihre Kraft war durch einen Metallknopf an meiner Jacke abgeschwächt worden, und auch durch meinen Leib, den sie in der Nähe des Nabels leicht gestreift hatte.58 Da Casanova die Rache der Anhänger Branickys fürchtete, floh er nach Warschau in ein Kloster. Die erste Wundversorgung wurde laut der Histoire de ma vie von einem ungeschickten Chirurgen namens Gendron59 vorgenommen, der dem Patienten nur noch weitere Schmerzen zufügte: Nun musste diese Kugel, die mich sehr schmerzte, aus meiner Hand entfernt werden. Ein hochstaplerischer Wundarzt namens Gendron, den man als ersten gefunden hatte, machte sich daran, sie herauszuho56 Il duello. 1780 hatte Casanova bereits in den Opusculi miscellanei einen Teil davon veröffentlicht. Casanova spricht in diesem Buch von sich in der dritten Person. 57 Artikel erschienen in der Vossischen Zeitung (Nr. 37), in der Kaiserlichen Reichs Oberamtszeitung von Köln (29. März), dem Wienerischen Diarium (9. April) und dem London Public Advertiser (3. September), vgl. J. Rives Childs, Biographie, 315, Anm. 17. 58 GmL 10, 202; HdmV 3, 455–474: La balle de Braniski était entrée dans ma main par le métacarpe au-dessous de l’index, et m’ayant cassé la première phalange y était restée. In der Novelle (228–229) beschreibt Casanova die Wunde ausführlicher: Il colpo di pistola che gli diede il Postòli, il colse un pollice sotto l’umbilico: sdrucciolò la palla a fior di carne lasciandogli una poco considerabile ferita, che per altro suppurò per molti giorni, ma che sul fatto non sentì ed entrò nella sua mano sinistra nei muscoli del pollice, ed infrangendo la prima falange rimase dentro morta, e schiacciata, come fu veduta quando il chirurgo per estrarla fu costretto ad aprirgli la mano alla parte superiore opposta. 59 Es gibt mehrere Ärzte mit diesem Namen, vgl. A. Hirsch, Biographisches Lexikon, Band 2, 712–713.

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len, indem er am Handrücken einen Einschnitt machte und so meine Wunde um das Doppelte vergrößerte. Während dieser schmerzhaften Operation erzählte ich dem Fürsten (d. h. Stanislas Lubomirski) die ganze Geschichte und verheimlichte ohne Mühe, wie sehr mich der ungeschickte Wundarzt quälte, als er mit der Pinzette nach der Kugel suchte.60 Nachdem der Wundarzt gegangen war, erhielt Casanova Besuch vom Leibarzt des Woiwoden (Fürsten), der sich des Patienten annehmen wollte und dem Wundarzt Gendron jegliche Kompetenz absprach. Interessanterweise unterscheidet sich die Darstellung in der Novelle von derjenigen in der Histoire de ma vie in vielerlei Hinsicht: Gendron wird in Il duello nicht namentlich genannt; die Rede ist lediglich von einem französischen Chirurgen, der die Wunde nach einem Aderlass mit einem Seidenfaden versorgte und verband, dem Patienten ein Medikament verschrieb und die Aufnahme von Nahrung außer einer Suppe untersagte.61 Während der Streifschuss am Bauch nach und nach abzuheilen begann, schwoll Casanovas Arm am vierten Tag beunruhigend an, wobei die Verletzung an der Hand zunehmend schwärzer wurde. Laut der Histoire de ma vie befürchteten die Chirurgen einen Wundbrand (menaçant la gangrène) und beschlossen gemeinsam, vorsichtshalber die Hand zu amputieren: Meine Schramme am Bauch eiterte bereits, mein Arm war am vierten Tag ganz geschwollen, und die Wunde wurde schwarz; da der Brand drohte, beschlossen die Ärzte nach einer Beratung unter sich, dass man mir die Hand abnehmen müsse.62 Die erschreckende Nachricht erfuhr Casanova am nächsten Morgen aus der Hofzeitung und am folgenden Tag auch persönlich von drei Chirurgen, die im Laufe des Vormittags an sein Bett kamen. Beim Überbringen der Nachricht legte Casanova selbst keine Betroffenheit an den Tag, ja quittierte sie sogar mit einem Lachen. Zu dritt wurde die Wunde nochmals genau in Augenschein genommen, und man kam einstimmig überein, die Hand zu Beginn der Nacht zu amputieren: Er nimmt mir den Verband ab, zieht den Tampon, untersucht die Wunde, ihre Farbe, dann die bleifarbene Schwellung; sie sprechen untereinander polnisch und sagen mir schließlich alle drei gemeinsam auf lateinisch, sie würden die Hand bei Einbruch der Nacht abnehmen. Sie sind ganz fröhlich dabei und erklären, ich hätte nichts zu befürchten und könne von meiner Heilung überzeugt sein.63 Casanova war jedoch der Ansicht, es existiere gar keine Gangrän, worauf die pikierten Ärzte 60 GmL 10, 202. 61 Il duello, 230: Un chirurgo francese accorse tosto ad aver cura di lui, il quale dopo avergli cacciato sangue, gli aprì il di sopra della mano presso al pollice, gli estrasse la palla, gli passò nella ferita un cordone di seta, gliela fasciò e poi gli orinò un medicamento, perché dicea che sgombro da ogni materia doveva esser lo stomaco di un ferito, e che doveva poi esser lasciato senza nutrimento alcuno, eccettuato quello di semplice brodo, al qual ordine il veneziano non osò opporsi, come avrebbe desiderato, quando udì quel chirurgo che pregiavasi d’intendere il latino, fulminargli l’aforismo Vulnerati fame crucientur. 62 In Il duello, 237, äußerte sich der behandelnde Chirurg über den Zustand der Wunde: Il chirurgo intanto non era contento del progresso della ferita. Era nera, non gli piacea la suppurazione, il braccio era gonfio, e vedea imminente la cancrena. Il quinto giorno dopo la sfasciatura disse chiaramente che convenia ricorrere all’amputazione della mano: giunsero nel medesimo istante due chirurghi di corte, che dopo un serio esame decisero che indispensabil era il taglio. 63 GmL 10, 205.

4.2 Selbsttherapie und Schutz vor „gefährlichen“ Ärzten

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ihm antworteten, dass er sich nicht so gut wie sie mit dieser Materie auskenne. Der erzürnte Patient verlor schließlich die Geduld und forderte die Chirurgen eindringlich auf zu gehen. Wohl nicht unbegründet äußerte er gegenüber dem Fürsten Stanislas Lubomirski (1722–1783) den Verdacht,64 er vermute in der Aktion der Ärzte einen Hinterhalt des schwer verletzten Branicky, der sich durch den Verlust seiner Hand getröstet fühlen könnte. In den folgenden Stunden erhielt Casanova zahlreiche Besuche einflussreicher Persönlichkeiten des polnischen Hofes, die ihn von der Entscheidung der Warschauer Ärzte zu überzeugen versuchten, worauf Casanova an den König einen empörten Brief schrieb, alle Ärzte als Ignoranten beschimpfte und versicherte, sich den Arm nur dann abnehmen zu lassen, wenn auch wirklich Wundbrand entstünde. Durch diese Entscheidung ging Casanova, der ewige Spieler, nämlich kein Risiko ein: Was sollte ihm denn auch ein Arm ohne Hand nützen? Am Abend des gleichen Tages wurde der nunmehr auf seinen doppelten Umfang angeschwollene Arm aufs Neue untersucht, diesmal von vier Chirurgen. Doch Casanova sah noch immer keine Notwendigkeit, den Arm amputieren zu lassen: Doch als man den Tampon aus der Wunde nahm, sah ich, dass die Ränder gerötet und vereitert waren.65 Casanova vermochte also eine gesunde Wundheilung von einer Gangrän zu unterscheiden.66 Die Chirurgen beharrten jedoch weiterhin darauf, der Arm sei bereits befallen, und man müsse nicht nur die Hand, sondern jetzt den ganzen Arm abnehmen. Von der lebhaften Diskussion ermüdet, erlaubte Casanova ihnen, am folgenden Tag mit den notwendigen Instrumenten wiederzukommen, gab aber seinem Kammerdiener die Anweisung, den Chirurgen den Zutritt zu verwehren. In Il duello ist auch diese Passage umgestaltet worden: Auf die Untersuchung des Chirurgen (Gendron?) lässt Casanova einen Dialog folgen, in dem der Chirurg allein(!) den Patienten vom bevorstehendem Wundbrand und einer absolut notwendigen Operation überzeugen möchte, der Casanova letztendlich ebenfalls zustimmt, wenn die Gangrän sichtbar werden sollte.67 Am Abend wurde der Patient gemäß der Novelle von drei Chirurgen aufgesucht, die vom guten Zustand der Wunde überrascht waren, wobei einer der Chirurgen vermerkte, dies sei das Werk eines

64 Stanislas Lubomirski, Sohn von Joseph Lubomirski, war königlicher Straznik (1752) und Großmarschall der Krone (1766). 1753 heiratete er Isabelle Helena Anna Czartoryska. Unter dem Pseudonym Stazinski publizierte er die Reflexions sur l’état actuel de la patrie (1770). 65 GmL 10, 207. 66 J.-F. Hirsch verweist in seinem Artikel Tous les moyens sont bons quand il sont efficaces ou Casanova thérapeute, Intermédiaire des Casanovistes 2, 1985, 1–8, Anm. 3 darauf, dass die Beschreibung Casanovas zeitgenössischen Kriterien zur Bestimmung einer Gangrän entspricht (darunter M. L.***, ancien médecin des armées du roi / M. De B*** médecin des hôpitaux, Dictionnaire portatif de la santé …(31761), 1409; F. Quesnay, Traité de la gangrène (1771), 1–13). 67 Il duello, 237–238.

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Zu Giacomo Casanovas Gesundheitsbegriff

Heiligen.68 Nicht erwähnt wird hier dagegen die mehrmalige Visite der Ärzte, möglicherweise aus erzähltechnischen Gründen.

Abb. 5 La consultation des médecins. Karikatur von L. Boilly (1760)

Casanovas vorsichtige Zurückhaltung machte sich auch in diesem Fall bezahlt: Innerhalb von fünfundzwanzig Tagen erholte er sich, musste den verletzten Arm aber noch achtzehn Monate in der Schlinge tragen.69 Seine Standhaftigkeit gegenüber den aufdringlichen Chirurgen gereichte ihm letztendlich zur Ehre: Am Ostersonntag ging ich mit dem Arm in der Schlinge zur Messe; erst achtzehn Monate später war ich völlig wiederhergestellt. Die Behandlung dauerte nur fünfundzwanzig Tage. Alle, die mich verurteilt hatten, sahen sich nun genötigt, mein Verhalten zu loben. Meine Festigkeit brachte mir unsterbliche Ehre ein, und die Ärzte mussten zugeben, dass sie entweder Erzdummköpfe oder sehr töricht gewesen waren.70 Sein ehemaliger Duellpartner Branicky gewährte ihm eine Audienz, lobte seine Beharrlichkeit und bot ihm eine besondere Gunst an: eine Schokolade. Branicky behandelte den Venezianer durch diese Geste als seinesgleichen, als Mann von Stand. Eine größere Gunst hätte Casanova nicht widerfahren können. 4.3 Wie der Lehrer so der Schüler? Der weitgereiste Casanova war sich nur zu gut bewusst, wie anfällig der damalige Gesundheitsmarkt für Scharlatanerie war. So konstatierte er in der Histoire de ma vie kurzerhand: Wäre man vernünftig gewesen, so hätte man mir meinen Wil68 Il duello, 239: Venneri i tre chirurghi la sera, disposti di far l’operazione; avevano per ciò l’aria contenta, e vittoriosa. Levate le fasce, la ferita fu veduta bella, e netta. Si smarrirono a tal vista. Il più accorto d’essi, ch’era placco, sostenne ch’erasi votato a qualche santo. 69 HdmV 3, 514. 70 GmL 10, 207.

4.3 Wie der Lehrer so der Schüler?

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len gelassen, und ich wäre Arzt geworden, wo mit Scharlatanerie mehr zu erreichen ist als im Advokatenstand.71 Die raffinierten Methoden der Quacksalber bestünden darin, dem gutgläubigen Patienten das Geld aus der Tasche zu ziehen und ihm bei Misserfolg auch noch die Schuld zu geben: Das sind die Worte aller Quacksalber, sie haben nicht mehr Gewicht, als ihnen die Gutgläubigkeit der Kranken beimisst. Manchmal heilen sie ihn: Aber selbst wenn sie ihn nicht heilen, verstehen sie es, zu ihrem Geld zu kommen, da sie ihm leicht beweisen, dass er nur durch seine eigene Schuld nicht geheilt wurde.72 Jedoch musste auch der kritische Casanova in der Confutazione eingestehen, dass Ärzte manchmal viel zu schnell der Scharlatanerie verdächtigt werden würden.73 Letztendlich war er doch der Ansicht, dass Ärzte für einen Staat notwendig seien, da das Gute, das sie bewirkten, das Schlechte überwiegen würde.74 Mit Hohn und Spott sparte er nicht gegenüber einem der bekanntesten Scharlatane der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dem Grafen Cagliostro, der von der Lektüre des Buches Secreti ammirabili (1550) des Renaissance-Gelehrten Alessio Piemontese begeistert, in dem man neben alchemistischen Rezepten auch „Heilmittel gegen alle Krankheiten“ fände, sein unheilvolles Wirken in Europa begonnen habe.75 In London kündigte der Scharlatan im Saint James Cronicle seine kostenlosen Künste als „Arzt“ an,76 worauf dessen beispiellose Karriere begann. Casanova beschloss den Soliloque d’un penseur mit einer Reflektion über den Erfolg solcher Wunderheiler, denen es mittels Urinschau, dubioser Wässerchen, Pillen und Öle gelang, innerhalb kurzer Zeit ein kleines Vermögen zu machen.77 Aus dem Nachlass Casanovas geht hervor, dass er selbst im Fall ärztlicher Behandlung fast nur renommierte und bewährte Ärzte um ihren fachlichen Rat ersuchte. Um die ihm anvertraute schwangere Charlotte zu retten, konsultierte er daher auch einen der bekanntesten Ärzte und Gynäkologen von Paris, Antoine Petit (1718–1794), der ab 1760 Mitglied der Académie des Sciences und Leibarzt des Herzogs von Orléans war. Möglicherweise kannte Casanova Petit durch die Vermittlung Renier Calzabigis (1714–1795), der diesen in einem Brief als Freund bezeichnete.78 Mehrere Ärzte, die in der Histoire de ma vie keine Erwähnung gefunden haben, wurden auch Subskribenten des 71 72 73

GmL 1, 131. GmL 4, 204. Confutazione II, 184: Il volgo accusa con troppa forza i medici di ciarlatanismo, e d’ingiustizia. Quest’ingiustizia è vincendevole, sicchè si vede chiaro, che terminato il computo, è giustizia o non è niente. I medici attribuiscono al loro sapere più che il vero non permette, ed il volgo attribuisce più del bisogno miracoli a ’Santi. Pesati i due inganni, si trova uguaglianza, e resta zero. 74 Confutazione II, 186: Finirò dicendo, che i medici sono necessari alla società, quantunque discant in pericoli nostris, e esperimenta per mortes agant. Il bene, che fanno, è maggior del male, e senza Tronchin è cosa sicura, che il Duca di Villars governator della provenza non sarebbe ancora fra vivi. 75 Soliloque d’un penseur, 29. 76 Soliloque d’un penseur, 30–31. Casanova bemerkt an dieser Stelle, dass gerade in London die Scharlatane und sogenannten Ärzte (les charlatans soi-disant médecins) erfolgreich seien, vorausgesetzt sie seien Engländer und weit gereist. 77 42–43. 78 Marr 4–27.

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Zu Giacomo Casanovas Gesundheitsbegriff

Icosameron,79 was darauf schließen lässt, dass Casanova zu bewährten Vertretern ihrer Zunft stets Kontakt hielt, um sie nach Bedarf konsultieren zu können. In Paris vertraute er so mehrmals auf die Unterstützung des Wundarztes Jean Faget (1700–1762), den er auch Freunden empfahl, sollten diese sich in einer misslichen Lage befinden. Als sich ein böhmischer Graf aus der Familie Clary mit einer venerischen Krankheit infizierte und sich in jenen Tagen so voll des giftigen Saftes fand, den wir in Italien Franzosenkrankheit nennen, war eine sechswöchige Kur erforderlich. Casanova brachte den Kranken zu Faget, der ihn gegen eine beträchtliche Summe in sein Haus aufnahm: Ich brachte ihn bei dem Wundarzt Fayetsic! unter, und zwar gegen fünfzig Louis (d. h. Louis d’or),80 die ich ihm lieh, weil es ihm, wie er sagte, wegen der Schlamperei seines Kassenverwalters in Töplitz an Geld mangele.81 Auf Empfehlung Casanovas wandte sich auch die Tänzerin Maria Anna Corticelli (1747–1773),82 die ebenfalls an einer Geschlechtskrankheit litt, an Faget: Gewillt, diese Unglückliche aus ihrer Notlage zu befreien, dachte ich an einen zuverlässigen Arzt, den ich kannte und der allein mir sagen konnte, wie ich es anstellen sollte, die Corticelli bis zu ihrer Heilung an einem abgelegenen Ort unterzubringen. Es handelte sich um meinen alten Wundarzt Fayetsic!, der in der Rue de Seine83 wohnte. Ich nahm eine Kutsche, fuhr hin und fand ihn mit seiner Familie bei Tisch; ich bat ihn, seine Mahlzeit zu beenden und mich nachher im Nebenzimmer anzuhören. Dort erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Die Kur dauere sechs Wochen. Niemand dürfe sie kennen; sie werde im Voraus bezahlen. Wieviel sie bezahlen müsse; sie sei arm. Ich selbst würde die Kosten aus Gutherzigkeit übernehmen. An Stelle einer Antwort schrieb Fayetsic! einen Brief, fügte die Adresse hinzu und gab ihn mir offen mit den Worten: Damit ist die Angelegenheit geregelt.84 Selbst wenn ein akademischer Lehrer einen hervorragenden Ruf genoss, bedeutete dies nicht, dass auch dessen Schüler über die gleichen Qualitäten verfügte: Als Casanova sich in Augsburg von einem Schüler Fagets, dem bekannten Arzt, Stadtoperateur und Accoucheur Salomon Ambrosius Kephalides, behandeln ließ,85 wurde er bitter enttäuscht, da sich der Schüler als unfähig erwies, und ihn der Eingriff fast das Leben gekostet hätte. Nur das beherzte Eingreifen eines anderen Arztes vermochte ihn vor dem Schlimmsten zu bewahren. Nichtsdestotrotz erwähnte Casanova ausdrücklich, wenn es sich bei dem jeweils behandelnden Arzt um den Schüler eines berühmten Arztes handelte. So lernte er in Warschau die Gattin des Woiwoden kennen, die, so Ca79 80 81 82

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So ein Arzt namens Bruzatti, ein M. de Meyer Med.-Ph. und ein gewisser Torni (l’illustrissimo signor Dottor Torni, medico). Ca. 1/3 Kilo Gold. GmL 5, 259. Vom Tod der Tänzerin Corticelli an einem fièvre chaude berichtete Giangiacomo Marcello Gamba (auch genannt de la Perouse; 1738–1817) am 15. Oktober 1773 an Casanova (Marr 14C8). Zu Casanovas Zeit gab es zwei verschiedene Straßen mit diesem Namen, die durch den Zusatz der jeweiligen Pfarrkirchen unterschieden wurden (St. Germain und St. Victor). Die heutige Rue de Seine befindet sich im Faubourg St. Germain im 6. Arrondissement. GmL 9, 193. Vgl. zu Salomon Ambrosius Kephalides Kapitel 6.

4.3 Wie der Lehrer so der Schüler?

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sanova, ohne die Pflege des Arztes Reumann,86 eines Schülers des großen Boerhaave, ihrer Krankheit erlegen wäre.87 Der Leidener Arzt Herman Boerhaave (1668– 1738) hatte in der Fachwelt einen ausgezeichneten Ruf erlangt, da er strikt naturwissenschaftliche Aspekte von philosophischen bzw. theologischen Aspekten trennte. Nach Ansicht des studierten Theologen Boerhaave waren die spirituellen Bedürfnisse eines Menschen nämlich Sache der Theologen, während die Mediziner sich um die körperlichen Belange kümmern sollten. Herman Boerhaave legte besonderen Wert auf eine systematische Körperbeobachtung und nachfolgende Obduktionen. Als Casanovas Zeitgenosse Carlo Goldoni (1707–1793) in Colorno die Bekanntschaft eines gewissen Duni gemacht hatte, der in Leiden den gefeierten Boerhaave kennengelernt hatte, entschloss sich Goldoni kurzerhand, dem Arzt in seinem Theaterstück Il Medico Olandese in der Person des holländischen Arztes und Philosophen Bainer ein monumentum aere perennium zu setzen.88 Derart berühmte Ärzte zu konsultieren war jedoch insbesondere gehobenen Bevölkerungsschichten vorbehalten. Als Casanova in Bern weilte, erhielt er von seiner Gönnerin, der Marquise d’Urfé, einen Brief mit der Bitte, sich einer gewissen Madame de la Saône89 anzunehmen, die nach Bern gereist war, da sie sich dort Genesung von einer Hautkrankheit erhoffte. Als Casanova der Dame seine Aufwartung machte, war er von den Entstellungen ihres Gesichts nahezu betäubt. Auf einem Sofa sitzend sah er eine elegant gekleidete Dame, die sich bei seinem Erscheinen erhob und ihn bat, doch Platz zu nehmen. Im Verlauf ihres Gespräches legte Madame de la Saône dar, welche Gründe sie nach Bern geführt hatten, um dort Heilung zu suchen: In ihren Blutkreislauf gelangte Milch hatte schon vor zehn Jahren bei ihrer ersten Entbindung diesen qualvollen Zustand bei ihr ausgelöst.90 Die Pariser Fakultät91 hatte sich vergeblich bemüht, ihr Gesicht von dieser teuflischen Pest zu befreien; nun kam sie nach Bern, um sich einem berühmten Arzt anzuvertrauen, der ihr Heilung in Aussicht gestellt hatte, und den sie erst bezahlen sollte, wenn er sein Versprechen eingelöst hatte.92 Das verschriebene Therapeutikum bestand aus auf Quecksilberbasis hergestellten Tropfen. Als Madame de la Saône den Arzt darauf aufmerksam machte, dass der Juckreiz seit Einnahme sogar stärker geworden sei, erwiderte dieser, sie werde erst drei Monate später, nach Beendigung der Kur, davon befreit sein. Die Patientin gab darauf die eindeutige Antwort, dass die Kur dann wohl niemals enden werde, worauf der Arzt sich in Ausflüchten wand.

86 Die genauen Lebensdaten des Arztes Reumann konnten nicht ermittelt werden. 87 GmL 10, 177. 88 P. de Roux (Hrsg.), Mémoires de M. Goldoni pour servir à l’histoire de sa vie et à celle de son théatre, Paris 1988, 367–368. 89 Es handelt sich um Marie-Anne Marquise de la Saône (1723–1772), die seit 1745 mit Aymar-Félicien de Boffin, Marquis de la Saône (gest. 1772) verheiratet war. 90 Die Marquise hatte 1746 ihr erstes Kind geboren. Obwohl medizinisch nicht haltbar, war die Vorstellung, Muttermilch könne in den Blutkreislauf der Mutter gelangen und dadurch zahlreiche Krankheiten auslösen, weit verbreitet. 91 D. h. die Gelehrten der Fakultät. 92 GmL 6, 204.

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Zu Giacomo Casanovas Gesundheitsbegriff

Über die Kosten einer medizinischen Behandlung93 zur Zeit Casanovas erfahren wir in der Histoire de ma vie ansonsten wenig. Einmal berichtet Casanova, dass er einem Wundarzt vier Paoli schuldete, wohingegen die Kosten für den Gasthof fünfzehn Paoli betrugen.94 Oft reichte der Verdienst der Wundärzte kaum zum Überleben.95 An anderer Stelle teilte Casanova mit, dass ihn lediglich die Badeessenz des bekannten Arztes Johann Friedrich Herrenschwand die horrende Summe von zehn Louis d’or kostete, was ca. 70 Gramm Gold entspräche.96 Die Therapie von Geschlechtskrankheiten konnte ebenfalls sehr teuer werden und den Patienten an den Rand seiner finanziellen Möglichkeiten bringen. Die Tarife für eine ärztliche Behandlung hingen also nicht nur davon ab, ob es sich um einen Arzt mit akademischem Hintergrund oder um einen (Handwerks)Chirurgen handelte, sondern auch vom jeweiligen Bekanntheitsgrad. So konnten berühmte und gefragte Ärzte deutlich höhere Preise verlangen. Nicht selten weigerten sich auch Patienten, den Arzt zu bezahlen. Casanova berichtet, der Wundarzt Lucchesi,97 der die Kurtisane Ancilla98 mit Quecksilber wegen einer Geschlechtskrankheit behandelt habe, sei von dieser angehalten worden, seinen Lohn von einhundert Zechinen99 erst dann zu erhalten, wenn er die Rolle ihres Liebhabers übernommen habe. Als Lucchesi sich hartnäckig weigerte, kam die Angelegenheit schließlich sogar vor Gericht.100 Ancilla verlor den Prozess mit der Begründung, eine nicht ausgeführte kriminelle Handlung („Unzucht“) könne nicht zur Gültigkeit des Vertrages beitragen. In England, so lässt Casanova vielsagend verlauten, hätte die Kurtisane den Prozess gewonnen!

93 Hinweise auf Kosten medizinischer Behandlung sind in der Fachliteratur selten, vgl. M. Stürzbecher, Beiträge zur Berliner Medizingeschichte. Quellen und Studien zur Geschichte des Gesundheitswesens vom 17. bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 1966, 148–151 (Tab. IV). 94 GmL 1, 274. Ein Paolo sind ungefähr 2–2,5 Gramm Feinsilber, also ½ Livre. Ein Paolo entspricht heute in etwa einer Kaufkraft von 5 Euro. 95 HdmV 1, 275–277. 96 Ein Louis d’or würde heute in etwa einer Kaufkraft von 250 Euro entsprechen. 97 Im Sterberegister von 1755 wird Lucchesi am 19. April erwähnt. Eine Notiz im Nachlass Casanovas (Marr 17A54) bezieht sich ebenfalls auf den Prozess: Femme qui devait payer son chirurgien après qu’il aurait prouvé qu’il l’a guérie de la vérole e la f(oudroi)t. Elle perdit son procès. 98 Ancilla Campioni galt als eine der schönsten Tänzerinnen ihrer Zeit (HdmV 1, 999). 99 1/3 Kilo Gold. 100 HdmV 1, 810: Elle les lui promit par écrit sous condition qu’elle ne les lui payerait que quand il aurait joué lui-même avec elle le rôle de tendre amant.

5 Begegnungen mit berühmten Ärzten 5.1 Die Brüder Herrenschwand Unter dem Namen Herrenschwand waren im 18. Jahrhundert zwei Brüder als Ärzte tätig, von denen der ältere, Johann Friedrich Herrenschwand (1715– 1798), zugleich der berühmteste werden sollte. Er promovierte 1737 in Leiden,1 verbrachte eine kurze Zeit in Paris und folgte mit etwa fünfzig Jahren dem Ruf an den Hof des polnischen Königs Stanislas August Poniatowski (1732–1798).2 In Polen machte er sich in kürzester Zeit ein umfassendes Bild von der dortigen mangelhaften medizinischen Versorgung, die insbesondere die Landbevölkerung betraf, gab es doch viel zu wenig gut ausgebildete Ärzte und Chirurgen und nahezu keine Kooperation zwischen den verschiedenen Sektoren des Gesundheitswesens. Dazu gesellten sich die Partikularinteressen der einzelnen Magnaten sowie die fehlende staatliche Aufsicht und Gesetzgebung.3 Um eine bessere und umfassendere Ausbildung gewährleisten zu können, riet Herrenschwand dem König daher zur Einführung von Fortbildungskursen für Chirurgen, einer Einrichtung, die es bereits in Frankreich, England und teilweise auch in Deutschland gab. 1768 ersuchte Herrenschwand, möglicherweise aus gesundheitlichen Gründen, um seine Entlassung aus polnischen Diensten. In die Heimat zurückgekehrt, vertiefte er die Beziehung zu seinem einstigen Gönner Albrecht von Haller (1708–1777), der ihn 1744 als Leibarzt am Hofe des Erbprinzen von Sachsen-Gotha empfohlen hatte. Als Haller zwischen 1775–1777 erkrankte, gab ihm Herrenschwand brieflich zahlreiche Ratschläge und besuchte ihn wohl auch mehrmals persönlich am Krankenbett.4 Johann Friedrich Herrenschwands bedeutendstes Werk war eine Abhandlung über die wichtigsten Krankheiten5 in Form eines Lehrbuches für den Hausgebrauch, das sich an die breite Bevölkerung richten sollte. Internationale Berühmtheit sollte Herrenschwand allerdings erst durch sein Bandwurmmittel erlangen.6 Der erste Hinweis auf dieses geheimnisumwitterte Therapeutikum 1

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Wohl nicht bei Herman Boerhaave, da sein Name nicht in der Liste der Promovierten verzeichnet ist, vgl. J. E. Kronn, Boerhaave als Professor-Promotor, Janus 23, 1918, 291. Seine Dissertation schrieb Herrenschwand über die Verwendung von Quecksilber (Dissertatio medica inauguralis sistens historiam mercurii medicam). Das nur achtzehn Seiten umfassende Werk beschäftigt sich mit dem Namen des Quecksilbers, seinem Vorkommen und seiner Verwendung in der Medizin. H. Jenzer, Dr. med. Friedrich von Herrenschwand. Ein Berner Arzt im 18. Jahrhundert, Bern 1967; U. Boschung, Johann Friedrich von Herrenschwand, Leibarzt des Königs Stanislas von Polen. / Anton Gabriel von Herrenschwand, Arzt des Herzogs von Orléans, Paris. / Jean Herrenschwand, Verfasser nationalökonomischer Werke, London und Paris. / Joseph-Frédéric-Benoît Charrière, fabricant d’instruments de chirurgie à Paris, in: Les Fribourgeois sur la planète. Die Freiburger in aller Welt, Fribourg 1987, 24–35, 47–55. H. Jenzer, Dr. med. Friedrich von Herrenschwand, 54. H. Jenzer, Dr. med. Friedrich von Herrenschwand, 132–154. Médecine domestique ou traité complet des moyens de se conserver en santé. Ouvrage utile aux personnes de tout état (1788). H. Jenzer, Dr. med. Friedrich von Herrenschwand, 159–173.

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten

findet sich ebenfalls in einem Brief an Albrecht von Haller vom 3. September 1743, in dem Herrenschwand vermerkte, er kenne ein sehr wirksames, wenn auch bitteres Mittel, den lästigen Parasiten zu bekämpfen.7 Bis 1788 sollte Herrenschwand die genaue Zusammensetzung dieses Wundermittels für sich behalten,8 was von vielen Ärzten missbilligt wurde. Wenige Jahre später kam ein weiteres Bandwurmmittel auf den Markt, das in Murten von einer gewissen Witwe Nuffer angeboten wurde. Vermutlich waren beide Mittel, das Herrenschwandsche Pulver und jenes Mittel der Witwe Nuffer, identisch, da beide es von einem Bauern in der Umgebung von Murten bezogen hatten. Johann Friedrich wurde lange mit seinem jüngeren Bruder Anton Gabriel Herrenschwand verwechselt, der zuerst als médecin de surveillance du regiment des Gardes Suisses tätig war und 1755 in der Nachfolge seines Bruders ordentlicher Regimentsarzt und inspecteur des hospitaux du nord wurde. Ab 1750 wurde Anton Gabriel Herrenschwand Leibarzt des Herzogs von Orléans. Casanova begegnete Anton Gabriel Herrenschwand 1759 im Haus von Mme du Rumain,9 die er wegen einer privaten Angelegenheit zu festgesetzter Stunde aufsuchen wollte: Der Türsteher sagte mir grinsend, der Arzt sei bei ihr; der aber ging fort, als ich eintrat. Es war jener Herrenschwand, den alle hübschen Frauen von Paris haben wollten. Ihn hat der unglückliche Dichter Poinsinet in dem in Paris sehr erfolgreichen Einakter „Le Cercle“ lächerlich gemacht.10 Le Cercle war, so lässt uns Casanova wissen, ein kleines dramatisches Stück in Prosa, in dem der Dichter sich über die Redeweise des Arztes Herrenschwand lustig machte […]. Es errang tatsächlich einen großen Erfolg.11 Der auch Casanova persönlich bekannte Dichter Antoine de Poinsinet de Noirville hatte Herrenschwand 1764 in dem am 17. September an der Comédie Française uraufgeführten Stück Le Cercle ou La Soirée à la mode lächerlich gemacht. Wie Théodore Tronchin war auch Herrenschwand ein „Modearzt“, der sich bewusst von den „Rosskuren“ der früheren Arztgenerationen abgrenzen wollte. In Le Cercle tritt Herrenschwand in der 8. Szene auf und erläutert die Grundsätze seiner Therapie. So brachte er etwa neue Therapien in Umlauf oder versah bereits bekannte Drogen lediglich mit neuen Namen: LISIDOR Des bols de savon! Le MEDECIN Oui, Monsieur, c’est un spécifique divin que, depuis deux ans, je réussis à mettre à la mode. Les anciennes drogues dont nos ancêtres saisoient usage, pouvoient convenir à leurs santés robustes et grossiêres, mais aujourd’hui tout doit être soumis aux loix de 7 8 9

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H. Jenzer, Dr. med. Friedrich von Herrenschwand, 159. H. Jenzer, Dr. med. Friedrich von Herrenschwand, 168. Constance Simone Flore Gabrielle Rouault de Gamaches, Comtesse du Rumain (1725– 1781) war eine enge Vertraute Casanovas, die ihn in schwierigen Situationen unterstützte. Sie war bekannt für ihre Empfänglichkeit für Kabbala und Magie. GmL 4, 241. GmL 8, 23.

5.1 Die Brüder Herrenschwand

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notre délicatesse et de nos graces. Voudriez-vous, par exemple, que je déchirasse l’estomac d’une jolie malade avec du miel aerien, qui ne purge que par indigestion ? L’ABBE Oserois je vous demander, Monsieur, ce que c’est que du miel aerien ? Le MEDECIN C’est de la manne, Monsieur l’Abbé, c’est de la manne. Non – seulement nous avons renoncé aux drogues antiques, mais nous avons encore changé leurs dénominations vulgaires. Ein knappes Jahr später kam es in Solothurn zu einer seltsamen Begegnung. Um in einer Liebesangelegenheit, die sich während einer Landpartie besser geheimhalten ließ, voranzukommen, erhielt Casanova von dem befreundeten französischen Botschafter Anne Théodore de Chavigny (1689–1771) den gutgemeinten Rat, sich krank zu stellen. Er kenne, so der Botschafter, einen Arzt, der ihm mit Vergnügen Landluft und Bäder verschreiben werde: Sie müssen sich krank stellen und eine Krankheit erfinden, an der ein Arzt auf ihr Wort hin nicht zweifeln kann. Glücklicherweise kenne ich einen, der darauf versessen ist, fast bei jeder Krankheit Landluft und außerdem Bäder zu verordnen, deren Zusammensetzung er selbst bestimmt. Dieser Arzt kommt an einem der nächsten Tage ohnehin zu mir, um meinen Puls zu prüfen.12 Gegen einen Lohn von zwei Louis d’or würde dieser Herrenschwand zumindest Landluft verschreiben und der ganzen Stadt erzählen, dass er den Patienten von seinem Leiden heilen werde. Chavigny klärte Casanova auch darüber auf, dass es sich um Johann Friedrich Herrenschwand handele, der zu dieser Zeit nach seiner Rückkehr aus Polen längst wieder in Murten war. Schließlich riet ihm der Botschafter, sich eine „schickliche Krankheit“ zu suchen, die seinem Ruf nicht schade. Bei einem Diner wenige Tage später war auch dieser Arzt anwesend und beglückwünschte Casanova zu seiner guten Gesundheit, worauf dieser antwortete, der Schein trüge und um eine Konsultation bat. Herrenschwand war ausnehmend erfreut, sich getäuscht zu haben und stattete dem Patienten am folgenden Tag umgehend einen Besuch ab. Casanova erzählte ihm kurzerhand, was der Himmel gerade eingegeben hatte: Jede Nacht würden ihn Liebesträume befallen, die ihn kreuzlahm machen würden. Und tatsächlich, der Arzt riet zu sechs Wochen auf dem Lande, ohne sich Verführungen durch das weibliche Geschlecht auszusetzen und zu regelmäßigen kalten Bädern: Ich kenne diese Krankheit, Monsieur, und ich werde sie durch zwei Mittel heilen. Das erste, das Ihnen vielleicht nicht gefallen wird, ist ein sechswöchiger Aufenthalt auf dem Land; dort ruft kein Anblick in ihrem Gehirn Bilder hervor, die durch Erregung des siebten Nervenpaares einen Erguss der Lenden verursachen, der Sie beim Erwachen auch recht traurig stimmen muss. […] Das zweite Heilmittel besteht in kalten Bädern, die Sie aufheitern werden.13 Die verordneten kalten Bäder könnten allerdings überall durchgeführt werden.14 In seinem medizinischen Buch für 12 13 14

GmL 6, 131. GmL 6, 132; HdmV 6, 381. HdmV 6, 381.

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten

den Hausgebrauch, der Médecine domestique ou traité complet des moyens de se conserver en santé. Ouvrage utile aux personnes de tout état (1788), gibt es tatsächlich zahlreiche detaillierte Hinweise auf die einzuhaltende Diät und Anweisungen für Hausbäder und ihre Beschreibung.15 Noch vor Mittag war die ganze Stadt über Casanovas Krankheit informiert. Bei Tisch – Herrenschwand war ebenfalls anwesend – lobte der Botschafter den hervorragenden Vorschlag des Arztes und scherzte, man müsse dem Patienten Damenbesuche untersagen. Und eine anwesende Dame fügte hinzu, man solle ihm sogar gewisse Portraitminiaturen verbieten, von denen er eine ganze Kassette sein Eigen nennen würde. Ein anwesender Anatom fand die Argumente des Arztes sogar großartig. Dieses humorvolle Portrait des Arztes Herrenschwand unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von jenem, das Casanova in seiner Korrespondenz vermittelt. Dort scheint er ebenfalls auf die Herrenschwandsche Kur Bezug genommen und ernsthaft davon berichtet zu haben, da seine Verlobte Manon Balletti (1740–1776) in einem Brief vom 28. Oktober 1759 das Angebot erwähnt, den Schweizer für sie zu konsultieren.16 Einige Wochen später besuchte Casanova Herrenschwand auf Schloss Geng bei Murten, nur wenige Meilen von Bern entfernt, da er ein Gutachten über den Bandwurm für die Marquise d’Urfé gegen Bezahlung von zwei Louis d’or abholen sollte.17 Handelte es sich vielleicht lediglich um das Therapeutikum? Bei dieser Gelegenheit besuchte Casanova in Begleitung des Arztes auch das Beinhaus der in der Schlacht bei Murten (22. Juni 1476) gegen das Heer Karls des Kühnen von Burgund (1433–1477) gefallenen Eidgenossen, das 1755 zu einer Kapelle umgebaut worden war. Anscheinend hatte Casanova nicht nur Manon Balletti, sondern auch Renier Calzabigi (1714–1795),18 dem kranken Bruder seines ehemaligen Geschäftspartners und Teilhabers Jean Calzabigi, von seiner Bekanntschaft mit Johann Friedrich Herrenschwand in einem Brief berichtet. Der kranke, aber auf allen Wissensgebieten überaus bewanderte Bruder Jean Calzabigis war an der Planung für die Einführung der französischen Lotterie maßgeblich beteiligt gewesen. Eines Tages besuchte Casanova Calzabigi, der an einer entstellenden Hautkrankheit litt, erstmals in seinem Appartement in Paris: Ich fand den Mann im Bett liegend, über und über mit Flechten bedeckt, was ihn jedoch nicht daran hinderte, 15 16

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H. Jenzer, Dr. med. Friedrich von Herrenschwand, 187–188 (Rezepte 1 und 2). Marr 8–127 (A. Ravà / E. Maynial (Hrsg.), Lettres de femmes à Giacomo Casanova, Paris 1911, 81): Vous prouvés vous cha[r]ger de rendre de ma part la santé au suisse qui a daygné se charger de la mienne et lui en souhaiter une des meilleurs. GmL 6, 217. Calzabigi, der wohl in Livorno und Pisa studiert hatte, trat 1743 in die Dienste eines Ministeriums in Neapel. Da er in einen Giftmord verwickelt wurde, verließ er die Stadt und begab sich nach Paris. Ab 1761 hatte er in Wien das Amt eines consigliere alla camera dei conti dei Paesi Bassi und eines consigliere di S.M.I.R. apostolica inne. Calzabigi betätigte sich auch als Librettist, insbesondere für Christoph Willibald Gluck (Orfeo e Euridice; Alceste; Paride ed Elena) und beteiligte sich aktiv an der Gluck’schen Opernreform. Nachdem er Wien infolge eines Skandals verlassen hatte, begab er sich nach Pisa und schließlich wieder nach Neapel, wo er bis zu seinem Tod bleiben sollte (DBI (online), s. v. a. „Ranieri Simone Francesco Maria de“).

5.1 Die Brüder Herrenschwand

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zu schreiben, sich zu unterhalten und überhaupt alle Verrichtungen eines Mannes zu erfüllen, der bei guter Gesundheit ist. Er zeigte sich nicht in der Öffentlichkeit, denn seine Flechten entstellten ihn nicht nur, sondern er musste sich auch alle Augenblicke bald hier, bald dort, kratzen, was in Paris als abscheulich und unverzeihlich gilt, ob man es nun infolge einer Krankheit oder nur aus schlechter Gewohnheit tut.19 Am 24. Mai 1760 erhielt Casanova einen ausführlichen Brief Renier Calzabigis, der ihn dazu beglückwünschte, erfolgreich von einer (Haut-)Krankheit genesen zu sein, an der er selbst noch leide, vermutlich, da Casanova ihm einen ganz anderen Grund für die Kur bei Herrenschwand genannt hatte als in der Histoire de ma vie: Ihr Brief, den mir der Freund Balletti übergeben hat, hat mich getröstet, da ich erfreuliche Neuigkeiten bezüglich Ihrer Gesundheit durch den Verdienst des berühmten Arztes, der auf Hautkrankheiten spezialisiert ist und anscheinend Wunder vollbringt, vernommen habe. Ich freue mich aufrichtig darüber, dass Sie mit so wenig Mühe von einem so grausamen „humor“ (d. h. Saft) befreit sind. Es gibt niemanden, der diesen Vorteil besser als ich selbst verstehen könnte. Sie haben sich von der schlimmsten Krankheit, die man sich vorstellen kann, befreit.20 Calzabigi beschreibt in diesem Brief ausführlich, welche Qualen die besagte Krankheit bei ihm selbst verursachte: Das, was mit mir geschieht, ist überraschend. Ich muss im Zimmer bleiben und bekomme Rheuma. Alle äußeren Muskeln werden von heftigen Schmerzen geplagt. Es entsteht ein beunruhigendes Jucken; kein Mittel hilft dagegen.21 Das Bemühen der Ärzte schien vergebens. Schließlich habe er sich auf Anraten seiner Freunde an den Arzt Keiser22 gewandt, der ihm Milchbäder empfohlen habe.23 Diese Kur verfolge er nun seit drei Wochen, wobei die Einnahme des Therapeutikums ihm keine Schwierigkeiten bereite und er in seinem rechten Bein bereits Besserung verspüre.24 Das verschriebene Therapeutikum (confetto) bestehe auch nur aus wenig Quecksilber.25 Er werde, so Calzabigi, nun erst den Therapieerfolg des Arztes Keiser 19 GmL 4, 53–54. 20 Marr 4–27: Mi ha consolato la V[ost]ra lettera consegnatami dall’amico Baletti perché vi ho letto buone nuove di V[ost]ra salute mediante il famoso medico antivolatico che secondo quello [che] mi assicurate opera meraviglie. Mi rallegro dunque sinceramente con voi d’esservi disimpegnato da un umor si crudele, con si poca fatica. Non vi è chi sia in istato di comprenderne il vantaggio meglio di me. Vi siete liberato da un morbo il più crudele che immaginar si possa. 21 Quello che fa a me è sorprendente; mi obbliga alla camera; si trasforma il rumatismo; mi attacca tutti i muscoli esteriori con dolori acerbi; m’inquieta co’ pruriti; non diminuisce con alcun rimedio. 22 Die genauen Lebensdaten des Arztes Keiser sind unbekannt. 23 L’empirico mi coglionò, e gli sono in tal maniera obbligato da non avermi fatto male, poiché bene far non mi sapeva; e siccome non era possibile rimanere nello stato mio senza curare il sollievo d’altri rimedi; col consiglio di medici, e amici mi sono appigliato a quello di Keiser accompagnato da bagni, e latte (ch)e rinfrescano. 24 Sono ormai 3 s(ettima)ne che ho cominciato. Il metodo sarà di prenderlo lungamente, e lentamente, e vi sacrifico tutta la state in cui entriamo per vederne l’esito essendo evidentemente sicuro che altri nel simil caso mio sono guariti. Non mi da il remedio veruno incomodo, e mi pare che in 14 prese che tante ne ho ingoiate finora la mia gamba dritta vada meglio. 25 E’vero che non posso ben giudicare del miglioramento ne fare alcun prognostico perché in tutto questo tempo non avendo preso che 80 confetti, ed in ognuino non essendovi che un grano di mercurio non è possibile sperar alcun giovamento ben dimostrato da 80 grani di quel metallo; poiché sapete che una sola unzione ne contiene di più e se ne prendono talvolta 30 e 40.

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abwarten und zugleich mit der Unterstützung seines Freundes, des Arztes Antoine Petit (1718–1794)26, eine Bäderkur machen, wobei er das von Casanova mitgeteilte Rezept anwenden werde.27 5.2 Der Universalgelehrte Albrecht von Haller Im Juni 1760 traf Casanova in Basel dank eines Empfehlungsschreibens von Bernhard von Muralt (17091780), dem Vetter des späteren Finanzkommissärs der Stadt Bern Ludwig von Muralt-Favre (1716–1789),28 den bekannten 26 Der Leibarzt des Herzogs von Orléans. Petit studierte Chirurgie in Paris und spezialisierte sich vor allem auf Geburtshilfe. 1746 wurde er königlicher Leibarzt. Da Petit kinderlos blieb, spendete er einen Großteil seines beachtlichen Vermögens, unter anderem zur Gründung zweier Lehrstühle für Anatomie und Chirurgie an der medizinischen Fakultät in Paris. Er war laut dem Almanach Royal noch um 1780 als médecin vétéran tätig. Petit beteiligte sich mit mehreren Artikeln an der Encyclopédie. Zu seinen bekanntesten Werken gehören der Discours sur l’utilité de la chirurgie (1757); Consultation en faveur de la légitimité des naissances tardives (1765); Recueil de pièces relatives à la question des naissances tardives (1766); Rapports en faveur de l’inoculation (1766); Lettres sur les faits relatifs à l’inoculation (1767); Projet de réforme sur l’exercice de la médecine en France (1791);Traité des maladies des femmes enceintes, en couche, et des enfants nouveau-nés (1779); Anatomie chirurgicale de Palfin, revue et augmentée par A. Petit (1753). Zum Kreis der persönlichen Ärzte des Herzogs von Orléans gehörten auch Théodore Tronchin und Anton Gabriel Herrenschwand. Vgl. auch A. Hirsch, Biographisches Lexikon, Band 4, 569. 27 Mi dichiaro estremamente tenuto alla premura amichevole che per me avete, alla notizia importantissima che mi date, al dettaglio che mi favorite, all’invito che mi avanzate di costì condurmi. Se ne avessi ora la momentanea volontà non farei in caso d’eseguirla. Son qui senza mio fratello; gli affari miei sono grandi, non posso allontanarmi per ora; bisogna che morda il freno, che seguiti il mio destino. frattanto avrò notizie decisive a Mad(am)e de la Saonej, frattanto si svilupperanno i miei lacci, frattanto vedrò l ’evento di Keiser, doppo di che ho deciso di profittar del loro consiglio, e detta scienza rara del V(os)tro medico, il quale se volesse qui mandarmi il suo elisire con metodo per servirmene coll’assistenza che impiegherei dell’amico mio M[onsieu]r Petit primo medico del Duca d’Orleans, e certo di Francia qui sul luogo farei la cura con comporre i bagni co que’ minerali che formano la base di quelli che m’indicate nella Valtellina non è la prima volta che codesto signore ha inviato fuora il suo rimedio; ne ha avuto in Lione il medico Pestalozzi di ciò ne fu in Avignone trasmesso a M(onsieu)r Parelly altro galeno. Così se Voi poteste risolverlo a ciò mi fareste sommo piacere, e pagherei una somma onesta, e in proporzione, poiché per me meglio saria di qui far la mia cura a norma delle sue istruzioni per ragioni particolari che non posso ora dirvi ma spero fra poco. Impiegatevi a ciò amico, e datemi risposta. Mi raccomandate il segreto sulla V(ost)ra dimora presente, ma sappiate esser qui noto che Voi siete negli Svizzeri, non si sa di Berna. Mi fu riferito 8 giorni sono da Gerbault che voi conoscete, e mi ha detto che la notizia è venuta d’Olanda. Ho cercato di farlo discredere, e siate sicuro che non abusavo certo della V(os)tra confidenza e che sono e sarò sempre, in ogni stato, in ogni luogo V(ost)ro vero amico, e servitore 28 Bernhard von Muralt war Haller freundschaftlich verbunden und holte brieflich medizinische Ratschläge bei ihm ein. In einem Brief vom 19. März 1761 (Marr 40–30; P. Grellet, Les aventures de Casanova en Suisse, Lausanne 1919, 99; das Original befindet sich unter der Sig. N. Albrecht von Haller, Korr. Ludwig von Muralt an AvH 19. März 1761, 2 in der Bürgerbibliothek in Bern) erwähnt Muralt die Erkrankung eines Freundes (le Professeur Kocher), der an einem rheumatischen Fieber (fièvre de Rhume mal traitée et negligée) leide. Der Bruder habe nur wenig Vertrauen in die hiesige Fakultät, die seine Erkrankung nicht

5.2 Der Universalgelehrte Albrecht von Haller

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Schweizer Arzt, Physiologen und Anatomen Albrecht von Haller (1708– 1777).29 In der Bürgerbibliothek von Bern wird auch jenes Empfehlungsschreiben aufbewahrt, das Bernhard von Muralt am 21. Juni 1760 an Haller richtete,30 und in dem er ihm ans Herz legte, unbedingt jenen geheimnisvollen Ausländer, der im hiesigen Gasthof Zur Krone abgestiegen sei, zu empfangen: Seit einigen Monaten logiert hier im Gasthaus Zur Krone ein Ausländer namens Chevalier de Seingalt, der mir auf Veranlassung einer einflussreichen Dame aus Paris durch den Marquis de Gentils31 wärmstens empfohlen wurde. Vorgestern reiste er nach Lausanne ab, wo er einige Zeit bleiben und von wo aus er Sie besuchen möchte. Er brennt nämlich darauf, vor allem Sie zu sehen – und danach das Salzbergwerk. Dieser Ausländer ist es wert, dass Sie ihn empfangen, er wird für Sie sicher ein Kuriosum sein. Für uns bleibt er ein Rätsel: Wir vermochten beim besten Willen nicht herauszufinden, wer er wirklich ist. Er weiß nicht so viel wie Sie, aber er weiß vieles. Über alles spricht er sehr lebhaft und scheint ungewöhnlich viel gelesen und gesehen zu haben. Man sagt, er beherrsche sämtliche orientalische Sprachen. Er schrieb für niemanden einen Empfehlungsbrief. Anscheinend möchte er nicht erkannt werden. Jeden Tag bringt ihm die Post eine Unmenge an Briefen, und er selbst schreibt jeden Morgen. […]. Er spricht Französisch mit italienischem Akzent, da er in Italien aufgewachsen ist. Er erzählte mir seine Lebensgeschichte, die aber zu lang ist, um sie hier zu wiederholen. Wenn Sie es wünschen, wird er sie Ihnen gewiss erzählen. Er sagt, er sei ein freier Mann, Bürger der ganzen Welt, der die Gesetze aller Herrscher befolge, unter denen er lebt. Er hat hier ein streng geregeltes Leben geführt. Sein Hauptinteresse gilt der Naturwissenschaft und der Chemie. Mein Vetter Ludwig von Muralt, der sich eng an ihn angeschlossen hatte und ihm ebenfalls einen Brief für Sie mitgegeben hat, hält ihn für den Grafen von Saint-Germain. Er hat mir Proben seines kabbalistischen Könnens gegeben, die, falls er nicht schwindelt, wirklich erstaunlich sind und ihn als eine Art Zauberer erscheinen lassen. […]. Mit einem Wort, er ist eine einmalige Persönlichkeit. Seine Kleidung und Ausstattung könnte gar nicht besser sein. Nach dem Besuch bei Ihnen möchte er Voltaire besuchen, den er auf die vielen Fehler in seinen Büchern hinweisen möchte. Ich weiß nicht, ob so ein schillernder Mann Voltaires Geschmack sein wird.32 Der Universalgelehrte Albrecht von Haller gehörte in der Tat zu den bekanntesten Ärzten seiner Zeit. Nachdem er ab 1723 Naturwissenschaften und Medizin in Tübingen studiert und 1727 bei Herman Boerhaave promoviert hatte, vertiefte er seine Ausbildung in England wie in Frankreich und kehrte 1728 in die Schweiz zurück, wo er in Basel Mathematik und Botanik studierte. Ab 1729 war Haller als praktischer Arzt in Bern tätig, wechselte 1736 nach Göttingen auf den Lehrstuhl für Anatomie, Chirurgie und Botanik und wurde kenne. Muralt bittet nun um eine Untersuchung bei Haller, wobei er seinem Brief einen Bericht über die Erkrankung beilegt. 29 R. Toellner, Albrecht von Haller. Über die Einheit im Denken des letzten Universalgelehrten, Wiesbaden 1971; H. Steinke et al. (Hrsg.), Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche, Göttingen 2008. 30 Marr 40–23 (P. Grellet, Les aventures de Casanova en Suisse, 73; Bürgerbibliothek Bern, Mss. Hist. Helv. 18, 39). 31 Gemeint ist Philippe François Gentil-Langallerie (1710–1773). 32 Übersetzung nach J. Rives Childs, Biographie, 131–132.

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1749 durch Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen (1708–1765) in den Adelsstand erhoben. Mit seinem französischen Kollegen Julien Offray de LaMettrie kam es zu diversen Meinungsverschiedenheiten.33 Der wissenschaftliche Nachlass Hallers zeichnet sich nicht nur durch seinen Umfang, sondern auch durch seine überragende Qualität aus. Der Universalgelehrte hatte sich nicht nur im Bereich der Anatomie, etwa der Untersuchung des Verlaufs der Arterien und des Blutkreislaufes, sondern auch in der Botanik, der Philosophie, der Mathematik und der Poesie einen Namen gemacht.34 Im medizinischen Bereich etablierte er die Doktrin der Sensibilität und der Irritabilität, also der Reizbarkeit der einzelnen Körperteile, wobei er alle Organe und jedes Gewebe nach diesen Kriterien klassifizierte und dadurch einen entscheidenden Fortschritt in der experimentellen Physiologie bewirkte.35 Albrecht von Haller führte zudem eine reichhaltige Korrespondenz.36 Beinahe siebzehn Jahre lang soll auch Casanova nach Aussage der Histoire de ma vie mit dem Gelehrten in brieflichem Kontakt gestanden und von ihm insgesamt zweiundzwanzig Briefe erhalten haben, den letzten davon etwa sechs Monate vor Hallers Tod im Jahre 1777.37 Seinen persönlichen Eindruck vermitteln dabei zahlreiche Dokumente aus dem Archiv von Dux, insbesondere Casanovas Korrespondenz. Eine respektvolle, ja sogar fast intime Darstellung seines Besuches bei Albrecht von Haller liefert Casanova in einem Dankesbrief an Bernhard von Muralt vom 26. Juni 1760: Man macht eine Lobrede auf einen Mann, wenn man sagt, dass er über alles Bescheid wisse, aber man muss über Herrn Haller sagen, dass er alles weiß. Er kennt sich mit allem aus, was die Erde hervorbringen konnte und keiner kennt den Bau des Menschen besser als er. Er kennt folglich besser als alle den göttlichen Baumeister und insbesondere sich selbst. Wer auf der Welt besäße also das Fundament für größere Weisheit?38 Casanovas Verehrung für Haller ging sogar soweit, dass er den Gelehrten in die Nähe des großen antiken Denkers und Philosophen Sokrates rückte, wobei seine Frau jedoch das Gegenteil von dessen (zänkischer) Frau Xanthippe sei.39 Beeindruckt war er nicht nur von der ungewöhn33 U. Jauch Staffelbach, Krankheit als Metapher. Neue Überlegungen zu einer alten Querelle: Julien Offray de la Mettrie und Albrecht von Haller, in: H. von Holzhey / U. Boschung (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit, 141–156. 34 HdmV 2, 383–388. H. Steinke et al. (Hrsg.), Bibliographia Halleriana. Verzeichnis der Schriften von und über Albrecht von Haller, Basel 2004. 35 U. Boschung, Neurophysiologische Grundlagenforschung. „Irritabilität“ und „Sensibilität“ bei Albrecht von Haller, in: H. Schott (Hrsg.), Meilensteine der Medizin, Dortmund 1996, 242–249. 36 M. Stuber et al. (Hrsg.), Hallers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung, Basel 2005. 37 Albrecht von Haller war auch ein enger Freund Max Lambergs, vgl. Marr 2–41 (23. März 1789; G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 99): Haller etoit intimement mon ami. 38 Si fa l’encomio d’un uomo quando si dice, che sa di tutto, ma si debbe dire del Signor Haller, che sa tutto. Egli conosce tutto quello, che la terra ha saputo produrre, e nessuno conosce l’architettura dell’uomo meglio di lui, egli conosce dunque più di tutti il divin architetto, e principalmente se stesso. Chi mai ebbe al mondo fondamenti di maggior scienza? 39 Marr 40–9 (P. Grellet, Les aventures de Casanova en Suisse, 95; Bürgerbibliothek Bern N. Albrecht von Haller, Korr. Giacomo Casanova an Ludwig von Muralt, 25. Juni 1760,1): La Signora sua consorte mi parve tutto l’opposto della moglie di Socrate, e la di lui figlia tanto più

5.2 Der Universalgelehrte Albrecht von Haller

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lich hochgewachsenen Gestalt des Gelehrten (etwa 1,95 m), seiner angenehmen Physiognomie, sondern auch von dessen Gastfreundlichkeit. Haller selbst hielt eine strenge Diät, ließ es seinen Gästen aber an nichts mangeln: Ich fand bei Haller den Tisch reich gedeckt, ihn selbst aber sehr enthaltsam. Er trank Wasser und zum Dessert ein kleines Glas Likör mit einem großen Glas Wasser verdünnt.40 Albrecht von Haller reagierte freundlich und offen auf die Fragen seines neugierigen Gastes, sprach über seinen akademischen Lehrer Giovanni Battista Morgagni (1682–1771) und zeigte Casanova eine große Anzahl von Briefen, die er von diesem erhalten habe. Die beiden Männer tauschten sich über sämtliche Wissensbereiche aus, etwa die lateinische Sprache, Religion, Philosophie und Alchemie sowie über die Schriften Voltaires,41 Rousseaus und Boerhaaves: Er erzählte mir viel von Boerhaave, dessen Lieblingsschüler er gewesen war. Er sagte, nach Hippokrates sei Boerhaave der größte aller Ärzte gewesen, auch ein größerer Chemiker als jener und als alle anderen, die nach ihm gelebt hätten.42 Dabei erwähnte Albrecht von Haller, sein akademischer Lehrer habe sich im Alter von vierzehn Jahren mit Eigenurin43 von einem Geschwür (ulcère venimeux) selbst kuriert. Auf Casanovas Frage, weshalb Boerhaave dann nicht ein hohes Alter erreicht habe, entgegnete der Arzt, dass gegen den Tod kein Kraut gewachsen sei. Als Casanova in einem Oktavband seiner Werke, vielleicht dem 1756 veröffentlichten Werk Kleine Schriften, auf den lateinischen Spruch Utrum memoria post mortem dubito stieß, fragte er Albrecht von Haller, ob er denn nicht glaube, dass das Gedächtnis ein Teil der Seele sei. Der Wissenschaftler wich geschickt einer vielsagenden Antwort aus, da er fürchtete, man könne an seinem Glauben zweifeln. Bezüglich seiner eigenen Werke legte Haller stets große Bescheidenheit an den Tag: Haller war ein Gelehrter, der niemanden über seine Fähigkeiten im Unklaren ließ, sondern sie offen zeigte und sich nicht hinter seinem großen Ruf verschanzte; er sprach gut und sagte wohlfundierte Dinge, ohne je die Anwesenden zu hindern, es ihm gleichzutun. Er sprach nie von seinen Arbeiten, und wenn man ihn darüber befragte, lenkte er das Gespräch in andere Bahnen; wenn er anderer Meinung war, widersprach er nur mit Bedauern.44 Nicht nur Religion und Literatur kamen zur Sprache, sondern auch die Alchemie. Als Casanova auf Herman Boerhaaves

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mi parve spiritosa quanto più tacque. Albrecht von Haller war insgesamt dreimal verheiratet, mit Marianne Wyss (gest. 1736), seit 1738 mit Elisabeth Bühner (gest. 1739) und schließlich ab 1741 mit Sopie-Amelie-Charlotte Teichmeyer, der Tochter eines Mediziners aus Jena. GmL 6, 221. Gegenüber Voltaire erwähnte Casanova anscheinend, dass Haller ihn nicht für einen großen Mann halte. Dies geht auch aus Notizen zur Histoire hervor (Marr 17A50), die Casanova wahrscheinlich zwischen 1790–91 anfertigte: Dans le volume 60 p. 81 des oeuvres de Voltaire on lit la réponse que Voltaire me donna lorsque je lui ai dit qu’Haller ne le regardoit pas comme un grand homme. On ne me nomme pas: on me désigne pour un étranger. Cela m’a fait plaisir. Auch in der Histoire de ma vie beschreibt Casanova Hallers kritische Haltung gegenüber Voltaire und Rousseau, insbesondere dessen gerade erschienener Émile. GmL 6, 221. Vgl. zur Geschichte der Urinbehandlung C. Thomas, Ein ganz besonderer Saft, München 1999. GmL 6, 223.

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Haltung zu dieser geheimen Wissenschaft und die Herstellung des Steines der Weisen (pierre philosophorum) zu sprechen kam,45 habe ihm eine alte Dame in Bern doch mitgeteilt, Boerhaave hätte diesen sagenumwobenen Stein besessen,46 betonte Albrecht von Haller die Unmöglichkeit, dessen Herstellung eindeutig zu widerlegen.47 Das Treffen mit dem Schweizer Gelehrten muss Casanova zutiefst beeindruckt haben. Wie auch er selbst war Albrecht von Haller auf nahezu allen Wissensbereichen belesen und stets neugierig, seinen umfassenden Wissensschatz zu erweitern. Als begeisterter Chemiker teilte er mit dem Venezianer Casanova die Faszination für die Alchemie, und als Philosoph stand er den Schriften Voltaires ebenfalls kritisch gegenüber. In seinem kurz nach diesem Treffen angefertigten Dankesschreiben an Bernhard von Muralt vom 25. Juni 1760 schrieb Casanova, wie geehrt er sich fühle, von einem solchen Mann empfangen worden zu sein.48 Kaum ein Jahr später übermittelte Muralt Albrecht von Haller ein Patent des Comte de Sein-Galt (Casanova),49 in dem Hallers Werke von der Academie des Arcades, der auch die Librettisten Pietro Metastasio (1698–1782), Carlo Goldoni sowie Pietro Chiari und Carlo Gozzi (1720–1801) angehörten, hochgeschätzt wurden.50 Casanovas Hochachtung gegenüber Haller sollte auch als alter Mann nicht nachlassen. Als der Bibliothekar sich im Vorwort zur Histoire de ma vie die Frage stellte, wer ein wahrhaft toleranter Mensch sei, verstand sich die Antwort daher von selbst: Dieser Mann ist meiner Meinung nach gewiss nicht Voltaire oder J. J. Rousseau. Haller ist es, Hume, d’Alembert, ein Philosoph, der niemals jemanden beunruhigt hat, ein Weiser, der gut gelebt hat, insofern er es im Verborgenen tat.51

45 Möglicherweise beschäftigte sich Herman Boerhaave tatsächlich mit der Herstellung von Gold (un malheureux essai en chimie), vgl. HdmV 2, 368, Anm. 4. 46 HdmV 2, 368: Elle m’assura qu’il possédait la pierre; mais elle me dit qu’elle n’avait la qualité de prolonger la vie que quelques années au-delà du siècle. Boherave selon elle n’avait pas su s’en servir. Il était mort d’un polype entre le cœur et le poumon avant d’être parvenu à la parfaite maturité qu’Hippocrate fixe à l’âge de soixante et dix ans. Les quatre millions qu’il laissa à sa fille démontraient qu’il possédait l’art de faire l’or. 47 HdmV 2, 385: Je travaille depuis trente ans pour la trouver impossible, et je ne peux pas parvenir à cette certitude. On ne peut pas être bon chimiste sans reconnaître pour physique la possibilité du grand œuvre. 48 Marr 40–9 (P. Grellet, Les aventures de Casanova en Suisse, 95; Bürgerbibliothek Bern Sig. N. Albrecht von Haller, Korr. Giacomo Casanova an Ludwig von Muralt, 25. Juni 1760,1): Mi son trasportato a Rocca, e sono oggi qui di ritorno; ho dato al Signor de Haller la sua lettera, e mi ritrovo tanto invaghito del merito impareggiabile d’un uomo tale, che munito d’una lettera commendatizia a questo gran filosofo. 49 1760 hatte Casanova den Namen Chevalier de Seingalt angenommen. 50 Marr 40–28 (16. März 1761); P. Grellet, Les aventures de Casanova en Suisse, 98; Bürgerbibliothek N. Albrecht von Haller, Korr. Ludwig von Muralt an AvH, 16. März 1761,1. 51 Fragment de la préface à l’Histoire de ma vie, 1791 (Marr 29–7): Cet homme à mon avis n’est certainement pas ni Voltaire, ni un J. J. Rousseau. C’est un Haller, un Hume, un d’Alembert, un philosophe, qui n’a jamais inquieté personne, un savant qui bene vixit si bene latuit. Vgl. auch den Brief an Opiz vom 11. Juli 1791 (Marr 40–109; F. Khol / O. Pick (Hrsg.), G. Casanova. Correspondence avec J. F. Opiz, Leipzig 1913, 80).

5.3 Der „Modearzt“ Théodore Tronchin

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5.3 Der „Modearzt“ Théodore Tronchin Im 18. Jahrhundert sollte der Begriff „Mode“ eine exzeptionelle Bedeutung erlangen, wobei nicht nur die Bekleidung, sondern nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens eingeschlossen waren (Anglomanie, Follie des ballons). Wie bereits am Beispiel des Arztes Herrenschwand gezeigt werden konnte, betraf die Mode auch die therapeutische Praxis. Als médecin à la mode kann bis zu einem gewissen Grad auch Théodore Tronchin (1709–1781)52 gelten, den Casanova nach seinem Besuch bei Albrecht von Haller auf dem Landsitz Voltaires, Les délices, treffen sollte. Voltaire nannte Tronchin, der nicht nur sein Leibarzt, sondern auch ein enger Freund war, liebevoll mon cher Esculape.53 Dabei hatte seine Familie für den jungen Théodore Tronchin ursprünglich eine kirchliche Laufbahn vorgesehen gehabt. Sein Vater, ein reicher Bankier,54 der durch den Zusammenbruch des Lawschen Systems55 ruiniert worden war, schickte den jungen Tronchin im Alter von sechzehn Jahren nach England, wo er in Cambridge Medizin bei Dr. Richard Mead (1673–1754) studierte, dem Arzt des englischen Königs Georg II. (1683–1760).56 Nach Studien der Werke Herman Boerhaaves zog es ihn jedoch nach Leiden, wo er 1730 über ein gynäkologisches Thema promovierte. Nach seiner Promotion ließ sich Tronchin erst in Amsterdam nieder und kehrte dann 1750 nach Genf zurück. Théodore Tronchins Verdienste liegen insbesondere in der Einführung der Inokulation gegen die Pocken in Frankreich. Zu diesem Thema verfasste er auch zwei Artikel in der Encyclopédie. Seine durch die Einführung der Inokulation erworbenen Verdienste wurden in den herrschenden Häusern hoch geschätzt, und Katharina die Große versuchte, Tronchin an ihren Hof zu berufen.57 1756 inokulierte er die Kinder des Herzogs von Orléans und 1765 den Sohn des Herzogs von Parma. Obwohl Théodore Tronchin sogar eine Erhebung in den Adelsstand in Aussicht gestellt worden war, zog er es vor, in Genf zu bleiben. In seinen therapeutischen Ansätzen stand er jedem System kritisch gegenüber und propagierte seine eigenen einfachen und natürlichen Hygiene52 H. Tronchin, Un médecin du XVIIIe siècle, Théodore Tronchin, 1709–1781, Paris 1906. 53 HdmV 2, 410–411; In der Confutazione III, 145, spottete Casanova über Voltaire, indem er ihn fast für verrückt erklärte, leide dieser doch an einer Art Fieber, die sein Gehirn beeinträchtige. Aus diesem Grund solle sich Voltaire einer ganz besonderen Kur unterziehen: Cette cure ne pourroit a mon avis avoir une hereuse reussite, qu’entre les mains d’un medecin scavant et hardi. Il s’agiroit, si je ne me trompe, d’une inoculation dans la glande pinéale (d. h. die Epiphyse). Il faudroit sur ceci consulter le medecin du jour, l’immortel Tronchin. 54 Casanova berichtet, er habe 1748 einen Wechsel bei einem Bankier namens Tronchin in Genf eingelöst. Es handelt sich vielleicht um den Genfer Vertreter des berühmten Bankiers Jean-Robert Tronchin (1704–1798) oder um dessen Vetter Jacob Tronchin (1717–1801). Beide lebten für längere Zeit in Genf. Trochin sollte sich auch noch 1760 um Casanovas Vermögensangelegenheiten kümmern. 55 Der Schotte John Law (1671–1729) begann mit der ersten umfangreichen Papiergeldausgabe zur Finanzierung der französischen Staatsschulden, was zu einer Aktienpreisblase der Mississippi-Gesellschaft führte. 56 A. Zuckerman, Dr. Richard Mead (1674–1753): A Biographical Study, Urbana 1965. 57 C. Seth (Hrsg.), Les rois aussi mouraient. Les Lumières en lutte contre la petite vérole, Paris 2008.

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten

regeln, favorisierte Bewegung als natürliches Heilmittel und kritisierte ein Leben, das ausschließlich von sitzender Tätigkeit geprägt war. Seine Freigebigkeit gegenüber ärmeren Patienten schmälerte jedoch seine finanziellen Rücklagen so sehr, dass er seinen Kindern nur ein geringes Vermögen vererben konnte. Als Tronchin im Alter von dreiundsiebzig Jahren verstarb, hinterließ er nur wenige schriftliche Werke, darunter seine gynäkologische Dissertationsschrift De nymphae; De clitoride (1736), einige Artikel für Diderots Encyclopédie, eine Edition der Oeuvres de Baillou, eine medizinische Schrift mit dem Titel De cólica pictorum (1757) sowie diverse kleinere medizinische Abhandlungen. Casanovas Hochschätzung für Théodore Tronchin war jedoch nicht ausschließlich auf sein herausragendes medizinisches Wissen zurückzuführen, sondern auch auf seine Kenntnisse in höfischer Konversation und seine Neigung zu philosophischen Reflexionen. Dabei zeigte er weder den Scharlatanismus noch die Ausdrucksweise seiner Kollegen: Der Herzog von Villars und der berühmte Arzt Tronchin gesellten sich zu uns. Tronchin bezauberte mich. Er war groß, wohlgebaut, schön von Angesicht, höflich, wortgewandt, ohne ein Schwätzer zu sein, ein gelehrter Naturkenner, ein Mann von Geist und Art, ein hochgeschätzter Schüler Boerhaaves, und weder vom Kauderwelsch noch von den Gauklerkünsten der Mitglieder dieser Fakultät beeinflusst. Tronchins therapeutische Maßnahmen bestanden, so Casanova, insbesondere aus diätetischen Vorschriften. Auf diese Weise sei es ihm gelungen, auch den Herzog von Villars (1702–1770)58 von einer besonders schweren Form der Akne mithilfe einer strengen Diät zu befreien.59 Allerdings wunderte sich Casanova auch über teils seltsame therapeutische Ansätze des „Modearztes“ Tronchin, dessen Erfolg darauf begründet sei, dass er sich auf seltene Therapeutika spezialisiert habe.60 In der Confutazione berichtete Casanova ausführlich, um welche „neuen“ Rezepte und Therapieanweisungen es sich dabei handelte: Sie sind wirklich allzu komisch. Nachdem er über die Krankheit Bescheid weiß, sind seine Anweisungen um sie zu kurieren kurz, präzise und unerwartet. Den Engländern verordnet er Gemüsesuppe und Brot zu essen, wobei er das eine oder andere den Franzosen und Italienern verbietet.61 Bevorzugt schönen jungen Frauen würde Théodore Tronchin besondere Rezepte ausstellen, darunter auch, jeden Morgen zu reiten.62 Einer sehr gläubigen Frau, die auf kein Pferd 58 Es handelt sich um Honoré-Armand de Villars (HdmV 2, 963). 59 HdmV 2, 410: [il avait] tout le dos en gangrènes, et selon les lois de la nature il y avait dix ans qu’il aurait dû mourir. Mais Tronchin à force de régime le faisait vivre, nourrissant les plaies, qui non nourries seraient mortes, et auraient entraîné le duc avec elles. Cela s’appelle vivre par artifice. 60 Confutazione II, 179–186: Il medico Tronchin fa oggi fortuna in Francia. Si crederà, che ciò nasca a cagione dell’inserzione del vaiuolo, che questo medico fa […] La Fortuna del Tronchin ha per fondamento la novità dei rari, ed inauditi suoi recipe, e la moda. 61 Confutazione II, 180: Sono curiosissime. Ascoltata la confessione della malattia, la sua ordinaza per guarirla è breve, precisa, ed inaspettata. Ordina agl’Inglesi di mangiar minestra, e pane, e proibisce l’uno, e l’altro a Francesi e ad Italiani. 62 Confutazione II, 180: A belle donne delicate, giovani, civette, che si lagnano d’esser ammalate, e che hanno malattie difficili, ed inesplicabili quasi a segno, che non sanno esse medesime dire cosa sieno, il profondo Tronchin comanda, che vadano ogni mattina a passeggiar a cavallo, e, badisi bene, non sedute, ma per ragioni fisiche, a cavalcioni.

5.3 Der „Modearzt“ Théodore Tronchin

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steigen wollte, habe er dagegen angeraten, den Fußboden ihres Appartements täglich eine Stunde lang zu scheuern.63 Frauen, die nach Ansicht des Arztes an Hypochondrie litten, sollten die „tote Luft“ in Kirchen meiden, die Tronchin für schädlich hielt,64 war es doch noch immer üblich, Bestattungen bedeutender Personen unter dem Fußboden durchzuführen. Die Therapievorschriften Tronchins hingen laut Casanova auch davon ab, ob die Dame verheiratet oder verwitwet war: Witwen, die sehr zurückgezogen lebten, sollten dem Ratschlag des Arztes zufolge unbedingt wieder heiraten, während er jenen, die ein aufreibendes gesellschaftliches Leben führten und etwa nur an einem schwachen Magen litten, dringend empfehle, Witwen zu bleiben, da diese Leiden durch die Ehe hervorgerufen worden seien.65 Einer anderen Patientin habe Tronchin geraten, nur auf bestimmte Weise gewaschene Hemden zu tragen, einer anderen wiederum, die Tapeten ihrer Wohnung zu erneuern, da deren Farbe die Nerven der Patientin zu sehr belastet hätte.66 Schließlich habe der Arzt einen Schwindsüchtigen, der zudem an einer venerischen Krankheit gelitten habe, mit Quecksilber therapiert, das er ihm mit Eselsmilch vermischt verabreicht habe.67 Nach einer weiteren Notiz Casanovas soll Tronchin auch die Gattin des fermier général, Alexandre Jean Joseph Le Riche de la Poupelinière (1692–1762), behandelt haben, die an Brustkrebs erkrankt war. Die Behand63 Confutazione II, 181: Ad una divota Signora, ch’io conosco, Parente di Quesnel, e che non volle montar a cavallo, ordinò il prefato Tronchin di fregare il suolo dell suo Appartamento un ora per giorno con la pianta del piede, legandosi sotto una spazzola a guisa di tragico coturno. 64 Confutazione II, 180: A certe donne, che hanno de’ mali vaporosi, e che pare a lui, che sieno troppo soggette all’ippocondria, e che perciò soffrano molto quando si trovano sforzate a respirare arie morte, il discreto Ginevrino si pensa, che l’aria delle chiese potrebbe essere ad esse nociva, e, perciò interdice loro il frequentarle. 65 Confutazione II, 181: A queste ordina ballare, a quelle di cantare, e prescrivere la qualità della musica a norma della malattia, che le opprime. Per le ammalate vedove egli ha poi varie ricette. A quelle, che vivono meste, e sedentarie, ordina di rimaritarsi, ma a quelle, che vivono nel gran mondo, e che non hanno altri mali, che debolezze di stomaco, fiacchezze, e propensioni a convulsioni, a quelle dice chiaro, che possono ringraziar Dio d’essere restate vedove, perché questi mali furono loro tutti cagionati dal matrimonio, ed acciocchè guariscano ordina ad esse di proseguir sempre la stessa vita, et aver pazienza […]. 66 Confutazione II, 181: In tal sistema ordina a questa di far palottole con la midolla del pane, e gettarle di qua, e di là; ad un’altra ordinò di non mettersi mai camisie lavate in lissivia. Fece cambiare ad un’altra le tappezzerie dell’appartamento, che abitava, avendole provato, che il male de’nervi, che la tormentava, procedeva dal troppo pesante loro colore. Für die Herstellung von Tapeten wurde oft Arsen verwendet. 67 HdmV 2, 410: Sa médecine ne consistait principalement que dans le régime; mais pour l’ordonner il avait besoin d’être grand philosophe. Ce fut lui qui guérit du mal vénérien un poumonique moyennant le mercure qu’il lui donna dans le lait d’une ânesse qu’il avait soumise à trente frictions sous le bras vigoureux de trois ou quatre crocheteurs. J’écris ceci parce qu’on me l’a dit, mais j’ai de la peine à le croire. In der Confutazione II, 182, lautet diese Anekdote wie folgt: Mi fù detto, che uno de’suoi ammalati, che era pieno di mal francesce, e che si averebbe rischiato molto a guarirlo col mercurio, perché era tocco nei polmoni, egli l’abbia non ostante guarito col medesimo metallo d’una malattia, e della altra facendogli prendere il latte d’asina. A tal oggetto il giudizioso medico fece fare l’unzione mercuriale all’asina, dalla quale nel medesimo tempo si faceva mungere il latte, e quel latte poi dato all’ammalato fece il doppio salutare effetto di guarirlo dal morviglione venereo, e dal male, che gli rodeva con tubercoli il viscere del polmone.

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten

lung blieb jedoch erfolglos.68 Trotz dieser seltsamen Therapieanweisungen hielt Casanova Tronchin für einen gelehrten Mann, habe er doch zusammen mit Gerard van Swieten (1700–1772) studiert und sei ein Schüler Herman Boerhaaves gewesen. Tronchin wollte jedoch bekannt werden, weshalb die Ärzte immer neue Therapiemethoden erfinden mussten.69 Ein „gewöhnlicher“ Arzt, der lediglich den Puls fühle, den Bauch abtaste, die Zunge betrachte und die Exkremente untersuche, könne heute nämlich keinen Erfolg mehr haben.70 Tronchin dagegen würde mit seinen neuen Methoden „Wunder“ vollbringen,71 könne doch kein Arzt sein Glück machen, wenn er nicht innovativ sei.72 Um berühmt zu werden, sei es daher wichtig, durch eine neue Behandlungsmethodik einen Kranken zu heilen, bei dem die althergebrachten Therapien versagt hätten.73 Durch eine ähnliche Methode hatten nämlich bereits in der Antike Ärzte ihr Glück gemacht: So habe sich auch der antike Grammatiker und Rhetoriker Asklepiades schließlich der Medizin zugewandt, alle bis dahin in Rom üblichen Heilmethoden kritisiert, eine neue Therapieform propagiert74 und damit außergewöhnlichen Erfolg gehabt.75

68 Marr 17A50. 69 Confutazione II, 181–182: Non si creda però, che questo medico non sia uomo dotto. […] Egli è condiscepolo del famoso Van Switten, e dello sfortunato Condoidi tre scolari eletti del sempre illustre Boeravio, e conosce il corpo umano, e sa tutte le parti del suo mestiere; ma volle far fortuna, e vide che per farla per via della medicina in questo secolo più abbondante di medici, che di ammalati, ci voleva della novità, e convinto vi si applicò, e riuscì. La sua maniera di medicare piace a tutti; Ella è un’empirica d’una specie curiosa. 70 Confutazione II, 182: Il medico fisico sul gusto d’oggi, che non fa che toccare il polso, e ’l ventre, e guardar la lingua, e gli escrementi non può più fare fortuna. 71 Confutazione II, 182: Il Signor Tronchin con una ciera, che spesso basta essa sola a guarir l’ammalato, fece, e fa continuamente cure meravigliose. 72 Confutazione II, 184: Un medico non può assolutamente far fortuna, se non è innovatore. 73 Confutazine II, 183: Il medico va del pari col profeta, che per una cosa, che indovina si gli perdonano cinquanta false predizioni. Una malattia riputata difficile, che un medico, in voga come Tronchin, guarisce, lo rende famoso, enon gli si dice nulla di tutte le evidenti morti, che diede ad ammalati, che sarebbero senza di lui forse guariti. Un altro medico abile, ma sfortunato, perché non è bastantemente ciarlatano, non ha torto d’attribuirsi spesso, anche scientemente, la guarigione d’un tale ammalato, mente non la deve, che alla di lui natura. Si vendica in questa guisa di tutti quelli, che sono morti di vera malattia mortale, che l’indiscreto volgo sostiene, che fu lui, che gli ammazzò; come pure di quegli altri, che guarì, e che i parenti pretendono, che sia stato l’effetto di un miracolo di qualche Santo, al quale mandano offerta, che costa molto, non curandosi di pagare il medico. Daher habe ihm der kluge Algardi in Augsburg auch mitgeteilt, dass die Heiligen seine größten Rivalen seien: Mi disse in Augusta il savio, e prudente medico Algardi, che i santi erano i suoi più formidabili rivali. 74 Confutazione II, 183: […] che mise in voga con un nuovo metodo, che Galeno poi sotto Marcaurelio perfezionò. 75 Confutazione II, 183: Egli cominciò a screditare tutt’i rimedi ordinari, ch’erano in uso a Roma […] Asclepiade con uno stile insinuante propose con nuovo metodo nuovi rimedi, e riuscì.

5.4 Der österreichische Hof

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5.4 Der österreichische Hof Den Leibärzten der Herrschenden kam von jeher eine besondere gesellschaftliche Bedeutung zu. Mit Ruhm und Ehren überschüttet wurden sie jedoch nicht selten zur Projektionsfläche von Neid und Missgunst. Großes Aufsehen erregte gegen Ende des 18. Jahrhunderts insbesondere der Prozess gegen den deutschen Arzt Johann Friedrich Struensee (1737–1772), der 1772 wegen einer (angeblichen) Affäre mit der dänischen Königin Mathilde geköpft wurde,76 nachdem er zuerst Leibarzt des geisteskranken Königs Christian VII. (1749– 1808) gewesen war und später viele bedeutende Reformen im Staatswesen durchgesetzt hatte. Insbesondere die medizinische Versorgung am Wiener Hof und in der Residenzstadt, deren bekannteste Vertreter die Wiener medizinische Schule begründeten, ist im Nachlass Casanovas ausführlich dokumentiert. 1766 lernte Casanova in Polen während einer Einladung bei Franzisek Salezy Potocki (1700–1771) aus dem südpolnischen Kiowien einen Arzt namens Hyrneus kennen,77 den persönlichen Feind Gerard van Swietens (1700–1772), der Leibarzt Maria Theresias und ebenfalls Schüler des Leidener Arztes Boerhaave war. Der Empiriker Hyrneus, den Casanova zwar als sehr kundig, aber auch ein bisschen verrückt beschrieb, behandelte seine Patienten nach dem System der Asklepiaden, welches, so Casanova, zwar nach Boerhaave nicht mehr haltbar sei, Hyrneus jedoch zu großem Erfolg verholfen habe: Dieser immer noch schöne Mann (d. h. Potocki) hielt prächtig Hof; dem Brief des Grafen Brühl zuliebe behielt er mich vierzehn Tage bei sich und ließ mich alle Tage mit seinem Arzt ausfahren, dem berühmten Hyrneus, der ein geschworener Feind des noch berühmteren van Swieten war. Dieser Hyrneus war sehr gelehrt, jedoch ein wenig verrückt; er war Empiriker und folgte den Lehren des Asklepiades, die seit dem großen Boerhaave unhaltbar geworden waren. Dennoch brachte er erstaunliche Heilungen zustande.78 Über Hyrneus’ besondere innovative Kuren, die er im Zusammenhang mit seinen therapeutischen Maßnahmen einsetzte, berichtete Casanova noch ausführlicher in der Confutazione: Der weise Arzt Hyrneus […] lobte in meiner Gegenwart Asklepios über alles, was mich nicht in Erstaunen versetzte; als Erneuerer der er war, erlangte er sein Vermögen durch seine wunderbaren Kuren, die er mit Therpeutika durchführte, an die keiner vor ihm je gedacht hatte. Er ist ein Feind des Barons van Swieten, den er mit seinem Spott verfolgt […]. Am Anfang unterwirft er sich den Regeln, die man heutzutage befolgt; nachdem er aber gesehen habe, welcher Irrtum dabei vorliege, sei er Empiriker geworden. Hyrneus rühmt sich wie Asklepiades, nie krank werden zu können. Er weiß, dass er, sollte er sich getäuscht haben, seinen Ruf aufs Spiel 76

Marr 2–7 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 31): La catastrophe du Danemark indispose contre le Roi et fait partager aux esprits d’une trampe solide le sort de Mathilde, qui certainement est innocente. Am 25. September 1772 (Marr 2–137; G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 31) schrieb Max Lamberg an Casanova, dass die Königin nun ihre Verteidigung (défense) vorbereite. 77 Ein Arzt namens Hyrneus konnte bisher noch nicht identifiziert werden. 78 GmL 10, 217.

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setzt. Asklepiades hatte Recht; er wurde niemals krank und starb an den Folgen eines Unfalls. Man wird sehen, ob Hyrneus das gleiche Glück haben wird. Nun ist er achtundsiebzig Jahre alt und steht in Saft und Kraft.79 Im gleichen Jahr seiner Begegnung mit Hyrneus erwähnte Casanova dieses Treffen gegenüber Aloys Friedrich von Brühl (1739–1793), dem er auch das Empfehlungsschreiben zu verdanken hatte. Brühl geriet bezüglich der Fähigkeiten des Arztes in seinem Antwortschreiben vom 29. April 1766 ins Schwärmen, da er Hyrneus für einen hervorragenden und geschickten Arzt halte, dessen Pillen man vergolden lassen müsse.80 Gerard van Swieten (1700–1772), der Erzfeind des Hyrneus, war ab 1745 Berater und Leibarzt Maria Theresias.81 Er sorgte auch für die Reform des medizinischen Unterrichts an den Universitäten, schuf neue Lehrstühle, legte einen botanischen Garten an und gründete eine Klinik für eine praktische medizinische Ausbildung. In Wien organisierte er zusammen mit dem Arzt Joseph von Quarin (1733–1814) die Verbesserung von Spitälern und Heilanstalten. Dies alles war nur möglich geworden, weil durch die Sanitäts- und Kontumanzordnung (1770) alle Strukturen des Gesundheitswesens in den habsburgischen Ländern vereinheitlicht worden waren, was zu einem geordneten Gesundheitswesen führte. Gerard van Swieten stammte wie der Botaniker Carl von Linné, der Universalgelehrte Albrecht von Haller und der Arzt Anton van Haen aus der Leidener Schule, die sich durch eine klare Struktur der Krankheitsbeschreibungen auszeichnete, die auf systematischer Beobachtung beruhte. Gerard van Swieten hinterließ zahlreiche schriftliche Werke, darunter die bekannten Kommentare zu den Aphorismen Boerhaaves82 und eine Abhandlung zur Seuchenbekämpfung.83 Über eine besondere Eigenheit van Swietens erfahren wir aus einem Brief Max Lambergs vom 30. Januar 1792.84 Lamberg fragte sich in diesem Zusammenhang, warum die Mehrzahl der Prinzen an einer Hämorrhoidalkolik (colique hémorroidale)85 sterben würde, ob79

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81 82 83 84 85

Confutazione II, 185: Il dotto medico Hyrneus, che conobbi nella Russia Rossa al servigio del nobilissimo Potocki Palatino di Kiovia mi lodò molto Asklebiade, e non me ne meravigliai, perché innovatore, com’egli lo fu, debbe la sua fortuna a cure meravigliose, che fece con rimedi, che nessuno prima di lui escogitò. Egli è l’inimico, e ’l flagello del Baron Van Switten, che mentovai di sopra, medico dell’Imperatrice Maria Teresa. Dice male della chimica, condanna Boerhavio, e tutti i suoi partigiani, e la sua scuola. Fu ne’ suoi primi tempi medico a regola, siccome è il metodo odierno; ma avendo veduto, come egli dice, il fallo di quel procedere, è divenuto empirico. Hyrnaeus ancora come Asclepiade si vanta d’esser sicuro di non poter mai ammalarsi, e si contenta d’esser trattato d’ignorante, se gli avviene il contrario. Asclebiade ebbe ragione; non s’ammalò mai, e morì d’accidente. Vedremo se Hyrnaeus sarà tanto fortunato. Intanto ha settanta otto anni, e vive vigoroso. Marr 4–153: Je suis enchanté même que je sois en état et que Vous m’ayés fourni une occasion favorable par le voyage que Vous contés à Kristianpol pour consulter Mr. Hirneus homme digne de la réputation dont il jouit […] c’est un homme aussi aimable qu’habile, grande qualité pour un médecin, il faut qu’ils sachent dorer la pillulle. E. Lesky / A. Wandruszka (Hrsg.), G. von Swieten und seine Zeit, Wien 1973. Commentaria in Hermannis Boerhaave aphorismos de cognoscendis et curandis morbis (1742–72). Constitutiones epidemicae (1782). Marr 2–91 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 230). D. h. eine Blutungskolik.

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wohl die wirkliche Todesursache doch meist unklar sei. Gerard van Swieten habe deshalb die Angewohnheit gehabt zu sagen: Dieser Mann ist an der Krankheit des Todes gestorben. Als Leibarzt Maria Theresias stand van Swieten vor keiner leichten Aufgabe, denn die Kaiserin war eine leidenschaftliche Esserin, die stets üppige Mahlzeiten bevorzugte. Als sich die Kaiserin 1767 bei der Pflege ihrer erkrankten Schwiegertochter Maria Josepha mit den Pocken infizierte, wurde bereits jede Hoffnung aufgegeben, und die Herrscherin erhielt am 1. Juni 1767 die Sterbesakramente. Möglicherweise war es letztendlich nur Maria Theresias robuster Gesundheit zu verdanken, dass sie die Krankheit überstand und van Swieten reich belohnte. Nach dessen Tod 1772 sollte der holländische Arzt Anton van Haen (1703–1776) sein Nachfolger werden. Van Haen war auch ein enger Freund des venezianischen nobile Pietro Zaguri (1733–1806),86 der dessen ärztliche Künste dem erkrankten Casanova am 7. Januar 1774 in einem Brief ausdrücklich empfahl.87 Als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Pocken in Wien gewütet und bereits etliche Mitglieder der kaiserlichen Familie hinweggerafft hatten, rief man 1768 noch einen weiteren Holländer, Jan Ingenhousz (1730–1799), von London nach Wien. Ingenhousz, ein Freund Max Lambergs,88 führte als letzte Rettung die noch riskantere Variolation ein, also die leichte, kontrollierte Infektion mit der Lymphe von Pockenkranken. Ende November 1780 ging es Kaiserin Maria Theresia zunehmend schlechter und sie war nach Ansicht der Ärzte an Wassersucht, Katarrh und Brand erkrankt. Ihre Kammerzofe Karoline Pichler berichtete,89 die Kaiserin habe ihrem Arzt Anton von Störck (1731–1803),90 der auch ihre beiden Söhne, die späteren Kaiser Joseph II. (1741–1790) und Leopold II. (1747–1792), behandeln sollte, aufgetragen, er solle sie, wenn der denkwürdige Augenblick gekommen sei, fragen, ob sie eine Limonade wünsche, was dieser dann auch tat. Nach dem Tod Maria Theresias am 29. November 1780 trat Joseph II. die Alleinherrschaft an. Unter seiner Führung setzte eine zunehmende Säkularisierung ein, von der 1782 rund siebenhundert Klöster betroffen waren. Erstmals entstanden Krankenhäuser, die im Gegensatz zu den mittelalterlichen Spitälern Ärzte zur Behandlung der Kranken beschäftigten. Die Krankenpflege wurde nach und nach professionalisiert: 1784 entstand in Wien das All86 Der venezianische Senator Pietro Antonio Zaguri protegierte auch Lorenzo da Ponte, der für ihn als Sekretär tätig war und bekleidete in Venedig bedeutende Ämter, u. a. war er Avogador di comun (1772), Magistrato degli esecutori contro la bestemmia (1791), Magistrato dei beni incolti (1793) und Censore (1795).1798 wurde Zaguri Richter am Revisionstribunal. Zaguri und Casanova führten eine intensive langjährige Korrespondenz. 87 Marr 3–18 (P. Molmenti, Carteggi Casanoviani. Lettere del patrizio Zaguri a G. Casanova, Palermo 1919, 16); Marr 2–91 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 230): Vi raccomando il mio Haen, egli è a Trieste veleggiatelo, cazzo, una volta, mi preme assai. 88 Marr 2–119. 89 K. Pichler, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, München 1914, 18–19. 90 E. Lesky, Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert, Graz/Köln 1978; B. Zumstein, Anton Stoerck (1731–1803) und seine therapeutischen Versuche, Zürich 1968. Der Bruder Störcks wurde ebenfalls Leibarzt Leopold II.

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gemeine Krankenhaus, und 1770 wurde die Medizinerausbildung durch den klinischen Unterricht bereichert. Viele dieser Ansätze sind auf den Leibarzt Josephs II., Johann Alexander von Brambilla (1729–1800), zurückzuführen.91 Brambilla hatte ab 1752 in Padua Medizin studiert und sich durch den Einfluss von Gerolamo Grazioli und Baldassarre Beretta della Torre zunehmend für Chirurgie interessiert. 1757 bestand er in Wien das chirurgische Examen und sammelte im Regiment von Franz Moritz von Lacy (1725–1801) Erfahrungen im Siebenjährigen Krieg (1756–1763). Bereits 1764 wurde Brambilla zum Leibchirurgus Josephs II. ernannt, den er auf seinen Reisen ständig begleitete. Brambilla war auch der Weg zur „josephinischen Reform der Feldsanität“ zu verdanken: 1781 eröffnete er die militärische Sanitätsschule, die eine praktische Ausbildung in Kriegstraumatologie, Hygiene und Epidemieprävention in einem zweijährigen Lehrkurs anbot. Auf Empfehlung des Arztes konnten angehende Chirurgen dort Stipendien erhalten, um sich an anderen europäischen chirurgischen Akademien weiterbilden zu lassen. Am 7. November 1785 gründete Brambilla auch die medizinisch-chirurgische Akademie, das Josephinum. Er sollte Joseph II. bis zu dessen Tod im Jahre 1790 behandeln und zog sich ab 1795 nach Pavia zurück. Brambilla92 wird in mehreren Dokumenten aus dem Nachlass Casanovas erwähnt. Der erste Hinweis ist ein noch unpublizierter Brief von Maria Rizzotti (geb. 1759), datiert auf den 5. Oktober 1779.93 Casanova hatte sich als Sechzehnjähriger in Anzoletta Cattarina Rizzotti („Angela“), die Nichte des Priesters Giovanni Battista Tosello (1697–1757) verliebt. Jahre später heiratete Anzoletta dann den Sohn eines Advokaten, Francesco Barraba Rizzotti. Die 1759 geborene Tochter Maria Elena zog, möglicherweise wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse im Elternhaus, als junge Erwachsene zu ihrem Onkel Giovanni Toselli nach Wien. Um sich vor den Übergriffen des Onkels zu schützen, verließ sie jedoch kurz darauf ihr neues Heim und hielt sich mit Tätigkeiten als Erzieherin über Wasser, bis sie 1785 den Pianisten Ignaz Kaiser (gest. 1786) heiratete, der schon wenige Monate nach der Hochzeit verstarb. Casanova hatte Maria wahrscheinlich bereits 1774 in ihrem Elterhaus kennengelernt, als er den Kontakt zu seiner alten Jugendfreundin Angela nach seiner Rückkehr nach Venedig wieder aufnahm. Über Jahre stand er auch Maria Rizzotti mit väterlichen Ratschlägen zur Seite. In dem erwähnten Brief berichtet Maria Rizzotti, sie habe sich bei den Brambillas auf eine Stelle als Gouvernante beworben und sei von der Hausherrin herzlich aufgenommen worden: Auf dem Rückweg traf ich zufällig jemanden, der mir mitteilte, dass Herr Brambilla, der Chirurg des Kaisers, eine Gouvernante für seine Kinder suche. Ich ging sofort dorthin, um mich vorzustellen und hatte das Glück, der Signora sofort zu gefallen. Nun bin ich im Haus desselben; und bereits länger als einen Monat und jeden Tag erfahre ich erneut, wie zufrieden ich sein kann. Er ist ein sehr ernsthafter Mann, 91 NDB 2, 1955, 514 (Online), s. v. a. „Brambilla, Johann Alexander Ritter von“. 92 G. Pagini, Giovanni Alessandro di Brambilla, médecin personel de Joseph II. et directeur d’hopitaux, Intermédiaire des Casanovistes 2, 1985, 16. 93 Marr 8–93.

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fast unverträglich aber auch liebenswert. Seine Gattin ist eine noch immer sehr schöne Frau von 35 Jahren. Dies ist aber nicht ihre wichtigste Tugend, sondern ihre Güte und ihre Haltung, die sie bei allen liebenswert macht.94 Bereits am 20. Oktober 1779 vermochte Maria Rizzotti mehr von der Familie Brambilla zu berichten:95 Sie fühle sich in ihrer neuen Stellung ausgesprochen wohl und habe eine Seelenruhe gefunden, die ihr bis dahin unbekannt gewesen war.96 Die von Brambilla 1781 eröffnete militärische Sanitätsschule war als Ausbildungsplatz sehr begehrt. Am 19. April 178497 schrieb der liquorista Giuseppe Rossi an Casanova, er wolle seinen Sohn Antonio dort zum Chirurgen ausbilden lassen: Ich erwarte eine Antwort des Herrn Baron de Pittoni,98 der wiederum ein Schreiben von Signor Brambilla erwartet, um meinem Sohn Antonio einen Ausbildungsplatz als Arzt und Chirurg im Hospital, das von ebenjenem (d. h. Brambilla) geleitet wird, zu vermitteln. Wenn ich die Antwort schnell erhalten sollte, so wird er (?) der Vorgesetzte meines Sohnes in Wien sein.99 Casanova solle, so die Bitte Rossis, eine Verbindung zu Brambilla herstellen, um letztendlich eine Zusage über die Aufnahme zu erhalten:100 Ich vertraue Ihnen die beigefügte Kopie an und bitte Sie mir als Antwort die richtige, entscheidende Antwort des Herrn von Brambilla mitzuteilen. Ich, oder vielmehr mein Sohn, sind erwartungsvoll gespannt auf so eine Entscheidung, da ich wegen der von Ihnen beschriebenen Vermittlungsmöglichkeiten jeden anderen Weg, der zum gleichen Ergebnis führen könnte, verlassen habe.101 Gelang es Casanova, Giuseppe Rossis Sohn erfolgreich zu vermitteln? Anscheinend ja. Im folgenden Brief Rossis vom 5. Juli 1784 soll Casanova dem ehrenwerten Professor von Brambilla Rossis Ehrerbietung ausrichten.102

94 Nel tornare indietro incontrai per accidente una persona che mi disse che il Sig(no)r Branbilla, chirurgo del Imperatore, cercava una governante per i suoi ragazzi. Io sono andata subito a farmi vedere, e ho avuto la fortuna di incontrare subito nel genio della signora. Ora sono in casa del sudetto; egli è già più di un mese etutti li giorni ho nuovi motivi di essere contenta. lui è un uomo molto serio e quasi intrattabile ma altrettanto amabile, e la sua moglie, donna di 35 anni, che si conserva ancora molto bella, ma questo non è già quello che forma il suo merito, ma la sua bontà e il suo contegno la rende cara a tutti. 95 Marr 8–87. 96 La cara Madama Branbilla, e i suoi amabili figliuoli formano ogni mio piacere, e godo veramente una quiete d’animo che mi e stata fin’ora sconosciuta. 97 Marr 10O12. 98 Pietro Antonio Pittoni (1730–1807) war Polizeipräfekt in Triest und ebenfalls Mitglied der Académie des Arcades. 99 Attendo una risposta dal Sig(no)r Baron de Pitoni che attende dal Sig(no)r Branbilla p(er) colocar il mio figlio Antonio in pratica p[er] medico e chirurgo nel ospitalle diretto dal sudetto sogetto. Se tale risposta mi viene presto, sarò dunque il condutore del mio figlio in Vienna. 100 Marr 10O4 (Brief vom 11. Juni 1784). 101 Li confermo adunque l’acchiusa copia, e Lo prego diromi in riposta Le vere, e determinate resoluzioni del S(i)g(nor)e de Brambilla, essendo, non tanto Io, che mio figlio, impazientiss(i)mo d’una tal resoluzione, giacchè p(er) le descrittemi di Lei interposizioni ho tralasciatta ogn’altra strada p(er) il medemo effetto. 102 Marr 10O8: pregandolla de miei distinti ossequi al rispettabile Professore Sig(no)r de Brambilla, e di ciore me le rassegno.

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Eine amüsante Anekdote zu Brambilla mit äußerst unangenehmen Folgen liefert auch Lorenzo da Ponte (1749–1838) in seinen Lebenserinnerungen:103 Ein Italiener, der in Wien im gleichen Hause wie der Librettist wohnte, hatte sich in ein Mädchen verliebt, das ihm in keiner Weise zugetan war. Nun begann die junge Frau sogar, ein Loblied auf da Ponte zu singen, was den Verliebten, einen Chirurgen, rasend eifersüchtig machte. Als dieser dann den unwissenden da Ponte zufällig in einem Caféhaus traf und erfuhr, dass der Librettist an einem schmerzhaften Geschwür im Mund leide, das ein kürzlich gezogener Zahn verursacht habe, und ihm von Brambillas Ratschlag berichtete, dieses aufschneiden zu lassen, sah der Chirurg den Tag der Rache gekommen. Für eine Zechine, so der Übeltäter, könne er ihn von diesem quälenden Geschwür befreien, ohne dass geschnitten werden müsse. Der unwissende da Ponte schöpfte keinen Verdacht, willigte ein und erhielt eine stark riechende Flüssigkeit,104 die das Geschwür tatsächlich in sechs Tagen zum Verschwinden brachte, ihn aber innerhalb von drei Wochen auch sechzehn weitere Zähne kostete. Obwohl der österreichische Kaiser Brambilla über alle Maßen schätzte, vermochte auch dieser ihm letztendlich nicht mit seinem medizinischen Rat zu helfen. Als Joseph II. im Herbst 1788 an Tuberkulose erkrankte, verschrieb Brambilla eine Diät aus Ziegenmilch, die natürlich wirkungslos blieb. Ab 1790 wurde der Kaiser dann von ständigem Fieber, Husten, Atemnot und Brustschmerzen geplagt. Sein letzter Arzt, Joseph von Quarin, erhielt noch am 10. Februar den Titel eines Barons, da er den Herrscher über den wahren Grund seiner Krankheit aufgeklärt hatte. Auf dieses Ereignis wird auch in der Histoire de ma vie Bezug genommen: Als Casanova 1753 erstmals den späteren Kaiser Joseph II. am Wiener Hof zu Gesicht bekam, beurteilte er dessen Gesicht bereits als unheilverkündend, ja er sehe darin sogar Anmaßung und Selbstmord: Ich prophezeite richtig, denn Joseph II. hat sich umgebracht, nicht vorsätzlich, aber er hat sich doch umgebracht. Die Anmaßung war schuld daran, dass es ihm nicht bewusst wurde. […] Das Urteil Brambillas, der ihn verleitete, sich zugrunde zu richten, schätzte er höher als das jener Ärzte, die ihm sagten, „principiis obsta“105 (Wehre den Anfängen!). Niemand konnte ihm Unerschrockenheit absprechen. […] Dieser Herrscher ist einer Krankheit erlegen, die insofern sehr grausam war, als sie ihn bis zu seinem Ende klar denken ließ und ihm den unabwendbaren Tod vor Augen hielt, bevor sie ihn hinwegraffte. […] Aus Seelengröße gab er dem Arzt, einem verständigen Mann, der ihm das Todesurteil verkündete, eine hohe Belohnung,106 aber aus Seelenschwäche hatte er einige Monate vorher die Ärzte und den Scharlatan belohnt, die ihn glauben ließen, er sei geheilt.107 Lorenzo da Ponte, der sich mit weiteren Personen im Vorzimmer befand, berichtete ebenfalls von der Aufrichtigkeit des Arztes 103 Ch. Birnbaum (Hrsg.), Lorenzo da Ponte. Geschichte meines Lebens, Frankfurt a. M. / Leipzig 2005, 114–115. 104 Es handelte sich um Scheidewasser, also verdünnte Salpetersäure. 105 Ovid, remedia amoris : 91. 106 Möglicherweise spielte Casanova hier auf Matthäus von Störck (1739–1815) oder Joseph von Quarin an. 107 GmL 3, 266–267.

5.4 Der österreichische Hof

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„Quirini“, der dem Kaiser unter Tränen die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand unterbreitet habe.108 Schließlich verstarb Joseph II. am 20. Februar 1790, nur drei Tage nach Elisabeth Wilhelmine, der ersten Frau des späteren Kaisers Franz II. (1768–1835).109 Joseph II. und sein Nachfolger Leopold II. ließen sich noch von einem weiteren Arzt beraten, Johann Georg Hasenöhrl von Lagusius (1729–1796). Der 1729 geborene Johann Georg Hasenöhrl wurde ebenfalls durch die Schule van Swietens und van Haens geprägt.110 1756 erhielt Lagusius nach seiner Promotion über die Fruchtabtreibung (De abortu eiusque observatione) eine führende Stellung im Spanischen Hospital in Wien. Die dort gemachten Beobachtungen publizierte er in einer ausführlichen Abhandlung über epidemische Krankheiten.111 Schließlich wurde er Leibarzt des Großherzogs der Toskana, des späteren Kaisers Leopold II. Auf Rat van Swietens nahm Lagusius in Italien den gräzisierten Namen „Lagusi“ an und wurde nach dem Tode Leopolds II. Leibarzt Franz II.’ in Wien, wo er schließlich am 20. Dezember 1796 verstarb. Lagusius wird zusammen mit dem Arzt Vespa und den beiden Störck (les deux Störck) in zwei Briefen Max Lambergs112 im Zusammenhang mit dem Tod Leopolds II. erwähnt:113 Deutschland trauert! Der Kaiser ist am 1. März, um 4:30 am Abend verstorben. Vier Ärzte – die Herren Lagusius, Vespa und die beiden Störck hatten ihn bereits für außer Gefahr erklärt. Der 5. Arzt, Monsieur Schreiber, tat als einziger seine Ansicht kund und erkannte die Gefahr. Die einen sprachen davon, ein schwerer Durchfall, die anderen, dass eine schlimme Kolik den Kaiser auf dem Gewissen habe. Dieser Tod stellt ein Rätsel dar, das man vielleicht einmal lösen wird. Das Blutspucken des augenblicklichen Königs (d. h. Franz II.?) ist unglücklicherweise das alarmierendste Zeichen – aber das Unglück, das die Folgen mit sich bringen werden, ist schrecklich. Ein paar Tage später bekräftigte Max Lamberg noch ein weiteres Mal,114 die fünf Ärzte hätten wie die letzten Idioten gehandelt. Möglicherweise hatte er erfahren, was wirklich geschehen war: Am 28. Februar 1792 war der Kaiser um 2 Uhr morgens erwacht und hatte über heftige Schmerzen in der linken Brust und in der Gegend der Milz geklagt, während er um 9 Uhr bereits ein rot angelaufenes Gesicht, starke Schweißausbrüche und Atembeschwerden sowie heftige Unterleibsschmerzen hatte. Am Nachmittag wurde ein Aderlass vorgenommen, weitere zwei am folgenden Tag und noch ein vierter am 1. März, dazu 108 Ch. Birnbaum (Hrsg.), Lorenzo da Ponte, 154. 109 Franz I. von Österreich ab 1804. 110 ADB 10, 311–313, s. v. a. „Haën, Anton van“; R. Jütte, Medizin, Krankheit und Gesundheit um 1800, in: S. Heinze (Hrsg.), Homöopathie 1796–1996. Eine Heilkunst und ihre Geschichte, Berlin 1996, 13–26. 111 Historia morbi epidemici sive febris petechialis, quae ab anno 1757…Vienna grassata est etc. (1760); Historia medica trium morborum, qui anno 1760 frequentissime in nosocomio occurrebant etc. (1761) 112 Marr 2–115 (3. März 1792; G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 239) und Marr 2–45 (7. März 1793 [1792!]; G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 244). 113 Marr 2–115. 114 Marr 2–45: Chose sure que les médecins au nombre de cinq, nommement Mrs Lagusius, Vespa, les deux Störck et le D. Schreiber ont agi dans cette circonstance comme de vrais imbeciles.

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten

noch mehrere Einläufe. Leopold II. wurde so eine unglaubliche Menge Blut abgenommen, die kaum ein Gesunder überleben konnte. Lagusius sollte sich mit einem Artikel zur Krankengeschichte des Monarchen rechtfertigen. Auch der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann (1755–1843),115 äußerte sich 1793 in einem scharfen Artikel über die gängige Praxis des Aderlasses, der noch immer von medizinischen Autoritäten als probates Mittel empfohlen wurde, sei es um Blutstau oder Stockungen der „Säfte“ zu beheben. Hahnemann forderte die kaiserlichen Ärzte auf, öffentlich zu diesem Fall Stellung zu nehmen, worauf Lagusius einen ausführlichen Bericht ankündigte.116 5.5 Francesco Antonio Algardi 1767 traf Casanova in Schwetzingen auf den Arzt Francesco Antonio Algardi, den Leibmedicus der Kurfürstin von der Pfalz, Elisabeth Auguste in Oggersheim. Casanova hatte diesen Arzt bereits in Augsburg kennengelernt,117 wo er ihm das Leben gerettet und ihn erfolgreich von einer venerischen Krankheit kuriert hatte. Der Weltweisheit und Arzney-Wissenschafts Doctor war zu dieser Zeit noch Leibarzt des Fürstbischofs von Augsburg gewesen, bevor er am 12. Oktober 1767 vom pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor (1724–1799) zum Geheimen Rat ohne Kammerschlüssel ernannt wurde und in die Dienste der Kurfürstin trat.118 Algardi führte am Hofe ein privilegiertes Leben, und ihm standen als einzigem nichtadeligen Hofbedienten zwei Räume in Oggersheim zur Verfügung.119 Sein Gehalt belief sich auf jährlich 2400 Gulden,120 das des Leibchirurgen Heiligenstein auf nur 1200. Dieses fürstliche Gehalt wurde noch durch Kostgelder und Naturalzulagen ergänzt.121 Möglicherweise hatte Casanova sein Eintreffen in Schwetzingen bereits angekündigt. Aus einem persönlichen Brief des Arztes an Casanova, datiert auf den 7. Juni 1767, erfahren wir, dass Algardi gerade in Plombières in Lothringen weilte. Er war anscheinend trotz seines fürstlichen Einkommens hoch verschuldet und wollte seine Schul-

115 R. Jütte, Samuel Hahnemann, Begründer der Homöopathie, München 2005. 116 J. M. Schmidt / D. Kaiser (Hrsg.), Samuel Hahnemann. Gesammelte kleine Schriften, Heidelberg 2001, 153. 117 HdmV 2, 719: Mon cher docteur Algardi, qui m’avait sauvé la vie. Vgl. zu F. A. Algardi S. Mörz, Die letzte Kurfürstin. Elisabeth Augusta von der Pfalz, die Gemahlin Karl Theodors, Stuttgart/Berlin/Köln 1997, 135–138, 143; S. Leopold / B. Pelker (Hrsg.), Hofoper in Schwetzingen. Musik, Bühnenkunst, Architektur, Heidelberg 2004, 32. Algardi wird letztmalig 1792 (für 1791) im Hof- und Staatskalender erwähnt. 118 C. Gigl, Die Zentralbehörde Kurfürst Karl Theodors in München 1778–1799, München 1999. Im Staatsarchiv Karlsruhe befinden sich unter der Signatur Pfalz Generalia 77 Nr. 1206 (Besoldung des Leibmedikus und Leibchirurgen der Frau Kurfürstin 1748–1792) diverse Schriftstücke zu Francesco Antonio Algardi. 119 S. Mörz, Die letzte Kurfürstin, 127. 120 1 Gulden entspricht heute etwa einer Kaufkraft von 30 Euro. 121 S. Mörz, Die letzte Kurfürstin, 138–139.

5.5 Francesco Antonio Algardi

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den gemäß des Fälligkeitsdatums begleichen.122 Algardi nannte in dem besagten Brief auch ein Rezept für einen unerwähnt bleibenden Patienten, der auf Rat des Arztes sechs Unzen eines bestimmten Therapeutikums zwei bis dreimal am Tag einnehmen müsse, wobei die Dosierung von der Schwere der Erkrankung und dem Zustand des Patienten abhänge. Die endgültige Entscheidung habe jedoch der assistierende Arzt zu treffen.123 Als die beiden Männer einander schließlich in Schwetzingen begegneten, war Algardi gerade mit der Behandlung von Friedrich von Zweibrücken (1724–1767)124 betraut worden, dem nach seiner Einschätzung nur noch vierundzwanzig Stunden zum Leben verblieben. Casanova gestand er in diesem Zusammenhang, dass er die traurige Nachricht seinem Patienten verschweige. So habe er dem Kranken lediglich mitgeteilt, dass seine Krankheit tödlich sei, die Natur und die (ärztliche) Kunst jedoch Wunder bewirken könnten. Als Casanova ihn daraufhin der Lüge bezichtigte, verteidigte sich der Arzt, die Heilung des Patienten habe immerhin im Bereich des Möglichen gelegen. Er habe dem Patienten nämlich nicht die Hoffnung nehmen wollen, da dies die Pflicht eines jeden Arztes sei. Als Casanova Francesco Antonio Algardi vorwarf, wie ein Jesuit zu argumentieren, antwortete dieser: Das hat mit Jesuitismus nichts zu tun. Da es meine vornehmste Pflicht ist, das Leben des Kranken zu verlängern, muss ich ihm eine Nachricht ersparen, die es verkürzen kann, und wäre es auch nur um wenige Stunden, und zwar aus körperlichen Gründen. Ohne zu lügen, sage ich ihm, was im Grunde genommen nicht unmöglich ist. Ich habe also nicht gelogen, und ich lüge auch jetzt nicht; denn aufgrund meiner Erfahrung stelle ich die Prognose über die von mir erwartete Entwicklung. So lüge ich nicht, denn ich würde wirklich eine Million zu eins wetten, dass er sich nicht mehr erholt, doch würde ich nicht mein Leben wetten.125 Die vorgebrachten Argumente vermochten Casanova jedoch nicht zu überzeugen. Er war vielmehr noch immer der Ansicht, der Arzt habe seinen Patienten bewusst getäuscht: Sie haben recht; aber nichtsdestoweniger haben Sie den Fürsten getäuscht, denn er wollte von Ihnen nicht das wissen, was er selbst wusste, sondern was Sie auf Grund ihrer Erfahrung wissen müssen. Dennoch billige ich Ihnen zu, dass Sie als sein Arzt nicht durch eine so niederschmetternde Nachricht sein Leben verkürzen können. Ich komme zu dem Schluss, dass Sie einen üblen Beruf haben.126 Abgesehen von dieser Anekdote wird Algardi auch in einem Brief Max Lambergs vom 18. August 1767 erwähnt. Möglicherweise hatte der Venezianer seinen Brieffreund über die Ereignisse und sein Gespräch in Schwetzingen in Kenntnis gesetzt. In seinem in Augsburg abgefassten Brief vermittelt Max Lamberg ein eindrückliches Portrait des Arztes, der seiner Ansicht nach zwar durchaus ein geistvoller Mann sei, dem 122 Marr 4–114: […] sono partito d’Augusta con molti debiti di risposte, e volevo soddisfarli secondo la loro anzianità. 123 Marr 4–114: Ora vengo ai punti del V.S. di Venezia, e rispetto alla dose questa deve essere di 6 oncie due in trè volte al giorno secondo la gravezza del male, e le circostanze del soggetto, lasciandosi il preciso alla savia disposizione del professore assistente. 124 HdmV 3, 532–533. 125 GmL 10, 284. 126 GmL 10, 285.

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten

es aber an dem notwendigen „Biss“ fehle. Algardi bevorzuge stattdessen stets den bequemen Weg und gehe Schwierigkeiten gerne aus dem Weg: Algardi ist noch nicht zurück. Die Fürstin (d. h. Elisabeth Auguste von der Pfalz) erlaubt nicht, dass er für mehr als drei Wochen abwesend ist. Algardi ist zwar ein geistvoller Mann, aber er hat auch Ziele und ist darum bemüht, dass kein Nebel seinen Glanz bedeckt. Er hat nichts ausprobiert, führt ein durchschnittliches Leben, das ihm seltene Chancen ebenso wie versteckte Gefahren bietet. Ans Ziel wird er jedoch nur über freie Wege gelangen. Wenn er Erfolg hat, dann nur, indem er die Hindernisse ignoriert, fehlt ihm doch der Mut, sich mit ihnen auseinanderzusetzen: Er vermag sie nicht zu bekämpfen.127 Casanova und Max Lamberg sollten beide Algardi überleben. Möglicherweise war der Arzt bereits 1788/89 schwer erkrankt, da Max Lamberg am 14. März 1789 an Casanova schrieb, Francesco Antonio Algardi sei anscheinend gestorben: Armer Algardi! Im Augenblick kaust du Erde, so wie du es so viele machen ließest. Er war wahrlich ein sehr eleganter Mann, dieser Algardi, der eine gesunde Urteilskraft besaß und seine Rolle in der Komödie des Lebens wie ein richtiger Kerzenreiniger spielte, den man nur im Theater sieht, wenn die Kulisse Feuer fängt. Man hat mir mitgeteilt, dass er so gestorben ist, wie er gelebt hat: ohne Aufregung, ohne Emotion, ohne Ärger. Für uns ist er gestorben, hat sich sein Verstand verdunkelt. Verachten wir nicht den Abschied, den die Ruhe seines Grabes an uns richtet.128 Nachfolger Algardis wurde sein Kollege Franz Anton Mai (1742–1814),129 der seit 1773 Professor für Medizin in Heidelberg gewesen war und die von Kurfürst Karl Theodor gegründete Entbindungsanstalt in Mannheim leitete. Die Kurfürstin selbst unterstützte großzügig die von Mai 1781 gegründete Krankenwärterschule und die „patriotische Krankenkasse“. Der überzeugte Anhänger Boerhaaves und konservative Diätetiker Franz Anton Mai, machte sich in besonderem Maße um die Volksaufklärung verdient. In seinen seit 1793 gehaltenen Medicinische(n) Fastenpredigten hielt er Vorlesungen zur „Körper- und Seelendiätetik“. Selbst nach dem Tod Algardis blieb die Kurfürstin aber noch der Familie ihres ehemaligen Leibarztes gewogen: So setzte sie nach dem Tod des Arztes dessen Schwester, Mme Taroni, die ihrem Bruder den Haushalt geführt hatte, eine jährliche Pension in Höhe von 300 Gulden aus.130 Den Sohn ihres ehemaligen Leibarztes hatte sie bereits 12 Jahre vorher bei seinen Bemühungen um die Stelle eines Amtmannes in Dilsberg unterstützt.131

127 Marr 2–63 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 22). 128 Marr 2–63 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 96). 129 E. Seidler, Lebensplan und Gesundheitsführung. Franz Anton Mai und die medizinische Aufklärung in Mannheim, 2Mannheim 1979; H. Schipperges, Reminiszenzen an Franz Anton Mai, in: D. Groß / M. Reininger (Hrsg.), Medizin in Geschichte, Philologie und Ethnologie, Würzburg 2003, 107–117; K. Bergdolt, Leib und Seele, 271–273. Franz Anton Mai hatte möglicherweise bereits sehr früh die Vertretung für den kranken Leibmedicus Algardi übernommen. 130 S. Mörz, Die letzte Kurfürstin, 143. 131 S. Mörz, Die letzte Kurfürstin, 143.

5.6 Felice Tadini – nur ein Scharlatan?

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5.6 Felice Tadini – nur ein Scharlatan? Weder Geburtsdatum noch Sterbedatum des Arztes und Okulisten Felice Tadini sind bekannt. Vermutlich entstammte er einer angesehenen Arztfamilie aus der Gegend von Bergamo132 und war ein Nachfahre des Arztes Alessandro Tadini (1580–1661), der 1629/30 als Protomedicus in Mailand tätig war und sanitäre Maßnahmen gegen die Pest ergriffen hatte.133 Alessandro Tadini erhielt als Mitglied des Collegium medicum durch Kaiser Ferdinand III. (1608– 1657) den erblichen Titel Comes Palatinus Caesareus, den auch Felice Tadini in Anzeigen der 1780er Jahre trägt.134 In der Tat lassen sich die wesentlichen Informationen über Tadini zeitgenössischen Zeitungen entnehmen, in denen er seine Dienste als wandernder Okulist anbot.135 Dies geht etwa aus dem Lübeckischen Anzeiger vom 18. März 1758 hervor, in dem sich ein Herr Ritter von Tadini, Oberchirurgus seiner Königl. Majest. der beiden Sicilien136 in Lübeck vorstellte und seine Kollegen einlud, seinen Operationen beizuwohnen und ihm gegebenenfalls zu assistieren. Dabei erklärte er sich bereit, diese auf eigene Kosten zu logieren. Tadini empfing dort Patienten täglich von 8 bis 10 Uhr morgens und von 2 bis 6 Uhr abends. Arme Patienten sollten nach der Behandlung lediglich die Summe seiner eigenen Ausgaben zurückerstatten. Im Lübeckischen Anzeiger vom 15. April 1758 wurden schließlich die mit Erfolg kurierten Patienten genannt, bei denen es sich jedoch nicht ausschließlich um Patienten mit Augenerkrankungen handelte.137 Nach Lübeck sollte Tadini 132 P. und M. Fechner / H. Reis, Tadini – The Man Who Invented the Artificial Lens, Casanova Gleanings 22, 1979, 17–25; P. und M. Fechner / H. Reis, Der Okulist Tadini. Zur Geschichte der künstlichen Augenlinse, Klinisches Monatsblatt Augenheilkunde 176, 1980, 1003–1011; A. Henning, Von Tadini bis Svjatoslav N. Fedorov – Mühsal der Ophtalmochirurgie, Gesnerus 47, 1990, 95–104; ders., Medizinische Wissentransfers in Europa des 18. Jahrhunderts, in: H. von Holzhey / U. Boschung (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit, 171–186. 133 Tadini hatte zu diesem Thema auch ein Buch verfasst, vgl. P. und M. Fechner / H. Reis, Tadini, 20. 134 P. und M. Fechner / H. Reis, Tadini, 20. 135 Möglicherweise hatte er auch einen Sohn, der das gleiche Metier ausübte. Er stellte sich als oculiste des hospices des départements de la Dyle et de Jammaps vor (Gazette de Gand vom 20. Mai 1800) und gab an, aus Lyon zu stammen. 136 Dreißig Jahre später kam Tadini wieder nach Lübeck zurück, nannte sich diesmal jedoch Ritter und Okulist des französischen Hofes und Comes Palatinus Ceasareus, vgl. R. Marx, Geschichte der Augenheilkunde in Lübeck, Lübeck 1970. 137 Es wird hiermit jedermanniglich zu wissen gethan, daß der Herr Ritter von Tadini, Oberchirurgus seiner Königl. Majest. der beiden Sicilien, in {der} Zeit von 8 Tagen folgende Patienten operiret und auch durch Gottes Gnade vermöge seiner Wissenschaft und Talente glücklich curiret hat, als: Jürgen Bahr, eine Manns Person von 30. Jahren, hat 9 Jahre die fallende Krankheit gehabt. Dorothea Fosch, 60 Jahre alt, hat 1 Jahr die fallende Krankheit gehabt. Dietrich Hahn, ein Mann von 70 Jahren, hat 3 Jahre einen gewaltigen Krebs Schaden gehabt. Christian Paulson, ein Mann von 50 Jahren, hat über Jahr und Tag einen schweren Krebsschaden gehabt. Desgleichen ein Mann von etliche 70 Jahren, so 8 Jahr auf beyden Augen blind gewesen. Wiederum 3 Mädgens und 2 Knaben, welche den bösen Grind bis in höchstem Grade gehabt, hat er alle fünf in Zeit von 6 Tagen, reine und gesunde Köpfe verschafft. Alle diese benannte Patienten hat er bloß um Gottes willen und aus Barmherzigkeit curiret. Vornach sich hiermit andere Patienten zu richten und selbst Nachfrage tun kön-

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten

dreißig Jahre später im Mai und Juni 1789 noch einmal zurückkehren, wobei er wiederum öffentliche Operationen ankündigte und anschließend nach Wismar und Stralsund weiterzog. Gemäß einer letzten öffentlichen Ankündigung vom 2. August 1789 aus Greifswald sollte Felice Tadini über Berlin nach Stettin und Stargard reisen. Vor einem erneuten Aufenthalt 1789 in Lübeck hatte er seine Dienste im März 1788 in Gent in den Österreichischen Niederlanden angeboten, wohin er im September 1791 sowie im März und September 1792 wieder zurückkehren sollte. Auch in Gent war die Behandlung für die Armen kostenlos, wogegen „Leute von Stand“ die Höhe der Entlohnung selbst festsetzen konnten. Die übrigen Patienten mussten 24 Sous138 bezahlen.139 Tadini hatte im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen wohl durchaus rechtschaffene Absichten, kam er doch regelmäßig in die Städte seines Wirkens zurück. 1765 und 1766 hielt sich Tadini in Warschau auf, wo Casanova ihm zum allerersten Mal begegnen sollte. Bei dieser Gelegenheit berichtete der Okulist dem medizinisch interessierten Casanova von erfolgreich durchgeführten Kataraktoperationen und bat seinen Landsmann, bei einer Patientin ein gutes Wort für ihn einzulegen.140 Als der kritische Casanova sich jedoch weigerte, zeigte ihm Felice Tadini eine Reihe von Dokumenten, die seine Qualifizierung bestätigen sollten.141 Der Venezianer ließ sich auch von diesen Bemühungen nicht überzeugen, versagte dem Okulisten seine Hilfe und schickte ihn weg. Als die beiden Männer wenige Tage später bei der besagten Dame anlässlich eines Diners zu Gast waren, versuchte Casanova nach und nach die zunehmend verunsicherte Patientin von der geplanten Operation abzubringen.142 Darauf bat diese den Venezianer eindringlich, bei dem sich anschließenden Disput zwischen Tadini und einem deutschen Professor anwesend zu sein. Da der Okulist des Lateinischen nicht mächtig sei, sollte die Diskussion auf Französisch stattfinden. Umgehend wies der deutsche Professor auf die Gefährlichkeit einer Kataraktoperation hin, da sie den Patienten doch das Augenlicht kosten könne, träte doch ein unersetzlicher Verlust des Augenwassers ein. Casanova bemerkte die falsche Behauptung des deutschen Arztes sogleich, griff aber nicht in die Diskussion ein und gab sich mit der Rolle des wissenden Be-

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nen. Sein Logie ist auf den Kohlmarkt bey Hrn. Gäbel. Tadini ist von 1758–1789 regelmäßig in Lübeck bezeugt. 1/5 Écu oder ca. 1/3 Taler. J. Hirschberg, Geschichte der Augenheilkunde, Band 2, 321. In Gent ist Tadini am 24. März 1788, 31. März 1788, 19. September 1791, 15. März 1792, 29. März 1792 und 27. September 1792 belegt, vgl. D. van Duyse, Les oculistes ambulants à Gand au XVIIIe siècle, Annales de la Société de Medecine de Gand, 1908, 29–34. HdmV 3, 697–699: Il parlait à tout le monde de ses opérations; il condamnait l’oculiste qui était établi depuis vingt ans à Varsovie, parce qu’il ignorait le moyen d’extraire le cataracte, et l’autre le diffamait en l’appelant charlatan, qui ne savait pas comment l’œil était fait. HdmV 3, 697–699: Tadini me pria de parler à sa faveur à une dame, à laquelle la cataracte que l’autre lui avait baissée était remonté; elle était aveugle de l’œil opéré et de nouveau couvert. HdmV 3, 697–699: Tadini, piqué contre mon raisonnement, me montre une quantité de certificats que j’aurais peut-être lus, si le premier qu’il mit entre mes mains n’avait été d’une personne qui faisait foi urbi et orbi que M. Tadini l’avait guérie de la goutte sereine.

5.6 Felice Tadini – nur ein Scharlatan?

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obachters zufrieden: Der Deutsche hatte Unrecht; doch statt die Behauptung zu bestreiten, war Tadini so dumm, aus seiner Tasche eine kleine Dose mit Kügelchen zu ziehen, die Linsen glichen. Sie waren glatt poliert und aus sehr schönem Kristall.143 Auf Nachfrage des Arztes, um was es sich denn dabei handele, antwortete Felice Tadini, er wolle diese Linsen statt des „Kristallins“ (d. h. die zu entfernende getrübte Linse?) einsetzen. Als der Okulist schließlich darauf bestand, Casanovas Meinung zu diesem Thema zu hören, gab dieser zu verstehen, dass er die Ansicht des Arztes teile: Da meiner Meinung nach ein sehr großer Unterschied zwischen einem Zahn und einer Linse besteht, glauben Sie zu Unrecht, dass man diese im Auge zwischen Retina und Glaskörper einsetzen könnte, wie Sie vielleicht einen falschen Zahn ins Zahnfleisch eingesetzt haben.144 Tadini war über Casanovas Dreistigkeit, mit einem Dentisten verglichen zu werden, derart empört, dass er die Gesellschaft umgehend verließ. Der deutsche Arzt benachrichtigte die medizinische Fakultät, die Felice Tadini einem Examen unterzog, in dem er seine Kenntnisse über den Aufbau des Auges unter Beweis stellen musste, worauf Tadini Warschau eilig den Rücken kehrte: Er ließ ihn vor das Kollegium der Fakultät zitieren und einer Prüfung unterziehen, ob er überhaupt vom Bau des Auges eine Ahnung habe; außerdem veröffentlichte er in der Zeitung einen launischen Artikel über das Einsetzen der Linse ins Auge zwischen Hornhaut und Retina, und berief sich darauf auf den Wunderkünstler, der gerade in Warschau sei und diese Operation mit der gleichen Leichtigkeit durchführe, mit der ein Dentist einen Zahn einsetze.145 Als Tadini 1768 nach Barcelona kam, um auch dort seine Dienste als wandernder Okulist anzubieten,146 traf er noch einmal auf Casanova, der zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis Buen Retiro eingeschlossen war. Felice Tadini war zeitweise in militärische Dienste getreten und berichtete Casanova, was ihm in den vergangenen drei Jahren widerfahren war: Tadini unterhielt mich mit der Schilderung aller Missgeschicke, die ihm in den drei Jahren zugestoßen waren, seit wir uns das letzte Mal in Warschau gesehen hatten. Er war in Krakau gewesen, in Wien, München, Straßburg,147 Paris, Toulouse und schließlich in Barcelona, wo die katalanischen Gesetze keine Rücksicht auf seinen Beruf als Augenarzt nahmen. Da er weder eine Empfehlung noch das Diplom irgendeiner Universität besaß, um seine Ausbildung als Augenarzt nachzuweisen, und da er sich auch der Prüfung, die in lateinischer Sprache stattgefunden hätte, nicht unterziehen wollte, weil die lateinische Sprache nichts mit Augenkrankheiten zu tun habe, hatte man sich nicht damit begnügt, ihn in voller Freiheit anderswohin reisen zu lassen, sondern ihn zum Soldaten gemacht. 148 Nach diesem Bericht über die wiederholte Begegnung mit Felice Tadini in Barcelona enden alle in der Histoire de ma vie erhaltenen Informationen über 143 144 145 146

GmL 11, 167. GmL 11, 167. GmL 11, 168. Gazeta di Barcelona vom 24. März 1768. Felice Tadini vermerkt dort, bereits zwei Monate in Barcelona zu residieren. 147 In zeitgenössischen Zeitungen finden sich etwa Hinweise auf den Aufenthalt Tadinis in Straßburg (Hinweis Dr. med. D. Kihli-Sagols, Strasbourg). 148 GmL 11, 169.

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5 Begegnungen mit berühmten Ärzten

den italienischen Okulisten. Casanova sollte Tadini nie wieder begegnen, und er fragte sich in seinen Lebenserinnerungen zu Recht, was aus dem armen Mann geworden sei. Laut zeitgenössischen Zeitungen hatte Felice Tadini sein unstetes Wanderleben wiederaufgenommen: So kündigte er im Journal de Turin (April und Mai 1780) seine Ankunft in Neapel an, wobei er erwähnte, bereits 1763 und 1768 in Turin operiert zu haben. Auch als Casanova bereits als Bibliothekar in Dux weilte, zog Tadini noch immer durch Europa: 1788 bot er seine Dienste in Gent an, war 1789 noch einmal in Lübeck und kehrte 1791 und 1792 wieder nach Gent zurück. In der Ausgabe der Gazette van Gent vom September 1791 ließ Felice Tadini verlauten, italienischer Herkunft und in Bordeaux wohnhaft zu sein sowie 1766 in Konstantinopel die Gattin des Großwesirs und Schwester des Sultans Mustafa operiert zu haben. Dabei bot er neben künstlichen Augen auch ein spezielles Augenwasser (liquor ophtalmic) zum Kauf an, welches die Sehkraft stärken und Kinder vor Strabismus schützen sollte. Wenigstens zeitweise muss Felice Tadini ein sesshaftes Leben geführt, geheiratet und seinen vielleicht in Lyon geborenen Sohn ebenfalls zum Okulisten ausgebildet haben: Dieser kündigte nämlich am 20. Mai 1800 seine Dienste in Gent an, wobei er sich als Sohn Tadinis und oculiste des hospices des départements de la Dyle et de Jemmappes auswies.149 Am 15. Juli 1805 beschrieb ein gewisser Geheimrat Schaeffer die Operation des begabten jungen Tadini in Regensburg, wobei er auch eine Zeichnung des Operationsskalpells des Okulisten anfertigte. Dieses sei, so Schaeffer, genau dasselbe gewesen, mit dem achtzehn Jahre früher der Vater des jungen Tadini operiert habe.150 Zwar werden in der Histoire de ma vie die Fähigkeiten Felice Tadinis mit keinem Wort gewürdigt, jedoch gibt es Hinweise, dass Casanova nicht ganz so unberührt von den okulistischen Kenntnissen seines Landsmannes war, wie er den Anschein erwecken wollte. Johannis Virgilius Casaamata (1741–1807), ein italienischer Arzt und Okulist am sächsischen Hof, hatte sich in der italienischen Gemeinde in Dresden etabliert und am 19. Juli 1786 die Tochter eines Musikprofessors an der Kunstakademie von Dresden geheiratet, deren Direktor Casanovas Bruder war. Casaamata gründete 1782 die erste Augenklinik in Deutschland und versuchte 1795 vergeblich, Felice Tadinis Idee zu realisieren, indem er einen künstlich hergestellten Linsenkern durch die Wunde der Kornea ins Auge einführte, nachdem er den getrübten Linsenkern herausgezogen hatte.151 Verdankte Casaamata sein Wissen vielleicht doch Giacomo Casanova, der regelmäßig seine in Dresden ansässige Verwandtschaft besuchte und ihm während eines zufälligen Treffens innerhalb der italienischen Gemeinde von seiner Begegnung mit Tadini und dessen Entdeckungen berichtet hatte?152 149 Gazette van Gent, 30 Floréal, An 8 (20. Mai 1800), vgl. D. van Duyse, Les oculistes ambulants, 29–34. 150 K. Himly / J. Adam (Hrsg.), Ophtalmologische Bibliothek, Band 3/2, Jena 1806, 172. 151 W. Münchow, Zur Geschichte der intraokularen Korrektur der Aphakie, Klinisches Monatsblatt der Augenheilkunde 145, 1964, 171. Münchow zitiert das Werk von R. A. Schiferli, Theoretisch praktische Abhandlung über den grauen Starr, Jena/Leipzig 1797. 152 W. Münchow, Zur Geschichte der intraokularen Korrektur der Aphakie, 171.

5.6 Felice Tadini – nur ein Scharlatan?

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Dafür spräche auch, dass Casanova für Augenheilkunde stets besonderes Interesse gehegt zu haben scheint. So gewinnt in seinem utopischen Roman Icosameron Édouard die Hochachtung der Megamikren, indem er den risikoreichen Starstich durchführt, wobei sich der Protagonist, der nichts über die Krankheiten des Auges noch über dessen Bau weiß,153 auf eine erfolgreiche Operation beruft, der er als Zeuge beigewohnt hatte: Der Star war, soviel ich wusste, eine Verdickung der Flüssigkeit über der Linse, die sie undurchsichtig machte; diese Verdickung musste man entfernen.154 Über das für eine Operation notwendige Besteck verfügte Édouard bereits: Ich besaß einen richtigen Augenspiegel oder Spekulum, dazu Nadeln verschiedenster Art, gerade, gebogene und auch sehr scharfe in der Form einer Schlangenzunge, denen goldene Griffe als Halterung dienten.155 Édouard führte vorher jedoch Experimente an Schweinen durch, bevor er schließlich eine Operation an einem menschenähnlichen Wesen wagte: Ich öffnete den Augapfel, und statt den Schnitt zu vertiefen, verbreiterte ich ihn um zwei Stiche; meine Nadel stieß unterhalb der Hornhaut auf den Star selbst, den ich dabei ungewollt aufspießte, und das umso fester, als ich ihn beiseite schieben wollte. So hing er also an meiner Nadel, was ich nicht erwartet hatte. […] Ich zog den Star heraus und legte die Nadel auf die Platte. Dann säuberte ich sogleich das Auge des Kranken, aus dem zwei oder drei Tropfen weißen156 Blutes, aber kein Wasser ausgetreten war. Ich schloß seine Lider, legte eine feuchte Kompresse mit öligen Essenzen, die keinen Alkohol enthielten, darauf, ebenso auf das andere Auge, und darüber einen Verband; in diesem Zustand machte ich ihm einen Aderlass an der Halsschlagader auf der operierten Seite.157 Die Operation war erfolgreich, Édouard durfte seine Söhne unterrichten und erhielt schließlich vom König sogar ein Zulassungsdiplom.

153 Icosameron, Band 2, 164. 154 Icosameron, Band 2, 164. Hier irrt Casanova: Die getrübte Linse wurde stattdessen mit der Starnadel erfasst und in den Grund des Auges bis zur Augenhöhle hinabgedrückt. 155 Icosameron, Band 2, 165. 156 Die Megamikren haben nach der Vorstellung Casanovas weißes statt rotes Blut. 157 Icosameron, Band 2, 167.

6 „Galanteriekrankheiten“: Amors unliebsame Folgen 1765 schrieb Casanova in St. Petersburg an die Komödiantin La Valville ein Gedicht,1 in dem er ihr seine Liebe gestand und nur zwei Möglichkeiten sah, von seinem zehrenden Liebeskummer geheilt zu werden: durch den berühmten französischen Arzt Jean-Baptiste Sénac, premier médecin du roi von 1752– 1770,2 oder durch Suizid im Flammenfluss Phlegeton: Ce mal, belle Valville, est irrémédiable Ou qu’il aille à Paris pour consulter Sénac Ou à Phlegeton pour consulter le Diable Il me faut l’élixir que d’un cœur secourable Vous donates jadis au fortuné d’Erlac Dont le fusil, hélas! trop souvent faisoit crac. Oft hatten derartige amouröse Intermezzi jedoch auch unangenehme langfristige Folgen. So befindet sich in Casanovas Nachlass das Rezept eines auf Quecksilberbasis hergestellten Therapeutikums gegen eine Geschlechtskrankheit, verfasst von Monsieur de Suiten Premier medecin de l’Imperatrice Reine contre la vérole.3 Die beigefügten Therapieanweisungen betreffen die während der Kur einzuhaltende Diät mit dem Hinweis, dass die Dosis dem jeweiligen Temperament des Patienten anzupassen sei.4 Möglicherweise hatte Casanova dieses bewährte Rezept als Gedankenstütze aufbewahrt, um bei einer Erkrankung darauf zurückzugreifen, litt er doch, wenn man der Histoire de ma vie Glauben schenken darf, mindestens elf Mal in seinem Leben an diversen Geschlechtskrankheiten.5 Unter der Bezeichnung véroles oder maladies de Vénus wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts alle bekannten Geschlechtskrankheiten zusammengefasst, die erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts differenziert werden konnten. Nicht selten wurden sie bagatellisiert und waren im Künstler- und Schriftstellermilieu noch weit bis ins 19. Jahrhundert verbreitet.6 Dies lag un1 2

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Marr 16 C 13. C. Jones, The Médecins du Roi at the End of the Ancien Régime and the French Revolution, in: V. Nutton (Hrsg.), Medicine at the Courts of Europe 1500–1837, London / New York 1990, 209–261. Marr 12–74. Möglicherweise handelt es sich dabei um das von van Swieten favorisierte, innerlich einzunehmende Quecksilberchlorid, das sich ab etwa 1750 zunehmend durchsetzte (E. Bäumler, Amors vergifteter Pfeil, Kulturgeschichte einer verschwiegenen Krankheit, Mönchengladbach 1997, 92). Der Einsatz von Quecksilber gegen Syphilis war im 18. Jahrhundert nicht zuletzt durch Herman Boerhaave, einen eifrigen Befürworter der radicalis curatio, noch immer populär ( J. Arrizabalaga et al., The Great Pox. The French Disease in Renaissance Europe, New Haven / London 1997, 5). Ch. Thomas, Casanova. Un voyage libertin, Paris 1985, 264–295. P. W. Lasowski, Syphilis, Paris 1982; E. Bäumler, Amors Pfeil. Kulturgeschichte einer verschwiegenen Krankheit, Mönchengladbach 1997; C. Stein, Negotiating the French Pox in Early Modern Germany, Burlington 2009. Gustave Flaubert sprach im Dictionnaire des idées reçues über die Bedeutung der Syphilis noch folgendermaßen: Syphilis. Plus ou moins, tout le monde en est affecté.

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ter anderem daran, dass man die sich über mehrere Jahre hinziehenden Stadien der Syphilis noch nicht differenzieren konnte und nach Abklingen der Symptome von einer Heilung ausging. Auch Casanova war der Ansicht, man könne die Spuren der französischen Krankheit vielmehr stolz zur Schau tragen: Die Krankheit, welche wir die französische nennen, verkürzt das Leben nicht, wenn man sich davon zu kurieren weiß; sie hinterlässt nur Narben. Aber man tröstet sich leicht, wenn man bedenkt, dass man sie mit Freuden erworben hat, so wie die Soldaten in ihren vernarbten Wunden gern Beweise ihrer Tapferkeit und Quellen ihres Reichtums sehen.7 Eine weitere Passage in der Histoire de ma vie führt andererseits jedoch auch Casanovas große Angst vor Augen, an Syphilis zu erkranken, die trotz der anfänglich erfolgreichen Quecksilberkuren den sicheren Tod zur Folge hatte. Als die venezianische Kurtisane Ancilla von ihrem Geliebten, dem englischen Residenten und Lebemann John Murray, auf dem Totenbett einen letzten Liebesdienst erbeten habe, den dieser ihr auch gewährte, habe die Krankheit Casanova doch von einer Tändelei mit ihr abgehalten: Ancilla war immer heißer und klagte ständig über innere Schmerzen in der Kehle. Obwohl Murray gesund war, befürchtete ich eine Syphilis. Sie ist im Herbst daran gestorben, und eine Stunde vor ihrem Hinscheiden erwies ihr Murray auf ihr dringendes Verlangen hin trotz eines Geschwürs, das sie entstellte, in meiner Gegenwart den Dienst eines zärtlichen Liebhabers. Das erfuhr die ganze Stadt, denn er machte es bekannt und nannte mich als Zeugen. Es war eines der erregendsten Schauspiele meines Lebens. Der Krebs (d. h. der Gewebsfraß durch Syphilis) hatte, ausgehend von der Speiseröhre, die Nase und die Hälfte des schönen Gesichts dieser Frau zerfressen, und das zwei Monate, nachdem sie sich von der Lustseuche durch Quecksilbereinreibungen geheilt glaubte, die ihr ein Wundarzt namens Lucchesi verabreicht hatte.8 Auch der schottische Lebemann James Boswell (1740–1795) verzichtete lieber auf nähere physische Kontakte, wenn keine entsprechenden Vorsichtmaßnahmen getroffen werden konnten.9 Johann Wolfgang von Goethe quälten bereits zu Studentenzeiten panische Ängste vor Geschlechtskrankheiten. So berichtete er nicht nur in der Italienischen Reise über die allgegenwärtigen Risiken einer Syphilis-Erkrankung, sondern erwähnte die tückische Erkrankung auch in den frivolen Versen der Römischen Elegien: […] überall schleicht er sich ein, und in den lieblichsten Gärtchen lauert tückisch der Wurm, packt den Genießenden an.10 Im Candide lässt Voltaire schließlich den Romanhelden auf seinen ehemaligen Philosophielehrer Pangloss treffen, einen von Geschwüren bedeckten Bettler, dessen Nasenspitze von der Krankheit bereits vollständig zerfressen ist. Nicht ohne Humor berichtet der heruntergekommene Bettler seinem ehemaligen Schüler, wem er 7

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GmL 3, 255. Die Geschichte der Begegnung mit dem Mädchen Raton 1760 in der Schweiz zeigt ebenfalls, dass Casanova froh war, einer Ansteckung entgangen zu sein (HdmV 2, 382). Vgl. zu Casanova und seinem Verhältnis zu Geschlechtskrankheiten J. Vincent, Casanova, la contagion du plaisir, Paris 1990. GmL 4, 153. Journal (25. November 1762). E. Beutler (Hrsg.), Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Zürich 1948 ff., Band 1, 177.

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dieses tödliche Angebinde zu verdanken habe, indem er eine beeindruckende Geneaologie der Syphilis von der Zofe seiner Dienstherrin über Adel und kirchliche Würdenträger bis zurück zu Kolumbus zitiert.11 Auch aus einer amüsanten Anekdote in der Histoire de ma vie geht schließlich deutlich hervor, dass man sich den Gefahren der Ansteckung bewusst war:12 Als der junge Casanova 1744 in Orsara von einem Mann angesprochen wurde, der sich erkundigte, ob er nicht bereits vor einigen Monaten an diesem Ort verweilt habe, und er dies bejahte, wurde er überschwänglich als Wohltäter bezeichnet und ins Haus des Mannes eingeladen. Sein Gastgeber stellte sich als Wundarzt vor, dem Casanova durch die Ansteckung einer Patientin, die diese besagte Krankheit an andere weitergegeben habe, zu einem guten Geschäft verholfen habe: Seit zwanzig Jahren wohne ich in dieser Stadt, und ich lebte kümmerlich, denn meine berufliche Tätigkeit bestand nur darin, Leute zur Ader zu lassen, Schröpfköpfe anzusetzen, Schrammen zu heilen oder einen verrenkten Fuß einzurichten. Was ich verdiente, reichte nicht zum Leben; aber seit dem vergangenen Jahr hat sich alles zum Besseren gewendet. Ich habe viel Geld verdient und zinsbringend angelegt, und Ihnen verdanke ich mein Glück. Gott segne Sie!13 Nach über fünfzig Kunden neigte sich diese vielversprechende Geldquelle jedoch unwiderruflich dem Ende zu. Wie enttäuscht reagierte der gastfreundliche Wundarzt, als Casanova ihm eilig versicherte, sich diesmal ausgesprochen gut und gesund zu fühlen! Casanova fand jedoch umgehend tröstende Worte: Nach seiner Rückkehr aus der Levante könnte dies anders sein, da die Krankheit dort ausgesprochen häufig sei und niemand die Kunst der Heilung verstünde.14 Auch vom weiblichen Geschlecht wurde die Infektion mit einer Galanteriekrankheit oft auf die leichte Schulter genommen. So schrieb am 12. April 1786 die junge Wienerin Caton M.15 an Casanova: Ich hoffe, in Kürze geheilt zu sein, denn meine Krankheit ist keine große Sache, und Sie sagen zu Recht, dass es mich nur einen Gulden kosten wird.16 Casanova selbst verurteilte dagegen den verantwortungslosen Umgang vieler seiner Zeitgenossen. Als er sich 1748 in Mantua bei einer Prostituierten eine unangenehme Geschlechtskrankheit zugezogen hatte und dem befreundeten Baron Franz O’Neilan (1729–1754), der als Hauptmann im österreichischen Infanterie-Regiment 57 diente,17 von dieser 11 12 13 14 15

16 17

Candide, Kap. 4. HdmV 1, 275–277. GmL 2, 73. Möglicherweise wurde Syphilis auch mit der Tropenkrankheit Frambösie verwechselt, die vergleichbare Läsionen auslösen kann. Im Nachlass Casanovas sind lediglich drei Briefe (Marr 8–52, Marr 4–20 und Marr 12– 64) der jungen Wienerin Caton M. erhalten, bei der es sich um eine emanzipierte und gebildete junge Frau gehandelt haben muss, die in den gehobenen Kreisen der Wiener Gesellschaft verkehrte. Casanova verliebte sich in Caton, als er 1784 als Sekretär für den venezianischen Gesandten Sebastiano Foscarini arbeitete. Caton M. wurde später die Geliebte Josephs II. J’espère d’être guéri en peu de tems car ma maladie n’est pas grand chause, et vous avez raison de dire qu’elle ne me coutera qu’un fl(orin) (Marr 8–52; A. Ravà / E. Maynial (Hrsg.), Lettres de femmes, 258). HdmV 1, 1004–1005.

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lästigen Angelegenheit berichtete, gestand O’Neilan, möglicherweise selbst die besagte Prostituierte angesteckt zu haben, die dieses Geschenk nun an Casanova weitergegeben habe.18 Casanova fühlte sich zutiefst erniedrigt19 und therapierte sich selbst durch eine sechswöchige Kur, während der er ausschließlich mit Silbernitrat (argentum nitricum) versetztes Wasser trank (eau de nitre).20 Auf die entrüstete Frage, ob er sich nicht auskurieren wolle, antwortete der Hauptmann,21 dass er diese Unannehmlichkeiten lieber auf sich nähme als eine mehrwöchige Kur, die ihn zu sehr ermüden würde: Eine Diät würde mich zu Tode langweilen. Wozu soll man außerdem einen Tr(ipper) kurieren, wenn man sich, kaum dass man gesund ist, einen neuen holt? Zehnmal habe ich diese Geduld aufgebracht; aber seit zwei Jahren habe ich mich damit abgefunden.22 Die Figur des Hauptmannes O’Neilan ist jedoch nicht ausschließlich wegen ihres nachlässigen Umgangs mit Geschlechtskrankheiten interessant, sondern auch wegen anderer auffälliger Charakterzüge. So lässt sich aus den Erzählungen Casanovas entnehmen, dass der Hauptmann ausgeprägte sadistische Züge hatte: O’Neilan steckte sogar absichtlich seine ahnungslosen Opfer an oder quälte sie mit einem speziell angefertigten Fingerring.

Abb. 6 Galante Szene (um 1770) 18 19 20 21

HdmV 1, 447–450. L’état dans lequel j’étais me tenait dans l’humiliation; je croyais que personne ne l’ignorait. S. Hahnemann, Apothekerlexikon, 215–219, s. v. a. „Silber“. Es handelt sich um den Baron Franz O’Neilan, 1729 in Irland geboren, gestorben am 7. Februar 1757 während des Siebenjährigen Krieges. 22 GmL 2, 313.

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Auch der junge Bruder Giustiniana Wynnes (1737–1791) bekam bereits als Jugendlicher die Folgen seines zügellosen Lebenswandels zu spüren. Als er eines Tages Casanova bat, mit seiner Mutter zu sprechen, damit sie ihn wegen einer Geschlechtskrankheit behandeln lasse, da der venezianische Patrizier Tomasso Farsetti (1723–1793), ein Freund der Familie, ihm die für die Therapie erforderlichen vier Louis d’or verweigert hatte,23 ließ sich Casanova schließlich erweichen. Die Mutter des erst Vierzehnjährigen blieb aber trotz allen Bemühens hart: Es wäre besser, ihm den (d. h. den Tripper) zu lassen; denn es sei bereits sein dritter, und sie sei überzeugt, er werde sich sofort einen neuen holen, wenn er diesen ausgeheilt habe. Ich ließ ihn auf meine Kosten behandeln; aber seine Mutter hatte recht. Mit seinen vierzehn Jahren war er zügellos ausschweifend.24 Übelwollende Zeitgenossen kurierten ihre Galanteriekrankheiten überhaupt nicht aus, etwa um andere absichtlich damit anzustecken, was Casanova 1760 in der Schweiz am eigenen Leib widerfuhr. Infolge einer Verwechlung hatte er das langersehnte Schäferstündchen nicht mit der verehrten Dame, sondern mit der unattraktiven Mme F. verbracht, die er ursprünglich keines Blickes gewürdigt hatte. Mme F. litt jedoch seit langem an einer Galanteriekrankheit und hatte diese absichtlich an ihren Partner als bleibende Erinnerung weitergegeben. In einem Brief gestand Mme F. dem zutiefst Betroffenen, bereits seit zehn Jahren an dieser Krankheit zu leiden, wobei jeder in Solothurn darüber Bescheid wisse. Sie riet Casanova deshalb hämisch, in diesem Fall besonders diskret vorzugehen: Wenn Sie einen Arzt brauchen, dann mahnen Sie ihn nur zur Schweigsamkeit, denn man weiß in Solothurn, dass ich diese Krankheit habe; man könnte sagen, Sie hätten sie von mir, und das wäre mir lästig.25 Etwa gleichzeitig erhielt Casanova von einem Bader die Nachricht, dass auch sein Leibdiener Leduc an einem Tripper leide. Der rund achtzigjährige Bader sah in einer Geschlechtskrankheit noch etwas, was es zu verstecken galt, während es für Casanova zu diesem Zeitpunkt mittlerweile nahezu eine Gewohnheit darstellte, war er doch auf etwas Schreckliches gefasst gewesen. Casanovas gewitzte Haushälterin hatte umgehend den rettenden Einfall: Sie riet, einen Brief an Mme F. zu verfassen und darin den Anschein zu erwecken, es handele sich um eine Verwechslung, und Casanovas Diener habe sich bei ihr angesteckt: Eine Viertelstunde nach dem Absenden meines Briefes kam der Bader zu mir und teilte mir mit, mein Kammerdiener bedürfe seiner Kunst wegen eines Ausflusses, den er sich vor kurzem zugezogen habe, und wegen gewisser Symptome, die anzeigten, dass er schwer mit Lustgift verseucht sei. […] Er gestand mir nicht ohne ein gewisses Zögern, dass er das hübsche Angebinde von Ihnen empfangen habe.26 Leduc erhielt kurz darauf von Madame F., die nach einigem Zögern dem Schwindel letztendlich Glauben schenkte, fünfundzwanzig Louis d’or für die Behandlung. Als 23 Tomasso Giuseppe Farsetti (1723–1793) war ein venezianischer Patrizier, Übersetzer und Bibliophiler. Er wird mehrmals in der Histoire de ma vie und in der Confutazione (I, 56,68) erwähnt. 24 GmL 5, 226. 25 GmL 6, 166. 26 GmL 6, 176.

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sich auch bei Casanova die entsprechenden Symptome zeigten, vermochte er sich wiederum durch eau de nitre innerhalb von acht Tagen zu heilen. Trotz oft ungezwungenen Umgangs mit Galanteriekrankheiten wurde eine Geschlechtskrankheit nicht überall auf die leichte Schulter genommen. Ausgesprochenes Schamgefühl empfand Casanova insbesondere bei seiner ersten Erkrankung, als er sich mit achtzehn Jahren im April 1743 im Fort Sant Andrea bei einer Griechin ansteckte.27 Zur Heilung begab er sich in die Hände eines Spagyrikers, eines Anhängers der von Paracelsus (1493–1541) im 16. Jahrhundert begründeten und im 17. und 18. Jahrhundert wieder äußerst populären hermetischen Medizin. Diese Lehre beruhte auf der Verwendung von mineralischen Stoffen, durch die das Stoffungleichgewicht des Menschen, der aus Salz, Schwefel und Quecksilber bestehe, ausgeglichen werden sollte. Um Diskretion war Casanova auch bemüht, als er sich in München bei einer Tänzerin namens Renaud28 infiziert hatte. Um nicht entehrt zu werden, sollte sich Casanova auf Empfehlung der Tänzerin erst in Augsburg, wo sich das Geheimnis besser wahren lasse, der Kunst Äskulaps anvertrauen, denn der ganze Hof wisse, dass wir wie Mann und Frau zusammenlebten.29 Nicht selten wurde der Erkrankte auch von der Gesellschaft gemieden: So stellte bereits die folgenreiche Begegnung mit der Kurtisane Melulla auf der Insel Korfu einen Wendepunkt im öffentlichen Leben Casanovas dar. Als sich nach acht Tagen die entscheidenden Symptome zeigten, hielt Casanova zwar eine sechswöchige Diät, musste sich jedoch auch einem alten und erfahrenen Arzt anvertrauen, der ihn innerhalb von zwei Monaten kurierte.30 Die Behandlung verschlang nach und nach Casanovas finanzielle Ressourcen. Hatte er vorher noch über ausreichend Geld, Achtung und Aufmerksamkeit verfügt, so hatte er jetzt nicht nur seine Gesundheit, sondern auch seine gesellschaftliche Achtung verloren: Bevor ich Melulla begegnet war, ging es mir gut. Ich war reich, hatte Glück im Spiel, war vernünftig, bei aller Welt beliebt und wurde von der reizendsten aller Damen in der Stadt angebetet. Wenn ich sprach, pflichteten mir alle bei. Nach meinem Zusammensein mit diesem unglückseligen Geschöpf verlor ich rasch die Gesundheit, ja sogar die Fähigkeit, mich gut auszudrücken, denn ich vermochte nicht mehr zu überzeugen. […] Besonders fiel mir auf, dass mir, als ich abgemagert und ohne Geld war, niemand mehr Beweise von Wertschätzung gab. […] Man wich mir aus, als ob die Pechsträhne, die mich bedrückte, ansteckend gewesen wäre; und vielleicht hatte man recht.31 Nicht alle venerischen Infektionen waren jedoch so leicht zu therapieren. Als sich Casanova 1750 bei einer Schauspielerin mit einer schweren Geschlechtskrankheit ansteckte,32 vertraute er sich seinem Begleiter und Mentor, 27 HdmV 1, 119: Mais mon lecteur ne saurait se figurer ni le chagrin, ni la honte que ce malheur me causa. Je me regardais comme un homme dégradé. 28 Catherine Renaud war am Ballett in Dresden seit 1753 tätig, wo sie 1806 verstarb. Sie war auch in die „Halsbandaffäre“ um Königin Marie Antoinette verwickelt (HdmV 2, 994). 29 GmL 8, 32. 30 GmL 2, 196. 31 GmL 2, 198. 32 HdmV 1, 525–527.

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dem Jesuiten Valentin de la Haye (1699–1772) an, der ihn den Künsten des Chirurgen Jacques Frémon33 überantwortete. Frémon verschrieb dem Patienten die „große Kur“, also eine Behandlung auf der Basis von Quecksilber. Während dieser sechswöchigen Therapie überkam Casanova ein seltsamer Hang zur Frömmigkeit, wobei er überzeugt war, dass das Quecksilber dafür verantwortlich war: Dieses anrüchige und stets sehr gefährliche Metall schwächte meinen Geist derart, dass ich glaubte, die Vernunft bisher sehr schlecht verwandt zu haben.34 […] Der Geist folgte dem Körper. Mit meinem leeren Magen wurde ich zum Fanatiker; das Quecksilber muss in jenem Teil meines Gehirns, in dem die Begeisterung wohnt, ein Loch gemacht haben.35 Benannt nach dem römischen Gott Merkur, spielte das Quecksilber in den Kulturen der Antike36 eine besondere Rolle und wurde bereits in der griechischen und römischen Medizin verwendet. Die Nebenwirkungen dieses Therapeutikums wurden schon von den arabischen Ärzten ausführlich beschrieben, jedoch wurde Quecksilber weiterhin als Mittel gegen Hautkrankheiten eingesetzt. Als in Europa seit dem 15. Jahrhundert gehäuft Fälle von „Syphilis“ auftraten, kam man auf den Einsatz von Quecksilber zurück: Schweißausbrüche und andere Nebenwirkungen sollten dabei das Säftegleichgewicht wiederherstellen, wobei sich die Anwendung anfangs auf das Äußerliche beschränkte: Nach Aderlass und Purgieren während eines Zeitraums von vierzehn Tagen wurde der gesamte Körper des Kranken mit Quecksilber eingerieben, wobei auch Inhalationen und Quecksilberpflaster eingesetzt wurden. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde gegen Geschlechtskrankheiten fast ausschließlich Quecksilber verwendet.37 Casanova stand im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen dem Einsatz dieses Therapeutikums äußerst skeptisch gegenüber. So war er auch der Ansicht, sein langjähriger Freund Max Lamberg sei durch ärztliche Fehlbehandlung an den desaströsen Folgen einer Quecksilberkur verstorben.38 Dabei hatte bereits der Patient selbst in einem Brief vom 18. Mai 1792 berechtigte Zweifel geäußert, dass die von dem Wundarzt Feuchter verschriebene Kur positive Auswirkungen auf seinen Gesundheitszustand haben könne: Im vergangenen Monat allerdings verstieß ich gegen diese Regel, was mir eine nur ganz kleine Schwellung einer Drüse in der linken Leistengegend einbrachte. Ich sprach darüber mit einem Wundarzt. „Das ist eine Kleinigkeit“, sagte er mir, „das werden wir in weniger als nichts erledigen“; und so kam es, dass es diesem akademischen Esel mittels sechsundreißig Quecksilberpflastern in drei Wochen gelang, den Abszess zum Durchbruch zu bringen, den er mit irgendeinem schmerzstillenden und weniger scharfen Heilmittel als 33 Der Arzt Jacques Frémon war Chirurg am Hof von Parma. Seine Lebensdaten konnten nicht ermittelt werden. 34 GmL 3, 116. 35 GmL 3, 118. Es handelt sich um die typischen Symptome einer Quecksilbervergiftung. 36 D. Goltz, Studien zur Geschichte der Mineralnamen in Pharmazie, Chemie und Medizin von den Anfängen bis Paracelsus, Wiesbaden 1972. 37 Im 19. Jahrhundert wurde der Einsatz des Quecksilbers auf Syphiliserkrankungen beschränkt. 38 HdmV 2, 720: (ils) le traitèrent par le mercure d’une maladie où Vénus n’avait pas a part, et qui ne servit qu’à le faire calomnier après sa mort.

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dem Quecksilber in zwei Tagen hätte kurieren können.39 Lamberg war sich beim Abfassen dieser Zeilen dabei noch nicht im Klaren, dass er den Eingriff nicht überleben sollte. Kurz nach dem Tod des treuen Freundes schrieb Casanova am 27. Juli 1792 an den gemeinsamen Brieffreund Johan Ferdinand Opiz (1741–1812), allein der Wundarzt Feuchter habe den Tod des Freundes zu verantworten: Umgebracht hat ihn der Wundarzt Feuchter aus Kremsier, der ihm sechsundreißig Quecksilberpflaster auf eine geschwollene Drüse in der linken Leistengegend auflegte, obgleich die Krankheit nicht syphilitisch war, wie ich mit Sicherheit aus der Beschreibung entnahm, die er mir von der Ursache dieser Geschwulst gab. Das Quecksilber stieg in die Speiseröhre, und da er weder feste noch flüssige Nahrung mehr schlucken konnte, ist er am 23. Juni eindeutig Hungers gestorben, heiter und bei vollem Bewusstsein.40 Die gleiche Ansicht vertrat Casanova auch in einem im Juli 1792 abgefassten Brief an Leopold Lamberg (1732–1809), den Bruder Max Lambergs.41 Zu diesem Zeitpunkt hatte Casanova bereits am eigenen Leib erfahren, welche gesundheitlichen Schäden die „große Kur“ auslösen konnte. Als er sich 1761 bei der bereits erwähnten Tänzerin Renaud mit einer Geschlechtskrankheit infiziert hatte, bemerkte er trocken, dass er nicht mehr die Sorglosigkeit der Jugend besitze, ihn trotz seines Alters die Erfahrung aber keine Vorsicht gelehrt habe.42 Auf Empfehlung seines Bankiers Carli vertraute er sich in Augsburg dem renommierten Arzt Salomon Ambrosius Kephalides an,43 einem Schüler des von Casanova so hochgeschätzten Pariser Wundarztes Faget und Arzt am Collegium medicum von Augsburg. Im Stadtarchiv von Augsburg44 gibt es zahlreiche Dokumente zu diesem Arzt: So bat der Chirurg und Operateur Salomon Ambrosius Kephalides 1757 um eine Examinierung entsprechend der Hebammenordung und eine anschließende Zulassung zur freien Praxis als Geburtshelfer. Am 14. April 1757 wurde dem Collegium medicum ein Bericht über die erfolgreich bestandene Examinierung zugestellt. Bereits kurz darauf begann die Karriere des Chirurgen Kephalides: 1758 wurde er von der hochfürstlich Brandenburg-Kulmbachschen Regierung zum Leibchirurgen ernannt, 1768 schließlich zum kurfürstlich-bayerrischen Leib-Occulist 39 Marr 2–121; Übersetzung nach E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 140– 141. 40 Marr 40–111 (F. Khol / O. Pick (Hrsg.), G. Casanova. Correspondance avec J. F.Opiz, 94). Das Original der Transkription von Opiz befindet sich in der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag. 41 Marr 16H22a. 42 HdmV 2, 715–717: Je n’avais plus cette confiance insouciante que donnent la jeunesse et le sentiment de la force, et cependant l’expérience ne m’avait pas assez mûri pour me corriger. 43 Kephalides stammte ursprünglich aus Diebenbünden (Oberungarn) und war Stadtoperateur und Geburtshelfer sowie kurfürstlich bayrischer Rat. 1756 heiratete er Magdalena Euphrosyna Eugen, die Tochter des Chirurgen Engel. In den Augsburger Intelligenzzetteln werden ein oberherrlich bestallter Blatternhaus Physicus Dr. Georg J. Biermann und Salomon Ambrosius Kephalides, Chirurgus dasselbst genannt. Salomon Ambrosius Kephalides verstarb am 5. Juni 1796 in Augsburg (S. Doering-Manteuffel et al. (Hrsg.), Pressewesen der Aufklärung, Berlin 2001, 531). 44 Stadtarchiv Augsburg [StadtAA], Reichsstadt [Rst.], Privilegienakten, Band II (1748– 1807). Dokumente zu Kephalides sind ab 1757 belegt.

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und nur wenige Jahre später wurde ihm vom Reichsfreiherrn von Voehlin am 2. Dezember 1770 sogar die Würde eines Comes Palatinus Caesareus verliehen (jedoch äußerte der Rat Bedenken). Am 24. November 1770 wurde Kephalides zum kurfürstlich-bayerischen Rat ernannt. Allerdings waren Kephalides nicht alle Kollegen wohlgesonnen. Aus einem weiteren Archivalienbestand45 geht nämlich hervor, dass ein gewisser Dr. med. Johann Andreas Deisch, der für seine rüden Methoden bei der Geburtshilfe bekannt war,46 beim Rat der Stadt Augburg 1757/58 Anzeige wegen der Nichteinhaltung der Bestimmungen für das Chirurgische Examen durch den Chirurgen Salomon Ambrosius Kephalides erstattete: Der Arzt habe sich beim 2. chirurgischen Examen „ausfallend“ betragen und versucht, Deisch bei einem seiner Patienten namens Johann Friedrich Grünwedl zu verleumden um die Gunst des Patienten zu gewinnen. Deisch war Kephalides von Anfang an feindlich gesonnen, da er nicht bei ihm Anatomie und Chirurgie erlernt habe. Kephalides reagierte 1760 auf diesen Händel, indem er sich mit der Bitte an das Collegium medicum wandte,47 ihn vor der üblen Nachrede durch eine Hebamme namens Bartin und dem nachteiligen Verfahren des Johann Andreas Deisch zu schützen und ihn in seiner Praxis der Geburtshilfe zu unterstützen. Möglicherweise hatte sich Kephalides mit seinen Vorschlägen zur Reformierung der Hebammenausbildung in Augsburg keine Freunde gemacht.48 Gegen Ende seines Lebens muss Kephalides auch als Lazarettchirurg tätig gewesen sein.49 45 StadtAA, Collegium medicum III : 35. 46 ADB 5, 1877, 34, s. v. a.„Deisch, Johann Andreas“; A. Hirsch, Biographisches Lexikon, Band 2, 205. Der Geburtshelfer Deisch bediente sich der rohsten und barbarischsten Entbindungsmethoden, indem er scharfe Instrumente einsetzte, die zum Tod vieler Mütter führten. Dadurch kam er vor Gericht und wurde 1761 gezwungen, der Augsburgischen Hebammen- und Accoucheur-Ordnung nachzukommen und nie ohne Unterstützung eines anderen Arztes von seinen Instrumenten Gebrauch zu machen. 47 StadtAA, Collegium medicum XV : 6. 48 StadtAA, Collegium medicum M XVII : 138 (o. J. um 1764; da erwähnt 1757 „vor 7 Jahren“]: Kopie der Supplikation des Salomon Ambrosius Kephalides an den Geheimen Rat mit der Bitte, ihm den praktischen Unterricht für Hebammen gegen eine geringe Bezahlung zu übertragen und mit der Unterbreitung von Vorschlägen zur besseren Organisation des Hebammenwesens; Kopien des Attests des Herrn Levret aus Paris für Kephalides sowie des zustimmenden Attests des Augsburger Collegium medicum über die Examinierung des Supplikanten. StadtAA, Collegium medicum XVIII : 98 (o. J. bzw. 26.August 1765): Bitte des Accoucheurs Salomon Ambrosius Kephalides an den Geheimen Rat Augsburger Konfession um Bewilligung, dass er den hiesigen Hebammen Unterricht erteilt mit Beilage A (Pro Memoria und Abschrift des Examinierungsberichtes des Collegium medicum vom 25. März 1757) und zustimmendes Senatsdekret vom 26. August 1765 mit der Bewilligung von Mitteln aus der Evangelischen Stiftung. StadtAA, Collegium medicum XVIII : 101 (16. November 1764–1767): Akten der Hebammenordung und den bestellten Accoucheur Salomon Ambrosius Kephalides betr. 1764 bis 1767 [Nr. 1–25: Nr. 24 fehlt] sowie Akten betr. die Vorschläge des Kephalides zur Reformierung des Hebammenwesens sowie der praktischen und theoretischen Ausbildung der Augsburger Hebammen. 49 StadtAA, Collegium medicum XIV : 59 (3. Oktober 1795): Beschwerde und Anzeige des Konrad Kephalidis, Dr. jur., und Bevollmächtigter der Barbiere, wegen des verminderten

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Kephalides wollte bei der Behandlung Casanovas von einer chirurgischen Maßnahme Abstand nehmen und dem Patienten stattdessen schweißtreibende Mittel (sudorifiques) verabreichen. Er setzte Casanova umgehend auf eine strenge Diät und verordnete Bäder sowie Quecksilbereinreibungen (frictions mércurielles). Nach einer Behandlung von sechs Wochen fühlte sich der Kranke zunehmend schlechter, magerte beunruhigend ab und litt an zwei Geschwüren – deux tumeurs inguinales d’une grosseur monstreuse – im Bereich der Leistengegend. Der Arzt entschloss sich, die beiden Geschwüre zu öffnen und verletzte dabei eine Arterie. Nur mit Mühe und durch das beherzte Eingreifen des bereits erwähnten Arztes Algardi konnte die Blutung gestillt werden: Ich musste mich entschließen, sie öffnen zu lassen; aber diese schmerzhafte und außerdem gefährliche Operation brachte keine Linderung. In seinem Ungeschick verletzte er eine Arterie; das führte zu einer Blutung, die er nur mit vieler Mühe stillte, und die mir ohne das Einschreiten des Bologneser Arztes Algardi, der im Dienst des Fürstbischofs von Augsburg stand, den Tod gebracht hatte.50 Algardi bereitete für den Patienten sein eigenes Therapeutikum vor, ein Purgativum aus Manna, das in Verbindung mit einer speziellen Diät bald die gewünschte Wirkung zeigte: Da ich von Kephalides nichts mehr hören wollte, bereitete der Doktor Algardi in meiner Gegenwart neunzig Pillen aus achtzehn Mannakörnern.51 Ich nahm eine dieser Pillen am Morgen, trank nachher ein großes Glas abgerahmte Milch, eine zweite am Abend, und aß dann eine Gerstensuppe; das war meine ganze Nahrung. Diese heroische Kur gab mir in zweieinhalb Monaten, die ich unter großen Schmerzen verbrachte, meine Gesundheit wieder. Aber meine frühere Gestalt und Kraft gewann ich erst gegen Ende des Jahres wieder.52 Zu seiner Überraschung musste der kaum Genesene auch noch feststellen, dass sich sein Leibdiener Costa aus dem Staube gemacht hatte und ihn um sämtliche Wertgegenstände, Diamanten, Uhren und Tabakdosen, ja sogar Wäsche und weitere Kleidungsstücke erleichtert hatte. Einen gewissen Trost spendete nur das gute Essen, auch wenn Algardi befürchtete, sein Patient könnte aufs Neue erkranken, da eine Verdauungsstörung in seinem Fall lebensgefährlich sei. Diesmal schlug Casanova den Rat des besorgten Arztes jedoch aus und erlangte nach und nach seinen früheren Gesundheitszustand wieder. Auch in der folgenden Anekdote, die 1764 in London ihren unglücklichen Anfang nahm, sollte sich Casanova lebensgefährlich mit einer Galanteriekrankheit infizieren. Seine Heilung verdankte er auch hier einem eifrigen Gehalts oder Wartgeldes für die Chirurgen und Barbiere beim Lazarett, mit Vollmachterteilung durch die Chirurgen und Barbiere (auch von Salomon Ambrosius Kephalides unterzeichnet, Lazarettchirurg). Ablehnende Berichte der Verordneten Baumeister sowie der Deputierten zur Sanita zu der Beschwerde vom 30. Oktober 1795. 50 GmL 8, 34. 51 Bei Manna handelt es sich entweder um ein Ausscheidungssekret der Schildläuse, das aus einer weißlichen, zuckerreichen Flüssigkeit besteht, die Thalli der im Nahen Osten essbaren Mannaflechte (lecanora esculenta), das Harz der Manna-Tamariske oder den Saft der Esche, der seit dem 15. Jahrhundert in der Medizin eingesetzt wurde. Vgl. S. Hahnemann, Apothekerlexikon, 56–58. 52 GmL 8, 34.

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Arzt, der ihm noch Jahre später mit medizinischen Ratschlägen zur Seite stehen sollte. Die Enttäuschung über eine missglückte Tändelei mit der Schweizer Kurtisane Charpillon hatte in Casanova erst Suizidgedanken hervorgerufen und ihn schließlich in die Hände einer Prostituierten geführt, die den Unglücklichen mit einer ernsthaften Geschlechtskrankheit ansteckte. Kurz nach der Infektion zeigte der Patient auffällige Symptome, darunter starken Gewichtsverlust sowie eine gelbliche und von eiternden Pusteln übersäte Haut.53 Über seinen besorgniserregenden Gesundheitszustand hatte Casanova wohl auch Mme du Rumain (1725–1781) berichtet,54 jedoch den wahren Grund seiner Erkrankung aus Scham verschwiegen, dürfe man diese Krankheit doch nicht in „guter Gesellschaft“ erwähnen. Nach einer überstürzten Abreise aus England zog sich Casanova nach Calais zu einem geschickten Wundarzt zurück, der als der beste seiner Zunft galt. Um die Gesundheit des Patienten war es in diesem Augenblick nicht zum Besten bestellt, denn er glühte vor Fieber und ein vierter Aderlass raubte ihm alle verbliebenen Kräfte.55 Nach vierzehn Tagen vergeblicher Behandlung nahm Casanova die Postkutsche, um auf Rat des Arztes nach Wesel zu reisen, wo sich ein sehr guter junger Arzt der Leidener Schule namens Heinrich Wilhelm Peipers (1741–1814) befinden sollte.56 Casanova begab sich umgehend nach Wesel zu dem mit seinem Regiment in der Garnison stationierten Charles Frederick von Beckwith,57 der umgehend nach Peipers suchen ließ. Der junge Arzt erklärte sich schließlich bereit, den Gast in seinem Haus aufzunehmen und ihn innerhalb von sechs Wochen zu heilen, falls er seine Regeln akzeptiere. Peipers war der Sohn des erfolgreichen Arztes Adam Peipers (1717–1758),58 der rund fünfundzwanzig Jahre in Wesel praktiziert hatte und dort in der Goldstraße 1138 wohnte. Aus der in mehreren Abschriften erhaltenen Familienchronik59 der Familie Peipers geht hervor, dass Adam Peipers in Duisburg, Leiden, Halle und Berlin die Arzeneykunst studiert und am 9. November 1733 in Duisburg promoviert hatte. Den erfor53 HdmV 3, 319–328: Faible, affligé […] de me voir dans un délabrement de santé qui me rendait douteuse la guérison, de me trouver une mine effrayante, maigri, avec la peau jaune, tout couvert de glandes embibées d’humeurs celtiques qu’il fallait que je pensasse à fondre, je me suis mis ainsi dans ma chaise de poste […]. 54 Marr 10I6; H. Scheible (Hrsg.), Mythos Casanova, 66. 55 HdmV 3, 319. 56 HdmV 3, 320. 57 Der englische Offizier Beckwith war ab 1763 Chef des 48. Fusilierregiments in Wesel. Im Archiv von Dux ist ein Brief von Beckwith vom 15. April 1764 an Casanova erhalten (Marr 4–127): Mons(ieu)r, Je viens d’avoir l’honeur de votre lettre, persone ici est en droit de doner de passeports que le Comandant Mons[ieu]r de Sallamon, il ne vous refusera pas assurément si vous luy demandez […]. 58 Seine Mutter war Aletta Hoesch (1708–1795), die Tochter von Heinrich Hoesch und Helena Margareta von Recklinghausen. 59 Chronik der Familie Peipers im Besitz des Dr. med. Peipers in Pützchen bei Bonn, verfasst von Heinrich Wilhelm Peipers (1741–1814), Dr. med., dem Sohne des Adam Peipers und der Aletta Hoesch (Hoech/Haashagen, Nr. 41, Stadtarchiv Düren). Eine Umschrift stammt von A. Andreae, Chronik der Familie Peipers. Beiträge zur Geschichte der Familie Andreae, Hannover 2009.

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derlichen cursum anatomicum in Berlin absolvierte er am 10. März 1735 und ließ sich anschließend in Wesel im preußischen Herzogtum Kleve nieder. Nachdem die erste Frau Adam Peipers im Kindbett verstorben war, heiratete er 1740 Aletta Hoesch, die Mutter von Heinrich Wilhelm. Über seinen Vater, der bereits am 26. Juli 1758 verstarb, vermerkte der Sohn, dass dieser ein angesehener Arzt gewesen war: Adam Peipers stand in einem ausgezeichneten Ruf und schien gleichsam gebohren zu seyn, seinen Mitmenschen zu dienen. Sein brennender Amtseifer riß ihn früh weg. Die Ehefrau von Adam Peipers und Mutter Heinrich Wilhelms, Aletta Hoesch, überlebte ihren Mann um siebenunddreißig Jahre und verstarb 1795 hochbetagt in der Wohnung ihres Sohnes in Köln. Auch über seinen eigenen Werdegang berichtete der Sohn in diesem Zusammenhang ausführlich: Ich, der älteste Sohn dieses würdigen Paares, Heinrich Wilhelm Peipers, wurde am 20. Okt. 1741 in Wesel geboren. Meine Eltern sparten nichts an meiner Erziehung. Besonders bestrebte sich meine fromme Mutter, mich frühe mit der Religion bekannt zu machen und ihrem Unterricht verdanke ich den Trost, den ich bey späteren Widerwärtigkeiten darin gefunden habe. Frühe wurde ich ins Gymnasium geschickt, wo ich den Unterricht zweyer Männer genoss, deren Andenken mir noch immer schätzbar ist, des Conrektors Wylich und des Recktors Eichelberg. Mit dem Ausbruch des siebenjährigen Krieges60 kam ich auf eine zeitlang nach Cöln zu dem Bruder meiner Mutter, den Herren von Hoesch. Bei dieser Gelegenheit legte ich 1757 im Monat Sept. in diesem Hause des Herrn Herstatt, vor dem Niedertheutschen Consistorium, mein Glaubensbekenntnis in den Händen des Mühlheimer Predigers, des Herrn Gülchers, ab. Mein Vater hatte mich der Rechtgelehrsamkeit gewidmet, aber die Vorsicht hatte es anders beschlossen. Nach seinem Tode holte mich sein würdiger Freund, der Herr Professor Leidenfrost61 zur Arzeneykunst über. Am 20. Okt. 1758 ging ich auf die Universität Duisburg und genoss dort drei Jahre Unterricht dieses berühmten Lehrers, bei dem ich wie ein Sohn im Hause aufgenommen war. Von Duisburg ging ich im Herbst 1761 nach Leiden62 in Holland, wo ich ein Jahr lang die Hörsäle der beiden Brüder Albinus,63 des Herrn Gauzbius, van Royen und Zellamand besuchte. Bei meiner Rückkehr in meine Vaterstadt benutzte ich noch ein halbes Jahr die französischen Feldspitäler64 und ging dann nach Duisburg, wo ich am 30. März 1763 öffentlich promovierte.65 Ich ließ mich nun in Wesel nieder, wo die noch nicht erloschene Achtung für meinen verstorbenen Va60 1756–1763. Im Jahr 1758 wurde Wesel von den französischen Soldaten besetzt. 61 Johann Gottlob Leidenfrost (1715–1794) praktizierte als Arzt in Berlin und wurde später Militärarzt in der preußischen Armee. Ab 1743 war er ordentlicher Professor der Medizin in Duisburg, vgl. A. Andreae, Chronik der Familie Peipers, 6. 62 Peipers immatrikulierte sich mit 20 Jahren am 14. September 1761 an der Universität Leiden für das Studium der Medizin, vgl. A. Andreae, Chronik der Familie Peipers, 6. 63 Christian Bernhard wurde bereits mit 23 Jahren in Leiden außerordentlicher Professor. Sein jüngerer Bruder Bernhard Siegfried wurde 1721 Professor für Anatomie und Chirurgie. Er sollte sein ganzes Leben in Leiden verbringen und wurde ein bekannter Anatom, vgl. A. Andreae, Chronik der Familie Peipers, 6. 64 Die Zustände in den französischen Feldspitälern müssen katastrophal gewesen sein, vgl. J. Prieur (Hrsg.), Geschichte der Stadt Wesel, Düsseldorf 1991, Band 2, 287. 65 Peipers promovierte über die medizinische Wirkung der Rinde der Rosskastanie (De cortice hippocastani).

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ter eine gute Aufnahme bei meinen Mitbürgern versprach. Da nach den Gesetzen in den preussischen Staaten kein Arzt im Lande praktizieren darf, ohne vorher einen cursum anatomicum in Berlin gemacht zu haben, ich aber in diesem Augenblick meiner Mutter den großen dazu nötigen Geldaufwand nicht zumuten konnte, so bath ich um einen Ausstand von etlichen Jahren, den ich aber nicht erhalten konnte. Unterdessen war ich an einem bösartigen Fieber hart krank geworden. In dieser Krankheit besuchte mich Prof. Leidenfrost zweimal, und schlug mir vor, nach Cöln zu gehen und dort mein Glük zu versuchen. […] Nun verließ ich Wesel am 1. September 176466 und trat als praktischer Arzt in Cöln auf.67 Während Casanovas erste Begegnung mit Peipers noch stattfand, als der junge Arzt in Wesel im Spital der französischen Armee tätig war, zeigt ein bisher unpublizierter Brief von Peipers in französischer und lateinischer Sprache vom April oder Mai 1766 – also nicht ganz zwei Jahre nach seinem Umzug nach Köln –, dass zwischen den beiden Männern noch immer Briefkontakt bestanden haben muss.68 Casanova hatte Peipers wegen gesundheitlicher Beschwerden, wohl einem Hämorrhoidalleiden, konsultiert und zeitgleich über seinen angegriffenen Gesundheitszustand in einem Brief an Charles-Leopold Andreu de Bilistein (1724–1777) berichtet,69 der ihm am 21. März oder am 1. April 1766 aus St. Petersburg darauf antwortete.70 Vor einer Operation schreckte Casanova jedoch zurück, die auch der Arzt nicht für ratsam erachtete. Auf lateinisch kommentierte Peipers in seinem Brief ausführlich Casanovas Gesundheitszustand und empfahl traditionelle Therapeutika. Beigefügt war ein Rezept zur Herstellung eines individuell zusammengestellten Therapeutikums: Ich hätte mir eine genaue Beschreibung des Leidens gewünscht, um über dessen wahre Beschaffenheit besser urteilen zu können. Trotz alledem ergibt sich für mich daraus die Schlussfolgerung, dass ein chirurgischer Eingriff nur mit größter Umsicht in Angriff genommen werden sollte. Denn alle Symptome, von denen Sie mir schreiben, sind auch anderen Krankheiten in dieser Körperregion gemein, und bis jetzt kann ich in der Tat kein einziges eindeutiges Zeichen aus Ihrem Schreiben herauslesen, das für eine Analfistel sprechen würde. Unter Berücksichtigung der Krankengeschichte glaube ich, viel eher erkennen zu können, dass die ganzen Beschwerden, mit denen Sie, mein ehrenwertester Freund, beladen sind, in einem Krampf und Schmerz des Mast66 Peipers soll, nachdem er Wesel verlassen hatte, für etwa ein halbes Jahr als Kurarzt nach Wiesbaden gegangen sein. Am 20. Mai 1765 heißt es in den Protokollen der wallonischen Gemeinde in Köln: Hat Herr Wilhelm Peipers, medicinae doctor sein Kirchenzeugnis übergeben, von Predigern der Fransen Gemeinde in Wesel unterschrieben, und ist darauf zum Mitglied unserer Gemeinde auf- und angenommen worden. Vgl. hierzu A. Andreae, Chronik der Familie Peipers, 7. 67 Die Praxis des jungen Peipers befand sich in der Sternengasse 5 in Köln. 68 Marr 12–59. 69 Charles-Leopold Andreu de Bilistein (1724nach 1777) heiratete in erster Ehe die Engländerin Anne Huggins (gest. 1769) und in zweiter Ehe die Moldavierin Irina Rosetti (1776 getrennt). Er verfasste den Essai de navigation Lorraine und den Essai sur la ville de Nancy. 70 Marr 10m1 (A. Stroev, Casanova et Bilistein, Intermédiaire des Casanovistes 13, 1996, 33–46): Vous me parlez de votre (san)té; ayes de la résolution, le plutôt c’est le meilleur. (quant) [lac.] j’ai peu de confiance dans les suppôts d’Hippocrate et d’Esculape. Mais (quand) j’en ai besoin (je les) cajole et m’en sers fort vite pour m’en débarasser très promptement.

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darms und des Schließmuskels zu bestehen scheinen, die durch einen Blutstau in den inneren Hämorrhoidalgefässen, die den Mastdarm umgeben, seine eigentliche und primäre Ursache haben. Denn angesichts der übermäßigen Dehnung dieser Gefäße, die von einem Blutinfarkt ausgelöst wird, werden die Nervenhäute des Mastdarms gequetscht und spannen sich an. Und daher rühren die Schmerzen und akuten Krämpfe, die mit fortschreitendem Verlauf auch andere in dieser Gegend liegenden Bereiche wegen der Mitempfindung der Nerven beeinflussen können. Der Auslöser dieses unangenehmen Leidens bestand nach Heinrich Wilhelm Peipers außer der richtigen Blutbeschaffenheit insbesondere im Genuss zu üppiger Speisen und heißer bzw. kalter Getränke, übermäßigem Liebesgenuss, Reisen zu Pferd und im Wagen. Durch das Stocken der Säfte um die Hämorrhoidalgefäße habe das Blut durch die zusammengeschnürten Öffnungen nicht mehr abfließen können. Um diesen Säftestau und den starken Blutfluss im Abdomen zu beseitigen, empfahl der Arzt Aderlässe am Arm, Blutegel am After, abführende Tränke aus einem Dekokt gewöhnlichen Rhabarbers vermischt mit einer Unze Süßmandelöl sowie Einläufe aus Haferbrühe mit Kamillenblüten und Schafgarbenspitzen, eingekocht und versetzt mit Kamillen- und Mandelöl. Innerlich seien krampflösende, erwärmende und harntreibende Mittel nützlich, die nach dem beiliegenden Rezept zubereitet werden sollten. Dazu sollte der Patient auf das Kreuzbein und die untersten Rückenwirbel ein Pflaster auflegen, um die stehenden Säfte zu „zerteilen“ und die schlaffen Bereiche zu stärken. Schließlich kam Peipers auch noch auf die einzuhaltenden Diätvorschriften zu sprechen: Was schließlich die Diät anbelangt, so muss man sich zuallererst vor allen Ursachen hüten, die das Blut eindicken können; dafür verantworlich sind Schwermut und Traurigkeit (d. h. die Affekte), schnell verschlungene Speisen, die Blähungen hervorrufen, sowie alkoholische Getränke, insbesondere starkes Bier, bei deren Vorhandensein für gewöhnlich Verkochungen aus Chinawurzel, Sarsaparilla, Sasafraslorbeer und Hirschhorn mit einer kleinen Menge Wein und Zitrus dienlich sein können. Kälte ist mit aller Sorgfalt vor allem vom unteren Bauchraum und von den Füßen fernzuhalten. Die Reiterei, ja sogar die Liebe und alles, was das Blut in die Hämorrhoidalgefäße hinziehen könnte, ist nach Umständen zu vermeiden. Am Ende des Briefes fügte Peipers noch ein interessantes privates Detail hinzu: Er wolle Casanova bei ihrem nächsten Treffen in Köln jemandem vorstellen, der gewiss seinen Beifall (aplaudissement) verdiene. Möglicherweise wollte der Arzt bei dieser Gelegenheit Casanovas Meinung über seine zukünftige Frau hören, die er am 22. Oktober 1766 ehelichen sollte. Nicht ohne Wehmut schloss Heinrich Wilhelm Peipers seinen Brief mit dem Satz, dass es ihm wohl nie vergönnt sein werde, wie der Kosmopolit Casanova die Welt zu bereisen: Aber was soll ich machen? Ich bin verdammt dort zu bleiben. Der Himmel hat mir meinen Wunsch, in der Welt umherzureisen, nicht erfüllt. […] Ich gleiche dem Mercur, der sich in der engsten Bahn hält, und ich werde diese Welt verlassen und davon wahrscheinlich nur den Misthaufen gesehen haben. Ob Casanova letztendlich den Therapievorschlägen des jungen Arztes folgte, bleibt unbekannt. Während seines anschließenden Aufenthaltes in Spanien 1768 muss er jedoch noch an den unangenehmen Folgen einer Analfistel gelitten haben, da er sich von ei-

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nem Chirurgen genau an der Stelle, wo sich die Fistel befunden hatte, eine schmerzhafte Geschwulst aufschneiden ließ.71 Als Casanova in Begleitung des Malers Anton Raphael Mengs (1728–1779) in der Kutsche gesessen hatte, um der Witwe des Malers Jacopo Amigoni (1675–1757) einen Besuch abzustatten, überkam ihn auf einmal heftiges Fieber und Schüttelfrost: Das Fieber verursachte einen Schüttelfrost, von dem man sich keine richtige Vorstellung machen kann; ich zitterte derart, dass mein Kopf gegen das Verdeck des Wagens schlug. Ich klapperte mit den Zähnen und konnte nicht ein einziges Wort sprechen.72 Erschrocken befahl Mengs dem Kutscher, unverzüglich umzukehren. Im Hause seines Gastgebers begab sich der Patient umgehend ins Bett, erlitt nachts jedoch einen so heftigen Schweißausbruch, dass zwei Matratzen und ein Strohsack durchtränkt wurden. Nach acht Tagen andauernder Bettruhe wollte Casanova dem venezianischen Gesandten seine Aufwartung machen, jedoch wurde während der rüttelnden Fahrt die schmerzhafte Geschwulst noch deutlicher spürbar: Doch eine kleine Geschwulst, die ich bereits beim Aufbruch aus Madrid in der Nähe meiner früheren Darmfistel hatte, wurde auf der Fahrt durch das Rütteln des Wagens so rebellisch, dass sie mich plagte. In der Nacht wurde diese Geschwulst so dick wie eine große Birne, so dass ich am Ostersonntag nicht aufstehen und zur Messe gehen konnte. Nach fünf Tagen war diese Schwellung zu einem Abszess von der Größe einer Melone geworden.73 Der Gesandte war zutiefst beunruhigt und der französische Wundarzt des Königs schwor, noch nie etwas Vergleichbares gesehen zu haben. Da Casanova keine Schmerzen hatte, befahl er dem Wundarzt, den Abszess aufzuschneiden: In Gegenwart eines Arztes beschrieb ich ihm den Fieberanfall, den ich eben in Madrid gehabt hatte, und überzeugte ihn, dass mein Abszess nur durch eine Ansammlung von Lymphe entstanden sein könne, die sich an dieser Stelle entwickelt habe; sobald sie abgeflossen sei, würde ich meine volle Gesundheit wiedererlangen.74 Da Casanova durch seine Argumentation den anwesenden Arzt überzeugt hatte, befahl dieser dem Wundarzt, zur Tat zu schreiten. Nachdem der Chirurg ein zweiunddreißigfach gefaltetes Tuch unter den Patienten gelegt hatte, machte er einen Schnitt von sechs Zoll Länge: Obgleich mein Abszess nicht mehr als einen halben Liter Wasser enthalten konnte, ist es Tatsache, dass mein Körper durch die Öffnung in vier Tagen eine ebensolche Menge Flüssigkeit ausschied, wie ich während des Fiebers bei Mengs vergossen hatte. Nach diesen vier Tagen verblieb fast keine Spur des Schnitts, den man mir gemacht hatte.75 Noch während sich der geschwächte Casanova im Hause des Botschafters auskurierte, erhielt er eine Depesche des Malers Mengs, er könne seinen Gast nun nicht mehr beherbergen, da sich der Pfarrer beklagt habe, dass er in seinem Hause Ungläubige aufgenommen habe. Zornentbrannt begab sich Casanova zur Kirche von Aranjuez, legte bei einem Franziskanermönch umgehend die Beichte ab und erhielt daraufhin eine Be-

71 72 73 74 75

HdmV 3, 623. GmL 11, 70. GmL 11, 70. GmL 11, 71. GmL 11, 71.

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scheinigung, dass er wegen gesundheitlicher Beschwerden nicht die Osterkommunion habe empfangen können.

7 Weibliche Gesundheit im 18. Jahrhundert Aus fast allen schriftlichen Hinterlassenschaften Giacomo Casanovas, die sich mit diesem Thema befassen, geht hervor, dass er stets großes Interesse an der Gesundheit der Frauen hegte. Dies betraf nicht nur Präventivmaßnahmen während des Geschlechtsverkehrs, sondern auch die medizinische Versorgung während und nach der Schwangerschaft. Obwohl bei der Geburt bereits nicht ungefährliche operative Eingriffe wie Kaiserschnitt und mittels Geburtszange vorgenommen wurden, war die Sterblichkeit der Mütter im 18. Jahrhundert noch immer sehr hoch. Durch fehlende hygienische Maßnahmen drohte danach auch noch das gefürchtete Kindbettfieber.1 Bis in die zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts lag die Geburtshilfe in den Händen von Hebammen, was sich mit der Entwicklung der Frauenheilkunde ändern sollte; Schwangere wurden nun zunehmend auch Ärzten und Chirurgen anvertraut. Zumeist war bei den Eltern noch immer die Geburt eines Knaben erwünscht, weshalb sich originelle Ratgeber wie jener 1748 entstandene von Michel Procope-Couteau (1684–1753), L’art de faire des garçons: ou nouveau tableau de l’amour conjugal (1760), großer Popularität erfreuten.2 Nicht frei von Humor beschrieb Max Lamberg aus diesem Grund in einem auf den 4. August 1787 datierten Brief, was Mann bzw. Frau nach Anleitung dieses Buches tun müssten, um die Geburt eines männlichen Erben zu garantieren, wobei der geeignete Zeitpunkt der Empfängnis mittels eines Thermometers ermittelt werden sollte.3 Casanova verließ sich jedoch weniger auf dubiose Ratgeber, um eine Schwangerschaft herbeizuführen. Als seine Geliebte Caterina Capretta (1738– 1780) ihn während eines Schäferstündchens inständig um das Herbeiführen einer Schwangerschaft bat, antwortete der nachdenkliche Casanova, dass dies gar nicht so einfach zu bewerkstelligen sei: Ich musste ihr einen Vortrag halten, der 1

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S. Schmidt / A. Vackiner, Künstliche Hilfe: Instrumente und Operationen, in: M. Metz-Becker (Hrsg.), Hebammenkunst gestern und heute. Zur Kultur des Gebärens durch die Jahrhunderte, Marburg 1999, 50 ff. Michel Procope-Couteau, Sohn des sizilianischen Gründers des berühmten Pariser Cafés Procope, war Arzt, Freimaurer, Schriftsteller und Lebemann und bekleidete an der medizinischen Fakultät in Paris eine führende Position, vgl. G. Silber, In Search of Helvetius’ Early Career as a Freemason, Eighteenth-Century Studies 15/4, 1982, 421–441, bes. 432 ff. Vgl. zu Ratgebern S. F. Matthews-Grieco, Corps et sexualité dans l’Europe d’Ancien Régime, in: G. Vigarello (Hrsg.), Histoire du corps. 1. De la Renaissance aux Lumières, Paris 2005, 175–246, bes. 198–199. Marr 2–24 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 63): […] tout fut executé suivant le livre. Il m’a juré que dès le premier mois à commencer du jour de l’operation détaillé, sa femme avoit eu des signes de grossesse; qu’elle étoit accouchée sans la moindre tranchée et à terme et qu’il n’attendoit que le moment qu’elle fut relevée pour faire une tentative plus singulière que la première, celle de prédire le sexe d’un enfant à venir, savoir le jour et l’heure de sa naissance. Et tout cela à l’aide d’un thermomëtre on ne peut plus sensible introduit là, où les nonnes du sacrement mettent le joujou des demoiselles. […]Toute la maison ne boit que de l’eau dans laquelle on a soin de verser quelques goutes de fiel de boeuf. Un morceau de sucre candi leur sert de déjeuné en se levant. Jamais fièvre, goutte, rhumatisme et tant d’autres maux qui tourmentent l’humanité n’approchèrent de cette demeure. Le mari a 67 ans et la femme en a 37. C’est un homme d’esprit d’ailleurs que cet original.

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ihr begreiflich machte, dass das Kinderzeugen nicht ausschließlich von uns abhing; aber es sei wahrscheinlich, dass es über kurz oder lang dazu kommen werde, zumal dann, wenn wir beide gleichzeitig in holde Verzückung gerieten.4 Casanova folgte damit noch einer bis zum Ende des 18. Jahrhunderts weit verbreiteten medizinischen Vorstellung, nach der die Empfängnis durch das weibliche Lustempfinden erleichtert werden würde.5 Diese Zeugungslehre wurde in der Antike durch Hippokrates und Galen vertreten, die den secreta mulierum eine wichtige Funktion bei der Zeugung zuschrieben. Die „Ein-Samen-Theorie“ des Aristoteles, die der Frau keine aktive Beteiligung am Zeugungsvorgang mehr einräumte, gewann erst Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung. Die gemeinsam bewusst empfundene sexuelle Lust spielte für Casanova daher eine entscheidende Rolle, da dieses Lustempfinden den Menschen letztendlich vom Tier unterscheide: Hüten wir uns aber, dann von Lust zu sprechen! Denn Lust verlangt Bewusstsein, und Tiere sind dazu nicht fähig. Einzig der Mensch ist zu wirklicher Lust fähig, denn er ist mit dem Vermögen des Denkens begabt; er erwartet die Lust, er sucht sie, er verschafft sie sich und erinnert sich ihrer, wenn er sie genossen hat.6 Allerdings vermutete Casanova, dass Frauen beim Liebesspiel mehr Vergnügen als Männer empfinden müssten, da sie sich doch freiwillig dem Risiko einer unerwünschten Schwangerschaft aussetzen würden.7 Eine sexuelle „Aufklärung“ im heutigen Sinne gab es im 18. Jahrhundert noch nicht, weshalb viele Frauen vor der Hochzeit so gut wie keine Kenntnisse über Sexualität, geschweige denn über Verhütung besaßen. Nicht selten wurden sie daher von anderen Frauen in die Geheimnisse der körperlichen Liebe eingeweiht. So berichtete auch Caterina Capretta ihrem Liebhaber, sie habe von der Nonne M. M. Bücher erhalten, die sie über sehr wichtige Dinge aufklärten, von denen wenige Frauen wissen.8 Nicht auszuschließen ist, dass es sich dabei um einige der im 18. Jahrhundert weit verbreiteten und äußerst beliebten erotischen Klassiker wie Thérèse Philosophe oder Vénus dans le Cloître handelte, mit denen sich auch mancher bekannte Schriftsteller wie der Enzyklopädist Dénis Diderot unter einem Pseudonym ein Zubrot verdiente. Viele dieser Bücher9 zielten zwar bevorzugt auf einen männlichen Leserkreis ab, wurden aber auch von Frauen sehr geschätzt und mit Vergnügen gelesen, ja richteten sich sogar manchmal insbesondere an eine weibliche Leserschaft. Dies gilt etwa für die École des filles ou La philosophie des dames, einen aus dem 17. Jahrhundert stam4 5 6 7 8 9

GmL 3, 312. R. Jütte, Lust ohne Last. Geschichte der Empfängnisverhütung, München 2003, 110; S. F. Matthews-Grieco, Corps et sexualité dans l’Europe d’Ancien Régime, 198. GmL 4, 43. HdmV 3, 167–169. GmL 4, 54. R. Trousson, Romans libertins du XVIIIe siècle, Paris 1993; R. Porter / G. Rousseau, Sexual Underworlds of the Enlightenment, Manchester 1987. Eine Variante des erotischen Romans bildet das Werk des Marquis de Sade (1740–1814), das sich durch Brutalisierung der Sexualität auszeichnet. De Sades bekannteste Werke, Justine oder La Philosophie dans le Boudoir, waren im 18. Jahrhundert zeitweise verboten. Vgl. zu Sade F. du Plessis Gray, At Home with the Marquis de Sade, London 1998.

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menden Klassiker, in dem die ältere Suzanne ihre jüngere Kusine Fanchon in die Geheimisse der (körperlichen) Liebe einweiht und sie bei der Wahl eines potenten Liebhabers berät.10 Die Thematik der Dialoge ist ungewöhnlich freizügig und behandelt – neben diversen Sexstellungen – auch die Vorzüge von Penisgrößen und so wichtige Themen wie Empfängnisverhütung und Heirat. Casanova bot seinen Partnerinnen zeitweise selbst derartige Klassiker zur „Einstimmung“ an, darunter auch die Sonetti lussoriosi (1523) des RenaissanceDichters Pietro Aretino (1492–1556).11 Die mit einer Schwangerschaft einhergehenden Risiken waren Casanova ebenfalls bekannt. Im 18. Jahrhundert waren zwar bereits erhebliche Fortschritte im Bereich der Gynäkologie erzielt worden,12 jedoch blieb die Geburt eines Kindes für die Gebärende noch immer ein unkalkulierbares Risiko.13 Casanova riet daher schwangeren Frauen 1780 in dem teilweise noch unpublizierten Werk La Verecondia, lieber kompetente Ärzte statt der gefährlichen Hebammen zu konsultieren.14 Dabei sah er insbesondere in der Scham (vergogna) die Ursache, weshalb sich Frauen eher gleichgeschlechtlichen Hebammen anvertrauen wollten, statt sich in die Hände eines männlichen Arztes zu begeben. Anhand von Fallbeispielen wie der vorgetäuschten Schwangerschaft der Nina Bergonzi, die auf Veranlassung der hinterhältigen Hebamme Teresa „Teresaccia“ in Bologna ihr Kind verkauft haben soll oder des Schicksals einer russischen Prinzessin, die durch die Unerfahrenheit einer Hebamme verstarb, versuchte Casanova darzustellen, wozu die skrupellosen Hebammen fähig seien. In diesem Zusammenhang lieferte er sogleich diverse Lösungsvorschläge: Jede parrocchia solle zwei Frauenärzte beschäftigen (ostetori) und Frauen grundsätzlich die Ausübung dieses verantwortungsvollen Berufes verboten werden. Dabei sollten die Ärzte oder in Geburtshilfe ausgebildete Chirurgen stets vom Collegium medicum approbiert werden. Schließlich sollten alle Frauen, auch Prostituierte, ihre Schwangerschaft bis zum 5. Monat in der parrocchia melden. Dabei spricht sich Casanova auch für absolute Diskretion aus, falls eine Frau vor der Ehe oder in Abwesenheit ihres Gatten ein Kind erwarte und favorisiert ein Verbot des Aborts zum Schutz der werdenden Mutter.15 10 11 12

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P. Pia (Hrsg.), L’École des filles ou La philosophie des dames, Paris 1969. K. Thiele-Dohrmann, Kurtisanenfreund und Fürstenplage. Pietro Aretino und die Kunst der Enthüllung, Düsseldorf/Zürich 1998, 56–69. Etwa A. Levret, Suite des observations sur les causes et les accidents de plusieurs accouchements laborieux (1751) oder J.-L. Baudelocque, L’Art des accouchements (1781). Vgl. zu diesem Thema auch H.-Ch. Seidel, Eine neue „Kultur des Gebärens“. Die Medikalisierung von Geburt im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Stuttgart 1998. HdmV 3, 969–971 (Tod der Nina im Kindbett). R. Forleo / F. di Trocchio (Hrsg.), Giacomo Casanova e le ostetriche, un capitolo di storia della medicina del XVIII secolo, Torino 2000; Ein Teil dieser Schrift wurde von Casanova bereits 1780 in den Opuscoli Miscellanei, 84–96, publiziert. Der bisher unpublizierte Teil befindet sich im Staatsarchiv Prag (Marr 20–9; Marr 26–14). La Verecondia (1780) übernimmt und erweitert die Argumenation von Lana Caprina. R. Forleo / F. di Trocchio (Hrsg.), Giacomo Casanova e le ostetriche, Turino 2000, bes. 32, 46, 60.

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Letztendlich träumte Giacomo Casanova von einer (utopischen) Welt, in der sich Sexualität und Liebe nicht widersprechen und es keine Geburtenregelung gibt: Im Icosameron haben Édouard und Élisabeth insgesamt achtzig Söhne und Töchter, wobei es kein Risiko bei der Geburt gibt und Édouard selbst ein ausgezeichneter Geburtshelfer ist: Die Vernunft und die Liebe waren meine Lehrmeister, so dass ich mich dabei sehr gut bewährte.16 Seine Nachfahren haben daher keine Vorstellung davon, dass eine Frau bei einer Geburt irgendwelche Gefahr läuft.17 Bevor es jedoch soweit kommen sollte, galt es, eine ungewollte Schwangerschaft zu verhüten. Im Laufe der Geschichte setzte man dazu eine Vielzahl von mehr oder minder wirksamen Mitteln ein, die von Zäpfchen oder Räucherungen bis zu pflanzlichen und tierischen Therapeutika reichten. Als man sich im 18. Jahrhundert zunehmend mit rassenspezifischen „Merkmalen“ auseinandersetzte, beschäftigten sich die Gelehrten auch mit der Sexualität außereuropäischer Völker. So berichtete Casanova, dass eine schwarze Frau nicht schwanger werde, insofern sie „eingeweiht“ (instruite) sei.18 Als Verhütungsmittel und Prophylaktikum gegen Geschlechtskrankheiten war auch das Kondom in den besseren Kreisen im 18. Jahrhundert bereits weit verbreitet. Es bestand aus einem mit Therapeutika getränkten Leinenüberzug und war erstmals von dem italienischen Anatomen Gabriele Fallopia (ca. 1523–1562) als wirksames Mittel zur Vorbeugung gegen Geschlechtskrankheiten erwähnt worden.19 Wenige Jahre später empfahl auch der Arzt Ercole Sassonia (1551– 1607) in seiner Schrift Luis venerae perfectissimus tractatus (1597) ein ähnliches Verhütungsmittel. Die ältesten erhaltenen Kondome stammen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, wurden in England hergestellt und in der blumigen Sprache des 18. Jahrhunderts nicht selten mit humorvollen Umschreibungen versehen, etwa als armour „Panzer“ ( James Boswell, Journal, 26. Mai 1764), redingote anglaise „Englisches Reitkleid“ (aus engl. riding coat; Casanova) oder capotes anglaises „Englische Hüte“ (Casanova). Die Bezeichnung „Kondom“ ist dagegen erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu belegen20 und die ersten Kondomerien entstanden bereits Ende des 18. Jahrhunderts.21 Auch Casanovas Lebensgeschichte haben wir eine präzise Beschreibung22 dieses Verhütungsmittels zu verdanken: Dann entnahm ich meiner Brieftasche eine kleine Hülle aus einer sehr dünnen und durchscheinenden Haut, acht Zoll lang, einseitig offen und dort nach Art eines Geldbeutels mit einem schmalen, rosa Band versehen.23 Diese nun aus Tierdärmen gefertigten Kondome mussten jedoch vor ihrer Verwendung befeuch-

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Icosameron, Band 1, 298. Icosameron, Band 1, 299. HdmV 3, 1033–1034. De morbo gallico, 89. Kapitel (1564 posthum erschienen). Vgl. zur Geschichte des Kondoms R. Jütte, Keine Lust ohne Last, 149–161. 20 R. Jütte, Keine Lust ohne Last, 156–157. 21 R. Jütte, Keine Lust ohne Last, 158–159. 22 HdmV 1, 756; HdmV 2, 417–418, 515. 23 GmL 7, 45.

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tet werden24 und wurden dem Träger angepasst. Ihr Anblick wirkte auf Frauen meist eher abschreckend25 oder löste bei manch einer Dame sogar einen Lachanfall aus: Der Syndikus zog zugleich ein Paket feiner englischer Präservative aus der Tasche und pries dieses wunderbare Schutzmittel gegen ein Unglück, das eine schreckliche Reue zur Folge haben könnte. Sie kannten es und schienen sich darüber zu freuen, denn sie lachten über die Form, die ein solches Ding ihren Augen bot, wenn es aufgeblasen wird.26 Viele Frauen waren sich jedoch zugleich der Schutzwirkung des Kondoms bewusst und legten Wert auf dessen Verwendung: Als Casanova in einem offenstehenden Sekretär im Casinò der Nonne M. M. eine Schachtel mit Kondomen fand, diese an sich nahm und stattdessen ein kleines Gedicht hinterließ, forderte die Geliebte das Diebesgut kokett ebenfalls mit einem galanten Vers zurück.27 Eine weitere Nonne, die der Venezianer während eines Kuraufenthaltes in Aix-en-Provence kennen- und lieben gelernt hatte, versuchte Casanova ebenfalls vom Nutzen der – wenn auch wenig ansehnlichen – „Überzieher“ zu überzeugen, nachdem die beiden nach der nur kurz zurückliegenden Entbindung eine gemeinsame Liebesnacht verbracht hatten, ohne die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen zu haben. Die gemeinsame Tändelei sei, so Casanova, zwar ohne Risiko gewesen, da auf Grund der Erfahrung und der bekannten Gesetze der Natur zu hoffen ist, dass das, was wir gestern im Taumel der Sinne getan haben, nicht die befürchteten Folgen haben wird, und man unbesorgt sein kann, solange die Regel nicht wieder eingetreten ist, jedoch solle man die Natur nicht herausfordern, die erfindungsreicher sei als die gelehrten Ärzte.28 Die Geliebte ließ sich nur allzu gerne von den Argumenten ihres Liebhabers überzeugen, auch wenn „es“ ihr trotz der Feinheit und Durchsichtigkeit der Hülle in seiner Maskierung weniger gut gefalle!29 Ja sie war sogar der Ansicht, dass derjenige, der diese Hülle gemacht habe, schlecht Maß genommen habe, worauf Casanova ihr einen weiteren Überzieher aushändigte, der seiner Statur angemessener war.30 Der Preis solcher „Überzieher“ belief sich nach Aussage Casanovas bei feinerer Qualität auf etwa drei Livres.31 Als weiteres Verhütungsmittel verwendete Casanova nur ein einziges Mal eine kleine, etwa sechzig Gramm wiegende Goldkugel mit einem Durchmesser von ca. 1,8 cm, die er in Genf bei einem Juwelier hatte anfertigen lassen.32 24 Eine genaue Beschreibung der Herstellung des Kondoms stammt vom Beginn des 19. Jahrhunderts (Grays Pharmacopeia), vgl. R. Jütte, Keine Lust ohne Last, 152. 25 HdmV 3, 90. 26 GmL 6, 257. 27 Dès qu’un ange me f(out), je deviens d’abord sûre // Que mon seul époux est l’acteur de la nature. // Mais pour rendre sa race exempte des soupçons // L’amour doit dans l’instant me rendre mes condoms // Ainsi toujours soumise à sa volonté sainte // J’encourage l’ami de me f(oudre) sans crainte. 28 GmL 7, 46. 29 GmL 7, 46. 30 GmL 7, 48. 31 GmL 7, 118. Dies entspricht ½ Écu, also einem Wert von etwa 30 Euro. 32 H.-B. Spies, Goldkugel als Mittel zur Empfängnisverhütung? Widerlegung einer auf Casanova zurückgehenden medizingeschichtlichen Mär, Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 26, 2007, 183–193.

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Im Verlauf einer fünfzehnjährigen Erfahrung sei er nämlich zu der Ansicht gelangt, dass dieses Metall vor ungewollter Schwangerschaft schützen könnte, wobei es genügt, wenn während des Gefechtes die Kugel in der Tiefe der Liebeskammer liegt. Das Metall besitzt eine Abwehrkraft, die jede Empfängnis verhindert.33 Nicht immer zeigten diese Verhütungsmittel, falls sie überhaupt zum Einsatz kamen, ihre gewünschte Wirkung. Da Abtreibung im 18. Jahrhundert in der Regel mit dem Tode bestraft wurde, nahmen nicht nur die werdende Mutter, sondern auch die Hebamme und alle anderen beteiligten Personen ein großes Risiko auf sich. Trotzdem gab es auch zahlreiche populäre Handbücher mit mehr oder weniger wirksamen Mitteln, um den unerwünschten Fötus abzutreiben.34 1759 erhielt Casanova in Paris einen Hilferuf der schwangeren Giustiniana Wynne (1737–1791), die ein Kind von ihrem Geliebten Andrea Memmo (1729–1793) erwartete.35 Da Giustiniana sich jedoch gerade mitten in den Heiratsverhandlungen mit dem fermier général Alexandre Joseph Le Riche de la Poupelinière (1692–1762) befand, wollte sie das Kind unbedingt abtreiben lassen. Als sich die Verzweifelte Casanova anvertraute, äußerte dieser jedoch berechtigte Bedenken bezüglich des Risikos einer Abtreibung, da alles von der Dosierung des Medikaments abhänge, was außerordentlich schwierig sei: Abgesehen von dem Verbrecherischen, meine liebe Mademoiselle, steht die Abtreibung nicht in unserer Macht. Sind die Mittel, mit denen man sie herbeiführen will, zu milde, dann ist ihre Wirkung zweifelhaft; sind sie zu stark, bedrohen sie das Leben der schwangeren Frau.36 Casanova bot trotz aller Bedenken seine Hilfe an und erklärte sich bereit, die Therapeutika, darunter ein bestimmtes Opiat, zu beschaffen, um damit den Abort auszulösen.37 Als Giustiniana ihn aber um eine Erhöhung der Dosis bat, lehnte er entschieden ab, da ihm bekannt war, dass mehr als ein halbes Gros38 sie töten konnte.39 Der Arzt, der die „kranke“ Giustiniana zur Ader lassen sollte, wurde als gefährlicher Zeuge ausgeschlossen,40 und Casanova selbst übernahm dessen Aufgabe.41 Giustiniana wollte zu aller Vorsicht aber doch noch eine Hebamme um ihren Rat fragen. Heimlich suchte sie deshalb in Begleitung Casanovas nach einem Opernbesuch die im Pariser Stadtteil Marais wohnende Reine Demay42 auf, die sich schließlich gegen eine Entlohnung von fünfzig Louis d’or43 bereit erklärte, die gewünschte Opera33 HdmV 2, 414–418. 34 S. F. Matthews-Grieco, Corps et sexualité dans l’Europe d’Ancien Régime, 201–202. 35 HdmV 2, 153–199. Vgl. auch H. Watzlawick, La confession de Giustiniana Wynne, Intermédiaire des Casanovistes 20, 2003, 25–30. 36 GmL 5, 225. 37 HdmV 2, 157: pour l’affaiblir et détruire ce que l’amour maître de la nature avait fait. 38 Es ist wohl 1/12 Unze, also ca. 2 Gramm, gemeint. 39 GmL 5, 225. 40 HdmV 2, 155. 41 HdmV 2, 155: Cela est fort facile. 42 Damals wohnhaft in der Rue des Cordeliers (heute Rue de l’École-de-Médecine). Reine Demay wurde wahrscheinlich um 1724 in München geboren und war mit einem gewissen Castres verheiratet. 43 1/3 Kilo Gold, eine sehr hohe Summe.

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tion durchzuführen. Dabei war die Hälfte des Betrages für die Beschaffung der notwendigen Drogen vorgesehen, die andere Hälfte sollte nach der glücklich verlaufenen Fehlgeburt entrichtet werden. Am Ende vermochte sich Giustiniana aber doch nicht zu einer Abtreibung zu entschließen. Als sie im sechsten Monat schwanger war, wurde sie zunehmend verzweifelter, ja sprach sogar vom Vergiften. Plötzlich kam, wie so oft in Casanovas Leben, der Zufall zu Hilfe: Während eines gemeinsamen Essens mit Mme d’Urfé erkundigte sich Casanova bei seiner belesenen Gönnerin, ob sie denn ein wirksames Abtreibungsmittel kenne. Die kundige Marquise antwortete, dass das Aroph, das aroma philosophorum des Paracelsus, unfehlbar sei. Casanova holte umgehend die besagte Handschrift aus der umfassenden Bibliothek der Marquise, um selbst nachzulesen, wie dieses mysteriöse Aroph herzustellen sei und wie man es anwenden müsste: Darin stand, man solle aus pulverisiertem Safran, Myrrhe und einigen anderen Zutaten, mit Honig als Träger, eine Salbe bereiten. Die Frau, die ihre Gebärmutter zu leeren trachtete, müsse ein Quantum dieses Opiats auf das Ende eines genügend großen Zylinders auftragen, diesen in die Scheide einführen und damit den runden fleischlichen Teil reizen, der sich am obersten Ende befinde. Gleichzeitig müsse man mit dem Zylinder die Scheide erregen und an die verschlossene Pforte des Gehäuses stoßen, in dem der kleine Feind wohne, den man austreiben wolle. Die Behandlung, sechs oder sieben Tage hindurch drei- bis viermal täglich wiederholt, schwäche die kleine Pforte derart, dass sie sich schließlich öffne und den Fötus herauslasse.44 Der Wirkungslosigkeit dieses Rezeptes war sich Casanova zwar sofort bewusst, jedoch konsultierte er noch einmal ausführlich die entsprechende Passage bei Paracelsus45 und den sich darauf beziehenden Kommentar in den Elementa chimiae Boerhaaves.46 Nach anfänglichem Bedenken willigte die Verzweifelte nun doch in die Behandlung ein, was selbst Casanova in Erstaunen versetzte: Ich war selbst erstaunt, dass ich ihr das ganze Märchen mit allem Anschein der Wahrheit hatte vorschwatzen können, ohne es vorher durchdacht zu haben, und schwieg ebenfalls.47 Casanova sollte schließlich beim „inneren Einsatz“ des Aroph, der mehrmals täglich auf dem Dachboden des Hauses stattfand, nur die Trägersubstanz Honig verwenden. Mit dem Fortschreiten der Schwangerschaft musste irgendwann einmal der Zeitpunkt der Entdeckung kommen, weshalb kurz vor der Entbindung eine Entführung vorgetäuscht wurde. Mithilfe von Mme du Rumain wurde die schwangere Giustiniana schließlich in ein Kloster 44 GmL 5, 226. 45 De viribus membrorum, in: Opera omnia I (1658), 353 ff. Es handelt sich um ein Destillat, das die Aktion der Nieren beeinträchtigt. 46 Elementa chimiae (1732), 152, LXV (Extracta, quae vocantur Essentialia, de Croco, per 48). Ältere medizinische Quellen beschreiben das Aroph als Mischung aus rotem Hämatit und Salmiak (Fr. Hoffmann, Clavis pharmaceutica Schroederiana, Halae 1675, 179). Fr. Hoffmann nennt jedoch noch eine andere Rezeptur, die derjenigen Casanovas entspricht. Eine weitere Rezeptur ist bei van Helmont (Opuscula medica inaudita, Frankfurt 1682, De lithiasi Kap. 7, 14, und Kap. 8, 23) erwähnt. Auch in zahlreichen neueren Werken wird das Aroph genannt, so noch im Handwörterbuch der allgemeinen Chemie von J. F. John, Leipzig/Altenburg 1817, 30 (Aroph Helmontii). 47 GmL 5, 228.

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aufgenommen,48 in dem sie im Mai 1759 heimlich ihr Kind zur Welt bringen sollte. Casanova hatte jedoch die Folgen seines Handelns nicht richtig eingeschätzt: Der Verdacht fiel umgehend auf ihn, und er wurde auf der Straße von der Hebamme Reine Demay und einem gewissen Louis de Castelbajac49 identifiziert. Gegen Casanova wurde umgehend Anklage erhoben, welche wiederum nur durch die geschickte Intervention von Mme du Rumain fallengelassen wurde, die den amtierenden Polizeipräfekten Antoine de Sartine (1729–1801)50 in die Geschichte einweihte.51 Wahrscheinlich erlitt auch das Kind Giustiniana Wynnes das gleiche Schicksal fast aller anderen ungewollten Kinder, welche, sofern sie nicht ausgesetzt oder gar getötet wurden, ins Findelhaus (Hôpital des enfants trouvés) gebracht wurden.52 Nach dem französischen Chronisten Louis-Sébastien Mercier überlebte dabei nur etwa ein Zehntel(!) der rund sieben- bis achttausend Kinder, die jährlich eingeliefert wurden.53 In der Histoire de ma vie berichtet Casanova noch von einer zweiten ungewollten Schwangerschaft mit weitreichenden Folgen: 1760 machte er während eines Kuraufenthaltes die Bekanntschaft mit einer schwangeren Nonne,54 die von einer Ordensschwester zur Kur begleitet wurde. Diese war der Ansicht, die junge Nonne leide an Wassersucht (hydropsie), da ein vertrauenswürdiger Arzt ein entsprechendes Gutachten ausgestellt hatte. Sobald die Wehen einsetzten, sollte die Bäuerin, bei der die beiden Frauen logierten, die Ordensschwester mit Hilfe eines starken Schlafmittels (soporifique)55 in Tiefschlaf versetzen. Als der hilfsbereite Casanova am folgenden Tag zum Bauernhof zurückkehrte, war die begleitende Ordensschwester jedoch noch nicht erwacht, da die Bäuerin die Dosis verdoppelt hatte und das Schlimmste zu befürchten war: Sie wird diese Nacht an Krämpfen, oder an einem Schlaganfall sterben, wenn Sie nicht einen Arzt rufen, der sie vielleicht noch mit Bibergeil ins Leben zurückruft.56 Da man befürchtete, die Wahrheit könnte ans Licht kommen, was die Todesstrafe für die beiden Frauen bedeutet hätte, entschlossen sich die drei nach einigem hin und her, die Ordensschwester der Natur (zu) überlassen. Von den Ereignis48 Es handelte sich um ein Kloster der Benediktinerinnen in Conflans-l’Achevêque am Zusammenfluss von Seine und Marne. Das Dorf ist heute verschwunden. 49 Louis de Castelbajac war Kapitän im Regiment von Cambis und besaß Land in der Gegend von Pommaret, in der Nähe von Toulouse. Am 11. März 1759 denunzierte er Casanova bei der Polizei von Paris. 50 Sartine war von 1759 bis 1774 Polizeipräfekt von Paris (lieutenant général de police) und danach Minister der Kriegsmarine. 51 Casanovas Bericht wird durch zahlreiche Dokumente in den Pariser Archiven bestätigt, darunter der Aussage der Hebamme Reine Demay Castres vom 16. März 1759, die am 20. April inhaftiert wurde (G. Capon, Casanova à Paris, Paris 1913, 381–392). Auch Andrea Memmo wurde in einem anonymen Brief vom 10. Juli 1759 davon in Kenntnis gesetzt (Marr 40–273; eine Kopie befindet sich in der Bibliothek des Randolph-Macon College in Ashland (Va/USA) unter der Inventarnummer Cc 846.5/R813zM/t.2). 52 Seit 1760 befand sich dieses Findelhaus gegenüber dem Hôtel-Dieu. 53 J. Kaplow (Hrsg.), Louis-Sébastien Mercier. Le tableau de Paris, 210–213. 54 HdmV 2, 431–467. 55 Laudanum. 56 GmL 6, 282.

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sen derart erregt, verschlechterte sich der Zustand der schwangeren Nonne zunehmend, und sie kam noch in der gleichen Nacht mit einem Knaben nieder. Als die Ordensschwester dann noch in der gleichen Nacht verstarb, versprach die abergläubische Bäuerin, zwei Totenwachen zu halten, damit nicht die Hexen in Gestalt von Katzen kämen, um ihr irgendein Glied zu entreißen.57 Das Kind wurde schließlich heimlich in die Drehtür des Hospitals gelegt, zusammen mit einem Vermerk, dass es noch nicht getauft sei. Auch Fehlgeburten konnten sich im 18. Jahrhundert verheerend auf den Gesundheitszustand der Mutter auswirken. Im Jahre 1752 wurde Casanovas Geliebte Caterina Capretta von ihrem Vater als Nonne ins Kloster Santa Maria degli Angeli nach Murano geschickt.58 Während ihres dortigen Aufenthaltes erlitt die schwangere Caterina eine Fehlgeburt, bei der sie viel Blut verlor. Ihr Gesundheitszustand wurde immer bedrohlicher, und sie bat ihren Geliebten um Wäsche, die eine Mittelsfrau ins Kloster schmuggeln sollte.59 Während diese rund zweihundert Handtücher und Leinwand unter ihren Röcken versteckt hielt, um sie der Kranken zu bringen, erwartete Casanova, der sich auf Murano ein Zimmer genommen hatte, angstvoll ihre Rückkehr. Nach rund einer Stunde kehrte seine Vertraute zurück, berichtete von dem lebensbedrohenden Zustand der Kranken, zeigte Casanova die blutdurchtränkte Wäsche und eine kleine formlose Masse, die im Blut schwamm.60 Casanova begab sich in der Zwischenzeit zu dem Arzt Payton,61 um ein Therapeutikum zu bestellen, wandte es aber dann doch nicht an, da er befürchtete, der Zustand des Mädchens könne bekannt werden, und der Klosterarzt würde aus Rachsucht allen anderen davon erzählen. Die Kranke schwebte aber noch immer in Lebensgefahr: Die Blutungen hatten zwar aufgehört, jedoch war die Patientin völlig am Ende ihrer Kräfte, hatte kaum mehr die Kraft, die Augen aufzuhalten und war wachsbleich, der Puls kaum fühlbar. Nur langsam erlangte sie ihre frühere Konstitution wieder. War eine Geburt gut überstanden, so konnte die junge Mutter aufgrund mangelnder Hygiene noch immer am meist tödlichen Kindbettfieber erkranken. Das folgende Erlebnis, das Casanova in der Histoire de ma vie beschreibt, gehörte zu den bewegendsten Ereignissen in seinem Leben:62 1767 nahm Casanova die erst achtzehnjährige Brüsselerin Charlotte de Lamotte (1749–1767) unter seinen persönlichen Schutz. Charlotte war von dem schamlosen Aben57 58 59 60 61

GmL 6, 290. Caterina Capretta heiratete 1756 den Advokaten Sebastiano Marsigli (gest. um 1783). HdmV 1, 708–711. GmL 4, 14–15. Möglicherweise handelt es sich um den Arzt Giovanni Battista „Paitoni“ dottorato in Venetia il 8 Ott. 1720 (ASV, Provveditori di sanità, filza 583). Vgl. auch A. Hirsch, Biographisches Lexikon, Band 4, 476. 62 HdmV 3, 556–557. Louis-Sébastien Mercier berichtet ( J. Kaplow (Hrsg.), Louis-Sébastien Mercier. Le Tableau de Paris, 207–210), dass jede Strasse über eine eigene Hebamme verfügte, welche die Schwangere in einem Appartement empfing, das in etwa vier seperate Zimmer geteilt war, wo diese entbinden konnte, ohne dass ihre Nachbarn etwas davon erfuhren.

7.1 Der „Streit um den Uterus“

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teurer Antonio Croce,63 der sie verführt hatte, schwanger zurückgelassen worden. Casanova brachte das hilflose Mädchen, für das er fast väterliche Gefühle hegte, schließlich zu Beginn des Monats Oktober zu einer Hebamme im Faubourg St. Denis. Charlotte litt bereits an sehr hohem Fieber und brachte kurz darauf einen Knaben zur Welt. Doch trotz der Fürsorge des erfahrenen Arztes und Gynäkologen Antoine Petit (1722–1794) gelang es Casanova nicht, das Leben des Mädchens zu retten.64 Auch hier wird die Erzählung Casanovas durch die Pariser Archive bestätigt: Im répertoire général des registres des enfants trouvés befindet sich der Taufeintrag eines gewissen Jacques Charles Lacrosse, Sohn von Charlotte Lamotte und Antoine Lacrosse, der bereits am 31. Oktober im Alter von nur dreizehn Tagen verstarb.65 7.1 Der „Streit um den Uterus“ Casanova beschäftigte sich auch intensiv mit gynäkologischen Themen. So sollte ihn auch der „Streit um den Uterus“66 nicht loslassen, als er in Bologna zu Beginn des Jahres 1772 Zeuge eines Gelehrtenstreits wurde,67 bei dem zwei Professoren der Universität über den Einfluss des Uterus auf das weibliche Denken diskutierten. Dabei handelte es sich um Petronio Zecchini (1739– 1793), ab 1770 Professor für Anatomie in Bologna,68 und seinen Gegenspieler Germano Azzoguidi (1740–1814), ebenfalls Professor für Anatomie und Physiologie in Bologna.69 Casanova beschloss umgehend, selbst eine Gegenschrift zu verfassen, die unter dem Titel Lana Caprina. Une controverse médicale sur l’utérus pensant à l’université de Bologne en 1771–1772 noch im gleichen Jahr erschien.70 Als Untertitel wählte Casanova ein vielsagendes Zitat aus den Episteln seines Lieblingsdichters Horaz: Alter rixatur de lana saepe caprina,71 was übersetzt bedeutet: Man streitet sich um Schafswolle, also um Nichtigkeiten. Diese kleine Schrift, die Casanova eigentlich nur zum Vergnügen verfasst hatte, schien doch einige Wellen geschlagen zu haben. So scheint auch Dénis Diderot in Sur les femmes (1772) auf die Argumente Casanovas Bezug zu neh63 Auch Santa Croce, de la Croix, Crozin. Antonio della Croce stammte aus Mailand und starb vermutlich nach 1796. 1753 wurde er aus Venedig ausgewiesen. Er war mit Teresa „Crosin“ verheiratet und Vater einer Tochter namens Barbara Giacoma (geb. 1754). 64 HdmV 3, 555–556. 65 HdmV 3, 555, Anm. 2. 66 L. Daston / G. Pomata, The Faces of Nature: Visibility and Authority, in: L. Daston / G. Pomata (Hrsg.), The Faces of Nature in Enlightenment Europe, Berlin 2003, 1–16. 67 HdmV 3, 960–961. 68 Es handelt sich um Di geniali della dialettica delle donne ridotta al suo vero principio (1771). 69 Er behandelte das Thema des Wettstreits in den in französischer Sprache erschienenen Lettres de Madame Cunégonde écrites de B(ologne) à Madame Pâquette à F(errare) à l’occasion d’un livre: Di geniali della dialettica delle donne ridotta al suo vero principio (1771). 70 G. Casanova, Lana Caprina. Une controverse médicale sur l’utérus pensant à l’université de Bologne en 1771–1772, Paris 1999. 71 Episteln I, 18 : 15.

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men, indem er die Gesellschaftsordnung des 18. Jahrhunderts für die Benachteiligung der Frau verantwortlich macht.72 Der scholastischen Tradition folgend widmet sich Casanova in Lana Caprina zuerst der Argumentation der Bologneser Professoren Petronio Zecchini und Germano Azzoguidi. Während der Autor der ersten Broschüre (Zecchini) die Ansicht vertrat, man müsse einer Frau ihre Fehler verzeihen, sei doch der Uterus mit der Fähigkeit zu denken ausgestattet und würde gegen ihren Willen handeln, behauptete der Autor der zweiten Abhandlung (Azzoguidi), dass der Uterus zwar ein Tier sei, das Denken der Frau jedoch nicht beeinflusse, da man bisher noch keine anatomische Verbindung zwischen Uterus und Gehirn gefunden habe. Casanovas Position, die im Folgenden ausführlich dargelegt wird, besticht nicht nur durch ihre feindosierten Pointen und eine umfassend recherchierte Darstellung, sondern auch durch eine sachlich aufgebaute Argumentation, in der der Venezianer zu folgendem Schluss kommt: Sollte der Uterus wirklich das weibliche Denken beeinflussen, so müsse doch auch das männliche Sperma auf die Männer die gleiche Wirkung ausüben.73 Die Benachteiligung der Frau in der Gesellschaft sei daher nicht auf physiologische Grundlagen zurückzuführen, sondern hänge lediglich von ihrer Erziehung,74 dem männlichen Despotismus und ihren durch die Natur bestimmten familiären Verpflichtungen ab.75 Casanova räumte dabei zwar ein, dass es durchaus „schwache“ Frauen gäbe und auch solche mit „hysterischen Anfällen“, war jedoch fest davon überzeugt, dass kein anatomischer Zusammenhang bestünde.76 In der Tat sahen auch viele Frauen der gebildeten gesellschaftlichen Schichten in ihrer „weiblichen“ Erziehung und ihrem gesellschaftlichen und moralischen Status die hauptsächliche Ursache für ihre Benachteiligung und die Einschränkung ihrer geistigen Fähigkeiten.77 Im Gegensatz zu dem gewitzten Pierre Choderlos de Laclos (1741–1803), der sich nur ein Jahr nach dem Erscheinen der Liaisons dangereuses in der Éducation des femmes (1783) mit der Erziehung der Frauen beschäftigte und in der Verführung eine Möglichkeit sah, wie Frauen ihre Benachteiligung beenden könnten, offerierte Casanova selbst keinen plausiblen Lösungs72

Vgl. zum Feminismus Diderots G. Kryssing-Berg, L’image de la femme chez Diderot, Revue Romane 20, 1985, 98–109. 73 Lana Caprina, 29: La femme a un utérus et l’homme a du sperme, voilà toute la différence; mais si la pensée vient de l’âme et non du corps, pourquoi monsieur ce médecin va-t-il incriminer l’utérus chez les femmes plutôt que le sperme chez l’homme? Vgl. auch 30: l’homme et la femme pensent de la même façon. 74 Lana Caprina, 32: L’éducation et la condition de la femme sont les deux causes qui la rendent différente de nous dans son système. 75 Lana Caprina, 32 ff. 76 Lana Caprina, 40. Bei seiner geliebten Hündin Mélampyge scheint Casanova jedoch an eine gewisse Autonomie des Uterus geglaubt zu haben. Im Nekrolog auf Mélampyge (E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Vermischte Schriften, 395–399) berichtet er, er selbst habe den vorzeitigen Tod der Hündin herbeigeführt, da er ihrem Wunsch nach einem Partner nicht nachgegeben habe. 77 A. Baum / B. Schnegg, „Cette faiblesse de nos nerfs“. Intellektualität und weibliche Konstitution – Julie Bondelis Krankheitsberichte, in: H. von Holzhey / U. Boschung (Hrsg.), Gesundheit und Krankheit, 5–18.

7.1 Der „Streit um den Uterus“

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vorschlag. Auch in Casanovas Nachlass gibt es weder Hinweise zu einer weiteren Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft noch auf den nach der Französischen Revolution insbesondere durch Marie Gouze („Olympe de Gouges“; 1748–1793) 1791 ausgelösten Diskurs über die Frauenrechte (Délaration des droits de la femme et de la citoyenne).78 Zwar schätzte Casanova philosophische Diskurse mit gebildeten Frauen79 sehr und unterstützte sie auch im Aufbau ihrer Privatbibliotheken, war jedoch der Ansicht, dass zumindest bei einer Geliebten die Wissenschaft fehl am Platz sei: Bei einer Geliebten ist die Wissenschaft fehl am Platze; sie verfälscht das Wesen des Geschlechts und überschreitet auch nie die Grenzen des schon Erkannten.80

78

H. Schröder (Hrsg.), Olympe de Gouges: Mensch und Bürgerin: Die Rechte der Frau, Paris 1791, Aachen 1995. 79 Vgl. zur Frauenbildung im 18. Jahrhundert E. Kleinau / Cl. Opitz (Hrsg.), Geschichte der Mädchen und Frauenbildung, Frankfurt a. M. / New York 1996, insb. Band 2; Ch. Brokmann-Nooren, Weibliche Bildung im 18. Jahrhundert: „gelehrtes Frauenzimmer“ und „gefällige Gattin“, Oldenburg 1992 (online). 80 GmL 3, 82.

8 Das Jahrhundert der Widersprüche: Magie, Alchemie und Exorzismus Während eines festlichen Diners im Hause des venezianischen Botschafters Sebastiano Foscarini (1717–1785) machte der junge Graf Joseph Carl Emmanuel von Waldstein (1755–1814) die erste Begegnung mit Giacomo Casanova. Charles Joseph de Ligne (1735–1814) berichtet, sein Neffe habe die Aufmerksamkeit des alternden Libertins auf sich gelenkt, indem er lebhaftes Interesse an der Alchemie und den okkulten Wissenschaften bekundet habe: Da er vortäuschte an Magie zu glauben und sich damit zu beschäftigen, nennt er die Schlüssel Salomons, Agrippa1 etc. und stellt sich ihm in diesem Bereich ohne Schwierigkeiten vor: Zu wem sagen Sie das? sagt Casanova; oh! Che bella cosa, cospetto! – Dies alles ist mir bekannt; Dann begleiten Sie mich, so Waldstein, nach Böhmen, ich reise morgen ab.2 Diese Anekdote zeigt deutlich, dass das (Al)Chemie-Verständnis Giacomo Casanovas zu diesem Zeitpunkt noch immer ein mystisch antiquiertes war. Die gleiche Haltung Casanovas spiegelt sich auch im Essai de critique sur les moeurs, sur les sciences, et sur les arts (1794) wider.3 Unter Chymie verstand der Autor noch immer die traditionelle Alchemie, obwohl bereits der französische Arzt und Apotheker Gabriel-François Venel (1723–1775) in seinem Encyclopédie-Artikel Chymie (1753) um einen rationalen Wissenschaftsbegriff bemüht gewesen war, um sich endgültig von den phantastischen Ideen vieler Zeitgenossen abzugrenzen, die sich noch immer auf traditionelle Werke wie die Bibliotheca chemica curiosa (1702) des Jean-Jacques Manget (1652–1742) beriefen. Jedoch sollte trotz der eifrigen Bemühungen der Aufklärer die (Al)Chemie noch lange mit geheimnisvollen Vorstellungen verbunden bleiben, und auch für Casanova stand noch am Ende seines Lebens die Suche nach dem Stein der Weisen, jenem geheimnisvollen Stein, der durch seine unergründbaren Kräfte Krankheiten heilen und das Leben verlängern sollte,4 im Zentrum dieser okkulten Wissenschaft. Die Alchemie stellte auf diese Weise eine Übergangswissenschaft zwischen Physik und Metaphysik und zwischen Natur und Religion dar,5 wobei sich Alchemie und christlicher Glaube keinesfalls ausschlossen, war man doch der Ansicht, die alchemistische Wissenschaft und mit ihr die Rezepte für lebensverlängernde Geheimmittel seien durch die biblische Sintflut verlorengegangen. Auch Casanovas Kenntnisse beruhten insbesondere auf magischen und alchemistischen Traktaten der Frühen Neuzeit, die im 18. Jahrhundert durch die neue medizintheoretische Richtung der Iatrochemie 1 2 3 4

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Gemeint ist De occulta Philosophia. Vgl. hierzu K. Nowotny (Hrsg.), Henricus Cornelius Agrippa ab Nettesheym, De occulta Philosophia, Graz 1967. Fragment sur Casanova, 44. Essai de critique, § 12. Essai de critique, § 12: La pierre philosophale, qui n’est pas pierre, doit changer en or tous les metaux, conserver la santé, et l’humide radical dans un si parfait equilibre, que celui qui en fait usage doit vivre plusieurs siècles sans être sujet non seulement aux maladies, mais pas même a aucun detriment causé par la vieillesse. Das humide radical bezeichnet hier das männliche Sperma. E. Straub, Giacomo Casanova als Wissenschaftler. Zu seinem Essai de critique sur les mœurs, sur les sciences, et sur les arts (1794), in: M. Kunze (Hrsg.), Die Casanovas, 41–50, bes. 45.

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wiederentdeckt und zunehmend populär geworden waren.6 Selbst gewissenhafte Wissenschaftler wie der Leidener Arzt Herman Boerhaave oder der Schweizer Universalgelehrte Albrecht von Haller hatten diese alchemistischen Werke intensiv studiert. Als sich auch der junge Johann Wolfgang Goethe während seiner Studienzeit mit Alchemie beschäftigte, stieß er so auf die geheimnisumwitterte Legende um den Renaissance-Alchemisten Johann Georg Faust (1486–1540), der zum Vorbild des Doctor Faustus in der gleichnamigen 1808 veröffentlichten Tragödie werden sollte. Casanova hatte, wie sich insbesondere auch aus seiner gelehrten Korrespondenz erkennen lässt, einen Großteil der alchemistischen Literatur gelesen und kannte daher die umfangreichen Schriften bekannter Renaissance-Gelehrter wie jene des flämischen Universalgelehrten Johann Baptista van Helmont (1579–1644), oder des Paracelsus (1493/94–1541),7 nach dessen „Drei-Prinzipien-Lehre“ es im menschlichen Körper drei Stoffe gab, das brennbare „Sulfur“, das flüchtige „Mercurius“ und das feuerbeständige „Sal“.8 Großes Interesse bestand im 18. Jahrhundert auch an der magia diabolica, zu der die salomonische Zauberliteratur zählt, darunter der Schlüssel Salomons (Clavicula Salomonis),9 auch bekannt unter der Bezeichnung Kabbala (aus hebr. qbl „Überlieferung“). Es handelte sich dabei um ein anonymes jüdisches Werk, in dem die Macht über die Elementargeister und die Vertreter der Hölle gelehrt wurde.10 Die ursprüngliche Version wurde in hebräischer Sprache gedruckt, die lateinische unter dem Titel Clavicula Salomonis, da im Mittelalter der weise König Salomon als erster Nekromant galt. Auch die dort geschilderten magischen Zeremonien waren letztendlich mit dem Christentum zu vereinbaren, kam doch die Macht des Theurgen von Gott selbst.11 Die Geister wurden dabei immer im Namen Gottes angerufen und alle neutestamentlichen Elemente ausgespart. Fasten, rituelles Baden des Theurgen und seiner Gefährten sowie die korrekte Kleidung und der richtige Ort der auszuführenden Experimente mussten sorgsam beachtet werden. Im Frühhumanismus wurde die Kabbala mehrfach rezipiert, darunter insbesondere von dem flo6

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H.-W. Schütt, Auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Die Geschichte der Alchemie, München 2000. Eine Übersicht über die alchemistische Literatur bietet V. Brüning, Bibliographie der alchemistischen Literatur, München 2004–2006. U. Benzenhöfer (Hrsg.), Paracelsus, Darmstadt 1993. Als Verursacher von Krankheiten galten dabei salzartige Ablagerungen (tartarus). Der Arzt fungierte in der paracelsischen Medizin als Magier, Alchemist und Astrologe, da Krankheit nach Ansicht des Paracelsus auf einem gestörten Verhältnis zum Makrokosmos beruhe. Viele Therapeutika waren daher Sympathiemittel. Vgl. auch Ch. Meinel, Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftslehre, Wiesbaden 1986; W.-D. Müller-Jahnke, Astrologisch-magische Theorie und Praxis in der Heilkunde der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1985. H. Birkhan, Magie im Mittelalter, München 2010, 83 ff., auch S. Bachter, Anleitung zum Aberglauben. Zauberbücher und die Verbreitung magischen „Wissens“ seit dem 18. Jahrhundert, Hamburg 2005. G. Sholem, Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Frankfurt a. M. 1973; G. Papus, Die Kabbala, Wiesbaden 1989. H. Birkhan, Magie, 88.

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rentinischen Humanisten Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) in den Conclusiones philosophicae, kabbalisticae et theologicae sive theses CM (1496) und der Oratio de hominis dignitate (1496 posthum erschienen). Eines der bevorzugten Themen des Kabbalisten bestand in der Möglichkeit, Zahlen durch Buchstaben darzustellen und umgekehrt. Da die zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabets sowohl Buchstaben als auch Zahlen ausdrücken, war es möglich, zwei verschiedene Arcana (Geheimnisse) in Pyramidenform anzuordnen: Das große Arcanum aus zweiundzwanzig Buchstaben und das kleine Arcanum bestehend aus den Zahlen eins bis neun. Jene Arcana waren aus dem Orient zu den mittelalterlichen Magiern und Alchemisten gelangt und von den Rosenkreuzern übernommen worden, darunter von Agrippa von Nettesheim (1486–1535), der sich in seinem bereits erwähnten Werk De occulta philosophia sive De magia libri tres (handschriftlich 1510; Erstdruck 1533) mit der „natürlichen Magie“ (magia naturalis)12 als Inbegriff aller positiven Wissenschaften auseinandersetzte. Auch Casanova arbeitete bei kabbalistischen Zeremonien mit einer Zahlenpyramide, der er die Antworten auf die gestellten Fragen entnahm. Ansätze bezüglich seiner eigenen Vorgehensweise verriet er 1793 in einem Brief an Eva Frank (1754–1816), die Adoptivtochter von Jacob Frank (1726–1791), dem Oberhaupt der Sekte der Sabbatäer.13 Daraus geht hervor, dass sich Casanovas Pyramide aus einundzwanzig Zahlen zusammensetzte, wobei die dem Orakel gestellte Frage exakt die gleiche Anzahl von Buchstaben enthalten musste. In der Antwort wurde jedem Buchstaben ein Zahlenwert zugeordnet, der seinem Platz im Alphabet entsprach.14 Mit der echten Kabbala hatte dieses Vorgehen allerdings nur wenig zu tun, vielmehr sind erstaunliche Ähnlichkeiten mit einer von Grillot de Givry in der Bibliothèque de l’Arsenal (Paris) entdeckten Schrift De la Caballe intellective. Art Majeur. festzustellen.15 In diesem Buch werden vergleichbare Pyramiden gezeigt, die ein erstaunliches Zahlengeschick erfordern und mit deren Hilfe alle Fragen mittels eines Verses im Hexameter beantwortet werden sollen ([…] qui répond à toutes les demandes faites en quelque langue ou jargon que ce soit par un vers hexamètre et répond fort à propos). Casanovas lebenslanges Interesse am Transzendenten mag nicht zuletzt darauf beruhen, dass eine magische Handlung seine Existenz als denkendes Wesen begründete, die Vater und Mutter wegen seines schlechten Gesundheitszustandes bereits vollständig aufgegeben hatten: Jedermann bedauerte und mied mich zugleich; man glaubte, ich würde nicht lange leben. Mein Vater und meine Mutter sprachen nie mit mir.16 Die Großmutter Marzia brachte das an ständigem 12 13

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H. Birkhan, Magie, 52–53. Der „natürlichen Magie“ lagen Experimente zugrunde, die oft mit Salomons Namen verbunden waren. Marr 9–25 (C. Curiel et al. (Hrsg.), Patrizi e avventurieri, dame e ballerine, 414); P. Maciejko, Sabbatian Charlatans: The First Jewish Cosmopolitans, European Review of History – Revue européenne d’histoire 17/3, June 2010, 361–378. Marr 9–25. HdmV 2, 1171–1177. GmL 1, 83.

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Nasenbluten17 leidende Kind deshalb nach Murano zu einer Zauberin: Nach Verlassen der Gondel gingen wir in eine elende Hütte; dort saß eine alte Frau auf einem zerlumpten Bett und hielt eine schwarze Katze auf dem Arm, während fünf oder sechs Katzen um sie herumsprangen. Sie war eine Hexe.18 Nachdem die beiden Frauen ein Gespräch in friaulischem Dialekt geführt hatten, erhielt die Zauberin einen Silberdukaten als Lohn19 und es folgte eine magische Zeremonie: Dann öffnete sie eine Truhe, hob mich auf, setzte mich hinein und schloss sie mit den Worten, ich solle keine Angst haben. Gerade damit hätte sie mir Furcht eingejagt, wenn ich etwas klarer im Kopf gewesen wäre; aber ich war ganz benommen. Ich verhielt mich ruhig und drückte mein Schnupftuch an die Nase, weil ich blutete, ganz unberührt von dem Lärm, den ich von draußen vernahm. Ich hörte abwechselnd Lachen und Weinen, dann Schreien, Singen und Schläge auf der Truhe. Mir war das alles gleichgültig. Endlich holte man mich heraus; das Bluten hörte auf. Da überhäufte mich das sonderbare Weib mit tausend Zärtlichkeiten, kleidete mich aus, legte mich auf das Bett, verbrannte allerlei Räucherwerk, fing den Rauch in einem Tuch auf, wickelte mich darin ein, murmelte einige Zaubersprüche, wickelte mich dann wieder aus und gab mir fünf sehr wohlschmeckende Stück Konfekt. Gleich darauf rieb sie mir die Schläfen und den Nacken mit einer Salbe ein, die einen köstlichen Duft ausströmte, und zog mich wieder an.20 Aus Angst vor der Inquisition wurde der junge Casanova nach der Zeremonie angewiesen, keinem Menschen auch nur das geringste Detail zu erzählen. Für die kommende Nacht kündigte die „Hexe“ noch ein besonderes Ereignis an: das Erscheinen einer lieblichen Dame. Und tatsächlich, noch in der gleichen Nacht erschien dem jungen Casanova eine wunderschöne Dame im Reifrock, in prächtige Stoffe gehüllt und mit einer juwelenbesetzten Krone auf dem Haupt,21 aus der Funken zu sprühen schienen. Die Erscheinung näherte sich dem Bett, zog einige kleine Kästchen aus einer Tasche, die sie über seinem Kopfe entleerte, murmelte magische Sprüche, küsste das Kind und verschwand schließlich durch den Kamin. Nach Casanovas Verständnis bildete dieses Ereignis eine Art Initiationsritus. Zwar kehrte das Nasenbluten zuweilen zurück, jedoch viel seltener als früher. Viel wichtiger war ihm, dass sich seit diesem Ritual sein Gedächtnis stetig entwickelte und er binnen weniger als einem Monat lesen lernte. An dieser Stelle der Histoire de ma vie schob der Autor eine kurze Reflexion über die tatsächliche Wirkung dieser magischen Handlung ein: Es wäre lächerlich, meine Heilung jenen beiden Narreteien zuzuschreiben; doch wäre es auch Unrecht zu behaupten, sie könnten nicht dazu beigetragen haben. […] Doch die Heilmittel gegen besonders schwere Krankheiten findet man nicht immer in Apotheken. Täglich beweist uns irgendein Phänomen unsere Unwissenheit. Ich 17

Vgl. zur Behandlung von Nasenbluten auch die zahlreichen volkstümlichen Therapien in H. Bächtold-Stäubli (Hrsg.), Handbuch des deutschen Aberglaubens, 3Berlin 2000, s. v. a.„Nasenbluten“. 18 GmL 1, 81. 19 8 venezianische Lire (1 Écu). Dies entspricht etwa einer zeitgenössischen Kaufkraft von 60 Euro. 20 GmL 1, 82. 21 Eine Allusion an eine Marienstatue?

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glaube, dass deshalb auch nichts so selten ist wie ein Gelehrter, dessen Geist völlig frei von Aberglauben wäre. Es hat nie auf Erden wirkliche Zauberer gegeben; aber ihre Macht hat zu allen Zeiten durch jene bestanden, denen sie geschickt einzureden vermochten, sie seien tatsächlich Zauberer.22 Und doch: Wählte Casanova den Zeitpunkt seines Ausbruchs aus den Piombi nicht, indem er blind den Orlando furioso aufschlug: Tra il fin d’ottobre e il capo di novembre? Bereits in jungen Jahren besaß Casanova beeindruckende Kenntnisse in (Al)Chemie und war mit komplizierten magischen Praktiken vertraut. Dank seiner Chemiekenntnisse verkaufte er bereits als Achtzehnjähriger einem griechischen Händler eine Formel, mittels derer man Quecksilber durch die Zugabe von Blei und Wismut strecken konnte und reiste so mit wohlgefüllter Börse ab.23 Eindrucksvoll ist auch der Bericht über eine, wenn auch phantasievolle,24 magische Zeremonie, die der junge Venezianer 1749 in der Gegend von Cesena durchführte.25 Casanova hatte die Bekanntschaft eines Mannes gemacht, der im Besitz eines Messers war, mit dem der heilige Petrus angeblich das Ohr des Malchus26 auf dem Ölberg abgeschnitten hatte. Dieses erstaunliche Artefakt war Teil des reichhaltigen Naturalienkabinetts seines Vaters Antonio di Capitani. Für eine Entlohnung von tausend Zechinen27 erklärte sich Casanova bereit, die fehlende Scheide des Messers zu beschaffen, da erst so das Aufspüren verborgener Schätze gewährleistet werden könnte, auf deren Existenz laut Aussage des Besitzers bereits seltsame übernatürliche Phänomene verweisen würden. Diese würden sich sowohl in Gestalt geheimnisvoller Schatten im Hof des Gehöftes der Familie Francia manifestieren als auch in Form von Türen, die sich von selbst schlossen. Während Casanova den sich im Hof sammelnden Nebel noch als Ansammlung feuchter Luft und die in der Ebene von Cesena auftauchenden Feuer als charakteristische Phänomene bestimmter Regionen zu deuten vermochte, fand er keine natürliche Erklärung für das selbstständige Öffnen und Schließen der Türen.28 Sowohl aus der Anekdote mit der Zauberin von Murano als auch aus der Beschreibung der seltsamen Naturphänomene bei Cesena geht somit hervor, dass Casanova erst dann das Wirken magischer Kräfte erwägte, wenn er keine einleuchtende physikalische Erklärung finden konnte. Er beschloss jedoch zum 22 GmL 1, 83. 23 HdmV 1, 159. 24 Es bestehen lediglich rudimentäre Anlehnungen an vergleichbare Zeremonien in den Clavicula Salomonis. 25 Von M. Balestra konnte der Ort mittlerweile genau lokalisiert werden, vgl. Giacomo Casanova a Cesena, Intermédiaire des Casanovistes 27, 2010, 13–19. 26 Der Diener des jüdischen Hohepriesters ( Johannes, XVIII : 10). 27 Dies entspricht ca. 3 ½ Kilo Gold. 28 HdmV 1, 462: Ce ne pouvait être que des masses d’air humide et épais; et pour ce qui regarde les pyramides de flammes que je voyais planer par la campagne, c’était un phénomène que je connaissais. Je leur ai laissé croire que c’étaient les esprits gardiens du trésor. La campagne dans toute l’Italie méridionale est remplie de feux follets que le peuple prend pour des diables. C’est de là que vient le nom Spirito folletto. Da es in Cesena vulkanische Erde gibt, sind diese Phänomene möglicherweise darauf zurückzuführen.

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eigenen Vorteil, die Bauernfamilie im Glauben zu lassen, es handele sich um die Schutzgeister (esprits gardiens) des geheimnisvollen Schatzes. Nachdem Casanova aus altem Leder die Scheide selbst hergestellt hatte, musste nur auf den richtigen Augenblick gewartet werden, der sich dann am 28. August 1749 ergab, der einzigen Vollmondnacht mit günstiger Sternenkonstellation.29 Auf dem Grundstück30 des Giorgio Francia führte Casanova in dieser Nacht diverse magische Riten durch, die jedoch durch ein plötzlich hereinbrechendes Gewitter unterbrochen werden mussten: Bis dahin musste ich die Rolle des Magiers wohl weiterspielen, in die ich mich völlig vernarrt hatte. Ich ließ Genoveva31 den ganzen Tag daran arbeiten, mir dreißig Papierblätter kreisförmig aneinanderzunähen, auf die ich mit schwarzer Farbe schauerliche Zeichen und Figuren malte. Dieser Kreis, den ich magischen Zirkel32 nannte, hatte drei Schritte im Durchmesser. Aus dem Olivenholz, das Giorgio Francia mir beschafft hatte, machte ich mir eine Art Zepter. […] Dann tat ich meine ganze weltliche Gewandung von mir; ich streifte den großen Umhang über, den nur die reinen Hände der unschuldigen Genoveva berührt hatten, löste meine langen Haare, hängte mir den magischen Zirkel über die Schultern, ergriff mit der einen Hand das Zepter und mit der anderen Hand das Schwert, mit dem der heilige Petrus einst dem Malchus ein Ohr abgehauen hatte. Ich stieg in den Hof hinab, breitete dort meinen Kreis auf dem Boden aus, schritt dreimal um ihn herum und sprang dann hinein.33 Nach dem misslungenen Ritus entschloss sich Casanova, so schnell wie möglich abzureisen, da er befürchtete, irgendwelche Bauern könnten das Gewitter mit seiner Beschwörung in Zusammenhang bringen und ihn bei der Inquisition anzeigen. Ausführlich beschrieb Casanova in der Histoire de ma vie, welchen bleibenden Eindruck seine alchemistischen und kabbalistischen Künste auch auf seine drei Förderer, die venezianischen nobili Bragadin, Dandolo und Barbarigo machten, die ihren Schützling im Besitz des Steins der Weisen und im Kontakt mit Elementargeistern und Engeln glaubten. Sie waren fest von der Macht der Magie überzeugt, die von ihnen als okkulte Physik34 bezeichnet wurde. Seine Kenntnisse setzte Casanova auch geschickt ein, um geeignete Therapeutika für seine „Patienten“ zu finden, die ihn um seinen Rat bei gesundheitlichen Beschwerden baten. Während seines ersten Aufenthalts in Paris (1753) machte Casanova auf Vermittlung von André Louis Hector Drummond Melfort35 die Bekanntschaft von Louise-Henriette de Chartres (1726– 1759), einer geborenen Bourbon-Conti, die 1734 Louis-Philippe, den Herzog von Chartres und späteren Herzog von Orléans, geheiratet hatte. Die Herzo29 HdmV 1, 465: C’était dans la nuit suivante que je devais faire la grande opération, car sans cela il aurait fallu attendre la pleine lune du mois prochain. Vgl. M. Balestra, Giacomo Casanova a Cesena, 15. 30 Zur genauen Lokalisation des Hauses vgl. M. Balestra, Giacomo Casanova a Cesena, 16. 31 Die Tochter von Francia. 32 Ein astronomischer Terminus (cerchio massimo). 33 GmL 3, 31–32. 34 GmL 2, 218. 35 André Louis Hector Drummond Melfort (1722–1788), Oberst des Regiments von Orléans.

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gin wurde von einem unangenehmen Hautleiden geplagt, das für sie eine große seelische Belastung darstellte: Ein schlimmer Fehler, der sie verdross und ihr schönes Gesicht verunzierte, waren Pusteln, die angeblich von der Leber herrührten; sie kamen aber von einer Blutkrankheit, die ihr schließlich den Tod brachte, dem sie bis zum letzten Atemzug trotzte.36 Nach dem Journal (1749) des englischen Lebemannes Augustus Hervey (1724–1779) litt die Herzogin von Chartres tatsächlich an einem unangenehmen Gesichtsausschlag, gegen den sie eine Pomade verwendete, die sie letztendlich aber nur entstellte.37 Mithilfe seines kabbalistischen Orakels sollte der junge Venezianer also ein Heilmittel gegen dieses unangenehme Leiden finden. Aus eigener Erfahrung wusste er genau, dass eine gewaltsame Kur sich nur negativ auf die Gesundheit der Patientin auswirken konnte, weshalb er ihr stattdessen zu einer strengen Diät riet.38 Bereits acht Tage später, in denen die Herzogin die Anweisungen des Orakels genau befolgt hatte, war der Hautausschlag vollständig verschwunden: Sie musste alle Tage Abführmittel nehmen; ich schrieb ihr vor, was sie essen sollte, auch verbot ich ihr alle Pomaden und verordnete ihr, dass sie sich vor dem Schlafengehen und morgens mit Wegerichwasser waschen sollte.39 Kurz nach einem Opernbesuch zeigten sich bei der jungen Frau jedoch erneut kleine Pickel am Kinn. Casanova erriet mithilfe seines Orakels umgehend, dass seine „Patientin“ über die Stränge geschlagen haben musste, worauf sie tatsächlich gestand, die diätetischen Vorschriften umgangen und Schinken und Likör zu sich genommen zu haben. Casanova sollte nun mithilfe seines Orakels ermitteln, warum die Pomade, die ihr vor fünf Jahren der Abbé Marcel de Brosses verschrieben hatte, wirkungslos sei. Das Orakel antwortete, die Pomade wirke nur bei einer Frau, die noch nie geboren habe. Diese Aussage stieß auf großes Erstaunen, war die Herzogin doch vor der Geburt ihres Sohnes durch die Pomade geheilt worden, während nach der Geburt der Hautausschlag unversehens zurückgekehrt war.40 Noch eine weitere Dame des französischen Hochadels sollte auf Casanovas kabbalistische Künste zurückgreifen, um von einem unangenehmen Lei-

36 GmL 3, 246. 37 D. Erskine (Hrsg.), Augustus Hervey’s Journal, London 2003, 91: She was charmingly entertaining and droll, very pretty, tho’ she had then a breaking out in her face, for which she had taken something of a pomatum that very much disfigured her, yet she was very pretty, her only fault was bad teeth. 38 GmL 3, 247. 39 GmL 3, 247. Das an dieser Stelle zitierte Wegerichwasser (eau de plantain) ist ein Auszug aus plantago major, das sich wie der Kollyr im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute (S. Hahnemann, Apothekerlexikon, 160). 40 In Marr 19–10 schreibt Casanova über diese Angelegenheit: […] Mais cette même princesse de Conti n’auroit jamais mis au monde dans l’année 1747 le monstre, si l’abbé des Brosses ne l’eut guerie des boutons qui la defiguroient au point que le Duc de Chartres son mari ne pouvoit pas la voir. Quelle necessité y avoit il que l’abbé des Brosses ignorant charlatan alla porter sa pommade à Madame de Polignac au palais royal pour qu’elle la portat à la princesse que les pustules defiguroient? Les pustules disparurent, son mari la trouva jolie, et elle conçut le monstre: un tel monstre ne pouvoit sortir que de la quintessence d’un sang corrompu dans le quel s’etoit concentré tout le venin qui avant l’application de la maudite pomade inondant la peau de la princesse la rendoit hideuse.

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den befreit zu werden. Mme du Rumain (1725–1781)41 hatte 1763 ihre Stimme verloren und bereits sämtliche Therapeutika des populären Arztes Anton Gabriel Herrenschwand ausprobiert, die alle wirkungslos geblieben waren.42 Casanova vermochte gegen dieses petit mal wiederum mithilfe der Kabbala in kurzer Zeit das richtige Therapeutikum zu finden: eine gute Diät (un bon régime de vie lui remettrait les glottes dans leur état primitif) und einen Sonnenritus. Auch diesmal führte die verordnete Kur zum gewünschten Erfolg, und Casanova war es gelungen, mithilfe des Placeboeffekts eine vollständige Heilung zu erwirken. Die folgende Begegnung sollte für die Zukunft Casanovas jedoch weitreichendere Folgen haben: Als der Comte de la Tour d’Auvergne (geb. 1720) 1757 an einem schmerzhaften Ischiasleiden erkrankt war,43 behauptete Casanova, es handele sich vielmehr um einen feuchten Dampf, den er mithilfe des Talismans des Salomon und fünf magischen Worten vertreiben könne. Der Graf schenkte der vielversprechenden Ankündigung anfangs keinen Glauben, stellte sich jedoch bereitwillig für eine Behandlung zur Verfügung. Casanova kaufte Salpeter (nitre), Schwefelblume (fleur de souffre), Quecksilber (mercure) und eine kleine Pinzette (un petit pinceau). Die letzte Zutat, frischen Urin, musste der Patient selbst liefern. Nachdem alle Zutaten vorhanden waren, widmete sich Casanova der Therapie: Ich bereitete aus all dem eine Mischung und sagte zu Camilla,44 sie müsse ihm mit den Händen den Oberschenkel massieren, während ich eine Beschwörungsformel murmele; aber alles sei umsonst, wenn sie dabei lache. […] Schließlich sagte ich ihnen, es sei genug, tauchte den Pinsel in das Gemisch und malte auf seiner Haut in einem Zug das Zeichen Salomons, einen fünfzackigen Stern aus fünf Strichen. Danach umwickelte ich den Schenkel mit drei Servietten und erklärte ihm, wenn er sich vierundzwanzig Stunden im Bett aufhalten könne, ohne ein einziges Mal den Verband zu öffnen, würde ich mich für seine Heilung verbürgen. Mir machte es Spaß, dass ich sie nicht mehr lachen sah: Sie waren ganz verblüfft.45 Dem einfallsreichen Venezianer, der nie an den Erfolg dieser unterhaltsamen Posse geglaubt hatte, kam auch hier Fortuna zu Hilfe, denn der Patient wurde geheilt und dankte Casanova überschwänglich für seine Genesung, von der er in seinem gesamten Bekanntenkreis euphorisch berichtete. Auch seine Tante, die als Gelehrte in allen abstrakten Wissenschaften, als große Chemikerin und geistvolle Frau bekannt und anerkannt sei, wollte den kenntnisreichen Venezianer nun umgehend kennenlernen. Dabei handelte es sich um die zu diesem Zeitpunkt zweiundfünfzig Jahre alte und äußerst vermögende Marquise d’Urfé (1705–1775), eine geborene Jeanne Camus de Pontcarré, die als große Anhängerin des Irra41 42 43 44 45

Gemeint ist Constance Simone Flore Gabrielle du Rumain, eine geborene Ruault de Gamaches. HdmV 3, 111–113: M. Herenschouand m’a donné tous les remèdes de la pharmacie, et rien ne peut me la faire recouvrer. HdmV 2, 83–85. Es handelt sich um die Komödiantin Giacoma Antonia Veronese, genannt „Camilla“ (1735–1768), Tochter von Carlo „Pantalon“. GmL 5, 132–133.

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tionalen galt und in allen Bereichen der okkulten Wissenschaften bewandert war.46 Das Haus von Mme d’Urfé, ein Anziehungspunkt für Begeisterte der Geheimwissenschaften, stand nun auch Casanova offen. Es befand sich am Quai des Théatins, dem heutigen Quai Voltaire auf der dem Louvre gegenüberliegenden Flusseite. Im Rahmen eines Besuchs begann die belesene Gastgeberin alsbald, mit Casanova über Chemie, Alchemie, Magie und andere Wissensbereiche zu sprechen, wobei sie verlauten ließ, sie selbst sei bereits seit langem mit allen Operationen vertraut, um den Stein der Weisen herzustellen. Der bevorzugte Autor der Marquise war Paracelsus, der ihrer Meinung nach weder Mann noch Frau gewesen sei47 und an einer Überdosis seiner Universalmedizin (Panacea) gestorben sei. In ihrem Stadtpalais verfügte Mme d’Urfé nicht nur über eine ausgezeichnete Bibliothek, deren Bestände nach ihrem Tod teilweise in die Bestände der Bibliothèque Nationale Eingang fanden, sondern auch ein bestens ausgestattetes alchemistisches Laboratorium: Von der Bibliothek gelangten wir in ihr Laboratorium, das mich wirklich in Erstaunen versetzte; sie zeigte mir einen Stoff, den sie bereits seit fünfzehn Jahren auf dem Feuer hielt, und der noch vier oder fünf weitere Jahre darauf bleiben musste. Es war ein Streupulver, das innerhalb einer Minute die Umwandlung jedes Metalls in Gold bewirken sollte. Sie zeigte mir ein Rohr, in dem die Kohle durch ihre eigene Schwere nachrutschte und das Feuer des Ofens gleichmäßig stark hielt, so dass sie oft drei Monate lang ihr Laboratorium nicht betrat, ohne Gefahr zu laufen, das Feuer erloschen zu finden. Ein kleiner Kanal darunter führte die Asche ab. Das Ausglühen von Quecksilber war für sie ein Kinderspiel; sie zeigte mir pulverisiertes und sagte, wenn ich wolle, würde sie mir den Prozess vorführen. Auch zeigte sie mir den Baum der Diana des berühmten Telliamed, dessen Schülerin sie war. Dieser Telliamed war, wie jedermann weiß, der Gelehrte Maillet.48 […] Sie zeigte mir ein Fässchen, gefüllt mit Platin aus dem Rio Pinto, das sie jederzeit nach Belieben in reines Gold verwandeln könne. Monsieur Wood49 in eigener Person hatte es ihr 1743 zum Geschenk gemacht. Sie ließ mich das gleiche Platin in vier verschiedenen Gefäßen sehen; in dreien lag es unversehrt in Schwefel-, Salpeter-, und Salzsäure, aber im vierten, das mit Königswasser gefüllt war, hatte das Platin nicht standhalten können. Sie schmolz es mit einem Brennspiegel und erklärte mir, dass man es ohne Zusatz nicht anders schmelzen könne.50 Als Mme d’Urfé merkte, dass Casanova ebenfalls ein ausgezeichneter Kenner der Materie und somit ein Seelenverwandter war, war es um ihren Verstand geschehen. Als ich sie verließ, so vertraut Casanova dem Leser der Histoire de ma vie an, entführte ich ihre Seele, ihr

46 A. Compigny des Bordes, Casanova et la marquise d’Urfé: la plus curieuse aventure galante du XVIII siècle: d’après les mémoires et des documents d’archives inédits: 1757–1763, Paris 1922. 47 Vgl. zur Bedeutung des Hermaphroditen in der Alchemie, A. Aurnhammer, Zum Hermaphroditen in der Sinnbildkunst der Alchemisten, in: Ch. Meinel (Hrsg.), Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, Wiesbaden 1986, 179–200. 48 Gemeint ist Benoît de Maillet (1656–1738). Der Telliamed entstand zwischen 1722–1732 und erschien posthum 1748. 49 Gemeint ist Charles Wood (1702–1774), der als Erster Experimente mit Platin durchführte. 50 GmL, 136–137.

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Herz, ihren Geist und alles, was ihr an gesundem Menschenverstand geblieben war.51 Von ihren Zuwendungen wird Casanova Jahre leben, jedoch nicht ohne dabei ernsthafte Gewissensbisse zu empfinden.52 Da Mme d’Urfé unbedingt als Mann wiedergeboren werden wollte, um auf diese Weise in den Kontakt mit den Elementargeistern treten zu können, sollte Casanova mithilfe magischer Handlungen ihre Seele in den Körper eines neugeborenen Jungen übertragen. Nach diversen misslungenen Versuchen sollte die Zeremonie schließlich als Kult der Mondgöttin Selene begonnen und vollendet werden, wenn sich Sonne, Venus und Merkur in einer bestimmten Konstellation befanden. Als Höhepunkt sollte die Marquise von Casanova dann einen Sohn empfangen, in dessen Gestalt sie schließlich wiedergeboren werden sollte. Der magische Rahmen dieser Prozedur bestand aus einem Bad in „Zauberwasser“, dem Entzünden von Wacholderbranntwein in einer Amphore und dem Rezitieren kabbalistischer Orakelsprüche. Dass Casanova 1763 letztendlich das Vertrauen seiner großzügigen Gönnerin verlor, war vermutlich auf den wachsenden Einfluss des Abenteurers und Scharlatans Giacomo Passano (gest. 1772) zurückzuführen.53 Im Hause d’Urfé machte Casanova auch die Begegnung des geheimnisvollen Grafen von Saint-Germain (gest. 1784), der zu jenen Figuren des 18. Jahrhunderts gehörte, die als aventurier in die Geschichte eingehen sollten,54 und der mit Casanova um die Gunst der Marquise konkurrierte. Die wahre Identität dieses Mannes, der behauptete, bereits seit mehreren Jahrhunderten auf der Erde zu weilen, liegt noch immer im Dunkeln.55 1743 soll Saint-Germain das erste Mal als Begleiter des Marschalls von Belle-Isle (1684–1761) in Paris aufgetaucht sein, der diesen, fasziniert von seinem Talent als Heiler, von einem seiner Feldzüge während des Österreichischen Erbfolgekriegs (1740– 1748) mitgebracht hatte. 1745 und 1746 weilte Saint-Germain in England und 1746 erneut in Paris, wo er – wiederum dank seiner alchemistischen Talente – zum Vertrauten König Ludwigs XV. (1710–1774) wurde. Zu einem Zusammentreffen von Saint-Germain und Casanova kam es erstmals 1757,56 wobei dieser einzigartige Mann auf den Venezianer einen erstaunlichen Eindruck machte (étonnant malgré moi, car il m’a étonné). 1764 trafen sich die beiden Männer er51 GmL 5, 146. 52 HdmV 2, 86 ff.: Je me suis rendu ce jour-là l’arbitre de son âme, et j’ai abusé de mon pouvoir. Toutes les fois que je m’en souviens, je m’en sens affligé et honteux, et j’en fais la pénitence actuellement dans l’obligation où je me suis mis de dire la vérité écrivant mes Memoires. 53 Er nannte sich auch „Asciano Pogomas“ und „Cosimo Aspagona“. Passano stammte ursprünglich aus Genua und war Miniaturmaler, Komödiant und Theaterdirektor. 54 G. Volz, Der Graf von Saint-Germain. Das Leben eines Alchemisten. Nach größtenteils unveröffentlichten Urkunden, Dresden 1923; A. Stroev, Les aventuriers des Lumières, Paris 1997. 55 Möglicherweise wurde er 1706 als illegitimer Sohn von Maria Anna von Pfalz-Neuburg (1667–1740), der Frau Karls II. von Spanien (1661–1700) und eines portugiesischen Juden, geboren. Saint-Germain starb am 27. Februar 1784 in Eckernförde. Bemerkungen über Saint-Germain finden sich in zahlreichen zeitgenössischen Quellen, darunter auch den Memoiren von Madame du Hausset, der Kammerfrau der Marquise de Pompadour. 56 HdmV 2, 95.

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neut in Tournai: Saint-Germain sollte mit Unterstützung von Philipp Joseph von Cobenzl (1741–1810) eine Färberei einrichten und Casanova besuchte ihn unter einem Vorwand in seinem alchemistischen Laboratorium. Casanova ließ sich bei dieser Gelegenheit von Saint-Germain Pastillen gegen eine unangenehme Geschlechtskrankheit verschreiben57 und wurde dabei Zeuge, wie der Alchemist eine Kupfermünze in Gold verwandelte.58 Während im 18. Jahrhundert die Alchemie bevorzugt als eine Wissenschaft Eingeweihter praktiziert wurde, spielte der Geister- und Dämonenglaube im Volk noch lange eine wichtige Rolle. 1737 wurde Casanova im Alter von zwölf Jahren erstmals Zeuge eines Exorzismus,59 da man die Tochter seines Lehrers in Padua,60 die mit schrecklichen Krämpfen im Bett lag, für geisteskrank hielt: Nur notdürftig bekleidet warf sie sich bald nach rechts und bald nach links, wobei sie sich krümmte und Fußtritte und Faustschläge austeilte. Als erste wurden der Arzt Jacobo Olivo (1708–1789) und eine Hebamme gerufen. Letztere war der Ansicht, dass es sich lediglich um Hysterie handele, die durch den Uterus ausgelöst werde, wohingegen der Arzt Ruhe und kalte Bäder verordnete.61 Casanova selbst war insgeheim über die Ansichten beider belustigt, wusste er doch genau, dass die Krankheit des Mädchens nur auf die „Anstrengungen“ ihrer Liebesnächte mit dem Schüler Candiani zurückzuführen waren. Die Mutter Bettinas glaubte dagegen fest an eine Behexung durch die alte Dienerin des Hauses, da diese vor den zwei gekreuzten Besen (Andreas-Kreuz), mit denen sie die Tür ihres Zimmers verbarrikadiert habe, zurückgewichen sei und eine andere Tür benutzt habe. Zeuge eines Exorzismus zu werden, erweckte trotz aller Zweifel Casanovas Neugier. Als erster versuchte Antonio Gozzi selbst im priesterlichen Ornat durch Bannflüche, den Teufel aus dem Leib seiner Schwester zu vertreiben. Auch der anwesende Arzt Jacobo Olivo konnte dem Exorzismus nichts abgewinnen, reiche sein Glaube doch nur für die Wunder des Evangeliums. Als das Mädchen am folgenden Tag in ein Delirium fiel und lateinische und griechische Worte murmelte, wurde der bekannteste Teufelsbeschwörer Paduas gerufen, ein Kapuziner namens Prospero da Bovolenta. Bei seinem Anblick brach die „Besessene“ in schallendes Lachen aus, worauf der Kapuziner begann, den Körper des Mädchens mit einem Kruzifix zu schlagen, um den Teufel auf diese Weise auszutreiben. Er rezitierte dabei eine Teufelsbeschwörung und forderte den bösen Geist auf, seinen Namen preiszugeben. Bettina antwortete dem überraschten Kapuziner, sie werde erst aus diesem Körper ausfahren, wenn er sich den Bart um die Hälfte stutze. Nachdem Bettina dem Kapuziner ein Glas 57 HdmV 3, 324–326. 58 HdmV 3, 326. Gemeint ist wahrscheinlich das von Saint-Germain entdeckte Similor, das auch als Carlsgold bzw. Neu-Platinum bezeichnet wurde. 59 Vgl. zur Geschichte des Exorzismus E. Brambilla, Corpi invasi e viaggi dell’anima: santità, possessione, esorcismo dalla teologia barocca alla medicina illuminista, Roma 2010; H. C. Erick Midelfort, Exorcism and Enlightenment: Johann Joseph Gassner and the Demons of Eighteenth Century Germany, Yale 2005. 60 HdmV 1, 35–49. 61 GmL 1, 108.

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schwarzen Saft an den Kopf geworfen hatte, verließ auch dieser empört das Haus und legte seine Aufgabe in die Hände eines anderen Exorzisten. Schließlich wurde der Dominikaner Lorenzo Manzia zu Rate gezogen, der für seine raschen Erfolge hinsichtlich Teufelsaustreibungen bei jungen Frauen bekannt war. Dabei handelte es sich um einen jungen Mann von beeindruckender Gestalt und einem bescheidenen und gemessenen Auftreten. Mit Hilfe eines Weihwedels besprengte Manzia das Mädchen mit Weihwasser, zog seine Rituale sowie seine Stola hervor und legte der Kranken eine Reliquie auf die Brust. Eine halbe Stunde verging mit Gebeten und der Bitte an Gott, doch zu offenbaren, ob das Mädchen besessen sei oder an einer natürlichen Krankheit leide. Am nächsten Tag wurde die Prozedur fortgesetzt. Um die Mittagszeit verabschiedete sich auch Pater Manzia, indem er Hoffnung auf baldige Heilung verkündigte und nochmals betonte, dass es sich nicht um Besessenheit handeln müsste. Dieses Erlebnis hinterließ bei Casanova weitaus stärkere Spuren, als er in der Histoire de ma vie glauben lassen möchte, in der er sich als interessierter und kritischer Beobachter präsentierte, der trotz seines jugendlichen Alters die wahre Ursache der Erkrankung zu kennen glaubte. In der Confutazione, in der sich Casanova ebenfalls ausführlich mit Exorzismus beschäftigte,62 ging er nochmals auf dieses Erlebnis ein63 und vermerkte, er habe seinen Verdacht nicht äußern wollen, da er möglicherweise für einen Atheisten gehalten worden wäre.64 Bettinas Fähigkeiten seien nämlich keineswegs außergewöhnlich, handele es sich doch um allgemein bekannte hebräische, griechische und lateinische Worte.65 Auch habe er „Besessenheit“ insbesondere bei jungen Mädchen mit einer kräftigen Konstitution gesehen.66 62 Confutazione II, 130–131: So la facoltà dell’imposizione delle mani, so che quest’autorità è data a tutti i sacri ministri, ma so che il ministro per riuscire in tal difficilissimo mestiere debb’essere d’una fede sì pura, e sì difficile da esserne munito, che nulla mi meraviglio, che i buoni esorcisti sieno tanto rari, e che perciò nel Levante, dove sono numerosissimi, sieno a grandissima ragione sprezzati, perché ricavano dagl’ indemoniati denaro, e devo non credere, che li liberino, essendo tutti Greci scismatici. 63 Confutazione II, 147–164: Nell’anno 1737. Elisabetta Gozzi a Padova giovane d’anni 15. Fu comunemente riputata stregata, e l’effetto delle stregherie, che furono poi trovate ne’ suoi materassi, e ne’ guanciali del suo letto, fu di farla diventare indiavolata e tale fu dichiarata da tutt’ i Padovani esorcisti di profesione, e dilettanti, ed io mi trovai presente a tutti gli scongiuri, che durarono circa sei mesi. […] Il dottore D. Bastiano Zanetti giovane sacerdote, che amava onestamente Lisbetta, e che aveva piacere a discorrere, interrogò un dì il P. Mancia sulla di lei malattia, e gli domandò con modestia, se non potesse forse essere naturale. L’esorcista rispose, che non poteva più rivocarsi in dubbio l’indemoniamento, poiché aveva già veduto in Lisbetta non uno, ma tutti trè i segni, che il rituale indica ad osservarli per istabilire la positiva realtà del fatro. Questi sono, predizione di cose future, intelligenza di lingue non imparate, e forze straordinarie. In der Tat beobachtete auch der junge Casanova an Bettina die drei Zeichen von denen der Exorzist gesprochen hatte (Confutazione II, 153). 64 Confutazione II, 153: e sarei sul fatto stato spacciato per ateo. 65 Confutazione II, 145–164: Che quelle parole greche, ebraiche, latine non provavano intelligenza di quelle lingue, perché erano parole note a tutti, e che quel serrar delle braccia, e de’ denti poteva essere naturale. 66 Confutazione II, 164: Solo notai nel fatto di Lisabetta una grande di lei inclinazione agli uomini, quando i demonj la tormentavano, e more lubriche, ed indecenti contorsioni, quando i spiriti le an-

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Exorzismus war jedoch nicht nur am Krankenbett noch weitverbreitet,67 sondern auch in der traditionellen Seefahrt. Einige Jahre später befand sich Casanova – mittlerweile in der venezianischen Armee – auf einem Schiff in der Nähe von Curzola, als ein heftiger Sturm aufkam. Das Schiff wurde von einem Kaplan begleitet, der auf dem Oberdeck stehend versuchte, die Teufel zu bannen, die er in den Wolken zu sehen glaubte. Als die Matrosen alle in einer solchen Situation entscheidenden Maßnahmen vernachlässigten um Schiffbruch zu vermeiden, versicherte Casanova, es gäbe gar keine Teufel. Der Kaplan beschimpfte ihn darauf als Atheisten und überzeugte die Mannschaft, der Sturm werde sich nicht bessern, solange Casanova an Bord sei. Ein übereifriger Matrose versetzte ihm daraufhin mit einem Tampen einen kräftigen Schlag, der den Wagemutigen unversehens in das stürmende Meer hätte stürzen lassen müssen. Glücklicherweise verfing sich ein Anker in seinem Gewand, und Casanova war dem sicheren Tod entgangen. Nachdem der Kapitän den Priester zur Rede gestellt hatte, forderte dieser, der Venezianer solle ihm umgehend ein Papier aushändigen, das er für einen Scudo in Malamocco gekauft habe. Dabei handelte es sich aber lediglich um einen Liebeszauber, den Casanova zum Spaß erworben hatte: In ganz Italien und im alten wie im neuen Griechenland gibt es Griechen, Juden und Astrologen, die den Leichtgläubigen Papiere mit wunderbaren Kräften verkaufen, auch Amulette, um sich unverwundbar zu machen, und Beutel mit Drogen, die angeblich das enthalten, was sie geistige Substanz nennen. Solche Waren sind in Deutschland, Frankreich, England und im ganzen Norden wertlos; dafür verfällt man in diesen Ländern einer anderen und viel weitreichenderen Betrügerei. Man arbeitet an dem Stein der Weisen und wird dessen niemals müde.68 Der Priester entfachte umgehend ein Kohlebecken, verbrannte das unselige Dokument im Verlauf einer halben Stunde, wobei er sich wand und krümmte und der Mannschaft schließlich versicherte, die Teufel seien auf diese Weise gebannt. Welch großen Einfluss die Magie noch im sakralen Bereich hatte,69 zeigt auch folgende Anekdote: Im Zusammenhang mit der Streitigkeit um seinen Diener La Valeur war Casanova auf eine Halbinsel bei Korfu geflüchtet, auf der der dort ansässige Pope Deldimopulos drohte, eine Verwünschung gegen Casanova zu richten, die mit Hilfe des Heiligen Sakraments ausgesprochen wurde und daher besonders wirkungsvoll sein sollte. Die Androhung eines todbringenden Fiebers beeindruckte den Venezianer jedoch nicht im Geringsten, und er schenkte der (letztendlich nicht eintretenden) Verwünschung auch keine weitere Beachtung.

davano alla gola, e che il suo corpo tutto in convulsioni s’inarcava; […] ma non mi riscordo d’aver veduti in Italia, che ben di raro uomini attempati, o vecchie donne fra gli energumenti, e notai, che sono quasi tutti giovani, ragazze nubili, e di temperamento robusto. 67 R. Jütte, Geschichte der alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute, München 1996, 78–90. 68 GmL 2, 76. 69 Vgl. zu diesem Thema auch K. Thomas, Religion and the Decline of Magic: Studies in Popular Beliefs in Sixteenth and Seventeenth Century England, Oxford 1971, 435 ff.

9 Zwei Patientinnengeschichten: Giacomo Casanova als Zeitzeuge 9.1 Die Krankengeschichte der Elisabetta Piovene Auch nachdem Casanova Venedig 1782 endgültig hatte verlassen müssen, wurden in den Briefen seiner Freunde weiterhin medizinische Belange angesprochen. Einen hervorragenden Ruf genoss zu dieser Zeit in Venedig der Arzt Francesco Pajola (1741 – nach 1816),1 ab 1767 Professor für Chirurgie in Wien, über dessen herausragende chirurgische Fertigkeiten beim Entfernen einer Bleikugel aus dem Schenkel eines Patienten Pietro Zaguri am 10. Dezember 1784 berichtete:2 Der Mann war hier nur dadurch bekannt, dass er sich aus dem Schenkel zwei Bleikugeln herausnehmen ließ, die ihm von ich weiß nicht welcher Streiterei, Schlacht oder Schießerei, wie er sagte, in Amerika verblieben waren; er zuckte bei der Prozedur nicht einmal, und dabei operierte Pajola recht lange und wunderte sich außerordentlich, als er ihn so gleichmütig aufrecht an einen Kamin angelehnt stehen sah.3 Francesco Pajola galt auch als einer der erfolgreichsten Chirurgen bei der Entfernung von Blasensteinen (Lithothomie) und wurde von Patienten aus ganz Europa konsultiert. Ein näherer Blick in das elenco dei priori del collegio medico-chirurgico4 bestätigt ebenfalls den Einfluss Pajolas, der 1779 erstmalig Prior des Kollegiums wurde, dann abgelöst von Francesco Bernardi (1780– 1781), Ludovico Rizzotti (1782–1783) und Nicolao Tessari (1784) von 1785– 1786 wiederum für zwei Jahre zum Prior gewählt wurde, und als Chirurg gut zehn Jahre später noch immer tätig war. Dies zeigt auch ein weiterer Brief Pietro Zaguris vom 12. Mai 1794 an Casanova, in dem berichtet wird, auch der Polizeipräfekt von Triest, Pietro Antonio Pittoni (1730–1807), habe sich von Francesco Pajola operieren lassen.5 Ein weiterer Patient Pajolas war auch der frühere Liebhaber Giustiniana Wynnes, Andrea Memmo (1729–1793), der an einer Gangrän am Fuß litt.6 Kurz zuvor hatte Andrea Memmo bereits einen gewissen Simoni aus Brescia konsultiert, der nicht mit dem System Pajolas

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A. Hirsch, Biographisches Lexikon, Band 4, 477; M. Sachs, Geschichte der operativen Chirurgie, Heidelberg 2003, 198. Marr 3–33 (P. Molmenti, Carteggi Casanoviani, 41). E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 201. N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Dalla scienza medica alla pratica dei corpi, Padova 1993, 183–192, bes. 190. Marr 3–97 (P. Molmenti, Carteggi Casanoviani, 268): Qui abbiamo il Pittoni in casa Donà, a cui fo visite frequenti, e che si è fatto far l’operazione della fistola lagrimale dal Pajola, e ne è quasi guarito. Marr 3–78 (P. Molmenti, Carteggi Casanoviani, 202): Il memo po, che d’una cangrena al piede destro si giudicava morto, e morto p mezzo ai dolori, e alle ambascie, par che dia novelle speranze dopo la venuta di certo Simoni di Brescia, che tutto col fatto distruggendo il sistema del Pajola con scarnificazione del corpo morto, senza però amputazione, par che promossa la par che abbia promossa la supporazione unica speranza in tali casi. Zur Krankengeschichte Andrea Memmos auch A. di Robilant, Maskenspiele. Eine venezianische Affäre, München 2003, 353–355.

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sympathisierte.7 Alle Versuche der Ärzte waren jedoch vergebens – Andrea war zunehmend an die Räume des Ca’ Memmo gefesselt und litt an fürchterlichen Schmerzen. Sein Freund und Gönner Dominique-Vivant Denon (1747– 1825), Vertrauter Napoléon Bonapartes und späterer Gründer und Leiter des Louvre, berichtete in seinem Tagebuch ausführlich über Andreas Gesundheitszustand: Nachdem man ihm erst einen Zehen amputiert hatte starb Andrea Memmo am 27. Januar 1793.8 Zur Behandlung seiner Frau Elisabetta Piovene (ca.1749–1780) hatte Andrea Memmo in den achtziger Jahren noch einen weiteren Arzt, Giuseppe Perlasca,9 konsultiert. Dieser verfasste nach dem Tod Elisabetta Piovenes um 1780 einen ausführlichen Brief an Andrea Memmo, der als Kopie in der Bibliothek des Museo Correr in Venedig aufbewahrt wird.10 In diesem Brief beschreibt Perlasca ausführlich Elisabettas Krankengeschichte und gewährt damit Einsicht in die medizinische Versorgung, die Ende des 18. Jahrhunderts wohlhabenden Patienten in Venedig zur Verfügung stand. Zu Beginn dieses Rechtfertigungsschreibens nahm Giuseppe Perlasca insbesondere auf Elisabettas körperliche Konstitution Bezug, wobei er erwähnte, dass die Patientin ein gallisches Temperament habe, da sie jeden Morgen Essig auf leeren Magen eingenommen habe um Übergewicht vorzubeugen.11 Dadurch hätten sich bei ihr Schlaflosigkeit, gelblicher Schleim, juckende Stellen am ganzen Körper und gelbe „Verunstaltungen“ gebildet. Ihre Gebärmutter sei ebenfalls stark geschädigt worden, und sie habe starke Fieberanfälle und rasende Kopfschmerzen gehabt.12 Die Patientin habe jedoch trotz Perlascas medizinischen Rates ihr leichtsinniges Verhalten nicht geändert13 und sich eine Pomade ver7 8 9 10 11

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2. Oktober 1792 (Marr 3–78; P. Molmenti, Carteggi Casanoviani, 202). P. Brigliadori / I. Teotochi Marin (Hrsg.), Dominique Vivant Denon. Lettres à Bettine, Arles 1999, 126, 129, 137 und 142. Es handelt sich wahrscheinlich um Giuseppe dall Ced.r Alessandro Perlasca, Venezia 18. Luglio 1786 (ASV, Provveditori di sanità, filza 583). MCV I. C. 166 P.D. 115. Sarò scusato se di più non mi impugno sopra un argomento tanto funesto, e passerò del carico di mia professione a descriverla con semplice storia la malatia della trapassata N. D. S. E.ma Signora Isabella d’anni 31 circa di temperamento bilioso, gracile più di no d’abito di corpo, dopo il vizioso abuso come all’ E. V. ben noto dalla sudetta dell’aceto preso del moto più nelle prime ove della mattina digiuna, e in dose anche auamata per timore d’inpinguarsi, e dopo la dannata dimestichezza per qualche anno degli odori più averi fatta di più in più querula di sua testa, e spurgava dalle nausie di tratto e tratto certo moio giallognolo che da qualche sposi era allontanato. Le vemressie efflorescenze cutanee di macchie pruriginose sparse del tutto il di lei corpo, l’evozione delle gengive, il mal colore de denti, l’alito ingrato, le feride e sedimentose sue urine, il purcolamento del di lei utero d’un liquore vario-colorato, e qualche volta puzzente, lo scarso e languido riccorso delle mensuali sue purghe, l’irrogolarie innapateme et li di lei sonni leggieri, ed inquieti denotavano da qualche tempo la decaduta di lei salute et una discurazione di umori acrimoniosi de abondando di sali acri, e corrosivi costituivano una viva tesi diorbutica. Erano da qualche tempo comparse al di lei collo, espura gli archi delle ciglia, come pure nella fronte certe larghe macchie d’un apanamento giallo oscuro delle quali la N. D. si attravava molto aggitata nello spirito. Poco amante de rime dal prendersi del bocca inclinava piuttosto alli locali. Non fuggiva i saliti e astemia del tutto dall’acqua nelle scarse sue bibite faceva uso continuo o di vino puro o di cipro.

9.1 Die Krankengeschichte der Elisabetta Piovene

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schreiben lassen, die gegen die besagten Hautausschläge helfen sollte.14 Am nächsten Tag führte Giuseppe Perlasca eine weitere Konsultation durch: Er untersuchte die Zunge, die er bedeckt (paniosa) vorfand, und tastete den Unterleib ab, wobei die Patientin starke Schmerzen im Bereich der Leber und des Darms verspürte.15 Schließlich diagnostizierte der Arzt ein spasmisch-rheumatisches Fieber (febbre pasmico (spasmico?)-reumatica con qualche rapporto alla testa) und erwog eine Abführkur (purgazione), verordnete die Einnahme von Zitronensaft (kanna con dartaro solubile […] bibite ascidule con il limone) und Leinsamenöl.16 Doch offenbar richtete sich die Patientin wieder nicht nach den ärztlichen Ratschlägen und nahm ausschließlich Wein zu sich. Am dritten Tag verschrieb Giuseppe Perlasca deshalb Aderlässe an den Füßen und tägliche Klistiere. Doch die Patientin lehnte wiederum alle weiteren Aderlässe vehement ab.17 Perlasca setzte daraufhin alle Mittel in Bewegung, sprach mit einem Vertrauten der Familie, einem gewissen Abate Radichio und sämtlichen Verwandten der Familie Piovene, die ihm jedoch ihre Unterstützung in dieser Angelegenheit verweigerten. Am vierten Tag verordnete der Arzt dann Getränke auf Salzbasis (bibite nitrate), die der Patientin jedoch wiederum nicht zusagten, weshalb Perlasca diese durch Nusswasser (acqua di nocera)18 ersetzte, die das Schwitzen favorisieren sollten.19 In der Zwischenzeit wurde ohne Wissen Perlascas ein weiterer Arzt namens Fantuzzi konsultiert, was Perlasca als Affront gegenüber dem Arzt Beniamino Conegliano betrachtete, der seit Jahren die Familien Memmo und Piovene behandelte.20 Sein Gesprächspartner, ein gewisser Pavuto, war jedoch der Ansicht, es sei jedem freigestellt, den Arzt zu wählen, den er wolle.21 Eine Zusammenkunft mit dem Konkurrenten Fantuzzi wollte der in seiner Ehre gekränkte Perlasca deshalb auf jeden Fall vermeiden,22 doch kam es schließlich doch zu einer Begegnung der beiden Ärzte, wobei Giuseppe Perlasca zu altbewährten Therapien greifen wollte, die

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[…] di pomata odorosa con odori amri ma senza alcun effetto. Le fù ricordato altrimamente certo composto cosmetico di spiriti corrosivi, e amri odori con il quale per quanto si raccolse nel tempo di sua fatale malatia. 15 Esamino la lingua, e la scopro paniosa. Esamino li visceri bassi, e la dama si querela nella compressione di qualche dolore nella regione del fegato, et del mesenterio. 16 Una dose d’giglio di semi di lino, che non purgando di molto, fù incontrato nella stessa giornata con un clistiere oleoso, e purgante il quale corrispose con pieni scarichi corrispondenti. 17 Mi protesta la dama di non voler assolutamente aderire ad una tale operazione, ne a sangue, e mi commanda la di lei madre amorosa di non farle più nemeno parola sopra tale soggetto del non irritarla. 18 Vgl. zum Einsatz von Nusswasser auch das Kräuterbuch von Adam Lonitzer, Kräuterbuch und künstliche Conterfeyungen von Bäumen, Stauden (1703), 85. 19 […] del tenere ben aperto e disposto il sudore tanto desiderabile in simili malatie, come pure più copiose l’orine. 20 Wahrscheinlich handelt es sich um den Arzt Beniamino Conegliano, der in Padua am 4. Dezember 1766 promovierte (ASV, Provveditori di sanità, filza 583). 21 Che ognuno era padrone della sua volontà. 22 Che inteso il suo sentimento uniforme in tutto al mio, e trovandomi impegnato in molte cure d’importanza, credo inutile il trovarsi uniti.

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in „solchen Fällen“ effizient seien: Aderlässe an den Füßen und Schröpfen.23 Fantuzzi dagegen sprach sich für ein fiebersenkendes Mittel (febbrifugo) aus.24 Nach dieser Beratung begab sich Fantuzzi umgehend zur Apotheke am Campo San Fantin,25 um Chinarinde zu erwerben, obwohl noch immer viele traditionelle Ärzte in Venedig der Verwendung dieses Therapeutikums kritisch gegenüberstanden.26 Als sich der Zustand Elisabettas noch immer nicht besserte, kam man einstimmig überein, es nun doch mit traditionellen Therapien zu versuchen. In der Zwischenzeit wurde noch ein weiterer Arzt konsultiert, ein gewisser dalla Bona.27 Darauf kam es zu einer erneuten Zusammenkunft, bei der jeder Arzt seine fachliche Meinung äußerte: Als erster sprach Perlasca, danach Fantuzzi,28 der die Dame bereits in höchster Lebensgefahr sah. Wieder wurden traditionelle Therapeutika eingesetzt, doch trotz aller Bemühungen gelang es den Ärzten nicht, Elisabetta Piovenes Leben zu retten. Anscheinend gab man letztendlich Giuseppe Perlasca die Schuld, als Arzt versagt zu haben, worauf auch ein kleines Schmähgedicht im Anhang der Abschrift verweist, das Elisabetta Piovene in den Mund gelegt wurde. Doch in Anbetracht der Erkrankung, bei der es sich nach Aussage von Chronisten wie dem Abbé Carlo Zilli möglicherweise um die Syphilis gehandelt hatte, wären vermutlich auch andere therapeutische Maßnahmen wirkungslos geblieben.29 Obwohl Giuseppe Perlasca die Symptome der Krankheit hinreichend beschrieben hatte, wurde von seiten der Ärzte eine genaue Diagnose vermieden. Handelte es sich dabei lediglich um nachlässiges Verhalten oder wollten letztere durch ihre Therapien möglicherweise einen gesellschaftlichen Skandal vertuschen? War Elisabetta Piovene vielleicht doch von ihrem Ehemann An23 Propongo di nuovo le mignatte alle vene pedali, e in continuazione del male del non irritare di molto la delicatezza, e mobilità del di lei sistema nervoso. Prescrivo li sinapismi, ed inseguito, e vescicatori e tutto quello di più che potesse l’arte prestaro in simili casi, ed in tale urgenze. 24 Il Fantuzzi riasume, e lusingato de l’insorgenza del male e l’innovazione delle sintomi potessero essere effetti della nuova febbre e de questa essendo conparsa rigore di freddo. Aveva una qualche occulta periodicazione. Aveva anco la calma lodevole nella quale aveva ritrovata la dama nelle prime visite da lui fatte, sospende ogni opreazione al momento: suggerisce al caso di qualche remissione il febbrifugo, e si risserva di giudicar la febbre alle quatro della notte, certo nell’animo suo di un occulto periodo. 25 Möglicherweise handelte es sich um die seit 1650 bezeugte Apotheke mit dem Schild des heiligen Paulus neben dem Ateneo Veneto, vgl. N.-E. Vanzan-Marchini, Venezia, Luoghi di paure e voluttà, Mariano del Friuli 2005, 125–126. 26 Marr 3–34 (Brief Pietro Zaguris): Il figliolino Pesaro di cica sette anni con otto medici martirizzato di sinapismi vescicanti, sanguette, e dieta, guarisce, e si dice opera non equivoca del Dottore Mollinelli mio amico, il quale volle dar china risolutamente, e guari. 27 Im registro dei medici e chirurgi ist nur ein einziger Arzt mit Namen dal Bona, Giovanni Battista VS Girolamo Veronese Pad. 22. Maggio 1786, verzeichnet (ASV, Provveditori di sanità, filza 583). 28 Andrea Ludovico Fantuzzi VS 10 Maggio 1774 (ASV, Provveditori di sanità, filza 583). 29 Die handschriftlichen Memoiren Zillis werden von B. Brunelli, Un’amica del Casanova, Palermo 1923, 260, zitiert: So habe Perlasca die wahre Todesursache den Unmengen an Quecksilber zugeschrieben, die Fantuzzi Elisabetta Piovene verschrieben habe. Dieses Detail wurde jedoch nicht in den Bericht Perlascas aufgenommen, war in Venedig aber gemäß dem Bericht Zillis allgemein bekannt.

9.2 Die Familie Buschini

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drea Memmo angesteckt worden, dessen ausschweifendes Leben nur allzu bekannt war? Interessanterweise muss auch Casanova, selbst wenn er im fernen und unwirtlichen Dux residierte, von diesem Skandal erfahren haben: Bei einem im Staatsarchiv in Prag befindlichen Dokument handelt es sich nämlich um eine exakte Kopie ebenjenes lateinischen Gedichts, das sich im Anhang der Abschrift des Briefes Giuseppe Perlascas befindet.30 9.2 Die Familie Buschini Ärmeren Bevölkerungsschichten war es aus finanziellen Gründen erst gar nicht möglich, mehrere Ärzte mit einem hervorragenden Ruf zu konsultieren. Mit der Krankengeschichte Elisabetta Piovenes, einer adeligen venezianischen Dame, kontrastiert die Krankengeschichte der Familie Buschini, über die wir dank der Briefe von Francesca Buschini (geb. um 1760) an Casanova interessante Details erfahren.31 Francesca Buschini lebte zusammen mit ihrer Mutter, ihrem Bruder Giacomo und der Schwester Maria in der Barbaria delle Tole nahe der Kirche Santi Giovanni e Paolo.32 Drohende Armut, Sorge um das tägliche Brot und ständige Angst, die wenigen Habseligkeiten ins Pfandhaus bringen zu müssen, bestimmen die Thematik ihrer rund dreißig erhaltenen Briefe. Giacomo Casanova scheint durch Vermittlung einer günstigen Heirat versucht zu haben, Francesca aus ihren ärmlichen Verhältnissen zu befreien, was das Mädchen aber entschieden ablehnte.33 Als Casanova Venedig verlassen musste, hinterließ er diverse Bücher, Möbel und andere Habseligkeiten, die Francesca nach und nach verkaufte,34 um die Miete zu bestreiten. Neben der Sorge um den Lebensunterhalt hatte die Familie auch mit zahlreichen gesundheitlichen Beschwerden zu kämpfen. Über immer wiederkehrende Fieberattacken etwa berichtet ein Brief von Francesca Buschini vom 21. Juni 1783, wobei es sich hierbei vielleicht um Malaria gehandelt haben mag,35 die in Italien bis ins 19. Jahrhundert noch immer zeitweise endemisch war.36 Erst durch Entwässerung des Bodens, Trockenlegung der Sümpfe und zunehmenden Urbanismus wurde sie nach und nach zurückgedrängt. Interessanterweise sind die ersten schriftlichen Belege in italienischer Sprache tatsächlich mit dem Veneto ver-

30 Marr 16C18. 31 S. Herrmann, Francesca Buschini an Giacomo Casanova. Ein Frauenleben im Venedig des Settecento, Berlin 2010. 32 Sui passi di Casanova a Venezia. Guida ai luoghi casanoviani. Per iniziativa del Comité International des Amis de Casanova, Venezia 1993, 120–122. 33 Marr 8–190 (1. Juli 1786). 34 Marr 8–183 (10. März 1784); Marr 8–194 (21. Juni 1783). 35 Marr 8–194 (21. Juni 1783). 36 E. Ackerknecht, Zur Geschichte der Malaria, Ciba Zschr. (Wehr) 6, Nr. 63, 1953–1955, 2058–2065, bes. 2060; M. Coluzzi / G. Corbellini, I luoghi della mal’aria e le cause della Malaria, Medicina nei Secoli 7, 1995, 575–598.

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9 Zwei Patientinnengeschichten: Giacomo Casanova als Zeitzeuge

bunden.37 Francescas immer wiederkehrendes Fieber ist auch Thema des folgenden Briefes vom 11. Juli 1783:38Aus meinem letzten Brief werden Sie entnommen haben, dass ich damals, als ich Ihnen schrieb, schon vier Tage Fieber hatte; es ist wiedergekommen und hat mich bis Freitag vergangener Woche geplagt. Inzwischen geht es mir einigermaßen gut, und ich möchte hoffen, dass es nicht nochmal wiederkehrt, weil es für mich sehr lästig war, einen Tag Fieber zu haben und den anderen nicht.39 Abgesehen vom Veneto war Malaria auch in der Gegend von Rom im 18. Jahrhundert noch weitgehend endemisch, und Lord Baltimore40 habe laut Casanova in der Gegend von Latium aufgrund der dort herrschenden mauvais air sein Leben verloren.41 Francesca wurde zudem von einem unangenehmen und langwierigen Ausschlag am Hals,42 einer schweren Erkältung und Fieberschauern geplagt,43 da die Familie aus Not ihre wenigen Winterkleider im Ghetto verpfänden musste. Am meisten Sorge bereitete der Familie 1783 jedoch die Gesundheit des Bruders Giacomo. Ebenfalls an einem starken Fieber (febbre putrida) erkrankt, befürchtete man für ihn bereits das Schlimmste. Der herbeigerufene Armenarzt (medico di contrada) verordnete Aderlässe und Brechmittel (cremor di tartaro) aus Rhabarbersaft. Als sich der Zustand des Patienten nicht verbesserte, wurde ein Geistlicher herbeigerufen, der die Sterbesakramente verabreichen sollte.44 Nach zwei Monaten war sein Zustand nahezu unverändert, so dass wiederum der Arzt konsultiert werden musste, der dem Patienten diesmal jedoch Chinarinde verschrieb.45 1784 entschloss sich Francesca ebenfalls, den Arzt um Hilfe wegen ihres Ausschlags zu bitten,46 da dieser auf das junge Mädchen wohl auch deshalb besonders vertrauenserweckend wirkte, da er bereits Giacomo Casanova behandelt habe.47 Als Therapeutika erhielt sie ebenfalls Chinarinde sowie ein Pflaster. Die Zubereitung der Chinarinde in Venedig wird in zahlreichen zeitgenössischen Dokumenten ausführlich beschrieben;48 der Preis war dabei ebenso gesetzlich festgelegt (al prezzo della tariffa)49 wie die Art und Weise der Lagerung.50 Francescas Ge37

P. Sepulcri, La malaria nel Veneto. Istituto interprovinciale per la lotta antimalarica nelle Venezie, 1963; F. Benvegnù / L. Merzagora (Hrsg.), Mal aere e acque meschizze: malaria e bonifica nel Veneto, dal passato al presente, Venezia 2000. Marr 8–166 (11. Juli 1783). E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 138. Frederick Calvert (1731–1771), letzter Earl of Baltimore. HdmV 3, 802–803. Marr 8–176 (20. September 1783). Marr 8–185 (13. Dezember 1783). Marr 8–176 (20. September 1783). Marr 8–163 (18. Oktober 1783). Marr 8–189 (14. Januar 1784). Marr 8–189 (14. Januar 1784). N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Le leggi di sanità, Band 2, 36 (6. Dezember 1784). Ibid. 37 (23. September 1789). Ibid. 37 (4. Mai 1791): Vietato custodire china. China polverizzata in carte suggellate sia custodita in vasi maiolica o cristallo ben chiusi e le casse in luoghi possibilmente asciutti. Qualunque trasgressione sia severamente punita. Vendasi indistintamente al solo prezzo fissato della tariffa e sia considerato a contante.

2Venezia

38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50

9.2 Die Familie Buschini

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sundheit war wiederum ein Thema ihres Briefes im Jahre 1786: Hier gestand sie, dass der Arzt51 sie mit kleinen Aufmerksamkeiten bedacht und sogar eine Heirat mit einem jungen Chirurgen zu vermitteln versucht habe,52 die aus finanziellen Gründen jedoch nicht zustande gekommen sei.53 Noch immer stellte die Pest, die im Mittelalter zahlreiche Menschenleben gekostet hatte, in Venedig eine gefürchtete Seuche dar.54 Francesca erwähnte in einem Brief vom 27. September 1783, man habe aus Angst vor Ansteckung einen Korb mit Thunfischen in ungelöschten Kalk geworfen.55 Pestverdacht in Split ist Thema eines weiteren Briefes vom 19. Mai 1784,56 worauf sich auch die leggi di sanità della Repubblica di Venezia für den Zeitraum ab dem 16. Oktober 1783 (Not. 53, c. 131) beziehen.57 Aus einem Brief seines venezianischen Freundes Pietro Zaguri erfuhr Casanova schließlich, dass Francesca – ohne es ihm mitzuteilen – in der Accademia dei Mongolfisti gewesen war,58 was er als Vertrauensbruch auffasste und den Briefwechsel für nahezu zwei Jahre einstellte.59 Der nächste erhaltene Brief Francescas ist erst wieder auf den 1. Juli 1786 datiert, als Casanova bereits als Bibliothekar in Dux tätig war. Da die finanziellen Mittel nicht zur Deckung der Mietschulden ausreichten, musste die Familie inzwischen heimlich das Haus verlassen. Zuflucht fand sie dann zeitweise bei einer guten Freundin in der Calle dell’Oca nahe Santi Apostoli,60 um schließlich eine bescheidene Bleibe am Rio Marin im Stadtteil Santa Croce zu finden. Aus Mitleid schickte Casanova am 5. Januar 1787 noch einmal 125 Lire nach Venedig.61 Der letzte Brief Francescas vom 8. Oktober 1787 lässt kein weiteres Zerwürfnis mehr erkennen.62 Doch am 2. Dezember 1791 verliert sich endgültig die Spur des Mädchens, als Pietro Zaguri unter anderem bemerkt: cosa è 51 Vielleicht handelt es sich um den Arzt Molinelli? 52 Marr 8–190 (1. Juli 1786). 53 Es handelt sich vielleicht um einen gewissen Zon (Marr 8–191; Brief Francescas vom 9. August 1786). 54 K. Bergdolt, Der schwarze Tod in Europa: Die Große Pest und das Ende des Mittelalters, München 2003; Venezia e la peste 1348–1797, Venezia 1980. 55 Marr 8–168 (27. September 1783). 56 Marr 8–175 (19. Mai 1784). 57 N.-E. Vanzan-Marchini (Hrsg.), Le leggi di sanità, Band 2, 238: Nel lazzaretto di Spalato sia permanente un distaccamento di 12 soldati et un basso officiale. Sian tutti soggetti al priore pro tempore, indipendenti del tutto da quella piazza salvo in cambio ordinario, la disciplina e a loro pulizia e salvo il cambio di qualche individuo creduto dal priore pericoloso agl’oggetti di salute. Vgl. auch 11. Februar 1784: città di Spalato e suo territorio a giorni 28 (N.-E. Vanzan-Marchini, 315); 3. Juni 1785: sotto pena di morte non sia posta mano nelle arche impiombate del duomo et altre chiese e terreni di Spalato, ne’ quali furono tumulati cadeveri infetti di contaggio (N.-E. Vanzan-Marchini, 388). 58 Marr 3–62 (Brief Pietro Zaguris vom 11. Mai 1784). Es handelt sich möglicherweise um einen Zirkel von „Luftfahrtbegeisterten“; genaue Details konnten bisher nicht ermittelt werden. 59 Marr 8–192 (26. Juni 1784). 60 Marr 8–191 (9. August 1786). 61 Marr 8–193 (5. Januar 1787). 62 Marr 8–177.

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9 Zwei Patientinnengeschichten: Giacomo Casanova als Zeitzeuge

di quella Checca, io non ne so più niente, womit folglich auch alle historisch verfügbaren Dokumente über Francesca Buschini und ihre Familie enden.

10 Giacomo Casanova und die Zahnmedizin Vorzeitiger Zahnverlust betraf im 18. Jahrhundert nicht hauptsächlich die unteren Gesellschaftsklassen, war doch die Ursache hierfür auf verschiedene Faktoren unterschiedlicher Genese zurückzuführen. Neben schlechten Ernährungsgewohnheiten, Vitaminmangel und unzureichender Mundhygiene1 konnten auch Geschlechtskrankheiten und deren Therapie Zahnverlust hervorrufen.2 Zwar gab es noch abstruse Theorien, etwa dass das Tragen von Nachtmützen vor Zahnverlust schützen sollte,3 doch wurden hinsichtlich der Zahnhygiene im 18. Jahrhundert bereits erste wesentliche Fortschritte gemacht. So wurde das Benutzen von Zahnbürsten ausdrücklich empfohlen,4 und auch der Einsatz von Zahncreme und Zahnstochern erfreute sich wachsender Beliebtheit.5 Nahezu alle Kosten für Zahnbehandlungen von der Zahnreinigung bis zum Einsatz von „Kronen“ und „Zahntransplantationen“ sind ausführlich dokumentiert.6 Die empfohlenen Therapeutika waren dagegen meist von geringer Wirkung – und noch geringerer Akzeptanz. Möglicherweise spielte auch in dieser Zeit bereits die Angst vor medizinischer Behandlung und den damit verbundenen Schmerzen7 eine Rolle, zumal der Beruf des Zahnarztes im heutigen Sinne noch nicht existierte. Zahnärztliche Behandlungen wurden stattdessen lange Zeit von dem Barbier, dem Friseur oder einem reisenden „Zahnreißer“ vorgenommen,8 der ebenfalls noch als Okulist arbeiten konnte. Ein Tagebucheintrag (21. März 1797) von Charles „Lolo“ Clary Aldringen zeigt deutlich die Geringschätzung des Dentisten, der in der Komödie Le prince Ramoneur sogar vom erzürnten Patienten angegriffen wird. Schmerzen musste dieser mutig ohne Anästhetikum ertragen, insofern er nicht Opium oder Alkohol, meist in Form von Brandy, einnahm.9 Kein Wunder, dass man die Heilung auch im Magnetismus suchte, der als effizientes Mittel gegen Zahnschmerzen betrachtet wurde.10 Die ersten Ansätze einer modernen Konzeption zahnärztlicher Behandlung wurden dabei bereits von 1 2 3 4 5

6 7 8 9 10

D. Brothwell, Digging up Bones, New York 1981, 153, Fig. 6.10. D. Brothwell, Digging up Bones, 137. J. Boswell, Journal, 20. Oktober 1763. H. Schott (Hrsg.), Der sympathetische Arzt, 278. Zahnbürsten wurden oft aus Schweineborsten hergestellt, die das Infektionsrisiko erhöhten. Ch. Hillam, James Blair (1747–1817), Provincial Dentist, Medical History 22, 1978, 44–70, 51–52. Regelmäßige Zahnpflege wurde auch von Lord Chesterfield in seinen Letters to his Son (1774) empfohlen, vgl. J. Woodforde, Die merkwürdige Geschichte der falschen Zähne, München 1970, 36. Casanova berichtet in der Histoire de ma vie mehrmals von Zahnstochern: So habe es im Palais Royal Stände gegeben, die neue Flugschriften, Riechwässer und Zahnstocher feilboten (GmL 3, 161). Vgl. zur Geschichte des Zahnstochers H. Petroski, The Toothpick: Technology and Culture, New York 2007. Ch. Hillam, James Blair, 53–54; 67 ff. ( James Blair); 68 ff. (Kosten). R. Jütte, „La douleur des dents est la plus grande“. Zur Geschichte des Zahnschmerzes in der Frühen Neuzeit, MedGG 15, 1997, 37–54. Ch. Hillam, James Blair, passim; J. Woodforde, Die merkwürdige Geschichte, 37 ff. Tagebuch von „Lolo“ (22. März 1797): vgl. M. Leeflang, LOLO, 155. H. Schott (Hrsg.), Der sympathetische Arzt, 232.

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10 Giacomo Casanova und die Zahnmedizin

dem französischen Chirurgen Pierre Fauchard (1678–1761),11 dem Engländer John Hunter (1728–1793)12 und dem Deutschen Philipp Pfaff (1713–1766), dem Zahnarzt Friedrichs II. von Preußen, unternommen.13 Auch beim Autor der Histoire de ma vie standen Zahnärzte in keinem besonders guten Ruf. Die erste Erwähnung eines solchen findet sich im Jahre 1750,14 als Casanova über seine Begegnung mit Jacques Frémon berichtete. Dem Okulisten Felice Tadini warf er später in Warschau sogar vor, eine Kristallinse so einfach wie einen falschen Zahn (dent postiche) einsetzen zu wollen. Dabei handelte es sich um ein für das 18. Jahrhundert gut dokumentiertes Verfahren, wobei sogar menschliche, also bis dahin „lebende“ Zähne, verpflanzt wurden.15 Während John Hunter dieses Verfahren in der Natural History of the Human Teeth (1778)16 noch begünstigte, wurde man sich erst später der Risiken einer Transplantation bewusst. Kostspielig war der Versuch einer Verpflanzung allemal: Der Preis für „lebende Zähne“ rangierte in England zwischen einer und fünf Guineen pro Stück.17 Auch Casanova selbst blieb nicht von Zahnproblemen verschont. Im zweiten Buch der Histoire de ma vie schrieb er: Er (d. h. der Händler) hatte auch Strümpfe, Stoffkäppchen, orientalische Kopfbedeckungen, Regenschirme und Schiffszwieback, den ich sehr schätzte, denn damals hatte ich noch dreißig, übrigens besonders schöne Zähne. Von diesen dreißig Zähnen besitze ich heute nur noch zwei; achtundzwanzig sind ebenso wie etliche andere Fähigkeiten dahin.18 In einem Brief an Francesca Buschini teilte er ihr anscheinend mit, dass er im Begriff sei, seinen letzten verbleibenden Zahn zu verlieren.19 Der geschäftstüchtige Venezianer mochte sich jedoch nicht unentgeltlich von diesem Zahn trennen und wollte ihn stattdessen für zwei Zechinen an einen Engländer verkaufen. Die lapidare Antwort des Mädchens war: Einer ist besser als nichts! Vermutlich wollte der verarmte Casanova seinen Zahn tatsächlich an einen reisenden Händler verkaufen, der Zähne zur Herstellung von Prothesen erwarb.20 Jedoch konnte er kaum erwarten, für einen einzelnen Zahn, höchstwahrscheinlich einen Molaren, eine so hohe Summe zu erhalten, da bevorzugt Schneidezähne gesucht wurden.21 Max Lamberg, ebenfalls zahnlos und dazu noch fast gänzlich taub, 11 12 13 14 15

Le chirurgien dentiste (1728). Natural History of the Human Teeth (1771 bzw. 1778). Abhandlung von den Zaehnen des menschlichen Koerpers und deren Krankheiten (1756). HdmV 3, 81. R. Cohen, Methods and Materials Used for Artificial Teeth, Proceedings of the Royal Society of Medicine 52, 1959, 782 ff.; J. Woodforde, Die merkwürdige Geschichte, 79 ff. 16 Ch. Hillam, James Blair, 67. 17 J. Woodforde, Die merkwürdige Geschichte, 80 ff. Dies entspricht etwa 5 Louis d’or (40 Gramm Gold), also einer heutigen Kaufkraft von 1250 Euro. 18 GmL 2, 135. 19 Auch ein Eintrag im Tagebuch von „Lolo“ nimmt auf diese Episode Bezug (13. Juli 1795): Casanova disoit en perdant sa derniere dent: qu’elle est l’injustice de Dieu de m’avoir donné des meubles qui ne durent pas autant que la maison. 20 R. Cohen, Methods and Materials, 775–785, bes. 778. 21 Zwei Zechinen entsprechen zwei Golddukaten (ungefähr 7 Gramm Gold); heute in etwa eine Kaufkraft von 230 Euro.

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schrieb am 23. März 1789 mitfühlend an den alternden Abenteurer22 und auch Lorenzo da Ponte, der 1795 im Alter von gerade einmal fünfundvierzig Jahren nahezu alle Zähne verloren hatte (nicht zuletzt durch das Scheidewasser des liebestollen Chirurgen),23 teilten Casanovas Leiden. Eine Abhilfe in zumindest optischer Hinsicht schien die Erfindung des Franzosen Dubois de Chémant (1753–1826?)24 zu versprechen, der vor der Académie des Sciences und der medizinischen Fakultät 1789 seine Untersuchung zur Herstellung von Zahnersatz aus Porzellan präsentierte. Während der Französischen Revolution verlegte Dubois de Chémant 1791 seinen Wohnsitz nach England, wo er auch ein Patent zur Herstellung künstlicher Zähne erhalten hatte.25 Casanova könnte zwar theoretisch bereits 1784 eine Prothese benutzt haben, da er zu dieser Zeit bei seinem Bruder Francesco in Paris lebte, doch ist es unwahrscheinlich, dass er sich eine solche Ausgabe zu diesem Zeitpunkt finanziell erlauben konnte.26 Zwar hätte eine Prothese aus Porzellan von de Chémant sein Budget bei weitem überstiegen,27 doch schien er über die Entdeckung des Apothekers zumindest unterrichtet gewesen zu sein, da Pietro Zaguri in einem Antwortschreiben vom 22. Januar 1784 feststellt:28 Che strana cossa, ma ragionevole, les dents de Porcellaine! Casanova hätte sich höchstens eine Prothese aus Flusspferdzähnen leisten können, einem Material, welches eine günstige Alternative zu den begehrten Porzellanzähnen darstellte. Dies scheint auch eine Notiz aus dem Tagebuch von Behrisch29 zu bestätigen, welches von Gustav Gugitz in einem Brief an Bernhard Marr vom 12. März 1922 zitiert wurde: Behrisch (zum Teufel): […] Was hast du doch mit seinem Biographen, dem armen Casanova gemacht? Der sah dir doch wie ein Wassertropfen dem anderen ähnlich. (Teufel): Er hat auch das Schicksal der Selbstbiographen gehabt. Erst schlug ich ihm alle Zähne aus dem Rachen, dass er sich Hippopotamuszähne einsetzen lassen musst (wie du in Wien gesehen hast), darnach tristanisiert30 ich ihn in Prag. Flusspferd- oder Elfenbeinzähne hatten jedoch den Nachteil, dass sie aufgrund der porösen Struktur schnell unangenehm rochen, sich verfärbten und auch

22 Marr 2–41: Vous n’êtes pas trop à plaindre mon cher Maître! Vous avez perdu toutes vos dents – Je n’en ai plus come vous, mais je suis sourd pour surcroi de calamité, et cela passe la raillerie. 23 Marr 10D16 (23. August): Io me la passo bene: godo d’una perfetta salute, e senza la mancanza di 24 o 26 denti, che non so per qual matto capriccio non vollero più stare con me, non mi accorgerei nemmeno d’aver quarantasei anni sul tronco ficulno. 24 P. Baron, Dental Practice in Paris, in: Ch. Hillam (Hrsg.), Dental Practice in Europe at the End of the 18th Century, Amsterdam / New York 2003, bes. 120–122. 25 Brief vom 11. Mai 1791. Dubois de Chémant machte seine erste Prothese 1770 für den Apotheker Alexis Duchâteau (1714–1792), der dies selbst vergeblich versucht hatte, vgl. J. Woodforde, Die merkwürdige Geschichte, 53 ff. 26 B. Brunelli, Vita di Giacomo Casanova, 81. 27 R. Cohen, Methods and Materials, 786. 28 Marr 3–61 (P. Molmenti, Carteggi Casanoviani, 24). 29 Heinrich Wolfgang Behrisch (1744–1825). 30 D. h. „quälte“?

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durch Haarrisse optisch innerhalb kurzer Zeit unansehnlich wurden.31 Das Kauen war aufgrund des lockeren Sitzes auf den Kiefern kaum möglich, und das Tragen einer solchen Prothese fiel in Gesellschaft teilweise ungewöhnlich auf. So schrieb „Lolo“ in seinem Tagebuch über die Gesellschaft von Töplitz am 20. August 1795 über eine prothesentragende Tante: Une tante furie battant son mari fort susceptible d’impressions nuisibles ayant des dents comme un éléphant Peut-on encore fragen c’est madame de Hagen. Eine Vorstellung vom Aussehen einer Prothese im 18. Jahrhundert vermittelt Philipp Pfaff in seinem Buch Abhandlung von den Zähnen des menschlichen Körpers (1756).32 Konkret zeigt sich der Fortschritt an den Prothesen George Washingtons (1732–1799), die hauptsächlich von John Greenwood hergestellt wurden.33 Dabei wurden teilweise sogar echte menschliche Zähne eingesetzt. Auch bei Flusspferd- oder Elfenbeinzähnen variierten die Preise erheblich.34 Während der Provinzzahnarzt James Blair (1792) noch relativ moderate Preise verlangte,35 stiegen die Kosten bei einer Behandlung beim königlichen Dentisten Grimaldi (1785) nahezu ins Unermessliche.36 An der Spitze bewegte sich Martin van Butchell (1777),37 und die Preise für eine Prothese lagen in England um 1790 bis 1800 zwischen sechzehn und dreißig Guineen.38 Dass Casanova sehr unter seinem Zahnverlust litt, bestätigt eine Bemerkung Max Lambergs, der zweiunddreißig Zähne einer langen Ahnenreihe vorzog.39 Insbesondere das bekannte Portrait von Berka in der Ausgabe des Icosameron sowie eine kleine Silhouette40 zeigen die deutlichen Wirkungen von Zahnverlust auf das optische Erscheinungsbild. In der Fuite (1788) berichtete Casanova von den Schwierigkeiten, ohne Zähne korrekt zu sprechen. Er, der große Erzähler, der die Zuhörer in seinen Bann gezogen hatte, wollte sich nun nicht mehr der 31 R. Cohen, Methods and Materials, 782–783 u. Fig. 8. 32 § 77 („Von Zahnmaschinen“): Fig. XX stellet ein ganz vollkommenes Gebiß vor, wann kein Zahn im Munde mehr übrig, und ist mit Federn versehen. 33 J. Woodforde, Die merkwürdige Geschichte, 95–103. 34 A. Hargreaves, Dentistry in the British Isles, in: Ch. Hillam (Hrsg.), Dental Practice, bes. 204–207. 35 Ch. Hillam, James Blair, 54. 36 Ch. Hillam, James Blair, 54. 37 Eine Guinee (21 shilling, etwa. 250 Euro) war die englische Goldmünze, die 1816 durch das Pfund zu 20 shilling abgelöst wurde. 38 A. Hargreaves, Dentistry, bes. 205. 39 Marr 2–31 (25. Juni 1788): […] ailleurs meme où certaines gens préfèrent 32 dents à 36 quartiers. 40 B. Chleborádová / S. Ostrovská, Un portrait retrouvé, Intermédiare des Casanovistes 16, 1999, 25–26.

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Abb. 7 Zahnprothesen nach Philipp Pfaff

Lächerlichkeit preisgeben und beschloss deshalb, die Geschichte seiner Flucht niederzuschreiben.41 Welche psychischen Auswirkungen Zahnverlust mit sich bringen konnte, schlägt sich auch in einer Strophe der Zahmen Xenien von Johann Wolfgang von Goethe nieder, der sich erst ab seinem 80. Lebensjahr prothetische Oberkieferzähne zu tragen entschlossen hatte: Ich neide nichts, ich laß es gehen, / Und kann mich immer manchem gleich erhalten; / Zahnreihen aber, junge, neidlos anzusehen, / Das ist die größte Prüfung mein, des Alten.42

41

Je suis arrive à un âge où il faut que je fasse à ma santé de bien plus grands sacrifices. Pour narrer, il faut avoir la faculté de bien prononcer. La langue déliée ne suffit pas, il faut avoir des dents, car les consonnes auxquelles elles sont nécessaires composent plus d’un tiers de l’alphabet, et j’ai eu le malheur de les perdre. L’homme peut s’en passer pour écrire, mais elles lui sont indispensables s’il veut parler ou persuader. Diese Beobachtung wird auch von James Boswell in seinem Journal gemacht (20. Oktober 1763). Ohne diese nützlichen Instrumente könne der Mensch nicht richtig sprechen, sondern pfeife wie eine Frau von achtzig Jahren. Um seine Zähne zu erhalten, legte Boswell Wert auf hölzerne Zahnstocher (12. Dezember 1763). 42 E. Beutler (Hrsg.), Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, Zürich 1948 ff., Band 1, 635.

11 Eine besondere Arzt-Patienten-Beziehung Mit zunehmendem Alter1 quälten Casanova diverse gesundheitliche Beschwerden. Glücklicherweise stand ihm in Dux der Arzt James Columb O’Reilly zur Seite,2 der 1722 in Irland, möglicherweise als Kind einer bekannten irischen Familie, geboren wurde und seine Heimat noch in jugendlichem Alter verließ, um am Irischen Seminar in Louvain eine solide Ausbildung zu erhalten. Von dort aus ging O’Reilly nach Prag, um Medizin an der Alma mater Carolina zu studieren, die insbesondere von irischen Medizinstudenten bevorzugt wurde, und war dort auch nach Beendigung seines Studiums als Arzt tätig. Die Folgen des Siebenjährigen Krieges zwangen ihn jedoch, in die kleinere Stadt Brüx zu ziehen, wobei er auch für die angrenzenden Ortschaften Dux, Oberleutensdorf, Töplitz und Saaz zuständig war. Aus der kurz darauf geschlossenen Ehe ging 1763 der Sohn Franz Karl (1763–1802) hervor, der in die Fußstapfen seines Vaters trat, Medizin in Prag studierte und später maßgeblich an der Einführung der Inokulation in Österreich beteiligt war.3 Mit zunehmendem Alter zog es O’Reilly von Brüx nach Oberleutensdorf, er verweilte jedoch, sollte es die Behandlung eines Patienten erfordern, auch längere Perioden in anderen Ortschaften. James Columb O’Reilly traf Casanova, den neuen Bibliothekar auf Schloss Dux, wahrscheinlich erstmals gegen Ende des Jahres 1785, einen gelehrten Mann in vergleichbarem Alter, der auf vertrautem Fuße stand mit der Literatur der Antike und auf nahezu allen Wissensgebieten bewandert war. Der Venezianer war ein Freund der Kabbala, hatte ganz Europa bereist und verkehrte freundschaftlich mit den adeligen Kreisen in Töplitz. Über dieses erste Zusammentreffen der beiden Männer ist nichts bekannt, doch setzte Casanova O’Reilly 1787 auf die Liste der Subskribenten seines fünfbändigen in Prag erschienenen utopischen Romans Icosameron. Etwa zur gleichen Zeit redigierte der Venezianer Verse im Libretto für Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791) Oper Don Giovanni, die im Ständehaus in Prag uraufgeführt wurde4 und widmete sich, zurück in Dux, komplizierten mathematischen Problemen.5 Fast zehn Stunden verbrachte er täglich am Schreibpult und beschäftigte sich mit immer neuen kräftezehrenden Pro1

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À Leonard Snetlage, 64: La vieillesse, par exemple, a affaibli tous mes membres, et tout mon individu, qui comme une chemise de toile parfaite, dont toutes les parties vieilissent également toutes ensemble, jusqu’à ce qu’elles tombe tout entière en lambeaux, parviendra lentement à sa fin. Si elle les avait paralysés, je me verrais paralytique, peu différent d’un mort, ce que je ne suis pas, quoique généralement affaibli. H. Watzlawick, From History to Episode – an Irish Intermezzo in Eighteenth Century Bohemia, An Irish Quarterly Review 71, Nr. 284, 1982, 378–390. Lolo Clary schrieb in seinem Tagebuch über den jungen O’Reilly (14. Juli 1803): médecin à bonnes fortunes, adoré de toutes les femmes, qui pendant 11 ans tint mad. Przichovsky sous un joug inoui. Casanova war möglicherweise persönlich anwesend, als der junge Doktor in Prag geprüft wurde (Marr 28–2): J’ai vu a Prague un jeune homme approuve medecin complimenté de deux, ou trois cent personnes, et son père, et sa mère ravis de joye. B. Brunelli, Vita di Giacomo Casanova, 117. B. Brunelli, Vita di Giacomo Casanova, 125–138.

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jekten. So war es wohl auch die unglaubliche Schaffenskraft dieser Jahre, die Casanova 1789 ernsthaft an den Folgen von Überarbeitung erkranken ließ. Der besorgte Arzt riet ihm, dem illustrissimo domino, viro doctissimo Jacobo Casanova de Seingalt, daher in einem freundschaftlichen Brief vom 17. Mai 1789, sich zu schonen, zumindest zeitweise der körperlichen Liebe zu entsagen, jede nervliche Anstrengung sowie Stimmungsschwankungen und ernste Gedanken zu vermeiden, und sich um eine ausgeglichene Gemütslage zu bemühen.6 Zur Stärkung empfahl der Arzt kalte Bäder7 sowie die Einnahme von Chinarinde (cortex peruviani),8 die nach dem beiliegenden Rezept zubereitet und morgens und abends über mehrere Wochen eingenommen werden sollte. Chinarinde war zu dieser Zeit als Therapeutikum bereits weitgehend akzeptiert und entwickelte sich schließlich zu einem Allheilmittel, welches auch Giuseppe Rossi zur Rekonvaleszenz (1784) einnahm.9 Obwohl das von O’Reilly empfohlene Therapeutikum folglich den Konventionen der Zeit entsprach, schien Casanova von seinen Ratschlägen nicht vollständig überzeugt gewesen zu sein und erbat die Meinung seines Freundes Max Lamberg. Dieser antwortete ihm in einem Brief vom 30. Mai 1789, einen weiteren Arzt konsultiert zu haben, der die Therapie O’Reillys für richtig erachte, jedoch sollte sich der Patient nach dem Bad zu Bett begeben und Tee mit Zimt zu sich nehmen.10 Max Lamberg fügte den Therapievorschlägen noch die Einnahme der Salepwurzel hinzu. Dieses aus der Levante importierte Therapeutikum wurde aus den frischen Wurzeln des Knabenkrautes (Orchis morio et mascula) gewonnen und war wegen der aufbauenden Wirkung bei Auszehrung und Fiebererkrankungen hochgeschätzt.11 Max Lamberg riet seinem Freund außerdem, die Zerstreuung zu suchen, spazieren zu gehen und sich an der Natur zu erfreuen: Verzichten Sie auf die Hilfe der medizinischen Fakultät, auf die Drogen, die sie verschreibt, überlassen Sie sich der Zerstreuung! Nützen Sie die schöne Jahreszeit, gehen Sie spazieren, nehmen Sie die Idyllen von Sannazzaro, Fontenelle und Gessner in der Tasche mit, freuen Sie sich mit diesen Herren (als wahrer Poet) an den Reizen, die Ihre Umgebung bietet; betrachten Sie – oder besser gesagt, befragen Sie die Natur –, und wenn die Schwindelanfälle es Ihnen erlauben, reisen Sie.12 James Columb O’Reilly war aufrichtig bemüht, seinem Patienten und Freund zu helfen und schrieb aus Saaz am 8. Mai 1789 an Oberst Bettmann, dass ihm der Gesundheitszustand Casanovas große Sorgen bereite, da dieser 6 7 8

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Marr 13G2. Marr 13G2. S. Jarcho, Quinine’ s Predecessor. Francesco Torti and the Early History of Cinchona, Baltimore 1993; A.-H. Maehle, Experience, Experiment and Theory, in: J. Helm / R. Wilson (Hrsg.), Medical Theory, 61–76. Marr 10O12: Oggi è il primo giorno che posso applicarmi, e bevendo China rispondo con sensibile piacere alle due sue favoritissme 13 scorzo marzo, e 10 Cortte. Marr 2–58a (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 113). Marr 2–59 (4. Juli 1789). Die Bezeichnung als Knabenkraut erklärt sich durch das Aussehen der Pflanze, da die beiden Wurzeln dem menschlichen Hoden ähneln. Vgl. auch S. Hahnemann, Apothekerlexikon, 489. E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 93.

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versucht habe, sich (vergeblich) durch Selbstmedikation zu kurieren: Er hätte wissen müssen, dass er nicht mehr jung ist und durch seine Studien geschwächt ist. Ein großes Zugpflaster? (vesicatoire), das fest zwischen den Schultern angebracht werden kann, und der Einsatz der folgenden Medikamente könnten ihm Erleichterung verschaffen. Er soll nicht zu viel arbeiten und sich nicht aufregen. Mit einem Wort: Er soll ruhig leben, den Tod nicht fürchten, ohne wie ein Philosoph von oberstem Rang, der er ist, leben zu wollen.13 Casanovas noch immer eigenwillige Haltung gegenüber Ärzten war sogar Francesca Buschini bekannt, die 1787 amüsiert erwähnte, Casanova habe in Dux einen Arzt, der ihm einen gesundheitlichen Ratschlag habe erteilen wollen, zum Teufel gejagt, da dieser ihm geraten hatte, aus gesundheitlichen Gründen an der (ihm verhassten) Jagd teilzunehmen.14 Nachdem Casanova 1790 der Familie seines Bruders in Dresden einen kurzen Besuch abgestattet hatte, kehrte er nach Dux zurück. Je länger er in der Abgeschiedenheit des Schlosses verweilte, desto mehr verschlechterte sich sein Verhältnis zum Dienstpersonal. Sein Dienstherr Waldstein war abwesend, dessen Verwalter Georg Feldkirchner hatte freie Hand, und es kam schließlich zu teils handgreiflichen Streitigkeiten. 1791 musste daher sogar die Mutter Waldsteins eingreifen, die das Personal befragte, das ihr dabei einstimmig zur Antwort gab, Casanova sei an dem gespannten Verhältnis nicht unschuldig.15 Die Beziehung zu O’Reilly war zumindest im September 1791 noch ungetrübt, da der Arzt sich in einem Brief freundschaftlich für die ihm nach Oberleutensdorf zugestellten Bücher bedankte, die kompletten Werke Voltaires.16 Jedoch geht bereits aus dem gleichen Brief hervor, dass dem Arzt die Streitigkeiten zwischen Casanova und dem Dienstpersonal nicht verborgen geblieben waren,17 und der folgende Brief vom 16. November macht deutlich, dass diese auch keineswegs beendet waren. Der Arzt bat den Bibliothekar inständig im Namen ihrer beider Freundschaft sein Vorhaben, Feldkirchners Missetaten in den Gazetten zu publizieren,18 bis zur baldigen Ankunft Waldsteins aufzuschieben, da er ansonsten dem Ruf seines Protektors schade.19 James Columb O’Reilly schloss mit einem selbst entworfenen Sechszeiler über die Seelenruhe (tranquillité de l’âme): La tranquillité de l’âme est la charme de la vie, C’est en cela que consiste la vraie philosophie. 13 14 15

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Marr 13G1. Marr 8–177 (5. Oktober 1787). Marr 14M6: Ne ho parlato a tutti, e tutti m’hanno assicurati che dipenderà di lei di vivere in pace, senza torbite, se lei, della sua parte, cerca a comportarsi un poco bene e meglio con quelli che hanno l’obligazione di vivere in casa a compagnia sua. Marr 4–1. Marr 4–1: Je suis au reste charmé, que la paix de Dux soit conclue, à laquelle le comte donnera tôt ou tard sa sanction, pour la rendre stabile et ferme contra les attentas des ligueurs; […] Mais je jeune étourdi (d. h. Viderol/Wiederholt), Qui se mocquoit de vous sentira du comte la juste courroux. Marr 13G3: On m’a dit, que vous vouléz peindre le Lieutnant avec son caractère, et sa manière de penser dans les gazzètes. Marr 13G3: Pensez, Monsieur, qu’en tournant en ridicule vos ennemis devant le public, vous feriez tort à la réputation de votre protecteur.

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Laissez parler les foux, laissez agir les sots, Ils ne sont pas dignes qu’on leur réponde un mot. Avec leur faiblesse il faut avoir pitié Laquelle est indigne de la moindre amitié. Casanova blieb nichts anderes übrig, als zumindest vorerst das Weite zu suchen und sich nach Oberleutensdorf in die Gesellschaft des Arztes zurückzuziehen, um dort auf die Rückkehr seines Protektors zu warten. Wahrscheinlich hatte der gutgemeinte Rat des Arztes das Fass zum Überlaufen gebracht und die ständige Konfrontation der beiden in Oberleutensdorf letztendlich das anfangs freundschaftliche Verhältnis getrübt. Eine kurze Reminiszenz daran findet sich auch in der Histoire de ma vie: Ich weiß, dass ich nicht dumm bin. Dumm ist nur mein Nachbar, der sich in der Behauptung gefällt, dass die Tiere gescheiter sind als wir. Es mag stimmen, habe ich ihm gesagt, dass sie gescheiter sind als Sie, aber nicht gescheiter als ich. Diese Antwort hat ihn, obwohl sie seine Theorie zur Hälfte bestätigte, zu meinem Feind gemacht.20 In einem weiteren Dokument, welches entweder noch 1791 oder bereits 1792 verfasst wurde, sparte Casanova ebenfalls nicht mit vernichtender Kritik.21 O’Reilly habe ihn als Gourmand bezeichnet, dabei sei dieser selbst ein Trinker, habe nie Galen gelesen, sei ein schlechter Arzt und in ganz Böhmen unbeliebt, zudem geizig, ungebildet, habe Casanova bei einem lateinischen Wort verbessert und versucht, die Adressen auf den Briefen in seinem Zimmer zu lesen. Unter das dreiseitige Dokument voller Vorwürfe setzte Casanova ein pret à signer en presence de temoins. Zum Karneval des Jahres 1792 verfasste er für O’Reilly eine lateinische Widmung22 als Vorwort für eine Reihe von dreizehn satirischen Dialogen zwischen Casanova und O’Reilly, die mehrere Aspekte ihrer „erzwungenen“ Koexistenz widerspiegeln. Casanovas Querelen mit dem Schlosspersonal, insbesondere seine Flucht aus Dux, werden im ersten und fünften Dialog reflektiert. Während der Arzt der Ansicht war, es sei ein Fehler gewesen, Dux zu verlassen, hielt Casanova vehement dagegen: - Wenn es in Ihrem Zimmer stinkende Scheiße gibt, was machen Sie dann? - Ich rufe meine Dienerin und trage ihr auf, es nach draußen zu bringen. - Und wenn der Haufen Scheiße mehr wiegt als Ihre Dienerin?

20 GmL 7, 185. 21 Marr 40–220. Das Original ist anscheinend verloren gegangen. Die Umschrift beruht auf einer Abschrift im Special Collections Department der Universitätsbibliothek von Virginia (Childs collection, accession no. 9256 D, box 7). 22 Marr 6–4. Casanova, printemps 1792. Clodius – Miloni – Milo – Clodio // Passetems de Jacques Casanova pour le Carnaval de l’an 1792 // Dans le bourg d’Obeleutensdorff à l’imprimerie du brasseur. Casanova spielt auf die Auseinandersetzung zwischen dem römischen Politiker aus der Partei der Popularen, Publius Clodius Pulcher (ca. 92 v. Chr.–52. v. Chr.) und Titus Annius Milo (gest. um 48 v. Chr.) um 57 v. Chr. an. Vgl. insbesondere W. Nippel, Publius Clodius Pulcher – der „Archill der Straße“, in: K.-J. Hölkeskamp / E. Stein-Hölkeskamp (Hrsg.), Von Romulus zu Augustus. Große Gestalten der römischen Republik, München 2000, 279–291; U. Homola, Untersuchungen zu Titus Annius Milo, Mannheim 1997.

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- Dann verlasse ich mein Zimmer und suche mir Leute, die die Kraft haben, all diese Scheiße zu entfernen, die mir missfällt. - Sie erweisen ihr viel zu viel Ehre! Sie müssten stattdessen diesen Haufen Scheiße verachten und ruhig in seiner Gesellschaft verbringen. Sagen Sie mir: Was tun Sie, wenn Sie einen Floh in Ihrer Perücke oder in Ihrem Hemd finden, wenn Sie es am Morgen wechseln? - Ich werfe ihn zu Boden und zertrete ihn. - Sie wenden viel zu viel auf. Sie müssen ihn verachten, ihn nicht einmal eines Blickes würdigen. - Was für ein Vergleich! - Er ist gerechtfertigt. Feldkirchner, der Bürgermeister (d. h. Loeser) und der Schlachter (d. h. Wiederholt) sind für mich noch weniger als Scheiße und Flöhe. Da ich sie weder entfernen, noch töten kann, ziehe ich mich zurück, bis eine wohlwollende Kraft mich von ihnen befreit haben wird. - Ich an Ihrer Stelle würde mich anders verhalten. - Ich auch an Ihrer. - Ich möchte Sie versöhnen. - Haben Sie gelesen, was Cicero über die Lügner geschrieben hat? - Ich müsste es gelesen haben, da ich meinen Cicero kenne. Aber ich habe es vergessen. Was sagt er denn? - Lesen Sie es noch einmal, denn meine Belehrung könnte Ihnen missfallen! Die Thematik der anderen Dialoge befasst sich, neben der politischen Situation Österreichs23 und Venedigs,24 auch mit dem aktuellen Geschehen in Frankreich: Während O’Reilly in gewisser Hinsicht mit den Ideen der neuen Regierung sympathisierte, bedeuteten die aktuellen Entwicklungen für den konservativen Venezianer das Ende der ihm bekannten Welt.25 Schließlich diskutierte Casanova mit seinem Arzt aber nicht nur über politische Ansichten, sondern auch über so Alltägliches wie die Qualität italienischen und deutschen Weins oder den Preis von Schokolade.26 Der alte Arzt versuchte in dieser Situation so gut es ging, das Verhältnis zu entspannen und ersuchte Casanova in mehreren Briefen um Verzeihung. In einem Brief vom März 1792 nahm O’Reilly zum Verhalten Casanovas Stellung27 – jedoch vergebens. Denn in seinem Antwortschreiben lehnte der Venezianer sowohl eine Versöhnung als auch ein Treffen kategorisch ab.28 Auch Max Lamberg hatte offensichtlich von den dauernden Streitereien erfahren, so dass er in einem Brief vom 17. März 179229 dem Freund ans Herz legte, für ein Jahr Dux zu verlassen. Bald darauf fand Casanova jedoch einen weiteren Grund, die 23 24 25 26 27

Dialog XIII. Dialog IX. Dialog VIII und X. Dialog III, IV, V, VI, VII. Marr 6–5 (die Verbesserungen im Text stammen aus der Hand Casanovas; E. von Schmidt-Pauli, Der andere Casanova, 100). 28 Marr 9–63 (C. Curiel et al. (Hrsg.), Patrizi e avventurieri, dame e ballerine, 402). 29 Marr 2–119 (G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 245).

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Auseinandersetzung mit O’Reilly fortzusetzen: Ein gewisser Captain James Plunkett,30 ebenfalls Ire von Geburt und noch keine fünfzig Jahre alt, litt seit drei Jahren an einer starken Diarrhoe, deren Ursache unbekannt war, und ersuchte Mitte August des Jahres 1792 O’Reilly um seinen medizinischen Rat. Möglicherweise hatte auch Casanova von dieser Konsultation erfahren und erläuterte daraufhin in acht Briefen, den Lettres d’un physicien ubiquiste adressées au docteur O-Reilli medecin Irlandais,31 seine eigenen medizinischen Theorien und Behandlungsmethoden. Captain Plunkett sei von O’Reilly, der nur über unvollständige Kenntnisse der menschlichen Anatomie verfüge, einer gänzlich falschen und antiquierten Behandlungsmethodik unterworfen worden. So ignoriere dieser moderne Untersuchungsmethoden und Therapien, die von Herman Boerhaave und dessen Schülern eingeführt worden seien.32 Das Verhältnis zwischen Casanova und O’Reilly scheint sich nach diesem Vorfall nie mehr gebessert zu haben, weshalb Casanova wenige Jahre später bei einer ernsthaften Erkrankung auch einen anderen Arzt wählte. Aus den Händen Casanovas ist ein lateinischer Brief an einen Arzt namens Hansa (nach 1795?) erhalten, in dem Casanova ein Leiden beschrieb, das seiner Ansicht nach von seiner sitzenden Tätigkeit herrühre.33 Es handelte sich dabei um ein nicht schmerzhaftes Ödem an den Füßen, für das er selbst kein Medikament kenne (non reperio ergo remedium), jedoch glaube, dass alkalische Salze (aptos sales alkalines fixos) hilfreich seien. Thermalwasser habe sich in seinem Fall als nicht effizient erwiesen. Casanova schloss mit einer schlichten Bitte um Rat (vellem consilium). Hansa sollte Casanova noch bis zu dessen Tod Anfang Juni 1798 behandeln.

30 Wohl um 1743 geboren. 31 Marr 21–7 (HdmV 3, 1215–1224). 32 Notizen in Marr 16K15 zeigen jedoch, dass Casanova auch Auskünfte bei einem gewissen Monsieur Kolve (chirurgien habitant ici) einholte. 33 Marr 17A9a.

12 Tod im Exil: Der Vorhang fällt Bereits im Februar des Jahres 1798 schien Casanova kontinuierliche Schmerzen gehabt zu haben. So schrieb ihm seine besorgte Brieffreundin Cécile von Roggendorf am 14. Februar:1 Ihr Brief vom 5. Februar, in dem Sie von Ihrem Leiden schreiben, stimmt mich teilnehmender denn je. Ich bin untröstlich, Sie krank zu wissen. Großer Gott, was gäbe ich dafür, Ihnen Erleichterung zu verschaffen […]. Nehmen Sie Arzneien, pflegen Sie sich; – haben Sie dauernd Schmerzen? Rauben sie Ihnen den Schlaf? Wie heißt Ihr Arzt?2 In einem weiteren Brief vom 22. Februar übermittelte Cécile schließlich ein Rezept für ein Therapeutikum, welches vorschriftsmäßig angewendet, ein „unfehlbares Heilmittel“ sei. Es handelte sich um einen Breiumschlag aus Leinsamen, der in Milch bis zum Aufquellen gekocht werden sollte. Der Brei musste zwischen zwei Tücher gegeben und um den Unterleib gewickelt werden, wobei bereits nach einer Stunde auf diese Weise eine deutliche Erleichterung zu spüren sei. Als sich der Zustand des Brieffreundes jedoch nicht besserte, konsultierte Cécile den Wiener Arzt Joseph Jacob Plenck (1735–1807), dessen medizinischen Rat sie dem Brieffreund am 3. März schriftlich mitteilte.3 Es handelte sich um den österreichischen Arzt Joseph Jacob Plenck, der am 28. November 1735 in Wien als Sohn eines Buchbinders geboren wurde und als Begründer der modernen Dermatologie gilt.4 Noch während seines Studiums der Medizin diente er im Siebenjährigen Krieg bereits als Regimentsarzt, wurde 1770 von Maria Theresia als Professor für Chirurgie und Geburtshilfe an die Universität Tyrnau berufen, ging anschließend nach Budapest und war ab 1785 Professor für Chemie und Botanik an der Militär-Medizinischen Akademie in Wien. Ab 1788 veröffentlichte Plenck sein insgesamt sieben Bände umfassendes Hauptwerk, die Icones plantarum medicinalium, in dem der medizinische Gebrauch aller damals bekannten Kräuter behandelt wurde. Plenck folgte dabei dem Ordnungssystem des schwedischen Botanikers Carl von Linné (1707–1778). Vergeblich bemühte sich Cécile um weitere Therapeutika und fügte in einem Brief vom 13. März ein drittes Rezept bei, das eine gewisse Frau Riedhammer vor starken Schmerzen bewahrt habe und bat dabei den Brieffreund inständig, auch dieses unbedingt anzuwenden. Nur wenige Tage später, am 24. März – Cécile von Roggendorf hatte durch Charles Joseph de Ligne von Casanovas mittlerweile unglaublichen Schmerzen erfahren – fügte sie noch ein viertes Rezept hinzu und riet dem Brieffreund, getrocknete Pflaumen zu essen und einen Trank aus Wacholderwurzeln5 zu sich zu nehmen, der mit 1 2 3

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Marr 8–65. Übersetzung nach E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 324–325. Marr 8–68: Ma dernier Vous a convaincui mon digne ami que Vous etiés encore suseptible de plaisir me dites Vous, pauvre Longin que je vous suis reconnoissante, que j’y suis sensible, votre etat me desole mais l’espoir ne m’abandonne pas. Voila encore une recepte avec la qu’elle je Vous importune et que je Vous priè en grace de mettre en usage, le medecin qui me la donné pour Vous, m’en permet des merveilles, et Monsieur Plenck est un homme eclairé dont la reputasion et tres etablie. NDB 20, 2001, 528 f., s. v. a. „Plenck, Joseph Jacob von“. S. Hahnemann, Apothekerlexikon, 512–513.

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Sicherheit gegen die „Wassersucht“ helfe. Bereits der Historiker Curiel vermutete aufgrund einer Passage in einem Brief von Pietro Zaguri vom 16. Februar 1798,6 dass Casanova zu diesem Zeitpunkt möglicherweise auch einen Schlaganfall erlitten habe und teilweise gelähmt gewesen sei. Aus mehreren Briefen Casanovas geht zudem hervor, dass er große Schwierigkeiten beim Urinieren gehabt haben musste, da Flavio Droghi7 in einem Brief bedauerte, Casanova nicht das gewünschte Urinal (vaso) beschafft haben zu können und ihm daher empfahl, sich nach Dresden oder Töplitz zu wenden.8 Casanova bat daraufhin seinen Arzt Hansa, dem es ebenfalls nicht gelang, das Gewünschte zu beschaffen.9 Casanovas Neffe Carlo Angiolini schickte schließlich zwei Urinale von Dresden nach Dux (2 urinali, 2 libre farina und 2 libre di ciocolata).10 Anscheinend hatte sich Casanova auch gegenüber Hansa beklagt, dass die verschriebenen Therapeutika nicht umgehend die gewünschte Wirkung zeigten, worauf ihm der Arzt in einem Schreiben vom 14. April 1798 antwortete, man könne nicht erwarten, dass ein Therapeutikum sofort seine heilsame Wirkung entfalte und Casanova dies doch wisse! Er bäte ihn deshalb, das verschriebene Mittel wenigstens noch weitere acht Tage zu sich zu nehmen, um den Behandlungserfolg zu garantieren.11 Auch Pietro Zaguri wollte dem kranken Freund aus der Ferne zu Hilfe kommen und ihm durch einen vertrauten Boten diverse Heilmittel zukommen lassen, die von dem deutschen Arzt Majer stammten,12 6

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Marr 3–127 (P. Molmenti, Carteggi Casanoviani, 345): Con gran senso di dolore sento il colpo che v’afflisse, e non avrò pieno conforto se non dopo la conferma, che attendo impaziente della parte totalmente ricuperata, cosa che io spero assai per la sollecitudine del miglioramento. In proporzion di questo, credo, che si minorerà l’altro sintoma involontario, almen così desidero di tutto cuore. Flavio Droghi (geb. um 1728) trat im Alter von dreißig Jahren in die österreichische Armee ein (Infanterie Nr. 17) und wurde später Kapitän des Regiments von Hohenlohe. Er starb 1798 im Hospital von Ossegg. Marr 14i1 (Ende 1797 ?): Dalla forma de miei caratteri le sarà facile il comprendere, che il mio pugno e paralitico, e invalido; già da più di otto settimane non posso più sortire di camera, ne meno in stato di andar dalla poltrona sul letto senza il sostegno di qualcheduno; poco sonno, e niente d’apetitto, e vivo più di medicine che di pane; pacienza. Mi rincresce sentire l’acadutole accidente e mi sono dato le premure possibili per procurarle un vaso che Lei abbisogna, ma pur troppo in tutto questo convento non se ne trova adattato, cioè un papagallo a collo torto e solam.te li due presenti che le invio, quali le ponno (d. h. possono) essere di qualche servitio fino all’arivo de suoi comesi da Dresda; vengo però assicurato che in Töpplitz si possino trovarne adattati al di Lei bisogno. Marr 10P1: La stupidité du cocher qui m’a ramené hier est la cause que j’étois hors d’état de vous laisser dire que les deux vitriers chés lesquels j’ai cherché le ver demandé, n’on rien de semblable. Ainsi il ne reste que de le laisser aporter de Dresde. Marr 16i20. Marr 10P2: Je suis bien faché que l’effet de la médecine prise une fois, ne satisfasse pas à votre attente. Mais, mon Dieu! Vous êtes trop sage et riche en lumières pour vous dire, que dans un corps dont les ressorts des la vie, par le mouvement inévitable qui existe entre les fluides et solides de nôtre machine, et par les loix gnénérales de humanité, doivent être usés, et que par conséquent les remèdes les mieux choisis ne puissent pas opérer si promptement. Aiès la complaisance pour vos propres intérêts, seulement pendant 8 jours continuer quelque chose. Brief Pietro Zaguris vom 31. März 1798 (Marr 3–130; P. Molmenti, Carteggi Casanoviani, 352).

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der dafür bekannt war, bereits viele Patienten von Wassersucht (idrope) geheilt zu haben. Gian Agostino Carli aus Triest werde laut Zaguri daher umgehend veranlassen, dass Casanova die besagten Therapeutika zugestellt werden würden.13 Zaguri beruhigte den Patienten, dass nach der Auskunft von Majer durchaus Heilungschancen bestünden, wenn Casanovas Erkrankung zu den ersten beiden Kategorien von insgesamt dreien gehöre. Gefährlich sei es jedoch, wenn er an sehr starkem Durst leide, den Urin nicht halten könnte, keinen Appetit mehr habe und nicht zu Kräften käme.14 Doch leider sollten sich alle Bemühungen der besorgten Freunde schließlich als vergeblich erweisen, denn Anfang Juni verstarb Casanova auf Schloss Dux. Kurz vor seinem Tod verfasste er noch am 1. Juni 1798 einen Brief an Elisa von der Recke (1754/56–1833), wohl eine seiner treuesten Briefpartnerinnen, in dem sich der kranke Venezianer für die Suppenwürfel bedankte, die die fürsorgliche Elisa ihm geschickt hatte:15 Wohltätige Elise, Ich habe die Suppenwürfel erhalten. Wenn Sie mich wiederhergestellt haben, werde ich Ihnen gehören; aber was werden Sie mit mir tun? Ich kann weder lesen noch schreiben und könnte Ihnen nicht einmal mehr Nachricht von meiner Existenz geben, wäre nicht mein Neffe bei mir. Morgen erwartet man in Toeplitz Erzherzog Karl, der hier eine Badekur machen wird. Leben Sie wohl, anbetungswürdige Elisa, ich bleibe Ihr aufrichtig ergebener Casanova.16 Von der Hand Carlo Angiolinis steht darunter geschrieben:17 Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen mitzuteilen, dass mein Onkel im Sterben liegt; er wollte unterschreiben, hat aber nicht mehr die Kraft dazu.18

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Marr 3–130 (P. Molmenti, Carteggi Casanoviani, 352): Assicurato, che certo medico Majer tedesco, col metodo che deve pervenirvi ha guarito alcuni dall’idrope, o prolungato con molta temperanza l’incomodo in altri, e con quasi radical sollievo dell’esborso involontario d’orina, ho creduto di portar sollievo alla mia afflizione sul vostro riguardo consultando, e spedindovi subito per il mezzo del Co. Carli, mio amico di Trieste una cassettina, che gli ho ordinato di francare con le pillole, le liquore, che spero vi pervenirà per la diligenza il più presto possibile. Egli assicura che se l’idrope è di fresco manifestate, e l’idrope sia delle due specie indicate, e non della terza, la guarigione è presso che sicura. In ogni caso accettate il buon animo, e l’amico interesse, che m’illuse, e temperò il mio dolore. Adesso con estremo giubilo sento decisamente che non temete più idropsia, ma se non potete estinguer la sete, né ritenere urina, ne guadagnar appettito, nè ricuperar forze, ne avete dunque alcuni dei sintomi indicanti, e minacciosi. Dunque la cura è specificamente giovevole, ed oso dir, che sarebbe un valida preservativo, o in prevenzione usabile, o al momento ch’ella quod Deus advertat minacciasse un ritorno. Marr 40–22 (C. Curiel et al. (Hrsg.), Patrizi e avventurieri, dame e ballerine, 458). E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 345–346. PS: Mi prendo la libertà venerat.ma Signora di dirle che il mio povero zio è moribondo; ha voluto firmare ma non ha più forza. E. Straub / H. von Sauter (Hrsg.), Gesammelte Briefe, 346.

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Abb. 8 Bitte des kranken Casanova um Biscuits

Nach Aussage Charles Joseph de Lignes seien Casanovas letzte Worte gewesen: Großer Gott und Ihr alle, Zeugen meines Todes: Ich habe als Philosoph gelebt, und ich sterbe als Christ.19 Giacomo Casanova wurde auf dem Friedhof von Dux nahe der Kirche Santa Barbara begraben. 1903 wurde dieser Friedhof geschlossen und in den Park Schiller integriert, wobei die Gebeine der Verstorbenen im Keller der Lobkowitz-Kapelle aufbewahrt wurden, die sich ebenfalls auf dem Friedhofsgelände befand. Diese Kapelle existiert heute nicht mehr; die Gebeine Casanovas bleiben bis heute unauffindbar. Somit erinnert heute nur noch eine kleine Gedenktafel an der Kirche Santa Barbara an den außergewöhnlichen Venezianer.

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B. Brunelli, Vita di Giacomo Casanova, 205.

Epilog: „Mythos Casanova“ und die Entdeckung des „anderen Casanova“ Noch auf Schloss Dux in Böhmen hatte der alternde Casanova mit der Niederschrift seines bekanntesten Werkes begonnen, doch war die Histoire de ma vie wohl ursprünglich nicht unbedingt zur Publikation vorgesehen gewesen, spielte Casanova doch sogar mit dem Gedanken, das Manuskript zu verbrennen. Sein Bruder Francesco, dem er von diesem Anliegen berichtet hatte, war sogar der Ansicht, dass das Leben Casanovas es nicht verdiene, aufgeschrieben zu werden.1 Nach dem Tod Casanovas im Jahre 1798 erbte der Ehemann seiner Nichte Marianna August, Carlo Angiolini (gest. 1805),2 neben dem Manuskript der Histoire de ma vie auch die philosophische Abhandlung Essai de critique sur les mœurs, sur les sciences et sur les arts, in der Casanova das Wissen seiner Zeit kommentierte, die Schrift über den Wucher (Lucubration sur l’usure) und die Abhandlung über die Reformation des gregorianischen Kalenders (Rêverie sur la mesure moyenne de notre année et selon la Réformation Grégoire).3 Insgesamt rund achttausend weitere Dokumente, Listen, poetische Texte, Essays und Bücher aus der Feder Casanovas sowie Teile seiner Privatbibliothek verblieben hingegen im Besitz der Familie Waldstein.4 Der Sohn Carlo Angiolinis sollte das Manuskript der Histoire de ma vie am 18. Januar 1821 letztendlich an den Verlag Brockhaus verkaufen,5 in dessen Besitz es fast zweihundert Jahre bleiben sollte. Wilhelm von Schütz (1776–1847), einem deutschen Romantiker und Literaturkritiker,6 wurde von dem Verleger Friedrich Arnold Brockhaus auf Anraten Ludwig Tiecks (1773–1853) 1821 schließlich die Übersetzung der Histoire de ma vie anvertraut, wobei Wilhelm von Schütz jedoch nahegelegt wurde, gewisse Passagen dem Zeitgeschmack entsprechend zu „bearbeiten“.7 Brock1

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Vgl. etwa den Brief Max Lambergs an Casanova vom 18. Mai 1792 (Marr 2–121; G. Gugitz, Casanova und Graf Lamberg, 261): M. Votre frere a eu tord de me dire que l’Histoire de Votre vie, ne se reduisant pour ainsi dire qu’a des epoques ou à des dâtes Ephemerides, étoit aussi inutile d’être ecrite que le seroit celle du Prince de Kaunitz, dont le train de vie ordinaire est depuis son existence d’une uniformité, qui se reduit à des alliances, à des traités et c que l’on est dispensé de lire quand on est un peu au fait de l’Histoire de son tems et des evenemens qui s’en sont suivis. Vgl. den Brief des Agenten Friedrich Gentzel vom 20. Januar zu Gunsten Carlo Angiolinis (O. Uzanne, Jacques Casanova de Seingalt, Vénitien-Cosmopolite, 1725–1789, Paris 1924, Ixxxvi). Die anderen Manuskripte wurden von Laforgue in den Appendix seiner Edition (1826–1838) aufgenommen. V. Polisensky, Present State of Casanova Studies in Czechoslovakia, Casanova Gleanings 10, 1967, 10–11. F. Luccichenti, Il manoscritto delle memorie e l’edizione Brockhaus & Plon, Intermédiaire des Casanovistes 10, 1993, 27–42. U. Porak, Wilhelm von Schütz. The First Editor of Casanova’s Memoirs, Casanova Gleanings 20, 1977, 3–4. Urania 1822: Seine Ansicht über diese Memoiren wurde die der Freunde, dass sie nämlich an Reichhaltigkeit des Stoffes, an Lebendigkeit der Darstellung, an scharfsinniger Lebensauffassung, an Originalität und innerer Wahrheit der Begebenheiten, an Vielseitigkeit der Ansichten, an Neuheit

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haus selbst teilte Schütz brieflich ausführlich mit, wie er mit der Übersetzung verfahren solle: Ich theilte ihm [d.h. Schütz] dann heftweise zu, was er übersetzen sollte, bezeichnete ihm die Stellen, die er auslassen müste, und hülfe ihm mit meinem Rath, wie andre halb bezeichnet und halb verschwiegen werden können. Denn Vieles ist für uns Deutsche, ja vielleicht für jeden Menschen gar arg; andres, das schlimm genug ist, darf doch nicht gantz übertragen werden. […] Vom Literarischen, von den Portraits und Anekdoten der Staatsmänner, Avantüriers, und Künstlern, Weibern und bekannten Leuten darf nichts wegbleiben: nur die Scenen der Wollust gemildert und abgekürzter, die Abscheulichkeit der Blutschande gantz verschweigen, oder nur oberflächlich zu errathen zu geben, und sein philosophirendes Räsonnement zusammen gezogen oder durchstreichen.8 Wilhelm von Schütz teilte jedoch keineswegs die Ansicht seines Verlegers und brachte dies im Vorwort zur ersten Ausgabe von 1821 nur allzu deutlich zur Sprache, da er befürchtete, durch die vorgenommenen Veränderungen könnte die Authentizität der Darstellung verloren gehen: Der Verfasser hat Liebesabenteuer erlebt, welche gerade in dem, was man zu sagen scheu tragen möchte, das Schicksal und die Poesie verborgen halten. Sollte dies weggelassen, oder durch anderes ersetzt werden? War es thunlich, hier und da Zucker und Vanille hineinzustreuen, wo ein scharfes Salz hingehörte und gewirkt hatte?9 Am 6. September 1821 äußerte Schütz in einem Brief an Brockhaus sogar die Ansicht, dass gerade in dieser Zeit erotische Schilderungen eine positive „therapeutische“ Wirkung auf das literarische Publikum haben könnten: Dass Sie den erotischen Theil seiner Memoiren selbst in der Ausgabe des Originals meist ganz unterdrücken wollen, kann ich indes nicht durchaus billigen. Meiner Meinung nach thut der frömmelnden Impotenz unserer Zeit eine kräftige Sinnlichkeit vor allem gut und ein Aristophanes unserer Tage wäre der Arzt der Zeit, der all dem weichlichen Gefasel von mystisch-religiöser Moral ein Ende machen könnte.10 In der Tat blieb die Veröffentlichung der Histoire de ma vie zu dieser Zeit nicht unbeachtet, und die Ansicht des Übersetzers wurde auch nicht von den Literaturkritikern des Biedermeier geteilt.11 So sandte etwa Johanna Schopenhauer (1766–1838), nachdem diese erst enthusiastisch auf die im Literarische(n) Conversationsblatt publizierten Auszüge reagiert hatte, den ersten Band mit einem empörten Kommentar zurück,12 und Achim von Arnim (1781–1831) schrieb an Bettina Brentano (1785–1859) am 25. Mai 1822, er habe die Memoiren des Casanova erworben, die eigentlich nichts anderes sind als Aufschneidereien von Liederlichkeiten, die ein alter Mann aus seiner Jugend aus-

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und Frische der Mitteilungen kaum ihres Gleichen in der europäischen Literatur haben dürften, dass aber auch ihre vollständige Mitteilung, sowohl im Original als in einer deutschen Übersetzung völlig unthunlich sey. H. Sembdner, Schütz-Lacrimas, 148. Vorwort zur ersten Ausgabe 1821. J. Rives Childs, Casanoviana, Anm. 901 und Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung ( Jan. 1823, no. 177). Brief von Heinrich Heine (7. Juni 1822); Brief von Achim von Arnim (25. Mai 1822). Beide Briefe sind abgedruckt bei H. Sembdner, Schütz-Lacrimas, 155. Brief an Brockhaus vom 25. November 1821 (vgl. H. Sembdner, Schütz-Lacrimas, 150).

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schmückt, um sich oder hohen Gönnern eine Freude zu machen.13 Die Jenaische Allgemeine Literaturzeitung14 zeigte sich entsprechend empört: Was die tausend Seiten sonst noch enthalten? Das Treiben eines liederlichen Glücksritters, Wollustscenen, und darunter wahre Bestialitäten […], welche nur Ekel einflößen können. Die Reaktionen des literarischen Publikums auf die Publikation der Histoire de ma vie lassen sich in der Tat vor dem Hintergrund des jeweiligen Zeitgeistes erklären. Unbeachtet blieb hierbei, dass Casanova eine lange literarische Tradition fortführte, denn seine freimütigen Schilderungen, ebenso wie sein Verhältnis zur Liebe, einer Liebe der reinen Sinnlichkeit, stehen in der Tradition des italienischen Romanes des Rinascimento (Giovanni Boccaccio, Masuccio Salernitano, Giovanni Francesco Straparola). Hinsichtlich des Aufbaus seiner Lebenserinnerungen15 orientierte sich der Venezianer dabei an der im 18. Jahrhundert aufkommenden Autobiographie, wie nach ihm auch Lorenzo da Ponte und Carlo Goldoni. Casanovas Histoire de ma vie ist aber zugleich auch ein „literarisierter“ Lebensbericht, also eine Autobiographie, in der einzelne Szenerien poetisch derart ausgestaltet sind, dass sie an zeitgenössische Klassiker erinnern und motivliche Analogien bilden.16 Casanova verband auf diese Weise sein eigenes Leben mit der Literatur seiner Zeit, sei es mit den philosophischen Schriften eines Rousseau, eines Voltaire oder Montesquieu, mit den populären Theaterstücken Molières, den Klassikern der italienischen Renaissance (Pietro Aretino, Dante Alighieri, Giovanni Boccaccio, Ludovico Ariosto) oder den zahlreichen populären Erotika17 wie Thérèse Philosophe von Jean-Baptiste de Boyer (Marquis d’Argens), den Aventures des Chevalier Faublas von Jean-Baptiste Louvet de Couvray, Le Sopha von Crébillon fils oder gar dem Tugendroman Paul et Virginie von Bernardin de Saint-Pierre.18 Nach wiederholten Rückschlägen19 erschien ab dem vierten Band (1825) der Name des Übersetzers nicht mehr auf dem Titel, und die Histoire de ma vie wurde nun außerhalb Deutschlands gedruckt.20 Über die Unlust von Wilhelm 13 14 15 16

Abgedruckt bei H. Scheible, Mythos Casanova, 76. Ergänzungsblatt. Nr. 23, 1826, Sp. 183. G. Misch, Geschichte der Autobiographie, 4 Bände, Bern / Frankfurt a. M. 1949–1969. A. Aurnhammer, Lieben wie man liest. Dichtung und Wahrheit in Casanovas Histoire de ma vie, in: M. Kunze (Hrsg.), Die Casanovas, 9–28. 17 R. Darnton, Denkende Wollust oder Die sexuelle Aufklärung der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1996. 18 M. Leeflang / T. Vitelli (Hrsg.), Examen des Études de la Nature et de Paul et Virginie de Bernardin de Saint-Pierre, Utrecht 1985. 19 1822 (Nr.5) und 1823 (Nr. 116 und Nr. 117); 1822 (Nr. 205); H. Sembdner, SchützLacrimas, 52. 20 Im Vollständige(n) Verzeichnis der von der Firma F. A. Brockhaus in Leipzig seit ihrer Gründung durch Friedrich Arnold Brockhaus im Jahre 1805 bis zu dessen hundertjährigem Geburtstage im Jahre 1872 verlegten Werke. In chronologischer Folge mit biographischen und literarhistorischen Notizen, Wiesbaden 1872 von Heinrich Eduard Brockhaus werden unter dem Namen jedes Autors dessen Publikationen mit Angabe des Jahres und des Titels genannt. Unter Wilhelm von Schütz (168) ist die Histoire de ma vie nicht eingetragen, sondern unter Johann Jacob Casanova de Seingalt. Schütz als Übersetzer wird lediglich bis zum vierten Band genannt (175).

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von Schütz’, mit der Übersetzung fortfahren zu wollen, gibt auch das Tagebuch des jungen „Lolo“ Clary Auskunft, nachdem dieser am 1. August 1824 Schütz in Töplitz getroffen hatte und dabei vermerkte, dass jener nicht mehr mit der Übersetzung fortfahren wolle.21 Möglicherweise fürchtete Wilhelm von Schütz weniger um seinen Ruf, als dass sein Name auf verbotenen Büchern erscheinen könnte, da am 18. Mai 1822 auf Druck des preußischen Ministers Friedrich von Schuckmann (1755–1834) das Zensur-Edikt gegen den Verlag Brockhaus erneuert worden war. Gerade zu diesem Zeitpunkt erschien die Übersetzung der Histoire de ma vie, und Friedrich Arnold Brockhaus selbst verstarb bereits im August 1823. Friedrich von Schuckmann war mit Henriette von Lüttwitz (1796–1799) verheiratet, in die sich einst der einundvierzigjährige Johann Wolfgang von Goethe verliebt hatte und die im Juli 1786, im Alter von siebzehn Jahren, Giacomo Casanova auch persönlich in Dux getroffen hatte.22 Zehn Jahre später, nun verheiratet mit Friedrich von Schuckmann, korrespondierte sie noch immer regelmäßig mit dem alternden Venezianer und beklagte sich über den Mangel an intellektuellen Anreizen im provinziellen Bayreuth. Casanova solle sie, so Henriette von Schuckmann in einem Brief aus dem Jahr 1796, unterstützen und ihr Apoll, ihr geistiger Führer, sein.23 Bereits wenige Jahre später verstarb Henriette, und Friedrich von Schuckmann ehelichte ihre Schwester Eleonore. Waren Casanovas unverblümte erotische Schilderungen als Grund für das Verbot der Bücher vielleicht doch nur ein Vorwand des eifersüchtigen Friedrich von Schuckmann? Hatte Henriette von Schuckmann möglicherweise zu sehr den Mann gerühmt, der bei ihr einen so bleibenden Eindruck hinterlassen hatte? Die französische Bearbeitung der Histoire de ma vie von Jean Laforgue, einem Französischlehrer an der Académie des nobles in Dresden, richtete sich nach der (bearbeiteten) deutschen Ausgabe und entstand zwischen 1826 und 1828.24 Durch Laforgue wurde Casanova im 19. Jahrhundert auch im französischen Sprachraum bekannt, wobei Laforgue die Histoire de ma vie ebenfalls dem Zeitgeschmack anpasste, indem er gewisse Passagen „korrigierte“ bzw.

21

1. August 1824; Intermédiaire des Casanovistes 18, 2001, 44: Monsieur de Schütz qui part demain. Je lui en veux bien de ne pas vouloir continuer [la traduction de] Casanova. Il a pris une passion pour la Bohème, il lui trouve des rapports avec l’Indou. Il veut passer un an à Prague pour l’apprendre à fond – pas l’Indou mais le Bohème. Am 21. Juni 1824 bemerkte „Lolo“, nachdem er den Roman des persischen Abenteurers Haji Baba gelesen hatte: C’est un aventurier persan, comme Casanova en est italien, Anastase un grec, et Brandes un allemand. Tous quatre sont des gens de sac et de corde et des sujets à prendre. Tous quatre nous mènent en mauvaise société. Vgl. zu Casanova im Tagebuch von „Lolo“ M. Leeflang, Casanova par les yeux du jeune Clary, Casanova Gleanings 20, 1977, 18–26. 22 Marr 8–9 (13. Februar 1796; A. Ravà / E. Maynial (Hrsg.), Lettres de femmes, 281). 23 Marr 8–9: Je sens l’aliénation de ma petite dose d’esprit, j’envisage ma mort intellectuelle […] Je souhaite que vous soiez mon guide, ne me nommez pas importune quand je vous supplie d’être mon Apollon. 24 Mémoires de Jacques Casanova de Seingalt, Leipzig/Paris 1826–1838. Vgl. zu J. Laforgue C. Samaran, Jean Laforgue, Casanova Gleanings 20, 1977, 6–13; G. Forsch, Casanova und seine Leser, Rheinbach/Merzbach 1988, 20–42.

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ganz herausstrich ((en) corrigeant des passages et en supprimant d’autres).25 Die erste Originalausgabe der Histoire de ma vie sollte erst 1964, also über hundert Jahre später, publiziert werden,26 und eine originalgetreue deutsche Übersetzung erschien noch im selben Jahr.27 Posthum gelangte Giacomo Casanova schließlich zu Ruhm, der aber auf seinem Lebensbericht und nicht, wie er es sich gewünscht hatte, auf seinen zahlreichen anderen literarischen Werken beruhte, denn noch immer war die Existenz von Casanovas Nachlass, der sich im Besitz der Familie Waldstein befand, nur einem kleinen Kreis von Interessierten und Wissenschaftlern bekannt.28 Der „andere Casanova“, wie ihn Edgar von Schmidt-Pauli 1930 treffend betitelte, jener uomo universale, wurde so erst im 19. Jahrhundert im Rahmen der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit seinem Nachlass entdeckt und sollte das bisherige Bild des Venezianers, den „Mythos Casanova“, Schritt für Schritt verändern.29 Viele Aspekte von Casanovas Persönlichkeit gelangten erst nach und nach ans Tageslicht und fanden anfangs auch nur in einem kleinen Kreis von „Eingeweihten“ Beachtung.30 Im Laufe des 19. Jahrhunderts war das Waldsteinsche Schloss Anziehungspunkt für all diejenigen geworden, die sich für Casanova interessierten. Bisher hatte man diesen Dokumenten nur wenig Beachtung geschenkt, waren diverse Schriftstücke doch sogar an Interessierte als Erinnerungsstücke verkauft worden.31 Die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung und Perspektivenänderung wurde schließlich durch Friedrich Wilhelm Barthold ausgelöst, der 1846 einen Artikel über die historischen Personen in der Histoire de ma vie publizierte (Les personnalités historiques dans les Mémoires de Jacques Casanova). 1868 veröffentlichte Armand Baschet nach intensiven Recherchen in Venedig eine Serie von Artikeln über Casanova,32 darunter die Preuves sur l’authenticité des Mémoires de Jacques Casanova. Unter den Besuchern in Dux waren auch Alfred Meissner und Julius Gundling (Lucian Herbert), die schließlich die Erlaubnis erhielten, Manuskripte aus dem Nachlass Casanovas einzusehen,33 weshalb Gundling 1872 noch einmal nach Dux zurückkehrte und den gesamten Nachlass in einer zweiwöchigen Arbeit ordnete.34 1883 gelang es Gustave Uzanne, dem Her25 Ch. Thomas, Casanova. Un voyage libertin, 296–316. 26 Histoire de ma vie, Wiesbaden/Paris 1960 ff. 27 E. Loss / H. von Sauter (Hrsg.), Giacomo Casanova Chevalier de Seingalt, Geschichte meines Lebens, Frankfurt a. M. / Berlin 1964. 28 J. Polisensky, Present State of Casanova Studies in Czechoslovakia, Casanova Gleanings 10, 1967, 10–13. 29 E. Straub, Giacomo Casanova als Wissenschaftler, in: M. Kunze (Hrsg.), Die Casanovas, 41–50. 30 T. Vitelli, Carving up Casanova: 200 Years of Critical Evaluations of Casanova and his Memories, Intermédiaire des Casanovistes 15, 1998, 23–34. 31 A. Meissner, Aus den Papieren meines Grossvaters, Neue freie Presse Wien, 20. April 1871. 32 A. Baschet, Preuves curieuses de l’authenticité des mémoires de Casanova, Le Livre, janvier/ mars 1881. 33 L. Herbert, Introduction, Casanova de Seingalt, Band 1, Jena 1874, 59. 34 L. Herbert, Introduction, 63.

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ausgeber der Zeitung La litterature du monde, Kopien von einigen Manuskripten zu erhalten.35 Um 1880 initiierte der italienische Senator Alessandro d’ Ancona ein Projekt, das zum Ziel hatte, den Nachlass Casanovas in Dux zu kopieren. Dafür engagierte er den jungen Professor Antonio Ive, der schließlich Hunderte von Dokumenten abschrieb, darunter zahlreiche Briefe. Da sich Alessandro d’Ancona zu alt für diese zeitintensive Aufgabe fühlte, übergab er die italienischen Texte dem renommierten italienischen Historiker Pompeo Molmenti, die französischen Schriftstücke dem Gelehrten Gustave Uzanne. Beide publizierten zahlreiche Bücher, die auf den Kopien Antonio Ives beruhten. Nach dem Tod des Grafen Georg von Waldstein im Jahr 1895 wurden die Dokumente durch eine Fideikommiss einer einundzwanzig Seiten umfassenden Inventarisierung unterzogen, anhand derer der damalige Schätzwert des Nachlasses 11 243 Gulden betrug.36 Arthur Mahler publizierte 1904 das erste kleine Inventar des kompletten Bestandes. Der Fabrikant und Historiker Bernhard Marr (1856–1940) fügte einen 39. Umschlag hinzu,37 fertigte ebenfalls zahlreiche Kopien an, notierte Erklärungen und Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten und verfasste einen eigenen Katalog („Marr“), der viertausend Einzelnamen enthält und 1913 vollendet wurde. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg erwarb der neue tschechoslowakische Staat 1921 das Schloss von Dux, wobei die Bibliothek nach Münchengrätz (Mnichovo Hradisté) verlegt wurde, der Nachlass Casanovas nach Hirschberg (Doksy). Auch die Bibliothek von Bernhard Marr, die er während seines Aufenthaltes bei der Familie Waldstein 1938 verkauft hatte, wurde zunächst nach Prag und schließlich nach Münchengrätz verlegt. Heute befindet sich die Bibliothek unter der Verwaltung des Kultusministeriums, und das Innenministerium ist mit der Verwaltung der Archive betraut. Der Nachlass Casanovas ist heute im Staatsarchiv in Prag (Archivní 4, 149 00 Prag 4 Chodov) untergebracht, während die Histoire de ma vie vom Verlag Brockhaus 2010 an die Bibliothèque Nationale de Paris verkauft wurde.

35 A. Baschet, Preuves curieuses, 34. 36 28 100 Goldfranken (130 Kilo Gold), heute etwa eine Kaufkraft von 280 000 Euro. 37 Der 39. Umschlag enthält sechs Dokumente, die sich in der sogenannten kleinen Bibliothek der Familie Waldstein befanden. Ein weiterer Umschlag wurde hinzugefügt um Dokumente außerhalb des Schlosses aufzunehmen.

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Francesco Casanova, Portrait Giacomo Casanovas im Alter von 71 Jahren (Privatbesitz) Abb. 2: Karikatur, wahrscheinlich Casanova darstellend. Aus: G. Gugitz, Giacomo Casanova und sein Lebensroman, Wien 1921, 289 Abb. 3: „Einige chirurgische Operationen“: Bildnachweis: Pictura Paedagogica Online (www.bbf.dipf.de) Abb. 4: D. Chodowiecki, zu Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente, Einige Beylagen zur physiognomischen Charakteristik der gewöhnlichen Vier Temperamente (um 1770). Aus: Ch. Siegrist (Hrsg.), Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe. Eine Auswahl. Stuttgart 1992, 338 Abb. 5: La consultation des médecins. Karikatur von L. Boilly (Genfer Privatsammlung) Abb. 6: Galante Szene, um 1770 (deutsche Privatsammlung) Abb. 7: Zahnprothesen Mitte des 18. Jahrhunderts. Aus: Philipp Pfaff, Abhandlung von den Zaehnen des menschlichen Körpers und deren Krankheiten, Berlin 1756, Tafel 6 Abb. 8: Bitte des kranken Casanova um Biscuits (Staatsarchiv Prag). Aus: E. von Schmidt-Pauli, Der andere Casanova, Berlin 1930, 288

Register Personen Acquaviva, Trajano 14 Albinus, Bernhard Siegfried 133 Albinus, Christian Bernhard 133 Aldringen, Charles Joseph Clary („Lolo“) 36, 171, 174, 189 d’Alembert, Jean-Baptiste le Rond 19–20, 33, 81, 102 Algardi, Francesco Antonio 114–116, 131 Ambrosi, Karl Wenzel 46 Amigoni, Jacobo 136 d’ Ancona, Alessandro 191 Angiolini, Carlo 183–184, 186 Apotheker 39, 45, 52, 72, 78, 154 Aretino, Pietro 140 Aristoteles 40, 138 Arnim, Achim von 187 Arzt 30, 34, 45–46, 48, 52, 58, 67, 70–72, 74, 78–84, 89 (Kosten), 92 (Kosten), 115, 131– 132, 134, 136, 138, 142–143, 146, 168, 178, 187 Asklepiaden 106, 107 Avogadori di comun 70–72 Avvocato d’ufficio dei prigionieri 70 Azzoguidi, Germano 147–148 Bach, Johann Sebastian 56 Bader 30, 84, 126 Baffo, Giorgio 12, 48 Balbi, Marino 36, 74 Balletti, Manon 96 Balletti, Silvia 39 Balsamo, Giuseppe (Cagliostro) 16, 25, 89 Barbaro, Marco 15, 22, 155 Barthold, Friedrich Wilhelm 190 Basadonna, Lorenzo 71, 73, 75 Baschet, Armand 190 de’ Basegi, Rivier 46 Bassi (ein Komödiant) 45 Batthyani, Antal 84 Beckwith, Charles Frederick von 132 Behrisch, Heinrich Wolfgang 173 Bellotti, Paolo Carlo 72 Beretta della Torre, Baldassarre 110 Bergonzi, Nina 140 Bernardi, Francesco 163 Bernardis, Bernardo di 14, 58 Bernis, François-Joachim de Pierre de 19 Bettmann (Oberst) 81, 177 Bilistein, Charles-Leopold Andreu de 134

Binetti, Anna 85 Blair, James 174 Boerhaave, Herman 13, 32–33, 39, 77, 79, 82, 91, 99, 101, 103–104, 106–107, 116, 144, 151, 181 Boethius 73 Boncio, Antonio 59 Boskovitch, Roger Joseph 20 Boswell, James 19, 26, 123, 141, 175 Bovolenta, Propero da 160 Bragadin, Matteo 15, 22, 63–65, 77, 155 Brambilla, Johann Alexander von 110–111 Branicky, Francisek Ksawery 21, 69, 84–88 Bratolini, Antonio 22 Brentano, Bettina 187 Bretonne, Rétif de la 25 Brockhaus, Friedrich Arnold 186 Brosses, Charles de 12–13 Brühl, Aloys Friedrich von 107–108 Bruno, Giordano 69 Buschini, Francesca 22, 42, 167–170, 172–173, 178 Buschini, Giacomo 167–168 Buschini, Maria 167 Butchell, Martin van 174 Cagliostro (s. Balsamo, Giuseppe) Calvert, Frederick Lord of Baltimore 168 Calzabigi, Giovanni Antonio „Jean“ 19, 96 Calzabigi, Renier 89, 96–97 Campioni, Ancilla 92, 123 Candiani (ein Schüler) 160 Capitani, Antonio di 154 Capretta, Caterina (C. C.) 77, 138, 146 Carli, Gian Agostino 184 Carli, Tomaso 129 Carriera, Rosalba 66 Casaamata, Johannis Virgilius 120–121 Casacci, Teresa 85 Casanova, Faustina 10 Casanova, Francesco 10, 24, 173, 186 Casanova, Gaetano 9, 11 (Sohn), 52 Casanova, Giovanni Battista 10, 11 Casanova, Maddalena 10 Casanova, Teresa 11 Casanova, Zanetta 11, 14 Castelbajac, Louis de 145 Caton M. 124 Cavalli, Domenico Maria 72

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Register

Charlotte (de Lamotte) 89, 147 Charpillon 78, 132 Chartres, Louise-Henriette de 78–79, 155– 156 Chavigny, Anne Théodore de 95 Chémant, Dubois de 173 Chiari, Pietro 11, 16, 52 Chirurg 85, 93 Christian VII. (von Dänemark) 107 Christina 51, 82 Clemens XII. (Papst) 22, 59 Cobenzl, Philipp Joseph von 160 Cocchi, Antonio 66 Collegium medicum 45, 71, 129–130, 140 Colombo, Renaldo 34 Condulmer, Antonio 69 Conegliano, Beniamino 165 Consiglio dei Dieci 70–72 Cornaro, Girolamo 63 Corticelli, Maria Anna 90 Costa (ein Diener) 131 Couvray, Jean-Baptiste Louvet de 17, 188 Crébillon, Prosper Jolyot 16 Croce, Antonio 147 Da Mula, Antonio 69 Dal Pozzo, Anna Maria 67 Dal Pozzo, Cattarina 67 Dal Pozzo, Leopoldo 67 Dalessi, Francesco 71 Damiens, Robert François 19 Dandini, Ercole Francesco 12 Dandolo, Marco 15, 22, 65, 155 Deisch, Johann Andreas 130 Deldimopulos 162 Della Bona, Giovanni (?) 166 Demay, Reine 143, 145 Denon, Dominique-Vivant 164 Déscartes, René 34 Diderot, Dénis 19, 33, 148 Diedo, Andrea 69 Droghi, Flavio 183 Duchâteau, Alexis 173 Eisenbarth, Johann Andreas 30 Elisabeth Auguste (von der Pfalz) 114 Elisabeth Wilhelmine (Gattin Franz II.) 113 Esther 37 Faget, Jean 90, 129 Fallopia, Gabriele 141 Fantuzzi, Andrea Ludovico 165 Farnese, Alessandro 49 Farsetti, Tomasso 126 Farusso, Marzia 11, 51, 153 Farusso, Zanetta (später Casanova) 9

Fauchard, Pierre 172 Faust, Johann Georg 151 Feldkirchner, Georg 24, 178, 180 Ferro, Aloisio 64 Ferro, Ludovico 64 Ferro, Luigi 64 Feuchter (ein Arzt) 128–129 Foscari, Francesco 58 Foscarini, Andriana 61 Foscarini, Sebastiano 24, 124, 150 Foscarini, Vincenzo 61 Francia, Genoveva 155 Francia, Giorgio 155 Franckenbusch (Major) 46 Frank, Eva 152 Frank, Jacob 152 Franz I. Stephan (von Lothringen) 100 Franz II. (von Österreich) 113 Frémon, Jacques 172 Friedrich II. (von Preußen) 19, 21, 172 Galen 31, 41, 81, 139, 179 Gamba, Giangiacomo Marcello 90 Gendron (ein Chirurg) 85–86 Gentil-Langallerie, Philippe François 99 George II. (von England) 11, 103 Gilbert, Wiliam 42 Gluck, Christoph Willibald 96 Gobbato, Giacomo 42 Goethe, Johann Caspar 9 Goethe, Johann Wolfgang (von) 9, 13, 29, 36, 47, 54, 81, 123, 151, 175 Goldoni, Carlo 188 Goodman, George 56 Goudar, Ange 51 Goulard, Thomas 47 Gouze, Marie (Olympe de Gouges) 149 Gozzi, Antonio Maria 12, 51, 53–56, 160 Gozzi, Bettina 12, 53–56, 160–161 Gozzi, Carlo 102 Graham, James 43 Gray, Stephen 42 Grazzioli, Gerolamo 110 Greenwood, John 174 Grimani, Alvise 11, 13, 61 Grimani, Michele 11 Gritti, Zuan Antonio 42 Grünwedl, Johann Friedrich 130 Gundling, Julius 190 Haen, Anton van 108–109 Händel, Georg Friedrich 56 Hahnemann, Samuel 44, 114 Haller, Albrecht von 20, 33, 93–94, 98–102, 103, 108, 151

Register Hansa (ein Arzt) 181, 183 Harvey, William 34 Haye, Valentin de la 128 Hebamme 30, 58, 130, 138, 140, 143, 147, 160 Heiligenstein (ein Arzt) 114 Helmont, Johann Baptista von 29, 151 Helvetius 15 Henriette 78–79 Herder, Johann Gottfried 39 Herrenschwand, Anton Gabriel 94, 98, 157 Herrenschwand, Johann Friedrich 92–93 Hervey, Augustus 156 Hippokrates 31, 41, 77, 81–82, 101, 138 Hoesch, Aletta 133 Hoffmann, Friedrich 33 Horaz 147 Houssaye, Abraham Nicolas Amelot de la 22 Howard, John 59 Humbold, Alexander von 39 Hume, David 102 Hunter, John 172 Hyrneus 107–108 Imer, Teresa 14 Ingenhousz, Jan 109 Ive, Antonio 121 Iwanoff, Charles 47 Jacquier, François 20 Jenner, Edward 54 Joseph II. (von Österreich) 24, 109, 112, 124 Kaiser, Ignaz 110 Kant, Immanuel 39 Karl Theodor (von der Pfalz) 114 Katharina II. (von Russland) 21, 103 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton von 24 Keill, James 82 Keiser (ein Arzt) 97–98 Kephalides, Salomon Ambrosius 90, 129– 130 Knipps-Macoppe, Alexander 48–49, 51–53 König, Friedrich Karl von 46 La Valeur (ein Diener) 162 Laclos, Pierre Choderlos de 53, 148 Lacrosse, Antoine 147 Lacrosse, Jacques Charles 147 Lacy, Franz Moritz von 110 Laforgue, Jean 189 Lagusius Johann Georg Hasenöhrl von 113 Lamberg, Leopold 129 Lamberg, Max 43, 81–82, 100, 107–109, 115, 128–129, 138, 172, 174, 177, 180 LaMettrie, Jean Offroy de 32 Lavater, Johann Caspar 36–37

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Lavreince, Nicolas 50 Law, John 103 Leduc (ein Diener) 126–127 Leidenfrost, Johann Gottlob 133 Lena, Eusebio della 24 Leopold II. (von Österreich) 109, 113 Lez(z)e, Marco 14 Lichtenberg, Georg Christoph 36 Liebhaber (als Therapeutikum) 67 Liechtenstein, Maria Anna Teresa von 24 Ligne, Charles Joseph de 24, 26, 50, 150, 182, 185 Linné, Carl von 28, 108, 182 Loeser (Bürgermeister) 178 Lubomirski, Stanislas 86–87 Lucchesi (ein Arzt) 92, 123 Ludwig XV. (von Frankreich) 19, 53, 159 Ludwig XVI. (von Frankreich) 17 Magistrato alla sanità 58 Mahler, Arthur 191 Mai, Franz Anton 116 Maillet, Benoît de 158 Majer (ein Arzt) 183 Malipiero, Alvise Gasparo 14, 82 Malpighi, Marcello 34 Manget, Jean Jacques 150 Manin, Daniele 69 Manuzzi, Giovanni Battista 18, 52 Manzia, Lorenzo 161 Manzoni, Giovanni Maria 14 Marcolini, Elisabetta 13 Marguerite 56 Maria Theresia (von Österreich) 24, 108– 109, 182 Marie Antoinette (von Frankreich) 17, 127 Marr, Bernhard 173, 191 Marsigli, Sebastiano 146 Mathilde (von Dänemark) 107 Mead, Richard 103 Meissner, Alfred 190 Melfort, André Louis Hector Drummond 155 Melulla 62, 127 Memmo, Andrea 52, 66, 143, 163, 167 Memmo, Bernardo 52 Mengs, Anton Raphael 11, 136 Mercier, Louis-Sébastien 17, 25, 30–31, 83, 145 Mesmer, Friedrich Anton 43 Metastasio 102 Mida, Mme 49, 51 Mirabeau, Comte de 53 Mirandola, Giovanni Pico 152

210

Register

M.M. (eine Nonne) 40, 139, 142 Mme F. 35, 61 (Korfu), 126–127 Modearzt 94, 103–106 Molière ( Jean-Baptiste Poquelin) 28 Molinelli (ein Arzt) 169 Molmenti, Pompeo 191 Montagu, Lady Mary Worteley 53 Montesquieu, Charles de Secondat 15, 39 Monti, Marco 22 Monticelli (ein Arzt) 52 Morgagni, Giovanni Battista 13, 101 Morosini, Lorenzo 23 Mozart, Wolfgang Amadeus 43, 176 Muralt, Bernhard von 98–99, 100, 102 Muralt-Favre, Ludwig von 98–99 Murray, John 17, 66, 123 Napoléon Bonaparte 164 Nettesheim, Agrippa von 152 Nollet, Jean-Antoine 43 Nonne 66, 142, 145 Nuffer (eine Witwe) 94 Nugent, Thomas 21, 76 Olivo, Jacobo 53–54, 160 O’Neilan, Franz 124–125 Opiz, Johan Ferdinand 102, 129 O’Reilly, Franz Karl 176 O’Reilly, James Columb 79, 81, 176–181 Ottaviani, Carlo 13 Pajola, Francesco 163 Paracelsus 29, 31, 44, 57, 77, 127, 144, 151, 158 Pasini, Filippo 45, 69 Passano, Giacomo 159 Patient(in) 31, 49, 52–53, 61, 64, 66, 71, 79, 84, 95, 115, 118–119, 130, 132, 136, 146, 155–156, 163–166, 171, 176 Pavuto (ein Arzt) 165 Payton, Giovanni Battista (?) 146 Peipers, Adam 132 Peipers, Heinrich Wilhelm 132–135 Pellico, Silvio 69 Pepys, Samuel 50 Perlasca, Giuseppe 164–166 Pestalozzi, Johann Heinrich 39 Petit, Antoine 89, 98, 147 Pfaff, Philipp 172, 174 Piccini, Battista 74 Pichler, Karoline 109 Piemontese, Alessio 59 Piovene, Elisabetta 163–167 Pittoni, Pietro Antonio 111, 163 Pius VI. (Papst) 37 Plenck, Joseph Jacob 182

Plunkett, James 79, 181 Pocchini, Antonio 36 Poinsinet, Antoine de Noirville de 94–95 Poletti, Maria Angela 56 Polo, Gennaro 41 Ponte, Lorenzo da 109, 112, 173, 188 Potocki, Franzisek Salezy 107 Poupelinière, Alexandre Jean Joseph Le Riche de la 105, 143 Préaudeau, Mme 83 Procope-Couteau, Michel 138 Provveditori alla sanità (sopra la sanità) 58, 61 Quarin, Joseph von 108, 112 Querini, Andrea 22 Radichio (Abate) 165 Ratzenbeck, Pierre 46 Razzetta, Antonio Lucio 57 Recke, Elisa von der 184 Renaud 127, 129 Reumann (ein Arzt) 91 Righelini, Giovanni Maria 65–67 Riva, Giacomo da 62 Rizzotti, Anzoletta Cattarina („Angela“) 110 Rizzotti, Ludovico 163 Rizzotti, Maria 110–111 Robespierre, Maximilien de 17 Roggendorf, Cécile von 182–184 Roggendorf, Ernst von 84 Rossi, Antonio 111 Rossi, Giuseppe 111, 177 Rousseau, Jean-Jacques 32, 39, 101–102 Rowlandson, Thomas 50 Rumain, Mme du 94, 132, 145, 157 Sade, Marquis de 139 Saint-Germain, Comte de 16, 99, 159–160 Salicetti, Natale 37 Salomon 151–152 Saône, Marie-Anne de la 91 Sartine, Antoine de 145 Sassonia, Ercole 141 Scharlatan 46, 65, 80, 88 ff., 104, 112, 159 Schiavo, Biago 13 Schopenhauer, Johanna 187 Schreiber, Monsieur 113 Schuckmann, Friedrich von 189 Schuckmann, Henriette von 189 Schütz, Wilhelm von 186–187 Sénac, Jean-Baptiste 123 Simoni (ein Arzt) 163 Smith, Joseph 66 Sokrates 100 Stahl, Georg Ernst 33, 44

Register Stanislas August Poniatowski (von Polen) 85, 94 Störck, Anton von 109, 113 Stratico, Simone 47 Struensee, Johann Friedrich 107 Swieten, Gerard van 79, 82, 106–107, 108– 110, 113, 123 Tadini, Alessandro 117 Tadini, Felice 117, 121, 172 Taroni, Mme 116 Taylor, John 56–57 Tessari, Nicolao 163 Tieck, Ludwig 186 Tintoretta (eine Tänzerin) 65 Tissot, Simon Auguste 64 Tommaseo, Niccolò 69 Torriano di Valsassina, Luigi 36 Toselli, Giovanni 110 Tosello, Francesco Barraba 110 Tosello, Giovanni Battista 110 Tour d’Auvergne, Comte de la 157 Tronchin, Jacob 103 Tronchin, Jean-Robert 103 Tronchin, Théodore 53, 94, 103–106 d’Urfé, Marquise 21, 53, 91, 96, 144, 157–160 Uzanne, Gustave 191 Valenguard, François Léonard 47 Valville (eine Tänzerin) 122 Varè, Vincenzo 45 Venel, Gabriel François 150

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Veronese, Giacomo Antonia („Camilla“) 157 Vespa (ein Arzt) 113 Villadrias, Marquise de 40 Villars, Honoré-Armand de 104 Voltaire (François Marie Arouet) 23, 99, 101– 103, 123–124, 178 Waldstein, Emmanuel Philip von 24 Waldstein, Franz von 13 Waldstein, Georg von 191 Waldstein, Joseph Carl Emmanuel von 24, 150, 178 Washington, George 174 Westerstetten, Heinrich Anton Beckers von 20 Wolff, Johann Christian 82 Wood, Charles 158 Wundarzt 42, 57, 61, 63, 68, 72–73, 85, 90, 92–93, 124, 132, 136 Wunderheiler 84 Wynne, Giustiniana 126, 153–154, 163 Xanthippe 100 Zaguri, Pietro 109, 163, 169, 173, 183 Zahnarzt/„Zahnreißer“ 119, 171 Zambelli, Battista 52 Zambelli, Domenico 52 Zecchini, Petronio 147–148 Zilli, Carlo 166 Zon (ein Arzt) 169 Zweibrücken, Friedrich von 115

Orts- und Sachindex Aberglaube 154 Abführmittel (Klistier) 83–84, 156, 165 Abort 140, 144, 146 Abtreibung 143–144 Accademia dei Mongolfisti 169 Aderlass 31, 34, 37, 53, 63, 65, 67, 73, 79, 81–84, 86, 113, 121, 124, 132, 135, 165, 168 Affekte 33 Aix-en-Provence 79, 142 Alchemie 28, 101, 150–162 Alter 77–78 Amsterdam 20 Anästhetikum 171 Analfistel 47, 134–136 Anatomie 80 Ancona 58 Animismus 33 Ansteckung 41 ff.

Antimon 44 Apoplexie 58, 63, 145, 183 Apotheke 44, 166 Appetitlosigkeit 48 Aqua saturnina 47 Arcana 29, 44, 152 Aroph 144–145 Arzneimittelreform 44 Astrologie 28–29, 162 Aufklärung 27 ff. Aufklärung (sexuelle) 139 Augenheilkunde 66, 118 Augenwasser 120 Augsburg 114, 127, 129, 130 Bäder(kur) 45 ff., 46 (Abano Terme), 46–47 (Karlsbad), 46 (Spa), 95, 98, 159 (rituell), 160, 177, 184 Bandwurmmittel 93 ff., 96 Barcelona 50, 119

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Register

Basel 98 Bergamo 117 Berlin 21, 24, 118, 132, 134 Bern 91, 96, 99, 102 Beschäftigung (als Therapie) 46 Besessenheit 161 Bibergeil (Castoreum) 52, 145 Bleikammern (Piombi) 18–19, 32, 36, 42, 45, 50, 69 ff., 154 Blut 34, 48–49, 68, 72, 79, 100, 135 Blutegel 135 Blutspucken 113 Blutstau 114 Bologna 51, 147 Brechmittel 168 Brentakanal 49 Calais 132 Cesena 154 Charakter 38 Chemiatrica 44 Chinarinde 166, 168, 177 Cura externa 30 Cura interna 30 Diät 62, 65, 74–75, 77, 81, 96, 101, 112, 123, 125, 127, 131, 135, 156–157 Diätetik 33, 49, 104–105, 116 Dogenpalast (Palazzo ducale) 71, 73–74 Dreckapotheke 28 Dresden 24, 120, 178, 183 Dünkirchen 19 Dux 24, 26, 46, 77, 78, 100, 167, 169, 176, 179–180 Einlauf 73, 135 Eisen 44 Elektrizität 29, 42 ff. elektrische Medizin 42 Elektrum 53 Empirie 28, 30, 49, 77, 80, 197 Encyclopédie 98, 102–103, 150 England 99 envies 37 erotische Literatur 139 Erziehung 38 Eselsmilch 105 Exorzismus 29, 54, 160–162 Fehldiagnose 52 Fieber 42, 53–54, 64, 72, 147, 162, 164, 167– 168, 177 Floh 50–51, 180 Frankreich 99, 103 Französische Revolution 149, 173 Frauenrechte 149 Galenica 44

Gangrän 163 Geburtshilfe 130 Gefängnis 50, 71–75 Genf 103, 142 Geng (Schloss) 96 Gent 118, 120 Geschlecht 40 (Unterschiede) Geschlechtskrankheit (maladies de Vénus/véroles) 35, 44, 57, 79, 90, 92, 105, 114, 122– 137, 160, 171 Gesundheitsbegriff (Casanova) 76 ff. Ghetto 168 Gold 166 Goldkugel (als Verhütungsmittel) 142–143 Hämorrhoidalkolik 109 Hämorrhoiden 72, 134 Hautkrankheit 31, 74, 91, 96, 156 Heilkraft (natürliche) 77 Hermaphrodismus 31 Homöopathie 44 Horoskop 29 Humoralpathologie 31, 35 Hygiene 50 Hygienebewusstsein 55 Hypochondrie 41, 45, 105 Hysterie 148, 160 Iatrochemie 32 Inokulation 53, 103, 176 Inquisition 18–19, 21–22, 155 Ischias 157 Josephinum 110 Kabbala 94, 99, 151–152, 176 Kalenderreform 21 Karlsbad 24 Kastrat 43 Katarrh 109 Kindbettfieber 138, 146–147 Klima 39 Kloster 66, 85, 145, 146 Köln 133–135 Kolik 57, 113 Kondom 141–142 Konstantinopel 72, 120 Korfu 61 ff., 127, 162 Korpuskularphysik 82 Krätze (Scabies) 51, 71, 74 Lausanne 99 lazzaretto nuovo 59 (Venedig/Ancona) lazzaretto vecchio 58 (Venedig), 59 (Ancona) Lebensmittelvergiftung 32, 84 Leiden 103, 132 Leidener Schule 108 Levante 60, 124

Register Liebeszauber 162 London 21, 43, 78, 109, 131 Lotterie 19, 24, 96 Lübeck 117–118 Luft 41–42, 48–49, 105 Luftveränderung 39, 48–49, 67 Lungenerkrankung 42 Madagaskar 24 Magie 28–29, 153–154 Magnetismus 43, 171 Malamocco 162 Malaria 167 Manna 95, 131 Mantua 60–61, 124 Materialismus 32 Megamikren 78, 82, 121 Melancholie 26 Merceria 52, 62 Miasma 41 Milchbad 97 Milchsaft (chyle) 48 Militärische Sanitätsschule (Wien) 110 Milz 41, 113 Missbrauch (sexueller) 42 Modena 61, 154 München 74, 84, 119 Mumia 28 Murano 146, 153 Murten 93, 95–96 Muttermal 37 Nasenbluten 39, 48–49, 51, 153 Natur (physis/natura) 39, 45, 49, 65, 68, 72, 77, 115, 142, 148, 177 Naturalienkabinett 154 Neapel 39, 41, 120 Nervenerkrankung 45 Neva 47 Nymphomanie 40 Okulist 56, 117–121, 171 Okkultismus 15, 20 Opiat 143 Opium 44, 171 Osmanisches Reich 60 Padua 48, 52, 110, 160 Pädagogik 39 Palazzo Bragadin (Santa Marina) 63 Palazzo Soranzo (San Polo) 15, 63 Parasiten 50–51, 70–72 Paris 16, 20–21, 76, 96, 119, 155 Pest 53, 58 ff., 169 Physiognomie 35, 39, 101 Piombi (s. Bleikammern) Placeboeffekt 157

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Plethora 63 Pocken 31, 53–56, 103, 109 Polen 21, 69, 84, 93, 107–108 Prag 24, 176 Quarantäne 58–59 Quecksilber 31, 44, 49, 64, 91, 97, 105, 123, 125, 127–129, 131, 154, 157–158 Rachitis 38 Reisen 76–77 Rhabarber(saft) 135, 168 Ridotto 22 Rom 58, 168 Russland 21, 76 Saft (humor) 135 Salepwurzel (Orchis morio et mascula) 177 Salpeter 112 („Scheidewasser“), 157 Salz 127 San Andrea (Fort) 57, 127 San Cipriano 13 Santa Maria degli Angeli (Kloster) 146–147 Santa Maria delle Vergini (Kloster) 66 San Samuele (Theater) 58, 63, 65 Schlaganfall (s. Apoplexie) Schröpfen 124 Schwangerschaft 138 Schwefel 39, 44, 127 Schwefelblüte 74, 157 Schweiz 35, 126–127 Schwetzingen 114 Schwindsucht (Tuberkulose) 62, 105, 112 Selbstmedikation 80, 178 Selbsttherapie 80–81 Sensibilität (und Irritabilität) 100 Siebenjähriger Krieg 20, 110, 125, 176, 182 Solothurn 95, 126 Sonnenritus 157 Spa 24, 46 Spagyrik 44, 57, 127 Spanien 21, 79, 135 Spezieria del Dose 45 Spina bifida 31 St. Petersburg 21, 122 Starstich 30, 56, 66, 121 Stein der Weisen 102, 150–151, 155, 158, 162 Steinschneiden 30 Suizid 25, 132 Syphilis 49, 166 Temperamentenlehre 31, 80 Teufel 54–55, 160, 162 Therapeutikum 34, 44 ff., 56, 71, 78–79, 91, 131, 134–135, 140, 146, 155–156, 168–169, 177, 182–183 Theresianum 24

214 Theriak 28, 44 Töplitz 46, 90, 174, 176, 183–184, 189 Triest 21, 23, 24 Trinkkur 45 ff. Urinal 183 Urinkur 101, 157 Urinschau 84 Uterus 40, 147–149, 160 Utopie 78 Vakzination 54 vapeurs 41 Variolation 109 Verhütungsmaßnahmen 68, 139, 141–142 Viersäftelehre 33 Volksmedizin 38 Wacholderwurzeln 182

Register Warschau 85, 90, 118–119 Wassersucht 109, 145, 184 Wegerichwasser 156 „Weiberkrankheiten“ 40 Wesel 132 Wien 24, 76, 84, 109, 119, 163 Wiener Hof 107 ff. Wiener medizinische Schule 107 Wienerisches Diarium 60 Wundbrand 61, 86 Zahnbürste 171 Zahnmedizin 119, 171–175 Zahnprothese 173 Zahnschmerzen 74 Ziegenmilch 112

M E D I Z I N , G E S E L L S C H A F T U N D G E S C H I C H TE



B E I H E F TE

Herausgegeben von Robert Jütte.

Franz Steiner Verlag

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ISSN 0941–5033

Thomas Faltin Heil und Heilung Geschichte der Laienheilkundigen und Struktur antimodernistischer Weltanschauungen in Kaiserreich und Weimarer Republik am Beispiel von Eugen Wenz (1856–1945) 2000. 458 S., kt. ISBN 978-3-515-07390-5 Karin Stukenbrock „Der zerstückte Cörper“ Zur Sozialgeschichte der anatomischen Sektionen in der frühen Neuzeit (1650– 1800) 2001. 309 S., kt. ISBN 978-3-515-07734-0 Gunnar Stollberg / Ingo Tamm Die Binnendifferenzierung in deutschen Krankenhäusern bis zum Ersten Weltkrieg 2001. 624 S. mit 4 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07733-0 Jens-Uwe Teichler „Der Charlatan strebt nicht nach Wahrheit, er verlangt nur nach Geld“ Zur Auseinandersetzung zwischen naturwissenschaftlicher Medizin und Laienmedizin im deutschen Kaiserreich am Beispiel von Hypnotismus und Heilmagnetismus 2002. 233 S. mit 16 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07976-1 Claudia Stein Die Behandlung der Franzosenkrankheit in der Frühen Neuzeit am Beispiel Augsburgs 2003. 293 S., kt. ISBN 978-3-515-08032-3 Jörg Melzer Vollwerternährung Diätetik, Naturheilkunde, Nationalsozialismus, sozialer Anspruch 2003. 480 S., kt. ISBN 978-3-515-08278-5 Thomas Gerst Ärztliche Standesorganisation

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und Standespolitik in Deutschland 1945–1955 2004. 270 S., kt. ISBN 978-3-515-08056-9 Florian Steger Asklepiosmedizin Medizinischer Alltag in der römischen Kaiserzeit 2004. 244 S. und 12 Taf. mit 17 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08415-4 Ulrike Thoms Anstaltskost im Rationalisierungsprozeß Die Ernährung in Krankenhäusern und Gefängnissen im 18. und 19. Jahrhundert 2005. 957 S. mit 84 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07935-8 Simone Moses Alt und krank Ältere Patienten in der Medizinischen Klinik der Universität Tübingen zur Zeit der Entstehung der Geriatrie 1880 bis 1914 2005. 277 S. mit 61 Tab. und 27 Diagr. ISBN 978-3-515-08654-7 Sylvelyn Hähner-Rombach (Hg.) „Ohne Wasser ist kein Heil“ Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser 2005. 167 S., kt. ISBN 978-3-515-08785-8 Heiner Fangerau / Karen Nolte (Hg.) „Moderne“ Anstaltspsychiatrie im 19. und 20. Jahrhundert Legimitation und Kritik 2006. 416 S., kt. ISBN 978-3-515-08805-3 Martin Dinges (Hg.) Männlichkeit und Gesundheit im historischen Wandel ca. 1800 – ca. 2000 2007. 398 S. mit 7 Abb., 22 Tab. und 4 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-08920-3 Marion Maria Ruisinger Patientenwege Die Konsiliarkorrespondenz Lorenz Heisters (1683–1758) in der Trew-

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Sammlung Erlangen 2008. 308 S. mit 7 Abb. und 16 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-08806-0 Martin Dinges (Hg.) Krankheit in Briefen im deutschen und französischen Sprachraum 17.–21. Jahrhundert 2007. 267 S., kt. ISBN 978-3-515-08949-4 Helen Bömelburg Der Arzt und sein Modell Porträtfotografien aus der deutschen Psychiatrie 1880 bis 1933 2007. 239 S. mit 68 Abb. und 2 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-09096-8 Martin Krieger Arme und Ärzte, Kranke und Kassen Ländliche Gesundheitsversorgung und kranke Arme in der südlichen Rheinprovinz (1869 bis 1930) 2009. 452 S. mit 7 Abb., 16 Tab. und 5 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-09171-8 Sylvelyn Hähner-Rombach Alltag in der Krankenpflege / Everyday Nursing Life Geschichte und Gegenwart / Past and Present 2009. 309 S. mit 22 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09332-3 Nicole Schweig Gesundheitsverhalten von Männern Gesundheit und Krankheit in Briefen, 1800–1950 2009. 288 S. mit 4 Abb. und 8 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09362-0 Andreas Renner Russische Autokratie und europäische Medizin Organisierter Wissenstransfer im 18. Jahrhundert 2010. 373 S., kt. ISBN 978-3-515-09640-9 Philipp Osten (Hg.) Patientendokumente Krankheit in Selbstzeugnissen 2010. 253 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09717-8 Susanne Hoffmann Gesunder Alltag im 20. Jahrhundert? Geschlechterspezifische Diskurse und gesundheitsrelevante Verhaltensstile in deutschsprachigen Ländern 2010. 538 S. mit 7 Abb., kt.

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ISBN 978-3-515-09681-2 Marion Baschin Wer lässt sich von einem Homöopathen behandeln? Die Patienten des Clemens Maria Franz von Bönninghausen (1785–1864) 2010. 495 S. mit 45 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09772-7 Ulrike Gaida Bildungskonzepte der Krankenpflege in der Weimarer Republik Die Schwesternschaft des Evangelischen Diakonievereins e.V. Berlin-Zehlendorf 2011. 346 S. mit 12 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09783-3 Martin Dinges / Robert Jütte (ed.) The transmission of health practices (c. 1500 to 2000) 2011. 190 S. mit 4 Abb. und 1 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09897-7 Sylvelyn Hähner-Rombach Gesundheit und Krankheit im Spiegel von Petitionen an den Landtag von Baden-Württemberg 1946 bis 1980 2011. 193 S. mit 27 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09914-1 Florian Mildenberger Medikale Subkulturen in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Gegner (1950–1990) Die Zentrale zur Bekämpfung der Unlauterkeit im Heilgewerbe 2011. 188 S. mit 15 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10041-0 Angela Schattner Zwischen Familie, Heilern und Fürsorge Das Bewältigungsverhalten von Epileptikern in deutschsprachigen Gebieten des 16.–18. Jahrhunderts 2012. 299 S. mit 5 Abb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09947-9 Susanne Rueß / Astrid Stölzle (Hg.) Das Tagebuch der jüdischen Kriegskrankenschwester Rosa Bendit, 1914 bis 1917 2012. 175 S. mit 6 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10124-0 Sabine Herrmann Giacomo Casanova und die Medizin des 18. Jahrhunderts 2012. 214 S. mit 8 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10175-2

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