459 18 3MB
German Pages 314 Year 2015
Mareen van Marwyck Gewalt und Anmut
2010-01-19 11-27-24 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0347231685243018|(S.
1
) T00_01 schmutztitel - 1278.p 231685243026
Mareen van Marwyck (Dr. phil.) lehrt derzeit an der Universität Pune in Indien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Literatur und Ästhetik des 18. Jahrhunderts, Performativitätsforschung und Gender Studies.
2010-01-19 11-27-25 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0347231685243018|(S.
2
) T00_02 seite 2 - 1278.p 231685243050
Mareen van Marwyck Gewalt und Anmut. Weiblicher Heroismus in der Literatur und Ästhetik um 1800
2010-01-19 11-27-25 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0347231685243018|(S.
3
) T00_03 titel - 1278.p 231685243114
Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: J.F. Schröter und K. Oelzner: Friederike Wilhelmine Hartwig als Jungfrau von Orleans. (Uraufführung in Leipzig), 1804 Lektorat & Satz: Annika Beckmann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1278-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
2010-01-19 11-27-25 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0347231685243018|(S.
4
) T00_04 impressum - 1278.p 231685243162
INHALT
A. EINLEITUNG 15 I. Problematik und Erkenntnisinteresse 15 II. Theoretische Grundlagen, Methode und Textauswahl 25 III. Aufbau der Arbeit 29 IV. Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur 30
B. HELDENTUM IN DER BÜRGERLICHEN LITERATUR 43 I. »Schönes und Großes möchten sie tun« – Die Heroismuskrise um 1800 43 II. »Ruhe im Leiden« – Erhabenheit als männliches Heldentum 48 1) Die Heroisierung des inneren Konflikts 48 2) »Hochachtung für den Krieger« – Erhabenes Heldentum bei Kant 53 3) Held und Verbrecher – Die sittliche Relativität des Erhabenheitstheorems 57
C. ANMUT ALS HELDENTUM 63 I. »Eiserne Schnürleiber« und »nasse Kleidung« – Die Inszenierung eines weiblichen Kampfkörpers 65 II. »Vom Subjekte selbst hervorgebracht« – Anmut als Subjektkonzeption 84 III. Die Wiederkehr heroischer Totalität in bürgerlichen Zeiten 89 IV. Anmut als Gewaltästhetik 92 1) »Mit geschlossenen Augen in den Abgrund stürzen« – Anmut als Legitimation weiblicher Gewalt 92 2) Die »Morgenröthe von der Wollust« – Grazie, Gewalt und Heldentum bei Winckelmann 95 3) »Verziert mit menschlichen Leichnamen« – Goethes Konzept der ornamentalen Anmut 103 4) Die Grazie des Kampfes – Zur Ästhetik der europäischen Fechtkunst 104 V. Anmut und Würde – Schillers Ästhetik des Heroischen 124 1) Anmut und Würde als Visualisierung von Moralität 124 2) Anmut als Bewegungsästhetik 131 3) Anmut und Gewalt 134 4) Die Gendercodierung von Anmut und Würde 141 5) Die doppelte Unschuld der anmutigen Heldin 143 VI. Vollendung »vermittels einer Kurbel« – Kleist und die Prothesengrazie 148
VII. »Da werden Weiber zu Hyänen« – Hysterie als Schattenseite der Anmut 159 1) Heroische Gewalt versus Gewaltexzess 159 2) Furie und Grazie in der doppelten Ästhetik 164 3) Hysterie und Anmut 167 4) Anmut und Hysterie als Bewegungsästhetik 170
D. ANMUTIGE KRIEGERINNEN IN DER LITERATUR UM 1800 175 I. »Zarte Jungfrau unter Waffen« – Schillers Jungfrau von Orleans als anmutige Heldin 175 1) »Denn eine andre Herde muss ich weiden« – Die Kontinuität zwischen Hirten- und Kriegertum 177 2) »Sich eine schuldlos reine Welt zu gründen« – Die Parodie der Hirtenidylle 179 3) »Schön zugleich und schrecklich anzusehen« – Die Kämpfe der Heldin 184 4) »Mit deinem Blick fing dein Verbrechen an« – Selbsterkenntnis als Zusammenbruch der Anmut 194 5) »So ahmen sie die Unschuld siegreich nach« – Die Bedrohung der Anmut durch die Charismatikerin 196 6) »Auf blutge Schlachten folgt Gesang und Tanz« – Die Bewegungsästhetik der Tragödie 199 7) »Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide« – Die Verschränkung von Anmut und Würde als Erlösungsfantasie 202 8) Fazit 204
II. »Halb Furie, halb Grazie« – Kleists Penthesilea als Kämpferin zwischen Anmut und Hysterie 205 1) »Die Rüstung wieder bis zum Gurt sich färbend« – Der Rüstungskörper der Heldin 209 2) Ein »Kampf wetteifernder Geschwindigkeit« – Kleists Ästhetik der Fluchtgeschwindigkeit 211 3) Erhabenheit, Hysterie und Anmut – Der Krieg im Auge der Beobachter 214 4) Skulpturen oder Marionetten – Bewegungsästhetik versus Posentheater 217 5) »Sie ist mir nicht vergönnt, die Kunst, die sanftere, der Frauen« – Kampf als Selbstausdruck 221 6) »Dass Halm und Korn auf ewig untergehn« – Vom »heiter[e]n Krieg« zum Vernichtungskrieg 224 7) Fazit 229 III. »Kraft und Zartheit« – Werners Wanda – Die Königin der Sarmaten 230 1) »Ein Traumgewölk aus Licht gewoben« – Der anmutige Körper der Heldin 232 2) »Ein Sternbild am blut’gen Abendhimmel« – Wandas martialische Zartheit 234 3) »Wir spielen mit dem Leben Fangeball« – Rüdigers paradoxes Heldentum 237 4) »In der Liebe Ewigkeit« – Der Liebestod als Erlösungsfantasie 238 5) »Ich kann ihn töten, liebend mit ihm untergehn« – Der Liebeskampf der Helden 240
6) »Von wilder bacchantischer Wut ergriffen« – Wandas Selbstopfer 246 7) Fazit 250 IV. Das »Herbeste zu erdulden (schien) unaussprechlich reitzend« – Fouqués Das Heldenmädchen aus der Vendée 251 1) »Hat so ein Wesen denn einen Willen?« – Elisabeths unbewusste Initiation zur kriegerischen Heldin 251 2) »Rosenlichter der Begeisterung« – Elisabeth als anmutige Kriegerin 257 3) »Sanfter Friedenshauch« und »flammende Begeisterung« – Elisabeths Funktion im Kontext des Partisanenkriegs 259 4) Elisabeth im Kontext divergierender Heroismusauffassungen 264 5) »Wer kämpfen will, muß sich erst selbst bekämpfen« – Der Verlust der kriegerischen Grazie 271 6) Fazit 276
E. SCHLUSSBEMERKUNG 279
ABBILDUNGSVERZEICHNIS 289
LITERATURVERZEICHNIS 291
DANKSAGUNG
Diese Arbeit wurde 2009 am Institut für Deutsche Philologie der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Mein herzlicher Dank gilt Hans Feger für die engagierte Betreuung meiner Arbeit. Seine kritische Lektüre, seine Anregungen und Literaturhinweise zur Ästhetik und Literatur des 18. Jahrhunderts, die spannenden Diskussionen in den Doktorandenkolloquien haben wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Herzlich danken möchte ich auch Josef Früchtl, dessen Heroismus-Forschung mich zu dieser Arbeit inspiriert hat, und der die Entwicklung der Dissertation als Zweitgutachter in einer Email-Korrespondenz zwischen Amsterdam und Berlin durch konstruktive Kritik begleitet und unterstützt hat. Mein aufrichtiger Dank gilt auch Thomas Stachel für die vielen lebhaften Diskussionen über Schillers Ästhetik, die manchen Gedanken dieser Arbeit hervorgebracht haben. Der Geschwister Boehringer-Ingelheim-Stiftung für Geisteswissenschaften möchte ich meinen Dank für die großzügige Publikationsförderung aussprechen. Elisabeth Wellershaus danke ich für die Möglichkeit, mein Thema journalistisch zu präsentieren. Heike Grüter-Hommerich gilt mein Dank für die exzellente Unterstützung bei der Prüfungsvorbereitung. Bei Annika Beckmann bedanke ich mich für das kluge und präzise Lektorat. Nicht zuletzt danke ich meiner Familie und allen meinen Freunden, die meine Arbeit in vielfältiger Weise unterstützt haben: durch akribisch genaues Korrekturlesen, durch Hilfe bei Bildbearbeitung und Formatierung, durch spannende Diskussionen und nicht zuletzt durch ihre Warmherzigkeit und Freundschaft. Ohne sie hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können. Ganz besonders danke ich meinem Freund Matthias Tuchmann für seine liebevolle Unterstützung, für seine Bereitschaft zwischen Zettel- und Bücherbergen zu leben und für alles, was ich durch ihn über Helden in Film und Comic gelernt habe. Berlin, 2. Januar 2010
ABKÜRZUNGEN
Schillers Werke werden zitiert nach: Schiller, Friedrich von: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 1-43. Hrsg. von Norbert Oellers. Weimar 1943 ff. A machine-readable transcript. Cambridge 1998-2000. Verfügbar auf CD-ROM und im Internet. URL: http://schiller.chadwyck.com (Stand: 12. November 2009) Kleists Werke werden zitiert nach: Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. Hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba. Frankfurt a. M. 1991 ff.
AuW ÄE
KB
ÜdE ÜdM ÜdP ÜedD
VE
Schiller: »Ueber Anmuth und Würde.« In: Schiller NA, Bd. 20 (1962), S. 251-308. Schiller: »Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen.« In: Schiller NA, Bd. 20 (1962), S. 309-412. Schiller: Briefe an Christian Gottfried Körner vom 25.01.28.02.1793 (Kallias-Briefe). In: Schiller NA, Bd. 26 (1992), S. 174-229. Schiller: »Ueber das Erhabene.« In: Schiller NA, Bd. 21 (1963), S. 38-54. Kleist: »Über das Marionettentheater«. In: Kleist Werke, Bd. 3 (1990), S. 555-563. Schiller: »Ueber das Pathetische.« In: Schiller NA, Bd. 20 (1962), S. 196-221. Schiller: »Ueber epische und dramatische Dichtung.« (aus dem Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe) In: Schiller NA, Bd. 21 (1963), S. 57-59. Schiller: »Vom Erhabenen. Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen.« In: Schiller NA, Bd. 20 (1962), S. 171195.
A. EINLEITUNG
I. Problematik und Erkenntnisinteresse Weibliches Heldentum und weibliche Gewalt stellen in der Geschlechterdebatte wie auch in der Ästhetik um 1800 einen Widerspruch in sich dar. In der Polarität von öffentlicher und privater Sphäre, die sich als strukturelles Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt hatte, wurde die Frau dem privaten Bereich – dem Haushalt und der Kindererziehung – zugeordnet.1 Frauen sollten sich im bürgerlichen Wertekanon des späten 18. Jahrhunderts durch »Sanftmut« und intuitive Sittlichkeit auszeichnen.2 Zum an1
2
Zur Herausbildung des Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit als strukturelles Merkmal der bürgerlichen Gesellschaft siehe Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1962. Zur Ausgrenzung der Frau aus der Öffentlichkeit siehe u. a.: Opitz, Claudia: »Der Bürger wird Soldat – und die Bürgerin …? Die Revolution und die Stellung der Frauen nach 1789.« In: Schmidt-Linsenhoff, Viktoria: Sklavin oder Bürgerin? Französische Revolution und neue Weiblichkeit 1760-1830. Katalog zu der gleichnamigen Ausstellung des Historischen Museums Frankfurt, 4.10.-4.12.1989. Marburg 1989, S. 38-53; Hausen, Karin und Heide Wunder (Hrsg.): Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte. Frankfurt a. M. 1992; Hausen, Karin: »Die Polarisierung der ›Geschlechtscharaktere‹ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben.« In: Conze, Werner (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Stuttgart 1976, S. 363-393. Vgl. Frevert, Ute: »Bürgerliche Meisterdenker und das Geschlechterverhältnis. Konzepte, Erfahrungen, Visionen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.« In: Dies. (Hrsg.): Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert. Göttingen 1988, S. 17-48; Frevert, Ute: Mann und Weib und Weib und Mann. Geschlechter-Differenzen in der Moderne. München 1995; Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib. Frankfurt a. M. 1991; Duden, Barbara: »Das schöne Eigentum. Zur Herausbildung des bürgerlichen Frauenbildes an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.« In: Kursbuch 47. Frauen. März 1977, S. 125-142; Stolzenberg-Bader, Edith: »Weibliche Schwäche – Männliche Stärke. Das Kulturbild der Frau in medizinischen und anatomi-
15
Gewalt und Anmut deren war es ihre Aufgabe, durch »Schönheit« und »Anmut« die bürgerliche Familie nach außen zu repräsentieren.3 Mit dem Konzept der Anmut entwickelte sich ein Weiblichkeitsideal, das den Ansprüchen an die intuitive Sittlichkeit wie auch an die repräsentative Funktion der Frau genüge tat. Die Konzeption wurde als unmittelbare Verschränkung von sittlicher Schönheit und visueller Erscheinung gedacht: Die »schöne Seele«4 der Frau, die ohne inneren Konflikt das moralisch Richtige will, sollte sich in den schönen Bewegungen des Körpers unmittelbar ausdrücken.5 Kriegerisch-heroisches, mithin gewalttätiges Handeln schien sich weder mit der passiven bürgerlichen Frauenrolle noch mit dem ästhetischethischen Ideal der Grazie vereinbaren zu lassen. So schrieb Rousseau, der das Bild anmutiger Weiblichkeit nachhaltig geprägt hat, zu der Frage »Kann eine Frau Krieger sein?«: »Könnte sie heute Amme und morgen Krieger sein? Soll sie ihr Temperament und ihre Neigungen ändern wie ein Chamäleon die Farben? Soll sie sich plötzlich aus dem Schatten der Zurückgezogenheit und der häuslichen Sorgen heraus dem Wind und Wetter, den Beschwerden, Mühen und Gefahren des Krieges aussetzen? Soll sie bald furchtsam, bald mutig, bald zart und bald robust sein? Wenn es schon jungen Parisern Mühe macht, die Beschwerden des Waffenhandwerks zu ertragen, wie sollen es dann Frauen, die sich niemals der Sonne ausgesetzt haben und kaum gehen können, nach fünfzig Jahren der Verweichlichung ertragen? Sollen sie dies harte Gewerbe in einem Alter beginnen, wo es die Männer aufgeben?«6
Rousseau lehnt weibliches Kriegertum nicht mit dem Argument ab, dass es aufgrund einer natürlichen seelischen und körperlichen Verfassung der Frau grundsätzlich nicht möglich sei. Vielmehr bezweifelt er, dass die Frau gleichzeitig ihrer Sanftmut und Zartheit vor-
3
4 5
6
schen Abhandlungen um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert.« In: Martin, Jochen und Renate Zoepffel: Aufgaben, Rollen und Räume von Frau und Mann. Bd. II. München 1989, S. 751-818. Vgl. Spickernagel, Ellen: »Zur Anmut erzogen – Weibliche Körpersprache im 18. Jahrhundert.« In: Brehmer, Inge u. a. (Hrsg.): Frauen in der Geschichte IV. Düsseldorf 1983, S. 305-319. Auf die Konzeption der »schönen Seele« werde ich in Kapitel C genauer eingehen. Zur Entwicklung der Kategorie der Anmut zu einem weiblich gedachten Ausdrucksideal im 18. Jahrhundert siehe: Knab, Janina: Ästhetik der Anmut. Studien zur ›Schönheit der Bewegung‹ im 18. Jahrhundert. Frankfurt a. M. u. a. 1996, S. 115 ff.; Spickernagel: Anmut; S. 305-319; Kleiner, Gerd: Die verschwundene Anmut. Frankfurt a. M. u. a. 1994, S. 216 ff. und S. 243. Rousseau, Jean-Jacques: Emil oder über die Erziehung. Paderborn 1972, S. 391.
16
Einleitung aussetzenden Mutterrolle gerecht werden und einem kriegerischen Handwerk nachgehen könne. Eine Frau könne robust und mutig, aber nicht zugleich zart und furchtsam sein. Auch vor dem Hintergrund der geschlechtlich codierten Ästhetik7 des 18. Jahrhunderts ist die »kriegerische Heldin« eine widersprüchliche Figur. Das »Schöne«, diejenige Kategorie, die mit dem weiblichen Körper wie auch dem weiblichen Geschlechtscharakter in enger Verbindung gedacht wurde, steht in mehrfacher Hinsicht im Widerspruch zur Darstellung militärischen Handelns. In einer rationalistisch-objektiven Bestimmung des »Schönen« etwa bei Wolff, Gottsched und de Crousaz zeichnet sich ein schönes Objekt durch 7
Zur Gendercodierung des Begriffspaars des Schönen und Erhabenen von Boileau bis Schiller siehe Eagleton, Terry: Ästhetik. Die Geschichte ihrer Ideologie. Stuttgart/Weimar 1994, besonders S. 56 ff. und die ausführliche Studie von Snyder-Körber, MaryAnn: Das weiblich Erhabene. Sappho bis Baudelaire. München 2007. In der englischen Denktradition des Erhabenen wird zunehmend das Schöne dem Weiblichen, das Erhabene dem Männlichen zugeordnet und, den gängigen Topoi der Geschlechterhierarchie entsprechend, die Überlegenheit des Erhabenen über das Schöne etabliert. Bei Burke ist die Gendercodierung der Ästhetik bereits ein nicht mehr hinterfragter »Topos der schönen Wissenschaften« (Snyder-Körber: Erhabene, S. 22), den auch Kant in seiner Frühschrift »Beobachtungen über das Gefühl des Erhabenen und des Schönen« übernimmt. Die Gendercodierung der doppelten Ästhetik geht mit einer Unterordnung des Schönen unter das Erhabene einher. Burke etwa fürchtet, das Schöne könne eine erschlaffende Wirkung auf den Rezipienten haben. (Snyder-Körber: Erhabene, S. 24) Das Erhabene wird von ihm hingegen als männlich-heroische Kraft gedeutet, ohne die keine kulturelle Entwicklung möglich wäre. Siehe hierzu Eagleton: Ästhetik, S. 59. Auch viele deutschsprachige Theoretiker übernehmen diese Hierarchie der Kategorien. Sulzer schreibt: Das Schöne »erweckt Wohlgefallen, aber es […] berührt das Herz nur leicht und gleichsam an der Oberfläche«. (Snyder-Körber: Erhabene, S. 25) Kant versucht schließlich in der Kritik der Urteilskraft anders als in seiner vorkritischen Schrift ein von Geschlechterkategorien und erotischem Begehren befreites Geschmacksurteil zu konstruieren. Reiz und Rührung gelten ihm hier nicht mehr als emotionale Begleitung der Erfahrung des Schönen, sondern als Störfaktor. Reiz und Rührung sind hier als rein sinnliche Reaktionen definiert. Die Lust am Schönen soll aber auf das Geschmacksurteil folgen und diesem nicht zugrunde liegen. Die Befreiung des Schönen von einer geschlechtlich-erotischen Komponente mündet in die Unterscheidung zwischen einer »freien Schönheit« (»pulchritudo vaga«), worunter Kant zweckfrei wahrgenommene Naturschönheiten und abstrakte ornamentale Schönheit fasst, und »anhängender Schönheit« (»pulchritudo adhaerens«), worunter er die nie ohne Zweck wahrnehmbare Schönheit des Menschen subsumiert. Kant, Immanuel: »Kritik der Urteilskraft«. In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Bd. V. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1957, S. 310, B 48.
17
Gewalt und Anmut Form, Harmonie, Maß und Ordnung aus, Eigenschaften, welche die Vollkommenheit der natürlichen Ordnungen widerspiegeln.8 Diesen Eigenschaften steht »Gewalt« als entgrenzendes Prinzip gegenüber. In den sensualistischen Ästhetiken Hutchesons und Burkes, denen zufolge sich das »Schöne« durch sinnlich erfahrbare Eigenschaften der Dinge auszeichnet, ist es ebenfalls mit Harmonie und Ordnung, bei Burke zudem mit Zartheit, Zierlichkeit und sogar explizit mit weiblicher Schwäche und Wehrlosigkeit assoziiert.9 Auch mit der wirkungsästhetischen Dimension des Schönen, die sowohl in den sensualistischen wie auch in den rationalistischen Theorien betont wird, ist Gewalt nicht vereinbar. Das Schöne soll Liebe, Vergnügen, Wohlgefallen oder auch kontemplative Ruhe hervorrufen, Emotionen also, die sich nicht mit Furcht und Schrecken angesichts gewaltsamer Handlungen in Einklang bringen lassen. Shaftesbury entwickelt auf der Basis der harmonisierenden und versöhnenden Wirkung des Schönen das Konzept einer moralischen Schönheit.10 Auch in Kants transzendental-philosophischer Ästhetik ist das »Schöne« als Möglichkeit einer kontemplativen Erfahrung, eines »f r e i e n S p i e l s der Erkenntnisvermögen«11 von der Erfahrung des »Erhabenen« abgegrenzt, in welcher gewaltsame Sujets ästhetisch wahrnehmbar werden. In Schillers Theorie soll »Schönheit« so8
Zur Begriffsgeschichte des »Schönen« im 18. Jahrhundert siehe: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Völlig neu überarbeitete Ausgabe des ›Wörterbuchs der philosophischen Begriffe‹ von Rudolf Eisler. Bd. 8.: R-Sc. Basel 1992. Artikel »Schöne (das)«. Siehe auch Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hrsg. von Karlheinz Barck u. a. Bd. 5.: Postmoderne – Synästhesie. Stuttgart 2003. Artikel »Schön/Schönheit«. Zur Gewaltproblematik der Klassik siehe u. a.: Dönike, Martin: Pathos, Ausdruck und Bewegung. Zur Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796-1806. Berlin 2005; Schmalzriedt, Egidius: Inhumane Klassik. Vorlesungen gegen ein Bildungsklischee. München 1971: Grimm, Reinhold und Jost Hermand (Hrsg.): Die Klassik-Legende. Frankfurt a. M. 1971; Brittnacher, Hans Richard: »Wenn Laokoon schreit. Schmerz, Gewalt und der Schein der Kunst.« In: Assmann, Peter und Peter Kraml (Hrsg.): Fiktion/non-fiction. Weltanschauung zwischen Vorstellung und Realität, S. 13-25; Osterkamp, Ernst: »Gewalt in Goethes Faust.« In: Schieb, Roswitha (Hrsg.): Peter Stein inszeniert Faust von Johann Wolfgang von Goethe. Das Programmbuch Faust I und II. Köln 2000, S. 297-302. 9 Burke, Edmund: »Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen.« Dritter Teil. In: Hauskeller, Michael (Hrsg.): Was das Schöne sei. Klassische Texte von Platon bis Adorno. München 1994, S. 192 und 196. 10 Wörterbuch: Schöne, Sp. 1371. 11 Kant: KdU, S. 296, B 28.
18
Einleitung gar explizit »die Freiheit in der Erscheinung« darstellen. (KB 199) Sichtbare Gewalt oder Härte zerstören Schiller zufolge die Rezeption des Schönen. (KB 217) Dennoch tritt mit der kriegerischen Heldin um 1800 eine Figur auf die Bühne, die in frappierender Weise weibliche Anmut und Schönheit und militärisches Handeln miteinander vereint. In der Ikonografie der Französischen Revolution wie auch in der deutschsprachigen Literatur um 1800 entwickelt sich ein Heldinnentypus, der sich durch körperliche Zartheit, anmutige Bewegungsabläufe sowie – in den literarischen Darstellungen – durch intuitives, nichtreflexives Handeln auszeichnet, wie es in der Konzeption der Anmut angelegt ist. Die Kriegerinnen in der Ikonografie der Französischen Revolution werden mit typischen Elementen der Graziendarstellungen inszeniert: mit fließenden, zum Teil transparenten Gewändern, sanften, wellenförmigen Bewegungsabläufen, lieblichen Gesichtszügen. (Siehe Abb. 3-10.) Auch die Darstellungen, die Kämpferinnen in kriegerischer Aktion zeigen, bleiben den Ansprüchen an eine anmutige weibliche Körperlichkeit verpflichtet. (Abb. 6, 7 und 9) Die idealisierenden Bilder stehen im scharfen Gegensatz zu den burlesken Darstellungen der Fischweiber, die sich am Revolutionsgeschehen beteiligten, oder gar zu den Furien, die in den Darstellungen der Französischen Revolution zum Inbegriff entfesselter Gewalt wurden.12 Auch Schillers Jungfrau von Orleans unterscheidet sich deutlich von den »Hyänen«, welche im Gedicht Das Lied von der Glocke13 als schlimmste Folge der anarchistischen Verhältnisse im Zuge der Revolution figurieren. Während hier »weibliche Gewalt« als Inbegriff der Denaturierung gedacht ist, die durch die Hässlichkeit der Furie innerhalb des ästhetischen Verweisungssystems markiert ist, werden in der Jungfrau von Orleans14 immer wieder die sittliche Vorbildlichkeit der Heldin und zugleich ihre körperliche Zartheit und weibliche Schönheit herausgestrichen. Auch Kleists Penthesilea15 zeichnet sich durch Attribute schöner und anmutiger Weiblichkeit aus, durch kleine Hände, liebliche Gesichtszüge, blonde Locken und durch leichte und geschickte Bewegungsabläufe. Ebenso wird
12 Siehe hierzu: Baxmann, Inge: Die Feste der Französischen Revolution. Inszenierung von Gesellschaft als Natur. Weinheim/Basel 1989, S. 266. 13 Schiller, Friedrich: »Das Lied von der Glocke.« In: Schiller NA, Bd. 2 (1983), S. 227-239, Vs. 365-368. 14 Schiller, Friedrich: »Die Jungfrau von Orleans.« In: Schiller NA, Bd. 9 (1948), S. 166-315. 15 Kleist, Heinrich von: »Penthesilea.« In: Kleist Werke, Bd. 2 (1987), S. 143256.
19
Gewalt und Anmut Zacharias Werners Titelheldin Wanda16 als zarte und zierliche Heldin vorgestellt, deren Körperlichkeit und kriegerische Rolle zunächst im Widerspruch zum Geschlechterdiskurs um 1800 zu stehen scheinen. Das Frappierende an den Figuren ist jedoch, dass ihre Anmut nicht nur nicht ihrem martialischen Handeln widerspricht, sondern Anmut ihre kriegerischen Taten selbst charakterisiert beziehungsweise im kriegerischen Handeln hervorgebracht wird. So werden die Kampfbewegungen der Heldinnen mit Bildern des Fliegens, Schwebens und des Tanzes beschrieben. Das Handeln wird zudem als intuitiv, als unbewusst charakterisiert. In der Jungfrau von Orleans wird immer wieder die schlafwandlerische Sicherheit betont, die Johannas Kämpfe auszeichnen. Penthesilea befindet sich nahezu im gesamten Verlauf des Dramas in einem Modus halbbewusster Agitation, aus welcher ihre Amazonen sie zugunsten einer rationalen Reflexion herausreißen wollen. Ebenso wird Elisabeth17 als unbewusst handelnde Heldin charakterisiert. Meine These ist, dass mit den genannten Figuren ein anmutiges Heldentum und eine anmutige weibliche Gewalt inszeniert werden. Bei dieser Art der Inszenierung handelt es sich nicht etwa um ein Kuriosum, das nur für eine Handvoll künstlerischer Werke bestimmend ist. Vielmehr ist diese ästhetische Konzeption genau denjenigen Theoriebildungen im 18. Jahrhundert eingeschrieben, die auch den Klassizismus hervorgebracht haben und reflektierten. Als ein Konzept, das dem Schönen zwar verwandt ist, aber sich anderes als dieses zur Inszenierung heroischer Persönlichkeiten eignet, dient anmutige Gewalt der Lösung bestimmter ästhetischer Schwierigkeiten, die aus der Entgegensetzung des Schönen und Erhabenen entstanden waren. Zum einen bildet Anmut, anders als das »Schöne«, ein KörperGeist-Verhältnis ab und ist damit im weitesten Sinne eine Form von »Subjektivität«.18 Sie erfüllt damit eine wesentliche Voraussetzung neuzeitlicher Heldeninszenierungen, nämlich die Darstellung von Handeln und der Intentionsgebundenheit dieses Handelns. Zweitens ist Anmut als unmittelbarer Ausdruck der sittlichen Qualität einer Handlung definiert. Sie eignet sich daher für die Darstellung der sittlichen Vorrangstellung, die für eine Heldendarstellung um 16 Werner, Zacharias: »Wanda, Königin der Sarmaten.« In: Dramen von Zacharias Werner. Bearbeitet von Paul Kluckhohn. Darmstadt 1964, S. 208-274. 17 Fouqué, Caroline de la Motte: Das Heldenmädchen aus der Vendée. Leipzig 1816. Teil I. und II. Als E-Book hrsg. von: Belser Wissenschaftlicher Dienst. Referenznummer 37082-1 und 37082-2. 18 Vgl. Knab: Anmut, S. 115 f. Auf »Anmut« als Subjektkonzeption werde ich in Kapitel C II ausführlich eingehen.
20
Einleitung 1800 wesentlich ist.19 Drittens erscheint »Anmut« in den Diskussionen der Klassiker im Kontext einer Ästhetisierung von Gewalt und etabliert sich vor allem bei Winckelmann und Goethe als Form der Gewaltästhetik, in der sich Gewalt im Modus des Schönen darstellen lässt und nicht erst über den Umweg einer inneren Distanzierung im »Erhabenen« ästhetisch goutierbar wird.20 Paradigmatisch für die Entwicklung einer anmutigen heroischen Gewalt ist zudem die Geschichte der europäischen Fechtkunst. Die Kunst des Fechtens entwickelt sich bereits seit der Antike in der ästhetischen Kategorie der Grazie und in beständigem Austausch mit der Tanzkunst. Im 17. und 18. Jahrhundert hat sie sich zu einer grazilen Bewegungskunst entwickelt. Sie bietet ein Bewegungsrepertoire, welches für die Inszenierung anmutig-weiblicher Gewalt nutzbar gemacht werden kann. Ich möchte die Stränge einer performativen Heroendarstellung im Zeichen der Fechtkunst und »Anmut« als Heldenideal in dieser Arbeit zusammenführen und die Figur der »kriegerischen Heldin« vor allem als kämpfende Frau, also in ihren Bewegungsabläufen und ihrer Körperinszenierung, ins Blickfeld rücken. Erstaunlicher noch als die Idee einer Kriegerin in der Kunst, die man in der Allegorie 19 Schlaffer vertritt in Anlehnung an Adam Ferguson die These, dass eine Moralisierung des Helden erst ab dem Mittelalter im Ritterwesen festzustellen ist, an welches dann die Konzeptionen moralischen Heldentums im 18. Jahrhundert anknüpfen. Die Helden des antiken Mythos werden noch ohne Schmälerung ihres Ansehens als in Sexualität und in Gewalt exzessive Menschen dargestellt. Vgl. Schlaffer, Heinz: Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen literarischer Widersprüche. Frankfurt a. M. 1973, S. 24. Schlaffer bezieht sich auf Ferguson, Adam: Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Jena 1923, S. 270-286. Auch Schilling sieht in der moralischen Behandlung des Gegners ein Spezifikum der Kriegstheorien um 1800. Dies werde, so Schilling, durch »diverse Lieder im Mildheimischen Liederbuch Rudolf Zacharias Beckers deutlich […].« In dieser populärsten Liedersammlung des frühen 19. Jahrhunderts, die zwischen 1799 und 1833 insgesamt elf Auflagen erfuhr, forderte Johann Christoph Lavater vom Soldaten, »des Zornes wilde Wuth« zu dämpfen, denn des »Feindes Bluth ist Menschenbluth; und Mordlust ist nicht Heldenmuth!« Schilling, René: Kriegshelden. Deutungsmuster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813-1945. Paderborn 2002, S. 49. 20 In den dualistischen Theorien etwa bei Kant und Schiller bietet das »Erhabene« eine Rechtfertigung von Gewalt in der Kunst, weil es im Zuschauer eine Selbsterweiterung der eigenen Subjektivität hervorruft. Auf diese Weise konnten antiklassizistische Strömungen in die Weimarer Ästhetik, aber auch in den französischen Klassizismus Einzug halten. Siehe hierzu Zelle, Carsten: Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche. Stuttgart/Weimar 1995.
21
Gewalt und Anmut noch ins Ungefährlich-Abstrakte rücken kann, ist die auf der Bühne fechtende Frau. Nicht allzu lange war es her, dass Frauen gar nicht auf der Bühne in Erscheinung treten durften; der weibliche Schauspielberuf war im 18. Jahrhundert noch sehr umstritten21, und nun traten Frauen, zierliche, fragile Frauen zudem, als Fechtende auf die Bühne und stellten Figuren dar, die im Kampf Männer besiegten oder gar ihren Geliebten töteten. Wenn die Heldinnen als »anmutige Kämpferinnen« zu verstehen sind, wie ich in dieser Arbeit nachweisen möchte, stellt sich die Frage nach der Funktion eines anmutigen weiblichen Heldentums für die bürgerliche Gesellschaft. Denn auch wenn die Kriegerinnen Johanna und Elisabeth für die Monarchie eintreten und Elisabeth sogar explizit gegen die Revolutionäre kämpft, liegt diesen Texten dennoch kein feudalistischer Wertekontext zugrunde. Es handelt sich um revolutionskritische Texte aus der Perspektive einer konservativbürgerlichen Weltsicht, welche die Werte der Aufklärung durch eine Reformierung der europäischen Monarchien und ohne einen gewaltsamen revolutionären Bruch durchsetzen wollten.22 Es liegt daher nahe, die »anmutige Heldin« vor dem Hintergrund der bürgerlichen Heroismusproblematik zu deuten, die sich um 1800 abzeichnet.23 Die Literatur dieser Zeit ist geprägt von der Klage über die mangelnde Tatkraft des bürgerlichen Individuums, dem der Heros als Vorbild gegenübergestellt wird, aber auch durch den Versuch, dem Bürger selbst heroische Qualitäten zuzuweisen, wie etwa die Fähigkeit zur Selbstdisziplin und Triebunterdrückung.24
21 Die Abwertung der weiblichen Schauspielkunst war ein gängiger Topos im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Schauspielerinnen galten als promiskuitiv, ihr Auftreten auf der Bühne als Gefährdung für die bürgerliche Sittlichkeit. In den Debatten über die moralische Fragwürdigkeit schauspielender Frauen zeichnet sich die Angst vor der Undurchschaubarkeit weiblicher Psyche ab, die Schiller mit seinem Anmutsbegriff zu bannen versucht. Siehe hierzu den Sammelband von Renate Möhrmann: Möhrmann, Renate (Hrsg.): Die Schauspielerin. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Bühnenkunst. Frankfurt a. M. 1989. Darin besonders: Laermann, Klaus: »Die riskante Person in der moralischen Anstalt. Zur Darstellung der Schauspielerin in deutschen Theaterzeitschriften des späten 18. Jahrhunderts.« S. 117-127. 22 Vgl. hierzu Naumann, Michael: Strukturwandel des Heroismus. Vom sakralen zum revolutionären Heldentum. Königstein/Ts. 1984, S. 77 f. und Timm, Eitel: Geist und Gesellschaft. Zur deutschen Rezeption der französischen Revolution. München 1990. 23 Vgl. Schlaffer: Held; und Busch, Werner: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. München 1993. 24 Vgl. Schlaffer: Held, S. 144.
22
Einleitung Der Gegensatz von »Held« und »Bürger« ist zentriert um das Problem der Gewalt. Es ist das Privileg und die Aufgabe des Helden, durch Gewalt die Werte zu etablieren, für die er einsteht. Das bürgerliche Individuum hat hingegen zugunsten eines friedlichen Zusammenlebens der Bürger seine Gewaltpotenziale auf den Staat zu übertragen, der nun Konflikte regelt. Eine Heldeninszenierung, die eine Nähe zwischen heroischem Handeln und bürgerlichen Werten herstellen soll, muss den Helden daher so darstellen, dass seine Gewalt auch nach bürgerlichen Wertmaßstäben legitim erscheint. Mit dem »Erhabenen« entwickelt sich eine männlich codierte Form des Heroismus, die bürgerliche Werte mit heroischem Handeln engführt und zugleich eine Rechtfertigung von Gewalt bietet.25 Der heroische Akt des erhabenen Helden besteht in der Überwindung der Sinnlichkeit durch die Vernunft, welche exemplarisch im Selbstopfer des Helden vorliegt. In dem Moment, in dem der Held die Entscheidung trifft, sich einer ausweglosen Gefahrensituation zu stellen, sich also für die sittlichen Vorgaben seiner Mission und gegen seinen Selbsterhaltungstrieb entscheidet, wird er zum erhabenen Helden. Das Handeln nach bürgerlichen Wertmaßstäben wie Selbstdisziplin und Triebkontrolle wird im »Erhabenen« zu einem heroischen Akt aufgewertet. Als Individuum, das sich zugunsten seiner Werte einer übermächtigen Gewalt stellt, befindet sich der Held in einer Notwehrsituation. Sein Leiden rechtfertigt die Gewalt, mit der er sich gegen die Gefahr zur Wehr setzt. Auch die Darstellung derjenigen Gewalt, die auf den Helden einwirkt, ist als Element der Kunst gerechtfertigt, da erst durch sie die moralische Größe des Helden sichtbar wird.26 Da das Erhabene als Form sowohl der Inszenierung der sittlichen Größe des Helden als auch der Inszenierung und Rechtferti-
25 Zum »Erhabenen« als Heldenkonzeption siehe u. a.: Rehm, Walter: »Römisch-romanischer Barockheroismus und seine Umgestaltung in Deutschland.« In: Ders.: Götterstille und Göttertrauer. Aufsätze zur Deutsch-Antiken Begegnung. München 1951, S. 11-61; Meier, Albert: Dramaturgie der Bewunderung. Untersuchungen zur politisch-klassizistischen Tragödie des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1993; Barone, Paul: Schiller und die Tradition des Erhabenen. Berlin 2004; Immer, Nikolas: Der inszenierte Held. Schillers dramenpoetische Anthropologie. Heidelberg 2008, S. 65 ff.; Düsing, Wolfgang: »›Es ist der Geist, der sich den Körper baut‹. Der tragische Held in Schillers klassischen Dramen«. In: Düsing, Edith und Hans-Dieter Klein (Hrsg.): Geist und Literatur. Modelle in der Weltliteratur von Shakespeare bis Celan. Würzburg 2008, S. 81-106. 26 So argumentiert etwa Schiller in Ueber das Pathetische, dass der Dichter dem Helden »die ganze volle Ladung des Leidens geben« müsse, um so dessen moralische Größe sichtbar werden zu lassen. (ÜdP 197)
23
Gewalt und Anmut gung von Gewalt in der Kunst dient, muss die Frage gestellt werden, wie sich die Inszenierung eines »anmutigen« Heldentums von der eines »erhabenen« unterscheidet und welche möglicherweise korrigierenden oder komplementären Funktionen es übernimmt. Gefragt werden soll nach den heroisierenden Mechanismen, welche der Anmut inhärent sind. Wie bringt Anmut die heroische Größe und exzeptionelle Sittlichkeit einer Tat zum Ausdruck, und wie leistet sie eine ethische und ästhetische Rechtfertigung von Gewalt? In einem weiteren Schritt soll die Frage gestellt werden, welche Auswirkung die konzeptionelle Synthese von »Weiblichkeit« und »Gewalt« beziehungsweise von »Anmut« und »Gewalt« auf die Genderkonstruktion und die Ästhetik um 1800 hat. Zwar darf heroisches Handeln nicht als per se emanzipatorisches Handeln, mithin als freiheitlich und fortschrittlich im Vergleich zu der bis dahin unfreien bürgerlichen Frauenrolle missverstanden werden. Den »Heros« verstehe ich als eine Figur, die Machtinteressen verkörpert und eine Schlüsselfigur im patriarchalischen Denken darstellt.27 Die Besetzung dieser Position durch weibliche Figuren garantiert noch bei Weitem keine Widerständigkeit gegen den herrschenden Diskurs, sondern ist zunächst eine Form der Einschreibung in bestehende diskursive Praktiken.28 Dennoch zeichnet sich eine Differenz zwischen dem Handeln der Heldinnen und dem passiven Frauenideal um 1800 ab, die darin besteht, dass Frauen in einem ihnen sonst verwehrten öffentlich-militärischen Handlungskontext in Erscheinung treten. Zudem zeichnet sich im Kontext der klassizistischen Ästhetik eine Synthese divergierender Kategorien ab. In dieser Arbeit soll der Blick auf die Verschränkungen von kriegerischem Handeln und Weiblichkeit gerichtet werden, also auf diejenigen Inszenierungsweisen, welche die Codierung der Geschlechterdifferenz und zugleich die Differenz von »Schönem« und »Erhabenem« zu unterlaufen scheinen.
27 Vgl. Naumann: Heroismus, S. 67 ff. 28 Ich gehe mit Butler davon aus, dass es Möglichkeiten der »widerständigen Performation« gibt, die im parodistischen Anlegen von Masken und Rollen besteht. Siehe Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M. 1991, S. 201 ff. Diese Art des Widerstands übten die Frauen in der Französischen Revolution aus, wenn sie sich Männerkleidung und militärische Insignien anlegten und an Kämpfen und Duellen teilnahmen. Dass aber auch diese Form eines performativen Widerstands immer Gefahr läuft, gerade die Narrationen und Bilder zu bestätigen, mit denen der herrschende Diskurs seine Macht und Legitimität behauptet, liegt auf der Hand. Hanna Hacker beschäftigt sich mit dieser Problematik im Zusammenhang mit weiblichen Kämpferfiguren in Hacker, Hanna: Gewalt ist: keine Frau. Der Akteurin oder eine Geschichte der Transgressionen. Königstein/Taunus 1998.
24
Einleitung
II. Theoretische Grundlagen, Methode und Textauswahl Diese Arbeit basiert methodisch auf der Diskurstheorie, wie sie Michel Foucault und Judith Butler entwickelt haben.29 Ich gehe mit Butler davon aus, dass »Geschlecht« eine Konstruktion ist, die durch diskursive Praktiken hervorgebracht wird. Das, was wir als Körper wahrnehmen, einschließlich dessen, was als biologische Determination erscheint, ist immer schon durch Diskurse geprägt. Insofern ist der Körper, wie Koschorke schreibt, keine »ursprunghafte und geschichtslose Wesenheit [...], die dann, auf einer späteren und nachgeordneten Stufe, in die Maschinerie sozialer Disziplinierung gerät. Es gibt kein Apriori des Leibes.«30 Dennoch sind Diskurse kein monistisches System. Diskursive Praxis basiert wesentlich auf dem Ausschluss, der »Verwerfung« eines anderen, das gerade nicht Teil des Diskurses sein soll.31 So geht Butler von einem System der Zwangsheterosexualität aus, welches homosexuelles Begehren ausgrenzt und zulässige sowie unzulässige Zonen der Lust definiert. »Diskurse« verstehe ich in Butlers Sinne als produktiv und performativ: produktiv insofern, als sie Subjekte erst durch »Anrufung« und »Verwerfung« hervorbringen32, performativ, sofern sie durch wiederholtes Zitieren bestimmter Zuschreibungen Identitäten wie die von Mann und Frau stabilisieren und ihnen Realitätscharakter verleihen.33
29 Mit dem Diskursbegriff beziehe ich mich auf die Position, die Foucault in Sexualität und Wahrheit formuliert hat: Diskurse sind performative Praktiken, durch die Subjektivität erst konstituiert wird. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit. Frankfurt a. M. 1977, S. 93 ff. Judith Butler hat diesen Gedanken in ihrem Werk mit Blick auf Geschlechtlichkeit und sexuelle Ausrichtung ausdifferenziert. Geschlecht und als »natürlich« gedachte Heterosexualität sind Ergebnis diskursiver Praktiken, die den Körper erst mit Blick auf einen körperlich verankerten Geschlechterunterschied codieren. Siehe Butler: Unbehagen, S. 63 ff. und Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a. M. 1997, S. 35 f. 30 Koschorke, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 1999, S. 35. 31 Butler: Körper, S. 30. 32 Butler, Judith: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt a. M. 2001, S. 91 ff. und Butler, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin 1998, S. 196. Von einer Produktivität des Diskurses geht auch Foucault in Sexualität und Wahrheit aus Foucault: Sexualität, S. 83. 33 Butler: Körper, S. 36 ff.
25
Gewalt und Anmut Um 1800 bildet sich mit großer Vehemenz eine Diskursivierung der »Geschlechterdifferenz« aus, in der sich biologisch-medizinischer und philosophisch-subjekttheoretischer Diskurs gegenseitig stützen. Eine als natürlich gedachte Dichotomie von »Kraft« und »Zartheit«, »Aktivität« und »Passivität«, »intellektueller Stärke« und »empfindsamer Schwäche« wird auf die körperliche Verschiedenheit der Geschlechter zurückgeführt. Auf der anderen Seite wird diese »körperliche« Verschiedenheit wiederum mit Blick auf die behaupteten Geschlechtscharakteristika »gezüchtet«. Verschiedene Disziplinarformen wie Turnen und militärische Übungen tragen dazu bei, den männlichen Körper zu einem athletischen, muskulösen Körper auszudefinieren, der den Zuschreibungen von Kraft und Wehrhaftigkeit entspricht.34 Dieses virile Körperideal dient im frühen 19. Jahrhundert einerseits der Aufwertung militärischer Fähigkeiten und Einsatzbereitschaft, aber auch der Stabilisierung der Geschlechterdifferenz. So wurde vom Standpunkt des athletischen Körperideals aus der »verweichlichte« bürgerliche Mann kritisiert, welcher sich vor allem geschäftlicher und geistiger Tätigkeit gewidmet hatte und dessen Körper entsprechend wenig ausgebildet war.35 Solche Verhaltensmuster und Körper wurden aufgrund ihrer Übereinstimmung mit Zuschreibungen an das weibliche Geschlecht als »weibisch« ausgegrenzt. Männer sollten sich körperlich und geistig deutlich von der Frau abgrenzen.36 Der weibliche Körper wurde hingegen durch mangelnde oder nur sanfte Körperertüchtigung wie Tanzunterricht und Mädchenturnen in seiner Weichheit und Kraftlosigkeit konserviert und zu leichten, gefälligen Bewegungsabläufen erzogen.37
34 Siehe hierzu: Pachnicke, Claudine: »Einleitung.« In: Dies. (Hrsg.): Kunstkörper – Körperkunst. Texte und Bilder zur Geschichte der Beweglichkeit. Stuttgart 1989, S. 3-8; Spickernagel: Anmut, S. 305-319; Frevert, Ute: »Das Militär als ›Schule der Männlichkeit‹. Erwartungen, Angebote, Erfahrungen im 19. Jahrhundert.« In: Dies. (Hrsg.): Gesellschaft und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1997, S. 145-173; Brunotte, Ulrike: Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne. Berlin 2004. 35 Siehe hierzu: Schilling: Kriegshelden, S. 88 f. und Kollmann, Anett: Gepanzerte Empfindsamkeit. Helden in Frauengestalt um 1800. Heidelberg 2004, S. 77 ff. Zur Diskursivierung und zeitspezifischen Akzentuierung dieses Topos in der Literatur um 1900 siehe: Dahlke, Birgit: Jünglinge der Moderne. Jugendkult und Männlichkeit in der Literatur um 1900. Köln 2006, besonders S. 197 ff. 36 Frevert: Geschlechter, S. 140 f. 37 Bis ins 21. Jahrhundert lassen sich geschlechtspezifische Unterschiede in der Körpersprache nachweisen. Siehe: Klann-Delius, Gisela: Sprache und Geschlecht. Eine Einführung. Stuttgart/Weimar 2005, S. 93-104.
26
Einleitung Mit der »Anmut« liegt eine Weiblichkeitskonzeption vor, in der sich die körperliche Zartheit und Schönheit der Frau, und zwar spezifisch die Schönheit der Bewegung, und »weiblich« gedachte Charaktereigenschaften wie Sanftmut, intuitive Sittlichkeit, aber auch mangelnde Intellektualität unmittelbar aufeinander beziehen. Weil die Frau sich anmutig bewegt, ist sie gut; weil sie gut ist, bewegt sie sich anmutig – so lässt sich die Definition von Anmut grob zusammenfassen.38 »Anmut« ist damit ein Beispiel für die wechselseitigen Projektionen körperlicher und geistiger Eigenschaften, welche die Konzeption eines »Geschlechtscharakters« diskursiv absichern sollen. Mit dem Konzept der Anmut als Ausdrucksideal, wie es sich in den Theorien Rousseaus, Herders, Schillers und in eingeschränkter Form auch Winckelmanns entwickelt, scheinen verschiedene Problematiken bürgerlicher Subjektivität gelöst zu sein. Die Anmut der Frau soll zum einen das Bedürfnis nach einem unmittelbaren Einblick in die »Persönlichkeit« und damit nach Kontrollierbarkeit des Individuums befriedigen, ein Bestreben, das Foucault als Dreh- und Angelpunkt neuzeitlicher Machtkonstituierung identifiziert hat.39 Das (weibliche) Individuum lässt sich in der Konzeption der Anmut unmittelbar in jeder Seelenregung wahrnehmen, die Gefahr des Geheimnisses, der verborgenen Wünsche, ist gebannt. »Anmut« soll zugleich die innere Spaltung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft aufheben, welche zentral für das Subjektverständnis um 1800 ist. Mit der »Anmut« ist eine naturgleiche Freiheit von allen zivilisatorischen Zwängen gedacht, die aber erst durch Körpererziehung wie Turnen, Ballett und die Anleitung zu einer mädchenhaften Schamhaftigkeit und Triebunterdrückung möglich wird.40
38 Vgl. Knab: Anmut, S. 115 ff. Gemeint ist hier die Anmut als Ideal des moralischen Ausdrucks in der körperlichen Bewegung. Eine Differenzierung verschiedener Formen von Anmut soll im Verlauf der Arbeit vorgenommen werden. 39 Foucault: Sexualität, S. 25 ff. 40 Josef Früchtl weist darauf hin, dass diese Disziplinarität auch Schillers Konzept der ästhetischen Erziehung und Versöhnung zugrunde liegt, aus der bei Schiller auch die »Anmut« hervorgeht. »Erziehung ist Schein von Zwangfreiheit, in gewisser Weise zwangloser Zwang. Insofern erfüllt Schillers Programm einer ästhetischen Erziehung unverhüllt jene Funktion der Disziplinierung, die Foucault für das 18. Jahrhundert und die mit ihm anbrechende Moderne analysiert hat.« Früchtl, Josef: »Ästhetische Subjektivität und gespaltene Moderne.« In: Braungart, Georg und Bernhard Greiner (Hrsg.): Schillers Natur. Leben, Denken und literarisches Schaffen. Hamburg 2005, S. 13.
27
Gewalt und Anmut In der Konstruktion eines anmutigen weiblichen Heldentums überlagern sich mehrere dominante Diskurse der Epoche um 1800, deren Interaktionen im Verlauf dieser Arbeit rekonstruiert werden sollen. Wesentlich ist die Überlagerung des moralphilosophischen mit dem medizinischen Diskurs: In der Konzeption der Anmut verschränken sich das medizinisch-anthropologische Konzept des »Influxus-Physicus«41 – der Annahme eines unmittelbaren Austausches zwischen Körper und Seele – mit dem moralisch-ästhetischen Konzept der »Kalokagathia«, der Idee der Wahrnehmbarkeit des moralisch Guten in der ästhetischen Erfahrung des Schönen.42 Weil die Seele im Austausch mit dem Körper steht, soll sich in der Schönheit der Bewegungen auch die moralische Qualität einer Handlung visualisieren können. Wesentlich ist ferner die Verschränkung des ästhetischen Diskurses, der um eine graduelle bis oppositionelle Differenz von »Schönem« und »Erhabenem« zentriert ist, mit dem Geschlechterdiskurs.43 Eine weitere diskursive Verschränkung, die in den Blick genommen werden soll, um das Phänomen der kriegerischen Heldin um 1800 theoretisch einzukreisen, ist die Überlagerung von Ästhetik und Militärwesen. Denn in der Figur des Helden wird mit ästhetischen Mitteln und Verfahrensweisen eine sittlich gerechtfertigte oder gar bewunderungswürdige Gewalt konstruiert. Eine entscheidende Frage dieser Arbeit muss daher sein, wie und mit welchem Zweck hier das ästhetische Konzept der Anmut zur Rechtfertigung von Gewalt dient. Als Diskursanalyse ist die Arbeit interdisziplinär angelegt. Sie widmet sich sowohl theoretischen Texten, Darstellungen der bildenden Kunst, Entwicklungen der Mode als auch den literarischen Texten, auf denen der Fokus der Arbeit liegt. Die vier Texte – Schillers Jungfrau von Orleans, Kleists Penthesilea, Zacharias Werners Wan-
41 Zum anthropologischen Modell des »Influxus Physicus«, der wechselseitigen Beeinflussung von Körper und Seele, das dem Konzept der Körpersprache zugrunde liegt, siehe Košenina, Alexander: Anthropologie und Schauspielkunst. Studien zur ›eloquentia corporis‹ im 18. Jahrhundert. Tübingen 1995, S. 8 ff. Zu Schillers Rezeption des Konzepts siehe: Riedel, Wolfgang: Die Anthropologie des jungen Schiller. Zur Ideengeschichte der medizinischen Schriften und der ›Philosophischen Briefe‹. Würzburg 1985, S. 37 ff. Zu Kleists Rezeption der medizinischen Anthropologie siehe: Debriacher, Gudrun: Die Rede der Seele über den Körper. Das commercium corporis et animae bei Heinrich von Kleist. Wien 2007. 42 Vgl. u. a. Knab: Anmut, S. 115 ff. und Meyer-Sickendiek, Burkhard: Scham und Grazie. Zur Paradoxie der ›schönen Seele‹ im achtzehnten Jahrhundert. (28.5.2004.), S. 1 ff. URL: http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/ db/wiss/epoche/meyers_seele.pdf (Stand: 12. November 2009) 43 Vgl. Snyder-Körber: Erhabene, S. 9 ff.
28
Einleitung da und Fouqués Heldenmädchen aus der Vendée – sind aufgrund der zeitlichen Nähe ihrer Entstehung und im Hinblick auf die Darstellung weiblichen Kampfverhaltens ausgewählt. In allen Texten treten die weiblichen Figuren als Kämpfende auf bzw. werden als Kämpfende beschrieben. Dieser Aspekt wie auch der Bezug zur Französischen Revolution und zu den Napoleonischen Kriegen, der allen Texten gemeinsam ist, legen einen Vergleich der Texte nahe. Intertextuelle Bezüge sollen unter dem Aspekt kriegerischer Grazie herausgearbeitet werden, um vom Standpunkt der Gemeinsamkeiten wiederum die unterschiedlichen Positionen und Inszenierungsweisen der einzelnen Texte in den Blick nehmen zu können.
III. Aufbau der Arbeit Kapitel B I skizziert die Heroismusproblematik um 1800. Gefragt werden soll nach den Anforderungen, welche eine Heldenkonzeption in der bürgerlichen Literatur erfüllen muss. Kapitel B II arbeitet die heroisierenden Strategien des Erhabenheitskonzepts heraus, um so die Grenzen der Kategorien abzustecken, welche ein »anmutiges« Heldentum als komplementäre Denkfigur notwendig werden lassen. Kapitel C I weist anhand von Bildern aus dem Kontext der Französischen Revolution und Skizzen zu Theaterinszenierungen der Jungfrau von Orleans die Verschränkung von Anmutskonzeption und Kriegertum auf der Ebene der visuellen Darstellung nach. Es soll die Frage gestellt werden, wie die Kleidung der Heldinnen einen anmutigen Kämpferinnenkörper inszeniert. In Kapitel C II–IV sowie C V und VI werden Schlüsseltexte zur Anmutskonzeption von Winckelmann, Goethe, Schiller und Kleist dahin gehend befragt, ob und wie sie Anmut als Heldentum konzipieren. Kapitel C IV 4 wirft einen Blick in die Geschichte der europäischen Fechtkunst und stellt die Frage, inwiefern diese als anmutig-heroische Performance zu verstehen ist. Kapitel C VII widmet sich dem Verhältnis von anmutiger Heldin und Furie, die als zweite kriegerische Frauenfigur die Ikonografie der Französischen Revolution, aber auch die Ästhetik der Weimarer Klassik entscheidend prägt. Gefragt werden soll nach der Funktion der Entgegensetzung einer idealisierten anmutigen weiblichen Gewalt und einer verworfenen hysterischen weiblichen Gewalt im ästhetischen Diskurs um 1800. In Kapitel D werden Schillers Die Jungfrau von Orleans, Kleists Penthesilea, Werners Wanda, Königin der Sarmaten und Fouqués Heldenmädchen aus der Vendée mit Blick auf die Inszenierung eines anmutigen weiblichen Heldentums analysiert.
29
Gewalt und Anmut
IV. Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur In der Forschungsliteratur herrscht Einigkeit darüber, dass die kriegerische Heldin um 1800 vor dem Hintergrund der politischen Umbrüche dieser Zeit zu verstehen ist. Die reale Teilnahme von Frauen an der Französischen Revolution und den Napoleonischen Befreiungskriegen, die Etablierung eines dualistischen Geschlechtermodells mit seinen machtpolitischen Implikationen und die Ablösung des feudalen Machtsystems durch die bürgerliche Ordnung gelten als Folie für das Verständnis der Figur.44 Mehrere Interpreten sehen in den Amazonendarstellungen der Französischen Revolution sowie der deutschsprachigen Literatur den Versuch, die politisch agierende Frau in der Allegorie zu überhöhen und zugleich aus dem realen politischen Handeln auszuschließen.45 So betont vor allem Inge Stephan die idealisierenden 44 Diese Grundannahme ist allen umfassenden Studien zur kriegerischen Heldin in der deutschsprachigen Literatur um 1800 gemeinsam. Bei diesen handelt es sich um: Stephan, Inge: »›Da werden Weiber zu Hyänen …‹ – Amazonen und Amazonenmythen bei Schiller und Kleist.« In: Dies. und Sigrid Weigel (Hrsg.): Feministische Literaturwissenschaft. Dokumentation der Tagung vom Mai 1983. Berlin 1984, S. 23-42; Kreuzer, Helmut: »Die Jungfrau in Waffen. Hebbels ›Judith‹ und ihre Geschwister von Schiller bis Sartre.« In: Ders. (Hrsg.): Friedrich Hebbel. Darmstadt 1989, S. 276-304; Krimmer, Elisabeth: Offizier und Amazone. Frauen in Männerkleidung in der deutschen Literatur um 1800. Ann Abor/Michigan 2000; Lü, Yixu: Frauenherrschaft im Drama des frühen 19. Jahrhunderts. München 1993; Kollmann: Empfindsamkeit. Die zahlreichen Interpretationen zu den einzelnen literarischen Werken sollen in einem Querschnitt in den jeweiligen Kapiteln dieser Arbeit berücksichtigt werden. 45 Für die Französische Revolution u. a.: Hunt, Lynn: »The Many Bodies of Marie Antoinette. Political Pornography and the Problem of the Feminine in the French Revolution.« In: Dies. (Hrsg.): Eroticism and the Body Politic. Baltimore/London 1991, S. 108-130; Landes, Joan: Women in the Public Sphere in the Age of French Revolution. Ithaca/London 1988. Für die deutschsprachige Literatur vgl.: Stephan: Hyänen, S. 34 ff. Ich teile die Auffassung, dass mit der Überhöhung der Frau zur Nationalallegorie die Verdrängung politisch agierender Frauen einhergeht. Dass solche allegorisierenden und zugleich ausgrenzenden Strategien noch in zeitgenössischen Weiblichkeitsinszenierungen wirksam sind, hat Martina Wagner-Egelhaaf nachgewiesen. Wagner-Egelhaaf, Martina: »›Deutschland, bleiche Mutter‹. Ist die Nation (immer noch) eine Frau?« In: Bischoff, Doerte und Dies. (Hrsg.): Mitsprache, Rederecht, Stimmgewalt. Genderkritische Strategien und Transformationen der Rhetorik. Heidelberg 2006, S. 231-254. Ich möchte allerdings zwischen der Nationalallegorie als passiver, lediglich mit Insignien der Macht ausge-
30
Einleitung Strategien der Heldinneninszenierungen, welche die Figuren außerhalb eines realistischen Handlungsraums rücken und sie zum Austragungsort philosophischer Gedankenspiele werden lassen. Solche Verfahrensweisen sieht Stephan vor allem in Schillers Drama Die Jungfrau von Orleans am Werk, das sie als »Entlebendigung« der historischen Johanna zur »reinen Jungfrau« und als Reduktion der Geschichte Johannas auf den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung deutet.46 Kleists Penthesilea decouvriere hingegen den idealistischen Diskurs, den seine Zeitgenossen über die Geschlechterdifferenz gelegt haben, indem er im furiosen Handeln der Amazone den Willen zur Macht als Triebfeder menschlichen Handelns sichtbar werden lasse. Die negative Darstellung der Heldin als Furie sei auf diese Weise zwar Ausdruck von Angst und Abwehr des Weiblichen, aber auch Kritik am herrschenden Geschlechterdiskurs. Die Strategie der Überhöhung der Frau mit der Absicht, sie zugleich aus dem öffentlichen Handeln auszuschließen, trifft sicherlich die bewusste oder unbewusste Motivation der männlichen Künstler und Autoren, welche das Sujet der kämpfenden Frau adaptiert haben. Die Angst, dass mit der Infragestellung einer gottgegebenen Ständeordnung auch die Hierarchie der Geschlechter nicht mehr begründbar sei, prägte den Geschlechterdiskurs der Zeit um 1800.47 Die Bilder und Texte jedoch nur als allegorische Überhöhungen zu interpretieren, hieße, sie voreilig auf eine Autorintention zu reduzieren und sie nicht hinsichtlich ihrer Eigendynamik zu befragen, die sich auch gegen den Autor oder Künstler richten kann. So zeichnet sich etwa in Schillers Werk eine regelrecht schizophrene Widersprüchlichkeit in der Auseinandersetzung mit dem »Weiblichen« ab, wie Helmut Fuhrmann herausgearbeitet hat.48 Fuhrmann zeigt, dass der Dramatiker Schiller mächtige, heroisch han-
statteter Figur und den Kriegerinnen in der deutschsprachigen Literatur differenzieren, die handelnd in das politische Geschehen eingreifen. In dieser Arbeit soll die Inszenierung dieses politischen und kriegerischen Handelns in den Blick gerückt und die Frage gestellt werden, ob und mit welcher Funktion hier eine spezifisch weiblich gedachte Form des Handelns konstruiert wird. 46 Diese These vertritt Stephan sowohl in Stephan: Hyänen, S. 34 ff. als auch in Stephan, Inge: »Hexe oder Heilige? Zur Geschichte der Jeanne d’Arc und ihrer literarischen Verarbeitung.« In: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft. Mit Beiträgen von Inge Stephan und Sigrid Weigel. Berlin/Hamburg 1988, S. 54 ff. 47 Vgl. Kapitel A I Anmerkung 2. 48 Fuhrmann, Helmut: »Revision des Parisurteils. ›Bild‹ und ›Gestalt‹ der Frau im Werk Friedrich Schillers.« In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 25 (1981), S. 316-366.
31
Gewalt und Anmut delnde Frauenfiguren in Szene setzt und sich damit von dem Lyriker, Erzähler und Theoretiker Schiller abgrenzt, der das Bild der schönen, passiven, ganz und gar in der Liebe zu einem Mann aufgehenden Frau propagiert.49 Ich möchte mich dieser These anschließen mit der oben ausgeführten Einschränkung, dass ich heroisches Handeln nicht zwangsläufig als emanzipatorisches Handeln verstehe. Es muss aber der Gegensatz zwischen der Passivität und Zuordnung der Frau zur privaten Sphäre einerseits und dem militärischen Handeln andererseits berücksichtigt werden. Ich möchte ergänzen, dass auch der Theoretiker Schiller nicht in der Dichotomie von weiblicher Passivität und männlicher Aktivität verharrt, sondern mit seiner Konzeption der Anmut eine Kategorie ins Spiel bringt, welche diese Dichotomie unterläuft. Denn mit »Anmut« wird gerade Bewegung, also im weitesten Sinne Handlung in Szene gesetzt. Anmut gilt Schiller als Form der Subjektivität, die der Würde im Rahmen seines Wertesystems sogar überlegen ist.50
49 Fuhrmann: Parisurteil, S. 321 ff. 50 In diese Richtung argumentiert auch Walter Hinderer, wenn er betont, dass in Ueber Anmuth und Würde der Frau Fähigkeiten zugesprochen werden, welche die des Mannes übertreffen.« Hinderer, Walter: »Der Geschlechterdiskurs im 18. Jahrhundert und die Frauengestalten in Schillers Dramen.« In: Ders. (Hrsg.): Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Würzburg 2006, S. 272. Als Bewegung und Subjektivität umfassendes Schönes unterscheidet sich die Anmut wesentlich vom objekthaft-passiven Schönen, das in seiner gendercodierten Passivität wohl am deutlichsten in der Ästhetisierung der schönen Frauenleiche in Erscheinung tritt. Siehe: Bronfen, Elisabeth: Over her dead body. Death, femininity and the aesthetic. Manchester 1992. Auch Winfried Menninghaus betont die »Merkmal-, Sprach-, Charakter- und Tatenlosigkeit« des weiblichen wie auch männlichen Schönen. Menninghaus, Winfried: Das Versprechen der Schönheit. Frankfurt a. M. 2003, S. 21. Die ideale männliche Schönheit des Adonis sei aufgrund dieser Zuschreibungen im abendländischen Diskurs zugunsten einer Aktivität und Virilität suggerierenden männlichen Schönheit eines Achill oder Apoll verdrängt worden. Menninghaus: Versprechen, S. 18 ff. Zur Rolle des Schönen und der schönen Frau in der Ästhetik und Dramatik der Weimarer Klassik siehe Schneider, Helmut J.: »Die schöne Frau. Zu einer Symbolfigur der klassischen Dramatik.« In: Dörr, Volker C. und Michael Hofmann (Hrsg.): »Verteufelt human?« Zum Humanitätsideal der Weimarer Klassik. Berlin 2008, S. 101-140. Schneider betont, dass die Funktion des Weiblich-Schönen gerade in seiner Passivität bestehe, die ein in sich ruhendes, ganz gegenwärtiges Sein verheiße: »Es ist dieses ganz in der sinnlich-imaginativen Gegenwärtigkeit aufgehende Sein der (schönen) Frau, in dem ihre Bedeutung beruht – und nicht, so können wir ergänzen, ein aktives Handeln, das vielmehr Sache des Mannes ist.« Schneider: Symbolfigur, S. 116. Ich stimme Schneider in dieser Beobachtung voll zu. Schneider bezieht allerdings auch
32
Einleitung Stephan übersieht aufgrund ihrer Fokussierung auf die idealisierenden Mechanismen, dass Schiller mit seiner Jungfrau von Orleans eine Figur konzipiert hat, die sich durch eine eigentümliche Mischung aus weiblicher Sittlichkeit und Lust an gewalttätigem Handeln auszeichnet, die dem bürgerlichen Weiblichkeitsideal ganz und gar entgegenläuft. Hebbel hat diesen Zug der Figur im Blick gehabt, als er schrieb, Schiller habe seiner Jungfrau von Orleans »einen förmlichen Trieb zum Würgen und Morden in die Seele«51 gelegt. Helmut Kreuzer und Julie Prandi betonen in ihren Interpretationen den Konflikt zwischen weiblicher Sphäre des Privaten und männlich-kriegerischer Mission. Prandi vertritt die These, dass in Werken Schillers, Goethes und Kleists weibliche Heroen als Heldinnen der Humanität vom kämpferischen Heldentum des Mannes abgegrenzt werden.52 Die Figuren zeichneten sich durch einen nur bei weiblichen Helden zu beobachtenden Konflikt zwischen männlich codierter öffentlicher und weiblich codierter privater Sphäre aus. Prandi unterscheidet zwischen einem konventionellen Typus, der versucht, seine Mission unter Einhaltung weiblich gedachter Rollenmuster zu erfüllen (Iphigenie, Maria Stuart, Käthchen von Heilbronn) und einem Heldinnentypus, der weibliche Handlungsmuster ablehnt und seine Mission unter Verzicht auf die weibliche Rolle erfüllt (Johanna, Penthesilea, Natürliche Tochter). Helmut Kreuzer deutet dieses Aufeinanderprallen von weiblich codierter privater und männlich codierter öffentlicher Sphäre vor dem Hintergrund des klassisch-idealistischen Denkens, das er bei Hegel exemplarisch vorfindet. Hegel lässt mit den Geschlechtern zugleich das Prinzip einer intuitiven Sittlichkeit und religiösen Pietät mit den Gesetzen des Staates aufeinanderprallen. Durch eine naturhafte Bestimmung hat die Frau für die Familie, der Mann aber für den Staat einzustehen. Die Erfüllung ihrer Aufgabe muss daher Mann und Frau notwendig in eine tragische Situation führen, da sich beide dem jeweils
die Grazie in diesen passiven Schönheitsbegriff mit ein. Schneider: Symbolfigur, S. 115 ff. Ich möchte hingegen zeigen, dass sich mit der Grazie vor allem bei Schiller ein aktiver Schönheitsbegriff entwickelt, der die Dichotomie eines aktiven männlichen und eines passiven weiblichen Prinzips unterwandert und damit die Inszenierung von Figuren wie der Jungfrau von Orleans und Penthesilea ermöglicht, in denen die Humanität der schönen Seele eine Synthese mit politischem und sogar kriegerischem Handeln eingeht. 51 Hebbel, Friedrich: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Richard Maria Werner. Bd. IX. Berlin 1901 ff., S. 267. Zitiert nach Kreuzer: Jungfrau, S. 286. 52 Prandi, Julie D.: Spirited Women Heroes. Major Female Characters in the Dramas of Goethe, Schiller und Kleist. New York u. a. 1983.
33
Gewalt und Anmut anderen Prinzip gegenüber schuldig machen müssen. Der Konflikt zwischen Familienbindung und dem Staatlich-Politischen wiederhole sich, so Kreuzer, in der Literatur um 1800 im Konflikt zwischen individueller Liebe und den Notwendigkeiten des modernen Staates.53 Mit der Jungfrau in Waffen steigere sich noch das tragische Potenzial, das der Geschlechterdifferenz in dieser philosophischen Codierung ohnehin innewohne, denn die Kriegerin müsse Aufgaben erfüllen, die gerade nicht der ihr zugewiesenen Sphäre der persönlichen Bindungen entsprächen. Der Liebesverzicht, der im Mittelpunkt aller Kriegerinnendramen um 1800 stehe, verdeutliche die tragische Abwendung von der weiblichen Rolle. Bei Hebbel markiere diese Überschreitung der natürlichen Ordnung das Eingreifen Gottes in den historischen Prozess. Durch die Wahl eines »zitternden Geschöpfes«, das niemals aus eigener Kraft hätte kämpfen können, verdeutliche sich Gottes Macht auf Erden. Auch Schiller habe in der Jungfrau von Orleans auf die außerordentliche Weltlage und die religiöse Berufung Johannas zurückgreifen müssen, um die Konzeption einer kriegerischen Heldin sinnvoll erscheinen zu lassen. In Kleists Penthesilea hingegen erweise sich Penthesileas Kampfverhalten gerade als Übererfüllung der weiblichen Sphäre der Liebe. »Die wechselseitigen Aggressionen der Liebenden erscheinen nicht als widernatürlicher Gegensatz der Liebe, sondern als eine ihrer Extremformen.«54 Ich stimme Prandis und Kreuzers Beobachtung zu, dass es sich bei dem tragischen Aufeinanderprallen von Liebeswunsch und militärischer Aufgabe in den Kriegerinnendramen um 1800 um eine auffällige Parallele handelt Die Schlussfolgerung, dass hier die zugeordneten Wertsphären miteinander in Konflikt geraten, scheint naheliegend zu sein. Allerdings weise ich darauf hin, dass der weitgehende bis vollständige Verzicht auf familiäres Glück ein strukturel-
53 Kreuzer weicht hier von Hegels Theorie insofern ab, als für Hegel diese Form der Tragik an die Gestalt der »Sittlichkeit« der Antike gebunden ist: »Die Heroen der alten, klassischen Tragödie finden Umstände vor, unter denen sie, wenn sie sich fest zu dem einen sittlichen Pathos entschließen, das ihrer eigenen für sich fertigen Natur allein entspricht, notwendig in Konflikt mit der gleichberechtigten, gegenüberstehenden sittlichen Macht geraten müssen. Die romantischen Charaktere hingegen stehen von Anfang an mitten in einer Breite zufälligerer Verhältnisse und Bedingungen, innerhalb welcher sich so und anders handeln ließe, so daß der Konflikt, zu welchem die äußeren Voraussetzungen allerdings den Anlaß darbieten, wesentlich in dem Charakter liegt, dem die Individuen in ihrer Leidenschaft nicht um der substantiellen Berechtigung willen, sondern weil sie einmal das sind, was sie sind, Folge leisten.« (Hegel: Vorlesungen III, S. 560) 54 Kreuzer: Jungfrau, S. 288.
34
Einleitung les Element von Heldenmythen im Allgemeinen ist.55 Die spezifische, ins Tragische mündende Konstellation in den Heldinnendramen ergibt sich vielmehr aus der Tatsache, dass sich die Heldinnen – in Penthesileas Fall notwendigerweise, in Johannas und Wandas Fall zufälligerweise – in ihren Feind verlieben und somit denjenigen, den sie lieben, bekämpfen müssen. In dieser Konstellation erst kommt es zum tragischen Scheitern der Heldinnen. Nicht allein die Überschreitung der geschlechtlich codierten Handlungsräume, sondern die Tatsache, dass mit dieser Überschreitung auch die Liebe zwischen den Geschlechtern in den agonistischen Strukturen des Krieges und der Öffentlichkeit ihren Ausdruck finden muss, führt in die Tragödie. Diese Überlagerung bringt aber, bevor die Helden scheitern, eine Verschränkung von Gefühl, Selbstausdruck und Gewalt hervor, die in den kämpferischen Choreografien ihren Ausdruck findet. Ich möchte in meiner Arbeit zeigen, dass die hier ausgewählten Texte nicht die gängigen traditionellen Dualismen von »weiblich« und »männlich«, »Privatheit« und »Öffentlichkeit«, »Schönem« und »Erhabenem« im Handlungsgeschehen bestätigen, sondern sich in der Inszenierung Überlagerungen ergeben, die solche Oppositionen unterlaufen. Elisabeth Krimmer nimmt die Figur der kriegerischen Heldin um 1800 unter dem Aspekt der Travestie in den Blick. Das Travestiemotiv sei Ausdruck eines grundsätzlichen paradigmatischen Wandels, der sich um 1800 vollziehe. Die Ambivalenz, die dem Travestiemotiv inhärent sei, eigne sich zur Problematisierung diskursiver Umbrüche: »Das Dazwischen ist das Element der Transvestiten, sie sind weder Mann noch Frau. Und eben aufgrund dieser von ihnen verkörperten Aufhebung aller logischen Konsistenz gewinnen sie zugleich verlockende wie bedrohliche Attraktivität in Zeiten epistemologischer Instabilitäten, in denen gegebene Ordnungsschemata durch neue kulturelle Paradigmen abgelöst werden.«56
55 Man denke an Odysseus, dessen kriegerische Taten mit jahrzehntelanger Trennung von seiner Familie erkauft sind. Man denke an Iwein, der über seine Kämpfe und Abenteuer vergisst, dass seine Frau Laudine auf ihn wartet und, als sie ihn verlässt, dem Wahnsinn verfällt. Siehe hierzu: Schmidbauer, Wolfgang: Die Ohnmacht des Helden. Unser alltäglicher Narzissmus. Reinbek bei Hamburg 1981, S. 168-173. Im Kontext der Epoche um 1800 sind Schillers Fiesco und Kleists Hermann Beispiele für Helden, die ihr privates Glück opfern, indem sie ihre Frauen in ein Intrigenspiel gegen den Feind verstricken. 56 Krimmer: Amazone, S. 20. Ähnlich auch Inge Stephan: »Der alte Amazonenmythos […] gewinnt […] gerade in historischen Umbruchzeiten eine besondere Bedeutung und Funktion.« Stephan: Hyänen, S. 23.
35
Gewalt und Anmut Die kriegerische Heldin erfasst Krimmers Studie in dem Kapitel »Heldenjungfrauen« mit einem Vergleich der Romane Familie Seldorf von Therese Huber und Das Heldenmädchen aus der Vendée von Caroline de la Motte Fouqué. Krimmer führt die Begeisterung deutscher Literaten für das Sujet auf die reale Teilnahme von Frauen an der Französischen Revolution zurück. Sie betont aber zu Recht, dass die »Jungfrau in Waffen« in Deutschland schon im Zeichen eines bürgerlichen Nationalismus steht, der unter dem Eindruck der Napoleonischen Befreiungskriege entstand und nicht mehr im Zeichen revolutionärer Gewalt.57 Mit den Romanen kontrastiert Krimmer eine restaurativ-royalistische Adaption (Fouqué) des Sujets und eine revolutionär-republikanische (Huber). Die Verkleidung, die Elisabeth in Hubers Roman gelingt – die täuschend echte Nachahmung des Mannes und die perfekte Beherrschung der Kriegsführung, die ihr sogar eine Vorbildrolle in der Armee einbringen –, stellt eine originäre Männlichkeit infrage: »[...] wenn die Kopie das vorgegebene Muster problemlos ersetzen kann, werden Echtheit und Primat der Vorgabe zweifelhaft [...].«58 Der Roman stelle den weiblichen Kampf als Rache und Überlebensmöglichkeit dar und rechtfertige ihn damit nicht durch die Berufung auf patriarchalische Werte. Anders gestalte Fouqués Roman das Sujet der Heldenjungfrau: Verzicht auf Sexualität, die Unterwerfung des Lebens unter vaterländisch-patriarchale Werte rechtfertige das Abweichen der Kriegerin von der weiblichen Norm. Ich folge Krimmer in der Annahme, dass die kriegerische Heldin als Transvestitin die epistemologische Unsicherheit der Zeit widerspiegelt und auslotet. Ich weise aber darauf hin, dass die Heldenjungfrau insofern eine Ausnahmeposition im Travestiediskurs einnimmt, als ihre Verkleidung nicht ihren Geschlechtscharakter verbirgt. Anders als Leonore in Die Verschwörung des Fiesco zu Genua und Agnes und Ottokar in Die Familie Schroffenstein, die Krimmer als Beispiele anführt, zeichnen sich die Kriegerinnen in den Darstellungen der Französischen Revolution wie auch bei Schiller, Kleist und Werner nicht durch eine täuschend echte Verkleidung, sondern durch ein Spiel mit Elementen männlicher und weiblicher Kleidung aus. Krimmer selbst weist darauf hin, dass etwa der Begriff »Amazone« in der Französischen Revolution mit einem Reithabit assoziiert war, bei dem nur das Oberteil aus männlicher Kleidung besteht, geht aber im Verlauf der Studie nicht weiter auf die unterschiedlichen Formen einer vollständigen Verkleidung und einer Mischkleidung der Kriegerin ein, die letztlich nicht ihre Zugehörigkeit zum
57 Krimmer: Amazone, S. 39. 58 Krimmer: Amazone, S. 49.
36
Einleitung weiblichen Geschlecht verbirgt.59 Ich werde in Kapitel C I die Körperinszenierung der Heldin genauer in den Blick nehmen und zeigen, dass sich in der Kleidung die Synthese von Gewalt und Anmut abzeichnet, die mit der Figur auch auf inhaltlicher Ebene intendiert wird. Die Kleidung setzt einen Kampfkörper in Szene, der weibliche Körperideale überbetont, sie aber zugleich in den Kontext militärischen Handelns stellt. Yixu Lü fragt in ihrer Studie Frauenherrschaft im Drama des frühen 19. Jahrhunderts nach der Legitimation und Darstellungsweise weiblicher Herrschaft. Ihre These ist, dass in den Heldinnendramen des frühen 19. Jahrhunderts weibliche Regentschaft vor dem Hintergrund der politischen Umbrüche um 1800 als alternatives, gefühlsbetontes Herrschaftsmodell einer kalten, männlichen Herrschaft gegenübergestellt werde, entweder um sie als unrealistisch zu diffamieren oder aber um sie als erstrebenswertes Ziel zu etablieren. Dabei gehe es nicht um die Frage nach der Möglichkeit realer Teilnahme von Frauen am politischen Geschehen; die Dichotomie von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« werde vielmehr genutzt, um die diffizilen politischen Positionen der Zeit durchzuspielen. »Während bei Brentano die Frauenherrschaft den gescheiterten Versuch des Menschen, aus eigener Kraft zum Paradies zurückzugelangen, symbolisiert, [...] ist die Frauenherrschaft bei Grillparzer das symbolische Zeichen für die ideale Herrschaftsform des aufgeklärten Bürgertums.«60 Kleists Penthesilea interpretiert Lü als grundsätzliche Kritik an einer idealisierten aufklärerischen Politik. Das Scheitern der Amazonen, die in einem revolutionären Gewaltakt Fremdherrschaft abstreifen und eine alternative Herrschaft etablieren, zeige die grundsätzliche Gefährdung revolutionären Handelns durch die triebhafte, dunkle Seite des Menschen. Lü gibt den für diese Arbeit wichtigen Hinweis, dass sowohl in der Inszenierung von Werners Wanda als auch von Kleists Penthesilea die Attribute »schöner« und »zarter« weiblicher Körperlichkeit mit ihrer kämpferischen Rolle einhergehen.61 Sie deutet diese Verschränkung jedoch vor dem Hintergrund einer weiblich gedachten Herrschaftsform und geht nicht den ästhetischen und heldentheoretischen Implikationen dieser Verschränkung nach, um die es im Rahmen der vorliegenden Arbeit gehen soll. Annett Kollmann fragt nach der Position der Kriegerin in der Ethik des Bürgertums. Die Ethik des Helden sei eine »naive Mo-
59 Krimmer: Amazone, S. 4. 60 Lü: Frauenherrschaft, S. 206. 61 Lü: Frauenherrschaft, S. 30 und S. 194 f.
37
Gewalt und Anmut ral«62, die in einem ambivalenten Verhältnis zur bürgerlichen Sittlichkeit stehe. Heroisches Handeln sei sittlich, insofern es eine sittliche Ordnung anstrebe, aber unsittlich, da es sich über den Handlungskontext der Gemeinschaft hinauswage. »Die Helden sind Protagonisten einer metaphorischen oder symbolischen Grenzüberschreitung, die den kulturellen und geistigen Horizont einer Gemeinschaft so erweitert, daß ihr die existenzielle Kontinuität in einem Moment der Diskontinuität, der Krise und des Chaos ermöglicht wird [...].«63 Der Held müsse Außenseiter sein, da sein gewaltsames Handeln nur als exzeptionelles Handeln von der Gemeinschaft toleriert werden könne: »Die Exzeptionalität der Gewalt seiner Tat bleibt einmalig und kann so gemeinschaftlich kompensiert werden. Eine die Gemeinschaft grundlegend destabilisierende Kette von Vergeltungsakten wird so unterbunden.«64 In der Außenseiterposition sieht Kollmann eine strukturelle Übereinstimmung zwischen Weiblichkeits- und Heroismusdiskurs.65 Autorität konstituiere sich um 1800 als eine männliche Eigenschaft zugunsten der Verdrängung des Weiblichen, aber auch des »weibischen« Mannes. In sittlicher Hinsicht könne daher nur der Mann eine heroische Position erreichen, in der Kunst aber nur die Frau, da sie die Außenseiterposition vertrete, die für den Helden unverzichtbar sei. Die Kriegerin versteht Kollmann als Kritik am »weibischen«, gefühlsbetonten Mann, der sich mit der Empfindsamkeitsbewegung entwickelt. Der Satz aus einer Corday-Bearbeitung August Graf von Platens »Wenn Männer schmeicheln, haben Weiber Mut«, gilt Kollmann als paradigmatisch für die kompensatorische Funktion der Figur.66 Ich schließe mich Kollmanns Argumentation an, dass der Held zwischen Affirmation und Widerstand gegenüber dem Gemeinwesen oszilliert, und dass diese Struktur des Heroischen sich analog zur Konzeption des Weiblichen im bürgerlichen Diskurs verhält. Ich bin jedoch nicht Kollmanns Auffassung, dass der bürgerliche Mann eine 62 Kollmann: Empfindsamkeit, S. 28. Kollmann zitiert hier: Jolles, André: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Morabile, Märchen, Witz. Tübingen 1972, S. 240 f. 63 Kollmann: Empfindsamkeit, S. 18. 64 Kollmann: Empfindsamkeit, S. 30. 65 Kollmann: Empfindsamkeit, S. 82 ff. 66 Kollmann: Empfindsamkeit, S. 85. Zitat aus: von Platen, August: Charlotte Corday. In: Platens dramatischer Nachlaß aus den Handschriften der Münchner Hof- und Staatsbibliothek. Hrsg. von Erich Petzet. Berlin 1902. Reprint von 1968, S. 9.
38
Einleitung »reale« sittliche Heroenrolle, die Frau aber eine Heroenrolle in der Kunst spielt. Den »Helden« verstehe ich in meiner Arbeit mit Hegel als dialektischen Gegenbegriff zum »Bürger«.67 Die Gewinnung von Autorität innerhalb der bürgerlichen Ordnung kann als herausragende Leistung verstanden werden, die durch verschiedene literarische und performative Strategien mit einer heroischen Aura aufgeladen wird.68 Diese Heroisierung des Bürgers vollzieht sich jedoch wiederum im Medium der Kunst und Literatur. Weibliches wie männliches Heldentum, ohnehin immer zum Teil Kunstprodukt69, sind um 1800 gleichermaßen Figuren der Kunst und Literatur. Beiden wohnt in der bürgerlichen Literatur eine Kritik an der mangelnden Tatkraft des Bürgers inne, auch wenn dieser Aspekt durch die Berufung weiblicher Kämpfer noch herausgestrichen wird. Wichtiger Ausgangspunkt für die Überlegungen dieser Arbeit ist die Studie Die Furie und das Gesetz von Juliane Vogel.70 Vogel analysiert neben anderen weiblichen Heroen auch die kriegerische Heldin als Konstruktion einer furiosen, hysterischen Weiblichkeitsinszenierung. Mit dem Diskurs der Hysterie etabliere sich ein Phänomen, das nicht nur als Sinnbild einer durch ein Übermaß an Emotionalität nicht gelingenden weiblichen Subjektivität figuriere, sondern auch als dramaturgisches Prinzip in der Verstragödie um 1800 wirksam werde. In der exaltierten, wellenförmigen Dramaturgie des hysterischen Anfalls trete die Frau als Furie gegen die Prozession, den Marsch als Ausdruck männlich codierter Vernunftherrschaft an. Als Außenseiterin, die immer wieder in die öffentliche Ordnung störend eingreift, gewinne die Figur daher heroische Potenziale, die in den Inszenierungen wirksam werden: »Furor opponiert gegen das Gesetz, Exaltation gegen die Ordnung, Reaktion gegen Revolution, Macht gegen Ohnmacht und bei alledem männliche gegen weibliche Dramaturgie.«71 Ich folge Vogels These, dass sich in den Dramen um 1800 geschlechtlich codierte Bewegungsästhetiken und mit ihnen verschiedene Heroismusmodelle voneinander abgrenzen, und möchte zeigen, dass sich neben dem Modell der Furie noch eine zweite Ästhetik weiblichen Heldentums entwickelt, die sich ebenfalls in einer al67 Hegel, G. W. F.: »Vorlesungen über die Ästhetik«. Bd. I. In: Ders.: Werke 13. Frankfurt a. M. 1970, S. 236 ff. Ich werde auf Hegels Heldenkonzeption in Kapitel B I näher eingehen. 68 Schlaffer: Held, S. 142 ff. 69 Vgl. Früchtl, Josef: Das Unverschämte Ich. Eine Heldengeschichte der Moderne. Frankfurt a. M. 2004, S. 302. 70 Vogel, Juliane: Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der ›großen Szene‹ in der Tragödie des 19. Jahrhunderts. Freiburg i. Br. 2002. 71 Vogel: Furie, S. 9.
39
Gewalt und Anmut
ternativen Bewegungsdramaturgie äußert: die Inszenierung eines anmutigen Heroismus und einer anmutigen weiblichen Gewalt. Diese ist wiederum durch die Wellenlinie, die figura serpentinata bestimmt, die im Diskurs des 18. Jahrhunderts als Formalisierung der Grazie gilt. Schon die Ähnlichkeit des Bewegungscodes deutet an, dass zwischen Hysterie und Anmut nur ein gradueller Unterschied liegt. Vielmehr figurieren beide Konzepte als Gegenentwürfe zur männlich codierten Vernunftherrschaft. Oliver Jahraus gibt den für diese Arbeit wichtigen Hinweis, dass es sich bei dem Konzept der »schönen Seele« im 18. Jahrhundert um eine weiblich codierte Form der Heldendarstellung handelt.72 Er zeigt dies anhand von Goethes Iphigenie, Schillers Maria Stuart und Kleists Penthesilea. Die »schöne Seele« biete eine alternative Form des Handelns zur männlich codierten Strategie des Kampfes oder der List, so Jahraus’ These. Als exemplarisch hierfür sei vor allem Iphigenies Entscheidung anzusehen, sich Thoas zu offenbaren und damit an die Menschlichkeit des Herrschers zu appellieren. Als Repräsentantin einer Harmonie von Gefühl und Vernunft und als Repräsentantin von Wahrhaftigkeit avanciere die Frau als »schöne Seele« zum klassischen Menschenideal an sich. Die Wahrhaftigkeit der »schönen Seele« werde durch die sexuelle Unschuld, die Jungfräulichkeit der Heldin bezeichnet. Hiermit werden zugleich die tragischen Grenzen der Konzeption deutlich: dass nämlich nur der Verzicht auf sexuelle Verwirklichung der Frau erlaube, als Heroine aufzutreten. Ich folge Jahraus’ These, dass die »schöne Seele« als Heldenkonzeption verstanden werden muss, und möchte deren komplementäre Funktion zum männlich codierten Erhabenen im ersten Teil dieser Arbeit analysieren. Ich bin aber, anders als Jahraus, nicht der Auffassung, dass in der Literatur um 1800 der Kampf als männlich codierte Verhaltensstrategie von der Inszenierung der »schönen Seele« abgegrenzt wird. Vielmehr möchte ich zeigen, dass in den Kriegerinnendarstellungen die Gewalt selbst als durch die Sittlichkeit der schönen Seele motiviert, der Kampf als anmutige Bewegungssprache inszeniert wird. Jahraus beschränkt sich in seiner Interpretation auf die Konstruktion einer heroischen Subjektivität und geht daher dem Phänomen der Anmut als körperlichem Ausdruck der schönen Seele nicht nach. Obwohl er mit der Penthesilea auch eine kriegerische Frauenfigur in seine Überlegungen einbezieht, spricht er der Figur nur außerhalb des Kampfgeschehens Grazie zu. Jahraus deutet Pen-
72 Jahraus, Oliver: »Held(innen) der deutschen Klassik.« In: Selbmann, Rolf (Hrsg.): Deutsche Klassik. Epoche – Autoren – Werke. Darmstadt 2005, S. 208-230.
40
Einleitung thesilea als eine Figur, in der die letztlich unvereinbaren Konzeptionen der schönen Seele und der Kriegerin in erstaunlicher Weise nebeneinander bestehen bleiben. Ich möchte jedoch zeigen, dass das Skandalöse an der Figur Penthesilea gerade ist, dass ihre Grazie, und damit die Subjektivität der schönen Seele, mit Gewalt synthetisiert wird. Bisher liegt keine Arbeit vor, die versucht, die martialische Inszenierung der Figuren im zeitgenössischen gendercodierten ästhetischen Diskurs zu verorten, der durch die Kategorien des »Schönen«, der »Anmut« und des »Erhabenen« wesentlich geprägt ist. Diese Forschungslücke soll im Rahmen dieser Arbeit geschlossen werden.
41
B. HELDENTUM IN DER BÜRGERLICHEN LITERATUR
I. »Schönes und Großes möchten sie tun« – Die Heroismuskrise um 1800 Der Held ist für die Intellektuellen um 1800 vor allem Projektionsfigur für die Vorstellung einer ursprünglichen Totalität des menschlichen Daseins, die mit den Modernisierungsprozessen der Neuzeit verloren gegangen ist. Bei den Heroismustheorien des späten 18. Jahrhunderts handelt es sich weniger um eine wissenschaftlich exakte Rekonstruktion des antiken Heldenbegriffs. Vielmehr wird die »Heroenzeit« zu einer Kulturstufe stilisiert, die als Gegenbild zu dem figuriert, was an der Moderne als defizitär erscheint. Der Verlust eines religiösen Bezugssystems einerseits und die Eingliederung des Individuums in frühkapitalistische Arbeitsprozesse andererseits prägten das Bewusstsein einer Fragmentierung menschlicher Lebensbereiche und einer inneren Spaltung des Subjekts in Sinnlichkeit und Vernunft. So kritisiert etwa Schiller an der Moderne den Verlust ganzheitlicher Humanität zugunsten der arbeitsteiligen frühkapitalistischen Gesellschaft1: »Jene Polypennatur der griechischen Staaten, wo jedes Individuum eines unabhängigen Lebens genoß, und wenn es Noth that, zum Ganzen werden konnte, machte jetzt einem kunstreichen Uhrwerke Platz, wo aus der Zusammenstückelung unendlich vieler, aber lebloser, Theile ein mechanisches Leben im Ganzen sich bildet. Auseinandergerissen wurden jetzt Staat und Kirche, die Gesetze und die Sitten; der Genuß wurde von der Arbeit, das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden.« (ÄE 323)
1
Zu Schillers Gesellschafts- und Kulturkritik siehe u. a. Grimminger, Rolf: »Die ästhetische Versöhnung. Ideologiekritische Aspekte zum Autonomiebegriff am Beispiel Schiller.« In: Bolten, Jürgen (Hrsg.): Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung. Frankfurt a. M. 1984, S. 161-184; Büssgen, Antje: Glaubensverlust und Kunstautonomie. Über die ästhetische Erziehung des Menschen bei Friedrich Schiller und Gottfried Benn. Heidelberg 2006, besonders S. 154 f. und S. 201 ff.
43
Gewalt und Anmut Die griechische Antike wird hingegen als Kulturstufe gedeutet, in welcher die staatliche Ordnung noch so wenig entwickelt ist, dass die Taten des Einzelnen – des Helden – über die Geschicke der Gemeinschaft entscheiden. Schiller verortet die Heroenzeit als Kulturstufe zwischen Naturzustand und der Durchsetzung allgemeinen Rechts: »[...] die Personen stehen am besten auf einem gewissen Grade der Cultur, wo die Selbstthätigkeit noch auf sich allein angewiesen ist, wo man nicht moralisch, politisch, mechanisch, sondern persönlich wirkt.« (ÜedD 57)
Die literarischen Texte, in denen sich die Trauer um eine verlorene heroische Freiheit ausdrückt, sind zahlreich. In Schillers Die Räuber beklagt Karl Moor »das schlappe Kastraten-Jahrhundert, zu nichts nüze, als die Thaten der Vorzeit wiederzukäuen und die Helden des Alterthums [...] zu verhunzen mit Trauerspielen.«2 In Jean Pauls Titan sehnt sich ein bürgerlicher Protagonist einen Roman lang nach »Krieg und Taten«3 und verharrt dabei in tatenloser Selbstreflektion.4 Wohl niemand hat den Verlust heroischer Freiheit so wehmütig in Worte gefasst wie Heinrich von Kleist im November 1801 in seinem berühmten Brief an Adolphine von Werdeck: »Ordentlich ist heute die Welt; sagen Sie mir, ist sie noch schön? Die armen lechzenden Herzen! Schönes und Großes möchten sie tun, aber niemand bedarf ihrer, alles geschieht jetzt ohne ihr Zutun. Denn seitdem man die Ordnung erfunden hat, sind alle großen Tugenden unnötig geworden.«5
Die Fiktion einer Heroenzeit ist als eine krisenhafte Erscheinung zu verstehen, in der als negativ erfahrene Lebensbedingungen, die mit der Etablierung des bürgerlichen Rechtsstaats und der bürgerlichen Gesellschaft einhergehen, als Verluste betrauert werden: als Verlust der vollen Handlungsmacht des Einzelnen und als Verlust der Totalität des menschlichen Daseins. Auf die »Heroenzeit« projiziert der Bürger negativ eine Idee, die erst mit den Subjekttheorien der Neuzeit entsteht: die Idee des »Ichs«,
2 3 4 5
Schiller, Friedrich: »Die Räuber. Ein Schauspiel.« In: Schiller NA, Bd. 3 (1953), S. 21. Jean Paul: Titan, 652. Zitiert nach Schlaffer: Held, S. 17. Jean Paul: Titan, 574. Zitiert nach Schlaffer: Held, S. 18. Kleist, Heinrich von: »Brief an Adolphine von Werdeck vom September/ November 1801.« In: Kleist Werke, Bd. 4 (1997), S. 279 ff. Zum Heldenbegriff bei Kleist siehe die ausführliche Studie: Wickert, Gabriele M.: Das verlorene heroische Zeitalter. Held und Volk in Heinrich von Kleists Dramen. Bern/Frankfurt a. M./New York 1983.
44
Heldentum in der bürgerlichen Literatur das sich in der Spaltung seiner selbst erfährt und dem daher IchWerdung nur über den Verlust von Einheit möglich ist.6 Die Idee dieser ursprünglichen Einheit, die Negation der erfahrenen Spaltung, ist es, die in eine historische Entwicklungsstufe vergegenständlicht und auf die »Heroenzeit« rückprojiziert wird. Die Gegenüberstellung einer mit Totalität assoziierten Heroenzeit und der Fragmentierung der Lebensbereiche im bürgerlichen Zeitalter wird später Hegel übernehmen und als Paradigma einer dialektischen Geschichtsbewegung in sein philosophisches System integrieren.7 In seinen Vorlesungen zur Ästhetik beschreibt Hegel den Bürger und den Helden als zwei einander ausschließende Subjektmodelle.8 Er ordnet den klassischen Helden einem vorstaatli6
7 8
Josef Früchtl weist die Verschränkung moderner Heldenkonzeptionen mit den neuzeitlichen Subjekttheorien nach und erzählt die Geschichte des »Ichs« als eine »Heldengeschichte der Moderne«. Diese verlaufe auf drei einander überlagernden Ebenen: einer klassischen, einer agonalen und einer hybriden Moderne. Die hegelsche Subjektphilosophie ordnet Früchtl der klassischen Moderne zu, die über das Prinzip der Subjektivität einen teleologischen Verlauf der Geschichte zu begründen sucht, in der die Spaltung des Ichs einen sinnvollen Schritt im teleologischen Geschichtsverlauf darstellt. In der Romantik hingegen werden die Paradoxien, die innere Unversöhnbarkeit des sich erst in der Spaltung erkennenden Ichs, in den Mittelpunkt gerückt. In der hybriden Moderne werde weder nach der inneren Versöhnung des Ichs noch nach dessen Aufhebung in einer höheren Ordnung gesucht. Vielmehr werde das Ich zum Schöpfer seiner selbst, das sich, spielerisch mit Rollen und Masken experimentierend, selbst entwirft. Früchtl: Heldengeschichte, S. 16 ff. Diesen Differenzierungen der Moderne entsprechen verschiedene Heldentypen, wie Früchtl anhand der Filmgenres Western, Gangsterfilm und Science-Fiction zeigt: der Held des Westerns, der im noch nicht zivilisierten »wilden Westen« eine heroische Totalität erreicht, die in der Zivilisation bereits verloren ist; der tragisch-ironische Heldentypus des Gangsterfilms, der die Zerrissenheit des romantischen Ichs widerspiegelt, dem aber auch zum Teil eine ironische Form des Umgangs mit dieser Zerrissenheit gelingt; und der Held des Science-Fiction, der mithilfe technischer und ästhetischer Mittel sich selbst als Super-Held neu erschafft. Früchtl: Heldengeschichte, S. 33 ff. Es wird in dieser Arbeit zu zeigen sein, dass auch Anmut als Heldenkonzeption als Reaktion auf die Spaltung des Ichs in der Moderne verstanden werden kann. In der »schönen Seele« ist die verlorene heroische Totalität scheinbar wieder hergestellt. Es wird in ihr wieder ein heroisches Handeln in vollständiger Übereinstimmung der Person mit den Zielen der Mission möglich, allerdings auf Kosten des Selbstbewusstseins, welches die Subjektivität des bürgerlichen Mannes auszeichnet. Früchtl: Heldengeschichte, S. 71 ff. Hegel: Vorlesungen I, S. 236 ff. Zur Bedeutung des hegelschen Heldenbegriffs für das Verständnis der bürgerlichen Literatur um 1800 siehe Schlaffer: Held.
45
Gewalt und Anmut chen, aber nicht vorgesellschaftlichen Zeitalter zu, in dem Sittlichkeit noch nicht das Resultat eines staatlich durchgesetzten Rechts ist.9 Dem Individuum fällt daher die Aufgabe zu, den Schutz des Eigentums und der Gemeinschaft in die eigene Hand zu nehmen. Dasjenige Individuum, das sich der Aufgabe widmet, mit seinen in der Regel kriegerischen Taten für die Sittlichkeit zu kämpfen, ist der klassische Held. Den ersten Schritt hinaus aus der ursprünglichen Totalität der Heroenzeit sieht Hegel im mittelalterlichen Rittertum gegeben. Im Gegensatz zum antiken Helden, dessen Tapferkeit in der Gesundheit und Kraft des Körpers liegt, und dessen Handlungsmaximen sich an »realen« Gütern orientiert, kämpft der Ritter um die abstrakte Konstruktion der »Ehre«. Diese identifiziert Hegel als ein Produkt des Totalitätsverlustes: In der Ehre ist das Individuum nicht mehr eins mit seinen Zielen und Handlungen, sondern es beginnt, über sich und sein Verhältnis zur Welt zu reflektieren. »Denn die persönliche Selbständigkeit, für welche die Ehre kämpft, zeigt sich nicht als Tapferkeit für ein Gemeinwesen und für den Ruf der Rechtschaffenheit in demselben oder der Rechtlichkeit im Kreise des privaten Lebens; sie streitet im Gegenteil nur für die Anerkennung und die abstrakte Unverletzlichkeit des einzelnen Subjekts.«10 Der Kampf um Ehre ist jedoch noch kein Zustand des vollen Selbstbewusstseins, wie er am Ende der teleologischen Geschichtsentwicklung stehen soll. Vielmehr ist Ehre eine fiktionale und beliebig auslegbare Größe, die das Individuum auf eine ständige, realitätsferne Selbstreflexion zurückwirft. »Der Mann von Ehre denkt daher bei allen Dingen immer zuerst an sich selbst; und nicht ob etwas an und für sich recht sei oder nicht, ist die Frage, sondern, ob es ihm gemäß sei, ob es seiner Ehre gezieme, sich damit zu befassen oder davonzubleiben.«11 In einer voll ausgeprägten staatlichen Ordnung jedoch, wie sie in der bürgerlichen Gesellschaft verwirklicht ist bzw. idealerweise verwirklicht werden soll, ist die Handlungsfreiheit des Einzelnen eingeschränkt. An die Stelle des Helden ist das allgemeingültige Recht getreten. Der Einzelne gibt die Verantwortung für die Durchsetzung des Rechts an den Staat ab, der sie durch die Institutionen Legislative, Judikative und Exekutive regelt. Legitimierte Gewalt obliegt nun den Institutionen des Staates, welche durch den Rechtsvollzug die Ordnung stabilisieren sollen. Das Individuum, das eigenmächtig Recht durchsetzen will, macht
9 Hegel: Vorlesungen I, S. 236. 10 Hegel: Vorlesungen II, S. 171 f. 11 Hegel: Vorlesungen II, S. 178.
46
Heldentum in der bürgerlichen Literatur sich der Selbstjustiz schuldig. Sein Handeln ist im doppelten Sinne gewalttätig: durch die Verletzung des Gegenübers wie auch durch die Verletzung des als Objektivierung des »allgemeinen Willens« verstandenen Staatskörpers. Für die Literatur der Aufklärung und Klassik war daher vor allem die Gewalt des Helden problematisch.12 Während der Bürger gerade seine gewaltsamen Impulse unterdrücken soll, um die Durchsetzung eines allgemeinen Rechts und die Möglichkeit eines »ewigen Friedens«13 zu gewährleisten14, zeichnet sich der klassische Held durch kriegerisches Handeln aus. Dieser Gegensatz zwischen einer auf Frieden zielenden Ordnung, die aber mit dem Verlust ursprünglicher Freiheit einhergeht, und der Freiheit des Heros, die jedoch in gewalttätigem Handeln offenbar wird, prägt die Heldendarstellungen um 1800. Eines der Hauptprobleme in der Darstellung von Heldentum war daher für die Literatur der Aufklärung und Klassik, Strategien zu entwickeln, die Sittlichkeit des Helden glaubhaft erscheinen zu lassen. Die Darstellung der heroischen Gewalt musste zudem einer auf Maß und Sittlichkeit angelegten klassizistischen Ästhetik entsprechen.15 Ich möchte im Folgenden zeigen, wie sich mit dem »Erhabenen« und der »Anmut« zwei geschlechtlich codierte Heldenkonzeptionen entwickelten, die Heroismus mit der bürgerlichen Sittlichkeit und Ästhetik vermitteln sollten. Beide Konzeptionen sind als Reaktionen auf die Vorstellung des Verlusts von Totalität zu verstehen: das »Erhabene«, weil es die innere Spaltung des Subjekts heroisiert, die »Anmut«, weil sie die innere Spaltung zugunsten einer neuen Totalität überwindet. Beide Konzepte eignen sich zudem für eine moralische Rechtfertigung und ästhetische Darstellung von Gewalt.
12 Im 18. Jahrhundert kommt es zu einer Kritik am Heroismus, die vor allem auf dessen gewaltverherrlichendes Potenzial zielt. Diese Kritik wird sowohl in theoretischen Abhandlungen als auch in parodistischen literarischen Texten formuliert. Siehe hierzu: Immer: Held, S. 122 ff. 13 Kant, Immanuel: »Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf«. In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Bd. VI. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1964, S. 191-251. 14 Zu den Friedensutopien der Aufklärung von Abbé de Saint-Pierre bis Kant siehe Madlener, Elisabeth: Die Kunst des Erwürgens nach Regeln. Von Staatsund Kriegskünsten, preußischer Geschichte und Heinrich von Kleist. Pfaffenweiler 1994, S. 23 ff. und Köppen, Manuel: Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert. Heidelberg 2005, S. 18 f. 15 Vgl. Kapitel A I Anmerkung 8.
47
Gewalt und Anmut
II. »Ruhe im Leiden« – Erhabenheit als männliches Heldentum 1) DIE HEROISIERUNG DES INNEREN KONFLIKTS Das Erhabene bietet um 1800 die Möglichkeit der Inszenierung des Heroischen, in der gerade das bürgerliche, in sich gespaltene Subjekt heldenhaft erscheinen kann.16 Im Erhabenen wird der Sieg der Vernunft über die Natur gefeiert: Der Held kann einem übergroßen Leiden eine übermenschliche Selbstbeherrschung entgegensetzen. Anders als der Heros der Antike muss er sich nicht durch besondere kriegerische Leistungen auszeichnen, sondern durch seine entschiedene moralische Position, für die er auch angesichts des größten Leidens eintritt. Das Konzept des erhabenen Heldentums entwickelt sich in der Renaissance- und Barock-Poetik. Gemäß den Lehren des Neustoizismus17 sollte sich der Held durch überlegene Gemütsruhe und Standhaftigkeit angesichts übermäßigen Leidens auszeichnen. Die stoische Ruhe der Heroen ging bis hin zur Gefühlskälte. So entscheidet sich etwa Corneilles Held Horace ohne zu zögern dafür, in einem Zweikampf für Rom gegen den Bruder seiner Verlobten anzutreten, der für die verfeindete Stadt Alba Longa kämpfen soll. Die übermenschliche Unterdrückung eigener Wünsche drückt sich in Horaces berühmtem Satz gegenüber der Verlobten und ihrer Familie aus: »Ich kenne euch nicht mehr.«18 Die Helden des Barock waren nicht in ihrer inneren Problematik von Interesse. Den Tragödiendichtern ging es nicht darum, eine Identifikation des Publikums zu ermöglichen, sondern im Gegenteil darum, den distanzierenden Affekt der Bewunderung19 auszulösen. Der Held sollte den über alle 16 Heinz Schlaffer betont in seiner Studie Der Bürger als Held, dass es in der Epoche um 1800 zu einer Heroisierung des Bürgers kommt. »Im ›Bürger als Helden‹ gerinnt der Ursprung der bürgerlichen Welt zum Mythos. Auf dem Umweg über eine bürgerlich-heroische Kunst hat also der citoyen des 18. Jahrhunderts der Refeudalisierung der Bourgeoisie im 19. Jahrhundert vorgearbeitet. […] seine Größe, sein Heroismus werden jetzt als Herrschaftszeichen der siegreichen Klasse gebraucht.« Schlaffer: Held, S. 146. Vgl. auch Köppen: Beobachter, S. 22. 17 Zum neustoischen Heldentum des Barock siehe Rehm: Barockheroismus, und Meier: Bewunderung. 18 Corneille: Horatius. Halle 1905. Zitiert nach Kindler Literaturlexikon. Hrsg. von Walter Jens. Bd. 4, S. 193. 19 Corneille führt im 18. Jahrhundert den Begriff der »admiration«, der Verwunderung und Bewunderung als dritten Affekt neben den aristotelischen Affekten der Tragödie ein. Unter seinen Rezipienten entspinnt sich ein Streit
48
Heldentum in der bürgerlichen Literatur Anfechtungen erhabenen absolutistischen Herrscher repräsentieren, gegenüber dem sich das Publikum klein und gering fühlen sollte.20 Obwohl sich das Erhabene im Laufe des 18. Jahrhunderts mehr und mehr zu einem Modus ästhetischer Erfahrung entwickelte, also einen seelischen Vorgang im Kunstrezipienten bezeichnete21, blieb der Topos des erhabenen Heroen in den Theorien präsent. Allerdings versuchten die Denker des 18. Jahrhunderts, das Theorem des Erhabenen für ihre Zwecke umzuformen. Denn für die auf ästhetische Erziehung ausgerichtete Theaterästhetik22 der Empfindsamkeit und Klassik war die emotionale Ausdruckslosigkeit des neustoischen Helden ein Mangel. Die Künstler des 18. Jahrhunderts erhofften sich eine pädagogische Wirkung von Figuren, welche die Affekte des Publikums berührten und beeinflussten. Hierfür waren Heldenfiguren gefragt, mit denen sich das Publikum identifizieren konnte. Vor allem Lessing kritisierte den Barockheroismus und forderte für das bürgerliche Theater einen neuen, mittleren Heldentypus. Keine Staatsmänner, keine großen Taten, sondern Figuren aus dem bürgerlichen Stand mit ihren inneren Problemen sollten dazu beitragen, das bürgerliche Publikum zu erziehen.23 Andere Künstler wie Gottsched, Mendelssohn, Bodmer und Schiller hielten an einem erhabenen Heroismus fest, versuchten aber, das Konzept den Erfordernissen einer auf Affektsteuerung ausgerichteten Ästhetik anzupassen. Gottsched etwa übernahm die Bewunderungsdramaturgie Corneilles, weitete aber den Begriff der »Bewunderung« aus. Diese sollte sich nicht mehr nur auf ein passi-
20 21
22
23
über die Qualität des Affekts. Bei Descartes gilt die Bewunderung als eine rein intellektuelle Reaktion, weshalb sie bei den Dramatikern des Bürgerlichen Trauerspiels in Verruf kommt. Siehe hierzu Meier: Bewunderung, S. 36 ff. Rehm: Barockheroismus, S. 18. Zur Entwicklung des Erhabenheitstheorems siehe u. a.: Zelle: Ästhetik; Pries, Christine (Hrsg.): Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Weinheim 1989. Zu Schillers und Kants Theorie des Erhabenen siehe u. a.: Barone: Tradition; Janz, Rolf-Peter: »Die ästhetische Bewältigung des Schreckens. Zu Schillers Theorie des Erhabenen.« In: Eggert, Hartmut u. a. (Hrsg.): Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Stuttgart 1990, S. 151-160; Feger, Hans: Die Macht der Einbildungskraft in der Ästhetik Kants und Schillers. Heidelberg 1995, S. 217 ff.; Pineiro Costas, Trinidad: Schillers Begriff des Erhabenen in der Tradition der Stoa und Rhetorik. Frankfurt a. M. 2006. Zur erzieherischen Funktion, die dem Theater im 18. Jahrhundert zugewiesen wurde, siehe u. a.: Fischer-Lichte, Erika: Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Tübingen/Basel 1993, S. 83-87. Meier: Bewunderung, S. 16 ff.
49
Gewalt und Anmut ves Staunen beschränken, sondern mit dem Wunsch einhergehen, es dem Helden gleichzutun.24 Schiller versucht, mit seiner Konzeption des »Pathetischerhabenen« zwischen einer »Dramaturgie des Interesses« und einer »Dramaturgie der Bewunderung« zu vermitteln. Wie Lessing kritisiert auch er den Barockheroismus für seine mangelnde emotionale Wirksamkeit. »Die Könige, Prinzessinnen und Helden eines Corneille und Voltaire vergessen ihren R a n g auch im heftigsten Leiden nie und ziehen weit eher ihre M e n s c h h e i t als ihre W ü r d e aus.« (ÜdP 197) Statt aber vom erhabenen Heroismus ganz Abschied zu nehmen, verbindet Schiller in seiner Theorie das Erhabene mit dem Pathetischen. Der Held soll durch sichtbares Leid, welches er zu bewältigen hat, seine heroische Größe offenbaren und zugleich das Mitleid des Publikums erregen: »[...] der tragische Held muß sich erst als empfindendes Wesen bey uns legitimirt haben, ehe wir ihm als Vernunftwesen huldigen, und an seine Seelenstärke glauben.« (ÜdP 196) Der Dichter müsse »gleichsam seinem Helden oder seinem Leser die ganze volle Ladung des Leidens geben, weil es sonst immer problematisch bleibt, ob sein Widerstand gegen dasselbe eine Gemüthshandlung, etwas p o s i t i v e s, und nicht vielmehr bloß etwas n e g a t i v e s und ein Mangel ist.« (ÜdP 196 f.) Mit der Transformation des erhabenen Heroismus im 18. Jahrhundert verlagert sich der Fokus der Darstellung von der äußeren Handlung, den heroischen Taten des Helden, ins Innere, auf die psychischen Prozesse, die einem heldenhaften Handeln zugrunde liegen.25 Bei Mendelssohn zeichnet sich die Fokussierung auf den inneren Konflikt des Helden ab: »Der Held muß das moralische Gute ungleich höher schätzen als das physische Gute. Wenn Schmerz, Ketten, Sklaverei und Tod mit einer Pflicht streiten, so muß er nicht anstehen, allen diesen Übeln entgegen zu eilen, um seine Unschuld unbefleckt zu erhalten. Dieser innerliche Sieg, den seine göttliche Seele
24 Meier: Bewunderung, S. 50 ff. 25 Vgl.: Meyer-Kalkus: »Mit der Universalisierung und ›Vermenschlichung‹ der Erhabenheitskategorie einher geht deren Psychologisierung.« Meyer-Kalkus, Reinhart: »Schreit Laokoon? Zur Diskussion pathetisch-erhabener Darstellungsformen im 18. Jahrhundert.« In: Raulet, Gérard (Hrsg.): Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Rennes 1995, S. 89.
50
Heldentum in der bürgerlichen Literatur über den Körper davon trägt, entzückt uns, und setzt uns in einen Affekt, dem keine sinnliche Wollust an Annehmlichkeit beikömmt.«26
Aus der Passage lassen sich mehrere definitorische Merkmale des erhabenen Heroismus herauslesen: Zum einen geht es um einen innerlich zerrissenen Helden, der eine höhere Form des Menschseins zum Ausdruck bringen soll, indem er seine geistig-moralischen Ziele über die sinnliche Natur, über die Selbsterhaltung stellt. Insofern erweist sich der Heros als frei von allen Determinationen durch die Natur. Die Tragödie muss also den Fokus auf den Moment der Entscheidung, des heroischen Standhaltens angesichts der überlegenen Natur legen und nicht vorrangig auf die Handlung, wie es Aristoteles gefordert hatte. Entsprechend forderte auch Bodmer für die Inszenierung der erhabenen Helden den Vorrang des Charakters vor der Handlung: »Wahrhaftig der Vorzug, den Aristoteles der Fabel giebt, verkleinert das Trauerspiel an seiner gebührenden Würde, welches die Hochachtung, in der es zu allen Zeiten gestanden, damit verdienet, daß es uns von den Neigungen und Charakteren der Menschen berichtet.«27
Es ist also im Unterschied zum Helden der Antike und des Mittelalters nicht die Geschicklichkeit oder Kraft, die der Held im Kampf beweist, auch nicht der Sieg über den Gegner, sondern der Sieg der Vernunft über die Sinnlichkeit, die den Helden heldenhaft macht. So heißt es in Sulzers Allgemeiner Theorie der schönen Künste: »Man muß sich starke Seelen in großen Leidenschaften, als streitende Helden vorstellen, die allemal groß sind, es sey, daß sie überwinden, oder überwunden werden; denn auch in seinem Fall kann der Held groß seyn.«28
Deutlicher wird die Verlagerung in die Innerlichkeit des Helden noch bei Schiller. Im Briefwechsel mit Goethe Über epische und dramatische Dichtung grenzt Schiller die Tragödie als die Darstellungs-
26 Lessing, Gotthold Ephraim, Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn: »Briefwechsel über das Trauerspiel.« (Mendelssohns Brief vom Januar 1757.) In: Lessing, Gotthold Ephraim: Werke. Bd. 4. Hrsg. von Herbert G. Göpfert. München 1973, S. 197. 27 Bodmer, Johann Jakob und Johann Jakob Breitinger: Critische Briefe. Zürich 1756, S. 74. Zitiert nach Barone: Tradition, S. 73. 28 Sulzer, Johann George: Allgemeine Theorie der schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter aufeinander folgenden Artikeln. Bd. II., Art. »Groß; Größe«, S. 445. Vgl. hierzu auch Immer: Held, S. 94 f.
51
Gewalt und Anmut form des erhabenen Helden von dem aktivischen Modus des Epos ab, in dem der klassische Held der Antike in Erscheinung trat: »Das e p i s c h e G e d i c h t stellt vorzüglich persönlich beschränkte Thätigkeit, die Tragödie persönlich beschränktes Leiden vor; das epische Gedicht den a u ß e r s i c h w i r k e n d e n Menschen: Schlachten, Reisen, jede Art von Unternehmungen, die eine gewisse sinnliche Breite fordert; die Tragödie den n a c h i n n e n g e f ü h r t e n Menschen, und die Handlungen der ächten Tragödie bedürfen daher nur weniges Raums.« (ÜedD 57 f.)
Nicht der Kampf, die Tat des Helden, sondern die Entscheidung steht also in der Tragödie im Mittelpunkt des Interesses.29 Selbst wenn Schiller zwischen einer Erhabenheit der Fassung und einer der Handlung unterscheidet, meint »Handlung« das Geschehen, das den Helden in die Situation bringt, in der er Leid ertragen muss. Diese Situation müsse, so Schiller, vom Helden selbst hervorgebracht werden: entweder, indem der Held sich zugunsten einer Pflicht für das Leid entscheidet, oder, indem er als Verbrecher freiwillig für eine Verfehlung büßt. Um diese Handlung gehe es in der Tragödie, während die bildende Kunst allein den Moment erhabener Fassung darstellen könne. Hans Feger weist darauf hin, dass das Heroisch-Erhabene bei Schiller nicht einen heroisch handelnden Helden in Szene setzt, der durch seine Taten Geschichte macht, sondern einen Helden, der in Konfrontation mit einer übermächtigen Historie seine erhabene Leidensbereitschaft unter Beweis stellen kann: »Erhaben wird die Geschichte nicht, weil sie eine Verkörperung heroischer Naturen ist, die sie mit ihren Ideen und Visionen bevölkert; erhaben wird sie, wenn
29 Hans Feger weist nach, dass sich in Schillers Theorie die Dramaturgie der Tragödie auf den Moment der Entscheidung konzentriert, in welchem durch die Möglichkeit der Wahl zwischen dem moralisch »Guten« und dem moralisch »Schlechten« die Freiheit des Menschen erfahrbar werden soll. »Während bei Kant die Freiheit in der Entscheidung für das Moralgesetz verankert ist, d. h. im Akt der Entscheidung mit der Selbstgesetzgebung zusammenfällt, will Schiller in der Tragödie Freiheit als erfahrbares Phänomen verstanden wissen, nämlich als Entscheidung, und blendet damit den ganzen Horizont der Frage ›Warum überhaupt moralisch sein?‹ ein.« Den Moment der Entscheidung kennzeichne Schiller wiederum in den Ästhetischen Briefen nicht »als einen der Tathandlung, sondern als einen ›Tatzustand‹, der durch gegenläufige Bestrebungen gekennzeichnet ist, die sich streng genommen aneinander relativieren: ›Es ist nicht damit getan, daß etwas anfange, was noch nicht war, es muß zuvor etwas aufhören, welches war‹«. Feger, Hans: Poetische Vernunft. Moral und Ästhetik im Deutschen Idealismus. Stuttgart/Weimar 2007, S. 123 und 127 f.
52
Heldentum in der bürgerlichen Literatur ihr Geschehen – in den Schranken der Kunst – tragische Dignität gewinnt, weil ihre Akteure an ihr zuschanden kommen.«30
In dieser Ausdeutung des Erhabenheitstheorems ist ein kriegerischer Heroismus nur schwer zu inszenieren, da die Kämpfe und Taten des Helden nicht von Interesse sind. Dennoch entwickelt sich aus den Theoriebildungen des 18. Jahrhunderts, vor allem bei Kant, auch das Theorem eines erhabenen Kriegers. Ich werde im Folgenden zunächst Kants Definition des erhabenen Kriegers analysieren, um dann die Möglichkeiten und Grenzen des Erhabenen als Form der Ästhetisierung heroischer und moralisch gerechtfertigter Gewalt aufzuzeigen.
2) »HOCHACHTUNG FÜR DEN KRIEGER« – ERHABENES HELDENTUM BEI KANT Kant deutet das »Erhabene« in der Kritik der Urteilskraft zu einem moralischen Widerstandsprinzip innerhalb des Rezipienten um.31 Nicht das Objekt der Betrachtung, also auch nicht der Held auf der Bühne, wird durch das »Erhabene« bezeichnet, sondern die Fähigkeit eines Betrachters, sich durch die Selbsterweiterung seiner Subjektivität vom Anblick einer lebensbedrohlichen oder sein quantitatives Fassungsvermögen überschreitenden Natur zu distanzieren. Diese Erfahrung ist für Kant zudem nicht im Medium der Kunst, sondern nur in der Konfrontation mit der Natur möglich, allerdings in einer Situation, die der Kunstrezeption analog ist, da das Individuum in der Erfahrung des Erhabenen nicht wirklich von den Dynamiken der Natur betroffen sein darf, sondern diese aus sicherer Position wie ein Kunstwerk ästhetisch wahrnehmen können muss. Im Erhabenen begegnet der Mensch einer überlegenen Natur, die sich dem Individuum entweder im »Mathematisch-Erhabenen« als unfassbar groß, oder aber im »Dynamisch-Erhabenen« als unüberwindbar mächtig präsentiert. Während das »Mathematisch-Erhabene« die Fähigkeit der Vernunft unter Beweis stellt, anschaulich nicht fassbare Größenverhältnisse in einer Selbsterweiterung des Fassungsvermögens doch als Ganzes zu denken, verdeutlicht das »Dynamisch-Erhabene« die potenzielle Überlegenheit der Vernunft gegenüber dem Selbsterhal-
30 Feger: Vernunft, S. 128. 31 Siehe hierzu: Feger: Einbildungskraft, S. 218 und Menninghaus, Winfried: »Zwischen Überwältigung und Widerstand. Macht und Gewalt in Longins und Kants Theorien des Erhabenen.« In: Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 23 (1991), S. 12.
53
Gewalt und Anmut tungstrieb und damit auch gegenüber einer lebensbedrohenden Natur. Indem das Individuum aus sicherer Position ein lebensbedrohliches Natur- oder Kriegsereignis wahrnimmt, indem es dabei Furcht verspürt, dieser aber durch die Fähigkeiten seines subjektiven Vermögens standhalten kann, wird ihm die Überlegenheit seiner Vernunft offenbar. In diesem Prozess von Furcht angesichts eines Gegenstands hin zum Standhalten angesichts dieses Anblicks kommt es zu dem Wechsel von Unlust zu Lust, welcher die Erfahrung des Erhabenen prägt. Die Unlust angesichts des Schrecklichen wird abgelöst durch die Lust angesichts der Überlegenheit des eigenen Vernunftvermögens. Hier vermag eine Gewaltästhetik anzuknüpfen, da das Subjekt mit dem »Dynamisch-Erhabenen« die Fähigkeit besitzt, den Anblick einer gefährlichen Begebenheit auszuhalten und sogar ästhetisch zu genießen, indem es die eigene Widerstandskraft erfährt. Kant knüpft hier an die Tradition der Schreckensästhetik32 an, die zuvor Burke unter die Kategorie des Erhabenen gefasst hatte. »Burke erklärt den Schrecken, d. h. die Vorstellung von Schmerz und Gefahr, zum Prinzip des Erhabenen: ›Indeed terror is in all cases whatsoever, either more openly or latently the ruling principle of the sublime.‹«33 Allerdings leistet das Erhabene nicht mehr, als die Möglichkeit der sieghaften Vernunft zu offenbaren, denn das Individuum, das die Erfahrung des »Dynamisch-Erhabenen« macht, befindet sich für Kant immer in einer sicheren Position, es schwebt nicht tatsächlich in Lebensgefahr. Die Furcht darf sich nur auf eine imaginäre Gefahr beziehen, da reale Furcht überwältigend wirken und eine ästhetische Erfahrung des Gegenstands unmöglich machen würde. »Wer sich fürchtet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urteilen, so wenig als der, welcher durch Neigung und Appetit eingenommen ist, über das Schöne. Jener fliehet den Anblick eines Gegenstandes, der ihm Scheu einjagt;
32 Barone betont, dass Kant in seiner Theorie den Affekt des Schreckens mit dem Begriff der Bewunderung (der „Achtung“) engführt und damit an die Ästhetik Burkes anschließt. In dieser Weise lässt sich Kants Theorie des Erhabenen als eine Gewaltästhetik verstehen, die zwar intendiert, dem Subjekt seine innere Freiheit in der Konfrontation mit Gewalt zu demonstrieren, die aber Gewaltdarstellungen damit nicht nur zulässt, sondern zur Voraussetzung für die Erfahrung des Dynamisch-Erhabenen macht. Barone: Tradition, S. 106 f. Vgl. auch Köppen: Beobachter, S. 19 ff. 33 Barone: Tradition, S. 52. Zitat aus: Edmund Burke: »A Philosophical Enquiry into the Origins of our Ideas of the Sublime and Beautiful” and Other PreRevolutionary Writings. Hrsg. von. David Womersly. London 1998, S. 102.
54
Heldentum in der bürgerlichen Literatur und es ist unmöglich, an einem Schrecken, der ernstlich gemeint wäre, Wohlgefallen zu finden.«34
Im Hinblick auf den Helden ist Kants Umdeutung des Erhabenen zu einem ästhetischen Widerstandsprinzip innerhalb eines imaginären Gefahrenraums folgenreich. Streng genommen müsste Kant in seiner transzendentalphilosophischen Bestimmung des Erhabenen die Möglichkeit eines erhabenen Heroen verneinen. Denn der Held muss sich in einer realen Gefahrensituation behaupten und kann daher in der Logik der kantischen Konzeption nicht selbst erhaben sein. Für die Erfahrung des Erhabenen durch den Betrachter wiederum sind keine heroischen Qualitäten des Betrachteten mehr notwendig. Im Gegenteil wird das »Dynamisch-Erhabene« ja gerade durch den Anblick des Schrecklichen und Furchterregenden ausgelöst. Dennoch hält Kant an der Idee eines erhabenen Kriegers fest. Dessen Widerstand gegen eine Gefahr subsumiert er ebenfalls unter das »Dynamisch-Erhabene«. In der Kritik der Urteilskraft weist Kant dem Krieg und dem Krieger die Möglichkeit zu, in der Betrachtung erhaben zu erscheinen, allerdings unter genau abgesteckten ethischen Bedingungen: »Denn was ist das, was selbst dem Wilden ein Gegenstand der größten Bewunderung ist? Ein Mensch der nicht erschrickt, der sich nicht fürchtet, also der Gefahr nicht weicht, zugleich aber mit völliger Überlegung rüstig zu Werke geht. Auch im allergesittetsten Zustande bleibt diese vorzügliche Hochachtung für den Krieger; nur daß man noch dazu verlangt, daß er zugleich alle Tugenden des Friedens, Sanftmut, Mitleid, und selbst geziemende Sorgfalt für seine eigne Person beweise: eben darum, weil daran die Unbezwinglichkeit seines Gemüts durch Gefahr erkannt wird. Daher mag man noch so viel in der Vergleichung des Staatsmanns mit dem Feldherrn über die Vorzüglichkeit der Achtung, die einer vor dem andern verdient, streiten: das ästhetische Urteil entscheidet für den letztern. Selbst der Krieg, wenn er mit Ordnung und Heiligachtung der bürgerlichen Rechte geführt wird, hat etwas Erhabenes an sich [...].«35
Für die Inszenierung und Rechtfertigung eines kriegerischen Heldentums lässt sich die Konzeption eines erhabenen Heroismus insofern nutzen, als der Held gerade im Krieg mit einer lebensbedrohlichen Situation konfrontiert ist, angesichts derer er sich als sittlich überlegen erweisen kann: »Denn hier stehen nicht nur Todes- und Tötungsbereitschaft im Dienst einer höheren Moral, sondern das kriegerische Erlebnis auf dem Schlachtfeld ermöglicht erst die höchste Bewährungsprobe der Vernunft: die Kontrolle der Fluchttriebe
34 Kant: KdU, S. 249, B 103. 35 Kant: KdU, S. 351, B 106 f.
55
Gewalt und Anmut angesichts der äußeren Bedrohung.«36 Der erhabene Krieger ist im Kontext der Theoriebildung eines »vernünftigen Krieges«37 zu sehen, die mit der Aufklärung einhergeht. Denn Gewalt als exzessiver Ausbruch, als Teil der affektiven Seite des Menschen, kann mit der Zielsetzung der Aufklärung nicht in Einklang gebracht werden. Gewalt kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie vernünftigen Zielen dient und wenn sie selbst als vernunftgesteuertes Handeln eines Subjekts erscheint. Sie muss daher in jedem Moment strategischen Regeln wie auch Regeln kriegerischer Fairness folgen.38 Für die Ästhetik des Heroischen ist diese Passage zentral. Zum einen entwickelt sich aus der Idee des »erhabenen Krieges« eine Tradition der Schlachtendarstellung, in der das kriegerische Geschehen als naturgleiches, gewaltiges Schauspiel wahrgenommen wird.39 Zum
36 Köppen: Beobachter, S. 19. 37 In den Kriegstheorien der Aufklärung wird der Krieg als Rechtsgang aufgefasst. Wenn sich die kriegerische Gewalt in den Grenzen des Kriegsrechts abspielt, an einen anerkannten Staat und seine legitime Regierung gebunden ist und in einer strengen Heeresordnung organisiert ist, wird sie nicht als triebhaft-exzessiv, sondern als vernünftig wahrgenommen. Siehe hierzu vor allem Madlener: Erwürgen. 38 Elisabeth Madlener betont, dass die Friedensidee der Aufklärung und die Entwicklung einer »humaneren […] Kriegspraxis« gemeinsame Wurzeln haben. Beide Konzepte basieren auf der Idee, dass der Staat vor allem das Wohl der Bürger zu garantieren habe, und auf der Überzeugung, dass sich Frieden nur durch die Normierung zwischenstaatlicher Verhältnisse erzeugen lasse. Wie durch Bündnisse, Verträge, etc. das wirtschaftliche Zusammenspiel der Staaten geregelt werden sollte, so auch, für den Ernstfall, das Verhalten im Krieg: »So entstehen in der Konstruktion von Natur- und Völkerrecht als einer Organisation des Inter-Nationalen sowohl die Lehren vom gerechten Krieg, vom politischen Gleichgewicht, vom Krieg als Institution einer internationalen Justiz (und deren Polizeieinsätzen) als auch der Versuch einer Ordnung des Kriegsgeschehens, der als ›Achtung vor dem Gegner‹, als kodifizierte Regel im Kriegsrecht formuliert wird.« Madlener: Erwürgen, S. 23. 39 Siehe hierzu: Köppen: Beobachter, S. 19 ff. Manuel Köppen weist darauf hin, dass sich aus dem Erhabenheitstheorem insbesondere bei Kant eine Kriegsästhetik entwickelte, welche die Schlacht als naturhaftes Gewalterlebnis zu einer erhabenen Erfahrung stilisierte. Diese Form der Kriegsästhetik setzt nicht den Einzelnen als Helden in Szene, sondern entwirft den Krieg als Massenästhetik. In den Schlachtbeschreibungen werden das Feuer der Kanonen, die Schussgeräusche und Schreie und die Bewegungen der Truppen als ein synästhetisches Spektakel wahrgenommen, das mit den Naturschauspielen vergleichbar ist, welche Kant als Beispiele des Erhabenen angibt. Das Erhabene des Krieges zeigt sich in der Distanz zum Geschehen. Exemplarisch für die erhabene Kriegsästhetik ist folgende Schlachtbeschrei-
56
Heldentum in der bürgerlichen Literatur anderen wird das Verhältnis zwischen kriegerischem Helden und Rezipienten neu definiert. Denn Kant parallelisiert hier die ästhetische Wahrnehmung des Betrachters mit der inneren Dynamik des Helden, der sich einer Gefahr stellt. Der Krieger betrachtet die sich nähernde Gefahr, den Feind, die Naturgewalt und kann ihr standhalten, wie der Zuschauer in der Dynamik des Erhabenen dem Anblick des Schrecklichen standhält. Durch die Umdeutung des »Erhabenen« zu einem rezeptionsästhetischen Prinzip stehen sich nicht mehr, wie in der Inszenierung des neustoischen Heros, ein unerreichbarer, übermenschlicher Held und ein in Bewunderung verharrender Zuschauer gegenüber. Der Bürger wird vielmehr als Betrachter selbst aktiv und kann die heroischen Züge seiner eigenen Subjektivität wahrnehmen. Die Funktion des Heroischen in der Kunst für die bürgerliche Gesellschaft wird hier deutlich: Der Bürger nimmt durch die Erfahrung des Erhabenen selbst an der heroischen Welt teil, die ihm in seiner Lebenswelt verwehrt ist.40
3) HELD UND VERBRECHER – DIE SITTLICHE RELATIVITÄT DES ERHABENHEITSTHEOREMS Im Erhabenen soll sich die Gewalt des Helden als moralisch gerechtfertigt erweisen. Zum einen, weil der Held durch das Standhalten angesichts einer Gefahr die Herrschaft der Vernunft über die Sinnlichkeit unter Beweis stellt und sich so als sittliches Wesen qualifiziert. Zum anderen, weil der erhabene Held mit einer überlegenen Gewalt konfrontiert ist und sich daher immer in einer Notwehrsituation befindet, in der sein Handeln gerechtfertigt ist. Trotz dieser sittlichen Festlegung entsteht in der Theoriebildung des 18. Jahrhunderts die Figur des erhabenen Verbrechers, welcher bung Goethes aus der »Campagne in Frankreich«: »Nun trat eben zu Mittag ein Sonnenblick hervor und spiegelte sich in allen Gewehren. Ich hielt auf einer Höhe und sah jenen blinkenden Waffenfluß glänzend heranziehen; überraschend aber war es als die Colonne an den steilen Abhang gelangte, wo sich die bisher geschlossenen Glieder sprungweise trennten und jeder Einzelne, so gut er konnte, in die Tiefe zu gelangen suchte. Diese Unordnung gab völlig den Begriff eines Wasserfalls, eine Unzahl durch einander hin- und wiederblinkender Bajonette bezeichneten die lebhafteste Bewegung.« Goethe, Johann Wolfgang von: »Campagne in Frankreich 1792.« In: Ders.: Goethes Werke. Abt. 1, Bd. 33. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar/Böhlau 1898. Weimarer Ausgabe. Fotomechanischer Nachdruck. München 1987, S. 59. 40 Insofern ist Kants Konzept des Erhabenen als Teil der Heroisierung des Bürgers durch eine »bürgerlich-heroische Kunst« zu verstehen (Schlaffer: Held, S. 146).
57
Gewalt und Anmut die ethische Position des Heros infrage stellt. So kann in Gottscheds Adaption der neustoischen Erhabenheitsästhetik auch der Verbrecher erhaben sein, da er sich als exzeptionell Handelnder, als negativer Held erweist. Erhabenheit zielt bei Gottsched auf eine Vorbildfunktion. Diese kann der Held positiv durch sein Handeln erreichen, der Verbrecher negativ, indem er als abschreckendes Beispiel dient: »Da nun die Poesie das Wundersame liebet, so beschäftiget sie sich auch nur mit lauter außerordentlichen Leuten, die es entweder im Guten oder Bösen aufs höchste gebracht haben. Jene stellt sie als lobwürdige Muster zur Nachfolge; diese aber, als schändliche Ungeheuer, zum Abscheue vor.«41 Auch Sulzer, der in der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste unter dem Stichwort »Groß, Größe« seine Theorie des Erhabenen vorlegt, erkennt die sittliche Ambivalenz des Theorems als Wirkungskategorie: »Im Grunde also ist das Große der Leidenschaften, ohne den sittlichen Werth der Sache, worauf sie abzielen, nichts anders, als eine sich lebhaft äußernde große Würksamkeit der, sich und ihre Freyheit fühlenden, Seele. Darum können wir dieser Größe selbst da, wo sie etwas Unsittliches, so gar etwas Gottloses an sich hat, unsern Beyfall nicht ganz versagen. [...] Das Böse in seiner Leidenschaft ist ein Irrthum, blos Fehler in der Vorstellung, und verdienet Vergebung; hingegen ist die Gleichgültigkeit für die Behauptung seiner innern freyen Würksamkeit eine völlige Niederträchtigkeit, die keine Vergebung verdient.«42
Größe und Exzeptionalität sind hier die entscheidenden Qualitäten beider Figuren, des Helden und des Verbrechers. Als negative Abgrenzungsfigur, von der sich beide absetzen, firmiert das Mittelmaß, die Gleichgültigkeit, die mangelnde Motivation, das eigene Ich zu voller Entfaltung zu bringen. Gewalt ist hier also nicht mehr durch die Bindung an die »gute Sache« gerechtfertigt, sondern durch das Streben nach Macht und Größe, das zum anthropologischen Prinzip erklärt wird.43 Auch in Schillers Theorie kann ein erhabener Heros genau wie ein erhabener Verbrecher die Überlegenheit sittlicher Prinzipien verkörpern. Weil für Schiller der innere Konflikt zwischen Sinnlichkeit und Vernunft das Erhabene ausmacht, ist es gleichgültig, ob sich dieser im Helden abspielt, der sich einer lebensbedrohlichen Gefahr stellt, oder im reuigen Verbrecher, in dem sich die Schlacht
41 Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst. Vierte, sehr vermehrte Auflage. Leipzig 1751, S. 188. 42 Sulzer: Theorie, S. 445 f. 43 Vgl. Immer: Held, S. 93 ff.
58
Heldentum in der bürgerlichen Literatur zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit nach der verbrecherischen Tat abspielt44: »Und was kann auch erhabener seyn, als jene heroische Verzweiflung, die alle Güter des Lebens, die das Leben selbst in den Staub tritt, weil sie die mißbilligende Stimme ihres innern Richters nicht ertragen und nicht übertäuben kann? Ob der Tugendhafte sein Leben freiwillig dahingibt, um dem Sittengesetz gemäß zu handeln – oder ob der Verbrecher unter dem Zwange des Gewissens sein Leben mit eigner Hand zerstört, um die Uebertretung jenes Gesetzes an sich zu bestrafen, so steigt unsre Achtung für das Sittengesetz zu einem gleich hohen Grad empor [...].«45
In Schillers Dramen zeichnet sich die fragile Grenze zwischen Held und Verbrecher ab. So ist etwa Schillers Wilhelm Tell ein Held, der nur zum Äußersten getrieben zur Gewalt greift, zu einer listigen, gezielten Gewalt, und seine Heroenexistenz sofort nach der entscheidenden Tat zugunsten seiner bürgerlichen Existenz aufgibt. Durch die Gegenüberstellung mit Parricida, der den König aus Habgier und Neid umgebracht hat, werden die engen Grenzen markiert, in denen sich die Gewalt bewegen muss, damit sie heroisch erscheinen kann.46 Vehement grenzt sich Tell von dem Gegenüber ab, als dieser in seinem Hause Unterschlupf sucht. Als könne die reine Anwesenheit des Verbrechers die Reinheit des Hauses Tell in Mitleidenschaft ziehen, schickt der Held seine Familie aus dem Zimmer und legt dem Flüchtigen die sofortige Abreise nahe. Das Verbrechen liegt dem Heroischen so nahe, dass es zur Bedrohung des Heros wird; die Legitimation seines Handelns muss regelrecht beschworen werden47:
44 Vgl. hierzu Janz: Bewältigung, S. 154 f. 45 Schiller, Friedrich: »Ueber den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen.« In: Schiller NA, Bd. 20 (1962), S. 142. 46 Vgl. hierzu: Rüdiger, Horst: »Schiller und das Pastorale.« In: Euphorion 53 (1959), S. 250. Rüdiger schreibt: »Kein anderes Drama hat Schiller gegen das Mißverstehen des blutigen Weges zur Freiheit eifriger abzuschirmen versucht als den Tell, die unleugbaren dramaturgischen Mängel, die man dem Schauspiel vorgeworfen hat – Monolog Tells und Parricida-Handlung – erklären sich ja gerade aus diesem Bemühen um Eindeutigkeit.« 47 Im juristischen Sinne ist Tells Tat keine Notwehr, sondern Rache. In Notwehr hätte er gehandelt, wenn er Gessler erschossen hätte, als dieser ihn zwingen wollte, auf seinen Sohn zu zielen. Im Moment der Tat liegt keine konkrete Bedrohung mehr vor. Im Sinne des Widerstandsrechts ist Tells Tat jedoch gerechtfertigt: Er befreit seine Nation und ermöglicht damit die Bildung einer freiheitlichen bürgerlichen Nation.
59
Gewalt und Anmut »Unglücklicher! / Darfst du der Ehrsucht blutge Schuld vermengen / Mit der gerechten Nothwehr eines Vaters? / Hast du der Kinder liebes Haupt vertheidigt? / Des Herdes Heiligthum beschützt? das Schrecklichste, / Das Lezte von den deinen abgewehrt? / – Zum Himmel heb’ ich meine reinen Hände, / Verfluche dich und deine That – Gerächt / Hab ich die heilige Natur, die du / Geschändet – Nichts theil’ ich mit dir – Gemordet / Hast d u, i c h hab mein theuerstes vertheidigt.«48
Zum Zeichen der Rückkehr in die bürgerliche Sittlichkeit, zur Markierung des Heroischen als Ausnahmezustand, legt Tell für immer seine Waffe, die Armbrust ab. Selbst für die Jagd, also in der Funktion, die sie innerhalb der bürgerlichen Existenz des Wilhelm Tell erfüllt hatte, möchte er sie nicht mehr benutzen: »An heil’ger Stätte ist sie aufbewahrt, / Sie wird hinfort zu keiner Jagd mehr dienen.«49 Die Rückkehr von der heroischen in eine bürgerliche Existenz ist also nur durch die vollständige Distanzierung von der heroischen Gewalt möglich. Schillers Fiesco50 wiederum zeigt, wie bedroht die bürgerliche Existenz durch den Heros ist. Denn Fiesco, der gegen den Tyrannen kämpft, droht zugleich selbst zum Tyrannen zu werden. Als seine Verschwörung erfolgreich zu werden verspricht, kann er sich den Versuchungen der Macht nicht widersetzen. Statt die Republik durchzusetzen, die er ursprünglich anstrebte, nimmt er selbst die Position des Monarchen ein. Seine Heldentat wird so nachträglich zum Verbrechen, das wiederum durch Tyrannenmord gerächt werden muss. Im Streben nach Größe, nach exzeptionellen Taten und im gewalttätigen Handeln ähnelt der Held strukturell dem Verbrecher. Er grenzt sich von diesem allein durch die moralische Motivation seines Handelns ab. Fasst man die Kategorie des Erhabenen, wie im 18. Jahrhundert üblich, zunehmend als Rezeptionsmodus, verliert die ethische Festlegung des Helden, die ja im Mittelpunkt des erhabenen Heroismus stehen sollte, mehr und mehr ihre Relevanz. Denn wenn es dem Zuschauer obliegt, sich in der inneren Bewegung des Erhabenen von der Gewalt einer Darstellung zu distanzieren, ist es
48 Schiller, Friedrich: »Wilhelm Tell.« In: Schiller NA, Bd. 10 (1980), S. 128277. Vs. 3174-3184. 49 Schiller: Tell, Vs. 3138 f. 50 Schiller, Friedrich: Die Verschwörung des Fiesco zu Genua. NA, Bd. 4 (1983), S. 11-121.
60
Heldentum in der bürgerlichen Literatur letztlich gleichgültig, ob ein Held oder ein Verbrecher gewalttätig handelt.51 Die Inszenierung des kriegerischen Heros in einer Ästhetik des Erhabenen wirft also zwei grundsätzliche Probleme auf. Zum einen ist das Problem zu nennen, dass im Erhabenen nicht die kriegerische Handlung heroisch erscheint, wie es in den Heldenepen der Antike der Fall ist, sondern die Bereitschaft zum Selbstopfer, also ein innerer Prozess in der Psyche des Helden. In dem Moment, in dem die Entscheidung zum Handeln getroffen ist, tritt der Held aus der Ästhetik des Erhabenen heraus. Zum anderen birgt das Erhabenheitstheorem die Gefahr in sich, dass die Grenze zwischen Verbrecher und Held verschwimmt. Held und Verbrecher können gleichermaßen durch einen Konflikt zwischen Sittlichkeit und Sinnlichkeit und durch ihr Streben nach Exzeptionalität und Größe erhaben sein. Mit der Transformation des »Erhabenen« zu einem wirkungsästhetischen Prinzip verliert die Kategorie endgültig ihre Aussagekraft hinsichtlich der ethischen Ausrichtung der handelnden Figuren. Denn wenn die Gewalt im Zuschauer eine sittliche Entscheidung herbeiführen soll, ist es gleichgültig, ob eine legitime oder illegitime Gewalt Gegenstand der Inszenierung ist. Ich möchte im Folgenden zeigen, wie sich die anmutige Heldin als Gegenkonzept zum erhabenen Heros etabliert, in dem die genannten ästhetischen und ethischen Probleme gelöst sind. Anmut garantiert den sittlichen Wert des Handelns aus sich selbst heraus; die moralische Entscheidung ist in ihr immer schon vorausgesetzt, und gerade deshalb kann sie äußere Handlung anstelle von innerpsychischen Prozessen in Szene setzen.
51 Diesem Problem versucht Kant entgegenzutreten, indem er ethische Maximen festlegt, die eingehalten werden müssen, damit der Krieg und der Krieger erhaben sein können. Vgl. Kant: KdU, S. 351, B 106 f.
61
C. ANMUT ALS HELDENTUM
Während im Barock sowohl männliche als auch weibliche Helden vor dem Hintergrund des Erhabenheitstopos inszeniert wurden1, entwickelt sich die Kategorie im 18. Jahrhundert zu einem männlich codierten Subjektkonzept, das vom weiblich codierten »Schönen« abgegrenzt wurde.2 Die Inszenierung eines erhabenen weiblichen Heldentums lag nicht im Interesse der bürgerlichen Gesellschaft, die sich durch die Konsolidierung der als natürlich gedachten Geschlechterdifferenz zu definieren suchte. Männer und Frauen sollten ethisch und ästhetisch eine Polarität bilden.3 In der Ausgrenzung eines weiblich gedachten »Anderen« gewinnt das männliche bürgerliche Subjekt seine Identität. Selbstreflexion und innere Zerrissenheit, die im Topos des Erhabenen angelegt sind, gelten als exklusives Charakteristikum des bürgerlichen Mannes. Die Frau wird hingegen entweder zur Repräsentantin einer nai1
2 3
Zur Inszenierung weiblichen Heldentums im Barock siehe u. a.: Baumgärtel, Bettina und Silvia Neysters (Hrsg.): Die Galerie der Starken Frauen. Die Heldin in der französischen Kunst des 17. Jahrhunderts. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Kunstmuseum Düsseldorf, 10. September - 12. November 1995 und Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 14. Dezember 1995 26. Februar 1996. Düsseldorf 1995; Plume, Cornelia: Heroinen in der Geschlechterordnung. Weiblichkeitsprojektionen bei Daniel Casper von Lohenstein und die Querelle des Femmes. Stuttgart 1996; Kelping, Karin: Frauenbilder im deutschen Barockdrama. Zur literarischen Anthropologie der Frau. Hamburg 2003. Vgl. Kapitel A I Anmerkung 7. Die Abgrenzung des arbeitenden Mannes von der nicht arbeitenden und damit außerhalb der öffentlichen Wirkungssphäre befindlichen Frau definiert das Selbstbewusstsein des Bürgertums. Vgl. hierzu Ute Frevert: Die »Besonderung gehörte zum Programm bürgerlicher Emanzipation und Selbstvergewisserung geradezu zwingend hinzu. Anders formuliert: Die ausgeprägte Differenz zwischen Frauen und Männern, zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit war eines der wichtigsten Erkennungs- und Distinktionszeichen, mit denen sich das Bürgertum des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts von anderen Klassen und Schichten zu unterscheiden suchte.« Frevert: Geschlechter, S. 140 f.
63
Gewalt und Anmut ven Persönlichkeitsstruktur stilisiert oder aber mit dem Konzept der Anmut zu einer Persönlichkeit, welche die innere Spaltung bereits überwunden hat, in der Sinnlichkeit und Sittlichkeit übereinstimmen.4 Mit der »Anmut« entwickelt die Ästhetik des 18. Jahrhunderts eine weiblich codierte ästhetische Kategorie, die wie die des »Erhabenen« eine Subjektstruktur abbildet. Im Gegensatz zum »Schönen«, das in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts Objektcharakter besitzt, wird Anmut als Ausdruck der Persönlichkeit in den Bewegungen des Körpers gedacht, als »Schönheit der Seele«5, die sich in den Bewegungen des Körpers spiegelt. In der Ästhetik des 18. Jahrhunderts nimmt die »Anmut« daher eine eigentümliche Position ein. Sie ist dem Schönen insofern zugeordnet, als die Bewegung als schön wahrnehmbar sein muss. Körperliche Schönheit ist dafür aber nicht Voraussetzung. Rousseau etwa unterscheidet Anmut von körperlicher Schönheit und erklärt sie sogar für überlegen: »Anmut ver-
4 5
Zur Verdrängung des Weiblich-Erhabenen des Barock zugunsten des Anmutsideals in der bürgerlichen Ästhetik vgl. Kleiner: Anmut, S. 243. Der Begriff der »schönen Seele« entwickelt sich im 18. Jahrhundert aus der Rezeption des griechischen Ideals der »Kalokagathia«, der sittlichen Schönheit. Durch den Pietismus wird der Begriff religiös überformt. Vor allem Wieland verbindet den Begriff der schönen Seele mit dem der Anmut: »[…] wenn man genau redet, so unterscheidet man Schönheit und Anmuth, von denen die letzte eben deswegen, weil sie unmittelbar aus der Seele fließet, weit edler ist als die erste.« Wieland: Gespräch des Socrates mit Timoclea, von der scheinbaren und wahren Schönheit. (1754/55, Ak. II, 2711). Zitiert nach: Schmeer, Hans: Der Begriff der »schönen Seele« besonders bei Wieland und in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Berlin 1926. Nachdruck 1967, S. 14. Jacobi ist vor Schiller derjenige Theoretiker, der Anmut als Seelenschönheit von der Körperschönheit abgrenzt und sie für überlegen erklärt: »Keine Schönheit gefällt, wenn die Seele nicht schön ist.« Jacobi, Johann Georg: »Charmides und Theone oder die sittliche Grazie.« In: Der Teutsche Merkur 1773, S. 214. Zitiert nach Schmeer: Seele, S. 46. Zur Entwicklung des Begriffs im 18. Jahrhundert und der Beziehung zum Anmutstheorem siehe auch Norton, Robert E.: The Beautyful Soul. Aesthetic Morality in the Eighteenth Century. Ithaca/London 1995; Stephan, Inge: »Das Konzept der ›schönen Seele‹. Zur geschlechtlichen Codierung einer philosophisch-religiösen Figuration im Gender-Diskurs um 1800 – am Beispiel der Bekenntnisse einer schönen Seele von Goethe (1795/96) und Unger (1806).« In: Dies: Inszenierte Weiblichkeit. Codierung der Geschlechter in der Literatur des 18. Jahrhunderts. Weimar/Wien 2004, S. 189-204; Lubkoll, Christine: »Moralität und Modernität. Schillers Konzept der ›schönen Seele‹ im Kontext der literaturhistorischen Diskussion.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Würzburg 2006, S. 83-100; Meyer-Sickendiek: Seele, S. 83-100.
64
Anmut als Heldentum braucht sich nicht so wie Schönheit; sie lebt, sie erneuert sich ständig und am Ende einer dreißigjährigen Ehe gefällt eine ehrbare und anmutige Frau ihrem Mann wie am ersten Tag.«6 Schiller differenziert in seinem Aufsatz Ueber Anmuth und Würde zwischen »a r c h i t e k t o n i s c h e r S c h ö n h e i t « (AuW 255) und Anmut als »Schönheit der Bewegung« (AuW 255) und schließt explizit den nicht schönen Körper in die Anmutsdefinition mit ein. (AuW 251) Es ist kein Zufall, wenn die Kriegerinnen in der Ikonografie der Französischen Revolution wie auch in der deutschsprachigen Literatur mit typischen Attributen der Anmut ausgestattet sind: einer zarten femininen Körperlichkeit, fließenden Kleidern, eleganten, tänzerischen Bewegungsabläufen. Denn während das »Erhabene« als exklusiv männliche Kategorie gedacht wird, ist das passive »Schöne« nicht geeignet, ein subjektives oder gar heroisches Handeln in Szene zu setzen. Die Inszenierung einer anmutigen Heldin ist deshalb sowohl im Geschlechterdiskurs als auch im ästhetischen Diskurs um 1800 konsequent. Ich werde im Folgenden zunächst die Anmutsästhetik der Kriegerinnendarstellungen der Französischen Revolution aufzeigen, um dann die Frage zu stellen, ob und wie mit den Anmutskonzeptionen des 18. Jahrhunderts ein weibliches Heldentum konzipiert wird.
I. »Eiserne Schnürleiber« und »nasse Kleidung« – Die Inszenierung eines weiblichen Kampfkörpers Zur körperlichen Darstellung von Anmut gehörte im 18. Jahrhundert wesentlich eine sanfte Bewegung der Figuren, die sich am Ideal der Schlangenlinie orientierte7 und eine leichte, bisweilen transpa6 7
Rousseau: Emil, S. 448. Die Schlangenlinie als ästhetisches Ideal hatte William Hogarth mit seiner Schrift »Analysis of Beauty« in den Ästhetikdiskurs des 18. Jahrhunderts eingeführt und explizit mit der Grazie in Verbindung gebracht. Doch schon im 17. Jahrhundert zeichnen sich in den Diskussionen um die Schönheitslinie Argumentationslinien ab, die dem Graziendiskurs des 18. Jahrhunderts entsprechen. So galt die Schlangenlinie im 17. Jahrhundert als Ideal der Bewegung, sowohl der Natur als auch des menschlichen Körpers. In den Zeichnungstheorien von Dürer, Celini und Lomazzo galt die S-Form als »Inbild der Verbindung von artifizieller Konstruktion und simulierter Naturhaftigkeit, von Symbolik und formaler Struktur«. Mainberger, Sabine: »Einfach (und) verwickelt. Zu Schillers Linienästhetik. Mit einem Exkurs zum Tanz in Hogarths ›Analysis of Beauty‹.« In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 79, 2. Heft (2005), S. 199. Die Linie wurde aufgrund ihrer Leichtigkeit der Bewegung und der Ferne von
65
Gewalt und Anmut rente Kleidung. Denn der anmutige Körper sollte die schöne Seele in der Bewegung ausdrücken, und das hieß, er musste vor allem sichtbar sein.8 Als Inbegriff anmutiger Kleidung galten daher die Gewänder der griechischen Skulpturen. In den Kunstbetrachtungen, etwa bei Winckelmann, wurde von der »nassen Kleidung«9 der Antike gesprochen: Die Gewänder passen sich so dem Körper an, als wären sie mit Wasser getränkt. Siehe dazu Abb. 1, ein Gemälde aus dem Jahr 1778. Zur Stilisierung weiblicher Anmut entwickelte sich in der Mode um 1800 der »à-la-grecque«-Stil. Dieser ahmte die leichte, fließende Kleidung der Antike nach, in der die Taille nicht geschnürt wurde, sondern der Rock unter der Brust ansetzte. Die »à-la-grecque«-Mode zeichnete sich durch fast durchsichtige Chemisen (Hemdkleider), durch Sandalen oder durchbrochene, absatzlose Schuhe mit Kreuz-
8
9
Ecken und Kanten, und somit aggressiver Formen, auch als Ideal für den sozialen Umgang und die Rede des Hofmanns betrachtet. Die Zickzacklinie galt als ungeschlacht und widersprach dem verfeinerten Geschmack der höfischen Gesellschaft. »Sprezzatura« und »Leggiadria« hingegen, die Vorläufer des Anmutbegriffs (siehe Knab: Anmut, S. 61 ff.), ließen sich durch die sanfte Linie repräsentieren. Hogarth radikalisierte die Idee von der idealen Linie, indem er sie zum Paradigma des Schönen bzw. als dreidimensionale Figur zum Paradigma der Grazie erhob. Schönheit und Grazie sollten so messbar und wissenschaftlich beschreibbar werden, eine Idee, die von vielen Zeitgenossen als absurd empfunden wurde, die aber dennoch eine breite Auseinandersetzung provozierte. Bedeutende Vertreter des ästhetischen Diskurses wie Goethe, Lessing, Winckelmann, Herder und Schiller positionierten sich zum Theorem der Schlangenlinie und nahmen es zum Teil in ihre Anmutskonzeptionen auf. Kritiker lehnten die Linie als Ausdruck von Grazie ab, weil sie über das Schlangensymbol, wie auch über die Assoziation mit den Rundungen des weiblichen Körpers mit Sexualität assoziiert war. Anmut sollte jedoch in den Theorien des 18. Jahrhunderts weibliche Unschuld visualisieren (vgl. Knab: Anmut, S. 115 ff. und 237 ff.). Hogarth selbst betonte die Assoziation der Linie mit dem Weiblichen und dem Erotischen, ohne jedoch eine Störung der ästhetischen Idealität darin zu sehen (Mainberger: Verwickelt, S. 201). Zu der Entwicklung der ästhetischen Debatten um die Schönheitslinie im 18. Jahrhundert siehe Mainberger: Verwickelt; Brandstetter, Gabriele: »Konjunkturen von Bewegung und Tanz.« In: Feger, Hans (Hrsg.): Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten. Heidelberg 2006, S. 151-176; Knab: Anmut, S. 164 ff. Vgl. hierzu auch Eckart Goebel: »Kleidung ist graziös, wenn sie in ihren Bewegungen dem nackten Körper natürlich folgt, ihn betont und ihn nicht verdeckt.« Goebel, Eckart: Charis und Charisma. Grazie und Gewalt von Winckelmann bis Heidegger. Berlin 2006, S. 19. Siehe Spickernagel: Anmut, S. 310 und Knab: Anmut, S. 145.
66
Anmut als Heldentum Angelika Kauffmann: Die tanzenden Grazien, 1778
Abb. 1 bändern und antikisierende Haarmode aus.«10 Während der Französischen Revolution war dieser Kleidungsstil die Mode der bürgerlichen Frauen. Durch ihn sollte sich ein anmutiger Frauenkörper von der pompösen Kleidung adeliger Damen abgrenzen.11 Typisch für die Graziendarstellung war die entblößte Brust, wie etwa in Chodowieckis Zeichnungen »Natur und Afectation« (Abb. 2) ersichtlich, in welcher eine anmutige bürgerliche einer manierierten höfischen Körperinszenierung gegenübergestellt wird. Die partielle Nacktheit sollte in den Anmutsdarstellungen des 18. Jahrhunderts einen naturverbundenen und naiven Umgang mit dem Körper zeigen, keinesfalls eine erotische Koketterie.12 Die tan10 Reclams Mode- und Kostümlexikon. Hrsg. von Ingrid Loschek: 5. aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart 2005, S. 221. Zur Entwicklung einer spezifisch bürgerlichen Mode um 1800, die sich durch »Natürlichkeit« von der ornamentalen Kleidung des Adels abgrenzen sollte, siehe u. a. Bertschik, Julia: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770 – 1945). Köln 2005, S. 28 ff. und Vinken, Barbara: »Rousseau und die Rhetorik der Geschlechter.« In: Bischoff, Doerte und Martina Wagner Egelhaaf (Hrsg.): Mitsprache, Rederecht, Stimmgewalt. Genderkritische Strategien und Transformationen der Rhetorik. Heidelberg 2006, S. 75-92. Bertschik spricht von einem »vestimentäre[n] Paradigmenwechsel«. Bertschik: Mode, S. 28. Vinken spricht von einer »bürgerlichen Rhetorik der Unauffälligkeit«, die mit Rousseau einsetzt. 11 So wird der »à-la-grecque«-Stil auf den berühmten Revolutionsmaler Jacques Louis David zurückgeführt. Siehe hierzu Loschek: Mode, S. 221. 12 Die Kleidung ist aber wie die Anmutskonzeption und die Ästhetik der Schlangenlinie nur schwer gegen eine fetischisiert-erotische Rezeption abzugren-
67
Gewalt und Anmut Daniel Chodowiecki: Natur und Afectation, 1779
Abb. 2 zenden Grazien (siehe Abb. 1) der traditionellen Darstellungen sind reizvoll, aber sie kokettieren nicht.13 Ihre Blicke sind entweder entrückt in die Ferne oder aufeinander gerichtet.14 Sie scheinen sich unbeobachtet zu wähnen – nichts weist darauf hin, dass sich ihre Bewegungen auf das Begehren eines männlichen Betrachters ausrichten. Auch in Chodowieckis Bild heischt der Blick der Frau nicht nach Anerkennung, sondern ist hingebungsvoll auf ihren Partner gerichtet. Das adelige Paar fixiert hingegen kokett den Betrachter.
zen. Denn die Ähnlichkeit des Brustpanzers mit einem als Oberbekleidung getragenen Korsett kann jederzeit als erotische Inszenierung (miss-)verstanden werden. Anne Hollander zeigt in ihrer Studie Anzug und Eros, dass die weibliche Mode im Laufe der Geschichte immer wieder Elemente männlicher Kleidung adaptierte, um so einen erotisch-provokativen Effekt zu erzeugen. In diesem Zusammenhang weist Hollander darauf hin, dass schon die heftige Reaktion der Zeitgenossen Jeanne d’Arcs auf ihre Männerkleidung keineswegs nur der abstrakten Rollenanmaßung galt, sondern vor allem der erotischen Implikation ihrer Verkleidung. Hollander, Anne: Anzug und Eros. Eine Geschichte der modernen Kleidung. Berlin 1995, S. 76. 13 Zur Ikonografie der Graziendarstellung siehe Kleiner: Anmut, S. 244 ff. und Mertens, Veronika: Die drei Grazien. Studien zu einem Bildmotiv in der Kunst der Neuzeit. Wiesbaden 1994. 14 Vgl. hierzu: Koebner, Thomas: »Über Grazie. Vermischte Beobachtungen.« In: Brittnacher, Hans Richard und Fabian Stoermer (Hrsg.): Der schöne Schein und seine Schatten. Bielefeld 2000, S. 82 f.
68
Anmut als Heldentum Die Darstellungen der Kriegerinnen in der bildenden Kunst und auf der Bühne um 1800 knüpfen an die Tradition der Anmutsdarstellungen an.15 Nicht etwa werden die Heldinnen in voller Rüstung gezeigt, welche ihnen die Aura des Heroischen verleihen, aber die Bewegung, Mimik und die weiblichen Körpermerkmale verbergen würde. Vielmehr erscheinen die Kriegerinnen um 1800 in einer diffizilen Verschränkung von Körper- und Kleidungsmerkmalen, die zugleich ihre martialisch-heroische Rolle, aber auch ihre als spezifisch weiblich gedachte anmutige Bewegtheit und Ausdruckskraft in Szene setzt.16 15 In Frankreich verläuft die Entwicklung des Anmutsbegriffs analog zur Entwicklung im deutschsprachigen Raum, wie Janina Knab in ihrer Studie betont: Knab: Anmut, S. 71 ff. Der Begriff »Grâce« verliert auch hier im 18. Jahrhundert die Bedeutung des höfischen Leichtigkeitsideals und entwickelt sich zu einem mit Unschuld und Reflexionslosigkeit assoziierten Ausdrucksideal des weiblichen Geschlechtscharakters. So entwirft Fénelon bereits Ende des 17. Jahrhunderts ein Modell zur Mädchenerziehung, in welchem die Erziehung zur Grazie im Mittelpunkt steht. Fénelon unterscheidet zwischen »grâce intérieure« und »grâce extérieure«. Anmut soll nicht nur ein erlernbares Modell der schönen Bewegung und Rhetorik sein, sondern auch eine Eigenschaft des (weiblichen) Charakters. In der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert unterscheidet der Artikel zu »grâce« zwischen »grâce« und »agrément«. »Grâce« meint hier den unmittelbaren körperlichen Ausdruck von Sittlichkeit, »agrément« Grazie als erlernbare Wirkungsstrategie. »Que peut désirer un homme dans une dame, que de trouver de Grâces & d’Agréments.« Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Par une société de gens de lettres. Mis en ordre et publié par Diderot, quant à la partie mathématique par d’Alembert. Nouvelle impression en facsimilé de la première édition 1751-1780. Reprint Stuttgart 1966 f., S. 186 f. Zitiert nach Knab: Anmut, S. 74. 16 Hinsichtlich der Körperinszenierung der kriegerischen Heldin um 1800 bin ich anderer Auffassung als Kollmann. Kollmann weist zwar auf die Funktion der Rüstung als Metapher des Heroischen hin, differenziert aber nicht zwischen einer vollständigen Rüstung, deren Bedeutung für die heroische Inszenierung sie darstellt, und der Mischung aus Rüstungselementen und weiblicher Kleidung, in der die Kriegerinnen erscheinen. (Kollmann: Empfindsamkeit, S. 197 ff.) Die Kriegerinnen in der Kunst und Literatur um 1800 erscheinen in den seltensten Fällen in einer vollständigen Rüstung. Johanna und Wanda tragen Helm und Harnisch und sind ansonsten weiblich gekleidet; die Kleidung, die Penthesilea zugeschrieben wird, schwankt zwischen einer Rüstung, die aber wie an den Körper gegossen zu sein scheint, mit Schlangenhäuten und dem Löwenfell, also der Kleidung des Herkules. Elisabeth, die Heldin aus Fouqués Roman Das Heldenmädchen der Vendée trägt eine Uniform, die sie als zart und androgyn erscheinen lässt; die Locken als Zeichen ihrer Weiblichkeit quellen während der Schlacht aus der Kopfbedeckung hervor, so dass sie wieder als weiblich identifiziert werden
69
Gewalt und Anmut Nichts würde der Inszenierung einer anmutigen Frau mehr widersprechen als eine klassische Rüstung, die den Körper vollständig verbirgt. Dementsprechend werden die Figuren entweder vollständig in weiblicher Bekleidung, oder aber in einer Art Fantasierüstung, aus Harnisch, Helm und ansonsten fließender weiblicher Kleidung dargestellt. Die anonym veröffentlichte Freiheitsallegorie in Abb. 3 zeigt etwa eine zierliche Frau in typisch anmutiger Haltung: Den linken Arm hält sie in sanftem Schwung etwas vom Körper entfernt, wie in der Ausgangsposition einer Ballerina. In die Rundung, die der Arm bildet, ist die Pike gelehnt. Die Art, wie die Figur ihre Waffe hält, scheint weniger auf einen Kampf als auf einen beginnenden Tanz hinzuweisen. Die Pike evoziert jedoch die Assoziation gewaltsamer Handlungen. Die »phrygische Mütze«17, Symbol der Jakobiner, die auf die Waffe gesteckt ist, soll deren Sieg anzeigen, erinnert aber auch an die aufgespießten Köpfe, welche die Revolutionäre im Triumphzug durch die Straßen von Paris trugen. In Le Clerks Freiheitsallegorie (Abb. 4) gehen Anmutsdiskurs, Volksdarstellung und Heldenikonografie eine merkwürdige Mischung ein. Die transparente, den Körper umspielende Kleidung und die fließenden Bewegungen der Figur zitieren die Anmutsdarstellungen. Auch das Gesicht des Mädchens ist zart und zeigt einen naiv-verträumten Blick. Die Glieder der Figur sind jedoch kräftig, fast muskulös, und lassen an die harte körperliche Arbeit eines Bauernmädchens denken. Den rechten Arm, in dem sie den Lorbeerkranz hält,
kann. Die Heroinen der französischen Malerei zeigen Figuren in leichten Frauenkleidern, zum Teil entblößter Brust oder aber, in der Darstellung der Theorigne de Mericourt, das für sie typische Amazonenkostüm, welches ebenfalls ein Oberteil beinhaltet, das an das Rüstungsharnisch erinnert und ansonsten aus weiblicher Kleidung besteht. Diese Art der Kleidung ist für Kollmann nur eine Modeerscheinung, »die kaum mehr als eine Koketterie mit dem Zeitgeschmack« darstellt. Kollmann: Empfindsamkeit, S. 202. Kollmann übersieht, dass die Rüstung schon seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr als zweckmäßige Kleidung des Kriegers dient, sondern Teil einer heroischen Inszenierung ist. Anne Hollander betont, dass der Panzer nur noch als Zitat in einer ansonsten leichten, eng anliegenden Kleidung auftaucht, etwa im steifen Kragen oder gepolsterten Anzugjacken. (Vgl. Hollander: Anzug, S. 85 f.) Ich möchte in meiner Arbeit zeigen, dass die Kleidung der Kriegerinnen gerade einen spezifisch weiblichen Kampfkörper inszenieren soll, in dem martialische und graziös-weibliche Elemente eine Synthese eingehen. Gerade durch die diffizile Anordnung von Kleidungselementen und Bewegungsdarstellung erhält die Figur ihre Identität. 17 Loschek: Mode, S. 339.
70
Anmut als Heldentum Anonym: La Liberté, 18. Jhd.
Pierre Thomas Le Clerk: Liberté, 18 Jhd.
Abb. 3
Abb. 4
hat sie zu einer triumphierenden Geste angewinkelt. Die spitze Kontur des Arms kontrastiert mit den sanften Schwingungen der restlichen Bewegungen. Auch die Waffe, auf die sich die Frau stützt, steht im Kontrast zu der lieblichen Frauendarstellung: Es handelt sich um eine Keule, also um eine archaische und grobe Waffe, für deren Beherrschung Körperkraft, nicht aber Technik erforderlich ist. Es ist zudem die Waffe des Herkules, desjenigen Helden also, der sich im Gegensatz zum listenreichen Odysseus durch extreme Körperkraft auszeichnet und als Inbegriff des virilen Helden gilt.18 Auch der Topos unschuldiger Nacktheit wird in den Kriegerinnenbildern aufgegriffen. Sowohl Le Clerks als auch die anonym veröffentlichte Freiheitsallegorie sind in transparente Kleidung gehüllt. In dem anonymen Bild setzt das Kleid im Stil der »à-la-grecque«-Mode unter der Brust an. Die Brüste der Figur scheinen gar nicht oder nur durch einen fast unsichtbaren Schleier bedeckt. In Le Clerks Bild zeichnen sich die Brustwarzen unter dem Hemdkleid ab. Dennoch wird diese Entblößung durch Ostentationen naiver Unschuld von einer erotischen Inszenierung abgegrenzt: Beide Figuren richten
18 Vgl. Loraux, Nicole: Herakles. »Der Über-Mann und das Weibliche.« In: Schlesier, Renate (Hrsg.): Faszination des Mythos. Studien zu antiken und modernen Interpretationen. Basel/Frankfurt a. M. 1985, S. 167-208 und Brunotte, Ulrike: Helden des Tötens. Rituale der Männlichkeit und die Faszination der Gewalt. Dortmund 1995, S. 25 ff. und Brunotte: Eros, S. 64 ff.
71
Gewalt und Anmut ihre verträumten Blicke auf einen Punkt außerhalb des Bildes, fixieren aber nicht den Betrachter. Ihre Aufmerksamkeit scheint auf höhere Ideen, auf Traumbilder gerichtet zu sein, nicht auf zwischenmenschliches Begehren. In Le Clerks Bild wird die unschuldige Mimik noch durch die bukolische Szenerie verstärkt. Parallel zu der Inszenierung der anmutigen Kriegerin in fließenden, durchsichtigen Gewändern und »à-la-grecque«-Stil entwickelt sich in der Kriegerinnen-Ikonografie um 1800 ein Kleidungsstück, das zwischen Harnisch und Korsett oszilliert (siehe Abb. 5). Es ist in der eng anliegenden Beschaffenheit und in der Art, in der es die weibliche Taille formt, eher dem Korsett verwandt. Im Material und in den Verzierungen ähnelt es jedoch einem Rüstungs-Harnisch. In Bezug auf den Anmutsdiskurs spielt das Korsett und damit auch das »Rüstungsmieder« der Kriegerinnen eine ambivalente Rolle. So galt das Korsett einerseits als Inbegriff des Zwangs, der gesellschaftlichen Denaturierung, der Zerstörung des Körpers im Namen gesellschaftlicher Gepflogenheiten. Der schmerzvolle Angriff auf den natürlichen Körper wurde von Rousseau und Herder19 als Symbol höfischer Dekadenz betrachtet.20 Ein bürgerlicher, anmutiger Frauenkörper sollte gerade durch die Befreiung vom Korsett möglich werden. Andererseits war gerade das Korsett dazu beschaffen, die schlangenlinienartigen Formen der weiblichen Figur herauszustreichen. So führt etwa Hogarth als Beispiel für die Schönheit der Schlangenlinie auch die Korsage an.21 Die ambivalente Haltung der Anmutstheoretiker gegenüber dem Korsett wird bei Rousseau deutlich. Dieser kritisiert zum einen das Korsett als Inbegriff äußeren Zwangs, welcher der Naturhaftigkeit des Leibes entgegenwirke. Die Frauen der griechischen Antike seien deshalb schöner gewesen als die Frauen des 18. Jahrhunderts, weil man ihre Körper nicht durch beengende Kleidung an ihrer »natürlichen« Entwicklung gehindert habe: »Es ist bekannt, daß die bequeme und unbeengte Kleidung viel dazu beitrug, beiden Geschlechtern die schönen Proportionen zu bewahren, die man an ihren Statuen sieht und die heute noch der Kunst als Vorbild dienen, weil ihr unter uns die verschandelte Natur keines mehr bietet. [...] Ihren Frauen waren Schnürleiber unbekannt, durch die unsere Frauen ihre Hüften eher verunstalten als be-
19 Vgl. Rousseau, Emil, S. 396 und Herder, Johann Gottfried: »Plastik«. In: Herders Werke. Hrsg. von Theodor Matthias. Leipzig/Wien o. J. Bd. 3, S. 96 ff. 20 Vgl. Bertschik: Mode, S. 42. 21 Siehe hierzu Mainberger: Verwickelt, S. 204.
72
Anmut als Heldentum tonen. [...] Es ist eben nicht erbauend, eine Frau zu sehen, die wie eine Wespe in zwei Teile zerstückelt ist. Das beleidigt das Auge und verletzt die Phantasie.«22
Auf der anderen Seite soll der anmutige Körper aber auch kein undisziplinierter, aus der Form geratener Körper sein. So ist auch Rousseau der Meinung, dass das Korsett dazu beitragen kann, die ursprüngliche Form des noch nicht gealterten weiblichen Körpers zu simulieren, lehnt es aber mit der Begründung ab, dass die Nachahmung nie ganz gelingen könne und daher ein lächerlicher Effekt entstehe: »Ich will nicht weiter auf die Gründe eingehen, warum die Frauen darauf bestehen, sich zu panzern. Eine erschlaffte Brust, ein dicker Bauch usw. mißfallen bei einer Person von zwanzig Jahren, ich gebe es zu; aber nicht mehr bei einer von dreißig. Da wir aber in jedem Alter, ob wir wollen oder nicht, das sind, was der Natur gefällt, und da sich darüber das Auge des Mannes nicht täuschen läßt, so sind diese Mängel in jedem Alter weniger unerfreulich als die dumme Ziererei eines kleinen Mädchens von vierzig Jahren.«23
An die Stelle des Korsetts muss nach Rousseau die freiwillige Disziplinierung des Körpers durch sportliche Übung treten. So betont Rousseau immer wieder, dass in der Antike Körperertüchtigung die schönen Körper der Mädchen hervorgebracht habe. Öffentlichen Tänzen und sogar kriegerischen Übungen (die Rousseau für Frauen eigentlich ablehnt) sei es zu verdanken gewesen, dass die griechischen Frauen einen wohlgeformten Körper besaßen. Es scheint, als müsse der Körper vom äußeren Zwang der feudalistischen Kleiderordnung befreit werden, um den inneren Zwang möglich zu machen, der den Körper zur Anmut diszipliniert. Die Bedeutung des Korsetts für den Anmutsdiskurs ist also ambivalent: Zum einen soll es zugunsten einer natürlichen Körperlichkeit abgelegt werden, auf der anderen Seite repräsentiert es gerade die disziplinierenden und begrenzenden Anteile, welche der Anmut inhärent sind. In Gottscheds Die vernünftigen Tadlerinnen wird die disziplinierende Funktion des Korsetts und analog des Rüstungsharnischs deutlich. Die Heldin Calliste ergötzt sich an der Vorstellung eines Staates, in dem Frauen sämtliche männlichen Ämter besetzen, darunter auch die militärischen: »Ich sah ein Regiment Heldinnen mustern, die mit ihrem Gewehr wohl umzugehen wußten. Die Röcke gingen ihnen kaum bis an die Waden, und sie hatten alle eiser-
22 Rousseau: Emil, S. 396. 23 Rousseau: Emil, S. 397.
73
Gewalt und Anmut ne Schnürleiber, die an statt der Brustharnische dieneten.«24 Hier wird die Mischung aus Korsett und Harnisch als Kleidungselement der kriegerischen Heldin explizit erwähnt und ist mit einem wehrfähigen, aber nicht unweiblichen Frauenkörper assoziiert. Doch nachdem sich Calliste eine Weile an der Fantasie erfreut hat, erscheint ihr der Staat in einem anderen Licht: »Ich sah zwar allenthalben Frauenzimmer, aber ich konnte sie kaum mehr dafür halten, was sie doch waren. Das machte ihre Gestalt, ihr Putz und ihre Kleidung waren verändert. Man hielt unter ihnen nichts mehr auf die weiße Haut des Halses und der Brust, nichts auf die geschickte Stellung des Leibes. [...] Zarte und schöne Hände, oder kleine geschickte Füße zu haben, war kein Ruhm mehr für das Frauenzimmer. [...] Man ließ sich keine Moden mehr aus Frankreich bringen: eine jede machte ihre Kleidung nach ihrer eigenen Phantasie. Der Zwang der steifen Schnürleiber war ganz verbannt: die Brust entblößte man nicht mehr, und die Personen waren ziemlich stark von Leibe und fast allenthalben gleich dick. [...] Wo sind, dachte ich bei mir selbst, alle Annehmlichkeiten unseres Geschlechts? Wo ist das holdselige Lächeln der Lippen? Wo sind die blitzenden Augen? Wo sind die verliebten Geberden und Mienen? [...] Warum hört man keine Engelsstimme, ein bezauberndes Lied nach dem anderen anstimmen?«25
Was hier geschildert wird, ist der Verlust weiblicher Schönheit und Anmut als Konsequenz öffentlicher und nicht zuletzt kriegerischer Aktivität der Frau. Die Schnürleiber nehmen hier eine symbolische Funktion ein. In der positiven Auslegung weiblicher Agitation, in der »Weiblichkeit« und Kriegertum noch nicht im Gegensatz zueinander stehen, erscheinen die Kriegerinnen in dem Rüstungsmieder. Die »eisernen Schnürleiber« scheinen die Frauen trotz der Abweichung von ihrer »natürlichen Rolle« noch in der Form des Schönen und Anmutigen zu halten. In der Schreckensvision jedoch, in welche die Vorstellung weiblicher Herrschaft im weiteren Verlauf von Callistes Traum mündet, ist das Ablegen der Schnürleiber Sinnbild des Schönheitsverlustes und damit auch des Verlustes von Weiblichkeit überhaupt. Calliste kann die Mitglieder des Frauenstaates kaum mehr für Frauen halten. Körperliche Schönheit, aber auch Anmut als Bewegungsschönheit (»der geschickte Fuß«) und Ausdrucksideal (die »verliebten Geberden und Blicke«) gelten ihr als definitorische Merkmale des Weiblichen. 24 Gottsched, Johann Christoph: Die vernünftigen Tadlerinnen. Hrsg. von Eugen Reichel. Berlin 1902. 6. Stück, S. 49 f. Zitiert nach: Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt a. M. 1979, S. 102 f. 25 Gottsched: Tadlerinnen. 6. Stück, S. 49 f.
74
Anmut als Heldentum Claude Olivier Gallimard: Constantia, 18 Jhd.
Abb. 5 Mit dem Ablegen der Schnürbrüste entwickelt sich hier nicht wie in Rousseaus und Herders Argumentation ein natürlich anmutiger Frauenkörper, sondern allgemeine Formlosigkeit. Zwar verliert die Kleidung im Frauenstaat ihren uniformierenden Charakter – jede kleidet sich nach eigenem Gutdünken. Nun übernehmen aber die Körper selber die kollektivierende Funktion: Die aus der Form des Schönen geratene Frau verschmilzt mit den Mitstreiterinnen zu einer formlosen Masse. Mit der Schönheit geht auch die weibliche Individualität und Identität verloren. Die Kleidung der Kriegerinnen ist, wie gezeigt, nicht einfach eine Verkleidung des Frauenkörpers mit einer männlich codierten Rüstung, sondern die Anpassung von Rüstung und Frauenkörper zu einem Kunstkörper. Die Kleidung der Kriegerinnen ermöglicht die Inszenierung eines zugleich anmutigen und martialischen Körpers: Das Rüstungsmieder suggeriert sowohl Keuschheit als auch Drill, es repräsentiert die sanfte Bewegung der Schlangenlinie und markiert zugleich die militärische Aufgabe der Heldinnen. Die fließenden Röcke ermöglichen kämpferische Bewegung und machen diese zugleich einem Publikum sichtbar. Die Verschränkung von weiblichem Körper und Rüstung geht in den künstlerischen und literarischen Inszenierungen bis zu einer tatsächlichen Verschmelzung von spezifisch weiblichen Körperelementen und Rüstung. So übernimmt etwa die Rüstung der Penthesilea zum Teil Ausdrucksfunktionen der Körpersprache: »Die Rüs75
Gewalt und Anmut tung wieder bis zum Gurt sich färbend«26, heißt es in einer Szene, in der Penthesileas Erröten beschrieben wird, oder auch: »der Helmbusch wallt ihr von der Scheitel«27. Über Wandas Kleid, das aus ihrem Harnisch herausfließt, heißt es, dass es »liebend [...] die zarten Glieder hüte«, der Diamantgürtel sei »das Bild der reinen Güte«, ihre Stiefel seien den Füßen »innigst angeschmiegt«.28 Die Verschmelzung von Rüstung und Körper im Zuge der Inszenierung des weiblich-anmutigen Kampfkörpers lässt sich mit einem Blick in die Kunstgeschichte weiter belegen. Das Bild »Constantia« (Abb. 5) von Claude Olivier Gallimard aus dem 18. Jahrhundert zeigt eine Figur, die das typische Rüstungs-Mieder trägt. Dieses bildet aber wiederum die Konturen eines weiblichen Torsos ab, von den nachgeformten weiblichen Brüsten, einschließlich Brustwarzen, über die Bauchmuskulatur. Ein weiteres Verwirrspiel besteht darin, dass der gepanzerte aber zugleich fleischlich wirkende Brustteil bruchlos in den fließenden Stoff der Ärmel übergeht. Stoffkleidung als bürgerliche Bedeckung, Rüstung und Haut fließen hier ineinander und charakterisieren die diffizile Konstruktion der kriegerischen Heldin um 1800 – eine Konstruktion zwischen bürgerlicher Frauenrolle und Kriegertum, zwischen Natürlichkeit (Nacktheit) und Künstlichkeit (Mode), zwischen Weiblichkeit (fließender Stoff) und Männlichkeit (Rüstung), zwischen Ausdruck und Verhüllung in der anmutigen Bewegung. Mit der Verschmelzung von Körper, Kleidung und Rüstung erfüllen die Körperdarstellungen eine weitere Anforderung der Anmutsdarstellung, welche Winckelmann am deutlichsten formuliert hat: Da Anmut die Einheit aller Elemente zeigen soll, einen zwar nicht natürlichen, aber quasinatürlichen Zustand, ist alles störend, was dem dargestellten Sujet nur äußerlich, als Ornament zugeordnet ist.29 Winckelmann betont daher, dass in der künstlerischen Darstellung von Grazie auch die Kleidung als dem Körper zugehörig in Szene gesetzt werden muss: »Die Grazie in Werken der Kunst geht nur die menschliche Figur an, und lieget nicht allein in deren 26 Kleist: Penthesilea, Vs. 98. Auf die Verschmelzung von Kleidung und Körper der Penthesilea macht auch Anton Philipp Knittel aufmerksam. Knittel, Anton Philipp: »›Soll ich den seidnen Latz noch niederreissen …?‹ Anmerkungen zur Funktion von Kleidung in Heinrich von Kleists ›Penthesilea‹.« In: Beiträge zur Kleist-Forschung 17, 2003, S. 119. 27 Kleist: Penthesilea, Vs. 60. 28 Werner: Wanda, S. 212 f. 29 Siehe hierzu: Raulet, Gérard: »Von der Allegorie zur Geschichte. Säkularisierung und Ornament im 18. Jahrhundert.« In: Ders. (Hrsg.): Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Paris 1995, S. 157 f.
76
Anmut als Heldentum Wesentlichen, dem Stande und Gebährden; sondern auch in dem Zufälligen; dem Schmucke und der Kleidung.«30 Als Begründung hierfür gibt Winckelmann an, dass in der Inszenierung von Grazie jedes Element der Darstellung natürlich wirken müsse. Es darf kein Außen, keine Verzierung geben, denn die Grazie »ist wie Wasser, welches desto vollkommener ist, je weniger es Geschmack hat; alle fremde Artigkeit ist der Grazie so wie der Schönheit nachtheilig.«31 Die Gewänder müssen also nicht nur in bestimmter Weise beschaffen sein, um die Anmut des Körpers zur Geltung zu bringen, sondern sie müssen selbst Bestandteil der anmutigen Bewegung werden. Im Zeichen der Grazie verschmelzen also Körper und Kleidung in der Bewegung. Auch die Bewegungen des Körpers, in denen sich die Anmut zeigen muss, geraten in den Kriegerinnendarstellungen um 1800 zunehmend in den Blick. Die Darstellungsform wandelt sich von einer statuarischen, unbewegten, in der die Waffen nur ein symbolhaftes Attribut sind, hin zu einer bewegten Darstellungsform, welche die Frauen in kämpferischer Aktion zeigt.32 Delaportes Lithografie »Die Pariser Frauen vom 27., 28. und 29. Juli« (Abb. 6) präsentiert kämpfende Frauen, deren weiblicher Habitus auch im kriegerischen Handeln nicht verloren geht. Die Kämpferinnen erscheinen nicht als entfesselte Furien oder burleske Marktweiber, sondern sind im Stil der Libertédarstellungen als zarte und zierliche Gestalten gezeichnet. Doch anders als die allegorischen Figuren sind die Frauen aktiv ins Kampfgeschehen eingebunden. Sie verteidigen sich mit Gewehren und Kanonen, die Frau in der Szene unten links wird sogar mit angelegtem Gewehr gezeigt, sie scheint den Feind bereits ins Visier genommen zu haben. Dass der Künstler nicht das Ziel verfolgte, weibliches Kriegertum als Abweichung von einer als natürlich gedachten Frauenrolle zu diffamieren, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Frauen die »männliche« 30 Winckelmann, Johann Joachim: »Von der Grazie in Werken der Kunst.« In: Ders.: Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe. Hrsg. von Walther Rehm. Berlin 1968, S. 158. 31 Winckelmann: Grazie, S. 158. 32 Zur Unterscheidung zwischen einer rein allegorischen Darstellung von Kriegerinnen, deren Rolle nur durch Insignien wie Helm und Schwert angedeutet wird, und der Darstellung von Kämpferinnen in Aktion siehe vor allem: Grotkamp-Schepers, Barbara: »Der Körper und das Handeln.« In: Frohnhaus, Gabriele und Dies. (Hrsg.): Schwert in Frauenhand. Weibliche Bewaffnung. Erschienen zur Ausstellung »Schwert in Frauenhand« vom 22. November 1998 bis 7. Februar 1999 im Deutschen Klingenmuseum Solingen. Essen 1998, S. 94-113.
77
Gewalt und Anmut Delaporte: Die Pariser Frauen vom 27., 28. und 29. Juli, 18 Jhd.
Abb. 6 Tugend der Wehrhaftigkeit und Kampfbereitschaft mit den »weiblich« konnotierten Tugenden der Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft verbinden. Während die Kriegerin in der Szene links unten mit ihrem Gewehr auf den Feind schießt, legt die neben ihr kniende Frau schützend ihre Hand auf die Brust eines Schwerverletzten oder Sterbenden. Die kämpferische Aktion der anderen Frau wird auf diese Weise deutlich als Notwehr ausgewiesen, hatte der Feind doch den männlichen Verteidiger zuvor im Kampf besiegt. Delacroix’ Bild »Die Freiheit führt das Volk an« (Abb. 7) inszeniert eine anmutige Bewegungsästhetik par excellence. Das Bild, das 1830 zur Ikone der Julirevolution und rückwirkend zu einer Ikone der Französischen Revolution wurde, greift die KriegerinnenIkonografie auf, die sich während der Revolution von 1789 entwickelt hatte. Das Bild zeigt die Freiheitsallegorie aktiv in die Kriegshandlung eingebunden. Ihre Kleidung ist zerrissen, die Brust entblößt – dem dargestellten Szenario scheinen bereits heftige Kämpfe vorausgegangen zu sein. Doch die Bewegungen der Figur sind von erstaunlicher Harmonie. Der Gang wirkt tänzerisch beschwingt; die fließenden Linien des Kleides und der Haare, die leicht um die eigene Achse gebogene Körperhaltung zitieren die Graziendarstellungen. Nur der gerade nach oben gestreckte Arm mit der Fahne und das Gewehr in der linken Hand brechen aus der wellenförmigen Linienführung aus. Die liebliche Erscheinung der Figur steht im Kontrast zu der gewaltsamen Szenerie, und doch ist sie als Anführerin in die revolutionäre Handlung aktiv eingebunden. Ein Blick in die Aufführungsgeschichte der Jungfrau von Orleans zeigt ebenfalls den Wechsel von einer monumentalen zu einer 78
Anmut als Heldentum Eugene Delacroix: Die Freiheit führt das Volk an, 1830
Abb. 7 Anmutsästhetik weiblichen Heldentums. Schiller wollte die Jungfrau von Orleans explizit nicht dem Rollenfach der Heroine33, einer monumentalen Form der Weiblichkeitsinszenierung, zuordnen. In einem Brief an Iffland wünschte er sich, die zarte, mädchenhafte Schauspielerin Friederike Unzelmann in der Rolle der Johanna zu sehen. Die kleine Gestalt der Unzelmann sei kein Hindernis, weil Johanna »nicht durch körperliche Stärke, sondern durch übernatürliche Mittel im Kampf überwindet. Sie könnte also, was dies betrifft, ein Kind seyn, wie der Oberon und doch ein furchtbares Wesen bleiben.«34 33 Rudloff-Hille, Gertrud: Schiller auf der deutschen Bühne seiner Zeit. Berlin/Weimar 1969, S. 143. 34 Schiller, Friedrich: Brief an Iffland vom 2. September 1801. In: Schiller NA, Bd. 31 (1985), Schillers Briefe 1.1.1801-31.12.1802, 64. Brief. Auch prominente Zeitgenossen Schillers interpretierten die Jungfrau von Orleans als eine mädchenhaft-anmutige Gestalt und setzten sich für die Besetzung der Rolle mit Ulrike Unzelmann anstelle von Henriette Meyer-Hendel-Schütz ein. So schrieb Gentz in einem kritischen Bericht an Schiller, er habe »Nie an Mad. Meyer geglaubt. Ich w u s t e, daß sie die Johanna nicht war«. Gentz, zitiert nach: Luserke-Jaqui, Matthias (Hrsg.) unter Mitarbeit von Grit Dommes: Schiller Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar 2005, S. 183. August Wilhelm Schlegel fragte am 5. Mai 1801 bei Schiller an, ob er sich nicht für die Besetzung mit der Ulrike Unzelmann einsetzen wolle. Diese sei zwar klein an Wuchs, dies sei jedoch kein Hindernis, da man die »Kleinheit ihrer Figur […] bei der Kühnheit und Energie der Bewegungen, die sie bey ihrem zarten Bau in gewaltsamen Situationen zeigt« vergesse. Zitiert nach: Luserke-Jaqui: Schiller, S. 183.
79
Gewalt und Anmut Ferdinand Jagemann: Amalie Wolff-Malkolmi als Jungfrau von Orleans (Uraufführung in Weimar), 1803
Abb. 8 Iffland entschied sich jedoch gegen Schillers Willen für die Heroinen-Darstellerin Henriette Meyer-Hendel-Schütz. Über die pompöse Aufführung in Berlin ärgerte sich Schiller sehr. Er kritisierte vor allem den übertriebenen Aufwand zur Inszenierung des Krönungszuges, der seiner Meinung nach das Stück überfrachtete. »Sie erdrücken ja mein Stück mit dem prächtigen Einzug«35, soll Schiller zu Iffland gesagt haben. Mit Blick auf die Bild- und Bewegungssprache der Französischen Revolution ist interessant, dass Schiller hier die »männlich« codierte Bewegungsästhetik des Marsches36 zugunsten einer »weiblich« codierten Anmutsästhetik in den Hintergrund treten sehen wollte. Erst in der Weimarer Inszenierung, an der Schiller selber als Regisseur mitgearbeitet hat, wurde die Figur der anmutigen Kriegerin perfekt in Szene gesetzt. Die Rolle übernahm hier Amalie Mal35 Schmidt, Heinrich: Erinnerungen eines weimarischen Veteranen aus dem geselligen, literarischen und Theaterleben. Leipzig 1856, S. 202 ff. Zitiert nach Rudloff-Hille: Schiller, S. 147. 36 Die Festinszenierungen der Revolution übernahmen die traditionellen monarchistischen und klerikalen Inszenierungsweisen, »Militärische Aufmärsche, Corpus Christi-Aufzüge der entmachteten katholischen Kirche, Trionfi der feudalistischen Ära«, zur Performation bürgerlicher Männlichkeit. Das Gleichmaß der Paraden sollte die Herrschaft der Vernunft sowie die Eingliederung in das bürgerliche Kollektiv versinnbildlichen. Vogel: Furie, S. 57 ff.
80
Anmut als Heldentum Wilhelm Jury: Henriette Meyer-Hendel-Schütz als Jungfrau von Orleans. (Uraufführung in Berlin) 1802
J. F. Schröter und K. Oelzner: Friederike Wilhelmine Hartwig als Jungfrau von Orleans. (Uraufführung in Leipzig) 1804
Abb. 9
Abb. 10
kolmi. Einer Zeichnung, die Ferdinand Jagemann von dieser Johanna anfertigte (Abb. 8), »ist zu entnehmen, daß Schiller versucht hat, in Weimar die mädchenhafte Gestalt zu verwirklichen, die er sich von der Unzelmann erhofft hatte«37. Das Bild zeigt eine mädchenhafte Gestalt mit fließenden Locken, die, an einen Hirtenstab gelehnt, verträumt in die Ferne schaut. Aber auch die Zeichnungen zu den ersten Aufführungen der Jungfrau von Orleans in Berlin, in welcher die viel kritisierte »Heroine« Henriette Meyer-Hendel-Schütz die Jungfrau gegeben hat, zeigen eine graziöse Figur. Der Künstler Wilhelm Jury scheint hier, entgegen der Besetzung, die Idee einer anmutigen Kriegerin aufzunehmen. Seine Zeichnungen präsentieren die Jungfrau von Orleans als zierliche Gestalt, die auch in der kämpferischen Bewegung zart und mädchenhaft wirkt. (Abb. 9) Ebenso zeigt eine Abbildung der Friederike Wilhelmine Hartwig als Jungfrau von Orleans eine bewaffnete Frauengestalt im typischen Rüstungsmieder, die mit ihrem anmutig beschwingten Gang eher an eine Tänzerin als an eine erbarmungslose Kriegerin erinnert. (Abb. 10). Durch die anmutige Körperinszenierung werden die Kriegerinnen von der überzeichnet virilen Körperästhetik des männlichen Helden abgegrenzt, der seit der Renaissance in der Kategorie des Erha37 Rudloff-Hille: Schiller, S. 151.
81
Gewalt und Anmut Johann Heinrich Füssli: David und Goliath, um 1780
Abb. 11 benen inszeniert wird. In der Darstellung des Männlich-Heroischen orientierten sich die Künstler der Renaissance und des Barock an griechischen und römischen Skulpturen: »Monumentale Einzelgestalten kraftvoller Natur, mit heroischer Nacktheit, athletischem Körperbau und auftrumpfender Gestik, ausgestattet mit Pferd und Waffen.«38 Auch das 18. Jahrhundert ist geprägt von der monumentalen Körperästhetik des erhabenen Helden. Überzeichnete Muskulösität und monumentale Posen oder aber heftige, pathetische Bewegungen prägten das Bild einer Überkörperlichkeit des männlichen Heros. Die Bilder Johann Heinrich Füsslis und William Blakes galten als exemplarisch für die Inszenierung eines als erhaben wahrnehmbaren männlichen Körpers.39 Siehe Abb. 11.
38 Mai, Ekkehard: »Verklärung. Zur Ikonographie des Heldenbildes.« In: Michel, Karl Markus und Tilman Spengler (Hrsg.): Heroisierungen. Kursbuch 108. 1992, S. 90. Siehe hierzu auch Brunotte: Eros, S. 22 und S. 64 ff. 39 Zum »Erhabenen« bei Füssli siehe: Frommert, Christian: Heros und Apokalypse. Zum Erhabenen in Werken Heinrich Füsslis und William Blakes. Aachen 1996. Besonders die Bilder Füsslis zeigen eine so ins Abstrakte gesteigerte Männlichkeit, dass sie als Vorlage für die muskulösen Supermänner amerikanischer Comicstrips im 20. Jahrhundert gelten. Siehe hierzu: Hofmann, Werner: »Zu kunsthistorischen Problemen des Comic Strips.« In: Vom Geist der Superhelden. Comic Strips. Colloquium zur Theorie der Bildergeschichte in der Akademie der Künste Berlin. Zusammenstellung und Redaktion: Hans Dieter Zimmermann. Berlin 1970, S. 47-61.
82
Anmut als Heldentum Augustin Dupré: Le peuple souverain, 18 Jhd.
Abb. 12 Auch in der Ikonografie der Französischen Revolution wurde den grazilen weiblichen Freiheitsallegorien eine Herkulesdarstellung gegenübergestellt, die sich am Ideal des erhabenen Heros orientierte. Je mehr die Frauen aus dem Revolutionsgeschehen verdrängt wurden, je mehr sich die neue Ordnung als exklusiv männliche Ordnung zu etablieren versuchte, desto häufiger wurde die weibliche Ikone der »Liberté« in den bildlichen Darstellungen durch monumentale männliche Figuren ersetzt oder diesen in den Bilddarstellungen mindestens untergeordnet.40 1793, dem Jahr, in dem die revolutionären Frauenclubs verboten wurden und eine öffentliche Agitation der Frau unmöglich wurde, verschwand auch die Liberté als bewaffnete allegorische Frauendarstellung aus der Ikonografie der Revolution und wurde durch Herkules-Darstellungen abgelöst.41 Das Bild »Le peuple souverain« (Abb. 12) von Augustin Dupré etwa 40 Siehe hierzu: Wagner, Monika: »Freiheitswunsch und Frauenbild. Veränderung der ›Liberté‹ zwischen 1789 und 1830.« In: Stephan, Inge und Sigrid Weigel (Hrsg.): Die Marseillaise der Weiber. Frauen, die Französische Revolution und ihre Rezeption. Hamburg 1989, S. 18 ff. sowie Hunt, Lynn: Symbole der Macht – Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur. Frankfurt a. M. 1989, S. 130 f. 41 Siehe hierzu: Wagner: Freiheitswunsch, S. 15. Lynn Hunt wertet diese Ablösung im entscheidenden Revolutionsjahr 1793 bei gleichzeitigem Verbot der Frauenclubs als repressive Reaktion gegen die zunehmende politische Aktivität der Frauen. Vgl. Hunt: Symbole, S. 130 f.
83
Gewalt und Anmut zeigt Herkules als Repräsentationsfigur des starken dritten Standes, der sich in der Revolution behaupten konnte. Der Held steht in Siegerpose auf einer Weltkugel. In der Hand wiederum hält er eine Kugel mit zwei kleinen weiblichen Allegorien der Freiheit und Gleichheit. Die Darstellung ordnet also die weiblich stilisierte Freiheit dem männlichen Kämpfer als Belohnung zu, so wie die Liebe der begehrten Frau in den klassischen Heldenmythen dem Helden als Lohn für die siegreichen Kämpfe zufällt. »Die physische Stärke dieser männlichen Volksverkörperung ist Bedingung für die Existenz von Freiheit und Gleichheit.«42 Die nationale Idee wird hier also wieder durch eine schwere männliche Physiognomie und eine statuarische Ästhetik repräsentiert. Die Körperinszenierung weiblicher und männlicher Helden wird sowohl in der Ikonografie der Französischen Revolution als auch in der deutschsprachigen Literatur um 1800 deutlich voneinander abgegrenzt und fügt sich in die von Rousseau postulierte Dichotomie von weiblicher Anmut und männlicher Kraft.43 Ich möchte im Folgenden der Frage nachgehen, welche Funktion die Gegenüberstellung eines erhaben-männlichen und anmutig-weiblichen Heldentums im ästhetischen und politischen Diskurs um 1800 einnimmt.
II. »Vom Subjekte selbst hervorgebracht« – Anmut als Subjektkonzeption Mit dem Begriff der Anmut wird dem weiblichen Geschlechtscharakter um 1800 eine Form alternativer Subjektivität zugeordnet. Anmut, ursprünglich ein stilistisches Merkmal der bildenden Kunst sowie der Rhetorik und als Bewegungsschönheit ein Kriterium höfischer Umgangsformen und des Tanzes44, wird zu einem idealen weiblichen Körper-Seele-Verhältnis stilisiert, demzufolge sich Unschuld und Sanftmut der Frau unmittelbar in der schönen Bewegung ausdrücken. Aus den anmutigen Bewegungen der Frau lässt sich auf ihre Sittlichkeit, ihre »schöne Seele«45 zurückschließen. Vor allem Schiller wird die »schöne Seele« als Konzept intuitiver Sittlichkeit in seine ästhetische Theorie aufnehmen und ausdifferenzieren, aber auch in den Werken anderer Autoren, etwa bei Wieland und Goethe, er-
42 Wagner: Freiheitswunsch, S. 19. 43 Rousseau: Emil, S. 386. 44 Zur Entwicklung des Anmutsbegriffs siehe vor allem die ausführlichen Studien von Knab: Anmut. 45 Vgl. Kapitel C Anmerkung 5.
84
Anmut als Heldentum scheint sie als weiblich codiertes Subjektkonzept, in welchem ein moralisch gutes Handeln ohne eine verstandesmäßige Einsicht in die Sittlichkeit möglich ist. Ähnlich wie Schiller konzipiert Goethe die »schöne Seele« als unmittelbare Übereinkunft von Sinnlichkeit und Moral, als sittlichen Trieb.46 In Wilhelm Meisters Lehrjahre lässt Goethe eine Pietistin die Definition der schönen Seele aussprechen: »Ich erinnere mich kaum eines Gebotes; nichts erscheint mir in Gestalt eines Gesetzes; es ist ein Trieb, der mich leitet und mich immer recht führet [...].«47 Während sich das männliche Subjekt in der auf Descartes folgenden Subjektphilosophie der Aufklärung und des deutschen Idealismus durch die innere Zerrissenheit in sinnliche und geistige Natur auszeichnet und aus dieser beständigen Spaltung sein Selbstbewusstsein und seine Identität bezieht48, ist in der anmutigen Frau die Versöhnung von Vernunft und Sinnlichkeit gedacht.
46 Siehe hierzu Früchtl: »Auch mit der pietistisch geformten schönen Seele huldigt Goethe einer perfektionsästhetischen Ethik. ›Schön‹ nennt er einen Charakter, dem das Unrechte gegen sein innerstes Wesen, seine vollkommen verinnerlichten moralischen Prinzipien geht und daher eine untrügliche Sicherheit im Annehmen des Guten und Verwerfen des Schlechten zeigt.« Früchtl, Josef: Ästhetische Erfahrung und moralisches Urteil. Eine Rehabilitierung. Frankfurt a. M. 1996, S. 313. 47 Goethe, Johann Wolfgang von: »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. In: Ders.: Goethes Werke. Abt. 1, Bd. 22. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar/Böhlau 1899. Weimarer Ausgabe. Fotomechanischer Nachdruck. München 1987, S. 359. 48 Die Subjektphilosophie von Descartes über Kant bis hin zu Fichte und Schelling basiert bekanntermaßen auf der Idee des Selbstbewusstseins. Das Subjekt kann sich im rationalen Reflexionsprozess zu sich selbst in Bezug setzen. Es folgt daraus eine Trennung in Sinnlichkeit und Vernunft, die von Kant zum wesentlichen Moment von Subjektivität aufgewertet wird, da sich das Subjekt in der Fähigkeit, seine sinnliche Natur zu beherrschen, als frei erweist. In seiner Moralphilosophie erkennt Kant nur eine Handlung als moralisch an, die vom Individuum gegen die sinnliche Natur zugunsten eines rationalen Prinzips ausgeführt wird. In seiner vorkritischen Schrift Beobachtungen über das Gefühl des Erhabenen geht Kant ebenfalls von einer intuitiven Sittlichkeit der Frau aus, die er als »s c h ö n e T u g e n d « bezeichnet. Kant, Immanuel: »Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen.« In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Bd. I. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1960, S. 854, A 55. Diese Form der Sittlichkeit ist jedoch der vernünftigen Sittlichkeit des Mannes untergeordnet. Silvia Bovenschen arbeitet heraus, dass Kant die Frau mit dem Theorem des »schönen Charakters« aus den historischen Prozessen ausschließt. Denn die intuitive Sittlichkeit der Frau sei »statisch« und damit geschichtslos, während die des Mannes »prozessual gedacht« sei und sich in der Historie entfaltet.
85
Gewalt und Anmut Eine paradoxe Konstruktion: Als Schönheit der Bewegung bezeichnet »Anmut« ein im weitesten Sinne handelndes Subjekt, aber keines, das sich seiner Handlungen voll und mithilfe seines Verstandes bewusst ist. Es ist also Subjekt und Nichtsubjekt, aktiv und passiv zugleich. »Anmut« ist ein Subjektkonzept, insofern es ein Verhältnis zwischen Moral und Sinnlichkeit innerhalb des Individuums und eine Möglichkeit des Selbstausdrucks bezeichnet. Sie ist aber im kantischen Sinne nicht Subjekt, da sich der Ausdruck ohne Selbstbewusstsein vollzieht.49 Die »schöne Seele«, die intuitiv das vernunftgemäß Richtige will, drückt sich in der Bewegung unmittelbar aus, ohne dass ein Reflexionsprozess zwischen Handlungsimpuls und Handlung liegt. Trotzdem ist die Anmut anders als das Schöne keine Eigenschaft des Körpers50, sondern wird »von dem Subjekte selbst hervorgebracht«51. Auch das anmutige Subjekt konstituiert sich, so wie das in sich gespaltene Subjekt bei Kant, durch Selbstbeherrschung. Die Anmutskonzeption treibt die Idee einer durch Disziplinarität er-
Bovenschen: Weiblichkeit, S. 231. Zum Verhältnis von Subjektivität und Selbstbewusstsein siehe u. a. Frank, Manfred: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität. Stuttgart 1991 und Zima, Peter V.: Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne. 2. Durchgesehene Auflage. Tübingen 2007 (UTB 2176.), S. 94 ff. 49 Gemeint sind hier die kritischen Schriften Kants. Siehe Kapitel A I Anmerkung 7. 50 Bei Schiller wird die Anmut zu einer alternativen Form der Subjektivität ausdifferenziert und dem Erhabenen bzw. der Würde gegenübergestellt. Aber schon bei Rousseau, wie auch in den pädagogischen Schriften seiner Zeit, galt Anmut nicht als körperliche Schönheit, sondern als ästhetische und ethische Leistung des weiblichen Subjekts. Zur Anmut in den pädagogischen Schriften um 1800 siehe Hopfner, Johanna: Mädchenerziehung und weibliche Bildung um 1800. Im Spiegel der populär-pädagogischen Schriften der Zeit. Bad Heilbrunn/Obb. 1990, S. 169 f. So stellt etwa Ernst Brandes besondere Ansprüche an die Bewegung und Haltung der Mädchen und argumentiert hier ähnlich wie Schiller, dass der Tanz die Grazie fördere, aber erst der Ausdruck des Sittlichen in den Bewegungen die wahre Grazie ausmache: »Die höchste Grazie in den Bewegungen des Körpers wird zwar der Tanzmeister nicht schaffen […] aber von ihm […] wird die größte Anzahl der Mädchen es lernen, wie sie den Körper am besten zu tragen haben, wie sie beym Niedersitzen, bey Verbeugungen, und vorzüglich in der Art sich zu präsentiren, gefällige Bewegungen des Köpers annehmen, und besonders unangenehme vermeiden müssen.« Brandes, Ernst: Betrachtungen über das weibliche Geschlecht und dessen Ausbildung in dem geselligen Leben. Bd. 2. Hannover 1802, S. 229 f. 51 Schiller: AuW, S. 255.
86
Anmut als Heldentum zeugten Subjektivität52 sogar noch auf die Spitze: Die Herrschaft des Geistes über den Körper ist so groß, dass die Bewegung schon wieder als natürlich erscheint; sie ist in der Lage, den Schein von natürlicher Freiheit zu erzeugen.53 Diese Wendung wird Schiller in seiner Konzeption herausstreichen, da sie sein Konzept der Schönheit als »Freiheit in der Erscheinung« (KB 199) verwirklicht. Aber auch im Alltagsdiskurs wird Anmut als Ausdruck eines kulturell verfeinerten weiblichen Charakters gedacht.54 Körpererziehung im Mädchenturnen und im Ballett und modische Entwicklungen wie der Stil »à la grecque« tragen dazu bei, eine anmutige Körperästhetik im Alltag zu kultivieren. In Rousseaus Theorie der Erziehung der Frau, die um den Begriff der Anmut zentriert ist, zeichnet sich die Paradoxie von naturhafter Zwanglosigkeit und Disziplin ab. So heißt es zum einen: »Alles was die Natur hemmt und behindert zeugt von schlechtem Geschmack. Das gilt sowohl für den Putz des Körpers wie für den Geschmack des Geistes. [...] Es gibt keine Anmut ohne Ungezwungenheit.«55 Scheinbar im Widerspruch hierzu steht folgende Textstelle aus Rousseaus Emil: »Mädchen müssen umsichtig und fleißig sein. Das ist aber nicht alles: sie müssen beizeiten an den Zwang gewöhnt werden. Dieses Unglück (wenn es für sie ein Unglück ist) gehört untrennbar zu ihrem Geschlecht. Gelingt es ihnen, sich
52 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. 1977, S. 173 ff. 53 Vgl. Früchtl: Subjektivität, S. 12. 54 Der Pädagoge François Fénelon entwirft 1687 in L’éducation des Filles ein Modell zur Mädchenerziehung, das sich am Konzept der inneren und äußeren Grazie orientiert. Siehe hierzu Knab: Anmut, S. 72. Und als sich im 19. Jahrhundert das Mädchenturnen etabliert, wird es als Förderung der Anmut deklariert: »Im frühen 19. Jahrhundert wird auch das Turnen für Mädchen zugelassen, solange es der Förderung der Anmut dient. Erste Ansätze zur Einführung des Mädchenturnens in den Schulen sind von einem Bewegungsprogramm begleitet, das ›Anmut‹, ›Schönheit‹ und ›Grazie‹ einüben soll. Dies wiederum entspricht dem biedermeierlichen Ideal der zierlichen Frau. Sie soll – frei vom Zwang zur körperlichen Arbeit im Freien – mit ›Unbeweglichkeit‹ und weißer Haut als Statussymbolen den gutbürgerlichen Stand repräsentieren.« Pachnicke: Einleitung, S. 5. »Anmut« ist also eine Form der Körperdisziplinierung, durch die eine als genuin weiblich gedachte Subjektivität und Identität erst konstituiert wird. Anmut lässt sich somit unter die »Körpertechniken«, fassen, wie sie Norbert Elias, Pierre Bourdieu, Michel Foucault und Marcel Mauss analysiert haben. Zur Entwicklung des Begriffs der »Körpertechniken« siehe Assmann, Aleida: Einführung in die Kulturwissenschaften. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. Berlin 2006, S. 109 ff. 55 Rousseau: Emil, S. 397.
87
Gewalt und Anmut davon zu befreien, so verfallen sie noch weitaus größeren. Ihr ganzes Leben lang sind sie dem beständigsten und grausamsten Zwang unterworfen, nämlich der Schicklichkeit. Sie müssen also zuerst an den Zwang gewöhnt werden, damit es ihnen später keine Mühe mehr macht, ihre Launen zu beherrschen und sie dem Willen eines anderen unterzuordnen.«56
Die Disziplinierung der Frau zur Anmut vollzieht sich über den Körper, nicht über eine geistige Erziehung, die als der Grazie abträglich gilt. Für Rousseau ist »Anmut« eine Form der weiblichen Körperdisziplinierung, die er als Pendant zur Ausbildung männlicher Körperkraft versteht. Auch wenn er Anmut und Kraft nicht ausschließlich Mann oder Frau zuordnet, sind diese Begriffe doch geschlechtlich codiert: »Da der Leib sozusagen vor der Seele geboren wird, muß die Körperpflege auch zuerst kommen: diese Ordnung ist beiden Geschlechtern gemeinsam, aber das Ziel ist verschieden. Bei dem einen müssen die Kräfte entwickelt werden, bei dem anderen die Anmut. Nicht, daß diese Eigenschaften ausschließlich einem der Geschlechter zukommen, nur die Größenordnung ist umgekehrt: die Frauen brauchen so viel Kraft, daß sie alles mit Anmut tun können; die Männer brauchen so viel Geschicklichkeit, daß sie alles mit Leichtigkeit tun können.«57
Die Idee der Überlagerung von Natürlichkeit und Erziehung sowie der Gedanke, dass Grazie im Gegensatz zur Schönheit ein Verdienst des Subjekts sei, finden sich auch bei Winckelmann: Die Grazie sei zwar »ein Geschenk des Himmels, aber nicht wie die Schönheit: denn er ertheilet nur die Ankündigung und Fähigkeit derselben.«58 Grazie bilde sich vielmehr durch »Erziehung und Ueberlegung und kann zur Natur werden, welche dazu geschaffen ist«59. Sie ist also in der Natur angelegt, wird dann durch subjektives Eingreifen entwickelt, um über den Umweg der Kultur einen Zustand vollendeter zweiter Natur zu erreichen.60 Indem Anmut im Gegensatz zur Schönheit die Subjektivität eines handelnden Individuums bezeichnet, welches sich durch seine exzeptionelle Sittlichkeit von der Masse abhebt, erfüllt sie die grundlegenden Anforderungen einer Heroismuskonzeption: die Darstellung eines exzeptionellen Individuums, das exemplarisch mit seinem Handeln für die Werte seiner Gemeinschaft einsteht.61 56 57 58 59 60 61
Rousseau: Emil, S. 399. Rousseau: Emil, S. 395. Winckelmann: Grazie, S. 157. Winckelmann: Grazie, S. 157. Vgl. hierzu: Goebel: Charisma, S. 23. Zur »schönen Seele« als Form weiblichen Heroismus vgl. auch Jahraus: Heldinnen, S. 208-230.
88
Anmut als Heldentum
III. Die Wiederkehr heroischer Totalität in bürgerlichen Zeiten Trotz des disziplinarischen Charakters, den die Denker des späten 18. Jahrhunderts der Anmut einschreiben, wird sie vom Ordnungscharakter der bürgerlichen Disziplinargesellschaft62 abgegrenzt. Die Anmutskonzeptionen sind als Reaktion auf den Totalitätsverlust des bürgerlichen Individuums zu verstehen.63 In der Theoriebildung des späten 18. Jahrhunderts ist die anmutige Frau als Gegenpol zur wirtschaftlichen Zweckrationalität und Arbeitsteiligkeit der frühindustriellen Gesellschaft gedacht.64 Während der männliche Körper sich um 1800 zunehmend den Bedingungen der Arbeitswelt unterwerfen muss65, wird mit dem anmutigen Körper ein von äußeren Zwängen freier Körper inszeniert, der nur den sittlichen Impulsen der schönen Seele unterworfen ist. In ihrer Grazie verkörpert die Frau die Überwindung des Gegensatzes von Natur und Kultur, von naturhaftem Wollen und kultureller Pflicht, zwischen denen das männliche Individuum zerrissen ist. Die Anmutsdarstellungen der Zeit grenzen die Bewegungen der Frauen gezielt von effizienten Bewegungsabläufen des Arbeitsalltags ab. »Die Entwicklung einer spezifisch weiblichen Körpersprache im vorrückenden ›Maschinenzeitalter‹ diente nicht zuletzt als Garant für ein ›Reich der Freiheit‹, das durch die Erfordernisse der bürgerlichen, der männlichen Arbeitswelt bedroht war.«66
62 Foucault: Überwachen, S. 173 ff. 63 Siehe hierzu: Spickernagel: Anmut, S. 305-319. Vgl. auch Pachnicke: Einleitung, S. 3-8. 64 Zur Kontrastierung von Weiblichkeit und frühkapitalistischer Arbeitswelt siehe Schlaffer: Held, S. 64 ff. Schlaffer stellt allerdings nicht explizit den Bezug zum Anmutsbegriff her. 65 Zur Unterwerfung des männlichen Körpers unter ökonomische Zwänge siehe Foucault: Überwachen, S. 173 f. und Alber, Wolfgang: »Der Körper-Kult und die Fremd-Körper. Zur Geschichte idealisierter Leiblichkeit.« In: Pachnicke, Claudine (Hrsg.): Kunstkörper – Körperkunst. Texte und Bilder zur Geschichte der Beweglichkeit. Stuttgart 1989, S. 15. 66 Spickernagel: Anmut, S. 308. Siehe auch: Pachnicke: »Bei allem – auch vielfach nur oberflächlichem – Wandel, zeigen die gesellschaftlich gültigen Körperbilder doch über lange Zeiträume hinweg Kontinuitäten. So galt für die Frau über Jahrhunderte hinweg ›Zierlichkeit‹, für den Mann dagegen ›Stärke‹ und für die arbeitende Bevölkerung ›Gesundheit‹ im Sinne von ›Robustheit‹ als Richtwert für die ›Schönheit‹. ›Anmutige‹, ›kraftvolle‹ und ›ungezierte‹ Bewegungen entsprachen diesen jeweiligen Körperbildern, die ihre ›Tauglichkeit‹ in der gesellschaftlichen Praxis zu repräsentieren hatten: Der ›zierliche‹ Körper sollte repräsentieren – vor allem die Abwesenheit von
89
Gewalt und Anmut Sophie, die Heldin aus Rousseaus Roman Emil ist ein Beispiel für die ostentative Unproduktivität der Anmut. Rousseau betont, dass Sophie keinen übertriebenen Ehrgeiz in die inhaltliche Ausbildung ihrer Talente investierte, sondern anstelle dessen gelernt habe, ihre Handlungen mit Anmut und Leichtigkeit zu vollziehen67: »Sophie hat natürliche Talente. Sie ist sich ihrer bewußt und hat sie nicht vernachlässigt. Da sie aber nicht in der Lage war, viel Kunst auf ihre Pflege zu verwenden, hat sie sich damit begnügt, richtig und geschmackvoll zu singen, leicht, schwebend und anmutig zu gehen und in jeder Lage zwanglos und ohne Ungeschicklichkeit die Reverenz zu machen. [...] Es gibt keine Nadelarbeit, die sie nicht machen könnte und die sie nicht mit Vergnügen macht. Die Arbeit aber, die sie allen anderen vorzieht, ist das Klöppeln von Spitzen, weil es keine andere gibt, die man in anmutigerer Haltung machen und bei der man die Finger mit mehr Grazie und Leichtigkeit üben könnte.«68
Auch Novalis schreibt im Heinrich von Ofterdingen das Bild der zweckfreien Anmut als Gegenbild zum männlich-zweckrationalen Handeln fort. Nach dem »Erwerbfleiß« verbringen die Bürger des idealisierten Staates Schwaben den Abend mit den Künsten und Grazien. »Das Gemüt sehnt sich nach Erholung und Abwechslung«.69
Arbeit –, der ›starke‹ Körper sollte kämpfen und der ›gesunde‹ Körper sollte arbeiten oder gebären können.« Pachnicke: Einleitung, S. 3. 67 Der Gegensatz zwischen ökonomischer Zweckrationalität und Anmut lässt sich auch aus Herders Rede Über die Grazie in der Schule herauslesen. Herder fordert hier, dass die Schulpädagogik nicht mit Härte und Disziplin, sondern mit Grazie arbeiten solle, sodass die Schüler nicht aus Zwang, sondern aus Begeisterung für den wissenschaftlichen Stoff lernen. Den Verlust der Grazie in der Schule sieht Herder u. a. als Folge der Rationalisierung des Schulalltags: »der offenbare Handwerkston, auf den man die Lehrer ansieht«, unterdrücke »mit der Zeit den feinen Reiz, der in der Schule locket und auf einem freiern Schauplatz glänzt. Wenn der feinste Geist 40 Jahre im sibirischen Exilio lebt, wird er auch eine Ostiake; wenn man ihn offenbar auf den Fuß eines Lohndieners nimmt, verliert er allen Mut, mit der Annehmlichkeit eines Virtuosen zu arbeiten […] er wird ein Handwerksmonarch in seiner Klasse und ein pöbelhafter Ökonom in seinem Hause […].« Herder, Johann Gottfried: »Von der Grazie in der Schule.« In: Anno und Georg Hermanowski: Johann Gottfried Herders Schulreform. Bonn 1986, S. 15 f. Grazie ist für Herder nicht geschlechtsspezifisch, er schreibt aber den Kontrast zwischen Arbeitswelt und versöhntem Subjekt fort, wie es für die Inszenierung der anmutigen Frau typisch ist. 68 Rousseau: Emil, S. 430. Zu dieser Textstelle siehe auch Spickernagel: Anmut, S. 311. 69 Novalis: »Heinrich von Ofterdingen.« In: Novalis Werke. Hrsg. von Gerhard Schulz. München o. J., S. 142.
90
Anmut als Heldentum Die abendlichen Gesellschaften, in denen man sich der Kunst widmet, werden zu einem idealen menschlichen Zusammenleben im Zeichen der Anmut stilisiert: »Nirgends hört man so anmutige Sänger, findet so herrliche Maler, und nirgends sieht man auf den Tanzsälen leichtere Bewegungen und lieblichere Gestalten.«70 Die Anmut des weiblichen Geschlechts prägt die Leichtigkeit des Geschehens, verhindert aber zugleich ein Abgleiten in ausschweifende Vergnügungen: Das andere Geschlecht »[...] darf die Gesellschaften schmücken, und ohne Furcht vor Nachrede mit holdseligem Bezeigen einen lebhaften Wetteifer, seine Aufmerksamkeit zu fesseln, erregen. Die rauhe Ernsthaftigkeit und die wilde Ausgelassenheit der Männer macht einer milden Lebendigkeit und sanfter bescheidner Freude Platz und die Liebe wird in tausendfachen Gestalten der leitende Geist der glücklichen Gesellschaften. Weit entfernt, daß Ausschweifungen und unziemende Grundsätze dadurch sollten herbeigelockt werden, scheint es, als flöhen die bösen Geister die Nähe der Anmut [...].«71
Die Männer, von den Mühen des Arbeitsalltags erschöpft und ihrem Geschlechtscharakter entsprechend entweder dem erhabenen, aber spröden Sieg der Vernunft (»rauhe Ernsthaftigkeit«) oder der Übermacht des Sinnlichen (wilde Ausgelassenheit) zugeneigt, finden in der anmutigen Weiblichkeit ein Korrektiv. Gefälligkeit und Sittlichkeit der Frauen stimmen in der Anmut überein: Sie dürfen auf diese Weise »ohne Furcht vor Nachrede« gefallen. Die Anmut löst keine sexuelle Begierde (»Ausschweifungen«) aus, sondern eine sanfte Freude. Anmut soll die Versöhnung von Künstlichkeit und Natürlichkeit zeigen; sie ist Ausdruck eines Individuums, das sich den Gesetzen der Sittlichkeit, der kulturellen Überformung seiner Natur freiwillig fügt, in der Gesetz und Neigung im Einklang stehen. Die anmutige Frau soll das lebende Beispiel der Versöhnung von Kultur und Natur sein. Sie ist damit schönster Ausdruck einer Kultur, die über Vernunftordnung und Disziplinarität eine Veredelung der Menschheit herbeiführen möchte und sich mit dem inneren Zerwürfnis von Pflicht und Neigung auseinandersetzen muss. Die Kehrseite dieses Modells ist jedoch, dass die Frau ihre Anmut nur außerhalb der öffentlichen Arbeitswelt gewinnen kann. Innere Versöhnung scheint nur denkbar, wenn die Frau aus den zermürbenden ökonomischen Prozessen ferngehalten wird, die das Individuum zwangsläufig in die Zerrissenheit führen müssen. Die Position der anmutigen Frau ist also privilegiert und unterprivilegiert
70 Novalis: Ofterdingen, S. 142. 71 Novalis: Ofterdingen, S. 142.
91
Gewalt und Anmut zugleich: dem Kampf um die Existenz enthoben, aber auch ohne die Selbstbestimmungsrechte des öffentlich agierenden Mannes. Auf diese Weise jedoch hat die Frau eine Position außerhalb der öffentlichen Sphäre der Gesellschaft inne, die ihr die Totalität des Handelns ermöglicht, um welche der Bürger den Helden beneidet. Der anmutigen Frau kommt eine im traditionellen Sinne »heroische« Rolle zu. Sie ist Repräsentantin der höchsten Ideale einer Gemeinschaft, nimmt dieser gegenüber aber eine Außenseiterposition ein.72 Sie gerät als Einzelne in den Blick, während sich der Mann dem Kollektiv unterordnet. Und sie ist im Gegensatz zum erhabenen männlichen Helden in ihren Handlungen und nicht in ihren innerpsychischen Prozessen von Interesse; dies ist die erstaunliche Wendung, durch welche der Anmutsdiskurs das passive Weiblichkeitsbild um 1800 konterkariert. Während im Erhabenen gerade die Zerrissenheit des Subjekts zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit heroisiert wird, kann mit der Anmut die Totalität der Heroenzeit für die bürgerliche Kultur wiederhergestellt werden.
IV. Anmut als Gewaltästhetik 1) »MIT GESCHLOSSENEN AUGEN IN DEN ABGRUND STÜRZEN« – ANMUT ALS LEGITIMATION WEIBLICHER GEWALT Die Figur einer anmutigen Kriegerin scheint zunächst ein Paradox darzustellen – sollen sich doch Güte und Sittlichkeit der Frau in der anmutigen Bewegung ausdrücken. Doch das Paradox hebt sich auf, wenn es sich um eine Gewalt handelt, die – den Kriterien der Kriegstheorien der Neuzeit entsprechend – als sittlich gute gedacht wird. Die Gewalt des Helden ist durch die Zugehörigkeit zur richtigen »Sache« und durch ihre gemeinschaftsorientierte Motivation legitimiert. So rechtfertigen auch die Kriegerinnen-Darstellungen in der Literatur um 1800 die Missionen der Heldinnen durch die unbedingte Notwendigkeit der Gewalt.73 Johanna kämpft in einer ausweglos er-
72 Für Hegel müssen Helden mit ihrem Handeln für eine Ordnung einstehen, die ihre eigene heroische Existenz zugleich negiert. Sie sind auf diese Weise zugleich Repräsentanten der Ordnung und Außenseiter. Siehe hierzu Früchtl: Heldengeschichte, S. 77. Zur Außenseiterposition des Helden siehe auch Kollmann: Empfindsamkeit, S. 18 ff. und Immer: Held, S. 63. 73 Kreuzer und Kollmann betonen, dass die Kriegerinnen nur in absoluten Ausnahmesituationen auftreten, dann, wenn alle anderen Verteidigungsstrategien versagt haben, bzw. wenn die Männer ihrer kriegerischen Rolle
92
Anmut als Heldentum scheinenden Situation, in der die männlichen Krieger bereits jeden Mut verloren haben. Penthesileas kriegerischer Frauenstaat ist aus dem Widerstand gegen eine Besatzungsmacht entstanden, welche die Männer der Amazonen getötet und die Frauen zwangsverheiratet hatte. Wanda kämpft im Gegensatz zum männlichen Helden Rüdiger nur um die Erhaltung des Friedens, ihre Gewalt ist also durch eine Notwehrsituation gerechtfertigt. Elisabeth tritt in einem Volkskrieg gegen die zahlenmäßig und technisch überlegenen Truppen der Jakobiner an. Umgekehrt beweist die Unschuld der jungfräulichen Heldinnen wiederum die unbedingte Notwendigkeit der Gewalt – wenn eine »zarte Jungfrau«74 zur Waffe greift, kann es nur für die richtige Sache sein. In allen vier Texten steht die Kriegerin für ein unterdrücktes Volk, das sich gegen eine Fremdherrschaft zur Wehr setzen muss. In dieser moralischen Ausnahmesituation ist ihre Gewalt gerechtfertigt, und so können sie auch als Kriegerinnen anmutig handeln. Dass die Gewalt durch den Plot oder durch dessen Prämissen gerechtfertigt ist, ist zwar Voraussetzung. Sie kann aber im Falle einer anmutigen Gewaltinszenierung in den Hintergrund treten und muss nicht thematisch werden – eine Entsprechung zur Reflexionslosigkeit der Heldin. Denn als anmutige stellt sich die Gewalt schon unmittelbar aus sich selbst heraus als sittlich gut dar: Da sich die Sittlichkeit der anmutigen Person unmittelbar in der Bewegung äußert, ist die sittliche Legitimation allein dadurch garantiert, dass die Bewegung anmutig erscheint. Darüber hinaus kann ein solches unbewusstes Handeln auch die Gewalttätigkeit einer Frau rechtfertigen, die sonst als deutliche Abweichung von ihrem Geschlecht als unschön, schockierend, grässlich erscheinen müsste. In seiner Kritik an Schillers Jungfrau von Orleans umreißt Hebbel diejenige Darstellungsform, in der weibliche Gewalt seines Erachtens heroisch erscheinen kann: »Johanna durfte unter keinen Umständen sich selbst reflektieren, sie mußte, wie eine Nachtwandlerin, mit geschlossenen Augen in den Abgrund stürzen, der sich zuletzt unter ihr öffnet. Die Naivetät, die den inneren Bruch gar nicht zuläßt und die das französische Mädchen, [...] bis in die Flammen hineinbegleitete, war unerläßlich [...].«75 nicht mehr nachkommen. Kreuzer: Jungfrau, S. 284, und Kollmann: Empfindsamkeit, S. 86 ff. 74 Schiller: Jungfrau, Vs. 3081. 75 Hebbel in der Kritik des Briefwechsels zwischen Schiller und Körner, der 1847 erschien. Zitiert nach: Freese, Wolfgang und Ulrich Karthaus (Hrsg.): Friedrich Schiller. Die Jungfrau von Orleans. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1984, S. 91.
93
Gewalt und Anmut Hebbel erklärt an dieser Stelle Reflexionslosigkeit zur Voraussetzung für weibliche Gewalt. Er bezeichnet diesen Zustand als naiv und übersieht dabei, dass Schiller mit der »Anmut« ein Konzept entwickelt hat, demzufolge weibliches Handeln im Gegensatz zum »Naiven« reflexionslos und sittlich zugleich sein kann.76 Ich werde in den Textanalysen zeigen, dass das kriegerische Handeln der Heldinnen ganz im Sinne der Anmutskonzeption als unbewusstes, unmittelbar aus der sittlichen Empfindung resultierendes Handeln ausgewiesen wird. Eine anmutige Kriegerin kann zudem die Anforderung einer vollen emotionalen Identifikation des Kriegers mit seiner Sache erfüllen, welche in den Kriegstheorien des frühen 19. Jahrhunderts gestellt wurde. Damals konzipierten von Clausewitz und Gneisenau in Reaktion auf die Volksaufstände der Französischen Revolution und die Kampftaktiken Napoleons, die Idee eines Volks- bzw. Partisanenkrieges.77 In diesem sollte nicht mehr ein stehendes Heer von Söldnern kämpfen, sondern eine Armee von Freiwilligen aus der gesamten Bevölkerung. Einen militärischen Vorteil versprach man sich von der vollkommenen Identifikation des Volkes mit den Kriegszielen, die bei bezahlten Soldaten nicht vorausgesetzt werden konnte. Die kriegerische Heldin um 1800 tritt im Kontext dieser Theoriebildung in Erscheinung, wie Wolf Kittler für die kleistschen Heldinnen78 herausgearbeitet hat. Die Verschränkung des Weiblichen mit dem Partisanenkrieg hat mehrere Bedeutungsebenen: Zum einen repräsentiert die kämpfende Frau den Schwachen, der einen übermächtigen Gegner besiegen kann. Sie visualisiert zudem par excellence den Einsatz des ganzen Volkes im Partisanenkrieg. Und, so werde ich in den Dramenanalysen zeigen, sie erfüllt als anmutige Kämpferin die Ansprüche einer emotionalen Kriegsführung. Die Anmut garantiert eine unmittelbare Identifikation mit der Sache, jenseits aller zweckrationalen Überlegungen.
76 Ich werde in meiner Interpretation zeigen, dass Schillers Johanna die Forderung eines reflexionslosen kriegerischen Handelns erfüllt und ihr anmutiges Kriegertum tatsächlich durch einen einsetzenden Reflexionsprozess verliert. Siehe Kapitel D I 4. 77 Siehe hierzu: Madlener: Erwürgen, S. 37 ff. und Kittler, Wolf: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Befreiungskriege. Freiburg i. Br. 1987, S. 218 ff. 78 Für Kittler stehen Tusnelda, die Protagonistin aus Kleists Hermannschlacht, und Penthesilea exemplarisch für die Inszenierung weiblicher Gewalt im Dienste eines Partisanenkrieges. Ihr Kampfverhalten ist ungeordnet und grenzt sich von der »vernünftigen Gewalt« des traditionellen Krieges ab. Es zielt zudem auf die Vernichtung des Gegners. Kittler: Partisanen, S. 238.
94
Anmut als Heldentum Die Kategorie der Anmut ist darüber hinaus traditionell eine Form der Gewaltinszenierung. Die ornamentale Anmut, die sich parallel zur Anmut als Ausdrucksideal entwickelt, wird im ästhetischen Diskurs der Weimarer Klassik, insbesondere bei Goethe, zum Medium einer ins Schöne gemilderten Gewalt. In der europäischen Fechtkunst entwickelt sich unter der Kategorie der Grazie eine tänzerische Gewaltästhetik, die in ihren Bewegungsabläufen und Körperinszenierungen zunehmend weiblich codierte Züge trägt. Als Beispiel für die gewaltlegitimierende und -ästhetisierende Funktion weiblicher Anmut im Diskurs um 1800 lässt sich ein Vers des Graziendichters Johann Georg Jacobi anführen. In der Beschreibung eines greisen ehemaligen Soldaten, der am Arm seiner graziösen Tochter geht, die um Almosen bettelt, heißt es: »So würde, wenn aus dem Himmel verbannt, er auf der Erde wandern müsste, Zur artigen Begleiterinn, Die schönste, kleinste Charitinn/ Der Gott des Krieges sich erwählen,/ um ihn den Menschen zu empfehlen.«79 Ist es hier die Begleiterin, die dem personifizierten Krieg ein angenehmeres Antlitz verleihen soll, so ist es in den Inszenierungen der Kriegerinnen um 1800 die weibliche Anmut der kriegerischen Figuren selbst, die ihre Gewalt ästhetisieren und legitimieren soll. Ich werde im Folgenden die Spur eines anmutigen Heroismus in den Theorien Winckelmanns, Goethes, Schillers und Kleists sowie in der Entwicklung der europäischen Fechtkunst nachzeichnen und so den theoretischen Raum ausleuchten, in dem die anmutige Heldin um 1800 in Erscheinung tritt.
2) DIE »MORGENRÖTHE VON DER WOLLUST« – GRAZIE, GEWALT UND HELDENTUM BEI WINCKELMANN Für Winckelmann spielt Grazie eine entscheidende Rolle sowohl für die Darstellung des Heroischen als auch für die Ästhetisierung gewaltsamer Sujets. In seiner Geschichte der Kunst des Alterthums unterscheidet er drei Formen der Heroendarstellung in der griechischen Kunst. Die Heroen der »älteren Kunst« zeichnen sich durch starken Ausdruck und Bewegtheit aus. Den Künstlern fehlten noch die künstlerischen Mittel, um die Heroen maßvoll und harmonisch darzustellen. »[...] die Zeichnung war nachdrücklich aber hart; mäch-
79 Jacobi, Johann Georg: »Sommerreise« (1770). Zitiert nach: Pomezny, Franz: Grazie und Grazien in der deutschen Litteratur des 18. Jahrhunderts. Hamburg u. a. 1900, S. 221 f.
95
Gewalt und Anmut tig, aber ohne Grazie, und der starke Ausdruck verminderte die Schönheit.«80 Die Inszenierung eines erhabenen Helden findet Winckelmann in der frühen griechischen Kunst vor, die er als »hohen Stil«81 bezeichnet. Die Heldenfiguren dieser Zeit zeichnen sich durch ruhige und maßvolle Posen aus. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Darstellung menschlicher Größe. Winckelmann spricht den Figuren des »hohen Stils« Grazie zu, allerdings eine Form der Grazie, die nichts mit dem zeitgenössischen Anmutstopos gemeinsam hat. Die »hohe Grazie« besteht in der Selbstbeherrschung des Helden, in der Ruhe im Leiden und ist mit dem »Erhabenen« synonym.82 Allerdings meint das »Erhabene« hier nicht wie bei Kant einen Reflexionsmodus innerhalb des Rezipienten, durch den auch grauenhafte Darstellungen als lustvoll wahrnehmbar werden. Vielmehr trägt die erhabene Ruhe bzw. die hohe Grazie der Figuren dazu bei, diese unmittelbar als schön erscheinen zu lassen. »Durch dieselbe [die hohe Grazie, MvM] wagte sich der Meister der Niobe in das Reich unkörperlicher Ideen und erreichte das Geheimnis, die Todes-
80 Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Altertums. Vollständige Ausgabe. Hrsg. von Wilhelm Senff. Weimar 1964, S. 186. 81 Winckelmann: Geschichte, S. 188 ff. 82 Das Konzept der hohen Grazie ist nur schwer in den Anmutsdiskurs einzuordnen. Winckelmann grenzt die hohe Grazie explizit vom traditionellen Grazienbegriff ab. Sie sei »zu erhaben, um sich sehr sinnlich zu machen«. Eine Grazie aber, die nicht sinnlich erfahrbar ist, widerspricht sowohl der Anmut als Ausdrucksideal als auch der Anmut als ornamentale Schönheit. Die »hohe Grazie« meint bei Winckelmann den Ausdruck heroischer Selbstbeherrschung, also das, was im Diskurs des 18. Jahrhunderts unter das »Erhabene« gefasst wird. Winckelmann findet sie exemplarisch in der NiobeSkulptur vor. Dieser fehlen zwar die Elemente, die traditionell unter »Grazie« gefasst werden wie Leichtigkeit, Reiz, Gefälligkeit, Bewegungsschönheit. Ihre Grazie liegt in der Ruhe im Leiden, die ihr auch im größten Schmerz Schönheit verleiht. Winckelmanns Theorem der hohen Grazie ist dem Versuch geschuldet, sich von den Erhabenheitstheorien insbesondere des Barock abzusetzen. Denn Winckelmann forderte zwar die Selbstbeherrschung des Helden, kritisierte aber die prunkvolle und ornamentale Darstellungsweise des Barock. (Vgl. Meyer-Kalkus: Laokoon, S. 73 f.) Grazie und Erhabenes versucht Winckelmann daher nicht dualistisch, sondern im Begriff der hohen Grazie als Einheit zu denken. Siehe hierzu Hurstel, Sylvie: »Zur Entstehung des Problems des Erhabenen in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts. J.J. Winckelmann und G.E. Lessing.« In: Raulet, Gérard (Hrsg.): Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Paris 1995, S. 126 ff.
96
Anmut als Heldentum angst mit der höchsten Schönheit zu vereinigen.«83 Die hohe Grazie eignet sich also, um die Darstellung von Gewalt im Modus des Schönen zu vermitteln. Erhabenheit und Schönheit bilden hier keinen Dualismus, vielmehr ist das Erhabene eine spezifische Ausprägung und eine besonders achtenswerte Form des Schönen.84 Den Topos der Anmut als Bewegungsschönheit und als Schönheit der Wellenlinie greift Winckelmann in seinem Konzept der gefälligen Grazie auf. Diese war für den »hohen Stil« nicht notwendig, da die Figuren keine Leidenschaften zeigten, also bereits durch ihre innere Ruhe ästhetisch vermittelbar waren: »Wenn nun der Grundsatz des hohen Stils, wie es scheint, gewesen ist, das Gesicht und den Stand der Götter und Helden rein von Empfindlichkeit und entfernt von inneren Empörungen in einem Gleichgewichte des Gefühls und mit einer friedlichen immer gleichen Seele vorzustellen, so war eine gewisse Grazie nicht gesucht, auch nicht anzubringen.«85
Die Künstler der darauf folgenden Epoche, die Winckelmann als Epoche des »schönen Stils«86 bezeichnet und zur Blütezeit griechischer Kunst erklärt, ergänzten die »hohe Grazie« um eine zweite »gefälligere Grazie«. Diese sollte, so Winckelmann, »die hohe Schönheit mit einem sinnlichern Reiz [...] begleiten und die Großheit durch eine zuvorkommende Gefälligkeit gleichsam geselliger [...] machen.«87 Winckelmann findet diese Grazie in den Wellenlinien und Rundungen der Figuren vor, aber auch in einer maßvoll zur Schau gestellten inneren und äußeren Bewegung. Auch die gefällige Grazie ordnet Winckelmann dem Heroischen zu: »Man merke, daß die Rede von dem Hohen, oder Heroischen und Tragischen der Kunst, nicht von dem comischen Theile derselben ist.«88 Sie bietet einen alternativen Modus der Heldendarstellung, in der auch eine innere und äußere Bewegung gezeigt werden kann, ohne dass die Figuren ihre heroische Aura verlieren. Denn im Medium der Grazie zeigt sich das Individuelle, das Bewegte genau in dem Maße, in dem die heroische Ruhe nicht außer Kraft gesetzt ist:
83 Winckelmann: Geschichte, S. 194. 84 Vgl. hierzu: Hurstel: Erhaben, S. 115, und Ueding, Gert: »Winckelmanns Begriff des Schönen.« In: Raulet, Gérard (Hrsg.): Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Paris 1995, S. 58. 85 Winckelmann: Geschichte, S. 193. 86 Winckelmann: Geschichte, S. 191 ff. 87 Winckelmann: Geschichte, S. 195. 88 Winckelmann: Grazie, S. 158.
97
Gewalt und Anmut »Das Mannigfaltige und die mehrere Verschiedenheit des Ausdrucks tat der Harmonie und der Großheit in dem schönen Stile keinen Eintrag: die Seele äußerte sich nur wie unter einer stillen Fläche des Wassers und trat niemals mit Ungestüm hervor. In Vorstellung des Leidens bleibt die größte Pein verschlossen wie im Laokoon, und die Freude schwebt wie eine sanfte Luft, die kaum die Blätter rührt, auf dem Gesichte der Bacchante, auf Münzen der Insel Naxus.« (195)
Mit dieser Form der Darstellung werden auch gewaltsame Sujets wie »Laokoon« und sogar eine entfesselte Bacchante in einer schönen Kunst vermittelbar. Dass Grazie für Winckelmann ein Modus der Ästhetisierung von Gewalt ist, zeigt sich vor allem in seinem Aufsatz Über die Grazie in Wercken der Kunst. Hier betont er, dass »aller Menschen Thun und Handeln«89 durch Grazie angenehm werde. Eine moralische Abgrenzung hinsichtlich der Intention und Wirkung der Handlung nimmt er nicht vor. Es entsteht eine ethische Relativität der Anmut, die in Winckelmanns Abgrenzung der Grazie in der Kunst noch deutlicher wird: »Die Kenntniß und Beurtheilung der Grazie am Menschen und in der Nachahmung desselben, an Statuen und auf Gemählden, scheinet verschieden zu seyn, weil hier vielen dasjenige nicht anstößig ist, was ihnen im Leben mißfallen würde.«90
Während an der Bewegung des realen Menschen die Bedingungen der Grazie enger gesteckt zu sein scheinen, kann die Grazie in der Kunst auch Sujets vermitteln, die in der Realität »anstößig«91 sind oder »mißfallen«. Nicht nur die Frage nach einer sittlichen Motivation wird hier also aus dem Grazienbegriff ausgeklammert, sondern auch die Unterscheidung in »schön« und »hässlich« infrage gestellt. Im »Laokoon«, für Winckelmann das exemplarische Kunstwerk des schönen Stils, spielen beide Formen der Grazie zusammen, um das hochgradig gewaltsame Sujet im Schönen aufzuheben. Laokoon ist nicht wie die Helden des hohen Stils in vollkommener Ruhe dar-
89 Winckelmann: Grazie, S. 157. 90 Winckelmann: Grazie, S. 157. 91 Es ist davon auszugehen, dass sich »anstößig« auf das Erleiden oder Ausüben von Gewalt bezieht. »Anstößig« in der Menschendarstellung (und Grazie kommt für Winckelmann auch in der Kunst nur menschlichen Figuren zu) ist für Winckelmann innere oder äußere Gewalt, die sich in der Entgleisung der Gesichtszüge und Körperhaltung visualisiert. Vgl. Dönike: Pathos, S. 2 ff.
98
Anmut als Heldentum
gestellt. Sein Leiden und sein Schmerz offenbaren sich in der angespannten Muskulatur. Winckelmann spricht von einem »Schmertz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Cörpers entdecket, und den man gantz allein, ohne das Gesicht und andere Theile zu betrachten, an dem schmertzlich eingezogenen Unter-Leib beynahe selbst zu empfinden glaubet.«92
Die Figur befindet sich mitten im Kampf gegen die Schlangen, die ihn und seinen Sohn zu töten drohen. Innerer und äußerer Kampf zeigen sich in der Bewegtheit der Figur. Doch die Leidens- und Gewaltdarstellung – so Winckelmanns Argumentation – ist im Medium der Grazie harmonisiert. Dies wird möglich durch die hohe Grazie, die Selbstbeherrschung des Helden, die man in den gemäßigten Gesichtszügen und in dem Stand der Figur erkennen kann: »[...] dieser Schmertz [...] äußert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der gantzen Stellung.«93 Die gefällige Grazie äußert sich in den harmonisch wellenförmigen Linien, die sowohl den Umriss der Skulptur als auch die einzelnen Elemente der Darstellung prägen. Indem sich die Figur in ihrem Leiden mäßigen kann, also hohe Grazie besitzt, eröffnet sie den Raum für die gefällige Grazie. Durch die innere Mäßigung bricht keines der Gliedmaßen aus dem harmonischen und wellenförmigen Umriss aus, welcher das wesentliche äußere Merkmal der gefälligen Grazie und damit des »schönen Stils« ist. Weil keines der Gliedmaßen durch einen Impuls des Schmerzes in eine verrenkte Position gerät, sondern alle Glieder den Schmerz gleichermaßen durch angespannte Muskulatur oder aber die leichte Öffnung des Mundes anzeigen, entsteht im Gesamtbild der Eindruck von Harmonie: »Der Schmertz des Cörpers und die Grösse der Seele sind durch den gantzen Bau der Figur mit gleicher Stärcke ausgetheilet und gleichsam abgewogen.«94 In dieser Verschränkung von hoher und gefälliger Grazie erscheint Laokoon im Moment höchster Gewalteinwirkung und Gewaltausübung (denn auch Laokoon kämpft) heroisch. Mit Laokoon führt Winckelmann ein Beispiel des schönen Stils an, das deutlich aus dem Darstellungsmodus einer skulpturalen erhabenen Heldendarstellung ausbricht. In Winckelmanns Texten zeichnet sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem postulierten
92 Winckelmann: »Gedancken über die Nachahmung der griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst.« In: Ders.: Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe. Hrsg. von Walther Rehm. Berlin 1968, S. 43. 93 Winckelmann: Nachahmung, S. 43. 94 Winckelmann: Nachahmung, S. 43.
99
Gewalt und Anmut Ideal »edle Einfalt und [...] stille Größe«95 und den anmutigen Heldendarstellungen ab.96 Wie sehr die Grazie sich von einem monumentalen Heldentypus entfernt, ist vor allem daran ersichtlich, dass Winckelmann mehrfach die Bacchanten als Beispiele für die Darstellung von Grazie anführt. Die entfesselten Tänzerinnen, die dem Dionysos zu rauschhaften Festen folgen, gehören keineswegs zum traditionellen Repertoire der Anmutsdarstellungen. Winckelmann selbst betont, dass es sich bei den Bacchanten um ein gewaltsames Sujet handelt.97 Auch dieses wird aber im Medium der Grazie gefällig. Die Bacchantendarstellungen zeichnen sich in Winckelmanns Augen zum einen durch die Einheit von Form und Inhalt aus, die er als konstitutiv für die Graziendarstellung ansieht: »[...] ihre Bewegung hat den nothwendigen Grund des Wirkens in sich [...] die Stellung der Bacchanten auf geschnittenen Steinen ist der Absicht bei denselben gemäß, das ist, gewaltsam.«98 Wenn also die Bacchante in stärkerer Bewegung dargestellt ist, so kann sie insofern Grazie besitzen, als die Form der Darstellung exakt dem Inhalt Rechnung trägt. Auch die Kleidung, die sich bei Winckelmann in den anmutigen Bewegungsablauf integrieren soll, darf an der Bacchante eine stärkere Bewegtheit zeigen. »An Bacchanten und tanzenden Figuren wurde das Gewand zerstreuter und fliegender gearbeitet [...] aber der Wohlstand blieb beobachtet, und die Fähigkeit der Materie wurde nicht übertrieben.«99 Als zweites Argument für die Grazie der Bacchante führt Winckelmann wiederum die maßvolle Darstellungsweise an, in welcher der Künstler die Exzessivität der Figur auf ein Mi-
95 Winckelmann: Nachahmung, S. 43. 96 Vgl. hierzu Müller Farguell: Bei Winckelmann ist Bewegung Bewertungskriterium der Kunst. »Vom positiven Werthorizont des physischen wie psychischen Ruhezustandes hebt sich hier die Darstellung des Bewegten negativ ab, dies zumal dann, wenn die Bewegung als Merkmal der Leidenschaft gewaltsam erzwungen scheint. […] In Malerei und Bildhauerkunst sieht sich das Ideal der körperlichen Ruhe als äußeres Zeichen der stoischen Ataraxie von einem dramatischen Element durchschlagen, die ›Seele‹ als bewegte und bewegende Form wird dergestalt definiert, daß sie das Erlebnis des statischen Schönheitsideals latent bedroht.« Müller Farguell, Roger W.: TanzFiguren. Zur metaphorischen Konstitution von Bewegung in Texten. Schiller, Kleist, Heine, Nietzsche. München 1995, S. 29 f. 97 Winckelmann: Grazie, S. 158. 98 Winckelmann: Grazie, S. 158. 99 Winckelmann: Grazie, S. 169.
100
Anmut als Heldentum nimum reduziert: »[...] auf dem Gesichte einer Bacchante blicket gleichsam nur die Morgenröthe von der Wollust auf.«100 Bei dem Versuch, die Kluft zwischen dem Ideal der Ruhe und der Bewegtheit anmutiger Heldendarstellungen zu überbrücken, verwickelt sich Winckelmann jedoch in Widersprüche. So nimmt er nach der ausführlichen Schilderung anmutiger Bewegtheit der Heroen des schönen Stils die Möglichkeit einer anmutigen Heroendarstellung zurück, indem er schreibt: »Götter und Helden sind wie an heiligen Orten stehend, wo die Stille wohnet, und nicht als ein Spiel der Winde, oder im Fahnenschwenken vorgestellet; fliegende oder lüftige Gewänder suche man sonderlich auf geschnittenen Steinen, an einer Atlanta, wo die Person und die Materie es erforderte und erlaubete.«101
Hier zeichnet sich in frappierender Weise ex negativo das Bild der anmutigen Kriegerin ab, das Winckelmann über die Synthese von Heroismus und Anmut vorwegnimmt, aber aus seiner Heldenkonzeption zu bannen versucht. Das Schwenken der Fahne ist das ikonografische Bild, das mit der Johanna von Orléans assoziiert ist, ein Motiv, das Schiller in seinem Drama betont102, das Delacroix in seinem Gemälde »Die Freiheit führt das Volk an« (Abb. 7) aufgreift und welches auch Fouqué in ihrem Roman Das Heldenmädchen aus der Vendée zur Inszenierung einer kriegerischen Heldin nutzt.103 Auch die fließenden Gewänder sind sowohl in der Heroinnendarstellung der Französischen Revolution als auch in den deutschsprachigen Texten konstitutives Element der Körperdarstellung. Winckelmann selbst nimmt nicht explizit eine Gendercodierung seiner Anmuts- und Heroismustheorie vor. Sowohl für die hohe als auch für die gefällige Grazie führt er gleichermaßen männliche und weibliche Figuren an. Allerdings schimmert in seiner Theorie bereits die Unterscheidung zwischen anmutiger Weiblichkeit und erhabener Männlichkeit durch. So führt er zwar eine Skulptur der Pallas Athene als exemplarisch für den hohen Stil an, bemerkt aber einen Zug der Härte, welcher den ästhetischen Wert der Figur einschränkt: »Es hat dieser Kopf bei der hohen Schönheit, mit welcher er begabt ist, die angezeigten Kennzeichen dieses Stils, und es zeigt sich in demselben eine gewisse Härte, welche aber besser empfunden als beschrieben werden kann. Man
100 101 102 103
Winckelmann: Grazie, S. 159. Winckelmann: Grazie, S. 160. Schiller: Jungfrau, u. a. Vs. 964 und Vs. 1159 ff. Fouqué: Heldenmädchen, Bd. I, S. 130.
101
Gewalt und Anmut könnte in dem Gesichte eine gewisse Grazie zu sehen wünschen, die dasselbe durch mehr Rundungen und Lindigkeit erhalten würde [...].«104
An anderer Stelle grenzt Winckelmann explizit eine Darstellung erhabener Helden als muskulös, viril, von einem anmutigen Heldentum des schönen Stils ab, in dem die Figuren weiblich oder knabenhaft erscheinen sollen: »Michael Angelo ist vielleicht der einzige, von dem man sagen könnte, daß er das Alterthum erreichet; aber nur in starcken musculösen Figuren, in Cörpern aus der Helden-Zeit; nicht in zärtlich jugendlichen, nicht in weiblichen Figuren, welche unter seiner Hand zu Amazonen geworden sind.«105
Winckelmann gesteht Michelangelo zu, von den neueren Künstlern einer Nachahmung der Antike am nächsten zu kommen. Allerdings gelinge ihm nur die Nachahmung des hohen Stils. Diesen grenzt Winckelmann hier als Inszenierung eines starken und muskulösen Körpers vom schönen Stil ab, der zarte und weibliche Körper in Szene setzt. Die weiblichen Figuren habe Michelangelo ebenfalls im Modus des hohen Stils dargestellt, wodurch sie zu Mannsweibern (Amazonen) geworden seien. Da aber auch der schöne Stil explizit eine Form der Heroendarstellung ist, muss man der Textstelle entnehmen, dass weibliche Figuren im Modus der gefälligen Grazie heroisch erscheinen können, ohne dabei ihre weiblich-graziöse Physiognomie zu verlieren. In Winckelmanns Theorie etabliert sich »Anmut« als eine Heroendarstellung, die sich als bewegte von den skulpturalen Darstellungen des hohen Stils abgrenzt, sich aber noch nicht wie bei Schiller als Gegenpol ausweist. Sie ist dem Heroischen zugeordnet, scheint aber zugleich die Würde des (männlichen) Heroen zu unterlaufen. Explizit werden graziöse weibliche Figuren, tänzerische Bewegungen, luftige Gewänder mit in die heroische Inszenierung eingeschlossen, die der erhabenen Ästhetik des hohen Stils entgegenstehen. Winckelmann kann die Unterscheidung von hoher und gefälliger Grazie, von Anmut und Erhabenem nur schwer mit seiner monistischen Ästhetik vereinbaren. Das Auseinanderfallen von »Anmut« und »Würde« und, damit einhergehend, die Unterscheidung eines statuarisch-virilen und graziös-weiblichen Heldentums deuten sich an. Schiller wird an dieser Bruchstelle ansetzen und »Anmut« und »Würde« als unterschiedliche gendercodierte Heroismuskonzepte ausdifferenzieren.
104 Winckelmann: Geschichte, S. 190. 105 Winckelmann: Nachahmung, S. 39.
102
Anmut als Heldentum
3) »VERZIERT MIT MENSCHLICHEN LEICHNAMEN« – GOETHES KONZEPT DER ORNAMENTALEN ANMUT Auch Goethe ist der Meinung, dass gewaltsame Sujets im Medium des Schönen zu vermitteln seien. Er geht noch einen Schritt über Winckelmann hinaus und lässt auch verzerrte Gesichtszüge und den Ausdruck von Leidenschaft zu, den dieser aus der klassizistischen Kunst auszuschließen versuchte. »Die alten, wie ich anders wo zu beweisen gesucht habe, scheuten nicht so sehr das hässliche als das falsche, und verstunden auch die schröcklichsten Verzerrungen, in schönen Gesichtern, zur Schönheit zu machen.«106
An dieser Stelle kommt Goethes Konzept der Anmut ins Spiel: »Jedes Kunstwerk muß sich als ein solches anzeigen, und das kann es allein durch das, was wir sinnliche Schönheit oder Anmuth nennen. Die Alten, weit entfernt von dem modernen Wahne, daß ein Kunstwerk dem Scheine nach wieder ein Naturwerk werden müsse, bezeichneten ihre Kunstwerke als solche durch gewählte Ordnung der Theile, sie erleichterten dem Auge die Einsicht in die Verhältnisse durch Symmetrie, und so ward ein verwickeltes Werk faßlich.«107
Goethe macht also deutlich, dass durchaus nicht das Sujet über das Kunstwerk entscheide, dass aber Anmut wie ein Schleier über den Grausamkeiten liegen müsse, um die eigentliche »Wahrheit« des Kunstwerks hervorzubringen. Goethe führt hier einen Wahrheitsbegriff in die ästhetische Debatte ein, der nicht mit einer naturalistischen Forderung nach exakter Abbildung der Wirklichkeit verwechselt werden darf. Vielmehr muss die Kunst durch künstlerische Überformung der Wirklichkeit Wahrheit erst hervorbringen. Um die Anmut der Niobe-Darstellungen auf einem antiken Sarkophag nachzuweisen, schreibt Goethe: »Das Anmuthige, das gewiß nicht unmittelbar mit dem Charakteristischen verbunden werden kann, fällt besonders bei diesem Sarkophagen in die Augen. Sind die todten Töchter und Söhne der Niobe nicht hier als Zierrathen geord-
106 Goethe, Johann Wolfgang von: »Ephemerides. 1770.« In: Ders.: Goethes Werke. Abt. I, Bd. 37. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar/Böhlau 1896. Weimarer Ausgabe. Fotomechanischer Nachdruck. München 1987, S. 90. 107 Goethe, Johann Wolfgang von: »Über Laokoon.« In: Ders.: Goethes Werke. Abt. I, Bd. 47. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar/Böhlau 1896. Weimarer Ausgabe. Fotomechanischer Nachdruck. München 1987, S. 104. Hervorhebung von mir.
103
Gewalt und Anmut net? Es ist die höchste Schwelgerei der Kunst! sie verziert nicht mehr mit Blumen und Früchten, sie verziert mit menschlichen Leichnamen [...]. Ja, der schöne Genius, der mit gesenkter Fackel bei dem Grabe steht, hat hier bei dem erfindenden, bei dem arbeitenden Künstler gestanden und ihm zu seiner irdischen Größe eine himmlische Anmuth zugehaucht.«108
Goethe versucht in der Beschreibung des Niobebildes also nicht nachzuweisen, wie die Leichenberge in der distanzierenden Dynamik des Erhabenen doch noch als lustvoll wahrgenommen werden können. Weder eine erhabene Dynamik im Bewusstsein des Betrachters noch in dem der Heldin sind notwendig, um die Gewalt der Darstellung zu rechtfertigen. Vielmehr sind die Leichenberge in der Betrachtung durch die Anmut so gemildert, dass sie unmittelbar als schön wahrgenommen werden können. »Das ›natürlich gewaltsame‹ des von den Göttern nachgerade verbrecherisch verübten Massakers transformiert sich unter Goethes Blick zu einer anmutigen Schönheitslinie [...]«.109 Goethe beschränkt Anmut hier allein auf das Konzept der Schlangenlinie, also auf eine formalisierte Grazie. Sie hat die Funktion, gewaltsame Sujets gefällig zu machen und so in die Ästhetik des Schönen zu integrieren. Während also Anmut als weibliches Ausdrucksideal ein Konzept anbietet, gewalttätiges Handeln als unmittelbar gutes Handeln auszuweisen, bietet Anmut als Darstellungsmodus der bildenden Kunst die Möglichkeit, gewaltsame Sujets optisch in die Sphäre des Schönen zu integrieren. In diesen zwei Dimensionen bietet Anmut die Möglichkeit einer sittlichen und ästhetischen Rechtfertigung von Gewalt.
4) DIE GRAZIE DES KAMPFES – ZUR ÄSTHETIK DER EUROPÄISCHEN FECHTKUNST a) Gewalt auf der Bühne Eine Verschränkung von Grazie, Gewalt und Heroismus findet sich vor allem in der europäischen Fechtkunst. Diese ist seit der Antike nicht nur militärische Kampftechnik, sondern auch Teil einer performativen Darstellung des Heros. Seit dem 16. Jahrhundert entwickelt sich das Fechten immer mehr zu einem ästhetisch-performa-
108 Goethe, Johann Wolfgang von: »Der Sammler und die Seinigen.« In: Ders.: Goethes Werke. Abt. I, Bd. 47. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar/Böhlau 1896. Weimarer Ausgabe. Fotomechanischer Nachdruck. München 1987, S. 163. 109 Dönike: Pathos, S. 227.
104
Anmut als Heldentum tiven Kampf, in dem Körper- und Bewegungseigenschaften wie Zierlichkeit, Leichtigkeit und Grazie das Kampfverhalten prägen. Auch um 1800 wurde die Fechtkunst zur Inszenierung des Heroischen auf der Bühne genutzt. Gewalt auf der Bühne galt in der Weimarer Klassik als besonders problematisch. Denn während die bildende Kunst, wie etwa in der Laokoonskulptur, Momentaufnahmen des kämpferischen Geschehens herausgreifen oder aber den Helden in monumentaler Siegespose darstellen konnte, musste Gewalt hier performativ in der Bühnenhandlung sichtbar werden, ohne dass der Held seine sittliche Vorbildfunktion verlor.110 Gleichzeitig gingen Schiller und Goethe davon aus, dass die Bühneninszenierung durch ihre unmittelbare Gegenwärtigkeit eine weit größere emotionale Wirkmacht111 besitze als andere Künste. Das Publikum musste also auch auf Gewaltdarstellungen besonders sensibel reagieren. Zu den gängigen inszenatorischen Strategien der Klassik gehörte es daher, den Tod hinter die Bühne zu verlegen. So verließ etwa in einer Inszenierung von Gottscheds Drama Der sterbende Cato der Held in der entscheidenden Szene die Bühne, um hinter dem Vorhang Suizid zu begehen. Ein Bote berichtete dem Publikum von der Tat – zuletzt wurde der sterbende Held noch einmal hinausgetragen, um »in einem rührenden Schlußtableau von seinen Kindern Abschied«112 zu nehmen. Auch die Darstellung von Blut auf der Bühne galt als Restbestand des vulgären Volkstheaters, das in der Ästhetik der Klassik keinen Platz hatte. Schiller etwa verzichtete in seinen Shakespeareinszenierungen auf deutliche körperliche Gewaltdarstellungen. In der Inszenierung des Macbeth ließ er am Schluss des Stückes keinen
110 So weist Helga Gallas darauf hin, dass der Zweikampf ursprünglich ein strukturelles Element des Epos, nicht des Dramas ist: »Der Zweikampf ist allerdings kein dramatisches, eher ein episches Prinzip. […] Wenn das eigene Bild in den Augen des Anderen höher gestellt wird als das eigene Leben, so haben wir die Struktur des Epos vor uns – das Epos als eine Kampfdichtung, in der ein Mensch seine Beschämung rächt, unter Einsatz seines Lebens.« Gallas, Helga: Kleist. Gesetz, Begehren, Sexualität. Zwischen symbolischer und imaginärer Identifizierung. Frankfurt a. M. 2005, S. 73. 111 Siehe etwa Schiller: »So gewiß sichtbare Darstellung mächtiger wirkt, als toder Buchstabe und kalte Erzählung, so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Geseze.« Schiller, Friedrich: »Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?« In: Schiller NA, Bd. 20, S. 93. 112 Meyer-Kalkus: Laokoon, S. 97.
105
Gewalt und Anmut nachgeahmten Kopf, sondern Rüstung und Krone des Erschlagenen auf die Bühne bringen. Während allgemein das Sterben auf der Bühne als gewaltsames Sujet aus der Inszenierung verbannt werden sollte, waren Fechtkämpfe in den Dramen der Klassik üblich. Der Fechtkampf garantiert nicht nur ein ästhetisch gemildertes und koordiniertes Bühnengeschehen113; er war auch traditionell mit dem heroischen Diskurs verschränkt. Der Tod durch die Waffe war als »heroischer Tod« allgemein anerkannt und garantierte die Würde der Darstellung des Helden. So soll der Schauspieler Reinecke bei seiner Darstellung des Fiesco darauf bestanden haben, den »würdelosen« Tod des Ertrinkens durch den Tod durch Erdolchen zu ersetzen.114 Ein heroischer Kampf ließ sich in den eleganten Bewegungen, dem dramatischen Spiel aus Finten, Angriff und Abwehr etc. hervorragend inszenieren. Die Blutrünstigkeit der Gewalt blieb in dem ästhetisierten Kampf weitgehend verborgen. Der Kampf hatte zudem den Vorteil, dass Sieg und Niederlage und selbst der Moment des Todes aus der Zeichensprache der Fechtkunst herauszulesen waren und so nicht durch Schreie des Sterbenden oder durch Kommentare der Umstehenden beglaubigt werden mussten: »Die Ungewissheit [über das Sterben des Helden, MvM] ist dann besonders stark, wenn das plötzliche Zusammenbrechen aus einer Erschütterung heraus erfolgt, deren Stärke eigentlich erst aus dieser Wirkung zu ermessen ist. Etwas
113 Mit dem Bühnenkampf entwickelt sich im Elisabethanischen Zeitalter, insbesondere an Shakespeares Theater, eine Adaption der Fechtkunst, welche auf ästhetische Momente und die Charakterisierung der Figuren durch ihr Kampfverhalten hin angelegt ist. »The theatre director, stage fight choreographer and actor-combatant are dedicated to creating a theatrical illusion. They are not attempting to replicate the dangerous system of self-defense taught with such deadly effect in the Elizabethan era, or in any other age.« Martinez, J. D.: The swords of Shakespeare. An illustrated Guide to Stage Combat Choreography in the Plays of Shakespeare. Jefferson/North Carolina/London 1996, S. 7 f. Auf der Bühne musste es um einen erlernten und wiederholbaren Bewegungsablauf gehen, der eine Geschichte mit den Mitteln der Fechtkunst (weiter-) erzählen sollte. Das Fechten dient hier also allein der Charakterisierung und Heroisierung der Figuren. Zur Entwicklung des Bühnenfechtens siehe auch: Turner, Craig und Tony Soper: Methods and Practice of Elizabethan Swordplay. With a Foreword by Joseph Papp. Carbondale 1990. 114 Siehe hierzu Petersen, Julius: Schiller und die Bühne. Ein Beitrag zur Litteratur- und Theatergeschichte der klassischen Zeit. Berlin 1904, S. 362.
106
Anmut als Heldentum andres ist es, wenn ein äusserer Kampf vorausgeht, in dessen Ausführung sich eher andeuten lässt, ob die Verletzung tötlich sein soll.«115
Der Fechtkampf unterscheidet sich deutlich von den Gewaltdarstellungen des Erhabenen. Dieses setzt eine dem Helden überlegene Gewalt voraus, die ihm nur noch die Möglichkeit lässt, im Ertragen des Schmerzes seine Würde zu behaupten. Das Grässliche, die Entstellung des Körpers, der Schmerz müssen bis zu einem bestimmten Grad sichtbar sein, um im Zuschauer die Erfahrung des Erhabenen auszulösen. Beim Fechtkampf handelt es sich hingegen um eine von Leichtigkeit, Eleganz und Präzision geprägte Bewegungskunst, die seit der Antike ästhetisch in der Kategorie der Grazie erfasst wird. b) Die Fechtkunst als heroische Performance Die Fechtkunst leistete von der Antike an zweierlei: zum einen die Ausbildung militärisch effizienter Kampftechniken, zum anderen aber auch die Ästhetisierung einer heroischen Kämpferfigur. Schaukämpfe und Turnierkämpfe, in denen die Krieger ihr Heldentum ästhetisch zur Schau stellten, prägten die Geschichte der Kampfkunst genauso wie die Vorbereitung auf den kriegerischen Ernstfall. In den Ritterkämpfen des Mittelalters, den Bühnenkämpfen des shakespeareschen Theaters entwickelte sich der Zweikampf zur heroischen Performance. Bereits in der Antike wurde die Fechtkunst nicht nur unter militärischen, sondern auch unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet. Wie im Tanz ging es um die Schönheit der Bewegung, die in der Kategorie der Grazie erfasst wurde. So entwickelte Cicero in De Oratore ein Konzept der Körpersprache, welche die gesprochene Rede effektvoll begleiten sollte. Kriterium für die Ästhetik der Bewegung war für Cicero die »Grazie«116, die er im Fechter beispielhaft verwirklicht sah: »Dann müssen wir unseren Redner schließlich in der Gestaltung des Ausdrucks und der Gedanken so ausbilden, daß er, so wie die Fechter oder die Ringkämpfer, glaubt, daß es für ihn nicht nur darauf ankommt, zu treffen oder zu parieren, sondern auch darauf, daß er sich elegant bewegt, gerade wie die, die mit Waffen umzugehen haben.«117
Gymnastik und Tanz gehörten genauso zur Ausbildung des griechischen Kämpfers wie das Erlernen militärischer Techniken. Es hieß, 115 Petersen: Bühne, S. 364. 116 Siehe hierzu: Knab: Anmut, S. 63. 117 Cicero: De Oratore. Über den Redner. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Harald Merklin. Stuttgart 1976, S. 573.
107
Gewalt und Anmut »die die Götter im Tanz am schönsten ehrten, seien die tapfersten im Krieg.«118 Im Kampf galt es nicht nur, tapfer zu sein, sondern auch schön: »Als der Perserkönig vor der Schlacht bei den Thermopylen einen Späher aussandte, um die Lage bei den Griechen zu erkunden, fand er einen Teil des spartanischen Kontingents vor der Mauer, die den Paß sperrte. Die einen trieben Gymnastik, während die andern ihr Haar kämmten. Denn wenn sie ihr Leben aufs Spiel setzen wollten, so heißt es, schmückten sie ihr Haupt.«119 Eine graziöse, tänzerische Fechtkunst lässt sich auch im Mittelalter nachweisen. So war der berühmte deutsche Fechtmeister Talhoff dafür bekannt, die Effizienz seiner Kampfbewegung aus einer anmutigen und harmonischen Bewegungsweise zu beziehen. André Schulze weist auf die Parallelentwicklung der talhoffschen Kampfkunst und dem Moriskentanz hin, der zur selben Zeit ein beliebtes Spektakel war. Schulze charakterisiert Talhoff als »Nurejew des Schwerttanzens, der über dem Boden zu schweben«120 schien. Im Mittelalter war der Fechtkampf in seinen ästhetischen wie kompetitiven Elementen Dreh- und Angelpunkt sowohl der ritterlichen Existenz als auch des Rechtswesens.121 Mit der Kunst des Zweikampfs grenzte sich eine ritterlich-heroische Kampfpraxis vom gemeinen Kriegshandwerk ab, das vor allem im Kampf innerhalb eines Heeres bestand.122 Die Ritter wurden schon als Kinder in der Fechtkunst trainiert. »Zur Zeit Karls des Großen werden Kinder beschrieben, die mit Holzwaffen in den Höfen adliger Häuser spielten. [...] Der Sohn eines Ritters wurde in die Obhut eines anderen Ritters, d. h. eines Verwandten oder Freundes oder sogar Monarchen gegeben [...].«123 Doch schon im Mittelalter verlor die Fechtkunst ihre Bedeutung für die Kriegsführung. Die performativen Elemente der Fechtkunst traten mit dem Turnierwesen in den Vordergrund. Hier präsentier-
118 Meier, Christian: Politik und Anmut. Eine wenig zeitgemäße Betrachtung. Stuttgart/Leipzig 2000, S. 27. 119 Meier: Politik, S. 28. 120 Schulze, André: Mittelalterliche Kampfesweisen. Das lange Schwert. Talhoffers Fechtbuch Anno Domini 1467. Mainz 2006, S. 27. 121 Rechtsstreitigkeiten wurden in richterlich angeordneten Zweikämpfen gelöst. Kläger und Beklagter traten im Fechtkampf gegeneinander an; der Sieger galt als durch Gottes Willen gelenkter Gewinner des Prozesses. Für die Kläger gab es nur die Möglichkeit, selbst in einem Zweikampf anzutreten oder aber einen Berufskämpfer anzuheuern, was als wenig ehrenhaft galt. Vgl. Schulze: Kampfesweisen, S. 12 ff. 122 Schulze: Kampfesweisen, S. 20. 123 Schulze: Kampfesweisen, S. 20.
108
Anmut als Heldentum ten die Ritter ihre Fähigkeiten im Schaukampf und gewannen auf diese Weise ihre heroische Aura. Die Fechtkunst dieser Turniere war zwischen einem rein performativen Kampf und dem ernsten Kampf angesiedelt: Es ging darum, den Gegner zu besiegen, sich dabei aber vor dem Publikum, nicht zuletzt vor den anwesenden Damen, möglichst elegant zu präsentieren. Die Turnierkämpfe wie auch das kriegerische Abenteuer, in welchem der Ritter bewusst die Gefahr suchte, stellen, mit Hegel gesprochen, einen ersten Bruch der substanziellen Einheit von heroischem Handeln und den Werten der Gemeinschaft dar.124 Es ging hier nicht mehr darum, die bedrohte Gemeinschaft zu schützen oder für ein Wertesystem einzustehen, sondern darum, seine eigene Kraft und Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen. Doch die Spiele waren durch die allgemeine Anerkennung aller so codiert, dass der Ritter auch in den Schaukämpfen seine heroische Ehre mehren konnte. Eine klare Grenzlinie zwischen Ernstfall und Turnierkampf wurde noch nicht gezogen. Die Turniere waren also im doppelten Sinne des Wortes »performativ«: einerseits, indem sie Heldentum darstellten, andererseits, indem sie Heldentum erst ästhetisch hervorbrachten. Allerdings grenzten die Ritter ihr Turnierwesen als ehrenvolle heroische Performance vom »Klopffechten«, einer vulgären Form des Turnierkampfes, ab, bei dem Angehörige der bürgerlichen Schicht ihren Lebensunterhalt verdienten. Bei diesen Schaukämpfen »schlug man sich entweder so lange, wie die Zuschauer Geld auf die Bühne warfen, oder – besonders in England – so lange bis das erste Blut floß. Bisweilen wurde auch ein Sieg daraus ermittelt, wer im Vergleich mit dem Gegner weniger Wunden empfangen hatte; doch spielte die Ermittlung des Sieges selbst keine zentrale Rolle.«125 Die Ökonomisierung ursprünglich heroischer Rituale und Bewegungsabläufe wurde diffamiert; im Turnierwesen sollte der Schein einer heroischen Totalität erhalten bleiben. Erst das kriegerische Handeln im Tausch gegen Geld schien den endgültigen Verlust heroischer Aura zu bedeuten126. 124 Hegel: Vorlesungen, Bd. II, S. 169 ff. 125 Eichberg, Henning: Leistung, Spannung, Geschwindigkeit. Sport und Tanz im gesellschaftlichen Wandel des 18./19. Jahrhunderts. Stuttgart 1978, S. 62. 126 Die Ästhetisierung und Ökonomisierung des Heroischen im Mittelalter, die auch Hegel als erstes Abweichen von der heroischen Totalität deutet, dient sowohl der Ästhetik als auch der Kriegstheorie um 1800 als argumentative Grundlage. So wird das mittelalterliche Phänomen des Klopffechtens um 1800 sowohl für Lessing als auch für von Clausewitz zu einer Allegorie für den Verlust von Totalität in der Entwicklung des Heroi-
109
Gewalt und Anmut In den höfischen Gesellschaften der Renaissance wurde Grazie zum Mittelpunkt der höfischen Verhaltenslehre. Die menschliche Bewegung wurde unter dem allumfassenden Bewertungskriterium der »Grazie« zum Ausdruck der aristokratisch-heroischen Existenz. Dies galt gleichermaßen für die Gestik und Mimik in der höfischen Konversation wie auch für die Tanz- und Kampfkunst, die unter den Hofleuten von hohem Stellenwert war. »Die Disziplinierungsmaßnahmen erlauben dem Hofmann keine Rückzugsmöglichkeit. Sprache, Körpersprache, Konversation, Dienst gegenüber dem Herrn werden detailliert erfasst. [...] Seele und Körper müssen harmonieren, aber nicht im Sinne einer modernen Authentizitätsvorstellung, sondern schen. Der Begriff des »Klopffechters« wurde zum Inbegriff einer falschen und manierierten Heroendarstellung, des Verlustes heroischer Totalität durch die Einführung merkantiler wie auch ästhetischer Elemente. Lessing führt den Stoizismus kulturgeschichtlich auf die künstlichen Todesszenen der antiken Gladiatorenspiele zurück, in denen die Fechter jede Regung zu unterdrücken hatten, um nicht an das Mitleid des Publikums zu appellieren. Er bezeichnet die Heroen der französischen Klassik als »Klopffechter im Kothurne «. Lessing, Gotthold Ephraim: »Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie«. In: Ders.: Werke. Bd. 6. Hrsg. von Herbert G. Göpfert. München 1974, S 38. In zweifacher Hinsicht übt Lessing hier Kritik an der Ästhetisierung des Kampfes: Zum einen weist er auf die Gefahr hin, dass der Ausdruck realen Leids zugunsten einer eleganten Inszenierung unterdrückt wird, zum anderen befürchtet er, dass der Kampf selbst leidenschaftslos geführt werden könne. »Klopffechten« bezeichnet hier also die merkantile Vereinnahmung des Heroischen. Der Kampf, in dem sich ursprünglich die Tapferkeit des Heros ausdrücken sollte, wird von angeheuerten Kämpfern geführt, die sich mit dem Ziel des Kampfes nicht identifizieren. »Klopffechten« meint aber auch die mangelnde Originalität der Bewegungen, die Orientierung an tradierten Kampfmustern. So schreibt von Clausewitz 1812 in seiner Bekenntnisdenkschrift: »Ehemals führte man den Krieg wie ein Paar Duellanten ihren kleinlichen Kampf. Man schlug sich mit Mäßigung und Rücksichtlichkeit nach hergebrachten Konvenienzen. Diese handwerksmäßige Klopffechterei wurde getrieben und eingestellt, je nachdem ein kleinliches Interesse den Fürsten bewog, die Maschine in Bewegung zu erhalten oder nicht.« Clausewitz, Carl von: »Bekenntnisdenkschrift« (1812). In: Ders.: Ausgewählte militärische Schriften. Hrsg. von Förster, Gerhard und Schmidt, Dorothea. Berlin 1981, S. 212 f. Zitiert nach Köppen: Beobachter, S. 31. Während Lessing hier auf den Heroenkampf verzichten will, um mit bürgerlichen Sujets eine Mitleidsästhetik zu etablieren, fordert von Clausewitz eine neue Form der Kriegsführung, in welcher wieder Originalität, Selbstausdruck, Authentizität einen Platz haben. Die ethische und ästhetische Regelhaftigkeit des Fechtkampfs dient hier als Abgrenzungsfigur für eine Heroisierung des Volkes, in welcher das Volk für seine nationale Identität im Kampf unmittelbar eintritt und sich nicht durch ein besoldetes Heer vertreten lässt.
110
Anmut als Heldentum dadurch, dass alle körperlichen und intellektuellen Handlungen ohne Ausnahme die Illusion von Anmut begleitet.«127 Tanzen und Fechten wurden als gleichberechtigte Formen der Körpererziehung gelehrt. Es gab »eigene Schulen, auf denen Kinder und Jugendliche lernen konnten, welche Bewegungsweisen von ihnen erwartet wurden. Auf diesen wurde ihnen Fechten und Tanzen – und somit die gesellschaftlichen Umgangsformen – beigebracht.«128 Der Tanztheoretiker Jehan Tabourot veröffentlichte 1596 das Konzept der »Orchésographie«, welches das Ziel hatte, Fechten und Tanzen gemeinsam als Formen der höfischen Verhaltenskunst zu lehren: »Ihr habt auch nebstbei die Fechtkunst, den Tanz und das Ballspiel zu erlernen, um hierdurch Verkehr mit Männern und Damen zu erlangen.«129 Um auch Damen an der Erziehung teilhaben zu lassen, schlug Tabourot vor, eine Art Schwerttanz zu entwickeln, in dem nur Bewegungen des Fechtens nachgeahmt werden, ohne dass der Gegner getroffen wird.130 Der Kampf hatte seine rohen, existenziellen Züge verloren und war ein sportliches Kräftemessen für Gentlemen geworden. »Die Körper- und Bewegungsideale werden mit ›manierlich‹, ›zierlich‹ oder ›galant‹ beschrieben, eine kunstvolle Stilisierung des Körpers und eine Verfeinerung der Bewegung sind das Ziel.«131 Der Fechtkampf als heroische Performance und reale militärische Ausbildung drifteten immer mehr auseinander. Während im Mittelalter der Schwertkampf noch militärische Praxis in kriegerischen Auseinandersetzungen war, bestimmten im 16. Jahrhundert mehr und mehr die Feuerwaffen das militärische Geschehen.132 Im Zuge dieser ästhetischen, sportlich orientierten Entwicklung der Kampfkunst wurden die Waffen leichter, die Bewegungsabläufe damit noch schneller und graziöser.133 Das Rapier wurde erfunden,
127 Knab: Anmut, S. 66 f. 128 Nitschke, August: »Gymnastik, Fechten und Tanz im 18. Jahrhundert. Die Ausbildung des Körpers auf den Schulen von August Hermann Francke.« In: Neumann, Josef N. (Hrsg.): Das Kind in Pietismus und Aufklärung. Tübingen 2000, S. 333. 129 Thoinot Arbeau (Jehan Tabourot): »Orchésographie, métode, et téorie en forme de discours et tablature pour apprendre à dancer, battre le tambour en toute sorte et diversité de batteries, jouer du fifre et arigot; tirer des armes et escrimer, avec autres honnestes exercices fort convenables à la jeunesse […].« Langres 1596. Zitiert nach Eichberg: Leistung, S. 71. 130 Vgl. Eichberg: Leistung, S. 70. 131 Pachnicke: Einleitung, S. 4. 132 Girard, Dale Anthony: Actors on Guard. A practical guide for the use of the rapier and dagger for stage and screen. New York 1997, S. 10. 133 Siehe: Turner/Soper: Swordplay, S. xxi.
111
Gewalt und Anmut Anonym: Belfin’s fencing school as a theatre, 1767
Abb. 13 eine Waffe, die weniger scharf als das Schwert und darauf angelegt war, Stichwunden zuzufügen und nicht mit der Längsfläche zu schneiden. Damit einher ging die Abkehr vom Kampf mit der Längsseite des Schwertes (Hiebfechten) hin zum Stoßen mit der Spitze der Waffe (Stoßfechten).134 Mit dem Kavaliersdegen und dem Florett kamen im 17. und 18. Jahrhundert noch leichtere Waffen hinzu. Das Stoßfechten mit leichten Waffen ermöglichte einen visuell spektakulären Kampf, bei dem es um Treffer und nicht um das Zufügen schwerer Verletzungen ging. Erst hier kam es zur Erfindung der »Parade«, dem Klingenkreuzen, das seither die Visualität der Fechtkunst entscheidend geprägt hat.135 (Siehe Abb. 13) Im Mittelalter war es verpönt, die Waffe zur Abwehr eines Hiebes zu gebrauchen. Es zeigte sich im Gegenteil derjenige als besonders stark und tapfer, der einem Hieb standhalten konnte.136 Als Schutz diente den Rittern nur eine schwere Rüstung und ein fester Stand, der ihnen half, den Hieben des Gegners standzuhalten. Ducken, Ausweichen und das Kreuzen der Klingen zur Abwehr des gegnerischen Schlages wurden erst mit der leichten Fechtkunst erfunden.137 Mit
134 Das klassische Schwert war hingegen so scharf, dass es ein Bein oder einen Arm vom Körper abtrennen konnte. Siehe Turner/Soper: Swordplay, S. xxii. 135 Eichberg: Leistung, S. 71. 136 Eichberg: Leistung, S. 62. 137 Als Mittel der Verteidigung galten ab dem 16. Jahrhundert in der italienischen Schule die Abwehr mit der behandschuhten Linken und dem Mantel sowie ausweichende Bewegungen. Vom Degenkreuzen, das später zum
112
Anmut als Heldentum Gottfried Taubert: Aufeinander zugehende Tänzer und rechte Handreichung im Menuett, 1717
Francisco Lorenz de Rada: Sigue el exerçiçio, 1705
Abb. 14
Abb. 15
ihr entwickelte sich nun ein ausgefeilter Apparat eleganter Ausweich- und Angriffsbewegungen. Stilelemente des Tanzes wurden in die Bewegungsabläufe aufgenommen, wie etwa der erhobene linke Arm oder die Menuettstellung der Füße.138 Umgekehrt beeinflusste der Kampf wiederum die Tanzkunst. »Die Tanzenden werden betrachtet wie die Soldaten einer Truppe, deren Bewegungen für den Marsch koordiniert und normiert werden müssen. [...] Militär und Fechtkunst liefern zunehmend die Vorbilder für Körperhaltung und Bewegung.«139 Fecht- und Tanzmeister der Renaissance begriffen Bewegungen gleichermaßen als mathematisch exakt analysierbare Abläufe. Sowohl in der Kampf- als auch in der Tanzkunst wurden geometrische Aufzeichnungssysteme entwickelt, welche die Bewegungsabläufe als mathematisch exakte Prozesse zu definieren suchten und Bewegung beliebig reproduzierbar machen sollten. Im Zuge dieser Schematisierungsversuche nähert sich die Kampfkunst dem Tanz noch weiter an, da es in beiden Künsten um die Suche nach einer einheitlichen idealen Bewegung ging. Inbegriff der kämpferischen Performance wird, ist erstmals in einem italienischen Fechtbuch von 1570 die Rede. Vgl. Eichberg: Leistung, S. 70. 138 Eichberg: Leistung, S. 72. 139 Stocks, Daniela: Die Disziplinierung von Musik und Tanz. Die Entwicklung von Musik und Tanz im Verhältnis zu Ordnungsprinzipien christlich-abendländischer Gesellschaft. Opladen 2000, S. 135.
113
Gewalt und Anmut Neben exakten, geometrisch ausgeklügelten Zeichnungen fechtender bzw. tanzender Körper wurden unter anderem die Linien der Bewegungen am Boden in schematisierten Zeichnungen festgehalten.140 (Siehe Abb. 14 und 15) Hieraus entwickelte sich für die Tanzkunst wie auch für den Kampf das Konzept der idealen performativen Linie, welche den idealen Bewegungsablauf schematisch abbildet und die im Ideal der Schlangenlinie so bedeutsam für die Ästhetik des 18. Jahrhunderts werden sollte.141 In der Epoche des Absolutismus waren die Grenzen von Kampf und Tanz fast eingeebnet. Beide wurden in Regelwerken kodifiziert und geordnet, beide setzten Leichtigkeit der Bewegung und eine entsprechende androgyne Physiognomie voraus, beide wurden sowohl unter militärisch-nützlichen als auch ästhetischen Kriterien wahrgenommen: So betonte die Académie Royale de la Danse, die Ludwig XIV. 1661 gründete, in ihrer Gründungsakte: »Wenn der Tanz stets als eine der höchsten und nützlichsten Arten von Körperschulung anerkannt worden ist, so darum, weil er dem Körper die grundlegenden und natürlichen Voraussetzungen für Bewegungen aller Art verleiht.« Dies gelte »besonders für die Praxis der Waffen, und dies folglich am vorteilhaftesten und nützlichsten für unsern Adel und alle anderen Leute, die die Ehre haben, sich uns zu nähern, nicht nur zu Kriegszeiten in unseren Armeen, sondern im Frieden in unseren Balletten.«142 Tanz und Kampf gehörten an den absolutistischen Höfen gleichermaßen zur Inszenierung heroischer Größe und Überlegenheit des Herrschers. Die Darstellung des Heroischen, der Größe und Macht männlicher Herrscher konnte in der höfischen Gesellschaft also problemlos im Zeichen der Grazie, des Tanzes und der tänzerischen Fechtkunst inszeniert werden. So soll etwa Ludwig XIII. in einem von Richelieu organisierten Ballett die Figur des Herkules getanzt haben, um die militärische Stärke Frankreichs zu demonstrie-
140 Zur geometrischen Berechnung der fechterischen Bewegung und zur Entwicklung schematisierter Aufzeichnungssysteme siehe vor allem Anglo, Sydney: The Martial Arts of Renaissance Europe. New Haven/London 2000, S. 40 ff. Anglo betont in diesem Zusammenhang auch die Parallelentwicklung von Tanz und Kampf. Anglo: Martial, S. 44 und 66. Zur Geometrisierung und schematischen Notation des Tanzes siehe vor allem Stocks: Disziplinierung. Vgl. auch zur Lippe, Rudolf: Naturbeherrschung am Menschen I. Körpererfahrung als Entfaltung von Sinnen und Beziehungen in der Ära des italienischen Kaufmannskapitals. Frankfurt a. M. 1974, S. 11 ff. 141 Vgl. Kapitel C I Anmerkung 7 und Kapitel C V II, S. 132. 142 Zitiert nach Liechtenhan, Rudolf: Vom Tanz zum Ballett. Eine illustrierte Geschichte des Tanzens von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart/ Zürich 1983, S. 38.
114
Anmut als Heldentum ren. Die tänzerische Bewegung stand hier noch nicht im Widerspruch zum virilen Heldentum143, welches in der Figur des Herkules par excellence verkörpert ist. Auch die männliche Würde des Herrschers wurde durch die tänzerische Bewegung nicht infrage gestellt. c) Kampf und Gender Für die bürgerliche Ästhetik befand sich die heroische Performance der Fechtkunst jedoch im Hinblick auf die Gender-Konstruktion in einem inneren Widerspruch. Zum einen war der Kampf als militärische Praxis männlich konnotiert: Es ging um Verteidigung, Töten, Schutz der Gemeinschaft, Elemente, die der weiblichen Rolle nicht zugeschrieben wurden. Auf der anderen Seite hatte sich aber der Fechtkampf unter der Leitkategorie der Grazie zu einer Choreografie von Bewegungen entwickelt, die im bürgerlichen Verständnis weiblich codiert waren. Mit der Abgrenzung des Bürgertums von der höfischen Gesellschaft geriet eine zierliche, grazile Körperinszenierung des Mannes in Misskredit. Der bürgerliche Mann suchte sich durch Schwere, Würde und Pathos von der Leichtigkeit und Leichtlebigkeit des Adels abzugrenzen. Der anmutige Mann wurde als »weibisch« diffamiert und aus den öffentlichen Inszenierungen verdrängt, eine Entwicklung, die sich insbesondere im bürgerlichen Ballett zeigte. Der männliche Tänzer geriet zunehmend in die Kritik. Der grazile Männerkörper, der für die Bewegungen des Balletts notwendig war, galt als »weibisch«, die eng anliegenden Kostüme der Tänzer als einer bürgerlichen männlichen Selbstinszenierung unangemessen.144
143 Es zeichnet sich allerdings ein Widerspruch zum neustoischen Ideal des erhabenen Helden ab, eine Widersprüchlichkeit, die für die Barock-Epoche prägend war. Denn bereits innerhalb der Epoche geriet der gefühlskalt und pompös inszenierte Held Corneilles in die Kritik. Ihm wurde das Ideal des »honnête homme«, und damit das Ideal höfischer Grazie gegenübergestellt. Der »honnête homme« sollte seine exzeptionelle Position durch »die Gesetze der Menschlichkeit, des Maßes, der seelischen Proportion, des inneren Gleichgewichts« unter Beweis stellen. Rehm: Barockheroismus, S. 35. In der Repräsentation monarchischer Größe überlagern sich also das Neustoisch-Erhabene und die Grazie im Tanz des Königs. Allerdings besteht in der Epoche kein geschlechtsspezifischer Widerspruch. Der tanzende König wurde auch von Kritikern des Grazienideals nicht als »weibisch« wahrgenommen. Die Kritik am höfischen Ideal der Grazie bestand vielmehr im Vorwurf der Manieriertheit und Künstlichkeit. Rehm: Barockheroismus, S. 45. 144 Neu: Achill, S. 30 ff. Vgl. auch Ruprecht, Lucia: Dances of the Self in Heinrich von Kleist, E.T.A. Hoffmann and Heinrich Heine. Adlershot 2006, S. 41 ff.
115
Gewalt und Anmut Man traute dem Tänzer aufgrund seiner Körperinszenierung nicht zu, würdevolle Personen wie Helden und Staatsmänner zu verkörpern. So schrieb etwa der Kritiker Jules Janin: »Daß eine schnurrbärtige Person, die eine Säule der Allgemeinheit darstellt, ein Wähler, ein Stadtratmitglied, einen Mann (sic.), dessen Tätigkeit darin besteht Gesetze zu erlassen und vor allem nicht zu erlassen, vor uns treten soll in einer Tunika aus blauem Satin, den Kopf bedeckt mit einem Hut, an dem eine Feder wippt, voller Verliebtheit zärtlich seine Wange berührt [...] dies war sicherlich unmöglich und wir haben gut daran getan, solche großartigen Künstler aus unseren Vergnügungen zu entfernen.«145
Die Grazie des Mannes war zu sehr mit dem Höfling assoziiert, als dass sie zur Inszenierung des bürgerlichen Mannes hätte geeignet sein können. Auf der anderen Seite galt aber auch eine allzu männliche, muskulöse und schwere Physiognomie als Störung des bürgerlichen Balletts. So schrieb ein weiterer Ballettkritiker des 19. Jahrhunderts, Théophile Gautier: »Nichts ist widerlicher als ein Mann, der seinen roten Nacken, seine muskulösen Arme, seine Beine mit den Waden eines Kirchendieners zeigt, und diese ganze wuchtige Gestalt geschüttelt durch Sprünge und Pirouetten.«146 Die Würde des Bürgers eignete sich nicht für eine von Bewegung geprägte Inszenierung. Er wirkte entweder lächerlich, weil seine Physiognomie den Bewegungen widersprach, oder weil sie weiblich codierten Bewegungen entsprach. »Der Tänzer, der ein überholtes Weltbild auf der Bühne repräsentieren mußte, geriet in eine fatale Zwickmühle: Er wurde entweder als zu männlich oder als zu unmännlich agierend kritisiert.«147 Die Frau wurde hingegen mit den Stilmitteln des Balletts zu einem graziösen Zauberwesen stilisiert. Der Tänzerinnenkörper diente der idealen Präsentation anmutiger Weiblichkeit: »Als Naturwesen verehrt, zur ätherischen Fee oder zum überirdischen Fabelwesen stilisiert, als geschlechtsloses Geschlecht körperlich androgyn modelliert, erschien die Ballerina auf der Bühne, eine ideale Trägerin bürgerlich-patriarchaler Imaginationen.«148 Mit dem Auseinanderbrechen der Bewegungs- und Körperästhetik in eine graziös-weibliche und eine monumental-männliche Kör-
145 Janin, Jules (1840). In: Guest, Ivor: The Romantic Ballet in Paris. London 1966, S. 21. Zitiert nach Neu: Achill, S. 32. 146 Gautier, Théophile (1838): The Romantic Ballet. London 1947, S. 24. Zitiert nach Neu: Achill, S. 32. 147 Neu: Achill, S. 34. 148 Neu: Achill, S. 30. Zitat von Klein, Gabriele: Frauen. Körper. Tanz. Eine Zivilisationsgeschichte des Tanzes. Berlin 1992, S. 218.
116
Anmut als Heldentum perinszenierung mussten auch die Bewegungsabläufe der Fechtkunst als Inszenierung von Virilität in Misskredit geraten. So zeichnete sich im 19. Jahrhundert ein ambivalentes Verhältnis zwischen männlicher Selbstinszenierung und Fechtkunst ab. Zwar blieb die Fechtkunst im Duellwesen weiterhin Element eines typisch männlich-patriarchalischen Rituals, man versuchte aber, durch neue Kampfregeln und schwerere Waffen der Verzierlichung der Fechtkunst entgegenzuwirken. So forderte etwa »Turnvater« Jahn eine Rückkehr vom graziösen Stoßfechten zum Fechten »nach deutscher Art auf Hieb und Stoß«149. Im Burschenschaftsfechten setzte sich eine Kampfpraxis durch, die Sieg und Niederlage allein daran festmachte, ob ein Kämpfer angesichts eines auf ihn ausgeführten Schlages nicht zuckte oder auswich. Die formalisierten und kunstvollen Bewegungsabläufe, die sich über Jahrhunderte entwickelt hatten, spielten keine Rolle mehr. Stattdessen wurde das Fechten als »Mutprobe« wieder für Rituale männlichen Kräftemessens nutzbar gemacht.150 Im Duellwesen wurde die Fechtkunst Mitte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr durch das Pistolenduell ersetzt.151 Dieses galt als ehrenhafter, da eine ernsthafte, möglicherweise sogar tödliche Verletzung in der Auseinandersetzung mit Feuerwaffen für wahrscheinlicher gehalten wurde.152 Männlicher Heroismus sollte sich hier nicht mehr durch Geschicklichkeit und elegante Bewegungen, sondern allein durch die Bereitschaft zum Selbstopfer unter Beweis stellen. Zum anderen wurde die Fechtkunst als Form der sportlichen Betätigung durch das Boxen abgelöst, das sich im Lauf des 19. Jahrhunderts zur populärsten Kampfsportart entwickelte.153 Der Boxkampf wies im Gegensatz zur Fechtkunst »männlich« codierte Bewegungsabläufe auf, setzte Körperkraft und Muskulosität in Szene und grenzte sich durch den direkten Körperkontakt von der »Verkünstlichung« der Fechtkunst ab. (Siehe Abb. 17) Stattdessen erschienen nun fechtende Frauen auf den Bühnen und in der Öffentlichkeit. Der Fechtkampf war nicht nur durch die Leichtigkeit der Waffen um 1800 für die zumeist sportlich wenig ausgebildeten Frauen leichter zu erlernen als in der Vergangenheit, er war zudem in seinen Bewegungsabläufen wesentlich geeigneter, einen weiblichen als einen männlichen Körper zu inszenieren. 149 Jahn, Friedrich Ludwig und Ernst Eiselen: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze. Berlin 1816, S. XIV. 150 Eichberg: Leistung, S. 74 f. 151 Frevert, Ute: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft. München 1991, S. 202. 152 Frevert: Duell, S. 203. 153 Eichberg: Leistung, S. 80 ff.
117
Gewalt und Anmut Josef Koppay: Fechtunterricht, um 1890
C. Becker: Boxer im Kampf, um 1890
Abb. 16
Abb. 17
Das Bild »Fechtunterricht« von Josef Koppay (Abb. 16) zeigt, wie die Inszenierung eines weiblichen Kampfkörpers unmittelbar an die graziöse Fechtkunst anknüpfen kann. Die beiden Fechterinnen haben den Arm in einer tänzerischen Bewegung erhoben, die Beine sind graziös in leichten Ausfallschritten gebogen. Die Bewegungen unterstreichen die Wellenlinienform der Körper. Typisch »feminine« Attribute werden durch die Kampfbewegungen eher herausgestellt als konterkariert. Der männliche Fechtmeister ist in seinen Bewegungsabläufen kaum von den Frauen zu unterscheiden; er steht in ballettartiger Pose zwischen den Kämpferinnen: Seine Arme sind leicht vom Körper abgespreizt, wie es in den Anmutsdarstellungen üblich ist, und wie es auch das Ballett zu einem graziösen Stilmittel erhob. Das Bild eines Fechtkampfs des Chevalier d’Eon154 aus dem 18. Jahrhundert (Abb. 18) verdeutlicht ebenfalls die Kompatibilität von 154 Der Chevalier d’Eon war eine illustre Gestalt des politischen Lebens im Europa des 18. Jahrhunderts. Zeit seines Lebens herrschte Unklarheit über die geschlechtliche Identität des Chevaliers. Er gab an, als Mädchen geboren, aber als Junge erzogen worden zu sein. Nach seinem/ihrem Tod wollen Ärzte die männliche Geschlechtsidentität d’Eons festgestellt haben. Der Chevalier arbeitete als französischer Spion und soll in dieser Funktion in weiblicher Identität als Kammerzofe in den Dienst der russischen Kaiserin getreten sein. Chevalier d’Eon galt als versierte/r Fech-
118
Anmut als Heldentum Anonym: The Chevalier d’Eon fighting a duel against the world champion, in front of HRH The Prince of Wales, 9. April 1787 (18. Jhd.)
Abb. 18 tänzerischer Fechtkunst und weiblicher Körperästhetik. Auch hier zeigen sich mit dem Ausfallschritt und dem ausgestreckten Arm Elemente der Tanzkunst. Die Darstellung der Kämpfenden scheint genau den Übergang von einer männlich zu einer weiblich codierten Fechtkunst zu verdeutlichen. Der Graf d’Eon wirkt mit den markanten Gesichtszügen fast noch zu »männlich«, um sich ganz in eine anmutige Frauendarstellung zu fügen; der gegen ihn antretende Mann entspricht hingegen mit der körperbetonten Kleidung und den zierlichen Bewegungsabläufen genau der Körperinszenierung, die im Bürgertum als »geckenhaft« und »weibisch« diffamiert wurde. d) Fechtende Frauen Die fechtende Frau ist einerseits ein Angriff auf das männliche Privileg militärischer Auseinandersetzung, andererseits fügt sie sich als anmutige Kämpferin in die ihr zugewiesene Körperästhetik und erfüllt so ihre Funktion, einem männlichen Betrachter zu gefallen. Dieser Widerspruch prägt die Inszenierung weiblicher Fechterinnen im 19. Jahrhundert. ter/in und wurde daher 1787 vom Prince of Wales eingeladen, in einem sportlichen Duell gegen den berühmten Fechter Chevalier de Saint Georges anzutreten. Zu diesem Kampf erschien d’Eon in Frauenkleidern. Trotz der durch mehrere Schichten von Röcken eingeschränkten Bewegungsfreiheit parierte d’Eon jeden Schlag seines/ihres Gegners. Zum Leben des Chevalier d’Eon siehe: Forty, George und Anne: Women War Heroines. London 1997, S. 147 ff.
119
Gewalt und Anmut Für die feministische Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts war die Eroberung der Fechtkunst eine Demonstration von Autonomie und Handlungsfähigkeit. Ein Angriffspunkt der feministischen Agitation war das bürgerliche Duellwesen, welches sich nicht nur einen Restbestand heroischer Freiheit im modernen Rechtsstaat vorbehielt, sondern zugleich auch die Unterscheidung zwischen handelndem Mann und zu beschützender Frau konservierte.155 Gefochten wurde um die schillernde Konstruktion der Ehre, die vor allem von der Frau abhängig war. Diese hatte als tugendhafte Gattin oder Tochter die Ehre des Mannes zu behaupten; eine Verletzung der Tugendpflicht in Form von vor- oder außerehelicher Sexualität hatte dann nicht sie selbst, sondern der Liebhaber im Duell zu büßen.156 Notwendige Voraussetzung für die Duellkultur war die rechtliche Passivität der Frau. Wenn auch ihr sexuelles Handeln über Wohl und Wehe einer bürgerlichen Familie entschied, so durfte keineswegs ihre eigenes kämpferisches Handeln zur Wiederherstellung der Ehre dienen. Wenn eine Frau selbst an einem Duell teilnahm, galt dies als Skandal, ein Effekt, den sich die feministische Bewegung zunutze machte. Vor allem Schauspielerinnen übten sich in der Fechtkunst und wendeten diese auch in Duellen an. So forderte etwa die berühmte Darstellerin an der Pariser Oper Julie Maupin während eines Balls zwei Männer zum Duell heraus und tötete beide im Kampf.157 Sarah Bernhardt galt als versierte Fechterin, und selbst
155 Norbert Elias vertritt die These, dass das Duellwesen sich mit der Ansiedlung des Adels an den Königshöfen entwickelt habe. Kämpferische und gewaltsame Potenziale des ehemaligen Landadels wurden mit dem Duellwesen der öffentlichen Kontrolle und einem engmaschigen Regelwerk unterworfen. Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Frankfurt a. M. 1983, S. 355. Ähnlich sieht Luhmann im Duellwesen »letzte ›Seufzer‹ einer früher gewaltsamen Oberschicht.« Luhmann, Niklas: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. 3. Frankfurt a. M. 1989, S. 90. Das Bürgertum übernimmt das Duellwesen gekoppelt an den Begriff der Ehre als Restbestand heroischer Freiheit im Staat. Siehe hierzu: Frevert: Duell, S. 16 f. 156 Ute Frevert weist darauf hin, dass die männliche Ehre ein diffiziles Konstrukt war, das u. a. von der Keuschheit und Tugendhaftigkeit der Ehefrau/ Tochter/Mutter abhing. Weibliche Ehre wurde hingegen nicht weiter differenziert, sondern auf Keuschheit beschränkt. Frauen wurden zudem keine Möglichkeiten an die Hand gegeben, ihre Ehre selbst zu schützen und zu verteidigen. Wenn eine Frau beleidigt wurde, musste ein Mann für sie stellvertretend im Duell antreten. Frevert: Duell, S. 62 ff. 157 Siehe hierzu: Evangelista, Nick and Anita: The Woman Fencer. Terre Haute, Indiana 2001, S. 14.
120
Anmut als Heldentum Emile Bayard: Un Duel de femmes, 1899
Abb. 19 Damen von Stand begannen sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu duellieren.158 Andererseits wurde die fechtende Frau durch zweierlei Strategien vom patriarchalischen Diskurs vereinnahmt: durch die Stilisierung zur anmutigen Kämpferin, die, wie bisher entwickelt, eine spezifische Funktion für die Rechtfertigung und Ästhetisierung von Gewalt in der bürgerlichen Kunst und Literatur einnahm, und durch die Stilisierung weiblicher Fechtkämpfe zu erotischen Spektakeln. So fanden Frauen-Duelle oft in einem Halbweltmilieu statt und wurden zum Teil explizit als erotische Schaukämpfe angekündigt. Da die Korsette bei den Kämpfen einen unzulässigen Schutz darstellten und daher abgelegt werden mussten, war der voyeuristischen Fantasie Tür und Tor geöffnet. Partielle Nacktheit bis hin zur vollständigen Entblößung des Oberkörpers wurde zum Topos in der Darstellung der frühen Frauenfechtkämpfe und der Diskussion um die Legitimität solcher Kämpfe. (Siehe Abb. 19) »Brüste ohne Bandagen, dieses Bild blieb die obsessivste Phantasie. Sie manifestierte sich vielzählig, vom oft zitierten Gemälde zweier halbnackt fechtender Duellantinnen von Emile Bayard aus den frühen 1880er Jahren bis zu einer in Wiener Zeitungen kolportierten Budapester Affäre von 1926, in welcher ein zum Duell geforderter Mann von seiner Gegnerin verlangte, ›daß sie gleich ihm mit entblößtem Oberkörper zum Zweikampf antrete‹. Die junge Dame warf dar-
158 So fochten etwa die Gräfin Kilmannsegg und die Prinzessin Metternich miteinander, nachdem sie sich über ein Blumenarrangement gestritten hatten. Evangelista: Fencer, S. 33.
121
Gewalt und Anmut aufhin wütend und unter Tränen den Säbel zu Boden und bestätigte so, in endlich schamhafter und emotionaler Weiblichkeit, das Ideologem, daß der Körper die Grenze der Gleichheit markiere.«159
In Paris wurden weibliche Schaukämpfe mit der Verheißung angekündigt, die Kämpferinnen würden mit unbekleidetem Oberkörper antreten. Hanna Hacker erklärt die Pornografisierung des Frauenkampfes mit dem Anliegen, den Kampf als männlichen Aktionsraum gegen die Frau zu behaupten. »Je zwingender mit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Zugehörigkeit zur Ehrengemeinschaft der Satisfaktionsfähigen von Oberschichtigkeit und Männlichkeit des staatsbürgerlichen Subjekts zeugte, desto deutlicher wurden die ›unechten‹ von den ›richtigen‹ Duellen geschieden.«160
Das weibliche Kämpfen wurde als unecht, gar als erotisch aufreizende Performance abgewertet, während das männliche Duell allein zur Verhandlung der Ehre dienen konnte. Hier verband sich also die Abwertung der kämpfenden Frau mit der Abwertung des Performativen.161 Die Abgrenzung eines »echten« männlichen Heroismus gegen einen »falschen« weiblichen ging bis hin zu der zynischen Konsequenz, dass der Mann seinen »authentischen« Heroismus nur noch in einem auf Leben und Tod geführten Kampf von einem nur gespielten weiblichen Helden- und Kriegertum abgrenzen konnte. Die Aufwertung des lebensgefährlichen Pistolenduells gegenüber dem performativ kunstvolleren Fechtduell legt hierüber Zeugnis ab. Nur im Heldentod konnte sich ein Heroismus 159 Hacker: Gewalt, S. 56. Hacker zitiert aus Zeitungsartikeln zu dem Ereignis nach Jobst, Johann (o. J.): »Amazonen von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage« (Manuskript) und »Amazonen« (Materialsammlung) In: Österreichisches Staatsarchiv-Kriegsarchiv, Wien. 160 Hacker: Gewalt, S. 44. 161 Die Ausgrenzung des inszenierten Heldentums und seine Projektion auf die Frau sind eine Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. In der höfischen Kultur des Mittelalters sowie der frühen Neuzeit war es ein lange gehütetes männliches Vorrecht, nicht nur Held, sondern auch Heldendarsteller zu sein, und das ohne Scheu vor Travestie. So wurden auch die weiblichen Helden von männlichen Höflingen gespielt. 1654 etwa war bei der Darstellung des Amazonenkrieges der Kurprinz Johann Georg von Sachsen als Penthesilea zu sehen. Siehe hierzu: Schnitzer, Claudia. »›Ritterhafte Damen‹. Höfische Frauenturniere der frühen Neuzeit.« In: Frohnhaus, Gabriele u. a. (Hrsg.): Schwert in Frauenhand. Weibliche Bewaffnung. Anlässlich der Ausstellung »Schwert in Frauenhand«. 22.11.19987.2.1999 im deutschen Klingenmuseum Solingen. Essen 1998, S. 57.
122
Anmut als Heldentum behaupten, der zum einen von der Theatralisierung des Heroischen, zum anderen von dem Emanzipationsbestreben der Frauen bedroht war.162 Gleichzeitig, so Hacker, vollziehe sich auch eine medizinische Diskursivierung des Frauenfechtens mit Blick auf den weiblichen Oberkörper. Wie zuvor um die gesundheitlichen Vor- und Nachteile des Korsetts gestritten worden war, diskutierten Wissenschaftler nun das Pro und Kontra des Fechtsports. Ein Teil der Ärzte war der Meinung, dass ein Hieb mit einer Waffe, gleich, bei welcher Abpolsterung der Brust, schmerzhaft und schädlich für die weibliche Anatomie sein müsste. Ein anderer Teil empfahl das Fechten bei Skoliose und zur Stärkung der Brustmuskulatur.163 Interessant ist, dass Wissenschaft und Pornografie mit der Fokussierung auf die weibliche Brust an den antiken Amazonenmythos anknüpfen. Demzufolge entfernten sich die Amazonen die linke Brust, da sie beim Bogenschießen hinderlich wäre. Kleist hat dieses Motiv in seiner Penthesilea betont. Auch die Gemälde der anmutigen Heldinnen der Französischen Revolution nahmen das Bild der entblößten Brust auf, so etwa Delacroix’ berühmtes Gemälde »Die Freiheit führt das Volk an« (Abb. 10). Hier ist die entblößte Brust Zeichen der außergewöhnlichen Situation, in der selbst Kleiderordnungen angesichts des Freiheitskampfes keine Gültigkeit haben, Verweis auf die »unschuldige« Nacktheit der Graziendarstellungen, aber auch Ausdruck der gefährdeten Anmut, die jederzeit in erotische Koketterie umschlagen kann. Entsprechend der ambivalenten Position der Grazie zwischen erotischem Reiz und Ausdruck von Unschuld kann also die Fechterin einerseits zu einem erotischen Fetischobjekt werden, aber andererseits auch zur Repräsentationsfigur einer schönen und »unschul-
162 Die vehemente Abgrenzung der männlichen von der weiblichen Geschlechteridentität in der bürgerlichen Kultur ging mit einem verzweifelten Versuch der Abgrenzung von Authentizität und Künstlichkeit einher. Die Angst vor dem Inszenierungscharakter von Wirklichkeit schlägt sich in der Tabuisierung performativer Elemente in der Konstruktion des männlichen Geschlechtscharakters nieder. So gerät im 19. Jahrhundert das männliche Interesse an Mode unter den Generalverdacht des Dekadenten. Der Schmuck der Paradeuniformen, die manierierte Kleidung des Adels galten als Zeichen einer verweichlichten, einer »weibischen« Männerwelt. Siehe hierzu: Brändli, Sabina: »Von ›schneidigen Offizieren‹ und ›Militärcrinolinen‹. Aspekte symbolischer Männlichkeit am Beispiel preußischer und schweizerischer Uniformen des 19. Jahrhunderts.« In: Frevert, Ute (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1997, S. 201-244; Kollmann: Empfindsamkeit, S. 38. 163 Siehe Hacker: Gewalt, S. 56 ff.
123
Gewalt und Anmut digen« Gewalt im Bild der Heldenjungfrau. Die Fechtkunst bietet ein Bewegungs- und Bilderrepertoire anmutiger Gewalt, in das sich die Kriegerinnendarstellungen um 1800 einschreiben.
V. Anmut und Würde – Schillers Ästhetik des Heroischen 1) ANMUT UND WÜRDE ALS VISUALISIERUNG VON MORALITÄT Schiller ist derjenige Theoretiker, der »Anmut« als eigene Form der Heroendarstellung neben das »Erhabene« stellt. In seinem Projekt einer ästhetischen Erziehung ist das Heroische für Schiller vor allem in seiner Wirkung auf das Publikum von Interesse.164 Der Held muss in seiner moralischen Integrität für den Zuschauer erkennbar sein, um diesem die Möglichkeit der Identifikation zu geben. In der »Würde« bzw. im »Pathetischerhabenen« (VE 179)165 wird die moralische Integrität des Helden durch den Widerstand gegen das Leiden sichtbar. Indem der Mensch leidet, wenn er gut handelt – wenn er sich also gegen seine eigenen sinnlichen Interessen für das Gute entscheidet –, kann der Betrachter sich der moralischen Qualität der Handlung sicher sein. Schiller übernimmt Kants wirkungsästhetische Wendung des Erhabenheitstheorems: Auch für ihn erfährt
164 Vgl. Hans Feger: »Das Erhabene, das Kant als Erfahrung der ›übersinnlichen Bestimmung‹ des Menschen, d. h. des Moralischguten denkt, wird von Schiller wirkungsästhetisch für die Tragödienlehre eingesetzt.« Feger: Vernunft, S. 129. 165 Die Begriffe »Würde« und »Pathetischerhabenes« verwendet Schiller synonym. Sie sind dem »Praktisch-Erhabenen« bei Schiller, dem »DynamischErhabenen« bei Kant zuzurechnen, also demjenigen Zustand, in dem das Subjekt der Furcht und dem Leiden standhält und so die Erfahrung seines Widerstands gegen die Gewalt der äußeren Natur macht. Das Subjekt, welches die Erfahrung des Erhabenen macht, ist der würdige Mensch. Wie in Kants Erhabenheitskonzeption ist auch bei Schiller streng genommen nur der Zuschauer, genauer der Bürger als Zuschauer der Würde fähig, da er die Gewalt in einem imaginären Bereich erlebt. Auch für Schiller ist die sichere Position des Zuschauers notwendig, um die ästhetische Rezeption eines furchterregenden Gegenstandes zu ermöglichen. Eine reale Gefahr als erhaben wahrzunehmen, würde »eine Erhebung der menschlichen Natur« voraussetzen, »die kaum in einem Subjekt als möglich gedacht werden kann.« Trotz dieser Verlagerung des Erhabenen in eine Erfahrung des Zuschauers versucht Schiller jedoch, mit dem Konzept des Pathetischerhabenen an die Idee eines erhabenen Heldentums anzuschließen. Vgl. hierzu Barone: Tradition, S. 178.
124
Anmut als Heldentum das Subjekt im Erhabenen seine eigene Freiheit als inneren Widerstand gegen eine physisch überlegene Gewalt oder durch die intellektuelle Überschreitung des Anschauungsvermögens in der Wahrnehmung von Größe: »Das Erhabene verschafft uns also einen Ausgang aus der sinnlichen Welt, worinn uns das Schöne gern immer gefangen halten möchte.« (ÜdE 45) Das Erhabene ist für Schiller jedoch nicht die einzige Form des Ausdrucks moralischer Gesinnung in der Erscheinung. Die Anmut bietet für ihn ebenfalls die Möglichkeit, die moralische Integrität einer Person visuell wahrzunehmen. In der Anmut zeigt sich der moralische Wert einer Person nicht durch das Aushalten des Leidens, also durch einen Kampf von Sinnlichkeit und Vernunft, sondern durch deren Versöhnung. Vernunft und Sinnlichkeit stimmen überein, und diese innere Harmonie visualisiert sich in der Erscheinung als Leichtigkeit und Eleganz der Bewegung. Anders als in der Schrift Ueber das Erhabene, in der Schiller dem in sich versöhnten Charakter die Möglichkeit des Ausdrucks seiner ethischen Gesinnung abspricht, entwirft er in Ueber Anmuth und Würde ein KörperSeele-Verhältnis, in dem auch eine solche Subjektivität einen Ausdruck im Sinnlichen findet. Die innere Versöhnung, so Schillers Konzeption, drückt sich unmittelbar in der anmutigen Bewegung aus.166 Kant hatte dem anmutigen Individuum die Möglichkeit eines moralischen oder heroischen Seins abgesprochen, weil es unbeschwert, ohne Widerstand handelt. Für ihn ist eine moralische Handlung dann gegeben, wenn die moralische Motivation ausschlaggebend für die Handlung ist. Eine Handlung, die zugleich sittlich und sinnlich motiviert ist, kann für ihn nicht moralisch sein. Die Dominanz sittlicher Motivation lässt sich Kant zufolge wiederum dann am Besten unter Beweis stellen, wenn sich das Subjekt im Kampf mit seinen sinnlichen Bedürfnissen für die Vorgaben des moralischen Gesetzes entscheiden muss.167
166 Vgl. Knab: Anmut, S. 232 ff. 167 Zu Kants Moralphilosophie siehe Tugendhat, Ernst: Vorlesungen über Ethik. Frankfurt a. M. 1993, S. 98 ff. Zu Schillers Abgrenzung von Kants Moralphilosophie in Ueber Anmuth und Würde siehe Brittnacher, Hans Richard: »Über Anmut und Würde.« In: Koopmann, Helmut (Hrsg.): Schiller Handbuch. Stuttgart 1998, S. 589 f. und Lönker, Fred: »Ästhetik und Moral. Über Anmut und Würde.« In: Sasse, Günter: Schiller Werkinterpretationen. Heidelberg 2005, S. 199-220. Zur Kant-Rezeption in Ueber Anmuth und Würde siehe auch: Heuer, Fritz: »Sensuous-Objective. Beauty in the Realm of Human Freedom. On the Language of Concepts in Schiller’s Essay ›On Grace and Dignity‹.« In: Curran, Jane V. and Christophe Fricker
125
Gewalt und Anmut Auf Schillers Idee, dem »Erhabenen« die »Anmut« zur Seite zu stellen, erwidert Kant: »Ich gestehe gern, daß ich dem P f l i c h t b e g r i f f e, gerade um seiner Würde willen, keine A n m u t beigesellen kann. Denn er enthält unbedingte Nötigung, womit Anmut in geradem Widerspruch steht.«168 Dabei geht es Kant, anders als Schiller, nicht um die Frage der Darstellung moralisch guter bzw. heroischer Persönlichkeiten, sondern um die moralische Qualität des Handels selbst. »Kant lehnt nicht [...] die Verbindung von Anmut und Würde ab, weil ethische Kategorien ästhetische Anschauungen schwächen würden, sondern weil sich ernste Pflicht und lockere Anmut ausschließen.«169 Aber auch das ästhetische Urteil ist für Kant durch den Reiz170 gefährdet. Er unterscheidet zwischen »Reiz« und »Schönheit« als einem sittlich weniger entwickelten und einem reiferen Geschmacksurteil: »Der Geschmack ist jederzeit noch barbarisch, wo er die Beimischung der R e i z e und der R ü h r u n g e n zum Wohlgefallen bedarf, ja wohl gar diese zum Maßstabe seines Beifalls macht.«171 Das Schöne wiederum ist zwar »Symbol des Sittlichen«, es fordert die Sittlichkeit des Subjekts aber nicht heraus, kann dem Betrachter also anders als das Erhabene nicht das eigene Potenzial einer Entscheidung für die Vernunft und gegen die Sinnlichkeit offenbaren. Der Möglichkeit einer moralischen Entscheidung selbst im Augenblick höchster Gefahr kann sich der Mensch nur in der Erfahrung des Erhabenen vergewissern.
168
169 170
171
(Hrsg.): Schillers »On Grace and Dignity« in its Cultural Context. Essays and a New Translation. Rochester/NY 2005, S. 55-80. Kant, Immanuel: »Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«. In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Bd. IV. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1956, S. 669, B 10 f. Vgl. hierzu auch Raymond Immerwahr: »[…] Schillers »Anmut und Würde« departs radically from Kant by arguing that the harmonious spontaneity of beauty represents a more advanced stage of aesthetic and ethical development than the triumphant moral struggle of sublimity.« Immerwahr, Raymond: »Sublime Manliness and lovely femininity.« In: Magill, Charles Philip u. a. (Hrsg.): Tradition and Creation. Essays in honour of Elizabeth Mary Wilkinson. Leeds 1978, S. 54. Knab: Anmut, S. 253. »Reiz« ist die ursprüngliche deutsche Übersetzung von Grazie. Siehe Greiner, Bernhard: Eine Art Wahnsinn. Dichtung im Horizont Kants. Studien zu Goethe und Kleist. Berlin 1994, S. 147. Bei Kant sind »Reiz« und »Anmut« nicht unterschieden; sie sind beide mit Leichtigkeit und fehlender moralischer Qualität konnotiert. Schiller grenzt die »Anmut« hingegen als moralisch motivierte Leichtigkeit vom »Reiz« ab. Siehe hierzu: Knab: Anmut, S. 134 ff. Kant: KdU, S. 302, B 38.
126
Anmut als Heldentum Auch für den Schiller der Kallias-Briefe ist die Darstellung moralischer Valenz einer Handlung im Modus des Schönen nicht möglich. Im Schönen besteht kein Widerstreit zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, es stellt daher die innere Freiheit des Menschen nicht auf die Probe, so Schillers Argumentation in seinem Aufsatz Ueber das Erhabene: »Ein Mensch, will ich annehmen, soll alle die Tugenden besitzen, deren Vereinigung den s c h ö n e n K a r a k t e r ausmacht. Er soll in der Ausübung der Gerechtigkeit, Wohlthätigkeit, Mäßigkeit, Standhaftigkeit und Treue seine Wollust finden, alle Pflichten, deren Befolgung ihm die Umstände nahelegen, sollen ihm zum leichten Spiele werden, und das Glück soll ihm keine Handlung schwer machen [...]. Es kann seyn, daß die Quelle seiner Handlungen rein ist, aber das muß er mit seinem eignen Herzen ausmachen, wir sehen nichts davon.« (ÜdE 43 f.)
In seiner Anmutskonzeption versucht Schiller diesen Gegensatz eines moralisch wertfreien »Schönen« und des »Erhabenen« als Ausdruck moralischer Freiheit aufzuheben, indem er »Anmut« als eine Form von Einheit definiert, die sich erst dialektisch aus der Entzweiung von Sinnlichkeit und Vernunft im erhabenen Zustand entwickelt hat. »Anmut« ist nach Schiller keineswegs eine Kategorie, die dem Bereich der Sinnlichkeit angehört, also vor aller Kulturerfahrung, vor aller Unterordnung des Natürlichen unter das moralische Gesetz steht. Vielmehr ist das anmutige Individuum Produkt eines umfassenden Disziplinierungsprozesses, in welchem ihm die Pflicht zur zweiten Natur geworden ist. Anmut ist nicht wie die Schönheit ein Geschenk der Natur, sondern ein Verdienst des Subjekts, wie Schiller betont: Sie ist »eine Schönheit, die nicht von der Natur gegeben, sondern von dem Subjekte selbst hervorgebracht wird.« (AuW 255) Der innere Kampf (die Stufe des Erhabenen) gehört im Moment des Handelns also schon der Vergangenheit an, ist aber der Anmut inhärent. Kenneth Parmelee Wilcox betont die Dialektik der Schillerschen Ästhetik: Schiller gehe von einem grundsätzlichen Dualismus von Sinnlichkeit und Vernunft aus, den er in seiner Ästhetik zu versöhnen versuche. Der erste Schritt in der dialektischen Vermittlung zwischen Moral und Sinnlichkeit sei die Beherrschung der Sinnlichkeit durch die Vernunft, also der Zustand, den Schiller als »Würde« bezeichnet. »Die Bestimmung der Materie durch den Geist, die im ersten Schritt erfolgt, ist nichts anderes als die Würde, wie sie in der Abhandlung ›Über Anmut und Würde‹ definiert wird: ›Beherrschung der Triebe durch moralische Kraft ist Geistesfreiheit,
127
Gewalt und Anmut und Würde ist ihr Ausdruck in der Erscheinung‹.«172 In der »Würde« sei dem Individuum ein Sieg der Vernunft über die sinnliche Natur gelungen, der sich ästhetisch in der würdevollen Erscheinung bemerkbar mache. In der »Anmut« finde der zweite Schritt der Dialektik hin zu einer Versöhnung von Vernunft und Sinnlichkeit statt: Hier stimme die Sinnlichkeit der Entscheidung der Vernunft zu. Das Unterdrückungsverhältnis von Vernunft und Sinnlichkeit wandele sich in eine freiwillige Unterordnung.173 Diese innere Versöhnung äußere sich in der anmutigen Bewegung. Die Anmut als eine höhere Stufe in der Überwindung des rein Sinnlichen zugunsten einer Vermittlung von Vernunft und Natur, erfüllt die Anforderung einer zwischen Bewunderung und Interesse vermittelnden Heldendarstellung: Anmutiges Heldentum evoziert kein übermäßiges Mitleiden, weil das Leiden der Figur bereits einer inneren Versöhnung gewichen ist. Der anmutige Held lässt den Zuschauer aber auch nicht teilnahmslos zurück wie der neustoische Held, weil das Leiden der Anmut inhärent ist und in ihr spürbar bleibt. Anmutiges Heldentum löst im Betrachter das Gefühl der Liebe aus, ein Gefühl, das dem Zuschauer einerseits die Identifikation mit dem Helden ermöglicht, das ihn aber andererseits in eine überlegene Position versetzt. »Daher ist das Gemüth aufgelöst in der Liebe, da es angespannt ist in der Achtung; denn hier ist nichts, das ihm Schranken setzte, da das absolut große nichts über sich hat, und die Sinnlichkeit, von der hier allein die Einschränkung kommen könnte, in der Anmuth und Schönheit mit den Ideen des Geistes zusammenstimmt. Liebe ist ein Herabsteigen, da die Achtung ein Hinaufklimmen ist.« (AuW 303)
Während das Erhabene durch die Überlegenheit des betrachteten Gegenstandes den Prozess einer Selbstüberwindung im Betrachter auslöst, verdeutlicht ihm die Anmut seine unübertroffene sittliche Größe in der Liebe. Mit seinem Konzept der Anmut versucht Schiller einen Heldentypus zu entwerfen, der seiner Anthropologie einer auf Harmonie zielenden menschlichen Entwicklung näher kommt als das Erhabe-
172 Wilcox, Kenneth Parmelee: Anmut und Würde. Die Dialektik der menschlichen Vollendung bei Schiller. Bern/Frankfurt a. M./Las Vegas 1981, S. 57. Zitat aus Schiller: AuW, S. 119. Zum dialektischen Verhältnis der Dualismen in Schillers Theorie siehe auch Szondi, Peter: »Das Naive ist das Sentimentalische.« In: Euphorion 66 (1972), S. 174-206. Alt, Peter-André: »Schiller dialektisch.« In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 48 (2004), S. 381-386. 173 Wilcox: Anmut, S. 58
128
Anmut als Heldentum ne.174 Denn die Tugend soll für Schiller nicht im Gegensatz zur Natur stehen, sondern eine Versöhnung von Sinnlichkeit und Vernunft beinhalten.175 Für Schiller liegt das Heroische in einer vollendeten Humanität, nicht in einer Überwindung des Menschlichen; die Vollendung wiederum liegt für ihn in einer harmonischen Balance zwischen Sinnlichkeit und Vernunft. »Das ganzheitliche Menschenbild der Weimarer Klassik führt zu einem neuen Begriff des Helden: Schiller faßt den Helden nicht mehr als Übermenschen auf, er setzt ihn vielmehr mit dem ganzen und vollendeten Menschen gleich.«176 Die »Würde« bezeichnet dagegen eine gewaltsame Konfrontation von Vernunft und Sinnlichkeit. Schiller beschreibt den Zustand der Würde mit aggressiver Metaphorik: »Der physische und der moralische Mensch werden hier aufs schärfste voneinander geschieden, denn gerade bey solchen Gegenständen, wo der erste nur seine Schranken empfindet, macht der andere die Erfahrung seiner K r a f t und wird eben das unendlich erhoben, was den andern zu Boden drückt.« (ÜdE 43)
Erhabenes Heldentum kann Schiller daher nur als Übergang gelten lassen. Er schränkt es auf die Situation ein, in der moralisches Handeln nur unter Verletzung der Sinnlichkeit möglich ist, das Individuum also, so es sittlich gut handelt, auf jeden Fall leiden muss: »Wo also die sittliche Pflicht eine Handlung gebietet, die das sinnliche nothwendig leiden macht, da ist Ernst und kein Spiel, da würde uns die Leichtigkeit in der Ausübung vielmehr empören als befriedigen; da kann also nicht Anmuth, sondern Würde der Ausdruck seyn.« (AuW 298)
Als Menschheitsideal strebt Schiller die Verbindung von Anmut und Würde an: »Sind Anmuth und Würde, jene noch durch architektonische Schönheit, diese durch Kraft unterstützt, in derselben Person v e r e i n i g t, so ist der Ausdruck der Menschheit in ihr vollendet [...].« (AuW 300) Diese Versöhnung von Anmut und Erhabenem kann Schiller jedoch in seiner Theorie nur schwer als innerweltliches Phänomen ausweisen. In seinen wenigen Beschreibungen glei-
174 Vgl. auch Jahraus, der ebenfalls die These vertritt, dass es sich bei der Konzeption der »schönen Seele« im 18. Jahrhundert um eine weiblich codierte Form der Heldendarstellung handelt. Der schönen Seele werde die Aufgabe übertragen, in heroischer Form ihre Menschlichkeit mit den Erfordernissen der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Jahraus: Heldinnen, S. 223. 175 Vgl. hierzu Barone: Tradition, S. 173. 176 Barone: Tradition, S. 173.
129
Gewalt und Anmut tet er in abstrakte Vergleiche und religiöse Bilder ab, wie in seiner Beschreibung der Juno Ludovisi deutlich wird: »Es ist weder Anmuth noch ist es Würde, was aus dem herrlichen Antlitz einer J u n o L u d o v i s i zu uns spricht; es ist keines von beyden, weil es beydes zugleich ist. Indem der weibliche Gott unsre Anbetung heischt, entzündet das gottgleiche Weib unsre Liebe; aber indem wir uns der himmlischen Holdseligkeit aufgelöst hingeben, schreckt die himmlische Selbstgenügsamkeit uns zurück. In sich selbst ruhet und wohnt die ganze Gestalt, eine völlig geschlossene Schöpfung, und als wenn sie jenseits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerstand; da ist keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit einbrechen könnte.« (ÄE 359 f.)177
Die Idee einer vollständigen Aufhebung von Anmut und Würde widerspricht zudem dem Bedingungsverhältnis, in das Schiller die beiden Modi heroischer Sittlichkeit setzt. Denn situationsbedingt muss sich die Anmut wieder ins Erhabene zurückentwickeln. Schiller stellt Würde und Anmut in ein Bedingungsverhältnis, ohne aber eine Synthese herstellen zu können.178 Die Verbindung von Anmut und Würde kann sich nur in einer temporalen Abfolge vollziehen, indem sich das anmutig-würdige Individuum zu gegebener Zeit als anmutig oder als würdig erweist. Anmut und Würde können und sollen in ein und derselben Person auftreten. So wird die »schöne Seele« dann wieder aus der anmutigen Harmonie gerissen, wenn sie ein Opfer bringen muss, um tugendhaft zu handeln. Hier beweist sie sich, indem sie in den erhabenen Zustand übergeht und auch gegen einen äußeren Widerstand die moralische Gesinnung nicht zugunsten der sinnlichen Bedürfnisse aufgibt. Hierdurch unterscheidet sie sich von der Temperamentstugend, die nur zufällig sittlich handelt. »Die s c h ö n e Seele muß sich also im Affekt in eine e r h a b e n e verwandeln, und das ist der untrügliche Probierstein, wodurch man sie von dem g u t e n H e r z e n oder der T e m p e r a m e n t s t u g e n d unterscheiden kann.
177 Zur Bedeutung dieser Passage für Schillers Anmutskonzeption siehe vor allem Janz, Rolf-Peter: »Ansichten der Juno Ludovisi.« In: Alt, Peter-André u. a. (Hrsg.): Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings. Würzburg 2002, S. 357-372. 178 Dieter Henrich, Carsten Zelle und Josef Früchtl haben gezeigt, dass Schiller in seiner ästhetischen Theorie die vollkommene Synthese aller Gegensätze nicht begründen kann. Siehe Henrich, Dieter: »Der Begriff der Schönheit in Schillers Ästhetik.« In: Zeitschrift für philosophische Forschung 11, Heft 4 (1957), S. 544, Zelle: Ästhetik, S. 152 ff. sowie Früchtl: Subjektivität, S. 14.
130
Anmut als Heldentum [...] Die Temperamentstugend sinkt also im Affekt zum bloßen Naturprodukt herab; die schöne Seele geht ins heroische über, und erhebt sich zur reinen Intelligenz.«179 (AuW 294)
Die Würde muss hingegen in dem Moment, in dem kein Widerstand zu überwinden ist, wieder in Anmut übergehen, denn sie allein kann die innere Harmonie des Subjekts zum Ausdruck bringen. Erhabenheit und Anmut ergänzen sich also als Ausdrucksformen ethischer Gesinnung. Mit der Konzeption der Anmut entwickelt Schiller eine Kategorie, die in der doppelten Ästhetik eine eigenständige Position einnimmt. Die Anmut entwickelt sich Schiller zufolge aus dem dialektischen Prozess von einer ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur, die sich im Schönen äußert, über eine Phase des erhabenen Bruchs mit der Natur, hin zur Phase einer neuerlichen anmutigen Versöhnung. Die Anmut soll zwar in einem weiteren dialektischen Schritt mit dem Erhabenen synthetisiert werden, bleibt jedoch, wie oben ausgeführt, unaufhebbar neben dem Schönen und Erhabenen bestehen. Zwar gehört Anmut innerhalb der Opposition des harmonischen Schönen und des gewaltsamen Erhabenen zur Sphäre des Schönen, sie emanzipiert sich jedoch als ein dynamisches, Handlung und autonome Subjektivität umfassendes Schönes vom statuarisch-idealischen Schönheitskonzept der Klassik. Schönheit ist hier nicht mehr, wie in den Kallias-Briefen, nur Schein von Freiheit, sondern, wie das Erhabene, unmittelbarer Ausdruck eines autonomen Subjekts in der Welt der Erscheinungen – wie zu zeigen sein wird: eines autonomen weiblichen Subjekts.
2) ANMUT ALS BEWEGUNGSÄSTHETIK Mit seiner Konzeption bindet Schiller Anmut nicht nur unmittelbar an die moralische Qualität einer Handlung; er weist sie zudem explizit als Bewegungsästhetik aus, ein Aspekt, der für eine Heroeninszenierung auf der Bühne zentral ist. Aus zwei Gründen schreibt Schiller der Bewegung, genauer: der Bewegung des menschlichen 179 Hatte Schiller betont, dass sich die Tugend der schönen Seele unmittelbar in der anmutigen Bewegung ausdrückt, hält er an dieser Stelle doch als letzten Beweis den Modus des Erhabenen, also die Prüfung der Moral durch das Leid für den untrüglichen Beweis und fällt damit scheinbar auf den Stand seiner Argumentation in Ueber das Pathetische zurück. Allerdings behauptet Schiller hier nicht, dass die Anmut nicht in der Lage ist, aus sich selbst heraus Tugend zu visualisieren; sie ist nur im Moment des Leidens nicht der angemessene Ausdruck, daher muss hier die Anmut dem Zustand der Würde weichen.
131
Gewalt und Anmut Körpers, die Möglichkeit des Ausdrucks von Freiheit zu. Zum einen, weil Anmut von physischer Schönheit unabhängig ist und dem Individuum situativ gegeben und wieder entzogen werden kann, ohne dass sich das Individuum, wie beim Verlust der Schönheit, wesenhaft verändert. Nur die Bewegung, so Schiller, sei eine »Veränderung, die mit einem Gegenstand vorgehen kann, ohne seine Identität aufzuheben.« (AuW 253) Als zweiten Grund führt Schiller an, dass Anmut als unmittelbarer Ausdruck der moralischen Gesinnung nur in der Bewegung, nicht aber im statischen Körper sichtbar werden kann: »Anmuth kann nur der B e w e g u n g zukommen, denn eine Veränderung im Gemüth kann sich nur als Bewegung in der Sinnenwelt offenbaren.« (AuW 264) Im Gegensatz zur Schönheit ist Anmut daher für Schiller eine Qualität, die dem Subjekt selbst zuzuschreiben ist. Sie erfordert die vollständige Kontrolle des Subjekts über die willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen, die aber nicht mehr als Kontrolle sichtbar wird. Vielmehr sollen die Bewegungen als zufällig und freiwillig erscheinen. Nur Bewegungen, die von der Vernunft intendiert sind, können die Anforderungen der Anmut erfüllen, da sich in ihnen die sittliche Natur des Menschen ausdrücken soll. Die Bewegungen können aber nur dann unmittelbarer Ausdruck des Sittlichen sein, wenn jedwede Form von Inszenierungscharakter der Bewegung gebannt ist: Die Bewegung muss im Moment der Handlung dem Subjekt unbewusst sein. Hier zeichnet sich die paradoxale Struktur180 der Anmut ab: Anmut setzt eine Gleichzeitigkeit von Kontrolle und Freiheit, von Regelhaftigkeit und Zufall, von Bewusstheit und Unbewusstheit des Handelns voraus. Indem Schiller Anmut zu einer ethischen Leistung des Subjekts umdeutet, bindet er sie an die Person und ihren Lebensvollzug. Eine formalisierte Grazie, wie sie in der Ästhetik der Schlangenlinie vorgesehen ist, lehnt er ab. Für ihn ist Anmut an spezifisch körperliche, nicht zuletzt geschlechtsspezifische Eigenschaften und an die Temporalität der Bewegung im Raum gekoppelt. Zwar greift auch Schiller den Topos der Schlangenlinie auf, schreibt ihm aber genau die performative Wendung ein, die er in seiner Anmutskonzeption anstrebt.181 In den Kallias-Briefen versucht Schiller seine Idee der Schönheit als »Freiheit in der Erscheinung« (KB 199) anhand der Schlangenlinie zu verifizieren. Die Schlangenlinie verändere im Gegensatz zur Zickzacklinie ihre Richtung nicht abrupt, sondern unmerklich, und gebe damit den Anschein von Freiheit, so Schillers Argumentation:
180 Vgl. hierzu Knab: Anmut, S. 21 ff. 181 Siehe hierzu Brandstetter: Konjunkturen, S. 169 f.
132
Anmut als Heldentum »Was ist aber eine plötzlich veränderte Richtung anders, als eine gewaltsam veränderte? Die Natur liebt keinen Sprung. Sehen wir sie einen thun, so zeigt es, daß ihr Gewalt geschehen ist. Freiwillig hingegen erscheint nur diejenige Bewegung, an der man keinen bestimmten Punkt angeben kann, bey dem sie ihre Richtung abänderte.« (KB 215 f.)
Freiheit von Gewalt zeigt sich hier also durch eine bewegungsspezifische Eigenschaft: den Richtungswechsel, der anders als bei der Zickzacklinie freiwillig erscheint. »Freiheit in der Erscheinung« (KB 199) ist also etwas, das nur in der Bewegung rezipierbar ist, entweder, indem sich im Theater, Ballett etc. das Betrachtete bewegt, oder indem der Betrachter mit dem Auge der Schlangenlinie folgt und so mit der Bewegung des eigenen Blicks die Erfahrung des unmerklichen Richtungswechsels macht.182 Nicht als formalisierte Anmut kann die Schlangenlinie schön sein, also nicht als zweidimensionale Abschrift, sondern nur als Vollzug im Raum, als Bewegungsstruktur in der Dreidimensionalität. Skulptur und Zeichnung können nur der Versinnbildlichung dienen. In seinem Gedicht Der Tanz183 beschreibt Schiller ein tanzendes Paar, das sich, wie von Geisterhand geführt, seinen Weg durch die Menge der Tanzenden bahnt, ohne je zu kollidieren, aus dem Rhythmus zu kommen oder seine tänzerische Grazie zu verlieren. Die Wege, die das Paar tanzt, erscheinen wie vorgezeichnete Linien, die sich in der Bewegung materialisieren und sofort wieder verschwinden: »Vor ihm her entsteht seine Bahn, die hinter ihm schwindet / Leis wie durch magische Hand öffnet und schließt sich der Weg / Sieh, jetzt verliert es der suchende Blick.«184 Die Passage ist insofern zentral für das Verständnis der schillerschen Anmutskonzeption, als Schiller die Bewegungslinie hier deutlicher als in den KalliasBriefen als eine performative, nicht als eine gezeichnete Linie ausweist. »Dieser Weg existiert nur im Akt, die Linie ist eine ausschließ-
182 Mainberger weist darauf hin, dass schon Hogarth eine solche Temporalisierung der ästhetischen Erfahrung in der Rezeption der Schlangenlinie anstrebt, die Schiller in seinem Konzept radikalisiert. »Für Hogarth liegt die Lust des Sehens von wellen- und schlangenförmigen Linien in der Bewegung, in die sie den Blick versetzen […]. Die Lust der Wahrnehmung liegt hier also nicht in einer Überwältigung, einem unmittelbaren Erfassen und Erfasstsein in einem einzigen Augenblick, wie in neoplatonischen Ansätzen, sondern hat eine zeitliche Extension.« Mainberger: Verwickelt, S. 205. 183 Schiller, Friedrich: »Der Tanz.« In: Schiller NA, Bd. 1, S. 228. Zum Bezug zwischen Schillers Schlangenlinien- und Anmutskonzeption und dem Gedicht Der Tanz siehe Brandstetter: Konjunkturen, S. 174 ff. und Mainberger: Verwickelt, S. 232 ff. 184 Schiller: Tanz, Vs. 11-13.
133
Gewalt und Anmut lich performative. An ihrem Auftauchen und Verschwinden wird deutlich, daß in der komplexen Bewegungsvielfalt eine Regel waltet, und zwar kontinuierlich, auch durch ein scheinbares Chaos hindurch.«185 In Ueber Anmuth und Würde grenzt Schiller die Anmut als Bewegungsästhetik deutlich von der unbewegten Schönheit ab. Auch wenn er eine materialisierte Anmut in den Gesichtszügen eines Menschen für möglich hält, versucht Schiller, Anmut als reine Bewegungsästhetik zu behaupten, indem er nur die Mimik, also die sprechenden Linien der Physiognomie als mögliche Verfestigungen der Anmut zulässt. Eine abstrakte Materialisierung wie in der traditionellen Debatte um die Schönheitslinie lehnt er jedoch explizit ab: »Da auch die v e r f e s t e t e n B e w e g u n g e n (in Züge übergegangene Gebärden) von der Anmuth nicht ausgeschlossen sind, so könnte es das Ansehen haben, als ob überhaupt auch die Schönheit der a n s c h e i n e n d e n oder n a c h g e a h m t e n Bewegungen (die flammigten oder geschlängelten Linien) gleichfalls mit dazu gerechnet werden müßte, wie Mendelssohn auch wirklich behauptet. Aber dadurch würde der Begriff der Anmuth zu dem Begriff der Schönheit überhaupt erweitert; denn a l l e Schönheit ist zuletzt bloß eine Eigenschaft der wahren oder anscheinenden (objektiven oder subjektiven) Bewegung, wie ich in einer Zergliederung des Schönen zu beweisen hoffe.« (AuW 265 f.)
Schiller zeigt die Schwierigkeit, Schönheit von Anmut abzugrenzen, betont aber die Notwendigkeit dieser Abgrenzung und fokussiert damit die Aufmerksamkeit auf den performativen Anteil der Anmut.
3) ANMUT UND GEWALT »Anmut« als Schönheit der Bewegung ist in Schillers Ästhetik diejenige Kategorie, die sich zur Darstellung äußerer Handlung eignet. Zu der Frage, ob sie auch auf kriegerisches Handeln anwendbar sei, äußert sich Schiller im Aufsatz Ueber Anmuth und Würde nicht. In den Ästhetischen Briefen finden sich jedoch Hinweise darauf, dass Schiller eine Ästhetisierung von Gewalt im Zeichen der Anmut in seiner Konzeption zulassen kann. So führt er an zwei Stellen den Kampf an, um den Unterschied zwischen einer naturhaft determinierten und einer durch das »Schöne« veredelten Menschheit zu verdeutlichen.186 Zum einen heißt es im 15. Brief:
185 Mainberger: Verwickelt, S. 233. 186 Carsten Zelle weist auf die kriegerische Metaphorik hin, die Schillers theoretisches Werk durchzieht. Diese deutet Zelle als Indiz dafür, dass Schiller daran scheitert, die Versöhnung von Gegensätzen in seiner Theorie zu denken. Vielmehr »hintertreibe« Schillers kriegerische Rhetorik seine »phi-
134
Anmut als Heldentum »Man wird niemals irren, wenn man das Schönheitsideal eines Menschen auf dem nehmlichen Wege sucht, auf dem er seinen Spieltrieb befriedigt. Wenn sich die griechischen Völkerschaften in den Kampfspielen zu Olympia an den unblutigen Wettkämpfen der Kraft, der Schnelligkeit, der Gelenkigkeit und an dem edlern Wechselstreit der Talente ergötzen, und wenn das römische Volk an dem Todeskampf eines erlegten Gladiators oder seines libyschen Gegners sich labt, so wird uns aus diesem einzigen Zuge begreiflich, warum wir die Idealgestalten einer Venus, einer Juno, eines Apolls, nicht in Rom, sondern in Griechenland aufsuchen müssen.« (ÄE 358 f.)
An dieser Stelle findet sich die Idee einer Ästhetisierung des Kampfes, wie sie in der Ästhetik der Fechtkunst angelegt ist. Nicht die Verletzung oder gar der Tod dürfen Inhalt eines Schaukampfes sein: In diesem Fall wären nur die niederen Triebe des Menschen angesprochen und eine ästhetische Erfahrung in Schillers Sinne als Zusammenspiel von Vernunft und Sinnlichkeit würde unmöglich werden. Das Prinzip des Kampfes jedoch (und zu den antiken olympischen Spielen gehörten auch Kampfsportarten) kann im Modus des ästhetischen Spiels wahrgenommen werden, wenn nicht grobe naturhafte Bewegungen, sondern ästhetisch überformte Bewegungsabläufe das Geschehen bestimmen. In diesem Beispiel Schillers ist noch kein realer Kampf gedacht, also einer, in dem es tatsächlich zu Tod und Verletzungen kommen kann. Die ästhetische Wahrnehmung scheint gerade deshalb möglich werden zu können, weil die Kämpfe bereits durch Spielregeln gemäßigt sind, also »unblutig« geführt werden. In einem weiteren Beispiel wird jedoch deutlich, dass Schiller eine ästhetische Mäßigung der Gewalt auch dann denken kann, wenn es sich um einen realen Krieg handelt. In einer Reihe von Beispielen dafür, wie sich naturhafte Verhaltensmuster des Menschen im Zivilisationsprozess ästhetisch veredeln, führt er neben dem Tanz losophische Intention«. Zelle: Ästhetik, S. 167. Vgl. hierzu auch Büssgen: Glaubensverlust, S. 90 ff. Diese Beobachtung trifft auf die Textstellen zu, in denen Schiller, auch dann, wenn er die Versöhnung von Natur und Vernunft zu denken versucht, den Vermittlungsprozess mit martialischer Rhetorik beschreibt. An diese Stellen wird, wie Zelle schreibt, durch das »Scheitern des Schönen« die Kategorie des »Erhabenen« hervorgetrieben. Zelle: Ästhetik, S. 166. In den Ästhetischen Briefen kommt es jedoch zu einer weiteren Verschränkung der schillerschen Begriffe mit kriegerischer Bildlichkeit. In den hier zu analysierenden Textpassagen wird die Gewaltdarstellung nicht im Zeichen des Erhabenen vom Schönen abgegrenzt, sondern erscheint gerade im Medium des Schönen, genauer: der Bewegungsschönheit (Anmut). Unter bestimmten Bedingungen kann der Kampf hier für Schiller gerade als Ausdruck einer durch das »Schöne« veredelten Menschheit gelten.
135
Gewalt und Anmut und dem Gesang auch den Kampf an. Wie sich im Tanz der »gesetzlose Sprung der Freude« (ÄE 409) zu einer »anmuthigen harmonischen Gebärdensprache« (ÄE 409) entwickelt und sich die »verworrenen Laute der Empfindung« (ÄE 409) zum Gesang fügen, grenzt sich auch ein anmutig-gemäßigter Kampf von einem naturhaftexzessiven ab: »Wenn das trojanische Heer mit gellendem Geschrey gleich einem Zug von Kranichen ins Schlachtfeld heranstürmt, so nähert sich das griechische demselben still und mit edlem Schritt.« (ÄE 409) Schiller kann hier also auch den realen Krieg als Beispiel einer Ästhetisierung der Bewegung im Zeichen der Anmut zulassen. Deutlich zeichnet sich an dieser Stelle der Unterschied zur Konzeption des Kriegserhabenen ab. Sollte dieses gerade durch eine Flut brachialer Sinneseindrücke im Zuschauer die Erfahrung erhabener Selbstüberwindung auslösen, sollen hier die edlen Bewegungen der Kämpfer den Krieg im Medium des »Schönen« ästhetisch wahrnehmbar werden lassen. Selbstverständlich handelt es sich bei der zivilisationshistorischen Entwicklungsstufe, in der Schiller ein anmutiges Kriegertum situiert, nicht um die Vollendung der menschlichen Entwicklung im »ästhetischen Staat« (ÄE 410). Dieser soll sich sowohl durch innere Versöhnung von Natur und Sittlichkeit als auch durch die Überwindung zwischenmenschlicher Gewalt auszeichnen: »Selbst der Haß merkt auf der Ehre zarte Stimme, das Schwerdt des Ueberwinders verschont den entwaffneten Feind, und ein gastlich Heerd raucht dem Fremdling an der gefürchteten Küste, wo ihn sonst nur der Mord empfieng.« (ÄE 410) Aber auch »Anmut« bezeichnet nicht den Zustand letzter Vollendung, sondern nur eine Stufe in einem dialektischen Prozess, der wiederum auf die Versöhnung von Anmut und Würde zielen soll. Es besteht daher kein Widerspruch zu Schillers Konzeption, wenn in einer historischen Entwicklungsstufe, in der noch nicht die vollkommene Versöhnung aller Gegensätze erreicht ist (so diese überhaupt erreichbar ist), die innere Versöhnung des Subjekts in der Anmut mit äußerer Gewalt einhergeht. Auch bei näherer Betrachtung der Anmutskonzeption, die Schiller in Ueber Anmuth und Würde entwirft, wird deutlich, dass Anmut und die Inszenierung äußerer Gewalt einander nicht ausschließen. So betont Schiller, dass es nicht auf die Art der Bewegung ankomme, sondern allein auf die ethische Gesinnung, welche von der Bewegung begleitet werde.187 Eine solche, von Schiller als »sympathe187 Schiller schließt zufällige Bewegungen von der Anmut aus, da diese als Verdienst des Subjekts nur auf Bewegungen zutreffen kann, denen eine Willensentscheidung zugrunde liegt. Von den willkürlichen Bewegungen sind es jedoch wiederum nur die moralisch motivierten – sinnlich moti-
136
Anmut als Heldentum tisch« bezeichnete Bewegung grenzt er zwar von einer zweckgerichteten Bewegung ab, wie sie im Kampf vorliegt. Schiller betont jedoch ausdrücklich, dass sich die willkürliche zweckgebundene Bewegung mit einer sympathetischen überlagern kann, dass also auch zweckorientierte Handlungen anmutig ausgeführt werden können. Als Beispiel führt Schiller die einfache und alltägliche Bewegung an, mit der man einen Gegenstand entgegennimmt. Die Bewegung ist zunächst deutlich zweckgebunden und ohne moralische Motivation. Wenn aber zugleich eine innere moralische Bewegung abläuft, kann sich diese in der ursprünglich zweckmäßigen Bewegung ausdrücken: »Die Art und Weise nehmlich, wie eine willkührliche Bewegung vollzogen wird, ist durch ihren Zweck nicht so genau bestimmt, daß es nicht mehrere Arten geben sollte, nach denen sie kann verrichtet werden. Dasjenige nun, was durch den Willen oder den Zweck dabey unbestimmt gelassen ist, kann durch den Empfindungszustand der Person, sympathetisch bestimmt werden.« (AuW 267 f.)
vierte schließt Schiller ebenfalls aus seiner Anmutskonzeption aus. Zwar gehören auch diese zu einer Eloquentia Corporis, insofern sie ein Inneres im Körper ausdrücken; diese Bewegungen grenzt Schiller jedoch als nur »sprechende Bewegungen« von der Anmut ab. Seine Beschränkung auf die moralisch motivierten Bewegungen kann Schiller nur durch einen Zirkelschluss begründen: Indem er auf die Grundlage seines Konzeptes der Anmut als Ausdruck eines Humanitätsideals verweist: »Könnte sich die Begierde mit Anmuth, der Instinkt mit Grazie äußern, so würden Anmuth und Grazie nicht mehr fähig und würdig seyn, der Menschheit zu einem Ausdruck zu dienen.« (AuW 254) Wenn eine Bewegung Moralität ausdrückt, ist sie anmutig – wenn sie anmutig ist, drückt sie Moralität aus. – Rein willkürliche Bewegungen – solche, die auf einen bewussten Entschluss folgen – können ebenfalls nicht anmutig sein, weil sie einer Vermittlung durch den Willen bedürfen und damit nicht unmittelbarer, sondern nur mittelbarer Ausdruck der sittlichen Gesinnung sind. In der Anmut sollen jedoch innere und äußere Bewegung gleichzeitig sein. »Die willkührliche Bewegung erfolgt auf eine Handlung des Gemüths, welche also vergangen ist, wenn die Bewegung geschieht. Die sympathetische Bewegung hingegen begleitet die Handlung des Gemüths und den Empfindungszustand desselben, und muß daher mit beyden als gleichlaufend betrachtet werden. […] Die willkührliche Bewegung ist mit der ihr vorangehenden Gesinnung zufällig, die begleitende hingegen nothwendig damit verbunden.« (AuW 267 f.) Wichtig ist für Schiller dabei jedoch nicht die Art der Bewegung selbst. – Prinzipiell kann jede Bewegung anmutig sein, sofern sie in dem geforderten Verhältnis von Bewusstheit und Unbewusstheit, von vernünftigem und affektivem Anteil steht und an eine moralische Gesinnung gebunden ist.
137
Gewalt und Anmut Diese Möglichkeit des sympathetischen Ausdrucks in der zweckgerichteten Bewegung ist zentral, wenn es um die Frage nach Gewalt und Anmut bei Schiller geht. Denn in seiner rein intentionsgebundenen und nicht an die Art der Bewegung gekoppelten Konzeption der Anmut kann auch militärisches Handeln nicht ausgeschlossen sein. Es würde sich in der anmutigen Gewalt nach Schiller nur die innere Logik der Heroisierung von Gewalt wiederholen, die in der Konzeption des erhabenen Heroismus angelegt ist: dass nämlich ein ursprünglich moralisch verwerfliches Handeln – die Verletzung oder gar Tötung eines anderen – dann sittlich gut sein kann, wenn der Zweck ein guter ist. In diesem Sinne kann ein Individuum auch anmutig kämpfen. Die Verletzung des anderen ist dann nicht der Zweck, sondern Mittel, sofern die ethische Gesinnung etwa auf die Rettung des Vaterlandes gerichtet ist. Die kämpferische Bewegung müsste in diesem Fall anmutig erscheinen. Dass aber Anmut als Schönheit der Bewegung beim Kampf helfen, also potenziell tödlich sein kann, scheint zunächst einen Widerspruch zu Schillers Anmutskonzeption darzustellen, der »Anmut« gerade als Freiheit von aller Gewalt beschreibt. Doch dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man Schillers Theorie von Freiheit und Ästhetik genauer betrachtet. Denkt man Schillers Konzeption weiter, so widerspricht nur die innere, nicht die äußere Gewalt der Anmut. Der innere Kampf zwischen Sinnlichkeit und Vernunft muss ausgetragen, das Subjekt innerlich versöhnt sein – das ist die Voraussetzung für Anmut bei Schiller. Ein Widerspruch zwischen äußerer Gewalt und Anmut würde dann bestehen, wenn »Gewalt« als Gegensatz zur »schönen Seele«, also als schlechthin böse definiert wäre. Doch dies ist für Schiller so wenig wie für Kant der Fall. Schiller adaptiert wie dieser das Konzept einer durch ihren guten Zweck und die Fairness der Mittel gerechtfertigten heroischen Gewalt. In diesem Sinne kann auch die »schöne Seele« zugunsten ihrer Ideale der Freiheit, der Nation, etc. zur Gewalt greifen, kann sich also Sittlichkeit in der Gewalt unmittelbar ausdrücken. Im Kampf wäre Anmut also Ausdruck einer solchen sittlich gerechtfertigten kämpferischen Aktion, einer Gewalt, die einer guten Intention entspringt und sich daher als schöne Bewegung äußert. Betrachtet man Schillers Theorie des Erhabenen mit Blick auf eine Ästhetik des Kampfes, so wird deutlich, dass das Erhabene sich im Gegensatz zur Anmut nicht zur Darstellung von Kämpfen eignet. Denn das »Erhabene« beschreibt für Schiller einen inneren Kampf des Subjekts.188 Im Erhabenen geht es Schiller also keineswegs um
188 Vgl. Kapitel B II 2, S. 51 ff.
138
Anmut als Heldentum die Tat, mit der sich der Held physisch gegen eine Gefahr wehrt, sondern um den inneren Sieg der Vernunft über die Furcht. In seiner Schrift Ueber das Pathetische grenzt Schiller einen äußeren reflexartigen Kampf, in dem sich auch das Tier gegen einen äußeren Widerstand instinktiv wehren würde, vom Erhabenen als Widerstand der »Ideen der Vernunft« gegen das Leiden ab. »[...] denn auch die Sinnlichkeit kann kämpfen, aber das ist kein Kampf mit dem Affekt, sondern mit der Ursache, die ihn hervorbringt – kein moralischer sondern ein physischer Widerstand, den auch der Wurm äußert, wenn man ihn tritt, und der Stier, wenn man ihn verwundet, ohne deßwegen Pathos zu erregen.« (ÜdP 202)
Der Mensch, der sich nur physisch gegen einen äußeren Widerstand wehrt, etwa gegen einen Feind, agiert rein sinnlich. Derjenige, der sich gegen die Furcht anstemmt, der dem Furchteinflößenden nicht ausweicht, ist der erhabene oder der würdige Mensch. Doch dieser zeigt keine äußere, sondern eine innere Bewegung. Das »Erhabene« bezeichnet ein Geschehen innerhalb des Subjekts, das sich nach außen in der Mimik oder in der angespannten Pose äußert, nicht aber in der Bewegung. Die Situation, in der das Erhabene entsteht, ist eine ausweglose, in der ein äußerer Kampf schon keine Wirkung mehr haben kann, oder wie bei Laokoon nur ein letztes Aufbäumen gegen die übermächtige Gewalt darstellt. Es zeigt das Subjekt in einem Zustand des Erduldens, der äußersten Selbstbeherrschung, also einer inneren Handlung. Für die Darstellung äußerer Handlungen eines einzelnen Menschen eignet es sich jedoch nicht, wie Schiller betont: »Würde wird daher mehr im Leiden [...], Anmuth mehr im Betragen [...] gefodert und gezeigt; denn nur im Leiden kann sich die Freyheit des Gemüths, und nur im Handeln die Freyheit des Körpers offenbaren.« (AuW 297) Noch eine weitere Textstelle verdeutlicht die äußere Passivität der Würde und die Aktivität der Anmut: »Anmuth liegt also in der Freyheit der willkührlichen Bewegungen; Würde in der Beherrschung der unwillkührlichen.« (AuW 297) Anmut drückt sich also im Vollzug von Handlungen, Würde in der Unterlassung von Handlungen aus. Nach außen, auf der Bühne sichtbar, äußerte sich die Würde also als Verharren, Erstarren des Körpers bei einem angestrengten Mienenspiel, das die innere Bewegung verdeutlicht, Anmut hingegen als fließende, unangestrengte Bewegung. Denn Würde ist nichts anderes als der Ausdruck des inneren, siegreichen Kampfes der Vernunft mit dem Sinnlichen. »Gesetzt, wir erblicken an einem Menschen Zeichen des quaalvollsten Affekts aus der Klasse jener ersten ganz unwillkührlichen Bewegungen. Aber indem seine Adern auflaufen, seine Muskel krampfhaft angespannt werden, seine
139
Gewalt und Anmut Stimme erstickt, seine Brust emporgetrieben, sein Unterleib einwärts gepreßt ist, sind seine willkührlichen Bewegungen sanft, seine Gesichtszüge frey und es ist heiter um Aug und Stirne.« (AuW 295 f.)
Die widersprüchlichen Affekte, die sich in dem Gesicht des beschriebenen Menschen abzeichnen, visualisieren die Fähigkeit zur Überwindung des Leidens in einer erhabenen Bewegung. »Und auf diese Art nun wird die R u h e i m L e i d e n, als worinn die Würde eigentlich besteht, obgleich nur mittelbar durch einen Vernunftschluß, Darstellung der Intelligenz im Menschen und Ausdruck seiner moralischen Freyheit.« (AuW 296) Da der kämpfende Held nicht rein sinnlich agieren, sich also nicht nur reflexhaft wehren darf, der Modus des Erhabenen aber keinen äußeren Kampf in Szene setzt, kann ein Kampf auch bei Schiller, der Tradition des Fechtkampfs entsprechend, nur im Modus der Anmut inszeniert werden. Denn der anmutige Kämpfer ist weder einer, der sich nur reflexartig gegen eine äußere Gewalt wehrt, noch verbleibt er im Zustand der Würde, die ihn zu einem aushaltenden, monumentalen Helden machen würde. Vielmehr ist er ein Kämpfer, der bereits entschieden hat, nicht vor der Gewalt zu fliehen. Er hat also den Zustand der Würde durchlaufen und kann nun wieder agieren. Es vollzieht sich im Heroenkampf also genau die Dialektik, die Schillers Anmutskonzept eingeschrieben ist. Die Entfernung vom rein naturhaften Sich-reflexartig-Wehren über die Würde (Standhalten) hin zu einer Aufhebung beider in einer geplanten, regelhaften kämpferischen Bewegung, die aber im Moment der Handlung unbewusst, also quasi-sinnlich ist. Im Anmutigen ist ein innerer Kampf bereits vollzogen, um einen äußeren Kampf möglich zu machen. In den Bewegungen des anmutigen Kämpfers ist damit Gewalt im doppelten Sinne nicht mehr sichtbar: als innere Gewalt, in der sich das sittliche Individuum gegen seine Alltagsmoral für eine Gewalttat entscheidet, und als äußere Gewalt, die durch die Leichtigkeit und Eleganz der Bewegungen nicht mehr in ihrer Vernichtungskraft und ihrem Schrecken sichtbar ist. Der geschickte, schnelle, wendige Kämpfer muss auch bei Schiller anmutig sein und er muss, wie ich zeigen werde, physisch wie geistig weiblich codierte Eigenschaften besitzen. Die Möglichkeit eines anmutigen Kriegertums, wie es die Geschichte der Fechtkunst hervorgebracht hat, ist also auch mit Schillers Anmutsbegriff zu vereinbaren. Die Jungfrau von Orleans, so werde ich zeigen, ist der Versuch, eine solche Form anmutigen Heldentums in Szene zu setzen.
140
Anmut als Heldentum
4) DIE GENDERCODIERUNG VON ANMUT UND WÜRDE Anmut und Würde sind bei Schiller an die Geschlechterdifferenz geknüpft.189 Wie für seine Zeitgenossen ist die Anmut auch für Schiller »eine feminin konnotierte Form der Bewegung«190. Zwar geht Schiller nicht so weit zu behaupten, dass nur die Frau anmutig, nur der Mann würdig sein kann; er gibt aber den Geschlechtscharakter als Tendenz an: »Man wird, im Ganzen genommen, die Anmuth mehr bey dem w e i b l i c h e n G e s c h l e c h t (die Schönheit vielleicht mehr bey dem männlichen) finden [...].« (AuW 288) Die Gründe für diese Verteilung auf die Geschlechter sieht Schiller sowohl im Körperlichen als auch im Psychischen. Mit seiner Argumentation hinsichtlich der Psyche äußert sich Schiller ganz im Sinne einer patriarchalischen Abwertung der Frau und opfert dabei beinahe seine eigene Konzeption. Die Frau sei aufgrund ihrer nur mangelhaft entwickelten Subjektivität nicht in der Lage, sich zu der »höchsten Idee sittlicher Reinheit« (AuW 289) zu erheben, die für die Würde notwendig sei, so Schiller. Der weibliche Charakter werde der Sinnlichkeit »oft mit heroischer Stärke, aber nur d u r c h die Sinnlichkeit widerstehen« (AuW 289). Nun hatte Schiller zuvor viel Ehrgeiz und argumentatives Geschick darauf verwendet zu zeigen, dass die Anmut gerade nicht dem Sinnlichen zuzuordnen sei, sondern eine Versöhnung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft bedeute und dass ihr darüber hinaus der Prozess einer Disziplinierung, also eines Kampfes zwischen Sinnlichkeit und Vernunft zugrunde liege. Schiller scheint die Frau hier jedoch, wie in der Geschlechterdebatte seiner Zeit üblich, auf eine naturhafte Güte reduzieren zu wollen, wenn er schreibt: »Weil nun die Sittlichkeit des Weibes gewöhnlich auf Seiten der Neigung ist, so wird es sich in der Erscheinung eben so ausnehmen, als wenn die Neigung auf Seiten der Sittlichkeit wäre.« (AuW 289) Diese Sittlichkeit aufseiten der Sinnlichkeit lässt sich jedoch mit Schillers Anmutskonzeption nicht vereinbaren. Sie würde der »Temperamenttugend« entsprechen, die Schiller von der Anmut abgrenzt. In der Anmut sollen Sinnlichkeit und Sittlichkeit übereinstimmen; die Sinnlichkeit soll nicht den Impuls für eine Handlung geben, die zufällig mit den ethischen Normen übereinstimmt. In diesem Sinne könnte Anmut bei Schiller so wenig wie bei Kant Ausdruck eines sittlichen Individuums sein. Es ist nicht verwunderlich, dass Schiller sich in dem Moment in Widersprüche verstrickt, in dem er den Dualismus von »Anmut«
189 Vgl. u. a.: Immerwahr: Femininity, S. 397 ff. 190 Brandstetter: Konjunkturen, S. 160.
141
Gewalt und Anmut und »Würde« an die Geschlechterdifferenz koppelt. Denn würde er diesen Gedanken konsequent zu Ende denken, müsste er sich eingestehen, dass er in seiner Anmutstheorie nicht weniger als ein weibliches Heldentum konzipiert, das dem männlichen Heroismus der »Würde« zur Seite gestellt werden muss, ihm partiell sogar überlegen ist.191 Schiller eröffnet mit der Konzeption der »Anmut« die Möglichkeit der Inszenierung eines moralisch gerechtfertigten kriegerischen Handelns auf der Bühne, indem er »Anmut« als Ausdruck von Moralität in der Bewegung von einem inneren Kampf im Erhabenen abgrenzt. Die Aktion des Helden, also auch des kriegerischen Helden, muss in Schillers Ästhetik im Zeichen der »Anmut« inszeniert werden, die er nicht nur als vornehmlich weibliches Ausdrucksideal definiert, sondern auch explizit an einen femininen oder androgynen Körper bindet. So grenzt er die Körperlichkeit, die für die Anmut erforderlich ist, explizit von einem muskulösen virilen Heldenkörper ab, wie ihn etwa Füssli und Blake als erhabenen Heldenkörper entworfen haben: »Der zärtere weibliche Bau empfängt jeden Eindruck schneller und läßt ihn schneller wieder verschwinden. Feste Constitutionen kommen nur durch einen Sturm in Bewegung, und wenn starke Muskeln angezogen werden, so können sie die Leichtigkeit nicht zeigen, die zur Grazie erfodert wird.« (AuW 288)
Es sind also gerade die Merkmale der klassischen Heroen – Muskulösität, physische und psychische Stärke –, die der Anmut und damit auch einer ästhetisierten Kampftechnik im Wege stehen. Der Kontrast zwischen einem männlichen Heldentum im Zeichen der Würde und einem weiblichen Heldentum im Zeichen der Anmut mit eigenem darstellungstechnischem Potenzial wird hier deutlich. Die körperliche »Weiblichkeit« der Anmut verbindet Schiller mit feminin codierten ethischen Qualitäten, die von einem Krieger in bürgerlichen Zeiten erwartet werden: Kant lässt noch im »allergesittetsten Zustande« eine Hochachtung für den Krieger zu, »nur daß man noch dazu verlangt, daß er zugleich alle Tugenden des Friedens, Sanftmut, Mitleid und selbst geziemende Sorgfalt für seine eigene Person beweise [...].«192 Diese Qualitäten, die um 1800 dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden, drücken sich nach Schillers Theorie in der Anmut aus. Eine »anmutige Kriegerin« ist also zum einen Ausdruck einer Ästhetisierung des Kampfes und verbindet sich bei Schiller zum anderen mit der feminin codierten ethi-
191 Vgl. Hinderer: Geschlechter, S. 272. 192 Kant: KdU, S. 351, B 106.
142
Anmut als Heldentum schen Gesinnung der »schönen Seele«, die der Krieger bzw. die Kriegerin besitzen soll.193 Mit dem Entwurf eines anmutigen Heldentums schreibt Schiller eine Entwicklung fort, die, wie ich gezeigt habe, mit der Feminisierung des Heroenkörpers in der Fechtkunst beginnt und in der Ikonografie der Französischen Revolution zu einer spezifisch weiblichen Form von kriegerischem Heldentum stilisiert wird. Schiller bietet der Unterscheidung zwischen einem »graziösen« weiblichen und einem »erhabenen« männlichen Heldentum ein theoretisches Fundament, indem er die beiden Kategorien als geschlechtsspezifische Ausdrucksformen von Moralität im Sinnlichen ausweist. Sie sind eine weibliche und eine männliche Ausdrucksform von Sittlichkeit, die situativ wechseln, genauer: Sie sind Ausdruck eines handelnden Heldentums auf der einen Seite, bei dem keine innere Handlung notwendig ist, und einem erleidenden Heldentum auf der anderen Seite, in dem jede äußere Handlung vergeblich ist und die heroische Überlegenheit im Aushalten des Leids besteht.194 Weiblich wie männlich codierte Eigenschaften sind für die Darstellung überlegener Sittlichkeit und heroischen Handelns gleichermaßen notwendig.
5) DIE DOPPELTE UNSCHULD DER ANMUTIGEN HELDIN Sein idealistisches Anmutskonzept versucht Schiller vehement von einer sexualisierten Weiblichkeitsinszenierung abzugrenzen. Er reagiert hiermit auf die im 18. Jahrhundert verbreitete Auffassung, die Konzeption der Anmut und der Schlangenlinie sei mit weiblicher Erotik und Libertinage verbunden und daher für eine auf ethische Erziehung zielende Kunst nicht geeignet. Die Behauptung der sexuellen Unschuld der Anmut ist bei Schiller jedoch nicht nur Zugeständnis an eine bigotte Sexualmoral, sondern unmittelbar mit dem Konzept eines unvermittelten, wahrhaftigen Ausdrucks der Sittlichkeit in der Erscheinung verknüpft. Erst die sexuelle Unschuld garantiert die Wahrhaftigkeit der Anmut, wie auch nur durch die Wahrnehmung der Anmut auf die Unschuld der Frau zurückge-
193 Vgl. Kapitel C II, S. 84 ff. 194 Interessant ist, dass entgegen der gängigen Differenzierung eines aktiven männlichen und eines passiven weiblichen Geschlechtscharakters die Frau mit dem Anmutsbegriff als Handelnde gedacht ist. Eine Hierarchie der Geschlechter versucht Schiller wiederherzustellen, indem er den inneren Kampf des Erhabenen als überlegen darstellt, widerspricht damit aber seiner eigenen Konzeption.
143
Gewalt und Anmut schlossen werden kann. Die sexuelle Unschuld verschränkt sich mit der Unschuld einer unvermittelten (Körper-)Sprache.195 Die Konzeption der Anmut impliziert die Sehnsucht nach einer eindeutigen Lesbarkeit196 der weiblichen Psyche und die Angst vor einer berechnenden Weiblichkeit, die dem Mann Liebesgunst nur vortäuschen und ihn mit Verführungskünsten bestricken kann. Im Fall der anmutigen Frau ist diese Gefahr gebannt. Sie kann nicht täuschen, da ihr die Bewegungen unbewusst sind, sie kann nur sittlich gut sein, weil ihre Bewegungen anmutig sind. Die Anmut dient als äußerer Garant für die Ehrbarkeit und die aufrichtigen Gefühle der Frau. Umgekehrt ermöglicht erst die sexuelle Unschuld der Frau die anmutige Bewegung. »Verführung« ist in diesem System gleichbedeutend mit »Falschheit«, »Berechnung« – sie kennzeichnet die »falsche Anmut«: »Das andre Geschlecht, welches vorzugsweise im Besitz der wahren Anmuth ist, macht sich auch der falschen am meisten schuldig; aber nirgends beleidigt diese mehr, als wo sie der Begierde zum Angel dienet. Aus dem Lächeln der wahren Grazie wird dann die widrigste Grimasse, das schöne Spiel der Augen, so bezaubernd, wenn wahre Empfindung daraus spricht, wird zur Verdrehung, die schmelzend modulirende Stimme, so unwiderstehlich in einem wahren Munde, wird zu einem studirten tremulirenden Klang und die ganze Musik weiblicher Reizungen zu einer betrüglichen Toilettenkunst.« (AuW 307)
Eine auf erotische Wirkung zielende Selbstinszenierung der Frau wird durch die Manieriertheit von Stimme, Mimik und Bewegung sichtbar, so Schiller. Das erotische Begehren zerstört die anmutige Bewegung, die gerade durch ihre Zweckfreiheit die sittliche Integrität der Person sichtbar machen soll. Der Gedanke einer Zerstörung anmutiger Wahrhaftigkeit durch erotisches Begehren wird auch in Schillers Schrift Ueber das gegenwärtige teutsche Theater deutlich. Schiller knüpft hier an die zu seiner Zeit gängige Diffamierung der Schauspielerin197 an, wenn er schreibt: »Eine abgefeimte Italienische Iphigenia, die uns vielleicht durch ein glückliches Spiel nach Aulis gezaubert hatte, weißt mit e i n e m schelmischen Blick durch die Maske ihr eigenes Zauberwerk w o h l b e d a c h t wieder zu zerstören [...].«198 Ob ihrer Eitelkeit wirft die Schauspielerin einen Blick
195 Vgl. hierzu Wild, Christopher J.: Theater der Keuschheit – Keuschheit des Theaters. Zu einer Geschichte der (Anti-)Theatralität von Gryphius bis Kleist. Freiburg i. Br. 2003, S. 25. 196 Vgl. Knab: Anmut, S. 80 ff. 197 Vgl. Kapitel A I Anmerkung 21. 198 Schiller, Friedrich: »Ueber das gegenwärtige teutsche Theater.« In: Schiller NA, Bd. 20 (1962), S. 81.
144
Anmut als Heldentum durch die Maske. Mit ihrem Bedürfnis, erotisch, schön und begehrenswert zu erscheinen, stört und zerstört sie den Akt der Repräsentation, in welchem sie als reines Medium dienen sollte. Diese Widerständigkeit wird im patriarchalischen Diskurs um 1800 negativ bewertet. Die »schlechte«, erotisch eigenwillige Frau verkörpert die negative Dimension des Begriffes »Schein«, die auf den Inszenierungscharakter von Wirklichkeit verweist. Die »gute« Frau hingegen ist so rein, dass sie den Gegensatz zwischen »Schein« und »Sein« aufzuheben vermag.199 Sie kann in der anmutigen Bewegung einen unmittelbaren Ausdruck des edlen Inneren finden. Die Anmut ermöglicht, ohne (wie das Erhabene) Furcht auszulösen, eine sittliche Rezeption der künstlerischen Darstellung. Sie ermöglicht eine Sicht auf die Frau, die von aller Begierde aufseiten der männlichen Zuschauer und allem erotischen Verführungswillen aufseiten der betrachteten Frau befreit ist. So betont Schiller nicht nur die Unschuld der anmutigen Person, sondern auch die Unschuld des Blicks: »Wahre Schönheit, wahre Anmuth soll niemals Begierde erregen. Wo diese sich einmischt, da muß es entweder dem Gegenstand an Würde, oder dem Betrachter an Sittlichkeit der Empfindungen mangeln.« (AuW 305) In seiner Schrift Ueber das Pathetische verurteilt Schiller diejenigen Theateraufführungen, die nur auf eine Stimulation des Sinnlichen zielen, und schließt sie explizit aus der Kunst aus. Die Reaktion des Publikums diffamiert er als eine der sexuellen Ekstase nicht unähnliche, einem bürgerlichen Zuschauer in jedem Fall unwürdige Entgleisung: »Ein bis ins thierische gehender Ausdruck der Sinnlichkeit erscheint dann gewöhnlich auf allen Gesichtern, die trunkenen Augen schwimmen, der offene Mund ist ganz Begierde, ein wollüstiges Zittern ergreift den ganzen Körper, der Athem ist schnell und schwach, kurz alle Symptome der Berauschung stellen sich ein: zum deutlichen Beweise, daß die Sinne schwelgen, der Geist aber oder das Prinzip der Freyheit im Menschen der Gewalt des sinnlichen Eindrucks zum Raube wird.« (ÜdP 200)
Im darauf folgenden Satz beschränkt Schiller die Unwürdigkeit einer solchen Reaktion auf das männliche Geschlecht: »Alle diese Rührungen sage ich, sind durch einen edeln und männlichen Geschmack von der Kunst ausgeschlossen, weil sie bloß allein dem S i n n e gefallen, mit dem die Kunst nichts zu verkehren hat.« (ÜdP 200) Edle Männlichkeit zeichnet sich also durch die Fähigkeit zu einer von allem sexuellen Begehren befreiten ästhetischen Erfahrung
199 Siehe hierzu: Wild: Keuschheit, S. 23 ff.
145
Gewalt und Anmut
aus, edle Weiblichkeit durch die Fähigkeit zu einem von aller Falschheit und Koketterie befreiten Ausdruck. Doch so sehr Schiller auch betont, dass falsche Anmut durch Manieriertheit sichtbar wird, so sehr steht doch die Möglichkeit der perfekten Imitation der Anmut als Gefährdung des moralisch-ästhetischen Konzepts im Hintergrund, wie Eckart Goebel200 betont. Schiller räumt die Möglichkeit der perfekten Imitation von Anmut ein, der er nur den Vorwurf entgegensetzen kann, sie würde sich gegen die vorbildhafte Harmonie von Sinnlichkeit und Vernunft versündigen: »Nun mag zwar ein Mensch durch Kunst und Studium es zuletzt wirklich dahin bringen, daß er auch die begleitenden Bewegungen seinem Willen unterwirft und gleich einem geschickten Taschenspieler, welche Gestalt er will, auf den mimischen Spiegel seiner Seele fallen lassen kann. Aber an einem solchen Menschen ist dann auch alles Lüge, und alle Natur wird von der Kunst verschlungen.« (AuW 269)
Die Möglichkeit der perfekten Nachahmung beschränkt Schiller auf die Anmut, obwohl auch die Würde durch Nachahmung zu einer falschen Würde herabsinken kann: »Wenn man auf Theatern und Ballsälen Gelegenheit hat, die affektirte Anmuth zu beobachten, so kann man oft in den Kabineten der Minister, und in den Studierzimmern der Gelehrten (auf hohen Schulen besonders) die falsche Würde studiren.« (AuW 307) Die falsche Würde wird durch einen Mangel an Regung sichtbar: »Wenn die wahre Würde zufrieden ist, den Affekt an seiner Herrschaft zu hindern, und dem Naturtriebe bloß da, wo er den Meister spielen will, in den unwillkührlichen Bewegungen, Schranken setzt, so regiert die falsche Würde auch die willkührlichen mit einem eisernen Zepter, unterdrückt die moralischen Bewegungen, die der wahren Würde heilig sind, so gut als die sinnlichen, und löscht das ganze mimische Spiel der Seele in den Gesichtszügen aus.« (AuW 307)
Doch die Würde scheint zuletzt weniger durch eine perfekte Nachahmung gefährdet zu sein als die Anmut, da diese sich, wie Schiller in Ueber das Pathetische ausführt, im Widerstand gegen das Leid beweisen muss. Goebel betont, dass mit dem Eingeständnis der Möglichkeit einer perfekten Nachahmung von Anmut die »transzendentalphilosophische Konstruktion des Essays«201 einstürze. Mit der Möglichkeit der vollendeten Schauspielerei trete der Charismatiker auf die Büh-
200 Goebel: Charisma, S. 50 ff. 201 Goebel: Charisma, S. 50.
146
Anmut als Heldentum ne, so Goebels zentrale These. »[...] es stellt sich heraus, dass Schillers Anmut faktisch Charis und Charisma aus sich entlässt. An die Stelle des toten Gottes tritt immer aufs Neue versucherisch der Charismatiker, der als angeblicher Gesandter höherer Mächte dem individuell und kollektiv aus dem Gleichgewicht geratenen Subjekt eine neue, von Daseinssorge und Dezision entlastende, eine das Heil bringende Balance verspricht.«202 In der Jungfrau von Orleans, so werde ich in meiner Interpretation zeigen, zeichnet sich die Problematik der Anmut ab, die Schiller in seinem Aufsatz formuliert: die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Anmut als Ausdruck moralischer Gesinnung, die sowohl von Johannas Gegnern als auch später von den eigenen Anhängern und der Heldin selbst gestellt wird. Die Gewalt der Figur und ihre Weiblichkeit stehen so lange in keinem Widerspruch, als die Gewalt unmittelbarer Ausdruck der Tugend der Heldin ist – solange sie anmutig ist. Erst in dem Moment, als Johanna bemerkt, dass sie sich bewusst für und gegen ein gewalttätiges Handeln entscheiden kann, zerbricht ihr anmutiges Heldentum. Der Moment der Erkenntnis ihrer Entscheidungsfreiheit ist in der Handlung des Dramas unmittelbar verknüpft mit dem erwachenden erotischen Begehren, das Johanna Lionel entgegenbringt. Es ist der Moment eines doppelten Sündenfalls: des erwachenden erotischen Begehrens (nicht zuletzt gegenüber einem feindlichen Krieger) und der Versündigung gegen die Unschuld der Anmut, welche die paradoxe Figur einer ethischen Gewalt garantieren soll.203 »Anmut« und »Würde« sind in Schillers Theorie als weibliches und männliches Heldentum konzipiert, die sich im Ideal gegenseitig ergänzen. Dem Heroischen stellt Schiller zwei ebenfalls geschlechtlich codierte Formen des Selbstbezugs gegenüber, in denen Vernunft und Sinnlichkeit, Bewusstheit und Unbewusstheit aus dem Gleichgewicht geraten sind: die »Gravität« und die »Koketterie«. An der Bruchstelle dieser Konstruktion steht die Möglichkeit der perfekten Nachahmung, die instabile Grenze zwischen Anmut und Charisma.
202 Goebel: Charisma, S. 54. 203 Zur Jungfräulichkeit als Ausdruck »mediale[r] Reinheit« in der Jungfrau von Orleans siehe: Wild: Keuschheit, S. 441.
147
Gewalt und Anmut
VI. Vollendung »vermittels einer Kurbel« – Kleist und die Prothesengrazie Mit seiner Schrift Über das Marionettentheater schreibt Kleist den Graziendiskurs der Klassik fort und führt ihn zugleich ad absurdum.204 Der Protagonist C. des fiktiven Dialogs greift die Idee des nicht-reflexiven Anteils der Anmut auf und argumentiert, dass Anmut entweder in der Selbstvergessenheit des Tieres oder aber im
204 In Bezug auf Kleists Auseinandersetzung mit dem Diskurs des Erhabenen folge ich den Forschungsergebnissen von Bernhard Greiner, der Kleists Stellungnahme zum Diskurs des Erhabenen in der Schrift Empfindungen vor Friedrichs Seelenlandschaft, im Guiskardfragment und in Der Prinz von Homburg vorfindet. Das Erhabene in der Kunst halte Kleist nur in einem utopischen Szenario für möglich: dann nämlich, wenn sich der Gegensatz von Kunst und Natur aufhebe, wenn das Kunstwerk aus dem Material gemacht sei, welches es bezeichnet: »Ja, wenn man die Landschaft mit ihrer eigenen Kreide und ihrem eigenen Wasser malte; so glaube ich, man könnte Füchse und Wölfe damit zum Heulen bringen […].« Kleist, Heinrich von: »Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft.« In: Kleist Werke, Bd. 3, S. 543. Der Text über Kaspar David Friedrichs Gemälde »Mönch am Meer« behandele die Frage, »wie das Gesetz unterlaufen werden könne, daß eine im Bild, das heißt als Kunstwerk vorgestellte Szenerie des Erhabenen keine erhabene Wirkung mehr hervorbringe«. Siehe hierzu: Greiner, Bernhard: »›Die neueste Philosophie in dieses … Land verpflanzen.‹ Kleists literarische Experimente mit Kant.« In: Kleist-Jahrbuch (1998), S. 202. – In Bezug auf Kleists Heldenkonzeption ist eine Episode aus Kleists Leben interessant, in der er selbst versucht, das Leben des Kriegers Guiskard, der Hauptfigur seines aktuellen Projekts, nachzuleben, indem er in den französischen Kriegsdienst einzutreten versucht. In einer Seeschlacht möchte er wie Guiskard den Heldentod sterben. An Ulrike schreibt er am 26.10.1803: »[…] ich werde französische Kriegsdienste nehmen, das Heer wird bald nach England hinüber rudern, unser aller Verderben lauert über den Meeren, ich frohlocke bei der Aussicht auf das unendlich-prächtige Grab.« Kleists Brief an Ulrike von Kleist vom 26.10.1803. In: Kleist Werke. Bd. 4 (1997), S. 321. Siehe hierzu: Greiner: Philosophie, S. 201. – Greiner interpretiert vor dem Hintergrund der kleistschen Poetik die inszenierte Hinrichtungsszene im Prinz von Homburg als Zerstörung des erhabenen Heroismus in der Kunst: »Denn ein nur als Spiel vorgestelltes Erhabenes konfrontiert nicht mehr mit einem Un-faßlichen – hier dem Tod – als Ausgangserfahrung einer erhabenen Wende in die Sphäre des Ideellen, das Un-faßliche ist dann vielmehr schon immer unter den Bedingungen des Spiels ›gefaßt‹ und das heißt entmächtigt.« Greiner, Bernhard: Grazie des unendlichen ›Bewußtseins‹. Prinz Friedrich von Homburgs Initiation in den Vernichtungskrieg. Heilbronn 1999, S. 18.
148
Anmut als Heldentum mechanischen Funktionieren der Marionette verwirklicht sei.205 Sein Gegenüber, zunächst skeptisch gegenüber dieser These, lässt sich im Verlauf des Gesprächs zunehmend überzeugen und trägt selbst mit der Erzählung über einen Knaben, der durch wachsendes Bewusstsein seine Anmut verliert, zu der Gedankenführung bei. Die Überlegungen des Tänzers sind widersprüchlich im Hinblick auf eine anmutige Subjektkonzeption. Er gibt die Idee einer anmutigen Subjektivität in der Erzählung über das Marionettenspiel nicht auf, stellt aber die Einheit von Körper und Geist und damit die rein humane Qualität der Anmut infrage. Das in sich gespaltene Subjekt findet auch hier in der Bewegung, im Tanz, zu einer Vermittlung von Geist und Materie, zu einem unmittelbaren Ausdruck des Geists in der Bewegung; nur wird die Einheit von Geist und menschlichem
205 Mehrere Interpreten haben darauf hingewiesen, dass sich dem Text keine eindeutige Stellungnahme des Autors zum Anmutsdiskurs entnehmen lässt. Clemens Hesselhaus weist auf die paradoxale Struktur der Schrift hin. Hesselhaus, Clemens: »Das Kleistsche Paradox.« In: Sembdner, Helmut (Hrsg.): Kleists Aufsatz über das Marionettentheater. Studien und Interpretationen. Berlin 1967, S. 112-131. De Man sieht den Text nicht als »Argumentationsgang, sondern als Folge von drei verschiedenen Erzählungen […], die in den dialogischen Rahmen einer Theaterszene eingeschlossen sind.« De Man, Paul: Allegorien des Lesens. Frankfurt a. M. 1988, S. 209. Für Hella Röper besitzt der Text eine »offene Lösung« als »typisches Formelement der Romantik«. Röper, Hella: Grazie und Bewusstsein bei Heinrich von Kleist. »Über das Marionettentheater«. Versuch einer komplexen Analyse. Aachen 1990, S. 20. Es handelt sich nicht um einen argumentativen Text, sondern um eine Reihe von Erzählungen, die durch zugrunde liegende philosophische Überlegungen, aber auch motivisch miteinander verknüpft sind. Keineswegs dürfen die Einigung der Protagonisten am Ende des Dialogs und das eschatologische Schlussszenario des wiedergefundenen Paradieses als Grundaussage des Textes verstanden werden. Vgl. de Man: Lesen, S. 209, und Schneider, Helmut J.: »Dekonstruktion des hermeneutischen Körpers. Kleists Aufsatz ›Über das Marionettentheater‹ und der Diskurs der klassischen Ästhetik.« In: KleistJahrbuch (1998), S. 154. Zu viele Hinweise sprechen dafür, dass Kleist die Motive der anmutigen Marionette und des anmutigen Bären, wie auch die Erlösungsfantasie ironisch gegen die schillersche Ästhetik wendet. Doch auch für eine eindeutig ironische Stellungnahme fehlen die Beweise. Vgl. Beil, Johannes Ulrich: »›Kenosis‹ der idealistischen Ästhetik.« In: KleistJahrbuch (2006), S. 75-99. Im Folgenden möchte ich daher die verschiedenen Erzählungen einzeln mit Blick auf die entwickelten Problemfelder betrachten, ohne dem Text eine eindeutige Position zu unterstellen. Es geht mir um die Frage nach einem anmutigen Heroismus, die Verschränkung von Weiblichkeit und Anmut sowie vor allem die Anmut des Kampfes, die Kleist mit der Bärenepisode wieder explizit in den Diskurs einführt.
149
Gewalt und Anmut Körper durch die Einheit von Geist und Prothesenkörper206 ersetzt. Die Linie, die der Schwerpunkt der Marionette beschreibt, so C., sei »nichts anders als der Weg der Seele des Tänzers; und er zweifle, daß sie anders gefunden werden könne, als dadurch, daß sich der Maschinist in den Schwerpunkt der Marionette versetzt, d. h. mit anderen Worten, tanzt.« (ÜdM 557) Das Bild erinnert an Schillers Gedicht Der Tanz207, in welchem er die Linien, die ein tanzendes Paar beschreibt, im Sinne der Schönheitslinie als Ausdruck der Grazie deutet. Wie in Schillers Gedicht die Linie in der Bewegung entsteht und wieder verschwindet, sind auch die Linien des Marionettentanzes als performativer Akt zu verstehen. In dieser Bewegungslinie konstituiert sich die Seele des Tänzers: »[...] es gibt keine Seele vor dem Tanzen, vielmehr wird sie erst durch den Tanz hergestellt: dargestellt.«208 Doch bei Schiller funktioniert eine performative Subjektkonstitution nur in der Einheit von Körper und Geist. Schiller hatte mit seiner Anmutskonzeption gerade ein idealistisches Menschheitskonzept, eine heroische Vollendung menschlicher Entwicklung angestrebt. Die Überwindung innerpsychischer Spaltung in der Anmut hält nun auch C. für möglich, aber allein mithilfe der Technik. Die Einheit von Körper und Geist zerfällt in die Einheit von Geist und Prothese. Den Topos menschlicher Vollendung mit dem Glauben an Technik zu verknüpfen, stellt jedoch keinen Widerspruch zu Schillers Theorie dar; sie ist vielmehr deren konsequente Weiterführung. Technik ist auch Schillers Anmutsverständnis inhärent: Die künstliche, durch Disziplinartechniken anerzogene Beherrschung von Bewegung, die in einem letzten Schritt wieder reflexartig abrufbar ist, evoziert das Bild eines durch und durch technischen und durch Technik konstruierten Menschen.209 Die Einheit Mensch/Marionette verwirklicht noch eine weitere Anforderung, die Schiller an das anmutige Subjekt stellt: die voll-
206 Elena Dabcovich sieht in Kleists Marionette die »vollkommene Prothese«, eine »Maschine, die nicht nur den Menschen ›ersetzt‹, sondern vielmehr etwas vollbringen kann, was er aus seinen ›natürlichen‹ Kräften heraus nicht vollbringen kann.« Dabcovich, Elena: »Die Marionette. Die Lösung eines künstlerischen und moralischen Problems durch einen technischen Gedanken.« In: Sembdner: Marionettentheater, S. 89. 207 Vgl. Kapitel C IV 2 Anmerkung 183. 208 Schneider: Dekonstruktion, S. 167. 209 Vgl. hierzu auch Gnam, Andrea: »Die Rede über den Körper. Zum Körperdiskurs in Kleists Texten ›Die Marquise von O…‹ und ›Über das Marionettentheater‹.« In: Text und Kritik. Sonderband Heinrich von Kleist. Hrsg. von Arnold, Heinz Ludwig. In Zusammenarbeit mit Roland Reuss und Peter Staengle. München 1993, S. 171.
150
Anmut als Heldentum ständige Ausgrenzung erotischer Eigenständigkeit des Körpers aus der Bewegung. Schiller selbst hatte in seinem Aufsatz Ueber das gegenwärtige teutsche Theater die Marionette als Beispiel einer von aller Ziererei freien Darstellung den koketten Schauspielern entgegengehalten.210 Auch an Schillers Kritik an der »Tanzmeistergrazie« (AuW 269) in Ueber Anmuth und Würde erinnert es, wenn C. den Vorteil der Marionette vor allem in ihrer Unfähigkeit zur Ziererei sieht und wie folgt Kritik an seinen Tänzerkollegen übt: »Sehen sie nur die P... an, fuhr er fort, wenn sie die Daphne spielt, und sich, verfolgt vom Apoll, nach ihm umsieht; die Seele sitzt ihr in den Wirbeln des Kreuzes [...]. Sehen Sie den jungen F... an, wenn er, als Paris, unter den drei Göttinnen steht, und der Venus den Apfel überreicht: die Seele sitzt ihm gar (es ist ein Schrecken, es zu sehen) im Ellenbogen.« (ÜdM 559)
Diese Passage ist in mehrfacher Hinsicht ironisch auf Schiller bezogen: Zum einen wählt C. zwei erotisch konnotierte Sujets, an denen die Tänzer scheitern: die Verfolgung der Daphne durch Apoll und die Wahl der schönsten Göttin durch Paris, die nicht zuletzt durch die erotische Eroberung der Helena belohnt werden soll. Es ist also nicht die Darstellung von Unschuld, die durch die erotische Eigenwilligkeit der Tänzer gestört wird; den Tänzern misslingen vielmehr zwei Szenen, die selbst schon moralisch zweideutig zu nennen sind. Zweitens wird die Ziererei von C. nicht moralisch, sondern technisch begründet. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als ein bedauerliches Verrutschen des Schwerpunktes: »Denn die Ziererei erscheint, wie Sie wissen, wenn sich die Seele (vis motrix) in irgendeinem andern Punkte befindet, als in dem Schwerpunkt der Bewegung.« (ÜdM 559) So ist auch in der Beziehung von Mensch und Ersatzkörper die Gefahr der Ziererei nicht deshalb gebannt, weil der Holzkörper keine erotische Dynamik besitzt, sondern weil die Marionette nur aus dem Schwerpunkt agiert, in den sich der Maschinist mit seiner Seele versetzt.211
210 Benno von Wiese hat auf den Bezug zu Schillers Marionettenbeispiel in Über das gegenwärtige Teutsche Theater aufmerksam gemacht. Von Wiese, Benno: »Das verlorene und wieder zu findende Paradies. Eine Studie über den Begriff der Anmut bei Goethe, Kleist und Schiller.« In: Sembdner: Marionettentheater, S. 196-220, S. 213. 211 Der Erzähler stellt in seinem Bericht über einen Knaben, der seine Anmut verliert, wieder deutlicher die Verknüpfung von sexueller Unschuld und Grazie her. Er führt den Verlust der Anmut eindeutig auf die erotisch motivierte Eitelkeit des Knaben zurück. An diesem lassen sich schon vor dem Zusammenbruch der Anmut, »von der Gunst der Frauen herbeigerufen, die ersten Spuren von Eitelkeit erblicken« (ÜdM 478). Diese Eitelkeit
151
Gewalt und Anmut Interessant ist der Einfluss, welchen die Überformung der schillerschen Theorie auf die Genderkonstruktion nimmt: Indem sich die Grazie immer mehr zu einer prothetischen Konstruktion aus Mensch und Technik entwickelt, verliert sie sowohl ihre moralische als auch ihre geschlechtsspezifische Ausdrucksfähigkeit.212 Im Fall der Marionette ist die Frage der geschlechtsspezifischen Moralität der Frage nach der Beherrschbarkeit des Schwerpunkts gewichen. Ziel des Herrn C. ist es, noch die letzte Eigendynamik des menschlichen Körpers aus dem Marionettenspiel zu verbannen, die er in der Bewegung der Finger gegeben sieht. Diese verhalte sich zur Bewegung der Puppen nämlich »ziemlich künstlich«, so C, »etwa wie Zahlen zu ihren Logarithmen oder die Asymptote zur Hyperbel.« (ÜdM 557) Das von Schiller formulierte Ideal einer Bewegung, die nur aus sich selbst motiviert ist, kann also auch durch das Marionettentheater nicht ganz erfüllt werden. Mit dem Bau der perfekten
ist in dem Moment vollends erwacht, in dem er – dem antiken Narziss gleich – seine eigene Anmut im Spiegel entdeckt und zu reproduzieren versucht. Die Erzählung entspricht nur teilweise der Thesenführung Cs. Gemeinsam ist ihnen die Idee einer negativen Auswirkung des Bewusstseins auf die Anmut. Diese hat bei dem Erzähler jedoch moralische Qualitäten: Bewusstsein heiße, ganz im Sinne des Sündenfallmythos, die Sinnlichkeit des Körpers zu erkennen und ihn zugunsten einer Wirkung künstlich in Szene setzen zu können. Bei C. ist der negative Einfluss des Bewusstseins, wie gezeigt, ein rein technischer. 212 Gail Hart vertritt die These, dass Kleists Text Über das Marionettentheater die Anmut von ihrer traditionellen Zuordnung zum weiblichen Geschlecht entkoppelt und sie in den Dienst homosozialer Beziehungen, das heißt der Regelung von Beziehungen zwischen Männern stellt. Hart, Gail: »Anmut’s Gender. The ›Marionettentheater‹ and Kleist’s Revision of ›Anmut und Würde‹.« In: Women in German Yearbook 10 (1995), S. 83-96. Ich stimme Hart’s Beobachtung zu, dass der Text sowohl von homosozialen als auch von homoerotischen Bildern geprägt ist: Diese finden sich sowohl im Verhalten der beiden Diskutanten, in der Dornauszieher-Episode, als auch in den gemeinsamen misogynen Ansichten der Sprecher. Allerdings ist die vom Menschen entkoppelte Prothesengrazie weder an ein männlich noch an ein weiblich konnotiertes Objekt gebunden. In den Beispielen des Herrn C., der die Konzeption einer prothetischen Grazie vertritt, ist es einmal eine Marionette, also ein Objekt mit weiblichem Genus und der Bär als Tier mit männlichem Genus, welche seine Vorstellung von Form der Grazie erfüllen. Für die Prothesengrazie ist das Geschlecht in Kleists Text irrelevant. Die Konzeption »weiblicher Grazie« ist aber in den Beispielen in ironischer Form mitgedacht: Die hölzerne Marionette wie auch der ungeschlachte Bär müssen als Parodien der traditionellen Bilder anmutiger Frauenkörper verstanden werden.
152
Anmut als Heldentum Marionette will C. nun die perfekte Grazie erreichen213: »Inzwischen glaube er, daß auch dieser letzte Bruch von Geist, von dem er gesprochen, aus den Marionetten entfernt werden, daß ihr Tanz gänzlich ins Reich mechanischer Kräfte hinübergespielt, und vermittels einer Kurbel [...] hervorgebracht werden könne.« (ÜdM 557) Die Seele bleibt als Restbestand der schillerschen Konzeption übrig, während die Grazie ansonsten eine Frage der perfekten Technik ist. Ob diese Seele eine »schöne Seele« sein muss, bleibt offen. Über die Frage, ob nur ein moralisch guter Mensch in der Puppe die anmutige Bewegung herbeiführen kann, äußert sich C. nicht. Heldenhaft im Sinne unmittelbar erkennbaren moralischen Handelns kann, aber muss die Grazie der Marionette nicht sein. Die moralische Indifferenz von C.’s Konzeption zeigt sich auch in der Verknüpfung von Anmut und Gewalt, die der Text vornimmt. In der Episode über die tanzenden Kriegsversehrten wie auch in der Geschichte vom fechtenden Bären werden Tanz und Kampf, Grazie und Gewalt parallelisiert. Der Text knüpft damit an die Grazienästhetik der Fechtkunst an. Wie die Marionettenepisode spielt auch die Geschichte der tanzenden Kriegsversehrten auf den Topos der Versöhnung menschlicher Zerrissenheit durch die Technik an, die Schillers Anmutskonzeption inhärent ist. Ganz in der kleistschen Manier, Metaphern beim Wort zu nehmen, zeigt die Episode Menschen, die es tatsächlich körperlich und seelisch zerrissen hat. Während der Bär die perfekte Grazie erreicht und damit in der Fechtkunst unbesiegbar wird, konnten sich die Kriegsversehrten in der Schlacht nicht gegen die 213 Mit seiner Theorie führt Kleist einen Topos in die Ästhetik der Bewegung ein, die den Diskurs des Heroischen nachhaltig geprägt hat: die Idealisierung der maschinellen Bewegung. Tatsächlich wird sowohl die Tanz- als auch die Fechtkunst nicht lange Zeit nach dem Erscheinen von Kleists Aufsatz durch die Technisierung von Bewegung infrage gestellt. Ende des 19. Jahrhunderts erfand ein Professor Gioberti eine »Fechtmaschine«, das »Taccometro«, das von den Fechtmeistern mit großer Feindseligkeit gesehen wurde, stellte sie doch die humane Qualität des Fechtkampfes und nicht zuletzt die eigene Position als Ingenium der Fechtkunst infrage. Siehe Anglo: Martial, S. 33. In den Comics und Actionfilmen des 20. Jahrhunderts wird der/die Cyborg als Synthese aus Mensch und Technik eine eigene Form des Heldentypus (z. B. der Terminator) wie auch der Roboter als handlungs- und bewusstseinsfähige Maschine. Zur Verschmelzung des Helden mit der Technik siehe u. a. Früchtl: Heldengeschichte, S. 346 ff. Zum Bezug zwischen Kleists Text »Über das Marionettentheater« und der Figur des Cyborgs siehe Beil: Kenosis, S. 96 f. und Bergermann, Ulrike: Bewegung und Geschlecht in Kleists Marionettentheater und in Bildern von virtueller Realität. URL: http://www.thealit.de/lab/LIFE/LIFEfiles/ r_08_8.htm (Stand: 12. November 2009)
153
Gewalt und Anmut Übermacht der Technik, gegen die Kanonen und Gewehre schützen. Kämpferische Grazie ist in einem technisierten Krieg kein Mittel der Verteidigung mehr. Mit dem Verlust der Gliedmaßen scheint auch die Grazie als innersubjektive Versöhnung verloren zu sein. Die Soldaten können allein durch die Erhabenheit im Leiden heroisch sein. Doch die Prothesen schaffen, so die makabre Wendung der Geschichte, nicht nur einen schlechten technischen Ersatz für die verlorenen Gliedmaßen, eine defizitäre Wiederherstellung der natürlichen Einheit des Körpers. Sie ermöglichen dem Individuum vielmehr die Überwindung der doppelten »Zerrissenheit« in der anmutigen, tänzerischen Bewegung. Die Verletzten erhalten durch die Prothesen eine Grazie, die ihnen die Bewunderung des besten Tänzers des Landes einbringt. »Der Kreis ihrer Bewegungen ist zwar beschränkt; doch diejenigen, die ihnen zu Gebote stehen, vollziehen sich mit einer Ruhe, Leichtigkeit und Anmut, die jedes denkende Gemüt in Erstaunen setzen.« (ÜdM 558) Hatte die technische Vernunft Mittel geschaffen, den Menschen nicht nur innerlich zu zerreißen, sondern auch seinen Körper im Kampf zu zerfetzen, kann sie ihn zuletzt wieder heilen bzw. versöhnen – die Reminiszenz an Schillers Dialektik ist unübersehbar. Die Bärenepisode führt die Verschränkung von Anmut und Gewalt weiter.214 Kleists Bär erfüllt exakt die Vorgaben einer auf Anmut basierenden Kampftechnik: Er ist deshalb unbesiegbar, weil er durch und durch anmutig ist, weil ihm die Beherrschung der Technik zur zweiten Natur geworden ist. Das Tier verwirklicht das Ideal
214 Auch in der Geschichte über den Knaben findet sich eine Verschränkung von Anmut und Gewalt, wie de Man herausgearbeitet hat. Die Skulptur »der Dornauszieher«, an die sich der Knabe beim Blick in den Spiegel erinnert fühlt, wurde von Goethe in seinem Laokoon-Aufsatz als Beispiel für Anmut angeführt. Paul de Man weist auf den gewaltsamen Aspekt hin, der auch diesem Beispiel innewohnt: Die Skulptur »der Dornauszieher« kreise um eine Verletzung, eine kleine, durch einen winzigen Dorn hervorgerufene zwar, aber doch eine Wunde. Die Bewegung des Dornausziehens sei dazu angetan, sich von dem Schmerz, den der Dorn verursacht, zu befreien. Auf diese Weise kann de Man die Handlung des Jünglings als eine ins Absurde gemilderte Form des Erhabenen verstehen: »[…] ist nicht gerade dies die Aufgabe der ästhetischen Form, die ein Kunstwerk nachahmt (ek-phrasis), das Schauspiel des Schmerzes an die Stelle des Schmerzes selbst zu setzen und ihn auf diese Weise zu sublimieren, von den erfahrenen Schmerzen abzulenken und auf die Vergnügungen der Nachahmung hinzulenken? So würde der splitterziehende Jüngling ein Laokoon en miniature, eine Fassung des neoklassischen Triumphs der Nachahmung über Leiden, Blut und Häßlichkeit.« De Man: Lesen, S. 221 f.
154
Anmut als Heldentum des Kampfes als Spiel so perfekt, dass es in Ernst umschlägt. Die spielerischen Elemente der Finten, der Verstellung, und auch der Wunsch, selbst anzugreifen und Punkte zu sammeln, sind aus seinem Kampfstil verschwunden.215 Die Finten kann er durchschauen, sodass er nur auf die »wirklichen« Schläge reagieren muss. Hier scheint sich Schillers Konzeption umzukehren: Während dieser dem anmutigen Subjekt die perfekte Lesbarkeit, also den vollständigen Ausdruck seiner oder ihrer selbst in der Bewegung zusprach, ist bei Kleist umgekehrt das anmutige Tier in der Lage, sein Gegenüber perfekt zu entziffern.216 Indem er das Spiel vollkommen beherrscht, zerstört der Bär zugleich die Dynamik des Spiels. Denn der Bär reagiert nur, er wehrt Schläge ab, führt aber selbst keine Angriffe aus. Bedenkt man, dass die Technik der »Parade« erst eine späte Entwicklung in der Geschichte der Fechtkunst war und dass durch diese Technik erst die tänzerische Bewegungschoreografie möglich wurde, welche im 18. Jahrhundert die Fechtkunst prägte217, so scheint es, als würde der Bär die Zivilisierung und Ästhetisierung des Fechtkampfes zur Vollendung führen. Gewalt ist aus seinem Kampfverhalten eliminiert, da er nur Schläge abwehrt und den Gegner nicht zu verletzen sucht. Die Bewegungsabläufe bestehen wiederum nur noch aus der eleganten Technik der Parade.
215 Blamberger betont, dass mit dem Bären keineswegs ein naturhaft tierisches Bewusstsein gedacht ist, sondern die zur Perfektion getriebene Nachahmung. Der Bär sei »im Gefecht nicht überlegen, weil er, wie es in der Fechtersprache heißt, bloß ›naturalisiert‹, d. h. reflexionslos, ohne Technik und Taktik, Kunstgriffe und Finten ficht […]. Er gewinnt in einem Wettkampf zwischen Verschlüsselung und Dechiffrierung, weil er die Codes dieses Kampfes […] perfekt beherrscht. So ist sein ›Naturalisieren‹ selbst bloß Verstellung, eine raffinierte List im Duell.« Blamberger, Günter: »Agonalität und Theatralität. Kleists Gedankenfigur des Duells im Kontext der europäischen Moralistik.« In: Kleist-Jahrbuch (1999), S. 31. 216 Für De Man bezeichnet der Kampf zwischen Bär und Erzähler daher ein agonales Verhältnis von Leser und Autor. Die Geschichte sei »von der Figur des Über-Lesers beherrscht, der den Autor nahezu auf Nichts reduziert«. De Man: Lesen, S. 232. Die Finten des Erzählers stehen für die künstlerischen Strategien zur Erzeugung des schönen Scheins. Indem der Leser sie als künstlich erkennt, ist er zwar der perfekte Leser, der aber zugleich die künstlerische Wirkungsdimension zerstört. Auch für Bohrer steht der Fechtkampf zwischen dem Bären und C. »für den ästhetischen Akt«. Bohrer, Karl Heinz: »Stil ist frappierend. Über Gewalt als ästhetisches Verfahren.« In: Ders.: Imaginationen des Bösen. Für eine ästhetische Kategorie. München 2004, S. 197. 217 Vgl. Kapitel C IV 4 b, S. 112.
155
Gewalt und Anmut Der Bär siegt, indem er durch seine gottgleiche Sicherheit den Gegner aus seiner anmutigen Balance bringt. »Der Ernst des Bären kam hinzu, mir die Fassung zu rauben«. (ÜdM 562) Die Störung der Anmut zeigt sich in der Erzählung durch den Fokus auf die kreatürliche Dimension des Körpers: »[...] Stöße und Finten wechselten sich, mir triefte der Schweiß«. (ÜdM 562) Schweiß, als körperlicher Ausdruck physischer Anstrengung, der hier sogar »trieft«, also in Mengen ausgeschieden wird und den Körper verunziert, bezeichnet den Verlust der Leichtigkeit, der Herrschaft des Willens über die Schwerkraft. In ähnlicher Weise hatte zuvor der Erzähler den Sohn seines Freundes im Fechten besiegt, indem er ihn nämlich aus seiner anmutigen Balance gebracht hat: »Wir fochten; doch es traf sich, daß ich ihm überlegen war« (ÜdM 562), heißt es zunächst, ohne dass eine Begründung für die Überlegenheit angegeben wird. Naheliegend ist aber, dass es sich um eine bessere Beherrschung der Technik handelt. Dann setzt der Erzähler seine Beobachtung wie folgt fort: »[...] Leidenschaft kam dazu, ihn zu verwirren; fast jeder Stoß, den ich führte, traf, und sein Rapier flog zuletzt in den Winkel.« (ÜdM 562) Durch den Zorn darüber, dass er technisch unterlegen ist und durch den leidenschaftlichen Wunsch zu siegen, gerät der Jüngling im Kampf noch mehr ins Hintertreffen und verliert seine Balance. Ganz im Sinne der schillerschen Anmutskonzeption zerstört also ein Übergewicht des Sinnlichen die anmutige Bewegung. Die Geschichte vom fechtenden Bären dekonstruiert in mehrfacher Hinsicht den Anmutsdiskurs: Zum einen zeigt sie, wie schon die Geschichte der Marionette, die sukzessive Enthumanisierung der Anmut. Das Erringen von Grazie ist in Kleists Text ein Prozess, welcher der menschlichen Kultur entspringt, diese aber zuletzt hinter sich lässt. Die teleologische Ausrichtung des Graziendiskurses bleibt bestehen, aber die Zielrichtung ist verschoben. Doch keineswegs ist die Grazie in den Beispielen des Herrn C. von allem menschlichen Einfluss befreit: Die Marionette ist ein vom Menschen geschaffenes Konstrukt, der Bär ein von Menschen dressiertes Wesen. »Auferziehen« (ÜdM 562) ist das Wort, welches im Text für die Aufzucht des Bären verwendet wird. Es ist eine Mischung aus »aufziehen« und »erziehen« und spielt damit auf den Disziplinierungsprozess an, den der Bär durchlaufen hat, um seine gottähnliche Grazie zu erreichen.218 Grazie wird in den Beispielen des C. einem prothetischen Menschsein zugewiesen, einer Mischung aus menschlichem Bewusstsein und technischer Erweiterung.
218 Vgl. Schneider: Dekonstruktion, S. 174, und Ruprecht: Dances, S. 45.
156
Anmut als Heldentum Der Bär ist in dem Text diejenige Figur, die der Vollkommenheit, der Annäherung der Kreatur an das Göttliche am nächsten kommt. Er scheint bereits das »unendliche Bewusstsein« zu besitzen; die Welt ist ihm unvermittelt erkennbar. Das Stadium innerer Zerrissenheit, das die Prothese notwendig macht, hat das Tier hinter sich gelassen. So kämpft der Bär als Fechter ohne Waffe. Das technische Hilfsmittel, die »Prothese«, um deren Beherrschung die gesamte Fechtkunst kreist, ist für seinen Kampf nicht notwendig. Im Fall des Bären ist die zuvor im Marionettenbeispiel behauptete prothetische Anmut wieder aufgehoben. Er ist damit Sinnbild einer zweiten Natur, einer Beherrschung von Technik, die schon wieder naturhaft ist. Die Geschichte des anmutig kämpfenden Bären dekonstruiert zudem die geschlechtliche Codierung der Anmut. Im Fall des Bären ist die menschliche Kunstfertigkeit in den Dienst eines dressierten Tieres gestellt, dem eine moralische Dimension seines Kampfes fremd ist und dessen Physiognomie parodistisch einer anmutigen weiblichen Physis entgegengesetzt ist. Die Wahl des Bären als Inbegriff der Grazie muss als ironische Wende gegen den Körperdiskurs der Klassik verstanden werden, der im zierlichen, zarten Körper die Voraussetzung des Schönen sieht und das Schwere, Monumentale, Gravitätische dem Erhabenen zuordnet. So hatte Schiller in den Kallias-Briefen explizit den Bären als Beispiel für die Überlegenheit der Masse über die Form und damit als Beispiel mangelnder Schönheit angeführt. Die Herrschaft der Masse über die Form stellt einen Widerspruch zum Ideal der Schönheit als »Freiheit in der Erscheinung« (KB 199) dar. Schiller hatte erklärt, dass die Schönheit der Tiere in dem Maße abnehme, in dem die Masse sowohl die Bewegung als auch die Form des Tieres bestimme. Es geht Schiller also nicht um die absolute Schwere des Tieres, sondern um das Verhältnis von Form und Bewegung auf der einen Seite und Masse auf der anderen.219 In diesem Sinne besitzt ein Pferd mehr Schönheit als eine Ente, da das Pferd sich trotz seiner Masse durch eine schlanke Form auszeichnet und sich mit Leichtigkeit bewegen kann. Anders sei dies beim Elefanten, aber auch beim Bären: 219 Zum Einfluss der kopernikanischen Physik auf Schillers Schönheitskonzeption in den Kallias-Briefen siehe: McCarthy, John A.: »Kopernikus und die bewegliche Schönheit. Schiller und die Gravitationslehre.« In: Braungart, Georg und Bernhard Greiner (Hrsg.): Schillers Natur. Leben, Denken und literarisches Schaffen. Hamburg 2005, S. 15-37. Hier vor allem S. 32 f. Eine ausführliche Intertextualitätsstudie zu Schillers theoretischen Schriften und Kleists Text Über das Marionettentheater hat zuletzt Ulrich Johannes Beil vorgelegt – auf den Bezug zu den Kallias-Briefen geht Beil allerdings nicht ein. Beil: Kenosis.
157
Gewalt und Anmut »Im Bau des Elephanten, des Bären, des Stiers u s f. ist es die Maße, welche an der Form sowohl als an der Bewegung dieser Thiere einen sichtbaren Antheil hat. Die Maße aber muß jederzeit der Schwerkraft gehorchen, die sich gegen die Eigene Natur des organischen Körpers als eine fremde Potenz verhält.« (KB 205)
Der fechtende Bär konterkariert die Idee einer durch die Übermacht der Schwerkraft besiegten Form und Beweglichkeit. Denn im Text wird die Dominanz der Masse im Körper des Bären nicht bestritten, im Gegenteil: Der Eindruck von Plumpheit soll ja gerade den Kontrast zu den Leistungen des Tieres darstellen. Die Unbewusstheit seines Handelns vermag aber die Schwere in der Anmut zu überwinden. Der Bär erfüllt in mehrfacher Hinsicht die Anforderungen an ein weiblich-anmutiges Heldentum und führt das Konzept hierdurch ad absurdum. Zum einen hat er – wie in Schillers Anmutskonzeption vorgesehen – mit seiner Grazie den Zustand natürlicher Determination überwunden. Denn keineswegs siegt der Bär, weil er übermächtig stark ist. Er könnte allein durch seine Körperkraft und mithilfe seines Gebisses den Menschen besiegen und töten, aber er erringt seine Siege allein durch die Beherrschung der Fechtkunst. Zweitens ist der Bär Sinnbild eines moralisch gerechtfertigten Kämpfers, da seine Kampftechnik auf reine Notwehr reduziert ist. Indem er nur auf die Angriffe des anderen reagiert, erfüllt er das Ideal einer mit bürgerlichen Werten zu vereinbarenden Kriegsführung und damit die moralischen wie technischen Anforderungen an ein anmutiges Heldentum. Doch sein Handeln ist weder moralisch motiviert, noch entspricht sein Körper den Vorstellungen eines androgynen Kampfkörpers. C. stellt also eine Beziehung zwischen Gewalt und Anmut her, sowohl in der Geschichte der tanzenden Kriegsversehrten als auch in der des kämpfenden Bären. Er schöpft die Bilder aus der Tradition der anmutigen Fechtkunst und aus dem Anmutsdiskurs um 1800. Doch das Konzept einer anmutigen und damit zugleich moralisch guten Gewalt, wie es in den Kriegerinnendarstellungen um 1800 gedacht ist, scheitert an den inneren Aporien der Konzeption. Denn durch den technischen Charakter, welcher der Anmut innewohnt und der mit dem Fortschreiten technischer Möglichkeiten immer deutlicher wird, verliert Anmut ihre humane und damit auch ihre moralische und geschlechtsspezifische Konnotation.
158
Anmut als Heldentum
VII. »Da werden Weiber zu Hyänen« – Hysterie als Schattenseite der Anmut 1) HEROISCHE GEWALT VERSUS GEWALTEXZESS Die Kehrseite einer »vernünftigen«, erhabenen oder gar anmutigen Gewalt ist der Gewaltexzess. Ein Umschlagen in rauschhafte Gewalt ist die ständig präsente Gefahr in der Ästhetik und Ethik der Kampfkunst wie auch der modernen Kriegsführung.220 Vor allem im Kontext einer bürgerlichen Revolution muss die wahnhafte Seite der Gewalt aus der Heldeninszenierung gebannt werden.221 Kann Gewalt noch im Rahmen eines ethisch geregelten und militärisch koordinierten Nationalkrieges als vernünftig erscheinen, ist der Wahn eine konstante Bedrohung der auf Vernunft bauenden bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Ein Gewaltexzess ist in die Theorie der »vernünftigen Gewalt«222 nicht integrierbar. 220 Noch in der Theorie des zeitgenössischen Kampfsports, in der der Kampf bereits durch seine Zuordnung zum Sport von der Tötungsintention befreit und in einen spielerischen Wettkampf überführt ist, lauert die »Naturhaftigkeit« einer nicht kontrollierten, rauschhaften Gewalt, die durch äußere Faktoren kontrolliert werden muss. Anstelle eines angenehmen Flow-Erlebnisses kann ein totales Aufgehen im gewalttätigen Ernstkampf zu einer Art ›Berserkerwüten‹ führen, das möglicherweise von blutrauschähnlichen Phänomenen begleitet ist. Auch der Kampfsport, vor allem in seinen direkteren, ernsthafteren, nicht-spielerischen Ausprägungen ist nicht frei von analogen Gefahren, wie z. B. Berichte über den Boxstil von Jack Dempsey zeigen, den Joyce Carol Oates als »eine der abschreckendsten, alptraumartigsten Persönlichkeiten« bezeichnet. Weit diesseits von jeglicher Flow-Ästhetik sind zur Verhinderung entsprechender Auswüchse ein vernünftiges Reglement und ein fähiger Kampfrichter ›lebenswichtige‹ Minimalbedingungen. Binhack, Axel: Über das Kämpfen. Zum Phänomen des Kampfes in Sport und Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1998, S. 163. 221 Mit dem Wahnsinn ist eine weitere Dimension klassischen Heldentums problematisch geworden. Viele der antiken griechischen Heroen schwankten in ihrem Leben beständig zwischen einem labilen vernunftgesteuerten Normalzustand und wahnhaften Sexual- und Gewaltexzessen. Die Gewalt des männlichen Helden als eine durch die gemeinschaftsorientierte Gesinnung legitimierte Gewalt durchzieht die Geschichte der Heldendarstellungen ebenso wie die Furchtbarkeit des in seiner Gewalt und in seinem Zorn maßlos gewordenen und damit schuldigen Helden. So tötete etwa Herkules im Wahn seine Kinder; Achill schändet im Zorn die Leiche des Hektor. Der Wahnsinn war in der griechischen Mythologie also weder unheroisch, noch unmännlich oder spezifisch weiblich. Die frühe Klassik verdrängte solche furiosen und exzessiven Anteile der griechischen Antike. 222 Vgl. Kapitel B II 2 Anmerkung 37.
159
Gewalt und Anmut Auch als ästhetische in einem auf Erziehung zielenden Theater ist eine solche Darstellung problematisch. Kant hat in der oben analysierten Passage über erhabene Gewalt den Exzess deutlich ausgegrenzt.223 Umso schockierender waren die Ereignisse der Französischen Revolution, die sich innerhalb kürzester Zeit von einer revolutionären Bewegung in einen kollektiven Blutrausch verwandelte. In den revolutionskritischen Texten europäischer Intellektueller wurden die exzessiv-gewalttätigen Anteile der außer Kontrolle geratenen Revolution auf die Frau projiziert. Die aufständischen Frauen wurden als Furien und Medusen inszeniert und zum Symbol einer »denaturierten« Ordnung stilisiert. So schildert etwa der Revolutionskritiker Burke den Zug der Marktfrauen nach Versailles als bacchantische Entfesselung der weiblichen Akteure. Burke zufolge sollen die Frauen die Köpfe zweier ermordeter Männer der königlichen Leibgarde auf Piken gesteckt und als Zeichen des Triumphes unter grässlichem Geschrei und wilden Tanzbewegungen nach Paris getragen haben: »Their heads were stuck upon spears and led the procession, whilst the royal captives who followed in the train were slowly moved along, amidst the horrid yells, and shrilling screams, and frantic dances, and infamous contumelies, and all the unutterable abominations of the furies of hell in the abused shape of the vilest women.«224
Die Beteiligung der Frauen am revolutionären Geschehen und ihre vermeintlich natürliche Anlage zu Wahnsinn und Gefühlsüberschwang werden für den »unvernünftigen« Verlauf der Revolution verantwortlich gemacht. Sollte Weiblichkeit mit der Konzeption einer anmutigen Kämpferin gerade eine »unschuldige Gewalt« garantieren, repräsentiert Weiblichkeit im Bild der kämpfenden Furie den wahnhaften Anteil der Revolution. Schiller prägte in seinem Lied von der Glocke das Bild der entfesselten Kämpferin als Bild »denaturierter« Weiblichkeit während der Französischen Revolution:
223 Kant: KdU, S. 351, B 106 f. Vgl. Kapitel B II 2, S. 55. Kant gibt allerdings keine Begründung für diese Ausgrenzung an. Denn zuvor betont er, dass das Erhabene nur umso stärker fühlbar sei, je grässlicher der Anblick des Betrachteten sei. Es müsste also streng genommen auch der Gewaltexzess als erhaben wahrnehmbar sein, ja sogar mehr noch als die geordnete Kriegsführung, wenn nur das betrachtende Subjekt dem Anblick standhält. 224 Burke, Edmund: »Reflections on the Revolution in France«. In: Ders.: The Writings and Speeches of Edmund Burke. 9 Bde. Hrsg. von Paul Langford u. a. Oxford 1981 ff., S. 62 f., zitiert nach Snyder-Körber: Erhabene, S. 153.
160
Anmut als Heldentum »Da werden Weiber zu Hyänen Und treiben mit Entsetzen Scherz, Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, Zerreissen sie des Feindes Herz.«225
Schillers Vers ist zum Sinnbild der negativen Rezeption weiblicher Agitation geworden.226 Mit Hyänen sind hier, ähnlich wie mit Furien, entfesselte, monströse Wesen gemeint, die in ihrem unkontrolliert gewaltsamen Handeln als Kontrast zum disziplinierten und nach Vernunftmaximen handelnden männlichen Helden verstanden werden können. Obwohl Schillers Kritik an der Entfesselung der Französischen Revolution grundsätzlich beiden Geschlechtern und ihrer sittlichen Verrohung gilt, greift er hier die Frau exemplarisch heraus. Wenn schon skandalös ist, dass Menschen zu »Hyänen« werden, scheint es noch skandalöser zu sein, wenn Frauen in einen furiosen Gewaltexzess verfallen. Zum einen, weil im Geschlechterdiskurs um 1800 ein Gewaltexzess von der als sanftmütig und friedfertig gedachten idealen Weiblichkeit noch mehr abweicht als von der legitimen »vernünftigen Gewalt«227 des Mannes. Zum anderen, weil die Teilnahme von Frauen am öffentlich-politischen Leben im bürgerlichen Denken das Versagen der männlichen Ordnung bezeichnet.228 In der Logik des Geschlechterdiskurses um 1800 muss eine funktionierende Gesellschaft dafür Sorge tragen, dass der Mann die Geschicke der Öffentlichkeit lenkt und der Frau einen »Schutzraum« des Privaten ermöglicht, in welchem diese erst ihre anmutige Subjektivität entfalten kann.229 Weil die Frau als Person gilt, die anfälliger für Stimmungen ist und daher sensibler auf ihre Umwelt reagiert, wie auch Schiller in Ueber Anmuth und Würde behauptet, wird angenommen, dass sie ihre »Natur« nur in einem durch den Mann geschützten, öffentlichkeitsfernen Raum entfalten kann. In der staatlichen Öffentlichkeit, zumal in einer »denaturierten« Öffentlichkeit, ist die weibliche Natur vermeintlich ihren ins Hysterische abgleitenden Stimmungen hilflos ausgeliefert. Die furienhafte Frau ist vor diesem Hintergrund in zweifacher Hinsicht Zeichen einer pervertierten Kultur: Sie verstößt durch ihre Gewalt gegen den ihr zugeschriebenen Geschlechtscharakter, und sie repräsentiert das Un-
225 Schiller: Glocke, Vs. 365-368. 226 Auch Snyder-Körber weist darauf hin, dass furienhafte Frauen als Sinnbild des Terrors ein gängiger Topos der Berichterstattung über die Französische Revolution waren. Snyder-Körber: Erhabene, S. 156 f. 227 Vgl. Kapitel B II 2 Anmerkung 37. 228 Vgl. Kollmann: Empfindsamkeit, S. 85 ff. 229 Vgl. Kapitel C III.
161
Gewalt und Anmut vermögen der Männer, eine Trennung von männlicher öffentlicher und privater weiblicher Sphäre aufrecht zu erhalten.230 Auch Joachim Heinrich Campe, der die Revolution als »Leichenbegräbnis des französischen Despotismus«231 durchaus auch in ihren brutalen Zügen bejaht, schreibt mit Blick auf die kämpfenden Frauen der Französischen Revolution, dass »[...] die Weiber in Paris und, wie es nach verschiedenen Vorfällen in den Provinzen das Ansehn hat, das ganze weibliche Geschlecht in Frankreich dem männlichen an Cultur, an Mäßigung und Sittlichkeit nachsteht, und, so oft es zu Gewaltthätigkeiten kommt, sich fast immer durch Blutdurst und Grausamkeiten auszeichnet.«232
Weibliche Gewalt wird als exzessiv, maßlos und grausam von der vernünftigen und geordneten männlichen abgegrenzt. Ähnlich fasst ein Pariser Polizeibeobachter die Ressentiments der französischen Bevölkerung gegenüber den revolutionären Frauen zusammen: »Das Volk sagt, man habe bemerkt, daß Frauen blutrünstig geworden seien, daß sie nur noch Blut sehen wollten, daß eine gewisse Anzahl von Frauen die Guillotine nicht mehr verlassen wolle und auch nicht das Revolutionstribunal.«233
Der Blutrausch, den die in Szene gesetzten Hinrichtungen unter der Guillotine in der Pariser Bevölkerung ausgelöst hatten, wird auch hier auf die Frauen projiziert. Ihnen wird angelastet, den inneren Frieden permanent durch Intrigen zu stören und so die Hinrichtungswelle fortzusetzen: »[...] eine bestimmte Anzahl dieser Frauen, die sich in einem derartigen Zustand befänden, sei sehr eigensinnig und gehöre zu den gefährlichsten. Sie mischten sich fast täglich unter die Gruppen, um Unruhe zu stiften und Falschmeldungen zu verbreiten. Das Volk sagt, daß sich in einer vollkommenen Eintracht die Freiheit und die Republik durchsetzen ließen, daß aber Übelgesonnene immer wieder nach Mitteln suchten, Zwietracht zu sähen.«234
230 Vgl. Kollmann: Empfindsamkeit, S. 76 ff. 231 Campe, Joachim Heinrich: Briefe aus Paris zur Zeit der Revolution geschrieben. Hrsg. von Ernst Weber. Hildesheim 1977, S. 4. 232 Campe: Briefe, S. 188. 233 Polizeibeobachter Pourvoyeur am 6. Pluviose II (25.01.1794), zitiert nach Petersen, Susanne: Marktweiber und Amazonen. Frauen in der Französischen Revolution. Dokumente, Kommentare, Bilder. Köln 1987, S. 230. 234 Polizeibeobachter Pourvoyeur am 6. Pluviose II (25.01.1794), zitiert nach Petersen: Marktweiber, S. 230.
162
Anmut als Heldentum Häufig verschränken sich die Schilderungen der mänadischen Kämpferinnen mit dem Kannibalismusvorwurf, der sinnbildlich für die Kritik an der Entmenschlichung der Französischen Revolution gebraucht wurde.235 So berichteten Zeitungen seit den frühen Revolutionsjahren von kannibalischen Akten. Der Abgeordnete de Lally Tollendal weist in seinem Bericht über den Marsch nach Versailles zweimal auf Kannibalismus hin und spricht explizit von den »femmes cannibales«236. Auch in dem berühmten Satz: »Die Revolution frisst ihre Kinder« wird auf die Kannibalismusvorwürfe angespielt. Schiller erfährt schon zu Beginn der Revolution von den Gerüchten über einen weiblichen Kannibalismus. Seine Verlobte Charlotte von Lengefeld schrieb ihm am 13. Oktober 1798: »[...] von den Pariser Frauens erzählt er [Charlottes Schwager, MvM] schöne Geschichten die hoffe ich, nicht so sein sollen, es hätten sich einige bei einem erschlagenen Garde du Corps versammelt, sein Herz heraus gerißen, und sich das Blut in Pokalen zu getrunken. Es wäre weit gekommen, wenn sie so sehr ihre Weiblichkeit vergeßen könnten.«237
Die Berichte prägten nicht zuletzt Schillers Bild der reißenden Hyäne. Die Theorie einer unkontrollierbaren weiblichen Gewalt dient zuletzt den Revolutionstribunalen als Hauptargument für das Verbot der Frauenclubs, das sie im Oktober 1793 verhängten.238 Angestachelt durch die männlichen Jakobiner, kam es immer häufiger zu Übergriffen »gemäßigter Frauen« gegen revolutionäre Frauen. Die Angreiferinnen meinten, gegen die »Denaturierung« der Frau zu Felde ziehen zu müssen. Um die Frage, ob Frauen die Kokarde tragen dürfen oder gar müssen oder ob eine traditionelle weibliche Kopfbedeckung das angemessene Kleidungsstück für die bürgerlichen Frauen sei, entfachten sich immer wieder Streitereien. Die Jakobinerinnen versuchten eine Kokardenpflicht durchzusetzen, die »gemäßigten« Frauen gingen hingegen handgreiflich gegen die Revolutionärinnen vor und rissen ihnen die Kokarden vom Kopf. Die Streitigkeiten dienten zuletzt den männlichen Revolutionären als Argument, um die Frauenversammlungen generell zu verbieten.
235 Ich beziehe mich hier auf die Forschungsergebnisse von Snyder-Körber, die die Bedeutung des Kannibalismus-Motivs für die Berichterstattung über die Französische Revolution herausgearbeitet hat. Snyder-Körber: Erhabene, S. 167 f. 236 Lally Tollendal, zitiert nach Burke: Reflections, Anm. 64 f. So gefunden bei Snyder-Körber: Erhabene, S. 167, Anm. 57. 237 Brief von Charlotte von Legefeld an Schiller. In: Schiller NA, Bd. 33, Teil I. (1989) Briefe an Schiller 1781-28.2.1790, S. 411. 238 Vgl. Petersen: Marktweiber, S. 217 ff.
163
Gewalt und Anmut
2) FURIE UND GRAZIE IN DER DOPPELTEN ÄSTHETIK Die unterschiedlichen Strategien, die mit der Aufklärung problematisch gewordene kriegerische Gewalt auf die Frau zu projizieren, zeichnen sich in der Ikonografie der Französischen Revolution ab. Es entstehen zwei divergierende Bilder bewaffneter Frauen: die anmutige Kriegerin und die Hysterikerin, die vor dem Hintergrund der antiken Furiendarstellungen inszeniert wird. In den Furiendarstellungen ist weibliche Gewalt mit Rachsucht und körperlicher Deformation verschränkt. Während die anmutigen Kriegerinnen zierlich, mit sanften Gesichtszügen und in weichen Linien gezeichnet sind, werden die entfesselten Revolutionsweiber durch eine ungeschlachte Physiognomie, verzerrte Gesichtszüge, wilde, ungelenke Bewegungen charakterisiert. So kontrastiert etwa die Zeichnung »The Contrast« (Abb. 20) eine schöne englische Freiheitsallegorie mit einer entstellten französischen »Liberté«. Die englische »Liberty« sitzt in maßvoller Haltung am Meeresufer und schaut lächelnd einem britischen Segelschiff nach. Die Lanze ist an ihre rechte Schulter gelehnt, in der linken Hand hält sie die Waage als Zeichen der Gerechtigkeit. Justitia und Liberty verschmelzen in einer Person. Die französische Liberté wird hingegen als furienhafte Gestalt gezeigt: mit verzerrten Gesichtszügen, kantigem Profil, muskulösen Armen, in heftiger Bewegung begriffen. In der einen Hand hält sie einen Dolch, in der anderen einen Dreizack, auf den ein Kopf gespießt ist. Die Gestalt wirkt, als habe man sie mitten in einem furiosen Mordrausch abgebildet; die Leichen um sie herum zeugen von den gerade zurückliegenden Bluttaten, der Blick schweift schon auf der Suche nach neuen Opfern umher. Um ihr Haupt kräuseln sich Schlangen – ein Zitat der Furien- und Medusenmythologie. Die ethische Katastrophe des Gewaltexzesses drückt sich im Verlust weiblicher Schönheit aus. Die Entstellung des Körpers soll die Grausamkeit des Geschehens visualisieren. Als motivischer Fundus für die Verschränkung von weiblicher Gewalt und Schönheitsverlust dienen die Furien, Mänaden und die Medusa der griechischen Mythologie. Schlangenhaare, verzerrte Gesichtszüge, Schreie, dämonische Blicke und exzessive Bewegungsabläufe prägen die Körpersprache hysterischer weiblicher Gewalt. »Eine weibliche Gestalt mit Schlangenhaar ist in der Ikonografie der Revolution (sowohl von konservativer wie von ›revolutionärer‹ Seite) das Symbol für Anarchie.«239
239 Baxmann: Feste, S. 114.
164
Anmut als Heldentum Anonym: The Contrast 1792, 18 Jhd.
Abb. 20 Auch Schiller legt in seiner Beschreibung der Furien im Gedicht Die Kraniche des Ibycus den Fokus auf die entstellten Körper der Rachegöttinnen: »Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden, / Sie schwingen in entfleischten Händen / Der Fackel düsterrothe Glut. / In ihren Wangen fließt kein Blut. / Und wo die Haare lieblich flattern, / Um Menschenstirnen freundlich wehn, / Da sieht man Schlangen hier, und Nattern / Die giftgeschwollnen Bäuche blähn.«240
Zwei Mal kontrastiert er die entsetzlichen Figuren mit dem Wort »lieblich«, das aus dem Kontext anmutiger Frauendarstellungen stammt. Auch in Gottscheds Die vernünftigen Tadlerinnen mündet die Fantasie eines wehrhaften Frauenstaates, wie gezeigt, in die Vision des Schönheitsverlustes.241 Die Inszenierung der Furie ist im Gegensatz zur Konzeption der anmutigen Kriegerin konsequent im Sinne der doppelten Ästhetik: Gewalt scheint hier unvereinbar mit »Schönheit« und idealer »Weiblichkeit« zu sein. So ist die entfesselte Furie auch für die Weimarer Klassik diejenige Figur, die ex negativo die Grenzen der klassischen Ästhetik konturiert. Bereits Lessing hatte kategorisch behauptet, dass die antike Kunst nie eine Furie abgebildet habe.242 Die Aus240 Schiller, Friedrich: »Die Kraniche des Ibycus. Ballade.« NA, Bd. 1 (1943), S. 385-390, Vs. 105-112. 241 Vgl. Kapitel C I Anmerkung 24 und S. 74. 242 Lessing: Laokoon, Werke Bd. 6, S. 21, Anm. 16. Siehe hierzu Dönike: Pathos, S. 56 ff.
165
Gewalt und Anmut klammerung der Furiendarstellung erschien ihm als gewichtiges Argument, um die harmonische Ausrichtung der antiken Kunst unter Beweis zu stellen. Sie erschien ihm im Gegensatz etwa zur Laokoonskulptur als eben diejenige Form der Darstellung, die nicht mehr in einer klassizistischen Ästhetik vermittelbar ist.243 Auch Schiller schreibt über die Rachegöttinnen: »Es giebt in der griechischen Fabellehre kein fürchterlicheres und zugleich häßlicheres Bild als die Furien oder Erinnyen [...]. Ein scheußlich verzerrtes Gesicht, hagre Figuren, ein Kopf, der statt der Haare mit Schlangen bedeckt ist, empören unsere Sinne eben so sehr, als sie unsern Geschmack beleidigen.«244 Die Furie wird nur deshalb zu einer ästhetisch goutierbaren Figur, weil sie ein Verbrechen rächt und so Gerechtigkeit herstellt: »Wenn aber diese Ungeheuer vorgestellt werden, wie sie den Muttermörder Orestes verfolgen, [...] und ihn rastlos von einem Orte zum anderen jagen, bis sie endlich, wenn die zürnende Gerechtigkeit versöhnt ist, in den Abgrund der Hölle verschwinden, so verweilen wir mit einem angeneh’men Grausen.«245 Hier mischt sich ein Lustgefühl in die Betrachtung der Furie, das aber durch Gerechtigkeitssinn und Rachlust hervorgerufen wird. Die Frau in einem hysterischen Gewaltexzess, wie sie in der Furie Gestalt annimmt, sprengt die Grenzen der bürgerlichen Ästhetik. Sie markiert den Raum, in dem keine ästhetischen oder ethischen Rechtfertigungen von Gewalt mehr greifen. In der furienhaften Frau tritt Gewalt, aller heroischen Züge beraubt, in ihrer Inhumanität zutage.
243 Lessing betreibt einigen argumentativen Aufwand, um seine These einer »furienfreien« griechischen Kunst auch gegen Erkenntnisse der zeitgenössischen Kunstwissenschaft zu verteidigen. So versucht er zu beweisen, dass auch in den Basreliefs, welche die Meleagergeschichte abbilden, keine Furien vorkommen, obwohl diese zum festen Bestand der Geschichte gehörten. In den Figuren auf dem Relief, welche gemeinhin als Furien gedeutet werden, sieht Lessing nur »Mägde der Althäa«. Lessing: Laokoon, Werke Bd. 6, S. 21, Anm. 16. 244 Schiller, Friedrich: »Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände.« In: Schiller NA, Bd. 20 (1962), S. 227. Siehe hierzu: Politzer, Heinz: Das Schweigen der Sirenen. Studien zur deutschen und österreichischen Literatur. Stuttgart 1968, S. 242. 245 Schiller: Betrachtungen, S. 227.
166
Anmut als Heldentum
3) HYSTERIE UND ANMUT Die Hysterie, welche der Inszenierung der Furie um 1800 zugrunde liegt246, gilt im psychologischen Diskurs der Zeit als eine Krankheit, die in erster Linie bei Frauen auftritt und wesentlich mit der Struktur der weiblichen Psyche verbunden ist. Wie der »Anmut« als weiblichem Subjektideal liegt auch dem Konzept der »Hysterie« die Annahme zugrunde, die Frau zeichne sich durch größere Sensibilität, durch stärkere Empfänglichkeit für Schwingungen und Stimmungen aus. Mit dieser physio-psychischen Sensibilität hatte Schiller zu begründen versucht, dass Anmut für die Frau eher zu erreichen sei als für den Mann: »Der zärtere weibliche Bau empfängt jeden Eindruck schneller und läßt ihn schneller wieder verschwinden. Feste Constitutionen kommen nur durch einen Sturm in Bewegung, und wenn starke Muskeln angezogen werden, so können sie die Leichtigkeit nicht zeigen, die zur Grazie erfodert wird.« (AuW 288) Mit eben diesem Argument begründeten schon Ärzte des 17. Jahrhunderts die angebliche Disposition der Frau zur Hysterie.247 So gingen Ärzte wie Sydenham, Willis und Highmore davon aus, dass die Hysterie mit ihren wechselnden Symptomen auf eine Durchlässigkeit des Körpers zurückzuführen sei. Diese Durchlässigkeit biete den sogenannten »Lebensgeistern« (d. h. Energiepotenzialen, mit denen das Individuum konfrontiert sei) Raum, sich des Körpers zu bemächtigen und darin, je nach Körperteil, die unterschiedlichen Symptome auszulösen. »Deshalb«, so Sydenham, »befällt diese Krankheit viel mehr Frauen als Männer, weil sie eine viel empfindlichere, weniger feste Konstitution haben und ein weicheres Leben führen, an die Freuden oder Bequemlichkeiten gewöhnt sind und nicht viel zu leiden haben.«248
246 Zur wechselseitigen Beeinflussung der Furiendarstellungen und des Hysteriebegriffs im 19. Jahrhundert siehe Vogel: Furie, S. 349 ff. 247 Vgl. Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt a. M. 1969, S. 285 ff., insbesondere S. 298-299. 248 Sydenham: Dissertation sur l’affectation hystérique. Zitiert nach Foucault: Wahnsinn, S. 298. Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung einer Übersensibilität und -emotionalität der Frau argumentiert auch das Revolutionstribunal in der Begründung des Verbots von Frauenclubs. Dort heißt es, »daß Frauen durch ihre Veranlagung mehr nach dem Gefühl handeln, was für die öffentlichen Angelegenheiten unheilvoll wäre, und daß die Staatsinteressen bald schon all dem, was die Lebhaftigkeit von Leidenschaften an Verwirrung und Unordnung zustande bringen kann, geopfert würden.« Amar u. a., 9. Brumaire II, 30. Oktober 1793, zitiert nach Petersen: Marktweiber, S. 224. Die zarte, für Schwingungen empfängliche Seele,
167
Gewalt und Anmut Ähnlich erklärt auch Diderot im 18. Jahrhundert die Veranlagung der Frau zur Hysterie mit einer ins Maßlose gesteigerten Reizbarkeit: »Die Frau besitzt einen Sinn, der bis zu den fürchterlichsten Krämpfen reizbar ist, sie beherrscht und in ihrer Phantasie Phantome jeder Art weckt. Im hysterischen Delirium kehrt sie in die Vergangenheit zurück, schwingt sich in die Zukunft, alle Zeiten sind ihr Gegenwart. All diese ausgefallenen Ideen entspringen ihrem Geschlecht.«249 Michel Foucault weist auf die moralische Dimension der Hysterie hin, die schon dem klassischen Hysterieverständnis inhärent ist, sich nun aber, in Konsequenz der Neuinterpretation, ebenfalls wandelt. War die Hysterie im klassischen Verständnis auf übersteigerte, unbefriedigte Begierde zurückzuführen, »die Vergeltung eines rohen Körpers«250, werde man nun krank, »weil man zuviel empfindet, und leidet an einer äußersten Solidarität mit allen Wesen in der Umgebung.«251 Auf diese Weise werde das hysterische Individuum zugleich »viel unschuldiger und viel schuldiger«.252 Die Hysterikerin ist unschuldig, weil sie ohne Bewusstsein handelt. Doch die Tatsache, dass sich nun alle Einzelheiten des Lebensvollzugs in der Nervenerregung widerspiegeln, macht den Stand der Krankheit zum moralischen Ausdruck des Individuums und fungiert zugleich als Strafe.253 Die Analogie zur Anmut als Ausdrucksideal ist nicht zu übersehen. Auch sie setzt die nervliche Sensibilität des Individuums voraus, auch sie wird gerade aus diesem Grund dem weiblichen Individuum zugeordnet und gilt als moralischer Ausdruck des Inneren. Wie die anmutige Frau ist auch die Hysterikerin nicht als Inbegriff des Irrationalen, der Antivernunft konzipiert, sondern als alternatives, spezifisch weibliches Körper-Geist-Verhältnis.254
249
250 251 252 253 254
die für die Anmut erforderlich ist, führt auf der anderen Seite auch zu exzessiven Zorngefühlen, die sie, so die Befürchtung, auch noch an ihre Kinder weitergeben könnten. »Der Hitzigkeit öffentlicher Debatten ausgeliefert, flößten sie ihren Kindern nicht Vaterlandsliebe ein, sondern Haß und Voreingenommenheit.« Petersen: Marktweiber, S. 224. Diderot, Denis: Über die Frauen, Frankfurt a. M. 1981, S. 174 f. Zitiert nach: von Braun, Christina: Nicht Ich. Logik, Lüge, Libido. Frankfurt a. M. 1985, S. 50. Foucault: Wahnsinn, S. 305. Foucault: Wahnsinn, S. 305. Foucault: Wahnsinn, S. 305. Foucault: Wahnsinn, S. 305. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts setzt sich ein neues Verständnis des Verhältnisses von Körper, Geist und Außenwelt durch, das Einfluss auf die Definition psychischer Erkrankungen und auch der Hysterie nahm. Hatte man bis in die frühe Renaissance den antiken Erklärungsansatz tradiert,
168
Anmut als Heldentum Die Hysterikerinnen scheinen in ihren furiosen Anfällen bestimmten Regeln zu folgen, so die Erkenntnisse der Ärzte. Sie bedienen sich eines erlernten Bewegungsrepertoires, das sie im Moment des Anfalls unbewusst anwenden. »[...] im Gegensatz zum Epileptiker, der tatsächlich Opfer seines Anfalls ist, ›inszeniert‹ der Hysteriker seinen Anfall – was nicht heißt, daß er bewußt handelt, sondern nur, daß er handelt. Die Hysteriker produzieren so etwas Paradoxes wie ein ›kontrolliertes Unbewußtes‹ [...].«255 Wie bei der anmutigen Frau ist hier also eine diffizile Verschränkung von Bewusstheit und Unbewusstheit, Natur und Vernunft gedacht. Die Hysterikerin wird als Schauspielerin betrachtet, die sich einer erotischen, gewaltsamen, dionysischen Körpersprache bedient, deren Anfälle aber doch als spontaner Ausdruck ihres Inneren gedeutet werden können. Wie Schiller die Möglichkeit der vollendeten Nachahmung von Anmut fürchtet, fürchtet der Arzt die Simulation seiner Hysterikerinnen. Schon im 17. Jahrhundert definieren die Ärzte Galen und Sydenham die Hysterie als »proteische Krankheit«, als »Proteus, der sich unter tausend Formen zeigt und den man in keiner fassen kann.«256 Die Angst Sorge, der Hysterikerin mit ihrer wechselnden Körpersprache nicht auf die Spur kommen zu können, der Verdacht, die raffinierte Hysterikerin führe die (männlichen) Ärzte an der Nase herum, haftet dem Hysteriebegriff seither an. »Der Vorwurf der Simulation (d. h. der Schauspielerei) bedroht die Kranke, deren Krankheit auch als mimetische Störung, d. h. als Krankheit der Nachahmung aufgefasst wird, der Vorwurf der Scharlatanerie wiederum den Arzt, der den verschwenderischen Erscheinungsreich-
die Hysterie sei auf eine pathologische Bewegung des Uterus zurückzuführen, war diese Ansicht, nicht zuletzt durch das bessere Verständnis des Körperinneren, nicht mehr haltbar. Psychische Krankheiten wurden zunehmend als Störungen des Verstandes, und nicht mehr als Folge körperlicher Dysfunktion gedeutet. Im Zuge dieser diskursiven Veränderungen gerät das Nervensystem des Menschen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Dieses wird als Leitsystem betrachtet, welches Informationen zwischen Geist und Körper und die Einwirkung des Außen weiterleitet. Der Körper wurde als durchdringbar für Energien, Schwingungen, sogenannten Lebensgeistern der Außenwelt angesehen, und auch die enge Anbindung von psychischem Geschehen und körperlicher Aktion konnte über das Nervensystem erklärt werden. 255 von Braun: Ich, S. 31. Zum Performancecharakter des hysterischen Anfalls siehe auch Bronfen, Elisabeth: The knotted subject. Hysteria and its discontents. Princeton, New Jersey 1998, S. 197 ff. 256 Zitiert nach Didi-Hubermann, Georges: Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot. München 1997, S. 35.
169
Gewalt und Anmut tum der Hysterie in ein strenges wissenschaftliches Krankheitsbild gefaßt zu haben meint.«257 Den Bewegungsabläufen und ihrem tieferen Sinn auf die Spur zu kommen, ist die Zielsetzung der Ärzte. Charcot wird den Versuch, die Ordnung der Bewegungsabläufe zu erkennen, Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Spitze treiben: Mithilfe von Zeichnungen, Fotografien, Vorführungen und Abgüssen der Gliedmaßen versucht er die fließenden Bewegungsabläufe zu schematisieren.258 Auch in der Hysterie-Konzeption verbirgt sich also die Utopie eines unmittelbaren körperlichen Ausdrucks der weiblichen Seele, den der männliche Betrachter lesen kann. Ebenso changiert die Konzeption der Hysterie zwischen der vehementen Forderung nach Authentizität des körperlichen Ausdrucks und der Angst vor weiblicher Verstellungskunst.
4) ANMUT UND HYSTERIE ALS BEWEGUNGSÄSTHETIK Im ästhetischen Diskurs um 1800 setzen Anmut und Hysterie beide eine weiblich gedachte Individualität in Szene, die von einer männlichen Kollektivität abgegrenzt wird.259 Als bewegte Figuren stehen die Hysterikerin wie die anmutige Frau beide der monumentalen Körperästhetik der erhabenen Heldeninszenierung bzw. der bürgerlichen Würde gegenüber. Juliane Vogel betrachtet die Hysterie als ein theatrales Phänomen, in dessen Inszenierung und Rezeption durch männliche Betrachter Bewegungsästhetik und skulpturale Ästhetik im Widerstreit zueinander stehen. Die Gangart des Bürgers sei das Schreiten, welches Mäßigung, Eingliederung in die Gemeinschaft und Regelmäßigkeit impliziert, also die Tugenden des bürgerlichen Mannes: Gemeinschaftsbildung, Sieg der Vernunft über das Sinnliche, Zuverlässigkeit. Die Frau hingegen trete als Hysterikerin, als Furie gegen die männliche Ordnung an. Ihre Bewegungen seien wechselhaft, fahrig, leidenschaftlich, unvorhersehbar, furchterregend. Die Opposition von »Furor« und »Gesetz« spalte das dramaturgische Feld nicht nur der Verstragödie des 19. Jahrhunderts, die im Mittelpunkt von Vogels Analyse steht, sondern schon die Inszenierungen der Französischen Revolution. In diesem dramaturgischen Spannungsfeld ist die Frau als Rasende, spezifischer als Hysterikerin, Inbegriff der
257 Vogel: Furie, S. 352. 258 Bronfen spricht von Charcots »phantasy of a coherent language of hysteria«, welche der Hysterikerin aufgedrängt wird, und welche sie in ihren Bewegungsabläufen reproduziert. Bronfen: Hysteria, S. 198. 259 Vogel: Furie, S. 84 ff. und Kapitel C III.
170
Anmut als Heldentum Abweichung, der Gegenaufklärung, der Rebellion gegen einen umfassenden Rationalisierungsprozess. Die Hysterie äußert sich körperlich entweder in der Erstarrung oder in der unkontrollierten Beschleunigung von Bewegung. So schreibt Christina von Braun: »Im Großen und Ganzen lassen sich die Symptome der Hysterie in zwei Kategorien einteilen: jene, die ein Mehr an Körper und jene, die ein Weniger an Körper produzieren. Zu den ersten Kategorien gehören etwa epilepsieähnliche Anfälle, Krämpfe, Erstickungsanfälle [...]. Zu der zweiten Kategorie [...] gehört der Verlust von Empfindungsfähigkeit, wie bei der Frigidität oder der Anästhesie der Haut, der volle oder partielle Verlust des Sehvermögens, des Gehör- oder Geruchssinns, [...] Lähmungserscheinungen, die den gesamten Körper oder nur Teile betreffen [...].«260
Vogel und Didi-Hubermann weisen nach, dass im 19. Jahrhundert gerade in der Dynamik der Hysterie eine Bedrohung für die bürgerliche Ordnung gesehen wurde. So versuchte vor allem Charcot, der Chefarzt der Salpetrière, die Bewegungsabläufe wieder in statuarische Posen aufzulösen, indem er die Hysterikerinnen zeichnen und fotografieren ließ und die so ermittelten Posen in der Reihenfolge des Anfalls tabellarisch anordnete. Ästhetisch war die Wahrnehmung der Hysterie insofern auch im skulpturalen Modus möglich, als die Hysterikerin in ihren einzelnen Posen für kurze Zeit innehielt. Die Muskeln erstarrten in einer Positur und gaben so den Blick frei für wissenschaftliche, künstlerische und nicht zuletzt pornografische Blicke. »Das skulpturale Moment einer dennoch völlig zügellosen Motorik. Eine lebendige Schmerzensstatue.«261 Doch wie ich bisher entwickelt habe, geht nicht nur die Konstruktion einer »hysterischen«, sondern auch die einer »anmutig« kämpfenden Frau aus den diskursiven Umbrüchen von feudaler zu bürgerlicher Ordnung hervor. Beiden Konzepten wohnt eine antirationalistische Zielrichtung inne. Wie die wilde Agitation der Hysterie grenzt sich auch die anmutige Bewegung von einer Dramaturgie des
260 von Braun: Ich, S. 28 f. 261 Didi-Hubermann: Hysterie, S. 141. Didi-Hubermann betont, dass nicht nur die Zeichnung und die Fotografie von der Retardierung des hysterischen Ablaufs profitierten, sondern auch die Skulptur: »denn die hysterischen Kontrakturen, insbesondere diejenigen der Hände und Füße, lieferten reichlichstes Material für ein Abguß-Museum, das Charcot ebenfalls in der Salpetrière begründet hat, ein weiteres beachtliches ›Labor‹ für die Erbeutung pathologischer Formen (das heute nahezu vollständig zerstört ist).« Didi-Hubermann: Hysterie, S. 141.
171
Gewalt und Anmut Gleichschritts ab. In beiden Konzepten ist diese Individualität allerdings nur auf Kosten eines bewussten Handelns möglich. Die strukturelle Überlagerung von Anmut und Hysterie als Bewegungsästhetik ist vor allem in der Figur des Tanzes sichtbar. Der Tanz ist sowohl mit den Grazien als auch mit den Furien assoziiert. Beide drücken sich in ihren Tänzen unmittelbar aus, in ihrer Sittlichkeit oder in ihrem Zorn. Während die ästhetischen Theorien von Winkelmann bis Schiller den Tanz vor allem für die Anmut vereinnahmen, als einen möglichen Ort höchster Grazie, sind in der antiken Tradition auch die Furien und Bakchen262 mit dem Tanz assoziiert, einem ekstatischen Tanz nämlich, der die dionysische Entfesselung ausdrückt. Koschorke macht die interessante Beobachtung, dass sich in der »Marianne«, die als nationale Ikone die bewaffneten Freiheitsallegorien und die Amazonendarstellungen der Französischen Revolution ablöste, Hysterie und Anmut im tänzerischen Gang überlagern: »Mariannes beschwingter, barfüßiger Gang findet eine glückliche Mitte zwischen Tanz und Arbeit, der antiken Göttin Ceres und der einfachen Landfrau. [...] Das Exzentrische und die Hysteriegefahr, die in dem Mänadenhaften dieser weiblichen Gestalt noch nachklingen, sind in dem leichten Tanzschritt aufgehoben [...].«263
Die Marianne ist nun explizit anmutig und nicht mehr mit militärischen Handlungen assoziiert, also der zunehmenden Ausgrenzung der Frau aus öffentlichen und militärischen Aktivitäten angepasst. Bewegung und Gewalt werden, wie ich in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt habe, in zwei zentralen Kategorien des frühen 19. Jahrhunderts weiblich codiert und einer männlichen inneren Bewegung im Erhabenen gegenübergestellt. Es zeichnet sich eine Konstellation von männlichem Zuschauer und weiblicher Akteurin ab, in
262 Die Bakchen des Euripides liegen dem Penthesilea-Drama als Subtext zugrunde. Siehe hierzu u. a. Niejahr, Johannes: »Heinrich von Kleists Penthesilea.« In: Vierteljahresschrift für Literaturgeschichte 6 (1893), S. 506 ff. und Greiner, Bernhard: »›Ich zerriss ihn.‹ Kleists Re-Flexion der antiken Tragödie. (›Die Bakchen‹ – ›Penthesilea‹)« In: Beiträge zur Kleist-Forschung 17 (2003), S. 13-28. Vor allem die Zerreißungsszene, in der Pentheus von seiner Mutter im bacchantischen Rausch zerfleischt wird, ist als Motiv der antiken Tragödie entlehnt. Ihr voraus geht ein dionysischer Tanz der Bacchen. Auch die Furien werden in der Kunstgeschichte häufig tanzend dargestellt. 263 Koschorke, Albrecht: »Schillers Jungfrau von Orleans und die Geschlechterpolitik der Französischen Revolution.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Würzburg 2006, S. 258 f.
172
Anmut als Heldentum welcher der Mann erst die Wahrheit aus den Bewegungen der Frau herausliest, die Frau wiederum die Vermittlungsleistung zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit vollbringt, aber sich ihrer selbst nicht bewusst ist. In dieser Konstellation kann die Frau als anmutige Kriegerin auf die Bühne treten und als Projektionsfigur für das bürgerliche Bedürfnis nach Heldentum und Totalität dienen. Ich möchte in den folgenden Kapiteln zeigen, wie in den Figuren Johanna, Penthesilea, Wanda sowie Elisabeth Anmut und Hysterie als psychologisch-ästhetische Folie zur Inszenierung weiblicher Gewalt im Text und auf der Bühne funktionalisiert werden.
173
D. ANMUTIGE KRIEGERINNEN IN DER
LITERATUR UM 1800
I. »Zarte Jungfrau unter Waffen« – Schillers Jungfrau von Orleans als anmutige Heldin In der Forschungsliteratur ist häufig die Auffassung vertreten worden, die Figur der Johanna in Schillers Jungfrau von Orleans gehe durch die dialektische Entwicklung vom naiven zum sentimentalischen Menschsein, wie Schiller sie in verschiedenen theoretischen Schriften entworfen hat. Johannas Hirtenleben wird als naiver Zustand der Einheit mit der Natur (Arkadien) gedeutet, ihre Selbstentzweiung nach der Begegnung mit Lionel als das Zerbrechen dieser Einheit im Erhabenen, die Überwindung der Entzweiung als zweite Natur, die Schiller als gesellschaftlichen Zustand »Elysium«, als Zustand des Individuums »Anmut« oder gar die »Vereinigung von Anmut und Würde« nennt.1 Im Rahmen dieser Deutungen wurde Jo-
1
Entsprechend sieht Kaiser, in Anlehnung an Ide, in der Johanna den »die Geschichte und sich selbst vollendenden Menschen«. Kaiser, Gerhard: »Johannas Sendung. Eine These zu Schillers ›Jungfrau von Orleans‹.« In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 10 (1966), S. 207. Die Entwicklung vollziehe sich gemäß der schillerschen Theorie von einem naiven arkadischen Zustand über die tragische Zerrissenheit nach der Begegnung mit Lionel hin zu einer Versöhnung von Anmut und Erhabenem. Braemer weist den Konzeptionen von Arkadien, Erhabenem und Idylle eine klassenpolitische Bedeutung zu. Johanna repräsentiere als naiver Mensch die unteren Schichten. Im Laufe der Handlung entwickele sie sich zur erhabenen Heldin, die dem Sieg der Machthabenden ihren moralischen Widerstand entgegensetzt. Durch den von Schiller erfundenen Schluss werde dann »die völlige Einheit zwischen Johanna und der Nation hergestellt«. Braemer, Edith: »Schillers romantische Tragödie ›Die Jungfrau von Orleans‹.« In: Dies. und Ursula Wertheim: Studien zur deutschen Klassik. Berlin 1960, S. 268. Auch Mayer sieht eine Verwandlung von »einer naiven in eine sentimentalische Protagonistin«, allerdings nicht »in psychologischer Entwicklung, sondern in einer gleichsam punktuellen Umkehr«. Mayer, Hans: Außenseiter. Frankfurt a. M. 1975, S. 50.
175
Gewalt und Anmut hannas Heroismus als erhabenes Heldentum verstanden, ungeachtet der unterschiedlichen Entwicklungsschritte, welche die Interpreten zuvor aufgezeigt hatten.2 Ich möchte im Folgenden zeigen, dass diese Thesen einem genaueren Blick auf den Text nicht standhalten. Die Eigenheit und Provokation des Textes besteht darin, dass Johannas kriegerisches Handeln von Beginn an als anmutig gezeigt wird, nämlich als eine Übereinstimmung von sinnlichem Wollen und ethischer Vorschrift. Das immer wieder Verstörende an Schillers Jungfrau von Orleans ist die Synthese, die das klassizistische Ideal von Schönheit und Anmut mit Gewalt, und auch mit Lust an Gewalt3 eingeht. Johannas Zerwürfnis ist als ein Auseinanderbrechen der anmutigen Versöhnung zu verstehen, das in der bewussten Selbsterkenntnis begründet liegt. Es liegt im Übergang des Anmutigen ins Erhabene, nicht in der Zerstörung einer naiven Einheit mit der Natur. Ich möchte zunächst in einer genauen Textanalyse herausarbeiten, mit welchen ästhetischen Mitteln der Text ein anmutig-weibliches Kriegertum konstruiert, und wie es im Spannungsfeld bürgerlicher Kriegs- und Heldenkonzeptionen zu verorten ist, welche durch Dunois, Karl und Talbot vertreten werden. In einem zweiten Schritt werde ich die Bruchstellen zwischen anmutigem und erhabenem Heldentum in der Entwicklung der Figur aufzeigen und zuletzt die Frage stellen, ob mit der Schlussapotheose der in sich vollkommen versöhnten Johanna die Synthese von Erhabenem und Anmutigem gedacht ist.
2
3
Auch Kollmann deutet Johannas Hirtenleben als »arkadische Heimat«, in welche die Geschichte gewaltsam einbricht. Kollmann: Empfindsamkeit, S. 104. Hinderer sieht gar die Johanna als Beispiel für eine Tendenz in Schillers Werk, Frauengestalten aus dem Modus der Würde bzw. des Erhabenen heraus zu entwerfen, also in einem Gegensatz zu der Geschlechterphilosophie, die er in Ueber Anmuth und Würde skizziert hat. Hinderer: Geschlechter, S. 262. Auch für Braemer ist Johanna eine erhabene Heldin. Braemer: Tragödie, S. 297 ff. Braemer fokussiert die Aufmerksamkeit in ihrer Analyse auf die Situation der inneren Spaltung nach der Begegnung mit Lionel, die auch ich als Zustand des Erhabenen deute. Sie übersieht aber, dass sich Johanna auch vor und nach dieser Entzweiung heroisch verhält, dass hier also eine andere Heldenkonzeption zugrunde liegen muss. Auf die sinnlich-leidenschaftlichen Anteile von Johannas gewalttätigem Handeln weisen auch Prandi und Clasen hin. Prandi, Julie D.: Spirited Women Heroes. Major Female Characters in the Dramas of Goethe, Schiller und Kleist. New York u. a. 1983, S. 80 f. und Clasen, Thomas: »›Nicht mein Geschlecht beschwöre! Nenne mich nicht Weib‹? Zur Darstellung der Frau in Schillers ›Frauen-Dramen‹.« In: Grathoff, Dirk und Erwin Leibfried (Hrsg.): Schiller. Vorträge aus Anlaß seines 225. Geburtstages. Mit Vorträgen von Klaus L. Berghahn u. a. Frankfurt a. M. u. a. 1991, S. 106 f.
176
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800
1) »DENN EINE ANDRE HERDE MUSS ICH WEIDEN« – DIE KONTINUITÄT ZWISCHEN HIRTEN- UND KRIEGERTUM Johannas Hirtenwelt ist keine unschuldige, geschichtsfreie Welt. Bereits die dörfliche Gemeinschaft durchzieht ein Bruch: Johanna entflieht den patriarchalisch-ökonomischen Strukturen der Dorfgemeinschaft, die eine Verheiratung zu ihrem Schutz vorsieht, in ihre Hirtenexistenz.4 Ihrem Vater erscheint Johannas Rückzug in die Berge nicht als naturhaft-naiv, sondern vielmehr als »schwere Irrung der Natur« (62)5, als Verstoß gegen die vermeintlich natürlichen Bedingungen, die ihr Geschlecht ihr vorgibt – und nicht zuletzt als Zeichen ihres Teufelspakts. Doch nicht nur durch die dörfliche Welt ist die Hirtin bereits mit einer Form der Vergesellschaftung vertraut. Auch die Welt der großen Geschichte, namentlich die des Englisch-französischen Krieges ist ihr bekannt und bestimmt ihr Leben. Während Thibaut hofft, dass die Ereignisse der Geschichte seine Lebensverhältnisse nicht entscheidend verändern werden, meint die Hirtin Johanna, die Verantwortung für den Fortgang des Krieges und der großen Politik auf sich nehmen zu müssen. Ihr Leben in den Bergen darf man sich also nicht als leichtes, unbeschwertes Hirtentum vorstellen, sondern als das Warten und Vorbereiten auf ihre Mission.6 Johanna verabschiedet sich in dieser Zeit von einer »normalen« weiblichen Existenz, von der ihr lieb gewordenen Natur und der Familie, um ihre Bestimmung als Kriegerin zu erfüllen. Bereits in ihrer Bergwelt geht sie durch das Stadium des Erhabenen, der Entzweiung von sinnlichem Wollen und sittlicher Norm. Sie selbst schildert die Zeit in den Bergen als eine des Zweifelns und Zögerns angesichts ihrer Mission. Drei Mal musste die Jungfrau Maria sie auffordern, ihrem Auftrag nachzukommen, bevor Johanna bereit ist, in den Krieg zu ziehen.
4
5 6
Golz bemerkt, dass »Johanna eine naiv-ungebrochene Existenz nur als exklusives Wesen behaupten kann, in bewußter Abkehr von den Lebensverhältnissen der Dorfbewohner.« Golz, Jochen: »Der Traum von Harmonie.« In: Dahnke, Hans Dietrich und Bernd Leistner (Hrsg.): Schiller. Das dramatische Werk in Einzelinterpretationen. Leipzig 1982, S. 197. Die einem Zitat in runden Klammern nachgestellten Ziffern in diesem Abschnitt bezeichnen Versangaben aus Schiller: Jungfrau. So schränkt auch Kaiser seine These einer naiven Ausgangsposition der Johanna ein, wenn er feststellt, dass sie »bereits im Prolog des Dramas von Geist berufene Natur« sei, wenn auch »der Natur noch […] selbstverständlich eingebettet.« Kaiser: Sendung, S. 214.
177
Gewalt und Anmut »Und als sie in der dritten Nacht erschien, / Da zürnte sie und scheltend sprach sie dieses Wort: / ›Gehorsam ist des Weibes Pflicht auf Erden, / Das harte Dulden ist ihr schweres Los [...].‹« (1100-1103)
Auch von ihrem Verehrer Raimond wird Johanna als erhaben wahrgenommen: »Oft seh ich ihr aus tiefem Tal mit stillem / Erstaunen zu, wenn sie auf hoher Trift / In Mitte ihrer Herde ragend steht, / Mit edelm Leibe, und den ernsten Blick / Herabgesenkt auf der Erde kleine Länder.« (73-77)
Raimonds Beschreibung knüpft an die Erhabenheitsästhetik an: räumlich, indem er sie aus dem Tal heraus betrachtet, während sie auf dem Bergrücken steht, indem er sie also als weit über ihm stehend wahrnimmt, inhaltlich, indem er sie als edel und ernst beschreibt. Johanna erscheint hier, vor ihrer Mission, als Statue: in aufrechter Pose, mit ernstem Blick auf einem Berg stehend, der in der Beschreibung den Sockel für die Heldinnenskulptur bildet. Ihr Blick drückt nicht die fröhliche Leichtigkeit des Naiven, sondern den Ernst und die Gravität des Erhabenen aus. Raimond schließt von der Erscheinung Johannas auf ihre exzeptionelle Identität als Heldin: »Da scheint sie mir was Höhres zu bedeuten, / Und dünkt mirs oft, sie stamm aus andern Zeiten.« (78 f.) Auch ist Johannas Hirtenleben kein Zustand der Gewaltlosigkeit, von dem sich die späteren kriegerischen Taten der Heldin absetzen. Schon als Hirtin kämpft sie gegen einen Tigerwolf und entringt ihm ein Lamm, »das er im blutgen Rachen schon davontrug.« (202) Raimond beschreibt den Wolf als Naturgewalt, als »grimmig wilde[s] Tier, das unsere Herden / Verwüstete, den Schrecken aller Hirten.« (198 f.) Johanna stritt mit dem Wolf, heißt es, und sie »rang« (201) ihm das Lamm ab, kämpfte also mit bloßen Händen und mit Körperkraft gegen die Bestie. Verantwortung und Mut, aber auch Gewaltbereitschaft gehören also selbstverständlich schon zur Hirtin Johanna, nur dass sich die Art des Kampfes von den späteren Fechtkämpfen der Kriegerin unterscheidet. Indem sie durch reine Körperkraft siegt, ist sie noch keine anmutige Kämpferin, für welche die in zweite Natur übergegangene Beherrschung von (Kampf-)Technik Voraussetzung ist. Ihr Kampf gegen den Wolf steht daher in weit deutlicherem Kontrast zu der zarten weiblichen Physiognomie als die späteren Schwertkämpfe, die ihr militärisches Verhalten prägen. Es ist daher auch nicht weiter erstaunlich, dass Raimond in unmittelbarem Zusammenhang mit der Schilderung des Kampfes auf Johannas »Männlichkeit« verweist. Johannas Kampf gegen den Wolf führt Raimond an, um die Legitimität ihrer kriegerischen Heldenrolle unter Beweis zu stellen, die Johanna mit dem Griff nach dem Helm für 178
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 sich beansprucht: »Wohl ziemt ihr dieser kriegerische Schmuck, / Denn ihre Brust verschließt ein männlich Herz.« (195 f.) »Männlichkeit« wird ihr jedoch angesichts ihrer späteren Kämpfe nicht mehr nachgesagt werden.7 Auch auf sprachlicher Ebene stellt der Text eine Kontinuität zwischen Hirten- und Kriegertum her. Der Prolog ist durchwoben von einer provokativen Metaphorik, welche die Tätigkeit des Bauern bzw. Hirten mit der des Kriegers engführt.8 Zweimal vergleicht Johanna das Abschlachten des Feindes mit der Tätigkeit der Schnitterin, die das zur Ernte reife Getreide mäht. »Vor Orleans soll das Glück des Feindes scheitern, / Sein Maß ist voll, er ist zur Ernte reif. / Mit ihrer Sichel wird die Jungfrau kommen, / Und seines Stolzes Saaten niedermähn [...].« (304-307) Hier bezieht sich der direkte Vergleich noch auf die »Saat des Stolzes«, also nicht explizit auf die Körper der Feinde. Als Johanna den Inhalt ihres Auftrags wiederholt, heißt es dann: Dann wirst du meine Oriflamme tragen / Und wie die rasche Schnitterin die Saat / Den stolzen Überwinder niederschlagen [...].« (419-421) An dieser Stelle ist es also der Feind selbst, der »niedergemäht« werden soll. In einem weiteren Bild wird das kriegerische Handeln mit der Tätigkeit der Hirtin verglichen: »Und diese frechen Inselbewohner alle / Wie eine Herde Lämmer vor sich jagen.« (322 f.) Das Jagen der Lämmer und die Art, wie sie später die fliehenden Feinde vor sich hertreibt, werden hier analogisiert. Hirtin, so Johannas Selbstinterpretation, bleibt sie auch im Krieg. Sie muss nur »eine andre Herde [...] weiden, / Dort auf dem blutgen Felde der Gefahr.« (397 f.)
2) »SICH EINE SCHULDLOS REINE WELT ZU GRÜNDEN« – DIE PARODIE DER HIRTENIDYLLE Mit der weder gewaltlosen noch gesellschaftsfernen Bauern- und Hirtenwelt Johannas kontrastiert der Text parodistisch die Fantasie einer gewaltlosen Hirtenidylle, in die sich der greise König René zurückgezogen hat und die auch Karl erträumt. Um das Verhalten des fantasierenden Königs entfaltet sich die Auseinandersetzung zwi7
8
Fuhrmann weist darauf hin, dass Johanna von den Männern, die sie während ihrer Kämpfe umgeben, nicht als männlich wahrgenommen wird. »Sie wird als Frau geliebt (Raimond, Dunois, La Hire, Lionel) und sie liebt als Frau (Lionel)« Fuhrmann: Parisurteil, S. 342. Golz deutet diese Verschränkungen als Zeichen eines Konfliktes der Wertsphären. Golz: Harmonie, S. 198. Ich sehe darin vielmehr eine Aufhebung der vordergründig gegensätzlichen Welten. In den Sprachbildern werden keine Oppositionen aufgebaut, sondern das kriegerische Handeln mit dem des Hirten enggeführt und partiell gleichgesetzt.
179
Gewalt und Anmut schen Karl und Dunois, in der sich zugleich zwei Positionen zur Vermittlung kriegerischer Gewalt und aufklärerisch-bürgerlicher Werte gegenüberstehen. Denn Karl ist als König keineswegs Repräsentant der alten feudalen Ordnung. Er ist vielmehr paradoxerweise derjenige, der bürgerliche Werte vertritt.9 Auch die Fantasie der Hirtenidylle weist bürgerliche Züge auf: »Der Wunsch, im Spiel das Hofzeremoniell zu vergessen und idyllisierend als Bauern und Hirten zu erscheinen, enthielt zugleich die Tendenz zu einer Angleichung der Stände, ein Beweis dafür, welchen Einfluss bürgerliche Ideen, wenn auch in verspieltester Form, bereits ausübten.«10 Die gesellschaftsferne Existenz des Königs René, auf die Karl die eigenen gesellschaftsutopischen Ideen projiziert, ist jedoch auch hier nicht als ursprünglich naturhafte Einheit gedacht, nach welcher sich der Mensch in rousseauistischer Manier zurücksehnt. Vielmehr weist die Utopie, die Karl im Gespräch mit Dunois entwirft, Züge des »ästhetischen Staates« (ÄE 410) auf, den Schiller in den Ästhetischen Briefen als Überwindung zivilisationsbedingter Zerwürfnisse konzipiert. In Karls Vision verschränken sich Hirtensymbolik und die Vorstellung einer idealisierten mittelalterlichen Hofgesellschaft zur Vision einer durch Kunst versöhnten Menschheit. Renés Traumwelt bezeichnet Karl als Spiel, also als denjenigen Modus, in dem für Schiller die Versöhnung von Sinnlichkeit und Vernunft möglich ist: »Das ist ein Scherz, ein heitres Spiel, ein Fest / Das er sich selbst und seinem Herzen gibt, / Sich eine schuldlos reine Welt zu gründen / In dieser rau barbarschen Wirklichkeit.« (512-515)
Ähnlich heißt es in den Ästhetischen Briefen, in der Vision einer durch das Schöne versöhnten Menschheit: »Mitten in dem furchtbaren Reich der Kräfte und mitten in dem heiligen Reich der Gesetze baut der ästhetische Bildungstrieb unvermerkt an einem dritten fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins, worin er dem Menschen die Fesseln aller Verhältnisse abnimmt, und ihn von allem, was Zwang heißt, sowohl im physischen als im moralischen entbindet.« (ÄE 410)
9
Braemer weist darauf hin, dass der König im revolutionären Denkschema des 18. Jahrhunderts als väterliche Figur der Seite des Volkes zugeordnet wurde, der sich, wie das Volk, gegen den korrupten Adel behaupten muss. Braemer: Tragödie, S. 222. Siehe hierzu auch Heinz Schlaffer: »Von Bürgern entworfen, trägt das Bild des Königs bürgerliche Züge: stets ist er versöhnlich, einsichtig, aufgeklärt, auf Glück und Wohlstand seiner Untertanen bedacht – und aller Tragik abgeneigt.« Schlaffer: Held, S. 105. 10 Braemer: Tragödie, S. 238.
180
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Die Gesellschaft, die sich Karl erträumt, zeichnet sich durch »sanftre Sitten« (909) aus, die für ihn durch die »Sanftmut« und »Milde« des weiblichen Geschlechts hervorgebracht werden: »Wo zarte Minne herrschte [...] / Und edle Frauen zu Gerichte saßen, / Mit zartem Sinne alles Feine schlichtend.« (518-521) Auch für Karl ist es die Kunst, welche eine »schuldlose« Welt erzeugen soll: »Edle Sänger [...] machen uns den dürren Zepter blühn, / Sie flechten den unsterblich grünen Zweig, / Des Lebens in die unfruchtbare Krone, / Sie stellen herrschend sich den Herrschern gleich, / Aus leichten Wünschen bauen sie sich Throne, / Und nicht im Raume liegt ihr harmlos Reich, / Drum soll der Sänger mit dem König gehen, / Sie beide wohnen auf der Menschheit Höhen.« (476485)
Wie Schiller in seiner Theorie den »ästhetischen Staat« nicht als realistische Option, sondern als eine utopische Größe denkt, die aber richtungsweisend für eine ästhetische Erziehung sein soll11, hält auch Karl das Reich, welches die Sänger begründen, für eine Utopie – für ein Reich, das »nicht im Raume« (483) liegt. In der Darstellung Karls und seiner Hofgesellschaft weicht Schiller bewusst von der überlieferten Geschichte der Johanna von Orléans ab. Der historische Karl galt als »décadent«, er plünderte die Staatskassen für seinen aufwendigen Lebensstil; die Sorel galt als seine Mätresse. Sowohl Karl selbst als auch seine Beziehung zu Agnes Sorel erscheinen bei Schiller in einem sittlicheren Licht. Agnes will ihren Schmuck, Inbegriff weiblichen Materialismus, für den Krieg um Orléans opfern. Karl wiederum sieht in der Sorel eine heroisch Liebende. Die differenzierte persönliche und politische Darstellung Karls bewirkt, dass das Drama nicht in den Dichotomien von heldischer Frau und feigem Mann oder von dekadentem Adel und lebenstüchtigem Bürgertum aufgeht. Vielmehr verkörpert Karl die Tragik der Aufklärungskultur: Er strebt nach einem friedlichen menschlichen Zusammenleben, ist aber mit einer brutalen kriegerischen Wirklichkeit konfrontiert. Karl ist bereit, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, um das Leben vieler zu schonen. Er achtet die Würde des Individuums, er achtet das Leben, und er sieht seine Bestimmung in der gesellschaftlichen Sphäre, nicht in der gemeinschaftlich-heroischen Sphäre des Krieges. Nach den vielen Verlusten, die der Krieg bereits gefordert hat, ist er bereit Orléans aufzugeben, um das Leben seiner Bürger zu schonen. Indem Karl an den ritterlichen Kampfpraktiken festhält und eine Massenschlacht verweigert, übt er Kritik an der durch heroische Inszenierung verschleierten Gewalt und distanziert sich von 11 Vgl. Büssgen: Glaubensverlust, S. 92 und S. 204 ff.
181
Gewalt und Anmut dem heroischen Wert der Opferbereitschaft. Er sieht seine Tugenden und Fähigkeiten nicht in der kriegerischen Praxis, sondern in der Staatenlenkung. »Die raue sturmbewegte Zeit / Heischt einen kraftbegabtern Steuermann. / Ich hätt ein friedlich Volk beglücken können, / Ein wild empörtes kann ich nicht bezähmen, / Nicht mir die Herzen öffnen mit dem Schwert, / Die sich entfremdet mir in Haß verschließen.« (796-801)
Dennoch erscheint Karls defensives Verhalten in der Wahrnehmung der anderen Figuren als weltfremd und verantwortungslos. Die Krieger an Karls Hof, die Gesandten aus dem belagerten Orléans wie auch Agnes Sorel sind bestürzt über die mangelnde Kampfbereitschaft des Königs. Durch den Verlauf der Handlung wird auch dem Leser bzw. Zuschauer suggeriert, dass der Einschätzung der Figuren zu folgen sei: Durch das erfolgreiche Eingreifen Johannas in den Kriegsverlauf erweist sich die Zurückhaltung des Königs nachträglich als Fehleinschätzung der militärischen Lage. Zwar zeigen Karls Gebete, die Johanna in wundersamer Weise wiederholen kann, dass der König nicht aus Feigheit, sondern zum Schutz seines Volkes die Kapitulation suchte. Doch im Kontrast zu Johannas Charisma und ihrem spektakulären Siegeszug erscheint Karl als schwacher Regent, dessen mangelnde Qualifikation als Kriegsherr die desolate Lage seines Volkes erst herbeigeführt hat. In der Jungfrau von Orleans werden also mit Karls gewaltkritischer Haltung und seiner Vision einer versöhnten Menschheit gerade diejenigen Werte als weltfremd ausgewiesen, die Schiller in seinen anthropologischen Konzeptionen selbst vertritt.12 Mit Dunois stellt der Text dem König einen Verfechter heroischer Opferbereitschaft und kriegerischer Handlungsbereitschaft gegenüber. Auch Dunois ist wie Karl kein Repräsentant der feudalen Ordnung. Er versucht vielmehr, heroische Werte für einen modernen Patriotismus zu instrumentalisieren. Heroisch ist für ihn jedwede Form von Opferbereitschaft für das Vaterland. Nicht zufällig gebraucht er das Wort »Nation«, das zu Lebzeiten der histori-
12 Vielmehr scheint die Charakterisierung Karls als kunstliebender aber handlungsunfähiger Herrscher Rousseaus Kritik an der Kunst das Wort zu reden, welche dieser in seinen Schriften Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes und Lettre à M. d’Alembert sur les spectacles formuliert hatte. Rousseau betrachtete Kunst als bloß kompensatorische Instanz, welche den Handlungswillen des Menschen im lebensweltlichen Kontext lähme. Gegen diese Kritik hatte Schiller seine Konzeption in den Ästhetischen Briefen mit großem argumentativem Aufwand abzugrenzen versucht. Siehe hierzu die Darstellung von Büssgen: Glaubensverlust, S. 230 ff.
182
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 schen Johanna noch nicht von Bedeutung war. In Dunois’ Rede zeichnet sich die Idee der Volksmobilisierung13 ab, die er durch heroische Werte zu rechtfertigen sucht: »Es setzt / Der Schlechtste deines Volkes Gut und Blut / An seine Meinung, seinen Haß und Liebe / Partei wird alles, wenn das blutge Zeichen / Des Bürgerkrieges ausgehangen ist.« (826-830)
Das gesamte Volk soll alles geben, um sich als Nation zu etablieren und gegen einen inneren Feind zu behaupten. Die »demokratisierende« Utopie der Volksmobilisierung wird deutlich, wenn Dunois fortfährt: 13 In den Ansichten Dunois’ zeichnet sich die Konzeption eines Volkskrieges ab, die Napoleons siegreichen Feldzügen zugrunde lag. Napoleon, durch die Revolution an die Macht gekommen, nutzte die revolutionäre Mobilisierung des Volkes für seine Feldzüge. Die Kriegsführung des 18. Jahrhunderts, welche sich durch ein festes Reglement, stehende Heere und die Akzeptanz eines Kriegsrechts ausgezeichnet hatte, war mit den partisanenartig kämpfenden Truppen Napoleons überfordert. In Deutschland kam es erst einige Jahre nach Erscheinen der Jungfrau von Orleans zu einer breiten Debatte über die Vorteile des »Partisanenkrieges«, die dann auch die Heldinnensujets, etwa in der Penthesilea, entscheidend prägte. Siehe hierzu Kittler: Partisanen, S. 218 ff. Schillers Drama nimmt in erstaunlicher Weise die Argumente dieser Debatte vorweg: den Vorteil kleiner und schneller Kampftruppen gegenüber schwerfälligen klassischen Heerformationen, die psychologischen Vorteile der Identifikation der Kämpfer mit den Zielsetzungen des Krieges im Gegensatz zum bezahlten Berufssoldaten und die Missachtung geltenden Kriegsrechts, um sich einen Vorteil gegenüber dem Feind zu verschaffen. Zur Abgrenzung einer geordneten Kriegsführung des 18. Jahrhunderts von Napoleons Partisanenkrieg siehe: Madlener: Erwürgen, S. 37 ff. und Kittler: Partisanen, S. 218 ff. Auf die Anklänge moderner Kriegstheorien in der Jungfrau von Orleans hat Koschorke hingewiesen: Koschorke sieht den Einfluss der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege (und der damit einhergehenden Fragen nach der Begründung eines demokratischen Nationalismus sowie einer modernen Kriegsführung) auf Schillers Drama. Das Stück nehme vorweg, was wenige Jahre später in der Debatte um den Partisanenkrieg- und Volkskrieg als Mobilisierung der Massen diskutiert wurde. »In der Literatur um 1800, das heißt in der patriotisch bewegten Ära der Revolutionskriege und napoleonischen Feldzüge, war ja die Frage hochaktuell, auf welche nicht allein militärischen, sondern auch moralischen und vor allem affektiven Ressourcen ein streitbarer Nationalismus zugreifen konnte. […] Spätestens im Preußen der Befreiungskriege, wenige Jahre nach den ersten spektakulär erfolgreichen Aufführungen des Stückes, wird die psychologische Mobilmachung für nationale Ziele zum großen Thema auch der Literatur […].« Koschorke: Geschlechterpolitik, S. 243.
183
Gewalt und Anmut »Der Ackersmann verläßt den Pflug, das Weib / Den Rocken, Kinder, Greise waffnen sich, / Der Bürger zündet seine Stadt, der Landmann / Mit eignen Händen seine Saaten an, / Um dir zu schaden oder wohl zu tun / Und seines Herzens Wollen zu behaupten. / Nichts schont er selber und erwartet sich / Nicht Schonung, wenn die Ehre ruft, wenn er / Für seine Götter oder Götzen kämpft. / [...] Für seinen König muß das Volk sich opfern, / Das ist das Schicksal und Gesetz der Welt. / [...] Nichtswürdig ist die Nation, / Die nicht ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.« (831-848)
Standes-, Alters- und Geschlechtergrenzen sind in dem von Dunois beschworenen Kriegsethos irrelevant. Was er fordert, sind exakt die Ziele der modernen Kriegsführung des frühen 19. Jahrhunderts: die Mobilisierung der Massen und die Strategie des Vernichtungskriegs14, der auf die Zerstörung des feindlichen Heeres zielt, aber auch nicht »haltmacht vor der Zerstörung der Ordnung im eigenen Land«15. Nicht schonen und keine Schonung erwarten soll der heroische Krieger. Dunois betont hier den Wert der Opferbereitschaft, der im Verständnis des erhabenen Heroismus gerade den »großen« Menschen von der Masse abgrenzen soll, und verlangt diese Opferbereitschaft vom ganzen Volk. Das Opfer der eigenen zivilen Existenzgrundlage gilt Dunois als Inbegriff heroischer Leidensbereitschaft im Dienst des Vaterlandes: der Landmann, der bereit ist, seine Ernte anzuzünden, der Bürger, der seine eigene Stadt in Brand steckt. Dabei ist in Dunois’ Appell die Bereitschaft zu Opfer und Gewalt nicht an eine bestimmte Zielsetzung geknüpft. Es scheint aus seiner Sicht gleichgültig zu sein, ob der Untertan handelt, um Karl zu schaden oder zu nützen. Auch scheint es gleichgültig zu sein, ob er einem Gott oder einem Götzen dient. Als unheroisch erscheint nicht der kriegerische Gegner, sondern derjenige, der wie Karl auf Gewalt verzichten will.
3) »SCHÖN ZUGLEICH UND SCHRECKLICH ANZUSEHEN« – DIE KÄMPFE DER HELDIN In diese diffizilen Verflechtungen von bürgerlichen und feudalen Werten, von erhabenem Heroismus und der Idee eines Volkskrieges tritt nun die weibliche Kriegerin Johanna. Der Bericht über ihre erste gewonnene Schlacht schließt unmittelbar an die Auseinandersetzungen zwischen Karl und Dunois an und kontrastiert deren Wortgefecht mit dem Handeln der Heldin. Ihr kriegerisches Verhalten ordnet sie dem von Dunois entworfenen nationalistischen Kriegsethos
14 Siehe hierzu Kittler: Partisanen, S. 218 ff. und Madlener: Erwürgen, S. 42 ff. 15 Kittler: Partisanen, S. 230.
184
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 zu, das auf die Mobilisierung des Volkes und die Vernichtung des Feindes zielt.16 Schillers Jungfrau von Orleans führt eine Art psychologischen Krieg: Sie verursacht durch ihre martialische Erscheinung einen kriegerischen Rausch ihrer Anhänger, verängstigt durch ihr Auftreten wiederum die Feinde so sehr, dass diese schon vor der ersten Kampfhandlung die Flucht ergreifen. Obwohl die Feinde bereits fliehen, holen die französischen Soldaten unter Johannas Kommando zu einem Vernichtungsschlag aus. Im Bericht über ihre erste Schlacht heißt es: »Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen! / Zweitausend Feinde deckte das Gefild [...].« (981 f.) Doch die Heldin ist zugleich eine Figur der Versöhnung und damit auch Repräsentantin der Aufklärung. Sie will Frieden zwischen Burgund und Frankreich stiften und durch die Vertreibung der Engländer einen friedlichen Staat etablieren. Johanna soll Kriegsethos und die aufklärerische Idee des »ewigen Friedens« in sich vereinen. Dies ist die paradoxe Ausgangssituation der Heldin, die sich zugleich in ihrer Travestie ausdrückt.17 Denn die Dichotomien von Krieg und Frieden, Harmonie und Gewalt sind um 1800, wie oben gezeigt, an die Geschlechterdifferenz geknüpft. Die Utopie des Weiblichen als Inbegriff menschlicher Vollendung liegt der Figur Johanna zugrunde.18 16 Auch Peter-André Alt betont die nationalistische Gesinnung Johannas und bezeichnet sie als »aggressive Patriotin mit fanatischen Zügen«. Alt, PeterAndré: »Auf den Schultern der Aufklärung. Überlegungen zu Schillers ›nationalem‹ Kulturprogramm« In: Ders. u. a. (Hrsg.): Prägnanter Moment. Studien zur Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings. Würzburg 2002, S. 231. Alt betont, dass Johannas Nationalismus Schillers auf kosmopolitische Versöhnung zielender Anthropologie widerspricht. Er deutet Johanna daher nicht als »makellose Heldin« (Alt: Aufklärung, S. 231), sondern als Figur, welche an Schillers anthropologischen Idealen scheitert. In diesem Punkt bin ich anderer Auffassung als Alt. Ich möchte zeigen, dass Johanna erstaunlicherweise gerade als Heldin, die für nationalistische Ziele kämpft, das anthropologische Ideal der Einheit von Sinnlichkeit und Sittlichkeit erfüllt. 17 Ähnlich sieht auch Sautermeister den grundlegenden Konflikt in Schillers Die Jungfrau von Orleans im Konflikt zwischen »idyllischer Idee und kriegerisch-unmenschlicher Darstellung der Idee«. Sautermeister, Gert: Idyllik und Dramatik im Werk Schillers. Zum geschichtlichen Ort seiner klassischen Dramen. Stuttgart u. a. 1971, S. 139. 18 Sigrid Lange schreibt, dass Schiller »die in der gesamten Literatur der klassischen Periode (man kann sagen: seit dieser Periode) tradierte Bildwerdung der Frau zum Ideal harmonischer Menschlichkeit« für die Figurenkonzeption der Johanna nutzt und gerade hierin ihre »utopietragende Kraft« liege. Lange, Sigrid: »Geschichte und Utopie in Schillers ›Jungfrau von Orleans‹.
185
Gewalt und Anmut Johanna soll die gegensätzlichen Positionen nicht nur in zwei verschiedenen Rollen verkörpern, sie soll sie in sich vereinen. Denn sie ist keineswegs eine Figur, die zwischen den Rollen der Kämpferin und Friedensstifterin wechselt, die also im Frieden anmutig, im Kampf grässlich ist, wie es Burgund formuliert: »Wie schrecklich war die Jungfrau in der Schlacht, / Und wie umstrahlt mit Anmut sie der Friede!« (2028 f.) Die Figur ist vielmehr so konzipiert, dass sie in ihrer Gewalt unschuldig, in ihrer Unschuld gewalttätig ist.19 Johannas auf Vernichtung des Feindes zielende Feldzüge werden als mit Leichtigkeit und Schnelligkeit geführte Kämpfe inszeniert, die nicht zuletzt durch die Wahl des Schwertes als Waffe an die Ästhetik der Fechtkunst anknüpfen. Die Kämpfe erscheinen als halbbewusstes Handeln20, das die edle Intention der Heldin unmittelbar in der eleganten Bewegung ausdrückt. Ihr Handeln scheint Johan-
Versuch einer Neuinterpretation der Titelfigur.« In: Brandt, Helmut (Hrsg.): Friedrich Schiller. Angebot und Diskurs. Zugänge. Dichtung. Zeitgenossenschaft. Berlin/Weimar 1987, S. 316. Ich stimme dem zu und möchte hinzufügen, dass das Utopische der Jungfrau von Orleans gerade in der Idee eines »unschuldigen Krieges« liegt, in dem der Bruch der Aufklärung zwischen Gewalt und Moral aufgehoben ist. 19 Hier bin ich anderer Auffassung als Alan Mennehet, der in Johannas Charakter nur dann die Struktur der »schönen Seele« gegeben sieht, wenn Johanna nicht kämpft. Mennehet, Alan: »Idealism and Realism in Schiller’s Drama.« In: Curran, Jane V. and Christophe Fricker (Hrsg.): Schillers »On Grace and Dignity« in its Cultural Context. Essays and Translation. Rochester, NY 2005, S. 95 ff. Mennehet folgt hier der Figurenrede von Burgund. Ich möchte jedoch in diesem Kapitel zeigen, dass die Anmutsästhetik und damit auch die Subjektivität der »schönen Seele« auch das militärische Handeln der Figur umfasst. – Auch Mayer weist auf die Paradoxie hin, dass Johannas Unschuld sich gerade in ihren Kämpfen zeigt, bzw. umgekehrt ihre Kämpfe unschuldig sind: Für ihn hat Schiller »in exorbitanter Weise ›Unschuld mit kriegerischem Glück‹, ›Schuld mit Menschlichkeit‹ gleichgesetzt.« Mayer: Außenseiter, S. 50. 20 Walter Hinderer sieht in Johannas Handeln nach dem Verlassen ihrer Heimat keinen naiven Zustand mehr, aber auch noch keinen sentimentalischen. Er verweist auf das Fließende, Halbbewusste, das Johannas Handeln vor der Begegnung mit Lionel auszeichnet. Johanna gleiche »einer Schlafwandlerin«. Hinderer: Geschlechter, S. 35. Diese Verhaltenskonzeption lässt sich nur dann verstehen, wenn man sie weder dem naiven noch dem sentimentalischen Zustand zuordnet, sondern der Anmut, in der das Handeln bewusst und unbewusst zugleich ist. Auch Golz sieht Johannas Handeln vor ihrem inneren Zerwürfnis durch »scheinbar […] unerschütterliche innere Harmonie und Sicherheit« geprägt, die sich in der Begegnung mit Lionel als »labil und gefährdet« erweist. Golz: Harmonie, S. 204.
186
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 na durch die göttliche Mission ganz und gar sittlich gerechtfertigt.21 Sie selbst unterstreicht die Leichtigkeit und Sicherheit ihrer Kampfhandlungen, die sie sich als magische Intuition durch ihre Bewaffnung erklärt: »Und nimmer irrend in der zitternden Hand regiert / Das Schwert sich selbst, als wär es ein lebendger Geist.« (1685 f.) Auch in der Körperinszenierung zeigt sich die Anmutsästhetik: In ihren Kämpfen erscheint Johanna nicht als überbordend, hässlich, bestialisch wie die gescholtenen Hyänen der Französischen Revolution, noch erscheint sie als »männlich«. Johanna selbst betont immer wieder ihre körperliche Zartheit, die in scheinbarem Widerspruch zu ihrer kriegerischen Mission steht, ein Widerspruch, der sich aber in ihrem anmutigen kriegerischen Handeln aufhebt. »Wie kann ich solcher Tat / Mich unterwinden, eine zarte Magd, / Unkundig des verderblichen Gefechts!« (1084-1086)22 In der ersten Schilderung ihrer Mission heißt es: »Es geschehn noch Wunder – Eine weiße Taube / Wird fliegen und mit Adlerskühnheit diese Geier / Anfallen, die das Vaterland zerreißen. / [...] Der Herr wird mit ihr sein, der Schlachten Gott. / Sein zitterndes Geschöpf wird er erwählen, / Durch eine zarte Jungfrau wird er sich / Verherrlichen, denn er ist der Allmächtge!« (315-327)
Mit der Tiermetaphorik konstruiert Johanna das semantische Feld, innerhalb dessen sie ihr eigenes Handeln versteht. Die Taube als zartes und unkriegerisches Wesen erhält den Mut des Adlers, der als eleganter Raubvogel ein edles Kriegertum symbolisiert, ihre Feinde setzt sie mit Geiern gleich, mit Parasiten, die sich an einem frem21 Vgl. hierzu Bernhard Greiner: »Der reklamierte Auftraggeber Johannas mag problematisch sein, ihr subjektives religiöses Sendungsbewusstsein ist jedoch als echt hinzunehmen, mag es auch in Selbstsuggestion gründen.« Greiner, Bernhard: »Das Theater als Ort der Präsentation ›ganzer‹ Natur. (Die Kraniche des Ibycus, Die Jungfrau von Orleans).« In: Braungart, Georg und Bernhard Greiner (Hrsg.): Schillers Natur. Leben, Denken und literarisches Schaffen. Hamburg 2005, S. 200. 22 Mehrere Interpreten betonen die Dichotomie von »Zartheit« und »Kraft«, von »Anmut« und »Kriegertum«, welche die Körperinszenierung der Heldin prägt. Braemer, Kaiser und Sauder weisen darauf hin, dass diese Dichotomie schon das Bild der Göttin Minerva auszeichnet, die für Krieg und Frieden zugleich zuständig ist. Braemer: Tragödie, S. 236 f., Kaiser: Sendung, S. 216 und Sauder, Gerhard: »Die Jungfrau von Orleans.« In: Hinderer, Walter: Schillers Dramen. Interpretationen. Stuttgart 1992, S. 372 f. Prandi: Heroes, S. 56 f. Keiner der Interpreten geht jedoch der Frage nach, ob Gewalt und Anmut nur zwei in unterschiedlichen Wirkungssphären der Figur auftretende, zuletzt aber unvereinbare Eigenschaften sind, oder ob sie sich in einer anmutigen Gewalt aufheben.
187
Gewalt und Anmut den Land wie an einem Leichnam vergreifen. Im zweiten Absatz unterstreicht sie noch einmal den vermeintlichen Kontrast zwischen ihrer körperlichen Zartheit und ihrer martialischen Mission, indem sie sich als »zitterndes Geschöpf« (325) und als »zarte Jungfrau« (326) bezeichnet. Auch das Bild des fechtenden Engels, das Johanna zitiert, ist Sinnbild der anmutigen Kriegerin und der Verschränkung von Anmut und Gewalt, die in der Jungfrau von Orleans gedacht ist: »Der Himmel ist für Frankreich. Seine Engel, / Du siehst sie nicht, sie fechten für den König, / Sie alle sind mit Lilien geschmückt, / Lichtweiß wie diese Fahn ist unsre Sache, / Die reine Jungfrau ist ihr keusches Sinnbild.« (1767-1771)
Johannas Kleidung ist der Kriegerinnen-Ikonografie der Französischen Revolution entnommen, die ich in Kapitel C I analysiert habe. Sie trägt eine Mischung aus Panzer und Korsett, die zugleich auf die Rüstung des Helden verweist, aber auch die kurvigen Formen des weiblichen Körpers modellieren soll, und ein fließendes Gewand, das die Bewegungen der Heldin sichtbar werden lässt.23 Explizit heißt es in der Bühnenanweisung, welche der Schlachtszene vorausgeht, in der Johanna erstmals kämpfend zu sehen ist: »Johanna mit der Fahne, im Helm und Brustharnisch, sonst aber weiblich gekleidet.« (S. 224) Das Feminine an Johannas Körper wird immer wieder betont. Die erste Schilderung der Heldin gibt ihr Vater. Er zeichnet das Bild einer gerade erblühenden jungen Frau mit deutlich erotischen Konnotationen: »Ich sehe dich in Jugendfülle prangen, / Dein Lenz ist da, es ist die Zeit der Hoffnung, / Entfaltet ist die Blume deines Leibes, / Doch stets vergebens harr ich, daß die Blume / Der zarten Lieb aus ihrer Knospe breche, / Und freudig reife zu der goldnen Frucht!« (55-60)
Thibaut will seine Tochter auf ihre weibliche Rolle festlegen, die darin besteht, ihre körperliche Schönheit einzusetzen, um einen Mann zu finden und Kinder zu gebären. Aber auch die Köhlerfrau, die Johanna während ihrer Flucht aufnimmt, spricht von der »zarten Jungfrau unter Waffen« (3081) Und sie gibt diese Beschreibung in einem Moment, in dem sie Johanna noch nicht als die »Jungfrau von Orleans« identifiziert hat,
23 Auch Mansouri stellt fest, Schiller habe durch die Kleidung der Heldin »den Akzent auf das unverstellte weibliche Aussehen seiner Heldin legen wollen.« Mansouri, Rachid Jai: Die Darstellung der Frau in Schillers Dramen. Frankfurt a. M. 1988, S. 378.
188
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 also der Blick noch nicht durch kollektive Zuschreibungen beeinflusst ist. Sowohl die Gegner als auch die Anhänger Johannas weisen immer wieder auf die Schnelligkeit von Johannas Kämpfen hin. Talbots Aussage »Und wenn der Gegner nicht auch Flügel hat, / So fürcht ich keinen Überfall« (1232 f.) verweist einerseits auf die übersinnlich-gaukelhafte Wirkung, die er Johanna zuschreibt, aber auch auf die grenzüberschreitende Bewegung des Fliegens, mit der er Johannas Kampfverhalten vergleicht. Kurz darauf klagt Lionel, der Held Azincourt sei »gejagt von einem Weibe«. (1244) Das »Gejagt werden« knüpft an Johannas Fantasie an, die Gegner wie Schafe vor sich herzutreiben. In der Beschreibung von Johannas zweiter Schlacht, die nunmehr auf der Bühne inszeniert wird, ist es wiederum das »Fliegen«, das als Bild für Johannas Kampfbewegung dient. In unbegreiflicher Geschwindigkeit ist sie in das Lager der Feinde vorgedrungen. Für die Soldaten muss sie geflogen sein. Sie kam »Durch die Luft! Der Teufel hilft ihr!« (1528), so der Ausruf eines englischen Soldaten.24 Der Heldin erscheint ihr Handeln als Prozess, der, einmal begonnen, sich selbstständig fortzuentwickeln scheint: »Der Pfeil muss fliegen, / Wohin die Hand ihn seines Schützen treibt.« (1517 f.) antwortet sie genau in dem Moment, als Dunois sie auffordert, nicht selber kämpfend und tötend in die Schlacht einzugreifen. »Siegreich vollenden will ich meine Bahn.« (2451) Die Begegnung mit dem schwarzen Ritter empfindet sie als Bruch in diesem autopoetischen Prozess: »Was heißest du in Mitte meines Laufs / Mich stille stehen und mein Werk verlassen?« (2426 f.) Diese Empfindung visualisiert sich wenig später auf der Ebene der Bewegungschoreografie: Als sie den schwarzen Ritter mit dem Schwert treffen will, lässt er sie durch eine Berührung erstarren. Johanna gefriert für einen Augenblick zu einer Skulptur, die sich mitten in einer Kampfbewegung befindet. An die Stelle der fechtenden Frau in einer kämpferischen Performance tritt für einen Moment die allegorische Figur, als welche Johanna Teil einer traditionellen weiblichen Heldenikonografie sein 24 In der Geschwindigkeit und Leichtigkeit der Kämpfe überlagern sich Anmutsdiskurs und die Ideologie des Partisanenkriegs, denn zu dessen wesentlichen Merkmalen gehört die Verwirrung des Gegners durch Geschwindigkeit. Siehe hierzu Kittler: Partisanen, S. 218 ff. Kittler zitiert in diesem Zusammenhang Heinrich von Bülow: Dieser forderte die Unterteilung der Armeen in »Manipeln, d. h. kleine Scharen, die sich äußerst leicht und schnell bewegen können, was im neuern Kriege die Hauptvollkommenheit des militärischen Körpers ist«. Bülow, Heinrich von: Neue Taktik der Neuern wie sie seyn sollte. Leipzig 1805, Teil 1, S. 122. Zitiert nach Kittler: Partisanen, S. 228.
189
Gewalt und Anmut könnte.25 Der Kontrast zwischen anmutiger Bewegungsästhetik und skulptural-allegorischer Heldendarstellung wird hier deutlich. Johannas anmutiges Kampfverhalten grenzt sich sowohl von der Entlebendigung der Frau in der Allegorie als auch von einer Diffamierung weiblicher Gewalt im Bild der Furie, Hyäne, Hysterikerin ab. Die Heldin behält ihre Mädchenhaftigkeit und Schönheit auch im Kampf, wie sich der Begegnung mit Montgomery entnehmen lässt. Montgomerys Beschreibung der Johanna, die sich kämpfend auf ihn zu bewegt, zitiert zwar das Bild des Medusenblicks, gibt aber keine Beschreibung einer furios entstellten Physiognomie oder Mimik. Als Schreckensbild erscheint sie ihm, weil sie sich aus der Ferne als schwarzer Schatten vom Feuer abhebt, was er als Höllensymbolik deutet. Dann sind es die Blicke, von denen er sich gefesselt fühlt und die er dafür verantwortlich macht, ihn an der Flucht zu hindern. Kurz vorher hatte er aber bereits seine aussichtslose
25 Für Inge Stephan ist Schillers Die Jungfrau von Orleans ein Beispiel der Entlebendigung einer realen Frauenfigur hin zu einer Allegorie. Stephan: Heilige, S. 34 f. In eine ähnliche Richtung argumentiert Mieszkowski, für den die Mission der Johanna darin besteht, als »warrior icon« die Legitimität des Krieges unter Beweis zu stellen. Mieszkowski, Jan: »The Pace of the Attack: Military Experience in Schiller’s ›Wallenstein‹ and ›Die Jungfrau von Orleans‹.« In: Goethe Yearbook XVI (2009), S. 29-46. Dies suche die Heldin durch die Einschreibung in die Marienmythologie und den inszenatorischen Einsatz kriegerischer Insignien wie Helm und Fahne zu erreichen. Mieszkowski: Attack, S. 39. Die Kämpfe der Johanna seien hingegen für das Verständnis des Dramas zweitrangig. Mieszkowski: Attack, S. 30. Ich schließe mich Stephans These an, dass Johanna eine hochgradig künstliche Figur ist, die als Trägerin von Ideen und zur Verhandlung philosophischer und ästhetischer Konzepte dient. Vgl. auch Greiner, Bernhard: »Negative Ästhetik. Schillers Tragisierung der Kunst und Romantisierung der Tragödie. ›Maria Stuart‹ und ›Die Jungfrau von Orleans‹«. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Friedrich Schiller. München 2005. Sie ist aber meines Erachtens nicht allein als Allegorie zu verstehen. Ich möchte zeigen, dass der Text vielmehr durch den Bezug zur Anmutsästhetik eine weibliche Subjektivität und eine weibliche Gewalt konstruiert und damit das Bild der Tugendheldin konterkariert. Schon die Wahl der dramatischen Form stellt sich der Statik einer allegorischen Figur entgegen. Zudem durchzieht eine Ästhetik der inneren und äußeren Bewegung den Text, der Johanna als aktive Figur vor Augen führt. Mieszkowskis These, dass in Schillers Die Jungfrau von Orleans Gewalt durch ästhetische Mittel gerechtfertigt wird, stimme ich voll zu – diese Annahme ist auch Ausgangspunkt meiner Überlegungen. Ich möchte aber zeigen, dass gerade der Darstellung der Kämpfe eine solche gewaltlegitimierende Funktion zukommt – durch den weiblich codierten und als moralisch sprechend konzipierten Inszenierungsmodus der Anmut.
190
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Lage betont, die eine Flucht unmöglich macht: Er ist von Feinden umringt und sein Feldherr hindert ihn an einem Rückzug. Im Verlauf des sich anschließenden Dialogs wird deutlich, dass Johanna auch als Kämpferin die Körpersprache der Unschuld besitzt. Während sie erklärt, dass sie unbarmherzig tötet und auch gegenüber Montgomery keine Gnade zeigen wird, erscheint sie diesem dennoch als liebliches Wesen. »Furchtbar ist deine Rede, doch dein Blick ist sanft, / Nicht schrecklich bist du in der Nähe anzuschaun, / Es zieht das Herz mich zu der lieblichen Gestalt.« (16031605) Die Körpersprache deutet er sowohl als weiblich als auch als moralisch gut.26 Hier findet sich genau die Konzeption der Anmut, wie Schiller sie in Ueber Anmut und Würde entwirft: als nonverbaler, typisch femininer Ausdruck moralischer Integrität. Montgomery vertraut dieser anmutigen Körpersprache mehr als der verbalen Spra-
26 Die frühe Rezeptionsgeschichte zeigt, dass Johanna auch vom Publikum als eine vorbildliche weibliche Tugendheldin wahrgenommen wurde und nicht als systematisch tötende Furie. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Jungfrau von Orleans als Verstoß gegen den bürgerlichen Geschmack und die bürgerliche Sittlichkeit wahrgenommen wurde. Das Publikum war vielmehr zu Tränen gerührt, konnte Passagen des Stückes nachsprechen, Damen kleideten sich im Stil der Johanna. So schreibt Caroline de la Motte Fouqué anonym in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände: »Zauberhaft wirkte der Anblick des begeisterten Heldenmädchens. Bis zur untersten Klasse der Zuschauer wußten Alle ihre Worte auswendig. Man hörte sie in den Logen wie im Parquet neben sich flüstern, noch ehe die Schauspielerin sie sprach, und die bangen Athemzüge ließen sich zählen, als sie endlich durch höhere Macht die Ketten zerriß und wie der Engel des Herrn zu den Ihrigen zurückkehrte.« Fouqué, Caroline de la Motte: »Geschichte der Moden vom Jahre 1785-1829. Als Beytrag zur Geschichte der Zeit.« 1830 anonym veröffentlicht in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände. Zitiert nach: Freese, Wolfgang und Ulrich Karthaus (Hrsg.): Friedrich Schiller. Die Jungfrau von Orleans. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1984, S. 85. Die Kritik der Intellektuellen an dem Stück galt den religiösen Elementen und der vermeintlich anti-aufklärerischen Intention des Dramas, nicht aber der Darstellung weiblicher Gewalt in den Berichten und Bühnenkämpfen. Erst Hebbel monierte, Schiller habe seiner Johanna von Orleans »einen förmlichen Trieb zum Würgen und Morden in die Seele« gelegt, »der sich nicht, wie es psychologisch gewesen wäre, bei dem Anblick des ersten Blutes, das sie vergoß, in sein Gegenteil umwandelt, sondern der sich erst bricht, als sie sich plötzlich, mitten im Gewühl der Schlacht und in der Hitze des Kampfes, in einen Feind verliebt.« Vgl. Kapitel A IV Anmerkung 51. Die merkwürdige Akzeptanz, welche die mordende Jungfrau bei Schillers Zeitgenossen erfuhr, ist in der Gestaltung des Stückes begründet. Denn Schiller inszeniert mit Johanna eine Heldin, in der Schönheit und Gewalt, Tugendhaftigkeit und Mord, Weiblichkeit und Kriegertum keinen Gegensatz bilden.
191
Gewalt und Anmut che und fühlt sich ermutigt, nun an Johannas »weibliche Güte« zu appellieren. In Johannas Selbstverständnis soll die wiederholte Betonung ihrer körperlichen Zartheit dazu dienen, auf ihr Gelenktsein durch Gott zu verweisen und sich der Verantwortung für das kriegerische Handeln zu entledigen. Würde diese Selbsteinschätzung Johannas zutreffen, könnte sie im Sinne Schillers keine »Heldin« sein. Denn das Heroische, das hat Schiller deutlich gemacht, zeichnet sich durch die Selbstbestimmung im Handeln aus, im Erhabenen durch ein Handeln gegen die sinnliche Natur, im Anmutigen als Handeln in der Übereinstimmung von Sinnlichkeit und Vernunft. Johanna verlagert jedoch ihre innere Problematik nach außen, indem sie Gott als Lenker ihrer Bewegungen begreift. Die Nähe zu Kleists Marionettentheater-Aufsatz ist frappierend.27 Heroisches Handeln scheint ihr nur dann möglich zu sein, wenn sich Bewusstsein und Körper in Spieler und Marionette aufspalten. Die Frage ist jedoch, ob Johannas Einschätzung der Fremdbestimmung zu folgen ist28, oder ob der Text eine Verständnisebene anbietet, derzufolge Johannas Gewalt als aus ihr selbst motiviert interpretiert werden kann. Denn die Leichtigkeit der Kämpfe wird ganz im Sinne der schillerschen Anmutskonzeption als Ausdruck innerer Versöhnung präsentiert, die Johanna nach ihrer Zerrissenheit in der Vorbereitung auf ihre Mission und vor ihrem inneren Zerwürfnis durch die Begegnungen mit Montgomery und Lionel erreicht. Sie begreift ihr Handeln als doppelt legitimiert: durch Gott und durch den von Dunois vertretenen Patriotismus. Gott selbst, so meint die Heldin, habe ihr befohlen, »Mit dem Schwert zu töten alles Lebende, das mir / Der Schlachten Gott verhängnisvoll entgegen schickt.« (1601 f.) An anderer Stelle erklärt sie den patriotischen Krieg für das an sich Gute: »Was ist unschuldig, heilig, menschlich gut, / Wenn es der Kampf nicht ist ums Vaterland?« (1782 f.) Die religiöse und die patriotische Motivation garantieren also die ethische Legitimität jedweder Handlung. Doch nicht nur auf Verstandesebene, auch auf emotionaler Ebene ist Johanna vor der Begegnung mit Montgomery und Lionel eins mit ihrem Handeln.29 Sie kämpft nicht, wie sie später behaupten 27 Auf die Ähnlichkeit Johannas mit den Marionetten weist auch Wild hin. Wild: Keuschheit, S. 454. 28 Dies bezweifelt auch Karl S. Guthke. Guthke, Karl S.: »Die Jungfrau von Orleans.« In: Koopmann, Helmut (Hrsg.): Schiller Handbuch. Stuttgart 1998, S. 448. 29 Vgl. hierzu auch Hinderer, der auf die zunächst moralisch ungebrochene Identifikation der Heldin mit ihrer kriegerischen Mission verweist. »Das Problem, das schon in Wallensteins Lager angedeutet wird, ob sich der Sol-
192
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 wird, widerwillig, entgegen einer intuitiven weiblichen Sittlichkeit, sondern empfindet Kampfbegeisterung. Die Leidenschaft für den Kampf projiziert sie auf den Helm, der sie wie ein Totem vor der Erkenntnis der eigenen Begierde schützen soll. »Rasch und begierig« (191) greift sie nach dem Helm. Wenig später verkündet sie »in Begeisterung« (302), wie sie den Feind »niedermähn« (307) werde. Am Ende ihres Monologs im 4. Auftritt des Prologs interpretiert sie ihren Wunsch, in den Krieg zu ziehen, wiederum als Wirkung des Helms. Die Wortwahl legt aber nahe, diesen Wunsch auf ihre Kriegsbegeisterung, also auf einen sinnlich-leidenschaftlichen Bezug zum Krieg zurückzuführen: »Ins Kriegsgewühl hinein will es mich reißen, / Es treibt mich fort mit Sturmes Ungestüm, / Den Feldruf hör ich mächtig zu mir dringen, / Das Schlachtroß steigt und die Trompeten klingen.« (429-432)
Die Wörter »reißen«, »treiben«, »Ungestüm« evozieren den Eindruck von sinnlicher Leidenschaft, die Johanna mit ihrem Handeln verbindet.30 Nicht zufällig meint Johanna Kriegstrompeten zu hören, also jene musikalischen Propagandamittel, welche die Soldaten in Kampfbegeisterung versetzen sollen. An späterer Stelle flieht Johanna regelrecht vor der Ruhe und der Selbstreflexion, zu der man sie im Gespräch über eine mögliche Verehelichung zwingt, in die Schlachtbegeisterung. Wieder erwähnt Johanna in diesem Zusammenhang die Kriegstrompete: »Befiehl, daß man die Kriegstrommete blase! / Mich presst und ängstigt diese Waffenstille, / Es jagt mich auf aus dieser müßgen Ruh, / Und treibt mich fort, daß ich mein Werk erfülle [...].« (2266-2269)
Keineswegs scheint an dieser Stelle eine vernünftige Entscheidung für den Krieg in Szene gesetzt zu werden. Hebbels Assoziation »eines Triebes zum Würgen und Morden«31 der Johanna liegt angesichts der leidenschaftlichen Äußerungen der Figur nahe. Die Übereinstimmung von sinnlichem und sittlichem Wollen bildet die geistige Grundlage für die Anmut der Kämpferin Johanna.32
dat ›im Krieg […] doch menschlich fassen kann‹, scheint in den Repliken der Amazone zunächst nicht aufzutauchen, ebenso wenig wie die Sehnsucht nach dem Tag, wenn ›der Soldat ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit‹, wie Max Piccolomini es ausdrückt.« Hinderer: Geschlechter, S. 280. 30 Vgl. Kapitel D I Anmerkung 3. 31 Vgl. Kapitel A IV Anmerkung 51. 32 Auch Golz sieht die Wirkung Johannas auf das französische Heer darin, in den Soldaten die Versöhnung von Handeln und Antrieb geschaffen zu ha-
193
Gewalt und Anmut Den körperlichen Ausdruck findet sie in der immer wieder betonten Zartheit der Heldin und in der Leichtigkeit und überirdischen Geschwindigkeit, die Johannas Kampfverhalten prägen.
4) »MIT DEINEM BLICK FING DEIN VERBRECHEN AN« – SELBSTERKENNTNIS ALS ZUSAMMENBRUCH DER ANMUT Johannas Zusammenbruch wird als Auflösung der anmutigen Harmonie, als Übergang der Anmut ins Erhabene inszeniert. Die Anmut der Kämpfe zerbricht in dem Moment, in dem sie von der Massenschlacht, vom anonymen, auf Vernichtung zielenden Krieg in den ritterlichen Zweikampf übergeht. Hier findet eine persönliche Begegnung statt und mit Montgomerys Flehen ein Appell an den Wertekodex, der für sie vor ihrer kriegerischen Mission verbindlich gewesen ist. Gewalt erscheint nun nicht mehr als gut, was sie im Sinne ihres Auftrages vermeintlich ist, sondern schlecht im Sinne einer individuellen Handlung gegen einen unterlegenen Anderen. Nach der Begegnung mit Montgomery empfindet Johanna einen inneren Bruch zwischen ihrer intuitiven Ethik und dem gnadenlosen Tötungsgebot. In der Begegnung mit Lionel kommt es endgültig zur Selbstentzweiung, die mit der Erkenntnis Johannas einhergeht, eine Wahl zu haben, sich also für oder gegen ihr gewalttätiges Handeln entscheiden zu können. Die innere Versöhnung, die das kriegerische Handeln und die zauberhafte Wirkung der Heldin erst möglich gemacht hatten, geht in dem Moment verloren, in dem Johanna sich ihrer selbst bewusst wird, in dem sie ein in sich gespaltenes Subjekt wird. Wie der Knabe in Kleists Marionettentheater-Aufsatz verliert Johanna ihre Anmut durch den Blick: »Mit deinem Blick fing dein Verbrechen an, / Unglückliche! Ein blindes Werkzeug fodert Gott, / Mit blinden Augen mußtest dus vollbringen! Sobald du s a h s t, verließ dich Gottes Schild / Ergriffen dich der Hölle Schlingen.« (2577-2581)
Mit dieser Passage findet die Blickmetaphorik ihren Höhepunkt, die den Text durchzieht, und ergänzt den Anspielungshorizont der antiken Medusenmythologie um den des biblischen Sündenfalls. Durch den Biss in den Apfel werden Adam und Eva sehend und trennen sich aus der Einheit mit Gott. Doch die Sündenfall-Motivik verweist hier nicht auf den naturhaft naiven Zustand, sondern den der anben: »So vermitteln Johannas Schilderung des Berufungswunders und die sich anschließende Erfolgsverheißung dem König und seinem Heer Kampfesmut und Siegeswillen, und die von der Jungfrau befehligten Aktionen geschehen fortan in harmonischer Korrespondenz von geistigem Antrieb und faktischem Vollzug.« Golz: Harmonie, S. 202 f.
194
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 mutigen Harmonie. Was Johanna hier in eine religiöse Konstellation übersetzt, ist nichts anderes als die Problematik einer anmutigen Subjektivität. Diese ist in Schillers Theorie in mehrfacher Hinsicht durch den Blick gefährdet: erstens durch den begehrlichen Blick des männlichen Betrachters, den Johanna fürchtet: »Der Männer Auge schon, das mich begehrt, / Ist mir ein Grauen und Entheiligung« (2263 f.), und zweitens durch den Blick, der das eigene erotische Begehren des weiblichen Subjekts ausdrückt und damit die zerbrechliche Konstruktion der Anmut zum Einsturz bringt. Sich als Mann und Weib »erkennen« ist also in Schillers System nicht Konsequenz der Vertreibung aus dem Paradies und damit des Zerbrechens einer vorzivilisatorischen Einheit, vielmehr gefährdet der begehrende Blick die sozial erkämpfte, anmutige Einheit von Sinnlichkeit und Sittlichkeit. Indem sie einen Menschen verschont, erkennt Johanna den eigenen bewussten Anteil an ihrem Handeln und damit die Verantwortung für die Gewalttaten, die sie zuvor als Gottes Lenkung zu betrachten suchte. In diesem Sinne wird Johanna dreifach sehend: Sie sieht ihre sinnlich-erotischen Anteile, sie sieht ihre Entscheidungsfreiheit als Subjekt und wirft damit gleichsam einen Blick in den Spiegel, wodurch sie wie Kleists »Dornauszieher« die anmutige Harmonie ihres Handelns verliert. An die Stelle der anmutigen Harmonie ist Selbsterkenntnis, aber auch Selbstentzweiung getreten. Johanna wird später rückblickend ihren inneren Kampf im Sinne der Zerrissenheit des erhabenen Helden schildern: »Da, als der Ehre Schimmer mich umgab, / Da war der Streit in meiner Brust, ich war / Die Unglückseligste [...].« (3171-3173) Anders als der männlich erhabene Held scheint Johanna sich in dieser Entzweiung aber nicht als heroisch wahrnehmen zu können. Als sei ein weiblicher Heroismus nur in der anmutigen Harmonie möglich, fühlt sie sich schuldig, obwohl sie sich gegen ihre sinnliche Natur und für ihre Mission entscheidet.33 Gemäß Schillers Theorie des Erhabenen müssten ihre Taten sogar umso mehr heroische Größe besitzen, je größer der Verzicht ist, der sie ermöglicht. Johanna hingegen empfindet allein die Tatsache, dass sie ein sinnliches Begehren empfindet, das ihrer Mission entgegensteht, als Verbrechen. Dass sie auf eine Liebesverbindung mit Lionel verzichtet, erscheint ihr nicht als erhabene Tat. Dies liegt in dem zweiten tragischen Konflikt begründet, den Schiller mit der Konfrontation von Liebesbedürfnis und Heldenmission verwoben hat: die Konfrontation des Tötungsgebots ihrer konkreten Mission mit dem grundsätzlichen Tötungsver-
33 Auch Sigrid Lange weist daraufhin, dass Johanna sich nach den Begegnungen mit Montgomery und Lionel nur umso mehr ihrer Mission verschreibt. Lange: Utopie, S. 317.
195
Gewalt und Anmut bot, das der christlichen wie aufklärerischen Ethik und nicht zuletzt der Definition des weiblichen Geschlechtscharakters entspricht. Nach außen macht sich diese Entzweiung in veränderten, ungeschickten Bewegungsabläufen bemerkbar und zuletzt im Verlust ihrer Wirkung. Der innere Streit lähmt Johannas Kräfte; an die Stelle des äußeren Kampfes tritt ein innerer. Die moralische Integrität, die sich als anmutige Bewegung auch in den Kämpfen visualisierte, ist infrage gestellt und zugleich verliert Johanna, ganz im Sinne der schillerschen Anmutskonzeption, auch die »Sprache der Unschuld«.
5) »SO AHMEN SIE DIE UNSCHULD SIEGREICH NACH« – DIE BEDROHUNG DER ANMUT DURCH DIE CHARISMATIKERIN Im Hintergrund des Konzepts der anmutigen und damit unschuldigen Kriegerin steht die Gefährdung durch die perfekte Schauspielerin, die Charismatikerin, die durch die perfekte Imitation moralisch guten Handelns ihre bezaubernde Wirkung erreicht. Während Isabeau von den sie umgebenden männlichen Kriegern schnell als falsche Heldin enttarnt wird, changiert die Wahrnehmung Johannas während des gesamten Stücks zwischen dem Vorwurf eines dämonischen Charismas und der Zuschreibung anmutiger Unschuld. Burgund formuliert die Idee einer Sprache der Unschuld und die Angst vor der perfekten Lügnerin: »Verstrickend ist der Lüge trüglich Wort, / Doch ihre Rede ist wie eines Kindes. / Wenn böse Geister ihr die Worte leihn, / So ahmen sie die Unschuld siegreich nach.« (1772-1775) Talbot ist derjenige, der die Angst vor dem Charisma am deutlichsten ausspricht. Er beschreibt die Auswirkung von Johannas Auftreten auf seine Soldaten als einen Rausch oder Wahn und verbindet diese performative Macht der Heldin mit den Mächten des Teufels: »Sie hören nicht -- Sie wollen nicht mehr stehn! / Gelöst sind alle Bande des Gehorsams, / Als ob die Hölle ihre Legionen / Verdammter Geister ausgespieen, reißt / Ein Taumelwahn den Tapfern und den Feigen / Gehirnlos fort [...] / -Bin ich der einzig Nüchterne und alles / Muß um mich her in Fiebers Hitze rasen?« (1530-1539)
Mehr als den Tod, den er in vielen Schlachten herausgefordert hat, fürchtet er die Sinnlosigkeit und Lächerlichkeit eines Daseins, in dem kein unvermittelter Zugang zur Wahrheit mehr möglich ist. Talbots Rede ist durchzogen von der Dichotomie von »Wahrhaftigkeit«, »Ernsthaftigkeit«, »Erhabenheit« auf der einen Seite, Begriffen, die mit männlicher Arbeit und männlichen Kämpfen assoziiert sind, und »Gaukelei« oder »Leichtlebigkeit« auf der anderen Seite, die mit
196
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 den Täuschungskünsten der Frau assoziiert sind. »Eine Gauklerin, die die gelernte Rolle / Der Heldin spielt, soll wahre Helden schrecken? / Ein Weib entriß mir allen Siegesruhm?« (1546-1548) Was ihm erhaben schien, ist jetzt, besiegt durch weibliche Schauspielkunst, nur noch verachtenswert. Die Totalität der heroischen Lebensform, die für Talbot zeitlebens Gültigkeit besessen hat, scheint durch die weibliche Verstellungskunst entzaubert, zerstört, Talbot selbst noch im Sterben der Sinnlosigkeit preisgegeben. »Doch solchem groben Gaukelspiel erliegen! / War unser ernstes arbeitvolles Leben / Keines ernsthaftern Ausgangs wert?« (2336-2338) Die Möglichkeit eines weiblichen Charismatikertums, eines gespielten Heldentums, führt den Krieger in den Nihilismus: Seine letzte Einsicht ist »die Einsicht in das Nichts«. (2354) Auch Johannas Vater verdächtigt seine Tochter des »gespielten« Heldentums: »Laß sehn, ob sie auch in des Vaters Stirn / Der dreisten Lüge Gaukelspiel behauptet, / Womit sie Volk und König hinterging.« (2981-2983) Die Unterscheidung zwischen »Anmut« und »Charisma« hängt wie in Schillers Aufsatz Ueber Anmuth und Würde von der Frage nach der Möglichkeit einer perfekten Imitation von Unschuld ab. Wie in Schillers Aufsatz ist der Ausdruck moralischer Gesinnung in der anmutigen Bewegung vom nicht vorhandenen erotischen Begehren der Frau abhängig. Isabeau ist schnell als falsche Heldin entlarvt, weil sie keinen Hehl aus ihrem erotischen Begehren macht. Johanna hingegen erfüllt durch ihre Jungfräulichkeit und die Weigerung, eine erotische Beziehung auch nur in Erwägung zu ziehen, eine wesentliche Bedingung anmutiger Weiblichkeit. Deutet man Johannas Persönlichkeit nicht als anmutig, sondern als charismatisch, also als eine bewusste, perfekte Nachahmung der Anmut, so muss man Johannas Verhalten nach der Begegnung mit Lionel als »Zusammenbruch des Charismas«34 interpretieren. Die Auswirkung des zusammenbrechenden Charismas ist dieselbe wie die der zusammenbrechenden Anmut: Sie zeigt sich durch einen Verlust schöner Bewegung und den Verlust von Wirkung. Und in der Tat verliert Johanna in dem Moment, in dem sie sehend wird, beinahe augenblicklich die bezaubernde Wirkung, die sie zuvor po34 Albrecht Koschorke weist auf die Nähe zwischen Max Webers Konzeption des Charismatikers und Schillers Jungfrau von Orleans hin. »Johannas Zerwürfnis mit sich selbst, […] hat zur Folge, was man mit Max Weber im präzisen Sinn als Zusammenbruch des Charismas beschreiben könnte.« Koschorke: Geschlechterpolitik, S. 250. Koschorke bezieht sich auf die Schrift: Max Weber: »Wirtschaft und Gesellschaft.« In: Ders.: Schriften zur Soziologie. Stuttgart 1995, S. 271 ff.
197
Gewalt und Anmut sitiv wie negativ auf ihre Umgebung ausübte. Ihre Verunsicherung visualisiert sich durch die mangelnde Anmut ihrer Bewegungen. Weil sie stolpert und zittert, hält ihr Vater nun den Zeitpunkt für gekommen, seine Tochter des Teufelspaktes anzuklagen: »Bemerktest du, wie ihre Schritte wankten, / Wie bleich und wie verstört ihr Antlitz war! / Die Unglückselige fühlt ihren Zustand, / Das ist der Augenblick, mein Kind zu retten, / Ich will ihn nutzen.« (2835-2839) Es entspinnt sich eine Diskussion über Schuld und Unschuld der Heldin, in der deutlich wird, dass ihre Anhänger sie vor dem Zusammenbruch als Heldin wahrgenommen haben, deren ethische Integrität sich unmittelbar in der Körpersprache ausdrückt. Dunois verweist auf die Utopie eines unmittelbaren Ausdrucks der »schönen Seele« im Körper bzw. im Blick: »Nicht ihren Wundern, ihrem Auge glaub ich, / Der reinen Unschuld ihres Angesichts« (1115/ 1116), hatte er schon gesagt, als es bei Johannas erstem Erscheinen bei Hofe um die Frage ihrer Glaubwürdigkeit ging. Auch nach Johannas Zusammenbruch ist es für Dunois die Körpersprache der Heldin, die als unmittelbarer Ausdruck der Unschuld lesbar sein soll: »Sie eine Lügnerin! Wenn sich die Wahrheit / Verkörpern will in sichtbarer Gestalt, / So muß sie ihre Züge an sich tragen! / Wenn Unschuld, Treue, Herzensreinigkeit, / Auf Erden irgend wohnt – auf ihren Lippen, / In ihren klaren Augen muß sie wohnen!« (3274-3279)
Dunois und auch La Hire, so wird in der Debatte über Johannas Schuld oder Unschuld deutlich, haben sie während ihrer gesamten Mission als anmutige Heldin wahrgenommen. Sie deuten den Verlust der Anmut als einen Selbstverlust der Heldin. Sie soll sich wieder fühlen, also die disparaten Persönlichkeitsanteile wieder in Einklang bringen, damit die nonverbale Sprache der Unschuld wieder in ihrem Blick, in ihrer Körperbewegung Ausdruck finden kann: »Faß dich, Johanna. Fühle dich. Die Unschuld / Hat eine Sprache, einen Siegerblick, / Der die Verleumdung mächtig niederblitzt!« (3010-3012) Für Dunois kann Johanna ihre Ehre wiederherstellen, indem sie sich zu ihm als männlichem Heros bekennt. Die Unschuld beweist sich allein durch diese Verbindung; sie braucht keine verbale Äußerung der Frau, nur eine Geste der Zugehörigkeit zu ihm: »Du bist mein Weib – Ich hab an dich geglaubt / Beim ersten Blick, und also denk ich noch. / Dir glaub ich mehr als diesen Zeichen allen, / Als diesem Donner selbst, der droben spricht. [...] / Sag mir kein Wort, die Hand nur reiche mir / Zum Pfand und Zeichen, daß du meinem Arme / Getrost vertraust und deiner guten Sache.« (3030-3041)
Angespielt wird hier auf das Duellwesen, in dem ein Mann für die Ehre einer Frau kämpfen kann, in dem also das Kampfgeschick des 198
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Mannes zugleich die Ehre der Frau unter Beweis stellt. Der Arm des Helden, seine Fähigkeiten im Kampf, sollen also die Sache entscheiden. Als Zeichen braucht er keine Verteidigung Johannas; sie muss sich nur ihm, dem rechtmäßigen Helden, zugehörig erklären, um ihre Unschuld an die Kampffähigkeiten des Helden zu binden.
6) »AUF BLUTGE SCHLACHTEN FOLGT GESANG UND TANZ« – DIE BEWEGUNGSÄSTHETIK DER TRAGÖDIE Die Szene, die auf die Begegnung mit Lionel folgt, beginnt mit einem Monolog Johannas, in dem sie den Gegensatz von Krieg und Frieden als choreografische Veränderung, als Wechsel vom Kampf zum Tanz wahrnimmt: »Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen, / Auf blutge Schlachten folgt Gesang und Tanz [...].« (2518 f.) Das Volk, für dessen friedliches Zusammenleben die Kämpfe geführt wurden, präsentiert sich im »Reigen«, im »Wallen« und »Strömen«, also in den leichten, mit Natürlichkeit assoziierten Bewegungen, die, wie der Tanz in Schillers gleichnamigem Gedicht, Ordnung haben, ohne geordnet zu wirken.35 Diese tänzerische Grazie kann Johanna nicht teilen, weil sie ihre Anmut im inneren Konflikt verloren hat: »Mir ist das Herz verwandelt und gewendet, / Es flieht von dieser Festlichkeit zurück, / Ins britsche Lager ist es hingewendet [...].« (2536-2538) Der Tanz ist ihr Inbegriff eines »natürlichen«, und das heißt liebenden Daseins. Die von außen hereindringenden Klänge des Volksfestes evozieren in ihrem Bewusstsein das Bild des geliebten Lionel. »Wehe! Weh mir! Welche Töne! / Wie verführen sie mein Ohr! / Jeder ruft mir seine Stimme, / Zaubert mir sein Bild hervor!« (2551-2554) Gegenüber der Sorel drückt sie ihre Sehnsucht aus, an dieser Lebensform teilzuhaben: »Dies Fest des Reichs ist deiner Liebe Fest, / Die Völker alle [...] / Sie teilen dein Gefühl [...] / Eins bist du mit der allgemeinen Wonne [...].« (2689-2694) In dem Tanz drückt sich für Johanna die Einheit aus, die nur die Liebe stiften kann. Für diese Harmonie hat Johanna durch ihre Taten das Fundament gelegt, darf aber nicht an ihr teilhaben, weil sie sich an das Liebesverbot gebunden fühlt. Sie wünscht sich in den Krieg zurück: »Daß der Sturm der Schlacht mich faßte / Speere sausend mich umtönten / In des heißen Streites Wut! / Wieder fänd ich meinen Mut.« (2555-2558) Auffällig ist die Analogie, die durch die direkte Gegenüberstellung zwischen Kampf und Tanz hergestellt wird. Der Kampf als Erlebnis eines fließenden, verselbstständigten Handelns erscheint ihr als Ausweg aus ihrem inneren Kampf. Eins mit sich und damit anmutig ist Johanna nicht im Tanz, sondern im
35 Vgl. Kapitel C V 2 Anmerkung 183.
199
Gewalt und Anmut Kampf, nicht in der Liebe, sondern im Töten. Dies ist die bittere Konstellation, die Schillers Stück zugrunde liegt.36 Nicht nur die Gemeinschaft des Volkes, sondern auch die staatliche Ordnung, die Johanna in ihren Kämpfen etablieren will, erscheint der Heldin als Bedrohung ihrer Identität. Die Gesellschaft verlangt von ihr entweder ein Zeichen ihrer körper- und geschlechtslosen und damit überirdischen Identität – sie soll sich in ihrer »Lichtgestalt« (2967) zeigen, so, wie sie »der Himmel sieht« (2968) – oder aber die Rückkehr zu einer »natürlichen« weiblichen Lebensform in der Ehe. Als Körperwesen, so macht Karl deutlich, muss sie sich den irdischen Glücks- und Lebensvorstellungen fügen, sie soll mitteilen, was sie auf Erden erfreue. Die Konfrontation der Heldin mit der staatlichen Ordnung, die nun an die Stelle des Kriegsgeschehens treten wird, inszeniert Schiller wiederum durch eine Konfrontation der Gangarten: In dem Moment, in dem an die Stelle der Schlacht die Parade als Feier der bürgerlichen Gesellschaft37 tritt, hat Johanna die anmutige Sicherheit ihrer Bewegungen verloren: Sie stolpert. »Das Kollektivtableau des großen Zuges verschließt sich ihr, so daß ihr die Verkörperung der Siegesgöttin und Fahnenschwingerin mißlingt.«38 Johanna kann sich nicht in das neue Staatsgefüge eingliedern, das sie selbst geschaffen hat. Sie weigert sich an dieser Stelle, sich in eine Allegorie zu verwandeln39, ganz und gar künstlich zu werden und als Zeichen 36 Zur identitätsstiftenden Funktion des Krieges für die Heldin vgl. auch Lange, die im »Schlachtfeld« den eigentlichen »Spielraum« des Stücks sieht. Lange: Utopie, S. 118. 37 Vogels These ist, dass der Krönungszug den männlich-bürgerlichen Gleichschritt der revolutionären Festspiele an dieser Stelle wieder in den Dienst der alten monarchistischen Ordnung stellt, die durch Johannas Handeln in neuem Glanz erstrahlt. Hierin sieht sie eine restaurative Haltung Schillers gegenüber der Revolution. (Vogel: Furie, S. 116.) Da aber, wie gezeigt, in dem Drama Auslegungen eines bürgerlichen Staats- und Rechtsverständnisses aufeinanderprallen und nicht etwa feudale auf bürgerliche Ordnung, halte ich es für unwahrscheinlich, dass die durch die Französische Revolution bürgerlich besetzten Umzüge, hier Sinnbild einer alten feudalen Ordnung sein sollen. Der Festumzug in Schillers Drama, angeführt durch eine Heldenjungfrau, ist meines Erachtens als Anspielung auf die Festzüge zu verstehen, die ebenfalls häufig von als Amazonen verkleideten Frauen angeführt wurden. Hier erscheint also wieder eine bürgerliche Choreografie in der Verkleidung der Monarchie, wie Braemer es für die bukolischen Motive festgestellt hat (vgl. Kapitel D I 2 Anmerkung 10). 38 Vogel: Furie, S. 120. 39 Vogel deutet Johanna im Sinne ihrer Theorie einer furiosen Weiblichkeitsästhetik als eine Furie, die sich nicht in den Gleichschritt der Bürger eingliedern lässt. Vogel: Furie, S. 121. Ich schließe mich der wichtigen Beobach-
200
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 in die Mythologie des Staates integriert zu werden. Indem Johanna stolpert, indem sie im Zuge der Feierlichkeiten das Vertrauen ihrer Anhänger verliert, entgeht sie einer Stilisierung zu einer nationalen Ikone und damit ihrer Entlebendigung. Die Angst vor dem Verlust ihrer privaten Identität im Heroenkult wird deutlich, wenn Johanna vor ihren Schwestern ihre Rüstung als »Schmuck« (2933) bezeichnet, der »euer Herz von meinem Herzen trennt«. (2934) Im Rahmen des Krönungszuges ist ihr die Rüstung zur Verkleidung geworden. Was zuvor Teil ihres heroischen Selbst war, verstellt nun ihre »wahre« Identität. »Hirtin« will Johanna wieder werden und meint damit die isolierte Daseinsform, die sie in ihrer Kindheit gegen den Willen ihres Vaters für sich behauptet hat. Ihre Anmut ist ihr, wie Golz für ihre Naivität konstatierte, »nur als exklusives Wesen«40 gegeben. Wie sie als Kind aus ihrer Dorfgemeinschaft floh, ist auch hier die Gesellschaft nicht der Ort, an dem Johanna sie selbst sein kann. Johannas anmutige Balance ist in Friedenszeiten entweder durch die Dominanz des Geistes in der staatlichen Ordnung oder durch die Dominanz des Sinnlichen in der Liebe gefährdet. Dieser doppelten Bedrohung sucht Johanna zu entfliehen, indem sie sich in die Berge zurückzieht, in die Natur, die, wie schon die Welt ihrer Kindheit, nicht mehr reine Natur, sondern schon durchdrungen von Kultur ist. Die Köhlerfamilie, bei der sie Obdach sucht, lässt noch einmal für einen Moment die Hoffnung auf eine natürlich-naive Menschheit aufscheinen. »Ihr seht, es sind nicht alle Menschen grausam« (3090), sagt Raimond. Doch schon der Beruf des Köhlers deutet auf eine Durchdringung von Natur und Kultur hin, handelt es sich bei diesem doch bereits um eine Vorform industrieller Tätigkeit. Und während die Alten die bewaffnete Jungfrau nicht mit dem mythologisierten Bild der »Jungfrau von Orleans« identifizieren, sie also naiv als Privatperson wahrnehmen können und bereit sind, ihr zu helfen, identifiziert sie der Sohn der Familie als »Hexe von Orleans« (3108 f.), woraufhin die Köhler die Flucht ergreifen und Johanna ihrem Schicksal überlassen. Mit der Rückkehr des Sohnes hält auch hier die geschichtliche Welt Einzug in die vermeintliche Idylle.
tung an, dass Johanna an dieser Stelle mit dem friedlichen, aber durch Gleichmaß und allumfassende Ordnung geprägten bürgerlichen Staat konfrontiert wird und sich nicht eingliedern kann. Ich sehe jedoch in der Johanna keine Furie – keine ihrer Handlungen zeigten eine furiose Entfesselung –, sondern eine anmutige Kämpferin, die außerhalb ihrer Wirkungssphäre ihre innere und äußere Balance verliert. 40 Golz: Harmonie, S. 197.
201
Gewalt und Anmut
7) »DER SCHWERE PANZER WIRD ZUM FLÜGELKLEIDE« – DIE VERSCHRÄNKUNG VON ANMUT UND WÜRDE ALS ERLÖSUNGSFANTASIE Es ist nicht genau zu identifizieren, wie Johanna die innere Spaltung überwindet und welches Ereignis sie zu der überirdischen Versöhnung führt, die am Ende ihres Lebens ihre Bewusstseinslage prägt. Sie selbst sagt, der Sturm habe die Welt und auch sie selbst gereinigt. Es folgt die Vision eines vollständigen inneren Friedens: »In mir ist Friede – Komme, was da will, / Ich bin mir keiner Schwachheit mehr bewußt!« (3178 f.) Johanna entspricht am Ende ihres Lebens dem Bild des vollkommenen Menschseins, das Schiller als »Vereinigung von Anmut und Würde« definiert.41 Sie trägt ihre erhabene Zerrissenheit zwischen Liebe und Auftrag, zwischen gebotener Gewalt und dem »weichen Herz[en]«, welches Mitleid üben will, und gewinnt doch ihre Anmut zurück. Diese Entwicklungsstufe Johannas im Einklang von erhabenen und anmutigen Zügen zeigt sich als ein fast überirdischer Zustand, in dem sie nichts mehr anfechten kann, in dem sie schwerelos erscheint und der Materie trotzen kann. Zu Recht hat Kaiser diese Entwicklungsstufe der Heldin mit der Beschreibung der Juno Ludovisi enggeführt, in welcher Schiller die Verbindung von Anmut und Würde zu charakterisieren versucht42: »In sich selbst ruhet und wohnt die ganze Gestalt, eine völlig geschlossene Schöpfung, und als wenn sie jenseits des Raumes wäre, ohne Nachgeben, ohne Widerstand; da ist keine Kraft, die mit Kräften kämpfte, keine Blöße, wo die Zeitlichkeit einbrechen könnte.« (ÄE 360)
Diese Passage ist von eben der Bildlichkeit geprägt, mit der auch Johannas Entwicklung hin zu menschlicher Vollkommenheit visualisiert wird. Es ist eine Bildsprache der Schwerelosigkeit, Leichtigkeit, der Überwindung raumzeitlicher Bedingungen. Auf bildlicher Ebene entwickelt sich Johannas Wandeln auf Erden zu immer größerer Leichtigkeit. Der Heldin scheint sich keine Kraft mehr entgegenzustellen, keine zeitlichen oder räumlichen Bedingungen scheinen für sie mehr Gültigkeit zu haben. »Doch frei aus ihrem Kerker schwingt die Seele / Sich auf den Flügeln eures Kriegsgesangs.« (3414 f.) Es ist kein Kriegsgeschrei, sondern Kriegsgesang, also ein Element einer kriegerischen Choreografie, der Johanna die Wiedergewinnung ihrer verlorenen Leichtigkeit verheißt. Noch nicht ihr 41 Mit dieser Interpretation schließe ich mich Kaiser an, der Johannas Bewusstseinslage am Ende des Stückes ebenfalls als Vereinigung von Anmut und Würde deutet. Kaiser: Sendung, S. 232 ff. 42 Kaiser: Sendung, S. 217.
202
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Körper, aber ihre Seele ist befreit und kann sich »schwingen«, ein Wort, das wieder an die Flugmetaphorik anknüpft. Die Flügel, die sie über die Gefängnismauern hinweg tragen, sind der Gesang als Teil einer kriegerischen Choreografie. Dass sie die schweren Ketten zerreißen kann, ist deutliches Zeichen der Überwindung der physischen Bedingungen menschlicher Existenz. Ihre Kampfbewegungen nach der Befreiung werden als eine Geschwindigkeit wahrgenommen, der das menschliche Auge nicht mehr folgen kann. Im Bericht des englischen Soldaten, der Johannas letzten Kampf beschreibt, wird zunächst wieder das Bild des Fliegens, des kämpfenden Engels evoziert: »Wie? Hat sie Flügel? Hat der Sturmwind sie / Hinabgeführt?« (3483 f.) Dann nutzt Schiller ein physikalisches Bild, um die überirdische Geschwindigkeit zu verdeutlichen. »Mitten / Im Kampfe schreitet sie – Ihr Lauf ist schneller / Als mein Gesicht – Jetzt ist sie hier – jetzt dort – / Ich sehe sie zugleich an vielen Orten!« (34843487) Noch einmal schließt der Text an die Blickmetaphorik an. Die Jungfrau ist schneller als der Blick des menschlichen bzw. männlichen Beobachters. Johanna hat sich so weit über ihr kreatürliches Menschsein hinausentwickelt, dass sie den gefürchteten Blicken entfliehen kann. Mit ihrer Fluchtgeschwindigkeit, so die Logik des Bildes, scheint sie auch die raumzeitlichen Bedingungen hinter sich gelassen zu haben. Sie scheint an mehreren Orten zugleich sein zu können. Die viel getadelten romantischen Elemente der Tragödie43 erweisen sich hier als Visualisierung der menschlichen Vollendung, die Schiller in der Verbindung von Anmut und Würde sieht. In das eschatologische Schlusstableau, welches nun Johannas Ende in Szene setzt, kann sich die Heldin wieder einfügen. Dieses inszeniert sie als Ausdruck vollendeter Menschlichkeit und nicht, wie der Krönungszug, als Teil einer nationalen Mythologie. Sie ist zurück auf dem Schlachtfeld, welches das choreografische Aktionsfeld für ihr Heldentum darstellt, sie wird von ihrem Volk wieder als Heldin wahrgenommen und findet ihre Erlösung im Tod. Ihre Fahne, die sie nach ihrer inneren Entzweiung nie wieder berühren wollte, verlangt sie nun zurück. Johanna ist wieder eins mit der Mission, die sie repräsentiert. Die Bewegungsdramaturgie, die sich von der Starre in der Anfangssequenz über das Fliegen hin zum Stolpern, Zittern, Taumeln während des Krönungszuges entwickelt hatte, wird nun zum Schweben: »Wie wird mir – Leichte Wolken heben mich -«. (3541) 43 Zur Kritik der romantischen Elemente in Schillers Jungfrau von Orleans siehe Oellers, Norbert: »›Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?‹ Zu Schillers Tragödie Die Jungfrau von Orleans.« In: Brandt, Helmut (Hrsg.): Friedrich Schiller. Angebot und Diskurs. Zugänge. Dichtung. Zeitgenossenschaft. Berlin 1987, S. 300 und Koopmann, Helmut: Schiller. Eine Einführung. München/Zürich 1988, S. 94 ff.
203
Gewalt und Anmut Auch die Kleidermetaphorik verdeutlicht die überirdische Leichtigkeit: »Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.« (3542)44
8) FAZIT Das Drama Die Jungfrau von Orleans steht in erstaunlichem Gegensatz zu der ästhetisch-anthropologischen Konzeption, die Schiller in seinem theoretischen Werk, insbesondere in den Ästhetischen Briefen entwickelt hat. Auch wenn Schiller schon im letzten der Briefe den Entwurf des »ästhetischen Staates« zu einer utopischen Größe erklärt, welche aber zumindest richtungsweisend für die Erziehung des Menschengeschlechts sein soll, rückt Schiller mit der Figur Karl und deutlicher noch mit König René die Vorstellung einer friedlichen Entwicklung des Menschen in das Licht eines realitätsfernen Utopismus. Diesen Figuren gegenüber steht Dunois, welcher Gewalt, und zwar absolute Gewalt, scheinbar problemlos in eine bürgerliche Denkweise integrieren kann. Johanna ist diejenige Heldin, welche den tragischen Konflikt der Aufklärungskultur überwinden soll, nämlich Werte der Gewaltfreiheit und der Achtung vor dem individuellen Leben in einer von Gewalt und Repression geprägten Realität durchsetzen zu müssen. In der Figur Johanna ist eine diffizile Konstruktion gedacht. Sie soll ein Wesen der Versöhnung sein, eine Mittlerin zwischen den Welten. Sie soll Frieden und Gewalt, Hirtentum und Kriegertum, Bürgerlichkeit und Monarchismus, Künstlichkeit und Natürlichkeit, Vernunft und Sinnlichkeit und nicht zuletzt Männlichkeit und Weiblichkeit in sich vereinen. In ihrer Person sollen Standesgrenzen, Geschlechtergrenzen wie auch der Gegensatz von bürgerlicher Humanität und heroischer Gewalt aufgehoben werden. Schiller knüpft damit auch inhaltlich an die Heroinen-Darstellungen der Französischen Revolution an, welche das Ziel hatten, die unbedingte Notwendigkeit und Legitimation der revolutionären Gewalt in Figuren zu visualisieren, die gerade im martialischen Habitus feminin-unschuldig wirken. Sigrid Lange hat mit Recht festgestellt, dass Schiller die in der Literatur der Klassik »tradierte Bildwerdung der Frau dafür nutzt«45, einen 44 Barbara Vinken macht deutlich, dass eine Grazie bzw. Leichtigkeit des Sterbens sich in den Darstellungen von Mariae Himmelfahrt als weiblich codierte Todesfantasie etabliert. Diese wird nicht zuletzt durch Kleidermetaphern konstituiert. Vinken, Barbara: »Himmelwärts entrückt. Die unerträgliche Leichtigkeit des Todes.« In: Brandstetter, Gabriele (Hrsg.): Figurationen, Gender – Literatur – Kultur. Köln/Weimar/Wien (1/2003), S. 13-26. Auch Schillers Drama, das von einer Marienmetaphorik durchzogen ist, spielt an dieser Stelle auf das Motiv von Mariae Himmelfahrt an. 45 Lange: Utopie, S. 316.
204
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 tragischen Konflikt zwischen Gewalt als Mission und dem Frieden als Menschheitsideal zu konstruieren. Es ist aber meines Erachtens nicht richtig, dass Johanna in diesem Konflikt als Beispiel eines bestialischen weiblichen Kämpfertums dargestellt wird, dass bei ihr »das Töten im Krieg mit Schaudern als ›wider die Natur‹« erscheint.46 Weiblichkeit und Gewalt sind in Johannas Kämpfen vielmehr vereint; sie werden als anmutige Gewalt inszeniert. Gerade das Ende des Stückes, als Johanna bereits, über alle Zweifel erhaben, als Inbegriff der Tugendheldin gilt, zeigt sie als kämpfende und tötende Figur. Es gehört zu der Eigendynamik des Textes, dass weibliche Gewalt hier als positiv konnotiertes Heldentum erscheint, und der Text nicht in einer Gewaltkritik aufgeht. Nur durch den ihr vorgezeichneten Tod, der für Johanna über das ganze Stück hinweg Zielpunkt ihrer gewaltsamen Mission ist, lässt das Drama die idealisierte weibliche Gewalt doch noch scheitern. Johanna kann die Gegensätze zuletzt nur im Tod vereinen. Das Schlachtfeld hatte für die Dauer der Mission ein Wirkungsfeld geboten, in dem die Balance von Vernunft und Sinnlichkeit in einer anmutigen Gewalt aufrechtzuerhalten war. Ihr Selbst lässt sich jedoch weder mit dem Ethos der bürgerlichen Gesellschaft noch mit einer »Liebesgemeinschaft« in Einklang bringen. Doch trotz dieser Schlusswendung hat sich das Stück im Verlauf der Handlung weit von der klassischen Trennung zwischen Gewalt und Schönheit entfernt. Mit den Kämpfen der Johanna hat Schiller vielmehr eine Gewaltästhetik weiterentwickelt, die in der Ikonografie der Französischen Revolution und den Anmutstheorien der Klassik angelegt ist – eine Ästhetik anmutiger Kämpfe, in denen Gewalt schön und feminin und gerade hierdurch als gerechtfertigt erscheinen kann.
II. »Halb Furie, halb Grazie« – Kleists Penthesilea als Kämpferin zwischen Anmut und Hysterie Kleists Penthesilea wird in der Forschungsliteratur oft als Figur gedeutet, die sich durch ihre Rolle als Kriegerin von ihrer weiblichen Natur entfremdet hat bzw. deren Amazonenstaat im Ganzen als pervertiertes Staatssystem zu verstehen ist.47 Penthesilea könne nicht
46 Lange: Utopie, S. 316. 47 Helga Gallas weist darauf hin, dass die Sekundärliteratur von dem Gedanken einer Denaturierung Penthesileas oder des Amazonenstaates geleitet ist und etwa die herausgerissene Brust als körperliches Zeichen der staatlichen Per-
205
Gewalt und Anmut zugleich die »unnatürlichen« Gesetze des Staates und ihre eigenen, der »weiblichen Natur« entsprechenden Liebeswünsche erfüllen. Penthesileas Gewalt gilt als Zeichen des Kontrollverlusts, einer mangelnden Fähigkeit der weiblichen Psyche zur Disziplinierung und Kontrolle ihrer Leidenschaften. Ihr Kampfverhalten werde den militärisch koordinierten Kämpfen der Griechen gegenübergestellt. »Je weniger die instrumentalisierte Grausamkeit des männlichen Krieges als solche wahrgenommen wird, desto größer ist das Entsetzen vor der ›Wut‹ dieser Amazonen, das atavistische Gewaltphantasien heraustreibt, die den Krieg seiner herrlichen Aura entkleiden und in seiner bloßen Körperlichkeit zeigen [...]«48, schreibt etwa Maximilian Nutz. Doch das Kampfverhalten der Amazonen gleicht nicht mehr als das der Griechen einer »atavistischen Gewaltphantasie«. Im Gegenteil: Penthesilea ähnelt in ihren Gewalttaten und -imaginationen dem Achill der Ilias, und auch zwischen Achill und Penthesilea innerhalb des kleistschen Dramas bestehen mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede.49 Für den Amazonenstaat ist Gewalt nicht weniger problematisch als für die Griechen.50 Die Amazonen reagieren auf die wilden Kampfbilder, die Penthesilea beschwört, sogar weit kritischer, als die Griechen auf die blutrünstigen Fantasien Achills. Die Griechen empören sich, weil Achill für ein erotisches Abenteuer die Schlacht um Troja vernachlässigt und nicht, weil er Penthesilea »Stirn bekränzt mit Todeswunden, / [...] durch die Straßen häuptversion deutet. Gallas: Gesetz, S. 166. So etwa Schmidt, Jochen: Heinrich von Kleist. Studien zu seiner poetischen Verfahrensweise. Tübingen 1974, S. 47. Vgl. auch: Dettmering, Peter: Heinrich von Kleist. Zur Psychodynamik seiner Dichtung. München 1975, S. 19 ff. und Nutz, Maximilian: »Lektüre der Sinne. Kleists Penthesilea als Körperdrama.« In: Grathoff, Dirk (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Studien zu Werk und Wirkung. Opladen 1988, S. 163-185. 48 Nutz: Körperdrama, S. 167. 49 Caroline Neubaur weist auf die Vorbildfunktion des Achill der Ilias für die Konzeption der Penthesilea hin: »In der ›Ilias‹ ist Achill die größere Figur, da ist er sozusagen die Penthesilea in seiner Menis, seinem Zorn. Diese Menis ist ja auch etwas absolut Irrationales für deren Kriegsrationalität, er ist ein vom Wahnsinn Geschlagener.« Neubaur, Caroline: »›Penthesilea‹ und die Kategorie des Grässlichen.« In: Kleist-Jahrbuch (2003), S. 208. Die Ähnlichkeit zwischen Penthesilea und Achill innerhalb des kleistschen Dramas betonen vor allem Müller-Seidel: Penthesilea, S. 157 f. und Krimmer, Elisabeth: »The Gender of Terror. War as (Im)Moral Institution in Kleist’s Hermannschlacht and Penthesilea.« In: The German Quarterly (2008) Bd. 81, Heft 1, besonders S. 77 ff. 50 Vgl. hierzu Helga Gallas: »Von Inhumanität auf Seiten der Amazonen zu sprechen, scheint unangemessen; denn dann müsste die ganze Ilias ein Dokument äußerster Inhumanität sein. Achills Brutalität ist kaum zu überbieten.« Gallas: Gesetz, S. 162.
206
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 lings« (614 f.)51 mit sich schleifen will. Der Schrecken, der atavistische Kampf, ist beiden Staatssystemen, dem der Amazonen wie dem der Griechen, gleichermaßen suspekt. Beide bemühen sich um eine Verschleierung der groben Gewalt im ästhetisierenden Blick. Entscheidend für die Wahrnehmung der Kampfästhetik sind die Beobachter, die das Geschehen multiperspektivisch wiedergeben und in ihren Kampfschilderungen zwischen der Wahrnehmung des Krieges als erhabenem Massenkrieg, anmutigen Einzelkämpfen oder entfesseltem Gemetzel schwanken. Ich möchte in diesem Kapitel darstellen, wie in der Beschreibung von Bewegung und Kleidung Penthesileas ein anmutig-weiblicher Kampfkörper in Szene gesetzt wird. In einem weiteren Schritt werde ich zeigen, wie Anmut als Ideal des Selbstausdrucks in der Bewegung, in Penthesileas Wunsch, ihre Liebe im Kampf auszudrücken, eingeschrieben ist. Meine These ist, dass Kleist mit der Penthesilea zunächst eine Kämpferin inszeniert, die, wie Schillers Jungfrau von Orleans, in ihren Kämpfen Anmut besitzt. Die Provokation des Textes besteht darin, dass Kleist das anmutige Heldentum nicht mit dem Grässlichen einer kämpfenden Furie kontrastiert, sondern beide Konstruktionen weiblicher Gewalt in einer Person vereint. Mehrere Interpreten haben in Aufsätzen, die sich anderen Problemstellungen des PenthesileaDramas oder aber dem Marionettentheater-Text widmen, am Rande auf den Bezug zwischen der Penthesilea und dem Graziendiskurs des späten 18. Jahrhunderts hingewiesen. Es liegt jedoch noch keine genaue Textanalyse vor, welche die Rezeption des Grazienbegriffs herausarbeitet und nach der Funktion dieser Rezeption innerhalb des Dramas fragt. Ryan Lawrence spricht in seinem Aufsatz über die Marionettentheaterschrift von der Grazie der Penthesilea, die in das »Rasen einer ›Furie‹« umschlage, ohne aber den Grazienbegriff auch auf die Kämpfe der Penthesilea zu beziehen.52 Auch Walter Müller-Seidel stellt den Bezug zwischen der Marionettentheater-Schrift und dem Penthesilea-Drama her. Er betont, dass Penthesileas Auftreten wie das der Marionetten mithilfe von Bildern der Schwerelosigkeit und des Tanzes charakterisiert wird, und weist auf die Ausdrucksfunktion der Kämpfe als Spiegel seelischen Geschehens hin.53 Müller-Seidel fokussiert aber trotz dieser Feststellung auf die gewaltsam-furiosen Züge der Heldin und interpretiert die Kämpfe als Ausdruck seelischer
51 Die einem Zitat in runden Klammern nachgestellten Ziffern in diesem Abschnitt bezeichnen Versangaben aus: Kleist: Penthesilea. 52 Lawrence, Ryan: »Die Marionette und das ›unendliche Bewußtsein‹ bei Heinrich von Kleist.« In: Sembdner: Marionettentheater, S. 180 f. 53 Müller-Seidel: Penthesilea, S. 151 ff.
207
Gewalt und Anmut Zerrissenheit. Dies würde jedoch sowohl in Schillers als auch in Kleists Anmutskonzeption dem Grazienbegriff widersprechen. Walter Hinderer sieht die Anmutsästhetik in den Kämpfen der Heldin gegeben, geht diesem Phänomen in seiner Analyse aber nicht weiter nach: »Bei Penthesilea führte der Krieg gewissermaßen zu einer Existenzerweiterung, die allerdings unter der Kategorie der sprezzatura, der Leichtigkeit, des Tanzes, der fröhlichen Jagdübung steht.«54 Manuel Köppen stellt ebenfalls den Bezug zwischen Kleists Anmutsbegriff und dem Penthesilea-Drama her, sieht die Anmut aber in der Figur des Achill, genauer: in Achill als Lenker der Quadriga verwirklicht: »Achilles, der strahlende Lenker der Quadriga, der mit seinem Gefährt zu einem eigenen Schwerpunkt vereint zu sein scheint, kontrastiert mit den unkontrollierten Leidenschaften einer Penthesilea.«55 Doch Köppen bleibt mit seiner Interpretation der Gegenüberstellung von entfesselter weiblicher Gewalt (Penthesilea) und geordneter, anmutiger Gewalt (Achill) verhaftet. Der Text verknüpft jedoch über die Körper- und Bewegungsästhetik vor allem Penthesilea mit dem Anmutsdiskurs, wie ich im Folgenden zeigen werde. Anmut und Furor lassen sich ebenso wenig wie Vernunft und Unvernunft auf die Figuren Penthesilea und Achill verteilen. Für Rolf-Peter Janz erreicht Penthesilea eine »Anmut des Schreckens«, während ihr die vollkommene Grazie verwehrt bleibe, die in der Freiheit sowohl vom Gesetz der Amazonen als auch vom Herrschaftsanspruch Achills bestehen würde. Ihre ursprüngliche Grazie verliere Penthesilea beim Anblick Achills, weil sich ihr Liebeswunsch mit ihrer Identität als Königin ausschließe.56 In dem letzten Punkt bin ich anderer Auffassung. Ich möchte in diesem Kapitel zeigen, dass Penthesilea zunächst in der kämpferischen Konfrontation mit Achill eine Übereinstimmung von Sinnlichkeit und Mission erreicht, die sich als kriegerische Grazie äußert. Oliver Jahraus vertritt die These, dass der Figurenkonzeption der Penthesilea das Konzept der »schönen Seele« zugrunde liege. Penthesilea sei »Furie« und »Grazie« zugleich und unterlaufe damit die Dichotomie von »Wahnsinn« und »Schönheit«. Die paradoxe Gleichzeitigkeit von »Grazie« und »Furie« sei Folge der ebenfalls paradoxen Verschränkung von institutionalisierter Sexualität durch den Amazonenstaat und der grundsätzlich subversiven, antistaatlichen Kraft der Sexualität.57 Ich möchte in die54 Hinderer, Walter: »›Vom giftigsten der Pfeile Amors sei,/ Heisst es, ihr jugendliches Herz Getroffen‹. Schillers ›Jungfrau von Orleans‹ und Kleists ›Penthesilea‹.« In: Beiträge zur Kleist-Forschung 17 (2003), S. 61. 55 Köppen: Beobachter, S. 65 f. 56 Janz, Rolf-Peter: »Die Marionette als Zeugin der Anklage.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Kleists Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1981, S. 46 f. 57 Jahraus: Heldinnen, S. 229.
208
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 sem Kapitel die wichtigen Hinweise der genannten Interpreten aufgreifen und das Penthesilea-Drama in Hinblick auf die Inszenierung einer »kriegerischen Grazie« der Protagonistin analysieren.
1) »DIE RÜSTUNG WIEDER BIS ZUM GURT SICH FÄRBEND« – DER RÜSTUNGSKÖRPER DER HELDIN Die Anspielungen auf den Anmutsdiskurs im Text sind zahlreich. Penthesilea ist ausgestattet mit den Attributen anmutiger Weiblichkeit, wie es der zeitgenössischen Ästhetik entspricht. Ihre Haut wird als »rosenblüt[ ]en« (536) beschrieben, ihr Haar als »seid[ ]en« (224), die Stimme als »Silberstimme«. (554) In den Beschreibungen wiederholen sich die Hinweise auf fließende Bewegungen und Formen: der wallende Helmbusch, die sie umwallende Lockenpracht.58 Die Darstellung bedient sich der Ästhetik der Schlangenlinie mit ihren erotischen und ausdrucksspezifischen Konnotationen.59 Auch die Kleidung der Penthesilea verweist auf den Anmutsdiskurs. Ihre Rüstung liegt eng am Körper an; einer der Griechen beschreibt sie als aus »Schlangenhäuten« (18) gefertigt, ebenfalls ein wörtlicher und metaphorischer Verweis auf die Schlangenlinie. Denn neben der expliziten Nennung der Schlange evoziert die Beschreibung das Bild einer glänzenden, die Formen des weiblichen Körpers genau nachzeichnenden Kleidung – einer Kleidung, die so beschaffen ist, dass sie die Bewegungen des Körpers sichtbar werden lässt, ohne den Körper zu entblößen. Diese Struktur der Kleidung ist Voraussetzung für die Darstellung von Anmut, da sie den natürlichen Fluss der grazilen Bewegungen sowohl ermöglicht und als auch für den Betrachter sichtbar macht. Ob die Rüstungen tatsächlich aus Schlangenhäuten gefertigt sind, bleibt unklar. Häufiger sind die Textstellen, die auf eine eiserne oder auch goldene Rüstung hindeuten. An anderer Stelle heißt es wiederum, die Amazonen seien mit Löwenfellen bekleidet, womit 58 Winckelmann hatte lockige, glatte oder zusammengebundene Haare als Elemente einer schönen Erscheinung von »straubigt[en] Haaren« abgegrenzt, die er den Faunen und Satyrn zuordnet. Winckelmann: Geschichte, S. 206 f. Hirth hatte daher in seinem Laokoon-Aufsatz auf die Darstellung aufgelöster, struppiger Haare in den antiken Darstellungen fokussiert und diese unter anderem an den Penthesileasarkophagen nachgewiesen, auf denen häufig dargestellt ist, wie Achill Penthesilea an den Haaren vom Pferd zieht. Siehe hierzu Dönike: Pathos, S. 62. Die Betonung der lockigen Haarpracht verweist also auf den Schönheits- und Anmutsdiskurs der Klassik, deutet aber auch schon auf die Schlangenhaare der Furie hin, in die sich Penthesilea am Ende des Stücks verwandeln wird. 59 Vgl. Kapitel C I Anmerkung 7.
209
Gewalt und Anmut auf die Kleidung des Herkules angespielt wird. Interessant ist aber, dass auch die eherne Rüstung der Penthesilea keineswegs als eine schwere funktionale Rüstung konzipiert ist. Diese würde der rasanten Geschwindigkeit und der zarten Physiognomie der Amazone widersprechen. Vielmehr handelt es sich um eine Fantasierüstung, die aus einem magischen Material gegossen zu sein scheint. Sie besitzt die schützenden Eigenschaften des Eisens, den Glanz des Goldes, aber auch die Geschmeidigkeit und Körpernähe der Schlangenhaut. Zum Teil scheint die Rüstung mit dem Körper zu verschmelzen und sogar die innere Bewegung auszudrücken, wie es sonst vermeintlich der Körper zu tun vermag: »Die Rüstung wieder bis zum Gurt sich färbend«. (98) Hier kann eine Spiegelung des Errötens in der Rüstung gemeint sein, jedoch legt die Formulierung eher die Assoziation einer Kleidung nahe, die wie die Haut die innere Bewegung des Subjekts kommuniziert. Auch der Helm der Penthesilea steht in einem merkwürdigen Verhältnis zum Körper. Zum einen wird er über die Wortwahl der Griechen mit dem Haar der Amazone assoziiert, »[...] der Helmbusch wallt ihr von der Scheitel« (60), wird also als Teil ihres »natürlichen« Körpers wahrgenommen. Zum anderen entwickelt er, wie schon der Helm der Johanna, eine Art Eigenleben: »Kaum daß ihr Federbusch ihr folgen kann!« (403) Ein Bild, das physikalisch nachvollziehbar ist – der Gegenwind weht den Helmbusch nach hinten –, das aber auch auf eine Eigenständigkeit des Gegenstands anspielt, wie in folgendem Beispiel noch deutlicher wird: »Der Helmbusch selbst, als ob er sich entsetzte, / Reißt bei der Scheitel sie von hinten nieder.« (286 f.) Als sei der Helm tatsächlich abgefallen, heißt es weiter: »Drauf plötzlich jetzt legt sie die Zügel weg: / Man sieht, gleich einer Schwindelnden, sie hastig / Die Stirn, von einer Lockenflut umwallt, / In ihre beiden kleinen Hände drücken.« (288-291) Die Haare, wieder wallend, wellenförmig, aber auch unbändig wild, rufen das Bild der Schönheitslinie, der bewegten Unbeweglichkeit der Laokoonfigur wach. Die »kleinen Hände« sind eine Anspielung auf die zarte Physiognomie, die man um 1800 der anmutigen Weiblichkeit zusprach. Der »Helmbusch«, der zum einen die Wellenform des Haares wiederholt und wie eine Art zweites Haupthaar erscheint, ist zum anderen eine eigenständige Instanz, die sich von den Plänen der Amazone zu distanzieren scheint. In der Kleidung der Penthesilea spiegelt sich die Gleichzeitigkeit von Künstlichkeit und Natürlichkeit, von Verhüllung und Enthüllung des sich anmutig bewegenden Körpers.
210
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800
2) EIN »KAMPF WETTEIFERNDER GESCHWINDIGKEIT« – KLEISTS ÄSTHETIK DER FLUCHTGESCHWINDIGKEIT Kleists Penthesilea ist geprägt von einer Bewegungsästhetik, die auf Höchstgeschwindigkeit zielt, eine Geschwindigkeit, die das Theater nicht mehr einzulösen vermag. Der Text ist eine »Vision, aber keine Bühnenvision«60. Kleist hat nur insofern Zugeständnisse an die Theaterpraxis gemacht, als er die rasanten Kämpfe und Verfolgungsjagden der Protagonisten von anderen Figuren beschreiben lässt. Doch die Berichte zielen nicht wie die klassische Teichoskopie auf eine Distanzierung des Zuschauers von der dargestellten Gewalt, sondern entwickeln eine Präsenz, die der einer Inszenierung gleichkommt. »Die narratio dieser Geschehnisse hat freilich keineswegs den Effekt einer ›distanzierten und distanzierenden‹ Vermittlung«, schreibt Gabriele Brandstetter. »Im Gegenteil. Bewegtheit und Überdimensionalität der Darstellung, mithin das Pathos der Tragödie, verdanken sich einer Strategie der Überbietung, wobei diese Hyperbolik sowohl die Sprache und ihre Bildlichkeit als auch die formale Struktur der Penthesilea regiert – nämlich als eine Dramaturgie der Überbietung der antiken Tragödie.«61 Es ist keine modische Übertreibung zu sagen, dass Kleist, hätte er die Möglichkeiten des Films gekannt, Penthesilea als Drehbuch verfasst hätte. Die Ästhetik der Penthesilea, die ich in diesem Kapitel mit Blick auf eine weibliche Kampfinszenierung freilegen möchte, kann als eine Vorform der »Action« verstanden werden. Diese wird im Spannungsfeld von »Grazie« und »Hysterie« inszeniert, den zwei psychologisch-ästhetischen Konzepten um 1800, in denen Bewegungen und Psyche als verschränkt gedacht werden. Die Schnelligkeit der Kämpfe ist für das Auge kaum fassbar und wird von den Beobachtern in ihren Berichten mit großem rhetori60 Schaub, Martin: Heinrich von Kleist und die Bühne. Zürich 1966, S. 42. Schaub weist nach, dass sich Kleist in seinem Text nicht den Gegebenheiten der Aufführungspraxis unterwirft, sondern ein unaufführbares Drama verfasst hat. In den Bühnenanweisungen seien unmögliche Forderungen an die Schauspieler formuliert: etwa das häufige Wechseln von Erblassen und Erröten oder eine Mimik, die für den Bühnenzuschauer nicht sichtbar wird wie das Zittern der Oberlippe. Vgl. hierzu auch Ottokar Fischer: »Kleist […] rechnete nicht mit den Bedingungen einer wirklichen Bühne, vergaß offenbar, die Schminke auf den Wangen der Schauspieler oder die Entfernung des Zuschauers von der Bühne in Erwägung zu ziehen.« Fischer, Ottokar: »Mimische Studien zu Heinrich von Kleist.« In: Euphorion 16 (1919), S. 78. 61 Brandstetter, Gabriele: »Penthesilea. ›Das Wort des Greuelrätsels‹. Die Überschreitung der Tragödie.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Interpretationen: Kleists Dramen. Stuttgart 1997, S. 82.
211
Gewalt und Anmut schem Aufwand eingefangen. Was die Körper der Akteure nicht darzustellen vermögen, muss die Rede leisten: Gehetzt, atemlos, in rhetorischen Bildern, zeichnen die Späher die übermenschliche Geschwindigkeit der Helden nach. Bereits im ersten Bericht vergleicht Odysseus die Amazonenkönigin mit einem »Sturmwind« (35), der die Reihen der Trojaner vor sich hertreibt, und evoziert damit den Eindruck von Luftigkeit, Leichtigkeit, Schnelligkeit. Als fehlte den Boten ein Begriff für die schnelle Bewegung der Helden, gebrauchen sie immer wieder das Wort »Fliegen«: »Sie fliegt, wie von der Senne abgeschossen: / Numidsche Pfeile sind nicht hurtiger!« (399 f.), »Gehetzter Hirsche Flug ist schneller nicht!« (384) »Hilf! Zevs! / An seiner Seite fliegt sie schon!« (418 f.) Als bestünde der Wettkampf nicht primär aus den bewaffneten Auseinandersetzungen, sondern aus Verfolgungsjagden, nehmen die Griechen Achills gelungene Flucht vor Penthesilea als rühmenswerte Tat wahr: »Du Sieger auch noch in der Flucht!« (487)62 »Du hast in einem Kampf / Wetteifernder Geschwindigkeit bestanden«. (493 f.) Nach klassischem Kampfverständnis hätte ein Heros, der, gleich mit wie viel Geschick, vor einer Amazone flieht, als unheroisch erscheinen müssen. Doch im Zusammenhang mit der Bewegungsästhetik des Textes macht es Sinn, dass Geschwindigkeit und gleichzeitige Geschicklichkeit, wie sie Achill beweist, als Werte an sich betrachtet werden. Denn in den Verfolgungsjagden beweisen die Helden eine kriegerische Grazie, die sich in tänzerischen Bewegungsabläufen und vollendeter Körperbeherrschung zeigt, und die in Abweichung vom Geschlechterdiskurs um 1800 auch der männliche Held Achill besitzt.63 Köppen bemerkt, dass Achill und sein Wagen zu einer anmutigen Einheit verschmelzen – ebenso bilden Penthesilea und ihr Pferd eine Einheit in der graziösen Bewegung. So schreibt Joachim Pfeif-
62 Wie Penthesilea in ihrem Zorn eine Imitatio des antiken Helden Achill ist (vgl. Neubaur: Penthesilea, S. 208), ist sie es auch in ihrer Geschwindigkeit und Grazie. Schon die Ilias charakterisiert Achilles als den »Schnellfüßigen« und als den Schönsten der Helden. Siehe hierzu: Bernadete, Seth: Achilles and Hector. The Homeric Hero. South Bend, Indiana 2005, S. 48. 63 Die Darstellung Achills ist widersprüchlich in Hinblick auf die Inszenierung von Geschlechtlichkeit. Mal erscheint der Held in typisch virilen Posen, etwa wenn er von Griechen und Amazonen als in der Sonne strahlende Heldenskulptur wahrgenommen wird (358-362 und 1038-1043), mal erscheint er als graziöser Kämpfer. Ich werde auf diese Textpassagen an späterer Stelle genauer eingehen. Zur Unterwanderung von Geschlechterstereotypen in der Figur des Achill siehe auch: Pfeiffer, Joachim: »Grenzüberschreitungen. Der Geschlechterdiskurs in Kleists Penthesilea.« In: Recherches germaniques 35 (2005), S. 31 und Krimmer: Terror, S. 78 f.
212
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 fer: »Im Blick der Griechen ist Penthesilea eine ›Kentaurin‹, ein Mischwesen aus Mensch und Tier [...].«64 Wie Marionette und Marionettenspieler sind Achill und sein Wagen wie auch Penthesilea und ihr Pferd Repräsentanten einer prothetischen Grazie. Sie besitzen in Verbindung mit einer technischen Erweiterung oder aber mit einem dressierten Tier ein anmutiges Heldentum. Ohne Pferd und Wagen, in der Ruhe, wirken die Helden ungelenk und verletzlich. In den Lagerszenen erscheint Penthesilea zitternd von den Anstrengungen der vorausgegangenen Kämpfe und emotional unkontrolliert in ihrer Rede, in der sie sich in »Freud’ [...] und Schmerz« (1665) in Ekstase redet. Doch Erschöpfung, Verletzung und Kontrollverlust sind sofort verschwunden, wenn sie ihr Pferd besteigt und erneut in die Schlacht reitet. Die Kämpfe der Helden werden zudem durch die Tanzmetapher mit dem Anmutsdiskurs assoziiert. Im ersten Auftritt wird Achill von Odysseus mit einer Dogge verglichen, die einen prächtigen Hirsch gefangen hat und nicht mehr auf den Befehl des Jägers hört, von dem Tier abzulassen: »Jedoch verbissen in des Prachttiers Nacken, / Tanzt sie durch Berge neben ihm und Ströme, / Fern in des Waldes Nacht hinein«.65 (216-218) Nicht nur, dass hier die Schlussszene mit vertauschten Rollen vorweggenommen wird (Achill als Dogge, Penthesilea als Hirsch) und zudem die Geschlechterrollen vertauscht sind (Achill wird als »sie«, die Dogge, bezeichnet)66; auffällig ist hier vor allem die Art, wie das Wort »tanzen« verwendet wird: Die wilde Verfolgungsjagd, die Zerfleischung eines Tieres, beschreibt Odysseus als Tanz, also als schön anzusehende, grazile, kontrollierte und doch frei wirkende choreografierte Bewegung.
64 Pfeiffer: Grenzüberschreitungen, S. 30. 65 Hervorhebung von mir. 66 Zur Verschiebung der Rollenzuschreibungen in dieser Passage vgl. Schuller, Marianne: »Den ›Übersichtigkeiten‹ das Wort geredet«. In: Amstutz, Nathalie und Martina Kuoni (Hrsg.): Theorie – Geschlecht – Fiktion. Basel/Frankfurt a. M. 1994, S. 68.
213
Gewalt und Anmut
3) ERHABENHEIT, HYSTERIE UND ANMUT – DER KRIEG IM AUGE DER BEOBACHTER Entscheidend für die Dramaturgie des Textes ist die multiple Perspektivierung durch die verschiedenen Botenberichte.67 Der Text verweigert sich hierdurch einem eindeutigen Zugriff, was die spezifische Qualität und Raffinesse des kleistschen Dramas sowie seine Modernität68 ausmacht. Es kann also in einer Interpretation nur Ziel sein, unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten herauszuarbeiten, die der Text anbietet. Griechen wie Amazonen nehmen einen Kampf wahr, der ihre Erfahrung überschreitet: »Weder eine Affektentheorie noch die Kriegsstrategie der Griechen hält einen Schlüssel für das furios unverständliche Bewegungsmuster der Amazone bereit, der Wechsel zwischen wütendem Jagd- und Kampf-Gebaren und spielerisch alles preisgebender Schutzgebärde scheint widersprüchlich [...].«69 Doch nicht nur für die griechischen Beobachter ist die Körper- und Bewegungssprache der Penthesilea unverständlich, auch die Amazonen vermögen die Bewegungen ihrer Königin kaum zu entschlüsseln, ebenso wenig wie Amazonen und Griechen Achills Verhalten verstehen können. So versagt denn nicht nur »der ›objektive‹, distanzierte, entsinnlichte, von subjektiven Impulsen gereinigte Blick«70 der männlichen Beobachter, sondern ebenso der Versuch der Amazonen, die Kämpfe ästhetisch oder psychologisch zu erfassen. Die Wahrnehmung des fremdartigen Krieges äußert sich in einem Durcheinander von Deutungsversuchen. Amazonen wie Griechen schwanken in ihren Kampfbeschreibungen zwischen der Schilderung eines tänzerischen, graziösen Schauspiels, eines erhabenen Kriegstheaters und der Wahrnehmung eines furios entfesselten Gemetzels. Die Entfesselung und das Grässliche sind jedoch sowohl 67 Zur Funktion der Botenberichte als multiperspektivische Wahrnehmung, durch die sich der Text gegen eine eindeutige Interpretation sperrt, vgl. u. a. Nutz: Körperdrama, S. 167 f., Brandstetter, Gabriele: »›Eine Tragödie von der Brust heruntergehustet‹. Darstellung von Katharsis in Kleists Penthesilea.« In: Käthchen und seine Schwestern. Frauenfiguren im Drama um 1800. Internationales Kolloquium des Kleist-Archivs Sembdner, 12. und 13. Juni 1997 in der Kreissparkasse Heilbronn. Redaktion Günther Emig und Anton Philipp Knittel. Heilbronn 2000, S. 83 f. und Pfeiffer: Grenzüberschreitungen, S. 30. 68 Die Perspektivierung durch die Beobachter wird als Vorwegnahme der nietzscheanischen Philosophie der Perspektivierung gedeutet. Siehe etwa Frick, Werner: »Ein echter Vorfechter für die Nachwelt. Kleists agonale Modernität – im Spiegel der Antike.« In: Kleist-Jahrbuch (1995), S. 44-96. 69 Brandstetter: Greuelrätsel, S. 85. 70 Nutz: Körperdrama, S. 166.
214
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 der anmutigen wie auch der erhabenen Darstellungsform inhärent. Es hängt von den Beobachtern und deren Distanz zum Geschehen ab, ob sich Gewalt als Anmut, Erhabenheit oder als ästhetisch nicht zu bewältigendes Grässliches zeigt. Anmut und Erhabenes sind wesentlich von einem betrachtenden Subjekt abhängig. »Der klassische Ausweg war, das Grässliche in das Erhabene umzudenken, indem man es in Distanz rückte. Aus der gefährlichen Nähe erfahren, aus der man es nicht erfahren soll, ist der Zorn des absolutistischen Herrschers, sind die Lawinen, die von den Alpen donnern, grässlich, jedoch der absolutistische Herrscher oder die Alpen aus der Entfernung gesehen, sind erhaben.«71 Analog kann man sagen, dass auch das Grässliche einer tötenden Kriegerin bzw. eines tötenden Kriegers sich nur aus einer gewissen Entfernung als Grazie wahrnehmen lässt. Die Kämpfenden selbst können ihre Anmut nicht wahrnehmen; dies ist das Dilemma des Knaben in Kleists Text Über das Marionettentheater, denn die Anmut darf per definitionem nicht dem oder der Anmutigen bewusst sein. Und auch der Gegner, der sich der Angriffe erwehren muss, also die Kampfbewegungen als existenzielle Bedrohung wahrnimmt, wird die Anmut der Kämpfenden nicht zur Kenntnis nehmen. So braucht es denn auch in der Penthesilea die Beobachter, die versuchen, das Kampfverhalten der Helden ästhetisch und psychologisch zu erfassen. Die Beobachter scheinen wie mit einer Zoomfunktion verschiedene Distanzen zum Geschehen einnehmen zu können: eine, in der die Gesichter in »Großaufnahme« in den Blick geraten, eine, in der die Krieger im Zweikampf umeinander »tanzen«, und eine, in der das Geschehen nur noch fern als Massenbewegung zu erkennen ist. Die Griechen betrachten etwa in den ersten Berichten die Kämpfe aus einer Distanz, in der nur noch Massenbewegungen wahrnehmbar sind und schildern diese mit Motiven des Erhabenen: »Seit jenem Tage / Grollt über dieser Ebne unverrückt / Die Schlacht, mit immer reger Wut, wie ein / Gewitter, zwischen waldgekrönter Felsen Gipfeln / Geklemmt« (139-143), so Diomedes in einem Bericht.72 An anderer Stelle berichtet eine Hauptmännin der Amazonen: »Wenn du / Dem Wind, der von den Bergen weht, willst horchen, / Kannst du den Donnerruf der Königin, / Gezückter Waffen Klirren, Rosse wiehern, / Drommeten, Tuben, Cymbeln und Posaunen, / Des Krieges ganze ehrne Stimme hören.« (991-996)
71 Neubaur: Penthesilea, S. 200. 72 Gewitter, Gebirge, Wasserfälle sind Bilder, die für die Rezipienten des frühen 19. Jahrhunderts als Inbegriffe des Erhabenen identifiziert werden mussten – vgl. etwa ÜdE 47 f.
215
Gewalt und Anmut Hier findet sich die Erhabenheitsmetaphorik des Krieges, wie sie seit Bodmer und Kant73 gedacht wird, als eine aus der Ferne in ihren groben Bewegungen, Lauten, etc. als naturgewaltartig wahrgenommene Schlacht. Mehrmals verwenden die Beobachter den Begriff »schmelzen« als Metapher für den synthetisierenden Effekt der Perspektivverschiebung, welche die ästhetische Erfahrung des Erhabenen erst ermöglicht: »Ein neuer Anfall, heiß, wie Wetterstrahl, / Schmolz, dieser wuterfüllten Mavorstöchter, / Rings der Ätolier wackre Reihen hin, / Auf uns, wie Wassersturz, hernieder sie, / Die unbesiegten Myrmidonier, gießend« (246-250), »Stürzen, Hauptmann, / Wie in der Feueresse eingeschmelzt, / Zum Haufen, Roß und Reut’rinnen, zusammen!« (430-432) Aus der Perspektive des entfernten Beobachters verschmelzen die einzelnen Kämpfer zu einer Masse. Das Bild verweist zum einen auf die entindividualisierende Wirkung eines Massenkrieges, zum anderen aber auch auf die entindividualisierende Wirkung des Erhabenen als Wahrnehmungsmodus. Aus der entfernten Perspektive kann sich der Krieg gerade deshalb als erhaben erweisen, weil die einzelnen Kämpfer nicht mehr sichtbar sind, sondern in der Menge aufgehen. Der Beobachter des grazilen Kampfes befindet sich hingegen in einer utopischen Position. Er muss dem Geschehen so fern sein, dass er die grausamen Details nicht sieht, aber so nah, dass er die Körpersprache der Krieger lesen, also von ihren Bewegungen auf die innere Verfassung zurückschließen kann. »Anmut« kann, anders als das »Erhabene«, nicht die Beschreibung einer Massenbewegung sein. Sie ist bei Schiller Ausdruck eines einzelnen weiblichen oder androgynen Subjekts, eines Subjekts, das sich in Kleists Marionettentheater-Schrift ins Maschinelle (zugunsten eines Prothesensubjekts), nicht aber in die Masse auflöst.74
73 Vgl. Kapitel B II 2 Anmerkung 39. 74 Nur die Idee eines Selbstausdrucks im Kampf wird von den Kriegsideologien des 19. Jahrhunderts auf die Masse übertragen. Im Kampf der Nationen soll sich die neue persona Volk als Ganzes ausdrücken. »Der Krieg der jetztigen Zeit ist ein Krieg aller gegen aller. Nicht der König bekriegt den König, nicht eine Armee die andere, sondern ein Volk das andere, und im Volk sind König und Heer enthalten.« Carl von Clausewitz: »Bekenntnisdenkschrift« (1812). In: Ders.: Ausgewählte militärische Schriften. Hrsg. von Gerhard Förster und Dorothea Schmidt. Berlin 1981, S. 212-215. Zitiert nach: Köppen: Beobachter, S. 31. Im anmutigen Kampf hingegen lebt der heroische Einzelkampf fort.
216
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800
4) SKULPTUREN ODER MARIONETTEN – BEWEGUNGSÄSTHETIK VERSUS POSENTHEATER Im Wechsel von Vogelperspektive und Frontalperspektive wechseln in der Penthesilea zugleich Allgemeinheit und Individualität. Immer wieder schälen sich Achill und Penthesilea als Protagonisten aus dem Kriegsgetümmel, das aus der Ferne wie ein erhabenes Naturspektakel oder wie Chaos erscheint. Ihr Verhalten wird von den einen als Anmut, von den anderen als Hysterie gedeutet; auch hier changieren die Einschätzungen, Richtwert ist wieder das Auge des Betrachters. Kleist wendet sich mit seiner Bewegungsästhetik gegen das goethesche Theater der bewegten Skulpturen.75 An mehreren Stellen zitiert der Text die skulpturale Theaterästhetik der Iphigenie76: Sowohl Achill als auch Penthesilea werden als sich verlebendigende Skulpturen inszeniert. In der Charakterisierung Achills bezeichnen Statue und Bewegung den Gegensatz zwischen einem im kollektiven Gedächtnis gleichsam zementierten und nicht zu überbietenden Heldentum und der kriegerischen wie erotischen Libertinage des immer noch lebenden Helden. Für Penthesilea hingegen ist die Kampfbewegung einziger Ausdruck ihres Inneren.77 Stillstand bedeutet für sie zugleich Verlust von Ausdruck und Subjektivität. Als Penthesilea Achill das erste Mal begegnet, beschreibt Odysseus sie im Wechsel von Starre und Bewegung: »An ihrer Jungfraun Spitze aufgepflanzt, / Geschürzt, der Helmbusch wallt ihr von der Scheitel, / Und seine Gold- und Purpurtroddeln regend, / Zerstampft ihr Zelter unter ihr den Grund. / Gedankenvoll, auf einen Augenblick, / Sieht sie in unsre Schar, von Ausdruck leer, / Als ob in Stein gehau’n wir vor ihr stün-
75 Die Weimarer Klassik, insbesondere Goethe, entwickelte einen Schauspielstil, der sich am Ideal der Skulptur orientierte. Bewegung wurde in einzelne Posen aufgelöst, die in Haltung, Stand und Ausdruck den antiken griechischen Skulpturen ähneln sollten. Siehe hierzu: Vogel: Furie, S. 310 ff. 76 Zur Penthesilea als Gegenfigur zu Goethes Iphigenie siehe u. a.: Schmidt: Kleist, S. 233; Gallas: Gesetz, S. 209 ff.; Müller-Salget, Klaus: Heinrich von Kleist. Stuttgart 2002, S. 220; Pfeiffer: Grenzüberschreitungen, S. 29. 77 Vgl. Jürgen Wertheimer: »Penthesilea, aufgewachsen in einer allein auf Funktionalität gerichteten Kultur, verfügt über keine andere Ausdrucksform als die des Kampfes.« Wertheimer, Jürgen (Hrsg.): Ästhetik der Gewalt. Ihre Darstellung in Literatur und Kunst. Frankfurt a. M. 1986, S. 79 f. Anders als Wertheimer bin ich jedoch nicht der Auffassung, dass auch für Achill der Kampf die einzige Ausdrucksform ist. Achill beherrscht auch das »(Sprach-)spiel« des Flirts. Dieser ist für ihn allerdings kämpferisch-militärisch konnotiert.
217
Gewalt und Anmut den; / Hier diese flache Hand, versichr’ ich dich, / Ist ausdrucksvoller als ihr Angesicht [...].« (59-67)
In dieser Ruhe scheint Penthesilea die sprechende, affektive, teils bedrohliche, teils bezaubernde Wirkung auf die Griechen zu verlieren. Sie erscheint »von Ausdruck leer«. (64) Die Anspielung auf die skulpturale Ästhetik doppelt sich, wenn Odysseus die Ausdruckslosigkeit der Penthesilea darauf zurückführt, dass diese wiederum die Griechen als Skulpturen, in der Logik des Stücks als ausdruckslos wahrnimmt: »Als ob in Stein gehau’n wir vor ihr stünden«. (65) In dem Moment, in dem sie Achill erblickt, setzen ihre Affekte ein und äußern sich unmittelbar in Erröten und Bewegung: »Bis jetzt ihr Aug auf den Peliden trifft: / Und Glut ihr plötzlich, bis zum Hals hinab, / Das Antlitz färbt, als schlüge rings um ihr / Die Welt in helle Flammenlohe auf. / Sie schwingt, mit einer zuckenden Bewegung, / – Und einen finstern Blick wirft sie auf ihn – / Vom Rücken sich des Pferds herab [...].« (68-74)
Das »Erröten« ist im Anmutsdiskurs eines der Zeichen unmittelbar körperlich sich ausdrückender weiblicher Emotionalität.78 Später beschreibt Diomedes, wie Penthesilea Odysseus vor einem Angriff des Deiphobus rettet: »Die Königin, entfärbt, läßt zwei Minuten / Die Arme sinken: und die Locken dann / Entrüstet um entflammte Wangen schüttelnd, / Hebt sie vom PferdesRücken hoch sich auf, / Und senkt, wie aus dem Firmament geholt, / Das Schwert ihm wetterstrahlend in den Hals [...].« (179-184)
Wieder wechselt die Körpersprache der Penthesilea zwischen Stillstand und rasanter Bewegung, wieder drückt sich ihr Empfinden im anmutigen Erröten, in den fließenden Bewegungen des Körpers und zuletzt im gewalttätigen Handeln, in der Tötung des Deiphobus aus. Penthesilea wird also erst in der rasanten Kampf-Tanz-Inszenierung zum Subjekt, zu einem anmutigen Subjekt. Wie sehr gerade die Bewegungsästhetik der Penthesilea die Zeitgenossen störte, lässt sich der Strategie entnehmen, mit der die Darstellerin Henriette Hendel-Schütz in ihrer Theaterfassung des Dramas den Stoff zu bändigen versuchte. Die Schauspielerin löste die rasante Handlung in lebende Bilder auf und strich die Zerfleischungsszene. In dieser Form kam das Stück 1811 und 1814 zur Aufführung. Juliane Vogel betont, wie sehr dieser Gegenentwurf die Ästhetik des kleistschen Textes herausstreicht:
78 Vgl. Schiller: AuW, S. 271.
218
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 »Zum einen bringt Hendel-Schütz das Trauerspiel Kleists in eine der allgemeinen dramatischen Einbildungskraft des frühen 19. Jahrhunderts gemäße Facon. Zum anderen trägt ihre Version in besonderer Weise dazu bei, die Abweichungen Kleists von den etablierten Grundmustern sichtbar zu machen. In ihrer Pantomime repräsentiert sich jener dramaturgische Gegenpol der Penthesilea, dessen Geltung Kleist in seinem Drama zwar ein für allemal in Frage stellte, auf dessen Formen er sich jedoch ex negativo immer bezog.«79
Auch Achill wird im Wechsel von skulpturaler und Bewegungsästhetik inszeniert. Doch in seinem Fall ist das Verhältnis von Subjektivität, Bewegung und Skulptur ein anderes. Denn für Achill ist der Kampf gegen Penthesilea weder als Held identitätsstiftend, noch einzige Ausdrucksform seiner Liebe. Die Tat, die seinen Heldenruhm begründete, die Tötung Hektors, liegt in der Vergangenheit. Im Kampf gegen die Amazonen braucht er keine Lorbeeren mehr zu erringen. Ihm geht es allein um seine erotischen Wünsche. Achill wird von den anderen Figuren, einschließlich Penthesilea, immer wieder in einer klassisch statuenhaften Heroik imaginiert. Wie in einer Totalen, einem Western vergleichbar, taucht der bereits verloren geglaubte Achill hinter einem Bergrücken auf und erscheint dem Beobachter als Apollon-Imago, als Bild einer aufgehenden Sonne. Mächtig, stahlumglänzt, überhaupt glänzend, spiegelnd, sind die Attribute, mit denen der Held bedacht wird: »Ein Helm, von Federbüschen überschattet? / Der Nacken schon, der mächt’ge, der es trägt? / Die Schultern auch, die Arme, stahlumglänzt? / Das ganze Brustgebild, o seht doch, Freunde, / Bis wo den Leib der gold’ne Gurt umschließt?« (358-362)
Aus weiter Ferne ist die rasende Geschwindigkeit des Helden nicht sichtbar. Stattdessen erscheinen Held und Wagen wie ein Sonnenbild, das sich langsam hinter dem Bergrücken emporschiebt. Erst als der Wagen ganz zu sehen ist, wird dem Beobachter die Geschwindigkeit sichtbar: »Gehetzter Hirsche Flug ist schneller nicht!« (384) Dann assoziiert der Erzähler den hinter dem Bergrücken erscheinenden Achill explizit mit dem Sonnenaufgang: »Jetzt, auf dem Horizonte, steht das ganze / Kriegsfahrzeug da! So geht die Sonne prachtvoll / An einem heitern Frühlingstage auf!« (367-369) Der Wagen ist hier nicht in Bewegung, sondern dient als Sockel für den marmornen Helden Achill. Es ist der statische, männliche Körper in der sagenhaften Rüstung, welcher den Helden als Helden identifizierbar macht. Als Skulptur erscheint er in ganzer heroischer Größe. In ihr drücken sich Vergangenheitscharakter und mythische Gegen79 Vogel: Furie, S. 207.
219
Gewalt und Anmut wärtigkeit gleichermaßen aus. Zwar feiern die Griechen auch Achills Schnelligkeit im Kampf gegen Penthesilea, aber diese nehmen sie eher als sportliche Leistung wahr denn als heroische Ruhmestat. Auch die Amazonen sehen Achill in seiner statuenhaften Heroik. Für sie verschränkt sich der Anblick des skulpturalen Körpers mit den erzählten Überlieferungen zu einer Heldenimago. In der Beschreibung einer Amazone dient die dunkle Erde als Hintergrund, vor dem der glanzvolle Held umso strahlender erscheint: »In Stahl geschient sein Roß und er, der Saphir, / Der Chrysolith, wirft solche Strahlen nicht! / Die Erde rings, die bunte, blühende, / In Schwärze der Gewitternacht gehüllt; / Nichts als ein dunkler Grund nur, eine Folie, / Die Funkelpracht des Einzigen zu heben!« (1038-1043)
Zudem sind die Amazonen genau informiert über die Heldentaten des Achill, über die Tötung Hektors und die Leichenschändung, die für die Amazonen Teil des Heroenbildes ist. Diese Überkreuzung aus Überlieferung und skulpturalem Rüstungskörper ist auch für Penthesilea Ausdruck seiner Identität.80 Als sie ihn seiner Rüstung entkleidet sieht, erkennt sie ihn nicht, zweifelt an seiner Identität. Es ist vor allem seine Weichheit, sein sanfter Blick, den er im vorangegangenen Liebesgeflüster angenommen hat, den Penthesilea nicht mit dem »Hektorbezwinger« und Leichenschänder81 Achill identifizieren kann:
80 Gallas und Kollmann betonen, dass Achill für Penthesilea als Heldenimagination, nicht als Mann aus Fleisch und Blut Objekt der Begierde ist. Gallas: Gesetz, S. 180 ff. und Kollmann: Empfindsamkeit, S. 138 f. 81 Die Leichenschändung ist der Achilldarstellung von Beginn an eingeschrieben: Penthesilea verweist auf die Schändung des Hektor in ihrer Heldenimagination und auch die Amazonen fürchten, dass Achill mit Penthesilea das tun will, was er dem Sohn des Priamus angetan hat, »das Namenlos’ an ihr vollstrecken«. (1516) »Hier diesen jungen Leib, du Mensch voll Greuel, / Geschmückt mit Reizen, wie ein Kind mit Blumen, / Du willst ihn schändlich, einer Leiche gleich –?« (1517 f.) Kleist bezieht sich hier, so Helga Gallas, auf die Ilias: »Der sterbende Hektor bittet Achill bei Homer, ihn nicht den Hunden vorzuwerfen, sondern seinen Leichnam den Eltern zu übergeben. Achill antwortet: ›daß mich der Zorn nicht dazu treibt, dein zerhacktes Fleisch zu essen. Hunde und Geier sollen dich zerreißen.‹« Gallas: Gesetz, S. 195. Vgl. hierzu auch Mencke, Bettine: »Körper-Bild und –Zerfällung, Staub. Über Heinrich von Kleists Penthesilea.« In: Öhlschläger, Claudia und Birgit Wiens (Hrsg.): Körper – Gedächtnis – Schrift. Der Körper als Medium kultureller Erinnerung. Berlin 1997, S. 122-156.
220
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 »Der junge Tag, [...] / Er sieht so weich und mild nicht drein, als er. – / Sprich! Dünkt’s dich nicht, als ob sein Auge glänzte? – / Fürwahr! Man mögte, wenn er so erscheint, fast zweifeln, / Daß er es sei.« (1787-1793)
Die innere Bewegung, die sich im Blick Achills ausdrückt, ist die Liebe, die sich Penthesilea vermeintlich wünscht. Doch diese innere Bewegung im weichen Blick, in den Tränen, die sich in den Augen des Helden gesammelt zu haben scheinen, nimmt Penthesilea als besorgniserregend wahr: »Der Pelide! – / Sprich, wer den Größesten der Priamiden / Vor Trojas Mauern fällte, warst das du? / Hast du ihm wirklich, d u, mit diesen Händen / Den flücht’gen Fuß durchkeilt, an deiner Achse / Ihn häuptlings um die Vaterstadt geschleift? – / Sprich! Rede! Was bewegt dich so? Was fehlt dir?« (1793-1799)
Die bukolische Szene hält Penthesilea für eine falsche Szenerie, den Ausdruck Achills für ein Leiden. Erst als Protoe ihr die Rüstung des Helden zeigt, ist sie von seiner Identität überzeugt. Wie der Körper der Penthesilea im Blick der Griechen mit der Rüstung verschmilzt, ist Achill ohne Rüstung in Penthesileas Blick seiner Identität entkleidet. Mit seinem »männliche[n] Striptease«82 legt Achill zugleich seine heroische Würde ab.
5) »SIE IST MIR NICHT VERGÖNNT, DIE KUNST, DIE SANFTERE, DER FRAUEN« – KAMPF ALS SELBSTAUSDRUCK Penthesilea selbst meint, nur im Kampf ihr Innerstes, ihre Liebe zu Achill ausdrücken zu können:83 »Ist’s meine Schuld, daß ich im Feld der Schlacht / Um sein Gefühl mich kämpfend muß bewerben?« (1187 f.) Es ist nicht allein das Gesetz der Amazonen, das sie antreibt, ihren Geliebten im Kampf zu erobern, sondern vor allem ihr Bestreben zu gefallen, sich als Persönlichkeit auszudrücken und sich einem begehrten Gegenüber anzupreisen. Der Kampf ist für sie ein Ausdruckstanz, mehr noch, ein Balztanz. Penthesilea setzt Kampf und graziöse Mädchenspiele parallel, wenn sie sagt:
82 Pfeiffer: Grenzüberschreitungen, S. 31. 83 Auch Elisabeth Bronfen weist darauf hin, dass der Kampf der Amazonenkönigin »Ausdruck eines von persönlichem, nicht kollektivem Begehren getriebenen Handelns« ist und daher innerhalb »jeglicher männlicher Codes des Kampfes wie ein Fremdkörper« wirkt. Bronfen, Elisabeth: »Liebeszerstückelung. ›Penthesilea‹ mit Shakespeare gelesen.« In: Kleist-Jahrbuch (1999), S. 181.
221
Gewalt und Anmut »Sie ist mir nicht, / Die Kunst vergönnt, die sanftere, der Frauen! / Nicht bei dem Fest, wie deines Landes Töchter, / Wenn zu wetteifernd frohen Übungen / Die ganze Jugendpracht zusammenströmt, / Darf ich mir den Geliebten ausersehn; / Nicht mit dem Strauß, so oder so gestellt, / Und dem verschämten Blick, ihn zu mir locken; / Nicht in dem Nachtigalldurchschmetterten / Granatwald, wenn der Morgen glüht, ihm sagen, / An seine Brust gesunken, daß er’s sei. / Im blut’gen Feld der Schlacht muß ich ihn suchen [...].« (1887-1897)
Was Penthesilea beschreibt, ist ein Flirtverhalten, wie es bürgerlichen Töchtern im Rahmen der Anmut erlaubt ist: schüchtern, ohne vordergründige Zurschaustellung erotischer Reize, sondern selbst im Werben um den Geliebten Keuschheit und Scham ausdrückend. Es ist, wie es im Heinrich von Ofterdingen heißt, die weibliche Form des Selbstausdrucks, mit der Frauen »ohne Furcht vor Nachrede mit holdseligem Bezeigen einen lebhaften Wetteifer«84 um die Aufmerksamkeit des Mannes werben dürfen. Hier formt die bürgerliche Kultur die höfische Tradition des Flirts und der Sprache des Fächers zu einer Kommunikation zwischen den Geschlechtern um, innerhalb derer die scheuen Blicke nun das nicht zu verbergende, wahre Gefühl ausdrücken. Diese Ausdrucksform versucht Penthesilea durch ihre Bewegungen und Blicke in den kämpferischen Auseinandersetzungen mit Achill zu ersetzen. Wie die höheren Töchter in Tänzen und Spielen ihre Grazie erwerben, hat Penthesilea die Kunst des Kampfes erlernt, und damit die Form von Bewegung, in der sie reizend und anmutig erscheinen kann. In einer Beschreibung Penthesileas heißt es: »An aller Jungfrau’n Spitze! / Seht, wie sie in dem goldnen Kriegsschmuck funkelnd, / Voll Kampflust ihm entgegen tanzt!« (1057-1059) Auch Penthesilea empfindet ihre Rüstung als Schmuck, der ihr, nachdem sie gegen Achill verloren hat, als »Flittern« (1254) erscheint. Wie wenig ihr in den Sinn kommt, dass sie auch außerhalb einer kriegerischen Begegnung attraktiv sein kann, zeigt sich, als sie nach einer Niederlage Achills beschließt, auf Leben und Tod zu kämpfen mit der Begründung: »Staub lieber, als ein Weib sein, das nicht reizt.« (1253) Auch das Rosenfest, das auf die Blumen- und Spielmetaphorik der Anakreontik anspielt85, ist von Gewalt durchdrungen. Auch hier
84 Novalis: Ofterdingen, S. 142. Vgl. Kapitel C III Anmerkung 69. 85 Auf den Bezug des Rosenfestes zur Anakreontik haben Maximilian Nutz und Hedwig Appelt hingewiesen. Appelt, Hedwig und Maximilian Nutz: Heinrich von Kleist Penthesilea. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1992, S. 50 f. Zur anakreontischen Motivik der Blumenfeste und graziösen Spiele siehe Pomezny: Grazie, S. 221 ff.
222
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 kann Penthesilea nicht durch Performationen bürgerlich-weiblicher Unschuld einen Mann für sich gewinnen. Vielmehr wird in der Bildsprache bürgerlich-weiblicher Unschuld eine Orgie inszeniert, ein Ritual, das der Zurschaustellung und dem Missbrauch menschlicher »Beute« dient. Und am Ende dieser »erotischen Idylle« steht wiederum die gewaltsame Trennung derjenigen, die im Zuge des Festes tatsächlich romantische Gefühle füreinander entwickelt haben. Achill gibt vor, Penthesileas Idee, im Kampf zu gefallen und in der Gewalt anmutig zu sein, nicht zu verstehen. Er meint, dass sich die Heldin nur »ruhig« zu zeigen brauche und damit das Geschlecht der Männer bezwingen könnte: »Was treibt, vom Kopf zu Fuß in Erz gerüstet, / So unbegriffner Wut voll, Furien ähnlich, / Dich gegen das Geschlecht der Griechen an; / Du, die sich bloß in ihrer Schöne ruhig / Zu zeigen brauchte, Liebliche, das ganze / Geschlecht der Männer dir im Staub zu sehn?« (1881-1886)
Die statische »architektonische Schönheit« (AuW 255) ist für Achill die »Waffe der Frau«, nicht die innere und äußere Bewegtheit der Kämpferin. Doch Penthesilea will nicht in ihrer Schönheit bewundert, sondern in ihrer Anmut geliebt werden – hier nimmt Kleist Schiller beim Wort: »Die Schönheit hat A n b e t e r, L i e b h a b e r hat nur die Grazie; denn wir huldigen dem Schöpfer und lieben den Menschen.« (AuW 288) In Penthesileas Grazie überlagern sich höfischer und bürgerlicher Grazienbegriff. Die Koketterie, der Wille zu gefallen, verweist auf die höfische Tradition einer erlernbaren, gefälligen Grazie. Auf der anderen Seite aber findet Penthesilea in der Anmut ihrer Kämpfe erst ihr Selbst; Schein und Sein fallen hier zusammen, wie es die bürgerliche Konzeption der Anmut als Ausdrucksideal vorsieht. Penthesileas Inneres soll sich nicht in der verbalen, sondern in der Körpersprache ausdrücken.86 Allerdings, und hier liegt die Tragik der Penthesilea, fühlt sie sich zwar in ihrem Wesen durch den Kampf repräsentiert, sie wird jedoch entgegen der Anmutskonzeption von ihrem Gegenüber nicht
86 Gudrun Debriacher weist darauf hin, dass unbewusstes Handeln und die Divergenz von Figurensprache und Körpersprache typische Merkmale der kleistschen Heroen, vor allem auch der Penthesilea, sind. Debriacher untersucht die Inszenierung einer »unbewussten Subjektivität« vor dem Hintergrund der medizinisch-anthropologischen Theorien des frühen 19. Jahrhunderts, etwa des animalischen Magnetismus, nicht jedoch vor dem Hintergrund des kleistschen Anmutsbegriffs. Debriacher, Gudrun: »Die Lesbarkeit der Seele in den Zeichen des Körpers. ›Penthesilea‹ – ein Trauerspiel von Heinrich von Kleist.« In: Beiträge zur Kleist-Forschung 17 (2003), S. 69-88.
223
Gewalt und Anmut verstanden. Während sich Achill und Penthesilea zunächst im Einverständnis über die Regeln ihres Spiels zu befinden scheinen, offenbaren sich im Verlauf des Stücks mehr und mehr ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen. Während Penthesilea durch die spielerischen Kämpfe einen authentischen Ausdruck ihres Selbst zu erreichen sucht, nimmt Achill die Verfolgungsjagden und Gefechte allein als kokettes Werben wahr87: »Brautwerber schickt sie mir, gefiederte, / Genug in Lüften zu [...].« (596 f.) Seine eigene kriegerische Grazie versteht er als außergewöhnliches körperliches Vermögen, in dem er sich Penthesilea als überlegen zeigen und sich ihr zugleich spielerisch nähern will, nicht hingegen als Ausdruck seines Inneren. Auch für den Leser bzw. Zuschauer erscheint das Wechselspiel der Täuschungen und Finten eher als Analogon zum höfischen Flirt, der auch mit dem Wechsel von Verbergen und Enthüllen spielt. So, wie Penthesilea sich lächelnd umdreht, als sie einem Schlag des Achill erfolgreich ausgewichen ist, wendet Achill während einer Verfolgungsjagd sein Pferd, täuscht Penthesilea, sodass sie stürzt, und die anderen Amazonen hinter ihr auflaufen und ebenfalls fallen. Auch die zuschauenden Griechen beschreiben die Szene wie ein Turnier: »Er lenkt im Bogen spielend noch!« (416), »Ha! Der Verschlagne! Er betrog sie –« (424), »Ha! Wie sich das Gewimmel lustig regt! / Wie sie die Spieße sich, die Helme, suchen [...].« (441 f.) Achill bezieht seine Identität aus einem anderen Spiel: dem der männlich-heroischen Inszenierung der Griechen. Grundlage dieser Inszenierung ist das System der Heldenverehrung, in dem Achill seine relativ stabile, wenn auch gleichsam in Marmor erstarrte Identität besitzt. Diese Identität kann er denn auch weitgehend unbesorgt – wenn auch, etwa gegenüber Odysseus, nicht schamfrei – aufs Spiel setzen. Seine Identität als griechischer Held, genauer: als Hektorbezwinger, liegt wie Netz und doppelter Boden den Kämpfen mit Penthesilea zugrunde. Penthesilea kann hingegen erst in den Kämpfen mit Achill Realität als Subjekt und als Heldin gewinnen.
6) »DASS HALM UND KORN AUF EWIG UNTERGEHN« – VOM »HEITER[E]N KRIEG« ZUM VERNICHTUNGSKRIEG Die Gewalt als Ausdruck des Selbst endet in der Tragödie, die Anmut der Kämpfe im hysterisch-furiosen Gewaltexzess. Anders als Schillers Johanna verliert Penthesilea ihre kriegerische Grazie jedoch nicht durch das Auseinanderbrechen von Mission und sinnlichem Wollen. Die Anmut der Amazone bleibt auch bestehen, als Sen-
87 Vgl. auch Sigrid Lange, die von einem »Liebes- und Todesspiel« der Protagonisten spricht. Lange: Utopie, S. 145.
224
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 dung und Liebeswunsch sich bereits unversöhnlich gegenüberstehen – hier weicht der Text radikal von Schillers Anmutskonzeption ab. Penthesileas Grazie scheitert vielmehr an den Anforderungen der Anmutskonzeption selbst, nämlich daran, ihr Wesen einem Gegenüber durch die Körpersprache zu kommunizieren. Die Grazie der Helden zeigt sich als Schönheit der Bewegung in den eleganten Kampfspielen, aber sie erfüllt nur bedingt die Funktion einer Körpersprache. Zwar zeichnen sich die Seelenregungen in den Bewegungen der Helden ab, sie sind aber für das Gegenüber nicht unvermittelt lesbar. Vielmehr werden die anmutigen Kampfbewegungen immer wieder neuen Deutungshorizonten unterstellt: Mal erscheinen sie als kokette Balzrituale, mal im Sinne der schillerschen Konzeption als unvermittelter Selbstausdruck, mal als kämpferische Geschicklichkeit. Es überlagern sich bürgerliche und höfische Liebessprache, Liebes- und Kampfdiskurs, mythologische Überlieferung und persönlicher Ausdruck. Eine solche Überlagerung zeigt sich etwa, wenn Penthesilea außerstande ist, Achill ohne seine Rüstung, also ohne das Zeichen seiner mythischen Identität zu erkennen. Indem die Helden ihren Ausdruck unter den Prämissen von Geschlechterkonzepten, Mythologie und nicht zuletzt unterschiedlichen Anmutskonzeptionen wahrnehmen, zugleich aber immer wieder davon ausgehen, den anderen unmittelbar zu verstehen und verstanden zu werden, verstricken sie sich zuletzt in eine Kette von Fehldeutungen.88 Als Achill Penthesilea noch einmal zum Kampf auffordert, kann sie diese Aufforderung nicht als Teil des kämpferischen Flirtverhaltens deuten, das zuvor die Kämpfe geprägt hatte. Sie interpretiert den Kriegsverlauf nun wieder nach rein militärischen Gesichtspunkten, denen zufolge die Auseinandersetzung bereits entschieden ist: »War ich, nach jeder würd’gen Rittersitte, / Nicht durch das Glück der Schlacht ihm zugefallen?« (2301 f.) Penthesilea geht davon aus, dass Achill sie sowohl als Frau als auch als Kriegerin zurückgewiesen hat, und ihr jetzt, wie auch dem Widersacher Hektor, das Leben und zuletzt die Totenruhe nehmen möchte. Achills Aufforderung zum Zweikampf deutet sie als Vernichtungs88 Zum Scheitern des Verstehens in Kleists Penthesilea siehe: Bay, Hansjörg: »Mißgriffe. Körper, Sprache und Subjekt in Kleists Über das Marionettentheater und Penthesilea.« In: Heinen, Sandra und Harald Nehr (Hrsg.): Krisen des Verstehens um 1800. Würzburg 2004, S. 169-190, hier 182 ff. und, aus psychoanalytischer bzw. psycholinguistischer Perspektive: Schuller, Marianne: »Der Wahn und seine Beziehung zur Metaphorizität.« In: Gutjahr, Ortrud (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Würzburg 2008, S. 121-132 sowie Runte, Annette: »›Liebestraum und Geschlechtertrauma. Kleists Amazonentragödie und die Grenzen der Repräsentation‹«. In: Dies.: Lesarten der Geschlechterdifferenz. Studien zur Literatur der Moderne. Bielefeld 2005, S. 50-51.
225
Gewalt und Anmut willen und reagiert ebenfalls mit Vernichtung. Rache, nicht Wettkampf, ist nun das leitende Prinzip. Achill wiederum ist unfähig, die inneren Regungen Penthesileas zu deuten. Während diese ihre Hunde zusammenruft, um zu einem Vernichtungsschlag gegen ihn auszuholen, versichert Achill seinen Männern, Penthesilea könne niemals ernsthaft Gewalt gegen ihn ausüben. Fälschlicherweise interpretiert er nun gemäß dem bürgerlichen Anmutsverständnis das graziöse Kampfverhalten der Heldin als Garant ihrer weiblichen Unschuld und Friedfertigkeit und übersieht dabei den sinnlich-gewalttätigen Anteil, der Penthesileas kriegerischer Grazie inhärent ist. Was Kleist nun in Szene setzt, ist der moderne, der »absolute« Krieg. Der »heiter[ ]e Krieg« (2177) ist beendet. Penthesilea, von Achill zum Zweikampf gefordert, ruft zum Vernichtungskrieg auf: »Ihr Sichelwagen, kommt, ihr blinkenden, / Die ihr des Schlachtfelds Erntefest bestellt, / Kommt, kommt in greul’gen Schnitterreih’n herbei! / Und ihr, die ihr der Menschen Saat zerdrescht, / Daß Halm und Korn auf ewig untergehen, / Ihr Reuterscharen, stellt euch um mich her! / Du ganzer Schreckenspomp des Kriegs, dich ruf’ ich, / Vernichtender, entsetzlicher, herbei!« (2412-2419)89
Zusammen mit ihren Doggen zerfleischt Penthesilea den wehrlosen Achill, der nur zum Schein in die Schlacht gezogen ist, um der Königin das Gefühl zu vermitteln, sie habe ihn besiegt. Von den Amazonen wird die Raserei der Penthesilea, ihr bestialisches, kannibalisches Kampfverhalten, als Verlust von Anmut wahrgenommen: »O jammervoller Anblick! O so öde / Wie die Sandwüste, die kein Gras gebiert! / Lustgärten, die der Feuerstrom verwüstet, / Gekocht im Schoß der Erd’ und ausgespieen, / Auf alle Blüten ihres Busens hin, / Sind anmutsvoller als ihr Angesicht.« (2762-2767)
Was übrig ist von der anmutigen Kriegerin Penthesilea ist Unfruchtbarkeit, Ödnis; was ein »Lustgarten«, Sinnbild der Sprezzatura, war, ist Wüste geworden. Das Bild ist seltsam schief; der Vergleich mit dem zerstörten Garten mischt sich mit der Beschreibung der zu vergleichenden Figur. Der Feuerstrom, der den Garten und seine Blüten verwüstet, zerstört alle Blüten ihres (Penthesileas) Busens. Das Brustmotiv wird mit dem Blütenmotiv verschränkt. Was durch das Amazonengesetz ohnehin zerstört ist, wird erst jetzt durch den Verlust der Grazie als zerstört empfunden. 89 Madlener deutet Penthesileas letzten Kampf als »absoluten Krieg« im Sinne von Clausewitz. Madlener: Erwürgen, S. 148 ff.
226
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 »Solch eine Jungfrau, Hermia! So sittsam! / In jeder Kunst der Hände so geschickt! / So reizend, wenn sie tanzte, wenn sie sang! / So voll Verstand und Würd’ und Grazie!« (2677-2680) klagt die Erste Priesterin. Auffällig ist an dieser Stelle, dass der »gesunden« Penthesilea sowohl Würde als auch Grazie zugeschrieben werden. Die Priesterin nimmt hier für ihre Königin vor dem Verfall in hysterische Entgleisung in Anspruch, was Schiller als »Vollendung menschlichen Ausdrucks« beschreibt: Die Synthese von Anmut und Würde. Doch die Furie Penthesilea ist nur die Kehrseite der anmutigen Kriegerin. Wie als anmutige Heldin greift Penthesilea auf ein Repertoire von Verhaltens- und Bewegungsabläufen zurück, die aber in der konkreten Handlung zu einer individuellen Körpersprache werden. Mit dem Aufruf der Hunde zitiert sie die Furienmythologie90, mit dem kannibalischen Akt die Metaphorik der Ilias, in welcher Achill dem Hektor androht, seine Leiche zu verspeisen. Die Tanzmetapher bezeichnet die strukturelle Ähnlichkeit der Grazie und der Furie Penthesilea. War der Tanz zunächst Bild für die graziösen Kämpfe, in denen sich Achill und Penthesilea begegnen, wird ihr kriegerisches Wüten nun ebenfalls als Tanz, nämlich als Furientanz beschrieben. »Jetzt unter ihren Hunden wütet sie, / Mit schaumbedeckter Lipp’, und nennt sie Schwestern, / Die heulenden, und der Mänade gleich, / Mit ihrem Bogen durch die Felder tanzend, / Hetzt sie die Meute, die mordatmende, / Die sie umringt, das schönste Wild zu fangen, / Das je die Erde, wie sie sagt, durchschweift.« (2567-2573)
Auch das Doggenmotiv verklammert Anmut und Hysterie der Heldin Penthesilea. Die Dogge steht in dem Text wie der Tanz zugleich für Entfesselung und Zerfleischung (am Ende des Dramas) sowie für die leichte und graziöse Bewegung, wie im folgenden Beispiel deutlich wird: »Das Heer bleibt keuchend hinter ihr, wie Köter, / Wenn sich ganz aus die Dogge streckt, zurück!« (401 f.) Die »Dogge« ist hier das edle Tier in Abgrenzung zum »Köter«, der als Vergleichsobjekt für das Heer dient. Sie steht in dieser Konstellation für Schnelligkeit, Grazie und für Individualität, nämlich als Einzelne dem Kollektiv des Heeres respektive der Köter gegenüber.
90 Juliane Vogel weist darauf hin, dass Penthesileas rauschhaftes Agieren am Ende des Dramas auf tradierte Elemente der Furor-Inszenierung zurückgreift. So etwa der Furienanruf: »Die Furien auch ruf’ ich herab«, der sich im Herbeirufen der Hunde wiederholt. Hier überlagern sich Furien- und Aktaionmythos. So tragen die Doggen Namen derjenigen Hunde, die auf Befehl Dianas den Aktaion zerreißen. Vogel: Furie, S. 192 f.
227
Gewalt und Anmut Am Ende des Dramas verkörpert die Dogge dann die Entmenschlichung der Penthesilea, ihre hysterische Entfesselung. Die anmutige Kriegerin Penthesilea wie auch die Furie grenzen sich gleichermaßen vom reflexiven Bewusstsein im erhabenen Heldentum ab. Dieses stellt der Text explizit der unbewussten Handlung Penthesileas gegenüber. So wird Penthesilea in der Auseinandersetzung mit ihren Amazonen für einen Moment deutlich, dass sie auch ein erhabenes Heldentum, also den bewussten Verzicht auf ihre Liebe zugunsten ihres Volkes wählen kann. Die Amazonen versuchen, Penthesilea wieder zu ihrer Pflicht als Herrscherin zurückzurufen und verlangen den Rückzug, den sie zunächst auch in Betracht zieht: »Ich will mich fassen. / Dies Herz, weil es sein muss, bezwingen will ich’s, / Und tun mit Grazie, was die Not erheischt« (1196-1198), sagt die Königin, nachdem sie erneut gegen Achill verloren hat. Penthesilea strebt hier also nicht nur nach erhabenem Heldentum, das im Aushalten des Leidens bestehen würde, sondern will sogar Anmut und Würde in sich vereinen, wie es Schiller als höchstes Menschheitsideal gefordert hatte. Doch erhabenes Heldentum, die Größe im Leiden, ist Penthesilea nicht möglich. Sie lehnt es explizit ab. Schon der Schmerz über den Verlust der Mutter habe bei ihr keine Läuterung, sondern Verbitterung hervorgerufen: »– Das Unglück, sagt man, läutert die Gemüter, / Ich, du Geliebte, ich empfand es nicht; / Erbittert hat es, Göttern mich und Menschen / In unbegriff’ner Leidenschaft empört.« (1686-1689) Penthesileas Streben gilt dem Glück, das für sie dem Heroismus überlegen ist: »Der Mensch kann groß, ein Held im Leiden sein, / Doch göttlich ist er, wenn er selig ist!« (1696 f.) Penthesilea bleibt ein unbewusst handelndes Subjekt: Zunächst tritt sie als anmutige Heldin auf, die ihre Liebe über die Kampfbewegungen ausdrückt, dann als Furie, deren Enttäuschung und Zorn sich in der furiosen Gewaltinszenierung manifestieren. Als anmutiger wie als hysterischer Heldin ist ihr ein sprachlich-intellektueller Zugang zur Wirklichkeit verwehrt und so auch die Möglichkeit des Selbstausdrucks in der verbalen Kommunikation. Sie kann nur im non-reflexiven Austausch von Seele und Körper als weibliches Subjekt wahrnehmbar, wenn auch nicht verstehbar werden. Doch als Heldin, die ihre Anmut in der Sphäre des Krieges gewinnt, kann sie auch ihre Liebe nur kriegerisch leben. Die Tötung des Geliebten und die Selbsttötung sind logische Konsequenz der Überlagerung von Kriegs- und Liebesdiskurs. In dem Moment, als Achill ihr vermeintlich im Kampf zugefallen ist, kann sie die Zeichen seiner Liebe, den weichen Blick, die Tränen des Geliebten nicht als Ausdruck des Gefühls annehmen. Und ihm im Kampf zuzufallen, bedeutet für sie, nicht mehr gefallen zu können und ihre anmutige Identität zu verlieren. Außerhalb der Kämpfe
228
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 mit Achill zusammenzufinden, hieße, das Subjekt Penthesilea zum Verstummen zu bringen, sie ihrer performativen Wirklichkeit zu berauben. Mit ihrer Selbsttötung agiert Penthesilea zuletzt in vollkommener Übereinstimmung von seelischer und körperlicher Bewegung und (über-)erfüllt damit in persiflierender Form die Anforderungen der schillerschen Anmutskonzeption. Es gelingt ihr, einen emotionalen Suizid zu begehen: »Denn jetzt steig’ ich in meinen Busen nieder, / Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz, / Mir ein vernichtendes Gefühl hervor. / Dies Erz, dies läutr’ ich in der Glut des Jammers / Hart mir zu Stahl; tränk es mit Gift sodann, / Heißätzendem, der Reue, durch und durch; / Trag es der Hoffnung ew’gem Amboß zu, / Und schärf’ und spitz es mir zu einem Dolch; / Und diesem Dolch jetzt reich’ ich meine Brust: / So! So! So! So! Und wieder! – Nun ist’s gut. (Sie fällt und stirbt.)« (3025-3034)
Die Selbsttötung der Penthesilea lässt sich als überzeichnetes Funktionieren des Austausches von Körper und Seele, des »Influxus Physicus«91 verstehen. Wenn der Heldin zwar nicht die gewünschte körpersprachliche Kommunikation gelingt, so doch die vollkommene Einflussnahme der Seele auf den Körper: Das Gefühl selbst wird zur Waffe, die den Körper verletzen und töten kann.
7) FAZIT Kleists Drama dekonstruiert die Entgegensetzung einer idealisiertanmutigen und einer hysterisch-grässlichen weiblichen Gewalt, welche die Ikonografie der Französischen Revolution geprägt hatte und von Schiller in der Jungfrau von Orleans aufgegriffen worden war. »Furie« und »Grazie« erweisen sich in Kleists Drama als zwei Seiten einer Medaille. Beide sind Modi einer weiblich gedachten Subjektivität, die sich durch die unmittelbare Kommunikation von Körper und Seele auszeichnen und so dem Betrachter einen unverstellten Einblick in die Seele gewähren soll. Indem Kleist die Figuren daran scheitern lässt, ihr Gegenüber zu begreifen, indem er als Folge dessen die kriegerische Grazie Penthesileas in die Verhaltens- und Bewegungsmuster der Furie umschlagen lässt, reagiert er in zweifacher Hinsicht auf die Konzeption eines anmutigen Heroismus. Zum einen distanziert er sich in ironischer Form von der Utopie eines unvermittelten Ausdrucks des Subjekts in der anmutigen Körpersprache. Anmut führt in der Penthesilea gerade nicht zu unmittelbarem Verstehen. Wie im Aufsatz Über 91 Vgl. Kapitel A II Anmerkung 41.
229
Gewalt und Anmut das Marionettentheater erweist sich die menschliche Grazie als fehlbar. Im Gegensatz zum fechtenden Bären, dem »Über-Leser«92, der durch seine ans Göttliche reichende Grazie keine Finte, keinen Spielzug des Gegenübers missverstehen kann, scheitern Achill und Penthesilea daran, die Spielzüge des anderen zu entziffern. Zum anderen treibt der Text die leidenschaftlich-gewalttätigen Anteile hervor, die dem anmutigen Heroismus inhärent sind, aber in den mit Unschuld assoziierten graziösen Bewegungsabläufen unsichtbar bleiben. Kleists Text greift die Verschränkung von Heroismus, Gewalt und Grazie auf, die den ästhetischen Diskurs der Klassik durchzieht und zeigt, wie sehr das Konzept des anmutigen Heroismus die maßvolle Ästhetik der Klassik torpediert. Die Grenze zwischen einer durch Grazie gemilderten inneren und äußeren Bewegung, (die Winckelmann als Form einer klassischen Heldendarstellung noch zulassen konnte), und einem furiosen Gewaltexzess erweist sich in der Penthesilea als fließend. Die Bacchante in der »Morgenröthe [...] der Wollust«, die für Winckelmann im Medium der Grazie vermittelbar war, ist nur einen Moment vom Mordrausch der Agaue entfernt, die in dionysischer Ekstase ihren Sohn zerfleischt.93 Indem Kleist die kriegerische Grazie der Penthesilea in den Gewaltexzess der Furie umschlagen lässt, führt er die instabile Grenze vor Augen, die im Diskurs der Klassik eine durch Anmut gemilderte Gewalt von einer ästhetisch nicht mehr zu bewältigenden grässlichen Gewalt trennt.
III. »Kraft und Zartheit« – Werners Wanda – Die Königin der Sarmaten Der romantische Dramatiker Zacharias Werner schreibt in literarischen wie theoretischen Texten die Polarität von anmutiger Weiblichkeit und starker Männlichkeit fort. Die Welt sei grundsätzlich unterteilt in die Prinzipien »Zartheit« und »Kraft«, eine Teilung, die in der Geschlechterdifferenz in Erscheinung trete: »Das höchste Leben (der dreieinige Gott) ist die ewige innigste Umarmung der höchsten Kraft und der höchsten Zartheit (es gibt weiter keine Grundwesen) im klarsten Selbstbewusstsein (Vater, Sohn, Geist), die höchste Liebe. Der Ausfluß ihrer mächtigen gegenseitigen Sehnsucht ist die Gestalt, die wir in der Totalanschauung Welt, in der partiellen, Wesen nennen. – Jedes Wesen ist, wie das Urwesen, dem es entfloß, Kraft und Zartheit in einem, in der Erscheinung aber spaltet es sich in Mann und Weib [...]. Jede einzelne Kraft-Zartheit hat sich näm92 Vgl. Kapitel C VI Anmerkung 216. 93 Vgl. Kapitel C VII 4 Anmerkung 262.
230
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 lich bei ihrem Ausflusse aus Gott in Kraft und Zartheit getrennt, die aber immer nur zwei Hälften eines Wesens sind. Die gewaltsame Sehnsucht dieser Hälften, sich wieder zu vereinigen, drängt sie in die Erscheinung, ins irdische Leben [...].«94
Werner knüpft hier an das Kugelgleichnis aus Platons Symposion an, das häufig im Rahmen der romantischen Liebeskonzeption rezipiert wurde.95 Auch Rousseaus Unterteilung in »Anmut« und »Kraft«96 lässt sich aus der Theorie des begeisterten Rousseauanhängers97 Werner herauslesen.
94 Werner, Zacharias: »Über das menschliche Leben.« In: Ders.: Lebenslehre und Weltanschauung der jüngeren Romantik, bearbeitet von Wilhelm Bietak. Leipzig 1936, S. 142 f. Zitiert nach: Lü: Frauenherrschaft, S. 19. 95 Auch die Romantik hält das Bild einer grundsätzlichen Differenz der Geschlechter und das idealisierende Bild einer zarten, naturhaft guten Weiblichkeit aufrecht, wenn sie auch der Frau wieder mehr Teilnahme am intellektuellen Diskurs zugesteht. Zum Frauenbild in der Romantik siehe auch Lü: Frauenherrschaft, S. 27 ff. und Weigel, Sigrid: »Wider die romantische Mode. Zur ästhetischen Funktion des Weiblichen in Friedrich Schlegels ›Lucinde‹.« In: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft. Mit Beiträgen von Inge Stephan und Sigrid Weigel Hamburg 1998, S. 67-82. Die Geschlechterdifferenz verstehen die Romantiker als einen Ausdruck der grundsätzlichen Spaltung der Welt in Vernunft und Unvernunft, Traum und Wirklichkeit, die es in der Unio Mystica zu überwinden gilt. In diesem Zusammenhang entwickelt sich in Anlehnung an das in Platons Gastmahl von Aristophanes vorgetragenen Kugelgleichnis das Ideal einer Überwindung der Geschlechterdifferenz in der Androgynität. Siehe hierzu Kluckhohn, Paul: Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik. Tübingen 1966 und Becker-Cantarino, Bärbel: »Priesterin und Lichtbringerin. Zur Ideologie des weiblichen Charakters in der Frühromantik.« In: Paulsen, Wolfgang (Hrsg.): Die Frau als Heldin und Autorin. Neue kritische Ansätze zur deutschen Literatur. Bern und München 1979, S. 111-124. Lü zitiert als paradigmatisch für die romantische Theorie der Geschlechterdifferenz den Brockhaus von 1827: »Daher offenbart sich in der Form des Mannes mehr die Idee der Kraft, in der Form des Weibes mehr die Idee der Anmuth […].« Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände (ConversationsLexikon), Bd. 4. Leipzig 1827 (siebente Originalauflage), S. 666. Zitiert nach Lü: Frauenherrschaft, S. 33. Zu Werners Rezeption des Androgynentopos siehe Kozielek, Gerard: Das dramatische Werk Zacharias Werners. Wroclaw 1967, S. 235 ff. 96 Rousseau: Emil, S. 395. Vgl. Kapitel C II, S. 87 f. 97 Zu Werners Rousseau-Rezeption siehe Hankamer, Paul: Zacharias Werner. Ein Beitrag zur Darstellung des Problems der Persönlichkeit in der Romantik. Bonn 1920, S. 29 ff.
231
Gewalt und Anmut In diesem von Rousseau geprägten Geschlechterbild müsste eine Kriegerin als Abweichung von ihrer naturgegebenen Frauenrolle erscheinen. Doch wenn auch in Werners Kriegerinnendrama Wanda die Unterscheidung zwischen Zartheit und Kraft grundlegend die Bildsprache und Figurendarstellung prägt, wird Wandas Kriegertum nicht einer »zarten« Weiblichkeit entgegengesetzt. Das Drama schreibt vielmehr den Topos des anmutigen weiblichen Kriegertums fort, wie ich im Folgenden zeigen werde.
1) »EIN TRAUMGEWÖLK AUS LICHT GEWOBEN« – DER ANMUTIGE KÖRPER DER HELDIN Von der Titelheldin Wanda erfährt der Zuschauer zunächst im Gespräch zwischen Rüdiger und dem Dichter Balderon, bevor sie in Person auf der Bühne erscheint. In den Schilderungen der Männer zeichnen sich der Topos des anmutigen weiblichen Heldentums und die damit verbundene Verschränkung von Schönheit, Unschuld und Gewalt ab: »Schön, wie ein Traumgewölk aus Licht gewoben / Errötend von des Morgens Purpursaum, / Sah ich ein Weib auf weißem Roß erhoben, / Geflügelt eilen durch den grünen Raum; Als ob herabgesendet sie von oben, / So lieblich wie ein holder Frühlingstraum. Mich überfiel ein sehnsuchtsvolles Grauen, / So mild und herrlich war sie anzuschauen!« (212)98
Die Beschreibung verschränkt die Motivik des Fliegens mit der Unwirklichkeit und Traumhaftigkeit der Erscheinung Wandas: »Traumgewölk«, »erhoben«, »geflügelt«, »herabgesendet von oben« verweisen auf Leichtigkeit, Flug, Geschwindigkeit, aber auch auf die gottgesandte Position der Königin. Die zweimalige Wiederholung des Wortes »Traum« weist die Gestalt ins Reich des Märchenhaften. Die darauf folgende Beschreibung Wandas durch Rüdiger greift nicht nur die typischen Körpermerkmale anmutiger Weiblichkeit auf, sondern knüpft auch an die Ästhetik der Schlangenlinie an: »Umfloß ihr Haar denn nicht mit goldnen Ringen / Der ewig klaren Stirne Elfenbein, / Und fühltest du nicht tief ins Herz dir dringen / Der azurfarbnen Augen Glutenschein; / Lud dich des Mundes holdes Lächeln ein, / Wo sich Korallen um die Perlen schlingen, / Und welch Gewand umfloß die Wellenglieder? / O sag mir alles, Mann der süßen Lieder.« (212)
98 Die einem Zitat in runden Klammern nachgestellten Ziffern in diesem Abschnitt bezeichnen Seitenzahlen aus: Werner: Wanda.
232
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Die Vergleichsobjekte: »Perlen« für Zähne, »Gold« für Haare, »Elfenbein« für Haut sind Klischees eines aus der Minnelyrik überlieferten Bildfundus zarter weiblicher Körperlichkeit. Rüdiger weist mehrfach auf die Wellenlinie hin, die Wandas Körper und Bewegung charakterisiert: Das Haar »umfließt« die Stirn, Korallen »schlingen sich« um Perlen, die Körperglieder Wandas werden sogar pauschal als »Wellenglieder« bezeichnet. Hier ist die wellenförmige Beweglichkeit sogar Hauptmerkmal der Glieder selbst. In diesen Beschreibungen verknüpft Werner die Vokabeln der mittelalterlichen Minnesprache mit dem Anmutsdiskurs der eigenen Zeit. Balderon fährt mit der Beschreibung des Fließenden und Zauberhaften der Gestalt fort und präsentiert dabei eine Kriegerin im klassischen Reithabit, wie es die Ikonografie des 18. Jahrhunderts vorgibt: »Auch mich umflocht mit zaubernder Gewalt / Ihr Haar, das kühn dem Diadem entwunden, / Des Busens goldnen Harnisch überwallt, / Die silberstoffnen Ärmel, losgebunden, / Umflatterten wie Flügel die Gestalt, / Ihr grünes Kleid umrankten goldne Sprossen, / Ein Rasenplan, vom Sonnenstrahl umflossen! / Und, wie dem Blätterkelch die Rosenblüte, / Entquoll des Leibgewandes grünem Samt, / Daß liebend er die zarten Glieder hüte, / Der Rock, in dem das Blut des Purpurs flammt, / Ein Demantgurt, das Bild der reinen Güte, / Schützt ihn mit Perlen, die dem Meer entflammt, / Und innigst angeschmiegt den Silberfüßen, / Sah ich ein gülden Stiefelpaar sie küssen.« (212 f.)
Weiterhin ist die Beschreibung vom Bildfeld des Fließens durchzogen: »wallen«, »ranken«, »fließen«, »quellen«, »flechten« evozieren den Eindruck einer wellenförmigen Bewegung, welche die Schönheit und Leichtigkeit der Szenerie herausstreicht, aber auch den Eindruck gewaltsamen Verschlingens erweckt. Immer wieder bricht etwas gewaltsam aus einer beengenden Fassung hervor, das »Haar« aus dem »Diadem«, der »Rock« aus dem »Harnisch«. Ein Element umschließt und begrenzt das andere, wie etwa die »goldenen Sprossen« das »Kleid«. Doch der Eindruck von Zwang wird sofort zurückgenommen, indem Balderon betont, dass die Begrenzung genau die Freiheit des begrenzten Gegenstandes respektiert. So hütet der »Rock« liebend die »zarten Glieder«, die »Stiefel« schmiegen sich innigst an die »Füße« und »küssen« sie. Schillers Anmutsbegriff schimmert hier durch: die »Versöhnung« divergierender Elemente, der »Zwang«, der schon wieder »Freiheit« ist. Auch der Dichter wird Teil dieses in der Erscheinung nicht mehr gewaltsamen Zwangs. Das rätselhafte Bild, demzufolge der Dichter vom Haar der Heldin »mit zaubernder Gewalt« umflochten wurde, kann konkret meinen, dass das lange Haar im Vorbeireiten den Dichter gestreift, sich für einen Moment um sein Gesicht, seinen Körper gelegt hat. Auf metaphorischer Ebene schließt das Bild an 233
Gewalt und Anmut das »sehnsuchtsvolle Grauen« an, das Balderon erfasst, an die Verschränkung von Schönheit und Gewalt, die sich hier, zunächst ganz ohne die Erwähnung martialischer Elemente, in der Figur erkennen lässt. Es ist die Gewalt, die der »Anmut« als wirkungsästhetische Kategorie inhärent ist: Die Anmut ist unwiderstehlich; sie zieht den Betrachter zu sich herüber und legt ihn in Fesseln. Sie unterscheidet sich von der Gewalt der Charismatikerin oder der Verführerin nur durch die Tatsache, dass sie von moralischer Güte durchdrungen ist. Der Betrachter kann sich sicher sein, dass er in die Fesseln des schlechthin Guten geraten ist und damit schon wieder, im Sinne der kantischen und schillerschen Ethik, frei ist. Die emotionale Reaktion des Betrachters ist jedoch ambivalent: Es ist ein »sehnsuchtsvolles Grauen«, das Balderon ergreift. Das Süße und Liebliche der Erscheinung löst ein Gefühl aus, das sonst mit dem Erhabenen verbunden ist – eine Mischung aus Lust und Entsetzen. Balderon beschreibt jedoch keinen erhabenen Akt des Zurückgestoßenseins und im Aushalten sich selbst Überwindens. Vielmehr empfindet er ein Dahinschmelzen angesichts des Schönen, das lediglich von einem sehnsuchtsvollen Grauen durchsetzt ist. Das Grauen muss nicht überwunden werden, sondern ist der Wahrnehmung des Anmutigen und Schönen immanent.
2) »EIN STERNBILD AM BLUT’GEN ABENDHIMMEL« – WANDAS MARTIALISCHE ZARTHEIT Die feenhaft unwirkliche Erscheinung, die sich durch Balderons Bericht vor Rüdigers innerem Auge ausbreitet, wird von diesem fast automatisch in den Kontext weiblich-anmutiger Betätigung gestellt: »Sie ritt wohl auf den blütenvollen Auen, / Zu schwelgen in den Wonnen der Natur« (213), vermutet er zunächst und knüpft an die Idee einer schwärmerischen, naturverbundenen Weiblichkeit an. Die zweite Vermutung, die er anstellt, ordnet Wandas Anmut bereits dem »unweiblichen« und gewalttätigen, aber immer noch spielerisch gebändigten Kontext der Jagd zu: »[...] oder zog sie aus im Abendgrauen / Dem Hirsche nach auf ungebahnter Spur?« (213) Die Jagd erscheint Rüdiger also als ein Kontext, in dem weibliche Bewegung als leicht, feenhaft und anmutig erscheinen kann. Balderon überbietet Rüdigers Vermutungen, indem er deutlich macht, Wanda sei genau in dem von ihm festgehaltenen Augenblick aus einer blutigen Schlacht zurückgekehrt:
234
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 »Sie kam zurück aus wildem Schlachtgewimmel, / Ein Sternenbild am blut’gen Abendhimmel! – / Ein Greis vertraute mir: daß sie die Wenden, / Die Polenland verheert mit wildem Mut, / Bekämpfet, um das Unheil abzuwenden, / Und sie besiegt, nach viel vergoßnem Blut, / Jetzt kehrt sie heim: den Frieden auszuspenden, / Den sie errang, der Völker höchstes Gut.« (213)
So verknüpft Balderon die Schilderung der martialischen Anmut Wandas unmittelbar mit ihrer Rolle als Kriegerin im Dienste des Friedens. Wie die Jungfrau von Orleans soll Wanda Kriegerin und Friedensbringerin zugleich sein. Auf diese Weise wird eine Verschränkung von weiblicher Sittlichkeit und Gewalt konstruiert, die sich in der anmutigen Erscheinung der Heldin visualisiert. Wanda führt einen Verteidigungskrieg gegen die Wenden; ihr Ziel ist die Wiederherstellung des Friedens.99 Sie ist der bürgerlichen Idee des ewigen Friedens verpflichtet und doch zugleich wehrhaft und mutig, wenn es um die Verteidigung ihres Landes geht. Ihre Sicherheit visualisiert sich, ganz im Sinne der zeitgenössischen Ästhetik, in der Anmut der Heldin. Wanda selbst präsentiert sich als milde Herrscherin, deren oberstes Ziel das Wohl ihres Volkes ist. »Du weißt: es ist dein Wohl das Ziel von meinem Tun«. (220) Die Königin entspricht also der bürgerlichen Fantasie des »guten Monarchen«, der gemeinsam mit dem Volk gegen einen korrupten Adel ins Feld zieht.100 Rüdiger sieht in Wanda eine Verschränkung von Schönheit und kriegerischer Kraft. Noch nicht erkannt als Löwenritter, offenbart er Wanda, dass er sich bereits früher, zu Lebzeiten der Königin Libussa, am Hof der Sarmaten aufgehalten und sich in eine von Libussas Jungfrauen verliebt habe. Als Wanda zu ergründen versucht, um welche es sich handeln könne, und die Frauen an Libussas Hof beschreibt, erwidert Rüdiger: »[...] Sie wichen meiner Holden / Allzumal an Kraft und Schönheit.« (240) Weibliche Schönheit und Kraft schließen sich also nicht aus, sondern gehen in der Kriegerin Wanda eine Synthese ein.101
99 Zur Abgrenzung Wandas als einer bürgerlich-sittlichen Heldin von dem feudal-usurpatorischen Heldentum Rüdigers siehe auch Kollmann: Empfindsamkeit, S. 160-163. 100 Siehe Braemer: Tragödie, S. 222 und Schlaffer: Held, S. 105. 101 Hier widerspreche ich Beuths und Kollmanns These, dass der Begriff »Zartheit« nur als »Camouflage« genutzt und durch das Handeln der Heldin konterkariert wird. Beuth, Ulrich: Romantisches Schauspiel. Untersuchungen zum dramatischen Werk Zacharias Werners. München 1979, S. 221 ff. und Kollmann: Empfindsamkeit, S. 167. Wanda ist nicht als Gegenbild zur zarten Weiblichkeit konstruiert, sondern als anmutige Heldin, in deren Handeln Gewalt und Zartheit keinen Widerspruch darstellen. Die
235
Gewalt und Anmut Allein Wandas Höflinge drängen die Königin mit Verweis auf deren weibliche »Zartheit«, einen von ihnen zu heiraten, damit wieder männliche Kraft über die Geschicke des Landes entscheidet. Das Erlöschen der Opferflamme während des Opferfestes versuchen sie als Zeichen des Zorns der Götter über die denaturierte Ordnung auszulegen, die weibliche Herrschaft in ihren Augen darstellt. So fordert Horsemirsz: »Laßt Sarmaten, euch nicht blenden! / Ja, die Götter zürnen euch, / Daß ihr Zepter, Kron’ und Reich / Anvertrauet Frauenhänden, / Ob wir auch besiegt die Wenden, / Bald bricht neuer Aufruhr an; / Männer bändigt nur ein Mann; – / Zarte Kraft hat ihre Schranken; / Fürstin soll dein Thron nicht wanken, / So nimm mich zum Gatten an.« (221)
Auch die anderen Fürsten fühlen sich berufen, Wanda als männliche Herrscher zur Seite zu stehen und streiten mit Blick auf ihre kriegerischen Taten um ihr Vorrecht auf eine Verheiratung mit der Königin. Doch diese Ablehnung weiblichen Kriegertums durch die Höflinge wird deutlich als Machtargument gekennzeichnet. Weder in der Perspektive Rüdigers noch der weiblichen Krieger an Wandas Hof, noch in der Selbstwahrnehmung der Königin bilden Zartheit und kämpferisches Verhalten einen Gegensatz.102 Eine Divergenz zwischen Weiblichkeit und kriegerischer Mission entsteht erst, als Wanda zum Schutz gegen die Machtansprüche der Höflinge der Liebe abschwört und ihre Herrschaft durch den Schwur ewiger Jungfräulichkeit zu stabilisieren sucht. Genau dieser Moment ist es, der die tragische Handlung des Dramas einleitet und den sie rückblickend als Abweichung von ihrer weiblichen »Zartheit« interpretiert: »Denn heut, als ich es meinem Volk geschworen: / Mein Höchstes selber seinem Dienst zu weih’n; / Als ich, ein Weib, zur Zartheit nur geboren, / Es wagte, mehr als mein Geschick zu seyn.« (235)
Kontrastierung etwa in Balderons Betrachtung soll nicht die Behauptung der zarten Weiblichkeit Wandas zurücknehmen, sondern das Wunder der Gleichzeitigkeit von Zartheit und Kraft, Weiblichkeit und Kriegertum unterstreichen. 102 Auch Kollmann weist darauf hin, dass in Werners Wanda der tragische Konflikt nicht im Gegensatz zwischen »Weiblichkeit« und »Herrschaft« liegt (Kollmann: Empfindsamkeit, S. 162), wie etwa Kozielek behauptet. Kozielek: Werk, S. 236.
236
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800
3) »WIR SPIELEN MIT DEM LEBEN FANGEBALL« – RÜDIGERS PARADOXES HELDENTUM Deutlich ist Wandas Kriegertum von dem Rüdigers unterschieden. Rüdigers Heldenmission ist die freiwillige Suche nach Abenteuer und Selbstbehauptung. Er will die Königswürde erringen, die ihm als erstgeborenem Königssohn in seiner Heimat ohnehin zugefallen wäre. Er will nicht erben, sondern kämpfen, und dies verschafft ihm den Respekt seiner Männer: »Wir lobten es: daß du den Herrscherstab / In Frieden nicht ererben, nur erkämpfen / Ihn wolltest, der allein des Kampfes Preis! / Wir teilen deine Lust: ein fernes Land zu suchen und / es mannhaft dir erobernd, / Es dein zu nennen [...] / Denn ew’ge Jugend füllt des Kriegers Brust, / Und alles fesselnd ist er fessellos!« (210)
Heldentum trägt hier also den Spielcharakter, den Hegel dem ritterlichen Heroismus zugeschrieben hat. Rüdigers Taten sind schon nicht mehr sinnvoll, wie sie es im idealen heroischen Zeitalter gewesen wären, als der Held noch nicht in staatliche Strukturen eingebunden und sein Handeln essenziell notwendig war. Eine Ordnung existiert bereits und diese weist Rüdiger qua Erbrecht die Königswürde zu. Dieses ererbte Herrschertum abzulehnen und anstelle dessen mit eigener Kraft um eine Position zu kämpfen, ist eine zutiefst bürgerliche Idee, die hier im Gewand des Heroismus auftritt. Rüdiger wendet sich gegen die feudale Gesellschaftsform, in welcher Autorität und Würde vererbt werden. Er will im Sinne eines bürgerlichen Arbeitsethos Autorität durch eigenes Handeln gewinnen.103 Doch auf der anderen Seite tritt Rüdiger nicht etwa gegen das feudale System an: Er ist kein Rebellionsheld, der die repressiven Strukturen feudaler Herrschaft ablehnt wie etwa Schillers Marquis Posa. Vielmehr mischen sich in seiner Motivationsstruktur bürgerliche Sehnsucht nach individuellem Handlungsspielraum und das Machtstreben des feudalen Tyrannen. Nachdem er vor seinen Männern zunächst behauptet hatte, es gehe ihm vor allem um die Eroberung der Königin, und die Teilung der Macht versprochen hatte, 103 Auch Kollmann sieht in Rüdigers Anspruch auf Selbstbehauptung ein »aufklärerisches Tätigkeitsideal«. Kollmann: Empfindsamkeit, S. 153. Stuckert betont die Kongruenz von Heldenrolle und bürgerlich-männlicher Ich-Suche: »Rüdigers Wille zum Ich steigert sich empor in ein furchtloses Heldentum, als er durch die von der Jagd wiederkehrenden Krieger an seine Stellung als Fürst gemahnt wird.« Stuckert, Franz: Das Drama Zacharias Werners. Entwicklung und literargeschichtliche Stellung. Frankfurt a. M. 1926, S. 110.
237
Gewalt und Anmut wird in einem kurzen Monolog deutlich, dass seine Machtansprüche ungeteilt und die Zugeständnisse an seine Männer nur vorgetäuscht sind: »Der Wille mein, die Macht wär’ euer? – Wohl; – Ich will die Macht, ihr mächt’gen Willenlosen, / Drum mache meinen Willen, blinde Macht!« (211 f.) Liebeswunsch und Eroberungswille stehen in keinem Widerspruch zueinander.104 Rüdiger sendet einen Boten, um Wanda zunächst einen Heiratsantrag zu überbringen. Lehnt sie diesen ab, folgt die Kriegserklärung: »Schlägt sie es aus, so meld ihr, daß zum Kampf / Mein Heer gerüstet, es erkämpfen werde / Was nie dem Helden abhold: Minnelust!« (218) Rüdiger nimmt Bezug auf das mittelalterliche Minnesystem, demzufolge die Tapferkeit ritterlicher Taten durch die Liebe der Frauen belohnt wird. Allerdings interpretiert der Held den Minnegedanken falsch: Denn der Ritter sollte durch seine Siege, möglicherweise durch die Befreiung der angebeteten Frau, und nicht zuletzt durch seine Sprachkunst das Herz der Dame erobern, sie aber nicht im Krieg bekämpfen. Rüdigers Heroismus ist eine paradoxe Konstruktion. Aus der Perspektive der hegelschen Heldentheorie ist Rüdiger eine Figur, die in einer bereits bestehenden staatlichen Ordnung heroische Freiheit künstlich erringen will und damit von der Totalität der Heroenzeit, aber auch von einer neuen Identität in der freiwilligen Unterordnung unter das Gesetz entfernt ist. Es ist also das Dilemma, in welchem sich nach Hegel die Verfechter des modernen Ehrbegriffs befinden.105 Der Verlust heroischer Totalität äußert sich auch in der Ökonomisierung des Heldentums: Rüdigers Männer sind gedungene Söldner und keine Helden, die aus voller Identifikation mit ihrem Wertesystem kämpfen.106 Der Spielcharakter seines Kriegertums ist Rüdiger selbst bewusst: »Wir spielen mit dem Leben Fangeball, / Der Tod: Versteckens! Er verliert das Spiel; / Er ist der Narr des Spiels, und wir – wir leben!« (211) Die kriegerische Existenz erscheint hier als adoleszente Risikobereitschaft, als eine besondere Art der Mutprobe.
4) »IN DER LIEBE EWIGKEIT« – DER LIEBESTOD ALS ERLÖSUNGSFANTASIE Rüdigers Auffassung einer spielerischen Existenz korrespondiert mit der von Libussa vertretenen Lebensauffassung, die Werner dem Stück zugrunde legt. Ganz im Sinne seiner Liebestheorie lässt Wer-
104 Vgl. hierzu vor allem Lü: Frauenherrschaft, S. 23 ff. 105 Vgl. Kapitel B I Anmerkung 10. 106 Vgl. Kollmann: Empfindsamkeit, S. 154.
238
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 ner Libussa verkünden: »Leben ist der Liebe Spiel, / Tod der Liebe Weg zum Ziel«. (252) Auch hier wird Leben als Spiel verstanden und dem Ernst des Todes gegenübergestellt. Doch das Spiel soll nicht darin bestehen, den Tod in kriegerischen Abenteuern herauszufordern; vielmehr geht es in ihm um die Suche nach dem komplementären Element, dem Liebespartner. Auch Werners Drama thematisiert den Verlust von Totalität. Durch die geisterhaft-prophetische Erscheinung Libussas lässt Werner seine Geschichtsauffassung verkünden, in der er, wie auch Schiller, Geschichte als notwendige Naturentfremdung begreift. Anders jedoch als Schiller sieht Werner die Möglichkeit der Wiederherstellung von Totalität nur im Tod gegeben. Die Elemente Zartheit und Kraft sollen sich in der Vereinigung von Mann und Frau wieder verbinden, so Werners Theorie im Sinne des Androgynentopos der Romantik. Doch gemeint ist keine sexuelle Vereinigung, sondern der Liebestod. Dieser pessimistische Mystizismus prägt auch die Dramaturgie des Wanda-Dramas. Die Erfahrung der Liebe ist zunächst eine Erfahrung der Selbstentzweiung, des Herauslösens aus einer ursprünglichen Totalität, und zugleich eine nicht zu bewältigende Sehnsucht nach einer neuen Totalität in der Verschmelzung der Liebenden. Auch Wanda teilt die tragische Weltsicht Libussas: Als Ludmilla verwundert erzählt, dass ihr Geliebter geweint habe, als er geboren wurde, und gelächelt habe, als er in der Schlacht fiel, erwidert Wanda: »Närrchen, muß das Leben denn nicht weinen, / Wenn es die Gestalt vom Mutterschoße / Schmerzhaft trennet, wo es ungeteilet, / Träumend, aber wonneselig schwomm?! – / Muß es lächeln nicht, das Freudenlose, / Wenn heran nun der Befreier eilet, / Der Getrenntes wieder soll vereinen, / Wie es einst im Mutterschoß entglomm!« (233)
Innere Versöhnung kann für Werner nur vorläufig sein, weibliche Anmut bzw. Zartheit nur ein Zwischenstadium, das es aufzuheben gilt. Die weibliche Zartheit muss sich im Liebestod mit männlicher Kraft verbinden, so der merkwürdige und häufig kritisierte Mystizismus Werners.107 In dieser Konstellation erhält Liebe eine gewalttätige Komponente, müssen doch die Liebenden den Tod des anderen wünschen und herbeiführen. Zartheit muss sich im Moment der Liebe als kriegerisch präsentieren. Unkriegerische Anmut ist nur den Frauen möglich, die noch nicht lieben oder geliebt haben, wie die Jungfrauen an Wandas Hof, die sich als tanzende und Blumen streuende Grazien präsentieren: 107 Zur Kritik an Werners Mystizismus siehe Lü: Frauenherrschaft, S. 14.
239
Gewalt und Anmut »Blumen wir pflücken, / Um sie zu schmücken: / Hier in dem Garten, / Wir ihrer warten; / Bald eilt ihr Fuß beflügelt hin! – / Sie naht, sie kömmt! – Auf, Schwestern, zum Tanz! / Schlingt euch um Wanden zum lieblichen Tanz.« (232)
Wie in der Penthesilea sind graziöse Tänze und Blumenschmuck auch hier die Rituale, mithilfe derer sich die Kriegerinnen an Wandas Hof präsentieren. Der Burggarten, in dem die Tänze stattfinden, wird zu einem »locus amoenus« stilisiert, einem utopischen Raum, in dem die ursprüngliche Einheit mit der Natur zwar bereits verloren ist, der aber doch Schutzraum vor der öffentlich-kriegerischen Sphäre bietet, in dem Wanda als Herrscherin agieren muss. Hier kann noch eine Einheit aus Emotionalität und Handeln gelebt werden, wie sie das Konzept der Anmut als weibliche Subjektivität vorsieht. Hier weinen Wanda und Ludmilla um ihre verlorenen Geliebten und hier finden aus Freude über Wandas Siege die graziösen Tänze statt, die sich deutlich von dem »männlich« codierten Triumphzug abgrenzen, mit denen der Hofstaat den Sieg gefeiert hatte. Doch nach ihrem Schwur fehlt Wanda die anmutige Harmonie, um an den Tänzen und Spielen teilzunehmen. War sie ihr trauernd noch gegeben, ist Wanda, nachdem sie der Liebe abgeschworen hat, endgültig ein entzweites Subjekt. Sinnliche Wünsche und sittliche Pflicht können nicht mehr in Einklang gebracht werden – Versöhnung ist nur noch im Tod möglich: »Spielt in des Abends Strahle, dort auf den Blumenau’n! / Ich will der Sonne Scheiden – auch ich muß scheiden – schaun!« (233)
5) »ICH KANN IHN TÖTEN, LIEBEND MIT IHM UNTERGEHN« – DER LIEBESKAMPF DER HELDEN In diesem tragischen Kontext wird der wesentlich agonale Fechtkampf zu einem Ritual der Verschmelzung. Der Lauf, aus dem das Erdenleben besteht, die Suche nach neuer Totalität – von Wanda in Bildern von Tanz und Kampf beschrieben108 –, verdichten sich im vierten Akt von Werners Wanda zu einer kämpferischen Choreografie, in der sich die Wünsche und Leidenschaften der Helden ausdrücken.109 Die erste Kampfhandlung Wandas auf der Bühne gilt 108 Wanda beschreibt die Entwicklung von ursprünglicher naturhafter Einheit zur Zerrissenheit und Sehnsucht nach einer neuerlichen Einheit in Bildern von Kampf und Tanz: »Wenn gerissen von der Mutter, / Es im wilden Kampfe rang, / Lockt das Herz ein wild Gelüsten, / Daß es über Gräbern tanzt.« (263) 109 Auch hier grenzen sich die Kämpfe deutlich vom »Klopffechtertum«, von einer Spaltung von Motivation und Kampfhandlung ab, die Lessing und von Clausewitz kritisiert hatten. Siehe Kapitel C IV 4 b Anmerkung 126.
240
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 der Verteidigung des Geliebten. In einem symbolischen Akt wendet sich die Königin gegen ihr Volk, nicht indem sie angreift, aber indem sie sich mit Schwert und Schild bewaffnet vor die polnischen Angreifer stellt. So geschützt erobert Rüdiger im Schwertkampf einen Hügel und vermag vor dem Angriff zu fliehen. Nun hält Wanda die Verfolger »mit ihrem Schwerte« (243) zurück, beginnt also, aktiv mit der Waffe gegen ihr eigenes Volk vorzugehen. Das Kampfverhalten ist nun explizit aus dem Dienst der Öffentlichkeit herausgetreten und weist sich als Selbst- und Liebesausdruck aus. Mit aller Aggressivität ist Wanda bereit, den Geliebten, und damit das Objekt ihrer innersten Wünsche, gegen ihr Volk zu verteidigen. Als Horsemirsz ihr vorwirft, den Feind zu beschützen, schlägt ihr zunächst defensives Kampfverhalten in ein aggressives um: »Wanda (indem sie vom Hügel heruntereilt und mit gezücktem Schwerte auf den sich vor ihr in dem Vordergrunde zurückziehenden Horsemirsz eindringt) ›Noch einen Laut, und ich durchbohre dich!‹« (243) Obwohl sich die Handlung nach der Wiedererkennungsszene zu einem tragischen Konflikt verdichtet hat, also die Voraussetzung für die Inszenierung eines erhabenen Heldentums gegeben ist, liegt der Fokus des Dramas hier nicht auf den inneren Konflikten der Helden, die in langen Monologen und Dialogen ausgebreitet würden, sondern die Konfrontation löst sich sehr schnell in Handlung, und zwar in kriegerische Handlung auf, wie Stuckert betont: »Die Wiedererkennung ist nicht breit und sentimental ausgemalt, sondern in den wenigen Worten zwischen beiden Geliebten wird die ganze Schwere des dramatischen Konfliktes deutlich. Damit hat die Wiedererkennungsszene den Höhepunkt erreicht; sofort greift das äußere Geschehen ein und stellt die beiden Hauptfiguren in ihre natürliche Umgebung. Der äußere Kampf, der im Verlauf des Aktes zweimal angedeutet war, greift nun auf die Bühne über.«110 Hier weicht Werner deutlich von den Heroeninszenierungen anderer Stücke ab: »Von den Menschen wird die Wirklichkeit nicht gelebt sondern ertragen. Diese Auffassung Werners trat in seiner Kunst deutlich zutage. Seine Helden handeln weniger als sie vielmehr heroisch leiden.«111 Rüdiger und Wanda hingegen sind Menschen, die ihre Leben aktiv gestalten und in kriegerischen Auseinandersetzungen bzw. staatspolitischen Aufgaben einen Handlungsraum finden. Auch als durch Wandas Schwur Liebe und öffentliche Aufgabe nicht mehr vereinbar sind und die Helden sich mit dem 110 Stuckert: Drama, S. 112. Ähnlich auch Kozielek: Dieser deutet die Wiedererkennungsszene als Zusammenfallen von Anagnorisis und Peripethie »wie im antiken Drama […]. Von nun an überstürzen sich die Ereignisse und drängen in rasender Eile dem Höhepunkt zu.« Kozielek: Werk, S. 237. 111 Hankamer: Werner, S. 110.
241
Gewalt und Anmut Leid eines endgültigen Liebesverlusts konfrontiert sehen, wählen sie nicht den Weg des erhabenen Helden, der das Leiden in vorbildlicher Weise erträgt, sondern suchen durch kämpferisches Handeln ihrem Leiden ein Ende zu bereiten. Wanda verweigert wie Penthesilea ein erhabenes Aushalten des Leidens.112 Sie kann sich nicht zugunsten ihrer Pflicht als Herrscherin entscheiden und auf die Liebe zu Rüdiger verzichten. Beider Liebe schlägt angesichts des angedrohten Liebesverzichts in Tötungswillen um: »Soll ich den Demant nimmer denn besitzen, / So will ich ihn zermalmen, ihn und mich.« (243), ruft Wanda aus, als sie erkennt, dass sie den Geliebten durch ihren Eid für immer verloren hat. Auch Rüdiger kann die Liebe nur noch als Schmerz empfinden, dem er allein durch Zerstörung begegnen kann: »[...] ich muß zerstören! – / Zerstören: das ist der Spruch!« (247) Dennoch gelingt es den Protagonisten, die heftigen Leidenschaften weit genug zu beherrschen, um sie in die koordinierte Matrix des Fechtkampfs zu übersetzen. In den Handlungen visualisiert sich die Liebe bzw. die Trauer und Wut über die Unerfüllbarkeit ihrer Liebe. »Sie werfen beide in gleichem Moment ihre Schilder fort und dringen, mit äußerster Heftigkeit, kämpfend aufeinander ein.« (249) Der Text spielt gezielt mit den vorgegebenen Topoi der Fechtkunst als ästhetisch und ethisch geregelte heroische Performance. Der Wechsel von Herrscherpflicht und Liebe wie auch der Wechsel von Sehnsucht und Tötungswillen zeichnen sich im Kampfverhalten der Helden ab. Als sie den ersten Angriff auf ihn führt, spricht Wanda den Geliebten mit seinem offiziellen Titel an und versucht so, den Kampf als Zweikampf zweier Herrscher zu rechtfertigen: »Rügenherzog!« (248), ruft Wanda ihren Gegner an, als sie zuerst »mit wild ausbrechender Wut und geschwungenem Schwerte auf Rüdigern« (248) eindringt. »Polenfürstin!« (248), erwidert Rüdiger. Doch ein Zweikampf im Namen ihrer Völker ist nicht mehr notwendig – Rüdigers Heere sind bereits in die Flucht geschlagen. Wie in Kleists Penthesilea sind Amt und privater Wunsch im Kampf nicht mehr kongruent; der Fechtkampf ist allein Ausdruck individueller Wünsche. So hält Wanda noch einmal in der Angriffsbewegung inne: »(indem ihr der bereits zum Kampf geschwungene 112 Auch Hankamer weist auf Wandas Unfähigkeit hin, eine Heroin im Leiden zu sein. Hankamer deutet diese Wendung als Reminiszenz an die heidnische Kultur, der Wanda zugehört und der ein christlicher Leidensbegriff fremd ist: »Der Verzicht und das rein seelische Verbinden (wie bei Attila und Honoria) ist der Heidin eine Unmöglichkeit, da es wesentlich christlich ist. Werner wollte hier das Schicksal der Heiden darstellen und seine Überwindung als Persönlichkeitstat im Sinne Fichtes definieren, zu der Wanda trotz ihrer Größe nicht fähig ist.« Hankamer: Werner, S. 181.
242
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Arm wieder zurücksinkt, mit dem Blick und Ton der unendlichsten Wehmut): Löwenritter!« (248) Und Rüdiger antwortet: »(ruhiger, doch mit tiefer Rührung): Heldenjungfrau!« (248) In diesem Moment fallen die Gegner nicht in ihre private Identität, sondern in ihre Rollen als Helden zurück. Als »Löwenritter« war Rüdiger auf die Heldenreise gegangen und hatte Wanda an Libussas Hof kennengelernt. Wanda wiederum war damals noch nicht Herrscherin, sondern allein kriegerische Heldin. In dieser Überlagerung von privater und heroischer Identität lieben sich Wanda und Rüdiger, und der angemessene Ausdruck ist der Heldenkampf. Die kämpferischen Schachzüge und Finten drücken die inneren Wünsche der Helden aus. Während der Kampf für Wanda Ausdruck ihrer Liebe ist:113 »[...] Ich kann ihn töten; liebend mit im untergehn!« (248), kämpft Rüdiger um seine heroische Ehre. In dem Moment, in dem sein Heer ihn verlassen hat, kann es für Rüdiger nicht mehr um Liebeserfüllung gehen. Die ihn antreibende Motivation sind Hass und Wut über den Verlust der heroischen Würde, welche für ihn auch die Eroberung Wandas implizierte: »Liebe nennt ihr das Ding? – Ihr Toren! Konntet ihr glauben: / Daß sich sehnend umfing, was sich feindlich zerstört?! – / Nein, nur dem Hasse gelingt’s! Ich will ihm sein Flammenschwert rauben! / Wandens Busen durchdringt’s!« (247 f.) Während sein Kampf zunächst auf die Tötung der Geliebten zielt, wandelt sich Rüdigers Angriffslust in den Wunsch, durch Wandas Hand zu sterben. So kehrt Rüdiger das Prinzip des Fechtkampfes um und gibt sich »absichtlich Blößen«. (249) Im Gegensatz
113 Hier widerspreche ich Stuckerts These, dass Wanda ihren inneren Konflikt lösen könne, indem sie ihre »Weiblichkeit« und damit ihre Liebe zu Rüdiger wieder anerkennt, die sie zuvor verdrängt hatte: »[…] die Katastrophe soll nicht durch den blinden Haß der früheren Geliebten herbeigeführt werden, sondern durch die Einsicht in die Notwendigkeit ihres Schicksals. Diese Einsicht kann bei Wanda nur erreicht werden, indem ihr Frauentum an der Wurzel gefaßt wird, d. h. indem ihr blindwütiger Haß in sein Gegenteil, die Liebe, umschlägt. Nachdem sie das Unweibliche ihrer bisherigen Haltung überwunden hat, ist der Weg frei für eine wahre Lösung des Konflikts aus dem Innern ihrer Seele.« Stuckert: Drama, S. 114. Stuckert übersieht, dass Wanda im Gegensatz zu Rüdiger aus Liebe, nicht aus Hass tötet. Hier irrt auch Kozielek, wenn er in Wandas Verhalten einen »plötzliche[n] Umschwung von Liebe in Haß« sieht, der »unnatürlich« wirke. Kozielek: Werk, S. 240. Während Rüdiger die Tötung eines geliebten Menschen nur für möglich hält, wenn die Liebe zuvor in Hass umgeschlagen ist, hält es Wanda für möglich, einen Menschen liebend zu töten und tötend zu lieben. Weder Weiblichkeit und Gewalt, noch Liebe und Gewalt schließen einander aus.
243
Gewalt und Anmut zum kleistschen Bären, dessen Kampfverhalten in der perfekten Beherrschung defensiver Strategien besteht, nutzt Rüdiger hier die Beherrschung der Fechtkunst, um künstlich die defensiven Taktiken versagen zu lassen. Mit dem Wunsch, sich ins Schwert zu stürzen, ordnet sich sein Verhalten formal in die Motivtradition neustoischer Heldeninszenierungen ein. Der Suizid galt im an der römischen Antike orientierten Neustoizismus als legitime Strategie des Helden, eine ausweglose Situation zu beenden und sich damit heroisch in sein Schicksal zu fügen.114 Allerdings musste der Suizid deutlich als stoisch-erhabene Tat erkennbar sein, also frei von persönlichen Emotionen und Leidenschaften.115 Da Rüdigers Handeln jedoch von Beginn an keiner höheren Idee, sondern der Suche nach persönlicher Anerkennung gegolten hatte, und seine kriegerischen Taten als »Abenteuer« ausgewiesen worden waren, fehlt nun auch seinem Todeswunsch die selbstverneinende Erhabenheit des neustoischen Helden. Rüdiger wollte kämpfen, um Ruhm und Ehre zu erwerben, und er will sterben, weil Ruhm und Ehre verloren sind. Nicht allein das Liebesglück, sondern vor allem das Glück der Schlachten hat ihn verlassen; seine Männer haben ihm die Loyalität aufgekündigt und sind auf dem Weg in ihre Heimat. Als Wanda die Worte Libussas zunächst »missdeutet« und sich berechtigt fühlt, Rüdiger trotz ihres Schwurs zu heiraten, weigert sich dieser mit Verweis auf seine männlich-heroische Identität: »Die von mir getrennet, / Sie geht mir wieder auf: die Pflicht! – / Ob du der Wesen Stoff erkennet, / Den Stoff des Mannes kennst du nicht! / Zerschmettern kann es ihn, nicht beugen; / Der Ritter muß sich mannhaft zeigen!« (255)
Für Rüdiger wiederholt sich noch einmal die Situation, in die er als Thronerbe durch seine Geburt geraten war: Die Königswürde wird an ihn herangetragen, ohne dass er sie durch sein heroisches Handeln – und das heißt kriegerisches Handeln – verdient hat. Deutlich
114 Siehe hierzu Meier: Bewunderung, S. 97 ff. 115 So schreibt etwa Gottsched zum Freitod des neustoischen Helden: »Die Stoiker selbst sind in diesem Stücke mit uns eins. Ob sie gleich einem weisen Manne den Selbstmord erlauben; so wollen sie doch nicht, daß er aus Furcht und Verzweiflung den Tod« suche. Gottsched, Johann Christoph: »VIII. akademische Rede. Cato ist nicht als ein unüberwindlicher Weiser gestorben.« In: Ders.: Ausgewählte Werke. Hrsg. von Phillip Marshall Mitchell. Neunter Band, Zweiter Teil. Gesammelte Reden. Bearbeitet von Rosemary Scholl. Berlin/New York 1976, S. 487. Zitiert nach Meier: Bewunderung, S. 101.
244
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 ist die Verschränkung von bürgerlichem Leistungsbegriff und dessen Projektion auf die heroische Identität, wenn Rüdiger sagt: »Hätt’ ich mir deine Hand errungen, / Und wärst du meines Kampfes Lohn, / Ich teilte mit dir deinen Thron, / Den ich dem Schicksal abgezwungen; / Doch jetzt ist es mir mißgelungen, / Verwundet ich, mein Heer entflohn! – / Kann sich der Held nicht Ruhm erwerben, / So muß er – [...] sterben!« (255)
Wanda erkennt an dieser Stelle den essenziellen Unterschied zwischen ihrem Heldentum, in dem sich Liebe im Kampf ausdrückt, und Rüdigers Heldentum, in dem es um die Konstruktion männlicher Ehre geht, in der die Liebe als Eroberung nur ein Element darstellt. Rüdigers Stolz empfindet sie als ihrem Wesen fremd: »Fort, Fremdling! – Fliehe! –/ Nie warst du meinem Sein verwandt! –« (255) Sie fühlt sich Rüdiger im Leiden nicht mehr verwandt. Als er sie fragt: »Fühlst du den Schmerz, von dem ich glühe?!« (256), antwortet Wanda: »Nein, nie hast du mein Herz erkannt! – / Mein armes Herz, getäuscht vom Traum des Lebens, / Du bist erwacht, du schlugst vergebens.« (256) Erst als sich Wanda durch den von Libussa eingravierten Spruch in ihrem Krönungsring, an die Bindungskraft des Schwurs erinnert, sind sich beide Helden wieder in dem Wunsch einig zu sterben. Doch auch hier zeigt sich Rüdigers Besitzanspruch. Ihr Schwur bindet sie nur an ihr Volk, nicht an Rüdiger. Als sie erkennt, dass sie diesen Schwur nicht brechen darf, antwortet Rüdiger: »Was kümmert’s mich?!« (256) Erst als sie bereit ist, auch seinen Schwur zu erfüllen, sich Wanda zu erobern, indem sie mit ihm in den Tod geht, hat sich Rüdigers Heldenmission erfüllt: »(mit neu wiederkehrender Freude laut ausrufend) ›Die Götter walten! – / Du mein –?!‹« (258) Rüdiger erwartet von Wanda, dass sie ihn töte. Er verlangt damit von ihr eine erhabene Selbstüberwindung, die sie jedoch zunächst mit Verweis auf ihren Geschlechtscharakter ablehnt: »Ich dich?! – Das Weib?! – Du bist ein Mann, / Du kannst das GräßlichSchöne wagen; doch mein Herz – ach es will verzagen! / (jammernd flehend) Nimm du dich meiner Schwachheit an!« (258) An dieser Stelle retardiert die Handlung und Wandas Gefühle treten in den Mittelpunkt. An die Stelle des Fechtkampfes tritt ein Gefecht der Worte, in dem Rüdiger Wanda drängt, ihn zu töten, und Wanda ihr unfassliches Leid ausdrückt. In dramatischer Sprache formuliert die Heldin ihren Schmerz: »Wie es mir wühlt in dem zerfleischten Herzen! / O könnt’ ich doch, im Angstgeschrei der Schmerzen, / Zersprengen mich und dieses Herzens Not!« (259) Sie fleht die Götter um Hilfe an: »Will keiner mich dann, / Ihr Götter, erretten?!« (259) und bittet Libussa um »Ein Tröpfchen von Frieden«. (259) Sie umarmt Rüdiger, klammert sich an ihm fest und stößt ihm dann 245
Gewalt und Anmut zuletzt aus der Umarmung heraus »wütend um seine rechte Schulter herum das Schwert ins Herz.« (260) Auf diese Weise wird Wandas Handeln hier als pathetischerhabenes Heldentum im Sinne Schillers inszeniert. Die Zurschaustellung des inneren Leidens lässt die Entscheidung für die Tat noch erhabener erscheinen. Als »höchst erhaben« (260) wird sie denn auch in dieser Szene beschrieben.116 Im Gegensatz zu Rüdiger, der ein erhaben männliches Heldentum für sich in Anspruch nimmt, aber letztlich für seine eigene Ehrsucht kämpft, opfert Wanda hier in höchster Selbstüberwindung das Leben des Geliebten und erfüllt so die Bedingungen des pathetisch-erhabenen Heldentums.
6) »VON WILDER BACCHANTISCHER WUT ERGRIFFEN« – WANDAS SELBSTOPFER Der Schluss des Stückes scheint auf den ersten Blick als Apotheose gestaltet zu sein117, als Erfüllung und Bestätigung der auf Vereinigung im Tod zielenden göttlichen Weisung, die dem Stück zugrunde 116 Mit der Kampf- und Tötungsszene bleibt Werners Wanda, trotz des Skandalons der Tötung des Geliebten, in der Matrix einer legitimen, ästhetisch und moralisch anerkannten Gewalt – erst, indem sie im Fechtkampf gegen den Geliebten antritt, dann, indem sie ihm in der Manier der römischen Feldherren hilft, sich ins Schwert zu stürzen. Hierin besteht der wesentliche Unterschied zu Kleists Penthesilea, deren Schluss erstaunlich ähnlich strukturiert ist, obwohl davon auszugehen ist, dass sich die Autoren nicht gegenseitig beeinflusst haben. Hier widerspreche ich Yixu Lüs These, Werners Wanda sei deshalb erfolgreicher als die Penthesilea gewesen, weil es den Mythos der Unvereinbarkeit von Weiblichkeit und Herrschaft aufrechterhalte und damit die Erwartungen des Publikums bediene. Diese Abgrenzung von Wanda und Penthesilea sehe ich nicht. Beide Dramen spielen Weiblichkeit und Herrschaft gegeneinander aus. Auch Kleists Drama setzt genau die klassische Befürchtung in Szene, dass Politik durch die Frau emotionalisiert und damit in ihrer ordnenden Funktion gefährdet werde. Beide Figuren können ihren Pflichten als Herrscherinnen und Kriegerinnen von dem Moment an nicht mehr nachkommen, in dem öffentliche Ziele und emotionale (weibliche) Wünsche divergieren. Letztlich entschied die Frage, welche Art der Ästhetisierung von Gewalt in eine bürgerliche Ästhetik integrierbar ist und welche nicht, über die unterschiedliche Rezeption der Dramen. Während Wanda eine ästhetisch und ethisch legitime Gewalt in Szene setzt, sprengt Penthesilea mit ihrem kannibalischen Akt alle Regeln der klassischen Ästhetik und löste damit die ablehnenden Reaktionen des Publikums aus. 117 Kozielek deutet Wanda wie alle anderen Dramen Werners als »Erlösungsdrama«, betont aber, dass in Wanda katholische Mythen durch heidnische ersetzt werden. Kozielek: Werk, S. 243.
246
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 liegt. Wanda opfert sich selbst und inszeniert ihre Opferung als Brautfest, in dem sie sich mit dem Geliebten vereint. Betrachtet man den fünften Akt des Dramas jedoch genauer, fällt auf, dass Wanda hier noch einmal eine erstaunliche Wandlung durchmacht, die dem eschatologischen Schluss widerspricht. Nach der Tötung Rüdigers wird Wanda als Furie, als Hysterikerin inszeniert, deren Seelen- und Körperbewegung zwischen Zuständen krampfiger Starre und heftiger, unkontrollierter Bewegung wechseln. Die Königin opfert sich also nicht in einem Zustand völliger Verklärung und Einheit mit ihrer göttlichen Sendung. Unmittelbar nach der Tötung Rüdigers ist Wanda wie versteinert: »Bei der Leiche, die auf dem Haupte keinen Helm, sondern einen Myrthenkranz hat, kniet Wanda, ohne die Miene zu verändern oder etwas von dem, was um sie vorgeht, zu sehn noch zu hören, wie eine durch den Schmerz versteinerte Statue nach der Leiche hinstarrend.« (261) Immer wieder wird der betäubte Zustand betont, in dem sich Wanda befindet. Als sie zu sprechen beginnt, kontrastiert sie den erlittenen Schmerz mit der somnambulischen Betäubung, die sie ergriffen hat. »Wild Gelüst, das Herz geht unter! – / Doch die Lust ergreift’s und – lacht – / Und das Herze rast, bis blutig / Es sich selbst zerfleischet hat! –« (263), heißt es zunächst. »Dann wird plötzlich still das Wüten – / (mit schnell wieder erwachender beklemmender Angst) Herz was liegst du so erstarrt –?!« (263 f.) An dieser Stelle beginnen bereits hysterische Bewegungsabläufe: »(indem sie plötzlich mit der Hand nach dem Herzen, als ob es ihr eben bräche, krampfig, doch wie mechanisch hinzuckt, mit körperlichem konvulsivischem Schmerze, sehr rasch) ›Herz, du mußt dich hü - ten –!‹« Die letzte Silbe, heißt es, »erstirbt ihr auf den Lippen, und so bleibt Wanda in ihrer angespannten Stellung, wie versteinert vor sich hinstarrend, stehen; doch schon während Ludmillens folgender Rede, mit krampfhaft organischen Versuchen sich davon loszumachen.« Dann schließlich gelingt es ihr, »die krampfige Schmerzerstarrung zu überwältigen«. Die Wörter »krampfig«, »zucken«, »konvulsivisch«, aber auch »starr«, »versteinert« spielen auf die Hysterie an, die sich in eben diesem Wechsel von Körperstarre und Konvulsionen äußert.118 Die Körpersprache kontrastiert mit dem anmutig schwebenden Bewegungsablauf in Balderons erster Beschreibung der Königin, aber auch mit den wütenden, wiewohl koordinierten Bewegungen des Fechtkampfes. Als nun ein Zustand der Ruhe und Klarheit eintritt, wird dieser als Lebensferne gekennzeichnet, die Wanda in Vorbereitung auf ih-
118 Vgl. Kapitel C VII 4, S. 171.
247
Gewalt und Anmut ren Tod bereits erreicht hat: Als sie die Anweisungen für das Opferfest gibt, spricht sie »nicht etwa in einem aus dem Übermaß des Schmerzes entstandenen Wahnsinn, sondern mit wirklicher, größter, sich völlig bewußter und durch den Zustand ihres bereits abgefertigten Herzens notwendig herbeigeführter Gleichgültigkeit.« (265) Die innere Versöhnung, die Wanda erlebt, ist schon die des nahenden Todes und der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben. Deshalb kann sie auf Ludmillas naive Frage: »Ärmste, ist es heil, dein wundes Herz?« »ganz unbefangen und mit leichtem Kopfnicken« antworten: »Heil!« (264) Es ist ein Zustand innerer Versöhnung, der Schillers Humanismus konterkariert, ging es diesem doch mit der Versöhnung von Vernunft und Sinnlichkeit um ein besseres Zusammenleben der Menschen, um deren ästhetische Erziehung und um die Etablierung eines ästhetischen Staates. Während der Opferzeremonie, in der sich Wanda ohne das Wissen der anderen auf ihren eigenen Tod vorbereitet, erscheint sie als »immer heiterer, freudig erhabener, fast verklärt«. (272) Sie trägt Brautkleid und Brautkranz und inszeniert so ihr Selbstopfer als Trauungszeremonie. Nachdem sie ihr Volk gebeten hat, über ihre Zeit als Herrscherin zu urteilen, und dieses ihr Lob gezollt und sie gar zur »Göttin Wanda« (271) stilisiert hat, steigt sie die Stufen zu dem Felsen hinauf, auf dem die Opferfeierlichkeiten stattfinden. Nun geschieht etwas Interessantes: Die Heldin Wanda, die sich bereits durch weltferne Klarheit und Erhabenheit ausgezeichnet hatte, wandelt sich noch einmal. Ihre Ruhe schlägt in einen furiosen Rausch um, den der Text über die Wortwahl mit der Bacchanten- und Furienmythologie in Zusammenhang bringt: Als Wanda die oberste Stufe des Felsens erreicht hat, springt sie »rasch, wie plötzlich von wilder bacchantischer Wut ergriffen, mit gen Himmel lodernden Augen und weit ausgebreitet emporgestreckten Armen durch die Opferflammen und, von denselben beleuchtet, auf den bekränzten Felsensitz des Krakus, dann sehr laut, stark und rasch, fast freudig aufschreiend wie eine götterbegeisterte Pythia: ›Ich bin am Ziel – Verlischt, ihr dunkeln Flammen!‹« (272 f.) Die lodernden Augen verweisen auf den Blick der Medusa; die zum Himmel gestreckten Arme sowie der Tanz in den Opferflammen erinnern an eine heidnische Walpurgisnacht. Indem sie den Myrthenkranz vom Kopf reißt und zerreißt (273), macht Wanda deutlich, dass sie sich nicht in den Liebestod als Hochzeitsritual fügt. Auch den königlichen Purpurmantel reißt sie sich vom Leib, als Zeichen, dass nun alle Verbindungen ans Irdische, sowohl ihr Schwur gegenüber dem Volk als auch gegenüber Rüdiger, nichtig sind. Symbolisch behauptet Wanda ihre Individualität und entscheidet sich gegen beide Verantwortungen. Diese Rückbesinnung auf ihr Selbst
248
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 kann sich jedoch nur noch als bacchantische Wut, als hysterischer Furientanz ausdrücken. Wanda wird sich vor ihrem Tod nicht mehr in eine anmutige, auch nicht in eine erhabene Heldin zurückverwandeln. Ihr Freitod entwickelt sich unmittelbar aus dem Furientanz heraus: Im »aufgelösten Gewande« (273) springt Wanda »durch die Opferflammen, vom Felsen herab mit wildflatterndem Haar und mit ausgespreizten, erhobenen Armen, in die von den Funken der Morgensonne vergoldeten Fluten der Weichsel, in welchen sie verschwindet.« (273) Ihre Selbstopferung wird nicht wie der Heldentod Johannas als Zustand äußerster Versöhnung gekennzeichnet, sondern als wütende Hingabe an ein übermächtiges Schicksal. »[...] ich bin der Götter Raub!« (273), ruft Wanda, bevor sie in den Tod springt. Die ursprüngliche kriegerische Grazie Wandas, die erhabene Selbstbeherrschung, die sie erreicht, schlägt zuletzt in den Rausch der Furie um. Anders als in der Penthesilea ereignet sich in diesem Rausch nicht die Tötung des Geliebten, welche in Werners Drama als erhaben-heroisch gekennzeichnet ist, sondern die Opferung des eigenen Lebens. Ihr Furientanz wird im Kontext der archaischen Religion, die ihr in Werners Stück zugeordnet ist, als religiöses Ritual verortet und verliert hierdurch die Schreckenswirkung wie auch die subversive Kraft, welche die Furie Penthesilea für die bürgerliche Ästhetik darstellte. Wandas rauschhaftes Verhalten wird von Priestern und Volk als religiöse Inbrunst gedeutet und respektiert. Die Lilie, die nach ihrem Sprung in die Weichsel aufsteigt, dient als metaphysische Bestätigung der religiösen Interpretation. »Die Götter sind noch da!« (274), ist der letzte Satz des Dramas. Dennoch sperrt sich der Text aufgrund der vielfachen Wandlungen Wandas einer eindeutigen Lesart im Sinne der wernerschen Liebestheorie. Wanda entwickelt sich von einer graziösen Kämpferin in den Berichten Rüdigers, Balderons und der Jungfrauen über eine würdevolle und machtbewusste Herrscherin während des Siegesfestes hin zu einer erhaben ihrem Leiden standhaltenden Heldin, zuletzt aber in eine Bacchantin. Durch diese Schlusswendung wird die Heroisierung des Liebestodes zurückgenommen, die zuvor durch die Figurenrede Libussas und Wandas als Deutungsfolie ausgewiesen worden war. Der Zorn der Furie deutet an, dass Wanda nicht mit voller Überzeugung der romantischen Todesmystik hingegeben ist. Indem sie ausruft: »Ich bin der Götter Raub« (273), klagt sie in aufklärerischer Manier eben diejenige religiöse Instanz an, der sie ihren Geliebten und nun sich selbst zum Opfer dargebracht hat. Wohl entgegen der Autorintention erscheint der Schluss des Dramas auf diese Weise als Heroismus- und Religionskritik: Wandas religiös gerechtfertigtes Heldentum, in dem sie sowohl den Geliebten als auch sich selbst opfert, erscheint als menschenfeindlich.
249
Gewalt und Anmut
7) FAZIT Es hat sich gezeigt, dass auch Werner in seinem Drama die Subjektivitätskonzepte »Anmut« und »Erhabenheit« sowie, als Kehrseite der »Anmut«, die weibliche »Hysterie« aufgreift. Die Motivik der graziösen Tänze, die Liebeskämpfe der Helden, die Leidensheroik sowie die Inszenierung bacchantischer und hysterischer Bewegungsabläufe als Kehrseite des Anmutig-Heroischen bilden die intertextuellen Bezüge zur Penthesilea und zur Jungfrau von Orleans und, wie noch zu zeigen sein wird, auch zu Fouqués Das Heldenmädchen aus der Vendée.119 Werner versucht diese Elemente genderspezifischer Helden-
119 Ich beschränke mich bei der Textauswahl auf die Kriegerinnendarstellungen der Gattungen Drama und Roman, in denen die Kämpfe der Heldinnen entweder auf der Bühne oder erzählend in Szene gesetzt werden. Dennoch soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich auch im lyrischen Werk Karoline von Günderrodes die Konzeption eines anmutigen weiblichen Heldentums nachweisen lässt. Irmela Marei Krüger-Fürhoff zeigt, dass Günderrode in Briefen und Lyrik das Konzept eines Heroismus entwickelt, in dem sich die Geschlechterdifferenz aufhebt. So heißt es etwa in einer Passage über Brutus: »Unter neuern Kunstwerken will ich nur an den herrlichen, sanften stürmischen, weiblich männlichen Brutus erinnern. […] In der großen Poesie stehn die Töchter großer Helden die heroischen Frauen Elektre, Antighone, Dejanira in dieselbe Ordnung in ihnen liegt eine Mischung von Männlicher Kraft u Weiblicher Grazie u so sind sie der Gipfel der Kunst u die Bewunderung der Welt; sie wissen zart zu leben wie Frauen u kühn zu sterben wie Männer.« Zitiert nach KrügerFürhoff, Irmela Marei: Der versehrte Körper. Revisionen des klassizistischen Schönheitsideals. Göttingen 2001, S. 190. Hier ist wiederum das Prinzip des Weiblichen die Grazie, das des Mannes das Erhabene, welches sich im Selbstopfer, im »kühnen Sterben« manifestiert. In Günderrodes Gedicht Darthula nach Ossian zeichnet sich auf mehreren Ebenen die Inszenierung einer anmutigen Kriegerin ab. Wie in den hier zu analysierenden Texten werden in dem Gedicht feminin codierte Körpereigenschaften wie Schönheit, Lieblichkeit und ätherische Zartheit betont. So heißt es etwa: »lieblich ist sie, wie der Geist der Lüfte / Eingehüllt in leichte Nebeldüfte; / Schön vor allen Collas Tochter war.« Günderrode, Karoline von: »Darthula nach Ossian.« In: Karoline von Günderrode. Sämtliche Werke und ausgewählte Studien. Hrsg. von Walter Morgenthaler unter Mitarbeit von Karin Obermeier und Marianne Graf, Bd. 1, Texte. Basel/Frankfurt a. M. 1990, S. 11, Vs. 8-10. Man beachte vor allem die Ähnlichkeit der Figurenbeschreibungen in Günderrodes Gedicht und in Werners Wanda, wo es heißt: »Schön, wie ein Traumgewölk aus Licht gewoben […]. So lieblich wie ein holder Frühlingstraum.« Auch hier wird der Eindruck von Leichtigkeit durch die Assoziation mit der Luft, dem Luftigen hergestellt und zugleich die Lieblichkeit der Figur betont. Zu den feminin codierten Cha-
250
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 inszenierungen einzusetzen, um in seinem Drama exemplarisch seine mystische Liebestheorie durchzuspielen. In einem heroischen Akt sollen Mann und Frau, Zartheit und Kraft sich im gemeinsamen Tod vereinen. Doch im hysterischen Rausch rebelliert die Heldin zuletzt gegen die zugrunde liegende Lebensphilosophie. Sie stirbt nicht versöhnt, sondern aus Resignation gegenüber einem übermächtigen Schicksal.
IV. Das »Herbeste zu erdulden (schien) unaussprechlich reitzend« – Fouqués Das Heldenmädchen aus der Vendée 1) »HAT SO EIN WESEN DENN EINEN WILLEN?« – ELISABETHS UNBEWUSSTE INITIATION ZUR KRIEGERISCHEN HELDIN Caroline de la Motte Fouqués Das Heldenmädchen aus der Vendée ist ein historischer Roman120 über die Aufstände in der französischen Provinz Vendée, in denen sich von 1793 bis 1796 Bauern und Adelige gemeinsam gegen die Übergriffe der revolutionären Truppen der Jakobiner zur Wehr setzten, zuletzt aber von einer vielfach stärkeren Armee geschlagen und brutal niedergemetzelt wurden.121
rakteristika vgl. auch Krüger-Fürhoff: Körper, S. 193. Auch die Bewegungsschönheit der Kampfbewegungen klingt in Darthula nach Ossian an, wenn es heißt: »Am Morgen / schimmerte im Stahl der Schlachten ich«. Günderrode: Darthula, Vs. 81 f. Auf der Ebene der Charakterkonstruktion wird die Kriegerin Darthula wie die Kriegerinnen der hier analysierten Texte als Beispiel eines gefühlsbetonten Heroismus inszeniert. Sie greift erst in dem Moment in das kriegerische Geschehen ein, in dem ihr sittliche Emotion und rationale Einsicht gleichermaßen dieses Handeln gebieten. Zunächst nimmt sie den Krieg aus feminin codierter, privater Sphäre wahr, als um Vater, Geliebten und Bruder fürchtende und trauernde Frau. Erst als nach ihrem Geliebten auch der Bruder in der Schlacht gefallen ist und sie die Verzweiflung ihres Vaters fühlt, zugleich aber auch rational begreift, dass mit dem Bruder der letzte Soldat gefallen ist, der die Schlacht hätte gewinnen können, entschließt sie sich, selbst in das Kriegsgeschehen einzugreifen. 120 Zur Form des historischen Romans im Werk Fouqués siehe: Vollmer, Hartmut: »›Die Wahrheit bleibt das Höchste‹. Die Historischen Romane Caroline de la Motte Fouqués.« In: Eke, Norbert Otto und Hartmut Steinecke (Hrsg.): Geschichten aus (der) Geschichte. Zum Stand des historischen Erzählens im Deutschland der frühen Restaurationszeit. München 1994, S. 109-142. 121 Zum Krieg in der Vendée siehe Secher, Reynald: Le génocide franco-français: La Vendée-Vengé. Paris 1989.
251
Gewalt und Anmut Die Autorin verwebt in ihrem Text historische Fakten mit fiktionaler Handlung. So treten sowohl Helden der Vendéer als auch aufseiten der Revolutionäre, etwa Robespierre und St. Just, als historische Figuren auf. Auch wenn sich nachweislich Frauen an der Vendéeschlacht beteiligten, ist Elisabeth, die Protagonistin des Romans, jedoch eine fiktionale Figur, die, wie die Kriegerinnen der zuvor analysierten Dramen, als anmutige Heldin inszeniert wird. Elisabeth wird ganz im Stil des frühen 19. Jahrhunderts als empfindsame und tugendhafte Romanheldin vorgestellt. Sie ist die arme Verwandte der Robillards, in deren Haus sie nach dem Tod ihrer Eltern untergekommen ist. Ihr Verhalten ist von Sanftmut, Bescheidenheit und Zurückhaltung geprägt. Die erste Szene des Romans zeigt sie als blasse Schönheit, die, empfindsam ihren Tagträumen nachhängend, am Fenster sitzt: »Ihre Hände lagen gefalten im Schooße, die feuchten Augen begleiten den Zug der Wolken.« (I 14)122 Sie wird als schön, aber passiv und ausdrucksarm beschrieben: Als sie einen Reiter auf das Schloss zustürmen sieht, den sie zunächst für einen Feind hält, ist das »schöne bleiche Gesicht [...] vollends zu Marmor erstarrt [...]«. (I 14) Wie Kleists Penthesilea belebt sich die weibliche Hauptfigur durch das Auftreten des männlichen Konterparts. Als Elisabeth den Prinzen Talmont erblickt, ist sie aus ihrer Trauer und Lethargie gerissen und zu Leben erblüht. Die Beschreibung aus der Perspektive Talmonts zeigt sie im Sinne des Anmutsideals als Person, deren Gefühle sich unmittelbar in einer zarten Gestik und Mimik ausdrücken: »Überrascht lag sein Auge auf der schönen Elisabeth, welche aufs Höchste erschüttert, durch die neue unerwartete Lebensregung in ihrem Kreise, alle Schüchternheit vergessend mit hochglühenden Wangen und einem Blick, in dem eine ganz frisch entfaltete Seele lag, dicht vor ihm stand und wie eine Blume den Balsam der Begeisterung in sich sog. Kindlich aufhorchend hob sich das kleine runde Gesichtchen zu ihm in die Höhe. Lange, blonde Locken, nach damaliger Sitte von beiden Seiten gescheitelt, ringelten sich bis auf die Schultern nieder.« (I 19)
Wie Penthesilea wandelt sich die Heldin von einer unbelebten Statue zu einem von Seelenregungen durchdrungenen Körper: Die Wangen glühen, die »frisch entfaltete Seele« (I 19) liegt in ihrem Blick. Ihr Gesicht wird hier, anders als in der ersten Beschreibung, als reizend und gefällig geschildert: Das Gesicht ist klein und rund, die
122 Die in runden Klammern nachgestellten Ziffern in diesem Abschnitt bezeichnen Bandangabe und Seitenzahlen aus: Fouqué: Heldenmädchen. I. und II.
252
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Wangen gerötet. Auch die gelockten blonden Haare verweisen auf den Graziendiskurs.123 Die Begegnung mit dem Prinzen Talmont, zu dem Elisabeth unmittelbar in Liebe entflammt, ist zugleich der erste Schritt in einer langen Initiation zur kriegerischen Heldin, die im Sinne der Anmutskonzeption immer wieder als intuitiv und unbewusst ausgewiesen wird. So verschränkt sich ihr Liebeswunsch schon in der ersten Begegnung mit dem Wunsch, gemeinsam mit dem Prinzen in den Krieg gegen die französischen Revolutionäre zu ziehen.124 Als Talmont berichtet, auch Frauen hätten sich den Kämpfern der Vendée angeschlossen, geht »in höchster Überraschung ein Ach! über Elisabeths Lippen. Der erste Laut, den der Prinz von ihr hört[e].« (I 20) Sofort wird die intuitive Qualität dieser Reaktion betont: »[...] die eigene Stimme schien das zarte Kind zu erschrecken, beschämt wandte sie sich um und verließ das Zimmer.« (I 20) Das zweite Schlüsselereignis für Elisabeths Wandlung zur Heldin ist die Behauptung des Herzogs, dass Frauen gerne in Friedenszeiten und in materieller Absicherung von Abenteuern träumen, aber der Härte der kriegerischen Realität nicht gewachsen seien. »Zeiten wie diese passen nicht für sie. Sie träumen viel davon, aber die Wirk123 Vgl. Kapitel D II 1 Anmerkung 58. 124 Fouqué war eine überzeugte Royalistin und Kritikerin der Französischen Revolution sowie eine glühende Befürworterin der deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon. Dementsprechend kämpfen auch die Hauptfiguren des Romans, Talmont und Elisabeth, aufseiten der Konterrevolution. Allerdings war das Denken Fouqués auch von bürgerlich-libertären Wertvorstellungen geprägt. In Das Heldenmädchen aus der Vendée mischen sich dementsprechend, wie schon in Schillers Jungfrau von Orleans, feudalistische und bürgerliche Weltanschauung. So verkörpern gerade die royalistischen Helden bürgerliche Ideale wie Natürlichkeit, romantische Liebe und weibliche Unschuld. Mit der Marquise von Robillard, die als negatives Gegenbild zur Heldin firmiert, werden auf der anderen Seite Koketterie und weibliches Modebewusstsein – aus bürgerlicher Sicht typische Eigenschaften des Adels – diffamiert. Die negative Darstellung des Modebewusstseins ist umso erstaunlicher, als Fouqué zeit ihres Lebens ein großes Interesse für Mode hegte und heute noch vor allem für ihre Artikel zur Geschichte der Moden bekannt ist, die sie in der Zeitschrift Journal des Luxus und der Moden veröffentlichte. Siehe hierzu: Bertschik, Julia: »Geschichte(n) der Moden. Zur Bedeutung der Kleidung bei Caroline de la Motte Fouqué.« In: Schmidt, Helmut und Tilmann Spreckelsen (Hrsg.): Friedrich und Caroline de la Motte Fouqué. Wissenschaftliches Colloquium zum 220. Geburtstag des Dichters am 15. Februar 1997 an der FH Brandenburg. Brandenburg 1998, S. 85 f. Zur Verschränkung liberaler Ideen und royalistischer Überzeugung sowie den daraus resultierenden Widersprüchen im Denken der Autorin siehe auch: Vollmer: Wahrheit, S. 116 f.
253
Gewalt und Anmut lichkeit hat ein allzustrenges Gesicht, sie erschrecken davor.« (I 28) Dieser misogyne Spott führt Elisabeth einen Schritt weiter zu der Entscheidung, als Frau am Krieg teilzunehmen. Wieder wird das mangelnde Bewusstsein, die intuitiv-affektive Qualität des Entscheidungsprozesses betont: »In diesem Augenblick schoß ein Gedanke in ihrer Seele auf, der bis dahin ganz verborgen keimte. Auch jetzt war sie sich seiner nur halb bewußt.« (I 28) Schließlich, nach einem kurzen Besuch des Prinzen, bei dem ihr deutlich geworden ist, dass ihr Geliebter sich durch den Verlauf des Krieges bald räumlich immer weiter von ihr entfernen wird, nimmt ihr Entschluss Kontur an. Wieder ist es zunächst eine unbewusste Dynamik, die sich zuletzt zu einem bewussten Entschluss verfestigt: Der Anblick des Pferdes, das ihr Onkel ihr geschenkt hat, löst einen Assoziationsprozess aus, der zuletzt in die Entscheidung mündet: »Elisabeth betrachtete das Pferd aufmerksam. Scharf und gespannt sahe sie dann lange Zeit vor sich hin. Jetzt sank sie vor das Cruzifix nieder, sie betete heiß und innig. Drauf stand sie ernst und ruhig auf. In ihrem Innern war ein Entschluß gereift, der unverstanden längst darinn auf und niederwogte.« (I 76 f.)
Als Elisabeth von dem mangelnden Kriegsglück der Royalisten und den Schwierigkeiten der Anführer hört, die Truppen zu motivieren und von Flucht und Desertion abzuhalten, kauft sie kurz entschlossen einem jungen Soldaten seine Uniform ab und bittet ihn, sie für sie im Wald zu verstecken. Es kommt nun zur endgültigen Verwandlung Elisabeths in eine kriegerische Heldin. Im Gebet bittet sie um die religiöse Legitimation ihrer Wünsche: »Gott! Mein Gott! Rief sie hier vor dem Jesusbilde knieend, vergieb, wenn des Herzens Unruhe mich voreilig auf unnatürlich fremde Wege treibt! Gehe nicht ins Gericht mit Deinem geängsteten Kinde! Läutere was in mir tobt, hemme oder beflügele meine Schritte, nur wende Dein Angesicht nicht von mir!« (I 86)
Noch einmal unterstreicht der Text, dass Elisabeths Entscheidung eine unbewusste ist: »Sie stand auf, ihr schwindelte doch etwas, einen Augenblick mußte sie sich besinnen, was sie denn eigentlich vorhabe?« (I 86) Das Gebet bietet die Grundlage der Versöhnung von sinnlichem Wollen und Sendung und damit für ein anmutiges Heldentum. Weil Elisabeth zunächst noch befürchtet, dass es nur der Wunsch, dem Prinzen nahe zu sein, nur persönliche Motive sein könnten, welche sie zu dem »unnatürlich[en]« (I 86) Handeln treiben, bittet sie um die göttliche Legitimation ihres Handelns. Diese soll sich durch innere Harmonie – »läutere, was in mir tobt« (I 86) – und durch äußere Leichtigkeit anzeigen: Gott soll, so er ihr Handeln legitimiert, ihre Schritte »beflügel[n]«. (I 86) Der Bezug zur Heroismuskonzeption der 254
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Jungfrau von Orleans, die dem Roman als Subtext zugrunde liegt125, wird hier deutlich: Elisabeth darf nur dann in den Krieg ziehen, wenn ihr Handeln nicht durch Reflexionen, sondern durch die intuitive Einsicht in die sittliche Legitimation des Krieges hervorgebracht wird. Nicht eine bewusste Reflexion über die Ziele ihres Handelns, sondern eine höhere Legitimation ist gefordert, die sich im anmutigen Agieren unmittelbar ausdrücken soll. Der Text stellt den Bezug zwischen Elisabeths intuitivem, nichtreflexiven Handeln und dem Anmutsdiskurs her. So bemerkt Elisabeths Tante, die Marquise von Robillard, nachdem sie das Verschwinden ihrer Nichte entdeckt hat: »Ist das Muth oder Feigheit, was sie von hier wegtrieb! Hat so ein Wesen denn einen Willen, oder geht es blind dem Instincte nach? Ich hatte sie lieb, sie ist so schön und so vornehm in Haltung und Wesen, wenn das alles unterginge!« (I 101 f.)
Was die Marquise hier beschreibt, ist die Verschränkung von intuitiver Sittlichkeit und Körpersprache, wie sie in der Anmutskonzeption um 1800 gedacht wird: Elisabeth sei sowohl körperlich, in ihrer Haltung, als auch innerlich, in ihrem Wesen, schön und vornehm. Diesen im Körper manifestierten Seelenadel kann sich die Marquise nicht gepaart mit einem freien Willen vorstellen – sie unterstellt Elisabeth daher einen sittlichen Instinkt bzw. eine instinktive Sittlichkeit. Der letzte Schritt der Verwandlung Elisabeths in eine kriegerische Heldin ist die Verkleidung. Sie bewaffnet sich mit Pistolen und geht nachts zu dem Ort im Wald, an dem ihre Uniform versteckt ist. Die Verkleidungsszene inszeniert den Bruch mit ihrer »weiblichen« Rolle als Moment des Verlustes von innerer Harmonie, als Selbstentfremdung: »Ein ganz anderes Wesen, sich selbst fremd geworden, trat Elisabeth aus der dunklen Baumesspalte in das unsichre Dämmerlicht. Sie wagte kaum einen Schritt zu gehen, bei jeder Bewegung schlugen die Reliquien an ihrer Weste klappernd aneinander.« (I 89)
Doch in dem Moment, in dem sie sich in Bewegung setzt und damit ihr kriegerisches Handeln beginnt, weicht die innere Spaltung einer
125 Zur Rezeption von Schillers Jungfrau von Orleans in Fouqués Text siehe: Baumgartner, Karin: »Möglichkeiten weiblicher Geschichtsschreibung? Einige Gedanken zu Caroline de la Motte Fouqués Das Heldenmädchen aus der Vendée (1816).« In: Bertschik, Julia und Katja Diegmann-Hornig (Hrsg.): Jahrbuch der Fouqué-Gesellschaft Berlin-Brandenburg 1999, S. 80 f.
255
Gewalt und Anmut Begeisterung und Leichtigkeit der Stimmung, die sich körperlich im Wechsel von unbeholfener zu geschickter Bewegung manifestiert. Hatte sie sich zuvor »schüchtern« (I 88) bewegt, mit »zitternden Fingern« (I 88) ihr Pferd angebunden, um sich zum Umkleiden in den Wald zurückzuziehen, ist ihr Bewegungsverhalten von nun an von Sicherheit und Geschwindigkeit geprägt: »[...] wie ein Vogel war sie auf dem Pferde, und flog ohne sich umzusehen, immer dem Schalle des Geschützes nach. Die rasche Bewegung, des Pferdes kühnes Wiehern und Schnauben, der kühle Abendwind, die frischen, duftenden Wiesen, alles hatte Elisabeths Seele gehoben, sie sprengte ganz leicht über den Rasen hin.« (I 89)
Der Wunsch nach »Beflügelung« ihrer Schritte hat sich erfüllt. Die Begriffe »Vogel« und »Fliegen« knüpfen an die Formulierung an, mit der sie ihren Wunsch nach Leichtigkeit des Handelns ausgedrückt hatte. Gemäß ihrem Gebet muss sie diese Leichtigkeit als Zeichen göttlicher Legitimation deuten. Zugleich speist sich die innere Harmonie, mit der Elisabeth in den Krieg ziehen kann, aus dem sinnlichen Wunsch nach einer Vereinigung mit dem Prinzen im gemeinsamen Heldentod: »Der Gedanke den Prinzen zu sehen, mit ihm in aller Gluth ihrer jungen, starken Liebe für die gemeinsame Ehre zu leben und zu sterben, strömte ihr entzückend durch alle Adern, sie dachte sich ihm im Gefecht wie sein guter Geist zur Seite [...].« (I 89)
Immer wieder interpretiert Elisabeth im Verlauf des Romans das gemeinsame Sterben in der Schlacht als Liebesvereinigung. Als der Prinz Elisabeth um ein Gespräch über den Tod ersucht, und sie davon ausgeht, dass er sie bitten wird, mit ihm gemeinsam den Tod in der Schlacht zu suchen, erwartet sie seine Worte wie einen Heiratsantrag: »Auf ihren Lippen lag schon längst ein rasches, freudiges Ja. Sie dachte, er deute auf gemeinsames Sterben, was sie seit lange schon als ihres Lebens Ziel betrachtet hatte.« (I 228) »Mit dir leben und sterben« (I 156), flüstert sie dem Geliebten kurz vor einer Schlacht zu. »Wer hat das Zusammenschmelzen der Ruhms- und Liebesglorie je geseh’n wie ich?« (II 106) wird sie rückblickend fragen, aber auch mit der Verschränkung von Liebe und Krieg hadern: »[...] warum mußte mir gerade des Herzens süßeste Regung, ein gewaltiger Ruf zu fremder ungekannter Wirksamkeit werden?« (II 41) Die Übereinstimmung von sinnlichen Wünschen und göttlicher Legitimation ihrer Mission ermöglicht die kriegerische Grazie der Heldin, die sich nun zu Beginn ihrer Mission in der beschwingten Stimmung und in der Leichtigkeit ihres Handelns zeigt. Weil der Hel256
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 dentod für sie zugleich die Erfüllung ihrer Liebe darstellt, erscheint ihr das Selbstopfer in ihrer Fantasie nicht als schmerzhaft, sondern als Glücksgefühl: »Die schwerste Prüfung schien ihr leicht; das Herbeste zu erdulden unaussprechlich reitzend! So trugen sie Liebe und Begeisterung über die ersten Schauer der einsamen Nachtwanderung hinweg.« (I 90)
2) »ROSENLICHTER DER BEGEISTERUNG« – ELISABETH ALS ANMUTIGE KRIEGERIN Die Grazie, die Elisabeth durch die entfachten Gefühle für Prinz Talmont gewonnen hat, prägt wie im Falle Johannas, Penthesileas und Wandas das kriegerische Verhalten der Heldin. Auch nachdem sie sich als Soldat verkleidet und als Ritter Georg ausgegeben hat, behält sie die anrührende Wirkung, welche der weiblichen Anmut zugeschrieben wird.126 So ist etwa der Prinz, als er sie das erste Mal in ihrer Verkleidung sieht und sie nicht erkennt, »von des Knaben Zartheit besänftigend angeweht« (I 98). Er nennt sie »Kind« (I 98) und verweist damit auf den zierlichen und zarten Habitus, den Elisabeth auch in ihrer »Männerrolle« behält. Die Männer legen ihr gegenüber ein Beschützerverhalten an den Tag, das im Geschlechterdiskurs des frühen 19. Jahrhunderts nur gegenüber Frauen entwickelt werden durfte, als Verhalten gegenüber einem Mann aber als homosexuell erscheinen und abgewertet werden musste. So ist der Revolutionär Rochefoucault, dem sie nach einer verlorenen Schlacht als Kriegsgefangene zufällt, durch ihren zarten Anblick so milde gestimmt, dass er kaum wagt, sie gefangen zu nehmen: »Lassen sie sich’s gefallen liebes Kind, bat er sie fast, mein Gefangener zu sein.« (I 166) Der royalistische Kriegsheld Marquis de Lescure sieht Elisabeth das erste Mal, als sie aus einer blutigen Schlacht zurückkehrt. Obwohl er ihre Geschlechteridentität nicht kennt und sie als männlichen Krieger wahrnehmen muss, erkennt auch er eine versöhnende Wirkung ihrer Erscheinung, als er ihr zuruft: »Ihre schöne Erscheinung möge uns noch lange tröstlich seyn!« (I 135) Die erste Schlachtbeschreibung charakterisiert Elisabeth in mehrfacher Hinsicht als anmutige Heldin: Elisabeth befindet sich in einem Zustand der inneren Versöhnung von Liebesbegehren und 126 Auch Elisabeth Krimmer weist darauf hin, dass Elisabeth trotz ihrer Verkleidung von den sie umgebenden Männern mit weiblichen Attributen wahrgenommen wird, was dazu führt, dass man stets auf ihre Kindlichkeit verweist, zum Teil sogar ihre Geschlechteridentität enttarnt. Vgl. Krimmer: Amazone, S. 59 f. Baumgartner betont, dass Elisabeth trotz ihrer Partizipation am Kriegsgeschehen immer »ein Beispiel weiblicher Tugend« bleibt. Baumgartner: Geschichtsschreibung, S. 83.
257
Gewalt und Anmut kriegerischer Aufgabe, ihr Kampfverhalten ist von Leichtigkeit und Sicherheit geprägt, und ihr Handeln wird als nichtreflexiv ausgewiesen. »Sich selber nicht bewußt, weder denkend noch wollend« (I 130), reißt die Heldin einem neben ihr reitenden Soldaten die weiße Fahne aus der Hand, stürmt in die Schlacht und feuert die kämpfenden Männer an: »Rettet die Ehre Frankreichs. Vertilgt die Gottes- und Königsleugner! Vorwärts Vendéeer!« (I 131) Der unbewusste Antrieb verleiht ihr Kraft und Sicherheit: »Ihre Hand zitterte nicht, sie konnte den Schaft, an welchem das Panier befestigt war, hoch in die Luft schwingen.« (I 131) Auch angesichts des martialischen Charakters ihres Auftretens verliert Elisabeth ihre engelhafte Aura nicht: Mit »klarer Engelsstimme« (I 131) ruft sie ihre Parolen und kurz nach der Schlacht verleiht ihr gerade die Kriegsbegeisterung einen anmutig femininen Reiz: »Das rothe Tuch war ihr seitwärts von der Stirn gegleitet, wallend flossen die blonden Locken über Schläfe und Wangen, Rosenlichter der Begeisterung spielten um das zarte Gesicht, und feucht von Freude und Wehmut, schwamm das liebe, dankerfüllte Auge.« (I 132)
Die Formulierung »Rosenlichter der Begeisterung« (I 132) versinnbildlicht die Verschränkung von Kampflust und weiblicher Grazie: »Rosen« stehen traditionell für weibliche Schönheit, »rosenfarbene Wangen« für das schamhafte Erröten einer anmutigen Frau. Hier ist es jedoch die Begeisterung für den Krieg, die Elisabeths Gesicht mit sanfter Röte belebt. Der Roman setzt nicht explizit Zweikämpfe der Heldin in Szene. Wie die historische Jeanne d’Arc reitet sie mit einer Fahne den Truppen voran. Es wird jedoch auch an keiner Stelle behauptet, dass die Heldin nicht zur Waffe greift. Vielmehr berichtet Elisabeth rückblickend, sie habe in mehr als fünfzehn Schlachten der Vendéer »gefochten« (II 195). In jedem Fall ist Elisabeths Verhalten von starker Aggressivität geprägt, was sich an ihren martialischen Ausrufen und ihrer Bereitschaft ablesen lässt, sich mitten ins Schlachtgetümmel zu stürzen. Auch in dieser Aggressivität erscheint Elisabeth jedoch nicht als Furie, sondern als Grazie. Die Teilnahme am Kampf befördert sogar ihre anmutige Ausstrahlung. In einem Gespräch, das Elisabeth und der Herzog nach der Schlacht führen, wird Elisabeths Heldentum noch einmal als anmutig ausgewiesen und vom erhabenen Heroismus des Leidens abgegrenzt. So interpretiert auch Elisabeth ihr Verhalten in der Schlacht rückblickend als unbewusstes Handeln. Auf die Frage des Herzogs, ob sie nicht zunächst, ihrem Geschlecht entsprechend, Todesfurcht empfunden habe, gesteht sie ein:
258
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 »Gott weiß es [...] wie es kam, daß ich zuerst weder denken noch sehen konnte, was um mich und in mir geschahe; das Herz war mir ganz starr in der Brust, und wie in tiefster Nacht, warf ich mich den Andern nach.« (I 137)
Ihrem Bericht zufolge wandelt sich ihr Verhalten, wie schon in der ersten Begegnung mit Talmont, vom erschrockenen Innehalten zur Aktion. Während sie zunächst angesichts der schweren Kämpfe und der Lebensbedrohung vor Schreck erstarrt ist, stürmt sie plötzlich wie entfesselt in die Schlacht, als sie bemerkt, dass der Prinz in Lebensgefahr schwebt: »[...] da sprengte ein Etwas, das ich nicht zu nennen weiß, die Bande, die mir das Herz gefesselt hielten, es schlug gewaltig, Thränen stürzten mir aus den Augen, ich entriß meinem zögernden Nebenmann die Fahne, die Worte kamen mir von selbst, denn er - - - sie hielt erschrocken inne.« (I 138)
Der Tod erscheint nun nicht mehr als lebensbedrohlich, sondern verheißt die ersehnte Vereinigung mit dem Geliebten im Heldentod. Sich ihrem eigenen Tod in der Unterdrückung ihres Selbsterhaltungstriebes zu stellen, gelingt Elisabeth nicht. Erst als auch ihre sinnliche Natur sich den Tod wünscht, als sich ihr Liebesbegehren als Sehnsucht nach dem Liebestod äußert, kann ihr heroisches Handeln beginnen. Die Einheit von Mission und Liebeswunsch, die für Elisabeth noch schamhaft besetzt zu sein scheint – die sie nur zögernd gegenüber dem Herzog preisgibt –, wird von diesem theologisch gerechtfertigt: »[...] was zaudern sie, es zu sagen, liebes Kind? Die Liebe verklärt uns erst den Muth, Gott zündet durch sie den dunkeln Trieb zur reinen Flamme an.« (I 138) Nicht als egoistischer Liebeswunsch, sondern als Antrieb zu gottgewollten heroischen Taten kann sich Liebe als Heroismus und umgekehrt Heroismus als Liebe äußern.
3) »SANFTER FRIEDENSHAUCH« UND »FLAMMENDE BEGEISTERUNG« – ELISABETHS FUNKTION IM KONTEXT DES PARTISANENKRIEGS Die kriegerische Anmut steht wie in der Jungfrau von Orleans auch in Fouqués Roman im Dienst eines Partisanenkrieges. Nicht nur gilt die Schlacht in der Vendée im zeitgenössischen Diskurs als Paradebeispiel der Volksmobilisierung127, sie wird auch im Text in aller 127 Der Aufstand der Vendéer galt als klassisches Beispiel für die Strategie des Partisanenkriegs. So schrieb etwa Freiherr von Stein in einer Denkschrift vom 14. August 1808: »Was Volksbewaffnung in Verbindung mit stehenden Truppen vermag, wenn beyde, Nation und Soldat, von einem gemeinschaftlichen Geiste beseelt sind, sieht man in S p a n i e n, sah
259
Gewalt und Anmut Deutlichkeit als solche ausgewiesen und gelobt. So preist der Prinz im ersten Gespräch mit seiner Familie die kriegerischen Fähigkeiten der bewaffneten Landbevölkerung: »Die schlagen anders zu, als Ihr General Wimpfen und die zaudernden Engländer [...]. Wie mit Wunderkraft begabt ziehen die Führer unter Kugelregen, zwischen tausend blinkenden Schwerdtern unversehrt in die feindlich besetzten Gebiete, und der rohe Haufe folgt ihnen wie eine leitsame Heerde überall nach.« (I 18)
Als die Marquise erklärt, diese Art der Kriegsführung sei der gesellschaftlichen Stellung des Prinzen nicht angemessen, antwortet dieser: »Alle königlich Gesinnte [...] sind Ehrenritter, sie bilden ein Korps, führen gleiche Waffen und haben einen Zweck. Gleichviel ob Hirt, ob Soldat. [...] die edelste Begeisterung finde hier ihren Platz, selbst die Seelen der Frauen entzünden sich an diesem allgemeinen Heerde, und Mehrere haben es nicht verschmähet, sich den Reihen anzuschließen.« (I 18-20)
Die typischen Argumente für den Partisanenkrieg sind in der Aussage des Prinzen enthalten: die volle emotionale Identifikation des Volkes mit dem Krieg und die ungebändigte Brutalität der unzivilisierten Massen als psychologisch-strategischer Vorteil sowie die Idee einer Aufhebung von Standes- und Geschlechterhierarchien.128 Das Handlungsfeld des Volkskrieges erfordere eine besondere Form der Führungspersönlichkeit. Denn das Volk, so suggeriert der Text, sei in seiner unkontrollierten naturhaften Emotionalität wankelmütig und beliebig steuerbar. So kommt es im Verlauf des Romans immer wieder zu Schlachten, in denen das Volk in voller Identifikation mit der Sache mit Inbrunst kämpft und sich selbst in aussichtslose Situationen stürzt, genauso oft aber zu Situationen, in denen es unaufhaltsam die Flucht ergreift oder aber einfach das Interesse am Kampf verliert. So erklärt etwa der Herzog: »Unser Volk ist wie ein hitziger Jüngling, der alles mit dem Schwerdte in der Hand auszumachen meint, und dieses gleichwohl nachlässig in den Winkel wirft, wenn ihm die Gefahr nicht gerade dicht auf den Leib rückt.« (I 136) Der Anführer muss so viel emotionale Identifikation mit seiner kriegerischen Mission aufweisen, dass er das Volk mitzureißen vermag, muss aber auch so viel Vernunft und Selbstkontrolle mitbrin-
man in der Vendée und Tyrol.« Freiherr von Stein: »Denkschrift vom 14. August 1808«. Zitiert nach Kittler: Partisanen, S. 221. 128 Vgl. Kittler: Partisanen, S. 222 ff.
260
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 gen, dass er Situationen strategisch einschätzen und kontrollieren kann. Prinz Talmont erfüllt die Anforderungen an ein leidenschaftliches und charismatisches Kriegertum. In schwülstiger Kriegsromantik wird er als charismatische Führungspersönlichkeit, als leidenschaftlicher und zugleich schöner und edler Krieger in Szene gesetzt. Schon die erste Szene des Romans, in welcher er Elisabeth begegnet, charakterisiert ihn als wild, leidenschaftlich und impulsiv: »Wie aus dunklem Nachtgewölk, trat der hohe, schöne Mann plötzlich zwischen die Staunenden. Etwas wild, das Haar vom Winde aufgelöst, stand er einen Augenblick Athem schöpfend, auf einem breiten englischen Säbel gestützt. Sein stolzer Flammenblick weissagte Kampf auf Leben und Tod; und als er mit der tiefen, dumpfrollenden Stimme sagte: ich komme, wie auf Windesflügeln! Glaubte man, das Rauschen des heranstürmenden Kriegsengels zu hören.« (I 15 f.)
Talmont wird durch Bilder eines Unwetters charakterisiert: Das ihn umgebende »Nachtgewölk« (I 15), der »Flammenblick« (I 15), der wie ein Blitz die Dunkelheit durchbricht, und die Wiederholung des Wortes »Wind« geben dem Helden den Anschein einer Naturgewalt. Wörter wie »wild« und »aufgelöst« (I 15) suggerieren Entgrenzung und Übermacht von Leidenschaften. Der »Flammenblick« (I 15) und die »dumpfrollende« (I 15) Stimme lassen an Wut und Brutalität denken. So heißt es auch, der Blick verheiße einen »Kampf auf Leben und Tod« (I 15). Die ungezügelte Brutalität, durch die in der Konzeption des Partisanenkrieges eine technisch und zahlenmäßig unterlegene Truppe siegen soll, ist hier in der Persönlichkeit des Prinzen angelegt.129 Sein Verhalten in der Schlacht wird als wild und leidenschaftlich und zugleich als gebieterisch geschildert:
129 Hier widerspreche ich Krimmers These, dass der Prinz militärisch versage, weil er keine emotionale Beziehung zum Volk herstellen könne. Während der Herzog als »leutselig und volksnah« gezeichnet werde, sei Talmont »vom Volk entfremdet«. Krimmer: Amazone, S. 58. Diese Entfremdung vom Volk sehe ich nicht. Vielmehr wird das Verhalten des Prinzen immer wieder über Sprache und Bildlichkeit mit dem Verhalten des Volkes gleichgesetzt: Beide, Volk und Anführer, erscheinen als wütend und kraftvoll, aber ungezügelt und unvernünftig. Der Herzog bezeichnet das Volk sogar an einer Stelle als »hitzige[n] Jüngling«, während er sonst den Prinzen in dieser Weise charakterisiert. Auch gelingt es dem Prinzen durchaus, die Truppen durch seine Leidenschaft mitzureißen. Jedoch führt der Überschwang an Leidenschaft dazu, dass Talmont keine verantwortungsvolle Führungsrolle einnimmt, sondern seine Truppen immer wieder in strategisch fatale Situationen manövriert, was dann zu Flucht und Desertion führt.
261
Gewalt und Anmut »Seine Wangen glühen wie Purpur, der schöne normannische Rappe unter ihm steigt kerzengrade in die Höhe [...]; noch einmal wendet der Prinz den schlanken, königlichen Hals, mehr als seine Worte rufen die gebietenden Blicke, er hebt den Arm, winkt seine Schwadronen, und stürmt mit vorgebeugtem Oberleibe in den Feind.« (I 130)
Seine Leidenschaft vermag die Truppen zu begeistern und mit sich zu reißen: »Magnetisch riß er alle hinter ihm drein.« (I 160) Doch die kriegerische Inbrunst des Prinzen gerät immer wieder außer Kontrolle und schlägt in unvernünftiges und fahrlässiges Verhalten um. Aus seiner impulsiven Natur heraus trifft er Fehlentscheidungen, die zu schlimmen Verlusten, zu strategischen Nachteilen und zur Flucht seiner Truppen führen. So heißt es etwa in einem Schreiben des Herzogs an die Marquise und Elisabeth: »Vielleicht, daß das stolze Blut des Prinzen ihn zu allzukühnem Flug verleitend den Feind überreizt und zur Ausdauer gezwungen hat.« (I 45) Elisabeth wird nun als korrigierende Instanz dem ungestümen männlichen Helden zur Seite gestellt.130 Wie Schillers Jungfrau von Orleans übernimmt sie die Funktion einer Anführerin, die durch ihre engelhafte Erscheinung das Volk zum Kampf motiviert, aber auch einen mäßigenden Einfluss auf die entfesselte Kampfeswut des Volkes und des Prinzen ausübt. Als Elisabeth, Talmont und der Herzog gemeinsam in die Schlacht ziehen, ist das Verhalten des Prinzen wieder von Ungeduld und Zorn geprägt: Seine »Adlerblicke« (I 126) fliegen »wie rächende Todespfeile nach Chantonnay herüber.« (I 126) Elisabeths mäßigende Funktion wird deutlich, wenn es heißt: »Das Wehen ihrer still gehobenen Seele traf von Zeit zu Zeit des Prinzen Brust. Er sahe von ihr zum Himmel, und beugte das allzuungestüme Herz in überlegenden Gedanken.« (I 127) Ähnlich heißt es an anderer Stelle: »Elisabeths sanfter Friedenshauch rührte zuerst an die verborgenen Saiten in des Prinzen Seele.« (I 150) Zum einen wird durch die Liebe zu Elisabeth der Zorn des Prinzen gemäßigt, zum anderen gewinnt er aber durch sie wiederum neue kriegerische Energie. Elisabeths anmutige Persönlichkeit löst, konsequent im Sinn der Grazienkonzeption des 18. Jahrhunderts, im Mann eine von erotischem Verlangen freie Liebe aus: »Wunsch
130 Hier wiederum stimme ich Krimmer zu, die in Elisabeths Heldentum ebenfalls eine korrigierende Funktion in Bezug auf den Prinzen sieht. Vgl. Krimmer: Amazone, S. 58. Allerdings besteht diese Funktion nicht darin, eine emotionale Beziehung zwischen Talmont und dem Volk herzustellen. Vielmehr soll Elisabeth durch ihre Grazie die Kriegswut des Prinzen besänftigen und in ihm so eine Balance zwischen Leidenschaften und Vernunft erzeugen, die ein erfolgreiches militärisches Handeln erst ermöglicht.
262
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 und Verlangen schienen ausser dem Kreise ihrer sanften Nähe zu liegen.« (I 151) Es ist als würde durch die anmutige Weiblichkeit Elisabeths die sexuelle Triebenergie des Prinzen sublimiert und als kriegerische Energie den Kämpfen ums Vaterland zur Verfügung gestellt. So heißt es weiter: »Doch wenn die Liebe unbewußt so die brausenden Wirbel zu ebnen verstand, so ward sie zugleich auch Quell flammender Begeisterung für zwei Wesen, die weder Ruhe noch Glück, ohne die Würde und Ehre des Vaterlandes kannten.« (I 151) Der wechselseitige Einfluss, den die Liebenden aufeinander nehmen – der Prinz, indem er Elisabeth Begeisterung für den Krieg vermittelt, Elisabeth, indem sie die ungestümen Stimmungen des Prinzen mäßigt –, wird ganz im Sinne des romantischen Androgynitätstopos als Zeichen einer Wesenseinheit ausgewiesen. So heißt es nach der ersten gemeinsamen Schlacht: »Ein Strahl höheren Lebens durchzuckte Beide, sie gehörten für alle Ewigkeiten einander.« (I 133) An anderer Stelle heißt es dann: »Ohne Worte, ohne Zeichen, den Sinnen unbewußt hatte sich das Band beider Herzen am Sterbelager des Vaters fest zusammengezogen, und unwillkührlich ein Verhältniß gebildet, dessen reiner Glanz nur der Wiederschein längst bestandener unausgesprochener Verbindung war.« (I 150)
Zwar verweist die Einheit der Liebenden hier im Sinne romantischer Liebestheorien auf eine höhere Ordnung, auf eine Möglichkeit der Aufhebung weltimmanenter Gegensätze in der Transzendenz. Allerdings ist diese Einheit kein höchster Zweck wie etwa in Zacharias Werners Liebestheorie. Sie ist vielmehr dazu bestimmt, militärische Erfolge in einem Partisanenkrieg zu erzielen. Sieg und Niederlage der Royalisten werden vom kriegsstrategischen Funktionieren der Wesenseinheit von Talmont und Elisabeth abhängig gemacht. Sobald sich der Prinz dieser Einheit entzieht und Elisabeths kriegerischer Anmut keinen Raum lässt, schlägt die Schlacht wiederum in Chaos um. So heißt es, bevor Talmont seine Truppen in eine aussichtslose Schlacht führt: »Niemals noch ließen ihre Augen die seinen ungerührt, heute zum erstenmal blieben sie unbeweglich auf einen Fleck gerichtet.« (I 155) Aus diesem Zustand der mangelnden Verbundenheit mit seinem weiblichen Korrektiv trifft Talmont seine Fehlentscheidung: »Es muß dennoch gehen!« (I 155) Hatten sich die Kämpfe zwischen Penthesilea und Achill sowie zwischen Wanda und Rüdiger von den nationalen und militärischen Zielen entkoppelt und sich zu reinen Liebeskämpfen entwickelt, stellen Elisabeth und Talmont ihre Liebe in den Dienst der Nation. Die androgyne Vereinigung der Liebenden im gemeinsamen Kampf ist für beide notwendige Voraussetzung, um die militärischen und nationalen Ziele zu erreichen. 263
Gewalt und Anmut
4) ELISABETH IM KONTEXT DIVERGIERENDER HEROISMUSAUFFASSUNGEN a) »Rohe Erhabenheit« – Der Revolutionsheld Barbarour Der Text reflektiert Elisabeths anmutiges Heldentum immer wieder durch die Konfrontation mit anderen Heldenfiguren, in der Regel, um die sittliche Vorrangstellung der Heldin zu unterstreichen, zum Teil aber auch, um ihre Position kritisch infrage zu stellen. Mit dem Revolutionär Barbarour wird ein erhabener Heldentypus vorgestellt, von dem sich Elisabeths Heldentum positiv abgrenzt. Barbarour ist als Girondist überzeugt von den Ideen der Revolution, aber enttäuscht von ihrem Verlauf. Als gemäßigter Revolutionär opponiert er sowohl gegen die Konterrevolution als auch gegen die Jakobiner, die er für Anarchie und »Terreur« verantwortlich macht. Auf der Flucht vor den Jakobinern findet er bei Elisabeth und der Marquise auf Schloss Aspermont Unterkunft. Hier präsentiert Barbarour sich als fanatisch seinen Idealen anhängender, nun aber verbitterter und lebensmüder Held. Ganz im Sinne des erhabenen Heroismus verachtet er es, »[...] die innere Wahrheit vor der Gewalt des Schicksals zu verleugnen« (I 49 f.), und offenbart den beiden Frauen, die als Royalistinnen zur feindlichen Seite gehören, seine Identität. Barbarour schämt sich, weil er nicht den erhabenen Heldentod gestorben ist, sondern sein Selbsterhaltungstrieb über die Vernunft gesiegt hat: »[...] wenn die freie Tat des Menschen der Nothwendigkeit erliegt, wenn unerträgliche Fesseln den Geist gefangen halten, und der eigentliche Tod ihn umschattet, dann siegt jener Natur-Instinct noch auf Augenblicke, der nach ewigen Gesetzen die Creatur zum Leben zwingt. Er ist es, der mich hierher brachte. Jetzt da er gestillt ist, begreife ich kaum, wie es zuging!« (I 56)
Ex negativo zeichnet sich hier die Logik des erhabenen Heroismus ab: Die Vernunft soll sich im Augenblick höchster Gefahr als überlegen erweisen und so ein heroisches Selbstopfer möglich machen. In Barbarours Fall hat jedoch umgekehrt die Notwendigkeit der Natur gesiegt und den Geist in Fesseln geschlagen. Was Barbarour als Notwendigkeit des Naturtriebes erscheint, versucht die Marquise aus religiöser Perspektive als göttliche Fügung zu deuten: »Zweifeln Sie nicht [...] eine höhere Hand hat Sie geleitet.« (I 56) Als die feindlichen Truppen sich nähern und Barbarour über das Versagen der royalistischen Armee spottet, wirft Elisabeth ihm vor, nicht aktiv für seine Ideale zu kämpfen. Diese Kritik weist der Revolutionär mit dem Argument zurück, dass keine der kämpfenden Truppen mehr für seine Sache eintrete, er also nur noch im passiven Erwarten des Todes für seine Ideale einstehen könne. Was er anstrebt, ist der Freitod des neustoischen erhabenen Helden, der
264
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 die eigenen Wünsche zugunsten seiner Ideale unerbittlich niederringen kann: »Niemals werde ich meine Grundsätze verleugnen, und da ich keiner der streitenden Partheien beitreten darf, ohne mir selbst untreu zu werden, so bleibt mir nichts, als den Tod mit Würde zu erwarten. Dies zu können [...] haben mich große Vorbilder gelehrt.« (I 82 f.)
Barbarour versteht sich hier im Sinne einer »imitatio heroica«, als Wiedergänger der neustoisch-erhabenen Helden. Die nun folgende Aussage Elisabeths zeigt ihre kritische Einschätzung eines erhabenen Heroismus aus der Perspektive des Ideals der Versöhnung von Sinnlichkeit und Vernunft: »[...] diese Helden großer Systeme mögen besser zu sterben verstehen, als sie zu leben wissen. Ihre rohe Erhabenheit preßt alles warme Herzblut aus dem Leben, und macht die menschliche Größe sehr zweideutig.« (I 83)
»Erhabenheit« bedeutet für Elisabeth Lebensfeindlichkeit, Unterordnung des Sinnlichen unter die Idee – jene Elemente also, von denen sich der »anmutige Heroismus« im Sinne Schillers positiv abgrenzen würde. »Größe« und »Erhabenheit« werden aus dieser Perspektive zweideutig, weil sie vorgeben, für den Menschen einzustehen, in Wirklichkeit aber einen Teil der menschlichen Natur verleugnen. Das Ideal, so suggeriert der Text, ist nicht das erhabene Heldentum, das entweder in Lebensfeindlichkeit oder in einen Mangel an Tatendrang aufgrund zu großer Reflexion umschlagen kann. Vielmehr liegt es in der Versöhnung von Sinnlichkeit und Mission, die sich jederzeit unmittelbar als nicht-reflexives Handeln äußert. Zahlreich sind die Textstellen, die intuitives Handeln gegen eine vermeintlich nutzlose Selbstreflexion ausspielen: Als Elisabeth kurz vor einer Schlacht an der Seite des Prinzen ihr zukünftiges Leiden vorausahnt, sagt eine innere Stimme zu ihr: »F o r s c h e nicht! [...] h a n d l e!« (I 188) Im kriegerischen Handeln überwindet sie den Zustand der Selbstreflexion und gewinnt ihre Grazie zurück: »Sie war alsobald zu Pferde, neben dem Prinzen, hinein in das lebendigste Leben.« (I 188) Auch als sie nach dem Tod des Prinzen in Trauer und Grübeln versinkt, ermahnt sie der Priester Silvanus, zum Handeln zurückzukehren: »Seit wann [...] versucht denn diese kühne Seele sich durch Klagen zu beschwichtigen? Unsere Aufgabe, meine Freundin, duldet nicht allzuzärtliches Verweilen bei uns selbst. Des Menschen Weg geht v o r w ä r t s. Zünden sollen wir durch innere Sammlung den Blick an jenem höheren Licht, das uns zum Werkzeug l e b e n d i g e r That erkor.« (II 28)
265
Gewalt und Anmut Der Krieg erscheint hier nicht mehr im Sinne der Aufklärung als letztes Mittel der Vernunft131, in der sich das vernunftgesteuerte männliche Subjekt als seinem Selbsterhaltungstrieb überlegen erweisen kann. Vielmehr stellt der Krieg einen Handlungsraum dar, in dem ein authentisches, emotionsbetontes Leben im unmittelbaren Handeln möglich wird. Der Krieg ist das »lebendigste Leben« (I 188), der Ort, an dem sich sowohl die Liebe als auch die Loyalität mit den eigenen Werten und der Nation handelnd und nicht redend unter Beweis stellt. Deutlich zeichnet sich hier das gewaltverschleiernde und -rechtfertigende Potenzial der Konzeption eines anmutigen Kriegertums ab. Während das »Erhabene« die Gewalt als Prüfung des Helden bejaht, sie dann aber in ihrem Schrecken sichtbar werden lässt, wird der Krieg in der Inszenierung des anmutigen Heldentums zu einer individuellen Ausdrucksform. Diese Tendenz deutet sich schon in Schillers Jungfrau von Orleans an, wenn Johanna die Waffenstille »presst und ängstigt«132, und sie sich in die Schlacht zurücksehnt. Insbesondere zeigt sie sich aber in Kleists Drama Penthesilea, dessen Titelheldin ihre Liebe nur im Krieg ausdrücken kann. Die Idee des Krieges als Lebens- und Ausdrucksform ist auch in Fouqués Roman offensichtlich, wenn der Krieg hier als das »allerlebendigste Leben« bezeichnet wird. Es zeichnet sich an diesen Stellen eine vitalistische Bejahung des Krieges ab, die in den Theorien zum Partisanenkrieg angelegt ist, und die in der Kriegsverherrlichung im ersten und zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt findet.133 Immerhin stellt der Roman die Kriegsbejahung zumindest teilweise wieder infrage.134 Dies geschieht zum einen, indem er die
131 Vgl. Kapitel B II 2 Anmerkung 37. 132 Schiller: Jungfrau, Vs. 2267. 133 Vgl. hierzu u. a. Köppen: Beobachter, S. 194 ff. und Mommsen, Wolfgang J. (Hrsg.): Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg. München 1996. Auf die vitalistische Kriegsbejahung in Das Heldenmädchen aus der Vendée weist auch Krimmer hin: Krimmer, Elisabeth: »Female War Stories. Violence and Trauma in Works by Therese Huber and Caroline de la Motte Fouqué.« In: Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Arnim Gesellschaft 17 (2005), S. 133 f. 134 Hier ist Birgit Wägenbaurs These recht zu geben, dass Fouqués Neigung zu vereinfachenden Plots und der Auflösung von Ambivalenzen, die zu ihrem Ruf einer Trivialautorin geführt haben, in den Romanen weniger zum Tragen komme als in den Erzählungen. Die Verschachtelung von Handlungsebenen und Figurenperspektiven wirkt einer solchen Vereinfachung entgegen. Vgl. Wägenbaur, Birgit: »Romantik für Jedermann. Caroline de la Motte Fouqués Erzählungen.« In: Bertschik, Julia und Katja DiegmannHornig (Hrsg.): Jahrbuch der Fouqué-Gesellschaft Berlin-Brandenburg 1999, S. 103.
266
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Schilderungen der mit Grazie kämpfenden Elisabeth mit realistischen Schilderungen der Kriegsgräuel konfrontiert. So begegnet Elisabeth, kurz nachdem sie in ihrer neuen Kleidung von Schloss Aspermont losgeritten ist, um sich den Truppen der Vendéer anzuschließen, ein Zug von Kriegsversehrten, der ihr die Inhumanität und Grausamkeit des Krieges vor Augen führt: »[...] als [...] Verwundete sich mühsam schleppend, oder auf Wagen unter Geschrei und Gewimmer aufeinander geschichtet vorüber kamen, [...] da preßten nie gekannte Gefühle ihre Brust zusammen.« (I 90)
Zum anderen wird die Heldin in Gestalt des Grafen Rochefoucault mit einer Figur konfrontiert, die ihr Handeln kritisch beleuchtet. Hatte sich an Barbarour die Vernunft der Aufklärung als dogmatisch und lebensfern erwiesen, wird mit Rochefoucault ein positiver Repräsentant der Aufklärung vorgestellt. Der Graf hat Elisabeth gefangen genommen, verhält sich jedoch edelmütig und großzügig gegen sie. In einem kurzen Dialog diskutieren Elisabeth und der Revolutionär über ihre Ideale und ihre Vorstellungen von heroischem Handeln. Als Elisabeth ihr Gelenktsein durch Gott betont, das ihr Handeln legitimiert und erhöht, kritisiert Rochefoucault ihren Glauben als Form mangelnder Selbstbehauptung und Flucht vor einem selbstverantwortlichen Dasein: »Besser wäre es [...] sich selbst zu besitzen. Lassen wir [...] dies trübe Verlieren in fremder Kraft [...].« (I 168) In dem Moment, in dem Elisabeth aus ihrem intuitiven Handeln herausgerissen und zu intellektueller Reflexion ihres Handelns gezwungen ist, erscheint die Heldin als unsicher, naiv und zuletzt fanatisch. Angesichts ihrer Gefangennahme ohnehin in Tränen aufgelöst, spricht sie »mit scheuer Bangigkeit« (I 168), als sie Rochefoucault fragt: »Was ist denn [...] Ihr Anker in der Not?« (I 168) Als solchen nennt der Graf die Freiheit des Menschen, in deren richtigem Gebrauch er den eigentlichen Heroismus sieht: »Ei nun! erwiderte der Officier: eben jene Charakterkraft, welche sich der Nothwendigkeit, als einem ewigen Gesetz freiwillig unterwirft. In dieser Freiheit gedeihet alle wahre Heldengröße, was man sonst noch wohl so nennt, das ist Ekstase des Wahnsinns.« (I 168)
Eine aufklärerische, atheistische Deutung erhabenen Heldentums wird in der Aussage Rochefoucaults sichtbar: Das Sich-Fügen in ein unausweichliches Leiden ist nicht eschatologisch an ein Heilsversprechen geknüpft, sondern dient dazu, die eigene Freiheit zu erfahren. Elisabeth ist der argumentativen Kraft Rochefoucaults nicht gewachsen: Sie schickt Stoßgebete zum Himmel, weint, zittert und 267
Gewalt und Anmut empört sich, als sie den Namen des Offiziers erfährt und in ihm einen entfernten Verwandten erkennt, doch fehlt ihr ein vernünftiges Argument, das die Ansichten ihres Gegenübers widerlegen könnte. Auch in der Fähigkeit, einen Andersdenkenden zuzulassen, erweist sich der Aufklärer Rochefoucault als überlegen: »[...] wir hören darum nicht auf menschlich zu fühlen, weil wir uns bestreben frei in und ausser uns selbst zu seyn. Gebietet Dir Deine Lehre die zu hassen, die nicht Deiner Meinung sind, so sieh’ hierin allein schon das Vorrecht gereinigter Vernunft, daß wir dem Wahne feind, doch den Bethörten bedauernd lieben.« (I 170)
Zwar deutet sich hier ein hierarchisches Verhältnis von Vernunft und Wahnsinn an, welches das aufklärerische Denken des Grafen prägt – er lässt das Andere gelten, muss es aber als Betörung disqualifizieren –, Elisabeth aber kann im Sinne ihrer religiösen Weltanschauung nur zwischen »Gut« und »Böse«, »Wahr« und »Falsch« unterscheiden: »Ich will nicht richten [...] doch zweierlei giebt es nur, wer nicht mit dem Herrn ist, ist wider ihn.« (I 171) Dennoch kann sich auch Elisabeth der Humanität des Grafen nicht verschließen und so endet ihr Gedankengang wie der des Grafen mit der Annahme einer Verblendung und Betörung des Gegenübers: »[...] eine liebe getäuschte Seele leuchtete ihr weich und zärtlich entgegen.« (I 171) b) »Ein Licht das unaufhörlich im Winde flackert« – Die Hysterikerin als Gegenbild zur anmutigen Heldin Eine weitere wichtige Figur, von der sich Elisabeths Heroismus abgrenzt, ist die Marquise von Robillard. Diese wird als Frau charakterisiert, die in den politisch-intellektuellen Diskurs der Männer eingreifen will, deren übermäßige Emotionalität aber ein vernunftgeleitetes Handeln unmöglich macht und sie zum leicht manipulierbaren Spielball politischer Intrigen werden lässt. Die Marquise vereinigt in sich alle negativen Eigenschaften, welche im misogynen Geschlechterverständnis des frühen 19. Jahrhunderts der Frau zugeschrieben wurden. Sie ist eitel und ruhmsüchtig, von heftigen Leidenschaften bewegt und zugleich berechnend und intrigant. Wie Elisabeth sehnt sie sich nach einer aktiven Beteiligung an der Kriegsführung, jedoch ist nicht Liebe, sondern Eitelkeit und Ruhmsucht ihr Motiv: »Die Vorstellung in Paris selbst, wohin sie von je Wunsch und Gedanken vergebens trugen, eine Triebfeder großer Ereignisse zu seyn, ja vielleicht die Schwingungen des Staates zu leiten, hob sie über alle augenblickliche Gefahr hinaus.« (I 123)
268
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Sowohl der Herzog als auch Elisabeth sehen in ihr eine Fantastin, die sich nur aus einer sicheren Position heraus nach Abenteuern sehnt. Hier schließt sich Elisabeth der Einschätzung des Herzogs an, der es für eine typisch weibliche Eigenschaft hält, im Krieg ein romantisches Abenteuer zu sehen, diesem aber in der Realität nicht gewachsen zu sein. Deutlich charakterisiert der Text das Verhalten der Marquise als »hysterisch«: Sie wird von Stimmungen beherrscht – Zornesausbrüche und Weinkrämpfe wechseln sich ab. In ihren Bewegungen zeichnet sich die wellenförmige Bewegungsdramaturgie des hysterischen Anfalls135 ab: »Die Stimmungen der Marquise [...] wogten auf das Ungestümste hin und wieder. Bald sahe sie alle Himmel offen, Muth und Stolz schwollen übermäßig an, ihre Erwartungen schienen alle erfüllt; bald wieder lag sie weinend und betend am Boden, die Welt brach über ihr zusammen, nirgend ein Hoffnungsstrahl, die nahe Todesangst faßte sie schon.« (I 59)
Der Herzog wertet den hysterischen Charakter der Marquise mit erbarmungsloser Härte als eine mangelhafte Form des Menschseins ab: »Sie ist wie ein Licht, das unaufhörlich im Winde flackert, ihr unruhiger Schein thut den Augen wehe, und leuchtet niemand.« (I 142) Die Hysterie der Marquise, die sie wie ein Licht im Wind ihren eigenen Leidenschaften ausliefert, macht sie zu einem nutzlosen Individuum. Sie belastet ihre Umgebung (schmerzt in den Augen) und nützt (leuchtet) niemandem. Weiter heißt es: »Sie liebt eigentlich nichts als sich selbst.« (I 142) Egoismus, wechselnde Stimmungen, Sinnlosigkeit und Eitelkeit wirft der Herzog der Marquise vor und lässt sie damit in plakativer Form als eine Verkörperung negativer weiblicher Eigenschaften erscheinen. Auch Elisabeth schließt sich der misogynen Sichtweise ihres Onkels an. So entscheidet sie sich, der Marquise die Berichte des Prinzen über die weitere Planung der Schlacht nicht mitzuteilen, weil ihrem impulsiven Wesen nicht zu trauen sei: »Der heftigen Frau allzuviel wissen zu lassen war nicht rathsam«. (I 75) Den Vorwurf eines nur fantasierten Heldentums bestätigt die Marquise nicht. Immer wieder versucht sie, in die großen politischen Entwicklungen einzugreifen, zuletzt auch, indem sie zu körperlicher Gewalt greift. Doch so viele Ähnlichkeiten auch zwischen 135 Vgl. Vogel: Furie, S. 345 ff. Vogel weist daraufhin, dass Fallszenen zu den gängigen inszenatorischen Mitteln zur Darstellung der Hysterikerin im Drama des 19. Jahrhunderts gehören. Durch die Häufung dieser Szenen ergibt sich eine wellenförmige Bewegungschoreografie des weiblichen Körpers, welche den »Mangel an räumlicher Stetigkeit« verdeutliche. Vogel: Furie, S. 347.
269
Gewalt und Anmut der Marquise und Elisabeth in ihrem nicht-reflexiven Handeln und in ihrem Wunsch, Kriegerin zu sein, bestehen, so sehr unterscheiden sie sich in der moralischen Wertung der Außenstehenden. Selbst dann, wenn die Marquise aus ethischen Motiven und nicht aus Eigennutz handelt, wird ihr Verhalten als wahnsinnig abgewertet. So heißt es etwa, als sie als Einzige gegen die bevorstehende Hinrichtung Marie Antoinettes aufbegehren möchte: »Die Himmelsdecke schien auf ihrem zitternden Gehirn zu lasten, sie sahe und hörte nichts. Jetzt plötzlich sprang sie auf, sie eilte an die Thür [...] wir müssen sie ja retten.« (I 203) Anders als Elisabeth, die sich in ihrer ersten Schlacht auch aus einem Impuls heraus in eine ausweglos erscheinende Situation stürzte und gerade deshalb heldenhaft erschien, wird das impulsive Handeln der Marquise hier als waghalsig und unvernünftig gewertet. Ihr Beschützer Duplair sieht in ihr eine »arme Frau«, der die Einsicht in den unveränderlichen Gang der Weltgeschichte fehlt. Als sei Frau Robillards Aufbegehren eine Krankheit, heißt es: »Er führte sie zu dem großen ledernen Armstuhl am Ofen zurück, gab ihr ein paar Tropfen Balsam auf Zucker und setzte sich dann liebreich zu ihr nieder.« (I 203) Wie in den Darstellungen des frühen 19. Jahrhunderts üblich, wird die Hysterikerin Robillard vor dem Hintergrund der Furienmythologie inszeniert.136 So ist es kein Zufall, dass sie, nach vielen Ränkespielen, bei denen sie sich wiederum selbst in das Intrigenspiel der Revolutionäre verstrickt, zuletzt in Paris als Anführerin der schreienden Pariser Marktweiber ihr Ende findet. Als das Volk beginnt, gegen die Terrorherrschaft des Konvents aufzubegehren, begibt sich die Marquise unter die Demonstranten. Mehr noch als zuvor wird ihr Verhalten als impulsiv und wahnhaft charakterisiert: Sie redet »laut und heftig« (II 162), drängt sich in die Masse und ruft »mit fanatisch wilder Gebehrde: Bürger, die Herrschaft des Schreckens ist wieder da.« (II 162) Schließlich denunziert sie ihren Feind Cornelius, der ebenfalls in der Menge steht, als Angehörigen des Konvents und ruft die Menschenmasse zum Mord auf: »Ein Verräther! Schlagt ihn tod, ein meineidiger Verräther.« (II 164) Gegen die Warnungen ihres Begleiters Duplair, der sie immer wieder zu Mäßigung aufruft, stellt sie sich schließlich an die Spitze einer Gruppe »fanatischer Weiber« (II 167). Am Morgen des nächsten Tages hat sich die Gruppe bereits in einen »Haufen rasender Weiber«137 (II 169) verwandelt, die »mit Feuerbränden in der Hand« (II 169) das Vordringen der Konventstruppen zu verhindern versuchen. Die Marquise stirbt im Kugelhagel, »hoch die Fackel über ihren Kopf hal-
136 Vgl. Kapitel C VII. 137 Hervorhebung von mir.
270
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800
tend« (II 169), als sie vor Schreck »wie versteint« (II 169) Napoleon Bonaparte durch die Menge reiten sieht und in ihm den Bezwinger der Revolution erkennt, der aber zugleich auch die alte Monarchie endgültig zu Grabe tragen wird. Fouqué schreibt hier die Verschränkung von Furienmythologie und Hysterie fort, welche die Darstellungen der Französischen Revolution geprägt hatte. In erstaunlicher Umkehrung erscheint mit der Marquise nun eine überzeugte Royalistin und eine typische Repräsentantin des Adels als furioses Marktweib, während revolutionskritische Texte sonst diese Darstellungen der Marktweiber nutzten, um die Revolutionäre zu diffamieren. Wie die »kalte Erhabenheit« Barbarours als Abgrenzungskonzept für Elisabeths anmutiges Heldentum dient, verkörpert auch die Marquise eine Form der Subjektivität, von der sich Elisabeths Grazie positiv abhebt. Elisabeth vermittelt zwischen den beiden Polen: Sie ist wie die Marquise ein unbewusst handelndes Individuum, aber ihrem Handeln ist gemäß der Anmutskonzeption bereits eine sittliche Entscheidung inhärent. Diese ist ihr jedoch, anders als dem erhabenen Helden, nur intuitiv zugänglich.
5) »WER KÄMPFEN WILL, MUSS SICH ERST SELBST BEKÄMPFEN« – DER VERLUST DER KRIEGERISCHEN GRAZIE Elisabeths Wunsch nach einer Vereinigung mit dem Prinzen im gemeinsamen Heldentod geht nicht in Erfüllung. Doch Talmont verlangt ein »höheres Opfer« (I 229) von ihr: Sie soll weiterleben und seine Mission fortsetzen: »Du mußt mir fest versprechen, Elisabeth [...], falle ich auf eine oder andere Art, mein Leben ganz zu dem Deinigen zu machen, und wie von je ein Gedanke unsere Seelen ineinander schmolz, nun wie mein e i g e n e s Ich den Weg ruhelos zu verfolgen, von dem ich abgerufen ward.« (I 229)
War es zuvor eine korrektive Funktion, welche Elisabeth als Heldin zukam, ist es nun eine prothetische Funktion. Wie die Marionetten in Kleists Text Über das Marionettentheater soll Elisabeths Körper dem Ausdruck der Seele des Prinzen dienen. Für Talmont erfüllt Elisabeth diese prothetische Funktion schon zu seinen Lebzeiten: »[...] Du hast dein schönes Daseyn dem ernsten Thun und Willen deines Freundes so innig einverleibt. Du hast sein stolzes Herz in das Deine aufgenommen, und dich denselben Funken, der ihn durchglüht, entzünden lassen [...].« (I 229)
Es ist eine höhere Balance, die nun von Elisabeth gefordert wird: nicht nur eine Versöhnung von Sinnlichkeit und Vernunft im weiblichen Subjekt Elisabeth, sondern die Verschmelzung zweier Sub271
Gewalt und Anmut jekte und damit zugleich die Aufhebung der geschlechtlich codierten Individuation. Die Aufhebung der Geschlechterdifferenz in der Androgynität, die in Werners Wanda im Liebestod verwirklicht wird, soll Elisabeth als lebende Person in der vollkommenen Hingabe der eigenen Person an das Leben des Geliebten erreichen. Hier treibt der Text die repressive Struktur hervor, die im romantischen Androgynentopos angelegt ist. Sollen den romantischen Theorien zufolge männliche und weibliche Seele gleichermaßen in eine neue Harmonie einfließen, ist doch meist eine Unterordnung des weiblichen Geschlechts unter das männliche zu erkennen.138 Die Frau spielt im Androgynitätsideal die Rolle eines ergänzenden Elements, die das männliche Subjekt zur Vollkommenheit führt. In Fouqués Roman wird diese hierarchische Anordnung der Geschlechter in aller Brutalität deutlich. Gedacht ist hier nicht mehr eine Verschmelzung von männlichem und weiblichem Subjekt, sondern die Besetzung eines weiblichen Körpers durch einen männlichen Geist.139 Nach einigem Zögern verspricht Elisabeth, den Wunsch des Prinzen, ihm als Prothesenkörper zu dienen, zu erfüllen: »[...] ich lebe ja in Dir, wie sollte ich anders als nach Deinem Willen leben«, was den Prinzen zu der Aussage bewegt: »[...] wahrhaftig! Du bist mein h ö h e r e s b e s s e r e s Ich.« (I 232) Doch die Verwandlung in eine Marionette, die Herstellung einer »Prothesengrazie« gelingt Elisabeth nicht. Der zweite Teil zeigt die Heldin auf der Flucht und im englischen Exil immer wieder tatenlos und in trübe Selbstreflexion versunken. Weiterzuleben und vor allem weiter zu handeln, ist ihr nur unter größter Selbstüberwindung möglich. Was zuvor als Einheit denkbar und lebbar war: Liebe und Kampf und zugleich Sinnlichkeit und Moral, stehen nun in einem scharfen Gegensatz. Es wiederholen sich in Elisabeths Überlegungen Bilder der Selbstüberwindung: Nachdem der Prinz sie zum Weiterleben verpflichtet hat, sagt sie: »Gieb meiner Liebe, göttlich Wesen, Deine Kraft, daß sie sich selbst besiege!« (I 232) Analog heißt es an anderer Stelle, als sie sich bei Sombreuil für ihre Passivität und Selbstversunkenheit entschuldigt: »[...] wer kämpfen will, muß sich zuerst selbst bekämpfen.« (II 57) Elisabeth reflektiert hier den Verlust von Grazie, das Auseinanderbrechen von sinnlichem Wollen und moralischer Sendung. Obwohl sie in erhabener Selbstüberwindung ihrem Auftrag weiter nachkommt, wirft sie sich den Verlust ihrer anmutigen Leichtigkeit vor: »Vergieb, mein Freund«, sagt sie in einem inneren Zwiegespräch mit
138 Siehe hierzu: Becker-Cantarino: Lichtbringerin, S. 114 ff. 139 Diesen wichtigen Hinweis gibt Karin Baumgartner in: Baumgartner: Geschichtsschreibung, S. 84.
272
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 dem verstorbenen Geliebten, »wenn ich die schwere Aufgabe des Lebens nur unter Schmerzen lösen kann.« (II 107) Dieser Selbstvorwurf ist in der Logik des Textes konsequent – kann doch Elisabeth schließlich nur in überirdischer innerer Versöhnung, in der Einheit zweier Seelen, ihre Aufgabe erfüllen. Der Verlust von Grazie zeigt sich auch in Elisabeths letzter Schlacht. Noch einmal reitet die Heldin, die Fahne schwingend, voran in die Schlacht, doch ihre engelsgleiche Grazie hat sie bereits verloren. Wie in ihrem ersten Gefecht ist es eine scheinbar ausweglose Situation, die Elisabeth durch ihr Auftreten zu wenden versucht. Als der entscheidende Kampf gegen die Revolutionäre bereits verloren scheint, versucht Elisabeth noch einmal, ihre charismatische Kraft einzusetzen, um die Truppen zu motivieren: »Da kam Elisabeth auf ihrem dunkeln Rappen, Baret und Mantel vor dem reißenden Ungewitter nicht mehr haltend, die goldnen Locken wie eine Glorie vom Sturm emporgehoben und entfaltet, die weiße Fahne zum letzten mal in ihrer Hand, jagt sie atemlos durch die widerspenstigen Reihen [...]« (II 194 f.)
Die geschilderte Situation stellt den Bezug zur ersten Kampfszene her, grenzt sie aber bildlich von dieser ab. Die goldenen Locken fallen nicht mehr reizvoll auf die Schultern, sondern sind zur »Glorie« (II 194) emporgehoben und verleihen Elisabeth so die Aura einer weltentrückten Heiligen. Die Schilderung evoziert den Eindruck von Auflösung und Kontrollverlust: Mantel und Barett werden vom Sturm davongetragen, die Heldin ist »atemlos«, ebenfalls ein Zeichen der mangelnden Balance. Wie zuvor der Prinz, wird die Heldin mit Bildern des Sturms charakterisiert. In einem Nachsatz wird die Erscheinung der Heldin mit ihrer inneren Zerrissenheit enggeführt: »[...] die Worte stocken in der zerrissenen Brust. Franzosen, stammelte sie, um Gott und seine Engel, brecht nicht das letzte Band der Treue.« (II 195) Weil die kriegerische Grazie der Heldin verloren ist, kann das bloße Auftreten, die Körpersprache Elisabeths, die Truppen nicht mehr motivieren. Angesichts ihrer Erscheinung bleiben die Kämpfer zunächst ungerührt. Erst als sie ihre Geschlechtsidentität offenbart und an das Gewissen und den männlichen Stolz der Krieger appelliert, gerät die Menge in Bewegung: »Ein Mädchen? ging es murmelnd hin und wieder, ein Mädchen?« (II 195) Elisabeth erhält nun wiederum charismatische Kraft, die aber nicht auf eine graziöse Körpersprache, sondern auf ihre würdevolle und entrückte Erscheinung zurückzuführen ist. Dem Volk erscheint sie als Heilige: »Seht doch wie das Gewölk sich über ihr theilt, der Mond senkt seine Stralen gerade auf sie nieder. Jetzt wird alles wieder dunkel, da stürmt sie hin in der
273
Gewalt und Anmut finstern Nacht; man sieht nichts mehr von ihr, als die Funken ihres Pferdes.« (II 195 f.)
Die Naturgewalt scheint mit ihr im Bündnis zu stehen: Der Sturm formt ihr Haar zur »Glorie«, die Strahlen des Mondes heben ihre Gestalt aus der dunklen Nacht hervor und verleihen ihr die Aura des Heiligen, Erleuchteten. Elisabeths Erscheinung ist hier nicht mehr graziös, sondern erhaben. Die charismatische Macht, die sie nun entfaltet, ist keine liebliche, gefällige, sondern eine gebieterische: »Wie ein blitzend Licht erschien Elisabeth bald da, bald dort, gebiethend, beschwörend, mit sich fortreißend.« (II 196) Die wilde Natur, die Elisabeth als Heiligen-Ikone in Szene setzt, ist zugleich dafür verantwortlich, dass der Kampf der Royalisten scheitert: »Der Regen schlug den Unglücklichen in’s Gesicht, sie sahen nicht, wohin sie traten. Mit ungeheurer Gewalt stürzten die angeschwollenen Bäche nieder, der Strömung auszuweichen, verloren Viele sich in Moor und Untiefen.« (II 196) Konsequent im Sinne des Geschlechterdiskurses des frühen 19. Jahrhunderts, der eine intellektuelle Reflexion der Frau und damit auch ein Weiblich-Erhabenes ablehnt, kann Elisabeth in ihrer neuen Heldenrolle nicht erfolgreich sein.140 Die wilde und gebieterische Frau wird mit der bedrohlichen und verschlingenden Natur assoziiert. Hatte Elisabeth als anmutige Heldin die Truppen in eine siegreiche Schlacht geführt, treibt sie sie als erhabene Heldin im Bund mit der erhabenen Natur in den Untergang. Nach diesem Kampf stirbt Elisabeth, ohne dass eine Verletzung genannt wird, die ihren Tod erklären würde. Vielmehr wird ihr Sterben so inszeniert, als sei es die Konsequenz des Verlustes von Grazie. Es ist, als würde sie an der »schwere[n] Aufgabe des Lebens« (II 107), die sie nur unter Schmerzen bewältigen kann, vor Schwäche zugrunde gehen: »Kaum noch athmend, das stolze Pferd unter ihr zusammengebrochen, irrte Elisabeth indeß, mit den Händen einen Weg suchend, zwischen Wald und Klippen umher. Sie konnte nicht mehr, die Knie zitterten, schwankend gleiteten die armen Füsse aus. Jetzt sank sie nieder.« (II 198)
Die Passage setzt die Bewegungsmetaphorik des Stolperns, Schwankens, Zitterns fort, die seit Beginn der Schlacht das Verhalten der Heldin charakterisiert und als Folge des Verlustes von innerer Harmonie ausgewiesen hatte. Die innere Zerrissenheit angesichts ihres übergroßen Leidens führt zuletzt in den Tod.
140 Vgl. Snyder-Körber: Erhabene, S. 210 f.
274
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Das Schicksal des Landes wird nun durch zwei männliche Helden besiegelt. In erhabener Selbstüberwindung ergibt sich der Vendéer Kriegsheld Sombreuil dem Republikaner Hoche, unter der Bedingung, dass nur er selbst hingerichtet werde, seine Männer aber verschont bleiben. Mit Sombreuils Selbstopfer weicht der Text zuletzt von der Heroisierung des Partisanenkrieges ab. Der Held wählt nicht den Vernichtungskrieg, der ihm einen heroischen Tod ermöglichen würde, sondern die Kapitulation: »General, rief der Marquis, ein Wort von unsren Lippen und tausend Schwerdter blitzen gegeneinander, Ströhme Blutes fliessen, die Sie und mich in ihren Strudel mit hinein ziehen, die mein Dasein von erniedrigenden Banden retten und über die Schmach kommender Tage hinaus heben können. Doch warum so Vieler Leben für einen Einzigen [...].« (II 204)
Da nur Hoche um die erhabene Tat Sombreuils wissen wird, opfert dieser nicht nur sein Leben, sondern verzichtet zugleich auf Heldenruhm. Sombreuil vermag so nicht nur seinen Selbsterhaltungstrieb, sondern auch seine Eitelkeit der Herrschaft der Vernunft zu unterwerfen. Diese Bereitschaft zum Selbstopfer rührt den republikanischen Offizier so sehr, dass es zu einem Moment des Einverständnisses, der Überwindung politischer Antagonismen kommt: »Einen Augenblick hielten sich beide junge Helden fest umschlungen. Zwei hohe Seelen hatten sich im Laufe ihrer Bahnen berührt, die Eine schien die Andre in sich aufzunehmen.« (II 205) In einer männerbündlerisch anmutenden Ergriffenheit angesichts der Größe des Anderen offenbart sich männlich-erhabenes Heldentum als allen politischen Grenzziehungen überlegen. Allein, ohne das Volk, das sie anführen, ohne die weiblichen Akteure, die im Verlauf der Handlung an ihrer Mission gescheitert sind, scheinen die Grenzen zwischen den beiden männlichen Repräsentanten der verfeindeten Parteien überwunden. Beide erkennen im Gegenüber eine »hohe Seele« (II 205). Indem der Text Sombreuil dem Leser als erhabenen Heros präsentiert, der sich für die Rettung seiner Anhänger opfert, weist er zuletzt aufklärerische Werte wie die Hochachtung vor dem individuellen Leben und das friedliche Zusammenleben der Bürger als vorbildlich aus. In einer letzten Wendung der Handlung brechen die Republikaner auf Befehl des Konvents die Vereinbarung der beiden Heroen und ermorden die gefangenen Vendéer. So steht zuletzt die Konzeption eines männlich-erhabenen Heroismus, in dem die menschliche (männliche) Größe auch politische Schranken zu überwinden vermag, einem von allen ethischen oder ästhetischen Mäßigungsstrategien entfesselten Terror gegenüber. Das erhabene Subjekt der Aufklärung, das zugunsten seiner moralischen Werte seine 275
Gewalt und Anmut Triebnatur zu besiegen vermag, erweist sich als sittlich überlegen, wird aber von der historischen Entwicklung der Revolution überrollt. Auf diese Weise konfrontiert der Text die Terrorherrschaft des Konvents nicht mit Argumenten für eine feudalistische Gesellschaftsform, sondern vielmehr mit Werten der Aufklärung, in deren Namen die Revolution ursprünglich geführt wurde. Inwieweit auch dem Erhabenen Gewalt innewohnt und die »menschliche Größe sehr zweideutig« (I 83) macht, wie es die Heldin formulierte, bleibt an dieser Stelle unreflektiert.
6) FAZIT In Fouqués Roman Das Heldenmädchen aus der Vendée spielt die kriegerische Anmut der Heldin wie schon in Schillers Jungfrau von Orleans eine strategische Rolle in einem Volkskrieg: Elisabeths liebliche Erscheinung, die innere Harmonie ihrer Seele, üben eine besänftigende Wirkung auf den männlichen Anführer aus und erzeugen in ihm eine Balance zwischen Emotion und Vernunft, die ihm ein erfolgreiches militärisches Handeln ermöglicht. Die besänftigende und heitere Wirkung der weiblichen Anmut wird so zum psychologischen Mittel der Kriegsführung. Die idealisierte Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit in der Seele der Heldin und die dadurch möglich werdende androgyne Wesenseinheit mit dem Prinzen scheitern zuletzt, als eine noch höhere innere Balance von Elisabeth gefordert wird. So soll sie nach dem Tod des Prinzen die Einheit von dessen Geist und ihrem Körper herstellen, der gleichsam als Marionette das militärische Handeln des Geliebten weiterführen soll. Ohne die Möglichkeit eines gemeinsamen Heldentodes, der Elisabeth als Befriedigung ihres Liebeswunsches gegolten hatte, ist Elisabeth jedoch nicht mehr in der Lage, Versöhnung in sich herzustellen, weder zwischen Sinnlichkeit und Moral noch zwischen ihrem Körper und dem imaginierten Geist des Prinzen. Ihre Subjektivität wandelt sich von einer anmutig-intuitiven in eine erhaben-reflexive. Sie führt die Mission des Prinzen fort, vermag dies aber nur leidend, in der Unterdrückung ihrer Wünsche zu tun. In Fouqués Roman zeigt sich sowohl die gewaltsame Struktur, die den Anmutskonzeptionen um 1800 inhärent ist, als auch die Kompatibilität dieser Konzeptionen mit der Darstellung äußerer Gewalt. Letzteres wird deutlich, wenn Elisabeth in ihrem kriegerischen Verhalten als engelsgleich dargestellt wird, ihre Bewegungen als leicht und fließend, ihre Locken als wallend, die Wangen als rosenfarben. Auch hier zeigt sich, wie schon in den zuvor analysierten Dramen, dass kriegerische Gewalt im Modus der Grazie wahrnehmbar werden kann.
276
Anmutige Kriegerinnen in der Literatur um 1800 Die der Anmut als Ideal weiblicher Subjektivität immanente Gewalt wird sichtbar, wenn Elisabeth noch im stärksten Leiden eine Balance von Sinnlichkeit und Sittlichkeit aufrechterhalten muss: Was im Modus des Erhabenen schwer ist und schwer erscheinen soll – die Triebkontrolle und die Disziplinierung des Körpers – muss in der Anmut schon wieder leicht sein und wirken – eine Problematik, die Schiller dazu geführt hatte, die Möglichkeit von Anmut nur dann anzunehmen, wenn kein diametraler Gegensatz zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit besteht. Im ästhetischen und pädagogischen Diskurs um 1800 wird jedoch Anmut zum einzigen Modus erklärt, in dem ein weibliches Subjekt agieren darf; ein »WeiblichErhabenes« wird hingegen ausgeschlossen. Daraus folgt, dass die Frau entweder von den brutalen Dynamiken sowohl der Natur als auch der Geschichte abgeschottet werden muss, damit nie ein Bruch zwischen Moral und Sinnlichkeit entsteht, oder aber sie muss auch im politischen oder militärischen Handeln die innere Versöhnung und Leichtigkeit unter Beweis stellen, die für die Anmutskonzeption wesentlich ist. Solange es Elisabeth gelingt, eine solche prekäre Balance von Sittlichkeit und Sinnlichkeit im kriegerischen Handeln aufrecht zu erhalten, erscheint sie in ihren Kämpfen heldenhaft. Obwohl sie von ihrer Geschlechterrolle abweicht und ihren häuslichen Aufgabenbereich gegen das Aktionsfeld des Krieges eintauscht, wird ihr Verhalten auch von denjenigen Männern akzeptiert und befürwortet, die ihre Geschlechteridentität kennen. Weibliches Heldentum jedoch, das im Modus des »Erhabenen« als Selbstopfer inszeniert wird, muss scheitern – hier schreibt der Text die Opposition weiblicher Anmut und männlicher Erhabenheit fort.
277
E. SCHLUSSBEMERKUNG
Weibliche Gewalt erfüllt eine doppelte Funktion im ästhetischen Diskurs um 1800. In der Figur der Furie repräsentiert sie das Außen einer ästhetischen Diskursivierung von Gewalt – den Ort, an dem keine ästhetischen und heroisierenden Strategien mehr greifen, um Gewalt zu rechtfertigen. So versinnbildlicht die »Furie« in den Revolutionsbeschreibungen, etwa bei Burke und Schiller, den Terror, die anarchistische Gewalt des Revolutionsgeschehens. Auf der anderen Seite etabliert sich in der Ikonografie der Französischen Revolution und in der deutschsprachigen Literatur um 1800 die Figur der anmutigen Heldin, deren Gewalt nicht nur als sittlich gerechtfertigt, sondern auch als »schön« erscheint. Die Analyse der Schlüsseltexte zur »Anmut« im 18. Jahrhundert hat gezeigt, dass mit »Anmut« eine Form der Heldenkonzeption gedacht ist, an welche die Inszenierung der Kriegerin um 1800 anknüpft. So unterscheidet Winckelmann zwischen einem erhabenen Heldentum des hohen Stils, welches sich innerlich durch die stoische Ruhe des Helden, äußerlich durch Monumentalität äußert, und einem Heldentum des schönen Stils, in welchem innere und äußere Bewegung den Helden charakterisieren, diese aber im Medium der Grazie gemildert sind. Die anmutige Heldendarstellung zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Helden im Moment der Bewegung, also des Kampfes abbilden kann, ohne dass in der Bewegtheit und im Leiden die Schönheit der Figur verloren geht. Die Würde im Leiden verbindet sich im schönen Stil mit der Anmut als Bewegungsschönheit und mit der ornamentalen Grazie, die sich in den geschwungenen Linien der Figuren zeigt. »Grazie« wird so zum Modus einer Gewaltästhetik, in der Gewalt heroisch erscheinen kann. Winckelmann nimmt nicht explizit eine Gendercodierung der Heldenkonzeptionen vor; in den Beschreibungen zeichnet sich jedoch in frappierender Weise der zierliche weibliche Kampfkörper in fließenden Gewändern ab, der um 1800 prägend für die Ikonografie weiblicher Kriegerinnen ist. Goethe greift Winckelmanns Konzeption der Anmut als Gewaltästhetik auf und weitet deren gewaltästhetisierende Wirkung auch auf verzerrte Gesichtszüge und Haltungen aus, die Winckelmann
279
Gewalt und Anmut aus seiner Grazienkonzeption ausgeschlossen hatte. Auf der anderen Seite beschränkt Goethe sein Anmutskonzept auf die ornamentale Anmut, die Hogarth in den Graziendiskurs eingeführt hatte und die bei Winckelmann nur einen Teilaspekt anmutiger Gewaltästhetik ausmachte. Durch die Anmut der Schlangenlinie sind für Goethe selbst grässliche Sujets wie ein Leichenberg im Medium des Schönen darstellbar. Schiller entwickelt »Anmut« zu einer eigenständigen Form der Heroendarstellung, die er als komplementäre Figur zum »Erhabenen« versteht. Beide Konzepte sind in seiner Theorie als wirkungsästhetische Kategorien angelegt. Es geht um die Sichtbarkeit exzeptioneller Sittlichkeit für ein Publikum. Während sich der erhabene Heroismus durch die Ruhe im Leiden visualisiert, zeichnet sich die heroische Sittlichkeit der anmutigen Person in ihren schönen Bewegungen ab. Schiller knüpft die Unterscheidung von »Anmut« und »Würde« explizit an die Geschlechterdifferenz. Voraussetzung für eine anmutige Subjektivität ist ein zarter femininer oder androgyner Körper, der unmittelbar auf Schwingungen reagieren kann und so den direkten Austausch zwischen Empfindung und körperlicher Bewegung ermöglicht. Gerade den muskulösen Körper, der den männlichen Helden auszeichnet, schließt Schiller aus seiner Anmutskonzeption aus. Schiller äußert sich in Ueber Anmuth und Würde nicht explizit zu einer Verschränkung von Anmut und Gewalt. Er lässt aber Raum für eine Gewaltästhetik und zugleich für eine sittliche Rechtfertigung kriegerischen Handelns, indem er erklärt, dass die Art der Handlung für die Konstituierung von Anmut irrelevant sei. Die sittlichen Impulse der »schönen Seele« können sich in jeder Form von Handlung visualisieren. Das heißt aber, dass es möglich sein muss, auch von einer anmutig ausgeführten gewaltsamen Handlung auf deren sittliche Motivation zurückzuschließen. Dementsprechend kann Schiller in den Ästhetischen Briefen auch eine Ästhetisierung des Kampfes im Zeichen der Anmut als einen Schritt im Prozess der Veredelung des Menschen durch das Schöne deuten. So führt er als Beispiel für einen ersten Schritt solcher Veredelung neben dem Tanz als einer »anmuthigen [...] Gebärdensprache« (ÄE 409) auch den Kampf der Griechen an, in welchen diese »still und mit edlem Schritt« (ÄE 409) ziehen und sich so von der rohen Gewalt des trojanischen Heeres abgrenzen. Die Verschränkung von heroischer Gewalt und Grazie prägt auch die Geschichte der europäischen Fechtkunst. Diese bildet als Reglement des heroischen Zweikampfs von der Antike an ein System ethischer, technischer und ästhetischer Regeln, die nicht nur ein effizientes Kampfverhalten, sondern auch eine heroische Performance ermöglichen. Die Fechtkunst erzeugt Helden, indem sie sie kämpfen
280
Schlussbemerkung lehrt, aber auch, indem sie sie lehrt, sich als heldenhaft zu inszenieren. Die Kunst des Fechtens entwickelt sich seit der Antike in der ästhetischen Kategorie der Grazie und in engem Austausch mit der Tanzkunst. Gerade im 18. Jahrhundert hat sich die Fechtkunst zu einer zierlichen Bewegungskunst gewandelt, die nur noch wenig von der Brutalität und Härte eines Kampfes mit bloßen Händen oder schweren Waffen spüren lässt. Um 1800, im Zuge der Entwicklung einer dualistisch gedachten Geschlechterdifferenz, gerät sie daher als Ausdruck von Männlichkeit in Misskredit. »Männlichkeit« soll sich durch gravitätische, schwere und von Muskelkraft zeugende Bewegungsabläufe ausdrücken. Zierliche und graziöse Bewegungsabläufe werden als typisch weiblich deklariert. Sportarten wie das Boxen oder gröbere Schlagtechniken, wie sie in den studentischen Verbindungen üblich wurden, ersetzen allmählich die männliche Fechtkunst. Stattdessen beginnt um 1800 die Geschichte weiblicher Fechtkämpfe. Diese oszillieren zwischen einem feministisch motivierten Spiel mit genderspezifischen Rollenbildern und der Vereinnahmung durch patriarchalisch geprägte Fantasiebildungen, wie sie im Frauenkampf als erotischem Spektakel, aber auch in der Konstruktion der anmutigen Heldin vorliegen. Die zierlich-graziöse Fechtkunst bietet ein Bewegungsrepertoire, das es erlaubt, kämpfende Frauen als spezifisch »feminin« zu inszenieren und so den vermeintlichen Gegensatz von Weiblichkeit und Gewalt aufzuheben. Kleist greift sowohl die Anmutskonzeption als heroische Subjektkonzeption als auch »Anmut« als ästhetische Kategorie der Fechtkunst in seinem Text Über das Marionettentheater auf und deckt die Aporien der Konzeption auf. Dem androgynen, zierlichen Körper des Fechters bzw. der Fechterin stellt er mit dem Bären ein schweres und unbeholfenes Tier gegenüber, welches die graziöse Kampfkunst besser beherrscht als jeder Mensch. Dies ist möglich, weil der Bär die wichtigste Voraussetzung der Grazienkonzeption erfüllt: die Unbewusstheit des Handelns. Er legt keine Finten aus und ist selbst nicht durch Finten täuschbar und verkörpert so den Zustand unschuldiger Subjektivität, den Schiller seiner Anmutskonzeption zugrunde legt. Die kämpferische Grazie des Bären und die tänzerische Anmut der Marionetten stellen die Konzeption der Anmut als Ausdruck von Sittlichkeit infrage: Anmut präsentiert sich hier nicht mehr als Ausdruck des Individuums im Körper, sondern in dem, was es durch Technik hervorgebracht hat: im dressierten Tier, in der perfekten Prothese und in der vollendeten Marionette. Dass aber die moralische Intention eines Menschen sich in den Bewegungen der von ihm hervorgebrachten Technik ausdrücken soll, führt das Konzept einer in der Erscheinung sichtbar werdenden Moral ad absurdum.
281
Gewalt und Anmut Mit der Entkoppelung der »Grazie« vom menschlichen Körper verliert die Konzeption auch ihre geschlechtsspezifische Konnotation. Dennoch klingt in den Beispielen des kleistschen Textes noch die Fantasie eines graziösen Frauenkörpers nach: in der Marionette, deren filigraner Körper die Ansprüche an weibliche Zierlichkeit und Ungeziertheit par excellence erfüllt, und im Bären, der als ungeschlachtes Tier den ironischen Gegensatz zur anmutigen Frau darstellt. Die Kriegerinnendarstellungen der Französischen Revolution und der deutschsprachigen Literatur um 1800 knüpfen an die »Anmut« als Heldenkonzeption wie auch an die »Anmut« als ästhetische Kategorie der Fechtkunst an und entwickeln eine weiblich codierte Gewaltästhetik. Die Kampfbewegungen der Frauen erscheinen als graziös, leicht und spielerisch. Sie werden mit Bildern des Fliegens und der Schwerelosigkeit beschrieben, die bei Schiller und Kleist als Bilder der Grazie dienen. Die Kämpfe der Heldinnen zeigen weder die Grässlichkeit der Furie noch die furchterregende Größe des Erhabenen. Sie erscheinen vielmehr als schöne Gewalt, die in den Betrachtern Wohlwollen und Zuneigung auslöst. Die Kleidung der Kriegerinnen spiegelt die Verschränkung von weiblicher Anmut und Gewalt. Die fließenden, zum Teil transparenten Gewänder, welche die kriegerischen Frauen in den Bildern der Revolutionsmalerei tragen, zitieren die Kleidung der Grazien. Sie ermöglichen den Blick auf die Bewegungen des Körpers, in denen die Anmut sich ausdrücken muss, und unterstreichen die weiblichen Körpermerkmale. Mit den eisernen Schnürbrüsten, einer Mischung aus Harnisch und Korsett, entwickelt sich zudem ein Kleidungsstück, das paradigmatisch die Verschmelzung von klassischer Weiblichkeitsinszenierung und militärischen Elementen versinnbildlicht. In den Texten Die Jungfrau von Orleans, Penthesilea, Wanda. Die Königin der Sarmaten und Das Heldenmädchen aus der Vendée wird die anmutige Körperästhetik zudem mit dem Konzept intuitiv-sittlichen Handelns verschränkt, das die intelligible Seite der »Anmut« ausmacht. Schillers Jungfrau von Orleans ist als Heldin konzipiert, in deren Kampfverhalten Sittlichkeit und Sinnlichkeit übereinstimmen. Die Vision einer göttlichen Sendung stellt in Johannas Wahrnehmung und der ihrer Anhänger die sittliche Legitimation ihrer Gewalt unter Beweis. Auf der anderen Seite zeigen ihre Sprache und ihr Verhalten eine sinnliche Komponente ihres Handelns, eine Lust an der Gewalt. Mit der Übereinstimmung von sittlicher Aufgabe und sinnlichem Wollen erfüllt Johanna die Bedingungen anmutiger Subjektivität, die Schiller in seinem Aufsatz Ueber Anmuth und Würde entworfen hat. Die innere Versöhnung der Figur findet ihren Ausdruck in Mimik und Körpersprache, deren unschuldiger Gestus von
282
Schlussbemerkung ihren Anhängern, zum Teil aber auch von ihren Gegnern gesehen wird. So bezweifeln Talbot und Johannas Vater nicht den Ausdruck von Unschuld im Habitus Johannas; sie bezichtigen sie vielmehr, diesen Habitus perfekt zu inszenieren. Ihren Gegnern gilt sie daher als perfekte Schauspielerin, als diejenige Figur also, die auch in Schillers Anmutstheorie die Konstruktion der »Grazie« als Ausdruck von Sittlichkeit ins Wanken bringt. Johanna steht wie die Kriegerinnen der Revolutionsikonografie im Kontext eines Volkskrieges. Diesen führt sie zwar im Namen des Königs, Ziel ihrer Kämpfe ist jedoch die Durchsetzung bürgerlicher Werte wie die Freiheit aller Bürger und nationale Selbstbestimmung. Als anmutige Kriegerin stellt sie durch den unschuldigen Habitus ihres Handelns die sittliche Legitimität ihrer Kämpfe unter Beweis und übt zugleich eine bezaubernde, fesselnde Wirkung auf ihre Anhänger aus, welche diese in erhöhte Kampfbereitschaft versetzt. Auch Kleists Penthesilea zeichnet sich durch Attribute schöner und anmutiger Weiblichkeit aus. Deutlicher noch als in der Jungfrau von Orleans werden die Kampfbewegungen, die rasanten Verfolgungsjagden und die tänzerischen Zweikämpfe selbst zum Ausdruck anmutiger Weiblichkeit. Doch Penthesileas Grazie entkoppelt sich von den Interessen ihres Volkes und ist allein Ausdruck ihrer Liebe zu Achill. Der Kampf wird zum Terrain eines graziösen Flirts, der sonst in Tänzen und Spielen Werbungsritual sowohl der höfischen Gesellschaften als auch des Bürgertums ist. Penthesilea lehnt es ab, im Sinne eines erhabenen Heldentums ihre persönlichen Wünsche zugunsten ihrer öffentlichen Rolle als Königin aufzugeben. Auf der anderen Seite kann sie ihre anmutige Persönlichkeit nicht außerhalb des Kampffeldes entwickeln; ihr fehlt eine alternative Sprache der Liebe. So scheitert sie an der Überlagerung von Anmut und Krieg, von privater und öffentlicher Sphäre, die mit der Konzeption einer anmutigen Kriegerin gedacht ist. Die Unfähigkeit, Liebe und Gewalt in Einklang zu bringen, lässt ihr Kampfverhalten von den anmutigen Kämpfen in den Gewaltexzess der Furie umschlagen. Die Furie oder die Hysterikerin zeigt sich hier als Kehrseite der anmutigen Persönlichkeit. Beide sind unbewusst handelnde Subjekte, deren seelische Impulse sich unmittelbar in den Bewegungen des Körpers ausdrücken und sich so von der selbstreflexiven, in sich gespaltenen Subjektivität des bürgerlichen Mannes abgrenzen. Auch Werners Wanda ist als anmutige Kriegerin konzipiert, deren sinnliches Wollen mit den sittlichen Vorgaben ihrer Herrscherinnenrolle im Einklang steht. Da sie ihren Geliebten verloren zu haben glaubt, kann sie sich ganz ihrem Volk verschreiben. Zwar trauert sie um Rüdiger; die Trauer führt aber nicht zu einem Bruch mit ihrer Aufgabe als Herrscherin und Kriegerin, sondern festigt noch die Hingabe an ihre öffentliche Rolle. Die Einheit von Emotion
283
Gewalt und Anmut und Pflicht besiegelt Wanda durch den Schwur ewiger Jungfräulichkeit, den sie zugleich als Vermählung mit ihrem Volk betrachtet. Die emotionale Einheit mit der Rolle als Herrscherin und Kriegerin äußert sich – wie bei Johanna und Penthesilea – auch bei Wanda in der Schönheit und Leichtigkeit ihrer Kampfbewegungen, wie aus den Beschreibungen der sie umgebenden Figuren hervorgeht. Die Einheit zwischen öffentlicher Aufgabe und privaten Wünschen zerbricht in dem Moment, in dem sie erkennt, dass ihr Geliebter nicht gestorben ist und zudem als Fürst der Rügen ein angemessener Ehepartner für sie gewesen wäre. Ohne ihren Schwur ewiger Jungfräulichkeit hätte einer Vermählung mit ihrem Geliebten nichts im Wege gestanden. Wie Penthesilea kann Wanda nicht zugunsten ihrer Herrscherinnenrolle auf die Liebeserfüllung verzichten. Auch ihr gelingt es nicht, von einem anmutigen in einen erhabenen Heroismus überzugehen. Statt eines erhabenen Liebesverzichts wählt auch Wanda den Kampf gegen den Geliebten. Während jedoch Penthesilea im letzten Kampf gegen Achill ihre Grazie verliert und sich in eine reißende Hyäne verwandelt, gewinnt Wanda noch einmal ihre Anmut zurück und tötet ihren Geliebten in einer graziösen Kampfperformance. Wandas kriegerische Grazie ist nun nicht mehr Ausdruck der Verbundenheit mit ihrem Volk, sondern ihrer Liebe zu Rüdiger. Furienhaft-exzessiv wird ihr Verhalten erst, als sie in einem Opferritual auch sich selbst tötet. Ihr furienhaftes Gebaren ist Ausdruck der Rebellion gegen eine göttliche Gewalt – im Drama durch die Geistererscheinung Libussas repräsentiert – welche die Vereinigung von Zartheit und Kraft im Liebestod zum höchsten Ziel erklärt und eine Liebesvereinigung im Leben ausschließt. Auf diese Weise richtet sich der Zorn der Heldin zuletzt gegen die vom Autor vertretene Liebesmystik. Ebenso inszeniert Fouqué in ihrem Roman Das Heldenmädchen aus der Vendée die Heldin Elisabeth als anmutige Heroine. Wie Johanna, Penthesilea und Wanda zeichnet sich Elisabeth als Kämpferin durch eine zarte weibliche Physiognomie, graziöse Bewegungsabläufe und ein unbewusst-traumwandlerisches Handeln aus. Die Grundlage für Elisabeths kriegerische Grazie ist die Versöhnung zwischen Liebeswunsch und Mission. Diese innere Balance ist ihr möglich, weil sie ihr kriegerisches Handeln als durch Gott legitimiert, den gemeinsamen Heldentod mit dem Prinzen aber als Erfüllung ihres Liebesbegehrens empfindet. Elisabeths anmutiges Heldentum steht wie das der Johanna im Dienst eines Volkskrieges. Sie wird als korrigierende Instanz ihrem Geliebten Talmont zur Seite gestellt, dessen ungezügelte Impulsivität zwar das Volk mitzureißen vermag, ihn aber immer wieder zu strategischen Fehlentscheidungen verleitet. Durch ihre Grazie kann die Heldin den Zorn des Prinzen so weit bändigen, dass dieser zu einer Balance zwischen Leidenschaft und
284
Schlussbemerkung Vernunft findet. Die mäßigende und mildernde Wirkung, die um 1800 der weiblichen Anmut zugesprochen wird, dient hier also nicht dazu, eine friedliche Gesellschaft zu etablieren, sondern wird zu einer kriegspsychologischen Größe in einem Volkskrieg. In einer vor dem Hintergrund des romantischen Androgynentopos inszenierten Wesenseinheit werden Talmont und Elisabeth zu siegreichen Kriegern. Als jedoch Elisabeth nach dem Tod des Prinzen diese Wesenseinheit in sich aufrechterhalten und im Sinne einer prothetischen Grazie gleichsam als Marionette die Mission des Geliebten fortsetzen soll, scheitert sie. Die vollständige innere Versöhnung nicht nur zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, sondern zugleich zwischen ihrem Wesen und dem des Prinzen gelingt Elisabeth nicht. Sie wird zu einer Heldin, die nur in erhabener Selbstüberwindung ihre Aufgabe erfüllen kann. Doch ein erhabenes weibliches Heldentum ist auch in Fouqués Roman negativ besetzt. Die erhabene Größe, die Elisabeth in ihrer letzten Schlacht ausstrahlt, wird bildlich mit dem Naturerhabenen assoziiert, das in Form eines gewaltigen Unwetters die Truppen der Vendéer in der entscheidenden Schlacht scheitern lässt. Konnte Elisabeth als anmutige Heldin siegreich sein, führt sie ihre Truppen als erhabene Heldin in den Untergang. Die Analyse der vier Texte hat gezeigt, dass die gewaltlegitimierende Wirkung, die in der Konzeption einer kriegerischen Grazie angelegt ist, genutzt wurde, um sowohl auf ästhetischer als auch auf moralischer Ebene kriegerische Gewalt mit den Konzepten der Aufklärung und dem Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft in Einklang zu bringen. Zum einen garantiert die Anmut der Heldinnen die moralische Legitimation ihrer Kämpfe, da anmutiges Handeln per definitionem moralisch gut sein muss. Zum anderen sind durch die Schönheit der Bewegungsabläufe die brutalen Anteile des kriegerischen Handelns ästhetisch so gemildert, dass Gewalt im Medium des Schönen wahrnehmbar wird. Die Figuren lassen sich so auch in eine Ästhetik integrieren, die auf die Erziehung und Veredelung des Menschen ausgerichtet ist. Als Figuren, die Gewalt mit Werten der Aufklärung zu vermitteln scheinen, treten die anmutigen Heldinnen der Revolutionsdarstellungen wie auch Schillers Jungfrau von Orleans und Elisabeth aus Das Heldenmädchen aus der Vendée im Kontext eines Volks- oder Partisanenkrieges auf. Die Konzeption eines Volkskrieges als moderne Form der Kriegsführung entwickelte sich aus den bewaffneten Aufständen der Französischen Revolution und den daran anschließenden napoleonischen Feldzügen. Damals entstand die Vision eines Kämpfers aus dem Volk, der durch die unmittelbare emotionale Identifikation mit der Sache ungeahnte Kräfte freisetzen und es so mit den aus Söldnern bestehenden staatlichen Heeren aufnehmen konnte. Dieser Kämpfertypus wurde sowohl von revolutionären als
285
Gewalt und Anmut auch von restaurativen Kräften vereinnahmt, wie sich an den Figuren Johanna und Elisabeth zeigt, die in Volkskriegen für die Monarchie kämpfen. Die anmutige Heldin ist in mehrfacher Hinsicht geeignet, die Konzeption eines Volkskriegs zu verkörpern. Zum einen stellt sie auf der Ebene der Bewegungsästhetik eine Alternative zur Marschbewegung dar, die paradigmatisch für die Ordnung und rationale Kontrolle der staatlichen Heere sowie für den Bruch zwischen Mission und Emotion steht. Zweitens verwirklicht sie auf psychischer Ebene par excellence die Einheit von sinnlich-emotionalem Wollen und den Verpflichtungen der Mission. Die anmutige Persönlichkeit steht ohne inneren Zwiespalt für die sittlichen Normen ein, die ihrem Handeln zugrunde liegen. Und drittens kann die anmutige Persönlichkeit aufgrund ihrer bezaubernden Wirkung das Volk motivieren und ebenfalls zur emotionalen Identifikation mit dem Krieg bewegen, wie es in Schillers Die Jungfrau von Orleans und in Fouqués Das Heldenmädchen aus der Vendée der Fall ist. »Anmut«, heißt es, verschwindet mit der Moderne,1 eine Beobachtung, die für die moralische Dimension des Phänomens offenkundig zutrifft. Der Gegensatz zwischen einer monumentalen und einer anmutigen Körper- und Gewaltdarstellung prägt jedoch auch heute noch die mediale Inszenierung von Heldentum. So findet sich dieser Gegensatz auf visueller Ebene in der Ästhetik des Actionfilms des 20. und 21. Jahrhunderts. Während in Filmen wie Rocky (1976), Rambo: The First Blood (1982) und Terminator (1984) in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts überzeichnet virile Heldenkörper in Szene gesetzt werden, zeigen Filme wie Matrix (1999), Kill Bill (2003) und Charlies Angels (2000) in den ausgehenden 90ern androgyne Helden in aufwendigen Kampfperformances. In diesem Kontext erscheinen vermehrt weibliche Krieger auf der Leinwand. Ein vielversprechendes Forschungsprojekt scheint mir zu sein, die Bezüge zwischen den Kämpferfiguren der Filme und der Konzeption der anmutigen Kriegerin um 1800 herauszuarbeiten und nach den Codierungen anmutiger und monumentaler Körperinszenierung im Kontext der Actionästhetik zu fragen. Interessant wäre hier vor allem die Frage nach dem Verhältnis von Anmut und der Darstellung von Virtualität. In welcher Weise sind die virtuellen Körper der Computerspiele und der computerbearbeiteten Actionhelden Nachfolger der kleistschen Marionetten, oder anders gefragt: Mit welchen Mitteln bringt die virtuelle Technik eine Grazie hervor, welche die
1
Siehe hierzu vor allem: Kleiner: Anmut, S. 265 ff. und Meyer-Sickendiek: Seele, S. 6 ff.
286
Schlussbemerkung des menschlichen Körpers übersteigt?2 Als interessantes Projekt erscheint mir in diesem Zusammenhang auch ein Vergleich mit den asiatischen Kampfkünsten, die ebenfalls in aufwendigen tänzerischen Bewegungsabläufen Heldenbilder performativ erzeugen. Nicht zufällig bedient sich der amerikanische Actionfilm vor allem asiatischer Kampftechniken, um graziöse Helden in Szene zu setzen. Im ästhetischen Diskurs der Weimarer Klassik spielen die Konzeption des anmutigen Heldentums und die Figur der anmutigen Kriegerin eine ambivalente Rolle. Zum einen geht die Konzeption aus den Begriffsbildungen des Klassikdiskurses hervor und bietet Lösungen für grundlegende ästhetische Probleme dieser Epoche. So entwickelt sich mit der »Anmut« eine ästhetische Kategorie, die Gewalt auch im Medium des Schönen vermittelbar werden lässt. Als ornamentale Anmut kann sie gewaltsame Darstellungen visuell so mildern, dass sie kein Grauen, sondern Wohlgefallen erregen. Als Subjektivitätskonzept kann sie die sittliche Vorrangstellung des Helden bzw. der Heldin ausdrücken, ohne dass der Held im Leiden, mithin als Opfer von Gewalt dargestellt werden muss. Die Verschränkung von Sittlichkeit und Bewegung sowie der Ausschluss bewusster Reflektion aus dem Handeln ermöglichen zudem eine Darstellung, welche die Tat des Helden in den Mittelpunkt stellen kann. Denn während der erhabene Held nur durch die Auseinandersetzung mit dem Leiden, durch einen nach außen sichtbaren Konflikt zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit heroisch erscheint, wird die anmutige Kriegerin durch die Schönheit ihres Handelns als sittliche Heldin ausgewiesen. Die Inszenierung eines anmutigen Heldentums muss also nicht wie das Erhabene den inneren Konflikt des Helden in den Mittelpunkt rücken, sondern kann heroische Taten in Szene setzen. So sehr jedoch »Anmut« als Heroismuskonzeption Problemen der Klassik Rechnung trägt, so sehr läuft sie zugleich Gefahr, Grundfesten der klassischen Ästhetik zu erschüttern. Anmut als Bewegungsschönheit und Gewaltästhetik bringt in die auf Maß, Ruhe und Form festgelegte Schönheitskonzeption der Klassik ein entgrenzendes Prinzip ein. Diese Entwicklung zeigt sich vor allem bei Winckelmann, der das von ihm formulierte Postulat »edle Einfalt und [...] stille Größe«3 kaum gegen die eigene Grazienkonzeption behaupten kann. Mit der Anmut erweitert sich der Bereich des Schönen so sehr, dass auch gewaltsame Sujets wie eine Bacchante und der Tod des Laokoon in ihm aufgehoben werden können. Kleist lässt in sei2
3
Den Bezug zwischen Kleists Text Über das Marionettentheater und der Ästhetik des virtuellen Raums stellen Ulrike Bergermann und Ulrich Johann Beil her. Vgl. Kapitel C VI Anmerkung 213. Winckelmann: Nachahmung, S. 43.
287
Gewalt und Anmut ner Penthesilea die fragile Grenze sichtbar werden, die eine anmutige Heldin vom Gewaltexzess der Furie trennt.4 »Anmut« als Heldenideal eröffnet zudem den Raum für die Inszenierung öffentlichen und kriegerischen Handelns der Frau und unterläuft damit auch den Geschlechterdiskurs, an den die Dichotomie von »Schönem« und »Erhabenem« in der Ästhetik geknüpft ist. Denn ein anmutiger Heroismus, wie er in den theoretischen Texten von Winckelmann bis Schiller und auch noch in ironischer Form bei Kleist gedacht wird, setzt einen weiblichen, mindestens aber einen androgynen Körper voraus. Auf keinen Fall kann ein viriler, muskulöser Körper die Rolle eines anmutigen Heldentums ausfüllen. Auch wenn »Anmut« als Subjektkonzept weibliches Handeln immer noch auf ein unbewusstes und daher im traditionellen Sinne nicht »eigenverantwortliches« Handeln beschränkt, weicht die Konzeption doch deutlich von dem passiven, auf die häusliche Sphäre festgelegten Frauenbild um 1800 ab.5 Die Konzeption der Anmut als Heldenideal und Gewaltästhetik bringt so die Vision einer gewalttätigen und zugleich schönen und anmutigen Frau hervor, wie sie in den Kriegerinnendarstellungen um 1800 inszeniert wird.
4 5
Vgl. Kleiner: Anmut, S. 243 und Jahraus: Heldinnen, S. 229. Vgl. Hinderer: Geschlechter, S. 272.
288
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildungen Abb. 1: Angelika Kauffmann: Die tanzenden Grazien, 1778 Abb. 2: Daniel Chodowiecki: Natur und Afectation, 1779 Abb. 3: Anonym: La Liberté, 18. Jhd. Abb. 4: Pierre Thomas Le Clerk: Liberté, 18. Jhd. Abb. 5: Claude Olivier Gallimard: Constantia, 18. Jhd. Abb. 6: Delaporte: Die Pariser Frauen vom 27., 28. und 29. Juli, 18. Jhd. Abb. 7: Eugene Delacroix: Die Freiheit führt das Volk an, 1830 Abb. 8: Ferdinand Jagemann: Amalie Wolff-Malkolmi als Jungfrau von Orleans. (Aufführung in Weimar) 1803 Abb. 9: Wilhelm Jury: Henriette Meyer-Hendel-Schütz als Jungfrau von Orleans. (Aufführung in Berlin) 1802 Abb. 10: Johann Friedrich Schröter und Karl Oelzner: Friederike Wilhelmine Hartwig als Jungfrau von Orleans. (Uraufführung in Leipzig), 1804 Abb. 11: Johann Heinrich Füssli: David und Goliath, um 1780 Abb. 12: Augustin Dupré:Le peuple souverain, 18. Jhd. Abb. 13: Anonym: Belfin’s fencing school as a theatre, 1767 Abb. 14: Gottfried Taubert: Aufeinander zugehende Tänzer und rechte Handreichung im Menuet, 1717 Abb. 15: Francisco Lorenz de Rada: Sigue el exerçiçio, 1705 Abb. 16: Josef Koppay: Fechtunterricht, um 1890 Abb. 17: C. Becker: Boxer im Kampf, um 1890 Abb. 18: Anonym: The Chevalier d’Eon fighting a duel against the world champion, in front of HRH The Prince of Wales, 9. April 1787, 18. Jhd. Abb. 19: Emile Bayard: Un Duel de femmes, 1899 Abb. 20: Anonym: The Contrast 1792, 18. Jhd.
289
Gewalt und Anmut
Quellen Abb. 1, 2: Spickernagel, Ellen: »Zur Anmut erzogen – Weibliche Körpersprache im 18. Jahrhundert.« In: Brehmer, Ilse u. a. (Hrsg.): Frauen in der Geschichte IV. Düsseldorf 1983, S. 309 und 306. Abb. 3, 4: Vovelle, Michel: La Révolution française. Images et récit. Tome I. De la prérévolution à octobre 1789. Paris 1986, S. 301. Abb. 6: Wagner, Monika: »Freiheitswunsch und Frauenbild. Veränderung der ›Liberté‹ zwischen 1789 und 1830.« In: Stephan, Inge und Sigrid Weigel (Hrsg.): Die Marseillaise der Weiber. Frauen, die französische Revolution und ihre Rezeption. Hamburg 1989, S. 27. Abb. 5: Thiel, Vera: »Von der Waffe zum Symbol. Allegorische Frauengestalten mit Schwert«. In: Frohnhaus, Gabriele u. a. (Hrsg.): Schwert in Frauenhand. Weibliche Bewaffnung. Erschienen zur Ausstellung »Schwert in Frauenhand« vom 22. November 1998 bis 7. Februar 1999 im Deutschen Klingenmuseum Solingen. Essen 1998, S. 78. Abb. 7: http://www.kunstbilder-galerie.de/gemaelde-kunstdrucke/ bilder/eugene-delacroix/bild_778319.html (Stand: 12. November 2009) Abb. 8, 9, 10: Rudloff-Hille, Gertrud: Schiller auf der deutschen Bühne seiner Zeit. Berlin/Weimar 1969, S. 296, 299 und 295. Abb. 11: Hofmann, Werner: »Zu kunsthistorischen Problemen des Comic Strips«. In: Vom Geist der Superhelden. Comic Strips. Colloquium zur Theorie der Bildergeschichte in der Akademie der Künste Berlin. Zusammenstellung und Redaktion: Hans Dieter Zimmermann. Berlin 1970, S. 52. Abb. 12: Vovelle, Michel: La Révolution française. Images et récit. Tome III. Septembre 1791 à juin 1793. Paris 1986, S. 228. Abb. 13, 15: Anglo, Sydney: The Martial Arts of Renaissance Europe. New Haven/London 2000, S. 293 und 89. Abb. 14: Schroedter, Stephanie: Vom ›Affect‹ zur ›Action‹. Quellenstudien zur Poetik der Tanzkunst vom späten Ballet de Cour bis zum frühen Ballet en Action. Würzburg 2004, S. 291. Abb. 16, 17: Petersen, Andrea: »Stationen der organisierten Bewegungskultur. Ein Überblick in Bildern.« In: Pachnicke, Claudine (Hrsg.): Kunstkörper – Körperkunst. Texte und Bilder zur Geschichte der Beweglichkeit. Stuttgart 1989, S. 29. Abb. 18: Forty, George and Anne: Women War Heroines. London 1997, S. 96 ff. Abb. 19: Fotografie des Originals, hergestellt an der Queens University, Kingston, Ontario, Canada. Abb. 20: Baxmann, Inge: Die Feste der Französischen Revolution. Inszenierung von Gesellschaft als Natur. Weinheim/Basel 1989, S. 86. 290
LITERATURVERZEICHNIS
Primärliteratur VOR 1900 Burke, Edmund: »Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen.« Dritter Teil. In: Was das Schöne sei. Klassische Texte von Platon bis Adorno. Hrsg. von Michael Hauskeller. München 1994, S. 181-208. Campe, Heinrich: Briefe aus Paris zur Zeit der Revolution geschrieben. Hrsg. von Ernst Weber. Hildesheim 1977. Cicero: De Oratore. Über den Redner. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Harald Merklin. Stuttgart 1976. (Reclams Universal-Bibliothek 6884) Fouqué, Caroline de la Motte: Das Heldenmädchen aus der Vendée. Leipzig 1816. Teil I. und II. Als E-Book hrsg. von: Belser Wissenschaftlicher Dienst. Referenznummer 37082-1 und 37082-2. Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Werke. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar/Böhlau 1887-1919. Weimarer Ausgabe. Fotomechanischer Nachdruck. München 1987. Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst. Vierte, sehr vermehrte Auflage. Leipzig 1751. Günderrode, Karoline von: »Darthula nach Ossian.« In: Karoline von Günderrode. Sämtliche Werke und ausgewählte Studien. Hrsg. von Walter Morgenthaler unter Mitarbeit von Karin Obermeier und Marianne Graf. Bd. 1: Texte. Basel/Frankfurt a. M. 1990. Hegel, G. W. F.: »Vorlesungen über die Ästhetik«. Bd. I-III. In: Ders.: Werke 13-15. Frankfurt a. M. 1970. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 613-615) Herder, Johann Gottfried: »Von der Grazie in der Schule.« In: Hermanowski, Anno und Georg (Hrsg.): Johann Gottfried Herders Schulreform. Bonn 1986, S. 6-26. Jahn, Friedrich Ludwig und Ernst Eiselen: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze. Berlin 1816.
291
Gewalt und Anmut Kant, Immanuel: Werke in sechs Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1956 ff. Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. Hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba. Frankfurt a. M. 1991 ff. Lessing, Gotthold Ephraim: Werke. Hrsg. von Herbert G. Göpfert. München 1970 ff. Novalis: »Heinrich von Ofterdingen.« In: Novalis Werke. Hrsg. von Gerhard Schulz. München o. J. Rousseau, Jean-Jacques: Emil oder über die Erziehung. Paderborn 1972. Schiller, Friedrich von: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 1-43. Hrsg. von Norbert Oellers. Weimar 1943 ff. A machine-readable transcript. Cambridge 1998-2000. Verfügbar auf CD-ROM und im Internet. URL: http://schiller.chadwyck.com (Stand: 12. November 2009) Sulzer, Johann George: Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden Artikeln. Zweiter Theil. Leipzig 1792. Art. »Groß; Größe«, S. 436-448. Werner, Zacharias: »Wanda, Königin der Sarmaten.« In: Dramen von Zacharias Werner. Bearbeitet von Paul Kluckhohn. Darmstadt 1964 (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Romantik 20), S. 208-274. Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Altertums. Vollständige Ausgabe. Hrsg. von Wilhelm Senff. Weimar 1964. Winckelmann, Johann Joachim: Kleine Schriften, Vorreden, Entwürfe. Hrsg. von Walther Rehm. Berlin 1968.
NACH 1900 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M. 1991. (edition suhrkamp. Neue Folge 722) Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a. M. 1997. (edition suhrkamp 737) Butler, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin 1998. (edition suhrkamp 2414) Butler, Judith: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt a. M. 2001. (edition suhrkamp 1744) Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Frankfurt a. M. 1983.
292
Literaturverzeichnis Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt a. M. 1969. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 39) Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt a. M. 1977. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 716) Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. 1977. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 184) Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1962. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 891)
Lexika und Nachschlagewerke Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hrsg. von Karlheinz Barck u. a. Stuttgart 2003. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Völlig neu überarbeitete Ausgabe des ›Wörterbuchs der philosophischen Begriffe‹ von Rudolf Eisler. Darmstadt und Basel 1971 ff. Kindler Literaturlexikon. Hrsg. von Walter Jens. München 1988 ff. Reclams Mode- und Kostümlexikon. Hrsg. von Ingrid Loschek. 5. aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart 2005.
Sekundärliteratur Alber, Wolfgang: »Der Körper-Kult und die Fremd-Körper. Zur Geschichte idealisierter Leiblichkeit.« In: Pachnicke, Claudine (Hrsg.): Kunstkörper – Körperkunst. Texte und Bilder zur Geschichte der Beweglichkeit. Stuttgart 1989, S. 9-24. Alt, Peter-André: »Auf den Schultern der Aufklärung. Überlegungen zu Schillers ›nationalem‹ Kulturprogramm« In: Ders. u. a. (Hrsg.): Prägnanter Moment. Studien zur Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings. Würzburg 2002, S. 215-237. Alt, Peter-André: »Schiller dialektisch.« In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 48 (2004), S. 381-386. Anglo, Sydney: The Martial Arts of Renaissance Europe. New Haven/ London 2000. Appelt, Hedwig und Maximilian Nutz: Heinrich von Kleist Penthesilea. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1992. (Universalbibliothek Erläuterungen und Dokumente 8191)
293
Gewalt und Anmut Assmann, Aleida: Einführung in die Kulturwissenschaften. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. Berlin 2006. (Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik 27) Baumgartner, Karin: »Möglichkeiten weiblicher Geschichtsschreibung? Einige Gedanken zu Caroline de la Motte Fouqués Das Heldenmädchen aus der Vendée (1816)« In: Bertschik, Julia und Katja Diegmann-Hornig (Hrsg.): Jahrbuch der Fouqué-Gesellschaft Berlin-Brandenburg (1999), S. 78-97. Barone, Paul: Schiller und die Tradition des Erhabenen. Berlin 2004. (Philologische Studien und Quellen 186) Baumgärtel, Bettina und Silvia Neysters (Hrsg.): Die Galerie der Starken Frauen. Die Heldin in der französischen Kunst des 17. Jahrhunderts. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Kunstmuseum Düsseldorf. 10. September - 12. November 1995 und Hessisches Landesmuseum Darmstadt 14. Dezember 1995 - 26. Februar 1996. Düsseldorf 1995. Baxmann, Inge: Die Feste der Französischen Revolution. Inszenierung von Gesellschaft als Natur. Weinheim/Basel 1989. (Ergebnisse der Frauenforschung 17) Bay, Hansjörg: »Mißgriffe. Körper, Sprache und Subjekt in Kleists Über das Marionettentheater und Penthesilea.« In: Heinen, Sandra und Harald Nehr (Hrsg.): Krisen des Verstehens um 1800. Kolloquium mit dem Titel »Krisen des Verstehens um 1800« vom 24. – 26. Januar 2003 auf Schloss Rauischholzhausen bei Marburg. Würzburg 2004, S. 169-190. Becker-Cantarino, Bärbel: »Priesterin und Lichtbringerin. Zur Ideologie des weiblichen Charakters in der Frühromantik.« In: Paulsen, Wolfgang (Hrsg.): Die Frau als Heldin und Autorin. Neue kritische Ansätze zur deutschen Literatur. Bern/München 1979, S. 111-124. Beil, Johannes Ulrich: »›Kenosis‹ der idealistischen Ästhetik.« In: Kleist-Jahrbuch (2006), S. 75-99. Bernadete, Seth: Achilles and Hector. The Homeric Hero. South Bend, Indiana 2005. Bergermann, Ulrike: Bewegung und Geschlecht in Kleists Marionettentheater und in Bildern von virtueller Realität. http://www. thealit.de/lab/LIFE/LIFEfiles/r_08_8.htm (Stand: 12. November 2009) Bertschik, Julia: »Geschichte(n) der Moden. Zur Bedeutung der Kleidung bei Caroline de la Motte Fouqué.« In: Schmidt, Helmut und Tilmann Spreckelsen (Hrsg.): Friedrich und Caroline de la Motte Fouqué. Wissenschaftliches Colloquium zum 220. Geburtstag des Dichters am 15. Februar 1997 an der FH Brandenburg. Brandenburg 1998. (Hochschulforum Brandenburger Tagungsberichte), S. 85-105.
294
Literaturverzeichnis Bertschik, Julia: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770 – 1945). Köln 2005. Beuth, Ulrich: Romantisches Schauspiel. Untersuchungen zum dramatischen Werk Zacharias Werners. München 1979. Binhack, Axel: Über das Kämpfen. Zum Phänomen des Kampfes in Sport und Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1998. (Campus: Forschung 768) Blamberger, Günter: »Agonalität und Theatralität. Kleists Gedankenfigur des Duells im Kontext der europäischen Moralistik.« In: Kleist-Jahrbuch (1999), S. 25-40. Bohrer, Karl Heinz: »Stil ist frappierend. Über Gewalt als ästhetisches Verfahren.« In: Ders.: Imaginationen des Bösen. Für eine ästhetische Kategorie. München 2004, S. 188-213. Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt a. M. 1979. (edition suhrkamp 921) Braemer, Edith: »Schillers romantische Tragödie ›Die Jungfrau von Orleans‹.« In: Dies. und Ursula Wertheim: Studien zur deutschen Klassik. Berlin 1960, S. 215-296. Brändli, Sabina: »Von ›schneidigen Offizieren‹ und ›Militärcrinolinen‹. Aspekte symbolischer Männlichkeit am Beispiel preußischer und schweizerischer Uniformen des 19. Jahrhunderts.« In: Frevert, Ute (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1997, S. 201-244. Brandstetter, Gabriele: »Penthesilea. ›Das Wort des Greuelrätsels‹. Die Überschreitung der Tragödie.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Interpretationen: Kleists Dramen. Stuttgart 1997. (UniversalBibliothek 17502. Literaturstudium), S. 75-115. Brandstetter, Gabriele: »›Eine Tragödie von der Brust heruntergehustet‹. Darstellung von Katharsis in Kleists Penthesilea.« In: Käthchen und seine Schwestern. Frauenfiguren im Drama um 1800. Internationales Kolloquium des Kleist-Archivs Sembdner, 12. und 13. Juni 1997 in der Kreissparkasse Heilbronn. Redaktion Günther Emig und Anton Philipp Knittel. Heilbronn 2000. (Heilbronner Kleist-Kolloquien 1), S. 81-104. Brandstetter, Gabriele: »Konjunkturen von Bewegung und Tanz.« In: Feger, Hans (Hrsg.): Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten. Heidelberg 2006, S. 151-176. Brittnacher, Hans Richard: »Wenn Laokoon schreit. Schmerz, Gewalt und der Schein der Kunst.« In: Assmann, Peter und Peter Kraml: Fiktion/non-fiction. Weltanschauung zwischen Vorstellung und Realität, Salzburg/Wien 1995, S. 13-25.
295
Gewalt und Anmut Brittnacher, Hans Richard: »Über Anmut und Würde.« In: Koopmann, Helmut (Hrsg.): Schiller Handbuch. Stuttgart 1998, S. 587-603. Bronfen, Elisabeth: Over her dead body. Death, femininity and the aesthetic. Manchester 1992. Bronfen, Elisabeth: The knotted subject. Hysteria and its discontents. Princeton, New Jersey 1998. Bronfen, Elisabeth: »Liebeszerstückelung. ›Penthesilea‹ mit Shakespeare gelesen.« In: Kleist-Jahrbuch (1999), S. 174-193. Brunotte, Ulrike: Helden des Tötens. Rituale der Männlichkeit und die Faszination der Gewalt. Dortmund 1995. Brunotte, Ulrike: Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne. Berlin 2004. Büssgen, Antje: Glaubensverlust und Kunstautonomie. Über die ästhetische Erziehung des Menschen bei Friedrich Schiller und Gottfried Benn. Heidelberg 2006. Busch, Werner: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. München 1993. Clasen, Thomas: »›Nicht mein Geschlecht beschwöre! Nenne mich nicht Weib‹?« Zur Darstellung der Frau in Schillers ›FrauenDramen‹ In: Grathoff, Dirk und Erwin Leibfried (Hrsg.): Schiller. Vorträge aus Anlaß seines 225. Geburtstages. Mit Vorträgen von Klaus L. Berghahn u. a. Frankfurt a. M. u. a. 1991 (Gießener Arbeiten zur Neueren Deutschen Literaturwissenschaft 8), S. 89111. Dabcovich, Elena: »Die Marionette. Die Lösung eines künstlerischen und moralischen Problems durch einen technischen Gedanken.« In: Sembdner, Helmut (Hrsg.): Kleists Aufsatz über das Marionettentheater. Studien und Interpretationen. Berlin 1967, S. 88-98. Dahlke, Birgit: Jünglinge der Moderne. Jugendkult und Männlichkeit in der Literatur um 1900. Köln 2006. (Literatur – Kultur – Geschlecht. Große Reihe 44) Debriacher, Gudrun: »Die Lesbarkeit der Seele in den Zeichen des Körpers. ›Penthesilea‹ – ein Trauerspiel von Heinrich von Kleist.« In: Beiträge zur Kleist-Forschung 17 (2003), S. 69-88. Debriacher, Gudrun: Die Rede der Seele über den Körper. Das commercium corporis et animae bei Heinrich von Kleist. Wien 2007. De Man, Paul: Allegorien des Lesens. Frankfurt a. M. 1988. (edition suhrkamp 1357. Neue Folge. 357) Dettmering, Peter: Heinrich von Kleist. Zur Psychodynamik seiner Dichtung. München 1975. Didi-Hubermann, Georges: Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot. München 1997. Dönike, Martin: Pathos, Ausdruck und Bewegung. Zur Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796-1806. Berlin 2005.
296
Literaturverzeichnis Duden, Barbara: »Das schöne Eigentum. Zur Herausbildung des bürgerlichen Frauenbildes an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.« In: Kursbuch 47. Frauen. März 1977, S. 125-142. Düsing, Wolfgang: »›Es ist der Geist, der sich den Körper baut‹. Der tragische Held in Schillers klassischen Dramen.« In: Düsing, Edith und Hans-Dieter Klein (Hrsg.): Geist und Literatur. Modelle in der Weltliteratur von Shakespeare bis Celan. Würzburg 2008, S. 81-106. Eagleton, Terry: Ästhetik. Die Geschichte ihrer Ideologie. Stuttgart/ Weimar 1994 Eichberg, Henning: Leistung, Spannung, Geschwindigkeit. Sport und Tanz im gesellschaftlichen Wandel des 18./19. Jahrhunderts. Stuttgart 1978. (Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik 12) Evangelista, Nick and Anita: The Woman Fencer. Terre Haute, Indiana 2001. Feger, Hans: Die Macht der Einbildungskraft in der Ästhetik Kants und Schillers. Heidelberg 1995. (Probleme der Dichtung 25) Feger, Hans: Poetische Vernunft. Moral und Ästhetik im Deutschen Idealismus. Stuttgart/Weimar 2007. Fischer, Ottokar: »Mimische Studien zu Heinrich von Kleist.« In: Euphorion 16 (1919), S. 62-92. Fischer-Lichte, Erika: Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Tübingen/Basel 1993 (UTB für Wissenschaft/Uni-Taschenbücher 1667), S. 83-87. Forty, George and Anne: Women War Heroines. London 1997. Frank, Manfred: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität. Stuttgart 1991. (Universal-Bibliothek 8689 [6]) Freese, Wolfgang und Ulrich Karthaus (Hrsg.): Friedrich Schiller. Die Jungfrau von Orleans. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1984 Frevert, Ute: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft. München 1991. Frevert, Ute: »Bürgerliche Meisterdenker und das Geschlechterverhältnis. Konzepte, Erfahrungen, Visionen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.« In: Dies.: (Hrsg.): Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert. Göttingen 1988, S. 17-48. Frevert, Ute: ›Mann und Weib und Weib und Mann‹ GeschlechterDifferenzen in der Moderne. München 1995. (Beck’sche Reihe 1100) Frevert, Ute: »Das Militär als ›Schule der Männlichkeit‹. Erwartungen, Angebote, Erfahrungen im 19. Jahrhundert.« In: Dies.
297
Gewalt und Anmut (Hrsg.): Gesellschaft und Militär im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1997, S. 145-173. Frick, Werner: »Ein echter Vorfechter für die Nachwelt. Kleists agonale Modernität – im Spiegel der Antike.« In: Kleist-Jahrbuch (1995), S. 44-96. Frommert, Christian: Heros und Apokalypse. Zum Erhabenen in Werken Heinrich Füsslis und William Blakes. Aachen 1996. Früchtl, Josef: Ästhetische Erfahrung und moralisches Urteil. Eine Rehabilitierung. Frankfurt a. M. 1996. Früchtl, Josef: Das unverschämte Ich. Eine Heldengeschichte der Moderne. Frankfurt a. M. 2004. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1693) Früchtl, Josef: »Ästhetische Subjektivität und gespaltene Moderne.« In: Braungart, Georg und Bernhard Greiner (Hrsg.): Schillers Natur. Leben, Denken und literarisches Schaffen. Hamburg 2005. (Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Sonderheft 6), S. 3-14. Fuhrmann, Helmut: »Revision des Parisurteils. ›Bild‹ und ›Gestalt‹ der Frau im Werk Friedrich Schillers.« In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 25 (1981), S. 316-366. Gallas, Helga: Kleist. Gesetz, Begehren, Sexualität. Zwischen symbolischer und imaginärer Identifizierung. Frankfurt a. M. 2005. Girard, Dale Anthony: Actors on Guard. A practical guide for the use of the rapier and dagger for stage and screen. New York 1997. Gnam, Andrea: »Die Rede über den Körper. Zum Körperdiskurs in Kleists Texten ›Die Marquise von O...‹ und ›Über das Marionettentheater‹.« In: Text und Kritik. Sonderband Heinrich von Kleist. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. In Zusammenarbeit mit Roland Reuss und Peter Staengle. München 1993, S. 170-176. Goebel, Eckart: Charis und Charisma. Grazie und Gewalt von Winckelmann bis Heidegger. Berlin 2006. Golz, Jochen: »Der Traum von Harmonie.« In: Dahnke, Hans Dietrich und Bernd Leistner (Hrsg.): Schiller. Das dramatische Werk in Einzelinterpretationen. Leipzig 1982, S. 193-217. Greiner, Bernhard: Eine Art Wahnsinn. Dichtung im Horizont Kants. Studien zu Goethe und Kleist. Berlin 1994. (Philologische Studien und Quellen 131) Greiner, Bernhard: »›Die neueste Philosophie in dieses ... Land verpflanzen.‹ Kleists literarische Experimente mit Kant.« In: KleistJahrbuch (1998), S. 176-208. Greiner, Bernhard: Grazie des unendlichen ›Bewußtseins‹. Prinz Friedrich von Homburgs Initiation in den Vernichtungskrieg. Heilbronn 1999. (Heilbronner Kleist-Schriften 12; Neue Folge 2)
298
Literaturverzeichnis Greiner, Bernhard: »›Ich zerriss ihn.‹ Kleists Re-Flexion der antiken Tragödie. (›Die Bakchen‹ – ›Penthesilea‹).« In: Beiträge zur KleistForschung 17 (2003), S. 13-28. Greiner, Bernhard: »Das Theater als Ort der Präsentation ›ganzer‹ Natur. (Die Kraniche des Ibycus, Die Jungfrau von Orleans).« In: Braungart, Georg und Ders. (Hrsg.): Schillers Natur. Leben, Denken und literarisches Schaffen. Hamburg 2005. (Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Sonderheft 6), S. 191-205. Grimm, Reinhold und Jost Hermand (Hrsg.): Die Klassik-Legende. Frankfurt a. M. 1971. Grimminger, Rolf: »Die ästhetische Versöhnung. Ideologiekritische Aspekte zum Autonomiebegriff am Beispiel Schiller.« In: Bolten, Jürgen (Hrsg.): Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung. Frankfurt a. M. 1984 (suhrkamp taschenbuch 2037), S. 161184. Grotkamp-Schepers, Barbara: »Der Körper und das Handeln.« In: Frohnhaus, Gabriele und Dies. (Hrsg.): Schwert in Frauenhand. Weibliche Bewaffnung. Erschienen zur Ausstellung »Schwert in Frauenhand« vom 22. November 1998 bis 7. Februar 1999 im Deutschen Klingenmuseum Solingen. Essen 1998, S. 94-113. Guthke, Karl S.: »Die Jungfrau von Orleans.« In: Koopmann, Helmut (Hrsg.): Schiller Handbuch. Stuttgart 1998, S. 442-451. Hacker, Hanna: Gewalt ist: keine Frau. Der Akteurin oder eine Geschichte der Transgressionen. Königstein/Taunus 1998. Hankamer, Paul: Zacharias Werner. Ein Beitrag zur Darstellung des Problems der Persönlichkeit in der Romantik. Bonn 1920. Hart, Gail: »Anmut’s Gender. The ›Marionettentheater‹ and Kleist’s Revision of ›Anmut und Würde‹.« In: Women in German Yearbook 10 (1995), S. 83-96. Hausen, Karin: »Die Polarisierung der ›Geschlechtscharaktere‹ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben.« In: Conze, Werner (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Stuttgart 1976, S. 363-393. Hausen, Karin und Heide Wunder (Hrsg.): Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte. Frankfurt a. M. 1992. Hesselhaus, Clemens: »Das Kleistsche Paradox.« In: Sembdner, Helmut (Hrsg.): Kleists Aufsatz über das Marionettentheater. Studien und Interpretationen. Berlin 1967, S. 112-131. Heuer, Fritz: »Sensuous-Objective. Beauty in the Realm of Human Freedom. On the Language of Concepts in Schiller’s Essay ›On Grace and Dignity‹.« In: Curran, Jane V. and Christophe Fricker (Hrsg.): Schillers »On Grace and Dignity« in its Cultural Context. Essays and a New Translation. Rochester/NY 2005 (Studies in
299
Gewalt und Anmut German literatur, linguistics, and culture, unnumbered), S. 5580. Hinderer, Walter: »›Vom giftigsten der Pfeile Amors sei,/ Heisst es, ihr jugendliches Herz Getroffen‹. Schillers ›Jungfrau von Orleans‹ und Kleists ›Penthesilea‹.« In: Beiträge zur Kleist-Forschung 17 (2003), S. 45-68. Hinderer, Walter: »Der Geschlechterdiskurs im 18. Jahrhundert und die Frauengestalten in Schillers Dramen.« In: Ders. (Hrsg.): Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Würzburg 2006. (Stiftung für Romantikforschung 40), S. 261-286. Hofmann, Werner: »Zu kunsthistorischen Problemen des Comic Strips.« In: Vom Geist der Superhelden. Comic Strips. Colloquium zur Theorie der Bildergeschichte in der Akademie der Künste Berlin. Zusammenstellung und Redaktion: Hans Dieter Zimmermann. Berlin 1970, S. 47-61. Hollander, Anne: Anzug und Eros. Eine Geschichte der modernen Kleidung. München 1995. Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib. Frankfurt a. M. 1991. Hopfner, Johanna: Mädchenerziehung und weibliche Bildung um 1800. Im Spiegel der populär-pädagogischen Schriften der Zeit. Bad Heilbrunn/Obb. 1990. Hunt, Lynn: Symbole der Macht – Macht der Symbole. Die französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur. Frankfurt a. M. 1989. Hunt, Lynn: »The Many Bodies of Marie Antoinette. Political Pornography and the Problem of the Feminine in the French Revolution.« In: Dies. (Hrsg.): Eroticism and the Body Politic. Baltimore/London 1991, S. 108-130. Hurstel, Sylvie: »Zur Entstehung des Problems des Erhabenen in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts. J.J. Winckelmann und G.E. Lessing.« In: Raulet, Gérard (Hrsg.): Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Rennes 1995, S. 111-149. Immer, Nikolas: Der inszenierte Held. Schillers dramenpoetische Anthropologie. Heidelberg 2008. Immerwahr, Raymond: »Sublime Manliness and lovely femininity.« In: Magill, Charles Philip u. a. (Hrsg.): Tradition and Creation. Essays in honour of Elizabeth Mary Wilkinson. Leeds 1978, S. 46-62. Jahraus, Oliver: »Held(innen) der deutschen Klassik.« In: Selbmann, Rolf (Hrsg.): Deutsche Klassik. Epoche – Autoren – Werke. Darmstadt 2005, S. 208-230.
300
Literaturverzeichnis Janz, Rolf-Peter: »Die Marionette als Zeugin der Anklage.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Kleists Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1981, S. 31-51. Janz, Rolf-Peter: »Die ästhetische Bewältigung des Schreckens. Zu Schillers Theorie des Erhabenen.« In: Hartmut Eggert u. a. (Hrsg.): Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Stuttgart 1990, S. 151-160. Janz, Rolf-Peter: »Ansichten der Juno Ludovisi.« In: Alt, Peter-André u. a. (Hrsg.): Prägnanter Moment. Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings. Würzburg 2002, S. 357-372. Kaiser, Gerhard: »Johannas Sendung. Eine These zu Schillers ›Jungfrau von Orleans‹.« In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 10 (1966), S. 205-236. Kelping, Karin: Frauenbilder im deutschen Barockdrama. Zur literarischen Anthropologie der Frau. Hamburg 2003. (Schriftenreihe Poetica 73) Kittler, Wolf: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Befreiungskriege. Freiburg i. Br. 1987. Klann-Delius, Gisela: Sprache und Geschlecht. Eine Einführung. Stuttgart/Weimar 2005. (Sammlung Metzler 349) Kleiner, Gerd: Die verschwundene Anmut. Frankfurt a. M. u. a. 1994 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur. 1470) Kluckhohn, Paul: Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik. Tübingen 1966. Knab, Janina: Ästhetik der Anmut. Studien zur ›Schönheit der Bewegung‹ im 18. Jahrhundert. Frankfurt a. M. u. a. 1996. Knittel, Anton Philipp: »›Soll ich den seidnen Latz noch niederreissen ...?‹ Anmerkungen zur Funktion von Kleidung in Heinrich von Kleists ›Penthesilea‹.« In: Beiträge zur Kleist-Forschung 17, 2003, S. 112-128. Koebner, Thomas: »Über Grazie. Vermischte Beobachtungen.« In: Brittnacher, Hans Richard und Fabian Stoermer (Hrsg.): Der schöne Schein und seine Schatten. Bielefeld 2000, S. 69-106. Kollmann, Anett: Gepanzerte Empfindsamkeit. Helden in Frauengestalt um 1800. Heidelberg 2004. (Probleme der Dichtung. Studien zur deutschen Literaturgeschichte 34) Koopmann, Helmut: Schiller. Eine Einführung. München und Zürich 1988. (Artemis Einführungen 37) Košenina, Alexander: Anthropologie und Schauspielkunst. Studien zur ›eloquentia corporis‹ im 18. Jahrhundert. Tübingen 1995. (Theatron. Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste 11)
301
Gewalt und Anmut Koschorke, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 1999. Koschorke, Albrecht: »Schillers Jungfrau von Orleans und die Geschlechterpolitik der Französischen Revolution.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Würzburg 2006. (Stiftung für Romantikforschung 40), S. 243260. Köppen, Manuel: Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert. Heidelberg 2005. (Probleme der Dichtung. Studien zur deutschen Literaturgeschichte 35) Kozielek, Gerard: Das dramatische Werk Zacharias Werners. Wroclaw 1967. Kreuzer, Helmut: »Die Jungfrau in Waffen. Hebbels ›Judith‹ und ihre Geschwister von Schiller bis Sartre.« In: Ders. (Hrsg.): Friedrich Hebbel. Darmstadt 1989 (Wege der Forschung 642), S. 276304. Krimmer, Elisabeth: Offizier und Amazone. Frauen in Männerkleidung in der deutschen Literatur um 1800. Ann Abor/Michigan 2000. Krimmer, Elisabeth: »Female War Stories. Violence and Trauma in Works by Therese Huber and Caroline de la Motte Fouqué.« In: Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Arnim Gesellschaft 17 (2005), S. 123-135. Krüger-Fürhoff, Irmela Marei: Der versehrte Körper. Revisionen des klassizistischen Schönheitsideals. Göttingen 2001. Laermann, Klaus: »Die riskante Person in der moralischen Anstalt. Zur Darstellung der Schauspielerin in deutschen Theaterzeitschriften des späten 18. Jahrhunderts.« In: Möhrmann, Renate (Hrsg.): Die Schauspielerin. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Bühnenkunst. Frankfurt a. M. 1989, S. 117-127. Landes, Joan: Women in the Public Sphere in the Age of French Revolution. Ithaca/London 1988. Lange, Sigrid: »Geschichte und Utopie in Schillers ›Jungfrau von Orleans‹. Versuch einer Neuinterpretation der Titelfigur.« In: Brandt, Helmut (Hrsg.): Friedrich Schiller. Angebot und Diskurs. Zugänge. Dichtung. Zeitgenossenschaft. Berlin/Weimar 1987, S. 311-319. Lawrence, Ryan: »Die Marionette und das ›unendliche Bewußtsein‹ bei Heinrich von Kleist.« In: Sembdner, Helmut (Hrsg.): Kleists Aufsatz über das Marionettentheater. Studien und Interpretationen. Berlin 1967, S. 171-195. Liechtenhan, Rudolf: Vom Tanz zum Ballett. Eine illustrierte Geschichte des Tanzens von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart/ Zürich 1983
302
Literaturverzeichnis Lönker, Fred: »Ästhetik und Moral. Über Anmut und Würde.« In: Sasse, Günter (Hrsg.): Schiller Werkinterpretationen. Heidelberg 2005, S. 199-220. Loraux, Nicole: Herakles. »Der Über-Mann und das Weibliche.« In: Schlesier, Renate (Hrsg.): Faszination des Mythos. Studien zu antiken und modernen Interpretationen. Basel/Frankfurt a. M. 1985, S. 167-208. Lubkoll, Christine: »Moralität und Modernität. Schillers Konzept der ›schönen Seele‹ im Kontext der literaturhistorischen Diskussion.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne. Würzburg 2006. (Stiftung für Romantikforschung 40) S. 83-100. Lü, Yixü: Frauenherrschaft im Drama des frühen 19. Jahrhunderts. München 1993. Luserke-Jaqui, Matthias (Hrsg.) unter Mitarbeit von Grit Dommes: Schiller Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart/Weimar 2005, S. 183. Madlener, Elisabeth: Die Kunst des Erwürgens nach Regeln. Von Staats- und Kriegskünsten, preußischer Geschichte und Heinrich von Kleist. Pfaffenweiler 1994 (Schnittpunkt Zivilisationsprozeß 8) Mai, Ekkehard: »Verklärung. Zur Ikonographie des Heldenbildes.« In: Michel, Karl Markus und Tilman Spengler (Hrsg.): Heroisierungen. Kursbuch 108. 1992, S. 88-102. Mainberger, Sabine: »Einfach (und) verwickelt. Zu Schillers Linienästhetik. Mit einem Exkurs zum Tanz in Hogarths ›Analysis of Beauty‹.« In: Deutsche Viertljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 79, 2. Heft (2005), S. 196-251. Mansouri, Rachid Jai: Die Darstellung der Frau in Schillers Dramen. Frankfurt a. M. 1988. (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur 1053) Martinez, J. D.: The swords of Shakespeare. An illustrated Guide to Stage Combat Choreography in the Plays of Shakespeare. Jefferson, North Carolina/London 1996. Mayer, Hans: Außenseiter. Frankfurt a. M. 1975. McCarthy, John A.: »Kopernikus und die bewegliche Schönheit. Schiller und die Gravitationslehre.« In: Braungart, Georg und Bernhard Greiner (Hrsg.): Schillers Natur. Leben, Denken und literarisches Schaffen. Hamburg 2005 (Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Sonderheft 6), S. 15-37. Meier, Albert: Dramaturgie der Bewunderung. Untersuchungen zur politisch-klassizistischen Tragödie des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1993 (Das Abendland. Neue Folge 23) Meier, Christian: Politik und Anmut. Eine wenig zeitgemäße Betrachtung. Stuttgart/Leipzig 2000.
303
Gewalt und Anmut Mencke, Bettine: »Körper-Bild und –Zerfällung, Staub. Über Heinrich von Kleists Penthesilea.« In: Öhlschläger, Claudia und Birgit Wiens (Hrsg.): Körper – Gedächtnis – Schrift. Der Körper als Medium kultureller Erinnerung. Berlin 1997 (Geschlechterdifferenz & Literatur 7), S. 122-156. Mennehet, Alan: »Idealism and Realism In Schiller’s Drama.« In: Curran, Jane V. and Christophe Fricker (Hrsg.): Schillers »On Grace and Dignity« in its Cultural Context. Essays and Translation. Rochester, NY 2005, S. 81-104. Menninghaus, Winfried: Das Versprechen der Schönheit. Frankfurt a. M. 2003. Menninghaus, Winfried: »Zwischen Überwältigung und Widerstand. Macht und Gewalt in Longins und Kants Theorien des Erhabenen.« In: Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 23 (1991), S. 1-19. Mertens, Veronika: Die drei Grazien. Studien zu einem Bildmotiv in der Kunst der Neuzeit. Wiesbaden 1994. (Gratia. Bamberger Schriften zur Renaissanceforschung 24) Meyer-Kalkus, Reinhart: »Schreit Laokoon? Zur Diskussion pathetisch-erhabener Darstellungsformen im 18. Jahrhundert.« In: Raulet, Gérard (Hrsg.): Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Rennes 1995, S. 67–110. Meyer-Sickendiek, Burkhard: Scham und Grazie. Zur Paradoxie der ›schönen Seele‹ im achtzehnten Jahrhundert. (28.05.2004.) URL: http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/epoche /meyers_seele.pdf (Stand: 12. November 2009) Mieszkowski, Jan: »The Pace of the Attack: Military Experience in Schiller’s ›Wallenstein‹ and ›Die Jungfrau von Orleans‹.« In: Goethe Yearbook XVI (2009), S. 29-46. Müller Farguell, Roger W.: Tanz-Figuren. Zur metaphorischen Konstitution von Bewegung in Texten. Schiller, Kleist, Heine, Nietzsche. München 1995. Müller-Seidel, Walter: »Penthesilea im Kontext der deutschen Klassik.« In: Hinderer, Walter (Hrsg.): Kleists Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1981, S. 144-171. Naumann, Michael: Strukturwandel des Heroismus. Vom sakralen zum revolutionären Heldentum. Königstein/Ts. 1984. Neu, Joschi: Wenn Achill tanzt ... Männlicher Bühnentanz vom Mythos zum Markenzeichen. Stuttgart 2002. Neubaur, Caroline: »›Penthesilea‹ und die Kategorie des Grässlichen.« In: Kleist-Jahrbuch (2003), S. 199-217. Niejahr, Johannes: »Heinrich von Kleists Penthesilea.« In: Vierteljahresschrift für Literaturgeschichte 6 (1893), S. 506 ff.
304
Literaturverzeichnis Nitschke, August: »Gymnastik, Fechten und Tanz im 18. Jahrhundert. Die Ausbildung des Körpers auf den Schulen von August Hermann Francke.« In: Neumann, Josef N. (Hrsg.): Das Kind in Pietismus und Aufklärung. Tübingen 2000 (Hallesche Forschungen 5), S. 333-347. Norton, Robert E.: The Beautyful Soul. Aesthetic Morality in the Eighteenth Century. Ithaca/London 1995. Nutz, Maximilian: »Lektüre der Sinne. Kleists Penthesilea als Körperdrama.« In: Grathoff, Dirk (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Studien zu Werk und Wirkung. Opladen 1988, S. 163-185. Oellers, Norbert: »›Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?‹ Zu Schillers Tragödie Die Jungfrau von Orleans.« In: Brandt, Helmut (Hrsg.): Friedrich Schiller. Angebot und Diskurs. Zugänge. Dichtung. Zeitgenossenschaft. Berlin 1987, S. 299-310. Opitz, Claudia: »Der Bürger wird Soldat – und die Bürgerin ...? Die Revolution und die Stellung der Frauen nach 1789.« In: SchmidtLinsenhoff, Viktoria (Hrsg.): Sklavin oder Bürgerin? Französische Revolution und neue Weiblichkeit 1760-1830. Katalog zu der gleichnamigen Ausstellung des Historischen Museums Frankfurt, 4.10.-4.12.1989. Marburg 1989, S. 38-53. Osterkamp, Ernst: »Gewalt in Goethes Faust.« In: Schieb, Roswitha (Hrsg.): Peter Stein inszeniert Faust von Johann Wolfgang von Goethe. Das Programmbuch Faust I und II. Köln 2000, S. 297302. Pachnicke, Claudine: »Einleitung.« In: Dies. (Hrsg.): Kunstkörper – Körperkunst. Texte und Bilder zur Geschichte der Beweglichkeit. Stuttgart 1989, S. 3-8. Petersen, Andrea: »Stationen der organisierten Bewegungskultur. Ein Überblick in Bildern.« In: Pachnicke, Claudine (Hrsg.): Kunstkörper – Körperkunst. Texte und Bilder zur Geschichte der Beweglichkeit. Stuttgart 1989, S. 25-34. Petersen, Julius: Schiller und die Bühne. Ein Beitrag zur Litteraturund Theatergeschichte der klassischen Zeit. Berlin 1904. Petersen, Susanne: Marktweiber und Amazonen. Frauen in der Französischen Revolution. Dokumente, Kommentare, Bilder. Köln 1987. (Kleine Bibliothek, Frauen 411) Pfeiffer, Joachim: »Grenzüberschreitungen. Der Geschlechterdiskurs in Kleists Penthesilea.« In: Recherches germaniques 35 (2005), S. 23-35. Pineiro Costas, Trinidad: Schillers Begriff des Erhabenen in der Tradition der Stoa und Rhetorik. Frankfurt a. M. 2006. (Europäische Hochschulschriften Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur 1928) Plume, Cornelia: Heroinen in der Geschlechterordnung. Weiblichkeitsprojektionen bei Daniel Casper von Lohenstein und die Querelle
305
Gewalt und Anmut des Femmes. Stuttgart 1996. (Ergebnisse der Frauenforschung 42) Politzer, Heinz: Das Schweigen der Sirenen. Studien zur deutschen und österreichischen Literatur. Stuttgart 1968. Pomezny, Franz: Grazie und Grazien in der deutschen Litteratur des 18. Jahrhunderts. Hamburg u. a. 1900. Prandi, Julie D.: Spirited Women Heroes. Major Female Characters in the Dramas of Goethe, Schiller und Kleist. New York u. a. 1983. (American University Studies I. Germanic languages and literature 22) Pries, Christine (Hrsg.): Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Weinheim 1989. Raulet, Gérard: »Von der Allegorie zur Geschichte. Säkularisierung und Ornament im 18. Jahrhundert.« In: Ders. (Hrsg.): Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Rennes 1995, S. 151-174. Rehm, Walter: »Römisch-romanischer Barockheroismus und seine Umgestaltung in Deutschland.« In: Ders.: Götterstille und Göttertrauer. Aufsätze zur deutsch-antiken Begegnung. München 1951, S. 11-61. Riedel, Wolfgang: Die Anthropologie des jungen Schiller. Zur Ideengeschichte der medizinischen Schriften und der ›Philosophischen Briefe‹. Würzburg 1985. (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft 17) Röper, Hella: Grazie und Bewusstsein bei Heinrich von Kleist. »Über das Marionettentheater.« Versuch einer komplexen Analyse. Aachen 1990. Rudloff-Hille, Gertrud: Schiller auf der deutschen Bühne seiner Zeit. Berlin/Weimar 1969. Rüdiger, Horst: »Schiller und das Pastorale.« In: Euphorion 53 (1959), S. 229-251. Runte, Annette: »Liebestraum und Geschlechtertrauma. Kleists Amazonentragödie und die Grenzen der Repräsentation‹«. In: Dies.: Lesarten der Geschlechterdifferenz. Studien zur Literatur der Moderne. Bielefeld 2005, S. 50-51. Ruprecht, Lucia: Dances oft he Self in Heinrich von Kleist, E.T.A. Hoffmann and Heinrich Heine. Adlershot 2006. Sauder, Gerhard: »Die Jungfrau von Orleans.« In: Hinderer, Walter: Schillers Dramen. Interpretationen. Stuttgart 1992 (UniversalBibliothek 8807), S. 336-384. Sautermeister, Gert: Idyllik und Dramatik im Werk Schillers. Zum geschichtlichen Ort seiner klassischen Dramen. Stuttgart u. a. 1971. Schaub, Martin: Heinrich von Kleist und die Bühne. Zürich 1966.
306
Literaturverzeichnis Schilling, René: Kriegshelden. Deutungsmuster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813-1945. Paderborn 2002. (Krieg in der Geschichte 15) Schlaffer, Heinz: Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen literarischer Widersprüche. Frankfurt a. M. 1973. (edition suhrkamp 624) Schmalzriedt, Egidius: Inhumane Klassik. Vorlesungen gegen ein Bildungsklischee. München 1971. Schmeer, Hans: Der Begriff der »schönen Seele« besonders bei Wieland und in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. Berlin 1926. Nachdruck 1967. (Germanische Studien 44) Schmidt, Jochen: Heinrich von Kleist. Studien zu seiner poetischen Verfahrensweise. Tübingen 1974. Schmidbauer, Wolfgang: Die Ohnmacht des Helden. Unser alltäglicher Narzissmus. Reinbek bei Hamburg 1981, S. 168-173. Schneider, Helmut J.: »Die schöne Frau. Zu einer Symbolfigur der klassischen Dramatik.« In: Dörr, Volker C. und Michael Hofmann (Hrsg.): »Verteufelt human?« Zum Humanitätsideal der Weimarer Klassik. Berlin 2008, S. 101-140. Schneider, Helmut J.: »Dekonstruktion des hermeneutischen Körpers. Kleists Aufsatz ›Über das Marionettentheater‹ und der Diskurs der klassischen Ästhetik.« In: Kleist-Jahrbuch (1998), S. 153-175. Schnitzer, Claudia: »›Ritterhafte Damen‹. Höfische Frauenturniere der frühen Neuzeit.« In: Frohnhaus, Gabriele u. a. (Hrsg.): Schwert in Frauenhand. Weibliche Bewaffnung. Anlässlich der Ausstellung »Schwert in Frauenhand«. 22.11.1998-07.02.1999 im deutschen Klingenmuseum Solingen. Essen 1998, S. 54-67. Schroedter, Stephanie: Vom ›Affect‹ zur ›Action›. Quellenstudien zur Poetik der Tanzkunst vom späten Ballet de Cour bis zum frühen Ballet en Action. Würzburg 2004. Schuller, Marianne: »Den ›Übersichtigkeiten‹ das Wort geredet.« In: Amstutz, Nathalie und Martina Kuoni (Hrsg.): Theorie – Geschlecht – Fiktion. Basel/Frankfurt a. M. 1994 (Nexus 13), S. 6173. Schuller, Marianne: »Der Wahn und seine Beziehung zur Metaphorizität.« In: Gutjahr, Ortrud (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Würzburg 2008 (Freiburger Literaturpsychologische Gespräche. Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse. 27), S. 121-132. Schulze, André: Mittelalterliche Kampfesweisen. Das lange Schwert. Talhoffers Fechtbuch Anno Domini 1467. Mainz a. R. 2006. Secher, Reynald: Le génocide franco-français: La Vendée-Vengé. Paris 1989.
307
Gewalt und Anmut Spickernagel, Ellen: »Zur Anmut erzogen – Weibliche Körpersprache im 18. Jahrhundert.« In: Brehmer, Ilse u. a. (Hrsg.): Frauen in der Geschichte IV. Düsseldorf 1983, S. 305-319. Snyder-Körber, MaryAnn: Das weiblich Erhabene. Sappho bis Baudelaire. München 2007. Stephan, Inge: »›Da werden Weiber zu Hyänen ...‹ – Amazonen und Amazonenmythen bei Schiller und Kleist.« In: Dies. und Sigrid Weigel (Hrsg.): Feministische Literaturwissenschaft. Dokumentation der Tagung vom Mai 1983. Berlin 1984 (Literatur im historischen Prozeß. Neue Folge 11) (Argument-Sonderband 120), S. 23-42. Stephan, Inge: »Hexe oder Heilige? Zur Geschichte der Jeanne d’Arc und ihrer literarischen Verarbeitung.« In: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft. Mit Beiträgen von Inge Stephan und Sigrid Weigel. Berlin/Hamburg 1988 (Argument Sonderband 96) (Literatur im historischen Prozess. Neue Folge 6), S. 35-66. Stephan, Inge: »Das Konzept der ›schönen Seele‹. Zur geschlechtlichen Codierung einer philosophisch-religiösen Figuration im Gender-Diskurs um 1800 – am Beispiel der Bekenntnisse einer schönen Seele von Goethe (1795/96) und Unger (1806).« In: Dies: Inszenierte Weiblichkeit. Codierung der Geschlechter in der Literatur des 18. Jahrhunderts. Weimar/Wien 2004, S. 189-204. Stocks, Daniela: Die Disziplinierung von Musik und Tanz. Die Entwicklung von Musik und Tanz im Verhältnis zu Ordnungsprinzipien christlich-abendländischer Gesellschaft. Opladen 2000. (Forschung Soziologie 50) Stolzenberg-Bader, Edith: »Weibliche Schwäche – Männliche Stärke. Das Kulturbild der Frau in medizinischen und anatomischen Abhandlungen um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert.« In: Martin, Jochen und Renate Zoepffel: Aufgaben, Rollen und Räume von Frau und Mann. Bd. II. München 1989, S. 751-818. Stuckert, Franz: Das Drama Zacharias Werners. Entwicklung und literargeschichtliche Stellung. Frankfurt a. M. 1926. Szondi, Peter: »Das Naive ist das Sentimentalische.« In: Euphorion 66 (1972), S. 174-206. Timm, Eitel: Geist und Gesellschaft. Zur deutschen Rezeption der französischen Revolution. München 1990. Tugendhat, Ernst: Vorlesungen über Ethik. Frankfurt a. M. 1993. Turner, Craig und Tony Soper: Methods and Practice of Elizabethan Swordplay. With a Foreword by Joseph Papp. Carbondale u. a. 1990. Ueding, Gert: »Winckelmanns Begriff des Schönen.« In: Raulet, Gérard (Hrsg.): Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entste-
308
Literaturverzeichnis hung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Rennes 1995, S. 41-66. Vinken, Barbara: »Himmelwärts entrückt. Die unerträgliche Leichtigkeit des Todes.« In: Brandstetter, Gabriele (Hrsg.): Figurationen, Gender – Literatur – Kultur. Köln/Weimar/Wien (1/2003), S. 13-26. Vinken, Barbara: »Rousseau und die Rhetorik der Geschlechter.« In: Bischoff, Doerte und Martina Wagner Egelhaaf (Hrsg.): Mitsprache, Rederecht, Stimmgewalt. Genderkritische Strategien und Transformationen der Rhetorik. Heidelberg 2006, S. 75-92. Vogel, Juliane: Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der ›großen Szene‹ in der Tragödie des 19. Jahrhunderts. Freiburg i. Br. 2002. (Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae 94) Vollmer, Hartmut: »›Die Wahrheit bleibt das Höchste‹. Die Historischen Romane Caroline de la Motte Fouqués.« In: Eke, Norbert Otto und Hartmut Steinecke (Hrsg.): Geschichten aus (der) Geschichte. Zum Stand des historischen Erzählens im Deutschland der frühen Restaurationszeit. München 1994. (Corvey Studien 4) S. 109-142. von Braun, Christina: Nicht Ich. Logik, Lüge, Libido. Frankfurt a. M. 1985. von Wiese, Benno: »Das verlorene und wieder zu findende Paradies. Eine Studie über den Begriff der Anmut bei Goethe, Kleist und Schiller.« In: Sembdner, Helmut (Hrsg.): Kleists Aufsatz über das Marionettentheater. Studien und Interpretationen. Berlin 1967, S. 196-220. Wägenbaur, Birgit: »Romantik für Jedermann. Caroline de la Motte Fouqués Erzählungen.« In: Bertschik, Julia und Katja DiegmannHornig (Hrsg.): Jahrbuch der Fouqué-Gesellschaft Berlin-Brandenburg 1999, S. 98-118. Wagner-Egelhaaf, Martina: »›Deutschland, bleiche Mutter‹. Ist die Nation (immer noch) eine Frau?« In: Bischoff, Doerte und Dies. (Hrsg.): Mitsprache, Rederecht, Stimmgewalt. Genderkritische Strategien und Transformationen der Rhetorik. Heidelberg 2006, S. 231-254. Wagner, Monika: »Freiheitswunsch und Frauenbild. Veränderung der ›Liberté‹ zwischen 1789 und 1830.« In: Stephan, Inge und Sigrid Weigel (Hrsg.): Die Marseillaise der Weiber. Frauen, die französische Revolution und ihre Rezeption. Hamburg 1989 (Literatur im historischen Prozeß. Neue Folge 26), S. 7-36. Weigel, Sigrid: »Wider die romantische Mode. Zur ästhetischen Funktion des Weiblichen in Friedrich Schlegels ›Lucinde‹.« In: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft. Mit Beiträgen von Inge Stephan und S.W.
309
Gewalt und Anmut Hamburg 1998. (Argument Sonderband 96) (Literatur im historischen Prozess. Neue Folge 6) S. 67-82. Wertheimer, Jürgen (Hrsg.): Ästhetik der Gewalt. Ihre Darstellung in Literatur und Kunst. Frankfurt a. M. 1986. Wickert, Gabriele M.: Das verlorene heroische Zeitalter. Held und Volk in Heinrich von Kleists Dramen. Bern/Frankfurt a. M./New York 1983. (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Dt. Sprache und Literatur 654) Wilcox, Kenneth Parmelee: Anmut und Würde. Die Dialektik der menschlichen Vollendung bei Schiller. Bern/Frankfurt a. M./Las Vegas 1981 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Dt. Sprache und Literatur 440) Wild, Christopher J.: Theater der Keuschheit – Keuschheit des Theaters. Zu einer Geschichte der (Anti-) Theatralität von Gryphius bis Kleist. Freiburg i. Br. 2003. Zelle, Carsten: Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche. Stuttgart/Weimar 1995. Zima, Peter V.: Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne. 2. Durchgesehene Auflage. Tübingen 2007. (UTB 2176) zur Lippe, Rudolf: Naturbeherrschung am Menschen I. Körpererfahrung als Entfaltung von Sinnen und Beziehungen in der Ära des italienischen Kaufmannskapitals. Frankfurt a. M. 1974.
310
ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften
Sebastian Gießmann, Ulrike Brunotte, Franz Mauelshagen, Hartmut Böhme, Christoph Wulf (Hg.)
Politische Ökologie Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2009 Oktober 2009, 158 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-1190-8 ISSN 9783-9331
ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent: Neben innovativen und qualitativ hochwertigen Ansätzen besonders jüngerer Forscher und Forscherinnen steht eine Masse oberflächlicher Antragsprosa und zeitgeistiger Wissensproduktion – zugleich ist das Werk einer ganzen Generation interdisziplinärer Pioniere noch wenig erschlossen. In dieser Situation soll die Zeitschrift für Kulturwissenschaften eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über Kultur und die Kulturwissenschaften bieten. Die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur, historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus kann so mit klugen interdisziplinären Forschungsansätzen fruchtbar über die Rolle von Geschichte und Gedächtnis, von Erneuerung und Verstetigung, von Selbststeuerung und ökonomischer Umwälzung im Bereich der Kulturproduktion und der naturwissenschaftlichen Produktion von Wissen diskutiert werden. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften lässt gerade auch jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die aktuelle fächerübergreifende Ansätze entwickeln.
Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen die Ausgaben Fremde Dinge (1/2007), Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft (2/2007), Kreativität. Eine Rückrufaktion (1/2008), Räume (2/2008), Sehnsucht nach Evidenz (1/2009) und Politische Ökologie (2/2009) vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected] www.transcript-verlag.de
Lettre Vittoria Borsò das andere denken, schreiben, sehen Schriften zur romanistischen Kulturwissenschaft (hg. von Heike Brohm, Vera Elisabeth Gerling, Björn Goldammer und Beatrice Schuchardt) 2008, 304 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-821-6
Eva Erdmann Vom Klein-Sein Perspektiven der Kindheit in Literatur und Film Juni 2010, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-89942-583-3
Wolfgang Hallet, Birgit Neumann (Hg.) Raum und Bewegung in der Literatur Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn 2009, 414 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1136-6
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
2010-01-19 11-13-15 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 0347231684393466|(S.
1-
3) ANZ1278.p 231684393474
Lettre Christof Hamann, Ute Gerhard, Walter Grünzweig (Hg.) Amerika und die deutschsprachige Literatur nach 1848 Migration – kultureller Austausch – frühe Globalisierung 2008, 296 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-966-4
Christian Kohlross Die poetische Erkundung der wirklichen Welt Literarische Epistemologie (1800-2000) Februar 2010, 230 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1272-1
Elena Stepanova Den Krieg beschreiben Der Vernichtungskrieg im Osten in deutscher und russischer Gegenwartsprosa 2009, 342 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1105-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
2010-01-19 11-13-15 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 0347231684393466|(S.
1-
3) ANZ1278.p 231684393474
Lettre Ulrike Bergermann, Elisabeth Strowick (Hg.) Weiterlesen Literatur und Wissen 2007, 332 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-606-9
Vittoria Borsò, Heike Brohm (Hg.) Transkulturation Literarische und mediale Grenzräume im deutsch-italienischen Kulturkontakt 2007, 272 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-520-8
Monika Ehlers Grenzwahrnehmungen Poetiken des Übergangs in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Kleist – Stifter – Poe 2007, 256 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-760-8
Manuela Günter Im Vorhof der Kunst Mediengeschichten der Literatur im 19. Jahrhundert 2008, 382 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-824-7
Arne Höcker, Oliver Simons (Hg.) Kafkas Institutionen 2007, 328 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-508-6
Fernand Hörner Die Behauptung des Dandys Eine Archäologie
Stefan Hofer Die Ökologie der Literatur Eine systemtheoretische Annäherung. Mit einer Studie zu Werken Peter Handkes 2007, 322 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-753-0
Anja K. Johannsen Kisten, Krypten, Labyrinthe Raumfigurationen in der Gegenwartsliteratur: W.G. Sebald, Anne Duden, Herta Müller 2008, 240 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-908-4
Tom Karasek Generation Golf: Die Diagnose als Symptom Produktionsprinzipien und Plausibilitäten in der Populärliteratur 2008, 308 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-880-3
Monika Leipelt-Tsai Aggression in lyrischer Dichtung Georg Heym – Gottfried Benn – Else Lasker-Schüler 2008, 392 Seiten, kart., 37,80 €, ISBN 978-3-8376-1006-2
Stefan Tigges (Hg.) Dramatische Transformationen Zu gegenwärtigen Schreib- und Aufführungsstrategien im deutschsprachigen Theater 2008, 386 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-512-3
2008, 356 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-913-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
2010-01-19 11-13-15 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 0347231684393466|(S.
1-
3) ANZ1278.p 231684393474