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German Pages 447 [448] Year 2014
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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Anja Klein
Geschichte und Gebet Die Rezeption der biblischen Geschichte in den Psalmen des Alten Testaments
Mohr Siebeck
Anja Klein, geboren 1977; Studium der Ev. Theologie in Bethel, St Andrews und Göttingen; 2008 Promotion; seit 2013 Chancellor’s Fellow (Hebrew Bible) an der University of Edinburgh; 2014 Habilitation im Fach Altes Testament an der Universität Göttingen.
e-ISBN PDF 978-3-16-153315-0 ISBN 978-3-16-153241-2 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Den Freunden in Göttingen und Edinburgh
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/14 von der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Habilitationsschrift angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Mein herzlicher Dank gilt zuallererst Herrn Prof. Dr. Reinhard G. Kratz, der mich als seine Assistentin nicht nur auf vielfache Weise gefördert hat, sondern mir auch den nötigen Freiraum und die Unterstützung gewährt hat, die es für die Fertigstellung der vorliegenden Arbeit brauchte. Darüber hinaus hat er das Projekt mit Interesse und Anteilnahme durch alle Höhen und Tiefen begleitet. Dass er darüber nach eigener Aussage zum Optimisten geworden ist, freut mich umso mehr. Nicht zuletzt gilt ihm mein Dank für die Erstellung des Erstgutachtens und für die tatkräftige Unterstützung meiner Bewerbungsreisen nach England und Schottland im letzten Jahr. Herzlich danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Hermann Spieckermann, der das Zweitgutachten verfasst hat. Er hat mich auf dem Weg zur Habilitation mit großem Interesse und hilfreicher Kritik begleitet und die Arbeit verdankt ihm manchen psalmentheologischen Anstoß. Mein Dank gilt schließlich Frau Prof. Dr. Corinna Körting für die Erstellung des Drittgutachtens. Ich danke den Herausgebern Prof. Dr. Konrad Schmid, Prof. Dr. Mark S. Smith und ein weiteres Mal Prof. Dr. Hermann Spieckermann für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe FAT mit der schönen blauen Leinenbindung. Mein Dank beim Verlag Mohr Siebeck geht insbesondere an Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Frau Dominika Zgolik, die die Drucklegung betreut haben. Freunde, Familie und Kollegen haben zum erfolgreichen Abschluss der Arbeit beigetragen. Hier sei Herrn PD Dr. Ingo Kottsieper dafür gedankt, dass er immer Zeit hatte, textkritische wie hebräische Spezialfragen mit mir zu erörtern. Frau Kirsten Hahne hat mit der ihr eigenen Effizienz und Freundlichkeit das tägliche Assistentendasein erleichtert. Ihr sei ebenso gedankt wie Frau Dr. Mareike Blischke, die sich als Korrekturleserin verdient gemacht hat. Den Freunden Dr. Birke Siggelkow-Berner und PD Dr. Christoph Berner danke ich für viele Stunden gemeinsam verbrachter Zeit. Sie haben sich darüber hinaus ebenso unermüdlich wie kritisch mit der Arbeit auf ihren unterschiedlichen literarischen Wachstumsstufen auseinander gesetzt. Im Oktober 2013 haben mich die Geschichte und das Gebet an die School of Divinity an der University of Edinburgh geführt. Here, I would like to
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Vorwort
thank my new colleagues for making me welcome and for their support throughout the time that I have devoted to this German “Habilitation”. Special thanks are due to Dr Helen Bond, Dr Alexander Chow, Prof. Dr Paul Foster and Dr David Reimer. It is a constant joy to be part of New College. Edinburgh, im August 2014
Anja Klein
Inhaltsverzeichnis Kapitel I: Einleitung ........................................................................ 1 1 Geschichte und Gebet: Die Geschichtspsalmen .......................................... 1 2 Forschungsgeschichtliche Positionierung und Ziel ..................................... 5 3 Zur Anlage der Studie ................................................................................ 12
Kapitel II: Der Exodus und seine Rezeption in Exodus 15 und Psalm 114 ....................................................................................... 15 1 Meerlied und Miriamlied: Exodus 15 ........................................................ 16 1.1 Übersetzung. ........................................................................................ 16 1.2 Textanalyse .......................................................................................... 19 1.2.1 Aufbau und literarische Einheitlichkeit ....................................... 19 1.2.2 Tradition und Redaktion .............................................................. 28 1.3 Psalmentheologie und Exodusüberlieferung ....................................... 34 2 Der Exodus im Pessach-Hallel: Psalm 114................................................ 50 2.1 Übersetzung ......................................................................................... 50 2.2 Textanalyse .......................................................................................... 51 2.3 Vom Herrn der ganzen Erde zum Gott Jakobs .................................... 57 2.4 Psalm 114 als Schlüsseltext der Komposition Psalm 111–118 ........... 66 2.4.1 Überblick ...................................................................................... 66 2.4.2 Die Psalmen 111–113; 115–118 .................................................. 66 2.4.3 Ertrag ............................................................................................ 74 3 Ergebnis und Konsequenzen für das weitere Vorgehen ............................ 79
Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung ............... 80 1 Übersetzung ............................................................................................... 80 2 Textanalyse ................................................................................................ 86 2.1 Aufbau und Gliederung ....................................................................... 86 2.2 Zum literarischen Wachstum ............................................................. 101
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Inhaltsverzeichnis
3 Sündengeschichte als Lehrunterweisung ................................................. 110 3.1 Das Geschichtsverständnis des Grundpsalms .................................... 110 3.2 Geschichte in den Fortschreibungen .................................................. 126 4 Geschichte in den Asaph-Psalmen ........................................................... 138 4.1 Zur kompositionellen Anlage der Sammlung .................................... 138 4.2 Die Einzelpsalmen 73–77; 79–83; 50 ................................................ 140 4.2.1 Psalm 73 ..................................................................................... 140 4.2.2 Psalm 74 ..................................................................................... 141 4.2.3 Psalm 75 ..................................................................................... 146 4.2.4 Psalm 76 ..................................................................................... 147 4.2.5 Psalm 77 ..................................................................................... 149 4.2.6 Psalm 79 ..................................................................................... 153 4.2.7 Psalm 80 ..................................................................................... 155 4.2.8 Psalm 81 ..................................................................................... 161 4.2.9 Psalm 82 ..................................................................................... 166 4.2.10 Psalm 83 ................................................................................... 168 4.2.11 Psalm 50 ................................................................................... 172 4.3 Psalm 78 als redaktioneller Schlüsselpsalm ...................................... 176 Exkurs: Psalm 44 und die Asaph-Psalmen .............................................. 182 5 Ergebnis ................................................................................................... 185
Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106 ........................... 187 1 Übersetzungen ......................................................................................... 188 1.1 Psalm 105........................................................................................... 188 1.2 Psalm 106........................................................................................... 192 2 Textanalysen ............................................................................................ 196 2.1 Psalm 105........................................................................................... 196 2.2 Psalm 106........................................................................................... 204 2.3 Zum literarischen Verhältnis ............................................................. 215 3 Von den Vätern bis zum Exil: Geschichtstheologie in den Zwillingspsalmen ..................................................................................... 219 3.1 Der Väterbund als grundlegendes Heilsereignis: Psalm 105 ............. 219 3.2 Der Verlust des Landes durch den Unglauben: Psalm 106 ............... 240
Inhaltsverzeichnis
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4 Gnade und Geschichte am Übergang vom vierten zum fünften Psalmenbuch ............................................................................................ 270 4.1 Überblick ........................................................................................... 270 4.2 Die Psalmen 100–104; 107 ................................................................ 271 4.2.1 Psalm 100 ................................................................................... 271 4.2.2 Psalm 101 ................................................................................... 271 4.2.3 Psalm 102 ................................................................................... 272 4.2.4 Psalm 103 ................................................................................... 276 4.2.5 Psalm 104 ................................................................................... 281 4.2.6 Psalm 107 ................................................................................... 286 4.3 Redaktionsgeschichtliche Auswertung .............................................. 295 5 Ergebnis ................................................................................................... 304
Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136 ........... 307 1 Übersetzungen ......................................................................................... 308 1.1 Psalm 135 ........................................................................................... 308 1.2 Psalm 136 ........................................................................................... 310 2 Textanalysen ............................................................................................ 312 2.1 Psalm 135 ........................................................................................... 312 2.2 Psalm 136 ........................................................................................... 318 2.3 Zum literarischen Verhältnis ............................................................. 325 3 Lob und Dank: Heilsgeschichte in Psalm 135 und 136 ........................... 328 3.1 Die Wundertaten des gnädigen Gottes: Psalm 136 ............................ 328 3.2 Der Exodusgott tut, was ihm gefällt: Psalm 135 ............................... 335 4 Von der Geschichte zum Reich Gottes: Psalm 135 und 136 im Horizont des fünften Psalmenbuches ....................................................... 342 4.1 Der Toda-Abschluss in Psalm 136..................................................... 342 4.2 Der neue Hallel-Schluss in Psalm 135 ............................................... 347 4.3 Die Wiederaufnahme der Exilsthematik in Psalm 137 ...................... 350 5 Ergebnis ................................................................................................... 356
Kapitel VI: Geschichte im Gebet.................................................. 357 1 Geschichte, Gebet und Identität ............................................................... 358 2 Zum Fortgang der Geschichte am Beispiel von Nehemia 9 .................... 382 3 Ausblick ................................................................................................... 391
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Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis ...................................................................................... 393 Stellenregister ............................................................................................... 409 Autorenregister ............................................................................................. 432
Kapitel I
Einleitung Der Titel ‚Geschichte und Gebet‘ benennt prägnant den Problemhorizont der vorliegenden Studie, die sich mit der Rezeption der biblischen Geschichte in den Psalmen des Alten Testaments befasst. 1 Den Untersuchungsgegenstand bilden die in der Forschung als Geschichtspsalmen bezeichneten poetischen Texte, in denen die biblische Geschichte zum Thema des Gebetes wird. Neben den Geschichtspsalmen des Psalterbuches (Ps 78; 105; 106; 114; 135; 136; 137) werden in dieser Arbeit auch das Miriam- und Meerlied in Ex 15 sowie das Bußgebet in Neh 9 berücksichtigt. Im Folgenden ist diese Klassifizierung und Auswahl des Untersuchungsmaterials zuerst näher zu begründen (Kap. 1), bevor vor diesem Hintergrund die Fragestellung der Studie im Rahmen eines forschungsgeschichtlichen Überblickes profiliert werden kann (Kap. 2). Abschließend ist in Kürze die Anlage der Untersuchung darzulegen (Kap. 3).
1 Geschichte und Gebet: Die Geschichtspsalmen 1 Geschichte und Gebet: Die Geschichtspsalmen
Die Abgrenzung einer Psalmengruppe als im weitesten Sinne ‚Geschichtspsalmen‘ geht auf die Forschung von HERMANN GUNKEL und J OACHIM BEGRICH (1933) zurück, die die drei Psalmen 78; 105 und 106 (mit Dtn 32 und Jes 63,7–64,11) als Gedichte klassifizierten, „in welche die Legende Eingang gefunden hat und denen sie durch die Breite ihres Stoffes ein besonderes Gepräge gibt“.2 Dabei halten sie aber fest, dass diese Aufnahme der Legende keine selbständige Psalmengattung geprägt habe, „sondern überall bekannten Gattungen untergeordnet erscheint, wo sie in Psalmen 1 Die Subsumierung der Psalmentexte unter dem Stichwort ‚Gebet‘ drückt keine Gattungsfestlegung aus. Sie ist zum einen dem Alliterationspotential des Begriffes geschu ldet und zum anderen inhaltlich darin begründet, dass es sich bei den Psalmen im weit eren Sinne um Gebetstexte Israels und des Judentums handelt; vgl. dazu auch u. Kap. VI. 1. 2 H. GUNKEL / J. B EGRICH, Einleitung in die Psalmen. Die Gattungen der religiösen Lyrik Israels, Göttingen 41985 (vormals HK II EB 1933), 324. Zuvor spricht bereits H. HUPFELD (1888) in Bezug auf die Psalmen 78; 105–107 von „geschichtlichen Pss.“ (H. HUPFELD, Die Psalmen. Übersetzt und ausgelegt, Bd. 2, Gotha 1888, 263).
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Kapitel I: Einleitung
vorkommt.“3 Ihre Beobachtung, dass die Darstellung des legendarischen Stoffes in den Psalmen durchweg abhängig ist von der Geschichte des Stoffes in der Prosadichtung, ist GUNKEL und BEGRICH Grund für die Annahme „daß die Legende, die auf anderem Boden erwachsen ist, erst nachträglich, und zwar erst in ziemlich später Zeit, Eingang in die Psalmdichtung gefunden hat.“ 4 Auch wenn GUNKEL und BEGRICH die Geschichtspsalmen hier zutreffend als relecture der erzählenden Überlieferung klassifizieren, ist der Untersuchungsgegenstand gegenüber der von ihnen vorgenommenen Textabgrenzung noch einmal neu zu bestimmen. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, herrscht zwar eine gewisse Einigkeit darüber, dass eine Reihe von Psalmentexten aufgrund ihrer thematischen Bezogenheit auf die biblische Geschichte zu einer Gruppe von ‚Geschichtspsalmen‘ zusammengestellt werden kann, die Ansätze differieren aber nicht nur in der konkreten Auswahl der Texte, sondern auch in der Frage, nach welchen Kriterien diese Auswahl zu treffen ist. 5 So hat AARE LAUHA (1945) den Begriff dahingehend ausgedehnt, dass es Psalmen gebe, „die sich ganz und gar auf legendarischen Stoff gründen, und zwar entweder so, dass ein Psalm ganze Reihen von geschichtlichen Vorgängen berührt, oder aber so, dass er um ein einziges historisches Vorkommnis kreist.“6 Zu dieser Gruppe zählt er die Psalmen 78; 105; 106; 111; 114; 135; 136 und 137 sowie Ex 15. Dagegen will CLAUS WESTERMANN (1963) nur Ps 78; 105; 106 sowie Ex 15; Dtn 32 und Jes 63,7–14 zu den Geschichtspsalmen rechnen.7 Er sieht diese Texte durch das gemeinsame Interesse verbunden, Gottes Wirken in der Geschichte zu preisen; dieser Bericht sei hier zum Hauptteil geworden oder habe sich zum eigenen Psalm verselbständigt. 8 Angesichts dieses divergierenden Befundes zieht DIETMAR MATHIAS (1993) schließlich die Konsequenz, auf die Verwendung des Begriffes ‚Geschichtspsalm‘ ganz zu verzichten und wählt stattdessen den literaturwissenschaftlichen Begriff ‚Geschichtssummarium‘, „der sowohl die Eigenart der GS [Geschichtssummarien] als auch ihre Verwendungsmöglichkeit in verschiedenen Gattungen angemessen umfaßt.“9 Hier stellt sich allerdings die Frage, ob nicht eine problemati3
GUNKEL/B EGRICH, Einleitung, 325. GUNKEL/B EGRICH, Einleitung, 325. 5 Vgl. dazu im Folgenden sowie die Problemanzeige bei MATHIAS, Geschichtstheologie, 29–31. 6 A. LAUHA, Die Geschichtsmotive in den alttestamentlichen Psalmen, AASF.B LVI,1, Helsinki 1945, 128. 7 C. W ESTERMANN, Vergegenwärtigung der Geschichte in den Psalmen, in: W OLF, E. (Hg.), Zwischenstation (FS K. Kupisch), München 1963, 253–280, 270. 8 Vgl. W ESTERMANN, Vergegenwärtigung, 270. 9 D. MATHIAS, Die Geschichtstheologie der Geschichtssummarien in den Psalmen, BEATAJ 35, Frankfurt a.M. u.a. 1993, 31. 4
1 Geschichte und Gebet: Die Geschichtspsalmen
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sche Benennung durch bloße Umetikettierung mit einem ebenso schwierigen Begriff ersetzt wird. Das Problem kann nicht durch eine neue Bezeichnung gelöst werden, sondern vielmehr ist genauer zu überlegen, welche Psalmen im Folgenden als Geschichtspsalmen klassifiziert werden können. Wie schon GUNKEL und BEGRICH gezeigt haben, gehören die in Frage kommenden Texte unterschiedlichen Gattungen an, so dass eine Auswahl nicht unter rein formgeschichtlichen Gesichtspunkten getroffen werden kann. Die Klassifizierung einer Textgruppe unter der Bezeichnung ‚Geschichtspsalmen‘ hat indes darin ihre Berechtigung, dass es eine Reihe von Psalmentexten gibt, die durch drei Merkmale miteinander verbunden werden. Zuerst werden sie von der Geschichtsthematik inhaltlich bestimmt und sie sind zweitens deutlich auf die erzählende Überlieferung der biblischen Geschichte bezogen, die in den Psalmen poetisch verarbeitet wird. Diese Rezeption zeichnet sich drittens durch ein hermeneutisches Prinzip aus, das Auswahl und Darstellung des geschichtlichen Stoffes in den Texten steuert. Darin wird die Erzählung über die biblische Geschichte transformiert und kann im Gebet von dem einzelnen Beter bzw. der Gemeinde erinnert und angeeignet werden. Unter diesen Kriterien sind im Folgenden insbesondere sieben Psalmentexte in den Blick zu nehmen. Der erste Geschichtspsalm im Ablauf des Psalters ist die große Lehrdichtung von Psalm 78, die in der Mitte der Asaph-Sammlung die Geschichte der Väter Israels vom Exodus bis zum Zion als eine Geschichte des wiederholten Abfalls darstellt. Einen ganz anderen Ton schlägt Psalm 105 an, der zusammen mit Psalm 106 ein Diptychon am Ende des vierten Psalmenbuches bildet. Psalm 105 bietet einen umfassenden Lobpreis des Abrahambundes und ordnet die Ereignisse der Geschichte auf die Inbesitznahme des Landes hin an. Dagegen stellt sein Zwilling Psalm 106 die Geschichte unter das Vorzeichen des fortwährenden Unglaubens der Väter, der schließlich zum Verlust des verheißenen Landes und in die Katastrophe von Exil und Diaspora führt. Ein weiteres Zwillingspaar liegt mit den zwei Einzelpsalmen des geschichtlichen Hallels Psalm 135 und 136 vor, die in der Mitte des vierten Psalmenbuches stehen. Bei Psalm 135 handelt es sich um einen Halleluja-Psalm, der einen umfassenden Lobpreis des Exodusgottes bietet, der seine Überlegenheit in Schöpfung und Geschichte erwiesen hat. Dagegen ist Psalm 136 ein TodaPsalm, der die Geschichte von der anfänglichen Schöpfung bis zur Erhaltung durch die tägliche Brotgabe in die Form eines umfassenden Dankes für Jhwhs immerwährende Güte kleidet. In seiner besonderen Form mit einem wiederkehrenden Refrain in der zweiten Vershälfte liegt mit dem Psalm (und damit mit dem geschichtlichen Hallel insgesamt) ein Gliederungseinschnitt im fünften Psalterbuch vor. In diesem Zusammenhang
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Kapitel I: Einleitung
wird auch das Reflexionsstück über das Exil in Psalm 137 zu berücksichtigen sein, das im direkten Anschluss an das geschichtliche Hallel folgt und von diesem zur fünften David-Sammlung (Ps 138–145) überleitet. Neben diesen großen ‚geschichtlichen‘ Kompositionsblöcken gibt es schließlich mit dem Exoduspsalm 114 in der Mitte des Ägyptischen Hallels noch einen weiteren Geschichtspsalm, der in Form eines poetischtheologischen Lehrstückes das Exodusereignis verarbeitet. Diese kurze Übersicht zeigt bereits, dass das Thema der biblischen Geschichte im Psalmenbuch vor allem an Stellen begegnet, mit denen kompositionsgeschichtliche Gliederungseinschnitte im Psalter vorliegen. 10 So bilden Psalm 78 und Psalm 114 jeweils die Mitte einer Sammlung, während die Zwillinge Psalm 105 und 106 das vierte Psalmenbuch abschließen. Mutmaßlich liegt auch mit dem geschichtlichen Hallel in Psalm 135 und 136 ein zwischenzeitlicher Abschluss im fünften Psalmenbuch vor, während der nachstehende Psalm 137 als literarisches Scharnier für eine weitere Ausbaustufe in Frage kommt. Es kann deshalb vermutet werden, dass der kompositionellen Positionierung der Geschichtspsalmen im Psalter eine entscheidende redaktionsgeschichtliche Bedeutung korrespondiert, die es in der folgenden Untersuchung zu erheben gilt. Die Studie wird sich dabei zuerst auf die Geschichtspsalmen im Psalter konzentrieren, um das Phänomen der Verbindung von Geschichte und Gebet im literarischen und redaktionsgeschichtlichen Horizont dieses Buches zu untersuchen. Auf diese Weise können rezeptions- und redaktionsgeschichtliche Linien ausgezogen werden, die die diachrone Differenzierung der Geschichtspsalmen erlauben. Über die Texte des Psalmenbuches hinaus gibt es aber eine Reihe weiterer Gebete in der Hebräischen Bibel, die nach den oben aufgestellten Kriterien zu den Geschichtspsalmen zu zählen sind. Dabei handelt es sich um Ex 15; Dtn 32; Ri 5; Jes 63,7–14; Esr 9; Neh 9; Dan 9 und 1 Chr 16,7–36. Von diesen werden in der folgenden Untersuchung insbesondere zwei Texte berücksichtigt, die sprachlich und inhaltlich eng mit den psalterinternen Gebeten verbunden sind, so dass hier exemplarisch die literarhistorische Entwicklung über den Psalter hinaus beobachtet werden kann. Das erste Beispiel stellt das Miriam- und Meerlied in Ex 15 dar. Mit diesem Text liegt sozusagen das psalterexterne Gegenstück zu Ps 114 vor, da die poetische Darstellung des Meerwunders in den narrativen Kontext der Exoduserzählung eingebettet ist. Der Vergleich von Ex 15 und Ps 114 bietet sich deshalb auch als Einstieg für die Untersuchung an, da das Phänomen von Geschichte im Gebet hier in unterschiedlichen literarischen Überlieferungsbereichen analysiert werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch die klassische Position zu 10
Zum Zusammenhang von Buchunterteilungen und der Geschichtsthematik im Psalter vgl. schon KRATZ, Gnade, 36–38, und ausführlich DERS., Tora, 21–28.
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überprüfen sein, derzufolge mit Ex 15 ein vorexilisches Traditionsstück vorliegt, das als „ältester (erhaltener) Psalmtext mit heilsgeschichtlichem Sujet“11 in Frage kommt. Mit dem zweiten Text, dem Gebet in Neh 9, befindet sich die Studie dagegen in der literarischen Nachgeschichte der Psaltertexte, da Neh 9 unschwer als Systematisierung und Fortschreibung der psalterinternen Geschichtspsalmen zu erkennen ist. Das Gebet aus dem Nehemiabuch soll deshalb im Rahmen der Zusammenfassung kurz analysiert werden, da es einen Ausblick auf die weitere Rezeption der biblischen Geschichte über das Psalmenbuch hinaus erlaubt.
2 Forschungsgeschichtliche Positionierung und Ziel 2 Forschungsgeschichtliche Positionierung und Ziel
Die klassische Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen geschichtlicher Überlieferung und ihrer Aufnahme in den Psalmentexten hat 1938 GERHARD VON RAD gegeben.12 Maßgeblich für seine Position wurde die Überzeugung, dass die geschichtliche Überlieferung in den Quellenschriften des Hexateuchs als Ausgestaltung des kleinen geschichtlichen Credos (nach VON RAD in seiner ältesten Form Dtn 26,5b–9, sowie Dtn 6,20–24; Jos 24,2b–13) zu verstehen sei. 13 Kern dieses heilsgeschichtlichen Schemas bildeten die Überlieferungen von Schilfmeerwunder, Wüstenwanderung und Landnahme; die Offenbarung am Sinai will VON RAD dagegen überlieferungsgeschichtlich mit einer eigenen Tradition erklären, die erst spät mit dem im kleinen geschichtlichen Credo überlieferten Schema verbunden worden sei. 14 Im Rahmen dieser Erklärungshypothese gelten ihm die geschichtlichen Darstellungen in der Poesie als „[f]reie Abwandlungen des Credo in der Kultlyrik“. 15 In seiner späteren „Theologie des Alten Testaments“ (1960) 16 behandelt VON RAD die Geschichtspsalmen deshalb unter der Überschrift „Israel vor Jahweh“17 und versteht den Lobpreis von Jhwhs Taten in der Geschichte als Antwort Israels. Dabei sieht er in der Aufzählung der „bruta facta“ 18 in Ps 136 die älteste 11 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 157 (vgl. zu seiner Position u. Kap. 2 ). Zuvor gilt schon V. RAD, Theologie I, 368, Ex 15 als „urtümlichster Lobpreis“ und damit als die erste Antwort Israels auf die geschichtlichen Heilstaten Gottes. 12 G. VON RAD, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuchs, BWANT 78 (= IV 26), Stuttgart 1938. 13 Vgl. VON RAD, Problem, 1–7; vgl. dazu auch DERS., Theologie I, 135–142. 14 Vgl. VON RAD, Problem, 2–11. 15 VON RAD, Problem, 7; vgl. VON RAD, a.a.O., 7–11. 16 G. VON RAD, Theologie des Alten Testaments. Bd. I: Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels, München 71978 (1960). 17 VON RAD, Theologie I, 366. 18 VON RAD, Theologie I, 368.
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Kapitel I: Einleitung
Form, während Ps 106 und Ps 78 als Beispiele dafür angeführt werden, wie im Zuge der epischen Verbreiterung das Versagen Israels zum Gegenstand der Betrachtung gemacht wird.19 Die These VON RADs hat lange die Diskussion über die Geschichtspsalmen im Alten Testament bestimmt. Als Erster ist hier erneut AARRE LAUHA (1945) zu nennen, der es sich zum Ziel setzt, „anhand der in den Psalmen vorkommenden Geschichtsmotive darzulegen, welchen geschichtlichen Begebenheiten die Psalmen ihre Aufmerksamkeit zuwenden, welche Bewertung sie ihnen zuteil werden lassen, und welche Bedeutung als religiöses Motiv sie den verschiedenen Ereignissen zuerkennen.“ 20 Im thematisch gegliederten Hauptteil seiner Studie untersucht LAUHA jeweils, an welche Geschichtstraditionen sich die Darstellungen in den Psalmen anschließen und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass der Psalter „zahlreiche Hinweise und Anspielungen auf Ereignisse der Vergangenheit“ 21 enthalte, wobei mit der Schöpfung und der Geschichte der mosaischen Zeit zwei Motive der Frühzeit im Vordergrund stünden. 22 Diese Bündelung erklärt er im Anschluss an VON RAD mit der lebendigen Überlieferung, auf die sich die Psalmisten gestützt hätten und die einen festen Ereigniskreis umfasst habe: „Die Eckpfeiler dieses Schemas von geschichtlichen Begebenheiten waren die Wunder des Auszugs, gewisse Vorgänge während der Wüstenwanderung und der Einzug.“23 Diese forschungsgeschichtliche Linie wird von CLAUS WESTERMANN in seinem Aufsatz zur „Vergegenwärtigung der Geschichte in den Psalmen“ (1963) fortgeführt. 24 Dieser geht wie LAUHA und VON RAD von der Annahme eines Schemas in Form eines bestimmten, fest umgrenzten Ereigniskreises aus, das in den Psalmen vergegenwärtigt werde. 25 Aus der Beobachtung, dass sich das geschichtliche Credo und der Lobpsalm in ihrer Struktur entsprechen, 26 schließt er, dass in den Lobpsalmen der „ursprüngliche Zusammenhang der Vergegenwärtigung von Geschichte in den Psalmen“27 vorliege. Demgegenüber stellten die Geschichtspsalmen, in denen als zusätzliches Element die (negative) Reaktion Israels thematisiert wird, „erst sekundäre Bildungen“ 28 dar. WESTERMANN eröffnet damit als Erster eine literarhistorische Perspektive, indem er eine ältere Form der Verge19
Vgl. VON RAD, Theologie I, 368. LAUHA, Geschichtsmotive (vgl. o. Anm. 6), 8. 21 LAUHA, Geschichtsmotive, 128. 22 Vgl. LAUHA, Geschichtsmotive, 129. 23 LAUHA, Geschichtsmotive, 133. 24 Vgl. dazu o. Anm. 7. 25 Vgl. W ESTERMANN, Vergegenwärtigung, 265f. 26 Vgl. W ESTERMANN, Vergegenwärtigung, 266f. 27 W ESTERMANN, Vergegenwärtigung, 268. 28 W ESTERMANN, Vergegenwärtigung, 268. 20
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genwärtigung von Gottes Heilstaten in den Lobpsalmen von einer sekundären Kontrastierung mit dem sündigen Verhalten des Volkes in ausgewählten Geschichtspsalmen unterscheidet. 29 Eine Weiterführung von WESTERMANNs Studie unternimmt dessen Schüler J OHANNES KÜHLEWEIN in seiner Monographie „Geschichte in den Psalmen“ (1973). 30 Er formuliert das Desiderat, dass „eine systematische Untersuchung der Form und Funktion des Redens von Geschichte im jeweiligen Zusammenhang einer Psalmganzheit immer noch“ 31 ausstehe. Dieser Ausgang von der formgeschichtlichen Fragestellung schlägt sich darin nieder, dass KÜHLEWEIN im ersten Teil seiner Arbeit eine Unterteilung des Untersuchungsmaterials in unterschiedliche Psalmengattungen vornimmt, während er im zweiten Teil die einzelnen Traditionen in Israels Reden von Geschichte nach ihrer Herkunft befragt. Der Glaube beziehe sich dabei jeweils auf vorliegende Einzeltraditionen, wobei sich die Konzentration auf den Anfang der Geschichte Israels vor allem durch das allmähliche Zusammenwachsen der Pentateuchquellen erkläre, die nur bis zur Landnahme reichten. 32 Sein Ausgang von der traditionsgeschichtlichen Fragestellung lässt KÜHLEWEIN letztlich nicht über die These VON RADs hinausgehen, indem er die unterschiedliche Rede von Geschichte in den Psalmen rein überlieferungsgeschichtlich erklären will. Die Frage nach einem möglichen literarischen Verhältnis zwischen den Pentateuchtexten und den Geschichtsdarstellungen im Psalter spielt in seiner Untersuchung keine Rolle, sondern Unterschiede im Einzelnen gelten KÜHLEWEIN als Ausweis, dass die Geschichtspsalmen „in einem eigenen und vom ausgestalteten Pentateuch unabhängigen Traditionszusammenhang“ 33 stünden. In gleicher Weise verbleibt auch die Dissertationsschrift von ERIK HAG34 LUND („Historical Motifs in the Psalms“, 1984) im Rahmen des durch VON RAD eröffneten Zuganges. In einer form- und motivgeschichtlichen Analyse setzt dieser es sich zum Ziel, die kultische Funktion der „historical psalms“ und ihre Bedeutung in der Ideengeschichte des Alten Testaments zu untersuchen. 35 Dabei will er die historischen Motive in ihrer Ent29 Vgl. W ESTERMANN, Vergegenwärtigung, 275; als Beispiele für die Geschichtspsalmen, in denen die negative Reaktion des Volkes thematisiert wird, nennt er Ps 78 und Ps 106 sowie die Festpsalmen 81 und 95 (vgl. W ESTERMANN, a.a.O., 274). 30 J. KÜHLEWEIN, Geschichte in den Psalmen, CThM.BW 2, Stuttgart 1973. 31 KÜHLEWEIN, Geschichte, 15. 32 Vgl. KÜHLEWEIN, Geschichte, 163f. 33 KÜHLEWEIN, Geschichte, 146. Dieses Urteil findet sich mit Bezug auf die Plagen darstellung in den zwei Psalmen 78 und 105, bei denen „nicht an eine literari sche Abhängigkeit beider Psalmen von der bereits abgeschlossenen Pentateucherzählung“ g edacht werden dürfe (ebd.). 34 E. HAGLUND, Historical Motifs in the Psalms, CB.OT 23, Uppsala 1984. 35 Vgl. HAGLUND, Motifs, 7.
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Kapitel I: Einleitung
stehung auf zwei Sitze im Leben zurückführen: Das Fest der Bundeserneuerung und die Vorstellung des Heiligen Krieges, wo die Ereignisse den Grund für Gottes Lobpreis darstellten. 36 Diese kultische Verankerung der Geschichtsmotive in den Psalmen muss aufgrund der Quellenlage zur vorexilischen Religionsgeschichte Israels höchst spekulativ bleiben, so dass die Studie von HAGLUND kaum einen Erkenntnisgewinn gegenüber den zuvor veröffentlichten Untersuchungen bietet. Im Gegenüber zu diesen vier Arbeiten (LAUHA, WESTERMANN, KÜHLEWEIN, HAGLUND) sind in der Folgezeit zwei Studien erschienen, die zwar den Ausgang bei den methodischen Prämissen VON RADs nehmen, sich in ihrem Ergebnis aber dezidiert von diesem abgrenzen. Hier ist zuerst die Habilitationsschrift von SIEGFRIED KREUZER über „Die Frühgeschichte Israels in Bekenntnis und Verkündigung des Alten Testaments“ (1989) 37 zu nennen. Dieser stellt sich in seiner Studie der Aufgabe, „die sogenannten Credotexte bzw. Geschichtssummarien, im Blick auf ihre Aussagen und Bedeutung und im Blick auf ihre Tragfähigkeit für bestimmte Theorien über die alttestamentliche Geschichtsüberlieferung und die Pentateuchentstehung zu untersuchen.“38 Zwar spricht er sich gegen die bei VON RAD vorgenommene Klassifizierung der untersuchten Credoformulierungen als Gattungen einer längeren mündlichen Überlieferung aus und weist ihnen einen „Sitz in der Literatur“ 39 zu, will aber generell an der Existenz eines vorexilischen Gesamtbildes der Geschichte Israels festhalten. 40 Als ältere Elemente arbeitet er die „Exodusthoda“ von Num 20,15f. und das Bekenntnis über den umherirrenden aramäischen Vater in Dtn 26,5 heraus. Diese seien in der Folge zu einem heilsgeschichtlichen Summarium in Dtn 26 verbunden worden, das zum Vorbild entsprechender anderer Texte werden konnte. 41 In einem Ausblick ordnet KREUZER die Geschichtspsalmen Ps 77; 78; 105; 106; 135; 136 sowie Ex 15 in diese Rezeptionslinie ein, in denen er durchweg eine nachexilische Überführung der Geschichte in Bekenntnis und Lobpreis sieht. 42 Auch wenn KREUZER in der Beurteilung der Geschichtspsalmen als Rezeptionstexte aus nachexilischer Zeit wichtige Weichen für die Frage nach ihrem Verhältnis zur geschichtlichen Überlieferung stellt, bleibt er doch letztlich mit dem Ausgang von einem vorexilischen Geschichtsbild (und seinen Thoda-Stücken Num 20,15f.; Dtn 26,5) 36
Vgl. HAGLUND, Motifs, 119–128. S. KREUZER , Die Frühgeschichte Israels in Bekenntnis und Verkündigung des Alten Testaments, BZAW 178, Berlin/New York 1989. 38 KREUZER , Frühgeschichte, 1. 39 KREUZER , Frühgeschichte, 253. 40 Vgl. KREUZER , Frühgeschichte, 252.257. 41 Vgl. KREUZER , Frühgeschichte, 181. 42 Vgl. KREUZER , Frühgeschichte, 2.231–248. 37
2 Forschungsgeschichtliche Positionierung und Ziel
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dem traditions- und überlieferungsgeschichtlichen Ansatz seiner Vorgänger verhaftet. 43 Einen Schritt weiter in der Kritik geht DIETMAR MATHIAS in seiner Habilitationsschrift über „Die Geschichtstheologie der Geschichtssummarien in den Psalmen“ (1993). 44 Dieser setzt es sich dezidiert zum Ziel, anhand einer Analyse der Geschichtssummarien in den Psalmen 78; 105 und 106 „einen Beitrag zur Lösung der Fragen um ein ‚kleines Credo‘ zu leisten.“ 45 Er kommt dabei zu dem Schluss, dass es sich bei den untersuchten Texten um „Schöpfungen der nachexilischen Gemeinde“ 46 handele und eine Herleitung der Gattung Geschichtssummarium von einem kleinen geschichtlichen Credo nicht mehr haltbar sei. 47 Stattdessen führt MATHIAS den Nachweis, dass die Stoffauswahl in den einzelnen Geschichtssummarien „intentional gesteuert“ 48 sei und systematisiert das Aussageprofil der drei Psalmen in den zwei (Haupt-)Deutungsmodellen von „Ungehorsam und Strafe“ (Ps 78; Ps 106) sowie „Verheißung und Erfüllung“ (Ps 105);49 am Ende von Ps 78 sei zudem noch das Modell von „Verwerfung und Erwählung“ wirksam.50 Diese unterschiedlichen Interpretationsmodelle entwickelt MATHIAS in Aufnahme der von NORBERT LOHFINK an Dtn 26 aufgezeigten Grundschemata der Geschichtsdeutung. 51 Er muss sich deshalb die Anfrage gefallen lassen, ob er die traditions- und überlieferungsgeschichtliche Bedeutung des kleinen geschichtlichen Credos nicht mit einer hermeneutischen Schlüsselbedeutung von Dtn 26 ersetzt, die allein forschungsgeschichtlich begründet wird. Auch wenn MATHIAS die Frage nach der inhaltlichen Entlehnung der Stoffe aus dem Pentateuch erstmals ausführlich thematisiert, liegt sein Schwerpunkt auf der Darstellung der Deu43
So kann KREUZER , Frühgeschichte, 140, die „Thoda“ selbst als „geschichtliches Credo“ bezeichnen. Vgl. auch die Kritik von W ASCHKE , Rez. Kreuzer, 879, der die Frage stellt, „ob auch bei Kreuzer das Credo gleich einem Phönix aus der Asche wieder ersteht; nicht in allen Stücken so sicher, vor allem nicht ganz so alt; teilweise vielschic htiger, aber doch von grundsätzlich traditions- und überlieferungsgeschichtlicher Bedeutung von der frühen Königszeit an.“ 44 Vgl. dazu o. Anm. 9. 45 MATHIAS, Geschichtstheologie, 15; zu Begriff und Verständnis des ‚Geschichtssummarium‘ in seiner Studie vgl. o. Kap. 1 . Die Beschränkung auf die drei Psalmen 78; 105 und 106 spiegele kein inhaltliches Urteil wieder, sondern sei der vorgegebenen Umfangsbeschränkung der Arbeit geschuldet (vgl. ebd.). 46 MATHIAS, Geschichtstheologie, 207. 47 Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 207. 48 MATHIAS, Geschichtstheologie, 208. 49 Vgl. dazu die Einzelanalysen sowie MATHIAS, Geschichtstheologie, 212–217. 50 Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 214. 51 Es handelt sich dabei um die Schemata ‚Sklaverei – Befreiung aus der Sklaverei‘, ‚Not – Hilfe‘ und ‚Verheißung – Erfüllung‘, vgl. dazu die Ausführungen bei MATHIAS, Geschichtstheologie, 210–212.
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Kapitel I: Einleitung
tungsmodelle und der Frage nach der theologischen Bedeutung der Geschichte in den Psalmen. Seine Ergebnisse bedürfen deshalb der weiteren literar- und rezeptionsgeschichtlichen Profilierung. An dieser Stelle setzt auch die Kritik von VOLKER PRÖBSTL an, der in seiner Dissertationsschrift „Nehemia 9, Psalm 106 und Psalm 136 und die Rezeption des Pentateuchs“ (1997) 52 einen dezidiert literar- und rezeptionsgeschichtlichen Ansatz verfolgt. Er erklärt die Berührungen zwischen den Psalmentexten und dem Pentateuch als ein literarisches Phänomen und zeigt, dass der abgeschlossene Pentateuch in den Psalmen vorausgesetzt und ausgelegt wird. 53 PRÖBSTL ist damit der erste Exeget, der die Frage nach der Geschichtstheologie in den Psalmen aus dem Zusammenhang mit der Frage nach dem kleinen geschichtlichen Credo löst. Ein Desiderat bleibt bei ihm gleichwohl der Einbezug der redaktionsgeschichtlichen Perspektive, die ergänzend zur rezeptionsgeschichtlichen Fragestellung das relative Verhältnis der Texte zueinander berücksichtigt. Bevor dies näher ausgeführt werden kann, ist abschließend noch die Habilitatonsschrift von HERMANN SPIECKERMANN zu nennen, der sich unter dem Vorzeichen der „Heilsgegenwart“ 54 zwar mit einem weiteren Problemhorizont und einer breiteren Textbasis beschäftigt, dessen Ergebnisse aber von einiger Bedeutung für die hier verfolgte Fragestellung sind. Er sieht das Zentrum der Psalmentheologie in der Tempeltheologie, der gegenüber die Geschichtsthematik ein späteres Phänomen im Psalterbuch darstelle. 55 Den Ursprung der Geschichtsthematik sieht er noch vorexilisch in der „konsequente[n] mythische[n] Durchdringung des heilsgeschichtlichen Stoffes in Ex 15“,56 wo theologische Denkarbeit geleistet werde, die sich später für die Geschichtstheologie im Psalter als fruchtbar erweise. 57 Stehe am Anfang in den Psalmen die Konfrontation mit der Unheilsgeschichte (Ps 137), zeigt er für Ps 74; 78 und 114 eine literar- und theologiegeschichtliche Entwicklung auf, in der nachexilisch Klage und Lob des Einzelnen auf das Volk übertragen würden und die Heilsgeschichte „die mythische Funktion der gründenden Urzeit“ 58 übernehme. Auch wenn die historische Einordnung von Ex 15 als eines vorexilischen Textes noch einmal kritisch zu hinterfragen sein wird, kann SPIECKERMANN eine überzeugende literarhistori52 V. P RÖBSTL, Nehemia 9, Psalm 106 und Psalm 136 und die Rezeption des Pentateuchs, Göttingen 1997. 53 Vgl. die einführende These (P RÖBSTL, Rezeption, 6) sowie die zusammenfassende Darstellung bei P RÖBSTL, a.a.O., 205–219. 54 H. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen, FRLANT 148, Göttingen 1989. 55 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 158. 56 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 158. 57 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 159. 58 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 159.
2 Forschungsgeschichtliche Positionierung und Ziel
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sche Differenzierung der Texte vorlegen und leistet damit wertvolle Vorarbeit für die hier verfolgte Fragestellung. Der Forschungsüberblick zeigt, dass die Frage nach Geschichte und Gebet lange nicht monographisch untersucht worden ist und einer neuen Bearbeitung bedarf. Diese hat sich einer doppelten Aufgabe zu stellen: Zuerst ist das Verhältnis zwischen der erzählenden Überlieferung und den Geschichtspsalmen als literarisches Phänomen zu betrachten, so dass ausgehend von den Psalmentexten nach den zugrunde liegenden Rezeptionsvorgängen zu fragen ist. 59 Diese Forderung zieht zweitens eine redaktionsgeschichtliche Rückbindung nach sich, da die Psalmen nicht nur als Einzeltexte betrachtet werden können, sondern als Teil des Psalters an den Wachstumsprozessen des Buches partizipieren. Die Profilierung der literarischen Rezeptionsvorgänge in den einzelnen Psalmentexten wird deshalb durch die Frage zu ergänzen sein, welche Funktion der Geschichtsthematik in der Entstehung des Psalters zukommt. Der Ertrag dieser doppelten Fragestellung ist abschließend dahingehend zu systematisieren, welche Bedeutung der Rezeption der erzählenden Überlieferung in den Psalmengebeten für die Religions- und Theologiegeschichte Israels beigelegt werden kann. Kurz vor Abschluss der hier vorgelegten Studie ist die Habilitationsschrift von J UDITH GÄRTNER über die Geschichtspsalmen 78, 105, 106, 135 und 136 erschienen (2012). 60 Sie stellt ebenfalls einen Forschungsbedarf bei den Geschichtspsalmen fest, setzt an ähnlicher Stelle ein und legt einen ertragreichen Grund für die exegetische Weiterarbeit. GÄRTNER kommt es dabei vor allem auf die theologischen und konzeptionellen Fragen an, die sich mit den Geschichtspsalmen verbinden und die sie im Rahmen der kulturwissenschaftlichen Theorie der Erinnerungsthematik diskutiert.61 Soweit GÄRTNER die auch hier herangezogenen Texte exegetisch 59 Zur methodischen Unterscheidung literarischer Auslegungsvorgänge von traditions geschichtlichen Abhängigkeiten vgl. die von MICHAEL A. FISHBANE zugrunde gelegten Kriterien. Nach diesem ist ein literarisches Auslegungsverhältnis („innerbiblical exeg esis“) zwischen zwei Texten da wahrscheinlich, wo erstens „multiple and sustained lexical linkages between two texts can be recognized“ und zweitens „the second text (the putative traditio) uses a segment of the first text (the putative traditum) in a lexically reorganized and topically rethematized way” (FISHBANE , Interpretation, 285); vgl. zu dieser methodischen Grundlegung auch ausführlich KLEIN, Schriftauslegung, 3–6.17–23. 60 J. GÄRTNER , Die Geschichtspsalmen. Eine Studie zu den Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 als hermeneutische Schlüsseltexte des Psalters, FAT 84, Tübingen 2012. 61 Vgl. dazu vor allem die hermeneutischen und methodischen Vorüberlegungen bei GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 9–29. Die von GÄRTNER vorgenommene Abgrenzung des Untersuchungsmaterials leuchtet allerdings nicht ohne weiteres ein. So gelten ihr Ps 78; 105; 106; 135 und 136 von Anfang an als feste Gruppe der Geschichtspsalmen (vgl. GÄRTNER , a.a.O., 1); diese Auswahl wird erst im Nachgang der eigentlichen Analyse damit begründet, dass die Texte „in ihrer jeweiligen spezifischen Art und Weise das
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Kapitel I: Einleitung
untersucht hat, haben sich erfreuliche Übereinstimmungen, aber auch Divergenzen ergeben, auf die von Fall zu Fall eingegangen wird. Andere Wege geht die vorliegende Arbeit vor allem hinsichtlich der redaktionsgeschichtlichen Einordnung und der relativen Chronologie, 62 die sich aus der Berücksichtigung des literaturgeschichtlich wie hermeneutisch entscheidenden Schlüsseltextes Ex 15 ergeben.63 Im Folgenden ist nun kurz die Anlage der Studie darzulegen.
3 Zur Anlage der Studie 3 Zur Anlage der Studie
Die Textanalysen im folgenden Hauptteil gliedern sich in vier Abschnitte. Am Anfang steht die vergleichende Analyse von Ex 15 und Ps 114 (Kap. II), in der das Phänomen der Verbindung von Geschichte und Gebet in einem psalterexternen und einem psalterinternen Text gegenübergestellt wird. Darauf folgen die Analysen der weiteren Geschichtspsalmen des Psalters, die dem masoretischen Ablauf folgen. Diese Textgestalt wird als Grundlage gewählt, da sie in der jüdischen Tradition den Weg in den Kanon gefunden hat und rezeptionsgeschichtlich einen sicheren Ausgangspunkt darstellt. So steht am Anfang die Analyse von Ps 78 (Kap. III), der die Untersuchung der Zwillingspsalmen 105 und 106 (Kap. IV) folgt. Das geschichtliche Hallel in Ps 135 und 136 (Kap. V), das in seinem Zusammenhang mit Ps 137 untersucht wird, schließt den Hauptteil ab. Ein Resümee in Kap. VI systematisiert den Ertrag der Einzeluntersuchungen und stellt ihn in den größeren literarhistorischen und theologiegeschichtlichen Zusammenhang. Entsprechend der hier verfolgten Fragestellung gliedert sich die Analyse der jeweiligen Texte in vier Unterabschnitte. Auf die Übersetzung (Unterkapitel 1) und die Textanalyse (Unterkapitel 2) folgt jeweils ein Abschnitt, in dem die Rezeption der erzählenden Überlieferung im jeweiligen Paradigmatische der fundierenden Ereignisse selbst zum Thema“ erhöben (vgl. GÄRTNER , a.a.O., 381). Hier stellt sich aber die Frage, ob dieses Kriterium nicht so allgemein gehalten ist, dass es im Grunde auf jeden Bibeltext zutrifft; dies gil t in besonderen Maße für die in der vorliegenden Studie gegenüber GÄRTNER s Auswahl zusätzlich berücksichtigten Texte Ex 15 sowie Ps 114 und 137 – selbst wenn in Letzterem kein Ereignis der biblischen Frühzeit paradigmatische Bedeutung erhält, sondern das babylonische Exil, vgl. dazu u. Kap. V. 4.3. 62 In dieser Frage kommt GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 388, zu dem Ergebnis: „Daher ist auch eine relative Chronologie der Geschichtspsalmen nur schwer zu bestimmen.“ Siehe demgegenüber die hier aufgezeigte literarhistorische Differenzierung der Texte in den Einzelanalysen und zusammenfassend u. Kap. VI. 1. mit Anm. 31. 63 Zur Bedeutung von Ex 15 vgl. die Analyse in Kap. II und die Zusammenfassung in Kap. VI. 1.
3 Zur Anlage der Studie
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Psalm bzw. in den jeweiligen Psalmen untersucht wird (Unterkapitel 3). Hier wird zu erforschen sein, welche Texte der narrativen Tradition rezipiert werden, welches Bild der biblischen Geschichte sich dabei ergibt und welches hermeneutische Prinzip Auswahl und Anordnung des Stoffes im jeweiligen Psalm steuert. Im vierten Teil findet die literarhistorische Rückbindung statt (Unterkapitel 4). Hier ist zuerst die kompositionsgeschichtliche Einbettung der Geschichtspsalmen in ihren näheren oder weiteren literarischen Kontext zu bedenken, bevor vor diesem Hintergrund ihre Stellung und Funktion im Entstehungsprozess des Psalters untersucht werden können. Die Abgrenzung des literarischen Kontextes wird dabei im Einzelfall durch die kompositionelle Einbindung des jeweiligen Geschichtspsalms bestimmt. Im Fall von Miriam- und Meerlied entfällt dieser Schritt, da die Exodusdichtung in Ex 15 selbst Teil des erzählenden Überlieferungsbereiches ist, der in diesem Stück rezipiert wird. Bei Ps 114 legt dagegen schon die Zugehörigkeit zur Sammlung des Ägyptischen Hallels (Ps 113–118) eine Berücksichtigung der entsprechenden Einzelpsalmen nahe, wobei hier zu zeigen sein wird, dass Ps 111 und 112 ebenfalls zu der übergreifenden Komposition gezählt werden müssen (Kap. II. 2.4). In ähnlicher Weise ist Ps 78 als Mittelpsalm in die Sammlung der Asaph-Psalmen eingebunden. Diese Komposition verdient allerdings auch unabhängig von Ps 78 Beachtung, da die biblische Geschichte hier in einer Reihe von Einzeltexten rezipiert wird (Kap. III. 4). Die literarische Position der Zwillingspsalmen 105 und 106 am Übergang vom vierten zum fünften Psalmenbuch führt dagegen auf eine nähere Untersuchung dieser literarischen Schaltstelle (Kap. IV. 4). Als Ausgangspunkt bietet sich Psalm 100 an, der die Sammlung der Jhwh-König-Psalmen in den Psalter einbindet und den Anknüpfungspunkt für die Psalmen 101–104 bildet, während im hinteren Kontext noch Psalm 107 mit zu berücksichtigen ist, der durch seinen vorderen Rahmen literarisch mit Ps 106 verbunden ist. Im Fall des geschichtlichen Hallels in Ps 135 und 136 wird die redaktionsgeschichtliche Frage dagegen von der Beobachtung bestimmt, dass beiden Einzelpsalmen im literarischen Kontext eine Abschlussfunktion zukommt. Hier ist ausgehend von der redaktionsgeschichtlichen Differenzierung der zwei Psalmen zuerst zu fragen, für welche Buchgestalt der Toda-Abschluss in Ps 136 gestaltet worden ist (Kap. V. 4.1), bevor mit Ps 135 dieselbe Frage für den Halleluja-Abschluss gestellt werden kann (Kap. V. 4.2). Die Frage nach der kompositionsgeschichtlichen Zäsur in Ps 135f. bedingt an dieser Stelle im fünften Psalmenbuch zugleich die Frage nach dem Neuanfang, da mit Psalm 137 im direkten Anschluss an das geschichtliche Hallel der letzte Geschichtspsalm folgt, der die nachfolgende David-Sammlung in Ps 138– 145 anbindet (Kap. V. 4.3).
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Kapitel I: Einleitung
Auf diese Weise kann in der fortlaufenden literarhistorischen Differenzierung des Untersuchungsmaterials ein detailliertes Bild von den Rezeptionsvorgängen der biblischen Geschichte in den Psalmen gezeichnet werden. Dieses erlaubt nicht nur einen neuen Einblick in die Geschichtshermeneutik der Psalmen, sondern will auch einen Beitrag zur Diskussion um die Entstehung des Psalmenbuches leisten.
Kapitel II
Der Exodus und seine Rezeption in Exodus 15 und Psalm 114 Der Exodus hat eine breite Rezeption in den Gebetstexten des Alten Testaments erfahren, wobei zwei Texte geradezu als Exoduspoesie gelten können. Der erste ist die Liedkomposition von Meerlied und Miriamlied in Ex 15, in der im Anschluss an den Bericht über das Meerwunder in Ex 13,17–14,31 die Rettung Israels am Schilfmeer besungen wird. Der zweite Text ist Psalm 114, dem die Sammlung Ps 113–118 ihren Namen als ‚Pessach-Hallel‘ bzw. ‚Ägyptisches Hallel‘ verdankt und in dem des Exodus in einer Zusammenschau von Meerwunder und Jordandurchzug gedacht wird. Damit liegen zwei hymnische Texte vor, die eine poetische Verarbeitung des Exodus in unterschiedlichen literarischen Bereichen der Hebräischen Bibel bezeugen. Während in der Lieddichtung von Ex 15 der Lobpreis in der Erzählung kontextualisiert wird, implantiert Ps 114 die Rezeption der Rettungserzählungen in die Lob-Komposition des Pessach-Hallels. Die zwei Texte bieten sich in besonderem Maße als Einstieg für die Frage an, wie die Rezeption der Geschichte in den Gebetstexten des Alten Testaments vollzogen wird. Die Analyse desselben Phänomens in unterschiedlichen literarischen Kontexten schärft den Blick für das jeweilige Auslegungsinteresse, mit dem auf die literarische Exodustradition zurückgegriffen wird. Darüber hinaus lässt der Vergleich erste Rückschlüsse darauf zu, in welchem Überlieferungsbereich die poetische Verarbeitung der Geschichte ihren literarischen Geburtsort hat, so dass die methodischen Weichen für die weitere Untersuchung gestellt werden. Die Untersuchung der beiden Texte gliedert sich in drei Schritte: An die einleitende Übersetzung (Kap. 1.1 bzw. 2.1) schließt sich zuerst eine Textanalyse an (Kap. 1.2 bzw. 2.2), ehe im jeweils dritten Unterkapitel die Frage nach der Rezeption der geschichtlichen Überlieferung und dem Geschichtsverständnis im Vordergrund steht (Kap. 1.3 und 2.3). Im Fall von Ps 114 ist die Perspektive nachfolgend auf die Stellung des Psalms innerhalb des Pessach-Hallels auszuweiten, um zu klären, mit welcher Intention die Exodusthematik hier in den Psalter eingebracht wird (Kap. 2.4). Die Ergebnisse der Analysen können abschließend in einigen vorläufigen Thesen gebündelt werden, die im weiteren Fortgang der Studie zu substantiieren sind (Kap. 3).
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Kapitel II: Der Exodus und seine Rezeption in Exodus 15 und Psalm 114
1 Meerlied und Miriamlied: Exodus 15 1 Meerlied und Miriamlied: Exodus 15
1.1 Übersetzung 1
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Damals sang Mose mit den Israeliten Jhwh dieses Lied. Und sie sangen: Singen will ich 1 Jhwh, denn hoch hat er sich erhoben. Ross und seinen Reiter warf er ins Meer. Meine Kraft und meine Stärke 2 ist Jah, er wurde mir zur Rettung. Dies ist mein Gott, ich will ihn preisen, der Gott meines Vaters, ich will ihn erheben. 3 Jhwh ist ein Kriegsmann,4 Jhwh ist sein Name. Die Wagen des Pharaos und seine Streitmacht schleuderte er ins Meer. Die Auslese seiner Kämpfer wurde im Schilfmeer versenkt. Fluten bedeckten sie, 5
1 Der samaritanische Pentateuch bietet an dieser Stelle einen Imperativ Mask. Pl. ()אשרו, während die Versionen wie auch in V 21 eine Verbform 1. Pers. Pl. bieten (vgl. Anm. 16). Beide Varianten passen den Eingang des Meerliedes damit an das pluralische Subjekt in V 1 an ( )משה ובני ישראלund sind als nachträgliche Glättung zu erklären. Der MT ist als lectio difficilior beizubehalten. 2 Die vermeintliche constructus-Form זמרתgibt einige Rätsel auf; dies hängt damit zusammen, dass das Lemma זמרהII überhaupt nur in Ex 15,2 sowie den Parallelen in Jes 12,2; Ps 118,14 belegt ist. Die Lesart wird schließlich auch in 1QJes a hinein korrigiert, wo ursprüngliches וזמרתי יהוהzu וזמרת יה יהוהabgeändert wird. Nach GesK § 80g steht „ זמרתwohl für “ ז ִ ְמ ָר ִת יund erkläre sich „zu Gunsten der Verschluckung von ;“י ָהּin ähnlicher Weise begründet auch SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 96, die Form durch eine „Sandhi-Schreibung“, bei der der auslautende Vokal des vorangehenden Wortes mit dem Anlautvokal des folgenden Wortes verbunden wird. Die Textüberlieferung weniger hebräischer Handschriften, des Samaritanus und der Vulgata zeigen, dass die Form זמרתals suffigierte Form זמרתיgedeutet worden ist; dieses Verständnis wird auch hier zugrunde gelegt. Die LXX bietet mit bohqo.j kai. Skepasth,j (‚Helfer und Verteidiger‘) einen anderen Versuch, MT zu verbessern, wobei allerdings der parallele Aufbau von V 2aα und V 2aβ verloren geht. 3 Das Hapaxlegomenon ואנוהוwird von der Wurzel נוהabgeleitet, die in Nähe zu den Lemmata נאהbzw. נאוהsteht. Die Bedeutung ‚preisen‘ kann auch durch die parallele Stellung von רוםund die Übersetzungen der Versionen als gesichert gelten (vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 96f.; J ACOB , Buch Exodus, 442). 4 Für אישliest der samaritanische Pentateuch und entsprechend die Peschitta גבור (‚kraftvoll, mächtig‘) als nomen regens zu ;מלחמהdie LXX bietet suntri,bwn pole,mouj. Während die Variante von Samaritanus und Peschitta durch den Einfluss von Ps 24,8 zu erklären ist ()גבור מלחמה, kann die Lesart der LXX als dogmatische Textkorrektur erklärt werden, die Jhwh zu dem macht, ‚der Kriege zerschlägt‘.
1 Meerlied und Miriamlied: Exodus 15
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sie fuhren hinab in die Tiefen wie ein Stein. Deine Rechte, Jhwh, sich machtvoll verherrlichend;6 deine Rechte, Jhwh, zerschmettert den Feind. Und in der Fülle deiner Hoheit wirfst du deine Widersacher nieder, du entsendest deine Zornesglut, sie wird sie verzehren wie Stroh. Durch das Schnauben deiner Nase stauten sich Wasser, standen wie ein Damm die Strömungen, geronnen die Fluten im Herzen des Meeres. Es spricht der Feind: Ich will nachjagen, einholen, Beute verteilen, meine Gier stille sich an ihnen. 7 Ich will mein Schwert zücken, meine Hand raube sie aus. Du bliesest 8 mit deinem Atem, das Meer bedeckte sie. Sie gingen unter wie Blei in gewaltigen Wassern. Wer ist dir gleich unter den Göttern, Jhwh? Wer ist dir gleich, herrlich in Heiligkeit, furchtbar an Ruhmestaten, Wunder wirkend. Du strecktest aus deine Rechte, da verschlang sie die Erde. Du führtest gnädig das Volk, das9 du erlöst hast.
5 Im Samaritanus ist Jhwh mit der Verbform יכסמוSubjekt der Handlung; vgl. ebenso die LXX mit der Variante po,ntw| evka,luyen auvtou,j . Diese Varianten zeigen gegenüber der Lesart des MT das sekundäre Interesse, Jhwh in Angleichung an V 4 als handelndes Subjekt darzustellen, dem die Fluten als Instrument unterstellt sind. Im Text der Geniza– Fragmente findet sich die Variante תכסיומו, bei der תהוםfeminin aufgefasst wird. 6 Das jod am Partizip נאדריist nach B AUER /LEANDER , Grammatik, 526 i) als iod compaginis zu erklären, auch wenn die constructus-Verbindung durch das folgende ְב gelöst ist; vgl. dazu auch GesK § 90 l, wo allerdings vorsichtiger geurteilt wird, dass dieser Fall in Ex 15,6 nur vorliege, „wenn sich נ ְא ָד ִר יals Vokativ auf “יהוהbeziehe. Der Vorschlag, hier vielleicht נאדרהals Partizip zu ימינךzu lesen (vgl. ebd.) hat allerdings keinen Anhalt an der Textüberlieferung. 7 Die LXX bietet eine Variante ohne das Suffix und mit einer Verbform 1. Pers. Sg. (evmplh,sw yuch,n mou: ‚ich will meine Seele sättigen‘), die nach CROSS/FREEDMAN, Song, 246, auf ein ursprünglich zu lesendes „enclitic mem“ führe, das später missverständlich als Suffix interpretiert worden sei. Damit ist aber noch nicht das in der LXX abweiche nde Subjekt erklärt, so dass die Variante insgesamt doch als sekundäre Lesart zu beurte ilen ist, die das Subjekt an den direkten Kontext in V 9aa.bb angleicht (1. Pers. Sg.), wobei aber die chiastische Entsprechung zu V 9bg (‚meine Hand‘) aufgehoben wird. 8 Der Samaritanus liest an dieser Stelle נ ָש ְב ָתund ersetzt die außer in Ex 15,10 nur noch in Jes 40,24 belegte Verbalwurzel נשףdurch das gebräuchlichere Lemma נשב. Der MT ist als lectio difficilior beizubehalten. 9 Die LXX bietet an dieser Stelle to.n lao,n sou tou/ton o[n und gibt das Demonstrativpronomen זוdamit doppelt als Demonstrativum und Relativum wieder. Nach GesK
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Kapitel II: Der Exodus und seine Rezeption in Exodus 15 und Psalm 114
Du geleitetest 10 es machtvoll zu deiner heiligen Weide. Es hörten die Völker 11 – sie zitterten. Angst ergriff die Bewohner Philistäas. Damals entsetzten sich die Häupter Edoms. Die Herrscher Moabs – Zittern ergriff sie. Es bebten alle Bewohner Kanaans. Es fiel auf sie Schrecken 12 und Entsetzen. Wegen der Größe deines Armes wurden sie starr wie Stein. Bis hindurchzog dein Volk, Jhwh. Bis hindurchzog das Volk, das du erworben hast. Du brachtest sie hin und pflanztest sie ein auf dem Berg deines Erbbesitzes, der Stätte deines Sitzes, den du, Jhwh, gemacht, dem Heiligtum, 13 Herr,14 das deine Hände gegründet. Jhwh herrsche als König für immer und ewig!
19 Denn als die Pferde des Pharaos hineingegangen waren in das Meer mit seinen Streitwagen und seinen Reitern, da ließ Jhwh die Wasser des Meeres über sie zurückkehren. Und die Israeliten gingen auf trockenem Land in der Mitte des Meeres. 20 Da nahm Miriam, die Prophetin, die Schwester Aarons, das Tamburin in ihre Hand und alle Frauen zogen hinaus ihr nach mit Tamburinen und in Tänzen. 21 Und Miriam sang ihnen15 zu: §138g dient das Pronomen זוaber häufig zur Einführung von Relativsätzen, so dass es an dieser Stelle auch nur einmal zu übersetzen ist. 10 Samaritanus, die hebräischen Handschriften nach Kennicott, de Rossi und Ginsberg sowie der Targum Pseudo-Jonathan bezeugen anstelle von MT = נהל( נהלתgeleiten, führen) die Variante = נחל( נחלתin Besitz nehmen). Die Variante lässt sich aus der Verwechselung von הund חerklären (so auch P ROPP, AncB 2, 474), wobei aber die Parallelität der Versteile V 13aa und V 13ba für die Ursprünglichkeit der Lesart נהלתin Entsprechung zur parallelen Lesart ( נ חי תV 13aa) spricht. 11 4QExod c, LXX und Samaritanus ergänzen die Kopula und glätten damit den Text. 12 Anstelle des im MT bezeugten ‚( א י ָמ ָת הSchrecken‘) bieten 4QExod c und Samaritanus die geläufigere Form א י ָמ הohne die alte Akkusativendung ָת ה- (vgl. GesK § 90 g). 13 Der samaritanische Pentateuch ergänzt das Suffix 2. Pers. Sg. an מקדש. Hier zeigt sich ein sekundäres Interesse, V 17ba als Apposition zu V 17ab zu verstehen. 14 Der Samaritanus und andere hebräische Textzeugen (Kairoer Geniza, Ausgaben von Kennicott, de Rossi und Ginsburg) lesen an dieser Stelle den Gottesnamen יהוהanstelle von אדני. Der MT bietet mit zwei unterschiedlichen Gottesnamen in V 17ab und V 17ba den schwierigeren Text und es kann mit J ACOB , Buch Exodus, 446, die Absicht vermutet werden, den Titel אדניbewusst mit der Ankunft am Heiligtum zu verwenden (so auch P ROPP, AncB 2, 475; anders CROSS/FREEDMAN, Song, 250, die den Gottesnamen mit den Textzeugen zu יהוהhin abändern).
1 Meerlied und Miriamlied: Exodus 15
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Singt16 Jhwh, denn hoch hat er sich erhoben. Ross und seinen Reiter warf er ins Meer. 17 1.2 Textanalyse 1.2.1 Aufbau und literarische Einheitlichkeit Die poetische Version des Meerwunders in Ex 15,1–21 enthält mit dem Meerlied in den Versen 1b–18 und dem Miriamlied in Vers 21b zwei Dichtungen, die Jhwhs Machttat am Meer preisen. Das hymnische Lob des Miriamliedes in V 21b ( )ש ירו ליהוה כי גאה גאה סוס ורכבו רמה ביםhat dabei eine nahezu identische Parallele in der Einleitung des Meerliedes V 1b ( )אש ירה ליהוה כי גאה גאה סוס ורכבו רמה ביםund legt so einen Lobrahmen um die Zusammenstellung der beiden Stücke. Durch die prosaische Überleitung in V 19–21a werden die Dichtungen miteinander verknüpft und durch die ebenfalls prosaische Einleitung in V 1a zeitlich und örtlich an die Erzählung vom Meerwunder in 13,17–14,31 angebunden. Dabei sind Bericht und Lobgesang aber klar voneinander getrennt. So schließt zuerst die Vertrauensaussage in 14,31 den Prosabericht ab und leitet zum gesungenen Preis der Israeliten als Ausdruck ihres Glaubens über. In 15,1 markiert die Partikel אזden Beginn eines neuen Abschnittes und auch die formale Einleitung des Stückes mit der Gattungsbezeichnung als ‚Lied‘ (שירה, V 1) zeigt deutlich den formalen Wechsel an. Vom nachfolgenden Kontext ist das poetische Stück 15,1–21 ebenso klar abgegrenzt. Der Hymnus in V 21b bildet den Abschluss der Exodusdichtung, während die anschließende Aufbruchsnotiz 15,22 ( )ויסע משה את ישראל מים סוףden durch den poetischen Einschub unterbrochenen Erzählfaden aus 14,31 wieder aufnimmt. Aus diesem kurzen Überblick wird bereits ersichtlich, dass das literarische Verhältnis von Meerlied und Miriamlied das grundlegende Problem in 15,1–21 darstellt. Die Beobachtung, dass der kurze Hymnus in 15,21 15
Die Verwendung der Präposition לmit einem maskulinen Suffix ist im direkten Anschluss an die feminine Verbalendung im vorausgehenden Vers 20a ()ותצאן כל הנשים „zumindest auffällig“ (B ERNER , Exoduserzählung, 391 Anm. 174). Hier ist mit B ERNER zu überlegen, ob die Präposition להםerst nachträglich ergänzt worden ist, um das Miriamlied als Antwort auf das Lied Moses und der Israeliten zu kennzeichnen (vgl. B ERNER , a.a.O., 391 Anm. 174); die Frage ist damit auch von literarkritischer Relevanz (siehe dazu u. Kap. 1.2.1). 16 Mehrere Textzeugen (LXX: a;|swmen; vgl. Targum Pseudo-Jonathan und Vulgata) lesen anstelle von שירוeine Verbform 1. Pers. Pl. und gleichen den kurzen Hymnus d amit an den Kohortativ in V 1 an (vgl. dazu auch o. Anm. 1). 17 Die Handschrift 4Q365 (‚Reworked Pentateuch c‘) bietet in Frg. 6b,1-7 im Anschluss an den Text von Ex 15,21 zusätzliches Material, das die innerbiblische Wach stumsgeschichte des Textes fortführt; vgl. dazu u. Anm. 59.
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relativ eigenständig ist, während er in 15,1 in identischer Formulierung ein ausführliches Danklied einleitet, entspricht in idealtypischer Weise dem redaktionsgeschichtlichen Phänomen der Wiederaufnahme. Diese Beobachtung spricht dafür, den Hymnus in 15,1b als literarische Wiederaufnahme von 15,21b zu erklären, mit deren Hilfe das Meerlied vor das Miriamlied eingestellt worden ist.18 So ist es wahrscheinlich, dass ein späterer Autor Mose 19 hinter Miriam nicht zurückstehen lassen wollte und diesem ebenfalls einen Lobpreis Jhwhs zuschrieb, wodurch das Lied der Miriam in die zweite Reihe rückte. 20 Für diese Richtung der literarischen Abhängigkeit spricht schließlich auch die Abweichung der einleitenden Verbalform: Der Hymnus im Miriamlied wird durch die imperativische Aufforderung שירוeröffnet, die gut zur Szenerie der Siegesfeier nach dem Meerwunder passt, während V 1b mit der liturgischen Formel אשירהbeginnt, die auf die Aneignung des literarisch vorgegebenen Hymnus in der Form eines Dankgebet des Einzelnen hindeutet.21 Auch wenn das literarische Verhältnis der zwei Hymnen damit einer redaktionsgeschichtlichen Lösung zugeführt worden ist, gibt es weitere Hinweise auf literarisches Wachstum innerhalb der Hymnentexte, wie im Folgenden zu zeigen ist. Die prosaische Einleitung des Meerliedes in Ex 15,1 gibt der Dichtung durch die Verwendung der Partikel אז22 eine Situierung am Ufer des Meeres direkt nach dem in 13,17–14,31 beschriebenen Meerwunder. Als Sänger des Liedes werden Mose und die Israeliten ( )משה ובני ישראלgenannt, wobei die pluralische Subjektangabe aber in Widerspruch zum Prädikat ( ישיר3. Pers. Mask. Sg.) steht. Dies spricht dafür, dass die Israeliten erst sekundär in das Lied eingestimmt haben und auch die für poetische Texte 18
Vgl. zu diesem Argument B ERNER , Exoduserzählung, 389. Zu dieser redaktionsgeschichtlichen Einordnung vgl. auch FOHRER , Überlieferung, 110–116; CRÜSEMANN, Studien, 19; ZENGER , Tradition, 471; NOTH, ATD 5, 98; LEVIN, Jahwist, 347; KRATZ, Komposition, 290 Anm. 81. Dagegen vertritt SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 99f., die literarische Priorität des Meerliedes V 1b–18, muss dabei aber im Miriamlied ein älteres Traditionsstück sehen, das der Formulierung von V 1b als Vorlage gedient habe. CROSS/ FREEDMAN, Song, 237f., betrachten Ex 15 als literarisch einheitlich und kommen im Fall von V 21b zu dem Urteil: „Hence vs. 21 is not a different or shorter or the original ve rsion of the song, but simply the title of the poem taken from a different cycle of trad itions.“ (CROSS/FREEDMAN, a.a.O., 237). Für einen Refrain in 15,21b plädiert B RENNER , Song, 80f.; vgl. dazu schon MOWINCKEL, Psalmenstudien II, 111f. Anm. 4. 19 Die Erwähnung der Israeliten neben Mose in V 1b ist sekundär; vgl. dazu im Fol genden. 20 Vgl. auch B ERNER , Exoduserzählung, 389. 21 In den Psalmen ist die Einleitung אש ירהbreit belegt; vgl. Ps 13,6; 27,6; 57,8; 89,2; 101,1; 104,33; 108,2; 144,9. 22 Die Verwendung dieser Partikel erklärt auch den Gebrauch des Imperfektes im A nschluss, das hier nicht präsentisch-futurisch gebraucht ist, sondern die Tatsächlichkeit der Handlung betonen soll (vgl. dazu GesK § 107 b).
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unübliche (pluralische) Redeeinleitung ויאמרו לאמרam Ende von V 1 erst um ihretwillen nachgetragen wurde. 23 Das eigentliche Korpus des Meerliedes in V 1b–18 gliedert sich thematisch in zwei Hauptteile: Während V 1b–11 die Überlegenheit Jhwhs gegenüber den Feinden preisen und mehrfach auf das Meerwunder Bezug nehmen, ist in V 12–18 die Führung des Volkes zum Heiligtum Thema, wo Jhwh als König herrschen wird. Der erste Abschnitt kann dabei noch weiter in eine hymnische Einleitung in V 1b–3 und die eigentliche thematische Durchführung in V 4–11 untergliedert werden. 24 Bevor ein Überblick über den Aufbau im Einzelnen gegeben werden kann, ist noch kurz auf die sprachliche Gestaltung des Meerliedes einzugehen, das in dieser Hinsicht mehrere Besonderheiten aufweist. So findet sich zum Ersten neun Mal die Suffixendung מו- an Verbalformen (V 5.7.8.9bis.10.12.17bis) und in V 5 fällt des Weiteren die Form יכסימוmit dem ursprünglichen jod als drittem Radikal der Wurzel כסהauf. Diese Eigentümlichkeiten sind von einigen Exegeten als Indiz für das hohe Alter des Meerliedes gewertet worden.25 Da es sich bei diesen Auffälligkeiten aber ebenso um eine intentionale Archaisierung handeln kann und gerade das Pronominalsuffix häufig in poetischen Texten begegnet, ist vorerst von einem literarischen Stilmittel auszugehen, mit dem das hohe Alter des Liedes suggeriert werden soll.26 Die Einleitung des Meerliedes V 1b–3 wird in V 1b mit der Zitation des Miriamhymnus eröffnet. Abweichend von V 21b beginnt der Hymnus aber mit einer kohortativen Selbstaufforderung zum Lobgesang und der mit ל angeschlossenen Nennung dessen, dem das Lied gilt ( )אשירה ליהוה. Mit der Partikel כיeingeleitet folgt die Begründung, die aus zwei unverbundenen, im Perfekt formulierten Aussagen besteht. Während die erste Aussage mit der figura etymologica גאה גאהdie Hoheit und Herrlichkeit Jhwhs preist, 27 23
Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 99; GERTZ, Tradition, 191. Die Forschungsmeinungen gehen in der Strukturanalyse von Ex 15,1 –21 weit auseinander und differieren noch mehr in der Frage, inwieweit den Gliederungseinschnitten literarkritische Bedeutung zukommt; zu einem Überblick über den Stand der Forschung zu Ex 15 vgl. ZENGER , Tradition, 452–483, und B RENNER , Song, 3–21. 25 So z.B. CROSS/FREEDMAN, Song, 245; NORIN, Er spaltete, 84 (mit Bezug auf die Untersuchung von ROBERTSON, Linguistic Evidence, 138 und passim); ausgewogener diskutiert LEUCHTER , Eisodus, 329–333, das linguistische Problem. 26 Vgl. GesK § 91l, wonach es sich bei der Suffixendung מו- zwar um eine Wiederauffrischung tatsächlicher alter Formen handele, ihre Verwendung aber eine bewusst kunstmäßige sei. Ähnlich argumentieren auch HOUTMAN, HCOT II, 244, und B RENNER , Song, 33, im Fall von Ex 15 für eine intentionale Archaisierung. 27 Vgl. dazu SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 101f., der die Begründung כי גאה גאהim Sinne einer Verherrlichungsaussage erklärt: „‚denn Herrliches hat er vollbracht‘ und damit sich selbst verherrlicht“. Den „Sitz im Leben“ dieser Prädikation sieht er in der Preisung der Präsenz Jahwes im Tempel (vgl. SPIECKERMANN, a.a.O., 102). 24
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konstatiert der zweite Teil Jhwhs Sieg über die Feinde: ‚Ross und seinen Reiter hat er ins Meer geworfen‘ ()סוס ורכבו רמה בים. Auf diese Weise verbindet sich in der Begründung des Hymnus die allgemeine Charakterisierung Jhwhs mit dem Lobpreis seiner konkreten Rettungstat. 28 Mit dem folgenden V 2 wird zwar die Rede der 1. Pers. Sg. aus V 1a fortgesetzt, aber der Stil wechselt vom Hymnus zum Danklied: Auf eine Vertrauensaussage in der ersten Vershälfte (עזי וזמרת יה ויהי לי לישועה, V 2a) folgen in der zweiten Vershälfte zwei parallele Selbstaufforderungen, Jhwh zu preisen (זה אלי ואנוהו, V 2ba), bzw. ihn zu erheben (אלהי אבי וארממנהו, V 2bb). V 3 kehrt dann wieder zum hymnischen Stil zurück und enthält einen Lobpreis von Jhwhs Kriegsmacht, der in seiner doxologischen Apostrophierung als ‚Kriegsmann‘ gipfelt ()יהוה איש מלחמה יהוה שמו.29 Hier fällt auf, dass V 2 sich nicht nur in formaler Hinsicht von seinem hymnischen Kontext abgrenzt, sondern auch metrisch als Reihung von Trikola (3:3/3:3) aus der Bikola-Struktur der angrenzenden Verse 1b und 3 herausfällt. 30 Dazu kommt die Beobachtung, dass allein in V 2 im Meerlied die Kurzform des Tetragramms ( )יהbegegnet, während ansonsten durchgehend die Langform יהוהverwendet wird. Zusammengenommen sprechen diese Indizien dafür, in V 2 einen literarischen Nachtrag innerhalb der Einleitung zu sehen, der das Meerlied zum Danklied für die erfolgte Rettung stilisiert. 31 In der ursprünglichen Einleitung V 1–3* dient der Lobpreis von Jhwhs Kampfesmacht als Themasatz für den folgenden Abschnitt V 4–11, der Jhwhs Überlegenheit gegenüber dem Feind preist. Allerdings liegt bereits mit dem eröffnenden Abschnitt V 4f., der Jhwhs Sieg über Ägypten beschreibt, ein nachträglicher Einschub vor. 32 V 4 enthält einen synonymen Parallelismus, in dem Jhwh dafür gerühmt wird, dass er die Wagen des Pharaos ins Meer geworfen ( מרכבת פרעה וחילו ירה בים, V 4a) und die Auslese der ägyptischen Kämpfer im Meer versenkt hat (ומבחר שלשיו טבעו בים 28 Anders CRÜSEMANN, Studien, 24, der in beiden Teilen der Begründung die „Beschreibung des konkreten Tuns“ enthalten sieht. Dagegen spricht das semantische Be deutungsfeld der Wurzel גאהund ihrer Ableitungen, das in das Gebiet der Tempeltheologie verweist (vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 101). 29 ZENGER , Tradition, 462, nimmt aufgrund der metrischen Struktur in V 3 einen Zusatz an, da „hier zwei syntaktisch selbständige Einheiten zu einem Stichos zusammengebunden sind“. Diese Auffälligkeit allein ist m.E. aber nicht ausreichend, zumal der Vers mit seinem doxologischen Charakter gut an V 1b anschließt. 30 Vgl. bereits CROSS/FREEDMAN, Song, 243. 31 Zur literarkritischen Ausscheidung von V 2 vgl. ZENGER , Tradition, 462 (siehe auch dort zur Diskussion); J EREMIAS, Königtum, 98, und SCHRÖTEN, Entstehung, 88f. (Zusatz begrenzt auf V 2a); erwägungsweise auch DURHAM , WBC 3, 206. Anders noch KLEIN, Hymn, 517–519, wo die Zugehörigkeit von V 2 zum ursprünglichen Meerlied vertreten wird. 32 Zum Zusatzcharakter von V 4f. vgl. auch NORIN, Er spaltete, 93–95.98–100; J EREMIAS, Königtum, 98.
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סוף, V 4b). Der Vers fällt vor allem dadurch auf, dass er eine inhaltliche Dublette zu V 1b darstellt und sich durch die variierende Wiederaufnahme von V 1b ( )רמה ביםin V 4a ( )ירה ביםals Exegese des einleitenden Hymnus zu erkennen gibt. 33 Da der Vers als einziger im ersten Hauptteil eine konkrete Identifikation des Feindes durch die Begriffe ‚Wagen des Pharao‘ ()מרכבת פרעה, ‚seine Streitmacht‘ ( )חילוund ‚die Auslese seiner Kämpfer‘ ( )מבחר שלשיוvornimmt, besteht seine Funktion offensichtlich darin, die literarischen Bezüge zu Ex 14 zu verstärken.34 Mit der literarkritischen Ausscheidung von 15,4 fehlt dem folgenden Vers 5 aber der Anschluss, da die Pronominalsuffixe in diesem Vers keinen syntaktischen Bezug in V 3 haben, so dass auch dieser als Zusatz verdächtig ist. Der Verdacht erhärtet sich durch die Beobachtung, dass das Vokabular in V 5 zum größten Teil aus dem näheren Kontext entlehnt ist. Der Vers stellt in einem synthetischen Parallelismus den Untergang der Feinde dar, die von den Fluten bedeckt werden (תהמת יכסימו, V 5a) und in die Tiefen hinabfahren wie ein Stein (ירדו במצלת כמו אבן, V 5b). Die Fluten kommen in V 8 erneut vor und vom Bedecken ( )כסהdes Feindes ist noch in V 10 die Rede (כסמו ים, vgl. ferner מצולת, V 5; צללו, V 10). Das Hinabsteigen in die Tiefen nimmt dagegen inhaltlich V 12 vorweg, wo davon die Rede ist, dass die Erde die Feinde verschlingen wird. Dies lässt vermuten, dass V 5 eine spätere Einschaltung ist, die sich aus bereits vorliegenden Wachstumsschichten des Textes speist. Der ursprüngliche Anschluss an den Themasatz V 3 kann damit nur in V 6 vorliegen. In diesem Vers wechselt die Redesituation zur direkten Anrede Jhwhs, die bis V 11 durchgehalten wird, wo der Lobpreis Jhwhs in die Anerkennung seiner Überlegenheit gegenüber den anderen Göttern mündet. Der Abschnitt V 6–11 ist auch metrisch als Einheit gekennzeichnet, indem er fast durchgehend aus Bikola zusammengesetzt ist, die einander versweise als Doppelzweier zugeordnet sind. Die Verse 6f. beschreiben die Macht Jhwhs in generellen Aussagen und verwenden dabei Nominalsätze (V 6a) bzw. Verbalsätze mit dem hebräischen Imperfekt (V 6b.7). So wird in V 6 in einem synthetischen Parallelismus die Kraft von Jhwhs Rechten ( )ימינךgepriesen, während der synonyme Parallelismus in V 7 Jhwhs Überlegenheit gegenüber seinen Widersachern ( )קמיךrühmt. Die Überlegenheit Jhwhs liegt in seiner Hoheit ( )גאוןbegründet, die eine Verbindung zum Miriamhymnus V 1b.21b herstellt und auf diese Weise die Identität der besungenen Machttaten festschreibt. Auf die grundsätzlich gehaltene Lobpreisung folgt in V 8–10 ein Abschnitt, der durch die Verwendung des Perfekts auf ein konkretes Ereignis bezogen ist. Einleitend wird in V 8 Jhwhs Macht über die Wasser be33 34
Vgl. J EREMIAS, Königtum, 98. Vgl. dazu u. Kap. 1.3.
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schrieben, wobei allerdings auffällt, dass das regelmäßige Metrum in diesem Vers durchbrochen ist. An den einleitenden Doppelzweier über den Zorneshauch und seine Auswirkungen auf die Wasser (וברוח אפיך נערמו מים, V 8aa) sind zwei dreigliedrige Kola angeschlossen, die die Reaktion der Strömungen ( נצבו כמו־נד נזלים, V 8ab) und der Urfluten ( קפאו תהמת בלב־ים, V 8b) beschreiben. Da die größere Parallelität zwischen V 8aa und V 8b besteht, die einander syntaktisch spiegelbildlich entsprechen, kann das Versglied V 8ab als Zusatz gelten.35 Eine abweichende metrische Struktur weist auch der nachfolgende Vers 9 auf. Zwar kehrt das zweigliedrige Kolon als kleinste metrische Einheit wieder, aber dieses tritt in einer asyndetischen Aneinanderreihung von fünf Kola auf. In diesem Fall ist die metrische Abweichung poetisches Stilmittel, da durch die asyndetische Struktur das atemlose Diktum des Feindes nachgeahmt wird ()אמר אויב, der auf die Ausraubung und völlige Austilgung der Gegner brennt. Wie V 10 zeigt, bereitet Jhwh diesem Blutrausch des Feindes ein Ende, denn mit dem Hauch der göttlichen רוחbewirkt er, dass das Meer die Feinde bedeckt (נשפת ברוחך כסמו ים, V 10a) und diese in den mächtigen Wassern untergehen ( צללו כעופרת במים אדירים, V 10b). Angesichts dieses Machterweises rühmt der Beter in V 11 mit der doppelten rhetorischen Frage ‚Wer ist dir gleich‘ Jhwhs Überlegenheit gegenüber den anderen Göttern (מי כמכה באלם יהוה, V 11aa) sowie seine Heiligkeit (מי כמכה נאדר בקדש, V 11ab). Die zweifache Frageeinleitung מי כמכהrekurriert dabei auf die metrische Struktur von V 6, wo in gleicher Weise die doppelte Anrede ימינך יהוהzwei Bikola miteinander verbindet.36 Inhaltlich gibt es weitere Verbindungen zwischen V 6 und V 11: Während in V 6 die Rechte Jhwhs mit dem Verbum אדרals ‚sich machtvoll verherrlichend‘ ( )נאדרי בכחbeschrieben wird, findet dieselbe Wurzel in V 11aa Verwendung, um Jhwhs Heiligkeit zu preisen ()נאדר בקדש. Mit der Prädikation נאדר בקדשliegt zugleich eine Inklusion zu V 1b ( )כי גאה גאהvor, da an beiden Stellen die Tempeltheologie mit dem Lob der Herrlichkeit Gottes im Hintergrund steht. Die aufgezeigten Korrespondenzen sprechen dafür, dass V 11 innerhalb des Abschnittes V 6–11 eine Abschlussfunktion zukommt, wobei der Vers insbesondere einen Bogen zurück zu V 6 schlägt. Allerdings weist V 11 einen metrischen Überschuss in Form eines dritten Bikolons in der zweiten Vershälfte auf, in dem die Ruhmestaten Jhwhs und sein Wunderwirken gepriesen werden (נורא תהלת עשה פלא, V 11b). Da dieses Bikolon metrisch 35
So auch ZENGER , Tradition, 462. NORIN, Er spaltete, 98–101, nimmt die metrische Struktur von V 8 als Anlass, den Vers als Ganzen literarkritisch auszuscheiden. 36 Ebenso sieht ZENGER , Tradition, 454f. die wichtige kompositorische Rolle der beiden „ähnlich im klimaktischen Parallelismus gestalteten Verse 6 und 11“, ohne aber literarkritische Konsequenzen aus dieser Beobachtung zu ziehen; siehe dazu im Folgenden.
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und inhaltlich die Parallelität der beiden Doppelzweier in der ersten Vershälfte aus dem Gleichgewicht bringt, ist auch an dieser Stelle eine sekundäre Auffüllung zu vermuten. 37 Es liegt nahe, die Ergänzung von V 11b in Zusammenhang mit dem nachfolgenden V 12 zu sehen, an dessen Ursprünglichkeit ebenfalls Zweifel angebracht sind. Zwar verweist der Vers mit der Erwähnung der Rechten Jhwhs inklusionsartig zurück auf V 6, aber inhaltlich wird mit dem Ausstrecken der Rechten ( )נטית ימינךein neues Bild eingeführt. Der Vers beschreibt im Parallelismus die Folgen der göttlichen Machttat, die zu ‚ihrem Verschlingen‘ durch die Erde führt ()תבלעמו ארץ. Der Bezug des Pronominalsuffixes in diesem Versabschnitt ist nicht ganz klar, da eine erneute Aussage über die Vernichtung der Feinde im Ablauf des Liedes nach V 11 eigentlich überflüssig ist. Die Stichwortverbindungen lassen eine Anspielung an das Ende von Datan und Abiram (Num 16,32.34) vermuten, die allerdings im Ereignisverlauf vor der in Ex 15,13 erwähnten Führung des Volkes verfrüht kommt. 38 Da sich das Wunderwirken Jhwhs im Alten Testament zumeist auf sein Handeln in der Geschichte bezieht, 39 wollte vermutlich ein späterer Redaktor Jhwhs Unvergleichlichkeit auch an seinem weiteren Wirken in der biblischen Geschichte exemplifizieren, für das er zusätzlich die Datan-/Abiramepisode heranzog.40 Der ursprüngliche Anfang des zweiten Meerliedteils liegt in Vers 13 vor, in dem das Volk Israel als Objekt von Jhwhs Heilshandeln eingeführt wird. In einer Fortführung der parallelismus membrorum-Struktur des ersten Hauptteils wird die Führung des Volkes, das Jhwh erlöst hat (נחית בחס דך עם זו גאלת, V 13a), mit der Leitung zur heiligen Weide parallelisiert, womit das Jerusalemer Zionsheiligtum gemeint sein wird (נהלת בעזך אל נוה קדשך, V 13b).41 V 13 knüpft dabei mit der konsequenten Verwendung des hebräischen Perfekts an die Zeitstufe der ursprünglich vorausgehenden Verse an, so dass das Geschehen als bereits in der Vergangenheit liegend dargestellt wird. Die folgenden Verse 14–16 geben sich schon dadurch als Zusatz zu erkennen, dass sie den Zusammenhang zwischen der Zielangabe 37 Vgl. dazu SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 98.105 Anm. 23, und im Anschluss an diesen B ERNER , Exoduserzählung, 397. 38 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 369f. 39 Vgl. CONRAD, Art. פלא, 576f. 40 Siehe dazu u. Kap. 1.3. 41 Die These von CROSS/FREEDMAN, Song, 248 Anm. 42, der Ausdruck נוה קדשenthalte Assoziationen an das Wüstenheiligtum (vgl. auch J ACOB , Buch Exodus, 446), kann m.E. nicht überzeugen. An der einzigen anderen Stelle im Alten Testament, an der die Lemmata נוהund קדשkombiniert werden (Jer 25,30), beziehen sie sich eindeutig auf das Zionsheiligtum und auch generell überwiegen die Belege, bei denen נוהfür das Land Israel bzw. für den Tempel auf dem Zion gebraucht wird (vgl. dazu RINGGREN, Art. נ ָו ה, 293–297).
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der Führungsaussage in V 13 ( )אל נוה קדשךund V 17 unterbrechen, in dem die Zionsthematik weiter ausgeführt wird. 42 Der Zusatz wird über die variierende Wiederaufnahme von ‚( עם זו גאלתdas Volk, das du erlöst hast‘, V 13) in Form des Relativsatzes ‚( עם זו קניתdas Volk, das du erworben hast‘, V 16) in den Vorkontext eingebunden. Er beschreibt die Reaktion der Völker angesichts des Handelns Jhwhs an Israel, von dem sie Kenntnis erlangt haben (שמעו עמים, V 14). In einer exemplarischen Reihung der Reaktion der Bewohner Philistäas (V 14b), der Häupter Edoms (V 15aa), der Herrscher Moabs (V 15ab) und der Bewohner Kanaans (V 15b) wird deutlich, dass Jhwhs Handeln überall Schrecken hervorruft. Dieses Bild wird in V 16 dahingehend variiert, dass die Völker angesichts der Größe von Jhwhs Arm erstarren wie ein Stein (בגדל זרועך ידמו כאבן, V 16ab), bis das Gottesvolk hindurchgezogen ist (עד יעבר עמך יהוה עד יעבר עם זו קנית, V 16b). Der ursprüngliche Anschluss an V 13 in V 17 setzt die Zionsthematik fort und führt die Ankunft am Jerusalemer Heiligtum näher aus. Ziel des Exodus ist nach V 17 die Einpflanzung des Volkes am Berg von Jhwhs Erbbesitz (ת באמו ותטעמו בהר נחלתך, V 17aa). Dabei wird die Bezeichnung הר נחלתךin zwei Appositionen variiert als ‚Stätte deines Sitzes‘ (מכון לשבתך, V 17ab) bzw. ‚Heiligtum‘ (מקדש, V 17b), die ihrerseits durch einen kurzen Relativsatz näher beschrieben sind. Diese Häufung von Bezeichnungen für das Jerusalemer Zionsheiligtum verbunden mit der Wohn- und Thronvorstellung zielt auf das Bikolon in V 18, wo als Klimax des zweiten Teils Jhwhs immerwährende Königsherrschaft proklamiert wird (יהוה ימלך לעלם )ועד. Mit der deutlichen Zweiteilung des Meerliedes stellt sich die Frage nach dem literarischen Verhältnis der beiden Hauptteile V 1b.3.6–11a* und V 13.17f. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die zwei Abschnitte mit Jhwhs Sieg über die Feinde und der Führung des Volkes zum Heiligtum unterschiedliche Akzente setzen, die auf eine nachträgliche Erweiterung hindeuten. Ausschlaggebend ist m.E. die Beobachtung, dass der zweite Teil V 13.17f. nicht nur thematisch über die einleitende Inhaltsangabe des Meerliedes V 1b.3 hinausgeht, sondern auch gegenüber dem metrisch und strukturell geschlossenen Abschnitt V 6–11a* einen Überschuss darstellt. Im Folgenden ist deshalb von einer Fortschreibung des ursprünglichen Meerliedes V 1b.3.6–11a* durch den Abschnitt V 13.17f. auszuge-
42 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 397, und ebenso SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 105–107. NORIN, Er spaltete, 96f., begrenzt den Zusatz dagegen auf V 14–15a, während ZENGER , Tradition, 463f., und J EREMIAS, Königtum, 99, von einem Nachtrag in V 14.15b ausgehen. Vgl. bei SPIECKERMANN , a.a.O., 105–107, zu weiteren Argumenten, die den Zusatzcharakter der V 14–16 begründen.
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hen, in dem der heilsgeschichtliche Aspekt der Wohnungsnahme am Zion nachgetragen wird.43 Ungeachtet der Tatsache, dass die masoretische Parascheneinteilung V 19 durch eine abschließende Petucha noch zum vorhergehenden Meerlied V 1–18 zieht, 44 zeigt schon der Wechsel zur Prosa in V 19 den Beginn eines neuen Abschnittes an. Eingeleitet durch die Partikel כיwird in V 19 erneut das Meerwunder rekapituliert, in dem Jhwh die Truppenteile der Ägypter durch die Rückkehr der Wasser vernichtete (וישב יהוה עלהם את מי הים, V 19ab), während die Israeliten auf trockenem Land durch das Meer hindurchgingen (ובני ישראל הלכו ביבשה בתוך הים, V 19b). Der Vers bringt inhaltlich nichts Neues, sondern seine einzige Funktion besteht darin, dem nachfolgenden Lobgesang der Miriam in V 20f. eine Situierung zu geben. Auch wenn V 19 strukturell zur Einleitung des Miriamliedes gehört, ist er in redaktionsgeschichtlicher Hinsicht mit der Erweiterung des Meerliedes um V 13.17f. in Zusammenhang zu bringen. Denn erst mit der Ergänzung des ursprünglichen Meerliedes um die Zionsthematik besteht die Notwendigkeit, erneut die Szenerie des Meerwunders aufzubauen, um dem redaktionell vorausgehenden Miriamlied V 20f. sein literarisches setting am Schilfmeer zurückzugeben. 45 Die ursprüngliche Einleitung des Lobpreises findet sich in V 20–21a, wo Miriam als Prophetin ( )הנביאהeingeführt wird, die mit dem Tamburin in der Hand den Reigentanz der Frauen anführt (V 20). Als sekundär kann hier die Apposition אחות אהרןgelten, die Miriam nachträglich zur Schwester Aarons macht und die Führung Israels beim Auszug als Familienangelegenheit darstellt.46 In V 21 singt Miriam ‚ihnen‘ zu (ותען להם מרים, V 21a) und fordert zum hymnischen Lobpreis auf: ‚Singt Jhwh, denn hoch hat er sich erhoben. Ross und seinen Reiter warf er ins Meer‘ (שירו ליהוה כי גאה גאה סוס ורכבו רמה בים, V 21b). Hier fällt auf, dass das maskuline Pronomen להםnicht so recht zur Gruppe der Frauen ( ) ותצאן כל הנשיםim vo43 In dieser Frage ist die kritische Forschung weit von einem Konsens entfernt; die grundsätzliche Zusammengehörigkeit der beiden Teile vertreten NORIN, Er spaltete, 100; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 107f.; J EREMIAS, Königtum, 99–101; B ERNER , Exoduserzählung, 397.403–405. Dagegen nimmt ZENGER , Tradition, 469, an, dass V 13ff. erst sekundär an V 1bff. angefügt seien; vgl. auch KRATZ, Komposition, 290 Anm. 81, der das Meerlied auf einen ursprünglichen Kern in V 6–12 zurückführt. Von der literarischen Einheitlichkeit des gesamten Stückes gehen CROSS/FREEDMAN, Song, 238, und B RENNER , Song, 30–34, aus. 44 So auch die jüdische Auslegungstradition (vgl. dazu P ROPP, AncB 2, 546; HOUTMAN, HCOT, 293). 45 Zu dieser Funktionsbestimmung von V 19 vgl. auch SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 100, der allerdings von der literarischen Priorität des Meerliedes V 1–18* ausgeht. 46 Vgl. dazu SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 100; LEVIN, Jahwist, 342; B ERNER , Exoduserzählung, 390. Ebenso erwägungsweise KRATZ, Komposition, 290 Anm. 81.
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rausgehenden V 20 passen will, sondern sich der Bezug auf Mose und die Israeliten in V 1 ( )משה ובני ישראלnahe legt. Da die Israeliten in V 1a erst in der literarischen Nachinterpretation das Lob anstimmen, ist mit BERNER in להםeine sekundäre Ergänzung zu vermuten, für die derselbe Bearbeiter verantwortlich ist, der die Kollektivierung des Meerliedes durch die Zusätze in V 1a vorgenommen hat. 47 Der vorangegangene Überblick hat gezeigt, dass Ex 15,1–21 das Ergebnis eines längeren literarischen Wachstumsprozesses ist. Da bisher nur einige relative Zuordnungen der literarischen Einheiten vorgenommen wurden, soll das Wachstum des poetischen Stückes in der folgenden Darstellung in Gänze beschrieben werden. 1.2.2 Tradition und Redaktion Ausgangspunkt des literarischen Wachstums in Ex 15,1–21 ist das Miriamlied in 15,20f.*, das in seinem kurzen imperativischen Hymnus V 21b eine Machttat Jhwhs preist.48 Die prosaische Einleitung V 20–21a* baut die Szenerie einer Siegesfeier auf, bei der die Frauen den siegreichen Männern in Reigentänzen entgegen kommen (vgl. Ri 11,34; 1 Sam 18,6f.). Der Lobpreis des erhabenen Gottes passt zwar inhaltlich gut zu den Ereignissen des Meerwunders in Ex 14, aber das Herausziehen der Frauen (ותצאן, V 20b) entspricht nicht der dort geschilderten Szenerie, da das Volk als Ganzes Zeuge der Heilsmacht Jhwhs am Ufer des Meeres wird.49 Darüber hinaus ist der Hymnus in der Beschreibung von Jhwhs Handeln, der ‚Ross und seinen Reiter ins Meer geworfen hat‘, so allgemein gehalten, dass Zweifel daran bestehen, dass das Stück in 15,20f.* für seinen jetzigen literarischen Kontext in der Exoduserzählung verfasst worden ist.50 Diese Zweifel werden noch dadurch verstärkt, dass die Pferde ( )סוסinnerhalb der Erzählung über das Meerwunder Ex 14,15–31 nur in Versen erwähnt werden, in denen nachpriesterschriftliche Zusätze vorliegen (vgl. 14,9.23).51 Vergleichbar ist der Befund bei den dazu gehörigen Reitern 47
Zum literarischen Zusammenhang zwischen dem Zusatz להםin V 21 und den kollektivierenden Zusätzen in V 1 vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 391 mit Anm. 174. 48 Zur Gattungseinordnung vgl. grundsätzlich CRÜSEMANN, Studien, 19–24. 49 Ähnlich urteilt auch FOHRER , Überlieferung, 111: „Die Einleitung des Liedes fügt sich freilich in die Situation der Israeliten am Meer nicht ein.“ Dagegen will B ERNER , Exoduserzählung, 391f., die Einleitung des Hymnus in 15,20–21a* gerade auf die Gestaltung durch den Verfasser der vorpriesterschriftlichen Exoduserzählung zurückführen und sieht hier keine Diskrepanz. 50 So aber B ERNER , Exoduserzählung, 392 (vgl. dazu o. Anm. 49). Vom ursprünglichen literarischen Zusammenhang mit dem Exodus ist die Frage zu trennen, ob der Hymnus in 15,21b den Untergang speziell der Ägypter besingt (vgl. dazu u. Anm. 57). 51 Zu dem Argument, dass es sich bei der Erwähnung der Pferde in Ex 14,9a b ()כל סוס sowie der Aufzählung von Pferden, Wagen und Reitern in 14,23abg ()כל סוס פרעה רכבו
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(ורכבו, 15,1b.21b), die als Partizip der Wurzel רכבüberhaupt nicht im Meerwunderbericht belegt sind. Einzig die in grammatischer Hinsicht verwandten Streitwagen ( )ר כ בbegegnen in 14,6.7 in vorpriesterschriftlichen Textanteilen, während sich die weiteren Vorkommen des Lexems in 14,17.18.23.26.28 – mit Ausnahme des priesterschriftlichen Belegs 14,28 ( – )את הרכב ואת הפרשיםauf nachpriesterschriftliche Schichten verteilen. 52 Der Bericht über das Meerwunder und die hymnische Variante 15,20f.* weisen damit in ihrem jeweils ältesten literarischen Bestand keine sprachlichen Berührungspunkte auf. So liegt insgesamt der Schluss nahe, dass in 15,20f.* mit einem älteren Traditionsstück zu rechnen ist, das erst sekundär mit dem Bericht über das Meerwunder verbunden worden ist. 53 Dem in V 21b überlieferten Hymnus kann mit der Rühmung von Jhwhs ‚Hoheit‘ ( )גאה גאהein Sitz im Leben in der mit dem Tempelkult verbundenen Tradition zugewiesen werden, wo er als Lobpreis der Gemeinde erklang. 54 Daraus zu schließen, dass das Exodusbekenntnis seinen genuinen Ort im vorexilischen Gottesdienst gehabt habe, ist allerdings übereilt.55 Was hier gepriesen wird, ist nicht die konkrete Rettungstat Jhwhs am Schilfmeer, sondern das Königtum Jhwhs, das er in seiner Hoheit und der Überlegenheit gegenüber dem Feind erweist. 56 Pferde und Reiter sind die Platzhalter
um nachpriesterschriftliche Ergänzungen handelt, vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 376f.403. Die Textverhältnisse im eigentlichen Bericht über das Meerwunder Ex 14,15 –31 sind gut geklärt. So kann seit T. NÖLDEKE die literarische Ausgrenzung der priesterschriftlichen Anteile 14,15–18.21*.22f.16.27*.28f. als gesichert gelten (vgl. NÖLDEKE, Untersuchungen, 45; ihm folgen mit kleineren Abweichungen NOTH, ATD 5, 82–84; GERTZ, Tradition, 195–206; KRATZ, Komposition, 328 Anm. 30; B ERNER , Exoduserzählung, 403–405). Der restliche Textbestand verteilt sich auf die vorpriesterschriftliche Fassung der Exoduserzählung sowie nachpriesterschriftliche Ergänzungen. Im Folgenden wer den deshalb nur umstrittene Zuordnungen durch Anmerkungen kenntlich gemacht. 52 Zum literarischen Anwachsen der ägyptischen Streitmacht in Ex 14 vgl. insgesamt die Darstellung bei B ERNER , Exoduserzählung, 376–382.403–405. 53 Vgl. auch KRATZ, Komposition, 292, der über das Miriamlied urteilt, dass es „für sich genommen (V. 21b), mit dem Exodus gar nichts zu tun hat, sondern lediglich den Sieg Jhwhs über irgendwelche Rosse und Reiter besingt, die Jhwh einmal ‚ins Meer‘ ge worfen hat“. Vgl. ebenso LEVIN, Jahwist, 342f.; B ERNER , Exoduserzählung, 391f. 54 Vgl. dazu CRÜSEMANN, Studien, 19–24; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 100– 102; LEVIN, Jahwist, 343. 55 So gegen NOTH, ATD 5, 97, der über Ex 15,21b urteilt: „Im vorliegenden Fall beschränkt sich dieser Hymnus auf das Wunder am Meer; und man könnte sich denken, daß, wo immer im ältesten israelitischen Gottesdienst der ‚Herausführung aus Ägypten‘ gedacht wurde, vorzugsweise dieser Hymnus erklang.“ 56 Vgl. auch D. KELLERMANN, Art. גאה, der darauf hinweist, dass „bei der Vorstellung von JHWHs Königtum die Attribute גאוןund גאותzur Umschreibung des prachtvollen und hoheitsvoll-mächtigen Auftretens eine wichtige Rolle spielen.“
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für den unbekannten Feind, dessen genaue Identität – so er denn je eine hatte – in der Überlieferungsgeschichte verloren gegangen ist. 57 Der vormals eigenständige kultische Hymnus 15,21b wird im Traditionsstück 15,20f.* in eine Siegesszene eingebaut und mit der Person der Miriam verbunden. Über den Sitz im Leben, den diese Kultdichtung gehabt hat, lässt sich nur spekulieren. Es ist auf jeden Fall ein erster Schritt auf dem Weg zum Lobpreis von Gottes Geschichtstaten, indem sich die Verherrlichung von Jhwhs Königsmacht mit einer Person der biblischen Geschichte und einer konkreten Situationsbeschreibung verbindet. In einem späteren Schritt greift der Verfasser der vorpriesterschriftlichen Ex oduserzählung das Traditionsstück auf und setzt es an das Ende seines Berichtes über das Meerwunder hinter Ex 14,30.58 Auf diese Weise bekommt das Gotteslob des Miriamliedes einen literarischen Sitz in der Geschichte Israels und wird zum Danklied des Volkes für die wundersame Rettung vor den Ägyptern. Das Miriamlied ist damit trotz seines hohen Alters kein Zeuge für die Herausführung aus Ägypten, sondern der Bezug auf den Exodus wird erst literarisch durch den Autor der vorpriesterschriftlichen Exoduserzählung hergestellt. In einem nächsten Schritt wird über die Wiederaufnahme des Hymnus 15,21b in 15,1b das ursprüngliche Meerlied in 15,1*.3.6–8aa.b.9–11a (15,1–11*) vor das Miriamlied eingefügt. Anscheinend hat der hymnische Lobpreis des Miriamliedes den Anstoß gegeben, das kurze Gotteslob an dieser Stelle zu einem längeren Lobpreis auszubauen. 59 Dabei setzt das Meerlied aber deutlich andere Akzente als das Miriamlied. Mit der prosaischen Einleitung wird Mose als dem Hauptprotagonisten der Exoduserzäh57
Für einen ursprünglichen Bezug auf die Ägypter könnte zwar die Konstellation von Ross, Reiter und Meer sprechen (so LEVIN, Jahwist, 343; B ECKER , Exodus-Credo, 87), aber auch hier liegt die Vermutung nahe, dass die Ägypter bereits im selbständigen Hymnus zur Chiffre für den unbekannten Feind geworden sind. Eine nachträgliche ‚Hi storisierung‘ erhält der Hymnus mit dem Einbau von Ex 15,20f.* in die Exodusüberlief erung. 58 Zum Textzusammenhang von 14,30 und 15,20f.* vgl. KRATZ, Komposition, 303; LEVIN, Jahwist, 341f. Jüngst hat B ERNER , Exoduserzählung, 389–405, im Rahmen seiner Analyse der Exoduserzählung Ex 15,1–21 im Verhältnis zu den vorangehenden Prosastücken redaktionsgeschichtlich verortet. Dem in vielen Einzelbeobachtungen überzeugenden Modell kann hier nur teilweise gefolgt werden, da es von einer abweichenden Abgrenzung des ursprünglichen Meerliedes ausgeht (15,1a*.1b–3.4*.5–11a.13.17–19; vgl. B ERNER , a.a.O., 405). 59 Diese Auslegungsbewegung hat eine Nachgeschichte im Reworked Pentateuch, wo das kurze Gotteslob des Miriamliedes (Ex 15,21) in 4Q365 f6b,1–7 mit Elementen des Moseliedes und Anspielungen aus anderen biblischen Büchern ausgearbeitet wird; vgl. dazu das Urteil von T OV/W HITE, Reworked Pentateuch, 270: „It is, however, understandable that an exegetical tradition developed which recreated the Song of Miriam based on the contents of the Song of Mose.“ (siehe dazu o. Anm. 17).
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lung nun auch die Aufgabe zuteil, Jhwh zu loben, während das Miriamlied durch seine kontextuelle Position im Anschluss an 15,1–11* zum Antiphon des Meerliedes wird. Dazu ist der Lobpreis in V 1 durch die kohortative Aufforderung אשירהzum Hymnus eines Einzelnen umgeformt worden. Ab dieser Wachstumsstufe kann deshalb mit einer gewissen Berechtigung von einem Psalmgebet in Ex 15* gesprochen werden, da das mosaische ‚Ich‘ Identifikationspotential für die Leser des Meerliedes bietet. Jhwhs Sieg über die Feinde erfährt im Korpus des Meerliedes V 6–11a* eine detaillierte Ausschmückung und wird durch die Unvergleichlichkeitsaussage in V 11a zu der Tat, in der Jhwh seine Überlegenheit gegenüber den anderen Göttern erweist. Ob das ursprüngliche Meerlied ebenso wie das Miriamlied ein älteres Traditionsstück darstellt, das an dieser Stelle eingefügt worden ist, oder ob es sich um einen Text handelt, der für seine jetzige literarische Position verfasst worden ist, kann erst im Fortgang der Analyse entschieden werden.60 Die Rolle des Mose als Protagonist des Lobpreises zeigt jedoch an, dass es fester als das Miriamlied in seinem jetzigen literarischen Kontext verwurzelt ist. Das relative Verhältnis der drei größeren Fortschreibungen in 15,13.17– 19 (Führung des Volkes zum Zion), 15,11b–12 (Jhwhs Wundertaten), 15,14–16 (Reaktion der Völker) und der kleineren Ergänzungen in 15,2 15,4; 15,5 und 15,8ab ist nicht in allen Fällen zweifelsfrei zu bestimmen. Als erste Ergänzung kommen nur die Führung des Volkes zum Zion oder Jhwhs Wundertaten in Frage, da sie von den anderen Einschreibungen bereits vorausgesetzt werden. Da der Autor von V 11b–12 Jhwhs Unvergleichlichkeit an seinem Wirken in der Geschichte exemplifiziert, liegt der Schluss nahe, dass ihm die Fortschreibung um V 13.17–19 und damit eine Form von ‚Geschichtsaufriss‘ bereits vorlag. In dieser ersten Fortschreibung wird die Überlegenheit Jhwhs über den Feind mit seiner Heilstat am Volk Israel ergänzt, das er zum Ort seines Königtums geführt hat. Mit dieser Ergänzung entsteht in Ex 15* eine Abfolge von Handlungen Jhwhs, die 60
Vgl. dazu u. Kap. 1.3. Vom einem älteren, selbständigen Traditionsstück in 15,1– 18 gehen NOTH, ATD 5, 98; CROSS, Canaanite Myth, 121–124; SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 13f. (vorexilische Datierung); GERTZ, Tradition, 191, und P ROPP, AncB 2, 562–568, aus. Jüngst hat LEUCHTER , Eisodus, 329–333, die These vertreten, dass der für die Einfügung des Meerliedes verantwortliche Schreiber auf eine ältere Fassung aus der frühen Königszeit unter David und Salomo zurückgegriffen habe. Er geht davon aus, dass das Lied keine Referenzen auf einen tatsächlichen Exodus aus Ägypten enthalte, sondern einen metaphorischen Reflex auf die Situation im Land darstelle: „the poem conceives of the ‚Exodus‘ as a metaphorical and mythic representation of the settlement and defense of Israelite land holdings in the central highlands“ ( LEUCHTER , a.a.O., 344f.). Dagegen vertritt B ERNER , Exoduserzählung, 393, die These einer schriftgelehrten Bildung des Meerliedes als Abschluss der Exoduserzählung (vgl. ebenso B RENNER , Song, 80, und erwägungsweise SCHMID, Erzväter, 240).
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über den erzählerischen Kontext der Exoduserzählung hinausgeht: Obwohl sich das Volk nach 14,30; 15,22 noch am Ufer des Meeres befindet, weiß die Erweiterung des Meerliedes bereits von der erfolgten Ankunft am Heiligtum. In großer Nähe zu dieser Erweiterung des Meerliedes in 15,13.17– 19 kann auch V 4 gesehen werden, der ebenso wie V 19 zahlreiche literarische Bezüge zu Ex 14 aufweist. 61 Ebenso wie 15,19 vor dem älteren Traditionsstück V 20f. gibt auch V 4 vor dem Korpus des ursprünglichen Meerliedes V 6–11a* eine Deutungsperspektive vor, indem die folgenden Ausführungen über den Feind durch V 4 eindeutig auf den Sieg über die Ägypter bezogen werden. Zu einem späteren Zeitpunkt ist in V 4a noch die militärische Angabe וחילוnachgetragen worden, die der Nennung des pharaonischen Heeres in Ex 14 Rechnung trägt. 62 Nach der Erweiterung des Meerliedes um die Führung zum Heiligtum ergänzt ein späterer Autor in V 11b–12 eine Anspielung an die Datan-/ Abiramepisode. Die in Form eines parallelismus membrorum gestaltete Erweiterung bezieht die vorliegende Unvergleichlichkeitsaussage des ursprünglichen Meerliedes auf Jhwhs Wirken in der Geschichte (V 11b) und exemplifiziert dies am Beispiel des Schicksals der Aufrührer Datan und Abiram (V 12). Die Episode konnte nur vor der in V 13 beschriebenen Ankunft am Heiligtum eingeschrieben werden, was aber zu der Spannung führt, dass ein Ereignis der Wüstenzeit vor der eigentlichen Führungsaussage V 13 zu stehen kommt. Durch die erneute Erwähnung der ‚Rechten Jhwhs‘ in V 12 wird die Vernichtung von Datan und Abiram mit der Versenkung der Ägypter im Meer parallelisiert, 63 die ebenfalls eine Machttat der Rechten Jhwhs ist (V 6). In gewisser Weise bereitet die spätere Einschreibung von V 5 diese Parallelisierung nachträglich vor, indem der Vers das Bedecken mit den Fluten ( )תהמת יכסימוneben das Hinabfahren in die Tiefen ( )ירדו במצולת כמו אבןstellt und so die Todessymbolik von V 12 vorweg nimmt. So liegt es nahe, dem Autor von V 11b–12 auch V 5 zuzuschreiben, mit dem dieser bereits am Anfang des Meerliedes sein Thema einführt. V 5 setzt auf jeden Fall die Ergänzung von V 4 voraus, da das Suffix an יכסימוnur mit dem in V 4 genannten Heeresgruppen einen Bezug im vorausgehenden literarischen Kontext hat. Die letzte umfangreiche Nacharbeit stellt die Einschreibung der Verse 14–16 in den zweiten Teil des Meerliedes dar. Diese Verse werden durch die variierende Wiederaufnahme von ‚( עם זו גאלתdas Volk, das du erlöst hast‘, V 13) als ‚( עם זו קניתdas Volk, das du erworben hast‘, V 16) in den Kontext eingefügt und ergänzen die Reaktion der Völker. Dabei nehmen 61
Vgl. dazu auch ZENGER , Tradition, 462, der vermutet, dass V 4 ein ähnliches Interesse zeigt wie V 19. 62 Vgl. dazu u. Kap. 1.3. 63 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 396.
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sie in verschiedener Weise Bezug auf den vorliegenden Textbestand. Während in V 5 die Feinde untergehen wie ein Stein ()כמו אבן, werden die Völker in V 16 angesichts von Israels Durchzug stumm wie ein Stein (ידמו )כאבןund nehmen damit die Rolle des Feindes aus dem ursprünglichen Meerlied ein. Dagegen erfolgt der Durchzug der Israeliten nun nicht mehr durch die geteilten Wasser, sondern ist mit dem Durchzug durch das Land auf den Weg zum Heiligtum gerichtet. Ein vergleichbares Interesse zeigt sich auch in der Ergänzung V 8ab, in der das Meerwunder durch die Formulierung ‚standen wie ein Damm die Strömungen‘ (vgl. Jos 3,13.16) transparent wird für die Durchquerung des Jordans beim Einzug in das Land.64 Die Verse 8ab.14–16 können deshalb insgesamt einer Redaktion zugewiesen werden, die die im Meerlied besungenen Ereignisse beim Exodus des Volkes als Paradigma nutzt, um auch den Eisodus in das Land in diesen Lobpreis aufzunehmen. Damit sind nur noch die Einzelverseinschreibung in 15,2 und die kollektivierenden Zusätze in 15,1 ( ) ובני ישראל … ויאמרו לאמרund 15,21 ()להם zu berücksichtigen. Die Einschreibung in V 2 macht aus dem Lobpreis des Mose ein Vertrauensgebet und stilisiert das Meerlied zum Danklied für die am Schilfmeer ergangene Rettung ()ישועה. Damit findet zugleich eine Individualisierung des Meerliedes statt, das nun als Dankformular von jedem Beter gesprochen werden kann. Es steht zu vermuten, dass die kollektivierenden Zusätze in V 1 und V 21 dieser Bearbeitung Rechnung tragen, indem sie das Meerlied dem gesamten Volk in den Mund legen. Sie reagieren damit auch auf den nachpriesterschriftlichen Abschluss des Meerwunderberichts in Ex 14,31, wo das Volk zur Jhwh-Erkenntnis gelangt und daraufhin an Gott und seinen Knecht Mose glaubt (וייראו העם את יהוה ויאמינו )ביהוה ובמשה עבדו. Als Reflex auf diese Glaubensaussage wird die Kollektivierung des Meerliedes in 15,1.21 verständlich. Sie macht das Vertrauenslied des Einzelnen im Erzählrahmen zum Danklied des ganzen Volkes, dessen neu gewonnener Gottesglaube sich im Vertrauen auf Gottes Stärke und Rettung äußert.65 Die voranstehende redaktionsgeschichtliche Darstellung hat gezeigt, dass das Verständnis der Geschichte und die Rezeption der vorliegenden Überlieferung eine große Bedeutung für die literarische Ausgestaltung des poetischen Stückes 15,1–21 spielt. Im Folgenden soll nun genauer untersucht werden, in welcher Form Miriamlied und Meerlied im Laufe ihres literarischen Wachstums durch Aufnahmen poetischer und erzählender
64
Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 396. Ähnlich auch B ERNER , Exoduserzählung, 399, der den Hintergrund für die Kollektivierung des Meerliedes genauer in der Profilierung der Glaubensaussagen durch die Zusätze in Ex 14,12.31aa sieht. 65
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Texte geprägt werden und welches Geschichtsverständnis hinter diesen Rezeptionsvorgängen steht. 1.3 Psalmentheologie und Exodusüberlieferung Für den im Miriamlied überlieferten Hymnus Ex 15,21b konnte bereits wahrscheinlich gemacht werden, dass ihm ursprünglich ein Sitz im Leben in dem mit dem Tempelkult verbundenen Traditionskomplex zukommt, für den sich der Begriff der Tempeltheologie eingebürgert hat. 66 Auch wenn wenig darüber bekannt ist, wie der Kultus im vorexilischen Israel organisiert war, kann die Tempeltheologie als übergreifendes Konzept für die in den Psalmen überlieferten Vorstellungszusammenhänge von Heiligtum und Kult gelten. 67 Die Nähe zur Theologie der Psalmen zeigt sich vor allem im Lobpreis der Hoheit Jhwhs (גאה גאה, Ex 15,21b); ein Charakteristikum, das in Ps 93 das Königtum Jhwhs beschreibt, der sich mit Hoheit bekleidet (גאות לבש, Ps 93,1). Bereits für die Einschreibung des Miriamliedes in die vorpriesterschriftliche Exoduserzählung kann damit gelten, dass der Autor die narrative Darstellung des Meerwunders durch die Verbindung mit dem kultischen Hymnus nicht nur zu einem passenden Abschluss bringt, sondern das Wunder als Tat des Gottkönigs gleichsam tempeltheologisch verherrlicht. Im ursprünglichen Meerlied Ex 15,1*.3.6–8aa.b.9–11a mischen sich die Einflüsse zweier Überlieferungsbereiche: Zuerst werden Wendungen und Vorstellungen aus den Psalmen verwendet, wobei auch Motive begegnen, die in der Forschung als Elemente des Mythos eingeordnet werden. Dabei handelt es sich um Einzelzüge oder Motivkomplexe, die darin ‚mythisch‘ sind, dass sie sich aus Gründungslegenden des altorientalischen Kulturraumes speisen, und die als „Reste hebräischen Heidentums“ 68 Eingang in die Literatur des Alten Testaments gefunden haben. Daneben treten eine Reihe von Bezügen zum direkten literarischen Vorkontext von Ex 15 auf, die die Dichtung inhaltlich weiter in der Exoduserzählung verankern. Das Gottesbild des Meerliedes wird zuerst durch Charakteristika bestimmt, die in den Psalmen Jhwhs Macht als Chaoskämpfer und Gottkönig beschreiben. So hat das Lob Jhwhs als Kriegsmann ( )איש מלחמהaus Ex 15,3 eine vergleichbare Parallele in Ps 24,8, wo seine königliche Herrschaft mit sei66
Vgl. dazu o. Kap. 1.2.2. Zum Begriff der „Tempeltheologie“ vgl. die nach wie vor gültige Darstellung von SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 7–20. 67 So spricht SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 9, neben dem Kult in Form des Geschehenszusammenhanges auch vom Kult als „Gedankenzusammenhang“. 68 Zu diesem Begriff vgl. den programmatischen Beitrag von KRATZ, Reste, 27–65, insbes. 28f.; zu Definition und Verständnis des ‚Mythos‘ siehe grundsätzlich den Sammelband „Arbeit am Mythos“, herausgegeben von ANNETTE ZGOLL und REINHARD G. KRATZ.
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ner Kriegsmacht begründet wird ()יהוה גבור מלחמה. Dass die beiden Stellen miteinander in Verbindung gebracht worden sind, beweist nicht zuletzt die Textüberlieferung, in deren Verlauf in einigen Versionen eine Angleichung von Ex 15,3 an den Text von Ps 24,8 stattgefunden hat. 69 Es ist zu überlegen, ob in diesem Fall die erzählende Überlieferung die Rezeption des Psalmtextes angeregt hat, da die Verbalwurzel לחםin Ex 14,14.25 (vgl. auch מלחמה, Ex 13,17) das göttliche Handeln zugunsten des Volkes beschreibt. Die hervorgehobene Nennung des Gottesnamens in der zweiten Vershälfte von Ex 15,3 ( )יהוה שמוerinnert dagegen an die nichtpriesterschriftliche Berufungsszene in Ex 3. Fragt Mose in Ex 3,13 nach dem Gottesnamen und damit nach Identität und Legitimation des Gottes, der das Volk im Exodus aus Ägypten herausführen will, gibt das Meerlied in Aufnahme von Ex 3,15 ( )יהוה … זה שמיunmissverständlich Auskunft. 70 Im Korpus des ursprünglichen Meerliedes setzen sich die Bezüge auf die Psalmen im Lobpreis von Jhwhs Rechter fort, die sich dadurch auszeichnet, dass sie den Feind vernichtet (ימינך יהוה נאדרי בכח ימינך יהוה תרעץ אויב, Ex 15,6). Mit dem namenlosen Feind ( )אויבkommt der Widersacher Jhwhs in den Blick, der aus der Feindklage der Psalmen hinreichend bekannt ist71 und hier als paradigmatischer Feind Identifikationspotential bietet. Ebenfalls auf die Psalmen verweist das Motiv der göttlichen Rechten als Macht- und Rettungsinstrument, das traditionsgeschichtlich im Hintergrund des Lobpreises von Ex 15,6 steht.72 Dabei muss insbesondere die Nähe zu Ps 118,15f. auffallen. In diesem Danklied wird in einem dreigliedrigen Lobpreis hervorgehoben, dass die Rechte Jhwhs Gewaltiges tut und hoch erhoben ist (ימין יהוה עשה חיל ימין יהוה רוממה ימין יהוה עשה חיל, 118,15f.). Ex 15,6 und Ps 118,15f. sind die einzigen Belege in der Hebräischen Bibel, in denen die göttliche Rechte in einer engen syntaktischen Verbindung mit dem Gottesnamen steht, wobei die Abschnitte aber in der genauen Charakterisierung der Machttaten voneinander abweichen. In Ex 15,6 wird die Rechte als sich machtvoll verherrlichend ( )נאדרי בכחgepriesen, eine Prädikation, die auf die Jhwh-König-Psalmen 29,4 und 93,4 verweist.73 Dagegen spricht Ps 118,15f. davon, dass die Rechte Jhwhs Gewal69
Vgl. dazu o. Anm. 4. Diesen innerbiblischen Bezug sieht auch B ERNER , Exoduserzählung, 393f.; in vergleichbarer Weise wird Ex 3,15 in Ps 135,13 rezipiert; vgl. dazu u. Kap. V. 3.2. 71 So mit SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 111. Zu der Darstellung der Feinde in den Psalmen vgl. umfassend die Studie von O. KEEL, Feinde und Gottesleugner. Studien zum Image der Widersacher in den Individualpsalmen, SBM 7, Stuttgart 1969. 72 Vgl. in den Psalmen 17,7; 18,36; 20,7; 21,9; 44,4; 45,5; 48,11; 60,7; 63,9; 74,11; 77,11; 78,54; 80,16.18; 89,14; 98,1; 108,7; 118,15f.; 137,5; 138,7; 139,10 . 73 Während das Nomen כחin Ps 29,4 die Macht der göttlichen Stimme beschreibt, steht die Wurzel אדרin Ps 93,4 für Jhwhs Überlegenheit gegenüber den Chaoswassern (vgl. J EREMIAS, Königtum, 101). 70
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tiges tut ()עשה חיל. Diese unterschiedlichen Beschreibungen der Rechten im ursprünglichen Meerlied Ex 15,6 und im Danklied Ps 118,15f. sprechen gegen ein direktes literarisches Verhältnis, auch wenn noch zu zeigen sein wird, dass das den zwei Texten gemeinsame Motiv der Rechten Jhwhs auf einer späteren literarischen Wachstumsstufe zur Einschreibung von Ex 15,2 in das Meerlied geführt hat.74 In der nachfolgenden Beschreibung von Jhwhs Sieg über den Feind Ex 15,8–10 begegnen dann weitere Elemente des Chaoskampfes, wobei aber ein entscheidender Wechsel stattgefunden hat: Die Wasser sind nicht wie z.B. in Ps 93 die mythischen Gegenspieler Jhwhs, sondern sie sind zu Instrumenten im Sieg über die Feinde transformiert worden. Trotz der mythischen Anklänge an den in den Psalmen rezipierten Chaoskampf verrät die Schilderung dieses Sieges aber deutlich, dass sie auf den narrativen Bericht über das Meerwunder bezogen ist. So ist es in der ursprünglichen Exoduserzählung ein starker Ostwind ()ברוח קדים, mit dem Jhwh das Meer zurückweichen lässt (14,21aa2b), während der priesterschriftliche Textanteil die Vorstellung ergänzt, dass Mose die Wasser spaltet (בקע, 14,21aa1b). Das meteorologische Ereignis steht unverkennbar im Hintergrund der poetischen Schilderung in 15,8*, nach der Jhwh die Wasser durch sein zorniges Schnauben ( )ברוח אפיךauftürmt und auf diese Weise zur Gerinnung bringt. Der Ostwind ist hier über die Stichwortverbindung רוחzur wirkmächtigen Zornesäußerung Jhwhs geworden, während die Beschreibung der Wasser unverkennbar auf das von der Priesterschrift eingeführte Motiv der Spaltung hinführt.75 Auf die Priesterschrift geht auch die Vorstellung zurück, dass die Ägypter den Israeliten in das gespaltene Meer hinein nachsetzen ( וירדפו, 14,23). Im Meerlied wird diese Szenerie in dem Zitat des Feindes 15,9 verarbeitet, der seinen vermeintlich leichten Opfern nachjagen und diese einholen will ()אמר אויב ארדף אשיג. Die Kombination der beiden Verben רדףund נשגhat einen doppelten literarischen Hintergrund. Zum Ersten ist sie in der Exposition des Meerwunders 14,9 belegt, wo die Verfolgung der Israeliten bis an das Ufer des Meeres geschildert wird ()וירדפו מצרים אחריהם וישיגו אותם. Darüber hinaus begegnet die Kombination an zwei Stellen im Psalter: in einem Feindzitat in Ps 7,6 und als Teil eines königlichen Siegliedes in Ps 18,38. 76 In der Verbindung der Vorlagen aus Exoduserzählung und Psalmen in Ex 15,9 wird erneut 74 Vgl. dazu im Folgenden; anders sieht MARK, Stärke, 330, in der Rede von der Rechten Jhwhs in Ps 118,15f. einen Rückgriff auf Ex 15,6.12; vgl. so auch ZENGER , HThK.AT III, 318. 75 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 395. Zur Verarbeitung des Ostwindmotivs aus Ex 14,21 in 15,8 vgl. zuvor schon KIESOW, Exodustexte, 108. 76 Zur formgeschichtlichen Einordnung von Ps 18,38 vgl. HOSSFELD, NEB 29, 120.127f.
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der exemplarische Feind der Psalmen mit den ägyptischen Widersachern in der Exoduserzählung verschmolzen. 77 Im letzten Akt des Dramas ist erneut der Bezug auf die Prosaversion des Meerwunders deutlich. Der Parallelismus in der ersten Vershälfte von Ex 15,10 ‚Du bliesest mit deinem Atem ()ברוחך, das Meer bedeckte sie ( ‘)כסמוfasst prägnant die in 14,24–28 geschilderten Ereignisse zusammen. Dabei hat die erneute Erwähnung der רוחallerdings keine Parallele in der Vorlage, sondern sie verdankt sich dem Verfasser des ursprünglichen Meerliedes, der auf diese Weise einen thematischen und sprachlichen Rahmen um 15,8–10 legt. Die einzige Stichwortverbindung zu 14,24–28 besteht in der aus dem priesterschriftlichen Anteil 14,28 entlehnten Vorstellung, dass die zurückkehrenden Wasser die Ägypter bedecken ()כסה, die in 15,10 transparent wird für das Schicksal der Feinde. Die Tendenz, der Prosaversion im Meerlied einen mythischen Anstrich zu verleihen, zeigt sich auch daran, dass die Wasser des Schilfmeeres in 15,10 als gewaltige Wasser ( )מים אדיריםbezeichnet werden, in denen die Feinde wie Blei versinken. Als Instrument des göttlichen Zornesgerichts werden die Wasser mit genau dem Adjektiv beschrieben, das in Ps 93 die Überlegenheit des Gottkönigs Jhwhs gegenüber den Chaoswassern charakterisiert (אדירים משברי ים, 93,4). Aus den gegnerischen Chaosmächten sind im Meerlied die Instrumente der königlichen Machtausübung geworden, die auf diese Weise am Königtum Jhwhs partizipieren. Die aufgezeigten literarischen und traditionsgeschichtlichen Wurzeln weisen das ursprüngliche Meerlied als schriftgelehrte Exegese des literarisch vorgängigen Miriamliedes aus, die für ihren vorliegenden Kontex t geschrieben worden ist. 78 Während das Miriamlied nur durch seine literarische Position zu erkennen gibt, dass sich das in 15,21b besungene Ereignis auf die Vernichtung der Ägypter am Schilfmeer bezieht, enthält die Grundschicht des Meerliedes zahlreiche wörtliche und motivische Rückbezuge auf die narrative Version des Meerwunders in seiner priesterschriftlich erweiterten Fassung. Durch diese Verbindungen wird klar herausgestellt, dass es sich bei den ins Wasser geworfenen Pferden und Reitern des Miriamliedes (15,21b) nur um die Streitmacht der Ägypter handeln kann. Die Begründung des Hymnus (כי גאה גאה, 15,21b) wird dagegen vor allem in den Abschnitten aufgenommen, die Anleihen an Sprache und Gedankengut der Psalmen enthalten. Das zeigt sich explizit an der Prädikation Jhwhs ‚in der Fülle deiner Hoheit‘ (ברב גאונך, 15,7), die auf 77 Dagegen nimmt B ERNER , Exoduserzählung, 395 Anm. 191, umgekehrt an, dass das literarische Gefälle von Ex 15,9 zu Ex 14,9 verlaufe und führt die geprägte Wendung vom Nachjagen und Einholen im Meerlied auf Ps 7,6; 18,38 zurück. 78 So mit B RENNER , Song, 80, und B ERNER , Exoduserzählung, 393; vgl. dazu auch o. Anm. 60.
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das im Hymnus gepriesene hymnische Attribut גאהrekurriert. Indem die göttliche Rettungstat am Schilfmeer mit Elementen des Chaoskampfes und der Vorstellung vom Königtum Jhwhs verbunden wird, bekommt sie einen mythischen Anstrich. Die Rettung des Volkes im Meerwunder wird zur Machttat des Gottkönigs Jhwh, der darin seine Überlegenheit erweist. Wenn hier vom Mythos die Rede ist, bleibt festzuhalten, dass dieser dem Autor des ursprünglichen Meerliedes in seiner biblisch tradierten Gestalt in den Psalmen vorgelegen hat. Insofern ist es angemessener, von einer psalmentheologischen Interpretation des Meerwunderberichts zu sprechen, die allerdings nicht spurlos an der Psalmentheologie vorüber gegangen ist. Durch die Verbindung mit der erzählenden Überlieferung werden die Psalmeninhalte gleichsam historisiert. Aus dem Gottkönig Jhwh wird der Gott Israels, der sein Königtum in der Geschichte von den Erzvätern bis zum Exodus erweist. Diese theologiegeschichtliche Entwicklung ist auch in der Fortschreibung des ursprünglichen Meerliedes um 15,13.17–19 zu beobachten, der weiterhin der Einschub in 15,4* zugeordnet werden konnte. 79 Thema ist hier nicht mehr die Rettungstat am Schilfmeer, sondern der Fortgang der Geschichte Jhwhs mit seinem Volk, wobei aber weiterhin die aus dem ursprünglichen Meerlied bereits bekannten Überlieferungsbereiche rezipiert werden. So rahmen die literarischen Bezüge auf die Exoduserzählung in den Versen 15,4*.19 das Korpus des erweiterten Meerliedes. Das gesamte in 15,4* aufgeführte Personal des Feindes hat keine Parallele in den Psalmen und entstammt samt und sonders der narrativen Version des Meerwunders in Ex 14. Da dieser Nachweis schon anderweitig geführt wurde, 80 seien hier lediglich die Vorlagen der einzelnen Formulierungen genannt: Die Erwähnung der Streitwagen ( )מרכבהverdankt sich einer Entlehnung aus dem vermutlich nachpriesterschriftlichen Vers 14,25a, während die ‚Auslese seiner Kämpfer‘ ( )מבחר שלשיוauf eine Kombination der Aussagen in 14,7 zurückgeht. Dort ist davon die Rede, dass der Pharao 600 ‚ausgewählte Streitwagen‘ ( )רכב בחורzur Verfolgung der Israeliten mit sich führt und dazu weitere Streitwagen mit Kämpfern ( )ושלשם. Die Rezeption in 15,4* rekurriert damit auf die Angaben über die Zusammensetzung der Streitmacht, mit der der Pharao sich auf die Verfolgung der Israeliten begibt. Anders liegt die Sache mit dem Scharniervers 15,19, der den Übergang vom Moselied zum Miriamlied herstellt und dabei die Szenerie des Meerwunders rekapituliert. Auch für diesen Vers sind die redaktionsgeschichtlichen Verknüpfungen mit der Prosaversion in Ex 14 bereits klar benannt 79
Vgl. dazu o. Kap. 1.2.2. Vgl. ZENGER , Tradition, 462 mit Anm. 19, und detailliert B ERNER , Exoduserzählung, 394. 80
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worden.81 Bei der Formulierung der Verfolgungsszene (כי בא סוס פרעה )ברכבו ובפרשיו ביםhat sich der Autor von 15,19 ebenso an 14,28 orientiert ( )את הרכב ואת הפרשים לכל חיל פרעה הבאים אחריהם ביםwie bei der Schilderung der Vernichtung der Ägypter. Während 14,28 sich allerdings darauf beschränkt, faktisch von der Rückkehr der Wasser zu berichten, die die Feinde bedecken ()וישבו המים ויכסו, veranlasst nach 15,19ab explizit Jhwh die Rückkehr der Meerwasser ( ) וישב יהוה עלהם את מי הים.82 Eine Aussage über den Untergang der Feinde erübrigt sich an dieser Stelle des Meerliedes, da deren Schicksal durch den Einschub in 15,4 bereits vorweg genommen ist und im anschließenden Hymnus des Miriamliedes 15,21b erneut besungen wird. Neben der Betonung von Jhwhs Wirkmächtigkeit gegenüber der Vorlage in 14,28 ist in 15,19 noch die Intention erkennbar, die Angaben des Prosaberichtes mit denen des Miriamliedes auszugleichen. Die Angabe in 15,19aa, nach der die Pferde des Pharao mit Wagen und Reitern (סוס )פרעה ברכבו ובפרשיוins Meer gezogen waren, führt ein Heer ein, das in dieser Zusammensetzung keine Vorlage in der Meerwundererzählung hat. Vielmehr wird das Heereskontingent des Prosaberichtes, der lange nur die priesterschriftlich eingeführten Wagen und Reiter kennt ( רכב פרעה ופרשיו, 14,9),83 mit den Pferden und Reitern des Miriamhymnus verbunden (סוס ורכבו, 15,21b).84 Auf diese Weise betont der Verfasser die Identität der besungenen Ereignisse mit dem Meerwunder und bindet das Miriamlied stärker in das Meerlied ein. Im Mittelteil der Fortschreibung 15,13.17f. dominiert erneut der Einfluss der Psalmen, wobei die eröffnende Führungsaussage in 15,13 (נחית )בחסדך … אל נוה קדשךeinen doppelten Hintergrund in der erzählenden Überlieferung und den Psalmen hat. In der hexateuchischen Geschichtsdarstellung ist die göttliche Führung Israels beim Auszug ein Leitmotiv und mit Ex 13,17.21 im literarischen Vorkontext des Meerwunders be-
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Vgl. dazu B ERNER , Exoduserzählung, 397f. B ERNER , Exoduserzählung, 398, hat darauf hingewiesen, dass der Autor von Ex 15,19 mit der Aussage über die von Jhwh veranlasste Rückkehr der Meerwasser (את מי )היםdie in 14,28a beschriebene Rückkehr der Wasser ( )וישבו המיםmit der in 14,27a erwähnten Rückkehr des Meeres ( )וישב היםzusammen zieht. 83 Den Nachweis, dass es sich bei der Erwähnung der Pferde in Ex 14,9ab ()כל סוס bzw. Pferde, Wagen und Reiter in 14,23abg ( )כל סוס פרעה רכבוum nachpriesterschriftliche Angleichungen an die Angaben in 15,19 handelt, hat überzeugend B ERNER , Exoduserzählung, 377, geführt. 84 So auch B ERNER , Exoduserzählung, 398: „Dabei hat der Verfasser, indem er in 15,19aa vom Kommen der Pferde mit Wagen und Reitern spricht, geschickt dafür gesorgt, daß Miriam mit der Vernichtung der Pferde nun auch die Vernichtung dieser von P eingeführten Truppenkontingente besingt, von deren Existenz das Miriamlied ur sprünglich natürlich noch nichts wissen konnte.“ 82
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legt.85 Die stärkste Gruppe von Belegen für das Verbum נחהfindet sich aber in den Psalmen, wo die Bitte um Gottes Führung dominiert und ihm das Vertrauen in seine Leitung ausgesprochen wird.86 Das Führungsmotiv begegnet hier auch im Rahmen eines Motivkomplexes, in dem das Volk mit einer Herde verglichen wird, die von Jhwh als Hirte geführt wird (Ps 77,21; 78,52f.; vgl. auch Ps 23,1f.; 74,1f.). 87 Auch wenn in diesen Fällen keine eindeutige Aussage über das literarische Verhältnis getroffen werden kann, zeigt die Wahl von ‚( נוה קדשךdeine heilige Weide‘) als Zielangabe in Ex 15,13, dass das Motivensemble von Hirt und Herde den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Fortschreibung um 15,13.17–19 bildet. Die Bezeichnung Israels als ‚Volk, das du erlöst hast‘ ( )עם זו גאלתverweist dagegen auf die erzählende Überlieferung, wo Jhwh in der priesterschriftlichen Version von Moses Berufung Ex 6 ankündigt, dass er das Volk herausführen und es mit ausgestrecktem Arm und durch große Gerichte erlösen wird ( והוצאתי אתכם … וגאלתי אתכם בזרוע נטויה ובשפ טים גדלים, 6,6).88 Im Nahkontext von Ex 6,6 bezieht sich diese Ankündung der großen Gerichte auf die zehnte und entscheidende Plage, die Tötung der Erstgeburt (vgl. שפטים גדלים, 7,4; שפטים, 12,12).89 Die erneute Verwendung des Verbums גאלin 15,1390 zeigt an, dass der Autor von 15,13.17–19 die Führung zum Zion als Fortsetzung und Vollendung des Heilsgeschehens versteht, das mit dem durch die Plagen erzwungenen Exodus aus Ägypten seinen Anfang genommen hat. Ans Ziel kommt dieses Geschehen nach 15,17 erst mit der Einpflanzung des Volkes auf dem Berg von Jhwhs Erbteil ()ותטעמו בהר נחלתך, wo er sein Heiligtum gegründet hat ()מקדש אדני כוננו ידיך. Die einzige vergleichbare Parallele in Ps 80,9–17, wo im Bild des Weinstockes aus Ägypten die Einpflanzung des Volkes am Heiligtum thematisiert wird, ist insgesamt als Allegorie des Auszugs aus Ägypten zu verstehen, die Ex 15 bereits voraussetzt.91 Mit der Rede von Berg und Heiligtum ist die zionstheologische 85 Zu weiteren Führungsaussagen über das Volk vgl. im Pentateuch nur noch Dtn 32,12; in den Psalmen 77,21; 78,14.53 sowie Neh 9,12.19. 86 Vgl. C. B ARTH, Art. נ ָ ָח ה, 340. 87 Zum Gebrauch der Hirt- und Herde-Metapher als Vertrauensbild in den AsaphPsalmen 74; 77 und 78 vgl. u. Kap. III. 3 sowie Kap. III. 4.2.2 und 4.2.5. 88 Einen Nachtrag der Wendung בזרוע נטויהin Ex 6,6 vermuten KOHATA, Jahwist, 28f.; GERTZ, Tradition, 243.246; KRATZ, Komposition, 245 Anm. 26, und B ERNER , Exoduserzählung, 158.166. 89 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 156.162f.; davor vermutungsweise auch KRATZ, Komposition, 245 Anm. 26, der allerdings in Erwägung zieht, ob es sich auch bei den großen Gerichten um einen Nachtrag in Ex 6,6 handelt (vgl. dazu auch o. Anm. 88). 90 Im gesamten Exodusbuch ist das Verbum גאלnur in Ex 6,6 und 15,13 belegt. 91 Vgl. dazu die Auslegung bei ZENGER , HThK.AT, 462f., und u. Kap. III. 4.2.7 und 4.3.
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Prägung von Ex 15,17f. nicht zu übersehen. Die Vorstellung, dass Jhwh seine Wohnung auf dem Zion hat und von dort aus sein Königtum ausübt, gehört wie der Chaoskampf im weiteren Sinne in den Bereich des kanaanäisch-judäischen Mythos, der seine Spuren in den Psalmen hinterlassen hat (vgl. Ps 46; 48; 76; 84; 87; 122).92 Alle drei in Ex 15,17 gebrauchten Bezeichnungen für das Heiligtum verweisen auf diesen traditionsgeschichtlichen Hintergrund, wobei insbesondere das hapax legomenon הר ‚( נחלתךBerg deines Erbbesitzes‘) signifikant ist. Die einzig vergleichbare Zusammenstellung von הרund נחלהfindet sich in Ps 74,2 in der Aussage ‚Gedenke deiner Gemeinde, die du ureinst erworben, die du erlöst als Stamm deines Erbbesitzes, den Berg Zion, auf dem du Wohnung genommen hast‘ () זכר עדתך ק נית קדם גאלת שבט נחלתך הר ציון זה שכנת בו. Diese Wendung gibt sich aber dadurch als Auslegung von Ex 15,17 zu erkennen, dass der Zionsbezug in Ps 74,2b erkennbar nachklappt und sekundär hergestellt worden ist. 93 Um so mehr Interesse erregt die sprachliche Parallele im ugaritischen Baal-Mythos, wo die Lokalisation von Baals Tempel umschrieben wird als ‚Berg meines Erbbesitzes‘ (qdš. b ġr. lty, KTU 1.3 III,30), so dass hier der traditionsgeschichtliche Rückraum der Formulierung zu finden ist. 94 Die zweite Bezeichnung des Heiligtums in Ex 15,17 als ‚Stätte deines Sitzes‘ ( )מכון לשבתךhat mit Ps 33,14 ( )מכון שבתוeine Parallele in den Psalmen, die Jhwhs Wohnung in den Himmeln bezeichnet,95 während drittens מקדשdie besonders in den priesterschriftlichen Texten und dem Ezechielbuch verwendete Bezeichnung für das Heiligtum ist.96 Die Abhängigkeit vom kanaanäischen Stoff tritt bei den letzten zwei Namen nicht so klar zu Tage wie im Falle von הר נחלתך, aber auch in diesen Fällen bieten die ugaritischen Texte eine Reihe von möglichen Parallelen.97 Genau wie im Mythos der Palast Baals für die Ausübung seines Königtums konstitutiv ist, so endet auch Ex 15,18 mit der Proklamation von 92
Vgl. insgesamt KRATZ, Reste, 53–62. Die Sekundarität von Ps 74,2b vertreten SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 122.129 Anm. 19; ZENGER , HThK.AT II, 361; zur Beziehung von Ps 74 und Ex 15 insgesamt vgl. u. Kap. III. 4.2.2. 94 Auf diese Parallele verweist auch J EREMIAS, Königtum, 100; vgl. ebenso SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 109 mit Anm. 41; siehe ebd. zu weiteren Belegen. 95 Zu dieser Bedeutung vgl. auch die weiteren Belege für die Wendung מכון )ל(שבתך die auf das Tempelweihegebet Salomos entfallen (1 Kön 8,13.39.43.49 = 2 Chr 6,2.30.33.39); die drei letzten Stellen beziehen sich auf die Wohnung Jhwhs in den Himmeln, während 1 Kön 8,13 (= 2 Chr 6,2) vom Wohnen Jhwhs im neu erbauten Tempel spricht (vgl. dazu auch NOTH, BK IX/1, 182, und NORIN, Er spaltete, 86–88(. 96 Vgl. KORNFELD/RINGGREN, Art. קדש, 1186; NORIN, Er spaltete, 88. 97 Vgl. dazu den Nachweis von NORIN, Er spaltete, 89f.; sowie CROSS/FREEDMAN, Song, 240; J EREMIAS, Königtum, 100; B RENNER , Song, 143–152. 93
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Jhwhs ewiger Königsherrschaft ( )יהוה ימלך לעולם ועד. Diese ist ein häufig verwendetes Theologumenon der Jhwh-König-Psalmen, in denen die Verbindung von יהוהmit der Wurzel מלךbreit bezeugt ist (vgl. Ps 10,16; 29,10; 93,1; 96,10; 97,1; 99,1).98 Dabei ist der Gebrauch der invertierten Präformativkonjugation י ִ ְמ ֹלךin Ex 15,18 aber singulär und unterscheidet sich von den weiteren Belegen, die die Wendung יהוה ָמ לָךbzw. יהוה מ ל ך bezeugen. Dieser Abweichung von der „Standardformel“ 99 in Ex 15,18 ist in der Forschungsgeschichte viel Bedeutung zugemessen worden, indem sie im Hinblick auf eine Anfänglichkeit des göttlichen Königtums im Meerlied gedeutet wurde.100 Aber gerade im Hinblick auf Aussagen wie Ps 10,16a ( )יהוה מ ל ך עולם ועדund Ps 29,10b ()וישב יהוה מ ל ך לעולם, die ähnlich wie Ex 15,18 vom ewigen Königtum Jhwhs sprechen, kann m.E. die sprachliche Form allein für die Frage nach Anfänglichkeit versus Dauerhaftigkeit nicht ausschlaggebend sein. Vielmehr ist auch im Fall des Meerliedes davon auszugehen, dass die Beständigkeit von Jhwhs Königtum im Vordergrund steht, die zwar im ursprünglichen Meerlied bereits vorausgesetzt ist, adäquat aber erst in der Fortschreibung um 15,13.17–19 mit der Ankunft von Gott und Volk am Zionsheiligtum proklamiert werden kann.101 Aufs Ganze gesehen zeichnen sich bei der ersten Fortschreibung des Meerliedes um 15,4*.13.17–19 zwei Auslegungsinteressen ab: Zum einen werden durch die Einschreibung der Gelenkverse V 4* und V 19 vor den Hauptkorpora des Meerliedes und des Miriamliedes die literarischen Verbindungen zum Prosabericht über das Meerwunder verstärkt. Zum anderen wird die tempeltheologische Deutung des Meerwunders durch die Zionsthematik fortgeführt und gipfelt in der Einpflanzung des Volkes und der Proklamation von Jhwhs Königtum am Zion. Die Fortschreibung stellt dabei entscheidende Weichen für die Verbindung von Geschichte und Ge98
An dieser Stelle sind des Weiteren Ps 47,9 ( )מלך אלהיםund die einzige weitere Verwendung der Präformativkonjugation in Ps 146,10 ( )ימלך יהוהzu nennen. Während in Ps 146,10 eine späte Rezeption der Jhwh-König-Psalmen vorliegt, in der Ex 15 bereits vorausgesetzt ist, hat die auffällige Satzstellung in Ps 47,9 mit der Hervorhebung des Prädikats viel Diskussionen nach sich gezogen (vgl. D. MICHEL, Studien, 40–68; KRATZ, Königtum, 147–149). 99 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 110. 100 So vermutet SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 110, dass das abweichende Tempus auf eine andere Vorstellung vom Königtum Gottes hindeutet: „Ganz gegen seine Gewohnheit hat Israel hier offensichtlich […] die Anfänglichkeit von Jahwes Königtum (als Resultat einer Theomachie) zu denken gewagt“ (zur Interpretation von Ex 15,18 im Sinne einer Anfänglichkeit des göttlichen Königtums vgl. schon J EREMIAS, Königtum, 100). 101 Anders P ROPP, AncB 2, 545, der aufgrund der Imperfektformen in Ex 15,17f. zu dem Urteil kommt: „Once they [Yahweh and Israel] arrive, and once Yahweh founds his throne, he will begin his eternal reign.“
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bet, indem die besungene Ereignisfolge mit der literarischen Erweiterung über die Erzählzeit im narrativen Kontext hinausgeht. Mit dem Meerwunder und der Führung zum Heiligtum entsteht ein mythisch gedeuteter Geschichtsbogen inmitten der Exoduserzählung, der seinen literarischen Kontext transzendiert und Exodus und Landnahme tempeltheologisch ausdeutet. Im Lobpreis von Mose und Miriam werden diese Ereignisse der biblischen Geschichte zum Paradigma des königlichen Handeln Jhwhs. Nicht zuletzt wird Mose auf diese Weise wahrhaft prophetischer Charakter zuteil, da er bereits am Ufer des Schilfmeeres die Vollendung der Geschichte Israels mit seinem Gott antizipiert. 102 Die verbleibenden Ergänzungen in Ex 15 verstärken die bereits angelegten Intentionen. Wie bereits dargelegt, 103 schreibt der Verfasser von 15,5.11b–12 eine Anspielung auf die Datan-/Abiramepisode in das erweiterte Meerlied ein. Gegenüber anderweitigen Interpretationen kann der Bezug auf dieses Ereignis der Wüstenwanderung als gesichert gelten, da die Kombination von בלעund ארץim Alten Testament nur im Rahmen der Bestrafung der beiden Frevler (Num 16,32.34) bzw. in darauf Bezug nehmenden Texten belegt ist (vgl. Dtn 11,6; Ps 106,17). 104 Das Feindbild in Ex 15 erhält durch den Einbeziehung dieser Episode eine entscheidende Ausweitung: Jhwh wird seine Überlegenheit nicht nur gegenüber den Feinden von außen erweisen, sondern auch Abweichler innerhalb seines Volkes werden das göttliche Strafgericht erfahren. Darüber hinaus wird der vorliegende Geschichtsbogen durch die Einfügung der Datan-/Abiramthematik weiter ausgezogen, und gleichzeitig werden die Aufzählungen von Jhwhs Heilstaten an Israel durch die Ergänzung von עשה פלאin 15,11b zum Erweis seiner Wundermächtigkeit stilisiert. In der Exoduserzählung ist das Lemma פלאneben Ex 15,11 nur noch in 3,20 belegt, wo es als substantiviertes Partizip auf die Plagen bezogen ist, mit denen Jhwh Ägypten schlagen wird ()והכיתי את מצרים בכל נפלאתי. Durch die Aufnahme des Begriffs in 15,11 bekommen die Wunder Jhwhs eine heilsgeschichtliche Konnotation, indem sie nun eine Abfolge von Jhwhs (geschichtlichen) Machttaten an seinem Volk umfassen. In dieser Bedeutung findet sich die Wendung עשה פלאbzw. עשה נפלאותan mehreren Stellen in den Psalmen, wobei der Ausdruck formelhaft die göttlichen Heilstaten an Israel zusammenfasst (vgl. Ps 72,18; 77,15; 78,4.12; 86,10; 88,11; 105,5; 111,4; 136,4). Da im Exodusbuch die sekundäre Ausweitung von פלאauf die Abfolge geschichtlicher Ereignisse zu beobachten ist, liegt der Schluss nahe, dass hier auch 102
So in der Sache auch SCHMID, Erzväter, 240. Vgl. dazu o. Kap. 1.2.2. 104 So gegen NOTH, ATD 5, 99; P ROPP, AncB 2, 529f.; J ACOB , Buch Exodus, 446, die Ex 15,12 auf die Vernichtung der Ägypter beziehen. Zur Deutung auf die Datan-/Abiramepisode vgl. HOUTMAN, HCOT, 286, und B ERNER , Exoduserzählung, 396f. 103
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der literarische Geburtsort der Wendung vorliegt. 105 Diese These wird sich im Folgenden durch den Nachweis erhärten lassen, dass die Geschichtspsalmen in die literarische Nachgeschichte von Ex 15 einzuordnen sind, so dass für den Großteil der Belege für עשה פלאbzw. עשה נפלאותin den Psalmen gezeigt werden kann, dass sie Ex 15,11 bereits voraussetzen. 106 Die letzte größere Erweiterung des Meerliedes um 15,8ab.14–16 besteht aus zwei Teilen. Die Einschreibung von 15,8ab rekurriert wie bereits gezeigt auf die Durchquerung des Jordans, die hier mit dem Meerwunder verschmolzen wird. Die Verbindung beider Ereignisse wird durch die Stichwortverbindung ‚Damm‘ ( )נדexplizit, da das Lemma nur in Ex 15,8ab und Jos 3,13.16 (sowie Ps 78,13)107 zur Beschreibung eines Wasserwunders verwendet wird. Die Einzelheiten des in Jos 3 berichteten Jordandurchzuges decken sich allerdings nicht mit dem in Ex 14 berichteten Ablauf des Meerwunders. Bei der Überschreitung des Jordan wird der Flusslauf oberhalb der Querungsstelle zu einem Damm aufgestaut, während die Wasser des unteren Flusslaufes abfließen (Jos 3,16), so dass die Israeliten durch das trockene Flussbett ziehen können. 108 Mit der Ergänzung des Dammes in Ex 15,8ab wird das Motiv des Aufstauens mit der in 15,8aa.b rezipierten priesterschriftlichen Spaltung des Meeres verbunden, so dass nun das Bild zweier Dämme vor Augen geführt wird, zwischen denen das Volk auf trockenem Land hindurchzieht. Neben der ausschmückenden Funktion ist die Einfügung von 15,8ab auch von Bedeutung für das Geschichtsverständnis des Meerliedes: Indem die Darstellung des eigentlichen Meerwunders in 15,8–10 Züge des Jordandurchzuges erhält, wird der zeitliche Abstand zwischen den beiden Ereignissen aufgehoben und Exodus und Eisodus werden zu einem einzigen heilsgeschichtlichen Ereignis verschmolzen. Vergleichbar mit dieser Zusammenschau erhält in der Einschreibung von Ex 15,14–16 auch die Führung durch das Land zum Heiligtum Züge des Meerwunders. An die Stelle des ägyptischen Feindes sind die Völker 105
Anders geht CONRAD, Art. פלא, 576, davon aus, dass die Partizip-Konstruktion mit עשהim Bereich des Kultus geprägt und in Hymnus und Danklied beheimatet sei. 106 Vgl. dazu die folgenden Analysen der Geschichtspsalmen zu den Belegen in Ps 77,15 (Kap. III. 4.2.5); 78,4.12 (Kap. III. 3.1); 105,5 (Kap. IV. 3.1); 136,4 (Kap. V. 3.1). 107 Die Erwähnung in Ps 78,13 setzt die literarische Verknüpfung von Meerwunder und Jordandurchquerung in Ex 15 bereits voraus; vgl. dazu u. Kap. III. 3.1. Über diese Stellen hinaus findet sich נדim Alten Testament nur noch in Ps 33,7 und Jes 17,11; in beiden Fällen kann die Lesart aber nicht als gesichert gelten. 108 Dass im Josuabuch eine Bemerkung über den zu erwartenden Dammbruch nach der erfolgten Überquerung fehlt, ist wohl der Tatsache geschuldet, dass die Israeliten nicht mehr von einem Feind verfolgt werden und das Interesse allein darauf gerichtet ist, wie das Volk in das Land hineinkommt.
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getreten, die zwar nicht vernichtet, aber angesichts von Jhwhs Tat von Angst und Zittern ergriffen werden. Weiterhin erinnert auch der ‚Durchzug‘ (עבר, 15,16) Israels durch die Völker an die Flucht durch die gespaltenen Wasser des Schilfmeeres. Allerdings ist die Wurzel עברin Ex 14 nicht belegt, sondern sie verweist auf den Kontext von Landnahme und Jordandurchquerung, die mit dem Meerwunder zusammenrücken. 109 Die hexateuchische Darstellung steht auch im Hintergrund des in 15,15 genannten Völkerensembles von Edom, Moab und Kanaan, die in ihrer Abfolge die Route der ostjordanischen Landnahme widerspiegeln (vgl. Dtn 2,1ff.). Davor findet sich in Ex 15,14 noch die betonte Erwähnung der Bewohner Philistäas, die zwar in den Landnahmetexten keine Rolle spielen, im Meerlied aber wohl aufgrund ihrer lokalen Nähe zu Ägypten eingefügt wurden.110 Das Zittern der Völker vor Jhwh wurzelt traditionsgeschichtlich erneut im Mythos vom Königtum Gottes, wobei die konkreten Formulierungen von Ex 15,14–16 aber auf zwei Landnahmetexte aus dem Deuteronomium und dem Josuabuch zurückgehen. Zuerst wird in Ex 15,14 mit Dtn 2,25 auf eine Passage des historischen Rückblickes in Dtn 1–3 angespielt, wo Jhwh ankündigt, dass er Schrecken und Furcht vor Israel auf alle Völker legen wird, ‚so dass sie vor dir zittern und beben, wenn sie Kunde von dir hören‘ ()אשר ישמעון שמעך ורגזו וחלו מפניך. Der Verfasser von Ex 15,14 greift das Verbum שמעam Anfang des Verses auf, das hier aber auf die Kunde von Jhwhs Machttat am Meer bezogen ist, die wie das Auftreten Israels in Dtn 2,25 zu Zittern und Beben unter den Völkern führt (שמעו עמים ירגזון )חיל. Der folgende Vers Ex 15,15 spielt mit der Aussage über das Erbeben der Bewohner Kanaans ( )נמגו כל יש בי כנעןauf die Rede der Rahab in Jos 2 an, die den israelitischen Kundschaftern mitteilt, dass die Bewohner des Landes vor den Israeliten erbeben (נמגו כל ישבי הארץ, Jos 2,9.24). Auch ihre Aussage, dass Schrecken vor den Israeliten auf die Bewohner gefallen 109 Zu עברals terminus technicus für die Landnahme vgl. FUHS, Art. ָע בָר, 1027. So weist auch SPIECKERMANN, Heilgegenwart, 107 mit Anm. 35, darauf hin, dass „etwa ein Drittel der Belege für עברmit Akkusativ“ den Jordan betreffen. Einen literarischen Reflex auf Ex 15 stellen Ps 136,14 und Jos 4,23f. dar. Ps 136 verrät die Kenntnis des um Ex 15,14–16 ergänzten Meerliedes, da das Verbum עברüber die Vermittlung von Ps 78,13 auf die Führung durch das Meer bezogen wird (vgl. dazu u. Kap. III. 3.1 und IV. 3.1), während Jos 4,23f. Meerwunder und Jordandurchquerung mit explizitem Verweis auf die Ereignisse am Schilfmeer parallelisiert und mit der Vorstellung des ‚Austrocknens‘ ( )יבשdeutlich an Ex 14,16.22.29 ( )יבשהanspielt. 110 So auch NOTH, ATD 5, 100. B ERNER , Exoduserzählung, 391f., findet eine redaktionsgeschichtliche Erklärung für die Nennung der Bewohner Philistäas, indem er Ex 15,14–16 als der Teil der u.a. auch in 13,18b; 14,8b greifbaren Bearbeitung einordnet, die den Eindruck entkräften wolle, Israel ginge einer Konfrontation mit den Philistern aus dem Weg.
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sei (נפלה אימתכם עלינו, Jos 2,9), hat eine Parallele in Ex 15,16 (תפל עליהם )אימתה,111 wobei aber nicht das Volk Auslöser des Schreckens ist, sondern Jhwh und die Größe seines ausgestreckten Armes ()בגדל זרועך. Dass das literarische Gefälle von Deuteronomium und Josuabuch zu Ex 15,14–16 hin verläuft und nicht umgekehrt, zeigt vor allem die Beobachtung, dass das Meerlied Stichwortbezüge zu beiden Texten aufweist, während zwischen Dtn 2,25 und Jos 2,9.24 keine literarischen Verbindungen bestehen.112 Für diese Richtung der literarischen Abhängigkeit spricht weiterhin, dass Ex 15,14–16 gegenüber den zwei Prätexten ein klares Auslegungsinteresse erkennen lässt: Kommt in Dtn 2,25 und Jos 2,9.24 Israel die Aufgabe zu, Schrecken unter den anderen Völkern zu erregen, ist die Rezeption der Vorlagen im Meerlied konsequent der Gesamtintention untergeordnet, das machtvolle Handeln Jhwhs ins Zentrum zu rücken. Die letzte größere Erweiterung des Meerliedes nimmt damit eine entscheidende Neuinterpretation des Meerwunders vor, indem dieses durch die Verbindung mit dem Eisodus prototypischen Charakter für Jhwhs Handeln an seinem Volk erhält. Hierin zeichnet sich bereits die theologiegeschichtliche Bedeutung des Exodus ab, der für Israel in der literarischen Überlieferung zur bleibenden Erwählungstat durch Jhwh wird. 113 Damit bleibt nur noch die späte Einschreibung in Ex 15,2 zu bedenken, die den hymnischen Lobpreis zum Danklied für die im Meerwunder erfahrene Rettung macht. Hier fällt auf, dass die Vertrauensaussage der ersten Vershälfte Ex 15,2a ( )עזי וזמ רת יה ויהי לי לישועהzwei nahezu wörtliche Parallelen in der Dankliturgie Ps 118,14 ( ;עזי וזמרת יה ויהי לי לישועהvgl. ותהי לי לישועה, 118,21) sowie im prophetischen Danklied Jes 12,2b (כי עזי וזמרת )יה יהוה ויהי לי לישועהhat. Über das Stichwort der Rettung ( )ישועהist der Halbvers darüber hinaus mit der Meerwundererzählung verbunden, wo Mose dem Volk in Ex 14,13 ankündigt, dass es ‚heute‘ die Rettung durch Jhwh sehen werde ( ) וראו את ישועת יהוה אשר יעשה לכם היום. Da das Lemma ישועהim gesamten Exodusbuch nur in 14,13 und 15,2 belegt ist, ist dies ein starkes Indiz für eine literarische Beziehung zwischen den Texten. Die Frage, wie die intertextuellen Verbindungen insgesamt zu bewerten sind, entscheidet sich am Verhältnis zwischen Meerlied Ex 15 und Dankliturgie Ps 118, das von zentraler Bedeutung für die Verbindung von Geschichte 111 Die Kombination von מוגund אימהist nur an diesen beiden Stellen im Alten Testament belegt und damit ein sicheres Indiz für die literarische Abhängigkeit. 112 So gegen RUSSELL, Song, 139–141, der in Ex 15 die Vorlage von Jos 2 und Dtn 2 sehen will. 113 Vgl. dazu W.H. SCHMIDT, Glaube, 56. Zur Bedeutung des Exodus-Credos als eines grundlegenden Glaubensbekenntnisses Israels vgl. ferner B ECKER , Exodus-Credo, 92–96; hier wäre anzufragen, ob tatsächlich mit einer Vorgeschichte des Credos in Form eines nationalen Gründungsmythos im Nordreich zu rechnen ist (vgl. B ECKER , a.a.O., 86–92), oder ob nicht auch hier schon eine Form des Bekenntnisses vorliegt.
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und Gebet ist. 114 Über die bereits genannte Parallele in der ersten Vershälfte von Ex 15,2a hinaus weist auch die Vertrauensaussage in 15,2b (זה )אלי ואנ והו אלהי אבי וארממנהוVerbindungen zu Ps 118 auf. Dort wird das Korpus des Psalms in 118,28 mit einem Bekenntnis zu Gott abgeschlossen, das in Form und Terminologie Nähen zu Ex 15,2b aufweist (אלי אתה )ואודך אלהי ארוממך. Schließlich begegnet das in Ex 15,6 gebrauchte Bild von der Rechten Jhwhs als Instrument zur Vernichtung der Feinde auch in Ps 118,15f., wobei im Vorherigen aber bereits festgestellt wurde, dass die Texte in diesem Punkt nicht voneinander abhängig sind. Dagegen ist im Fall der nachträglichen Einschreibung von Ex 15,2 ein literarisches Abhängigkeitsverhältnis mit Ps 118 wahrscheinlich. Die Tatsache, dass sich die Parallelen zu dieser Einzelversfortschreibung in Ps 118 über das gesamte Korpus erstrecken, könnte zuerst für die Priorität von Ex 15,2 sprechen. Allerdings kann diese These nicht die verkürzte Form des Tetragramms ( )יהerklären, die in Ex 15,2 nur an dieser Stelle im Meerlied belegt ist, während sie die bestimmende Gottesbezeichnung der Dankliturgie darstellt (vgl. Ps 118,5bis.14.17–19). Eine zweite Möglichkeit wäre demnach die Annahme einer geprägten (kultischen) Formel, die sowohl in Ex 15,2 als auch in Ps 118 unabhängig voneinander Verwendung gefunden hat. 115 Gegen diese traditionsgeschichtliche Lösung spricht aber die Beobachtung, dass die Einschreibung in Ex 15,2 ein gezieltes Auslegungsinteresse gegenüber Ps 118 erkennen lässt, das darauf hindeutet, dass in Ex 15,2 ein intendiertes Zitat aus Ps 118,14.28 vorliegt. Der für Ex 15,2 verantwortliche Redaktor hat vermutlich einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem hymnischen Lob der Rettungstat Ex 15 und der Dankliturgie Ps 118 erkannt und wollte diesen durch seine Überarbeitung in Ex 15,2 explizit machen. Dabei legen die folgenden Berührungspunkte zwischen Ex 15 und Ps 118 die gegenseitige Auslegung der zwei Texte nahe: Sowohl in Ex 15 als auch in Ps 118 ist von der Rechten Jhwhs als Machtinstrument zur Feindvernichtung die Rede und beide Texte sind auf einen Zielpunkt im Zion-Heiligtum hin angelegt. Wenn nun die in Ex 14,13 vorliegende Bezeichnung des Meerwunders als Rettungstat ()ישועה Assoziationen an Ps 118 geweckt hat (ישועה, 118,14.21), kann der Psalm als Dankliturgie für die Rettung des Volkes im Auszug aus Ägypten verstanden werden. Genau diese Deutungsperspektive führt zur Einschreibung von Ex 15,2 in das Meerlied, die die Dichtung zu einer Dankliturgie und einem Individualpsalm nach dem Vorbild von Ps 118 macht. Im innerbiblischen Gegenzug stellt sich Ps 118 für den von Ex 15 her kommenden Leser als das Danklied dar, das die Israeliten einst am Ufer des Schilfmeeres gesungen haben. 114 115
Zu Analyse und Auslegung von Ps 118 vgl. u. Kap. 2.4.2. Vgl. zu dieser Annahme B RENNER , Song, 69–73.
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In seiner Rezeption von Ps 118 hat der Redaktor von Ex 15,2 allerdings kleinere Abänderungen vorgenommen. Insgesamt stellt sich die Einschreibung 15,2 als zusammengezogenes Zitat aus den Rahmenstücken des ursprünglichen Textbestandes Ps 118,14.28 dar, 116 so dass die gesamte Dankliturgie in der Anspielung Ex 15,2 mitzulesen ist. Während aber Ps 118,14 wörtlich in Ex 15,2a aufgenommen ist, setzt der Redaktor in seinem Zitat von Ps 118,28 in Ex 15,2b zuerst die direkte Anrede Gottes (אלי )אתה ואודךin eine Aussage über Gott um ()זה אלי ואנוהו, die zum hymnischen Lobpreis Jhwhs in 15,3 überleitet. Das für Ps 118 charakteristische Dankvokabular ידהwird in Ex 15,2 durch das hapax legomenon נוהersetzt und darüber hinaus formuliert der Redaktor die zweite Anrufung Gottes (אלהי ארוממך, Ps 118,28) unter Beibehaltung des Konsonantenbestandes des Gottesnamens in einen Lobpreis des Vatergottes um (אלהי אבי וארממנהו, Ex 15,2b). Die Erwähnung des (Erz-)Vaters ist an dieser Stelle als erneuter Rekurs auf die Berufungsszene des Mose Ex 3,6a zu erklären, die bereits im ursprünglichen Meerlied Ex 15,3 anzitiert wird. Jhwh stellt sich Mose in dieser Szene als ‚Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs‘ (אלהי אביך אלהי אברהם אלהי יצחק ואלהי יעקב, Ex 3,6a) vor. Die erneute Anspielung auf Ex 3 in 15,2 unterstreicht, dass es sich bei dem im Meerlied gepriesenen Gott um den Gott handelt, der sich bereits den Vätern und Mose offenbart hat. Auf diese Weise wird das neu gestaltete Danklied in einem Erzählkontext verankert, der einen durchgehenden Geschichtsverlauf von der Väterzeit bis zum Exodus aus Ägypten voraussetzt. Damit bleibt nur noch die dritte Parallele in Jes 12,2 (כי עזי וזמרת יה יהוה )ויהי לי לישועin dieses Auslegungsverhältnis einzuordnen, wobei die Entscheidung relativ leicht fällt. Das Loblied in Jes 12,1–6 ist ein literarischer Spätling im Jesajabuch, der die in Jes 1–11 ergangene Gerichtsverkündigung redaktionell in eine völkerweite Rettungsperspektive einordnet. 117 Dabei ergeht bereits in Jes 11,11–16 eine Sammlungsverheißung an das Volk in der Diaspora, die in Anlehnung an das Meerwunder beschrieben wird. Insbesondere die einleitende Formulierung in Jes 11,11, nach der Jhwh seine Hand ein zweites Mal erheben werde ()יוסיף אדני שנית ידו, weist darauf hin, dass die Ankündigung des neuen Exodus als Wiederholung der göttlichen Rettungstat am Schilfmeer verstanden wird. So wird Jhwh den Gesammelten auch den Weg bahnen, indem er die Meereszunge Ägyptens spaltet (והחרים יהוה את לשון ים מצרים, 11,15). Damit liegt in der Abfolge von Jes 11,11–16; 12,1–6 eine Nachahmung der Zusammenstellung von Meerwunder und Lobpreis Gottes in Ex 14f. vor, wobei die Formulierungspa116 117
Zur Analyse von Ps 118 vgl. u. Kap. 2.4.2. Vgl. B EUKEN, HThK.AT, 329.
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rallelen in Jes 12,2 deutlich anzeigen, dass die Einschreibung von Ex 15,2 in diesen Textzusammenhang bereits vorausgesetzt ist. 118 Die Verbindung von Hymnus und Geschichte in der Exodusdichtung von Miriamlied und Meerlied kann insgesamt als gelungene Verschmelzung von Psalmentheologie und Exoduserzählung beschrieben werden. Ihren Anfang nimmt diese Verbindung in der Einfügung des Miriamliedes in den narrativen Kontext, mit dem das Meerwunderereignis psalmentheologisch ausgedeutet wird. Die Psalmentheologie in allen ihren Facetten bestimmt auch die weiteren Ausbaustufen des hymnischen Lobpreises in Ex 15, wobei aber die wiederholten Referenzen auf den literarischen Vorkontext die redaktionelle Verankerung von Miriamlied und Meerlied in der Exoduserzählung verstärken. Von einer Historisierung des Mythos kann insoweit gesprochen werden, als das in den Psalmen überlieferte Bild von Jhwh als Gottkönig und Chaoskämpfer zur Interpretation des Meerwunders herangezogen und in einen erzählerischen Rahmen eingepasst wird. Zugleich wird die Geschichte der Exoduserzählung transzendiert, indem sie sich mit der Psalmentheologie verbindet und über den Erzählrahmen hinausgeht. Es entsteht eine ‚mythische‘ Konzeption der Heilsgeschichte, in der der Auszug aus Ägypten zum Stiftungsereignis der Geschichte Israels mit seinem Gott wird. Diese findet ihr Ziel in der Ankunft am Zionsheiligtum, von wo aus Jhwh sein Gottkönigtum ausübt. Schließlich macht die Einschreibung von Ex 15,2 aus dem hymnischen Lobpreis des Exodusgottes das Dankgebet eines Einzelnen und formuliert den hymnischen Lobpreis von Meerlied und Miriamlied zu einem exemplarischen Geschichtspsalm um.
118
Zum Zitat von Ex 15,2 in Jes 12,2 vgl. auch RUSSELL, Song, 104f.; GOSSE, Exode, 266f.; B ERGES, Buch, 135; B EUKEN, HThK.AT, 329.335. In die literarische Nachgeschichte von Ps 118 und Ex 15 ist m.E. auch die Vertrauensaussage in Jes 25,1 ( יהוה אלהי )אתה ארוממך אודה שמך כי עשית פלא עצות מרחוק אמונה אמןeinzuordnen, die nicht nur aus Ps 118,28 zitiert (118,28: )אלי אתה ואודך אלהי ארוממך, sondern dazu in der Formulierung עשית פלאauch den zweiten Teil des Meerliedes (Ex 15,11: )עשה פלאaufnimmt.
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Kapitel II: Der Exodus und seine Rezeption in Exodus 15 und Psalm 114
2 Der Exodus im Pessach-Hallel: Psalm 114 2 Der Exodus im Pessach-Hallel: Psalm 114
2.1 Übersetzung 1119 Als Israel auszog aus Ägypten, das Haus Jakob aus stammelndem Volk, 2 ward Juda zu seinem Heiligtum, Israel sein Herrschaftsgebiet. 120 3 Das Meer sah und floh, der Jordan wandte sich rückwärts. 4 Die Berge sprangen wie Widder, die Hügel wie junge Ziegen. 5 Was ist dir, Meer, dass du fliehst, Jordan,121 dass du dich rückwärts wendest? 6 Ihr Berge, dass ihr springt wie Widder, ihr Hügel wie junge Lämmer? 7 Vor dem Angesicht des Herrn tanze,122 Erde,123 119 Die griechische Texttradition bezeugt ein Ps 114 einleitendes Halleluja, das i m masoretischen Text die Unterschrift von Ps 113 bildet. Da das Halleluja im Bereich von LXX Ps 110–118 (= MT Ps 111–119) aber regelmäßig als Überschrift den Psalmeingang bildet, liegt hier die dem masoretischen Psalter gegenüber stärkere Sys tematisierung vor, die als sekundär gelten kann. Zur Beibehaltung der masoretischen Einteilung in Bezug auf Ps 114 vgl. ALLEN, WBC 21, 138. ZENGER , HThK.AT III, 260, lässt die Entscheidung offen, während LEUENBERGER , Komposition, 207 Anm. 294.280 Anm. 46, davon ausgeht, dass der Halleluja-Ruf ursprünglich Ps 114 eröffnet hat. 120 Anstelle des Plurals ממשלותיוbieten die LXX (evxousi,a auvtou/ ), die Peschitta und Hieronymus eine Singularform; einige hebräische Handschriften ergänzen anfängliches ל. Die Variante der Versionen trägt ebenso wie die Ergänzung der Partikel deutlich der Parallelität der Vershälften Rechnung. Beide Varianten sind deshalb als nachträgliche Glättung des Textes zu beurteilen (so gegen SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 150 Anm. 1), während der ursprüngliche Plural ממשלותיוmit GesK § 124b als Plural der räumlichen Ausdehnung zu erklären ist (vgl. ALLEN, WBC 21, 138; ZENGER , HThK.AT III, 257). 121 Die LXX erweitert den Anfang der Vershälfte zu kai. soi, Iorda,nh o[ti und expliziert damit sprachlich das für den hebräischen Parallelismus charakteristische Phäno men der Ellipse, bei der ein syntaktisches Element (in diesem Fall die einleitende Frage מה )לךfür beide Verszeilen Geltung beanspruchen kann. 122 Der Übersetzung der Imperativform חוליwird große Bedeutung für das Verständnis des Gesamtpsalms zugemessen, weil sich hier die Frage stellt, ob die Erde zu einer freudigen oder zu einer furchtsamen Reaktion aufgerufen wird (vgl. dazu den Überblick bei ZENGER , HThK.AT III, 270–272). In lexikographischer Hinsicht legt sich zuerst eine Ableitung von der Wurzel ‚( חולtanzen‘) nahe, aber aufgrund der engen Verwandtschaft der Verba ע׳׳וund ע׳׳יwäre auch eine Nebenform von ‚( חילkreißen, beben‘) möglich (vgl. dazu GesK § 73b). Bereits die LXX (und entsprechend die syrische Überlieferung) stellt חוליmit der Übersetzung evsaleu,qh zur Wurzel חיל, wobei auch eine Verlesung von י in וdenkbar wäre (so SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 150 Anm. 3). Da die Frage weder
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vor dem Angesicht des Gottes Jakobs.124 Der verwandelt den Felsen in einen Wasserteich, den Kieselstein in einen Wasserquell.
2.2 Textanalyse Die Analyse von Ps 114 muss bei der Frage ansetzen, inwieweit der Text überhaupt als eigenständiger Psalm behandelt werden kann. Der in der BHS dargebotenen Textüberlieferung von Ps 114 als eines abgegrenzten Stückes steht eine breite Tradition gegenüber, die Ps 114 mit dem folgenden Psalm 115 zusammen liest und noch das abschließende Halleluja von Ps 113 als Auftakt hinzunimmt. Zu den Zeugen dieser textgeschichtlichen Tradition gehören der Codex Leningradensis und der Codex von Aleppo neben anderen hebräischen Handschriften,125 sowie Septuaginta, Theodotion, Hieronymus und Peschitta. Schließlich weisen eine Kommentierung von Augustin sowie die sahidische (oberägyptische) Übersetzung auf eine dritte Texttradition hin, die zwei eigenständige Psalmen in Ps 114; 115,1– 3 und Ps 115,4–18 unterscheidet.126 Allein vom textkritischen Befund her ist die quantitative und qualitative Bezeugung der zweiten Überlieferungsvariante so erdrückend, dass Ps 114 und Ps 115 als ein Psalm angesehen werden müssten.127 Allerdings hat sich gezeigt, dass überschriftlose Psalmen wie Ps 114 und Ps 115 in der Textüberlieferung Gefahr laufen, ohne Zwischenraum tradiert zu werden, und die Abgrenzung der Einzelpsalmen gerade in wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Psalmengruppen wie dem Ägyptischen Hallel Ps 113–118 lexikographisch noch textkritisch zu entscheiden ist, empfiehlt sich zuerst eine Beibeha ltung der masoretischen Lesart חולי, ‚tanze‘, deren Tragfähigkeit im Kontext der Gesamtanalyse zu erweisen ist; vgl. dazu die Textanalyse im Folgenden. 123 Großer Beliebtheit erfreut sich die auch in der BHS vorgeschlagene Konjektur, anstelle von חולי ארץdie Prädikation כל הארץzu lesen (vgl. CROSS, Canaanite Myth, 138; KRAUS, BK XV/2, 953f.; GELLER, Language, 180). Da die Emendation aber keinen Anhalt in der Textüberlieferung hat und der masoretische Text auch ohne Verbesserung verständlich ist, besteht keine Notwendigkeit, in diesen einzugreifen. 124 Wenige hebräische Handschriften bieten mit אלהיdie gängigere Form des Gottesnamens im status constructus. Da אלוהdemgegenüber die lectio difficilior darstellt und die Variante nicht allein durch eine Haplographie zu erklären ist, sondern auch noch die Einfügung des waw zu erklären wäre (so z.B. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 150f. Anm. 3), kann die Lesart des MT als ursprünglich gelten (so auch ALLEN, WBC 21, 139). 125 Zu einer Übersicht über die hebräischen Textzeugen, die Ps 114 und Ps 115 z usammen schreiben vgl. MILLARD, Komposition, 13 Anm. 50. 126 Vgl. RAHLFS, LXX Psalmi, 51. 127 So auch das Urteil von B ARTH LEMY, Critique textuelle, xxxiii, über die Textüberlieferung von Ps 113 LXX (= Ps 114+115 MT): „Cette divergence dans les manières de diviser les psaume constitute un argument sérieux en faveur de son unit é primitive.“
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schwankt. 128 Die Frage muss sich deshalb daran entscheiden, ob Ps 114 als eigenständige Komposition innerhalb dieser Psalmengruppe verstanden werden kann, die nicht auf einen ursprünglichen Zusammenhang mit Ps 115 angewiesen ist. Der Psalm ist durch das als Unterschrift funktionierende, eigenständige Halleluja in Ps 113,9 klar von seinem vorherigen Kontext abgegrenzt. 129 Auch inhaltlich signalisiert die partizipiale Zeitangabe בצאתin 114,1 einen Neueinsatz gegenüber dem allgemeingültigen Gotteslob von Ps 113. Die Abgrenzung zum nachfolgenden Ps 115 wird zwar nicht durch liturgisches Formelgut angezeigt, ist aber durch den Wechsel zu einer im Wir-Stil formulierten hymnischen Proklamation Gottes in 115,1 unverkennbar. Weiterhin sind die Nachbarpsalmen von Ps 114 durch das ihnen gemeinsame Lob des Gottesnamens miteinander verbunden (Ps 113,1–3; 115,1), während Ps 114 sich inhaltlich durch die Geschichtsthematik von diesen abhebt.130 Neben der inhaltlichen Eigenständigkeit fällt vor allem die formale Geschlossenheit von Ps 114 auf. Sein kunstvoller Aufbau hat schon J OHANN G. HERDER zu dem oft zitierten Urteil veranlasst, der Psalm sei „eine der schoensten Oden in allen Sprachen“.131 Klassischerweise kann das Stück in vier Abschnitte in den V 1f.; 3f.; 5f. und 7f. gegliedert werden, die sich jeweils aus zwei einander paarweise zugeordneten Bikola zusammensetzen.132 Die einzelnen Bikola sind nicht nur durch die regelmäßige Verwendung des parallelismus membrorum gekennzeichnet, sondern auch durch das wiederkehrende Auftreten der Ellipse, einem poetischen Stilmittel, bei dem ein Satzglied des ersten Kolons syntaktische Funktion für beide Glieder des Parallelismus übernimmt. 133 128
Vgl. MILLARD, Komposition, 30. Neben Ps 114/115 werden in wenigen hebräischen Handschriften auch Ps 115/116 als ein Psalm tradiert und ferner variiert die A bgrenzung von Ps 117, der teilweise zum vorhergehenden Ps 116 und teilweise zum nac hfolgenden Ps 118 gezogen wird (vgl. MILLARD, a.a.O., 14 mit Anm. 51–53). Die LXX teilt dagegen Ps 116 MT auf (Ps 114; 115 LXX) und gleicht somit die Zusammenstellung von Ps 114/115 MT innerhalb der Psalmengruppe aus. 129 Die gliedernde Funktion des Halleluja-Rufes besteht unabhängig von der Frage, ob er zu Ps 113 oder 114 zu ziehen ist; vgl. dazu o. Anm. 119. 130 Vgl. dazu auch u. Kap. 2.4. 131 HERDER , Geist, 79. 132 Vgl. dazu GUNKEL, Psalmen, 493–496; ALLEN, WBC 21, 140; ZENGER , HThK.AT III, 261. W ATSON, Poetry, 189f., legt den einzelnen Strophen Trikola zugrunde, während KRAUS, BK XV/2, 954, nur zwei Neuansätze in V 3 und 5 kennzeichnen will, was auch mit seiner Emendation in V 7 zusammenhängt, die dem Stück V 7f. die syntaktische Eigenständigkeit nimmt (vgl. dazu o. Anm. 123). 133 Vgl. dazu generell W ATSON, Poetry, 303–306. ZENGER , HThK.AT, 261, beobachtet zutreffend, dass gerade die Gestaltung durch die Stilmittel Parallelismus und Ellipse Ps 114 „markant“ von Ps 113 und 115 abhebt; dies ist ein weiteres Indiz für die literarische Eigenständigkeit des Psalms.
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Der erste Abschnitt in V 1f. wird ohne einleitende Gebetsformel mit einem synonymen Parallelismus eröffnet, der den Exodus Israels aus Ägypten als Auszug des Haus Jakobs aus einem stammelnden Volk darstellt (בצאת ישראל ממצרים בית יעקב מעם לעז, V 1). Die partizipiale Angabe בצאת kennzeichnet V 1 als Voraussetzung für das Geschehen von Vers 2, der sich mit dem einleitenden היתהauf das in V 1 berichtete Ereignis zurückbezieht. Auf diese Weise wird der Exodus in V 2 zum Grunddatum der Erwählung Judas zu Gottes Heiligtum und der Bestimmung Israels zu seinem Herrschaftsgebiet (היתה יהודה לקדשו ישראל ממשלותיו, V 2). Das Verständnis dieser Aussage wird allerdings in mehrfacher Hinsicht erschwert: So ist zuerst der offene Bezug der Possessivsuffixe an לקדשוund ממשלותיו als störend empfunden worden und bot Anlass, in V 2 eine nachträgliche Ergänzung des Psalms zu sehen. 134 Gegen diesen literarkritischen Eingriff spricht aber der geschlossene Aufbau des Psalms in Doppelzweiern, der durch die Herauslösung von V 2 zerstört würde. Überdies passt es in das elliptische Profil des Psalms, dass erst V 7 mit der Nennung des Gottes Jakobs den Bezug der Suffixe enthüllt, der allerdings jedem schriftgelehrten Psalmbeter ohnehin klar gewesen sein muss. Darüber hinaus fällt die feminine Verbform היתהvon V 2 auf, die zuerst ein Verständnis der beiden Namen Juda und Israel im Sinne geographischer Größen nahelegt. Der Vers hat deshalb vielfach Diskussionen darüber angestoßen, inwieweit hier eine Teilung von Nord- und Südreich und damit auch eine Bevorzugung des Südreiches als Ort des Heiligtums formuliert wird. 135 Da aber die nachfolgenden Abschnitte – wie noch zu zeigen sein wird – eine Reihe von synonymen Parallelismen enthalten, ist auch im Fall von V 2 anzunehmen, dass die Doppelpaare „sich jeweils auf den gleichen Sachverhalt beziehen“136 und damit eine gesamtisraelitische Perspektive vorliegt. Wird jedoch die vorausgehende Aussage über das Gottesvolk in V 1 mit einbezogen, kann V 2 auch mit Bezug auf die Volksgrößen interpretiert werden, so dass das Volk aus Nord- und Südreich selbst zum Ort von Gottes Heiligtum wird.137 Hinter dieser Mehrdeutigkeit mag die Erfahrung des Exils
134
So RUPPERT, Einheitlichkeit, 84. Mit unterschiedlichen Gründen sehen auch J ERETheophanie, 66; LORETZ, Psalmen, 180, und SEYBOLD, HAT I/15, 448, V 2 als sekundär an. LEUENBERGER hält ein internes Wachstum in V 1f. zumindest für möglich (vgl. LEUENBERGER , Konzeptionen, 293). 135 Zu dieser Position vgl. dezidiert NORIN, Er spaltete, 127: „Der Psalm [114] gehört somit zu jener Reihe von Texten, welche die Priorität des Stammes Juda vor den anderen Stämmen hervorzuheben trachtet“; zuvor schon GUNKEL, Psalmen, 494. 136 ZENGER , HThK.AT III, 266. 137 So auch SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 151; LOHFINK, Land, 220. Vgl. insbesondere ZENGER , HThK.AT III, 266f.: „Die in V 1–2 stehenden vier Nomina ‚Israel – Haus Jakobs – Juda – Israel‘ meinen dann keine unterschiedlichen Größen, sondern präMIAS,
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stehen, die dazu geführt hat, dass Gottes Gegenwart nicht mehr exklusiv mit seiner Präsenz im lokalen Tempelheiligtum von Jerusalem verknüpft wird. Der zweite Abschnitt in V 3f. setzt sich aus zwei Bikola zusammen, die in einer Vergangenheitsschilderung die Handlung vier personifizierter Naturgrößen beschreiben, die einander paarweise als Wasser- und Landgestalten zugeordnet sind. Ihre Reaktionen werden durch das Sehen ()ראה hervorgerufen, das am Anfang von V 3 stellvertretend vom Meer ausgesagt wird. Innerhalb des Abschnittes V 3f. fehlt allerdings die Angabe, auf welches Objekt diese sinnliche Wahrnehmung gerichtet ist, so dass sie sich im Textablauf nur auf das in V 1f. berichtete historische Ereignis beziehen kann. Dabei erscheinen die beschriebenen Reaktionen allerdings etwas übertrieben: Das Meer flieht, während der Jordan sich rückwärts wendet (הים ראה וינס הירדן יסב לאחור, V 3) und Berge und Hügel wie Widder bzw. wie junge Lämmer springen (ההרים רקדו כאלים גבעות כבני צאן, V 4). Der so eröffnete Spannungsbogen wird im dritten Abschnitt V 5f. in der einleitenden Frage ‚Was ist dir?‘ ( )מה לךaufgenommen, mit der die vier Naturgestalten auf ihre eigentümlichen Handlungen hin befragt werden. Abgesehen von der jeweiligen elliptischen Einleitung entsprechen die einzelnen Glieder der beiden Bikola in V 5f. dem syntaktischen Bau der Verse 3f., allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Zeitperspektive mit der Präfixkonjugation zur Gegenwart umbricht. Daran wird deutlich, dass das im Exodus in Gang gesetzte Heilshandeln Jhwhs bis in die Gegenwart des Psalmbeters hineinwirkt. Der letzte Abschnitt in V 7f. löst die Spannung in einer indirekten Antwort auf, indem die Erde aufgefordert wird, vor dem Herrn, dem Gott Jakobs, zu tanzen (מלפני אדון חולי ארץ מלפני אלוה יעקב, V 7). Der abschließende Vers 8 ist als partizipiale Apposition an V 7 angeschlossen und preist Gott in einem synthetischen Parallelismus als denjenigen, der Felsen in einen Wasserteich verwandelt und den Kieselstein zu einem Wasserquell macht ()ההפכי הצור אגם מים חלמיש למעינו מים. Die Namensnennung Gottes in V 7 und die abschließende Offenbarung seines Wesens in V 8 bilden die Klimax, auf die hin der gesamte Psalm angelegt ist. 138 Erst von V 7f. her erschließt sich, dass es vor allem die Theophanieerscheinung Gottes ist ()מלפני אדון, die die Reaktionen der Naturgrößen hervorruft. Dabei stellt sich allerdings die Frage, in welchem Verhältnis der Appell an die Erde V 7 zu dem in V 3f.5f. geschilderten Geschehen steht. Die Übersetzung des Imperatives ( חוליV 7) im Sinne einer Aufforderung zum Tanz ist nicht unumstritten. Die Wurzel חולbeschreibt das Drehen bzw. Wirsentieren in personaler und territorialer Perspektive Israels Genese zum Ort der Gege nwart des Königsgottes JHWH auf der Weltbühne.“ 138 So auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 152.
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beln, aber wie die vorliegenden Varianten der Textüberlieferung zeigen, legen einige Textzeugen die Wurzel ‚( חילkreißen, beben‘) zugrunde.139 Diese Ableitung spiegelt das traditionelle Verständnis des Verses im Sinne eines Erzitterns der Erde als (angemessene) Reaktion auf die Theophanie Gottes wider, wobei die masoretische Lesart חוליentweder als Nebenform zu חילverstanden oder durch eine Verschreibung von jod in waw erklärt wird.140 Bevor der Text aber aufgrund eines Vorverständnisses geändert wird, soll zunächst versucht werden, dem Tanzen der Erde im Rahmen der Gesamtaussage des Psalms einen Sinn abzugewinnen. Mit der Personifikation der Erde rekurriert V 7 offensichtlich nur auf die Berge und Hügel, nicht aber auf das Meer und den Jordan. Dies haben einige Exegeten zum Anlass genommen, nicht nur energisch ihre Übersetzung von חוליim Sinne von ‚tanzen‘ zu verteidigen, sondern dies mit einer gegensätzlichen Deutung des Geschehens zu verbinden: Während Meer und Jordan furchtsam erschrecken, springen Berge und Hügel vor Freude.141 Es ist allerdings fraglich, ob eine antithetische Interpretation des Geschehens in V 3f.5f. einer semantischen Überprüfung standhalten kann. Das Fliehen des Meeres ist ebenso wie das Zurückweichen des Jordans unverkennbar eine furchtsame Reaktion angesichts der Theophanie des Gottes Jakobs, während das Springen ( )רקדder Berge und Hügel unterschiedliche Interpretationen zulässt. In seiner Grundbedeutung steht die Wurzel רקדfür ‚hüpfen, springen, tanzen‘, das bei einer Reihe von Belegen auch Ausdruck der Lebensfreude ist (vgl. Jes 13,21; Hi 21,11; Koh 3,4; 1 Chr 15,29).142 In der nächsten Parallele Ps 29,6, wo Jhwh Libanon und Sirjon hüpfen lässt wie ein Kalb bzw. wie einen jungen Stier (וירק ידם כמו עגל לבנון )ושרין כמו בן ראמים, beschreibt רקדdagegen ein Erdbeben als Begleiterscheinung der göttlichen Theophanie. Der Vergleichspunkt ist nicht die Lebensfreude der jungen Tiere, sondern vielmehr ihre ungelenken und spontanen Bewegungen. Der Gottesschrecken erfasst die Berge und lässt sie erzittern ebenso wie ein junges Tier von seinem ungezügelten Bewegungsdrang überkommen wird. Das den zwei Psalmen gemeinsame Thema der Theophanie legt den Schluss nahe, das Springen der Berge in Ps 139
Vgl. dazu o. Anm. 122. Zu dieser Auslegung vgl. exemplarisch GUNKEL, Psalmen, 495; KRAUS, BK XV/2, 858; ALLEN, WBC 21, 141f. 141 Vgl. ausführlich LOHFINK, Land, 199–222, der zu dem Urteil kommt: „Das Wasser des Meers und des Jordans wird von Angst erfasst und flieht, die Berge und Hügel des erwählten Landes dagegen tanzen vor Freude, wenn endlich ihr Gott kommt.“ (LOHFINK, a.a.O., 215); ihm ist ZENGER , HThK.AT III, 269f. (vgl. schon DERS., Erde, 200–208), in seiner Auslegung des Psalms gefolgt. Prägnant formuliert auch GELLER, Language, 186: „[…] it is a dull ear that does not perceive a certain tension of dichotomy in the second quatrain, represented by the emotional difference between ‘fleeing’ and ‘skipping’”. 142 Vgl. dazu insgesamt MULDER , Art. ר ק ד, ָ 665–668. 140
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114,4.6 ebenfalls als Ausdruck des Erbebens angesichts von Gottes Erscheinung zu deuten. Zwar ergreifen Berge und Hügel anders als Meer und Jordan nicht die Flucht, aber der Aspekt des Gottesschreckens ist auch bei ihren Sprüngen nicht von der Hand zu weisen, so dass die Semantik nicht die Beweislast für eine Interpretation von Ps 114,3f.5f. im Sinne einer gegensätzlichen Reaktion von Wasser- und Landgrößen tragen kann. Nicht zuletzt spricht die Struktur der zwei mittleren Abschnitte in Ps 114 gegen diese These, denn gerade die regelmäßigen Parallelismen und der jeweils elliptische Aufbau von V 3f. und V 5f. lassen nicht erkennen, dass hier ein Gegensatz zwischen den jeweiligen Bikola angelegt ist. Ps 114 hat sich damit als einheitliche und eigenständige Komposition innerhalb der Psalmengruppe des ägyptischen Hallels erwiesen, die nicht auf den ursprünglichen Zusammenhang mit dem folgenden Ps 115 angewiesen ist. 143 Dieses Verständnis von Ps 114 als Einzelpsalm spiegelt auch die jüdische Pessachliturgie wieder, die nach der Halacha der Hillel-Schule zwischen Ps 114 und 115 eine Pause vorsieht. 144 Die erwiesene formale und inhaltliche Eigenständigkeit von Ps 114 lässt darauf schließen, dass er als eigenständige Textgröße entstanden ist und die Texttradition, die ihn zusammen mit Ps 115 überliefert, eine sekundäre Entwicklung repräsentiert.145 Vor Schwierigkeiten stellt allerdings die Frage nach der Gattungszuordnung. Der Imperativ in 114,7 allein ist nicht hinreichend, um den Psalm der Gattung des Hymnus zuzuordnen, so dass mit SPIECKERMANN am ehesten von einem poetisch-theologischen Lehrstück auszugehen ist. 146 Die Besonderheit des Psalms liegt in seinem Umgang mit der vorliegenden Tradition des Exodus (und des Eisodus), auf die in äußerster Kürze angespielt wird. Im Folgenden soll nun genauer untersucht werden, welche Texte und Motive in Ps 114 rezipiert werden und wie das Verständnis von Geschichte in diesem Psalm beschrieben werden kann. 143 So gegen W ITTE, Psalm 114, 296f., der Ps 114 einen fragmentarischen Charakter bescheinigt und deshalb die These aufstellt, dass dieser Teil einer ursprünglichen Psalmgröße gewesen sei, die Ps 113,1–9; 114,1–8; 115,1 umfasst habe. Abgesehen davon, dass die Auffassung des fragmentarischen Charakters von Ps 114 hier nicht geteilt wird, gibt es keinen Textzeugen, der den von W ITTE abgegrenzten Text als Einzelpsalm bezeugt (zur Kritik an seiner Position vgl. auch ZENGER , Israel, 53f.). Die These eines ursprünglichen Zusammenhanges von Ps 114/115 wurde zuvor schon von LUBSCZYK, Einheit, 161–167, vertreten. 144 Anders MILLARD, Komposition, 31f., der in der liturgischen Einteilung eine der ursprünglichen Abgrenzung gegenüber differierende Aufteilung sieht. 145 So mit ZENGER , HThK.AT III, 259. Zur Beurteilung von Ps 114 als eigenständiger Textgröße vgl. weiterhin DUHM, KHC 14, 260; KRAUS, BK XV/2, 954. 146 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 151. Eine Zuordnung zur Gattung des Hymnus nehmen GUNKEL, Psalmen, 493; ALLEN, WBC 21, 139, und P RINSLOO, Lord, 307, vor, während KRAUS, BK XV/2, 954, den Psalm als Loblied beschreibt und ZENGER , HThK.AT III, 263.268, von einem hymnischen Jhwh-König-Psalm spricht.
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2.3 Vom Herrn der ganzen Erde zum Gott Jakobs Psalm 114 wird üblicherweise zu den Geschichtspsalmen gezählt, 147 auch wenn seine Besonderheit gerade darin liegt, dass eine Ereignisfolge im Sinne einer zeitlichen Erstreckung nicht erkennbar und in der Gesamtaussage auch nicht intendiert ist. Die Berechtigung der Klassifizierung zeigt sich vielmehr daran, dass der Psalm mit Chaoskampf und Theophanie zentrale Motivkomplexe der Psalmentheologie aufnimmt und diese mit der erzählenden Überlieferung verbindet. Auf diese Weise legen sich die drei Einflussbereiche im Psalm gegenseitig aus, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Die prägende Funktion der erzählenden Überlieferung wird zuerst an der einleitenden Formulierung ( בצאת ישראל ממצרים114,1) deutlich, die mit der Herausführung aus Ägypten die Bühne für die folgenden Psalmaussagen bereitet. Der einleitende Zweizeiler 114,1f. fasst dabei mit Exodus und Heiligtum die Stationen zwischen Auszug und Landnahme in „kaum zu überbietender Abbreviatur“ 148 zusammen. Auch wenn keine direkten Stichwortverbindungen vorliegen, steht mit großer Wahrscheinlichkeit die Endfassung des Meerliedes Ex 15,1–21 im Hintergrund von Ps 114,1f., ohne dessen Kenntnis die Zusammenschau von Exodus und Heiligtum kaum verständlich wäre. 149 In beiden Texten hat die Herausführung aus Ägypten das Heiligtum zum Ziel (Ex 15,13.17; Ps 114,2), nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Wegstrecke aus Ex 15 und damit die zeitliche Abfolge in Ps 114 keine Rolle mehr spielt. Während in Ex 15 die Ankunft am Heiligtum im Kontext der Exoduserzählung vorweg genommen wird, so dass zugegebenermaßen auch hier die zeitliche Chronologie ins Wanken gerät, fallen die Episoden in Ps 114 in einem Ereignis zusammen.150 Die zeitliche Differenzierung spielt keine Rolle mehr, sondern der Exodus als Gründungsereignis bedingt die Ankunft am Heiligtum. Dabei wird allerdings die in Ex 15 auf Zion-Jerusalem gerichtete Perspektive 147 Vgl. exemplarisch LAUHA, Geschichtsmotive, 128, und zu Begriff und Abgrenzung der Geschichtspsalmen o. Kap. I. 1. 148 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 151. 149 Zur Voraussetzung von Ex 15,1–21 in Ps 114 vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 151; von einer konzeptionellen Nähe zwischen den zwei Texten spricht ZENGER , Land, 204. 150 Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 151: „Ist dort [in Ex 15] jedoch die geschichtliche Reihenfolge der Ereignisse von der Befreiung aus Ägypten bis zur Hin(ein) führung des Volkes zum Tempel(berg) im großen und ganzen gewahrt, wird in Ps 114 die vorgegebene zeitliche Erstreckung radikal negiert, indem Anfang und Ende der Heilsgeschichte spiritualisierend in einem Ereignis zusammengeschaut werden: Damals, beim Exodus, wurde Juda zum Heiligtum, Israel zum Herrschaftsbereich.“ Ähnlich auch P RINSLOO, Lord, 318: „The whole history of Israel is telescoped into a single act of salvation“.
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durch eine gesamtisraelitische Ausrichtung ersetzt, die dezidiert Juda und Israel zum Ziel des Exodus erklärt (vgl. Ps 114,1f.). Dabei erlaubt die bereits angesprochene Mehrdeutigkeit in 114,2 auch eine Interpretation, nach der Israel selbst im Exodus zum Heiligtum Jhwhs wird. 151 Diese Vorstellung, dass das Volk die Stelle des kultischen Zentrums ausfüllt, spricht für einen nachexilischen Entstehungsraum in der Diaspora, wo nach Alternativen zur (lokalen) Bindung an das Zions-Heiligtum in Jerusalem gesucht wird.152 Anklänge an die Exoduserzählung weisen auch die beiden nächsten Psalmabschnitte in 114,3f.5f. auf, die die Reaktion der personifizierten Naturgrößen angesichts der Theophanie Jhwhs beschreiben. Das fliehende Meer ( )הים … וינסin 114,3 ist unschwer mit dem Schilfmeer zu identifizieren, das in den verschiedenen Schichten der Meerwundererzählung zurückgedrängt ( הלךhif., Ex 14,21) und gespalten wird (בקע, Ex 14,16.21). In Ps 114 wird ihm mit der Flucht genau die Reaktion zugeschrieben, die in der erzählenden Überlieferung das Verhalten der Ägypter im Angesicht von Jhwhs Machtdemonstration im Meerwunder kennzeichnet (נוס, Ex 14,25.27). Dem Meer zur Seite gestellt wird der Jordan, der zurückweicht (יסב לאחור, Ps 114,3), während die entsprechende Erzählsequenz in Jos 3,13.16 davon berichtet, dass die Wasser abgeschnitten werden und wie ein Damm stehen bleiben (ויעמדו נד אחד, 3,13; ויעמדו המים הירדים … קמו נד אחד, 3,16). Das Lemma סבבwird im näheren Kontext von Ps 114 in Ps 118,10 zur Beschreibung der Drohgebärde der feindlichen Völker gebraucht, die den Psalmbeter umringen (כל גוים סבבוני, 118,10). Vergleichbar mit dem Meer übernimmt damit auch der Jordan in Ps 114 eine Verhaltensweise von den Feindmächten, die allerdings in Ps 114 in eine Fluchthandlung umgesetzt wird. Mit der Parallelisierung von Meer und Jordan liegt eine Zusammenschau von Exodus und Eisodus vor, in der der zeitliche Abstand zwischen den zwei Ereignissen aufgehoben wird. Diese Zusammenschau setzt bereits die Exodusdichtung Ex 15 voraus, in der die Beschreibung des Meerwunders in der sekundären Einfügung von Ex 15,8ab Züge des Jordandurchzuges erhält. 153 Diese Berührung ist ein weiteres Indiz dafür, dass Ex 15 dem Verfasser von Ps 114 bereits in der Endfassung vorgelegen hat. Mit Ex 15,8ab nimmt er eine der letzten redaktionellen Erweiterungen des Meerliedes auf und führt die dort angelegte Tendenz zur Aufhebung der zeitlichen Dimension fort.
151
Vgl. dazu o. Kap. 2.2. In diesem Kontext ist auch die verwandte Konzeption der Priesterschrift zu sehen, nach der Jhwh in der Mitte seines Volkes wohnen will; vgl. dazu insgesamt KLEIN, Schriftauslegung, 190–192.194–203. 153 Vgl. dazu o. Kap. 1.3. 152
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Es fällt weiterhin auf, dass die Reaktionen der beiden Wassergrößen in der Schilderung von Ps 114 eine Steigerung erfahren, indem aus der passiven Stauung von Meer und Jordan eine aktive Fluchthandlung der personifizierten Größen wird.154 Ungeachtet der Tatsache, dass das Stilmittel der Personifikation dem Autor von Ps 114 eine größere Freiheit bei der Beschreibung des Geschehens lässt, verweist das Fluchtmotiv auf den Bereich des Chaoskampfes, der als zweiter Einflussbereich im Hintergrund von Ps 114 steht. 155 Im kanaanäischen Mythos ist die Vorstellung belegt, dass andere Götter vor der Theophanie des Gottkönigs fliehen oder zurückweichen. 156 Damit in Verbindung gebracht werden die Darstellungen im Alten Testament, in denen die Chaoswasser vor Jhwh fliehen bzw. von diesem vertrieben werden (vgl. Ps 18,16; 77,17f.; 104,5–9; Jes 50,2). 157 Dabei ist die Schöpfungsdarstellung von Ps 104,5–9 von besonderer Bedeutung für Ps 114, da sie nicht nur einige bedeutende Stichwortverbindungen aufweist, sondern auch in der Geschehensabfolge mit dem Psalm übereinstimmt.158 Nachdem in Ps 104,5 die Gründung der Erde berichtet wird, beschreibt 104,6 die Ausgangslage, die davon bestimmt ist, dass die Urfluten die Berge bedecken ()תהום כלבוש כסיתו. Erst durch das Schelten Jhwhs veranlasst ergreifen die Wasser die Flucht ( מן גערתך ינוסון, 104,7), so dass die Berge und Täler ihren vorbestimmten Platz einnehmen können (104,8). Der Abschnitt schließt mit der Zusicherung, dass die Wasser die ihnen gesetzte Grenze nicht mehr überschreiten werden (104,9). Nachdem die Urfluten in dieser Form an ihren Platz verwiesen worden sind, schließt sich in 104,10–18 ein Abschnitt an, der Jhwh als Geber der lebensnotwendigen Wasser für die Schöpfung beschreibt. Er ist derjenige, der Wasserquellen (מעינים, 104,10) über das ganze Land senden wird, damit die Schöpfung leben kann. Im Vergleich mit Ps 114 fällt sofort auf, dass in beiden Texten von der Flucht ( )נוסder Wasser die Rede ist, an die sich eine Aussage über die Berge anschließt. Ähnlich wie die Wasser in Ps 104 bei der Schöpfung fliehen müssen, damit das Land von Jhwh geordnet werden kann, ergreifen die Wassermächte in Ps 114 die Flucht, bevor die Landgrößen angemessen 154
Zu dieser Beobachtung vgl. schon GUNKEL, Psalmen, 495. So auch J EREMIAS, Theophanie, 66f. 156 Vgl. dazu LOHFINK, Land, 211, und die bei J EREMIAS, Theophanie, 79.81, und ZENGER , Israel, 63f., aufgeführten Beispiele aus der altorientalischen Hymnik. 157 So auch LOHFINK, Land, 211f.; ZENGER , HThK.AT III, 267f. (vgl. DERS., Erde, 205). Im Fall von Ps 104 bestreitet A. KRÜGER , Lob, 139, das mythische Gepräge, da es in 104,7 nicht um eine „Kampfhandlung eines mythischen Wesens“ gehe, sondern um eine „Fluchtbewegung der wäßrigen Materie“. Vor dem Hintergrund von Texten wie Ps 93 ist m.E. aber eine mythische Konnotation für die Überlegenheit Jhwhs gegenüber den Wassergrößen für Ps 104 und die anderen aufgeführten Texte wahrscheinlich. 158 Zur Analyse von Ps 104 vgl. u. Kap. IV. 4.2.5. 155
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auf Jhwhs Theophanie reagieren können. 159 Da die Wurzel נוסein im Psalter äußerst selten belegtes Lemma ist, 160 kann die literarische Abhängigkeit in diesem Fall als gesichert gelten, wobei Ps 114 sich mit der Personifikation der Wassermächte als Auslegung von Ps 104 zu erkennen gibt. Das in Ps 104 vorliegende Schöpfungsszenario erhält in Ps 114 eine geschichtstheologische Ausdeutung, wobei die Wasserereignisse der erzählenden Überlieferung an die Stelle der Vertreibung der Urfluten treten. Diese Akzentuierung macht bereits deutlich, dass in Ps 114 anders als in Ps 104 nicht die kosmische Schöpfung im Vordergrund steht, sondern dass es um die Schöpfung Israels zum Volk Jhwhs geht, die sich in der Geschichte zwischen Jhwh und Israel vollzieht. Vor diesem Hintergrund wird auch die Funktion des Abschlussverses 114,8 im Gesamtpsalm verständlich, der die Fähigkeit Jhwhs hervorhebt, Felsgestein in Wasserteiche ( )אגם מיםbzw. Wasserquellen ( )מעינו מיםzu verwandeln. Gegen alle Versuche, hier einen hexateuchischen Spendertext zu identifizieren,161 kann in der Prädikation Jhwhs vielmehr eine Anspielung an Ps 104,10–18 gesehen werden. Im Ablauf von Ps 114 trägt die Prädikation der auch in Ps 104 dargestellten Notwendigkeit Rechnung, nach der Vertreibung der feindlichen Wassermächte lebensspendendes und lebenserhaltendes Wasser bereitzustellen. Dies geschieht in 114,8 allerdings nicht in den Worten von Ps 104, sondern der Vers geht in seiner Formulierung auf Jes 41,18 zurück. 162 Dieser Vers ist Teil eines Abschnittes aus dem Zweiten Jesaja 41,17–20, der die Wüstenwanderung der Israeliten vor der Landnahme transparent macht für die Rückkehr der Exilierten aus Babylon, von denen hier als den Elenden ( )הענייםund den Armen ( )האביוניםdie Rede ist (41,17). Den Rückkehrern wird Jhwh Quellen ( )מעינותin den Tälern eröffnen und die Wüste zu Wasserteichen ()אגם מים machen (41,18). Mit der Anspielung auf die Heimführung der Gola wird eine zweite geschichtliche Ebene in Ps 114 eingezogen, indem neben der Ursprungsgeschichte Israels auch die Situation des babylonischen Exils aufgenommen wird. Aber auch dies geschieht in literarischer Form durch den Rekurs auf das Deuterojesajabuch, so dass die gesamte Darstellung 159
Diese Verwandtschaft zwischen Ps 104 und Ps 114 sehen auch LOHFINK, Land, 211, und ZENGER , Erde, 205, ohne aber letztlich eine Aussage über das Abhängigkeitsverhältnis und damit eine mögliche Interpretationslinie zu treffen. Zur literarhistorischen Einordnung von Ps 114 und Ps 104 vgl. auch unten Kap. VI. 1. 160 Neben Ps 104,7; 114,3.5 tritt das Verbum נוסnur noch in Ps 68,2 auf, wo es die Flucht der Feinde vor Jhwh beschreibt. 161 Zu den Versuchen, einen hexateuchischen Prätext zu identifizieren vgl. GUNKEL, Psalmen, 495; ALLEN, WBC 21, 142f. 162 Die Kombination von אגם מיםund מעיןist nur in Ps 114 und Jes 41,18 belegt; vgl. zur literarischen Abhängigkeit auch DUHM, KHC 14, 258; SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 155f.
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des Exodus transparent wird für eine Auslegung auf den zweiten Exodus von Babylon und die Sammlung der Diaspora aus dem Exil.163 Diese Interpretation des Psalms ist auch in seinem literarischen Nahkontext angelegt, der eine Reihe von Verbindungen mit dem Zweiten Jesaja aufweist. 164 So hat die Armentheologie im voranstehenden Ps 113,7f. Berührungen mit einer Reihe von Texten in Jes 40–55, die die Heimführung der Exilierten als Errettung der Armen ( )ענייםinterpretieren (vgl. Jes 41,17; 49,13). Weiterhin ist das Motiv der Unfruchtbaren, die von Jhwh zur Mutter von Kindern gemacht wird (עקרת הבית, Ps 113,9) nur vor dem Hintergrund der Verheißung in Jes 54,1 zu verstehen, die der als עקרה adressierten Frau Zion die Rückkehr ihrer exilierten Kinder zusagt. Dagegen liegen die Verbindungen des nachfolgenden Ps 115 zum Deuterojesajabuch vor allem in der Götzenpolemik 115,4–8, die Parallelen zu den götzenpolemischen Stücken Jes 40,18–20; 41,6f.: 44,9–20 und 46,5–7 aufweisen kann. Diese Bezüge legen nicht nur die Zusammenschau von Ps 113–115 mit Ps 114 in der Mitte nahe, 165 sondern sie sprechen auch für eine spiritualisierende Auslegung des Exodus aus Ägypten. Dieser wird in Ps 114 Paradigma für die Rückführung der Diaspora, die außerhalb ihres Heimatlandes unter einem ‚stammelnden Volk‘ (עם לעז, 114,1)166 lebt, und ist zugleich erste Etappe auf dem literarischen Anweg zum Heiligtum, der sich im fünften Psalmenbuch mit der Sammlung der Wallfahrtspsalmen 120–134 anschließt. Als dritter Vorstellungsbereich beeinflussen die Theophaniedarstellungen des Psalters die schriftgelehrte Komposition von Ps 114, wobei insbesondere die Jhwh-König-Sammlung Ps 96–98 und der ältere Ps 29 den literarischen Hintergrund von Ps 114 bilden. Wie bereits erwähnt, berührt sich Ps 114 mit Ps 29 in dem Motiv, dass die machtvolle Gegenwart Gottes das Springen ( )רקדder Berggrößen hervorruft. 167 Zwar werden in 29,6 abweichend von 114,4.6 das Kalb und der junge Stier zum Vergleich herangezogen, aber da das Verbum רקדnur in diesen zwei Psalmen belegt ist, kann die Abhängigkeit als gesichert gelten. Das literarische Gefälle geht von der traditionellen Beschreibung der Theophanie in Ps 29 zur geschichtlichen Transformation in Ps 114. Die Ersetzung von Kalb und Jungstier durch Vertreter der Kleinviehabteilung spiegelt vermutlich eine 163
Vgl. dazu KRATZ, Tora, 24f.; ZENGER , HThK.AT III, 273f. Vgl. dazu auch die Aufstellung bei ZENGER , HThK.AT III, 274. 165 Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 274. 166 Die Wurzel לעזist hapax legomenon im Alten Testament (vgl. aber יעזin Jes 33,19). Die Übertragung des Volkes mit fremder Sprache ( )עם לעזvom Aufenthalt in Ägypten auf die Situation des Exils bzw. der Diaspora ist aber die naheliegende Deu tung (vgl. exemplarisch ZENGER , HThK.AT III, 265). 167 Vgl. dazu o. Kap. 2.2. 164
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besondere Vorliebe des Autors wieder; vielleicht ist sie aber auch durch die Israel-Thematik in Ps 114 zu erklären, da das Bild der Herde (צאן, vgl. 114,4) in den Psalmen häufig als Bild für das Volk gebraucht wird. 168 Auf diese Weise wird die Reaktion der Natur auf die Theophanie des Exodusgottes transparent für das Verhalten des Gottesvolkes. Ein weiter verbreitetes Motiv der Theophaniebeschreibungen ist das einleitende Sehen (ראה, 114,3), das in einer Reihe von Psalmen das Kommen des Gottkönigs begleitet. In Ps 48,5–7 sind es die fremden Könige, die sehen (המה ראו, 48,6), und dann von Angst fortgetrieben werden, wobei sie Zittern wie eine Gebärende ergreift (חיל, 48,7). In ähnlicher Weise erbeben in Ps 77,17 die Wasser ( )מים יחילוund erzittern die Tiefen, nachdem sie Jhwh erblickt haben. Die engste Parallele liegt schließlich mit Ps 97,4f. vor, wo der Erdkreis sieht und erbebt (תבל ראתה ותחל הארץ, 97,4), während die Berge vor Jhwh bzw. vor dem Herrn der ganzen Erde wie Wachs zerschmelzen ( הרים כדונג נמסו מלפני יהוה מלפני אדון כל הארץ, 97,5). Der Psalm kennt auch das Ineinander von ehrfurchtsvollem Erschrecken angesichts der machtvollen Gegenwart Jhwhs und dem Aufruf zur Freude, der in 97,1 imperativisch als Aufruf an die Erde ( )תגל הארץformuliert wird und damit in die Nähe des Imperatives von 114,7 rückt. Ps 97,4f. kann hier als literarischer Hauptbezugspunkt von Ps 114 gelten, da das Ensemble von מלפני אדון, חיל/ חולund ארץnur an diesen beiden Stellen belegt ist. Der Verfasser von Ps 114 verdichtet die Aussagen vom Erbeben des Erdkreises und dem Aufruf zur Freude an die Erde aus Ps 97 in der Aufforderung חולי ארץund setzt den Gott Jakobs (114,7) an die Stelle des ‚Herrn der ganzen Erde‘ (אדון כל הארץ, Ps 97,5); ein Hoheitstitel, der traditionell mit dem kanaanäischen Wettergott Baal verbunden wird. 169 Zu den umliegenden Psalmen 96; 98 weist Ps 114 zwar keine Stichwortbeziehungen auf, aber auch hier sind die konzeptionellen Nähen nicht zu übersehen. Das bestimmende Thema der Sammlung Ps 96–98 ist Jhwhs Königtum über den Erdkreis und die Völker, das sich auch in seiner Überlegenheit gegenüber den Göttern der Völker bzw. deren Götzen erweist (vgl. Ps 96,5; 97,7.9).170 In vergleichbarer Form wird die in Ps 114 geschilderte Theophanie Gottes von zwei Texten gerahmt, die Jhwhs Herrschaft über die Völker preisen (Ps 113) und dies mit einer ausführlichen Götzenpolemik verbinden (Ps 115). Der entscheidende Unterschied zwischen Ps 96–98 und Ps 113–115 liegt darin, dass das kosmisch universale Königtum von Ps 96–98 in Ps 114 auf Jhwhs geschichtliches Handeln an Israel bezogen wird. Zwar reden auch Ps 96,3 und 98,1 allgemein von den Wundertaten Jhwhs ()נפלאות, 168
Vgl. Ps 44,12.23; 74,1; 77,21; 78,52; 79,13; 80,2; 100,3; 107,41 und o. Kap. 1.3. Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 682; MÜLLER, Jahwe, 98. 170 Vgl. dazu KRATZ, Reste, 47–53. 169
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die Grund für den Lobpreis sind und unter den Völkern verkündet werden sollen, aber diese sind nicht auf konkrete Ereignisse bezogen. Die einzige Konkretisierung ist die Aussage, dass Jhwh diese Taten mit der Hilfe seiner Rechten und seines heiligen Armes vollbracht habe (הושיעה לו ימינו וזרוע קדשו, 98,1). Die Nennung von ימיןund זרועweckt Assoziationen an das Meerlied Ex 15 (ימין, 15,6.12; זרוע, 15,16), wobei allerdings die Frage nach einem möglichen intentionalen Rekurs kaum zu entscheiden ist. Dagegen zeigen die motivlichen und sprachlichen Parallelen zwischen Ps 114 und der Psalmgruppe Ps 96–98 deutlich, dass mit Ps 114 eine geschichtstheologische relecture von Ps 96–98 vorliegt, 171 in der die Wundertaten Jhwhs eine konkrete Füllung durch Jhwhs Handeln im Exodus erhalten. Das kosmisch-universale Königtum Gottes, wie es in Ps 96–98 dargestellt ist, wird in Ps 114 auf das geschichtliche Handeln Jhwhs an Israel bezogen, so dass das Königtum in der (biblischen) Geschichte für das Volk erfahrbar wird. Vor diesem Hintergrund kann auch die imperativische Aufforderung der Erde zum Tanz in Ps 114,7 ( )חולי ארץals Spiel mit den Vorlagen interpretiert werden: Die in den Theophaniedarstellungen des Psalters zum festen Motiv gewordene Erschütterung des Kosmos (חיל, 77,17; 97,4; vgl. auch Ps 29,6) wird in Ps 114 mit der sachlich verwandten Wurzel חול172 im Sinne eines freudigen Wirbelns interpretiert. Da Ps 29 in Ps 97,6–10 zitiert wird und damit zu dessen Prätexten gehört,173 zeichnet sich eine Auslegungslinie ab, die von der traditionellen Beschreibung der Theophanie des Gottkönigs in Ps 29 über das universale Königtum in Ps 96–98 bis zur geschichtlichen Herrschaft in Ps 114 führt. Die veränderte Perspektive von Ps 114 manifestiert sich auch im Gottesbild: Aus dem Gottkönig von Ps 97, der als ‚Herr der ganzen Erde‘ (אדון כל הארץ, 97,5) noch Züge des Wettergottes aus Ps 29 trägt, wird in 114,7 der Gott Jakobs ()אלוה יעקב, der Israel aus der Geschichte bekannt ist und der sich seinem Volk in der biblischen Vergangenheit heilvoll zugewendet hat. Der Titel אלוה יעקבbildet dabei mit der einleitenden Volksbezeichnung בית יעקבeine Inklusion, die im Rahmen von Ps 114 die einzige Referenz auf die Vätergeschichten darstellt. Allerdings liegt nur ein indirekter 171
Vgl. das Urteil von ZENGER , HThK.AT III, 263: „Man kann Ps 114 geradezu als eine geschichtstheologische Relecture von Ps 29 bzw. 96; 98 … betrachten“; den Bezug von Ps 114 auf die Jhwh-König-Konzeption u.a. in Ps 96-98* sieht auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 293. Darüber hinausgehend wird hier auch Ps 97 zu den Prätexten von Ps 114 gezählt. 172 Vgl. dazu o. Kap. 1.2. 173 Die Aufforderung an die Göttersöhne, Jhwh Herrlichkeit und Pracht zu geben (הבו ליהוה בני אלים הבו ליהוה כבוד ועז, 29,1) und ihm die Herrlichkeit seines Namens zu geben (הבו ליהוה כבוד שמו, 29,2) wird in 96,7f. aufgenommen und in der Weise ausgelegt, dass die ‚Sippen der Völker‘ das Gotteslob von den Gottessöhnen übernehmen (הבו ליהוה ;)משפחות עמים הבו ליהוה כבוד ועז הבו ליהוה כבוד שמוvgl. dazu KRATZ, Reste, 49f.
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Bezug auf die literarischen Traditionen der Genesis vor, da der Jakobname nicht mit Bezug auf die Vätererzählungen in Gen 25–36.38 verwendet wird, sondern als feste Gottes- bzw. Volksbezeichnung 174 gebraucht wird. Zwar ist die Verbindung von אלוהund יעקבeine singuläre Bildung, aber in diesem Zusammenhang ist auch die Variante אלהי יעקבzu berücksichtigen, die neben vier Belegen in der Berufungsgeschichte des Mose (Ex 3,6.15.16; 4,5) vor allem in den Texten des Psalters vorkommt.175 Dabei zeichnet sich in beiden Textbereichen die Intention ab, der Erwählung Jakobs bleibende Heilsbedeutung für das Volk beizulegen. In Ex 3f. wird die Bezeichnung אלהי יעקבin der Wendung ‚der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs‘ verwendet, die auf die Verheißungen in Gen 46,1–5 rekurriert und auf die Identität Jhwhs mit dem Gott der Patriarchenerzählung zielt. 176 In ähnlicher Weise schwingt in der Volksbezeichnung בית יעקבin Ps 114,1 die Identifikation des Volkes mit dem Stammvater Jakob mit, die das Volk in besonderer Weise als Empfänger der an diesen ergangenen Verheißungen qualifiziert. 177 Die Väterüberlieferung wird damit nur in der Form rezipiert, in der ihr Bedeutung für die Volksgeschichte zukommt; dies passt in das theologische Konzept des Autors von Ps 114, für den der Exodus das Gründungsdatum der Beziehung zwischen Jhwh und seinem Volk ist. Zusammenfassend liegt die Besonderheit von Ps 114 darin, dass sein Autor im Psalter vorliegende Motive aus dem Bereich des Königtum Gottes aufnimmt und sie geschichtstheologisch interpretiert, wobei der Psalm literarhistorisch als Neufassung der Jhwh-König-Psalmen 96–98 verstanden werden kann. In der historischen Transformation werden die Psalminhalte in die Geschichte Jhwhs mit seinem Volk integriert und bekommen grundlegende Bedeutung für das Gottesverhältnis. An die Stelle von Schöpfung und Bereitung der Welt tritt die Gründung und Erhaltung des Volkes im Exodus. Das Königtum Gottes erweist sich nun primär in der Herrschaft über sein Volk, dem er sich in der Geschichte offenbart hat und das für ihn zum Heiligtum und Herrschaftsbereich wird (114,2). Die zentrale Stellung des Exodus erklärt sich dabei aus zwei Gründen: Zum einen stellen das Meerwunder und die damit parallelisierte Jordandurchquerung die ideale geschichtliche Entsprechung für die Urfluten und die Chaoswasser dar. Während diese vor der Bereitung der Erde vertrieben bzw. 174
Zum Gebrauch von יעק(ו)בals Volksbezeichnung vgl. ZOBEL, Art. י ע ק(וֹ)ב, 771–
773.
175
Die neun Belege des Psalters verteilen sich auf Ps 20,2; 46,8.12; 75,10; 76,7; 81,2.5: 84,9; 94,7. Daneben begegnet der Ausdruck noch vereinzelt in 2 Sam 23,1; Jes 2,3 und Mi 4,5. 176 Vgl. GERTZ, Tradition, 280; B ERNER , Exoduserzählung, 84f. 177 Die Volksbezeichnung ‚Haus Jakobs‘ findet sich auch im Deuterojesajabuch (vgl. Jes 46,3; 48,1; 58,1), wo sie auf die Gola bezogen ist; vgl. ZENGER , HThK.AT III, 265.
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durch den Gottkönig besiegt werden müssen, sind in Ps 114 Meer und Jordan die Wassermächte, die dem Heil Israel im Wege stehen und erfolgreich in die Flucht geschlagen werden. Zum anderen beginnt mit dem Exodus nach der Pentateuchüberlieferung die Volksgeschichte Israels, so dass dieser in besonderer Weise für die Transformation der schöpfungstheologischen Aussagen geeignet ist. Die Anleihen an die erzählende Überlieferung fallen dadurch auf, dass Ps 114 nur auf indirektem Wege auf diese zugreift und stattdessen Prätexte verwendet, in denen bereits eine erste Verarbeitung der geschichtlichen Tradition vorliegt. 178 Hier ist zuerst die Exodusdichtung von Ex 15,1–21 zu nennen, der Ps 114 nicht nur den geschichtlichen Aufriss vom Meerwunder bis zum Heiligtum verdankt, sondern in der literarhistorisch auch die Parallelisierung von Meer und Jordan vorgebildet ist. Deutet sich im literarischen Wachstum von Ex 15,1–21 bereits an, dass die Geschichte Israels mit seinem Gott keiner zeitlichen Abfolge unterworfen ist, da Mose schon am Schilfmeer vom erfolgten Eisodus in das Land singen kann, wird die Zeitachse in Ps 114 völlig aufgegeben. Durch das Stilmittel der Personifikation werden die einzelnen Episoden der erzählenden Überlieferung zu handelnden Personen auf einer Bühne, auf der die Geschichte gleichsam gegenwärtig ist. Daran zeigt sich, dass die geschichtliche Ausdeutung der mythischen Vorstellungsinhalte in Ps 114 nicht ohne Auswirkungen auf die Geschichte geblieben ist, die ihrerseits mythisiert wird. So wird aus Exodus und Landnahme als Stationen der biblischen Historie ein gleichsam urzeitliches Erwählungshandeln des Gottkönigs Jhwh, das vor den Augen des Kosmos stattfindet und die Erwählung Israels zum Gottesvolk begründet.179 Indem mit Exodus und Landnahme zwei Eckdaten der erzählerischen Überlieferung zusammengezogen werden, bietet Ps 114 eine mythische Gesamtschau der biblischen Geschichte, die auf die Erwählung Israels konzentriert ist und als machtvolle Theophanie Gottes dargestellt wird. Im Folgenden ist nun der Blick auf den literarischen Horizont von Ps 114 auszuweiten, um die Frage zu beantworten, auf welcher Wachstumsstufe und mit welcher Intention die Geschichtsthematik an dieser Stelle in den Psalter eingebracht wird. Auch wenn Ps 114 im engeren Sinn Teil des Pessach-Hallels Ps 113–118 ist, sind auch die voranstehenden Zwillings178 Zu dieser Beobachtung vgl. auch SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 153: „Der Dichter von Ps 114 kennt und schätzt offensichtlich die Psalmtradition und bedient sich ihrer selbst da, wo er heilsgeschichtliche, also ursprünglich psalmfremde Topoi rezipiert.“ 179 Vgl. dazu auch B ALLHORN, Telos, 178: „Exodusgeschehen, Wüstenwanderung und Landnahme sind zu einem einzigen Moment zusammengezogen. Alles zusammen beschreibt, daß Israel das Volk JHWHs wird“.
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psalmen 111f.180 mit in die Frage einzubeziehen. Die Zwillinge sind auf der Ebene des Gesamtpsalters formal als Teil einer das Hallel einschließenden Komposition in Ps 111–118 gekennzeichnet und durch eine Reihe von thematischen Verbindungen mit dem eigentlichen Hallel verbunden. 2.4 Psalm 114 als Schlüsseltext der Komposition Psalm 111–118 2.4.1 Überblick Psalm 114 kann als der Einzelpsalm gelten, der der übergeordneten Sammlung Ps 113–118 zu ihrer späteren Bezeichnung als ‚Ägyptisches Hallel‘ bzw. ‚Pessach-Hallel‘ verholfen hat, da allein in diesem Psalm der Exodus aus Ägypten thematisiert wird. Die Geschichtsthematik wird allerdings schon in den vorangehenden Zwillingspsalmen 111f. vorbereitet, die im vorliegenden Psalter durch die Halleluja-Überschriften in Ps 111,1; 112,1 mit dem Pessach-Hallel Ps 113–117(118)181 zu einer übergreifenden Komposition verbunden sind. Die folgende Darstellung gibt deshalb zuerst einen kurzen Überblick über die Einzelpsalmen dieses Psalterabschnittes (Kap. 2.4.2), der im Anschluss hinsichtlich der kompositionellen und redaktionellen Funktion von Ps 114 näher auszuwerten ist (Kap. 2.4.3). 2.4.2 Die Psalmen 111– 113; 115–118 Mit den Halleluja-Psalmen 111 und 112 liegt ein Zwillingsakrostichon vor, das sich aus einem hymnischen Danklied des Einzelnen in Ps 111 und einem Makarismus des Jhwh-Fürchtigen in Ps 112 zusammensetzt. Dabei ist für das Psalmenpaar inhaltlich kennzeichnend, dass die in Ps 111 gepriesene Gerechtigkeit Jhwhs „als Ermöglichung und als Vorbild der Gerechtigkeit des Menschen“182 in Ps 112 dargestellt wird. Der Lobpreis der göttlichen Gerechtigkeit in Psalm 111 gliedert sich in die drei Abschnitte 111,1–3.4–6.7–9 mit einem weisheitlichen Abschluss in 111,10. 183 In der Einleitung 111,1–3 ruft der einzelne Beter im Kreise der Aufrichtigen (בסוד ישרים, 111,1) zum Lobpreis von Gottes Heilstaten (מעשי יהוה, 111,2) auf, die als Ausdruck seiner Königsmacht verstanden werden (הוד והדר, 180 Zu der Bezeichnung vgl. ZIMMERLI, Zwillingspsalmen, 263–267; zuvor schon DELITZSCH, Psalmen, 647: „Die zwei Ps. [111f.] sind Zwillinge in Form wie Inhalt.“ 181 Vgl. zur Halleluja-Gliederung auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 279f. Ps 118 steht eingeklammert, da er der einzige Psalm des Pessach-Hallels ist, der keine Halleluja-Rahmung aufweisen kann, vgl. dazu im Folgenden. 182 ZENGER , HThK.AT III, 242. Vgl. zu diesem Zusammenhang auch B ALLHORN, Telos, 166–174; LEUENBERGER , Konzeptionen, 292; ZAKOVITCH, Sequence, 217.221. 183 Zu dieser Einteilung vgl. exemplarisch ZENGER , HThK.AT III, 226. Weniger überzeugend argumentiert SCORALICK, Psalm 111, 193–205, für einen konzentrischen Aufbau des Hauptteils um die Mitte in den Versen 111,7f. herum.
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111,3; vgl. Ps 21,6; 45,4; 96,6; 104,1; 145,5). Während der erste Hauptteil in 111,4–6 auf die Wunderwerke Gottes (נפלאתיו, 111,4) in der biblischen Geschichte konzentriert ist, stellt der zweite Hauptteil 111,7–9 die Gabe des Gesetzes als Höhe- und Zielpunkt der Geschichte dar. Die Gesetze sind Inhalt des ewigen Bundes und führen so zur Erlösung (פדות שלח לעמו צוה לעולם בריתו, 111,9). 184 Das weisheitliche Fazit in 111,10 stellt die Jhwh-Furcht in einer Aufnahme von Prov 9,10 als Anfang der Weisheit dar und legt den Jhwh-Fürchtigen die Ausübung der Gesetze ans Herz ()ראשית חכמה יראת יהוה שכל טוב לכל עשיהם.185 Wird das Geschichtsverständnis des Psalms näher in den Blick genommen, fällt auf, dass die Darstellung der einzelnen Heilstaten recht allgemein gehalten ist und nur wenige Anspielungen an die erzählende Überlieferung vorliegen. Sowohl die übergeordnete Bezeichnung als Werke Jhwhs (מעשי יהוה, 111,3; vgl. 111,6.7) als auch der Sammelbegriff der Wunder (נפלאתיו, 111,4) setzen bereits eine geprägte Vorstellung des göttlichen Geschichtshandelns voraus. Das Vergessen der göttlichen Werke ( )מעשיוstellt in Ps 106,13 eine grundsätzliche Verfehlung der Väter dar, während in Ps 103,22; 104,24.31; 107,22 zum Lobpreis der Werke aufgerufen wird. Die Bezeichnung als Wunder geht dagegen auf Ex 3,20 zurück, wo נפלאותzuerst für die Exodustaten Gottes verwendet wird, bevor der Begriff im Meerlied Ex 15,11 auf das gesamte Geschichtshandeln Gottes ausgeweitet wird. 186 Hier kann allerdings auch der Einfluss von Ps 107 vermutet werden, wo der Terminus נפלאותin Form eines Leitmotivs das rettende Eingreifen Jhwhs bezeichnet (vgl. Ps 107,8.15.21.24.31). 187 Eine Anspielung an den Sinai stellt schließlich das Zitat der Gnadenformel in der zweiten Vershälfte von Ps 111,4 dar, mit der das wundersame Handeln Gottes mit seinem Wesen als eines gnädigen und guten Gottes verbunden wird (חנון ורחום יהוה, vgl. Ex 34,6). Diese Argumentation hat eine literari-
184 Mit dieser Verbindung von Gesetzesgehorsam und Bundeskonzeption steht Ps 111 in der literarischen Nachgeschichte der Geschichtspsalmen 105f., insofern der Einzelne durch den Toragehorsam vor dem Schicksal des Volkes bewahrt werden kann und auf Rettung hoffen darf; vgl. dazu u. Kap. IV. 2.3. 185 Der Gesetzesbezug wird allerdings nur implizit durch das Suffix an der Verbform עשיהםin 111,10 deutlich, das auf die göttlichen Anordnungen in 111,7 ( )פקודיוzu beziehen ist (vgl. zu diesem Bezug ZENGER , HThK.AT III, 220). Die Versionen (LXX, Peschitta, Hieronymus) glätten den Text, indem sie ein singularisches Suffix bieten, durch das die Ausübung im literarischen Nahkontext auf das Tun der Weisheit bzw. der Furcht Jhwhs in 111,10 bezogen wird (der Variante folgen z.B. GUNKEL, Psalmen, 488f. und KRAUS, BK XV/2, 939). 186 Vgl. dazu o. Kap. 1.3. In dieser Verwendung ist der Begriff an mehreren Stellen im Psalter belegt (vgl. Ps 72,18; 77,15; 78,4.11.12.32; 86,10; 105,5; 136,4). 187 Vgl. dazu u. Kap. IV. 4.2.6.
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sche Parallele in Ps 103,8, wo das lebensrettende Handeln Gottes in gleicher Weise mit seiner Selbstoffenbarung am Sinai begründet wird. 188 In der Nahrungsversorgung der Gottesfürchtigen in 111,5a (טרף נתן )ליראיוwird zumeist eine Anspielung auf die Speisung des Volkes während der Wüstenwanderung gesehen. 189 Dabei ist allerdings die Verwendung des Lemmas טרףerklärungsbedürftig, da es in den Erzählungen der Speisungswunder nicht vorkommt. Legt sich zuerst eine formale Erklärung nahe, da der Vers in die akrostichische Struktur eingepasst werden musste,190 lässt sich der Sprachgebrauch aber auch als intendierte Anspielung auf Ps 104,21 erklären, ein Psalm, der ebenfalls am Ende des vierten Psalmenbuches steht. Dort wird Gott für die Nahrungsversorgung der Welt gepriesen, die in 104,21 von denen nach Speise ( )טרףhungernden Junglöwen eingefordert wird.191 Ps 111 kann so als Anspielung auf die wundersame Speisung während der Wüstenwanderung verstanden werden, die aus stilistischen Gründen im Licht der universalen Nahrungsversorgung von Ps 104 gezeichnet wird. Die zweite Vershälfte in 111,5b evoziert den Bundesschluss ( )יזכר לעולם בריתוund leitet zur Landgabe in 111,6b über, in der Jhwh Israel das Erbe der Völker übereignet ()לתת להם נחלת גוים. Mit der Landgabe als Inhalt der Bundesverheißung verrät der Psalm den Einfluss der priesterlichen Theologie, die hier aber über den Geschichtspsalm 105 vermittelt wird. So weisen 111,5b.6b in ihrer genauen Formulierung auf 105,8–11 zurück, wo die Landverheißung programmatisch als Inhalt der Väterbundverheißung dargestellt wird (זכר לעולם בריתו, 105,8; לך אתן את ארץ כנען חבל נחלתכם, 105,11). Erwähnt Ps 105 allerdings nur im Abgang, dass die Konsequenz der Landgabe für das Volk im Gesetzesgehorsam besteht (vgl. 105,45), wird die Gesetzesgabe im zweiten Hauptteil von Ps 111,7–9 ausführlich als Selbstkundgabe Gottes (111,7f.) und Inhalt seines Bundes (111,9) dargestellt. Der Schluss liegt nahe, dass die Gesetzesgabe nicht nur als Konsequenz des göttlichen Geschichtshandelns betrachtet wird, sondern vielmehr als „Heilsgabe“ 192 in die Reihe der göttlichen Werke selbst einzuordnen ist. Das weisheitliche Fazit in 111,10 nimmt das Stichwort der Jhwh-Furcht aus 111,5 auf und ermahnt zur Ausübung der gesetzlichen Anordnungen (ראשית חכמה יראת יהוה שכל טוב לכל עשיהם, 111,10). Haben die Väter in Ps 106,7 noch die Einsicht in die göttlichen Werke vermissen lassen (לא 188
Vgl. dazu u. Kap. IV. 4.2.4. Vgl. ALLEN, WBC 21, 125 (mit Verweis auf LAUHA, Geschichtsmotive, 83); MATHYS, Beter, 256; B ALLHORN, Telos, 168; ZENGER , HThK.AT III, 227; ZAKOVITCH, Significance, 225. 190 So ZENGER , HThK.AT III, 227. 191 Vgl. dazu u. Kap. IV. 4.2.5. 192 ZENGER , HThK.AT III, 228. 189
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)השכילו, sollen die Jhwh-Fürchtigen im Ablauf von Ps 111 durch die Erforschung der göttlichen Taten (111,2) zur guten Einsicht (שכל, 111,10) gelangen, die sich im Gesetzesgehorsam und Gotteslob äußert (תהלתו עמדת לעד, 111,10). Mit diesem weisheitlichen Fazit erinnert Ps 111 an den Psalm 107, der ebenfalls mit einer weisheitlichen Ermahnung abgeschlossen wird. Wird den nach Weisheit strebenden Aufrichtigen (ישרים, 107,42) hier aber die Beachtung der Gnadentaten Jhwhs ans Herz gelegt (חסדי יהוה, 107,43), ergeht an die Gemeinde der Aufrichtigen in Ps 111 im Lobpreis der göttlichen Werke der Aufruf zum Gesetzesgehorsam.193 Überblickt man die innerbiblischen Bezüge, so wird klar, dass Ps 111 nicht auf die erzählende Überlieferung angewiesen ist, sondern Heilsgeschichte in Anlehnung an die Theologie von Ps 103–107 darbietet.194 Der Kreis der Aufrichtigen, der in Ps 107 Einsicht in die Gnadentaten Jhwhs erhalten hat (107,42f.), soll nun in Ps 111 durch den Lobpreis seiner Geschichtswerke zum Gesetzesgehorsam geführt werden. Der Ausweis von Jhwhs Wundertaten wird dabei als Ausdruck seiner Gerechtigkeit verstanden, auf die Gesetzesgabe hingeordnet und in den Kontext der weisheitlichen Belehrung gestellt. Ps 111 bietet auf diese Weise eine Fortführung der Geschichtstheologie am Ende des vierten Psalmenbuches, die unter das Vorzeichen der Tora-Weisheit gestellt wird. An dieser Stelle setzt der Zwilling Psalm 112 an, der das Ideal des Jhwh-Fürchtigen aus Ps 111 näher entfaltet. Der idealtypische Gläubige hat Freude an den göttlichen Geboten (במצותיו חפץ מאד, 112,1) und ihm werden die Prädikationen zugeeignet, die in Ps 111 die Gerechtigkeit Gottes beschreiben. 195 Besonders augenfällig ist dies in 112,4, wo der Aufrichtige durch die Gnadenformel charakterisiert wird (זרח בחשך אור לישרים )חנון ורחום וצדיק.196 Mit dem weisheitlich kontextualisierten Thema des Gesetzesgehorsam weisen die Zwillingspsalmen auf den großen Tora-
193 Zum Bezug von Ps 111f. auf Ps 107,43 vgl. auch ZENGER /HOSSFELD, HThK.AT III, 20: „Das Paar [111f.] ist mit seiner weisheitlichen Perspektive eine Durchführung der in Ps 107,43 formulierten Aufforderung, durch die Meditation des Geschichtshandelns JHWHs (Ps 111) die Konsequenzen für ein Leben in Gerechtigkeit (Ps 112) zu ziehen.“ 194 Ähnlich auch B ALLHORN, Telos, 168, der in Ps 111 eine „Anbindung an die Geschichtspsalmen am Ende des Vierten Buches“ gegeben sieht, „so daß bei der Lektüre sofort Ps 105–107 ins Gedächtnis treten“. 195 Vgl. ZIMMERLI, Zwillingspsalmen, 265–267. 196 Diese Interpretation ist allerdings nicht unumstritten. Bereits die Textüberlief erung bezeugt den Versuch, die traditionellen Gottesattribute in 112,4b durch entsprechende Zusätze auf Gott zu beziehen. Für die hier vorgelegte Auslegung spricht die durchgängige Konzentration von Ps 112 auf die Seligpreisung des gottesfürchtigen Me nschen (so mit ZENGER , HThK.AT III, 233).
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Psalm 119 voraus und legen zusammen mit diesem einen Rahmen um die Komposition des Pessach-Hallels Ps 113–118. Die eigentliche Hallel-Sammlung wird in Psalm 113 mit einem imperativischen Hymnus eröffnet, in dem die Knechte zum Lobpreis des göttlichen Namens aufgerufen werden (113,1–3). Hier steht die Halleluja-Formel in 113,1 nicht nur am Anfang, sondern der nachfolgende Stufenparallelismus verwendet zwei Mal den mit der Wurzel הללgebildeten Lobaufruf ()הללו עבדי יהוה הללו את שם יהוה, so dass das Halleluja auch im Psalmkorpus selbst eingebettet ist. Inhaltlich wird das Gotteslob mit der unvergleichlichen Hoheit Jhwhs gefüllt (113,4–6), die sich armentheologisch in der gesellschaftlichen Erhöhung der sozial Verachteten manifestiert (113,7–9). Dieses Rettungshandeln Jhwhs wird durch zwei innerbiblische Zitate illustriert: Während die Erhöhung der Geringen und Armen in Ps 113,7f. das Loblied der Hannah aus 1 Sam 2,8 aufnimmt, 197 rekurriert Ps 113,9 mit dem Kindersegen der Unfruchtbaren auf eine Prohpezeiung im Deuterojesajabuch Jes 54,1. Die dortige Verheißung von Kindern für die unfruchtbare Frau Zion wird in Ps 113,9 als erfüllt dargestellt. Der abschließende Halleluja-Ruf in 113,9 gibt dem Psalm als Einzigem innerhalb der Sammlung eine Halleluja-Rahmung. Während das dichterische Lehrstück über den Exodus in Psalm 114198 keinen Halleluja-Ruf aufweisen kann, werden die folgenden drei Psalmen der Hallel-Sammlung Psalm 115–117 jeweils durch die Halleluja-Formel abgeschlossen. Mit Psalm 115 folgt zuerst eine „poetisch imaginierte Liturgie“,199 die die Allmacht des in den Himmeln thronenden Jhwh im Gegensatz zu den ohnmächtigen Götterbildern der Völker proklamiert. Jhwh wird in der Einleitung 115,1–3 von einer Sprechergruppe als derjenige gepriesen, der ‚alles tut, was ihm gefällt‘ (כל אשר חפץ עשה, 115,3). Darin erweist er seine Überlegenheit gegenüber den Götzen der Völker, die als Werk von Menschenhänden (מעשה ידי אדם, 115,4) kein Leben in sich haben. Damit erweisen sie sich nicht nur als nutzlos, sondern im Endeffekt machen sie ihre Anhänger genauso leblos, wie sie es selbst sind (115,4–8). Dagegen ist das Gott-Sein Jhwhs als Schöpfer von Himmel und Erde (עשה שמים וארץ, 115,15) für seine Geschöpfe in der segnenden und damit bele197 Zu den Verbindungen von Ps 113 mit 1 Sam 2,1–10 vgl. ausführlich HURVITZ, Originals, 115–121. 198 Zur Analyse siehe oben Kap. 2.2. 199 ZENGER , HThK.AT III, 278. Zur klassischen Position vgl. GUNKEL, Psalmen, 498f., der in dem Psalm eine fünfteilige Liturgie sehen will (so neuerdings auch ALLEN, WBC 28, 145f.); die Rekonstruktion eines möglichen liturgischen Sitzes im Leben e rweist sich aber als schwierig, da der Psalm unterschiedliche Gattungsmerkmale in sich vereint und angemessener als schriftliche Textform zu verstehen ist (vgl. dazu auch die Überlegungen bei ZENGER , Götterbildpolemik, 220–233).
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benden Zuwendung erfahrbar. 200 Im litaneiartigen Mittelteil 115,9–11 wird deshalb eine Trias bestehend aus Israel, dem Haus Aaron und den JhwhFürchtigen zum Vertrauen (בטח, 115,9.10.11) auf Jhwh aufgerufen. Sie sollen ihr Leben Jhwh als ihrer Hilfe und ihrem Schild (עזרם ומגנם הוא, 115,9.10.11) anvertrauen. Im Abgesang von 115,16–18 kommen erneut die Beter aus der Einleitung zu Wort, die auf die Übereignung der Erde als ihrem Lebensraum mit einem Lobgelübde antworten. Darin unterscheiden sie sich von den Toten (115,17), die hier vermutlich mit den Anhängern der Götzen zu identifizieren sind, und die nicht mehr zum Gotteslob aufstehen können. Ps 115 entwickelt damit in den aufeinander bezogenen Teilen 115,4–8 und 115,12–15 einen positiven und einen negativen Katalog dessen, was einen Gott ausmacht. Gegenüber Jhwh als des allmächtigen Schöpfers (עשה, 115,15) erweisen sich die Götzen als lebensunfähige Machwerke von Menschenhand (מעשה ידי אדם, 115,4), die ihren Anhängern den Tod bringen. Im nachfolgenden Psalm 116 liegt ein zweistrophiges Danklied des Einzelnen vor (116,1–9.10–19),201 in dem der Beter Jhwh für die erfahrene Rettung (יהושיע, 116,6) dankt und in einem Toda-Gelübde den öffentlichen Dank in den Vorhöfen des Gotteshauses (בחצרות בית יהוה, 116,19) ankündigt. Die göttliche Rettung wird in 116,3f.7f. näher als Befreiung aus Todesnot (חלצת נפשי ממות, 116,8) und Öffnung der Fesseln (פתחת למוסרי, 116,16) beschrieben, für die der Beter das Dankopfer darbringen will (לך אזבח זבח תודה, 116,17). Das Rettungshandeln Jhwhs ist Ausdruck seines göttlichen Wesens, das in einer Anspielung auf die Gnadenformel in 116,5 ( ;חנון יהוה וצדיק ואלהינו מרחםvgl. Ex 34,6) als grundsätzlich gnädig, gerecht und erbarmend beschrieben wird.202 Dementsprechend kann der Beter in seiner Rettungsbitte auch an den Namen Jhwhs appellieren (ובשם יהוה אקרא, 116,4.13.17), so dass hier im Ablauf des Hallels die Namenstheologie aus Ps 113,1–3; 115,1 fortgeführt wird. Mit dem nur zwei Verse umfassenden Psalm 117 liegt der kürzeste Psalm des Buches vor. Es handelt sich um einen imperativischen Hymnus,203 in dem die Völker und Nationen zum Jhwh-Lob aufgefordert werden ( הללו את יהוה כל גוים שבחוהו כל האמים, 117,1). Das Gotteslob wird mit Jhwhs wesenhafter Gnade und Treue begründet (כי גבר עלינו חסדו ואמת יהוה לעולם, 117,2), wobei der Hymnus mit dem Wortpaar חסדund אמתim nähe200
Vgl. ZENGER , Götterbildpolemik, 234. Zu dieser Gattungsbestimmung vgl. CRÜSEMANN, Studien, 243–246; SPIECKERMANN, Lieben, 266; LEUENBERGER , Konzeptionen, 294; B ALLHORN, Telos, 184; H OSSFELD, HThK.AT III, 293f. Zur Analyse vgl. auch T ITA, Gelübde, 109–126. 202 Vgl. dazu auch T ITA, Gelübde, 124. 203 Vgl. CRÜSEMANN, Studien, 41. 201
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ren Kontext zuerst auf 115,1 zurückverweist.204 Die Kombination dieser Begriffe erinnert aber auch ein weiteres Mal an die Gnadenformel (ורב חסד ואמת, Ex 34,6). Die Besonderheit des kurzen Hymnus liegt darin, dass der Aufruf zum Gotteslob in Ps 117 an die Völkerwelt ergeht. Haben die Völker in Ps 115,2 noch die Wirkmächtigkeit Gottes verspottet, werden sie nun als Jhwh-Fürchtige (vgl. Ps 115,11.13; 118,4) zum Vollzug des Gotteslobes aufgerufen.205 In der jetzigen Kompositionsabfolge geht dieser veränderten Perspektive auf die Völker mit Ps 116 das Danklied eines Einzelnen voraus, der seine Notrettung auf das Handeln des gnädigen Gottes Israels zurückführt (116,5; vgl. 117,2). Aus der Perspektive von Ps 117 kann hier jetzt auch die Stimme eines Beters aus den Völkern vernommen werden, der in Ps 115 die Handlungsunfähigkeit der eigenen Götzen erkennen musste, in Ps 116 das rettende Wesen des Gottes Israels erfahren hat und nun in Ps 117 zum Gotteslob aufgefordert wird. Mit dem Schlusspsalm des Pessach-Hallels Psalm 118 liegt in der masoretischen Fassung eine mehrteilige Dankliturgie vor, die in 118,1–4 und 118,29 durch hymnische Aufforderungen zum Dank gerahmt wird. 206 Die literarische Analyse dieses Psalms wird durch die Beobachtung bestimmt, dass er in seinem literarischen Kern auf ein älteres Danklied (118,5.14. 17–19.21.28) zurückgeht, in dem der Beter Gott für die erfolgte Rettung aus der Not preist.207 Dieser ältere Kern kann relativ sicher durch den Gebrauch der Kurzform des Gottesnamens יהin den Versen 118,5.14.17–19 ausgegrenzt werden, zu denen noch der abschließende Dank in 118,21.28 zu rechnen ist. Das ältere Danklied gliedert sich in einen Bericht über die erfolgte Rettung (118,5.14) und den anschließenden Lobpreis des Beters 204
Hier ist allerdings mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Erwähnung von חסד und אמתeine nachträgliche Ergänzung darstellt, durch die der Vers zum Trikolon ausgebaut wird (so erwägungsweise ZENGER , HThK.AT III, 281). 205 Zu dieser Interpretation vgl. ZENGER, HThK.AT III, 306; ähnlich auch B ALLHORN, Telos, 192f. 206 Die klassische Auslegung von Ps 118 hat GUNKEL, Psalmen, 504–511, vorgelegt, der in dem Psalm eine Dankliturgie in drei Teilen sieht (118,1 –4.5–21.22–29). 207 Vgl. die Analysen von LEVIN, Gebetbuch, 367, und KRATZ, Reste, 60–62; zur Abgrenzung eines älteren Kerns in 118,5–19[20f.] siehe zuvor schon CRÜSEMANN, Studien, 217–223 (ähnlich auch SCHRÖTEN, Entstehung, 81–87, die von einem ursprünglichen Danklied in 118,5–18* ausgeht), während ZENGER , HThK.AT III, 320, zwar mit der Möglichkeit rechnet, dass ein älteres Danklied sekundär in das Pessach-Hallel aufgenommen ist, dabei aber keine versliche Abgrenzung vorlegt. Die Einheitlichkeit des Psalms kann MARK dagegen aus dem Grund als gesichert gelten, dass der Psalm ein „metrisch streng gefügter Text“ (MARK, Stärke, 117) ist: „Mit literarkritisch auszusondernden Textteilen ist deshalb nicht zu rechnen, weil jeder wie auch immer geartete Ei ngriff sein metrisches Gefüge beschädigen würde“ (ebd.). Gegen diese Position spricht die hier aufgezeigte Verwendung des Gottesnamens יה, die als literarkritisches Kriterium auf ein auch in metrischer Hinsicht kohärentes älteres Danklied führt.
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(118,17–19.21.28), in dem dieser den Einzug in den Tempel durch die ‚Tore der Gerechtigkeit‘ antizipiert (פתחו לי שערי צדק, 118,19). Die recht allgemein gehaltene Beschreibung der Notlage spricht dafür, in Ps 118* ein ursprünglich selbständiges Dankformular zu vermuten, 208 das erst sekundär in den Psalter eingeschrieben worden ist. Mit der Einschreibung in den Psalter hängt vermutlich die Rahmung des ursprünglichen Dankliedes mit den Hodu-Abschnitten in 118,1–4.29 zusammen, die den Psalm zu einem Toda-Abschluss für die Sammlung Ps 113–118* macht. Zum Dank aufgerufen wird in 118,2–4 die bereits aus 115,9–11 bekannte Trias aus Israel, dem Haus Aaron und den Jhwh-Fürchtigen, die Gottes immerwährende Gnade ( )חסדpreisen soll. Über die Komposition Ps 113–118* hinweg schließt die Hodu-Rahmung aber auch einen Kompositionsbogen zu Ps 107, der als Schlusspsalm das Ende der Ausbaustufe Ps 100–107* anzeigt.209 Die kompositionelle Verbindung wird durch signifikante Querverbindungen zwischen Ps 107 und den zwei Dankpsalmen 116 und 118 angezeigt. Werden in 107,22 die Beter dazu aufgefordert, Jhwh für die ergangene Rettung zu danken, indem sie Dankopfer darbringen und seine Werke erzählen (ויזבחו זבחי תודה ויספרו מעשיו )ברנה, werden die zwei Dankeshandlungen am Ende der Komposition Ps 113–118* wieder aufgenommen: Während der Beter von Ps 116 als Dank für die ergangene Rettung ein Dankopfer für Jhwh darbringen will (לך אזבח זבח תודה, 116,17), vollzieht der Sprecher von Ps 118* den Dank, indem er von den Werken Jhwhs erzählt (ואספר מעשי יה, 118,17). Diese Verbindungen sprechen dafür, dass die zwei Dankpsalmen 116 und 118 bewusst als Entsprechung zu Ps 107 zusammengestellt worden sind. 210 Sie werden auf diese Weise zu dem literarischen Toda-Opfer, zu dessen Vollzug die Geretteten in Ps 107,22 aufgerufen sind. In der Folge ist das um die Hodu-Rahmung ergänzte Danklied Ps 118,1–29* durch eine Reihe weiterer Zusätze fortgeschrieben worden, zu denen das Vertrauenslied eines Einzelnen (118,6–13), ein weisheitlicher Lehrsatz (118,8f.), ein Jhwh-Hymnus über die Macht der göttlichen Rechten (ימין יהוה, 118,15f.) und das „Bruchstück eines Festpsalms“ 211 (118,22– 27) gehören. Gegenüber diesen Fortschreibungen, die den Einzelpsalm im Blick haben, kommt der Überarbeitung in 118,20212 Bedeutung für den 208
Zur ursprünglichen Selbständigkeit vgl. auch LEVIN, Psalm 136, 20. Vgl. dazu u. Kap. IV. 4.3. 210 Vgl. zu dem Kompositionsbogen von Ps 107 zu den Dankliturgien Ps 116; 118 auch MILLARD, Komposition, 82f. 211 LEVIN, Psalm 136, 21. 212 Für den Fortschreibungscharakter von 118,20 gegenüber 118,19 spricht vor allem der singularische Gebrauch von שערin Verbindung mit einer Neuinterpretation des Gerechtigkeitsbegriffs; vgl. dazu im Folgenden. Bei LEVIN, Gebetbuch, 367 (vgl. DERS., Psalm 136, 22), und KRATZ, Reste, 61, gehört der Vers 118,20 nicht zum Grundbestand. 209
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redaktionellen Horizont zu. Die Einzelverseinschreibung greift das Stichwort der ‚Tore der Gerechtigkeit‘ ( )שערי צדקaus dem vorliegenden Danklied in 118,19 auf, verweist nun aber im Singular auf ein bestimmtes Tor, durch das nur die Gerechten eintreten dürfen (זה השער ליהוה צדיקים יבאו בו, 118,20). Hier wird der tatsächliche Einzug in den Tempel zur metaphorischen Einlasstora, durch die allein die Gerechten einziehen. Der Einzelverszusatz bereitet auf diese Weise den Anschluss des nachstehenden Tora-Psalms 119 und des Wallfahrtspsalters Ps 120–134 vor. Während Ps 119 das Ideal der Toragerechtigkeit entfaltet, thematisieren die Wallfahrts psalmen den Zug zum Zion und den Eingang in das Haus Gottes (134,1). Es liegt deshalb nahe, in 118,20 eine späte Einschreibung zu sehen, die als redaktionelles Bindeglied für die Einfügung des Tora-Psalms 119 vor der Sammlung der Wallfahrtspsalmen 120–134 fungiert. In der Tradition der Toreinzugsliturgien deklariert der Redaktor von Ps 118,20 die in Ps 119 dargestellte Tora-Gerechtigkeit als das (spirituelle) Einlasstor, durch das der Gerechte auf dem Weg zu Jhwh hindurchgehen muss. 213 2.4.3 Ertrag Der Ertrag der Ablauflesung von Ps 111–118* kann damit wie folgt zusammengefasst werden: Mit dem Zwillingsakrostichon Ps 111f. liegt in kompositionsgeschichtlicher Hinsicht eine weisheitliche Exposition vor, die das folgende Pessach-Hallel 113–118 unter das Vorzeichen des Dankes für Jhwhs Heilshandeln in der Geschichte stellt. In einer Fortführung von Ps 107,42f. soll der Dank im Gehorsam gegen das göttliche Gesetz vollzogen werden. Im Pessach-Hallel selbst können in Ps 113 und 115 sowie in Ps 116 und 118 zwei Kompositionsbögen unterschieden werden, in deren Mitte mit Ps 114 und 117 jeweils ein Psalm steht, der eher locker in seinem literarischen Kontext verankert ist. So existieren im Fall von Ps 113; 115 eine Reihe von Verbindungen, die die zwei Psalmen eng zusammenschließen. 214 Sie berühren sich nicht nur in der Theologie des Gottesnamens (113,1–3; 115,3) und dem übereinstimmenden Gebrauch der Titulatur ‚unser Gott‘ (אלהינו, 113,5; 115,3), sondern auch in der gemeinsamen Des Weiteren äußert CRÜSEMANN, Studien, 221, Zweifel an der literarischen Zusammengehörigkeit von 118,19 und 118,20, ohne daraus allerdings literarkritische Konsequenzen zu ziehen. 213 Den Bezug der ‚Tore der Gerechtigkeit‘ in 118,19[f.] auf Ps 119 als ‚Tor der Tora‘ sieht auch KRATZ, Tora, 25: „Er [der Rahmen um den Abschnitt Ps 118-135] öffnet das Tor zur heiligen Stadt, das durch die ‚Tore der Gerechtigkeit‘ (118,19f), im Kontext: durch das Tor der Tora von Ps 119, zum wiederaufgebauten (118,22-25) ‚Haus Gottes‘ führt (118,26-28), und meldet am Ende den erfolgten Einzug ins Heiligtum (135,1–3 […]).“ 214 Vgl. dazu auch ZENGER , HThK.AT III, 246; ZAKOVITCH, Significance, 223f.
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Intention, diesen Gott zu loben (הלל, 113,1.3.9; 115,17f.) und ihn zu preisen (ברך, 113,2; 115,18). Weiterhin gehen beide Psalmen von der Vorstellung aus, Jhwh throne in den Himmeln (בשמים, 113,6; 115,3; השמים שמים ליהוה, 115,16) und herrsche von dort aus über die Erde (113,6; 115,16). Schließlich scheint die Bitte der Beter um Mehrung in 115,14 auf die Prädikation Jhwhs in 113,9 zu rekurrieren, in der Jhwh dafür gepriesen wird, dass er die Unfruchtbare zu einer Mutter von Söhnen gemacht hat. Dagegen ist Ps 114 mit dem Lemma ביתnur durch eine einzige Stichwortverbindung mit seinem direkten literarischen Kontext in Ps 113; 115 verbunden; eine Verbindung, die zudem kaum redaktionsgeschichtlich profiliert werden kann. Beschreibt das Wort ביתin 113,9 die Zugehörigkeit der Unfruchtbaren zu einem Stammes- bzw. Familienverband ()עקרת הבית, wird es in 114,1 politisch-national als Volksbezeichnung ( )בית יעקבverwendet, so dass eine intentionale Bezugnahme wenig wahrscheinlich ist. Insgesamt spricht der Befund dafür, dass die semantisch und motivlich eng miteinander verknüpften Psalmen 113 und 115 einmal direkt aufeinander gefolgt sind und einen hymnischen Lobpreis des allmächtigen Gottes Jhwh darbieten. Sie werden erst sekundär durch die Einschreibung von Ps 114 voneinander getrennt. 215 Der zweite Kompositionsbogen des Pessach-Hallels umfasst mit Ps 116 und 118 zwei Dankpsalmen, die ebenfalls eng aufeinander bezogen sind.216 Ps 116 thematisiert ebenso wie der ursprüngliche Dankpsalm 118* die Rettung des Beters durch Jhwh (ישע, 116,6; ישועה, 118,21) und beide Psalmen zielen auf die Ankunft des einzelnen Beters im Tempel, wo er sein Toda-Opfer darbringen will (116,17–19; 118,19). 217 Dazwischen steht mit Ps 117 ein imperativischer Hymnus, in dem die Völker zum Lob und Ruhm Gottes aufgerufen werden (הללו את יהוה כל גוים שבחוהו כל האמים, 117,1). Dieser Aufruf kann als nachträgliche Universalisierung der angrenzenden Dankpsalmen 116 und 118 verstanden werden, die nun auch von den Völkern gesprochen werden können. 218 Mit dem Verbum שבחpi. (117,1), das im Nahkontext allein in Ps 106 im hitpacel-Stamm belegt ist
215
Zur nachträglichen Positionierung von Ps 114 zwischen Ps 113 und 115 vgl. auch ZAKOVITCH, Significance, 223–226. Dagegen wertet W ITTE, Psalm 114, 302–306, die Bezüge zwischen Ps 114 und dem literarischen Kontext als Indizien für die ursprüngl iche Zusammengehörigkeit von Ps 113; 114; 115,1; vgl. ebenso LUBSCZYK, Einheit, 161– 173, der die Einheit von Ps 114; 115 erweisen will (vgl. dazu o. Anm. 143). 216 Vgl. zum Aufweis der Bezüge auch ZENGER , HThK.AT III, 246, der dabei allerdings nicht zwischen dem ursprünglichen Dankpsalm 118* und seinen Ergänzungen differenziert. 217 Zu dieser Beobachtung vgl. auch B ALLHORN, Telos, 203. 218 Ähnlich kommt ZENGER , HThK.AT III, 308, zu dem Urteil, dass in Ps 117 eine „Explikation der Aufforderung Ps 114,7“ vorliege (vgl. zuvor schon DERS., Israel, 85).
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(להשתבח, 106,47),219 schlägt der kurze Hymnus Ps 117 darüber hinaus einen Bogen zum Ende des vierten Psalmenbuches. Stellen die Beter dort die Rühmung Gottes als Dank für die erbetene Rettung in Aussicht ( הושיענו יהוה אלהינו וקבצנו מן הגוים להד ות לשם קדשך להשתבח בתהלתך, 106,47), vollzieht Ps 117 im Anschluss an den Dank für die Rettung in Ps 116 die Aufforderung zum Gotteslob ( )שבחוהוan die Völker. Die Entstehung der Psalmenkomposition Ps (111f.)113–118 kann damit wie folgt skizziert werden: Den Grundstock der Sammlung bilden zwei Psalmenpaare in Ps 113; 115 und Ps 116; 118*, in denen der Lobpreis des allmächtigen Gottes mit dem Dank für die Rettung aus der Not verbunden wird.220 Der ursprüngliche Dankpsalm in 118* wird für den Einbau in die Sammlung mit einer Hodu-Rahmung in 118,1–4.29 versehen, die ihn mit der Aufnahme der Personentrias aus 115,9–11 als Schlusspsalm der Komposition kennzeichnet. 221 Über die Toda-Formel in 118,29 ist er zudem mit Ps 107 verbunden, der als Hodu-Psalm die Ausbaustufe des Psalters in 107–118* eröffnet, so dass die Sammlung des Ägyptischen Hallels in Ps 113–118* den Abschluss dieser Wachstumsstufe bildet.222 In einem zweiten Schritt wird das erste Psalmenpaar Ps 113; 115 durch die Einschreibung von Ps 114 zu einem literarischen Trio ausgebaut. Den Anlass für diese Einfügung bietet vermutlich das Zitat von Ps 118,14.28 in Ex 15,2, das aus dem Meerlied ein Vertrauenslied nach dem Vorbild von Ps 118 macht. 223 Denn erst im Licht von Ex 15,2 kann Ps 118 als Danklied für den Exodus verstanden werden, in dem Jhwh den Beter zum Zion geführt hat. Diesen implizit angelegten Exodusbezug von Ps 118 verdeutlicht der Redaktor, der mit Ps 114 das Lob des Exodusgottes in das erste Psalmenpaar einschreibt und Ps 118 rückwirkend zum Danklied für die 219 Zu den weiteren Belegen von שבחvgl. Ps 63,4; 145,4; 147,12; Koh 4,2; 8,15 (alle pi.) sowie als einzigen weiteren Beleg im hitp. 1 Chr 16,35. 220 Abweichend wird mehrheitlich angenommen, dass die Komposition des PessachHallels zum Zeitpunkt ihrer Einschreibung in den Psalter bereits alle Einzelpsalmen 113–118 umfasst habe, auch wenn diese teilweise als Redaktionspsalmen für die Komp osition verfasst wurden; vgl. exemplarisch LEUENBERGER , Konzeptionen, 368f., und ZENGER , HThK.AT III, 20.246f. H AYES , Unity, 145–156, bedient sich der diskurs-analytischen Methode, um die Einheit des Hallels nachzuweisen. Dagegen geht ZAKOVITCH, Significance, 223–226, von einem dreistufigen Wachstumsprozess aus: Die ursprünglich zusammengehörigen Psalmen 111f.; 119 seien sekundär durch die Einschreibung des Kleinen Hallels mit den Einzeltexten Ps 113; 115–118 voneinander getrennt worden, ehe nachträglich Ps 114 in die Sammlung eingeschrieben werde. 221 Zur Funktion von Ps 118 als Schluss des Ägyptischen Hallels vgl. auch SCHRÖTEN, Entstehung, 106–112, die jedoch davon ausgeht, dass Ps 114 Teil der ursprünglichen Sammlung ist, so dass Ps 118 bereits bei seiner Einarbeitung in die Hallel-Psalmen zum Danklied für den Exodus umgearbeitet worden sei (vgl. SCHRÖTEN, a.a.O., 107). 222 Vgl. ZENGER , Israel, 77. 223 Vgl. dazu o. Kap. 1.3.
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Rettung Israels im Exodus macht.224 Dabei spricht die relative Eigenständigkeit des Psalms in semantischer und motivlicher Hinsicht eher für ein ehemals selbständiges Traditionsstück als für einen Redaktionspsalm. 225 Dass Ps 114 nicht direkt vor Ps 118 gesetzt wird, zeigt zuerst, dass der Redaktor die Zusammengehörigkeit von Ps 116; 118 respektiert. Darüber hinaus verrät die Positionierung zwischen Ps 113 und 115 aber auch ein Auslegungsinteresse gegenüber dem ersten Psalmenpaar der Sammlung, da Armentheologie und Götzenpolemik eine geschichtstheologische Interpretation erfahren. So legt sich im Blick auf den vorherigen Kontext eine Deutung des Exodus als Paradigma des in Ps 113 gepriesenen sozialen Wandels nahe: Die Herausführung des Volkes aus Ägypten in Ps 114 präfiguriert die Zuwendung Jhwhs zu den gesellschaftlichen Randgruppen. Dementsprechend können die in 113,1 zum Lob aufgeforderten Knechte mit dem in Ägypten versklavten Volk identifiziert werden, so dass Ps 113 durch den nachfolgenden Psalm 114 eine Nationalisierung erfährt. 226 Zugleich gibt der Psalm aber auch eine Leseperspektive für den anschließenden Psalm 115 vor, indem der Exodus zum Erweis von Jhwhs Überlegenheit wird. Das Eintreten zugunsten seines Volkes im Exodus begründet sein Gott-Sein und zeichnet ihn gegenüber den handlungsunfähigen Götzen der Völker aus – ein Aspekt, der bereits im Meerlied Ex 15,11 angelegt ist. Die Frage der Völker nach Israels Gott (Ps 115,2) wird somit ad absurdum geführt und die Völker werden als Jhwh-Fürchtige zum Vertrauen auf den Gott Israels aufgerufen (Ps 115,11).227 Die kleine Glosse Ex 15,2 im Meerlied hat damit eine weitreichende literarische Nachgeschichte, indem sie rückwirkend das Verständnis ihres Spendertextes in Ps 118 beeinflusst und den Anlass für die Einschreibung von Ps 114 in die Psalmengruppe 113–118* bietet. Erst in diesem innerbiblischen Auslegungs224 Den inhaltlichen Bezug von Ps 118 auf Ps 114 als Dank für den Exodus vermerkt auch SCHRÖTEN, Entstehung, 101f. Diese sieht die entscheidenden Verbindungen aber durch die Ergänzungen in Ps 118,12b (Rezeption von Jes 43,17) und 118,15 h ergestellt, durch die Ps 118 zuerst mit dem Rückblick auf den Exodus verbunden und dann zum Danklied für den Exodus gemacht werde (ebd.). 225 So auch LEUENBERGER , Komposition, 265f., der in Ps 114 einen „textlich […] i.W. ‚fertig‘ vorliegenden Einzelpsalm“ sieht, der von den Redaktoren des anwachsenden Psalters unverändert rezipiert wurde. Anders nimmt ZENGER , Israel, 77f. (vgl. DERS., HThK.AT III, 247), an, dass Ps 114 (wie auch Ps 117) eigens für die Komposition des Pessach-Hallels geschrieben worden sei. 226 So wird Ps 113,1 auch im Midrasch Tehillim ausgelegt; vgl. dazu ZAKOVITCH, Significance, 225. KRATZ, Reste, 44, führt den Begriff der Nationalisierung für eine nachträgliche Verbindung von Mythos und Geschichte ein; vgl. mit Bezug auf Ps 113f. auch ZAKOVITCH, a.a.O., 225: „Psalm 114 affects its neighbors, with Psalm 113 being now interpreted as having a nationalist character.“ 227 Vgl. ZAKOVITCH, Significance, 225.
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vorgang wird das Hallel zum Ägyptischen Hallel und bekommt als Sammlung insgesamt eine geschichtstheologische Prägung. Damit ist die Literargeschichte des Pessach-Hallels allerdings noch nicht beendet, sondern in einem dritten Schritt erfolgt durch eine Halleluja-Redaktion eine Neugruppierung der Einzelpsalmen. Dieser HallelujaBearbeitung können die Halleluja-Rahmungen in Ps 113,1.9; 115,18; 116,19 sowie der kurze Halleluja-Hymnus in Ps 117 zugeschrieben werden.228 Diese Bearbeitung setzt die Einschreibung der Zwillingspsalmen 111f. voraus, die die gesamte Komposition unter ein geschichtstheologisches Vorzeichen stellen229 und den Tora-Gehorsam als angemessene Antwort des Menschen auf Gottes Heilstaten proklamieren. Die HallelujaRahmungen integrieren das Zwillingspaar in die Komposition, indem sie zwei Halleluja-Triaden in Ps 111–113 und 115–117 abgrenzen. Der Redaktionspsalm 117 wird dabei als neuer Abschluss der Komposition verfasst und vollzieht in Aufnahme von Ps 106,47 (שבח, vgl. 117,1) den Einbezug der Völker in das Gotteslob Jhwhs. Der Psalm bildet damit genau wie Ps 106 in seiner Funktion für die Sammlung von Ps 100–107 einen Hallel-Abschluss für die Psalmengruppe Ps (111)113–117.230 Zugleich trennt er aber auch Ps 118 vom Ägyptischen Hallel ab, der damit frei wird, um als Hodu-Psalm in Analogie zu Ps 107 eine neue Ausbaustufe des Psalters zu eröffnen. Vermutlich setzt diese Überarbeitung bereits die Anfügung des Tora-Psalms 119 und der Wallfahrtssammlung Ps 120–134 voraus, die in Ps 118 durch die redaktionelle Einschreibung von 118,20 vorbereitet wird. In der neu abgegrenzten Hallel-Komposition Ps 111–117 bekommt der Exoduspsalm 114, der als einziger keine Halleluja-Rahmung aufweisen kann, eine zentrale Stellung als Mittelpsalm und unterstreicht die geschichtstheologische Prägung der Psalmengruppe. 231
228 So sieht auch KRATZ, Tora, 31 mit Anm. 79, in Ps 117 eine literarische Bildung für das Buch, die er auf die für das Halleluja verantwortlich Bearbeitung zurückführt. Vgl. ebenso die Urteile von ZENGER , HThK.AT III, 305, der in Ps 117 einen für die Komposition geschaffenen „Brückentext“ sieht, sowie LEUENBERGER , Konzeptionen, 294: „Redaktionstext für den literarischen Kontext 111–118“. 229 So auch ZENGER , Israel, 76, der die Funktion der Zwillingspsalmen 111f. in Bezug auf das Pessach-Hallel als „hermeneutische Leseanweisung“ beschreibt. 230 Vgl. KRATZ, Tora, 31 mit Anm. 79. 231 Hier bleibt noch festzuhalten, dass die jüdische Auslegung gegen die Gliederung der Halleluja-Bearbeitung eine vorausgehende Wachstumsstufe rezipiert, indem sie an der Abgrenzung des Pessach-Hallels in Ps 113–118 festhält; vgl. zu dieser Beobachtung auch B ALLHORN, Telos, 211.
3 Ergebnis und Konsequenzen für das weitere Vorgehen
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3 Ergebnis und Konsequenzen für das weitere Vorgehen 3 Ergebnis und Konsequenzen für das weitere Vorgehen
Ungeachtet ihrer formalen und inhaltlichen Unterschiedlichkeit verbindet Ex 15 und Ps 114 mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. In beiden Texten verschmilzt die Theologie des Psalters mit der erzählenden Überlieferung zu einer poetischen Darstellung des Exodus, in der Mythos und Geschichte eine fruchtbare Verbindung eingehen. Dabei ist offensichtlich die Vorstellung vom Königtum Gottes das Thema, das sich für eine Anbindung der Geschichte anbietet, da die Heilstaten Jhwhs an Israel zum Beispiel für seine Königsmacht werden können. Die besondere Stellung des Exodus, wie sie sich in Ex 15 aus dem Erzählkontext ergibt und auch in Ps 114 nachzuweisen ist, zeigt exemplarisch, wie das Meerwunder Motive des Chaoskampfes und der Urfluten in sich aufnehmen kann. Ungeachtet dieser Gemeinsamkeiten sind die zwei Texte aber Zeugen einer gegenläufigen literargeschichtlichen Entwicklung. Während durch die Einschreibung von Miriamlied und Meerlied die Erzählung des Meerwunders eine mythische Interpretation erhält, werden die überlieferten psalmentheologischen Inhalte in Ps 114 historisch ausgedeutet. Wird das literarische Verhältnis der zwei Stücke mit in die Beobachtungen einbezogen, können erste theologiegeschichtliche Linien ausgezogen werden. Es hat sich erstens gezeigt, dass das Miriam- und Meerlied Ex 15 in seiner literarischen Endgestalt im Hintergrund von Psalm 114 steht, der ohne diese Vorlage kaum verständlich wäre. Dabei ist es insbesondere das Zitat aus der Dankliturgie Ps 118 in der Glosse Ex 15,2, die den Anlass für die Einschreibung von Ps 114 in die Komposition Ps 113–118* bietet und diese zum Ägyptischen Hallel macht. Dazu kommt zweitens die Beobachtung, dass der Lobpreis Gottes am Ufer des Schilfmeeres einen konkreten Anlass mit der Rettung Israels im Meerwunder hat, so dass hier ein – wenn auch fiktionaler – Sitz im Leben für die Verbindung von Geschichte und Gebet gegeben ist. Dies legt den Schluss nahe, dass die Einschreibung des Miriamliedes in die Exoduserzählung die Geburtsstunde dieser Vereinigung darstellt und Ex 15 insgesamt als Nukleus der heilsgeschichtlichen Überlieferung in den poetischen Texten gelten kann. So hat sich in der Untersuchung bereits angedeutet, dass das Stück vielfach in die Psalmen ausgestrahlt hat und mit Ps 114 ein prominenter Vertreter der literarischen Wirkungsgeschichte von Ex 15 vorliegt. Die Analyse des weiteren Textmaterials wird zeigen, inwieweit sich die These erhärten lässt, dass mit Ex 15 das Paradigma für die Verknüpfung von Geschichte und Gebet vorliegt.
Kapitel III
Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung Psalm 78 nimmt eine besondere Stellung im Buch der Psalmen ein. Mit 72 Versen ist er nach Ps 119 nicht nur der zweitlängste Einzelpsalm im Buch, sondern er bildet auch das Zentrum der Asaph-Sammlung (Ps 50; 73–83), in der der Erinnerung der biblischen Geschichte eine besondere Bedeutung zukommt.1 In Ps 78 nimmt die Darstellung der göttlichen Geschichtstaten den gesamten Hauptteil V 12–72 ein, was die thematische Zuordnung zur Gruppe der Geschichtspsalmen hinreichend begründet. Allerdings dient die Beschreibung nicht dem Lobpreis von Gottes Wundertaten, sondern das Fehlverhalten des Volkes in der biblischen Geschichte ist mahnendes Beispiel für die Unterweisung der jetzigen Generation. Bereits daran zeigt sich, dass Ps 78 kein Psalmengebet im eigentlichen Sinne ist, sondern eine lehrhafte Dichtung darstellt, die weisheitliche Züge trägt. Im Folgenden wird es darum gehen, im Einzelnen herauszuarbeiten, wie sich die Rezeption der erzählenden Überlieferung in Ps 78 vollzieht und welche Funktion der lehrhaften Geschichtsdarstellung im Rahmen der Asaph-Sammlung zukommt. An die einleitende Übersetzung (Kap. 1) und die Textanalyse (Kap. 2) schließt sich deshalb in Kap. 3 zuerst die Analyse der literarischen Vorlagen und ihrer Verarbeitung im Psalm an, wobei zwischen dem ursprünglichen Psalm (Kap. 3.1) und seinen weiteren Ausbaustufen (Kap. 3.2) zu unterscheiden ist. In Kap. 4 kann die Untersuchung dann auf den literarischen Horizont des Psalms als Teil der AsaphSammlung ausgeweitet werden. Hier ist zuerst die kompositionelle Anlage der Sammlung zu betrachten (Kap. 4.1), bevor die Einzelpsalmen einer literarischen Analyse unterzogen werden (Kap. 4.2), um auf diese Weise die redaktionsgeschichtliche Funktion von Ps 78 bestimmen zu können (Kap. 4.3). Ein kurzes Fazit (Kap. 5) schließt diesen Teil der Studie ab.
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Ein Maskil. Von Asaph. Höre, mein Volk, meine Weisung, 1
Vgl. dazu u. Kap. 4 .
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neigt Euer Ohr den Worten meines Mundes! Öffnen will ich meinen Mund zum Spruch, will Rätsel der Vorzeit sprudeln lassen, die wir gehört und verstanden haben, und die unsere Väter uns erzählt haben. Nicht wollen wir (sie) ihren Söhnen verhüllen, sondern (sie) dem künftigen Geschlecht erzählen, die Ruhmestaten Jhwhs und seine Macht, und seine Wunder, die er getan hat. Er stellte ein Zeugnis auf in Jakob, und Tora erließ er in Israel, worüber er unseren Vätern befahl, sie ihren Söhnen kund zu tun. Damit das künftige Geschlecht (sie) verstehe, Söhne, die geboren werden, dass2 sie aufstünden und (sie) ihren Söhnen erzählten. Und ihr Vertrauen auf Gott setzten, nicht vergäßen die Taten Gottes und seine Gebote bewahrten. Dass sie nicht würden wie ihre Väter, ein störrisches und widerspenstiges Geschlecht, ein Geschlecht, dessen Herz nicht beständig war, 3 und dessen Geist nicht treu war gegen Gott. Die Ephraimiten, bewaffnet als Bogenschützen, sie wandten sich um am Tage der Schlacht. Sie hielten nicht den Bund Gottes und weigerten sich, seinem Gesetz zu folgen. Sie vergaßen seine Taten und seine Wunder, die er ihnen gezeigt hatte. Vor ihren Vätern hatte er Wunder vollbracht im Land Ägypten, im Gefilde von Zoan. Er spaltete das Meer und führte sie hindurch, er stellte die Wasser hin wie einen Damm. 4 Er führte sie mit der Wolke am Tag und die ganze Nacht mit dem Licht des Feuers.
2 LXX und Peschitta bezeugen eine Kopula vor יקמו, die vermutlich aufgrund von Haplographie in der masoretischen Texttradition ausgefallen ist. 3 Wenige hebräische Handschriften bieten הביןanstelle von ;הכיןdie Variante ist aufgrund der schlechten quantitativen Bezeugung durch eine Verschreibung von כin בzu erklären. 4 Die LXX (und entsprechend Peschitta und Targumim) liest an dieser Ste lle avsko.n („Wassersack/Weinschlauch“), was aber auf das נדverwandte Lemma נאדführt.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
15 Er spaltete Felsen in der Wüste, und er tränkte (sie) 5 reichlich wie mit Fluten. 16 Er ließ Bäche hervortreten aus Stein und Wasser herabfließen wie Ströme. 17 Sie aber fuhren fort, immer noch mehr gegen ihn zu sündigen, zu trotzen dem Höchsten im Trockenland. 18 Sie versuchten Gott in ihren Herzen, indem sie Speise für sich forderten. 19 Sie redeten gegen Gott. Sie sprachen: Vermag Gott es wohl, einen Tisch zu bereiten in der Wüste? 20 Wohl schlug er einen Felsen, und Wasser flossen und Bäche strömten, aber kann er auch Brot geben oder Fleisch verschaffen seinem Volk? 21 Deshalb erzürnte Jhwh, als er es hörte, und ein Feuer entbrannte gegen Jakob, und Zorn stieg auf gegen Israel. 22 Denn sie glaubten nicht an Gott und vertrauten nicht auf seine Hilfe. 23 Da gebot er den Wolken droben, und die Türen der Himmel öffnete er. 24 Er ließ Manna über sie regnen als Speise, und Himmelskorn gab er ihnen. 25 Engelsbrot aß der Mensch, Vorrat sandte er ihnen zur Sättigung. 26 Den Ostwind lässt er sich erheben in den Himmeln 6 und trieb mit seiner Kraft den Südwind herbei. 27 Er ließ Fleisch wie Staub auf sie regnen, und wie Sand der Meere geflügelte Vögel. 28 Er ließ (sie) fallen inmitten seines Lagers, rings um seine Wohnungen. 7 29 Da aßen sie und wurden sehr satt, und ihr Begehren stillte er ihnen. 5
Das im MT nicht explizit benannte Objekt der göttlichen Handlung wird in den Ve rsionen sekundär nachgetragen. 6 Ein Teil der alten Versionen deutet die auffällige Ortsangabe ‚im Himmel‘ in das geläufigere ‚vom Himmel‘ um. 7 Die Personalsuffixe der 3. Pers. Sg. im MT beziehen sich auf die kollek tive Größe Jakob/Israel. LXX und Peschitta geben diese jeweils durch ein Pronomen 3. Pers. Pl. wieder, vermutlich, um den möglichen Bezug auf Gott als Subjekt des Satzes auszuschließen (vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 418).
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30 Nicht ließen sie ab von ihrer Gier, es war noch Speise in ihrem Mund. 31 Da stieg der Zorn Gottes gegen sie auf, und er tötete unter ihren Kräftigen, und Israels Jünglinge streckte er nieder. 32 In alledem sündigten sie weiter, und sie glaubten nicht an seine Wundertaten. 33 Da ließ er ihre Tage im Nichts enden und ihre Jahre im Schrecken. 34 Wenn er sie tötete, dann fragten sie nach ihm, kehrten um und suchten Gott. 35 Sie dachten daran, dass Gott ihr Fels ist und Gott, der Höchste, ihr Erlöser. 36 Doch sie betrogen ihn mit ihrem Mund, mit ihrer Zunge belogen sie ihn. 37 Ihr Herz war nicht beständig mit ihm, sie waren nicht treu gegen seinen Bund. 38 Er aber ist barmherzig, vergibt Schuld und vernichtet nicht, oftmals ließ er ab von seinem Zorn und weckte nicht seinen ganzen Grimm. 39 Er dachte daran, dass sie Fleisch sind, ein Hauch, der vergeht und nicht zurückkehrt. 40 Wie oft8 waren sie widerspenstig gegen ihn in der Wüste, erzürnten sie ihn in der Öde. 41 Immer wieder versuchten sie Gott, und den Heiligen Israels kränkten sie. 42 Sie gedachten nicht seiner Hand des Tages, da er sie vom Bedränger9 erlöste. 43 Da er in Ägypten seine Zeichen tat und seine Wunder im Gefilde Zoans. 44 Er verwandelte in Blut ihre Flüsse und ihre Bäche, dass sie nicht trinken konnten. 45 Er schickte Ungeziefer unter sie, damit es sie verzehrte, 8 Die syrische Übersetzung bezeugt das Personalpronomen (entsprechend )המהanstelle der Fragepartikel ;כמהda der MT die lectio difficilior bietet und die Variante allein in der Peschitta bezeugt ist, kann ein Abschreibefehler auf Seiten der syrischen Überlief erung vermutet werden. 9 Die LXX (vgl. entsprechend die Peschitta nach Walton) schickt die Bestimmung evk ceiro.j voraus. Gegenüber der kürzeren Textfassung des MT ist in der LXX eine Abstimmung mit der Angabe in Ps 78,61 zu vermuten, wonach die göttliche Herrlichkeit in die Hand des Feindes gegeben wird; denkbar ist aber auch eine intentionale oder versehent liche Angleichung an die erste Vershälfte.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
und Frösche, dass diese sie verdürben. 46 Er gab dem Nager 10 ihren Ertrag preis und ihre Ernte den Heuschrecken. 47 Er zerschlug durch Hagel ihren Weinstock, ihre Maulbeerbäume durch Wasserfluten. 11 48 Er lieferte ihr Vieh dem Hagel 12 aus, ihre Herden den Seuchen. 49 Er schickte gegen sie die Glut seines Zornes, Grimm und Verwünschung und Bedrängnis, eine Sendung böser Boten. 50 Er bahnte seinem Zorn einen Weg. Er bewahrte sie nicht vor dem Tod, ihr Leben liefert er der Pest aus. 51 Er schlug alle Erstgeburt in Ägypten, die Erstlinge der Manneskraft in den Zelten Hams. 52 Aber13 er ließ sein Volk aufbrechen wie Schafe, und er leitete sie wie eine Herde in der Wüste. 53 Er führte sie sicher, so dass sie sich nicht fürchteten, doch ihre Feinde bedeckte das Meer. 54 Er brachte sie zu seinem heiligen Gebiet, zu diesem Berg, den seine Rechte erworben. 55 Er vertrieb vor ihnen Völker 10 Die übrigen Bezeugungen von חסילin 1 Kön 8,37; Jes 33,4; Joel 1,4; 2,25 und 2 Chr 6,28 lassen darauf schließen, dass es sich hierbei um ein mit der Heuschrecke verwandtes Insekt bzw. ein frühes Entwicklungsstadium derselben handelt (vgl. GESENIUS/B UHL, Handwörterbuch, 247, und HALAT, 324). 11 חנמלist hapax legomenon, dessen Bedeutung HALAT, 321, mit ‚verheerende Wasserfluten‘ wiedergibt (zu dieser Ableitung vgl. ausführlich KOEHLER , Etymologien, 39f.). Die LXX übersetzt evn th/| pa, cnh| (‚durch Reif‘) und die Vulgata vergleichbar in pruina (‚durch Frost‘). SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 137, und HOSSFELD, HThK.AT II, 417, orientieren sich in ihrer Übersetzung „durch Frost“ an der Ausdeutung der Vulgata, wäh rend hier der Ableitung des HALAT gefolgt wird (so auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 90 Anm. 251: „Wasserflut“; ähnlich SEYBOLD, HAT I/15, 305: „durch Schauer“). Dieses Verständnis legt sich auch durch die Darstellung der Hagelplage in Ex 9,33f. nahe, in der neben Hagel auch Donner ( )הקלותund Regen ( )מטרgenannt werden. 12 An Stelle von ‚( לברדdurch Hagel‘) in V 48a bieten einige hebräische Handschriften (sowie entsprechend Symmachus) die Variante ‚( לדברdurch Pest‘), die sich nur durch Umstellung der mittleren Konsonanten von der im MT bezeugten Lesart unterscheidet. Während die Variante der Handschriften und des Symmachus als Abschreib efehler erklärt werden können, steht aber auch die Lesart des MT unter Verdacht, eine nachträgliche Angleichung an den vorhergehenden V 47 darzustellen. Da es sich beim MT um die quantitativ und qualitativ besser bezeugte Lesart handelt, wird der Text be ibehalten (so in der Bevorzugung des MT mit GUNKEL, Psalmen, 345f.; vgl. auch SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 137; HOSSFELD, HThK.AT II, 417). 13 Zur Übersetzung vgl. u. Kap. 2.1.
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und verteilte sie als Erbbesitz. Er ließ in ihren Zelten die Stämme Israels wohnen. Aber sie versuchten ihn und waren widerspenstig gegen Gott, den Höchsten, und seine Ordnungen beachteten sie nicht. Sie waren abtrünnig und treulos wie ihre Väter, sie wandten sich ab, wie ein Bogen, der versagt. Sie erzürnten ihn mit ihren Höhen, und mit ihren Götzen reizten sie ihn zur Eifersucht. Gott hörte es und er erzürnte, er verwarf Israel ganz und gar. Er gab seine Wohnung preis in Schilo, das Zelt, in dem er unter den Menschen wohnte.14 Er übergab in Gefangenschaft seine Macht, und seine Herrlichkeit in die Hand des Feindes. 15 Er lieferte sein Volk dem Schwert aus, und gegen sein Erbe erzürnte er. Seine Jünglinge fraß Feuer, und seine jungen Frauen wurden nicht gepriesen. 16 Seine Priester fielen durch das Schwert, aber seine Witwen weinten nicht. 17
56 57 58 59 60 61 62 63 64
14
So mit den Versionen, die gegenüber dem pi cel von שכןim MT (‚er ließ wohnen‘) in breiter Überlieferung (LXX mit Theodotion, Peschitta, Targume) den Grundstamm des Verbums bezeugen. Vermutlich wählten die Masoreten den kausativen Stamm in der Vokalisation bewusst, um die Vorstellung von Gottes direkter Präse nz im Zeltheiligtum zu vermeiden (so in der Bevorzugung der Versionen mit KRAUS, BK XV/2, 702; SEYBOLD, HAT I/15, 307; anders H OSSFELD , HThK.AT II, 418). 15 Die LXX mit Symmachus setzt die Suffixe an עזund תפארתin den Plural und bezieht die Macht damit auf die Menschen aus V 60. Die Peschitta bietet עמוanstelle von עזו, was entweder als aberratio oculi im Blick auf den folgenden V 62 oder als Interpretation der schwierigen Lesart des MT einzuordnen ist. Aber auch gegenüber der LXX Variante bietet der MT mit den auf Gott bezogenen Objekten die lectio difficilior und ist deshalb beizubehalten (so auch HOSSFELD, HThK.AT II, 419; zur Auslegung vgl. im Folgenden Kap. 2 .1). 16 Das ‚Preisen‘ der jungen Frauen im MT ist wohl im Sinne eines Brautliedes zu ver stehen (so T ATE, WBC 20, 283; HOSSFELD, HThK.AT II, 419; vgl. auch HALAT, 239). Dagegen legt die LXX in ihren unterschiedlichen Ausgaben (evpenqh,qhsan bzw. evpe,nqhsan) das Verbum יללhifcil zugrunde und interpretiert den Text dahingehend, dass die im Feuer gestorbenen Jünglinge der ersten Vershälfte von den Frauen nicht betrauert werden; mit der Herstellung des Kausalbezugs zwischen den zwei Vershälften lieg t aber mit dieser Variante die lectio facilior vor. 17 Die Versionen lesen für ‚( תִבִכִינִהsie weinten nicht‘) eine passivische Form, die auf die Vokalisation תִבִכִינִהführt. Diese Variante kann als Angleichung an den vorhergehenden V 63 erklärt werden; dieser gegenüber ist die Lesart des MT als lectio difficilior beizubehalten (so auch HOSSFELD, HThK.AT II, 419).
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
65 Da erwachte wie ein Schlafender der Herr, wie ein Krieger, überkommen vom Wein. 66 Er schlug seine Feinde zurück, ewige Schande bereitete er ihnen. 67 Er verwarf das Zelt Josephs, und den Stamm Ephraims erwählte er nicht. 68 Doch erwählte er den Stamm Juda, den Berg Zion, den er liebt. 69 Er baute den Höhen gleich 18 sein Heiligtum, wie die Erde, 19 die er auf ewig gründete. 70 Er erwählte David, seinen Knecht, er nahm ihn weg von den Hürden der Schafe. 71 Von den Muttertieren nahm er ihn fort, dass er Jakob, sein Volk, 20 weide, und Israel, sein Erbe. 72 Und er weidete sie nach der Lauterkeit seines Herzens, und mit der Klugheit seiner Hände führte er sie.
2 Textanalyse 2 Textanalyse
2.1 Aufbau und Gliederung Eingangs ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es sich bei Ps 78 nicht um ein Gebet im üblichen (formgeschichtlichen) Sinn handelt, son18
Die Variante des MT bereitet Schwierigkeiten, da כמוִרמיםals Ableitung der Wurzel ‚( רוםwie die Hohen‘) ohne Parallele wäre und im Kontext schwer verständlich bleibt. Es ist deshalb der im Apparat vorgeschlagenen Konjektur כמרמיםzu folgen, die das Nomen מרוםzugrunde legt (vgl. auch HALAT, 1122). Diese postulierte Ursprungsvariante wurde im prämasoretischen Text vermutlich fälschlich zu כמו ִרמיםaufgelöst (so auch GUNKEL, Psalmen, 347; KRAUS, BK, 701f.). Das Verständnisproblem setzt sich in der griechischen Überlieferung fort, die den Text auf das Lemma ‚( רִאִםWildstier, Einhorn‘) zurückführt und eine Vokalisation רִמִיםannimmt, so dass aus dem ursprünglich kosmologischen Vergleich der Tiervergleich w`j monokerw,twn (‚wie Einhörner‘) wurde. HOSSFELD, HThK.AT II, 442, sieht darin eine bewusste Anlehnung an Dtn 33,17, wo das Ein horn als Symbol für Josephs Stärke verwendet wird. 19 Viele hebräische Handschriften, LXX und Peschitta bieten eine Variante, die he bräisches בארץanstelle von כארץvoraussetzt. Da der Vers aber auf den kosmologischen Vergleich mit Himmel und Erde zielt und die Variante durch die Ve rtauschung der Konsonanten בund כerklärt werden kann, ist dem MT die Priorität zu geben. 20 Die LXX und wenige hebräische Handschriften ersetzen die Lesart ‚( עמוsein Volk‘) durch die Variante ‚sein Knecht‘ (to.n dou/lon auvtou bzw. )עבדו. Hierbei handelt es sich um eine sekundäre Angleichung an V 70, die den Parallelismus zwischen Volk und Erbe zerstört (vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 419).
2 Textanalyse
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dern dass hier eine weisheitliche Lehrdichtung vorliegt. 21 Das Stück weist eine deutliche Zweiteilung auf: Dem geschichtlichen Hauptteil in V 12–72 ist in V 1–11 eine doppelte Einleitung vorangestellt, die die lehrhafte Deutungsperspektive für die Ereignisse vorgibt. Obwohl es immer wieder Exegeten gibt, die sich für die literarische Einheitlichkeit des Psalms aussprechen, zeigt der Text an einigen Stellen deutliche Spuren literarischer Nacharbeit, denen im folgenden Durchgang durch den Text nachzugehen sein wird.22 In der weisheitlichen Lehreröffnung V 1f. richtet ein anonymer Sprecher das Wort an sein Volk, um diesem Weisung zu erteilen (האזינה ִעמי ִתורתי הטוִאזנכםִלאמריִפי, V 1). Bei der Belehrung handelt es sich nach V 2a um einen weisheitlichen Spruch ()משל, der ‚Rätsel der Vorzeit‘ ()חידות ִמני ִקדם beinhaltet. Diese beschreiben im Folgenden den unerklärlichen und unauflöslichen Gegensatz zwischen den Heilstaten Gottes und dem anhaltenden Ungehorsam der geschichtlichen Väter.23 Die Gattungsbezeichnung als משלzeigt bereits an, dass die geschichtlichen Ereignisse im Hauptteil unter das Vorzeichen eines weisheitlichen Gleichnisses gestellt werden und damit als Parabel für die Gegenwartssituation dienen. Im zweiten Teil der Einleitung V 3–11 wechselt das Subjekt, indem das exemplarische Ich der V 1f.24 von einer Sprechergruppe abgelöst wird. In diesem Abschnitt wird die lehrhafte Absicht des Psalms deutlich, die darauf zielt, Kenntnis von Jhwhs Ruhmestaten und seiner Macht (תהלותִיהוה 21
Vgl. so schon GUNKEL, Psalmen, 340 („Das Ganze hat der Verfasser als eine Lehre aufgefaßt und daher am Eingang 1f die Einführung von W eisheitslied er n nachgeahmt“); zu einem ähnlichen Urteil kommen in neuerer Zeit FÜGLISTER , Rätsel, 267 („ein Stück didaktisch-paränetischer Weisheitsdichtung aufgrund von Reflexionen über die Geschichte“); MILLARD, Komposition, 89 („weisheitlicher Geschichtspsalm“); W EBER , Psalm 78, 194 („Geschichts-Weisung“), oder HOSSFELD, HThK.AT II, 420 („Lehrgedicht“). 22 Als Vertreter der literarischen Einheitlichkeit sind z.B. FÜGLISTER , Rätsel, 270f., und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 60 (beide mit der Ausnahme von V 9; vgl. dazu u. Anm. 30), sowie W EBER , Psalm 78, 197, zu nennen. Ein literarisches Wachstum mit unterschiedlichen redaktionellen Anteilen nehmen dagegen CAMPBELL, Psalm 78, 52; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 133–139; HAAG, Zion, 107f.; SEYBOLD, HAT I/15, 307f.; HOSSFELD, HThK.AT II, 421–425, und W ITTE, History, 22–24, an. 23 Ähnlich auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 140; KRAUS, BK XV/2, 70; T ATE, WBC 20, 295f. 24 Das exemplarische ‚Ich‘ der ersten zwei Verse kommt im weiteren Verlauf des Psalms nicht mehr vor, ist aber am ehesten mit dem Beter des Psalms gleich zu setzen, der dann in der Wir-Gruppe des Psalms aufgeht (vgl. auch FÜGLISTER , Rätsel, 266; HOSSFELD, HThK.AT II, 419). Erwägenswert ist die These von SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 140, derzufolge in 78,1f. die personifizierte Weisheit das Wort ergreife; allerdings gibt es dafür abgesehen vom gebrauchten Weisheitsvokabulars (משל/)חידה keine weiteren Indizien.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
ועזוזוִונפלאותיוִאשרִעשה, V 4b) an die folgenden Generationen weiterzugeben (ויספרוִלבניהם, V 6). Die Unterweisung von den Vätern zu den Söhnen soll verhindern, dass die künftigen Generationen das Fehlverhalten der geschichtlichen Vorväter wiederholen. Diese werden als störrisches und widerspenstiges Geschlecht charakterisiert ( ;)דור ִסורר ִומרהein Geschlecht, dessen Herz nicht beständig und dessen Geist nicht treu war gegen Gott ( דורִלאִהכיןִלבוִ ולאִנאמנהִאת ִאלִרוחו, V 8). Die lehrhafte Unterweisung wird als göttliches Gebot mit der Gesetzesgabe verbunden, die in gut deuteronomistischer Sichtweise die Pflicht zur Weitergabe an die Nachkommen mit sich bringt (vgl. Dtn 4,9; 6,4–9).25 Gerade die deuteronomistische Prägung lässt wenig Zweifel daran, dass es sich bei der Gabe des Gesetzes um das Gesetz vom Sinai/Horeb handelt. 26 Allerdings ist die nähere Beschreibung als ‚Zeugnis‘, das Gott in Jakob aufrichtete bzw. als ‚Tora‘ in Israel erließ (ויקם ִעדות ִביעקב ִותורה ִשם ִבישראל, V 5a), recht allgemein gehalten. Hieraus wird bereits deutlich, dass nicht das geschichtliche Ereignis von Bedeutung ist, sondern das Faktum der Gesetzesübergabe an das Volk bzw. ‚unsere Väter‘ (אבותינו, V 5b). Dementsprechend eröffnet die Gesetzesgabe auch nicht die Aufzählung der göttlichen Heilstaten im Hauptteil, sondern sie bekommt im Proömium des Psalms die Funktion eines Gründungsgeschehens, das außerhalb der geschichtlichen Fiktion steht. Auffällig ist weiterhin, dass das Gesetz an die Väter der Sprechergruppe ergeht, die als ‚Jakob/Israel‘ bezeichnet werden (V 5).27 Der Psalm ist dabei durch eine klare Drei-Generationenfolge gekennzeichnet: Die Sprechergruppe repräsentiert die jetzige Generation, deren Väter nach V 5 das Gesetz erhalten haben. Davon zu unterscheiden ist die Generation der Großväter (Vִ8), die die Ahnen der geschichtlichen Vorzeit repräsentieren und den Psalm hindurch als mahnendes Beispiel dienen. Diese klare Ordnung der Generationen wird durch zwei sekundäre Einträge innerhalb der Einleitung aus dem Gleichgewicht gebracht, die an jeweils entscheidender Stelle eine andere Leseperspektive eintragen. Als erstes sind die V 3–4a zu nennen, die nicht nur durch den unklaren Anschluss mit dem Relativpronomen אשרVerdacht erregen, sondern auch die Inhaltsangabe der Einlei25
In der Form als Belehrung des Sohnes findet sich die Weitergabe aber auch als Mo tiv der Weisheit; vgl. Prov 2,1; 3,1. 26 So auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 140; T ATE, WBC 20, 288; W ITTE, History, 26f.; zur dtr. Prägung siehe auch SÜSSENBACH, Psalter, 307. Anders GUNKEL, Psalmen, 342, nach dem hier nicht von der Gesetzgebung die Rede sei, sondern von der Verpflichtung, die Überlieferung von Jhwhs Taten weiter zu erzählen. 27 Anders W EBER , Psalm 78, 202, der über V 5 (‚er befahl unseren Vätern‘) urteilt: „Damit ist … nicht die Vätergeneration des Psalmisten bzw. der ‚Wir -Gruppe‘, sondern es sind die Bundesväter der Mose-Generation gemeint“. Diese Deutung hat allerdings wenig Anhalt in der Logik des Textes und verkennt die besondere Stellung, die der Gesetzesgabe in Ps 78 zukommt; vgl. dazu auch u. Kap. 3.1.
2 Textanalyse
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tung unterbrechen, in der die Rätsel der Vortage ( חידות ִ מני ִקדם, V 2) in V 4b näher als Jhwhs Ruhmestaten und Macht ( )התלותִיהוהִועזוזוbestimmt werden. Darüber hinaus ist die Einschreibung der Verse dafür verantwortlich, dass ein „heilloses Personenwirrwarr“28 entsteht. Das Wirrwarr beginnt damit, dass die Sprecher in V 3 betonen, ‚unsere Väter‘ ( )אבותינוseien ihrer Unterweisungspflicht nachgekommen – was eine Belehrung der Sprecher impliziert – nur um nachstehend von sich auszusagen, dass sie ‚ihre Söhne‘ (מבניהם, V 4a) d.h. die Söhne der Väter belehren werden (V 4a). Diese Inkongruenz erklärt sich durch die Aufnahme eines Zitates aus Ps 44,2 in 78,3, das durch Anleihen an 78,5 in den Kontext eingefügt wird. Anscheinend hat das Stichwort der Vorzeit ( )קדםin 78,2 Assoziationen an 44,2 geweckt, wo ‚unsere Väter‘ von den Großtaten Jhwhs in den Tagen der Vorzeit erzählen ( )באזנינוִ שמענוִאבותינוִס פרוִלנוִפעלִפעלתִבימיהםִבימיִקדם. Da es auch in Ps 78 um die gelungene Traditionsweitergabe von den Vätern zu den Söhnen geht, wird 44,2 in 78,3 anzitiert, mit der Bekräftigung ‚wir haben verstanden‘ ( )ונדעםerweitert und in 78,4a mit der Versicherung ergänzt, dass auch die Söhne ihrer Unterweisungspflicht nachkommen werden. Dabei hat aber die Rede von ‚ihren Söhnen‘ ( )לבניהםaus dem nachfolgenden Vers 78,5 auf die Formulierung eingewirkt, indem die בנים auch in 78,4a missverständlich zu בניהםsuffigiert worden sind, so dass die gegenwärtige Generation dupliziert wird. Der sekundäre Einschub in 78,3– 4a zielt darauf, die Wir-Gruppe auf die Seite der vorbildlichen Väter zu stellen, die ihrer Belehrungspflicht nachgekommen sind, wobei insbesondere Ps 44 als Paradigma für die gelungene Lehrunterweisung ins Gedächtnis gerufen wird.29 Die zweite Ergänzung umfasst die Verse 9–11, in denen der Vorwurf des Fehlverhaltens auf die Gruppe der Ephraimiten zugespitzt wird. In einer Vorwegnahme des Bildes vom trügerischen Bogen in V 57 (כקשת )רמיהwerden die Ephraimiten als Bogenschützen ( )נושקיִרומיִקשתbeschrieben, die am Tag der Schlacht desertieren (V 9), Gottes Bund und Gesetz nicht beachten (V 10) und seine Taten und Wunder vergessen (V 11). Der sekundäre Charakter von V 9 ist offensichtlich, da im Psalm bisher nur von der Verschuldung der Vätergeneration die Rede war, ohne dass ein spezieller Teil Israels zur Verantwortung gezogen wird. 30 Wird allerdings 28 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 134 Anm. 2. Zur Sekundarität von V 3–4a vgl. ebenso HOSSFELD, HThK.AT II, 421f. 29 Zu den Verbindungen zwischen Ps 44 und den Asaph-Psalmen vgl. den Exkurs am Ende dieses Kapitels. 30 Die Sekundarität von V 9 hat bereits HUPFELD, Psalmen II, 267, erwogen und wird selbst von FÜGLISTER , Rätsel, 270f., angenommen, der sich ansonsten für die literarische Einheitlichkeit des Psalms ausspricht; vgl. ebenso GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 60.
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V 9 aus dem Grundpsalm ausgeschieden, sind auch V 10f. als sekundär einzuordnen, da sich die Aussagen der Verse ohne die vorausgehende Erwähnung der Ephraimiten in V 9 auf die Väter aus V 8 beziehen, so dass mit V 12 (‚vor ihren Vätern‘) eine Großvätergeneration eingeführt würde, die an dieser Stelle des Psalms wenig Sinn macht. 31 Der Einschub V 9–11 insgesamt gibt damit eine sekundäre Leseperspektive vor, indem die im Proömium des Psalms erwähnten Vergehen allein den Ephraimiten angelastet werden, die damit auch zu den Protagonisten der folgenden Unheilsgeschichte werden. Im Grundpsalm folgt mit dem Hauptteil V 12–72 ein geschichtlicher Abriss, der den Schuldnachweis für ganz Israel zum Ziel hat. Die Darstellung lässt sich weiter in sieben Unterabschnitte gliedern (I: V 12–16; II: V 17–31; III: V 32–29; IV: V 40–51; V: V 52–55; VI: V 56–64; VII: V 65–72), die den Stationen des Exodus folgen und von Ägypten bis zur Erwählung Davids im Land reichen. 32 Der erste Abschnitt V 12–16 fasst die Wunder Jhwhs in Ägypten (V 12), die Rettung am Schilfmeer und die anschließende Führung durch Wolke und Feuer (V 13f.) mit dem Wasserwunder in der Wüste (V 15f.) zusammen. Indem sowohl für die Teilung des Meeres wie auch für die Spaltung der Felsen das Verbum בקעverwendet wird (V 13.15), werden die beiden Wasserwunder parallelisiert und mit der Ägyptenzeit zu einer Kette göttlicher Heilstaten verbunden. Die GUNKEL, Psalmen, 343, vertritt die Annahme, dass in V 9 eine „verderbte Stelle leidlich in Ordnung gebracht worden ist“ und postuliert einen ursprünglichen Text בנים ִפרעים ‚( ִ משקריםִכקשתִהפוכהzügellose Söhne, trügerisch wie der Bogen, der versagt …‘); diese Rekonstruktion hat allerdings keinen Anhalt in der Textüberlieferung und muss reine Konjektur bleiben. Mit der hier vertretenen Ausscheidung von V 9 ist ein klares Argument gegen eine Auslegung des Psalms gegeben, die die Sündengeschichte mit den Ephraimiten beginnen lässt (vgl. CAMPBELL, Psalm 78, 53f.; T ATE, WBC 20, 290), oder in diesem Vers eine Fokussierung der Schuldproblematik auf den Stamm Ephraim gegeben sieht (vgl. W EBER , Psalm 78, 203; ähnlich schon D UHM , KHC 14, 299f. und SCHILDENBERGER , Psalm 78 [77], 236.239). Diplomatisch, aber letztlich undeutlich bleibt SÜSSENBACH, Psalter, 307 Anm. 26: „Zwar geht es im vorliegenden Kontext primär um die Ephraimiten (vgl. V.9), das Urteil dürfte aber letztlich für ganz Israel gelten.“ Bei einer Fokussierung auf die Ephraimiten wird gerne auch auf die Nicht-Erwählung des Stammes Ephraims in Ps 78,67 verwiesen; zum Verständnis des Verses vgl. im Folgenden. 31 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 422 (mit Verweis auf HIEKE, Weitergabe, 50); zur Beurteilung von V 9–11 insgesamt als sekundär siehe auch SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 134 Anm. 2; MATHIAS, Geschichtstheologie, 55–57; W ITTE, History, 23. 32 So in der Einteilung des Hauptteils nach geschichtlichen Stationen mit SPIECKER MANN, Heilsgegenwart, 139–150, und H OSSFELD , HThK.AT II, 432–440. Alternativ wird die Wiederaufnahme des Ägyptenthemas in V 40ff. gerne zum Anlass genommen, den Hauptteil in zwei Durchgänge zu gliedern; vgl. z.B. CLIFFORD, Zion, 127–129, und im Anschluss an diesen T ATE, WBC 20, 287f.; W ITTE, History, 22, und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 46–48.
2 Textanalyse
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Reaktion des Volkes spielt dabei noch keine Rolle, sondern kommt erst im nachfolgenden Teil V 17–31 in den Blick. Dieser zweite Abschnitt (V 17–31) thematisiert das Manna- und das Wachtelwunder und setzt in V 17 mit einer Sündennotiz ein, die die Charakterisierung der Väter aus dem Proömium als eines störrischen und widerspenstigen Geschlechtes (דור ִסורר ִומרה, V 8) aufnimmt. Die Aussage, dass die Israeliten fortfuhren, immer noch mehr gegen Jhwh zu sündigen und ihm zu trotzen (ויוסיפוִעודִלחטאִלוִלמרותִעליוןִבציה, V 17), überrascht, da zur Fortsetzung des sündigenden Verhaltens eigentlich ein Anfang gehört.33 Vermutlich spielen hier zwei Aspekte mit hinein. Zum einen verdeutlicht die Aussage, dass es gerade vor dem Hintergrund der göttlichen Heilstaten in V 12–16 keinen ‚Anfang‘ oder ‚Anlass‘ zur Sünde gegeben hat, sondern dass es zum unerklärlichen Wesen der Vätergeneration gehört, sich widerspenstig zu verhalten (מרה, V 8.17). Zum anderen kann aber auch ein Rekurs auf die Vorlage des Wasserwunders in Ex 17,1–7 vermutet werden, wo das Verhalten der Israeliten von Anfang an durch ihr Murren gekennzeichnet ist. 34 Der Autor von Ps 78* verwendet das Motiv der Widerspenstigkeit gezielt erst bei dem Bericht über Manna- und Wachtelwunder, die nicht als göttliche Heilstat dargestellt werden, sondern als Versuchung Gottes durch das Volk veranlasst sind (וינסו ִאל, V 18). In gleicher Weise zeigt auch die Rede der Israeliten in V 19f., dass die Forderung nach Brot und Fleisch keiner existentiellen Notlage entspringt, sondern reine Provokation Gottes ist. In einer Pervertierung des Vertrauensbekenntnisses von Ps 23 stellt das Volk die Frage: ‚Vermag es Gott wohl, einen Tisch zu bereiten in der Wüste?‘ (היוכל ִאל ִלערך ִשלחן במדבר, V 19abb).35 Ein späterer Redaktor hat dieser Aussage in V 19aa noch den Satz וידברו ִבאלהיםvorangestellt, der die Redeeinleitung verdoppelt und die Frage des Volkes als mutwillige Auflehnung gegen Gott ( )באלהיםkennzeichnet.36 Im vorliegenden Textbestand überliefert der Psalm zwei gegensätzliche Reaktionen Jhwhs auf die unbotmäßige Forderung des Volkes: Die Verse 33
Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 142. Vgl. dazu u. Kap. 3.1. 35 Vgl. Ps 23,5: „Du bereitest vor mir einen Tisch …“ ()תערךִלפניִשלחןִנגדִצררי. Mit Gott als Subjekt sind ערךund שלחןnur in Ps 23,5; 78,19 belegt, so dass hier mit Sicherheit eine literarische Abhängigkeit vorliegt; dabei setzt die negative Verkehrung der Ver trauensaussage in Ps 78 die Kenntnis von Ps 23 voraus. Das gemeinsame Bild in Ps 23,5 und Ps 78,19f. sieht auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 142, ohne allerdings literarischer Abhängigkeit anzunehmen, kommt er doch zu dem Urteil: „doch wohl ohne lit erarischen Zusammenhang“. 36 So in der Einordnung von V 19aa mit SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 135; HOSSFELD, HThK.AT II, 422; W ITTE , History, 23. Einen Zusatz vermutet bereits G UNKEL, Psalmen, 344. 34
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21f. berichten von einer Zornesreaktion: Demnach erzürnt Jhwh, als er es hört und lässt Feuerstrafen über Jakob und Israel ergehen (לכן ִשמע ִיהוה ויתעבר ִואשִנשקה ִביעקב ִ וגםִאףִעלהִבישראל, V 21). Durch die Partikel כיeingeleitet folgt in V 22 eine weitere Begründung für das Verhalten der Israeliten, das nun auf fehlenden Gottesglauben und mangelndes Vertrauen auf Gottes Hilfe zurückgeführt wird ( )כיִלא ִ האמינוִבאלהיםִולאִבטחוִבישועתו. Im Gegensatz zu diesem Zornesausbruch berichten V 23–29 davon, dass Jhwh sich seines Volkes erbarmt und sie mit Manna und Wachteln versorgt, so dass sie satt werden (ויאכלוִוישבעוִמאד, V 29). Von diesen zwei Varianten geben sich die Verse 21f. als Nachtrag zu erkennen, die einen ursprünglichen Zusammenhang zwischen Rede und Reaktion in V 19f.; V 23–29 unterbrechen und sekundär die Zornesreaktion Jhwhs eintragen.37 Dagegen ist der Grundpsalm von Jhwhs Nachsichtigkeit gegenüber seinem Volk bestimmt, der ihrer Forderung nachkommt und sie mit Manna (V 23–25) und Wachteln (V 26–29) versorgt. Vergleichbar mit dem ersten Abschnitt werden auch hier die zwei Wunderhandlungen Jhwhs durch Stichwortverbindungen parallelisiert: Zuerst öffnet er die Türen der Himmel, um Manna über sein Volk regnen zu lassen ( מטרhif., V 24), so dass sie satt werden (לשבע, V 25). In gleicher Weise bringt er danach mit Hilfe von Ost- und Südwind Wachteln herbei, die er auf sie niederregnen lässt ( מטרhif., V 27). Die Sättigungsnotiz in V 29 bildet einen vorläufigen Abschluss, indem sie hervorhebt, dass das Volk satt wird und Jhwh den Israeliten das Verlangen stillt ()ויאכלוִוישבעוִמאדִותאותםִיבאִלהם. Im näheren Kontext dieses Abschlussverses hat sich eine Reihe von sekundären Nachträgen angelagert. Relativ einfach lässt sich der vorausgehende Vers 28 vom Grundpsalm abheben, der die Information nachträgt, dass die Wachteln ‚inmitten seines Lagers‘ ( )בקרב ִמחנהוund ‚rings um seine Wohnungen‘ ( ) סביבִלמשכנתיוfallen. Da sich die Suffixe 3. Mask. Sg. nur auf die Erwähnung Jakob/Israels im seinerseits sekundären V 21 beziehen können, besteht kein Zweifel am Nachtragscharakter von V 28. Es ist außerdem zu Recht darauf hingewiesen worden, dass der Vers die Balance von Manna- und Wachtelspeisung aus dem Gleichgewicht bringt, die im Grundpsalm je drei Verse umfassen (vgl. V 23–25; V 26f.29). 38 Ebenso offenkundig ist der sekundäre Charakter des nachfolgenden Abschnittes in 37
Zumindest die Ausscheidung von V 21, der sich auch als Trikolon von seinem Kontext abhebt, ist unter den literarkritisch arbeitenden Exegeten unumstritten. Während SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 135, und HOSSFELD, HThK.AT II, 422, die Ergänzung auf diesen Vers begrenzen, geht W ITTE, History, 23, von einem Nachtrag in V 20f. aus. 38 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 422f., der als weiteres Argument anführt, dass das Metrum von V 28 (3+2) nicht dem im Kontext verwendeten Doppeldreier entspricht. Zur Sekundarität des Verses siehe ebenso SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 136; W ITTE, History, 23f.
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V 30f. V 30 knüpft zwar mit der Aufnahme des Lemmas תאוהan den vorausgehenden Vers an, kehrt dessen Aussage aber ins Gegenteil, indem aus dem gestillten Verlangen der Israeliten eine unstillbare Gier wird. Die maßlose Unersättlichkeit ruft erneut eine strafende Reaktion Jhwhs hervor, dessen Zorn gegen das Volk aufsteigt und der die Kräftigen und die Jünglinge tötet ( ואףִאלהיםִעלהִבהםִויהר גִבמשמניהםִובחוריִישראלִהכריע, V 31). Da die Zornesreaktion im Bild von V 21 beschrieben wird ( )אף ִעלהliegt die Vermutung nahe, dass hier dieselbe Hand am Werk ist und V 21f.; 30f. zu einer durchlaufenden Redaktionsschicht des Psalms gehören. 39 Der nachfolgende dritte Abschnitt V 32–39 bietet keinen Fortgang der Handlung, sondern enthält eine längere theologische Reflexion über das sündhafte Verhalten der Vorväter. Der Abschnitt wird in V 32 mit einer erneuten Sündennotiz eröffnet, die konstatiert, dass die Israeliten in alledem noch mehr sündigten und nicht an die Wunder Gottes glaubten (בכל )זאתִחטאוִעודִולאִהאמינוִבנפלאותיו. Gott reagiert darauf mit erneuter Bestrafung, die als „Minderung der Lebensqualität“ 40 beschrieben werden kann (V 33), was aber nach V 34 nur Euphemismus für die Tötung der Israeliten ist. Die Darstellung in V 32–37 insgesamt schildert einen Kreislauf von wiederkehrender Sünde der Väter, strafendem Handeln Gottes, darauf folgender Hinwendung zu ihm und erneutem Abfall. Der ganze Abschnitt mündet etwas überraschend in eine Gnadenaussage V 38f. ein. In einer Durchbrechung der vorangehenden Narrativreihe bringt ein Nominalsatz am Anfang von V 38 die wesenhafte Barmherzigkeit Gottes zum Ausdruck ()והואִרחום, die im Folgenden durch die Aussagen konkretisiert wird, dass er Schuld vergibt und nicht vernichtet sowie oft von seinem Zorn abließ und seinen Grimm nicht weckte (יכפר ִ עוןִולאִישחיתִוהרבהִלחשיבִאפוִולאִיעיר כל ִחמתו, V 38).41 Der anschließende Vers 39 begründet den Vorrang der Gnade Gottes vor dem Gericht mit der Vergänglichkeit der Menschen, die in den Augen Gottes ‚Fleisch sind, ein Hauch, der vergeht und nicht zurückkehrt‘ ()ויזכרִכיִבשרִהמהִרוחִהולךִולאִישוב. Die V 32–39 gehören zu den Abschnitten des Psalms, deren literarische Integrität bisher nicht hinterfragt worden ist. 42 Dabei erregt der Teil aber in mehrfacher Hinsicht (literarkritischen) Verdacht. So fällt zuerst die Redundanz der Verse auf, die ausführlich um die Sünde der Israeliten kreisen, ohne dass ein Fortschritt in der Handlung erzielt wird. Des Weiteren 39 Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 136, und im Anschluss an diesen HOSSFELD, HThK.AT II, 423. Ähnlich auch W ITTE, History, 23. 40 HOSSFELD, HThK.AT II, 436. 41 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 143, spricht treffend von der „Prärogative der Barmherzigkeit Gottes vor seinem Zorn“. 42 Vgl. dazu die Übersicht bei MATHIAS, Geschichtstheologie, 48f. Als Ausnahme sind B RIGGS/B RIGGS, ICC II, 179, zu nennen, die in V 36f. eine Glosse sehen.
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ist das wiederkehrende göttliche Strafhandeln in V 33f. nur schwer mit dem bisher geschilderten Verhalten Gottes in Einklang zu bringen, der die Sünde der Israeliten im Grundpsalm bis zu dieser Stelle straflos hinnimmt. In stilistischer Hinsicht ist darüber hinaus die unbestimmte Einleitung des Abschnittes mit der Konstruktion בכל ִזאתin V 32 auffällig, da nicht klar ist, auf was sie sich bezieht. Denn sowohl der jetzige literarische Vorkontext in V 30f. als auch der ursprünglicher Anschluss in V 2943 berichten nicht vom Handeln der Israeliten, sondern vom Strafgericht Gottes. Es ist deshalb zu überlegen, ob die Einleitung בכל ִזאתhier zur Einfügung einer sekundären Passage verwendet worden ist, die das Sündenhandeln der Israeliten als wiederkehrendes Muster beschreibt und dem Bild des strafenden Gottes die göttliche Barmherzigkeit entgegen setzt. Der vierte Abschnitt (V 40–51) wird in V 40 mit der rhetorischen Frage eingeleitet, wie oft die Israeliten in der Wüste gegen Gott widerspenstig waren und wie oft sie ihn in der Öde erzürnten (כמהִימרוהוִבמדברִיעציבוהו )בישימון. Dieses Fehlverhalten wird in V 41 näher als Versuchung ()נסה und Kränkung ( )תוהGottes beschrieben und findet in V 42 seine Fortsetzung im Vergessen der Rettungstaten Gottes, der die Israeliten vom Bedränger erlöst hat ()לאִזכרוִאתִידוִיוםִאשרִפדםִמניִצר. Mit dieser Überleitung scheint die Bühne bereitet für die Darstellung der ägyptischen Plagen, die in V 43–51 als eindrückliches Beispiel für das Rettungshandeln Gottes fungieren. Unter den literarkritisch arbeitenden Exegeten ist es allerdings unbestritten, dass mit dem Rekurs auf die ägyptischen Plagen an dieser Stelle des Psalms ein längerer Einschub vorliegt. Der weit verbreiteten Ansicht, dass der Einschub bereits mit der rhetorischen Frage in V 40 eingeleitet wird, 44 kann hier aber nicht gefolgt werden. Zwar bildet V 40 mit der einzigen rhetorischen Frage im Psalm einen markanten Einschnitt, aber dieser kann auch gliedernde Funktion haben. Darüber hinaus nehmen V 40f. das Sündenvokabular von V 8 und V 17f. auf (מרה, V 40; vgl. V 8.17; נוס, V 41; vgl. V 18), was ebenfalls Argument für ihre Zugehörigkeit zum Grundpsalm sein könnte. Die stärkere literarische Zäsur liegt m.E. mit V 43 vor, dessen einleitende Relativpartikel אשרdie syntaktische Anbindung von V 42b kopiert ( )אשרִפדםִמניִצרund mit Hilfe dieser Wiederaufnahme die Plagen sekundär in den Psalm einträgt. 45 Dafür spricht 43
Zur literarkritischen Ausscheidung von V 30f. vgl. im Voranstehenden. Vgl. dazu SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 137f. Anm. 10; HOSSFELD, HThK.AT II, 423, die beide mit einem Einschub in V 40–51 rechnen. Aber auch die Vertreter der literarischen Einheitlichkeit sehen in diesem Vers einen wichtigen Neueinsatz (vgl. z.B. CLIFFORD, Zion, 128f.; FÜGLISTER , Rätsel, 272; ebenso MATHIAS, Geschichtstheologie, 77). 45 Ähnlich beobachtet auch SEYBOLD, HAT I/15, 311, einen literarischen Bruch in V 43, „dessen einleitendes ( אשרvgl. V 3) in der Luft hängt.“ Allerdings zieht er daraus den Schluss, dass eine spätere Bearbeitung V 5–11 und V 43–51 vertauscht habe (vgl. 44
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schließlich auch die Inkongruenz der Suffixe 3. Mask. Pl. in V 43–51, die zwar eindeutig auf die Ägypter zu beziehen sind, in der Logik des Textes aber nur schlecht an die singularische Form von ‚( צרFeind‘) in V 42 anschließen. In der Einfügung der Plagen (V 43–51) in den Psalm ist eine Redaktion am Werk, die den Tag der Notrettung in V 42 mit der Befreiung Israels durch die Plagen gegen Ägypten gleichsetzt. In der Darstellung der Ereignisse können acht der zehn ägyptischen Plagen aus Ex 7–12 identifiziert werden, wobei die Stechmücken- und die Finsternisplage keine Erwähnung finden; dies wird im Weiteren noch genauer zu betrachten sein. 46 Aus dem Rahmen des Plagenberichtes fallen die Verse 78,49–50aa, deren Schilderungen von Jhwhs Zornesgericht gegen die Ägypter (ישלחִבםִחרוןִאפו, V 49aa) keine Parallele in dem Bericht der Exoduserzählung haben. Dazu kommt die Beobachtung, dass V 49 und 50 abweichend vom Metrum ihres Kontextes jeweils aus einem Trikolon aufgebaut sind, von denen aber nach der literarkritischen Herauslösung von V 49–50aa nur noch ein Bikolon in V 50abb verbleibt. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass V 49–50aa vor der abschließenden Tötung der Erstgeburt V 51 einen Zusatz im Zusatz darstellen, der die Plagen als Ausdruck des göttlichen Zornesgerichts konkretisieren soll.47 Wie der göttliche Zorn die Israeliten getroffen hat (vgl. V 21.31), so wird auch das Gericht über die Ägypter als Ausdruck des göttlichen Zornes dargestellt. Während die Plagen im vorliegenden Text ein retardierendes Element darstellen, bietet der ursprüngliche Anschluss von V 42 an V 52 eine glatte Überleitung zum fünften Abschnitt V 52–55, der von der Führung des Volkes in das Land berichtet. Mit dem Bild der Herde wird ausgeführt, dass Gott sein Volk wie Schafe aufbrechen lässt und sie wie eine Herde in der Wüste leitet ( ויסעִכצאןִעמוִוינה גםִכעדר ִבמדבר, V 52). Aus diesem Rahmen fällt der folgende Vers 53, der die sichere Führung des Volkes mit dem Geschick der Feinde kontrastiert, die in einem Rekurs auf das Meerlied Ex 15,8 vom Meer bedeckt werden (וינחםִלבטהִולאִפחדוִואתִאויביהםִכסה SEYBOLD, a.a.O., 308.311; zuvor schon SCHREINER , Geschichte, 312f., der V 44–51 an den Anfang des Psalms nach V 12 versetzen will). Zur Begrenzung des nachträglichen Plageneinschubs auf V 43–51 vgl. auch W ITTE, History, 23f. 46 Vgl. dazu u. Kap. 3.2. Anders MATHIAS, Geschichtstheologie, 89; HOSSFELD, HThK.AT II, 437, und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 81, die nur sieben der zehn Plagen aus Ex 7–12 berücksichtigt sehen; vgl. dazu auch u. Anm. 179. 47 Mit geringfügig anderer Abgrenzung DUHM , KHC 14, 304 (Einschub in V 49f.); SEYBOLD, HAT I/15, 311 (V 49ab.50b als „sekundäre Wucherung“), und SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 137f. Anm. 10 (Zusatz in V 49b.50aa). H OSSFELD , HThK.AT II, 423f., notiert ebenfalls die auffälligen Trikola und grenzt den Nachtrag in einem missverständlichen Bezug auf die Position von SPIECKERMANN auf V 49b und V 50a ein (vgl. ebd.). Dagegen zählt LEE, Context, 84, die Verse 78,49f. zum Grundbestand der Plagenreihe.
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)הים. Die Aussage will den Aufbruch des Volkes in V 52 als den Aufbruch aus Ägypten verstanden wissen und ist damit als späterer Nachtrag einzuordnen, der die Einfügung der ägyptischen Plagen in V 43–51* voraussetzt und die Streckenführung an den Umweg über die ägyptischen Plagen anpasst; dieser macht einen erneuten Aufbruch aus Ägypten notwendig. Der Eisodus des Volkes findet sein Ziel mit der Ankunft am Zion als des Berges, den Gottes Rechte erworben hat (הרִזהִקנתהִימינו, V 54). Er geht einher mit der Vertreibung der Völker, deren Habe als Erbbesitz (נחלה, V 55a) an das nicht explizit genannte Volk Jhwhs fällt (V 55a). Dabei erweist sich das überschießende Kolon in V 55b als sekundäre Erweiterung, die die Aussage von V 55a konkretisiert und vor der Sündennotiz in V 56 klar stellt, dass sich die Übereignung des Landes auf die Stämme Israels (שבטי ישראל, V 55b) bezieht.48 Dass der Einzug in das Land als Vollendung des Exodus verstanden wird, zeigt insbesondere eine Reihe von Anspielungen an das Meerlied Ex 15,1–21, durch die der dortige Geschichtsbogen vom Auszug aus Ägypten bis zur Ankunft am Zion als bekannt vorausgesetzt wird.49 Mit der Ankunft am Heiligtum beginnt im sechsten Abschnitt des Hauptteils V 56–64 das letzte Kapitel der Sündengeschichte Israels. Ohne ersichtlichen Grund reagiert das Volk auf die heilvolle Verbringung in das Land mit erneutem Abfall. Die Israeliten versuchen Gott, sind widerspenstig gegen ihn und missachten seine Ordnungen (וינסו ִוימרו ִאת ִאלהים ִעליון ועדותיוִלא ִשמרו, V 56). Der folgende V 57 stellt das Verhalten der Israeliten im Land in Kontinuität zur Verhaltensweise ihrer Väter dar, indem von ihnen gesagt wird, dass sie wie diese abtrünnig und treulos geworden sind und wie der schlaffe Bogen versagt haben (ויסגו ִויבגדו ִכאבותם ִנהפכו ִכקשת רמיה, V 57). In diesem Vers muss allerdings auffallen, dass eine Differenzierung der Väter der Vorzeit in Exodus- und Landnahmegeneration vorgenommen wird, die im bisherigen Grundpsalm nicht vorbereitet ist. Hinzu kommt die Beobachtung, dass in V 57 ein vom restlichen Psalm abweichendes Sündenvokabular gebraucht wird. Während V 56 mit den Termini נסהpi. und מרהhif. die Sünde in Kontinuität zu den vorherigen Sündenaussagen V 8 ( מרהhif.) und V 17f. ( מרהhif., V 17; נסהpi., V 18) beschreibt, werden in V 57 mit סוגni. und בגדneue Begriffe für das Fehlverhalten eingeführt. Diese Beobachtungen sprechen dafür, in V 57 einen erläuternden Zusatz zu sehen, der den sekundären Tötungsaussagen in V 31; 48
Vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 424; zur Sekundarität von V 55b siehe ebenso SPIEHeilsgegenwart, 138 Anm. 11. 49 Vgl. dazu u. Kap. 3.1. Die deutlichen Anklänge an das Meerlied Ex 15 sprechen auch dafür, dass es sich bei dem Berg in Ps 78,54 um den Zion handelt; so mit der Mehr heit der Ausleger gegen CLIFFORD, Psalm 78, 135, und im Anschluss an diesen T ATE, WBC 20, 293, die den Berg mit dem Gebirge des Schilo-Heiligtums identifizieren. CKERMANN ,
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34 Rechnung trägt und in V 57 erklärend darauf hinweist, dass es sich im Land um die zweite Vätergeneration handelt. 50 Der Grundpsalm mag diese Differenzierung voraussetzen, sie wird aber in der Generationenzuordnung des Proömiums nicht ausdrücklich vorbereitet. Die Sünde der Väter kulminiert nach V 58 im Höhen- und Götzenkult, durch deren Vollzug das Volk Gott erbittert ( כעסhif.) und ihn zur Eifersucht reizt ( קנאhif.). Mit V 59 und V 60–64 ist eine doppelte Reaktion Gottes auf dieses Fehlverhalten überliefert, mit der er aber jeweils eine andere Konsequenz aus den Sünden des Volkes zieht. Nach V 59 hört Gott ( )שמעִאלהיםund verwirft Israel daraufhin ganz und gar ()וימאסִמאדִבישראל. Die etwas „ungeschickte Einleitung“, 51 die Gott auf Hörensagen hin handeln lässt, begegnet bereits im sekundären V 21, der sich mit V 59 auch darin terminologisch berührt, dass die Handlungen des Volkes Gott erzürnen ( עברhitp.). V 59 kann deshalb der in V 21 und auch in V 30f. tätigen Redaktion zugeordnet werden, die an ausgesuchten Stationen des Geschichtsabrisses die Zornesreaktion Gottes einträgt. In V 59 liegt dabei zugleich die theologische Spitzenaussage der Redaktion vor, da hier eine Deutungsperspektive vorgegeben wird, die die Verwerfung ganz Israels als Folge der vorausgehenden Sünden darstellt. Dagegen zeichnet der ursprüngliche Psalm ein differenzierteres Bild der Konsequenzen. So gibt Gott nach V 60 zunächst seine Wohnung in Schilo preis, die näher bestimmt wird als das ‚Zelt, in dem er unter den Menschen wohnte‘ ()ויטשִמשכן ִשלו אהלִשכןִבאדם. Schilo ist nach der biblischen Überlieferung der Ort des Nordreichheiligtums, an dem die Israeliten nach Jos 18,1 das Zelt der Begegnung aufrichteten und die Lade aufbewahrt wurde (1 Sam 3,3).52 Seine Preisgabe ( )נטשverweist dabei auf den literarischen Hintergrund der Philisterkämpfe, in denen die Lade an die Philister fällt (1 Sam 4–6) und Schilo zumindest den Status als Heiligtum verliert, da die Lade nach ihrer Rückgabe nun in Kirjat-Jearim verwahrt wird (1 Sam 7,1).53 Die nähere Qualifizierung des Heiligtums als Wohnstätte Gottes ‚unter den Menschen‘ zeigt an, dass Schilo im Psalm auch als Chiffre für eine Heiligtumskonzeption verwendet wird, die die direkte Anwesenheit 50
Einzig HAAG, Zion, 108, scheidet V 57 mit dem Argument aus, es handele sich hier um einen literakritischen Rückverweis auf das aufrührerische Geschlecht von V 8. Aller dings bestehen die stärkeren sprachlichen Verbindungen – wie oben aufgezeigt – zwischen V 8 und V 56. 51 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 138 Anm. 12; zum Zusatzcharakter des Verses siehe ebenso HOSSFELD, HThK.AT II, 424. 52 Vgl. aber zu 1 Sam 3,3 P ORZIG, Lade, 127f., der überzeugend darlegt, dass es sich bei der Verbindung von Schilo und Lade um eine sekundäre literarhistorische Entwicklung handelt. 53 Eine Zerstörung Schilos wird in der Ladeerzählung 1 Sam 4–6 nicht ausdrücklich berichtet, in der Tempelrede Jer 7 aber vorausgesetzt; vgl. dazu u. Kap. 3.1.
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Gottes unter den Israeliten vorsieht. Diese hat sich angesichts der Verfehlungen des Volkes als nicht tragfähig erwiesen. 54 Die Auswirkungen dieses Entzugs der göttlicher Präsenz zeigen konkret die Verse 61–64 auf: Nach V 61 übereignet Gott zuerst seine Macht und seine Herrlichkeit in die Hand des Feindes ()ויתןִלשביִעזוִותפארתוִבידִצר. Gegen das Volk, das im Parallelismus als ‚sein Erbe‘ ( )נחלתוbezeichnet wird, erzürnt er ( עברhitp.) und liefert es dem Schwert aus (V 62). Die V 63f. beschreiben ausdrücklich die verheerenden Auswirkungen des göttlichen Strafhandelns auf einzelne Volksgruppierungen wie die Jünglinge und die jungen Frauen (V 63) sowie Priester und deren Witwen (V 64). Während die Nennung Schilos in V 60 eindeutig auf den Hintergrund 1 Sam 4–6 verweist, ist bei den Versen 61–64 umstritten, welches biblische Ereignis sie vor Augen haben. Als Alternativen werden die Philisterkämpfe oder die Exilierung von Nord- bzw. Südreich genannt. 55 Die Frage entscheidet sich m.E. am Verständnis von Vers 61, dem zufolge Gott seine Macht ( )עזוund seine Herrlichkeit ( )תפארתוin Gefangenschaft übergibt. Gegen die von SPIECKERMANN aufgestellte These, dass hier vom Volk die Rede sei, 56 hat HOSSFELD überzeugend eingewendet, dass die Straf- und Zornesreaktionen Gottes gegen sein Volk erst in V 62 beginnen, wo das Volk als Objekt auch explizit mit der Bezeichnung עמוeingeführt wird. 57 Da Gott das Subjekt des Satzes ist, können עזund תפארתauch nur schwer direkt auf ihn bezogen werden (vgl. z.B. Ps 89,18), 58 so dass eine Identifizierung mit der in den Philisterkriegen verlorenen Lade als Ort der Gottespräsenz am wahrscheinlichsten bleibt. Für diese Lösung spricht nicht nur der vorherige Bezug auf 1 Sam 4–6, sondern auch Ps 132,8 (= 2 Chr 6,41), wo die Lade als ‚Lade deiner Macht‘ ( )ארוך ִעזךbezeichnet wird. 59 Die Lade als explizit genannter Kultgegenstand spielt dabei in Ps 78 keine tragende Rolle mehr, sondern sie geht ganz in ihrer Funktion als Ort der 54 Vielleicht zu weit geht SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 146, der in der Preisgabe V 60 den „Widerruf der göttlichen Präsenz schlechthin, nicht primär unter dem Volk“ sieht. Die deutliche Referenz auf Schilo und das in V 67ff. nachfolgend geschilderte Erwählungshandeln sprechen m.E. doch für eine deutliche Israel-Orientierung des Psalms. 55 Die Verbindung zu den Philisterkriegen stellt vor allem die ältere Forschung her (vgl. exemplarisch DUHM, KHC 14, 306f.; aber auch CAMPBELL, Ps 78, 58.60–62; CLIFFORD, Zion, 136; FÜGLISTER , Rätsel, 272; T ATE , WBC 20, 294). Von der Exilierung des ganzen Volkes geht SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 146f., aus, während HOSSFELD, HThK.AT II, 426f.439, nur den Untergang des Nordreichs im Blick sieht. 56 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 147. 57 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 439. 58 So mit HOSSFELD, HThK.AT II, 438. 59 Zum Bezug auf die Lade in V 61 vgl. GUNKEL, Psalmen, 346; CAMPBELL, Psalm 78, 58; FÜGLISTER , Rätsel, 272; T ATE, WBC 20, 294; SEYBOLD, HAT I/15, 312; HOSSFELD, HThK.AT II, 439; erwägungsweise auch P ORZIG, Lade, 128.
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Gottespräsenz auf. So kann V 61 denn auch als Selbsterniedrigung Gottes gedeutet werden, der mit der Preisgabe seiner Wohnung in Schilo und der Übergabe seiner Lade in Kauf nimmt, dass sein Ruf und sein Wesen negativ tangiert werden. Wird in V 61 eine Anspielung auf den Verlust der Lade gesehen, können die nachfolgenden Schilderungen der Strafhandlungen in V 62–64 nur auf die Situation der Philisterkriege bezogen werden. 60 Es muss allerdings auffallen, dass die Schilderungen der Strafaktionen recht stereotyp gehalten sind und gängigen Klagetopoi entsprechen. 61 Deshalb liegt der Schluss nahe, dass die Philistergefahr in Ps 78 als Chiffre für eine Notsituation des Volkes verwendet wird, die transparent wird für die historischen Erfahrungen von Exil und Diaspora. 62 Nach der Beschreibung des göttlichen Zornesgerichtes setzt der siebte und letzte Unterabschnitt V 65–72 überraschend mit der Aussage ein, dass der Herr ‚wie ein Schlafender‘ erwacht sei, ‚wie ein Krieger, überkommen vom Wein‘ (ויק ץ ִכישן ִאדני ִכגבור ִמתרונן ִמיין, V 65). Die Metaphorik, die Gottes Eingreifen mit dem Aufwachen aus einem Schlafes- oder Rauschzustand vergleicht, sollte nicht überbewertet werden im Hinblick auf die Zurechnungsfähigkeit Gottes für das zuvor ergangene Gericht.63 Auch wenn hier mit dem Motiv des schlafenden Gottes gespielt wird, 64 liegt der Vergleichspunkt deutlich auf dem plötzlichen Eingreifen Gottes, das einen Wendepunkt im bisherigen Ereignisverlauf darstellt: Gott erhebt sich, um zugunsten seines Volkes einzugreifen.65 Dies bekommen zuerst die in 60 So gegen die Exegeten, die zwar in V 61 eine Anspielung an die Lade sehen, V 62 – 62 dann aber auf das Exil beziehen (vgl. z.B. HOSSFELD, HThK.AT II, 438). 61 So urteilt bereits GUNKEL, Psalmen, 346, über V 63f.: „Solche Aufzählungen stammen aus Klage- und Leichenliedern vgl. Threni 1,4–6.18f.; 2,9–11.10f.; 5,11–14.“ Ähnlich bezeichnet auch HOSSFELD, HThK.AT II, 439, die Gerichtshandlungen Gottes in Ps 78,62–64 als „schematisch-allgemein“, während W ITTE, History, 34, der Schilderung in V 61–64 aufgrund der offenen Wortwahl („The wording in vv. 1–64 ist left openended“) eine gewisse Übertragbarkeit auf spätere Generationen bescheinigt. 62 Die Philister erhielten aus historischer Perspektive erst in der Assyrerzeit ihre im Alten Testament suggerierte Bedeutung als exemplarische Feindmacht der vorstaatlichen Zeit; vgl. dazu insgesamt FINKELSTEIN, Philistines, und NIEMANN, Nachbarn, sowie KRATZ, Komposition, 187f.; P ORZIG, Lade, 157f. 63 Etwas zu stark vielleicht bei SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 147, der über V 65 urteilt: „Im Blick auf den vorhergehenden Abschnitt wird damit die allenfalls im Bild erträgliche Grenzaussage gemacht, daß die Realisierung von Gottes Zorn am ganzen eigenen Volk nur als Tat im destruktiven Rausch, gleichsam im Zustand verminderter Schuldfähigkeit verständlich ist.“ Vgl. im Anschluss an diesen auch HOSSFELD, HThK.AT II, 439. 64 Vgl. dazu u. Kap. 3.1. 65 Ein ähnliches Verständnis zeigt auch T ATE, WBC 20. 294: „This should not be interpreted to mean that the speaker believed that Yahweh was really asleep […]. Instead, God’s wakening is a vivid metaphor for what the speaker understands as the end of a period of divine inactivity in Israel’s life.“
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
V 66 namenlosen Feinde ( )צריוzu spüren, denen Gott ewige Schande zuteil werden lässt. Die allgemeine Bezeichnung der Feinde mit dem Terminus צר, der im Psalter für die Widersacher der Gottesfürchtigen reserviert ist,66 verstärkt die vorangehende Darstellung der Philister als Chiffre für die Feindbedrohung. Das Eingreifen Gottes zieht aber auch Konsequenzen für das eigene Volk nach sich, wobei hier zum ersten Mal im Psalm eine Differenzierung der Volksgröße vorgenommen wird. Die Reaktion Gottes besteht in einer Verwerfung, die mit zwei Erwählungstaten kontrastiert wird. Während er das Zelt Josephs verwirft und den Stamm Ephraims nicht erwählt (וימאסִבאהלִיוסףִובשבטִאפריםִלאִבחר, V 67), richtet sich sein positives Erwählungshandeln auf die Trias ‚Stamm Juda‘ (V 68a) – ‚Berg Zion‘ (V 68b) – ‚Knecht David‘ (V 70). Die hier vorgenommene Verwerfung einer Teilgröße Israels, die in der vorausgehenden Sündengeschichte des Gesamtvolkes nicht vorbereitet ist, hat zu einer Reihe von Spekulationen geführt. Neben der von der Ursprünglichkeit der V 9–11 ausgehenden These, dass die Sündengeschichte des Volkes von Anfang an die Sünde der (Nord-)Ephraimiten ist, wird die Verwerfung der Nordreichstämme auch als Kehrseite des nachfolgenden positiven Erwählungshandeln Gottes an Juda gesehen.67 Gegen die erste Position spricht die hier vorgenommene literarkritische Ausscheidung von V 9–11, aber auch die These einer heilsgeschichtlichen Abfolge sollte im Hinblick auf die Verwerfungsaussage von V 67 noch stärker profiliert werden. Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Fiktion des Psalms liegt es nahe, in der Verwerfung der Nordreichstämme im Gegenüber zur Erwählung des Stammes Juda eine Anspielung auf Saul und David zu sehen, die in der literarhistorischen Entwicklung zu Chiffren für Nord- und Südreich geworden sind. 68 Die Verwerfung Ephraims und Josephs ist damit keine Konsequenz aus der Sündengeschichte Gesamtisraels, sondern sie hat Anhalt an der biblischen Geschichte, in der Saul als Protagonist des Nordreichs von Gott verworfen wird (מאס, 1 Sam 15,23.26; 16,1.7). Der Verwerfung der Nordreichstämme kontrastiert im Psalm zuerst die Erwählung des Stammes Juda, mit dem zusammen der Berg Zion erwählt 66
Vgl. RINGGREN, Art. צַר, 1123f. Zum Sündenprimat Ephraims im Hintergrund der Verwerfungsaussage von V 67 vgl. W EBER , Psalm 78, 207. Die Mehrheit der Exegeten argumentiert mit einer irgendwie gearteten heilsgeschichtlichen Abfolge von Schilo/Ephraim/Joseph und Juda/Zion/David, ohne allerdings die Verwerfungsaussage V 67 in aller Konsequenz auszuwerten; vgl. DUHM, KHC 14, 347; CLIFFORD, Zion, 137; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 148; T ATE, WBC 20, 294f.; HOSSFELD, HThK.AT II, 440. 68 Vgl. dazu KRATZ, Komposition, 187f. Auf dem Weg zu dieser Auslegung ist auch CLIFFORD, Zion, 136: „ God chooses Zion and David, and rejects Joseph and Ephraim, i n language reminiscent of 1 Sam 15:26–28 and 16:1–13. There, God rejects (mā cas) Saul, a man of Non-Judahite origins, and chooses (bā ar) David in order to start anew.“ 67
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wird, ‚den Gott liebt‘ (ויבח ר ִאת ִשבט ִיהודה ִאת ִהר ִציון ִאשר ִאהב, V 68), und auf dem er sein Heiligtum errichtet hat. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass ihm kosmische Qualitäten zukommenִ (ויבן ִכמו ִרמים ִמקדשו ִכארץ ִיסדה לעולם, V 69), so dass es eine Verbindung zwischen Himmel und Erde darstellt.69 Vor dem Hintergrund der Preisgabe des Schilo-Heiligtums in V 60 wird deutlich, dass die Erwählung des Stammes Juda auf die Wahl eines neuen Heiligtums hinausläuft, das für Gott eine Herzensangelegenheit ist und das mit einer neuen Präsenzvorstellung einhergeht. An die Stelle des Wohnens ‚unter den Menschen‘ (שכןִבאדם, V 60) ist ein entrücktes Heiligtum getreten, das in Anspielung auf den kanaanäischen Mythos auf dem Gottesberg Zion liegt und zwischen Himmel und Erde vermittelt (V 69). In der Logik des Psalms ist die veränderte Heiligtumskonzeption die angemessene Antwort auf das sündigende Verhalten des Volkes, die Gott in seiner ersten Reaktion schuldig geblieben ist. Hinter der Entrückung der göttlichen Präsenz steht vermutlich die Vorstellung, dass Gott auf diese Weise vom Fehlverhalten des Volkes nicht mehr tangiert werden kann. Der Psalm läuft auf die Erwählung Davids in V 70 zu ( )ויבחר ִ בדודִעבדו, die in gleicher Weise eine Neuordnung der Rahmenbedingungen mit sich bringt, da die Führung des Volkes von Gott selbst auf seinen Knecht übergeht. Dies illustriert die Hirtenterminologie, die in der Wüstenzeit für Gott selbst verwendet wird ( ויסע ִכצאן ִעמו ִוינהגם ִכעדר ִבמדבר, V 52) und mit der Erwählung Davids dessen Fürsorge für das Volk beschreibt (לרעות ִביעקב עמוִובישראלִנחלתו, V 71). David wird mit dem Auftrag zur Weidung Jakob/ Israels als Hirte für die Volksgröße eingesetzt, die bereits am Anfang des Psalms für das Gesamtvolk steht (vgl. V 5) und damit das Gottesgericht überdauert hat. Als letzter sekundärer Einschub kann schließlich das Kolon in V 71aa identifiziert werden, das die Aussage zur Einsetzung Davids in das Hirtenamt aus V 70b variiert und den Vers abweichend vom Metrum des Kontexts zum Trikolon ausbaut.70 Den Grundpsalm schließt in V 72 ein Rekurs auf das Proömium ab, indem David als vollkommener weisheitlicher Herrscher gezeichnet wird, der das ihm anvertraute Volk in Lauterkeit des Herzens und mit Klugheit der Hände führen wird (וירעםִכתם )לבבוִובתבונותִכפיוִינחם. 2.2 Zum literarischen Wachstum Der vorausgehende Überblick über Aufbau und Gliederung von Ps 78 hat gezeigt, dass der Psalm in seiner jetzigen Gestalt das Produkt eines länge69
Vgl. T ATE, WBC 20, 283: „ […] the temple relates to heaven and to earth and has the glory and enduring qualities of both“. 70 So mit SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 139 Anm. 13. Ähnlich auch HOSSFELD, HThK.AT II, 425, der allerdings in V 71a insgesamt eine Glosse sieht.
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ren literarischen Wachstumsprozesses ist. Dieser soll im Folgenden nachgezeichnet werden, wobei das besondere Augenmerk auf der Frage liegt, an welchen Stellen sich übergreifende Bearbeitungen des Gesamtpsalms nachweisen lassen. Mit dem Grundpsalm 78* liegt in 78,1f.4b–8.12–18.19abb–20.23– 27.29.40–42.52.54–55a.56.58.60–70.71abb–72 eine weisheitlich geprägte Lehrdichtung vor, die nach den Angaben des Proömiums in V 1–8* der Unterweisung der kommenden Generationen dient. ‚Unterweisungsmaterial‘ ist das abschreckende Beispiel der (Vor-)Väter, die von Anfang an als ein störrisches und widerspenstiges Geschlecht gezeichnet werden (V 8), das sich den Heilstaten seines Gottes verschließt. So schildert denn auch der Geschichtsabriss des Hauptteils V 12–72* die Geschichte Gottes mit den Vätern als die Geschichte eines fortwährenden Abfalls, der sich von der Wüste bis in das Land erstreckt. Von den sieben Unterabschnitten, in die der Hauptteil in seiner Endgestalt gegliedert werden kann, verbleiben nach der literarkritische Analyse fünf Abschnitte für den Grundbestand des Psalms (Exodus: V 12–16; Wüste: V 17–29*; Landnahme: V 40–55a*; im Land: V 56–64*; David: 65–72*). Während der dritte Abschnitt des Endpsalms (V 32–39) insgesamt als sekundär eingeordnet werden konnte, gehen der vierte und fünfte Abschnitt ursprünglich auf eine Station in V 40–55a* zurück, die den Weg von der Wüste bis ins Land beschreibt und erst sekundär durch die Einfügung der Plagenreihe zu zwei getrennten Abschnitten V 40–51.52–55 erweitert wurde. Der Hauptteil des Geschichtspsalms ist durch eine klare Kompositionsstruktur gekennzeichnet. Während Gott mit den Wasserwundern beim Exodus und in der Wüste sozusagen ‚in Vorleistung‘ tritt (V 12–16), zeigt sich in den nächsten drei geschichtlichen Stationen (V 17–29*.40–55a*. 56–64*) ein wiederkehrendes Muster: Jeder Abschnitt beginnt mit einer Aussage darüber, dass die Väter sich ihrem Gott widersetzen (מרה, V 17.40.56; vgl. V 8) und ihn versuchen (נסה, V 18.41.56). Dieses Verhalten erscheint umso unergründlicher, als der Wisersetzlichkeit jeweils ein göttlicher Gnadenakt vorausgeht, der den vorhergehenden Abschnitt beschließt: In V 16 wird das Volk durch Gott mit Wasser versorgt und versündigt sich dann gegen ihn im Trockenland (בציה, V 17). In gleicher Weise beschließt in V 29 die Sättigungsnotiz die Speisungswunder, aber bereits in V 40 folgt die zusammenfassende Aussage, dass das Volk in der Wüste immer wieder ( )כמהgegen Gott fehlte. Schließlich erfolgt die Sünde im Land (V 56) vor dem Hintergrund, dass Gott dem Volk zuvor den Besitz der Völker als Erbbesitz überlassen hat (V 55a). Gott antwortet auf das sündhafte Verhalten des Volkes zuerst mit unbeirrbarer Gnade: Trotz des mehrfachen und andauernden Fehlverhaltens des Volkes im Trockenland gebietet er den Wolken (ויצו ִשחקים ִממעל,
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V 23), um das Volk mit Manna und Vögeln zu speisen. Ebenso lässt er das Volk aus der Wüste aufbrechen (ויסע, V 52), um sie ins Land zu führen, obwohl sie ihn während der Wüstenwanderung mit ihrem Verhalten immer wieder aufs Neue erzürnt haben (V 40f.).ִ Dies ändert sich erst mit der Sünde des Volkes im Land. Neben die Versuchung Gottes und die Widerspenstigkeit treten die Missachtung der göttlichen Ordnungen (ועדותיו ִלא שמרו, V 56) sowie die Sünde des Höhen- und Götzenkultes (V 58), als deren Folge die Israeliten die längst überfällige Strafe ereilt. Gott greift zu einer Reihe von Gerichtsmaßnahmen, die im geschichtlichen Ablauf des Psalms in der Zeit von Saul und der Philisterbedrohung verortet werden. Allerdings ist das Gericht nicht das letzte Wort im Psalm, sondern Gott greift im letzten Abschnitt des Grundpsalms V 65–72* zugunsten seines Volkes ein. Die Metaphorik, mit der das Eingreifen als Erwachen beschrieben wird, spielt unverkennbar an die vermutlich exilische Anklage Gottes an, der als Schlafender für die Notlage seines Volkes verantwortlich gemacht wird (vgl. prägnant Ps 44,24).71 Der Autor von Ps 78* geht aber in zwei Hinsichten über diese Konzeption hinaus. Zuerst erbringt er in einer langen Rekapitulation den Nachweis, dass das ganze Volk von Grund auf sündig ist und die göttliche Strafe deshalb nicht nur angemessen, sondern auch längst überfällig ist. Hier klingt die nachexilische Einsicht an, dass die Ereignisse des Exils nur als gerechte Strafe für die Vergehen des Volkes verstanden werden können. Des Weiteren schildert der Autor im Bild der davidischen Zeit eine Neugestaltung des Gottesverhältnisses, die neben der Erwählung des Stammes Juda auch eine neue Heiligtumskonzeption sowie die Einsetzung Davids als eines weisheitlichen Herrschers vorsieht. Die Rätsel der Vorzeit (חידותִמניִקדם, V 2), von denen der Sprecher des Psalms erzählen will, können damit am ehesten als Gegensatz zwischen dem Gnadenhandeln Gottes und dem sündigen Verhalten des Volkes gefasst werden, das vor dem Hintergrund der vorgeordneten Gesetzesgabe (78,5) umso unerklärlicher bleiben muss. 72 Von Seiten Got71
Vgl. dazu u. Kap. 3.1. Ähnlich im Verständnis der ‚Rätsel‘ in 78,2 auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 140: „Die ‚Rätsel aus der Vorzeit‘ (V.2), die verkündet werden sollen, lassen sich in einer Frage, die zugleich Anklage ist, bündeln: Wie ist das wiederholte Bei - und Nacheinander von heilsamer Gottesordnung und rettender Gottestat einerseits und eskaliere ndem Ungehorsam des Volkes andererseits möglich?“ (ähnlich im Verständnis auch SÜSSENBACH , Psalter, 312). Zumeist wird der Begriff nur allgemein gefüllt; vgl. z.B. H OSSFELD, HThK.AT II, der in Ps 78 die Verkündigung „persönlicher, weisheitliche[r] Lebenslehre“ sieht, die in der „gebundenen Sprache von ‚Gleichnis‘ bzw. ‚Spruch‘ und ‚Rätsel‘ ergeht“ und sich inhaltlich auf die Geschichte seit der Urzeit beziehe. Eine ko nkrete Füllung erhält das Konzept noch bei FÜGLISTER , Rätsel, 296, demzufolge der Psalmist mit den Rätseln „den David der Zukunft, auf den sich nach dem Exil aufgrund prophetischer Verheißung die Hoffnung richtet“ meint. 72
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tes stellt sich die Geschichte damit als Heilsgeschichte dar, während sie auf Seiten des Volkes die Geschichte eines fortwährenden Abfalls ist. Die zeitliche Einordnung des Grundpsalms muss von der Beobachtung ausgehen, dass die erzählte Geschichte vom Exodus bis zu David nicht mit dem theologiegeschichtlichen Hintergrund und der Kenntnis der literarischen Überlieferung übereinstimmt. 73 Eine Frühdatierung des Psalms, die die erzählte Zeit mit der Erzählzeit gleichsetzt, kann deshalb mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden. 74 Vielmehr weist gerade der literarische und theologiegeschichtliche Hintergrund auf einen nachexilischen Standpunkt hin, von dem aus die Frühgeschichte Israels zur Deutung der gegenwärtigen Situation herangezogen wird.75 Ein weiteres Argument für diese zeitliche Einordnung ist das besondere Gesetzesverständnis des Psalms. Die Gabe des Gesetzes nimmt eine Sonderstellung im Gesamtaufriss ein, da es als Gründungsgeschehen in das Proömium verlegt wird. In dieser Position ist das Gesetz vorgeordneter Maßstab für die Sünden der Vorväter und seine Nicht-Beachtung zieht die Bestrafung nach sich, obwohl das Gesetz faktisch erst an die ‚gute‘ Vätergeneration übergeben wird (V 5). Indem die Gesetzesgabe ihrer historischen Verankerung am Sinai enthoben wird, zielt die Erzähllogik des Psalms vor allem darauf, das Gesetz als Beurteilungsinstanz der ganzen biblischen Geschichte Israels zu etablieren. Der Grundpsalm ist nachfolgend durch eine Reihe von kleineren und größeren Einträgen in V 3–4a; 9–11; 19aa; 21f.; 28; 30f.; 32–39; 43–51*; 49–50a; 53; 55b; 57; 59; 71aa erweitert worden, deren literarisches Verhältnis zueinander aber nicht in allen Fällen eindeutig zu bestimmen ist. Die Nachträge am Anfang des Psalms in V 3–4a und V 9–11 berühren sich darin, dass sie die gegenwärtige Generation der Sprechergruppe entlasten. Während in V 3–4a betont wird, dass die Sprecher ihrer Unterweisungspflicht nachgekommen sind, wird in V 9–11 die nachfolgende Sündengeschichte allein den Ephraimiten zur Last gelegt. Es ist allerdings fraglich, ob die entlastende Intention allein ausreicht, um die beiden Nachträge ei-
73
Vgl. dazu ausführlich den Aufweis der rezeptionellen Bezüge in Kap. 3.1. So gegen SCHILDENBERGER , Psalm 78 (77), 234 (“Zeit des Ezechias, d.h. des Untergangs des Nordreiches“); CLIFFORD, Zion, 138 („sometime between the schism in 922 and the destruction of Jerusalem in 587”); W EBER , Werkbuch II, 52f. („Ansetzung um ca. 700 v.Chr.“); ebenso will FÜGLISTER , Rätsel, 428, eine vorexilische Ansetzung nicht von vornherein ausschließen. 75 Für eine Datierung, die das Exil voraussetzt, spricht sich SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 146f., aus; ebenso hält HOSSFELD, HThK.AT II, 426–429, eine spätexilischnachexilische Ansetzung für möglich; vgl. auch SÜSSENBACH , Psalter, 338 Anm. 111. 339; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 102. 74
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ner gemeinsamen Redaktion zuzuschreiben. 76 Gegen diese These spricht vor allem, dass die zwei Einschübe eine ganz unterschiedliche Funktion im Psalmganzen erfüllen. In V 3–4a wird eine Metaebene eingezogen, indem hier der Prozess der (geschichtlichen) Traditionsweitergabe im Psalm selbst reflektiert wird.77 Setzt bereits der Grundpsalm das Prinzip der dtn.dtr. Kinderunterweisung voraus, berichten die Sprecher in V 3–4a, dass sie von ihren Vätern belehrt worden sind (ספרוִלנו, V 3) und verpflichten sich ihrerseits dazu, das Wissen um die ‚Rätsel der Vorzeit‘ (V 2) an ihre Kinder weiterzugeben (לדור ִאחרון ִמספרים, V 4a). Auf diese Weise wird der didaktische Lehrzweck der Geschichtsunterweisung im Psalm selbst reflektiert und in der Selbstaussage der Beter vergegenwärtigt, so dass jeder Beter bzw. Leser des Psalms in den Traditionsprozess hineingestellt wird. Da der Einschub in V 3–4a ein geschichtshermeneutisches Programm verfolgt, das über den Einzelpsalm 78 hinausweist, ist zu überlegen, ob es sich hier um einen späten Nachtrag handelt, der einen psalterredaktionellen Horizont vor Augen hat. Vermutlich setzen die Verse 3–4a bereits eine Gruppe von mehreren ‚Geschichtspsalmen‘ im Buch voraus, die hier im literarischen Nachhinein eine programmatische Leseanweisung erhalten. 78 Einen anderen Zweck verfolgt der Autor des Nachtrags in V 9–11, der den Gesamtpsalm hinsichtlich einer alleinigen Schuld der Ephraimiten interpretieren will und diese Deutungsperspektive nachträglich in das Proömium einschreibt. Für die relative Einordnung des Nachtrags bietet der seinerseits sekundäre Vers 57 einen Anhaltspunkt, wo ebenfalls das Bild des Bogens Verwendung findet. Hier sind allerdings nicht die Ephraimiten als von Furcht vor dem Feind ergriffene Bogenschützen das Thema (רומי קשת ִהפכו, V 9), sondern das Verhalten der Israeliten wird mit einem schlaffen und damit nutzlosen Bogen verglichen (נהפכו ִכקשת ִרמיה, V 57). Die Formulierung כקשתִרמיהin V 57 hat mit Hos 7,16 ()ישובוִ…ִכקשתִרמיה eine weitere Parallele im Alten Testament . Dabei ist der Satz in Hos 7,16 aber mit dem Verbum שובkonstruiert, während in Ps 78,9.57 הפךverwendet wird. Das spricht dafür, dass der Autor von 78,57 zwar das Motiv des schlaffen Bogens ( )קשת ִרמיהaus Hos 7,16 übernommen hat,79 die Wahl des Verbums הפךaber durch den Nachtrag Ps 78,9–11 beeinflusst ist. Die76 So gegen SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 134 Anm. 2, und HOSSFELD, HThK.AT II, 424f. 77 Zu dieser Besonderheit des Psalms vgl. auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 50, die allerdings für das Proömium in 78,1–11 literarische Einheitlichkeit annimmt. Sie sieht hier das aus der Toda übernommene Muster des lobenden Weitererzählens ( ספרpi.) in die Perspektive des Erzählens transformiert und hebt die identitätsstiftende Funktion dieser Transformation hervor (GÄRTNER , a.a.O., 51); vgl. dazu auch u. Kap. VI. 1. 78 Vgl. dazu u. Kap. VI. 1. 79 Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 145 Anm. 28.
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ser sekundäre Einschub muss dem Autor von 78,57 damit bereits vorgelegen haben. 80 Eine gemeinsame Redaktionstendenz ist deutlich in den Erweiterungen V 21f.;V 30f. und V 59 erkennbar, die an ausgewählten Stellen des Psalms eine unmittelbare Zornesreaktion Gottes eintragen und auf die Verwerfung ganz Israels abzielen. Insgesamt fünf Mal ist in Ps 78 vom Zorn Gottes die Rede (אף, V 21.31.38.49.50), aber keiner dieser Belege gehört zum Grundpsalm, der gerade durch den Gegensatz zwischen dem unbeirrbaren Gnadenhandeln Gottes und der wiederkehrenden Sünde Israels gekennzeichnet ist. Die Einschreibung von V 21f. ‚enträtselt‘ diesen Gegensatz, indem sie der wunderbaren Speisung mit Manna und Wachteln eine unmittelbare Zornesreaktion Gottes auf die provokante Forderung seines Volkes voranstellt (V 21) und die Sünde des Volkes als Unglaube ()לא ִהאמינו81 und mangelndes Vertrauen ( )ולא ִבחטוerklärt (V 22). Dagegen schreiben die V 30f. am Ende der Manna- und Wachtelepisode die Sünde der Israeliten überhaupt erst ein und lassen Gott darüber erzürnen. V 59 erweist sich schließlich durch die mit V 21 identische Formulierung der Einleitung (שמעִיהוה, V 21 / שמעִאלהים, V 59) als zu dieser Redaktion zugehörig und trägt vor der ursprünglichen Reaktion Gottes auf das Fehlverhalten im Land die Verwerfung ganz Israels ein. Es bleiben die drei Belege in V 38 und V 49.50. Die Thematisierung des Zornes innerhalb der Ergänzung V 32–39 kann gegenüber der im Vorstehenden herausgearbeiteten Zornesredaktion in V 21f.30f.59 als sekundär eingeordnet werden. 82 In der Aussage, dass Gott oft von seinem Zorn ablässt (V 38) wird das Bild des zornigen Gottes bereits vorausgesetzt und nachfolgend korrigiert. Damit sind nur noch die Belege im Nachtrag V 49–50aa zu berücksichtigen, wo aber nicht Gottes Zorn gegenüber Israel, sondern gegenüber Ägypten thematisiert wird. Darüber hinaus weicht auch das hier verwendete Zornesvokabular deutlich von den Formulierungen in V 21; 30f.; 59 ab. Während in diesen Versen davon die Rede ist, dass Jhwh bzw. Gott hört und erzürnt (שמע ִיהוה ִויתעבר, V 21; שמע ִאלהים ויתעבר, V 59) und sein Zorn aufsteigt (אףִעלה, V 21, ואף ִאלהיםִעלה, V 31), schickt Gott in V 49–50aa die Glut seines Zorns gegen die Ägypter (ישלח בם ִחרון ִאפו, V 49) und bahnt seinem Zorn einen Weg (יפלס ִנתיב ִלאפו, 80 Anders HOSSFELD, HThK.AT II, 434, nach dem der Einschub V 9–11 auf Formulierungen der Verse 56f. zurückgreift, die bei ihm zum Grundbestand des Psalms gehören. 81 Das in Ps 78 sekundär eingetragene Motiv des Unglaubens wird in Ps 106 zum le itenden Motiv der Geschichtsdarstellung; vgl. dazu u. Kap. IV. 3.2. 82 So gegen GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 99–102.376–378, die in Ps 78 von einem durchlaufenden Zornkonzept ausgeht, das für sie ein prägendes Element der Geschichtshermeneutik des (literarisch weitgehend einheitlichen) Psalmes darstellt (vgl. dazu auch u. Anm. 185).
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V 50aa). Die differierende Terminologie spricht dagegen, V 49–50aa derselben Hand zuzuschreiben wie V 21f.; 30f.; 59.83 Vielmehr ist von einer späteren Ergänzung auszugehen, die die Plagen konkretisierend als Zornesgericht Gottes über die Ägypter beschreibt und damit vermutlich das Zornesgericht an Israel bereits voraussetzt. Es ist allerdings zu überliegen, ob die kleineren Nachträge in V 19aa, V 28 und V 55b noch zur Bearbeitung durch die Zornesredaktion gehören. Während V 19aa die Sünde Israels verstärkt, indem das Fehlverhalten des Volkes als Auflehnung gegen Gott gekennzeichnet wird, stützt sich V 28 syntaktisch und inhaltlich auf die Nennung Jakob-Israels in V 21. 84 V 55b schließlich stellt vor dem erneuten Abfall in V 56ff. sicher, dass sich die folgenden Sündenaussagen auf das Volk Israel beziehen, das die Zelte der Völker in Besitz nimmt. Damit kann eine durchlaufende Redaktion in V 19aa.21f.28.30f.55b.59 85 (‚Zornesredaktion‘) identifiziert werden, die vor allem durch zwei Intentionen gekennzeichnet ist: Zum einen korrigiert die Bearbeitung das Gottesbild des Grundpsalms, indem sie an ausgewählten Stellen eine Zornesreaktion Gottes einschreibt. Zum anderen hat die Redaktion ein deutliches Interesse am Fehlverhalten ganz Israels, das durch Einschreibungen wie V 19aa und V 30f. eine zusätzliche Steigerung erfährt und in der Verwerfung ganz Israels kulminiert (V 59). Vor diesem Hintergrund ist auch die Erwählung Judas am Ende des Psalms neu zu bewerten, da sie nicht nur wie im Grundpsalm gegen die vorausgehende Sündengeschichte Israels geschieht, sondern in den Augen der Redaktion sogar die bereits erfolgte Verwerfung revidiert. Wie bereits erwähnt, setzt die Einschreibung der Verse 32–39 die Zornesredaktion bereits voraus. Für diese relative Zuordnung spricht auch der Rekurs auf die Tötung der Israeliten in V 34, die nur Sinn macht, wenn eine Bestrafung der Israeliten vorausgeht, auf die sich V 34 beziehen kann. Dieser Referenzvers ist eindeutig Vers 31, der von der Tötung der Kräftigen und der Jünglinge durch Gott berichtet. Mit der Einschreibung des 83
Anders HOSSFELD, HThK.AT II, 424f., der V 40–51* gerade aufgrund der Zornesthematik in V 49a als Teil seiner „zweiten Redaktion“ sieht; den Zusatz in V 49f. be grenzt er dabei auf V 49b–50a (vgl. o. Anm. 47). 84 Vgl. dazu o. Kap. 2.1. 85 Das gemeinsame Redaktionsinteresse dieser Verse ist unumstritten, auch wenn die zugrunde liegende Bearbeitungsschicht in der Forschung teils unterschiedlich abgegrenzt wird. So beschränkt SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 135 Anm. 4f. 136 Anm. 6f. 138 Anm. 11. 138f. Anm. 12, die Redaktion auf V 21.28.30f.55b.59, während er in V 19a a eine eigenständige Glosse sieht und V 22 zum Grundpsalm rechnet. Dagegen zieht HOSSFELD, HThK.AT II, 424f., zusätzlich noch V 40–51 sowie V 71aa zur Bearbeitungsschicht. Vergleichbar spricht W ITTE, History, 24, von einer „second addition“, die über die oben angeführten Verse hinaus (allerdings ohne V 22) noch V 19aa*; V 20; V 43–51 und V 71aa umfasse.
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Abschnittes V 32–39 wird die durch die Zornesredaktion hergestellte Abfolge von Fehlverhalten und Strafe zu einem Kreislauf aus Sünde – Bestrafung – Umkehr – erneuter Abfall umgestaltet. Durch die Positionierung unmittelbar vor V 40ff. wird der Abschnitt zu einem Reflexionsstück über die Vergehen der Wüstenzeit, das den nachfolgenden Sündenaussagen von V 40f. (‚ כמהִימרוהוwie oft waren sie widerspenstig‘, V 40; bzw. וישובוִוינסו ‚immer wieder versuchten sie‘, V 41) sekundär eine Ätiologie gibt. Das Redaktionsinteresse kann aber vor allem an den V 38f. festgemacht werden, die gegen das göttliche Strafgericht an der Barmherzigkeit Gottes festhalten.86 Mit Rücksicht auf den vergänglichen Charakter des Menschen sieht Gott von einem Totalgericht ab und weckt eben nicht seinen ganzen Grimm (V 38). Dies hat auch Konsequenzen für das Verständnis von Gottes Reaktion auf die Sünde des Volkes im Land: Die Differenzierung zweier Teilgrößen, von denen die eine verworfen und die andere erwählt wird, wird vor dem literarischen Hintergrund der V 32–39 als Ausdruck der göttlichen Barmherzigkeit verständlich. Es liegt nahe, auch die Fortschreibung in V 57 mit der Einschreibung in V 32–39 in Verbindung zu bringen, da dieser Vers die Tötungsaussagen in V 31; 34 voraussetzt. Der Autor zieht daraus die Konsequenz, dass es sich bei dem Israel im Land um die zweite Vätergeneration handeln muss, die sich allerdings genauso treulos verhält ‚wie ihre Väter‘ ()כאבותם. Mit der oben erwähnten Entlehnung aus V 9 kann zugleich eine Korrekturabsicht des Redaktors vermutet werden: Indem er das Fehlverhalten der Israeliten nach V 57 in einer Anspielung auf V 9 formuliert, bricht er das Redaktionskonzept der Einfügung V 9–11 auf und schwächt die Engführung auf die Sünde der Ephraimiten weiter ab. Es sind nun auch nicht mehr allein die Ephraimiten, die den Bund Gottes verworfen haben (V 10), sondern ganz Israel ist dem Bund nicht treu geblieben (V 37). Damit bleibt noch der redaktionelle Ort der Einschreibungen in V 43– 51*; 53; 49–50aa und V 71aa zu bedenken. Bei V 43–51* handelt es sich um eine midraschartige Interpretation, die vermutlich durch die Erwähnung des Bedrängers ( )צרin V 42 veranlasst worden ist. Die Exodusreminiszenz ist bereits im Grundpsalm angelegt, der in V 42 mit der Vorstellung der Erlösung ( )פדהauf ein Verbum zurückgreift, das besonders im Deuteronomium mit Bezug auf den Exodus verwendet wird. 87 Mit der sekundären Einfügung von V 43–51* wird die Exodusthematik an dieser Stelle zu einer Ägyptenstation im Geschichtsabriss ausgebaut und das Nicht-Gedenken der Israeliten am Beispiel der Plagen illustriert. Zugleich bricht der Einschub der Plagen die Kompositionsstruktur des Grundpsalms 86 So spricht SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 143, zutreffend von der „Prärogative der Barmherzigkeit Gottes vor seinem Zorn“. 87 Vgl. Dtn 7,8; 9,26; 13,6; 15,15; 21,8; 24,18.
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auf, der als linearer Abriss der Geschichte von Ägypten bis ins Land konzipiert ist. Dieser Aufriss wird durch die doppelte Erwähnung Ägyptens (ִ)מצריםund der Gefilde Zoans ( )שדהִצעןin V 12 und V 43 zu einem Diptychon V 12–42.43–72 umgestaltet, das den Weg des Volkes aus Ägypten in zwei Durchgängen berichtet. 88 Dieser neuen Streckenführung trägt die Einschreibung von V 53 Rechnung, die vermutlich auf dieselbe Hand zurückzuführen ist und den ursprünglichen Aufbruch des Volkes aus der Wüste in V 52 sekundär als (zweiten) Aufbruch aus Ägypten interpretiert. An dieser Stelle ist auch zu überlegen, ob die Zweiteilung des Weges auf die Einschreibung von V 32–39.57 reagiert, in deren Konsequenz erst die zweite Generation der Vorväter das Land erreicht. Durch die Einfügung der Plagenreihe wird deutlich, dass bereits die zweite Exodusgeneration die Erinnerung an die Ereignisse nicht mehr aufrechterhalten hat. Nachfolgend ist die Ergänzung in V 43–51*.53 noch durch den Zusatz V 49– 50aa erweitert worden, der die Plagen als Zornesgericht Gottes über die Ägypter darstellt und an das über Israel ergangene Gericht angleicht. Es bleibt die Einzelversfortschreibung in V 71aa, die aber aufgrund der Kürze kaum einzuordnen ist. Der Nachtrag der Information, dass David von den Mutterschafen weggeholt wird, die doch besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, lässt einen Ergänzer vermuten, der illustrieren will, dass „Gottes Erwählung keinen Aufschub duldet“.89 Die Redaktionsgeschichte von Ps 78 kann damit wie folgt zusammengefasst werden: Der ursprüngliche Psalm in 78,1f.4b–8.12–18.19abb–20. 23–27.29.40–42.52.54–55a.56.58.60–70.71abb–72 bietet einen linearen Abriss der biblischen Geschichte von Ägypten bis zum Land, der die Gnadenakte Gottes mit dem fortwährenden Abfall seines Volkes kontrastiert. Als einzige durchlaufende Bearbeitung des Grundpsalms kann eine ‚Zornesredaktion‘ in V 19aa.21f.28.30f.55b.59 abgegrenzt werden, die an ausgewählten Stellen des Psalms das Zornesgericht Gottes über sein Volk einträgt. Vermutlich in redaktioneller Nähe zu dieser Redaktion wird der vordere Teil des Psalms durch den Eintrag von V 9–11 bearbeitet. Für diese Einordnung spricht, dass die Ergänzung von V 9–11 ebenso wie die Zornesredaktion in der Überarbeitung durch V 32–39.57 bereits vorausgesetzt ist. Diese Bearbeitung beschreibt die wiederkehrende Sünde Israels 88 Gegenüber dieser redaktionsgeschichtlichen Erklärung für die Zweiteilung von Ps 78 sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 94, ein kompositionsgeschichtliches Prinzip am Werk: „Insoweit ist die Komposition der beiden Reflexionsgänge in V. 12–31 und V. 40–64 parallel konzipiert und durch die Scharnierverse in V. 17f.32.40–42.56 explizit miteinander verzahnt.“ (vgl. dazu auch o. Anm. 22); vgl. zur Annahme zweier Reflexionsgänge auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 340–344. Hier wäre m.E. genauer zu begründen, warum zwei Reflexionsgänge nötig sind. 89 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 139 Anm. 13; ähnlich auch HOSSFELD, HThK.AT II, 424.
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als einen verhängnisvollen Kreislauf, der nur durch Gottes Barmherzigkeit nicht zum Totalgericht führt. Gegen die Belastung der Ephraimiten in V 9–11 wird hier auch erneut die Sünde ganz Israels festgeschrieben. Im Fall der Einschreibung des Plagenzyklus V 43–51*.53 (mit dem späteren Nachtrag in V 49–50aa) wird die relative Einordnung vor allem dadurch erschwert, dass der Nachtrag inhaltlich nur die Exodusreminiszenzen des Nahkontextes im Blick hat, die er zu einem zweiten Ägyptenabschnitt ausbaut. Unter der Prämisse, dass die kompositionelle Umgestaltung des Psalms durch V 43–51*.53 auf die Differenzierung der Vätergenerationen in der Erweiterung V 32–39.57 reagiert, kann die Bearbeitung aber als letzte größere Erweiterung des Psalms gelten. Der redaktionelle Ort der Einzelverszufügung V 71 aa lässt sich nicht mehr ermitteln, während für den zweiten Zusatz im Proömium in V 3–4a bereits ein psalterredaktioneller Horizont vermutet wurde. Der Nachtrag entwickelt ein geschichtshermeneutisches Programm, das die Rezeption der Geschichte im Psalm reflektiert und sie zum Gegenstand der Traditionsweitergabe von den Eltern zu den Kindern macht.
3 Sündengeschichte als Lehrunterweisung 3 Sündengeschichte als Lehrunterweisung
3.1 Das Geschichtsverständnis des Grundpsalms Zwei Perspektiven sollen im Folgenden die Untersuchung der Geschichtstheologie in Psalm 78 bestimmen: So ist zum einen zu untersuchen, welche Texte im Psalm rezipiert und wie sie reformuliert werden. Vor diesem Hintergrund kann dann zweitens nach der Funktion der Geschichte in der Gesamtanlage des Psalms gefragt werden. Bereits das Proömium des Grundpsalms 78,1–8* zeigt durch eine Reihe von Stichwortbezügen zu anderen Texten an, dass der folgende Abriss der biblischen Geschichte einen genau bestimmten Zweck hat. So geht bereits aus der Gattungsbestimmung als Lehrdichtung90 hervor, dass die Geschichtsdarstellung in Ps 78* der Unterweisung dient. Die Lehreröffnung, in der das Folgende als Spruch (משל, V 2) bzw. Rätsel (חידה, V 2) bezeichnet wird, hat ihre nächste Parallele in der Einleitung des weisheitlich geprägten Korachpsalms Ps 49,5, wo der Psalminhalt ebenfalls als משלbzw. חידהgekennzeichnet wird. 91 Die beiden Psalmeröffnungen berühren sich 90
Vgl. dazu o. Kap. 2.1. Die Parallele zu Ps 78* in Ps 49,2–5 beobachtet auch HOSSFELD, HThK.AT II, 432. Außer in den Psalmeröffnungen von Ps 78 und 49 ist die Kombination von משלund הידהnur noch in Ez 17,7; Prov 1,6 und Hab 2,6 belegt, bei denen diese Gattungsbestimmungen aber nicht im Kontext eines Höraufrufes begegnen; vgl. im Folgenden. 91
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weiterhin in der Verwendung von אזןhif. im Höraufruf (vgl. Ps 49,2; 78,1), wobei Ps 49,2 mit dem Aufruf an die Völker der Welt aber universale Geltung beansprucht. Inhaltlich gibt es aber nur wenig Berührungspunkte zwischen den Psalmen, da der Individualpsalm 49 mit der Unabänderlichkeit des Todes (vgl. 49,11) ein individuelles Problem in den Mittelpunkt stellt. Das Interesse an der Vorzeit (Rätsel der Vorzeit: חידותִ מניִקדם, 78,2) teilt Ps 78 dagegen mit einem anderen Psalm der Korachitensammlung. Wie Ps 78 sieht auch der Vertrauenspsalm 44 vor, dass das Wissen um Gottes Taten in den Tagen der Vorzeit (בימיִקדם, 44,2) von den Vätern an die Söhne weitergegeben wird. 92 Die Weitergabe richtet sich hier auf die Landnahme, die im ersten Teil 44,1–9 in einem heilsgeschichtlichen Rückblick als mythisches Anfangsgeschehen beschworen wird, das jederzeit wiederholbar ist.93 Die Verbindung des Motivs der Kinderbelehrung mit der mythischen Beurteilung der biblischen Geschichte als Taten der Vorzeit94 spricht dafür, dass der Autor von Ps 78* bewusst auf den Anfang von Ps 44 Bezug nimmt. Dieser steht als Beispiel gelungener Traditionsweitergabe im Hintergrund der eigenen Lehrunterweisung. Eine weitere augenfällige Parallele für die Lehreröffnung in Ps 78,1f. ist der Anfang des Moseliedes in Dtn 31,30; 32,1. Mose redet vor den Ohren der ganzen Versammlung Israels (באזני ִכל ִקהל ִישראל, 31,30) und beginnt mit einem an die Himmel und die Erde gerichteten Höraufruf (האזינו השמים ִואדברה ִותשמע ִהארץ ִאמרי ִפי, 32,1). Nur an diesen beiden Stellen ist die Kombination von אזןhif. und אמרי ִפיbelegt, wobei das Volk in Dtn 32,1 aber nur indirekt angeredet wird. Stattdessen sollen Himmel und Erde, die bereits den Bundesschluss bezeugt haben (Dtn 30,15–20), nun auch das Lied des Mose vor seinem Volk beglaubigen (Dtn 31,28). Während die Mosedichtung literarisch nicht auf eine mögliche Vorlage in Ps 78* angewiesen ist, lassen die aufgezeigten Berührungen umgekehrt den unbekannten Sprecher von Ps 78* im mosaischen Gewand auftreten.95 Seine Lehre
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Bei der Angabe בימיִקדםhandelt es sich um einen Nachtrag in Ps 44, der in Ps 78 bereits vorausgesetzt ist. Der Nachtrag geht selbst auf die Parallelen für das Verständnis der Vorzeit als einer gründenden Urzeit in den Asaph-Psalmen zurück (קדם, Ps 74,2.12; 77,6.12), die als weitere Prätexte für Ps 78 in Frage kommen; vgl. dazu u. Kap. 4 sowieden Exkurs zu Ps 44. 93 Vgl. dazu ZENGER , NEB 29, 275, sowie den Exkurs zu Ps 44 in diesem Kapitel. 94 Allerdings ist die Rede von der Geschichte seit der Urzeit auch ein Spezifikum der Asaph-Psalmen, vgl. dazu u. Kap. 4 . 95 Vgl. W ITTE, History, 25. Die Berührungen zwischen Dtn 32,1 und Ps 78,1 sehen ebenso CLIFFORD, Zion, 130f., und W EBER , Asaph-Psalter, 126, 139f. (vgl. DERS., Psalm 78, 200).
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erhält eine zusätzliche Legitimation, indem er als Prophet im Bild und in der Nachfolge des Mose präsentiert wird. 96 Es hat sich bereits gezeigt, dass die Gabe des Gesetzes in Ps 78,5 in der Kompositionsstruktur des Psalms nicht Ereignis der biblischen Geschichte ist, sondern als zeitloses Gründungsgeschehen dem Hauptteil vorausgeht.97 Dazu passt die Beobachtung, dass die genaue Formulierung der Gesetzesgabe (ויקםִעדותִביעקבִותורהִשםִבישראל, V 5) keine Parallele in den erzählerischen Darstellungen der Sinaiperikope hat. Einzig der Ausdruck שיםִתורה verweist auf die spätere Unterschrift der Paränese zum Bildergebot in Dtn 4,44 () וזאתִהתריהִ אשרִשםִמשהִלפניִבניִישראל, während Ps 81,6 in ähnlicher Formulierung die Gesetzesgabe auf die Zeit in Ägypten vordatiert (עדות ) ביהוסף ִ שמוִבצאתוִעלִארץִמצרים.98 In Ps 78,5 liegt damit eine Interpretation vor, die die Gesetzesgabe der historischen Gebundenheit enthebt und das dtr. Gesetz als immer schon erfolgte Willenskundgabe Gottes zum Kriterium für die Beurteilung des Verhaltens Israels in der Geschichte macht. Auch die folgenden Verse 78,6–8, die die Konsequenzen der Gesetzesgabe beschreiben, zeichnen sich durch eine Aufnahme dtr. Motive und Konzeptionen aus. 99 So steht hinter der in 78,6 angemahnten Traditionsweitergabe vom Vater auf den Sohn das in Dtn 4,9; 6,4–9 belegte Motiv der Sohnesbelehrung. Dieses Motiv begegnet ferner im Lied des Mose in Dtn 32,7, wo allerdings der Sohn aufgefordert wird, seinen Vater nach der vorausgegangenen Geschichte zu befragen. Auch für das negative Gegenbild in Ps 78, die Vätergeneration, die als ein störrisches und widerspenstiges Geschlecht (דורִסוררִומרה, V 8) beschrieben wird, kann eine dtr. Vorlage identifiziert werden. Die Kombination der beiden Lemmata סררund מרה, die in verschiedensten Kontexten für den Ungehorsam und den Abfall des Volkes gebraucht werden, findet sich außer in Ps 78,8 nur noch in Dtn 21,18.20 sowie in Jer 5,23.100 In Dtn 21,18.20 bezeichnen סררund מרהals partizipiale Attribute zu בןden vorsätzlichen und andauernden Ungehorsam des Sohnes gegen seine Eltern. Dieses Bild, das die Sohnesunterweisung in den vorderen Rahmenteile des Deuteronomiums konterkariert, ist in Ps 78,8 aufgenommen, wo es kollektiviert und auf das Verhältnis der biblischen Väter zu Gott übertragen wird. 96 W ITTE, History, 25, verweist hier auch auf das dtr. Propheten-Gesetz Dtn 18,15– 20, nach dem Gott die Worte in den Mund des Propheten legen will, den er nach Mose erwählt (Dtn 18,18). Auf diese Weise erhalte die Rede des Sprechers in Ps 78* den Charakter einer göttlichen Offenbarung (vgl. ebd.). 97 Vgl. dazu o. Kap. 2.1. 98 Zu Ps 81,6 vgl. u. Kap. 4 .2.8. 99 Vgl. zu diesem Nachweis auch VEIJOLA, Verheißung, 50–52; insbes. 50 Anm. 1.; ILLMAN, Thema, 46–48. 100 Das prophetische Gerichtswort in Jer 5,23 bescheinigt dem Volk ein störrisches und widerspenstiges Herz ()לבִסוררִומורה.
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Der eigentliche geschichtliche Abriss in Ps 78* setzt mit den Heilstaten Gottes beim Exodus aus Ägypten in dem Abschnitt 78,12–16 ein, der eine starke Prägung durch die literarischen Vorlagen zeigt. Bereits die überschriftartige Angabe, die das göttliche Wirken vor den Vätern als Wunderhandeln (עשה ִפלא, V 12) kennzeichnet, verweist neben der direkt vorausgehenden Parallele in Ps 77,15 101 auf die Exoduserzählung und insbesondere Ex 15,11, wo literarisch die Ausweitung von פלאauf die Abfolge der geschichtlichen Ereignisse im Exodusbuch beobachtet werden kann.102 Die folgende Darstellung betont auf diese Weise die Wunderwirksamkeit Gottes, die an Meer- und Wasserwunder näher expliziert wird. Dabei liegt mit der Beschreibung des Meerwunders in Ps 78,13f. eine verdichtete Aufnahme der Zusammenstellung von prosaischer und poetischer Version des Meerwunders in Ex 14f. vor. Die Vorstellung, dass Gott das Meer spaltet (בקע, Ps 78,13a), rekurriert auf den priesterschriftlichen Anteil des Meerwunders in Ex 14,16.21, wobei aber die Rolle des Mose ausgespart und das Spaltungsmotiv mit der Vorstellung des Durchzugs verbunden wird (עבר, Ps 78,13a). Diese Verbindung geht auf das Meerlied zurück, in dem der Exodus sekundär mit dem Durchzug durch die Völker parallelisiert wird (עבר, Ex 15,16). 103 Die Verbindungen zum Meerwunder werden noch durch das Zitat von Ex 15,8ab ( )נצבוִכמוִנדִנזליםin der zweiten Hälfte des synthetischen Parallelismus von Ps 78,13 verstärkt ()ויצבִמיםִכמוִנד. Indem der Verfasser von Ps 78* das Motiv verarbeitet, dass die aufgestauten Wasser standen ‚wie ein Damm‘ ()כמוִנד, baut er auch die Reminiszenz an die Jordandurchquerung in seine Schilderung mit ein. Schließlich ergänzt er in 78,14 die Führung durch die Wolken- und Feuersäule, die in ihrer Formulierung auf die Notiz in Ex 13,21 zurückgeht, 104 im Ablauf des Psalms aber nicht zum Meerwunder hinführt, sondern als dessen Abschluss zum Wasserwunder überleitet. Die Darstellung des Wasserwunders in Ps 78,15f. ist ebenfalls stark durch die literarische Überlieferung geprägt. Zwar zeigt die Positionierung direkt nach dem Meerwunder, dass das Wasserwunder von Massa und Meriba in Ex 17,1–7 die Vorlage bildet (צרים, Ps 78,15 / יצאhif., 78,16; vgl. צור/ יצאhif., Ex 17,6), aber die entscheidenden Stichwortverbindungen 101
Vgl. dazu u. Kap. 4 .2.5. Vgl. dazu o. Kap. II. 1.3. Siehe dort auch zu der im Folgenden vorausgesetzten Analyse des Meerliedes. Den Bezug von עשה ִפלאin Ps 78,13 auf Ex 15,11 sieht auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 141 Anm. 18. 103 Vgl. dazu o. Kap. II. 1.3. 104 Die Führung des Volkes durch die Feuer- und Wolkensäule hat Parallelen in Neh 9,12.19 und Dtn 1,33. Von diesen Belegen können Neh 9,12.19 in die literarische Nac hgeschichte der Geschichtspsalmen eingeordnet werden; vgl. dazu u. Kap. VI. 2. Bei Dtn 1,33 ist dagegen primär ein Bezug auf die erzählerische Überlieferung Ex 13,21 zu vermuten. 102
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verweisen allesamt auf die Rezeption des Wasserwunders in poetischen Texten. So geht die Spaltung der Felsen (יבקעִצרים, 78,15) auf die einzige Parallele der Formulierung in Jes 48,21 zurück, wo Jhwh den babylonischen Rückkehrern Wasser fließen lässt, indem er den Felsen spaltet (ויבקע )צור.105 Vermutlich hat die Verwendung des Verbums בקעin Jes 48,21 den Autor des Grundpsalms 78* dazu veranlasst, das Wasserwunder in Parallelität zum Meerwunder darzustellen. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass er in den folgenden zwei Halbversen auf das Vokabular des Meerliedes zurückgreift: Während der Überfluss des Wassers durch einen Vergleich mit den (Ur-)fluten (תהום, Ps 78,15b) aus Ex 15,8 ( )תהמתdargestellt wird, greift Ps 78,16a die Bezeichnung נזלaus Ex 15,8a auf 106 und macht die aufgestauten Wasserdämme zu Bächen, die aus dem Stein hervortreten. Die letzte Aussage ist in Ps 78,16 Teil eines synonymen Parallelismus und wird in der zweiten Vershälfte mit der Angabe variiert, dass Wasser wie Ströme herabfließen ( ויו רדִכנהרותִמים, 78,16). Als literarischen Hintergrund für den Vergleich mit den Strömen ( )נהרkommt mit der Gottesrede in Jes 41,18 erneut ein Text aus dem Zweiten Jesaja in den Blick, wo Gott sich seiner Macht rühmt, Ströme auf den Höhen eröffnen zu können ()אפתחִעלִשפייםִנהרות. Mit Ps 105,41 gibt es nur einen weiteren Beleg für die Verwendung von נהרzur Beschreibung des Wasserwunders, wobei hier aber noch zu zeigen sein wird, dass Ps 105 auf die Darstellung in Ps 78 bezogen ist.107 Das Wasserwunder in 78,15f. stellt sich damit als eine Kompilation verschiedener hymnischer Prätexte dar, durch deren Rezeption das Wasserwunder von Massa und Meriba zu einem allgemeingültigen Rettungswunder wird. Durch die Anspielung an Jes 41,18 und 48,21 kann es insbesondere auch auf die Situation der in Exil und Diaspora lebenden Israeliten übertragen werden. Die folgende zweite Station des Psalms in 78,17–29* umfasst die Manna- und Wachtelepisode in der Wüste, mit der das sündigende Verhalten des Volkes eingeführt wird. Die einleitende Formulierung ויו סיפוִעודִלחטא (ִלו78,17) zeigt jedoch an, dass die Sünde immer schon im Raum stand und die Israeliten ein bekanntes Fehlverhalten fortsetzen. Hier ist mit SPIECKERMANN zu vermuten, dass der Autor von Ps 78 seinen Prätext Ex 17,1–7 vor Augen hat, wo der Ungehorsam des Volkes bereits im Kontext
105 Der Plural in Ps 78,15 ist mit SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 141 Anm. 18, als Stilmittel zu erklären, das die Allgemeingültigkeit von Jhwhs Wunderhandeln und damit auch seine Wiederholbarkeit betont. 106 Für das von der Wurzel נזלabgeleitete Substantiv נִז לgibt es mit Ex 15,8; Jes 44,3; Ps 78,16.44; Prov 5,15 und Hld 4,15 überhaupt nur fünf Belege im Alten Testament, die eine bewusste Bezugnahme wahrscheinlich machen. 107 Vgl. dazu u. Kap. IV. 3.1.
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des Wasserwunders erwähnt wird.108 Aus Ex 17,2.7 ist mit נסהvermutlich auch das Leitwort des folgenden Abschnittes entlehnt worden, das die Speisung des Volkes durch Manna und Wachteln überschriftartig als Versuchung Gottes charakterisiert (וינסוִאלִבלבבם, Ps 78,18; vgl. 78,41.56).109 Das Motiv der Versuchung kann in Ex 17,1–7 einer Überarbeitung zugeordnet werden, die das Wasserwunder zur Lokalätiologie von Massa und Meriba (מסה ִומריבה, 17,7) macht und die Bitte der Israeliten um Wasser sekundär als Versuchung Gottes stilisiert. 110 Die Versuchung manifestiert sich in 17,7 in der Frage, ‚ob Jhwh in unserer Mitte ist oder nicht‘ (היש ) יהוהִבקרבנוִאם ִאין. Dies impliziert eine Rollenvertauschung der sonst üblichen Prüfung des Volkes durch Gott (vgl. Ex 16,4; Dtn 8,2; 13,4; ähnlich auch Ri 2,22; 3,4),111 in der das Volk sich an die Stelle Gottes setzt und sich über diesen erheben will. In vergleichbarer Weise versucht das Volk in Ps 78* Gott als den ‚Höchsten‘ (עליון, 78,17) mit der Forderung nach etwas Essbarem (וינסוִאלִבלבבםִלשאלִאכלִלנפשם, 78,18). Im Vergleich mit den erzählenden Versionen der Speisewunder in Ex 15–17; Num 11 liegt in Ps 78* eine deutliche Neuinterpretation unter dem Einfluss von Ex 17,2.7 vor. In diesen Erzählungen sind die Forderungen der Israeliten auf den ältesten literarischen Wachstumsstufen noch ganz an der Notlage des Volkes orientiert (Ex 15,24–25a; Ex 17,2aba; Num 11,4– 6*)112 und erst in späteren Fassungen bzw. jüngeren Überarbeitungen er108
Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 434; ebenso SÜSSENBACH, Psalter, 304. So auch SCHART, Mose, 170. Mit Num 14,22 und Dtn 6,16 gibt es zwei weitere Stellen, an denen נסהfür die Prüfung Gottes durch das Volk verwendet werden; beide setzen Ex 17,2.7 aber bereits voraus. Während Dtn 6,16 in paränetischer Absicht auf das Verhalten des Volkes in Massa rekurriert ()לאִתנסוִאתִיהוהִאלהיכםִכאשרִנסיתםִבמסה, liegt auch in der Anklage Num 14,22 gegen ‚die Männer, die mich nun schon zehn Mal auf die Probe gestellt haben‘ ( )וינסו ִאתי ִזה ִעשר ִפעמיםein Rückbezug auf Ex 17,7 vor. Die Aussage über die Versuchung Gottes durch sein Volk in der Wüste in Ps 106,14 (וינסוִאל )בישימוןgehört dagegen in die literarische Nachgeschichte von Ps 78; vgl. dazu u. Kap. IV. 3.2. 110 Vgl. SCHART, Mose, 167–169; SCHARBERT, NEB 24, 72f.; LEVIN, Jahwist, 357; anders AURELIUS, Fürbitter, 169. 111 Vgl. AURELIUS, Fürbitter, 174, der im Hinblick auf diese Texte davon spricht, dass die Frage in Ex 17,7 „als eine Umkehrung der üblichen, ganz ähnlich formulierten Prüfungsfrage Jahwes für Israel“ erklärt werden könne. Ex 16,4; Dtn 8,2; 13,4; Ri 2,22; 3,4 weisen wie Ex 17,7 eine angeschlossene ‚Prüfungs‘-Frage auf, die sich bei diesen Texten auf die Gesetzesobservanz des Volkes bezieht; nach AURELIUS, a.a.O., 174 Anm. 193, sind auch die Belege von נסהin Ex 15,25 und Ri 3,1 so zu deuten, dass die Prüfung „auch hier dem Gehorsam gegen die Gebote gilt; ähnlich Ps 26:2 und 2 Ch 32:31“. 112 In Ex 15,24–25a ist das ‚Murren‘ ( )לוןder Israeliten angesichts des bitteren Wassers aus der Notlage heraus verständlich (so auch ZENGER , Israel, 69f.; LEVIN, Jahwist, 349; FRANKEL, Murmuring Stories, 36.89; dagegen deutet AURELIUS, Fürbitter, 154f., das Murren der Israeliten in 15,24 bereits als Sünde); das Gleiche gilt für Ex 17,2aba. Zu einem Grundbestand, ausgehend von Num 11,4–6*, der eine existentielle Notlage des 109
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hält das Murren des Volkes eine heilsgeschichtliche Aufladung, indem es als ungerechtfertigt dargestellt wird (vgl. Ex 16; Num 11,4–35).113 Der Autor von Ps 78* geht mit seiner Interpretation der Speisewunder als Versuchungen Gottes noch einen Schritt weiter und verstärkt den Aspekt der Überheblichkeit, indem er an die Position der Forderung nach Speise eine Pervertierung von Ps 23,5 setzt: ‚Vermag es Gott wohl, einen Tisch zu bereiten in der Wüste?‘ (היוכלִאלִלערךִשלחןִבמדבר, Ps 78,19). Das Volk verkehrt das Vertrauensbekenntnis zu dem Gott, der nach 23,5 dem Beter einen Tisch bereitet ( )תערךִלפניִשלחןzu einer höhnischen Herausforderung. Die durchgehende (Neu-)Interpretation im Sinne einer Infragestellung des Gottesverhältnisses kann auch erklären, warum das für die Murrerzählungen der Wüstenwanderung so charakteristische Leitwort ‚( לוןmurren‘)114 in Ps 78* keine Aufnahme findet. Die Polemik gegen Gott wird in 78,20 mit einer höhnischen Herausforderung Gottes durch das Volk fortgesetzt. Sie gestehen ihm in einer Rezeption von Jes 48,21 zwar zu, dass er erfolgreich Wasser aus dem Felsen hervorgebracht habe (ויזובו ִמים, Ps 78,20; vgl. ויזבו ִמים, Jes 48,21), 115 stellen nun aber seine Fähigkeit in Frage, sie auch mit Brot und Fleisch versorgen zu können, was Gott in der anschließenden Speisung unter Beweis stellt. Die Darstellung dieser Ereignisse weist erneut eine Reihe von Verbindungen zu Ex 16 und Num 11 auf, die zu einer Episode verschmolzen werden.116 Die Vorstellung, dass Jhwh das Manna auf das Volk regnen lässt (וימטר ִעליהם ִמן ִלאכל, Ps 78,24), findet sich allein in Ex 16, wobei Jhwh dort aber zuerst nur ankündigt, dass er Brot regnen lassen wird (הנניִממטיר לכםִלחם, 16,4), das erst in der Etymologie von 16,15 den Namen ‚Manna‘ ( )מןerhält (vgl. Ex 16,31.33; Num 11,6.7.9). Gegenüber den Vorlagen wird der wundersame Zug der Speisung in Ps 78* durch eine Reihe von Attributen hervorgehoben, die die göttliche Herkunft der Gabe betonen. 117 Aus der Angabe in Ex 16,4, dass das Brot vom Himmel ( )מןִהשמיםkommt, Volkes voraussetzt, vgl. die allerdings unterschiedlichen Lösungen von LEVIN, Jahwist, 371f.; 374; FRANKEL, Murmuring Stories, 22–24. Dagegen nimmt AURELIUS, Fürbitter, 176–186, in Num 11,4–35 literarische Einheitlichkeit an und sieht hier ein bösartiges Murren, das „nur aus Überdruß am Manna erfolgt“ (AURELIUS, a.a.O., 182; so in der Sache auch SCHART, Mose, 214–216). 113 Der Grundbestand in Ex 16 kann der Priesterschrift zugerechnet werden. 114 Vgl. Ex 15,24; 16,2bis.7bis.8; 17,3; Num 14,2.27bis.29.36bis; 16,11bis; 17,6.20. 115 Die Kombination der Wurzel זובmit dem Nomen מיםist über diese zwei Stellen hinaus nur noch in Ps 105,41 belegt; vgl. zur Auslegungslinie u. Kap. IV. 3.1. 116 So gegen HOSSFELD, HThK.AT II, 435, der davon ausgeht, dass Ex 16 der Hauptbezugstext für Ps 78 ist, während die Bezüge zu Num 11 nachgetragen seien. 117 Vgl. auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 142f.: „Die Fülle des Heils betont der Dichter durch überschwänglichen Termini: ‚Himmelskorn‘ und ‚Engelsbrot‘ aus den ‚Türen des Himmels‘ (vgl. V. 23–25).“
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ist in Ps 78,23 die elaborierte Vorstellung geworden, dass Jhwh den Wolken gebietet und die Tore der Himmel öffnet, um das Manna regnen zu lassen. In poetischer Form spricht der Autor deshalb auch vom ‚Himmelskorn‘ (דגןִשמים, 78,24), das ‚Engelsbrot‘ ist (לחםִאבירים, 78,25). Beide Bezeichnungen sind hapax legomena im Alten Testament, die aber als wunderbare Steigerungen von Ex 16,4 verständlich werden.118 Nicht zuletzt wird man in der Beschreibung von Ps 78,23 auch ein Gegenstück zur Flut erzählung Gen 7,11 sehen können, wo sich die Fenster der Himmel zur Sintflut über die verdorbene Menschheit öffnen ()וארבתִהשמיםִנפתחו.119 In Ps 78* ergießt sich aber nicht die Sintflut über das sündhafte Volk, sondern unverdientermaßen lässt Gott wundersame Speise auf sie regnen (מטר, Ps 78,24.27; vgl. Gen 7,4). Ebenso wie vor der Speisung mit Manna zuerst die Himmel geöffnet werden müssen, erfordert auch die Speisung mit Fleisch eine kosmische Voraussetzung in der Herbeibringung von Ost- und Südwind (יסע ִקדים בשמיםִוינהגִבעזוִתימן, 78,26). Es liegt nahe, in den Winderscheinungen eine Anspielung an den Erzählzug Num 11,31 zu sehen, wo davon berichtet wird, dass ein Wind von Jhwh ausgeht ()ורוחִנסעִמאתִיהוה, der die Wachteln herbeitreibt. Aus dem רוחvon Num 11,31 sind im Psalm Sturmwinde aus zwei Himmelsrichtungen geworden, wobei der Ostwind ( )קדיםbereits eine tragende Rolle im biblischen Meerwunder gespielt hat (vgl. Ex 14,21). Ps 78,27 streicht die Fülle der Speise hervor, wobei aber בשרals Bezeichnung für die Vögel vermieden (so Ex 16,3.8.12; Num 11,13.18. 21.33) und durch שארersetzt wird. 120 In gleicher Weise werden auch die Wachteln nicht mit dem Terminus ( שלוvgl. Ex 16,13; Num 11,31.32) bezeichnet, sondern der Autor wählt den Ausdruck ‚geflügelte Vögel‘ (עוף כנף, Ps 78,27), der aus dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht Gen 1,21 bekannt ist. Hinter dieser Umbenennung können zum einen metrische Gründe vermutet werden, aber die Anspielung auf den Schöpfungsbericht 118 In ähnlicher Weise kann auch der Vers Ps 105,40, der von der Speisung mit ‚Himmelsbrot‘ ( )לחםִשמיםberichtet, als Auslegung von Ex 16,4 verstanden werden. Da dieser Psalm den Geschichtsabriss von Ps 78 bereits voraussetzt (vgl. dazu u. Kap. IV. 3.1.), ist auch zu überlegen, ob in dem Ausdruck ( לחםִשמים105,40) die zwei Bezeichnungen aus 78,24.25 zusammengezogen werden. 119 Zwar ist in Gen 7,11 von den Fenstern der Himmel ( )ארבת ִהשמיםdie Rede und nicht von den Toren ( )דלתיִשמיםwie in Ps 78,23, aber die seltene Kombination von שמים mit dem Verbum פתחmacht eine literarische Anspielung an dieser Stelle wahrscheinlich (zu פתחmit שמיםals Objekt vgl. sonst nur noch Dtn 28,12; Ez 1,1; Mal 3,1). 120 HOSSFELD, HThK.AT II, 435, begründet den Gebrauch von שארmit Verweis auf den nachfolgenden Vers Ps 78,39: „wohl zur Unterscheidung vom menschlichen Fleisch בׁשר, das in V 39 gebraucht wird.“ Nach der hier vorgelegten Analyse gehört V 39 aber nicht zum Grundpsalm, so dass V 39 hier nicht zur Erklärung herangezogen werden kann.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
hebt auch die Fürsorge Gottes hervor, dessen dauerhaftes Schöpfungshandeln auch in der Wüste das Volk erhält. Schließlich verbinden sich auch in der abschließenden Sättigungsaussage von Ps 78,29 Referenzen auf Ex 16 und Num 11. Während die erste Vershälfte mit der Betonung der reichlichen Sättigung ()ויאכלו ִוישבעו ִמאד die Erfüllung der Ankündigung von Ex 16,12 berichtet (בין ִהערבים ִתאכלו )בשר ִובבקר ִתשבעו ִלחם, nimmt die zweite Vershälfte mit der Aussage über die Stillung des Volkes Begehren ( )ותאותםִיבאִלהםein Leitmotiv aus Num 11,4 auf ()והאספסףִאשרִבקרבוִהתאווִתאוה, ohne aber an dieser Stelle die negative Konnotation zu übernehmen. Gegenüber den literarischen Vorlagen zeigt sich in Ps 78* damit von Anfang an das Interesse, die Speisewunder in den Kontext des Aufbegehrens der Israeliten zu stellen. Das aus Ex 17,2.7 entlehnte Motiv der Versuchung Gottes bestimmt die Darstellung der Wunder, die als Demonstrationswunder keiner existentiellen Notlage entspringen, sondern durch die anmaßende Herausforderung Gottes durch das Volk veranlasst werden. Die Führung des Volkes von der Wüste bis ins Land im vierten Teil Ps 78,40–55a* steht „ganz im Zeichen der Vollendung des Exodus in der Landnahme“121. Den konzeptionellen Hintergrund bietet unverkennbar das Meerlied Ex 15,1–18 mit dem Geschichtsbogen vom Meerwunder bis zur Ankunft am Zion. 122 Bereits der Vorwurf in 78,42, die Israeliten gedächten nicht mehr der Erlösung von den Feinden, bedient sich mit dem Verbum פדהtypischer Exodusterminologie 123 und die Führung des Volkes in 78,52 wird in Anlehnung an die Führungsaussage von Ex 15,13 geschildert. Dabei verbindet sich die Führung des Volkes mit dem asaphitischen Motiv vom Hirten und seiner Herde ( וי סע ִכצאן ִעמו ִוינהגם, 77,52; vgl. Ps 74,1; 77,21; 79,13; 80,2). 124 Gegenüber dem Meerlied hat allerdings das Ziel der Landnahme in Ps 78* eine leichte Korrektur erfahren: Exodus und Eisodus sind nicht auf das Zions-Heiligtum gerichtet,125 sondern Gott führt sein Volk zum Gottesberg, der als ‚sein heiliges Gebiet‘ (גבול ִקדשו, 78,54) an die Stelle der heiligen Weide (נוה ִקדש, Ex 15,13) getreten ist. Diese Akzentverschiebung erklärt sich durch die Heiligtumskonzeption in Ps 78*, wo der Tempel auf dem Zion erst als Konsequenz der Preisgabe Schilos 121
HOSSFELD, HThK.AT II, 437. So sieht auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 85–88, dezidiert in Ps 78,52–55 eine Rekapitulation der in Ex 15,1–18 beschriebenen Stationen von Auszug, Schilfmeer, Einsetzung Israels als Kultgemeinde, Landnahme und Landgabe. Hier ist aber zu berüc ksichtigen, dass es sich dabei m.E. um eine sekundär hergestellte Ereignisfolge handelt, da die Notiz in 78,52 erst durch die spätere literarische Einfügung von 78,43 –51*.53 zum zweiten Aufbruch aus Ägypten wird; vgl. dazu o. Kap. 2.2. 123 Zu פדהin Bezug auf den Exodus vgl. Dtn 7,8; 9,26; 13,6; 15,15; 24,18; Mi 6,4. 124 Vgl. dazu auch u. Kap. 4 . 125 Vgl. dazu o. Kap. II. 1.2. 122
3 Sündengeschichte als Lehrunterweisung
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und der nachfolgenden Erwählung Judas gebaut wird (vgl. 78,69). 126 Gegenüber dem Meerlied verändert sich auch das Beziehungsgefüge zwischen Gott, Volk und Berg/Land. Wird der Zion als ‚Berg deines Erbbesitzes‘ ( )הר ִנחלתךin Ex 15,17 noch als pars pro toto mit dem Erbe in Verbindung gebracht, stellt in Ps 78,55a das Land bzw. der Besitz der Völker das Erbteil dar ()ויפילםִבחבלִנחלה. Auf den Zion geht dagegen die Prädikation des Volkes über, von Gott mit seiner Rechten ‚erkauft‘ zu sein (הר ִזה קנתה, Ps 78,54; vgl. עםִזוִקנית, Ex 15,17). Wie bereits dargestellt, sind die zwei letzten Abschnitte des Grundpsalms 78,56–64* und 78,65–72* durch den Gegensatz zwischen Verwerfung und Erwählung geprägt, der an der Frühgeschichte Israels unter Saul und David festgemacht wird. Daneben gibt es aber noch eine Reihe weiterer Reflexe auf die literarische Überlieferung, die zu dem Eindruck bei tragen, dass die Frühgeschichte Israels in diesen Abschnitten in besonderer Weise für die Lebenswirklichkeit des Lesers transparent wird. Die Israeliten setzen im Land zuerst das schon aus den ersten Abschnitten des Psalms bekannte Sündenverhalten fort, indem sie Gott versuchen (נסה, 78,56; vgl. 78,18.41) und sich widerspenstig zeigen (מרה, 78,56; vgl. 78,8.17.40). Dieses Verhalten konkretisiert sich im Höhenkult und Götzenbilderdienst, mit denen das Volk Gott erzürnt und zur Eifersucht reizt ( ויכעיסוהו ִבבמותם ִובפסיליהם ִיקניאוהו, 78,58). Höhen- und Götzenkult sind nach dem Zeugnis der literarischen Überlieferung die Hauptvergehen des Nordreichs in der Königszeit, die hier aber auf das Verhalten des ganzen Volkes übertragen werden. In der Kombination von כעסund במהsteht Ps 78,58 dabei in großer Nähe zu den Stellen 2 Kön 17,11; 23,19 und 2 Chr 28,25, wo sich die Aussage findet, dass das Nordreich Israel die Höhen gemacht hat, um Gott zum Zorn zu reizen. Der Parallelismus von כעסund קנאverweist des Weiteren auf das Moselied, wo sich ebenfalls die Vorstellung findet, dass das ganze Volk Gott durch den Götzendienst erzürnt und gekränkt hat (Dtn 32,16.21). Da das Lied des Mose bereits als literarischer Pate für das Proömium von Ps 78 fungiert, liegt die Vermutung nahe, dass auch die Versündigung des Gesamtvolkes mit den Vergehen des Nordreiches aus Dtn 32 entliehen worden ist.
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Anders bewertet SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 145, der die Ankunft am Tempelberg anstelle des Heiligtums darauf zurückführt, dass in Ps 78 die Zerstörung des Tempels das „theologisch zu bewältigende Problem“ sei. Dagegen ist einzuwenden, dass auch Ex 15 nach der hier vertretenen Einordnung die Priesterschrift voraussetzt (vgl. dazu o. Kap. II.1.3), so dass auch hier die historische Katastrophe von 587 v.Chr. bereits vorausgesetzt ist. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 87, will die Akzentverschiebung dagegen mit der Zeichnung Jhwhs als des Weltenherrschers erklären, der als fürsorgender Herrscher sein heiliges Gebiet als Erbbesitz Israels aufteile.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
Die vorhergehende Analyse des Psalms konnte wahrscheinlich machen, dass die geschilderten Strafmaßnahmen in Ps 78,60–64 ihren literarischen Haftpunkt in der Ladeerzählung 1 Sam 4–6 haben. Dabei muss aber auffallen, dass dort zwar der Verlust der Lade thematisiert wird, von der Preisgabe Schilos aber nur implizit die Rede ist. Diese Lücke schließt die Tempelrede Jer 7,1–15, die wie Ps 78 eine heilsgeschichtliche und qualitative Abfolge von Schilo-Heiligtum und Zionstempel kennt. In seiner Tempelrede warnt der (literarische) Prophet das Volk von Juda mit dem abschreckenden Beispiel Schilos davor, sich in trügerischer Sicherheit auf die Dauerhaftigkeit des Jerusalemer Heiligtums zu verlassen. 127 Schilo wird als der Ort bezeichnet, an dem Jhwh seinen Namen zum ersten Mal wohnen ließ ( )מקוםי ִאשר ִבשילו ִאשר ִשכנתי ִשמי ִשם ִבראשונהund an dem er strafend wegen der Bosheit seines Volks handelte (Jer 7,12). Das Strafhandeln wird im Sinne eines Wegwerfens ( שלךhif., 7,15) als Wiederholung der vorausgegangenen Verwerfung der Ephraimiten gekennzeichnet; eine Formulierung, die an dieser Stelle für das nordisraelitische Exil steht und den Jerusalemern und Judäern dasselbe Los in der Katastrophe von 587 v.Chr. androht. 128 Die Formulierung beinhaltet zugleich eine theologische Aussage, da die Deportation nicht nur die räumliche Entfernung, sondern zugleich auch die Verstoßung aus Jhwhs Gegenwart bedeutet. 129 Gegenüber dem Schilo-Heiligtum wird der Tempel in Jer 7,10.11.14 als der Ort bezeichnet, über dem der Name Jhwhs ausgerufen ist (אשר ִנקרא )שמי ִעליוund an dem Jhwh handeln will, wie er an Schilo gehandelt hat (כאשר ִעשיתי ִלשלו, 7,14). Mit der Vorstellung von Schilo als früherem (בראשונה, 7,12) legitimen Kultort und der Verwerfung der Ephraimiten liegt eine deutliche Parallele zu Ps 78* vor, wobei die genaue Verbindung der zwei Texte aber nicht einfach zu bestimmen ist. Einerseits könnte Jer 7,1–15 die Geschichtsdarstellung von Ps 78* voraussetzen und die dauer127 Die literarischen Verhältnisse in Jer 7,1–15 sind umstritten. T HIEL, Redaktion I, 114, identifiziert ein ursprüngliches „Tempelwort“ des Propheten (Jer 4.9a.10a*.11*. 12[?].14*), das die Ankündigung des Gerichts über den Jerusalemer Tempel enthalte (ähnlich auch HAAG, Zion, 87–90, der dem Prophetenwort die Verse 3aa.4.9a*.10*.11* 12a*.12b.13a.14* zuordnet und MAIER, Jeremia, 68, mit der Abgrenzung V 3f.9.10a– 12*.13*.14*). Von literarischer Einheitlichkeit geht dagegen G. FISCHER , HThK.AT, 292–294, aus. 128 Das ‚Wegwerfen‘ ( שלךhif.) von Jhwhs Angesicht bezeichnet in einer Reihe von dtr. beeinflussten Texten (2 Kön 13,23; 17,20; 24,20 par. Jer 52,3) die Verstoßung aus dem Land und damit die Exilierung (vgl. T HIEL, Art. שלך, 90). Zum Bezug von Jer 7,15 auf die Exilierung des Nordreichs vgl. T HIEL, a.a.O., 90; MAIER , Jeremia, 84 mit Anm. 183; FISCHER , HThK.AT, 304. 129 Vgl. T HIEL, Art. שלך, 90. Für eine „theologische Interpretation“ von שלחhif. in Jer 7,15, bei der die mit der Partikel מןangezeigte Trennung im Vordergrund stehe, argumentiert W EIPPERT, Prosareden, 44f., wogegen MAIER, Jeremia, 84, davon ausgeht, dass „Jer 7,15 […] die Deportation der Nordreichsbevölkerung in den Blick nimmt“.
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hafte Erwählung des Jerusalemer Heiligtums im Nachhinein vom Verhalten des Volkes abhängig machen. Andererseits ist es aber auch möglich, dass Ps 78* die prophetische Drohrede aufgreift und das Nacheinander von Schilo und Jerusalem in den göttlichen Heilsplan einfügt. Die Abfolge, die in der Tempelrede noch vom Wohlverhalten des Volkes abhängig ist, in Ps 78* aber auf die wohlgeordnete Planung Gottes zurückgeht, kann vorsichtig als Indiz dafür gewertet werden, dass der Autor von Ps 78* die Tempelrede Jer 7,1–15 voraussetzt und die prophetische Paränese an das Volk zu einer kategorialen geschichtlichen Abfolge umformt. 130 Für die letztere Verhältnisbestimmung spricht auch die eingangs gemachte Beobachtung, dass Jer 7,1–15 mit der Zerstörung Schilos die Lücke füllt, die dadurch gegeben ist, dass die Ladeerzählung 1 Sam 4–6 nicht explizit von der Zerstörung des Heiligtums berichtet. Der Autor von Ps 78* interpretiert seine narrative Vorlage 1 Sam 4–6 damit unter bewusster Heranziehung der prophetischen Rede Jer 7,1–15, der er die heilsgeschichtliche Abfolge von Schilo-Heiligtum und Jerusalemer Tempel entnimmt. 131 Dieser Gegensatz von Schilo und Zion wird im Psalm mit den literarischen Gestalten von Saul und David verbunden und kann so zur Chiffre werden für die Verwerfung des Nordreiches und die Erwählung des Südreiches. Der Psalm bleibt aber nicht bei dieser Deutungsperspektive stehen, sondern in der Verwerfung des Nordreiches und der Erwählung des Südreiches artikulieren sich Restaurationshoffnungen aus eindeutig judäischer Perspektive. Auf die toposartige Darstellung der Strafaktionen Gottes in 78,62–64 ist in der Textanalyse bereits hingewiesen worden. 132 Gerade weil hier keine direkte literarische Vorlage identifiziert werden kann, zeigt sich, dass die Niederlage gegen die Philister zu einem Reflexionsstück über die Exilierung des gesamten Volkes geworden ist, 133 das auch transparent ist für die nachexilischen (Not-)Erfahrungen in der Diaspora. 130
So in der Bestimmung des literarischen Verhältnisses mit HOSSFELD, HThK.AT II, 438, der über Ps 78,60 urteilt: „Anstöße zu einem solchen Urteil hat sicher die Tempelkritik Jer 7,12.14 und 26,6.9 gegeben, die Schilo als warnendes Beispiel vorstellt“. Um gekehrt nimmt HAAG, Zion, 107–113, eine zweistufige traditionsgeschichtliche Beeinflussung von Jer 7 durch Psalm 78 an, wobei er das Verhältnis der beiden Texte aber primär mit Hilfe der jeweiligen absoluten Datierung bestimmt. Ähnlich ordnet W EBER , Werkbuch II, Jer 7,1–5 (sic!) in die „exilisch-nachexilische Nachgeschichte“ von Ps 78 ein. 131 Zur heilsgeschichtlichen Differenz zwischen Schilo und Jerusalem vgl. auch GÄRTNER, Geschichtspsalmen, 92; diese sieht den entscheidenden Unterschied aber d arin, dass das Jerusalemer Heiligtum „konstitutiv mit der Schöpfung Jhwhs“ verbunden ist, während Schilo als Zelt „von vornherein nur für eine gewisse Zeit bzw. einen Übergang konzipiert“ worden sei (ebd.). 132 Vgl. dazu o. Kap. 2.1. 133 Zu dieser Deutung vgl. auch SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 146f.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
Der letzte Abschnitt des Grundpsalms in Ps 78,65–72 konzentriert sich auf das Erwählungshandeln Gottes, das durch die Initialzündung seines Erwachens in Gang gesetzt wird ( ויקץִכישןִאדניִכג בורִמתרונןִמיין, 78,65). Im gesamten Psalter gibt es mit Ps 44,24 nur eine vergleichbare Aussage, in der das Volk seine Verwerfung in einen kausalen Zusammenhang damit bringt, dass Gott die Notlage seines Volkes gleichsam ‚verschläft‘ ()ישן: ‚Erwache! Warum schläfst Du, Herr? Erwache, verstoße nicht auf ewig!‘ ()עורה ִ למהִתישןִאדניִהקיצהִאלִתזנחִלנצח.134 Vor dem Hintergrund, dass auch der Anfang von Ps 78 Anklänge an Ps 44 enthält (78,2; vgl. 44,2) und die Verwendung der Prädikation אדוןin 78,65 singulär ist, kann an dieser Stelle eine bewusste Anspielung auf Ps 44 vermutet werden. 135 Das Lehrgedicht Ps 44 hat nicht nur das Paradigma für die Lehrunterweisung in Ps 78* abgegeben, sondern dem Korach-Psalm ist auch der Gedanke entnommen, dass die Notlage des Volkes nur durch einen Schlafeszustand Gottes erklärt werden kann. Aus der Anklage, die sich in Ps 44,24 manifestiert, ist in Ps 78,65 aber ein metaphorischer Vergleich geworden, der mit dem Motiv des schlafenden Gottes spielt und der auf sein heilswendendes Erwachen zielt. Das Eingreifen Gottes beginnt mit der Verwerfung des Zeltes Josephs bzw. des Stammes Ephraim. Hier liegt eine doppelte literarische Referenz vor: Die Verwerfung der Nordstämme im Bild Josephs bzw. Ephraims hat Anhalt an der Verwerfung Sauls (1 Sam 15,23.26; 16,1), ist aber auch in der Tempelrede Jer 7,15 vorbereitet. Die Verwerfung der Nordstämme ist in Ps 78* Bild für die Anbindung an die nachexilischen Restaurationshoffnungen, die sich auf Juda, Zion, und David richten. Während die Aussage über die Erwählung des Stammes Judas (78,68a) keine weitere Vorlage im Alten Testament hat, klingt in der Erwählung des Berges Zion aus Liebe (את ִהר ִציון ִאשר ִאהב, 78,68b) gängige Zionsmotivik an (vgl. Ps 47,5 oder 87,2).136 Die dezidierte Verwendung von ‚( בחרerwählen‘) in Verbindung mit einem kultischen Ort wie dem Berg Zion verweist aber auch auf das dtn. Kultzentralisationsgesetz in Dtn 12. In seiner Urfassung Dtn 12,14 gebietet das Gesetz die Beschränkung des Kults auf einen Ort, den Jhwh ‚in einem deiner Stämme‘ erwählen wird (כי ִאם ִבמקום ִאשר ִיבחר ִיהוה ִבאחד )שבטיךִשםִתעלהִעלתיךִושםִתעשהִכלִאשרִאנכיִמצוך. Die Erwählung Judas und 134 Außer in Ps 44,24 und 78,65 wird das Bild des Schläfers (ישן/ )י ש ןim Psalter nur noch in Ps 121,4 für Gott verwendet, wobei auch hier der Zustand des Nicht -Schlafens mit der Wacht über das Volk gleichgesetzt wird. 135 HOSSFELD, HThK.AT II, 439, weist zwar auf die Einführung des neuen Gottestitels אדניin Ps 78,65 hin, ohne hier aber eine literarische Referenz auf Ps 44,24 zu s ehen. Er spricht allgemein mit Verweis auf Ps 7,7; 35,23; 44,24; 59,5 und 83,2 davon, dass der angstvolle Weckruf an den schlafenden Gott in Ps 78 zur bitteren Realität geworden sei. 136 So auch HOSSFELD, HThK.AT II, 440.
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Zions in Ps 78,68 liest sich wie eine Kommentierung von Dtn 12,14, die einerseits die Erwählungsaussagen in Ps 78* legitimiert, andererseits aber die Identität von Stamm und Ort in Dtn 12 enthüllt. Vor diesem Hintergrund wird die Erwählung des Zions auch konsequent von der Heiligtumsgründung in Ps 78,69 gefolgt. Die Schilderung bedient sich traditioneller Motivik, wenn das Heiligtum den Höhen gleich ( )ויבןִכמרמים ִמקדשו137 gebaut und in seiner Stabilität so fest wie die Erde gegründet wird (כארץִיסדה )לעולם. Die Vorstellung, dass Jhwh die Erde fest gegründet hat ()יסד, gehört in den Motivkreis des Königtum Gottes (vgl. כי ִהוא ִעל ִ ימים ִיסדה, Ps 24,2) und ist von hier aus auch in anderen thematischen Zusammenhängen aufgenommen worden (vgl. Ps 89,12; 102,26; 104,5). Insbesondere scheint in 78,69 eine Nähe zu Ps 93 vorzuliegen, der die feste Gründung des Erdkreises durch Jhwh rühmt (אףִתכוןִתבלִבלִתמוט, 93,1), welcher in der Höhe (מרום, 93,4) thront. Während aber Ps 93 seinen Höhepunkt in der Herrschaft Jhwhs findet, läuft das Handeln Gottes in Ps 78 auf die Erwählung Davids zu,138 der die Herrschaft über das Volk von Gott übertragen bekommt. David ist die einzige Person der biblischen Geschichte, die in Ps 78* namentlich genannt wird. Die Umstände seiner Erwählung (V 70) und seiner Einsetzung in das Führungsamt (V 71*) entsprechen dem biblischen Bericht der Aufstiegsgeschichte in 2 Sam 5–7, enthalten aber auch eine Reihe literarischer Reflexe auf die Herrschererwartungen der nachexilischen Zeit. Von der ‚Erwählung‘ ( )בחרDavids berichten 2 Sam 6,21 und 1 Kön 8,16, wobei Ps 78,70 die Erwählung noch mit dem Ehrentitel ‚Knecht‘ ( )עבדverbindet. Der Knechtstitel wird fast immer im Zusammenhang der Erwählung und der Bestandsgarantie der Dynastie verwendet (vgl. z.B. 2 Sam 7,5.8), 139 findet sich aber auch in den zwei Davidverheißungen des Ezechielbuches (Ez 34,23f.; 37,24). Als Hirte Israels und Jakobs (לרעותִביעקבִעמוִובישראלִנחלתו, Ps 78,71*) wird David in die Funktion eingesetzt, für die er seit Kindesbeinen vorbereitet ist, da Gott ihn nach dem Bericht der Aufstiegsgeschichte 2 Sam 7,8 ‚von der Weide‘ weggenommen hat ()לקחתיך ִמן ִהנוה. Daraus ist in Ps 78,70 die Entführung von den Schafhürden weg geworden ( ) ויקחהוִממכלאתִצאן. Die Hirtenterminologie bestimmt aber auch die davidischen Restaurationshoffnungen der nachexilischen Zeit. So richten sich die Verheißungen in Ez 34,23; 37,24 ebenso wie Jer 23,5f. und Mi 5,3 auf einen davidischen Hirten, der sein Volk weiden wird.140 In Ps 78* verbindet sich diese Herrschererwartung 137
Zur Konjektur כמרמיםvgl. die textkritische Diskussion o. Anm. 18. Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 149. 139 Vgl. RINGGREN, Art. ע בַד, 1001. 140 Zu diesen Texten und der Herrschererwartung in den Prophetenbüchern insgesamt vgl. KLEIN, Schriftauslegung, 219–224.232–264. 138
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schließlich noch mit dem Ideal einer weisheitlichen Amtsausübung in der Lauterkeit des Herzens (כתםִלבבו, Ps 78,72), die Parallelen in Ps 101,2 und 1 Kön 9,4 hat. 141 In der Figur des biblischen David verhandelt Ps 78* damit die nachexilische Hoffnung auf einen david redivivus,142 die sich der Gattung als Lehrrede gemäß mit dem Ideal einer weisheitlichen Amtsausübung verbindet. Für das Geschichtsverständnis in Ps 78* ergibt sich damit das folgende Bild: Der Autor des Grundpsalms bedient sich unverkennbar der literarischen Überlieferung der Frühgeschichte Israels, die er für seine Intention fruchtbar macht. In einem linearen Aufriss der biblischen Geschichte vom Exodus bis zu David reflektiert er das Exil und beschreibt die Erwählung des nachexilischen Israels in den Farben Davids. Die Gattungseinordnung des Psalms als weisheitliche Lehrrede zeigt, dass der Psalm in der Tradition der dtn.-dtr. Erinnerungskultur steht 143 und die Aktualisierung der biblischen Geschichte der Unterweisung der Leser dient. Mit dem KorachPsalm 44 gibt es allerdings auch einen Prätext im Psalmkorpus selbst, der die gelungene Traditionsweitergabe von Gottes Wundertaten der Vorzeit thematisiert. Da Ps 78* auch die Metaphorik des schlafenden Gottes aus Ps 44,24 entlehnt und mit der Lehreröffnung von Ps 49 weitere Verbindungen zu der Korach-Sammlung bestehen, ist zu überlegen, ob Ps 78* insgesamt auf diese Psalmengruppe bezogen sein will. 144 Die Klage über das Exilsgeschick, die sich in der Gruppe Ps 42–49 artikuliert, wird in Ps 78* aufgenommen und mit der Hoffnung eröffnenden Erwählung Judas, des Zions und Davids beantwortet. Die erzählende Überlieferung der biblischen Geschichte wird in Ps 78* in unterschiedlicher Perspektive rezipiert. Als Leittext für den Geschichtsaufriss des Psalms dient das Meerlied Ex 15,1–21, das nicht nur an mehreren Stellen wörtlich zitiert wird, sondern mit seinem Geschichtsbogen von Ägypten bis zum Land auch den kompositionellen Hintergrund für Ps 78* bildet. Während aber die geschichtlichen Ereignisse im Hymnus Ex 15,1–21 ungebrochen Anlass für den Lobpreis Jhwhs sind, dienen sie in Ps 78* in paradigmatischer Weise dem Schuldnachweis des Volkes. Hier lehnt sich die Darstellung des Psalms mit dem Moselied Dtn 32 auch an die zweite dem Mose zugeschriebene Dichtung an, die mit der Versündi141 Während das Motiv des lauteren Herzens in 1 Kön 9,4 explizit mit David verbun den wird ( ) כאשר ִהלך ִדוד ִאביך ִבתם ִלבב, liegt in Ps 101 ein Königspsalm vor, der aber durch seine Überschrift als Gebet Davids gekennzeichnet ist; vgl. u. Kap. IV. 4.2.2. 142 So auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 149; HOSSFELD, HThK.AT II, 429, und SÜSSENBACH , Psalter, 313f.332, die die Erwartung allerdings in die spätexilische oder (früh-)nachexilische Zeit einordnen. Von der „Erwartung eines neuen David“ spricht auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 99. 143 So auch W ITTE, History, 37. 144 Vgl. dazu u. den Exkurs zu Ps 44.
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gung des Gesamtvolkes eine theologische Deutungsperspektive vorgibt. Gerade die literarischen Referenzen im Proömium des Psalms zeigen an, dass sich der namenlose Sprecher der mosaischen Autorität bedient, um die Legitimität seiner Aussagen zu unterstreichen. Dadurch bekommt die Daviderwartung am Ende des Psalms den Charakter einer Nachfolgeregelung, in der die Führung des Volkes in mosaischer Sukzession auf David übertragen wird.145 Die narrative Überlieferung wird aber nicht nur in der Perspektive des Hymnus rezipiert, sondern mit der Referenz auf die Tempelrede Jer 7,1–15 wird die biblische Geschichte auch prophetisch gedeutet. Das abschreckende Beispiel Schilos in der Tempelrede, das Jhwh als Konsequenz aus dem Fehlverhaltens Israels aufgegeben hat, schließt die narrative Lücke der Ladeerzählung in 1 Sam 4–6. So gibt die prophetische Mahnpredigt die Abfolge von Schilo und Jerusalem als ‚rechtmäßige‘ Heiligtümer vor, die der Autor des Psalms im Sinne eines heilsgeschichtlichen Gegensatzes deutet: Die Konsequenz der Verwerfung Schilos ist die dauerhafte Erwählung des Zions. Die konkrete Darstellung der biblischen Geschichte in Ps 78* wird damit durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: Zum einen wird die Gesetzesgabe dem eigentlichen Ablauf der Ereignisse vorgeordnet, wodurch das Gesetz von Anfang an als Maßstab für die Beurteilung des Volkes gelten kann.146 Als Kriterium für dessen Verhalten erweisen sich dabei die Zentralgebote des Deuteronomiums. So missachtet Israel mit dem wiederkehrenden Abprüfen Gottes sowie mit dem Götzenkult im Land das Erste Gebot (Dtn 5,6f. u.ö.), da es Gott als den Höchsten nicht anerkennen will, sondern sich selbst bzw. die Götzen an dessen Stelle setzt. Gegen das Zentralisationsgebot Dtn 12 verstößt Israel dagegen mit dem Höhenkult im Land, wobei die Erwählung des Zions als des dauerhaften Kultortes – und damit die eigentliche Zentralisation – als Konsequenz aus dieser Sündengeschichte dargestellt wird. Zum anderen fällt auf, dass es in der geschichtlichen Abfolge einen Wendepunkt gibt, an dem die biblische Geschichte transparent wird für die Lebenswirklichkeit der Leser. 147 Obwohl die Darstellung der Frühge145
Zur Bedeutung der zwei Mosedichtungen für Ps 78 vgl. auch W EBER , Werkbuch II, 55: „Dabei bietet das Mose-Lied die durchgehende theologische Erklärungsfolie von Ps 78, währenddessen das Schilfmeer-Lied den Stoff für die Vergegenwärtigung darreicht als Vorlage für die geschichtsübergreifende Optik vom Exodus zum Zion […]“. 146 Die gleiche Funktion hat die kurze Notiz Ex 15,25, in der die Gesetzesgabe ku rzerhand an den Anfang der Wüstenwanderung verlegt wird, so dass das Volk nun im Fol genden geprüft werden kann (נסה, 15,25). In ähnlicher Weise platziert die priesterschriftliche Darstellung mit Gen 9,1–6 und 17,9–14.23–27 einzelne Gesetzesbestimmungen in der Frühgeschichte des Volkes. 147 So in der Sache auch HOSSFELD, HThK.AT II, 428.440, der allerdings eine klare Trennung zwischen der geschichtlichen Darstellung und dem theologischen Kommentar
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schichte vom Exodus bis zu David geradlinig durchläuft, bekommen die Ereignisse mit der Preisgabe Schilos neben der literarischen Referenz auf die biblische Überlieferung auch einen historischen Referenzpunkt, da die Ereignisse auf das Exil und die nachexilischen Restaurationshoffnungen übertragen werden können.148 Saul und David werden zu literarischen Chiffren für die Verwerfung des Nordreiches und die Erwählung des Südreiches, in denen der Autor von Ps 78* für eine Anbindung an die judäischen Heilserwartungen der nachexilischen Zeit plädiert. Im Rahmen seiner Lehrintention verwendet er die Darstellung der biblischen Geschichte vor der Landnahme damit in anderer Weise als die Rekapitulation der Geschichte im Land. Während die Zeit in Ägypten und der Wüste lehrhaften Charakter hat, bekommen die Ereignisse unter Saul und David Bedeutung für die Lebenswirklichkeit in nachexilischer Zeit. Das Geschichtshandeln Gottes, der seine Wundermächtigkeit in der Frühgeschichte Israels erwiesen hat, wird zum Unterpfand der Hoffnung, dass er auch in Gegenwart und Zukunft Israels zum Heil seines Volkes handeln wird. 149 3.2 Geschichte in den Fortschreibungen Die Fortschreibungen des Grundpsalms Ps 78* fügen sich größtenteils in die Geschichtskonzeption(en) des Grundpsalms ein, indem sie die bereits angelegten Verbindungen zu den Prätexten ausbauen und das auf die Unterweisung der Leser gerichtete Auslegungsinteresse unterstützen. Dies gilt allerdings nicht für die vermutlich erste Fortschreibung in 78,9–11, für die keine literarische Vorlage identifiziert werden konnte. In dieser Bearbeitung wird eine neue Schuldzuweisung vorgenommen, indem die Sünde des Volkes allein den Ephraimiten angelastet wird. Dagegen ist die Zornesredaktion, die den Psalm in den Versen 78,19aa.21f.28.30f. 55b.59 überarbeitet, in besonderem Maße durch eine Anbindung an die Wüstenüberlieferung des Pentateuchs gekennzeichnet. 150 So geht die Glosannimmt. Da er in 78,61–64 den Untergang des Nordreiches beschrieben sieht, ist für ihn V 66 „die letzte bzw. jüngste Geschichtstat, von der Ps 78 berichtet“ ( HOSSFELD, a.a.O., 428) und dementsprechend stelle 78,67 den Übergang zur theologischen Deutung dar (vgl. HOSSFELD, a.a.O., 428.440). 148 Auch W ITTE, History, 37, sieht in der Transparenz der Ereignisse ab V 59 einen wichtigen Aspekt der Geschichtstheologie von Ps 78: „The transparency of the events described in vv. 59–63, which still show the experiences of Israel and Judah in NeoAssyrian, Neo-Babylonian, Persian and Hellenistic times.“ 149 Ähnlich urteilt SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 150: „Gottes Taten aus gründender Urzeit sind Vorbild seines zukünftig zu erwartenden Handelns und darin Hoffnungs gut geworden“. Allerdings macht er keinen Unterschied zwischen der Darstellung der vorstaatlichen und der staatlichen Zeit in Ps 78. 150 Die Verbindungen dieser Verse mit den Prätexten im Numeribuch sind weitgehend anerkannt; vgl. exemplarisch GUNKEL, Psalmen, 344f.; SPIECKERMANN , Heilsgegenwart,
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sierung in 78,19aa, die die provokante Forderung nach Speise zusätzlich als Auflehnung gegen Gott ( )וידברוִבאלהיםkennzeichnet, auf einen Erzählzug der Episode über die eherne Schlange in Num 21,4–9 zurück. 151 Dort verleitet das vermeintlich kärgliche Leben in der Wüste das Volk zur grundsätzlichen Infragestellung des Exodus und zum Murren gegen Gott und Mose (וידבר ִהעם ִב אלהים ִובמשה, 21,5; vgl. 21,7). Ebenso wie Gott in Num 21,6 mit der Schlangenplage auf die Aufbegehren des Volkes reagiert, schreibt auch die Zornesredaktion in Ps 78,21 eine unverzügliche Strafhandlung ein, während 78,22 das Vergehen des Volkes in sprachlicher Anlehnung an Num 14,11 mit fehlendem Gottesglauben begründet (כי לא ִהאמינו ִבאלהים, 78,22; vgl. לא ִיאמינו ִבי, Num 14,11). 152ִ Allerdings folgt die Beschreibung der göttlichen Reaktion Ps 78,21 in ihrer Formulierung nicht Num 21,6, sondern sie ist an die Tabera-Episode Num 11,1–3 angelehnt. Diese Episode schildert in schablonenhafter Form, 153 wie Gott das nicht näher ausgeführte Klagen des Volkes hört und sein Zorn erglüht, so dass ein Feuer gegen das Volk entbrennt (וישמע ִיהוה ִויהר ִאפו ִ ותעבר ִבם ִאש יהוה, 11,1). Da Num 11,1 nicht nur in Ps 78,21, sondern auch in 78,59 rezipiert wird, verstärkt sich der paradigmatische Charakter der Rezeption, da die Zornesreaktion Gottes als wiederkehrendes Handlungsmuster in den Psalm eingefügt wird. Während 78,21 in großer terminologischer Übereinstimmung mit Num 11,1 formuliert ist (לכןִשמעִיהוהִויתעברִואשִנשקהִביעקב )וגםִאףִעלהִבישראל, findet sich in 78,59 nur noch eine verkürzte Beschreibung der göttlichen Reaktion und der Gotteszorn manifestiert sich in der Verwerfung ganz Israels ()שמעִאלהיםִויתעברִוימאסִמאדִבישראל. In den ebenfalls zur Zornesreaktion gehörenden Versen Ps 78,28 und 78,30f. werden schließlich auf unterschiedliche Art und Weise die Bezüge zur Manna- und Wachtelepisode in Num 11 verstärkt. Die Ergänzung in Ps 78,28 trägt die Information nach, dass die geflügelten Vögel in die Mitte 135f. Anm. 4–7; MATHIAS, Geschichtstheologie, 85f.; HOSSFELD, HThK.AT II, 422f. Für das Wachtelwunder insgesamt siehe auch SCHILDENBERGER , Psalm 78 (77), 241f. Da GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 99–102.377f., von der literarischen Einheitlichkeit des Psalms ausgeht (vgl. dazu o. Anm. 22), beurteilt sie den Ausbruch des göttlichen Zornes und das Strafhandeln Jhwhs als grundsätzliche Reaktion Gottes auf die Verfe hlungen der Väter; dabei sieht sie die Auswirkungen des göttlichen Zornesgerichtes aber von vornherein begrenzt und auf nur einen Teil des Volkes gerichtet, so dass „ein For tgang der Geschichte ermöglicht wird“ (GÄRTNER , a.a.O., 99). 151 Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 135 Anm. 4; HOSSFELD, HThK.AT II, 422. 152 Num 14,11 ist die einzige Stelle im Pentateuch, in der die Wendung לאִאמןhif. + ב für die Sünde des Volkes gebraucht wird (vgl. noch Num 20,12 von Mose und Aaron), so dass hier eine bewusste Anspielung wahrscheinlich ist. 153 Dazu passt die Beobachtung von AURELIUS, Fürbitter, 142, der in Num 11,1–3 in Aufnahme von VOLKMAR FRITZ das festgeprägte Schema erkennt, das auch im Richterbuch begegnet.
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des Lagers und rings um die Wohnungen fallen (ויפל ִבקרב ִמחנהו ִסביב למשכנתיו, 78,28). Sie lehnt sich damit an den Bericht in Num 11,31 an, nach dem Jhwh die Wachteln auf das Lager ( )ויטשִעלִהמחנהund rings um es herum wirft ()סביבותִהמחנה. Eine ähnliche Notiz findet sich in Ex 16,13, wo die Wachteln das Lager bedecken ()ותכס ִאת ִהמחנה, während rings um das Lager eine Schicht von Tau liegt ( ) היתהִשכבתִהטלִס ביבִלמחנה. Die größeren terminologischen Übereinstimmungen mit Num 11,31 zeigen deutlich, dass der Autor der Zornesredaktion in Ps 78 die Überlieferung des Numeribuches bevorzugt. Dies beweist schließlich auch die Einfügung in 78,30f., die inhaltlich auf Num 11,33 rekurriert, ohne allerdings terminologische Stichwortbezüge aufzuweisen. Die zwei Texte berühren sich in der Vorstellung, dass der Zorn Gottes über die Israeliten hereinbricht, bevor sie noch Gelegenheit zum Auskauen der wundersamen Speise haben. Dabei bleibt der kausale Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Volkes und der Reaktion Gottes, der zu einem ‚großen Schlag‘ (מכה ִרבה מאד, Num 11,33) ausholt, im Numeribuch aber unverständlich. Gängige Erklärungen behelfen sich damit, dass das Volk den Wachteln maßlos und gierig zugesprochen habe. 154 Diese Interpretationslücke schließt der Autor von Ps 78,30f., indem er die Strafe Gottes explizit auf die Gier der Israeliten zurückführt, die sich bereits auf Nachschub richtet, obwohl sich noch Speise in ihrem Mund befindet (לא ִזרו ִמ תאותם ִעוד ִאכלם ִבפיהם, 78,30). In gleicher Weise erklärt er den ‚großen Schlag‘, der in Num 11,33 nur durch die nachfolgende Ätiologie von Kibrot-Hataawa (11,34) als Todesstrafe verständlich wird, in Ps 78,31 als Tötung der Kräftigen und der Jünglinge. Dieser Aspekt verdeutlicht die gezielte Auslöschung des Volkes durch die Tötung der nachwachsenden Generation. Damit bleibt nur noch die kurze Glosse in 78,55b, die zwar ebenfalls der Zornesredaktion zugeordnet werden konnte, in ihrer Kürze aber keinen bestimmten Prätext erkennen lässt. So verfolgt die Zornesredaktion als Ganze das Interesse, sowohl die Sünde des Volkes wie auch die strafende Reaktion Gottes in Anlehnung an die erzählende Überlieferung des Pentateuchs zu zeichnen, wobei insbesondere die Verbindungen zur Manna- und Wachtelerzählung Num 11 ausgebaut werden. Die nachfolgende Erweiterung in Ps 78,32–39.57 versammelt Referenzen auf unterschiedliche Überlieferungsbereiche des Alten Testaments. Am auffälligsten ist die Nähe des beschriebenen Sündenkreislaufs 78,32– 39 zum dtr. Richterschema (programmatisch Ri 2,6–3,6 u.ö.).155 Dieses 154 So z.B. NOTH, ATD 7, 81: „Ein Zusammenhang zwischen Essen und ‚Schlag‘ wird nicht ausgesprochen, aber in V. 33 doch wohl suggeriert; d.h. es wird angedeutet, daß das gierige und maßlose Essen des ‚lüsternen‘ Volkes den Tod vieler herbeigeführt hat.“ 155 Siehe dazu bereits GUNKEL, Psalmen, 345, sowie SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 143; SÜSSENBACH , Psalter, 305; HOSSFELD, HThK.AT II, 436; Letzterer vergleicht Ps 78
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Schema geht auf eine dtr. Redaktion zurück, die den Geschichtsverlauf in der Richterzeit als wiederkehrenden Abfall des Volkes von Gott kennzeichnet und damit auf die „Vergeblichkeit der ständigen Heilsangebote“156 zielt. Während die Sünde des Volkes in der literarischen Grundgestalt des Schemas darin besteht, dass die Israeliten ‚das Böse in den Augen Jhwhs‘ tun, zeigen die sekundären Auffüllungen, dass das Volk sich der Missachtung des Ersten Gebots und des ganzen Gesetzes schuldig macht.157 Daran wird bereits ersichtlich, dass die Nähe zwischen Ps 78,32– 39.57 und der Richterredaktion in erster Linie konzeptioneller Natur ist. Allerdings liegt mit dem Leitwort ‚( אףZorn‘) auch eine deutliche Stichwortverbindung zwischen den literarischen Größen vor, die in der Zornesredaktion des Psalms vorbereitet ist (Ps 78,38; vgl. Ri 2,14.20; 3,8 u.ö.). Die Textbereiche berühren sich ferner darin, dass der Abfall von Jhwh in der Kategorie des Bundesbruchs beschrieben wird ( ולא ִנאמנו ִבבריתו, Ps 78,37; vgl. עברוִהגו יִהזהִאתִבריתי, Ri 2,20). 158 In der Gesamtschau der Verbindungen lässt das darauf schließen, dass der Abschnitt Ps 78,32–39.57 in bewusster Anlehnung an die dtr. Bearbeitung im Richterbuch gestaltet worden ist, wobei der Kreislauf des wiederholten Abfalls aber in die Wüstenzeit vorverlegt wird. Die „Kontinuität und Gleichförmigkeit der Sünde“159 beginnt nicht erst im Land selbst, sondern kennzeichnet bereits die Frühgeschichte des Volkes in der Wüstenzeit (vgl. die Einschreibung von 78,32–39 vor 78,40ff.). In Bezug auf die verbleibenden Prätexte von Ps 78,32–39.57 erstaunt deshalb nicht, dass zuerst die Bezüge zur Wüstenüberlieferung des Hexateuchs verstärkt werden. Die Einschreibung der Generationendifferenz in 78,57 entspricht sachlich der Ankündigung Gottes in der Kundschaftergeschichte Num 14,22f., dass die Männer, die seine Zeichen gesehen und ihn versucht haben (וינסו ִאתי, 14,22), das Land nicht sehen werden. In ähnlicher Weise beginnt auch die längere Einschreibung in Ps 78,32–39 in V 32 in diesem Punkt auch mit Ez 20, wobei der Vergleich „das Exilskolorit der Darstellung von Ps 78“ belege (ebd.). In diesem Punkt ist Ez 20 m.E. aber näher an Ps 106 zu rücken als an Ps 78; vgl. dazu u. Kap. IV. 3.2. 156 B ECKER , Richterzeit, 92. Das dtr. Schema umfasst die Elemente ‚Sünde – Übereignung an die Feinde – Schreien zu Jhwh – Erweckung eines Richters – Beugung der Feinde – Ruhen des Landes‘; zur Profilierung des dtr. Richterbildes vgl. insbesondere B ECKER , a.a.O., 91–98; KRATZ, Komposition, 193–208.215f. 157 Vgl. KRATZ, Komposition, 202f. 158 MATHIAS, Geschichtstheologie, 88, und HOSSFELD, HThK.AT II, 436, sehen in der Erwähnung des Bundes in Ps 78,37 eine Referenz auf den Sinai. Das erscheint aber fraglich, da der Sinai ansonsten keine Rolle im Psalm spielt und in seiner Funktion als Ort der Gesetzesproklamation durch die Gesetzesgabe im Proömium auch faktisch der Geschichte vorgelagert worden ist. 159 KRATZ, Komposition, 203, zur Intention des Richterschemas.
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mit dem Vorwurf, die Israeliten hätten nicht an die Wunder Gottes geglaubt ()ולא ִהאמינו ִבנפלאותיו, wobei mit לא אמןhif. + בein Vokabular der Zornesredaktion aufgegriffen wird (vgl. 78,22). Gerade der Beginn von V 32 hat allerdings auch einen weisheitlichen Hintergrund. Die Formulierung בכל ִזאת ִחטאו ִעודhat zwei enge Parallelen in der Hioberzählung, wo von Hiob ausgesagt wird, dass er trotz der erlittenen ‚Gottesschläge‘ nicht sündigte (בכלִזאתִלאִחטאִאיוב, Hi 1,22; 2,10). Das Gegenbild Hiobs, der als der exemplarische Gerechte auch in der Anfechtung gottesfürchtig bleibt, verstärkt die Schwere der Sünde Israels in Ps 78, die hier ohne Not erfolgt. Dementsprechend wird auch die Strafe Gottes in weisheitlichen Termini als das ‚Enden der Tage im Nichts‘ (ויכל ִבחבל ִימיהם, 78,33) beschrieben, was als Umkehrung von Hi 21,13; 36,11 interpretiert werden kann (vgl. ähnlich Hi 7,6; Ps 90,9).160 Im weiteren Verlauf ist vor allem die Vertrauensaussage in Ps 78,35 bemerkenswert, die mit צורund גאלzwei Gottesbezeichnungen aufweist, die beide in der poetischen Rezeption der biblischen Geschichte eine wichtige Rolle einnehmen. So ist die Titulatur Gottes als ‚ihr Fels‘ ( )צורםein Leitwort im Moselied Dtn 32 (vgl. 32,4.15.18.30.31bis). 161 Auf die zweite Dichtung des Mose verweist dagegen die Bezeichnung als ‚ihr Erlöser‘ ()גאלם,ִ da im Meerlied Ex 15,13 die Beziehung zwischen Gott und Volk durch das Verbum גאלbeschrieben wird. Der Autor von Ps 78,35 ergänzt diese zwei Titel noch mit der Gottesbezeichnung als ‚Höchster‘ ( )עליוןdie ihm in 78,17.56 bereits vorliegt und in ihrem Gebrauch eine Besonderheit der Asaph-Gruppe widerspiegelt.162 Da Ps 78 sich auch an anderer Stelle an den zwei Mosedichtungen Ex 15 und Dtn 32 orientiert, kann vermutet werden, dass in dieser theologischen Spitzenaussage des Psalms bewusst die Gottesbezeichnungen צורund גאלverwendet werden. Die literarischen Referenzen rufen Gottes Heilstaten in der Geschichte in Erinnerung, wie sie in Ex 15 und Dtn 32 bezeugt sind und vor deren Hintergrund der erneute Abfall des Volkes in Ps 78,36f. umso schwerer wiegt. Ein ‚Totalgericht‘ über das Volk verhindert nur Gottes wesenhafte Barmherzigkeit, die 160 Hi 21,13: ;יכלו ִבטו ב ִימיהםHi 36,11: יכלו ִימיהם ִבטוב. Vgl. zu diesen Querbezügen auch HOSSFELD, HThK.AT II, 436. In Hi 21,13 bricht sich allerdings als Anzeichen für die Krise der Weisheit die Frustration Hiobs Bahn, dass auch die Gottlosen ihre Tage im Glück genießen, während Elihu in 36,11 daran festhält, dass dieses das Los der Gerec hten ist. 161 In Dtn 32,37 wird צורdarüber hinaus als Bild für die falschen Götter verwendet, bei denen das Volk vergeblich Zuflucht sucht. 162 Vgl. dazu u. Kap. 4 . Die Doppelbezeichnung hat eine einzige Parallele im Alten Testament in Ps 19,15 ()יהוהִצוריִוגאלי. Da es sich hier aber um einen späten Weisheitspsalm handelt, der bereits Ps 119 auslegt (vgl. dazu KLEIN, Half Way, 137–155) und in dem die geschichtliche Anspielung aus dem Kontext der Weisheitsdichtung fällt, ist Ps 19,15 vermutlich in die Nachgeschichte von 78,35 einzuordnen.
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abschließend in 78,38f. beschrieben wird. In der Formulierung liegt eine Anspielung an die Gnadenformel Ex 34,6f. vor (אל ִרחום ִוחנון, 34,6; vgl. ferner Num 14,18 und Ps 103,8 163), die ebenfalls im Kontext des Bundesbruches (vgl. Ex 32–34) die Prärogative von Gottes Barmherzigkeit vor seinem Zorn betont. 164 Über die Parallelstelle hinausgehend wird die Nachsicht Gottes in Ps 78,39 mit der flüchtigen Natur des Menschen begründet, die an die Vergänglichkeitsklage von Hi 7,7 und verwandte Stellen im Psalter erinnert. 165 An dieser Stelle klingt an, dass die anfällige Konstitution des Menschen als Gegenüber Gottes eine Bestrafung nicht rechtfertigt. Damit verbleibt die Analyse der Plagenbearbeitung in Ps 78,43–51.53. Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass die Rückführung der einzelnen Plagen auf die Pentateuchschichten in Ex 7–12 zu keinen befriedigenden Ergebnissen führt. 166 Deshalb soll im Folgenden die Frage im Vordergrund stehen, welche Erzählzüge der Exodusüberlieferung in der poetischen Fassung des Psalms rezipiert werden und ob ein übergreifendes Auslegungsinteresse nachzuweisen ist, das Auswahl und Anordnung der Plagen steuert. 167 Einen ersten Hinweis auf die Funktion der Plagen im 163 Vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 143; HOSSFELD, HThK.AT II, 436f. Ähnlich ordnet W ITTE, History, 33 Anm. 47, Ps 78,38 in einen weiteren literarischen Kontext von Aussagen über Gottes Barmherzigkeit ein. Zur Rezeption der Gnadenformel in Ps 103 vgl. u. Kap. IV. 4.2.4. 164 Für GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 99–102.376–378, gehört die von ihr gesehene schöpfungstheologische Interpretation der Gnadenformel (Ps 78,38f.) zu den hermene utisch entscheidenden Kategorien für die Deutung der Geschichtsereignisse im Psalm: „Damit ist aber in Ps 78 der Zusammenhang von Güte und Zorn eng mit der schöpfung stheologischen Begründungsstruktur des Psalms verbunden, so dass die Barmherzigkeit des Schöpfers den Deutehorizont für das Handeln des Weltenherrschers vorgibt .“ (GÄRTNER , a.a.O., 378). Dieser These kann hier nicht gefolgt werden, da GÄRTNER von der Annahme ausgeht, dass 78,32–39 Teil des Grundpsalms ist (vgl. dazu o. Anm. 22). 165 HOSSFELD, HThK.AT II, 437, verweist hier auf Stellen wie Ps 39,5ff; 62,10; 89,48f.; 90,3–6; 94,11; 103,14. 166 Zumeist erschöpft sich der Ertrag unter dieser Fragerichtung darin, für die gesamte Plagenreihe oder für einzelne Plagen in Ps 78 eine Vorlage in den Pentateuchschichten zu identifizieren (vgl. z.B. GUNKEL, Psalmen, 345, ähnlich HOSSFELD, HThK.AT II, 437; zur These der Abhängigkeit in Ps 78 von der Plagenreihe eines ‚Jahwisten‘ siehe J IRKU, Geschichte, 110f.; FOHRER , Überlieferung, 70f. Anm. 28; LAUHA, Geschichtsmotive, 49–51, oder SCHILDENBERGER , Psalm 78 [77], 243–255; die umgekehrte These, dass Ps 78 die älteste Version und damit die Vorlage von Ex 7–12 bietet, vertritt dagegen HAGLUND, Historical Motifs, 95). Zu einer umfassenden Analyse des Plagenzyklus in Ex 7,8–11,10; 12,1–13,16 vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 168–266.267–276.335– 342, und die dort angegebene Literatur. 167 Diese Frage hat bisher nur MATHIAS, Geschichtstheologie, 92, beantwortet, der die Plagendarstellung dem Lehrzweck des Psalms untergeordnet sieht; vgl. dazu u. Anm. 184.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
Gesamtaufriss von Ps 78 gibt der einführende Vers in 78,43, wo diese als ‚Zeichenִ und Wunder‘ ( )אתותיו ִומופתיוeingeführt werden. Diese Zusammenstellung von אותund מופתnimmt die programmatische Ankündigung aus Ex 7,3 auf, die die folgenden Plagen in einer redaktionellen Steigerung der priesterschriftlichen Darstellung als Erweiswunder Jhwhs charakterisiert:168 Jhwh sagt hier an, dass er das Herz des Pharaos verhärten und seine Wunder und Zeichen im Land Ägypten zahlreich machen wird (ואני אקשהִאת ִלבִפרעהִוה רביתיִאתִאתתיִ ואתִמופתיִבארץִמצרים, 7,3). Der Autor der Ergänzung in Ps 78,43–51* rekurriert damit auf eine nachpriesterschriftliche Bearbeitung des Plagenzyklus Ex 7–12, die er als Leseanweisung vor die Plagenreihe des Psalms stellt. Allerdings spielt der Machterweis gegenüber Pharao und den Ägyptern in Ps 78 keine Rolle, sondern es geht allein um die Israeliten, die der Taten Gottes nicht mehr gedenken (לאִזכרו, 78,42), und deshalb nachdrücklich an diese erinnert werden müssen. Der Psalm greift darin eine zweite Deutungsperspektive der Plagen in Ex 7–12 auf, die ihren Ausdruck in Ex 10,2 findet. Hier ergreift ein Redaktor das Wort, der sich des Schemas der dtn.-dtr. Kinderbelehrung bedient, um die Bedeutung der ägyptischen Plagen für das Gottesverhältnis Israels einzuschärfen:169 Die Verkündigung von Jhwhs Zeichen ( )את ִאתתיunter den israelitischen Nachkommenschaft zielt auf die Gotteserkenntnis des Volkes (וידעתםִכיִאניִיהוה, 10,2). Diese Vorstellung, dass das Plagengeschehen von vornherein auf Verkündigung angelegt ist, 170 entspricht genau der Intention, mit der der Autor von Ps 78,43–51* die Plagen in den Psalm einschreibt. In der von ihm gewählten Doppelbezeichnung der Plagen als Zeichen und Wunder schwingen die unterschiedlichen Deutungsperspektiven von Ex 7,3 und 10,2 mit, die die Plagen im Psalm zum Gegenstand der Lehrunterweisung machen. Die eigentliche Plagenreihe wird in Ps 78 mit der Wandlung von Wasser zu Blut eröffnet, die darauf zielt, dass ‚sie‘ (= die Ägypter) nicht trinken können (ויהפךִלדםִ יאריהםִונזליהםִבלִישתיון, 78,44). Hier liegt ein deutlicher Rekurs auf die priesterschriftlich überarbeitete erste Plage in Ex 7,14–25*171 vor, in der das ursprüngliche Motiv des Fischsterbens sekundär durch die Verwandlung des Wassers zu Blut hervorgerufen wird (vgl. 168 Vgl. dazu B ERNER , Exoduserzählung, 258. Zur nachpriesterschriftlichen Einordnung von Ex 7,3 vgl. bereits GERTZ, Tradition, 252f.331 169 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 231. Dieser sieht in Ex 10,2 das Gegenstück zu Ex 9,15f., wo derselbe Bearbeiter die universelle Wirkung der Plagen bedenke, die der Verkündigung des Jhwh-Namen auf der ganzen Erde diene (vgl. B ERNER , a.a.O., 231). Zu diesem redaktionellen Zusammenhang siehe bereits GERTZ, Tradition, 153f., der Ex 9,15f. und 10,2 aber in den weiteren Kontext seiner ‚Endredaktion‘ einordnen will. 170 Vgl. GERTZ, Tradition, 154. 171 Zur Zählung der Plagen in Ex 7–11 vgl. NOTH, ATD 5, 45–65.
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ונהפכו ִלדם, 7,17b*; ויהפכו ִכל ִהמים ִאשר ִביאו ִלדם, 7,20b).172 In dieser Transformation wird das Nilwasser untrinkbar (vgl. ולא ִיכלו ִמצריםִלשתותִמיםִמן היאו, 7,21abg; כי ִלא ִיכלו ִלשתת ִ ממימי ִהיאר, 7,24). Der Autor von Ps 78,43– 51* rezipiert die erste Plage damit gezielt in ihren Auswirkungen auf die existentielle Versorgung der Ägypter mit Trinkwasser. In der Parallelisierung der Bezeichnung יארfür den Nil mit seinen Seitenarmen173 und dem Lemma נזל, das im vorderen Teil des Psalms das Ereignis des Wasserwunders beschreibt, stellt er die erhaltende Fürsorge Gottes für sein Volk dem Entzug der Lebensgrundlage für die Feinde kontrastierend gegenüber. Auf den Entzug des Trinkwassers folgt in Ps 78,45 mit dem Ungeziefer ( )ערבund den Fröschen ( )צפרדעeine Kombination zweier Plagen aus dem vorpriesterschriftlichen Plagenbericht. Im Gegensatz zu ihrer dortigen Abfolge in Ex 7,26–29 (Frösche) und 8,16–20 (Ungeziefer) werden die Plagen in der Reihenfolge umgekehrt und bieten in den geschilderten Auswirkungen auf die Ägypter eine Radikalisierung der Vorlagen. Zielen die zwei Plagen in der Exoduserzählung auf den zwar lästigen, aber letztlich doch unschädlichen Befall der Wohnbereiche (Ex 7,28f.; 8,17.20), sollen die Ägypter nach der Darstellung von Ps 78,45 von den Ungeziefern verzehrt und durch die Frösche verdorben werden ( ישלחִבהםִערבִויאכלם ִוצפרדע )ותשחיתם. Während das Motiv des ‚Gefressen-Werdens‘ ( )אכלohne Parallele in Ex 7–12 ist, liegt mit der Aussage über das ‚Verderben‘ ( )שחתvermutlich eine Aufnahme von Ex 8,20 vor. Dort wird שחתallerdings in Bezug auf das Land verwendet, das durch das Ungeziefer verheert wird (ובכל )ארץִמצריםִתשחתִהארץִמפניִהערב. In der Logik des Psalms folgt so auf den Entzug des Trinkwassers die physische Aufzehrung der Ägypter. Die dritte Plage des Psalms nimmt in 78,46 mit den Heuschrecken die achte Plage der Exoduserzählung auf. Dort bildet die Heuschreckenplage zusammen mit Hagel und Finsternis in Ex 9,17–10,28 einen nachpriesterschriftlichen Abschluss des Plagenzyklus. Die beiden Versionen stimmen darin überein, dass durch die Heuschrecken ein umfassender Ernteschaden hervorgerufen wird. In Ex 10,5 wird dieser in engem Zusammenhang mit der vorausgehenden Hagelplage geschildert: Die Heuschrecken werden den letzten Rest dessen verzehren, was der Hagel den Ägyptern übrig gelassen hat (ואכל ִאת ִיתר ִהפלטה ִהנשארת ִלכם ִמן ִהברד, 10,5ba).174 Der Autor 172 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 173f. Zur redaktionellen Trennung der Motive Fischsterben und Verwandlung in Blut siehe auch NOTH, ATD 5, 55–57; KOHATA, Jahwist, 93f., und ausführlich GERTZ, Tradition, 98–113. 173 Vgl. dazu EISING, Art. י א۟ר, 385. Die Tatsache, dass das Lemma in seinem Vorkommen im Pentateuch durchgängig den Artikel trägt, deute darauf hin, dass es nicht als Eigenname verstanden worden sei (vgl. ebd.). Den Bezug in Ps 78,44 auf die Mündung sarme des Nil vermutet EISING, a.a.O., 387. 174 Die nachklappende Angabe in Ex 10,5bbg dehnt die Schadenswirkung der Heuschrecken nachträglich auf die Bäume des Feldes aus; vgl. GERTZ, Tradition, 153 Anm.
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von Ps 78,43–51* löst diese Verbindung, indem er die Heuschreckenplage vor die Hagelplage in 78,47 stellt und ohne Bezug auf ein vorhergehendes meteorologische Ereignis davon spricht, dass Gott den jungen Heuschrecken (חסיל: ‚Nager‘) und den ausgewachsenen Insekten den landwirtschaftlichen Ertrag zum Fraß preisgibt ( ויתןִלחסילִיבולםִויג יעםִלארבה, 78,46).175 Die nachfolgende Beschreibung der Hagelplage fällt dadurch aus dem Rahmen, dass sie mit Ps 78,47–48a einen Halbvers über die bisher dominierende Gliederung in Bikola hinausgeht.176 Die Plage wird in 78,47 dezidiert in ihren Folgen für die pflanzlichen Produktionsmittel thematisiert: Durch Hagel zerschlägt Gott die Weinstöcke der Ägypter, während ihre Maulbeerbäume den Wasserfluten zum Opfer fallen ( יהרג ִבברד ִגפנם )ושקמותם ִבחנמל. Der Redaktor stellt hier einen Erzählzug in den Vordergrund, der in seiner Vorlage erst auf eine spätere Überarbeitung der Hagelplage in der Exoduserzählung zurückzuführen ist. Während die ursprüngliche Fassung in Ex 9,25a betont, dass der Hagelschlag in Ägypten gegen alles, ‚vom Mensch bis zum Vieh‘, gerichtet ist (ויךִהברד ִבכל ִ ארץִמצריםִאת ) כלִאשרִבשדהִמאדםִועד ִבהמה, trägt 9,25b die landwirtschaftlichen Schäden nach.177 Hier wird der Hagelschaden sekundär auf Kraut und Bäume des Feldes ausgeweitet () ואת ִכל ִעשב ִהשדה ִהכה ִהברד ִ ואת ִכל ִעץ ִהשדה ִשבר. Auf diese Weise stellt der Psalm die Zuordnung von Hagel- und Heuschreckenplage auf den Kopf. Führen die gefräßigen Insekten in der Exoduserzählung das Zerstörungswerk des Hagelschlags zu Ende, ist es in Ps 78 der Hagel, der im Anschluss an den Ernteschaden der Heuschrecken mit der Zerstörung von Weinstock und Maulbeerbäumen auch die zukünftige Ernte unmöglich macht. Der Halbvers 78,48a beschreibt nachfolgend die Bedrohung des Viehs, das Gott dem Hagel preisgibt ( )ויסגר ִלברד ִבעירםund rekurriert auf diese Weise auf die ursprüngliche Zerstörungswirkung des Hagels aus Ex 9,25a, der sich auch gegen das Vieh richtet. Die Funktion dieser nachklappenden Angabe erschließt sich aus der Beobachtung, dass 291; B ERNER , Exoduserzählung, 233. Dagegen will KOHATA, Jahwist, 166, das Verhältnis von Ex 10,5ba und 10,5bbg überlieferungsgeschichtlich erklären. 175 Während das Lemma ארבהauch in Ex 10,4.12–14.19 als Bezeichnung für die Heuschrecken belegt ist, ist חסילvermutlich aus Gründen der Parallelität hinzugesetzt worden (so auch GUNKEL, Psalmen, 345); zu dem hier vorausgesetzten Verständnis von חסיל als Bezeichnung für ein Entwicklungsstadium der Heuschrecke vgl. o. Anm. 10. 176 Diese Beobachtung setzt die textkritische Entscheidung voraus, in 78,48a der Les art des MT ‚( לברדdurch Hagel‘) zu folgen; vgl. dazu o. Anm. 12. Folgte man der Variante der hebräischen Handschriften und des Symmachus, läge in 78,48 insgesamt ein Do ppelzweier über die 5. Plage (Viehpest) vor; wie die folgenden Ausführungen zeigen, lässt aber auch der masoretische Text ein klares Anordnungsprinzip erkennen. 177 Zu dieser literarischen Differenzierung in Ex 9,25 vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 221.223f., der allerdings noch einmal zwei unterschiedliche Hände in 9,25ba und 9,25bb unterscheidet (vgl. B ERNER , a.a.O., 224).
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die Preisgabe des Viehs an den Hagel im zweiten Versteil mit der Auslieferung der Herden an die ‚Seuchen‘ parallelisiert wird (ומקניהם ִלרשפים, 78,48b).178 Auch wenn keine direkten Stichwortverbindungen vorliegen, ist die Anspielung an die 5. Plage der Exoduserzählung unverkennbar (Viehpest, Ex 9,1–7). Der Autor von Ps 78,43–51* kombiniert bewusst die beiden Plagen seiner Vorlage, um ein neues Ereignis zu schaffen, das in Gänze die Auswirkungen des göttlichen Zorns gegenüber dem ägyptischen Vieh beschreibt. Den Höhepunkt der Plagenreihe im Psalm bietet die Tötung der Ägypter selbst, die in Ps 78,50abb–51 in einen Doppelzweier gefasst ist. Das erste Bikolon in 78,50abb beschreibt in weisheitlicher Terminologie, dass Gott die Feinde nicht bewahren wird, sondern ihr Leben Tod und Pest ausliefern wird ()לאִחשךִממותִנפשםִוחיתםִלדברִהסגיר. Für die Ausdehnung der Viehpest auf die Menschen hat vermutlich die priesterschriftliche Plage der Beulenpest (6. Plage, Ex 9,8–12) Pate gestanden, 179 die im Anschluss an Ex 9,1–7 eine Seuche einführt, die Mensch und Vieh gleichermaßen befällt.180 Die Pest nimmt in Ps 78,50b als Mittel zur Auslöschung der Ägypter die Tötung der Erstgeburt vorweg, die in 78,51 den Plagenzyklus abschließt.181 In seiner Formulierung rekurriert das erste Kolon in Ps 78,51a ( )ויךִכלִבכורִבמצריםauf den Bericht über die Ausführung des göttlichen Schlags in Ex 12,29 ()ויהי ִבחצי ִהלילה ִויהוה ִהכה ִכל ִבכור ִבארץ ִמצרים, während die zweite Vershälfte eine terminologische Variation der Erstgeburt als ‚Erstlinge der Manneskraft in den Zelten Hams‘ (ראשיתִאוניםִבאהלי חם, 78,51b) bietet.ִDie Gleichsetzung der Erstgeburt mit dem Erstling der Manneskraft findet sich auch im Jakobssegen Gen 49,3 (vgl. Dtn 21,17), 178
Die Parallelisierung des Viehsterbens durch Hagel und Pest hat sich auch in der Textüberlieferung niedergeschlagen, in der es im Laufe der Transmission zu ein er Unsicherheit in der Lesung das Plagenwerkzeuges ‚( ברדHagel‘) in Ps 78,48a gekommen ist, das in einigen Versionen in Form der Variante ‚( בדרPest‘) überliefert worden ist; vgl. dazu auch o. Anm. 12 zur Bevorzugung der Lesart des MT. 179 Anders LEE, Context, 83f.; MATHIAS, Geschichtstheologie, 89, und HOSSFELD, HThK.AT II, 437, die davon ausgehen, dass die sechste Plage der Beulenpest in Ps 78 ausgelassen wird. 180 Die literarischen Verbindungen lassen darauf schließen, dass dem Autor von Ps 78,43–51* bereits ein Plagenzyklus vorlag, der sowohl die Viehpest (Ex 9,1 –7) als auch die Beulenpest (Ex 9,8–12) enthielt. In literaturgeschichtlicher Hinsicht geht die priesterschriftliche Plage der Beulenpest aber der Viehpest voraus, mit welcher eine junge Bildung innerhalb von Ex 7–12 vorliegt (nach SCHMITT, Tradition, 214f. Anm. 91, mit Ausnahme von 9,1f. ein „Werk der Endredaktion“, während es sich nach B ERNER , Exoduserzählung, 206, in anderer literarischer Einordnung „um die jüngste Plage überhaupt handeln muß“). 181 Zum unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Pest und der Tötung der Erstge burt vgl. auch HUPFELD, Psalmen II, 275f.; CLIFFORD, Zion, 134; MATHIAS Geschichtstheologie, 93.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
wodurch ähnlich wie bei der Trinkwasserplage der Segen Israels die helle Folie für die Plage an Ägypten bildet. 182 Der Zusatz im Zusatz Ps 78,49–50aa erweitert den Plagenzyklus um einen Doppelzweier, der die Plagen als Manifestation des göttlichen Zorns konkretisiert. Die einleitende Aussage, dass Gott die Glut seines Zornes gegen die Feinde schicken wird ( ישלח ִבם ִחרון ִאפו, 78,49aa) hat dabei nur wenige Parallelen im Alten Testament. Die Kombination von שלחmit חרון ist an drei anderen Stellen belegt, 183 wobei insbesondere der Vers Ex 15,7 von Bedeutung ist. Die Überlegenheit Gottes gegenüber seinen Widersachern konkretisiert sich in diesem Vers darin, dass Gott seine Zornesglut entsendet, die diese wie Stroh verzehren wird (תשלח ִחרנך ִיאכלמו ִכקש, Ex 15,7b). Dies zeigt, dass auch der späte Ergänzer von Ps 78,49–50aa sich der Bedeutung des Meerliedes für den Geschichtsaufriss des Psalms bewusst war. Er rekurriert mit Ex 15,7 ein weiteres Mal auf die Mosedichtung, um die Plagen paradigmatisch als eines der Ereignisse zu zeichnen, in denen Gott seine Überlegenheit gegenüber dem Feind beweist. Für die Darstellung der Plagenreihe in Ps 78 bleibt damit festzuhalten, dass diese erkennbar auf den Lehrzweck des Gesamtpsalms ausgerichtet ist.184 Die Plagen werden als herausragende Beispiele für die Wundertaten angeführt, durch die Gott sein Volk von den Bedrängern erlöst hat. 185 In 182 Die Formulierung ראשיתִאוןhat über Gen 49,3 und Dtn 21,17 hinaus nur noch eine Parallele im Geschichtspsalm 105,36, die aber in die literarische Nachgeschichte von Ps 78 einzuordnen ist; vgl. dazu u. Kap. IV. 3.1. 183 Vgl. Ex 15,7; Hi 20,23 und Jer 49,37. LEE, Context, 83–98, sieht in Ps 78,49f. den Schlüssel zum Verständnis der Plagenreihe, da hier mit der Aktualisierung der Gerichts ansage Jes 10,5f. eine Anspielung auf die assyrische Feindmacht vorliege. Gegen die von ihm angeführten Stichwortbezüge (vgl. LEE, a.a.O., 84) ist aber einzuwenden, dass שלח und אףin keinem kausalen Zusammenhang in Jes 10,5f. stehen, während עברהnicht Gerichtswerkzeug ist, sondern in Bezug auf die Feindmacht verwendet wird (Jes 10,6). Jes 10,5f. fällt damit als Kronzeuge für eine assyrische Feindbedrohung in den Plagen von Ps 78 aus. 184 Ähnlich auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 92, der davon ausgeht, dass bewusst eine Auswahl der Plagen vorgenommen wurde, die mit dem Lehrzweck des Psalms über einstimme. Im Anschluss an FOHRER s Unterscheidung dreier Erzählschemata für den Plagenzyklus (vgl. FOHRER , Überlieferung, 63–72) kommt er zu dem Urteil, dass nur die Plagen des Erzählschemas ausgelassen würden, denen keine ausdrückliche Warnung vorangehe (ebd.; vgl. zu dieser Beobachtung zuvor schon HIRSCH, Psalmen, 423f.). 185 Anders sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 81, das bestimmende hermeneutische Prinzip des Plagenteils in Ps 78 darin, dass die Plagen „als Zorngericht Jhwhs an den Ägyptern, den Bedrängern Israels, gedeutet werden.“ Diese Interpretation ist allerdings maßgeblich dadurch beeinflusst, dass GÄRTNER die Interpretation der Plagen als Zorneshandeln in 78,49–50aa zum Grundbestand des Psalms und der Plagenreihe zählt (vgl. dagegen die hier vorgelegte literarische Analyse o. Kap. 2.2). Darüber hinaus steht in 78,49f. m.E. auch weniger das Gericht an den Feinden im Vordergrund, sondern der Zorn bewirkt die göttlichen Wundertaten (vgl. 78,43).
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dieser Deutung setzt sich eine Auslegungslinie fort, die in der Plagenreihe der Exoduserzählung selbst schon angelegt ist. Wird den Israeliten dort in der Person des Mose die lehrhafte Weitergabe der Plagen aufgetragen (Ex 10,2), ist ihre didaktische Verwendung in Ps 78,43–51* bereits vollzogen: Der Redaktor legt die Verkündigung der Zeichen und Wunder dem anonymen Sprecher des Psalms in den Mund, der das Volk mit mosaischer Autorität unterweist. Die Aufnahme dieser nachpriesterschriftlichen Leseperspektive zeigt, dass der Plagenzyklus dem Redaktor von Ps 78,43–51* in einem weit fortgeschrittenen Wachstumsstadium vorgelegen hat. Dabei lassen die zahlreichen literarischen und thematischen Verbindungen zwischen Ex 7–12 und Ps 78,43–51* keine Bevorzugung einer spezifischen Pentateuchschicht erkennen, sondern Auswahl und Anordnung der einzelnen Plagen in Ps 78 werden durch das spezifische Rezeptionsinteresse gesteuert. Anders als in der Exoduserzählung, wo das Mittel der jeweiligen Schadenswirkung die Plagen voneinander abgrenzt, steht in Ps 78 das Objekt der Zerstörung im Vordergrund. So ist ein Zyklus entstanden, der vom Verderben des Trinkwassers (78,44) und der Auszehrung durch die Insekten (78,45) über die Zerstörung der landwirtschaftlichen Lebensgrundlagen Ernte, Nutzpflanzen und Vieh (78,46–48) in der Auslöschung der Ägypter gipfelt (78,50abb–51). Dieses gestalterische Konzept erklärt auch, warum nur acht der zehn Plagen aus der Exoduserzählung in Ps 78 berücksichtigt werden. Die Mückenplage (Ex 8,12–15) stellt eine Dublette zur Ungezieferplage dar, 186 die der Redaktor des Psalms nicht wiederholen wollte. Dagegen passt die Finsternisplage (10,21–29) nicht in sein Konzept, da sie keinen direkten Schaden nach sich zieht, sondern nur dazu dient, den Pharao zum Nachgeben zu bewegen. Wie bereits gezeigt, steht die Einschreibung der ägyptischen Plagen in einem literarischen Zusammenhang mit dem Nachtrag in Ps 78,53, da dieser den Aufbruch des Volkes aus der Wüste 78,52 in einer Anspielung auf das Meerlied sekundär als neuerlichen Exodus aus Ägypten interpretiert.187 Dabei spielt die Aussage über die sichere Leitung des Volkes ( וינחםִלבטח ִולאִפחדו, 78,53a) in doppelter Weise mit dem Prätext: Der Erwählung der Israeliten, die sich nicht fürchten sollen ()ולא ִפדחו, steht das Schicksal der Fremdvölker gegenüber, die nach Ex 15,16 vom Gottesschrecken befallen werden ()תפלִעליהםִאמתהִופחד. Zugleich kontrastiert die sichere Führung Israels dem Schicksal seiner Feinde, die in einem Rekurs auf Ex 15,5.10 vom Meer bedeckt werden (ואתִאוי ביהםִכסהִהים, Ps 78,53b). In dieser Bearbeitung zeigt sich ein letztes Mal die Bedeutung des Meerliedes Ex 15,1–18, das als literarischer Prototyp über weite Strecken die Geschichtsdarstellung in Ps 78 beeinflusst hat. 186 187
Vgl. GERTZ, Tradition, 84f.; B ERNER , Exoduserzählung, 188f.. Vgl. dazu o. Kap. 2.2.
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Als Letztes bleibt die geschichtshermeneutische Programmatik in 78,3– 4a zu bedenken. Diese ist nicht nur auf die anderen Geschichtspsalmen des Psalters gerichtet, sondern die Ergänzung verstärkt auch die bereits bestehende Anbindung an die Korachgruppe Ps 42–49 mit einem Zitat aus 44,2, das die Bedeutung des Psalms 78 als Beispiel für eine gelungene Lehrunterweisung unterstreicht.
4 Geschichte in den Asaph-Psalmen 4 Geschichte in den Asaph-Psalmen
4.1 Zur kompositionellen Anlage der Sammlung Nachdem voranstehend die Rezeption der biblischen Geschichte in Ps 78 untersucht worden ist, soll im Folgenden mit der Gruppe der Asaph-Psalmen (Ps 50; 73–83) der direkte literarische Kontext von Ps 78 in den Blick genommen werden. 188 Bei den Asaph-Psalmen handelt es sich um zwölf Einzelpsalmen, die mit Ausnahme von Ps 50 eine zusammenstehende Gruppe am Ende des elohistischen Psalters in Ps 42–83 bilden. Die Psalmen werden durch das gemeinsame Präskript ‚( לאסףvon/für Asaph‘) den im chronistischen Werk als Sängergilde belegten Aspahiten zugeschrieben189 und auf diese Weise als kompositionelle Einheit gekennzeichnet. Die Zusammengehörigkeit der zwölf Psalmen wird aber auch mit ihrer sprachlichen und motivlichen Eigenart begründet, wobei der Geschichtstheologie als verbindendem Element besondere Beachtung zukommt.190 Zu diesem Urteil hat maßgeblich beigetragen, dass der Geschichtspsalm 78 die kompositionelle Mitte der Sammlung bildet und seine entstehungsgeschichtliche Zusammengehörigkeit mit den anderen Psalmen nicht hinterfragt wird. Dabei unterscheidet sich die Lehrdichtung von Ps 78 aber in mehrfacher Hinsicht von den anderen Gruppenmitgliedern: Auffällig ist zuerst die Überlänge des Psalmes, der seine Nachbarn um ein Vielfaches an Versen übertrifft. Aber auch formgeschichtlich nimmt Ps 78 als weis188 Vgl. hierzu auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 102–134, die sich in ihrer Darstellung allerdings auf die Psalmen 74–79 beschränkt. 189 Vgl. 1 Chr 6,24; 9,15; 16,5.7; 25,1–9; 2 Chr 5,12; 29,13.30; 35,15; Neh 7,40; Esr 2,41; 3,10 u.ö. (zur Verbindung mit den Asaphiten siehe auch SCHELLING, Asafspsalmen, 219–230.253; SÜSSENBACH, Psalter, 339–343). Ps 96; 105 und 106 gelten als ‚deuteroasaphitische‘ Psalmen (zu der Bezeichnung als „deutero-Asaphite psalms“ vgl. NASUTI, Tradition History, 190 u.ö.), da sie in dem den Asaphiten zugeschriebenen Lobpreis 1 Chr 16 aufgenommen sind (1 Chr 16,7). 190 Zu den Gemeinsamkeiten der Asaph-Gruppe vgl. ILLMAN, Thema; NASUTI, Tradition History; ZENGER , Ps 82, 277–286; GOULDER , Psalms; W EBER , Psalm 77, 277–284; DERS., Asaph-Psalter, 118–126; HOSSFELD, Das Prophetische, 238–243, und jetzt ausführlich SÜSSENBACH, Psalter, 299–344.
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heitliche Lehrrede eine Sonderstellung innerhalb der Gruppe ein, die insgesamt der Großgattung der Klage zugeordnet werden kann. 191 Während Ps 74; 79; 80 und teilweise auch Ps 83 als kollektive Klage der Gattung der Volksklage zugehören, weist Ps 77 ebenso wie Ps 83 Formmerkmale der Einzelklage auf.192 Die Einordnung der übrigen Psalmen ist umstritten; zielführend ist m.E. aber die Beobachtung, dass Ps 75f. und Ps 81f. sich mit dem Thema des Gerichts inhaltlich entsprechen 193 und als Antwort Gottes auf die jeweils voranstehenden Klagen in Ps 74 bzw. 79f. verstanden werden können. 194 Der weisheitlich geprägte Ps 83, der Verbindungen sowohl zum Eröffnungspsalm 73 als auch zum gruppenexternen Psalm 50 aufweist, beschließt die Asaph-Sammlung. Auf diese Weise ergibt sich ein zweifacher Kompositionsbogen (Ps 74 – 75f. – 77 / Ps 79f. – 81f. – 83), der in seinen Teilen formgeschichtlich durch die Abfolge von (Volks-)Klage – Antwort – (Einzel-)Klage charakterisiert ist.195 Der Geschichtspsalm 78 steht in der Mitte dieser parallelen Kompositionsstruktur und könnte damit als Gegenstück zum Eingangspsalm 73 verstanden werden.196 Aufgrund der formalen und inhaltlichen Eigenständigkeit ist aber zu erwägen, ob es sich bei diesem Psalm nicht vielmehr um eine späte redaktionelle Einschreibung handelt, die der ge191
Vgl. MILLARD, Komposition, 100. Siehe auch MILLARD, a.a.O., 89–103, zu einer umfassenden formgeschichtlichen Untersuchung der Psalmengruppe, in der er eine „Kl ageliturgie“ bzw. „prophetische Klageliteratur“ sieht (MILLARD, a.a.O., 103). Die gattungskritische Sonderstellung von Ps 78 innerhalb der Gruppe beobachtet neben MILLARD, a.a.O., 89f., auch H OSSFELD , HThK.AT II, 440. Neben der formgeschichtlichen Zuordnung zur Gattung der Klage wird als Eige nart der Asaph-Psalmen auch der (kult-)prophetische Anspruch hervorgehoben; vgl. ILLMAN, Thema, 64; SCHELLING, Asafspsalmen, 250f.; NASUTI, Tradition History, 194, und ausführlich HOSSFELD, Das Prophetische, 239–243. 192 Vgl. dazu GUNKEL/B EGRICH, Einleitung, 117 (Ps 74; 79; 80 und 83 als Volksklagen).172 (Ps 77,2–7 Klage eines Einzelnen im Rahmen einer Mischgattung); NASUTI, Tradition History, 118–126.149–151; MILLARD, Komposition, 90; LEUENBERGER , Konzeptionen, 113; zur Einordnung von Ps 74; 79; 80 und 83 als „Volksklagen“ siehe auch ausführlich EMMENDÖRFFER , Gott, 77–102.121–146.147–162.192–203. 193 Zur Gerichtsthematik in den Asaph-Psalmen vgl. SÜSSENBACH, Psalmen, 314–319. 194 Vgl. LEUENBERGER , Konzeptionen, 112. Zur Entsprechung von Ps 75 und 81 als Antwort auf die Volksklagen vgl. zuvor wegweisend MILLARD, Komposition, 90.94f., und in Anlehnung an diesen ZENGER , Ps 82, 283. Während Ersterer Ps 76 und 82 durch das Richterthema an die jeweils vorhergehenden „Orakelpsalmen“ angebunden sieht (vgl. MILLARD, a.a.O., 90.96), erkennt Letzterer in Ps 76 und 81 die „(visionäre) Erfüllung“ der Ankündigungen aus Ps 75 und 81 (ZENGER , a.a.O., 283). 195 So in der grundsätzlichen Annahme einer parallelen Kompositionsstruktur mit MILLARD, Komposition, 89–103; ZENGER, Ps 82, 283f., ZENGER /HOSSFELD, HThK.AT II, 370f.451; LEUENBERGER , Konzeptionen, 112–115. Für eine inklusorische Anordnung mit den „Rahmenpsalmen“ 72 und 83 spricht sich W EBER , Asaph-Psalter, 136.138, aus. 196 So LEUENBERGER , Konzeptionen, 112f.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
samten Psalmengruppe sekundär eine Leseperspektive verleiht. Die Frage des redaktionellen Wachstums der Asaph-Psalmen als Einzelpsalmen und als Sammlung ist bisher noch nicht Gegenstand einer ausführlichen Studie gewesen. Ein gewisser Konsens herrscht darüber, dass eine vorexilische Klagesammlung mit nordisraelitischem Horizont exilisch-nachexilisch durch eine Zion-/Jerusalemperspektive aktualisiert und überarbeitet worden ist,197 wobei aber die vorausgegangene Analyse von Ps 78 gezeigt hat, dass das Gegenüber von Nordreich- und Südreichbezügen in diesem Psalm eine theologische Konstruktion darstellt.198 Im Folgenden soll speziell die Rezeption der Geschichte in den Psalmen der Asaph-Gruppe Ps 73–83 untersucht werden, um auf diesem Hintergrund den redaktionsgeschichtlichen Horizont von Ps 78 in den Blick zu nehmen. Der Psalm 50 wird am Schluss des Abschnittes behandelt, da seine isolierte Stellung auf eine bewusste redaktionelle Positionierung hindeutet, die einen Großteil der Sammlung bereits voraussetzt. Im Anschluss an die einleitenden KorachPsalmen des elohistischen Psalters (Ps 42–49) weist Ps 50 auf die abschließende Sammlung der Asaph-Psalmen voraus und legt so einen asaphitischen Rahmen um die Davidsammlung Ps 51–72. 4.2 Die Einzelpsalmen 73–77; 79–83; 50 4.2.1 Psalm 73 Der weisheitlich geprägte Eröffnungspsalm der Asaph-Sammlung Psalm 73 thematisiert den Tun-Ergehen-Zusammenhang, den der Beter durch das (scheinbare) Wohlergehen der Gottlosen in Frage gestellt sieht (שלום רשעיםִאראה, V 3). Der Eingang in ‚Gottes Heiligtümer‘ (מקדשיִאל, V 17)199 verschafft ihm aber die Einsicht, dass die Gottlosen ihr Schicksal ereilen wird (V 27) und bestätigt die Aussage des Proömiums, dass Gott Israel 197 Vgl. zuerst B USS, Psalms, 384–386, und jüngst W EBER , Asaph-Psalter, 127–139 (davor schon DERS., Psalm 77, 290–294). W EBER geht davon aus, dass die Sammlung vorexilisch in der Abfolge Ps 73–78; 80; 50; 81–83 vorliege und exilisch durch die Einfügung von Ps 79 und der Auslagerung von Ps 50 bearbeitet worden sei (vgl. W EBER , Asaph-Psalter, 133–136.136–138). Vergleichbar sind auch die literarhistorischen Einordnungen von HOSSFELD/ZENGER , die allerdings mit einem redaktionellen Wachstum der Sammlung bis in die Perserzeit hinein rechnen; vgl. dazu die einzelnen Analysen von Ps 73–83 bei HOSSFELD/ZENGER , HThK.AT II, 330–507. E MMENDÖRFFER , Gott, 292, datiert die Volksklagen Ps 74 und 77 in die Exilszeit, während er Ps 79 in die nachexil ische Zeit einordnet. 198 Anders W EBER , Ps 77, 293, der in Ps 78 eine der auf den Untergang des Nordre iches bezogenen Klagen der Sammlung sieht (vgl. dazu auch o. Anm. 197). 199 Die Pluralangabe ist mit ZENGER , HThK.AT II, 343–347 (vgl. dort auch zur Forschungsdiskussion), in metaphorischem Sinne als Gotteserfahrung zu deuten: „Der Beter redet hier figurativ/metaphorisch vom Eindringen in die Geheimnisse Gottes bzw. von einer mystischen Gotteserfahrung“ (ZENGER , a.a.O., 343).
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bzw. den Gerechten gut ist ( טוב ִלישראל ִאלהים ִלברי ִלבב, V 1).200 Die Geschichtstheologie spielt in diesem weisheitlichen Diskurs keine Rolle; einzig im Abschlussvers V 28 wird der gute Vorsatz des Beters, auf Jhwh seine Zuflucht zu setzen, in der zweiten Vershälfte durch die Absichtserklärung ergänzt, ‚alle deine Werke zu erzählen‘ ()לספרִכלִמלאכותיך.201 Diese Erklärung stellt metrisch einen Überschuss im Vers dar, indem sie den Parallelismus der ersten Vershälfte durch ein drittes Kolon aus dem Gleichgewicht bringt. Die Weitergabe von Gottes Werken erinnert stark an das Leitmotiv in Ps 78, die Kunde von Jhwhs Geschichtstaten an die nächste Generation weiterzugeben (78,3.4.6). Auch wenn mit מלאכהin 73,28b ein anderes Objekt verwendet wird, ist vorstellbar, dass in dem abschließenden Vorsatz eine redaktionelle Ergänzung vorliegt, die in Reaktion auf die Unterweisung von Ps 78 am Anfang der Asaph-Sammlung die Geschichtsperspektive vorbereitet.202 4.2.2 Psalm 74 Mit dem folgenden Psalm 74 liegt eine kollektive Klage vor, die den ersten Kompositionsbogen Ps 74–77 eröffnet. Die Wir-Gruppe, die sich als ‚Herde deiner Weide‘ ( צאן ִמרעיתך, V 1) im Gegenüber zu dem göttlichen Hirten begreift, fragt anklagend, warum dieser sie für immer verworfen habe (למה ִ אלהיםִזנחתִלנצח, V 1). Das Hirt-Herde-Motiv begegnet in mehre200 Bei der Angabe Israels in 73,1 ( )לישראלhandelt es sich vermutlich um eine redaktionelle Variante, die mit Blick auf die Gesamtkomposition die ursprüngliche Lesart אל ‚( ישרfür den Redlichen‘) verdrängt hat (vgl. DUHM, KHC 14, 278; KRAUS, BK XV/1, 734; SEYBOLD, HAT I/15, 281; ZENGER , HThK.AT II, 332; anders T ATE, WBC 20, 228). Für diese These spricht die parallele Angabe ‚( לבריִלבבdenen, die reinen Herzens sind‘) in der zweiten Vershälfte, der ansonsten fehlende Israelbezug und die Tatsache, dass der überlieferte Text durch eine geänderte Vokalisation und Wortaufteilung aus dem angenommenen ursprünglichen Text erklärt werden kann. 201 Die griechischsprachige Überlieferung bezeugt an dieser Stelle die längere Varia nte tou/ evxaggei/lai pa,saj ta.j aivne,seij sou evn tai/j pu,laij th/j qugatro.j Siwn. Hier liegt unverkennbar ein Zitat aus Ps 9,15 vor, mit dem der Übersetzer dem Psalm eine zionstheologische Perspektive gibt und aus der Weitergabe der Werke Gottes ( )מלאכותיךdie Kunde seines Lobpreises in den Toren der Tochter Zion macht (anders wertet CORDES, Asafpsalmen, 69, die LXX-Lesart in 73,28 hinsichtlich einer abweichenden hebräischen Vorlage in Ps 73 aus). Die Kunde des göttlichen Lobpreises hat sammlungsinterne Parallelen in Ps 78,4 (מספרים ִתהלות ִיהוה/ LXX: avpagge,llontej ta.j aivne,seij tou/ kuri,ou) und 79,13 ( נספר ִתהלתך/ LXX: evxaggelou/men th.n ai;nesi,n sou). 202 Vgl. auch W EISER , ATD 15, 351, der hier einen Bezug auf das gesamte Heilshandeln Gottes sieht. GUNKEL, Psalmen, 320, verbessert מלאכותיךgar zu נפלאותיך, ohne dafür allerdings Zeugen aus der Textüberlieferung auf seiner Seite zu haben; da der Satz im Psalm wenig angemessen erscheine und metrisch überschieße, schlägt er zudem die Streichung des gesamten Verses vor (vgl. ebd.). Ansonsten erwägt nur noch SEYBOLD, HAT I/15, nicht näher genannte Zusätze in V 27.28.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
ren Asaph-Psalmen zur Beschreibung des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Gott und seinem Volk (vgl. neben Ps 74,1; 77,21; 78,52.71f.; 79,13; 80,2). 203 In 74,1 wird die Klage des Volkes in diesem Bild zur Anklage, da das Volk in der aktuellen Notlage den Schutz des göttlichen Hirten vermisst und sich von diesem verworfen fühlt. 204 Eine Fortsetzung der vormaligen Heilsbeziehung fordert das Volk auch in 74,2 ein, wenn es Gott an die Erwählung in der gründenden Urzeit erinnert: ‚Gedenke deiner Gemeinde, die du ureinst erworben, erlöst als Stamm deines Erbbesitzes‘ (זכרִעדתךִקניתִקדםִגאלתִשבטִנחלתך, 74,2a). Sekundär ist dieses Bikolon in 74,2b durch den Bezug auf den Zion als ‚Berg, auf dem du Wohnung genommen hast‘ ( )הרִציוןִזהִשכנתִבוerweitert worden. 205 Die Anklänge von Ps 74,2a an das Meerlied Ex 15 sind unverkennbar: Während der Erwerb ( )קנהder Gemeinde an Ex 15,16 anspielt (עמִזוִקנית:ִ‚das Volk, das du gekauft hast‘), bezieht sich die Auslösung ( )גאלauf Ex 15,13 (עםִזוִגאלת: ‚das Volk, das du erlöst hast‘). 206 Die Sprechergruppe von Ps 74 zeichnet sich selbst in den Farben des Volkes, das im Exodus befreit und von seinem Gott zum Zion geführt worden ist. Als Erbstück ( )נחלהgilt anders als in Ex 15,17 aber nicht mehr der Gottesberg, sondern das Volk selbst, auch wenn sekundär durch die Ergänzung in Ps 74,2b der Zionsbezug hergestellt wird. Vor diesem literarischen Hintergrund kann die Zeitangabe ‚ureinst‘ ( )קדםin 74,2 als direkter Verweis auf die Exodusdichtung des Meerliedes an seinem jetzigen literarischen Ort in der Exoduserzählung gedeutet werden. Gemeint ist keine unbestimmte mythische Vorzeit, sondern die literarische Überlieferung von Israels Anfängen in Ex 15, die als ‚urzeitliche‘ Gründungslegende des Volkes in den Blick kommt. 207
203 Vgl. dazu ausführlich HUNZIKER -RODEWALD, Hirt 106–116, sowie SÜSSENBACH, Psalter, 319–321. 204 So auch HUNZIKER -RODEWALD, Hirt, 111; ZENGER , HThK.AT II, 363; SÜSSENBACH, Psalter, 319. 205 Durch die nachträgliche Präzisierung in 74,2b wird das ursprüngliche Bikolon zum Trikolon erweitert, das sich deutlich von der Bikola-Struktur des übrigen Psalms abhebt; vgl. ZENGER , HThK.AT II, 361; die Sekundarität vertritt ebenso SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 122.129 Anm. 19, während SEYBOLD, HAT I/15, 287, die Zufügung auf den Versteil 74,2ba eingrenzt. 206 Zu dieser literarischen Verhältnisbestimmung vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 122; EMMENDÖRFFER , Gott, 88; ZENGER , HThK.AT II, 363, und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 117. Für die hier vertretene Richtung der Abhängigkeit spricht vor allem der Parallelismus der Verben גאלund קנהin Ps 74,2, die in Ex 15 zu zwei unterschiedlichen literarischen Schichten gehören; vgl. dazu o. Kap. II. 1.2. 207 Obwohl der literarische Bezug von Ps 74,2 auf Ex 15 weitgehend anerkannt ist, wird קדםin der Regel nicht als Verweis auf das Meerlied an seinem literarischen Ort, sondern als Verweis auf die (Ur-)Zeit des Exodus verstanden; vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 128f.; EMMENDÖRFFER , Gott, 87f.; ZENGER , HThK.AT II, 363.
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Von besonderem Interesse für das Geschichtsverständnis von Ps 74 ist der hymnenartige Mittelteil 74,12–17, in dem die Sprechergruppe im Anschluss an die Klage über die Zerstörung des Heiligtums die Heilstaten Jhwhs preist. Der vorangehende Klageteil schließt in 74,11 mit der Frage, warum Jhwh seine Hand zurückhalte und seine Rechte verborgen bleibe () למה ִתשיב ִידך ִוימינך ִמקרב ִחוקך ִכלה.208 Das Zurückziehen der Rechten ist bereits in Klgl 2,3 Bild für die Preisgabe des Volkes ()השיבִאחורִימינו, erinnert aber erneut an das Meerlied Ex 15, wo die Rechte Jhwhs das Instrument ist, mit dem er zugunsten seines Volkes eintritt (15,6.12). Der jetzigen Situation, die als Preisgabe und Schutzlosigkeit empfunden wird, stellen die Beter in Ps 74,12–17 die Erinnerung an Jhwhs Rettungstaten gegenüber. Grundlegend für diese Handlungen ist das Königtum Jhwhs von Urzeit an ()מקדם, zu dem sich ein kollektives Ich in 74,12 bekennt: ‚Dennoch ist Gott mein König von ureinst an, der Rettungen wirkt mitten auf der Erde‘ ()ואלהים ִמלכי ִמקדם ִפעל ִישועות ִבקרב ִהארץ. Dieses Königtum konkretisiert sich in einer Reihe von Heilstaten, die der Beter Gott in beschwörendem ‚Du-Stil‘ (אתה, 74,13.14.15bis.16.17bis, לך, 74,16) vor Augen führt, um ihn zum (erneuten) Eingreifen zu bewegen. 209 Die Verse 74,13f. enthalten deutliche Anklänge an den kanaanäisch-judäischen Mythos, wenn Jhwh als derjenige angesprochen wird, der die Chaosmächte Meer ()ים, Wasserungeheuer ( )תניניםund Leviathan ( )לויתןbesiegt hat. 210 Die Anklänge an den Chaoskampf werden in Ps 74,12–17 durch eine Reihe von Schöpfungsbezügen ergänzt. So gilt das Gotteslob in 74,15 dem, der Quellen und Bach gespalten und ewige Ströme ausgetrocknet hat, (אתה ) בקעת ִמעין ִ ונחל ִאתה ִהובשת ִנהרות ִאיתן, während 74,16f. zum kosmischen Lobpreis übergeht. Hier wird die Herrschaft Gottes über die Ordnungsprinzipien gelobt, die die Trennung von Tag und Nacht (74,16a), die Erschaffung von Mond und Sonne (74,16b) sowie die Einrichtung der Jahreszeiten (74,17) umfasst. Auch wenn auf den ersten Blick keine Anleihen an die erzählerische Überlieferung ins Auge fallen, gibt der Hymnus durch die Rezeption verschiedener Prätexte zu erkennen, dass die urzeitlichen Heilstaten Gottes 208
Der Text von 74,11b ist verdorben, was schon die unterschiedlichen Deutungsve rsuche der Masoreten und der Versionen zeigen; obige Rekonstruktion folgt dem Vorschlag von SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 124 mit Anm. 6 (ebenso E MMENDÖRFFER , Gott, 78f.80); vgl. aber auch ebd. zu den Vorbehalten gegenüber dieser Emendation. 209 Zu diesem Zusammenhang vgl. auch SÜSSENBACH, Psalter, 301: „die Erinnerung an Chaoskampf und Schöpfung haben in Ps 74 die Funktion, Gott als den ‚König von uran‘ […] anzusprechen und bei seinem urzeitlich verstandenen Rettungs- und Gründungshandeln zu behaften.“ 210 Zum mythologischen Hintergrund vgl. ILLMAN, Thema, 17; SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 130f.; T ATE, WBC 20, 251f.; EMMENDÖRFFER , Gott, 94f.; SEYBOLD, HAT I/15, 289; ZENGER , HThK.AT II, 367f.
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geschichtlich reflektiert werden. Eine besondere Nähe liegt zu der Exoduspoesie des Meerliedes Ex 15 vor, die bereits in Ps 74,2 aufgenommen ist. Den zwei Texten gemeinsam ist die Begründung der erfolgten bzw. erhofften Rettung im Königtum Gottes, das sich von Urzeit an in seinen Rettungstaten (ישועות, Ps 74,12; ישועה, Ex 15,2; vgl. 14,13) konkretisiert.211 Mit dem Meerlied teilt Ps 74,13f. ferner die Charakterisierung von Gott als Chaoskämpfer, so dass in der Überwindung der Wassermacht ים (74,13) und der Zerschlagung des Leviathans (74,14) Gottes Sieg über die Ägypter und den Pharao evoziert wird. Auch der nachfolgende Vers 74,15 ist durch Mehrdeutigkeit gekennzeichnet. Die Abfolge von Spalten ()בקע und Austrocknen ( יבשhif.) kann zuerst zutreffend als „Exodusthematik in mythischem Gewande“ 212 beschrieben werden, wobei der Exodusbezug insbesondere durch die Verwendung des priesterschriftlichen Vorzugsverbs בקעangezeigt wird (vgl. Ex 14,16.21). Dagegen verweist die Formulierung יבשhif. auf das Deuterojesajabuch, wo sich die umschaffende Macht Jhwhs darin manifestiert, dass er Teiche bzw. Ströme austrocknen wird (ואגמים ִאוביש, Jes 42,15; ונהרתיךִאוביש44,27); ein Motiv, das sich am ehesten aus der Vorstellung des Chaoskampfes ableiten lässt. 213 Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Parallele in Jes 51,9–10a, ein prophetischer Weckruf in zwei Doppelzweiern, der an den Arm Jhwhs gerichtet ist und diesen auffordert, ‚wie in den Tagen der Vorzeit‘ zu erwachen ( עורי ִעורי ִ… ִכימי ִקדם, 51,9a). In zwei rhetorischen Fragen, die gleichlautend mit der Wendung הלואִאתִהיאeingeleitet werden, wird Jhwh nachdrücklich auf seine vormaligen Taten als Chaoskämpfer angesprochen: ‚Bist du es nicht, der Rahab zerhauen, das Wasserungeheuer durchbohrt hat? Bist du es nicht, der das Meer ausgetrocknet hat, die Wasser der großen Flut? (הלוא ִאת ִהיא ִהמחצבת ִרהב ִמחוללת ִתנין ִהלוא ִאת ִהיא המחרבת ִ ים ִמי ִתהום ִרבה, 51,9b–10a). Erst sekundär wird durch die Ergänzung von Jes 51,10b–11 eine Verbindung mit dem Meerwunder hergestellt und den Exilierten im Zweiten Exodus die Zionsheimkehr verheißen. 214
211
Zur Bedeutung des Königtum Gottes in Ex 15 vgl. o. Kap. II. 1.3. SPIECKERMANN , Heilgegenwart, 130. So sieht auch EMMENDÖRFFER , Gott, 95, in 74,15 die „interpretatio israelitica“, die „eine Anspielung auf den Exodus (Landnahme) ( בקעund יבשhif.)“ enthalte (ebenso NORIN, Er spaltete, 112; SÜSSENBACH, Psalter, 301). Anders deutet GUNKEL, Psalmen, 325, Ps 74,15 als schöpfungstheologische „Umordnung der Wasser“ (ähnlich auch SEYBOLD, HAT I/15, 289: „Spaltung des Urmeeres“). 213 Vgl. KRATZ, Kyros, 82. Zum Motiv des ‚Austrocknens‘ der Wasser siehe weiter hin Jes 50,2 und 51,10; dort aber jeweils mit abweichender Terminologie. 214 Vgl. dazu STECK, Beobachtungen, 112f.; DERS., Tröstung, 77–79; KRATZ, Kyros, 82; zur Sekundarität von 51,9b–10 vgl. zuvor schon ELLIGER , Deuterojesaja, 205–207. Zur Verbindung von Chaoskampf und Schilfmeerwunder in Jes 51,9f. siehe auch 212
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Hier ist im literarischen Wachstum von Jes 51,9–10a.10b–11 eine mit Ps 74,15 vergleichbare Auslegungslinie zu beobachten, in der das Chaoskampfmotiv in Jes 51,9–10a sekundär historisiert wird, indem es mit der Exodusthematik verbunden wird. Dabei ist sogar zu überlegen, ob der Hymnus in Ps 74,12–17 mit dem beschwörenden Du-Stil ( )אתהals direkte Antwort auf die rhetorischen Fragen von Jes 51,9–10a formuliert worden ist und so die theologiegeschichtliche Entwicklung im Zweiten Jesaja in den Psalmen fortsetzt. Die rhetorischen Fragen aus Jes 51 sind dabei in Ps 74 in den lobpreisenden Hymnus überführt worden. Chaoskampf und Exodus werden in Ps 74,16f. abschließend durch schöpfungstheologische Bezüge ergänzt. In der Aufzählung von Sommer und Winter bzw. Tag und Nacht kann eine Anspielung auf den Schluss des nichtpriesterschriftlichen Sintflutberichtes Gen 8,22 vermutet werden, wo Gott eine Neuordnung der Welt vornimmt. 215 Inwieweit auch der Schöpfungsbericht Gen 1,14–16 Pate für den Dualismus von Sonne und Mond ( המאור ִהגדל, ה מאור ִהקטן, 1,16) gewesen ist, muss an dieser Stelle offen bleiben. Die Erinnerung an Gottes Schöpfungstaten in Ps 74,16f. tritt neben die heilsgeschichtliche Argumentation in den ersten zwei Teilen des Psalms und bekräftigt die Hoffnung der Beter auf ein wirkmächtiges Eingreifen Gottes. 216 Der Psalm wird durch eine Reihe von Bitten in 74,18–23 abgeschlossen, die in der Aufforderung an Gott gipfeln, zum Gericht gegen die Feinde aufzustehen, die ihn verhöhnen ( קומהִאלהיםִריבהִריבךִזכרִחרפתךִמניִנבל כלִהיום, 74,22). Dabei können die Verse 74,19–21 als eine armentheologische Überarbeitung gelten, die die Bitte um Gericht über die höhnenden Feinde sekundär zu einem göttlichen Eingreifen zugunsten der gesellschaftlich und sozial Ausgegrenzten stilisiert.217 Die konzeptionelle Verschränkung von Mythos und Geschichte in Ps 74 verdankt sich in hohem Maße dem Bezug auf die Vorlage in Ex 15, wobei im Psalm aber die mythischen Elemente überwiegen.218 In beiden Fällen ist es die Vorstellung vom Gottkönigtum, als dessen Konkretion das geKIESOW, Exodustexte, 105–111, der allerdings keine literarkritische Differenzierung innerhalb des Abschnittes vornimmt (vgl. dazu KIESOW, a.a.O., 93–98). 215 Vgl. ZENGER , HThK.AT II, 369. 216 Vgl. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 120. 217 Zum sekundären Charakter von 74,19–21 vgl. ZENGER , HThK.AT II, 360f., und die dort vorgebrachten Argumente (ähnlich auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 125f. Anm. 11; EMMENDÖRFFER , Gott, 96f.; SEYBOLD, HAT I/15, 290; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 119). Literarkritisch ausschlaggebend ist m.E. nicht nur die (Neu-)Einführung der Armentheologie, sondern auch die Beobachtung, dass die Verse 74,19 –21 den Zusammenhang zwischen 74,18 und 74,22 unterbrechen, in dem die Verhöhnung Gottes (חרף, 74,18; חרפה, 74,22) durch die Toren (עםִנבל, 74,18; נבל, 74,22) thematisiert wird. 218 Vgl. dazu NORIN, Er spaltete, 114. Zur auf Ex 15 bezogenen heilsgeschichtlichen Perspektive in Ps 74 siehe auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 120.
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schichtliche Rettungshandeln Gottes verstanden wird. Der Lobpreis Gottes am Schilfmeer wird in Ps 74 zur gründenden Urzeit, bei der das damals erwählte Volk seinen Gott in der Klage behaften kann, und die Grund zur Hoffnung auf sein erneutes Eingreifen ist. Der Psalm ruft dabei auch die Prophetie des Deuterojesajabuches in Erinnerung, in der die Vorzeit in besonderem Maße als Beweggrund für das göttliche Handeln zugunsten seines Volkes gilt; Ps 74,12–17 kommt dabei als hymnische Aneignung des Weckrufes Jes 51,9–10a in Frage, wo die Verbindung von Chaoskampf und Exodus literargeschichtlich beobachtet werden kann. 4.2.3 Psalm 75 Die kompositionsgeschichtliche Antwort auf die Klage von Ps 74 folgt direkt im Anschluss mit den nachstehenden Psalmen 75 und 76. In Psalm 75 präsentiert sich Gott als gerechter Richter, der über die Gottlosen (רשעים, 75,5) urteilen wird (שפט, 75,3.8) und damit der im Vorgängerpsalm 74,22 geäußerten Bitte nachkommt, zum Rechtsstreit aufzustehen (קומהִאלה יםִריבהִריבך, 74,22).219 Mit der Thematisierung des Geschicks der Gottlosen steht Ps 75 in großer Nähe zum Eröffnungspsalm 73 (רשעים, 75,5.9.11; vgl. 73,3.12), ohne dass hier aber die Krise des Tun-ErgehenZusammenhanges zur Sprache kommt. 220 In der weisheitlichen Prägung dieses Psalms spielt die Geschichtstheologie so gut wie keine Rolle. 221 Allein in der Einleitung der Beter 75,2 wird das Erzählen der göttlichen Wunder mit dem Lobpreis Gottes parallelisiert (הודינוִלךִאלהיםִהודינוִוקרוב )שמךִ ספרוִנפלאותיך. Hier muss aber auffallen, dass die Erwähnung der göttlichen Wunder in der zweiten Vershälfte die Parallelität der zwei הודינוAussagen stört, die nun beide zum ersten Kolon zu ziehen sind und darüber hinaus mit einer Gruppe 3. Person Plural neues Personal einführt. Es liegt deshalb nahe, in der Aussage ספרוִנפלאותיךeinen sekundären Vorverweis auf die Einleitung in Ps 78,4 zu sehen, der eine Neuordnung der Versglieder nach sich gezogen hat. Hier wird die gelungene Traditionsweitergabe vorweg genommen, die die Lehrrede in Ps 78 anmahnt. Ferner
219 GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 122, sieht darüber hinausgehend die „schöpfungstheologische Perspektive“ als konzeptionell entscheidende Verbindungslinie zwischen Ps 74 und 75, wobei aber der von ihr angeführte Beleg in 75,4 seinen Ort m.E. nicht in der Schöpfungstheologie, sondern in der Chaosmotivik hat. 220 Ps 75 weist darüber hinaus eine überraschende Nähe zum Danklied der Hanna 1 Sam 2,1–10 auf, vgl. dazu im Einzelnen HOSSFELD, HThK.AT II, 380f. 221 Anders W EBER , Werkbuch II, 33, der in Ps 75 eine Reihe von Anspielungen an die beiden „Mose-Stücke“ Ex 15,1–18 und Dtn 32,1–43 sehen will. M.E. sind die Stichwortverbindungen aber nicht aussagekräftig genug, um eine literarische Verbindung wah rscheinlich machen zu können.
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spielt auch die Titulierung als ‚Gott Jakobs‘ ( )אלהיִיעקבin 75,10 eine Referenz auf die Vätererzählungen der Genesis ein. 4.2.4 Psalm 76 Die Rede vom Gott Jakobs schließt Ps 75 auch mit dem nachfolgenden Zionspsalm 76 zusammen (אלהיִיעקב, 76,7),222 der nach der Innenperspektive der Gottesrede in Ps 75 nun die Außenperspektive darbietet. Ps 76 wird in seiner Endgestalt durch die Themen ‚Sieg des Zionsgottes‘ (76,2– 7) und ‚Lobpreis des Zionsgottes‘ (76,8.11–13) gegliedert, wobei der Abschnitt 76,9f. als armentheologische Bearbeitung des Grundpsalms literarkritisch auszugrenzen ist.223 Für die Frage nach der geschichtlichen Bedeutung ist vor allem der Abschnitt 76,6f. von Interesse, der die Machtdemonstration des Zionsgottes gegenüber den Feinden beschreibt: Die Krieger (‚Starkherzige‘) fallen in einen Schlaf und werden außer Gefecht gesetzt, da keiner mehr ‚seine Hände findet‘ (אשתוללוִאביריִלבִנמוִשנתםִולא מצאוִכלִאנשיִחילִידיהם, 76,6). Die Drohgebärde des Gottes Jakobs führt dazu, dass auch Wagen und Ross 224 in tiefen Schlaf sinken (מגערתךִאלהיִיעקב נרדם ִורכב ִוסוס, 76,7). Das Motiv des göttlichen Drohens ( )גערהgehört in den Parallelstellen Ps 18,16 und 104,7 in den Kontext des Chaoskampfes, wo Jhwh die Wasser der Urfluten durch sein Drohen vertreibt. 225 In Ps 76,7 ist die göttliche Drohgebärde allerdings gegen Wagen und Pferde ( )רכבִוסוסgerichtet, womit an dieser Stelle ein Reflex auf die geschichtliche Tat des Meerwunders eingespielt wird. Die Zusammenstellung von רכבund סוסerinnert zuerst an den Hymnus des Miriamliedes Ex 15,21b(.1b) ()כיִגאהִגאהִסוסִורכבוִרמהִים,226 so dass in Ps 76,7 vergleichbar 222 Diese Gottesbezeichnung ist im Psalter insgesamt neun Mal belegt (Ps 20,2; 46,8.12; 75,10; 76,7; 81,2.5; 84,9; 94,7; vgl. auch אל ִיעקבin 146,8), wobei die Belege zeigen, dass die Bezeichnung ein Charakteristikum der Asaph-Sammlung darstellt. 223 Zur Sekundarität von 76,9f. vgl. ZENGER , HThK.AT II, 388. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 125, will die redaktionellen Ergänzungen in 74,18–21 und 76,9f. auf eine Hand zurückführen, durch die die Komposition Ps 74–76 bewusst gestaltet werde. 224 Für ‚( ורכב ִוסוסWagen und Ross‘) in 76,7 bietet die LXX die Variante oi` evpibebhko,tej tou.j i[ppouj, die auf eine ursprüngliche Lesart ‚( רכביִסוסReiter der Pferde‘) führen könnte. Diese constructus-Verbindung ist aber als inhaltliche Ausdeutung des MT verständlich, die die Reiter in den Vordergrund rückt (so auch KRAUS, BK XV/II, 688). Sie kann zudem durch eine Vertauschung von waw in jod im Zusammenhang mit einer fehlerhaften Worttrennung aus dem MT erklärt werden, so dass der Lesart des MT die Priorität zu geben ist; vgl. aber auch u. Anm. 226. 225 Vgl. dazu SÜSSENBACH , Psalter, 301. Siehe im näheren Kontext noch Ps 80,17, wo sich das Drohen als Gerichtsgebärde gegen die Feinde richtet, die den Weinstock im Feuer wie Abfall verbrannt haben ()שרפהִבאשִכסוחהִמגערתִפניךִיאבדו. 226 Die Stellen berühren sich vor allem im Gebrauch von סוסund der Wurzel רכב, auch wenn die Masoreten im Fall von רכבeine unterschiedliche Ableitung vornehmen:
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an die Übernahme eines geprägten Traditionsstückes gedacht werden kann, das die Überlegenheit Gottes gegenüber seinen Feinden preist.227 Der nähere Kontext von Ps 76,7 zeigt aber, dass die Formulierung im Psalm die biblischen Ereignisse am Schilfmeer vor Augen hat und damit eine Anspielung auf das Meerlied Ex 15 in seinem literarischen Kontext der Exoduserzählung vorliegt.228 Dafür spricht nicht nur die Gottesprädikation als ‚Gott Jakobs‘ (Ps 76,7), die auf die Väterüberlieferung rekurriert, sondern auch die Nähe zu Jes 43,16f. Dieses prophetische Wort rezipiert mit identischer Terminologie und in ähnlichen Bildern die Feindvernichtung beim Exodus, die dem Ausweis der göttlichen Macht dient: 229 In der Erweiterung der Botenformel wird Jhwh als derjenige bezeichnet, ‚der einen Weg im Meer gibt und einen Pfad in mächtigen Wassern‘ (הנותן ִבים ִדרך ִובמים ִעזים ִנתיבה, 43,16), ‚der Wagen und Pferd, Heer und Held ausziehen lässt‘ (המוציאִרכבִוסוסִחיל )ועזוז, so dass sie vernichtet daliegen wie der ausgelöschte Docht einer Lampe (ישכבוִבלִיקומוִדעכוִכפשתהִכבו, 43,17).230 Prophetenwort und Psalm berühren sich nicht nur in der parallelen Wortfolge ( רִכִבִוִסּוסJes 43,17; Ps 76,7), sondern in unmittelbarer Nähe dazu findet sich auch in beiden Texten die Erwähnung des Heeres (חיל, Jes 43,17; Ps 76,6). Dies spricht für eine literarische Abhängigkeit der beiden Texte, wobei Ps 76 als der ausführlichere Text als Auslegung von Jes 43,16f. verstanden werden kann. Ps 76 nimmt damit wie sein Vorgänger Ps 74 die Prophetie des Deuterojesajabuches auf, um über diesen literarischen Anweg die Exodusüberlieferung in die Darstellung von Gottes Rettungstaten im Psalm einzuspielen: Die Macht des Zionsgottes konkretisiert sich im Sieg über den Feind im Exodus.
Während sie in Ex 15,1b.21b ein Partizip Mask. Sg. der Verbalwurzel annehmen (‚Re iter‘), wird die Form in Ps 76,7 vom Substantiv ‚( רִכִבWagen‘) abgeleitet. Im Fall von Ps 76,7 wäre zu überlegen, ob anstelle der Nominalform ורכבdas Partizip רכביִסוסzu punktieren ist, da sachlich die Betäubung der Reiter mehr Sinn macht als das Einschläfern der Wagen; eine ähnliche Intention zeigt die Variante der LXX, die oi` evpibebhko,tej tou.j i[ppouj liest (‚die Reiter auf den Pferden‘), auch wenn hier aus textkritischer Sicht eindeutig eine Glättung vorliegt. 227 Zu dieser Einordnung des Miriamhymnus vgl. o. Kap. II. 1.2.2. 228 Eine Nähe zu Ex 15,1 sehen ebenso ILLMAN, Thema, 23; KRAUS, BK XV/I, 691; W EBER , Salem, 95; ZENGER , HThK.AT II, 396. 229 Vgl. KRATZ, Kyros, 83 Anm. 298. Zum Exodusbezug siehe auch KIESOW, Exodustexte, 70f.169–171. 230 Neben den Stichwortverbindungen über סוסund ( רכבvgl. Ex 15,1b.21b) erinnert auch die Vorstellung der tot daliegenden Feinde an die Todesnotiz der Ägypter in Ex 14,30 (vgl. KIESOW, Exodustexte, 70 Anm. 11).
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4.2.5 Psalm 77 Die den ersten Kompositionsbogen der Asaph-Sammlung abschließende Klage in Psalm 77 ist in gleicher Weise wie Ps 76 durch den doppelten literarischen Hintergrund von Meerlied Ex 15 und Prophetie im Deuterojesajabuch gekennzeichnet. Der Psalm weist eine klare Zweiteilung in ein Klagelied des Einzelnen (77,2–11) und einen individuellen Hymnus (77,12–21) auf, wobei der Sprecher aber durchgängig als Repräsentant des Volkes auftritt.231 Die Klage des Beters richtet sich wie in Ps 74 auf die derzeitige Notlage, die er als Verwerfung (זנח, 77,8; vgl. 74,1) erfährt. Allerdings ist aus der kausalen Frage nach dem Warum (למהִאלהים ִ זנחתִלנצח, 74,1) in 77,8 die Frage nach der Dauer der Verwerfung geworden: ‚Wird der Herr für immer verwerfen und wird er nicht wieder wohlgefällig sein?‘ ()הלעולמיםִיזנחִאדניִולאִיסיףִלרצותִעוד. In ähnlicher Weise ist die Frage aus 74,11, warum Jhwh seine Rechte verborgen halte, in 77,11 der resignierenden Einsicht gewichen, dass die Rechte des Höchsten sich geändert hat (שנותִימיןִעליון, 77,11). Als Referenzpunkt für die Differenzerfahrung dient dem Beter die Erinnerung an die Vorzeit (‚Tage der Vorzeit, uralte Jahre‘, ימים ִמקדם ִשנות ִעולמים, 77,6), die durch Jhwhs Taten ( )מעללי ִיהund seine Wunder ( )פלאךpositiv konnotiert wird (77,12). 232 Dass darin auch eine geschichtstheologische Qualifizierung als Heilszeit intendiert ist, zeigen die Anspielungen an das Meerlied Ex 15, das nicht nur in der Darstellung Gottes als Wundertäter (vgl. עשהִפלא, 15,11), sondern vor allem im Motiv der göttlichen Rechten präsent ist (vgl. 15,6.12).233 Vor diesem Hintergrund ist die Einsicht in die Änderung der Rechten in Ps 77,11 Ausdruck des Zweifels, ob Gott genau wie damals im Meerwunder auch jetzt zugunsten seines Volkes eingreifen wird. Unter dem Vorzeichen des Exodus steht auch das vergegenwärtigende Nachsinnen des Beters über die Taten Gottes in Ur- und Vorzeit im ersten Hymnusteil 77,12–16. Die Anrede Gottes in 77,14 verbindet Wegtermino231
Vgl. dazu insbesondere W EBER , der eine ausführliche Monographie zu Ps 77 vorgelegt hat und den Psalm als „(theologisierende) Mittlerklage“ ( W EBER , Psalm 77, 191) charakterisiert (vgl. insgesamt W EBER, a.a.O., 191–198). 232 Zu diesem Gebrauch von קדםin Ps 77 siehe KOCH, Qädäm, 256. Treffend kommt auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 104, zu dem Urteil: „Dabei verbirgt sich hinter dem Begriff ‚ureinst‘ ( )קדםdie Vorstellung einer fundierenden Heilszeit, die im Gegensatz zur erlebten Gottesferne des Beters steht.“ 233 Obwohl die Nähe zu Ex 15 weitgehend gesehen wird, gehen nur wenige Exegeten von einer direkten literarischen Anspielung in Ps 77,11 aus; vgl. aber W EBER , Psalm 77, 209 („ ]…[ ימיןִעליוןist als variierende Spiegelung der Doppelnennung יהוהִימינךvon Ex 15,6 […] zu beurteilen“) und HOSSFELD, HThK.AT II, 409 („eine poetische Variation bzw. Anspielung an die Exodusformel […] wie wir sie im Schilfmeerlied Ex 15,6.12 und in Ps 44,4; 78,54 finden“).
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logie mit Gottes Präsenz im Heiligtum und kombiniert diese Transzendenzaussage mit seiner Unvergleichlichkeit (אלהים ִבקדש ִדרכך ִמי ִאל ִגדול )כאלהים. Dies kann als Fortführung der Einzigkeitsaussage in Ex 15,11 gelten, wobei sich die Aussage in Ps 77 bereits einer monotheistischen Auffassung annähert, da Gottes Größe absolut gepriesen wird.234 Die Rezeption des Meerliedes setzt sich in der nachfolgenden Prädikation Gottes als eines Wundertäters fort (אתהִהאלִעשהִפלא, 77,15), die ein direktes Zitat aus Ex 15,11 darstellt ()עשה ִפלא,235 das sich wie in Ex 15,14–16 mit der Machtdemonstration vor den Völkern verbindet. Das betonte Personalpronomen אתה, das die Prädikation Gottes in Ps 77,15 einleitet, könnte dabei den Textduktus von Ps 74,12–17 aufnehmen, wo die beschwörende Anrede Gott in gleicher Weise zum Eingreifen bewegen soll. Die deutlichste Exodusreferenz liegt aber mit dem Vers 77,16 vor, wo Gott darauf angesprochen wird, dass er sein Volk mit seinem Arm erlöst hat (גאלת ִבזרוע )עמך. Die Kombination des Verbums גאלmit dem instrumentativ gebrauchten Substantiv בזרועist nur noch in der priesterschriftlichen Exodusankündigung Ex 6,6 belegt ( ;וגאלתיִאתכםִבזרועִנטויהvgl. עםִזוִגאלת, Ex 15,13), so dass Gott in Ps 77 nachdrücklich an den Bund erinnert wird, den er seinem Volk beim Auszug aus Ägypten in Aussicht gestellt hat (Ex 6,7). Mit dem zweiten Hymnusteil Ps 77,17–20 ändert sich die poetische Struktur, indem ein in Trikola gefasstes hymnisches Stück folgt, das mit der kosmologischen Thematik einen eindeutig mythischen Hintergrund hat: Vor der Theophanie Gottes erschrecken die Wasser (77,17) und seine Erscheinung hat Auswirkungen sowohl auf das Firmament (77,18) als auch auf den bewohnten Erdkreis (77,19). Eine erste Zäsur liegt in Vers 77,20 vor, der mit der Vorstellung, dass Gottes Weg durch das Meer führt ()בים ִדרכך, an das Wegmotiv von 77,14 anknüpft und vom mythischen Chaoskampf zur Exodusthematik zurückleitet. 236 Der Schlussvers des Psalms in 77,21 nimmt metrisch den Gebetsduktus der ersten Verse wieder auf und sagt in der Hirte-Herde-Metaphorik die göttliche Führung des Volkes durch Moses und Aaron aus ()נחיתִכצאןִ עמךִבידִמשהִואהרן. Während die göttliche Führung des Volkes im Exodus ein weit verbreitetes Motiv ist (vgl. Ex 13,17.21; 15,13; Dtn 32,12), liegt die Besonderheit dieser Aussage in der namentlichen Nennung von Moses und Aaron als von Gott 234
Vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 410. Eine Aufnahme von Ex 15,11 sieht auch W EPsalm 77, 209. 235 Die Partizip von עשהin Verbindung mit dem Substantiv פִלִאist neben Ex 15,11 und Ps 77,15 nur noch in Ps 78,12 belegt, wobei aber auch hier eine Abhängigkeit von den anderen Stellen angenommen werden kann; vgl. dazu o. Kap. 3.1. 236 Den Bezug auf die „Exodusgewässer“ in 77,20 ( )ביםbeobachtet auch W EBER , Psalm 77, 159f.; zur Wiederaufnahme der Exodusthematik in 77,20 vgl. ferner HOSSFELD, HThK.AT II, 411. BER ,
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eingesetzte Leitungsinstanzen.237 Dies deutet auf die Kenntnis der priesterschriftlichen Überlieferung hin, die Mose den Aaron als Führungsfigur allererst zur Seite stellt. 238 Die inhaltliche und poetologische Sonderstellung des kosmologischen Hymnus 77,17–19(20) spricht dafür, dass an dieser Stelle ein ehedem selbständiges Traditionsstück eingefügt worden ist,239 wobei aber noch zur klären ist, ob die Überarbeitung auf den Verfasser des Grundpsalms zurückgeht oder ob ein späterer Redaktor dafür verantwortlich ist. Für eine sekundäre Einschreibung des trikolischen Hymnus spricht vor allem die Beobachtung, dass 77,16 und 77,21 thematisch eng miteinander verbunden sind: Die Erlösungsaussage aus 77,16 wird in der Leitungssaussage 77,21 variiert, wobei der Doppelbenennung des Volkes als ‚Söhne Jakobs und Josephs‘ ( )בניִיעקבִויוסףdie Doppelführung durch Moses und Aaron ( )בידִמשהִואהרןentspricht. Dies macht wahrscheinlich, dass 77,21 einmal direkt auf 77,16 gefolgt ist, ehe ein Redaktor den Hymnus 77,17–19 mithilfe des redaktionellen Verses 77,20 in den Psalm eingefügt hat. 240 Die göttliche Theophanie vertieft den Wundercharakter der Exodusdarstellung in Ps 77, 241 wobei aber auch andere Traditionskomplexe mit einbezogen werden. So erinnert die stufenförmige Wassermetaphorik von 77,17 ( )ראוךִמיםִאלהיםִראוךִמיםִיחילוִאףִירגזוִתהמותzuerstִan Ps 93,4, wo in gleicher Weise die Macht des Königgottes Jhwhs über die Wasser der Ur237
Die Diskrepanz zwischen einem ausschließlichen und einem vermittelten Handeln Gottes innerhalb des Abschnitts 77,11–21 lässt SÜSSENBACH, Psalter, 320, eine redaktionelle Hinzufügung in 77,21 sehen. Dagegen spricht aber, dass in 77,21 eine komposit ionelle Entsprechung zur Doppelbezeichnung des Volkes in 77,16 vorliegt; vgl. dazu im Folgenden. 238 Vgl. Ex 7,1–7.8–13; 12,1. In vergleichbarer Weise setzen auch Ps 105,26 und 106,16 die gemeinsame Führung durch Mose und Aaron voraus, während Ps 99,6 mit der Zuweisung beider zum Priestertum eigene Akzente setzt. Die größte Nähe weist die Aussage in Num 33,1 auf ()בידִמשהִואהרן, wobei die literarischen Verhältnisse hier aber nicht geklärt werden können (HOSSFELD, HThK.AT II, 411, urteilt über Num 33,1: „aber sicher später als Ps 77“). 239 Vgl. dazu KRAUS, BK XV/2, 696f.; W EBER , Psalm 77, 138–173.200–203; SEYBOLD, HAT I/15, 302; H OSSFELD , HThK.AT II, 404f.410; anders G ÄRTNER , Geschichtspsalmen, 104–106. 240 Zur sekundären Einfügung von 77,17–19.20 vgl. auch HOSSFELD, HThK.AT II, 405, der allerdings bei der Alternative von traditionskritischer und redaktionskritischer Lösung die Möglichkeit außer Acht lässt, dass auch ein Traditionsstück sekundär in den Psalm eingefügt werden kann. Noch auf den Verfasser des Grundpsalms führt W EBER , Psalm 77, 202, die nachträgliche Einfügung von 77,17–19 zurück, wobei er in 77,20 erwägungsweise eine redaktionelle Eigenformulierung sieht. 241 Ähnlich vermutet auch W EBER , Psalm 77, 202, dass die sekundäre Einfügung des Hymnus thematisch durch die Bekanntschaft mit dem Schilfmeerlied zu erklären sei, wo sich ebenfalls die Mythisierung der Heilsgeschichte und die Deutung des Geschehens im Sinne eines Theophanieereignisses anzeige.
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flut beschrieben wird () מקלותִמיםִרביםִאדיריםִמשבריִיםִאדיר ִ במרוםִיהוה. Von besonderem Interesse ist aber die redaktionelle Eigenformulierung in 77,20, die an das Deuterojesajabuch und damit den zweiten Exodus anspielt. Bereits für Ps 76,7 ist eine Rezeption von Jes 43,16f. in Betracht gezogen worden, aber das prophetische Stück weist auch Berührungen mit dem redaktionellen Vers Ps 77,20 auf. In beiden Texten findet sich die Rede von einem Weg im Wasser, wobei Jhwh in Jes 43,16 derjenige ist, der den Weg allererst schafft () הנותן ִבים ִדרך ִובמים ִעזים ִנתיבה, während Ps 77,20 beim Durchzug Jhwhs den Weg als bekannt voraussetzt (בים ִדרכך )ושבילךִבמיםִרבים.242 Der Weg wird im Psalm über Jes 43,16 hinausgehend noch mit einer Aussage über die Gotteserkenntnis verbunden: ‚Aber deine Spuren wurden nicht erkannt‘ ( ועקבותיךִלאִנדעו, Ps 77,20). Da nur an diesen beiden Stellen eine literarische Verbindung von Exodus und Weg vorliegt, ist eine literarische Abhängigkeit wahrscheinlich. Die Tatsache, dass Ps 77,20 den redaktionell vorgegebenen Vers 77,14 dahingehend modifiziert, dass Gottes Weg nicht im Heiligtum ()בקדש, sondern im Meer (במים/ )ביםzu finden ist, könnte zuerst dafür sprechen, dass Ps 77 den literarischen Geburtsort dieser Verbindung darstellt. Allerdings ist die Verbindung von Wegmotiv und Exoduserinnerung ein wesentliches Theologumenon des Deuterojesajabuches, 243 so dass damit ein gewichtiges Argument für die Priorität von Jes 43,16f. gegeben ist. Dazu kommt die Beobachtung, dass das gegenüber Jes 43,16 überschießende Erkenntnismotiv in Ps 77,20 als sekundäre Problematisierung des Gottesbildes ausgewertet werden kann, so dass die Jesajastelle im Folgenden als Prätext von Ps 77 anzusprechen ist. 244 Der Redaktor, der den Hymnus 77,17–19 in Ps 77 einfügt, benutzt die Eigenformulierung in 77,20 nicht nur dazu, das Traditionsstück literarisch einzubinden, sondern über die Aufnahme der Jesajastelle wird die kultische Erkennbarkeit Gottes im Heiligtum 77,14 sekundär durch seinen unergründlichen Weg in den Geschichtstaten problematisiert. 77,20 kann damit als (nachexilische) Heimführungsreminiszenz betrachtet werden, die auf einen Diasporahorizont hindeutet. Anders als in
242
Vgl. zu dieser Beobachtung auch KIESOW, Exodustexte, 70 Anm. 11. Siehe dazu grundlegend KIESOW, Exodustexte, insbes. 190–196. 244 So dezidiert gegen W EBER , Psalm 77, 306, der gerade das fehlende Erkenntnismotiv in Jes 43,16f. zugunsten der Priorität von Ps 77,20 auswertete: „Dabei markiert die Vorstellung des Exilspropheten gegenüber der des Psalmisten insofern eine weiter en twickelte Stufe, als im Rahmen des dtjes Heilswortes die problematisierende Verhü llungsaussage (20c) wegfällt und das Motiv des Weges Jahwes in die Ansage einer geschichtlichen Neurealisierung eingebunden ist.“ Anders nimmt B RENNER , Song, 127, in Bezug auf die Führungsthematik eine grundsätzliche Priorität der deuterojesajanischen Texte an, ohne allerdings konkret eine Aussage über Ps 77,20 zu treffen. 243
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der Prophetie Deuterojesajas vermag das Volk nicht mehr genau zu erkennen, wohin der Weg Gottes (es) führen wird.245 In der Rückschau erweist sich Ps 77 innerhalb der Asaph-Komposition als Klage, die in hohem Maße auf Ps 74 bezogen ist. Die zwei Psalmen berühren sich darin, dass der Rückblick auf Gottes Taten in der Vorzeit zur Deutung der gegenwärtigen Notlage herangezogen wird, wobei sowohl das Meerlied Ex 15 als auch die Prophetie des Deuterojesajabuches als Vorlage dienen. Ps 77 verrät aber einen späteren literarhistorischen Standpunkt, da die Frage nach dem ‚Warum‘ durch die theologische Reflexion über die Dauer abgelöst wird. Darin klingt eine gewisse Resignation des Beters an, die durch die Einschreibung des hymnischen Teils mit 77,20 verstärkt wird. Anders als Ps 74 steht hier am Ende nicht der Aufruf an Gott, zugunsten seines Volkes einzugreifen, sondern die Bilanzierung, dass die göttlichen Wege letztlich unerkennbar bleiben müssen. Der Psalm erweist sich darin als Fortschreibung der Klage aus Ps 74, die eine spätere Reflexionsstufe der Notsituation bezeugt.246 4.2.6 Psalm 79 Der zweite Kompositionsbogen der Asaph-Sammlung (Ps 79–83) wird in Psalm 79f. mit zwei Volksklagen eröffnet, wobei der Horizont dieses zweiten Bogens vor allem durch die Völkerperspektive bestimmt wird. Psalm 79 bringt diese Blickrichtung in die Komposition ein, indem der Verfasser Ps 74 für die Situation Israels unter den Völkern aktualisiert.247 Wie in Ps 74 zielt die Frage ‚Bis wann?‘ (עדִמתי, 74,10; עדִמה, 79,5)248 auf das notwendende Eingreifen Gottes, wobei aber nicht das Schicksal des eigenen Volkes im Bild der Gottesherde (צאןִמרעיתך, 74,1; 79,13) im Vordergrund steht, sondern das eingeforderte Gericht über die Völker. Diese haben das Heiligtum entweiht und Jerusalem in einer Anspielung an Mi
245 Ohne die Frage der Gotteserkenntnis zu problematisieren, sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 109.127, in 77,17–20.21 die „Vergegenwärtigung der paradigmatischen Rettung am Schilfmeer als Theophanie in der Frühzeit“, mit der sich die Hoffnung auf ein erneutes Kommen Jhwhs verbinde. Diese Rettungserfahrung in Ps 77,17 –21 werde in Ps 78 als paradigmatische Rettungstat des Schöpfers und Weltenherrschers profiliert (vgl. GÄRTNER , a.a.O., 110). 246 So in der redaktionellen Zuordnung von Ps 74 und 77 mit W EBER , Asaph-Psalter, 130, der insbesondere anführt, dass „Ps 77 sich bereits stärker mit der theologischen Verarbeitung beschäftigt.“ Die Nähe zwischen Ps 74 und 77 beobachtet auch HOSSFELD, HThK.AT II, 412, ohne daraus aber literarhistorische Konsequenzen zu ziehen. 247 Vgl. ZENGER , HThK.AT II, 448; W EBER , Werkbuch II, 60. Siehe insbesondere ZENGER, a.a.O., 448, zu einem Vergleich mit Ps 74. 248 Zum altorientalischen Hintergrund der עד ִמתי/ עד ִמה-Frage vgl. E MMENDÖRFFER , Gott, 130f. Anm. 263.
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3,12; Jer 26,18 zum Trümmerhaufen (לעיים, Ps 79,1) gemacht.249 Zwar ist der Bezug auf die Zerstörung Jerusalems 587 v.Chr. als einer „fundamentalen Gotteskrise“250 offensichtlich; der Fortgang des Psalms zeigt aber an, dass ein späterer entstehungsgeschichtlicher Ort anzunehmen ist. Denn obwohl die Beter beklagen, dass die Völker Jakob aufgezehrt und sein Weidegebiet verwüstet haben (כיִאכלִאתִיעקבִואתִנוהוִהשמו, 79,7), wird die Krise in erster Linie nicht (mehr) als existentielle Notlage wahrgenommen, sondern in ihren Auswirkungen auf das Ansehen Gottes reflektiert, was auf einen gewissen Abstand zu den historischen Ereignissen hindeutet.251 Die ‚Knechte‘ bzw. ‚Frommen‘ (עבדיך/חסידיך, 79,2) werden von ihren Nachbarn verhöhnt und geschmäht (היינו ִחרפה ִלשכנינו ִלעג ִוקלס ִלסביבותינו, 79,4), so dass sie ein Ende der eigenen Notlage und das Zornesgericht über die Völker erbitten (79,5–12). Dabei zeigt aber die nachfolgende Bitte um Vergebung zunächst der Schuld der Vorfahren (79,8), dann aber auch der eigenen Sünden (79,9), dass die Sprecher sich ihrer eigenen Verantwortung für die jetzige Situation bewusst sind. Die Beschreibung der Notlage in 79,4 weist dabei eine große Übereinstimmung mit Ps 44,14 auf () תשימנוִחרפה ִ לשכנינוִלעגִוקלסִלסביבותינו, die kaum auf Zufall beruhen wird. Der einzige Unterschied liegt darin, dass die Beter in 44,14 mit der Formulierung ‚( תשימנוdu machst uns …‘) eine Schuldzuweisung an Gott vornehmen, während das einleitende Verbum ‚( היינוwir sind … geworden‘) in 79,4 ein Faktum konstatiert, das nachfolgend als gerechte Strafe (79,8f.) gedeutet wird. Dass mit Ps 79 der jüngere Text vorliegt, zeigt m.E. die Beobachtung, dass das aus Ps 44 rezipierte Problem der Verspottung durch die Völker nun auf die Konsequenzen für das Ansehen des göttlichen Namens hin reflektiert wird. Da die Schmach des Volkes auf seinen Gott zurückfällt, wird das Ansehen des Gottesnamens in Mitleidenschaft gezogen (79,9f.12) und dient deshalb als Motiv, um ihn zum Eingreifen zu bewegen (למעןִשמך ;עלִדברִכבודִשמך, 79,9). Die Wendung למעןִשם+ Suffix findet sich in einer Reihe von nachexilischen Texte als Begründungs- und Klagemotiv, mit dem Gott zum Einschreiten bewegt werden soll. 252 Dabei 249 Zu diesen intertextuellen Bezügen vgl. EMMENDÖRFFER , Gott, 153; ZENGER , HThK.AT II, 449; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 111. 250 ZENGER , HThK.AT II, 446. 251 So auch ZENGER , HThK.AT II, 447, und SÜSSENBACH , Psalter, die in Ps 79 im Gegenüber zu Ps 74 „einen voranschreitenden Gebets- und Reflexionsprozess“ erkennt. Dagegen nimmt W EBER , Werkbuch II, 60, an, dass Ps 79 in Nähe zu den Ereignissen von 587 v.Chr. in der babylonischen Epoche entstanden sei. 252 Vgl. dazu B RONGERS, Partikel, 92–96; VAN DER W OUDE, Art. ׁשִם, 958–960; siehe ausführlich GRETHER , Name, insbes. 52–58, und unter besonderer Berücksichtigung der Texte im Ezechielbuch KLEIN, Schriftauslegung, 140–169.
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muss auffallen, dass die Vorstellung vor allem in Begründungszusammenhängen verwendet wird, in denen ein Exils- oder Diasporahorizont im Blick ist und die Profanierung des göttlichen Namens in den Augen der Völker thematisiert wird (vgl. z.B. Jes 43,22–28; 48,1–11; Ez 20; 36,16– 23ba; 39,23–29). Auch wenn Ps 79 keine direkten Anspielungen auf die biblische Geschichte enthält, nimmt die Volksklage im Motiv des göttlichen Namens die Heimkehrperspektive von Ps 77 auf und stellt die Weichen für eine Interpretation von Ps 74, die die Krise der Tempelzerstörung als Chiffre für die anhaltende Situation von Exil und Diaspora versteht. Im Gegensatz zu Ps 74 zeigt sich das Festhalten der Beter an Gott daran, dass die parallele Selbstbezeichnung als ‚Herde deiner Weide‘ (צאן ִמרעיתך, 79,13; vgl. 74,1) nicht mehr im Kontext der (Gottes-)Anklage steht, sondern als Teil des abschließenden Lobversprechens in 79,13 das Vertrauen auf ein rettendes Eingreifen Gottes unterstreicht.253 Die Beter stellen abschließend den öffentlichen Dank in Aussicht, den sie im lobenden Weitererzählen der göttlichen Taten realisieren wollen (נספרִתהלתך, 79,13). 4.2.7 Psalm 80 In der jetzigen Abfolge der Asaph-Psalmen stellt die Volksklage Ps 80 eine Fortführung des vorangehenden Klagelieds Ps 79 dar, wobei die Bitte um Notwende hier aber nicht mit dem Ansehen des göttlichen Namens, sondern geschichtstheologisch durch die Erinnerung an die vergangenen Heilstaten motiviert wird. Mit der eröffnenden Anrufung Gottes als ‚Hirte Israels, der du Joseph wie eine Herde führst‘ (רעה ִישראל ִהאזינה ִנהג ִכצאן יוסף, 80,2) verwendet der Psalm das Hirt-Herde-Motiv ähnlich wie zuvor Ps 79,13 als Vertrauensbekenntnis, 254 das mit dem Gottesepitheton des Kerubenthroners (ישב ִהכרובים, 80,2) parallelisiert wird. Wegen der Bitte um rettendes Eingreifen zugunsten der ‚Nordstämme‘ Ephraim, Benjamin und Manasse (80,2) wird der Psalm zumeist mit der assyrischen Eroberung des Nordreichs in Verbindung gebracht, 255 wobei aber die einleitende Re253 So auch SÜSSENBACH , Psalter, 333. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 112, sieht hier einen bewussten Bezug auf den Anfang von Ps 74,1, so dass darin „eine Antwort auf die dort eingeklagte Gründungssituation des Volkes“ geboten werde. 254 Die Nähe zwischen Ps 79 und 80 in der positiven Verwendung der HerdenMetapher notiert auch EMMENDÖRFFER , Gott, 128. Er stellt Ps 80 in dieser Beziehung nicht nur Ps 74 (‚Warum brennt Dein Zorn gegen die Herde Deiner Weide‘, יעשן ִאפך בצאן ִמרעיתך, 74,1), sondern auch dem Klagelied Ps 44 gegenüber (44:23: ‚Um deinetwillen werden wir getötet Tag für Tag, werden wir wie Schlachtvieh geachtet‘, כיִעליךִהרגנו ;)כלִהיוםִ נחשבנוִכצאןִטבחהvgl. ebd. 255 Zu einer Verbindung mit dem Untergang des Nordreichs 722 v. Chr. vgl. GUNKEL. Psalmen, 353; B USS, Psalms, 384; KÜHLEWEIN, Geschichte, 34; NORIN, Er spaltete, 142; ZENGER , HThK.AT II, 456–459 (unter Annahme einer exilischen Bearbeitung durch den
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de vom ‚Hirten Israels‘ ebenso wie die Schilderung der Notlage auch für eine nachexilische Ansetzung der Volksklage sprechen könnten. 256 Der eigentliche Hauptteil des Psalms gliedert sich nach der einleitenden Anrufung Gottes 80,2f. in eine zweiteilige Klage mit Notschilderung (80,5–7.9–14) und eine Bitte mit abschließendem Lobgelübde (80,15– 18.19). Ein zusätzliches Gliederungselement stellt der refrainartige Kehrvers in 80,4.8.20 dar, der aber vielfach als redaktionelle Bearbeitung des Primärpsalms eingestuft wird. 257 Verdacht in literarkritischer Hinsicht erregen schließlich auch die Bitten um Gottes Schutz für den ‚Sohn, den du für dich stark gemacht hast‘ (בןִאמצתהִלך, 80,16b) bzw. für den ‚Mann zu deiner Rechten‘ ()אישִימינך, den ‚Menschensohn, den du für dich stark gemacht hast‘ (בן ִאדם ִאמצת ִלך, 80,18), die metrisch und inhaltlich in Spannung zum restlichen Psalm stehen. 258 Aufgrund der unterschiedlichen Bezeichnungen für die Einzelperson sowie die Wiederaufnahme durch das Verbum אמץist mit zwei Einzelversfortschreibungen zu rechnen, die in unterschiedlicher Form die Königsfürbitte in den Psalm einschreiben. 259 Den Hauptteil des ursprünglichen Psalms leitet in 80,5 die Frage ein, bis wann Gott trotz der Gebete seines Volkes zürnen will (עד ִמתי ִעשנת בתפלת ִעמך, 80,5), wobei die vorgebrachte Frage aber einen anklagenden Tonfall annimmt.260 Während die Beter Gott in 80,6 die Widersprüchlichkeit seines Tuns im Bild der vernachlässigten Hirtenpflichten vorhalten, greift 80,7 das bereits aus Ps 79 bekannte Motiv der höhnenden Nachbarvölker auf. In der Formulierung steht 80,7 (תשימנוִמדוןִלשכנינוִואיבינוִילעגו Kehrvers V 4.8.20; ähnlich schon SEYBOLD, HAT I/15, 317); W EBER , Asaph-Psalter, 134 (vgl. auch DERS., Werkbuch II, 64). Die LXX unterstützt diese Einordnung durch den sekundären Zusatz u`pe.r tou/ VAssuri,ou (‚über den Assyrer‘) in der Überschrift (zu dieser textkritischen Beurteilung siehe auch CORDES, Asafpsalmen, 177). 256 Eine nachexilische Datierung wird in Erwägung gezogen von T ATE, WBC 20, 311f.; vgl. außerdem EMMENDÖRFFER , Gott, 124, zu einer exilischen Ansetzung. Das Verständnis der einleitenden Hirtenanrede ist umstritten; während KRAUS, BK XV/2, 722, das Epitheton auf Gesamtisrael bezieht, sieht SEYBOLD, HAT I/15, 318, ‚Israel‘ durch die Parallelität zu Joseph in der zweiten Vershälfte auf den Nordteil eing eschränkt. 257 Vgl. dazu ZENGER , HThK.AT II, 456f., der den Kehrvers auf eine Jerusalemer B earbeitung zurückführt; zur redaktionellen Herkunft des Kehrverses vgl. ferner B EYERLIN, Schichten, 17, und SEYBOLD, HAT I/13, 317. 258 Die konkreten Bitten für eine Einzelperson setzen 80,16b und 80,18 deutlich vom kollektiven Horizont des Psalms ab; dazu kommt die Beobachtung, dass V 16b ein Tr ikolon mit V 15b.16a bildet, so dass der Stichos sich klar von der ansonsten vorherrschenden Parallelismusstruktur abgrenzt (vgl. ZENGER , HThK.AT II, 458). 259 Zur Sekundarität von 80,18 vgl. HIEKE, Psalm 80, 39–42.426f.; einen Nachtrag in 80,16b sehen KRAUS, BK XV/2, 719; B EYERLIN, Schichten, 17–19; W EBER , Werkbuch II, 65; ZENGER , HThK.AT II, 458. 260 So auch ZENGER , HThK.AT II, 462.466.
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)למוder Klage in Ps 44,14 allerdings näher als der Parallele in 79,4, so dass zu erwägen ist, ob 44,14 den literarischen Hintergrund sowohl von 80,7 als auch von 79,4 bildet.261 Im Anschluss an die eindringliche Notschilderung 80,5–7 wird Gott in der Allegorie vom Weinstock 80,9–17* ( )גפןein zweites Mal die Diskrepanz zwischen einstigem (Heils-)Handeln und gegenwärtiger Vernachlässigung seines Volkes vor Augen geführt. Der Terminus גפןwird neben seiner konkreten Verwendung häufig als Metapher für die Erwählung Israels gebraucht und symbolisiert in Ps 80 das von Gott als des Hirten und Weingärtners erwählte Volk.262 In dem Bild, dass dieser den Weinstock in Ägypten ausgehoben und nach Vertreibung der Völker eingepflanzt hat (גפן ִממצרים ִתסיע ִתגרש ִגוים ִותטעה, 80,9), liegt eine allegorische Umschreibung von Exodus und Eisodus vor. Dabei stellt 80,9 in der Ereignisfolge gleichsam eine Kurzfassung des Meerlieds Ex 15 dar, wobei die parallele Verwendung des Verbums נטעfür die Landgabe auf eine direkte Anspielung hindeutet (נטע, Ex 15,17). 263 Die Verse Ps 80,10–12 beschreiben das Prosperieren des Gewächses, das schließlich das ganze Land bis an das Meer ( )עד ִיםund an den Strom ( )ואל ִנהרerfüllt (80,12). 264 Wie in Ps 74,1.11; 79,10 wird der für die Beter des Psalms unerklärliche Umschwung zur Katastrophe in 80,13 mit der Fragepartikel ‚( למהWarum?‘) eingeleitet. Das Bild verschiebt sich vom Weinstock zu dem eines Weinberges, dessen Mauern (גדריה, 80,13) von Gott niedergerissen werden, 265 so dass der Berg den Verwüstungen durch Mensch und Tier preisgegeben 261 Vgl. zur Analyse von Ps 79 o. Kap. 4.2.6. Die Meinung von E MMENDÖRFFER , Gott, 133, Ps 80,7 bediene sich hier geprägter Sprache und eines geläufigen Ausdruckes, greift angesichts der großen wörtlichen Übereinstimmungen der Texte zu kurz. Vielmehr ist mit einer literarischen Beziehung zwischen den drei Psalmen zu rechnen; siehe dazu auch im Folgenden. 262 Vgl. zum Weinstock als Symbol für Israel HENTSCHKE , Art. ג פ ן, 65f., der allerdings im Fall von Ps 80 von einer vorexilischen Datierung ausgeht. 263 In dieser Konnotation findet sich נטעauch in 2 Sam 7,10; Jes 5,7 und Jer 32,41. Zwar weist keiner dieser Belege einen Exodusbezug auf, was die These einer literari schen Verbindung zwischen Ps 80,8 und Ex 15,17 erhärten kann, aber auch 2 Sam 7,10 steht in großer Nähe zu Ps 80, da die Landgabe im Bild der Einpflanzung an einer Stätte beschrieben wird (vgl. dazu EMMENDÖRFFER , Gott, 135f.). Ein literarisches Verhältnis wäre darüber hinaus noch in Bezug auf Ps 44,3 zu erwägen; vgl. dazu u. den Exkurs zu Ps 44 und der Asaph-Sammlung. 264 In dieser Überhöhung des Bildes sieht METZGER , Zeder, 220, eine Übertragung von Wesensmerkmalen des Weltenbaums auf den Weinstock (vgl. zuvor schon B EYERLIN, Schichten, 14). 265 Auch wenn der (Wein-)Berg nicht explizit erwähnt wird, lässt die Rede von ‚seinen Mauern‘ ( )גדריהkeine andere Deutung zu; vgl. ebenso KRAUS, BK XV/2, 723; NASUTI, Tradition History, 99; HIEKE, Psalm 80, 363f.; EMMENDÖRFFER , Gott, 139f.; ZENGER , HThK.AT II, 463.
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ist (80,13f.). Es ist umstritten, welche Katastrophe hier vor Augen steht, allerdings gibt die Allegorie in keiner Weise zu erkennen, dass sie allein auf eine Teilgröße Israels bezogen ist; hinzu kommt die Beobachtung, dass der Weinstock in 80,17 als ‚mit Feuer verbrannt, abgehauen‘ (שרפה ִבאש )כסוחהbeschrieben wird, wobei gerade das Verbrennen mit Feuer an anderen Stellen die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier beschreibt.266 Dies spricht dafür, dass die allegorische Schilderung der Notlage einen gesamtisraelitischen Horizont hat. 267 Im Angesicht der Katastrophe bitten die Sprecher Gott eindringlich darum, umzukehren und sich des Weinstocks wieder anzunehmen (אלהים צבאותִשובִנאִהבטִמשמיםִוראהִופקדִגפןִזאת, 80,15). Mit der Bitte um Umkehr ( )שוב נאkann 80,15 als literarisches Vorbild für die sekundäre Einfügung des redaktionellen Kehrverses gelten, der refrainartig um die Wiederherstellung des Volkes bittet (השיבנו, 80,4.8.20). Von größerer Bedeutung ist aber die Beobachtung, dass die die Abfolge der erbetenen Handlungen ‚siehe … und nimm dich an‘ ( ופקד... )וראהauf die Exoduszusagen in Ex 3,7.16 anspielt.268 In diesen Versen liegt ein (sekundär hergestellter) Textzusammenhang vor, in dem die Versicherung Gottes am Dornbusch, dass er das Elend seines versklavten Volkes gesehen habe (ראה ִראיתי, 3,7), nachträglich als Ausdruck seiner dauerhaften Zuwendung (פקדִפקדתי, 3,16) interpretiert wird. 269 Diese Zuwendung manifestiert sich in der Ankündigung von Exodus und Landnahme (3,8.17), deren Wiederholung die Sprecher von Ps 80,15 nun in der Fürsorge für den zerstörten Weinstockes erflehen. Eine Exodusreminiszenz liegt vermutlich auch in der abschließenden Bitte vor, mit der die Beter Gott daran erinnern, dass es sich bei dem Weinstock um eine Pflanzung seiner Rechten handelt (וכנהִאשרִנטעהִימינך, 80,16a). Liegt der Bitte das Argument zugrunde, dass mit dem Gedeihen 266 Vgl. dazu prägnant das Bildwort vom unnützen Rebholz in Ez 15,1–7, das Jhwh dem Feuer zum Fraß gibt, wobei hier auf die Katastrophe von 587 v.Chr. angespielt wird (vgl. dazu P OHLMANN, ATD 22,1, 208f.). 267 So mit B EYERLIN, Schichten, 15; EMMENDÖRFFER , Gott, 140. Anders NASUTI, Tradition History, 99, der in der Weinstock-Allegorie trotz einiger Südreich-Einflüsse ein durch die Ephraim-Tradition geprägtes Element sieht. Eine nachexilische Einordnung nimmt auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 114, vor, der in Ps 80,2.20 die Bitte um Rückkehr aus dem Exil liest; hier bleibt allerdings unklar, wie er diese Deutung begrü ndet. 268 Vgl. ZENGER, HThK.AT II, 464. 269 Zu den literarhistorischen Textverhältnissen in Ex 3 vgl. grundlegend B ERNER , Exoduserzählung, 68–105. Dieser kann plausibel machen, dass die Auslegung des göttlichen Aufmerksamwerdens im Sinne einer dauerhaften Zuwendung unter Rekurs auf die Sterbeworte Josephs Gen 50,24 geschieht, in denen der Patriarch seinen Söhnen die bevorstehende Zuwendung Gottes ankündigt (ואלהיםִפקדִיפקדִאתכם, Gen 50,24; vgl. dazu B ERNER , a.a.O., 90f.).
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des Weinstocks die Berufsehre des Gärtners auf dem Spiel steht,270 verweist das Motivensemble von der Rechten Gottes und der Einpflanzung auf die im Meerlied besungene Heilsgründung Israels (ימין, Ex 15,6.12; נטע, 15,17). Auch in dieser Deutungsperspektive steht mit dem Wohlergehen des Gottesvolkes zugleich das Ansehen des Gottes auf dem Spiel. Die jussivische Aufforderung um Feindvernichtung in Ps 80,17 rekurriert ein letztes Mal auf das Bild des Weinstocks, dessen Zerstörung nun Gottes Eingreifen gegen die Feinde motivieren soll. Diesen wird das Umkommen durch das göttliche ‚Drohen‘ (גערה, 80,17) angekündigt; eine Gerichtsgebärde, die im Kontext der Asaph-Sammlung vor allem den Zionspsalm 76 evoziert, wo in mythischer Verhüllung die Exodustat als Drohakt Gottes gepriesen wird (מגערתךִאלהיִיעקבִנרדםִורכבִוסוס, 76,7).271 Zusammenfassend liegt die Besonderheit im Gebrauch der Weinstockmetapher in Ps 80 darin, dass der Weinstock keinen einfachen Vergleichspunkt auf der Deuteebene hat, sondern sein Geschick einen Abschnitt der Geschichte Israels symbolisiert. 272 Diese Art der allegorischen Geschichtsdeutung findet sich ansonsten nur noch in Ez 17 und 19, zwei Kapiteln des Ezechielbuches, in denen das Schicksal des judäischen Königtums im Bild der Zeder (ארז, 17,2.22.23); im Bild der Löwin und ihres Jungen (לביא, 19,2; גור, 19,2.3.5) sowie im Bild des Weinstocks (גפן, 19,10) verhandelt wird. Wie der Weinstock in Ps 80,17 wird auch das Rebengewächs in Ez 19,12.14 zum Opfer des Feuers. 273 Eine gewisse Nähe besteht darüber hinaus zum Weinberglied Jes 5,1–7, das dem Haus Israel im Bild des Weinbergs ()כרם, der schlechte Früchte bringt, das Gericht ansagt. Der Sänger kündigt in der Rolle Gottes an, dass er die Umfriedungen des Weinberges zerstören wird (הסרִמשוכתוִוהיהִלבערִפרץִגדרוִוהיהִלמרמס, 5,5), so dass der Weinstock der Verwüstung preisgegeben wird. Zwei Beobachtungen können eine literarische Verbindung zwischen Jes 5 und Ps 80 wahrscheinlich machen. So berühren sich die Texte nicht nur in der parallelen Formulierung ‚Mauer niederreißen‘ (פרץִגדר, Jes 5,5; Ps 80,13), sondern ein Bezug auf das Weinberglied könnte auch den Wechsel in der Bildebene von Ps 80 erklären: Während sich in Jes 5 das Bild des Weinstocks durchhält, wechselt die Beschreibung des Gerichtes in Ps 80 von der Darstellung eines Weinstocks zu der eines Weinberges. Dies spricht dafür, dass das 270
Vgl. SÜSSENBACH , Psalter, 334. Vgl. dazu die obige Analyse von Ps 76 in Kap. 4.2.4. 272 Ähnlich auch B EYERLIN, Schichten, 14. Zu den einfachen Bildworten über Israel, die die Weinstock-Metaphorik verwenden, vgl. Gen 49,22 (‚Fruchtbaum‘: ;)בן ִפרהHos 10,l ( ;)גפןJer 2,21 (,Edelrebe‘: ;)שרק12,10 (‚Weinberg‘: )כרם. 273 Vgl. ferner das einfache Bildwort in Ez 15,1–4, in dem die Nutzlosigkeit des Weinstockholzes (עץִהגפן, 15,2) ausgesagt wird, das als nutzloses Brennholz dem Feuer übergeben wird (15,4). 271
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Weinberglied die Weinstock-Allegorie in Ps 80,13 literarisch beeinflusst hat und somit für den Wechsel in der Bildebene verantwortlich ist. 274 In Bezug auf das Ezechielbuch liegen zwar Berührungen in der Art der Geschichtsreflexion vor, Aussagen über ein eventuelles Abhängigkeitsverhältnis können aber nicht getroffen werden, da die Ausarbeitungen des Weinstockmotivs zu unterschiedlich sind und kein Rezeptionsinteresse ersichtlich ist.275 Mit der Gegenüberstellung von Gottes früherem Erwählungshandeln und der jetzigen Notsituation fügt sich Ps 80 in die Klagensammlung der Asaph-Psalmen ein, wobei auch in diesem Psalm dem Exodus als Uranfang der Erwählung eine besondere Rolle zukommt. Die crux interpretationis des Psalms bleibt das Verständnis der Stämmetrias in 80,3, wobei allerdings neben den textinternen Indizien auch die verarbeiteten Prätexte wie z.B. das Meerlied Ex 15 insgesamt für eine nachexilische Ansetzung des Psalms sprechen. Obwohl Ps 80 in kompositionsgeschichtlicher Hinsicht als Fortführung der Volksklage Ps 79 anzusprechen ist, gibt es eine Reihe von Indizien, die eine umgekehrte literarhistorische Entstehung wahrscheinlich machen. 276 Dafür spricht zuerst die Sicht auf die Völker, deren Spott in 80,7 lediglich berichtet wird, während 79,9f. das Höhnen in seiner Auswirkung auf das Ansehen des göttlichen Namens hin reflektiert. Dieses spielt in Ps 80 noch keine Rolle, sondern der Gottesname ist allein Anrufungsinstanz des Lobgelübdes 80,19. Dazu passt die Beobachtung, dass die Aussage über die Völker in 80,7 in ihrer Formulierung gerade nicht auf 79,4 bezogen ist, sondern auf Ps 44,14, was dafür spricht, dass Ps 79 dem Autor des Grundpsalms 80* noch nicht vorgelegen hat. Schließlich fehlt in Ps 80 die Thematisierung der Schuldfrage, während die Beter in 79,8 die jetzige Notlage mit der Schuld der Vorfahren erklären, was auf eine weiterführende Reflexionsstufe in Ps 79 hindeutet.
274
Mit Jes 5 bringen auch NASUTI, Tradition History, 99, und HIEKE, Psalm 80, 363f., den Wechsel der Bildebene in Ps 80 in Verbindung. Während aber NASUTI letztlich keine Entscheidung über die Art der Verbindung trifft, will HIEKE die Verbindungen traditionsgeschichtlich erklären. 275 Vgl. HIEKE, Ps 80, 365. Dem Urteil von NASUTI, Tradition History, 99, dass es sich bei Ez 19 gegenüber Ps 80 um die ausführliche Ausarbeitung des einfachen Bildes handelt, ist m.E. nicht vorschnell zu folgen, da NASUTI die geschichtlichen Referenzen in Ps 80 übersieht, die dem ‚einfachen‘ Bildwort eine tiefere Sinndimension geben. 276 Vgl. zu dieser literarhistorischen Verhältnisbestimmung von Ps 79 und 80 auch W EBER , Asaph-Psalter, 133–35.136–138, der allerdings davon ausgeht, dass Ps 80 einer vorexilischen Asaph-Sammlung angehört, während Ps 79 den einzigen Exilspsalm bilde.
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4.2.8 Psalm 81 Die kompositionelle Antwort auf Ps 79f. bildet der Orakelpsalm 81, der der Klage des Volkes die „Klage Gottes über sein Volk“277 entgegen setzt. Allerdings stellen sich die literarischen Verhältnisse in diesem Psalm als überaus komplex dar, so dass zuerst in literarhistorischer Sicht nach dem Primärpsalm und seinem Skopus gefragt werden muss. In der vorliegenden Form ist der Psalm durch eine klare Zweiteilung in eine imperativische Aufforderung zum Lobpreis (81,1–6b) und eine Gottesrede (81,6c–17) gekennzeichnet, wobei der Gliederungseinschnitt in neueren Studien aber zwischen 81,5 und 81,6 gesetzt und teilweise mit einer redaktionsgeschichtlichen Hypothese verbunden wird. 278 Der folgende Überblick soll zeigen, dass zuerst die formale Trennung zwischen Lobaufforderung und Orakel mit dem Einschnitt in Vers 81,6b/6c stärker zu gewichten ist und zweitens die Gottesrede 81,6c–17 ihrerseits das Ergebnis eines längeren Wachstumsprozesses darstellt. Nach der Überschrift in 81,1 beginnt der Psalm in 81,2–4 mit einer Aufforderung zum Lobpreis des Gottes Jakobs (לאלהיִיעקב, 81,2). Die Auflistung einzelner Instrumente (81,3f.) und die Nennung von Neumond und Vollmond als Termin ‚für den Tag unseres Festes‘ (ליוםִחגנו, 81,4) haben zu einer Reihe von Versuchen geführt, den Psalm mit der Feier eines konkreten Festes in Verbindung zu bringen. 279 Besondere Bedeutung wird dabei dem Exodusbezug in 81,5f. zugemessen, wo die Einsetzung einer durch das Pronomen ( הוא81,5) vertretenen Größe mit dem Auszug gegen Ägypten (בצאתו ִעל ִארץ ִמצרים, 81,6) in Verbindung gebracht wird. Diese Terminierung lässt an die Einsetzung des Passa-Mazzotfestes nach Ex 12,1–13,16 denken. Dabei stellt aber die Frage, was in Ps 81,5f. eigentlich eingesetzt wird, vor Probleme. Das Ereignis wird durch eine Trias von Gesetzestermini (עדות/משפט/ )חקin 81,5f. näher beschrieben, die in dieser
277
SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 160 Anm. 4; vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 469. Zu einer argumentativen Begründung des Gliederungseinschnitts nach 80,5 vgl. LOHFINK, Noch einmal, 253f., und DOEKER , Gottesrede, 208f.211. Die Konsequenz einer zweiphasigen Entstehung des Psalms ziehen SEYBOLD, HAT I/15, 322 (Bearbeitung eines exilischen Grundtextes 81,6ff. durch 81,2ff.) und HOSSFELD, HThK.AT II, 470f. (Bearbeitung eines vorexilischen Kerns 81,2–5 durch 81,6–17). Gegenüber diesen neueren Exegesen ist bereits auf B RIGGS/B RIGGS, ICC II, 209, zu verweisen, die eine grundsätzliche literarkritische Trennung in zwei Teile 81,2–6b und 81,6c–15 zu Grunde legen. 279 Vgl. exemplarisch KRAUS, BK XV/2, 728f. Allerdings ist m.E. DOEKER , Gottesrede, 210f., Recht zu geben, die angesichts der literarischen Stilisierung die Möglichkeit einer „idealtypische[n ] Darstellung eines Festes“ in Erwägung zieht.ִFür eine idealtypische Beschreibung spricht sowohl das volle Instrumentarium 81,3 wie auch die Reihung von Vollmond und Neumond in 81,4, die einen gesamten Mondzyklus suggeriert (so auch DOEKER , a.a.O., 210f.). 278
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Zusammenstellung nur wenige Parallelen im Alten Testament hat. 280 Es ist nach 81,5 Satzung ( )חקfür Israel, die der Gott Jakobs als Recht ()משפט erlassen hat ()כי ִחק ִלישראל ִהוא ִמשפט ִלאלהי ִיעקב. Die Weiterführung in 81,6ab spricht dagegen von einer Vorschrift ()עדות, die Gott bei seinem Auszug gegen Ägypten aufgestellt hat. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Funktion von 81,5–6b im Gesamtgefüge des Psalms genauer zu bestimmen. Zuerst kann das Pronomen הואin 81,5 anaphorisch auf die Nennung des Festes ( )חגנוin 81,4 bezogen werden, so dass in 81,5 die Begründung der vorhergehenden Lobaufforderung vorliegt und die Lexeme חקund משפטdas Fest näher bestimmen.281 Der Vers 81,6ab wäre in dieser Perspektive als Einleitung und inhaltliche Qualifizierung der folgenden Gottesrede zu lesen, so dass hier eine „Gelenkstelle der Gedankenführung“ 282 vorläge. Alternativ kann der den Abschnitt einleitenden Partikel ( כי81,5) auch deiktische Funktion zukommen, so dass 81,5–6b insgesamt als Vorverweis auf das folgende Orakel zu lesen ist; in diesem Fall müsste eine andere Füllung für das Pronomen הואim nachfolgenden Kontext gesucht (und gefunden) werden. Die Frage entscheidet sich m.E. an der Gesetzesterminologie, da weder das Lexem חק noch sein Gegenstück משפטals kultischer terminus technicus gelten können und gerade der Doppelbegriff חקִומשפטan den übrigen Belegstellen Ex 15,25; Jos 24,25; 1 Sam 30,25; Esr 7,10 dezidiert auf die Gesetzgebung bezogen ist. 283 Der Abschnitt Ps 81,5–6b ist demnach insgesamt als Vorverweis auf das nachfolgende Gottesorakel in 81,7–17 zu verstehen, welches in dieser Perspektive von der Gesetzespromulgation in Ägypten handelt. Wird nach einem literarischen Haftpunkt für die Vorverlegung der Gesetzgebung nach Ägypten gesucht, gibt es einige Hinweise darauf, dass die Promulgation in Ps 81 bewusst an die Stelle der Bestimmungen zum Passa-Mazzotfest Ex 12,1–13,16 gesetzt wird. Dafür spricht zuerst die singuläre Formulierung ‚bei seinem Auszug gegen das Land Ägypten‘ (בצאתו על ִארץ ִמצרים, Ps 81,6),284 die als Anspielung auf die Plagenerzählung Ex 280 ִIn Dtn 4,45 und 6,20 findet sich die Trias als Sammelbezeichnung für das dtn. Ge setz, wobei aber jeweils die Pluralform verwendet wird ()העדתִוהחקיםִוהמשפטים. Die poetische Reihung der drei Lexeme in Ps 119,118–120 kann als Auslegung dieser dtn. Sammelbezeichnung eingeordnet werden. 281 So die Mehrzahl der Exegeten; vgl. grundlegend LOHFINK, Noch einmal, 254, sowie KRAUS, BK XV/2, 730; DOEKER , Gottesrede, 211f.; HOSSFELD, HThK.AT II, 470. 282 LOHFINK, Noch einmal, 254. 283 Die poetische Variation der beiden Lexeme im parallelismus membrorum rechtfertigt den Vergleich von Ps 80,5 mit den Stellen, an denen der Doppelausdruck חקִומשפט belegt ist; vgl. dazu LOHFINK, Noch einmal, 253. 284 Die Lesart von LXX, Vulgata nach Hieronymus und Peschitta, die anstelle der Präposition עלeine Entsprechung zu מןbieten, stellt eine Glättung des MT dar. Der Aus-
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7–11 verstanden werden kann, an deren Ende im Kontext der Tötung der ägyptischen Erstgeburt die Einsetzung des Passafestes erfolgt. Die Formulierung der Festbestimmung in Ex 12,11 ( )פסח ִהוא ִליהוהweist dabei eine gewisse Übereinstimmung mit Ps 81,5a auf ( )חקִלישראלִהואund schließlich findet sich in diesem literarischen Kontext auch die einzige Verwendung des Lemmas חקin Verbindung mit einem Fest, da Ex 12,24 die Observanz des Passas als ewige Ordnung einschärft (ושמרתםִאתִהדברִהזהִלחקִלךִולבניך )עד ִעולם.285 Zusammengenommen weisen diese Verbindungen darauf hin, dass Ps 81 bewusst mit der Einsetzung des Passa-Mazzotfestes spielt und die Gesetzespromulgation an die Stelle dieser Festbestimmungen versetzt. Der kultische Bezug des literarischen Ortes bleibt in Ps 81 präsent in der ‚Festliturgie‘ 81,2–4, die die göttlichen Gesetze zwar nicht inhaltlich bestimmt, aber den kultischen Rahmen für deren Promulgation bietet. Für die Analyse des zweiten Psalmabschnittes in 81,6c–17286 sind zwei Vorgaben leitend. Zum einen muss ein Bezug für das Pronomen הואaus 81,5 im Folgekontext gefunden werden und zum anderen ist zu untersuchen, ob der Wechsel zwischen Rede über Israel und Anrede an Israel in diesem Abschnitt literarisches Stilmittel oder Indiz für ein literarisches Wachstum ist. Die Beobachtung, dass der Anredewechsel weitgehend mit einer Verschränkung von Geschichtserinnerung und Paränese korreliert werden kann, spricht für die These, dass eine ursprüngliche Paränese im Orakelteil sekundär durch einen Geschichtsaufriss erweitert worden ist. 287 Als ursprüngliche Fortsetzung von 81,1–6b kommt damit die als Anrede Israels verfasste Paränese in Frage (81,9–11.14.17a), die mit einer Reformulierung des Ersten Gebotes eine inhaltliche Füllung für die durch das Pronomen הואangekündigte Gesetzespromulgation bietet. In einer an das druck, dass Gott ‚gegen das Land Ägypten‘ ( )עלִארץִמצריםauszieht, ist als Variation der üblichen Form des Exoduscredo zu werten, das in Ps 81,11 auch innerhalb des Psalms belegt ist. Eine Reihe von Plagen in Ex 7–11 sind explizit gegen das Land Ägypten gerichtet (על ִארץ ִמצרים, vgl. Ex 8,1.3; 9,9.23; 10,12.13.14.21; vgl. Ex 11,4: אני ִיוצא ִבתוך )מצרים, so dass es nahe liegt, in dieser Formulierung eine Anspielung auf die Plagen bzw. insbesondere auf die Tötung der Erstgeburt zu vermuten (so mit LOHFINK, Noch einmal, 245 Anm. 5; HOSSFELD, HThK.AT II, 474). Die These von DE B OER, Psalm 81.6a, 72– 74, der Ps 81,6 über die Parallele Gen 41,45b ( )ויצאִיוסףִעלִארץִמצריםals Anspielung auf die Erhebung Josephs durch den Pharao versteht, ist zwar durchaus charmant, t rägt aber nicht zum Verständnis der Formulierung im Kontext von Ps 81,5f. bei. 285 In Ex 12,14.17; 13,10 findet sich jeweils noch das Lexem חקה. 286 Hier ist zu erwägen, ob das Kolon 81,6c aufgrund des Subjektwechsels vor dem Neueinsatz in 81,7 und des Motivs der unverständlichen Sprache, das ansonsten im Psalm keine Rolle mehr spielt, als sekundär ausgeschieden werden kann. 287 Ähnlich erklärt auch SEYBOLD, HAT I/15, 322, das Wachstum von Ps 81 durch den redaktionellen Ausbau einer Rib-Rede zu einem Geschichtsparadigma; seiner These einer massiven Versumstellung im Laufe der Textentstehung kann aber nicht gefolgt werden.
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Schema Israel anspielenden Einleitung ruft Gott sein Volk zum Hören auf und ermahnt es zum Gehorsam ( שמעִעמיִואעידהִבך ִ ישראלִאםִתשמעִלי, 81,9). In 81,10 folgt das dtn. Zentralgebot in seiner Ausprägung als Fremdgötterverbot ()לא ִ יהיהִבךִאלִזרִולאִתש תחוהִלאלִנכר. Allerdings entspricht die Formulierung nicht dem ersten Gebot der Dekalogfassungen, sondern mit der Parallelisierung von אל ִזרund אל ִנכרkombiniert Ps 81,10 die Anspielungen auf das Fremdgötterverbot in Dtn 32,12 ( )ואיןִעמוִאלִנכרund Ps 44,22 ( ) ונפרש ִכפינו ִלאל ִזרmiteinander. 288 Mit der anschließenden Selbstvorstellungsformel als Exodusgott in Ps 81,11 wird der Exodusbezug aus 81,6 wieder aufgenommen, wobei allerdings aufgrund des Zitatcharakters die vollzogene Herausführung aus Ägypten in der Logik des Psalms schon bei der Promulgation des Gesetzes daselbst vorweggenommen wird. Die Selbstvorstellung ist in 81,11c durch die imperativische Aufforderung erweitert, den Mund weit zu öffnen, so dass Gott ihn füllen kann (הרחבִפיך )ואמלאהו. Trotz des Wechsels zur Rede über Israel in der 3. Person sind m.E. im Weiteren die Verse 81,14.17a zur Grundschicht zu zählen, da sie als Trikolon die Mahnung Israels in einer Selbstreflexion Gottes vertiefen.289 In 81,14 drückt sich in gut dtn. Vorstellung der Wunsch aus, Israel möge auf den Wegen Gottes wandeln ()לו ִעמי ִשמע ִלי ִישראל ִבדרכי ִיחלכו, während 81,17a die in Aussicht gestellte ‚Füllung‘ aus 80,11 durch die künftige Erhaltung des Volkes mit Speise konkretisiert ( ויאכילהו ִמחלב )חטה.290 Der verbleibende Textbestand lässt sich auf drei Wachstumsstufen verteilen. Die Verse 81,7f.12f.17b sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie die geschichtlichen Anspielungen an die Zeit in Ägypten zu einem Geschichtsaufriss erweitern, der von Ägypten bis zum Eisodus in das Land reicht. Aufgrund der unterschiedlichen Rederichtung ist hier eine weitere Differenzierung in 81,8.17b und 81,7.12f. zu erwägen. Die erste Schicht in 81,8.17b ist durch die Anrede Israels an der formalen Gestaltung des Primärpsalms orientiert und baut die Ägyptenreferenz von 81,6 durch weitere Pentateuchstationen aus. Die Abfolge von ‚Rufen‘ und ‚Errettung‘ in 81,8a ( )בצרה ִקראת ִואחלצךstellt eine weitere Anspielung an die Exodustat dar, wobei sie allerdings in der Formulierung Psalmenterminologie auf-
288
Vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 475. Vgl. dazu auch u. den Exkurs zu Ps 44. Zum inhaltlichen Bezug von 81,17 auf 81,11 vgl. auch SEYBOLD, HAT I/15, 323. 290 ִMit einer Reihe von Exegeten ist das einleitende Verbum 3. Person. Mask. Sg. ( )ויאכילהוin die entsprechende Form 1. Person Sg. ( )ואאכילהוzu konjizieren (vgl. GUNKEL, Psalmen, 356.360; K RAUS , BK XV/2, 726; SEYBOLD , HAT I/15, 321; H OSSFELD, HThK.AT II, 469); die Lesart des MT verrät den nachträglichen Einfluss des gegenüber 82,17a sekundären Verses 82,16, der in Bezug auf Gott in 3. Person von denen spricht, ‚die Jhwh hassen‘ ()משנאיִיהוה. 289
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nimmt.291 Das zweite Versglied 81,8b könnte mit der Antwort Gottes aus dem Donnergewölk ( )אענךִבסתרִרעםan die Theophanie am Sinai anspielen, während die Prüfung des Volkes an den Wassern von Meriba (אבחנךִעלִמי מריבהִסלה, 81,8c) eine deutliche Referenz an die Wüstenüberlieferung enthält.292 Allerdings fällt auf, dass mit Ausnahme der Ortsnennung על ִמי ִמריבהkeine direkten literarischen Entlehnungen vorliegen, sondern mit בחן (‚prüfen‘) ein Verbum verwendet wird, das der poetischen Literatur entstammt. Es hebt den Aspekt der individuellen Prüfung des Menschen hervor293 und macht aus der Auflehnung des Volkes in Meriba, das seinen Gott auf die Probe stellen will, eine Prüfung der Israeliten durch Gott. 294 Die Einschreibung dieser Erweiterungsschicht in 81,8.17b ist nicht ohne Konsequenzen für die geschichtliche Abfolge, da die Einschaltung der Meriba-Episode in 81,8 die Ausführung der Gesetzesproklamation 81,9– 11 in der logischen Ereignisfolge in die Wüste (und damit an den Gottesberg) verlegt. Schließlich erweitert 81,17b das eigentliche Schlusskolon 81,17a zu einem parallelismus membrorum und spielt mit der Sättigung durch Honig aus dem Felsen ( )ומצורִדבשִאשביעךein Bild für das Leben im gelobten Land ein (vgl. Dtn 32,13f.). Als zweite Erweiterung kommen die Verse 81,7.12f. in Betracht, die als Rede über das Volk formuliert sind. Die Erinnerung an die Befreiung von der Last ( הסירותיִמסבלִשכמוִכפיוִמדודִתעברנה, 81,7) greift mit „ סבלein Leitwort der Exodusüberlieferung auf (Ex 1,11; 2,11; 5,4f.; 6,6f. und analog 1 Kön 11,28), trägt aber ansonsten eine eigene Gestaltung“ 295. Die eigene Gestaltung zeigt sich am Bild von der Last auf der Schulter, das an dieser Stelle auf die prophetische Tradition verweist (vgl. Jes 9,3; 10,27; 14,25 sowie Gen 49,15).296 Der Abschnitt 81,12f. kann schließlich als Midrasch über den Höraufruf 81,9–11 gelesen werden, der zu dem negativen Urteil kommt, dass das Volk eben nicht auf Gott gehört hat (ולא ִשמע ִעמי ִלקולי וישראל ִלא ִאבה ִלי, 81,12), so dass er sie in die Verstocktheit ihrer Herzen dahingegeben hat ( ואשלחהו ִ בשרירות ִלבם ִילכו ִבמועצותיהם, 81,13). Dieser redaktionelle Einschub erfüllt im Wachstum des Psalms zwei Funktionen: 291 Als nächste Parallele ist vor allem Ps 50,15 anzusprechen: ‚Und rufe zu mir am Tag der Not; ich will dich erretten und du wirst mich ehren‘ (וקראני ִביום ִצרה ִאחלצך ;)ותכבדניvgl. dazu im Folgenden. 292 Zu מי ִמריבהvgl. Num 20,13.24; 27,14; Dtn 32,51; 33,8, sowie Ps 106,32; Ez 47,19; 48,28. 293 Vgl. dazu T SEVAT, Art. בחן, 589–591, der in Abgrenzung verwandter Verben zu dem Urteil kommt, dass es hier „ganz speziell um die Person“ gehe (T SEVAT, a.a.O., 590). 294 So auch SÜSSENBACH , Psalter, 305. 295 HOSSFELD, HThK.AT II, 475. 296 Es fällt auf, dass an allen Vergleichsstellen über eine Volksgröße 3. Pers. Mask. Sg. gesprochen wird; evtl. hat dies die Formulierung in Ps 81 beeinflusst.
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Zum einen wird durch die perfektisch formulierte Aussage über die Unwilligkeit des Volkes die Sünde in den Psalm eingeschrieben, die im Nachhinein auch die Prüfung der Israeliten in Meriba negativ konnotiert. So gibt die Einschreibung von 81,12f. auch der Paränese in 81,9–11 und dem nachstehenden Wunsch Gottes in 81,14 einen vergeblichen Anstrich; erst auf dieser Wachstumsstufe wird der Wunsch zur Klage, die den Psalm in seiner literarischen Endgestalt inhaltlich bestimmt. Drittens sind schließlich sind noch die Verse 81,15f. zu berücksichtigen, die den Zusammenhang zwischen 81,14 und 81,17 unterbrechen und die Feindthematik in den Psalm einschreiben. Auch wenn es wenig Anhaltspunkte für die relative Einordnung gibt, werden 81,15f. hier arbeitshypothetisch als letzte Erweiterung betrachtet. Für die Wachstumsgeschichte von Psalm 81 ist damit Folgendes festzuhalten: Der Psalm erweist sich in seiner Primärgestalt 81,1–6b.9–11. 21.17a als eine Gesetzesparänese, in der die Promulgation des dtn. Zentralgesetzes nach Ägypten vorverlegt wird. Die nachfolgenden sekundären Erweiterungen des Psalms in 81,8.17b bauen diesen zuerst zu einem Pentateuchaufriss von Ägypten bis zum gelobten Land aus, in dem nun auch das Gesetz seinen angestammten Ort in der Wüste (bzw. am Horeb) erhält. Nachfolgend wird durch die Ergänzung in 81,7.12f. die Sündenthematik eingeschrieben, die die Heilsgeschichte negativ einfärbt. Schließlich wird in einer letzten Überarbeitung die Feindthematik in 81,15f. ergänzt. 4.2.9 Psalm 82 Der nachfolgende Psalm 82 setzt innerhalb der Komposition die Antwort auf die Klage von Ps 79f. fort. Mit dem kurzen Psalm liegt eine zweiteilige Gerichtsrede 82,2–4.6f. vor, die durch die Rahmenverse 82,1.5.8 strukturiert wird. Die biblische Geschichte spielt keine Rolle, sondern Thema ist die Absetzung der als ‚Söhne des Höchsten‘ (בני ִעליון, 82,6) bezeichneten Götter in einer himmlischen Götterversammlung (עדתִאל, 82,1) durch Gott als ihren Richter.297 Der von ihm vorgebrachte Anklagepunkt ist die unterlassene Fürsorge für die gesellschaftlichen Randgruppierungen zugunsten der Gottlosen (82,2–4) und das Urteil lautet auf einen schmählichen Tod: ‚Wie ein Mensch werdet ihr sterben, wie einer der Fürsten werdet ihr fallen‘ (כאדםִתמותון ִ וכאחדִהשריםִתפלו, 82,7). In der Schlussbitte 82,8 fordern die Beter Gott auf, nach dem Urteil über die anderen Götter nun auch zum Gericht über die Erde aufzustehen, damit er die Völker als Erbteil in Besitz nehme ()קומהִאלהיםִשפטהִהארץִכיִאתהִתנחלִבכלִהגוים. Innerhalb der Asaph-Komposition kann Ps 82 als Universalisierung der Rettungsbitte von Ps 74 profiliert werden, die zugleich eine visionäre Er297
Zur Analyse von Ps 82 vgl. ausführlich MACHINIST, How Gods Die, 189–240.
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füllung des Fremdgöttergebots in Ps 81 bietet. 298 Die Verbindungen zu Ps 74 zeigen sich in der Aufnahme der Frage nach der Dauer der Notlage (עד מתי, 74,10; 82,2; vgl. 80,5). Aber während die Frage in Ps 74 an Gott gerichtet ist und auf die nationale Katastrophe der Tempelzerstörung zielt, steht in Ps 82 mit der sozialen Schieflage zwischen den Gottlosen und den Armen ein gesellschaftliches Problem im Fokus, für das Gott die anderen Götter in die Pflicht nimmt. Indem er als Richter gegenüber diesen auftritt, kommt er in redaktions- und kompositionsgeschichtlicher Hinsicht der Aufforderung von Ps 74,22 nach, zum Rechtsstreit aufzustehen (קומהִאלהים )ריבה ִריבך, die dort sekundär als göttliches Eingreifen zugunsten der Armen interpretiert wird (74,19–21).299 Die Rezeptionslinie schließt dabei vermutlich auch den Zionspsalm 76 mit ein, in dem in 76,9f. das Gericht Gottes zur Rettung der Armen nachgetragen wird (בקוםִלמשפטִאלהיםִלהושיע כלִענויִארץ, 76,10).300 Sprachlich vollzieht sich die Einspielung der literarischen Vorlagen in der Aufnahme der imperativischen Aufforderung קומה aus 74,22 (vgl. בקום, 76,10) im Rahmen der Schlussbitte 82,7 ()קומה, in der deutlich wird, dass der Schaffung des Rechts für die Armen eine universale Dimension zukommt. In dieser Perspektive ist das Erbteil Gottes nicht mehr wie in 74,2 auf die Volksgröße Israel beschränkt ()שבט ִנחלתך, sondern Erbteil Gottes sind die Völker, die als aus den personae miserae gesammelte Gruppierung anzusehen sind (82,8). Als literarischer Hintergrund klingt an dieser Stelle neben Ps 74 auch das Moselied Dtn 32 an. Aus Dtn 32,8f. lässt sich eine Herrschaftsaufteilung der Völker durch Jhwh als des Höchsten (עליון, 32,8) herauslesen, die jedem Gott sein Eigentumsvolk zuteilt, so dass Jakob zum Erbteil ( נחלתו, 32,9) Jhwhs wird. Zwar liegen die engeren literarischen Beziehungen zu Ps 74 vor, aber die Gottesrede Ps 82 kann auch als Revision der Herrschaftsaufteilung von Dtn 32 verstanden werden: Die dort nur indirekt ausgesagte Regentschaft der anderen Götter wird zurückgenommen und Gott als universaler Herrscher eingesetzt. 301ִDie Verbindungen von Ps 82 zum direkt vorhergehenden Ps 81 betreffen schließlich die Fremdgötterthematik. Der Paränese in 81,10, keine fremden Götter anzubeten, wird in Ps 82 durch das Todesur298
Ähnlich auch ZENGER , der in Ps 82 aber eine Universalisierung der Rettungswilligkeit Jhwhs aus Ps 81 sieht (vgl. ZENGER , HThK.AT II, 491), während er die „(visionäre) Erfüllung“ in Ps 82 auf Gericht und Rettung aus Ps 81 bezieht (vgl. DERS., Psalm 82, 281). 299 Vgl. dazu die vorhergehende Analyse von Ps 74 oben in Kap. 4.2.2. 300 Zur Sekundarität der Verse 76,9f. vgl. die vorhergehende Analyse von Ps 76 in Kap. 4.2.4. 301 Zur Anspielung an Dtn 32,8f. vgl. auch ZENGER , HThK.AT II, 489. Gegenüber diesem ist m.E. aber zu präzisieren, dass die Vorstellung, den anderen Götte rn käme eine vergleichbare Herrschaft über die anderen Völker zu, in Dtn 32,8f. nicht explizit ausg esagt ist, sondern erst in Ps 82 thematisiert wird.
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teil über die anderen Götter visionär die Grundlage entzogen, so dass die geforderte Alleinverehrung Gottes zur Selbstverständlichkeit wird. Im Überblick über die literarhistorischen Verbindungen liegt der Schluss nahe, dass Ps 82 zu den jüngsten Psalmen der Sammlung zählt. Er nimmt insbesondere die armentheologischen Bearbeitungen in den Psalmen 74 und 76 auf und universalisiert die Rettungsbitte an den Zionsgott im Bild von Gott als des Weltenrichters, der zugunsten der Armen unter den Völkern eingreift.302 Diese Vorstellung von Jhwh als eines universalen Weltenherrschers, der sich gegenüber den anderen Göttern durchsetzt und über eine weltweite Gemeinde der Frommen und Armen herrschen wird, spricht für eine zeitliche Einordnung des Psalms in die persische Epoche.303 In dieser Zeit stand Israel nicht nur den Herausforderungen einer großen jüdischen Diaspora gegenüber, sondern musste die eigene religiöse Identität auch angesichts des pluralen Völker- und Religionsgemisches im persischen Großreich bewahren. Ps 82 stellt ein beredtes Zeugnis dafür dar, wie schriftgelehrte Kreise diese Herausforderungen verarbeitet haben. 4.2.10 Psalm 83 Der Abschlusspsalm der Asaph-Sammlung Psalm 83 weist erneut Formmerkmale der Volksklage auf, wobei aber nicht der Verlust von Stadt, Land oder Tempel im Vordergrund steht, sondern die Bedrohung von Gott und Israel durch die feindlichen Fremdvölker.304 Der Psalm gliedert sich in drei Abschnitte: Auf die Psalmüberschrift und die invocatio dei in 83,1f. schließt sich im ersten Hauptteil 83,3–9 die Klage über die Feindbedrohung an, während der zweite Hauptteil (83,10–19) die Bitte um das Eingreifen Gottes enthält. Der Psalm lässt sich als literarische Einheit lesen, auch wenn an zwei Stellen Indizien auf nachträgliche Bearbeitungen hin302 Die Verbindungen zwischen Ps 74; 76 und 82 bezüglich der Armentheologie sieht auch ZENGER , Psalm 82, 289. Gegenüber seiner Auslegung, dass die Armen in Ps 82 „die von den feindlichen Eroberern und Besatzern bedrängte Gemeinde“ aus Ps 74 und 76 sind (ebd.), ist aber zu präzisieren, dass Ps 82 keinen Israelhorizont mehr hat, sondern auf die aus den Armen gesammelten Völker der Erde gerichtet ist. Die divergierende Akzentsetzung hängt auch mit seiner von der hier vorgelegten Einordnung abweichenden (Früh-)Datierung des Psalms zusammen; vgl. dazu u. Anm. 303. 303 Gerade in neueren Arbeiten wird Ps 82 in eine frühere Epoche eingeordnet; vgl. z.B. W EBER , Asaph-Psalter, 131–133.133–136 (Ps 82 als Teil einer vorexilischen Asaph-Sammlung); SEYBOLD, HAT I/15, 325 (exilisches Entstehungsdatum), oder ZENGER , HThK.AT II, 485 (vgl. D ERS., Psalm 82, 286–290), der den Psalm in die frühnachexilische Epoche datiert. DOEKER , Gottesrede, 91, schließt sich mit einer angenommenen Entstehungszeit um 500 v. Chr. an die ältere Datierung von H.-W. J ÜNGLING an. 304 Siehe zu dieser Beobachtung auch EMMENDÖRFFER , Gott, 194f., der deshalb annimmt, dass Ps 83 das jüngste Stadium der Entstehung von Volksklageliedern widerspi egelt und diesen spätnachexilisch einordnet.
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weisen. So ist zuerst die literarische Kohärenz der Verse 83,17–19 diskutiert worden, da in den Bitten um Feindvernichtung (83,17a.18b) bzw. in der Bitte um deren Bekehrung (83,17b.18a.19) auf den ersten Blick zwei gegensätzliche Ziele verfolgt werden.305 Eine literarkritische Scheidung ist m.E. aber nicht notwendig, da es mit den ursprünglichen Fremdvölkerworten im Ezechielbuch Parallelen für die Vorstellung gibt, dass die Völker im vernichtenden Gericht Gotteserkenntnis erhalten – von der sie dann allerdings nicht mehr profitieren können (vgl. Ez 25,11.14.17; 26,6). 306 Auffällig ist zweitens der geschichtstheologische Rückblick in den Versen 83,10–13, der formal eine Doppelung der nachstehenden Gerichtsbitte in 83,14–18 darstellt (vgl. den identischen Aufruf שיתמו, 83,12.14). Der Geschichtsrückblick nimmt darüber hinaus das Fremdzitat der Völker in 83,5 auf und begründet in 83,13 das Gericht über die Völker ebenfalls mit einem Fremdzitat. Während die Völker nach 83,5 aber planen, Israel zu vertilgen, damit seines Namens nicht mehr gedacht werde (אמרו ִלכו ִונכחידם – ) מגויִולאִיזכרִשם ִ ישראלִעודwas gut zu der endgültigen Anerkenntnis des göttlichen Namens in 83,19 passt ( – )וידעוִכיִאתהִשמךִיהוהrichtet sich das Höhnen der Feinde in 83,13 darauf, dass sie die göttlichen Weideplätze in Besitz nehmen wollen ()אשר ִ אמרו ִנירשה ִלנו ִאת ִנאות ִאלהים. Diese unterschiedliche Akzentuierung spricht für die Vermutung, dass der ursprüngliche Psalm 83* sekundär durch den geschichtstheologischen Einschub in 83,10–13 überarbeitet worden ist. Unter dieser Voraussetzung ist mit einem Primärpsalm in 83,1–9.14–19 zu rechnen, der Gott zum Handeln gegenüber den Fremdvölkern aufruft und dabei vor allem Vorlagen der prophetischen und der poetischen Überlieferung verarbeitet. So rekurriert die einleitende, an Gott gerichtete Aufforderung, nicht zu schweigen ( אלהים ִ אלִדמיִלךִאלִתחרשִואלִתשקטִאל, 83,2) auf die Ermahnung der Wächter in Jes 62,6f.ִ(ואלִתתנוִדמיִלו, 62,7), so dass der Psalm als ‚Weckruf Gottes‘ eine prophetische Legitimation erhält. 307 Anders als in Jes 62,6f. gilt es aber nicht, Gott an die Wiederherstellung Jerusalems zu erinnern, sondern das drängende Problem sind die Fremdvölker, die sich gegen Gott erheben und auf die Austilgung seines Volkes sinnen (Ps 83,3–6). Dabei rekurriert die Vorstellung, dass die Völker ‚to305 Vgl. SEYBOLD, HAT I/15, 328, der in 83,17b.18a.19 eine nachträgliche Bearbeitung sieht. ZENGER , HThK.AT II, 496f.503, folgt der These von SEYBOLD, wobei er aber betont, dass die Spannung theologisch erhalten bleiben müsse (ZENGER , a.a.O., 496; anders noch DERS., Gotteszeugenschaft, 31). 306 Zu dieser theologischen Profilierung der ursprünglichen Fremdvölkerworte im Ezechielbuch vgl. SCHÖPFLIN, Tyrosworte, 195, und im Anschluss an diese KLEIN, Schriftauslegung, 313. 307 Zum Bezug auf Jes 62,6f. vgl. GOSSE, Le Psaume 83, 9f. Die Abhängigkeit zwischen den Texten zeigt sich vor allem an der parallelen Verwendung des Lemmas דִמִי, das nur an den drei Stellen Jes 62,6.7; Ps 83,2 belegt ist.
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sen‘ (יהמיון, 83,3), auf das Motiv des Völkeransturms gegen den Zion, wobei insbesondere sprachliche Verbindungen zu Jes 17,12–14 (הויִהמוןִעמים רבים ִכהמות ִימים ִיהמיון, 17,12)308 und dem Zionspsalm 46 bestehen (יהמו יחמרוִמימיו, 46,4; המוִגויםִמטוִממלכות, 46,7). Die anschließende Aufzählung der beteiligten Völker in Ps 83,7–9 sollte nicht als Hinweis auf eine historische Konstellation ausgewertet werden, sondern die Zehnzahl der Völker ebenso wie ihre Anordnung, die Israels Weg in das Land nachzeichnet, lässt auf eine literarische Gestaltung der Völkerliste unter dem Gesichtspunkt der Totalität schließen. 309 Das in 83,14–18 erbetene Eingreifen Gottes ruft Gott in einer Kette von fünf Imperativen zu einer Epiphanie gegen die Völkerallianz auf, die in der Bitte gipfelt, die Feinde sollen umkommen (ויאבדו, 83,18). Der Psalm greift in diesem Abschnitt eine Reihe von Naturvergleichen und Metaphern auf, die aus den prophetischen Gerichtsworten gegen Israel und die Fremdvölker bekannt sind, und das Eingreifen des theophanen Gottes beschreiben. 310 Besondere Bedeutung kommt dabei erneut der prophetischen Ankündigung in Jes 17,12–14 zu, zu der mehrere sprachliche Verbindungen bestehen (כגלגל/לפני ִרוח, Ps 83,14, vgl. Jes 17,13; רדף/סופה, Ps 83,16; vgl. Jes 17,13). Dabei mischen sich in der Beschreibung der Wetterphänomene in Ps 83,16 Elemente aus Jes 17 mit der Darstellung von Jes 29,1– 8 (סופה/סערה, Jes 29,6). Der ursprüngliche Psalm wird in 83,19 durch den Wunsch abgeschlossen, dass den Feinden – in ihrer Vernichtung – Gotteserkenntnis zukommen solle (וידעו ִכי ִאתה ִשמך ִיהוה ִלבדך ִעליון ִעל ִכל )הארץ.311 Eine vergleichbare Zielvorstellung ist auch in Ps 46,11 belegt, wobei die Feinde aber durch die Gotteserkenntnis vom Ansturm gegen den Zion abgebracht werden sollen und somit eine Chance haben, der Vernichtung zu entgehen (46,11). Die engen Verbindungen zwischen den zweiPsalmen, die sich auch im Geschehensablauf von Völkeransturm – Theophanie – Huldigung Gottes zeigt, spricht dafür, dass mit Ps 83* eine relecture des Zionpsalms 46 vorliegt. 312 Allerdings dominiert in Ps 83 die 308
Auf die Verbindungen zwischen Jes 17,12–14 und Ps 83 verweist auch GOSSE, Le Psaume 83, 10. 309 Vgl. ausführlich ZENGER , HThK.AT II, 499–501, und zuvor DERS. Gotteszeugenschaft, 27f.; siehe auch NASUTI, Tradition History, 111 („a poetic attempt at comprehensiveness“); EMMENDÖRFFER , Gott, 200 („fiktives ensemble horrible“ [sic!]). Zu einer Darstellung der Versuche, die Völkerliste mit einer historischen Situation in Verbindung zu bringen siehe exemplarisch KRAUS, BK XV/2, 741f. 310 Vgl. ZENGER , HThK.AT II, 502. 311 So gegen die Exegeten, die literakritisch zwischen der Huldigung Gottes und der Vernichtung der Feinde trennen wollen (s.o. Anm. 305). Zur hier vertretenen Auslegung des Schlussteils vgl. auch ILLMAN, Thema, 38; EMMENDÖRFFER , Gott, 202. 312 Vgl. ZENGER , Gotteszeugenschaft, 33, der das Verhältnis folgendermaßen beschreibt: „Er [Ps 83 ] ist insbesondere in seiner Geschehensstruktur so stark an Ps 46 ori-
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Fremdvölkerbedrohung gegenüber den Chaosmächten in Ps 46, und der Zionsgott wird als ‚Höchster über die ganze Erde‘ (עליוןִעלִכלִהארץ, 83,19) gepriesen. Diese Titulierung ist neben 83,19 nur noch in Ps 97,9 belegt und evoziert die Vorstellung vom Königtum Jhwhs, das sich am Ende der Asaph-Sammlung in seinem Sieg über den Ansturm der Fremdvölker erweist. Mit dem Primärpsalm 83* liegt damit ein Text vor, der Elemente der Zions- und Jhwh-Königtum-Tradition aufnimmt und sie vor dem Horizont der Fremdvölkerbedrohung aktualisiert. Für eine nachexilische Ansetzung spricht nicht nur dieser theologiegeschichtliche Standpunkt, sondern auch die Gottesnamentheologie des Psalms in Verbindung mit der Fremdvölkerbedrohung. Mit der Fortschreibung in 83,10–13 wird die Aussage des Primärpsalms durch eine zweiteilige Vernichtungsbitte ergänzt, die an der geschichtlichen Überlieferung der Richterzeit orientiert ist.313 So flehen die Beter Gott im ersten Durchgang an, das Gericht an den Völkern in Analogie zu seinem Handeln an den idealtypischen Feinden der Richterepoche zu vollstrecken. Als Beispiel werden Midian sowie das Geschick der Kanaanäer Sisera und Jabin am Bach Kischon angeführt (עשה ִלהם ִכמדין ִכסיסרא ִכיבין בנחלִקישון, 83,10), die vertilgt und dem Erdboden zu Dünger wurden (נשמדו ִ היוִדמןִלאדמה314 בעיןִדאר, 83,11). Mit den Namen Sisera und Jabin liegt eine Anspielung auf die Tötung des kanaanäischen Heerführers Sisera und auf Deborahs Sieg über Jabin am Bach Kischon in Ri 4 vor. Die zweite Vernichtungsbitte in Ps 83,12f. führt als Exempel das Geschick der Midianiterfürsten Oreb, Seeb, Sebach und Zalmunna an (שיתמו ִנדיבמו ִכערב ִוכזאב וכזבח ִוכצלמנע ִכל ִנסיכמו, 83,12). Diesen wird der Ausspruch in den Mund gelegt wird, sie wollten die Weideplätze Gottes in Besitz nehmen (אשר אמרוִנירשה ִ לנוִאתִנאותִאלהים, 83,13). Die namentliche Nennung dieser Fürsten führt auf die Erzählung von Gideons Sieg über die Midianiter in Ri 7f., wobei aber in der Richtererzählung keine Entsprechung für das Fremdzitat in Ps 83,13 belegt ist.
entiert, daß er als ‚Einklagung‘ der im ‚Vertrauenspsalm‘ Ps 46 entworfenen Vision vom Anbrechen der universalen Friedensherrschaft JHWHs zu lesen ist.“ 313 Zum Bezug von Ps 83,10–13 auf die Richterzeit vgl. auch SÜSSENBACH , Psalter, 309, die hier eine Charakterisierung der gegenwärtigen Feinde durch die „klassischen“ (ebd.) Gegner sieht. 314 Die Ortsangabe ‚En-Dor‘ ( )בעיןִדארist problematisch, da der Ort zum einen keine Rolle in den Richtererzählungen spielt und zum anderen die Schreibweise mit dem Ko nsonanten aläf von der sonst üblichen Lesart ( עין ִדורJos 17,11; 1 Sam 28,7) abweicht. Hier ist vermutlich den Konjekturvorschlägen zu folgen, die eine Verschreibung der ur sprünglichen Angabe ‚Quelle Harod‘ ( )עין ִחרדaus Ri 7,1 annehmen, vgl. z.B. GUNKEL, Psalmen, 366; KRAUS, BK XV/2, 740f. Dagegen erklärt CORDES, Asafpsalmen, 216, die Nennung En-Dors inhaltlich-geographisch durch die Nähe des Ortes zur Quelle Harod.
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Insgesamt ist der sekundäre Geschichtsvergleich in 83,10–13 dadurch gekennzeichnet, dass keine Einzelzüge der Überlieferung eingespielt werden, sondern allein die namentliche Nennung der Feinde die Assoziation an die Vorlage herstellt. Entscheidend ist mit der Vernichtung der Genannten das Ergebnis von Jhwhs machtvollem Handeln zugunsten Israels, weniger die näheren Umstände. Es ist allerdings kein Zufall, dass hier Beispiele aus der Richterzeit ausgewählt werden, für die die Bedrohung Israels durch die Völker im Land kennzeichnend ist. Im Rückgriff auf diese anfängliche Bedrohungssituation erflehen die Beter in Ps 83 ein analoges Eingreifen Gottes, in dem die gegenwärtigen Feindmächte vernichtet werden und implizit die Ruhe Israels im Land ermöglicht wird.315 Als letzter Psalm der Asaph-Sammlung nimmt Ps 83 eine besondere Funktion ein, die sich bereits daran zeigt, dass dieser eine Reihe von rahmenden Bezügen aufweist. So liest sich das umfassende Gerichtsszenario, das in der Huldigung Jhwhs als des Höchsten der Erde gipfelt (עליוןִעלִכל הארץ, 83,19), als Kulminationspunkt der Verspottung und Bedrohung Israels durch die Völker, die zuerst in Ps 79 thematisiert worden ist. Zugleich greift der Psalm darin aber auch auf den Eröffnungspsalm 73 zurück: Während die Problemkonstellation in Ps 73 vom Gegensatz zwischen dem Frommen und dem Gottlosen bestimmt wird, leidet in Ps 83 das Volk Israel unter den Fremdvölkern. 316 Sprachlich zeigt sich die Rahmung in der Verwendung der Wurzel אבדfür die Vernichtung der Feinde. Während der einzelne Beter in seinem Resümee 73,27 den Tod als unausweichliches Ende derer konstatiert, die Gott fern sind ()כי ִהנה ִרחקיך ִיאבדו, erfleht die Sprechergruppe in 83,18 ein analoges Schicksal für die Fremdvölker (יבשו )ויבהלוִעדיִעדִ ויחפרוִויאבדו.317 Neben diesen Bezügen zum Eröffnungspsalm 73 fallen aber auch Verbindungen zum gruppenexternen Ps 50 auf, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. 4.2.11 Psalm 50 Damit ist die Analyse beim sammlungsexternen Psalm 50 angelangt. Die Überschrift לאסףin 50,1 zeigt die Zugehörigkeit dieses Psalms zur Gruppe der Asaph-Psalmen 73–83 an; er wird aber durch den Block der DavidPsalmen 51–72 von dieser getrennt. Die isolierte Stellung deutet darauf 315
Das ‚Ruhen‘ ( )שקטdes Landes ist ein wichtiges Element des dtr. Richterschemas und kennzeichnet den Heilszustand im Land, nachdem die jeweilige Feindmacht in der Zeit des Richters besiegt wurde (Ri 3,11.30; 5,31; 8,28; vgl. dazu auch o. Anm. 256). 316 Vgl. W EBER , Asaph-Psalter, 136. 317 ZENGER , Gotteszeugenschaft, 32f. sieht in der Formulierung von Ps 83,18 eine Anspielung an den Schlussvers des Deborahliedes Ri 5,31 ( כן ִי אבדו ִכל ִאויבי ך ִיהוה ִואהביו )כצאת ִהשמש ִבגברתו ִותשקט ִהארץ ִארבעים ִשנה, was den (hier als sekundär postulierten) Rückgriff auf die Richterüberlieferung zusätzlich erklären könnte.
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hin, dass der Einzelpsalm von einer Redaktion bewusst an diesen Ort gesetzt worden ist, um einen asaphitischen Rahmen um die David-Psalmen zu legen.318 Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob Ps 50 ursprünglich ein Teil der Asaph-Sammlung war oder ob die Verbindung zur Gruppe erst sekundär durch die Überschrift hergestellt worden ist. Diese Frage kann nur in einer inhaltlichen Betrachtung geklärt werden. Der Psalm besteht aus zwei Hauptteilen: Eine Theophaniebeschreibung in 50,1–6 (mit eingeschobener Gottesrede in 50,5) schildert das Kommen Gottes zum Gericht an seinem Volk (לדין ִעמו, 50,4), das in der zweiteiligen Gottesrede 50,7– 15.16–23 inhaltlich entfaltet wird. Bereits mit dem kurzen Orakel 50,5 ergeht ein Versammlungsaufruf an ‚meine Frommen‘ ()חסידי, die als diejenigen charakterisiert werden, die beim Opfer den Bund geschlossen haben. Diese Beschreibung ruft die Bundesschlussszene in Ex 24,1–8 in Erinnerung, in der das Volk bei der Opferfeier auf das Bundesbuch (ספרִהברית, 24,7) verpflichtet wird. Die in Ps 50,5 angeredeten Frommen stehen damit in Kontinuität zu dem Volk, mit dem Gott am Sinai/Horeb seinen Bund geschlossen hat. Sie werden in 50,7 als Gottesvolk zum Hören auf die Mahnpredigt Gottes angehalten ()שמעהִעמיִואדברהִישראלִואעידהִבךִאלהיםִאלהיךִאנכי. Inhalt der so eröffneten Paränese ist im ersten Teil der Gottesrede 50,7–15 das rechte Opferverständnis: Gott lehnt Schlacht- und Brandopfer des Volkes zwar nicht ab (50,8), verweist aber darauf, dass ihm als Schöpfer die Verfügungsgewalt über alle Tiere zukommt (50,11f.), was die Opferdarbringung durch den Menschen ein Stück weit sinnlos erscheinen lässt. Anstelle des Tieropfers ruft er sein Volk deshalb dazu auf, ihm ein spiritualisiertes Opfer in Form von Bekenntnis und Gelübde darzubringen (זבח ִלאלהים ִתודה ִושלם ִלעליון נדריך, 50,14). Diese werden in der Übertragung auf den Lebenskontext als angemessene Verherrlichung Gottes für die Rettung aus der Not dargestellt (50,15). 319 Der zweite Teil der Gottesrede in 50,16–23 richtet sich durch die Redeeinleitung in 50,16aa explizit an den Gottlosen (ולרשעִאמר )אלהים, den Gott der missbräuchlichen Verwendung seiner Ordnungen und seines Bundes beschuldigt (50,16). Die Vergehen konkretisieren sich in 50,18–20 durch Anklagepunkte, die der zweiten Tafel des Dekalogs entnommen sind. Abschließend bekräftigt Gott in 50,21f., dass er gegen diejenigen vorgehen wird, die ihn vergessen (שכחיִאלוה, 50,22), während derjenige, der Dank opfert, das Gottesheil erfahren wird ( זבחִתודהִיכבדנניִושם דרךִא ראנוִבישעִאלהים, 50,23). Die Einleitung des zweiten Teils der Gottesrede (50,16–23) in 50,16aa wird im Anschluss an DUHM von den meisten Exegeten als nachträglicher 318 319
Vgl. HOSSFELD, NEB 29, 310; RÖSEL, Redaktion, 172. Vgl. HOSSFELD, NEB 29, 315.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
Einschub bewertet,320 der das Gesamtvolk von der Anklage ausnimmt und den Tatvorwurf allein dem Frevler zur Last legt. Dagegen ist aber Folgendes einzuwenden: Ohne die Redeeinleitung in 50,16aa erscheint der Übergang von der rechten Verherrlichung Gottes in 50,15 zur Anklage in 50,16abb unvermittelt. Darüber hinaus sind auch die gegensätzlichen Rettungsaussagen in den zwei Teilen der Gottesrede ( אחלצך, 50,15; ואיןִמציל, 50,22) nur schwer miteinander in Ausgleich zu bringen, wenn sie auf dieselbe Volksgruppe bezogen werden. 321 Will man deshalb nicht den gesamten Abschnitt 50,16–23 als nachträgliche Ergänzung einordnen, ist die Ein leitung der Gottesrede in 50,16aa als zum Grundpsalm gehörig anzusehen. Verdacht in literarkritischer Hinsicht erregt dagegen der Teilvers 50,3a*. Der auffällige Vetitiv ‚( ואל ִיחרשschweige nicht‘) im ersten Kolon von 50,3 fällt in stilistischer Hinsicht aus der Theophaniebeschreibung im Kontext heraus und kann als redaktioneller Einschub im Blick auf Ps 83,2 verstanden werden (אלהים ִאל ִדמי ִלך ִאל ִתחרש ִואל ִתשקט ִאל: ‚Gott, sei nicht still, schweige nicht und sei nicht untätig‘). 322 Die prophetischen und deuteronomistischen Beeinflussungen von Ps 50 sind weitgehend anerkannt und sollen an dieser Stelle nicht vollständig behandelt werden. 323 Für die Frage nach der Geschichtstheologie in Ps 50 ist allerdings die Aufhellung derjenigen Bezüge wichtig, die dem Gerichtsszenario des Psalms durch Anklänge an die geschichtliche Überlieferung eine Legitimation geben. So hat die formale Verbindung von Theophanie und Gottesrede ihr Vorbild in der Sinaiperikope Ex 19; 20; 20,22–24,10 bzw. in der Rekapitulation der Szene am Horeb in Dtn 5324 und unterstützt so die bundestheologische Deutung. Gott kann zum Gericht erscheinen, da er das Volk zuvor auf seinen Bund und damit gut deuteronomistisch auf seine Gesetze verpflichtet hat. 325 Dabei zeigt allerdings die Herkunftsangabe ‚vom Zion‘ (מציון, Ps 50,2) den Einfluss traditioneller Psalmentheologie an, indem der Zion an die Stelle des Sinai/Horeb tritt. Die Anlehnung an die Pentateuchtexte wird inhaltlich zum einen durch die Anrufung der Himmel und der Erde verstärkt (Ps 50,4), die nach Dtn 32,1 Zeugen der dtn. Gesetzesverkündigung sind. Zum anderen fallen Anklänge an das Schema Israel in der Redeeröffnung Ps 50,7 auf (שמעה ִעמי 320 Vgl. DUHM, KHC 14, 208; ebenso KRAUS, BK XV/1, 535; HOSSFELD, NEB 29, 308; SPIECKERMANN , Rede Gottes, 160; dagegen argumentiert DOEKER , Gottesrede, 276f., für die Einheitlichkeit des gesamten Psalms. 321 Vgl. DOEKER , Gottesrede, 277. 322 Vgl. dazu ZENGER , HThK.AT II, 504. 323 Vgl. SPIECKERMANN, Rede Gottes, 160f.; ausführlich auch DOEKER , Gottesrede, 278–282. 324 Vgl. SPIECKERMANN, Rede Gottes, 159f. Zur Anspielung auf die Sinai- bzw. Horebtheophanie mit Dekalogverkündigung vgl. auch HOSSFELD, NEB 29, 313. 325 Zu diesem Zusammenhang vgl. auch SÜSSENBACH, Psalter, 306.
4 Geschichte in den Asaph-Psalmen
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)ואדברה ִ ישראל ִואעידה ִבך ִאלהים ִאלהיך ִאנכי,326 worin sich der Vers auch mit Ps 81,9 berührt.327 Während allerdings in 81,9–11 das Erste Gebot Inhalt der Ermahnung ist, begründet das Gottsein Gottes für Israel nach 50,7 ( )אלהים ִאלהיך ִאנכיdie nachfolgende Opferkritik. Die zwei Psalmen ergänzen sich ferner darin, dass Ps 50,18–20 mit den Anspielungen auf die sozialen Gebote über das Töten, Stehlen und Ehebrechen die Verkündigung der Alleinverehrung Gottes in 81,9–11 komplementiert. Eine letzte Verbindung betrifft die parallele Rettungsaussage in den zwei Psalmen (50,15; 81,8). In der vorliegenden masoretischen Anordnung des Psalters fordert Gott sein Volk in Ps 50 auf, ihn am Tag der Not anzurufen und verspricht Rettung (וקראניִביוםִצרהִאחלצךִותכבדני, 50,15), während er in Ps 81 bereits auf die erfolgte Rettung aus der Bedrängnis zurückblickt (בצרה ִקראת ואחלצך, 81,8). Der inhaltliche Überschuss in 50,15, der die Verherrlichung Gottes als angemessene Antwort auf die Rettungserfahrung einfordert ()ותכבדני, spricht jedoch dafür, Ps 50 als den jüngeren Text einzuordnen, der die geschichtliche Reminiszenz von 81,8 in den Gebetszusammenhang überführt.328 Die hier aufgezeigten Verbindungen von Ps 50 nicht nur zu Ps 81, sondern auch in die Asaph-Sammlung als Ganze, machen die These wahrscheinlich, dass der Psalm einmal Teil der Sammlung gewesen ist (oder sogar im unmittelbaren Kontext von Ps 81 gestanden hat), bevor er an seinen jetzigen Platz versetzt worden ist. 329 Es kann vermutet werden, dass die Redaktion, die Ps 50 vor die David-Psalmen 51–72 eingestellt hat, auch für die redaktionelle Überarbeitung in 50,3a* verantwortlich ist. Der Vetitiv in 50,3a* stellt im Vorgriff auf die Aufforderung des Schlusspsalmes 83,2 sicher, dass Gott nicht schweigen wird, Insgesamt wird die biblische Geschichte in Ps 50 nicht als vergangenes Geschehen rezipiert, sondern der Bundesschluss der literarischen Überlieferung bildet den Hintergrund der Opfer- und Sozialkritik und verleiht dieser besondere Dignität. 330 Durch die nicht festgelegte Zeitstufe in der 326 Vgl. das Sch ema Israel in Dtn 6,1: ‚( שמע ִישראל ִיהוה ִאלהינו ִיהוה ִאחדHöre Israel, Jhwh, unser Gott, ist ein Jhwh‘). 327 Ps 81,9: ‚( שמעִעמיִואעידהִבךִי שראלִאםִתשמעִליHöre mein Volk, ich will dich warnen, Israel, wenn Du mir doch gehorchtest‘); vgl. zur Analyse o. Kap. 4.2.8. 328 Aus anderen Gründen sieht auch HOSSFELD, HThK.AT II, 478, in Ps 81 den gegenüber Ps 50 älteren Psalm; ebenso W EBER , Asaph-Psalter, 132. RÖSEL, Redaktion, 173, versteht den Vers 50,15 redaktionell als auf die nachfolgenden David-Psalmen bezogen, die im Kontext der Sammlung als exemplarische Erfüllung des Verses verstanden werden könnten. 329 Zur einer angenommenen ursprünglichen Stellung von Ps 50 zwischen Ps 80 und 81 vgl. SCHELLING, Asafspsalmen, 241–244.254; W EBER , Asaph-Psalter, 134, und SÜSSENBACH , Psalter, 344. 330 Vgl. dazu das Urteil von HOSSFELD, NEB 29, 309: „In Ps 50 wird auf Vergangenes nur angespielt; die Vergangenheit scheint auf die Gesetzesverkündigung am S inai/
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
Anrede der Frommen mit dem Partizip כרתי ִבריתיin 50,5331 wird eine ähnliche Fiktion wie in Dtn 5,3 erreicht, die den Bundesschluss am Sinai für die Gegenwart der Leser öffnet. Jeder Beter des Psalms hat den Sinai/ Horeb-Bund mit Gott geschlossen und sich zur Gesetzesobservanz verpflichtet, bei der dieser ihn deshalb jederzeit behaften kann (50,16). Dass für den Psalm nur eine nachexilische Datierung, vermutlich in der Perserzeit, in Frage kommt, liegt angesichts des literarischen Hintergrundes auf der Hand. Im Folgenden sind nun die Beobachtungen zu den literarhistorischen Querbeziehungen und zur Geschichtstheologie in der Asaph-Sammlung zu systematisieren, um vor diesem Hintergrund den großen Geschichtspsalm 78 in die Komposition einzuordnen. 4.3 Psalm 78 als redaktioneller Schlüsselpsalm Der vorausgehende Überblick über die geschichtlichen Referenzen in den Asaph-Psalmen hat gezeigt, dass die These präzisiert werden muss, die Geschichtstheologie stelle ein verbindendes Element der Asaphgruppe dar. Zwar spielt die Geschichte in der Mehrzahl der Psalmen eine wichtige Rolle, aber dabei sind Unterschiede in der Art der Rezeption und der Funktion für den jeweiligen Einzelpsalm festzuhalten. Kennzeichnend für das Geschichtsverständnis der Psalmen im ersten Kompositionsbogen Ps 73–77 ist die Verschränkung von judäisch-kanaanäischem Mythos und biblischer Geschichte, wobei die Erinnerung an die vergangenen Rettungstaten des Königgottes Jhwh ihn zur gegenwärtigen Notrettung bewegen soll. Der literarische Hintergrund wird durch den doppelten Bezug auf die Exoduspoesie des Meerliedes Ex 15 und auf die Prophetie Deuterojesajas geprägt. Das Paradigma für diese Art der Geschichtsrezeption stellt die Volksklage Ps 74 dar. Die Erinnerung an die Rettungstaten Gottes in der heilsgeschichtliche qualifizierten Urzeit (קדם, 74,2.12) macht diese zu einem zeitlos gültigen Geschehen, auf das das Volk seinen Gott in der jetzigen Notlage behaften kann und dessen Wiederholung sie erbitten.332 In gleicher Weise können die Referenzen auf das Deuterojesajabuch und insbesondere den prophetischen Weckruf Jes 51,9– 10a als hymnische Beschwörungen des Königgottes gelten, der zugunsten seines Volkes eingreifen soll. Der Zionspsalm 76 fügt sich in dieses Bild ein, indem die kurze geschichtliche Referenz in 76,6f. über die Rezeption von Jes 43,16f. die Exodusüberlieferung im mythischen Gewand einspielt. Horeb enggeführt und ihr Inhalt wird neu bestimmt: die Balance von rechtem Opferkult und Alltagsethos.“ 331 Vgl. dazu auch HOSSFELD, NEB 29, 311: „EÜ bezieht das Partizip des zweiten Halbverses auf einen vergangenen Bundesschluß; der Kontext legt Präsens nahe“. 332 Vgl. KOCH, Qädäm. 256. Zu dieser Funktion der Geschichte in den AsaphPsalmen vgl. auch SÜSSENBACH, Psalter, 313f.
4 Geschichte in den Asaph-Psalmen
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Eine Weiterentwicklung von Ps 74 in theologischer und literarhistorischer Sicht bildet die Klage in Ps 77, in der die Hoffnung auf Gottes notwendendes Eingreifen einer Resignation gewichen ist. Zwar blickt der Beter auch hier auf Gottes heilvolle Taten der Vorzeit zurück (קדם, 77,6.12), aber der Rückblick auf die Wunder dient weniger der Hoffnung auf ein erneutes Rettungshandeln. Stattdessen führt der Blick auf die Vergangenhat als positives Gegenbild die Heilsdefizienz der Gegenwart vor Augen. Die Vergangenheit wird wie in Ps 74 und 76 durch Rückbezüge auf die Exodusüberlieferung heilsgeschichtlich qualifiziert, wobei vor allem die gemeinschaftliche Leitung durch Moses und Aaron in 77,21 auf die Kenntnis der priesterschriftlichen Überlieferung hindeutet. Sekundär wird durch die Einfügung des Hymnusteils in 77,17–19(20) auch die Prophetie des Deuterojesajabuches berücksichtigt. In der Aussage, dass Gottes Weg im Meer letztlich unerkannt bleibt (77,20), verstärkt sich der resignative Grundton des Psalms. Damit bleibt der Gerichtspsalm 75 zu bedenken, der zwar vom Gott Jakobs redet, aber erst in der Ergänzung der Traditionsweitergabe in 75,2 einen geschichtstheologischen Horizont erhält.333 Die Geschichtsreferenzen im zweiten Kompositionsbogen der AsaphSammlung Ps 79–83 werden vor allem durch die Völkerperspektive bestimmt. Die größte Nähe zur Verarbeitung der geschichtlichen Überlieferung im ersten Teil der Sammlung zeigt Ps 80. Dieser stellt im Bild des Weinstocks in vergleichbarer Weise den Gegensatz zwischen Gottes früherem Erwählungshandeln und der gegenwärtigen Notsituation dar, der die Bitte der Beter um ein neuerliches notrettendes Eingreifen Gottes begründet. Dabei kommt dem Exodus aus Ägypten als Uranfang der Erwählung eine herausragende Stellung zu, während das mythische Element nur noch in der göttlichen Drohgebärde (גערה, 80,17) gegenüber den Feinden zu erkennen ist. In der Allegorie des Weinstocks, dessen Vergleichspunkt das Schicksal des Volkes ist, liegt zum ersten Mal im Rahmen der Sammlung eine Geschichtskonzeption im Sinne einer Ereigniskette vor. In einer Stationenfolge von Ägypten bis zum Exil wird von einem vermutlich nachexilischen Standpunkt aus die Geschichte Israels gedeutet. Auf eine nachfolgende literarische Wachstumsstufe gehört demgegenüber Psalm 79, der den vorgängigen Ps 74 für die Völkerperspektive aktualisiert. An die Stelle des geschichtlichen Arguments ist hier ein theologisches Argument getreten, da Jhwh aus Rücksicht auf das Ansehen seines Namens zum Gericht über die Völker aufgerufen wird. Die Notsituation 333 Anders geht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 133, von einem Kompositionsbogen in Ps 74; 77 und 79 aus, der durch die Einschreibung der Psalmen 75 und 76 unterbrochen worden sei. Dieser These steht die hier festgestellte literarhistorische Weiterführung von Ps 74 in Ps 77 entgegen, die dagegen spricht, Ps 74 und 77 derselben literarischen Ebene zuzuordnen.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
der Zerstörung Jerusalems wird zur Chiffre für die Fremdherrschaft und damit zu einem Deutungsparadigma für die Zeit des anhaltenden Exils und der Diaspora. Zu den jüngeren Psalmen der Sammlung gehören schließlich auch die Psalmen 81–83. An der Wachstumsgeschichte von Ps 81 kann in nuce beobachtet werden, wie die ursprünglich in Ägypten lokalisierte Gesetzesparänese sekundär zu einem Pentateuchaufriss von Ägypten bis zum Einzug in das Land erweitert wird. Anders als in Ps 74; 77 und 80, wo der Rekurs auf die Geschichte das Anliegen der Psalmbeter begründet, wird die Geschichte in Ps 81 selbst zum Gegenstand. Bekommt zuerst die Gesetzesverkündigung eine geschichtliche Legitimation, indem sie mit dem Exodus als der grundlegenden Erwählungstat Israels verbunden wird, bietet der sekundäre Geschichtsaufriss ein Kompendium der Geschichte zwischen Gott und Volk, die als Sündengeschichte dargestellt wird und zur Ermahnung des Volkes dient. Während Ps 82 als Universalisierung der Rettungsbitte von Ps 74 die armentheologischen Bearbeitungen in Ps 74,19–21 und 76,9f. aufnimmt und das Gerichtsszenario weitgehend ungeschichtlich bleibt, fällt im Abschlusspsalm 83 ein sekundärer Vergleich aus der biblischen Geschichte ins Auge. Wie im ersten Teil der AsaphKomposition unterstützt der Rekurs auf Jhwhs Sieg über ausgewählte Feinde der Richterzeit die gegenwärtige Bitte der Psalmbeter um das Gericht über die Fremdvölker der Gegenwart. Wie Gott in der Frühzeit Israels für Ruhe im Land gesorgt hat, so soll er Israel auch jetzt von der Feindbedrohung erlösen. Eine vergegenwärtigende Funktion hat der Rekurs auf die Geschichte schließlich im isolierten Eingangspsalm der Sammlung Ps 50. In der Fiktion des Psalms steht auch die gegenwärtige Gemeinde der Frommen, die Gott zum Gericht versammelt hat, im geschichtlichen Bundesschluss Israels am Sinai/Horeb. Der Überblick hat gezeigt, dass die biblische Geschichte zwar in fast allen Asaph-Psalmen präsent ist, die Rezeption im Einzelnen aber Unterschiede aufweist. Will man vorsichtig einige Entwicklungslinien aufzeigen, so zeigt sich vergleichbar mit den literarhistorischen Beobachtungen zu Ex 15,334 dass die geschichtlichen Taten Gottes zuerst als Konkretion des Gottkönigtums verstanden werden. In den älteren Psalmen der Sammlung wie Ps 74; 76 und 80 dominiert der Bezug auf die zeitlos gültige Rettung und Erwählung des Volkes im Exodus, die als Machttat Jhwh dargestellt wird. In unterschiedlicher Weise aktualisieren insbesondere Ps 77 und 79 die Theologie von Ps 74 für die Situation anhaltender Not (Ps 77), bzw. für die Situation der Völkerbedrohung (Ps 79). Die Fremdvölkerbedrohung steht auch in Ps 83 im Mittelpunkt, wobei dessen Autor aber nicht auf die Exodusüberlieferung zurückgreift, sondern mit der Richter334
Vgl. dazu o. Kap. II. 1.3.
4 Geschichte in den Asaph-Psalmen
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zeit das geschichtliche Rettungsparadigma in der Überlieferung über die Frühzeit im Land findet. Steht schließlich schon im Bildwort des Weinstocks in Ps 80 eine Geschichtsabfolge von Ägypten bis zum Exil im Hintergrund, ist an Ps 81 zu beobachten, wie die geschichtlich begründete Gesetzesparänese sekundär zu einem Geschichtsaufriss erweitert wird, der zur Ermahnung des Volkes dient. Wird nun Ps 78 mit in die Überlegungen einbezogen, so bestätigt sich die formgeschichtlich festgestellte Sonderstellung des Psalms 335 auch im Blick auf seine Geschichtskonzeption. Im Gegensatz zu den anderen Asaph-Psalmen nimmt die poetische Darstellung der biblischen Geschichte in Ps 78 den gesamten Raum ein und geht mit dem Geschehensbogen vom Exodus bis zu David auch inhaltlich über die vereinzelten Geschichtsreferenzen im Kontext hinaus. Im Rahmen der weisheitlichen Lehrrede hat die Darstellung eine dezidiert didaktische Intention und dient in paradigmatischer Weise dem Schuldnachweis des gesamten Volkes. Ps 78 ist dabei keine Klage, sondern der Psalm bietet als poetische Unterweisung (תורתי, 78,1) eine Reflexion über die biblische Geschichte. Damit spricht auch das spezifische Geschichtsverständnis von Ps 78 für die eingangs geäußerte Vermutung, in der notierten Mittelstellung des Psalms eine bewusste Positionierung zu sehen.336 Ps 78 erweist sich als redaktionsgeschichtlicher und hermeneutischer Schlüsseltext, der der AsaphSammlung nachträglich ein geschichtliches Zentrum gibt. 337 Für diese Hypothese spricht ferner eine Reihe von inhaltlichen Verbindungen zwischen Ps 78 und den anderen Psalmen der Sammlung, die auf Seiten von Ps 78 als Bündelung der vorliegenden Geschichtstheologie(n) erklärt werden können.338 Der ursprüngliche Psalm 78* zieht zuerst mit dem Begriff der Vorzeit (קדם, 78,2) eine Rezeptionslinie aus, die unter Rekurs auf den KorachPsalm 44339 die Vorstellung der heilsgeschichtlich qualifizierten Urzeit 335
Vgl. dazu o. Kap. 4.1. Vgl. z.B. MILLARD, Komposition, 90. Nach W EBER , Asaph-Psalter, 127–131.133– 136, nimmt Ps 78 bereits in einem vorexilischen Asaph-Psalter einen prominenten Platz in der Mitte ein und gebe der Gruppe „als eine Art ‚theologisches Testament‘“ (W EBER , a.a.O. 134) ihr Gepräge; vgl. zuvor schon DERS., Psalm 77, 293: „der asaphitische Zentralpsalm 78“. 337 So auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 132, als Fazit zu Ps 78: „Ps 78 hat sich sowohl im Hinblick auf seine Nachbarpsalmen 77 und 79 als auch im Hinblick auf eine von Ps 74 zu Ps 79 durch makrostrukturelle Merkmale profilierte Ablauflesung als R eflexionstext erwiesen“. 338 Zu dieser Beobachtung vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 441: „Die verschiedenen punktuellen Erwähnungen und Anspielungen an die Geschichte Israels werden hier gebündelt und zu einer geschlossenen Konzeption versammelt.“ 339 Vgl. dazu o. Kap. 3.1. und den Exkurs zu Ps 44 am Ende dieses Kapitels. 336
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
aus Ps 74 und 77 aufnimmt und diese auf die biblische Geschichte vom Exodus bis zu David überträgt. Das Meerlied in Ex 15, das gerade für die Psalmen des ersten Kompositionsbogens der Asaph-Sammlung von großer Bedeutung ist, bildet auch in Ps 78 das Gerüst der Darstellung. In besonderem Maße kann die Lehrrede aber als relecture von Ps 81 in seiner um den Geschichtsaufriss und die Sündenthematik erweiterten Form gelten. Der Autor von Ps 78* baut den Weg von Ägypten bis zum Land zu einer umfassenden Geschichtsdarstellung aus und übernimmt auch die Gesetzesparänese aus 81,9–11, indem er das Erste Gebot zum durchgehenden Kriterium für die Beurteilung des Volkes in der Geschichte macht. Dabei lagert er die Gesetzesgabe aber ganz aus der erzählten Zeit aus, so dass sie dem eigentlichen Ablauf der Ereignisse vorgeordnet wird und als urzeitliches Gründungsereignis an die Stelle des Exodus tritt. Die eigentliche Positionierung des Psalms innerhalb der Asaph-Psalmen zeigt, dass die Einschreibung bewusst im Hinblick auf den direkten Sammlungskontext erfolgt ist. Die Verbindungen zum vorausgehenden Psalm 77 sind mehrfach beschrieben worden, wobei vor allem die jeweiligen Berührungen von Psalmeröffnung und -schluss auffallen. 340 Beide Psalmen werden mit einer Hörbitte ( אזןhif.) eingeleitet, wobei der paradigmatische Beter sich in 77,2 aber an Gott richtet, während der Sprecher in 78,1 im mosaischen Gewand auftritt und das Volk zum Hören aufruft. Auf den an Gott gerichteten Höraufruf in 77,2, der die Frage einleitet, ob er auf ewig verwerfen wird (77,8), antwortet Gott durch den prophetischen Sprecher in Ps 78 mit einer didaktischen Unterweisung, die dem Volk die eigene Sünde vor Augen führt, mit der Bestellung Davids aber auch eine Hoffnungsperspektive eröffnet. So wird im Übergang von Ps 77 zu Ps 78 die individuelle Perspektive des vergegenwärtigenden Erinnerns im Gebet zu einem generationenübergreifenden Prozess der Erinnerung in der Lehrerzählung transformiert. 341 Im Psalmschluss von Ps 78 fällt eine weitere Berührung mit dem vorausgehenden Psalm 77 auf, da die zwei Texte jeweils durch eine Führungsaussage mit der Hirtenmetaphorik abgeschlossen werden. Sind es nach 77,21 Mose und Aaron, durch die Gott seine Herde leiten will, nimmt er in 78,70–72 die göttliche Einsetzung Davids zum Hirten über das Volk vor. Auf diese Weise spiegelt die Abfolge von Ps 77 und 78 den Übergang von der Frühzeit Israels zur davidischen Epoche wieder, wobei David durch den Sprecher in Ps 78 mit mosaischer Autorität ausgestattet wird und die Nachfolge von Moses und Aaron antritt.342 340
Vgl. W EBER , Psalm 77, 286–290; HOSSFELD, HThK.AT II, 430f. Vgl. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 107. 342 Vgl. das Urteil von W EBER , Psalm 77, 290: „Am Schluss von Ps 78 wird – mit der gleichen Hirtenmetapher, die im Blick auf die Führung durch Mose in Ps 77 Verwen341
4 Geschichte in den Asaph-Psalmen
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Weniger ausgeprägt sind die Verbindungen der Lehrdichtung Ps 78 zur nachfolgenden Volksklage in Ps 79. Aber auch hier kann Ps 78 zuerst als sekundäre Deutung verstanden werden, die dem Sündenbekenntnis der Beter in 79,9f. eine geschichtstheologische Fundierung gibt, indem die Sünde mit dem wiederkehrender Abfall der Väter in der Volksgeschichte illustriert wird.343 Darüber hinaus wird die Selbstverpflichtung der Beter zum Dank in der öffentlichen Kundgabe von 79,13 ( )נספר ִתהלתךin der Einleitung der Lehrdichtung 78,6 zum Lernziel erhoben ()ויספרוִלבניהם.344 Auf diese Weise überführt der Autor des späteren Geschichtspsalms 78 die abschließende Toda von Ps 79 in ein hermeneutisches Prinzip, 345 das nicht nur das Verständnis der Geschichte in Ps 78 steuert, sondern im Ablauf der zwei Psalmen auch das Verhalten der Beter in Ps 79,13 als Paradigma des in Ps 78 geforderten Verhaltens kennzeichnet. Im Horizont der gesamten Sammlung schließt Ps 78 mit der Abfolge vom Exodus bis zu David die geschichtliche Lücke zwischen den zwei Kompositionsbögen und leitet von der mosaischen Frühzeit (Ps 74–77) zur Existenz unter den Völkern über (Ps 79–83). Der Psalm bündelt die Geschichtsreferenzen im Kontext und baut diese zu einer lehrhaften Gesamtdarstellung der biblischen Geschichte aus, in der die Gesetzesobservanz zum entscheidenden Kriterium für die Beurteilung des Volkes wird. Dabei kommt aber zugleich die Besonderheit des Geschichtsverständnisses des Psalmes zum Tragen, der in den geschichtlichen Ereignissen unter Saul und David die Lebenswirklichkeit der nachexilischen Zeit verhandelt. 346 Auf diese Weise eröffnet Psalm 78 als redaktioneller Schlüsselpsalm eine Hoffnungsperspektive, die die nachfolgend thematisierte Situation der Völkerbedrohung transzendiert und der Asaph-Sammlung insgesamt eine dezidiert geschichtliche Prägung verleiht. Hier ist abschließend auch der Zusatz im Eingangspsalm 73,28b zu erwähnen, bei dem es sich wahrscheinlich um eine redaktionelle Ergänzung im Blick auf Ps 78 handelt. 347 Indem der Beter am Anfang der Komposition seine Intention bekennt, von den Taten Gottes erzählen zu wollen, wird die gesamte Asaph-Sammlung zum Zeugnis der göttlichen Machttaten in der Geschichte.
dung findet – David als der ‚neue Mose‘ für Israel hingestellt.“ Ähnlich auch FÜGLISTER , Rätsel, 295f.; W ITTE, History, 36. 343 So ist auch für GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 112, die „signifikanteste Verbindung zwischen beiden Psalmen […] die Ps 78 und 79 prägende Schuldthematik“. 344 Die vergleichbare Selbstverpflichtung der Sprecher zur lobpreisenden Weitergabe in 78,4a ( )מספרים ִתהלות ִיהוהist Teil der sekundären Ergänzung 78,3–4a; vgl. dazu o. Kap. 2 . 345 Vgl. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 115. 346 Vgl. dazu o. Kap. 3.1. 347 Vgl. dazu o. Kap. 4.2.1.
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
Exkurs: Psalm 44 und die Asaph-Psalmen In der bisherigen Untersuchung von Ps 78 und der Asaph-Sammlung hat sich gezeigt, dass der Korach-Psalm 44 als Vorlage für Ps 78 in Frage kommt und darüber hinaus eine Reihe von Nähen zu anderen Psalmen der Sammlung aufweist. Im Folgenden ist deshalb in einem kurzen Exkurs danach zu fragen, inwieweit der Psalm mit der Literargeschichte der Asaph-Sammlung korreliert werden kann und welche Bedeutung er für die Frage nach der Geschichtsrezeption im Psalter hat. Ps 44 gehört zum Klagerahmen der Korachgruppe (Ps 42–49), der von Ps 42–44; 49 gebildet wird. Der Psalm gliedert sich in drei Teile: Ein Vertrauensbekenntnis zu Gott in 44,1–9, eine Schilderung der gegenwärtigen Notlage in 44,10–23 und ein abschließender Weckruf in 44,24–27, der Gott zum Eingreifen bewegen soll. Dabei gibt es Indizien, die auf ein literarisches Wachstum hindeuten: Während das Gottesverhältnis im Vertrauensbekenntnis ganz durch das Lob Gottes bestimmt wird, der sein Volk gerettet hat ( כי הושעתנוִמצרינו, 44,8), wird die Beziehung im zweiten Abschnitt 44,10–23 durch die Notlage des Volkes getrübt, das sich ungerechtfertigerweise von Gott verstoßen fühlt (אף זנחת, 44,10). Dazu passt der abschließende Weckruf, mit dem das Volk Gott aus seinem Schlaf aufwecken will, damit er es erlöse (קומהִע זרתהִלנוִופדנו, 44,27). Die unterschiedliche Sicht auf das Gottesverhältnis spricht dafür, von einem ursprünglichen Vertrauensoder Lobpsalm in 44,(1)2–9 auszugehen, der sekundär durch die (Volks-)Klage in 44,10–27 erweitert worden ist. 348 Im ursprünglichen Psalm wird das Vertrauen auf Gott mit der Kenntnis von Gottes Heilstaten in der Vorzeit begründet, die von den Vätern auf die Psalmbeter tradiert wird ( אלהיםִבאזנינוִשמענוִאבותינוִספרוִלנוִפעלִפעלתִבימ יהםִבימיִקדם, 44,2). Dabei deutet aber die nachträgliche Erklärung der Tage der Väter ( )בימיהםdurch die Angabe בימיִקדםauf eine sekundäre Identifikation mit der Vorzeit hin. 349 Gegenstand der Traditionsweitergabe ist in 44,3–5 die Landnahme, in der Gott die anderen Völker vertrieben hat, um sein Volk im Land einzupflanzen (אתהִידךִגויםִהורשתִותטעםִתרעִלאמים ותשלחם, 44,3). Indem er Jakob so den Sieg verliehen hat, hat er sich als Gott und König erwiesen ( אתהִהואִמלכ יִאלהיםִצוהִי שועותִיעקב, 44,5), 350 den das Volk auf ewig preisen will (44,9). In Bezug auf das Geschichtsverständnis des Grundpsalms liegen Berührungen mit dem Meerlied Ex 15 vor. So ist zuerst das Verständnis der Landnahme als Rettungstat, in der Jhwh sein Gottsein für Israel erweist, ein Konzept, das sich auch in der sukzessiven Erweiterung des Meerlieds um 15,13–19 findet.351 Darüber hinaus fallen einige Stichwortverbindungen zwischen den zwei Texten auf: So zielt die Rettungstat Gottes ( ישועה, Ps 44,5; Ex 15,2) in beiden Fällen auf die ‚Einpflanzung‘ des Volkes ( נטע, Ps 44,3; Ex 348
So in der generellen Annahme eines zweistufigen Wachstums mit B EYERLIN, Aktualisierungsversuche, 446–460; ZENGER , NEB 29, 271–273; dagegen optiert VAN OORSCHOT, deus praesens, 424f., für die grundsätzliche literarische Einheitlichkeit des Psalms (vgl. auch seine Kritik an der These von ZENGER bei VAN OORSCHOT, a.a.O., 424 Anm. 40); ebenso EMMENDÖRFFER , Gott, 102–121. 349 GUNKEL, Psalmen, 183, sieht das Problem, löst es aber, indem er die Angabe בימי ִקדםaus 44,2 an den Anfang von 44,3 zieht. 350 ZENGER , NEB 29, 272, überlegt, die Nennung von מלכיin 44,5 auf einen Ergänzer zurückzuführen, der auch für die Eintragung von 44,7 verantwortlich sei (zur Ausgre nzung von 44,7 vgl. auch VAN OORSCHOT, deus praesens, 420). Für diese These könnte sprechen, dass die erste Vershälfte in 44,5 überfüllt wirkt und sich durch die Streichung von מלכיein Bikolon aus je drei Gliedern ergibt. 351 Vgl. dazu o. Kap. II. 1.2.2.
4 Geschichte in den Asaph-Psalmen
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15,17; vgl. auch Ps 80,9.16), und die Instrumente des göttlichen Handelns sind die Rechte und der Arm (ימין, Ps 44,4; Ex 15,6.12 / זרוע, Ps 44,4; Ex 15,16). Ferner wird der Gegner jeweils mit dem Partizip der Verbalwurzel קוםbezeichnet (קמינו, Ps 44,6; קמיך, Ex 15,7) und das höhnende Vorhaben des Feindes in Ex 15,9, der das Volk austilgen will () תורישמו, findet eine Entsprechung im Lobpreis Jhwhs Ps 44,3, der die Völkerschaften zerschlagen hat ()הורשת. Auch wenn die Belege in den meisten Fällen typisches Heilsvokabular betreffen, könnte die relative Dichte der Verbindungen zusammen mit der grundlegenden Konzeption der Landnahme als Erweiswunder für eine bewusste Rezeption sprechen. Da die Bezüge auf Seiten des Meerlieds auf mehrere literarische Schichten verteilt sind, ist der ursprüngliche Psalm 44 in diesem Fall als traditio einzustufen, in der die geschichtliche Heilstat des Meerliedes zum Gegenstand der poetischen Traditionsweitergabe wird. In diesem literarischen Licht erweisen sich die eingangs genannten Väter (44,2) als die geschichtlichen Vorväter aus Israels Frühzeit, die als Augenzeugen das Wissen um Gottes Rettungstaten bewahrt haben. 352 Wird nach der Erzählzeit des Grundpsalms gefragt, kommt aufgrund der Abhängigkeit von Ex 15 nur eine nachexilische Datierung in Frage. 353 Darauf könnte auch die bewusste Konzentration auf die Landnahmethematik hindeuten, die auf die exilisch-nachexilische Situation der Fremdherrschaft übertragen werden kann. Das Wissen um Gottes Rettungstaten der Vorzeit begründet das Vertrauen auf die Erlösung der Beter aus der Fremdherrschaft der Gegenwart. Dieses Vertrauen erfährt allerdings eine sekundäre Problematisierung in der Fortschreibung durch den Klageteil 44,10–27. Hier fühlt sich das Volk von Gott verstoßen und vergleicht sein Geschick mit Schlachtvieh, da es unter die Völker zerstreut wurde ( תתננוִכצוןִמאכלִ ובגויםִזריתנו, 44,12), wo es Spott und Hohn preisgegeben ist (44,14–17). Ausdrücklich heben die Beter in 44,18–23 hervor, dass sie sich keiner Schuld bewusst sind, da sie Gott weder vergessen, noch seinen Bund gebrochen haben (ולא ִשכחנוך ִולא שקרנו ִבבריתך, 44,18). Vielmehr geschieht ihnen die tägliche gewaltsame Dezimierung allein ‚um deinetwillen‘ (כיִעליךִהרגנוִכלִהיום, 44,23), so dass sie Gott energisch ‚wachrütteln‘ wollen, da er allein die Notlage beenden kann. In einer sekundären Ergänzung weisen die Beter in 44,21f. schließlich auch den Verdacht von sich, sie hätten mit der Verehrung eines fremden Gottes (ונפרש ִכפינו ִלאל ִזר, 44,21) gegen das Erste Gebot verstoßen. 354 Der kurze Überblick macht bereits deutlich, dass der Psalm 44 in seiner Theologie und seinem Geschichtsverständnis eine große Nähe zur Asaph-Sammlung aufweist. Für Ps 78 konnte bereits gezeigt werden, dass der Autor des Grundpsalms in 78,65 mit der Vorstellung des schlafenden Gottes spielt und ein späterer Redaktor im Proömium 78,3 das Motiv der Traditionsweitergabe von den Vätern auf die Söhne aufnimmt. 355 Das Problem in Ps 78 ist aber, dass die Väter sich als abschreckendes Beispiel disqualifiziert 352 B IBERGER , Väter, 505, sieht hier konkret eine Anspielung auf die Generation der Landnahme, während RÖMER , Väter, 522, in den Vätern allgemeiner ein Symbol der Vergangenheit vermutet. 353 Anders nehmen B EYERLIN, Aktualisierungsversuche, 453 („davidisches Königsgebet“), und ZENGER , NEB 29, 272 („vorexilische[r] Bittpsalm“) eine vorexilische Dati erung an. 354 Die Verse 44,21f. fallen durch die Rede über Gott in 3. Person und die Fremdgötterthematik aus dem Kontext heraus; vgl. VAN OORSCHOT, deus praesens, 420.424f., und ZENGER , NEB 29, 272, die außerdem noch 44,16f. literarkritisch ausscheiden. 355 Vgl. dazu o. Kap. 2 und Kap. 3 .
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
haben und mit ihrem Verhalten genau die Sünden vollziehen, die die Beter in Ps 44 von sich weisen: Die Väter in Ps 78 vergessen Gott (שכח, 78,7.11; vgl. 44,18.21), sie brechen den Bund ( ולאִנאמנוִב בריתו, 78,37; ולאִשקרנוִבבריתך, 44,18)ִund schließlich werden auch ihre Kinder abtrünnig (ויסגו, 78,57; לאִנסוג, 44,19). Die Aufnahme des Sündenvokabulars aus Ps 44 deutet darauf hin, dass der Autor von Ps 78 gegen Ps 44 an einer Verschuldung des Volkes festhalten will. In gut dtn.-dtr. Sicht wird die Notlage des Volkes mit der Sünde der Väter erklärt, die in der Retrospektive auch die Unschuldsbeteuerungen der Beter in Ps 44 fragwürdig erscheinen lässt. Wird die gesamte Asaph-Sammlung mit in die Fragestellung einbezogen, fällt sofort auf, dass der Klageteil in Ps 44 auch gut asaphitisch sein könnte. Auf die Theologie der Asaph-Psalmen verweist die (an-)klagende Frage ‚Warum‘ (למה, 44,24f.; vgl. 74,1.11; 79,10; 80,13) und die Vorstellung, dass Gott sein Volk verworfen hat (זנח, 44,10.24; vgl. 74,1; 77,8). Die Schmähung durch die Völker als Folge der Verwerfung wird dabei in 44,14 in großer Nähe zur Formulierung desselben Sachverhaltes in 79,4 berichtet (תשימנו חרפה ִלשכנינו ִלעג ִוקלס ִלסביבותינו, 44,14; vgl. היינו ִחרפה ִלשכנינו ִלעג ִוקלס ִלסביבותינו, 79,4). Ferner verwendet Ps 44 auch die für die Asaph-Sammlung charakteristische Metapher der Schafherde, die aber nicht wie in 74,1; 77,21; 79,13; 80,2 als Bild für das Vert rauensverhältnis zwischen Gott und Volk gebraucht wird, sondern im negativen Sinn die Preisgabe des Volkes durch Jhwh als Schlachtvieh abbildet (כ צאןִמאכל, 44,12; כצאןִטבחה, 44,23). Eine Nähe zeigt sich schließlich auch in der Einspielung der Fremdgötterthematik ( )אל ִזרin Ps 44,21f. (vgl. 81,10), die in Ps 44 aber auf einen späteren Redaktor zurückgeht. Übersieht man die Berührungen zwischen Ps 44 und der Asaph-Sammlung, liegt die Vermutung nahe, dass die Erweiterung in 44,10–27 als Reaktion auf die Theologie insbesondere der asaphitischen Klagen in Ps 74; 77 und 79 verstanden werden kann. Die Abhängigkeit auf Seiten von Ps 44 zeigt sich dabei an der negativ gefärbten Verwendung der Hirt-/Herde-Metaphorik, die in Ps 44 als Pervertierung der Vertrauensaussagen aus den Asaph-Psalmen verständlich wird. Es kann vermutet werden, dass das Thema der Landnahme und vielleicht auch das Motiv der ‚Einpflanzung‘ (44,3; vgl. 80,9.16) Assoziationen an die literarisch vorliegende Geschichtsrezeption der Asaph-Sammlung geweckt hat und Ps 44,(1.)2–9 bei der Einstellung in den Psalter mit dem Klageteil 44,10– 27* erweitert worden ist, um einen Bogen zum asaphitischen Ende des elohistischen Psalters (Ps 42–83) zu schlagen. 356 Vermutlich geht auf den für 44,10–27 verantwortlichen Redaktor auch die nachträgliche Einfügung von בימי ִקדםin 44,2 zurück, die als Zitat aus 77,6 die Landnahme in Analogie zum Exodusgeschehen in Ps 77 zur gründenden Urzeit macht. Dabei hält der Redaktor von Ps 44 aber an der Vorstellung fest, dass die Notlage des Volkes unverschuldet ist. Diese Intention zeigt sich auch in der Einschreibung der Fremdgötterthematik durch die Ergänzung 44,21f., wo das Volk in Entsprechung zur Paränese von 81,9–11 betont, dass es sich an das Erste Gebot gehalten hat. Am Ende der Rezeptionslinie steht mit Ps 78 aber der Nachweis der grundsätzlichen und generationenübergreifenden Schuldverstrickung des Volkes, mit de r die Sünde nachträglich auch in den literarischen Rückraum von Ps 44 eingeschrieben wird. Zugleich gilt für Ps 44 damit aber auch die Hoffnungsperspektive, die sich am Ende von Ps 78 für das in seiner Schuld verstrickte Volk mit der Konzentration auf Juda, Zion und David eröf fnet. 356 Dies passt zu der These von ZENGER , Bedeutung, 195, der davon ausgeht, dass die Asaph-Sammlung bereits Teil der Sammlung Ps 50–83 war, bevor die Korach-Psalmen 42–49 vor diese Komposition eingestellt wurden.
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In der voranstehenden Analyse hat sich der große Geschichtspsalm 78 erkennbar als Rezeption des Meerliedes Ex 15 erwiesen, aus dem der Psalmist die Streckenführung vom Exodus bis ins Land übernommen hat. Auf dem literarischen Anweg ist aber aus dem Lobpreis des Exodusgottes die lehrhafte Unterweisung des Volkes durch einen mosaischen Sprecher geworden, die in der Tradition der dtn.-dtr. Kinderunterweisung steht. Gegenstand der Traditionsweitergabe sind die ‚Rätsel der Vorzeit‘ (78,2), hinter denen sich der unerklärliche Gegensatz zwischen dem wiederkehrenden Abfall des Volkes und den Gnadentaten Jhwhs verbirgt. Dabei kennzeichnen zwei Besonderheiten die Geschichtsdarstellung des Psalms: Zuerst wird die (dtn.-dtr.) Gesetzesgabe der eigentlichen Geschichtsdarstellung vorgeordnet, so dass sie zum urzeitlichen Gründungsgeschehen der Volksgeschichte wird. Das Gesetz kann so von Anfang an als Maßstab für das Verhalten des Volkes dienen, das sich im Zuge der Ereignisse vor allem des Vergehens gegen die dtn. Hauptgebote (Fremdgötterverbot und Zentralisationsgebot) schuldig macht. Zweitens wird die Darstellung der Geschichte im Land transparent für die Restaurationshoffnungen der nachexilischen Zeit. Die biblische Abfolge von Saul und David steht dabei für die Aufgabe des ehemaligen Nordreiches und für eine Konzentration der Restaurationshoffnungen auf Juda, Zion und einen möglichen david redivivus, der in die Fußstapfen des Mose treten kann. Mit dieser Geschichtsperspektive nimmt Psalm 78 in seinem literarischen Kontext der Asaph-Sammlung eine redaktionelle Schlüsselstellung ein, indem er die unterschiedlichen Anspielungen und Verarbeitungen der biblischen Geschichte in der Komposition aufnimmt und sie bündelt. Allerdings steht nicht mehr der Rekurs auf die Rettungstaten der gründenden Vorzeit im Mittelpunkt, sondern mit dem Schuldnachweis des Volkes führt der Psalm späte Rezeptionslinien innerhalb der Sammlung fort und kann insbesondere als relecture des Geschichtsaufrisses von Ps 81 verstanden werden. Mit dem Geschichtsbogen vom Exodus bis zu David schließt der Psalm die Lücke zwischen der mosaischen Frühzeit im ersten Teil der Komposition (Ps 74–77) und der Situation der Völkerbedrohung im zweiten Teil (Ps 79–83) und nimmt in der abschließenden Hoffnungsperspektive die endgültige Überwindung der Fremdvölkerproblematik vorweg. Mit seinen Bezügen auf Ps 44 wirkt der Psalm dabei weit über die Asaph-Sammlung hinaus und gibt dem Elohistischen Psalter insgesamt eine geschichtliche Prägung. Ps 78 ist der erste Geschichtspsalm im Ablauf des Psalters. In dieser Position kommt ihm auch eine besondere Bedeutung zu, weil ein späterer Autor die didaktische Funktion der Geschichtsdarstellung im Psalm selbst
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Kapitel III: Psalm 78 im Kontext der Asaph-Sammlung
reflektiert. Im Rahmen des Proömiums formuliert er eine geschichtstheologische Hermeneutik (78,3–4a) und stellt die Psalmbeter und Psalmleser in den Prozess der Traditionsweitergabe hinein. Auf diese Weise gibt der Psalm sekundär eine Leseanweisung für die weiteren, im Psalter nachfolgenden Geschichtspsalmen vor und wird auf diese Weise zum Programmtext für die Verbindung von Geschichte und Gebet.
Kapitel IV
Die Zwillingspsalmen 105 und 106 Im vorliegenden Psalter endet das vierte Psalmenbuch (Ps 90–106) mit den Zwillingspsalmen 105 und 106, die im Anschluss an den Schöpfungspsalm 104 einen Geschichtsbogen von der Väterverheißung bis zur Zerstreuung des Volkes in Exil und Diaspora aufspannen. Während allerdings Ps 105 den Lobpreis des Väterbundes und der göttlichen Landverheißung in den Vordergrund stellt, thematisiert Ps 106 die Geschichte unter den Vorzeichen von Sünde Israels und Rettung durch die göttliche Gnade. Im Anschluss an die Übersetzungen (Kap. 1.1 und 1.2) und die Einzelanalysen (Kap. 2.1 und 2.2) wird es deshalb im Folgenden zuerst darum gehen, das literarische Verhältnis der zwei Psalmen zu klären (Kap. 2.3). Im Anschluss daran ist das Geschichtsverständnis der beiden Texte zu erheben, wobei die Beziehung zum Geschichtspsalm 78 eine besondere Rolle spielt (Kap. 3). Schließlich ist in einem letzten Untersuchungsschritt der Blick auf den literarischen Kontext an der Schwelle vom vierten zum fünften Psalmenbuch auszuweiten. Hier ist zu fragen, welche redaktionelle Funktion den beiden Geschichtspsalmen 105 und 106 an ihrer jetzigen Position im masoretischen Psalter zukommt (Kap. 4). Das abschließende Kapitel 5 bündelt den Ertrag.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
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1.1 Psalm 105 11 Danket Jhwh!2 Ruft ihn an mit seinem Namen! Verkündet unter den Völkern seine Taten! 2 Singt ihm, spielt ihm, sinnt nach über alle seine Wunder! 3 Rühmt euch seines heiligen Namens, es freue sich das Herz derer, die Jhwh suchen. 3 4 Fragt nach Jhwh und seiner Macht, 4 sucht beständig sein Angesicht! 5 Gedenkt seiner Wunder, die er getan hat, seiner Zeichen und der Urteile seines Mundes, 6 ihr Nachkommen Abrahams, 5 seines Knechtes, ihr Söhne Jakobs, seine Auserwählten. 6 7 Er ist Jhwh, unser Gott. 7 1
In der Septuaginta wird das auslautende Halleluja von Ps 104,35 an den Anfang von Ps 105 gezogen, so dass hier Ps 105–107 jeweils durch den Halleluja-Ruf eingeleitet werden; dies ist m.E. als sekundäre Vereinheitlichung des MT zu bewerten (vgl. KRATZ, Tora, 19 Anm. 45; anders MATHIAS, Geschichtstheologie, 114f.). 2 In der großen Psalmenrolle 11QPs a findet sich die Erweiterung des Imperativs zur vollständigen Todaformel הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו, durch die sekundär die Verbindung zu den Psalmanfängen in 106,1; 107,1; 118,1(.29) und 136,1 ausgebaut wird (vgl. DAHMEN, Psalter-Rezeption, 121f.; im Anschluss an diesen HOSSFELD, HThK.AT III, 96). 3 Anstelle der Partizipialkonstruktion מבקשי יהוהbietet 11QPs a die Variante מבקשי ‚( רצונוdie sein Wohlgefallen suchen‘), die auch in der Parallele 1 Chr 16,10 LXX belegt ist (zhtou/sa th.n euvdoki,an auvtou/). Die in Qumran und 1 Chr 16,10 LXX bezeugte Variante stellt den längeren Text dar und kann als sekundäre Rezeption des MT beurteilt we rden. 4 Für ו ע זּוֹliest die LXX (und entsprechend die syrische Überlieferung) den Imperativ krataiw,qhte (‚seid stark‘), der auf eine zugrunde liegende Lesart ועזּוּführen könnte; da diese Lesart jedoch als Angleichung an den Imperativ der zweiten Vershälfte erklärt werden kann, ist die masoretische Punktation beizubehalten. 5 Die Textüberlieferung von Ps 105 zeigt an mehreren Stellen eine Rückwirkung des Kompositpsalms 1 Chr 16, der u.a. Ps 105,1–15 verarbeitet. So bieten einige Handschriften an dieser Stelle in einer Angleichung an 1 Chr 16,13 ישראלanstelle von ;אברהםvgl. zu diesem Phänomen auch 105,8.10.12–15. 6 In einer qumranspezifischen Rezeption wird in 11QPs a in V 6 der Numerus der zwei Appositionen vertauscht, so dass die Knechte ( )עבדיוals Bezeichnung auf die Qumrangemeinschaft bezogen werden können, während Jakob als der Auserwählte Jhwhs ( )בחירו gilt (vgl. DAHMEN, Psalter-Rezeption, 123; HOSSFELD, HThK.AT III, 96; anders in der textkritischen Entscheidung B ERGES, Knechte, 168). 7 11QPsa hebt sekundär durch die Voranstellung der deiktischen Partikel כיV 7 als Beginn des thematischen Abschnittes hervor (vgl. DAHMEN, Psalter-Rezeption, 123f.).
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Auf der ganzen Erde gelten seine Beschlüsse. Auf ewig gedenkt er 8 seines Bundes, auf tausend Generationen des Wortes, das er befohlen hat. Den er mit Abraham schnitt, und seines Schwures an Isaak. Er stellte ihn auf für Jakob als Ordnung, für Israel als ewigen Bund, indem er sprach: Dir 9 gebe ich das Land Kanaan als euer zugemessenes Erbe. Als sie gering waren an Zahl, nur wenige und Fremde in ihm, da zogen sie umher von Nation zu Nation, von einem Königreich zu einem anderen Volk. Er gestattete keinem, sie zu unterdrücken, und ihretwegen wies er Könige zurecht: Tastet meine Gesalbten nicht an, und meinen Propheten tut nichts zuleide. Da rief er eine Hungersnot über das Land, jeden Brotstab zerbrach er. Einen Mann schickte er vor ihnen her: Als Sklave wurde Joseph verkauft. Sie zwängten seine Füße in Fesseln, in Eisen kam sein Hals. Bis zu der Zeit, da sein Wort sich erfüllte, der Ausspruch Jhwhs ihn bestätigte. Der König sandte hin und ließ ihn los, der Herrscher über Völker, der befreite ihn. Er bestellte ihn zum Herrn über sein Haus, und zum Herrscher über all seinen Besitz. Um seine Obersten an sich zu binden, 10 seine Ältesten sollte er Weisheit lehren.
8 In einer Angleichung an 1 Chr 16,15 lesen wenige Handschriften den Imperativ Pl ural ‚( זכרוGedenket‘); vgl. dazu o. Anm. 5. 9 Das spezifische Rezeptionsinteresse der Qumrangemeinschaft (vgl. o. Anm. 6) zeigt sich auch in diesem Vers, wo 11QPs a לכםanstelle von לךbietet und die Zusage an den Erzvater solcherweise auf die Gemeinschaft von Qumran bezieht. 10 Für לאסרbieten die Versionen eine Variante, die auf die Lesart ‚( ליסרum zu unterweisen‘) führt. Gegenüber dieser Variante, die die beiden Vershälften inhaltlich a ngleicht, ist am MT als lectio difficilior festzuhalten (so mit der Mehrheit der Kommentatoren, vgl. anders KRAUS, BK XV/2, 888.890). Die Variante der Versionen hat vermutlich nachfolgend auch die Abänderung von כנפשוin die in Symmachus und Syriaca bezeugte adverbiale Angabe בנפשוnach sich gezogen, die an eine dem Pharao genehme Unterweisung denken lässt.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
23 Da kam Israel nach Ägypten, und Jakob war ein Fremder im Lande Hams. 24 Und er mehrte sein Volk sehr und machte es mächtiger als seine Feinde. 25 Er wandelte deren Herz, sein Volk zu hassen, dass sie arglistig an seinen Knechten handelten. 26 Er sandte Mose, seinen Knecht, Aaron, den er sich erwählt hatte. 27 Sie wirkten 11 unter ihnen Worte seiner Zeichen und Wunder im Lande Hams. 28 Er sandte Finsternis und verdunkelte, und sie waren nicht widerspenstig 12 gegen seine Worte. 13 29 Er verwandelte ihre Wasser in Blut und ließ ihre Fische sterben. 30 Es wimmelte14 ihr Land von Fröschen, bis hinein in die Gemächer ihrer Könige. 31 Er sprach, da kam 15 Ungeziefer, 11
LXX und Peschitta lesen die Verbform 3. Mask. Sg. ( )שםund machen Jhwh zum Subjekt des Geschehens. Hier ist eine sekundäre Angleichung an den Kontext zu ver muten, in dem Jhwh durchgängig Subjekt ist; der MT ist als lectio difficilior beizubehalten (so gegen LEE, Genesis I, 262). 12 Der MT ist mit Verweis auf Ex 10,24 als Bezug auf das (kurzfristige) Einlenken der Ägypter zu verstehen (so auch HOSSFELD, HThK.AT III, 97); demgegenüber stellt die Variante von LXX und Peschitta, die die Negation auslassen (‚sie waren widerspen stig‘), eine sekundäre Glättung dar, durch die das Motiv der ägyptischen Verstockung ein getragen wird (vgl. Ex 10,27f.). Die von GUNKEL, Psalmen, 461, vorgeschlagene Konjektur ‚( ולא שמרוund sie beachteten nicht‘) ist darum unnötig und scheidet schon deshalb aus, da sie ohne Anhalt in der Textüberlieferung ist. Auch der Vorschlag von LEE, Genesis I, 262, der die Aussage auf die ‚Fügsamkeit‘ der Plageninstrumente bezieht, sche int in diesem Zusammenhang spekulativ. 13 Die materielle Rekonstruktion von 11QPs a lässt auf einen Zusatzvers zwischen V 28 und V 29 schließen, von dem jedoch nur die Buchstabenfolge [רם שםerhalten geblieben ist; auch wenn hier die Thematisierung eines Plagenmotivs zu vermuten ist, lässt sich der Wortlaut im Detail nicht rekonstruieren (vgl. zu diesem Urteil DAHMEN, PsalterRezeption, 126; zu einem Rekonstruktionsvorschlag siehe MARGULIS, Plagues Tradition, 494f., und die bei LEE, Genesis I, 257f., geübte Kritik). 14 Die Variante der Psalmenrolle 11QPs a bietet die zum femininen Subjekt ארצםkongruente Verbfom שרצהund korrigiert damit die maskuline Verbform שרץdes MT (zur Sekundarität der Qumranvariante vgl. DAHMEN, Psalter-Rezeption, 126). 15 Die Textüberlieferung zeigt, dass die Stammesmodifikation der einleitenden Ver bform ויבאin V 31.34.40 umstritten ist. Während die Masoreten in V 31.34 nach dem Grundstamm und in V 40 nach dem Kausativstamm vokalisiert haben, legen die syrische und aramäische Überlieferung durchgehend eine hifcil-Form zugrunde. Inhaltlich ergeben sich keine größeren Unterschiede, allerdings kann der MT als lectio difficilior aufgefasst werden, in der in V 40 die Urheberschaft Jhwhs betont wird.
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Stechmücken in alle ihre Gebiete. 32 Er gab ihren Regen als Hagel, flammendes Feuer auf ihr Land. 33 Und er zerschlug ihren Weinstock und ihren Feigenbaum und zerbrach die Bäume ihres Gebietes. 34 Er sprach, da kamen Heuschrecken und Larven ohne Zahl. 35 Und sie fraßen alles Kraut in ihrem Land, sie fraßen die Frucht ihres Bodens. 36 Da schlug er alle Erstgeburt in ihrem Land, die Erstlinge all ihrer Manneskraft. 37 Und er führte sie 16 hinaus mit Gold und Silber, und unter seinen Stämmen war keiner, der strauchelte. 38 Es freute sich Ägypten bei ihrem Auszug, denn Schrecken vor ihnen war auf sie gefallen. 39 Er breitete Gewölk als Decke aus und Feuer, um die Nacht zu erleuchten. 40 Er forderte17 und ließ Wachteln kommen, mit Himmelsbrot sättigte er sie. 41 Er öffnete den Fels, da quollen Wasser, sie flossen in die trockenen Lande wie ein Strom. 42 Fürwahr, er gedenkt seines heiligen Wortes, an Abraham, seinen Knecht. 43 Er führte sein Volk heraus in Freude, in Jubel seine Auserwählten. 44 Er gab ihnen die Länder der Völker, und die Mühsal der Völkerschaften nahmen sie in Besitz. 18 16
11QPsa verdeutlicht durch die Auflösung des Suffixes an ויוציאםin Form von את עמו sekundär, dass sich die Herausführung auf das Gottesvolk bezieht (vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 97). 17 Die Versionen bieten eine Verbform 3. Mask. Pl., die auf eine ursprüngliche Lesart ‚( שאלוsie forderten‘) führen könnte, bei der das auslautende waw durch Haplographie ausgefallen wäre (vgl. zu dieser These GUNKEL, Psalmen, 461; KRAUS, BK XV/2, 890; DAHOOD, AncB 17A, 51.62; ALLEN, WBC 21, 53). Während also der MT einen durchgängig am Handeln Jhwhs ausgerichteten Text repräsentiert, stimmt die Lesart der Versionen mit den pentateuchischen Speisungswundern überein, wo Gott mit der Wachte lgabe auf die Forderungen der Israeliten reagiert (Ex 16; Num 11; vgl. auch Ps 78,18). Es kann vermutet werden, dass der Autor des Psalms bewusst von der erzählerischen Version abgewichen ist, um die Episode dem in Ps 105 gezeichneten Gottesbild einzupassen, so dass der Lesart des MT der Vorzug zu geben ist (so in der textkritischen Entscheidung mit HOSSFELD, HThK.AT III, 97; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 140 mit Anm. 13, behält zwar den MT bei, interpretiert diesen aber in Richtung auf die Variante der Versi onen, indem sie mit unpersönlichem ‚man bat‘ übersetzt); vgl. zur Interpretation u. Kap. 3 .1.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
45 Damit sie seine Ordnungen bewahren und seine Weisungen 19 befolgen.20 Halleluja!21 1.2 Psalm 106 1 2 3 4 5 6
Halleluja!22 Danket Jhwh, denn er ist gut, fürwahr, in Ewigkeit währt seine Gnade. Wer erzählt die Machttaten Jhwhs, verkündet all seinen Ruhm? 23 Glücklich die, die sein Recht 24 bewahren, die Gerechtigkeit üben 25 zu jeder Zeit. Gedenke meiner, Jhwh, aus Wohlgefallen an deinem Volk, suche mich auf mit deiner Hilfe. 26 Dass ich das Glück deiner Auserwählten schaue, dass ich mich erfreue an der Freude deines Volkes, dass ich mich rühme mit deinem Erbteil. Wir haben gesündigt zusammen mit unseren Vätern,
18 Nach D. MICHEL, Tempora, 138, steht in V 44b das Imperfekt יירשוnach einer Inversion zur Angabe einer vergangenen Handlung; es wird deshalb auch so übersetzt . 19 Die LXX liest den Singular kai. to.n no,mon auvtou/ für das pluralische Objekt ותורתיוim MT, wobei hier eine bewusste Übernahme des geprägten Tora-Begriffes zu vermuten ist (ähnlich argumentiert HOSSFELD, HThK.AT III, 97). 20 Während V 44 präterital zu übersetzen ist (vgl. o. Anm. 18), erlaubt das einleitende Adverbial בעבורin V 45 eine präsentisch-futurische Deutung (vgl. auch HOSSFELD, HThK.AT III, 96, der allerdings auch V 44b futurisch übersetzt). 21 Das abschließende Halleluja fehlt in Peschitta und LXX; in der griechischen Übe rlieferung wird der gliedernde Ruf konsequent als Einleitungsformel verwendet (vgl. dazu o. Anm. 1). 22 Das einleitende Halleluja fehlt in einigen hebräischen Handschriften sowie der Peschitta. 23 Die Versionen glätten die Numerusdifferenz von גבורותund תהלתוim parallelismus membrorum, indem sie beim zweiten der Nomina die entsprechende Pluralform bieten; dem MT ist aber als lectio difficilior der Vorzug zu geben (so auch KRAUS, BK XV/2, 898; HOSSFELD, HThK.AT III, 119). 24 Die Peschitta liest den Plural von משפט, was an dieser Stelle als Angleichung an die entsprechende Terminologie in Ps 105,5.7 gelten kann. 25 Die alten Versionen und einige hebräische Handschriften lesen das Partizip Plural von עשה, dem sachlich der Vorzug zu geben ist; vermutlich ist die Variante des MT als Kollektivsingular zu verstehen (vgl. HOSSFELD, HThK.AT III; so auch ALLEN, WBC 21, 64, 119), der in der Lesart der Versionen aufgelöst worden ist. 26 Mehrere Textzeugen der alten Übersetzungen bieten in V 4 jeweils das Suffix der 1. Pers. Pl. an den Verbformen, was als sekundäre Angleichung der V 4f. an V 6f. zu beurteilen ist (vgl. ALLEN, WBC 21, 65; HOSSFELD, HThK.AT III, 116; anders KRAUS, BK XV/2, 898).
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wir haben Unrecht begangen, gottlos gehandelt. Unsere Väter in Ägypten – sie verstanden deine Wunder nicht, gedachten nicht der Fülle deiner Gnadenerweise, 27 sie waren widerspenstig am Meer, am Schilfmeer. 28 Er aber rettete sie um seines Namens willen, um seine Macht zu bekunden. Er schalt das Schilfmeer, da fiel es trocken, er führte sie durch die Fluten wie durch die Wüste. Er rettete sie aus der Hand des Hassers, er erlöste sie aus der Hand des Feindes. Wasser bedeckten ihre Bedränger, nicht einer von ihnen blieb übrig. Da glaubten sie an seine Worte, sie sangen29 sein Lob. Schnell vergaßen sie seine Taten, warteten nicht auf seinen Ratschluss. Sie gierten voller Begierde in der Wüste, sie versuchten Gott in der Öde. Er gab ihnen auf ihr Begehren, dann aber schickte er Schwindsucht 30 in sie. Sie wurden eifersüchtig auf Mose im Lager,
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Anstelle des Plurals רב חסדיךbieten wenige Handschriften, die LXX und die griechische Übersetzung von Aquila den Singular, was auf eine Lesart ‚( רב חסדךreich an Gnade‘) führte. Da es sich hierbei um einen geprägten Begriff im Alten Testament han delt, während die Lesart des MT nur wenige Parallelen hat (vgl. Jes 63,7 und Klgl 3,32), ist der MT als lectio difficilior beizubehalten; dafür spricht nicht zuletzt der Parallelismus im Vers, in dem die רב חסדיךmit den נפלאותיךGottes parallelisiert werden. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 185, behält zwar die pluralische Lesart des MT be i, übersetzt diese aber glättend mit „Fülle deiner Güte/Gnade (Pl.)“. 28 Die doppelte Ortsangabe hat zu Verständnisproblemen geführt, wie auch in der Textüberlieferung zu beobachten ist. So hat die LXX die Ortsangabe על יםals Partizip gelesen und bietet avnabai,nontej (‚als sie hinaufstiegen‘; hebr.: )עלים, während auch gerne die Konjektur עליוןvorgeschlagen wird (vgl. BHS; GUNKEL, Psalmen, 465; KRAUS, BK XV/2, 898; LAMBERTY-ZIELINSKI, Schilfmeer, 172f.). Die Irritation ist am einfachsten durch die sekundäre Glossierung von על יםdurch die konkretisierende Angabe בים סוףzu erklären (vgl. dazu u. Kap. 2.2), so dass kein Eingriff in den Text notwendig ist (zur Beibehaltung des MT vgl. auch PRÖBSTL, Rezeption, 106f.; HOSSFELD, HThK.AT III, 119). 29 Das Imperfekt ישירוbekommt durch den einleitenden Narrativ im Vers Vergangenheitsbedeutung, was in den alten Übersetzungen und einigen hebräischen Handschriften durch ein entsprechendes Erzähltempus verdeutlicht worden ist. 30 Die Variante der LXX, die plhsmonh.n liest (‚Überfluss‘; vgl. entsprechend die syrische Überlieferung), zeigt eine Unsicherheit im Verständnis des seltenen hebräischen Nomens רזון (vgl. nur noch Jes 10,16; Mi 6,10) und macht aus der Antithese einen synonymen Parallelismus. Mit ALLEN, WBC 21, 65, kann in der Abänderung eine inhaltliche Referenz auf die Angabe über die überreiche Sättigung in Num 11,20 vermutet werden.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
auf Aaron, den Heiligen Jhwhs. 17 Die Erde öffnete sich – sie verschlang Datan, sie bedeckte die Rotte Abirams. 18 Ein Feuer brannte unter ihrer Rotte, eine Flamme verzehrte die Gottlosen. 19 Sie fertigten am Horeb ein Kalb an und warfen sich nieder vor einem gegossenen Bild. 20 Sie tauschten ihre Herrlichkeit gegen das Abbild eines Stieres, der Kraut frisst. 21 Sie hatten Gott vergessen, ihren Retter, der Großes tat in Ägypten. 22 Wundertaten im Lande Hams, Furchterregendes am Schilfmeer. 23 Da sann er darauf, sie auszurotten, wäre nicht Mose gewesen, sein Auserwählter, der war vor ihm in die Bresche getreten, um seinen Grimm abzuwenden vom Verderben. 24 Sie verschmähten das köstliche Land, glaubten nicht seinem Wort. 25 Sie verleumdeten (es) in ihren Zelten, hörten nicht auf die Stimme Jhwhs. 26 Da erhob er seine Hand gegen sie, um sie niederzustrecken in der Wüste, 27 um ihre Nachkommenschaft zu Fall zu bringen 31 durch die Völker, um sie zu zerstreuen in die Länder. 28 Sie ließen sich ein mit Baal-Peor und aßen Opfer der Toten. 29 Sie erzürnten (ihn) 32 mit ihren Taten, und eine Plage brach unter ihnen aus. 30 Da erhob sich Pinchas und trat als Anwalt auf,33 und die Plage wurde zum Stillstand gebracht. 31 Der Infinitiv ולהפילwird mit Verweis auf die Peschitta sowie auf die Parallelstelle Ez 20,23 ( )אני נשאתי את ידי להם במדבר להפיץ אתם בגוים ולזרות אותם בארצותoft als Verschreibung einer ursprünglichen Lesart ‚( ולהפיץum zu zerstreuen‘) beurteilt (vgl. GUNKEL, Psalmen, 466f.; D. MICHEL, Tempora, 38; KRAUS, BK XV/2, 899; SEYBOLD, HAT I/15, 421; P RÖBSTL, Rezeption, 108; ALLEN, WBC 21, 65). Da der MT aber als Übertragung des Bildes von Ps 106,26b auf die Diasporasituation verständlich wird, und die Variante unter den Textzeugen allein in der Peschitta bezeugt wird, ist der MT beizubehalten. 32 Dass Gott das Objekt des Erzürnens ist, ist aus dem vorliegenden Text klar ersich tlich; wenige hebräische Handschriften und die Versionen machen den Bezug durch Ergänzung des entsprechenden Suffixes deutlich. 33 Zu dieser Übersetzung vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 118.131, mit Verweis auf J ANOWSKI, Interzession, 241.243.
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31 Das wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet, von Geschlecht zu Geschlecht für alle Zeiten. 32 Da reizten sie (ihn) 34 zum Zorn an den Wassern von Meriba, und Mose erging es schlecht ihretwegen. 33 Denn sie erbitterten 35 seinen Geist, so dass er unbedacht redete mit seinen Lippen. 34 Sie rotteten die Völker nicht aus, wie Jhwh ihnen gesagt hatte. 35 Stattdessen vermengten sie sich mit den Nationen und lernten von deren Taten. 36 Sie dienten ihren Götzen, und diese wurden ihnen zum Fallstrick. 37 Sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den Dämonen. 38 Sie vergossen unschuldiges Blut, das Blut ihrer Söhne und ihrer Töchter, die sie den Götzen Kanaans geopfert hatten. So wurde das Land entweiht durch die Bluttaten. 39 Sie verunreinigten sich durch ihre Werke und trieben Hurerei in ihren Taten. 40 Da entbrannte der Zorn Jhwhs gegen sein Volk, Abscheu empfand er gegen sein Erbe. 41 Er gab sie in die Hand der Völker, und es herrschten über sie die, die sie hassten. 42 Ihre Feinde bedrängten sie, und sie beugten sich unter ihre Hand. 43 Viele Male rettete er sie, sie aber waren widerspenstig in ihrem Ratschluss, und sie versanken in ihrer Schuld. 44 Da sah er an ihre Not, als er ihren Klageschrei hörte. 45 Er gedachte für sie seines Bundes und ließ es sich gereuen nach der Fülle seiner Gnade. 36 34 Wie in V 29 verdeutlichen LXX und Peschitta das Objekt, indem sie das Suffix der 3. Pers. Mask. Sg. ergänzen (vgl. o. Anm. 32). 35 Die masoretische Lesart ‚( ה מ רוּsie verhielten sich widerspenstig‘) ist mit Verweis auf die Varianten in LXX, Peschitta, Vulgata und zwei hebräischen Handschriften in ה מ )י(רוּumzupunktieren, so dass die beiden Kola in V 33 als Erklärung für V 32b dienen können (vgl. ALLEN, WBC 21, 65; in der textkritischen Entscheidung ebenso KRAUS, BK XV/2, 899; SEYBOLD, HAT I/15, 421; anders HOSSFELD, HThK.AT III, 118). 36 Die LXX und Hieronymus lesen das Singular des Ketib ()חסדו, während die Targumim und die Peschitta den Plural des Qere ( )חסדיוbezeugen und so von den göttlichen Gnadentaten reden. Da in V 45 eine Wesensaussage Gottes gemacht wird, ist dem Ketib
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
46 Er ließ sie Erbarmen finden bei allen denen, die sie gefangen hielten. 47 Rette uns, Jhwh, unser Gott, und sammele uns 37 aus den Völkern, damit wir deinen heiligen Namen preisen, damit wir uns deines Lobes rühmen. 38 48 Gepriesen sei Jhwh, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit, und alles Volk spreche Amen. Halleluja39
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2.1 Psalm 105 Psalm 105 gliedert sich in eine hymnische Einleitung V 1–7 und den geschichtlichen Hauptteil V 8–45, der nach überwiegend inhaltlichen Gesichtspunkten in sechs Unterabschnitte (V 8–11; V 12–15; V 16–23; V 24–38; V 39–41; V 42–45) gegliedert werden kann. 40 Die einleitende Aufforderung zum Dank ( הודו ליהוהV 1) schließt Ps 105 mit den nachfolgenden Psalmen 106 und 107 zu einer Gruppe von TodaPsalmen zusammen, 41 wobei Ps 106 und 107 die erweiterte Todaformel (ה]ו[דו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו, 106,1; 107,1) aufweisen. In 105,1 eröffnet die Aufforderung zum Dank eine Kette von sieben Imperativen in V 1–3, der Vorzug zu geben, während das Qere mit den zugehörigen Varianten als Angleichung an V 7a zu erklären ist (so auch HOSSFELD, HThK.AT III, 120; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 188). 37 Die Erweiterung der Sammlungsbitte um das Glied ‚( והצילנוund rette uns‘) in der Rezeption von Ps 106 in 1 Chr 16,35 hat auf die Textüberlieferung des Psalms zurückgewirkt und findet sich als Variante in wenigen hebräischen Handschriften. 38 In der Peschitta und den Fragmenten aus der Cairoer Geniza steht am Ende des Verses die Selbstbezeichnung ‚Volk deines Erbbesitzes‘ ()עם נחלתך. 39 Der abschließende Halleluja-Ruf wird in der Septuaginta als Eröffnung zu Ps 107 gezogen, während es in der syrischen Überlieferung ganz fehlt. 40 So mit der überwiegenden Mehrheit der Exegeten; vgl. dazu den Überblick bei AUFFRET, Essai, 9f., und den jüngsten Vorschlag von HOSSFELD, HThK.AT III, 97–102. Von kleineren Abweichungen abgesehen, ist hauptsächlich die Zuordnung von V 7 und V 23 umstritten; siehe dazu im Folgenden. Dagegen gliedert GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 140, den Psalm in eine Aufforderung zum Lob (V 1–6) und einen Hauptteil aus drei Teilabschnitten in V 7–11 (Grund des Lobs), V 12–41 (heilsgeschichtliche Entfaltung) und V 42–45 (abschließende Reflexion). 41 Vgl. dazu KRATZ, Tora, 30f.
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in denen zum umfassenden Lobpreis Gottes aufgerufen wird. Eine abschließende iussivische Aufforderung charakterisiert die Angesprochenen als Jhwh-Suchende (ישמח לב מבקשי יהוה, V 3b). Bereits in diesem ersten Abschnitt werden die Weichen für das Hauptthema des Psalms gestellt, indem das Ziel des Lobpreises mit der Verkündigung von Jhwhs Taten unter den Völkern (הודיעו בעמים עלילותיו, V 1) und dem Nachsinnen über alle seine Wunder ( שיחו בכל נפלאותיו, V 2) bestimmt wird. Der zweite Teil der Einleitung in V 4–7 setzt zuerst mit drei Imperativen V 4f. die Kette der Aufforderungen fort, wobei das ständige Nachforschen über Jhwhs Wesen (דרשו יהוה ועזו בקשו פניו תמיד, V 4) mit dem Gedenken an seine Handlungen (זכרו נ פלאותיו אשר ע שה מפתיו ומשפטי פיו, V 5) parallelisiert wird. Durch diese Parallelstellung wird deutlich, dass die Macht Jhwhs (עזו, V 4) in seinem geschichtlichen Wirken Gestalt annimmt. Das Lemma עזist im vorherigen Kontext durch das gehäufte Vorkommen in den JhwhKönig-Psalmen (93,1; 96,6.7; 99,4) als Königsmacht qualifiziert, die in Ps 105 in der Geschichte wirksam wird.42 V 6 qualifiziert das angeredete Kollektiv als die Nachkommenschaft der Erzväter Abraham und Jakob.43 Während Abrahams herausragende Stellung durch die Titulierung als Knecht Jhwhs ( )עבדוbetont wird, wird den Angeredeten als den Jakobssöhnen die Ehrenbezeichnung als Jhwhs Auserwählte ( )בחיריוbeigelegt. Die Einleitung wird in V 7 durch das Bekenntnis der Sprechergruppe zu Jhwh als ihrem Gott abgeschlossen, das einen Bogen zum einleitenden V 1 schließt. Dem dortigen Aufruf zur weltweiten Verkündigung kommt das Kollektiv in V 7 mit dem Bekenntnis zu Jhwh nach, dessen Rechtsordnung universale Gültigkeit zugesprochen wird (הוא יהוה אלהינו בכל הארץ משפטיו, V 7).44 42
Vgl. LEUENBERGER , Konzeptionen, 193. Nach LEUENBERGER liegt in V 6 der überlieferte Beginn des Grundpsalms vor, während er in V 2–5 „eine redaktionelle Überformung eines (nicht mehr erhaltenen resp. rekonstruierbaren) älteren Psalmanfangs“ sehen will (LEUENBERGER , Konzeptionen, 196). Sein Hauptargument dabei ist die Kontextbezogenheit der Verse, denen in seiner Funktion auch der abschließende V 45 entspreche, so dass dieser ebenfalls als sekundär ausgeschieden wird (vgl. LEUENBERGER , a.a.O., 197). M.E. ist das Argument der Kontextbezogenheit allein nicht ausreichend, um die Rahmenteile als sekundär einzuordnen, wobei auch das Postulat eines nicht mehr rekonstruierbaren Anfanges nicht zwingend erscheint (vgl. dazu auch die Kritik von HOSSFELD, HThK.AT III, 98). Zur forschungsgeschichtlichen Diskussion von V 45 vgl. im Folgenden mit Anm. 61. 44 Mit der Entsprechung zu V 1 argumentieren auch AUFFRET, Essai, 16–20; LEUENBERGER , Konzeptionen, 193 Anm. 250; vgl. zu dieser Abgrenzung weiterhin SEYBOLD , HAT I/15, 414f.; HOSSFELD, HThK.AT III, 98f.103. Dagegen sehen GUNKEL, Psalmen, 458; D. MICHEL, Tempora, 71; CERESKO, Poetic Analysis, 21.29f.; MATHIAS, Geschichtstheologie, 130; FÜGLISTER , Psalm 105, 44; ALLEN, WBC 21, 54, und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 141.149f., in V 7 nicht den Abschluss der Einleitung, sondern den Beginn des nächsten Abschnittes. 43
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
Der abschließende Vers der Einleitung (105,7) nimmt insofern eine „Sonderstellung“ 45 ein, als die Verkündigung von Jhwhs universaler Macht zur poetischen Geschichtsdarstellung V 8–45 überleitet. Am Beginn dieses Hauptteils steht in V 8–11 eine historische Grundlegung, in der der Abrahambund zum Initialpunkt der Geschichte zwischen Gott und seinem Volk stilisiert wird. Durch die Wiederaufnahme des Verbums זכר korrespondiert die einleitende Aussage über Gottes dauerhafte Erinnerung an seinen Bund (זכר לעולם בריתו, V 8) dem einleitenden Aufruf an das Kollektiv, Gottes Wunder zu gedenken ( זכרו נפלאותיו, V 5). Dabei tritt der Begriff ‚( דברWort‘) als Variation neben den Terminus ברית, um die Setzung Gottes näher zu bezeichnen (זכר לעולם בריתו דבר צוה לאלף דור, V 8). Als ein weiterer Parallelbegriff wird nachfolgend in V 9 auch ‚( שבועהSchwur‘) verwendet, wobei der Schwerpunkt hier aber auf der Einführung der Erzväter Abraham und Isaak als Bundespartner liegt (אשר כרת את אברהם )ושבועתו לישחק.46 Mit dem nachfolgenden V 10 wechselt das Tempus vom Perfekt zum Narrativ, um von der geschichtlichen Aufrichtung des Bundes als Ordnung zu erzählen () ויעמידה ליעקב לחק לישראל ברית עולם. Als dritter Bundespartner wird hier der Erzvater Jakob-Israel mit ins Spiel gebracht, wobei der Tempuswechsel und die poetische Aufteilung des Namens auf die beiden Vershälften aber den Schluss zulässt, dass Jakob-Israel als Repräsentant für die Volksgröße steht. 47 In V 11 folgt als wörtliches Zitat die eigentliche Bundesverheißung, in der Gott dem Bundespartner das Land Kanaan als zugemessenes Erbe übereignet (לאמר לך אתן את ארץ כנען חבל )נחלתכם. Mit der Beschreibung der Väterzeit in V 12–15 wird die eigentliche Geschichtserzählung in Ps 105 eröffnet, die die gegenwärtige Situation der Erzväter zuerst im Gegensatz zur im Bund verheißenen Lage darstellt. Während V 12 die Lebensumstände mit den Stichwörtern ‚gering an Zahl‘ ( )מתי מספרund ‚fremd‘ ( )גורnegativ konnotiert, setzt die eigentliche Erzählung in V 13 mit einer Notiz über die Väterwanderungen durch fremde 45
HOSSFELD, HThK.AT III, 98. Der relativische Anschluss von V 9 mit אשר כרת, der grammatisch zuerst auf דברin V 8b zu beziehen ist, muss nicht zwangsläufig zu einer Ausscheidung von V 9 führen (so gegen LORETZ, Psalmen II, 114.120). Vielmehr kann V 8b als Parenthese zu V 8a ve rstanden werden, so dass אשר כרתin erster Linie auf בריתin V 8a bezogen ist. Dafür spricht auch der Anfang des nachfolgenden V 10, der mit dem femininen Suffix an ויעמידהeindeutig auf בריתals Objekt zurückverweist (vgl. zur Diskussion um V 9 auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 116f.). Mit der Erinnerung an den Exodus aus Ägypten in Hag 2,5 liegt eine einzige Parallele für die Formulierung vor ( )את הדבר אשר כרתי, die in vergleichbarer Weise ein Bundesverständnis im Sinne einer Schutzzusage bezeugt. 47 Für das Verständnis als Volksgröße argumentiert HOLM -NIELSEN, Exodus Traditions, 23; zur Auslegung auf den Erzvater vgl. dagegen KRAUS, BK XV/2, 893; HOSSFELD, HThK.AT III, 103. 46
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Territorien ein ()ויתהלכו מגוי אל גוי מממלכה אל עם אחר. Aber trotz dieser Fremdheitserfahrungen ist das Leitmotiv der Väterzeit der göttliche Schutz, der sich in der Zurechtweisung von potentiellen Unterdrückern und fremden Königen ausdrückt (V 14). Von ihrem Zugriff nimmt Gott sein als Gesalbte und Propheten tituliertes Volk ausdrücklich aus (אל תגעו במשיחי ולנביאי אל תרעו, V 15). Mit V 16 beginnt die Josephsgeschichte (V 16–23), an deren Anfang eine von Gott herbeigerufene Hungersnot steht (ויקרא רעב על הארץ כל מטה לחם שבר, V 16). Das Geschehen ist ganz auf die Verbringung Israels nach Ägypten ausgerichtet, so dass die Versklavung Josephs ( לעבד נמכר יוסף, V 17b) als göttliche Sendung im Sinne einer Vorhut interpretiert wird (שלח לפניהם איש, V 17a). Die göttliche Geschichtslenkung zeigt sich im Folgenden auch daran, dass die Gefangenschaft Josephs in Ägypten (V 18) durch das Eintreffen des göttlichen Wortes begrenzt wird (עד עת בא דברו אמרת יהוה צרפתהו, V 19).48 Dementsprechend veranlasst Gott die Freilassung Josephs, indem er den ägyptischen König nach ihm schicken lässt (שלח מלך ויתירהו משל עמים ויפתחהו, V 20). Damit beginnt Josephs Aufstieg, der ihn zum Vorsteher des königlichen Haushaltes (V 21) und zum weisen Lehrer der ägyptischen Ältesten werden lässt (V 22). Vergleichbar mit V 10 schließt in V 23 eine Aussage die Josephsgeschichte ab, die das Geschick der Erzväter für die Volksgeschichte transparent werden lässt:49 Mit der Ankunft von Josephs Vater Jakob-Israel gelangt das Volk durch die göttliche Vorsehung nach Ägypten, wo es allerdings erneut in die Erfahrung des Fremdseins macht ( ויבא ישראל מצרים ויעקב גר בארץ חם, V 23). Wie im Pentateuch wird die Erzählung über den Exodus (V 24–38) in V 24 mit der Notiz eröffnet, dass Israel zur Volksgröße angewachsen ist.50 Dabei wird erneut Gott als der Handelnde hervorgehoben, der die Vermehrung des Volkes bewirkt hat. Die zwei nachfolgenden Verse komplementieren den einleitenden Vers 24, indem sie mit der Verstockung der Feinde durch Gott (V 25) und der Sendung von Mose und Aaron (V 26) die Bühne für das Geschehen des Exodus bereiten. Mose und Aaron werden dabei in einer Wiederaufnahme der Prädikationen aus der Einleitung als Knecht bzw. Erwählter bezeichnet (שלח משה עבדו אהרן אשר בחר בו, V 26), so dass 48 Anders bezieht HOSSFELD, HThK.AT III, 105, den Vers 105,19 auf „das Eintreffen der Voraussagen Josefs“. 49 Stellung und Zugehörigkeit von V 23 sind umstritten; zu V 23 als Schlussvers des Josephsabschnittes vgl. KRAUS, BK XV/2, 894; SEYBOLD, HAT I/15, 416f.; ALLEN, WBC 21, 56; HOSSFELD, HThK.AT III, 99; dagegen argumentiert LEUENBERGER , Konzeptionen, 194 mit Anm. 255, für eine Abgrenzung V 16–22.23ff., während CERESKO, Poetic Analysis, 22, in V 23 einen Gelenkvers („‚Hinge‘ verse“) sieht, der das Geschehen der Wegstrecke von Kanaan nach Ägypten bündele und zugleich die umgekehrte Bewegung von Ägypten zurück nach Kanaan vorbereite (vgl. CERESKO, a.a.O., 25f.). 50 Vgl. dazu u. Kap. 3.1.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
hier die Kontinuität zwischen den exemplarischen Einzelfiguren der Volksgeschichte und dem angeredeten Kollektiv deutlich wird. Auf die einleitenden Verse der Ägyptenzeit folgt in V 27–36 eine poetische Version der Plagen, die in V 27 als von Mose und Aaron gewirkte Worte seiner Zeichen bzw. Wunder eingeführt werden (שמו בם דברי אתותיו )ומפתים בארץ חם. Der Psalm bietet eine ausgewählte Darstellung von acht der pentateuchischen Plagen.51 Dabei ist zuerst die Frontstellung der Finsternisplage auffällig (V 28), die zusammen mit der Tötung der ägyptischen Erstgeburt (V 36) einen Rahmen um die übrigen Plagen legt. Zu diesen gehört die Verwandlung des Wassers in Blut (V 29), die Froschplage (V 30), Mücken und Ungeziefer (V 31), die Hagelplage (V 32f.) und schließlich der Einfall der Heuschrecken (V 34f.). Die Darstellung der Plagen wird vor allem dadurch bestimmt, dass Gott in einer Kette von Perfektformen als das „auslösende Subjekt“ 52 der Ereignisse gezeichnet wird, deren Eintreffen mit einem Narrativ berichtet wird. Dabei fallen besonders V 31 und 34f. ins Auge, die die Wirksamkeit des göttlichen Wortes hervorheben. Einleitend steht jeweils ein Perfekt des Verbums אמר, von dem nachfolgend ein narrativischer Bericht der Folgen abhängig ist. So erfolgt in V 31 auf die göttliche Anordnung hin das Kommen des Ungeziefers (אמר ויבא )ערב, während in V 34f. in ähnlicher Weise das Kommen der Heuschrecken beschrieben wird (אמר ויבא ארבה, V 34), die anschließend die Erzeugnisse des Landes auffressen ( ויאכל כל עשב בארצם ויאכל פרי אדמתם, V 35). Aus dem Rahmen der Perfekt-Ereigniskette fällt weiterhin die abschließende Notiz über die Tötung der Erstgeburt in V 36, wobei hier der göttliche Schlag gegen die Erstlinge der Manneskraft (ויך כל בכור בארצם ראשית לכל אונם, V 36) mit dem Narrativ sprachlich als erzählerischer Höhepunkt der Plagenerzählung gekennzeichnet wird.53 Der Abschnitt über die Ägyptenzeit wird in V 37f. mit dem Bericht über den Exodus abgeschlossen. Erneut wird die Rolle von Gott als des bestimmenden Subjekts hervorgehoben: Dieser führt die Israeliten mit Gold und Silber heraus, ohne dass einer unter ihnen ins Straucheln gerät (ויוציאם בכסף וזהב ואין בשבטיו כושל, V 37). Auf Seiten der Ägypter herrscht dagegen Freude über den Abzug der Israeliten, da der ‚Schrecken vor ihnen‘ diese ergriffen hatte ( שמח מצרים בצאת ם כי נפל פחדם עליהם, V 38). Es 51
Vgl. dazu u. Kap. 3.1. HOSSFELD, HThK.AT III, 99. 53 Die syntaktische Besonderheit von V 36 bemerkt auch D. MICHEL, Tempora, 73, der auf die bewusste Gestaltung hinweist: „Bei vv. 35.37 ist das impf. cs. leicht e rklärbar als Ausdruck einer Folge, bei v. 36 würde man nach dem Beispiel der vorhergehenden Verse eher ein perf. erwarten. Offenbar war die Alternative perf. – impf. cs. weniger vom Charakter der Handlung zu entscheiden als vielmehr von der Beurteilung des Sprechenden […]“. 52
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fällt auf, dass die Suffixe in V 37 keinen Bezug im vorausgehenden Kontext haben, sondern sich über die Plagenreihe hinweg auf die Nennung der Knechte ( )בעבדיוin V 25 beziehen. Diese Beobachtung hat vereinzelt zu der Erwägung geführt, für die Plagenreihe in V 28–36 eine sekundäre Entstehung anzunehmen.54 Da der Psalm hier aber mit bekannten Topoi der biblischen Geschichte spielt und der Bezug jeweils klar ist, kommt die Analyse auch ohne die These einer sekundären Abfassung von V 28–36 aus.55 Der letzte geschichtliche Abschnitt V 39–41 beschreibt den Weg Israels durch die Wüste bis ins Land, wobei der Schwerpunkt auch hier auf der Fürsorge Gottes für sein Volk liegt. Diese realisiert sich in drei Wundern: Neben die schützende Funktion der Wolken- und Feuersäule (V 39) treten die Speisungswunder mit Wachteln und Himmelsbrot (לחם שמים, V 40) sowie das Wasserwunder (V 41). Die Besonderheit in diesem Abschnitt liegt in den Entsprechungen zur Plagenreihe, die Gottes Handeln an seinem Volk als Gegenentwurf zum Machterweis an den Ägyptern zeichnen.56 Vergleichbar mit den Versen 31 und 34f., die durch die sprachliche Kombination eines Perfekts mit nachfolgendem Narrativ die Wirkmächtigkeit des göttlichen Wortes aufzeigen, wird dieselbe sprachliche Gestaltung in den V 40f. verwendet, um Gottes wunderbares Handeln an seinem Volk zu kontrastieren. Während das göttliche Wort in V 31 bzw. 34f. das Kommen von Ungeziefer und Heuschrecken nach sich zieht, führt die göttliche Anordnung in V 40 zum Kommen der Wachteln (שאל ויבא שלו, V 40). In inhaltlicher Entsprechung erfolgt auch das Herausfließen des Wassers auf das Öffnen des Felsens hin ( פתח צור ויזובו מים, V 41). Der letzte Teil des Psalms in V 42–45 schildert im Rekurs auf die einleitende Grundlegung V 8–1157 die Erfüllung der Bundesverheißung mit einer kurzen Notiz über die Landgabe. Der resümierende Charakter der Notiz in V 42–45 wird schon durch die einleitende Partikel כיmarkiert, die das zuvor Berichtete als Station auf dem Weg zur Einlösung der Bundes54
Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 120. Zu diesem Urteil vgl. auch SCHMID, Erzväter, Anm. 58 (mit Verweis auf den von CLIFFORD, Style, 425, festgestellten Chiasmus, der V 25–29 umgreife), und LEUENBERGER , Konzeptionen, 195 Anm. 260. 56 Siehe dazu CLIFFORD, Style, 425f., der allerdings in V 40 die Lesart שאלוzugrundelegt (zu der hier bevorzugten Variante des MT vgl. o. Anm. 17), so dass er das Bitten der Israeliten der Wirkmächtigkeit des göttlichen Wortes in Ägypten gegenüber stellt; ebenso urteilt GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 179: „Denn durch die Plagen wird Ägypten wie die Wüste zu einem lebensfeindlichen Ort, während Jhwh für sein Volk gerade umgekehrt die Wüste in einen Lebensraum verwandelt.“ 57 Zu den Verbindungen zwischen V 8–11 und V 42–45 vgl. CERESKO, Poetic Analysis, 26f.39; AUFFRET, Essai, 66f.; ALLEN, WBC 21, 56; MATHIAS, Geschichtstheologie, 132. 55
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zusagen zusammenfasst ( כי זכר את דבר קדשו, V 42).58 Die Wiederaufnahme des Verbums זכרzeigt an, dass Gott seinem Bund treu bleibt (זכר לעולם בריתו, V 8), der in V 42 zum heiligen Wort ( )דבר קדשוverdichtet wird. Damit werden zugleich die eigentlichen Zielaussagen des Psalms V 43f.45 vorbereitet. In einer neuerlichen Rekapitulation des Exodus (V 43) wird dieser zum Präludium der Landgabe, die in sprachlichem Rekurs auf V 11 als Einlösung der Bundesverheißung dargestellt wird (ויתן להם ארצות גוים ועמל ל אמים יירשו, V 44; vgl. לך אתן את ארץ כנען, V 11). An die Stelle Abrahams ist das Volk der Israeliten getreten, die als Auserwählte in der Nachfolge des Erzvaters stehen (בחיריו, V 43; vgl. V 6), während das verheißene Land als ‚Länder der Völker‘ bzw. ‚Mühsal der Völkerschaften‘ bezeichnet wird. Die zweite Zielaussage in V 45 stellt den Gesetzesgehorsam als Antwort des Volkes auf Jhwhs Bundestreue dar, die dieser in der Landgabe erwiesen hat (בעבור ישמרו חקיו ותורתיו ינצרו הללו יה, V 45). Die Tatsache, dass hier zum ersten Mal im Psalm die Gesetzesobservanz thematisiert wird, ist von einigen Exegeten als Indiz dafür gewertet worden, dass in V 45 eine sekundäre Zielbestimmung vorliege. 59 Dagegen ist aber einzuwenden, dass mit dem bisher nicht erwähnten Toragehorsam gleichsam die Pointe des Psalms vorliegt, der die gesamte Heilsgeschichte Israels auf den Gesetzesgehorsam hin ordnet, der zum eigentlichen Ziel der Bundesverheißung wird. Insofern ist die Toraobservanz keine nachträglich eingeführte Bedingung, die dem Volk aus der Einlösung der Landverheißung erwächst, sondern sie ist logische Folge der Landnahme und wird damit selbst zur Bundesgabe. Redaktionelles Kompositionselement in V 45 ist aber das abschließende Halleluja, das erst im Zuge der Halleluja-Bearbeitung im vierten Psalmenbuch eingetragen wird. 60 Die vorstehende Analyse hat Ps 105 mit Ausnahme der Halleluja-Unterschrift in V 45 als einen literarisch einheitlichen Text erwiesen.61 In besonderer Weise verdient die sprachliche Gestaltung des Psalms Auf58
Siehe auch CRÜSEMANN, Studien, 77. Zur Sekundarität von V 45 vgl. KOCH, Redemption, 68; KÜHLEWEIN, Geschichte, 80; LEUENBERGER , Konzeptionen, 197; dieser trennt die Rahmenteile V 1.2–5.*45 insgesamt als sekundär ab; vgl. dazu Anm. 61. 60 Vgl. LEUENBERGER , Konzeptionen, 197; HOSSFELD, HThK.AT III, 111. Vgl. zur Halleluja-Redaktion im vierten Psalmenbuch auch u. Kap. 4.3. 61 So die Mehrheit der Exegeten; vgl. zuletzt SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 244; HOSSFELD, HThK.AT III, 98. M ATHIAS , Geschichtstheologie, 120, geht zwar von der literarischen Einheit aus, erwägt aber die nachträgliche Einfügung des Plagenteiles V 28–36 (vgl. o. Anm. 54), während LEUENBERGER , Konzeptionen, 197, die redaktionelle Nacharbeit auf die Rahmenstücke des Psalms (V 1.2–5.45; vgl. o. Anm. 43) beschränkt. Zu substantiellen Eingriffen in den Hauptteil vgl. SEYBOLDs These von einer Bearbeitung der Abraham-Stellen V 6.9.42 (vgl. SEYBOLD, HAT I/15, 414). 59
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merksamkeit, in dem das geschichtliche Lob Gottes in einer Reihe von Perfekta dargeboten wird. Dies deutet darauf hin, dass die einzelnen Ereignisse als „vergangene Fakten der Heilsgeschichte“62 gegenüber einem fortlaufenden Ereignisablauf in den Vordergrund gestellt werden sollen. In der Forschung ist allerdings auch der formgeschichtliche Hintergrund des Psalms zur Erklärung herangezogen worden. Mit der einleitenden Aufforderung zum Lobpreis in V 1–5 enthält er Elemente des imperativischen Hymnus,63 auch wenn das gattungstypische כיzur Einleitung der thematischen Durchführung fehlt. An die Stelle der thematischen Durchführung, die den Lobpreis begründet, ist in Ps 105 eine Aufzählung der geschichtlichen Heilstaten Gottes getreten, die insbesondere der Explikation seiner Bundestreue dienen. So sieht CRÜSEMANN in den Perfekt-Formen des Hauptteils eine formale Entsprechung zur Durchführung des imperativischen Hymnus, die ebenfalls perfektisch formuliert ist.64 Auch wenn generell mit einer größeren literarischen Varianz der Formmerkmale zu rechnen ist,65 bleibt festzuhalten, dass der Sprachduktus in Ps 105 die Faktizität der Heilsereignisse vor ihrer zeitlichen Abfolge betont. Dass der Psal m geradezu mit den literarischen Gepflogenheiten spielt, könnte auch das ‚Fehlen‘ der oftmals die Durchführung einleitenden Partikel כיerklären. Diese Partikel begegnet erst am Ende des Psalms zur Eröffnung des Schlussabschnittes V 42–44. Indem dieser einen Bogen zur geschichtlichen Grundlegung in V 8–11 schlägt, zeigt die Schlussstellung der Partikel כיan, dass die Geschichte nicht als Folge von Ereignissen im Vordergrund steht, sondern der Begründung des Lobpreises von Gottes Bundestreue dient. Die geschichtliche Explikation der Bundestreue wird in der Durchführung durch die Landthematik bestimmt, wobei der Terminus ארץals Leitwort Verwendung findet (ארץ, V 7.11.16.23.27.30.32.35.36.44; בהmit Bezug auf ארץ, V 12).66 Die jeweils beschriebene Situation des Volkes steht allerdings in genauem Gegensatz zur Bundesverheißung an Abraham (V 11). Anstatt dem Ziel, das Land Kanaan in Besitz zu nehmen, auch nur im Entferntesten näher zu kommen, macht das Volk in der biblischen Geschichte zuerst in Kanaan, dann aber auch in Ägypten die Erfahrung des 62
D. MICHEL, Tempora, 73; vgl. zu Ps 105 insgesamt D. MICHEL, a.a.O., 70–73. So in der Gattungsbestimmung mit GUNKEL, Psalmen, 458; CRÜSEMANN, Studien, 76; KRAUS, BK XV/2, 891; SEYBOLD, HAT I/15, 414; ALLEN, WBC 21, 53; HOSSFELD, HThK.AT III, 97. 64 Vgl. CRÜSEMANN, Studien, 77. 65 So gegen CRÜSEMANNs Entwicklung der idealen Form von dem Grundtypus Ex 15,21 her (vgl. CRÜSEMANN, a.a.O., 19–82); zur Beschreibung des Hymnus siehe auch GUNKEL/B EGRICH, Einleitung, 33–83. 66 Zum Gebrauch von ארץals Leitwort vgl. CLIFFORD, Style, 420–427, und im Anschluss an diesen CERESKO, Poetic Analysis, 27–29. 63
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Fremdseins ( גור, V 12.23). Die Wüstenwanderung ist dagegen schon durch das völlige Fehlen des Terminus ארץin diesem Abschnitt als Aufenthalt im „Nicht-Land“67 gekennzeichnet. Etwas überraschend endet der Psalm nicht mit dem Bericht über die Ereignisse beim Einzug in das Land, sondern er konstatiert in Form einer kurzen Notiz die Übergabe der Länder der Völker (V 44).68 Auch wenn hier eine Anspielung auf die Vorbewohner Kanaans zu vermuten ist,69 kann die Rede von den Ländern der Völker als Hinweis auf einen Diasporahorizont gewertet werden, in dem Israel sich den Besitzverhältnissen der persischen Zeit gegenüber sah. Die anfängliche Landnahme der biblischen Geschichte ist in Ps 105 transparent geworden für die Aktualisierung der Bundesverheißung in einer Situation, in der der Großteil Israels sich außerhalb des Landes befindet und das gültige Treueversprechen seines Gottes erinnert.70 2.2 Psalm 106 Im Gegensatz zu Ps 105 zeichnet sein Zwilling Ps 106 ein im Wesentlichen negatives Bild der Geschichte Israels mit seinem Gott. So wird der Hauptteil in V 6–42 durch ein Sündenbekenntnis eröffnet, in dem die Beter sich in Tatgemeinschaft mit ihren Vätern zur Sünde bekennen (חטאנו עם אבותינו העוינו הרשענו, V 6).71 Diese Aussage leitet eine Darstellung der biblischen Geschichte vom Exodus bis zum Exil ein, in der dem anfänglichen Glauben des Volkes nach dem Meerwunder (ויאמינו, V 12) der wiederholte Abfall im Fortgang der Geschichte gegenüber gestellt wird. Eingeleitet wird der Geschichtsrückblick durch eine hymnische Lobaufforderung in V 1–5, während der hintere Rahmen in V 43–4772 vom Bericht der Heils67
So CLIFFORD, Style, 424 („‚non-land‘ of the desert“). Vgl. zu dieser Problemanzeige CLIFFORD, Style, 427: „The verses [V 44f.] do not describe an actual entry into the land“ und HOSSFELD, HThK.AT III, 108: „Mit V 44b.45 endet der Psalm schwebend mit der Andeutung des Lebens im Gelobten Land.“ 69 Vgl. dazu HOSSFELD, HThK.AT III, 108. 70 Eine Entstehungssituation, in der Israel sich nicht im Land befind et, vermutet bereits CLIFFORD, Style, 427, und im Anschluss an diesen CERESKO, Poetic Analysis, 45. Zu dieser Einordnung vgl. ferner W EBER , Werkbuch III, 189, der in der selektiven Rekapitulation der Geschichte in Ps 105 zutreffend eine Transparenz für die „Hoffnungen auf eine Wiederherstellung und ‚Landnahme‘ im palästinischen Kontext in (früh)per sischer Zeit“ sieht. 71 Anders sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 188f., in 106,6 einen „Neueinsatz“, den sie noch zum Anfangsteil V 1–5.6 zieht, der aber gleichzeitig zur Geschichtsreflexion in V 7–46 überleite; ähnlich sieht auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 198, in V 6 den Abschluss der Einleitung. 72 Die grundsätzliche Untergliederung in Einleitung, Geschichtsrückblick und Schluss entspricht der communis opinio; während allerdings der Gliederungseinschnitt in V 6 weitgehend unumstritten ist (vgl. aber o. Anm. 71), wird die hintere Abgrenzung des Geschichtsrückblicks diskutiert; vgl. dazu im Folgenden. 68
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wende zur Schlussbitte überleitet, in der die Beter die Sammlung aus den Völkern erflehen (V 47). Den Abschluss des Psalms bildet die Schlussdoxologie in V 48, die zusammen mit den Doxologien in Ps 41,14; 72,18f.; 89,53 und dem Schlusshallel Ps 150,1–6 den vorliegende Psalter in fünf Bücher gliedert. 73 Ein weiteres Kompositionsmerkmal stellt die äußere Halleluja-Rahmung in den Versen 106,1.48 dar, die die Zwillingspsalmen 105f. mit dem Schöpfungspsalm 104 zu einer Halleluja-Trias zusammenschließt (הללויה, 106,1.48; vgl. 104,35; 105,45). In Konkurrenz zu dieser Halleluja-Gliederung tritt die Todaformel, die, auf das Halleluja folgend, in Ps 106,1 den Psalm eröffnet ( ) הללויה הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו. Dieses Gliederungselement ordnet die Zwillingspsalmen unter Ausschluss von Ps 104 mit dem nachfolgenden Psalm 107 zu einer Dreiergruppe Ps 105– 107 zusammen. Bevor aber die redaktionsgeschichtlichen Konsequenzen aus diesen konkurrierenden Gliederungsmerkmalen gezogen werden können,74 ist zuerst der Blick auf Ps 106 selbst zu richten. Die Einleitung in den Versen 106,1–5 fällt dadurch auf, dass sie aus unterschiedlichen Formelementen zusammengesetzt ist. Der Toda-Eingang in V 1 begründet den Aufruf zum Dank mit Verweis auf Jhwhs Gut-sein und seine immerwährende Güte ( )כי טוב כי לעולם חסד. Darauf folgt in V 2f. eine Abfolge von Frage und anschließender Seligpreisung, die als Antwort interpretiert werden kann. 75 Gefragt ist in V 2 danach, wer von den Machttaten ( )גבורותund dem Ruhm Jhwhs ( )תהלתוerzählen wird, woraufhin sich in V 3 die Seligpreisung derjenigen anschließt, die Recht und Gerechtigkeit ausüben. Da der Psalm selbst vom tätigen Lobpreis der Väter am Schilfmeer berichtet (ישירו תהלתו, V 12) und die Beter im Schlussabschnitt ein Lobversprechen abgeben (להשתבח בתהלתך, V 47), kann es sich in V 2 nicht um eine mit ‚Nein‘ zu beantwortende rhetorische Frage handeln. 76 Die Antwort auf die Frage von V 2 verbirgt sich vielmehr in der Seligpreisung des nachfolgenden Verses 3, der den berichtenden Lobpreis mit dem Ideal des Gerechten verbindet. Wird V 3 als Antwort verstanden, dann darf nur der Gerechte an dem in V 2 beschriebenen Lobpreis Gottes partizipieren. 77 Da der Inhalt des geforderten Gotteslobes mit dem Stichwort גבורותim Fortgang des Psalms als die Kundgabe seines machtvollen Handelns in der Geschichte qualifiziert wird (vgl. להודיע את גבורתו, V 8), heißt dies aber 73
Vgl. dazu ausführlich KRATZ, Tora, 13–28. Vgl. dazu u. Kap 4.3. 75 Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 177; ALLEN, WBC 21, 70; P RÖBSTL, Rezeption, 120; HOSSFELD, HThK.AT III, 126; anders in der Abgrenzung nur KRAUS, BK XV/2, 901, der in V 1f. den hymnischen Introitus sieht, während sich V 3 als „Glückwunsch“ formal deutlich abhebe. 76 So aber GUNKEL, Psalmen, 464; CRÜSEMANN, Studien, 178 Anm. 1; B EYERLIN, nervus rerum, 59; SEYBOLD, HAT I/15, 422; zur Kritik siehe P RÖBSTL, Rezeption, 118f. 77 Vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 120; HOSSFELD, HThK.AT III, 126. 74
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weiterhin, dass das Ideal des Gerechten in Ps 106,2f. um das Rühmen von Gottes Geschichtstaten erweitert ist. Die folgenden Verse 106,4f. wechseln zur Bitte eines Einzelnen um Teilhabe an der Erwählung von Jhwhs Volk. Dieser Wunsch ist durch nichts im vorherigen Kontext motiviert und kann deshalb als sekundärer Einschub einer Proselytenbitte gewertet werden.78 Mit dem Sündenbekenntnis in V 6 beginnt der geschichtliche Hauptteil des Psalms in V 6–42, der in verschiedenen Stationen den Weg Israels vom Exodus bis ins Exil hinein verfolgt. Mehrheitlich hat sich in der Forschung eine lineare Untergliederung des Hauptteils mit Hilfe von Ortswechseln und szenischen Einschnitten eingebürgert,79 die auch der folgenden Analyse zugrunde liegt. Dabei soll aber gezeigt werden, dass die Darstellung in Psalm 106 ausgehend vom Sündenbekenntnis in V 6 als Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen 80 in vier Akte eingeteilt werden kann (V 7–12; V 13–23; V 24–33; V 34–42),81 die schließlich im Verlust des Landes gipfelt. Das den Hauptteil einleitende Sündenbekenntnis in V 6 fasst die generationenübergreifende Schuld im Tatbestand der perfektisch formulierten Trias von Sündigen, Unrecht begehen und Gottlos handeln zusammen ()חטאנו עם אבותינו העוינו הרשענו. Im Folgenden aktualisieren mehrere durch לאverneinte perfektisch formulierte Aussagen in V 7; V 13; V 24f. und V 34 das Sündenbekenntnis für einen bestimmten Ab-
78
So HOSSFELD, HThK.AT III, 124; vgl. weiterhin ENBERGER , Konzeptionen, 198; dagegen spricht sich
SEYBOLD, HAT I/15, 422; LEUMATHIAS, Geschichtstheologie, 162, gegen eine Herauslösung der Verse aus; vgl. auch SCHNOCKS , Vergänglichkeit, 246. Für GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 195–197, die in Ps 106 von literarischer Einheitlichkeit ausgeht, kommt V 4f. eine Schlüsselstellung zu, da in diesen Versen mit dem Stic hwort der ‚Hilfe/Rettung‘ ( )ישועהdas zentrale Rettungsmotiv ( ישעhif., 106,8.10.47) eingeführt werde. Der nominale Gebrauch von ישועהin V 4 sowie die individuelle Perspektive sprechen m.E. jedoch eher für eine nachträgliche Individualisierung der Volksgeschichte. 79 Zu einer linearen Gliederung vgl. GUNKEL, Psalmen, 464; ALLEN, WBC 21, 69f.; KRAUS, BK XV/1, 899; MATHIAS, Geschichtstheologie, 182; SEYBOLD, HAT I/15, 421– 424; P RÖBSTL, Rezeption, 128–132; HOSSFELD, HThK.AT III, 123; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 189. Weniger überzeugend sind die Versuche von AUFFRET, Étude Structurelle, insbes. 87, und W EBER , Werkbuch II, 198–200, eine konzentrische Struktur aufzuweisen. 80 Diese Bezeichnung hier und im Folgenden nimmt eine Beobachtung von B ERNER , Exoduserzählung, 384f., zu den pentateuchischen Belegstellen des Glaubensmotivs auf: „Der Auszug und die Verweigerung der Landnahme werden auf diese Weise zu Ec kpunkten einer unter negativen Vorzeichen verlaufenden Glaubensgeschichte, die sich letztlich bis in die Königszeit fortsetzt (1 Kön 17,14).“ 81 Zu dieser Untergliederung des Hauptteils vgl. auch P RÖBSTL, Rezeption, 128–132, der die Einschnitte allerdings inhaltlich anders auswertet.
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schnitt der Geschichte Israels und markieren auf diese Weise die Gliederungseinschnitte des Hauptteils. 82 Der erste Unterabschnitt in V 7–12 setzt mit den Vätern in Ägypten ein. Deren Verhalten zeichnet sich im negativen Sinne dadurch aus, dass sie Jhwhs Wunder nicht verstanden und der Fülle seiner Gnadenerweise nicht gedacht haben, so dass sie am Meer zum ersten Mal widerspenstig werden (אבותינו במצרים לא השכילו נפלאותיך לא זכרו את רב חסדיך וימרו על ים בים סוף, V 7). Die doppelte Ortsangabe am Ende von V 7 ist dabei durch eine nachträgliche Erläuterung mit Hilfe der Angabe בים סוףzu erklären, die im Vorgriff auf V 9 und V 22 klar stellt, dass es sich bei dem erwähnten Meer um das Schilfmeer handelt. 83 Jhwh reagiert auf die Sünden der Väter nicht mit einer Strafaktion sondern er rettet sie, wobei die Rettung allein durch die Rücksicht auf das Ansehen seines Namens und durch die Machtdemonstration seiner Stärke motiviert ist ( ויו שיעם למען שמו להודיע את גבורתו, V 8). Die konkrete Aktion besteht im Schelten des Schilfmeeres (ויגער, V 9) und der darauf folgenden Vernichtung des Feindes, aus dessen Hand Jhwh sein Volk erlöst (ויגאלם מיד אויב, V 10). Die erfolgte Rettung führt bei den Israeliten zum Glauben an die göttlichen Worte, der im Gesang des Lobpreises Gottes am Schilfmeer seinen Ausdruck findet (ויאמינו בדבריו ישירו תהלתו, V 12). Endet die erste Rebellion der Väter damit buchstäblich auf einer positiven Note, zeigt der Fortgang der Geschichte, dass der Glaube am Schilfmeer von kurzer Dauer ist. So wird die folgende Beschreibung der Etappe durch die Wüste bis zum Horeb (V 13–23) mit der perfektisch formulierten Notiz eröffnet, dass die göttlichen Taten schnell vergessen waren und die Väter in ihren Handlungen nicht auf den göttlichen Ratschlag warteten (מהרו שכחו מעשיו לא חכו לעצתו, V 13). Dieses eigenmächtige Verhalten zeigt sich zuerst beim Speisungswunder in der Wüste V 14f., wo die Väter die göttliche Versorgung durch ihre Begierde ( )ויתאוו תאוהzu einem Akt der Versuchung pervertieren (וינסו, V 14). Zwar erfüllt Gott das Begehren seines Volkes, aber der parallele Aufbau von V 15 macht deutlich, dass dieses Nachgeben negativ besetzt ist und mit der Sendung der Schwindsucht eine Strafhandlung nach sich zieht. 84 Der nächste Akt der Auflehnung gegen Gottes Heilsplan vollzieht sich im Wüstenlager, wo die Israeliten auf Moses und Aaron, den ‚Heiligen Jhwhs‘ (קדוש יהוה, V 16) eifersüchtig werden (V 16–18). Der hier gebrauchte Ehrentitel Aarons spitzt den Kon82
Ähnlich sieht auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 197, in dem Sündenbekenntnis V 6 „den theologischen Schlüssel zum folgendeln Reflexionsgang durch die Geschichte“. 83 LORETZ, Psalmen, 124f., streicht gleich das gesamte Kolon in 106,7b, was m.E. über das Ziel hinausschießt. 84 Zur Deutung von V 15 im Sinne eines synonymen oder synthetischen Parallelismus vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 191.
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flikt aus Num 16 auf den Anspruch der Aufrührer zu, wie die von Gott erwählten Anführer heilig sein zu wollen (Num 16,3.5.7) und kennzeichnet das Geschehen damit als Ausdruck der grundlegenden Verdorbenheit des Volkes.85 Ps 106,17f. berichtet nachfolgend die Bestrafung der Rotten Datans und Abirams, die von der Erde verschlungen (V 17) und vom Feuer verzehrt werden (V 18). Die finale Episode des zweiten Abschnittes stellt in V 19–23 die Anfertigung des goldenen Kalbs am Horeb dar. Theologisch wird diese Sünde als Vertauschung der göttlichen Herrlichkeit gedeutet (וימירו את כבודם, V 20), die ihren Grund darin hat, dass die Väter die grundlegende Rettungstat Gottes beim Exodus vergessen haben (שכחו אל מושיעם עשה גדלות במצרים, V 21).86 Daraufhin beschließt Gott, sein Volk auszurotten, wird aber nach V 23a durch die Fürbitte des Mose von der Ausführung seines Entschlusses abgehalten ()ויאמר להשמידם לולי משה בחירו. Die zweite Vershälfte beschreibt das Eintreten des Mose zugunsten des Volkes mit dem Bild des ‚in die Bresche Tretens‘ (עמד בפרץ לפניו להשיב חמתו מהשחית, V 23b), das nach Ez 13,5; 22,30 eine von den wahren Propheten geforderte (Amts-)Handlung ist. Da Mose so die Züge eines idealen Propheten zugeschrieben werden und V 23 auch literarisch als Doppelbikolon aus seinem Kontext herausfällt, liegt es nahe, in der zweiten Vershälfte V 23b eine sekundäre Ergänzung zu sehen. Der dritte Abschnitt des Geschichtsabrisses umfasst die Verse 24–33 und enthält erneut drei kurze Episoden, in denen die Väter ihr frevlerisches Verhalten fortsetzen. Die erste Szene in V 24–27 spielt an der Grenze zum verheißenen Land. Die Sünde der Väter besteht darin, dass sie das köstliche Land verschmähen (וימאסו בארץ חמדה, V 24a) und es in ihren Zelten verleumden (וירגנו באהליהם, V 25a). Diese narrative Ereigniskette in V 24a.25a wird in der jeweils zweiten Vershälfte durch ein mit לאverneintes Perfekt durchbrochen, das in einer grundsätzlichen Beurteilung des Verhaltens auf das einleitende Sündenbekenntnis in V 6 zurückverweist. 87 So konkretisiert sich in der Ablehnung des Landes der Unglaube an das göttliche Wort (לא האמינו לדברו, V 24b) und das Nicht-Hören-Wollen auf seine Stimme (לא שמעו בקול יהוה, V 25b). Insbesondere durch die negative Wiederaufnahme des Verbums אמןhif. aus V 12 in V 24b wird die Verweigerung der Landnahme dem anfänglichen Glauben der Väter am 85 Zu dieser Beobachtung vgl. auch HOSSFELD, HThK.AT III, 129; siehe dazu im Folgenden Kap. 3.2. 86 Vgl. GÄRTNER , Torah, 482f. 87 Vgl. das Urteil von P RÖBSTL, Rezeption, 129: „Auffällig ist, daß die Narrativkette jeweils in der zweiten Vershälfte von v.24 und 25 durch Perfekta unterbrochen wird. Es sind grundsätzliche Urteile über das Verhalten der Väter.“ Ebenso urteilt D. MICHEL, Tempora, 38.
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Schilfmeer gegenübergestellt. Diese Verweigerungshaltung erweist sich im Fortgang als folgenschweres Fehlverhalten, da die Väter damit nicht nur ihr eigenes Schicksal besiegeln, sondern auch das der folgenden Generation: Gott erhebt seine Hand zum Strafschwur, dass er die Väter in der Wüste niederstrecken will (וישא ידו להם להפיל אותם במדבר, V 26), während ihre Nachkommenschaft unter die Völker fallen soll, wo sie zerstreut werden (ולהפיל זרעם בגוים ולזרותם בארצות, V 27). Obwohl das Ende der ersten Generation damit festgeschrieben ist, wird der Sündengeschichte in der Wüste in der zweiten Szene V 28–31 noch ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Der Abschnitt behandelt den Abfall der Israeliten zum Baal-Peor (V 28). Sie erzürnen Gott durch ihre Taten, der sie daraufhin mit dem Ausbruch einer Plage straft (ויכעיסו במעלליהם ותפרץ בם מגפה, V 29). In paralleler Entsprechung zu dieser Struktur wird den Taten der Vielen die Interzession des Pinchas entgegengesetzt, der die Plage durch sein ‚Auftreten‘ wieder zum Stillstand bringt (ויעמד פינחס ויפלל ותעצר המגפה, V 30).88 Die Episode ist allerdings weniger am Ergehen des Volkes interessiert, sondern im Vordergrund steht die Person des Pinchas, der sich durch sein Handeln in besonderer Weise eine Auszeichnung erwirkt. Wie Abraham sein Glaube (והאמן ביהוה ויחשבה לו צדקה, Gen 15,6), so wird Pinchas sein Eintreten zur Gerechtigkeit angerechnet und diese Auszeichnung geht auch auf seine Nachkommen über (ותחשב לו לצדקה לדר ודר עד עולם, Ps 106,31). Dies hat Konsequenzen für das Bild des Pinchas: Nicht nur wird er im Rückbezug auf die Einleitung V 3 zum Paradebeispiel desjenigen, der Gerechtigkeit übt, sondern durch sein Auftreten zugunsten des Volkes wird er auch als Nachfolger des Mose eingeführt (עמד, V 23.30).89 Diese Positionierung ist umso bedeutsamer, als Mose im letzten Abschnitt der Wüstenwanderung in V 32f. seine Stellung als Anführer des Volkes verspielt. Allerdings wird auch dies ursächlich auf das Fehlverhalten der Israeliten zurückgeführt, die Gott an den Wassern von Meriba zum Zorn reizten ( ויקציפו על מי מריבה וי רע למשה בעבורם, V 32). Indem das Volk so den Geist des Mose erbittert,90 verleiten sie ihn zur unbedachten Rede (כי המרו את רוחו ויבטא בשפתיו, V 33), so dass Mose auch persönlich haftbar wird. Hier ist implizit vorausgesetzt, dass Mose aufgrund seines Vergehens 88 Zu dieser Interpretation von Pinchas’ Tat im Sinne einer Interzessionshandlung vgl. J ANOWSKI, Interzession, 237–248; ihm folgen MATHIAS, Geschichtstheologie, 190f.; SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 248f.; HOSSFELD, HThK.AT III, 131. 89 Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 190. Dagegen hebt P RÖBSTL, Rezeption, 153, die Unterschiede in der Darstellung hervor: Während es bei Mose um die Abwend ung des Vernichtungswillen gehe, rücke in V 28–31 die Auszeichnung des Pinchas in den Vordergrund. Hier ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass es sich beim ‚Auftreten‘ des Mose in V 23b um eine nachträgliche Ergänzung handelt, vgl. dazu im Vorherigen . 90 Anders bezieht MATHIAS, Geschichtstheologie, 194 Anm. 246, das Suffix von רוחו in V 33 auf Gott.
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nicht in das Land einziehen darf (vgl. Num 20,12; 27,13f.; Dtn 32,50– 52)91 und so setzt sein individuelles Geschick den tragischen Schlusspunkt unter das Ende der Vätergeneration in der Wüste. 92 Mit dem letzten Abschnitt des Geschichtsrückblicks V 34–42 verlagert sich das Geschehen in das Land selbst. Auch wenn eine dementsprechende Ortsangabe fehlt, ist die Lokalisierung durch die Völker als Gegenüber der Israeliten gesichert. 93 Der Gliederungseinschnitt wird durch eine weitere Sündennotiz in V 34 gekennzeichnet, die durch ein mit לאverneintes Perfekt die grundsätzliche Verfehlung der Väter im Land benennt. Ihr Versagen besteht darin, dass sie entgegen dem göttlichen Gebot die Völker nicht ausgerottet haben (לא השמידו את העמים אשר אמר יהוה להם, V 34). In Form eines in einer Narrativkette gefassten Sündenspiegels V 35–39 werden die Folgen dieses Fehlverhaltens berichtet: Statt die Völker zu vernichten, haben sich die Israeliten mit ihnen vermischt (V 35) und deren Götzendienst übernommen, was ihnen zum Fallstrick wird (V 36). Der Götzendienst kulminiert in den Kinderopfern, die das Volk den Dämonen darbringt (V 37), und die in letzter Konsequenz zur Entweihung des Landes durch die Bluttaten führen (V 38). V 38, der im vorliegenden Textbestand die näheren Umstände der Kinderopfer beschreibt, ist als Tetrakolon überfüllt, wobei das zweite und dritte Kolon als nachträgliche Auffüllung eingeordnet werden können. 94 Werden diese Versteile literarisch ausgeschieden, berichtet das ursprüngliche Bikolon in V 38a.d allein von der Vergießung unschuldigen Blutes, durch die das Land entweiht wird (וישפכו דם נקי )ותחנף הארץ בדמים. Hier handelt es sich ursprünglich nicht um eine nähere Ausführung zu den Kinderopfern, sondern der literarische Hintergrund lässt 106,38* als Bezug auf die Asylgesetzgebung verständlich werden. 95 Der Abschluss des Sündenkatalogs in V 39 betont die Verantwortung der Israeliten, die durch ihre Werke ( )במעשיהםund ihre Taten ( )במעלליהםdie eigene kultische Verunreinigung selbst herbeigeführt haben. Dem detaillierten Sündenspiegel in V 35–39* folgt eine ebenfalls breit ausgeführte Beschreibung der göttlichen Strafe in V 40–42. Von Zorn und Abscheu erfüllt gibt Jhwh sein Erbe (נחלתו, V 40) in die Hand der Völker, die so über es herrschen (V 41f.). Auch wenn diese Strafmaßnahme im engeren Kontext als direkte Reaktion auf die Vergehen der zweiten Generation im Land erscheint, ist sie doch in erster Linie die Vollstreckung des 91
Vgl. dazu ausführlich u. Kap. 3.2. Vgl. das treffende Urteil von P RÖBSTL, Rezeption, 156: „Mose ist hier gewissermaßen tragisch ins Ergehen der Vätergeneration integriert.“ 93 Vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 130. 94 So auch DUHM, KHC 14, 387; GUNKEL, Psalmen, 467; MATTHIAS, Geschichtstheologie, 169f.; anders HOSSFELD, HThK.AT III, 133. 95 Vgl. dazu u. Kap. 3.2. 92
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Strafschwurs aus V 27. Mit der Verweigerung der Landnahme durch die Vätergeneration in der Wüste ist das Schicksal der Söhne bereits besiegelt worden. Indem die Nachkommen der Wüstengeneration das Land durch ihre Vergehen entweihen (V 38d), vollziehen sie die grundlegende Sünde ihrer Väter und erfüllen im Nachhinein den Tatbestand für das bereits feststehende Urteil. Zur Interpretation der abschließenden Strafhandlung sind aber auch die Referenzen zur Exodusepisode in V 7–12 zu berücksichtigen, die die Zerstreuung in Exil und Diaspora als Aufhebung der anfänglichen Rettung im Meerwunder kennzeichnen. 96 Während Jhwh sein Volk mit dem Exodus aus der Hand des Hassers und des Feindes errettet (וישיעם מיד שונא ויגאלם מיד אויב, V 10), übereignet er es am Ende des Geschichtsabrisses in die Hand der Völker (ביד גוים, V 41), die jetzt die Rolle der Hasser (שנאיהם, V 41) und der Feinde (אויביהם, V 42) übernehmen. Auf diese Weise führt der fehlende Glaube des Volkes, der sich in der Verweigerung der Landnahme auswirkt, zum endgültigen Verlust des Landes und zu einer erneuten Versklavung unter die Völker. Mit dieser Revozierung der anfänglichen Rettung schließt sich der Kreis der Geschichtsdarstellung in Ps 106. Der Schlussabschnitt V 43–47 wird durch ein Resümee in V 4397 eröffnet, das die wiederholten Rettungstaten Jhwhs ( ) פעמים רבות יצילםmit der konsequenten Verweigerungshaltung des Volkes kontrastiert, die es in seiner Schuld versinken lässt ( )והמה ימ רו בעצתם וי מכו בעונם. Der Gliederungseinschnitt wird nicht nur durch die einleitende Inversion kenntlich gemacht, sondern zusätzlich auch durch den Gebrauch des Imperfekts 98 und die metrische Gestaltung als Trikolon. Die Wiederaufnahme des Nomens עצהaus der einleitenden Sündennotiz V 13 in V 43 fasst die Geschichte von der Wüste bis zur Zerstreuung unter dem Vorzeichen der fortwährenden Missachtung des göttlichen Willens zusammen. Anstatt dem Rat96
Vgl. zu dieser Interpretation GÄRTNER , Torah, insbes. 483f., und DIES., Geschichtspsalmen, 229: „In diesem Sinn setzt Jhwh das am Schilfmeer gegründete heilsgeschichtliche Paradigma durch die Zerstreuung seines Volkes unter die Völker aus.“ 97 Der Einschnitt in V 43 ist weitgehend anerkannt, allerdings wird die Funktion des Verses unterschiedlich bewertet. Zur Einordnung als Resümee vgl. D. MICHEL, Tempora, 39; P RÖBSTL, Rezeption, 131; LEUENBERGER , Konzeptionen, 199; HOSSFELD, HThK.AT III, 133f.; dagegen sieht GUNKEL, Psalmen, 467, in V 43 das Ende der Zeit bis zum Exil berichtet, während KREUZER , Frühgeschichte, 240, und ALLEN, WBC 21, 73, eine Referenz auf die Richterzeit vermuten; vgl. dazu u. Kap. 3.2. MATHIAS, Geschichtstheologie, 181–184.195–198, beurteilt V 43–46 insgesamt als abschließendes Resümee der Geschichtsdarstellung des Hauptteil (V 7–46) mit einem Schlussabschnitt in V 47f. (so auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 188–191). 98 Gegen HOSSFELD, HThK.AT III, 133, der in V 43 archaisierende Präfixkonjugationen sehen will, ist mit P RÖBSTL, Rezeption, 131, eher an den Gebrauch des Imperfekts zur Beschreibung eines wiederholten Vorgangs zu denken.
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schluss Gottes zu folgen, vertraut das Volk auf die eigenen Pläne, die letztlich zum Versinken in der Schuld führen (V 43), aus der es sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien kann. Von der Heilswende, die damit nur durch göttliches Erbarmen veranlasst sein kann, berichten die nachfolgenden Verse 44–46.99 Notwendendes Moment ist das „Anteil nehmende Sehen und Hören der Not des Volkes“ 100 ( וירא בצר להם בשמעו את רנתם, V 44). Dieses führt dazu, dass Gott seines Bundes gedenkt und sich der Israeliten in der Fülle seiner Gnade erneut zuwendet (ויזכר להם ברתו וינחם כרב חסדו, V 45). Die Erwähnung des Bundesverhältnisses ist in Ps 106,45 singulär und im näheren Kontext als Referenz auf die Bundesvorstellung von Ps 105 zu verstehen.101 Der Verweis auf die Fülle der göttlichen Gnade ( )רב חסדוbezieht sich dagegen auf eine psalminterne Konzeption, da die Gnade nach 106,1 Gottes Wesen grundlegend bestimmt ( )כי לעולם חסדוund die Verkennung der göttlichen Gnadenerweise durch das Volk Grund für den ersten Abfall in Ägypten ist (לא זכרו את רב חסדיך, V 7). Die Gnade Gottes wird so zum bestimmenden Faktor der Geschichte zwischen Gott und Volk in Ps 106. 102 Die Fülle der Gnade ist es schließlich auch, die sich in V 46 in der Begnadigung der Israeliten unter den Völkern realisiert. Mit V 47 wechselt die Redesituation zurück zu dem Personenkreis, der am Anfang den Geschichtsrückblick eröffnet hat. Die Sprechergruppe, die sich in V 6 zusammen mit ihren Vätern zur Sünde bekannt hat, erbittet nun in Analogie zu deren Heilswende die Sammlung aus den Völkern (הושיענו יהוה אלהינו וקבצנו מן הגוים להדות, V 47a). Die erbetene Rettung zielt auf das gemeinsame Gotteslob, das Gottes heiligem Namen und seinem Ruhm gilt (V 47b). Die Stichwortverbindungen zur Meerwunderepisode in V 7–12 zeigen, dass die Beter in der Sammlung aus den Völkern die Wiederholung der Rettungstat am Schilfmeer (ישע, V 47a, vgl. V 8.10) erhoffen.103 Entsprechend der gläubigen Reaktion ihrer geschichtlichen Vorväter wollen sie die Sammlung mit Lobpreis beantworten (להשתבח בתהלתך, V 47; vgl. ישירו תהלתו, V 12). Dabei stellen sie mit der Rühmung des gött99
Die These von LEUENBERGER , Konzeptionen, 199.210f., der in V 44–46 einen Nachtrag sehen will, kann m.E. nicht überzeugen; die von ihm redaktionsgeschichtlich ausgewerteten Kontextverbindungen der Verse können durchaus kompositionskritisch erklärt werden. 100 HOSSFELD, HThK.AT III, 134. 101 Vgl. dazu u. Kap. 2.3. 102 Vgl. GÄRTNER , Torah, 484: „So the category of Jhwh’s חסדalready praised in V. 1 is the real driving force of history“; siehe dort auch insgesamt zur Bedeutung der Kat egorie חסדin Ps 106. Davor urteilt bereits MATHIAS, Geschichtstheologie, 183, dass der Beter des Psalms „eine differenzierte Betrachtung über Gottes חסדin der Vergangenheit“ biete; siehe auch HARTENSTEIN, Bedeutung, 344–347. 103 Zum Entsprechungsverhältnis zwischen der Rettungsbitte in V 47 und der Mee rwunderepisode vgl. auch GÄRTNER , Torah, 484, und DIES., Geschichtspsalmen, 234.
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lichen Namens ( להדות לשם קדשך, V 47) eine Dankeshandlung in Aussicht, in der Jhwhs Plan in die Tat umgesetzt wird – ist es doch nach V 8 überhaupt erst die Rücksicht auf seinen Namen, die Gott zum Eingreifen zugunsten der Väter bewogen hat (למען שמו להודיע את גבורתו, V 8). Die Schlussdoxologie in V 48 lässt das ganze Volk in den ewigen Lobpreis des Gottes Israels mit einstimmen ( ברוך יהוה אלהי ישראל מן העולם ועד העולם ואמר )כל העם אמן. Auch wenn die Doxologie in V 48 gut an den restlichen Psalm anschließt, da sie die Entfaltung des in V 47 enthaltenen Lobversprechens enthält, ist sie zuerst aufgrund ihrer psalmübergreifenden Gliederungsfunktion als sekundär einzuordnen. 104 Für diese Einordnung spricht ferner der erneute Wechsel der Redesituation zur imperativischen Anrede des ganzen Volkes, die im vorderen Rahmen des Psalms keine Entsprechung hat. Ps 106 hat sich damit als ein im Wesentlichen einheitlicher Text erwiesen, der nur durch kleinere Zusätze (V 4f.7*[]בים סוף.23b.38bc.48) ergänzt worden ist. Er wird inhaltlich durch den Geschichtsrückblick im Hauptteil V 6–42 bestimmt, der durch das einleitende Sündenbekenntnis in V 6 als Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen gekennzeichnet ist. Als positives Paradigma dient in V 7–12 das Meerwunder, bei dem die Väter mit Glauben auf die Rettung aus den Händen der Feinde reagieren (אמן hif., V 12). In den folgenden drei Abschnitten verspielen sie aber den Besitz und das Leben im Land durch das fehlende Vertrauen in Gott. Während die Fürbitte des Mose in V 13–23 die göttliche Strafe noch abwenden kann, besiegelt in V 24–33 die Verweigerung der Landnahme als Ausdruck des Unglaubens ( אמןhif., V 24) das weitere Schicksal des ganzen Volkes. Die Väter sterben noch in der Wüste und auch Mose teilt das Schicksal der ersten Generation, nachdem er sich an den Wassern von Meriba zu unbedachter Rede hat hinreißen lassen (V 32f.). Seine Führungsrolle wird bereits in der Episode zuvor von Pinchas übernommen, dessen Fürsprache die göttliche Strafe abmindert. Der letzte Abschnitt V 34–42 wendet sich schließlich dem Geschick der zweiten Generation zu, deren Anspruch auf das Land durch die Sünde der Väter ebenfalls verwirkt ist. Mit den Verfehlungen im Land vollziehen die Söhne im Nachhinein den Tatbestand für das bereits in der Wüste gefällte Urteil, so dass sie schließlich in der Zerstreuung von Exil und Diaspora wieder in die Hände der Feinde fallen. Die Darstellung dieser Geschichte des Unglaubens wird in V 1–5 von einer hymnischen Einleitung eröffnet, die zum Lobpreis Jhwhs und seiner 104
Ebenso DUHM , KHC 14, 387f.; GUNKEL, Psalmen, 468; KRAUS, BK XV/2, 900. 906; MATHIAS, Geschichtstheologie, 160f.; KOENEN, Jahwe, 46; HOSSFELD, HThK.AT III, 123f.; LEUENBERGER , Konzeptionen, 212f. Anders argumentiert B ALLHORN, Telos, 133–135, dafür, in V 48 den ursprünglichen Abschluss des Psalms zu sehen.
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ewig währenden Gnade (חסד, V 1) aufruft. Diesem hymnischen Auftakt korrespondiert als hinterer Rahmenteil ein positiver Schlussabschnitt, der von der Schicksalswende der zweiten Generation erzählt. Das Gedenken an den Bund und die Fülle der göttlichen Gnade (ויזכר להם בר יתו וינחם כרב חסדו, V 45) sind die Beweggründe für das göttliche Erbarmen und damit die Grundlage, auf der die Sprechergruppe für sich selbst die Sammlung aus den Völkern erbitten kann. Das Gegenüber von Sündengeschichte im Hauptteil einerseits und hymnischer Einleitung und Heilsausblick in den Rahmenteilen andererseits hat in der Frage der Textgattung zu Diskussionen geführt. Wenn in der Disparatheit der Formmerkmale nicht gerade der spezifische Sitz im Leben gesucht (und gefunden) wird,105 ist entweder der hymnische Charakter oder die Funktion als „Generalbeichte Israels“ 106 in den Vordergrund gestellt worden. Alternativ versucht gerade die redaktionsgeschichtlich orientierte Forschung, das Gegenüber unterschiedlicher Formelemente durch eine sekundäre Rahmung des ursprünglich selbständigen Geschichtsrückblickes zu erklären. 107 M.E. ist es aber fraglich, ob sich ein selbständiger Text ohne die Rahmenstücke in V 1–5 und V 44–47(48) rekonstruieren lässt. Vielmehr zeigen durchlaufende Erklärungsmuster wie der Verweis auf die göttliche Gnade, das Glaubensmotiv oder der Aufruf zum Dank, dass die übermächtige Gnade Gottes gerade gegenüber dem wiederkehrenden Unglauben des Volkes gepriesen werden soll.108 Letztlich ist es die geschichtliche Erfahrung des göttlichen Erbarmens, die es den Betern von Ps 106 erlaubt, trotz der Erkenntnis um die eigene Sündigkeit die Rettungsbitte an den Gott Israels zu richten. Der Psalm entzieht sich deshalb als Ganzes der genauen Zuordnung zu einer Textsorte; es wird aber deutlich, dass das in Form eines Geschichtsabrisses im Hauptteil entfaltete Sündenbekenntnis in V 6 bereits im Lichte des hymnischen Lobpreises von Jhwhs Gnade gelesen werden will. Über die Beobachtung, dass der Psalm unterschiedliche Formmerkmale in sich vereinigt, wird man hier deshalb nicht hinauskommen.
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Vgl. B EYERLIN, nervus rerum, 63f. GUNKEL, Psalmen, 464 (dort gesperrt); die formgeschichtliche Präponderanz des Sündenbekenntnisses vertreten ebenso CRÜSEMANN, Studien, 77 Anm. 3; HAGLUND, Historical Motifs, 63; KREUZER , Frühgeschichte, 240f.; FÜGLISTER , Psalm 105, 42, während MATHIAS, Geschichtstheologie, 175–178, die hymnischen Elemente in den Vordergrund stellt; vgl. zu der formgeschichtlichen Frage ausführlich P RÖBSTL, Rezeption, 112–124. 107 Die literarkritische Lösung vertreten KOENEN, Jahwe, 96–98; SEYBOLD, HAT I/15, 421.424; SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 245–247, und LEUENBERGER , Konzeptionen, 206.209–212. 108 Ähnlich unterscheidet GÄRTNER , Torah, 485, in Ps 106 die menschliche Perspektive (Schuldgeschichte) und die göttlichen Dimension (Jhwhs Gnade). 106
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Mit der Bitte um Rettung aus den Völkern (V 47) verrät der Psalm seinen nachexilischen Standpunkt. 109 Die Gegenwartssituation wird durch die weltweite Zerstreuung bestimmt, wobei der Rekurs auf die Geschichte dem flehentlichen Appell an Jhwh dient, sein Volk aus der Diaspora heimzuführen. Im Nachfolgenden ist der Psalm nur noch punktuell in den Versen V 4f., V 7* []בים סוף, V 23b, V 38bc, V 48 erweitert worden. Die Nachträge in V 4f., V 7*, V 23b und V 38bc ergänzen die Psalmaussage um Einzelaspekte, die den engeren literarischen Kontext im Psalm im Blick haben. So verweist die Bitte um Teilhabe an der Gemeinschaft der Erwählten (בחיריך, V 5) in 106,4f. auf das Ende des vorausgehenden Psalms 105,43. Dort werden die von Jhwh aus Ägypten herausgeführten Israeliten ebenfalls als Auserwählte ( )בחיריוbezeichnet, so dass in der jetzigen Psalmenabfolge die Proselytenbitte von Ps 106 klar auf das im vorhergehenden Psalm eingeführte Volk Israel bezogen ist. Während die zusätzliche Ortsangabe בים סוףin V 7 die Verbindungen zur erzählenden Überlieferung in Ex 13,18; 15,4.22 verstärkt, 110 hat die Ergänzung von Ps 106,23b einen Hintergrund in der prophetischen Literatur, indem die Zeichnung von Mose mit Zügen des idealen Propheten nach Ez 13,5; 22,30 weiter ausgestaltet wird. Im Gegensatz zu den falschen Propheten, deren Fehlverhalten in Ez 13 aufgedeckt wird, erfüllt Mose seine Fürbittfunktion, indem er in die Bresche tritt und den Vernichtungsbeschluss Gottes abwendet. Eine nähere inhaltliche Ausgestaltung verfolgt schließlich die Einschreibung von Ps 106,38bc. Der verantwortliche Ergänzer missversteht allerdings den Bezug des ursprünglichen Textbestandes in 106,38ad auf die Asylgesetzgebung und identifiziert das unschuldig vergossene Blut mit dem Blut der Kinderopfer aus 106,37. 111 Damit bleibt nur noch die Anfügung der abschließenden Doxologie in 106,48, deren psalterredaktioneller Charakter bereits aufgezeigt worden ist. 2.3 Zum literarischen Verhältnis Nachdem Ps 105 und 106 in den vorausgehenden Abschnitten je für sich analysiert worden sind, ist nun nach dem literarischen Verhältnis der zwei Psalmen zueinander zu fragen. Die Zusammengehörigkeit der beiden Texte ist schon immer gesehen worden, wobei insbesondere ZIMMERLIS Ein-
109 Diese Einordnung entspricht dem breiten Konsens, vgl. exemplarisch P RÖBSTL, Rezeption, 178; HOSSFELD, HThK.AT III, 124; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 243. 110 Vgl. dazu auch u. Kap. 3.2. 111 Vgl. GUNKEL, Psalmen, 467 („falsche Glosse“); KRAUS, BK XV/2, 905 („Durch die spätere Glosse […] ist 38 fälschlich in Zusammenhang mit 37 gedeutet worden“); zu rückhaltender urteilt MATHIAS, Geschichtstheologie, 195f., der über 2 Kön 21,6 einen Zusammenhang zwischen Blutschuld und Kinderopfer herstellen will.
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ordnung als „Zwillingspsalmen“112 weite Aufnahme gefunden hat. Die Gründe für die Paarung der beiden Texte liegen auf der Hand: Beide Psalmen bieten in unmittelbarer Abfolge eine Darstellung der Geschichte Israels und sind durch Stichwortverbindungen aufeinander bezogen. So kennzeichnet in beiden Psalmeingängen die Toda-Formel die Intention der Beter, Jhwh zu preisen; dabei tritt in Ps 106,1 aber die ausführliche Variante der Formel auf (הודו ליהוה, 105,1; הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו, 106,1). Neben der parallelen Aufforderung zum Dank kennzeichnet auch die Halleluja-Rahmung in 105,45; 106,1.48 die beiden Psalmen als zusammengehörig, wobei dieses Element aber auf eine redaktionelle Bearbeitung zurückzuführen ist. Auch inhaltlich gibt es eine Reihe von Motiven, die die zwei Psalmen verbinden. So berühren sie sich in der Rede vom heiligen Namen Jhwhs, zu dessen Rühmung in 105,3 aufgerufen wird ()התהללו בשם קדשו, während der Lobpreis des heiligen Namens in 106,47 als Dank für die Rettungstat Jhwhs in Aussicht gestellt wird. Darüber hinaus teilen die Psalmen spezielles Vokabular wie die Bezeichnung Ägyptens als Land Hams (ארץ חם, 105,23.27; 106,22),113 die Ägypter als Hassfeinde Israels (לשנא עמו, 105,25; מיד שונא, 106,10) oder die Wurzel שמרin Verbindung mit Gesetzesterminologie (ישמרו חקיו, 105,45; שמרי משפט, 106,3). Schließlich spielt auch die Bundeserinnerung in den zwei Psalmen eine Rolle (זכר לעולם בריתו, 105,8; ויזכר להם בריתו, 106,45), wobei der Bund in Ps 105 aber die bestimmende Kategorie der Gottesbeziehung ist, während er in Ps 106,45 nur an einer Stelle erwähnt wird und der göttlichen Gnadenthematik untergeordnet ist. Lassen bereits die Berührungen unterschiedliche Akzentsetzungen erkennen, so kann diese Beobachtung durch den Aufweis weiterer Differenzen substantiiert werden. So fällt zuerst auf, dass die zwei Psalmen in ihrer Abfolge keine kontinuierliche Geschichtsdarstellung bieten, sondern sich in der Auswahl der Ereignisse überschneiden. Während Ps 105 auf die Ereignisse von Erzväterzeit und Exodus konzentriert ist, reicht der in Ps 106 behandelte Ausschnitt der Geschichte von Ägypten bis zum Exil. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass die Psalmen sich in Stil und Darstellung wesentlich unterscheiden. Im Fall von Ps 105 konnte gezeigt werden, dass die eigentümliche Tempusgestaltung mit vorherrschendem Perfekt die Faktizität der Ereignisse zur Begründung des Lobpreises hervor– hebt, während in Ps 106 mit dem Narrativ das Erzähltempus dominiert. 112 Die Bezeichnung „Zwillingspsalmen“ für Ps 105 und 106 hat ZIMMERLI in seinem gleichnamigen Aufsatz über Ps 111f. und Ps 105f. geprägt (vgl. zu Ps 105f. ZIMMERLI, Zwillingspsalmen, 267–270). 113 Über Ps 105f. hinaus ist der Begriff ארץ חםnur noch in Ps 78,51 belegt; vgl. dazu u. Kap. 3 3.1.
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Der Hauptunterschied liegt allerdings in der Interpretation der geschichtl ichen Ereignisse: Ps 105 stellt die Geschichte durchweg als Heilsgeschichte unter göttlicher Führung dar, während in Ps 106 die biblische Geschichte als Geschichte des Unglaubens auf Seiten des Volkes erzählt wird. Die aufgezeigten Unterschiede sind gewichtig genug, um die Zwillingspsalmen unterschiedlichen Verfassern zuzuweisen, wobei aber noch zu klären bleibt, ob sie durch einen Redaktor nebeneinander gestellt wurden oder ob der eine Text als Ergänzung des anderen abgefasst worden ist. 114 Der Schlüssel zum gegenseitigen literarischen Verhältnis liegt m.E. in der unterschiedlichen Gewichtung der Bundestheologie, die Ps 106 als nachträgliche Reaktion auf Ps 105 erklärbar macht.115 Das entscheidende theologische Motiv in Ps 106 ist die Gnade Gottes (חסד, 106,1.7.45),116 die im Psalmeingang das Wesen Gottes charakterisiert, deren Vergessen den ersten Abfall in Ägypten hervorruft und die das Erbarmen Gottes inhaltlich begründet. Dagegen ist das Bundesgedenken, das in 106,45 als Ausdruck des göttlichen Erbarmens gemäß seiner Gnadenfülle dargestellt wird, in der Geschichtsdarstellung von Ps 106 nicht vorbereitet. Es wird aber verständlich als Reflex auf die vorliegende Bundestheologie von Ps 105, die in Ps 106 nachträglich mit der Vorstellung der göttlichen Gnade zusammengedacht werden soll.117 Der Autor des ursprünglichen Psalm 106* ergänzt die Bundesverheißung von Ps 105 durch den Aspekt der Unheilsgeschichte, wobei er die Bundeserinnerung inhaltlich mit dem Gedanken der 114 Die Frage wird in der Forschung weitgehend unberücksichtigt gelassen; die klass ische Position bietet ZIMMERLI, Zwillingspsalmen, 269f., der davon ausgeht, dass die zwei Psalmen „zusammengepaart“ wurden. Auf eine formative Redaktion, die im Bereich der Komposition Ps 101–106 ältere Einzeltexte durch redaktionelle Eigenformulierungen zu Psalmenpaaren zusammengestellt habe, will LEUENBERGER , Konzeptionen, 245, das Psalmenpaar Ps 105f. zurückführen (vgl. dazu auch u. Anm. 117); ähnlich handelt HOSSFELD, HThK.AT III, 110–112.138, in der Redaktionskritik zu den Psalmen 101–106 die beiden Texte Ps 105f. als Paar ab (anders noch DERS., Universalgeschichte, 308, wo die literarhistorische Abfolge Ps 105 – Ps 106 vertreten wird). Auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 289, lässt das Verhältnis letztlich ungeklärt, wenn sie urteilt: „dass beide Psalmen in Bezug zueinander entstanden sind und somit von einem Doppelpsalm 105f auszugehen ist“; vgl. zu den Verbindungen zwischen den zwei Psalmen auch ausführlich GÄRTNER , a.a.O., 244–259. 115 Ähnlich spricht auch HOSSFELD, Universalgeschichte, 306 (vgl. DERS., HThK.AT III, 111), von der priesterlichen Bundestheologie in Ps 105,8.10.42 und 106,45 als „Hauptbindeglied“. 116 Vgl. dazu o. Kap. 2.2 und die Verweise auf die Sekundärliteratur in den entsprechenden Anmerkungen. 117 Zum Bezug von Ps 106,45 auf die Bundesvorstellung in Ps 105 vgl. auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 245. Er legt allerdings aufgrund einer abweichenden literar ischen Analyse eine „zweipolig gestaltete Überarbeitung“ (LEUENBERGER , a.a.O., 245) zugrunde, bei der er zwar grundsätzlich die Priorität von Ps 105* vertritt, aber davon ausgeht, dass die Redaktion von Ps 105 wiederum auf Ps 106 reagiere.
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göttlichen Gnade ausgestaltet, die die entscheidende Notwende bringen soll und kann. Diese literarische Verhältnisbestimmung kann die Aussageabsicht von Ps 106 weiter profilieren. Als Interpretation von Ps 105 liegt in Ps 106 eine Reflexion über die Frage vor, warum das Volk sich gegenwärtig nicht im Besitz des Landes befindet, der doch Inhalt der Bundesverheißung von Ps 105 ist. Der Autor des späteren Psalms 106 wehrt der möglichen Vermutung, dass Jhwhs seines Bundes nicht treu sei, sondern erklärt den Verlust des Landes mit dem fortwährenden Unglauben des Volkes, das dadurch den Landbesitz verspielt hat. Angesichts der Unheilsgeschichte kann Gott nicht bei seiner Bundesverheißung behaftet werden, sondern die Erinnerung an den Bund in Ps 106,45 ist allein Ausdruck des göttlichen Erbarmens. Mit dem Unglauben des Volkes greift der Psalm auf den in 105,45 eingeführten Gesetzesgehorsam zurück, mit dem die Möglichkeit der Sünde bereits in Ps 105 angelegt ist. In Form des Unglaubens wird das Thema des Gesetzesgehorsams als Unheilsgeschichte in Ps 106 ausgezogen und erklärt so den Verlust des Landes. Dies erlaubt aber zugleich, das Fehlverhalten der geschichtlichen Väter als vermeidbar darzustellen, so dass der Autor von Ps 106* mit der einleitenden Seligpreisung derer, die Recht und Gerechtigkeit üben (אשרי שמרי משפט עשה צדקה בכל עת, 106,3), den Psalmbetern die Notwendigkeit des Gesetzesgehorsams einschärft. Zwar können die Beter die göttliche Gnade anrufen, aber der Psalmeingang macht deutlich, dass von ihnen ein entsprechendes (Tora-)gerechtes Handeln gefordert ist. 118 Nachdem auf diese Weise das literarische Verhältnis der beiden Zwillingspsalmen geklärt worden ist, soll im Folgenden genauer untersucht werden, welche Rückschlüsse die Rezeption der erzählenden Überlieferung auf das Geschichtsverständnis der Texte zulässt. Dabei ist insbesondere auch die Nähe der zwei Psalmen zu Ps 78 und der Gruppe der AsaphPsalmen zu berücksichtigen, der die Zwillinge ihre Bezeichnung als „Deutero-Asaphiten“119 verdanken.
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Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 126: „Aus der Sündengeschichte Israels ziehen die Psalmbeter die Konsequenz, dass sie ganz auf JHWHs Rettung, Liebe und Erbarmen angewiesen sind, damit sie wieder wie zu Anfang in V 12 seinen Lobpreis singen kö nnen. Die Seligpreisung hält darüber hinaus fest, dass sie mit der Gnade mitwirken mü ssen.“ Zum Zusammenhang der Seligpreisung in 106,3 mit dem Psalmschluss in 105,45 vgl. auch KOENEN, Jahwe, 98, und KÖCKERT, Beobachtungen, 278. 119 Die Bezeichnung geht zurück auf NASUTI, Tradition History, 190 u.ö. („deuteroAsaphite psalms“).
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3 Von den Vätern bis zum Exil: Geschichtstheologie in den Zwillingspsalmen 3 Von den Vätern bis zum Exil
3.1 Der Väterbund als grundlegendes Heilsereignis: Psalm 105 Die Analyse von Ps 105 hat bereits gezeigt, dass der Hymnus Ps 105 das Lob von Gottes Bundestreue in den Vordergrund stellt, die geschichtlich im Väterbund mit seiner Landverheißung verankert wird. 120 Im Folgenden ist nun genauer danach zu fragen, welche Aspekte der biblischen Geschichte in Ps 105 rezipiert werden und welches Interesse sich in Auswahl und Anordnung der Themen verrät. Die hymnische Einleitung in 105,1–7 stellt in doppelter Hinsicht die Weichen für das Thema des geschichtlichen Hauptteils. So enthalten die Aufforderungen, über die göttlichen Wunder nachzusinnen (שיחו בכל נפלאותיו, 105,2) und dieser zu gedenken (זכרו נפלאותיו, 105,5) mit dem Partizip פלאeinen Terminus, für den bereits gezeigt wurde, dass er formelhaft die Ereignisse der Geschichte Israels zusammenfasst.121 Als Parallelbegriff zu den Wundern wird gleich am Anfang des Psalms in 105,1 auch zur Verkündigung der göttlichen Taten ( )עלילותיוaufgerufen. Das Lemma עלילהbezeichnet zwar die göttlichen Machttaten generell, wird aber in Ps 78,11 und 103,7 ebenfalls mit Bezug auf die biblische Geschichte verwendet.122 Die Erinnerung an die Taten Gottes in Ps 105 ist damit von Anfang an geschichtlich qualifiziert. Die zweite Weichenstellung erfolgt durch die Anrede der Adressaten als Nachkommen der Erzväter Abraham und Isaak (105,6), die signalisiert, dass die Abstammung von den biblischen Erzvätern heilsentscheidend ist. Worin die Heilsbedeutung der Erzväter liegt, zeigt der grundlegende Abschnitt über den Väterbund in Ps 105,8–11. Die terminologischen Bezüge lassen erkennen, dass zwei literarische Überlieferungsbereiche konstitutiv für die Bundesvorstellung von Ps 105 sind: die Bundestheologie der Priesterschrift und die dtn.-dtr. Bundestheologie mit einem Schwerpunkt auf dem Davidbund von Ps 89. 123 Die priesterschriftliche Bundes120 So sieht auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 144, in der Bundestreue Jhwhs in Ps 105 den „hermeneutischen[n] Schlüssel zur Geschichte Jhwhs mit seinem Volk“. 121 Vgl. dazu o. Kap. II. 1.3. 122 Es wird noch zu zeigen sein, dass sowohl Ps 78 in seiner literarischen Endgestalt als auch Ps 107 in Ps 105 bereits vorausgesetzt sind; vgl. dazu im Folgenden und u. Kap. 4.3. 123 Vgl. dazu grundlegend SCHNOCKS, Bund, sowie das Urteil von HOSSFELD, Universalgeschichte, 298: „Die Väterbundtheologie von [Ps 105] V 8–11 hat zwei Vorgänger: eine in den Psalmen 78 und 89 weiterentwickelte dtr Bundestheologie und die G eschichtskonzeption der Priesterschrift.“ Eine ausführliche Analyse mit Angabe der Be-
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theologie hat in mehrfacher Hinsicht auf die Darstellung des Bundesschlusses im Psalm eingewirkt. Zuerst wird die Beschreibung des Bundes durch Verweise auf seinen dauerhaften Charakter in 105,8a (זכר לעולם )בריתוund 105,11b ( )לישראל ברית עולםgerahmt, die das priesterschriftliche Verständnis des Bundes als eines ewigen Bundes (ברית עולם, Gen 9,16; 17,7.13.19; vgl. Gen 9,12) aufnehmen. 124 Dass Gott seines Bundes gedenkt (זכר, Ps 105,8a) findet sich als göttlicher Vorsatz beim Noahbund (וזכרתי את בריתי, Gen 9,15; לזכר ברית עולם, 9,16) sowie als Erinnerung an den Väterbund in den priesterschriftlichen Belegen Ex 2,24; 6,5, Lev 26,42.45. Von besonderem Interesse sind hier die Texte in Exodus und Leviticus, da sie wie Ps 105,9f. die Vätertrias Abraham, Isaak und Jakob als Bundespartner nennen. Zwar erzählt die Priesterschrift allein von einem Bundesschluss mit Noah (Gen 9) und Abraham (Gen 17), aber der Bund mit Abraham ist von vornherein auf Fortsetzung mit der (ehelichen) Nachkommenschaft angelegt, so dass Isaak – im Unterscheid zu seinem Halbbruder Ismael – genealogisch als Bundespartner qualifiziert wird (17,19.21). In gleicher Weise zeigen Ex 2,24; 6,2–6 und Lev 26,42, dass auch Jakob als Bundespartner angesehen wird, und ein Text wie Gen 35,12 weitet die Abraham und Isaak im Bund gegebene Landverheißung ausdrücklich auf Isaak aus. Eine Nähe zum priesterschriftlichen Überlieferungsbereich verrät ferner die Formulierung vom Aufstellen (עמד, Ps 105,10) des Bundes, die dem priesterschriftlichen Vorzugsvokabular ‚den Bund errichten‘ ()קום ברית recht nahe kommt. 125 Wie bereits erwähnt, wird der Bund in Ps 105,11 inhaltlich durch die Landverheißung gefüllt, (לאמר לך אתן את ארץ כנען חבל )נחלתכם, die in Anlehnung an die priesterschriftlichen Verheißungstexte Gen 17,8 und Ex 6,4 formuliert ist. 126 Durch die Aufnahme der Bezeichnung als ‚Kanaan‘ ( )כנעןmacht der Autor von Ps 105 den Bezug auf die priesterschriftlichen Landverheißungen deutlich.127 Das Motiv der Fremdheit (ארץ מגריך, Gen 17,8; ארץ מגריהם אשר גרו בה, Ex 6,4) findet zwar keine Aufnahme im Zitat Ps 105,11, wird aber zum leitenden Prinzip der nachzugstexte haben auch FÜGLISTER , Psalm 105, 47–53, und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 151–159, vorgelegt. 124 Über die Priesterschrift hinaus ist die Bezeichnung ‚ewiger Bund‘ ( )ברית עולםauch in der Verheißung der ewigen Dynastie an David (2 Sam 23,5; Jes 55,3), bei Opfer bestimmungen (Lev 24,8; Num 18,19) und in den Heilsverheißungen der Prophetenbücher belegt, vgl. dazu SCHMID, Buchgestalten, 101f.; ferner KLEIN, Schriftauslegung, 180f. 125 So auch FÜGLISTER , Psalm 105, 52; SCHNOCKS, Bund, 200. 126 Gen 17,8: ; ונתתי לך ולזרעך א חריך את ארץ מגריך את כל ארץ כנען לאחזת עולםEx 6,4: לתת להם את ארץ כנען את ארץ מגריהם אשר גרו בה. 127 Die Bezeichnung כנעןist im Psalter überhaupt nur in den drei Geschichtspsalmen 105,11; 106,38 und 135,11 belegt, wobei es sich in 105,11 um den literarhistorisch älte sten Beleg handelt.
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folgenden Geschichtsdarstellung (vgl. 105,12.23). Anstelle der Charakterisierung des Landes als Fremde tritt in 105,11 als neuer Akzent die Bezeichnung des Landes als zugemessenes Erbe ( חבל נחלתכם, 105,11); eine Benennung, die Parallelen im Moselied Dtn 32,9 ( )חבל נחלתוund dem Geschichtspsalm 78,55 ( )ב חבל נחלהhat. Während das Moselied explizit das Volk als göttliches Erbe begreift, verwendet Ps 78 den Ausdruck ח בל נחלה vergleichbar mit Ps 105 für die Übereignung des verheißenen Landes und betont darin den legitimen Erbanspruch des Volkes. Der parallele Gebrauch der seltenen Formulierung lässt bereits darauf schließen, dass ein literarisches Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ps 78 und 105 vorliegt; darauf wird im Folgenden bei der Analyse des Plagenzyklus zurückzukommen sein, dem in dieser Frage eine Schlüsselstellung zukommt. Die deutlichen priesterschriftlichen Bezüge in Ps 105,8–11 sind durch eine Reihe von Anleihen an die dtn.-dtr. Bundestheologie ergänzt worden.128 Neben die eher priesterschriftliche Vorstellung vom Aufrichten des Bundes (105,10) tritt in 105,9 das Schneiden des Bundes ( ;)כרת בריתdie Formulierung ist terminus technicus für die dtn.-dtr. Bundestheologie, wird aber auch für den nichtpriesterschriftlichen Bundesschluss mit Abraham verwendet (ביום ההוא כרת יהוה את אברם ברית, Gen 15,18). 129 In den dtr. Überlieferungsbereich verweist ferner die Erläuterung des Bundes als befehlendes Wort (דבר צוה, Ps 105,8). Das Verbum צוהwird hier mehrfach zur Umschreibung des Bundesschlusses verwendet (Dtn 4,13; 28,69; Jos 7,11; 23,16; Ri 2,20; 1 Kön 11,11; 2 Kön 17,35; 18,12). 130 Das Verständnis des Bundes als Wort geht dagegen direkt auf das Deuteronomium zurück, wo דברin Dtn 9,5 als Parallelbegriff für den Väterbund verwendet wird ()ולמען הקים את הדבר אשר נשבע יהוה לאבתיך. Das göttliche Wort ist in Ps 105 „der eigentliche Motor der Geschichte“,131 da es als Bundeswort mit der Landverheißung das Geschehen in Gang setzt und im Weiteren den Fortlauf der Geschichte bestimmt (vgl. דבר, 105,8.19.27.28.42). Dementsprechend motiviert im letzten Abschnitt der Geschichtsdarstellung die Erinnerung an den Bund als Gottes heiliges Wort (דבר קדשו, 105,42) Exodus und Landgabe, so dass sich der Bogen von Verheißung und Erfüllung schließt. 128 Vgl. das Urteil von B ALLHORN, Telos, 128: „Gleichzeitig kommen aber auch deuteronomisch-deuteronomistische Versatzstücke vor“; siehe auch o. Anm. 123. 129 Vgl. zum Gebrauch von כרת בריתW EINFELD, Art. ב ר ית, 787f.; der Ausdruck hat seine breiteste Bezeugung im Deuteronomium (Dtn 4,23; 5,2.3; 7,2; 9,9; 28,69; 29,11. 13.24; 31,16) und im Jeremiabuch (Jer 11,10; 31,31.32.33; 32,40; 34,8.13.15.18). 130 Vgl. darüber hinaus 1 Chr 16,15; Ps 111,9; Jer 11,8. Von diesen Belegen kann 1 Chr 16,15 als Aufnahme von Ps 105,8 gelten. Als thematische Weiterentwicklung ist ferner Ps 111,9 anzusprechen, vgl. dazu o. Kap. II. 2.4.2. 131 FÜGLISTER , Psalm 105, 51; zur Bedeutung des Wortmotivs ( )דברin Ps 105 vgl. auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 179.
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Die Verbindung von דברmit dem Verbum ‚( שבעschwören‘) in Dtn 9,5 zeigt an, dass die Vorstellung des Bundes als Schwurwort im Hintergrund steht, die in einer Reihe von dtr. Texten belegt ist (vgl. Dtn 7,12; 8,18; Ri 2,1). Das Motiv findet sich auch in Ps 105,9, wobei die Verwendung des Nomens שבועהaber an Dtn 7,8f. als Hauptbezugstext denken lässt. Allein hier ist substantivisch vom Schwur an die Väter die Rede, den Jhwh eingelöst hat, indem er sie aus Ägypten herausführte (ומשמרו את השבעה אשר נשבע לאבתיכם הוציא יהוה אתכם ביד חזקה, 7,8). Die Texte berühren sich weiter in der Verwendung der Zeitangabe לאלף דורfür die Dauerhaftigkeit der göttlichen Zuwendung (Dtn 7,9; vgl. Ps 105,8),132 die in Dtn 7,9 allerdings nur denen gilt, die den treuen Gott ( )האל הנאמןlieben und seine Gebote halten. Schließlich ist noch auf den nichtpriesterschriftlichen Väterschwur an Isaak in Gen 26,2–5 zu verweisen, wo die Landverheißung als Inhalt des Bundesschwures an Abraham (שבועה, 26,3) auf Isaak übertragen wird. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die spätere literarische Überlieferung Bund und Landverheißung in der Verwendung des Parallelbegriffs שבועהals Schwur verstanden hat. In dieser Wortwahl wird der Verpflichtungscharakter des Bundes betont, der in Ps 105 allerdings nur für die göttliche Seite ausgesagt wird. Ungewöhnlich ist schließlich der dritte Parallelbegriff חקin Ps 105,10, der den Bund im Sinne einer unverrückbar aufgestellten Ordnung näher bestimmt ()ויעמידה ליעקב לחק.133 Zwar finden sich einige Texte im Alten Testament, die בריתund חקnahe aneinander rücken, 134 aber eine Parallelisierung nimmt über Ps 105,10 hinaus nur noch der Gesetzestext Num 18,19 vor, wo die Bestimmungen zum Hebopfer als ‚ewige Ordnung, ein ewiger Salzbund‘ ( )לחק עולם ברית מלחbezeichnet werden. 135 Im Rahmen von Ps 105 fällt aber auf, dass die abschließende Aussage über den Gesetzesgehorsam des Volkes in 105,45 auf die Einhaltungen der Ordnungen 132
Über diese beiden Stellen hinaus kommt die Formulierung nur noch in dem von Ps 105 abhängigen Beleg 1 Chr 16,15 vor. 133 So auch FÜGLISTER , Psalm 105, 52 („Satzung, d.h. eine feststehende Ordnung“); und HOSSFELD, Universalgeschichte, 298 („wohl im Sinne einer unzerstörbaren Festse tzung“). Beide verweisen in diesem Zusammenhang auf den späteren Beleg in Ps 148,6, wo der Begriff חקfür die Festsetzung der Schöpfungsordnung steht (vgl. FÜGLISTER , a.a.O., 52f.; HOSSFELD, a.a.O., 298). Zur Bedeutung von חקim Sinne einer Vorschrift oder gesetzlichen Ordnung vgl. grundsätzlich RINGGREN, Art. ָח ַק ק, 152–155. 134 Vgl. Jos 24,25; Jes 24,5; mit חקim Plural vgl. Ps 50,16; 2 Kön 17,15; 1 Chr 16,17; 2 Chr 34,31. 135 Eine plausible Erklärung für den Begriff ברית מלחbietet die Vermutung von L. SCHMIDT, ATD 7,2, 81, der diesen auf die konservierende Eigenschaft des Salzes zurückführt und darin eine Aussage der unverbrüchlichen Gültigkeit findet. Der Begriff ברית מלחist darüber hinaus nur noch in 2 Chr 13,5 belegt, wo er die Unverbrüchlichkeit des Davidbundes aussagt.
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( )חקיוabzielt. Die Verwendung von חקals Parallelbegriff zu בריתin der Einleitung kann deshalb auch als Vorbereitung auf den abschließenden Gesetzesgehorsam Israels verstanden werden, der bereits im Psalmeingang konstitutiv mit dem Bund verbunden wird. Mit dem Davidbund in Ps 89 hat die dtr. Bundestheologie einen prominenten Vertreter im Psalter, wobei der Psalm aufgrund seiner Stellung am Ende des dritten Psalmenbuches von besonderer Bedeutung für die Väterbundtheologie von Ps 105 ist. Ps 89 zeigt einen dreiteiligen Aufbau von hymnischer Einleitung (89,1–19), Gottesrede (89,20–38) und abschließender Klage (89,39–52).136 Der hymnische Teil führt mit den göttlichen Gnadenerweisen (חסדי יהוה, 89,2) und der göttlichen Treue (אמונתך, 89,2) als Gegenstand des Lobs die Leitmotive des Psalms ein. Weil der Bund Gottes mit seinem Knecht David (דויד עבדי, 89,21) Ausdruck dieser göttlichen Eigenschaften ist (חסד, 89,29.34; אמןni, 89,29; אמונה, 89,34), kommt ihm in besonderer Weise Dauerhaftigkeit und Unverbrüchlichkeit zu. 137 Diese manifestieren sich beim Davidbund in der Verheißung der ewigen Dynastie (89,30.37f.). Zwar beinhaltet die Zusage auch gewisse „gesetzliche Implikationen“138 für die davidische Nachkommenschaft (vgl. 89,31–35), aber da der Bund in der göttlichen Gnade und Treue gründet, dominiert der Charakter der göttlichen Selbstverpflichtung. 139 Mit der Betonung von Gnade und Treue erinnert der Davidbund in Ps 89 an den Bund in Dtn 7,9, der in gleicher Weise durch das Wesen Gottes als eines treuen und gnädigen Gottes bestimmt wird ()האל הנאמן שמר הברית והחסד, auch wenn der Bundesschluss hier sehr viel stärker auf die Inpflichtnahme des menschlichen Bundespartners zielt. Eine vermutlich nachträgliche Bearbeitung von Ps 89 in 89,4f. 140 verstärkt die Anleihen an die dtr. Bundestheologie. So wird der Bundesschluss mit dem Auserwählten David zuerst explizit mit dem dtn. Vorzugsverb כרת בריתbezeichnet und darüber hinaus wird der Schwurcharakter hervorgehoben (כרתי ברית לבחירי נשבעתי לדוד עבדי, 89,4; שבעzuvor schon in 89,36.50). Gerade in der Unverbrüchlichkeit des Davidbundes, in der sich das ureigene Wesen von Gott als eines treuen und gnädigen Gottes manifestiert, liegt das theologische Problem von Ps 89, der das Ende der davidischen 136 Vgl. EMMENDÖRFFER , Gott, 209, und HOSSFELD, HThK.AT II, 581; ähnlich auch RÖSEL, Redaktion, 135–137. Eine ausführliche Analyse bietet VEIJOLA, Verheißung, 22– 46. 137 Vgl. SCHNOCKS , Bund, 196. 138 HOSSFELD, HThK.AT II, 594. 139 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 594, und SCHNOCKS, Bund, 196f. 140 Zur Beurteilung dieser Verse als sekundär vgl. HOSSFELD, HThK.AT II, 582; anders VEIJOLA, Verheißung, 36.45, und EMMENDÖRFFER , Gott, 212, die einen ursprünglichen Zusammenhang zwischen 89,4f. und der Gottesrede im Mittelteil des Psalms sehen.
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Dynastie voraussetzt (vgl. 89,40).141 Mit dem offenkundigen Scheitern des Davidbundes werden die Gnade und Treue Gottes in Frage gestellt, so dass Ps 89 mit der bitteren Klage endet, was aus dem früheren Treueschwur an David geworden ist (89,50). Die inhaltlichen und terminologischen Berührungen zwischen Ps 89 und Ps 105 zeigen, dass der Autor von Ps 105 das Problem des gescheiterten Davidbundes löst, indem er in der biblischen Geschichte zum Väterbund zurückgeht. 142 Gilt in Ps 89,4 David als der Auserwählte ( )בחיריund Knecht Gottes ()לדוד עבדי, mit dem Gott seinen Bund schließt, sind diese Prädikationen in Ps 105,6 auf das Volk als Nachkommenschaft des Bundespartners Abraham übergegangen. An die Stelle des Davidbundes ist der Väterbund getreten, der die Verheißung der ewigen Dynastie mit der Landverheißung überschreibt, auf deren Erfüllung weiter gehofft werden kann. 143 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die theologische Grundlegung in Ps 105,8–11 unterschiedliche Bundestexte des Alten Testaments bündelt und auf zwei Punkte fokussiert: Als zentraler Bundesinhalt wird zuerst die unbedingte Verheißung des Landes hervorgehoben, dessen Zusage über die heilsgeschichtliche Linie der Väter (Gen 17; Dtn 26,2–5) auch für die Beter der (Psalm-)Gegenwart bleibende Gültigkeit hat.144 Darin erweist sich der Väterbund zweitens als geschichtliches Paradigma, in dem das politische und theologiegeschichtliche Scheitern des Davidbundes überwunden werden kann. Die Darstellung der Erzväterzeit in Ps 105,12–15 ist zuerst auf den Gegensatz zwischen der im Väterbund erfolgten Landverheißung und dem vorfindlichen Status der Erzväter als Fremde im verheißenen Land konzentriert. In 105,12 wird die Situation der Väterzeit mit den Aspekten der geringen Zahl (מתי מספר/ )מעטund des Fremdseins ( )גורbeschrieben. Während das Motiv des Fremdseins ein Leitmotiv der Erzvätererzählungen ist (vgl. גור, Gen 12,10; 20,1; 21,23.43; 26,3; 32,5; 35,27; 47,4), findet sich eine Aussage über die geringe Zahl des Volkes nur an wenigen Stellen. Die größte terminologische Nähe zu Ps 105,12 weist mit Dtn 26,5 ein Vers des kleinen geschichtlichen Credos auf, der die Aspekte von Fremdsein und geringer Zahl für die Beschreibung des Ägyptenaufenthalts verwendet ()וירד מצריםה ויגר שם במתי מעט. Als weiterer theologischer Zentraltext ist Dtn 7,7 zu nennen, wo die zahlenmäßige Unterlegenheit des Volkes (המעט )מכל העמיםgerade die Erwählung zum Gottesvolk begründet. Ist die geringe Größe des Volkes in den behandelten Belegen im positiven Sinne Zeichen der Auserwählung, kehren zwei Texte im Deuteronomium diese Konnotation um: Während Dtn 4,27 die Zerstreuung als geringes Häufchen 141
Zu dieser Problemanzeige vgl. SCHNOCKS, Bund, 197. Vgl. SCHNOCKS, Bund, 199. 143 Zum Verhältnis von Ps 89 und 105 vgl. weiter u. Kap. 4.3. 144 Vgl. zu diesem Aspekt auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 159. 142
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unter die Völker androht ()ונשארתם מתי מספר בגוים, kündigt die Fluchbestimmung Dtn 28,62 dem Volk die Revokation der dem Abraham gegebenen Mehrungsverheißung an, so dass nur eine geringe Zahl übrig bleiben wird ()ונשארתם במתי מעט.145 Der zweite Aspekt, unter dem die Vätererzählungen in Ps 105 rezipiert werden, ist der Schutz des Volkes durch seinen Gott. Dieser zeigt sich zuerst in der Zurechtweisung fremder Herrscher, die Israel unterdrücken wollen (לעשקם, 105,14). Insbesondere das wörtliche Zitat der göttlichen Ermahnung, die Gesalbten Gottes ( )משיחיund seine Propheten ( )נביאיnicht anzutasten (105,15) lässt vermuten, dass hier eine Anspielung an die Ahnfrauenerzählungen vorliegt. 146 Denn der Titel des Propheten wird in der Genesis allein Abraham beigelegt (כי נביא הוא, Gen 20,7), 147 als Gott Abimelech im Traum erscheint, um ihn zur Rückgabe Sarahs zu bewegen. Der Autor von Ps 105 setzt eigene Akzente, indem er vergleichbar mit der Kollektivierung der Bundesverheißung dem ganzen Volk die Prophetenwürde zueignet. In gleicher Weise wird der Titel des Gesalbten in 105,15 kollektiviert, wobei einerseits das königliche Auftreten Abrahams in Gen 14; 17,6 im Hintergrund stehen könnte, 148 andererseits aber auch der Davidbund von Ps 89 (משיח, 89,39.52) eine Rolle spielt. Als Nachkommen Abrahams und Erben des Davidbundes sind die Israeliten Propheten und Gesalbte. Das Auslegungsinteresse des Autors von Ps 105 verrät ferner die Wahl des Verbums עשקfür die Ermahnung der fremden Herrscher, das ohne Parallele in der erzählenden Überlieferung ist. Es begegnet in Jes 52,4; 54,14149 und Jer 50,33 für die Unterdrückung des Volkes durch fremde Großmächte und ist in Am 4,1; Mi 2,2 ein Terminus der prophetischen Sozialkritik. 150 In diesem Sinne wird עשקauch im näheren Kontext Ps 103,6 für die Unterdrückten verwendet, denen Gott zu ihrem Recht verhelfen wird. Der Autor von Ps 105 wählt damit bewusst ein Verbum, mit dem die Notsituation der bedrohten Ahnfrau durch ein Szenario ersetzt wird, in dem die Bedrückung im Exil und die Not sozialer Benachteiligung zur Sprache kommen. 145 Zu מתי מספרvgl. neben den oben aufgeführten Stellen nur noch Gen 34,20 (profane Verwendung im Sinne der militärischen Unterlegenheit); Dtn 33,6 (Segenswunsch für Ruben) und Jer 44,28 (für die Rückkehr des Rests Judas aus Ägypten). 146 So schon KRAUS, BK XV/2, 894; ihm folgt HOSSFELD, HThK.AT III, 104. 147 Nach I. FISCHER , Erzeltern, 371f., handelt es sich bei Gen 20,7 um eine nachexilische Bearbeitung. 148 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 105; so auch HAGLUND, Historical Motifs, 23. In Gen 14 setzt sich Abraham als königlicher Kriegsherr gegen die fremden Könige durch, während ihm in Gen 17,6 verheißen wird, dass Könige aus ihm hervorgehen werden. 149 Angesprochen ist in Jes 54,14 die personifizierte Frau Zion, in der allerdings eine Mittlerin für das im Exil leidende Volk gesehen werden kann. 150 Vgl. dazu generell GERSTENBERGER , Art. עָשׂק, 442–445.
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Die Josephsgeschichte in Ps 105,16–23 bietet insgesamt eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten von Gen 37–50.151 Die Untersuchung des gebrauchten Vokabulars zeigt, dass die Darstellung der Ereignisfolge in besonderem Maße an der Szene Gen 45,1–15 orientiert ist, in der Joseph sich seinen Brüdern zu erkennen gibt. 152 Bei dem Wiedersehen entlastet Joseph die Brüder zuerst durch die Aussage, dass sein Verkauf Teil des göttlichen Planes war, der Josephs Voraussendung nach Ägypten vorsah ( כי מכרתם אתי הנה למחיה שלחני אלהים לפניכם, Gen 45,5). Diese theologische Ausdeutung wird vom Autor des Psalms übernommen und überschriftartig an den Anfang des Abschnittes gestellt (שלח לפניהם איש לעבד נמכר יוסף, Ps 105,17). Dabei greift er auch das Motiv der Hungersnot auf, die in Gen 45,6f. erst sekundär zur Erläuterung der Sendung Josephs herangezogen wird (וישלחני אלהים לפניכם, 45,7).153 Im Psalm steht die Hungersnot aber am Anfang des göttlichen Plans und wird explizit auf Gott als ihren Verursacher zurückgeführt ( ויקרא רעב על הארץ, 105,16). Die Wachstumsgeschichte von Gen 45 kennt noch eine dritte Aktualisierung des göttlichen Planes, derzufolge Gott Joseph nach Ägypten schickt ()שלח, um ihn zum Herrscher über das Land zu machen (45,8). Dazu gehört auch die Einsetzung zum Herrn über das Haus des Pharao (וישימני … ולאדון לכל ביתו, 45,8).154 Der Verfasser von Ps 105 verarbeitet diesen Gedanken, indem er die Einsetzung Josephs zum Herrn aus dem direkten Zusammenhang mit der Sendungsabsicht löst und ihn zu einer Station in der Aufstiegsgeschichte Josephs stilisiert (שמו אדון לביתו, 105,21). Die Reihe von wörtlichen Anleihen zeigt hinreichend, dass Gen 45,1– 15 dem Autor von Ps 105 als Vorlage gedient hat, wobei er vor allem das Vorzeichen der göttlichen Sendungsabsicht zur Interpretation der Josephsgeschichte herangezogen hat. 155 Darüber hinaus schmückt er das Gesche151
Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 140f.; HOSSFELD, HThK.AT III, 105. MAa.a.O., 141, weist zu Recht darauf hin, dass die Darstellung in Ps 105,16 –23 die Kenntnis der erzählenden Überlieferung voraussetzt, da für das Verständnis wichtige Angaben wie z.B. die Gründe für die Festnahme Josephs fehlen. 152 Literarischer Kern der Szene ist vermutlich eine einfache Beschreibung des Wiedersehens (45,1.15), die im weiteren literarischen Wachstum durch eine Reihe von Nac hträgen bearbeitet worden ist; vgl. zur literarischen Analyse LEVIN, Jahwist, 298–300, und KRATZ, Komposition, 284 153 Das Motiv der Hungersnot in Gen 45,6f. kann als sekundäre Erläuterung der lit erarisch vorausgehenden Zielangabe ‚( למחיהzur Lebenserhaltung‘) in Gen 45,5 erklärt werden; vgl. LEVIN, Jahwist, 299. 154 Zur literarischen Beurteilung vgl. LEVIN, Jahwist, 299. Eine literarkritische Differenzierung dieser dritten Sendungsaussage nehmen auch DIETRICH, Josephserzählung, 38f., und RUPPERT, Genesis, 311f., vor. 155 Die Bedeutung der zentralen Szene Gen 45 sieht auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 168. Ihr zufolge wird in der Voraussendung Josephs nach Ägypten (Ps 105,17) eine Metaperspektive eröffnet, in der die Psalmbeter wie die Brüder vor Joseph stehen und THIAS,
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hen aber durch eine Reihe von Aspekten aus, die einen anderen literarischen Hintergrund haben. So berührt sich die einleitende Aussage über die Herbeirufung der Hungersnot in 105,16a terminologisch mit 2 Kön 8,1 (כי )קרא יהוה לרעב, während das Zerbrechen des Brotstabes auf die Fluchbestimmung in Lev 26,26 ( ;בשברי לכם מטה לחםvgl. Ez 4,16) verweist. An der Beschreibung der Gefangenschaft Josephs fällt dagegen auf, dass die Umstände, die nach Gen 39 zu seiner Gefangenschaft geführt haben, nicht erwähnt werden. 156 So erscheint seine Fesselung (Ps 105,18) als eine direkte Konsequenz aus dem Verkauf nach Ägypten und wird darin zum Vorschein der Knechtschaft Israels in Ägypten. 157 Die Aussage, dass Joseph zum weisheitlichen Erzieher der Obersten des Pharaos wird (וזקניו יחכם, 105,22), kann auf Gen 41,33.39 zurückgeführt werden, wo der Pharao nach einem verständigen und weisen Mann sucht, der der Krise der kommenden Hungersnot gewachsen ist (איש נבון וחכם, 41,33; אין נבון וחכם כמוך, 41,39). Josephs Aufstieg wird in Ps 105 noch dadurch überhöht, dass er nicht nur zum höchsten Regierungsbeamten aufsteigt, sondern diese Position auch die weisheitliche Erziehung der ägyptischen Führungsschicht mit sich bringt. Vergleichbar mit der literarischen Funktion der Josephsgeschichte im Pentateuch zielt die Episode auch in Ps 105 auf die Verbringung des Volkes nach Ägypten, die in 105,23a in einer Paraphrase von Gen 46,8; Ex 1,1 formuliert wird. Der Abschnitt über die Exodusereignisse (Ps 105,24–38) beginnt in 105,24–26 mit einer Skizze der Ausgangslage. Entsprechend dem Buchübergang von Genesis zu Exodus wird in 105,24 im Anschluss an die Übersiedelung nach Ägypten das Anwachsen der Jakobsfamilie zu einem dem Feind überlegenen Volk ( )ויפר את עמו מאד ויעצמהו מצריוberichtet. In der Kombination der Verben פרהhif. und עצםfolgt der Autor der Notiz in Ex 1,7 () ובני ישראל פרו … ויעצמו במאד מאד,158 wobei die Verwendung des Komparativs aber den Ausspruch des Pharaos in Ex 1,9 aufnimmt, der beobachten muss, dass die Israeliten dem eigenen Volk an Stärke überlegen sind () הנה עם בני ישראל רב ועצום ממנו.159 Mit der Vorstellung in Ps 105,25, dass Jhwh das Herz der Ägypter gewendet hat ()הפך לבם, rekurriert der Psalm auf das Verstockungsmotiv der Exoduserzählung, wobei aber die „erkennen, dass das Leben Josef einschließlich der Hungersnot von Anfang an Teil des göttlichen Handelns war“ (GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 165; vgl. auch GÄRTNER , a.a.O., 379, dort aber mit Versangabe 105,16). 156 Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 141. 157 Vgl. ALLEN, WBC 21, 58: „Joseph’s experience was that of Israel in miniature.” HOLM -NIELSEN, Exodus Traditions, 25, geht so weit, in der Beschreibung von Josephs Geschick in Ps 105 eine Anspielung auf das Babylonische Exil zu sehen. 158 Vgl. weiterhin Ex 1,20b: וירב העם ויעצמו מאד. 159 Zur Analyse der Bucheröffnung in Ex 1 vgl. LEVIN, Jahwist, 313-318; KRATZ, Komposition, 286-289, und ausführlich B ERNER , Exoduserzählung, 10-48.
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Herzensänderung auf das gesamte Volk übertragen wird. In ihrer Arglist gegenüber Israel ( להתנכל, 105,25) wiederholen die Ägypter das Fehlverhalten von Josephs Brüdern (ויתנכלו, Gen 37,18),160 so dass auch hier die Josephsgeschichte als Paradigma für die Volksgeschichte dient. Die gemeinsame Sendung und Erwählung von Mose und Aaron in Ps 105,26 ()שלח spiegelt schließlich ein spätes literarisches Stadium der Exoduserzählung wider, die in ihrem Grundbestand allein von der Sendung des Mose weiß.161 Der Psalm berührt sich darin mit einer Reihe von Texten, die im Rückblick auf die Geschichte Israels Aaron gleichberechtigt mit Mose als Beauftragten Gottes darstellen (vgl. Jos 24,5; 1 Sam 12,8; Mi 6,4). Für die Analyse der anschließenden Plagenreihe in Ps 105,27–36 sind im Folgenden zwei Aspekte leitend. Zuerst ist danach zu fragen, mit welchem Auslegungsinteresse die Plagenerzählungen aus Ex 7–12 rezipiert werden. Dabei ist die These von A.C.C. LEE maßgebend, der nachgewiesen hat, dass die Anordnung der Plagen in Ps 105 auf eine Rücknahme der Schöpfung nach dem Bericht in Gen 1 ausgerichtet ist. 162 Des Weiteren ist die poetische Darstellung der Plagen in Ps 78 zu berücksichtigen, die eine große Nähe zur Plagenreihe von Ps 105 aufweist. 163 Der Plagenzyklus in Ps 105 wird in 105,27 mit der Notiz eröffnet, dass Mose und Aaron ‚Worte seiner Zeichen und Wunder‘ im Land Hams wirkten ( שמו בם דברי אתותיו )ומ פתים בארץ חם. Die Zusammenstellung der Termini אותund מופתbegegnet bereits in der programmatischen Ankündigung der Plagen Ex 7,3, aber die engsten Parallelen bestehen zu Ps 78,43, wo ebenfalls das Verbum שים als Umschreibung für die Plageneinsetzung gebraucht wird. Hier ist allerdings Gott eindeutig als Subjekt genannt, während in Ps 105,27 Aaron und Mose als die göttlichen Erwählten handeln. Die zwei Psalmen berühren sich weiterhin in der Lokalisierung der Ereignisse im Lande Hams (בארץ חם, 105,23.27; vgl. באהלי חם, 78,51); dies sind die einzigen Stellen in der Hebräischen Bibel, wo Ägypten über den Stammvater Ham definiert wird. Die eigentliche Plagenreihe wird in 105,28 mit der Finsternisplage eröffnet ()שלח חשך ויחשך, die in Ex 10,21–29 als neunte Plage am Ende der Pentateuch-Reihe steht. Die Besonderheit der Finsternisplage in der Exoduserzählung liegt in ihrer Funktion als „reines Schauwunder“,164 da sie 160 Das Vorkommen von נכלhitp. ist auf Gen 37,15 und Ps 105,25 beschränkt; die Wurzel ist darüber hinaus nur noch in Mal 1,4 (kal) und Nu 25,18 (pi) belegt. 161 Ursprünglich ist in der Exoduserzählung nur von der Beauftragung des Mose die Rede (Ex 3,10). Zur Aufwertung Aarons durch die redaktionellen Bearbeitungen in Ex 4f. vgl. LEVIN, Jahwist, 333; B ERNER , Exoduserzählung, 115–118.446–448. 162 Vgl. LEE, Genesis I; ihm folgen auch HOSSFELD, HThK.AT III, 106f., und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 170–176. 163 Zur Analyse der Plagenreihe in Ps 78 vgl. o. Kap. III. 3.2. 164 GERTZ, Tradition, 164.165.166; vgl. zu den Spezifika der Finsternisplage im Pl agenzyklus auch B ERNER , Exoduserzählung, 242.
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weder einen konkreten Schaden anrichtet, noch Reaktion Jhwhs auf eine vorangehende Weigerung des Pharaos ist, das Volk ziehen zu lassen. Der Autor von Ps 105 nivelliert diese Sonderstellung der Finsternisplage zwar insoweit, als dass er sie im Anschluss an 105,25f. deutlich als Reaktion Jhwhs auf die Verweigerungshaltung des Pharaos ausweist. Die Plage behält aber durch ihre Fronstellung und die durch sie bewirkte Gehorsamkeitsreaktion der Ägypter ihren Charakter als göttliche Machtdemonstration. Die weiteren Plagen in Ps 105 folgen der pentateuchischen Reihenfolge. So nimmt Ps 105,29 mit der Verwandlung des Wassers in Blut (הפך את ) מימיהם לדם וימת את דגתםdie erste Plage der Exoduserzählung auf, wobei der Psalm die priesterschriftlich hergestellte Verbindung zwischen dem Fischsterben und der Verwandlung des Wassers ins Zentrum stellt (Ex 7,14–25*).165 Im Gegensatz zur Rezeption dieser Plage in Ps 78,44, die darauf zielt, dass das Nilwasser untrinkbar wird, schweigt sich der Autor von Ps 105,29 über die Auswirkungen auf das Leben der Ägypter aus. Mit der Froschplage folgt in Ps 105,30 ein Rekurs auf Ex 7,26–8,11, wobei sich die Auslegung im Psalm auf den Einzelaspekt konzentriert, dass das ganze Land bis in die königlichen Gemächer hinein von Fröschen nur so wimmelt (שרץ ארצם צפרדעים בחדרי מלכיהם, Ps 105,30). In der Angabe über die räumliche Erstreckung der Plage liegt eine Kombination von Ex 7,28 ( )ושרץ היאר צפרדעים ועלו ובאו בביתך ובחדר משכבךund Ex 8,2b (ותעל הצפרדע )ותכס את ארץ מצריםvor.166 Die Darstellung in Ps 105 legt den Schwerpunkt auf die Ausbreitung der Frösche im Land und setzt sich damit erneut von der Version in Ps 78,45 ab, die die Froschplage dezidiert in ihrer zerstörerischen Auswirkung auf die Ägypter rezipiert. Die vierte Plage in Ps 105,31 kombiniert die vorpriesterschriftliche Ungezieferplage (ערב, Ex 8,16–20) mit der priesterlichen Mückenplage (כנם, Ex 8,12–15). Die Darstellung des Psalms ist auf die Ausbreitung der Insekten im Land konzentriert (אמר ויבא ערב כנים בכל גבולם, Ps 105,31) und lehnt sich in ihrer Formulierung mit dem Verbum בואan Ex 8,20 an, wo von der Auslösung der Ungezieferplage durch Jhwh berichtet wird (ויעש )יהוה כן ויבא ערב. Das Rezeptionsinteresse des Psalms zeigt sich an der Art und Weise, wie die Insekten herbeigebracht werden. Während Jhwh in Ex 8,20 das Kommen der Insekten tätig herbeiführt ()ויעש … ויבא, wird die Plage in Ps 105,31 durch das göttliche Wort ausgelöst ()אמר ויבא. Der Vergleich mit dem Plagenzyklus in Ps 78 trägt hier wenig aus, da dessen Au165
Zu dieser Einordnung von Ex 7,14–25* vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 173f. Diese Kombination entspricht vermutlich dem ursprünglichen literarischen B estand der vorpriesterlichen Froschplage, die den Auftrag zur Ankündigung der Frosc hplage (Ex 7,26–28a) und den Bericht über ihr Eintreten (Ex 8,2b) umfasst hat; vgl. dazu B ERNER , Exoduserzählung, 177f.213. 166
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tor die Mückenplage nicht aufnimmt und die Ungezieferplage mit der Froschplage zu einem einzigen Ereignis zusammenfasst, das auf die physische Auszehrung der Ägypter zielt. Eine Entsprechung zur fünften (Viehpest) und sechsten Plage (Beulenpest) der Exoduserzählung fehlt in Ps 105; vielmehr schließt sich an die Ausbreitung der Insekten in 105,32f. die Beschreibung der Hagelplage an. Der erste Vers konterkariert die lebensspendende Funktion des Regens, indem der Hagelschlag in Anlehnung an die Segensbestimmung von Lev 26,4 formuliert wird (נתן גשמיהם ברד, Ps 105,32; vgl. Lev 26,4: ונתתי )גשמיכם. Während der Regen nach Lev 26,4 Grundbedingung für den reichen Ertrag des Landes ist, bewirkt das Hagelereignis in Ps 105,33 gerade die Zerstörung des Ernteertrags () ויך גפנם ותאנ תם וישבר עץ גבולם. Mit der Kombination der Verben נכהund שברrekurriert Ps 105 auf die Notiz über die Schäden des Hagelschlags in Ex 9,25, wobei der Psalm mit der dezidierten Nennung von Weinstock und Feigenbaum ( )גפנם ותאנתםin der ersten Vershälfte einen eigenen Akzent setzt. Die Zerschlagung des Weinstocks kennt auch Ps 78,47, aber gerade die Kombination von Weinstock und Feigenbaum deutet auf einen traditionsgeschichtlichen Hintergrund, vor dem die Zerstörung der beiden Bäume zum Symbol des göttlichen Gerichts wird. 167 Schließlich bekommt die Hagelplage mit dem Beiwerk des flammenden Feuers (אש להבות, 105,32) noch Züge einer Gewittertheophanie (vgl. להבות אש, Ps 29,7),168 so dass auch diese Plage in Ps 105 als Demonstration der göttlichen Macht ausgestaltet wird. Mit der anschließenden Heuschreckenplage nimmt Ps 105,34f. die achte Plage des Exoduszyklus auf (Ex 10,1–20). Anders als der für die Plagen in Ps 78 verantwortliche Redaktor respektiert der Autor von Ps 105 den engen Zusammenhang zwischen Hagel- und Heuschreckenplage in der Exoduserzählung, indem er die Abfolge von Wetterphänomen und Insektenbefall beibehält. Entsprechend dem Beginn der Plage in Ex 10,4 (הנני מביא )מח ר ארבה בגבלךberichtet der Psalm davon, dass Jhwh die Heuschrecken kommen lassen wird ()בוא, wobei das Geschehen erneut als göttliches Wortereignis stilisiert wird ( אמר ויבא ארבה וילק ואין מספר, Ps 105,34a). Wie bei den vorangegangenen Plagen zielt das Herbeibringen der Heuschrecken auf die Ausbreitung im Land, die durch die Formulierung ואין מספר (105,34) als zahlenmäßig nicht fassbare Invasion beschrieben wird. Die 167 Als Zeichen des göttlichen Segens ist die Kombination von Weinstock ( )גפןund Feigenbaum ( )תאוהein Bild für Sicherheit und Frieden im Land (vgl. Dtn 8,8; 1 Kön 5,5; 2 Kön 18,31, Jes 36,16, Joel 2,22; Mi 4,4; Sach 3,10; Hag 2,19), während ihre Zerst örung im negativen Sinn das göttliche Gericht abbildet (vgl. Jes 34,3; Jer 5,17; 8,13; Hos 2,14; Joel 1,7.12; Hab 3,17). 168 Zur Annäherung an die Theophanieschilderung von Ps 29 vgl. auch HOSSFELD, HThK.AT III, 107.
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Schadenswirkung erstreckt sich nach Ps 105,35 auf das Kraut des Landes und die Früchte der Bäume ()ויאכל כל עשב בארצם ויאכל פרי אדמתם. In dieser Beschreibung der pflanzlichen Agrarprodukte mit den Begriffen עשבund פריberührt sich die Darstellung mit der Notiz über die Vernichtung durch die Heuschrecken in Ex 10,15 () ויאכל את כל ע שב הארץ ואת כל פרי העץ. Hier kann allerdings gezeigt werden, dass die Erwähnung der Früchte in Ex 10,15aa auf einen Ergänzer zurückgeht, der darin auf den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht anspielt.169 Die Schöpfung von Kraut ( )עשבund Fruchtbäumen ( )עץ פריzielt in Gen 1,11f. darauf, dem Menschen eine zentrale Lebensgrundlage zu geben (Gen 1,29); diese wird von den Heuschrecken in Ex 10,15 restlos vernichtet. Da – wie noch genauer zu zeigen sein wird – die Plagenreihe von Ps 105 stark an Gen 1 orientiert ist, kann es als wahrscheinlich gelten, dass der Autor des Psalms das hinter der Zusammenstellung von עשבund פריstehende Redaktionsinteresse in Ex 10,15 erkannt hat. Die Heuschreckenplage wird in Ps 105 deshalb auf die Aspekte konzentriert, die die Invasion der Insekten als Zerstörung der in der Schöpfung übereigneten Lebensgrundlage kennzeichnen.170 Die Plagenreihe in Ps 105,36 gipfelt wie in der Exoduserzählung und dem Plagenzyklus von Ps 78 in der Tötung der Erstgeburt ( ויך כל בכור )בארצם ראשית לכל אונם, wobei die größere Nähe zwischen den Darstellungen der zwei Psalmen besteht. Zwar rekurriert die erste Vershälfte in 105,36 in der genauen Formulierung mit dem Verbum נכהhif. auf den Bericht über die Ausführung der Plage in Ex 12,29 ( ) הכה כל בכור בארץ, aber die Bezeichnung der Erstgeburt als ‚Erstlinge der Manneskraft‘ in der zweiten Vershälfte hat nur eine einzige Parallele in Ps 78,51 ( ראשית אונים )באהלי חם, die die beiden poetischen Plagenreihen eng zusammenschließt. In einem Vergleich der Plagenreihe von Ps 105 mit dem Plagenzyklus der Exoduserzählung fallen zusammenfassend zwei signifikante Änderungen auf: Die Fronstellung der Finsternisplage und die Auslassung der fünften (Viehpest) und der sechsten Plage (Beulenpest) aus der Exoduserzählung. Den Schlüssel zur Erklärung für die auffällige Stellung der Finsternisplage liefert die Beobachtung von LEE, dass Ps 105 dieselbe Struktur zugrunde liegt wie dem priesterlichen Schöpfungsbericht von Gen 1. 171 So revoziert die Finsternisplage in Ps 105,28 die Schöpfung des Lichts am ersten Schöpfungstag (Gen 1,3–5) und führt zurück in das anfängliche 169
Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 238. So auch LEE, Genesis 1, 260. 171 Vgl. LEE, Genesis I, 260. Anders bestimmt MATHIAS, Geschichtstheologie, 144, die Tendenz der Plagenreihe in Ps 105 mit einer „Klimax von der teilweisen (33) zur gänzlichen (35) Vernichtung der pflanzlichen Nahrung, dann des tierischen und menschlichen Lebens selbst (36)“. Hierbei bleiben allerdings die deutlichen Bezüge zum prie sterschriftlichen Schöpfungsbericht unberücksichtigt. 170
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Chaos. Die anschließende Verwandlung des Wassers in Blut (Ps 105,29), die zum Fischsterben führt, nimmt dagegen die ‚Bewimmelung‘ ( שרץ, Gen 1,20) des Wassers mit Lebewesen am fünften Schöpfungstag zurück. Die Schöpfungsordnung wird geradezu auf den Kopf gestellt, indem nun die Frösche über das Land wimmeln (שרץ, Ps 105,30) und sich darin ausbreiten, obwohl sie als Amphibien eigentlich an das Habitat Wasser gebunden sind. Ihnen folgen mit dem Ungeziefer und den Mücken (105,31) weitere Insekten, die das Land an Stelle der schöpfungsgemäß dazu bestimmten Landtiere in Besitz nehmen. 172 Die Hagelplage 105,32f. kann als Vernichtung der Vegetation des dritten Schöpfungstages interpretiert werden, wobei die Anklänge an Lev 26 und die Zerstörung von Weinstock und Feigenbaum an dieser Stelle auch an eine Fluchbestimmung denken lassen. Die Aufnahme von Lev 26, dem Abschlusstext des priesterschriftlichen Heiligkeitsgesetzes, zeigt erneut die priesterschriftliche Prägung des Psalms. Für die anschließende Heuschreckenplage ist bereits gezeigt werden, dass sie auf die Vernichtung der den Menschen übereigneten Nahrungsgrundlage zielt. Den Höhepunkt der Plagenreihe bietet schließlich die Tötung der Erstgeburt, die vor dem Hintergrund von Gen 1 als Umkehrung der Menschenschöpfung am sechsten Schöpfungstag verstanden werden kann. Die Rücknahme der Schöpfung bleibt dabei in Ps 105 regional auf Ägypten begrenzt, 173 was der Autor von Ps 105 auch durch die zahlreiche Verwendung von auf die Ägypter bezogenen Suffixen in der Plagenreihe deutlich macht (vgl. z.B. מימיהם/ דגתם, 105,29; מלכיהם, 105,30; גבולם, 105,31.33 usw.). Vor dem Hintergrund dieser innerbiblischen Auslegung von Gen 1 in Ps 105 fällt es allerdings schwer, eine Erklärung für die Auslassung der fünften und sechsten Plage aus Ex 7–12 zu finden. Da sich die Viehpest explizit gegen die Tiere der Ägypter richtet und auch die Beulenpest neben der Bevölkerung das ägyptische Vieh befällt, hätten sich die beiden Plagen als Vernichtung der Landtiere durchaus in die Plagenreihe von Ps 105 eingefügt. Wird die Tötung der Erstgeburt in 105,36 dezidiert als Umkehrung der Erschaffung des Menschen interpretiert, kann auch die Erklärung nicht überzeugen, der Psalmist wolle die Landtiere für den finalen Schlag aufbewahren. 174 Selbst wenn sich die Gründe für die Auslassung der beiden 172 Ähnlich sieht auch LEE, Genesis I, 260, in der Ausbreitung von Fröschen, Ungeziefern und Mücken eine „disruption of the created order“. Siehe ferner HOSSFELD, HThK.AT III, 107: „Die weiteren Plagen durch Tiere, die eigentlich in Gewässernähe leben (Frösche, Fliegen, Mücken), in Ps 105,30 schädigen die Trennung der Wasser in Erde und Meer am dritten Tag und zerstören das geordnete Nebeneinander von Landti eren am sechsten Tag.“ 173 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 107. 174 So gegen LEE, Genesis I, 261: „The psalmist, following the structure of the creation account in Gen. i, has to save the life of cattle and omit any plague upon men in
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Viehplagen letztlich nicht ganz erschließen lassen, kann vermutet werden, dass die Vernichtung der Landtiere für den Autor keine besondere Rolle mehr spielt. Bereits die Ausbreitung von Fröschen, Ungeziefer und Mücken beweist in der Logik des Plagenzyklus von Ps 105 zur Genüge, dass die bisherige Ordnung der Geschöpfe außer Kraft gesetzt worden ist. 175 Schließlich ist die Plagenreihe in Ps 105 auch stilistisch an den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht in Gen 1 angelehnt. Die Schöpfung wird durch den Zweitakt von Anordnung und Ausführung in besonderem Maße als Wortereignis gekennzeichnet. 176 Diese Struktur findet sich in Ps 105 bei der Finsternisplage (105,28), der Ungeziefer- und Stechmückenplage (105,31) sowie bei der Heuschreckenplage (105,34).177 Während bei der Formulierung der Finsternisplage die Entsprechung von göttlicher Aktion und Eintreffen der Dunkelheit durch eine figura etymologica (שלח חשך )ויחשךbetont wird, sind die Insektenplagen durch die Verwendung des Verbums אמרals Einlösung der göttlichen Anordnung gekennzeichnet. Die stilistischen Entsprechungen zu Gen 1 betonen in Ps 105 damit zusätzlich den Charakter der Plagen als Rücknahme des Schöpfungsgeschehens. Damit bleiben noch die Berührungen von Ps 105,27–36 mit dem Plagenzyklus von Ps 78 auszuwerten. Auch wenn die Berührungen zwischen den zwei Plagenreihen oft bemerkt worden sind, begnügt sich die Forschung zumeist mit der Feststellung der „Verwandtschaft“, 178 ohne dass eine genauere Aussage über das literarische Verhältnis getroffen wird. Dies ist aber durchaus möglich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Auch wenn für beide Psalmen nachgewiesen werden konnte, dass sie die Plagenreihe der Exoduserzählung als Vorlage verwenden, fallen eine Reihe von Formulierungsparallelen auf, 179 die die zwei Psalmen gegenüber Ex 7–12 eng miteinander verbinden. So wird Ägypten einzig in diesen zwei Texten mit dem Namen des Erzvaters Ham bezeichnet (באהלי חם, 78,51; בארץ חם, 105,23.27). Sie berühren sich ferner in der eigentümlichen Formulierung der Erstgeburtsplage als Tötung der Erstlinge der Manneskraft (ראשית אונים, 78,51; ראשית לכל אונם, 105,36), die in der Plagenerzählung der Exoduserzählung nicht belegt ist. Schließlich beschreiben beide Psalorder to have the cattle and men destroyed in the slaying of the first -born.“ Ähnlich subsumiert auch MATHIAS, Geschichtstheologie, 144, die Vernichtung des tierischen Lebens unter die Tötung der Erstgeburt in Ps 105,36. 175 HOSSFELD, HThK.AT III, 107, erklärt die Auslassung der fünften Plage damit, dass sie lediglich die Auswirkungen der vorausgehenden Plagen verstärke, während die sechste Plage die angezielte Trennung von Tier und Mensch verwische und die Steig erung auf die Tötung der menschlichen Erstgeburt hin störe. 176 Siehe zur Analyse STECK, Schöpfungsbericht, 32–72. 177 So auch LEE, Genesis I, 261; ferner HOSSFELD, HThK.AT III, 106. 178 HOSSFELD, HThK.AT III, 107. 179 Vgl. dazu auch HOSSFELD, HThK.AT III, 107.
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men die Schadenswirkung des Hagelschlags am Beispiel des Weinstocks, (יהרג בברד גפנם, 78,47; ויך גפנם, 105,33), während das Gewächs im entsprechenden Plagenbericht Ex 9,13–35 nicht eigens erwähnt wird. Diese auffälligen Parallelen zeigen, dass es sich bei den Plagenzyklen in Ps 78 und 105 nicht um jeweils eigenständige Rezeptionen der Plagen in der Exoduserzählung handelt, sondern dass mit einem literarischen Abhängigkeitsverhältnis zu rechnen ist. Spricht die größere Übereinstimmung mit der Plagenabfolge in Ex 7–12 zuerst für die Priorität von Ps 105,27–36 vor Ps 78,43–51, kann tendenzkritisch die umgekehrte Reihenfolge plausibel gemacht werden. Die Darstellung der Plagen in Ps 78 ist ganz auf den Lehrzweck des Psalms ausgerichtet, wobei die Abweichungen in der Plagenfolge dem Interesse geschuldet sind, die Objekte der Schadenswirkung in den Fokus zu stellen. 180 Dagegen weist der Plagenzyklus in Ps 105 eine stärkere Systematisierung auf: Während Ps 78 mit der lehrhaften Darstellung der Plagen eine in der Exoduserzählung selbst angelegte Auslegungslinie fortführt, werden die Plagen in Ps 105 in einer Neuinterpretation als Rücknahme der Schöpfung rezipiert. Die Plagenreihe von Ps 105 mit den Formulierungsbezügen zu Ps 78 kann damit als eine Weiterentwicklung der Plagendarstellung in Ps 78 angesehen werden. Umgekehrt ist es wenig wahrscheinlich, dass der Redaktor in Ps 78 das Auslegungsinteresse von Ps 105 völlig ignoriert hätte, wenn doch einzelne Formulierungsübernahmen zeigen, dass er aus diesem zitiert. So gibt letztlich die stärkere Systematisierung der Plagenreihe in Ps 105, die diese als weiter fortgeschrittene Rezeption erweist, den Ausschlag für die Annahme der literarischen Priorität der Plagenreihe von Ps 78. Diese Verhältnisbestimmung ist nicht ohne Konsequenzen für die grundsätzliche relative Chronologie der zwei Psalmen. Während die Plagenreihe in Ps 105,27–36 zum literarischen Grundbestand gehört, stellt der Zyklus in Ps 78,43–51 die letzte größere Bearbeitung des Psalms dar.181 Damit kann es als erwiesen gelten, dass Ps 105 (und damit auch der spätere Psalm 106) Ps 78 bereits in seiner literarischen Endgestalt voraussetzt.182
180
Vgl. dazu o. Kap. III. 3.2. Vgl. dazu o. Kap. III. 2.2. Innerhalb der literarischen Bearbeitung in 78,43 –51 ist noch die jüngere Fortschreibung in 78,49–50aa zu unterscheiden. 182 Das Verhältnis zwischen den Psalmen 78 und 105 (bzw. 106) wird in der Fo rschung nur selten thematisiert, vgl. aber FÜGLISTER , Psalm 105, 46 („Ps 78, von dem Ps 105 literarisch abhängig zu sein scheint“), und MATHIAS, Geschichtstheologie, 123 („Oft sieht man den Psalm [Ps 105] von Ps 78 abhängig.“). Dagegen kommt GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 136, zu dem hier nicht nachvollziehbaren Urteil, dass ein redaktione lles Verhältnis zwischen den Psalmen 78, 105 und 106 nicht nachzuweisen sei, da zwischen diesen „so gut wie keine erkennbaren Beziehungen im Wortlaut vorliegen“. 181
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Die Beschreibung des eigentlichen Exodus aus Ägypten in Ps 105,37f. verwendet eine Reihe von geprägten Motiven aus unterschiedlichen Überlieferungsbereichen. Die Angabe über den Auszug mit Gold und Silber (בכסף וזהב, 105,37a) stellt eine Anspielung auf das Plünderungsmotiv der Exoduserzählung dar (כלי כסף וכלי זהב, Ex 3,22; 11,2; 12,35).183 Die Abfolge im Psalm nimmt dabei insbesondere Ex 12,35f. auf, wo die erfolgte Beraubung der Ägypter direkt im Anschluss an die Erstgeburtsplage berichtet wird. Der rechtliche Hintergrund des Plünderungsmotivs liegt in der Bestimmung, dass kein Sklave mit leeren Händen zu entlassen ist (Dtn 15,13).184 Durch die Anspielung auf diese gesetzliche Regelung macht der Verfasser von Ps 105 deutlich, dass die Zeit Israels als Sklave in Ägypten (עבד, 105,17) endgültig beendet ist. Dass sich der Auszug ohne Straucheln ( ואין בשבטיו כושל, 105,37b) vollzieht, verwendet dagegen ein Motiv, das in der prophetischen Literatur Bild für den neuen Exodus ist (לא יכשלו, Jer 31,9; Jes 63,13) und von da aus auf den Psalmtext eingewirkt hat. Zur Beschreibung der Reaktion auf Seiten der Ägypter rezipiert der Autor von Ps 105 zuerst die durch die Plagen bewirkte Bereitschaft, das Volk Israel ziehen zu lassen (Ex 12,33) in Form von Freude über dessen Auszug (שמח מצרים בצאתם, Ps 105,38a). Die Begründung, dass ein Schrecken auf die Ägypter gefallen sei (כי נפל פחדם עליהם, 105,38b), beschreibt die Reaktion der Ägypter in Anlehnung an das Meerlied Ex 15,16, wo die Völker mit Schrecken auf den Eisodus Israels reagieren ( ) תפל עליהם אימתה ופחד. Die letzte Etappe des Weges in Ps 105,39–41 thematisiert die Wüstenzeit, wobei der Schwerpunkt auf Jhwhs Fürsorge und Schutz für sein Volk liegt.185 Das erhaltende Gotteshandeln realisiert sich im Bericht von Ps 105 in drei Wundern: Das erste ist eine Anspielung auf die Wolken- und Feuersäule, die die unterschiedlichen Funktionen von Gewölk und Feuer in einer Aufnahme von Ex 13,21; 14,20; Ps 78,14 differenziert. 186 Die Zweckbestimmung des Feuers, das der Erleuchtung der Nacht dient (ואש להאיר לילה, Ps 105,39), entspricht den Vorlagen in der Exoduserzählung und Ps 78.187 Neu ist dagegen der Aspekt, dass Gott das Gewölk als Decke ausbreitet (פרש ענן למסך, Ps 105,39), der an die Stelle der Führungsfunkti183
Zum Plünderungsmotiv in der Exoduserzählung vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 99–104; dieser kann plausibel machen, dass das Motiv in Ex 3,21f.; 12,35f. nachprie sterschriftlich in die Exoduserzählung eingetragen wird, während mit 11,2 –3a eine jüngere Bearbeitung vorliegt. 184 Vgl. MATHIAS, Geschichtstheologie, 146, sowie B ERNER , Exoduserzählung, 102 Anm. 172, und die dort angeführte Literatur. 185 So auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 176. 186 Die Leuchtfunktion der Feuersäule in der Nacht findet sich auch in Neh 9,12.19, wobei es sich hier um eine Rezeption von Ps 105 handelt; vgl. dazu u. Kap. VI. 2. 187 Ex 13,21: ;ולילה בעמוד אש להאירEx 14,20: ;ויאר את הלילהPs 78,14: וכל הלילה באור אש.
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on der Wolke tritt (vgl. Ex 13,21; Ps 78,14). Hier ist zu überlegen, ob der Autor von Ps 105 mit der Vorstellung des deckenden Gewölks auf Ex 14,19f. anspielt, wo die Feuer- und Wolkensäule als ‚Puffer‘ zwischen die Israeliten und das Heer der Ägypter tritt. 188 In Ps 105 stehen Gewölk und Feuer damit nicht als Führungsinstrumente im Vordergrund, sondern sie sind sichtbarer Ausdruck der göttlichen Fürsorge. Diese wird auch in der Schilderung der Speisungswunder in Ps 105,40 hervorgehoben. In einer stilistischen Anlehnung an die Plagendarstellung geschieht das Wachtelwunder auf eine göttliche Anordnung hin (שאל ויבא שלו, 105,40a). Das Verbum שאלwird in den erzählerischen Versionen der Speisungswunder Ex 16; Num 11 zwar nicht verwendet, hat aber eine augenfällige Parallele in Ps 78,18, wo die Forderung des Volkes nach Speise als unbotmäßige Versuchung Gottes ausgelegt wird (וינסו אל בלבבם לשאל )אכל לנפשם. Der Autor von Ps 105 übernimmt erkennbar die Formulierung aus Ps 78,18, wobei er aber aus dem Verlangen der Israeliten eine göttliche Anordnung macht, indem Gott zum Subjekt des Forderns wird. 189 Neben die Speisung mit Wachteln tritt in 105,40b die Speisung des Volkes mit Himmelsbrot ()ולחם שמים ישביעם. Während die Sättigungsaussage die Ankündigung des Speisungswunders durch Mose und Gott aufnimmt (שבע, Ex 16,8.12; vgl. auch Ps 78,25), verdichtet die poetische Bezeichnung als Himmelsbrot die Aussage aus Ex 16,4, derzufolge Gott Brot vom Himmel regnen lassen wird ()לחם מן השמים.190 An das Speisungswunder schließt sich in Ps 105,41 die Schilderung des Wasserwunders an, bei dem die Darstellung ganz auf das göttliche Handeln konzentriert ist. In der genauen Formulierung ist der Einfluss von Ps 78 zu erkennen, wobei Ps 105 aber über die Vermittlung durch Ps 78 hinaus auch eigenständig Anleihen an die Verheißungen des Zweiten Jesaja 188
Eine Verbindung zu Ex 14,19f. vermuten auch GUNKEL, Psalmen, 461; KRAUS, BK XV/2, 895; HOLM -NIELSEN, Exodus Traditions, 26. MATHIAS, Geschichtstheologie, 147, will eine derartige Anspielung mit dem Argument ausschließen, dass die „Schil fmeertradition“ in Ps 105 ausgelassen werde; unter der methodischen Prämisse, dass es um die Rezeption literarischer Überlieferung geht, ist allerdings eine selektive Auswahl von Erzählzügen vorstellbar. Dagegen sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 177, im Motiv der Decke ( )מסךeine thempeltheologische Ausdeutung, in der Jhwhs Präsenz in der Wüste wie im Zeltheiligtum durch eine Decke abgeschirmt sei. 189 Dies setzt die textkritische Entscheidung für die singularische Lesart שאלin Ps 105,40 voraus, die im MT bezeugt ist; vgl. dazu o. Anm. 17; anders geht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 178, mit Verweis auf die Vorlagen in Ex 16 und Num 11 davon aus, dass hier das Gottesvolk Subjekt des Satzes ist (‚man bat‘). 190 Der Autor von Ps 78,25 setzt mit den Bezeichnungen als ‚Himmelsbrot‘ (דגן שמים, 78,24) und ‚Engelskorn‘ (לחם אבירים, 78,25) eigene Akzente (vgl. dazu o. Kap. III. 3.1.). Zu erwägen ist aber, ob Ps 105,40 als Systematisierung der vorliegenden Aussagen in Ex 16,4 und Ps 78,24f. verstanden werden kann, die er sozusagen auf den himmlischen Punkt bringt.
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macht.191 Auf diese Weise nimmt der Exodus aus Ägypten auch in diesem Geschichtspsalm Züge des Exodus aus dem Exil an. Aus der höhnenden Herausforderung Gottes Ps 78,20 ist in 105,41 zuerst das Motiv entlehnt, dass nach der Öffnung des Felsens Wasser hervorquellen (הכה צור ויזובו מים, 78,20; פתח צור ויזובו מים, 105,41), die in Aufnahme von 78,16 mit Wasserströmen verglichen werden (כנהרות מים, 78,16; vgl. נהר, 105,41). Die zwei Aussagen in Ps 78 stellen dabei ihrerseits eine Rezeption von Jes 48,21 bzw. 41,18 192 dar und schreiben so eine Deuteebene ein, die auf den Zweiten Exodus verweist. 193 Dass der Autor von Ps 105 sich der Einflüsse des Zweiten Jesaja auf Ps 78 bewusst war, zeigt auch die bezeichnende Wortwahl am Anfang von 105,41. Während Ps 78,15 in Aufnahme von Jes 48,21 das Verbum בקע verwendet, um das eigentliche Wasserwunder in Parallelität zum Meerwunder darzustellen,194 greift der Verfasser von Ps 105 mit dem Verbum ( פתח105,41) ein zweites Mail auf die Vorlage von Ps 78 in Jes 41,18 zurück ()אפתח על שפי ים נהרות … וארץ ציה למוצאי מים. Nur an diesen zwei Stellen der Hebräischen Bibel ist die Vorstellung belegt, dass ein Öffnungsvorgang ( )פתחzur Bewässerung der Wüste ( )ציהführt. Diese Abänderung erklärt sich zuerst darüber, dass das Meerwunder in Ps 105 nicht aufgenommen wird, so dass für seinen Autor keine Notwendigkeit bestand, mit dem Verbum בקרauf dieses anzuspielen. So lag es für ihn nahe, ein weiteres Mal auf das Vokabular von Jes 41,18 zurückzugreifen und die Verbindungen zum Zweiten Jesaja auszubauen. Dazu mag ferner beigetragen haben, dass im Nahkontext auch Ps 107,35 in Aufnahme von Jes 41,18 formuliert worden ist, so dass dieser Vers des Deuterojesajabuches eine bedeutende Rolle in der Psalmengruppe Ps 100–107 spielt.195 Für die Geschichtstheologie von Ps 105 bleibt festzuhalten, dass Ps 105 ebenso wie seine Vorlage in Ps 78 die literarische Tradition von Pentateuch und Pro191
Zur Rezeption des Zweiten Jesaja (Jes 41,18, 48,21) in den Aussagen über das Wasserwunder von Ps 78,15f.20 vgl. o. Kap. III. 3.1. 192 Vgl. dazu o. Kap. III. 3.1. Nur in Jes 48,21; Ps 78,20 und 105,41 ist die Kombination der drei Lemmata צור, צובund מיםbelegt; vgl. zu diesen Berührungen auch HOLM NIELSEN, Exodus Traditions, 26; MATHIAS, Geschichtstheologie, 148. Die umgekehrte Rezeption von Ps 105,41 durch den Autor von Jes 41 vermutet dagegen B ERGES, HThK.AT, 549. 193 Ähnlich auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 180: „Von daher ist zu vermuten, dass aus der Sicht der Beter auch der zweite Exodus bereits zurücklag und durch die Bezüge zu Deuterojesaja erster und zweiter Exodus im Rückblick zu einem Ereignis verschmelzen.“ 194 Vgl. zu Ps 78 o. Kap. III. 3.1. 195 Vgl. u. Kap. 4 , wo auch Argumente für die literarische Priorität von Ps 107 gegenüber Ps 105 dargelegt werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich in 107,33–35 um eine nachträgliche Ergänzung im Psalm handelt; vgl. dazu u. Kap. 4.2. 6.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
pheten verbindet und die Ursprungsgeschichte Israels so transparent macht für die Rekonstitution des Gottesvolkes im Heilsgeschehen von Sammlung und Rückführung aus dem Exil. Die Vollendung des ersten im zweiten Exodus zeigt sich in Ps 105 schließlich an der abschließenden Formulierung, dass Gott sein Volk in Freude und Jubel herausführte (ויוצא עמו בששון ברנה, 105,43). ששוןund רנהals Begleitumstände gehören zum festen Vokabular der Beschreibung des zweiten Exodus im Deuterojesajabuch (vgl. Jes 35,10; 44,23; 49,13; 51,3.11; 55,12). Der Exodus aus Ägypten durch die Wüste wird in Ps 105 damit endgültig zur Heimkehr aus Exil und Diaspora, an deren Ende die Übereignung des im Bund verheißenen Landes steht (105,44). Insgesamt erweist sich Ps 105 als ein Geschichtspsalm, der die erzählende Überlieferung auf einem weit fortgeschrittenen literarischen Wachstumsstadium voraussetzt und eine eigene Interpretation der biblischen Geschichte vorlegt. Die Darstellung der Ereignisse ist von dem Interesse geleitet, Gott für seine Bundestreue zu preisen, die sich in seinen geschichtlichen Heilstaten an Israel konkretisiert. In diesen wird Jhwh als souveräner Herr der Geschichte gezeichnet, der seinen Heilsplan umsetzt und das Volk unter seiner Führung und unter seinem Schutz in das verheißene Land bringt. Die Ereignisse der Frühzeit werden dabei in ihrer Spannung zwischen der Gültigkeit der Landverheißung und den situativen Fremdheitserfahrungen des Volkes dargestellt. In diesem heilsgeschichtlichen hiatus liegt das Identifikationspotential für die Juden der nachexilischen Diaspora, die sich in der Fremde vorfinden und sich im Lobpreis von Ps 105 der Bundestreue Jhwhs und der Gültigkeit seiner Landverheißung vergewissern können. Dabei bietet sich der Väterbund in doppelter Hinsicht als neue theologische Grundlegung des Gottesverhältnisses an: Zum einen ist die Bundesverheißung nach priesterschriftlichem Verständnis auf die direkte Nachkommenschaft Abrahams beschränkt. Dies legitimiert den Anspruch der in die Sukzession Abrahams und Jakobs gestellten Psalmbeter (105,6) auf den Besitz des Landes. Zum anderen ist mit der Verheißung, die an Abraham außerhalb des Landes ergeht, ein wichtiges Desiderat des nachexilischen Diasporajudentums aufgenommen, für das die Rückkehr ins Land als entscheidendes Heilsgut gelten kann. In der Konzentration auf den (priesterschriftlichen) Bundesschluss mit den Erzvätern (105,8–11) zeichnet sich schließlich in psalterredaktioneller Hinsicht ein Paradigmenwechsel ab, in dem der Väterbund an die Stelle des nach Ps 89 gescheiterten Davidbundes tritt. Das besondere Rezeptionsinteresse des Psalms bestimmt weiterhin Auswahl und Darstellung der geschichtlichen Ereignisse. Die heilsentscheidende Bedeutung der Abstammungslinie zeigt sich an der Darbietung
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der Geschichte in Form einer Abfolge herausragender Einzelgestalten (Abraham, Joseph, Moses und Aaron), in der die Kontinuität der Bundesverheißung zum Ausdruck kommt. 196 Dies erklärt auch die ausführliche Berücksichtigung der Josephserzählung, die in Ps 105 entsprechend ihrer redaktionellen Funktion im Pentateuch den genealogischen Brückenschlag zwischen Erzvätern und Gottesvolk leistet. Mit dem Motiv der göttlichen Voraussendung von Joseph (105,17) übernimmt der Psalm dabei eine in der Josephsgeschichte selbst angelegte Deuteperspektive für den Zusammenhang der Bücher Genesis und Exodus. Mit dem Anfang bei den Vätern und dem Ziel in der Landgabe entspricht die Reiseroute im Psalm dem Umfang des kleinen geschichtlichen Credos Dtn 26,5–9, mit dem dieser auch eine Reihe von einzelnen Erzählzügen teilt (geringe Zahl während der Väterzeit, Anwachsen zur Volksgröße in Ägypten, Bedrückung, Plagen als Zeichen und Wunder, Landgabe). Während aber in Ps 105 die Vorsehung Gottes und sein wirkmächtiges Wort als Leitmotiv das göttliche Handeln durchziehen, ist in Dtn 26 die Rettung aus der Not (26,7) das heilsentscheidende Moment.197 Im Vergleich mit der Geschichtsdarstellung im Pentateuch fällt in Ps 105 vor allem auf, dass das Meerwunder keine Berücksichtigung findet. Dies kann mit der entscheidenden Bedeutung der Plagen erklärt werden, in denen Gott die Auseinandersetzung mit Ägypten ein für alle Mal entscheidet und die Entlassung seines Volkes erzwingt. Eine erneute Machtdemonstration gegenüber dem ägyptischen Heer am Schilfmeer ist deshalb nicht mehr nötig und würde die zentrale Funktion der Plagen nachträglich relativieren. In der Plagenreihe zeigt sich mit den Aufnahmen aus der Plagendarstellung des Geschichtspsalms 78 der Einfluss einer weiteren Vorlage, wobei die Rezeption sich aber weitgehend auf diesen Teilbereich beschränkt. Darüber hinaus treten vereinzelte Übernahmen auf wie die Benennung Israels als Land Hams (78,51; vgl. 105,23.27), die Berücksichtigung der Wolken- und Feuersäule in der Wüstenzeit (78,14; vgl. 105,39) oder die Aufnahme von Formulierungen bei der Darstellung des Wasserwunders (78,15.20; vgl. 105,41). Die ausgewählten Anspielungen an Ps 78 zeigen, dass der Text dem Autor von Ps 105 zwar bekannt war, er mit seiner Geschichtsdarstellung aber geradezu ein Gegenmodell zum Bild in Ps 196 Diese Art der Geschichtsdarstellung findet ihre literarische Nachgeschichte im Vä terlob von Ben Sira, das die Geschichte Israels in Sir 44,1–49,16 als Abfolge ruhmvoller Männer von Henoch bis zu Nehemia darbietet. Adam wird erst in der inclusio als Mann des Anfangs präsentiert (49,16), während die Gegenwart durch das Wirken des Hohe priesters Simon geprägt ist (50,1–24). Auch in dieser Darstellung kommt Abraham vergleichbar mit Ps 105 eine herausragende Position als Völkervater und Empfänger der Bundesverheißung zu (Sir 44,19–23; vgl. dazu SAUER , ATD.A 1, 304f.). 197 Zur Nähe zwischen Ps 105 und Dtn 26,5–9 vgl. ferner die Ausführungen bei MATHIAS, Geschichtstheologie, 154–156.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
78 entwirft. Ihm geht es nicht um einen lehrhaften Nachweis der Schuldgeschichte, sondern um den Lobpreis Gottes für dessen Heilshandeln an Israel. So kommt denn auch das Gesetz, das in Ps 78 Maßstab der Verfehlungen ist, in Ps 105,45 erst am Ende in den Blick: Die Einhaltung der göttlichen Gebote ist Konsequenz aus der Übereignung des Landes und Antwort auf die göttliche Bundestreue, und der Gesetzesgehorsam erscheint in keiner Weise problematisch. Ein bedeutender Unterschied liegt schließlich auch in der Hoffnungsperspektive der zwei Geschichtspsalmen. So nimmt in Ps 78 David als Knecht und Auserwählter eine bedeutende Rolle ein und die Erwartungen richten sich auf einen neuen David, der in mosaischer Sukzession steht. Verworfen wird dagegen das Nordreich in der Gestalt des Stammes Joseph. Auf halbem Wege zwischen Ps 78 und Ps 105 steht literargeschichtlich die Aufgabe des Davidbundes in Ps 89, die ihre Spuren in der Geschichtstheologie des späteren Psalms 105 hinterlassen hat. Mit der Abkehr vom Davidbund findet in Ps 105 in Aufnahme der priesterlichen Theologie eine Neuorientierung auf den Abrahambund hin statt, in deren Zuge die Prädikationen von den Erzvätern auf das Volk übergehen. Die Heilserwartungen richten sich auf die Landverheißung, während der weitere Verlauf der biblischen Geschichte unter David keine Bedeutung mehr für die Glaubens- und Lebenswirklichkeit der Adressaten hat. An die Stelle der dezidiert pro-judäischen Perspektive von Ps 78 tritt deshalb mit Abraham ein Protagonist, dessen Fremdheitserfahrungen die Lebenssituation des in Exil und Diaspora zerstreuten Israels widerspiegeln. Damit einher geht die Aufwertung des Stammvaters Joseph, der nun nicht mehr wie in Ps 78 als Repräsentant des Nordreiches verworfen wird, sondern der als genealogischer Vermittler die ununterbrochene Sukzession von Abraham zu Mose gewährleistet. 3.2 Der Verlust des Landes durch den Unglauben: Psalm 106 Die voranstehende Textanalyse hat bereits gezeigt, dass Ps 106 die Geschichte von Ägypten bis in die Diaspora als eine Geschichte des Unglaubens zeichnet. 198 Im redaktionsgeschichtlichen Anschluss an seinen Zwilling Ps 105 gibt der Psalm die Antwort auf die Frage, warum das Volk sich trotz der Landverheißung des Väterbundes nicht im Besitz des Landes befindet. 199 Diese These ist nun im Folgenden durch eine genauere Untersuchung zu profilieren, mit welcher Intention die Texte der erzählenden Überlieferung in Ps 106 rezipiert werden. Dabei wird auch Psalm 78 zu berücksichtigen sein, der bereits die Darstellung in Ps 105 beeinflusst hat 198 199
Vgl. dazu o. Kap. 2.2. Vgl. dazu o. Kap. 2.3.
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und als lehrhafter Sündenaufweis von besonderer Bedeutung für die Geschichtskonzeption in Ps 106 ist. Dem Beginn der geschichtlichen Ereignisse in Ägypten geht in Ps 106,6 ein Sündenbekenntnis voran, in dem die Beter ihre Sünde in Tatgemeinschaft mit ihren Vätern bekennen ( )הטאנו עם א בותינו העוינו הרשענו. Die Trias der Sündenbegriffe חטא, עוהund רשעhat ihre nächsten Parallelen im Tempelweihgebet des Salomo 1 Kön 8,47 (= 2 Chr 6,37) und im Bußgebet des Daniel Dan 9,5. 200 Das beweist, dass sich irgendwann in der nachexilischen Literargeschichte eine verfestigte Form dieses Sündenbekenntnisses herausgebildet hat, wobei das Proprium von Ps 106 darin liegt, dass die Beter die Sünde in Tatgemeinschaft mit ihren Vätern ( )עם אבותינוbekennen.201 Es gibt im Alten Testament eine Reihe von Texten, die die Schuld der Väter mit der gegenwärtigen Generation in Verbindung bringen (vgl. Jer 14,20; Ez 20,30; Dan 9,16; Esr 9,7; Neh 9,2). Von diesen unterscheidet sich der Psalm aber darin, dass er das Bild einer Schuldverstrickung zeichnet, in der die Söhne nicht nur die Sünde der Väter wiederholen, sondern die Schuld der Väter sich auf die nachfolgende Generation auswirkt. Mit diesem generationsübergreifenden Schuldkonnex grenzt sich Ps 106 auch von Psalm 78 ab, in dem die Sünde der Väter als abschreckendes Beispiel in der Lehrunterweisung für die Söhne verwendet wird. 202 Die eigentliche Darstellung der Geschichte setzt in Ps 106,7 mit einem Grundsatzurteil über das Verhalten der Väter in Ägypten ein, das in einer dreigliedrigen Notiz von Anfang an als sündhaft beschrieben wird. Die einzelnen Glieder des Verses haben unterschiedliche literarische Horizonte. Im ersten Teil markiert der Prohibitiv des Verbums שׂכלhif. das Vergessen der göttlichen Wunder im weisheitlichen Sinne als uneinsichtiges Handeln ()לא השכילו נפלאותיך.203 Das unterlassene Gedenken an die göttlichen Gnadenerweise ( )לא זכרו את רב חסדיךsteht dagegen im Gegensatz zu Aufforderungen wie Ps 77,12 oder 105,5, die zur Erinnerung an die göttli200
Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 127. Eine erste Einordnung spricht dafür, in der kürzesten Variante 1 Kön 8,47 den Ausgangspunkt der literarhistorischen Entwicklung zu sehen. Das Sündenbekenntnis entstammt dem dtr. Traditionsraum und dient wie im Psalm dazu, an das Erbarmen Go ttes zu appellieren, wobei die Bitte auf das Wohlergehen in Exil und Diaspora zielt (1 Kön 8,50). Ps 106,6 erweitert das Bekenntnis um den Schuldkonnex mit den Vätern, während die Sünde in Dan 9,5 näher als Gebotsübertretung konkretisiert wird ( ומרדנו וסור )ממצותך וממשפטיךund sich damit als literargeschichtlich jüngste Fassung zu erkennen gibt. 202 So notiert auch B IBERGER , Väter, 161, für Ps 78 im Gegensatz zu Ps 105 und 106 „eine Aufforderung zur Distanzierung von den “ָאבוֹת. 203 Vgl. dazu generell KOENEN, Art. שׂכל, 786–794. Er verweist auch auf die Gegenbeispiele in Ps 46,10; Jes 41,20 oder Dan 9,25, wo שׂכלhif. jeweils die Erkenntnis der göttlichen Heilstaten bezeichnet (vgl. KOENEN, a.a.O., 788). 201
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
chen Geschichtstaten ermahnen.204 Indem die Väter sich diesem Gedenken verweigern, können sie auch nicht tätig am Gotteslob teilnehmen, 205 das nach Ps 106,1f. die Kundgabe von Jhwhs Wundertaten mit einschließt. Das zweite Vergehen der Väter besteht darin, dass sie der Fülle der göttlichen Gnadenerweise (רב חסדיך, 106,7; vgl. 106,45 [Qere])206 nicht gedacht haben. Mit der spezifischen Rede von der רב חסדיךerinnert der Psalm zwar an die abschließende Prädikation der Gnadenformel (רב חסד, ‚reich an Gnade‘),207 unterscheidet sich von dieser aber durch die pluralische Verwendung des Substantivs חסדals nomen rectum einer Genitivverbindung. Dieser Sprachgebrauch hat über Ps 106 hinaus nur zwei Parallelen in Jes 63,7 ( )וכרב חסדיךsowie in Klgl 3,32 Qere ()כרב חסדיו. Dazu kommt die verwandte Rede von den Gnadenerweisen Jhwhs ()חסדי יהוה, die in Ps 89,2; 208 107,43; Jes 63,7 und Klgl 3,22 belegt ist, während Ps 17,7; 25,6; 89,50; 119,41 den Plural von חסדmit einem auf Gott bezogenen Suffix 2. Mask. Sg. bezeugen. Bei einer Konzentration auf die Belege im direkten literarischen Kontext (Ps 89,2.50; 107,43) gibt es Hinweise auf eine zunehmende geschichtliche Interpretation des Konzepts: So sind die Gnadenerweise Jhwhs ( )חסדי יהוהin Ps 89,2 Ausdruck des göttlichen Wesens und manifestieren sich im Bund mit David (vgl. חסדיך, 89,50).209 Eine Ausweitung des Konzepts zeigt der Psalmschluss in Ps 107,43, wo unter dem Begriff der Gnadenerweise Jhwhs ( )חסדי יהוהzuerst individuelle Rettungserfahrungen zusammengefasst werden, in denen die Rettung Israels aus Exil und Diaspora aktualisiert wird.210 In Ps 106 könnte schließlich der Schlusspunkt dieser literargeschichtlichen Entwicklung vorliegen, in204
Vgl. auch P RÖBSTL, Rezeption, 133. Zu Ps 77,12 siehe auch o. Kap.II. 4.2.5; zu Ps 105,5 vgl. o. Kap. 3.1. 205 Siehe auch P RÖBSTL, Rezeption, 133, in Aufnahme eines Zitats von ZIRKER : „Die Väter verweigern sich der aktiven Bemühung, die Erfahrung von Jahwes Hulderweisen und Wundern ‚innerlich aufzunehmen und sich von ihr bestimmen zu lassen‘“. 206 Zur textkritischen Begründung der pluralischen Lesart von חסדin 106,7 vgl. o. Anm. 27; in 106,45 wird hier dagegen dem Singular des Ketib der Vorzug gegeben, vgl. dazu o. Anm. 36. 207 Vgl. z.B. in der Gestalt von Ps 103,8: ‚( רחום וחנון יהוה ארך אפי ם ורב חסדBarmherzig und gnädig ist Jhwh, langmütig zum Zorn und reich an Gnade‘); zur theologischen B edeutung der Formel siehe SPIECKERMANN , Barmherzig, 1–18. 208 Die LXX mit der Rezension von Theodotion (vgl. auch BHS) bietet anstelle der Konstruktusverbindung חסדי יהוהeine suffigierte Form (Suffix 2. Mask. Sg.) mit anschließendem Vokativ. Diese Variante kann als stilistische Angleichung an das suffigie rte Nomen אמונתךin der zweiten Vershälfte erklärt werden, so dass die Konstruktusverbindung als lectio difficilior beizubehalten ist (so in der Entscheidung mit T ATE, WBC 20, 406.409; EMMENDÖRFFER , Gott, 203.206; HOSSFELD, HThK.AT III, 580). 209 Vgl. dazu o. Kap. 3.1. 210 Zu Ps 107 und der Bedeutung des חסד-Konzeptes im vierten und fünften Psalmenbuch vgl. auch u. Kap. 4 .2.6. und 4.3.
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dem die Rede von den Gnadenerweisen Jhwhs mit seiner Wesensbestimmung als ‚reich an Gnade‘ zur Vorstellung von der ‚Fülle seiner Gnadenerweise‘ ( )רב חסדיךverbunden wird. 211 Das Wesen Jhwhs als eines gnädigen Gottes erweist sich in den wiederholten Rettungstaten vom Exodus bis zum Land, von denen die biblische Geschichte in der Fassung von Ps 106 berichtet.212 Ein kurzer Blick auf die beiden anderen Belege für die Genitivverbindung von רבund חסדin Jes 63,7 und Klgl 3,32 kann die Vermutung erhärten, dass es sich um ein im Psalter entwickeltes Konzept handelt. Jes 63,7 stellt die hymnische Einleitung des Gebets der Gottesknechte in Jes 63,7– 64,11 dar. Dort will ein Beter die Gnadenerweise Jhwhs in Erinnerung rufen, die im Ausgang des Verses näher bestimmt werden als Ausdruck des göttlichen Erbarmens und der Fülle seiner Gnade (חסדי יהוה אזכיר תהלת יהוה … כרחמיו וכרב חסדיו, 63,7). Der folgende zweiteilige Geschichtsrückblick in 63,8–10.11–14213 konkretisiert die Rede von den Gnadenerweisen, indem diese auf die göttliche Führung des Volkes in der Geschichte bezogen werden. Während der erste Teil das widerspenstige Verhalten des Volkes (והמה מרו, 63,10) in der Vorzeit in Erinnerung ruft, thematisiert der Rückblick in 63,11–14 „die Zeit des rettenden Zugewandtseins“ 214 Gottes, um diesen aufgrund der vergangenen Rettungserfahrungen erneut zum Eingreifen zugunsten seines Volkes zu bewegen (Jes 64,8). Das Gebet der Gottesknechte und der Geschichtspsalm 106 betrachten das geschichtliche Handeln Gottes damit in gleicher Weise als Manifestation seines gnädigen Wesens. Allerdings lässt die Rahmung von Jes 63,7 durch den doppelten Gebrauch von חסדdaran denken, dass hier eine Verhältnisbestimmung vorgenommen wird, in der die Rede von den Gnadenerweisen Jhwhs (חסדי יהוה, vgl. Ps 89,2; 107,43) mit dem geschichtlichen Verständnis in Ps 106,7 ( )רב חסדיךharmonisiert wird. Das Gebet der Gottesknechte Jes 63f. ist damit in die Auslegungsgeschichte von Ps 106 einzuordnen. Als noch jünger kann der dritte Beleg in Klgl 3,32 gelten, wo vermutlich aufgrund der konzeptionellen und inhaltlichen Nähe zu Jes 63,7 215 die singularische Ketib-Form כרב חסדוdurch das Qere חסדיוan die Lesart in Jes 63,7 angeglichen wird. 211 Es wird im Folgenden noch zu zeigen sein, dass Ps 107 literargeschichtlich älter ist als Ps 106; vgl. dazu u. Kap. 4.3. 212 Der Autor von Ps 106 verbindet in besonderer Weise die in Ps 103 thematisierte Gnadenformel mit der Vorstellung der Rettungstaten als göttliche Gnadenerweise aus Ps 107; vgl. dazu auch u. Kap. 4.3. 213 Vgl. zu dieser Gliederung GOLDENSTEIN, Gebet, 47–85; ähnlich auch I. FISCHER , Jahwe, 32–47; EMMENDÖRFFER , Gott, 265.269–277. 214 GOLDENSTEIN, Gebet, 65. 215 So urteilt auch B ERGES, HThK.AT, 207, über Klgl 3,32: „eine starke Affinität zu Jes 63,7“.
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Damit bleibt noch das dritte Glied der Sündennotiz in Ps 106,7 zu betrachten. Mit der Aussage, dass das Volk sich am Meer widerspenstig verhalten hat ()וימרו על ים, geht das einleitende theologische Urteil zur Darstellung der konkreten Ereignisse in Ägypten über. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die Widerspenstigkeit des Volkes auf die Klagen in Ex 14,11.12 anspielt,216 in denen die Angst der Israeliten vor den Ägyptern nachträglich zur Exoduskritik und zur Auflehnung gegen Mose stilisiert wird.217 Während der ursprüngliche literarische Zusammenhang in Ex 14,10.13a beschreibt, wie die Israeliten beim Herannahen des ägyptischen Heeres verständlicherweise in Panik geraten, trägt ein erster Ergänzer in 14,11 den aus der Murrgeschichte Num 20,4 entlehnten Vorwurf ein, Mose habe die Israeliten aus Ägypten herausgeführt, damit sie in der Wüste stürben.218 Auf denselben Bearbeiter geht auch die Glaubensnotiz in Ex 14,31 zurück, in der die Widerlegung der in 14,11 geäußerten Zweifel zum Glauben an Jhwh und den vormals angefeindeten Mose führen. 219 In seiner Darstellung wird das Meerwunder als Einlösung des von Mose in Ex 14,13 angekündigten rettenden Eingreifens Gottes zum Erweiswunder, das die Zweifel am von Jhwh initiierten Exodus und an der Führerschaft des Mose beseitigt. 220 Ein zweiter Ergänzer verstärkt in der nachfolgenden Einschreibung von Ex 14,12 die Auflehnung der Israeliten, die vorgeben, dass sie schon in Ägypten das Sklavendasein dem Exodus vorgezogen hätten.221 Die Rezeption von Ex 14,11.12 in Ps 106,7b unter dem Stichwort מרה zeigt, dass der Verfasser des Psalms sich des literarischen Rückraums der Nachträge in Ex 14 bewusst war: Indem er die situationsgebundene Auflehnung des Volkes vor dem Meerwunder durch die Verwendung des Verbums מרה222 als erste Murrepisode kennzeichnet, berücksichtigt er die Verbindungen zu Num 20 und schreibt bereits am Schilfmeer die Widerspens216 So GUNKEL, Psalmen, 465; KRAUS, BK XV/2, 902; MATHIAS, Geschichtstheologie, 185; P RÖBSTL, Rezeption, 135; ALLEN, WBC 21, 71; HOSSFELD, HThK.AT III, 128. 217 Zur literarischen Analyse vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 382–389. 218 Ex 14,11: ;ויאמר אל משה המבלי אין קברים במצרים לקחתנו למות במדברvgl. Num 20,4: ולמה הבאתם את קהל יהוה אל המדבר הזה למות שם. 219 Zum redaktionellen Zusammenhang von Ex 14,11 und Ex 14,31 vgl. LEVIN, Jahwist, 346, und B ERNER , Exoduserzählung, 385 (dieser unterscheidet literarisch weiter zwischen der Glaubensnotiz 14,31abb und der noch späteren Einschreibung von 14,31aa). 220 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 385. 221 Den Zusatzcharakter von Ex 14,12 vertreten LEVIN, Jahwist, 346; B ERNER , Exoduserzählung, 387f. Dagegen nimmt GERTZ, Tradition, 225f., literarische Einheitlichkeit in Ex 14,11f. an. 222 Das Verbum מרהist terminus technicus für die Widerspenstigkeit des Volkes in der Wüste; vgl. Num 20,10.24; 27,14; Dtn 1,26.43; 9,7.23.24; Jes 63,10; Ez 20,8.13.21; Neh 9,26.
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tigkeit ein, die in der Wüste die Sünde der Väter kennzeichnen wird.223 Zugleich berücksichtigt er aber das redaktionelle Interesse des in Ex 14,11.31 tätigen Bearbeiters und bereitet mit dem Murren des Volkes in Ps 106,7 die Deutung der Ereignisse als Erweiswunder vor, das entsprechend der Aussage in Ex 14,31 zum Glauben des Volkes führt (vgl. אמןhif., Ps 106,12). Nicht zuletzt greift der Autor von Ps 106 mit der Verwendung der Wurzel מרהauf das Sündenvokabular von Ps 78 zurück. Widersetzlichkeit kennzeichnet hier als grundsätzlicher Charakterfehler die Generation der Vorväter (דור סרר ומרה, 78,8) und wird von diesen im Laufe der Geschichte mehrfach in einzelnen Akten der Auflehnung in die Tat umgesetzt (מרה, 78,17.40.56). In der folgenden Darstellung des Meerwunders in Ps 106,8–12 verbinden sich Einzelzüge der zwei Versionen der Exoduserzählung in Ex 14 und Ex 15 mit Einflüssen aus anderen literarischen Überlieferungsbereichen. Durch das einleitenden Verbum ויושיעם( ישע, Ps 106,8; vgl. 016,10) wird das Meerwunder in Aufnahme der in Ex 14,13 ( )ישועהbzw. 14,30 ( )ויושעangelegten Deutungsperspektive als göttliche Rettungstat dargestellt.224 Signifikant ist dabei die Angabe des göttlichen Motivs: Jhwh rettet um seines Namens willen ( )למען שמוund um seine Macht kundzutun (להודיע את גבורתו, Ps 106,8). Die Wendung למען שמוist ein geprägtes Motiv, das in einer Reihe von nachexilischen Texten den Beweggrund des göttlichen Handelns angibt, wobei es mehrheitlich um die Beendigung von Exil und Diaspora geht.225 Dass es Jhwh beim Exodus um einen Herrlichkeitserweis geht, ist bereits in der priesterschriftlichen Fassung des Meerwunders angelegt (vgl. כבדni., Ex 14,4.17.18).226 Die gezielte Verwendung der Formulierung למען שמוzeigt, dass der Verfasser des Psalms bewusst ein Argumentationsschema der exilisch-nachexilischen Literatur auf die vorstaatliche Geschichte anwendet, so dass der paradigmatische Charakter der Schilfmeerepisode verstärkt wird. Die größte Nähe zu Ps 106 weist in diesem Punkt der prophetische Geschichtsrückblick in Ez 20 auf, in dem die Sorge Gottes um das Ansehen seines Namens leitmotivartig dafür sorgt, dass das Volk der gerechten Strafe für seine Sünde entgeht 223
So auch P RÖBSTL, Rezeption, 135: „Der Psalmist erkennt in der Klage der Väter am Schilfmeer das Verhalten, welches später das Versagen der Väter in der Wüste ken nzeichnen wird: Sie widersetzen sich Jahwe“. 224 So auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 205, für die hier „die für den Psalm entscheidende Kategorie des rettenden Eingreifens“ vorliegt. 225 Vgl. dazu die Ausführungen zur entsprechenden Formulierung in Ps 79,9 o. Kap. II. 4.2.6. In Ps 79,9 steht die Bitte um das Gericht über die Völker und die Beendig ung des Exils im Vordergrund. 226 In einer Reihe von Geschichtsrückblicken wird das Motiv der Verherrlichung in der Formulierung aufgenommen, dass Gott ‚sich einen Namen macht‘ ( ;)עשה ל שםvgl. Jes 63,12.14; Jer 32,20; Dan 9,15; Neh 9,10.
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(למען שם, Ez 20,9.14.22.44). 227 Auch die Interpretation des Meerwunders als ‚Machttat‘ (גבורה, Ps 106,8) hat keinen direkten Haftpunkt in der Exoduserzählung; die Bezeichnung ist aber als Gottesepitheton fester Bestandteil der Psalmensprache und schlägt hier einen Bogen zum Gottesbild der Psalmen.228 Das eigentliche Meerwunder wird in Ps 106,9a zuerst in Anlehnung an den nichtpriesterschriftlichen Erzählbestand in Ex 14,21 als Trockenlegung des Schilfmeeres dargestellt ( ויגער בים סוף ויחרב, Ps 106,9a; vgl. וישם את הים לחרבה, Ex 14,21). Während dieses Resultat in Ex 14,21 aber die Folge eines von Jhwh heraufbeschworenen Windereignisses ist, bekommt das Geschehen in Ps 106,9a einen schöpfungstheologischen Anstrich, indem die Austrocknung durch eine göttliche Drohgebärde ()ויגער בים סוף herbeigeführt wird. Die in Ps 106,9 als Verbalform gebrauchte Wurzel גער beschreibt in Ps 18,16 ( )מגערתךund im direkten literarischen Vorkontext Ps 104,7 ( )מן גערתךdie anfängliche Unterwerfung der Chaoswasser und kennzeichnet das Meerwunder in Ps 106 damit als Machttat des Schöpfergottes. Als direkte literarische Vorlage für diese Interpretation kann der Asaph-Psalm 76,7 gelten, wo die Drohgebärde des Ziongottes gegen Wagen und Ross gerichtet ist ()מגערתך אלהי יעקב נרדם ורכב וסוס. Wird in Ps 76 mit dem personellen Inventar des Meerwunders ein geschichtlicher Reflex auf die Exoduserzählung eingespielt, 229 dreht der Autor von Ps 106 das Verhältnis um, indem er dem Meerwunder eine mythologische Ausdeutung gibt. Eine vergleichbare Reflexionsebene zeigt auch der prophetisch eingebettete Hymnus Nah 1,2–8, der am Anfang des Prophetenbuches in Aufnahme der Gnadenformel Ex 34,6f. Gottes Güte und Zorn preist. 230 Die Gottesmacht Jhwhs wird dabei in einer Reihe von Machttaten beschworen, zu denen auch die Vorstellung gehört, dass Gott dem Meer droht und es trocken legt (גוער ב ים ויבשהו, Nah 1,4). Auch wenn umstritten ist, inwieweit hier eine Reminiszenz an den Exodus vorliegt, 231 berühren sich Ps 106 und Nah 1 doch darin, dass zur Illustration von Gottes Wesen auf schöpfungstheologische Vorstellungen zurückgegriffen wird. Die zweite Vershälfte Ps 106,9b malt die machtvolle Austrocknung des Meeres weiter aus, indem die göttliche Führung durch die Fluten mit einem Weg durch die Wüste verglichen wird ()ויוליכם בתהמות כמדבר. Mit der 227
Vgl. dazu KLEIN, Schriftauslegung, 154–161. Vgl. Ps 21,14; 54,3; 65,7; 66,7; 71,16.18; 80,3; 89,14; 90,10; 106,2; 145,4. 11.12; 147,10; 150,2. 229 Vgl. dazu o. Kap. III. 4.2.4. 230 Vgl. dazu FABRY, HThK.AT, 134; ausführlich SCORALICK, Gottes Güte, 193–196. 231 Für eine heilsgeschichtliche Anspielung argumentiert FABRY, HThK.AT, 135; dagegen sieht P RÖBSTL, Rezeption, 138, trotz der Nähe zwischen den zwei Texten keine ausdrückliche Anspielung auf das Schilfmeer in Nah 1,4. 228
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Bezeichnung der Wasser als Fluten knüpft der Autor an das Lob von Gottes Rettungstat im Schilfmeerlied Ex 15 an (vgl. תהום, Ex 15,5.8). Dem Wortlaut des Psalms am nächsten steht aber mit Jes 63,13 ein Vers im Gebet der Gottesknechte, der die göttliche Führung durch die Fluten mit dem Weg von Pferden in der Wüste gleichsetzt (מוליכם בתהמות כסוס במדבר לא )יכשלו. Während der Vergleichspunkt in Ps 106,9 die Trockenheit der Wüste im Gegensatz zu den Fluten ist, liegt das tertium comparationis in Jes 63,13 in der Schutzwirkung der Führung Gottes; dieser lässt die Israeliten ebenso sicher durch die Fluten ziehen wie Pferde durch die Steppe. Spricht bereits die lectio brevior für die literarische Priorität von Ps 106,9,232 so kann auch die Erweiterung des Bildes in Jes 63,13 durch die buchinterne Rezeption des Pferdemotivs aus Jes 43,16f. erklärt werden. 233 Die Pferde wechseln dabei allerdings die Seiten: Sind sie in 43,17 noch Bild für die Feindvernichtung, symbolisieren sie in 63,13 das sichere Geleit des Volkes. Das Ergebnis des Vergleichs erhärtet die Vermutung, dass das Gebet der Gottesknechte in Jes 63f. den Psalm bereits voraussetzt und damit auch das Bild von der Führung durch die Fluten aus Ps 106 übernommen hat. Der folgende Abschnitt in Ps 106,10–12 interpretiert das Meerwunder durch die spezifische Verwendung von Erlösungsvokabular als umfassende Heilstat Jhwhs. Die Errettung aus der Hand der Feinde (ויושיעם מיד שונא, 106,10a) nimmt erneut die Rettungsaussage aus Ex 14,30 auf, wobei die Ägypter aber durch die allgemeinere Feindangabe ‚( שונאHasser‘) ersetzt werden. Hier könnte eine Anspielung auf den Zwilling Ps 105,25 vorliegen, wo Jhwh die Ägypter dazu bringt, sein Volk zu hassen ()לשנא עמו. Die parallele Aussage über die Erlösung von den Feinden in der zweiten Vershälfte von 106,10b ( )ויגאלם מיד אויבverweist mit dem Terminus גאלauf die Deutung der Geschehnisse in der Exoduserzählung (Ex 6,6; 15,13), in der auch die Bezeichnung der Ägypter als Feinde belegt ist ( אויב, Ex 15,6.9). Mit der Verwendung dieses Vokabulars gibt Ps 106,10 zugleich eine Ätiologie für die Selbstbezeichnung der Beter im folgenden Ps 107. Diese sehen sich als Erlöste Jhwhs, die er aus der Hand des Bedrängers gerettet hat (יאמרו גאולי יהוה אשר גאלם מיד צר, 107,2; vgl. צר, 106,11), wobei die Rettung auf die Sammlung des Volkes aus Exil und Diaspora bezogen wird 232
Vgl. zu dieser Bestimmung der Abhängigkeit auch GOLDENSTEIN, Gebet, 78, der in Jes 63,13 „eine Erweiterung des Schilfmeer-Bildes aus Ps 106“ sieht. Unter umgekehrten literarischen Vorzeichen geht P RÖBSTL, Rezeption, 138, davon aus, dass der Autor von Ps 106 den Vergleich aus Jes 63,13 verkürzt hat. 233 Jes 43,16f.: ‚So spricht Jhwh, der einen Weg gibt im Meer (הנותן בים דרך, 43,16) und in mächtigen Wassern einen Pfad, der ausziehen lässt Wagen und Pferd (המוציא רכב וסוס, 43,17), Heer und Starke, gemeinsam liegen sie da, stehen nicht mehr auf; si e sind erloschen, verglommen wie ein Docht.‘
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(107,3). Auf diese Weise kommen die Beter im masoretischen Psalterablauf mit dem Lobpreis der göttlichen Gnade in 107,1 dem in 106,47 versprochenen Dank für die Erlösung nach, die als Wiederholung der Rettung am Schilfmeer dargestellt wird.234 Die Aussage über die vollständige Vernichtung der Feinde in 106,11 ( )ויכסו מים צריהם אחד מהם לא נותרrekurriert schließlich auf die Notiz über das Schicksal des ägyptischen Heeres in Ex 14,28 ()וישבו המים ויכסו את הרכב ואת הפרשים לכל חיל פרעה הבאים אחריהם בים. Die Verbindung wird zuerst in der parallelen Formulierung כסה מיםdeutlich,235 wobei der Autor des Psalms aber die Nennung der ägyptischen Heeresteile durch die allgemeinere Feindangabe צרersetzt. Dies trägt zusätzlich zur paradigmatischen Zeichnung des Meerwunders in Ps 106 bei.236 Die Vernichtungsaussage aus Ex 14,28b ( )לא נשאר בהם עד אחדwird in Ps 106,11b dagegen chiastisch aufgenommen ()אחד מהם לא נותר, wobei der Autor das Verbum שארdurch die synonyme Wurzel יתרersetzt.237 Der Abschnitt über das Meerwunder endet in Ps 106,12 mit der Antwort der Väter auf die göttliche Rettungstat, die im Glauben an seine Worte und im Lobgesang seines Ruhms besteht ()ויאמינו בדבריו ישירו תהלתו. Mit dieser Aussage schließt sich im Psalm ein Kreis, da die Rettungstat Gottes die anfängliche Widerspenstigkeit des Volkes (וימרו, 106,7) überwindet und zum Glauben führt. In diesem Resümee nimmt der Psalm einen redaktionellen Zusammenhang auf, der bereits in der Exoduserzählung selbst angelegt ist. So ist die Glaubensaussage Ps 106,12 in Anlehnung an den Abschluss des Meerwunderberichts in Ex 14,31 formuliert, wo das Volk mit Gottesfurcht und Glauben auf die Vernichtung der Feinde reagiert ()וייראו העם את יהוה ויאמינו ביהוה ובמשה עבדו. Durch die Rezeption des Glaubensmotivs in Ps 106,12 folgt der Autor des Psalms der Deutungsperspektive des in Ex 14,11.31 tätigen Ergänzers, wobei er allerdings den persönlichen Glauben an Gott und Mose durch das Vertrauen auf die göttlichen Worte (ויאמינו בדבריו, Ps 106,12) ersetzt. Es liegt nahe, in den Worten eine Anspielung auf das konkrete Heilsorakel der Vorlage in Ex 14,13 zu sehen, wo Mose dem Volk die Rettungstat Jhwhs ankündigt. 238 Vor dem Hintergrund, dass das Wort im Zwillingspsalm 105 Synonym für den Bundesschluss ist (vgl. דבר, 105,8.19.42), ist hier aber auch eine generelle 234
Zum literarhistorischen Verhältnis der zwei Psalmen vgl. u. Kap. 4.3. Vgl. weiterhin Ex 15,5.10; Ps 78,53. 236 Diese Interpretationslinie, in der der ägyptische Gegner immer mehr zur paradi gmatischen Feindmacht wird, ist schon in der Literargeschichte des Meerliedes selbst angelegt; vgl. dazu o. Kap. II. 1.3. 237 Den synonymen Charakter der beiden Verben sieht auch P RÖBSTL, Rezeption, 137.258, mit Verweis auf Jos 11,22; Jes 4,3 und Jer 34,7, wo die beiden Wurzeln jeweils parallel verwendet werden. 238 So P RÖBSTL, Rezeption, 135. 235
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Aussage über den fehlenden Glauben an die im Bund ergangene Landverheißung zu denken, die ja ihren Anfang in der Herausführung aus Ägypten findet, deren Sinn und Zweck das Volk nach Ex 14,11 in Zweifel zieht. Die Glaubensaussage in Ex 14,31 hat in der Exoduserzählung nachfolgend die redaktionelle Kollektivierung des Meerwunders in Ex 15,1* nach sich gezogen, die aus dem individuellen Lobpreis des Mose ein Danklied des Volkes für die am Meer erfahrene Rettung macht (אז ישיר משה ובני )ישראל.239 Dies entspricht genau der in Ps 106,12 beschriebenen Reaktion der Israeliten, deren Glauben sich im Lobgesang des göttlichen Ruhmes äußert ()ישירו תהלתו. Die Beobachtung, dass dem Autor von Ps 106 die Zusammenstellung von Ex 14 und 15 in einem weit fortgeschrittenen literarischen Stadium vorgelegen hat,240 ist deshalb dahingehend zu profilieren, dass der Autor des Psalms gezielt das Glaubensmotiv und seine redaktionelle Fortführung in der Exoduserzählung aufnimmt.241 Unter dieser Leseperspektive stellt er die Ereignisse am Schilfmeer als Paradigma des glaubensstiftenden Rettungswunders dar, das von den Vätern in angemessener Weise durch den Lobgesang beantwortet wird.242 Die anschließende Beschreibung der Wüstenetappe bis zum Horeb in Ps 106,13–23 nimmt eine Reihe von Erzählstoffen aus der erzählenden Überlieferung des Pentateuchs auf, wobei zuerst eine deutliche Beeinflussung durch das Geschichtsbild in Ps 78 zu erkennen ist. So rekurriert die Beschreibung der Sünde als Vergessen der göttlichen Taten (מהרו שכחו מעשיו, 106,13) mit der Wurzel שכחauf die grundsätzliche Charakterisierung der Väter aus 78,7.11. Die Nichtberücksichtigung des göttlichen Planes ( לא חכו לעצתו, 106,13) bereitet dagegen im jetzigen Ablauf die nachfolgende Aussage in Ps 107,11 vor, wo die Gefangenschaft als Folge der Verachtung des göttlichen Ratschlusses dargestellt wird ()ועצת עליון נאצו.243 Der Bezug der folgenden Darstellung von 106,14f. auf die pentateuchischen Speisungswunder ist nur durch die Vertrautheit mit den Vorlagen als solcher 239
Vgl. dazu o. Kap. II. 1.2.2. Vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 139; GÄRTNER , Tora, 481. 241 Die Aufnahme dieses Zusammenhangs in Ps 106,12 notiert auch B ERNER , Exoduserzählung, 399. Aufgrund der aufgezeigten redaktionellen Verbindungen greift die A nnahme von HOSSFELD, HThK.AT III, 129, zu kurz, die Glaubensreaktion der Väter sei nur in Ps 106,12 aufgenommen worden, da „dieses Verhalten durch die Vorlage vorgegeben und nicht zu umgehen [war]“. 242 Eine paradigmatische Bedeutung der Meerwunderepisode in Ps 106 sieht auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 205f.241. Allerdings ist diese nach GÄRTNER nicht im anfänglichen Glauben des Volkes begründet, sondern die Rettung vor den Ägyptern we rde in Ps 106 zu „einer paradigmatischen Kategorie für das Rettungshandeln Jhwhs schlechthin, indem es das gesamte göttliche Rettungshandeln ( ישעhif.) zusammenfasst (Ps 106,21.47)“ (GÄRTNER , a.a.O., 205). 243 Vgl. zur redaktionsgeschichtlichen Differenzierung u. Kap. 4.3. 240
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zu erkennen, da eine konkrete Speisung nicht berichtet wird. Stattdessen ist der Psalm ganz auf die theologische Bewertung der Ereignisse als Ausdruck der sündigen Eigenmächtigkeit der Väter konzentriert. 244 So nimmt die einleitende figura etymologica ( ויתאוו תאוה106,14) einen Erzählzug der Manna- und Wachtelerzählung aus Num 11 auf, der die Bitte des Volkes nach Fleisch als unbotmäßige Gier bewertet (התאוו תאוה, Num 11,4).245 Der Autor in Ps 106 setzt die inhaltliche Füllung der Begierde als bekannt voraus und interpretiert sie in der zweiten Vershälfte als Versuchung Gottes (וינסו אל בישימון, 106,14). Damit folgt er der Auslegung von Ps 78, wo die Speisung des Volkes in der Wüste in Anlehnung an das Leitmotiv von Ex 17,1–7 überschriftartig als Versuchung Gottes (נסה, Ps 78,18; vgl. Ex 17,2.7) dargestellt wird.246 Die Nähe zu Ps 78 zeigt sich ferner an der Lokalisierung des Geschehens in der Einöde (בישימון, 106,14), die bereits in Ps 78,40 als Ortsbezeichnung für die Wüste belegt ist (vgl. Num 21,20; 23,28). 247 Der folgende synthetische Parallelismus beschreibt die Reaktion Gottes in einer Aufnahme von Ps 78,18 zuerst als Einlenken Gottes auf die Bitte des Volkes (שאלתם, 106,15; vgl. שאל, 78,18; 105,40 248). Dass sich dahinter eine Gerichtsmaßnahme verbirgt, macht die zweite Vershälfte deutlich, in der die in der Vorlage Num 11,33 als großer Schlag ( )מכה רבה מאדumschriebene Strafmaßnahme mit prophetischem Vokabular als Schwindsucht interpretiert wird ( וישלח רזון בנפשם, Ps 106,15).249 Der Erzählstoff der folgenden Verse Ps 106,16–18 stammt aus dem Kapitel über den Aufruhr gegen Mose und Aaron in Num 16, das in Ps 106 in einem literarisch weit fortgeschrittenen Stadium rezipiert wird. Auch wenn das Wachstum dieses Kapitels im Einzelnen umstritten ist, herrscht relative Einigkeit darüber, dass eine (nichtpriesterschriftliche) Erzählung über den Aufstand von Datan und Abiram in Num 16,12–15*.25–34* in der priesterschriftlichen Tradition nachträglich auf die gesamte Führungsschicht von 250 Männern ausgeweitet wird, ehe der Widerstand zuletzt 244
Ähnlich auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 207: „die Deutung in Ps 106,13–15 [hat] den versorgenden Aspekt der Erzählung gänzlich verloren.“ 245 Über Num 11,4 und Ps 106,14 hinaus ist die Verbindung des Nomens תאוהmit einer Verbform derselben Wurzel nur noch in Prov 21,26 belegt, wo die Formulierung aber auf das Beispiel des Faulen angewendet wird, der im Gegensatz zum Gerechten den ganzen Tag giert, ohne selbst auszuteilen () כל היום התאוה תאוה וצדיק יתן ולא יחשך. 246 Vgl. dazu o. Kap. III. 3.1. 247 Im Psalter ist die Ortsangabe ישימוןüber die genannten Stellen hinaus nur noch in Ps 68,8 und 107,4 belegt, wo sie aber nicht zur Lokalisation des Fehlverhaltens des Vo lkes verwendet wird. 248 In Ps 105,40 ist allerdings Gott Subjekt der Handlung; vgl. dazu o. Anm. 17. 249 Vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 165f., der aber auch einen Bezug auf Num 11,20 in E rwägung zieht.
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den Korachitern zur Last gelegt wird. 250 Mit dem einleitenden Vorwurf in Ps 106,16, der dem Volk den Tatbestand der Eifersucht auf Mose und Aaron zur Last legt ( ויקנאו למשה במחנה לאהרן קדוש יהוה, Ps 106,16), interpretiert der Autor des Psalms den Aufstand in Num 16,3. Hier bestreitet die Führungsschicht die Sonderstellung von Moses und Aaron mit dem Argument, dass die gesamte Gemeinde heilig sei (כל העדה כלם קדשים, Num 16,3). Indem in Ps 106,16 Aaron als Heiliger Jhwhs tituliert wird, bezeugt der Psalmist die Erfüllung der Ankündigung des Mose aus Num 16,5.7, wonach Jhwh erweisen werde, wer der Heilige ist. 251 Im Psalm wird so buchübergreifend die Führungsposition von Mose und Aaron legitimiert, die das Volk in Num 16 in Frage stellt. Abweichend von der Vorlage werden in Ps 106,17 aber nur Datan sowie die Gemeinde Abirams als Übeltäter genannt ()תפתח ארץ ותבלע דתן ותכס על עדת אבירם. Während Datan mit der Verschlingung ( )בלעdurch die Erde in Ps 106,17 das Urteil trifft, das im literarischen Grundbestand der Erzählung Num 16* für die Übeltäter und ihre Familien vorgesehen ist (ותפתח הארץ את פיה ותבלע אתם ואת בתיהם, 16,32a),252 wird die Sippe Abirams nach Ps 106,17 zur Strafe von der Erde bedeckt ()כסה. Mit dieser Formulierung wird ein Reflex auf die Vernichtung der Feinde im Schilfmeer eingespielt, die von den Wassern bedeckt werden (כסה, Ex 04,28; 15,5.10). Dabei hat offensichtlich das Meerlied Ex 15 auf Ps 106 eingewirkt, wo die in Ex 15,5.11b–12 tätige Bearbeitung die Vernichtung der Ägypter durch die Fluten mit dem Gericht über Datan und Abiram gleichsetzt (יכסימו, 15,5; vgl. תבלעמו ארץ, 15,12).253 Während in Ex 15 das Meerwunder durch das Geschick von Datan und Abiram interpretiert wird, greift der Autor von Ps 106 auf diese Auslegung zurück und ruft mit der Verschlingung der Aufrührer durch die Erde die Vernichtung der Feinde am Schilfmeer in Erinnerung. Den literarischen overkill in Ps 106,18 stellt die nachfolgende Feuerstrafe dar, die unter der Gemeinde der Aufrührer und den Gottlosen wütet 250 Vgl. dazu die knappen Analysen von LEVIN, Jahwist, 377, und KRATZ, Komposition, 110, sowie ausführlich L. SCHMIDT, Studien, 113–179; SEEBASS, BK IV/2, 173–189, und B ERNER , Aufstand, 11–31; dagegen findet z.B. SCHMITT, Suche, 266–268, in der Datan-/Abiramepisode, die jüngste Bearbeitung des Kapitels. Diskutiert wird aber vor allem die Einordnung des literarischen Grundbestandes in Num 16f.: Kommen L. SCHMIDT, Studien, 178f., und SEEBASS, BK IV/2, 183f.189, zu dem Ergebnis, dass die Datan-/Abiramerzählung vorpriesterschriftlich anzusetzen ist, hat B ERNER , Aufstand, 11–16, jüngst überzeugend dafür argumentiert, dass es sich bei der Episode bereits in ihrem Grundbestand um eine nachpriesterschriftliche Bildung handelt. 251 Vgl. L. SCHMIDT, Studien, 114 Anm. 216; zum Bezug von Ps 106,16 auf den Streitpunkt der Heiligkeit in Num 16,3.5.7 siehe auch HOSSFELD, HThK.AT III, 129. 252 Bei der Erwähnung der Korachiten in Num 16,32b handelt es sich um eine nac hträgliche Überarbeitung; vgl. LEVIN, Jahwist, 377; L. SCHMIDT, Studien, 179. 253 Vgl. dazu o. Kap. II. 1.2 und Kap. II. 1.3.
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()ותבער אש בעדתם להבה תלהט רשעים. Eine Feuerstrafe kennt auch die Bearbeitung in Num 16,35, die die Vernichtung Datans und Abirams um die Bestrafung der 250 Führungskräfte ergänzt, die durch ein von Jhwh ausgehendes Feuer verzehrt werden ( )ואש יצאה מאת יהוה ותאכל.254 Die genaue Formulierung in Ps 106,18 verweist mit בער אשaber auf die Tabera-Episode in Num 11,1–3, wo Gott das nicht näher konkretisierte Murren des Volkes mit einem bedrohlichen Feuer sanktioniert ( ותבער בם אש יהוה, 11,1; כי בערה בם אש יהוה, 11,3). Mit dem Bild der verzehrenden Flamme bekommt das Gericht im Psalm schließlich noch die Züge einer Theophanie (להבה, 106,18; vgl. Ps 29,7; 105,32). Die Kontroverse der Vorlage in Num 16 wird damit in Ps 106,16–18 nicht als ein Konflikt widerstreitender Ansprüche dargestellt, sondern ist von Anfang an eifersüchtiges Aufbegehren gegen die Unantastbarkeit von Mose und Aaron. Dass sich der Psalm über die Mittäterschaft Korachs in Num 16 ausschweigt, kann dabei als Rücksicht auf das Tempelpersonal der Korachiten gedeutet werden. 255 Stattdessen geht die Zugehörigkeitsbezeichnung עדה, die in Num 16,5.6.11.16 für die Anhänger Korachs verwendet wird, in Ps 106,17 auf die Gruppe um Abiram über ()על עדת אבירם.256 Die nächste Wüstenepisode über das Goldene Kalb in Ps 106,19–23 beginnt mit einer Notiz über die Anfertigung des Stierbildes (יעשו עגל בחרב וישתחוו, 106,19), die mit der Erwähnung der Proskynese in Anlehnung an den göttlichen Vorwurf in Ex 32,8 formuliert ist (עשו להם עגל מסכה וישתחוו )לו.257 Daran ist zweierlei bemerkenswert: Zuerst verschweigt der Psalm in Übereinstimmung mit den ‚Herstellerangaben‘ in Ex 32,8.20 die Täterschaft des Aaron, der nach der erzählenden Version Ex 32,4.35 (vgl. Dtn 9,20) eine aktive Rolle bei der Anfertigung des Goldenen Kalbes einnimmt.258 Der Psalmist hat offensichtlich ein Interesse daran, an die positive Zeichnung Aarons im vorherigen Vers 106,14 (‚der Heilige Jhwhs‘) 254
Zur Sekundarität der Feuerstrafe in Num 16,35 vgl. LEVIN, Jahwist, 377; L. SCHMIDT, Studien, 141f.178 (für 16,35aba); SEEBASS, BK IV/2, 189; B ERNER , Aufstand, 23–30. 255 Vgl. GUNKEL, Psalmen, 466; MATHIAS, Geschichtstheologie, 192; L. SCHMIDT, Studien, 114 Anm. 216; HOSSFELD, HThK.AT III, 129. 256 Ähnlich sieht auch L. SCHMIDT, Studien, 114 Anm. 216, in der Terminologie von Ps 106,17 eine „Abwandlung“ der Formulierung ‚Korach und seine/deine Gemeinde‘. 257 Ex 32,8 ist der einzige Vers, der in Ex 32–34 das Niederfallen des Volkes (חוה hišt.) vor dem Goldenen Kalb berichtet; vgl. zu diesem Bezug auch P RÖBSTL, Rezeption, 166. 258 Bei der nachklappenden Nennung Aarons in Ex 32,35bb ( )אשר עשה אהרןhandelt es sich um eine sekundäre Schuldzuweisung, die vermutlich im Anschluss an 32,21 –24 die negative Zeichnung Aarons verstärken soll (vgl. KONKEL, Sünde, 115f.). In 32,4 ist zwar auch Aaron für die Herstellung des Kalbs verantwortlich, aber das geschieht hier auf ausdrückliche Veranlassung durch das Volk.
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anzuknüpfen und allein das Volk für den Abfall am Horeb verantwortlich zu machen.259 Des Weiteren fällt auf, dass er mit Ex 32,8 auf einen Vers der Vorlage Bezug nimmt, der die Anfertigung des Goldenen Kalbes als Verstoß gegen das Bilderverbot des Dekalogs darstellt:260 In einer Pervertierung des Exodusbekenntnisses, das im Ersten Gebot die Verehrung Gottes begründet, schreiben die Israeliten die Herausführung aus Ägypten dem von ihnen angefertigten Stierbild zu (ויאמרו אלה אלהיך ישראל אשר העלוך מארץ מצרים, Ex 32,8). Dieser Tatbestand wird in Ps 106,20 in Aufnahme der Götzenpolemik Jer 2,11 zuerst als Vertauschung der göttlichen Herrlichkeit interpretiert ( וימירו את כבודם בתב ית שור אכל עשב, Ps 106,20; vgl. ועמי המיר כבודו, Jer 2,11). Dabei erfährt die nähere Charakterisierung der Götzen aus Jer 2,11 als ‚das, was nichts nützt‘ ( )בלוא יועילin Ps 106,20 eine inhaltliche Füllung mit der Polemik gegen das Gussbild des Stieres, dessen hervorstechende Eigenschaft die Tätigkeit des Grasfressens ist (בתבנית )שור אכל עשב. Den Exodusbezug, der in 106,18 durch den Rekurs auf Ex 32,8 bereits indirekt angelegt ist, verdeutlichen schließlich die Verse Ps 106,21f., die den Abfall der Väter darin begründet sehen, dass sie die grundsätzlichen Rettungstaten Gottes in Ägypten vergessen haben (שכחו אל מושיעם, 106,21).261 Durch die Stichwortbezüge zum Anfang des Psalms (ישע, vgl. 106,8.10; שכח, vgl. 106,13) wird der Abfall am Horeb als erster Ausdruck der Exodusvergessenheit dargestellt, die das Fehlverhalten der Väter in der Wüste kennzeichnet. Gott reagiert darauf mit dem Vernichtungsbeschluss, der nur durch die Fürbitte des Mose abgewendet wird ( ויאמר להשמידם לולי משה בחירו, 106,23a). Die Formulierung des Vernichtungsbeschlusses rekurriert mit dem Verbum שמדauf die Darstellung der Horebepisode in Dtn 9,25 () כי אמר יהוה להשמיד אתכם, während die Fürbitte des Mose in Sachen Goldenes Kalb sachlich an Ex 32,11–14.31 und Dtn 9,18f.25–29 anknüpft. Die literarische Nacharbeit an Ps 106 setzt genau an dieser Stelle an, um die mosaische Fürbitte in 106,23b durch Referenzen auf zwei Textbereiche weiter auszuschmücken. Zuerst bekommt Mose mit dem aus Ez 13,5 und 22,30 entlehnten Motiv des in die Bresche Tretens
259 Vgl. das Urteil von SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 248: „Es fällt auf, daß Aaron in v.16 in einzigartiger Weise der Titel ‚der Heilige JHWHs‘ gegeben wird. Er taucht bei der Erzählung um das Goldene Kalb, wo ihm nach Ex 32 (Dtn 9,20) die Verantwortung zukommt, bezeichnenderweise nicht mehr auf.“ 260 Den Nachweis führt KONKEL, Sünde, 148; vgl. ebenso FRANZ, Gott, 179. 261 Vgl. das Urteil von P RÖBSTL, Rezeption, 166: „[Ps 106] V.21f läßt sich als Reflex auf das pervertierte Exodusbekenntnis Ex 32,8 verstehen. Indem die Väter die Heilstat den Götzen zusprechen, verkehren sie das wahre Credo.“ Ebenso sieht GÄRTNER , Torah, 482f., im Vergessen der grundlegenden Rettungstat im Exodus den Hintergrund für den Abfall von Gott am Horeb; ausführlich auch DIES., Geschichtspsalmen, 212f.
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(עמד בפרץ לפניו, Ps 106,23b) Züge des idealen Propheten,262 zu dessen Aufgabe auch die Fürbitte gehört. Inhaltlich ist das fürbittende Eintreten des Mose dagegen auf das Abwenden des göttlichen Zornes gerichtet (להשיב חמתו מהשחית, 106,23b). Hier klingt das Resümee über die Wüstenzeit aus Ps 78,38 an, wo berichtet wird, dass Gott die Israeliten trotz ihrer Vergehen in der Wüste nicht vernichtet und von seinem Zorn ablässt (ולא ישחית ) והרבה להשיב אפו ולא יעיר כל חמתו. Ist es dort in einem Rekurs auf die Gnadenformel Gottes Barmherzigkeit, die ihn von der Vernichtung seines Volkes absehen lässt, 263 ist es in Ps 106 das von Mose wahrgenommene Amt der prophetischen Fürbitte. Der folgende Abschnitt über die Wüstenereignisse in Ps 106,24–33 beginnt in 106,24–27 mit einer Darstellung der Kundschaftergeschichte, die vor allem auf die beiden Berichte in Num 14 und Dtn 1 bezogen ist. 264 Dabei ist der Psalm weniger an einer Nacherzählung der Ereignisse selbst interessiert als vielmehr daran, die Verweigerung der Landnahme in einer Aufnahme der in den Texten selbst angelegten Deutungsperspektive auf den Unglauben des Volkes zurückzuführen. Dieser Zusammenhang zeigt sich bereits in der einleitenden Aussage Ps 106,24, die das Verschmähen des köstlichen Landes265 auf den fehlenden Glauben an das göttliche Wort zurückführt () וימאסו בארץ חמדה לא האמינו לדברו. Während die erste Vershälfte mit der Wurzel מאסden Tatbestand in Anlehnung an Num 14,31 formuliert ()את הארץ אשר מאסתם בה, greift die zweite Vershälfte mit dem Verbum אמןhif. auf die Deutung des Geschehens in der Gottesrede Num 14,11–25 zurück, wo Jhwh die Verweigerung der Landnahme als mangelndes Gottvertrauen interpretiert ( ועד אנה לא יאמינו בי, 14,11). 266 Diese Beurteilung findet sich auch in der Rekapitulation der Wüstenwanderung Dtn 1,32 262 Vgl. dazu o. Kap. 2.2. Ähnlich auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 213–215, die allerdings keine literarkritische Differenzierung in Ps 106,23 annimmt. 263 Vgl. dazu o. Kap. III. 3.2. 264 Vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 147–149, der von einer „Verschränkung der Darstellung Dtn 1 und Num 14“ (P RÖBSTL, a.a.O., 147) spricht. 265 Die Rede vom ‚köstlichen Land‘ ( ) ארץ חמדהfindet sich über Ps 106,24 hinaus nur noch im prophetischen Überlieferungsbereich (Jer 3,19; Sach 7,14). Hinter diesem Stich wort ist in Ps 106 im Anschluss an P RÖBSTL, Rezeption, 147, eine Zusammenfassung der Erzählzüge aus der Kundschaftergeschichte zu vermuten, die die Vorzüge des Landes beschreiben (vgl. Num 13,23f.; 14,7). 266 Das literarische Verhältnis von Num 14,31 und 14,11 wird in der Forschung unte rschiedlich beurteilt: L. SCHMIDT, ATD 7,2, 40, und SEEBASS, BK IV/2, 96, schreiben beide Verse der nichtpriesterschriftlichen Erzählung zu. Dagegen beurteilt SCHART, Mose, 88f., Num 14,11 als Teil seiner „D-Schicht“, zu der sekundär die Priesterschrift mit Num 14,31 hinzukomme, während LEVIN, Jahwist, 376, literarisch differiert, indem er Num 14,11 (Teil der Gottesrede 14,11–25) als einen sekundären theologischen Kommentar zur vorliegenden (jahwistischen) Erzählung beurteilt, in der 14,31 bereits enthalten sei.
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( )אינכם מאמינם ביהוה אלהיכםund Dtn 9,23 ()ולא האמנתם לו, die als sekundäre Rekapitulation der Kundschaftergeschichte Num 13f. gelten können. 267 Gegenüber diesen drei Glaubensaussagen ( אמןhif.), die den Glauben mit Jhwh als Objekt verbinden, zeigt sich das besondere Interesse des Autors in Ps 106 daran, dass dezidiert das göttliche Verheißungswort zum Objekt des Glaubens wird. 268 Im Anschluss an die Beobachtungen zu 106,12 kann hier ein Bezug auf die Landverheißung als Bundeswort vorausgesetzt werden, der sich das Volk in der Kundschaftergeschichte ausdrücklich verweigert. Die Widerspenstigkeit des Volkes illustriert auch die nachfolgende Darstellung in Ps 106,25: Mit dem Murren in den Zelten (וירגנו )באהליהםnimmt der Autor ein Bild auf, das über den Psalm hinaus nur noch in Dtn 1,27 belegt ist und dort die Reaktion des Volkes auf den Bericht der Kundschafter beschreibt. Mit dem Motiv des Nicht-Hörens auf die Stimme Jhwhs ( )לא שמעו בקול יהוהwird in der zweiten Vershälfte Ps 106,25 zudem ein Motiv verwendet, das bereits in Dtn 9,23 zur Erläuterung des Unglaubens bei der verweigerten Landnahme herangezogen wird und ferner in Num 14,22 übergreifend die Sünde des Volkes in Ägypten und der Wüste benennt. Anders als die Vorlage in Num 14,13–19 berichtet der Psalm bei der Kundschaftergeschichte nicht von einer Fürbitte des Mose, sondern stattdessen besiegelt der kategorische Strafschwur in Ps 106,26f. das Schicksal der Israeliten bis in die folgende Generation hinein. Die Vorlage in Num 13f. kennt drei Versionen, wie das Volk bestraft wird: Auf die wahrscheinlich älteste Wachstumsstufe gehört der Bericht über die Vollstreckung des Urteils in Num 14,37. Dabei begrenzt der Tod der Kundschafter durch eine Plage das Gericht auf die Gruppe derer, die die Gerüchte über das Land in die Welt gesetzt haben. 269 Überzeugend kann des Weiteren eine sekundäre Auslöschung des ganzen Volkes in Num 14,26–29* von der vermutlich jüngsten Überarbeitung in 14,29–32* unterschieden werden, die die Strafe auf die Wüstengeneration der Väter eingrenzt, während den Kindern der Einzug in das Land zugesagt wird (14,31).270 Die Verbindungen zu Ps 106,26f. zeigen, dass der Psalm in diesem Punkt die literari267
Zur Sekundarität von Dtn 1,32 gegenüber Num 13f. vgl. LEVIN, Jahwist, 376 Anm. 28; KRATZ, Ort, 108f. 268 Vgl. zu der Beobachtung auch P RÖBSTL, Rezeption, 148. 269 So in der literarischen Beurteilung mit LEVIN, Jahwist, 375f., der davon ausgeht, dass Num 14,37 das Ende des priesterschriftlichen Erzählfadens in Num 13f. bildet, der den nichtpriesterschriftlichen Bestand aus sich heraus gesetzt habe. Etwas komplexer sieht auch L. SCHMIDT, Studien, 112f., in 14,37f. das Ende des priesterlichen Erzählfadens, rechnet aber mit einer vorpriesterlichen Parallele, die erst durch eine Redaktion mit der priesterlichen Fassung verbunden worden sei (ähnlich auch SEEBASS, BK IV/2, 95f). 270 Vgl. LEVIN, Jahwist, 376.
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sche Endgestalt der Kundschaftergeschichte in Num 13f. bereits voraussetzt: Die Schwurgeste ist aus Num 14,30 entlehnt (וישא ידו להם, Ps 106,26; vgl. נשאתי את ידי, Num 14,30), wobei der Gestus der Handhebung dort aber auf die vorherige Landverheißung bezogen ist, die im Straffluch Jhwhs revoziert wird. In der konkreten Androhung des ‚Fällens‘ in der Wüste ( )להפיל אותם במדברnimmt Ps 106,26 dagegen Bezug auf den Vers Num 14,29 ( )במדבר הזה יפלוund dessen Wiederaufnahme in 14,32 (יפלו )במדבר הזה. Dabei setzt der Autor des Psalms das in Num 14,29.32 im kal verwendete Verbum נפלin den kausativen Stamm, so dass der Bezug auf Jhwh als Vollstrecker der Strafe deutlich wird. 271 Lassen die Verbindungen zwischen den Texten deutlich erkennen, dass Ps 106,26f. auf die erzählende Überlieferung in Num 13f. bezogen ist, fällt doch ein markanter Unterschied auf: Der Autor des Psalms verschärft die Strafankündigungen der Vorlage, indem er auch die Kinder von dem Eintritt in das Land ausschließt und ihnen in Entsprechung zum Fall der Väter die Zerstreuung unter die Völker ansagt ( ולהפיל זרע ם בגוים ולזרותם בארצות, 106,27).272 Diese Abweichung von Num 14 wird im Allgemeinen auf den Einfluss von Ez 20,23 zurückgeführt;273 ein Vers aus dem prophetischen Geschichtsrückblick Ez 20, der inhaltlich und terminologisch eine große Nähe zu Ps 106,27 aufweist. Der Geschichtsrückblick Ez 20 zeigt für drei Generationen Israels von den Vätern in Ägypten bis zu den Söhnen in der Wüste die wiederholte Widerspenstigkeit des Volkes auf (מרה, Ez 20,8. 13.21).274 Als die Söhnegeneration in der Wüste das Verhalten der Väter wiederholt, verwirken die Kinder in gleicher Weise wie die Väter den Eintritt in das Land und Jhwh schwört, dass er sie stattdessen unter die Völker versprengen und in die Länder zerstreuen wird (גם אני נשאתי את ידי להם במדבר להפיץ אתם בגוים ולזרות אותם בארצות, Ez 20,23). Ez 20,23 und Ps 106,26f. stimmen erkennbar in der Darstellung als Strafschwur überein 275 und weisen in ihren konkreten Formulierungen eine Reihe von Übereinstimmungen auf ( נשא יד להם במדבר/ )לזרות בארצות. In beiden Texten wird der Generation der Söhne in der Wüste eine Zerstreuung in die Diaspora an271
Vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 149. Die Verschärfung der Strafankündigung beobachtet auch P RÖBSTL, Rezeption, 150, der hier allerdings den Einfluss von Ez 20,23 sieht (in der Bewertung ebenso GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 217f.; vgl. auch u. Anm. 273); dazu anders im Folgenden. 273 Vgl. GUNKEL, Psalmen, 466; MATHIAS, Geschichtstheologie, 189 Anm. 223; ALLEN, WBC 21, 72 („[…] it looks as if Ezek 20:23 is echoed here.”); O HNESORGE , Jahwe, 112 Anm. 116.119; P OLA, Priesterschrift, 198f.; P RÖBSTL, Rezeption, 149f.; HOSSFELD, HThK.AT III, 130; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 217f. 274 Zur Analyse vgl. OHNESORGE , Jahwe, 78–202; KLEIN, Schriftauslegung, 154–157. Die konzeptionelle Nähe zwischen Ps 106 und Ez 20 notiert auch RÖMER , Väter, 521. 275 Anders sieht P OLA, Priesterschrift, 199, in Ps 106,26 „trotz gleicher Redewendung nicht den Strafgestus von [Ez] 20,5f.15.23.42“. 272
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gedroht, wobei aber die Schuldfrage unterschiedlich beantwortet wird: Während die Zerstreuung in Ps 106,26f. in der kollektiven Schuldhaftung der Söhne für die Vergehen der Väter begründet liegt, werden die Kinder nach Ez 20,21 selbst schuldig. Dementsprechend kennt der Psalm auch nur einen Strafschwur, in dem die Generationen von Vätern und Söhnen ihr gemeinsames Urteil erhalten, während in Ez 20,15.23 jede Generation ihre eigene Strafe erhält. Die gemeinsame Intention, die Diaspora bereits mit den Geschehnissen der Wüstenzeit zu begründen, sowie die Formulierungsparallelen machen eine literarische Abhängigkeit von Ps 106 und Ez 20 wahrscheinlich. Entgegen der üblicherweise angenommenen Rezeption von Ez 20,23 in Ps 106,26f.276 spricht die stärkere Systematisierung der Darstellung in Ez 20 m.E. dafür, dass Ps 106 in diesem Text bereits vorausgesetzt ist. Während der Psalm nur vereinzelt die Rücksicht auf den göttlichen Namen (Ps 106,47) und das Murren des Volkes (106,7.43) anführt, werden die beiden Konzepte in Ez 20 zu wiederkehrenden Leitmotiven, die die Geschichtsdarstellung strukturieren. 277 Darüber hinaus zieht der Autor von Ez 20 auch die Konsequenz aus der Tatsache, dass die Generation der Söhne bereits in der Wüste das Anrecht auf das Land verwirkt hat. Denn die ursprüngliche Fassung des Geschichtsabrisses in Ez 20 endet mit der direkten Verbannung unter die Völker 20,23f., während die Zeit im Land übersprungen wird.278 Schließlich ist Ps 106,27 mit dem Verbum נפלdeutlich auf die Vorlage in Num 14,29 bezogen, während Ez 20,23 mit פוץdas Standardvokabular des Prophetenbuches verwendet und damit die größere Distanz zur erzählenden Überlieferung aufweist. Dies spricht insgesamt dafür, dem Psalm die literarische Priorität gegenüber der prophetischen Geschichtsdarstellung einzuräumen. Der spätere Autor von Ez 20 ist nicht mehr an dem Bezug zur Kundschaftergeschichte in Num 14 interessiert, sondern er rezipiert den Strafschwur aus Ps 106,26f. im Rahmen seines generationenübergreifenden Schuldnachweises. Im Anschluss an Ps 106 verlagert er die Begründung für Exil und Diaspora in die Wüstenzeit, aber während Ps 106 eine Erklärung für den Verlust des Landes bietet, geht es in Ez 20 darum, eine Ätiologie für die aktuelle Zerstreuungssituation des Volkes zu geben.279 Der Abschnitt Ps 106,28–31 nimmt im Anschluss an die Kundschaftergeschichte mit dem Abfall der Israeliten zum Baal-Peor aus Num 25 noch 276
Vgl. dazu o. Anm. 273. Vgl. KLEIN, Schriftauslegung, 154–161. 278 Zur mutmaßlichen Grundfassung des Kapitel in Ez 20,5–24* vgl. KLEIN, Schriftauslegung, 155, und die dort angegebene Sekundärliteratur. 279 Vgl. das Urteil von RUDNIG, Heilig, 240, der in Bezug auf Ez 36,16–23aba und 20,1–44 zutreffend von einer „Theologie der Diaspora“ spricht. 277
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eine weitere Episode aus der Wüstenzeit auf, um an dieser Begebenheit das vorbildhafte Verhalten des Pinchas hervorzuheben.280 Der Autor des Psalms nimmt darin eine Harmonisierung zweier Themenkomplexe vor, die in Num 25 erst redaktionsgeschichtlich miteinander verbunden werden: Während die Erzählung in Num 25,1–5* vom Abfall Israels zum Baal-Peor berichtet, geht es in der Episode in 25,6–15* um die Bestrafung eines Mischehepaares durch den Priester Pinchas.281 Im Psalm wird das Vergehen in Anlehnung an Num 25,2f. als ‚Einlassen‘ auf den Fremdgott Baal-Peor beschrieben (ויצמדו לבעל פעור, Ps 106,28a; vgl. ויצמד ישראל לבעל פעור, Num 25,3), das in der Folge zum Genuss des Götzenopfers führt (ויאכלו זבחי מתים, Ps 106,28b; vgl. ותקראן לעם לזבחי אלהיהן ויאכל העם, Num 25,2). Dabei betont die Auslegung des Psalms die Nutzlosigkeit des fremden Gottes, indem hier von Opfern der Toten gesprochen wird. 282 Die Zornesreaktion Gottes entspricht seiner in Num 25,3 erzählten Reaktion, wobei der Psalm in der Wahl des Verbums ( כעס106,29) für das Vergehen des Volkes aber den Aspekt des Treuebruches in den Vordergrund stellt. 283 In Num 25 wird der Zusammenhang zwischen dem Erzürnen Gottes und der unter den Israeliten wütenden Plage erst sekundär hergestellt, da die Grunderzählung keine konkrete Strafschilderung enthält und die Plage nur im Kontext des Mischehefalls erwähnt wird (25,8b.9). Der Autor von Ps 106 schildert das Einsetzen der Plage dagegen als direktes Gottesgericht in Reaktion auf den Abfall zum Baal-Peor (ויכעיסו במעלליהם ותפרץ בם מגפה, 106,29) und bezieht auch die Aktion des Pinchas auf dieses Vergehen. Unter Auslassung der konkreten Mischehenproblematik von Num 25,6–15 tritt dieser in Ps 106,30a als Sachverwalter für das ganze Volk auf ()ויעמד פינחס ויפלל. Den Erfolg des fürbittenden Ein280 So auch das Urteil von SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 248: „Gerade diese Episode aus Num 25,1–15 wird in den vv.28–31 in all ihrer redaktionsgeschichtlich bedingten Inkohärenz […] anzitiert und auf die göttliche Sanktionierung der von Pinchas durchg eführten priesterlichen Rettungsaktion enggeführt.“ 281 Das Nebeneinander von Baalsdienst und Mischehenfrage in Num 25 ist unumstri tten, wird aber unterschiedlich beurteilt: L. SCHMIDT, ATD 7,2, 144–148, sieht den Grundbestand im Bericht vom Abfall Num 25,1a.3.5; dieser sei zuerst durch 25,1b.2.4 erweitert worden, ehe die Pinchasepisode in 25,6–13 ergänzt worden sei (zur Ergänzungshypothese in Num 25 vgl. schon SMEND, Erzählung, 233). Dagegen gehen SCHAR BERT, NEB 27, 103; SEEBASS , BK IV/3, 124–131, von zwei selbständigen Traditionen in 25,1–5* und 25,6–15(18)* aus, die in Num 25 sekundär miteinander verbunden seien. 282 Zu dieser Auslegung vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 151; HOSSFELD, HThK.AT III, 131. Anders sieht GUNKEL, Psalmen, 467, hier den Bezug auf konkrete Totenopfer; ebenso SEEBASS, Berit, 227. 283 Hier klingt eine Reihe von dtr. beeinflussten Texten wie Dtn 32, 2 Kön 17 oder Ps 78 an, in denen das Lemma כעסdie Reaktion Gottes auf den Abfall des Volkes beschreibt (vgl. Dtn 32,16.19.21.27; 2 Kön 17,11.17; Ps 78,58); siehe dazu auch LOHFINK, Art. ָכ עַס, 300–302.
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tretens beschreibt die zweite Vershälfte 106,30b, die in Aufnahme der Terminologie aus Num 25,8b das Ende der Plage konstatiert ()ותעצר המגפה. In der konkreten Formulierung seines Handelns wird Pinchas in Ps 106 in doppelter Weise ausgezeichnet: Während Num 25,7 sein Eingreifen durch das Verbum קוםim Sinne eines Hervortretens aus der Gemeinde beschreibt ()ויקם מתוך העדה, verwendet der Autor von Ps 106,30 עמדund ein späterer Redaktor lässt ihn durch die Wiederaufnahme der Wurzel (vgl. Ps 106,23) in die Fußstapfen des Fürbitters Mose treten. 284 Darüber hinaus wird Pinchas zum Erbe des Stammvater Abrahams, indem ihm das vorbildliche Verhalten zur Gerechtigkeit angerechnet wird (ותחשב לו לצדקה לדר ודר עד עולם, 106,30). Mit dieser Aussage interpretiert der Psalm die doppelte Bundesverheißung an Pinchas in Num 25,12.13a, wo Gott diesem und seiner Nachkommenschaft den Heilsbund (ברית שלום, 25,12) und den Bund ewiger Priesterschaft (ברית כהנת עולם, 25,13) zuspricht. Zwar schwingt in der Verheißung des Psalms mit dem Stichwort ‚ewig‘ der Bund ewiger Priesterschaft aus Num 25,12 mit, aber sachlich entspricht Ps 106,30 dem Heilsbund, da die persönliche Auszeichnung des Pinchas im Vordergrund steht: „Aber eben nicht das Priestertum des Pinchas, sondern sein Eintreten für Jahwe und sein Volk begreift Ps 106,31 als eine vor Jahwe ewig anerkennenswerte Tat des Rechten.“ 285 Allerdings spricht Ps 106,31 nicht explizit von einem Bundesschluss, sondern stellt über die nur in 106,31 und Gen 15,6 belegte Formulierung חשב לו ]ל[צדקהden Bezug zum Abrahambund her. Wie Abraham sein Glaube, so wird Pinchas sein Verhalten zur Gerechtigkeit angerechnet, 286 so dass die Auszeichnung des Pinchas mit dem Abrahambund auf einer Stufe steht. Steht die Figur des gläubigen Abraham im literarischen Rückraum, kann das Eintreten des Pinchas auch als Ideal gottgefälligen Verhaltens verstanden werden, mit dem er sich positiv vom ungläubigen Rest des Volkes absetzt. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Zwilling Ps 105 den Väterbund an die Stelle des Davidbundes von Ps 89 setzt, 287 liegt mit der Anspielung auf Gen 15 eine weitere Akzentverschiebung vor, da die Verheißung des Davidbundes 284 Vgl. dazu o. Kap. 2.2. In gleicher Weise umschreibt Sir 45,23 das stellvertretende Handeln des Pinchas mit dem Bild, dass er sich in den Riss des Volkes hinstellt ( ויעמד [ בפרץ עמוMs B]) und gibt sich so als Auslegung von Ps 106 zu erkennen (zurückhaltender urteilt SAUER , ATD.A 1, 311: „der Riß, in den Pinchas tritt, wird auch in Ps 106 so bezeichnet“). Das Urteil von SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 248f., der in der Rezeption von Ps 106 eine „Marginalisierung der Mosegestalt“ sehen will, geht m.E. zu weit; vielmehr liegt der Fokus auf der Auszeichnung des Pinchas. 285 SEEBASS, Berit, 229. 286 Vgl. SCHNOCKS , Bund, 201, und im Anschluss an diesen HOSSFELD, HThK.AT III, 131. Den Bezug auf Gen 15,6 notieren ferner J ANOWSKI, Interzession, 243; P RÖBSTL, Rezeption, 154. 287 Vgl. dazu o. Kap. 3.1.
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nicht auf das Volk, sondern auf das nachexilische Priestergeschlecht in der Figur des Pinchas übergeht.288 Mit der Lokalisation an den Wassern von Meriba (Ps 106,32) verarbeitet die letzte Episode der Wüstenzeit in Ps 106,32f. den Stoff der Murrgeschichten Ex 17,1–7 und Num 20,1–13, die beide in Meriba lokalisiert werden (Ex 17,7; Num 20,13). Allerdings liegt der Schwerpunkt der Darstellung im Psalm nicht auf dem Vergehen des Volkes, sondern er bietet eine Ätiologie, warum es Mose ‚schlecht ergeht‘ (וירע למשה, 106,32). Hinter dieser Beschreibung ist unschwer eine Anspielung darauf zu erkennen, dass Mose – ebenso wie nach der Darstellung des Pentateuch auch Aaron – das Land nicht betreten darf (vgl. Num 20,02; Num 27,14; Dtn 32,51). Damit führt der Psalm eine Rezeptionslinie fort, die nur in der zweiten Version der Meribaepisode in Num 20,1–13 angelegt ist: Dort versagt Jhwh Mose und Aaron im Anschluss an das Wasserwunder die Führung des Volkes in das Land mit der Begründung, dass sie nicht an ihn geglaubt haben (יען לא האמנתם בי … לכן לא תביאו את הקהל הזה אל הארץ אשר נתתי להם, Num 20,12). Da der vorausgehende Bericht nur wenig Anhalt für diesen Vorwurf bietet, kann in Num 20,12 mit einer nachträglichen Deutung der Ereignisse gerechnet werden, die im Verhalten von Mose und Aaron in Meriba die Gründe dafür findet, warum die zwei das Volk nicht ins Land bringen dürfen.289 Diese ätiologische Lesart der Meribaepisode wird neben Ps 106 auch in den kurzen Notizen Num 20,12.24; 27,14 und Dtn 32,51 vorausgesetzt, wo die Verwehrung des Landes gegenüber Aaron (Num 20,24) bzw. Aaron und Mose (Num 20,12; 27,14; Dtn 32,51) mit den Ereignissen in Meriba begründet wird. Diesen Texten steht eine in Dtn 1,37; 3,26 und 4,21 belegte Variante gegenüber, nach der Mose den Eintritt in das Land nicht aus eigener Schuld verwirkt hat, sondern wegen des Versagens des Volkes bei der Kundschafterepisode in Kollektivhaftung genommen wird. So sprechen die drei Texte aus dem Deuteronomium davon, dass Gott Mose um der Israeliten willen zürnt (בגללכם, Dtn 1,37; למענכם, 3,26; על דבריכם, 4,21), so dass dieser das Land nicht betreten darf. Der Autor von Ps 106 verbindet diese zwei Begründungsmodelle, indem das Urteil über Mose durch eine Mischung von Schuldzuweisung und Berücksichtigung mildernder Umständen geprägt ist. 290 Die Darstellung 288
Die Linie zu Ps 89 zieht auch SCHNOCKS, Bund, 201, aus. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 222, betont „die Verankerung des Priestertums und seiner Sukzession in der fundierenden Heilsgeschichte“. 289 Vgl. LEVIN, Jahwist, 378, und in der literarischen Beurteilung ebenso FREVEL, Blick, 328–333; bei SEEBASS, BK IV/2, 274–277, und L. SCHMIDT, ATD 7,2, 90, gehört der Vers Num 20,12 dagegen zum priesterlichen Grundbestand. 290 Vgl. L. SCHMIDT, Studien, 68 Anm. 102. Ähnlich auch P RÖBSTL, Rezeption, 156: „Mit dieser Beurteilung steht Ps 106 gewissermaßen in der Mitte zwischen Dtn und Te t-
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beginnt in 106,32a mit einem kurzen Resümee, das die Ereignisse in Meriba unter dem Gesichtspunkt zusammenfasst, dass die Israeliten Gott dort zum Zorn reizten ()ויקציפו על מי מריבה. Die Terminologie ist mit dem Verbum קצףhif. an eine Reihe von Texten angelehnt, die die Vergehen Israels gegen Gott in der Wüstenzeit beschreiben (vgl. Dtn 1,34 [kal]; 9,7.8.22). Auf diese Exposition folgt in dem Abschnitt Ps 106,32b–33 die Beurteilung von Moses Verhalten in Meriba. Die Schuld, die er auf sich geladen hat, besteht nach 106,33b in unbedachter Rede ()ויבטא בשפתיו, wobei die seltene Formulierung בטאpi. an der einzigen Parallelstelle Lev 5,4 den unbesonnenen Schwur meint, mit dem ein Mensch schuldig wird. In Bezug auf die Meribaepisode Num 20 kann sich dieser Vorwurf nur auf die Frage von Mose (und Aaron)291 in Num 20,10 beziehen, die im Psalm als unbedachte Äußerung gedeutet wird. 292 Gegenüber der textinternen Deutung in Num 20,12, die das Verhalten der zwei Anführer als Unglaube bewertet ()יען לא האמנתם, stellt die Beurteilung im Psalm eine deutliche Abmilderung dar, die wahrscheinlich darin begründet liegt, dass die Verfehlung des Mose nicht auf eine Stufe mit dem Unglauben des Volkes in Ps 106,24 gestellt werden soll. Zusätzlich führt der Autor des Psalms durch die Aufnahme des zweiten Begründungsmodelles von Dtn 1,37; 3,26; 4,21 weitere mildernde Umstände an. Mit der Aussage ‚ihretwegen‘ (בעבורם, 106,32b) wird das Geschick des Mose den Israeliten angelastet, die ihn durch ihr Verhalten erst zu seiner unbedachten Rede verleitet haben (106,33). Das Interesse des Psalms, einerseits die Schuld des Mose festzuschreiben, ihn aber andererseits durch die Anstiftung des Volkes zu entlasten, ist deutlich erkennbar. Im letzten Abschnitt Ps 106,34–42, der die Geschehnisse im Land beschreibt, ändert sich die Art der Darstellung. 293 Im Gegensatz zur Frühzeit rateuch: Mose ist weder der Volksführer, der tragisch am Schicksal der Seinen mitzutragen hat. Noch ist er derjenige, der mutwillig gegen Jahwe frevelt. Mose unbedachte Rede ist durch das Fehlverhalten der Väter ausgelöst und bleibt dennoch eigenes Versagen.“ Vgl. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 224, derzufolge an der besonderen Rolle Moses als des Erwählten Jhwhs auch in der Situation festgehalten wird, „in der Mose durch seine unbesonnene Rede unbeabsichtigt an der Schuld des Volkes mitschuldig wird.“ 291 Bei der Nennung Aarons neben Mose handelt es sich m.E. um eine sekundäre Einfügung in Num 20,10, wie schon an der singulären Redeeinleitung ויאמרdeutlich wird; anders bezieht L. SCHMIDT, ATD 7,2, 92 mit Anm. 118, die Redeeinleitung unproblematisch auf Mose; ebenso SEEBASS, BK IV/2, 281. 292 Num 20,10: ‘( שמעו נא המרים המן הסלע הזה נוציא לכם מיםHört doch, ihr Widerspenstigen, sollen wir für euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen?‘). Zu den unterschiedlichen Ausdeutungen von Num 20,10 vgl. L. SCHMIDT, Priesterschrift, 67f. (vgl. DERS., ATD 7,2, 92f.), sowie SEEBASS, BK IV/2, 281f. 293 So HOSSFELD, HThK.AT III, 132. Ähnlich beobachten auch KRAUS, BK XV/2, 905; MATHIAS, Geschichtstheologie, 196; HAGLUND, Historical Motifs, 7, und MATHIAS,
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konzentriert sich die Beschreibung nicht mehr auf einzelne Episoden der erzählenden Überlieferung, sondern der Autor des Psalms benutzt die Gesetzesbestimmungen des Pentateuchs als Maßstab, um die Zeit im Land als fortwährenden Verstoß gegen die göttlichen Normen darzustellen.294 Ausgangspunkt für den Sündenspiegel in Ps 106,34–39 ist die Missachtung des Bündnisverbotes,295 das in der erzählenden Überlieferung in vier Fassungen vorliegt: Ex 23,20–33; 34,10–26; Dtn 7,1–6 und Ri 2,1–5. Für die Literargeschichte dieser Texte kann gezeigt werden, dass das ursprüngliche Bündnisverbot nachfolgend in einer Reihe von Texten in einen Zusammenhang mit dem Verschwägerungsverbot und dem Abgöttereiverbot gebracht worden ist. 296 Die Darstellung in Ps 106 setzt diese literarhistorische Entwicklung bereits voraus und konzentriert sich darauf, die Konsequenzen aus dem Verstoß gegen das Bündnisverbot darzustellen. Dieses wird in 106,34 in der verschärften Interpretation von Dtn 7,24 als göttliche Aufforderung zitiert, die Fremdvölker auszurotten (לא השמידו את העמים אשר אמר יהוה להם, Ps 106,34; vgl. שמד, Dtn 7,24)297 und der Verstoß gegen diesen Anordnung führt in Ps 106,35f. zur Vermischung mit den Völkern, die die Israeliten zur Abgötterei verleiten. Mit diesem kausalen Zusammenhang setzt der Psalm die Ergänzungen des eigentlichen Bündnisverbotes um Ex 34,15f. und Dtn 7,3b.4a voraus, durch die jeweils Verschwägerung und Abgötterei als Konsequenz des unterlassenen Bündnisverbotes eingebracht werden.298 Die Formulierungen im Einzelnen zeigen ein teilweise über die Vorlagen hinausgehendes Rezeptionsinteresse. So wird die Vermischung mit den Völkern durch die Verwendung der Wurzel ויתערבו( ערב בגוים, Ps 106,35) transparent für die nachexilische Problematik der Mischehen, wie sie in Esr 9,2 formuliert wird ()והתערבו זרע הקדש בעמי הארצות. Dass die Verschwägerung mit den Fremdvölkern nach Ps 106,35b zum Erlernen ( )למדihrer Werke führt, ist ebenfalls nicht in den ursprünglichen Fassungen des Bündnisverbotes belegt, interpretiert diese aber im Sinne von Dtn 18,9; 20,17f. In diesen Paränesen warnt Jhwh die Israeliten davor, Gräuel von den im Land ansässigen Völkern zu lernen ()למד. Das Motiv, dass der Fremdgötterdienst zum Fallstrick für das Volk wird (ויעבדו את Geschichtstheologie, 196, dass die Darstellung der Zeit im Land in Ps 106 im Allgemeinen verbleibt, ohne dass ein Bezug auf einzelne Ereignisse erkennbar wird. 294 Zu diesem Urteil vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 160: „Die vielfältigen Beziehungen, die sich zu Mahnungen und Geboten aus dem Pentateuch ergeben, zeigen, daß die Normen des Pentateuchs den Hintergrund für die Darstellung des Versagens Israels im ve rheißenen Land bilden“ (vgl. auch P RÖBSTL, a.a.O., 165). 295 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 133. 296 Vgl. dazu umfassend RAKE, Juda, 102–124. 297 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 133. 298 Vgl. RAKE, Juda, 122.121.
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עצביהם ויהי להם למוקש, Ps 106,36), ist dagegen mit Ex 23,33; 34,12; Dtn 7,14 und Ri 2,3 breit in den verschiedenen Fassungen des Bündnisverbotes belegt (vgl. weiterhin Jos 23,13). Dabei kann die Formulierung in Ps 106,36b als direkte Übernahme aus Ex 23,33 (כי תעבד את אלהיהם כי יהיה לך )למוקשund Dtn 7,14 ( )ולא ת עבד את אלהיהם כי מוקש הוא לךgelten, weil nur an diesen beiden Stellen explizit vor dem Götzendienst ( )עבדals Fallstrick gewarnt wird; in Ex 34,12 wird den Israeliten dagegen die Landbevölkerung per se zum Verhängnis, während Ri 2,3 allgemeiner die Fremdgötter als Fallstrick bezeichnet. Mit den nachfolgenden Vorwürfen in Ps 106,37–39 malt der Psalm die Konsequenzen der Vermischung mit den Völkern weiter aus, ohne dass die Vorwürfe im Einzelnen im literarischen Umfeld des Bündnisverbotes belegt sind. An erster Stelle steht in 106,37 das Kinderopfer, das als häufiger Vorwurf in dtr. Texten sowie den Prophetenbüchern belegt ist.299 Die Bezeichnung der Fremdgötter mit dem Terminus ‚( שדיםDämonen‘, 106,37) hat dagegen nur eine einzige Parallele im Moselied Dtn 32,17, wo die Dämonen als Götter charakterisiert werden, die keine sind ( יזבחו לשדים לא )אלה. Durch diesen literarischen Rückbezug wird das Kinderopfer in Ps 106,37 zu einem Paradigma für den Götzendienst, mit dem das Volk seinen Gott nach Dtn 32,16 zur Eifersucht reizte. Ps 106,38* prangert ursprünglich die Verunreinigung des Landes durch unschuldig vergossenes Blut an ()וישפכו דם נקי ותחנף הארץ בדמים,300 wobei die hier aufgenommenen Prätexte an einen Verstoß gegen die Asylgesetzgebung denken lassen. Zwar ist das Vergießen von unschuldigem Blut als Anschuldigung in den Prophetenbüchern und dem dtr. Geschichtswerk breit belegt, 301 aber Ps 106,38* zieht mit Dtn 19,10 und Num 35,33 zwei Aussagen aus der Asylgesetzregelung des Pentateuch zusammen. Nach Dtn 19,10 setzt Gott die Asylstädte ein, um unnötiges Blutvergießen im Land zu verhindern (ולא )ישפך דם נקי בקרב ארצך, während Num 35,33 als Unterschrift der priesterlichen Asylgesetzgebung davor warnt, das Land durch vergossenes Blut zu entweihen ()ולא תח ניפו את הארץ אשר אתם בה כי הדם הוא יחניף את הארץ.302 Der Sündenspiegel wird in Ps 106,39 durch allgemeine Anschuldigungen ab-
299 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 133, mit Verweis auf Dtn 18,10; 2 Kön 16,3; 17,17; Jer 7,30f.; Ez 20,31 u.ö. Dieser Aufzählung ist mit P RÖBSTL, Rezeption, 160, noch explizit 2 Kön 21,6 hinzuzufügen. 300 Zur Analyse vgl. o. Kap. 2.2. 301 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 133. Die Formulierung שפך דם נקיfindet sich in Dtn 19,10; 2 Kön 21,16; 24,4; Jes 59,7; Jer 7,6; 22,3; 22,17; Joel 4,19 und Prov 16,17. 302 Num 35,33 ist neben Ps 106,38 die einzige Stelle im Alten Testament, wo die Ver unreinigung des Landes ( )חנף הארץmit dem Vergießen von Blut ( )דםin Verbindung gebracht wird, so dass ein Abhängigkeitsverhältnis als wahrscheinlich gelten kann.
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geschlossen, wobei der Doppelvorwurf von Verunreinigung ( )טמאund Hurerei ( )זנהauch in Ez 20,30; 23,30; Hos 5,3 belegt ist. Der Abschnitt über die göttliche Strafe in Ps 106,40–42 beginnt mit der Schilderung der Zornesreaktion Gottes, die im Abscheu gegenüber seinem Erbteil gipfelt (ויחר אף יהוה ב עמו ויתעב את נחלתו, 106,40). Das Entbrennen des Jhwh-Zornes wird dabei mit der Formulierung חרה אףbeschrieben, die in der erzählenden Überlieferung terminus technicus für den Zorn Gottes gegen das eigenes Volk ist. 303 Insbesondere die dtr. Bearbeitung des Richterbuches, die auch in der Fortschreibung von Ps 78 in 78,32–39 ihre Spuren hinterlassen hat, 304 verwendet die Formulierung in der Beschreibung des wiederkehrenden Abfalls von Jhwh (Ri 2,14; 2,20; 3,8; 10,7). Gerade vor dem Hintergrund, dass das Resümee des Geschichtsrückblickes in Ps 106,43 von einer wiederholten göttlichen Rettung des Volkes spricht ()פעמים רבות יצילם, kann hier an eine Anspielung an das dtr. Richterschema gedacht werden. 305 Gilt dieses im Richterbuch allerdings nur für die vorstaatliche Zeit, macht das Resümee in Ps 106,43 deutlich, dass die gesamte biblische Geschichte im Rückblick als Geschichte des wiederkehrenden Abfalls von Gott gedeutet werden kann. 306 Der Abschluss knüpft damit an die Redaktion in Ps 78,32–39.57 an, die die redaktionell vorausgehenden Aussagen über eine wiederkehrende Sünde Israels (78,40f.) sekundär durch die Ausweitung des Richterschemas auf die Wüstenzeit illustriert. In gewisser Weise setzt das Gericht im Land in Ps 106 der Sündengeschichte einen Endpunkt. Indem sich der göttliche Zorn in 106,40 wie auch in Ps 78,62 gegen das Volk als Erbteil Gottes ( (נחלתוrichtet, revo303
Dagegen wird die Wurzel חרהnur an wenigen Stellen gebraucht, um den Zorn Jhwhs gegen Fremdvölker zu beschreiben; vgl. dazu insgesamt FREEDMAN/LUNDBOM , Art. חרה, 185–188. 304 Vgl. dazu o. Kap. III. 3.2. 305 Die Beantwortung der Frage, ob in Ps 106 eine Anspielung auf das Richterbuch vorliegt, hängt davon ab, inwiefern Formulierungen und Konzeption des Psalms ein Wiedererkennungswert zugestanden wird. LAUHA, Geschichtsmotive, 109, erkennt in Ps 106,34–46 „das blosse deuteronomistische Schema“, während MATHIAS, Geschichtstheologie, 184.198, die Ähnlichkeiten auf den Abschnitt 106,43–46 beschränkt. In Absetzung von diesem erkennt P RÖBSTL, Rezeption, 162f., nur die ersten beiden Elemente (Sünde Israels – Zornesreaktion) des Richterschemas, die allein noch keinen Zyklus machten (vgl. P RÖBSTL, a.a.O., 163), selbst wenn er in 106,43 einen „Reflex auf die dem Richte rbuch zugrundeliegende Zyklenordnung“ sieht (P RÖBSTL, a.a.O., 165). Ähnlich lehnt auch HOSSFELD, HThK.AT III, 134, den Vorbildcharakter des dtr. Retterschemas ab, da er davon ausgeht, dass 106,43 „eigenständig die bisherige Konfrontation von Vergehen des Volkes/der Väter und die Strafaktion JHWHs in Rettungstaten JHWHs“ verwandele. 306 Ähnlich urteilt auch STECK, Israel, 112, dass die ganze Zeit vor der Landnahme in Ps 106 „aus der von Dtr in Ri 2,10ff vorgelegten Geschichtsschau gesehen“ werde. Für die Beschreibung der Zeit im Land sieht er allerdings die Geschichtsvorstellung von 2 Kön 17 als leitend an (vgl. ebd.).
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ziert die Strafe die frühere Erwählung Israels, für das Gott nun nur noch Abscheu empfindet (ויתעב, 106,40).307 Ebenso wird die anfängliche Rettung im Meerwunder in 106,41f. durch die Versklavung unter die Völker zurückgenommen, wobei der Autor in der Beschreibung der Konsequenzen erneut Terminologie und Motive aus den Geschichtsbüchern verwendet.308 Der weitere Schlussabschnitt in 106,44–47 bündelt eine Reihe von thematischen Linien, die die Psalmbeter auf eine geschichtliche Heilswende hoffen lassen. Die notwendende Reaktion Gottes, der die Bedrängnis des Volkes sehend und hörend zur Kenntnis nimmt (וירא בצר להם בשמעו את רנתם, 106,44), erinnert zuerst an den Beginn der Exodusgeschichte (ראה ראיתי את עני עמי … ואת צעקתם שמעתי, Ex 3,7). 309 Dagegen exponiert die Beschreibung der Notlage mit dem Nomen צרdie vormalige Situation der Erlösten im nachfolgenden Ps 107, die Jhwh aus der Hand des Bedrängers (מיד צר, 107,2) gerettet hat. 310 Über diesen doppelten literarischen Hintergrund werden die zwei Deutungskategorien eingespielt, mit denen das Erlösungshandeln Jhwhs in Ps 106,45 nachfolgend begründet wird: So wird sein Eingreifen zuerst durch das Gedenken an den Bund motiviert (ויזכר להם בריתו, 106,45), das in gleicher Weise am Beginn der Exoduserzählung Ex 2,24 und 6,5 die Rettungstat in Gang setzt. Hier fällt auf, dass Ex 2,24 dezidiert vom Bund mit den Erzvätern spricht, so dass darin auch die heilstheologische Kategorie aus Ps 105 in den Blick kommt. In Bezug auf den vorhergehenden Zwilling ist Ps 106,45 mit der Formulierung זכר בריתו als Aktualisierung der theologischen Grundlegung aus 105,8 gekennzeichnet (זכר לעולם בריתו, 105,8), so dass das Erlösungshandeln Gottes abschließend auch in Ps 106 zum Ausdruck seiner Bundestreue wird. Als zweite Deutungskategorie führt der Autor die Gnade Jhwhs an, die ihn sein vorhergehende Strafhandeln ‚in der Fülle seiner Gnade‘ reuen lässt (וינחם כרב ;חסדו106,45). Die göttliche Gnade ist im Danklied Ps 107 der entscheidende Beweggrund für die Rettung des Volkes aus der Not (חסדי יהוה, 307
Die Ausdrucksweise von תעבmit Jhwh als Subjekt ist neben Ps 106 nur noch in Ps 5,7 belegt, wo Jhwh die Mörder und Lügner verabscheut (;)איש דמים ומרמה יתעב יהוה P RÖBSTL hat überzeugend vorgeschlagen, die Formulierung in Ps 106 von Bestimmungen aus den Paränese und Gesetzen des Pentateuchs her zu verstehen: „Begeht Israel solche ‚Abscheulichkeiten‘, dann zieht es folgerichtig Jahwes Abscheu auf sich.“ (P RÖBSTL, Rezeption, 161; vgl. im Anschluss an diesen HOSSFELD, HThK.AT III, 133). 308 Zum diesem Nachweis vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 161, und HOSSFELD, HThK.AT III, 133. 309 Den Bezug auf Ex 3,7–9 sieht auch HOSSFELD, HThK.AT III, 134; er verweist des Weiteren auf 1 Kön 8,28. 310 Hier wird noch zu zeigen sein, dass Ps 106,44 als nachträgliche Vorbereitung für Ps 107 abgefasst worden ist; zu den Verbindungen zwischen dem Schlussteil in Ps 106 und der Einleitung in Ps 107 vgl. ausführlich u. Kap. 4.3.
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107,43; vgl. חסד, 107,1.8.15.21.31), während die Rede von der Gnadenfülle an die Gnadenformel erinnert, die im Psaltervorkontext in Ps 103 ausführlich thematisiert wird. Wie bereits gezeigt, bündelt der Autor von Ps 106 die Vorstellung vom Wesen Jhwhs als eines gnädigen Gottes mit der Rede von seinen göttlichen Gnadenerweisen in der Geschichte, so dass die Gnade in Ps 106,45 zum heilsentscheidenden movens werden kann.311 Für 106,46 sind die Parallelen mit dem Ende des spät-dtr. Tempelweihegebets in 1 Kön 8,50b anerkannt. 312 Bittet das Volk dort in der Erzählfiktion der Königebücher vorausschauend um Erbarmen vor den Bezwingern ()ו נתתם לרחמים לפני שביהם ורחמום, obwohl sie schuldig geworden sind, berichtet Ps 106,46 von der erfolgten Begnadigung des Volkes (ויתן אותם )לרחמים לפני כל שוביהםund wird damit zur Einlösung der Bitte aus 1 Kön 8,50. Der Psalm geht allerdings inhaltlich über 1 Kön 8,50 hinaus, indem sich die Hoffnung nicht auf die gnädige Behandlung durch die Fremdherrscher richtet, sondern die nachfolgende Rettungsbitte in Ps 106,47 auf die Sammlung aus den Völkern zielt. Der Vers schlägt damit vor allem eine Brücke zum engen literarischen Kontext. Die Anrufung Gottes mit der Prädikation ‚( אלהינוunser Gott‘) nimmt das Vertrauensbekenntnis des vorhergehenden Zwillings 105,7 auf und verstärkt dadurch die Verbindungen. Der Lobpreis Gottes in Ps 105 legitimiert die nachfolgende Bitte der Beter in Ps 106, die sich vertrauensvoll an den Bundesgott von Ps 105 wenden können. Der nachfolgende Psalm 107 wird dagegen im jetzigen Ablauf durch die Formulierung der Rettungsbitte mit der Wurzel ישעvorbereitet (vgl. 107,13.19). Für das Geschichtsverständnis in Ps 106 ergibt sich damit das folgende Bild: Die Analyse der einzelnen Bezüge hat die These bestätigt, dass Ps 106 eine Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen bietet. In ihrer poetischen Form dient die Darstellung aber nicht nur als Sündenaufweis, sondern im Gebet können die Beter auch hilfesuchend an die Gnade Gottes appellieren, die allein dem seit der Väterzeit anhaltenden Unglauben entgegen gesetzt werden kann. 313 Die Vorstellung vom Glauben ( אמןhif.) 311 So auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 233: „Deswegen liegt der Fokus in V. 45 nun ganz auf der Güte Jhwhs als entscheidender Deutekategorie für das göttliche Ha ndeln in der Geschichte“; vgl. dazu aber auch u. Anm. 313. 312 Vgl. STECK, Israel, 139f.; LEUENBERGER , Konzeptionen, 202; HOSSFELD, HThK.AT III, 134. Dagegen erklärt GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 232f., Ps 106,45f. als eine Auslegung von Joel 2,13 und Jona 4,2. 313 So mit den Exegeten, die in der Gnade ( )חסדdie entscheidende Deutungskategorie für die Geschichtsdarstellung in Ps 106 sehen; vgl. vor allem MATHIAS, Geschichtstheologie, 201; GÄRTNER , Torah, 485, und DIES., Geschichtspsalmen, 233. Dabei wird aber m.E. die Bedeutung des Glaubensmotivs unterbestimmt, das hier als entscheidende I nterpretationskategorie im Gegenüber zur göttlichen Gnade verstanden wird. Zwar sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 236, im ‚Amen‘ ( )אמןder Schlussdoxologie 106,48 im
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verweist auf den dtr. Traditionsraum und begegnet nur in wenigen Texten des Alten Testaments, die zudem als späte Bildungen zu betrachten sind.314 Die Bedeutung, die dem Motiv als Deutungskategorie in Ps 106 zukommt, zeigt sich daran, dass der Psalm sämtliche Belege des Pentateuchs aufnimmt, wo der Glaube auf Gott als Objekt gerichtet ist. Auch wenn diese Texte vermutlich auf verschiedene Hände zurückgehen, sind sie vom Autor des Psalms in ihrem konzeptionellen Zusammenhang rezipiert worden. Dabei wird der anfängliche Glauben des Volkes nach dem Meerwunder (vgl. Ex 14,31) zum positiven Gegenstück für die folgende Geschichte des Unglaubens, deren negativer Tiefpunkt mit der Verweigerung der Landnahme erreicht wird (vgl. Num 14,11; Dtn 1,32; 9,23). Neben diesen Eckpunkten der biblischen Geschichte finden interessanterweise auch die übrigen Glaubenstexte des Pentateuchs Aufnahme. So steht hinter dem Eintreten des Pinchas am Baal-Peor das Ideal des gläubigen Abraham, dessen Glaube ihm zur Gerechtigkeit angerechnet wird (vgl. Gen 15,6), während mit der Meribaepisode in Num 20 auf die Erzählung angespielt wird, in der Mose den Eintritt in das Land aufgrund seines Unglaubens verwirkt. Gerade hier vermeidet der Autor des Psalms aber die Bewertung von Moses Fehlverhalten als Unglaube, obwohl die ätiologische Lesart der Episode in Num 20,12 vorgegeben ist. Dies erklärt sich aus dem Versuch, das Fehlverhalten des Mose nicht auf eine Stufe mit dem Unglauben der Väter zu stellen. Schließlich steht Ps 106 in der Bewertung des Verhaltens der Väter in Israels Frühzeit auf einer theologischen Reflexionsstufe mit dem Urteil in 2 Kön 17,14, demzufolge die Kinder im Land die Sünde der Väter wiederholen, die ihrem Gott nicht geglaubt haben () לא האמינו ביהוה אלהיהם. Neben den Glaubenstexten der erzählenden Überlieferung spielt auch Ps 78 eine besondere Rolle für Ps 106, der zusammen mit seinem Zwilling Ps 105 nicht ohne Grund als deuteroasaphitisch beurteilt worden ist.315 Die Texte zeigen zuerst große Übereinstimmungen im Sündenvokabular, 316 mit dem die Vergehen der Väter als Sünde (חטא, 78,17.32; 106,6), Widerspenstigkeit (מרה, 78,8.17.40.56; 106,7.33.43), Versuchung Gottes (נסה, 78,18.41.56; 106,14), Vergessen der göttlichen Taten (שכח, 78,7.11; 106,13.21) und als Erzürnen Gottes (כעס, 78,58; 106,29) beschrieben werliterarischen Zusammenhang mit den zwei Glaubensaussagen 106,12.24 den „Abschluss des Erkenntnisweges der Beter“, aber diese Beobachtung wäre vor dem Hintergrund der gezielten relecture der pentateuchischen Glaubenstexte in Ps 106 weiter zu profilieren; vgl. dazu im Folgenden. 314 Vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 383; zum Glaubensmotiv im Pentateuch siehe ausführlich VON RAD, Anrechnung, 129–132, und SMEND, Geschichte, 284–290. 315 Vgl. dazu o. Anm. 119. 316 Zu der Beobachtung vgl. auch HOSSFELD, Ps 106, 264.
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den. Ps 78 kennt auch die Beurteilung des Verhaltens als Unglaube (אמן hif., 78,22.32), wobei diese Wertung aber anders als in Ps 106 nur in jüngeren Wachstumsschichten begegnet317 und nicht mit Bezug auf die entsprechenden Glaubenstexte im Pentateuch verwendet wird. Demgegenüber liegt mit der dezidierten Verwendung des Glaubensmotivs in Ps 106 eine erkennbare Systematisierung der Vorstellung vor, die den Geschichtsabriss konzeptionell bestimmt. Die zwei Psalmen berühren sich ferner darin, dass sie sich für die Beschreibung der wiederkehrenden Sünde des dtr. Richterschemas bedienen, das in beiden Texten auf die Wüstenzeit ausgedehnt wird. In Ps 78 geschieht das allerdings erst durch die nachträgliche Ergänzung in 78,32–39.57, während Ps 106 bereits im Grundbestand auf die Richterzeit anspielt und terminologisch die größeren Übereinstimmungen mit dem Richterbuch aufweist.318 Der Autor von Ps 106 knüpft damit an die jüngeren Wachstumsschichten von Psalm 78 an, um im Anschluss an diesen der wiederkehrenden Sünde des Volkes die Fülle der göttlichen Gnade gegenüber zu stellen. Dabei unterscheidet Ps 106 sich aber in einigen wesentlichen Punkten vom Geschichtsverständnis in Ps 78. So begegnet das für Ps 78 wichtige Thema des Gesetzes in Ps 106 nur in der einleitenden Seligpreisung des Gerechten (אשרי שמרי משפט עשה צדקה בכל עת, 106,3) sowie indirekt im Sündenspiegel 106,34–39.319 Das Gesetz als Kriterium für die Sünde tritt in Ps 106 gegenüber dem Glaubensmotiv in den Hintergrund, wobei aber deutlich wird, dass der Unglaube sich in Gesetzesübertretungen manifestiert. Beide Psalmen stellen in der Darstellung der Frühzeit auch unterschiedliche Weichen für die Herrschererwartung, die als mosaische Sukzession legitimiert wird. Während Ps 78 durch die davidische Restaurationshoffnung geprägt ist, richtet sich die Erwartung in Ps 106 auf die nach317 Wenn deshalb SCHART, Mose, 151, aufgrund der festgestellten Nähe zwischen Num 14,11 und Ps 78,22.32 zu dem Urteil kommt: „Hier [in Ps 78] ist der Unglaube bereits als Grundhaltung Israels ausgesprochen“, ist dieses dahingehend zu korrigieren, dass es sich um eine sekundäre Nachinterpretation der im Psalm beschrieben (negativen) Grundhaltung handelt. 318 Gerade die fehlende Übereinstimmung in der Terminologie macht es wenig wahrscheinlich, dass die Ergänzung in Ps 78,32–39.57 in irgendeiner Weise auf den Autor von Ps 106 zurückgeht. So sprechen die Formulierungsunterschiede gegen die These von HOSSFELD, Ps 106, 265, in der Zornesredaktion von Ps 78 „den Autor von Ps 106,6 –47 am Werk zu sehen, der Ps 78 von Ps 106 her überarbeitet hat“. In der hier vorgelegten Abgrenzung verwendet die Zornesreaktion in Ps 78,21f.30f.59 durchgängig עלה אף (78,21.31), während in Ps 106,40 in Aufnahme der Terminologie aus dem Richterbuch חרה אףbelegt ist; nach HOSSFELD, a.a.O., 265, wären zusätzlich noch die Belege in 78,49 ( )י שלח בם חרון אפוund 78,50 ( )יפלס נתיב לאפוzur Zornesredaktion in Ps 78 zu ziehen, vgl. dazu abweichend die hier vorgelegte Analyse in Kap. III. 2. 319 Vgl. HOSSFELD, Ps 106, 264.
3 Von den Vätern bis zum Exil
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exilische Priesterschaft, die in der Person des Pinchas als Vorbild ausgezeichnet wird. Von Interesse ist schließlich auch das unterschiedliche Generationenverständnis der beiden Psalmen: Während in Ps 78 die Vorväter als mahnendes Beispiel für die gegenwärtige Generation fungieren, schließen sich die Beter in Ps 106 in einem generationenübergreifenden Schuldkonnex mit ihren Vätern zusammen. Diese Neudefinition der Schuldfrage erklärt sich vor allem aus der Stellung des Psalms in direktem Anschluss an Ps 105. Wie bereits dargestellt, erklärt Ps 106 im literarhistorischen Anschluss an seinen Zwilling den Verlust des Landes mit der Sündengeschichte des Volkes.320 Die Wüstenzeit, die in Ps 105,39–41 nur in einer knappen Abhandlung Beachtung findet, wird in Ps 106 in Aufnahme des dtr. Richterschemas und in Rezeption von Ps 78 zum Paradebeispiel für den wiederkehrenden Abfall von Gott. Mit der Einschreibung von Ps 106 hinter seinen Zwilling Ps 105 entsteht ein durchlaufender Geschichtsabriss von der Väterzeit bis ins Exil, wobei der Dreh- und Angelpunkt die Verwerfung des Landes in der Wüste ist. Durch diese Kapitalsünde verspielen nicht nur die Väter den Besitz des Landes, sondern darin ist auch das Schicksal der nachfolgenden Generationen besiegelt, die unter die Völker zerstreut werden. Indem die Söhne in die Sünde der Väter mit eingeschlossen werden und diese nachträglich selbst vollziehen, kann nicht nur der Verlust des Landes, sondern auch die gegenwärtige Situation der Diaspora erklärt werden. Diese Theologie der Diaspora ist nicht ohne Nachgeschichte im Alten Testament geblieben, sondern hat eine breite Rezeption im prophetischen Geschichtsrückblick Ez 20 erfahren. Allerdings tritt hier der wiederkehrende Verstoß gegen das göttliche Gesetz und die Entweihung des heiligen Namens gegenüber dem Glaubensmotiv in den Vordergrund. Auch wenn Ps 106 den Fokus darauf legt, die Geschichte als Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen darzustellen, sind es gerade die geschichtlichen Erfahrungen von Gottes Gnade, aufgrund derer die Beter die Rettungsbitte an ihren Gott zu richten vermögen. Gegenüber der breit ausgeführten Väterbundtheologie von Ps 105 stellt Ps 106 die Vorstellung vom Wesen Gottes als eines gnädigen Gottes in den Vordergrund, die als Leitmotiv auch im literarischen Horizont Ps 103 und 107 begegnet. Dies lässt vermuten, dass die Geschichtstheologie der Zwillingspsalmen nicht isoliert steht, sondern literarhistorisch aus ihrem Kontext erwachsen ist. Im Folgenden ist deshalb das kompositionsgeschichtliche Gefüge der angrenzenden Psalmen genauer zu untersuchen, um zu fragen, welche Bedeutung den Geschichtskonzeptionen von Ps 105 und 106 in der Entstehungsgeschichte dieses Psalterabschnittes zukommt. 320
Vgl. dazu o. Kap. 2.3.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
4 Gnade und Geschichte am Übergang vom vierten zum fünften Psalmenbuch 4 Gnade und Geschichte am Übergang
4.1 Überblick Die Zwillingspsalmen 105 und 106 stehen im masoretischen Psalter an der Schwelle vom vierten (Ps 90–106) zum fünften Psalmenbuch (Ps 107– 150), wobei mit der Doxologie in 106,48 ein redaktionelles Gliederungselement die Buchgrenze markiert.321 Im Folgenden soll nun zuerst ein Überblick über die thematischen Grundzüge und die Kompositionsstruktur der angrenzenden Psalmen 101–104 sowie Psalm 107 gegeben werden (Kap. 4.2.1–4.2.6), der anschließend entstehungsgeschichtlich auszuwerten ist (Kap. 4.3). Im Zentrum steht dabei die Frage, inwieweit die Geschichtstheologie der Zwillingspsalmen im redaktionellen Horizont vorbereitet wird und mit welcher Intention an dieser Stelle des Psalters auf die erzählende Überlieferung zurückgegriffen wird. Ausgangspunkt der folgenden Darstellung sind die Einzelergebnisse der bisherigen Analyse, die die redaktionsgeschichtliche Einbindung der Zwillingspsalmen betreffen. Für Ps 105 konnte bereits gezeigt werden, dass der Psalm in besonderer Weise auf den Schlusspsalm des dritten Psalmenbuches, Ps 89, bezogen ist. 322 In Ps 89 sind die göttlichen Gnadenerweise (חסדי יהוה, 89,2) Gegenstand des Lobes und der Davidbund wird als herausragende Manifestation der göttlichen חסדdargestellt. Auf das theologische Problem, dass der Davidbund gescheitert ist und damit die göttliche Verheißung in Frage gestellt wird (89,40), antwortet Ps 105 mit dem Rückgriff auf den Väterbund. Die Landverheißung des Väterbundes tritt an die Stelle der Verheißung der ewigen Dynastie, wobei die Kategorie der göttlichen Gnade hinter der Bundeskonzeption zurücksteht. Das ändert sich mit dem jüngeren Zwilling Ps 106, der angesichts der menschlichen Sünde wieder ganz auf die göttliche Gnade ( )חסדals entscheidender theologischer Kategorie setzt. Mit dem Appell an die göttliche Gnade ermöglicht der Psalm die Rettungsbitte des Volkes (106,47), das sich in der Geschichte immer wieder gegen seinen Gott versündigt hat. Sind damit bereits erste kompositionsgeschichtliche Linien ausgezogen, wird es im Folgenden darum gehen, im Ablauf der Psalmen 100–104; 107 die thematischen Grundzüge und die Kompositionsstruktur dieser Texte zu untersuchen. Besondere Berücksichtigung findet dabei die Rezeption der geschichtlichen Überlieferung im vierten Psalmenbuch, da zu erwarten ist, dass die Entstehung der geschichtstheologischen Zwillinge Ps 105 und 106 321 322
Vgl. dazu o. Kap. 2.2. Vgl. dazu o. Kap. 3.1.
4 Gnade und Geschichte am Übergang
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als Reaktion auf die Entwicklungen im literarischen Horizont zu erklären ist. 4.2 Die Psalmen 100–104; 107 4.2.1 Psalm 100 Mit Psalm 100 ist ein deutlicher Gliederungseinschnitt im Psalter gegeben, der redaktionsgeschichtlich auch als vorläufiger Endpunkt eines JhwhKönig-Psalters Ps 2–100* angesehen werden kann. Der Psalm beschließt die Sammlung von Jhwh-König-Psalmen in Ps 93–100*, durch die der vorausgehende messianische Psalter Ps 2–89* nachträglich erweitert worden ist.323 Als hervorgehobenes Gliederungselement begegnet in Ps 100,4f. zum ersten Mal im Ablauf des Psalters das Material für die Todaformel, das hier auf zwei Psalmverse verteilt vorliegt (הודו לו ברכו שמו, 100,4; כי טוב יהוה לעולם חסדו ועד דר ודר אמונתו, 100,5).324 Auf diese Weise beschließt Ps 100 den Jhwh-König-Psalter mit dem Lob von Jhwhs wesenhafter Gnade, der hier auch die göttliche Treue beigeordnet wird. 4.2.2 Psalm 101 Psalm 101 zeigt schon durch die Zuschreibung zu David in 101,1 ()לדוד einen deutlichen Neuanfang an, da im Leseablauf zuletzt der (in literarischer Hinsicht) späte Psalm 86 durch die Überschrift als Davidpsalm gekennzeichnet wurde.325 Die Überschrift 101,1 enthält auch die Themaangabe des Psalms, in der der königliche Beter seine Intention formuliert, von Gnade und Recht ( )חסד ומשפטsingen zu wollen. Das so eingeleitete Korpus gliedert sich in zwei Teile, die von der Innen- und Außenperspektive dieser Rechtsordnung handeln: Während der Beter in 101,3–5 von der Selbstverpflichtung spricht, dem Ideal in Vollkommenheit zu entsprechen, thematisiert er in 101,6–8 seine Aufgabe, der Rechtsordnung im Land Geltung zu verschaffen.326 Die kompositorische Funktion des Psalms er323
Vgl. dazu HOSSFELD/ZENGER , HThK.AT II, 34f.707–713 (sowie ZENGER , Weltenkönigtum, 151–170), und KRATZ, Sch ema‘, 630; ausführlich auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 221–264. Von einer späteren Einfügung der Jhwh-König-Psalmen in einen bereits um den Grundbestand der Psalmen 90–92 und Ps 102f. fortgeschriebenen messianischen Psalter geht dagegen SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 252–276, aus; vgl. dazu auch im Folgenden Kap. 4.3. 324 Zur Funktion von Ps 100 als „Programmtext für die Gliederung nach Todaformeln“ vgl. KRATZ, Tora, 30f.; ferner DERS., Reste, 52f. 325 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 36; LEUENBERGER , Konzeptionen, 175; zur Psalmüberschrift לדודim vierten Buch siehe ausführlich LEUENBERGER , a.a.O., 172–174. 326 Die literarische Einheitlichkeit des Psalms ist umstritten; großen Einfluss gewann die von SEYBOLD, HAT I/15, 393, vorgebrachte These einer Grundschicht in V 2a a.3– 5.7, die jüngst von LEUENBERGER , Konzeptionen, 175f. (ähnlich auch SAUR, Kö-
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
schließt sich über das Verständnis des Parallelausdrucks חסד ומשפטin 101,1. Im Anschluss an den thematischen Block der Jhwh-König-Psalmen, mit dem Ps 101 über eine Reihe von Stichwortverbindungen verknüpft ist,327 kann die Formulierung als Verweis auf die göttliche Rechtsordnung verstanden werden, als dessen Durchsetzer der (davidische) König in Ps 101 präsentiert wird. 328 Dabei fällt aber die seltene Kombination der Begriffe חסדund משפטauf,329 die nach der Toda-Aufforderung in Ps 100,4f. konkret die göttliche Gnade ins Spiel bringt. Mit dem Gotteslob (101,1) folgt Ps 101 dem Aufruf aus Ps 100, 330 wobei aber das Thema der Königsherrschaft inhaltlich um die soziale Dimension erweitert wird. Hierin gewinnen Gnade und Recht Jhwhs konkrete Auswirkungen für die Lebenswirklichkeit des Volkes. So ist der kompositionelle Zusammenhang von Ps 100 und 101 auch oft mit dem Prinzip der Toreinzugsliturgie als Abfolge von Toreinzug und Rechtsverpflichtung beschrieben worden.331 4.2.3 Psalm 102 Mit Psalm 102 folgt im Psalterablauf das Klagelied eines Einzelnen, dessen Sprecher durch die Bezeichnung als Elender (עני, 102,1) als einer sozialen Randgruppe zugehörig gekennzeichnet wird. 332 Der Psalm zeigt im Anschluss an die Überschrift in 102,1 eine klaren dreiteiligen Aufbau: Er wird in 102,2–12 mit dem Gebet eines in Todesnot befindlichen Sprechers eröffnet (תפלתי, 102,2), der die eigene Vergänglichkeit beklagt und sich in Todesnähe wähnt (102,12). Daran schließt sich in 102,13–24 eine Restitutionszusage an Zion an, die der Stadt die rettende Zuwendung Gottes annigspsalmen, 186–204), aufgegriffen worden ist. Gegen diese Lösung hat aber HOSSFELD, HThK.AT III, 29f., die literarische Gestaltung des Psalms als Argument für seine Einheitlichkeit angeführt. Für die hier vorgelegte Fragestellung bleibt festzuhalten, dass Ps 101 in seiner Position im Psalter nicht ohne die Überschrift in 101,1 vorstellbar ist, die die Einbindung in den Kontext leistet. 327 Vgl. die Auflistung bei LEUENBERGER , Konzeptionen, 242f. Anm. 365.243 Anm. 367. Als „Fluchtpunkt“ der auf den Tempel zulaufenden Jhwh-König-Psalmen 93–100 wird Ps 101 deshalb auch zutreffend von SAUR, Königspsalmen, 317, bezeichnet. 328 Insofern kann HOSSFELD, HThK.AT III, 32, zu Recht von einer „Doppeldeutigkeit“ der Begriffskombination sprechen, worunter er die theologische und anthropolog ische Deutung des Parallelausdrucks im Sinne von Tätigkeiten Jhwhs und Haltungen der Menschen fasst; den Schwerpunkt auf die „königliche resp. allgemein menschliche Au fgabe“ legt dagegen LEUENBERGER , Konzeptionen, 175. 329 Vgl. im Psalter nur noch Ps 33,5; 89,15 (dort neben צדקund )אמתund 119,149. 330 Vgl. SAUR, Königspsalmen, 316. 331 So MILLARD, Komposition, 147, und im Anschluss an diesen SAUR, Königspsalmen, 317. 332 Gegen HOSSFELD, HThK.AT III, 51, ist bei der Überschrift 102,1 keine vorschnelle Identifizierung des Armen mit dem davidischen Verfasser der angrenzenden Psalmen 101,1 und 103,1 vorzunehmen (vgl. auch SAUR, Königspsalmen, 317 Anm. 143).
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sagt, da die Zeit der Gnade gekommen ist (102,14): Gott wird sich Zions erbarmen, damit dort sein Lob erklingt und Völker und Königreiche sich versammeln, um ihm zu dienen (102,22f.). Nach einer Überleitung in 102,24 wird der Schlussabschnitt 102,25–29 durch eine auffällige Redeeröffnung mit nachfolgendem Vokativ (אמר אלי, 102,25) eröffnet, die zum Klagethema des ersten Abschnitts zurückführt. Der Beter bittet Gott um die Bewahrung vor dem vorzeitigen Tod ‚in der Mitte meiner Tage‘ (בחצי ימי, 102,25) und stellt der eigenen Vergänglichkeit die Ewigkeit des göttlichen Schöpfers gegenüber, dessen Jahre kein Ende haben (ושנתיך לא יתמו, 102,22). Eine Aussage über das Wohnrecht der Knechteskinder und die Beständigkeit der Nachkommen beschließt den Psalm (בני עבדיך ישכונו וזרעם לפניך יכון, 102,29). Die thematische Verschiebung von der Vergänglichkeitsklage über eine Heilsankündigung an Zion zurück zur conditio humana ist m.E. hinreichend Grund, ein literarisches Wachstum des Psalms anzunehmen. Dabei erweist sich der Zion-Mittelteil 102,13–24 zusammen mit dem Schlussvers 102,29 als nachträgliche Ergänzung eines Grundpsalms in 102,(1)2– 12.25–28 (Ps 102*).333 Der Zionsteil wird über zwei redaktionelle Nahtstellen in die vorliegende Vergänglichkeitsklage eingearbeitet: In 102,13 knüpft der Redaktor an das Thema der Ewigkeit Gottes an, die sich nach 102,13–26 nun aber in der dauerhaften Restitution Zions manifestiert. Nach hinten stellt zuerst die sekundäre Redeeinleitung אמר אליam Anfang von 102,25 den Übergang zum ursprünglichen Psalmschluss in 102,25–28 her. Darüber hinaus ergänzt der Redaktor den neuen Schlussvers 102,29, der mit den Gottesknechten ( )עבדיךdie Personengruppe aus 102,15 aufnimmt und eine neue Hoffnungsperspektive eröffnet: Der Vergänglichkeit des Individuums wird das Wohnrecht in der ewigen Gottesstadt und die beständige Generationenfolge des Gottesvolkes entgegengesetzt. Ps 102 zeigt insgesamt weite Bezüge in das Psalmenbuch und zur prophetischen Überlieferung von Jesaja- und Zwölfprophetenbuch. 334 Für die hier verfolgte Fragestellung sind dabei die folgenden Verbindungen von Bedeutung: Zuerst liegen thematische Berührungen des Grundpsalms 102* 333
In der Unterscheidung von Grundpsalm und Ergänzung folgt die Analyse B RUNERT, Psalm 102, 181–195, die allerdings innerhalb der literarischen Schichten noch weitere Nacharbeit annimmt (zur Kritik vgl. SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 236–239); die Fortschreibung eines Grundpsalms vertreten ebenso DUHM, KHC 14, 368; SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 234–239, sowie HOSSFELD, HThK.AT III, 39–42; eine komplexe literarische Entwicklung nimmt auch SEYBOLD, HAT I/15, 398, an. Für die literarische Einheitlichkeit des Psalms sprechen sich dagegen ALLEN, WBC 21, 16–23; STECK, Eigenart, 358; B RÜNING, Leben, 293–296; KOENEN, Jahwe, 83, und KÖRTING, Zion, 38–43, aus. 334 Zum Aufweis der Bezüge vgl. STECK, Eigenart, 367–372; SCHNOCKS , Vergänglichkeit, 262, und ausführlich B RÜNING, Leben, 104–285; für den Zion-Mittelteil siehe besonders KÖRTING, Zion, 44–47.
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mit dem Eröffnungspsalm des vierten Psalmenbuches Ps 90 vor, der in vergleichbarer Weise die Vergänglichkeit des Menschen in Sünde und Tod der Ewigkeit Gottes gegenüberstellt. 335 Ps 90,2 legt dabei aber den Schwerpunkt auf die Vorgängigkeit Gottes gegenüber seiner Schöpfung, während Ps 102,26f. nicht nur die Vorgängigkeit Gottes thematisiert, sondern auch davon spricht, dass dieser seine Schöpfung überdauern wird. Das Leitmotiv für die Flüchtigkeit der menschlichen Existenz ist in beiden Psalmen die Rede von den Tagen, in denen sich die menschliche Existenz bemisst (יום, 90,9.10.12.14.15; 102,4.12.[24.]25). Hier liegt allerdings ein unterschiedliches Verständnis der Jahre vor: Während der Beter in Ps 90 die Flüchtigkeit der Jahre (שנה, 90,4.9.10.15) in eine Reihe mit der Vergänglichkeit der Tage stellt, dienen die Jahre in Ps 102 gerade als Gegenbild zur menschlichen Existenz: Als Maßeinheit für die Ewigkeit der Gotteszeit sind sie Zeugnis für die Beständigkeit des göttlichen Wesens (שנה, 102,25.28). Enge Berührungen weisen die zwei Psalmen ferner in der Beschreibung der menschlichen Situation über die Pflanzenmetaphorik auf, wobei aber unterschiedliche lexikalische Füllungen vorliegen: Während Ps 90,5 die begrenzte Lebenszeit im Bild des schnell aufsprossenden Grases beschreibt ( )כחציר יחלף, das bald wieder verdorrt, verwendet Ps 102 das Bild des vertrockneten Krautes (הוכה כעשב ויבש לבי, 102,5; כעשב איבש, 102,12). Schließlich führen beide Psalmen die anthropologische Verfasstheit auf das Zornesgericht Gottes zurück (90,7–9; 102,5.12). Zwar existieren insgesamt zu wenig sprachliche Verbindungen, um mit Sicherheit ein literarisches Abhängigkeitsverhältnis der zwei Psalmen zu postulieren, aber die thematischen Verbindungen sprechen dafür, dass der Grundpsalm 102* mit Blick auf Ps 90 in seinem Kontext verstanden werden will und diesen inhaltlich fortführt.336 Vor diesem literarischen Rückraum verschärft Ps 102* die Notlage des einzelnen Beters, da die Bemessung der Lebenszeit nicht mehr nur wie in Ps 90 als unergründlich gilt (90,10), sondern das vorzeitige Dahinschwinden des Lebens beklagt wird (102,25). Die Zion-Fortschreibung im Mittelteil 102,13–24.29 wird durch einen anderen literarischen Hintergrund bestimmt. Eine besondere Rolle spielt zuerst der Asaph-Psalm 79. In dieser Volksklage bitten die Beter Gott um ein Völkergericht, da die anhaltende Notlage und die Verspottung der Knechte (עבדיך, 79,2.10; vgl. 102,15.29) durch die Nationen das Ansehen des göttlichen Namens in Mitleidenschaft ziehen (79,9f.12).337 Die Konkretion der zukünftigen Rettungstaten Jhwhs in 102,21 zitiert mit der Er335
So auch STECK, Eigenart, 364f.; ZENGER , HThK.AT III, 49f. Vgl. dazu auch SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 261–265, der aufgrund der Nähen zwischen Ps 102 und der Psalmengruppe Ps 90–92 diese Psalmen auf eine gemeinsame Redaktion zurückführt; vgl. dazu u. Kap. 4.3. 337 Vgl. dazu o. Kap. III. 4.2.6. 336
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hörung des Seufzens der Gefangenen ( )לשמע אנקת אסירwörtlich den Appell aus 79,11 ()תבוא לפניך אנקת אסיר.338 Intendiert die gesamte Klage in Ps 79 ein Völkergericht Gottes (79,6), wird der Aufruf in Ps 102,23 „zu einer völkerpositiven Endaussage verändert“:339 Die Völker und Königreiche sind nicht mehr Zielscheibe des Gotteszornes, sondern diese sollen sich als neu geschaffenes Volk zum Gotteslob in Zion versammeln (ועם נברא יהלל יה, 102,19; vgl. 102,23). In gleicher Weise ist in dieser Heilszeit auch nicht mehr das Ansehen des göttlichen Namens in Gefahr, sondern die Restitutionsaussagen von Ps 102 zielen darauf, dass die am Zion versammelten Völker Gottes Namen fürchten werden (וייראו גוים את שם יהוה, 102,16). Mit dieser völkerumfassenden Restaurationshoffnung nimmt die Redaktion von Ps 102 die Heilserwartungen im Deuterojesajabuch auf.340 So lehnt sich Ps 102,16 mit der Formulierung ירא שם יהוהund der Parallelisierung vom Namen Jhwhs mit seiner Herrlichkeit ( )כבודan die eschatologische Vorstellung der Jhwh-Verehrung durch die Völker in Jes 59,19 an ()וייראו ממערב את שם יהוה וממזרח שמש את כבודו, ohne allerdings das nach 59,18 vorausgehende Völkergericht aufzunehmen.341 Eine sachliche Nähe zum Deuterojesajabuch zeigt ferner die Vorstellung der Heilsgemeinde als ‚Knechte Jhwhs‘, wobei die Wohnungszusage an die Nachkommen der Knechte in Ps 102,29 an die Verheißung in Jes 65,9342 erinnert (dort bezogen auf die Knechte selbst).343 Die zweistufige Entstehung von Ps 102 spiegelt damit einen literarischen Horizontwechsel wider: Während die Vergänglichkeitsklage in Ps 102* insbesondere auf Ps 90 bezogen ist, erweist sich die völkerumfassende Heilsperspektive des Zion-Mittelteils als eine Weiterentwicklung von Aussagen aus Ps 79 und dem Deuterojesajabuch. Dabei wird die individuelle Erlösungsperspektive des Grundpsalms auf die völkerumfassende Gemeinde Jhwhs und ihre künftige Generationenfolge ausgeweitet. Kann man darin bereits einen Zukunftsausblick sehen,344 fällt weiterhin auf, dass Gottes Heilshandeln an der eschatologischen Gemeinde mit Bezug auf die 338
Vgl. STECK, Eigenart, 366; B ERGES, Knechte, 197; ZENGER , HThK.AT II, 451. STECK, Eigenart, 367. STECK sieht in der Rezeption von Ps 79,6 durch Ps 102,23 den Einfluss von Zeph 3,8f.; vgl. ebd. 340 Zu den Bezügen in das Deuterojesajabuch vgl. STECK, Eigenart, 367–370; B RÜNING, Leben, passim, und zusammenfassend B RÜNING, a.a.O., 297–303. 341 Vgl. dazu das Urteil von STECK, Eigenart 368: „Ps 102 schließt sich damit an eine eschatologische Sicht von Völkerverehrung Jahwes an, die im Jesaja-Kontext auf ein weltweit eschatologisches Gericht (59,18) folgt“. 342 Jes 65,9: ]…[( … וירשוה בחירי ועבדי ישכנו שמהund meine Auserwählten sollen es besitzen und meine Knechte werden dort wohnen‘). 343 Vgl. B ERGES, Knechte, 167, der darauf verweist, dass die „Begriffstriade“ von עבדים, שכןund זרעüber Ps 102,29 und Jes 65,8f. hinaus nur noch in Ps 69,37 belegt ist. 344 Vgl. LEUENBERGER , Konzeptionen, 251. 339
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geschichtliche Überlieferung begründet wird. So beschreibt der Ergänzer das Handeln Gottes mit den Verben רחםund ( חנן102,14) in den Farben der Sinaioffenbarung Ex 33,19.345 Gerade in der jetzigen literarischen Position von Ps 102 vor dem nachfolgenden Psalm 103, der ausführlich die Gnadenformel vom Sinai rezipiert, ist die redaktionelle Ergänzung von 102,14 als Anspielung auf die Offenbarung Gottes am Sinai zu verstehen.346 Im Blick des Redaktors ist die Restauration Zions Ausdruck des gnädigen und erbarmenden Wesens Gottes, das er Israel am Sinai offenbart hat. 4.2.4 Psalm 103 Der folgende Psalm 103 erweist sich als hymnischer Lobpreis des Gottes Israels und seiner immerwährenden Gnade (חסד, 103,4.8.11.17). Dabei zeigen die zahlreichen und signifikanten Schriftbezüge auf die hintere Sinaiperikope (Ex 32–34),347 dass das Gottesbild des Psalms von der Auseinandersetzung mit der erzählenden Überlieferung geprägt ist. In seiner vorliegenden literarischen Gestalt gliedert sich der Psalm nach der einleitenden Selbstaufforderung des Beters zum Lobpreis 103,1f. in fünf Abschnitte (103,3–5.6–10.11–14.15–18.19–22). Die parallel gestalteten Eröffnungsverse geben das Thema vor, indem der Sprecher seine Intention bekennt, Jhwhs heiligen Namen (את שם קדשו, 103,1) und alle seine Wohltaten (כל גמוליו, 103,2) preisen zu wollen. Die göttlichen Wohltaten werden im folgenden Abschnitt 103,3–5 in einer Wesensbeschreibung Gottes näher entfaltet. Diese konzentriert sich in einer Reihung von fünf partizipialen Aussagen auf die lebensrettenden Handlungen Gottes, mit denen er den Beter aus der Grube erlöst (הגואל משחת חייכי, 103,4). Synonym für die Vergänglichkeit des Menschen sind nach 103,3 Sünde und Krankheit, wobei die Aussage über die Sündenvergebung ( )הסלח לכל עונכיmit dem nur an wenigen Stellen im Psalter belegten Verb ( סלחvgl. Ps 25,11; 86,5; 103,3) auf die Sinaiperikope anspielt. Bittet Mose dort darum, dass Gott dem Volk seine Sünde vergeben möge ( וסלחת לעוננו, Ex 34,9), wird die Bitte im Psalm in eine grundsätzliche Wesensbeschreibung Gottes überführt. 348 345
Ex 33,19: ]…[‚( … וחנתי את אשר אחן ורחמתי את אשר ארחםIch werde gnädig sein, wem ich gnädig bin, und mich erbarmen, über wen ich mich erbarme‘). Die Kombination der zwei Verben רחםund חנןist nur an wenigen Stellen im Alten Testament belegt (vgl. Ex 33,19; 2 Kön 13,23; Ps 102,14; Jer 27,11; Jes 30,18). 346 So mit ZENGER , HThK.AT III, 46; ebenso sieht FRANZ, Gott, 234, in der Gnadenformel 103,8 eine Antwort auf 102,14; die Frage der literarischen Einheitlichkeit in Ps 102 ist für ihn aber „von untergeordnetem Interesse“ (vgl. FRANZ, a.a.O., 234 Anm. 63). 347 Vgl. dazu insbesondere die Analysen von ZENGER , Morgenröte, 195–200, und FRANZ, Gott, 231–233. 348 Vgl. FRANZ, Gott, 231; auf die Nähe zwischen den zwei Texten verweist auch ZENGER , HThK.AT III, 58
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Im zweiten Abschnitt Ps 103,6–10 folgt eine geschichtliche Begründung für Gottes Rettungstaten, bei der die aus Ex 34,6 entlehnte Gnadenformel (רחום וחנון יהוה ארך אפים ורב חסד, Ps 103,8) im Zentrum steht. Die Zäsur markiert in 103,6 ein Nominalsatz, der sich durch das artikellose Eingangspartizip und die ausdrückliche Nennung von Jhwh als Subjekt vom vorherigen Kontext abgrenzt. Darüber hinaus ist nicht mehr vom Handeln Gottes gegenüber einem Individuum die Rede, sondern mit den Bedrängten wird ein Kollektiv eingeführt, zu dessen Gunsten Jhwh seine Rechtsentscheide durchsetzt ( עשה צדקות יהוה ומשפטים לכל עשוקים, 103,6). Der folgende Verbalsatz in 103,7 schließt syntaktisch an den Nominalsatz an und spielt eine Erinnerung an das Sinaigeschehen ein, das auf diese Weise zur geschichtlichen Konkretion von Jhwhs Rechtsordnung wird: Der Vers nimmt die Bitte des Mose aus Ex 33,13 auf, Gott möge ihn seine Wege erkennen lassen, damit Mose Gotteserkenntnis erhalte (הודעני נא את )דרכך ואדעך. Dabei wird in Ps 103,7 aber neben Mose auch den Israeliten insgesamt Einsicht in das göttliche Wesen zuteil (יודיע דרכיו למשה לבני )ישראל עלילותיו. Aufgrund ihrer Position bekommt die Aussage von 103,7 die Funktion einer „Zitateinleitung“ 349 für die nachfolgende Gnadenformel 103,8, so dass die Bitte des Mose aus Ex 33,13 und die Selbstoffenbarung Gottes aus Ex 34,6 wie in der Vorlage direkt aufeinander bezogen werden.350 In der nachfolgenden Explikation der Gnadenformel geht der Psalm aber eigene Wege. Im Exodusbuch hält die Gnadenformel Ex 34,6 an der Ewigkeit der göttlichen Gnade fest, während der Nachsatz in 34,7 betont, dass Gott die Sünden der Väter noch an den nachfolgenden Generationen heimsuchen wird. Demgegenüber gehen die Verse in Ps 103,9f. von dem bereits eingetretenen Gericht aus und setzen diesem die Hoffnung entgegen, dass das göttliche Erbarmen die Zeit der Strafe überdauern wird. Dabei greift die Beschreibung des göttlichen Zorns in 103,9 auf prophetisches Sprachmaterial zurück (ריב, vgl. Jes 57,16; נטר, vgl. Jer 3,12), woraus deutlich wird, dass der Autor des Psalms die Gnadenformel für die Zeit nach der Katastrophe des Exils aktualisieren will.351 Das Volk bittet 349 ZENGER , HThK.AT III, 59. Anders rechnen SPIECKERMANN, Herr, 10f. Anm. 29, und LEUENBERGER , Konzeptionen, 183f., in 103,6f. mit einem sekundären Einschub in den Psalm; dagegen spricht aber die aufgezeigte Einleitungsfunktion der Verse für das Zitat der Gnadenformel in 103,8 und die durchgängigen Verbindungen des Psalms zu Ex 32–34, die Argumente für die ursprüngliche Zugehörigkeit der Sinai -Anspielung in 103,6f. sind (vgl. ähnlich die Begründung bei ZENGER , HThK.AT III, 55f.). 350 Vgl. zu dieser Beobachtung FRANZ, Gott, 232. Ausführlich weist KONKEL in seiner literarischen Analyse von Ex 32–34 nach, dass mit Ex 33,12–17 der Übergang zu der Gnadenrede in Ex 34* geschaffen wird (vgl. KONKEL, Sünde, 302). 351 Vgl. FRANZ, Gott, 232f.: „Ps 103 hat die Katastrophe hinter sich und erwartet, dass der Zorn nicht ewig dauern wird. Insofern hat der Psalmist Ex 34,7b richtig ve rstanden, nur für eine bereits fortgeschrittene Zeit aktualisiert.“
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nicht wie am Sinai um Verschonung vor dem Hereinbrechen der Strafe, sondern der Psalmbeter spricht die Hoffnung aus, dass das bereits erfolgte göttliche Gericht nicht ewig anhalten und Gott sich seinem Volk wieder heilvoll zuwenden wird. So kann in Ps 103,10 auch ein Kollektiv das Wort ergreifen, das die übermächtige Gnade Gottes in der eigenen Sünde bereits erfahren hat. 352 Im dritten Abschnitt 103,11–14 verlagert sich die Explikation der Gnadenformel von einem geschichtlichen Argument hin zur schöpferischen Einsicht in die conditio humana. Drei mit der Partikel כeingeleitete Vergleiche in 103,11–13 illustrieren das Handeln Gottes als eines liebenden und gnädigen Gottes, mit dem er auf die Vergänglichkeit des menschlichen Wesens reagiert: Weil der Mensch aus Staub (עפר, 103,14; vgl. Gen 2,7; 3,19) geschaffen ist, bedarf er der göttlichen Vergebung. An diesen Begründungszusammenhang knüpft auch der vierte Abschnitt des Psalms in 103,15–18 an, in dem die Vergänglichkeit des Menschen (103,15f.) zur Negativfolie für den Lobpreis der göttlichen Gnade und Gerechtigkeit wird ( וחסד יהוה מ עולם ועד עולם על יראיו וצדקתו לבני בנים, 103,17). Inhaltlich bezieht der Abschnitt seine Motivik aus dem prophetischen Vergleichswort Jes 40,6–8 und dem Mosepsalm 90, wo jeweils die Beschreibung der menschlichen Endlichkeit mit dem Bild des vergänglichen Grases vorgebildet ist (חציר, Ps 103,15; vgl. Jes 40,6–8; Ps 90,5). 353 Gegenüber dem prophetischen Vergleichswort Jes 40,6–8 ersetzt der Autor von Ps 103 das göttliche Wort als Vergleichspunkt durch die Kategorie der göttlichen Gnade, die das theologische Leitmotiv im Psalm ist. Ein metrischer und sachlicher Überschuss liegt allerdings mit dem letzten Vers der Strophe vor (103,18), der im Anschluss an 103,17 den Empfängerkreis von Gnade und Gerechtigkeit als die Gruppe der Bundesfürchtigen definiert ()לשמרי בריתו ולזכרי פקדיו לעשותם. Auf den ersten Blick kann 103,18 als eine Präzisierung der Empfänger von Gnade und Gerechtigkeit in 103,17 beschrieben werden, aber der Vers gibt sich aus mehreren Gründen als Nachtrag im Psalm zu erkennen. Mit denen, die den göttlichen Bund halten ()לשמרי בריתו, wird zuerst eine neue Personengruppe eingeführt, während zuvor nur die Jhwh-Fürchtigen Empfänger der göttlichen Liebe und seines Erbarmens sind (על יראיו, 103,11.13.17). Darüber hinaus wird der sprachliche Bezug der Empfänger in 103,18 abweichend von 352
Vgl. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 269. Gegen LEUENBERGER , Konzeptionen, 184f., ist der „weitgreifende Schriftbezug“ der Strophe Ps 103,15–18 kein hinreichendes Argument, hier ein sekundäres Stück anzunehmen (mit anderen Argumenten ebenso SPIECKERMANN, Herr, 11 Anm. 29, und HOSSFELD, HThK.AT III, 56f.). Eher ist mit M ETZGER , Lobpreis, 121 Anm. 2, zu urteilen, dass die Verse sich gut in den Gesamtkontext des Psalms einfügen; vgl. dazu aber die literarkritische Ausscheidung von 103,18 im Folgenden. 353
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103,17 nicht mit der Präposition עלgekennzeichnet, sondern durch die Partikel לhergestellt. Da schließlich mit dem auffälligen Trikolon in 103,17 auch in metrischer Hinsicht ein Gliederungseinschnitt vorliegt, kann hier das Ende des Grundpsalms vermutet werden.354 Die nachfolgende Rede vom Bundesgehorsam in 103,18 stellt damit eine sekundäre Erweiterung dar, die die Jhwh-Fürchtigen mit denen identifiziert, die Gottes Bund und Gebote halten. Die Frage ist allerdings, ob es sich dabei um eine reine Präzisierung der Jhwh-Fürchtigen handelt oder ob in 103,18 die Zugangsbedingungen für den Empfängerkreis der göttlichen Gnade verschärft werden.355 Es gibt in der Hebräischen Bibel keine Parallele für den Zusammenhang von Gnadenerweis und Bundesgehorsam, allerdings erinnert die Aussage an die Einleitung des Dekalogs in Ex 20,6 und Dtn 5,10,356 wo die Gnade an den menschlichen Gesetzesgehorsam gebunden wird. Von diesem Bezug her legt sich eher ein Verständnis im Sinne einer nachträglichen Konditionierung der göttlichen Gnade nahe. Im literarischen Kontext hat die Gesetzesobservanz in 103,18 nur eine Parallele im Geschichtspsalm 105,45. Hier fallen zuerst terminologische Differenzen auf, da die Gesetzesobservanz nicht wie in 103,18 auf den Bundesgehorsam und die Vorschriften bezogen ist ( )לשמרי בריתו ולזכרי פקדיו לעשותם, sondern auf die Bewahrung der Ordnungen und Weisungen (בעבור ישמרו חקיו ותורתיו, 105,45). Darüber hinaus stellt die Bestimmung in 105,45 nicht die göttliche Gnade unter Bedingungen, sondern sie beschreibt die Antwort des Volkes auf die göttliche Bundestreue. Dies wird im Folgenden in der redaktionsgeschichtlichen Auswertung zu berücksichtigen sein. 357 Als letzte Überarbeitung des Psalms kann die Fortschreibung in 103,19–22 gelten, die das Thema der Königsherrschaft Jhwhs einführt und 354 Auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 184f., geht von einem Psalmschluss in 103,17 aus. Allerdings beurteilt er die Strophe 103,15–18 insgesamt als sekundär, so dass er „einen nur reichlich hypothetisch zu erschließenden ursprünglichen Abschluß (nach V.14)“ postulieren muss, „der dann mindestens V.17aa 1.b1 (… )]ו[חסד יהוה … עד עולםumfaßt hätte“ (ebd.). 355 Von einer Präzisierung des Empfängerkreises in Ps 103,18 spricht HOSSFELD, HThK.AT III, 61, während SPIECKERMANN, Herr, 11 Anm. 29, für 103,15–18 insgesamt einen „Eingrenzungs- und Ausgrenzungseifer“ am Werk sieht. Ähnlich beurteilt auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 185, die Aussage in 103,18 als „sekundäre Konditionierung durch die geforderte Befolgung von Bund und Anordnungen“; vgl. ebenso KÖCKERT, Beobachtungen, 278. 356 Ex 20,6: ‚der aber Gnade erweist Tausenden von denen, die mich lieben und me ine Gebote halten‘ ( ;)ועשה חסד לאלפים לאהבי ולשמרי מצותיvgl. ebenso Dtn 5,10. 357 Vgl. dazu u. Kap. 4.3. Anders sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 273–275, im Heilsbund eine wichtige (synchrone) Konzeptionslinie, die Ps 103 mit 105f. verbinde und Argument dafür ist, dass sie die drei Psalmen „einer gemeinsamen Redaktion“ (GÄRTNER , a.a.O., 275) zuschreibt; dagegen wird die Bundesthematik hier als redaktionsgeschichtliche Linie profiliert; vgl. dazu u. Kap. 4.3.
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den Psalm zu einem „Hymnus auf JHWHs Königtum“ 358 macht. Auffällig ist hier der Schlussabschnitt in 103,20–22, der erkennbar als Inklusion zum einleitenden Aufgesang gestaltet ist. Zuerst bietet die Selbstaufforderung zum Lob in 103,22b ( ) ברכי נפשי את יהוהeine direkte Wiederaufnahme des Aufgesangs in 103,1f. und legt so einen äußeren Rahmen um den Psalm.359 Der hintere Rahmen wird dabei im Schlussabschnitt 103,19–22 durch einen dreifachen Lobaufruf an den himmlischen Hofstaat zum Preis Jhwhs (ברכו יהוה, 103,20–22) zu einem hymnischen Abgesang erweitert. Auch wenn Ps 103 damit auf den ersten Blick kein Geschichtspsalm ist, erweist er sich in seinem Grundbestand (103,1–17) doch in besonderem Maße als Rezeption der erzählenden Überlieferung: Ps 103* setzt die Gnadenformel als zitables Element in ihrem literarischen Kontext der Sinaiperikope voraus und verbürgt das Wesen Gottes als eines erbarmenden und gnädigen Gottes durch den Bezug auf die biblische Geschichte.360 Die Gnadenformel wird dabei als Antwort auf die menschliche Vergänglichkeit entfaltet, da der Mensch sich aufgrund seiner anthropologischen Verfasstheit nicht allein aus dem Schuldzusammenhang befreien kann. Mit der Vergänglichkeitsthematik und der namentlichen Nennung des Mose schlägt der ursprüngliche Psalm schließlich auch einen Bogen zum Eröffnungspsalm des vierten Buches, der durch seine Überschrift dem Mose zugeschrieben wird (תפלה למשה, 90,1).361 Die Ergänzung in 103,18 verstärkt die Bezüge sowohl zur Sinaiperikope als auch zum Übergang der Psalmenbücher, indem sie nach Ps 89 im Psalterablauf zum ersten Mal wieder das Bundesthema aufnimmt. Schließlich stellt die letzte Fortschreibung in 103,19–22 mit dem Thema von Jhwhs Königsherrschaft die Verbindung zu den Jhwh-König-Psalmen in Ps 93–99 her und gibt darüber hinaus eine Leseperspektive für den nachfolgenden Psalm 104 vor.362 358 ZENGER , Morgenröte, 195, und im Anschluss an diesen auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 179. Zur Sekundarität von Ps 103,19–22 vgl. LORETZ, Psalmen II, 489; SCHNOCKS , Vergänglichkeit, 239f.; LEUENBERGER , Konzeptionen, 185, im Anschluss an diesen ZENGER , HThK.AT III, 57, und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 266f. 359 LEUENBERGER , Konzeptionen, 185, sieht in 103,22b den klimaktischen Schluss des Grundpsalms; m.E. ist 103,22b aber gut als Fortschreibung im Rahmen des Abschnittes 103,19–22 zu erklären, während mit dem Trikolon in 103,17 ein suffizienter Abschluss gegeben ist. 360 Ähnlich auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 267. 361 Bei der Moseüberschrift in Ps 90,1 handelt es sich allerdings um eine sekundäre Hinzufügung, die wahrscheinlich auf die geschichtlichen Moseanspielungen in 103,7; 105,26; 106,16.23.32 reagiert (ähnlich LEUENBERGER , Konzeptionen, 239 Anm. 362) und das vierte Psalmenbuch nachträglich als Gebetssammlung des Mose fasst. 362 Das Stichwort der מלכותin 103,19 (vgl. ממשלה, 103,22) hat schließlich eine Nachgeschichte in der Darstellung der göttlichen Königsherrschaft in Ps 145 erfahren; vgl. dazu KRATZ, Gnade, 26f.
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4.2.5 Psalm 104 Mit Psalm 104 liegt der Hymnus eines Einzelnen vor, der ein umfassendes poetisches Lob des Schöpfergottes entfaltet. Die entscheidende Weichenstellung in der literarischen Analyse des Psalms geht auf die Beobachtung von KÖCKERT zurück, dass der literarische Kern des Psalms durch eine Partizipialreihe in 104,2b–4.10.12.13a.14f.32 gebildet wird. 363 In diesem literarischen Grundbestand wird Jhwh in den Farben des Wettergottes besungen, der in seinem himmlischen Palast thront und von dort aus die Erde mit dem für das Leben unerlässlichen Wasser versorgt. 364 Es herrscht relative Einigkeit darüber, dass dieses Lob des Wettergottes im weiteren Verlauf des literarischen Wachstums durch eine Reihe von Redaktionen überarbeitet worden ist, die unterschiedliche Schöpfungstheologien in den Psalm eintragen. 365 Durch eine erste Bearbeitung im „Du-Stil“ findet die Vorstellung der creatio continua Eingang in den Psalm, die den Einfluss der kanaanäisch vermittelten ägyptischen Sonnentheologie zeigt. 366 Eine weitere Redaktion überarbeitet den Psalm durch literarische Bezüge auf die biblische Überlieferung mit der Vorstellung der creatio prima.367 Im Anschluss an die vorliegenden Wachstumsmodelle soll im Folgenden kurz der literarische Befund skizziert werden. Dabei stehen der Aufweis der 363
Vgl. KÖCKERT, Beobachtungen, 259–279 (zusammenfassend 275 Anm. 77); ihm folgen mit dem Ausgang bei einer ursprünglichen Partizipialreihe die Analysen von KRATZ, Reste, 56f., und MÜLLER, Jahwe, 213.217–235. Dieser literarischen Differenzierung hat zuvor die Analyse von SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 21–49, den Weg geebnet, der einen Grundpsalm in 104,1ab–4.9.10f.14–18.20–23.24aa.b.27–29a.30.33 von einer Ergänzung in 104,5–7.9.12f.19.24ab.25f.29b.31f.34–35a (mit kleineren Nachträgen in 104,1aa.8.35b) unterscheidet. Vgl. auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 190–192, und HOSSFELD, HThK.AT III, 72–75, die die Erkenntnisse von KÖCKERT und SPIECKERMANN in ihren literarischen Analysen aufnehmen. Dagegen interpretieren eine Re ihe von Exegeten den Psalm in seinem Korpus als literarische Einheit; vgl. dazu exemplarisch STECK, Wein, 240–261, und A. KRÜGER , Lob, insbes. 62–64; den Blick auf den vorliegenden Text richtet T. KRÜGER , „Kosmo-theologie“, 49–74, ohne aber „die Möglichkeit literarischer Vorstufen bzw. Vorlagen des Psalms zu bestreiten“ (T. KRÜGER , a.a.O., 52(. 364 Vgl. KÖCKERT, Beobachtungen, 263f., ausführlich MÜLLER, Jahwe, 211f.220–235. 365 Vgl. dazu SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 48f.; KÖCKERT, Beobachtungen, 262. 276; KRATZ, Reste, 56f.; MÜLLER, Jahwe, 217–220. Zur religionsgeschichtlichen Differenzierung im Psalm siehe ferner DION, YHWH, 43–71; T. KRÜGER , „Kosmo-theologie“, 49–74, und A. KRÜGER , Lob, 88–422. 366 Vgl. KÖCKERT, Beobachtungen, 269-274; zu dieser Schicht zählt er die Verse 104,1ab–2a.11(?).13b.20–24a.c.27–29a.30.31.33–34 (vgl. KÖCKERT, a.a.O., 275f. mit Anm. 79); im Anschluss an diesen KRATZ, Reste, 56f. 367 Vgl. zur Profilierung dieser Redaktion KÖCKERT, Beobachtungen, 276; dem verantwortlichen Bearbeiter will er die Verse 104,5–9.16–18.19.24b.25–26 zuschreiben (vgl. KÖCKERT, a.a.O., 276 Anm. 81); ähnlich KRATZ, Reste, 56f.; MÜLLER , Jahwe, 217– 220 („Schöpfungstheologische Bearbeitungen“).
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Verbindungen zur biblischen Überlieferung und die Frage nach den redaktionellen Verknüpfungen mit dem Kontext im Vordergrund. Der Blick fällt zuerst auf die redaktionellen Rahmungselemente an den Rändern des Psalms. Als sekundär kann der Halleluja-Abschluss in 104,35 gelten, der den Psalm mit den folgenden Geschichtspsalmen 105f. zu einer Trias zusammenschließt. 368 Ferner legt der Lobaufruf in 104,1aa.35b (ברכי )נפשי את יהוהeinen Rahmen um den Psalm und verbindet ihn mit dem vorhergehenden Psalm 103 (ברכי נפשי את יהוה, 103,1f.22). Da dieser Lobaufruf in 103,1f. zum Grundbestand gehört und auch inhaltlich als Gebetsanfang eingebunden ist, liegt der Schluss nahe, dass Ps 104 in seinem Rahmen von Ps 103 her überarbeitet worden ist. 369 Dieser Redaktion kann auch die verkürzte Aufnahme des Lobaufrufes ( )ברכו יהוהim sekundären Schlussteil von Ps 103 (103,19–22) zugeschrieben werden. 370 Der ursprüngliche Anfang von Ps 104 liegt damit in der doppelgliedrigen Majestätsaussage in 104,1abb vor ()יהוה אלהי גדלת מאד הוד והדר לבשת, die in ihren Prädikationen die Vorstellung von Jhwhs Königtum anklingen lässt. 371 Der so eingeleitete Hauptteil gliedert sich in fünf Unterabschnitte (104,2b–4.5–9.10–18.19–23.24–30). Am Anfang steht als Teil der ursprünglichen Partizipialreihe in 104,2b–4 das Lob von Jhwh als Himmelsthroner. Mit dem zweiten Abschnitt in 104,5–9 liegt eine Nachinterpretation durch die erste Bearbeitung vor,372 die die Andeutung der Himmelsschöpfung in 104,2b–3a zu einem Bericht über die anfängliche Schöpfung ausbaut. Dabei mischen sich mythische Elemente mit den literarischen Anspielungen auf die Schöpfungsgeschichten der Genesis.373 Aus Gen 1 entlehnt ist zuerst die Vorstellung der anfänglichen Urfluten (תהום, Ps 368
Vgl. KÖCKERT, Beobachtungen, 278; LEUENBERGER , Konzeptionen, 191f.; MÜLJahwe, 216. 369 Zur redaktionellen Verbindung der zwei Psalmen über den sekundären Rahmen in Ps 104,1aa.35b vgl. SEYBOLD, Psalm 104, 4f.; SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 26f.; KÖCKERT, Beobachtungen, 277f.; SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 242; LEUENBERGER , Konzeptionen, 187.189–191; MÜLLER , Jahwe, 215f., und vermutungsweise A. KRÜGER , Lob, 64. Dagegen sieht KRATZ, Reste, 56, den ursprünglichen Eingang im Lobeingang in 104,1. 370 Vgl. HOSSFELD, HThK.AT III, 88. 371 Vgl. insbesondere zu der Formulierung הוד והדרPs 96,6, der hier vermutlich die Vorlage für die Prädikation in 104,1 bildet. Die weiteren Belege in Ps 111,3 und 145,5 können als spätere Bildungen betrachtet werden, die von Ps 96,6 und 104,1 abhängig sind. 372 Zur Sekundarität von 104,5–9 vgl. zuerst SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 29–32 (mit V 8 als Zusatz im Zusatz); danach KÖCKERT, Beobachtungen, 260f.; MÜLLER, Jahwe, 217f. (der noch einmal literarisch zwischen V 5 und V 6–9 unterscheidet), sowie HOSSFELD, HThK.AT III, 73. 373 Zur Motivik von 104,5–9 vor dem religionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. ausführlich A. KRÜGER , Lob, 124–162. LER ,
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104,6; vgl. Gen 1,2), die in Anspielung auf Gen 7,19 wie die Wasser der Sintflut die Berge bedecken (תהום כלבוש כסיתו על הרים, Ps 104,6; vgl. והמים גבר ו מאד מאד על הארץ ויכסו כל ההרים הגבהים, Gen 7,19).374 Nachfolgend wird die göttliche Scheidung zwischen Erde und Meer (vgl. Gen 1,9f.) als Grenzsetzung interpretiert (גבול שמת בל יעברון, Ps 104,9), die sachlich eine Nähe zum Bundesversprechen Gottes in Gen 9,11 aufweist, sprachlich aber an der Selbstvorstellung Gottes in Jer 5,22 orientiert ist: ‚der ich dem Meer den Sand als Grenze gesetzt habe […], die es nicht überschreiten soll‘ () שמתי חול גבול לים … ולא יעברנהו.375 Eine letzte Anspielung auf den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht liegt mit Ps 104,8 vor, wo der Schöpfungsbefehl aus Gen 1,9, mit dem Gott den Wassern ihren Ort ()מקום zuweist, in der Aussage wiederkehrt, dass Gott Bergen und Tälern ihren Ort bestimmt hat ()אל מקום זה יסדת להם. Der nächste Abschnitt in Ps 104,10–18 thematisiert die Versorgung des Lebens auf der Erde durch die göttliche Wassergabe, wobei zumindest die partizipial formulierten Handlungen ‚Entsendung von Quellen‘ (104,10a), ‚Regengabe aus dem Himmel‘ (104,13a) und ‚Hervorbringung des Grases‘ (104,14) ursprünglich sein dürften. 376 An diese Beschreibung der Wasserversorgung schließt sich in 104,19–23 ein Abschnitt über die göttliche Zeitenordnung an. Hier ist in 104,19 mit der Einrichtung der Himmelskörper (עשה ירח למועדים שמש ידע מבואו, 104,19) die zweite Bearbeitung tätig, die die Vorstellung der creatio prima in den Psalm einträgt, da die Erschaffung von Mond und Sonne zur Bestimmung der Zeiten in Anlehnung an den Schöpfungsbericht Gen 1 geschildert wird (למועדים, Ps 104,19; vgl. Gen 1,14).377 Die Verse 104,20–23 geben sich dagegen mit der Anrede Gottes (תשת חשך, 104,20) als der ersten Redaktionsschicht zugehörig zu erkennen und zeigen den Einfluss der ägyptischen Sonnentheologie. 378 374
Vgl. zu dem Bezug auf die Sintflutgeschichte MÜLLER, Jahwe, 218. Gegen SPIEHeilsgegenwart, 31 Anm. 28, ist aufgrund der sprachlichen Nähen eine bewusste Anspielung auf den Sintflutbericht anzunehmen. 375 Die Parallele in Jer 5,22 erwähnt auch MÜLLER, Jahwe, 218 Anm. 33, der aber den Hauptbezugstext von Ps 104,9 in Gen 9,11 sieht. 376 Die literarische Analyse dieses Abschnittes wird diskutiert; während SPIECKER MANN, Heilsgegenwart, 33f., in 104,12f. einen Zusatz sieht, hält K ÖCKERT, Beobachtungen, 263f., die Verse 104,13b.16–18, für sekundär; KRATZ, Reste, 57, scheidet 104,10b– 12.13b–14a.16–18 aus, während MÜLLER, Jahwe, 220, Ergänzungen in 104,12.16–19 annimmt. Weniger überzeugend argumentiert HOSSFELD, HThK.AT III, 73.75, für die Einheitlichkeit des Abschnittes und lässt dabei die literarkritische Bedeutung der Part izipien in 104,13a.14 unberücksichtigt. 377 Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 37; MÜLLER, Jahwe, 218f. 378 Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 38–40; KÖCKERT, Beobachtungen, 272– 274; KRATZ, Reste, 57; zu einem ausführlichen Vergleich von Ps 104 mit dem ägyptischen Amarnahymnus siehe A KRÜGER , Lob, 403–422, und DIES., Psalm 104, 609–621. CKERMANN ,
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
Im fünften Hauptteil des Psalms in 104,24–30 folgt eine theologische Bilanzierung des Schöpfungswerkes, die in 104,24 mit einem dreigliedrigen Bewunderungsruf eröffnet wird. Heben das erste und das dritte Kolon auf die gegenwärtige Fülle der göttlichen Werke ab und bilden so einen „wohlgeformten synonymen Parallelismus membrorum“,379 fällt das zweite Kolon 104,24ab mit einer weisheitlichen Beurteilung von Gottes Handeln aus dem metrischen Rahmen heraus ()כלם בחכמה עשית. Das resultativ gebrauchte Perfekt עשיתlässt erneut an die anfängliche Schöpfung denken,380 die ebenfalls mit einer positiven Bewertung des göttlichen Handelns endet (Gen 1,31), 381 so dass auch dieses Kolon zur zweiten Bearbeitungsschicht des Psalms zu ziehen ist. Die Beschreibung des Meeres und seiner Lebewesen in Ps 104,25f. fällt ebenfalls durch eine Reihe von schriftgelehrten Bezügen zu Gen 1 auf. 382 So nimmt die Bezeichnung der Meerestiere mit dem Sammelbegriff ר מ שׂ (‚Gewimmel‘) in 104,25 die Beschreibung der Meereswesen aus Gen 1,21 auf ()הרמשת אשר שרצו המים. Hier liegt eine innerhalb von Gen 1 sekundäre Verwendung der Wurzel רמשvor, deren Gebrauch im Grundbestand des Schöpfungsberichts für die kriechenden Landtiere reserviert ist (Gen 1,24– 26.28).383 Der bereits erwähnte Vers Gen 1,21 kommt durch die Erwähnung der Seemonster ( ויב רא אלהים את התנינם הגדלים, Gen 1,21) auch als Vorlage für die im Psalm nachfolgende Schaffung des Leviathan zum göttlichen Spielgefährten in Frage ( לויתן זה יצרת לשחק בו, Ps 104,26).384 Dabei ist aber der Aspekt der Zähmung ebenso wie die zoologische Bestimmung als Leviathan auf die Kenntnis der Gottesrede Hi 40,25–32 zurückzuführen, in der Gott sich seiner Fähigkeiten rühmt, den Leviathan zu einem Spielgefährten entmachten zu können (התשחק בו, 40,29).385 Den nächsten Unterabschnitt in Ps 104,27–30 bildet eine theologische Interpretation, die den Aspekt der Abhängigkeit der Schöpfung von ihrem 379
SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 41. Vgl. MÜLLER, Jahwe, 219. Zu einer sekundären Beurteilung gelangt auch SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 40, während sich HOSSFELD, HThK.AT III, 82f., gegen eine literarkritische Differenzierung der Aussage ausspricht. Das Motiv der Weisheit in 104,24 erfährt eine ausführliche Untersuchung bei A. KRÜGER , Lob, 300f., die dabei insbesondere Jer 10,12 und Hi 28,25–27 als Vergleichstexte heranzieht, darüber hinausgehend wäre noch Prov 3,19 zu nennen (vgl. MÜLLER, Jahwe, 219). 381 Gen 1,31: ‚( והנה טוב מאדUnd siehe, es war sehr gut‘). 382 Vgl. das treffende Urteil von SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 41: „Dem ‚Gewimmel ohne Zahl‘ entspricht ein Gewimmel an gelehrten Reminiszenzen“. 383 Zur literarischen Beurteilung der Beschreibung in Gen 1,21 vgl. W.H. SCHMIDT, Schöpfungsgeschichte, 123; anders STECK, Schöpfungsbericht, 68. 384 So A. KRÜGER , Lob, 308f. 385 Diese Abhängigkeit sehen auch SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 41, und MÜLLER , Jahwe, 220. 380
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Schöpfer nachträgt. Zielt die ursprüngliche Partizipialreihe in 104,10– 15*386 auf die lebenserhaltende Wirkung der göttlichen Wasserspende, interpretiert der für 104,27–30 verantwortliche Redaktor die creatio continua im Sinne einer vollständigen Angewiesenheit der Lebewesen auf ihren Schöpfer (104,27). Dieses Abhängigkeitsverhältnis wird in 104,28–30a in einer Reihe von parallelen Bikola näher entfaltet, die nach dem Prinzip von Bedingung und Folge aufgebaut sind.387 Aus dieser Reihe fällt noch einmal das sekundäre Kolon in 104,29b heraus, das das Bikolon in 104,29a zu einem Trikolon erweitert. 388 Inhaltlich variiert der Versteil die vorausgehende Todesaussage mit dem aus dem Schöpfungsfluch Gen 3,19 entnommenen Bild, dass die Lebewesen zum Staub zurückkehren werden, wenn ihnen der Lebensatem entzogen wird ( ואל עפרם ישובון, Ps 104,29b). Diese Aussage hat eine auffällige Parallele im vorausgehenden Psalm 103,14, wo der Staub als Bild für die schöpfungsgemäße Vergänglichkeit des Menschen verwendet wird ()זכור כי עפר אנחנו. Diese inhaltliche Nähe lässt darauf schließen, dass das Kolon 104,29b von Ps 103 aus eingetragen worden ist, um die Verbindungen zwischen den zwei Psalmen zu verstärken. Die Aussagen im Hauptteil von Ps 104 gipfeln in dem Einzelkolon 104,30b, das in im Alten Testament singulärer Weise den Schöpfungskreislauf als Erneuerung der Erde begreift. Der Schlussabschnitt des Psalms in 104,31–35b versammelt eine Reihe von resümierenden Aussagen, die auf unterschiedliche Hände zurückzuführen sind. In Entsprechung zur einleitenden Anrufung Gottes in 104,1ab ( )יהוה אלהיkommt das abschließende Lobgelübde in 104,33 (אשירה ליהוה )בחיי אזמרה לאלהי בעודיals ursprünglicher Abgesang in Frage. 389 Während der redaktionelle Horizont des Lobaufrufes in 104,35ba und des HallelujaAbschlusses 104,35bb bereits umrissen worden sind, bleibt nur noch die „Wunschliste“390 in 104,31f.34.35a zu berücksichtigen, die den ursprünglichen Lobabschluss der Partizipialreihe in 104,32(33) rahmt.391 Von Bedeutung für unsere Fragestellung ist hier vor allem der Halbvers 104,35a, dem psalmübergreifende Bedeutung zukommt. Mit dem Gerichtswunsch für die Sünder und die Gottlosen ()יתמו חטאים מן הארץ ורשעים עוד אינם schlägt der Psalm zuerst im Nahkontext einen Bogen zu Ps 101,8, wo Gott 386
Zu den unterschiedlichen Abgrenzungen der Reihe in diesem Bereich vgl. KÖBeobachtungen, 275 Anm. 77; KRATZ, Reste, 57, und MÜLLER, Jahwe, 212. 387 Vgl. A. KRÜGER , Lob, 57. 388 Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 42 Anm. 54; KÖCKERT, Beobachtungen, 270 Anm. 51, und HOSSFELD, HThK.AT III, 74f. 389 So SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 42; KRATZ, Reste, 57; HOSSFELD, HThK.AT III, 75. Anders sieht KÖCKERT, Beobachtungen, 263.275 Anm. 77, den Abschluss der ursprünglichen Partizipialreihe in der vorausgehenden Prädikation 104,32. 390 SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 42. 391 Vgl. SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 42; ebenso HOSSFELD, HThK.AT III, 75. CKERT,
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ankündigt, dass er die Gottlosen des Landes verstummen lassen wird () לבקרים אצמית כל רשעי ארץ. Vor allem aber nimmt er mit dem Parallelismus von Sündern und Gottlosen Psalm 1 auf, in dem allein der Doppelausdruck im Psalter noch belegt ist. 392 Hier liegt ein später Zusatz vor, der den Schöpfungspsalm vor dem Hintergrund von Ps 1 interpretiert und ihm eine „anthropologische Zuspitzung“ 393 gibt, indem das Schöpfungswerk Gottes nur den Gerechten Heimat und Fürsorge bietet. Die Literargeschichte von Ps 104 stellt sich damit wie folgt dar: Den ursprünglichen Psalm bildet eine Partizipialreihe, die das Wirken von Jhwh als Wettergott preist. Sie wird im Verlauf des weiteren Wachstums durch zwei Redaktionen überarbeitet. Von besonderem Interesse ist hier die zweite Redaktion, die durch punktuelle Rezeptionen vor allem des priesterschriftlich ergänzten Schöpfungsberichtes, aber auch anderer Texte der Urgeschichte und der Gottesreden des Hiobbuches, die Vorstellung der anfänglichen Schöpfung einträgt. Durch dasselbe Redaktionsinteresse ist auch der kurze Nachtrag in 104,29b gekennzeichnet, der allerdings aufgrund der Nähe zu Ps 103,14 eher zu der in 104,1aa.35b tätigen Redaktion zu ziehen ist, die die zwei Psalmen 103 und 104 zu einem Diptychon verbindet. Durch die in 104,35 tätige Halleluja-Redaktion wird diese Zuordnung allerdings ‚überschrieben‘, indem Ps 104 mit den nachfolgenden Geschichtspsalmen 105f. zu einer Dreiergruppe in Ps 104–106 zusammengefasst wird. Ps 104 ist damit in seiner Entstehungsgeschichte Zeuge dafür, wie die wachsende erzählende Überlieferung Einfluss auf die Psalmentheologie nimmt. Unter dem Eindruck des Gottesbildes im priesterschriftlich ergänzten Schöpfungsbericht wird das Lob des lebenserhaltenden Wettergottes zum Lob des Gottes, der mit der Erschaffung der Welt die Geschichte Israels in Gang gesetzt hat.394 4.2.6 Psalm 107 Das Ende des vierten Psalmenbuches bilden schließlich die Zwillingspsalmen 105f., die bereits ausführlich analysiert worden sind. 395 Um ihre redaktionsgeschichtliche Einbindung am Ende des vierten Psalmenbuches besser beurteilen zu können, ist abschließend noch der Eröffnungspsalm 392 Vgl. zu dieser Beobachtung KÖCKERT, Beobachtungen, 277: „An der Wiege von V. [104] 35 dürfte Ps 1 Pate gestanden haben“ (ebenso MÜLLER , Jahwe, 215). Zurückhaltender sieht LEUENBERGER , Konzeptionen, 190f., in 104,35 einen Reflex auf die Gerechte-Frevler-Thematik im Psalter, die später in Ps 1 als Programmstück vorbereitet werde. 393 KÖCKERT, Beobachtungen, 277. 394 So kann MÜLLER, Jahwe, 211, den Psalm auch zu Recht als „Kompendium der Schöpfungstheologie“ bezeichnen. 395 Vgl. dazu o. Kap. 2 . und Kap. 3 .
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des fünften Psalmenbuches, Psalm 107, mit in die Betrachtung einzubeziehen. Mit diesem Psalm liegt eine als Danklied gestaltete Dichtung vor, die Jhwhs Gnadenerweise (חסדי יהוה, 107,43) anhand von vier individuellen Rettungserfahrungen im ersten Hauptteil 107,4–32 expliziert, an die sich im zweiten Hauptteil 107,33–42 ein hymnischer Lobpreis Jhwhs anschließt. Einleitung (107,1–3) und weisheitlicher Schluss (107,43) legen einen Rahmen um das Psalmencorpus. Am Anfang der Einleitung steht wie im vorausgehenden Ps 106,1 die ausgeführte Todaformel ( הדו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדו, 107,1), die nicht nur die formelhafte Eröffnung bietet, sondern auch inhaltlich gut zur folgenden Dankliturgie passt. Aufgerufen zum Dank sind in 107,2f. die Erlösten Jhwhs (גאולי יהוה, 107,2), die von Jhwh befreit und aus allen Himmelsrichtungen herbeigeführt worden sind.396 Der so eingeleitete erste Hauptteil wird durch einen refrainartigen Lobaufruf 107,8.15.21.31 in vier Strophen gegliedert (107,4–9; 107,10–16; 107,17–22; 107,23–32), die unterschiedliche Szenarien für die Rettung einzelner Menschen oder Gruppen durch Jhwh durchspielen.397 Sie sind jeweils nach demselben Schema aufgebaut: Auf die Vorstellung der Personen in Not (107,4.10.17.23) folgt die Anrufung Jhwhs um Hilfe ( אל יהוה398ויצעקו/ויזעקו, 107,6.13.19.28), welcher daraufhin rettend eingreift (107,6b–7.13b–14.19b–20.28b–29). Am Ende jeder Strophe steht der wiederkehrende Aufruf zum Lob (יודו ליהוה חסדו ונפלאותיו לבני אדם, 107,8.15.21.31), der entweder durch eine mit der Partikel כיangeschlossene Durchführung (107,9.16) oder durch eine Dankeshandlung in Form eines Dankopfers (107,22) bzw. eines öffentlichen Lobpreises Jhwhs (107,32) abgeschlossen wird. Dieses Rettungsschema wird in den einzelnen Strophen mit unterschiedlichen Notsituationen gefüllt: Im ersten Teil (107,4–9) geht es um eine Gruppe von Menschen, die auf dem Weg zur bewohnten Stadt (עיר מושב, 107,7) in der Wüste umherirren und von Hunger und Durst bedroht werden (רעבים גם צמאים, 107,5). Mit der 396 Einige Exegeten erwägen die literarkritische Ausscheidung von 107,2f. (vgl. z.B. B EYERLIN, Werden, 73f.; KRAUS, BK XV/2, 911; KOENEN, Jahwe, 99f.; SEYBOLD, HAT I/15, 428; ALLEN, WBC 28, 86f.), für die hier aber kein Grund gesehen wird. Gegen diese These spricht vor allem, dass die Verse mit den Erlösten Jhwhs das Subjekt für die einleitende Situationsbeschreibung von 107,4 ( )תעו במדברbieten und die Exposition insgesamt den hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis des Gesamtpsalms darstellt; vgl. dazu im Folgenden. 397 Diese Gliederung ist weitgehend unumstritten; vgl. exemplarisch GUNKEL, Psalmen, 470; KRAUS, BK XV/2, 909f.; B EYERLIN, Werden, 7–12; ALLEN, WBC 21, 84–88; ZENGER, HThK.AT III, 142–144. 398 Die zwei Schreibweisen sind auf eine hebräische Wurzel צעקmit der Nebenform זעקzurückzuführen, wobei die zwei Formen im Biblischen Hebräisch nebeneinander verwendet werden (vgl. HASEL, Art. ָצ ַע ק/ז ָ ַע ק, 629f., sowie die zugehörigen Einträge bei KOEHLER /B AUMGARTNER , HALAT, 266.975).
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zweiten Strophe 107,10–16 wechselt das Bild zu denjenigen, die aufgrund ihrer eigenen Vergehen als Bewohner des Dunkels und der Finsternis (ישבי חשך וצלמות, 107,10) aus der Gefangenschaft gerettet werden müssen. Selbstverschuldet ist auch die Notlage der Toren (אולים, 107,17) im dritten Abschnitt 107,17–22, die durch Unvernunft und Sünde in Todesnähe geraten sind. Die letzte Strophe 011,23–32 thematisiert abschließend das Geschick der in Seenot geratenen Seeleute (יורדי הים, 107,23), um derentwillen Jhwh den Sturm stillt, um sie in den sicheren Hafen zu bringen. Der hymnische Lobpreis Jhwhs im zweiten Hauptteil (107,33–42) rühmt zuerst die göttliche Schöpfermacht (107,33–35), bevor in 107,36– 39 ein Abschnitt folgt, der mit Bezug auf 107,4–9 die Geschichte Israels rekapituliert. Vergleichbar mit den Ereignissen der ersten Strophe rettet Jhwh das Volk vor dem Hunger und lässt es eine bewohnte Stadt bauen (ויו שב שם רעבים ויכוננו עיר מושב, 107,36). Nach einer Zeit des Segens wird das Volk aber dezimiert und von erneutem Unglück getroffen (107,39). In einer armentheologischen Differenzierung schickt Jhwh die Vornehmen in die weglose Irre der aus 107,4f. schon bekannten Wüste (שפך בוז על נדיבים ויתעם, 107,40), während er die Armen aus ihrem Elend erhebt (וישגב אביון מעוני, 107,41). Dieser zweite Hauptteil wird in 107,42 durch ein erstes Fazit abgeschlossen, das in „weisheitlicher Antithetik“ 399 die unterschiedliche Wirkung des göttlichen Handelns auf Gerade und Ungerechte bilanziert. Der eigentliche Psalmschluss in 107,43 richtet sich allein an den Weisen und ruft zur Erkenntnis der Gnadenerweise Jhwhs auf (מי חכם וישמר )אלה ויתבוננו חסדי יהוה. Die Frage steht außerhalb der geschichtlichen Fiktion des Psalms und macht die zuvor dargestellten Ereignisse zum Gegenstand der weisheitlichen Betrachtung. 400 Mit dem Stichwort der göttlichen חסדbezieht sich der Abschluss über den zweiten Hauptteil 107,33–42 hinweg auf den ersten Abschnitt 107,4–32, wo die Rettungstaten Jhwhs als Manifestationen der göttlichen Gnade gepriesen werden (חסדו, 107,8.15. 21.31). Liegt mit diesem Rückbezug bereits ein erstes Indiz dafür vor, dass der dazwischen liegende zweite Hauptteil 107,33–42 auf eine spätere literarische Ebene gehört, kann die Vermutung durch eine Reihe inhaltlicher Beobachtungen erhärtet werden. Zwar bestehen enge Verbindungen zwischen dem hymnischen Teil 107,33–42 und der ersten Strophe in 107,4–9, inhaltlich fällt aber eine Akzentverschiebung auf: In 107,4–9 stellt das Umherirren in der Wüste ( תעו במדבר, 107,4) die ursprüngliche Notsituation dar, während das Leben in der bewohnten Stadt Ziel des göttlichen Ret399
ZENGER , HThK.AT III, 157; vgl. Ps 107,42: ‚Die Aufrichtigen sehen es und freuen sich, alle Bosheit aber muss ihren Mund schließen.‘ 400 Vgl. das Urteil von KRATZ, Erkenntnis, 301, über den Schlusssatz des Hoseabuches Hos 14,10, der eine enge Parallele zu Ps 107,43 darstellt (ähnlich auch Jer 9,11).
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tungshandelns ist (ללכת אל עיר מושב, 107,7). Dagegen erweitert der hymnische Abschnitt die Szenenfolge und führt nachfolgend eine Differenzierung im Volk ein. Hier wird der Irrweg in der Wüste zum endgültigen Gericht über die Edlen im Volk, während die Armen auch aus dieser zweiten Notsituation gerettet werden. Diese thematische und theologische Neuausrichtung kennzeichnet den Abschnitt 107,33–42 als Fortschreibung des Grundpsalms, in der die Rettung des Volkes neu durchdacht wird.401 Die vier Rettungserzählungen des Grundpsalms 107,1–32.43 wirken auf den ersten Blick wie eine Sammlung typischer Notsituationen, die nur durch den jeweils gleichen Ereignisablauf miteinander verbunden sind. Bei genauerem Hinsehen erweist sich aber die Exposition in 107,2f. als hermeneutischer Schlüssel für das Verständnis der folgenden Situationsbeschreibungen. Angeredet werden in 107,2 die Erlösten Jhwhs (גאולי יהוה, 107,2); eine Bezeichnung, die auf das Deuterojesajabuch verweist, in dem das Verbum גאלals terminus technicus für den Zweiten Exodus des Volkes aus dem Exil gebraucht wird. 402 Deshalb kann das erlöste Israel mit dem Partizip גאליםbezeichnet werden (Jes 35,9; 51,10; 62,12), wobei in Jes 62,12 auch die einzige Parallele für die Genitivverbindung גאולי יהוה vorliegt. Hier dient der Ausdruck der Bezeichnung für das von Jhwh aus Exil und Diaspora heimgeführte Israel, das er am Zion versammeln will. Der Bezug auf das Deuterojesajabuch wird im Psalm durch die Aufzählung der Orte verstärkt, aus denen Jhwh seine Erlösten gesammelt hat: ‚aus den Ländern vom Aufgang und vom Niedergang, vom Norden und vom Meer her‘ ( ומארצות קבצם ממזרח וממערב מצפון ומים, 107,3). Diese vierfache Ortsangabe ist im letzten Glied wiederholt textkritisch zu ומימין (‚vom Süden her‘) verbessert worden, um die vier Himmelsrichtungen zu erhalten.403 Für diese Konjektur gibt es aber nicht nur keinen Anhalt in der Textüberlieferung, sondern die Verbesserung verstellt auch den Blick auf den literarischen Horizont, auf den hier angespielt wird.404 Wird die masoretische Fassung beibehalten, gibt sich die Aufzählung von Ps 107,3 als Verbindung zweier Sammlungsaussagen aus dem Zweiten Jesaja zu erkennen: Die Ortsangaben ממזרהund ממערבnehmen die Verheißung des Heilsorakels Jes 43,5 auf ()ממזרח אביא זרעך וממערב אקבצך, bei dem mit der angekündigten Rettung der ‚Nachkommenschaft‘ bereits ein Diaspora401
In der Abgrenzung 107,33–43 wird der hymnische Teil des Psalms oft als Nachtrag eingeordnet; vgl. DUHM, KHC 14, 392; B EYERLIN, Werden, 77f.; SEYBOLD, HAT I/15, 430; ALLEN, WBC 21, 86f.; LEUENBERGER , Konzeptionen, 286. Die literarische Einheit des Psalms vertritt dagegen ZENGER , HThK.AT III, 144f. 402 Vgl. RINGGREN, Art. גאל, 889; SPIECKERMANN , Art. Erlösung/Soteriologie, 1444f. 403 So z.B. GUNKEL, Psalmen, 468; KRAUS, BK XV/2, 907.909. 404 So mit ZENGER , HThK.AT III, 141, der aber dabei allein auf Jes 49,12 verweist; vgl. dazu im Folgenden.
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horizont zu vermuten ist.405 Diese Vorlage wird mit dem Völkerauftrag an den Gottesknecht in Jes 49,12 zusammengelesen, wo der Knecht Zeuge wird für die Heimführung der weltweiten Diaspora ‚vom Norden her und vom Meer her‘ ((והנה אלה מצפון ומים. Indem der Verfasser von Ps 107* diese zwei Aussagen kombiniert, wird die in 107,3 angesprochene Gruppe mit dem Israel der Zerstreuung identifiziert, das gemäß den Verheißungen des Deuterojesajabuches Erlösung und Heimführung erfahren hat. 406 Diese kollektive Rettungserfahrung des Volkes steht im Hintergrund der vier Rettungserzählungen von Ps 107, in denen sich das Volksschicksal in der Notrettung einzelner Gruppen realisiert. 407 Die beiden ersten Beispiele nehmen dabei die Metaphorik des Deuterojesajabuches auf und schildern die Erlösung in den Farben des Zweiten Exodus. So wird für die erste Szene kein neues Subjekt eingeführt, sondern die Verbform תעוam Anfang von 107,4 setzt das in der Einleitung eingeführte Subjekt גאולי יהוה (107,2) voraus.408 Auch die Grundkonstellation der Notlage erinnert an das Jesajabuch: Die Gruppe irrt in der Wüste umher ( תעו, Ps 107,4), weil sie den Weg zur bewohnten Stadt nicht finden kann (דרך עיר מושב לא מצאו, 107,4). In gleicher Weise führt im Jesajabuch das Verlassen des göttlichen Weges ( )דרךzum Umherirren (תעה, Jes 35,8; 53,6; 63,17). Ferner ist die Rettung vor dem Hunger- und Dursttod in Ps 107,5 ( )רעבים גם צמאיםals Erzählzug der Wüstenwanderung in Jes 49,10 vorgeprägt (לא ירעבו ולא )יצמאוund in beiden Textbereichen nimmt Jhwh die Führungsfunktion für das umherirrende Israel wahr ( דרךhif., Ps 107,7; vgl. Jes 42,16; 48,17). Auffällig ist dabei die Zielangabe in Ps 107,4.7, da die Bezeichnung עיר מושבohne Parallele in der Hebräischen Bibel ist. Durch Verheißungsaussagen wie Ps 69,36 oder Jes 35,10; 54,3 kann die rettende Stadt aber mit Jerusalem/Zion identifiziert werden, von der auch im literarischen Vorkontext in Ps 101,8 die Rede ist. 409 Dabei ist die Rede von der Stadt, die 405
Vgl. KRATZ, Kyros, 95. Zu dem Bezug auf die Texte aus dem Zweiten Jesaja vgl. auch KRAUS, BK XV/2, 912f.; B EYERLIN, Werden, 22f.; ALLEN, WBC 21, 89; ZENGER , HThK.AT III, 148f. Es ist zu überlegen, ob hier im Nahkontext eine Verbindung zu Ps 103,12 vorliegt, wo die Ferne von Osten und Westen als Bild für die Erlösung von den individuellen Vergehen durch die göttliche Gnade dient ()כרחק מזרח ממערב הרחיק ממנו את פשעינו. 407 Vgl. KRATZ, Tora, 24. Mit etwas anderer Akzentsetzung bewertet ZENGER , HThK.AT III, 149, das Verhältnis zwischen kollektiver Erlösung aus dem Exil und ind ividueller Rettung aus der Not: „Im Horizont von [Ps 107] V 2 –3 werden die in V 4–32 folgenden vier Rettungserzählungen zu Paradigmen der ‚Erlösung‘ und der Restitution Israels.“ 408 Dies ist ein gewichtiges Argument gegen die literkritische Ausscheidung der Verse 107,2f., die von einer Reihe von Exegeten vertreten wird (vgl. dazu o. Anm. 396). 409 Zu dieser Identifikation vgl. exemplarisch ALLEN, WBC 21, 89, und ZENGER , HThK.AT, 150. 406
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schon bewohnt ist, erneut Hinweis darauf, dass die kollektive Erlösung Israels bereits stattgefunden hat und die (babylonische) Gola Jerusalem bereits wieder in Besitz genommen hat. Hinter der Gruppe, die nun in die ‚bewohnte Stadt‘ gerettet werden muss, steht jeder Israelit, der räumlich oder spirituell auf die göttliche Heimführung angewiesen ist. Die spiritualisierende Deutungsperspektive zeigt sich auch daran, dass der Autor von Ps 107 das deuterojesajanische Wegmotiv mit der Vorstellung des Gehens auf dem gerechten Weg (בדרך ישרה, 107,7) verbindet, das in der weisheitlichen Literatur für das gott- und toragemäße Leben steht. 410 Der Weg, der aus Exil und Diaspora zum Zion führt, wird auf diese Weise transparent für die Erlösung aus einem in die Gottesferne führenden Lebenswandel. Interpretiert die erste Strophe die Wüstenwanderung als Irrweg der Gottesferne, verwendet die zweite Strophe in 107,10–16 das Bild von Gefangenschaft und Freilassung. Auch diese Rettungserzählung geht aufgrund ihrer innerbiblischen Bezüge über den Dank für die Befreiung aus der konkreten Kerkerhaft hinaus. Die Gefangenschaft in Dunkelheit und Finsternis (ישבי חשך וצלמות, 107,10; vgl. 107,14: ) יוציאם מחשך וצלמותverweist mit dem Wortpaar חשךund צלמותzuerst auf das Hiobbuch, wo der Doppelausdruck an mehreren Stellen für das „Land ohne Wiederkehr“ 411 und damit für den Bereich des Todes als einer existentiellen Bedrohung gebraucht wird. Darüber hinaus wird das Exil im Deuterojesajabuch als Befreiung des Volkes aus Finsternis verstanden. So beinhaltet der Auftrag an den Gottesknecht in Jes 42,7 die Befreiung der Gefangenen, die in Dunkelheit sitzen ()להוציא ממסגר אסיר מבית כלא ישבי חשך, und unter Verwendung derselben Metaphorik soll das Israel der Gola in Jes 49,9 das zerstreute Israel der Diaspora aus der Finsternis ans Licht holen ( לאמר לאסורים )צאו לאשר בחשך הגלו.412 Der Autor von Ps 107* übernimmt das Bild von der Gefangenschaft in Finsternis aus Jes 42,7; 49,9, um es unter Ergänzung des weisheitlich geprägten Synonyms צלמותin negativer Zuspitzung für die in Ps 107,10 dargestellte Notlage zu verwenden. 413 Dabei wird in 410
Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 151. Als Zentraltexte dieses weisheitlichen Motivs können im Psalter die Tora-Psalmen 1 und 119 gelten (vgl. Ps 1,1.6; 119,14.27.29f.32. 33.35.37.168). 411 B EYERLIN, Werden, 45 (vgl. auch B EYERLIN, a.a.O., 40–45.49 zu weiteren Parallelen zur Hiobdichtung); vgl. ebenso ZENGER , HThK.AT III, 151; der Parallelausdruck ist in Hi 3,5; 10,21; 12,22; 28,3 und 34,22 in dieser Bedeutung belegt. 412 Vgl. dazu KRATZ, Kyros, 135–139. 413 Vgl. zu diesem literarischen Hintergrund in Ps 107 ausführlich B EYERLIN, Werden, 28.44–46, und ZENGER , HThK.AT III, 151f. Mit Jes 9,1 gibt es einen weiteren Text im Jesajabuch, in dem die Begriffe חשךund צלמותals Parallelbegriffe verwendet werden. Hier wird das Volk, das im Dunkel wandelt ( )העם ההלכים בחשךals Gruppe bezeichnet, die im Land der Finsternis wohnt ()ישבי בארץ צלמות. Da es sich bei der Jesaja-Weissagung in 9,1–6 m.E. um „ein spätes schriftgelehrtes Produkt“ handelt (B ECKER , Jesaja, 216f.; vgl.
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107,11 verdeutlicht, dass es sich bei der Gefangenschaft um eine „erzieherische Maßnahme“414 handelt, weil sich die betreffende Gruppe gegen Jhwh verschuldet hat. Die Auflehnung gegen Gott wird mit dem für die Murrerzählungen typischen Verbum מרה415 gekennzeichnet und in weisheitlicher Terminologie als Missachtung des göttlichen Ratschlusses interpretiert (כי המרו אמרי אל ועצת עליון נאצו, 107,11).416 Mit der Begründung des Dankes für die erfolgte Rettung in 107,16 kehrt der Autor des Grundpsalms Ps 107 aber wieder zum Deuterojesajabuch zurück: Wenn er in 107,16 den Gott preist, der Türflügel aus Bronze und Riegel aus Eisen zerschlagen hat ()כי שבר דלתות נחשת ובריחי ברזל גדע, evoziert er die Machtfülle Jhwhs, mit der dieser im Kyros-Orakel Jes 45,2 der babylonischen Herrschaft ein Ende gesetzt hat ()דלתות נחושה אשבר ובריחי ברזל אגדע.417 Vergleichbar mit der ersten Psalmstrophe aktualisiert sich die kollektive Befreiung aus dem Exil in der zweiten Strophe für diejenigen, die sich versündigt haben und in der Finsternis der Gottesferne und Todesnähe ihre Existenz fristen müssen. In der dritten Strophe Ps 107,17–22 dominiert der weisheitliche Aspekt: Im Mittelpunkt stehen mit den Toren (אולים, 107,17) die schwarzen Schafe der Weisheitsliteratur, 418 die ihr gottloser Lebenswandel an die Pforten des Todes gebracht hat ( מדרך פשעם ומעונ תיהם יתענו, 107,17). In dieser Strophe realisiert sich die Rettung aus dem Exil in der individuellen Heilung durch das rettende Gotteswort ( ישלח דברו וירפאם, 107,20).419 Die Sendung des göttlichen Wortes weckt Assoziationen an die Prophetie Deuterojesajas, da Jes 55,11 in vergleichbarer Weise von der Sendung des Wortes als Wirkmacht Gottes spricht. Die Heilungsthematik verbindet Ps 107,20 aber vor allem mit den Rettungsaussagen von Ps 103, wo Gott als derjenige geKLEIN, Schriftauslegung, 245–247; anders mit Datierung gegen Ende des 7. Jh.s. H. B ARTH, Jesaja-Worte, 172–174; B ARTHEL, Prophetenwort, 368), das für den Abschluss der Jesaja-Denkschrift geschaffen wurde, kann das Verhältnis zu Ps 107 nicht sicher geklärt werden. Es ist aber eine mit Ps 107 vergleichbare literarhistorische En twicklung zu beobachten, in der die in Deuterojesaja für das Exil gebrauchte Metaphorik auf eine umfassende existentielle Notsituation übertragen wird. 414 ZENGER , HThK.AT III, 151. 415 Vgl. die Belege von מרהin Ex 15,23; Num 20,10.24; 27,14; 33,8f.; Dtn 1,26.43; 9,7.23f.; Jes 63,10; Ps 78,8.17.40.56; 106,7.33.43. 416 Vgl. als nächste Parallele die Rede der Weisheit in Prov 1,30: לא אבו לעצתי נאצו כל ‚( תוכח תיMeinen Rat haben sie nicht gewollt, verschmäht jede Ermahnung von mir‘). 417 Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 152; den Bezug sieht auch B EYERLIN, Wesen, 28: „Strophe II reproduziert in der abschließenden Zeile, v. 16, eindeutig den Halbvers Jes 45,2b“. 418 Vgl. dazu CAZELLES, Art. ֱא ו יל, 150f. 419 Vgl. hier das Urteil von ZENGER , HThK.AT III, 154: „Diese Strophe ist in ihrer poetischen Metaphorik offen für eine Leseweise im Horizont der Exilserfahrung bzw. Restitution Israels“.
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priesen wird, der die Krankheiten heilt ( הרפא לכל תחלאיכי, 103,3) und den Beter aus der Grube erlöst (הגואל משחת חייכי, 103,4). In der Wiederaufnahme der Thematik in Ps 107 verbindet sich die individuelle Notlage mit der Erlösung des Volkes und eröffnet so einen weiteren Deutungshorizont für die Individualklage von Ps 103. Eingebettet in den Gesamtkontext des Psalms kann auch die Notlage der Seefahrer in der vierten Strophe in Ps 107,23–32 als Aktualisierung der Exilserfahrung verstanden werden. Die Besonderheit des Abschnittes liegt darin, dass Gott mit dem von ihm verursachten Sturm selbst die Notlage der betreffenden Volksgruppe herbeiführt. Ihre Rettung ist damit wunderbarer Machterweis Gottes, so dass Assoziationen an den Chaoskampf oder die Rettung Israels am Schilfmeer wach werden. 420 Es ist zu überlegen, ob mit diesem Beispiel eine ehemals selbständige Vorstufe Eingang in den Psalm gefunden hat, da der Aspekt der Rettung aus Seenot eine passende Entsprechung zur einleitenden Sammlung vom Meer her bietet (ומים, 107,3; vgl. הים, 107,23). Von den Schiffen ist darüber hinaus im literarischen Vorkontext in Ps 104,26 die Rede, so dass hier der literarische Anlass für die Verarbeitung der Seefahrer-Episode vorliegen könnte. Im Gegensatz zu den ersten zwei Strophen werden die in der dritten und vierten Strophe geschilderten Notsituationen erst im Lichte der Einleitung gelesen zu Aktualisierungen der Rettung aus dem Exil. Es gibt aber ein zweites Kompositionselement, das zeigt, dass sich in den unterschiedlichen Einzelerfahrungen das Volksschicksal Israels abspielt. Der Rettung durch Jhwh geht im Ablauf des Psalms jeweils ein Hilfeschrei voraus, der mit dem Verbum זעק/ צעקformuliert ist (ויצעקו, 107,6.28; ויזעקו, 107,13.19). Über die theologische Bedeutung als Klageruf hinaus kommt der Wurzel eine besondere Bedeutung zu, da sie in zwei erzählenden Überlieferungsbereichen für den Notschrei zu Gott reserviert ist:421 In der Exoduserzählung initiiert die flehende Klage zu Gott das göttliche Rettungshandeln (Ex 2,23f.; 3,7.9; vgl. Dtn 26,7), in dem Israel zum Gottesvolk wird. Dieselbe Sequenz von Notschrei und göttlicher Rettung findet sich ferner im dtr. Schema des Richterbuches für die Zeit nach der Landnahme (Ri, 3,9.15; 4,3; 6,6.7; 10,10.12.14). Gerade die zyklische Anordnung der Rettungserzählungen in Ps 107* lässt vermuten, dass der Autor des Grundpsalms die Rettungstaten Jhwhs in der Geschichte Israels voraussetzt und sich bewusst auf diese bezieht. Auf diese Weise realisiert sich in Ps 107* die kollektive Erlösung Israels in den individuellen Rettungserfahrungen,
420 421
Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 154. Vgl. dazu ausführlich HASEL, Art. ָצ ַע ק/ז ָ ַע ק, 637.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
die Ausdruck der göttlichen Gnade sind und als Wundertaten gepriesen werden (יודו ליהוה חסדו ונפלאותיו לבני אדם, 107,8.15.21.31).422 Die hymnische Erweiterung in 107,33–42 führt den vorliegenden Psalm weiter, indem die punktuellen Rettungserfahrungen zu einem Kurzabriss der Geschichte Israels erweitert werden. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass diese nicht nur als Heilsgeschichte gedeutet wird, sondern dass Gott am Ende ein Scheidungsgericht unter den Geretteten durchführen wird. In theologiegeschichtlicher Hinsicht erinnert das an die Literargeschichte der Prophetenbücher, in denen die Heimführung der Exilierten nachträglich durch heilsdifferenzierende Textanteile ergänzt wird. 423 Während das göttliche Handeln im Grundpsalm durch die göttliche חסדmotiviert ist, die Jhwh auf die Klagerufe seines Volkes reagieren lässt, wird die Geschichte in 107,33–42 von der göttlichen Umschaffungsmacht bestimmt, die ihre Wurzeln im Gottesbild des Deuterojesabuches hat: Rühmt sich Jhwh in Jes 41,18 seiner Fähigkeit, die Wüste zum Teich zu machen ()אשים מדבר לאגם מים, spricht er in Jes 50,2 von seiner Macht, Ströme zur Wüste auszutrocknen ()אשים נהרות מדבר. Diese zwei Selbstaussagen werden vom Ergänzer des Psalms in 107,33–35 zitiert und zu einer umfassenden Machtdemonstration verbunden: 424 Weil Jhwh Ströme austrocknen kann (107,33), aber ebenso die Wüste zum Teich macht (107,35), kommt ihm auch die Macht zu, die Sünde des Volkes mit der Verödung ihres Wohnraumes zu bestrafen (107,34). Darin ist das hermeneutische Prinzip benannt, das die Darstellung der Geschichte Israels in 107,33–42 als „Manifestation eben jener Umschaffungsmacht“ 425 verständlich werden lässt. Ps 107 hat sich damit als ein Psalm erwiesen, in dem die geschichtliche Erfahrung des Exils eine doppelte Auslegungsgeschichte erfahren hat. Wird im Grundpsalm das Schicksal des Volkes auf die individuelle Erfahrung der Notrettung übertragen, gibt die hymnische Erweiterung den Ret422
Die Rettung Israels in Ps 107 fügt sich ein in das Konzept der Fünfteilung des Psalters, in der das fünfte Buch (Ps 107–150) „die Stelle der ‚eschatologischen Heilszeit‘“ einnimmt (KRATZ, Gnade, 37; vgl. DERS., Tora, 23–28). 423 Das betrifft die Texte, die von einer anthropologischen Erneuerung der Heimke hrer ausgehen (Jer 31,31–34; Ez 11,19f.; 18,31; 36,26f.), sowie die Texte, die eine Scheidung zwischen Frevlern und Frommen im Gottesvolk vorsehen, vgl. dazu STECK/ SCHMID, Heilserwartungen, 33.35. 424 Während Jes 50,2b in Ps 107,33a aufgenommen ist ()ישם נהרות למדבר, geht die Formulierung von Ps 107,35a ( )ישם מדבר לאגם מיםauf Jes 41,18 zurück. Vgl. zu der Rezeption der Jesajatexte in Ps 107,33–36 auch B EYERLIN, Werden, 59f., sowie ZENGER , HThK.AT III, 156. Letzterer führt die Psalmstelle allerdings auf eine breitere textliche Basis im Deuterojesajabuch zurück, wodurch die von B EYERLIN herausgearbeitete Besonderheit der Verbindung von Jes 41,18 und 50,2 in Ps 107 („komplementär und komplettierend“, so B EYERLIN, a.a.O., 59) etwas in den Hintergrund tritt. 425 ZENGER , HThK.AT III, 156.
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tungserzählungen ein heilsdifferenzierendes Nachspiel. Die endgültige Erlösung wird nun auf die Armen und Aufrichtigen eingeschränkt, die daran zur Einsicht in die göttlichen Gnadenerweise gelangen sollen. 4.3 Redaktionsgeschichtliche Auswertung Für die Wachstumsgeschichte des Psalters im Bereich von Ps 100-107 liegt eine Reihe von unterschiedlichen Beiträgen vor, die sich aber darin berühren, dass in Ps 106 eine entscheidende redaktionsgeschichtliche Zäsur gesehen wird. Hier ist zuerst das Entstehungsmodell von F.-L. HOSSFELD und E. ZENGER zu nennen, das diese in ihrer Psalmenkommentierung vorgestellt haben. 426 Sie gehen von der Zäsur in Psalm 100 aus, der den vorläufigen redaktionsgeschichtlichen Abschluss eines Jhwh-König-Psalters in Ps 2–100* bildet. 427 In Bezug auf Ps 101–106 beobachten sie die Zusammenstellung der Psalmen in Zweiergruppen, in denen sie eine „Umsetzung, Erläuterung und Konkretisierung der Königsherrschaft JHWHs“ sehen.428 Dabei bleibt aber in der Schwebe, ob mit der paarweisen Gruppierung ein sukzessives Wachstum vorliegt oder ob die drei Einzelpaare in einem Block an den vorliegenden Jhwh-König-Psalter Ps 2–100* angefügt wurden. Eine entschiedenere Position in dieser Frage vertritt M. LEUENBERGER , der die dreipaarige Kompositionsstruktur der Ps 101–106 auf eine einheitliche formative Redaktion aus älteren Einzeltexten zurückführen will.429 Diesen zwei Modellen steht mit dem Entwurf von J. SCHNOCKS ein alternativer Lösungsvorschlag gegenüber. 430 Jener geht von einer späteren Einfügung der Jhwh-König-Psalmen in einen bereits um den Grundbestand der Ps 90–92 und 102f. erweiterten messianischen Psalter aus. Ps 101 finde im Zuge einer Überarbeitung der Jhwh-König-Sammlung Eingang in die Komposition, bevor das vierte Psalmenbuch im letzten Schritt durch die Einfügung der Geschichtspsalmen 104–106 abgeschlossen werde.431 Im Rahmen der vorliegenden Studie kann gegen dieses Modell zu426 Vgl. dazu insbesondere die einleitenden Abschnitte in Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, insbes. HOSSFELD/ZENGER, HThK.AT II, 34f., und HOSSFELD/ZENGER , HThK.AT III, 17–26. 427 Vgl. dazu bereits KRATZ, Tora, 1–34, sowie DERS., Sch ema‘, 630-634, sowie o. Kap. 4.1. 428 ZENGER , HThK.AT III, 18; vgl. ferner ZENGER , a.a.O., 138; HOSSFELD, HThK.AT III, 138, und ausführlich ZENGER , Weltenkönigtum, 171–178. 429 Vgl. LEUENBERGER , Konzeptionen, 245. Die so bearbeitete Schlusskomposition gehöre mit Ps 94 und 97,10–12 auf eine gemeinsame redaktionelle Ebene und sei nachfolgend in einer Reihe von Zusätzen erweitert worden; vgl. dazu insgesamt LEUENBERGER , a.a.O., 244–264. 430 Zu dem im Folgenden zusammengefassten Entwurf vgl. SCHNOCKS , Vergänglichkeit, insbes. 252f.261–265. 431 Vgl. SCHNOCKS, Vergänglichkeit, 269–271.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
erst angeführt werden, dass die Unterschiede in der Darstellung der menschlichen Vergänglichkeit in Ps 90 und Ps 102 darauf schließen lassen, dass Ps 102 als sekundäre Fortführung von Ps 90 in seinem literarischen Kontext zu verstehen ist.432 Darüber hinaus setzt Ps 102 zusammen mit 103 die Jhwh-König-Sammlung mit ihrer Fortführung in Ps 101 bereits voraus, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird.433 Der Ausgang der redaktionsgeschichtlichen Darstellung in diesem Kapitel ist deshalb im Anschluss an KRATZ, HOSSFELD/ZENGER und LEUENBERGER von dem Abschluss eines Jhwh-König-Psalters in Ps 100 zu nehmen. Für die Frage nach dem literarischen Wachstum im Bereich von Ps 100–107 ist jedoch bedeutsam, dass die vorgestellten Entwürfe in dem Punk übereinstimmen, dass am Ende des vierten Psalmenbuches in Ps 106 eine entscheidende redaktionsgeschichtliche Zäsur gesehen wird. Der nachfolgende Psalm 107 gilt dabei vor allem aufgrund der intertextuellen Bezüge zwischen seiner Einleitung 107,1–3 und dem Schluss des vorherigen Psalms 106,45 als Fortschreibungstext, der eine jüngere Wachstumsstufe des Buches eröffne. 434 So erweist sich der Übergang von Ps 106 zu Ps 107 als redaktioneller Knoten, bei dessen Lösung entscheidende Weichen für die entstehungsgeschichtlichen Zuordnungen im Bereich der Psalmen 100–107 gestellt werden. Die folgende literarhistorische Auswertung der Einzelpsalmanalysen in Kap. 4.2.1–4.2.6 setzt deshalb an diesem Textbereich an, um ausgehend von den dortigen Ergebnissen das literarische Wachstum im Bereich von Ps 100–107 nachzuzeichnen. Dabei soll gezeigt werden, dass es plausible Gründe dafür gibt, das literarhistorische Verhältnis von Ps 106 und 107 umzudrehen, so dass Ps 106 als nachträgliche Einschreibung vor Ps 107 zu bewerten ist.435 432
Vgl. dazu o. Kap. 4.2.3. Vgl. auch die ausführliche Kritik des Modells von SCHNOCKS bei LEUENBERGER , Konzeptionen, 261–263 Anm. 399. 434 Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 145: „Ps 107 ist insgesamt mit dem Vorgängerpsalm 106 so stark semantisch und konzeptionell verbunden, dass er als gezielte Fortführung […] beurteilt werden muss, d.h. er ist das Werk jener Redaktion, die, mit Ps 107 begi nnend, das Ende der in Ps 106 geschilderten Unheilssituation präsentiert“. Ebenso urteilt LEUENBERGER , Konzeptionen, 286, über Ps 107: „Der Psalm (jedenfalls V.1–32) wird ingesamt als Fortschreibungstext verstehbar, der als solcher für seine jetzige Position als Eröffnung […] von Buch V nach IV komponiert wurde“. Nach GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 287, „erscheint Ps 107 als Fortschreibung von Ps 106“; letztlich könne aber die Bestimmung des literarhistorischen Verhältnisses nur „durch eine umfassende psalte rkompositorische Analyse des vierten und fünften Psalmenbuches im Ganzen entschieden werden.“ SCHNOCKS bezieht Ps 107 aufgrund der thematischen Fokussierung auf das vierte Psalmenbuch nicht mit in seine Analyse ein. 435 Eine nachträgliche Einschreibung von Ps 106 vor Ps 107 hat bisher nur KRATZ, Sch ema‘, 630, in Erwägung gezogen: „Ps 100 und den Jhwh-König-Psalmen am nächsten stehen die beiden individuellen Hymnen Ps 103 (V. 19-22) und Ps 104. Ihnen mag ein433
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Ist die These, dass die Einleitung von Ps 107 die Sammlungsbitte aus 106,47 () הושיענו יהוה אלהינו וקבצנו מן הגוים להדות לשם קדשך להשתבח בתהלתך aufnimmt, auf den ersten Blick recht überzeugend, hat sich doch voranstehend gezeigt, dass das Stück 107,1–3 einen literarischen Hintergrund im Deuterojesajabuch hat und als Einlösung der Sammlungsverheißungen aus Jes 43,5 und 49,12 gestaltet ist. 436 Der Anfang von Ps 107 ist damit weder sprachlich noch konzeptionell auf 106,47 angewiesen, während umgekehrt die Terminologie von 106,47 durch nichts in der literarischen Vorgeschichte des Psalms vorbereitet ist. Weiterhin ist die signifikanteste Stichwortverbindung zwischen den zwei Textstellen das Verbum קבץpi., das die Sammlung des Volkes beschreibt. Es wird in dieser Stammesmodifikation und in dieser Bedeutung im Psalter allein in 106,47 und 107,3 verwendet,437 wobei der Gebrauch in 107,3 eindeutig aus der Vorlage in Jes 43,5 ( )אקבצךabzuleiten ist. Damit ist die naheliegendste Erklärung, dass der Ausdruck aus dem Jesajabuch über Ps 107,3 auch in die Rettungsbitte von 106,47 Eingang gefunden hat. 438 Unter dieser Voraussetzung bleibt aber zu klären, warum der Autor von 106,47 die Ortsangabe מארצותaus 107,3 durch מן הגויםersetzt hat. Hier kann der Einfluss des (literarhistorisch vorausgehenden) Zwillings Ps 105 vermutet werden, der in 105,13.44 den Terminus גויfür die umliegenden Fremdvölker verwendet. In dieses Auslegungsverhältnis können auch die anderen Parallelen zwischen Ps 106 und 107 eingeordnet werden. 439 Hier ist vor allem auf die refrainartige Verwendung der Todaformel in Ps 107,8.15.21.31 zu verwei-
mal der Dank für die individuellen Rettungserfahrungen in Ps 107 gefolgt sein.“ Alle rdings geht er davon aus, dass Ps 107 in V 2f. das Paar der Geschichtspsalmen 105f. b ereits voraussetzt (vgl. ebd.); dagegen wird im Folgenden zu zeigen sein wird, dass gerade der Eingang von Ps 107 nicht auf Ps 106 angewiesen ist. 436 Vgl. dazu o. Kap. 4.2.6. 437 Über diese zwei Belege hinaus findet sich קבץnur noch an zwei Stellen im Tolerativ-Stamm in den Psalmen ( קבץni., Ps 41,7; 102,23). 438 Auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 203, weist darauf hin, dass die Formulierung קבץ מן הגויםin 106,47 prophetischer Tradition entstammt, sieht hier aber keine Vermit tlung durch Ps 107. 439 Vgl. zu den Nähen die Auflistung bei ZENGER , HThK.AT III, 145. Dieser führt z.B. noch die seltene doppelte Ortsangabe von מדברin Kombination mit ( ישימון106,14; 107,4) an, die aber ohne Probleme als Übernahme aus Jes 43,19f. in Ps 107 erklärt we rden kann. Die weiteren von ZENGER aufgeführten intertextuellen Bezüge über die Stichwörter ( צר014,42; 107,2.6.13.19.28) oder ( כנע106,42; 107,12), sowie die inhaltlichen Nähen wie z.B. die Rettung des Volkes aufgrund der Zuneigung Gottes (106,4.8.10. 17.21.47; 107,6.13.19) oder die Dankopferthematik in Ps 107 (107,8.15.21f.31f.) als Gegenbild zu den Opfern des sündigen Israel in Ps 106 (106,28.37) sind m.E. nicht au sreichend, um ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis zu begründen.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
sen, die zumeist auf die Einleitung in 106,1 zurückgeführt wird. 440 Dagegen spricht aber, dass der Aufruf zum Dank in Ps 107 integrativer Bestandteil der Rettungsgeschichten ist und sachlich aus diesen erwächst, während in 106,1 ein formelhafter Gebrauch vorliegt, der wenig mit der im Hauptteil erzählten Sündengeschichte zu tun hat. Das Vorkommen in 106,1 kann damit gut als Übernahme aus 107,8.15.21.31 erklärt werden, durch die Ps 106 nachträglich zur Bitte um die in Ps 107 beschriebene Rettung aus dem Exil wird. Diese umgekehrte redaktionsgeschichtliche Zuordnung von Ps 106 und 107 hat zwei Konsequenzen: Zuerst kommt Ps 107 nicht mehr als Eröffnungstext einer neuen Fortschreibungsstufe in den Blick, sondern gerade der abschließende Rückbezug auf die Gnadentaten von Ps 89,2 (חסדי יהוה, 107,43) qualifiziert ihn redaktionsgeschichtlich als Abschluss einer von Ps 100 bis zu Ps 107* reichenden Ausbaustufe.441 Endet das dritte Psalmenbuch in Ps 89 mit der Frage nach Jhwhs Gnadenerweisen für David ( חסדיך, 89,50), werden in Ps 107* die individuellen Rettungstaten an den einzelnen Volksgruppen als Gnadenerweise Jhwhs (חסדי יהוה, 107,43) gepriesen. Die Unterschrift 107,43 nimmt einen Standpunkt außerhalb der Erzählfiktion des Psalms ein und macht die Gnadenerweise zum Gegenstand weisheitlicher Betrachtung. Damit geht ihre redaktionelle Funktion über Ps 107 hinaus, so dass der Psalm als Abschluss einer weisheitlichen Buchgestalt in Ps (1)2–107* in Frage kommt. Liegt in Ps 107* eine Individualisierung der Exilserfahrung dar, kollektiviert der Autor von Ps 106 die Erfahrung von Jhwhs Gnade in einer Darstellung der Volksgeschichte von den Anfängen bis zum Exil. Die individuellen Notsituationen werden zu einer negativen Glaubensgeschichte des Volkes ausgebaut, die nun in der Bitte um Sammlung mündet, deren Erfüllung in Ps 107,2f. vorausgesetzt ist. Damit entsteht zweitens ein ‚Fluchtpunkt‘ in Ps 107, der einen Schlusspunkt hinter die in Ps 105f. rezipierte Volksgeschichte setzt. Ausgehend von diesem neuen Abschluss der Komposition in Ps 107 soll im Folgenden ein Entstehungsmodell der Psalmen 100–107 skizziert werden, wobei das besondere Augenmerk auf dem Einbezug der geschichtlichen Überlieferung liegt. Darüber hinaus sind als weitere wichtige Kompositionslinien das Thema der göttlichen Gnade und die Bundeskonzeption von dem neuen Abschluss in Ps 107 her im literarischen Wachstum der Psalmengruppe zu verfolgen. 440
Vgl. dazu insbesondere ZENGER , HThK.AT III, 145f. Ähnlich sieht KOENEN, Jahwe, im Dankrefrain von Ps 107 eine Anknüpfung an den ursprünglichen Abschluss von Ps 106, in dem in 106,47 zum Dank aufgerufen wird. 441 Einen „Abschlußtext“ in Ps 107 vermutet auch KRATZ, Sch ema‘, 630; er geht allerdings davon aus, dass Ps 107 in V 2f. die Geschichtspsalmen 105f. bereits vorau ssetzt; vgl. dazu o. Anm. 435.
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Als erste Fortschreibung des um die Jhwh-König-Psalmen erweiterten Psalters Ps 2–100* kommen die Psalmen 101, 102* oder 103* in Frage, wobei nur der letztgenannte Psalm mit 103,17 eine mögliche Abschlussformulierung aufweist. Ohne den Davidpsalm 101 geht es dabei im Grunde nicht, da der Königspsalm mit dem Doppelausdruck ( חסד ומשפט101,1) zur Umsetzung der Königsherrschaft Gottes auf Erden überleitet. Die Verbindung dieser beiden Konzeptionen ( )חסד ומשפטwird in den Psalmen 102* und 103* neu durchdacht, so dass zu überlegen ist, ob diese zwei Stücke bei ihrem Eingang in den Psalter mit Ps 101 zusammengestellt wurden. Im Grundpsalm 102* (102,1–12.25–28) kommt ein Individuum zur Sprache, das nach Ps 101 der Durchsetzung der göttlichen Rechtsordnung im Land bedarf. Der Beter leidet in einer (sekundären) Neuaufnahme der Thematik aus Ps 90 an seiner eigenen Vergänglichkeit, die scheinbar im Gegensatz zur Ewigkeit Gottes steht. Darauf antwortet Ps 103* (103,1– 17) mit dem Lobpreis der göttlichen Gnade, die als Manifestation der göttlichen Rechtsordnung dargestellt wird (103,6). Der Mensch erfährt gerade in seiner Geschöpflichkeit die heilende und rettende Wirkung der göttlichen Gnade. Indem das gnädige Wesen Gottes darüber hinaus durch seine Selbstoffenbarung am Sinai geschichtlich verbürgt wird (103,8), führt der Psalm die geschichtliche Perspektive in die Psalmengruppe ein. Ein vorläufiger Abschluss dieses Fortschreibungsschubes kann in dem Vers 103,17 gesehen werden, wo die Beständigkeit von Gnade ( )חסדund Gerechtigkeit ( )צדקהgepriesen wird. Zwei Psalmen kommen im Folgenden als Fortführung dieser Ausbaustufe in Betracht, da sie in unterschiedlicher Weise die Thematik von Ps 103* neu akzentuieren: So konzentriert sich der Lobpreis des Schöpfergottes in der ursprünglichen Partizipialreihe von Ps 104* auf den Aspekt der Geschöpflichkeit, wobei er die Bewahrung und Erhaltung des Einzelnen im Sinne der creatio continua in den Vordergrund stellt. Eine zweite Antwort auf Ps 103* findet sich im ursprünglichen Danklied von Ps 107* (107,1–32.43), das die heilvolle Macht der göttlichen Gnade in vier Rettungserfahrungen unterschiedlicher Gruppen durchspielt. Hier geht es nicht um die schöpfungsgemäße Bewahrung des Menschen, sondern um die Bewahrung des Einzelnen in Not, in der sich die Erlösung aus dem Exil für den Einzelnen realisiert (107,2f.). Die literarische Aufnahme des Deuterojesajabuches in der Exposition 107,2f. kann dabei vor dem Hintergrund von Ps 103 verstanden werden. Hier erlöst Jhwh den Einzelnen aus der Grube (הגו אל משחת חייכי, 103,4) und legt einen Abstand zwischen die Beter und ihre Sünden, die der räumlichen Entfernung von Osten und Westen entspricht ( כרחק מזרח ממערב הרחיק ממנו את פשעינו, 103,12). Wenn nun Ps 107 von der Sammlung der Erlösten aus Osten und Westen spricht
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
(גאולי יהוה, 107,2; ממזרח וממערב, 107,3),442 holt Jhwh die Erlösten in übertragenem Sinne aus der Ferne der Sünde. Können Ps 104* und 107* zwar beide als Antwort auf Ps 103 verstanden werden, lassen sich zwischen diesen zwei Psalmen aber kaum Verbindungen aufzeigen, so dass eine literargeschichtliche Differenzierung schwierig ist. Als zwei Seiten einer Medaille (Erhaltung in der Schöpfung versus Erhaltung in Not) können sie auf jeden Fall in großer Nähe zueinander eingeordnet werden. 443 Sobald jedoch die zwei Psalmen nebeneinander im Buch stehen, ist die Geburtsstunde des ersten Geschichtspsalms 105 gekommen. Der Autor zieht die unterschiedlichen Heilskonzeptionen von Ps 104* und 107* zusammen und kreiert daraus das Lob des Bundesgottes. In Bezug auf Ps 104* stellt sich Ps 105 als geschichtliche Transformation des Schöpfungsgeschehens dar, indem in Anlehnung an den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht das göttliche Bundeswort das Geschehen vorantreibt. 444 Es liegt nahe, aufgrund der Anlehnung an den Schöpfungsbericht insbesondere im Plagenteil 105,27–36 diesem Fortschreibungsschub auch die Ausgestaltung von Ps 104 mit der Vorstellung der creatio prima zuzuschreiben. In Bezug auf den nachfolgenden Psalm 107* kollektiviert der Verfasser von Ps 105 dagegen die einzelnen Rettungserfahrungen und spricht in Aufnahme des Toda-Refrains in 107 von den Wundern des Bundesgottes in der Geschichte mit seinem Volk (נפלאותיו, 105,2.5). Mit dem letzten großen Fortschreibungsschub wird Ps 106 in die Komposition eingeschrieben, der in einer Wellenbewegung erneut das Konzept der göttlichen Gnade gegenüber dem Bund in den Vordergrund stellt. Die Aussage von Ps 106 erschließt sich zuerst als Problematisierung des Bundesverhältnisses aus Ps 105, indem der Autor des Psalms die menschliche Sünde im Rahmen des Bundesverhältnisses bedenkt. In einer Aufnahme von Ps 78 stellt sich die Geschichte zwischen Gott und Volk als Schuldgeschichte dar, wobei der mangelnde Gottesglaube das Volk in die Notlage des Exils geraten lässt. Für den Verfasser von Ps 106 bieten die bereits vorliegenden Psalmen 103 und 107 mit der heilsgeschichtlichen Kategorie der göttlichen Gnade eine theologische Möglichkeit, wie Gott trotz des Unglaubens seines Volkes weiterhin die Bundesverheißung aufrecht erhal442 Die Kombination von מזרחund מערבist im Psalter allein in 103,12 und 107,3 belegt, was eine intendierte Rezeption von Ps 103 in 107 wahrscheinlich macht. 443 Ähnlich auch die Erwägungen von KRATZ, Sch ema‘, 630; vgl. das Zitat o. Anm. 435. 444 GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 276, sieht Ps 104 und 105 thematisch über die Schöpfertätigkeiten Jhwhs verbunden, kommt aber zur umgekehrten redaktionsgeschichtlichen Zuordnung: „legt es sich nahe, Ps 104 als eine nachträglich in den Zusammenhang von Ps 103.105f. eingetragene Erweiterung der Komposition zu betrachten.“ ( GÄRTNER , a.a.O., 283). Allerdings lässt sie dabei die Frage eines möglichen literarischen Wachstums in Ps 104 unberücksichtigt (vgl. GÄRTNER , a.a.O., 276f. Anm. 384).
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ten kann (בריתו, 106,45). Der Psalmist verbindet die Selbstoffenbarung Gottes als eines gnädigen Gottes aus Ps 103,8 ()רב חסדו445 mit den rettenden Gnadenerweisen aus Ps 107,43 ( )חסדי יהוהzur Rede von der Fülle der Gnadenerweise (רב חסדיך, 106,7), aufgrund derer das Volk um die Erlösung aus dem Exil bitten kann. Das Rettungsschema in Ps 107 bietet dabei das Paradigma für das göttliche Heilshandeln, das in Ps 106 sekundär kollektiviert und auf die gesamte Geschichte ausgeweitet wird. Ps 106 erweist sich so als Geschichtspsalm, der dezidiert auf Ps 107 hin geschrieben worden ist und die Vorgeschichte für die Sammlungsaussage in 107,2f. darbietet. In Übernahme aus Ps 107,1446 eröffnet die Toda-Formel in Ps 105,1 und 106,1 als Eingang die beiden Geschichtspsalmen, so dass das Kompositionselement die Kleingruppe Ps 105–107 insgesamt als הודו-Psalmen mit geschichtlicher Ausrichtung zusammenschließt.447 Dem stehen in Ps 101–104 vier Psalmen gegenüber, die die individuelle Geschöpflichkeit im Gegenüber zum Schöpfergott bedenken, wobei aber auch hier durch die Rezeption der Sinaiperikope in Ps 103 eine geschichtliche Anbindung vorliegt. Im Folgenden ist nun noch die redaktionelle Einordnung der Fortschreibungen in 102,13–24.29; 103,18; 103,19–22; 104,29b; 104,1aa.35b; 107,33–42 sowie der Halleluja-Rufe in 104,35; 105,45 und 106,1.48 zu bedenken. Die Zion-Fortschreibung in Ps 102,13–24.29 thematisiert die Restitution Zions und hat wie Ps 107 einen Hintergrund im Deuterojesajabuch. Die Vermutung liegt nahe, dass ein späterer Redaktor die in 107,7.36 verheißene Führung zur bewohnten Stadt in 102,13–24.29 durch die Restitution Zions vorbereiten wollte. Genau wie in Ps 107 die Führung zur bewohnten Stadt Zielpunkt des geschichtlichen Rettungshandelns Gottes ist, wird das ewige Wohnen in der Gottesstadt in Ps 102 zur Erlösung aus der individuellen Vergänglichkeit. Die völkerumfassende Heilsper445
Den konzeptionellen Bezug von Ps 103 und Ps 106 aufeinander beobachtet auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 272, die aber keine literarhistorische Differenzierung der drei Psalmen 103; 105; 106 vornimmt, sondern diese auf „eine gemeinsame Redaktion“ zurückführt, „die mit Ps 103* und 105f. eine Komposition geschaffen hat, in der die Güte Jhwhs in anthropologischer (Ps 103*) und geschichtstheologischer (Ps 105f) D imension reflektiert wird“ (GÄRTNER , a.a.O., 289). 446 Dagegen sieht LEUENBERGER , Konzeptionen, 208f. mit Anm. 301, in der TodaFormel 106,1 eine das vierte Psalmenbuch abschließende Aufnahme von Ps 100,4f., die dann später im fünften Buch (107,1) aufgenommen werde. Aufgrund der den Psalm schließenden Doxologie in 106,48 werde die Formel aber am Anfang von Ps 106 positio niert (ebd.). 447 Zur historisierenden Funktion der Ps 105-107 im Psalter vgl. KRATZ, Tora, 21–28; DERS., Sch ema‘, 630. Vgl. auch B ALLHORN, Telos, 127–138, der die drei Psalmen 105107 in seiner synchronen Darstellung unter der Überschrift „drei הודו-Psalmen betrachten die Geschichte“ abhandelt.
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
spektive des Zion-Nachtrages nimmt dabei in einem entscheidenden Punkt den bereits vorliegenden Ps 103* auf, indem das Ideal der Jhwh-Fürchtigen (יראיו, 103,11.13.17) in 102,16 auf die aus den Völkern gesammelte Gemeinde übertragen wird (וייראו גוים את שם יהוה, 102,16). Auf dieser literarischen Wachstumsstufe wird der Lobpreis von Ps 103 zum Gotteslob der am Zion versammelten Völker. Für die zusammengehörigen Stücke Ps 103,19–22; 104,29b und 104,1aa.35b konnte bereits gezeigt werden, dass sie auf eine Redaktion zurückgehen, die die zwei Psalmen 103 und 104 zu einem Diptychon zusammenstellt, in dem das Schöpferhandeln Gottes zur Manifestation seiner Königsherrschaft wird. 448 Es kann vermutet werden, dass diese Abgrenzung auf den Zusammenschluss der drei Psalmen 105–107 mit Hilfe des הודו-Aufrufes reagiert, also die Einschreibung von Ps 106 bereits vorausgesetzt ist. Als substantielle inhaltliche Erweiterungen verbleiben damit noch der Bundesgedanke in 103,18 und der heilsdifferenzierende Nachtrag in 107,33–42. Der hymnische Einschub in Ps 107 geht thematisch über die Darstellung der Geschichte in den Geschichtspsalmen 105f. hinaus, indem ein Scheidungsgericht innerhalb des Volkes vorgesehen ist. Hier ist an eine relativ späte Einschreibung zu denken, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Armenthematik von Ps 109 (אביון, 109,16. 22.31; vgl. 107,41) steht, die jetzt nachträglich in Ps 107 am Anfang des (neu eröffneten) Kompositionsbogens 107ff. vorbereitet wird. Als redaktioneller Reflex auf die Zwillingspsalmen 105f. kann dagegen die Bundesaussage in 103,18 verstanden werden, in der der verantwortliche Redaktor die Aussage über die Gesetzesobservanz in 105,45 unter dem Eindruck der (Un-)Glaubensgeschichte in Ps 106 neu formuliert.449 Versteht 105,45 den Gesetzesgehorsam als logische und unproblematische Antwort des Volkes auf Gottes Bundestreue (בעבור ישמרו חקיו, 105,45), bringt Ps 106 den Gesichtspunkt der menschlichen Sünde ein, in der der Mensch auf die heilsentscheidende Wirkung der göttlichen Gnade angewiesen bleibt. Der Autor von 103,18 problematisiert den Bundesgehorsam von 105,45 nachträglich unter dem Eindruck von Ps 106 und schreibt bereits in der anthropologischen Reflexion der göttlichen Gnade in Ps 103 eine gesetzestheologische Bedingung ein. Auf diese Weise führt er die Deutungskategorien von Bund, Gesetz und Gnade in der Komposition 100–107* zusammen und schränkt die Wirksamkeit der göttlichen Gnade in Ps 103 auf diejenigen ein, die den Bund und das Gesetz halten. Die Bundesaussage in 103,18 wird damit nicht zuletzt als Exegese der Seligpreisung in 106,3 verständ448
Vgl. dazu o. Kap. 4.2.5. Anders GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 273–275.289, die die Bundeskonzeption(en) in Ps 103* (103,18 als zum Grundbestand gehörig) und 105f. auf eine Redaktion zurückführen will; vgl. dazu o. Anm. 357. 449
4 Gnade und Geschichte am Übergang
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lich ()אשרי שמרי משפט עשה צדקה בכל עת, die in ihrer Position vor den Geschichtspsalmen impliziert, dass die Psalmbeter und -leser „mit der Gnade mitwirken müssen.“ 450 Als Letztes sind noch zwei formative Überarbeitungen der Psalmengruppe zu notieren. Mit der Rahmung durch den Halleluja-Ruf in Ps 104,1; 105,1; 106,1.48 wird die (Hodu-)Triade in 105–107 zugunsten einer (Halleluja-)Triade in Ps 104–106 aufgelöst und eine Zäsur zwischen Ps 106 und 107 eingezogen. 451 Auf diese Weise entsteht in Ps 104–106 eine „‚kleine‘ Universalgeschichte in hymnischer Form“, 452 die in Ps 103 ein Proömium erhält, das mit der göttlichen Gnade, der menschlichen Vergänglichkeit und der Bundeskonzeption die entscheidenden Deutungskategorien für diese Universalgeschichte einführt. In diesem Zusammenhang erscheint die Beobachtung bedeutsam, dass die Halleluja-Formel in Ps 102,19 vorgebildet ist, wo das neu geschaffene Volk zum Gotteslob aufgerufen wird ()ועם נברא יהלל יה.453 Da der Halleluja-Ruf im Psalter überhaupt erst am Ende des vierten Psalmenbuches belegt ist, stellt sich die Frage, ob er als liturgischer Ruf je einen Sitz im kultischen Leben gehabt hat oder ob er als literarische Formel in der poetischen Literatur gebildet wurde. In der Psalmengruppe 100–107 ist dazu eine interessante Linie zu beobachten, die vom Aufruf an das neu geschaffene Volk (נברא, 102,19) über die kurze Notiz über die Menschenschöpfung in Ps 104,30 ( )יבראוןin der HallelujaTriade 104–106 mündet. In dieser Kompositionslinie erscheinen die Psalmen 104–106 als Einlösung des Lobaufrufes aus Ps 102,19 durch das in Schöpfung und Geschichte ins Leben gerufene Gottesvolk. So liegt der Schluss nahe, dass der Halleluja-Ruf keinen kultischen Ursprung hat, sondern als literarisches Gliederungselement aus dem Lobaufruf in 102,19 entstanden ist. 454 Als letzte redaktionelle Bearbeitung kann schließlich die Doxologie in Ps 106,48 gelten, die den Psalter bereits in einem weit fortgeschrittenen literarischen Stadium voraussetzt und seine Fünfteilung analog zur Tora intendiert.455 450
HOSSFELD, HThK.AT III, 126. Zur Neugruppierung durch die Halleluja-Rahmungen vgl. auch KRATZ, Tora, 31; DERS., Sch ema‘, 630–632; HOSSFELD, Universalgeschichte, 308–310, und GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 288f. 452 HOSSFELD, Universalgeschichte, 310. 453 Mit Ps 102,19 liegt einer der nur zwei Belege im Psalter vor, wo die Kombination der Wurzel הללund der Kurzform des Gottesnamens יהnicht als geprägte Formel gebraucht wird. Der zweite Beleg findet sich in Ps 115,17, wo den Toten das Gotteslob abgesprochen wird ( )לא ה מתים יהללו יה. 454 Eine Bildung des Halleluja-Rufes am Ende des vierten Psalmenbuches mit Verweis auf Ps 102,19 nimmt auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 207, an. 455 Vgl. zur Fünfteilung des Psalters als ‚Tora Davids‘ und der Abfolge von ‚Toda – Halleluja – Doxologie‘ KRATZ, Tora, 1–34. Entgegen der hier vorgeschlagenen Zuord451
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
Ein Resümee der Geschichtsentwicklung im literarischen Wachstum der Psalmengruppe Ps 100–107 lässt die Geschichtspsalmen 105 und 106 als literarischen Reflex auf die Frage nach der rettenden Macht des Königgottes Jhwh erscheinen. Ist mit dem abschließenden Jhwh-König-Psalm 100 die Heilszeit angebrochen und verkündet der davidische Beter in Ps 101 die Durchsetzung der göttlichen Rechtsordnung im Land, eröffnet die Vergänglichkeitsklage in Ps 102* zuerst eine individuelle Erlösungsperspektive, auf die der Lobpreis der göttlichen Gnade in Ps 103* antwortet. Diese individuelle Erlösungsperspektive des Psalmenpaares Ps 102f. wird sekundär in zwei Psalmen fortgeführt. Stellt Ps 104* die schöpfungsgemäße Bewahrung des Menschen in den Vordergrund, individualisiert Ps 107* die Rettungserfahrung des Volkes im Exil in den Rettungserfahrungen Einzelner aus der Not. Die Zwillingspsalmen 105 und 106 verlängern diese Perspektive in der Sicht der Exposition von 107,2f., indem sie die vorliegenden Not- und Rettungserfahrungen kollektivieren und in die Volksgeschichte überführen. Während Ps 105 mit dem Lob des Bundesgottes eine geschichtliche Transformation des Schöpfungsgeschehens bietet, integriert der jüngere Psalm 106 mit der Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen die menschliche Sünde, aus der allein die göttliche Gnade erlösen kann. Die zwei Psalmen werden so sekundär zum großen geschichtlichen Vorspiel für das Danklied in Ps 107, das aus der Perspektive der Zwillingspsalmen als Dank für die geschichtliche Rettung aus Exil und Diaspora gelesen werden will.
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Auch wenn das gemeinsame Interesse an der Geschichte die Zwillingspsalmen 105 und 106 zu einem Diptychon verbindet, zeigt die vorangehende Analyse, dass es sich im übertragenen Sinne um zweieiige Zwillinge handelt. Als erster hat Ps 105 mit dem Lob des Bundesgottes Aufnahme in den Psalter gefunden. Er reagiert auf die individuelle Erlösungsperspektive der vorliegenden Psalmen 103 und 104, die kollektiviert und geschichtlich transformiert wird. An die Stelle des Schöpfergottes, der das Individuum erhält und aus Todesnot errettet, tritt der Gott des Väterbundes, der seinem Volk das Land übereignet. Der Psalmist konstruiert ausgehend von Abraham eine Abfolge der geschichtlichen Vorväter, in die sich auch die Psalmbeter der Gegenwart als Nachfahren Abrahams einreinung urteilt HOSSFELD, HThK.AT III, 135, über die Doxologie in Ps 106,48: „Sie setzt noch nicht die Hallelujabearbeitung der Ps 104–106 voraus“.
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hen können. Auf diese Weise qualifizieren sie sich als Bundespartner Gottes und werden zum Empfänger der Landverheißung. Mit diesem Geschichtskonzept entwirft Ps 105 geradezu ein Gegenbild zum großen Asaph-Psalm 78, indem es nicht mehr um die Sündengeschichte des Volkes geht, sondern um den Väterbund als grundlegendes Heilsereignis. Das Gesetz kommt nicht mehr als Kriterium des menschlichen Verhaltens in den Blick, sondern der Gesetzesgehorsam wird als unproblematische Folge der Landgabe dargestellt und wird damit selbst zur Bundesgabe. In der Figur des Abraham, der das Land als Fremdling von außen betritt, und den weiteren Fremdheitserfahrungen des Volkes auf seinem (Rück-)Weg in das Land liegt das Identifikationspotential für ein Israel der Diaspora, das mit Ps 105 in vermutlich nachexilischer Zeit die Gültigkeit der Landverheißung zugesprochen bekommt. Die Gültigkeit der Landverheißung steht für den Autor von Ps 106 auf dem Spiel, der in seiner Nachinterpretation von Ps 105 das Problem thematisiert, warum das Volk sich gegenwärtig nicht im Besitz des Landes befindet. Mit diesem Missverhältnis steht die Bundestreue Gottes auf dem Spiel, an der Ps 106 aber festhalten kann, indem der Unglaube des Volkes für den Verlust des Landes verantwortlich gemacht wird. In einer Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen systematisiert der Verfasser die Glaubenstexte des Pentateuchs. Er stellt den anfänglichen Glauben des Volkes am Schilfmeer dem wiederholten Unglauben in der Wüste gegenüber, der in der Verweigerung der Landnahme gipfelt. In diesem Akt der Widerspenstigkeit verspielt nicht nur die Generation der Väter ihren Anspruch auf das Land, sondern darin ist auch das Geschick ihrer Söhne beschlossen, die unter die Völker zerstreut werden. Dass die Kinder mit ihrem Fehlverhalten im Land im Nachhinein den Tatbestand der Sünde vollziehen, ändert nichts an dem Urteil, das bereits mit der Sünde ihrer Väter festgeschrieben ist. Allerdings bleibt der Psalm nicht bei diesem düsteren Bild der Geschichte stehen, sondern dem Abfall Israels wird die geschichtliche Erfahrung der göttlichen Gnade entgegen gesetzt, die es den Betern letztlich erlaubt, ihren Gott trotz der eigenen Sündenverstrickung um die Rettung aus Exil und Diaspora zu bitten. Genau wie sein Zwilling Ps 105 ist auch Ps 106 an der Geschichtsdarstellung von Ps 78 orientiert. Aus diesem Asaph-Psalm ist nicht nur die Vorstellung der Volksgeschichte als einer Schuldgeschichte entlehnt, sondern mit dem Glaubensmotiv systematisiert der Autor von Ps 106 ein Schuldkonzept, das in Ps 78 in einer späteren Überarbeitung eingeführt wird. Der Unglaube tritt in Ps 106 an die Stelle des Gesetzesgehorsams als Leitmotiv, wobei aber in der Darstellung der Geschichte im Land deutlich wird, dass der Unglaube sich in Gesetzesübertretungen manifestiert. Im Vergleich setzt Ps 106 eigene Akzente: Dienen die Väter in Ps 78 als
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Kapitel IV: Die Zwillingspsalmen 105 und 106
mahnendes Beispiel, schließen sich die Beter im Sündenbekenntnis 106,6 in Tatgemeinschaft mit ihren Vätern zusammen, so dass ihre Angewiesenheit auf die göttliche Gnade hervorgehoben wird. Darüber hinaus erweist sich Ps 106 als ein dezidiert ‚priesterlicher‘ Psalm, da die nachexilische Priesterschaft in der Person des Pinchas das Erbe Davids aus Ps 78 antritt. Diese Abkehr von der davidischen Restaurationshoffnung kann auch redaktionsgeschichtlich interpretiert werden: Wird am Ende des vierten Psalmenbuches in Ps 89 die Abkehr vom Davidbund vollzogen, nimmt zuerst Ps 105 eine Neuorientierung auf den Väterbund hin vor, der kollektiviert und qua Sukzession auf die nachexilische Gemeinde übertragen wird. Dagegen setzt der Autor von Ps 106 eine neuerliche Engführung, indem sich die Hoffnungen nun auf die nachexilische Priesterschaft in der Person des Pinchas richten. Im Kontext des fünften Psalmenbuches erweist sich Ps 106 schließlich nicht nur als Weiterführung der Geschichtstheologie seines Zwillings Ps 105, sondern er kollektiviert auch die (individuellen) Not- und Rettungserfahrungen des literarhistorisch vorausgehenden Dankliedes Ps 107. Diese werden in einer nachträglichen Ausweitung der Exilsperspektive in der Exposition 107,2f. zu einer umfassenden Darstellung der Volksgeschichte vom Väterbund bis zum Exil und damit zum geschichtlichen Vorspiel für den Dank in Ps 107. Gilt dieser ursprünglich der Rettung Einzelner aus der Not, wird er durch die Einschreibung der Zwillingspsalmen nachträglich nationalisiert und als Dank des Volkes für die Rettung aus Exil und Diaspora verstanden. Aus den Zwillingen wird so für kurze Zeit ein geschichtlicher Drilling in Ps 105–107, in dem die ‚geschichtliche‘ Lesung des Psalters vorbereitet wird. In einem letzten Schritt trennt die HallelujaRedaktion Ps 107 ab und die spätere Doxologie in 106,48 schreibt die Zäsur zwischen Ps 106 und 107 fest.
Kapitel V
Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136 Mit dem Psalmenpaar Ps 135 und 136 ist die Untersuchung bei den letzten zwei großen Geschichtspsalmen des Psalters angelangt. In der jüdischen Tradition bildet Psalm 136 entweder allein oder aber zusammen mit dem vorhergehenden Psalm 135 das ‚Große Hallel‘, das nach dem letzten Segensbecher der Passaliturgie und damit im Anschluss an Ps 118 gesungen wird. 1 Diese liturgiegeschichtliche Einordnung zeigt bereits, dass die Psalmen 135f. rezeptionsgeschichtlich einen Ort in der Exoduserinnerung einnehmen und als Zeugen der biblischen Geschichte im Sinne eines ‚geschichtlichen Hallels‘ verstanden werden. Dabei unterscheiden sich die Texte aber in der Form der historischen Darstellung und setzen je eigene theologische Akzente. Der Lobpsalm 135 ist augenscheinlich als Finale des Wallfahrtspsalters Ps 120–134 komponiert worden und ruft zum Lobpreis des einzigen, in Schöpfung und Geschichte wirksamen Exodusgottes auf. Mit dem nachfolgenden Psalm 136 liegt dagegen ein Toda-Psalm vor, der die Geschichtsdarstellung in den umfassenden Dank für Jhwhs immerwährende Gnade kleidet. Mit der wiederkehrenden Toda-Formel, die auf Ps 118 zurückverweist, kommt Ps 136 Abschlussfunktion für die vorhergehende Psalmenkomposition Ps 113– 135 zu. Darüber hinaus hat er aber auch Eröffnungsfunktion, da er mit der Psalmengruppe Ps 136–150 einen Kompositionsblock einleitet, der durch die Toda in Ps 136 und das abschließende Halleluja in Ps 145–150 gerahmt wird. Dies zeigt, dass mit den zwei Psalmen 135 und 136 – vergleichbar mit den Zwillingen Ps 105 und 106 – ein redaktionelles Scharnierstück im Psalter vorliegt. Im Folgenden wird es deshalb zuerst darum gehen, im Anschluss an die Übersetzungen (Kap. 1.1 und 1.2) und die Einzeltextanalysen (Kap. 2.1 und 2.2) das literarische Verhältnis der zwei Texte zu klären (Kap. 2.3). Auf dieser Basis kann nachfolgend das unterschiedliche Geschichtsverständnis herausgearbeitet werden (Kap. 3.1 und 3.2), bevor abschließend die Frage nach der kompositions- und redaktionsgeschichtlichen Funktion der zwei Geschichtspsalmen im Horizont des fünften Psalterbuches zu beantworten ist (Kap. 4.1 und 4.2). In diesem Zusammenhang wird auch 1
Vgl. MILLARD, Komposition, 32f., und ZENGER , HThK.AT III, 658f.
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
der letzte Geschichtspsalm 137 in die Überlegungen mit einzubeziehen sein (Kap. 4.3), der im Anschluss an das geschichtliche Hallel einen neuen Kompositionsblock im fünften Psalmenbuch eröffnet. Am Ende des Kapitels steht ein kurzes Fazit (Kap. 5), das die Ergebnisse zu Ps 135 und 136 zusammenfasst.
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1.1 Psalm 135 1
Halleluja! Lobt den Namen Jhwhs, lobt, ihr Knechte Jhwhs! 2 Die ihr steht im Haus Jhwhs, in den Vorhöfen des Hauses unseres Gottes,3 lobt Jah, denn Jhwh4 ist gut; spielt auf seinem Namen, denn er ist lieblich. Denn Jakob hat Jah sich erwählt, Israel zu seinem Eigentum. Denn ich habe erkannt, dass Jhwh größer ist, unser Herr,5 (größer) als alle Götter. Alles, was Jhwh gefällt, er vollbringt es in den Himmeln und auf der Erde, 6
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Die große Psalmenrolle 11QPs a weist für Ps 135 und 136 eine Reihe von Varianten auf, die neben der stilistischen Durchgestaltung vor allem darauf zielen, eine Nähe zum Lobvokabular der Sabbatopferlieder und des Wallfahrtspsalters herzustellen ; vgl. dazu ausführlich DAHMEN, Psalter-Rezeption, 184–189.190–193, sowie Anm. 6. So finden sich die Lobaufrufe aus Ps 135,1 in 11QPs a in umgekehrter Reihenfolge, wobei der Halleluja-Ruf in der Schlussposition mit dem Imperativ ורוממו יהerweitert wird; diese Kombination der zwei Imperative ist in den Sabbatopferliedern breit belegt (vgl. dazu DAHMEN, a.a.O., 185f.). 3 11QPsa erweitert die Ortsangaben des Verses mit ‚( ובתוכך ירושליםund in der Mitte Jerusalems‘) und stellt so eine räumliche Linie vom Hochheiligen bis zum Profanen her. Diese qumranspezifische Variante verunklare „die tatsächliche und präzise Anwesenheit der Beter von Ps 135 durch die zusätzliche Verortung inmitten Jerusalems s o […], daß er auch für die aktuell den Tempel nicht besuchenden Mitglieder der Qumrangemeinschaft betbar blieb“ (DAHMEN, Psalter-Rezeption, 186). 4 Im codex Parisinus Latinus und der Peschitta fehlt der göttliche Name; diese Variante ist aber quantitativ und qualitativ schlecht bezeugt und verrät das Interesse, ein gleichmäßiges Metrum im Vers zu erzeugen (4+4). Mit ALLEN, WBC 21, 222, hat die sechsfache Erwähnung des Gottesnamens in 135,1–4 System, so dass der MT beizubehalten ist (so in der textkritischen Entscheidung auch KRAUS, BK XV/2, 1072). 5 11QPsa ersetzt an dieser Stelle ואדנינוdurch ואלוהינוund macht so aus dem Bekenntnis zum Herrn Israels das Bekenntnis zu dem (einen) Gott schlechthin (vgl. DAHMEN, Psalter-Rezeption, 188).
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in den Meeren und allen 7 Fluten. Er lässt Nebelschwaden aufsteigen vom Ende der Erde, Blitze macht er für den Regen, er führt den Sturm heraus8 aus seinen Vorratskammern. Der die Erstgeburt Ägyptens schlug, vom Menschen bis 9 zum Vieh. Er sandte Zeichen und Wunder in die Mitte Ägyptens,10 gegen den Pharao und gegen alle seine Knechte. Der viele Völker schlug und mächtige Könige tötete. Sihon, den König der Amoriter, und Og, den König von Baschan, und alle Königtümer Kanaans. Und er gab ihr Land zum Erbe, zum Erbe Israel, seinem Volk. Jhwh, dein Name währt in Ewigkeit. Jhwh, das Gedenken an Dich währt von Generation zu Generation. Fürwahr, Jhwh schafft seinem Volk Recht, und mit seinen Knechten hat er Mitleid. Die Götterbilder der Völker sind Silber und Gold, ein Machwerk11 von Menschenhänden.
6 11QPsa fügt in V 6 im Anschluss an das erste (leicht veränderte) Kolon eine theol ogische Kommentierung ein, die die Unvergleichlichkeit Gottes hervorhebt und dabei terminologisch mit מלך אלוהיםein Theologumenon der Sabbatopferlieder einbringt (vgl. dazu DAHMEN, Psalter-Rezeption, 188f.). 7 Viele hebräische Handschriften, LXX und Peschitta ergänzen die בentsprechende Präposition am letzten Glied der Aufzählung, die bei den anderen räumlichen Angaben des Verses steht; nach den Gesetzen der hebräischen Poesie ist dies nicht notwendig. 8 Für die masoretische Lesart מוֹצֵאschlägt die BHS die Korrektur zu מוֹצִיאvor. GESE„zur NIUS/K AUTZSCH leiten die Form מוֹצֵאaber von der Grundform ab, wobei das Not“ (GesK § 53o) auch durch das Zurückgehen des Tones erklärt werden könne. 9 Mehrere Handschriften und entsprechend LXX und Peschitta lesen ועדund gleichen damit vermutlich an die geprägte Wendung מאדם ועד בהמהan (vgl. zur Tötung der Erstgeburt: Ex 9,25; 12,12; 13,15; ferner als allgemeines Gerichtsbild: Jer 33 ,12; 50,3; 51,62). 10 Die seltene Form בתככי, die eine einzige Parallele in Ps 116,19 hat, ist vermutlich als Sonderform des status constructus (reduplizierte Form) zu erklären, die von den Masoreten fälschlich als Suffix der 2. Person vokalisiert worden ist (vgl. ZENGER , HThK.AT III, 660; ebenso vermutet auch ALLEN, WBC 21, 152.286.). Die BHS schlägt eine Streichung des Versteils בתוככי מצריםvor (hier folgt KRAUS, BK XV/2, 1073); dieser Vorschlag hat aber keinen Anhalt in der Textüberlieferung. 11 Für die Lesart des MT מעשהbieten wenige Handschriften und entsprechend die LXX den Plural (hebr. )מעשיund verstehen das Nomen so als Teil der folgenden Genitivverbindung. Zwar sind die Buchstaben הund יim Althebräischen leicht zu verwechseln, aber es ist äußerst fraglich, ob hier noch mit einer Abfassung in dieser Schriftweise g e-
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
16 Einen Mund haben sie und reden doch nicht. Augen haben sie und sehen doch nicht. 17 Ohren haben sie und hören doch nicht. Auch ist kein Lebensatem in ihrem Mund. 12 18 Ihnen gleich werden die, die sie anfertigen, jeder,13 der auf sie vertraut. 19 Haus Israel, segnet Jhwh! Haus Aarons, segnet Jhwh! 20 Haus Levis, segnet Jhwh! Die ihr Jhwh fürchtet, segnet Jhwh! 21 Gesegnet sei Jhwh von Zion her, er, der in Jerusalem wohnt. Halleluja. 1.2 Psalm 136 1 2 3 4
Danket Jhwh, denn er ist gut, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Danket dem Gott der Götter, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Danket dem Herrn der Herren, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Ihm,14 der große15 Wunder tut, er allein,
rechnet werden kann. Da die Variante auch in ihrer quantitativen Bezeugung nicht zwi ngend überzeugt, ist der Singular im MT als lectio difficilior beizubehalten (so in der Entscheidung auch SEYBOLD, HAT I/15, 503; KRAUS, BK XV/2, 1072; ZENGER , HThK.AT III, 660; zugunsten der Plural-Variante ändert ALLEN, WBC 21, 286). 12 In der zweiten Vershälfte von V 17 liegt ein Zitat aus Ps 115,6b vor (אף להם ולא )יריחון, wobei aber das Nomen ‚( ַאףNase‘) hier vermutlich als Partikel ‚( ַאףauch‘) zu verstehen ist (vgl. ZENGER , HThK.AT III, 660), um statt der Nase grundsätzlich den fehlenden Lebensatem zu thematisieren; vgl. dazu auch u. Kap. 3.2. Dagegen will GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 319 mit Anm. 82, in Ps 135,17 ein verkürztes Zitat aus 115,6b s ehen, in dem die Nase in die Reihe von Mund, Augen und Ohren aufgenommen sei. 11QPsa entfernt sich von der in Ps 135 verarbeiteten Vorlage Ps 115, indem mit der Kopula וanstelle der Partikel אףeine stilistische Glättung vorgenommen wird (ואין יש רוח )בפיהם. 13 Einige Handschriften, LXX, die Revision von Theodotion und die Peschitta ergä nzen die Kopula am Beginn des zweiten Kolons. 14 Die Verbindung der Dativpartikel לmit nachfolgendem Partizip, die im Abschnitt V 4–22 regelmäßig wiederkehrt und auf die imperativische Aufforderung in V 1 rückb ezogen ist ( ;הודו ליהוהvgl. V 2f.), ist im Deutschen schwer wiederzugeben. Die Übersetzung der Konstruktion durch „ihm, der …“ folgt dem Vorschlag von ZENGER , HThK.AT III, 674; vgl. dazu auch grundlegend CRÜSEMANN, Studien, 74–76. 15 Das prädikative Adjektiv ( )גדלותfehlt in einer Handschrift der LXX, in der Sahidischen Übersetzung, einem Manuskript der Latina sowie in 11QPs a. Für die Variante in
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denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Ihm, der die Himmel machte mit Einsicht, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Ihm, der die Erde über den Wassern festigte, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Ihm, der große Lichter 16 machte, denn in Ewigkeit währt seine Gnade.17 Die Sonne zur Herrschaft über den Tag, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Den Mond18 und Sterne19 als Herrscher in der Nacht, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Ihm, der Ägypten schlug an ihren Erstgeburten, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Er führte Israel hinaus aus ihrer Mitte, 20 denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. Ihm, der das Schilfmeer in Stücke zerteilte, denn in Ewigkeit währt seine Gnade.
der Psalmenrolle aus Qumran hat DAHMEN, Psalter-Rezeption, 191, überzeugend vorgeschlagen, dass die Auslassung des Adjektivs eine monotheistische Stoßrichtung verrät: „Das Vollbringen jedweder Wundertaten ist allein ( )לבדוJHWHs Sache“. 16 11QPsa ersetzt die nur hier belegte Pluralform אוריםdurch den Plural von מאור ( )מאורותund verstärkt so die Bezüge zur Schöpfungsgeschichte (vgl. מאור, Gen 1,14–16). 17 Zwischen V 7 und 8 ist in 11QPs a ein zusätzlicher Vers eingefügt, der die ‚großen Lichter‘ aus V 7 eindeutig als Sonne und Mond identifiziert ()את השמש וירח כי לעולם חסדו. Mit DAHMEN, Psalter-Rezeption, 191, ist zu vermuten, dass die Variante auf die nachträgliche Ergänzung der כוכביםin V 9 reagiert (vgl. dazu u. Kap. 2.2) und verdeutlicht, „daß es sich bei den ‚großen Lichtern‘ ausschließlich um Sonnen (sic!) und Mond ha ndelt“ (ebd.). 18 11QPsa reagiert auf die Einfügung des zusätzlichen Verses in der Rolle (s.o. Anm. 17), indem der Mond ebenso wie in der zusätzlichen Zeile artikellos und ohne nota accusativi eingeführt wird (vgl. DAHMEN, Psalter-Rezeption, 192). 19 Die in der BHS vorgeschlagene Streichung der Sterne ( )וכוכביםkann durch keine Textzeugen gestützt werden und gehört als Problemanzeige in den Bereich der Litera rkritik (vgl. dazu u. Kap. 2.2). Auf eine sekundäre Einfügung im Rahmen der Textgenese weisen nicht nur das Fehlen von nota accusativi und Artikel an ( וככביםim Gegensatz zu את השמש, V 8, und את הירח, V 9) hin, sondern auch der ungewöhnliche Plural לממשלותim Fortgang des Verses, der durch die nachträgliche Anpassung an die Einfügung der Sterne erklärt werden kann; dagegen haben einige Handschriften und die alten Versionen den Singular bewahrt (so in der Erklärung mit ALLEN, WBC 21, 294; P RÖBSTL, Rezeption, 180); vgl. dazu u. Kap. 2.2. 20 Hier liegt ein Wortspiel vor, da ‚( ִמ תּוֹכָםaus ihrer Mitte‘) mit anderer Vokalisation auch von ‚( תךBedrückung‘) abgeleitet werden kann, so dass ‚aus ihrer Unterdrückung‘ zu lesen wäre; vgl. dazu SCORALICK, Hallelujah, 266; ZENGER , HThK.AT III, 680.
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
14 Und er ließ Israel mitten durch es hindurchgehen, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 15 Und er schüttelte den Pharao und sein Heer in das Schilfmeer, 21 denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 16 Ihm, der sein Volk in der Wüste führte, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 17 Ihm, der große Könige schlug, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 18 Und mächtige Könige tötete, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 19 Sihon, den König der Amoriter, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 20 Und Og, den König von Baschan, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 21 Und ihr Land gab er zum Erbe, 22 denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 22 Zum Erbe für Israel, seinen Knecht, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 23 Er,23 welcher unser gedachte in unserer Niedrigkeit, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 24 Und uns unseren Feinden entriss, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 25 Der Brot gibt allem Fleisch, denn in Ewigkeit währt seine Gnade. 26 Danket dem Gott der Himmel, denn in Ewigkeit währt seine Gnade.
2 Textanalysen 2 Textanalysen
2.1 Psalm 135 Der Lobpsalm 135 gliedert sich formal in drei Teile: Eine hymnische Aufforderung zum Lobpreis in V 1–4 und ein hymnischer Abgesang in V 19–
21 Die in der BHS metri causa vorgeschlagene Streichung der Angaben וחילוsowie בים סוףhat keinen Anhalt in der Textüberlieferung und ist daher zu ignorieren. 22 Einige hebräische Handschriften lassen vermutlich in Angleichung an Ps 135,12 ( )ונתן ארצם נחלהdie Partikel לan נחלהaus. 23 Mit V 23 ändert sich die Syntax, da die Prädikation nun mit der Relativpartikel ש eingeführt wird; dies wird in der Übersetzung durch die Formulierung „Er, welcher“ kenntlich gemacht; vgl. dazu auch ZENGER , HThK.AT III, 660.
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21 rahmen den geschichtlichen Hauptteil des Psalms V 5–18, der sich formal als Durchführung des Gotteslobes präsentiert. 24 Die Eröffnung des Psalms in V 1–4 bildet eine hymnische Aufforderung zum Gotteslob, die aus einer Abfolge von fünf imperativischen Lobaufrufen besteht. Einleitend findet sich eine Halleluja-Formel in Anfangsposition (הללו יה, V 1), an die sich eine aus Ps 113,1 zitierte zweigliedrige Aufforderung an die Knechte Jhwhs anschließt, den Gottesnamen zu preisen (הללו את שם יהוה הללו עבדי יהוה, 135,1). 25 Im Vergleich mit Ps 113,1 werden die zwei Kola in ihrer Reihenfolge vertauscht, wobei hier der Einfluss des Eingangs aus dem vorhergehenden Schlusspsalm der Wallfahrtsgruppe, Ps 134, zu vermuten ist (הנה ברכ ו את יהוה כל עבדי יהוה, 134,1a). Im Vergleich mit 134,1 fällt vor allem auf, dass der Autor von Ps 135 das Loblexem ברךdurch das Verbum הללersetzt und damit nicht nur formaliter, sondern auch inhaltlich einen Halleluja-Eingang in 135,1 schafft. 26 Der Einfluss von Ps 134 zeigt sich auch im Folgenden, wenn die Adressaten in 135,2 als diejenigen näher bestimmt werden, die im Haus Gottes stehen bzw. in den Vorhöfen Jhwhs ‚unseres Gottes‘ (שעמדים בבית יהוה )בחצרות בית אלהינו. Diese Gruppe ist bereits aus 134,1b bekannt, wo die Knechte allerdings nur bis in das Haus Jhwhs vorgedrungen sind (העמדים בבית יהוה, 134,1b). In 135,3 schließen sich zwei weitere Aufforderungen zum Gotteslob an, in denen das Lob Gottes mit seinem Wesen als eines guten und lieblichen Gottes begründet wird (הללו יה כי טוב יהוה זמרו לשמו כי )נעים. Die dritte Begründung in V 4 leitet vom Wesen Gottes zu seinem Handeln über und stellt die grundlegende Heilstat der Erwählung Jakob-Israels zum Eigentumsvolk überschriftartig über den nachfolgenden Hauptteil ()כי יעקב בחר לו יה ישראל לסגלתו.27 Mit V 5 liegt ein deutlicher Einschnitt vor, da die nun deiktisch verwendete Partikel כיzusammen mit dem betont eingeführten Subjekt אני einen Neueinsatz anzeigt.28 Hier wird mit einem aus Ex 18,11 entliehenen 24 Die Dreiteilung ist in der Forschung weitestgehend anerkannt (vgl. exemplarisch GUNKEL, Psalmen, 575; KRAUS, BK XV/2, 1073; ZENGER , HThK.AT III, 661f.; LEUENBERGER , Komposition, 312f.). 25 Ps 113,1: הללו עבדי יהוה הללו את אם יהוה. 26 Vgl. auch B ALLHORN, Telos, 253, der von einer Überformung der Zitate nach dem „eigenen Halleluja-Konzept“ des Verfassers von Ps 135 spricht. 27 Die grundlegende Funktion der in V 4 geschilderten Erwählungstat für die Psalmaussage hat dazu geführt, dass mehrheitlich in V 4 das Ende der Einleitung ges ehen wird; vgl. aber KREUZER , Frühgeschichte, 242, der in dem „Hinweis auf die besondere Beziehung zwischen Jahwe und Israel“ in V 4 gerade den Beginn des Mittelteils V 4–14 sieht. 28 CRÜSEMANN, Studien, 128 Anm. 2, sieht in 135,5 die Form des imperativischen Hymnus „gesprengt“, da die Durchführung des Lobes nicht der Gemeinde, sondern e inem Einzelnen in den Mund gelegt werde. Davon abgesehen, dass Zweifel angebracht
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
Zitat des Jitro, dem midianitischen Schwiegervater von Mose, die Überlegenheit Jhwhs über alle Götter proklamiert (כי אני ידעתי כי גדול יהוה ואדנינו מכל אלהים, Ps 135,5). 29 Als Eröffnung des Korpus in Ps 135,5–18 gibt dieses Zitat durch seinen innerbiblischen Bezug eine Leseperspektive für die folgende Darstellung der biblischen Geschichte vor: Die Überlegenheit Jhwhs ist kein innerisraelitischer Glaubenssatz, sondern sie wird durch Jitro stellvertretend für alle Völker anerkannt. 30 Die Abhandlung dieses Themas erfolgt im Psalm als umfangreiches Bekenntnis des literarischfiktionalen ‚Ich‘ aus V 5 in drei Durchgängen (V 6f.; V 8–14; V 15–18): Der erste Abschnitt V 6f. illustriert die Überlegenheit Gottes durch sein Wirken als Sturm- und Wettergott. Das göttliche Handeln ist mit einem Zitat aus Ps 115,3 dadurch gekennzeichnet, dass Jhwh im gesamten Kosmos danach handelt, wie es ihm gefällt (כל אשר חפץ יהוה עשה בשמים ובארץ, V 6); 31 dies wird in V 7 eindrücklich am Beispiel der Wetterphänomene Nebel, Gewitter und Wind demonstriert, die Jhwh nach eigenem Gutdünken hervorbringt. Der Anfang des zweiten Abschnittes in V 8–14 wird in V 8 durch die Relativpartikel שangezeigt, die zusammen mit einer Perfektform von נכה (‚schlagen‘) die Darstellung von Jhwhs Überlegenheit auf dem Feld der biblischen Geschichte einleitet. Eine weitere mit der Partikel שangebundene Perfektform von נכהin V 10 sowie ein an Jhwh gerichteter Vokativ in V 13 untergliedern den geschichtlichen Teil in drei Unterabschnitte V 8f. (Ägypten); V 10–12 (Landnahme) und V 13f. (Prädikation Jhwhs). Die Aufzählung der göttlichen Taten wird mit dem Schlag gegen die Erstgeburten Ägyptens eröffnet (שהכה בכורי מצרים, V 8). Dieser führt als letzte Plage in der Reihe der göttlichen Zeichen und Wunder (אתות ומפתים, V 9) dazu, dass Jhwh sich gegen die Feindmacht Ägypten durchsetzt und die Freigabe seines Volkes erzwingt. In gleicher Weise wird die nachfolgend berichtete Landnahme Israels in V 10–12 unter das Vorzeichen des schlagkräftigen Gottes gestellt. Jhwh setzt sich gegen die Fremdvölker durch, indem er viele Völker schlägt und die mächtigen Könige tötet (שהכה גוים רבים והרג מלכים עצומים, V 10). Die Gegner Jhwhs werden im nachfolgenden V 11 näher ausdifferenziert als Sihon, der König der Amoriter, Og, der König von Basan und ‚alle Königtümer Kanaans‘ (לסיחון מלך האמרי ולעוג sind, ob mit einer fest geprägten Idealgattung zu rechnen ist, erklärt sich der Wechsel zu einem einzelnen (exemplarischen) Sprecher durch das innerbiblische Zitat des Jitro aus Ex 18,11; vgl. dazu im Folgenden. 29 Ex 18,11: עתה ידעתי כי דגול יהוה מכל האלהים. 30 So spricht ZENGER , HThK.AT III, 666, von einer durch das Zitat evozierten „Perspektive der universalen Anerkennung der Göttlichkeit JHWHs durch Israel und die Völker“; vgl. auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 328. 31 Ps 115,3: ואלהינו בשמים כל אשר חפץ עשה. Zur Analyse des Psalms vgl. o. Kap. II. 2.4.2.
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) מלך הבשן ולכל ממלכות כנען. Als letztes Glied dieser Aufzählung fallen die Königtümer Kanaans etwas aus der Reihe, da sie anders als die namentlich genannten Könige in den ersten beiden Versgliedern kein sinnvolles Objekt für das Prädikat והרגin V 10b darstellen und höchstens über diese Aussage hinweg als Bezugswort für das einleitende Partizip שהכהin V 10a in Frage kommen. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, liegt mit diesem Kolon im Vers tatsächlich ein Zusatz vor, der aber keine psalminterne Ergänzung darstellt, sondern ein aus Ps 136,19f. entnommenes Zitat für seinen Ort in Ps 135 anpasst und damit zum Grundbestand des Psalms gehört.32 Die Episode über die Landnahme läuft auf die Übergabe der fremden Gebiete als ‚Erbbesitz‘ (נחלה, V 12) an das Gottesvolk hinaus, in der die Erwählung des Volkes (V 4) in der Übereignung des Lebensraumes aktualisiert wird. 33 Den Abschluss des zweiten Abschnittes bildet in V 13f. ein Fazit, das von der biblischen Geschichte zur Gegenwart der Psalmbeter überleitet. 34 Die Sprechergruppe kommt mit dem Lobpreis von Jhwhs ewig währendem Namen (V 13) zuerst der Aufforderung aus dem Psalmeingang (V 3) nach, ehe sie daraus die Konsequenz für die eigene Situation zieht: Weil Jhwh sich in der Geschichte als ein machtvoller und souveräner Gott erwiesen hat, wird er auch in Gegenwart und Zukunft Recht schaffend und erbarmend zugunsten seines Volkes eintreten (כי ידין יהוה עמו ועל עבדיו יתנחם, V 14). Im dritten Durchgang V 15–18 wird die Überlegenheit Jhwhs in einer umfassenden Götzenpolemik als Machterweis gegenüber den Fremdgöttern (עצבי הגוים, V 15) entfaltet. Deren Ohnmacht zeigt sich schon daran, dass sie im Gegensatz zu dem machtvoll handelnden Jhwh (כל אשר חפץ יהוה עשה, V 6) als ‚Werk von Menschenhänden‘ (מעשה ידי אדם, V 15) auf die Anfertigung von außen angewiesen sind. 35 Als leblose Machwerke sind sie völlig handlungsunfähig und können keines ihrer Sinnesorgane zugunsten ihrer Hersteller einsetzen (V 16f.). Vielmehr bringt ihre eigene Lebensunfähigkeit auch denen den Tod, die sie geschaffen haben und die auf sie vertrauen (כמוהם יהיו עשיהם כל אשר בטח בהם, V 18). Anders Jhwh, der 32 So urteilt bereits GUNKEL, Psalmen, 575, über die Königreiche in 135,11: „die Worte fehlen Ps 136,17ff und sind hier wohl eingesetzt, weil man in 12 das eigentliche Kanaan vermißte“; zum Zitat aus Ps 135 vgl. u. Kap. 2.3. Einen Nachtrag vermutet im Anschluss an GUNKEL auch KREUZER , Frühgeschichte, 243, ohne das Stück allerdings mit dem nachfolgenden Psalm 136 in Verbindung zu bringen. 33 Zum inhaltlichen Bezug der beiden Vorstellungen „Erwählung des Volkes“ und „Übereignung des Erblandes“ in Ps 135 siehe auch ZENGER , HThK.AT III, 668. 34 Zum Gegenwartsbezug des Resümees in V 13f. vgl. auch SCORALICK, Hallelujah, 258f.; ZENGER , HThK.AT III, 668f. 35 So auch SCORALICK, Hallelujah, 259: „So entsteht ein scharfer Kontrast zwischen JHWH, der tut, was er will, und den Götterbildern, die selbst von Menschen gemacht sind und nichts tun.“
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
seine Macht nach Ps 135 in der gewaltsamen Auseinandersetzung mit Ägypten und den Völkern Kanaans demonstriert hat und dem von ihm erwählten Volk die Lebensgrundlage bereitstellt. Am Ende des Psalms steht in V 19–21 ein imperativischer Abschluss, in dem erneut zum Vollzug des Gotteslobes aufgefordert wird. Sind im Eingang des Psalms die Knechte Jhwhs auf der Schwelle des Heiligtums angesprochen, richtet sich der Lobaufruf in V 19–21 mit dem Haus Israel (בית ישראל, V 19), dem Haus Aarons (בית אהרן, V 19), dem Haus Levi (בית הלוי, V 20) und den Jhwh-Fürchtigen (יראי יהוה, V 20) an vier unterschiedliche Gruppierungen. Diese Personenkonstellation ist nicht ohne Parallele im Psalter: So kennt Ps 115,9–11 eine Trias von Israel, Haus Aaron und den Jhwh-Fürchtigen, die zum Vertrauen auf Gott aufgerufen werden (ישראל בטח ביהוה, 115,9; בית אהרן בטחו ביהוה, 115,10; יראי יהוה בטחו ביהוה, 115,11). An dieselben Personengruppen ergeht ferner in Ps 118,2–4 die jussivische Aufforderung, das Lob von Jhwhs immerwährender Gnade zu sprechen (יאמר נא ישראל, 118,2; יאמרו נא בית אהרן, 118,3; יאמרו נא יראי יהוה, 118,4). Mit dem Rückbezug auf diese zwei Psalmen 115 und 118, die aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Abfassung von Ps 135 schon vorgelegen haben,36 inszeniert der Autor von Ps 135 zuerst ein universales Gotteslob, das die Jhwh-Fürchtigen aus der Völkerwelt mit einbezieht. 37 Auf diese Weise vollzieht sich die stellvertretende Anerkennung von Jhwhs Überlegenheit durch den Midianiter Jitro in V 5 in dem universalen Abgesang des Psalms (V 19–21). Diese universale Ausweitung des Gottesvolkes entspricht der monotheistischen Stoßrichtung des Psalms, in dem der Herrschaftsanspruch Gottes über den gesamten Kosmos und die Völker proklamiert wird. 38 Darüber hinaus wird die Adressatengruppe durch die Aufnahme des Hauses Levi erweitert, was auf eine Abfassung des Psalms durch priesterliche (levitische) Kreise hindeutet. 39 Schließlich verstärkt der Autor von Ps 135 mit der Verwendung der Wurzel ברךin 135,21 (ברוך יהוה מציון שכן )ירושלםdie bereits bestehenden Verbindungen zu Ps 134, der in der ab36
Vgl. dazu u. Kap. 4.2. Zum völkerweiten Verständnis der ‚Jhwh-Fürchtigen‘ vgl. ALLEN, WBC 21, 149.292; ZENGER , HThK.AT III, 669f.; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 337; anders sieht B ALLHORN, Telos, 201, in den Gottesfürchtigen in 115,11 und 118,4 lediglich einzelne Proselyten. 38 So auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 343. 39 Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 662. Soziohistorische Gründe vermuten ebenso LEUENBERGER , Konzeptionen, 314; G ÄRTNER , Geschichtspsalmen, 339. Eine literarkritische Ausscheidung des Hauses Levi in 135,20 mit Verweis auf die „Sekundärparallele“ in Ps 115,9–13, wo diese Gruppe fehlt (so LEVIN, Psalm 136, 24 Anm. 22), ist m.E. methodisch nicht gerechtfertigt, da in der Ausweitung der Adressaten gerade das Auslegung sinteresse gegenüber Ps 118 deutlich wird; vgl. dazu im Folgenden sowie u. Kap. 4.2. 37
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schließenden Berakha gleichsam zusammengefasst wird. So kann die Segnung Jhwhs durch die Beter in 135,21 als Einlösung des Segensaufrufes von Ps 134,1f. verstanden werden, während die Angabe מציוןden Segenswunsch aus 134,3 aufnimmt. Dabei ist aber aus dem Zion als dem Ort, von dem aus Jhwhs Segen erbeten wird (יברכך יהוה מציון, 134,3), 40 in 135,21 der Ort geworden, an dem das Volk seinen Gott segnet.41 Darin ist die Ankunft des Gottesvolkes am Ziel der Wallfahrt vorausgesetzt, so dass Ps 135 noch einmal deutlich als (neuer) Abschluss der vorhergehenden Sammlung der Wallfahrtspsalmen profiliert wird. Das abschließende Halleluja gibt dem Psalm eine Halleluja-Rahmung (135,1.21), die im bisherigen Ablauf des Psalters nur der Geschichtspsalm 106 aufweisen konnte.42 Die voranstehende Analyse hat Ps 135 als einen literarisch einheitlichen Text erwiesen, 43 der Elemente des imperativischen Hymnus enthält und deshalb im weiteren Sinne als Hymnus bzw. Loblied zu betrachten ist. 44 Die Aussageabsicht des Psalms erschließt sich vor allem aus dem Übergang von der Einleitung zum Hauptteil in V 4f. Das Zitat des Jitro in 135,5, der die Überlegenheit Gottes stellvertretend für alle Völker anerkennt, leitet den umfassenden Machterweis Gottes als Sturm- und Wettergott (V 6f.), als Kämpfer für sein Volk in der Geschichte (V 8–14) und als einziger Gott gegenüber den machtlosen Götzenbildern (V 15–18) ein. Die Stellung der Völker bleibt in Ps 135 allerdings ambivalent: Zwar stimmen sie als Jhwh-Fürchtige (V 20) in das Gotteslob mit ein, aber die Erwählung Jhwhs gilt allein Israel (V 4). Die Völker partizipieren zwar an Gotteserkenntnis und Gotteslob, nicht aber an den göttlichen Heilstaten zugunsten Israels. 40
Innerhalb des Wallfahrtspsalters gibt es mit 128,5 ( )יברכך יהוה מציוןeine sammlungsinterne Parallele zu der Aufforderung in 134,3, Jhwh möge den Beter vom Zion segnen. 41 Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 670; zu dem hier aufgezeigten Bezug vgl. ferner AUFFRET, Sagesse, 541; LEUENBERGER , Konzeptionen, 314. 42 Dies ist bereits ein Indiz dafür, dass die beiden Texte im Psalter dieselbe redaktionelle Funktion haben; vgl. dazu u. Kap. 4.2. 43 Die grundsätzliche literarische Einheitlichkeit des Psalms entspricht der communis opinio der Forschung; anders LEVIN, Psalm 136, 24f., der neben kleineren Ergänzungen (vgl. z.B. o. Anm. 39) den gesamten Mittelteil V 7–14 als sekundäre Auffüllung betrachtet. Davor hat bereits ALLEN, WBC 21, 289, die Sekundarität des Abschnittes V 15–21 in Erwägung gezogen; vgl. auch P REUSS, Verspottung, 252f., der den götzenpolemischen Teil V 15–18 als Zusatz ausscheidet. Gegen diese substantiellen literarkritischen Oper ationen spricht m.E. der durchgeformte Charakter des Hauptteils, der den Nachweis von Jhwhs Überlegenheit in drei Durchgängen darstellt und dabei eine Auslegung von Ps 115 bietet; vgl. dazu im Folgenden und u. Kap. 4.2. 44 Vgl. grundlegend CRÜSEMANN, Studien, 127–129; ihm folgen die Kommentatoren, vgl. KRAUS, BK XV/2, 1073; ALLEN, WBC 21, 297; ZENGER , HThK.AT III, 661f.; ebenso LEUENBERGER , Konzeptionen, 312.
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
2.2 Psalm 136 Eingangs dieses Kapitels ist bereits erwähnt worden, dass Ps 136 in der jüdischen Tradition als ‚Großes Hallel‘ bekannt geworden ist. Diese Zuschreibung erklärt sich aus der formalen Struktur des Psalms, die diesen als einen umfänglichen Toda- bzw. Dankpsalm erweist. Sein Charakteristikum ist die besondere Verwendung der Toda-Formel, die den Psalm in V 1 eröffnet ( )הודו ליהוה כי טוב כי לעולם חסדוund deren zweite Hälfte im gesamten Psalm refrainartig die zweite Vershälfte bildet ()כי לעולם חסדו. Aber auch die jeweils erste Vershälfte weist ein wiederkehrendes Prinzip auf. Hier findet sich überwiegend ein Partizip am Anfang, das durch die Dativpartikel לan die einleitende Nennung Jhwhs in V 1 ( )הודו ליהוהund die weiteren Gottesprädikationen in V 2f. rückgebunden ist. Aus dieser formalen Gestaltung fallen allerdings die V 8f.11f.14f.18–20 heraus, die mit einer jeweils anderen syntaktischen Konstruktion eröffnet werden. Diese formale Abweichung allein sollte aber nicht als Anlass für die literarkrit ische Ausscheidung dieser Verse genommen werden, 45 sondern hier wird im Einzelfall nach der literarischen Kohärenz zu fragen sein. Eine Abweichung von der grundsätzlichen Kompositionsstruktur zeigt auch der Schlussteil des Psalms V 23–25, der der in V 23 mit der Relativpartikel ש eröffnet wird, während in V 26 eine an den ‚Gott der Himmel‘ gerichtete Toda-Formel den Psalm abschließt ()הודו לאל השמים כי לעולם חסדו. Die auffällige sprachliche Gestaltung von Ps 136 hat im Psalter eine Parallele im Eingang von Psalm 118, der in 118,1 mit der Toda-Formel eröffnet wird, während die nächsten drei Verse dieselbe refrainartige Verwendung der Toda-Begründung aufweisen (כי לעולם חסדו, 118,2–4). Die durchgängige Verwendung dieser Struktur in Ps 136, die sich in Ps 118 nur am Anfang findet, lässt darauf schließen, dass Ps 136 bewusst als Entsprechung zu Ps 118 abgefasst worden ist und auf diesen zurückverweist. 46 In Bezug auf die Textform hat sich die Forschung unisono dem Urteil von CRÜSEMANN angeschlossen, dass Ps 136 in seiner Struktur als „Entfaltung der Grundform des imperativischen Hymnus“ 47 einzuordnen ist. 45
So B RIGGS/B RIGGS, ICC, 481f. (mit einigen über die o.a. Verse hinausgehenden Ergänzungen), und SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 162 Anm. 10; letzterer legt diese These allerdings nur im Rahmen einer kurzen Fußnote vor. Ihm folgt MATHYS, Beter, 94f., mit der Unterscheidung einer Urfassung und einer Jetztgestalt. 46 Vgl. dazu auch KRATZ, Tora, 30f., und DERS., Sch ema‘, 631, sowie die Darstellung u. Kap. 4.1. LEVIN, Psalm 136, 23, geht so weit, aufgrund der formalen Übereinstimmungen von Ps 118,1–4 und Ps 136, in 118,1–4 die ursprüngliche Einleitung von Ps 136 zu finden; dagegen ist aber einzuwenden, dass Ps 136 mit 136,1–3 eine unverkennbare Einleitung besitzt, die durch die Voranstellung von 118,1–4 verdoppelt würde; vgl. gegen LEVIN auch KRATZ, Sch ema‘, 631f. mit Anm. 27. 47 CRÜSEMANN, Studien, 74.
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Formgeschichtlich seien die jeweils ersten Vershälften als Fortführung des hymnischen Aufrufes im Eingang V 1 zu betrachten, während die Durchführung des Psalms in der jeweils zweiten Vershälfte vorliege. 48 So zutreffend diese Beobachtung in formgeschichtlicher Hinsicht auch ist, darf sie doch nicht dazu verleiten, auf eine funktionale Gliederung des Psalms zu verzichten. 49 Selbst wenn die jeweils zweiten Vershälften formal als Durchführung verstanden werden können, lassen sich doch unterschiedliche Aussageabsichten in den einzelnen Psalmabschnitten feststellen, die eine Unterscheidung von hymnischer Einleitung (V 1–3), Geschichtsabriss im Hauptteil (V 4–22) und Schlussabschnitt (V 23–26) nahe legen.50 Der hymnische Auftakt in V 1–3 beginnt mit der ausführlichen TodaFormel, die das Gotteslob mit Jhwhs Wesen als eines guten und gnädigen Gottes begründet. In V 2f. folgen zwei weitere imperativische Aufforderungen zum Dank, die den Gottesnamen mit den Prädikationen ‚Gott der Götter‘ (אלהי האלהים, V 2) und ‚Herr der Herren‘ (אדני האדנים, V 3) variieren, die aus Dtn 10,17 entlehnt sind. In diesen Gottesprädikationen wird die Unvergleichlichkeit und Überlegenheit Gottes herausgestellt, die seine Souveränität in der Götterwelt begründen. 51 Dieser Exklusivitätsanspruch Jhwhs erhält im folgenden Hauptteil Ps 136,4–22 eine ausführliche Begründung durch seine Taten in der biblischen Geschichte. Nach inhaltlichen Gesichtspunkten ist dieser weiter in die Darstellung der Schöpfung (V 5–9), der Ägyptenzeit mit Wüstenwanderung (V 10–16) und der Landnahme (V 17–22) zu untergliedern. Der geschichtliche Hauptteil (V 4–22) wird in V 4 durch einen Themasatz eröffnet, der Jhwh als denjenigen preist, der große Wundertaten vollbringt ()לעשה נפלאות גדלות לבדו.52 Diese Wundertaten werden in V 5–9 zu48
Vgl. CRÜSEMANN, Studien, 74. So aber die von CRÜSEMANN, Studien, 75, geäußerte Kritik an der von KRAUS, BK XV/2, 74, vorgelegten Unterscheidung von Introitus, Hauptstück und Schlussvers. 50 Anders nur die strukturellen Entwürfe von C. SCHEDL und J. B AZAK. Während B AZAK, Structure, 129–138, die Psalmverse auf acht Dreiecke verteilt, die in seinem Aufriss ein Trapez ergeben, will SCHEDL, Struktur, 489–494, nachweisen, dass die Versanzahl dem Zahlenwert des Jhwh-Namens entspricht. Beide Entwürfe gehen allerdings von der literarischen Einheitlichkeit des Psalms aus, gegen die im Folgenden gewisse Einwände zu erheben sind, so dass bereits der literakritische Befund die von SCHEDL und B AZAK vorgelegten Strukturanalysen in Frage stellt. 51 Vgl. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 299f. ZENGER , HThK.AT III, 678, denkt bei den zwei Gottesprädikationen in Ps 136,2f. an eine Ausdifferenzierung „sowohl im B ereich der altorientalischen Götterwelt als auch der Israel umgebenden bzw. beherrsche nden Weltmächte“. 52 Zur Funktion von V 4 als Themavers vgl. z.B. STRAUSS, Gott, 21; AUFFRET, Note, 2 („introduction générale“); P RÖBSTL, Rezeption, 186; MACHOLZ, Psalm 136, 180; SCORALICK, Hallelujah, 261; ZENGER , HThK.AT III, 678; LEUENBERGER , Konzeptionen, 316 („Programm“); GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 295. 49
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erst durch eine Aufzählung der Schöpfungswerke expliziert, die Jhwh als denjenigen preist, der die Himmel mit Weisheit machte (לעשה השמים בתבונה, V 5), die Erde über den Wassern festigte (לרקע הארץ על המים, V 6) und die großen Lichter anfertigte (לעשה אורים גדלים, V 7). Die großen Lichter werden im Folgenden in zwei durch die nota accusativi eingeleiteten Versen näher bestimmt als Sonne, Mond und Sterne, die von Jhwh zur Herrschaft über Tag und Nacht eingesetzt worden sind (את השמש לממשלת ביום, V 8; את הירח וכוכבים לממשלות בלילה, V 9). Das Leitwort in diesem Abschnitt ist eindeutig das Verbum ( עשהV 4.5.7), das die Schöpfertätigkeit Gottes beschreibt und seine Werke an den Themasatz rückbindet. An der literarischen Ursprünglichkeit der genannten Himmelskörper ist aber in einigen Fällen Zweifel angebracht. Aus der Reihe der Aufzählung fallen zunächst die Sterne ( )וכוכביםin V 9 heraus, die die Parallelität der Verse 8f. aus dem Gleichgewicht bringen. Es ist darüber hinaus fraglich, ob die Sterne wirklich zu den in V 7 genannten ‚großen‘ Lichtern ( )אורים גדליםzu zählen sind. Dies spricht dafür, in der Nennung der Sterne eine nachträgliche Ergänzung zu sehen, die auch den von V 8 abweichenden Plural ממשלותin V 9 erklären kann. 53 Die ursprüngliche singularische Form in V 9 ist nach Ergänzung der כוכביםin den Plural gesetzt worden, um das Prädikat an das nun pluralische Subjekt anzugleichen.54 Über den sekundären Nachtrag der Sterne hinausgehend ist generell zu erwägen, ob in V 8f. insgesamt eine Ergänzung hervorlegt und die כוכביםnur einen Nachtrag im Nachtrag darstellen. 55 Für diese These spricht nicht nur, dass der Abschnitt V 8f. sachlich nichts Neues bringt, sondern auch die auffällige Einleitung der Verse mit der prosaisch gebrauchten nota accusativi. V 8f. sind deshalb mutmaßlich als Nacharbeit eines Ergänzers einzuordnen, der darin jeden Zweifel ausräumen will, von welchen großen Lichtern in V 7 die Rede ist. Recht übergangslos gehen die Verse 10–16 im zweiten Unterabschnitt zu einer Beschreibung der Ägyptenzeit über. An die Stelle des Schöpfergottes (לעשה, V 4.5.7) tritt nun das Lob des schlagkräftigen Gottes (למכה, V 10), der gewaltsam gegen die Feindmächte vorgeht. V 10 erwähnt zuerst als einzige Plage die Tötung der Erstgeburt, die als der entscheidende 53
Zur nachträglichen Ergänzung der Sterne in V 9 vgl. GUNKEL, Psalmen, 577; ALWBC 21, 293f.; P RÖBSTL, Rezeption, 180, und HUMAN, Psalm 136, 74f. Anders löst LEUENBERGER , Konzeptionen, 319 Anm. 176, das Problem, indem er „aus metrischen Gründen“ erwägt, in V 9 die pluralischen Angabe לממשלותunter Beibehaltung der וכוכביםzu streichen. Dagegen kommt GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 302f., ohne die Annahme literarischer Nacharbeit aus. 54 Vgl. dazu auch o. Anm. 19 zur textkritische Diskussion. 55 Diese Möglichkeit zieht auch LEUENBERGER , Konzeptionen, 319 Anm. 176, in Betracht; vgl. dazu aber o. Anm. 53. LEN,
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Schlag gegen Ägypten dargestellt wird. 56 Diese göttliche Machttat erzwingt den Exodus des Volkes, der in V 11 in einer kurzen narrativischen Auszugsnotiz berichtet wird ()ויוצא ישראל מתוכם. Dagegen beschreibt V 12 die näheren Umstände der Herausführung, die ‚mit starker Hand und ausgestrecktem Arm‘ erfolgt ()ביד חזקה ובזרוע נטויה. An den eigentlichen Auszug in V 10–12 schließt sich in der zweiten Hälfte V 13–16 die Schilderung des Meerwunders an, die sich auf drei Einzeltaten konzentriert. Den Auftakt bildet erneut das mit einem Dativpartizip formulierte Lob Gottes, der das Schilfmeer geteilt hat ( לגזר ים סוף לגזרים, V 13). Dieser grundlegenden Machttat sind erneut die daraus resultierenden Heilstaten an Israel syntaktisch untergeordnet. 57 Diese bestehen in der Führung Israels durch das geteilte Meer (והעביר ישראל בתוכו, V 14) sowie dem Abschütteln der ägyptischen Feinde in das Meer (ונער פרעה וחילו בים סוף, V 15). Die Zugehörigkeit von Vers 16, der in nur einer Zeile die Zeit der Wüstenwanderung unter dem Aspekt der göttlichen Führung zusammenfasst (למוליך עמו )במדבר, ist schwer zu entscheiden. Er könnte sowohl den Unterabschnitt über die Ägyptenzeit abschließen, als auch den folgenden Teil eröffnen, um zur Landnahme überzuleiten. Die identischen Eröffnung der Verse 10 und 17, die die Darstellungen von Ägyptenzeit und Landnahme jeweils mit einem Dativpartizip des Verbums ‚( נכהschlagen‘) eröffnen, sprechen aber dafür, in V 16 den Abschluss des zweiten Unterabschnittes V 10–16 zu sehen, bevor V 17 in Anlehnung an V 10 die Landnahmeepisode (V 17– 22) eröffnet.58 Das einleitende Lob des schlagkräftigen Gottes in V 17 stellt seine Überlegenheit gegenüber den großen Königen heraus ()למכה מלכים גדלים. Diese Aussage wird in den folgenden drei Versen auf verschiedene Weise wieder aufgenommen. V 18 variiert, eingeleitet mit dem Narrativ ויהרג, die Darstellung von V 17, wobei hier aber von den ‚mächtigen Königen‘ ( )מלכים אדיריםdie Rede ist. Wer diese mächtigen Könige sind, verraten die folgenden Verse 19f., die durch die Dativpartikel לan V 17f. rückgebunden sind und die ostjordanischen Könige Sihon (V 19) und Og (V 20) als Ziel des göttlichen Schlages nennen. Kompositionell läuft die Aufzählung der Machttaten in V 21f. auf die Landgabe als Erbteil an den Knecht Israel zu (ונתן ארצם לנחלה, V 21; נחלה לישראל עבדו, V 22). Dabei bereitet aber der syntaktische Bezug des Suffixes der 3. Person Plural an ארץin V 21 Pro56 Auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 305, spricht von einer Verdichtung, „so dass die Tötung der Erstgeburt pars pro toto für das gesamte Geschehen steht.“ 57 Vgl. zu dieser Beobachtung MACHOLZ, Psalm 136, 182. 58 Vgl. ebenso die Gliederung von KRAUS, BK XV/2, 1080f.; ALLEN, WBC 21, 296f.; ZENGER , HThK.AT III, 677.680. P RÖBSTL, Rezeption, 186, trägt dem Überleitungscharakter des Verses Rechnung, indem er diesen als eigenständigen Unterabschnitt b ehandelt.
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bleme. Im vorliegenden Text des Psalms bezieht sich das Suffix nur auf das Land der Könige Sihon und Og, so dass in V 21 allein von einer ostjordanischen Landnahme die Rede ist. 59 Diese räumliche Beschränkung des Erbteils muss zumindest verwundern, da kein anderer Text im Alten Testament das Erbe auf die ostjordanischen Gebiete beschränkt. Eine Reihe von Exegeten vermutet eine bewusste Orientierung am Geschichtsabriss des Pentateuchs, der allein von der ostjordanischen Landnahme berichtet.60 Den Vorzug verdient aber m.E. eine literarkritische Lösung, bei der die spätere Einfügung der Verse 18–20 den ursprünglichen Zusammenhang zwischen V 17 und V 21 unterbricht. Dafür spricht weiterhin die syntaktische Anbindung von V 19f. mit der Partikel ל, die in diesen Versen nicht als Dativpartikel verwendet wird, sondern aramaisierend das Objekt für ( הרגV 18) einführt.61 Das Land wird damit im Grundpsalm nur allgemein als das Land der mächtigen Könige beschrieben, das Jhwh als Erbbesitz an seinen Knecht Israel übergibt. V 18 variiert sekundär die Überlegenheitsaussage von V 17 und dient als redaktionelles Scharnier, um die namentliche Erwähnung von Sihon und Og in V 19f. anzubinden, wodurch die Landgabe in V 21 zugleich nachträglich auf das Ostjordanland der Könige Sihon und Og eingegrenzt wird. Der Schlussabschnitt in V 23–26 enthält allgemeine Rettungsaussagen, die nur schwer mit einer spezifischen Episode der erzählenden Überlieferung in Verbindung gebracht werden können. Auf die eigenständige Struktur dieser Verse ist bereits hingewiesen worden: Sie fallen nicht nur durch die Eröffnung mit der Relativpartikel שauf (V 23), sondern auch durch einen Personenwechsel zu einer neu eingeführten Sprechergruppe 1. Person Plural, die nun über ihre eigenen Erfahrungen mit Jhwh reflektiert. Die Sprecher danken Jhwh zuerst als demjenigen, der ihrer in ihrer Nichtigkeit gedachte (שבש פלנו זכר לנו, V 23) und sie darum aus Feindeshand er59
So ZENGER , HThK.AT III, 680, und LEUENBERGER , Konzeptionen, 317 Anm. 170. LEUENBERGER s Versuch der Erklärung: „Die Landgabe V.21f umfaßt inhaltlich augenscheinlich nicht nur das V.17–20 allein thematische (sic!) Ostjordanland“ (LEUENBERGER , Konzeptionen, 317 Anm. 176) ist m.E. wenig überzeugend; er muss vermuten, dass auf eine explizite Nennung des Westjordanlands aufgrund des formalen Gerüstes ve rzichtet wurde (vgl. LEUENBERGER , a.a.O., 317 Anm. 170) und dass sich ארצםin V 21 über V 19f. hinweg zurück auf V 18 (oder V 17) beziehe (vgl. LEUENBERGER , a.a.O., 318 Anm. 176). Zum ausschließlichen Bezug der Landgabe auf das Gebiet von Sihon und Og vgl. auch P RÖBSTL, Rezeption, 198. 60 Vgl. dazu KREUZER , Frühgeschichte, 245; P RÖBSTL, Rezeption, 198.201f., und MACHOLZ, Psalm 136, 178f. Dagegen sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 308–310, in der Reduktion auf das Ostjordanland eine bekenntnisartige Verdichtung: „Von daher steht die Landgabe des Ostjordanlandes paradigmatisch für die Wundertat der Landgabe an sich.“ Zur Rezeption der Landnahmetexte in Ps 136 vgl. auch u. Kap. 3.1. 61 Zu diesem Gebrauch der Partikel לvgl. GesK § 117n.
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rettete (ויפרקנו מצרינו, V 24). Die narrativisch formulierte Erinnerung an die Rettung deutet auf eine Heilstat in der Vergangenheit hin, wobei sich ein Bezug auf die Befreiung aus dem Exil nahe legt. 62 Dabei ist V 24 aber so allgemein formuliert, dass auch eigene, im Einzelfall unterschiedliche Rettungserfahrungen als Machttaten des Gottes Israels evoziert werden können. 63 Die Notrettung in der Vergangenheit wird in V 25 durch das partizipiale Lob von Gottes erhaltender Schöpfungsmacht ergänzt, die auf Gegenwart und Zukunft gerichtet ist. Die göttliche Fürsorge wird explizit darin erfahrbar, dass dieser alle Lebewesen durch die Gabe des (täglichen) Brotes versorgt ()נתן לחם לכל בשר.64 Sowohl die thematische Nähe zu den Aussagen über die Nahrungsversorgung im Schöpfungspsalm 104,14f.27f. als auch die priesterschriftlich geprägte Rede von der Versorgung ‚allen Fleisches‘ ( )כל בשרeröffnen eine universale Heilsperspektive, die einen alle Lebewesen umfassenden Höhe- und Schlusspunkt setzt. 65 Hier ist allerdings noch einmal zu differenzieren, wie die sprachliche Anlehnung von 136,25 an die Landgabenotiz in 136,21f. zeigt, die in Parallelität mit dem Partizip von נתןin Verbindung mit der Partikel לformuliert ist: Während Gottes Schöpfermacht auf alle Lebewesen gerichtet ist, gilt die Übereignung des Landes allein dem Knecht Israel. 66 Mit der abschließenden 62
Zur Deutung auf die Befreiung aus dem Exil vgl. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 162; P RÖBSTL, Rezeption, 187f.202; KRATZ, Gnade, 12 Anm. 72; LEUENBERGER , Konzeptionen, 318 mit Anm. 172. Anders sieht KRAUS, BK XV/2, 1081, in V 23f. eine Anspielung auf die Ereignisse der Richterzeit, während ALLEN, WBC 21, 299, aufgrund des sprachlichen Anklangs von ‚( מצרינוunseren Feinden‘, V 24) an מצריםeine Rekapitulation des Exodus erkennt (ebenso AUFFRET, Note, 8). 63 Vgl. MACHOLZ, Psalm 136, 185 (ihm folgt ZENGER , HThK.AT III, 681). Theologiegeschichtlich ist Ps 136 damit in die Nähe von Psalm 107 zu rücken, der in gl eicher Weise die Befreiung aus dem Exil in individuelle Rettungserfahrungen überführt; vgl. zum Verhältnis von Ps 136 und 107 auch u. Kap. 4.14.1. 64 Diese Aussage über die Gabe des Brotes hat eine Nachgeschichte in der Rezeption durch Ps 146,7 und 147,9 erfahren; vgl. dazu KRATZ, Gnade, insbes. 23. 65 Zur universalen Perspektive der Erhaltungsaussage in V 25 vgl. AUFFRET, Note, 8; P RÖBSTL, Rezeption, 188; KRATZ, Gnade, 136 (vgl. ebd. auch zu den Stichwortverbindungen); SCORALICK, Hallelujah, 264; LEUENBERGER , Konzeptionen, 318; ZENGER , HThK.AT III, 681. Mit Ps 104 ist Ps 136,25 insbesondere über die Stichwörter לחם (104,14f.) und ( נתן104,27f.) verbunden; siehe aber auch die weiteren Erhaltungsaussagen in 104,11f.21; in beiden Psalmen verbindet sich das Gotteslob mit dem Dank für das (tägliche) Brot, in deren Gabe Gottes Macht und Gnade existentiell erfahrbar werden (vgl. dazu auch u. Kap. 4.1). Die Rede von allem Fleisch ( )כל בשרhat ihren literarischen Ort dagegen in der Priesterschrift (z.B. Gen 6,12f.; 6,19; 7,15f.; 8,17; 9,11.15–17), wo durchweg die Gesamtheit der Lebewesen gemeint ist. 66 Die bleibend gültige Übereignung des Landes als Erbbesitz ist m.E. dem Urteil von KRATZ, Gnade, 24, entgegen zu setzen, der den Schlussteil des Psalms als Indiz dafür wertet, dass Israel „anspruchslos“ geworden sei: „Kein Zion-Jerusalem, kein Tempel, kein König, allein das nackte Überleben, Rettung aus Feindeshand (V.23f.) und das tä g-
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imperativischen Aufforderung in V 26, dem ‚Gott der Himmel‘ zu danken ()הודו לאל השמים, wechselt die Anrede zum hymnischen Stil der Einleitung V 1–3 zurück. Die abweichende Struktur der Verse 23–25 in Verbindung mit dem Anredewechsel und der thematischen Eigenständigkeit sind vereinzelt als Indiz dafür gewertet worden, dass hier ein Zusatz vorliegt. 67 Dagegen ist aber einzuwenden, dass diese Verse gerade die Pointe des Psalms darstellen, da die Beter die eigene Rettung in den Horizont der geschichtlichen Erfahrung einordnen und ihre Erhaltung als Ziel des göttlichen (Geschichts-)Handelns deuten. So liegt mit dem Schlussabschnitt V 23–26 die Zielaussage des Psalms vor, in der die eigene Rettung mit dem Heilshandeln Jhwhs in der biblischen Geschichte begründet wird. 68 Die Beter verstehen sich in ihrer Gegenwart als das Israel, „dem die Gottestaten der ‚Fundamentalgeschichte‘ galten“69. Als Ergebnis der Analyse von Ps 136 ist festzuhalten, dass mit einem Grundbestand in 136,1–7.10–17.21–26 zu rechnen ist. In diesem wird in Form eines hymnischen Dankpsalms Jhwhs Gnade ( )חסדgelobt, die dieser in seinen großen Wundertaten ( )נפלאות גדלותin Schöpfung und Geschichte erwiesen hat. Die Beter des Psalms evozieren dabei vor dem Hintergrund der geschichtlichen Heilserweise Gottes an Israel ihre eigenen Rettungserfahrungen als Ausdruck der göttlichen Gnade und ordnen sie ein in die schöpfungsgemäße Erhaltung aller Lebewesen. Jhwh wird dabei in erster Linie als machtvoller Gott gezeichnet, der sich gegenüber den Israel bedrohenden Feindmächten wirksam durchsetzt. Die Rezeption der erzählen70 den Überlieferung aus dem (priesterschriftlich überarbeiteten ) Pentateuch sowie die aus persischer Zeit breit belegte Gottesprädikation als ‚Gott der Himmel‘ (אל השמים, V 26) lassen keinen Zweifel daran, dass der Psalm in die persische Epoche zu datieren ist. 71
liche Brot zusammen mit der übrigen Kreatur, zählt und reicht auch aus, um die in der Schöpfung der Welt wie in der Geschichte Israels bewährte ‚Güte‘ Gottes konkret und unmittelbar in der eigenen Gegenwart zu erleben.“ 67 Vgl. dazu SEYBOLD, HAT I/15, 507; SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 162 Anm. 10; A. MICHEL, Gott, 184.189 (im Zusammenhang mit der Ergänzung von Ps 137,8f.; vgl. dazu u. Kap. 4.3); erwägungsweise auch ZENGER , HThK.AT III, 677. 68 Ähnlich in der Beurteilung von V 23–25 auch MATHYS, Dichter, 89; P RÖBSTL, Rezeption, 191; SCORALICK, Hallelujah, 262f.; LEUENBERGER , Konzeptionen, 319 Anm. 176; HUMAN, Psalm 136, 83; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 311. 69 MACHOLZ, Psalm 136, 185. 70 Vgl. dazu u. Kap. 3.1. 71 Vgl. exemplarisch ZENGER , HThK.AT III, 677 (zuvor schon GUNKEL, Psalmen, 578; SEYBOLD, HAT I/15, 507). Mit dieser Datierung erübrigen sich die Überlegungen, inwieweit Ps 136 als ‚Wechselgebet‘ o.ä. einen ursprünglichen Sitz im Kult gehabt haben könnte (vgl. z.B. KRAUS, BK XV/2, 1079: „Ps 136 wird […] zur Kultüberlieferung der Passahfeier gehören“; ebenso MATHYS, Beter, 97).
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Im Folgenden ist der Psalm durch eine Reihe von Ergänzungen überarbeitet worden, die vor allem den Geschichtsabriss im Hauptteil weiter ausbauen. Der für V 8f. verantwortliche Ergänzer liefert eine Erläuterung darüber, was mit den ‚großen Lichtern‘ in V 7 gemeint ist, und nennt Sonne und Mond beim (hebräischen) Namen. Eine noch spätere Hand hat bei der Aufzählung der Himmelskörper die Sterne vermisst und diese in V 9 nachgetragen, wodurch allerdings die Parallelität der Verse 8f. etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist. Die zweite größere Überarbeitung in V 18– 20 setzt bei der Darstellung der Landname an und lanciert die ostjordanischen Könige Sihon und Og in exemplarischer Weise als Prototypen der großen Könige aus V 17. Erst durch diese Ergänzung, die den ursprünglichen Zusammenhang von V 17 und V 21 unterbricht, wird die Landgabe an Israel auf das Gebiet der ostjordanischen Könige begrenzt. Gerade darin unterscheidet sich Ps 136 von seinem vorausgehenden Zwilling Psalm 135, der in 135,11 dezidiert auch von der westjordanischen Landnahme redet. Neben dieser Akzentverschiebung gibt es eine Reihe von weiteren Differenzen, mit denen sich die Frage nach dem literarischen Verhältnis der zwei Psalmen stellt. Dies wird im Folgenden zu klären sein. 2.3 Zum literarischen Verhältnis Die Zusammengehörigkeit der zwei Psalmen 135 und 136 ist nach den vorhergehenden Analysen unübersehbar. Beides sind imperativische Hymnen, die Jhwhs Taten in Schöpfung und Geschichte preisen und dabei einen Geschehensbogen von der Schöpfung bis zur Landgabe ausziehen. Darüber hinaus liegen gerade in den geschichtlichen Hauptteilen fast wörtliche Übereinstimmungen vor, die für ein literarisches Abhängigkeitsverhältnis sprechen. Dabei ist es m.E. aber voreilig, wenn z.B. LEUENBERGER die zwei Psalmen auf dieselbe Redaktion zurückführen möchte. 72 Gegen eine Verfasserschaft von derselben Hand spricht vor allem, dass die zwei Psalmen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Während mit Ps 135 ein Lobpsalm (הללו יה, 135,1.3.21) vorliegt, in dem Jhwhs Taten als Erweis seiner Überlegenheit besungen werden, ist Psalm 136 ein Dankpsalm (vgl. den durchgängigen Gebrauch der Toda-Formel in den Rahmenteilen und als wiederkehrender Refrain), der Jhwhs Gnade gegenüber Israel preist. Die Frage nach dem literarischen Verhältnis entscheidet sich an dem Verhältnis der jeweiligen Abschnitte über die Landnahme (135,10–12; 136,17–22), in denen die stärksten Berührungen zwischen den Texten vor72 So LEUENBERGER , Konzeptionen, 319: „womit 136 also (größtenteils) ein für seinen literarischen Ort verfaßter Redaktionstext ist (und mit 135 auf dieselbe Ebene gehört […])“.
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liegen. Ps 135 und 136 stimmen zuerst darin überein, dass der Sieg über die fremden Könige mit den Verben נכהhif. und הרגbeschrieben wird (135,10; vgl. 136,17f.). Allerdings sind es unterschiedliche Gegner, die Jhwhs Kampfesmacht unterliegen: Während in 135,10 von vielen Völkern ( )גוים רביםund mächtigen Königen ( )מלכים עצומיםdie Rede ist, stehen Jhwh nach 136,17f. große Könige (מלכים גדלים, V 17) gegenüber, die sekundär auch als ‚gewaltige Könige‘ (מלכים אדירים, V 18) bezeichnet werden.73 Während es sich also bei 136,17f. um eine nachträgliche Variation der ursprünglichen Angabe handelt, berichtet Ps 135 umfassender von der Auslöschung ganzer Völker und Könige. Einen entscheidenden Unterschied gibt es auch in der näheren Bestimmung der Feinde. In Ps 136 bilden die ersten Vershälften der indes sekundären 136,19f. eine zweigliedrige Aufzählung, in der Sihon, der König der Amoriter, und Og, der König von Baschan, namentlich genannt werden. In identischer Formulierung ist auch in Ps 135,11a von Sihon und Og die Rede, allerdings liegt hier ein Trikolon vor, in dem im dritten Glied zusätzlich die Königtümer Kanaans (ולכל ממלכות כנען, 135,11b) erwähnt werden. Dies ist nicht ohne literarische Konsequenzen für die Landgabe, von der jeweils nachfolgend in der Notiz ( ונתן ארצם (ל)נחלה135,12; 136,21) berichtet wird. So ergibt sich in Ps 136 durch die nachträgliche Einfügung Sihons und Ogs in 136,18–20 das Problem, dass ארצםsyntaktisch nur auf das ostjordanische Gebiet bezogen ist. In Ps 135 ist dagegen durch die zusätzliche Nennung der Königtümer Kanaans im dritten Glied eindeutig das ganze Land im Blick. Das spricht dafür, dass Ps 135 die Einfügung von 136,18–20 bereits voraussetzt, die Passage zitiert und dabei den missverständlichen Bezug des Suffixes durch die Ergänzung der kanaanitischen Herrschaftsgebiete korrigiert. 74 Da mit Ps 135 ein literarisch einheitlicher Text vorliegt, kann der Psalm insgesamt als sekundär gegenüber Ps 136 eingeordnet werden. 75 73
Zur Sekundarität der zweiten Angabe in Ps 136,18 vgl. o. Kap. 2.2. Während insbesondere bei Ps 136 gerade im Vergleich zu Ps 135 mehrfach die B eschränkung der Landnahme auf das Ostjordanland notiert wurde (vgl. dazu o. Anm. 59 und 60), gab es bisher keinen Versuch, diesen Unterschied literarkritisch zu erklären. Auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 349, sieht in den unterschiedlichen Darstellungen der Landnahme keine redaktionelle Nachinterpretation, sondern betrachtet die Auswe itung der Landnahme in Ps 135 lediglich als Variation des Themas „der alleinigen Wirkmächtigkeit Jhwhs.“ 75 Vgl. dazu vor allem die Exegeten, die im (literarkritisch nicht differenzierten) Landnahmeabschnitt Ps 136,17–22 die Vorlage für die Darstellung in Ps 135 erkennen; so ALLEN, WBC 21, 291; P RÖBSTL, Rezeption, 190; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 348. Die literarische Priorität von Ps 136 gegenüber Ps 135 vertreten auch KRATZ, Tora, 31 Anm. 79 (vgl. DERS., Sch ema‘, 632); LEVIN, Psalm 136, 23–27; A. MICHEL, Gott, 183, und ZENGER , HThK.AT III, 682. Dagegen spricht sich KÜHLEWEIN, Geschichte, 154f., für die Priorität von Ps 135 aus, während LORETZ, Psalmen II, 314, und HUMAN, Psalm 136, 80f., annehmen, dass die zwei Psalmen unabhängig voneinander entstanden sind. 74
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Die Redaktionsgeschichte von Ps 135 und 136 kann damit wie folgt zusammengefasst werden. Der Hallel-Psalm 136 nimmt die formale Struktur von Ps 118 auf und baut diese zu einem umfassenden Dankpsalm mit wiederkehrender Toda-Formel aus. Die sorgfältige Durchkomposition des Psalms legt es nahe, hier einen vorläufigen Abschluss des Psalterausbaus zu sehen. 76 Der Dank in Ps 136 gilt dem guten Gott (הודו ליהוה כי טוב, 631,1), der seine Gnade in den Schöpfungswerken und seinem geschichtlichen Handeln an Israel erwiesen hat. Noch bevor Ps 135 als Gegenstück zu Ps 136 entsteht, werden in 136,18–20 die zwei ostjordanischen Könige Sihon und Og ergänzt. Es wird hier noch genauer zu fragen sein, was die beiden Herrscher als Prototypen der gewaltigen Könige von 136,17 näher qualifiziert. 77 Auf jeden Fall liegt Ps 136 in der durch 136,18–20 ergänzten Fassung bereits zu dem Zeitpunkt vor, an dem Ps 135 davor eingeschrieben wird. Dieser Psalm setzt aufgrund der literarischen Bezüge die Wallfahrtspsalmen in Ps 120–134* voraus und will als der Lobpreis der Knechte bei ihrer Ankunft im Tempel verstanden werden. Wie in Ps 136 findet sich auch in Ps 135 die Abfolge von Schöpfung und Geschichte, aber Ps 135 setzt eigene Akzente, indem er Jhwhs Macht als Chaos- und Wettergott in den Vordergrund stellt und das Thema der Götzenpolemik ergänzt. Anscheinend hat die Dominanz Jhwhs, von der in Ps 136 die Rede ist, die grundsätzliche Frage angestoßen, in welchen Bereichen seiner Herrschaft Jhwh sich als überlegen erweist. Die Antwort auf diese Frage gibt der neu eingeschriebene Psalm 135: Jhwh demonstriert sein Primat in Kosmos, Geschichte und im Gegenüber zu den Götzen der Völker. In der Aufnahme der Geschichtsthematik lehnt sich Ps 135 eng an die Darstellung von Ps 136 an, wobei der Verfasser von Ps 135 allerdings die Königtümer Kanaans ergänzt und die Landgabe unmissverständlich auf das gesamte verheißene Land ausweitet. Der Psalm ist damit dezidiert als Leseanweisung und Kommentar für seinen nachfolgenden Zwilling abgefasst. 78 Während die literarische Ergänzung von 136,18–20 der Einschreibung von Ps 135 vorausgehen muss, da sie dort rezipiert wird, kommt der literarischen Nacharbeit in 136,8f. keine über Ps 136 hinausgehende Bedeutung zu. Sie kann genauso gut vor wie nach der Einfügung von Ps 135 erfolgt sein. Für die Frage nach der Geschichtstheologie ist nun im Folgenden zu untersuchen, in welcher Form die biblische Geschichte im literarischen Wachstum des geschichtlichen Hallels in Ps 135 und 136 rezipiert wird.
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Vgl. dazu u. Kap. 4.1. Vgl. dazu u. Kap. 3 .1. 78 Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 671: „Die Redaktion, die Ps 135 gezielt als ersten Teil des Diptychons Ps 135–136 geschaffen hat, versteht diesen im Blick auf Ps 136 als eine Art Kommentierung und hermeneutische Leseanweisung.“ 77
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3 Lob und Dank: Heilsgeschichte in Psalm 135 und 136 3 Lob und Dank: Heilsgeschichte in Psalm 135 und 136
3.1 Die Wundertaten des gnädigen Gottes: Psalm 136 Am Anfang der literarischen Entwicklung steht der Grundpsalm 136*, dessen Themavers 136,4 deutlich macht, unter welchem Leitaspekt die biblische Geschichte in diesem Dankpsalm rezipiert wird: Es geht um die großen Wunder ( נפלאות גדלות, 136,4), 79 die Jhwh in Schöpfung und Geschichte vollbracht hat und die Ausdruck seiner immerwährenden Gnade ( )חסדsind. Da die Textanalyse bereits gezeigt hat, dass der Psalm von der Vorstellung des schlagenden ( )נכהGottes geprägt ist, 80 ruft der Eingang des Psalms Ex 3,20 in Erinnerung, wo die Plagen als Wunder Gottes angekündigt werden, mit denen er die Ägypter schlagen wird (ושלחתי את ידי )והכיתי את מצרים בכל נפלאתי אשר אעשה בקרבו, um den Auszug Israels zu erzwingen ()ואחרי כן ישלח אתכם. Es steht zu vermuten, dass diese allein auf die Plagen bezogene Notiz aus Ex 3,20 in Ps 136 zum Leitmotiv ausgearbeitet worden ist, so dass die gesamten geschichtlichen Heilstaten Gottes als Schlag gegen die Feindmächte dargestellt werden. Der Einsatz des Hauptteils bei der Schöpfung in 136,5–7 zeigt an, dass der Verfasser keinen qualitativen Unterschied zwischen Schöpfung und Geschichte macht; vielmehr ist die Schöpfung der Welt das erste Wunder in der Reihe der Wundertaten, in denen Jhwh seine Macht und Gnade erweist.81 Die eigentliche Darstellung der Schöpfungswerke weist eine große Nähe zum priesterschriftlichen Bericht in Gen 1 auf. Dies beginnt schon bei der Reihenfolge der Werke, die mit dem Nacheinander von Himmel (השמים, Ps 136,5), Erde (הארץ, Ps 136,6) und den großen Lichtern (אורים גדלים, Ps 136,7) dem Schöpfungswerk der Tage zwei bis vier in Gen 1,1– 19 entspricht. In der genauen Formulierung ist die Erschaffung von Himmel und Erde allerdings an die einleitende Notiz von Gen 1,1 angelehnt () בראשית ברא אלהים את השמים ואת הארץ. Die Anfertigung der zwei großen Lichter in Ps 136,7 ( )לעשה אורים גדליםfolgt dagegen dem genauen Bericht über das Schöpfungswerk des vierten Tages in Gen 1,16 (ויעש אלהים את שני
79 Das substantivierte Partizip von פלאist am häufigsten in den Psalmen belegt, wo der Begriff die Heilstaten Gottes an Israel bezeichnet; vgl. CONRAD, Art. פלא, 576–578; zum literarischen Geburtsort des Motivs in Ex 15 vgl. o. Kap. II. 1.3. 80 Vgl. dazu o. Kap. 2.2. 81 Den Einsatz der Geschichte bei der Schöpfung notiert auch KRAUS, BK XV/2, 1079, wenngleich dieser von einem „Vorbau“ der Schöpfungstraditionen im Psalm spricht; vgl. weiterhin ALLEN, WBC 21, 297 („For Israel, history began with the creation of the world“), und ZENGER , HThK.AT III, 683 („Die Weltschöpfung wird hier als erstes in der Reihe der ‚Wunder‘ präsentiert, durch die JHWH sich als gütiger Gott geoffenbart hat und offenbart.“).
3 Lob und Dank: Heilsgeschichte in Psalm 135 und 136
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)המארת הגדלים, wobei im Psalm allerdings die Bezeichnung אוריםanstelle von מארתverwendet wird. In seiner Auswahl konzentriert der Verfasser des Psalms die Schöpfertätigkeit Jhwhs auf die Erschaffung der Ordnungsprinzipien von Zeit und Raum. Dabei fallen einige Besonderheiten auf: Für die Erschaffung der Himmel wird zuerst nicht das in Gen 1,1 als Leitwort verwendete Verbum בראgebraucht, sondern eine Form der Wurzel עשה, die in Gen 1,7.16 für die Schöpfertätigkeit Gottes belegt ist. Dies entspricht der gebräuchlichen Terminologie in den Psalmen, in denen durchgängig die Rede von Jhwh als demjenigen ist, der Himmel und Erde geschaffen hat ()עשה.82 Bei der Schöpfung der Himmel fällt weiter die weisheitliche Qualifizierung für das göttliche Handeln auf, das dieser ‚mit Einsicht‘ vollzieht (בתבונה, Ps 136,5). Diese Prädikation erweist sich als Zitat aus der Götterpolemik Jer 10,12 (|| Jer 51,15), wo die weisheitliche Schöpfung der Himmel Gottes Überlegenheit gegenüber den wirk- und machtlosen Götzen demonstriert ()ובתב ונתו נטה שמים.83 Die letzte Akzentverschiebung betrifft die Schöpfung der Erde, die anders als in Gen 1,9 nicht durch die Sammlung der Fluten freigelegt wird, sondern in einem abweichenden Bild über den Wassern ausgespannt wird (לרקע הארץ על המים, Ps 136,6). Diese Vorstellung findet sich über den Psalm hinaus mit Jes 42,5 ( )בורא השמים ונוטיהםund 44,24 ( )נטה שמים לבדיin zwei Texten des Deuterojesjabuches. Während die Schöpfertätigkeit Gottes in Jes 42,5f. die geschichtliche Erwählung von Kyros als Gottesknecht legitimiert, steht die Schöpfungsaussage in Jes 44,24 im Kontext einer monolatrischen Gerichtsrede. 84 In diesen innerbiblischen Anspielungen wird die Aussageabsicht des Verfassers von Ps 136* deutlich: Seine Rezeption des Schöpfungsberichtes hat durch die Zitate aus Jer 10,12 und Jes 42,5; 44,24 einen dezidiert monolatrischen Unterton und unterstreicht so das Verständnis der folgenden Heilstaten als Machterweise des einzigen Schöpfergottes. Insgesamt lassen die Stichwortverbindungen zu Gen 1 keinen Zweifel daran, dass der Bericht dem Autor von Ps 136 bereits als Text vorgelegen hat, den er für seine Auslegung fruchtbar macht und mit weite-
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Vgl. Ps 115,15; 121,2; 124,8; 134,3; 146,6. Zum Bezug auf Jer 10,12 vgl. P RÖBSTL, Rezeption, 193; MATHYS, Beter, 92; ALLEN, WBC 21, 297; M ACHOLZ, Psalm 136, 178; LEUENBERGER , Konzeptionen, 317 Anm. 170; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 301f. In gleicher Weise geben auch Ps 104,24 ( )כלם בחכמה עשיתund Prov 3,19 ( )יהוה בחכמה יסד ארץdem göttlichen Schöpfungshandeln eine weisheitliche Konnotation; da der Sachverhalt hier aber mit abweichender Termi nologie ( )בחכמהwiedergegeben wird, ist an diesen Stellen eher eine inhaltliche Parallele zu vermuten als eine literarische Vorlage. 84 Vgl. zu den zwei Schöpfungsaussagen im Deuterojesajabuch KRATZ, Kyros, 72– 84.108–113. 83
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ren Zitationen ausschmückt. 85 Angesichts der literarischen Dominanz von Gen 1 in Ps 136 liegt der Schluss nahe, dass auch dem Gebrauch der TodaFormel – mit der expliziten Begründung כי טובin 136,1 – eine über die formale Bedeutung hinausgehende Funktion zukommt. In Aufnahme der Billigungsformel des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes (כי טוב, Gen 1,4.10.12.18.21.25; והנה טוב מאד, 1,31) ist es in Ps 136 nicht mehr die Schöpfung, der das Attribut כי טובzukommt, sondern diese ist Abbild der Güte ihres Schöpfers und verweist auf diesen. Die Nacharbeit in Ps 136,8f. verstärkt die literarischen Beziehungen zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht und trägt in Anlehnung an Gen 1,16 die Schöpfung von Sonne und Mond zur Herrschaft über den Tag bzw. die Nacht ein (לממשלת ביום, Ps 136,8; לממשלות בלילה, 136,9; vgl. לממשלת היום/ לממשלת הלילה, Gen 1,16). Über die Gründe, warum die Himmelskörper in Ps 136* anders als in Gen 1 beim Namen genannt werden, kann nur spekuliert werden. Vermutlich sollen Sonne und Mond eindeutig als Werk Jhwhs gekennzeichnet werden, um eine mögliche Anbetung der Gestirne von vornherein auszuschließen (vgl. Dtn 4,19; 17,3).86 Eine noch spätere Hand nimmt schließlich die Nähe zu Gen 1 zum Anlass, im Sinne der Vollständigkeit auch die Sterne in Ps 136,9 nachzutragen, um so die Aufzählung der Himmelskörper mit dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht zu parallelisieren (vgl. ואת הכוכבים, Gen 1,16). Steht im Hintergrund des Abschnittes über die Schöpfung Ps 136,5– 7(9) deutlich Gen 1 als Hauptbezugstext, wird in der Darstellung der Ägyptenzeit 136,10–16 ein sehr viel größerer Textbereich zusammengefasst. Der Eingangsvers 136,10 setzt mit der Tötung der Erstgeburt, der zehnten Plage, ein und folgt dabei in der Wortwahl mit נכהhif. der kurzen Notiz aus Ex 12,29 ()ויהו ה הכה כל בכור בארץ מצרים. Allerdings wechselt in Ps 136 das Objekt: Während in Ex 12,29 die Erstgeburt im Land geschlagen wird, richtet sich der Akt in Ps 136,10 gegen Ägypten, das an seinen Erstgeborenen getroffen wird. So wird die zehnte und letzte Plage in der Rezeption des Psalms zum einzig entscheidenden Machterweis, in dem Jhwh seine Überlegenheit gegen die Feindmacht Ägypten demonstriert. Die folgende Auszugsnotiz in 136,11f. nimmt eindeutig Bezug auf die priesterschriftliche Ankündigung des Exodus in Ex 7,5. Dort sagt Jhwh an, 85 So MACHOLZ, Psalm 136, 178, über die Stichwortverbindungen von Ps 136,5 –9 zu Gen 1: „Das ist am ungezwungensten so zu erklären, dass der Psalmist den ‚priesterlichen‘ Schöpfungsbericht als Text kannte und ihn frei wiedergibt.“ Ähnlich urteilt MATHYS, Beter, 91, über das literarische Verhältnis: „Es liegt näher, Ps 136,5 –9 als interpretierenden Auszug aus Gen 1 zu verstehen.“ 86 Anders wertet MATHYS, Beter, 86, die Namensnennung von Sonne und Mond in Ps 136 gerade als Zeichen dafür, dass zur Abfassung der Verse (er geht von der Einhei tlichkeit des Psalms aus), die fremden Götter keine Gefahr mehr bilde ten, so dass die Namen nicht mehr auf die Gottheiten Šamaš und Sîn bezogen werden konnten.
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dass die Ägypter ihn erkennen werden, wenn er seine Hand gegen Ägypten ausstrecken und die Israeliten aus seiner Mitte herausführen wird (וידעו ) מצרים כי אני יהוה בנטתי את ידי על מצרים והוצאתי את בני ישראל מתוכם. Ex 7,5 kann in der Literargeschichte des Exodusbuches als Programmtext für den nachstehenden Plagenzyklus Ex 7–12 gelten, der in dieser Interpretation zur göttlichen Machtdemonstration wird. 87 Der Autor des Psalms zitiert damit den Plagenzyklus der Exoduserzählung in der Tötung der Erstgeburt an und verbindet diese Darstellung mit der buchinternen Interpretation aus Ex 7,5. Entscheidend ist aber nun nicht mehr die Gotteserkenntnis der Ägypter, sondern im Vordergrund steht der Machterweis des Exodusgottes. Darüber hinaus erweitert der Verfasser das Motiv der ausgestreckten Hand ()נטה יד, das im Exodusbuch regelmäßig die einzelnen Plagen einleitet,88 zur dtr. geprägten Formel ‚mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm‘ (ביד חזקה ובזרוע נטויה, Ps 136,12). 89 Auch diese Formel gehört in den Kontext des göttlichen Machterweises und verstärkt die zugrundeliegende Aussageintention des Psalms, den Exodus als Tat des mächtigen Geschichtsgottes darzustellen. Die anschließende Schilderung des Meerwunders in 136,13–15 konzentriert die Geschichtsmächtigkeit Gottes auf drei entscheidende Handlungen, die einen unterschiedlichen Anhalt in der erzählenden Version Ex 14 haben. So wird in Ps 136,13 zuerst davon berichtet, dass Gott das Schilfmeer in Stücke geschnitten habe ( )לגזר ים סוף לגזרים. Die hebräische Wurzel גזרist in Ex 14 nicht belegt; neben der profanen Bedeutung von ‚schneiden, zerteilen‘ im kal bekommt das Verbum im nifcal die Konnotation von ‚abgeschnitten sein‘ vom Bereich des Lebens (vgl. Ps 88,6; Jes 53,8; Klgl 3,54; Ez 37,11). Es ist vielfach vermutet worden, dass hinter diesem Lemma-Gebrauch die Vorstellung von der ‚Zerstückelung des Meeresungeheuers‘ steht. 90 Auf jeden Fall bekommt das Schilfmeer in diesem Bild personalisierte Züge, so dass die priesterschriftliche Teilung des Meeres aus Ex 14,16.21 ( )בקעim Psalm eine mythische Übermalung mit Motiven des Chaoskampfes erhält. 91 Die Teilung des Meeres steht ein87
Vgl. dazu B ERNER , Exoduserzählung, 162f. Vgl. zur Formulierung נטה ידim Plagenzyklus Ex 7,19; 8,1f.; 8,13; 9,22; 10,12; 10,21f., wo allerdings jeweils Mose bzw. Aaron auf den Befehl Gotts hin handeln sollen. In Ex 14,16.21.26f. begegnet die Wendung im Bericht über das Meerwunder. 89 Vgl. zu dem Doppelausdruck Dtn 4,34; 5,15; 7,19; 11,2; 26,8; 1 Kön 8,42; 2 Chr 6,32; Jer 21,5; Ez 20,33f. 90 Vgl. z.B. ZENGER , HThK.AT III, 680. In den Texten von Ras-Schamra existiert mit dem Verbum gzr eine mögliche Parallele für die Teilung des Meeres (vgl. DUSSAUD, Découvertes, 84), wobei aber umstritten ist, inwieweit hier mit einem traditionsg eschichtlich relevanten Einfluss zu rechnen ist (diesen nimmt z.B. KRAUS, BK XV/2, 1080, an; zurückhaltender urteilt P RÖBSTL, Rezeption, 195). 91 So auch SCORALICK, Hallelujah, 262. 88
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deutig auch im Hintergrund der folgenden Aussage in Ps 136,14, nach der Jhwh sein Volk ‚mitten‘ durch es hindurchführt ()והעביר ישראל בתוכו. Die Verwendung der Wurzel עברhif. macht 136,14 als Zitat aus Ps 78,13 verständlich, wo Jhwh sein Volk durch die zu Dämmen aufgeschichteten Wasser hindurchführt ()ויעבירם ויצב מים כמו נד.92 Psalm 78,13 setzt hier seinerseits die Parallelisierung von Meerwunder und Jordandurchquerung im erweiterten Meerlied Ex 15 voraus; 93 diese Rezeptionslinie wird in Ps 136,14 weitergeführt und auf das Motiv der göttlichen Führung konzentriert. Schließlich findet sich in Ps 136,15 eine eindeutige literarische Referenz auf den nichtpriesterschriftlichen Vers Ex 14,27, aus dem mit der Wurzel נערdie Aussage übernommen wird, dass Jhwh die Ägypter ins Meer hinein abgeschüttelt hat ( ונער פרעה וחילו בים סוף, Ps 136,15; vgl. וינער יהוה את מצרים בתוך הים, Ex 14,27). Durch die aufgezeigten Bezüge wird es offensichtlich, dass der Autor des Grundpsalms in 136* die um die priesterschriftlichen Anteile ergänzte Version des Meerwunders kennt. Das Bild der gespaltenen Wasser erhält im Psalm Züge des Chaoskampfes und wird zum Machterweis Jhwhs gegenüber den Gegnern Schilfmeer und Ägypten, ‚zwischen‘ denen er in 136,14 sein Volk sicher durch die Gefahren führt. Die den Abschnitt über die Wüstenwanderung abschließende Leitungsaussage in 136,16 ( למוליך )עמו במדברerinnert mit der Verwendung der Wurzel הלךhif. an verwandte Aussagen in Dtn 8,2.15; 29,4; Jer 2,6 oder Am 2,10. Aber anders als in diesen Parallelbelegen liegt der Schwerpunkt nicht auf der Dauer der Wüstenwanderung (Dtn 8,2; 29,4; Am 2,10) oder ihrem Charakter als Prüfungszeit des Volkes (Dtn 8,2.15), sondern die Wortwahl signalisiert, dass Jhwh im Exodus zum König über sein Volk geworden ist. Das Partizip ( מוליךPt. hif. von ‚ הלךführen‘) klingt an das Partizip Aktiv kal von מלך (‚als König herrschen‘) an,94 so dass die Führung des Volkes in der Wüste zur Demonstration von Jhwhs Königsmacht wird. Das zeigt sich auch daran, dass nun im Ablauf des Psalms zum ersten Mal von Israel als ‚seinem Volk‘ (עמו, 136,16) die Rede ist. 95 Erst im Geschehen des Exodus wird Israel zum Gottesvolk.96 92
Vgl. weiterhin Neh 9,11 ( עברkal), das aber vermutlich in die Nachgeschichte von Ps 136 gehört; vgl. dazu u. Kap. VI. 2. 93 Vgl. dazu o. Kap. III. 3.1. 94 Vgl. zu dieser Beobachtung SCORALICK, Hallelujah, 266f., und ZENGER , HThK.AT III, 680; beide gehen m.E. aber zu weit, wenn sie darin eine Anspielung an die Ereigni sse am Sinai sehen wollen (so mit P RÖBSTL, Rezeption, 196: „Die knappe Notiz in v.16 läßt eine Anspielung auf Bund oder Sinai nicht erkennen.“). 95 So gegen das Urteil von P RÖBSTL, Rezeption, 196: „Die isolierte Rede von ‚seinem Volk‘ ist unspezifisch.“ 96 Ähnlich GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 307f., die das Gründungsgeschehen allerdings auf die Rettung am Schilfmeer engführt: „Damit deutet Ps 136 die Rettung am
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Das Wortspiel mit מלךam Ende des Abschnittes über den Exodus bereitet zugleich die folgende Beschreibung der Landnahme in 136,17–22* vor, bei der Jhwh seine Königsmacht gegenüber den Fremd-Königen erweist. Die Darstellung wird im ursprünglichen Psalm auf eine kurze Notiz über den Schlag gegen die Könige des Landes (136,17) und die Übergabe ihrer Gebiete als Erbbesitz beschränkt (136,21f.). Die Rede vom Land als ‚Erbbesitz‘ (נחלה, 136,21) ist ein dtr. weit verbreitetes Theologumenon, 97 wobei aber kein eindeutiger Bezugstext für die Aussage in 136,21 identifiziert werden kann. In gleicher Weise ist die Aussage über den Schlag gegen die großen Könige (למכה, 136,17) zu unspezifisch, um als literarische Anspielung auf einen bestimmten Text der erzählenden Überlieferung identifiziert werden zu können. Die Aussage 136,17 könnte allerdings den Anlass für die sekundäre Einfügung von Sihon und Og in 136,18–20 geboten haben. Diese zwei ostjordanischen Könige werden namentlich im Bericht über ihre Niederlage in Num 21 sowie Dtn 1–3 genannt; darüber hinaus sprechen die kurzen Notizen in Dtn 4,46; 29,6; 31,4; Jos 2,10f.; 9,9f.; Neh 9,22 und Ps 135,11 von ihrer Bezwingung. 98 Unter diesen Texten findet sich sowohl in Num 21,24.35 wie auch in Dtn 2,33; 3,3 die Aussage, dass Sihon und Og geschlagen werden ( ;)נכהallerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass es in diesen Texten Israel ist, das auf Geheiß Jhwhs die Könige schlägt. Somit könnte die Aussage über das Schlagen der großen Könige in Ps 136,17 Assoziationen an die Niederlage von Sihon und Og geweckt haben, die daraufhin in 136,18–20 zur Illustration der ‚großen Könige‘ ergänzt wurden. Dass Jhwh in Ps 136 das Subjekt des vernichtenden Schlages ist, passt zum theologischen Profil des Hymnus, der Jhwhs Stellung als eines machtvollen Königs herausstellt und ihn zum souverän Handelnden in der Geschichte stilisiert. Damit bleibt zu fragen, warum einem späteren Ergänzer die beiden ostjordanischen Könige Sihon und Og so am Herzen gelegen haben, dass er sie namentlich in Ps 136 nachgetragen hat. Es ist sicherlich zutreffend, dass Sihon und Og eine besondere Rolle in der literarischen Überlieferung zukommt: 99 Sie sind die ersten zwei namentSchilfmeer als die Wundertat, durch die Israel zum Volk Jhwhs wird und die paradigm atisch für die Gründung Israels als Gottesvolk steht.“ 97 Vgl. LIPIŃSKI, Art., נחל, 352–355. 98 Vgl. dazu insgesamt RENDTORFF, Sihon, 198–203, der allerdings davon ausgeht, dass es sich bei Sihon und Og im Alten Testament „um ein fest geprägtes Traditionsel ement“ handelt (RENDTORFF, Sihon, 200). 99 Mit der besonderen Stellung der zwei ostjordanischen Könige in der Überlieferung erklären auch ALLEN, WBC 21, 298, und HUMAN, Psalm 136, 82, deren namentliche Erwähnung im Psalm. FENSHAM , Neh. 9, 44, findet die Erklärung, dass es sich bei Sihon und Og um die ersten zwei besiegten Fremdherrscher handelt, etwas unbefriedigend und vermutet „a Deuteronomistic tradition“, wobei hier unklar bleibt, was damit gemeint ist.
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lich genannten Könige, die Israel auf dem Weg ins Land besiegt und werden in einer Vielzahl von Texten erwähnt. Dabei ist aber die auffällige Nähe der Darstellung in Ps 136 zu den zwei Belegen im Josuabuch (Jos 2,10f.; 9,9f.) zu notieren. Während in Jos 2,10f. Rahab den Durchzug durch das Schilfmeer und den Sieg über Sihon und Og als Ereignisse nennt, die sie zur Jhwh-Erkenntnis gebracht haben, sind es nach Jos 9,9f. die Geschehnisse in Ägypten und die Niederlage der zwei ostjordanischen Könige, die die Gotteserkenntnis der Gibeoniter bewirken. Hier findet sich zwar mit abweichender Terminologie, aber in großer sachlicher Übereinstimmung mit Ps 136 die Vorstellung, dass der Sieg über Sihon und Og exemplarisch die Überlegenheit Gottes erweist. Es bleibt festzuhalten, dass der Sieg über die Fremd-Könige Sihon und Og in der erzählenden Überlieferung der Geschichtsbücher eine besondere Rolle spielt. Der Ergänzer in Ps 136 greift auf diesen literarischen Hintergrund zurück und rezipiert die Texte vor allem unter dem Gesichtspunkt von Gottes Überlegenheit.100 Auswahl und Darstellung der biblischen Geschichte in Ps 136 sind damit insgesamt darauf ausgerichtet, Jhwhs Überlegenheit darzustellen, wobei sich die Reihe seiner wunderbaren Machttaten von der Schöpfung über den Exodus und die Wüstenwanderung bis hin zur Landnahme erstreckt. 101 Jhwh wird als machtvoller König und souverän Handelnder gezeichnet, der für seine in der Geschichte erfahrbare Gnade ( )חסדgepriesen wird. Man mag hier von einer Theologie der „bruta facta“ 102 sprechen, wobei aber gerade der wiederkehrende Refrain den Gnadencharakter der Heilstaten für Israel betont. Die erzählende Überlieferung wird in der besonderen Form des Hymnus in eine Bekenntnisaussage überführt, in der die Psalmbeter ihre Verbundenheit zu Jhwh als demjenigen bekennen, der große Wunder vollbringt (136,4).103 Der Autor des Grundpsalms zeigt dabei ein Verständnis der Heilsgeschichte, die mit der Schöpfung einsetzt und in den einzelnen geschichtlichen Stationen den Aufriss des Hexateuchs wi-
100 Weniger wahrscheinlich ist angesichts der zahlreichen literarischen Bezüge im Psalm die Annahme einer traditionsgeschichtlichen Abhängigkeit, wie sie z.B. RENDTORFF, Sihon, 199, im Blick auf die Nähe zu den Belegen im Josuabuch vertritt :„Daran zeigt sich, daß in Jos. 2 die gleiche Tradition zugrundeliegt wie in Ps. 135 und 136, daß aber keine literarische Abhängigkeit besteht.“ 101 Zum Überlegenheitsaspekt als Darstellungsprinzip der Geschichte in Ps 136 vgl. auch P RÖBSTL, Rezeption, 190; 102 Zu dem Ausdruck vgl. VON RAD, Theologie I, 368; MATHYS, Dichter, 96. Zutreffend kommt auch HUMAN, Psalm 136, 80, zu dem schönen Urteil: „Each strophe becomes a pit stop alongside the racing track of Israel’s salvation history, where Ya hweh’s powerful involvement in his servant’s life is upheld”. 103 Vgl. HARTENSTEIN, Bedeutung, 347; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 317.
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derspiegelt.104 Der Ausgang bei der Schöpfung entspricht ferner dem literarischen Selbstverständnis der erzählenden Überlieferung, da sowohl die nichtpriesterschriftlichen wie auch die priesterschriftlichen Texte in der Weltschöpfung den Beginn der Geschichte Israels sehen. Der Verfasser des Psalms ist bei seiner Darstellung allerdings nicht auf Vollständigkeit aus, wie das Fehlen von Erzvätern und Sinai beweist. 105 Vielmehr entspricht die Konzentration auf Schöpfung und Exodus in der biblischen Frühgeschichte Israels dem doppelten Zielpunkt des Psalms: Während der Exodus in der Landnahme Israels sein Ziel findet (136,21), ist die Schöpfung auf die universale Nahrungsversorgung mit „Brot für alles Fleisch“ gerichtet (לכל בשר, 136,25). Auf diese Weise wird die Geschichte Israels in die Geschichte der Welt eingeschrieben, wobei Israel aber seinen Sonderstatus als „Knecht Gottes“ bewahrt (עבדו, 136,22), dem das Land als Erbbesitz übereignet wird. Auffällig ist weiterhin, dass die Bindung an die erzählende Überlieferung mit den einzelnen Geschichtsstationen abnimmt: Während der Abschnitt über die Schöpfung deutlich auf seine literarische Vorlage in Gen 1 bezogen ist, finden sich in den Exodus-Passagen literarische Anspielungen auf vereinzelte Verse, indes im Fall von Wüstenzeit und Landnahme keine spezifischen Prätexte mehr identifiziert werden konnten. Die literarische Nacharbeit in den Abschnitten über Schöpfung und Landnahme verstärkt die Bindungen an die Vorlagen und ergänzt insbesondere im Schöpfungsteil mit den Himmelskörpern die Herrschaftsinstrumente des göttlichen Königs Jhwh. 3.2 Der Exodusgott tut, was ihm gefällt: Psalm 135 Ps 135 stellt sich in für den Psalter einzigartiger Weise als „Mosaik“ 106 ausgewählter Prätexte dar, die in diesem Hymnus in einen neuen Deu-
104 GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 316, sieht in der „Zweiteilung der fundierenden Heilstaten“ in Ps 136,10–16.17–22 eine Orientierung an der Grundstruktur des Schilfmeerliedes Ex 15,1–18. Dabei misst sie aber der hier gesehenen Dreigliederung des Hauptteils in Ps 136 m.E. zu wenig Beachtung bei; darüber hinaus gibt es keine entscheidenden Stichwortverbindungen, die für eine intentionale Bezugnahme von Ps 136 auf Ex 15 sprechen. 105 MATHYS, Beter, 96, will das „Erzväterschweigen des Psalms“ darüber erklären, dass Gott den Vätern nichts „Handfestes“ gegeben habe, während das Gesetz unerwähnt bleibe, weil der Verfasser den Ungehorsam Israels und damit die Verletzung der Tora nicht thematisiere. 106 MATHYS, Beter, 260. Vgl. zu diesem Urteil ähnlich auch KRATZ, Tora, 31 Anm. 7 („Ps 135 ist zusammengesetzt aus 113.115.134 und 136“); DERS., Sch ema‘, 632; SCORALICK, Hallelujah, 268 („Psalm 135 ist ein Geflecht von Zitaten und Anspielungen, ein Text aus Texten“); B ALLHORN, Telos, 252 („Florilegium“). Siehe ferner die ausführliche
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tungshorizont gestellt werden. Dies gilt insbesondere für die Rezeption der erzählenden Überlieferung, die nicht nur in ausgewählten Zitaten zur Interpretation herangezogen wird, sondern im Mittelteil zum Beispiel für das souveräne Handeln Gottes wird, der tut, ‚was ihm gefällt‘ (135,6). Zwar zeigt der Psalm hier eine mit Ps 136 vergleichbare geschichtliche Abfolge, die von der Schöpfung und Ägypten bis zur Landgabe führt, aber die Geschichte wird nicht als lineares Geschehen präsentiert, sondern es handelt sich um eine eklektische Auswahl, die mit prägnanten Zitaten gedeutet wird. Dabei wird bereits in den Rahmenteilen des Psalms deutlich, dass sich gegenüber Ps 136 die Vorzeichen geändert haben, unter denen die Geschichte wahrgenommen wird. Nicht mehr der Dank des Volkes für die großen Wundertaten Jhwhs steht im Vordergrund, sondern der Lobpreis der geschichtlichen Heilstaten, in denen Jhwh seine Einzigkeit erwiesen hat.107 Damit nimmt insbesondere der monolatrische Aspekt, der in Ps 136 durch die Prätexte wie Jer 10,12 oder Jes 42,5; 44,24 schon angelegt ist, in Ps 135 einen größeren Raum ein. Dies erklärt auch den inhaltlichen ‚Überschuss‘ gegenüber Ps 136 mit der Götzenpolemik in 135,15–18, die Jhwh als den allein handlungsfähigen und lebensspendenden Gott preist. Das Gotteslob des Psalms erhält bereits im Rahmen der Einleitung 135,4 mit der Erwählung Jakob-Israels zum Eigentumsvolk (כי יעקב בחר לו )יה ישראל לסגלתוein geschichtstheologisches Fundament. Das Motiv des ‚Eigentumsvolkes‘ ( )סגלהgreift dabei ein dtr. geprägtes Theologumenon auf, das in Aussagen wie Ex 19,5; Dtn 7,6; 14,2; 26,18 oder Mal 3,17 begegnet. Unter diesen ist eine besondere Nähe zu den Belegen in Dtn 7,6; 14,2 zu notieren, wo die Rede vom Eigentum in gleicher Weise mit dem Vokabular בחרverbunden ist, um die Sonderstellung Israels unter den Völkern auszusagen. Über den dtr. Rückraum hinaus liegt in Ps 135,4 aber auch ein Rekurs auf die Väterüberlieferungen vor, da die Erwählung dez idiert Israel in Gestalt des Erzvaters Jakob-Israel gilt. 108 Die Vätergeschichten der Genesis bilden ein geschichtliches Paradigma der Erwählung, das in Ps 135 eine Reaktivierung erfährt. Auf die Innenperspektive der Erwählung Jakob-Israels folgt in 135,5 mit dem bereits erwähnten Jitro-Zitat aus Auflistung der Prätexte bei ZENGER , HThK.AT III, 663, sowie GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 322 („patchworkartig gestaltete Struktur“). 107 Ähnlich ZENGER , HThK.AT III, 671, zum Verhältnis der zwei Psalmen: „Diese theologisch relevante Differenz wird daran sichtbar, dass Ps 135 die Taten JHWHs als Erweise seiner göttlichen Einzigartigkeit rühmt und deren Folgen für Israel nur nebenbei erwähnt, während in Ps 136 die Taten JHWHs als Erweise der Güte und damit als Geschenke geschildert werden, wofür Israel danken soll.“ 108 Siehe dazu in vergleichbarer Funktion die Verwendung der Bezeichnung Jakob -Israel in der Prophetie des Deuterojesajabuches (Jes 41,8; 43,1; 44,1f.); vgl. dazu KRATZ, Kyros, 69. Die identitätsstiftende Funktion der Übertragung der Namen ‚Israel‘ und ‚Jakob‘ auf das Kollektiv hebt auch VAN OORSCHOT, Geschichte, 53, hervor.
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Ex 18,11109 die Außenperspektive der Völker, die an der Exodustat zu der universalen Erkenntnis gelangen, dass der Exodusgott Jhwh den anderen Göttern überlegen ist. Damit erhält auch das Gottesverhältnis der Völker eine geschichtliche Grundlegung. Ps 135 geht darin über seinen Zwilling Ps 136 hinaus. Erschöpft sich die Heils-Partizipation der Völker hier in der Erfüllung existentieller Bedürfnisse durch die Brotgabe ( נתן לחם לכל בשר, 136,25), wird ihnen in Ps 135 Jhwh-Erkenntnis zuteil. Anders als in Ps 136 orientiert sich der Abschnitt über die Schöpfung in Ps 135,6f. nicht an dem biblischen Schöpfungsbericht, sondern er beschreibt Jhwhs Ordnung von Raum und Zeit in mythischer Sprache als Wirken des Chaos- und Wettergottes. 110 Auf diese Weise wird auch die Schöpfung zu einem der Bereiche, in denen Jhwh seine Überlegenheit gegenüber den anderen Göttern erweisen kann. Der Abschnitt beginnt in 135,6 mit einem leicht abgewandelten Zitat aus Ps 115,3, wo die Psalmbeter eine theologische Antwort auf die Spottfrage der Völker aus 115,2 geben. Die Sprecher proklamieren darin die Allmacht des in den Himmeln thronenden Gottes, der alles tut, was ihm gefällt (ואלהינו בשמים כל אשר חפץ עשה, 115,3). Diese Antwort wird in Ps 135 zitiert, wobei aber die ursprüngliche Thronaussage in eine Angabe über den Herrschaftsbereich Jhwhs überführt wird, dessen Allmacht nicht nur die Himmel, sondern den ganzen Kosmos umfasst. 111 Daran schließt sich in 135,7 ein in eine Partizipialaussage umgewandeltes Zitat aus der Götterpolemik Jer 10,13 (|| Jer 51,16) an. 112 Der Psalm nimmt hier das Argument auf, dass Jhwh als Schöpfergott seine Macht in den Wetterphänomenen erweist, während die Götterbilder handlungsunfähig bleiben müssen. Dabei sind die in Ps 135,7 gebrauchten Partizipien מעלהund מוצאzwar Anleihen an Jer 10,13 (ויעלה )נשאים מקצה הארץ … ויוצא רוח מאצרתיו, vor dem Hintergrund des einleitenden Jitro-Zitates nehmen sie aber die Exodusperspektive des Psalms auf 113 und kennzeichnen bereits die anfängliche Ordnung von Raum und Zeit als Machttat des Exodusgottes. Wahrscheinlich hat hier der Zwilling Ps 136 den Auslegungsweg vorgezeichnet, dessen Autor in Ps 136,5 Jer 10,12 109
Vgl. dazu o. Kap. 2.1. Anders sieht GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 328.330, in dem Gebrauch der Afformativkonjugation in 135,6 das anfängliche Schöpfungshandeln Jhwhs inbegriffen. O bwohl dieser Aspekt in Ps 135 gerade durch den Bezug auf Ps 136 mitschwingen mag, ist der Gebrauch des Perfekts m.E. eher dem Zitat aus Ps 115,3 in 135,6 geschuldet; vgl. dazu im Folgenden. 111 Ähnlich auch B ALLHORN, Telos, 253f., über die Rezeption von Ps 115,3 in 135,6: „Dem Thronen Gottes im Himmel wird seine Wirksamkeit auf der Erde ergänzend hinzugefügt.“ 112 Siehe zur Götterpolemik in Jer 10 B ERLEJUNG, Theologie, 392–399, und W.H. SCHMIDT, ATD 20, 215–220. 113 Vgl. dazu SCORALICK, Hallelujah, 256, und ZENGER , HThK.AT III, 667. 110
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anzitiert 114 und so die weitere Rezeption der Götterpolemik aus Jer 10,13 in Ps 135 angestoßen hat. Der ‚Schöpfungsabschnitt‘ in 135,6f. setzt damit an die Stelle der entsprechenden Rezeption von Gen 1 in Ps 136 ein Zitatgeflecht von Aussagen aus Ps 115 und der Götterpolemik in Jer 10, in dem die Schöpfermacht Jhwhs sein Gottsein legitimiert. Wer die Vorlagentexte kennt, liest mit, dass die anderen Götter Nichtse sind, weil sie im Gegensatz zu Jhwh keine Macht über den Kosmos haben. Der folgende Abschnitt über Ägypten und Landnahme in Ps 135,8–14 zeigt zuerst deutlich die Abhängigkeit von dem literarisch vorausgehenden Ps 136, aus dem das Leitmotiv des schlagkräftigen Gottes entnommen ist ( נכהhif., 135,8.10). In Aufnahme von Ps 136 richtet sich der Gottesschlag gegen Ägypten und die Bevölkerung des Landes, wobei aber in den Einzelzügen und Formulierungen eine Reihe von Abweichungen auffällt. So ist das Objekt des Schlagens in 135,8 nicht Ägypten, sondern in einer Rückkorrektur an den auch in 136,10 verarbeiteten Prätext Ex 12,29 schlägt Gott nicht Ägypten an seinen Erstgeburten, sondern direkt die Erstgeburten Ägyptens (שה כה בכורי מצרים, Ps 135,8; vgl. ויהוה הכה כל בכור, Ex 12,29). Darüber hinaus will der Autor die vollständige Auslöschung der Erstgeburten hervorheben und zitiert dazu aus Ex 13,15, wo die Heiligung der israelitischen Erstgeburten mit der vollständigen Auslöschung der Erstgeburt in Ägypten begründet wird (מבכר אדם ועד בכור בהמה, Ex 13,15; vgl. מאדם עד בהמה, Ps 135,8). Im Gegensatz zu Ps 136 beschränkt sich Ps 135 aber nicht auf die zehnte und letzte Plage, sondern er fasst das Wirken Jhwhs unter dem Doppelausdruck ‚Zeichen und Wunder‘ (אתות ומפתים, 135,9) zusammen. Die Kombination hat ihren literarischen Geburtsort in der Plagenankündigung Ex 7,3 ()את אתתי ואת מופתי, in der speziell der Plagenzyklus in den Blick genommen wird, bevor die Formulierung im Deuteronomium die Exodusereignisse insgesamt bezeichnet (vgl. Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 26,8).115 Da die Belege im Deuteronomium durchweg im Kontext monolatrischer Argumentationsgänge stehen, unterstreicht die Formulierung auch in Ps 135 das Anliegen, Gottes Einzigkeit zu erweisen. Der eigentliche Auszug aus Ägypten und das Meerwunder werden in Ps 135 nicht thematisiert, sondern die Darstellung geht nahtlos zum zweiten Schlag durch die Landnahme 135,10–12 über. Hier bildet eindeutig die entsprechende Passage im Zwilling Ps 136 die literarische Vorlage, die der Autor von Ps 135 mit einigen Abweichungen rezipiert. So glättet er die durch das literarische Wachstum in 136,17.18 verdoppelte Tötungsaussage, indem er vor die Ermordung der mächtigen Könige ( והרג מלכים עצומים, 114
Vgl. dazu o. Kap. 3.1. Vgl. zum Bezug von Ex 7,3 auf den Plagenzyklus B ERNER , Exoduserzählung, 258f. Anders urteilt GERTZ, Tradition, 333 mit Anm. 468, der Ex 7,3 auf seine Endredaktion zurückführt und darin einen Bezug auf die dtn.-dtr. Belegstellen sehen will. 115
3 Lob und Dank: Heilsgeschichte in Psalm 135 und 136
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135,10b) den Schlag gegen die vielen Völker setzt (שהכה גוים רבים, 135,10a). 116 Ps 135 stellt die Landnahme so umfassender nicht nur als Machterweis gegenüber den gegnerischen Königen, sondern auch als Ausrottung der im Land ansässigen Fremdbevölkerung dar. Die folgenden Verse 135,10–11a.12 zitieren mit nur kleineren Abweichungen die jeweils ersten Vershälften von 136,19–22. Ein Unterschied betrifft die bereits beschriebene Korrektur durch den Zusatz in 135,11b, durch den sichergestellt wird, dass es sich bei der Landnahme um die Übereignung von Ostund Westjordanland handelt. 117 Darüber hinaus erfolgt die Landgabe in 135,12 dezidiert an das Gottesvolk ()עמו, während in 136,22 vom Knecht ( )עבדוdie Rede ist. Es liegt nahe, diese Abänderung psalmintern mit der Erwählungsperspektive von Ps 135 zu erklären: In der Landgabe an das Volk aktualisiert sich die Erwählung Jakob-Israels zum Eigentumsvolk (135,4), dem Jhwh in Gestalt der Erzväter Landbesitz und Gottesverhältnis verheißen hat. Schließlich zieht der Autor des Psalms in 135,13f. in zwei Zitaten ein theologisches Fazit aus Jhwhs Machttaten in der biblischen Geschichte. Die Zitate stammen mit Ex 3,15 und Dtn 32,36 aus zwei Textzusammenhängen, in denen der göttliche Name thematisiert wird (vgl. Ex 3,13–15; Dtn 32,3) und die im Pentateuch die (Volks-)Geschichte Israels mit seinem Gott von der Berufung des Mose (Ex 3) bis zu seiner Abschiedsrede in Moab (Dtn 32) rahmen.118 Zuerst wird in Ps 135,13 mit Ex 3,15 ein literarischer Spätling aus der Offenbarungsszene am Dornbusch zitiert, wo der Verfasser Jhwh das Geheimnis seines Wesens in einer Selbstaussage offenbaren lässt: ‚Dies ist mein Name in Ewigkeit, und dies ist mein Andenken von Geschlecht zu Geschlecht‘ ()זה שמי לעלם וזה זכרי לדר דר.119 Mit Ps 135,13 geben die Psalmbeter eine innerbiblische Antwort auf diese Selbstoffenbarung Gottes, indem sie die Aussage in das Bekenntnis überführen () יהוה שמך לעולם יהוה זכרך לדר ודר. Das Zitat aus dem Moselied Dtn 32,36 in Ps 135,14 bringt dagegen erneut einen monolatrischen Horizont in den Psalm ein. Die Zuversicht auf Gottes richtendes und erbarmendes Eingreifen (כי י דין יהוה עמו ועל עבדיו יתנחם, Dtn 32,36; Ps 135,14) ist im Kon text des Moseliedes durch Gottes Überlegenheit gegenüber den anderen Göttern begründet (Dtn 32,37). In Ps 135 wird das Überlegenheitsmotiv 116 Zu den vielen Völkern ( )גוים רביםvgl. im Pentateuch die Aussagen in Dtn 7,1 (ונשל )גוים רביםund Dtn 7,17 ()רבים הגוים האלה ממני. 117 Vgl. dazu o. Kap. 2.3. 118 Auch SCORALICK, Hallelujah, 258 Anm. 21, verweist darauf, dass die zwei Zitate in Ps 135,13f. den Pentateuch umspannen, soweit er die Geschichte des Volkes Israels erzähle. 119 Zur dieser literarischen Einordnung von Ex 3,15 vgl. B ERNER , Exoduserzählung, 88; einen späten Zusatz sieht auch LEVIN, Jahwist, 332. Ex 3,15 wird auch im Meerlied Ex 15,3 aufgenommen; vgl. dazu o. Kap. II. 1.3.
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auf Jhwhs Machttaten in der Geschichte übertragen, in der er sein grundlegendes Wesen als eines gnädigen und richtenden Gottes offenbart hat. 120 Die Zitatkombination von Ex 3,15 und Dtn 32,36 in Ps 135,13f. deutet die Machttaten Jhwhs in Exodus und Landnahme damit als eine Offenbarungsgeschichte des göttlichen Wesens; auf dieser geschichtlichen Erfahrung von Jhwhs Überlegenheit gründet das Gotteslob im Hauptteil und die Zuversicht der Beter in den Rahmenstücken des Psalms.121 Auch wenn es sich bei der nachfolgenden Götzenpolemik in Ps 135,15– 18 nicht um eine Rezeption der erzählenden Überlieferung handelt, ist der Abschnitt an dieser Stelle kurz abzuhandeln, da er im Anschluss an den Geschichtsteil das Korpus des Psalms abschließt. Das Thema der Götzenpolemik führt inhaltlich das deutende Zitat aus Dtn 32,36 fort, indem die positive Zeichnung von Gottes Allmacht mit der negativen Darstellung der Ohnmacht der Götzen komplementiert wird.122 Hier liegt eine erneute Anleihe an Ps 115 vor, in der der götzenpolemische Abschnitt 115,4–8 verarbeitet wird. 123 Der Autor des Psalms beginnt in 135,15 mit einem Zitat aus 115,4, wobei aber das Suffix an עצביהםdurch die Genitivkonstruktion עצבי הגיםersetzt wird, um den Bezug auf die Götzen der Völker zu verdeutlichen. Die nachfolgenden Verse in 135,16–17a folgen wörtlich der Vorlage in 115,5–6a mit der Ausnahme, dass das Verb שמעdurch die entsprechende Form der verwandten Wurzel אזןersetzt wird (יאזנו, 135,17a; vgl. ישמעו, 115,6a). In 135,17b nimmt der Autor des Psalms zwar den Terminus אףaus 115,6b auf, nutzt die Doppeldeutigkeit des Lemmas aber, um nicht über die Nase ( )ַאףals Sinnesorgan zu sprechen, sondern mit der Partikel ַאףin einer Anspielung an Jer 10,14 (|| Jer 51,17) den fehlenden Lebensatem der Götzen zu thematisieren ( אף אין יש רוח בפיהם, Ps 135,17b; vgl. ולא רוח בם, Jer 10,14). 124 Der Einbezug von Jer 10,14 verstärkt an dieser Stelle die Darstellung der Nutzlosigkeit der Götzen, die nicht nur als wahrnehmungs- und handlungsunfähig, sondern darin auch als nicht lebensfähig gekennzeichnet werden. Das Fazit in Ps 135,18 folgt erneut der
120
Zum Bezug von Dtn 32,36 auf den Geschichtskontext des Psalms vgl. auch LEUKonzeptionen, 314. 121 Zutreffend unterscheidet ZENGER , HThK.AT III, 669, in den zwei Zitaten eine Innenperspektive Israels (Ex 3,15) von der Außenperspektive (Dtn 32,36). 122 So auch ZENGER , HThK.AT III, 669, über das Verhältnis von 135,5–8 und 135,15–18. 123 So mit der Mehrheit der Exegeten, die in Ps 135 ein Zitat aus Ps 115 sehen; anders nur LEVIN, Psalm 136, 24, der Ps 115 als eine „sekundäre Variante“ zu Ps 135 (noch ohne 135,7–14) betrachtet. Die Richtung der Abhängigkeit wird aber an der Rezeption in 135,17 deutlich, wo der Autor mit der Vorlage aus 115,6 spielt; vgl. zum Verhältnis der zwei Psalmen KRATZ, Sch ema‘, 132 Anm. 30, und im Folgenden. 124 Vgl. KRATZ, Kyros, 201 Anm. 653. ENBERGER ,
3 Lob und Dank: Heilsgeschichte in Psalm 135 und 136
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Vorlage in 115,8 und zieht den Rückschluss von der Lebensunfähigkeit der Götzen auf die vergebliche Hoffnung derer, die sie angefertigt haben. Die Rezeption der biblischen Geschichte in Ps 135 unterscheidet sich damit in wesentlichen Punkten von der Geschichtstheologie des literarhistorisch vorausgehenden Ps 136. Anders als dieser enthält Ps 135 keinen durchlaufenden Geschichtsabriss, sondern mit Ägyptenzeit und Landnahme werden zwei ausgewählte Episoden beleuchtet, deren Darstellung in eine umfassende Götter- und Götzenpolemik eingebettet ist.125 Diese zielt darauf, Jhwhs Einzigkeit und Allmacht zu erweisen, wobei die Heilsgeschichte nur einer der Bereiche ist, in denen Jhwh handelt, wie es ihm gefällt (135,6). Dies wird insbesondere auch aus dem Vergleich mit Psalm 115 deutlich, dessen Rezeption das Grundgerüst von Ps 135 bildet. Während der Themasatz in 135,6 die Aussage aus 115,3 aufnimmt, folgen die Götzenpolemik in 135,15–18 und der Abschluss in 135,19f. den entsprechenden Abschnitten in 115,4–8 und 115,9–11. Der Mittelteil in 135,6–14 gibt sich damit gegenüber Ps 115 als großangelegte Exegese des Grundsatzes ‚Jhwh tut, was ihm gefällt‘ (115,3; 135,6) zu erkennen, die sein Wirken in Schöpfung und Geschichte gleichermaßen als Ausdruck seiner Allmacht und Einzigkeit begreift.126 Die Auslegung von Ps 115 wird allerdings durch eine Reihe von Anspielungen und Zitaten aus der erzählenden Überlieferung ergänzt, in denen der biblischen Geschichte die Funktion eines Interpretationshintergrundes für das Gottesverhältnis Israels zukommt. Jhwh wird dabei als machtvoller Gott des Exodus präsentiert. In dieser Machttat wird den Völkern Gotteserkenntnis zuteil (135,5) und der Exodus zielt auf die Landgabe, in der die Erwählung Jakob-Israels zum Eigentumsvolk aktualisiert wird (135,21). Dabei ist der Deutungshorizont aber nicht auf den Psalm selbst beschränkt, sondern mit dem einzigen und allmächtigen Gott expliziert Ps 135 ein Gottesbild, das so schon in der Darstellung des überlegenen Gottes von Ps 136 angelegt ist. Ps 135 erweist sich darin auch in geschichtstheologischer Hinsicht als Leseanweisung und Kommentar für den nachfolgenden Zwilling Ps 136,127 den er mit einzelnen Texten der Hallelgruppe Ps 113–118 und der Wallfahrtspsalmen 120–134 zusammenliest. 128 Es ist zuletzt auf die eingangs beobachtete Auslegungstechnik in Ps 135 zurückzukommen, dessen Autor Anspielungen und Zitate aus unterschied125 Zutreffend beobachtet GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 333, mit Ägypten und der Landnahme „stehen Anfang und Ende paradigmatisch für das Gesamte und bringen das Ganze der Heilsgeschichte Jhwhs zum Ausdruck“ (vgl. ferner GÄRTNER , a.a.O., 342). 126 Vgl. MATHYS, Dichter, 261f.; von diesem ist auch der Begriff der „Exegese“ (MATHYS, a.a.O., 262) für das Verhältnis von Ps 135 zu Ps 115 übernommen. 127 Vgl. ZENGER , HThK.AT III, 671; siehe dazu auch o. Kap. 2.3. 128 Vgl. dazu auch im Folgenden Kap. 4.2.
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lichen Überlieferungsbereichen mit eigenen Kommentierungen versieht und diese zu einem umfassenden Hymnus zusammenstellt. Die Vermutung von MATHYS, dass der Psalm mit dieser speziellen Verarbeitungstechnik das Ende der alttestamentlichen Entwicklung markiert, 129 trifft sich mit der an anderer Stelle beobachteten Entwicklung der Schriftauslegung in der prophetischen Überlieferung. So kann für das Ezechielbuch eine zunehmende Verschmelzung und Systematisierung der in den Heilsprophetien verarbeiteten Texte festgestellt werden, die in den jüngsten Texten zu einem mit Ps 135 vergleichbaren Zitatgeflecht führt.130 Dies legt die Vermutung nahe, dass Ps 135 zu den jüngsten Texten des Psalters gehört und als schriftgelehrte Komposition für ihren jetzigen literarischen Ort verfasst worden ist. 131 Dieser Vermutung wird im folgenden Abschnitt genauer nachzugehen sein, der es sich in einer weiter gefassten Fragestellung zum Ziel setzt, die konzeptionelle und literarhistorische Einbindung von Ps 135 und 136 in das fünfte Psalmenbuch zu untersuchen.
4 Von der Geschichte zum Reich Gottes: Psalm 135 und 136 im Horizont des fünften Psalmenbuches 4 Von der Geschichte zum Reich Gottes
4.1 Der Toda-Abschluss in Psalm 136 Es ist keine neue Einsicht, dass dem Dankpsalm 136 mit der refrainartigen Verwendung der Toda-Formel Abschlusscharakter zukommt und der Psalm einmal den redaktionellen Schlusspunkt hinter eine literarische Ausbaustufe des Psalters gesetzt hat. 132 Für diese These spricht nicht nur die formale Gestaltung als Hymnus mit Kehrvers, sondern Argument dafür sind auch die zahlreichen Bezüge von Ps 136 in das fünfte Psalmenbuch hinein. Es stellt sich aber die Frage, welche Psalmen zu dieser Wachstumsstufe des Psalters zu zählen sind und wie diese Buchgestalt aus der Sicht von Ps 136 gelesen werden soll. Neben der formalen Gestaltung gibt es eine Reihe von sprachlichen Querverbindungen zu vorausgehenden literarischen Schaltstellen im Psalter, die Ps 136 als Abschlusstext ausweisen. 129 Vgl. MATHYS, Dichter, 260f. Zu einer vergleichbaren Einordnung des Psalms gelangt B ALLHORN, Telos, 255, mit dem Urteil: „Die Form des Florilegiums zeigt deutlich, daß Ps 135 eines der ganz späten Stücke des Psalters ist.“ 130 Vgl. dazu KLEIN, Schriftauslegung, insbes. 384–388. 131 So schon KRATZ, Tora, 31 Anm. 79; DERS., Sch ema‘, 631; LEUENBERGER , Konzeptionen, 315; ZENGER , HThK.AT III, 662–664. 132 So schon KRATZ, Tora, 31; LEVIN, Psalm 136, 17–27; LEUENBERGER , Konzeptionen, 318–320.369–372; GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 292.362–372. Eine kompositionsabschließende Funktion von Ps 136 beobachtet auch B ALLHORN, Telos, 258, ohne daraus aber redaktionsgeschichtliche Konsequenzen zu ziehen; siehe auch o. Kap. 2.3.
4 Von der Geschichte zum Reich Gottes
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Diese sind im Folgenden hinsichtlich der buchredaktionellen Leseperspektive auszuwerten, die in Ps 136 auf den Psalter eröffnet wird. Es konnte bereits gezeigt werden, dass die Verwendung der Toda-Formel als Kehrvers in Ps 136 aus Ps 118, dem Schlusspsalm des Ägyptischen Hallels, entlehnt ist (vgl. 118,1–4.29). 133 Mit diesem Psalm liegt eine ursprünglich selbständige Dankliturgie vor, die bei ihrer Einschreibung in den Psalter eine Toda-Rahmung erhalten hat und die Sammlung des Ägyptischen Hallels (Ps 113–118) abschließt. 134 Gegenüber Ps 118, wo die Toda-Formel nur in den Rahmenteilen vorkommt, wird sie in Ps 136 als durchgängiger Refrain verwendet. Ps 136 stellt sich so als das Danklied dar, zu dessen Vollzug in Ps 118,2–4 Israel, das Haus Aaron und die Jhwh-Fürchtigen aufgerufen werden. 135 Die Dankliturgie aus Ps 118 erfährt auf diese Weise in Ps 136 eine Nationalisierung, indem das wundersame Handeln Gottes an seinem Volk an die Stelle der Rettung Einzelner aus der Not tritt. Da Ps 136 in dem Abschnitt 136,10–16 auch ausführlich den Exodus als eine der göttlichen Wundertaten thematisiert, liegt die Vermutung nahe, dass der Autor bereits das Zitat von Ps 118,14.28 in Ex 15,2 sowie die darauf reagierende Einfügung von Ps 114 in das Ägyptische Hallel voraussetzt.136 Wird Ps 118 im Ägyptischen Hallel auf dieser Wachstumsstufe als Dank für den Exodus verstanden, weitet Ps 136 das Geschichtsmodell auf die gesamte Geschichte Gottes mit seinem Volk aus. Dieser Toda-Bezug reicht allerdings über das Pessach-Hallel hinaus bis zum Übergang vom vierten zum fünften Psalmenbuch, wo das Gliederungssystem nach Toda-Formeln seinen literarischen Geburtsort hat. 137 Den redaktionellen Anknüpfungspunkt in diesem Psalmenabschnitt bildet Psalm 107, der als Hodu-Psalm die Ausbaustufe Ps 100–107* abschließt. Die einzigen Vorkommen der vollständigen Toda-Formulierung in Ps 107,1; 118,1.29 und 136,1 zeigen die sachliche Bezogenheit der drei Psalmen aufeinander an. 138 In Ps 107 realisiert sich die geschichtliche Ret133
Vgl. dazu o. Kap. 2.2. Vgl. dazu o. Kap. II. 2.4. 135 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch LEVIN, Psalm 136, 23, der daraus allerdings den Schluss zieht, dass Ps 118,1–4 die ursprüngliche Einleitung für Ps 136 gebildet habe; siehe dazu o. Anm. 46 und im Folgenden. 136 Vgl. dazu o. Kap. II. 2.4. 137 Vgl. dazu o. Kap. IV. 4.3 und zur Gliederungsfunktion der Toda-Formel im Psalter ausführlich KRATZ, Tora, 17–20.28–34. 138 Vgl. KRATZ, Tora, 30f.; DERS., Sch ema‘, 630–632, sowie GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 364.369. Beide berücksichtigen auch die Hodu-Formel in Ps 106, wobei hier aber anzumerken ist, dass der Psalm zwar im Eingang die vollständige Toda -Formel aufweist (106,1), er insgesamt aber jünger ist als der ursprüngliche Abschluss der Sam mlung Ps 100–107* in Ps 107. Der Autor von Ps 106 kopiert den Eingang aus 107,1, um auf diese Weise den Toda-Abschluss nach vorne zu verlegen; vgl. dazu o. Kap. IV. 4.3. 134
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tung Israels aus den Völkern in den Rettungserfahrungen des Einzelnen.139 Der Psalm verwendet die geschichtliche Erfahrung von Gottes Gnade als Deuteparadigma für die Lebenssituation der Psalmbeter. Auch hier kann im literarhistorischen Verhältnis von Ps 107 und Ps 136 eine Nationalisierung bzw. Universalisierung der individuellen Rettungserfahrungen beobachtet werden. Während in Ps 107,2 die Erlösung des Volkes aus der Hand der Bedränger ( )מיד צרdas Rettungsparadigma für die individuellen Heilserfahrungen bietet, ordnet Ps 136,24 die Rettung der Psalmbeter vor den Feinden ( )מצרנוals Zielpunkt in die Volksgeschichte ein. Die Rettung des Volkes wird dabei durch die dauerhafte Erhaltung der gesamten Schöpfung durch die Nahrungsversorgung ergänzt ( נתן לח ם לכל בשר, 136,25), so dass die Brotgabe „zu einem eigenen, die Heilsgeschichte krönenden Heilsgut von bleibender Dauer“ 140 wird. Die Interpretation der Rettung im Sinne einer dauerhaften Erhaltung fällt in Ps 136 aber nicht wie das Manna vom Himmel, sondern diese Auslegung ist im literarischen Horizont von Ps 107 vorbereitet. So kann die Zusicherung von Ps 136,25 als Zusammenfassung der unterschiedlichen Erhaltungsaussagen in Ps 104,11f.14f.21.27f. verstanden werden, 141 in denen sich das Gotteslob mit dem Dank für die Nahrungsversorgung verbindet. Von besonderem Interesse ist dabei der Abschnitt 104,27f., wo die Angewiesenheit auf die Erhaltung durch den Schöpfer thematisiert wird, der seine Schöpfung ‚mit Gutem sättigt‘ (ישבעון טוב, 104,28). Diese Aussage wird in Ps 107,9 aufgenommen und auf die Situation der umherirrenden Exilierten übertragen, die von Gott gesättigt und mit Gutem erfüllt werden ()כ י השביע נפש שקקה ונפש רעבה מלא טוב. Der Verfasser von Ps 136 liest die Erhaltung der Schöpfung aus Ps 104 mit der Rettung der Exilierten vor dem Hungertod in Ps 107 zusammen und verbindet diese Aussagen zur großartigen Vision „der lebenserhaltenden Dauerversorgung der ‚geretteten Heimkehrer‘“. 142 Diese Heilsperspektive wird dahingehend universalisiert, dass die Brotgabe der gesamten Schöpfung gilt (כל בשר, 136,26), so dass an eine Heilsgemeinde aus Israel und den Völkern zu denken ist. In der literarischen Nachgeschichte von Ps 136 wird die erhaltende Schöpfertätigkeit Gottes in Ps 145–147 auf die Versorgung der ganzen Welt im Reich Gottes bezogen (vgl. 145,19; 146,7; 147,9.11).143 In dieser (eschatologischen) Perspektive wird die göttliche Brotgabe in 136,25 zum Vorschein der Heilszeit im Reich Gottes. 139
Vgl. dazu o. Kap. IV. 4.2.6. KRATZ, Gnade, 24. 141 So auch KRATZ, Gnade, 23. 142 KRATZ, Tora, 26; zum Bezug auf Ps 104,27 vgl. auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 313f. 143 Vgl. dazu umfassend KRATZ, Gnade, 1–40, sowie DERS., Tora, 26f. 140
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Ist damit erwiesen, dass Ps 136 als Toda-Abschluss in Aufnahme der voranstehenden Abschlusstexte Ps 107 und 118 abgefasst worden ist, bleibt die Frage, welche Buchgestalt er voraussetzt. Ein weiterer Abschlusstext nach Ps 118 macht nur unter der literarhistorischen Voraussetzung Sinn, dass der Psalter in Folge der Anfügung von Ps 118 durch weitere Texte ergänzt worden ist, so dass ein neuer Abschluss nötig und sinnvoll wird. Da Ps 119 als späte Einschreibung in den literarischen Nahkontext gelten kann und der Tora-Gehorsam auch inhaltlich keine Rolle in Ps 136 spielt, scheidet dieser Psalm als mögliche Fortschreibung aus, so dass man an die Sammlung der Wallfahrtspsalmen 120–134* gewiesen ist. Hier kann eine Reihe von Indizien plausibel machen, dass Ps 136 einen Schlusspunkt hinter die Einschreibung dieser Psalmengruppe setzen will.144 Zuerst fallen einige Berührungen mit dem Schlusspsalm der Wallfahrtsgruppe, Ps 134, auf, mit dem Ps 136 den Gebrauch der Knecht-Titulatur teilt. Werden in 134,1 die im Haus Jhwhs stehenden Knechte zum Segen aufgerufen ()הנה ברכו את יהוה כל עבדי יהוה, berichtet 136,21f. von der Landgabe an Israel, den Knecht Gottes (נחלה לישראל עבדו, 136,22). Darüber hinaus nimmt Ps 136 im Ablauf des Psalters das Gottesbild der Wallfahrtspsalmen auf, wenn Jhwh als Schöpfer der Himmel und der Erde gepriesen wird (לעשה השמים בתבונה, 136,5; לרקע הארץ על המים, 136,6); eine Prädikation, die in 134,3 die Sammlung Ps 120–134* abschließt (יברכך ; יהוה מציון עשה שמים וארץvgl. auch 121,2; 124,8). Aus der Perspektive von Ps 136 erfahren die Wallfahrtspsalmen in gleicher Weise wie Ps 118 eine Nationalisierung und Historisierung. Wird bereits durch die Einschreibung des Exoduspsalms 114 in das Ägyptische Hallel vor den Wallfahrtspsalmen eine historisierende Deutung eingetragen, stellt auch der nachfolgende Psalm 136 die individuelle Wallfahrt zum Tempel unter die Perspektive des Exodus. Wegweisend dürfte hier ein weiteres Mal die Geschichtskonzeption von Ex 15 sein, die mit der Einschreibung von Ps 114 im Hintergrund des Ägyptischen Hallels steht. In der Perspektive von Ex 15 wird die individuelle Wallfahrt zum Tempel aus Ps 120–134 in der geschichtlichen Toda Ps 136 zum Weg des Volkes in das verheißene Land. Und wie die Knechte in 134,1 das Haus Jhwhs erreicht haben, übereignet Jhwh in 136,21f. das Land an den Gottesknecht Israel. Schließlich macht die spätere Einschreibung des Tora-Psalms 119 in diesen Psalterabschnitt 144 So auch KRATZ, Tora, 30f., und DERS., Sch ema‘, 631. Dagegen will GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 362–366, Ps 136 als vorläufigen Abschluss eines Psalters 2–136* profilieren, in dem der Wallfahrtspsalter Ps 120–134 noch nicht enthalten gewesen sei (vgl. GÄRTNER , a.a.O., 386f.). Sie nimmt darin die These von LEVIN auf, ohne sich aber zu dessen literarischer Voraussetzung zu positionieren, dass das Psalmstück 118,1 –4 die ursprüngliche Einleitung von Ps 136 gebildet habe (vgl. dazu o. Anm. 46 und Anm. 135).
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aus der Heimkehr Israels in das Land die spiritualisierte Wallfahrt durch das Tor der Tora. 145 Zusammenfassend stellt sich Ps 136 als Abschlusstext für die Ausbaustufe Ps 118–136* dar, der vermutlich auf die Redaktion zurückgeht, die die Gliederung nach Toda-Formeln in den Psalter eingebracht hat. Dies zeigt sich daran, dass Ps 136 in vielfacher Weise auf die vorausgehenden Toda-Abschlüsse bezogen ist. In Bezug auf Ps 118 baut er den Dank für die Rettung im Exodus zu einer umfassenden Toda für Gottes in der Geschichte wirksame Gnade aus. Dabei wird auch die neu hinzugekommene Sammlung Ps 120–134 in die Buchgestalt integriert, indem die individuelle Wallfahrt zum Zion eine nationale und historisierende Interpretation erfährt. In ähnlicher Weise weitet der Autor von Ps 136 die punktuellen Rettungserfahrungen einzelner Gruppen aus dem Dankpsalm 107 zu einer umfassenden Darstellung der Volksgeschichte aus und gibt dieser mit der dauerhaften Erhaltung aller Lebewesen eine universale Zukunftsperspektive. Über den Bezug auf Ps 107 hinaus kann Ps 136 insgesamt als Reaktion auf den literarhistorisch vorhergehenden Psalterabschluss in Ps 104–107* gelten. Mit dem geschichtlichen Aufriss von der Schöpfung bis zum Land bildet der Toda-Psalm die Abfolge von Schöpfung (Ps 104), Geschichte (Ps 105) und Rettung (Ps 107) am Ende dieses Buchabschnittes nach und ergänzt die Heilsperspektive um die Erhaltung der Schöpfung durch die Gabe des täglichen Brotes. Hierbei muss aber auffallen, dass die Sündenproblematik von Ps 106 keine Spuren in Ps 136 hinterlassen hat. Das Gottesverhältnis in Ps 136 ist unproblematisch und wird durch das Lob in seiner reinen Form bestimmt. Diese Beobachtung könnte darauf hindeuten, dass Ps 106 jünger ist als Ps 136 und in diesem noch nicht vorausgesetzt ist; die Frage wird aber nicht zweifelsfrei zu klären sein. Mit der als Refrain gebrauchten Toda-Formel in Ps 136 ist die Gliederung des Psalters durch die Toda-Formeln an ihren Höhe- und zugleich Endpunkt gekommen. 146 Ps 136,26 kann sowohl literarhistorisch als auch ablauftechnisch als letztes Vorkommen der Toda-Formel im Psalter gelten. Auf den nachfolgenden redaktionellen Ausbaustufen wird dieses Gliederungssystem nach und mit der Gliederung durch den Halleluja-Ruf überschrieben, wie das bereits am Verhältnis von Ps 106 und 107 bzw. Ps 117 145
Vgl. dazu o. Kap. II. 2.4. Zur psalterredaktionellen Bedeutung von Ps 136 vgl. bereits KRATZ, Tora, 30f.; DERS., Sch ema‘, 631, ähnlich bezeichnet auch B ALLHORN, Telos, 258, Ps 136 aufgrund seiner Bezüge zu den anderen Toda-Psalmen als „Metapsalm“. Gegen die hier vorgelegte literarhistorische Einordnung geht LEVIN, Psalm 136, 26, davon aus, dass der Einsatz von Ps 118 und Ps 136 „im weiteren auch auf Ps 105; 106 und Ps 107 übertragen wo rden“ ist. Die durchgehende Gestaltung von Ps 136 mit dem Toda-Refrain und seine Ausweitung der geschichtlichen Perspektive erweisen ihn m.E. aber hinreichend als kompositorischen wie literarhistorischen Schlusspunkt der Gliederung nach Toda -Formeln. 146
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und 118 beobachtet werden konnte.147 Im geschichtlichen Hallel kommt Ps 135 als neuem Halleluja-Vorsatz eine Schlüsselstellung bei dieser Neugruppierung zu, wie im Folgenden darzustellen ist. 4.2 Der neue Hallel-Schluss in Psalm 135 Die literarische Analyse von Ps 135 und 136 hat gezeigt, dass Ps 135 auf eine jüngere Wachstumsstufe als Ps 136 gehört. Er ist gezielt als Leseanweisung und Kommentar des literarisch vorausgehenden Toda-Abschlusses in Ps 136 verfasst worden und bietet eine Exegese darüber, in welchen Herrschaftsbereichen der Exodusgott seine Überlegenheit erweist. 148 In der masoretischen Fassung mit der Halleluja-Rahmung in 135,1.21 setzt sich der Psalm aber formal von dem nachfolgenden Ps 136 ab und stellt den hinteren Rahmen eines Halleluja-Blockes dar, der nach dem HallelujaAbschluss in Ps 117 die Psalmen 118–135 umfasst. 149 Auf diese Weise isoliert er den ursprünglichen Toda-Abschluss in Psalm 136, der aber so seinerseits zum Ausgangspunkt einer neuen literarischen Ausbaustufe werden kann. Im Folgenden sind nun die literarischen Querverbindungen von Psalm 135 zu den anderen Psalmen des fünften Psalmenbuches zu überblicken, um auf diese Weise seine redaktionelle Funktion im Wachstum dieses Buchteiles genauer bestimmen zu können. Die Textanalyse hat gezeigt, dass Ps 135 in hohem Maße ein Komposittext ist, der aus unterschiedlichen literarischen Versatzstücken zusammengesetzt ist. Gegenüber Ps 136 konnte bereits gezeigt werden, dass Ps 135 den geschichtlichen Abschluss imitiert,150 wobei der Autor von Ps 135 die lineare Geschichtsdarstellung durch eine eklektische Auswahl göttlicher Heilstaten ersetzt. Das Auslegungsinteresse wird insbesondere am unterschiedlichen Zielpunkt der zwei Psalmen deutlich: Endet Ps 136 mit der universalen Nahrungsversorgung und wird darin zum Vorschein auf das Reich Gottes, schließt Ps 135 mit dem Segen des Zionsgottes, der in Jerusalem wohnt (ברוך יהוה מציון שכן ירושלם, 135,21). Ps 135 löst damit Ps 136 als Schluss des Wallfahrtspsalters ab, indem er das Volk mit der Ankunft am Zion präziser als der Autor von Ps 136 an das Ziel bringt, auf das hin die Wallfahrt in der Sammlung Ps 120–134 ausgerichtet ist. So befinden sich die Psalmbeter als Knechte 147
Vgl. zu dieser Halleluja-Bearbeitung grundsätzlich KRATZ, Tora, 1–34; dieser beobachtet die Abtrennung der ehemaligen Toda-Abschlüsse Ps 100; 107; 118 und 136 durch die neuen Halleluja-Abschlüsse (vgl. KRATZ, a.a.O., 31); siehe auch DERS., Sch ema‘, 631–633. 148 Vgl. dazu o. Kap. 2.3. 149 Vgl. dazu o. Kap. II. 2.4. Die abschließende Funktion von Ps 135 beobachtet bereits RIEDEL, Redaktion, 171f. 150 Siehe dazu o. Kap. 3.2. Zu dem Urteil vgl. auch KRATZ, Tora, 31 Anm. 79.
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
Gottes nach der Einleitung 135,1f. in den Vorhöfen des Gotteshauses ( שעמדים בבית י הוה בחצרות בית אלהינו, 135,2), so dass die folgende Rekapitulation von Jhwhs Heilstaten als der Lobpreis dargestellt wird, den die Knechte am Ziel ihrer Wallfahrt in 134,1 erheben sollen (הנה ברכו את יהוה ) כל עבדי יהוה העמד ים בבית יהוה בלילות.151 Vergleichbar mit der Auslegung in Ps 136 erfährt die Sammlung der Wallfahrtspsalmen ein weiteres Mal eine Historisierung und Nationalisierung, wodurch die Wallfahrt zur geschichtlichen Machttat Gottes wird, der sein Volk von Ägypten bis zum Zion bringt. Dort werden dann das Haus Israel, das Haus Aaron, das Haus Levi und die Jhwh-Fürchtigen aufgefordert, den allmächtigen Gott zu segnen (135,19–21). Dieses Personal des tätigen Gotteslobes hat der Autor von Ps 135 mit Ps 115,9–11 und 118,2–4 aus zwei Psalmen des Ägyptischen Hallels entlehnt und mit der Gruppe der Leviten ergänzt. Über die literarische Abwerbung des Personals hinaus konnte Ps 135 auch inhaltlich als Exegese von Ps 115 erwiesen werden. Der Autor nimmt in 135,6 die Beschreibung vom in den Himmeln thronenden Gott auf, der alles tut, was ihm gefällt (כל אשר חפץ עשה, 115,3), und führt im Hauptteil den Nachweis von Jhwhs Allmacht in Kosmos, Exodus und Landnahme (135,6–14). Diese Beschreibung mündet dann in die aus Ps 115,4–8 übernommene Götzenpolemik 135,15–18 und nimmt das Argument aus Ps 115 auf, wonach sich die Götzen gegenüber Jhwhs Heilstaten als handlungs- und lebensunfähig erweisen. Mit der Geschichtsthematik rezipiert der Psalm schließlich auch Ps 114, auch wenn hier erneut auf die Eigenart dieses poetologischen Lehrstückes zu verweisen ist, das weder formal noch inhaltlich literarische Spuren im Exodus-Abschnitt von Ps 135,8f. hinterlassen hat. In Ps 135 geht es weniger um die Konstituierung Israels als Gottesvolk, sondern um die Machttaten Gottes beim Auszug aus Ägypten. Dessen ungeachtet kann Ps 135 in die Auslegungslinie des Ägyptischen Hallels eingeordnet werden, die bereits im Rahmen der Komposition mit der Einschreibung von Ps 114 eröffnet wird. Wird in dieser Einschreibung der Exodus sekundär zu der Tat, in der sich Jhwhs Überlegenheit gegenüber den Götzen von Ps 115 erweist, 152 nimmt Ps 135 dieses geschichtliche Argument auf und weitet es auf weitere Herrschaftsbereiche aus, die zur Demonstration von Gottes Allmacht herangezogen werden. Ps 135 liest die Sammlung Ps 113– 117(118) damit bereits als ‚Ägyptisches‘ Hallel und baut den durch die Einschreibung von Ps 114 angelegten Bezug auf die biblische Geschichte weiter aus. Letztlich gehört damit auch Ps 135 in die Auslegungsgeschichte der kleinen Glosse in Ex 15,2, die über Ps 118 und 114 den Exodus in 151 Vgl. dazu bereits o. Kap. 2.1. Zu diesen Verbindungen siehe ferner ZENGER , HThK.AT III, 670.698; B ALLHORN, Telos, 252–255. 152 Vgl. dazu o. Kap. II. 2.4.
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das Ägyptische Hallel gebracht hat und bis in das geschichtliche Hallel Ps 136 und 135 hinein wirkt. Schließlich kann Ps 135 als „Entsprechung zum Halleluja in 104– 106“153 gelten, das einen umfangreichen geschichtlichen Abschluss mit der Psalmengruppe 104–106 bildet. Eine besondere Verbindung besteht hier zu Ps 106, der ebenso wie Ps 135 als Geschichtspsalm einen (im literarhistorischen Sinne) ‚neuen‘ Halleluja-Abschluss vor einen älteren TodaSchluss einschreibt und neben Ps 135 der einzige Psalm ist, der eine Halleluja-Rahmung mit Über- und Unterschrift aufweisen kann (135,1.21; vgl. 106,1.48). 154 Während die Halleluja-Formeln am Ende des vierten Psalmenbuches in Ps 104–106 aber als sekundäre Bildungen eingeordnet werden können,155 legt sich im Fall von Ps 135 ebenso wie für Ps 117 156 die Vermutung nahe, dass der gesamte Psalm als literarische Bildung auf die Halleluja-Redaktion zurückgeht. Anders als für Ps 136 kann deshalb für Ps 135 als gesichert gelten, dass der Halleluja-Psalm den Geschichtspsalm 106 bereits voraussetzt. Die redaktionelle Herkunft von Ps 135 zeigt sich ferner daran, dass die Versatzstücke, die in diesem Psalm verarbeitet sind, zwar zu einer Gesamtaussage verbunden werden, diese aber inhaltlich kaum über eine Zusammenfassung der Prätexte hinausgeht. Vielmehr bleibt Ps 135 sogar hinter der Aussage seines Zwillings in Ps 136 zurück, indem die Perspektive auf die schöpfungsgemäße Erhaltung keine Berücksichtigung findet. Die eigentliche redaktionelle Funktion von Psalm 135 in Bezug auf seinen Psalterkontext liegt vielmehr in der Schaffung eines neuen Halleluja-Abschlusses, der den Toda-Dank von Ps 136 mit dem Halleluja-Lobpreis in 135 überschreibt. 157 153
KRATZ, Tora, 31 Anm. 79. Ps 106,45 und 135,14 berühren sich darüber hinaus in der Verwendung der selt enen Wurzel נחם, die allerdings in unterschiedlichen Stammesmodifikationen verwendet wird (106,45: נחםni.; 135,14: נחםhitp.), und in 135,14 auf ein Zitat aus dem Moselied Dtn 32,26 zurückgeht (vgl. dazu o. Kap. 3.2). So verlockend es ist, in 135,14 eine Einlösung der Verheißung aus 106,45 zu sehen, so wird in Ps 135 doch der Bezug auf das Moselied Dtn 32 im Vordergrund stehen. 155 Vgl. dazu o. Kap. IV. 4.3. 156 Zur Einordnung von Ps 117 als Redaktionstext vgl. o. Kap. II. 2.4.3. 157 Demgegenüber betont LEVIN, Psalm 136, 25, die Funktion von Ps 135 als redaktionelle „Klammer“, die die neu eingefügte Sammlung der Wallfahrtspsalmen 120–134 mit Ps 136 verbinde. Ebenso hebt GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 386, die Brückenfunktion von Ps 135 hervor, durch den „nach dem Einschub des Wallfahrtspsalters (Ps 120 – 134) die einst bestehende Verbindung zwischen Ps 136 und der Sammlung Ps 106.107– 118* wiederhergestellt“ werde. Dieser These kann m.E. nicht gefolgt werden, da die Wallfahrtspsalmen nach der hier vorgelegten Analyse in der durch Ps 136 abgeschloss enen Buchgestalt bereits aufgenommen und Ps 135 damit literarhistorisch vorgeordnet sind (vgl. o. Kap. 4.1). Darüber hinaus ist anzufragen, ob eine Verstärkung der Bezüge von Ps 136 zu Ps 106.107–118* über den unmittelbaren literarischen Vorkontext (Ps 154
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
4.3 Die Wiederaufnahme der Exilsthematik in Psalm 137 Auf das geschichtliche Hallel in Ps 135f. folgt mit Ps 137 ein Text, der im Ablauf des masoretischen Psalters ein letztes Mal die biblische Geschichte rezipiert, indem er auf das babylonische Exil zurückblickt. Vor dem Hintergrund, dass das Volk in den Zwillingspsalmen 135f. unter göttlicher Führung gerade wieder im Land angekommen ist, wird im Folgenden zu fragen sein, welche Funktion der geschichtlichen Wiederaufnahme des Exils in Ps 137 für das Wachstum des Psalters zukommt. Der zweifache Redewechsel im Ablauf von Ps 137 legt eine Gliederung in die drei Abschnitte 137,1–4; 137,5f. und 137,7–9 nahe.158 Der erste Teil 137,1–4 setzt mit einer Ortsangabe ein, die den Rückblick an den Wasserströmen Babels lokalisiert ()על נהרות בבל, wo eine Sprechergruppe tränenreich des Zions gedenkt (שם ישבנו גם בכינו בזכרנו את ציון, 137,1).159 Auf die höhnische Aufforderung der babylonischen Aufseher ()שובינו, Zionslieder anzustimmen (שירו לנו משיר ציון, 137,3), antworten die Sprecher in 137,4 mit der rhetorischen Frage: ‚Wie sollen wir das Lied Jhwhs singen auf fremden Boden ( ‘?)על אדמת נכרAus dieser Antwort wird deutlich, dass der gesungene Lobpreis Jhwhs in der Fremde des Exils unmöglich ist. Im zweiten Teil Ps 137,5f. gelobt ein exemplarisches ‚Ich‘ im Modus des hebräischen Imperfektes seine dauerhafte Verbundenheit mit Jerusalem. Diese Verbundenheit konkretisiert sich in dem dreigliedrigen Schwur, Jerusalem nicht zu vergessen ( אם אשכחך ירושלם תשכח ימיני, 137,5), sondern seiner zu gedenken und es zur höchsten Freude zu erheben ( אם לא אעלה את ירושלם על ראש שמחתי, 137,6). Das Verhältnis dieser ersten zwei Unterabschnitte ist in der Forschung unterschiedlich beurteilt worden.160 Insbesondere stellt sich die Frage nach 135) tatsächlich einen redaktionellen Mehrwert für Ps 136 darstellt, oder ob die Ei nschreibung von Ps 135 nicht vielmehr – wie hier vermutet – im Sinne einer nachträglichen Ersetzung und Isolierung von Ps 136 durch Ps 135 auszuwerten ist. 158 So mit der Mehrheit der Exegeten; vgl. exemplarisch ALLEN, WBC 21, 306; EMMENDÖRFFER , Gott, 185f.; LORETZ, Psalm 137, 342; K ÖRTING, Zion, 76; LEUENBERGER , Konzeptionen, 321; ZENGER , HThK.AT III, 687f. (zuvor schon DERS., Lieder, 27–29). In alternativen Gliederungsmodellen wird zumeist 137,4 zum zweiten Abschnitt gezogen (so SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 117, und RABE, Hand, 429) oder im dritten Abschnitt weiter in V 7 und V 8f. untergliedert (vgl. U. KELLERMANN, Psalm 137, 43; ähnlich unterscheidet HARTBERGER , An den Wassern, 213, zwei Hauptteile mit insgesamt vier Unterabschnitten in V 1–4.5f.; V 7.8f.; vgl. auch T. KRÜGER , An den Strömen, 80). 159 Gegen eine präsentische Übersetzung der Perfekta in 137,1–3, wie sie D. MICHEL, Tempora, 83, vorschlägt (ihm folgt KÜHLEWEIN, Geschichte, 43f.), spricht der klare Gegensatz zwischen Perfektformen in 137,1–3 und Imperfektformen in 137,5f.; der unterschiedliche Tempusgebrauch ist hier eindeutiges Indiz für den unterschiedlichen Zeitbezug der Abschnitte. 160 Vgl. dazu auch die Diskussion bei ZENGER , HThK.AT III, 692–694.
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dem Verhältnis zwischen der von den Sprechern festgestellten Unmöglichkeit, Zionslieder in Babel zu singen (137,1–4), und dem Schwur des Einzelnen, Jerusalem nicht zu vergessen (137,5f.). Eine Reihe von Exegeten will in der auf die Rechte und die Zunge des Beters bezogenen Selbstverfluchung 137,5f. eine Anspielung auf die „Hauptorgane“ 161 der Tempelsänger sehen, so dass der Schwur auf die vorhergehende Verweigerung bezogen sei, Zionslieder in der Fremde anzustimmen. 162 Gegen diese Interpretation spricht aber nicht nur der unterschiedliche Zeitbezug der zwei Abschnitte, 163 sondern diese Deutung übersieht auch das Motiv des Gedenkens (זכר, 137,1.6), das die zwei Situationsbeschreibungen verbindet. Zwar verbietet sich für die Israeliten im babylonischen Exil das Singen von Jhwh-Liedern auf fremden Erdboden, aber sie gedenken doch weinend des Zions ( בזכרנו את ציון, 137,1) und vollziehen damit dasselbe Erinnerungshandeln wie der exemplarische Beter des zweiten Abschnittes, der Jerusalems gedenken will (אם לא אזכרכי, 137,6).164 So ist zu überlegen, ob der Abschnitt 137,5f. nicht gleichsam eine Antwort auf das in 137,1–4 exponierte Problem bietet: Die Exilierten in 137,1–4 gedenken des Zions nur unter Tränen, weil sie geographisch-räumlich von diesem entfernt sind. Dagegen setzt das exemplarische Ich des Beters von 137,5f. das emphatische Gedenken an Jerusalem, das im wahrsten Sinne des Wortes ‚erhebend‘ ( )אעלהsein kann: „Das erinnernde Festhalten an Jerusalem ist für das Ich Vollzug von höchster ‚Freude‘, d.h. Erfüllung und Glücken des Lebens.“165 Auf diese Weise stellt sich die Freude, die die babylonischen Bedrücker in 137,3 höhnisch von den Exilierten einfordern ((שמחה, für den einzelnen Beter im tätigen Vollzug der Jerusalemerinnerung ein. Der dritte Teil des Psalms in 137,7–9 knüpft an das Motiv des Gedenkens an, indem nun Jhwh von einer Wir-Gruppe zur vergeltenden Erinnerung aufgerufen wird (זכר יהוה, 137,7). In 137,7 richtet sich der Strafwunsch zuerst gegen die Edomiter ()לבני אדום, die als Zaungäste zur Zerstörung Jerusalems aufhetzen. Das eigentliche Verwüstungshandeln wird in 137,8f. der Tochter Babel (בת בבל, 137,8) angelastet und der Ruf nach Vergeltung gipfelt in 137,9 in einer Seligpreisung desjenigen, der die Kin-
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SEYBOLD, HAT I/15, 510. So GUNKEL, Psalmen, 579; RABE, Hand, 448; erwägungsweise auch SEYBOLD, HAT I/15, 510. Anders interpretiert B ERLIN, Psalms, 69, den Wechsel von Zion zu Jerusalem dahingehend, dass mit der Zerstörung Jerusalems der Gottesdienst im Tempel mit den Zionsliedern nun durch die Erinnerung an Jerusalem abgelöst werde. 163 Vgl. die Kritik von ZENGER , HThK.AT III, 693. 164 So urteilt auch HARTBERGER , An den Wassern, 222: „Die Weigerung, von Zion zu singen, bedeutet kein die Vergangenheit verdrängendes Vergessen.“ 165 ZENGER , Lieder, 33; DERS., HThK.AT III, 692. 162
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
der Babels am Felsen zerschlägt ()אשרי שיאחז ונפץ את עלליך אל הסלע.166 Dieser dritte Teil nimmt zwar in 137,7 mit dem Imperativ זכרdas Leitwort der vorausgehenden zwei Abschnitte auf, verwendet es aber in 137,7 nicht für das Zionsgedenken des Volkes, sondern als mahnende Aufforderung an Jhwh, sich an die Zerstörung Jerusalems zu erinnern. Der Erinnerungsvollzug hat hier keinen Wert an sich, sondern ist Mittel zum (Rache-)Zweck. Darüber hinaus stellt sich der Psalm in der Abgrenzung 137,1–6 als poetisch und inhaltlich weitgehend geschlossene Einheit dar, die mit der Partikel עלeinen Bogen von der Trauer im Exil zum freudigen Erheben Jerusalems schlägt (על נהרות בבל, 631,1 / על ראש שמחתי, 137,6). Diese Beobachtungen sprechen für einen Grundbestand in 137,1–6, der sekundär durch das Gerichtswort in 137,7–9 erweitert worden ist. 167 Die Fortschreibung kann als literarische Nachinterpretation gelesen werden, in der aus dem fremden Erdboden (על אדמת נחר, 137,4) in Babylon (בבל, 137,1) der Rachewunsch gegen die exemplarischen Feindmächte Edom (אדום, 137,7) und Babel (בת בבל, 137,8) herausgelesen wird. 168 Während der ursprüngliche Psalm darüber reflektiert, wie in der Ferne des Exils die heilvolle Beziehung zu Zion-Jerusalem gestaltet werden kann, wird das Stück mit der Erweiterung um 137,7–9 zum „Lied der ‚Gotteserinnerung‘“, 169 in dem Gott als vergeltender Richter angerufen wird. Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, welche redaktionsgeschichtliche Funktion Psalm 137* (137,1–6) an seiner literarischen Position in der Buchwerdung des Psalters zukommt. Auf den ersten Blick verbindet den überschriftslosen Psalm nur wenig mit seinen Nachbarn, so dass es seine 166
Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem in 137,9 verwendeten Bild vgl. ausführlich A. MICHEL, Gott, 162–199. Traditionsgeschichtlich ist hinter dem Rachewunsch neben verbreiteter Kriegspraxis die Vorstellung zu vermuten, dass mit der angestrebten Kinderlosigkeit der Tochter Babels auch das Ende ihrer Gewaltherrschaft ü ber Jerusalem assoziiert wird. Zum literarischen Hintergrund sind insbesondere die Gerichtsankünd igungen gegen Babel in Jer 50f. heranzuziehen; vgl. ausführlich HARTBERGER , An den Wassern, insbes. 224–226, sowie A. MICHEL, Gott, 185–187.192f., und ZENGER , Lieder, 39f. Während Babel in Jer 51,20 als Hammer ( )מפץdas Gericht Gottes vollzieht, richtet sich das Ergreifen ( )נפץder Kinder in Ps 137,9 spiegelbildlich gegen das vormalige Gerichtswerkzeug Babel. 167 Zu den Argumenten, die für eine Primärfassung des Psalms in 137,1–6 sprechen vgl. ausführlich A. MICHEL, Gott, 165–176, der sich dann allerdings weniger überzeugend für eine zweistufige Fortschreibung in 137,7.8f. ausspricht. Zu einem ursprüngl ichen Textbestand in 137,1–6 vgl. auch erwägungsweise SEYBOLD, HAT I/15, 510f., sowie ZENGER , HThK.AT III, 688; dagegen spricht sich KÖRTING, Zion, 81, für die Einheitlichkeit des Psalms aus. LEUENBERGER , Konzeptionen, 322f., findet literarische Nacharbeit in 137,1b.3b, was zwar möglich, aber nicht unbedingt zwingend erscheint. 168 Zur Wiederaufnahme von אדמהin der Bezeichnung der Feindmacht אדוםvgl. auch A. MICHEL, Gott, 174. 169 ZENGER , Lieder, 49.
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Berechtigung hat, wenn in der Literatur die isolierte Stellung von Ps 137 hervorgehoben wird. 170 Dennoch leitet der Psalm in synchroner Perspektive als „Brückentext“ 171 von der vorausgehenden Komposition der Wallfahrtspsalmen mit dem geschichtlichen Hallel (Ps 120–134.135f.) zu der nachfolgenden David-Sammlung (Ps 138–144[145]) über, so dass zu vermuten ist, dass er bewusst an dieser Stelle positioniert worden ist. In Bezug auf seinen vorherigen Kontext geht Psalm 137* hinter die Geschichtsdarstellung von Ps 135f. zurück, indem er erneut die Exilssituation thematisiert, die mit der Ankunft am Zion in 135,21 und der Landnahme in 136,21f. bereits überwunden schien. Danken die Beter in 136,23f. Gott dafür, dass er ihrer in ihrer Niedrigkeit gedacht (שבשפלנו זכר לנו, 136,23) und sie ihren Feinden entrissen hat, setzt Ps 137* neu mit der Notlage derjenigen ein, die sich immer noch im Exil befinden und der Rettung aus ihrer Gefangenschaft erst bedürfen.172 Der Psalm leitet dabei mit dem formalen Umschwung von der nationalen Katastrophe (137,1–4) zum Schwur eines exemplarischen Individuums (137,5f.) von der nationalen Perspektive der Geschichtspsalmen 135f. zur individuellen Perspektive über, die die nachfolgende fünfte Sammlung von Davidpsalmen (Ps 138–144[145]) prägt. Dies lässt vermuten, dass Ps 137* auch in redaktionsgeschichtlicher Hinsicht als literarisches Scharnier für die Anfügung der Komposition Ps 138–144(145) nach dem zwischenzeitlichen Abschluss durch Ps 136 formuliert worden ist. Vor diesem Hintergrund bekommt das in Ps 137 beschriebene Exilsgeschick des Volkes eine tiefere Sinndimension. Bezogen auf die durch das geschichtliche Hallel erweiterte Komposition der Wallfahrtspsalmen ( )שיר המעלותin Ps 120–134.135f. erscheint nicht die räumliche Ferne vom Zion als das eigentliche Problem, sondern vielmehr die damit verbundene Unmöglichkeit der Wallfahrt. 173 In der Situation des Exils ist für das Volk nur trauerndes Angedenken an den Zion möglich, da 170 Vgl. KOCH, Psalter, 258: „Außerhalb eines übergreifenden Textgefüges steht 137.“ Ebenso auch B ALLHORN, Telos, 259: „Daß er weder über Überschrift noch über Rahmung verfügt, läßt ihn in seiner Umgebung zum Einzelstück werden […] Auf diese We ise stellt sich Ps 137 als Psalm sui generis dar.“ 171 Vgl. zu diesem Begriff ZENGER , HThK.AT III, 688.697, der allerdings vermutet, dass eine unabhängige Primärfassung 137,1–6 bei ihrer Einstellung in den Psalter als „Brückentext“ von der dafür verantwortlichen Redaktion um 137,7–9 erweitert worden ist; dagegen wird die verknüpfende Funktion hier hauptsächlich der Erweiterung zug eschrieben; vgl. dazu auch u. Anm. 177. Zur redaktionsgeschichtlichen Funktion von Ps 137 als Einleitung der Davidpsalmen 138–145 siehe auch KRATZ, Sch ema‘, 632f. 172 Zur Beziehung zwischen Ps 136,23f. und der Notsituation in Ps 137 vgl. auch KOCH, Psalter, 258, und LEUENBERGER , Konzeptionen, 322 („so ist 137 im Geschichtsabriß 136 im Vorgang V.23f verortet“). 173 Vgl. auch die Beobachtung von KÖRTING, Zion, 83: „Mit dem Rückgriff auf die Situation der Exilsgemeinde in Babylon wird deutlich, daß der Lobpreis Jhwhs auf dem Zion keineswegs selbstverständlich ist.“
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die Israeliten die Zionslieder ( )שיר ציוןnicht in die Praxis der Pilgerfahrt umsetzen können. Einen Ausweg aus diesem Problem zeigt der Schwur des exemplarischen Beters in 137,5f. auf. Dieser führt die Wallfahrt ( )המעלהspirituell durch, indem er Jerusalem zu seiner höchsten Freude ‚erhebt‘ (אעלה, 137,6) und den Aufstieg zum Heiligtum im Gebet vollzieht. In dieser Perspektive wird das anschließende Gotteslob der Davidkomposition in Ps 138–144(145) zur exemplarischen Durchführung der spirituellen Wallfahrt, wie sie in Ps 137* vorgesehen ist. Der ursprüngliche Psalm 137* kann deshalb redaktionsgeschichtlich als literarischer Reflex auf die Komposition aus den Wallfahrtspsalmen mit dem anschließenden geschichtlichen Hallel Ps 120–134.135f. gelten. 174 Bieten die Zwillingspsalmen 135f. eine Nationalisierung bzw. Historisierung der Wallfahrt zum Zion, stellt Ps 137* eine Individualisierung und Spiritualisierung der Pilgerfahrt dar. Das babylonische Exil wird zum historischen Paradigma für die Situation derjenigen, die wallfahren wollen, es aber nicht können, weil sie sich in der Diaspora außerhalb des Landes befinden. Stellvertretend für diese bekennt der Beter in 137,5f. seine Verbundenheit mit dem Zion und vollzieht die Wallfahrt als spirituellen Akt des Intellekts. Im Wachstum des Psalters relativiert der Autor von Ps 137* damit im Nachhinein die umfassende Heilsperspektive am Ende von Ps 136, indem er festhält, dass die kollektive Erfahrung des Exils als Fernsein vom Zion weiter andauert, auch wenn sie vom Einzelnen im Gebet überwunden werden kann. 175 Mit dieser Interpretation bereitet der Autor von Ps 137* zugleich den Anschluss der fünften David-Sammlung Ps 138–144(145) vor, in der David die Rolle des exemplarischen ‚Ich‘ aus Ps 137 übernimmt und das Festhalten am Zion in seinem Gotteslob demonstriert. Diese redaktionsgeschichtlichen Bezüge werden rückwärtig am Eingangspsalm der Sammlung, Ps 138, sichtbar. So ist der Beginn von Ps 138 durch eine Reihe von Stichworten und Motiven mit dem geschichtlichen Hallel in Ps 135f. verbunden: 176 Der Selbstaufruf zum Dank (אודך, 138,1) entspricht dem Ein174 Vgl. zu dieser Einordnung von Ps 137 MILLARD, Komposition, 79 („Kommentar zu den Wallfahrtspsalmen“); ZENGER , Komposition, 112 („theologischer Kommentar zu den Zionspsalmen 120–136“); KÖRTING, Zion, 83 („bietet Ps 137 eine Reflexion des gesamten Korpus der Wallfahrtspsalmen“). 175 Vgl. das Urteil von KRATZ, Tora, 26, über die drei Abschnitte des fünften Psalmenbuches (107–117/118–135/136–150) in der Sicht der doxologischen Rezeption: „In ihnen sieht sie den Zustand des ‚Exils‘, der als nationales und kollektives Problem a ndauert (vgl. Ps 137), jedenfalls für den einzelnen überwunden“. Einen anderen literar ischen Sitz im Leben für Ps 137 vermutet SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 116–122, der den Psalm in die Exilszeit einordnet und hier „die tiefste Depression des Jahweglaubens“ (SPIECKERMANN, a.a.O., 121) markiert sieht. 176 Zu den Verbindungen vgl. ZENGER , HThK.AT III, 699.
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gang von Ps 136 ( הודה, 136,1–3.26), während der Kohortativ ‚( אזמרךich will dir singen‘, 138,1) den imperativischen Anfang von Ps 135 aufnimmt (זמרו, 135,3). Das Lob des göttlichen Namens (138,2; vgl. 135,1.3) hat dabei ebenso eine Parallele im geschichtlichen Hallel wie die Rede von Gottes Gnade (חסדך, 138,2; vgl. 136 passim), die in Ps 138 das Gotteslob motiviert. Während die Beter in 136,23 den Gott loben, der ihrer in ihrer Niedrigkeit ( )שבשפלנוgedacht hat, preist David in 138,6 die Herrlichkeit Jhwhs, der sich dem Niedrigen ( )שפלzuwendet. Schließlich befindet sich David nach 138,2 vor dem heiligen Tempel ( )אל היכל קדשךund damit an dem Ort, den das Volk in 135,21 erreicht hat und dessen Ferne die Exilierten in 137,1 beklagen. Auf diese Weise wird im Ablauf der Psalmen 135f.; 137* und 138ff. in literarhistorischer Sicht eine Rezeptionslinie eröffnet, in der – ausgehend von der Ankunft des Volkes am Zion in 135,21 – die andauernde Situation des Exils als Ferne vom Zion problematisiert und einer Lösung zugeführt wird. Diese Überlegungen zeigen, dass Ps 137 bereits im Grundbestand 137,1–6 als Reflexionstext auf den literarisch und redaktionell vorhergehenden Kontext Ps 120–134.135f. bezogen ist und zugleich den Anknüpfungspunkt für die Erweiterung des Psalters durch die fünfte David-Sammlung bietet. Die sekundäre Fortschreibung des Psalms um 137,7–9 verstärkt die vorliegenden Verbindungen zum geschichtlichen Hallel.177 So kann zuerst das in Ps 135 gezeichnete Gottesbild von Jhwh als eines schlagkräftigen Gottes im Hintergrund des Rachewunsches gegen Edom und Babel 137,7–9 vermutet werden. Darüber hinaus ruft der Redaktor mit der Aufforderung an Gott, den Feinden zu gedenken (זכר, 137,7), die Rettung des Volkes aus der Not 136,23 in Erinnerung ( )שבש פלנו זכר לנוund bittet so nachdrücklich um eine Wiederholung des Rettungshandelns von göttlicher Seite. Mit diesem ‚letzten‘ Geschichtspsalm 137 ist die Rezeption der biblischen Geschichte im Psalter zwar an ein Ende gekommen, das Thema wirkt aber weiterhin nach. In die literarische Nachgeschichte des geschichtlichen Hallels kann vor allem der letzte Fortschreibungsschub des Psalters mit dem gewaltigen Schluss-Hallel in Ps 146–150 eingeordnet werden, der auf 177
Der Konnex zwischen dem dritten Abschnitt in 137,7–9 und dem vorhergehenden literarischen Kontext von Ps 137 ist mehrfach beobachtet worden: So vermutet A. MICHEL, Gott, 184, dass 137,8f. im Zusammenhang mit 136,24f. eingetragen worden sind, während KÖRTING, Zion, 83, urteilt: „Ohne den Schluß in Ps 137,7ff. stünden Ps 137,1–6 und die Ps 135 und 136 einander unvereinbar gegenüber“. ZENGER , HThK.AT III, 688, will 137,7–9 auf die Redaktion zurückführen, die den Primärpsalm 137,1 –6 als „Brückentext“ zwischen den Zionspsalter Ps 2–136 und den von dieser Redaktion angeschlossenen fünften Davidpsalter Ps 138–145 eingestellt habe (vgl. dazu auch o. Anm. 171). Bei diesen Einordnungen wird aber m.E. übersehen, dass bereits der Textbestand des hier als Grundpsalm abgegrenzten Psalms 137,1–6 mit der spirituellen Interpretation der Wallfahrt als Reflex auf die Komposition Ps 120–134.135f. zu verstehen ist.
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Kapitel V: Das geschichtliche Hallel Psalm 135 und 136
den Abschluss in 136,23–26 zurückgreift. Bietet die göttliche Brotgabe in Ps 136,25 einen noch etwas dürftigen Vorschein des Reiches Gottes als Zielpunkt der Volksgeschichte, entfaltet das Schluss-Hallel diese Vorstellung in einer umfassenden Darstellung der universalen Königsherrschaft Gottes.
5 Ergebnis 5 Ergebnis
Das geschichtliche Hallel in Ps 135 und 136 konnte im Voranstehenden als geschichtlicher Ziel- und Endpunkt in der Wachstumsgeschichte des Psalters beschrieben werden, von dem aus der Weg literarisch nur noch in das Reich Gottes führt. Dabei setzt zuerst der vermutlich auf die TodaRedaktion zurückgehende Dankpsalm 136 einen vorläufigen Abschluss unter den Psalter. In einer Imitation des literarhistorisch vorausgehenden Buchabschlusses in Ps 104–107 (vermutlich noch ohne Ps 106) enthält er einen umfassenden Dank für Gottes in der Geschichte wirksame Gnade und verlängert die Heilsperspektive um den Aspekt der lebenserhaltenden Schöpfertätigkeit Gottes. Dabei integriert der Dankpsalm auch die Sammlung der Wallfahrtspsalmen 120–134 in diese Buchgestalt, die in Ps 136 eine nationale und historisierende Interpretation erfahren. In einer nachfolgenden Überarbeitung löst der Hallel-Psalm 135 mit dem hymnischen Lobpreis der Knechte im Heiligtum den vorausgehenen Psalm 136 als Abschluss des Wallfahrtspsalters ab. Der Hymnus bietet eine Exegese des Gottesbildes von Ps 115 und exponiert die Machttaten Gottes in Kosmos, Exodus und Landnahme als Beispiele für Jhwhs Allmacht. Indem er nach eigenem Gutdünken handelt, wie es ihm gefällt (135,6), erweist Jhwh seine Überlegenheit gegenüber den Götzen der Völker und offenbart sich zugleich seinem Volk. Auf diese Weise schafft der Autor des Psalms einen neuen Hallel-Schluss in Ps 135, durch den gleichzeitig Ps 136 frei wird, um als Kopfstück eine neue Ausbaustufe des Psalters zu eröffnen. Den literarischen Anknüpfungspunkt für diese Ausbaustufe bietet der geschichtliche Reflexionstext in Ps 137, der als Scharnierstück den fünften Davidpsalter an die vorliegende Komposition Ps 120–134(135f.) anbindet. Mit der Einspielung des Exils, das im geschichtlichen Hallel Ps 135f. bereits überwunden schien, problematisiert der Psalm die Situation der andauernden Diaspora als individuelle Notlage und spitzt diese auf die Frage zu, wie der Einzelne in seiner ‚Exilsferne‘ die Wallfahrt zum Zion vollziehen kann. Mit der Vorstellung des spirituellen Aufstiegs im Gebet eröffnet der exemplarische Beter von Ps 137 eine individuelle Heilsperspektive und leitet zur David-Sammlung über, die in dieser Deutungsperspektive als Paradigma für die Zions-Wallfahrt im Gebet gelesen werden will.
Kapitel VI
Geschichte im Gebet Am Anfang dieser Studie stand eine dreifache Fragestellung, die die vorangehenden Textanalysen im Hauptteil geleitet hat. 1 So lag das Hauptaugenmerk zuerst auf der Profilierung der Rezeptionsvorgänge, in denen die erzählende Überlieferung in den untersuchten Geschichtspsalmen aufgenommen und verarbeitet worden ist. In einer psalterredaktionellen Perspektive ist diese Frage im zweiten Schritt auf den literarischen Kontext der jeweiligen Texte ausgeweitet worden, um zu klären, welche Bedeutung diesen Rezeptionsprozessen in der Entstehung des Psalterbuches zukommt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Geschichtspsalmen zwar in je unterschiedlicher Weise auf die erzählende Überlieferung zurückgreifen, dass sie aber darin übereinstimmen, dass die literarische Rezeption jeweils durch eine hermeneutische Intention gesteuert wird. Die Geschichtsrezeption erschöpft sich nicht in einer bloßen Rekapitulation der Ereignisse aus den Geschichtsbüchern, sondern der biblischen Geschichte wird eine Gegenwartsbedeutung für die Psalmbeter und Psalmleser zugeschrieben. Im Folgenden wird es deshalb in Aufnahme der dritten Frage zuerst darum gehen, den exegetischen Befund unter dem Aspekt zusammenzufassen, welchen Ort die Geschichtspsalmen in der Theologie- und Literaturgeschichte Israels haben (Kap. 1). Mit den Geschichtspsalmen des Psalters ist die Verbindung von Geschichte und Gebet aber nicht an ein Ende gekommen, sondern am Beispiel von Neh 9 soll im zweiten Abschnitt die literarische Nachgeschichte des Phänomens dargestellt werden (Kap. 2). Ein kurzer Ausblick, der den Ertrag der Studie bündelt und Anknüpfungspunkte aufzeigt, schließt die Untersuchung ab (Kap. 3).
1
Vgl. dazu o. Kap. I. 2.
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Kapitel VI: Geschichte im Gebet
1 Geschichte, Gebet und Identität 1 Geschichte, Gebet und Identität
Mit den Textanalysen im vorausgehenden Hauptteil liegt eine detaillierte Beschreibung des literarischen Phänomens der Verbindung von Geschichte und Gebet vor. Dabei ist gezeigt worden, dass die untersuchten Psalmen in eine redaktionsgeschichtliche Linie eingeordnet werden können, die von Ex 15 bis zu Ps 137 reicht. Diese fortlaufende Auslegungsgeschichte weist darauf hin, dass die Texte von den antiken Autoren als ‚zusammengehörig‘ erkannt worden sind, so dass sich konsequenterweise die Frage stellt, wo diese Textgruppe ihren Ort in der Theologie- und Literaturgeschichte Israels bzw. des werdenden Judentums hat. Oder kurz gefragt: Wie kann das literarische Phänomen erklärt werden und wo gehören diese Texte hin? Auch wenn in der Forschungsgeschichte immer wieder ein kultischer Sitz im Leben vorgeschlagen worden ist, 2 erscheint diese Option fraglich. Zuerst hat der Befund gezeigt, dass die Geschichtspsalmen die biblische Überlieferung in einem weit fortgeschrittenen Wachstumsstadium voraussetzen. Da sowohl die priesterschriftliche wie auch die nichtpriesterschriftliche Geschichtsschreibung rezipiert werden, weist dies auf eine Datierung in die nachexilische Zeit hin. Hier stehen wir aber vor dem Problem, dass unser Wissen über den Kult am Zweiten Tempel begrenzt ist.3 Es gibt weder in der Hebräischen Bibel noch durch externe Quellen belegte Anhaltspunkte für ein Fest oder ein kultisches Ritual, das die Vergegenwärtigung der biblischen Geschichte in den Mittelpunkt stellt. 4 Darüber hinaus sind keine Paralleltexte im Alten Orient bekannt, die einen vergleichbaren Gebrauch der Geschichte im kultischen Kontext bezeugen. Damit müssen jegliche Erwägungen über einen kultischen Sitz im Leben für die Geschichtspsalmen spekulativ bleiben. Auf sicherem Grund bewegt sich die Untersuchung hingegen mit den Ergebnissen der Textanalysen im Hauptteil, die gezeigt haben, dass die Geschichtspsalmen als Buchtexte für ihren jeweiligen literarischen Kontext abgefasst worden sind. Dies legt einen literarischen Verwendungszusammenhang für die Geschichtspsalmen nahe, so dass versuchsweise von einem ‚Sitz im Buch‘ für diese Textgruppe auszugehen ist.5 Auf die richti2
Vgl. dazu o. Kap. I. 2. Siehe dazu GRABBE, History, 216–237; KRATZ, Israel, 72–78; ähnlich behandelt bereits DONNER , Geschichte II, 467–473, die Jahre von Nehemia und Esra bis zu Alexander dem Großen unter der Überschrift „Das dunkle Jahrhundert“. Mit größerem Zutrau en zur Historizität der biblischen Texte beschreibt SASSE, Geschichte, 52–57, die Wiedererrichtung des Zweiten Tempels und den regelmäßigen Kult in dieser Zeit. 4 Zur ‚Bußfeier‘ in Neh 9 vgl. u. Kap. 2 . 5 Vgl. die Vorüberlegungen von GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 28. Zur Beschreibung des Phänomens ‚schriftlicher‘ Gebete in der Zeit des Zweiten Tempels siehe auch die Studien von HANS-P ETER MATHYS und J UDITH H. NEWMAN, die aber m.E. beide keine 3
1 Geschichte, Gebet und Identität
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ge Spur führt die Beobachtung, dass der Rezeption der biblischen Geschichte in den untersuchten Psalmentexten jeweils eine identitätsstiftende bzw. identitätsbewahrende Funktion zukommt.6 Die erzählende Überlieferung wird nicht als Bericht über längst Vergangenes dargeboten, sondern sie wird in ihrer Gegenwartsrelevanz für die Psalmbeter bzw. Psalmleser rezipiert. Diese These ist im Folgenden in einer Zusammenfassung des exegetischen Befunds weiter zu substantiieren. Die Untersuchung hat gezeigt, dass das literarische Phänomen von Geschichte und Gebet bzw. Geschichte im Gebet seinen Anfang beim Miriam- und Meerlied in Ex 15 nimmt, das den literarischen Geburtsort für die Verbindung darstellt. 7 Ausgangspunkt der literarischen Genese ist der Miriamhymnus, der in Ex 15,20f.* vom Verfasser der vorpriesterschriftlichen Exoduserzählung aufgenommen und in die Überlieferung eingebaut wird. Im Anschluss an die Darstellung des Meerwunders in Ex 13,17–14,31 gibt der Lobpreis der Miriam dem Geschehen am Schilfmeer eine psalmentheologische Ausdeutung, indem der Sieg über das ägyptische Heer als Machttat des Gottkönigs Jhwh besungen wird. Auf den weiteren literarischen Wachstumsstufen wird der ursprünglich situationsbedingte Lobpreis der Miriam zum Lied des Mose und schließlich zum Dankpsalm ausgebaut, der in seinem Ereignisbogen weit über das literarische setting im Kontext hinausgeht. Den Anfang macht das ursprüngliche Meerlied des Mose (Ex 15,1*.3.6–8aa.b.9–11a), das als schriftgelehrte Exegese des Miriamliedes einen doppelten literarischen Rückraum hat: Durch die Bezüge auf den Psalter wird das Bild Jhwhs als Chaoskämpfer und Gottkönig weiter ausgemalt, während die Verbindungen auf den direkten literarischen Vorkontext das Meerlied weiter in der Exoduserzählung verankern. Mit der Fortschreibung um Ex 15,13.17–19 wird der Zug zum Zion ergänzt, wo Jhwh sein Volk einpflanzen und als König herrschen wird. Die nachfolgenden Erweiterungen in 15,11b–12 und 15,8ab.14–16 ergänzen Anspielungen auf die Ereignisse der Wüstenwanderung und den Eisodus, der mit dem Exodus verschmolzen wird. Auf diese Weise entsteht in Ex 15 ein mythisch ausgedeuteter Geschichtsabriss vom Exodus bis zum Zion, befriedigende Antwort auf die Frage geben, was sich hermeneutisch vollzieht, wenn die literarische Überlieferung ins Gebet überführt wird. NEWMAN, Praying, 205-210, lässt diesen Punkt offen, während MATHYS, Dichter, 317-321, zu dem Ergebnis kommt, dass sich die poetischen Gattungen Psalmen, Doxologien und Gebete in besonderem Maße zur theologischen Reflexion eigneten und auch deshalb eingesetzt würden, da der Ga ttungswechsel den Abstand zum auszulegenden Text verdeutliche (vgl. zusammenfassend MATHYS, a.a.O., 317–321); hierbei bleiben m.E. aber die spezifischen Merkmale des Psalmgebetes als einer kultischen Textform unterbestimmt. 6 So auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 10–29.382–384, die diese Beobachtung allerdings bereits als Prämisse im Eingang ihrer Studie formuliert. 7 Vgl. dazu o. Kap. II.
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Kapitel VI: Geschichte im Gebet
der auf die Einpflanzung des Gottesvolkes am Gottesberg und Jhwhs Königsherrschaft zuläuft. Schließlich macht die Einzelverseinschreibung in Ex 15,2 den hymnischen Lobpreis von Miriam- und Meerlied zu einem Dankpsalm des Mose für die erfahrene Rettung. Mose wird darin zum exemplarischen Psalmbeter, dessen Vertrauenslied von jedem Leser und Beter als Dank für die persönlich erfahrene Rettung angeeignet und vollzogen werden kann. Die Einfügung von Ex 15,2 ist dabei eng mit der Literargeschichte des Ägyptischen Hallels in Ps 113–118* verknüpft und hat in ihrer Nachgeschichte die Historisierung der Sammlung durch die Einfügung des Exodusstückes Ps 114 zur Folge; 8 dies wird im Folgenden noch zu zeigen sein. Theologiegeschichtlich ist im literarischen Wachstum von Ex 15 eine doppelte Entwicklung zu beobachten: Zum einen kommt es zur Historisierung des Mythos, indem das Bild Jhwhs als des Chaoskämpfers zur Interpretation des Sieges über die Heermacht Ägyptens herangezogen wird. Dabei bieten sich Exodus und Eisodus in besonderer Weise an, da der mythische Kampf Jhwhs gegen den Meeresgott Jam auf die Wasserwunder der biblischen Geschichte übertragen werden kann. In der Historisierung des Mythos wird der Meeresgott Jam zu den Meeresfluten, die als Mittel gegen die menschlichen Feinde eingesetzt werden. Zum anderen findet eine Mythisierung der Geschichte statt, da die biblische Geschichte als Gründungsgeschehen in gewisser Weise ‚entzeitlicht‘ wird: Die Erzählung über das Meerwunder verbindet sich mit der Psalmentheologie, transzendiert den Erzählrahmen der Exoduserzählung und wird so zum Gründungsmythos des Gottesvolkes. Bietet das Gotteslob des Meerliedes bereits im Mund des Mose als des exemplarischen Beters Identifikationspotential für den Einzelnen, überführt die kleine Glosse in Ex 15,2 den Hymnus endgültig in ein Psalmengebet des Einzelnen. In der geschichtlichen Rettung des Gottesvolkes ereignet sich das Paradigma für die Rettung des Einzelnen, für die der Beter Dank sprechen kann. Auf diese Weise entsteht in Ex 15 aus einem kurzen, situationsbedingten Lobpreis Gottes für die Rettung im Meerwunder sukzessive der erste Geschichtspsalm, der zum literarischen Ausgangspunkt für die Entwicklung im Psalter wird. Das Miriam- und Meerlied Ex 15 stellt auf diese Weise nicht nur den literaturgeschichtlichen Schlüsseltext für die Geschichtspsalmen dar, sondern es erweist sich auch in hermeneutischer Perspektive als solcher, indem seine literarische Genese exemplarisch die Transformation der biblischen Geschichte in das Psalmengebet abbildet. Mit Ps 78 und Ps 114 gibt es zwei Texte im Psalter, die deutlich auf Ex 15 bezogen sind und die Exoduspoesie in unterschiedlicher Form verarbei8
Vgl. dazu o. Kap. II. 2.4.
1 Geschichte, Gebet und Identität
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ten. Das relative Verhältnis dieser zwei Geschichtspsalmen ist allerdings schwer zu bestimmen, da keine literarischen Verbindungen zwischen den beiden Texten vorliegen. Festzuhalten ist zuerst, dass die Einfügung des Exodusstückes Ps 114 in die Sammlung des Pessach-Hallels Ps 113–118* auf die (relativ späte) Einschreibung von Ex 15,2 in das Meerlied reagiert, das damit von Ps 114 in seiner literarischen Endgestalt vorausgesetzt wird.9 Darüber hinaus wird der Psalm als jüngstes Stück in die Sammlung des Pessach-Hallels eingeschrieben, das in seinem Grundbestand die durch Ps 107 eröffnete Ausbaustufe des Psalters in Ps 107–118* abschließt.10 In dieser Ausbaustufe sind die Psalmen 105f. vermutlich bereits enthalten, die ihrerseits Ps 78 kennen und verarbeiten.11 Dies spricht für die literarhistorische Priorität von Ps 78 vor Ps 114. Da Ps 114 eindeutig im geschichtlichen Hallel Ps 135 und 136 vorausgesetzt ist, 12 ist diesem Psalm ein literarhistorischer Ort zwischen Ps 78; 105f. auf der einen Seite und Ps 135f. auf der anderen Seite zuzuweisen, so dass Ps 114 im Anschluss an Ps 105f. zu behandeln und zuerst Ps 78 in den Blick zu nehmen ist. Psalm 78 bildet den Mittelpsalm der Asaph-Sammlung in Ps 73–83, zu der auch der sammlungsexterne Psalm 50 zu zählen ist. Mit dem Grundpsalm 78*13 liegt eine weisheitlich geprägte Lehrrede vor, die – ähnlich wie das Meerlied Ex 15 – einem mosaischen Sprecher in den Mund gelegt wird. In der Tradition der dtn.-dtr. Kinderunterweisung soll die Lehrrede der Unterweisung der kommenden Generationen in Sachen Geschichte Israels dienen.14 Das Anschauungsmaterial sind die als störrisch und widerspenstig charakterisierten Vorväter, deren wiederholter Abfall von Gott in der Geschichte den gegenwärtigen Psalmbetern als abschreckendes Beispiel vor Augen geführt wird. Dabei bietet Ex 15 den konzeptionellen Rahmen für die Geschichtsdarstellung in Ps 78*, die in Aufnahme der Reiseroute des Meerliedes einen Geschehensbogen von Ägypten bis zum Zion ausspannt. Sind die Ereignisse in Ex 15 aber ungebrochen Anlass für den hymnischen Lobpreis Jhwhs, beschreibt Ps 78* die Ereignisse als Sündengeschichte. Es gehört zu den Rätseln der Vorzeit (78,2), die der Psalm exponieren will, dass das Volk auf die wiederholten Gnadenakte Jhwhs mit fortwährendem Abfall reagiert. Als Kriterium für die Sünde Israels dient das (dtn.-dtr.) Gesetz, dessen Einsetzung als Gründungsgeschehen aber im Proömium berichtet wird (78,5) und das somit von Beginn der Geschichte an als ethischer Maßstab präsent ist. Gegenüber Ex 15 fällt auch eine ent9
Vgl. dazu o. Kap. II. 2.3. und 2.4. Vgl. dazu o. Kap. II. 2.4. 11 Vgl. dazu o. Kap. IV. 3.1. und 4.3. 12 Vgl. dazu o. Kap. V. 4.1. und 4.2. 13 Zur literarischen Analyse vgl. o. Kap. III. 2. 14 Vgl. dazu o. Kap. III. 3. 10
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Kapitel VI: Geschichte im Gebet
scheidende Modifikation der Reiseroute auf, da der Zion sozusagen nur über den Umweg über das Schilo-Heiligtum erreicht wird. Endet die Führung des Volkes im Meerlied Ex 15 direkt am Gottesberg, findet die Heiligtumsgründung auf dem Zion in Ps 78 erst als Konsequenz aus dem Abfall Israels im Land statt, der die Preisgabe Schilos und das Gericht über Israel nach sich zieht. In dieser heilsgeschichtlichen Abfolge von Schilound Zions-Heiligtum artikulieren sich pro-judäische Restaurationshoffnungen der nachexilischen Zeit, die auf die geschichtlich legitimierte Erwählung des Zions zusammen mit Juda und David gerichtet sind. Auf diese Weise wird der literarischen Überlieferung über die Zeit im Land eine Bedeutung für die nachexilische Lebenswirklichkeit zugeschrieben. Die theologische Bedeutung von Psalm 78 erschließt sich aus seiner besonderen Form als einer didaktischen Lehrrede, in der die Geschichte zum Mittel der Lehrunterweisung wird. Die identitätsstiftende Funktion des Psalms liegt dabei in der Abgrenzung von den geschichtlichen Vorvätern, die als abschreckendes Beispiel angeführt werden, dem die Psalmbeter nicht folgen sollen (78,8). Vielmehr wird die Sünde der Vätergeneration in Form der Nichtbefolgung des Gesetzes zum Negativspiegel des von den Psalmbetern geforderten Verhaltens. Die Besonderheit von Ps 78 liegt dabei darin, dass der Prozess der geforderten Traditionsweitergabe mit der sekundären Ergänzung in 78,3–4a in der Einleitung des Psalms selbst reflektiert wird. 15 In dieser geschichtshermeneutischen Programmatik ergreift die Sprechergruppe des Psalms das Wort und stellt sich selbst in den Prozess der gelungenen Traditionsweitergabe ein. Die Psalmbeter vollziehen so aktiv den Prozess der Geschichtsrezeption und können als Teil des Gottesvolkes dazu beitragen, dass das mahnende Beispiel der Vorväter an die kommenden Generationen weitergegeben wird. Diese geschichtshermeneutische Einführung macht Ps 78 im Psalmenbuch zum Programmtext der Geschichtspsalmen, in dem der Rezeptionsprozess reflektiert und die Gegenwartsrelevanz der biblischen Geschichte in Worte gefasst wird. Auf diese Weise gibt der Text auch eine Leseperspektive für die in den anderen Buchteilen nachfolgenden Geschichtspsalmen vor. In Bezug auf den psalterredaktionellen Ort von Ps 78 ist gezeigt worden, dass Ps 78 als Schlüsselpsalm die vorliegenden Geschichtsreferenzen der Asaph-Sammlung bündelt und diese zu einem linearen Geschichtsabriss ausbaut. Die Bedeutung von Ex 15 als des literarischen Paradigmas der Verbindung von Geschichte und Gebet wird daran deutlich, dass auch die Geschichtsrezeption der übrigen Asaph-Psalmen bereits von diesem Text geprägt ist. 16 Die Psalmen 74; 76 und 80 zeigen durch eine Reihe von literarischen und motivlichen Verbindungen an, dass sie in die Nachge15 16
Vgl. dazu o. Kap. III. 2. Vgl. dazu o. Kap. III. 4.2.
1 Geschichte, Gebet und Identität
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schichte des Meerliedes einzuordnen sind. Sie rezipieren die Vorstellung vom Exodus als einer heilsgeschichtlich qualifizierten Vorzeit, bei der die Beter Jhwh in ihrer Bitte um Notrettung behaften können. Die literarisch jüngeren Psalmen 77 und 79 aktualisieren das Rettungsparadigma für die Situation anhaltender Not (Ps 77) bzw. für die Fremdvölkerbedrohung (Ps 79), während Ps 83 auf die Richterzeit als Paradigma der Notrettung zurückgreift. Eine gänzlich eigene Prägung weist dagegen Psalm 81 auf, der in seinem literarischen Wachstum zu einem paränetischen Geschichtsabriss ausgebaut wird, in dem das Erste Gebot als Kriterium für das Verhalten des Volkes fungiert. In diese bereits vorliegende Asaph-Komposition wird Ps 78 als jüngster Text der Sammlung eingeschrieben und schließt mit seinem Geschichtsbogen vom Exodus bis zum Zion die Lücke zwischen der mosaischen Frühzeit im ersten Kompositionsbogen (Ps 74–77) und der Existenz unter den Völkern im zweiten Teil der Sammlung (Ps 79–83).17 Neben dem inhaltlichen Bezug auf Ex 15 bietet der Autor von Ps 78 vor allem eine relecture von Ps 81, indem er die in Ps 81 geforderte Gesetzesobservanz zum hermeneutischen Prinzip der in Ps 78 dargestellten Sündengeschichte erhebt. Auf diese Weise wird das hymnische Gotteslob aus Ex 15 in Ps 78 in eine lehrhafte Geschichtsdarstellung überführt, die im Nachhinein das geschichtliche Argument der früheren Asaph-Psalmen problematisiert. Die Rezeption der Geschichte folgt nicht mehr dem einfachen Zweck, Gott in Erinnerung an die heilvolle Vorzeit zur Notrettung zu bewegen, sondern der Autor von Ps 78 verwendet die biblische Geschichte als literarischen Interpretationsrahmen für die Asaph-Sammlung, deren Einzelklagen nun unter dem Vorzeichen von Israels Sünde in der Geschichte gelesen werden sollen. Auf diese Weise werden die gesamten Asaph-Psalmen nachträglich dem didaktischen Zweck von Ps 78 untergeordnet und dienen der Unterweisung von Psalmbetern und Psalmlesern in ihrer Gegenwart. In der weiteren Entwicklung des Psalters ist Ps 78 auch über die AsaphSammlung hinaus literarisch prägend geworden, wie der Blick auf die Zwillingspsalmen 105 und 106 beweist. Als der ältere Zwilling wird das hymnische Lob des Bundesgottes in Psalm 105 in den literarischen Zusammenhang von Ps 103f. mit Ps 107 eingeschrieben. 18 Ps 105 kollektiviert die vorliegenden individuellen Erlösungsperspektiven aus Ps 103 und Ps 107 und überführt das Lob des Schöpfergottes aus Ps 104 im Anschluss an Ps 78 in die Volksgeschichte. In der Perspektive von Ps 105 gilt die Notrettung nicht mehr dem Einzelnen, sondern dem ganzen Volk, und die schöpfungsgemäße Bewahrung konkretisiert sich jetzt in der geschichtlichen Fürsorge Gottes für sein Volk. Im Vergleich mit Ps 78 geht der 17 18
Vgl. dazu o. Kap. III. 4.3. Vgl. dazu o. Kap. IV. 2. und 4.3.
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Kapitel VI: Geschichte im Gebet
Psalm in der biblischen Geschichte aber weiter zurück und setzt mit dem Abrahambund in der Väterzeit ein (105,8–11), während nachfolgend der Weg des Volkes von Ägypten bis ins Land geschildert wird (105,12–45). Dabei verrät die Darstellung des Bundesschlusses priesterschriftlichen Einfluss, da dieser in Anlehnung an den Abrahambund in Gen 17 ausgestaltet wird und die Gabe des Landes als zentrale Bundesverheißung hervorgehoben ist (105,11). Die Landverheißung fungiert im Psalm als hermeneutischer Schlüssel, da die weiteren Heilstaten Gottes in der Geschichte als Manifestationen seiner Bundestreue dargestellt werden. Dabei wird die Darstellung der biblischen Geschichte aber auf weite Strecken durch den Gegensatz zwischen der Landverheißung und den wiederkehrenden Fremdheitserfahrungen des Volkes bestimmt. Dieses macht zuerst im Land selbst (105,12), danach aber auch in der Sklaverei in Ägypten die Erfahrung des Fremdseins (105,23), während der Aufenthalt in der Wüste schon durch das Fehlen des Leitterminus ‚( ארץLand‘) als Aufenthalt im NichtLand gekennzeichnet ist. Erst die abschließende Notiz in 105,44 berichtet die Erfüllung der Landverheißung, die auf den Gesetzesgehorsam des Volkes zielt (105,45). Mit dieser Geschichtskonzeption erweist sich Ps 105 geradezu als ein Gegenmodell zu Ps 78, insofern die biblische Geschichte nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Didaktik als lehrhafte Sündengeschichte präsentiert wird, sondern der Väterbund als Heilsereignis das Gotteslob begründet. Ist das zentrale Vergehen Israels in Ps 78 der Ungehorsam gegen Jhwhs Gesetz, wird die Gesetzestreue in Ps 105 als logische und damit unproblematische Reaktion auf Jhwhs Bundestreue dargestellt (105,45). Mit dieser Bundeskonzeption reagiert der Verfasser von Ps 105 im Psalterkontext auch auf Ps 89, indem der Abrahambund an die Stelle des Davidbundes tritt, von dessen Scheitern Ps 89 handelt.19 Konsequenterweise übernimmt Ps 105 nicht die davidische Hoffnungsperspektive aus Ps 78, sondern geht mit der Figur des Abraham in die biblische Frühzeit zurück. Die Rezeption der biblischen Geschichte in Ps 105 ist dabei in doppelter Weise auf die Gegenwart der Psalmbeter bezogen. Zuerst ist die Geschichtsdarstellung in das hymnische Gotteslob eingebettet (105,5), so dass die fundierenden Heilstaten Gottes in der Geschichte zu Wesensmerkmalen Jhwhs erhoben werden. Die biblische Geschichte bekommt eine theologische Funktion, indem sich das Wesen Gottes in seinem Heilshandeln an Israel offenbart. Zweitens werden die Beter als Nachkommen Abrahams und als Gottes Auserwählte angeredet und damit in eine genealogische Abstammungslinie mit den Erzvätern gebracht (105,6). Diese (zugeschriebene) genealogische Abkunft ebenso wie das Motiv der Erwäh19
Vgl. dazu o. Kap. IV. 3.1.
1 Geschichte, Gebet und Identität
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lung eröffnen eine Kontinuität mit den biblischen Vätern und machen die Beter der Gegenwart zu den rechtmäßigen Erben der Bundesverheißung an Abraham. Wird in Ps 78 die Identität gerade in Abgrenzung von den geschichtlichen Vorvätern gestiftet, ist es in Ps 105 die Partizipation qua Abstammung, die die Identität der Beter als Erben der göttlichen Verheißung konstituiert. Identifikationspotential bieten dabei aber auch die wiederholten Fremdheitserfahrungen des Volkes in der Geschichte, die auf einen Diasporahorizont hindeuten, vor dem das Israel außerhalb des Landes das gültige Treueversprechen seines Gottes erinnert. Hier liegt die Besonderheit darin, dass die Identität Israels im kontrafaktischen Verstehen der Gegenwart gestiftet wird. In der nachexilischen Zeit fanden sich große Teile des Judentums gerade außerhalb des verheißenen Landes wieder, das für diese Bevölkerungsgruppen in weite Ferne gerückt war. Diese Situation wird in Ps 105 als Vergegenwärtigung der Fremdheitserfahrungen Israels in der biblischen Geschichte gedeutet, die als durch Gottes Bundestreue überwunden dargestellt werden. Damit tritt der Autor von Ps 105 einem Verständnis der Diasporawirklichkeit als Ausdruck von Jhwhs Bundesbruch entgegen und stiftet Hoffnung auf die endgültige Einlösung der Landverheißung. An dieser Stelle knüpft die Einschreibung von Psalm 106 an, der eine nachträgliche Reaktion auf Ps 105 bietet und in erneutem Rückgriff auf Ps 78 die Frage aufwirft, warum das Volk sich gegenwärtig nicht im Besitz des nach Ps 105 verheißenen Landes befindet. In einer Systematisierung der Glaubenstexte des Pentateuchs stellt der Autor von Ps 106 die Geschichte Israels von Ägypten bis in das Exil als Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen dar. 20 Als positives Paradigma dient der anfängliche Glauben der Väter am Schilfmeer (106,12), dem der wiederholte Abfall während der Wüstenwanderung gegenübergestellt wird, der schließlich in der Verweigerung der Landnahme gipfelt (106,24). Dieser letzte Akt des Unglaubens wird nicht nur den Vätern zum Verhängnis, sondern er besiegelt auch das Schicksal ihrer Kinder. Während die Vätergeneration noch in der Wüste stirbt, werden die Söhne in Kollektivhaftung genommen und zum Exil unter den Völkern verurteilt. Dass sie durch ihr sündiges Verhalten im Land im Nachhinein den Tatbestand der Strafe vollziehen, ist in Ps 106 nur noch eine Fußnote der Geschichte. In dieser Schuldgeschichte erweist sich auch Ps 106 als Auslegung von Ps 78, wobei der Verfasser von Ps 106 mit dem Glaubensmotiv eine Schuldkonzeption systematisiert, die in Ps 78 erst in einer späten Bearbeitung eingeschrieben wird (vgl. 78,22.32). Allerdings bleibt Ps 106 nicht bei dem Unglauben des Volkes stehen, sondern die Sündengeschichte des Volkes wird im Psalm mit der 20
Vgl. dazu o. Kap. IV. 3.2.
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Kapitel VI: Geschichte im Gebet
Perspektive der göttlichen Gnade verbunden. Gottes Wesen als eines gnädigen und barmherzigen Gottes ist es zu verdanken, dass das Volk in der Geschichte nicht im Strafgericht vernichtet wird, sondern selbst in Exil und Diaspora noch auf Rettung aus der Not hoffen kann (106,45). Mit diesem Rekurs auf die Wirkmächtigkeit der göttlichen Gnade nimmt der Autor von Ps 106 den Lobpreis der göttlichen Gnade im redaktionell vorausgehenden Ps 103 auf und überträgt das Rettungsparadigma auf die Volksgeschichte. Zugleich wird in Ps 106 damit auch das Danklied Ps 107 kollektiviert. Gilt dieses ursprünglich als Dank für die Rettung Einzelner aus der Not, weitet Ps 106 im redaktionellen Zusammenhang mit Ps 105 die Exilsperspektive der Exposition in 107,2f. zu einem umfassenden Geschichtsdiptychon in Ps 105f. aus. In diesem wird die Volksgeschichte von den Vätern bis zu Exil und Diaspora rekapituliert und mit Ps 107 in die individuelle Rettungserfahrung transferiert. In literarhistorischer Perspektive bahnen die Zwilllinge Ps 105 und 106 einem geschichtlichen Verständnis des Psalterbuches den Weg, indem sie im Anschluss an die Königsherrschaft Jhwhs in Ps 100 den Blick zurück auf Exil und Diaspora lenken und mit der Rettungsbitte in 106,47 die heilszeitliche Epoche der Restitution im fünften Psalmenbuch eröffnen. Es bleibt die Frage, unter welcher geschichtshermeneutischer Perspektive die Geschichte des Unglaubens in Ps 106 rezipiert wird. Die Antwort auf diese Frage geben die Rahmenteile des Psalms. So geht dem geschichtlichen Hauptteil in 106,6 ein Sündenbekenntnis voraus, in dem sich die Sprecher des Psalms in der Sünde mit ihren Vätern zusammenschließen: ‚Wir haben gesündigt zusammen mit unseren Vätern, haben Unrecht begangen, gottlos gehandelt.‘ Indem die Psalmbeter sich in ihrem Fehlverhalten mit den Sünden der (geschichtlichen) Vorväter identifizieren, können sie in gleicher Weise wie diese um die Rettung aus Exil und Diaspora bitten (106,47). Sünde und Begnadigung der Väter in der Geschichte bilden das Rettungsparadigma für das Israel der Gegenwart, das sich in gleicher Weise wie die biblischen Väter gegenüber Jhwh versündigt hat. Anders als in Ps 78, wo die Sünde die Väter von Gott trennt und den Psalmbetern als zu vermeidendes Fehlverhalten vor Augen geführt wird, ist die Sünde in Ps 106 das identitätsstiftende Moment, das das Israel der Gegenwart mit seinen Vorvätern zusammenschließt und in dem Gottes Gnade wirksam wird. Auch wenn der redaktionelle Ort von Psalm 114 nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, hat die Analyse wahrscheinlich machen können, dass dieser Psalm literarhistorisch zwischen die Zwillingspsalmen 105f. und das geschichtliche Hallel Ps 135f. einzuordnen ist. 21 Mit diesem Ge21
Hier konnte allerdings das literarhistorische Verhältnis von Ps 106 und 136 nicht zweifelsfrei geklärt werden, vgl. dazu o. Kap. V. 4.1.
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schichtspsalm (Ps 114) liegt ein poetisch-theologisches Lehrstück vor, das nachträglich in den Grundstock des Pessach-Hallels Ps 113–118* eingeschrieben wird. 22 Im literarischen Nahkontext wird der Exodus in Ps 114 zum Paradigma des in Ps 113 gepriesenen sozialen Wandels, während er in Bezug auf Ps 115 als Machttat Jhwhs dessen Überlegenheit illustriert. Die redaktionelle Einfügung von Ps 114 ist dabei eng mit der Wachstumsgeschichte in Ex 15 verknüpft, da sie das Zitat von Ps 118,14.28 in Ex 15,2 voraussetzt. Dieses Zitat macht das Meerlied zu einem Vertrauenslied nach dem Vorbild des Spendertextes Ps 118, während es zugleich das Verständnis der Vorlage beeinflusst, die nun als Danklied für den Exodus verstanden wird. Der bis dahin implizite Exodusbezug wird durch die Einschreibung von Psalm 114 verdeutlicht, durch den diese Psalmensammlung überhaupt erst zum ‚Pessach-Hallel‘ bzw. zum ‚Ägyptischen Hallel‘ wird. Aber auch inhaltlich zeigt Ps 114 den Einfluss von Ex 15, da die Parallelisierung von Exodus und Eisodus in der späten Einfügung 15,8ab im Psalm vorausgesetzt und verarbeitet wird. Die biblische Geschichte wird jedoch nicht in Form einer Ereignisfolge rezipiert, sondern als zeitloses Gründungsgeschehen mythisiert. An die Stelle von Exodus und Eisodus treten die furchtsamen Reaktionen der personifizierten Wassergrößen Meer und Jordan angesichts der machtvollen Theophanie des Gottkönigs Jhwh. Hier klingt deutlich der Baal-Mythos mit dem Sieg Baals über den Meeresgott Jam an, der auf die Wasserwunder der biblischen Geschichte übertragen wird. Da die Beschreibung Jhwhs durch die innerbiblischen Bezüge auf das Deuterojesajabuch durchsichtig wird für sein Handeln im zweiten Exodus, wird die gesamte biblische Geschichte vom ersten bis zum zweiten Exodus in einem Akt zusammengefasst und zielt auf die Schöpfung Israels zum Gottesvolk. Ps 114 ist damit Beispiel dafür, dass es in der Hebräischen Bibel keine lineare Bewegung vom Mythos zur Geschichte gibt. Vielmehr greift der Verfasser des Psalms auf die literarisch vorliegenden Ursprungslegenden Israels zurück und transferiert sie in Sprache und Bildwelt des Mythos. Psalm 114 ist in der Literatur gerade aus dem Grund als „Lehrstück“ bezeichnet worden, weil der Psalm nicht für die Gebetspraxis entworfen sei.23 Dessen ungeachtet stellt sich aber die Frage, warum der Text unter die Gebete des Psalters aufgenommen worden ist und worin seine theologische Bedeutung liegt. Die erste Frage ist schnell zu beantworten, da Ps 114 das Lob Gottes in Anlehnung an die Jhwh-König-Vorstellung in den Psalmen formuliert und damit im weiteren Sinne als Jhwh-König-Hymnus verstanden werden kann. Darin liegt zugleich das Identifikationspotential des Psalms: Es handelt sich um einen theologischen Gründungsmythos, 22 23
Vgl. dazu o. Kap. II. 2.4. So SPIECKERMANN , Heilsgegenwart, 151.
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der die Konstituierung des Gottesvolkes als Machttat des Gottkönigs Jhwh beschreibt. Die Identität Israels ist nur in Abhängigkeit von seinem Gott zu haben, so dass das Gotteslob den Beter bzw. Leser seiner Zugehörigkeit zum Gottesvolk vergewissert. Als Kammerspiel im Gewand des Mythos wird die biblische Geschichte entzeitlicht und kann darin vom einzelnen Leser angeeignet werden. Nicht zuletzt darf man dem Text mit seiner Bild- und Sprachgewalt auch einen gewissen Unterhaltungswert zugestehen, der sich positiv auf seine Tradierung ausgewirkt haben wird. Den geschichtlichen Ziel- und Endpunkt in der Wachstumsgeschichte des Psalters bildet das geschichtliche Hallel in Psalm 135 und 136. Hier ist in der literarischen Abfolge zuerst der Dankpsalm 136 in den Blick zu nehmen, der als Programmtext der Toda-Redaktion den Toda-Abschluss hinter die durch die Sammlung der Wallfahrtspsalmen ergänzte Buchgestalt setzt. Mit diesem Geschichtspsalm liegt ein hymnischer Dank für Gottes Wundertaten (נפלאות גדלות, 136,4) in Schöpfung, Exodus, Wüstenwanderung und Landnahme vor, die als Ausdruck seiner immerwährenden Gnade verstanden werden. 24 Jhwh wird dabei als überlegener und machtvoller Gottkönig dargestellt, der sich gegenüber den Feindmächten, die sein Volk bedrohen, wirksam durchsetzt. Dabei werden die Schöpfungstaten Gottes als Teil der Heilsgeschichte Israels verstanden, so dass die Überlieferung des Hexateuchs in Ps 136 zum ersten Mal in ihren literarischen Eckpunkten rezipiert wird. Darin spiegelt sich ein Neuverständnis der Konstitution Israels wider, dessen Geschichte nun nicht mehr mit dem Exodus beginnt, sondern bereits in der Schöpfung begründet wird. Dieses Neuverständnis Israels bestimmt auch die persönliche Aneignung des Psalminhaltes durch die Beter. Den hermeneutischen Schlüssel bieten erneut die Rahmenteile des Psalmes. Aus der hymnischen Einleitung in 136,1–3 und dem Themavers 136,4 wird ersichtlich, dass der Psalm die biblische Geschichte in das Bekenntnis zu Jhwh als des Gottes überführt, der ‚große Wunder‘ vollbringt. In der Aufzählung dieser göttlichen Wundertaten deuten die Beter Gottes Handeln in Schöpfung und Geschichte als Ausdruck seiner immerwährenden Gnade, deren Wirkmacht sie auch in ihrem eigenen Leben erfahren haben. So evoziert die Sprechergruppe im Schlussteil 136,23–26 die eigenen Rettungserfahrungen als Erweis der göttlichen Gnade und interpretiert diese vor dem Hintergrund der schöpfungsgemäßen Erhaltung aller Lebewesen, die in der (täglichen) Brotgabe Gestalt gewinnt (136,25). Auf diese Weise können sich die Beter der Gegenwart als Teil des Gottesvolkes verstehen, dessen Lebensraum Gott in der Schöpfung bereitet hat und dem seine rettenden Gnadenerweise in der Geschichte gelten. Der Autor von Ps 136 rezipiert die biblische Ge24
Vgl. dazu o. Kap. V. 2.2.
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schichte damit im Gegensatz zu den vorausgehenden Geschichtspsalmen nicht unter dem Eindruck einer aktuellen Identitätskrise, sondern die erfolgte Rettung wird als identitätskonstituierendes Ereignis reflektiert. Als einzige Ausnahme ist hier der Exoduspsalm 114 zu nennen, der sich allerdings ganz auf das Gründungsereignis konzentriert, während Ps 136 die gesamte biblische Geschichte in identitätsstiftender Perspektive systematisiert. Mit diesem Geschichtsverständnis erweist sich Ps 136 in mehrfacher Hinsicht als zwischenzeitlicher Toda-Abschlusstext des Psalters, der die vorherigen Abschlüsse in Ps 104–107*25 und 118 systematisiert. 26 In Bezug auf Ps 118 baut Ps 136 die in 118,1–4 verwendete Toda-Formel zum durchgängigen Refrain aus und knüpft an die Interpretation von Ps 118 als Dank für den Exodus an. Aus dem Dank für den Exodus wird in Ps 136 aber eine umfassende Toda für Gottes Geschichtshandeln, die durch die literarische Position im Anschluss an die Wallfahrtspsalmen 120–134 als Dank des Volkes bei der Ankunft am Zion verstanden werden will. So wird indirekt auch in Ps 136 das Meerlied Ex 15 ein weiteres Mal literarisch prägend, indem das Zions-Heiligtum als Zielpunkt der Volksgeschichte in den Blick genommen wird. Zugleich rezipiert der Autor von Ps 136 aber auch den Schluss des vierten Psalmenbuches in Ps 104–107*, indem er die Schöpfungsthematik in die Geschichte integriert und den Aspekt der Rettung mit dem Aspekt der Erhaltung verbindet. Auf diese Weise wird die biblische Geschichte nicht nur nach vorne hin auf die Schöpfung ausgedehnt, sondern sie erhält auch eine Verlängerung in die Gegenwart hinein durch die lebenserhaltende Nahrungsversorgung durch den Schöpfergott. Vor die Toda in Ps 136 wird nachfolgend der Halleluja-Psalm 135 eingeschrieben, der vermutlich ein Produkt der Halleluja-Redaktion ist und den Toda-Dank von Ps 136 mit einem Halleluja-Lobpreis überschreibt.27 Im redaktionellen Anschluss an Ps 136 geht es dem Verfasser um den umfassenden Nachweis, dass Jhwh sich in allen Bereichen seiner Herrschaft als überlegen erweist. Der Psalm wird dabei nicht nur als Kommentar zu Ps 136 verständlich, sondern auch als Exegese von Psalm 115, aus dem der Verfasser den Glaubenssatz übernimmt dass Jhwh ‚alles tut, was ihm gefällt‘ (115,3; vgl. 135,6). Diese Prädikation wird in Ps 135 in den Lobpreis eines literarisch-fiktionalen Ichs überführt, das sich in 135,5 zur Überlegenheit Jhwhs bekennt und dieses Argument in drei Durchgängen entfaltet. Stellt 135,6f. das Wirken Jhwhs als Sturm- und Wettergott dar, 25
Dabei konnte die Frage, inwieweit Ps 106 in dieser Buchgestalt bereits vorausgesetzt ist, nicht endgültig geklärt werden; vgl. dazu o. Kap. V. 4.1. 26 Vgl. dazu o. Kap. V. 4.1. 27 Vgl. dazu o. Kap. V. 4.2.
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konzentriert sich der Abschnitt 135,8–14 auf das göttliche Geschichtshandeln, während 135,15–18 in Aufnahme von 115,4–8 eine umfassende Götter- und Götzenpolemik enthält, die Jhwhs Überlegenheit gegenüber den Götzen der Völker erweist. Im imperativischen Abschluss 135,19–21 werden die aus Ps 115 und 118 bekannten Gruppen von Israel, Haus Aaron und den Jhwh-Fürchtigen zum Lob des allmächtigen Gottes aufgerufen, wobei die Ergänzung des Hauses Levis unter den Adressaten ein Interesse levitischer Kreise verrät. Die biblische Geschichte stellt damit in Ps 135 nur einen der Bereiche dar, in denen Jhwh seine Überlegenheit beweist, wobei mit den Ereignissen in Ägypten und der Landnahme die Stationen im Vordergrund stehen, an denen Jhwh sich als ‚schlagender Gott‘ machtvoll gegenüber den Feindmächten durchgesetzt hat. Die erzählende Überlieferung ist aber darüber hinaus in einer Reihe von Zitaten präsent, in denen die biblische Geschichte die Funktion eines Deutungshintergrundes für das Gottesverhältnis Israels erhält. So bekommt das Argument des Psalms in 135,4 eine geschichtstheologische Fundierung, indem die Erwählung Jakob-Israels zum Eigentumsvolk das folgende Gotteslob begründet. Die Identität des exemplarischen Psalmbeters enthüllt dagegen ein Zitat aus Ex 18,11 in Ps 135,5, das das Gotteslob mit Jitro, dem midianitischen Schwiegervater des Mose, einem Nicht-Israeliten in den Mund legt. Schließlich steht am Ende des Geschichtsabschnittes in Ps 135,13f. eine Zitatkombination aus Ex 3,15 und Dtn 32,36, die die Machttaten Jhwhs in Exodus und Landnahme als eine Offenbarungsgeschichte des göttlichen Wesens deutet. Mit dem hermeneutischen Prinzip, die Inhalte der erzählenden Überlieferung in das Bekenntnis zu überführen, folgt der Verfasser von Ps 135 seinem Vorgänger in Ps 136. Dabei wird der biblischen Geschichte aber auf eine andere Art und Weise Gegenwartsrelevanz zugeschrieben. Müssen die Psalmbeter in Ps 136 selbst Identitätsarbeit leisten, indem sie ihre Rettungserfahrungen als Wirkungen der göttlichen Gnade verstehen, wird ihre Identität als Teil des Gottesvolkes in Ps 135 gesetzt. Dabei ist aber die Innen- von der Außenperspektive zu unterscheiden. So basiert die Gottesbeziehung Israels im eigenen Selbstverständnis auf der Erwählung zum Eigentumsvolk (135,4), die in der Erfüllung der Landverheißung aktualisiert wird (135,12) und die die Sonderstellung Israels begründet.28 Diese identitätsstiftende Vorstellung wird in der (fiktionalen) Außenperspektive verstärkt, indem der Midianiter Jitro als Psalmbeter auftritt und sich stellvertretend für die Völker zu Jhwhs Überlegenheit und zur Erwählung des Gottesvolkes bekennt. Die Identität Israels als Eigentumsvolk Jhwhs basiert nicht nur auf einem geschichtlich legitimierten Selbstverständnis, das 28
Vgl. dazu o. Kap. V. 2.1.
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von jedem Psalmenbeter im Gotteslob angeeignet werden kann, sondern sie wird Israel in der Fiktion des Psalms auch von außen zugesprochen und damit als universaler Glaubenssatz verbürgt. Psalm 135 hat sich nicht nur in seiner Aussageintention, sondern auch in seiner redaktionsgeschichtlichen Funktion als ein Komposittext erwiesen, der auf eine Reihe von Vorlagen im Psalter bezogen ist und darin gezielt einen neuen Halleluja-Abschluss vor Ps 136 einschreibt. 29 In dieser Funktion gleicht Ps 135 dem Geschichtspsalm 106, der in seiner durch die Halleluja-Rahmung überarbeiteten Form am Ende des vierten Psalmenbuches den Toda-Psalm 107 abgrenzt und zum neuen Halleluja-Abschluss wird. Eine besondere Verbindung besteht des Weiteren zu den Psalmen des Ägyptischen Hallels. In Bezug auf diese Psalmengruppe kann Ps 135 zuerst als Exegese des Glaubenssatzes über Jhwhs Souveränität in 115,3 verstanden werden, und er entlehnt darüber hinaus in 135,19–21 das Personal des Gotteslobes aus der Hallel-Komposition (vgl. 115,9–11; 118,2– 4). Damit kann letztlich auch Psalm 135 in die durch Ex 15,2 eröffnete Auslegungslinie eingeordnet werden, indem er Ps 114 in seinem redaktionellen Horizont rezipiert. Wird der Exodus von Ps 114 im Zusammenhang mit Ps 115 als Ausweis von Jhwhs Überlegenheit interpretiert, weitet Ps 135 das Argument auf die gesamte biblische Geschichte sowie weitere Herrschaftsbereiche aus, in denen Jhwh seine Macht erweist. Schließlich löst Psalm 135 als Kommentar zu Psalm 136 diesen in seiner Funktion als Abschluss der Wallfahrtssammlung Ps 120–134 ab, indem er das Volk mit dem Lob des Zionsgottes schließen lässt (135,21). Der Psalm will damit als die direkte Einlösung des Gotteslobes verstanden werden, zu dem die Knechte am Ziel ihrer Wallfahrt in Ps 134,1 aufgerufen werden. Auch wenn die Geschichtsrezeption im Psalter mit der universalen Nahrungsversorgung im geschichtlichen Hallel Ps 135f. einen vorläufigen Zielpunkt erreicht hat, gibt es im direkten literarischen Anschluss mit Psalm 137 einen weiteren Text, der die biblische Geschichte zum Thema macht. In diesem Psalm wird das Geschick der Exilierten in Babylon beleuchtet, die die Unmöglichkeit beklagen, in der Ferne des Exils Zionslieder anzustimmen (137,1–4), während ein exemplarisches Ich emphatisch am Jerusalem-Gedenken festhalten will (137,5f.). Mit diesem scheinbaren Gegensatz kann Ps 137 als literarischer Reflex auf die Wallfahrtspsalmen 120–134 verstanden werden, in dem die Situation derjenigen bedacht wird, denen die Praxis der Wallfahrt unmöglich ist. Einen Ausweg aus diesem Problem zeigt der Schwur des einzelnen Beters auf, der Jerusalem im Gebet ‚erhebt‘ (אעלה את ירשלם, 137,6) und auf diese Weise eine spiritualisierte Wallfahrt vollzieht. In Ps 137 ist das Exil der biblischen Geschichte zu 29
Vgl. dazu o. Kap. V. 4.2.
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einem Deutungsparadima für die individuelle Diasporasituation geworden, in der sich jeder Israelit ‚fern vom Zion‘ vorfindet. Im Gebet kann die Exilsferne für den Einzelnen überwunden und die Wallfahrt gedanklich vollzogen werden. So schließt sich jeder Israelit im Gebet dem Gottesvolk an, das sich am Ziel im Heiligtum konstituiert. Der Psalter gibt in seinem literarischen Werden auch gleich eine praktische Anleitung für diese Wallfahrt mit auf den Weg, indem Ps 137 als literarisches Scharnier die Sammlung der David-Psalmen in Ps 138–144(145) anbindet. 30 In der Leseperspektive von Ps 137 legt das Gotteslob der nachfolgenden David-Psalmen exemplarisch Zeugnis dafür ab, wie die Wallfahrt gedanklich vollzogen werden kann. Auf dieser nachfolgenden Ausbaustufe des Psalters (Ps 138144[145]) führt der Weg Israels nur noch in das Reich Gottes, in dessen Licht die Brotgabe in 136,25 zum Vorschein des eschatologischen Heils wird. Ps 137 ist damit im Ablauf des Psalters das letzte Beispiel dafür, wie die individuelle Identität des Beters mit Bezug auf die biblische Geschichte konstituiert wird, indem das nationale Exilsgeschick paradigmatisch das Diasporaschicksal des Einzelnen abbildet. Als redaktionsgeschichtliches Zwischenfazit ist festzuhalten, dass die Geschichtspsalmen im Psalter jeweils an kompositions- bzw. redaktionsgeschichtlich entscheidenden Stellen oder Buchübergängen platziert sind,31 die alle in der zweiten Hälfte des Psalters liegen. Diese Beobachtung zeigt, dass es sich bei der Geschichtsrezeption um ein relativ spätes Phänomen im Psalterbuch handelt,32 das aber durch die Positionierung der einzelnen Geschichtspsalmen an literarischen Scharnierstellen des Buches konzeptionell prägend geworden ist. Indem die Texte an ausgewählten Stellen in der Literargeschichte des Psalters die biblische Geschichte rezipieren, wandelt sich das Psalterbuch in seiner Entstehung sukzessive von einer Sammlung unterschiedlicher Psalmen zum Gebetbuch Israels. Dabei gehen die Geschichtspsalmen aber nicht auf eine einzige Redaktion zurück, sondern unterschiedliche Autoren nehmen auf die bereits im Buch vorfindlichen Texte Bezug und fügen der biblischen Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu. Es steht zu vermuten, dass diese Entwicklung mit der Formierung der übrigen literarischen Überlieferung zusammenhängt. Die Bezüge auf die biblische Geschichte verankern das Psalmenbuch im sich 30
Vgl. dazu o. Kap. V. 4.3. So auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 388. Im Unterschied zu der hier vorgelegten Studie nimmt GÄRTNER allerdings nur in Ansätzen eine literarhistorische Differenzierung der einzelnen Texte vor, wobei sie mit Sicherheit allein Ps 135 auf eine jüngere Wachstumsstufe einordnen will (ebd.). Dies ist nicht ohne Konsequenzen für ihr Ve rständnis der Geschichtspsalmen als Ausdrucksformen identitätsstiftender Erinnerung; vgl. dazu im Folgenden und u. Anm. 34. 32 Dazu schon SPIECKERMANN, Heilsgegenwart, 14f.157–164. 31
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formierenden hebräischen Kanon und identifizieren die in den Gebetstexten angeredete Gemeinde mit dem Gottesvolk Israel.33 Damit ist bereits das hermeneutische Prinzip angesprochen, das hinter den literarischen Rezeptionsvorgängen steht. Wie der voranstehende Überblick gezeigt hat, kann die Redaktionsgeschichte der Geschichtspsalmen als literarische Suche nach Identität verstanden werden. Der theologische Diskurs, der sich im literarischen Werden der Texte abzeichnet, zielt auf die Frage, wer das Gottesvolk Israel und wer der Gott Israels ist. 34 Mit dieser Fragestellung und der beschriebenen identitätsstiftenden Funktion liegt es nahe, das literarische Phänomen der Geschichtspsalmen im Rahmen des Modells des kulturellen Gedächtnisses zu erklären, das in den Kultur- und Sozialwissenschaften zur Erklärung identitätsstiftender Erinnerung herangezogen wird. Die Vorstellung geht auf MAURICE HALBWACHS (1950) zurück, der als Erster die Theorie entwickelte, dass eine Gesellschaft ein kollektives Gedächtnis (mémoire collective) besitzt, das durch die sozialen Rahmenbedingungen konstituiert werde. 35 Dieses Modell ist Ende der achtziger Jahre durch J AN und ALEIDA ASSMANN fortgeführt worden, die sich umfassend mit der Konzeption des kulturellen Gedächtnisses beschäftigt haben.36 In Abgrenzung von dem kommunikativen Gedächtnis, das auf Alltagskommunikation beruht,37 definieren sie das kulturelle Gedächtnis als einen „jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten […], in deren ‚Pflege‘ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart stützt.“ 38 Aus dieser 33
Vgl. dazu die Überlegungen von KRATZ, Tora, 17–28, der eine Entsprechung zwischen den Geschichtstexten im doxologisch bearbeiteten fünfteiligen Psalter und der Tora-Struktur des Pentateuchs aufzeigen kann. Der doxologische Durchgang durch die fünf Bücher des Psalters werde so „zu einem Vorgang der persönlichen Aneignung wic htiger Stationen der Geschichte Israels“ (KRATZ, a.a.O., 23). 34 Vgl. das Urteil von KRATZ, Suche, 279, der die gesamte Literar- und zugleich die Theologiegeschichte des Alten Testaments als „Suche nach Identität“ beschreibt. Auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 382–384, erklärt die Geschichtspalmen als Paradigmen identitätsstiftender Erinnerung. Da sie aber nur in Ansätzen eine literarhistorische Differenzierung der Texte vornimmt (vgl. dazu o. Anm. 31), kann sie die „Vielfalt der Ausdrucksformen für den einen Typ von paradigmatischer Erinnerung“ (GÄRTNER , a.a.O., 381) nicht als Dynamik eines literar- und auslegungsgeschichtlichen Identitätsdiskurses profilieren. 35 Vgl. dazu HALBWACHS , La mémoire collective, Paris 1950. 36 Siehe grundlegend J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, sowie A. ASSMANN, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999. 37 Vgl. J. ASSMANN, Kollektives Gedächtnis, 10. 38 J. ASSMANN, Kollektives Gedächtnis, 15.
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Kapitel VI: Geschichte im Gebet
Definition wird bereits deutlich, dass die Geschichtspsalmen sich vielleicht nicht dem Begriff, aber doch der Sache nach als Ausdrucksformen eines kulturellen Gedächtnisses Israels qualifizieren. 39 In ihrer literarischen Form als Psalmengebete sind es Wiedergebrauchstexte, die den biblischen Autoren wie ihren Rezipienten durch die Auslegung der biblischen Geschichte ein Selbstbild vermitteln, das ihre Identität als Gottesvolk Israel begründet. Dabei weisen die alttestamentlichen Geschichtspsalmen aber eine Reihe von Spezifika auf, mit denen diese Texte als eigene, Israelspezifische Ausprägungen einer identitätsstiftenden Geschichtserinnerung profiliert werden können. Dies ist im Folgenden unter zwei Gesichtspunkten näher auszuführen: die Frage nach den äußeren Rahmenbedingungen der Geschichtsrezeption und die Frage nach der Art und Weise, wie diese in den Psalmen vollzogen wird. Der erste Punkt betrifft die Voraussetzungen der in den Geschichtspsalmen geleisteten Identitätsarbeit. Der exegetische Befund hat die einzelnen Psalmentexte aufgrund ihrer Bezüge auf die erzählende Überlieferung als Produkte der Schriftgelehrsamkeit in nachexilischer Zeit erwiesen. Diese Epoche der Geschichte Israels ist in besonderer Weise durch den Verlust der zentralen vorexilischen Identitätsmarker – des Kults am ersten Tempel, des Königs und der staatlichen Eigenständigkeit – gekennzeichnet, so dass von einem nachexilischen Identitätsproblem gesprochen werden kann.40 In der Folge dieses Verlustes der nationalen Identität verlagert sich die Formierung und Vergewisserung der Identität auf die Produktion und das Studium heiliger Texte, in denen das Selbstverständnis Israels neu definiert wird. Die nachexilische Zeit lässt sich von daher auch als Zeit der Entwicklung frühjüdischer Identitäten beschreiben. 41 Die Schriftgelehrsamkeit bringt es mit sich, dass diese Identitätsarbeit in nur wenigen elitären Schreiberzirkeln zu verorten ist, wobei kaum etwas über die Lebensumstände in der nachexilischen Zeit bekannt ist. Ein Modell dafür, unter welchen institutionellen und soziologischen Entstehungsbedingungen die Geschichtspsalmen verfasst sein könnten, bietet die Gemeinschaft von Qumran. Der Name dieser Gemeinschaft geht auf die Textfunde nahe der Siedlung von Qumran am Toten Meer zurück, die Einblick in das Leben und Denken der Gemeinschaft geben. Nach heu39 Vgl. GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 9–29.382–389. Siehe auch ebd. zum grundlegenden Einbezug der kulturwissenschaftlichen Diskussion, wobei sich GÄRTNER als Deutungshorizont für die Geschichtspsalmen allerdings weniger auf das Modell von ASSMANN/ASSMANN stützt, sondern im Anschluss an ERIC VOEGELIN den Begriff der „paradigmatischen Geschichtsschreibung“ zugrunde legt, den sie mit den Entstehung smodellen kollektiver Gedächtnisse von W ULF KANSTEINER und ASTRID ERLL ergänzt. 40 Zu dieser Problemanzeige vgl. KRATZ, Suche, 280, und VAN OORSCHOT, Geschichte, 38–41. 41 Vgl. dazu VAN OORSCHOT, Geschichte, 38.
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tigem Stand der Forschung lebte diese Gemeinschaft nicht nur in Qumran, sondern sie verteilte sich in hellenistischer Zeit auf verschiedene Orte im ganzen Land.42 Ihre Mitglieder hatten sich vom regelmäßigen Tempelkult in Jerusalem abgewendet und widmeten sich im täglichen Leben der Produktion und dem Studium der heiligen Texte, so dass hier in nuce der Zusammenhang von institutioneller Marginalisierung und literarischer Produktion beobachtet werden kann.43 Unter ähnlichen Bedingungen kann man sich die Entstehung der Geschichtspsalmen als Produkte schriftgelehrter Kreise in nachexilischer Zeit vorstellen, die darin ihre Erfahrungen mit ihrem Gott reflektieren und Identität zuschreiben. Die Gemeinschaft von Qumran ist im Folgenden aber nicht nur als Modell für die äußeren Entstehungsbedingungen der Geschichtspsalmen heranzuziehen, sondern es gibt auch eine Reihe von konzeptionellen und inhaltlichen Berührungen zwischen den Qumrantexten und den Geschichtspsalmen. Darauf ist in den folgenden Ausführungen zu unserem zweiten Gesichtspunkt näher einzugehen. Unter diesem zweiten Punkt ist im Folgenden zu fragen, in welcher Form und mit welchen Mitteln in den Geschichtspsalmen Identität gesucht und gestiftet wird. Der exegetische Befund hat gezeigt, dass die Rezeption der biblischen Geschichte sich in Form von innerbiblischen Auslegungsprozessen vollzieht. Die identitätsstiftende Funktion dieser Rezeptionsvorgänge lässt sich unter drei hermeneutischen Aspekten beschreiben, die das Verhältnis von Vorlage und Neufassung bestimmen: 1.) die literarische Beziehung zwischen der erzählenden Überlieferung und ihrer Rezeption in den Geschichtspsalmen als Identität im Text, 2.) die Verschränkung von biblischer Geschichte und Gegenwart der Beter als Identität in der Zeit, sowie 3.) der spiritualisierte kultische Vollzug dieser Einheit als Identität im Gebet. 44 42
Vgl. KRATZ, Israel, 210; siehe zur Gemeinschaft von Qumran ausführlich COLLINS, Qumran Community, sowie DERS., Sectarian Communities, 151–172, und die dort jeweils angeführte Literatur. 43 Vgl. KRATZ, Propheten, 49; er verweist hier ebenfalls auf das Beispiel von Qumran in der Beschreibung der Zirkel, auf die die biblischen Prophetenbücher zurückzuführen sind. Zum Selbstverständnis der Qumrangruppe vgl. Stellen wie 1QS VI, 6 –8 bzw. VIII, 12–16. 44 Vgl. zu den im Folgenden dargestellten hermeneutischen Prinzipien das von KRATZ für die Chronikbücher entwickelte Modell der Geschichtsrezeption (vgl. KRATZ, Suche, 279–303). In der hier vorgelegten Übertragung des Modells auf die Psalmen ergeben sich insbesondere bei der Frage nach Voraussetzung und Selbstverständnis der Rezept ion Abweichungen. Spricht KRATZ, Suche, 292–297, in der Frage nach dem Selbstverständnis der chronistischen Rezeption von der „Identität im prophetischen Geist“, tritt an diese Stelle bei der Geschichtsrezeption in den Psalmen der (spiritualisierte) Gebetsvol lzug als Identität im Gebet.
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Kapitel VI: Geschichte im Gebet
Der erste Faktor, die Identität im Text, hängt eng mit dem Selbstverständnis der biblischen Autoren zusammen. Es gibt keine textinternen Indizien dafür, dass die Verfasser der Geschichtspsalmen die erzählende Überlieferung aus einer kritischen Distanz heraus kommentieren oder revidieren wollen.45 Vielmehr kann vermutet werden, dass die Psalmen in Übereinstimmung mit ihrer in den Geschichtsbüchern bezeugten Vorlage gelesen werden sollen. Sie sind relecture bzw. rewriting von Tora und Vorderen Propheten, indem sie mit der erzählenden Überlieferung identisch sein wollen und ihre Autorität von dieser her beziehen. In der exegetischen Außenperspektive vollzieht sich diese Identitätssetzung aber gerade durch eine bestimmte Auswahl aus den Vorlagen unter einem bestimmten Auslegungsinteresse. So konzentriert sich Ps 78 auf die Verfehlungen der Väter von Ägypten bis ins Land, während Ps 105 die Geschichte unter den Leitaspekten von Landverheißung und Fremdheitserfahrungen darbietet. Ps 106 hat sich dagegen als Glaubensgeschichte unter negativen Vorzeichen erwiesen, indem der Psalm eine Systematisierung der pentateuchischen Glaubenstexte bietet. Dabei gilt die hermeneutische Prämisse der Identität im Text aber nicht nur für das Verhältnis zwischen den Geschichtspsalmen und ihren Vorlagen in der erzählenden Überlieferung, sondern sie beschreibt auch das Verhältnis der einzelnen Psalmen zueinander, die die identische Geschichte Israels mit seinem Gott bezeugen wollen. In immer neuen Darstellungen der Ereignisse sind die Psalmen Zeugnis dafür, wie die Identität der biblischen Geschichte und darin die Identität Gottes und seines Volkes bewahrt wird. Gleichzeitig zeigt die literarische Analyse aber, dass die konzeptionellen Differenzen mit einer redaktionsgeschichtlichen Entwicklung zu erklären sind, in der die Psalmen auch untereinander in das Verhältnis von Vorlage und Rezeption treten. Dahinter steht eine hermeneutische Denkbewegung, in der an der Identität von Gott und Volk gerade vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen in der Zeit festgehalten wird. So beginnt die Rezeptionsgeschichte der Geschichtspsalmen mit dem Gründungsmythos des Gottesvolkes in Ex 15, der in Ps 78 zur Grundlage einer programmatischen Didaktik wird, die den Traditionsprozess selbst zur Aufgabe macht. Ps 105 und 106 konzentrieren sich auf die Landverheißung und suchen nach den Gründen für deren ausbleibende Erfüllung, während das geschichtliche Hallel in Ps 135 und 136 zum Bekenntnis der Souveränität und der Allmacht Jhwhs übergeht. Auch wenn diese Darstellung stark vereinfacht ist, zeichnet sich eine Entwicklung von anfänglicher Fundierung der Identität des Gottesvolkes Israel über Modifikationen des Selbstverständnisses bis hin zum Übergang in das Bekenntnis ab, die auf 45
Vgl. dazu auch die Überlegungen von B LUM , Historiographie, 72–75, zur israelitischen Geschichtsschreibung.
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eine zunehmende Konsolidierung des Selbstverständnisses in nachexilischer Zeit hindeuten könnte. Am Ende dieses Identitätsdiskurses ist in Ps 137 die Situation des Exiltraumas für die Volksgröße überwunden, besteht aber für den einzelnen Juden in der Diaspora weiter.46 Der Identität von Vorlage und Rezeption entspricht zweitens die Verschränkung von Geschichte und Gegenwart als Identität in der Zeit.47 Die Geschichtsdarstellung der Psalmen ist keine Geschichtsschreibung im Sinne einer auktorial verantworteten Historiographie, sondern hier verständigt sich die Gemeinschaft über sich selbst.48 Die biblische Geschichte wird in den Texten nicht als lange vergangenes Geschehen rezipiert, sondern sie hat Gegenwartsrelevanz für die einzelnen Beter, was eine doppelte Kontinuität zur Folge hat: Zum einen bezieht die Gegenwart aus der Geschichte ihre Identität und ihr Selbstverständnis, 49 so dass die fundierenden Ereignisse der Geschichte zum Gründungsmythos Israels in der Gegenwart werden. Dieses hermeneutische Prinzip wird in den Psalmen in unterschiedlicher Weise umgesetzt. Der biblischen Geschichte kommt zuerst paradigmatische Bedeutung zu, indem den einzelnen Ereignissen Identifikationspotential für die Leser und Beter der Gegenwart zugeschrieben wird. So wird die Erwählung Davids in Ps 78 durchsichtig für die nachexilische Hoffnung auf einen david redivivus, während die Fremdheitserfahrungen der Väter im Land bzw. des Volkes in Ägypten und in der Wüste die Exils- und Diasporawirklichkeit abbilden (Ps 105). In besonderer Weise verwenden die Verfasser der Texte das Prinzip der Genealogie, um die Beter in die biblische Geschichte hineinzustellen. Qua Genealogie wird in Ps 78 die Identität des Israels in der Gegenwart in Abgrenzung von den biblischen Vorvätern konstituiert, deren Fehlverhalten als mahnendes Beispiel dient. Der Autor von Ps 105 stellt dagegen eine identitätsstiftende Kontinuität her, indem die Psalmbeter sich als Nachkommen Abrahams begreifen können und darüber zu den Erben der Bundesverheißung werden. Diese Kontinuität mit den biblischen Vätern bekommt in Ps 106 aber eine negative Ausrichtung, indem die Sprecher ihre Sünde in 106,6 in Tatgemeinschaft mit ihren Vätern bekennen. In Ps 106 wie zuvor schon in Ps 78 wird gerade das Fehlverhalten zum identitätsstiftenden Moment, in dem Geschichte und Gegenwart verschränkt werden und das die Gottesbe-
46
Vgl. KRATZ, Tora, 26. Zum Begriff der „Identität in der Zeit“ vgl. die Darlegungen von KRATZ, Suche, 287–292. In ähnlicher Weise spricht auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 22–24.383, von dem Aspekt der „Kopräsenz der Zeitebenen“ (GÄRTNER , a.a.O., 24). 48 Vgl. B LUM , Historiographie, 74. 49 So auch KRATZ, Suche, 291. 47
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ziehung konstitutiert.50 In Ps 135 stellt dagegen das Erwählungsmotiv in 135,4 die Kontinuität her, da die Beter sich als Teil des von Jhwh erwählten Eigentumsvolkes begreifen können. Diese Identitätssetzung wird in Ps 135 noch zusätzlich durch die (fiktionale) Außenperspektive bekräftigt, indem der einzelne Psalmbeter in einem Zitat des Midianiters Jitro die Allmacht und Überlegenheit Jhwhs bekennt. In der Anerkenntnis des Gottes Israels von Außen wird das Selbstverständnis des Gottesvolkes bestärkt, das sich in Relation zu diesem souveränen Gott definiert. Als Letztes ist noch auf die geschichtliche Verankerung des Gesetzes in den Geschichtspsalmen zu verweisen. Hier hat sich insbesondere Ps 78 als prägend erwiesen, wo die Gesetzesgabe der eigentlichen Geschichte vorausgeht und von Anfang an als Beurteilungsinstanz präsent ist. In dieser Darstellung bekommt das Gesetz eine Gründungslegende, die der Forderung des Gesetzesgehorsams in den Texten aus nachexilischer Zeit Autorität verleiht und das (dtn.-dtr.) Gesetz an die Stelle der vorexilischen Identitätsmarker setzt. Sowohl in Bezug auf die Geschichtshermeneutik wie auch in Bezug auf das Gesetzesverständnis liegen konzeptionelle Berührungen mit den Qumrantexten vor. So zeigen diese Texte eine mit den Geschichtspsalmen vergleichbare Aneignung der biblischen Geschichte, wenn die Gemeinschaft ihre eigene Geschichte in das Geschichtsbild von Gott und Gottesvolk einzeichnet (vgl. dazu CD I-VIII, 1QS I-III).51 Dabei kehren die aus den Geschichtspsalmen bekannten identitätsstiftenden Paradigma wieder. So stellt sich die Gemeinschaft in den Paränesen der Damaskusschrift CD IIII in den mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossenen Bund hinein (vgl. Ps 105), während die Gemeinschaftsregel 1QS den Bundeseintritt mit einem Sündenbekenntnis eröffnet, in dem Ps 106,6 anklingt: ‚Die in den Bund eintreten, sollen nach ihnen bekennen mit folgenden Worten: Wir haben Unrecht getan, Übertretungen begangen, gesündigt, gottlos gehandelt, wir und unsere Väter vor uns‘ (העוברים בברית מודים אחריהם לאמור נעוינו [פ]שענו [חט]אנו הרשענו אנו [ וא]בותינו מלפנינו, 1QS I,24f.). Hier wie dort ist die Sünde in der Tatgemeinschaft mit den Vorvätern das identitätsstiftende Moment. Dabei verbindet die Gemeinschaft das Konzept des Bundes mit dem Gesetzesgehorsam, den bereits Ps 78 zur Beurteilungsinstanz der biblischen Geschichte macht. So entscheidet das rechte Verständnis der
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Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu ASSMANN/ASSMANN vor, die der Sünde im Rahmen ihrer Konzeption des kulturellen Gedächtnisses eine rein negative Funktion zuschreiben; die Sünde (im Sinne der Untreue) entsteht als Potentialität aus der exklus iven Bindung an den einen Gott und ist als Negationskraft der neuen Religion negativ zu bewerten (vgl. J. ASSMANN, Unterscheidung, 156–160). 51 Vgl. KRATZ, Israel, 214f.
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Tora über die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, die sich darin von ihren Feinden abgrenzt (vgl. 1QS I-III).52 Für das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart als Identität in der Zeit ist in den biblischen Geschichtspsalmen zum anderen kennzeichnend, dass die Zeitumstände der Gegenwart die poetische Verarbeitung der biblischen Ereignisse beeinflussen.53 Die Besonderheit der alttestamentlichen Geschichtsschreibung liegt dabei darin, dass gerade nicht die Entsprechung zwischen Erfahrung und Wirklichkeit die Regel ist, sondern dass die Texte von einem kontrafaktischen Verstehen der Zeitumstände zeugen.54 Diese Art der Wirklichkeitsdeutung steht in fundamentalem Gegensatz zum altorientalischen Weltbild dieser Zeit, das gerade durch „ein Entsprechungsverhältnis zwischen evidenter Erfahrung und göttlicher Wirklichkeit“55 gekennzeichnet ist. In dieser Weltsicht ist das Ende von Staatlichkeit und Kult mit dem Ende des Staatsgottes und seines Volkes gleichzusetzen. Dagegen zeugen die israelitischen Geschichtspsalmen von einem Verstehen der Zeitumstände, das die neue Identität gerade gegen die geschichtlichen Erfahrungen setzt. 56 Das beginnt bereits im Miriam- und Meerlied Ex 15, wo die literarische Entwicklung Zeugnis davon ablegt, wie die Gründung des Gottesvolkes in die biblische Frühzeit verlegt wird und damit unabhängig von den vorexilischen Rahmenbedingungen wie König, Staat und Tempel erfolgt. Im Folgenden bekräftigt der Verfasser des Grundpsalms 78 in der geschichtlich legitimierten Erwählung von Juda, Zion und David pro-judäische Restaurationshoffnungen zu einer Zeit, in der Juda persische Provinz ist und die Eigenständigkeit unter einem davidischen Herrscher in weite Ferne gerückt ist. In gleicher Weise erweist sich Ps 105 als ein Psalm, der gegen die Erfahrungen des Fremdseins in der Exils- und Diasporawirklichkeit an der Gültigkeit der Landverheißung festhält, die im Abrahambund eine geschichtliche Verankerung erhält. In dieser Form der Identitätsarbeit wird nicht nur dem Volk eine neue Identität gegen die Erfahrungen der Realität gesetzt, sondern es kann auch an der Souveränität und Allmacht Gottes festgehalten werden. Schriftliches Zeugnis dafür, dass Jhwh als der Gott Israels die Identitätskrise der 52
40.
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Vgl. KRATZ, Israel, 212; siehe auch die Darstellung bei METSO, Serekh Texts, 21–
So auch KRATZ, Suche, 291. Zum identitätsstiftenden Aspekt eines kontrafaktischen Verständnisses der geschichtlichen Zeitumstände in der alttestamentlichen Literatur vgl. allgemein T HEISSEN, Tradition, insbes. 174–188, sowie den Beitrag von VAN OORSCHOT zum Deuterojesajabuch ( VAN OORSCHOT, Geschichte, insbes. 50–52). 55 VAN OORSCHOT, Geschichte, 51. 56 Hier sei darauf hingewiesen, dass dies kein Alleinstellungsmerkmal der G eschichtspsalmen ist, sondern auf weite Strecken für die Geschichtsschreibung im Alten Testament gelten kann. 54
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nachexilischen Zeit überlebt hat, legen die Bekenntnisse zu seiner Überlegenheit in Ps 135 und 136 ab. Identitätsschreibung in den Geschichtspsalmen ist damit zu einem wesentlichen Teil theologische Identitätssetzung, indem das Volk sich als Gegenüber zu seinem Gott definiert: „Identitätsgewinn gibt es nur als Gottesgewinn.“ 57 Damit bleibt drittens die Frage, wie die Einheit von Vorlage und Rezeption bzw. die Verschränkung von Geschichte und Gegenwart gestiftet wird. Der hermeneutische Schlüssel, durch den der Abstand überbrückt wird, liegt in der Form der Geschichtspsalmen als Gebetstexte und damit in der Identität im Gebet. Die Identitätsstiftung wird im Akt des gedanklichen Gebetes vollzogen, indem die Psalmleser sich die kollektive Identität Israels im Nach-Lesen und Nach-Beten aneignen. Zwar hat sich gezeigt, dass die Geschichtspsalmen keinen kultischen Sitz im Leben haben, aber sie evozieren den kultischen Rückraum des Tempelkults, vor dem sie gelesen und verstanden werden wollen. 58 Das Gebet wird zu einem Akt des Intellekts im Gewand der kultischen Handlung, wobei der Wiedergebrauchswert der Texte eben nicht im kultischen Vollzug liegt, sondern in der persönlichen Frömmigkeitskultur. Dabei bietet die Auslegung der biblischen Geschichte in Form von Gebetstexten in mehrfacher Hinsicht einen Mehrwert für die intendierten Rezipienten. Zuerst verlangt das private Gebet anders als die Ursprungslegenden der erzählenden Überlieferung eine Entscheidung des Lesers, der sich auf die vorgegebene Beziehung mit seinem Gott einlassen muss. 59 Die Psalmleser und Psalmbeter der nachexilischen Zeit werden die Geschichtspsalmen in der Regel nicht mit der Distanz des modernen Exegten gelesen haben, sondern die Texte nehmen sie in die Pflicht des spiritualisierten Gebetes. Auf diese Weise vermitteln die Psalmen eine Glaubens- und Lebenshaltung, zu der sich der Leser nicht nicht verhalten kann. In diesem privaten Gebetsvollzug ereignet sich die Identitätsbildung, indem der Beter in die kollektive Identität des Gottesvolkes eintritt und zum Teil des Gottesvolkes wird. In der persönlichen Aneignung der biblischen Geschichte partizipiert er an dem, was Gott für sein Volk in der Vergangenheit bewirkt hat und was er für Israel in der Zukunft vorsieht. 60 Der Identi57 VAN OORSCHOT, Geschichte, 50; zum Zusammenhang zwischen Gottesbeziehung und Identität vgl. zuvor schon REVENTLOW, Gebet, 305. 58 Vgl. dazu schon die Erwägungen bei KRATZ, Tora, 34, zur liturgischen Gestaltung des Psalters; in Bezug auf die Geschichtspsalmen sieht auch GÄRTNER , Geschichtspsalmen, 28, im Tempelkult den „metaphorischen Bezugsrahmen“ der Texte. 59 In ähnlicher Weise betont VAN OORSCHOT, Geschichte, 49, für die Prophetenbücher die Verbindlichkeit des Sinnangebotes, das in den Prophetenworten in Form des pers onalen Zuspruches ergehe. 60 So auch die Überlegungen von KRATZ, Tora, 34, zur doxologischen Gestaltung des Psalters: „[…] so läßt der Psalter in seiner von Ps 1 und den Doxologien geprägten G e-
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tätsvollzug wird damit nicht zuletzt durch eine Verschränkung von kollektiver und individueller Identität erreicht, indem die biblische Geschichte immer die Geschichte des Gottesvolkes mit seinem Gott ist. Diese kollektive Rückbindung der persönlichen Frömmigkeit wird in der geschichtshermeneutischen Programmatik von Ps 78 reflektiert (78,3–4a). Der Redaktor schärft hier ein, dass die individuelle Identität nur in der Rückbindung an die kollektive, geschichtlich fundierte Identität zu haben ist. Darin ist jeder Israelit der nachexilischen Zeit zur Traditionsweitergabe der Taten Jhwhs in der Geschichte aufgerufen, in der sich für jede Generation neu die Vergegenwärtigung der Geschichte und die Aneignung der Identität als Volk Jhwhs ereignet. Auch in diesem letzten Punkt kann der Blick auf die Gemeinschaft von Qumran das Ergebnis weiter profilieren. So hat diese neben dem Studium der heiligen Texte auch eine eigene Gebetsüberlieferung hervorgebracht, in der der Kult als Realisation der Gottesbeziehung in das persönliche schriftgelehrte Gebet überführt wird. 61 Es steht zu vermuten, dass es sich bei dieser Gebetsliteratur um eine Kompensation für den realen Tempelkult handelt, von dem die Gemeinschaft sich in seinem gegenwärtigen Zustand distanzierte.62 Ob die Distanz zum Tempel in gleicher Weise für die biblischen Geschichtspsalmen gilt, ist schwer zu sagen. Hier ist die Abgrenzung nicht ausdrücklich vollzogen und ein Text wie Ps 78 zeigt, dass der Gründung des Zion-Heiligtums heilsgeschichtliche Bedeutung zugemessen wird (78,69). Dasselbe gilt allerdings auch für viele Texte in der Gemeinschaft von Qumran, die den Zion und den Tempel in Jerusalem nicht grundsätzlich ablehnen. Es bleibt festzuhalten, dass die biblischen Psalmen mit dem Weg in die Geschichte und in das spiritualisierte Gebet eine Alternative oder auch nur eine Ergänzung zum regelmäßigen Opferkult am Tempel bieten. Dieser Weg hat sich für das biblische Judentum stalt seinen Benutzer im privaten, dem Tempel- und Synagogengottesdienst adäquaten Gebet sowie in der von diesem Gebet vermittelten Glaubens- und Lebenshaltung an dem partizipieren, was Gott gemäß Tora und ‚Propheten‘ für die Seinen schon jetzt und in Zukunft vorgesehen hat.“ 61 Zu einer ausführlichen Untersuchung der Gebetsliteratur in Qumran siehe die einschlägigen Studien von B ILHAH NITZAN und DANIEL K. FALK sowie die dort angeführte Literatur. 62 Vgl. dazu KRATZ, Israel, 211–215. Differenziert betrachtet auch FALK, Prayers, 254, das Phänomen der Gebetsliteratur vor dem Hintergrund der Abwendung vom Tempelkult: “In the first instance, its origins [the origins of institutionalized prayer] seem to lie in the attraction of prayer to the Temple cult, rather than the need to provide a replacement for the sacrificial system. […] Loss of the Temple would then seem to have given impetus to the development and broadening of such prayer and to its system atization.” Vgl. auch seine Überlegungen in FALK, Qumran Prayer Texts, 106–126, wo sich die schöne These findet: „The caves of Qumran are the Galapagos Islands for prayer in Second Temple Judaism.“ (FALK, a.a.O., 106).
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nach der Zerstörung des zweiten Tempels als richtungsweisend erwiesen und trug entscheidend zum Fortbestand der Religion bei.
2 Zum Fortgang der Geschichte am Beispiel von Nehemia 9 2 Zum Fortgang der Geschichte am Beispiel von Nehemia 9
Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Verbindung von Geschichte und Gebet ihren literarischen Geburtsort mit Ex 15 in einem Psalm außerhalb des Psalterbuches hat. Nachdem die Auslegungsgeschichte von Ex 15 aus in den Texten des Psalterbuches weiter verfolgt worden ist, soll nun mit dem Bußgebet Neh 9 ein kurzer Ausblick über den Psalter hinaus auf die literarische Nachgeschichte des Phänomens geworfen werden. In seiner Exposition Neh 9,1–5 entwirft der Text das Szenario eines Bußgottesdienstes, in dem das Volk im Rahmen eines längeren Geschichtsrückblickes (9,6–37) die eigenen Sünden sowie die seiner Vorväter bekennt (9,2). In der Forschung wird die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Exposition und Geschichtsrekapitulation diskutiert und das Gebet mehrheitlich als eigenständiges Traditionsstück betrachtet.63 Auch wenn die Frage im Rahmen dieser Studie nicht abschließend geklärt werden kann, wird im Folgenden zu zeigen sein, dass die Geschichtsdarstellung in Neh 9 als Rezeption der psalterinternen Geschichtspsalmen verstanden werden kann, die darüber hinaus in der Exposition ein passendes literarisches setting aufweist. Diese Beobachtung spricht eher dafür, im Gebet Neh 9 eine redaktionelle Nachinterpretation innerhalb des Esra-/Nehemiabuches anzunehmen, die für ihren literarischen Kontext abgefasst worden ist.64 Damit erübrigt sich auch die Frage nach einem kultischen Sitz im Leben für den Gebetstext, der auch nur noch vereinzelt mit einer tatsächlichen Bußfeier in Verbindung gebracht wird.65 Vielmehr zeigt gerade die Mischung von prosaischen und poetischen Formmerkmalen in Neh 9, dass hier eine literarische Bildung vorliegt, die gleichermaßen durch die erzählende und die poetische Überlieferung geprägt worden ist. 66 Dabei sind es vor allem 63 Vgl. z.B. W ILLIAMSON, Structure, 285: „the prayer of Neh. 9 is in origin an independent piece from the post-exilic period.“ Vgl. ebenso REVENTLOW, Gebet, 281; B ODA, Tradition, 11, und SCHUNCK, BK XXIII/2, 268f. 64 So mit P RÖBSTL, Rezeption, 100, der aufgrund von inhaltlichen und sprachlichen Verbindungen von Neh 9 in den literarischen Kontext zu dem Urteil kommt „daß in Neh 9 eine nachchr. Bearbeitungsschicht des chr. Werkes zutage tritt“. Eine nachchronistische Abfassung erwägt auch MATHYS, Beter, 20, während B ODA, Tradition, 189– 195, eine Entstehung in der frühen Perserzeit für am wahrscheinlichsten hält. 65 Vgl. aber exemplarisch MATHYS, Beter, 21: „Sitz im Leben des Gebetes [Neh 9] dürfte eine Bußfeier sein.“ 66 Vgl. zur Form- und Gattungsfrage ausführlich P RÖBSTL, Rezeption, 29–37. Die poetischen Elemente (parallelismus membrorum, metrische Prägung) zeigen deutlich, dass
2 Zum Fortgang der Geschichte am Beispiel von Nehemia 9
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die deutlichen Verbindungen zu den Geschichtspsalmen des Psalterbuches, die Neh 9 als Fortschreibung derselben und damit als psalterexternen Geschichtspsalm kennzeichnen. Die Exposition des Gebetes in Neh 9,1–5 beschreibt, wie die Israeliten in Bußgewänder gehüllt und mit Erde auf ihren Köpfen zu einer Versammlung erscheinen (9,1), in der sie die eigenen Sünden und die Verschuldungen ihrer Väter bekennen (ויעמדו ויתודו על הטאתיהם ועונות אבתיהם, 9,2).67 Das Bußgebet wird durch die Leviten angestimmt, die sich erhoben haben (ויקם, 9,4), um die Versammlung der Israeliten in 9,5 zum Lobpreis Gottes aufzufordern. Die literarische Vorwegnahme ihrer Handlung am Anfang von 9,3 ( )ויקומוkennzeichnet diesen Vers als sekundäre Überarbeitung, in der das nachfolgende Bußgebet mit einer Gesetzesverlesung im Sinne von Neh 8 verbunden wird ( ויקומו על עמדם ויקראו בספר תורת יהוה, 9,3).68 Das eigentliche Bußgebet im Hauptteil 9,6–37 folgt dem Geschichtsaufriss von Gen–2 Kön und nennt als wichtige Stationen Schöpfung (Neh 9,6), Abrahambund (9,7f.), Exodus (9,9–11), Wüstenwanderung (9,12–21) und die Zeit im Land von der Landnahme bis zum Exil (9,22–31).69 Den Schlussteil bildet in 9,32–37 ein Klage- und Bittabschnitt, in dem die Psalmbeter ihre gegenwärtige Notsituation als Knechte im eigenen Land beklagen und Gott um sein rettendes Eingreifen bitten. Im Folgenden sind nun in einem kurzen Durchgang durch den Text Auswahl und Darstellungsprinzip der biblischen Geschichte in Neh 9 zu profilieren, um das Gebet vor diesem Hintergrund in die Literargeschichte der Geschichtspsalmen einordnen zu können.70
mit einem poetisch stilisierten Text zu rechnen ist, in dem sich die poetischen Elemente allerdings mit prosaischen Formmerkmalen mischen; so will P RÖBSTL, a.a.O., 37, hier „gehobene Prosa“ sehen; den formgeschichtlichen Mischcharakter des Stückes zwischen Poesie und Prosa betonen dagegen W ILLIAMSON, WBC 16, 305f.; B ODA, Tradition, 22; SCHUNCK, BK XXIII/2, 267; in der BHS wird Neh 9 durch das Druckbild als poetischer Text klassifiziert. 67 Zur Differenzierung der Generationen in die zwei Personenkreise der gegenwärt igen Beter und der geschichtlichen Vorväter in Neh 9,2 vgl. B IBERGER , Väter, 122f. 68 Zur Sekundarität von Neh 9,3 vgl. auch SCHUNCK, BK XXIII/2, 272; zurückhaltender urteilt W ILLIAMSON, WBC 16, 311. 69 So in der Untergliederung des Hauptteils mit W ILLIAMSON, WBC 16, 307, und SCHUNCK, BK XXIII/2, 269; mit einer weiteren Aufteilung des letzten Abschnittes in Landnahme (V 22–25) sowie Richter- und Königezeit (V 26–31) auch SCHMID, Erzväter, 302. Ein differierendes Gliederungsprinzip legt P RÖBSTL, Rezeption, 20f., zu Grunde, der in V 16 und V 23 jeweils eine Zäsur sieht, da eine andere Personengruppe in den Fokus trete, und so zu einer Untergliederung des Hauptteils in fünf Teile kommt (A: 9,6 – 8; B 1: 9,9–15; B 2: 9,16–22; C: 9,23–31; D: 9,32–37). 70 Im Rahmen des vorliegenden Ausblickes kann keine detaillierte Aufstellung der Bezugstexte von Neh 9 in der erzählenden Überlieferung gegeben werden; vgl. dazu die
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Es fällt zuerst auf, dass die einleitenden Abschnitte über die Schöpfung und den Väterbund in 9,6.7f. durch zwei Gottesprädikationen gerahmt werden, die dem Stoff der Genesis den Charakter einer theologischen Grundlegung geben. 71 So wird das Gebet in 9,6 mit einem Bekenntnis zur Einzigkeit des Schöpfergottes eröffnet ( אתה חוא יהוה לבדך את עשית את השמים )… הארץ וכל אשר עליה, der nicht nur für seine anfänglichen Schöpfungstaten gepriesen, sondern auch als derjenige gelobt wird, der die Geschöpfe am Leben erhält ()ואתה מחיה את כלם. Dem fundierenden Schöpferhandeln Jhwhs entspricht in der biblischen Geschichte die Erwählung Abrahams im Väterbund ( אתה הוא יהוה האלהים אשר בחרת באברם, 9,7), der mit der Landverheißung zum Ausgangspunkt des göttlichen Geschichtshandelns wird. Der Hauptbezugstext für diesen Abschnitt ist der nichtpriesterschriftliche Abrahambund in Gen 15, an den die Herausführung aus Ur (Neh, 9,7; vgl. Gen 15,7), die Völkerliste (Neh 9,8; vgl. Gen 15,18–21) und die konkrete Formulierung des Bundesschlusses mit der hebräischen Wurzel כרתangelehnt sind (וכרות עמו הברית, Neh 9,8; vgl. ביום ההוא כרת יהוה את אברם ברית, Gen 15,18). Die literarische Abhängigkeit wird aber insbesondere an Neh 9,8 deutlich, wo Abraham dadurch als Bundesempfänger qualifiziert wird, dass sein Herz von Gott als treu befunden wird (ומצאת את לבבו נאמן לפניך, 9,8). Darin wird die Aussage über Abrahams Glauben an die konkreten Verheißungen Gottes in Gen 15,6 ( )והאמן ביהוהin eine grundsätzliche Charakterisierung seiner Person überführt, so dass der Glaube Abrahams in den Gegensatz zur wesenhaften Sünde des Volkes tritt und die Erwählung des Erzvaters begründet (בחרת באברם, Neh 9,7).72 Neben Gen 15 hat aber auch der priesterschriftliche Abrahambund Gen 17 literarisch Pate gestanden. Auf diesen Bundestext geht zuerst die Umbenennung Abrams in Neh 9,7 zurück (vgl. Gen 17,5). Die priesterschriftliche Konzeption ist ferner darin aufgenommen, dass das Gebet Neh 9 ebenso wie die Priesterschrift nur einen einzigen Bundesschluss (mit Israel/Abraham) kennt, in dem das Gottesverhältnis begründet wird und der im Gesamtaufriss der jeweiligen Komposition die Spannung zwischen Landverheißung und Erfüllung exponiert.73 Der Abschnitt über den Abrahambund endet in Neh 9,8 im hinteren Rahmen mit dem Bekenntnis zu Gottes Gerechtigkeit ()כי צדיק אתה,74 die Kommentarliteratur sowie ausführlich P RÖBSTL, Rezeption, 50–105, und NEWMAN, Praying, 55–114. 71 Zur Sonderstellung dieses Abschnittes im Rahmen der Geschichtsdarstellung vgl. auch P RÖBSTL, Rezeption, 88f.; SCHMID, Erzväter, 304. 72 Ähnlich auch P RÖBSTL, Rezeption, 51, der hier eine „späte Fortentwicklung in Israels Erwählungsglauben“ sieht: „Israel bewältigt sein Versagen als auserwähltes Volk, indem es die Erwählung an herausragenden Gestalten seiner Geschichte festmacht“; vgl. dazu ferner B IBERGER , Väter, 124. 73 Vgl. dazu auch P RÖBSTL, Rezeption, 52. 74 Zur Hervorhebung dieser Aussage vgl. auch W ILLIAMSON, WBC 16, 312.
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dieser in der Erfüllung der Landverheißung (!) erwiesen hat. Die Vorwegnahme der Landgabe im Eingang des Gebetes zeigt bereits an, dass die Beter Gottes Bundestreue nicht in Zweifel ziehen wollen; es ist nicht die Gültigkeit der Landverheißung, die hier auf dem Spiel steht, sondern das Problem ist die Knechtschaft im verheißenen Land, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird. 75 Im nachfolgenden Hauptteil finden die zwei Theologumena aus Neh 9,6.7f. Verwendung als zentrale Deutungskategorien, indem einerseits die Ereignisse der biblischen Geschichte auf die Erfüllung der Landverheißung des Abrahambundes hin geordnet werden und andererseits das Handeln Gottes an seinem Volk als Ausdruck seiner fortgesetzten Schöpfertätigkeit dargestellt wird. Die einzelnen Episoden sind dabei jeweils durch den Gegensatz zwischen der menschlichen Sünde und Gottes Bundestreue gekennzeichnet. 76 Sieht Jhwh in den ersten Episoden noch von einer Bestrafung ab, veranlasst ihn das andauernde Fehlverhalten des Volkes schließlich dazu, dieses endgültig in die Hände der Fremdvölker zu überantworten (9,30). Zugleich ist es aber Jhwhs Wesen als eines gnädigen und erbarmenden Gottes, das er in der Geschichte offenbart und das den Betern im Schlussabschnitt die Bitte um eine Wende der Not möglich macht. Der dritte Abschnitt des Gebetes in 9,9–11 behandelt die Ereignisse der Exoduserzählung, deren storyline auf den Notschrei des Volkes (9,9), die Plagen (אתת ומפתים, 9,10) als Machterweis gegenüber den Ägyptern und das Meerwunder (9,11) verdichtet wird. In diesem Abschnitt werden die Ägypter schuldig, indem sie vermessen an Israel handeln (כי הזידו עליהם, 9,10).77 Jhwh vollstreckt deshalb das Gericht an ihnen, um sich einen Namen zu machen (ותעש לך שם, 9,10). Steht in 9,9–11 mit den Ägyptern das Fehlverhalten eines Fremdvolkes im Vordergrund, ist die Darstellung der Wüstenzeit (9,12–21) ganz auf den Gegensatz zwischen Gottes fürsorgendem Handeln an Israel (Führung, Speisung, Gesetzesgabe) und der Sünde der Väter konzentriert, 78 die in der Verweigerung der Landnahme kulminiert. Die zentrale Heilsgabe der Wüstenzeit ist die Gesetzesgabe am Sinai, in der die Israeliten die göttli75
Zur hermeneutischen Verbindung zwischen dem geschichtlichen Abrahambund und dem Anliegen der Beter in Neh 9 vgl. auch W ILLIAMSON, WBC 16, 312: „This last [the covenant] is elaborated in terms of the gift of the land, and so draws into prominence the major focus of the remainder of the prayer.” 76 So auch STECK, Israel, 61, der den geschichtlichen Rückblick durch den Kontrast „Jahwes Bundestreue – Israels Bundesbrüche“ bestimmt sieht. 77 Das Beurteilung des ägyptischen Fehlverhaltens mit dem Verbum זידgeht vermutlich auf Ex 18,11b zurück, wo Jitro im rückschauenden Urteil das Verhalten der Ägypter als vermessen ( )כי בדבר אשר זדוeinstuft; zum Bezug auf diese Aussage vgl. auch B ERNER , Exoduserzählung, 422f. 78 Vgl. B LENKINSOPP , Ezra – Nehemiah, 304.
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chen Gebote erhalten, die als grundlegend gut gekennzeichnet sind (ותתן להם משפטים ישרים ותורות אמת חקים ומצות טובים, 9,13). Vor diesem Hintergrund ist es umso unerklärlicher, dass das Volk auf die Gesetzesgabe mit dem Abfall von Jhwh reagiert. In einem Kompendium vorliegender Sündenvorstellungen aus Pentateuch und Psalmen handeln die Israeliten zuerst in einer Aufnahme der Sünde Ägyptens vermessen (הזידו, 9,16; vgl. für die Ägypter 9,10).79 Die Vorstellung, dass Israel sich halsstarrig verhält, ist dagegen der Episode über das Goldene Kalb entnommen (ויקשו את ערפם, 9,16.17; vgl. Ex 32,9; 33,3.5; 34,9) und bezeichnet im Deuteronomium generell das Versagen Israels in der Wüste (Dtn 9,6.13; 31,27). Grundlegend wird dieses Fehlverhalten als Auflehnung gegen Gott charakterisiert, da das Volk sich weigert, auf seine Gebote zu hören (ולא שמעו אל מצותיך, Neh 9,16), in Aufnahme von Ps 106,7 die göttlichen Wundertaten vergessen hat (ולא זכרו נפלאתיך, Neh 9,17)80 und wie in Ps 78,10 den Gehorsam verweigert (וימאנו לשמע, Neh 9,17).81 Die Auflehnung Israels kulminiert darin, dass sie einen Anführer einsetzen, der sie zur Knechtschaft in Ägypten zurückführen soll ( ויתנו ראש לשוב לעבדתם במרים, 9,17).82 Darin setzen die Israeliten den Beschluss von Num 14,4 in die Tat um (נתנה ראש ונשובה )מצרימהund verweigern sich faktisch der Landnahme. Dass es trotz dieses Fehlverhaltens in der Wüste nicht zu einem Gericht kommt, wird in Neh 9,17 in einem Zitat der Gnadenformel mit dem Wesen Gottes als eines gnädigen Gottes beschrieben, der sein Volk nicht verlässt ( ואתה אלוה סליחות )חנו ן ורחום ארך אפים ורב ו חסד ולא עזבתם. Davon lässt er sich auch durch den Abfall zum Goldenen Kalb nicht abbringen (לא עזבתם, 9,19), sondern Jhwh setzt seine Fürsorge für das Volk und dessen Erhaltung in der Wüste unbeirrt fort (9,19–21). Ferner verleiht er den Israeliten sogar noch seinen guten Geist, um sie zu unterweisen ( ורוחך הטובה נתת להשכילם, 9,20), so dass dem Unverständnis der Väter, von dem Ps 106,7 berichtet ( לא השכילו )נפלאותיך, eigentlich gewehrt sein müsste. Der vierte Abschnitt über die Zeit im Land (Neh 9,22–31) ist gleichermaßen durch den Gegensatz zwischen der Fürsorge Gottes und der Verweigerungshaltung des Volkes gekennzeichnet, wobei mit dem Zeitpunkt 79
Vgl. dazu auch das zutreffende Urteil von MATHYS, Beter, 15: „Die Israeliten sind nicht besser als die Ägypter.“ 80 Ps 106,7: אבותינו במצרים לא השכילו נפלאותיך לא זכרו את רב חסדיך. 81 In Ps 78,10 ist die Verweigerungshaltung auf den Bund und das Gesetz bezogen: לא שמרו ברית אלהים ובתורתו מאנו ללכת. 82 Die Lesart במריםim MT (‚zu ihrer Widerspenstigkeit‘) macht im Zusammenhang mit der Angabe לעבדתםwenig Sinn; hier ist mit Verweis auf die Varianten in einigen Handschriften ( )במצריםsowie der LXX (evn Aivgu,ptw|) die Lesart במצריםvorzuziehen, bei der das ursprüngliche צim Tradierungsprozess ausgefallen ist (so in der textkritischen Entscheidung mit W ILLIAMSON, WBC 16, 301.305; B LENKINSOPP , Ezra – Nehemiah, 298.301; SCHUNCK, BK XXIII/2, 261.265).
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der Landnahme die Generation der Söhne in den Blick rückt. 83 Bei der Landgabe wird zuerst dezidiert die Übereignung der Herrschaftsgebiete der Könige Sihon und Og vermerkt (9,22), worin das geschichtliche Hallel Ps 135f. anklingt, das gleichermaßen vom Sieg über die zwei kanaanäischen Herrscher berichtet. Gott erweist seine Bundestreue, indem er die Söhne in einer Einlösung der Verheißung aus Gen 15,5 zahlreich macht wie die Sterne des Himmels ( ובני הם הרבית כככבי השמים, Neh 9,23) und ihnen das Land mit seinen Bewohner übergibt (9,23–25). Aber auch die Söhnegeneration beantwortet Gottes Bundestreue mit wiederholtem Abfall, der in Neh 9,26–31 in drei Episoden dargestellt wird (9,26f.; 9,28; 9,29–31(.84 So werden die Israeliten zuerst widerspenstig, verwerfen das Gesetz und töten schließlich die Propheten, die sie wieder zu Gott zurückführen wollen ( וימרו וימרדו בך וישלכו את תורתך אחרי גום ואת נביאיך הרגו, 9,26). In dieser Aussage kommt die Vorstellung zum Tragen, dass die Propheten als Ausleger des Gesetzes fungieren, wobei die Tötung der Propheten gegenüber der in 2 Chr 24,19–21 berichteten Ermordung des Propheten Secharja generalisiert und in die staatenlose Zeit im Land vorverlegt wird.85 Anders als in der Wüstenzeit kommt es im Land zu einer Strafhandlung Gottes, der sein Volk den Feinden übergibt (9,27), sich im Folgenden aber durch den Notschrei des Volkes erweichen lässt. Als Ausdruck seines Erbarmens (כרחמיך, 9,27) stellt er den Israeliten die aus dem Volk erwählten Richter zur Seite, die es aus der Feindeshand retten. Diese Auftaktepisode ist aber nur der Beginn eines wiederkehrenden Zyklus, der in Neh 9,28 in Anlehnung an das Richterschema Ri 2,6–3,6 beschrieben wird: 86 Die nachfolgende Ruhe ist nicht von langer Dauer, sondern die Israeliten verüben erneut Böses vor Jhwh ( וכנוח להם ישובו )לע שות רע לפניך, was zu ihrer Übereignung an die Feinde führt, bis Jhwh sich ihrer erbarmt und sie mehrere Male errettet (ותצילם כרחמיך רבות עתים, Neh 9,28). Die letzte Sündenepisode in 9,29–31 beschreibt schließlich die 83 Neh 9 folgt hier der Darstellung der priesterlichen Kundschafterepisode in Num 13f. bzw. dem Geschichtsrückblick in Dtn 1,19–46, wonach die Generation der Kundschafter und damit die Vätergeneration in der Wüste sterben wird. 84 Zu dieser Dreizykligkeit der Darstellung in Neh 9,26–31 vgl. W ILLIAMSON, WBC 16, 315f.; B LENKINSOPP , Ezra – Nehemiah, 306; SCHUNCK, BK XXIII/2, 279f. 85 Eine Ausweitung des Einzelfalls 2 Chr 24,19ff. zu einem generellen Fehlverhalten in Neh 9,26 sieht auch P RÖBSTL, Rezeption, 76f.; vgl. zuvor schon ausführlich STECK, Israel, 61–63, der Neh 9,26 allerdings auf die Königszeit bezieht. 86 MATHYS, Beter, 12f., beschränkt die Berührungen auf Ri 2,10–19, nimmt aber zusätzlich noch Ez 20 hinzu; die beiden Texte lieferten „das Grundgerüst für die schemat ische Darstellung von Neh 9,26–31“. Die Berührungen zwischen Neh 9 und Ez 20 können hier nicht mit einbezogen werden, vgl. aber im Folgenden zur Rezeption von Ez 20,25 in Neh 9,13 und siehe ausführlich P OLA, Priesterschrift, 199–207, sowie B IBERGER , Väter, 137f.
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Exilierung des Volkes, das Jhwh in die Hände der Fremdvölker gibt (ותתנם ביד עמי הארצת, 9,30). Hier sind zwei Besonderheiten zu vermerken: Zuerst wird die Sünde des Volkes in 9,29 grundsätzlich als Abfall von den Gesetzen gekennzeichnet, durch die der Mensch lebt, wenn er sie tut (ובמשפטיך ) חטאו בם אשר יעשה אדם וחיה בהם. Diese Aussage schlägt einen Bogen zum einleitenden Bekenntnis zu Gott als des Schöpfers, der seine Geschöpfe am Leben erhält ( ואתה מחיה את כלם, 9,6). Indem die Israeliten den Gesetzesgehorsam verweigern, verweigern sie sich zugleich ihrer schöpfungsgemäßen Bestimmung, da in der lebenserhaltenden Funktion des Gesetzes Gottes Schöpfermacht aktualisiert wird. Allerdings wird auch die Exilsstrafe als Ausdruck von Gottes gnädigem Wesen interpretiert, der in seinen Erbarmungen kein Ende mit seinem Volk gemacht und es nicht verlassen hat ( וברחמיך הרבים לא עשיתם כלה ולא עזבתם כי אל חנון ורחום אתה, 9,31).87 Mit ועתהin 9,32 ist am Beginn des Schlussabschnittes (9,32–37) der Umbruch zur Gegenwart markiert. Das hier vorgebrachte Anliegen der Sprecher konzentriert sich auf drei Aspekte: Zuerst erkennen sie die Bundestreue ihres Gottes an (שומר הברית והחסד, 9,32; vgl. כי אמת עשית, 9,33), der in der Geschichte gerecht an ihnen gehandelt hat (ואתה צדיק על כל הבא עלינו כי אמת עשית, 9,33). Dem steht zweitens die wiederholte Auflehnung des Volkes gegenüber, die die Beter stellvertretend für ihre Vorväter sowie unterschiedliche Funktionsträger im Volk bekennen (9,33f.). Die Sünde ist Ausdruck ihrer Gottlosigkeit (ואנחנו הרשענו, 9,33) und manifestiert sich im Ungehorsam gegen das Gesetz (לא עשו תורתך, 9,34), das als Gottesgabe „austauschbar mit Jahwe“ 88 selbst ist. Erstaunlich ist dabei drittens die Tatsache, dass die Einsicht in den generationenübergreifenden Schuldkonnex bei den Betern weder dazu führt, dass sie Besserung geloben, noch dazu, dass sie um Entschuldigung bitten.89 Vielmehr ergeben sich Zukunftsperspektiven für das gegenwärtige Israel allein aus Gottes Bundestreue und dem Wissen darum, dass er selbst im Gericht gnädig handelt.90 Die Sprecher stellen in 9,35f. deshalb die Geschichte und die Gegenwart gegenüber und beklagen die Tatsache, dass sie ‚heute‘ Knechte im verheißenen Land sind ( הנה אנחנו היום עבדים … הנה אנחנו עבדים עליה, 9,36). Das eigentliche Anliegen der Beter erschließt sich somit nur indirekt. In dem vorsichtigen Appell, Gott möge ihre gegenwärtige Mühsal als Fortsetzung 87 So auch MATHYS, Beter, 17: „Es gehört vielmehr zu seinem [Gottes] Wesen, gnädig und barmherzig zu sein; darauf beruht die Hoffnung der Beter.“ 88 SCHUNCK, BK XXIII/2, 282. 89 So auch W ILLIAMSON, WBC 16, 318: „It [the prayer] offers no excuse for the past conduct of the nation“. 90 Vgl. SCHMID, Erzväter, 305: „Angesichts dieser – in eins gesehenen – Schuld der Väter und der Betenden ergeben sich für Israel Zukunftsperspektiven allein aus dem Wissen darum, daß Jhwh auch im Gericht gnädig ist.“ Ähnlich auch P RÖBSTL, Rezeption, 90.
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der biblischen Erfahrung Israels nicht gering achten (אל ימעט לפניך את כל התלאה אשר מצאתנו, 9,32), formulieren sie die Hoffnung, dass Gott seine Gnade und Bundestreue ein weiteres Mal erweisen möge, um die Beter aus ihrer derzeitigen Knechtschaft zu erretten. Hier wird das Gebet transparent für die Situation des nachexilischen Judentums, das trotz der anhaltenden Fremdherrschaft auf eine (selbstbestimmte) Zukunft im eigenen Land hofft.91 Es ist unbestritten, dass die Geschichtsdarstellung in Neh 9 die erzählende Überlieferung der biblischen Geschichtsbücher in einem weit fortgeschrittenen Wachstumsstadium voraussetzt und rezipiert. 92 Von größerer Bedeutung für die hier verfolgte Fragestellung ist allerdings die Beobachtung, dass Neh 9 darüber hinaus auch eine Reihe von konzeptionellen Verbindungen mit den psalterinternen Geschichtspsalmen aufweist. So fällt zuerst auf, dass das Gebet Neh 9 vergleichbar mit Ps 78 den Gesetzesgehorsam zum Kriterium des menschlichen Verhaltens in der Geschichte macht. Allerdings wird die Gesetzesgabe nicht als Gründungsgeschehen im Eingang des Gebetes verhandelt (vgl. Ps 78,5), sondern sie wird in Neh 9,13f. als Teil des Sinaigeschehens an ihren literarischen Ursprungsort zurückverlegt. Die Sünde der Väter, die als grundlegender Abfall vom Gesetz dargestellt wird, beginnt deshalb auch erst in der Wüste, nachdem die Gesetzesgabe am Sinai erfolgt ist. Wie Ps 106 kennt Neh 9 damit einen qualitativen Unterschied zwischen dem Verhalten der Väter in Ägypten und ihrem Fehlverhalten in der Zeit nach dem Exodus. Während Ps 106 das Schilfmeerwunder aber als positives Glaubensparadigma verwendet, lässt Neh 9 das Verhalten des Volkes in Ägypten unkommentiert, und nach der Gesetzesgabe am Sinai beginnt die Geschichte des wiederkehrenden Abfalls. Dabei tritt der Autor von Neh 9 der Vorstellung entgegen, dass die Sünde sozusagen mit dem Gesetz in die Welt gekommen sei, und zielt in 9,13 pointiert darauf ab, dass Gott dem Volk gute, d.h. prinzipiell erfüllbare, Gesetze gegeben hat (ותתן להם משפטים ישרים ותורות אמת חקים )ומצות טובים.93 Vermutlich liegt mit dieser Aussage eine innerbiblische Polemik gegen den prophetischen Geschichtsrückblick in Ez 20 vor, wo Jhwh der Söhnegeneration als Strafe für ihren Gesetzesungehorsam Gebo91 W ILLIAMSON, Structure, 292f., will Neh 9 mit der in Israel nach 587 v. Chr. ve rbliebenen Gruppierung in Verbindung bringen, die ihren Anspruch auf das Land in R ekurs auf Abraham begründet (vgl. Ez 11,15; 33,24). Dagegen ist aber einzuwenden, dass Abraham bereits in Ps 105 als Repräsentant Ganz-Israels auftritt und Neh 9 schon aufgrund der literarischen Bezüge in zeitlicher Distanz von möglichen nachexilischen Ko nflikten zwischen Exilierten und im Lande verbliebenen Bevölkerungsgruppen entstanden sein muss (vgl. zum Bezug von Neh 9 auf die nachexilische Situation Ganz -Israels auch B IBERGER, Väter, 131.136). 92 Vgl. exemplarisch P RÖBSTL, Rezeption, 86–88; B ODA, Tradition, 195f. 93 So auch MATHYS, Dichter, 14.
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te gibt, die ‚nicht gut‘ sind und durch die sie nicht leben werden (וגם אני נתתי להם חקים לא טובים ומשפטים לא יחיו בהם, 20,25). Mit der inhärenten Gutheit des Gesetzes hebt der Autor von Neh 9 nicht allein die Unerklärbarkeit der Sünde hervor, vielmehr wird das Gesetz im Bußgebet zur Konkretion von Gottes erhaltender Schöpfermacht, da der Mensch durch den Gesetzesgehorsam leben soll ( ובמשפטיך … אשר יעשה אדם וחיה בהם, 9,29; vgl. 9,6: ) ואתה מחיה את כלם. Mit dem einleitenden Bekenntnis zu Gottes Schöpfermacht und der historischen Konkretion seines Schöpfungswillens in der Gesetzesgabe am Sinai berührt sich das Bußgebet Neh 9 mit der Redaktionsgeschichte der Psalmen 104–106. Dort konnte bereits Ps 105 als geschichtliche Transformation des Schöpfungsgeschehens in Ps 104* verstanden werden; diese Auslegungslinie ist dann weiter im geschichtlichen Hallel Ps 136 und Ps 135 zu verfolgen, wo die anfängliche Schöpfung in die Geschichtsdarstellung integriert wird.94 Es kann vermutet werden, dass Neh 9 die Verbindung von Schöpfung und Geschichte in diesen Psalmengruppen voraussetzt und gezielt mit der Gesetzesthematik in Beziehung setzt. Auf die Zwillingspsalmen 105f. verweisen schließlich auch zwei inhaltliche Gesichtspunkte: Mit Ps 105 verbindet das Bußgebet die grundlegende Bedeutung des Abrahambundes und der darin ergangenen Landverheißung. Ist der Erzvater Abraham in Ps 105 aber nur eine herausragende Gestalt in der Geschichte Israels, durch die eine heilsgeschichtliche Kontinuität mit den Psalmbetern hergestellt wird, so wird er in Neh 9 in seiner Treue zum Gegenbild des sündigenden Volkes und damit auch des Israel in der Gegenwart. Mit Ps 106 berührt sich die Geschichtsdarstellung von Neh 9 schließlich in der Einsicht in den Sündenkonnex zwischen der gegenwärtigen Generation und den geschichtlichen Vorvätern ( חטאנו עם אבותינו העוינו הרשענו, Ps 106,6; vgl. Neh 9,2: )ויתודו על חטאתיהם ועונות אבתיהם. In beiden Texten hat das Sündenbekenntnis des Volkes keine erzieherischen Folgen, sondern die Hoffnung der Beter richtet sich ganz auf Gott, den sie bei seinem Wesen als eines gnädigen Gottes behaften können, der sein Volk nicht verlässt (vgl. ולא עזבתם, Neh 9,17.19.31). Die wiederholte geschichtliche Erfahrung der göttlichen Gnade erlaubt den Betern die Bitte um Gottes notwendendes Eingreifen (Ps 106,47; Neh 9,32). Auf diese Weise kann der Geschichtspsalm Neh 9 mit seiner erzählerischen Einbettung in die Bußfeier als szenische Umsetzung des Sündenbekenntnisses aus Ps 106,6 verstanden werden. Allerdings hat sich das Anliegen der Beter geändert: Sie erflehen in Neh 9 nicht mehr die Rettung aus Exil und Diaspora, sondern die Sprecher erhoffen sich eine Befreiung aus der Knechtschaft im verheißenen Land. Dies ist deutliches Indiz für eine Ansetzung in der spät94
Vgl. dazu o. Kap. IV. 4.3 sowie Kap. V. 3. und 4.
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nachexilischen Zeit. Abschließend ist noch zu notieren, dass in Neh 9,22 bei der Landgabe vergleichbar mit den Psalmen 135f. speziell die Einnahme der Gebiete der kanaanäischen Könige Sihon und Og vermerkt wird (vgl. 135,11f.; 136,19–21). Das den Texten gemeinsame Interesse am Sieg über Sihon und Og ist m.E. klares Indiz für das literarischen Auslegungsverhältnis, wobei Neh 9 erneut der rezipierende Text ist. 95 Bezieht man die weiteren dargestellten Berührungen zwischen den psalterinternen Geschichtspsalmen und dem Bußgebet Neh 9 mit ein, liegt der Schluss nahe, dass Neh 9 eine (literarische) Systematisierung und Weiterführung der psalterinternen Geschichtspsalmen darstellt. 96 Die Bedeutung dieses Gebetstextes für die Rezeption der biblischen Geschichte liegt darin, dass die im Psalter entwickelte Geschichtshermeneutik in die erzählende Überlieferung (rück-)transferiert wird, wo mit Ex 15 auch der literarische Geburtsort des Phänomens vorliegt. In Neh 9 stiftet die Geschichtsrezeption im Rahmen der dargestellten Bußfeier eine konstitutive Vergangenheit, auf deren Grundlage das Volk seine Sünden bekennen und Gott um Rettung aus der Knechtschaft im Land bitten kann. Bildet Ex 15 damit den Gründungsmythos für das Gottesvolk in der Frühzeit, liegt mit Neh 9 das literarische Gegenstück vor: In diesem Gebetstext gibt sich das nachexilische Judentum eine Gründungslegende, in der die Identität des Gottesvolkes über das geschichtlich fundierte Verhältnis zum Gesetz definiert wird. Neh 9 ist damit auch Zeugnis dafür, wie das Gesetz an die Stelle der vorexilischen Identitätsmarker tritt und zu einer wichtigen Grundlage des Judentums in persischer und hellenistischer Zeit wird. Im Rückblick markiert Ps 78 den Anfang dieser Entwicklung, insofern das Gesetz hier zum Gründungsgeschehen in der biblischen Geschichte wird und das Verhältnis zwischen Gott und Mensch von Anfang an bestimmt.
3 Ausblick 3 Ausblick
Die vorgelegte Untersuchung hat sich mit der Rezeption der biblischen Geschichte in den Psalmentexten des Alten Testaments beschäftigt. Der 95 Anders FENSHAM , Neh. 9, 44, der die gemeinsame Nennung von Sihon und Og in Ps 135f. und Neh 9 auf eine „Deuteronomistic tradition“ zurückführen will. 96 Eine (traditionsgeschichtliche) Verwandtschaft notiert auch REVENTLOW, Gebet, 279; dagegen hält P OLA, Priesterschrift, 201, die These für problematisch, dass das Bußgebet in Neh 9 „grob an Ps 78, 105 und 106 angelehnt“ ist; vielmehr will er den formalen und theologischen Rahmen auf Ez 20 zurückführen (ebd.). Ohne die Berührungen zwischen Neh 9 und Ez 20 bestreiten zu wollen, können die hier aufgezeigten Verbi ndungen zu den psalterinternen Geschichtspsalmen nicht einfach vernachlässigt werden; dazu ist als weiteres Argument auf die poetische Form von Neh 9 zu verweisen, die das Bußgebet in die formale Nähe zu den Geschichtspsalmen im Psalterbuch rückt.
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Ertrag dieser Studie kann unter zwei Gesichtspunkten gebündelt werden: So konnte zuerst gezeigt werden, dass die behandelten Texte in eine literarhistorische Wachstumslinie einzuordnen sind, die vom Miriam- und Meerlied Ex 15 über die Psalmentexte im Psalter bis hin zu Neh 9 reicht. Ex 15 stellt dabei den literarischen Ursprungsort des Phänomens dar, da sich Geschichte und Gebet hier zum ersten Mal verbinden und im Rahmen der Exoduserzählung auch ein (fiktionaler) Sitz im Leben für diese Verbindung gegeben ist. Die Rezeption von Ex 15 in den Psaltertexten legt nachfolgend Zeugnis davon ab, wie die biblische Geschichte in immer neuen Geschichtsentwürfen rezipiert und darin zugleich modifiziert wird. Die Texte haben sich darüber hinaus als psalterkompositorische Schlüsseltexte erwiesen, indem sie an redaktionsgeschichtlichen Schaltstellen des Psalters stehen und diesen sukzessive zum Gebetbuch Israels formen. In ihrer Abfolge zeichnen die Psalmen die Geschichte Israels mit seinem Gott nach und setzen sich zu einem Gesamtbild von der Schöpfung bis hin zur universalen Nahrungsversorgung als Vorschein des Reiches Gottes zusammen. Dies führt uns zu unserem zweiten Gesichtspunkt. In ihrem redaktionsgeschichtlichen Wachstum bilden die untersuchten Psalmentexte einen fortlaufenden Identitätsdiskurs ab, in dem das nachexilische Israel sich darüber verständigt, wer der Gott Israels und wer das Gottesvolk Israel ist. Auch in dieser hermeneutischen Perspektive kann Ex 15 als Schlüsseltext für die Geschichtspsalmen gelten, da im literarischen Wachstum des Kapitels exemplarisch zu beobachten ist, wie die biblische Geschichte in das Gebet transformiert wird. Die Geschichtspsalmen des Psalters stellen in der Folge unterschiedliche Ausdrucksformen dieser Identitätsarbeit dar, die von der anfänglichen Stiftung des Selbst- und Gottesverständnisses über unterschiedliche Modifikationen der Identität bis zu ihrer Überführung in das Bekenntnis reichen. Hinter dieser fortlaufenden Identitäts(zu)schreibung steht der Versuch, an der Selbigkeit Gottes und seines Volkes auch unter wechselnden Herausforderungen in der Zeit festzuhalten. Die Besonderheit der Rezeption der biblischen Geschichte in den Psalmentexten liegt dabei darin, dass die Identität Israels nicht nur schriftlich fixiert wird, sondern in der Form des Gebetes auch ein kultischer Rückraum eröffnet wird. Im spiritualisierten Gebetsvollzug kann der Einzelne in die Geschichte des Gottesvolkes eintreten und sich die Identität Israels aneignen.
Literaturverzeichnis Im Folgenden sind die in der Arbeit verwendeten Quellenausgaben sowie die zitierten Publikationen aus der Sekundärliteratur aufgeführt. Sämtliche ins Verzeichnis aufgenommene Literatur wird in der Regel mit Verfassernamen und Kurztitel zitiert, Artikel mit dem Zusatz „Art.“ und Kommentare mit Verfassernamen und Kommentarreihe. Die Psalmenanalysen aus Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament (HThK.AT) bzw. der Neue Echter Bibel (NEB) werden unter dem Autor zitiert, der für den Abschnitt verantwortlich zeichnet. Alle Abkürzungen richten sich nach dem von S.M. SCHWERTNER besorgten Abkürzungsverzeichnis der TRE (Berlin/New York 21994 [IATG2]). Abweichend davon bzw. darüber hinaus finden folgende Abkürzungen Verwendung: FS: GesK: HThK.AT: NICOT: WBC:
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Stellenregister in Auswahl; Hauptfundstellen erscheinen kursiv; Versteile finden sich unter dem übergeordneten Einzelverseintrag
Altes Testament Genesis 1 1,1–19 1,1 1,2 1,3–5 1,4 1,7 1,9f. 1,9 1,10 1,11f. 1,12 1,14–16 1,14 1,16 1,18 1,20 1,21 1,24–26 1,25 1,28 1,29 1,31 2,7 3,19 7,4 7,11 7,19 8,22 9 9,1–6 9,11
231–233, 282, 284, 328–330, 335, 338 328 328f. 283 231 330 329 283 283, 329 330 231 330 145, 311 283 145, 328–330 330 232 117, 284, 330 284 330 284 231 284, 330 278 278, 285 117 117 283 145 220 125 283
9,12 9,15 9,16 12,10 14 15 15,5 15,6 15,7 15,18–21 15,18 17 17,5 17,6 17,7 17,8 17,9–14 17,13 17,19 17,21 17,23–27 20,1 20,7 21,23 21,43 25–36 26,2–5 26,3 32,5 34,20 35,12 35,27 37–50 37,15
220 220 220 224 225 259, 384 387 209, 259, 267, 384 384 384 221, 384 220, 224, 364, 384 384 225 220 220 125 220 220 220 125 224 225 224 221 64 222 222, 224 224 225 220 224 226 228
Stellenregister
410 37,18 38 39 41,33 41,39 45,1–15 45,5 45,6f. 45,7 45,8 46,1–5 46,8 47,4 49,3 49,15 49,22
228 64 227 227 227 226 226 226 226 226 64 227 224 135f. 165 159
Exodus 1 1,1 1,7 1,9 1,11 1,20 2,11 2,23f. 2,24 3f. 3 3,6 3,7 3,8 3,9 3,10 3,13–15 3,13 3,15 3,16 3,20 3,22 4,5 5,4f. 6 6,2–6 6,4 6,5 6,6f. 6,6 6,7
227 227 227 227 165 227 165 293 220, 265 64 35, 48, 158, 339 48, 64 158, 265, 293 158 293 228 339 35 35, 64, 339f., 370 64, 158 43, 67, 328 235 64 165 40 220 220 220, 265 165 40, 150, 247 150
7–12 7–11 7,1–7 7,3 7,4 7,5 7,8–13 7,14–25 7,17 7,20 7,21 7,24 7,26–8,11 7,26–29 7,26–28 7,28f. 7,28 8,2 8,12–15 8,16–20 8,17 8,20 9,1–7 9,8–12 9,13–35 9,15f. 9,17–10,28 9,25 9,33f. 10,1–20 10,2 10,4 10,5 10,12–14 10,15 10,19 10,21–29 10,24 10,27f. 11,2 12,1–13,16 12,1 12,11 12,12 12,24 12,29 12,33 12,35f. 12,35
95, 131–133, 135, 137, 228, 232–234, 331 132, 162f. 151 132, 228, 338 40 330f. 151 132, 229 133 133 133 133 229 133 229 133 229 229 137, 229 133, 229 133 133, 229 135 135 234 132 133 134, 230 84 230 132, 137 134, 230 133f. 134 231 134 137, 228 190 190 235 161 151 163 40 163 135, 231, 330, 338 235 235 235
Stellenregister 13,15 13,17–14,31 13,17 13,18 13,21 14f. 14 14,4 14,6 14,7 14,8 14,9 14,10 14,11 14,12 14,13 14,14 14,15–31 14,16 14,17 14,18 14,19f. 14,20 14,21 14,22f. 14,22 14,23 14,24–28 14,25 14,27 14,28 14,29 14,30 14,31 15–17 15
15,1–21 15,1–18 15,1–11 15,1–3
338 15, 19f., 359 35, 39, 150 45, 215 39, 113, 150, 235f. 48, 113 23, 28f., 32, 38, 44f., 244f., 249, 331 245 29 29, 38 45 28, 36f., 39 244 244f., 248f. 33, 244 46f., 144, 244f., 248 35 28f. 45, 58, 113, 144, 331 245 245 236 235 36, 58, 113, 117, 144, 246, 331 129 45, 129 28, 36, 39 37 35, 38, 58 58, 332 37, 39, 248, 251 45 30, 32, 148, 245, 247 19, 33, 244f., 248f., 267 115 1f., 4f., 8, 10, 12f., 15– 79, 96, 119, 130, 142– 145, 148f., 153, 157, 160, 176, 178, 180, 182f., 245, 247, 249, 251, 328, 332, 335, 345, 358–363, 367, 369, 376, 379, 382, 391f. 19, 21, 28, 30, 33, 57, 65, 96, 124 19–21, 27, 31, 137 21, 30f. 21f.
15,1 15,2
15,3 15,4–11 15,4f. 15,4 15,5 15,6–12 15,6–11 15,6–8 15,6f. 15,6
15,7 15,8–10 15,8
15,9–11 15,9 15,10 15,11f. 15,11 15,12–18 15,12
15,13–19 15,13
15,14–16 15,14f. 15,14 15,15 15,16 15,17–19
411 16, 19–24, 26, 28–30, 33f., 147f., 249, 359 16, 22, 31, 33, 36, 46– 49, 76f., 79, 144, 182, 343, 348, 360f., 367, 371 22, 26, 30, 34f., 48, 339, 359 21f. 22 17, 22f., 31f., 38f., 42, 215 21, 23, 31–33, 43, 137, 247f., 251 27 23f., 26, 31f. 30, 34, 359 23 17, 23–25, 32, 35f., 47, 63, 143, 149, 159, 183, 247 21, 23, 37, 136, 183 23, 36f., 44 21, 23f., 31, 33, 36, 44, 58, 95, 113f., 247, 359, 367 30, 34, 359 17, 21, 24, 36f., 183, 247 17, 19, 23f., 37, 137, 248, 251 31f., 43, 251, 359 24f., 31f., 43f., 49, 67, 77, 113, 149f., 21 21, 23, 25, 32, 36, 43, 63, 143, 149, 159, 183, 251 182 18, 25–27, 31f., 38–40, 42, 57, 118, 130, 142, 150, 247, 359 25, 31–33, 44–46, 150, 359 26 26, 45 26, 45 26, 32f., 45f., 63, 113, 137, 142, 183, 235 31f., 38, 40, 42, 359
412 15,17f. 15,17 15,18 15,19–21 15,19 15,20f. 15,20 15,21 15,22 15,24f. 15,25 16 16,3 16,4 16,8 16,12 16,13 17,1–7 17,2 17,6 17,7 18,11 19 19,5 20 20,6 20,22–24,10 23,20–33 23,33 24,1–8 24,7 32–34 32,4 32,8 32,9 32,11–14 32,20 32,21–24 32,31 32,35 33,3 33,5 33,12–17 33,13 33,19 34,6f. 34,6 34,7
Stellenregister 26f., 39, 41f. 18, 21, 26, 40f., 57, 119, 142, 157, 159, 182f. 26, 41f. 19 27, 32, 38f., 42 27–30, 32, 359 19, 27f. 16, 19f., 23, 27–30, 33f., 37, 39, 147f., 203 19, 32, 215 115 115, 125, 162 116, 118, 191, 236 117 115–117, 236 117, 236 117f., 236 117, 128 91, 113–115, 250, 260 115, 118, 250 113 115, 118, 250, 260 313f., 337, 370, 385 174 336 174 279 174 262 263 173 173 131, 252, 276f. 252 252f. 386 253 252 252 253 252 386 386 277 277 276 131, 246 67, 71f., 131, 277 277
34,9 34,10–26 34,12 34,15f.
276, 386 262 263 262
Leviticus 5,4 24,8 26 26,4 26,42 26,45
261 220 232 230 220 220
Numeri 11 11,1–3 11,1 11,3 11,4–35 11,4–6 11,4 11,6 11,7 11,9 11,13 11,18 11,20 11,21 11,31 11,32 11,33 11,34 13f. 13,23f. 14 14,4 14,7 14,11–25 14,11 14,13–19 14,18 14,22 14,26–29 14,29–32 14,29 14,30 14,31 14,32 14,37
115f., 118, 127f., 191, 236, 250 127, 252 127, 252 252 116 115 118, 250 116 116 116 117 117 193 117 117, 128 117 117, 128, 250 128 255f. 254 254, 256f. 386 254 254 127, 254, 267 255 131 115, 255 255 255 256f. 256 254f. 256 255
Stellenregister 16 16,3 16,4 16,5 16,6 16,7 16,11 16,12–15 16,15 16,16 16,25–34 16,31 16,32 16,33 16,34 16,35 18,19 20 20,1–13 20,4 20,10 20,12 20,13 20,15f. 20,24 21 21,4–9 21,5 21,7 21,20 21,24 21,35 23,28 25 25,1–5 25,2f. 25,2 25,3 25,6–15 25,7 25,8 25,9 25,12 25,13 26,26 27,13f. 27,14 33,1 35,33
208, 250–252 208, 251 116 208, 251f. 252 208, 251 252 250 116 252 250 116 25, 43, 251 116 25, 43 252 220, 222 244, 261, 267 260 244 261 127, 210, 260f., 267 260 8 260 333 127 127 127 250 333 333 250 257f. 258 258 258 258 258 259 258f. 258 259 259 227 210 260 151 263
Deuteronomium 1–3 1 1,19–46 1,27 1,32 1,33 1,34 1,37 2 2,25 2,33 3,3 3,26 4,9 4,13 4,19 4,21 4,27 4,34 4,44 4,45 4,46 5 5,3 5,6f. 5,10 6,4–9 6,4 6,16 6,20–24 6,20 6,22 7,1–6 7,1 7,3 7,4 7,6 7,7 7,8f. 7,8 7,9 7,12 7,16 7,17 7,19 7,24 8,2 8,15 8,18
413
45, 333 254 387 255 254f., 267 113 261 260f. 46 45f. 333 333 260f. 88, 112 221 330 260f. 224 338 112 162 333 174 176 125 279 88, 112 175 115 5 162 338 262 339 262 262 336 224 222 222 222f. 222 263 339 338 262 115, 332 332 222
Stellenregister
414 9,5 9,6 9,7 9,8 9,13 9,18 9,20 9,22 9,23 9,25–29 9,25 10,17 11,6 12 12,14 13,4 14,2 15,13 17,3 18,9 18,15–20 18,18 19,10 20,17f. 21,17 21,18 21,20 26 26,2–5 26,5 26,5–9 26,7 26,8 26,18 28,62 28,69 29,4 29,6 30,15–20 31,4 31,27 31,28 31,30 32 32,1 32,3 32,4 32,7 32,8f.
221f. 386 261 261 386 253 252 261 255, 267 253 253 319 43 122f., 125 122f. 115 336 235 330 262 112 112 263 262 135f. 112 112 9, 239 224 8, 224 5, 239 239, 293 338 336 225 221 332 333 111 333 386 111 111 1f., 4, 119, 124, 130, 167, 258, 339, 349 111, 174 339 130 112 167
32,8 32,9 32,12 32,13f. 32,15 32,16 32,17 32,18 32,21 32,26 32,30 32,31 32,36 32,37 32,50–52 32,51 33,6 33,17
167 167, 221 40, 150, 164 165 130 119, 263 263 130 119 349 130 130 339f., 370 130, 339 210 260 225 86
Josua 2 2,9 2,10f. 2,24 3,13 3,16 4,23f. 7,11 9,9f. 17,11 18,1 23,13 23,16 24,2–13 24,5 24,25
45f. 45f. 333f. 45f. 33, 44, 58 33, 44, 58 45 221 333f. 171 97 263 221 5 228 162
Richter 2,1–5 2,1 2,3 2,6–3,6 2,14 2,20 2,22 3,1 3,4 3,8 3,9 3,11
262 222 263 128, 387 129, 264 129, 221, 264 115 115 115 129, 264 293 172
Stellenregister 3,15 3,30 4 4,3 5 5,31 6,6 6,7 7f. 7,1 8,28 10,7 10,10 10,12 10,14 11,43
293 172 171 293 4 172 293 293 171 171 172 264 293 293 293 28
1. Samuel 2,1–10 2,8 3,3 4–6 7,1 12,8 15,23 15,26 16,1 16,7 18,6f. 28,7 30,25
70, 146 70 97 97f., 120f., 125 97 228 100, 122 100, 122 100, 122 100 28 171 162
2. Samuel 5–7 6,21 7,5 7,8 7,10 23,1 23,5
123 123 123 123 157 64 220
1. Könige 8,13 8,16 8,37 8,39 8,43 8,47 8,49 8,50
41 123 84 41 41 241 41 241, 266
415
9,4 11,11 11,28 17,14
124 221 165 206
2. Könige 8,1 17 17,11 17,14 17,35 18,12 21,6 23,19
227 258 119 267 221 221 215 119
Jesaja 1–11 2,3 2,21 5 5,1–7 5,5 9,1–6 9,1 9,3 10,5f. 10,6 10,27 11,11–16 11,11 11,15 12,1–6 12,2 12,10 13,21 14,25 17 17,11 17,12–14 17,13 25,1 29,1–8 29,6 33,4 35,8 35,9 35,10 40–55 40,6–8 40,18–20
48 64 159 159f. 159 159 291 291 165 136 136 165 48 48 48 48 16, 46, 48f. 159 55 165 170 44 170 170 49 170 170 84 290 289 238, 290 61 278 61
Stellenregister
416 40,24 41,6f. 41,8 41,17–20 41,17 41,18 42,5f. 42,5 42,7 42,15 42,16 43,1 43,5 43,16f. 43,16 43,17 43,19f. 43,22–28 44,1f. 44,9–20 44,23 44,24 44,27 45,2 46,3 46,5–7 48,1–11 48,1 48,17 48,21 49,9 49,10 49,12 49,13 50,2 50,33 51 51,3 51,9f. 51,9 51,10f. 51,10 51,11 52,4 53,6 53,8 54,1 54,3 54,14 55,3
17 61 336 60 60f. 60, 114, 237, 294 329 329, 336 291 144 190 336 289, 297 148, 152, 176, 247 148, 152 148, 247 297 155 336 61 238 329, 336 144 292 64 61 155 64 290 114, 116, 237 291 290 290, 297 61, 238 144, 294 225 145 238 144–146, 176 144 145 144, 289 238 225 290 331 61, 70 290 225 220
55,11 55,12 56,9 57,16 58,1 59,18 59,19 62,6f. 62,7 62,12 63,7–64,11 63,7–14 63,7 63,8–10 63,10 63,11–14 63,13 63,17 64,8
292 238 275 277 64 275 275 169 169 289 1, 243 2, 4 193, 242f. 243 243 243 235, 247 290 243
Jeremia 2,6 2,11 3,12 3,19 5,22 5,23 7 7,1–15 7,10 7,11 7,12 7,14 7,15 9,11 10 10,12 10,13 10,14 11,8 14,20 23,5f. 25,30 26,18 31,9 31,31–34 44,28 49,37 50f. 51,15
332 253 277 254 283 112 97 120f., 125 120 120 120 120 120, 122 288 338 284, 329, 336f. 337f. 340 221 241 123 25 154 235 294 225 136 352 329
Stellenregister 51,16 51,17 51,20 Ezechiel 4,16 11,19f. 13 13,5 15,1–7 15,1–4 15,2 15,4 17 17,2 17,7 17,22 17,23 18,31 19 19,2 19,3 19,5 19,10 19,12 19,14 20 20,1–44 20,5–24 20,8 20,9 20,13 20,14 20,15 20,21 20,22 20,23f. 20,23 20,25 20,30 20,44 22,30 23,30 25,11 25,14 25,17 26,6 34,23f. 34,23
337 340 352
227 294 215 208, 215, 253 158 159 159 159 159 159 110 159 159 294 159f. 159 159 159 159 159 159 129, 155, 245, 256f., 269, 387, 389, 391 257 257 256 246 256 246 257 256f. 246 257 194, 256f. 387, 390 241, 264 246 208, 215, 253 264 169 169 169 169 123 123
417
36,16–23 36,26f. 37,11 37,24 39,23–29
155, 257 294 331 123 155
Hosea 5,3 7,16 10,1 14,10
264 105 159 288
Joel 1,4 2,25
84 84
Amos 2,10 4,1
332 225
Micha 2,2 3,12 4,5 5,3 6,4
225 153f. 64 123 228
Nahum 1 1,2–8 1,4
246 246 246
Habakuk 2,6
110
Zephanja 3,8f.
275
Haggai 2,5
198
Sacharja 7,14
254
Maleachi 3,17
336
Psalmen 1 2–107
286, 291, 298 298
418 2–100 2–89 5,7 7,6 9,15 10,16 17,7 18,16 18,38 19,15 20,2 21,6 23 23,1f. 23,5 24,2 24,8 25,6 25,11 29 29,1 29,2 29,4 29,6 29,7 29,10 33,7 33,14 41,14 42–83 42–49 42–44 44 44,1 44,1–9 44,2–9 44,2 44,3–5 44,3 44,4 44,5 44,6 44,8 44,9 44,10–27 44,10–23 44,10 44,12 44,14–17
Stellenregister 271, 295, 299 271 265 36f. 141 42, 242 59, 147, 246 36f. 130 64 67 91 40 91, 116 123 16, 34f. 242 276 61, 63, 230 63 63 35 61, 63 230, 252 42 44 41 205 138, 184 124, 138, 140, 182 182 89, 111, 122, 124, 154f., 157, 179, 182–184, 185 182, 184 111 182, 184 89, 111, 122, 138, 183f. 182 157, 182–184 183 182 183 182 182 182–184 182 182, 184 183f. 183
44,14 44,18–23 44,18 44,19 44,21f. 44,21 44,23 44,24–27 44,24f. 44,24 44,27 45,4 46 46,4 46,7 46,8 46,11 46,12 47,5 47,9 48 48,5–7 48,6 48,7 49 49,2–5 49,2 49,5 49,11 50 50,1–6 50,1 50,2 50,3 50,4 50,5 50,7–15 50,7 50,8 50,11f. 50,14 50,15 50,16–23 50,16 50,18–20 50,21f. 50,22 50,23 51–72
154, 157, 160, 184 183 183f. 184 183f. 164, 183f. 155, 183f. 182 184 103, 122, 124, 184 182 67 41, 170f. 170 170 64 170 64 122 42 41 62 62 62 124, 182 110 111 110 111 80, 138, 140, 172–176, 178, 361 173 172 174 174f. 173f. 173, 176 173 174f. 173 173 173 165, 174f. 173f. 173f., 176 173, 175 173 173f. 173 140, 172, 175
68,2 68,8 69,36 96,6 72 72,18f. 72,18 73–83 73 73,1 73,3 73,12 73,17 73,27 73,28 74–77 74
74,1f. 74,1 74,2 74,10 74,11 74,12–17 74,12 74,13f. 74,13 74,14 74,15 74,16f. 74,16 74,17 74,18–23 74,18 74,19–21 74,22 75f. 75 75,2 75,3 75,5 75,8 75,9 75,10 75,11
Stellenregister
419
76
41, 146, 147f., 149, 159, 167f., 176–178, 246, 362 147 147, 176 147 64, 147f., 152, 159, 246 147 147, 167, 178 167 147 8, 40, 139, 149–153, 155, 177f., 180, 184, 363 149 180 111, 149, 177, 184 149, 180, 184 149 149 149 111, 149, 177, 241 149f., 152 43, 113, 150 151 150, 153 151f., 177 59 62f., 150f. 150 150 150–153, 177 40, 118, 142, 150f., 177, 180, 184 1–4, 6–13, 40, 80–186, 187, 218f., 221, 228– 231, 233–236, 239, 240f., 245, 249f., 258, 264, 267–269, 300, 305f., 360–366, 376– 379, 381, 389, 391 87 102, 110 87, 102, 109, 111 87, 111, 179 87, 89, 103, 105, 110f., 122, 179, 185, 361 87 88f., 104f., 110, 138, 181, 186, 362, 381
60 250 290 67 139 205 43 80, 138-186, 361 139, 140f., 146, 172 141 140, 146 146 140 171 141, 181 141, 176, 181, 185, 363 10, 40f., 139, 141–146, 148f., 153–155, 166– 168, 176–178, 180, 184, 362 40 118, 141f., 149, 153, 155, 157, 184 41, 111, 141f., 144, 167, 176 153, 167 143, 157, 184 143, 145f., 150 111, 143f., 176 143f. 143f. 143f. 143–145, 150 143, 145 143, 150 143 145 145 145, 167, 178 145, 167 139 146f., 177 146, 177 146 146 146 146 64, 147 146
76,2–7 76,6f. 76,6 76,7 76,8 76,9f. 76,10 76,11–13 77
77,2–11 77,2 77,6 77,8 77,11 77,12–21 77,12–16 77,12 77,14 77,15 77,16 77,17–20 77,17–19 77,17f. 77,17 77,18 77,19 77,20 77,21 78
78,1–11 78,1–8 78,1f. 78,1 78,2 78,3–11 78,3f.
420 78,3 78,4–8 78,4 78,5 78,6–8 78,6 78,7 78,8 78,9–11 78,9 78,10f. 78,10 78,11 78,12–72 78,12–42 78,12–18 78,12–16 78,12 78,13f. 78,13 78,14 78,15f. 78,15 78,16 78,17–31 78,17–29 78,17f. 78,17 78,18 78,19f. 78,19 78,20 78,21f. 78,21 78,22 78,23–29 78,23–27 78,23–25 78,23 78,24 78,25 78,26–29
Stellenregister 89, 105, 141, 183 102, 109 43, 88f., 141, 146, 181 88f., 101, 104, 112, 361, 389 112 88, 112, 141, 181 184, 249, 267 88, 90f., 94, 96f., 102, 112, 119, 245, 267, 362 89f., 100, 104–106, 108–110, 126 87, 89f., 105, 108 90 89, 108, 386 89, 184, 219, 249, 267 80, 87, 90, 102 109 102, 109 90f., 102, 113 43, 90, 109, 113, 150 90, 113 44f., 90, 113, 332 40, 113, 235f., 239 90, 113f., 237 90, 113f., 237, 239 102, 113f., 237 90f. 102, 114 94, 96 91, 94, 96, 102, 114f., 119, 130, 245, 267 91, 94, 96, 102, 115, 119, 191, 236, 250 91f., 102, 109 91, 104, 107, 109, 116, 126f. 116, 237, 239 92f., 104, 106f., 109, 126, 268 92f., 95, 97, 106f., 127 92, 106, 127, 130, 268, 365 92 102, 109 92 103, 117 92, 117, 236 92, 117, 236 92
78,26 78,27 78,28 78,29 78,30f. 78,30 78,31 78,32–39
78,32–37 78,32 78,33f. 78,33 78,34 78,35 78,36f. 78,37 78,38f. 78,38 78,39 78,40–55 78,40–51 78,40–42 78,40f. 78,40 78,41 78,42 78,43–72 78,43–51 78,43 78,44 78,45 78,46–48 78,46 78,47f. 78,47 78,48 78,49f. 78,49 78,50f. 78,50 78,51
117 92, 117 92, 104, 107, 109, 126– 128 92, 94, 102, 109, 118 93f., 97, 104, 106f., 109, 126–128, 268 93, 128 93, 95f., 106–108, 128 90, 93, 102, 104, 106– 110, 128f., 131, 264, 268 93 93f., 129f., 267f., 365 94 93, 130 93, 97, 107f. 130 130 108, 129, 184 93, 108, 131 93, 106, 108, 129, 131, 254 93, 117, 131 102, 118 90, 94, 102, 107 102, 109 94, 103, 264 94, 102, 108, 115, 119, 129, 245, 250, 267 94, 102, 108, 119 94f., 108, 118, 132 109 94–96, 104, 108–110, 118, 131–135, 137, 234 94, 109, 132, 228 132, 137, 229 133, 137, 229 137 133f. 134 84, 134, 230 134f. 95, 104, 106–110, 136, 234 106, 136 135, 137 95, 106f., 135 95, 135, 216, 228, 231, 233
Stellenregister 78,52–55 78,52f. 78,52 78,53 78,54f. 78,54 78,55 78,56–64 78,56 78,57
78,58 78,59 78,60–70 78,60–64 78,60 78,61–64 78,61 78,62–64 78,62 78,63f. 78,63 78,64 78,65–72 78,65 78,66 78,67 78,68 78,69 78,70–72 78,70 78,71f. 78,71 78,72 79–83 79f. 79
79,1 79,2 79,4 79,5–12 79,5
90, 95, 102 40 95f., 101–103, 109, 118, 137, 142 40, 95, 104, 108–110, 118, 131, 731, 248 102, 109 96, 118f. 96, 102, 104, 107, 109, 119, 126, 128, 221 90, 96, 102, 119 96, 102f., 109, 115, 119, 130, 245, 267 89, 96f., 104–106, 108– 110, 128f., 184, 264, 268 97, 102f., 109, 119, 267 97, 104, 106f., 109, 126f., 268 102, 109 97, 120 85, 97f., 101, 121 98, 126 83, 98f. 99, 121 85, 98, 264 98f. 98 98 90, 99, 102f., 119, 122 99, 122, 183 100 100 100f., 122f. 101, 119, 123, 381 180 100f., 123 102, 109, 142 101, 104, 108–110, 123 101, 124 153, 177, 181, 185, 363 139, 153, 161, 166 139, 153–155, 156f., 160, 172, 177f., 181, 184, 274f., 363 154 154, 274 154, 157, 160, 184 154 153
79,6 79,7 79,8f. 79,8 79,9f. 79,9 79,10 79,11 79,12 79,13 80 80,2f. 80,2 80,3 80,4 80,5–7 80,5 80,6 80,7 80,8 80,9–17 80,9–14 80,9 80,10–12 80,11 80,12 80,13f. 80,13 80,15–18 80,15 80,16 80,17 80,18 80,19 80,20 81–83 81 81,1–6 81f. 81,1 81,2–4 81,2 81,3f. 81,3 81,4 81,5f. 81,5
421 275 154 154 154, 160 154, 160, 181, 274 154, 245 157, 184, 274 275 154, 274 118, 142, 153, 155, 181, 184 139, 155–160, 177–179, 362 156 118, 142, 155, 184 160 156, 158 156f. 156, 161f., 167 156 156f., 160 156, 158 40, 157 156 157, 183f. 157 164 157 158 157, 159f., 184 156 156, 158 156, 158, 183f. 147, 158f., 177 156 156, 160 156, 158 178 161–166, 167, 175, 178–180, 185, 363 161, 163, 166 139 161 161, 163 64, 161 161 161 161f. 161f. 64, 161–163
422 81,6–17 81,6 81,7–17 81,7f. 81,7 81,8 81,9–11 81,9 81,10 81,11 81,12f. 81,12 81,13 81,14 81,15f. 81,16 81,17 82 82,1 82,2–4 82,2 82,5 82,6f. 82,6 82,7 82,8 83 83,1–9 83,1f. 83,2 83,3–9 83,3–6 83,3 83,5 83,7–9 83,10–19 83,10–13 83,10 83,11 83,12f. 83,12 83,13 83,14–19 83,14–18 83,14 83,16 83,17–19 83,17 83,18
Stellenregister 161, 163 112, 161–164 162 164 163–166 164–166, 175 163, 165f., 175, 180, 184 164, 175 164, 167, 184 163f. 164–166 165 165 163f., 166 166 164 163–166 166–168, 178 166 166 167 166 166 166 166 166f. 139, 168–172, 178, 363 169 168 169, 174f. 168 169 170 169 170 168 169, 171f. 171 171 171 169, 171 169, 171 169 169f. 169f. 170 169 169 169f., 172
83,19 84 84,9 86 86,5 86,10 87 87,2 88,6 88,11 89
89,1–19 89,2 89,4f. 89,4 89,12 89,18 89,20–38 89,21 89,29 89,30 89,31–35 89,34 89,36 89,37f. 89,39–52 89,39 89,40 89,50 89,52 89,53 90–106 90–92 90 90,1 90,2 90,4 90,5 90,7–9 90,9 90,10 90,12 90,14 90,15 93–100 93–99 93 93,1
169–172 41 64 271 276 43 41 122 331 43 219, 223f., 238, 240, 259, 270, 280, 298, 306, 364 223 223, 242f., 280, 298 223 223f. 123 98 223 223 223 223 223 223 223 223 223 225 224, 270 223f., 242, 298 225 205 187, 270 295 274f., 278, 296, 299 280 274 274 278 274 130, 274 274 274 272 274 271 280 34, 36f., 59, 123 34, 42, 123, 197
Stellenregister 93,4 94,7 96 96,3 96,5 96,6 96,7f. 96,7 96,10 96–98 97 97,1 97,4f. 97,4 97,5 97,6–10 97,7 97,9 98 98,1 99,1 99,4 100–107 100 100,4f. 100,4 100,5 101–106 101–104 101 101,1 101,2 101,3–5 101,6–8 101,8 102f. 102 102,1 102,2–12 102,2 102,4 102,5 102,12 102,13–24 102,13 102,14
35, 37, 123, 151 64 62f., 138 62 62 197, 282 63 197 42 61–64 62f. 42, 62 62 62f. 62f. 63 62 62, 171 62f. 62f. 42 197 73, 78, 237, 270–306, 343 13, 271, 272, 295f., 298, 304, 366 271f. 271 271 295 13, 270 124, 271f., 296, 299, 304 271f., 299 124 271 271 285, 290 295, 304 272–276, 296, 299, 301, 304 272f. 272 272 272 274 272, 274 272–274, 301 273 273, 276
102,15 102,16 102,19 102,21 102,22f. 102,23 102,24 102,25–29 102,25–28 102,25 102,26f. 102,26 102,28 102,29 103–107 103f. 103
103,1–17 103,1f. 103,1 103,2 103,3–5 103,3 103,4 103,6–10 103,6 103,7 103,8 103,9f. 103,9 103,10 103,11–14 103,11–13 103,11 103,12 103,13 103,14 103,15–18 103,15f. 103,15 103,17 103,18 103,19–22 103,19 103,20–22 103,22 104–107
423 273f. 275, 302 275, 303 274 273 275 273f. 273 273, 299 273f. 274 123 273f. 273–275, 301 69 363 243, 269, 276–280, 282, 285f., 292f., 296, 299f., 301–304, 366 280, 299 276, 282 276 276 276 276, 293 276, 293, 299 276f. 225, 277, 299 219, 277, 280 131, 242, 276f., 299, 301 277 277 278 276, 278 278 276, 278, 302 290, 299 302 278, 285f. 276, 278 278 278 276, 278–280, 299, 302 278–280, 301f. 276, 279f., 282, 301f. 280 280 67, 280, 282 346, 356, 369
424 104–106 104
104,1 104,2–4 104,2f. 104,5–9 104,5 104,6 104,7 104,8 104,9 104,10–18 104,10–15 104,10 104,11f. 104,12 104,13 104,14f. 104,14 104,19–23 104,19 104,20–23 104,20 104,21 104,24–30 104,24 104,25f. 104,25 104,26 104,27–30 104,27f. 104,27 104,28–30 104,28 104,29 104,30 104,31–35 104,31f. 104,31 104,32 104,33 104,34 104,35 105–107 105f.
Stellenregister 286, 295, 303, 349, 390 59f., 187, 205, 280, 281–286, 299f., 302, 304, 323, 344, 346, 363 67, 282, 285f., 301–303 281f. 282 59, 282 59, 123 59, 282f. 59f., 147, 246 59, 283 59, 283 59f., 282f. 285 59, 281, 283 323, 344 281 281, 283 281, 323, 344 283 282f. 283 283 283 68, 323, 344 282, 284 67, 284, 329 284 284 284, 293 284f. 323, 344 285 285 344 285f., 301f. 285, 303 285 285 67 281, 285 285 285 188, 205, 282, 285f., 301f. 69, 205, 301–303, 306 67, 187–306, 361, 366, 390
105
105,1–15 105,1–7 105,1–5 105,1–3 105,1 105,2–5 105,2 105,3 105,4–7 105,4f. 105,4 105,5 105,6 105,7 105,8–45 105,8–11 105,8 105,9f. 105,9 105,10 105,11 105,12–45 105,12–15 105,12 105,13 105,14 105,15 105,16–23 105,16 105,17 105,18 105,19 105,20 105,21 105,22 105,23 105,24–38
1–4, 7–9, 11–13, 114, 138, 187–306, 307, 346, 363–366, 376–379, 389f. 188 196, 219 203 196 196f., 202, 216, 219, 301, 303 203 197, 219, 300 197, 216 197 197 197 192, 197f., 219, 241, 300, 364 197, 202, 224, 238, 364 188, 192, 197f., 203, 266 196, 198 68, 196, 198, 201, 203, 219, 221, 224, 238, 364 68, 188, 198, 202, 216f., 220–222, 248, 265 220 198, 202, 221f. 188, 198f., 217, 220– 222 43, 68, 198, 202f., 220f., 364 364 188, 196, 198, 224 198, 203f., 221, 224, 364 297 199, 225 199, 225 196, 199, 226 199, 203, 226f. 199, 226, 235, 239 199, 227 199, 221, 248 199 199, 226 199, 227 199, 203f., 216, 221, 227f., 233, 239, 364 196, 199, 227
Stellenregister 105,24–26 105,24 105,25f. 105,25 105,26 105,27–36 105,27 105,28–36 105,28 105,29 105,30 105,31 105,32f. 105,32 105,33 105,34f. 105,34 105,35 105,36 105,37f. 105,37 105,38 105,39–41 105,39 105,40 105,41 105,42–45 105,42–44 105,42 105,43f. 105,43 105,44 105,45
106
106,1–5 106,1f. 106,1
106,2f. 106,2
227 199, 227 229 199, 201, 216, 227f., 247 151, 199, 228, 280 200, 228, 233f., 300 200, 203, 216, 221, 228, 233, 239 201 200, 221, 228, 231, 233 200, 229, 232 200, 203, 229, 232 190, 200f., 229, 232f. 200, 230, 232 203, 230, 252 230, 232f. 200f., 230 190, 200, 230, 233 200, 203, 231 136, 200, 203, 231–233 200, 235 200f., 235 200, 235 196, 201, 235, 269 201, 235, 239 117, 190, 201, 236, 250 114, 201, 236f., 239 196, 201 203 202, 217, 221, 248 202 202, 215, 238 192, 202–204, 238, 297, 364 68, 192, 197, 202, 205, 216, 218, 222, 240, 279, 301f., 364 1–4, 6, 8f., 11–13, 75, 129, 138, 187–306, 307, 317, 346, 349, 356, 363, 365f., 369, 371, 376f., 389f. 204f., 213f. 242 196f., 205, 212, 214, 216f., 287, 298, 301, 303, 343, 349 205f. 197, 205
106,3 106,4–7 106,4f. 106,4 106,5 106,6–42 106,6f. 106,6 106,7–12 106,7
106,8–12 106,8 106,9 106,10–12 106,10 106,11 106,12 106,13–23 106,13 106,14f. 106,14 106,15 106,16–18 106,16 106,17f. 106,17 106,18 106,19–23 106,19 106,20 106,21f. 106,21 106,22 106,23 106,24–33 106,24–27 106,24f. 106,24 106,25 106,26f. 106,26
425 197, 205, 209, 216, 218, 268, 302 197 192, 197, 206, 213, 215 192, 197 197, 215 204, 206, 213 192 204, 206, 208, 214, 241, 267, 366, 377f., 390 206f., 211–213 196, 206f., 212, 215, 217, 241–245, 248, 257, 267, 301, 386 245 205–207, 212f., 245f., 253 207, 246f. 247 206f., 211f., 216, 245, 247, 253 247f. 204f., 207f., 212f., 245, 248f., 255, 365 206f., 213, 249 67, 206f., 211, 249, 253, 267 207, 249 115, 207, 250, 267 207, 250 207, 250 151, 207, 251f., 280 208 43, 208, 251f. 208, 251–253 208, 252 252 208, 253 253 208, 253, 267 207, 216 196, 208f., 213, 215, 253f., 259, 280 206, 208, 213, 254 208, 254 206 208, 213, 254, 261, 365 208, 255 255–257 194, 209, 256
426 106,27 106,28–31 106,28 106,29 106,30 106,31 106,32f. 106,32 106,33 106,34–42 106,34–39 106,34 106,35–39 106,35f. 106,35 106,36 106,37–39 106,37 106,38 106,39 106,40–42 106,40 106,41f. 106,41 106,42 106,43–47 106,43 106,44–47 106,44–46 106,44 106,45
106,46 106,47
106,48 107–150 107–118 107
107,1–32 107,1–3
Stellenregister 209, 211, 256f. 209, 257 209, 258 195, 209, 258, 267 209, 258f. 209, 259 209, 213, 260f. 195, 209, 260f., 280 195, 209, 261, 267 206, 210, 213, 261 262, 268 206, 210, 262 210 262 210, 262 210, 263 263 210, 215, 263 210f., 213, 215, 220, 263 210, 263 210, 264 210, 264f., 268 210, 264f. 211 211 204, 211 211f., 257, 264, 267 214, 265 212 212, 265 195, 212, 214, 216–218, 242, 265f., 301, 349, 366 212, 266 76, 78, 205f., 212–214, 216, 248, 266, 270, 297, 366, 390 205, 213–216, 301, 303f., 306 270, 294 76, 349, 361 13, 69, 73, 76, 78, 196, 205, 219, 237, 242f., 247, 265f., 269f., 286– 295, 296–304, 306, 323, 343–346, 361, 363, 366, 371 289, 299 287, 296f.
107,1 107,2f. 107,2 107,3 107,4–32 107,4–9 107,4f. 107,4 107,5 107,6f. 107,6 107,7 107,8 107,9 107,10–16 107,10 107,11 107,13f. 107,13 107,14 107,15 107,16 107,17–22 107,17 107,19f. 107,19 107,20 107,21 107,22 107,23–32 107,23 107,24 107,28f. 107,28 107,31 107,32 107,33–42 107,33–35 107,33 107,34 107,35 107,36–39
196, 248, 265, 287, 301, 343 287, 289, 297–299, 301, 304, 306, 366 247, 265, 287, 289f., 300, 344 248, 289f., 293, 297, 300 287f. 287f. 288 250, 287f., 290 287, 290 287 287, 293 287, 289–291, 301 67, 265, 287f., 294, 297f. 287, 344 287f., 291 287f., 291 249, 292 287 266, 287, 293 291 67, 266, 287f., 294, 297f. 287, 292 287f., 292 287f., 292 287 266, 287, 293 292 67, 266, 287f., 294, 297f. 67, 73, 287 287f., 293 287f., 293 67 287 287, 293 67, 266, 287f., 294, 297f. 287 287–289, 294, 301f. 237, 288, 294 294 294 237, 294 288
Stellenregister 107,36 107,39 107,40 107,41 107,42f. 107,42 107,43 109,16 109,22 109,31 111–119 111–118 111–117 111–113 111f. 111 111,1–3 111,1 111,2 111,3 111,4–6 111,4 111,5 111,6 111,7–9 111,7f. 111,7 111,9 111,10 112 112,1 112,4 113–135 113–118
113–117 113–115 113 113,1–9 113,1–3 113,1 113,2 113,3 113,4–6 113,5 113,6 113,7–9
288, 301 288 288 288, 302 69, 74 69, 288 69, 242f., 265, 287–289, 298f., 301 302 302 302 50 66–79 78 78 66, 69, 74, 76, 216 2, 13, 66–69, 78 66 66 66, 68 67, 282 66 43, 67 68 67f. 66–68 68 67 67f., 221 66–68 13, 66, 69f. 66, 69 69 307 13, 15, 51, 65f., 73f., 76–79, 341, 343, 360f., 367 66, 78, 348 61f. 50–52, 62, 70, 74–77, 367 56 52, 70f., 74 70, 75, 77f., 313 75 75 70 74 75 70
113,7f. 113,9 114
114,1f. 114,1 114,2 114,3f. 114,3 114,4 114,5f. 114,5 114,6 114,7f. 114,7 114,8 115–117 115
115,1–3 115,1 115,2 115,3 115,4–18 115,4–8 115,4 115,5f. 115,6 115,8 115,9–11 115,9 115,10 115,11 115,12–15 115,13 115,14 115,15 115,16–18 115,16 115,17f. 115,17 115,18 116 116,1–9 116,3f.
427 61, 70 52, 61, 70, 75, 78 1f., 4, 10, 12f., 15, 50– 79, 343, 345, 348, 360f., 366f., 369, 371 52–54, 57f. 52f., 57, 61, 64, 75 53, 57f., 64 52, 54–56, 58 52, 54, 58, 60, 62 54, 56, 61f. 52, 54–56, 58 52, 60 56, 61 52, 54 52–56, 62f., 75 54, 60 70, 78 51f., 56, 61f., 70f., 72, 74–77, 310, 316f., 338, 340f., 348, 356, 367, 369–371 51 52, 56, 71f. 72, 77, 337 70, 74f., 314, 337, 341, 348, 369, 371 51 61, 70f., 340f., 348, 370 70f., 340 340 310, 340 341 71, 73, 76, 316, 341, 348, 371 71, 316 71, 316 71f., 77, 316 71 72 75 70f. 71 75 75 71, 303 75, 78 52, 71, 72–77 71 71
428 116,4 116,5 116,6 116,7f. 116,8 116,10–19 116,13 116,16 116,17–19 116,17 116,19 117 117,1 117,2 118–136 118–135 118
118,1–29 118,1–4 118,1 118,2–4 118,2 118,3 118,4 118,5 118,6–13 118,8f. 118,10 118,14 118,15f. 118,17–19 118,17 118,19f. 118,19 118,20 118,21 118,22–27 118,22–25 118,26–28 118,28 118,29 119 119,41
Stellenregister 71 71f. 71, 75 71 71 71 71 71 75 71, 73 71, 78 52, 71f., 74–77, 346f., 349 71, 75, 78 71f. 346 347 46–49, 52, 72–74, 75– 79, 307, 316, 318, 327, 343, 345–348, 367, 369f. 73 72f., 76, 318, 343, 369 318, 343 73, 316, 318, 343, 348, 371 316 316 72, 316 47, 72 73 73 58 16, 46–48, 72, 76, 343, 367 35f., 47, 73 47, 72f. 73 74 73–75 73f., 78 46f., 72f., 75 73 74 74 47–49, 72f., 76, 343, 367 72f., 76, 343 74, 78, 130, 291, 345 242
119,118–120 120–134
121,2 121,4 122 124,8 128,5 132,8 134 134,1f. 134,1 134,3 135f. 135
135,1–4 135,1–3 135,1f. 135,1 135,2 135,3 135,4f. 135,4 135,5–18 135,5 135,6–14 135,6f. 135,6 135,7 135,8–14 135,8f. 135,8 135,9 135,10–12 135,10f. 135,10 135,11f. 135,11 135,12 135,13f. 135,13
162 61, 74, 78, 307, 327, 341, 345–347, 349, 353–356, 369, 371 345 122 41 345 317 98 313, 316, 345 317 74, 313, 345, 348, 371 317, 345 307–356, 366, 371, 387, 391 1–4, 8, 11–13, 307–356, 361, 368–372, 376, 378, 380, 390 312f. 74 348 308, 313, 317, 325, 347, 349, 355 313, 348 313, 315, 325, 355 317 313, 315, 317, 336, 339, 370, 378 313f. 313f., 316f., 336, 341, 369f. 341, 348 314, 317, 337f., 369 314f., 336f., 341, 348, 356, 369 341, 337 314, 317, 338, 370 314, 348 314, 338 309, 314, 338 314, 325, 338 339 314f., 326, 338f. 391 220, 314f., 325f., 333, 339 312, 315, 326, 339, 370 314f., 339f., 370 35, 314f., 339
Stellenregister 135,14 135,15–18 135,15 135,16f. 135,17 135,18 135,19–21 135,19f. 135,19 135,20 135,21 136–150 136
136,1–7 136,1–3 136,1 136,2f. 136,2 136,3 136,4–22 136,4 136,5–9 136,5–7 136,5 136,6 136,7 136,8f. 136,8 136,9 136,10–17 136,10–16 136,10–12 136,10 136,11f. 136,11 136,12 136,13–16 136,13–15 136,13 136,14f. 136,14 136,15 136,16 136,17–22
315, 339, 349 314f., 317, 336, 340f., 348, 370 315, 340 315, 340 310, 340 315, 340 312f., 316, 348, 350, 371 341 316 316f. 316f., 325, 341, 347, 349, 353, 355, 371 307 1–5, 8, 11–13, 45, 307– 356, 361, 366, 368–371, 376, 380, 390 324 318f., 324, 355, 368 310, 318f., 327, 330, 343 310, 318f. 319 319 310, 319 43, 319f., 328, 334, 368 319 328, 330 320, 328f., 337, 345 320, 328f., 345 311, 320, 325, 328 318, 320, 325, 327, 330 311, 320, 330 311, 320, 325, 330 324 319–321, 330, 343 321 320f., 325, 330, 338 318, 330 321 321, 331 321 331 321, 331 318 45, 321, 332 321, 332 321, 332 319, 321, 325f., 333
136,17f. 136,17 136,18–20 136,18 136,19–21 136,19f. 136,19 136,20 136,21–26 136,21f. 136,21 136,22 136,23–26 136,23–25 136,23f. 136,23 136,24 136,25 136,26 137 137,1–6 137,1–4 137,1–3 137,1 137,3 137,4 137,5f. 137,5 137,6 137,7–9 137,7 137,8f. 137,8 137,9 138–145 138–144 138 138,1 138,2 138,6 145–150 145–147 145 145,5 145,19 146–150
429 321, 326 321f., 325–327, 333, 338 318, 322, 325–327, 333 321f., 326, 338 391 315, 321f., 326 321 321 324 321, 323, 333, 345, 353 321f., 325f., 333, 335, 347 321, 335, 339, 345 319, 322, 324, 356, 368 318, 324 353 312, 318, 322, 353, 355 322, 344 322f., 335, 337, 344, 356, 368, 372 318, 324, 346, 355 1f., 4, 10, 12, 308, 350– 356, 358, 371f., 377 352, 355 350f., 353, 371 350 350–352, 355 350f. 350, 352 350f., 353f., 371 350 350–352, 354, 371 350–352, 355 351f., 355 351 351f. 351f. 4, 13 353f., 372 354f. 354f. 355 355 307 344 280, 353f., 372 67, 282 344 355
Stellenregister
430 146,7 146,10 147,9 147,11 150,1–6
323, 344 42 323, 344 344 205
Hiob 1,22 2,10 7,6 7,7 20,23 21,11 21,13 28,25–27 36,11 40,25–32 40,29
130 130 130 131 136 55 130 284 130 284 284
Proverbien 1,6 1,30 2,1 3,1 3,19 9,10 21,26
110 292 88 88 284, 329 67 250
Kohelet 3,4
55
Klagelieder 2,3 3,22 3,32 3,54
143 242 193, 242f. 331
Daniel 9 9,5 9,16
4 241 241
Esra 7,10 9 9,2 9,7
162 4 262 241
Nehemia 8
383
9 9,1–5 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 9,6–37 9,6 9,7f. 9,7 9,8 9,9–11 9,9 9,10 9,11 9,12–21 9,12 9,13f. 9,13 9,16 9,17 9,19–21 9,19 9,20 9,22–31 9,22 9,23–25 9,23 9,26–31 9,26f. 9,26 9,27 9,28 9,29–31 9,29 9,30 9,31 9,32–37 9,32 9,33f. 9,33 9,34 9,35f. 9,36
1, 5, 357f., 382–391, 392 382f. 383 241, 382f., 390 383 383 383 382f. 383–385, 388, 390 383–385 384 384 383, 385 385 385f. 332, 385 383, 385 40, 113, 235 389 386f., 389 386 386, 390 386 40, 113, 235, 386, 390 386 383, 386 333, 387, 391 387 387 387 387 387 387 387 387 388, 390 385, 388 388, 390 383, 388 388–390 388 388 388 388 388
1. Chronik 15,29 16
55 138, 188
Stellenregister 16,7–36 16,7 16,10 16,13 16,15 16,35
4 138 188 188 189, 221f. 196
2. Chronik 6,2 6,28
41 84
6,30 6,33 6,37 6,39 6,41 13,5 24,19–21 24,19 28,25
431 41 41 241 41 98 222 387 387 119
Apokryphen und Pseudepigraphen Sirach 44,1–49,16 44,19–23 45,23
239 239 259
49,16 50,1–24
239 239
Qumran CD I–VIII I–III 1QS I–III I,24f.
378 378f.
378 378
VI, 6–8 VIII, 12–16
375 375
1QJesa 4QExodc 4Q365 11QPsa
16 18 19, 30 188–191, 308, 311
Autorenregister Allen, L.C. 50–52, 55f., 60, 68, 70, 191– 195, 197, 199, 201, 203, 205f., 211, 227, 244, 256, 273, 287, 289f., 308– 311, 316f., 320f., 323, 326, 328f., 333, 350 Assmann, A. 373f., 378 Assmann, J. 373f., 378 Auffret, P. 196f., 201, 206, 317, 319 Aurelius, E. 115f., 127 Ballhorn, E. 65, 68f., 71f., 75, 78, 213, 221, 301, 313, 316, 335, 337, 342, 346, 348, 353 Barth, C. 40 Barth, H. 292 Barthel, J. 292 Barthélemy, D. 51 Bauer, H. 17 Baumgartner, W. 84, 287 Bazak, J. 319 Becker, U. 30, 46, 129, 291 Begrich, J. 1–3, 139 Berges, U. 49, 188, 237, 243, 275 Berlejung, A. 337 Berlin, A. 351 Berner, C. 19f., 25–33, 35–40, 43, 45, 64, 131–135, 137, 158, 206, 227–229, 231, 235, 244, 251f., 267, 331, 338f. Beuken, W.A.M. 48f. Beyerlin, W. 156–159, 182f., 205, 214, 287, 289–292, 294 Biberger, B. 183, 241, 383f., 387, 389 Blenkinsopp, J. 385–387 Blum, E. 376f. Boda, M.J. 382f., 389 Brenner, M.L. 20f., 37, 41, 47, 152 Briggs, C.A. 93, 161, 318 Briggs, E.G. 93, 161, 318 Brongers, H.A. 154 Brunert, G. 273
Brüning, C. 273, 275 Buhl, F. 84 Buss, M.J. 140, 155 Campbell, A.F. 87, 90, 98 Cazelles, H. 292 Ceresko, A.R. 197, 199, 201, 203 Clifford, R.J. 90, 94, 96, 98, 100, 104, 111, 135, 201–204 Collins, J.J. 375 Conrad, J. 25, 44, 328 Cordes, A. 141, 156, 171 Cross, F.M. (jun.) 17f., 20–22, 25, 27, 31, 41, 51 Crüsemann, F. 20, 22, 28f., 71f., 74, 202f., 205, 214, 310, 313, 317–319 Dahmen, U. 188, 190, 308f., 311 Dahood, M. 191 De Boer, P.A.H. 163 Delitzsch, F. 66 Dietrich, W. 226 Dion, P.E. 281 Doeker, A. 161f., 168, 174 Donner, H. 358 Duhm, B. 56, 60, 90, 95, 98, 100, 141, 173f., 210, 213, 273, 289 Durham, J.I. 22 Dussaud, R. 331 Eising, H. 133 Elliger, K. 144 Emmendörffer, M. 139f., 142–145, 153– 158, 168, 170, 182, 223, 242f., 350 Fabry, H.-J. 246 Falk, D.K. 381 Fensham, F.C. 333, 391 Finkelstein, I. 99 Fischer, G. 120
Autorenregister Fischer, I. 225, 243 Fishbane, M.A. 11 Fohrer, G. 20, 28, 131, 136 Frankel, D. 115f. Franz, M. 253, 276f. Freedman, D.N. 17f., 20–22, 25, 27, 41, 264 Frevel, C. 260 Füglister, N. 87, 89, 94, 98, 103f., 181, 197, 214, 220–222, 234 Fuhs, H.F. 45 Gärtner, J. 11f., 87, 89f., 95, 104–106, 109, 118f., 121, 127, 131, 136, 138, 142, 145–147, 149, 151, 153–155, 177, 179–181, 191, 193, 196f., 201, 204, 206–208, 211f., 214f., 217, 219– 221, 224, 226–228, 234–237, 245, 249f., 253f., 256, 260f., 266, 278–280, 296, 300–303, 310, 314, 316, 319– 322, 324, 326, 329, 332, 334–337, 341–345, 349, 358f., 372–374, 377, 380 Geller, S.A. 51, 55 Gerstenberger, E.S. 225 Gertz, J.C. 21, 29, 31, 40, 64, 132f., 137, 228, 244, 338 Gesenius, W. 84, 309 Goldenstein, J. 243, 247 Gosse, B. 49, 169f. Goulder, M.D. 138 Grabbe, L.L. 358 Grether, O. 154 Gunkel, H. 1–3, 52f., 55, 59f., 67, 70, 72, 84, 86–88, 90f., 98f., 126, 128, 131, 134, 139, 144, 155, 164, 171, 182, 190f., 193f., 197, 203, 205f., 211, 213–215, 236, 244, 252, 256, 258, 287, 289, 313, 315, 320, 324, 351 Haag, E. 87, 97, 120f. Haglund, E. 7f., 214, 225, 261 Halbwachs, M. 373 Hartberger, B. 350–352 Hartenstein, F. 109, 212, 334 Hasel, G.F. 293 Hayes, E. 76 Hentschke, R. 157 Herder, J.G. 52 Hieke, T. 90, 156f., 160
433
Hirsch, S.R. 136 Holm-Nielsen, S. 198, 227, 236f. Hossfeld, F.-L. 36, 69, 71, 82, 84–87, 89– 101, 103–107, 110, 116–118, 121f., 124–131, 135, 138–140, 146, 149– 151, 153, 161–165, 173–176, 179f., 188, 190–200, 202–206, 208–213, 215, 217–219, 222f., 225f., 228, 230, 232f., 241f., 244, 249, 251f., 256, 258–263, 265–268, 271–273, 278f., 281–285, 295f., 303f. Houtman, C. 21, 27, 43 Human, D.J. 320, 324, 326, 333f. Hunziker-Rodewald, R. 142 Hupfeld, H. 1f., 89, 135 Hurvitz, A. 70 Illman, K.-J. 112, 138f., 143, 148, 170 Jacob, B. 18, 25, 43 Janowski, B. 194, 209, 259 Jeremias, J. 22f., 26f., 35, 41f., 53, 59 Jirku, A. 131 Kautzsch, E., 309 Kellermann, U. 350 Kellermann, D. 29 Kiesow, K. 36, 145, 148, 152 Klein, A. 11, 22, 58, 123, 130, 154, 169, 220, 246, 256f., 292, 342 Koch, K. 149, 176, 202, 353 Köckert, M. 218, 279, 281–283, 285f. Koehler, L. 84, 287 Koenen, K. 213f., 218, 241, 273, 287, 298 Kohata, F. 40, 133f. Konkel, M. 252f., 277 Kornfeld, W. 41 Körting, C. 273, 350, 352–355 Kratz, R.G. 4, 20, 27, 29f., 34, 40–42, 61– 63, 72–74, 77f., 99f., 129, 144, 148, 188, 196, 205, 226f., 251, 255, 271, 280–283, 285, 288, 290f., 294–296, 298, 300f., 303, 318, 323, 326, 329, 335f., 340, 342–347, 349, 353f., 358, 373–375, 377–381 Kraus, H.-J. 51f., 55f., 67, 85–87, 141, 148, 151, 156f., 161f., 164, 170f., 174, 189, 191–195, 198f., 203, 205f., 213, 215, 225, 236, 244, 261, 287, 289f.,
434
Autorenregister
308–310, 313, 317, 319, 321, 323f., 328, 331 Kreuzer, S. 8f., 211, 214, 313, 315, 322 Krüger, A. 59, 281–285 Krüger, T. 281, 350 Kühlewein, J. 7f., 155, 202, 326, 350 Lamberty-Zielinski, H. 193 Lauha, A. 2, 6, 8, 57, 68, 131, 264 Leander, P. 17 Lee, A.C.C. 95, 135f., 190, 228, 231–233 Leuchter, M. 21, 31 Leuenberger, M. 50, 53, 63, 66, 71, 76– 78, 139, 158, 197, 199, 201f., 204, 206, 211–214, 217, 266, 271f., 275, 277–282, 286, 289, 295–297, 301, 303, 313, 316f., 319f., 322–325, 329, 340, 342, 350, 352f. Levin, C. 20, 27, 29f., 72f., 115, 226–228, 244, 251f., 254f., 260, 316–318, 339f., 342f., 345f., 349 Lipiński, E. 333 Lohfink, N. 9, 53, 55, 59f., 161–163, 258 Loretz, O. 53, 198, 207, 280, 326, 350 Lubsczyk, H. 56, 75 Lundbom, J. 264 Machinist, P. 166 Macholz, C. 319, 321–324, 329f. Maier, C. 120 Margulis, B. 190 Mark, M. 36, 72 Mathias, D. 2, 9, 84, 90, 93–95, 124, 127, 129, 131, 135f., 188, 197f., 201f., 205–207, 209–215, 226f., 231, 233, 235–237, 239, 244, 252, 256, 261, 264, 266 Mathys, H.-P. 68, 318, 324, 329f., 334f., 341f., 358f., 382, 386–389 Metso, S. 379 Metzger, M. 157, 278 Michel, A. 324, 326, 352, 355 Michel, D. 42, 192, 194, 197, 200, 203, 208, 211, 350 Millard, M. 52, 56, 73, 87, 139, 179, 272, 307, 354 Mowinckel, S. 20 Mulder, M.J. 55 Müller, R. 281–286
Nasuti, H. 138f., 157f., 160, 170 Newman, J.H. 358f., 384 Niemann, H.M. 99 Nitzan, B. 381 Nöldeke, T. 29 Norin, S. 21f., 24, 26f., 41, 53, 145, 155 Noth, M. 20, 29, 31, 41, 43, 45, 128, 132f. Ohnesorge, S. 256 Oorschot, J. van 182f., 336, 374, 379f. Pohlmann, K.-F. 158 Pola, T. 256, 387, 391 Porzig, P. 97–99 Preuss, H.D. 317 Prinsloo, G.T.M. 56f. Pröbstl, V. 10, 193f., 205f., 208–211, 214f., 242, 244–250, 252–256, 258– 260, 262–265, 311, 319–324, 326, 329, 331f., 334, 382–384, 387–389 Propp, W.H.C. 18, 27, 31, 42f. Rabe, N. 350f. Rad, G. von 5–7, 267, 334 Rahlfs, A. 51 Rake, M. 262 Rendtorff, R. 333f. Reventlow, H. Graf 380, 382, 391 Riedel, W. 347 Ringgren, H. 25, 41, 100, 123, 222, 289 Robertson, D.A. 21 Römer, T. 183, 256 Rösel, C. 173, 175, 223 Rudnig, T.A. 257 Ruppert, L. 53, 226 Russell, B.D. 46, 49 Sasse, M. 358 Sauer, G. 239, 259 Saur, M. 271f. Scharbert, J. 115, 258 Schart, A. 115f., 254, 268 Schedl, C. 319 Schelling, P. 138f., 175 Schildenberger, J. 90, 104, 127, 131 Schmid, K. 31, 43, 201, 220, 294, 383f., 388 Schmidt, L. 222, 251f., 254f., 258, 260f. Schmidt, W.H. 284, 337
Autorenregister Schmitt, H.-C. 135, 251 Schnocks, J. 202, 206, 209, 214, 219f., 223f., 253, 258–260, 271, 273f., 280, 282, 295f. Schöpflin, K. 169 Schreiner, J. 95 Schröten, J. 22, 72, 76f. Schunck, K.-D. 382f., 386–388 Scoralick, R. 66, 246, 311, 315, 319, 323f., 331f., 335, 337, 339 Seebass, H. 251f., 254f., 258–261 Seybold, K. 53, 84f., 87, 94f., 98, 141– 145, 151, 156, 161, 163f., 168f., 194f., 197, 199, 202f., 205f., 214, 271, 273, 282, 287, 289, 310, 324, 351f. Smend, R. (sen.) 258 Smend, R. (jun.) 267 Spieckermann, H. 5, 10, 16, 20f., 25–27, 29, 31, 34f., 41f., 45, 50f., 53f., 56f., 60, 65, 71, 84, 87–101, 103–105, 107– 109, 113–116, 119, 121, 123f., 126– 128, 131, 142–145, 161, 174, 242, 277–279, 281–285, 289, 318, 323f., 350, 354, 367, 372 Steck, O.H. 144, 233, 264, 266, 273–275, 284, 294, 385, 387 Strauss, H. 319 Süssenbach, C. 88, 90, 103f., 124, 128, 138–140, 142f., 147, 151, 154f., 159, 165, 171, 174–176 Tate, M.E. 85, 87f., 90, 96, 98–101, 138, 141, 143, 242 Theissen, G. 379
435
Thiel, W. 120 Tita, H. 71 Tov, E. 30 Tsevat, M. 165 Veijola, T. 112, 223 Waschke, E.-J. 9 Watson, W.G.E. 52 Weber, B. 87f., 90, 100, 104, 111, 121, 125, 138–140, 146, 148–154, 156, 160, 168, 172, 175, 179f., 204, 206 Weinfeld, M. 221 Weippert, H. 120 Weiser, A. 141 Westermann, C. 2, 6–8 White, S. 30 Williamson, H.G.M. 382–389 Witte, M. 56, 75, 87f., 91–93, 95, 99, 107, 111f., 124, 126, 131, 181 Woude, A.S. van der 154 Zakovitch, Y. 66, 68, 75–77 Zenger, E. 20–22, 24, 26f., 32, 36, 38, 40f., 50, 52f., 55f., 59–64, 66–72, 74– 78, 111, 115, 138–143, 145, 147f., 153–158, 167–170, 172, 174, 182– 184, 271, 274–277, 280, 287–298, 307, 309–317, 319, 321–324, 326– 328, 331f., 336f., 340–342, 348, 350– 355 Zgoll, A. 34 Zimmerli, W. 66, 69, 216f. Zobel, H.-J. 64