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German Pages 610 [612] Year 1964
UNIVERSITÄT HAMBURG Abhandlungen aus dem
Gebiet der Auslandskunde (Fortsetzung der Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts)
Band 25 Reihe B. Völkerkunde, Kulturgeschichte und Sprachen Band 14
Geschichte der alten chinesischen Philosophie
Alfred Forke
GRAM, DE GRUYTER & CO · HAMBURG 1964
Geschichte der alten chinesischen Philosophie Alfred Forke
2., unveränderte Auflage
GRAM, DE GRUYTER & CO · HAMBURG 1964
Copyright 1964 by Cram, de Orayter & Co., Hamburg 13. Printed In Germany — Alle Rechte der Übersetzung, des Nachdrucke«, der Anfertigung von Fotokopien und Mikrofilmen - auch ausiugsweise - vorbehalten. Druck: Botaprlntdrnck W. Hildebrand, Berlin.
Der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig in Dankbarkeit gewidmet
Vorwort. Eine nur einigermaßen umfassende Geschichte der chinesischen Philosophie, in welcher die verschiedenen Strömungen im chinesischen Geistesleben klar zu tage träten, gibt es bis jetzt noch nicht. Sie konnte noch nicht geschrieben werden, weil die chinesische Philosophie noch zu wenig erforscht war. Jetzt, wo wenigstens die Hauptwerke der bedeutendsten Philosophen in Übersetzungen vorliegen und man eine Darstellung und Erklärung ihrer Systeme versucht hat, dürfte auch die Zeit für eine zusammenfassende Darstellung gekommen sein. Freilich sind auch jetzt noch viele der weniger berühmten Philosophen in Europa fast ganz unbekannt und ohne gründliche Benutzung der chinesischen Quellen und Beibringung von ganz neuem Material ist Vollständigkeit nicht zu erreichen. Der vorliegende Band bringt zunächst eine ausführliche Geschichte der alten chinesischen Philosophie von den ältesten Zeiten bis zum Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, an welchen sich später ein weiterer Band, der die mittlere und die neuere Zeit umfaßt, anschließen soll. Dieser Band behandelt das chinesische Altertum, welches mit dem Ende der Feudalzeit und des Königtums und mit der Aufrichtung des zentralisierten Kaiserreichs seinen Abschluß findet. Im chinesischen Altertum sind nicht nur die Wurzeln, sondern ist auch der Stamm der gesamten chinesischen Kultur und natürlich auch der Philosophie zu suchen. Wir haben in deutscher Sprache bis jetzt nur eine anregend geschriebene, aber sehr unvollständige Skizze der chinesischen Philosophie von M. von Brandt, Stuttgart 1898. Etwas ausführlicher und wissenschaftlich wertvoller ist das kleine Werk des Japaners Suzuki, A Brief History of Early Chinese Philosophy, London 1914. Es ist aber keine eigentliche Geschichte, sondern eine systematische Darstellung nach einzelnen philosophischen Grundbegriffen. Die beste Darstellung ist die von G. Tucci, Storia della Filosofia Cinese Antica, Bologna 1921. Diese Werke geben nur eine Zusammenstellung des den Sinologen allgemein Bekannten und bringen kaum etwas Neues.1) Verfasser unterscheidet sich von seinen Vorgängern dadurch, daß er alle Quellen im Original nachgelesen hat. Vieles hat er aus der Vergessenheit wieder hervorgeholt. Die Lehren der verschiedenen Philosophen, auch der fast oder ganz imbekannten, werden auf Grund ihrer Werke, oft nur Fragmente, dargestellt. Soweit es möglich ist, läßt Verfasser die Philosophen selber reden, indem er charak1
) Das gilt auch von . V. Zenkere Geschieh* der Chinesischen Philosophie, Band I, 1 2 , die mir erst während des Druckes bekannt wurde und nicht mehr benutzt werden konnte. Sie läßt allzu sehr die Objektivität vermissen.
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Vorwort
teristische Stellen aus ihren Schriften übersetzt und, um seinen Fachgenoasen die Nachprüfung zu ermöglichen, den chinesischen Text beifügt. Alle seine Behauptungen sucht er durch Zitate zu belegen. Es kam ihm dabei nicht so Sehr auf eine leichte und elegante Darstellung an, wie man sie für die europäische Philosophie, worin alle Vorarbeiten längst getan sind, ohne Schwierigkeit geben kann, vielmehr wollte er erst einmal eine solide Grundlage für spätere Forschungen schaffen und das Quellenmaterial nur soweit verarbeiten, daß es doch noch als solches zu erkennen bleibt. Schon die chinesischen Gelehrten der älteren Han-Zeit haben ihre alten Philosophen nach Schulen unterschieden. Diese Schulen waren bis jetzt für die Sinologen nicht viel mehr als leere Rahmen. Sie werden jetzt zum erstenmal ausgefüllt und die einzelnen Denker in die entsprechenden Gruppen eingeordnet. Die chinesische Philosophie ist keine anonyme wie die indische, sondern man kennt die einzelnen Philosophen wie die griechischen, es waren Persönlichkeiten, über deren Leben manches überliefert worden ist. Chinas Geschichte ist reich an großen Charakteren, von denen manche zu gleicher Zeit große Denker waren, aber man weiß in Europa sehr wenig davon, da auch die chinesische Geschichte noch wenig erforscht ist und unsere Historiker derselben bislang sehr wenig Interesse entgegengebracht haben. Zur richtigen Beurteilung eines Systems ist es von Wichtigkeit, den Charakter und das Wesen seines Vertreters zu kennen, deshalb teile ich mit, was man aus dem Leben der Philosophen weiß. Namentlich wird, soweit es möglich ist, ihre Lebenszeit fixiert, was allerdings oft nur annäherungsweise geschehen kann, damit sie danach den ihnen in der Gesamtentwicklung der Philosophie gebührenden Platz erhalten können. Einen gewissen Raum nehmen die Untersuchungen über die Echtheit und die Art der Entstehung der Werke der Philosophen ein. Hier haben chinesische Kritiker und in einzelnen Fällen auch Sinologen gut vorgearbeitet. Um den Leser in den Stand zu setzen, sich ein eigenes Urteil über die verschiedenen Philosophen zu bilden, werden die Ansichten bedeutender, einheimischer und fremder Forscher angeführt, zu denen der Verfasser Stellung nimmt, indem eiserne eigene Ansicht kurz begründet. Fast bei jedem großen Denker wiederholt sich dasselbe Schauspiel, er findet begeisterte Bewunderer, aber auch erbitterte Gegner, die ihn in Grund und Boden verdammen. An Streitfragen betreffend das Leben, die Werke und die Lehrmeinungen der Philosophen ist kein Mangel. Auch kühne Theorien und Hvpothesen sind von den Kritikern zur Aufhellung mancher Dunkelheiten erdacht worden. Darauf wird ebenfalls kurz hingewiesen. Der Leser wird dadurch über den gegenwärtigen Stand der Forschung aufgeklärt, und er gewinnt eine Vorstellung von dem, was bis jetzt von der chinesischen und ausländischen Kritik für das Verständnis der chinesischen Philosophie geleistet worden ist. Da es mir darauf ankam, ein möglichst abgerundetes Bild von jedem System zu geben, so ließen sich Wiederholungen nicht ganz vermeiden. Sie werden kaum
Vorwort
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bemerkt werden von demjenigen, der das Werk zum Nachschlagen benutzt und sich über den einen oder den ändern Philosophen genauer informieren will. Dagegen müssen sie sich bei fortlaufender Lektüre bemerkbar machen. Diese vielleicht etwas zu große Ausführlichkeit findet ihre Entschuldigung auch darin, daß über viele der auftretenden Personen noch fast gar nichts außerhalb Chinas veröffentlicht ist, der Leser also auch nicht auf die vorhandene Literatur verwiesen werden kann. Wenn dieselben Gedanken in etwas veränderter Form und in etwas anderer Beleuchtung öfter wiederkehren, so hat das auch noch den Vorteil, daß sie dadurch klarer werden, denn viele sind für einen Nichtchinesen durchaus nicht so ohne weiteres faßbar. So erscheint es mir z. B. durchaus nicht ganz klar, trotz zahlreicher dafür beigebrachter Aussprüche der verschiedensten Autoren, was sich die Chinesen unter dem Wu-wei, dem Nichthandeln im Staatsleben, eigentlich gedacht haben. Philosophie ist für die Chinesen nicht eine so abstrakte Wissenschaft wie für uns. Da sie immer mehr das Hauptgewicht auf die praktische Philosophie zu legen pflegen als auf die theoretische, so verstehen sie darunter im allgemeinen Lebens- und Weltweisheit. Diese hat natürlich immer eine bestimmte Weltanschauung zur Voraussetzung, aber letztere tritt nicht so sehr in den Vordergrund wie in unserer Philosophie. Infolge dieser ändern Einstellung wird in China der Kreis der Philosophen oder Weltweieen viel weiter gezogen als wir es gewohnt sind. Ein zünftiger Philosoph mag über manchen chinesischen Staats-, Rechts- oder politischen Philosophen die Nase rümpfen. Die chinesische Weltweisheit ist sehr viel einfacher und primitiver als unsere Philosophie und gleicht in dieser Beziehung mehr der griechischen und indischen. Daher erscheinen uns viele Aussprüche der chinesischen Weisen als Selbstverständlichkeiten, aber sie waren es zu ihrer Zeit noch nicht und sind es erst mit der Fortentwicklung der Kultur geworden. Die Ansichten der chinesischen Philosophen zeigen außerdem bei aller Verschiedenheit im einzelnen doch eine sehr viel größere Gleichförmigkeit als bei uns, was in der Eigenart des chinesischen Geistes begründet sein mag, denn dieser ist seinem innersten Wesen nach rückschauend und konservativ, nicht vorwärts strebend. Durch die lähmende Autorität der alten Weisen w.urde das Aufkommen neuer Ideen direkt verhindert. Das Ziel, welches mir bei der Abfassung dieses Werkes vorschwebt, ist ein zweifaches: ich möchte einmal unsere Kenntnis des geistigen Leben» eines großen Kulturvolks erweitern und sodann für die chinesische Philosophie die Stellung in der allgemeinen Geschichte der Philosophie erringen, welche ihr gebührt, das heißt, wenn es mir möglich ist, für die chinesische Philosophie das tun, was Deussen für die indische Philosophie geleistet hat. Wenn die Geschichte der Philosophie nicht nur eine Geschichte der europäischen Philosophie, sondern der Weltphilosophie sein will, so darf sie nicht mehr an der Gedankenwelt des vorderasiatischen, des indischen und des ostasiatischen Kulturkreises vorübergehen.
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Vorwort
Daß die indische Gedankenwelt dem europäischen Geiste manche Anregung bietet und ihm manches in einem neuen Lichte erscheinen läßt, wird wohl heute nicht mehr beetritten, aber gilt dasselbe auch von der chinesischen ? Angesichts des großen Interesses, welches der Taoismus, vor allem das Tao-te-king erweckt hat, glaube ich, daß man diese Frage bejahen muß. Wir können noch vieles von den alten chinesischen Weisen lernen, und manche ihrer Aussprüche passen noch für unsere Zeit. Die chinesische Philosophie ist viel reicher, als man gewöhnlich annimmt. Mit den Schlagworten Koniuzianismus und Taoismus ist es nicht getan, denn da sind auch die Mehisten, Amoralisten, Sophisten, Skeptiker, Dualisten und reinen Idealisten. Die chinesische Philosophie ist eine vorzügliche Einführung in das primitive Denken, welches der exakten Wissenschaft vorangeht und uns heute noch schwer verständlich ist, in die auch in Europa bis in das sechzehnte Jahrhundert herrschende Art der Naturerkenntnis, welche nicht auf Beobachtung und Berechnung, sondern auf Induktion durch Analogieschlüsse und symbolische Verknüpfungen beruhte. Wenn man beobachtet, wie manche chinesische Denker die allgemein anerkannte Moral verwerfen, durch eine andere ersetzen oder ganz ohne eine solche auszukommen glauben, so wird man zweifelhaft, ob der berühmte kategorische Imperativ, der den meisten als ein unverrückbarer Pol gilt, wirklich existiert und ob nicht alle Ethik ebenso ein Erzeugnis unseres Geistes ist wie etwa die Werke der Kunst, und bei den verschiedenen Völkern und verschiedenen Individuen verschiedene Formen annimmt. In keinem Lande der Welt ist der Pantheismus und die darauf beruhende Naturphilosophie in allen Einzelheiten des täglichen Lebens so zur Geltung gebracht und wurde davon bis in unsere Zeit das Leben des Einzelnen sowohl wie das des Staates so beherrscht wie in China. Die Wirkungen der Lehre von Schuld und Sühne studiert man am besten in Indien, die des starren Monotheismus in den islamischen Ländern, die des stark modifizierten Monotheismus in Europa und Amerika und die des Pantheismus in China. Möge das vorliegende Werk mit dazu beitragen, das chinesische Denken nicht nur den Philosophen, sondern auch den Wissenschaftlern und den Gebildeten näher zu bringen.
Inhaltsübersicht. Vorwort VII Begriff und Einteilung der chinesischen Philosophie l Die Anfänge der chinesischen Philosophie, 2366—1122 . Chr. I. Die Klassiker ale Quellen für die älteste chinesische Philosophie und ihre Echtheit 6 A. Schulung B. Yiking 9 C. Die Klassiker eine Fälschung der Han-Zeit ? 14 II. Die Kultur Chinas zu Beginn seiner Geschichte: Zeit des Yao, Schun und Heia-Dynastie, 2356—1766 v. Chr 15 III. Die acht Trigramme. Pa-kua, der erste Versuch einer Naturphilosophie 20 IV. Religion und politische Ethik in der Behang-Dynastie, 1766—1122 v. Chr 28 V. Hung-fan. der „Größe Plan", die Grundbegriffe der Natur- und Staatslehre ,. 34 Die Philosophie der Tschou- und Tch'in-Dynastie, 1122—206 . Chr. § 1. Die Weltanschauung während der älteren Tschou-Epoche, 1122-600 v. Chr. A. Religion , 39 B. Kosmologie 46 C. Ethik 51 D. Staatskunst 54 § 2. Die zwölf philosophischen Schulen 58 I. Die älteren Staatsphilosophen 60 1. Yü Haiung 61 Ethik 63 Staatelehre 65 2. Kuan Tschnng 67 Kuan-tse's Werk 71 Kuan-tee' Grundsätze: I. Religion 75 . Ethik 76 III. Staatslehre 77 IV. Volkswirtschaftliches 81 3. Yen Ying 82 Das Yen-tse tschSm-tch'iu 86
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Inhaltsübersicht Grundsätze des Yen Ying: a) Religion b) Ethik 4. Tse Tsch'an Metaphysisches Politische Ethik II. Die Konfuzianer 1. Konfuzius: a) Sein Leben und seine Persönlichkeit b) Beurteilung des Konfuzius c) Quellen zur Kenntnis der Lehre des K'ung-tse d) Die Lehre des Khing-tse I. Weltanschauung II. Ethik A. Das Individuum: a) Die Menschennatur b) Das Wesen der Tugend c) Einzelne Tugenden d) Das Studium und das Wissen e) Schicklichkeit und Musik f) Der Edele B. Die Familie C. Der Staat 2. Die Jünger des Konfuzius I. Yen Hui II. Tse Lu III. Tse Kung IV. Tse Hsia V. Tse Tschang VI. Yu Jo Vn. Tse Yü VIII. Tse Yu 3. Tseng-tse a) Naturphilosophisches im Ta Tai-li b) Das Hsiao-king 4. Tse See a) Das Ta-hsio b) Das Tschung-yung 5. Die Weiterbildung der Lehre des Konfuzius durch seine Nachfolger a) Naturphilosophisches im Liki u. in d.Yiking Kommentaren b) Ethisches
88 90 92 90 97 98 99 110 116 121
124 125 127 128 130 132 133 136 139 140 141 143 145 146 U« 147 147 147 151 153 158 160 13 169 170 182
Inhalteübersicht
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6. Die Schulen des K o n f u z i a n i s m u s und ale Schriftsteller genannte spätere Konfuzianer 187 7. Mencius. I. Sein Leben und seine Bedeutung 190 II. Sein Werk 195 III. Der Lehrbegriff des Mencius a) Metaphysisches 197 b) Psychologisches 199 c) Die angeborene Güte der menschlichen Natur . . . . 201 d) Sittenlehre 203 e) Staatslehre: a) Die einzelnen Faktoren des Staates 208 ß) Moral die Grundlage der Regierung 210 ) Wirtschaft und Steuern 212 ) Krieg und Politik 214 8. Hsün-tse. a) Sein Leben, sein Werk und seine Bedeutung 21« b) Das Lehrsystem des Hsün-tse: 1. Himmel, Tao und Schicksal 222 2. Die Menschennatur 22(i 3. Lernen und Wissen 229 4. Dialektik 231 5. Tugend, Sitte und Musik 233 «. Staatsweisheit 236 7. Kritik anderer Philosophen 239 [II. Die Taoisten 242 1. V o r l ä u f e r des Lao-tae a) Huang-ti und I-yin 242 b) Das Yin-fu tching 244 2. Lao-tse. a) Seine Persönlichkeit 249 b) Das Tao-te-king 255 c) Lao-tse's Lehre: I. Metaphysik 261 II. Ethik 272 III. Politik 277 d) Urteile über Lao-tse 280 3. Lieh-tse. a) Persönliches 284 b) Lieh-tse's Lehre: I. Tao, sein Wesen und Wirken 291 II. Die Stellung des Menschen in der Natur 298
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Inhalteübenücht
III. Praktische Philosophie. 300 c) Die Schule des Lieh-tse 301 4. Techuang-tse. a) Aus seinem Leben 303 b) Zur Charakteristik des Tschuang-tee 307 c) Das Nan-hua tsche'n-tching 311 d) Das Lehrsystem des Tschuang-tse. I. Tao, Welt und Leben 314 II. Weltweisheit 321 III. Mystik 325 5. Pseudo-Kuan-tse 328 6. WSn-tse. I. Seine Persönlichkeit und sein Werk 333 II. System des Thing-yuan tsch&i-tching: a) Tao 336 b) Natur und Welt 340 c) Der Mensch nach seiner körperlichen und geistigen Beschaffenheit 341 d) Tugendlehre: a) Beziehung zu Tao 344 ß) Tugenden 346 e) Staatsweisheit .. 350 7. Taoisten, deren Schriften nicht erhalten sind. I. Lao Lai-tse 353 II. Lao Tsch'eng-tse 354 III. Prinz Mou 354 IV. T'ien P'ien 354 V. Tchieh-tse 355 VI. Tchüan-tse 356 VII. Tschang Lu-tse 356 VIII. Tscheng Tschang-tsche· 356 IV. Yang Tschu. A. Die Yang Tschu-Fragmente. Zeit und Persönlichkeit des Yang Tschu 356 B. Yang Tschu's Lehre: 1. Sein Pessimismus 361 2. Richtige Lebensführung 364 a) Negative Erfordernisse 364 b) Positive Erfordernisse 365 V. Die Mehisten 368 1. M§ Ti. I. Sein Leben 368
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II. Die Werke des Me Ti 372 III. Die Lehre des Me Ti: A. Metaphysik 376 1. Der Himmel 377 2. Geister und Dämonen 378 3. Schicksal 380 B. Praktische Philosophie 381 I. Die Staatslehre: 1. Urzustand 381 2. Gründung des Staates 382 3. Staatsgrundsätze 382 4. Beamtenwesen 383 II. Politische Ethik 1. Einigende Liebe 384 2. Mäßigkeit 388 III. Individuelle Ethik 389 IV. Die Bewertung des Me Ti 390 2. Die Mehisten. I. Schüler des M.6-tse und spätere Mehisten 395 II. Die Lehre der Mehisten 401 A. Weiterbildung der Lehre des Meisters 401 B. Neuschöpfungen 404 I. Dialektik 405 a) Systematisches 405 b) Nominaldefinitionen 409 c) Realdefinitionen 410 a) Erkenntnistheoretisches 410 ß) Ontologisches 412 II. Mathematische und physikalische Erörterungen 415 VI. Die Dialektiker und die Sophisten 417 1. Teng Hsi-tse 418 2. Yin Wen-tse 421 3. Hui Schi 426 4. K u n g - s u n L u n g 436 VII. Die späteren Staats- und Rechtsphilosophen 441 1. Li K'uei 441 2. Schßn Tao 442 3. Schßn Pu-hai 447 4. Schang Yang 450 Die Grundsätze des Schang Yang: I. Sein Amoralismus 455 II. Strafen und Belohnungen als Regierungsmethode.... 456 III. Ackerbau und Wehrmacht die Säulen des Staates.... 458
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5. Han Fei-tse Die Lehre des Han Fei-tse: 1. Die taoistischen Grundprinzipien 2. Ethik 3. Staatsweisheit a) Regierung mit Tao b) Macht und Recht c) Die Regierungemethoden Vm. Die Politischen Philosophen 1. Kuei-ku tse Kuei-ku-tse's Werk: a) Taoistisches b) Naturphilosophisches c) Erkenntnistheoretisches d) Politisches 2. Su Tch'in 3. Tschang I IX. Die Naturphilosophen 1. Tchi Ni-tse 2. Tsou Yen 3. Pseudo-Kuan-tse 4. Das Yüeh-ling und das Huang-ti su-w6n X. Die Eklektiker 1. Schi-tse 2. Ho-kuan tse 3. Lü Pu-wei Das Lü-schi tsch'un-tch'iu I. Taoistisches II. Naturphilosophie III. Konfuzianisches IV. Mehistisches V. Dialektik VI. Realpolitik XI. Nicht klassifizierbare Philosophen 1. Kao Pu-hai 2. Sung Hsing XII. Philosophierende Einsiedler 1. Tchieh-yü 2. Tsch'ang-tchii und T c h i e h - n i 3. Hsü Hsing 4. Wu-ling tse · Sachregister Namenregister
461 466 468 472 472 475 480 482 483 484 486 487 488 490 495 499 500 503 506 515 520 520 528 537 540 541 646 548 651 662 553 555 555 557 558 569 569 559 561 565 574
Begriff und Einteilung der chinesischen Philosophie. Bis in die neueste Zeit ist den Chinesen der Begriff der reinen Philosophie unbekannt gewesen, denn eine voraussetzungslose Wissenschaft und eine Erforschung der Wahrheit nur um der Wahrheit willen gab es nicht. Es war die allgemeine Ansicht, daß die Wahrheit längst bekannt und von den alten Weisen bereits gefunden sei, so daß nichts weiter nötig war, als auf das Altertum zurückzugehen und sich die damals erzielten Resultate anzueignen. In dieser Beziehung besteht eine nahe Verwandtschaft zwischen der chinesischen und der katholischen Philosophie. Bei strikter Durchführung dieser Ansicht würde die Philosophie in China natürlich sehr wenig Fortschritte gemacht haben, aber so sehr sich auch die Philosophen vor der geheiligten Autorität der von göttlicher Weisheit erfüllten Auserwählten beugten, so verzichteten sie doch nicht auf eigenes Denken, ebenso wenig wie die Scholastiker, dachten das von ihren Vorgängern Gedachte um, bildeten es weiter und gelangten so zu neuen Ergebnissen. Aus den angeführten Gründen fehlte es auch an einem Worte für Philosophie.1) Erst nachdem die Chinesen mit der europäischen Philosophie bekannt geworden waren, haben sie auch nach einer passenden Bezeichnung dafür gesucht und dafür den Ausdruck Tschi-hsio „Weisheitslehre"2) gewählt. Dieser ist von den Japanern geprägt und dann nachträglich wie so viele andere moderne technische Ausdrücke von den Chinesen übernommen worden. Auch für einen Philosophen hat man keinen klassischen Ausdruck. In den alten Schriften nennt man ihn einfach Hsien-scheng „Meister", oder Fu-tee „Lehrer", oder kurz Tse „Meister".8) Dagegen hat man Worte für „Heilige" und „Weise", Scheng-jen und Hsien-jen1), die aber immer einen stark religiösen Beigeschmack haben, da sie nur berühmten Gründern von Schulen von ihren Anhängern, die sie für göttlich inspiriert halten, beigelegt werden. Unserem Begriff des Philosophen entspricht am meisten der Ausdruck Tse, aber er deckt sich doch nicht 1
) Der Ausdruck Hsio M&. „Wissen" oder Tchiao ^Ur „Lehre" ist zu weit, Tao -ftj^ „Methode, Prinzipienlehre" kommt dem Begriff schon ziemlich nahe und wird auch öfter dafür gebraucht. 2 ) 3rff |&. Das Wort:^ bedeutet „klug, einsichtig, weise" und kommt nur selten vor. Die zehn Jünger des Konfuzius heißen Schi-tsche -|- -^, „die zehn Weisen".
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Begriff und Einteilung der chinesischen Philosophie
vollkommen damit, denn seit Liu Hsin1) bedeutet er nicht nur einen Philosophen, sondern auch einen Gelehrten oder Literaten. Liu H sin teilte im Jahre 7 v. Chr. die damals vorhandenen und im Han-schu beschriebenen Werke der chinesischen Literatur in sieben Klassen und nannte eine derselben Tse. Diese umfaßt die folgenden neun Gruppen: Konfuzianer, Taoisten, Naturphilosophen, Rechtsphilosophen, Dialektiker, Mehisten, politische Philosophen, Eklektiker und Landwirtschaftler.2) Bis auf die Landwirtschaftler stellen diese Gruppen Philosophenschulen dar. Insofern ist der Begriff Tse für einen Philosophen etwas zu weit. Andererseits ist er aber auch wieder zu eng, denn Liu Hsin setzt in die erste Klasse seiner sieben Abteilungen der Literatur die Klassiker und mit diesen zusammen die Werke der beiden Häupter der konfuzianischen Schule, Konfuzius und Mencius, die dadurch eine Sonderstellung erhalten über allen ändern Philosophen, daher wohl als Heilige oder Weise, aber nicht als Tse bezeichnet werden können. Ihre Lehre ist die wahre, die orthodoxe. Daher hat Tse als Bezeichnung der übrigen Philosophen etwas die Nebenbedeutung des nicht ganz orthodoxen.3) Philosophie und Religion lassen sich in China, namentlich in älterer Zeit nicht scharf von einander trennen. Man kann K'ung-tse, Lao-tse, Me-tse ebenso gut als Philosophen als auch als Religionsstifter betrachten. Philosophie und Religion fließen ihrem Wesen nach ineinander über, und es gilt das Wort Schopenhauers, daß Religion die Philosophie des Volkes sei. Dabei ist aber zu bemerken, daß die chinesische Religion von der unsrigen ganz wesentlich verschieden ist. Es fehlt ihr an einem Dogma und an einem mächtigen Priesterstande.4) Zwar gab es im Altertume Beter, Beschwörer und Zauberer, aber die wichtigsten Opferhandlungen 2
) Mayers, Chinese Reader's Manual II Nr. 280: i(_ jfa: 1. -f|| ^ 2.
Mayers nennt die dritte Gruppe ,,the school of divination", was für die alte Zeit nicht ganz stimmt. Ganz falsch ist ^^ ^^ mit „school of writers on official station" übersetzt. Chen Huang Chang, The Economic Principles of Confucius and his School, New York 19 p. 42 bezeichnet yin-yang mit Spiritualismus, ming mit Logik, tsungh eng mi t Diplomatie und t sä mit Generalisation. Letzter Ausdruckist ganz verfehlt. Carsun Chang in Bücken, Das Lebensproblem in China und in Europa, Leipzig 1921, S. 65 nennt die Naturphilosophen Weltentstehungslehrer, die Rechtsphilosophen Rechtler, die Dialektiker Terministen und die Mehisten Mehzianer. Wir werden diese einzelnen Schulen . und ihre Vertreter kennen lernen und dadurch am besten in den Stand gesetzt werden, die richtige Bedeutung dieser technischen Auedrücke zu eruieren. 3 ) DasSse k'u tch'üan-schu tsung-mu, Tch'ien Lung's großer Katalog, unterscheidet 14 Klassen der Tse und rechnet noch dazu: militärische Schriftsteller. Mediziner, Astronomen, Wahrsager, Kunstkritiker, Naturwissenschaftler und Enzyklopädisten. *) Vergl. B. Schindler, Das Priestertum im Alten China, I, Leipzig 1919.
Begriff und Einteilung der chinesischen Philosophie
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wurden von den Fürsten und hohen Beamten verrichtet, und die Priester spielten nur eine untergeordnete Rolle und haben auf die chinesische Kultur sehr wenig Einfluß gehabt. Ganz anders im alten Indien, wo die Brahmanen fast göttliche Verehrung genossen. In China haben sich die großen Denker und Religionslehrer im allgemeinen für die Götterverehrung und den Kultus nur wenig interessiert, dagegen an der sittlichen Hebung ihres Volkes gearbeitet. Ethische und sozialpolitische Fragen waren es, die sie zumeist beschäftigten. Dagegen tritt die Metaphysik und Naturphilosophie stark zurück. Zur Logik, Erkenntnistheorie und Psychologie sind nur schwache Ansätze vorhanden. Bis in die neueste Zeit haben die Chinesen ebenso wenig eine zusammenhängende Geschichte ihrer Philosophie wie ihrer Literatur besessen, doch ist über die Werke der einzelnen Philosophen manches Bemerkenswerte, besonders Textkritisches geschrieben worden und in die großen Enzyklopädien Wen-hsien t'ung-k ao und T u-schu tchi-tsch eng aufgenommen. Auch Tch ienLung's Katalog ist dafür eine wichtige Quelle. Die ersten Darstellungen der Geschichte der chinesischen Philosophie in europäischer Art, welche mir bekannt geworden, sind die Geschichte der Chinesischen Philosophie von Hsieh Wu-liang, 1917 und der G r u n d r i ß der Geschichte der Chinesischen Philosophie, Bd. I, Altertum von Hu Schi, 1919.1) Beide Verfasser sind in der europäischen Philosophie bewandert, Hu Schi ist Professor der Philosophie an der PekingUniversität. Die Sinologen konnten sich mit einer Geschichte der chinesischen Philosophie nicht gut befassen, bevor wenigstens die Werke der wichtigsten Philosophen in Übersetzungen vorlagen und einigermaßen durchforscht waren. Das ist jetzt geschehen.2)
^jfr _^. Beide Werke sind sehr verschieden und ergänzen sich daher sehr gut. Hsieh Wu-liang ist konservativ, er halt an den alten Traditionen fest und schreibt Schrift-chinesisch. Hu Schi ist ganz radikal und hyperkritisch, er verwirft die meisten philosophischen Texte als Fälschungen und schreibt in etwas gehobener Umgangssprache. 2 ) An Skizzen und kurzen Darstellungen der chinesischen Philosophie besitzen wir: A. Remusat, De la philosophie chinoise in Melanges poethumes 1843, S. 160—205, G. Pauthier, Esquisse d'une histoire de la Philosophie Chinoise (Revue Independante 1844, p. 68). Von demselben: Philosophie des Chinois im Dictionnaire des Sciences Philosophiques T. I 1844, S. 492—605. —E. Faber in der Einleitung zu: Systematical Digest of the Doctrines of Confucius 1876 (S. 1—35). — E. I. Eitel, Outlines of a History of Chinese Philosophy (Transactions of Int. Congress of Orientalists Vol. Ill B. (Petersburg) 1876. —M. von Brandt, Die Chinesische Philosophie und der Staats-Konfuzianismus, 1898 (121 S.). — W. Grube, Chinesische Philosophie in „Kultur der Gegenwart" I, 5 (1909), S. 78—99. — P. Deussen in: Allgemeine Geschichte der Philosophie I, 3 (3. Aufl. 1920), S. 676—716. Suzuki, A Brief History of Early Chinese Philosophy, 1914 (188 S.). —
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Begriff und Einteilung der chinesischen Philosophie
Pauthier unterscheidet in der chinesischen Philosophie drei Perioden: 1. Periode des Yiking und Schulung; 2. Periode: Lao-tse, Konfuzius, Mencius; 3. Periode: Neukonfuzianismus. Man kannte zu jener Zeit noch zu wenig von der chinesischen Philosophie, um eine richtige Gliederung vorzunehmen. Eitel1) schlägt folgende Einteilung vor: I. Legendäre Anfänge der chinesischen Philosophie (Fu Hsi und Hvang-ti); . Die Morgenröte der chinesischen Philosophie (Yil-tse, Hui-kung, Ktian-tse); III. Die erste klassische Periode (Lao-tse, Konfuzius); IV. Die Schüler des Lao-tse und Konfuzius; V. Die zweite klassische Periode, gipfelnd in Tschuang-tse und Mencius; VI. Verfall der chinesischen Philosophie (Tch'in, beide Aon, beide TcAiw-Dynastien); VII. Wiederaufleben der Philosophie unter der T'angr-Dynastie; VIII. Die dritte klassische Periode der chinesischen Philosophie, gipfelnd in Tschu Hei (Sung-Zeit); IX. Die Epigonen (Ming- und TcÄ'iw«*·
*) Vergl. meine World-Conception of the Chinese London 1925, S. 164. *) China Review Vol. XV, S. 342.
. Die acht Trigramme
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^ „Erde und Berge" und >ft . 3) App. V, S. 428 (X,3a): f£ ^ fo, ±
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Die
PS ·&> St M ife> R it tÖO Ä ffc-tfe· Erklärungen eind nicht sehr befriedigend. Ipl bedeutet eindringen, J^ eine Grube oder einsinken, ^ durchdringen und zufrieden. 4
) 7L JK 3J^. 574—648 n. Chr. ) DieHimmelskuppel dreht sich und ist fest und stark, J^ wird hier nicht als „leuchtend'' sondern als „haftend" aufgefaßt. 6
III. Die acht Trigramme
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Das Wachstum der Vegetation wird von den Naturmächten in folgender Weise befördert: „Durch den Donner werden die Dinge bewegt, durch den Wind zerstreut, durch den Regen befeuchtet, durch die Sonne erwärmt, durch Ken festgehalten, durch Tui erfreut, durch Tch'ien beherrscht und durch K'un geborgen."1) K'ung Ying-ta sagt dazu erläuternd: ,Der Blitz bringt die aufgehäufte kalte Luft in Bewegung, die Sonne erwärmt sie, der Wind treibt die heiße Luft auseinander, der Regen befeuchtet. Tch'ien herrscht im Hochsommer, erleuchtet und regiert, K'un verbirgt alle Dinge im tiefsten Winter, Tui ist Freude über warme Luft, Ken bedeutet das Zusammenziehen der Kälte.' Soweit beruht das System der Trigramme bis zu einem gewissen Grade auf Beobachtungen und Erfahrungen, wenn diese auch nicht ganz exakt und reichlich mit Phantasie ausgeschmückt sind, aber man ist in dem Hang zum Symbolisieren weiter gegangen und hat Ähnlichkeiten und Analogien zwischen den acht Zeichen und Gruppen oder Klassen von Dingen entdeckt und diese dann zu den Trigrammen in Beziehung gebracht und sie ihnen einfach gleichgesetzt. Es gibt acht Tiere, welche den acht Kua genau entsprechen: „Der Himmel gilt als Pferd, die Erde als Ochse, der Donner als Drache, der Wind als Hahn, das Wasser als Schwein, das Feuer als Fasan, die Berge als Hund, der Dunst als Schaf."2) K'ung Ying-ta findet dafür die folgenden Erklärungen: das Pferd entspricht dem Himmel wegen seiner Stärke, der Ochse der Erde, denn er trägt folgsam wie diese schwere Lasten, der Drache symbolisiert die lebhaften Bewegungen der Wolken beim Gewitter, der Hahn kräht, sein Ruf wird wie alle Töne vom Winde beherrscht. Das Schwein liebt den Aufenthalt in schmutzigem Wasser [vielleicht sagen wir besser: in Gruben und Löchern = jfc]. Das Gefieder des Fasans leuchtet wie Feuer. Der Hund hält Wache und bringt Fremde zum Stehen wie jj^, das Schaf ist ein fügsames Tier und erregt die Zufriedenheit = ·$£. Wir können nicht wissen, ob alle diese Erklärungen stimmen, aber ähnliche Ideen müssen den alten Chinesen vorgeschwebt haben. Für die Körperteile sind folgende Gleichungen aufgestellt worden: Tch'ien = Kopf, K'un = Magen, Tacken = Fuß, Sun = Wade, K'an = Ohr, Li = Auge, Ken = Hand, Tui = Mund.3) K'ung Ying-ta meint, der Kopf sei der edelste Körperteil, daher dem Himmel gleichgesetzt, der Magen verborgen, daher K'un gleich. Der Fuß sei mit Tschen App. V. S. 426 (X.2a) : ft # Wi ±, R # tfc 2» M M ffi ± * B steht [U für fe und Q für ·) App. V. 8. 42» (X, 3.): ») App. V, S. 429 (X. 3b).
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Die Anfänge der chinesischen Philosophie
verglichen wegen seiner schnellen Bewegung, und die Wade schließe sich dem Fuße an wie der Wind dem Donner. K'an als Symbol des Nordens beherrsche das Hören = Ohr; Li das Symbol des Südens beherrsche das Sehen = Auge. Die Hand halte fest = Kin, und Tui beherrsche das Reden = Mund.1) Am Schluß des Yiking-Kommentars werden noch zahllose weitere Analogien aufgeführt, für welche die Erklärer trotz aller Phantasie keine plausiblen Gründe beizubringen vermögen. Es scheinen spätere Zusätze zu sein aus einer Zeit, in welcher man sich um die philosophischen Grundlagen der Diagramme kaum noch kümmerte und nur neues Material für Wahrsagezwecke zusammenschaffen wollte. Die Grundlagen des Systems dürften im Obigen zur Darstellung gelangt sein. Die Chinesen haben eine ausgeprägte Vorliebe für Klassifikationen auf Grund von vagen Analogien und Parallelismen, wo wir genaue Beobachtungen oder Beweise verlangen. Ihre ganze Naturphilosophie ist in dieser Weise entstanden. Solche uns jetzt unwissenschaftlich erscheinenden Klassifikationen sind Vorstufen der Wissenschaft, bei welcher das Einordnen der Tatsachen in Kategorien und Klassen eine so große Rolle spielt. Wir finden sie daher nicht nur bei manchen Naturvölkern, sondern auch bei solchen, welche in der Kultur schon weit vorgeschritten sind2), und selbst in unserer Zeit zeigen manche Gelehrte eine große Neigung, Analogien und Symbole an die Stelle von Beweisen zu setzen.
IV. Religion und politische Ethik in der Schang-Dynastie, 1766—1122 v. Chr. Die Religion in der /ScÄaTi^-Dynastie ist von derjenigen der vorangehenden Äsia-Epoche wenig verschieden, aber wir sind besser darüber unterrichtet, denn die jüngere Zeit wird im Schuking, das fast unsere einzige Quelle ist, viel ausführlicher behandelt als die ältere. Als höchster Gott wird der Himmel verehrt. Wenn es auch nicht die einzige Gottheit ist, so treten doch die übrigen Naturgottheiten daneben fast ganz in den Hintergrund. Der Himmel denkt, fühlt und handelt wie ein vernunftbegabtes Wesen, aber wir haben keinerlei Anhaltepunkt für die Annahme, daß er als ein vom materiellen J
) ist Yin, zu Yin gehört auch die Verborgenheit. Nach Fu Hsi beherrscht K'an nicht den Norden, sondern den Westen und Li nicht den Süden, sondern den Osten, erst Wen-wang änderte die Richtungen, aber das Ohr als Loch entspricht recht gut dem Jä^ und das Auge ist das Organ des Lichte = Feuer. -^ stellt nach Williams den Hauch dar, der vom menschlichen Munde auegeht, auch wird es oft gj£ gleichgesetzt, was dann auch auf den Mund hinweist. Bei diesen Vergleichungen hält man eich an keine feste Regel, die Namen der Trigramme, ihre Schriftzeichen, die entsprechenden Naturvorgänge und ihre wirklichen oder angenommenen Eigenschaften, alles geht durcheinander. 2 ) Vergl. World-Conception S. 245ff.
IV. Religion und politische Ethik in der Schang-Dynastie
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Himmel getrennter Geist, als ein persönlicher Gott aufgefaßt sei, vielmehr müssen wir annehmen, daß diese Geistigkeit dem natürlichen Himmel inhärent ist. „Der Himmel hört und sieht alles, und der Heilige nimmt ihn sich zumMuster",1) „er blickt auf das Volk unten herab und prüft seme Gerechtigkeit. Danach sendet er ihm langes oder kurzes Leben. Nicht der Himmel ist es, der die Menschen früh sterben läßt, sie schneiden selbst ihr Leben in der Mitte ab."2) In seinem Tun irrt der Himmel niemals, er trifft immer das Richtige, wenn er seine Befehle ergehen läßt. Der Himmel handelt immer gerecht, er hat keine Vorliebe für irgend jemand und ist nur liebevoll zu den Ehrerbietigen.3) So war es keine besondere Vorliebe für das Herrscherhaus der Schang, welche den Himmel veranlaßte, die Hsia zu stürzen und die Schang auf den Thron zu heben, sondern sie gewannen seine Gunst durch ihre reine Tugend, denn der Himmel verteilt Glück und Unglück nach Verdienst.4) Später erregten auch die Herrscher der ÄcÄan^-Dynastie den Unwillen des Himmels durch ihr Verhalten, und im Zorn sandte er ihnen Verderben.5) Sie wurden von dem Herrscherhaus der Tscltou entthront. Der Untergang jeder Dynastie ist nach chinesischer Anschauung nur eine Folge ihrer eigenen Verderbtheit, die der Himmel bestraft. Freilich sind auch die menschlichen Begierden und Leidenschaften ein Werk des Himmels, denn, wie es in der „Verkündung des Tschung Hui" heißt, schafft der Himmel das Volk mit Begierden, wodurch sie ohne einen weisen Herrscher ins Verderben geraten würden, aber er gibt ihnen einen klugen Mann als Führer.6) Könige und Weise sind die vom Himmel Beauftragten, die seine Befehle ausführen. So wurde im Jahre 1766 T'ang vom Himmel beauftragt, die HsiaDynastie zu vernichten.7) Der Himmel handelt nicht willkürlich, sondern nach festen Prinzipien, er liebt das Gute und haßt das Böse, und dementsprechend segnet er die Tugendhaften und bestraft die Schlechten. Das ist der „Weg des Himmels", die sittliche Weltordnung. „Wenn man den Weg des Himmels verehrt, dann bewahrt man sich dauernd seine Gunst."8) Nur selten wird der Himmel als Schang-ti, höchster Herr oder Gott bezeichnet. Daß die Chinesen mit diesem Ausdruck einen ändern Begriff als mit dem Worte Himmel verbänden, läßt sich >) Schuking S. 255: f£ ^ J(§ *)Loc. cit. S.^ 3) Loc. cit. S. 209:
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) Abel Remusat, De la Philosophie chinoise in Melanges Posthumes 1843, S. 162 und J. H. Plath, Die Religion und der Kultus der alten Chinesen, 1. Abtl. Religion, München 1862, S. 4.
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Die Anfänge der chinesischen Philosophie
Remusat meint, es sei zweifelhaft, ob die alten Chinesen das höchste Wesen persönlich aufgefaßt hätten, ob sie Deisten oder Spinozisten gewesen seien. Die Höhe des vorkonfuzianischen Denkens, von welchem sich in Lao-tse, Lieh-tse und ändern Quellen noch Spuren fänden, sei später nicht wieder erreicht.1) Plath nimmt keinen reinen Monotheismus an, denn die ganze Natur sei von Geistern belebt, die man anruft und zu denen man opfert. Da man keinen eigentlichen Priesterstand hatte, so habe sich keine Dogmatik entwickelt, und da man dem Anthropomorphismus nicht huldigte, auch keine Mythologie. Das Haupt der Geister, der Himmel, sei bewußt gedacht worden.2) De Harlez sieht in Schang-ti ein persönliches Wesen, den Herrscher der Welt, der die Könige zur Seite hat, zu ihnen spricht, ihnen Anweisungen gibt und sie einsetzt. Es sei nicht nur eine Personifikation der Himmelskugel. Die ältesten Chinesen hätten an einen persönlichen Gott geglaubt, nicht an den materiellen Himmel. Unter T'ien habe man die Naturordnung und das Sittengesetz verstanden. Weder dem Himmel noch den Bergen, Flüssen und Seen sei geopfert worden. Die Geister seien nicht mit anima begabte Objekte wie Berge, Flüsse und Sterne gewesen, sondern von der Materie unabhängige, intelligente, geistige Wesen. Die Religion der ältesten Chinesen sei der der meisten Völker ihrer Zeit weit überlegen gewesen. Die Behauptung, daß dies nur die Religion des Hofes und der Großen war, die des Volkes dagegen wie später ein polytheistischer Aberglaube und Animismus, ließe sich auf keinen Text stützen. Überdies sei die wahre Religion eines jeden Volkes die der gebildeten Klassen, wie sie von den Ministem des Kultus gelehrt würde, nicht die der Unwissenden und Ungebildeten.8) Strauß, welcher die moderne Religionsgeschichte, sofern sie sich auf die Religionssysteme verdummter und verwilderter Horden stützt und den Darwinismus anwendet, verdammt und annimmt, daß die älteste Religionsform immer der Monotheismus gewesen sei, hält auch am altchinesischen Monotheismus fest. Der einzige Gott der alten Chinesen sei der sichtbare Himmel gewesen, der als „blauer Himmel" angerufen wurde; ein persönliches Wesen war es nicht. Das nennt er „mythologischen Monotheismus". Neben dem Himmel habe es keine Götter, sindern nur untergeordnete Verehrungswesen = Geister, gegeben, denn der Begriff deu s der polytheistischen Völker habe den Chinesen gefehlt.4) Ebenso !) Loc. cit. S. 171 und 176. ) Loc. cit. S. 14, 16, 40. 3 ) Ch. de Harlez, Les croyancee religieuses des premiers Chinois (Memoires 2
couronnes etc. par l'Academie de Belgique, Bruxelles 1888, Tome XLI). Die Annahme, daß der Himmel und die Naturgottheiten persönliche, geistige Wesen waren, läßt sich aus Jen Texten nicht rechtfertigen. Opfer für den Himmel, der nicht nur die Naturordnung bedeutet, und für Berge und Flüsse werden ausdrücklich erwähnt. 4 ) V. von Strauss, Der altchinesische Monotheismus, Vortrag (Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, Heidelberg 1885).
IV. Religion und politische Ethik in der Behang-Dynastie
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tritt Legge für den Monotheismus ein und bekämpit die Annahme des Polytheismus, Animismus und Fetischismus, worin ihm Max Midier beitritt.1) Für den Religionsforscher Reville ist der primitive Glaube der Chinesen eine Naturreligion mit starkem animistischem Zusatz und ein ausgeprägter Polytheismus.2) Diese These sucht Courant durch Texte zu stützen, indem er aus den ältesten Quellen nachweisen will, daß der Ausdruck Schang-ti auch als Plural in der Bedeutung: „die Kaiser" verstanden werden könne. An einer Stelle identifiziert er sogar Schun mit Schang-ti. Große Schwierigkeit macht ihm die Geburt des Gottes der Feldfrüchte Hou Tchi, welcher durch diese Theorie mehrere Väter erhält. Die Idee mehrerer oberster Herrscher ist ganz unchinesisch und deswegen abzulehnen.3) Wir können daran festhalten, daß die Religion der ScAangr-Epoche kein reiner Monotheismus ist, denn wir haben neben dem Himmel, dem höchsten Wesen, noch andere Naturmächte, Berge, Flüsse, Sterne, aber diesen kommt nicht die Bedeutung der indischen, griechischen oder germanischen Götter zu, denn sie sind eigentlich nur Teile des Himmels und der Erde. Sie werden pantheistisch aufgefaßt wie der Himmel. Erde, Wasser, Sterne sind ihre Körper, aber darin wohnt kein Geist, keine selbständige Seele, sondern sie sind stofflich-geistig zu gleicher Zeit. Das Verhältnis dieser Mächte zueinander ist wie das eines Fürsten zu seinen Beamten. Der Himmel ist der Kaiser, die Erde gilt als seine Gemahlin, als Fürstin oder Kaiserin, Sonne, Mond und Sterne, Berge und Flüsse sind seine Beamten.4) Ein ganz reiner Monotheismus ist auch das Christentum nicht, denn die Trinität läßt sich schwer damit in Einklang bringen. Dazu kommen die !) Max Müller, The Religions of Chin» (The Nineteenth Century XLVIII, 1900). Legges Erklärung von ^ ale — ~/ ,der eine und Größte' ist allerdings nicht beweiskräftig, denn es läßt sich auch als Neutrum, die große Einheit, die Monade oder das Universum auffassen und die beste Erklärung aus der alten Bilderschrift ist: der Himmel —- über dem Menschen Hf. 2 ) M. R. Reville, La Religion chinoise, 2 vols. Paris 1889, S. 133, 3 ) M. Courant, Le pretendu monotheisme des anciens Chinois (Revue de l'histoire des religions Tome 41, 1900 S. l—21). Courant nimmt an einigen Stellen einen Parallelismus an, der einen Plural erfordern würde, aber der Farallelismus gilt nicht immer. Kein chinesischer Erklärer hat je von mehreren Schang-tis gesprochen oder diesen Titel einem Kaiser zugestanden. Wie schon Plath a. a. O. S. 33 ausgeführt hat, können im monarchischen China die Chinesen nur eine Hierarchie von Göttern unter einem Oberhaupt angenommen haben. Konfuzius sagt imMencius II, 3, 4 und im Liki XIV, fol. 43: „Der Himmel hat keine zwei Sonnen, das Reich keine zwei Kaiser, die Familie keine zwei Herren, die Majestät keine zwei Oberen." Es sei auch auf den Yiking-Kommentar, App.III, S. 388 verwiesen, wo es heißt, daß ein Herrscher und zwei Untertanen die Art des Edlen, dagegen zwei Herrscher und ein Untertan die Art des Gemeinen sei. (Vergl. oben S. 25.) ') Plath a. a. O. S. 33.
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Die Anfänge der chinesischen Philosophie
vielen Engel, Teufel und Heiligen, welche besonders im Katholizismus fast wie Götter auftreten. Immerhin müssen wir anerkennen, daß ihre Unterordnung unter Gott größer ist als die der chinesischen Naturgottheiten unter den Himmel, der die gesamte Natur verkörpert. Es handelt sich hier aber nur um Gradunterschiede, und die chinesische Urreligion kommt unserem Monotheismus schon sehr nahe. Sie ist sehr viel reiner als die Religion der alten Inder, Griechen und Germanen und gerade infolge ihrer Unpersönlichkeit frei von den vielen menschlichen Schwächen, welche.uns die Religionen unserer Ahnen lieb und vertraut machen, aber doch ihrer sittlichen Reinheit bedenklich Eintrag tun. Der Himmel der alten Chinesen ist keine Person wie der Christengott, sondern ein pantheistisches Gebilde. Er erschafft nicht die Welt, sondern ist sie selbst, aber er regiert sie und stellt die sittliche Weltordnung dar. Dem Guten verhilft er zum Siege, das Böse unterdrückt er und handelt praktisch so, als ob er eine Persönlichkeit besäße.1)
V. Hung-fan, der „Große Plan", die Grundbegriffe der Natur- und Staatslehre. Das Hung-fan bildet einen wichtigen Teil der Bücher der TscÄcm-Dynastie im Schuking. Der Graf von Tchi?) Fürst der ÄcÄan^-Dynastie, teilte es dem *) Chavannes, Le Dieu du Sol dans I ' a n c i e n n e r e l i g i o n c h i n o i s e (Revue de ITiistoire des religions Vol. XLI l, S. 125) neigt der Ansicht zu, daß Schang-ti ein Urahn des Kaiserhauses gewesen sei, vermag aber nicht genügende Beweise dafür zu erbringen. J. W.Inglis, The Divine Name in ancient China, Shanghai 1910 hat dagegen aus Textstellen nachgewiesen, daß Schang-ti nichtein verstorbener Kaiser gewesen ist. N. Söderblo m widmet inseinem Werke: D äs Werden des Gottesglaubens, deutsche Bearbeitung von B. Stube, Leipzig 1916, ein Kapitel dem Schang-ti. Danach wäre dieser weder eine Naturgottheit noch ein A h n , sondern ein Urheber oder Urvater wie die Primitiven ihn haben. Der ehemalige große Häuptling des Stammes soll in der Höhe lokalisiert und von seinem Wohnsitz im Himmel auch Himmel genannt sein. Die chinesischen Quellen geben für eine solche Hypothese keinerlei Anhalt. B. Schindler, The Development of the Chinese Conceptions of Supreme Beings in Asia major Vol. I p. 298—366 behauptet entgegen der allgemeinen Aneicht, daß der Himmel und Schang-ti ursprünglich ganz verschiedene Gottheiten gewesen seien. Aus dem Sonnengott wurde angeblich der Himmelsgott, der zugleich äußerer Vegetationsdämon war und in Wind, Regen und in den Bergen wirkte und Totem der Heia-Dynastie war. Schang-ti war innerer Vegetationsdämon, der im Reis seinen Sitz hatte, zugleich eine Ahnengottheit, die im Ahnentempel verehrt wurde. Totem der Schang-Dynastie, zuerst eine Lokalgottheit, dessen Kult erst später im ganzen Reiche Eingang fand. Schindlers Beweise für diese grundstürzenden Ideen sind nicht überzeugend und lassen sich mit Leichtigkeit widerlegen. 2 )
V. Hung-fan, der „Große Plan"
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Wu-wang mit, es stammt also aus der Schang-Zeit, das Mittelstück nach Legge's Ansicht sogar aus der Hsm-Epoche.1) Der „Große Plan" gilt als göttliche Offenbarung, denn Gott soll ihn dem Begründer der Hsia-Dynastie, dem großen Yü übergeben haben.2) Seinem Vorgänger K(un enthielt er ihn vor. denn er zürnte ihm, weil er bei der Regulierung der großen Flut die fünf Elemente in Unordnung gebracht hatte. Yü sah angeblich eine göttliche Schildkröte aus den Wassern des Z/o-Flusses auftauchen, welche wunderbare Zeichen auf dem Rücken trug.3) Diese gaben ihm die Anregung zur Aufstellung der neun Kategorien des Hung-fan. Wir wissen nicht, wie die Lo-Schrift aussah, denn die Skizze, welche man jetzt dafür hat, wurde erst von Ts'ai Yuan-ting1), einem Gelehrten der S-ung-Zeit angefertigt. Sie enthält lediglich die Zahlen eins bis neun mit weißen und schwarzen Punkten dargestellt und in der Weise angeordnet, daß sie in jeder Richtung, von oben nach unten, rechts nach links oder kreuzweis zusammengezählt immer die Summe 15 gaben. Diese arithmetische Spielerei hat mit dem Hung-fan nichts zu tun, aber man hat später derartige Zahlenmystik damit in Verbindung gebracht. Der sogenannte Große Plan des Yü bringt in neun Abschnitten eine Aufzählung der für die Kenntnis der Natur und des Staatswesens besonders wichtig erachteten Begriffe mit kurzen Erklärungen. Die Staatslehre wird etwas ausführlicher besprochen. Nur drei oder vier Abschnitte handeln von der Natur, alle ändern von der Tätigkeit des Staatsleiters. Wir erhalten eine Antwort auf die Frage: wie hat der Mensch, vor allem der Herrscher sich in der Welt und wie im Staate zu betätigen ? Es wird als feststehend angenommen, daß zwischen den Vorgängen in der Natur und im Staate eine durchgängige Wechselwirkung besteht. Der Mensch wirkt auf die Natur und die Natur auf den Menschen, denn zwischen Menschenleben und Naturgeschehen herrscht die weitgehendste Harmonie und Sympathie.
A. Naturlehre. a) Chemie.
Es gibt fünf Elemente: Wasser. Feuer, Holz, Metall und Erde. Wasser befeuchtet und sinkt herab, Feuer flammt auf und steigt empor, Holz ist krumm und grade, Metall paßt sich an und wandelt sich, in der Erde sät und erntet man. Durch Befeuchten und Herabsinken entsteht das Salzige, durch Aufflammen und Emporsteigen das Bittere, aus dem Krummen und Graden das Sauere, J
) Schulung S. 320, Anm.
z
) Eod. 1. S, 323. — ^ ^ Ä j|J|| »Von Gott stammt diese Lehre", S. 332. 3 ) *fö | , siehe Skizze S. 321 und in Mayers' R e a d e r unter Nr. 177. 4
> 3$ TG /£· 1136—1198 n. Chr.
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Die Anfänge der chinesischen Philosophie
durch Anpassung und Wandelung das Scharfe, vom Säen und Ernten das Süße. 1 ) Die fünf chinesischen Urstoffe sind ebenso wenig wirkliche Elemente wie die vier Elemente der Griechen: Feuer, Wasser, Luft und Erde, und ihre Charakterisierung ist nicht besonders gut. Holz wächst krumm oder gerade. Die Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit des Metalls bezieht sich auf den glühendflüssigen Zustand, in welchem es jede beliebige Form annehmen kann. Wenn man Salz als ein Produkt'des Wassers auffaßt, so hat man dabei wohl in erster Linie an das Auslaugen von salzhaltiger Erde gedacht. Das vom Feuer Verbrannte oder Verkohlte gilt als bitter. Natürlich lassen sich aus Holz oder Pflanzenstoffen Säuren gewinnen. Der Geschmack mancher Metalle ist scharf und der der wichtigsten aus der Erde hervorwachsenden Cerealien wie Reis, Weizen u. a. süß. In Wirklichkeit kommen die fünf Geschmäcke den fünf Elementen nicht zu, aber man nahm es mit den Beobachtungen nicht so genau und hat sie später immer damit verbunden. Noch weniger als die fünf Geschmäcke hängen die fünf menschlichen Tätigkeiten mit den fünf Elementen zusammen. Im Schuking folgen sie zwar im zweiten Abschnitt auf erstere, sind aber nicht damit verknüpft. In späterer Zeit sind auch sie zu den Elementen in Beziehung gesetzt. Als fünf Tätigkeiten werden aufgeführt: Benehmen, Sprechen, Sehen, Hören, Denken. Das Benehmen soll höflich sein, das Sprechen zustimmend, das Sehen klar, das Hören deutlich und das Denken scharfsinnig. Höflichkeit führt zu Ernst und Würde, Zustimmung zu Ordnung, Klarheit zu Weisheit, Deutlichkeit zu Überlegung, Scharfsinn zur Heiligkeit.2) b) Astronomische Chronologie.
Es gibt fünf Zeitmaße, nämlich das Jahr, bestimmt durch den Planeten Jupiter, den „Jahr-Stern",3) welcher in zwölf Jahren seinen Umlauf um die Sonne vollendet und in einem Jahre eine der zwölf Stationen des Tierkreises4) passiert, den Monat, berechnet nach dem Mondumlauf, denTag,-bestimmt durch die Sonne, die Stunden, berechnet aus den Bewegungen der Planeten in den i) Sehuking S. 325: & ft, — 0 jfc, — 0 &
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0 ±> # H mr-, k 0 % _h,* 0 tt tt>& ff*· «) Schuking S. 326: ^ ^, — 0 ^,
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V. Hung-fan, der „Große Plan"
37
Tierkreis-Stationen, und kleinere Zeitmaße wie Minuten, gefunden durch Berechnung der Sternläufe.1)
c) Meteorologie. Das Wetter hängt, von fünf atmosphärischen Einflüssen ab, von Regen, Sonnenschein, Hitze, Kälte und Wind.*) Wenn sie zur richtigen Zeit und in richtigem Maße eintreten, gedeiht alles, anderenfalls treten Katastrophen und Mißernten ein. Wenn während des Jahres, eines Monats oder Tages das richtige Maß in der Witterung nicht eingehalten wird, dann reift das Getreide nicht, und die Folgen zeigen sich auch im Staateleben. Die Maßnahmen der Regierung erweisen sich als verkehrt, die Tüchtigen finden keine Beachtung, und in den Familien herrscht Unruhe.3) Menschliche Eigenschaften entsprechen den Witterungsverhältnissen in folgender Weise; Ernst = Regen, Ordentlichkeit = Sonnenschein, Weisheit = Hitze, Überlegung = Kälte, Heiligkeit = Wind. Dies sind die guten Beziehungen; so lange sie herrschen, haben Regen, Hitze uew. stets das richtige Maß. Dagegen führen schlechte menschliche Eigenschaf ten zu dauernden Störungen, nämlich Zerfahrenheit zu dauerndem Regen, Anmaßung zu dauerndem Sonnenschein, Unentschlossenheit zu dauernder Hitze, Hast zu dauernder Kälte, Dummheit zu dauerndem Wind.4) Wie man zu diesem merkwürdigen Resultat gelangt ist, entzieht sich unserer Beurteilung. In späterer Zeit sind die fünf verschiedenen Witterungen6) auch auf den Einfluß der fünf Elemente zurückgeführt worden: aus Holz entsteht Regen, aus Metall Sonnenschein, aus Feuer Hitze, aus Wasser Kälte und aus Erde Wind
B. Staatslehre. Die wichtigsten Zweige der Verwaltung sind die Volksernährung, Handel und Gewerbe, die Darbringung von Opfern, Bauten, Unterricht, Rechtspflege, die Bewirtung fremder Gäste und Gesandter und das Heerwesen.') Der Herrscher soll unter allen Umständen in korrekter und grader Art regieren und im übrigen je nach dem Charakter der Bürger eine strenge oder milde Verwaltung führen. Die Beamten dürfen die Vorrechte des Herrschers wie die Einnahme der Reichseinkünfte und die Verteilung von Gnadenbeweisen nicht für sich ') S. 327: ·> "-»»' ) S. 341.
3
4
) 8.330:
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Die Anfänge der chinesischen Philosophie
beanspruchen, da das zur Verwirrung führen muß. 1st der Fürst zweifelhaft, wie er entscheiden soll, so muß er sein eigenes Herz, dann aber auch die Vornehmen und Beamten und das Volk befragen, aber ausschlaggebend bleibt das Wahrsagen mit der Schildkröte und der Schafgarbe, wofür besondere Beamte eingesetzt werden.1) Schildkröte und Schafgarbe sind nach Tschu Hsi geistbegabte, intelligente Wesen, welche die an sie gerichteten Fragen beantworten können. Letztere wird zum Legen der Diagramme des Yiking benutzt. Wenn der Herrscher die höchste Vollkommenheit erreicht hat, so erlangt er dadurch zugleich die fünf Glücksarten, welche er seinem ganzen Volke mitteilt, nämlich langes Leben, R e i c h t u m , Gesundheit und Zufriedenheit, Liebe der Tugend, und ein glückliches Ende im hohen Alter.2) Dem stehen gegenüber sechs Unglücksfälle, welche ein schlechter Monarch über sein Reich bringenkann, nämlich: V e r k ü r z u n g des Lebens durch Unheil, Krankheit, Kummer, A r m u t , Schlechtigkeit und Schwäche. 3 ) Der Jesuit Gaubil rühmt das Hung-fan wegen der ausgezeichneten Belehrungen, die es enthalte. Legge's Urteil ist sehr abfällig, er findet es ,f ull of perplexities and absurdities' und meint, daß König Wu dadurch viel verwirrter geworden sein müsse als zuvor.4) Was Legge abstößt, ißt wahrscheinlich die uns seltsam erscheinende Verquickung von Naturgeschehen mit menschlichem Tun und menschlichem Schicksal, aber diese echt chinesische Anschauung dürfte den König ebenso wenig befremdet haben wie etwa einen Inder die Lehre vom Karman und von der Seelenwanderung. !) S. 334 und 337. ·) S. 342/343: 3tl
3) Eod. i. ^ «, - Hm M fr*— & H 0 m* m 0 it & 0 ^ *) * S. H 344.
Die Philosophie der Tschouund Tch'in-Dynastie, 1122—206 v. Chr. § 1. Die Weltanschauung während der älteren Tschou-Epoche, 1122-600 v. Chr. A. Religion. Die Vermenschlichung des Himmels, des höchsten Wesens und Gottes, Schang-ti, der synonym denselben Begriff darstellt und keineswegs als etwas Besonderes vorgestellt wird, hat weitere Fortschritte gemacht und hätte zu der Idee eines persönlichen Gottes führen können, wenn nicht die beginnende Philosophie, nämlich der Pantheismus Lao-tse'e und der Agnostizismus K'ung-tse's diese Entwicklung unterbrochen hätten. Bis zu einem persönlichen Gotte und dann vielleicht zum reinen Monotheismus war nur noch ein kurzer Schritt, aber den haben die Chinesen nie getan. Der Gott der TscAow-Dynastie ist bereits Jehova sehr ähnlich geworden. Er sieht die Erde unter sich1) und nimmt auch uns täglich wahr.2) So schaute Gott auch auf den Herrscher von T schon und verlieh ihm Glanz.3) Schon zur Zeit des Tan-fu, des Ahnherrn der Tschou, dessen Kulturarbeit, das Roden und Lichten der Wälder, das Schiking so anschaulich zu schildern weiß, blickte der höchste Herr nach allen Eichtungen aus und suchte einen Friedensbringer für das Volk.4) „Der Herr musterte die Berge, da wurden Eichen und Dornengebüsch ausgerodet."5) Daß der Himmel nicht nur sieht, sondern auch hört, wissen wir aus dem älteren Teile desSchuking. (Siehe oben S. 19, Anm.2 u. 4.) Die Betenden wenden sich an ihn mit ihrem Flehen, er muß sie also hören können. Nach dem Tsotschuan sprachen die Großbeamten von Tchin zum Grafen von Tch'in, welcher ihren Fürsten gefangen mit sich fortführte und ihn zu schonen versprach: , .Durchlaucht wandelt auf der Fürstin Erde und hat den erhabenen Himmel über seinem Haupte. Der erhabene Himmel und die Fürstin Erde hören sicherlich Euer ') Schiking III, 1,2: «) Schiking IV, 3, 3: 0 8 ) Schiking III, 3, 6. ·) Schiking . l, 7: f£ ^ 0 ^ >£ R
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Die Weltanschauung wehrend der älteren Tachou-Epoche
Durchlaucht Worte."1) Versprechen, welche feierlich vor Himmel und Erde gegeben worden sind, müssen unter allen Umständen gehalten werden. Gott riecht die ihm dargebrachten Opfer.2) Aber nicht nur diese verbreiten einen lieblichen Geruch, auch die Tugend duftet, während die Sünde einen üblen Geruch gibt.*) Eine vollkommene Regierung ist für ihn wie ein durchdringender Duft*), dagegen die Schlechtigkeit stinkt zum Himmel.6) Nur an einer Stelle in den Klassikern wird Gott als redend dargestellt. Dreimal richtet er das Wort an Wen-wang, den Begründer der TscAow-Dynastie: „Der Herr, der sprach zu König Wen: „Fern sei dir Abfall, Gegenwehr, Und fern Gelüsten und Begehr!"" — „Der Herr, der sprach zu König Wen: „Die lichte Tugend halt' ich wert, Die groß Getön und Färbung gern entbehrt, Die niemals Leidenschaft und Laune nährt, Die unerkannt und unverstanden Nur nach des Herrn Gebot verfährt"." — „Der Herr, der sprach zu König Wen: „In's Land des Feindes sollst du gehn, Sollst deine Brüder dir gesellen; Sollst deine Hakenleitern nehmen, Samt Turmgerät und Wagentürmen, Die Mauern Tslung'& damit zu stürmen." "·). Der Himmel tritt in direkten Verkehr mit der Erde und den Menschen und steigt zu dem Zweck aus seiner Höhe herab: ,,Der hell leuchtende hohe Himmel kommt strahlend herab auf die Erde unten."7) Ganz dasselbe wird auch von Gott gesagt: „Erhaben ist der hohe Herr, er naht der Welt unten in seinem Glänze",8) und von König Wu heißt es: „Der hohe Herr naht dir, hege keinen Zweifel im Herzen".9) Der Himmel erscheint persönlich, um seinen Günstlingen zu helfen, er umschwebt unser Tun, oder wie es in einem Liede heißt: „Man sage nicht, er sei hoch, hoch da droben, denn er steigt hinauf und hinab an unserem Tun".10) An einer ändern Stelle wird gesagt: „Der Himmel geht mit dir ein und aus" und „er
') Ix»gge, Classics Vol. V, S. 168; ^/g fc ± , ffij
3
) 4 ) 5 ) «)
Schuking S. 379: _£ ft fl$ ffc , Sohiking III, 2, 1: Schuking S · 592. Eod. 1. S. 539. S. 290. Schiking III. 1,7: f· |R
') Schiking , . s» IJJ f| J; ^ IJR Rg -f 8) Schiking III, l, 7: ·) Schiking III, l, 2: -) Schiking IV, 3,3: & 0 ^ ^ # J^ ^ » |R±.
A. Religion
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schweift mit dir überall umher."1) Ja er muß sogar bei einer Gelegenheit eine Fußspur auf der Erde hinterlassen haben, in welche Tchiang-yuan, die Gemahlin des Kaisers Kfu trat, welcher 2435 v.Chr. zur Regierung gelangte, worauf sie Hou Tchi?) den späteren Gott der Feldfrüchte und Urahn der TecAow-Dynastie gebar. „Sie trat in die Fußspur des Herrn und wurde schwanger."*) Danach müßte Schang-ti sogar eine menschenähnliche Gestalt gehabt haben. Auch in geistiger Beziehung gleicht der Himmel den Menschen und zeigt ganz das Wesen eines hervorragenden Herrschers. Der erhabene Himmel ist erleuchtet und einsichtsvoll, er besitzt die höchste Intelligenz und irrt niemals.4) Er liebt das Volk und bemitleidet es, wenn es in Not ist, und läßt sich durch sein Elend rühren.5) Indes es entging den Chinesen nicht, daß der Himmel nicht immer diese idealen Eigenschaften zeigt, sondern auch häufig Beweise anderer Gesinnung gibt. Er haßt und zürnt, und sein Grimm schont auch Unschuldige nicht, Die Liederdichter äußern sich darüber mit großem Freimut: „Da ist der erhabene! höchste Herr, wem gilt sein Haß ?" „Des Himmels Unglück schlägt das Volk, die Reichen mögen es noch aushalten können, aber wehe den Hilflosen und Verlassenen!"*) In einer ändern Ode heißt es: „Des erhabenen Himmels grimmer Ernst breitet sich über die Erde aus".7) Der Himmel wird erbarmungslos und ungerecht genannt: „Der erhabene Himmel ist nicht hold, daher sendet er dieses schreckliche Elend herab, der erhabene Himmel ist nicht gütig, deshalb sendet er diese große Not."8) Ein Unglücklicher beklagt sich, daß der strahlende erhabene Himmel kein Mitleid mit ihm habe und er gerade zur Zeit des großen Zornes des Himmels leben müsse.·) Sehr bezeichnend ist der Anfang eines Klageliedes: ,,UnSchiking III, 2, 10: 3
) Schiking III,
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So die Erklärung des T s o h u Hsi.
Mao T c h ' i - l i n g vorsteht unter „Herr4 den Kaiser K ' u ,
den Gemahl d e r T c h i a n g -
yuan. Allein Ti bedeutet im Liederbuch allgemein Schang-ti und dafür, daß die Ahnfrau der Dynastie in die Spur ihres eigenen Mannes trat, würde sich kaum ein Grund angeben lassen.
Ganz anders, wenn dadurch das Geschlecht direkt von Gott abstammt.
«) Schikii.g III 2. 10: jfe ^ 0 E$ . . . . | | ^ Q |J . III, s
) Schuking S. 288, 290 und Teo-tsehuan S. 180.
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Die Weltanschauung während der älteren Techou-Epoche
endlich ist der hohe Himmel, Doch seine Gut' ist dem nicht gleich. Er sendet Hungersnot und Sterben, Vernichtung in das ganze Reich. Der hohe Himmel, grimmig zürnend, Beachtet, schonet keinen mehr. Ich schweige des, der sich verschuldet. Für seine Frevel büßet er; Doch die auch, die sich nicht verschuldet, Sie stürzen alle ringsumher".1) Der Himmel ist der gute und weise Weltbeherrscher, aber er hat bisweilen auch seine Leidenschaften wie fast alle Herrscher, und wenn er sich davon übermannen läßt, kann er zu Zeiten gut und böse nicht mehr unterscheiden und handelt dann nicht mehr wie ein weiser und gerechter Weltenvater. So kann es vorkommen, daß er später das Unheil bereut, welches er in der Erregung angerichtet hat.2) Die E r s c h a f f u n g der Welt wird dem Himmel nicht zugeschrieben, aber der Wechsel und die Veränderungen, welche in der Welt vorgehen, haben ihn zum Urheber. Alle Lebewesen verdanken ihm ihre Entstehung. So wird gesagt, daß der Himmel das Volk geschaffen habe.3) Auch von einem Berge, an welchem T'ai-wang, ein Ahnherr der Tschou, seinen Wohnsitz nahm, heißt es, dali er ein Werk des Himmels sei.4) Als Weltregierer bestimmt der Himmel das Schicksal der Menschen, aber sein Ratschluß, ist unergründlich.6) Der Himmel handelt nicht nach reiner Willkür, sondern trifft seine Entscheidung nach den Taten der Menschen, je nachdem sie seine Gebote befolgen oder nicht. Danach bestimmt sich Glück und Unglück. Der Himmel schreibt die Befolgung von Fünf Pf lichten vor, welche sich aus den fünf Beziehungen ergeben, die schon in der Hsia-Zeit anerkannt wurden.6) Man stellte sich das unter Umständen vom Himmel ausgehende Unglück wie eine Flut vor, welche bald über diesen, bald über jenen Staat hereinbricht.7) Errettung und Untergang nicht nur jedes einzelnen, sondern auch jedes Staates hängt vom Himmel ab.8)
Schiking
2
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) Tso-tsohuan S. 33 b. ) Schiking , 3, . *) Sohiking IV, l, 6. 6 ) Schiking I, 3, 16 und IV, l, 2. e ) Schulung S. 298. Diese ·£ ^ sind nach C o u v r e u r : ^ Z u n e i g u n g zwischen Vater und Sohn, ]|f| Gerechtigkeit zwischen Fürst und Untertan, J|(J Trennung der Pflichtenkreise zwischen Mann und Frau, 13« B a n g u n t e r s c h i e d zwischen Alt und Jung. Jj|r $j}j T r e u e zwischen Freunden. ') Tso-tschuan S. 161 b. 8 ) Tso-tschuan 8. 396 b. 3
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Der Himmel kann sehr gütig sein, oft gibt er ein reiches Jahr, er segnet die Tugend und verleiht den Sieg.1) Besonders den frommen Fürsten, welche ihm dienen, wendet er seine Gnade zu. Tchi, dem Vater des Königs Wen, gab er ein weises Herz2), für letzteren fand er eine Gattin und verlieh ihm die Herrschaft und seinem Sohne, dem König Wu half er in der Entscheidungsschlacht bei Mu?) Die Fehlenden sucht der Himmel zunächst zu warnen und durch Strafen zu bessern, und nur, wenn alles umsonst, vernichtet er sie. Als Warnung läßt er Monstra und Abnormitäten erscheinen4) und sendet schlimme Zeichen: Sonnenund Mondfinsternisse treten ein, es blitzt und donnert, die Flüsse treten über ihre Ufer, Berggipfel stürzen ein und Talgründe heben sich und werden zu Bergen.5) Zur Bestrafung der Schuldigen, wodurch natürlich auch alle Unschuldigen mit betroffen werden, erfolgen Überschwemmungen, Dürren, Hungersnot, Krankheiten, Tod und Verderben.*) Der Blitzschlag gilt als Strafe für verborgene Schuld.7) Dieser Bestrafung scheint der Himmel mit besonderer Sorgfalt obzuliegen: er fängt die armen Sünder wie mit einem Netze. „Der Himmel wirft sein Strafnetz aus", heißt es in einem Liede.8) Der Himmel setzt Könige und Fürsten ein und ab, er erhebt und stürzt Dynastien, nicht aus bloßer Laune, sondern wegen ihrer Verfehlungen.') Kein Herrscher kann sicher sein, daß er das ihm vom Himmel verliehene Amt dauernd behalten wird, es kann durch sein Verschulden plötzlich damit zu Ende gehen.10) Und doch macht es bisweilen den Eindruck, als ob der Himmel wie die griechischen Götter denen, welche er verderben will, vorher den Verstand raube. So wird vom Herzog von Kuo im Jahre 657 v. Chr. berichtet: „Der Himmel raubt'ihm seine Einsicht und vergrößert seine Krankheit" und ebenso heißt es von einem Großen in Tchin im Jahre 593 v. Chr.: „Der Himmel nahm ihm seinen Verstand."11) Das Wirken des Himmels, sein Schaffen und seine Weltregierung ist nicht mit den Sinnen wahrnehmbar, er waltet im Verborgenen, im Transzendenten: „Des hohen Himmels Wirkungsart ist ohne Laut und ohne Geruch "12) l
) Schiking IV, 2, l — Tso-tsohunn S. 293 b und 346 b. ») Sehiking III. l, 7: fä jfc I ^, ft fc Ä fr 3
) Schiking III. 1. 2. ) Tso-tschuan S. 92 b. 5 ) Schiking II, 4, 9. ") Tso tschuan S. 88a, Schiking III, 3, 11 — III, 3, 4. ') Tso-tschuan S. 167a. 4
") Schiking III, 3, 11: ^ |^ fj= -g- und III, 3, 10: ^ £ fä fgj . ) -tschuan S. 191b, Schulung S. 458. 10 ) Schiking III, l, 1. u ) Teo-techuan S. 137b: Jjt ^ ^ £ |||^ ffij ^ Ä $[, undTso-techuan S. 329a: 8
Schiking III, 1. 1:
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Die Weltanschauung wahrend der älteren Tschou-Epoche
Welche Folgen ergeben eich nun für den Menschen aus seinem Verhältnis zum Himmel als dem Weltbeherrscher und Lenker des Schicksals ? Er muß, um seiner Gnade teilhaftig zu werden, die Tugend üben und das Laster meiden und ihn, den höchsten Herrn, fürchten und ehren.1) „Ich verehre des Himmels Majestät und erhalte mir dauernd seine Gunst" heißt es im Schiking.1) Man darf dem Himmel nicht entgegentreten, denn er ist zu mächtig, und man lädt dadurch eine große Schuld auf sich. Auch der Widerstand gegen einen Tugendhaften, den der Himmel beschützt, oder gegen einen Staat, welchem er Macht verleiht, ist aussichtslos.8) Alle diese Äußerungen der Tätigkeit des Himmels scheinen ein persönliches Wesen vorauszusetzen, und doch haben die Chinesen auch in der TscA