127 99 11MB
German Pages 117 Year 1992
MONIKA BEUTGEN
Die Geschichte der Form des eigenhändigen Testaments
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 59
Die Geschichte der Form des eigenhändigen Testaments Von
Monika Heutgen
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Beutgen, Monika: Die Geschichte der Form des eigenhändigen Testaments I von Monika Beutgen.- Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zur Rechtsgeschichte ; H. 59) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07576-5 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 21 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 3-428-07576-5
"Nescire quid ante quam natus sis acciderit, id est semper esse puerum." - Nicht zu wissen, was vor deiner Geburt geschehen ist, heißt immer ein Kind zu bleiben. (Cicero, Orat. 34, 120)
Vorwort Das eigenhändige Testament hat als Testamentsform heute beinahe das gesamte Kontinentaleuropa erobert. In Deutschland wurde es durch das Bürgerliche Gesetzbuch am 1. 1. 1900 eingeführt. § 2231 Nr. 2 BGB sieht das eigenhändige Testament neben dem notariellen Testament als ordentliche Testamentsform vor. Die Formerfordernisse für das eigenhändige Testament sind im einzelnen in § 2247 BGB geregelt. Einmal eingeführt, fand diese Testamentsform weite Verbreitung und erfreut sich großer Beliebtheit. Heute ist sie in Deutschland die gebräuchlichste Testamentsforml. Trotz dieser Bedeutung des eigenhändigen Testaments ist dem Institut in der Rechtsgeschichte bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Es hat zwar einige bedeutende Versuche2 gegeben, die Herkunft des eigenhändigen Testaments zu klären, aber darüber hinaus finden sich in der Literatur kaum Hinweise auf die Herkunft dieser Testamentsform. Die Herkunft des eigenhändigen Testaments ist deshalb bis heute umstritten. Als Quelle des eigenhändigen Testaments wird überwiegend eine Novelle Valentinians III. aus dem Jahre 446 n. Chr.3 genannt4 . Daneben gibt es eine Theorie, wonach sich das eigenhändige Testament in Anknüpfung an den ger1 Staudinger I Firsching, BGB, § 2247 Rdnr. 5; Friedrich , Testament und Erbrecht, S. 31; Breitschmid, Formvorschriften , S. 204. 2 Vgl. vor allem: Brock, Das eigenhändige Testament; Meijers, Etudes d'histoire du droit, Bd. I, S. 246ff.; Seidel, Die Grundzüge der Geschichte des eigenhändigen Testaments; Stern, Eine historische Studie über das eigenhändige Testament; ders., Une Etude de Legislation comparee sur Je testament holographe; Torres, EI testamento ol6grafo. 3 Nov. Val. 20, 2; Ed. Haenel, Novellae, S.193ff.; diese entspricht der Nov. Val. 21 , 2 in der Ausgabe von Mommsen I Meyer, Theodosiani Libri XVI, Vol. II, S.llOff. 4 Brack, S. 52; Crome, Grundzüge , S. 292 FN 18; Denisart, Collection, S. 690; Gschnitzer, Erbrecht S. 23; Hippe!, Formalismus, S. 164; Kaser, Röm . PrivatR II, S. 481; Lange I Kuchinke, Erbrecht, S. 277 FN 25; Mahrt, Eigenhändiges Testament, S. 13; Mugdan, V, S. 696; Seidel, S. 26; Ourliac I Malafosse, Histoire, Bd. 3, S. 307; Wasser, Eigenhändiges Testament, S. 37.
6
Vorwort
manischen Rechtsgedanken der Beweiskraft des Persönlichkeitszeichens aus der Siegelurkunde entwickelt hats. Einer dritten Meinung zufolge ist das eigenhändige Testament ein rein gewohnheitsrechtliches Institut, welches sich im späten Mittelalter in Nordfrankreich im Gebiet des droit coutumier entwikkelt hat6. Früher wurde weiterhin das testamenturn parentum inter liberos7 als möglicher Ursprung des eigenhändigen Testaments angesehens. Für dieses Testament, in dem der Erblasser zugunsten seiner Deszendenten verfügte und deren Anteile bestimmte, reichte eigenhändige Errichtung aus. Brack und Seidel haben in ihren Arbeiten zur Geschichte des eigenhändigen Testaments jedoch dargelegt, daß die Formen des eigenhändigen Testaments und des testamenturn parentis inter Iiberos sich nur auf den ersten Blick ähneln9. Vergleicht man beide Testamentsformen ausführlich, so zeigt sich, daß die Form als verbindendes Element zwischen ihnen nicht in Betracht kommt. Heute wird die Meinung, das eigenhändige Testament sei eine Verallgemeinerung des testamenturn parentis inter Iiberos, auch nicht mehr vertr:eten. Soweit die in ein formgerechtes Testament aufgenommene sogenannte clausula reservatoria, durch die sich der Testator vorbehielt, seinen niedergelegten letzten Willen durch privatschriftliche Erklärung zu ändern, als Quelle des eigenhändigen Testaments benannt wirdlO, handelt es sich um eine Entwicklung, die allein auf die Niederlande beschränkt geblieben istll. Die vorliegende Arbeit will zeigen, daß sich die Frage nach der Herkunft des eigenhändigen Testaments anhand der heute bekannten Quellen beantworten läßt. Ziel der Arbeit ist vor allem darzulegen, aus welchen Gründen überhaupt das eigenhändige Testament in verschiedenen Zeiten anerkannt wurde oder nicht, welche Förmlichkeiten im einzelnen jeweils gefordert wurden, und ob sich diese Testamentsform aus historischer Perspektive betrachtet bewährt hat.
5 Holzhauer, Eigenhändige Unterschrift, S. 47; Mitteis, Grundlagen, SZGerm 63 (1943), 137, 190 FN 194; Wesen er, Geschichte, S. 130; Warnkönig I Stein, Staats- und Rechtsgeschichte II, S. 492. 6 Stern, S. 28; Schultze, Einfluß, SZGerm 35 (1914), 75, 105. 7 Cod. Just. 6. 23. 21. 3. 8 Girard, Geschichte, S. 885f. FN 3; Czyhlarz I San Nicol6, Lehrbuch, S. 364 FN 3. 9 Brock, S. 36ff., 41; Seidel, S. 20ff. w Coing, Europäisches Privatrecht I, S. 570. 11 Meijers, a .a.O., S. 253ff. m .w.N. zur clausula reservatoria.
Iobaltsverzeichnis 1. Kapitel Die Entwicklung des eigenhändigen Testaments römischen Rechts
I. Römisches Recht 1. Die Formerfordernisse des eigenhändigen Testaments nach der Novelle Valentinians III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anlaß und Gründe für die Schaffung des eigenhändigen Testaments . . 3. Die Bewährung des eigenhändigen Testaments . . . . . . . . . . . Il. Germanische Volksrechte 1. Lex Romana Visigotorum sive Breviarium Alaricianum 2. Lex Romana Burgundionum sive Papian . . . . . . . . . . 3. Die Etymologien des lsidorus . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lex Visigotorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Fortentwicklung des Breviars in Frankreich . . . 1. Die fränkische Periode . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Scheidung Frankreichs in zwei Rechtsgebiete ............ ..... a) Droit ecrit b) Droit coutumier ............ .....
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
11 11 14 16
. . .. . .
17 17 18 18 19
..... . . ...... .... ..........
22 22 24 24 25
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
2. Kapitel Die Entstehung des eigenhändigen Testaments
I. Die Novelle Valentinians III . als Ursprung des eigenhändigen Testaments des droit coutumier . .. ....... . .. . . .. . ... .. . . . .. . . .. .. . 1. Die Hypothese Brocks und Seidels zur Weitergeltung des eigenhändigen Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Schwächen dieser Hypothese li. Die Entstehung des eigenhändigen Testaments im Bereich des droit coutumier 1. Die allgemeine Entwicklung der Testamente im hohen Mittelalter
2. Die Siegelurkunde als Ursprung des eigenhändigen Testaments . . . 3. Gewohnheitsrechtliche Entstehung des eigenhändigen Testaments
27 27 29 30 30 32 35
3. Kapitel Das eigenhändige Testament des französischen Rechts
I. Die Form des eigenhändigen Testaments in den Coutumes ... .
39
Il. Die Ordonnancen zum Testamentsrecht ..... . ......... .
41
Inhaltsverzeichnis
8
1. Code Michaud von 1629 2. Die Ordonnance von 1735 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
III. Der Code Civil 1. Die Periode des droit Intermediaire ....... . . . . . . . . . . . . . .. . 2. Die Entstehung des Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .
44
43
44 45
4. Kapitel Das eigenhändige Testament in Deutschland im 19. Jahrhundert I. Die Ausgangssituation
. . . ... ... .. .. . . .. .... .. . .. .. .. ...
48
II. Die Beschränkung auf das öffentliche Testament im Preußischen Allgemeinen Landrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
III. Der Einfluß des Code Civil 1. Französisches Recht in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 50
2. Das Badische Landrecht
.. .... . ... . . .. .... .. .. . . . .. ...
3. Die deutsche Rechtsprechung zum eigenhändigen Testament
51 51
IV. Das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch . . . . . . . 1. Die Entstehung des eigenhändigen Testaments in Österreich . . . a) Die frühesten bekannten Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Ursprung des Österreichischen eigenhändigen Testaments c) Die Entwicklung bis zum ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Aufnahme des eigenhändigen Testaments in das ABGB . . . a) Die Schaffung des ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beurteilung des eigenhändigen Testaments in Österreich
. . . .
52 53 53 55 57 58 58 61
V. Das eigenhändige Testament im Herzogtum Schleswig . . . . . . . . . . . . .
62
VI. Die Ablehnung des eigenhändigen Testaments in Sachsen
. . .. ... . . ... . . . .
. . . .
. . . .
. . .. . . .. ..
64
VII. D as Schrifttum des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
VIII. Das eigenhändige Testament in der Praxis des Reichsgerichts . . 1. Erfordernis der richtigen Datierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interlokales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beurteilung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
69 69 70 71
5. Kapitel Die Schaffung des BGB I. Der Vorentwurf Schmitts .. . .... .. .... . . . . . . . . . . . . . . . ... . II. Der erste Entwurf zum BGB
1. Die Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beurteilung des Entwurfs durch die Öffentlichkeit ..... . .... . III. Der zweite Entwurf zum BGB . . . . . . . . . . . . .. . ....... .. ... . 1. Die Protokolle ..... . . ... . ....... . . . . . . . . . . . .. . .... . 2. Die Denkschrift zum Entwurf .. . . . . . . . . . . . . . . ..... ..... .
74 76 76 76 77 77
78
Inhaltsverzeichnis IV. Der Entwurf im Reichstag 1. Die Reichstagskommission 2. Die Reichstagsdebatte .
9
79 79 80 81
V. Würdigung der Diskussion 6. Kapitel Das eigenhändige Testament des BGB I. Die Anfangszeit ......... . ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Erste Reaktionen auf die Einführung des eigenhändigen Testaments 2. Die Rechtsprechung zum eigenhändigen Testament ..... . .. . . . . a) Eigenhändige Datierung und Ortsangabe . . . . . . . . . . . . b) Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Schrifttum II. Das eigenhändige Testament im Nationalsozialismus ... . 1. Nationalsozialistische Ideologie ...... . . .. ..... . .... . 2. Der Erbrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht 3. Das Testamentsgesetz von 1938 ....... . III. Die Wiedereingliederung ins BGB ....... . 1. Die Entwicklung des Gesetzes ...... .
2. Das eigenhändige Testament in der Praxis . 3. Die Rechtsprechung zum eigenhändigen Testament a) Das Erfordernis der eigenhändigen Niederschrift . . . . . . . . . . . . b) Die Stellung der Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Beurteilung des eigenhändigen Testaments in der Literatur IV. Das eigenhändige Testament in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . .
82 82 83 84
86 87
88 88 89 91 93 93
94
95 95 97 98 100
Schlußwort
103
Anhang
104
1. Kapitel
Die Entwicklung des eigenhändigen Testaments römischen Rechts I. Römisches Recht 1. Die Fonnerfordernisse des eigenhändigen Testaments nach der Novelle Valentinians 111.
Das eigenhändige Testament ist als ordentliche Testamentsform durch die Novelle 20,2 des Kaisers Valentinian III.l am 26. 12. 446 n. Chr. im Westen des Römischen Reichs eingeführt worden. Bis dahin war zur Errichtung eines ordentlichen schriftlichen Testaments, gleich ob es von der Hand des Erblassers oder eines Dritten geschrieben wurde, die Zuziehung von Zeugen erforderlich. Die Anzahl der Zeugen betrug im Westen des Römischen Reichs zur Zeit Valentinians III. nach ius civile fünf, nach ius praetorium sieben.z Im Osten des Römischen Reichs waren möglicherweise schon seit der Novelle 16,2 - 83 des Kaisers Theodosius II. aus dem Jahre 439 n. Chr. stets sieben Zeugen zur Errichtung eines ordentlichen schriftlichen Testaments erforderlich. Es läßt sich nicht mehr nachweisen, wie diese Novelle im Osten des Römischen Reichs damals ausgelegt wurde. Justinian hat sie später so interpretiert, daß durch sie die ordentliche schriftliche Testamentsform auf das Siebenzeugentestament beschränkt worden ist. Im Westen des Römischen Reichs ist diese Novelle Theodosius II. zur Form des Zeugentestaments erst im Jahre 448 n. Chr. publiziert worden.4 Valentinian III. bestimmte in seiner Novelle: "si holographa manu testamenta condantur, testes necessarios non putamus. Scripto enim taliter sufficiet heredi, asserere etiam sine testibus fidem rerum, dummodo reliqua congruere demonstret, quae in testamentis debere servari tarn veterum principum, quam nostrae praecipiunt sanctiones, ut in hereditariorum corporum possessionem probata scripturae veritate mittatur".
1
2 3
4
Haenel, Novellae, S. 193ff. Nov. Val. 20, 1, 2 u. 4; Ed. Haenel, S. 190f. Mommsen I Meyer, S. 38ff.; der Novelle entspricht Cod. Just. 6. 23 . 21. David, Über die Form, SZRom 52 (1932), 314, 320ff.
12
1. Kap.: Das eigenhändige Testament römischen Rechts (Wenn Testamente eigenhändig verfaßt werden, halten wir Zeugen nicht für erforderlich. Dem Erben reicht eine so beschaffene Schrift, um auch ohne Zeugen die Glaubwürdigkeit der Sache zu behaupten, wenn sie im übrigen mit dem übereinstimmt, was in Testamenten nach den Anordnungen der alten Kaiser als auch nach unseren Anordnungen beachtet werden muß, so daß dann, wenn die Echtheit der Urkunde bewiesen ist, eine Einweisung in den Besitz der Erbschaftssachen stattfindet.)
Nach der Novelle genügte also, daß der Erblasser das Testament ganz eigenhändig schrieb. Valentinian III. verzichtete dann auf jede weitere Förmlichkeit, insbesondere auf die Zuziehung von Zeugen. Wurde ein Testament unter Beiziehung von Zeugen errichtet, so war nach§ 2 der Novelle allerdings weiterhin die gesetzliche Anzahl Zeugen erforderlich. Das eigenhändige Testament bedurfte nach der Novelle Valentinians III. zu seiner Wirksamkeit auch weder der Unterschrift des Erblassers, noch der Datierung. Aus dem Text der Novelle lassen sich solche Formerfordernisse nicht entnehmen. Sie ergeben sich auch nicht aus anderen allgemeinen gesetzlichen Regelungen oder aus Gewohnheitsrecht. Bei den Römern war die Unterschrift unter Urkunden nicht selbstverständlich. Die römische Privaturkunde war infolge ihrer Entwicklung aus dem Brief heraus so aufgebaut, daß der Aussteller zu Anfang in der inscriptio genannt wurdes. So bedurfte auch das Zeugentestament zu seiner Gültigkeit ursprünglich weder einer Unterschrift des Testators, noch der Unterschrift desjenigen, der das Testament niedergeschrieben hatte. Dies zeigt auch das "testamentum porcelli"6, ein Schulwitz aus dem vierten Jahrhundert über ein Schwein, das seine eigenen Schinken, Würste usw. verschiedenen Personen vermachte?. Dieses Testament, das in seiner Form genau den gesetzlichen Vorschriften entsprach,& enthielt weder eine "subscriptio" des "Testators", noch desjenigen, der das Testament niedergeschrieben hatte. Von einer "subscriptio"9 des Testaments durch den Testator selbst war erstmals in der Novelle 16,2 Theodosius Il. aus dem Jahre 439 n. Chr. die Rede. Dort hieß es zur Gültigkeit eines schriftlich errichteten Testaments: "Hac itaque consultissima lege sancimus licere per scripturam conficientibus testamentum, si nullum scire volunt quaein eo scripta sunt, signatarn velligatam vel tantum clausam involutamve proferre scripturam vel ipsius testatoris vel cuiuslibet alterius manu conscriptam eamque rogatis testibus septem numero civibus Romanis puberibus omnibus simul offerre signandam et subscribendam, dum tarnen testibus praes Holzhauer, S. 54; Bruns, Die Unterschriften, in : Abh. , S. 41, 91. Bücheler, Petronii Saturae, S. 268f. 7 David, S. 314, 323 FN 3; Bruns, S. 41, 93. 8 D'Ors, Testamenturn porcelli, RIDA II, S. 219, 222. 9 Zum Begriff der "subscriptio" Bruns, S. 41, 101 ff. 6
I. Römisches Recht
13
sentibus testator suum esse testamenturn dixerit quod offertur eique ipse coram testibus sua manu in reliqua parte testamenti subscripserit .. . "10. (Deshalb bestimmen wir durch dieses wohl erwogene Gesetz, daß es zulässig ist, ein Testament schriftlich aufzusetzen und, wenn jemand nicht will, daß einer weiß, was darin geschrieben ist, die gesiegelte oder verschlossene oder bis auf den Schlußsatz verdeckte Schrift zu zeigen, die durch den Testator selbst oder von einem beliebigen aufgesetzt worden ist, und diese von sieben gebetenen Zeugen, die alle römische Bürger sind, nachdem sie ihnen gleichzeitig gezeigt wurde, siegeln und unterschreiben zu lassen, sofern nur der Testator den anwesenden Zeugen gesagt hat, daß dies sein Testament sei, was gezeigt wurde, und dieses selbst in Gegenwart der Zeugen mit eigener Hand an einer beliebigen Stelle des Testaments unterschrieben hat ... )
Aus dieser Vorschrift läßt sich jedoch nicht ableiten, daß auch das eigenhändige Testament vom Testator unterschrieben werden mußte. Die Novelle Theodosius II. bezog sich auf das Siebenzeugentestament. Sie bestimmte, daß der Testator den Zeugen nicht den Inhalt des Testaments offenlegen mußte. Der Erblasser konnte den Zeugen das Testament vielmehr verschlossen oder versiegelt vorlegen. Er mußte dann erklären, daß dies sein Testament sei, und es zusammen mit den Zeugen "in reliqua parte testamenti", also an einer beliebigen Stelle unterschreibenll. Beim Zeugentestament waren somit ein innerer Testierakt, die Niederschrift des Testamentsinhalts durch den Testator oder einen Dritten, und ein äußerer Testierakt, die Bestätigung des Testaments durch den Erblasser und die Zeugen, zu unterscheiden. Dieser äußere Testierakt und damit die "subscriptio" des Erblassers war beim eigenhändigen Testament nach der Novelle Valentinians gerade nicht mehr erforderlich. Die Novelle 16,2 Theodosius II. gibt daher für die Frage, ob ein ordentliches eigenhändiges Testament unterschrieben werden mußte, nichts her. Auch sonst bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß eine Testamentsurkunde unterschrieben werden mußte. Zwar sind Testamente bekannt, deren Text eine subscriptio des Testators enthielt, wie z. B. das Testament des Bischofs Perpetuus vonToursaus dem Jahre 475 n. Chr. 12 • Dieses endete mit den Worten: "testamenturn hoc manu propriascripturn relegi et subscripsi ego Perpetuus, cal. Mai post cons. Leonis min. Aug. "13 . (Dieses Testament habe ich eigenhändig geschrieben, noch einmal durchgelesen und unterschrieben, ich, Perpetuus, am ersten Tag des Monats Mai nach dem Konsulat des Kaisers Leo des Jüngeren.)
Daraus allein läßt sich jedoch nicht auf die Notwendigkeit einer solchen "subscriptio" schließen. 10 11 12
13
Mommsen I Meyer, S. 38. Bruns, S. 41 , 94f. Pardessus, Diplomata I, Akt. XLIX, Sect. II, Cap.II, S. 263. Zu Leo dem Jüngeren Lippold, Kleiner Pauly Bd. 3, Sp. 561, 562.
1. Kap.: Das eigenhändige Testament römischen Rechts
14
Gegen die Notwendigkeit einer Unterschrift beim ordentlichen eigenhändigen Testament spricht vielmehr, daß die Unterschrift unter einen Text nach römischem Recht in der Regel überflüssig war, wenn der Aussteller ihn eigenhändig geschrieben hatte14. So bestimmten die Institutionen für die Gültigkeit schriftlicher Kaufverträge "in his autem quae scriptura conficiuntur non aliter perfeetarn esse emptionem et venditionem constituimus, nisi et instrumenta emptionis fuerint conscripta vel manu propria contrahentium, vel ab alio quidem scripta, a contrahente autem subscripta ... "15 . (Wir bestimmen aber, daß schriftlich abgeschlossene Kaufverträge nur gültig sind, wenn die Vertragsurkunden entweder von den Vertragspartnern eigenhändig errichtet oder von einem anderen geschrieben, von den Vertragspartnern aber unterschrieben worden sind.)
Entsprechend diesem Prinzip sprach Justinian später für das eigenhändig geschriebene Zeugentestament die Entbehrlichkeit der Unterschrift für den Fall aus, daß der Testator im Text vermerkte, er habe das Testament eigenhändig niedergeschrieben16. Da die Unterschrift beim Testament somit im römischen Recht nicht selbstverständlich war, hätte Valentinian 111. sie in seiner Novelle sicher ausdrücklich erwähnt, wenn er sie als Formerfordernis hätte beachtet wissen wollen17 . Dasselbe gilt für die Notwendigkeit der Datierung des eigenhändigen Testaments. Die Beifügung des Datums war bei Testamenten zwar weithin üblich, aber kein Formerfordernis im römischen RechtlB. Modestinus führt dazu im 4. Buch, Titel de bonis lib. et de testam., seiner libri regularum aus: "Cum in testamento dies et consul adjecti non sunt, nihil nocet, quo minus valeat testamenturn." (Wenn in einem Testament der Tag und das Regierungsjahr des Konsuls nicht erwähnt sind, so schadet dies nicht; das Testament ist nichtsdestoweniger gültig.)
2. Anlaß und Gründe für die Schaffung des eigenhändigen Testaments
Der Anlaß, der Valentinian 111. zur Einführung des testamenturn holographum veranlaßte, ist aus der Novelle selbst zu ersehen. Die Konstitution diente der Legalisierung eines nach geltendem Recht nichtigen Testaments. Es handelte sich um den Fall, daß eine Frau namens Misce Pelagia als Erbin 14
15
16 17 18
Holzhauer, S. 54. Inst. 3. 23pr. Cod. Just. 6. 23 . 28. 6. Brock, S. 7; Seidel, S. 4. Glück, Pandecten, Bd. 34, S. 468f.; Bruns, S. 41, 96; Brock, S. 8.
I. Römisches Recht
15
einsetzen wollte. Da ihr nicht die zu einem formgerechten Testament erforderlichen Zeugen zu Gebote standen, vertraute sie ihren letzten Willen einer eigenhändigen Niederschrift an und übermittelte das Schriftstück ihrem Neffen Caesarius, der ihren Willen verwirklichen sollte. Dieser handelte dem Wunsch der Erblasserin gemäß und veröffentlichte das Testament. Pelagia weigerte sich jedoch, sich überhaupt als Erbin anzusehen, bevor vom Kaiser ihre Erbeinsetzung als rechtsbegründet anerkannt war. Valentinian kam dem Wunsche unverzüglich nach. Als Begründung gab Valentinian in der Novelle die allgemeine Nützlichkeit dieser Testamentsform an. Er sagte, daß leicht Gelegenheiten entstehen könnten, in denen Mangel an Zeugen herrschte, wie z.B. bei plötzlicher Lebensgefahr, Zurückgezogenheit auf Landhäusern, etc. Niemand sollte mehr ohne Testament sterben, dem nur noch die nötige Zeit bliebe, ein solches Testament zu machen. Valentinian 111. erkannte also das eigenhändige Testament als wichtiges Mittel zur Verwirklichung der Testierfreiheit. Dementsprechend führte er das holographische Testament nicht nur als Nottestament, sondern als ordentliche Testamentsform ein. Die Schaffung des eigenhändigen Testaments durch Valentinian 111. erscheint auf den ersten Blick erstaunlich. Das römische Testamentsrecht hatte mit konsequentester Strenge den Gedanken der Solennität durchgeführt. Im Gegensatz zu den anderen ordentlichen Testamentsformen beruhte das eigenhändige Testament nicht mehr auf dem Grundgedanken, daß die Testamentserrichtung ein feierlicher Akt seil9. Das eigenhändige Testament wird daher im Schrifttum als eine Testamentsart bezeichnet, die isoliert und eigenartig dasteht20, und die stets als etwas Wesensfremdes empfunden worden sein müsse21. Die Entscheidung Valentinians 111. wird teilweise auch als kaiserliche Laune, als Akt ritterlicher Höflichkeit22 und Courtoisie gegenüber zwei tugendhaften Damen23 bezeichnet. Diese Erklärungen für die Einführung des eigenhändigen Testaments mögen zwar recht romantisch sein, der Entscheidung Valentinians 111. werden sie jedoch nicht gerecht. Die Form des eigenhändigen Testaments steht sicher im Widerspruch zum klassischen Testamentsrecht. Betrachtet man die Novelle Valentinians 111. aber im Licht seiner Zeit, so erscheint sie als das konsequente Ergebnis einer längeren Entwicklung. Die Vulgarisierung des römischen Rechts , die seit Konstantin in den Kaisergesetzen zum Ausdruck kam24, war zur Zeit Valentinians 111. bereits Brack, S. 5; Seidel, S. 4. Brock, S. 5. 21 David, SZRom 52 (1932), 314, 325. 22 Seidel, S. 2. 23 Brock, S. 5. 24 Dulckeit I Schwarz I Waldstein, Röm. Rechtsgeschichte, S. 295; Wieacker, Allgern. Zustände, IRMA I, 2a, S. 13. 19
2o
1. Kap.: Das eigenhändige Testament römischen Rechts
16
weit fortgeschritten. Mit ihr ging unter anderem eine Preisgabe überholter Formalismen einher25 . Diesem Streben nach Einfachheit und Freiheit der Form verdankte auch das eigenhändige Testament seine Entstehung26, Die Feierlichkeit der Form war für Valentinian Ill. bei der Frage, ob er das eigenhändige Testament der Misce anerkennen sollte, nicht mehr von entscheidender Bedeutung. Stattdessen ließ sich Valentinian Ill. bei seiner Entscheidung von der Erwägung leiten, daß auch ein eigenhändiges Testament hinreichende Gewähr für die Echtheit der Urkunde böte und allgemein nützlich sein könnte. 3. Die Bewährung des eigenhändigen Testaments
Der Geltungsbereich der Novelle Valentinians III. ist auf den Westteil des römischen Reichs beschränkt geblieben27. Im Osten des Reichs wurde die Novelle nie publiziert. Sie hat insbesondere auch keinen Eingang in das Corpus Juris Civilis gefunden. Dies erklärt sich daraus, daß das eigenhändige Testament zu sehr im Widerspruch zu dem klassischen römischen Recht stand, welches im Corpus Juris Civilis wieder belebt wurde28. Inwieweit im Westen des römischen Reichs von der Form des eigenhändigen Testaments Gebrauch gemacht wurde, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Als Beispiel für ein eigenhändiges Testament aus jener Zeit wird gelegentlich das bereits erwähnte Testament des Bischofs Perpetuus von Tours aus dem Jahre 475 n. Chr. benannt29. Es ist jedoch zweifelhaft, ob es sich dabei wirklich um ein ordentliches eigenhändiges Testament handelt, oder ob dies vielmehr der innere Teil eines eigenhändigen Zeugentestaments ist, bei dem die Subscriptionen der Zeugen verloren gegangen sind3o. Auch ist die Echtheit des Testaments zweifelhaft3 1 . Macht man sich Gedanken über die Bedeutung, die diese Testamentsform erlangt haben mag, so ist zu beachten, daß diese Form zwar sehr einfach war, aber vom Testator eine Fähigkeit verlangte, die damals eher selten war: die Fähigkeit zu schreiben32. Das eigenhändige Testament war deshalb ein Testament der gebildeten Schichten . Horak, Vulgarrecht, Kleiner Pauly Bd. 5, Sp. 1340, 1341. Ourliac I Malafosse, Bd. 3, S. 306. 21 Brock, S. 5; Torres, S. 91. zs Seidel, S. 4; Stern, S. 8. 29 Laferriere, Histoire, Bd. 2, S. 511 ; Brock, S. 8; Seidel, S. 5. 30 Davon gehen Bruns, S. 41, 101, und David, SZRom 52 (1932), 314, 319 FN 1 aus. 31 Wasser, S. 32 FN 5. 32 Besta, Le successioni, S. 205; Torres, S. 90. 25
26
II. Germanische Volksrechte
17
II. Germanische Volksrechte Mit dem Untergang des weströmischen Reiches im Jahre 476 n. Chr. verschwand das testamenturn holographum keineswegs aus der Rechtsgeschichte. Es fand vielmehr Aufnahme in die Rechte der auf ehemaligem römischen Gebiet entstandenen Staaten der Westgoten und Burgunder. In diesen Staaten lebten die Germanen und Römer zwar örtlich vermischt zusammen, jedoch nach verschiedenem Recht und nach verschiedener Sitte. Es herrschte das Personalitätsprinzip, wonach jeder dem Rechte seines Stammes unterworfen war33. Dementsprechend wurden unterschiedliche Gesetzbücher für die germanische und die römische Bevölkerung geschaffen. 1. Lex Romana Visigotorum sive Breviarium Alaricianum Im Jahre 506 n. Chr. erließ der Westgotenkönig Alarich II. für die römische Bevölkerung seines Reichs die Lex Romana Visigotorum, eine Kompilation aus römischen Rechtsquellen, denen eine Interpretatio hinzugefügt wurde.34 In die Lex Romana Visigotorum wurde auch die Novelle Valentinians Ill. über das eigenhändige Testament aufgenommen35 . Die hinzugefügte Interpretatio lautete: "Haec Iex licet alia replicet, quae in alliis legibus habentur exposita, tarnen hoc amplius observandum esse praecipit, ut, si cui fuerit testandi voluntas, et testes forsitan defuerint, voluntatem suam propria manu perscribat, quae prolata post defuncti obiturn plenam obtineat firmitatem ." (Mag auch dieses Gesetz dem widersprechen, was in anderen Gesetzen gefordert worden ist, so schreibt es dennoch vor, daß folgendes weiterhin zu beachten ist: wenn nämlich jemand beabsichtigt, ein Testament zu machen, und Zeugen vielleicht fehlen, dann soll er seinen letzten Willen mit eigener Hand niederschreiben , und wenn dieser nach seinem Tode vorgelegt wird, so besitzt der letzte Wille dann volle Gültigkeit.)
Das eigenhändige Testament nach der Lex Romana Visigotorum mußte also, ebenso wie nach der Novelle Valentinians Ill., vom Testator nur ganz eigenhändig geschrieben werden; Datum und Unterschrift waren nicht erforderlich36. Die Aufnahme des eigenhändigen Testaments in die Lex Romana Visigotorum läßt darauf schließen, daß von dieser Testamentsform in der Praxis Savigny, Geschichte, Bd. 1, S. 115 f. Dulckeit I Schwarz I Waldstein, S. 296; Kunkel, Röm . Rechtsgeschichte, S. 145; Gaudemet, Le Breviaire, IRMA I, 2a aa ß, S. 38; Siems, Lex Rom. Visigotorum, HRG Bd. 2, Sp. 1940, 1944. 35 Lex Rom. Visigotorum Tit. IV, 2; Ed. Haenel, S. 278. 36 Stern, S. 10; Auffroy, Evolution, S. 43. 33
34
2 Beutgen
1. Kap.: Das eigenhändige Testament römischen Rechts
18
Gebrauch gemacht worden ist37. In die Lex Romana Visigotorum sind nämlich nur die Rechtssätze aufgenommen worden, die für den geltenden Rechtszustand praktischen Wert besaßen. 2. Lex Romana Burgundionum sive Papian38 Für die unter der Herrschaft der Burgunder lebenden Römer schuf König Gundobad etwa im Jahre 516 n. Chr. die Lex Romana Burgundionum. Diese basierte wie die Lex Romana Visigotorum auf römischen Rechtsquellen, die aber nicht wörtlich übernommen worden sind, sondern meist durch eigene Verarbeitung eine neue, möglichst knapp gehaltene Fassung erhielten. In dieses Rechtsbuch fand auch die Novelle 20,2 Valentinians 111. Aufnahme. Titel45,1 der Lex Romana Burgundionum lautete: "Testamenta si per olographam manum fiant, probata manus veritate, sine testibus integram capiunt firmitatem. "39 (Wenn Testamente eigenhändig errichtet werden und die Echtheit der Handschrift bewiesen ist, kommt ihnen ohne Zeugen volle Wirksamkeit zu.)
Die Formerfordernisse unterschieden sich damit nicht von denen der Novelle Valantinians III.40. Die Aufnahme des eigenhändigen Testaments in die Lex Romana Burgundionum zeigt, daß diese Testamentsform auch bei der römischen Bevölkerung Burgunds in Übung war41. Im Gegensatz zur Lex Romana Visigotorum schloß die Lex Romana Burgundionum die Anwendung anderer Rechtsquellen aber nicht aus. Insbesondere seit der Eroberung Burgunds durch die Franken wurde die Lex Romana Burgundionum von der ausführlicheren und brauchbareren Lex Romana Visigotorum immer mehr zurückgedrängt und schließlich verdrängt42 . Das eigenhändige Testament der Lex Romana Burgundionum ist deshalb für die weitere Entwicklung ohne Bedeutung geblieben.
3. Die Etymologien des Isidorus Das Weiterbestehen des Testaments als Institution des römischen Rechts wurde nach dem Untergang des weströmischen Reichs von der katholischen Brock, S. 10; Torres, S. 99. Zu der mißverständlichen Bezeichnung "Papianus" Brunner, Dt. Rechtsgeschichte, Bd.l, S.509. 39 Bluhme, Leges Burgundionum, MGH Leges III , S. 623. 40 Stern, S. 10; Auffroy, S. 43. 41 Seidel, S. 11. 42 Mitteis I Lieberich, Dt. Rechtsgeschichte, S. 94. 37
38
II. Germanische Volksrechte
19
Kirche gefördert43. Da sie in Testamenten oft bedacht wurde, war sie daran interessiert, daß die germanischen Völker, die ein Testament nicht kannten44 , diese Institution akzeptierten. Isidorus, in den Jahren 600/1 bis 636 n. Chr. Bischof von Sevilla, sammelte und exzerpierte antike und christliche Gelehrsamkeit, um der Bildung des Klerus und des westgotischen Königshofes zu dienen45. Sein Hauptwerk waren die Etymologien, eine Encyklopädie des gesamten Wissens. Das fünfte Buch dieses Werkes trug den Titel "De legibus et temporibus" und enthielt eine Definition des eigenhändigen Testaments. Diese lautete: "Holographum testamenturn est manu auctoris totum conscriptum atque subscriptum; unde et nomen accepit. "46 (Ein eigenhändiges Testament ist ein solches, das der Verfasser mit seiner Hand ganz niedergeschrieben und unterschrieben hat; daher hat es auch seinen Namen.) Danach mußte ein eigenhändiges Testament vom Testator nicht nur ganz eigenhändig geschrieben, sondern auch unterschrieben werden. Die Unterschrift als Formerfordernis des eigenhändigen Testaments wurde an dieser Stelle zum ersten Mal genannt. Diese Verschärfung der Form dürfte auf dem Einfluß der Westgoten beruhen47. Die Geschäftsurkunde des germanischen Rechts mußte konfirmiert sein4s. Bei einer eigenhändig geschriebenen Geschäftsurkunde, die erst nach dem Tode des Ausstellers in Erscheinung trat, und bei deren Errichtung die Zuziehung von Zeugen ausgeschlossen war, war eine andere Art der Konfirmierung als die eigenhändige Unterschrift aber nicht denkbar49. Das fünfte Buch der Etymologien des Isidorus hat im frühen Mittelalter auch in Frankreich einen großen Einfluß ausgeübt. Es findet sich in zahlreichen Handschriften in Verbindung mit dem Breviarium Alaricianumso. 4. Lex Visigotorum Aus dem Jahre 654 n. Chr. stammt die Lex Visigotorum des Westgotenkönigs Reccesvinth. Mit diesem Gesetz wurde das Personalitätsprinzip aufgegeben und das Breviarium Alaricianum offiziell aufgehoben. Die Lex Visigotorum galt gleichermaßen für Goten und Römer. Sie beinhaltete neben gerTorres, S. 101; Engelmann, Testaments, S. 6. Tacitus, Germania, C 20; Brunner, Bd. 1, S. 106. 45 Hiltbrunner, Isidoros, Kleiner Pauly Bd. 2, Sp. 1461. 46 Isidorus, V, 24,7. 47 Benavides, Testamento, S. 91 FN 96. 48 Coulin, Eigenhändiges Testament, ZSR Bd. 31, 75, 82; Zeumer, Westgothisches Urkundenwesen, NA Bd. 24, 13, 28. 49 Brunner, Bd. 1, S. 569; Sehröder I Künßberg, Lehrbuch, S. 290. so Conrat, S. 153. 43
44
2*
20
I. Kap.: Das eigenhändige Testament römischen Rechts
manisch-gotischen Rechtsgewohnheiten römisches Recht, welches aus der Lex Romana Visigotorum entlehnt war51 • Unter den aus dem Breviarium Alaricianum übernommenen Rechtsinstitutionen fand sich auch das eigenhändige Testament. Die Vorschrift mit dem Titel "De olografis scripturis" lautete: "Quia interdum necessitas ita sepe concurrit, ut sollemnitas legum libere conpleri non possit, adeo, ubi qualitas locorum ita constiterit, ut non inveniantur testes, per quos iuxta legum ordinem unusquisque suam adliget volumtatem, manu propria scribat ea, que hordinare desiderat; ita ut specialiter adnotetur, quecumque iudicare voluerint, vel que de rebus suis habere quemquam elegerint. Dies quoque et annus habeatur in eisevidenter expressus. Deinde , toto scripture textu conscripto, rursum auctor ipse suscribat. Et dum hec scriptura infra XXX annos ad eum, in cuius nomine facta est, vel ad successores eius pervenerit, eam episcopo vel iudici infra sex menses non differat presentare. Quam sacerdos idem et iudex, adlatis sibimet tribus aliis scripturis, in quibus testatoris suscriptio repperitur, ex earum contropationem considerent, si certa et evidens scriptura est, quam idem conditor olografa ratione conscripsit. Et dum sta previderint, eadem cartula, que offertur, vera nihilominus habeatur, adque etiam continuo sacerdos ipse vel iudex sive alii testes idonei eandem olografam scripturam sua denuo suscriptione confirment. Et sie volumtas ipsius testatoris plenissimam obtineat firmitatem ."52 (Weil sich bisweilen eine Notlage ergibt, in der die Förmlichkeit der Gesetze nicht uneingeschränkt erfüllt werden kann, zumal wo es die Umstände des Ortes mit sich bringen, daß Zeugen nicht gefunden werden können , mit deren Hilfe jemand der Gesetzesordnung gemäß seirien letzten Willen festlegen kann, soll er mit eigener Hand schreiben, was er festzusetzen wünscht; so soll besonders angeordnet werden , worüber er entscheiden will, oder was von seinem Vermögen wer erhalten soll. Den Tag und auch das Jahr soll er darin ausdrücklich angeben. Nachdem der ganze Text niedergeschrieben ist, soll daraufhin der Verfasser selbst unterschreiben. Und solange die Schrift innerhalb von 30 Jahren an den gelangt, zu dessen Gunsten53 sie errichtet wurde, oder an dessen Rechtsnachfolger, muß dieser sie dem Bischof oder Richter unverzüglich innerhalb von sechs Monaten vorlegen. Derselbe Bischof und Richter sollen diese in Augenschein nehmen und mit drei anderen Schriften, die die Unterschrift des Verfassers aufweisen, vergleichen , ob es sicher und offenkundig die Schrift ist, die der Verfasser mit eigener Hand verfaßt hat. Und wenn es sich bestätigt, daß die vorgelegte Urkunde wirklich echt ist, dann sollen unmittelbar darauf der Bischof oder der Richter oder andere geeignete Zeugen ebendiese handgeschriebene Urkunde durch ihre eigene Unterschrift bestätigen. Und so soll der letzte Wille des Erblassers volle Wirksamkeit erlangen.)
Die Lex Visigotorum kannte das eigenhändige Testament somit als ordentliche Testamentsforms4. Die Annahme Dahns in seinen Westgothischen Studien, das eigenhändige Testament der Lex Visigotorum sei nur ein Nottesta51 Mitteis I Lieberich, S. 94. 52 Lex Visigotorum II,5,16; Ed. Zeumer, Leges Visigotorum, MGH Leges I, 1, s. 115 f. 53 Dahn, Westgothische Studien, S. 138 FN 2. 54 Brock, S. 13; Wasser, S. 35.
II. Germanische Volksrechte
21
ment gewesen55, ist nicht zwingend. Die Lex Visigotorum enthielt nach dem Vorbild der Novelle Valentinians III. lediglich Beispiele für Fälle, in denen ein besonderes Bedürfnis für die Errichtung eines eigenhändigen Testaments bestand56, nämlich dann, wenn die Umstände des Ortes es mit sich brachten, daß Zeugen nicht gefunden werden konnten. Gerade der Umstand, daß das Gesetz nirgends einen Nachweis für das Vorliegen einer solchen Notlage bei der Testamentserrichtung verlangte, zeigt, daß das eigenhändige Testament der Lex Visigotorum nicht nur ein Nottestament wars7. In der Lex Visigotorum waren die Formerfordernisse des eigenhändigen Testaments gegenüber dem Breviarium Alaricianum verschärft worden. Neben der eigenhändigen Niederschrift des Testamentsinhalts waren Datierung mit Jahr und Tag und die Unterschrift des Testators erforderlich. Die Vermehrung der Formerfordernisse dürfte einerseits auf dauernde Übung zurückzuführen sein58, andererseits aber auch in dem Bedürfnis nach mehr Rechtssicherheit begründet liegen. Datum und Unterschrift boten wenigstens eine gewisse Sicherheit dafür, daß man es nicht mit einem Entwurf, sondern mit einer vollendeten und überlegten Disposition zu tun hatte59. Für ein verstärktes Bedürfnis nach Rechtssicherheit spricht auch die Bestimmung, daß die Person, zu deren Gunsten die Verfügung errichtet wurde, oder deren Rechtsnachfolger, das eigenhändige Testament binnen 30 Jahren nach dessen Errichtung, spätesterns aber 6 Monate, nachdem es in ihren Besitz gelangt war, dem Bischof oder Richter vorlegen sollte. Dieser nahm dann einen Schriftenvergleich mit drei unzweifelhaft echten Urkunden des Testators vor. War das Ergebnis dieser Prüfung günstig, so bestätigte der Bischof oder Richter durch seine Unterschrift die Gültigkeit des Testaments, oder er ließ es durch geeignete Zeugen bestätigen. Dadurch erlangte das eigenhändige Testament dann "plenissimam firmitatem." Diese Anordnung ist aber nur als prozessuale Beweisfrage60, nicht als eine für die Rechtsbeständigkeit des Testaments wesentliche Formvorschrift61 aufzufassen. Gleiche oder entsprechende Vorschriften gab es auch für andere Testamentsformen. Die Aufnahme des eigenhändigen Testaments in die Lex Visigotorum und die präzisen Bestimmungen über dieses Rechtsinstitut zeigen, daß diese Testamentsform gebräuchlich war62. Während die Lex Visigotorum in Spanien als "fuero juzgo" durch viele Jahrhunderte das geltende Gesetzbuch blieb, galt Dahn, S. 138. Brock, S. 14. s1 Wasser, S. 35. ss Auffroy, S. 250. 59 Mahrt, S. 15; Wasser, S. 36. 60 Brock, S. 13; Wasser, S. 35; Seidel, S. 8 FN 7; Hagmann, S. 12. 61 So aber wohl Stern, S. 11; Mahrt, S. 15. 62 Stern , S. 12; Hagmann, S. 13.
55
56
22
l. Kap.: Das eigenhändige Testament römischen Rechts
sie von Anfang an nur für einen kleinen Gebietsteil des heutigen Frankreich und war für die französische Rechtsgeschichte von geringer Bedeutung. In Frankreich konnte sie das Fortleben des Breviarium Alaricianum nicht nachhaltig behindern63. Die weitere Entwicklung des eigenhändigen Testaments bleibt daher anhand des Breviarium Alaricianum zu verfolgen.
111. Die Fortentwicklung des Breviars in Frankreich 1. Die fränkische Periode
Das Breviarium Alaricianum übte einen bedeutenden Einfluß in der mittelalterlichen Rechtsgeschichte auf Frankreich aus. Den Beweis dafür, daß mit der Fortgeltung des Breviars auch das eigenhändige Testament als Rechtsinstitut erhalten blieb, liefern Bearbeitungen des Breviars aus dieser Epoche. Im achten und neunten Jahrhundert entstanden in Frankreich mehrere Epitome64, die Auszüge aus dem Breviar enthielten. Sie übernahmen das eigenhändige Testament so, wie es in der Interpretatio des Breviars enthalten war65. Die älteste dieser Schriften war die Epitome Aegidii. Sie enthielt die ausführlichste Regelung zum eigenhändigen Testament. Diese Regelung stimmte im Wortlaut weitgehend mit der Novelle Valentinians 111. überein. "Tarn veterum principum quam nostrae praecipiunt sanctiones, ut in heredetariorum corporum possessionem probata scripturae veritate mittatur. De holographa manu: id est, si tota scriptura testatoris manu perscripta testibus non indiget, nec aliis subscriptoribus, quia in subscriptione multorum confingi potest, sed tota pagina una manu conscripta confingi non potest. Si alicui fuerit testandi voluntas et testes fortasse defuerint , voluntatem suam propria manu perscribat, quae probata post defuncti obiturn plenam obtinet firmitatem. "66 (Sowohl die Gesetze der alten Kaiser als auch unsere Anordnungen schreiben vor, daß die Einweisung in den Besitz der Erbschaftssachen stattfindet, wenn die Echtheit der Schrift bewiesen worden ist. Eigenhändigkeit: das bedeutet, wenn das Testament vom Testator ganz eigenhändig errichtet worden ist, sind weder Zeugen noch andere Gegenzeichnende erforderlich, weil die Unterschrift vieler gefälscht sein kann , nicht aber eine ganze, von einer Hand geschriebene Seite gefälscht werden kann. Wenn irgendjemand ein Testament errichten will und Zeugen gerade fehlen, soll er seinen letzten Willen mit eigener Hand niederschreiben, und wenn nach dem Tode die Echtheit bewiesen ist, entfaltet das Testament volle Wirksamkeit.)
Die Epitome Guelpherbitana fällt dagegen durch ihre äußerst knappe Fassung auf67 . Möglicherweise handelte es sich dabei ursprünglich um Randnoti63 64 65 66 67
Mitteis I Lieberich, S. 94; Schlosser, Grundzüge, S. 8. Conrat, S. 222ff. ; Gaudemet, S.41ff. Haenel, S. 279; Stern, S. 12f. ; Auffroy, S. 250. Haenel , S. 279; Stern, S. 12f. Conrat, S. 231 ; Gaudemet, S. 44f.
III. Die Fortentwicklung des Breviars in Frankreich
23
zen zum Breviar6s. Die verkürzte Fassung der Interpretatio zum eigenhändigen Testament lautete: "Qui voluntatem suam propria scribit manu plenam obtenit firmitatem. " (Wer seinen letzten Willen mit eigener Hand schreibt, dessen Testament erlangt volle Wirksamkeit.)
In der Epitome Lugdunensis lautete die entsprechende Stelle: "Inter alia haec Iex ista concedit, ut si cui forte testes defuerint, quando habet testandi voluntatem, propria manu voluntatem suam possit perscribere, quae post obiturn prolata plenam obtinere valeat defuncti firmitatem." (Unter anderem gesteht dieses Gesetz zu, daß, wenn einer ein Testament errichten will und ihm gerade die Zeugen fehlen, er mit eigener Hand seinen letzten Willen niederschreiben kann; dieser erlangt dann, wenn er nach seinem Tode vorgelegt wird, volle Wirksamkeit.)
In der Epitome Monachi hieß es: "Si cui fuerit testandi voluntas et testes defuerint, voluntatem suam propria manu perscribat, quae probata post defuncti obiturn plenam obtinet firmitatem. " 69 (Wenn jemand ein Testament errichten will und Zeugen fehlen sollten, möge er seinen letzten Willen mit eigener Hand niederschreiben; dieser erlangt, wenn seine Echtheit bewiesen ist, nach dessen Tod volle Wirksamkeit.)
Diese Epitome erforderten also, ebenso wie das Breviar selbst, nur eigenhändige Niederschrift des Testaments durch den Testator. Eine Sonderstellung unter den Epitome nimmt die Lex Romana Curiensis sive Epitome S. Galli ein, die im achten Jahrhundert in Churrätien entstand70 und eine starke Beeinflussung durch germanisches Gedankengut aufweist71 . Nach Form, Inhalt und juristischer Technik ist sie als Epitome zum Breviar zu verstehen. Die Lex Romana Curiensis ist aber nicht ausschließlich Zeugnis literarischer Beschäftigung mit dem römischen Recht, sondern wurde auch den praktischen Bedürfnissen der damaligen Zeit gerecht. Vorschriften, die nicht mehr in diese Zeit paßten, waren darin den geänderten Verhältnissen angepaßt worden72. So wich auch die Regelung über die Form des eigenhändigen Testaments vom Breviar ab. "Si quis homo testamentum, carta alicui facere voluerit, si testes non fuerint, ille, qui ipsam cartam facere rogavit, propria manu sua ipsa carta subscribat. Qui hoc per suam voluntatem fecerit, hoc quod facit, integram obtineat firmitatem. "73 Gaudemet, S. 45. Haenel, S. 279; Stern, S. 12f. 70 Zur Frage der Herkunft Gaudemet, S. 49f. 71 Conrat, S. 286. 72 Meyer-Marthaler, Lex Rom. Curiensis, HRG Bd. 2, Sp. 1935; Gaudemet , S. 48; Cajacob, Letztwillige Verfügungen, S. 14. 68
69
l. Kap.: Das eigenhändige Testament römischen Rechts
24
(Wenn jemand ein Testament oder für einen anderen eine Urkunde aufsetzen will, und wenn Zeugen fehlen sollten, so soll derjenige, der die Errichtung der Urkunde erbeten hat, mit eigener Hand selbst unterschreiben. Errichtet jemand so seinen eigenen letzten Willen, so soll das, was er gemacht hat, volle Wirksamkeit erlangen.)
Danach war neben der eigenhändigen Niederschrift des Testamentsinhalts die Unterschrift des Testators erforderlich. Diese Verschärfung der Form gegenüber dem Breviar dürfte, ebenso wie bei der Lex Visigotorum, auf ein Bedürfnis nach mehr Rechtssicherheit zurückzuführen sein. Demgegenüber spricht die unveränderte Form des eigenhändigen Testaments in den aus Frankreich stammenden Epitome dafür, daß diese Testamentsform dort von geringer praktischer Bedeutung war74. Auch unter den zahlreichen Testamenten aus dem französischen Raum, die aus dieser Zeit bekannt sind, findet sich kein eigenhändiges Testament?s. 2. Die Scheidung Frankreichs in zwei Rechtsgebiete
In der Zeit vom 10. bis zum 13. Jahrhundert vollzog sich in Frankreich eine Entwicklung, die die Scheidung des Landes in zwei Rechtsgebiete herbeiführte76. In der nördlichen Hälfte, den Ländern des droit coutumier, herrschte danach ungeschriebenes Gewohnheitsrecht mit vorwiegend germanischem Charakter, während in der südlichen Hälfte, den Ländern des droit ecrit, die Bewohner hauptsächlich nach geschriebenem römischem Recht lebten. Die Grenze zwischen beiden Gebieten verlief etwa von der Girondemündung bis Genf quer durch Frankreich. Sowohl im Norden als auch im Süden Frankreichs, wurden sog. coutumes, also Gewohnheitsrechte, geschaffen. Da im Süden Frankreichs das geschriebene römische Recht die Grundlage des gesamten Rechtslebens bildete, waren die coutumes hier aber von geringer Bedeutung. Die Spaltung Frankreichs in zwei unterschiedliche Rechtsgebiete hat bewirkt, daß die Entwicklung des eigenhändigen Testaments in den beiden Regionen ganz verschieden verlief. a) Droit ecrit
Im Süden Frankreichs war zunächst weiterhin das Breviarium Alaricianum die wichtigste Rechtsquelle. Das änderte sich, als im 12. Jahrhundert das justinianische Recht aus Italien in das südliche Frankreich einzudringen begann. Diesem Gesetzeswerk vermochte das Breviarium Alaricianum auf die Dauer 73 74
75 76
Lex Rom . Curiensis XVIII,4; Ed. Zeumer, MGH Legum V, S. 398f. Auffroy, S. 250. Auffroy, S. 250; Engelmann, S. 7. Mitteis I Lieberich, Dt. Privatrecht, S. 25.
III. Die Fortentwicklung des Breviars in Frankreich
25
nicht Stand zu halten. Die Aufnahme des Corpus Juris Civilis wurde durch das Emporblühen justinianischen Rechts an französischen Universitäten wie Toulouse oder Montpellier vorbereitet. Da das justinianische Recht mit dem Breviarium Alaricianum eine verwandte Rechtsordnung vorfand, brauchte es nur auf dem gegebenen Fundament aufzubauen und verbreitete sich schnell in ganz Südfrankreich. Dabei verdrängte es nahezu alle Normen, die mit seinem Inhalt in Widerspruch standen77. Dieser Entwicklung fiel auch die Regelung des Breviars über das eigenhändige Testament zum Opfer7s. Wie bereits dargelegt79, war die Novelle Valentinians 111. über das eigenhändige Testament ja nicht ins Corpus Juris Civilis aufgenommen worden. Nur in wenigen Ländern des droit ecrit blieb das eigenhändige Testament gewohnheitsrechtlich weiter in Geltung. In der neuerenZeitfand es sich noch im Mäconnais und in der Auvergneso. Denisart geht in seiner Collection außerdem davon aus, daß das eigenhändige Testament auch im Languedoc und im Limosin gegolten habe, da ihm kein Urteil bekannt sei, das die Form des eigenhändigen Testaments dort nicht anerkannt habeB1 . Wenn auch nicht anband von Quellen belegt werden kann, daß das eigenhändige Testament in diesen Gebieten fortgesetzt in Übung blieb, so sprechen die Umstände doch dafürB2 • Das eigenhändige Testament des Mäconnais und der Auvergne setzte weiterhin die nach römischem Recht erforderliche Erbeinsetzung voraus83, während das droit coutumier des Nordens mit wenigen Ausnahmen eine Erbeinsetzung gerade nicht zuließ. Die Fortgeltung des eigenhändigen Testaments im Mäconnais und in der Auvergne ist für die fernere Entwicklung dieses Rechtsinstituts weitgehend bedeutungslos geblieben.
b) Droit coutumier Als schwieriger erweist es sich, die Entwicklung des eigenhändigen Testaments in den Ländern des droit coutumier zu verfolgen. Seit dem Beginn des Trennungsprozesses im 10. Jahrhundert fehlt jegliche Kunde darüber, ob das eigenhändige Testament im nördlichen Frankreich überhaupt noch in Geltung Seidel, S.16; Hagmann, S. 16; Schlosser, S. 36, 84. Domat, Les Lois, Bd. 1, Teil2, 3,1,1, S. 409; Cujacius, Bd. 9, Sp. 709f., Tit. XXIII De Testamentis, und Bd. 1, Sp. 704f., Consultatio LV; Hotman , Opera Omnia, Jurisconsilia, Sp. 192, Cons. 37. 79 s.o. A. I. 3. so Chabot de l'Allier, Questions, Bd. 2, S. 387; Brock, S. 32; Regnault, Ordonnances, S.196 m.w.N. 81 Denisart , Collection, Bd. 4, S. 690. 82 Merlin, Repertoire, Bd. 34, S.107; Seidel, S. 17. 83 Chabot de l'Allier, Bd. 2, S. 387; Merlin, Bd. 34, S.106; Seidel, S.19. 77
78
26
1. Kap.: Das eigenhändige Testament römischen Rechts
war, und ob davon Gebrauch gemacht wurde. Die von Viollet84 in seiner Histoire unter Bezug auf Robert85 erwähnten Testamente aus Besan~on aus den Jahren 1298 und 1463 können nicht als Beispiele genannt werden. Das Testament aus dem Jahre 1298 ist zwar vom Testator eigenhändig geschrieben worden, aber unter Beiziehung von Zeugen. Der Wortlaut bei Robert läßt vermuten, daß dies auch auf das Testament aus dem Jahr 1463 zutrifft. Das eigenhändige Testament tauchte erst wieder in den coutumes des Nordens aus dem 15/16. Jahrhundert auf, um von da an ein bedeutendes Rechtsinstitut zu werden, dessen Spuren in der Rechtsgeschichte sich sicher verfolgen lassen.
84 85
Viollet, Histoire, S. 954 FN 3. Robert, Testaments, Bd. 1, S. 199.
2. Kapitel
Die Entstehung des eigenhändigen Testaments Das Schicksal des eigenhändigen Testaments in Nordfrankreich in den dunklen Jahrhunderten vor der Aufzeichnung der Coutumes läßt sich weitgehend zusammen mit der allgemeinen Geschichte des Testamentsrechts dieser Zeit rekonstruieren. Es gibt drei bedeutende Hypothesen über den Ursprung des eigenhändigen Testaments der nordfranzösischen Coutumes: nach einer Meinung stammt das eigenhändige Testament der Coutumes vorn testamenturn holographum des Breviars und damit von der Novelle 20,2 Valentinians 111. abt. Nachneuerer Ansicht hat es sich aus der Siegelurkunde entwickelt2, und nach einer dritten Meinung ist das eigenhändige Testament ein rein gewohnheitsrechtlich entstandenes Institut3.
I. Die Novelle Valentinians 111. als Ursprung des eigenhändigen Testaments des droit coutumier 1. Die Hypothese Brocks und Seidels zur Weitergeltung des eigenhändigen Testarnents 4 Das römisch-rechtliche Institut des Testaments drang zur Zeit der Volksrechte in das germanische Recht Frankreichs ein. Brock und Seidel gehen deshalb davon aus, daß das Testament des germanischen Rechts in Frankreich aus dem Breviar als dem damals herrschenden römischen Recht entlehnt worden sei. Sie nehmen an, daß mit dem Institut des Testaments als solchem auch Testamentsformen übernommen wurden. Bei der Beantwortung der Frage, welche Testamentsformen dies gewesen sein mögen , soll ein Blick auf die materielle Bedeutung der Testamente im germanischen Recht weiterhelfen. Das germanische Recht hat auch nach der Übernahme des Testaments den Grundsatz Brock, S. 48; Seidel, S. 29. Mitteis, SZGerm 63 (1943) , 137, 190 FN 194; Holzhauer, S. 47; Wesener, S. 130; Warnkönig I Stein, Bd. 2, S. 492. 3 Stern, S. 28; Schultze, SZGerm 35 (1914), 75, 105. 4 Brock, S. 42ff.; Seidel, S. 25ff. ; zum eigenhändigen Testament im Land Neuenburg vgl. Coulin, ZSR Bd. 31 (1912), 75ff.; Coulin, S. 81, nimmt an, daß das eigenhändige Testament im Land Neuenburg weitergegolten habe , kann dies aber auch nicht anhand von Quellen nachweisen. I
2
28
2. Kap.: Die Entstehung des eigenhändigen Testaments "Deus solus heredem facere potest, non homo" (Gott allein kann den Erben schaffen, nicht der Mensch)
nie ganz aufgegeben. Der Erblasser konnte daher zugunsten anderer Personen als seiner Intestaterben immer nur über einen bestimmten Teil seines Vermögens durch Testament verfügen. Testamenten kam nach dem germanischen Recht somit bei weitem nicht die Bedeutung zu, die die Testamente des römischen Rechts hatten. Daraus schließen Brack und Seidel, daß sich die germanische Bevölkerung unter den Testamentsformen des Breviars diejenigen aussuchte, die ihr am bequemsten waren. Diesem Bedürfnis nach Einfachheit kam das eigenhändige Testament des Breviars entgegen. Es soll deshalb bereits vor der Zeit der Territorialrechte in das germanische Recht Frankreichs eingedrungen sein. Mit der weitgehenden Verdrängung des römischen Rechts durch das germanische Recht in Nordfrankreich hätte das eigenhändige Testament dann nicht notwendigerweise seine Geltung verloren. Die Regelung des eigenhändigen Testaments in den Coutumes des späten 15. und 16. Jahrhunderts scheint nach Brack und Seidel vielmehr auf eine Weitergeltung dieses Instituts hinzudeuten. Zwar erwähnen die frühen Coutumes des 13. bis frühen 15. Jahrhunderts das eigenhändige Testament nicht, wie darin überhaupt Regelungen über Testamentsformen weitgehend fehlen; jedoch könnte dies gerade für eine Fortgeltung des eigenhändigen Testaments sprechen. Die älteren Coutumes waren keine Kodifikationen des gesamten, auf dem jeweiligen Territorium geltenden Rechts, sondern betrafen nur Materien, die der schriftlichen Anerkennung besonders bedurften. Dies waren zum einen Rechtssätze, die sich erst während der Territorialitätsperiode gewohnheitsrechtlich entwickelt hatten, zum anderen lokale Eigentümlichkeiten. Für die Erwähnung eines so alten Rechtsinstituts wie das eigenhändige Testament hätte deshalb in den älteren Coutumes keine Veranlassung bestanden. Die jüngeren Coutumes sind demgegenüber von dem Verlangen nach Vollständigkeit geprägt. Sie enthalten daher auch zahlreiche Vorschriften über Testamentsformen. Dabei fällt auf, daß die Form des eigenhändigen Testaments sich nicht nur in einzelnen Coutumes findet, sondern fast alle neueren Coutumes eine Regelung über das eigenhändige Testament enthalten. Auch in den Gebieten der Coutumes, die das eigenhändige Testament nicht ausdrücklich erwähnen, ist es möglicherweise schon lange gewohnheitsrechtlich in Übung gewesen. Dies zeigt ein Urteil vom 30. 4. 1625 zu Art. 112 der Coutume von Angoumois: "Cet article n'exclud point Je testament holographe, encore qu'il n'en fasse point de mention ... estant un testament commun & nature!, auquel ne sont requises aucunes des solemnitez prescriptes par Ia Coutume, ni !es tesmoings. "5
5
Bourdot de Richebourg, Nouveau Coutumier general, Bd. 4, S. 849.
I. Die Novelle Valentinians III. als Ursprung
29
(Dieser Artikel schließt das eigenhändige Testament nicht aus, auch wenn es darin nicht erwähnt wird ... da es ein allgemeines & natürliches Testament ist, bei dem keine der von der Coutume vorgeschriebenen Förmlichkeiten erforderlich sind, auch keine Zeugen.)
Das eigenhändige Testament war somit ein dem ganzen droit coutumier gemeinsames Rechtsinstitut. Die gemeinsame Grundlage der nordfranzösischen Coutumes bildete jedoch das alte französisch-germanische Recht. Da dieses aber gerade, wie zuvor dargelegt, das eigenhändige Testament aus dem Breviar entlehnt und somit gekannt haben soll, stellen Brock und Seidel die Hypothese auf, daß das eigenhändige Testament des droit coutumier vom eigenhändigen Testament des Breviars und damit von der Novelle 20,2 Valentinians Ill. abstamme. 2. Die Schwächen dieser Hypothese
Wenn auf den ersten Blick auch vieles für diese Hypothese spricht, so stehen ihr doch Bedenken entgegen. Fraglich erscheint schon, ob das germanische Recht mit dem Testament als solchem auch die Form des eigenhändigen Testaments übernommen hat. Es ist genauso gut möglich, daß die Germanen, als sie das Institut des Testaments aus dem römischen Recht entlehnten, nicht die leichtesten, sondern die schwierigeren Testamentsformen übernahmen, da ihnen ja ursprünglich Testamente fremd waren. 6 Gegen einen weiteren Gebrauch der Form des eigenhändigen Testaments nach dem zehnten labhundert sprechen zudem die aus dem neunten und zehnten Jahrhundert erhaltenen Testamente. In ihnen finden sich regelmäßig Verfluchungen gegen diejenigen, die den Vollzug des Testaments verhindern wollten, oder Androhungen von Geldstrafen für diejenigen, die das Testament angreifen würden. Die Zeugentestamente aus jener Zeit sind größtenteils unter Beiziehung einer größeren Anzahl Zeugen, als gesetzlich erforderlich war, errichtet worden. Dies alles zeigt, daß die Testatoren die Verwirklichung ihrer Verfügungen durchaus nicht für sicher hielten. Unter diesen Umständen und in Anbetracht der Unruhen, die der Zusammenbruch des fränkischen Reiches mit sich brachte, ist es unwahrscheinlich, daß eigenhändige Testamente weiter errichtet wurden, da diese doch am leichtesten unterdrückt werden konnten7 . Als unhaltbar erweist sich die Hypothese der Fortgeltung des eigenhändigen Testaments, wenn man die vereinzelten Regelungen über Testamentsformen, die sich in den älteren Coutumes finden, näher betrachtet. Nach den Coutu6 7
Hagmann, S. 20f. Stern, S. 21ff. m.w.N.
30
2. Kap.: Die Entstehung des eigenhändigen Testaments
mes de Beauvaisis von 1283 mußte ein Testament vor Zeugen errichtet werden oder mit .einem "scel authentique" bzw. den Siegeln mehrerer Adliger ausgestattet seins. Die Anciennes Coutumes de Verdun vom Anfang des 13. Jahrhunderts und die Tres Anciennes Coutumes de Bretagne von circa 1320 erwähnten nur Zeugentestamente9. Da diese Coutumes keine Aufzeichnungen des gesamten geltenden Rechts waren, schließt dies zwar nicht ohne weiteres die Geltung des eigenhändigen Testaments aus. Nimmt man jedoch die Regelung des Grand Coutumier de France von 1388 hinzu, wonach "en pays coustumier deux ou trois tesmoings suffisent, et sans tesmoing aulcun testament ne vault riens, non mie testament escript de Ia propre main du testateur, s'il n'est chevalier, et qu'il soit en cas perilleux comme au conflict de Ia guerre" 10, (in den Ländern des Gewohnheitsrechts genügen zwei oder drei Zeugen, und ohne Zeugen ist kein Testament wirksam, auch nicht das von dem Testator mit eigener Hand geschriebene Testament, wenn er nicht Ritter ist und sich in einer Notlage wie einer kriegerischen Auseinandersetzung befindet)
so scheint eine Weitergeltung des eigenhändigen Testaments als ordentliche Testamentsform ausgeschlossen. Das eigenhändige Testament der jüngeren Coutumes ist demnach eine Neuschöpfung des französischen Rechts, dessen Entstehungsvorgang nun zu untersuchen bleibt.
II. Die Entstehung des eigenhändigen Testaments im Bereich des droit coutumier 1. Die allgemeine Entwicklung der Testamente im hohen Mittelalter
Die Entwicklung der Testamente ist in hohem Maße durch den Einfluß der Kirche bestimmt worden. In den Testamenten des sechsten bis achten Jahrhunderts fanden sich immer häufiger Vermächtnisse zugunsten der Kirche. Ab dem neunten Jahrhundert traten die weltlichen Inhalte in den Testamenten zunehmend in den Hintergrund, und seit dem Ende des zehnten Jahrhunderts waren Testamente in Wahrheit nur noch Akte rein religiösen Charakters. Die Geistlichen übten ihren ganzen Einfluß aus, um die Bevölkerung dazu zu bewegen, vor dem Tode der Kirche bedeutende Vermächtnisse zuzuwenden. Schwerkranken, die kein Testament zugunsten der Kirche errichtet hatten, durfte die Absolution verweigert werden, und wer starb, ohne zum Heil seiner Seele durch Testament der Kirche oder den Armen etwas zugewendet zu s Beaumanoir, Coutumes, S. 176, Art. 371. 9 Meijers, S. 246, 248 m .w.N. 10 Laboulaye I Dareste, Grand Coutumier, S. 364.
II. Entstehung des eigenhändigen Testaments im droit coutumier
31
haben, galt als "inordinatus". Ihm konnte ein christliches Begräbnis verweigert werden 11. Coquille hat in seinem Kommentar zur Coutume de Nivernais einen Rechtsstreit vom 21. 1. 1503 geschildert, in dem der Geistliche vor der Beerdigung das Testament sehen wolltetz. So kam es vor, daß die Erben, wenn jemand ohne Testament starb, zum Heil der Seele des Verstorbenen und um den Geistlichen zur Teilnahme an dem Begräbnis zu bewegen, nachträglich ein Testament zugunsten der Kirche errichtetent3. Die Kirche gelangte etwa im 11. Jahrhundert zum Höhepunkt ihrer Macht. Sie besaß zu dieser Zeit in Frankreich die alleinige Kompetenz in Testamentsangelegenheitenl4.Aufgrund ihres Interesses an der Errichtung letztwilliger Verfügungen war sie bemüht, die Testamentsförmlichkeiten zu verringern. In dieser Zeit entstand auch das kanonische Testament, welches eine feste Form durch die Decretale des Papstes Alexander III. im Jahre 1170 bekam. Orientiert an der Bibel wurden nach dem Grundsatz "in ore duorum vel trium testium, stet omne verbum" (Bei Anwesenheit von zwei oder drei Zeugen soll jede Erklärung Gültigkeit haben)
für die Errichtung von Testamenten nur zwei oder drei Zeugen gefordert. Diese dienten nicht mehr weiter der Feierlichkeit, sondern entscheidend war allein, daß durch sie der letzte Wille des Verstorbenen bewiesen werden konntets. Auch sonst ließ die Kirche alle möglichen Testamentsformen zu; selbst formlose Testamente wurden als gültig erachtet, sofern nur einigermaßen der Beweis der Echtheit erbracht wurde 16. Erst im 12. Jahrhundert drangen langsam wieder weltliche Inhalte in die Testamente ein 17 . Bedeutende Persönlichkeiten trafen in ihren Testamenten ausführliche Anordnungen, wie nach ihrem Tode mit ihrem Vermögen zu verfahren sei 18. Für die einfachen Leute standen dagegen weiterhin die religiösen Inhalte bei Testamenten im Vordergrund. Dies zeigt insbesondere auch das Mustertestament, das Beaumanair in Art. 426 der Coutumes de Beauvaisis19 für einfache Leute angeführt hat. Diese inhaltliche Entwicklung der Testamente spiegelt sich in der Entwicklung der Testamentsformen wider. Mit dem Eindringen weltlicher Inhalte in die Testamente wuchs auch das Interesse der Erblasser, die Ausführung ihres 11 12 13 14
15 16
17 18 19
Engelmann, S. 6ff.; Stern, S. 29ff. Coquille, Coutume de Nivernais, S. 422. Stern, S. 31. Engelmann, S.12. Coing, S. 571 ; Engelmann, S. 20. Stern, S. 32; Schultze, SZGerm 35 (1914), 75, 105. Engelmann, S. 15; Gilissen, La Coutume, S. 116. Engelmann, S.15 m.w.N. Beaumanoir, S. 204.
32
2. Kap.: Die Entstehung des eigenhändigen Testaments
letzten Willens sicherzustellen. Infolge dieses Bedürfnisses nach Sicherheit entwickelte sich das Testament, das zu einem formlosen Rechtsgeschäft geworden warzo, langsam wieder zu einem formgebundenen Rechtsgeschäft. 2. Die Siegelurkunde als Ursprung des eigenhändigen Testaments
Die älteste bekannte Vorschrift über Testamentsformen im Bereich des droit coutumier enthalten die Coutumes de Beauvaisis von 1283. In diesem Werk ist im wesentlichen lokales Recht des Beauvaisis dargestellt, daneben sind aber auch römisches Recht, kanonisches Recht und das Recht der Nachbarprovinzen berücksichtigt21, Art. 371 dieser Coutumes lautete: "A testament fere doivent estre teus gens qui le puissent tesmoignier s'aucuns debas en mouvoit, ou il doit estre seeles de seel autentique ou de pluseurs seaus de nobles persones, comme de gentius gens ou d'hommes de religion qui portent seaus. "22 (Bei der Testamentserrichtung müssen zwei Personen anwesend sein, die sie bezeugen können, und von denen sich keiner dabei entfernen soll oder das Testament muß gesiegelt sein mit einem "scel authentique" oder mehreren Siegeln Adliger, wie Gutsherren oder kirchliche Würdenträger, die ein Siegel tragen.)
Das hier genannte Testament vor zwei Zeugen ist die Testamentsform des kanonischen Rechts. Das gesiegelte Testament als spezielle Form der Siegelurkunde ist dagegen eine Schöpfung des germanischen Rechts. Seit dem 12. Jahrhundert hatte sich für die Beurkundung privater Rechtsgeschäfte die Form der Siegelurkunde eingebürgert23. Dabei machte sich der Siegelinhaber durch die Beisetzung des Siegels den Text der Urkunde zu eigen. Personen, die kein eigenes Siegel führten, konnten sich an höher gestellte Persönlichkeiten, wie den Gutsherren oder einen kirchlichen Würdenträger wenden. Diese hatten das Recht, nicht nur in eigenen, sondern auch in fremden Sachen zu siegeln. Der Siegelinhaber beglaubigte in diesem Fall durch die Beisetzung des Siegels die Abgabe der Erklärung24. Ob zur Gültigkeit des Testaments ein oder mehrere Siegel erforderlich waren, bestimmte sich nach der Art des Siegels. Handelte es sich um ein "scel authentique", so verlieh dieses allein dem Testament Gültigkeit. Der Inhaber eines "scel authentique" konnte daher ohne die Beiziehung weiterer Personen allein sein Testament errichten. Deshalb soll das eigenhändige Testament im Bereich des droit coutumier sich nach neuerer Ansicht25 aus der SiegelurWarnkönig I Stein, Bd. 2, S. 492. Gudian, Coutumes,in: HRG Bd. 1, Sp. 641, 643. 22 Beaumanoir, S. 176. 23 Holzhauer, S. 26. 24 Beaumanoir, Art. 426, S. 205f.; Engelmann, S. 135; Holzhauer, S. 28. 25 Holzhauer, S. 47; Mitteis, SZGerm 63 (1943), 137, 190 FN 194; Wesener, S. 130. 2o
21
II. Entstehung des eigenhändigen Testaments im droit coutumier
33
kunde entwickelt haben. Eine nähere Begründung für diese Entwicklung geben die Vertreter dieser Meinung nicht. Dann müßte aber die SiegeJung mit der Zeit durch die Unterschrift des Testators ersetzt worden sein. In der Tat sind die gesiegelten Testamente vom 14./15. Jahrhundert größtenteils neben dem Siegel mit der Unterschrift des Testators versehen. So endete das Testament des Pierre du Chätel, Maltre des Comptes, mit der Formel: "En tesmoing de ce, j'ay ratifie et signe de ma propre main ce present testament et scelle de mon propre scel. Ce fust fait en mon hotel claustral a Paris Je XXVIII" jour de juillet, !'an mil CCCIIII" et quatorze . . . ainsi signe: P. de Chastel", (In Bezeugung dessen habe ich mit eigener Hand das vorliegende Testament bestätigt und unterschrieben und mit meinem eigenen Siegel gesiegelt. Es wurde errichtet im Gebäude meines Klosters in Parisam 28. Juli 1354 . .. so gezeichnet: P. de Chastel) und das Testament des Jean du Berc, Procureur au Parlement, endete mit den Worten: "en tesmoing desquelles choses j'ai signe de mon seing manuel et scelle de mon scel ceste presente cedule le 24 aoüt 1411. Signe: J. du Berc"26. (in Bezeugung dessen habe ich am 24. August 1411 das vorliegende Schriftstück mit meinem Handzeichen unterzeichnet und mit meinem Siegel gesiegelt. Unterzeichnet: J. du Berc). Abgesehen davon, daß ungeklärt ist, ob diese Testamente eigenhändig geschrieben bzw. vor Zeugen abgefaßt worden sind, findet diese Hinwendung zur Unterschrift zu spät statt, als daß das gesiegelte Testament der Ursprung des eigenhändigen Testaments sein könnte. Während im deutschen Raum mit dem Durchdringen der Siegelurkunde subjektiv gefaßte Unterschriften zunächst einmal ganz verdrängt wurden, um erst ab dem 14. Jahrhundert in anderer Weise wieder aufzuleben27, ist ungeklärt, ob im Gebiet des droit coutumier eine solche Verdrängungjemals stattgefunden hatzs. Dafür könnten die Coutumes de Beauvaisis sprechen, da sie nur Siegel, nicht aber Unterschriften erwähnten29. Die frühen Coutumes sind jedoch, wie bereits dargelegt3ü, keine umfassenden Aufzeichnungen des geltenden Rechts gewesen, sondern betrafen nur Materien, die der Aufzeichnung besonders bedurften. Hatte die Unterschrift ihre Bestätigungs- und Beweisfunktion aber zu keiner Zeit durch den Gebrauch von Siegeln verloren, so bestand für Beaumanair keine Veranlassung, die Möglichkeit, Urkunden durch Unterschriften zu bekräftigen, zu erwähnen. Auch wenn das Siegel die Unterschrift in ihrer Funktion im Engelmann, S.137 m.w.N. 27 Schmeidler, Unterschriften, AUF Bd. 6 (1918), 194, 233. 28 Engelmann, S. 137. 29 vgl. z.B. Beaumanoir, Art.426, S.204ff. 30 vgl. 2. Kapitell. 1. 26
3 Heutgen
34
2. Kap.: Die Entstehung des eigenhändigen Testaments
Bereich des droit coutumier zeitweilig verdrängt haben sollte, war dieser Zeitraum zu kurz, als daß das eigenhändige Testament sich erst aus dem gesiegelten hätte entwickeln können. Bereits das Testament des Jean Betars aus dem Jahre 129831 ist mit Zeugenunterschriften versehen. Darüberhinaus findet sich hier sogar der Hinweis, daß das Testament vom Testator eigenhändig niedergeschrieben worden sei und auch die Zeugenunterschriften eigenhändig seien. Dies zeigt, daß schon zu dieser Zeit Unterschriften gebräuchlich waren und zudem der Eigenhändigkeit schon Beweiskraft zugemessen wurde. Die Beiziehung der Zeugen dürfte bei diesem Testament weniger dem Beweis der Echtheit des Testaments gedient haben, als vielmehr zu dem Zweck erfolgt sein, zu verhindern, daß das Testament verloren ging bzw. unterdrückt wurde. Dafür spricht auch das Testament des Jean de Neuilly-Saint-Front aus dem Jahre 1402. Dieses ist vom Testator eigenhändig niedergeschrieben und unterschrieben und in drei Exemplaren angefertigt worden. Es enthält den Vermerk "Escript en trois pieches pour doubte, d'estre perduz ... et veul que chascune pieehe vaille originaJ"32. (Für den Zweifelsfall, daß es verloren gehen sollte, in dreifacher Ausfertigung geschrieben ... und mit dem Willen, daß jede Ausfertigung als Original gelte).
Daß eigenhändige Testamente in jener Zeit keine Seltenheit waren, beweist der Grand Coutumier de France: " . . . en pays coustumier deux ou trois (tesmoings) suffisent, et sans tesmoing aucun testament ne vault riens, non mie testament escript de Ia propre main du testateur, s'il n'est chevalier, et qu'il soit en cas perilleux comme au conflict de Ia guerre."33 ( ... in den Ländern des Gewohnheitsrechts genügen zwei oder drei Zeugen, und ohne Zeugen ist kein Testament wirksam, auch nicht das von dem Testator mit eigener Hand geschriebene Testament, wenn er nicht Ritter ist und sich in einer Notlage wie einer kriegerischen Auseinandersetzung befindet.)
Danach stand den Adligen das eigenhändige Testament als Nottestament zur Verfügung. Daß der Grand Coutumier de France daneben noch ausdrücklich hervorhebt, daß das eigenhändige Testament eines Bürgerlichen in keinem Fall gültig sei, zeigt, daß unter den "formlosen" Testamenten insbesondere eigenhändige Testamente weit verbreitet waren. Vor allem das gehobene Bürgertum, das des Schreibens kundig war, aber kein Siegel besaß, dürfte auf diese Art Testamente errichtet haben34 . Die Form des eigenhändigen Testaments ist somit nicht aus der Siegelurkunde entstanden, sondern hat sich neben dieser entwickelt. Zur Anerkennung des eigenhändigen Testaments durch das Gesetz bedurfte es indessen noch langer Zeit. 31 32 33 34
Robert, S. 199. Tuetey, Testaments, S. 304, 305. Laboulaye I Dareste, S. 364. Stern, S. 40.
II. Entstehung des eigenhändigen Testaments im droit coutumier
35
3. Gewohnheitsrechtliche Entstehung des eigenhändigen Testaments
Die Entwicklung von den formlosen letztwilligen Verfügungen des hohen Mittelalters zu formgebundenen Testamenten hin war ein langwieriger Vorgang, der in den verschiedenen Territorien des droit coutumier ganz unterschiedlich verlaufen istJS. Auch die Entwicklung des eigenhändigen Testaments selbst ist in den verschiedenen Gebieten in unterschiedlicher Art und Weise vor sich gegangen. Zwar läßt sich die Entwicklung im einzelnen nicht mehr genau nachvollziehen, jedoch enthalten die Coutumes viele Anhaltspunkte, die es ermöglichen, diesen Vorgang in seinen Grundzügen zu rekonstruieren. Welche Formerfordernisse an die Testamente gestellt wurden, hing insbesondere von der Höhe des Freiteils ab, also des Vermögensanteils, über den durch Testament zugunsten anderer Personen als der Intestaterben verfügt werden durfte36. Dieser Vermögensanteil wurde in den verschiedenen Gebieten des droit coutumier ganz unterschiedlich berechnet37. Seine Bestimmung war sehr kompliziert, da nicht nur die Bruchteile in den verschiedenen Gebieten unterschiedlich hoch waren, sondern auch andere Bestimmungen dafür bestanden, je nachdem ob es sich um ererbtes oder erworbenes Gut bzw. Mobilien oder Immobilien handelte. War der durch Testament frei verfügbare Teil verhältnismäßig klein, so zeigt sich, daß in dem betreffenden Gebiet zahlreiche einfache Testamentsformen anerkannt wurden. Hier reichte ein mehr oder minder sicherer Beweis der Echtheit des Testaments zu seiner Gültigkeit aus. Je bedeutender aber der Teil war, über den durch Testament verfügt werden konnte, um so strenger waren die Formerfordernisse. Um der Bedeutung solcher Testamente gerecht zu werden, schien das beste Mittel die Beiziehung von Zeugen bei der Testamentserrichtung zu sein. Das Zeugentestament hatte, wenn auch in den verschiedensten Varianten, nicht zuletzt unterstützt durch das kanonische Recht, nie seine Bedeutung als Form verloren. Mit der Beiziehung von Zeugen hatte man auch bei anderen Rechtsgeschäften Erfahrungen, während der Eigenhändigkeit dort keine Bedeutung zukam . In den Gebieten, in denen der Erblasser durch Testament weitgehend frei verfügen konnte, wurde das eigenhändige Testament dementsprechend nur zögerlich zugelassen. Der Zusammenhang zwischen der Testamentsform und der Höhe des Vermögensanteils, über den durch Testament verfügt werden konnte , kommt in einigen Coutumes noch deutlich zum Ausdruck. Art.llO der Coutumes du Baillage et comte d'Eu lautete: 35 36 37
3*
Schultze, SZGerm 35 (1914}, 75, 102. Stern, S. 46. Warnkönig I Stein, Bd. 2, S. 488ff.
36
2. Kap.: Die Entstehung des eigenhändigen Testaments
"Avant qu'un testament soit tenu et repute solenne!, bon et valable, il faut qu'il soit fait en l'une des formes qui ensuivent." (Bevor ein Testament solenn, gut und gültig geheißen werden kann, muß es in einer der nachfolgenden Formen errichtet werden.) Dazu führte Art. 111 aus: "A scavoir, qu'il soit ecrit et signe de Ia main du testateur pour le regard des meubles; et pour les immeubles, requiert qu'il soit passe devant deux Tabeilions ou Notaires, avec deux ternoins soussignez avec le testateur. "38 (Wenn man weiß, daß es von der Hand des Testators geschrieben und unterschrieben worden ist, so reicht dies für Mobilien; und für Immobilien wird gefordert, daß es vor zwei Gerichtsschreibern oder Notaren aufgesetzt wird und zwei Zeugen zusammen mit dem Testator unterschreiben .) In der ersten Kodifizierung der Coutumes de Reims vom Jahre 1481 Partie I Chap. XII Art. 289 wird gesagt: "Tous testamens, codicilles et ordonnances de dernieres voluntees, excedans Ia valleur de cent solz (turnois) doivent estre faictz, passez, et recogneuz par les testateurs, et testateresses ayans aage, sens, entendement et faculte de tester, pardevant ou es presences de deux Notaires, ou personne publicque, avec luy, deux ou pluseurs tesmoings ydoines ... et si autrement sont faictz !es dictz testamens, codicilles, et ordonnances, ilz sont nullevaleuren ce qui excede cent soJz39. " 40 (Alle Testamente, Kodizille und letztwilligen Verfügungen, die den Wert von einhundert Sol übersteigen, müssen von den Testatoren, die das nötige Alter, den Sinn, den Verstand und die Testierfähigkeit haben, vor oder in Anwesenheit von zwei Notaren oder einem Amtsträger und zusätzlich zu diesem zwei oder mehreren Zeugen gemacht, aufgesetzt und anerkannt werden .. . und wenn die genannten Testamente, Kodizille oder Verfügungen anders gemacht werden, sind sie insoweit nichtig, als sie einhundert Sol übersteigen.) Die Kompliziertheit des Freiteilsrechts und die damit zusammenhängenden recht unterschiedlichen Anforderungen an die Testamentsformen führten dazu, daß während der Zeit, in der sich die Testamentsformen erst herausbildeten, und in der kein geschriebenes Recht vorhanden war, eine große Rechtsunsicherheit bestand. Die Testatoren waren sich nie sicher, ob ihr Testament als gültig anerkannt werden würde . Dies kommt auch in dem Testament des Jean de Neuilly-Saint-Front von 1402 zum Ausdruck. " ... je fais et ordonne mon testament present que je vueil valoir ordonnance de derniere volonte, par Ia meuilleur mainere qu'il se peut faire et doit valoir ... " 4 1. ( ... ich mache mein vorliegendes Testament und verfüge darin, wobei ich wünsche, daß es auf die bestmögliche Art als letztwillige Verfügung gelte, und daß es gültig sei ... ) 38 Bourdot de Richebourg, Bd. 4, S. 188. 39 Altfranzösische Goldmünze mit Abbildung der Sonne. 40 Stern, S.45f. m.w.N. 41 Tuetey, S. 304, 319.
II. Entstehung des eigenhändigen Testaments im droit coutumier
37
Der Testator hat sein Testament also nicht mit dem Wissen eigenhändig errichtet, damit eine bestimmte Form zu erfüllen, sondern allein in der Hoffnung, das Testament möge nach irgendeiner Bestimmung gültig sein 42 . Während in den Gebieten, die dem Testament geringe Bedeutung zumaßen und daher sogar allographe, d. h. nicht vom Testator selbst geschriebene Testamente kannten43, das eigenhändige Testament selbstverständlich war, mußte sich diese Form in den anderen Gebieten erst bewähren, um mit der Zeit anerkannt zu werden. Die Tatsache, daß auch dort immer häufiger eigenhändige Testamente errichtet wurden, dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, daß die Testatoren einen großen Vorteil dieser Art der Testamentserrichtung erkannt hatten. Sie ermöglichte es ihnen, den Testamentsinhalt und sogar die Tatsache der Testamentserrichtung selbst geheimzuhalten. Daß insbesondere dieser Vorzug des eigenhändigen Testaments von Bedeutung war, zeigt t. 18 Art. 9 der Coutumes de Berry: "Que ou Je testateur voudra faire son testament, ou autre disposition de derniere volonte secrette, et ne voudra Je contenu en icelle estre connu jusques apres sa mort, l'ecrira de sa main . .. " 44 • (Dann, wenn der Testator sein Testament oder eine andere letztwillige Verfügung errichten will und nicht möchte, daß der Inhalt vor seinem Tod bekannt wird, soll er sie mit seiner eigenen Hand schreiben ... )
Auch Fabert bezeichnete in seinen Remarques sur !es coutumes generales du Duche de Lorraine die Form des eigenhändigen Testaments gerade deshalb als die beste, weil sie die geheimste und am wenigsten den Gefahren der Beeinflussung und Fälschung ausgesetzte Form sei45. Nachdem eigenhändige Testamente in immer größerer Zahl errichtet wurden, mußten auch die Vollstreckungsgerichte sich eingehend mit der Frage der Gültigkeit einer solchen Form befassen. Diese konnten sich den Vorzügen des eigenhändigen Testaments auf die Dauer nicht entziehen. Daß die Gerichte die Vorzüge und die Nachteile des eigenhändigen Testaments sorgfältig abgewogen haben, lassen noch die Ausführungen einiger Coutumes zum eigenhändigen Testament erkennen. So wurde vielerorts nicht sofort ganz auf die Beiziehung von Zeugen bei der Testamentserrichtung verzichtet, sondern dem Testator wurde nur unter der Bedingung gestattet, das Testament eigenhändig niederzuschreiben, daß die Zeugen oder ein Notar das Testament zumindest auf der Rückseite unterschrieben 46. Dies ermöglichte es dem Testator wenigstens den Testamentsinhalt geheim zu halten. Einem ernsthaften Nachteil des eigenhändigen Stern, S. 41. vgl. dazu Seidel, S. 36ff. 44 De Ia Thaumassiere, Nouveaux Commentaires, zit. nach Stern, S. 35. 45 Fabert, Remarques, S. 306. 46 Stern, S. 35, unter Hinweis auf die erste Kodifikation der Coutumes de Bourgogne von 1459, Art. 66; ähnlich auch Coutumes de Bourbourg, Rubrique XIX Art.l VI; Coutumes de Bayonne, Titre XI Art. 4. 42
43
38
2. Kap.: Die Entstehung des eigenhändigen Testaments
Testaments versuchte Art. 574 der Coutumes de Bretagne von 1539 zu begegnen: "Si le testament est fait durant Ia sante du testateur et au paravant Ia maladie dont il decede, il suffira et fera foy, s'il est escrit et signe de luy . . . "47. (Wenn das Testament errichtet worden ist, solange der Testator gesund war und vor Beginn der Krankheit, an der er gestorben ist, reicht es und hat auch Gültigkeit, falls es von ihm selbst geschrieben und unterzeichnet ist . .. )
Errichtete der Testator sein Testament dagegen erst während seiner Krankheit, so mußten ein Notar und zwei Zeugen hinzugezogen werden. Dadurch, daß ein eigenhändiges Testament vom Testator nur vor Beginn der Krankheit, an der er schließlich gestorben ist, errichtet werden durfte, versuchte man sicherzustellen, daß der Testator bei der Errichtung noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, die letztwillige Verfügung wirklich seinem wahren Willen entsprach und nicht durch Beeinflussung in der Todesstunde zustande gekommen war. Mit der Zeit nahm man von dem Erfordernis der Beiziehung von Zeugen bei der Testamentserrichtung ganz Abstand, wenn das Testament eigenhändig errichtet worden war48. Einige Coutumes erklärten deshalb noch ausdrücklich, daß in diesem Falle Zeugen nicht notwendig seien. So lautete z. B. Titre XI Art. 4 der Coutumes de Bayonne: "Testament escript de Ia main du testateur, pose qu'il n'y ait aucun tesmoin . . . " 49. (Gesetzt den Fall, das Testament ist von der Hand des Testators geschrieben, so bedarf es keines Zeugen ... )
Die Vorzüge des eigenhändigen Testaments, insbesondere auch gegenüber dem Zeugentestament, und die Tatsache, daß die Testatoren diese Testamentsform immer wieder wählten, haben somit zur Anerkennung des eigenhändigen Testaments geführt. Wenn diese Ansicht, daß das eigenhändige Testament der Coutumes sich gewohnheitsrechtlich allmählich entwickelt hat, sich auch nur auf die Coutumes und die allgemeine Entwicklung des Erbrechts in der dunklen Zeit stützen kann, so liegt ihre Stärke doch gerade darin, daß sie allein den unterschiedlichen Regelungen des eigenhändigen Testaments in den Coutumes gerecht wird50.
47 Bourdot de Richebourg, Bd. 4, S. 322; ähnlich Art. 422 der Coutume de Normandie, Bourdot de Richebourg, Bd. 4, S. 81. 48 Regnault, Les ordonnances, S. 106 FN 5. 49 Bourdot de Richebourg, Bd. 4, S. 954; weitere Nachweise bei Seidel, S. 42 FN 54, Stern, S. 36f. so Stern, S. 49.
3. Kapitel
Das eigenhändige Testament des französischen Rechts I. Die Form des eigenhändigen Testaments in den Coutumes Das eigenhändige Testament der Coutumes mußte, um wirksam zu sein, regelmäßig vom Testator selbst niedergeschrieben und unterschrieben werden. So bestimmte schon die ältere Coutume de Paris von 1510 in Art. 96: " ... il est requis qu'il (Je testament) soit escrit et signe de Ia main et seing manuel du testateur .. . "' ·
( . . . es ist notwendig, daß es (das Testament) von der Hand des Testators geschrieben und unterschrieben und mit dessen Handzeichen versehen ist ... )
Die reformierte Coutume de Paris von 1580 enthielt in Art. 289 folgende Regelung: "Pour reputer un testament solenne!, est requis qu'il soit escrit et signe du testateur. "2 (Damit ein Testament für formwirksam gehalten werden kann, ist erforderlich, daß es vom Testator geschrieben und unterzeichnet ist.)
Der Wortlaut der Coutume de Paris wird hier stellvertretend für die anderen Coutumes, die das eigenhändige Testament geregelt haben3, wiedergegeben. Die Coutume de Paris nahm unter den Coutumes eine herausragende Stellung ein. Sie war der Ausgangspunkt für alle Versuche einer Rechtsvereinheitlichung. Bei der Überarbeitung der Coutumes in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fand sie unmittelbar Eingang in viele dieser Rechtsquellen. Außerdem galt die Coutume de Paris als subsidiäres Recht im ganzen Gebiet des droit coutumier4. So wurde auch in den Gebieten, die das eigenhändige Testament nicht ausdrücklich zuließen, von dieser Form auf der Basis der Bourdot de Richebourg, Bd. 3, S. 7. Bourdot de Richebourg, Bd. 3, S. 50. 3 so u. a. Calais 1583 Art. 80, Bourdot de Richebourg, Bd. 1, S. 7; Amiens 1567 Art. 55, Bourdot de Richebourg, Bd. 1, S. 173; Poitou 1514 Art. 206, Bourdot de Richebourg, Bd. 4, S. 759; Normandie 1583 Art. 413, Bourdot de Richebourg, Bd. 4, S. 81; Nivernois 1534 Cap. XXXIII Art.13, Coquille, S. 421; weitere Angaben bei Seidel S. 40f. FN 48, 49. 4 Parlement de Paris, Urteil v. 5. 4. 1627 bezügl. der Coutume de Valois, Journal du Palais, Tome 1 (1701), S. 203ff.; Olivier- Martin, La Coutume, S. 19; Gudian, in: HRG Bd. 1, Sp. 641, 647. I
2
40
3. Kap.: Das eigenhändige Testament des französischen Rechts
Coutume de Paris als dem "vrai droit commun coutumier"S Gebrauch gemacht. Ricard führte diesbezüglich in seinem Traite des donations et testaments von 1685 aus: "Les testaments holographes ont Iieu non seulement dans les Coutumes qui n'en parlent pas, mais ils sont mesme admis de celles qui ne sont pas directement contraires et qui ne les rejettent pas expresserneut ainsi qu'il a este juge par Arrest, donne en I'Audience de Ia Chambre de I'Edit Je 30 Avril1625 dans Ia Coutume d'Angoulesme en laquelle combien que par l'art. 112 il soit dit que "avant qu'un testament soit repute bon et valable il faut qu'il soit ecrit et signe en presence de deux temoins", il n'a point laisse d'estre juge qu'un testament holographe sansaueuns ternoins y estoit valable. La Cour jugeaut par cet Arrest que Ia Coutume parlant d'un testament ecrit et signe en presence de deux temoins, n'avoit point compris !es testaments purement holographes et ainsi que ne !es ayant pas rejeter, ils devoient avoir lieu suivant notre droit commun. "6 (Eigenhändige Testamente sind nicht nur nach den Coutumes zulässig, die sie erwähnen, sondern sie werden auch von denen zugelassen, die nicht direkt dagegen sind und sie nicht ausdrücklich zurückweisen, wie durch Urteil vom 30. April 1625 zur Coutume von Angouleme ausgesprochen wurde, in der insoweit in Art. 112 gesagt wird, daß , "bevor ein Testament für gut und gültig gehalten werden kann, es in Gegenwart von zwei Zeugen geschrieben und unterzeichnet worden sein muß"; und trotzdem ist geurteilt worden, daß ein eigenhändiges Testament ohne Beiziehung von Zeugen dort gültig sei. Der Gerichtshof befand in diesem Urteil, daß die Coutume, indem sie von einem in Gegenwart von zwei Zeugen geschriebenen Testament spreche, die vollkommen eigenhändig geschriebenen Testamente nicht einbeziehe und somit diese auch nicht zurückweise und sie deshalb nach unserem Gewohnheitsrecht zulässig sein müßten.)
So fand das eigenhändige Testament schnell immer weitere Verbreitung.? Die Coutume der Stadt Metz von 1677 verlangte in Art. VIII,2 als einzige neben der eigenhändigen Niederschrift und Unterschrift auch die Datierung des eigenhändigen Testaments. Dabei war unter Datierung die Angabe des Tages, Monats und Jahres der Testamentserrichtung zu verstehens. In den übrigen Gebieten, deren Coutumes keine Datierung des eigenhändigen Testaments vorschrieben, wurde die Frage der Notwendigkeit der Datierung mit der Zeit Gegenstand einer lebhaften Diskussion in Rechtsprechung und Wissenschaft9. Das Datum erwies sich insbesondere als wertvoller Anhaltspunkt für die Testierfähigkeit des Testators zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Dieser Streit führte zu einer erneuten allgemeinen Verunsicherung über die Formerfordernisse des eigenhändigen Testaments. s Regnault, S. 106. 6 Ricard, Traite, Bd. 1, No. 1491 ; vgl. auch das Urteil des Parierneut de Metz v. 12. 9. 1730 zur Coutume de Thionville, zit. bei Regnault, S. 106f. 7 Regnault, S. 106. B Bourdot de Richebourg, Bd. 2, S. 402. 9 Troplong, Des Donations, Bd. 2, S. 21, No. 1479.
Il. Die Ordonnancen zum Testamentsrecht
41
Das eigenhändige Testament der Coutumes war keine bloße Beweisform, sondern auch ein solenner Akt. Dies zeigt deutlich ein Urteil des Parlement du Besan~on vom Oktober 1599, welches ein eigenhändiges Testament für nichtig erklärte, das der Testator bei Tisch errichtet hatte. Die Unwirksamkeit des Testaments wurde damit begründet, daß man nicht "inter pocula" testiereto.
II. Die Ordonnancen zum Testamentsrecht Seit dem 16. Jahrhundert nahm in Frankreich das zunehmend erstarkende Königtum durch zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die sog. Ordonnancen, auf die Rechtsordnung Einfluß. Diese Ordonnancen dienten der Feststellung und Fortbildung des geltenden Rechtsll. Auch das eigenhändige Testament war zweimal Gegenstand einer solchen Ordonnance. 1. Code Michaud von 1629
Im Januar 1629 erließ Ludwig XIII. durch seinen Justizminister Marillac die Ordonnance sur les plaintes des etats assembles a Parisen 1614 et de l'assemblee des notables reunis a Rouen et a Paris en 1617 et 1626, genannt "Code Michaud". Art. 126 dieser Ordonnance lautete: "Les testaments appellez holographes, ecrits et signes de Ia main du testateur, seront valables par tout notre royaume, sans qu'il soit besoin de plus grande solemnite "12 , 0
0
0
(Die als holographisch bezeichneten Testamente, die von der Hand des Testators geschrieben und unterzeichnet sind, sollen in Zukunft in unserem ganzen Königreich gültig sein, ohne daß es einer weiteren Solennität bedarf . .. )
Danach mußte ein eigenhändiges Testament vom Testator ganz eigenhändig niedergeschrieben und unterzeichnet werden. Durch diese Ordonnance sollte das eigenhändige Testament auch im Bereich des droit ecrit Geltung erhalten. Die Einführung des eigenhändigen Testaments durch den Code Michaud im Bereich des droit ecrit ist jedoch am Widerstand der dortigen Parlamente gescheitertB. Das Parlement de Toulouse modifizierte Art. 126 der Ordonnance dahingehend, daß in seinem Zuständigkeitsbereich eigenhändige Testamente auch weiterhin nur dann gültig seien, wenn es sich um testamenta parentis inter Iiberos handele14 • Diesem Regnault, S. 40 m.w.N. Wilhelm , Gesetzgebung, lus Commune Bd. 1, S. 241, 252; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 340; Schlosser, S. 86. 12 Code Michaud, in: lsambert, Recueil general, Bd. 16, S. 223, 263 . 13 Demolombe, Cours de Code Civil, Bd. 10, S. 268; Breitschmid, S. 13; Torres, S.127. 14 Furgole, Traite, S. 60 Nr. 19; Stern, S. 54. 10
11
42
3. Kap.: Das eigenhändige Testament des französischen Rechts
Beispiel folgten die Parlements de Grenoble, Bordeaux und d'Aixts. Das Parlement de Midi weigerte sich ebenfalls, Art. 126 der Ordonnance anzuerkennent6. Selbst das Parlement de Paris hielt sich an diese Ordonnance nur für insoweit gebunden, als deren Regelungen nicht der bisherigen Rechtsprechung dieses Gerichtshofes widersprachen 17 • Nur das Parlement de Dijon übernahm Art. 126 der Ordonnance für seinen Zuständigkeitsbereich ohne Veränderungents. Der Kanzler Ludwigs XV., Henri-Fran~ois D'Aguesseau, hat in einem Brief vom 11. Februar 1737 das Scheitern der Einführung des eigenhändigen Testaments im Bereich des droit ecrit wie folgt gedeutet und gebilligt: "Le caractere des testaments, qui sont regardes dans ce droit comme une espece de loi et qui par consequent doivent en avoir Ia solemnite; Je pouvoir indefini du Testateur, qui n'est restraint par rapport a aucune espece de biens; Ia faiblesse de rage, dans lequelles loix Romairres permettent d'user d'un si grand pouvoir et Ia facilite de faire ecrire a un enfant de 12 ans ou de 14 ans un testament dont sa famille n'aurait aucune conoissance; Ia crainte qu'un mari n'use de son autorite sur sa femme pour lui dicter une disposition en sa faveur; Je danger des surprises que l'on pourroit faire a un testateur affoibli par l'äge ou par Ia maladie, pour lui faire changer par une seule ligne ecrite de sa main ce qu'il auroit ordonne avec Je plus de solemnite et de reflexion: enfin l'incertitude de Ia date d'une ecriture prive; sous autant de motifs importans pour ne rien Changer dans Jes formes du droit ecrit a cet egard, Oll du moins autant d'incoveniens auxquels il faudroit, ehereher des remedes, si l'on pensoit a introduire en generalla forme du testament olographe dans !es pays de droit ecrit. "19 (Die Eigenart der Testamente, die in diesem Recht als eine Art Gesetz betrachtet werden und folglich feierlich sein müssen; die unbeschränkte Macht des Testators, die auf keine Art von Gütern beschränkt ist; das jugendliche Alter, in dem die römischen Gesetze es erlauben, eine so große Macht auszuüben, und die Möglichkeit, daß ein Kind von 12 oder 14 Jahren ein Testament errichten könnte, von dem niemand Kenntnis hätte; die Befürchtung, daß ein Gatte seine Autorität gegenüber seiner Frau dazu nutzt, um ihr eine Verfügung zu seinen Gunsten zu diktieren; die Gefahr von Überlistungen, durch die man einen von Alter oder Krankheit geschwächten Testator dazu bringen könnte, daß er durch eine einzige von seiner Hand geschriebene Zeile abändert, was er mit größter Feierlichkeit und Bedachtheit verfügt hatte: und schließlich die Unsicherheit des Errichtungsdatums einer privaten Urkunde; bei sovielen wichtigen Gründen, die dafür sprechen, diesbezüglich nichts an den Formen des droit ecrit zu ändern, oder zumindest bei den damit verbundenen Nachteilen, müßte man erst Lösungen suchen, wenn man daran dächte, allgemein die Form des holographischen Testaments in den Ländern des droit ecrit einzuführen.)
1s Merlin, Repertoire, Bd. 34, S.101f. m.w.N. Colin I Capitant, Cours elementaire, Bd. 3, S. 910.
16
17 Merlin, Bd. 34, S. 101; vgl. auch die Urteile bei Denisart, Collection, Bd. 4, S. 690; de Ferriere, Dictionnaire, Teil2, S. 1027. 18 Merlin, Bd. 34, S. 101. 19 D'Aguesseau, CEuvres, Bd. 9, S. 448ff., zit. nach Stern, S. 56f.
II. Die Ordonnancen zum Testamentsrecht
43
2. Die Ordonnance von 1735 Unter dem Kanzler D'Aguesseau wurde im August 1735 eine Ordonnance erlassen, die das Testamentsrecht umfassend regelte. In dieser "Ordonnance concernant les testaments" wurde auf die Einführung des eigenhändigen Testaments im Bereich des droit ecrit ausdrücklich verzichtet. Ihrem Vorwort zufolge diente sie nicht der Veränderung, sondern der Festschreibung des geltenden Rechts2o. Hinsichtlich des eigenhändigen Testaments enthielt Art. 19 der Ordonnance folgende Regelung: "L'usage des testaments, codiciles et autres dernieres dispositions olographes, continuera d'avoir lieu dans Ies pays et dans les cas ou ils ont ete admis jusqu'a present"21 • (Der Gebrauch eigenhändiger Testamente, Kodizille und anderer letztwilliger Verfügungen wird in den Ländern und in den Fällen, in denen er bisher erlaubt war, weiterhin zulässig sein.) Diese Ordonnance war für die weitere Entwicklung des eigenhändigen Testaments trotzdem von großer Bedeutung. Da das eigenhändige Testament sich in den verschiedenen Regionen unterschiedlich entwickelt hatte , legte Art. 20 der Ordonnance die Formerfordernisse des eigenhändigen Testaments für alle Regionen, die ein eigenhändiges Testament kannten, verbindlich fest. "Les testaments, codiciles et dispositions mentionnees dans l'article precedent, seront entierement ecrits, dates et signes de Ia main de celui ou celle qui Ies aura faits. " 22 (Die im vorhergehenden Artikel erwähnten Testamente, Kodizille und Verfügungen sollen ganz von der Hand desjenigen oder derjenigen geschrieben, datiert und unterzeichnet sein, der bzw. die sie errichtet hat.) Danach mußte das Testament vom Testator eigenhändig niedergeschrieben, unterschrieben und datiert werden. Datierung bedeutete nach Art. 38 der Ordonnance die Angabe von Tag, Monat und Jahr. Der Ort der Errichtung brauchte nicht genannt werden23. Durch die Einführung des Erfordernisses der Datierung des eigenhändigen Testaments wurde eine alte Streitfrage24 entschieden und die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt. Das Datum sollte eine Gewähr für die Echtheit des Testaments und die Testierfähigkeit des Testators bieten25. Dieses gesteigerte Bedürfnis nach Sicherheit kommt auch darin zum Ausdruck , daß nach Art. 3 der Ordonannce Testamente in Briefform nicht zulässig waren26. Art. 3 der Ordonnance lautete:
zo Ordonnance, in: lsambert, Bd. 21, S. 386, 387f. Ordonnance, Bd. 21, S. 391. 22 Ordonnance, Bd. 21, S. 391. 23 Brock, S. 55; Seidel, S. 48 FN 6. 24 vgl. 3. Kapitell. 25 Mahrt, S. 16; Breitschmid, S. 14. 21
44
3. Kap.: Das eigenhändige Testament des französischen Rechts "Voulons aussi que !es dispositions qui seroient faites par Jettres missives, soient regardees comme null es et de nul effet. "27 (Wir wollen auch, daß die Verfügungen, die in Briefform errichtet werden, als null und nichtig angesehen werden.)
111. Der Code Civil 1. Die Periode des Droit Intermediaire
Die französische Revolution führte in ihrer frühen radikalen Phase zu einer tiefgreifenden Umgestaltung des Erbrechts. Die Testierfreiheit wurde überwiegend als unvereinbar mit den Ideen der Revolution empfunden. Sie wurde als eine Ursache für die Akkumulation großer Vermögensmassen in den Händen weniger angesehen und widersprach daher den Forderungen nach der Gleichheit aller Bürger und einer gleichmäßigen Verteilung des Vermögens. Durch Konventionen vom 7. März 1793 und 6. Januar 1794 wurde deshalb rückwirkend zum 14. Juli 1789 die weitgehende Abschaffung der Testierfreiheit beschlossen28. Von diesem revolutionärem Geist sind auch die Erbrechtsvorschriften der drei Entwürfe zu einem französischen Zivilgesetzbuch von Cambaceres geprägt. Die Entwürfe aus den Jahren 1793 bis 1799, die vom Nationalkonvent nicht gebilligt wurden, kannten keine Testamente. Art. 538 des 3. Entwurfs betonte ausdrücklich: "Les testamens et codicilles sont abolis." (Testamente und Kodizille sind abgeschafft.)
Nach den Entwürfen sollten nur in sehr beschränktem Umfang Schenkungen auf den Todesfall möglich sein. Hierfür sahen die Entwürfe eigenhändige Errichtung der Schenkungsurkunde und Hinterlegung der Urkunde beim Notar oder Friedensrichter vor29. Erst der Entwurf Jacqueminots aus dem Jahr 1799 sah in Art. 71 wieder ein Testament vor3o. Am 25. März 1800 wurde das Testierrecht wieder in größerem Umfange hergestellt und endgültig im Code Napoleon geregelt. Die Periode des droit intermediaire hat die Entwicklung des eigenhändigen Testaments nur vorübergehend unterbrochen, ohne für diese von bleibender Bedeutung gewesen zu sein. 26 Stern, S. 60; die Rechtsprechung zum Code Civil hat Testamente in Briefform wieder zugelassen, vgl. Colin I Capitant, Bd. 3, S. 912. 27 Ordonnance, Bd. 21 , S. 388. 28 Stern, S. 62f.; Leiser, Code Civil, in: HRG Bd. 1, Sp. 619, 620. 29 Fenet, Recueil complet, Bd. I, S. 52 (Buch 1 Tit. 3 Art. 32 des 1. Entwurfs), S. 120 (Art. 104 des 2. Entwurfs), S. 263 (Art. 575 des 3. Entwurfs) . 30 Fenet, Bd. 1, S. 380.
III. Der Code Civil
45
2. Die Entstehung des Code Civil Napoleon31 setzte im August 1800 eine aus vier hohen Magistraten bestehende Kommission zur Ausarbeitung eines einheitlichen französischen Zivilgesetzbuches ein. Diese beschloß in ihren Vorberatungen, die Testierfreiheit wieder herzustellen. Sie forderte aber, daß das Recht zu testieren genau geregelt und gewissen Schranken unterworfen werden müsse32, Dementsprechend hat der Code Civil eine Erbeinsetzung durch Testament nicht zugelassen. Das französische Recht kennt im Anschluß an das droit coutumier nur das Legatentestament. Auch wenn der Erblasser über die Gesamtheit seiner Güter oder Quoten derselben verfügt, wird dies als Vermächtnis angesehen33. Der erste Entwurf des Code Civil, den die Kommission bereits nach vier Monaten vorlegte, sah in Kapitel V, Teil1, Art. 69 ein Privattestament vor. "La donation par testament peut etre faite par acte public vee. "34
OU SOUS
signature pri-
(Die Schenkung durch Testament kann in öffentlicher Form oder privatschriftlich erfolgen.)
Dazu führte Art. 71 aus: "La donation SOUS signature privee doit etre ecrite en entier, datee et signee de Ia main du donateur. "35 (Die Schenkung in privatschriftlicher Form muß von der Hand des Zuwendenden ganz geschrieben, datiert und unterzeichnet sein.)
Die eigenhändige Niederschrift, Datierung und Unterschrift sollte nach dem Entwurf jedoch nicht ausreichen. Vielmehr mußte der Testator das Testament zusätzlich, offen oder verschlossen, einem Notar in Anwesenheit eines weiteren Notars oder zweier Zeugen vorlegen und erklären, daß dies sein letzter Wille sei. Diese Erklärung des Erblassers war von dem bzw. den Notaren durch einen entsprechenden Vermerk auf dem Testament selbst oder auf dessen Umschlag zu bestätigen. Eine Hinterlegung des Testaments bei dem Notar sollte möglich, aber nicht notwendig sein. Der Entwurf zum Code Civil sah somit ein eigenhändiges Testament im eigentlichen Sinne nicht vor. Die Vertreter des droit ecrit hatten seine Aufnahme in den Code Civil abgelehnt. Das Privattestament des Entwurfs war ein Kompromiß zwischen dem droit ecrit und dem droit coutumier. Durch die Möglichkeit, dem Notar das Testament verschlossen vorzulegen, sollte der 31 Zum Einfluß Napoleons auf den Code Civil vgl. Theewen, Napoleons Anteil am Code Civil. 32 Fenet, Bd. 1, S. 520f. 33 Coing, Europäisches Privatrecht li, S. 600, 609, 611 . 34 Fenet, Bd. 2, S. 286. 35 Fenet, Bd. 2, S. 286.
46
3. Kap.: Das eigenhändige Testament des französischen Rechts
größte Vorteil des eigenhändigen Testaments, den Testamentsinhalt geheim halten zu können, gewahrt bleiben. Die zusätzlichen Erfordernisse der Vorlage des Testaments durch den Testator selbst beim Notar und der notariellen Bestätigung sollten die Testierfähigkeit des Testators und die Echtheit des Testaments besser sicherstellen. Damit wurde jedoch gleichzeitig ein weiterer entscheidender Vorzug des eigenhändigen Testaments aufgegeben. Das Privattestament des Entwurfs ermöglichte es dem Testator nicht, seinen Willen jederzeit wieder alleine abzuändern. Die Gerichte, denen dieser Entwurf zur Stellungnahme übersandt wurde, haben zum Privattestament keine Anmerkungen gemacht. In der Sitzung des Conseil d'Etat vom 10. 3. 1803 präsentierte Bigot-Preameneu, Mitglied der Kommission zur Schaffung des Code Civil, den Entwurf des Kapitels "Des Dispositions testamentaires", der eine Regelung des eigenhändigen Testaments als ordentliche Testamentsform enthielt. Nach Art. 67 dieses Entwurfs konnte ein Testament privatschriftlich errichtet werden. Dies konkretisierte Art. 83 wie folgt: "Un testament pourra, dans toute circonstance, etre fait SOUS signature privee; il devra etre ecrit en entier, date et signe de la main du testateur. "36 (Ein Testament kann unter allen Umständen privatschriftlich errichtet werden; es muß von der Hand des Testators ganz geschrieben, datiert und unterzeichnet sein.)
Der Staatsrat beschloß in der Sitzung, das eigenhändige Testament grundsätzlich in den Code Civil aufzunehmen37 • In der Sitzung vom 17. März 1803 wies Tronchet jedoch darauf hin, daß die Verpflichtung, das eigenhändige Testament einem Notar vorzulegen, wohl versehentlich vergessen worden sei38. Die endgültige Aufnahme des eigenhändigen Testaments in den Code Civil wurde in der Sitzung des Conseil d'Etat vom 24. 3. 1803 beschlossen. Art. 81 und 82 lauteten: "Un testament pourra etre olographe, ou fait par acte public, ou dans Ia forme mystique." (Ein Testament kann eigenhändig, öffentlich oder in der Form des mystischen Testaments errichtet werden.) "Le testament olographe ne sera point valable s'il n'est ecrit en entier, date et signe de Ia main du testateur: il n'est assujeti a aucune autre forme ." 39 (Das eigenhändige Testament ist nur gültig, wenn es von der Hand des Testators ganz geschrieben, datiert und unterzeichnet ist; es ist keiner weiteren Förmlichkeit unterworfen.) 36 37
38
39
Fenet, Fenet, Fenet, Fenet,
Bd. 12, S. 376ff. , 379. Bd. 12, S. 380. Bd. 12, S. 383. Bd. 12, S. 427.
III. Der Code Civil
47
In dieser Fassung fand die Vorschrift als Art. 969 und 970 in den Code Civil Eingang. Die Regelung knüpfte an die Ordonnance von 1735 an und erforderte ebenso wie diese eigenhändige Niederschrift, Datierung und Unterschrift des Testaments. Das Datum mußte den Tag, den Monat und das Jahr der Errichtung benennen. Die Angabe des Errichtungsortes war nicht notwendig. Durch den Code Civil erlangte das eigenhändige Testament als ordentliche Testamentsform auch Geltung im ehemaligen Bereich des droit ecrit. Die Aufnahme des eigenhändigen Testaments in den Code Civil wurde in den Motiven als durch die Vernunft geboten und im Interesse der Bürger bezeichnet. Diese Form, so führten sie aus, sei die sicherste Art, dem wahren Willen des Testators Geltung zu verschaffen, und nur zu diesem Zwecke dürften Formerfordernisse überhaupt aufgestellt werden. "Quel acte peut rendre plus surement l'expression libre de Ia volonte du testateur, que celui qui est ecrit en entier, date et signe de sa main?"40 (Welche Form kann besser die Freiheit der Willensäußerung des Testators sicherstellen, als diejenige, die erfordert, daß die Urkunde ganz von seiner Hand geschrieben, datiert und unterzeichnet ist?)
Willensauthentizität war somit das oberste Ziel. Die Literatur über das französische Recht beurteilte die Aufnahme des holographischen Testaments in den Code Civil durchweg positiv. Als Vorteil wurden immer wieder die einfache Form, die Möglichkeit, Errichtung und Inhalt des Testaments geheimzuhalten, und die leichte Abänderbarkeit des Testaments im Bedarfsfall genannt. Die Gefahr, daß das Testament unterdrückt oder verfälscht werden könnte, sah man demgegenüber als gering an, da der Testator bei solchen Befürchtungen das Testament öffentlich hinterlegen konnte4t. Wenn auch die Einfachheit der Form des eigenhändigen Testaments immer wieder gepriesen wurde, so waren Formverstöße, die nach Art. 1001 CC zwingend die Nichtigkeit des Testaments zufolge hatten, dennoch keine Seltenheit. Diese Vorschrift wurde von der Rechtsprechung auch streng gehandhabt. Probleme bereitete insbesondere die ordnungsgemäße Datierung des eigenhändigen Testaments. Nach der Rechtsprechung führten sowohl unterlassene, unvollständige, ungenaue als auch (irrig) falsche Datumsangaben zur Nichtigkeit des Testaments42.
40 Motifs, Bd. 4, S. 350f. 41 Glasson, Elements, S. 488; Gousset, Code Civil, S.l73f.; Colin I Capitant, Bd. 3, S. 910; Demolombe, S. 270 No . 59. 42 Zur Rechtsprechung i. E. Co!in I Capitant, Bd. 3, S. 911 ff.
4. Kapitel
Das eigenhändige Testament in Deutschland im 19. Jahrhundert I. Die Ausgangssituation Weder das Gemeine Recht noch die verschiedenen deutschen Territorialrechte kannten zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein eigenhändiges Testament als ordentliche Testamentsform. Etwas anderes gilt nur für das Österreichische Recht, in dem das eigenhändige Testament eine eigene Entwicklung durchgemacht hat, die später noch dargelegt wird. Besonderheiten gelten auch für Schleswig, wo das eigenhändige Testament Mitte des 19. Jahrhunderts als ordentliche Testamentsform zugelassen wurde. Das ordentliche Privattestament des Gemeinen Rechts war das Siebenzeugentestament. Daneben konnten Testamente in ordentlicher Form vor allem vor Gericht oder vor einem Notar errichtet werden. Auch das Naturrecht hatte das eigenhändige Testament nicht gefördert. 1 Das Testament als Rechtsinstitut wurde von einigen Naturrechtlern aus der Verfügungsfreiheit des Eigentümers abgeleitet und damit als naturrechtlich gegeben betrachtet2, während andere es nur als naturrechtlich zulässig ansahen3. Hinsichtlich der Formen des Testaments führte Wolff in seinen "Institutiones juris naturae et gentium" aus: "testamentum naturaliter validum est, si quocunque modo constet hanc esse defuncti voluntatem, consequenter si eam coram testibus declaret, vel in scripturam redigat, aut ab alio in scripturam redactam subscribat. "4 (das Testament ist nach natürlichem Recht gültig, wenn nur auf irgendeine Weise feststeht, daß dies der letzte Wille des Verstorbenen ist, folglich wenn er ihn in Anwesenheit von Zeugen erklärt oder ihn schriftlich abfaßt oder von einem anderen schriftlich abfassen läßt und unterschreibt.)
1 Zur naturrechtliehen Begründung der Testierfreiheit Klippe!, Familie versus Eigentum, SZGerm 100 (1984), 117ff. 2 Grotius, De jure belli ac pacis, 2, VI, § 14; Wolff, Institutiones juris naturae et gentium, 3, 1, V, §927. § 130J.ufendorf, De officio hominis et civis, 1, XII,§ 12; Höpfner, Naturrecht, 1, 1, IV,
4
Wolff, 3, 1, V, §932.
Il. Die Beschränkung auf das öffentliche Testament im ALR
49
Aus naturrechtlicher Sicht kam es somit nur darauf an, daß es sich um den wahren Willen des Erblassers handelte. Die Form des Testaments war gleichgültig. Das ius civile konnte aber Testamentsformen bestimmens.
II. Die Beschränkung auf das öffentliche Testament im Preußischen Allgemeinen Landrecht Das Preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794, die älteste der großen Naturrechtskodifikationen, kannte das eigenhändige Testament als ordentliche Testamentsform noch nicht. In seinem Geltungsbereich hatte diese Testamentsform nie Gültigkeit erlangt. Bei der Schaffung des ALR wurde eine Einführung des eigenhändigen Testaments als ordentliche Testamentsform daher gar nicht in Betracht gezogen. Ausgehend vom Fürsorgegedanken6 und in Anbetracht der guten Erfahrungen, die man in der Vergangenheit mit gerichtlichen Testamenten gemacht hatte7, sah das ALR in T. I, Tit. 12, § 66 allein gerichtliche Testamente als ordentliche Testamentsformen vor: "Jedes Testament oder Codicill muß in der Regel vom Testator selbst den Gerichten übergeben, oder zum gerichtlichen Protocolle erklärt werden."
Die Formvorschriften im einzelnen enthielten die§§ 100ff. Zur Begründung wurde angeführt, daß die Form bei Testamenten, wodurch jemand über seinen ganzen Nachlaß disponiere, zur Gewißheit des Willens noch notwendiger sei als bei Verträgen. Der verstorbene Testator könne Verfälschungen und Betrügereien ja nicht mehr aufdecken. Die Ermittlung des wahren Willens des Erblassers bis zum höchstmöglichen Grade der Gewißheit sei aber im Interesse der ganzen bürgerlichen GesellschaftS. Die Entscheidung allein zugunsten des gerichtlichen Testaments als ordentliche Testamentsform wurde in der Literatur zum ALR gebilligt. Als Nachteil dieser Form wurde zwar angeführt, daß sie möglicherweise die Testamentserrichtung erschwere und auch mit Kosten verbunden sei, was insbesondere wenig bemitteltere Leute träfe. Diese Nachteile seien jedoch hinzunehmen, da Gerichte überall leicht zu erreichen seien und für besondere Fälle außerordentliche Testamentsformen zur Verfügung stünden. Die gerichtliche Form sei am besten geeignet, alle Zweifel über die Persönlichkeit des Testators und die Identität des Testaments selbst zu beseitigen9.
s Grotius, 2, VI,§ 14; Pufendorf, 1, XII,§ 12. 6 Lange I Kuchinke, S. 277. 7 Suarez, Vorträge, S. 290. s Suarez, S. 290. 9 Koch, Das preußische Erbrecht, Bd. 1, S. 568; Crelinger, System, S. 57. 4 Beutgen
50
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert
Eigenhändige Errichtung sah das ALR nur in zwei Ausnahmefällen vor. In Anlehnung an das römische Recht konnte ein testamenturn parentum inter liberos 10 außergerichtlich errichtet werden. Es mußte zu seiner Gültigkeit eigenhändig niedergeschrieben und unterschrieben seinll. Datierung war nicht erforderlichl2. Weiterhin durften Verordnungen, worin Legate bis zum zwanzigsten Teil des Nachlasses bestimmt wurden, privatschriftlich getroffen werden. Sie bedurften zu ihrer Gültigkeit eigenhändiger Niederschrift, Unterschrift und Datierungl3.
111. Der Einfluß des Code Civil In Deutschland wurde das eigenhändige Testament erstmals durch den Code Civil eingeführt. Der Code Civil erlangte sofort mit seinem lokrafttreten im Jahre 1804 auf dem 1795 annektierten und 1801 vom Reich förmlich abgetretenen linken Rheinufer Geltung. Mit der weiteren Ausdehnung des französischen Kaiserreiches griff er bis 1810 auf weite nordwestdeutsche Bereiche über. 1814 wurde er rechts des Rheins mit Ausnahme des Gebiets des ehemaligen Herzogtums Berg wieder abgeschafft. Dort behielt er, ebenso wie in den linksrheinischen Gebieten des Deutschen Reichs, Rheinpreußen, Rheinhessen und Rheinbayern, seine Geltungl4 . In Baden wurde er durch das auf seiner Grundlage 1810 geschaffene Badische Landrecht ersetzt. Damit stand bis zum lokrafttreten des BGB am 1. 1. 1900 V6 des Reichsgebiets mit ca. 8 Millionen Einwohnern unter französischem Recht ts. 1. Französisches Recht in Deutschland
Das Handbuch des französischen Civilrechts von Zachariä von Lingenthal begründete in Deutschland eine selbständige Wissenschaft des französischen Rechts 16. In dem Handbuch wurde das eigenhändige Testament "als eine bedeutende Erweiterung der bürgerlichen Freyheit von unschätzbarem Werthe" bezeichnet 17 • Ähnlich äußerte sich Grebel1813 in seinem Werk über das eigenhändige Testament. 10 Zu der Streitfrage, ob es sich dabei um ein wirkliches Testament oder eine bloße Teilungsanordnung handelte: RGZ 26,327, 331f.; Dernburg, Lehrbuch , S. 325ff.; Förster I Eccius, Theorie , S. 362f. ; Crelinger, S. 78. 11 T . Il, Tit. 2, § 380 ALR. 12 Dernburg, S. 326. 13 T. I, Tit. 12, §§ 161, 162 ALR. 14 Wieacker, S. 342; Leiser, HRG Bd. 1, Sp. 619, 621ff. 1s Leiser, HRG Bd. 1, Sp. 619, 624. 16 Leiser, HRG Bd. 1, Sp. 619, 624; Wieacker, S. 342. 17 Zachariä, Handbuch, Bd. 4, S. 193 FN 1; Zachariä I Crome, Handbuch, Bd. 4, S. 280 FN 1.
III. Der Einfluß des Code Civil
51
"Die Vortheile, welche die eigenhändigen Testamente darbieten, sind so manchfaltig, daß die Befugniß, welche der Codex Napoleon ertheilt, solche zu errichten, unter die vorzüglichsten Wohlthaten der neuen Gesetzgebung gezählt zu werden verdient."18
Als Vorzüge des eigenhändigen Testaments nannte er die Möglichkeit, den Testamentsinhalt und die Testamentserrichtung selbst geheimhalten zu können, die Möglichkeit, an jedem Ort und zu jeder Zeit ein Testament errichten zu können, die geringen Unkosten und die Einfachheit dieser Form19. Jedoch wurde das eigenhändige Testament von Seiten der Gelehrten auch kritisiert: "Die französische Gesetzgebung erfordert bey dem schriftlichen Testamente, wenn es der Testator nur selbst geschrieben und unterzeichnet hat, weiter keine anderen Förmlichkeiten. Wir finden dies aber über diesen wichtigen Act zu leicht hinweggegangen."20
Stabel wies in seinen "Institutionen des französischen Civilrechts" von 1871 darauf hin, daß trotz der Einfachheit der Form Verstöße gegen dieselbe keineswegs selten waren21 . 2. Das Badische Landrecht
Das Badische Landrecht von 1810 hat die Testamentsvorschriften des Code Civil übernommen. Es verlangte allerdings in Art. 970 neben der eigenhändigen Niederschrift, Unterschrift und Datierung des eigenhändigen Testaments auch noch die eigenhändige Angabe des Errichtungsortes. Dies wurde damit begründet, daß die Ortsangabe bei Streit über die Echtheit des Testaments ein wertvoller Anhaltspunkt sein könne. Dieses zusätzliche Formerfordernis stelle für den Testator nur eine unwesentliche Erschwernis dar22. 3. Die deutsche Rechtsprechung zum eigenhändigen Testament
Die Prozesse über eigenhändige Testamente im Geltungsbereich des Code Civil in Deutschland und des Badischen Landrechts betrafen zum größten Teil die Frage der ordnungsgemäßen Datierung der vorgelegten eigenhändigen Testamente. Die deutsche Rechtsprechung folgte der strengen französischen Rechtsprechung zu Art. 970 CC. Zu einer ordnungsgemäßen Datierung eines eigenhändigen Testamentes war danach die Angabe des Tages, des Monats und des Jahres erforderlich. Dies wurde aus Art. 38 der Ordonnance von 1735 geschlossen. Das Bezirks18 Grebel, Das eigenhändige Testament, S. lf. 19 Grebel, S. 2ff. 2o Bachern, Einleitung, S. 183. 21 Stabe!, Institutionen, S. 253f. 22 Brauer, Erläuterungen, Bd. 2, S. 398 .. 4*
52
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert
gerichtKaiserslauternerklärte dementsprechend mit Urteil vom 15. Juni 1871 ein Testament, das als Datierung die Angabe "in der wuche no weinachte 1870" enthielt, für nichtig, da das Datum zu ungenau sei. Das Urteil wurde durch das Appellationsgericht Zweibrücken mit Urteil vom 12. Dezember 1871 bestätigt23 . Als Gründe für die strengen Anforderungen an die Datierung nannten die Gerichte, daß das Datum zur Feststellung der Testierfähigkeit des Testators und zur Entscheidung, welches von mehreren Testamenten das letzte sei, von grundlegender Bedeutung sei24. Daher ließen die Gerichte auch eine Ergänzung des Datums aus Umständen, die außerhalb des Testaments lagen, nicht zu. Der Appellhof Köln erklärte mit Urteil vom 1. Dezember 1876 ein eigenhändiges Testament für nichtig, in dem eine Ehefrau ihren Gatten als Erben eingesetzt hatte und das als Datum die Angabe "Daubach, den 20. November" enthielt, obwohl die Erblasserin als Ehefrau nur einmal den 20. November erlebt hatte, und zwar den 20. November 187425. Das Datum durfte zudem nicht unrichtig sein 26. Falsche Datumsangaben führten, ebenso wie nach der französischen Rechtsprechung, in jedem Fall zur Nichtigkeit des eigenhändigen Testaments. Dagegen war eine unrichtige Angabe des Errichtungsortes, mit Ausnahme für den Geltungsbereich des Badischen Landrechts, unschädlich, da Art. 970 CC die Angabe des Errichtungsortes nicht verlangte27.
IV. Das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch In Österreich, das bis zum Jahre 1866 Mitglied des Deutschen Bundes war, trat 1812 das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) in Kraft. Nach dem Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund galt das ABGB in Deutschland nur noch in einigen Orten des bayerischen Oberfranken und der bayerischen Oberpfalz28. Das ABGB kannte als ordentliche Testamentsform, neben zahlreichen anderen Formen29, auch ein eigenhändiges Testament. Dieses eigenhändige Testament des Österreichischen Rechts hatte sich selbständig und unabhängig von dem eigenhändigen Testament des französischen Rechts entwickelt30. PucheltsZ Bd. 3 (1873), S. 84ff. PucheltsZ Bd. 3 (1873), S. 86. 25 PucheltsZ Bd. 9 (1878), S. 105ff. 26 OLG Karlsruhe, Urteil v. 2. März 1892, PucheltsZ Bd. 24 (1893) , S. 622. 27 Appellhof Köln, Urteil v. 9. Oktober 1874, PucheltsZ Bd. 6 (1875), S. 63 . 28 Es handelte sich um das Amt Redwitz und den Amtsgerichtsbezirk Waldsassen; vgl. Mugdan, Materialien, Bd. 1, S. 845. 29 § 577 ABGB lautete: "Man kann außergerichtlich oder gerichtlich, schriftlich oder mündlich, schriftlich aber mit oder ohne Zeugen testiren. " §§70f. NotO sahen daneben noch die notarielle Form vor. Einen guten Uberblick über die Testamentsformen des Österreichischen Rechts bietet die Tabelle bei Pfaff I Hofmannn, Commentar, Bd. 2, § 577 Anm . III, S. 138. 23
24
IV. Das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch
53
1. Die Entstehung des eigenhändigen Testaments in Österreich
a) Die frühesten bekannten Quellen Bereits im Mittelalter wurden in Wien Testamente, außer in den Formen der Siegelurkunde, mündlich vor dem Rate, in der Form des Notariatsinstruments, der Offizialurkunde und des kanonischen Rechts, auch eigenhändig errichtet31. In den Wiener Testamentenbüchern finden sich mehrere Testamente vom Beginn des 15. Jahrhunderts, die ausdrücklich erwähnen, daß sie eigenhändig errichtet wurden32 • Diese Testamente sind anstelle der Unterschrift mit dem Petschaft des Testators versehen . Ansonsten weisen sie eine einheitliche Form nicht auf. Dies ist jedoch nicht verwunderlich, da eine Form für die Errichtung von Testamenten im mittelalterlichen Wien nicht gesetzlich vorgeschrieben war. Das eigenhändige Testament wurde in Wien erstmals durch die Stadtordnung Ferdinands I. vom 12. 3. 1526 geregelt. Dort hieß es unter dem Abschnitt "Mannspersonen testamentund geschäft": "Setzen und ordnen wir: welher ain geschäft33 tut und dasselb alles mit seiner aignen hand lauter schreibt, und von khainer andern geschrift ichtes hinzu gesetzt, und mit dem dato und jarzal begriffen ist, wo alsdann solcher geschäftiger3• dasselb, wo er ein aigen insigl hat, mit seinem sigl, oder wo er khain aigen sigl hat, mit seinem petschaftring verwaret, dass alsdann solch geschäft, sovil er zu verschaffen fueg gehabt, der zierlichait halben fuer kreftig geacht. "35
Danach bedurfte ein eigenhändiges Testament zu seiner Gültigkeit der eigenhändigen Niederschrift, Datierung und Beisetzung des Siegels bzw. Petschafts des Testators. Der Unterschied zwischen Siegel und Petschaft beruhte auf dem mittelalterlichen Ständerecht. Danach konnte ein Petschaft jedermann haben, während das sorgfältig verwahrte und größere, in der Regel mit Wappen und Namen seines Inhabers versehene Siegel nur einem "Siegelmäßigen" zukam36. 30 Seidel, S. 51. 3t Lentze, Wiener Testamentsrecht, SZGerm 69 (1952), S. 98, 117; Lentze hat die in dem Wiener Stadtarchiv liegenden unveröffentlichten "Geschäfts- und Testamentenbücher" aus den Jahren 1396 (bzw. 1395) bis 1430 ausgewertet. Diese Testamentenbücher werden im Folgenden nach Lentze zitiert, und zwar mit W.T.B. (d.h. Wiener Testamentenbücher) und der Band- und Folienzahl, wobei die Folienzählung auch dann verwandt wird, wenn sie durch Irrtümer, etwa das Überspringen von Folien bedingt ist. 32 W.T.B . Bd. li, 37 (anno 1406); W.T.B. Bd. II, 212 (anno 1416); W.T .B. Bd. III, 32ff. (anno 1419); W.T.B . Bd. III, 241f. (anno 1427, ausgest. 1423/5) . 33 Geschäft = Testament. 34 Geschäftiger = Testator. 35 Tomaschek, Die Rechte, Bd. 2, S. 131, 154. 36 Seidel, S. 52 FN 3.
54
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert
Seidel hält weiterhin die Unterschrift des Testators für erforderlich37 . Er schließt dies hauptsächlich aus dem weiteren Text der Wiener Stadtordnung, in dem es heißt: "Weiter welher eingeschäftmacht und schreiben kan und doch dasselb geschäft nit mit seiner aigen hand schreibet, sonder ainen andern schreiher bei seinem guten gesund schreiben lasset, so! er nichts minder das mit seiner aigen hand underschreiben und mit seinem insigl, so ferr er ains hat, wo nit, mit seinem petschaftring und darzu ainem zeug insigl oder zweien petschaten bewaren" .
Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß die Unterschrift des Testators ein zwingendes Formerfordernis des eigenhändigen Testaments war. Außer in Wien war das eigenhändige Testament auch in Ober- und Niederösterreich, der Steiermark sowie in Böhmen und Mähren in Übung. Dies läßt sich teils Gesetzen, teils den Aufzeichnungen maßgebender Rechtsgelehrter entnehmen. Die Oberösterreichische Landtafel bestimmte: "Wann jemand seintestamentund letzten Willen von Anfang biß zum End mit eigner Hand durchauß schreibet und mit seinem Tauff- und Zurrammen unterschreibt I also I daß darinnen kein frembde Schrifft eingemischt I und dann ferner solches mit seinem lnsigl oder Petschafft I es sey in- oder außwendig verfertigt I so ist solches Testament vermög uralten Landsgebrauch für kräfftig und zierlich zu halten I unracht eines andern erbettnen Neben-Zeugen I oder Mitfertigers Sigil I Petschafft I oder Unterschrifft nit darbey zu finden"38.
Für Niederösterreich belegen mehrere Stellen den Gebrauch des eigenhändigen Testaments im 16. Jahrhundert. Walthers führte in seinem Traktat über die Testamente aus: "Wan einer ein Testament und leBten Willen von Anfang bis zu Endt mit eigner Handt schreibt, also das darinnen kein frembde Schrift I eingemischt wierdt, sover er dann sollich Testament mit seinem Innsigel oder Petschaft verfertigt, so würt dasselb für zierlich und creftig gehalten, und ist ainiches Zeugen Sigil oder Pettschaft darzue nit vonnöthen. "39
Dies bestätigte Suttinger in seinen Consuetudines Austriacae unter Berufung auf ein Urteil vom 22. 6. 1569. "Dem Lands-Brauch nach werden die Testamenta, so der Testator mit eigener Hand schreibt I der Fertigung halber für kräfftig angenommen I ausser Zeugen. "
Den dem Urteil zugrunde liegenden Fall schilderte er wie folgt: "Bey diesem Testament seynd die Circumstantien gewesen I daß selbiges durchaus im gantzerr Context durch des Testatoris eigene Hand-Schrifft I welches der gewisseste Zeug darzu I mit seinem Petschafft doppelt I als nemlichen das Testament an ihm 37 Seidel, S. 56. 38 Finsterwalder, Practicarum observationum, Bd. 2, Obs. CXVII, S. 608. 39 Walthers, Privatrechtliche Traktate, Traktat XIV, Cap. 2, S. 159.
IV. Das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch
55
selbsten I und folgends das Copert, darinnen es geschlossen I verfertigt ist I darzu I daß es an einen ansehnlichen Ort I als Herrn Hannsen Hofmann seel. aufzubehalten gegeben worden I welches eine starcke Conjectur, daß es sein endlicher Willen gewesen I zumalen I weilen dagegen kein anders fürkommt. " 40
Den Gebrauch des eigenhändigen Testaments in der Steiermark bezeugte Heckmann in seinen Idea iuris consuetudinarii von 1688. "Testamentum testatoris holographicum oder des Schäfftingers41 eigenhändig geschriebenes I unterschriebenes I und sigillirtes Testament ist in Ertz-Herzogthum Gesterreich und Herzogthum Steyr firmissimum, licet nullus adfuerit testis . .. ratio est, weil ein solches Testament, das dertestatordurchaus in gantzen contex mit eigener Handschrifft verfertigt I mit seinem Pettschafft bekräfftigt I der gewisseste Zeug ist I und keine grössere oder kräfftigere solennität oder Beweiß verlangt oder erfordert" .42
In Böhmen und Mähren erkannten die Stadtrechte im Gegensatz zu den Landesordnungen das eigenhändige Testament an. § 1 der königlichen StadtRecht im Erbkönigreich Böheim lautete: "So ein eigenhändig = durch und durch geschriebenes Testament nach eines mit Todt Abgangeneo erfunden die Handschrift vor eigenhändig erkanndt wird und kein anderes verbanden, so ist selbiges vor ein ordentliches Testament zu konfirmieren" .43
In der Ausgabe von 1721 hatte er folgende Fassung: "So nach jemands tödtlichen Abgang I sein Testament befunden wird I das der Verstorbene mit eigner Hand geschrieben I es sey auf Papier I oder sonst etwas anderst I es werde gleich gefunden I wo es wolle I auch kein Zweiffel daran I daß es der Verstorbene mit seiner eignen Hand geschrieben I und solche seine Handschrifft I wurde beym Rechten bewiesen; So ferne nun über dasselbe kein anderer letzterer Will gefunden wird I so soll ein solches Testament I welches der Verstorbene mit eigener Hand geschrieben I ob gleich keine Zeugen solches vor denen Rechten bezeugen I bey Recht als ordentlich I erkannt I auch nachmals confirmiret werden. "44
Petschaft und Datum wurden in § 3 ausdrücklich für unwesentlich erklärt. In den verschiedenen Gebieten Österreichs waren die Formerfordernisse für ein eigenhändiges Testament somit nicht einheitlich. b) Der Ursprung des Österreichischen eigenhändigen Testaments Die Tatsache, daß die in dem Wiener Testamentenbuch verzeichneten eigenhändigen Testamente vom Beginn des 15. Jahrhunderts noch keine ein40 41 42
43 44
Suttinger, Consuetudines Austriacae, S. 801. Schäfftinger = Testator. Beckmann, Idea iuris, S. 478; zit. nach Seidel, S. 55f. Weingarten, Auszug, S. 94; zit. nach Stern, S. 69. Vollständige Teutsche Stadt-Recht, S. 216.
56
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert
heitliche Form aufweisen, und die unterschiedlichen Formerfordernisse für eigenhändige Testamente in den verschiedenen Gebieten Österreichs legen die Vermutung nahe, daß auch das eigenhändige Testament des Österreichischen Rechts gewohnheitsrechtliehen Ursprungs ist. 4S Diese Vermutung wird dadurch gestützt, daß das eigenhändige Testament in den genannten Quellen als "uralter Landsgebrauch" bzw. "Lands-Brauch" bezeichnet wird. So bemerkte auch Suttinger hinsichtlich des Verhältnisses des eigenhändigen Testaments zum gemeinen Recht: "Derohalben obs gleich den geschriebenen Rechten nach I an der Zierlichkeit oder Fertigung Mängel hätte I ist es doch dem Lands-Brauch I in dem es aufgerichtist worden I gemäß I und der Lands-Brauch damit erfüllt I und weilen zuvor dergleichen Testamenta in contradictorio Judicio für kräfftig erkennet I macht dasselbig auch ein Recht I neben dem I daß Regierungs-Instruction vermag; daß sie I so lang ein LandsBrauch vorhanden (wie in diesem Fall ist) darauf gehen I und die geschriebenen Recht dißfalls weichen sollen. "46
Im Gegensatz zu dem eigenhändigen Testament des droit coutumier dürfte bei der Entstehung des eigenhändigen Testaments in Österreich aber die Siegelurkunde eine bedeutende Rolle gespielt haben. Die Siegelurkunde war in Österreich im 14. Jahrhundert die maßgebliche Form der Rechtsgeschäftsurkunde. Das Wiener Testamentenbuch enthält dementsprechend auch zahlreiche Testamente in dieser Form aus dem 14. Jahrhundert47 . Einen eigenartigen Mischtypus von Siegelurkunde und eigenhändigem Testament stellt das dort verzeichnete Testament des Ratsherrn Jacob Olsmansperger von 141948 dar. Es weist im ganzen noch das Formular einer Siegelurkunde auf und ist von Sieglern untersiegelt. Jedoch ist es mit einer Eingangsformel versehen, in der der Testator ebenso wie später im Text der Urkunde betont hat, daß er das Testament eigenhändig geschrieben habe. Auch habe er es mit seinem "aufgedrukchtem petschat" versehen49. Während dieses Testament neben dem Petschaft noch mit Siegeln Dritter versehen ist, enthalten zahlreiche andere Testamente aus dieser Zeit als einziges Beglaubigungsmittel nur noch das Petschaft des Testators50 . Das Petschaft hat dort die Funktion des Siegels übernommen. Die hier erkennbare Tendenz zur Gleichstellung des Petschafts mit dem Siegel ist dadurch leicht erklärlich, daß ein Siegel nur wenige bedeutende Persönlichkeiten führten, ein Petschaft aber viele besaßen. Diese Tendenz zur Gleichstellung von Petschaft und Siegel und die verbreitete Neigung zum Verzicht auf die Zuziehung von Zeugen bei der Siegelurkunde im allgemeinensl 45
-16 47
48 49
50 51
Stern, S. 71; Wasser, S.43. Suttinger, S. 801. Lentze, SZGerm 69 (1952), S. 98, 118ff. m.w.N. W.T.B . Bd. III, 6ff. Lentze, SZGerm 69 (1952), S. 98, 140f. Lentze, SZGerm 69 (1952), S. 98, 134 m.w.N. Holzhauer, S. 31.
IV. Das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch
57
haben vermutlich zur Entstehung des eigenhändigen Testaments geführt. War ein Testament eigenhändig errichtet worden, so bot die Schrift neben dem Siegel oder Petschaft eine zusätzliche Garantie für die Echtheit der Urkunde und ein Verzicht auf die Zuziehung von Zeugen schien am ehesten möglich. Daß die Eigenschriftlichkeit diese Bedeutung gerade beim Testament errang, dürfte auch hier auf das Bedürfnis vieler Erblasser zurückzuführen sein, den Testamentsinhalt geheim zu halten. Siegel bzw. Petschaft haben als letzter Formrest der Siegelurkunde ihre Bedeutung für das eigenhändige Testament in Österreich noch bis zum lokrafttreten des ABGB am 1. 1. 1812 behaltens2. Für Österreich hat sich somit, im Gegensatz zu Frankreich, die These als die wahrscheinlichste erwiesen, wonach das eigenhändige Testament sich aus der Siegelurkunde in Anknüpfung an den germanischen Rechtsgedanken der Beweiskraft des Persönlichkeitszeichens entwickelt hat53. Es wäre jedoch falsch, daraus den Schluß ziehen zu wollen, daß das eigenhändige Testament des frühen Österreichischen Rechts eine reine Beweisform war. Aufgrund dieses Fehlschlusses lehnen Seidel und Brock aber die hier dargelegte These über die Entstehung des eigenhändigen Testaments in Österreich ab54 . Wenn die Frage der Beweiskraft bei der Entstehung dieser Testamentsform auch eine wesentliche Rolle gespielt hat, so war das eigenhändige Testament, nachdem sich seine jeweilige Form in den verschiedenen Gebieten herausgebildet hatte, doch eine feierliche Testamentsformss. Dies wird durch die genannten Quellen ausdrücklich klargestellt, wenn dort das eigenhändige Testament "der zierlichait halben fuer kreftig geacht"56 wird. Auch Beckmann hat dies ausdrücklich in seinen ldea iuris betont, indem er sagte, daß das eigenhändige Testament "keine grössere oder kräfftigere solennität oder Beweiß" verlange oder erfordereY
c) Die Entwicklung bis zum ABGB Das eigenhändige Testament erfreute sich in Österreich schnell immer größerer Beliebtheit. Jedoch wurden, insbesondere auch durch den wachsenden Einfluß des Naturrechts, die Testamentsformen in Österreich im 17. und 18. Jahrhundert immer geringer geschätzt. Man gewöhnte sich daran, vorgefundene Testamentsurkunden in der Praxis nur noch nach ihrem Beweiswert zu behandelnss. Diese Abschwächung der Testamentsformen zu bloßen Beweisformen wurde von der Literatur weitgehend gebilligt. vgl. §373 Westgalizisches Gesetzbuch von 1797. Wesener, S.130; Holzhauer, S.47. Seidel, S.59; Brock, S. 63; vgl. auch Breitschmid, S. 17. 55 Brock, S. 64; Hagmann, S. 28. 56 Wiener Stadtordnung von 1526; ähnliche Formulierung auch in der Landtafel für 0 herästerreich . 57 Beckmann, S. 478; zit. nach Seidel, S. 55f. 52
53 54
58
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert
"Wir machen keinen Unterschied zwischen einem Testament oder Codicill; wir können machen, was wir immer wollen, wenn nur der Will klar und deutlich ausgedrückt wird. Wir haben auch keine rechtliche Feyerlichkeiten, oder leeres Wortgepräng zu beobachten. Es ist zwar keine besondere Verordnung hierüber zu finden; allein es ist der allgemeine Gebrauch ... Weil wir also keine Feyerlichkeiten in Obacht nehmen, so fordern wir auch nichts anders, als den natürlichen Beweis, so wie in andern Sachen, und dieses ist abermal des Landes Gebrauch",
schrieb 1777 Donner59 über die Testamentsformen. Dies bestätigte 1796 der sogenannte Wiener Heineccius60: "In Österreich ist zu einem schriftlichen oder mündlichen Testament, was die äußeren Feyerlichkeiten betrifft, nichts erforderlich, als daß der Erblasser die Vorschriften des Naturrechts beobachte ... Ist das Testament eigenhändig geschrieben, so gilt es auch ohne Zeugen, wenn man nur weiß, daß dieses wirklich die Handschrift des Erblassers ist. "61
Von einem streng begrenzten Institut des eigenhändigen Testament konnte in Österreich am Ende des 18. Jahrhunderts daher keine Rede mehr sein. 2. Die Aufnahme des eigenhändigen Testaments in das ABGB a) Die Schaffung des ABGB
Eine Wende brachte in dieser Situtation die Schaffung des ABGB. Bereits der Entwurf zum Codex Theresianus aus dem Jahr 1766 sah vor, daß ein nicht vorschriftsgemäß errichtetes Testament ungültig sei. Nach §VII, 75 des Entwurfs sollten zur Gültigkeit eines eigenhändigen Testaments "drei nothwendige Stücke erforderlich" sein, "als Erstens, dessen durchgängige eigenhändige Beschreibung. Zweitens, die eigene Handunterschrift, und Drittens, die Besieglung mit dem eigenen gewöhnlichen SiegeJ62, oder wo in dessen Ermangelung ein ungewöhnliches oder fremdes gebrauchet würde, die eigenhändige Anmerkung dieses Umstands"63.
Der Entwurf Hortens hob ausdrücklich hervor, daß ein Formmangel zwingend zur Unwirksamkeit des Testaments führe. Cap. 8 § 19 des Entwurfs lautete: 58 Seidel, S. 59, 61; Brock, S. 63; Pfaff I Hofmann, Commentar, Bd. 2, § 578 Anm. II, S. 142. 59 Donner, Österreichische Rechte, Bd.l, S. 216f. 60 So bezeichnet bei Pfaff I Hofmann, Bd. 2, § 578 Anm. li , S. 142. 61 Heineccius, Erklärung, § 500, S. 321. 62 Aus §VII, 70 ergibt sich, daß statt des Siegels auch das Petschaft verwendet werden konnte; v. Harrasowsky, Codex Theresianus, Bd. 2, S. 174. 63 v. Harrasowsky, Bd. 2, S. 175.
IV. Das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch
59
"Nicht eine jede Erklärung des Willens soll zur Errichtung eines letzten Willens hinlänglich sein, sondern alle letztwilligen Anordnungen ohne Unterschied . . . sollen auf eine von den nachfolgenden Arten errichtet werden; widrigens sollen selbe ganz und gar ungültig sein, ohne daß ihnen ein anderer, wie immer Namen habender Beweis zu statten kommen möge. " 64 Bezüglich des eigenhändigen Testaments enthielt Cap. 8 § 26 folgende Regelung: "Unter den außergerichtlich errichteten letztwilligen Anordnungen wollen wir jene insbesondere begünstigen, die von dem Erblasser durchaus eigenhändig geschrieben sind. Zu deren Gültigkeit erfordern wir nichts mehr, als die eigenhändige Unterschrift des Erblassers und dessen Besiegelung. "65 Im Jahr 1796 legte der Wiener Naturrechtsprofessor Karl Anton von Martini dann schließlich einen Entwurf zum ABGB vor, der am 13. 2. 1797 als Westgalizisches Gesetzbuch in Westgalizien und wenig später auch in Ostgalizien in Kraft gesetzt wurde. In § 373 des Westgalizischen Gesetzbuchs war das eigenhändige Testament wie folgt geregelt: "Wer schriftlich und ohne Zeugen testieren will, der muß das Testament, oder Codicill eigenhändig schreiben, den Tag, das Jahr, den Ort seines gegenwärtigen Aufenthaltes darunter setzen, sich mit seinem Vor- und Geschlechtsnamen unterzeichnen, und sein Petschaft, Siegel, oder anderes Zeichen bei drücken. "66 Die Formerfordernisse des eigenhändigen Testaments waren danach strenger, als sie im Österreichischen Recht je gewesen waren. Das Westgalizische G esetzbuch bildete als sogenannter Ur-Entwurf die Grundlage der Beratungen zum ABGB. Die 1. Lesung über§ 373 des Ur-Entwurfs fand am 23.1. 1804 statt.67 In ihr wurde diskutiert, 1. ob man auch ferner eigenhändige Testamente ohne Zeugen bestehen lassen sollte, und 2, ob man dann alle Erfordernisse des§ 373 des Ur-Entwurfs beibehalten sollte. Der Aufnahme des eigenhändigen Testaments in das ABGB wurde allein von seiten des Referenten Franz von Zeiller widersprochen. Dieser führte als Nachteil des eigenhändigen Testaments dessen Anfälligkeit für Unterdrükkung, Unterschiebung und Verfälschung durch Dritte sowie die oft schwierige Entscheidung über die Echtheit der Urkunde an. Zwar erkannte er auch die Möglichkeit der Geheimhaltung der Testamentserrichtung und die leichte Abänderbarkeit des Testaments als Vorteile an. Gegen das Argument der guten Erfahrung brachte er aber vor, daß schlechte Erfahrungen mangels Nachweisbarkeit von Unterdrückung und Verfälschung von Testamenten nicht möglich seien. Zeiller hielt daher die Abschaffung des holographischen 64 65 66 67
v. Harrasowsky, Bd. 4, S. 182. v. Harrasowsky, Bd. 4, S. 183f. Ofner, Ur-Entwurf, Bd. 1, S. LXII. Ofner, Bd. 1, S. 345ff.
60
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert
Testaments zur Schirmung der Freiheit und des Eigentums für erforderlich. Auf dem flachen Lande seien eigenhändige Testamente ohne dies eine seltene Erscheinung, in den Städten aber mangele es nicht an der Gelegenheit, Zeugen beizuziehen . Die Kommission folgte der Ansicht Zeillers jedoch nicht, da ihr die Eigenschriftlichkeit die zuverlässigste Garantie für den wahren Willen des Erblassers zu sein schien, und auch Zeugentestamente keinen sicheren Schutz vor Betrug böten. Auf die Beifügung von Petschaft oder Siegel als Formerfordernis des eigenhändigen Testaments wurde auf Anregung des niederösterreichischen Appellationsgerichts verzichtet. § 373 des Ur-Entwurfs erhielt danach folgende Fassung: "Wer schriftlich und ohne Zeugentestiren will, der muß das Testament oder Kodizill eigenhändig schreiben, den Tag, das Jahr, den Ort seines gegenwärtigen Aufenthaltes beisetzen und sich mit seinem Nahmen unterzeichnen ."
Bei der Revision am 17. 8. 180768 war es dann aber gerade Zeiller, dem es zu hart erschien, ein Testament für formungültig zu erklären, allein weil Ort und Datum der Errichtung fehlten, Punkte, die von Rechtsunkundigen so leicht vergessen werden könnten. Unterstützung fand Zeiller hierin bei dem Präsidenten der Kommission, dem Oberstlandrichter von Haan. Dieser folgte allerdings nicht den Zeillers Vorstoß zugrunde liegenden Überlegungen über den Stellenwert der einzelnen Formerfordernisse. Seine Unterstützung für Zeiller entsprang vielmehr von Haans Grundauffassung, daß eine letztwillige Verfügung nie wegen eines Formfehlers für ungültig erklärt werden dürfe. Von Haan erwies sich damit als Vertreter der naturrechtliehen Linie , die nur nach der Beweisbarkeit fragte69. Mit Hilfe von Haans setzte Zeiller seine Auffassung gegenüber den übrigen Kommissionsmitgliedern durch. Da die Angabe von Datum und Ort jedoch zur Bestimmung des letzten mehrerer Testamente und zum Nachweis der Echtheit von Bedeutung sind, beschloß man, die Beisetzung von Ort und Datum zwar nicht zu gebieten, aber anzuraten. Zeiller hat hier mit Weitblick eine Regelung veranlaßt, die überflüssige Rechtsstreitigkeiten vermieden hat, und für die in Deutschland erst 38 Jahre schwerer Erfahrungen mit § 2231 Nr. 2 BGB notwendig waren, bevor auch hier § 21 TestG auf die zwingende Angabe von Datum und Ort der Testamentserrichtung verzichtete7ü. Wie ist aber nun die Tatsache zu erklären, daß Zeiller das eigenhändige Testament einerseits ablehnte, andererseits dann jedoch für eine weitgehende Formfreiheit des holographischen Testaments eintrat? Zeiller, ein an den Leh68
69 70
Ofner, Bd. 2, S. 385. Breitschmid, S. 24. Swoboda, Das ABGB , S. 129; Breitschmid, S. 24.
IV. Das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch
61
ren Kants geschulter Vernunftsrechtler, wollte durch die Ausgestaltung der Testamentsformen die Testierfreiheit möglichst weitgehend sichern, wobei der wahre Wille des Erblassers im Mittelpunkt stand. Das holographische Testament lehnte er aus den dargestellten Gründen als geeignetes Mittel ab. Wurde das holographische Testament nun aber einmal in das ABGB aufgenommen, so suchte Zeiller dieses Institut auch nach seinen Maximen auszugestalten. So beurteilte dann Swoboda in seinem Werk "Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch im Lichte der Lehren Kants" das holographische Testament des ABGB aber auch als ein Testament, das wie keine zweite Testamentsform geeignet sei, den wahren letzten Willen des Erblassers zur Geltung zu bringen und damit die Testierfreiheit wirkungsvoll zu sichern71 . Nach der Revision erhielt der damalige§ 287 folgende Fassung: "Wer schriftlich und ohne Zeugentestiren will, der muß das Testament oder Kodizill eigenhändig schreiben. Die Beisetzung des Tages, des Jahres und des Ortes, wo der letzte Wille errichtet wird, ist zwar nicht gebothen, aber zur Vermeidung der Streitigkeiten räthlich. "72
In der Superrevision vom 30. 11. 180973 wurde beschlossen, daß auch die Unterschrift weiterhin Formerfordernis des eigenhändigen Testaments bleiben sollte. Die Worte "und sich mit seinem Nahmen unterzeichnen" waren in der Sitzung vom 17. 8. 1807 wohl versehentlich mit gestrichen worden74 . Die endgültige Fassung des§ 578 ABGB lautete : "Wer schriftlich, und ohne Zeugentestiren will, der muß das Testament oder Codicill eigenhändig schreiben, und eigenhändig mit seinem Nahmen unterfertigen . Die Beysetzung des Tages, des Jahres, und des Ortes, wo der letzte Wille errichtet wird, ist zwar nicht nothwendig, aber zur Vermeidung der Streitigkeiten räthlich."
b) Die Beurteilung des eigenhändigen Testaments in Österreich Das eigenhändige Testament ist in der Literatur in Österreich unterschiedlich bewertet worden. Zeiller hat seine ablehnende Haltung gegenüber diesem Rechtsinstitut aufrechterhalten. In seinem Kommentar zum ABGB beklagte er die Unsicherheit dieser Testamentsform: "Da die Kunst, fremde Handschriften nachzumachen, von Vielen zu einem sehr hohen Grade der Vollkommenheit, wenn nicht zur Vollendung gebracht worden ist; so warf manbeyder Revision der Gesetze die Frage auf, ob man wohl einer (wenigstens dem Scheine nach) von dem Erblasser eigenhändig geschriebenen, oder auch 71
72 73 74
Swoboda, S. 128. Ofner, Bd. 2, S. 385. Ofner, Bd. 2, S. 538f. Pfaff I Hofmann, Bd. 2, § 578 Anm. III, S. 144 FN 25 .
62
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert nur unterschriebenen Erklärung des letzten Willens, deren Echtheit doch der Verstorbene nicht mehr bestreiten kann, noch ferner vollen Glauben beymessen soll. "75
Empörte Ablehnung erfuhr das eigenhändige Testament auch in dem Kommentar von Pfaff I Hofmann: "Eine unterschriebene Bleistiftnotiz auf einem Papierschnitzel kann genügen, wo seit jeher fast alle Völker einen feierlichen Akt verlangt haben!"76 Überwiegend wurden die Vor- und Nachteile des eigenhändigen Testaments jedoch sachlich abgewogen, und es wurde vor allem aufgrund seiner Leichtigkeit und Einfachheit als Testamentsform begrüßt77. In der Praxis ist das eigenhändige Testament in Österreich die verbreitetste Testamentsform78.
V. Das eigenhändige Testament im Herzogtum Schleswig Eine selbständige Entwicklung hat das eigenhändige Testament auch im Herzogtum Schleswig durchgemacht79. Dort wurde es durch königliche Verordnung vom 4. 2. 185480 als ordentliche Testamentsform anerkannt. In dieser Verordnung wurde zugleich für Schleswig der Grundsatz der Testierfreiheit erstmalig allgemein ausgesprochen. § 1 der königlichen Verordnung von 1854 lautete: "Jeder, der Dispositionsbefugniß über sein Eigenthum hat und bei gesunder Vernunft ist, soll künftig berechtigt sein, durch eine letztwillige Verfügung über sein gesammtes freies Eigenthum, mit Ausnahme des gewöhnlichen Pflichttheils der Leibeserben und Aseendenten ... , rechtsgültig zu disponiren, ohne daß es Unserer Allerhöchsten Confirmation der letztwilligen Verfügung bedarf." Bis dahin waren in Schleswig nach germanischem Recht letztwillige Verfügungen grundsätzlich ungültig8t. 1663 war zwar für den fürstlichen Teil Schleswigs, in dem damals noch die Herzöge von Schleswig regierten , die Testierfreiheit eingeführt worden. Nachdem jedoch auch dieser Teil Schleswigs 1721 endgültig unter die Herrschaft der dänischen Könige gelangte, wurde schon 1729 der status quo ante wiederhergestellt82.
75 Zeiller, Commentar, Bd. 3, §578 Anm. 1, S. 451f. 76 Pfaff I Hofmann, Bd. 2, § 578 Anm. XI, S. 151. 77 Klang I Hand!, Kommentar, Bd. 2, 1, § 578 Anm. I, S. 174; Ehrenreich, Österreichische Gesetzeskunde, Bd.1, Anm. zu§ 578, S. 259. 78 Gschnitzer, S. 31; Klang I Hand!, Bd. 2, 1, § 578 Anm. I, S.174. 79 Seidel, S. 65. 80 Burchardi, Sammlung, S. 93ff. 81 Pappenheim, Eigenhändiges Testament, Festgabe, S. 9, 12; Seidel, S. 65. 82 Pappenheim, S. 9, 16ff.; Seidel, S. 68f.
V. Das eigenhändige Testament im Herzogtum Schleswig
63
Mit der zunehmenden Verbreitung des römischen Rechts hatte sich zwar auch in Schleswig ein steigendes Bedürfnis nach der Zulassung von Testamenten gezeigt. Man half sich dort jedoch etwa seit der Mitte des 16. Jahrhunderts dadurch, daß man die Testierbefugnis von Fall zu Fall landesherrlicher Bewilligung unterstellte. Dies geschah auf zweierlei Weise. Entweder wurde einer bestimmten Person die facultas testandi erteilt, aufgrund deren sie nunmehr rechtsgültig testieren konnte, oder es wurde das an sich ungültige Testament durch landesherrliche Konfirmation für gültig erklärtB3. Die Voraussetzungen, unter denen die Erteilung der nachgesuchten Konfirmation zu erwarten war, wurden erstmals durch eine Verordnung vom 20. 2. 1717 festgestelltB4 . Ein eigenhändiges Testament wurde allerdings erst in der Verordnung vom 25. 9. 1759 als ausreichende Grundlage für die landesherrliche Konfirmation benannt. § 3 der Verordnung lautete: "Bey Errichtung derjenigen auf dem Todesfall gerichteten Willens-Verordnung, welche von denen, die sie errichten, eigenhändig geschrieben, datirt, und, wenn eine Frauens-Person die Disponentin ist, zugleich mit ihrem Curatore unterschrieben, und zu Bewürkung unserer Königlichen Bestätigung an Unsere Deutsche Canzley eingesandt worden, gebraucht es weder der Gegewart noch der Unterschrift einiger Zeugen, oder irgend einer andern Person. "85
Diese Verordnung wurde durch Patent vom 15. 4. 1786 ersetzt, ohne daß sich daraus eine Änderung für eigenhändige Testamente ergab. § 3 des Patents führte aus: "In Ansehung derjenigen auf den Todesfall gerichteten Willensverordnungen , welche von Disponenten eigenhändig geschrieben, datirt und (wenn eine Frauensperson die Disposition errichtet, zugleich mit ihrem Curator) unterschrieben worden, bedarf es weder der Gegenwart noch der Unterschrift einer andern Person. "86
Diese Regelungen sind die Wurzeln des eigenhändigen Testaments in Schleswig. Eine Testamentsform im technischen Sinne war das eigenhändige Testament danach allerdings noch nicht. Auch Testamente, die unter Beobachtung der in den Vorschriften genannten Erfordernisse erichtet worden waren, erlangten Rechtsgültigkeit erst durch die Konfirmation, um die schon zu Lebzeiten, oder auch erst nach dem Tode des Testators nachgesucht werden konnte. Die in den Regelungen genannten Erfordernisse sollten dem Landesherren nur gewährleisten, daß eine zur Bestätigung eingereichte Urkunde wirklich vom Erblasser herrührte und ernst gemeint war. Der Landesherr seinerseits war an die von ihm frei bestimmbaren und bestimmten Voraussetzungen nicht gebunden. Er konnte daher auch Testamente bestätigen, die nicht vorschriftsgemäß errichtet waren. Sie erlangten durch die Konfirmation 83 84
85 86
Pappenheim , S. 9, 15; Seidel, S. 67f. Pappenheim, S. 9, 20. Schrader, Handbuch, Bd. 2, S. 173. Esmarch, Sammlung, S. 295, 297.
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert
64
ebenso Gültigkeit wie vorschriftsgemäß errichtete Testamente. Dieser Möglichkeit kam besondere Bedeutung zu, wenn erst nach dem Tode des Testators um die Konfirmation nachgesucht wurde, da eine Behebung des Mangels in diesem Fall nicht mehr möglich war87. Die Gültigkeit von Testamenten blieb in Schleswig bis zum Jahr 1854 von der landesherrlichen Konfirmation abhängig. Durch die königliche Verordnung vom 4. 2. 185488 wurde das Testamentsrecht in Schleswig dann grundlegend verändert. Man entschloß sich, die Gültigkeit von Testamenten nicht mehr länger von der Konfirmation abhängig zu machen, da sie schließlich zu einer für die Behörde und für das Publikum lästigen Form geworden war, deren Beseitigung auch aus fiskalischen Gründen wegen der Geringfügigkeit der in Betracht kommenden Gebühren unbedenklich erfolgen konnte89. Die Gültigkeit des Testaments wurde in der Verordnung gleichzeitig von der Beobachtung der für die Errichtung vorgeschriebenen Formalitäten abhängig gemacht. Deren Verletzung hatte fortan zwingend die Nichtigkeit des Testaments zufolge. Die Formerfordernisse des eigenhändigen Testaments regelte § 4 der königlichen Verordnung vom 4. 2. 1854: "Wenn eine testamentarische Disposition eigenhändig von dem Disponenten geschrieben , datirt und unterschrieben und falls eine Frauensperson die Disposition errichtet, dieselbe zugleich mit der Unterschrift ihres Curators versehen ist, sind keine weiteren Formen für die Errichtung erforderlich. "
Damit war das eigenhändige Testament in Schleswig als ordentliche Testamentsform anerkannt. Das Erfordernis der Mitunterzeichnung des Kurators bei Frauen ist durch Gesetz vom 21. 1. 1869 beseitigt worden9o.
VI. Die Ablehnung des eigenhändigen Testaments in Sachsen Die letzte partikularrechtliche Kodifikation des 19. Jahrhunderts war das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen, das am 1. 3. 1865 in Kraft trat. Es ließ das eigenhändige Testament nur in besonderen Fällen zu. Als ordentliche Testamentsform ist das eigenhändige Testament in Sachsen von Anfang an abgelehnt worden. Die Motive zum Entwurf des Sächsischen BGB von 1860/1 erklärten, daß diese Form der Wichtigkeit der Handlung keineswegs Genüge leiste. Namentlich auf dem Lande hätten die Testatoren keine ausgeschriebene, deutlich unterscheidbare Handschrift. Auch sei ihre Handschrift durch Altersschwäche oder Krankheit oft stark verändert. Ferner, so führten die Motive aus, bestünde bei dieser Testamentsform die 87 88 89
90
Seidel, S. 71f.; Pappenheim, S. 9, llf., 21. Burchardi, Sammlung, S. 93ff. Pappenheim, S. 9, 20. Kähler, Schleswig-Holsteinisches Landesrecht, S. 745 .
VI. Die Ablehnung des eigenhändigen Testaments in Sachsen
65
Gefahr fremder Einflüsse. Deshalb könne man die eigenhändige Niederschrift und Unterzeichnung des letzten Willens nur bezüglich minder wichtiger Verfügungen für ausreichend ansehen, bei welchen schädliche Einwirkungen dritter Personen auf den Willen des Erblassers oder Unterschleife91 weniger zu befürchten stünden.92 Diese Verfügungen, die durch eigenhändige Niederschrift und Unterzeichnung getroffen werden konnten, wurden in §§ 1792f. des Entwurfs im einzelnen aufgeführt: "Es können darin nur nachstehende letztwillige Anordnungen außer der Enterbung und dem Widerrufe letzter Willen(§§ 1814 und 1941) getroffen werden:
1. Bestimmungen über das Begräbniß, 2. die Ernennung von Vollziehern des letzten Willens, 3. Anordnungen über Bevormundungen, 4. die Zuweisung einzelner bestimmter Nachlaßgegenstände an die Erben auf ihre Erbtheile, 5. Verfügungen über die zu bewirkende oder zu unterlassende Anrechnung von Vorempfängen."
Nach §1793 des Entwurfs können darin "6. Vermächtnisse bis zum Betrage des zwanzigsten Theils des Nachlasses ausgesetzt werden. "93
Das Gesetzbuch hat diese sehr enge, detaillierte Regelung nicht übernommen. Stattdessen sah § 2115 Sächsisches BGB, orientiert am römisch-rechtlichen Vorbild des testamenturn parentum inter liberos,94 das eigenhändige Testament als privilegierte Testamentsform für die letztwilligen Verfügungen von Eltern, Voreltern und Ehegatten zugunsten ihrer zur gesetzlichen Erbfolge berechtigten Abkömmlinge und Ehegatten vor: "Eltern, Voreltern und Ehegatten können, wenn sie unter ihren zur gesetzlichen Erbfolge berechtigten Abkömmlingen und Ehegatten letztwillig verfügen, ihren letzten Willen durch einen schriftlichen Aufsatz errichten , welchen sie eigenhändig geschrieben und eigenhändig mit ihrem Familiennamen unterschrieben haben, und in welchem die bedachten Abkömmlinge und Ehegatten mit dem Familiennamen und wenigstens einem voll ausgeschriebenen Vornamen benannt, und die Erbtheile oder Summen mit Worten angegeben, auch Ort, Jahr und Tag der Errichtung des Aufsatzes beigefügt sind. "95
Eine Enterbung war nach § 2595 Sächsisches BGB in dieser Form nichtig.96 Daneben enthielt § 2084 Sächsisches BGB eine an die codicilli confirmati erinnernde Bestimmung: Unterschleife = Unterschlagungen Entwurf Sachsen, Motive, S. 422f.; vgl. zu den Motiven im einzelnen insbesondere s. 426f. 93 Entwurf Sachsen, S. 349. 94 Wasser, S. 43f. 95 Francke, Sächs. BGB , S. 364f. 96 Francke, S. 440. 91
92
5 Beutgen
66
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert "Der Erblasser kann bei Errichtung des letzten Willens zur Bezeichnung des Bedachten oder des Gegenstandes seiner Verfügung auf eine besondere Schrift verweisen und es bedarf solchenfalls, wenn sich bei seinem Tode eine von ihm eigenhändig geschriebene und eigenhändig mit seinem Familiennamen unterschriebene Schrift findet, in welcher der Bedachte mit dem Familiennamen und wenigstens einem voll ausgeschriebenen Vornamen, und die Erbtheile oder Summen mit Worten angegeben, auch Ort, Jahr und Tag der Abfassung der Schrift beigefügt sind, zu deren Gültigkeit keiner weiteren Form. "97
Das Sächsische BGB ist somit um ein beträchtliches über den Entwurf hinausgegangen und hat dem eigenhändigen Testament einen größeren Wirkungskreis zugewiesen. Am Ende ist es dann aber doch in Halbheit stecken geblieben. 98
VII. Das Schrifttum des 19. Jahrhunderts In den Gebieten Deutschlands, in denen das eigenhändige Testament nicht als ordentliche Testamentsform in Geltung war, ist ihm auch im Schrifttum wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Einen frühen Fürsprecher fand es in dem Kasseler Juristen Burchard Wilhelm Pfeiffer99. Dieser hatte bereits im Sommer 1813 seine Gedanken zur Frage einer deutschen Zivilgesetzgebung niedergelegt. 1815 erschien dann sein Werk "Ideen zu einer Civil-Gesetzgebung für Teutsche Staaten" , in dem Pfeiffer auch den inzwischen ausgebrochenen Kodifikationsstreit zwischen Thibaut und Savigny berücksichtigte. Pfeiffer entwickelte in dem Werk seine eigenen Vorstellungen für die Schaffung eines einfachen und bündigen neuen Gesetzbuchs auf der Grundlage des bestehenden RechtslOO. Dabei trat er für die Testierfreiheit ein. Er war der Auffassung, für einen Testator müsse es möglich sein, seinen letzten Willen ohne Schwierigkeit und ohne viel Umstände rechtsbeständig zu erklären. Pfeiffer sprach sich daher für möglichst einfache Testamentsformen aus. Er betonte allerdings, daß die Vereinfachung der Testamentsformen nicht dazu führen dürfe, daß die Echtheit des letzten Willens nicht mehr gewährleistet sei. Für ihn war es ein natürlicher Grundsatz, zur äußeren Gültigkeit eines Testaments nichts weiter zu fordern, als was zur Beurkundung der Gewißheit des Willens gehöre. Diesem Grundsatz, so fand er, wurde das eigenhändige Testament am besten gerecht!Ol.
Francke, S. 359. Hedemann. Fortschritte, I, S. 24. 99 Nolte, B . W. Pfeiffer, Frankfurt 1969; dazu auch Wesener, SZGerm 87 (1970), S.485ff. 100 Pfeiffer, Ideen, S. 62ff. 101 Pfeiffer, S. 199 ff. 97
98
VII. Das Schrifttum des 19. Jahrhunderts
67
Pfeiffer hatte in Westfalen kurze Zeit praktische Erfahrungen mit dem eigenhändigen Testament gesammelt. Aufgrund dieser Erfahrungen glaubte er, auf die strengen Formerfordernisse des römischen Rechts verzichten zu könnenl02. Allerdings hielt er bei der Anerkennung von eigenhändigen Testamenten Vorsicht für geboten. Um die Echtheit des letzten Willens sicherzustellen, verlangte er, nicht nur die Formerfordernisse des eigenhändigen Testaments aus dem französischen Recht zu übernehmen, sondern zusätzlich die Gültigkeit des eigenhändigen Testaments davon abhängig zu machen, daß es in einem bestimmten Zeitraum vor dem Tod des Erblassers entstanden sei, also z. B. nicht älter als zwei oder drei Jahre sei. Dieses zusätzliche Erfordernis hätte in der Praxis aber wohl erhebliche Schwierigkeiten mit sich gebracht. Der Testator wäre dadurch gezwungen worden, sein Testament immer zu aktualisieren. Dies wäre sicher oft vergessen worden. Auch hätten viele Erblasser bei einer solchen Regelung mit der Testamentserrichtung möglichst lange gewartet, so daß bei einem plötzlichen Tod dann gar kein Testament gemacht worden wäre. Dieses zusätzliche Erfordernis hätte also dazu geführt, daß dem Erblasserwillen oft keine Geltung mehr hätte verschafft werden können. Die Idee, die Gültigkeit des eigenhändigen Testaments davon abhängig zu machen, daß es in einem bestimmten Zeitraum vor dem Tode des Testators errichtet worden war, geht wohl auf Hugo zurück. Hugo hatte in seinem Lehrbuch des Naturrechts den Gedanken geäußert, daß ein Testament, wenn der Testator nach dessen Errichtung noch lange lebe, der Erneuerung bedürfen könnte 103 • Diese Idee bezog Hugo allerdings nicht auf das eigenhändige Testament, sondern auf Testamente im Allgemeinen. Die Form des eigenhändigen Testaments selbst lehnte Hugo ab. Er führte dazu aus: "Ein schriftlicher Aufsatz wäre bey einem gebildeten Volke wohl wesentlich , aber die bloße Handschrift des Erblassers nicht leicht hinreichend. "104
Die Zulassung des eigenhändigen Testaments erschien Hugo wie vielen seiner Zeitgenossen noch als zu revolutionär. Sie verwarfen das eigenhändige Testament insbesondere wegen der Gefahr der Verfälschung und Unterschiebungl05. Überwiegend wurde das eigenhändige Testament außerhalb seines Geltungsbereichs im Schrifttum aber einfach gar nicht erwähnt. Das Bestreben, die Testamentsformen zu vereinfachen, nahm im Laufe des 19. Jahrhunderts jedoch zu. Bluntschi schrieb 1864 dazu in seinem "Deutschen Privatrecht": Nolte, S. 147. Hugo, Lehrbuch, Bd. 2, S. 434, § 316. 104 Hugo, Lehrbuch, Bd. 2, S. 434, § 316. 105 Ramdohr, Jur. Erfahrungen, Teil1, S.631; Dalwigk, Versuch, Teil 2, S. 28f.; Hugo, Bd. 2, S. 434, § 316. 102 103
5*
68
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert " ... und es läszt sich nicht verkennen, dasz die neuere Rechtsbildung geneigt ist, die Form des Testaments zu vereinfachen: eine Tendenz, welche nicht willkürlich launenhaft ist, sondern in der veränderten Grundansicht über das Testament ihre Erklärung findet. "106
Die Gestaltung des Erbrechts ist im 19. Jahrhundert von dem Gedanken des politischen Liberalismus erheblich beeinflußt worden. Mit der schrittweisen Verwirklichung des vom Liberalismus angestrebten freien Eigentums ging auch eine Anerkennung der Testierfreiheit durch die liberale Theorie einherl07. Im ganzen hat diese Tendenz dazu geführt, daß man in der Gesamtgestaltung des Erbrechts zum römischen Recht zurückgekehrt ist, wobei die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts aber im einzelnen auch erhebliche Veränderungen vorgenommen hat. Viele Institute wurden vereinfacht und zweckmäßiger gestaltet 10B. Dies gilt insbesondere für die Form der Errichtung von Testamentenl09. Privattestamente erlangten zunehmend an Bedeutung. Die außerordentlichen Formen von Privattestamenten wurden immer zahlreicher. Eichhorn schrieb 1829 in seiner "Einleitung in das deutsche Privatrecht": "In der Form der Testamente haben die particularen Rechte manch willkührliche Abweichungen vom römischen Recht, durch welche die Anzahl der privilegirten Privattestamente vergrößert wird. "110
Die Kodifikationen des 19. Jahrhunderts stellten alle zumindest eine Form des Privattestaments als ordentliche Testamentsform zur Verfügung. Allein das preußische ALR von 1794 kannte nur das öffentliche Testament als ordentliche Testamentsform. Das Streben nach Liberalismus beschränkte sich jedoch nicht darauf, ohne die Mitwirkung von Behörden auszukommen. Der nächste konsequente Schritt war, daß man auch ganz ohne fremde Hilfe letztwillige Verfügungen über sein Vermögen treffen konnte111 . Dieser Gedanke entfaltete sich in Deutschland im 19. Jahrhundert nur langsam. Sein Vordringen wird aber darin deutlich , daß die deutschen Kodifikationen und Kodifikationsentwürfe des 19. Jahrhunderts, die das eigenhändige Testament nicht zuließen, es als außerordentliche Form in zunehmendem Umfang anerkannten. Auch im Reichs-Militärgesetz vom 2. 5. 1874 wurde das eigenhändige Testament als privilegierte Testamentsform festgeschrieben . Nach § 44 des Reichs-Militärgesetzes war erforderlich, daß der Testator das Testament eigenhändig niederschrieb und unterschriebll2. 106
Bluntschi, Deutsches Privatrecht, S. 730.
107 Klippe!, SZGerm 100 (1984) , 117, 166. 108 109 11o 111
112
Coing, Europäisches Privatrecht II , S. 595. Hedemann, S. 22f.; Coing, Europäische Privatrecht II , S. 599. Eichhorn , Einleitung, S. 854. Hedemann, S. 23f. Windscheid I Kipp, Lehrbuch, § 544, Bd. 3, S. 227 FN 6a.
VIII. Das eigenhändige Testament in der Praxis des RG
69
Trotz des Strebens nach Vereinfachung der Testamentsformen im 19. Jahrhundert war der Rechtsboden in Deutschland für die Einführung des eigenhändigen Testaments auch zum Zeitpunkt der Schaffung des BGB im ganzen ungünstigm. Daß die Anhänger des eigenhändigen Testaments von der Aufnahme dieser Testamentsform in das BGB dennoch überzeugt waren, zeigt die einfache Feststellung in Puchelts Zeitschrift für Französisches Zivilrecht von 1872:
"Das allgemeine deutsche bürgerliche Gesetzbuch wird . . . dieses Institut gewiß sich aneignen. "114
VIII. Das eigenhändige Testament in der Praxis des Reichsgerichts Das Reichsgericht hat sich vor Irrkrafttreten des BGB in sieben Fällen mit der Gültigkeit eigenhändiger Testamente befaßtlls. Die Entscheidungen betrafen alle das rheinische Recht bzw. das badische Landrecht.
1. Erfordernis der richtigen Datierung In fünf der Fälle hatte das Reichsgericht die Frage zu entscheiden, ob zur Gültigkeit des eigenhändigen Testaments die Angabe des richtigen Datums erforderlich sei, und wer die Beweislast für die Richtigkeit der Datierung trage 116 . In der ersten Entscheidung vom 16. Juni 1882117 führte das Reichsgericht aus, daß zur Zeit der Einführung des Code Civil kein Zweifel bestanden habe, daß ein eigenhändiges Testament dessen Datum unrichtig sei, ungültig sei. In diesem Sinne hätte auch die französische Rechtsprechung die Bestimmung des Art. 970 CC regelmäßig verstandenll8. Das Reichsgericht begründete seine Auffassung, daß die Unrichtigkeit des Datums in jedem Fall zur Nichtigkeit des eigenhändigen Testaments führe, mit der Wichtigkeit, die dem Zeitpunkt der Errichtung eines Testaments für die Frage des Widerrufs des Testaments und der Testierfähigkeit des Testators zukomme. Für die Richtigkeit des Datums war nach der Entscheidung des Reichsgerichts vom 16. Juni 1882 derjenige Zeitpunkt entscheidend, zu dem das TestaBrock, S. 59. Puchelt, PucheltsZ Bd. 2 (1872), 310, 312. 115 Mein besonderer Dank gilt Herrn Christian Kirsch, der mir zu diesem Abschnitt sein Seminarreferat "Die Rechtsprechung in Zivilsachen bis zum Irrkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs- Das eigenhändige Testament-" zur Verfügung gestellt hat. 11 6 RGZ 7, 292; RGZ 12, 315; RGZ 29, 328; RGZ 43 , 378 und RG JW 1901 , 814. 117 RGZ 7, 292. 118 Zur französischen Rechtsprechung vgl. 3. Kapitel III. 2. 113
114
4. Kap.: Deutschland im 19. Jahrhundert
70
ment vollendet, d. h. die Unterschrift unter das Testament gesetzt worden war 119.
In
den Entscheidungen vom 7. Juli 1884120 und vom 14. Juni 1892121 hielt das Reichsgericht an seiner strengen Auffassung fest. In der Entscheidung vom 20. Januar 1899122 erklärte das Reichsgericht dann ein Testament für gültig, bei dem feststand, daß das Datum zwar an dem angegebenen Tag auf das Testament gesetzt worden war, der Text und die Unterschrift aber mehrere Tage vorher geschrieben worden waren. Das Reichsgericht führte hierzu aus, daß das Gesetz als Erfordernis der Gültigkeit des eigenhändigen Testaments nicht die Einheitlichkeit der Errichtung in zeitlicher Hinsicht aufstelle. Das Reichsgericht machte zudem deutlich , daß diese Rechtsauffassung nicht seinen früheren Entscheidungen widerspreche, nach denen ein falsches Datum, also ein solches, welches an einem anderen Tag auf das Testament gesetzt worden sei, als das Datum besage, das eigenhändige Testament ungültig mache. Der vorliegende Fall sei anders zu beurteilen. Es könne nicht gesagt werden, daß das Datum auf einem eigenhändigen Testament schon um deswillen ein unrichtiges sei, weil es an einem anderen Tag auf das Testament gesetzt worden sei und einen anderen Tag bezeichne, als denjenigen, an welchem das Testament geschrieben bzw. unterschrieben worden sei. Mit der Hinzufügung des Datums, so erklärte das Reichsgericht, werde nur ein noch fehlendes Erfordernis erfüllt, nämlich der letzte Teil der Testamentserrichtung selbst. D as Reichsgericht hat in einer späteren Entscheidung123 noch einmal bet