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German Pages [249] Year 2018
ANDREA GORRES
Geistliche Begleitung als mystagogische Seelsorge Ein integrativer pastoralpsychologischer Entwurf aus evangelischer Perspektive
Andrea Gorres
Geistliche Begleitung als mystagogische Seelsorge
Ein integrativer pastoralpsychologischer Entwurf aus evangelischer Perspektive
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7887-3304-9 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen/ www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, Niederkrüchten Satz: Dorothee Schönau
Danksagung
Die vorliegende Untersuchung wurde 2016 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel unter dem Titel »Geistliche Begleitung als mystagogische Seelsorge. Ein integrativer pastoralpsychologischer Entwurf aus evangelischer Perspektive« als Dissertation angenommen. Sie wurde für den Druck leicht überarbeitet. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Michael Klessmann, der mich über die lange berufsbegleitende Promotionszeit kritisch und wertschätzend begleitete. Frau Prof. Dr. Andrea Bieler danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Ich danke allen, die mich mit technischer Hilfe am Manuskript und durch gründliches Korrekturlesen unterstützt haben. Ein besonderer Dank gilt dem Verlag für die Aufnahme dieser Arbeit in sein Programm, Herrn Ekkehard Starke für die konstruktive Zusammenarbeit, Frau Dorothee Schönau, die das Manuskript in die für den Druck rechte Form gebracht hat, sowie dem Konvent der Benediktiner in Trier. In großer ökumenischer Gastfreundschaft ermöglichte die Mönchsgemeinschaft mir, große Teile der Arbeit bei ihnen zu schreiben. Mein Dank gilt auch der Evangelischen Landeskirche im Rheinland, die die Veröffentlichung mit einem Druckkostenzuschuss unterstützte. Ich widme diese Arbeit in großer Verbundenheit meinen geistlichen und therapeutischen Lebensbegleitern und Lebensbegleiterinnen. Leverkusen, Epiphanias 2018
Andrea Gorres
Geleitwort
Geistliche Begleitung ist in den letzten Jahrzehnten in den beiden großen Kirchen ein populäres Phänomen geworden, von Pfarrerinnen und Pfarrern nachgefragt und von den Kirchen großzügig gesponsert. Die Popularität der Geistlichen Begleitung, die sich in einer schnell wachsenden Zahl von Veröffentlichungen und vielen Weiterbildungsangeboten spiegelt, beruht darauf, dass mit diesem Stichwort eine Reihe von Hoffnungen verknüpft sind (ohne dass schon eindeutig nachweisbar wäre, ob sie tatsächlich in Erfüllung gehen): Dass Pfarrerinnen und Pfarrer (wieder) eine deutlicher geistlich geprägte Identität ausbilden, dass in den Kirchen verstärkt ein Raum bereit gestellt wird, in dem Suchende und Glaubende geistliche Erfahrungen machen können, dass Seelsorge deutlicher als bisher in die Lage versetzt wird, Lebens- und Glaubensthemen zu verknüpfen und auf diesem Weg einen eher mystagogischen Charakter anzunehmen, dass damit letztlich Profil und Identität von Kirche insgesamt geschärft und klarer erkennbar werden. Viele Veröffentlichungen befassen sich mit den historischen Ursprüngen und unterschiedlichen Konzepten von Geistlicher Begleitung, ihren theologischen Ausrichtungen und verschiedenen Praxisformen sowie den Chancen, die sich daraus für Kirche, Gemeinden und Pfarrschaft ergeben. Bisher vernachlässigt blieben Reflexionen darüber, was eigentlich genau zwischen der begleitenden und der begleiteten Person geschieht, wie die Beziehung zwischen beiden gestaltet sein sollte, um einen produktiven Prozess der Begleitung und des geistlichen Lernens in Gang zu setzen. An diesem Punkt liegt der eigentlich neue Ansatz der vorliegenden Arbeit: Nämlich den spirituellen Prozess zu vermitteln mit der Beziehungsdimension zwischen den begleitenden und den begleiteten Personen, oder anders: Den Diskurs zur Geistlichen Begleitung mit genuin pastoralpsychologischen Reflexionsperspektiven in Zusammenhang zu bringen. Bislang gab es zwischen beiden Arbeitsfeldern eher Sprachlosigkeit und wechselseitige Skepsis; hier wird der Versuch unternommen, mit Hilfe pastoralpsychologischer bzw. psychotherapeutischer Einsichten das Verständnis des Prozesses der Geistlichen Begleitung kritisch-konstruktiv zu vertiefen. Aus Psychotherapie und Seelsorge wissen wir seit langem, dass sich in einem über eine längere Zeit mit einer festgelegten Struktur ablaufenden Beziehungsprozess wirkungsvolle psychosoziale Dynamiken entwickeln – wie z.B. das Wiederaufleben früherer biographischer Erfahrungen in Gestalt von Übertragungen und Gegenübertragungen, von spezifischen Widerständen, die sich als Missver-
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Geleitwort
ständnisse, Verzerrungen und Verzögerungen im Prozess ausdrücken – die unbedingt bewusst gemacht und reflektiert werden müssen: Geistliche Begleitung stellt, wie Psychotherapie, Beratung und Seelsorge, einen Eingriff in das Leben eines anderen Menschen dar; deswegen ist es von großer Bedeutung, die Beziehungsdimension dieses Prozesses verantwortlich mit methodisch bewusster Wachheit wahrzunehmen und die Beteiligten vor unbewusstem Agieren und damit potentiellem Missbrauch zu schützen. Für eine differenzierte Beschreibung des Beziehungsprozesses in der Geistlichen Begleitung zieht die Verfasserin die Integrative Therapie, wie sie Hilarion Petzold entwickelt hat, als Referenztheorie heran, nutzt die Darstellung der verschiedenen Reflexions- und Handlungsebenen des sog. tree of science, um an Hand dieser Systematik die Beziehungsdimension in der Geistlichen Begleitung differenzierter und präziser beschreiben zu können. Besonders interessant und zukunftsweisend erscheint mir dabei das Integrationsparadigma, also die Zusammenfassung disparater Theorien für die Lösung von Aufgabenstellungen auf einer höheren Strukturebene. Die relative methodische Beliebigkeit und der entsprechende zufällige Eklektizismus bisheriger Geistlicher Begleitung soll auf diese Weise auf eine wissenschaftstheoretisch und pastoralpsychologisch reflektierte und begründete Basis gestellt werden. Auch die Frage, wie Lernprozesse im Rahmen einer Geistlichen Begleitung ablaufen bzw. gestaltet und gefördert werden können, findet hier eine Antwort. Mit diesem Ansatz hat die Verfasserin einen wichtigen und neuen Schritt in der Forschung zur Geistlichen Begleitung getan: Weitere Arbeiten zur Geistlichen Begleitung werden nicht umhinkönnen, neben der Reflexion der spirituellen Dimension auch deren Beziehungsdimension mit Hilfe psychotherapeutischer bzw. pastoralpsychologischer Kategorien systematisch ins Auge zu fassen. Vor allem für die Praxistheorie Geistlicher Begleitung, für Formen und Methodik der Aus- und Fortbildung erscheinen die Einsichten dieser Arbeit fruchtbar und weiterführend. Der Verfasserin wünsche ich, dass sie mit ihrem Buch Forschung und Ausbildungscurricula zur Geistlichen Begleitung produktiv anregt und voranbringt. Ansbach/Berlin, Januar 2018
Prof. em. Dr. Michael Klessmann
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort ............................................................................................ 7 Einführung und Entwicklung des Vorhabens ....................... 15 Geistliche Begleitung – eine Annäherung an das Phänomen .. 15 Allgemeine Beschreibung des Phänomens Geistliche Begleitung ............................................................. 15 1.1.2 Geistliche Begleitung und ihr aktueller gesellschaftlicher und innerkirchlicher Bezug .......................................... 16 1.1.3 Geistliche Begleitung innerhalb der Praktischen Theologie .............................................................................. 18 1.1.3.1 Geistliche Begleitung in der theologischen Diskussion ihrer wissenschaftlichen Verortung....................... 19 1.1.3.2 Geistliche Begleitung und ihr Verhältnis zur Pastoralpsychologie ................................................................ 24 1.1.4 Geistliche Begleitung und Spiritualität oder der »fröhliche spirituelle Eklektizismus« ....................................... 29 1.1.5 Forschungsvorhaben und Vorgehensweise.............................. 30 1 1.1 1.1.1
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.2 2.3 2.4
Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung ........................................................... 32 Biblisch-theologische Bezüge Geistlicher Begleitung .............. 32 Geistliche Begleitung als Emmaus-Weggemeinschaft zur Entwicklung des eigenen Glauben-Lebens und des eigenen Lebens-Glaubens (Willi Lambert) .......................................... 33 Geistliche Begleitung als Entfaltung der Taufgnade in die Nachfolge Christi, hinführend zum ewigen Leben (Klemens Schaupp) ................................................................ 35 Geistliche Begleitung als Nachfolge in der Seelenführung Jesu (Franz Jalics) .......................................................................... 38 Geistliche Begleitung als Lebens-Gespräch mit Gott im Geheimnis der Verwandlung (Ralf Stolina) ............................ 41 Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive – biblisch-theologische Wegmarken .......................................... 43 Außerbiblische Traditionsstränge Geistlicher Begleitung ........ 44 Historische Entwicklungslinien Geistlicher Begleitung – ein Überblick ......................................................................... 47 Diskursfelder Geistlicher Begleitung in der gegenwärtigen evangelisch-theologischen Forschung ..................................... 50
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Inhaltsverzeichnis
2.4.1 Geistliche Begleitung und Spiritualität ...................................50 2.4.1.1 Allgemeine Gedanken zur Spiritualitätsforschung ...................50 2.4.1.2 Die Untersuchungen Claudia Kohli Reichenbachs zur Geistlichen Begleitung als Beitrag zum Spiritualitätsdiskurs ....53 2.4.1.3 Spiritualität zu Beginn des 3. Jahrtausends – der Beitrag Ralf Stolinas zum Spiritualitätsdiskurs ....................................55 2.4.1.4 Plädoyer für eine erneuerte reformatorisch orientierte Spiritualität in Einheit mit evangelischer Theologie (Peter Zimmerling).................................................................57 2.4.1.5 Geistliche Begleitung als Chance für eine reflektierte Spiritualität im dritten Jahrtausend ........................................59 2.4.2 Geistliche Begleitung und »religiöse Erfahrung« .....................60 2.4.2.1 Der Erfahrungsbegriff nach William James .............................60 2.4.2.2 Der Erfahrungsbegriff innerhalb der angloamerikanischen Forschung ..............................................................................62 2.4.2.3 Geistliche Begleitung als Begleitung »religiöser Erfahrung« und »religiösen Erlebens« ........................................................63 2.4.3 Geistliche Begleitung und Mystagogik ....................................65 2.4.3.1 Der Begriff »Mystagogik« .......................................................66 2.4.3.2 Mystagogik in der Rezeption der Theologie Karl Rahners.......67 2.4.3.3 Mystagogik in der Tradition der Religionsphänomenologie ....70 2.4.3.4 Geistliche Begleitung als mystagogisches Lernen .....................74 2.4.4 Geistliche Begleitung und Aszetik...........................................75 2.4.4.1 Die allgemeine Situation evangelischer Aszetik .......................75 2.4.4.2 Geistliche Begleitung als seelsorgliches Geschehen unter asketischer Perspektive – Klaus Raschzoks Position.................77 2.4.4.3 Geistliche Begleitung als Aszetik: Glauben üben – Silke Harms’ Position .............................................................79 2.4.4.4 Geistliche Begleitung mit Aspekten einer reflektierten asketischen Übung..................................................................83 2.5 Abschließende Betrachtung der Diskurse um Geistliche Begleitung ..............................................................................84 3
Geistliche Begleitung – Präzisierung des Vorhabens nach Reflexion der Diskurse...........................................................87
Erster Teil: Geistliche Begleitung – exemplarische Modelle aus der christlichen Tradition.............................................................89 0 1
Begründung der Modellauswahl ............................................91 Geistliche Begleitung als »Geistliche Vater- bzw. Mutterschaft« im frühen Mönchtum – die individuellen Anfänge..................................................................................94
Inhaltsverzeichnis
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1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7 1.3 1.4 1.5 1.6 1.6.1 1.6.2 1.7
Hinführende Gedanken ......................................................... 94 Die Wüstenväter im frühen Mönchtum................................. 94 Biografisches und Hagiografisches zu Antonius und Poimen ..... 96 Grundzüge geistlicher Begleitung in der Wüstentradition ...... 98 Das »Wort« als Weisung ........................................................ 98 Trösten und Ermutigen ....................................................... 100 Symbolhandlungen als Antworten ....................................... 101 Die Entscheidung selber finden ........................................... 101 Schweigen und Verweigerung des Wortes ............................ 102 Behutsamkeit innerhalb einer Geistlichen Begleitung ........... 102 Antwort mit einem Rätselwort ............................................. 103 Voraussetzungen für den geistlich Begleitenden ................... 103 Die asketische Dimension – das Gebet als Übung ................ 106 Umgang mit Krisen bei den Wüstenvätern .......................... 108 Das Ziel und die Frucht der Geistlichen Begleitung ............. 110 Kontemplation als Zielperspektive Geistlicher Begleitung .... 110 Demut als Frucht einer kontemplativen Lebenshaltung ....... 111 Geistliche Begleitung in der Wüstenvätertradition ............... 112
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Geistliche Begleitung als »Gottsuche in Gemeinschaft« in der benediktinischen Tradition....................................... 113 Hinführende Gedanken ....................................................... 113 Grundzüge Geistlicher Begleitung in der Regula Benedicti .... 113 Ausrichtung auf Christus im geistlichen Kampf ................... 113 Der Abt als Geistlicher Begleiter .......................................... 114 Geistliche Begleitung: Wachsen in Demut als spiritueller Weg ................................................................... 115 Geistliche Begleitung: Ausdruck benediktinischer Gastfreundschaft .................................................................. 117 Grundzüge »Geistlicher Begleitung« in der Vita Benedicti .... 117 Geistliche Begleitung in benediktinischer Perspektive .......... 118
2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 2.4 3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2
Geistliche Begleitung als »Seelenführung« bei Johannes vom Kreuz – eine systematische Darstellung geistlichseelischer Prozesse ............................................................... 120 Hinführende Gedanken ....................................................... 120 Grundzüge der Geistlichen Begleitung ................................. 121 Entblößung und geistige Armut ........................................... 123 Die dunkle Nacht ................................................................ 123 Das Kreuz Christ in der Liebe .............................................. 124 Liebe, die sich nur verwirklicht in der Vereinigung mit Gott .. 124 Voraussetzungen für den Geistlichen Begleiter ..................... 125 Eigene Erfahrung ................................................................. 125 Weisheit .............................................................................. 126
12 3.3.3 3.4 3.5 3.6 4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.3 4.4
Inhaltsverzeichnis
Gabe der Unterscheidung .....................................................126 Das Gebet als Weg zur unio mystica ......................................128 »Methoden«, um Krisen im kontemplativen Leben zu bewältigen ............................................................................130 Geistliche Begleitung nach Johannes vom Kreuz...................131 Geistliche Begleitung in den Exerzitien des Ignatius von Loyola .............................................................132 Hinführende Gedanken........................................................132 Grundzüge Geistlicher Begleitung nach dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola ................................133 Das »Prinzip und Fundament« (EB 23) ................................134 Die erste Woche: »Umkehr« (EB 24–90) ..............................134 Die zweite Woche: »Nachfolge Jesu« (EB 91–169) ...............134 Die dritte Woche: »Passion« (EB 190–209) ..........................135 Die vierte Woche: »Auferstehung« (EB 218–229).................135 Abschluss: »Betrachtung zur Erlangung der Liebe« (EB 230–237) ......................................................................135 Die Rolle des Geistlichen Begleiters ......................................136 Geistliche Begleitung ignatianischer Prägung ........................137
5.2.3
Geistliche Begleitung in der evangelischen Tradition ..........140 Geistliche Begleitung – »evangelisch« oder »evangeliumsgemäß«.............................................................141 Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive ..............143 Evangelische Geistliche Begleiter: Luther und Bonhoeffer? ...143 »Evangeliumsgemäß« als hermeneutische Frage nach geistlicher Schriftauslegung, die die historisch-kritische Methode komplettiert ..........................................................145 Geistliche Begleitung evangelisch..........................................146
6
Geistliche Begleitung in der christlichen Tradition .............148
5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2
Zweiter Teil: Die pastoralpsychologisch-seelsorgliche Dimension: Geistliche Begleitung und der Ansatz der Integrativen Therapie .....151 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Hinführung und Begründung für die Wahl des Integrativen Ansatzes ...........................................................153 Begriff und Begründung der »Integrativen Therapie«............153 Gründe für die Entwicklung des Verfahrens .........................154 Der Begriff »Integration« ......................................................155 Begründung der Auswahl des Verfahrens der Integrativen Therapie für die Reflexion Geistlicher Begleitung .................156
Inhaltsverzeichnis
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Die wissenschaftstheoretische Position in der Entwicklung der Integrativen Therapie .............................. 159
3 3.1
Kernkonzepte der Integrativen Therapie ............................ 163 Die integrative Wissensstruktur – das Modell des »Tree of Science« ................................................................. 163 Metatheorien (»large range theories«) ................................... 164 Realexplikative Theorien (»middle range theories«) .............. 166 Praxeologie (»small range theories«) ..................................... 167 Praxis ................................................................................... 168 »Komplexes Lernen« – der lerntheoretische Ansatz der Integrativen Therapie........................................................... 169
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
»Intersubjektive Ko-respondenz« – das Beziehungsmodell der Integrativen Therapie ................................................... 173 Intersubjektivität als ein »In-Beziehung-Sein« ...................... 173 Dialogizität und Polylogizität ............................................... 174 Ko-kreativität und Kon-vivalität .......................................... 175 Modalitäten der Relationalität ............................................. 175 Anthropologische Grundposition......................................... 177 Ko-respondenz von Theorie und Praxis ............................... 178
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6
Ziele der Integrativen Therapie........................................... 181 Integrative Persönlichkeitstheorie......................................... 181 Die fünf Säulen der Identität ............................................... 182 Die Identitätsbildungstheorie der »Integrativen Therapie« ... 183 Die vier Wege der Förderung und Heilung .......................... 185 Gesundheits- und Krankheitslehre ....................................... 188 Zur Praxis der Integrativen Therapie.................................... 189 Wirkfaktoren der Integrativen Therapie ............................... 190
6
Integrative Therapie und Religion/Spiritualität .................. 191
7
Begegnungen von Theologie und Integrativer Therapie ..... 193
8
Integrative Therapie und Geistliche Begleitung.................. 194
Dritter Teil: Perspektiven für einen Entwurf Geistlicher Begleitung als ein seelsorgerlich-pastoralpsychologisches und spirituelles Geschehen ........................................................................................ 195 1
Ergebnisse der Untersuchung exemplarischer Modelle der christlichen Tradition hinsichtlich des intersubjektiven und spirituellen Beziehungsgeschehens in der Geistlichen Begleitung ........................................................................... 197
14 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2
2.1 2.2 2.3 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Inhaltsverzeichnis
Geistliche Begleitung: eine verbindliche mystagogische Seelsorge...............................................................................197 Geistliche Übungen im Dienst mystagogischen Lernens .......199 Geistlich Begleitende als kardiognostische und diakritische Mystagoginnen und Mystagogen ..........................................199 Geistliche Begleitung braucht einen gemeinschaftlichen Rahmen zum Korrektiv und Vorbild ....................................201 Geistliche Begleitung und Demut.........................................202 Pastoralpsychologische Perspektiven zur Gestaltung Geistlicher Begleitung unter Aufnahme der wissenschaftstheoretischen Position und von Kernkonzepten der Integrativen Therapie ...........................203 Grundlegung ........................................................................203 Abgrenzung und Kritik.........................................................203 Neues integratives Verfahren ................................................205 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge ....................207 Der »tree of science« Geistlicher Begleitung ..........................207 Das »Ko-respondenzmodell« Geistlicher Begleitung..............210 »Komplexes Lernen« in Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge......................................................214 Das Pathogenesemodell der »spirituellen Entfremdung« .......215 Geistliche Begleitung und die Anfechtung ............................222 Impulse Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge für die Praktische Theologie ................................224 Das Novum Geistlicher Begleitung als eine »Integrative mystagogische Seelsorge« ......................................................224 Skizze möglicher Handlungsfelder Geistlicher Begleitung als eine »Integrative mystagogische Seelsorge« .......................226 Geistliche Begleitung und Pastoraltheologie .........................226 Geistliche Begleitung und Gemeindeleitung .........................228 Geistliche Begleitung und gemeinsame Rituale .....................229 Anregungen für die Qualifikation zur Geistlichen Begleiterin / zum Geistlichen Begleiter .................................231
Literaturverzeichnis ..........................................................................235
1 Einführung und Entwicklung des Vorhabens Bei keiner Kunst maßt man sich an, sie zu lehren, bevor man sie gewissenhaft gelernt hat. Wie groß ist demnach der Leichtsinn, wenn Unerfahrene das Lehramt übernehmen; denn die Kunst aller Künste ist die Seelenleitung. (Gregor I der Große)
1.1 Geistliche Begleitung – eine Annäherung an das Phänomen 1.1.1 Allgemeine Beschreibung des Phänomens Geistliche Begleitung Geistliche Begleitung ist ein zwischenmenschliches Beziehungsgeschehen und zugleich lässt es sich als ein geistgewirktes, spirituelles Geschehen verstehen. Sie wird in verschiedenen Begegnungsformen praktiziert, vornehmlich in einem Gespräch. Kennzeichnend sind die Struktur einer verbindlichen Beziehung, die sich in der Regel über einen längeren vereinbarten Zeitraum mit regelmäßigen Treffen erstreckt, und ein methodisches prozessorientiertes Vorgehen mit geistlichen Übungen. Der Begriff »Geistliche Begleitung« wird im Rahmen dieser Arbeit im engeren (Schaupp), spezifischen (Lambert) Sinn verwendet. Damit ist eine zeitlich und räumlich strukturierte und verbindliche Beziehung gemeint. Sie wird mit dem Eigennamen »Geistliche Begleitung« bezeichnet. Davon unterschieden wird »geistliche Begleitung«. Diese bezeichnet eine allgemeine Grundhaltung, die nicht durch eine klare räumliche, zeitliche und inhaltliche Bestimmung näher spezifiziert ist.1 Der Begriff »Geistliche Begleitung« stammt ursprünglich aus dem evangelischen Kontext der Begleitung Sterbender, wo er den fürsorglichen Dienst des Zuhörens und Begleitens am Sterbebett beschreibt.2 Heute steht er für unterschiedliche Kontexte. Aktuell ereignet sich Geistliche Begleitung in Einzel- und Gruppenbegleitungen, in Exerzitien oder »Exerzitien im Alltag«, als ein das eigene Leben begleitendes Gesprächsangebot, in Häusern der Stille und auf Retreats. Ebenso unterschiedlich wie dieser formgebende Rahmen sind inhaltlich die christlich-geistlichen Prägungen. Es finden sich in ihr jesuitische, benediktinische und karmelitische Überlieferungen aus der katholisch-monastischen Tradition wie auch evangelische Ausprä1 Vgl. Klemens Schaupp (2007c), 12–31 (19), und Willi Lambert (2001), 14. Vgl. auch Klemens Schaupp (2007b), 101–127, dort in Aufnahme der Gedanken von Tilden Edwards’. Siehe Edwards (2001a), sowie ders. (2001b). 2 So mit Michael Schneider (2007), 39–57, hier: 40, Anm. 1, gegen Dietrich Stollberg, der behauptet, dass der Begriff aus dem Französischen stamme (direction spirituelle); mit Ralf Stolina (2010), 288–305, hier: 288f, Anm. 2 im Sinne Michael Schneiders.
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1 Einführung und Entwicklung des Vorhabens
gungen z.B. aus der lutherischen Tradition des Chorgebetes oder aus den evangelisch-kommunitären Lebensformen.3 1.1.2 Geistliche Begleitung und ihr aktueller gesellschaftlicher und innerkirchlicher Bezug Gegenwärtig zu Beginn des 21. Jahrhunderts erlebt Geistliche Begleitung in der deutschen Gesellschaft einen bemerkenswerten Aufschwung und ist dadurch gekennzeichnet, dass die spirituelle Suche individualisiert ist, die religiösen Angebote globalisiert sind und die feste Bindung an die christlichen Volkskirchen evangelischer und katholischer Tradition schwindet.4 In den 1970er-Jahren wiesen die Soziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann noch auf die »Rückkehr des Transzendenten« (Berger) und auf »eine unsichtbare Religion« (Luckmann) in unserer Gesellschaft hin, deren Wahrnehmung sie noch als defizitär bezeichneten. 2008 sieht der Soziologe Ulrich Beck die Wiederkehr des Religiösen in verwandelter Form als vollzogen an. Er konstatiert eine spirituelle »Sehnsucht nach dem eigenen Gott« in unserer Gesellschaft.5 3
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Kontexte in der westlichen Tradition des Christentums. Einen Überblick über die möglichen Kontexte und Angebote bietet die römisch-katholische Handreichung Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2001) und die beiden evangelischen Veröffentlichungen Greiner u.a. (2007) und »Geistlich begleiten. Eine Bestandsaufnahme evangelischer Praxis« (2011). In den Beiträgen wird deutlich, dass konzeptionell zumeist mit dem jesuitischen Begleitungskonzept gearbeitet wird. Dieses wird in vorliegender Arbeit ausgeführt (Erster Teil 4). Neuere exemplarische jesuitische Arbeiten, die sich auch mit der theoretischen Durchdringung der Praxis Geistlicher Begleitung auseinandersetzten, sind: Peter Köster (2009); Karl Frielingsdorf (2008) und die Arbeiten von Klemens Schaupp. So ders. (2006), der im Rahmen dieser Arbeit stellvertretend aus dieser Gruppe diskutiert wird, da er in weiten Bereichen im protestantischen Bereich aufgenommen wurde. Die östlichen Traditionen weisen eine eigenständige reiche Fülle geistlicher Begleitungsmodelle auf. Siehe dazu Job Getcha (2007). Dort auch weiterführende Literatur. Es gab und gibt Begleitungsformen auch in anderen Religionen und Kulturen, worauf Klemens Schaupp (2007c), 30 (Anm. 4), hinweist. Es seien weiterführend genannt für die jüdische geistliche Begleitung: Howard Avruhm Addison / Barbara Eve (2006). Weitere religionsübergreifende Information, Literatur im englischsprachigen Bereich, sowie Links und Kontaktadressen: www.sdiworld.org/, Spiritual Direction International, ein amerikanisches interreligiöses Netzwerk für Geistliche Begleitung. 4 Differenzierte Darstellungen geistlicher Entwicklungen in der DDR und Westdeutschland sind nachzulesen bei Gottfried Wolf (1980) und Silke Harms (2011), 59–89. 5 Ulrich Beck beschrieb 2008 die religiöse gesellschaftliche Lage als eine, die durch eine Sehnsucht nach dem »eigenen Gott«, nach eigener Erfahrung, geprägt ist. Religiöse Individualisierung und Kosmopolitisierung sind die zentralen Begriffe in seiner Erörterung. Die Sehnsucht nach dem eigenen Gott und eigenen Erfahrungen ist dabei weder atheistisch noch kirchlich zu verstehen und nicht ohne Gefährdungspotenzial auf dem globalen Markt der religiösen Möglichkeiten. Beck knüpft mit seinen Gedanken an die des amerikanischen Soziologen Peter L. Berger an. Dieser thematisierte schon 1970 in Ansätzen das Wiederentdecken des Übernatürlichen in der modernen Gesellschaft. 1980
1.1 Geistliche Begleitung – eine Annäherung an das Phänomen
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Geistliche Begleitung bietet einen Raum für eine solche persönliche Gottsuche unabhängig davon, ob und in welcher religiösen Bindung ein Mensch bis zu Beginn der Begleitung stand. In ihr kann eine spirituelle Sehnsucht aufgenommen und spirituelle Erfahrungen gesammelt bzw. vertieft werden. Sie entspricht damit einem globalen Trend. Mittlerweile existieren weltweit über 300 Ausbildungsprogramme für »spiritual direction«.6 Das rege neue Interesse an Geistlicher Begleitung zeigt sich auch darin, dass neben den Angeboten im katholischen Bereich, vornehmlich in der monastischen Tradition, zunehmend auch in den evangelischen Landeskirchen und kirchlichen Instituten entsprechende theologische Fort- und Ausbildungen für kirchliche (ehrenamtliche) Mitarbeitende und Pfarrer(innen) durchgeführt, sowie Geistliche Begleitung für Interessierte angeboten werden.7 Das Angebot an Ausbildungsgängen der konstatierte er, dass angesichts der Vielfalt religiöser Wissensüberlieferungen eine Haltung des »häretischen Imperativs«, eine Wahl oder Auswahl, vonnöten sei, um das Passende für den Einzelnen zu finden. Berger unterscheidet dreierlei Weisen, religiöses Wissen zu wählen: »a. autoritär aus Geltungsansprüchen der Tradition abgeleitetes Wissen (Prototyp Karl Barth; Zugangswege zur Tradition: durch einen blinden Glauben an die autoritär behauptete Geltung der Tradition), b. die Negierung religiösen Wissens durch ein Anpassen der religiösen Überlieferung an ein materialistisches Weltbild (Prototyp: Rudolf Bultmann und das von ihm vertretene Programm einer religiösen Entmythologisierung), c. das Ansetzen bei der Erfahrung als Quelle religiösen Wissens (Prototyp: F.D.E. Schleiermacher, Methode der Induktion).« Für Berger ist allein der dritte erfahrungsbezogene induktive Zugang zukunftweisend. Für ihn gilt es bei den menschlichen Alltagserfahrungen innerhalb einer Phänomenologie der religiösen Erfahrung anzusetzen. Die Alltagswirklichkeit ist dazu auf »Signale der Transzendenz« (Berger) zu befragen. Eine Wiederentdeckung der Transzendenz bedeutet vor allem, dass wir gegenüber der Wirklichkeit eine Offenheit der Wahrnehmung zurückgewinnen müssen. Dafür bedarf es Räume und Zeiten, Methoden und Kompetenzen, um eine solche Haltung der Offenheit gegenüber den »Signalen der Transzendenz« (Berger) zu entwickeln. Geistliche Begleitung ist für einen solchen Entwicklungsprozess geeignet, weil sie Lebens- und Glaubenserfahrungen im Kontext der christlichen Tradition thematisiert, die von religiös interessierten Menschen gesucht werden, und diese Suchenden mit religiösen Übungen für transzendentes Erleben öffnet. Ob die Wege des Wissens bei Berger so unvermittelt nebeneinanderstehen und nicht doch z.B. Erfahrung, materielle Wirklichkeit und Tradition einander an Wissen bereichern können, bleibt als Frage offenzuhalten. Vgl. Ulrich Beck (2008); Peter L. Berger / Thomas Luckmann (2012); Thomas Luckmann (1991); Peter L. Berger (1970/80), zit. aus Sabine Bobert (2010), 19–23; Peter L. Berger (1981), 109. 6 Geistliche Begleitung im angloamerikanischen Raum wird unter »spiritual direction« diskutiert und praktiziert. Einen guten Überblick über die amerikanische Forschung bietet die Veröffentlichung von Claudia Kohli Reichenbach, die selbst einen mehrjährigen Studienaufenthalt dort verbrachte. Einen weitreichenden Überblick über die europäische Geschichte der Geistlichen Begleitung bietet Kenneth Leech (1977), 34ff. Vgl. Spiritual Directors International, in der über 7 000 Mitglieder weltweit, Tendenz steigend, Mitglieder sind: Spiritual Directors International (2005–2014), sdiworld, www.sdiworld.org. 7 Beispielhaft: Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) (21.12.2009), Geistliche Begleitung, www.ekir.de/www/handeln/geistliche-begleitung; Institut für Aus-, Fort- und
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1 Einführung und Entwicklung des Vorhabens
Landeskirchen in der EKD hat sich innerhalb weniger Jahre auf so gut wie alle Landeskirchen ausgeweitet,8 die Anzahl von (v.a. evangelischen und katholischen) Publikationen steigt, und es haben sich durch den religionspluralen Kontext zahlreiche neue Konzeptionen entwickelt.9 Durch empirische Studien (Evaluationen und andere wissenschaftliche Untersuchungen) ist weiter zu erforschen, ob angesichts der quantitativen Nachfragen im evangelischen und katholischen Bereich, die Qualität der Ausbildung in Theorie und Praxis Geistlicher Begleitung den Anforderungen an eine langfristige verbindliche Begleitungsform standhalten kann. Auch ist weiter zu untersuchen, warum so viele Pfarrerinnen und Pfarrer Geistliche Begleitung für ihre Fortbildung wählen.10 Zudem sind auch der generelle Bezug und der »Nutzen« von Geistlicher Begleitung für die Gemeinde vor Ort weiter zu erforschen.11 1.1.3 Geistliche Begleitung innerhalb der Praktischen Theologie Geistliche Begleitung entwickelt sich zunehmend zu einer eigenständigen Größe in der evangelischen Landschaft. In Korrelation zu diesem neuen Renommee Geistlicher Begleitung eröffnete sich ein reger praktisch-theologischer Diskurs. Die Forschungen nehmen im deutschsprachigen evangelischen Bereich zu. Eine Suchanfrage im Internet macht dies schnell deutlich. Sie sind jedoch längst noch nicht so rege und strukturiert wie in den Vereinigten Staaten.12 Im europäischen Bereich sind die Traditionen und die Geschichte Geistlicher Begleitung hinrei-
Weiterbildung der EKvW (o.J.), Geistliche Begleitung, www.institut-afw.de/angebote/ pastoralkolleg/geistliche-begleitung; Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) (2010– 2015): Startseite, http://ruach.orden.de, früher IMS (Institut für missionarische Seelsorge) oder Geistliches Zentrum Schwanberg e.V. / Communität Casteller Ring (2014– 2015), Fortbildung Geistliche Begleitung – Qualifizierung zur Spiritualin / zum Spiritual, www.schwanberg.de/GZS/Fortbildung_Leiterkurs. 8 So mit Silke Harms (2011), 82. Zu verweisen ist mit ihr auf die Arbeiten Hansjörg Schemanns und Maria Reichels von 2007, die alle Ausbildungsmöglichkeiten 2007 zusammenstellten. Diese Publikationen wurden unabhängig voneinander konzipiert, 2009 wurden Schritte zur Vernetzung im evangelischen Bereich unternommen, und 2010 fand bei der Christusbruderschaft Selbitz ein »Symposium Geistliche Begleitung« statt. Der Tagungsband ist veröffentlicht unter »Geistliche Begleitung. Eine Bestandsaufnahme evangelischer Praxis« (2011). 9 Dies gilt vor allem in der amerikanischen Forschung. Vgl. Claudia Kohli Reichenbach (2011). 10 Erste Überlegungen finden sich bei Sabine Hermisson (2011), 149–162. 11 Erste Gedanken zu Geistlicher Begleitung und Gemeindeaufbau präsentiert Klemens Schaupp (2007), 2–20; Albrecht Schödl (2007), 128–143, oder bei Bernhard Petry (2007), 144–151. 12 Siehe Anm. 6 und 9.
1.1 Geistliche Begleitung – eine Annäherung an das Phänomen
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chend erforscht.13 Dazu treten konzeptuelle Vergleiche einzelner Entwürfe bzw. monographische Studien wie z.B. zuletzt bei Claudia Kohli Reichenbach und Hansjörg Schemann.14 Neben dieser Forschungsarbeit sind aus den theologischen aktuellen Diskursen im deutschsprachigen evangelischen Raum insbesondere vier Aufsatzsammlungen zu nennen, die die theologischen Überlegungen bündelten und weiterführten.15 Die Diskussion kreist zum einen um die theologische Verortung derselben innerhalb des Fächerkanons der Praktischen Theologie und zum anderen um die Fragen nach der praktisch-theologischen Grundlegung, Form und Struktur Geistlicher Begleitung und ihrem Verhältnis zur Seelsorge bzw. Pastoralpsychologie. Fragen nach dem Wesen und dem Geschehen Geistlicher Begleitung sind in beiden implizit zugegen, weshalb beide Diskurse an dieser Stelle aufgezeigt werden, um im Anschluss daran das Forschungsanliegen aus diesen und der noch folgenden Darstellung ihrer aktuellen spirituellen sowie der bereits erläuterten innerkirchlichen und gesellschaftlichen Situation heraus zu formulieren. 1.1.3.1 Geistliche Begleitung in der theologischen Diskussion ihrer wissenschaftlichen Verortung In der deutschen wissenschaftlichen Theologie wird Geistliche Begleitung zum Teil anders in der Praktischen Theologie verortet als in der US-amerikanischen Theologie.16 Innerhalb der Praktischen Theologie wird Geistliche Begleitung in unterschiedlicher Weise zugeordnet, je nach Verständnis derselben bzw. der jeweiligen theologischen Disziplin. 13
Die erste europäische evangelische Dissertation stammt dabei schon aus dem Jahr 1940 und blieb erst einmal singulär: Jean-Daniel Benoît (1940). Direction spirituelle et protestantisme. Étude sur la légitimité d’une direction prostestante. Einen Überblick über die europäische Geschichte der Geistlichen Begleitung bieten Andrè Rayez / Michel Olphe-Gaillard / Charles Berthelot du Chesnay u.a. (1957) und auch Leech (1977), 34ff. Siehe dazu auch Hansjörg Schemann (2014), 55–91. 14 Claudia Kohli Reichenbach (2011), bes. 23–52 und Hansjörg Schemann (2014). 15 Siehe Klaus Kießling (2008) und ders. (2010). In diesen beiden Veröffentlichungen werden die unterschiedlichen Konzepte, Modelle und theologischen Grundlagen Geistlicher Begleitung zusammengetragen und konzeptionell erschlossen. Die wissenschaftlichen Beiträge sind darin vornehmlich von katholischen Theologen und Theologinnen verfasst, so auch in der Aufsatzsammlung Greiner u.a. (2007). Zum anderen sind die beiden Aussatzsammlungen Greiner u.a. (2007), die ein erstes evangelisch motiviertes phänomenologisches Kompendium darstellt, und später die Aufsatzsammlung Dorothea Greiner / Klaus Raschzok / Matthias Rost (2011). Geistlich Begleiten. Eine Bestandsaufnahme evangelischer Praxis, zu nennen. Letztere ist das Produkt des Gespräches der Verantwortlichen nahezu aller Weiterbildungsangebote im Bereich geistlicher Begleitung und geistlicher Übungen im Raum der EKD (2010), die unter anderem zu den Themenfeldern der theologischen Basis von Geistlicher Begleitung, ihren Strukturen und Ausbildungsstandards sowie der Einbindung von Geistlicher Begleitung in kirchliche und pastorale Ausbildungssysteme ins Gespräch gegangen sind. 16 Vgl. die Ausführungen zur Spiritualität unter 2.4.1.
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Folgende markante Positionen, die die theologische Diskussion skizzieren und unterschiedliche Aspekte des Gesamtgeschehens Geistlicher Begleitung verdeutlichen wie z.B. asketische und pädagogische Perspektiven, lassen sich unterscheiden: Klaus Kießling, ein römisch-katholischer Theologe, Psychotherapeut, Supervisor, Diakon und Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main und Leiter des Seminars für Religionspädagogik, Katechetik und Didaktik sowie des Instituts für Pastoralpsychologie und Spiritualität, versteht Geistliche Begleitung als eine Form der Seelsorge auf dem Hintergrund einer weiten katholischen Seelsorgedefinition. Diese Position bezeichnet Seelsorge im Vollsinn ihres Wortes: zum einen als Seele im umfassenden Sinn einer Menschenseele und zum anderen als Sorge im allgemeinen Sinn eines Grundphänomens menschlichen Daseins.17 Seelsorge hat sich der Sorge um Menschen zu verschreiben und bildet eine eigene Tradition. Im Rahmen Geistlicher Begleitung betritt für ihn ein Seelsorge suchender Mensch den Weg einer Neugeburt aus dem Glauben, begleitet von einer geistlichen Mutter, einem geistlichen Vater.18 Geistliche Begleitung enthält dabei als ein seelsorgerliches Gesprächsangebot eine doppelte geistliche Dimension: Sie unterstützt und fördert Menschen zum einen dahingehend, »dass sie ihre eigenen geistlichen Quellen finden«, (und zum anderen), »dass sie eine Kongruenz entwickeln, dass also genau das nach außen sprudelt, wie es jeder einzelnen Person entspricht«.19 In ihr stehen das Leben des Begleiteten und seine Lebensbewegung zu Gott inhaltlich im Mittelpunkt. »Konstitutiv für geistliche Begleitung sind jedoch nicht die Inhalte, sondern die Weise des Umgangs mit denselben. Alles, was sich aufdrängt, kann zur Sprache gebracht und in geistlicher Perspektive wahrgenommen, gehört und gespürt und verkostet werden, wie auch umgekehrt über geistliche Inhalte durchaus sehr ungeistlich (oder zeitgeistlich!) gesprochen werden kann.«20 Geistliche Begleitung ist folglich nach Kießling im umfassenden Sinn Seelsorge. Anders positioniert Hansjörg Schemann, ein evangelischer Pfarrer und promovierter Theologe, Geistliche Begleitung. »Nun ist aber eine klare Verortung der Geistlichen Begleitung im Feld der Seelsorge nicht so einfach möglich, weil Geistliche Begleitung von ihrem Wesen und Ziel her in der Regel in einem klaren geistlich-spirituellen Rahmen stattfindet.«21 So setzten die Telefonseelsorge, die Krankenhausseelsorge oder 17 18 19 20 21
Klaus Kießling (2010), 22. A.a.O., 22. A.a.O., 18. A.a.O., 19. Hansjörg Schemann (2007), 230–242 (233). Siehe auch ders. (2014), 146–161 (bes. 153ff [159]).
1.1 Geistliche Begleitung – eine Annäherung an das Phänomen
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auch die Gemeindeseelsorge die Dimension des Glaubens bei den Seelsorgesuchenden nicht voraus. Sie bringen ihn in der Regel auch nicht von sich aus zur Sprache oder machen ihn nicht zum Thema. Doch dies, die Spiritualität, ist gerade in der Geistlichen Begleitung »explizit der Fokus«.22 Geistliche Begleitung ist nach ihm als Ergänzung und Bereicherung zur Seelsorge und den Begleitungskompetenzen in Therapie, Beratung, Supervision zu verstehen, die ihrerseits andere Aufgaben gemäß der Ausgangssituation der aufsuchenden Menschen, Zielsetzungen und Voraussetzungen kennen. Mit Schaupp spricht Schemann auch von einer kooperativen Unterscheidung. Dabei legt er Wert auf das Uranliegen der Reformatoren, sich ganz und gar der sola gratia, der bedingungslosen Gnade, auszuliefern, und zwar in aller fragmentarischen Existenz und somit in aller Anfechtung. Mit Ralf Stolina formuliert er, dass es gilt, den Erfahrungsgrund nicht aus dem Auge zu verlieren. Geistliche Begleitung wird so nicht zu einer Form egoistischer spiritueller Selbstverwirklichung oder modernem Erfolgsdenkens und Vollkommenheitsstrebens.23 Geistliche Begleitung will vielmehr seelsorgerlich dazu beitragen, den roten Faden der gnädigen Wegführung Gottes zu entdecken. In der Praxis geschieht dies durch eine kontemplative Haltung, die neue Erfahrungen Gottes möglich macht. Die Erfahrungsdimension gelangt nach ihm so mit der Geistlichen Begleitung in der Seelsorge neu in den Blick. Theologisch entfaltet er in seiner Studie zur Geistlichen Begleitung von 2014 eine trialogische Grundstruktur auf der Basis der biblischen Überlieferung. Geistliche Begleitung ist nach Schemann Seelsorge in kontemplativer Haltung im expliziten Fokus der Spiritualität.24 Klaus Raschzok, evangelischer Theologe und Leiter des Instituts für Geistliches Leben und Askese in Neuendettelsau, formuliert: »Geistliche Begleitung lässt sich als eine Form der Seelsorge verstehen, die sich an der Taufgnade orientiert. Ihre konsequente Wahrnehmungsorientierung zielt darauf, das Leben in Christus zu erkennen. Sie vollzieht dies unter Einbeziehung zweier für das persönliche geistliche Leben unersetzlicher Instrumente: der Betrachtung der Heiligen Schrift und des Gebetes. Damit partizipiert sie an der Aufgabe einer evangelischen Aszetik als Lehre vom gelebten Glauben.«25 Seelsorge und, genauer, Geistliche Begleitung wird damit als ein Ausdruck gelebten Glaubens Teil der Aszetik. 22 23 24
A.a.O. (2007), 233. A.a.O. (2007), 239. Hansjörg Schemann (2014), 187–470 (theologische Grundlegung) und 513–519 (kontemplative Haltung). 25 Dorothea Greiner / Klaus Raschzok / Klemens Schaupp / Anna-Maria aus der Wiesche (2007), 212f. Aszetik wird von ihm als theologisch-wissenschaftliche Lehre geistlicher Übungen (Askese) und gelebten Glaubens verstanden. Vgl. die Informationen auf der Homepage des von Raschzok mit geführten Aszetik-Instituts unter www.aszetik-institut.de.
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Silke Harms, promovierte evangelische Theologin und theologische Referentin des Geistlichen Zentrums Kloster Bursfelde in der Evangelischen Landeskirche Hannover, erklärt Geistliche Begleitung auf der Basis ihrer Lutherauslegung und eines spezifischen Übungsverständnisses als Bestandteil geistlicher Übung. Damit gehört Geistliche Begleitung für sie in den Bereich der Aszetik.26 Sie entwirft ihre Aszetik als Übungslehre vom hermeneutischen Schlüsselbegriff der »Übung« her. Jede geistliche Übung ist ein Spezialfall der allgemein menschlichen Übung.27 Folglich ist Geistliche Begleitung als eine spezifische geistliche Übung Teil der Aszetik. Raschzok und Harms begründen damit auf unterschiedliche Weise und doch letztlich gemeinsam Geistliche Begleitung als Aszetik. Anders versteht Peter Zimmerling, evangelischer Theologe und Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, Geistliche Begleitung. Er sieht sie »auf der Schnittstelle zwischen Katechese, Spiritualität und Seelsorge«28 angesiedelt. Viele Anliegen der Geistlichen Begleitung korrespondieren für Zimmerling mit dem Studium der Spiritualität. Er sieht die Reintegration der Spiritualität als eine Aufgabe sämtlicher theologischer Fächer, nicht bloß in einer im Rahmen der Praktischen Theologie wieder zu etablierenden »theologia ascetica«. »Meine Hoffnung [ist, dass] in der Spiritualität der heimliche Fluchtpunkt aller theologischen Arbeit sichtbar wird.«29 Gründe für diese Integration sieht er in den reformatorischen Ursprüngen existenzieller und erfahrungsbezogener Theologie: bei Luther in der Verbindung von Theologie und praxis pietatis: oratio, meditatio, tentatio,30 und bei Melanchthon in dessen enger Verbindung von Spiritualität und Bildung. Zimmerling folgt Melanchthon in seiner Auffassung, dass in eine jede theologische Bildung eine Ausbildung der individuellen Identität und eine Suche nach Antworten auf die Gottesfrage gehören.31 Schemanns grundsätzliche kooperative Unterscheidung von Geistlicher Begleitung in eine seelsorglich-pastoralpsychologische und eine spirituell-geistliche Dimension ist zuzustimmen. Kooperation (von lateinisch Siehe auch die Ausführungen unter 2.4.4; dort Entfaltungen der Begriffe Askese und Aszese. 26 Silke Harms (2012), 22–27 (26) sowie Harms (2011), 11. Siehe auch die Ausführungen zur Aszetik unter 2.4.4. 27 Die Verfasserin teilt das Übungsverständnis von Silke Harms, ohne das Gesamtgeschehen Geistlicher Begleitung jedoch als Aszetik zu verstehen. Vgl. Silke Harms (2011), 14f. 28 Peter Zimmerling (2012), 125–142. 29 A.a.O., 138. 30 A.a.O., 128. 31 A.a.O., 129.
1.1 Geistliche Begleitung – eine Annäherung an das Phänomen
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cooperatio ›Zusammenwirkung‹, ›Mitwirkung‹) meint das Zusammenwirken von seelsorglich-pastoralpsychologischen und von einem spirituellgeistlichen Geschehen innerhalb einer Geistlichen Begleitung, welche jedoch konkret immer wieder neu gesondert betrachtet bzw. unterschieden werden muss, da z.B. Entwicklungen, Methoden und Instrumente sowie deren Dynamiken jeweils andere in beiden Dimensionen sind. Beide Aspekte bilden die zwei grundlegenden Stränge Geistlicher Begleitung. Geistliche Begleitung ist somit nicht undifferenziert in die Poimenik zu subsumieren, wie Klaus Kießling es mit seinem sehr weiten Seelsorgebegriff unternimmt. Es ist meines Erachtens in Abgrenzung zu Kießling und Schemann jedoch weiter zu differenzieren. Eine reflektierte geistliche Übungspraxis ist grundlegend. Gemeint ist, ausgehend von einer konkreten geistlichen Übung, spirituelle Entwicklungsprozesse bewusst zu reflektieren. Ausbildungsgänge zur Geistlichen Begleitung schreiben dies als Lehrinhalte nicht explizit aus.32 Veröffentlichungen dazu stehen noch aus. In einem konkreten Übungsmodus wird ein asketischer Aspekt in die grundlegend seelsorgerlich und spirituell orientierte Begleitungsform »Geistliche Begleitung« hineingetragen und damit religiöses Lernen konkret ermöglicht. Die Askese33 nimmt damit teil an den beiden grundlegenden seelsorgerlichen und spirituellen Dimensionen Geistlicher Begleitung. Diese allerdings allein als Teil einer eigenen Aszetik zu verstehen, wie Raschzok es formuliert,34 ist zu umfassend. Die Bedeutung wiederholender kontinuierlicher Übungspraxis ist allerdings gerade im kontemplativen Bereich als Einübung in eine spirituell empfangende Haltung mit Schemann, Raschzok und Harms weiter zu betonen, auch um mystagogische Wandlungs- und Lernprozesse zu fördern, wie sie in vorliegender Arbeit aufgezeigt werden. Die geistliche Übung ist somit ein wichtiger Bestandteil des Gesamtgeschehens, weil sie ein spirituelles Lernen ermöglicht. Dieses Bildungselement wird von Peter 32
So z.B. die Qualifikation zur Geistlichen Begleitung in der Evangelischen Kirche im Rheinland 2011–2014. Siehe www.ekir.de oder die der Ev. Kirche der Pfalz (2008– 2010) nach Sylvia Schönenberg (2014), 104–137. 33 Askese (griechisch ἄσκησις áskēsis) ist ein vom griechischen Verb askeín (ἀσκεῖν) »üben« abgeleiteter Begriff. Seit der Antike bezeichnet er eine konkrete Übungspraxis im Rahmen einer religiösen oder philosophischen Selbstschulung. Siehe: Jan Bergman / Ludwig Markert u.a. (1979), 195–259. Vgl. Einführung 2.4. 34 Aszetik (von griechisch askesis, »Übung, Verzicht«) bezeichnet in der Regel eine Disziplin der christlichen, insbesondere katholischen Theologie. Raschzok setzt sich für eine solche in der evangelischen Theologie ein. Sie entstand unter diesem Namen im 17. Jahrhundert. Heute wird sie eher als Spirituelle Theologie bzw. Theologie der Spiritualität bezeichnet. Gegenstand der Aszetik ist die Askese als Daseinsbewältigung nach den Maßstäben des Evangeliums durch intensives und methodisches geistliches Üben. Besonders die mystische Tradition steht dabei im Blick. Ziel ist es, trotz aller Schwierigkeiten in der Nachfolge Jesu voranzukommen und der inneren und äußeren Widerstände Herr zu werden. Vgl. Einführung 2.4.4.
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Zimmerling gesehen, wenngleich es in einem anderen Begründungszusammenhang entwickelt wird, als es in dieser Arbeit durch die Einbeziehung der »komplexen Lerntheorie der Integrativen Therapie« und des »mystagogischen Lernens« geschieht.35 Das von mir zugrunde gelegte Verständnis von Geistlicher Begleitung wird folglich wesentlich innerhalb der Praktischen Theologie im Bereich der Poimenik verortet, weil in ihr »Begleitung, Begegnung und Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glaubens«36 und damit Seelsorge geschieht. Dort, wo zusätzlich zu diesem theologischen Grundverständnis mit psychologischen, psychotherapeutischen bzw. sozialpsychologischen Erkenntnissen besser und tiefer zu verstehen und durch solche Verfahren und Methoden besser und tiefer zu praktizieren gesucht wird, handelt es sich um eine pastoralpsychologisch orientierte Seelsorge.37 Geistliche Begleitung ist als eine solche pastoralpsychologisch orientierte Seelsorge ferner in der Regel durch zwei weitere Aspekte38 spezifiziert: zum einen durch einen asketischen Aspekt mittels der praktizierten geistlichen Übungen39 und zum anderen durch einen steten spirituellen Aspekt, der bewusste Wahrnehmungsprozesse für das Wirken des Heiligen Geistes fördern möchte.40 Dieser spirituelle Aspekt dient letztlich, wie noch an genuin christlichen Begleitmodellen konkreter aufgezeigt wird, einem mystagogischen Geschehen, weil die geistlichspirituelle Dimension auf die cognitio dei experimentalis, die Erfahrungserkenntnis Gottes, ausgerichtet ist. 1.1.3.2 Geistliche Begleitung und ihr Verhältnis zur Pastoralpsychologie Die Verhältnisbestimmung der Geistlichen Begleitung zur Pastoralpsychologie ist ein spannungsreicher theologischer Diskurs. Ein weitreichender kritischer Impuls zur evangelisch-theologischen Diskussion kam 2010 von dem 2014 verstorbenen evangelischen Theologieprofessor Dietrich Stollberg, der in der Pastoraltheologie 99 (2010)41 provozierend 35 36
Vgl. Ausführungen unter 2.4.3 und im Zweiten Teil 3.2. Michael Klessmann (2008). Vgl. auch die dargestellten Konzepte und christlichen Modelle im späteren Verlauf der Arbeit (Zweiter Teil). 37 Vgl. Michael Klessmann (2004). 38 Aspekte sind Teilbereiche. Askese ist damit ein Teilbereich der Poimenik. So gegen Silke Harms und Klaus Raschzok in Erweiterung von Hansjörg Schemann und Klaus Kießling. 39 Mit Silke Harms und ihrem Übungsverständnis. Vergleiche Ausführungen zur Aszetik unter 2.2.4. 40 Die geistlich-spirituelle Situation stellt Hansjörg Schemann mit seinem trialogischen Strukturmodell ausgeführt klarer und differenzierter als Klaus Kießling dar. Vgl. Hansjörg Schemann (2014), 187–470. 41 Dietrich Stollberg (2010), 39–57. Die Reaktionen von Ralf Stolina und Claudia Kohli Reichenbach sind veröffentlicht in der Pastoraltheologie 99 (2010) und im folgenden Heft.
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fragte: »Was ist die theologische Basis geistlicher Begleitung?«. Sein Zwischenruf bildet einen markanten und wichtigen Punkt in der regen Debatte innerhalb der Pastoralpsychologie über die Geistliche Begleitung, die zugespitzt vor allem in den Jahren 2009/2010 aufkam.42 Sie beinhaltete zum einen die Diskussion über die theologische Basis, ob nicht auch Pastoralpsychologen geistlich/spirituell seien, und zum anderen erörterte sie Fragestellungen, wie Geistliche Begleitung sich gestalte, wie sie sich von einem psychotherapeutischen Setting unterscheide und ob sie als eine allgemeine Gestalt und Haltung in der Seelsorge oder als eine spezifische, strukturierte Form derselben zu beschreiben sei. Stollberg fordert in seinem Zwischenruf, eine klare Bestimmung des Verhältnisses von menschlich-methodischem und unverfügbar göttlichem Wirken vorzunehmen, um den protestantischen Standpunkt zu wahren. Geistliche Begleitung dürfe niemals dazu führen, dass das eigene Heil erarbeitet werde. Er erhebt theologische Bedenken gegen diese angebliche »katholisch-suggestive Praxis«. Auch konstatiert er, dass es ein methodisches Durcheinander von Psychologie und Spiritualität in der Geistlichen Begleitung gebe, das leider kaum gründlich reflektiert werde. Stollbergs Hinweise sind ernst zu nehmen. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass der protestantische Verdacht der Werkgerechtigkeit zum dauerhaften Festhalten an einer übermäßig kritischen Haltung des Protestantismus gegenüber der Geistlichen Begleitung und geistlichen Übung weiter Raum greift.43 Die Diastase (von griech. διάστασις »das Auseinanderstehen«) zwischen geistlichem Tun und unverfügbarer Gnade ist mit dem evangelischen emeritierten Theologieprofessor Manfred Josuttis44 allerdings klar zu wahren. Stollbergs Aufforderung nach einer grundsätzlichen psychologischen und spirituellen Diskussion der Methodik wird mit dieser Arbeit aufgenommen. Mit Michael Utsch,45 einem evangelischen Theologen, Psychologen und Psychotherapeuten, der seit 1997 wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Lehrbeauftragter an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin ist, ist für das Verhältnis von Pastoralpsychologie und Spiritualität die spirituelle Dimen42
Siehe dazu in zusammenfassender Darstellung die Diskussion in »Pastoralpsychologie in Bewegung« (2009), hg. von der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie (DGfP). 43 Mit Harms (2011), 11. Ihre Arbeit ist auch als ein Beitrag zur Klärung der theologischen Basis geistlicher Begleitung durch Erarbeitung der geistlichen Praxis von Luther und Schleiermacher, die ihr Leben lang eine spirituelle Praxis geübt haben, zu verstehen. Vgl. dies., A.a.O., 13. 44 Siehe dazu den Aufsatz von Manfred Josuttis (2002b), 70–89. 45 Ein konstruktives Plädoyer in Auseinandersetzung zu Dietrich Stollberg stellt der Aufsatz von Michael Utsch dar. Siehe Michael Utsch (2011), 177–197.
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sion explizit oder implizit immer in einer pastoralpsychologisch orientierten Seelsorge als gegeben anzusehen (sei es als Thema des Gespräches, durch die Haltung des Begleiters oder durch ein Gebet). Zuzustimmen ist auch seiner Position, dass die spirituellen Themen innerhalb der Pastoralpsychologie historisch betrachtet, bis auf einige Ausnahmen, vernachlässigt wurden.46 Die neue Nachfrage nach spirituellen Themen macht diese Vernachlässigung innerhalb der Pastoralpsychologie deutlich und fördert das Interesse an Geistlicher Begleitung und ihre rasche Entwicklung.47 Utsch ist ferner zuzustimmen, dass »in der Seelsorge (und damit auch in der Geistlichen Begleitung) sowohl psychologische Fachkenntnisse als auch die Pflege der eigenen Spiritualität unverzichtbar sind«.48 Geistliche Begleitung »versucht eine geistliche Betrachtung des Lebenslaufes«49 und arbeitet mit geistlichen Übungen. Dadurch bedarf es der »Kenntnis sowohl der spirituellen Entwicklung wie der psychologischen.«50 Er konstatiert: »Während die psychologischen Faktoren der Identitätsentwicklung ausgiebig untersucht worden sind, steckt die Psychologie der spirituellen Entwicklung noch in den Kinderschuhen.«51 Dies gilt, obwohl spirituelle Begleitung von Kranken seit 1995 als ein gesundheitsbezogener Faktor in den Kriterien der Weltgesundheitsbehörde (WHO) aufgenommen wurde und zu den grundlegenden Themen in Psychotherapie, Medizin und Pflege gehört.52 Geistliche Begleitung mit ihrer expliziten Thematisierung von Spiritualität stellt – bei aller Schwierigkeit dieses unscharfen Begriffs53 – dabei eine Ressource für die evangelische Begleitungsarbeit dar.54 Sie vermag nach Utsch Brückenfunktionen zu übernehmen, die in Amerika schon besser etabliert sind, wo spirituelle Interventionen bereits z.B. zum psychotherapeutischen Interventionsrepertoire gehören.55 46
Ein Blick in die Seelsorgeliteratur zeigt dies auf: Beispielsweise Klaus Winkler (1997) betrachtet diese Dimension gar nicht, Jürgen Ziemer (2008) ebenso wenig. Michael Klessmann (2004), 641, und Christoph Morgenthaler (2012), 219–221, weisen dagegen auf sie hin. Weitere Entfaltung findet sie bei Klaus Kießling (2010) und Manfred Josuttis (2002b), 70–89. 47 Utsch, a.a.O., 182f. 48 Utsch, a.a.O., 179. Eine pastoralpsychologische Fundierung Geistlicher Begleitung unterstützen auch Regina Bäumer / Michael Plattig (2012), 35, oder Klemens Schaupp (2001), 14. Siehe auch die Ausführungen unter Einführung 1.2.5.5. 49 Utsch., a.a.O., 181. 50 Ebd. 51 A.a.O., 197. 52 Vgl. Ralph M. Steinman (2008). Die anderen drei Dimensionen sind die psychologische, die soziale und die biologische, die alle gleichberechtigt zu berücksichtigen und zu fördern sind. 53 Vgl. die Ausführungen zur Spiritualität unter 2.4.1. 54 Mit Utsch, a.a.O., 187. 55 A.a.O., 197. Als Brückenfunktionen sieht er für die Geistliche Begleitung: 1. ihre Verbindung von Wort und Erfahrung; 2. von Intellekt und Emotion; 3. Theologie und
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In der evangelischen Theologie ist die Auseinandersetzung mit spirituellen Übungen und Entwicklungsprozessen, geistlich-spirituellem Wachstum und Lernen ein vernachlässigtes Gebiet. Gerade für die Prozesse innerhalb einer Geistlichen Begleitung gilt es den Stellenwert geistlicher Übungen und Entwicklungsprozesse noch präziser zu bestimmen, was in dieser Arbeit aus pastoralpsychologisch orientierter seelsorglicher Sicht und geistlich-spiritueller Sicht versucht wird. Zugleich ist grundsätzlich anzufragen, ob spirituelle Interventionstechniken wirklich in die Hände von Psychotherapeuten gehören, die womöglich keinerlei spirituelle Ausbildung erfahren haben. Ein Zusammenarbeiten wissenschaftlicher Fachdisziplinen erschiene begrüßenswerter, wie es z.B. Anton Bucher vorschlägt.56 Die von Stollberg mit angestoßene Diskussion ist zur Ruhe gekommen. Die grundsätzlichen praktisch-theologischen Fragen, die Dietrich Stollberg in seinem Zwischenruf nach der allgemeinen Gestalt und den Haltungen im zwischenmenschlichen Geschehen Geistlicher Begleitung, ihrer Ziele und Methoden gestellt hat, bleiben jedoch in ihrer Problemanzeige relevant. Sie motivierten der Frage nachzugehen, was innerhalb einer Geistlichen Begleitung wie und wozu geschieht. Wissenschaftliche Arbeiten, die explizit diese Beziehungsdimension untersuchen, gibt es keine. Mit Utsch spreche ich mich für eine pastoralpsychologische Fundierung Geistlicher Begleitung aus, um differenziert in dem zwischenmenschlichen Beziehungsgeschehen handeln und es verantwortungsvoll reflektieren zu können.57 Für die katholische Entwicklung bleibt festzustellen, dass Geistliche Begleitung sich seit den 1970er-Jahren stets in einem fruchtbaren Gespräch mit den Humanwissenschaften (vornehmlich der Gesprächspsychotherapie) entwickelt hat, indem psychotherapeutische Verfahren in verfasste Modelle vornehmlich der Ordensspiritualitäten aufgenommen wurden.58 Für den evangelischen Bereich ist die Entwicklung eine Spiritualität; 4. individueller Erfahrung und institutioneller Gemeinschaft; 5. zwischen Geschenk und Übung; 6. katholischer und evangelischer Frömmigkeit, 7. monastischer Spiritualität und Laienspiritualität, 8. die Brücke zu einer individuell passenden Gestaltwerdung des Glaubens, 9. zwischen christlicher und nichtchristlicher Mystik und 10. zwischen psychischer und spiritueller Entwicklung. 56 Vgl. zu diesem Abschnitt die Ausführungen zur Spiritualität (2.4.1) und Mystagogik (2.4.3) sowie Spiritualität und Integrative Therapie (Zweiter Teil 6). 57 Utsch, a.a.O., 107. Das Symposium Geistliche Begleitung 2010 in Selbitz zeigte, dass geistlich Begleitende an der Verbindung zwischen Pastoralpsychologie und Geistlicher Begleitung festhalten oder sie erst gewinnen möchten. Unterschiede werden vornehmlich dort und in der Diskussion im Bereich des favorisierten Wissenschaftsverständnisses und seiner Implikationen gesehen. 58 So mit Bäumer/Plattig (2012), 70–112. Für die Wiederentdeckung und die Gesprächsaufnahme mit den Humanwissenschaften in den 1970ern werden von ihnen zwei Gründe angeführt: die Unzufriedenheit der Mönche und Nonnen mit Geistlicher Begleitung und die Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils.
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andere. Zugunsten von biblisch-reformatorischer Legitimation und Entfaltung erfahrungsbezogener Theologie in Geistlicher Begleitung trat das Gespräch mit der Pastoralpsychologie für die Geistliche Begleitung in den Hintergrund.59 Diese Position übersieht jedoch die reichen Erkenntnisse der Pastoralpsychologie für die evangelische Theologie, die die Erfahrungsdimension seelsorglichen Handelns aktualisiert, mit methodischem und theoretischem Repertoire ihrer Referenzwissenschaften für die Praxis pastoralen Handelns fruchtbar gemacht und für die pastorale Identitätsentwicklung erarbeitet hat. Die Pastoralpsychologie hat die gegenwärtigen spirituellen Themen und Fragen neu in den Blick zu nehmen. Für die Entwicklung der Geistlichen Begleitung ist aus den oben genannten Gründen weiter an einer pastoralpsychologischen Grundierung zu arbeiten und die spirituelle Dimension weiter vertiefend zu verstehen.60 Qualitäts- oder Ausbildungsstandards wie in der Seelsorgeausbildung, die letztlich zur Anerkennung der Seelsorgebewegung und zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie (DGfP) 1972 geführt haben, gibt es offiziell im Rahmen von Geistlicher Begleitung keine. Sie werden aber als Frage nach Charisma und Profession diskutiert.61 Ob die derzeitige Bewegung Geistliche Begleitung in der evangelischen Kirche dabei Strukturparallelen zur Seelsorgebewegung aufweist, wie der evangelische Theologieprofessor Christian Albrecht aufzeigt, bleibt noch genauer zu ergründen.62 Konzeptionelle Entwürfe Geistlicher Begleitung, die andere als die Methoden und Grundlagen der Gesprächspsychotherapie berücksichtigen, sind in der neueren wissenschaftlichen Forschung gegenwärtig nicht zu finden, wenngleich sie in der Praxis und Ausbildung zur Geistlichen Begleitung angeboten werden.63 59
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis der Aufsatzsammlung Greiner u.a. (2007) macht dies bereits deutlich. 60 Siehe dazu Dritter Teil 4. 61 Siehe Hansjörg Schemann (2007), 268. In der Diskussion begegnen sich Charisma und Professionalität, unverfügbare Gnadengabe und fachlich erworbene Qualifikation in der Kompetenzbeschreibung der Begleitenden. Als Qualität wird auf die Liebe (caritas discreta) hingewiesen, die wohl weniger messbar denn lebbar zu machen ist. Vgl. auch Klemens Schaupp (2011a), 85–94. Dort plädiert Schaupp dafür, das Für und Wider von Charisma und Professionalisierung abwägend, für eine maßvolle Professionalisierung Geistlicher Begleitung. 62 So Christian Albrecht (2008), 330f. Die raschen landeskirchlichen Anerkennungen der Geistlichen Begleitung und die folgende zügige Umsetzung von Ausbildungsmaßnahmen seitens der Landeskirchen sind im Vergleich zur Seelsorgebewegung, deren Anerkennung und Entwicklung sich über einen langen Zeitraum erstreckte, durchaus kritisch zu bedenken. Besonders auch unter dem Gesichtspunkt von kirchlicher Personalentwicklung. Siehe dazu Greiner (2007), 308ff. 63 Gemeint sind z.B. Konzeptionen von Begleitung unter Einbeziehung des systemischen Ansatzes und Ausbildung zum systemischen Spiritual des kath. Priesters HansJoachim Tambour (vgl. Tambour, Hans-Joachim [o. J.], Erden und Pilgern, Klären und
1.1 Geistliche Begleitung – eine Annäherung an das Phänomen
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1.1.4 Geistliche Begleitung und Spiritualität oder der »fröhliche spirituelle Eklektizismus« Für das Phänomen »Geistliche Begleitung« ist eine zunehmend konfessions- und religionsplurale Ausformung festzustellen. Geistliche Begleitung suchende Menschen und solche, die Begleitende sind, greifen auf dem globalen Markt der religiösen Möglichkeiten auch auf die Methoden und Praktiken anderer religiöser Systeme zu. Klaus Raschzok beschreibt dies für den evangelischen Kontext als einen »fröhlichen spirituellen Eklektizismus«, wodurch »ganz unterschiedliche Weisen spiritueller Praxis in das Begleitgeschehen und in die Ausbildung zur geistlichen Begleitung«64 eingehen. Dieser Eklektizismus geschieht dabei nicht nur im christlichen Kontext, sondern geht weltweit durch alle geistigen und religiösen Systeme der menschlichen Überlieferung hindurch. So werden christliche Traditionen katholischer Überlieferung (ignatianische Schriftbetrachtung), neben dem orthodoxen Herzensgebet und einer anglikanischen Weise des »healing ministry«, Segnens und Heilens, mit Formen der Beichte und aus anderen Religionen stammenden Methoden und Praktiken (z.B. Yoga und Zen, Vipassana und Energetische-ChakrenÜbungen oder mantrische Übungen) verbunden und in neue Kontexte (einzeln oder in mehrfacher Verbindung) übertragen. Diese »Inkulturation« geschieht auch im Feld der Geistlichen Begleitung innerhalb wie außerhalb kirchlichen Lebens und schafft Neues. Es fehlt jedoch zugleich mit der praktischen Aneignung dieser außerchristlichen Methoden und Praktiken eine theoretische Reflexion. Diese Lücke soll vorliegend mit der Einführung des Integrationsparadigmas der Integrativen Therapie geschlossen werden. Dieses Paradigma hat seine Wurzeln insofern in einer vergleichbaren Situation in der Psychotherapie, als in eklektischer Weise psychotherapeutische Methoden miteinander verbunden wurden und die alte Klassifikation in psychotherapeutische Schulen obsolet wurde. Der integrative Ansatz geht davon aus, dass jeder eklektische Prozess Neues und Anderes schafft, die Summe größer ist und etwas Neues und Anderes darstellt, als es das je Einzelne ist. Dieser Ansatz regt zur bewussten Reflexion dieses offenen Prozesses an.65 Dazu bietet er den sog. »tree of science« an, ein Strukturmodell für die bewusste Reflexion aller eklektischen Prozesse, das von mir auf die Geistliche Begleitung angewandt wird.
Achtsamkeit, www.systemische-exerzitien.de) oder die Gestalt-Exerzitien der Benediktinerabtei in Gerleve. 64 Klaus Raschzok (2011), 111. 65 Vgl. die Ausführungen zum Integrationsparadigma unter dem Zweiten Teil Punkt 3.1–4.
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1 Einführung und Entwicklung des Vorhabens
1.1.5 Forschungsvorhaben und Vorgehensweise Im Anschluss an die Darstellung des gegenwärtigen Standes der praktisch-theologischen Diskussion zum Thema der Geistlichen Begleitung wird das Forschungsvorhaben wie folgt formuliert: 1. Die vorliegende Arbeit führt die oben dargelegten praktisch-theologischen Diskurse über Geistliche Begleitung fort und fragt nach der Beziehungsdimension in der Geistlichen Begleitung. 2. Sie nimmt dazu pastoralpsychologische Forschung auf und reflektiert das Geschehen in einer Geistlichen Begleitung, bezogen auf beide in ihr vorhandenen wirksamen Dimensionen: zum einen auf das zwischenmenschliche und zum anderen auf das spirituelle Geschehen in der Geistlichen Begleitung. Dazu werden ausgewählte geistliche Begleitmodelle der christlichen Tradition erforscht und der Ansatz der Integrativen Therapie aufgenommen. 3. Die eine Forschungsrichtung folgt somit der Frage: »Was geschieht zwischenmenschlich auf welche Weise in der Geistlichen Begleitung?« Dieser Frage wird einerseits durch die Befragung exemplarischer christlicher Modelle Geistlicher Begleitung nachgegangen, andererseits werden Kernkonzepte der Integrativen Therapie untersucht. Im Zentrum steht dabei, das integrative Beziehungsmodell inklusive seines Entwicklungsmodells für therapeutische Prozesse zu erörtern, das unter Aufnahme neuerer neurowissenschaftlicher und lerntheoretischer Forschungsergebnisse entwickelt wurde.66 4. Die andere Forschungsrichtung geht der Frage nach: »Was geschieht spirituell in der Geistlichen Begleitung?« Diese Frage wird bearbeitet, indem a) die gleichen christlichen Begleitmodelle nach spirituellen Lern- und Entwicklungsmodellen, sozusagen den geistlichen Erfahrungsmöglichkeiten, innerhalb des Begleitgeschehens befragt werden und b) der integrative »tree of science«, der ein theoretisches Strukturmodell, eine »Theorie des Integrierens« für spirituelle Methoden und eklektische Prozesse bietet, erörtert wird. Bevor dieses Vorhaben durchgeführt wird, sind allerdings grundlegende Reflexionen notwendig, die die gesamte fachliche Bandbreite der wissenschaftlichen Diskussion der Geistlichen Begleitung verdeutlichen, damit wesentliches Forschungsmaterial aus möglichst vielen Diskursfeldern um das Phänomen »Geistliche Begleitung« erhoben wird, das dann im Gespräch mit den Ergebnissen zum Abschluss der Arbeit diskutiert werden wird. Dazu gehören:
66
Siehe die Darstellung im Zweiten Teil der vorliegenden Arbeit.
1.1 Geistliche Begleitung – eine Annäherung an das Phänomen
1. 2. 3. 4.
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die Reflexion der biblisch-theologischen Basis; die Reflexion der außerbiblischen Tradition; die Reflexion der historischen Entwicklung; die Reflexion der derzeitigen Diskurse in der systematisch-theologischen und aszetischen Forschung.
Alle diese Reflexionsfelder beschreiben grundlegende Inhalte des Geschehens der Geistlichen Begleitung. In der Darstellung werden zudem auch die grundlegenden Begriffe geklärt, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zur Geistlichen Begleitung verwendet werden.
2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Mit den folgenden Erörterungen für die gegenwärtige Theorie- und Praxisbildung relevanter Studien, wird, einem reformatorischen Interesse folgend, zuallererst der biblisch-theologische Wurzelgrund für die Geistliche Begleitung erhoben. Er zeigt auf, dass der Ursprung und die Sache »Geistlicher Begleitung« älter sind als der Begriff bzw. die konzeptionelle Entwicklung derselben. Diesem Anliegen dient auch der sich anschließende kurze Überblick über die historische Entwicklung. Im Anschluss wird das Phänomen Geistliche Begleitung in die Kontexte aktueller wissenschaftlicher Diskurse in der evangelischen Theologie gestellt, um seine mannigfaltigen Bezüge zu präzisieren. 2.1 Biblisch-theologische Bezüge Geistlicher Begleitung Im Gespräch mit vier Ansätzen Geistlicher Begleitung werden die biblischen Perspektiven Geistlicher Begleitung im engeren Sinn herausgearbeitet. Es handelt sich dabei um Arbeiten der Theologen Willi Lambert (2001), Autor in der offiziellen römisch-katholischen Studie zur Geistlichen Begleitung, die auch in der evangelischen Kirche rezipiert wurde (z.B. von Ralf Stolina); Klemens Schaupp (2006/2007/2011), der als katholischer Theologe maßgeblich an der evangelisch-theologischen Grundlegung zur Geistlichen Begleitung beteiligt war und rege rezipiert wird (so bei Raschzok oder Schemann); Franz Jalics (2012), der ein an der Person Jesu, wie sie in den Evangelien überliefert ist, orientiertes Konzept Geistlicher Begleitung erarbeitete, und Ralf Stolina (2012), der eine evangelische Perspektive entwickelt.67 Alle Autoren lehnen sich an die ignatianischen Übungen für ein geistliches Leben an, was durch Wortwahl und Prozessbeschreibung deutlich wird (z.B. Unterscheidung der Geister, Wille Gottes oder Gott in allen Dingen finden, Christus entdecken).68 67
Der Vollständigkeit halber seien darüber hinaus genannt: Hansjörg Schemann (2014), 345–470, welcher seine theologisch-trialogische Grundlegung aus der biblischen Überlieferung erhebt und Anna-Maria aus der Wiesche, die ebenfalls eine biblische Begründung vollzieht. Sie entwickelt eine »Geistliche Begleitung nach dem Epheserbrief«, in: Greiner u.a. (2007), 152–159. Geistliche Begleitung geschieht hier jedoch an einer ganzen Gemeinde, nicht einzeln. Die gesamte Gruppe soll in die Heilswirklichkeit Christi hineingeführt werden. Es erfolgt keine individuelle Begleitung. 68 Vgl. die Darstellung unter Erster Teil 4.
2.1 Biblisch-theologische Bezüge Geistlicher Begleitung
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2.1.1 Geistliche Begleitung als Emmaus-Weggemeinschaft zur Entwicklung des eigenen Glauben-Lebens und des eigenen LebensGlaubens (Willi Lambert) Willi Lambert, Jesuit und katholischer Theologe, veröffentlichte 2001 ein biblisch-theologisch begründetes Konzept Geistlicher Begleitung. Es erschien in der Handreichung »Da kam Jesus hinzu …« (Lk 24,15), die vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2001 herausgegeben wurde.69 Sie sollte maßgebend und ermutigend für alle sein, die mit Geistlicher Begleitung in der römisch-katholischen Kirche beschäftigt sind. Kompendienartig bündelt sie die vielfältigen Aspekte von Geistlicher Begleitung, würdigt die in ihr stattfindende Ökumene und schafft einen ersten Überblick über Geistliche Begleitung in ihrer gewachsenen Gestalt zu Beginn des 21. Jahrhunderts.70 Lambert entwickelt in dieser Handreichung Geistliche Begleitung biblisch-theologisch aus der Emmausgeschichte (Lk 24,13–35) und sieht die Wurzel des Begleitungsgeschehens in der biblischen Urerfahrung begründet, »dass Jahwe der Gott ist, der sein Volk leitet und begleitet« (12). Neutestamentlich »ist Christus als Auferstandener verborgen und unerkannt als Begleiter gegenwärtig«, wie er sich in der Emmausgeschichte zeigt (vgl. ebd.). Theologisch ist durch die Aussage, dass Gott ein »mitgehender Gott« ist, und dadurch, dass Jesus, der »Anführer des Glaubens«, seinen Dienst »begleitend« und nicht »anführend« versteht, für Lambert »eigentlich schon die theologische Grundlegung von Begleitung auf dem Glaubensweg geschehen« (ebd.). Als einen weiteren theologischen Orientierungspunkt benennt er: die schöpfungstheologische Perspektive, »die Strukturen menschlichen Daseins ernstnimmt« (ebd.). Denn als »Mängelwesen« ist der Mensch auf Hilfe angewiesen und findet dieses nötige Mit-Sein in Begleitung (vgl. ebd.). Er weist mit Ignatius von Loyola auf die unmittelbare Begegnung zwischen Schöpfer und Geschöpf hin, welche Ziel Geistlicher Begleitung darstellt (vgl. 13).71 In diesem Dienst sieht Lambert auch immer »Kirche gegenwärtig durch die begleitende Person. Nicht in erster Linie durch Mitteilung und Theologie, von Normen, aber doch mit dem Schatz einer jahrtausendealten und auch immer neuen spirituellen Tradition der Erfahrungsgemeinschaft Kirche« (13). Lambert charakterisiert spezifische geistliche Begleitung im Unterschied zu einer allgemeinen Weise geistlichen Begleitens dadurch, dass »es [in 69 Willi Lambert (2001), 10–24. Zitate werden im laufenden Text aus dieser Quelle in Klammern gekennzeichnet. 70 Siehe dazu das Vorwort der Handreichung von Viktor Josef Dammertz OSB, Vorsitzender der Kommission »Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste«, die die Studie im Auftrag für die Bischofskonferenz erarbeitet hat, in: Handreichung des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz (2001), 5f. 71 Vgl. dazu Punkt 4 im Ersten Teil der vorliegenden Arbeit.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
der spezifischen Weise] um einen geistlichen Weg mit einem geistlichen Ziel« (14) geht.72 Systematisierende Felder, durch die ein Glaubensweg hindurchführt, indem der Sehnsucht nach Gott im »immerwährenden Gebet« (nach Augustinus) zu einem »Leben in Fülle« (Joh 10,10) Ausdruck verliehen wird, sind: 1. die Achtsamkeit für das »Evangelium des Lebens«, für den Gott, »in dem wir leben, uns bewegen und sind« (Apg 17,28), und für den Gott, der mich, meinen Namen, mein Sein schafft und mich so will, wie ich bin (vgl. 15f); 2. die Gewinnung eines »hörenden Herzens«; 3. das Wort des Evangeliums, das es durch existenzielle Aneignung zum »Wort des Lebens« werden zu lassen gilt (vgl. 16). 4. Begleitung beim Gebetsleben geschieht dabei in unterschiedlichen Formen und Weisen. 5. Begleitung zur »Unterscheidung der Geister« auf dem Weg der inneren Befreiung (»Indifferenz«) und entschiedenen Lebensgestaltung geschieht im Suchen nach Gottes Geist und Willen. 6. Ziel ist die Reifung zum »Vollalter Christi«. Dies geschieht, indem Krisen und Finsternisse auf dem Weg der Nachfolge bis zum Sterben als einem Geschehen »von Selbsterkenntnis, Selbstwerdung […] und Leben-Lassen« (17) angenommen werden. »Spirituelles Wachstum geschieht auf allen Ebenen: Leiblich, seelisch, geistig.« Für Lambert sind die Exerzitien ein »privilegierter Raum für geistliches Begleiten« (18). »Diese zeigen in ihrer ignatianischen Urform einige Grundschritte und Entscheidungsräume, die fundamental für den an der Bibel und Christus ausgerichteten Glaubensweg sind« (18). Für Lambert ist Geistliche Begleitung ein Beziehungsgeschehen in einem »diskreten Privatraum« (19) und damit zugleich im »Lebens-Raum« der Kirche (19). Mitte geistlichen Begleitens ist als »Lebens-Mitte« Gott und Jesus Christus zu erkennen (Joh 17,3) (vgl. 19). Die Wachstumsrichtungen siedelt Lambert dabei auf vier Ebenen an: auf der Ebene des Halts (Was ist mein letzter Halt?), der Haltungen (Von welchen Grundhaltungen des Evangeliums bin ich getragen?), des Verhaltens (Wie drücken sich meine geistlichen Wandlungs- und Wachstumsschritte in meinem konkreten täglichen Verhalten aus?) und der Verhältnisse (Wie gestalte ich meine beruflichen, familiären, politischen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse?) (vgl. 20). Lamberts Entwurf ist in Aufbau und Ausrichtung geprägt durch die ignatianische Spiritualität.73 Er verortet Geistliche Begleitung stets eingebunden in die römisch-katholische Kirche. Bezogen auf den von ihm schöpfungstheologisch und biblisch selbst ausgearbeiteten Entwurf Geistlicher Begleitung als eine »Emmaus-Weggemeinschaft«, die er da72 73
Vgl. zu den Begrifflichkeiten Anm. 1. Vgl. dazu die Ausführungen zum ignatianischen Modell Geistlicher Begleitung unter Punkt 4 im Ersten Teil vorliegender Arbeit.
2.1 Biblisch-theologische Bezüge Geistlicher Begleitung
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mit nicht ekklesiologisch, sondern vielmehr christologisch begründet, erscheint seine Verortung allein in der römisch-katholischen Kirche in dieser Engführung nur schwierig nachvollziehbar. Die von ihm selbst erarbeitete christologische Weite gilt es zu wahren. Als solche »Weg-Gemeinschaft« ist sie generell erst einmal innerkirchlich wie außerkirchlich zu verstehen. Positiv herauszustellen sind sein ganzheitlicher, auf eine »KörperSeele-Geist-Einheit« bezogener Ansatz, der offen für die Integration körperbezogener oder psychotherapeutischer Ansätze ist, und seine differenzierte Darstellung der spirituellen Entwicklungen im kontextuellen Verhalten des Menschen. Zurückzuweisen ist darin allerdings Lamberts Bild vom Menschen als eines »Mängelwesens«, das substanziell den Anderen braucht, um ganz zu werden. Dieses sei auf Hilfe angewiesen und finde dieses nötige Mit-Sein in Begleitung (vgl. 12). Die Repräsentanz des Anderen stellt dabei für ihn eine »Vergegenwärtigung der Gnade, d.h. von Geschenkt-Sein« (13) dar. Arnold Gehlen, auf den Lambert Bezug nimmt, hat 1940 diesen Begriff jedoch nicht als einen substanziellen Begriff eingeführt, sondern als Handlungsbegriff im Vergleich zu anderen Spezies. Dies führt zu einer grundsätzlich anderen Bestimmung als bei Lambert, bei dem sehr verkürzt der Mensch in seiner ganzen defizitären Gottebenbildlichkeit nur durch Gott vom Mangel erlöst werden kann.74 2.1.2 Geistliche Begleitung als Entfaltung der Taufgnade in die Nachfolge Christi, hinführend zum ewigen Leben (Klemens Schaupp) Klemens Schaupp, katholischer Theologieprofessor und Psychologe, gründet 2006 Geistliche Begleitung in seiner Einführung in die geistliche Begleitung »Gott im Leben entdecken«75 sowie in seinem Aufsatz »Was ist Geistliche Begleitung«? von 200776 theologisch in der Entfaltung der Taufgnade: Der Christ ist durch die Taufe aus der Macht der Sünde und des Todes befreit. Doch er kann sich in neue Abhängigkeiten verstricken, die dieses Gottesgeschenk wieder verschütten. Geistliche Begleitung steht für Schaupp im Dienst dieses neuen Lebens. Sie will helfen, es anzunehmen, zu entfalten und zu fördern. In den Schriften des Alten und Neuen Testamentes wird für Schaupp ein »beziehungswilliger Gott« (Gott im Leben, 14) deutlich, der zu seinem Bund und seinem Heilsangebot auch dann noch steht, wenn menschliches Versagen und Untreue, Lüge oder Gewalt dies infrage stellen. Indem der Beglei74 75
Vgl. Arnold Gehlen (1940), 246ff. Schaupp (2006). Zitate werden im folgenden Text aus dieser Quelle in Klammern gekennzeichnet (zit. Gott im Leben). 76 Schaupp (2007c), 12–31(zit. Geistliche Begleitung).
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
tende durch sein Verhalten die Beziehungswilligkeit deutlich macht, kann der Begleitete ein neues, auf Vertrauen gegründetes Selbstverständnis aufbauen und erfahren, dass Gott »nicht mehr ängstlich irgendwo gesucht werden« muss, er vielmehr in ihm gegenwärtig ist (vgl. Gott im Leben, 14; Schaupp bezieht sich biblisch auf Jer 31,31–34). Mit Bonhoeffer betont Schaupp, dass Gott fragmentarisches Leben im Glauben zu verwandeln vermag. Identität ist damit nicht aus eigener Kraft als konstitutives Ziel menschlicher Entwicklung aufzubauen, sondern als »regulatives Prinzip der Entwicklung« in »Konsequenz eines Lebens in der Nachfolge Jesu« (Gott im Leben, 16). Wie jedes Beziehungsgeschehen ist auch Geistliche Begleitung offen für Dritte. Gleich wie in einer Beratung zu Partnerschaftsfragen der nicht anwesende Partner / die nicht anwesende Partnerin präsent ist, so analog für Schaupp in der Geistlichen Begleitung Gott. Somit hat Geistliche Begleitung für ihn eine »trialogische Struktur« (Gott im Leben, 17f; Geistliche Begleitung, 21).77 Im Mittelpunkt der Geistlichen Begleitung steht die Beziehung zwischen Übendem und Gott. Die methodische Bearbeitung der Inhalte des Gespräches ist so zu wählen, dass die Beziehung zwischen Übendem und Gott wachsen kann. Hinter dieser Beziehungsebene treten die Beziehungen zwischen dem Begleiter und dem Begleiteten und die Beziehung zwischen Gott und Begleiter zurück. Sie beeinflussen zwar nach Schaupp das Gespräch, werden aber bei ihm nicht direkt bearbeitet (vgl. Geistliche Begleitung, 21). Alle Interventionen dienen damit hauptsächlich der Beziehung zwischen Begleitetem und Gott. Beziehungsprobleme oder Übertragungsphänomene, sofern sie überhaupt angesprochen werden, treten in den Hintergrund. Aus der Grundlegung Geistlicher Begleitung als Entfaltung der Taufgnade ergeben sich für Schaupp weitere Kernmerkmale neben der »trialogischen Struktur«. Zu nennen sind: die Konkretisierung der »trialogischen Struktur« Geistlicher Begleitung in den zwei grundlegenden Haltungen, nämlich der »kontemplativen Grundhaltung und der doppelten Empathie« (Geistliche Begleitung, 22). »Mit der ›kontemplativen Grundhaltung‹ ist die Bereitschaft und die Fähigkeit gemeint, sich von einer Wirklichkeit faszinieren zu lassen, die größer ist als wir selbst« (Geistliche Begleitung, 22). Geistliche Begleitung hat die Aufgabe, einen Raum zu öffnen, in dem das »Fasziniert-Werden« sich auf Gott hin ausrichten und die innere Dynamik einer kontemplativen Haltung sich entfalten kann. Mit der »doppelten Empathie« ist eine Haltung des doppelten einfühlenden Hörens und Verstehens gemeint, die darauf achtet, »was der Übende erzählt«, und zugleich darauf, »wie Gott sich im Leben des Übenden zeigt« (Geistliche Begleitung, 24). Zudem bedarf es in dieser Haltung der Fähigkeit der »Unterscheidung der Geis77
Schaupp folgt an dieser Stelle den Gedanken des belgischen Religionsphilosophen André Godin (1967–1997). Vgl. André Godin (1986).
2.1 Biblisch-theologische Bezüge Geistlicher Begleitung
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ter, um feststellen zu können, welcher Impuls, welcher Weg zu Gott führt und welcher eher von ihm weg führt« (Geistliche Begleitung, 24). Wesentliche Elemente für die Herausbildung des Phänomens christlicher Geistlicher Begleitung findet Schaupp 2011 auch im johanneischen Schrifttum.78 Auffallend ist für ihn die innige und dichte Form der Gestaltung der Beziehung zwischen Jesus, Gott-Vater und seinen Jüngern, die in der Exegese mit »reziproker Immanenz« beschrieben wird (Wurzeln, 45). Eine bedeutsame Rolle im Sinne Schaupps kommt für ein johanneisches Modell Geistlicher Begleitung Johannes dem Täufer zu. Er ist derjenige, der Zeugnis vom Licht ablegt und die ersten Jünger zu Jesus hinführt (Joh 1,29f). Hier wird für Schaupp »eine bleibend gültige Aussage über Menschen gemacht, die andere zu Jesus ›hinführen‹: sie sind weder selbst Heilbringer, noch dürfen sie sich als solche ausgeben. Vielmehr kommt im johanneischen Schrifttum eine große Bescheidenheit zum Ausdruck« (Wurzeln, 46). Geistlich Begleitende haben folglich auf Christus hinzuweisen, als Zielperspektive das Hineinwachsen in die Christus-Freundschaft zu fördern, indem sie die Begleiteten auf die sakramentale Struktur der Wirklichkeit, auf die Gegenwart und das Wirken des Gottes in der Welt mittels der Unterscheidung der Geister – in erster Linie die Unterscheidung von Objekten, dessen, was mich hindert, Christus zu suchen und zu erkennen (vgl. Wurzeln, 47) – hinweisen, damit Geistliche Begleitung als Hinführung zum ewigen Leben erwächst (vgl. Wurzeln, 45). Klemens Schaupps Entwurf ist ein an der Nachfolge Christi orientierter Entwurf, der davon ausgeht, dass wir uns mit der Taufe zielorientiert zur Begegnung mit Christus hin entwickeln können. Durch eine Geistliche Begleitung, die als strukturgebende Hilfe dient, können wir uns von den Mächten und Hindernissen befreien, die den Weg dahin verstellen. Er folgt dem ignatianischen Strukturmodell für sein Verständnis von Geistlicher Begleitung.79 Die Christuswirklichkeit zu erfahren, ist das am Ende liegende Ziel der menschlichen Reifung nach Schaupp. Diese Gebundenheit an die Tauferfahrung ist zu hinterfragen, wie es auch Claudia Kohli Reichenbach in ihrer Studie tat: Erfahrungsorientierte Modelle, die Schaupp selbst aufnimmt, etwa das angelsächsische Modell von Barry und Connoly, gehen von einer möglichen Christuserfahrung auch außerhalb der »Taufgnade« und damit innerkirchlicher religiöser Strukturen aus. Geistliche Begleitung wäre dadurch offen und auch interessant für Nichtgetaufte, die Christus entdecken und erfahren können. An christliche Spiritualität auch außerhalb kirchlicher
78
Schaupp (2011b), 43–63 (45–47). Zitate werden im weiteren fortlaufenden Textabschnitt aus dieser Quelle in Klammern gekennzeichnet. 79 Vgl. den Zweiten Teil vorliegender Arbeit, Punkt 4.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Strukturen anzuknüpfen, wäre möglich.80 Positiv zu werten ist jedoch die Rolle der Paten als Geistliche Begleiter, die dadurch eine genuin geistliche Funktion erhalten. Kritisch zu hinterfragen ist darüber hinaus Schaupps Modell einer »trialogischen Struktur« für die Geistliche Begleitung, die er nicht theologisch entwickelt,81 obwohl er sie gleichsam so gebraucht, sondern die er aus der psychodynamischen Figur eines »anwesenden Dritten« aus dem paartherapeutischen Setting auf die Geistliche Begleitung überträgt. Dies ist eine verkürzte Sicht, zeigen doch weiterführende psychotherapeutische Forschungen mittlerweile eine Vielzahl möglicher Bezüge auf, die in eine intersubjektive Beziehung einfließen. Es wird dann nicht mehr von einer dialogischen, vielmehr von einer polylogen Strukturgestalt gesprochen.82 Theologisch benennt diese mittlerweile über Schaupp hinaus populäre und griffige Vorstellung der Geistlichen Begleitung als eines Trialogs ein Gesprächsgeschehen mit drei Beteiligten (des begleiteten Menschen, des Geistlich Begleitenden und Gottes). Es ist theologisch mehr als notwendig dieses Gottesbild eines »Gesprächspartners/Gesprächspartnerin« kritisch zu hinterfragen. Mit Ralf Stolina ist festzuhalten: »Faktisch ist Gott nicht Gesprächspartner, wie wir Menschen es füreinander sind, er ist es mehr und anders.«83 2.1.3 Geistliche Begleitung als Nachfolge in der Seelenführung Jesu (Franz Jalics) Franz Jalics, Jesuit, Exerzitienbegleiter und katholischer Theologiedozent, entwirft 2012 in seinem Buch »Geistliche Begleitung im Evangelium« vier Etappen der Entwicklung geistlicher Begleitung, die sich aus Jesu Person und seinem Handeln ableiten lassen.84 Alle vier Wege führen für ihn in eine Vertiefung der Beziehung zu Jesus Christus (vgl. 9). Der Unterschied der Etappen ist in den »Verhaltensweisen und in den Gebetsformen gut erkennbar« (9). Die vier Wegstrecken lauten: 1. Die Harmonie: In dieser Etappe, die Jalics an der biblischen Erzählung des reichen Jünglings entwickelt (Mk 10,17–31; Mt 19,16–30; Lk 80 So mit Claudia Kohli Reichenbach (2011), 41ff, 59ff. Dort ist auch Literatur zum angelsächsischen Modell Geistlicher Begleitung generell und von Barry und Connoly im Speziellen zu finden. Siehe auch Anm. 124 dieser Arbeit. 81 Eine theologische Grundlegung einer trialogischen Modellstruktur findet sich bei Hansjörg Schemann (2014), 187–344. 82 So im Ko-respondenzmodell, dem Beziehungsmodell der Integrativen Therapie. Siehe dazu die Erläuterungen im Zweiten Teil dieser Arbeit, Punkt 4. 83 Stolina (2014), 24. 84 Siehe Franz Jalics (2012), 11. Zitate werden im laufenden Text aus dieser Quelle in Klammern gekennzeichnet.
2.1 Biblisch-theologische Bezüge Geistlicher Begleitung
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18,18–30), fragt der Jüngling nach dem Weg in das Reich Gottes. Mit der Frage bzw. Bitte ist für Jalics Geistliche Begleitung initiiert (vgl. 15). Die Sehnsucht nach Gott, die in einer jeden Seele liegt und den reichen Jüngling zu Jesus trieb, entwickelt sich dabei für ihn bei jedem Menschen auf verschiedene Weise (vgl. 16). Sie ist die »Antenne für das ewige Leben«, und auf sie sollte ein wacher und aufmerksamer Blick des Begleitenden liegen (vgl. 18). Jesus verweist den reichen Jüngling als ersten Schritt innerhalb der Geistlichen Begleitung darauf, die Gebote zu halten. Dies ist für Jalics ein grundlegender Schritt auf dem Weg zum ewigen Leben. In einem nächsten Schritt gilt es dann alle weltlichen Schätze gegen die »Währung des ewigen Lebens« (26) einzuwechseln. Damit ist gemeint, Jesus Christus als den Messias kennenzulernen (vgl. 46). 2. Die Berufung: Nachdem Jesus das Wächteramt ausgeübt hat, das den Jüngling auf das Einhalten der Gebote verweist, wird Ersterer nun zu einem Bergführer, der zum Vater leitet. Jesus fordert den reichen Jüngling in die Entscheidung, dem Ruf zu folgen, der Sehnsucht nach Gott nachzugehen und »eine freie Antwort auf Gottes Ruf« zu geben. Die entscheidende Wende in der Seelenführung Jesu besteht darin, dass der reiche Jüngling (der Begleitete) in die Transzendenz Gottes geführt wird und diese eine vollständige Hingabe fordert. Dieses »freiwillige Leer-Werden« (65) ist die Vorbedingung dafür, die Kenosis, Gottes Entäußerung und Menschwerdung, ganz zu erfassen (vgl. 65ff). Nach der Anrufung der Jünger durch Jesus und ihrer Berufung sieht Jalics, Mt 10 auslegend, die Ausbildung in oben genannter Weise durch tätiges mitarbeitendes Tun (Verkündigung des nahen Reiches Gottes, Heiligung von Aussatz und Krankheit), und Aussendung derselben (vgl. 73): So sollen »von Anfang an […] die Jünger mitarbeiten, Jesus vertreten und so an seiner Sendung teilnehmen« (74). An erster Stelle geht es für Jalics darum, »[…] dass der Mensch erkennt, wie Gott ihn in das ewige Leben führen will« (75). Es gilt den Willen Gottes zu erkennen. Dies geschieht nach Jalics im Halten der Gebote (vgl. 76) und im Erforschen der egozentrischen Willenshaltung im Menschen, die durch Hab- und Ehrsucht gekennzeichnet ist (vgl. 76f). Die Spiritualität der Sendung liegt darin, diesem Eigenwillen keinen Raum zu geben, vielmehr »immer hundertprozentig auf Gott ausgerichtet zu sein« (78), so dass wir »alles zur größeren Ehre Gottes tun« (78). Diese reine Absicht ist durch Gebete, die diese Lebenshaltung fördern, zu kultivieren (vgl. 78). 3. Die Stille: Jalics’ dritte Etappe in Geistlicher Begleitung ist gekennzeichnet durch die Berufung in eine Lebens- und Gebetshaltung des Schauens, Lauschens und Staunens. Jalics sieht in dieser Lehre und Begleitung Jesu eine erste Einführung in eine aktive Spiritualität. Jesu eigenes Weitergehen in seiner Lehre hin zu einer »wesentlich tieferen und persönlicheren Beziehung zu Gott« (91) markiert eine vertieftere Spiritualität für ihn. Zielführend ist jedoch für Jalics eine Entwicklung des Ge-
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
betslebens (Mk 9,29) (vgl. 96) hin zu einem reinen und ausschließlichen Schauen auf Gott (102). Dazu ist es wichtig, eine Haltung des NichtSorgens zu pflegen (vgl. 97f), um sich ganz der Gnade Gottes hingeben zu können und nicht in den Aktivitäten der Welt, die laut Jalics stets Sorgen mit sich bringen, aufzugehen (vgl. 102). Biblisch entwickelt Jalics seinen Ansatz von den Seligpreisungen der Bergpredigt her (Mt 5,3–12), die für ihn die Botschaft der inneren Stille verstärken und ein Korrelat zu der aktiven Spiritualität bilden, wie es auch die Gebetszeiten Jesu verdeutlichen, der sich immer Zeit für das Beten genommen hat (vgl. 109ff). Es gilt durch vollständige Hingabe an Jesus Gottes Wirken Raum zu geben (vgl. 121–129). Letzteres ist dabei in keinerlei Weise machbar. »Alles ist reines und unverdientes Geschenk des Himmels« (135). 4. Das Sein: Diese Gnade wird uns dahingehend verwandeln, dass wir durch Gott »von unserer ungeschaffenen Welt in seine eigene ungeschaffene Welt« (139) geführt werden. Da wir geschöpflich stets in einer Welt der Dualität leben, können wir das Eins-Werden mit Gott nur erfahren, indem wir uns »in das Göttliche hineinnehmen lassen. Wir können uns nicht selber hineinnehmen oder uns hineinarbeiten.« (143). Das Eins-Werden ist für Jalics begründet im Johannesevangelium (Joh 17,21): »Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen sie in uns sein« bzw. durch Joh 1,1–12 und Joh 14,20. Eins-Werdung ist damit theologisch ein Hineingenommen werden in die Einheit der Heiligen Dreifaltigkeit (vgl. 142). Dies begründet ein neues Sein des Menschen. »Gott macht nichts. Gott ist« (143) und wir in ihm. »Das Tor vom Machen zum Sein ist die Stille, das Schweigen« (146). »Das aufrichtige, geduldige Warten auf Gott mit liebender Beharrlichkeit ist die Aufgabe der Spiritualität des Seins« (146). In ihr ist alles »reine Gnade« (146). Letztlich geht es auf der vierten Ebene der Seelenführung Jesu darum, die Grenzen der Dualität unserer geschaffenen Welt zu durchschreiten und gemäß 1. Joh 4,12 in ihm zu bleiben. Dabei stellt abschließend Jalics klar, dass auf dem Weg zu Gott keine Stufen zu erklimmen sind. Der Weg zu Gott ist »der Weg der Hingabe« (160). Die Geistliche Begleitung geschieht somit in wachsamer Aufmerksamkeit für Gottes Gegenwart und Stille. Ausgenommen sind wenige Korrekturen, die zum Wesentlichen hin orientieren (vgl. 161f). Jalics verweist dazu auf die Sterbebegleitung, die auch zuletzt die stille Hinwendung in präsenter und wacher Aufmerksamkeit, verweilend in der Gegenwart Gottes, kennt und praktiziert (vgl. 161).85
85
Jalics verweist ferner auf die Schriften des Johannes vom Kreuz und der Teresa von Avila, die »alles, was die Begleiter über den Weg der Einigung wissen müssen […] klar beschrieben haben« (Jalics [2012], 159).
2.1 Biblisch-theologische Bezüge Geistlicher Begleitung
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Positiv ist bei Franz Jalics seine enge Anlehnung an die Schrift. Aus ihr entwickelt er entlang der biblischen Erzählungen geistliche Begleitungsprozesse und Haltungen bei Jesus. Seine Auslegungen zur Zielbestimmung geistlicher Entwicklung, das »Durchstoßen der Dualität« zu einer Erfahrung Gottes in Wahrung seines Geheimnisses durch eine »negative Theologie«, sind beachtenswert, ebenso, dass er innere spirituelle Entwicklungsprozesse an der Person Jesu herausarbeitet. Jedoch erläutert Jalics seine »spirituelle Schriftbetrachtung« leider nicht grundlegend. 2.1.4 Geistliche Begleitung als Lebens-Gespräch mit Gott im Geheimnis der Verwandlung (Ralf Stolina) Im 2. Heft der Zeitschrift »Meditation. Zeitschrift für christliche Spiritualität und Lebensgestaltung«, das 2012 unter dem Thema »Geistliche Begleitung« veröffentlicht wurde, entfaltet Ralf Stolina biblische Perspektiven geistlicher Begleitung.86 Stolina setzt biblisch in der Schöpfungsgeschichte an, in der beschrieben wird, dass jeder Mensch durch Gott sein Leben empfängt und »zu seinem Lebens-Gespräch mit Gott berufen« (14) wird. »In der Geistlichen Begleitung geht es wesentlich darum, den Menschen in seinem Lebens-Gespräch mit Gott zu unterstützen, mehr und mehr auf den Namen zu hören, mit dem Gott ihn anruft, in Kontakt mit der Identität zu sein, die ihm von Gott her zukommt, aus und in dem Ansehen zu leben, das Gott ihm schenkt« (14). Der Beginn Geistlicher Begleitung liegt zu allererst in der eigenen sehnenden Suchbewegung des Herzens. Wie Jesus die Jünger, die Johannes der Täufer ausgesandt hatte, nach ihrer Suche fragte (Joh 1,38), so gilt es in einem geistlichen Leben Offenheit für diese Sehnsucht zu zeigen. Darüber hinaus ist eine Bereitschaft im Leben und in der eigenen Lebenshaltung zu entwickeln, dieser Sehnsucht zu folgen (vgl. 15). »Geistliche Begleitung gibt Raum, diese Sehnsucht wahrzunehmen und im Leben Gestalt werden zu lassen« (15). Dies geschieht durch Prozesse der Klärung derselben (vgl. 14), damit die Sehnsucht nicht falsch ausgerichtet wird, was in Abhängigkeiten und zum Schaden führt, sondern konstruktiv ausgerichtet wird, so dass sie das Lebens-Gespräch mit Gott, dem absoluten Geheimnis, sucht. Letzteres führt dann zu vollem Sinn und zur Wahrheit (vgl. 15). In diesem Lebens-Gespräch, in dem wir bei Gott bleiben (Joh 1,39), können wir Erfahrungen mit ihm sammeln, 86 Ralf Stolina (2012), 14–18. Zitate werden im laufenden Text aus dieser Quelle in Klammern gekennzeichnet. Ralf Stolina ist apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Münster; Pfarrer und Dozent am Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), Landeskirchlicher Beauftragter für geistliche Begleitung und geistliches Leben in der EKvW.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Erfahrungen von Trost, Dankbarkeit und Freude über das geschenkte Leben. Dies sind Erfahrungen, die uns zukommen, »wenn wir in Kontakt kommen mit unserer Lebenswahrheit« (15f). Diese Wirkungen des Geistes sind alltägliche Erfahrungen wie das Gebet oder das Schweigen (16). Dieser Geist weht, wo er will (Joh 3,8), und so gilt es für Stolina zwei wesentliche Dynamiken zu beachten: »Einerseits geht es um das Gewahr- und Innewerden des Geistes in der jeweiligen Gegenwart. Dazu braucht es die Aufmerksamkeit gesammelten Wahrnehmens im eigenen Gegenwärtigsein.« (16) Zugleich ist dieser Geist unverfügbar für uns, in welcher »Gemütsfärbung und Erfahrungsgestalt« (16) er auch immer geschieht. Stolina weist zudem darauf hin, dass der Glaube kein ein für alle Mal erreichter Zustand ist, sondern eine Beziehung, deren Erfahrungsgestalt freizugeben ist und freigegeben werden kann. Zweifel und Anfechtung gehören dabei in diese Beziehung fundamental hinein. Glaubensgewissheit ist nur als Beziehungsgewissheit, in der sich eben auch Anfechtung und Zweifel ereignen können, lebendig (vgl. 16). »Von größter Bedeutung in der Lebensbewegung von Gott her, mit Gott, auf Gott hin, ist es, dass es Zeiten und Räume gibt, in denen unser Lebens-Gespräch mit Gott Ausdruck findet in verschiedenen Formen der Zwiesprache mit Gott, in Gebet, Meditation, Kontemplation« (17). Denn in der Geistlichen Begleitung geht es für Stolina auch darum, »Wege und Weisen des Gebetes zu erkunden, im Wissen um die Not und den Segen des Gebetes, um Findung und Gestaltung einer zur jeweiligen Person und ihren Lebensumständen passenden Form geistlichen Lebens« (17f), damit wir alle durch die Barmherzigkeit Gottes verwandelt werden (1Kor 15,51 / Röm 12,1). Diese ist für Stolina weniger ein äußerlich-appellativer Entwicklungsprozess, sondern ein »Beziehungsgeschehen, in das wir hineingenommen werden« (18). »Der WegBegleiter für jeden Menschen ist [somit] der lebendige Gott, der sich in Jesus Christus und dem Heiligen Geist mitteilt und uns in geschwisterlicher Weggemeinschaft verbindet.« (18) Ralf Stolina nimmt den Gedanken »negativer Theologie« wie Jalics ebenfalls auf und verbindet ihn mit der Aussage, dass wir nur das wissen, was uns von Gott selbst mitgeteilt wird. Diese Selbstmitteilung Gottes wird bei ihm in zwei Dynamiken des Geistes geschildert, die nötig sind, diese in einem »Lebens-Gespräch« mit Gott zu erfassen: zum einen in der gesammelten Aufmerksamkeit für die Selbstmitteilung Gottes im Geist und zum anderen in dem steten Gewahrsein der Unverfügbarkeit Gottes, welche Gemütsfärbungen oder Erfahrungszustände auch immer Menschen erreichen. Positiv hervorzuheben ist, dass Stolina wiederholt die Unverfügbarkeit Gottes betont. Ebenso kehren Krisenerfahrungen auf dem Glaubensweg als Thema bei ihm wieder. Diese finden bei Stolina großen und angemessen Raum, wohingegen sie bei den anderen
2.1 Biblisch-theologische Bezüge Geistlicher Begleitung
43
dargestellten Modellen nicht bedacht werden, was ein großes Defizit darstellt, gehören Krisen doch unweigerlich, wie alle christlichen Modelle aufzeigen, zu einem Prozess Geistlicher Begleitung dazu.87 Sie sind damit nicht zuletzt auch ein wichtiges Thema, wenn es darum geht, geistliche und psychologische Krisen in einer prozessorientierten mystagogischen Seelsorge zu betrachten und zu unterscheiden. Erfreulicherweise ist dies durch Stolina eingebracht. Es gilt dieses in der später folgenden Befragung klassischer Modelle und in die Beurteilung anderer Konzeptionen aufzunehmen. Stolinas Ansatz ist als ein seelsorglicher von ihm beschrieben worden: »Geistliche Begleitung ist eine wesentliche Dimension der Seelsorge« und als »Lebens-Gespräch« zwischen Gott und Mensch konzipiert.88 Seelsorge ist jedoch nicht nur ein Gespräch. Sie kann auch durch nonverbale Ausdrucksformen, z.B. Rituale, vollzogen werden. Sein Begriff des »Lebens-Gespräches« gilt es gerade in Anbetracht seiner eigenen Verortung in der Seelsorge um rituelle und nonverbale Ausdrucksformen zu erweitern.89 Willi Lamberts Begriff der »Lebens-Lehre«, auf den Stolina in der genannten Fußnote mit Begriff und in Konzeption hinweist, ohne ihn namentlich zu erwähnen, erscheint daher als der umfassendere.90 2.1.5 Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive – biblisch-theologische Wegmarken Eine Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive hat wesentlich biblisch-theologisch orientiert zu sein, weil Ursprung und Sache Geistlicher Begleitung, wie aufgezeigt wurde, weit über Konzeptionen derselben hinausreichen. Auf diese Weise bekommen auch die konzeptionellen Modelle ignatianischer, benediktinischer oder anderer Prägung, sowie die Aufnahme psychotherapeutischer oder weiterer Verfahren, theologisches Maß und ein biblisch-reformatorisches Regulativ. Folgende Punkte sind in Zusammenfassung der oben genannten Positionen wichtig festzuhalten:
87 88
Vgl. dazu Regina Bäumer / Michael Plattig (2008). Siehe Ralf Stolina (2010), 24–42. Er verweist in der Fußnote darauf, dass die Sache älter als der Begriff »Geistliche Begleitung« ist, und verweist auf ihren Ursprung und Grund im biblischen Zeugnis. Vgl. ders., a.a.O., 24 Anm. 3. 89 Vgl. Klessmann (2008), 88ff. Siehe auch die Punkte 3.5. und 4.2.3. im Dritten Teil der Arbeit. 90 Stolina (2010), 24. Anm. 3. In seinem Aufsatz »Gespräch und Trost der Schwestern und Brüder« (2014), 15–36 benennt er allerdings diese explizit als eine »maßgebliche Perspektive Geistlicher Begleitung« (S. 19). Vgl. Punkt 4.2.3. im Dritten Teil der vorliegenden Arbeit.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
1. Die schöpfungstheologisch–anthropologische Perspektive: Der Mensch ist mit und in der Schöpfung ein spirituell Angesprochener, ein Wesen, in dem der Geist Gottes Wohnung nimmt bzw. genommen hat. Diese Einwohnung weist in einem schöpfungstheologischen Begründungszusammenhang generell über eine rein innerekklesiologische Geisterfahrung hinaus. 2. Die christologische und pneumatologische Perspektive: Christus ist zu entdecken und in, mit und durch ihn Gottvater. Dies geschieht in Geist und Wahrheit (2. Kor). Demnach gehören Pneumatologie und Christologie untrennbar zusammen. Eine Gottsuche in Geistlicher Begleitung ist somit theologisch immer ein trinitarisches Geschehen. Theologische Einseitigkeiten sind zu vermeiden.91 2.2 Außerbiblische Traditionsstränge Geistlicher Begleitung Zwei renommierte Autoren diskutieren in ihren Publikationen Geistliche Begleitung in außerbiblischen Traditionssträngen: der bereits vorgestellte Theologe Klemens Schaupp und der Literaturwissenschaftler Georg Steiner. Klemens Schaupp beschreibt das Phänomen Geistliche Begleitung neben seiner oben dargelegten biblisch-theologischen Begründung auch als »das Ergebnis einer ›Inkulturation‹ des Glaubens an den auferstandenen Christus in die griechisch-hellenistische Kultur«.92 Er sieht die Methode der Begleitung grundsätzlich als eine »Urform menschlichen Miteinanders«93 und verweist auf Sokrates, die Entwicklungen der Stoiker und Epikureer, ihre philosophische »Lebenskunst« und die antiken »Philosophenschulen«, in denen in praktischer Weise Wissen und Bildung von Mensch zu Mensch weitergegeben wurde in der Überzeugung, dass Philosophie in einer persönlichen und der jeweiligen Situation des einzelnen Begleiteten berücksichtigenden Art ein gutes und gelingendes Leben ermöglicht.94 In einen größeren kultur- und geisteswissenschaftlichen Rahmen stellt George Steiner, Literaturwissenschaftler, zuletzt in Oxford tätig, zwischenmenschliche Begleitungsmodelle, die für ihn konstitutiv immer auch Wissen transportieren und die er in dem klassischen Terminus des
91 92 93 94
Mit Harms (2011), 243ff, und Schemann (2014), 190f. Schaupp (2011b), 44. So Schaupp (2007a), 3. Vgl. Schaupp (2011b), 44. Einen »christlichen Nachklang« antiker Schule sieht Schaupp im Vorwort der Regel Benedikts, wo von einer »Schule für den Dienst des Herrn« geredet wird.
2.2 Außerbiblische Traditionsstränge Geistlicher Begleitung
45
»Meister-Schüler-Verhältnisses« fasst.95 »Die Beziehungen zwischen traditio, ›dem, was überliefert worden ist‹, und dem, was die Griechen paradidomena, ›das, was jetzt überliefert wird‹, nennen, sind niemals transparent.«96 Es geht für ihn beim Lehren immer sowohl um Fragen, die in den historischen Verhältnissen wurzeln, als auch um solche, die unveränderlich sind. Immer wieder überschneiden sich darum für ihn die Zeitachsen. Die Aufgabe jeder neuen Generation besteht somit darin, die traditio, die Überlieferung des Lebenswissens, für die eigene Gegenwart neu zu entdecken und für das Leben fruchtbar zu machen. Dafür sind nach Steiner immer neue Übersetzungen notwendig. Der genuine Ort für solche Transfers ist ein Beziehungsgeschehen in verlässlicher Begleitung. Traditionsgemäß ist er zum einen im familiären Kontext zu finden, wo die Elterngeneration die Kinder lehrt. Zum anderen sieht er ihn in den klassischen Meister(innen)-und-Schüler(innen)-Modellen, in denen die Beziehung bestenfalls durch alle Gefahren und Chancen hindurch in einem Austausch, einem Eros besteht und von wechselseitigem Vertrauen und sogar Liebe getragen ist. »Auf dem Wege einer Interaktion, einer Osmose, lernt der Meister von seinem Schüler, während er ihn unterrichtet. Die Intensität bringt Freundschaft im höchsten Sinne hervor. Sie kann sowohl den Scharfblick als auch die Unvernunft der Liebe einbeziehen. Alle Beziehungsformen und die unzähligen Möglichkeiten der Mischung und Abstufung, die zwischen ihnen liegen, haben religiöse, philosophische, literarische, soziologische und naturwissenschaftliche Zeugnisse inspiriert.«97 Dieses Lernmodell ist für Steiner eine Lebenstatsache. Im glücklichsten Fall findet sich eine solche Lehr- und Lernhaltung in jeder Bildung – auch in der Schule, Universität oder in anderen Instituten und Einrichtungen. Im christlichen Kontext erwachsen für Steiner auf Basis tradierter jüdischer und hellenistischer Modelle geistliche und geistige Lern- und Lebensmodelle. Ur-Bild christlich geprägter Begleitung ist für Steiner die Lehr- und Lebenspraxis Jesu. Dieser lehrte in der Sicht Steiners als Lehrer seine Jüngerinnen und Jünger einerseits, das Reich Gottes seines Vaters zu erfahren, wie es ihm selbst in seiner Taufe am Jordan durch 95
Vgl. George Steiner (2009). Steiner entwirft eine Geistes- und Traditionsgeschichte der geistig-geistlichen Begleitung in Meister- und Schülerschaft von der Antike bis in die Gegenwart. Mit tiefem Verständnis für die inneren Prozesse dieses zwischenmenschlichen Geschehens wird deutlich, dass beide Beteiligten im Begleitungsgeschehen auch oft in einem spannungsreichen Verhältnis stehen, in dem es nicht mehr allein um Erkenntnis und Wahrheit Gottes und der Welt, sondern auch um Macht, Vertrauen, Leidenschaft und Liebe ging. Dies gilt bis heute, wo die Begriffe »Führung« und »Meister-/Schülerschaft« gerne bezogen auf ein aufgeklärtes emanzipatorisch-demokratisches Postulat durch »partnerschaftliche Begleitung« ersetzt werden. Es gilt jedoch darauf zu achten, was unabhängig von dem »Etikett der Benennung« sich in und durch die Beziehung gestaltet. 96 Steiner, a.a.O., 10f. 97 A.a.O., 149.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Johannes offenbar wurde (Mk 1,9ff), und andererseits, was es heißt, diese Erfahrung dann in ihre je eigenen alltäglichen Lebenskontexte zu transportieren, was er selber sich im Kampf gegen die Versuchung mutig aneignete (vgl. Mt 4,3.13ff). Dazu ist stets eine Veränderung des Lebens erforderlich: »Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe« (Mt 4,17). Durch seine eigene Erfahrung geprägt, steht Jesus nach Steiner zugleich weiterhin in der Tradition der jüdischen Gelehrsamkeit, die ohne Unterricht undenkbar wäre und somit als »kompromisslos pädagogisch«98 zu bezeichnen ist. Sie ist als ein unaufhörlicher Dialog zwischen Gott und dem jüdischen Menschen zu bezeichnen. In diesem Dialog lernt das Volk in anbetender, aufsässiger, gehorsamer, widerspenstiger, vor allem aber fragender Weise. Die Thora, die Psalmen und die Propheten wie die Sprüche bilden dabei nach Steiner einen Lehrplan, ein Handbuch zum täglichen Unterricht und Gebrauch für ein lebenslanges Lernen.99 Die Lehrerin / der Lehrer ist in dieser Weise nicht mehr, aber auch nicht weniger, als eine Hörerin / ein Hörer und als eine Botin / ein Bote, deren/dessen inspirierte und geschulte Empfänglichkeit sie/ihn dazu befähigt hat, einen offenbar gewordenen Logos, jenes Wort am Anfang, zu begreifen.100 Nachfolge in Lern- und Lebensgemeinschaft mit Jesus, dem Christus, steht in dieser Traditionslinie. Er lehrt, wie wir uns als geliebte Tochter / als geliebter Sohn des Ewigen, an dem Gott sein Wohlgefallen hat, erfahren können und wie wir diese Erfahrung durch eine Praxis der Liebe und Barmherzigkeit fruchtbar machen können.101 Auf die Frage nach der Zukunft zwischenmenschlichen Lernens in einer Zeit der Respektlosigkeit, des Materialismus und digitaler Technisierung102 antwortet Steiner in seinem Nachwort, dass dort, »wo sich Männer und Frauen barfuß hinschleppen, um sich einen Meister zu suchen [ein häufiges chassidisches Bild], […] die Lebenskraft des Geistes sichergestellt«103 sei. Sie ermöglicht es uns, so Steiner, immer aufs Neue den Weg zur dignitas, zur menschlichen Würde, und zu unserem besseren menschlichen Ich zu gehen.104 Positiv bei Schaupp und Steiner ist festzuhalten, dass ihre dargestellten Begleitmodelle als Lern- und Lehrmodelle von Mensch zu Mensch thematisiert werden, die Tradition und Gegenwart zu verbinden vermögen. Kritisch sind dabei alle Meister-Schüler-Verhältnisse wie letztlich alle zwischenmenschlichen Begleitungsmodelle, gleich welcher Benennung sie folgen und aus welchem religiösen und kulturellen Kontext sie 98 99 100 101 102 103 104
A.a.O., 168f. Ebd. A.a.O., 11. A.a.O., 45–51, 131f. A.a.O., 199–205. A.a.O., 204. Ebd.
2.3 Historische Entwicklungslinien Geistlicher Begleitung – ein Überblick
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stammen – so auch die Geistliche Begleitung –, auf die Themen Macht und Freiheit zu befragen. Gerade in der längerfristigen verbindlichen Form Geistlicher Begleitung sind achtsam die Beziehungsdynamiken in den Blick zu nehmen, um freiheitliche Prozesse zu ermöglichen. 2.3 Historische Entwicklungslinien Geistlicher Begleitung – ein Überblick Frühester historischer Ansatzpunkt für die Entwicklung Geistlicher Begleitung als eine strukturierte und verbindliche Beziehungsform im kirchlichen Kontext ist nach den meisten Autoren die geistliche Tradition der Wüstenväter und -mütter.105 Plattig beschreibt mit Evagrius Ponticus, Mönchsvater und Theologe, die Funktion einer geistlichen Mutter / eines geistlichen Vaters als die eines Mystagogen, eines Führers zur Kontemplation.106 Klemens Schaupp107 sieht die vom dritten bis zum sechsten Jahrhundert sich entwickelnde Wüstentradition mit Patricia Wittberg als »soziale Bewegung«,108 die durch die Verarmung weiter Landstriche durch Dürre und Misswirtschaft entstanden war und sich mit einer Kritik an der Verweltlichung der Kirche verband. Durch ihr »Aussteiger«-Leben in der Wüste versuchten die Wüstenväter und Wüstenmütter vorbildhaft, mit ihrem spirituellen Kampf und ihrem Leben der Bevölkerung zu Diensten zu sein und geistlich Suchenden aus Erfahrung Kenntnis und Lebensweisheit zu vermitteln.109 Methodisch machte deshalb unter den ersten Mönchen im vierten und fünften Jahrhundert die Spruchweisheit die Runde. »Ziel des Gespräches war es, innerlich frei zu werden von der Tyrannei der Leidenschaften, um Ruhe in der Gegenwart und Verbundenheit mit Gott leben zu können. Das Gespräch wurde unterstützt durch eine sehr intensive Form des Mitlebens.«110 Dies nennt Schaupp die langjährige, tägliche Begleitung. Daneben steht für ihn historisch die punktuelle Begleitung von Christinnen und Christen, die um Rat fragten. Aus diesem Kontext stammt der ritualisierte Gesprächsbeginn. Er begann meist mit der Schilderung der eigenen Situation oder der Frage, die dann mit der Bitte abgeschlossen wurde: ›Vater, gib mir ein Wort‹. Diese Form der Begleitung ist historisch gut bezeugt, in der gegenwärtigen Rezeption aber wenig gewürdigt worden. Ihrer Überzeugung nach wäre hier ein Ansatzpunkt für eine »gemeindenahe« 105 106 107
So auch Bäumer/Plattig (2012) und Schemann (2014), 162–167. Plattig, Michael (2001), 25–35 (30). Schaupp (2011b), 43–63. Zitate im Folgenden in Klammern aus diesem Aufsatz. Vgl. auch zur Deutung des frühen Mönchtums als soziale Bewegung die Religionssoziologin Patricia Wittberg (1996). 108 Schaupp (2011b), 50. 109 A.a.O., 48f. 110 A.a.O., 49f.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Form der geistlichen Begleitung. Der Kontext einer durchschnittlichen Gemeinde erlaubt es nämlich vielen Christinnen und Christen nicht, eine Geistliche Begleitung im engen (klassischen) Sinn in Anspruch zu nehmen. Hier könnte die Vertiefung einer punktuellen Form von Begleitung ein hilfreicher Ansatzpunkt sein.111 Als Entwicklungslinien über diese Anfänge hinaus sind zu nennen: 1. Die zunehmende Organisation des Mönchtums in den Klöstern. Dadurch wurden zu Erstverantwortlichen in Geistlicher Begleitung dortige Äbte und Äbtissinnen. Geistliche Begleitung fällt damit nicht mehr in die freie Wahl des einzelnen Menschen, vielmehr ist sie mit den Oberen abzustimmen bzw. im Gehorsam anzunehmen.112 2. Weitere Wegstationen dieser Anfänge sind mit dem iroschottischen, dem franziskanischen Mönchtum und ihrer Begleitgestalt in der mittelalterlichen Mystik zu nennen. Da Bettelorden entstanden und die Sakramentalität betont wurde, klerikalisierten sich die Orden, und so kam es seit Mitte des 12. Jh. zu einem immer häufigeren Zusammenfallen von Seelenführung und Beichte in der sog. Devotions- oder Andachtsbeichte in der westkirchlichen Tradition.113 3. Indem Seelenführung und Beichte miteinander verknüpft wurden, verschwamm immer mehr die Differenz beider Formen, und es erfolgte eine Engführung der Seelenführung unter dem Aspekt der Sünde. 4. Missstände unter Klerikern (z.B. Machtmissbrauch, mangelndes spirituelles Wissen) wurden öffentlich und auf das Schärfste zurückgewiesen z.B. von Johannes vom Kreuz, einem Karmeliten. »Indem Begleiter Begleitete ihr Bild und Konzept überstülpen, kommt es zu Zerstörungen der Seele. Auf solche Weise fügen viele geistliche Meister den Seelen großen Schaden zu. Sie begreifen nicht die Eigenwege des Geistes.«114 5. Nach dem Trienter Konzil im Zuge der Gegenreformation traten erste Veränderungen auf, die auch die Geistliche Begleitung betrafen. »Neben das besonders betonte katechetische Element der Belehrung in Glaubensfragen (Frage nach dem rechten, katholischen Glauben) tritt mehr und mehr die Belehrung für die rechte Gestaltung 111
So mit Schaupp (2011b), 50. Gleichwohl ist natürlich auch Geistliche Begleitung in der Gemeinde möglich. Die Gesamtkonzeption gemeindlicher Aufgaben sähe dann sicherlich anders aus, wenn z.B. der Pfarrer / die Pfarrerin Geistliche Begleitung ausüben würde oder dritte Personen innerhalb einer Gemeinde. Pastoraltheologische Fragestellungen sind zu bedenken. Vgl. Dritter Teil 4.2.1. 112 Vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt 2 des Ersten Teiles vorliegender Arbeit »Geistliche Begleitung als ›Gottsuche in Gemeinschaft‹ in benediktinischer Tradition«. Im Ganzen vgl. auch Plattig (2001), 31ff. 113 In der ostkirchlichen Tradition wird bis heute zwischen Seelenführung und Sündenvergebung unterschieden. Als Beispiel sei das Starzentum genannt. Mit Plattig (2001), 31. 114 Vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt 3 des Ersten Teiles vorliegender Arbeit »Geistliche Begleitung als ›Seelenführung‹ bei Johannes vom Kreuz«.
2.3 Historische Entwicklungslinien Geistlicher Begleitung – ein Überblick
49
des Lebens überhaupt. Die Aufmerksamkeit wird zunehmend auf ein gottgefälliges, tugendhaftes Leben gerichtet.«115 Geistliche Begleitung richtet sich auf diesen Zweck aus. 6. Für die folgenden Entwicklungen der Geistlichen Begleitung wurden maßgebend die ignatianischen Exerzitien. Sie ermöglichen den Menschen in der sich rasch wandelnden Zeit des 15./16. Jahrhunderts, »eine innere Orientierung für das Leben zu finden«.116 7. Im 20. Jahrhundert bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil kommt es durch das Dekret »Sacra Tridentina Synodus« von Papst Pius X. zu einer immer engeren Verbindung zwischen Beichte und Kommunion – und dies auch in Geistlicher Begleitung. 8. Durch ein gewandeltes Bußverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils (ordo poenitentiae – Bußordnung) geriet wieder stärker der therapeutische Charakter der Buße in den Blick. Gleichzeitig wurde zunehmend zwischen Geistlicher Begleitung und Buße differenziert. Dadurch wurden die unterschiedlichen Charismen von Klerikern und Laien wiederentdeckt, zu denen ganz im altkirchlichen Verständnis auch die Berufung und Befähigung zur geistlichen Begleitung gehört. Damit verbunden war eine Rückbesinnung auf unterschiedliche Traditionen Geistlicher Begleitung, die oft mit großen Ordensspiritualitäten verknüpft sind, wobei sich der Großteil der Veröffentlichungen am ignatianischen Modell orientierte.117 Zudem folgte man der Forderung des Vatikanums sich neu den biblischen Quellen und den Schriften der nachapostolischen Zeit zuzuwenden. Diese Beschäftigung löste einen weiteren Aufbruch aus: die Ordensgemeinschaften wandten sich ihren Quellenschriften zu. In der Konsequenz wurde die je eigene Form Geistlicher Begleitung wiederentdeckt, die »bis dahin zu einem pastoral zwar notwendigen, aber theologisch kaum bedeutsamen Anhang zur Einzelbeichte geworden war«.118 Die Neuentdeckung nahm in den Ländern Amerikas und Europas unterschiedliche Formen an. So entwickelten sich z.B. in Frankreich mehr oder weniger politische »communiteés de vie«, und in den USA erfolgte eine Neuorientierung an der religiösen Erfahrung.119 115 116 117
Beispielhaft steht dafür mit Plattig (2001), 33f die »Philothea« von Franz von Sales. So mit Schaupp, a.a.O., 54. Vgl. auch die Ausführungen unter dem Ersten Teil 4. So mit Plattig, a.a.O., 34ff und Schaupp, a.a.O., 54. Abschließend weist Plattig auf die heutige »selbstverständliche, wenn nicht sogar unerlässlich« gewordene Bedeutung der psychologischen und psychotherapeutischen Erkenntnisse und Methoden für die Geistliche Begleitung hin (35). 118 Schaupp, a.a.O., 58. 119 Wegweisend für die Neuentdeckung religiöser Erfahrung in geistlicher Begleitung als eine individualisierungsbegleitende Maßnahme wurde in den USA das Buch von Barry und Connolly, »The Practice of Spiritual Direction«. Schaupp beendet seinen
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Die historische Entwicklungsgeschichte ist unter protestantischer Perspektive nach der gemeinsamen ökumenischen Geschichte Geistlicher Begleitung bis in das 16. Jahrhundert weiter zu differenzieren und auf eigene Konzeptionen geistlicher Begleitung zu befragen. Evangelische Forschungen werden dazu unternommen.120 Neuere Adaptionen aus dem psychotherapeutischen Feld fehlen ganz (z.B. systemische Exerzitien oder Gestalt-Exerzitien). Gegenwärtig ist die Situation stark differenziert. Es werden eklektisch religionsplurale und andere christlich geprägte Praxisübungen und Theorien aufgenommen. Von Geistlicher Begleitung in spezifischen Schulen, z.B. auch in der monastischen Spiritualität, kann damit nicht mehr gesprochen werden.121 2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung in der gegenwärtigen evangelisch-theologischen Forschung 2.4.1 Geistliche Begleitung und Spiritualität 2.4.1.1 Allgemeine Gedanken zur Spiritualitätsforschung Zu Beginn des dritten Jahrtausends ist die Frage nach einer lebendigen Spiritualität für das eigene Leben, für das politische und gesellschaftliche Handeln und den interreligiösen Dialog neu ins Bewusstsein getreten.122 Der Einzug des Begriffs »Spiritualität« in die evangelischen Kirchen begann mit der 5. Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Nairobi 1975.123 In Deutschland setzte sich kirchlich der Begriff letztlich mit der Ende der 1970er Jahre erschienenen EKD-Studie »Evangelische Spiritualität« durch.124 Weitere Studien folgten.125 Spiritualität ist dabei nicht historischen Überblick mit der Nennung dieser beiden Autoren aus der angelsächsischjesuitischen Tradition des Jahres 1967. Er nimmt in seine Konzeption Grundgedanken auf. Eine erste vergleichende Erörterung beider Ansätze findet sich bei Kohli Reichenbach (2011), 23–41 (Barry/Connolly) bzw. 41–50 (Schaupp). 120 Eine erste Aufsatzsammlung liegt mit »Geistliche Begleitung in evangelischer Perspektive. Modelle und Personen der Kirchengeschichte«, vor. Vgl. ihre Erörterung unter Punkt 4 des Ersten Teils. 121 Gegen Plattig (2001), 25. Er spricht noch davon, dass »nicht von der geistlichen Begleitung schlechthin, sondern nur von geistlicher Begleitung in einer bestimmen Schule« (25) gesprochen werden könne. 122 Vgl. dazu Michael Plattig / Ralf Stolina (Hg.) (2008). 123 Vgl. Peter Zimmerling (2003), 15f. 124 Vgl. dazu Evangelische Spiritualität. Überlegungen und Anstöße zu einer Neuorientierung (2. Aufl.), vorgelegt von einer Arbeitsgruppe der Evangelischen Kirche in Deutschland, hg. von der Kirchenkanzlei im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh (1979) 125 So z.B. Hans-Martin Barth (1993). Hier wird die Bandbreite ökumenischer innerchristlicher Spiritualität dargestellt.
2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung
51
immer gleich christliche Spiritualität, die sich der eigenen geistlichen Tradition bedient. Spiritualität(en) sind zu unterscheiden. Wegweisend für die Klärung des Begriffes »Spiritualität«, seine Bedeutung und seine Inhalte sind die Arbeiten des Niederländers Kees Waaijmann, (2004, 2005 und 2007 erstmals in deutscher Sprache).126 Waaijmann schlägt für das Studium der Spiritualität eine Forschungsrichtung vor, die sich in einer zirkulären Methodik bewegt. Unterschieden werden: (1) die formschreibende Forschung (Tradition, Schule, Einzelpersonen, deren Konturen und Kernmomente); (2) die hermeneutische Forschung, die auf die Interpretation von spirituellen Texten, Regeln, Ritualen schaut; (3) die systematische Forschung, die spirituelle Themenkomplexe analysiert, strukturiert und im wissenschaftlichen Diskurs kritisch betrachtet, und (4) die mystagogische Forschung, die das Wachstum und die Entwicklung eines geistlichen Weges thematisiert und auf die »Endbestimmung« einer bestimmten spirituellen Form (so Waaijmann) zielt. Corinna Dahlgrüns Studienbuch »Christliche Spiritualität« (2009)127 unternimmt auf der Basis dieser Arbeiten Waaijmanns einen neuen Versuch, christliche Spiritualität zu beschreiben. Sie bietet Entfaltungen und Klärungen christlich spiritueller Begrifflichkeit, ihrer Haltungen und Ausdrücke. Für sie ist – kurzgefasst – christliche Spiritualität »die von Gott auf dieser Welt hervorgerufene liebende Beziehung des Menschen zu Gott und Welt, in der der Mensch immer von neuem sein Leben gestaltet und die er nachdenkend verantwortet«.128 Sie verweist grundlegend mit Theologinnen und Theologen wie z.B. Ralf Stolina, Klaus Raschzok, Sabine Bobert, Claudia Kohli Reichenbach und Peter Zimmerling auf die Notwendigkeit, angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen für die Theologie und Seelsorge die erfahrungsbezogene Dimension der Spiritualität zu bedenken.129 Anton Bucher, Theologe, Pädagoge und Psychologe, stellt als Fazit seiner umfangreichen Studien zum Thema »Spiritualität« (im religionspluralen Kontext) heraus: »Angesichts der Vielfalt der spirituellen Phänomene ist es nicht wünschenswert, eine abschließende Definition festzulegen, weil eine solche immer auch definiert, d.h. ausgrenzt; vielmehr ist im Sinne von Arbeitsdefinitionen zu kommunizieren, was jeweils unter ›Spiritualität‹ verstanden wird.«130 Angesichts der Grenzen, an die traditionelle psychologische Forschungsmethoden stoßen, wenn es darum geht, spirituelle Phänomene zu erfassen, verweist er auf die Not126 127 128 129
Kees Waaijman (2004/2005/2007). Christliche Spiritualität. Formen und Traditionen der Suche nach Gott (2009). A.a.O., 152f (153). So Peter Zimmerling (2008), 130–143, und Bobert (2010), 11ff. Siehe Aufsätze derselben in: Ralph Kunz / Claudia Kohli Reichenbach (Hg.) (2012). 130 Anton A. Bucher (2007), 169.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
wendigkeit, einen Methodenpluralismus zu leben und qualitative und phänomenologische Zugänge zu wählen. Auch das unmittelbare Erfahrungswissen, wie es durch meditative oder kontemplative Praxis gewonnen werden kann, soll nach Bucher als legitime Quelle psychologischer Erkenntnisse anerkannt werden. Um angemessen eine Psychologie der Spiritualität zu betreiben, wünscht er sich auch für den deutschsprachigen Raum interdisziplinäre Teams, wie sie im angelsächsischen Forschungsbetrieb Standard sind.131 Claudia Kohli Reichenbach sieht in ihrer Dissertation »Gleichgestaltet dem Bild Christi« aus dem Jahr 2011 weitreichende Impulse für Geistliche Begleitung heute aus der angloamerikanischen Forschung sich entwickeln. Der religionsplurale Kontext lässt seit den 1990er-Jahren neue konzeptionelle Modelle in der US-amerikanischen Wissenschaft erwachsen.132 Kohli Reichenbach zeigt in ihren Veröffentlichungen, dass der Sprachgebrauch dort »zunehmend von einer neuen religionsübergreifenden bzw. transreligiösen Spiritualität bestimmt wird«.133 Mit dem Begriff »transreligiös« ist dabei nicht eine interreligiöse, sondern die Religion im Sinne von organisierter Glaubensgemeinschaft mit spezifischen Überzeugungen, Aktivitäten und Riten überschreitende Spiritualität gemeint.134 Diese Tendenz meint sie besonders »in gewissen US-amerikanischen Begleitmodellen beobachten zu können, die sich von ihrer christlichen (oft römisch-katholischen) Verwurzelung emanzipiert haben und eine neureligiöse, kosmische Spiritualität transportieren«.135 In Gefahr sieht sie dabei besonders Begleitmodelle, die sich, indem sie sich von dem verbum externum des Evangeliums abkoppeln, in Innerlichkeit verlieren können. Dies geschieht, weil diese Modelle »den subjektiven Erfahrungsbegriff einseitig betonen, diesen primär im Bereich der Gefühle ansiedeln und ihn nicht mehr in Beziehung setzen zur Sperrigkeit des jüdisch-christlichen Narrativs«.136 Exemplarisch ist dafür die Organisation »Spiritual Directors International« zu nennen, die in ihren Anfängen explizit christlich orientiert war und heute religionsneutral von »the mystery we name God« spricht, das man suchen wolle.137
131 132 133 134 135
Vgl. a.a.O., 169f (170). Einen Überblick bietet Janet Ruffing (2012), 55–70. Vgl. Claudia Kohli Reichenbach / Irene Sonnabend (2011), 155–167 (156). Vgl. Bernhard Grom (2009), 12–17, 13. Kohli Reichenbach (2011), 185. Siehe auch dies. (2010), 326, Anm. 46. Sie verweist auf den Sammelband von Suzanne M. Buckley (Hg.) (2005). 136 Kohli Reichenbach (2011), 185. Siehe auch dies. (2010), 326. Vgl. Kohli Reichenbach / Sonnabend (2011), 156. 137 Siehe die Website www.sdiworld.org der Dachorganisation für Geistliche Begleitung in den USA.
2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung
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Auch in Deutschland werden die Arbeiten aus dem US-amerikanischen Diskurs aufgenommen138 bzw. zeigen sich eigenständige Entwicklungsformen dieser transreligiösen Spiritualität.139 Die wissenschaftliche Spiritualitätsforschung geschieht in Deutschland im Rahmen der klassisch-theologischen Fächer (vornehmlich der Praktischen Theologie). In Amerika weist die Forschung zur Geistlichen Begleitung und Spiritualität darüber hinaus. In der Studie von Dreyer, Burrows (Hg.) (2005), Minding the Spirit. The Study of Christian Sprirituality, einem Standardwerk der angloamerikanischen Diskussion zur Geistlichen Begleitung, postulieren die Herausgeberin und der Herausgeber die Geburt einer neuen akademischen Disziplin außerhalb der Theologie und laden Forscherinnen und Forscher ein mitzuarbeiten.140 Doch »was mit Spiritualität gemeint ist, auf welche Praxis oder auf welche Theorie mit dieser oder jener Bezeichnung gezielt wird, steht heute nicht fest«.141 Es bedarf weiterer Präzisierungen. 2.4.1.2 Die Untersuchungen Claudia Kohli Reichenbachs zur Geistlichen Begleitung als Beitrag zum Spiritualitätsdiskurs Claudia Kohli Reichenbach erläutert die aufgezeigten Themen und Fragestellungen der Spiritualitätsdiskussion grundlegend im Rahmen ihrer Dissertation von 2011. Im Gespräch mit drei unterschiedlichen gegenwärtigen Begleitungsmodellen erfahrungs- (Barry/Connolly), nachfolgeorientierter (Schaupp) und narrativer Art (Ruffing) bringt sie religiöse Narrative ins Gespräch mit der Religionsphilosophie und weist ihre Brüchigkeit in der Postmoderne nach, da alle Narrative stets vorläufig sind und aufeinander verwiesen bleiben. Methodisch folgt sie den von 138
Vgl. Kunz, Kohli Reichenbach (2012). Die neueren Arbeiten von Kohli Reichenbach (2011) oder Simon Peng-Keller (2010). 139 Zu nennen sind hier die Arbeiten Willigis Jägers, der Gedankengut des US-Amerikaners Ken Wilber integriert. Siehe z.B. Willigis Jäger (2011) und Ken Wilber (2007). Kohli Reichenbach diskutiert Willigis Jäger im Rahmen ihrer religionsphilosophischen Untersuchungen in ihrer Arbeit (2011), 79–81 und reflektiert damit erstmals einen einflussreichen Ansatz aus der spirituellen nichtakademischen Literatur, der weitreichende Leserschaft findet, v.a. im kirchendistanzierten Christentum. Sie stellt seine perennialistische Spiritualitätskonzeption anhand seines 2004 publizierten Aufsatzes »Mystik und Konfession« dar. Danach wird für Jäger jede Religiosität der Zukunft konfessionslos sein, da die Narrative der traditionellen organisierten Religionen ausgedient haben. Er ist überzeugt, dass ein neues Zeitalter angefangen hat, das eine kosmische Spiritualität und eine Evolutionstheologie braucht, die dualistische Engführungen hinter sich lässt. Er postuliert eine Einheit von Materie und Bewusstsein mit der neueren Physik und Astrophysik. Die Grunderfahrung aller Mystik sieht er als eine »ewige Weisheit«, die allen Religionen im Kern zugrunde liegt. 140 Vgl. Elisabeth A. Dreyer / Mark S. Burrows (Hg.) (2005), 5ff. 141 So mit Kohli Reichenbach / Kunz (2012) im Vorwort des von ihnen herausgegebenen Studienbuches, 8.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Waaijmann142 für das Studium der Spiritualität vorgeschlagenen Forschungsrichtungen, die sich in der bereits ausgeführten zirkulären Methodik bewegen. Waaijmann weiterführend, versucht sie stärker die methodischen Aspekte der geistlichen Begleitung zu betonen, die sie auch in der formgebenden, hermeneutischen und systematischen Forschungslinie nachweisen möchte. Sie teilt damit die Kritik der Herausgeber der neuesten Auflage des Handbuches von Waaijmann (Hense, Plattig),143 die ebenfalls stärker die Unterscheidung zwischen Inhalt und Methode bei Waaijmann anfragen. Eingehend verfolgt sie in ihrer Arbeit die Frage nach der Interaktion von religiöser Erfahrung und religiösem Narrativ und reflektiert diese im Licht der modernen Mystikdebatte. Theologisch begründet sie ihren Entwurf einer Geistlichen Begleitung im Anschluss an Dietrich Bonhoeffers Briefe aus der Haft.144 Sie sieht die Aufgabe Geistlicher Begleitung in der Dynamik der Gleichgestaltung mit dem Menschgewordenen, Gekreuzigten und Auferstandenen. Kein Mensch kann sich einen Weg zu Gott schaffen, formuliert Kohli Reichenbach mit Bonhoeffer: Gott ist es, der zu uns Menschen kommt; wir können selbst keine Wege zu Gott gehen. Letztes, Unverfügbares, und Vorletztes, ein Glaubensleben führen im passiven Geschehenlassen von Gottes Wirken an uns, sind nach ihr stets zu unterscheiden. Geistliche Begleitung will demnach die Erfahrung von Gnade im eigenen Leben wahrnehmbar werden lassen. Sie hat damit die Aufgabe, Menschen zu befähigen, eigene idolhafte Selbst- und Gottesbilder loszulassen, um frei zu werden für die »Ikone des gekreuzigten und auferstandenen Christus’« (Kohli Reichenbach), durch die wir gleichsam in das göttliche und menschliche Geheimnis hineingeführt werden.145 Die Praxis der Geistlichen Begleitung bereitet somit den Weg zur Inanspruchnahme des ganzen Lebens durch Christus. In einem religionspluralen Kontext ist laut Kohli Reichenbach nach kreativen Anschlussmöglichkeiten des christlichen Narrativs an die neu sich präsentierende religiöse Vielfalt Ausschau zu halten und nicht nur an der Initiation in das christliche Narrativ festzuhalten.146 Sie sieht Geistliche Begleitung im Kontext der neuen Suchbewegung nach gelingendem Leben innerhalb der unzähligen Wahlmöglichkeiten im religionspluralen Angebot. Für sie kann Geistliche Begleitung Menschen, die nach geistlichem Wachstum inmitten aller Fragment- und Bruchstückhaftigkeit gegenwärtiger Lebenswirklichkeit streben, fördern und ein wichtiges kirchliches Ange142 143 144
Vgl. Waaijmann (2004–2007). Vgl. Kohli Reichenbach (2011), 8–10. Kohli Reichenbach (2011), 185ff. Siehe auch dies. (2010), 316–327. Ihre Ausführungen bilden eine Antwort auf den kritischen Zwischenruf Dietrich Stollbergs. 145 A.a.O., 275ff. 146 A.a.O., 236ff (272–274).
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bot der Gegenwart darstellen.147 Sie plädiert dafür, religiöse Erfahrung und Transparenz ebensolcher für die Menschen zu profilieren, die Geistliche Begleitung in Anspruch nehmen wollen.148 2.4.1.3 Spiritualität zu Beginn des 3. Jahrtausends – der Beitrag Ralf Stolinas zum Spiritualitätsdiskurs Der evangelische Systematiker Ralf Stolina149 stellt in seinem Aufsatz »Das Geheimnis Gottes und die Würde des Menschen« von 2008 heraus, dass die Schwäche der Begriffe »Spiritualität/spirituell« und »Mystik/mystisch« nicht in der Schwierigkeit einer eindeutigen Definition liegt oder in der umgangssprachlichen Neigung begründet ist, aus Mystik und Spiritualität eine Art Containerbegriff zu machen, in den nach Belieben alles hineingeworfen werden könne, sondern sie vielmehr darin liegt, dass es im Verstehen und Gebrauch der Begrifflichkeiten zu einer Neigung kommt, die als »Fokussierung der subjektiven Erfahrung und Ausblendung des Erfahrungsgrundes bzw. des Gegenübers der Erfahrung« (10f) beschrieben werden kann. Der Erfahrungsgrund bzw. das Gegenüber der Erfahrung ist jedoch für den christlichen Gebrauch von »spirituell« und »mystisch« »konstitutiv« (11). So bezeichnet nach Stolina das Adjektiv »mystisch« in biblischer Bedeutung das Christusmysterium, das, gleichsam vor aller Zeit existent, nun offenbar geworden ist. Dies geschieht in liturgischer Bedeutung im Sakrament und in spiritueller Bedeutung im geistlichen Sinn der Schrift. An Letztere anknüpfend, »bezeichnet das Wort mystisch schließlich (auch) eine unmittelbare, erfahrungsmäßige Gotteserkenntnis« (11). Das Adjektiv »spirituell« kommt von lat. spiritualis/spiritalis. Es ist ursprünglich eine christliche Wortschöpfung, mit der das neutestamentliche »pneumatikos« (geistig/ geistlich) übersetzt wird. »Spirituell ist [folglich] der mit dem Geist Gottes begabte, der vom Geist Gottes beseelte Mensch« (11). Ob eine und, wenn ja, welche Erfahrung dem Menschen offenbar wird, bleibt dabei für Stolina offenes, unverfügbares Geschenk. Dies gilt für alle Erfahrungen und sämtliche Erfahrungskontexte, die für ihn stets kulturell gebunden sind (vgl. 12f). »So erfährt der Mensch Gott bzw. das Göttliche im Horizont der jeweiligen Religion« (12). Die Substantive »Mystik« und »Spiritualität« sind Begriffe des 17. und 18. Jahrhunderts und signalisieren eine Wende zur religiösen Subjektivität: Mystik und Spiritualität bezeichnen demnach primär die anthropologische und subjektive Dimension des Glaubens und seiner Erfahrung, die sich zunehmend von dem Glaubensgrund, dem Mysterium Gottes, für Stolina verselbststän147 148 149
A.a.O., 169ff. Vgl. auch Punkt 2.1.4. A.a.O., 93. Stolina (2008). Die nach den Zitaten in Klammern gesetzten Seitenzahlen weisen auf Zitate im Aufsatz Stolinas hin.
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digte (11). Spiritualität meint gegenwärtig, wo die Hinwendung zur religiösen Subjektivität vollends vollzogen ist, »einen offenen [offen heißt: dem Anspruch nach nicht durch den Horizont einer Religion begrenzten] Transzendenzbezug in anthropologischer Fokussierung; es geht um Gott bzw. das Göttliche, wobei paradoxerweise der Mensch im Zentrum steht« (12). Stolina gebraucht innerhalb seiner weiteren Erörterungen die Substantive gemäß ihrer adjektivischen inhaltlichen Bedeutungsebene. »Spirituell« meint dabei den weiteren Begriff: die Gabe des Geistes Gottes. Ein solcher Mensch setzt in allen seinen Bezügen und Verhältnissen eine seine »ganze Person und Existenz betreffende Lebensbewegung frei« (12). Mystik150 ist der konkretere Begriff, der ein wesentliches Element dieser Lebensbewegung benennt, »die cognitio Dei experimentalis, die Erfahrungserkenntnis Gottes, die Erkenntnis mittels Erfahrung« (12). Diese ist »ein komplexes Geschehen, in dem der Mensch es nicht allein mit sich zu tun hat, sondern zuvorderst mit Gott und mit sich selbst in Beziehung zu Gott« (12). Die menschliche Seite ist darin grundsätzlich die empfangende Seite der »konstitutiven Beziehung zum Mysterium Gottes« (12). »Die spirituelle Erfahrung ist (damit), wie jede andere Erfahrung, wesentlich bestimmt von ihrem geschichtlichen, weltanschaulichen, religiösen und sprachlichen Kontext, von Standpunkt und Perspektive des Erfahrenden innerhalb seines weltanschaulich-religiösen Horizontes, der […] das Erfahrungsfeld eröffnet, das er umschließt. So erfährt der Mensch Gott bzw. das Göttliche im Horizont der jeweiligen Religion« (12). Der Versuch, einen absoluten Standpunkt einzunehmen (gemeint ist ein von Raum, Zeit und Geschichte unabhängiges und somit weltanschaulich indifferentes Wahrnehmen und Erfahren Gottes), gleicht für Stolina dem Versuch einer »Horizontabschreitung« (Hans Blumenberg). Er stellt ein Verlangen dar, die Begrenzungen des Horizonts aufzuheben, um »dahinterzublicken«, was nach Stolina jedoch nur durch die Selbstmitteilung Gottes möglich wird (vgl. 12). Demzufolge gibt es für ihn auch keine weltanschaulich neutrale Übung (vgl. 13). Vielmehr ist »eine spirituelle Praxis/Methode […] ohne einen ihr innewohnenden und sie gestaltenden Geist sinnlos« (13). Und umgekehrt gilt ebenso: »[E]ine geistig-geistliche Ausrichtung ist wesenlos, illusionär, wenn sie nicht in einer gelebten Praxis Gestalt gewinnt« (14). Für den interreligiösen Dialog bedeutet dies nach Stolina, dass »wir einander Erfahrungen und Erkenntnisse mitteilen, die wir auf dem jeweils beschrittenen Weg empfangen und gewonnen haben« (14). Ziel des interreligiösen Dialogs ist somit »nicht Einheit, sondern Harmonie, in welcher verschiedene Töne zusammenklingen und nur, 150
Einen kompakten Überblick zu verschiedenen Definitionsversuchen des Begriffs »Mystik« bietet z.B. die fünfbändige Reihe »Die Mystik im Abendland« von Bernhard McGinn (1994/1996/1999/2008); hier zitiert: Bd. 1, 265ff.
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wenn jeder seinen oder ihren Ton spielt, kann es zur Harmonie kommen –, kommen wir im Vielklang dem Mysterium Gottes näher. Grund dieser Harmonie und der Hoffnung auf sie ist die eine Wirklichkeit Gottes« (14). 2.4.1.4 Plädoyer für eine erneuerte reformatorisch orientierte Spiritualität in Einheit mit evangelischer Theologie (Peter Zimmerling) Peter Zimmerling151 plädiert 2003 für eine Erneuerung evangelischer Spiritualität. Es gilt für ihn, eine vergessene Dimension wieder ins Bewusstsein und in eine erneuerte spirituelle Praxis zu setzen (vgl. 15ff). Der Grund des Vergessens sieht er in der zuletzt spannungsreichen Beziehung zwischen Theologie und Spiritualität, Mystik und Protestantismus (vgl. 22ff), die eine durch Verwerfungen (er nennt die dialektische Theologie an dieser Stelle) hervorgerufene »zerbrochene Einheit« darstellt (16f). Um diese Einheit wiederherzustellen, setzt er bei den reformatorischen Theologien (vor allem Luther in der Interpretation von Leppin und Harms) an, gerade auch, um den Vorurteilen zu begegnen, dass die Rechtfertigungsbotschaft durch Spiritualität, die das menschliche Handeln durch eine spirituelle Praxis in den Vordergrund rücke, Schaden nehmen könnte. Dahingegen hängen für Zimmerling Spiritualität und Rechtfertigungsglaube unmittelbar zusammen: »Einerseits befreit die Erfahrung der Rechtfertigung sola gratia dazu, den Glauben in der konkreten Lebensgestalt zu bewähren, andererseits bewahrt sie davor, das eigene spirituelle Streben zu überschätzen« (16). Zu einer reformatorisch geprägten Spiritualität gehört nach ihm, bleibend die Freiheit des Gewissens einzusehen und das Individuum hoch zu schätzen; zudem sind zwei Bewegungen geistlichen Vollzugs untrennbar damit verbunden: »Einmal verläuft diese Bewegung in Richtung auf Konzentration, zum anderen in Richtung auf Grenzüberschreitung. Einerseits konzentriert sie sich auf Jesus Christus, auf die Bibel, auf Gottes Handeln und auf den (persönlichen) Glauben. Andererseits ermutigt die evangelische Spiritualität durch eine Haltung der Weltbejahung und Weltverantwortung zum Überschreiten des binnenkirchlichen Raumes in Richtung auf Familie, Beruf und Gesellschaft, die als Felder gottesdienstlicher Lebensführung von den Reformatoren neu entdeckt wurden« (284). Diesen sechs Konzentrationen werden sechs Herausforderungen gegenübergestellt. Konkret: der Konzentration auf Jesus Christus die trinitätstheologische Perspektive; der Konzentration auf die Bibel die Herausforderung der Traditionsvergessenheit; der Konzentration auf das Handeln Gottes die Herausforderung der billigen Gnade; dem individuellen Glauben die Herausforderung der Integration von Sozialität und 151
Peter Zimmerling (2003). Zitate aus diesem Werk in Klammern.
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Erfahrung; der Konzentration auf das Handeln in der Welt und die Weltbejahung die Herausforderung der kontemplativen Dimension und der Askese, des Verzichtes und der Übung (vgl. 27–47). Im Weiteren gibt er einen breiten Überblick über die unterschiedlichsten Formen spirituellen Lebens (Kirchentag, christliche Meditationsbewegung, evangelische Kommunitäten, charismatische Bewegung). Er konstatiert: »[I]n einer bis zu den aktiven Gemeindegliedern weithin säkularisierten Kirche, die das Engagement für die Gesellschaft in das Zentrum ihres Lebens gestellt hat, ist eine Erneuerung der Frömmigkeit dringend nötig. Die Sehnsucht nach geistlichen Erfahrungen ist unübersehbar«, und fragt: »Müsste nicht aus diesen Gründen [...] das Augenmerk gegenwärtig wieder mehr auf die Gestaltung des geistlichen Lebens gelegt werden?« (123f). Zimmerling präsentiert Gestaltungsmöglichkeiten für eine erneuerte evangelische Spiritualität: so das persönliche Gebet, die persönliche Bibellese, die sakramentale Praxis durch Abendmahl, Taufe und Beichte, Gemeinschaftsformen spirituellen Lebens, die Kirchenmusik (J.S. Bach), ein evangelisches Heiligengedächtnis, Pilgern, Fasten, Freizeiten, Exerzitien und Glaubenskurse (vgl. 192ff). Auch die charismatische (vgl. 169ff) und fundamentalistische (vgl. 182ff) Spiritualität werden von Zimmerling mitbedacht. Diese Form der Integration erneuerter spiritueller Praxis fordert er auch für das Studium der evangelischen Theologie.152 Dazu gehören für ihn, eine individuelle Identität auszubilden und nach Antworten auf die Gottesfrage zu suchen (vgl. 129). Er stellt heraus, dass bis heute Fragen der Spiritualität in der evangelischen Ausbildung eine individuelle Angelegenheit seien (vgl. 125), während sie im Rahmen der römisch-katholischen Ausbildung verankert seien. Die Integration spiritueller Bildung ist gerade vor dem Hintergrund »ungebremster fortschreitender Entkirchlichung der west- und mitteleuropäischen Gesellschaften« (126) notwendig. Gründe für eine Integration sieht er in den reformatorischen Ursprüngen existenzieller und erfahrungsbezogener Theologie: bei Luther in der Verbindung von Theologie und der geistlichen Praxis von praxis pietatis: oratio, meditatio, tentatio (vgl. 128) oder bei Melanchthon in der engen Verbindung von Spiritualität und Bildung. Spiritualität dient dabei für Zimmerling als Inspirationsquelle, Korrektiv einseitiger Intellektualisierung und für eine Verbindung zwischen Gemeinde und Theologie (vgl. 130f). Auch sieht er ein verändertes Pfarrerbild sich entwickeln. Pfarrerinnen und Pfarrer müssen in Zukunft stärker von ihren Glaubenserfahrungen und ihrer gelebten Spiritualität sprechen, vor allem auch in Konkurrenz zu anderen »spirituellen Anbietern« (132). Zu den Inhalten sollte darum ein Wissen um Methoden und Ansätze zur Erforschung, Geschichte, Theologie und Praxis christlicher Spiritualität gehören (vgl. 133ff). Er sieht 152
Vgl. Zimmerling (2012), 125–142. Zitate im Folgenden aus dieser Quelle.
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die Reintegration der Spiritualität als eine Aufgabe sämtlicher theologischer Fächer, nicht bloß in einer im Rahmen der Praktischen Theologie wieder zu etablierenden »theologia ascetica«. »Meine Hoffnung«, so Zimmerling, »[ist, dass] in der Spiritualität der heimliche Fluchtpunkt aller theologischen Arbeit sichtbar wird« (138). Geistliche Begleitung vermag darin eine Funktion in Begleitung und Vorbild zu übernehmen. Zimmerling sieht sie »auf der Schnittstelle zwischen Katechese, Spiritualität und Seelsorge« (140) angesiedelt. Viele Anliegen der Geistlichen Begleitung korrespondieren für Zimmerling mit dem Studium der Spiritualität (vgl. 140). 2.4.1.5 Geistliche Begleitung als Chance für eine reflektierte Spiritualität im dritten Jahrtausend Die gegenwärtigen Studien zur Spiritualität bereichern die Forschung zur Geistlichen Begleitung, weil sie präzise und wissenschaftlich fundiert Ziele, Chancen und Gefahren sowie Inhalte und Formen Geistlicher Begleitung herausarbeiten. Grundlegende spirituelle Kenntnisse in einem Studium der Theologie, wie Zimmerling sie fordert, sind sinnvoll und nötig, um den gesellschaftlichen Anforderungen mit einem veränderten Pfarr- und Kirchenbild begegnen zu können. Jede nicht zuletzt auch dazu nötige Profilierung Geistlicher Begleitung, wie Kohli Reichenbach sie für ihre Theorie und Praxisbildung fordert, setzt zuallererst jedoch eine eigene Reflexion des »Anbieters« Geistlicher Begleitung voraus: Reflektiert werden sollten das Menschenbild, die Rede von Gott, die Methoden und die Interaktionstheorie. Ein für diese wissenschaftliche Reflexion notwendiges wissenschaftliches Strukturmodell für die Theorie und Praxisreflexion Geistlicher Begleitung gibt es derzeit innerhalb der Theologie nicht. Kohli Reichenbach greift, wie aufgezeigt, auf das Strukturmodell Waaijmanns zurück, Zimmerling auf die reformatorische Tradition, Ralf Stolina greift zur systematisch exakten begrifflichen Definition auf der Basis inkarnatorischer Theologie im Anschluss an Karl Rahner zurück, die später noch ausführlicher dargestellt und erörtert wird.153 Alle dargestellten Positionen entfalten Geistliche Begleitung im Kontext der Spiritualität. Kohli Reichenbach und Stolina weisen für alle christlichen spirituellen Erörterungen darauf hin, dass die subjektive Erfahrungsgestalt (das menschliche Erleben) und der objektive Erfahrungsgrund (Gott) grundsätzlich voneinander zu unterscheiden sind und dass 153 Vgl. Punkt 3 im Dritten Teil der vorliegenden Arbeit. Ralf Stolina bietet in seinen Veröffentlichungen auf der Grundlage inkarnatorischer Theologie im Gespräch mit der Theologie Karl Rahners grundlegende theologische Fundierungen an. Vgl. Stolina (1996), (2000), (2008), 10–37 und (2010), 288–305.
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die Selbstmitteilung Gottes, seine Gnade, unsere Erfahrung begründet. Kohli Reichenbach weist daraufhin, dass es in einem religionspluralen Kontext notwendig ist, nach kreativen Anschlussmöglichkeiten des christlichen Narratives an die neu sich präsentierende religiöse Vielfalt Ausschau zu halten und nicht allein auf die Initiation in das christliche Narrativ zu schauen und an ihm festzuhalten. Dies ist eine Position, die angesichts der Herausforderungen unserer religionspluralen und eklektischen religiösen Situation zu begrüßen ist. Kohli Reichenbachs Arbeit zeigt dazu jedoch keine konkreten Handlungsfelder und Umsetzungen auf. Positiv sind abschließend die differenzierte Darstellung der Begriffe »Spiritualität und Mystik« durch Ralf Stolina herauszustellen. Sie werden aufeinander bezogen und erlauben auch gerade dadurch Orientierung und Präzision. Die Begriffsdefinitionen der Untersuchung folgen denen Stolinas. 2.4.2 Geistliche Begleitung und »religiöse Erfahrung« Geistliche Begleitung ist vorliegend als ein Zugleich zweier Dimensionen bezeichnet worden: der pastoralpsychologisch-seelsorglichen Dimension und der spirituellen Dimension. In der intersubjektiven Begegnung kann es zu spirituellem Erleben kommen, so z.B. im Gebet, im Gespräch, in der Reflexion auf das eigene (spirituelle) Leben, im Ritual, immer dort, wo Kairos (griechisch kαιρός, das »rechte Maß, die angemessene Entscheidung, der rechte Zeitpunkt«) geschieht. Es gilt, sich auf Gottes Geist, seine Selbstmitteilung, auszurichten, damit seine Gegenwärtigkeit dem begleiteten Menschen bewusst präsent wird und er aus Gottes Gegenwart leben lernt. Geistliche Begleitung kann unterstützend wirken, indem sie hilft, sich für Gottes Geist und seine Gegenwart zu öffnen (hinführender Aspekt) und ein solches Erleben in die Alltagserfahrungen zu integrieren, verstehen zu lernen und mit der Erfahrung zu leben (ausdeutender Aspekt). Nachfolgend werden die dieser Dimension Geistlicher Begleitung zugehörenden Begrifflichkeiten und Inhalte erörtert, um das spirituelle Geschehen präziser erfassen und für die Geistliche Begleitung darzustellen. 2.4.2.1 Der Erfahrungsbegriff nach William James Der Erfahrungsbegriff wurde von William James154, einem amerikanischen Philosophen und Psychologen, 1902 erstmalig auf der Grundlage seiner Auswertung einer großen Anzahl religiöser Erlebnis- und Erfahrungsberichte konzentriert aufgeschlüsselt und entfaltet. Er kategorisierte und strukturierte dieselben. Damit setzte er den Anfangspunkt einer 154
Vgl. James, Williams (1997).
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Reihe von Forschungen zur »religiösen Erfahrung« bzw. »mystischen Erfahrung«,155 die bei ihm nicht immer klar in den Anfangskapiteln unterschieden werden, da für ihn »die persönliche religiöse Erfahrung ihre Wurzel und ihr Zentrum in mystischen Bewusstseinszuständen hat« und von diesen erst erhellt werden (383), so dass er anfangs stets unpräzise blieb. Die mystische Erfahrung erläutert er in den Vorlesungen XVI und XVII. Vier Merkmale kennzeichnen für ihn eine mystische Erfahrung: (1) Die Unaussprechbarkeit des Inhaltes einer Erfahrung. Es kann nicht angemessen über sie berichtet werden; daraus folgt für James, dass die Qualität dieses Zustandes direkt erfahren werden muss; sie kann nicht mitgeteilt oder übertragen werden (384). Für James ähneln diese Zustände damit eher emotionalen als intellektuellen Zuständen. (2) Noetische Qualität: Trotzdem ähneln sie auch Erkenntniszuständen für die, die sie erfahren. Verbunden mit diesem Zustand sind tiefe Einsichten in die Wahrheit möglich, die vom diskursiven Verstand nicht ausgeschöpft werden können (vgl. 384). Mit ihnen bleibt ein »Nachgeschmack von besonderer Autorität« (384); (3) Flüchtigkeit: Mystische Zustände können nicht über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden. Sind sie verblasst, können sie oft nur in eingeschränkter Qualität wiedererinnert werden. Doch sie werden dann sofort wiedererkannt und können ein »Gefühl einer kontinuierlichen Entwicklung an innerem Reichtum und Bedeutung« für den Erfahrenden schaffen (385). (4) Passivität: Obwohl das Auftreten von mystischen Zuständen durch körperliche Übungen und andere geistige Übungen erleichtert (nicht gemacht!) werden kann, tritt ein charakteristischer Bewusstseinszustand ein, »das Gefühl, sein eigener Wille sei außer Kraft gesetzt, und [man] fühlt sich von einer höheren Macht ergriffen und gehalten« (385). Mystische Erfahrungen behalten immer eine gewisse Erinnerung an das tiefe Empfinden ihrer Wichtigkeit. So grenzen sie sich von anderen Formen ab. Sie vermögen das Innenleben des Betroffenen zu verändern (385). Das Phänomen der eigentlichen religiösen Mystik ist das »plötzliche Gewahrwerden der unmittelbaren Gegenwart Gottes« (393) oder eines »kosmischen Bewusstseins« (396). Die methodische Pflege mystischen Bewusstseins ist dabei in allen Religionen als ein Element religiösen Daseins zu finden (vgl. 398). Dabei ist festzuhalten, dass es mystische Zustände gibt, die als nicht diskursiv oder emotional, mit unseren Sinnen erfassbar, beschrieben werden, vielmehr die Sinne in ihnen keine Rolle spielen (vgl. 404). Geistesbilder spielen in der Mystik zwar eine Rolle, in bestimmten Fällen können diese jedoch ganz ausfallen, und ein Zustand entsteht, der auch keine verbale Beschreibung verträgt. James verweist auf die Beschreibung des Johannes vom Kreuz, der einen solchen Zustand als »dunkle Kontemplation« oder »Vereinigung in Liebe« 155
So auch Rudolf Otto (1926).
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beschrieb, wo bar jeglicher Sinne, des Gemüts und allen Verstehens etwas ins Innerste unserer Seele dringt (vgl. 405). Die Inhalte dieses Erlebens können dabei, so James, verschiedenartig sein (vgl. 408). James beschreibt sie als »im großen und ganzen pantheistisch und optimistisch oder zumindest das Gegenteil von pessimistisch« (418). In der Regel sind sie für die Betroffenen ab einem gewissen Zustand richtungsweisend. So ist für James »der Mystiker […] unangreifbar; wir müssen ihm seine ungestörte Glaubensfreude lassen, ob es uns gefällt oder nicht« (418). Die Bedeutung des Werkes William James’ für die Theologie reicht bis in die heutige Diskussion um religiöse Erfahrung.156 Er stand mit seinem Werk am Beginn der Tradition einer wissenschaftlichen Mystikforschung, die über ihr großes Interesse am Anfang des 20. Jahrhunderts (Evelyn Underhill, Rudolf Otto) bis in die heutige Mystikdiskussion reicht, die vor allem im angloamerikanischen Bereich geführt wird. 2.4.2.2 Der Erfahrungsbegriff innerhalb der angloamerikanischen Forschung In der neueren Diskussion, die von Claudia Kohli Reichenbach157 für die Geistliche Begleitung im deutschsprachigen Bereich in ihrer Studie zugänglich gemacht wird, steht vor allem die Frage im Raum, ob es eine mystische Erfahrung gibt, die wesentlich ohne kulturelle und religiöse Prägung ist. Vertreter dieser Position werden unter dem sog. »Perennialismus« im 21. Jahrhundert geführt.158 Wegbereiter ist seit den 1960erJahren der Amerikaner Walter T. Stace. Dieser betont in seinem Verständnis von mystischer Erfahrung, dass sie im Kern frei von jedweder Konzeption sei und keine interpretatorischen, d.h. dualistischen Elemente enthalte. So schreibt er: »The mystic in any culture usually interprets his experience in terms of the religion in which he has been reared. But if he is sufficiently sophisticated, he can throw off that religious creed and still retain his mystical consciousness.«159 Kohli Reichenbach kritisiert, dass er in einer philosophischen Vorentscheidung Monotheismus und Dualismus gleichsetze und mystische Erfahrung pantheistisch als Einheitserfahrung verstehe.160 Sie stellt zu156
Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass der evangelische Systematiker Eilert Herms Willliam James’ Werk erstmalig mit der Ausgabe von 1997 vollständig ins Deutsche übersetzte. Das Vorwort ist von dem Philosophen Peter Sloterdijk geschrieben. Siehe Peter Sloterdijk (1997), im Anschluss an einige Motive bei William James, in James (1997), 11–34. 157 Kohli Reichenbach (2011) fasst die Diskussion innerhalb ihrer Arbeit präzise zusammen. Siehe zu den folgenden Äußerungen im Textverlauf Kohli Reichenbach (2011), 69–88. 158 Walter T. Stace (1960). 159 Stace (1960), 342. 160 So Kohli Reichenbach (2011), 75f.
2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung
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gleich fest, dass das Verständnis Staces und der sogenannten Perennialisten weiterhin sehr populär bei sich selbst spirituell verstehenden Menschen sei. In der Mystikforschung wurde die perennialistische Auffassung jedoch heftig infrage gestellt. Die kulturelle Gebundenheit jeder Erfahrung nicht nur nach einer Gotteserfahrung, sondern auch vor und während derselben stellt der amerikanische Wissenschaftler Steven T. Katz heraus. Er unterscheidet zwei grundlegende Ansätze für die wissenschaftliche Untersuchung und das Verständnis der Mystik: ein essenzialistisches und ein kontextualistisches Modell: The essentialist model argues that mystical experience is independent of the sociocultural, historical and religious context in which it occurs, and regards all mystical experience in its essence to be the same. The contextualist model states that mystical experiences are shaped by the concepts ›which the mystic brings to, and which shape, his experience‹. What is being experienced is being determined by the expectations and the conceptual background of the mystic.161 Vertreter und Vertreterinnen beider Positionen finden sich in der Geistlichen Begleitung in Deutschland. Willigis Jäger und die Würzburger Schule vertreten mehr oder weniger reflektiert bewusst perennialistische Auffassungen, eine kontextuelle Auffassung vertritt der evangelische Systematiker Ralf Stolina.162 2.4.2.3 Geistliche Begleitung als Begleitung »religiöser Erfahrung« und »religiösen Erlebens« Es ist grundlegend zwischen einem religiösen Erleben und einer religiösen Erfahrung zu unterscheiden. Silke Harms163 stellt heraus: Christsein geschieht zwischen Exerzitium, Erlebnis und Erfahrung. Die Gefahr der geistlichen Übung liegt in der alleinigen Erlebnisorientierung. Wichtig ist es mit Luther, die Konzentration auf den Alltag nicht aus den Augen zu verlieren (vgl. 236f). Durch die alltägliche Übung wird aus einem Erlebnis Erfahrung (vgl. 238). Erfahrung ist damit einerseits ein dauerhafter Prozess und nicht punktuell wie ein Erlebnis; andererseits ist Erfahrung eine Reflexion des Erlebten, anders als ein Erlebnis, das in den Bann zieht, kommunikabel. Eine »handlungsorientierte Weitergabe« (239) ist damit möglich. Hinzuzufügen ist, dass in aller Erfahrung, unverfügbar und doch ereignisreich, somit Erleben einem Menschen wi161 162
Steven T. Katz (2000), 3f. Vgl. auch Willigis Jäger und das Würzburger Forum der Kontemplation e.V. (WFdK) (o. J.), Startseite, www.wsdk.de. Anders Ralf Stolina. Siehe die Ausführungen zu 2.4. 163 Harms (2011), 236–239 (Quellenzitate).
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derfahren kann. Inhaltsebene und Formebene gehören damit untrennbar zusammen, sind aber zu differenzieren, was im Folgenden erläutert wird: Es ist genauer zwischen Erleben und Erfahren zu unterscheiden. Mit Stace ist grundsätzlich festzuhalten, dass es ein nichtdualistisches spirituelles Erleben gibt, das sich vor aller Sprache ereignet. Mit Katz müssen jedoch auch deren Kontextualität und kulturelle Gebundenheit stets im Blick behalten werden. Denn dieses nichtdualistische Erleben wird Erfahrung. Es wird dadurch Erfahrung, dass es in menschlichen Sinnsystemen, religiösen Kontexten und allgemein menschlichem Verstehen und in menschlicher Sprache reflektiert wird. Damit findet das nichtdualistische Erleben in dualistischen Termini Ausdruck. Umgekehrt kann dualistisches Denken in die Nicht-Dualität durchstoßen und damit spirituelles Erleben ermöglichen, das nicht in dualistischen Termini in Gänze fassbar ist, aber stets versucht wird, um das Erleben Erfahrung werden zu lassen. Erfahrungen finden dann mit Sprache, Riten, Bräuchen etc. wieder Raum im dualistischen Denken, da sie dauerhaft und reflektiert sind. Dualität und Nicht-Dualität sind folglich ab einer gewissen Reife an Erfahrung in religiösem Erleben keine sich widerstreitenden Größen mehr. Sie benennen vielmehr zwei unterschiedliche Punkte innerhalb eines geistlichen Prozesses. Sie sind zwei Seiten einer Medaille, die aber jeweils nur von einer Seite betrachtet werden kann, obgleich beide Seiten stets die Medaille bilden. Der eigene »Horizont« ist mit Ralf Stolina zu reflektieren und der »Erfahrungsgrund« gegenüber aller anthropologischer Bemächtigung und Machbarkeit (mit Ralf Stolina und Claudia Kohli Reichenbach) zu wahren. Spirituelles Erleben und Erfahren ist damit stets zu differenzieren – sowohl für die geistliche Übung (Silke Harms) als auch für die Geistliche Begleitung, um präzise geistliche Erfahrung und auch spirituelle Entwicklungen zu erfassen und zu begleiten. Religiöse Erfahrung und das religiöse Narrativ sind damit folglich auf das Engste miteinander verbunden, wie Kohli Reichenbach herausstellt: Glaubensgemeinschaften strukturieren danach die religiösen Erfahrungen und – die Verfasserin vorliegender Arbeit fügt ihrerseits hinzu – ermöglichen es auch, das spirituelle Erleben zu strukturieren. Den begleitenden und anleitenden Menschen in einer Geistlichen Begleitung kommt somit eine wichtige Funktion zu.164 Die Gestalt der Geistlichen Begleitung und die Lebensbewegung, die dort im Heiligen Geist vollzogen wird, sind gerade, weil religiöse Erfahrung vor und nach dem Erleben stets kontextuell gebunden ist, zu reflektieren. Mit Kohli Reichenbach ist zu konstatierten, dass »zur Verdeutlichung des Profils Geistlicher Begleitung gehört […], dass sie kontextuell positioniert wird, indem sie als Angebot einer Glaubensgemeinschaft verstanden wird; denn 164
So mit Kohli Reichenbach (2011), 85.
2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung
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in dieser wird das religiöse Narrativ erinnert, gefeiert und kreativ transformiert«.165 2.4.3 Geistliche Begleitung und Mystagogik In den bereits dargestellten Entwürfen wird als Ziel Geistlicher Begleitung von Jalics das »Eins-Werden mit Gott, in dem wir uns in das Göttliche hinein nehmen lassen«166 formuliert. Lambert verweist auf die »unmittelbare Begegnung zwischen Schöpfer und Geschöpf«,167 auf das »Erkennen von Gott und Jesus Christus«. Schaupp und Stolina betonen beide als Ziel die Anrufung Gottes, das, was längst schon da ist und durch die Taufe sakramental verdeutlicht wird, zu erkennen (Schaupp)168 bzw. seine persönliche Anrufung an uns, unseren Namen bei Gott, zu entdecken (Stolina).169 Zu diesem Ziel gilt es, sich in das göttliche bzw. Gottes Geheimnis hineinverwandeln zu lassen. Geistliche Übungen und Geistliche Begleitung dienen diesem Wirken Gottes an uns. Obwohl alle vier Theologen nicht mit dem Begriff Mystagogik operieren, ist dieser Vollzug klassisch im Sinne eines mystagogischen Wandlungsprozesses. Die Theologin Sabine Bobert hat in ihrem Neuentwurf einer christlichen Mystagogik Geistliche Begleitung als ein mystagogisches Geschehen ausdrücklich benannt und im Rahmen ihrer Studien verankert. Mystagogie ist für sie die Kunst, Menschen in das Geheimnis ihres eigenen Lebens, der Welt und zugleich Gottes hineinzuführen. Die meisten Menschen benötigen dazu Begleitung auf dem Weg zur Erkenntnis ihrer eigenen Wahrheit. Diese umfasst die Unterweisung in spezifischen Techniken ebenso wie die symbolisch-rituelle Darstellung.170 Alle zielen auf die Verwandlung des Menschen (Transformation) durch die christlichen Geheimnisse. Christliches Leben ist somit ein Umgestaltetwerden zu Christus mittels geistlicher, kontemplativer Übungen. Das Ziel dieses Weges der Transformation, der für sie über Stufen erfolgt, ist Gal 2,20: »Nun aber lebe nicht ich, sondern Christus lebt in mir!«171 Im Folgenden wird der Begriff und die Rezeption der Mystagogik im Kontext des spirituellen Geschehens innerhalb Geistlicher Begleitung genauer untersucht. Es werden dabei strukturgebend zwei Traditionsstränge unterschieden: zum einen den Strang in der Theologie des römisch-katholischen Theologen Karl Rahner, vertreten in der evangeli165 166 167 168 169 170 171
A.a.O., 93. Jalics (2012), 143. Lambert (2011), 13. Schaupp (2007), 12f. Stolina (2012), 14. Vgl. Bobert (2010), 31. So Bobert, a.a.O., 85, mit Bonhoeffer. Siehe auch die Ausführungen zu Boberts mystagogischer Theologie im Dritten Teil dieser Arbeit.
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schen Theologie durch Ralf Stolina und in der römisch-katholischen Theologie durch die Theologinnen Renata Zinkevičiūte und Mirjam Schambeck, und zum anderen den Strang in Weiterführung der Studien religionsphänomenologischer Forschung, der durch den evangelischen Theologen Manfred Josuttis und, ihn weiterführend, durch die evangelische Theologin Sabine Bobert repräsentiert wird. 2.4.3.1 Der Begriff »Mystagogik« Der Begriff »Mystagogik« (oder: »Mystagogie«) setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern »mysterion« und »agein«. Oftmals wird »Mystagogik« übersetzt als »Geleit in die Geheimnisse«.172 Zu bedenken ist allerdings, dass zum einen »mysterion« (dtsch. »Geheimnis, Unerklärliches) als ein Unverfügbares, nichts für den Menschen Ent-Rätselbares oder gar Greifbares enthält, und zum anderen »agein«, (von lat. initio – dtsch. »einführen«) abgeleitet wird von dem, was im Griechischen neben der Bedeutung für ein (pädagogisches) »Führen und Leiten« auch ein »Lippen schließen«; »Schweigen«, Ruhe finden«; »sich beruhigen«, »Augen schließen« bedeutet.173 Folglich heißt: »Einführung/Geleit in das Geheimnis« auch ein »Schließen der äußeren Sinne und Hinwendung zu den inneren geistigen Augen, den Augen des Herzens«. Eine »kontemplative Grundhaltung« wie sie Stolina und Schemann für die Geistliche Begleitung konstatieren,174 die Erfahrungsweg und -grund differenziert, ist damit schon von der etymologisch gegründeten ursprünglich griechischen Begriffsbestimmung her inklusiv mit einem mystagogischen Weg verbunden und sollte alles mystagogische Handeln mitbestimmen. Die Arbeit folgt damit nicht der lateinischen Bedeutung des »initio«, welches ein aktives Tun menschlicher Begleitung im Sinne eines Einführens in Gottes Wesensgrund nahelegt, das der griechischen Grundbedeutung fern ist. Die griechische Bedeutung kennt eine (zuallererst für Kinder / später auch für Erwachsene) pädagogische Einweisung in den Weg zu den Geheimnissen in kontemplativer Haltung und dann auch eine Begleitung aus den Erfahrungen mit Gottes Heilshandeln in den Alltag der Welt, wie sie auch in der Traditionsgeschichte im Folgenden (2.4.3.2.) aufgezeigt werden. Auf der Basis genannter differenzierter Begriffsbestimmung ist folglich die Bezeichnung »Mystagogik« durchaus geeignet, um wesentliche Prozesse in der Seelsorge bzw. Geistlichen Begleitung zu beschreiben.175 172 173 174
So Andreas Wollbold (1998), 570f. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (2002), 641. So Stolina (2014), 36 in Abgrenzung zum Begriff »Mystagogie« und Schemann (2014), 513f. 175 So gegen die Skepsis Stolinas (2014), 36 gegenüber dem Begriff »Mystagogik«, aber mit seinem Anliegen Gottes Unverfügbarkeit zu betonen.
2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung
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Zu unterscheiden ist historisch eine antike, philosophische und christliche Mystagogik (orthodoxe Theologie, monastische Theologie; erneuerte Mysterientheologie im 20. Jh.).176 Der Mystagogikbegriff erlebt in seiner Geschichte Entwicklungen. Eine grundlegende Auffassung christlicher Mystagogie war schon in der Alten Kirche zu finden. Hier wurde Mystagogie der letzten Phase des Katechumenats der Taufbewerber zugeordnet, als »postbaptismale [nach der Taufe] und präbaptismale [vor der Taufe] durchgeführte Begleitungen zu den Sakramenten wie Taufe, Firmung und Eucharistie«.177 In der Ostkirche wird bis heute unter Mystagogie die Deutung der Liturgie verstanden. Das 20. Jahrhundert brachte neue Impulse für die Mystagogie, die von dem katholischen Theologen Karl Rahner mitgeprägt wurden.178 Für die evangelische Theologie eröffnete Sabine Bobert im 21. Jahrhundert eine neue christliche Mystagogik. 2.4.3.2 Mystagogik in der Rezeption der Theologie Karl Rahners In der heutigen Debatte um »Mystagogik« oder »mystagogische Theologie« wird immer wieder auf die Arbeiten Karl Rahners Bezug genommen und die (kirchliche) Notwendigkeit erfahrungsbezogener Theologie und die Relevanz Geistlicher Begleitung in Theorie und Praxis mit seinen Aussagen begründet. 1966 schrieb Rahner in seinen Schriften zur Theologie, dass es im geistlichen Leben von uns Menschen des »Mut(es) eines unmittelbaren Verhältnisses zum unsagbaren Gott […] und auch (des) Mut(es), dessen schweigende Selbstmitteilung als das wahre Geheimnis des eigenen Daseins anzunehmen«,179 bedürfe. Zu diesem Mut bedarf es mehr als der »rationalen Stellungnahme zur theoretischen Gottesfrage und einer bloß doktrinären Entgegennahme der christlichen Lehre«.180 »Es bedarf einer Mystagogie in die religiöse Erfahrung, von der ja viele meinen, sie könnten sie nicht entdecken, einer Mystagogie, die so vermittelt werden muß, dass einer sein eigener Mystagoge werden kann.«181 Und mit dem Blick auf die Zukunft schloss er an: »Der Fromme von morgen wird ein ›Mystiker‹ sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im Voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird.«182 176 177 178 179 180 181 182
So Bobert (2010), 31–103. Vgl. auch Renata Zinkevičiūte (2007), 11–84. So Zinkevičiūte, a.a.O., 11–84 (293). Vgl. a.a.O., 293. Karl Rahner (1966), 22. Ebd. Ebd. Ebd.
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Karl Rahners Mystagogikbegriff und seine praktisch-theologische Rezeption ist eingehend von Renata Zinkevičiūte 2007 in ihrer Dissertation untersucht worden. Sie unterscheidet einen frühen und späten Mystagogikbegriff, der unterschiedlich rezipiert wurde.183 Schon 1960 forderte Rahner die Priester auf, Mystagogen zu sein. Doch erst im Jahre 1966, nach Rahners Arbeiten zum Zweiten Vatikanischen Konzil, konnte er eine Mystagogie ausformuliert begründen. In seinem frühen Verständnis ist Mystagogie die Hinführung zur Erfahrung Gottes, der das absolute Geheimnis ist. Diese Hinführung soll das Innerste im Menschen wecken und bei den alltäglichen Erfahrungen der Menschen beginnen. Im Unterschied zur altchristlichen Mystagogie zielt Rahner »anhand der Erfahrung auf die sakramentalen Vollzüge; die altchristliche Mystagogie geht von den Sakramenten zur Deutung von Erfahrung«.184 Neben der Nähe und Erfahrbarkeit gibt es für Zinkevičiūte bei Rahner in seinem frühen Mystagogikverständnis zwei Weisen des Umgangs mit dem Geheimnis Gottes: Zum einen ist das Geheimnis durch Liebe erfahrbar, und zum anderen ist das Beten tiefster Ausdruck des Vertrauens in Gott. Der späte aus dem Jahre 1984 stammende Mystagogikbegriff Rahners ist, wie Zinkevičiūte nachweist, aus den Fragen nach einem zukunftsträchtigen Weg für die Seelsorge entstanden und dort verortet. Es kommt nach Zinkevičiūte zu Veränderungen bei Rahner. Die Erfahrbarkeit des Geheimnisses Gottes in seiner Selbstmitteilung an uns wird nun zugespitzt auf die Vermittlungsmöglichkeit für den einzelnen Menschen. Es wird folglich nach der geschichtlichen Selbstmitteilung Gottes gefragt, wie sie sich offenbart und in einer persönlichen Erfahrung konkret werden kann. In der späteren Entfaltung des Mystagogikverständnisses Rahners tritt die pneumatologische Dimension in christologischer Akzentuierung stärker hinzu.185 In einem dritten Teil neben den beiden Mystagogik-Teilen untersucht Zinkevičiūte die praktisch-theologische Rezeption des Rahnerschen Mystagogiebegriffs. Sie unterscheidet in ihrer Untersuchung eine pädagogische, liturgische und seelsorgliche Rezeption. Erstere führt zu einem mystagogisch-religionspädagogischen und -katechetischen Konzept. Als Vertreterin ist die katholische Theologin Mirjam Schambeck zu nennen.186 Die liturgische Rezeption führt zu den Konzepten einer mystagogischen Liturgie oder mystagogischen Sakramentenpastoral bzw. kirchlichen Mystagogik.187 Die Konzepte mit einem seelsorglichen An183 184 185 186 187
Vgl. Zinkevičiūte (2007). A.a.O., 112–173 (294). A.a.O., 174–201 (bes. 294f). A.a.O., 203–213. A.a.O., 214–228.
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satz thematisieren auch als Ausdruck mystagogischen Handelns Geistliche Begleitung. Zinkevičiūte erörtert an dieser Stelle den mystagogischen Ansatz Josef Sudbracks, Theologe und Jesuit, der sich explizit immer wieder auf Karl Rahners Mystagogiebegriff bezieht.188 Sudbrack wie auch Karl Rahner tragen als Jesuiten »ignatianisches Kolorit«, d.h., ihr Verstehen mystagogischer Prozesse ist geprägt durch die Ignatianischen Exerzitien.189 Zinkevičiūte arbeitete differenziert die praktisch-theologischen Konnotationen und Rezeptionen der Mystagogik Karl Rahners heraus. Systematisch-theologisch hat Ralf Stolina Rahners Theologie in seiner Dissertation 1996 dargelegt. Sie ist Grundlage seines Verständnisses von Geistlicher Begleitung und christlicher Spiritualität. Rahners theologische Konzeption entfaltet sich dabei, wie von Ralf Stolina 1996 herausgearbeitet wurde, als eine »inkarnatorische Spiritualität« in doppelter Perspektive bzw. Bewegung: als Theologie der Menschwerdung in offenbarungstheologischer Perspektive und als Theologie des Gebetes in anthropologischer Perspektive.190 Die theologische Grundlage Geistlicher Begleitung, die Ralf Stolina basierend auf seiner Studie zur Theologie Karl Rahners entfaltet, ist, »dass Gott, den niemand gesehen hat, sich mitteilt, in Beziehung zur Welt« (und) »zum Menschen tritt« (24).191 Dies geschieht in seiner Selbstmitteilung und Offenbarung im Christusgeschehen und im Geist. Die anthropologische Haltung zu diesem Geschehen ist die des Empfangens in einer geistlichen Lebenshaltung, die durch eine geistliche Praxis (des Gebetes und anderer geistlicher Übungen) geprägt ist. Durch sie vermögen beide im Beziehungsgeschehen Beteiligten, sich immer wieder neu übend, dem Wirken und der Dynamik des Gebetes zu stellen und den Lebensbewegungen Gottes nachzuspüren. Mystik ist der konkrete Begriff, der ein wesentliches Element dieser Lebensbewegung benennt, »die cognitio Dei experimentalis, die Erfahrungserkenntnis Gottes, die Erkenntnis mittels Erfahrung« (12).192 Mirjam Schambeck, eine katholische Theologin, beschäftigt sich in ihrer Dissertation aus dem Jahr 2006 eingehend mit dem mystagogischen Lernen.193 »Myein« verwendet sie in der Bedeutung von »einweisen«, »unterrichten« und »mysterion« im Sinne von »Geheimnis« (vgl. 7ff). Mystagogie versteht sie in Aufnahme der Gedanken Karl Rahners als ein Geleit zum Geheimnis Gottes. Mit Rahner postuliert sie, dass nur 188 189 190 191 192 193
A.a.O., 229–254 (bes. 229ff). A.a.O., 232. Beziehungsweise für Rahner: dies., a.a.O., 94ff, vgl. Erster Teil 4. Stolina (1996); siehe ders. (2011), 23–42. Zitate aus diesem Text. Siehe Stolina (2000) und ders. (2008). Stolina (2011), 24f, Zitat S. 24. Vgl. auch seine Gedanken unter Einführung 1.2.1.4. Mirjam Schambeck (2006). Zitate aus diesem Werk in Klammern.
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selbst mystagogisch erfahrene Menschen in die Erfahrung der Gnade einführen sollen und dass mystagogisches Lernen als ein Prozess verstanden werden muss. Sie entwickelt ihren Begriff des mystagogischen Lernens aus der Antike her und differenziert in post- und präsakramentale Hinführungen. Da der Vollzug der Sakramente in der Alten Kirche locus theologicus war, sind Prozesse in zwei Richtungen festzustellen: mystagogische Katechesen als solche, die das im Sakrament Erfahrene ausdeuten (z.B. bei Cyrill und Johannes von Jerusalem, Ambrosius von Mailand) und Katechesen, die zum Erfahren hinführen (z.B. bei Chrysostomus). Mystagogie ist somit nach ihr als Ausdeutung von Erfahrungen und als Hinführung zu Erfahrungen zu verstehen. Sie ermöglicht Teilhabe an der Erlösung (vgl. 18–34). Kriterien und Zugänge mystagogischen Lernens bzw. mystagogischer Katechese entwickelt Schambeck in Auseinandersetzung mit Bonaventura (vgl. 78–108) und Rahner (vgl. 109–213). Folgende Kriterien werden herausgearbeitet (vgl. 281–415): zum einen das Aufmerksamwerden für Gotteserfahrungen und zum anderen das Erfassen des Geheimnisses, dass Gott sich den Menschen in ihren alltäglichen Erfahrungen zuwendet (vgl. K. Rahner). Menschen fühlen sich nach Schambeck von Gott angeschaut, angesprochen, zutiefst berührt und verändern ihr Leben durch solche Erfahrungen. Religiöse Erfahrungen verdichten, konzentrieren und radikalisieren Lebenserfahrungen. Proprium christlicher Gotteserfahrung ist, dass Botschaft und Begriff Gottes auf Erfahrung verwiesen sind (vgl. 326). Somit sollte eine Einführung ins Christsein immer zugleich auch eine Einführung in die Gotteserfahrung sein. Religiöse Bildung hat, dem folgend, nach Wegen zu fragen, wie die Gotteserfahrung, die in jedem Menschen zu finden ist, von ihm zu entdecken und für das eigene Leben fruchtbar zu gestalten ist (vgl. 327). Es geht in einem mystagogischen Lernprozess folglich darum, in den Alltagserfahrungen den Horizont zu thematisieren, von dem her die letzten Fragen des Menschen ausgerichtet werden. Es geht für sie auch darum, Leiderfahrungen mit dem Geschick Jesu in Verbindung zu bringen, weil in Fragmentaritäts- und Leiderfahrungen sich Gotteserfahrung ereignet. Sie fordert somit, mystagogische Lernwege kreativ an individuelle Lernwege und Kommunikationsformen anzupassen (vgl. 331). 2.4.3.3 Mystagogik in der Tradition der Religionsphänomenologie Der evangelische Theologe Manfred Josuttis194 knüpft in seinen Arbeiten methodisch an die religionsphänomenologischen Studien von Mir194 Manfred Josuttis (2004), (zit. Josuttis, Einführung) und Josuttis (2002), (zit. Josuttis, Handwerk).
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cea Eliade, Rudolf Otto und Gerardus van der Leeuw an. Seine Zielgruppe sind Pfarrerinnen und Pfarrer. Er fordert die Geistlichen auf, sich wieder als Mystagogen zu verstehen und als Führerinnen und Führer in die verborgene und verbotene Zone des Heiligen einzuführen (vgl. Einführung, 9, 18ff). Deren mystagogische Kompetenz hängt nach Josuttis vor allem davon ab, inwieweit sie spirituelle Techniken beherrschen: »Frömmigkeit ist eine Technik der Gottesbegegnung« (Einführung, 9). Hierzu zählen individuelle Techniken wie Meditation und rituelle Techniken zum mystagogischen Führen einer Gruppe im Kultus. Eine rein theoretische Kenntnis reicht jedoch nach seinem Verständnis für mystagogische Arbeit nicht aus. Die existenzielle Aneignung ist wichtig. Nur wer selbst in der »verborgenen und verbotenen Zone des Heiligen« (Einführung, 18) lebt, kann Menschen dorthin führen. Dieser Mensch muss selber schon Wege in diese Richtung gegangen sein, muss Techniken anwenden und vermitteln können (vgl. Einführung, 26). Hierzu zählen: geistliche Exerzitien, Selbsterforschung, Andacht, Gebet (vgl. Einführung, 26). Sie ermöglichen, dass Menschen »in das Wirkungsfeld jener Dynamik Gottes, jener göttlichen Energie [geraten], die die theologische Tradition der westlichen Christenheit dem Heiligen Geist zuschreibt« (Einführung, 63). Kritisch sieht er das gegenwärtige Theologiestudium, das die religiöse Rolle und religiöse Praxis unberücksichtigt lässt. Es fehlen die Vermittlung und Übung spezifischer religiöser Wahrnehmungs- und Handlungsformen, ein »berufsbezogenes Training« (Einführung, 80). Dabei kommen alle Übungen, die zum Göttlichen führen, vom Göttlichen her. Der Ritus realisiert einen Mythos (vgl. Handwerk, 25). Religiöse Methoden und Übungen haben somit einen »medialen Charakter« in der spirituellen Praxis (vgl. Handwerk, 13f), wie die Pfarrerinnen und Pfarrer selbst eine »mediale Existenz« sind (vgl. Einführung, 95ff). Alle Methoden und Techniken zielen dabei nicht auf Selbstvergewisserung, sondern auf Verwandlung und Entfaltung des Menschen. Josuttis distanziert sich damit von der cartesianischen Anthropologie, die dem Menschen eine Subjektposition zuweist und Gott als Objekt betrachtet. In der religiösen Handlung öffnet sich vielmehr der Mensch für Gott und lässt sich von ihm erfassen. »Unter dem Einfluss des göttlichen Geistes wird eine Person zum Personanzraum von Gotteskraft« (Handwerk, 15). Er spricht sich gegen ein hermeneutisch und psychologisch reduziertes Symbol- und Ritualverständnis aus und plädiert in allem dafür, die mystagogische Dimension einzubeziehen, damit sich ein atmosphärisches Machtfeld realisieren kann, in dem der Mensch sich affektiv vom Göttlichen ergreifen lassen und leibliche Resonanzbewegungen erfahren kann (vgl. Einführung, 123ff).
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Sabine Bobert, evangelische Theologin, baut in ihrem Mystagogikentwurf 2010195 auf den Arbeiten von Josuttis auf. Sie erachtet es jedoch als notwendig, »ergänzend zur religionsphänomenologischen Grundlegung den genuin christlichen mystagogischen Traditionsstrang darzustellen und mit gegenwärtigen Theoriekonzepten zu vermitteln« (95). Sie stellt Rahmen und Definition einer erneuerten christlichen Mystagogik zur Verfügung. So versteht sie christliche Mystik als einen »für Menschen zu vermittelnden Erfahrungsweg« (95). Christliche Spiritualität zielt auf ein gegenwärtiges Leben in der Vereinigung mit Gott sowie auf eine daraus stammende Gotteserkenntnis« (95f). Mystik ist cognitio dei experimentalis, auf Erfahrung gegründete Gotteserkenntnis. Ihr Entwurf einer zeitgenössischen christlichen Mystagogik zielt neben Anregungen für dieselbe auf eine grundsätzliche Neuorientierung der Theologie. Sie »will eine zerstreute Kirche dazu ermuntern, sich auf mystagogische Prozesse zu zentrieren«, und »eine methodisch hervorragend ausgerüstete Theologie zu einem neuen Marketing des Kerngeschäfts anregen« (100, siehe auch S. 19–32). Sie formuliert die folgende für sie grundlegende Definition von Mystagogik (vgl. 103f): 1. Christliche Mystagogik ist eine christliche Lehre vom mystischen Weg mit Jesus Christus. 2. Praktische Mystagogik ist spirituelle Entwicklungshilfe im ästhetisch-kultischen sowie im individuell-übenden Kontext. 3. Mystagogische Theorie reflektiert christlich-mystagogische Traditionen (z.B. Wüstenväter, Kirchenväter, Mönchtum, Mystik, orthodoxe Theologie) im interdisziplinären Dialog (mit z.B. Neurowissenschaft, Religionswissenschaft, philosophischer Phänomenologie). 4. Mystagogische Theorie zielt darauf, eine neue Mystagogie in allen kirchlichen Handlungsfeldern anzuregen. Es gilt, Menschen jeweils in ihrer Lebensphase mit jeweils geeigneten rituellen und persönlichen Formaten und Übungen zur bestenfalls höchsten Entwicklung zu begleiten. Als Entwicklungsziel wird formuliert: Gott und sich selbst im Geist und in der Wahrheit zu erkennen (Joh 4,24). 5. Nach Bobert ist der Mensch auf höchster Entwicklungsstufe ein geistiges Wesen, das zur personalen Vereinigung mit Gott bestimmt ist. Der postmoderne Mensch ist für sie als »Pixel-Ich« durch die Anforderungen der ökonomisierten Konsumgesellschaft geprägt. 6. Jesus Christus ist das Urbild des voll entwickelten Menschen und zugleich ein geistiges Gegenüber, das den Menschen leiblich-seelisch-kognitiv vollendet. 195
Bobert (2010). Zitate aus diesem Werk im Folgenden in Klammern.
2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung
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7. Christliche Mystagogik antwortet auf postmoderne Lebensbedingungen, die den Lebenslauf und Prozesse der Persönlichkeitsbildung zersplittern, sowie auf Herausforderungen, die sich durch den interreligiösen Dialog und esoterische Strömungen ergeben. 8. Mystagogik führt Menschen zu einem anderen Sehen. Durch konzentrierte kultische Ästhetik sowie durch einen individuellen Übungsweg kann sich eine desautomatisierte und zugleich zentrierte Aufmerksamkeit, also eine Wahrnehmungsfähigkeit für die Gegenwart Gottes in allen Dingen und Prozessen, entwickeln. 9. Mystagogik ist damit a) ein individueller Weg (Geistliche Begleitung) und zugleich b) ein gemeinsamer Weg (Sakramente; Rituale). Beide ergänzen sich. Geistliche Begleitung ist für Sabine Bobert damit individuelle Mystagogik durch den Weg des »secum esse – des Bei-sich-Seins« (vgl. 213ff). Geistliche Begleitung bedeutet zugleich personale Zentrierung und eine Verwandlung des Menschen durch die liebende Erfahrung Gottes und beruht auf einem dynamischen Glaubensverständnis. Bobert folgt den Stufen des Glaubens nach Ambrosius von Mailand (vgl. 235ff), der ein vierstufiges bzw. dreigliedriges Rahmenschema in Auslegung der Brautmystik des Hohenliedes entwickelte. Er unterscheidet: (1) den gnadenhaften Beginn durch die Vereinigung der Seele mit dem Wort; (2) Gefährdungen; (3) den Läuterungsprozess und (4) die Vollendung der Seele für sich und in der Fähigkeit, andere zur Vollendung zu führen. Dreigliedrig formuliert: institutio (Einsetzung); processus (Fortschritt) und perfectio (Vollendung). Für Bobert ergänzen sich beide in der Weite der Erfassung unterschiedlicher Aspekte in einem spirituellen Entwicklungsprozess (vgl. 242ff). Ihrer Ansicht nach steht im Protestantismus »noch weitgehend die Wiederbelebung eines dynamisierten Glaubensverständnisses auf einem theologischen Fundament aus« (vgl. 235). »Dieses ist in der Geistlichen Begleitung und für eine mystagogisch orientierte Seelsorge unabdingbar« (vgl. 235). Modellhaft für konzeptionelle Entwürfe Geistlicher Begleitung sind für sie z.B. die Wüstenvätertradition und Ignatius von Loyolas Exerzitien. Sabine Bobert benennt für die Geistliche Begleitung folgende Schlüsselqualifikationen (vgl. 213ff): (1) die Askese (Übung); (2) die Unterscheidung der Geister (wesentlich/unwesentlich); (3) die Kontrolle über die Wahrnehmungsfähigkeit / die Fähigkeit zur Konzentration; (4) den Weg der Reinigung und Zentrierung mit dem Ziel der Hesychia (Herzensruhe: ein Ruhen in meiner Mitte und zugleich mit größtmöglicher Autonomie); (5) die Aufmerksamkeitssteuerung als spirituelles Werkzeug (z.B. mantrische Gebete; Herzensgebet; meditative Praxis; Atemtechnik). Weitere Techniken: Einsamkeit, Schweigen, Fasten, Introspektion, eine Tagesstruktur und zentrierende Gebetsformen; Gregorianik,
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Taizégesang). Diese diskutiert sie in Aufnahme der Erkenntnisse der Neurotheologie bzw. Neurowissenschaft. (6) Die spirituelle Praxis zielt auf eine Weiterentwicklung des Menschen durch Kultivierung positiver Emotionen; Charakterzüge und die Entwicklung fördernder sozialer Strukturen (vgl. 280). (7) Die Übungen zielen darauf, hohe Sammlungsfähigkeit, Gelassenheit, Einfühlungsvermögen, Vertrauen und Solidarität zu entwickeln; es geht darum, das eigene Wesen klar zu realisieren. (8) Das Ziel der Geistlichen Begleitung ist die Gleichgestaltwerdung mit Jesus Christus als dem Urbild des neuen, voll entwickelten Menschen. 2.4.3.4 Geistliche Begleitung als mystagogisches Lernen Geistliche Begleitung ist als eine individuell übende mystagogische Seelsorge zu bezeichnen. Sofern ihr Erfahrungsgegenstand, das Christusmysterium, die Erfahrung der Inkarnation Gottes, gesucht wird, ist sie eine christliche zu nennen.196 Es vollzieht sich innerhalb einer Geistlichen Begleitung Mystagogie, um eine cognitio Dei experimentalis zu ermöglichen. Dazu sind wesentlich geistliche Übungen und Gebete als eine anthropologische Ausdrucksgestalt menschlicher Bewegung zu Gott (mit Stolina und Bobert) zu pflegen. Die kontemplative Ausrichtung mystagogischen Handelns liegt in der Etymologie begründet, gehört grundlegend in eine Geistliche Begleitung als ein mystagogisches Geschehen und begründet die Aufnahme geistlicher Übungen, die eine »kontemplative Haltung« fördern, mit. Krisen der spirituellen Entwicklung und spezifische Störungen oder Gefährdungen finden auf einem mystagogischen Weg bei Manfred Josuttis keinen Raum. Sabine Bobert benennt sie mit Stanislav Grof als eine »unzureichende Integrationsfähigkeit gegenüber der plötzlichen Transzendenzerfahrung« (235). An dieser Stelle wäre es wünschenswert, wenn Bobert ihren dynamischen Glaubensentwicklungsansatz, die Bewältigung von Leiden und Anfechtungen und die Transformation des Menschen differenzierter darstellen würde, gerne auch in Auseinandersetzung mit einer größeren Anzahl psychotherapeutischer Ansätze. So bekommt nur der analytische Ansatz in ihrem Entwurf Raum. Grundsätzlich ist jedoch Boberts Auffassung, dass zu einer mystagogisch orientierten Seelsorge, wie in der Geistlichen Begleitung, ein dynamisches Glaubensverständnis gehört, zuzustimmen. Weitere Darstellungen von spirituellen Entwicklungsmodellen neben dem des Ambrosius wären allerdings ebenfalls weiterführend gewesen, auch um dieselben vergleichend in den Blick zu nehmen. Eine ausführlichere Erörterung des Menschenbildes nach Bobert als Entwicklung über die »Kultivierung positiver Gefühle« hin zu einem »geistigen Wesen« wäre ebenfalls zur 196
Siehe zu Ralf Stolina auch Einführung 1.2.1.4.
2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung
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Klarheit wünschenswert gewesen. Kritisch festzuhalten ist: zum einen die »Kultivierung positiver Gefühle« mittels geistlicher Übung, die eine einseitige Gefahr zu subjektivistischer Erfahrungsmächtigkeit nahelegen und Anfechtungen und »negativ« wahrgenommene Gefühle auf einem mystagogischen Weg (z.B. als Trostlosigkeit, Gottesferne bzw. -verlust), die grundlegend gemäß der Tradition dazugehören, nicht bedenken,197 und zum anderen, dass Bobert nur die geistigen, nicht jedoch die körperlichen Prozesse thematisiert. Der Mensch bleibt stets in der spirituellen irdischen Entwicklung ein leibliches Wesen. Damit ist er immerfort eingebunden in körperliche, seelische und geistige Prozesse. Als solche erfahren wir Verwandlung und Transformation in »komplexen Lernprozessen«.198 Sie führen durch leibhaftige, d.h. seelische, geistige und körperliche Prozesse zur Transformation derselben in einer cognitio Dei experimentalis. Mit Mirjam Schambeck ist zudem für eine christliche Mystagogik in Geistlicher Begleitung wesentlich festzuhalten, dass mystagogische Lernprozesse immer eine hinführende und ausdeutende Dimension zu einer bzw. nach einer cognitio Dei experimentalis haben. 2.4.4 Geistliche Begleitung und Aszetik 2.4.4.1 Die allgemeine Situation evangelischer Aszetik Evangelische Aszetik199 kann in einem weiteren Sinne (wie z.B. bei Klaus Raschzok) oder in einem engeren Sinne (wie z.B. bei Silke Harms) verstanden werden. In einem weiteren Begriffsverstehen beschäftigt sie sich »mit der wahrnehmbaren Gestalt des Glaubens in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Traditionsströmen ihrer Frömmigkeitspraxis«.200 In einem engeren spezifischeren Sinn wird Aszetik als »Lehre von der geistlichen Übung«201 verstanden. Beide Positionen teilen ein gemeinsames Anliegen, die Aszetik als eine theologische Disziplin innerhalb der Praktischen Theologie wissenschaftlich zu fördern, weil dieselbe seit dem ausgehenden 19. Jh. ein nicht mehr an der evangelisch-theologischen Fakultät gelehrtes Fach ist. Neuere Forschungen arbeiten die Bedeutsamkeit einer evangelischen Aszetik heraus und fordern, diese neu 197
Stolina (2014), 23f weist grundlegend auf die Gefahr hin durch »zielführende Handlungen erreichende und zu berechenbare Wirkungen (24)« erzielen zu wollen und sieht diese Gefahr in Boberts methodischem Coachingprogramm des sogenannten »Mental Turning Point« gegeben, wo nach ihm »aus einem unverfügbaren lebendigen Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch verfügbare Anthropotechnik« wird. Vgl. Sabine Bobert (2011). 198 Siehe dazu die Ausführungen unter dem Zweiten Teil 3.2. 199 Vgl. zu den Begriffen »Askese« und »Aszese« Einführung 1.1.3.1. 200 Raschzok (2011), 115. Siehe auch die folgenden Ausführungen der Verfasserin vorliegender Arbeit zur asketischen Position Klaus Raschzoks unter Einführung 1.2.4.2. 201 Harms (2011), 9.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
in die Praktische Theologie zu integrieren.202 Sie begründen ihre Position damit, dass sie auf die Reformatoren Luther oder Melanchthon verweisen. Mit unterschiedlichen Argumenten empfinden sie geistliche Übungen als für evangelische Christen unverzichtbar (Harms), als zu einer glaubenden Lebensgestalt dazugehörig (Zimmerling) bzw. als Ausdruck einer Frömmigkeitspraxis (Raschzok). Traditionsgeschichtlich von Bedeutung waren für die aszetische Entwicklung die Wertschätzung durch Rudolf Bohren 1964 in seiner Einführung in das Studium der Praktischen Theologie, die Äußerungen Hennig Schröers, der schon 1969 eine mangelnde Integration der Aszetik in die Praktische Theologie konstatierte, und die Arbeit von Manfred Seitz, der in seiner Einführung in das Studium der Praktischen Theologie (1982) der Aszetik eine elementare Bedeutung zuwies.203 Im 21. Jahrhundert entstanden neuere Arbeiten zur Aszetik, die dadurch eine neue Relevanz gewinnt. Zu nennen sind die Habilitationsschrift »Frömmigkeit und Symbolspiel. Ein pastoralpsychologischer Beitrag zu einer evangelischen Frömmigkeitstheorie« (2000) von Sabine Bobert-Stützel, die eine evangelische Aszetik auf pastoralpsychologischer Grundlage entwirft. Die bereits genannten Peter Zimmerling (2003) und Corinna Dahlgrün (2010) legten Monografien zur evangelischen Spiritualität vor. Sie nehmen das Anliegen der Aszetik nach mehr Beachtung der asketischen Tradition auf, wenngleich sie ihre Arbeiten nicht als Lehrbücher einer evangelischen Aszetik verstehen. Alle genannten Personen förderten bzw. fördern eine »Wiederentdeckung der Aszetik als vergessene Disziplin der Praktischen Theologie«.204 Auch die Philosophie entdeckt das Thema neu. So konstatiert Peter Sloterdijk 2009: Der Mensch sei ein Lebewesen, dass wesentlich übe, »um in täglichen Übungen die guten Gewohnheiten gemeinsamen Überlebens anzunehmen«.205 Üben ist für ihn eine Frage des allgemein menschlichen Überlebens angesichts weltweiter Krisensituationen. 2007 eröffnete das »Instituts für evangelische Aszetik« in Neuendettelsau, welches das Fach »Evangelische Aszetik« im wissenschaftlichen Diskurs etablieren und Grundlagenforschung sowie Lehrangebote fördern möchte.206 Im Flyer des Instituts findet sich eine für ihr Selbstverständnis maßgebende programmatische Definition Evangelischer Asze202
Vgl. Harms (2011); Zimmerling (2008), 130–143, und Bobert (2010), 11ff. Eine Übersicht über Aussagen und Entwürfe evangelischer Aszetik bietet Sabine Bobert-Stützel (2000), 23–67. Siehe auch Klaus Raschzok (2012), 13–36. Dort auch weitere Hinweise zu asketischer Literatur. 203 Zur Geschichte der Aszetik im evangelischen Kontext siehe Raschzok (2012), 13ff. 204 So der Untertitel der Probevorlesung im Rahmen des Habilitationsverfahrens von Brigitte Enzner-Probst im Fach Praktische Theologie an der Universität Bern 2006, zit. nach Raschzok, (2012), 29. Vgl. insgesamt S. 13–36. 205 Peter Sloterdijk (2009), 701ff (714). 206 Weitere Informationen über die Website des Institutes: www. evangelischesexerzitium.de.
2.4 Diskursfelder Geistlicher Begleitung
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tik: »Evangelische Aszetik versteht sich als wissenschaftliche Reflexion von Theologie und Praxis des Gesamts von Frömmigkeit (Spiritualität). Sie erforscht die Lebensfelder, auf denen sich die christliche Existenz konkretisiert, und die bereits vorliegenden individuellen und kommunikativen Frömmigkeitsformen in der heutigen Welt. Man kann sie mit Josef Sudbrack (SJ) als ›Querschnittswissenschaft‹ bezeichnen, die empirisch, exegetisch, historisch, dogmatisch, kritisch und konstruktiv aufnimmt und zusammenfasst, was die anderen theologischen Disziplinen für sie bereitstellen, um sie auf das Ziel der Begegnung des Menschen mit Christus hin auszurichten.«207 Es lassen sich folgende Positionen unterscheiden: 2.4.4.2 Geistliche Begleitung als seelsorgliches Geschehen unter asketischer Perspektive – Klaus Raschzoks Position »Die Wiederentdeckung und Hochschätzung der Geistlichen Begleitung durch Theologinnen und Theologen gerade in den deutschsprachigen evangelischen Kirchen setzt neben dem Erbe der kerygmatisch orientierten Seelsorge ebenso die pastoralpsychologische Seelsorgebewegung wie die Zuwendung der Praktischen Theologie zu den Kulturwissenschaften, verbunden mit deren ästhetisch-phänomenologischer Orientierung und alltagswissenschaftlichen Perspektive, voraus. Erst aufgrund dieser Voraussetzungen ist es möglich geworden, die aus der Tradition des Glaubens (z.B. der Wüstenväter) sehr wohl bekannte Geistliche Begleitung neu zu entdecken und auch fachwissenschaftlich angemessen zu würdigen. Die Geistliche Begleitung führt mit ihrem integrativen Anliegen bisher scheinbar disparate Linien der Seelsorgetheorie und -praxis zusammen.«208 Wesentliche Anstöße sieht Raschzok dabei von Manfred Josuttis’ Konzept einer transpsychologischen Seelsorge gegeben. »Aus Sicht einer solchen transpsychologischen Seelsorge wird die Geistliche Begleitung zu einem methodischen Instrumentarium, das auch dem Theologen professionelle Kompetenz für seine Tätigkeit liefert« (190). Aufgrund des kulturwissenschaftlich-wahrnehmungsorientierten Ansatzes gelang es nach Raschzok, einen neuen offenen Zugang zur Geistlichen Begleitung und zu Glaubensbiografien zu schaffen. Die Praktische Theologie kam Ende des 20. Jahrhunderts dadurch aus ihrer dogmatischen wie therapeutischen Engführung heraus (vgl. 190). Auch Joachim Scharfenberg gelang es nach Raschzok, eine solche Engführung zu überwinden, indem er die klassische Pastoralpsychologie für Fragen der Glaubensgestaltung öffnete (vgl. 191). Parallel schildert Raschzok die 207
Manfred Seitz (2009) im Flyer des Instituts für Evangelische Aszetik an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, zit. nach Raschzok (2011), 115 Anm. 10. 208 Raschzok u.a. (2007), 189. Zitate im Folgenden aus Raschzok u.a. (2007) in Klammern. Siehe auch Einführung 1.1.3.1.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Entwicklung als eine eigenständige wissenschaftliche Teildisziplin der Praktischen Theologie, in der Geistliche Begleitung eine fachliche Beheimatung hat, »die über die Seelsorgelehre im engeren Sinne hinausreicht und als Querschnittdisziplin deren Bezüge zu […] den klassischen theologischen Disziplinen deutlich macht« (191). Die ästhetisch orientierte Theorieperspektive der Praktischen Theologie ermöglichte es nach Raschzok, »den Vollzug der Geistlichen Begleitung als Seelsorge zu beschreiben, die sich an der Taufgnade orientiert. Über der Wahrnehmung der Gestalt des Glaubens nimmt die Praktische Theologie auch das Wirken und Handeln Gottes im Sinne einer nachträglichen Beschreibung wahr und kann so im Dialog mit den Partnerwissenschaften ihren theologischen Standort bewusst einnehmen« (191f). Raschzok formuliert den methodischen Zugang, indem er die Gedanken Ingolf U. Dalferths als Arbeit mit den drei Zeitformen Erinnerung, Gegenwart und Verheißung aufnimmt, denen als methodische Entsprechungen Rekonstruktion, Gegenwartsbeobachtung und Vision gegenüberstehen (vgl. 192). Dabei bleibt für Raschzok bei aller Methodisierung diese spezielle Seelsorgeform immer ein Charisma. Auszubilden ist dieses Charisma nicht. Jedoch ist es möglich, die »Wahrnehmungserweiterung über die eigene geistliche Erfahrung für die anderer hinaus« (193) zu schulen. Aufgabe der Geistlichen Begleitung ist es, dass die zu Begleitenden das in der Taufe geschenkte neue Leben entdecken und entfalten (vgl. Raschzok in Aufnahme Schaupps 193). Die besonderen Chancen liegen für Raschzok dabei in der Grundstruktur Geistlicher Begleitung: dass sie erbeten und nicht angeboten wird und dass sie ein langfristiges Beziehungsgeschehen ist, wodurch sie sich von Kurzzeitseelsorge abgrenzt (vgl. 193). Dadurch leistet sie in neuer Nähe zu Therapie und Beratung einen »wesentlichen Beitrag zu einer christlichen Lebenskunst, auf deren sachgerechte und verantwortete Ausübung sie zielt« (193). Diese in Anlehnung an Wilfried Engemann formulierte Lebenskunst bemüht sich darum, das Leben aus dem Glauben in allen Lebensbezügen anzueignen – auch in pastoraltheologischer Hinsicht. Dadurch leistet sie einen wichtigen Beitrag zum »Aufbrechen aus der Defizit-Orientierung der Seelsorge« (194). Sie steht somit für eine »Überwindung der problematischen Alternativen von geistlich versus therapeutisch in der Seelsorge und damit der Konkurrenzsituation zwischen Seelsorge und professioneller Beratung und Therapie« (194). Durch die Triangulation Gottes als drittem Gesprächspartner wird das Gefälle zwischen Seelsorger und Gesprächspartner aufgehoben (so Raschzok in Aufnahme Schaupps, vgl. 194) und die »Hilflosigkeit der pastoralpsychologisch orientierten Seelsorge gegenüber der Gottesfrage und ihrer Integration in humanwissenschaftliche Modellvorstellungen überwunden« (194). Geistliche Begleitung ist somit ein Weg von der Lebenskrise-Orientierung hin zur LebenskunstOrientierung (194) in Überwindung eines dualistischen Welt- und Men-
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schenbildes (vgl. 195). Zudem können human- und kulturwissenschaftliche Partnerdisziplinen in dieses Modell integriert werden (vgl. 195). 2.4.4.3 Geistliche Begleitung als Aszetik: Glauben üben – Silke Harms’ Position Silke Harms legte mit ihrer Dissertation »Glauben üben. Grundlinien einer evangelischen Theologie der geistlichen Übung und ihre praktische Entfaltung am Beispiel der ›Exerzitien im Alltag‹ 2011 eine erste moderne umfangreiche protestantische Studie zur geistlichen Übung innerhalb der Asketik vor.209 Sie gliedert sich in die Hauptteile »Geistliche Übungen« und »Exerzitien im Alltag in der Kirche des 20./21. Jahrhunderts« (vgl. 23ff), »Geistliche Übungen bei Martin Luther und Friedrich Schleiermacher« (vgl. 89ff) sowie »Grundlinien einer evangelischen Aszetik und ihre praktische Entfaltung am Beispiel der ›Exerzitien im Alltag‹« (vgl. 217ff). Geistliche Begleitung wird bei Harms nicht als Thema der Poimenik behandelt. Sie versteht Geistliche Begleitung vielmehr als »Bestandteil geistlicher Übung und damit in den Bereich der Aszetik« (vgl. 11) gehörend. Sie entwirft ihre Aszetik als »Übungslehre (mit Seitz) vom hermeneutischen Schlüsselbegriff der »Übung« her (vgl. 14). Geistliche Übung ist Spezialfall der allgemein menschlichen Übung (vgl. 15). Im heutigen deutschen Sprachgebrauch meint Übung: a) Einübung (bemühen um den Erwerb einer Fähigkeit) und b) Ausübung (z.B. übe mich in Geduld). Es ist innerhalb der geistlichen Übung (Aszetik) zwischen Übungen, die eine Einübung (z.B. Katechese) mit dem Ziel, ein tieferes Verstehen mit Wachstum und Fortschritt zu erreichen, von denen zu unterscheiden, die eine Ausübung (Selbstzweck: Ackerpflege) sein wollen. Nachdem sie Studien zur Religiosität im 21. Jahrhundert ausgewertet hat, kann Harms zum Thema der Aszetik zusammenfassend sagen (vgl. 25): Die tatsächliche Übung, tägliche individuelle geistliche Übung im Alltag, wird nur von einem geringen Teil der Menschen praktiziert. Das Gebet ist meist nur spontan, wenn ein Anlass dazu gegeben ist. Gemeinschaftliche Übung geschieht in der Regel nicht regelmäßig, sondern »bei Gelegenheit« und in Form einer am Lebenszyklus orientierten Kasualfrömmigkeit bzw. sie orientiert sich am Jahreszyklus (vgl. 25). Spiritualität außerhalb des Alltags und Lebensortes gewinnt zunehmendes Interesse. Eine Möglichkeit dafür sind Exerzitien. Nach Gestalt und Geschichte sind dies zeitlich begrenzte Kurse mit einer Dauer zwischen vier Wochen und einem Jahr. Ihre Struktur ist gekennzeichnet durch: (1) die individuelle Übung zu Hause (Gebet, Tagesrückblick); (2) Treffen mit Exerzitiengruppe (Erfahrungsaustausch); (3) 209
Harms (2011). Im Folgenden werden die Zitate aus diesem Werk in Klammern gesetzt.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
Geistliche Begleitung (persönliches Einzelgespräch, zum Teil auch in Briefform oder per E-Mail). Stoßen heute Exerzitien auch in der evangelischen Kirche auf ein großes Interesse, so finden sie ihren Ermöglichungsgrund in der Tatsache, dass eine Übungspraxis aus der katholischen Tradition (Ignatius, der die Gegenreformation maßgeblich vorangeführt hat) in die evangelische Tradition Eingang fand (vgl. 59). Es kam zur Wiederentdeckung der pathischen Dimension geistlichen Lebens, »passives Tun« galt es zu vollziehen, damit Gott sein Werk am Menschen tun kann (vgl. 63). Nicht die Reformation, so Harms (Luther und Calvin haben geistliche Übungen praktiziert), sondern die Aufklärung habe diese verschwinden lassen (vgl. 63). Seit ca. 2005 finden in fast allen größeren Landeskirchen Ausbildungen zur Geistlichen Begleitung (vgl. 82) statt. Zwischen 2004 und 2011 existierten EKD-weit elf Ausbildungsmöglichkeiten. 2010 fand ein erstes Symposium »Geistliche Begleitung« statt. Es bleibt für Harms festzuhalten, dass die evangelische Kirche geistliche Übungswege für den Alltag gemäß ihrer Tradition kennt. Theologen wie z.B. Luther und Schleiermacher haben diese praktiziert. Luther (1483–1546) war Zeitgenosse des Ignatius. Er bemühte sich, geistliche Übungen nicht nur Mitgliedern des Priesterstandes, sondern allen Männern und Frauen zugänglich zu machen. Beeinflusst von der asketischen Tradition des Mittelalters (vgl. 89), hat er diese so umgeformt, dass ein Übungskonzept für jeden entstand. Katechismen seien für den asketischen Gebrauch, so die These Harms, nicht nur für den katechetischen Gebrauch bestimmt (vgl. 90). Sie unterscheidet bei Luther vier Stufen der Katechismusübung: 1. »nachsagen und auswendigkönnen« – Übung als Erkenntniserwerb (Einübung) 2. wissen, was es für mich bedeutet – Übung als existenzielle Aneignung 3. »weiteren Verstand geben« – Übung als zielgruppenorientierte Vertiefung 4. »sich mit Fleiß darin üben« – Übung als Ausübung – Glaube ins Herze treiben«. So mit Luther im Vorwort seines Römerbriefes: »wiederkäuen« bis das ganze Leben geformt ist (vgl. 93–99) Orte und Sozialgestalten der Katechismusübung sind (1) Gottesdienst: Katechismuspredigt und -lied; (2) das Haus: die familiäre Katechismusübung; (3) die Kammer: die individuelle Katechismusprüfung und (4) Beichte und consolatio fratrum: Begleitung der geistlichen Übung. Harms stellt heraus: »Die lutherische Beichte ist also für das offen, was in der Tradition der Kirche geistliche Begleitung genannt wird« (vgl. 119). »Ziel von geistlicher Begleitung ist es seit der Alten Kirche, den Begleiteten zur Begegnung mit Gott zu führen. Auf dem Weg dorthin geht es um Menschwerdung und Selbstwerdung und um die Bewältigung des Lebens in Auseinandersetzung mit eigenen Bedürfnissen und
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Emotionen.«210 Geistliche Väter und Mütter begleiten, indem sie konkrete Weisungen für geistliche Übungen geben, trösten und ermutigen und den Begleiteten bei der Findung seines eigenen Weges hilfreich unterstützen. Geistliche Begleitung geht davon aus, dass Gott den Menschen in seiner Taufe bei seinem Namen gerufen hat, und will helfen, die Beziehung zwischen Gott und Mensch zu fördern und zu vertiefen und so die Taufgnade zu entfalten. Das geistliche Begleitungsgespräch ist ein Gespräch zwischen zwei Menschen, das in dem Bewusstsein geschieht, dass es eigentlich ein Dreiergespräch ist. Es zielt auf die Stärkung der Beziehung zwischen Gott und dem Begleiteten« (vgl. 119). Luther selbst hat nach eigenen Aussagen solch eine Begleitung durch seinen Beichtvater Johannes von Staupitz erfahren.211 Die Beichte geschieht hier im umfassenden Sinne als Geistliche Begleitung, die den Glauben stärkt (vgl. 129). Als grundlegende Charakteristika der Aszetik nach Luther hält Harms fest: 1. Sie geschieht zwischen Methode und Freiheit. (Ein »Christsein ist für ihn ohne geistliche Übung nicht denkbar« [vgl. 122]). 2. Sie geschieht im Rhythmus des Alltags. Die bisherige monastische Übung im Kloster wird durch die geistliche Übung jedes Christen innerhalb seines Berufes und innerhalb seines weltlichen Alltags umgestaltet (vgl. 123). Der Katechismus bildet den Gestaltungsrahmen (vgl. 124). Die Taufe entbindet dabei lutherisch nicht von der Übung, sondern sie hat die Übung als logische Konsequenz nach dem Motto »Werde das, was du (durch die Taufe) schon bist« (vgl. 125) – Röm 6,3ff; Kol 2, 12ff). Es erfolgt lutherisch somit eine baptismale Begründung. Die geistliche Übung ist eine enge Verbindung von individuellen und gemeinschaftlichen (vgl. 131f) und von aktiven und passiven Elementen. Je weiter die Übung voranschreitet, desto mehr verändert sich das Subjekt (vgl. 133). Ziel jeder geistlichen Übung für Luther ist letztlich das »Geübtwerden durch Gott«. Papst Coelestin II (bürgerlich: Guigo/Guido) beschrieb den Prozess geistlichen Übens in »Scala Claustralium« im 12. Jh. im Vierschritt von lectio – meditatio – oratio – contemplatio mit dem Ziel der unmittelbaren Gotteserfahrung (vgl. 133). Luther beschreibt 1539 in seiner Vorrede zum ersten Band der deutschen Schriften WA 50, S. 657–661 (659,4) diesen Prozess als oratio – meditatio – tentatio (vgl. 134). Luther versteht jedwede mystische Erfahrung immer als sub contrario, unter der Anfechtung stehend.212 Erst durch die tentatio, dem »Leben unter dem Ansturm von Kräften, welche die Macht haben, uns von Gott abzuwenden«213 (vgl. 35), erweist sich die Tragfä210
Harms mit der Definition Geistlicher Begleitung von Michael Plattig (2001), 25–35 (27f). 211 Harms folgt hier den Gedanken Volker Leppins. Vgl. Leppin, Volker (2007), 60–80. 212 Vgl. Harms mit Bobert-Stützel (2000), 304f. 213 Nicol, Martin (1984), 94.
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2 Grundlegende Reflexion unterschiedlicher Diskursfelder Geistlicher Begleitung
higkeit des Glaubens. Es gilt nach Harms ein strenges simul: zugleich in aller Trostlosigkeit und in allem Leid ist Gottes heilvolle Gegenwart da (vgl. 135). Es gibt somit reformatorisch kein Herausmeditieren aus dem Alltag mit seinen Anfechtungen (anabatisch). Das Ziel der Gottesschau widerfährt inmitten dieser Anfechtung (katabatisch). Schleiermacher geht davon aus, dass das christliche Leben seinen Anfang in der von Gott ausgehenden Mitteilung des Heiligen Geistes findet. Dieser Geist soll nach der »Initialzündung« das Leben des Menschen dauerhaft bestimmen. Antwort geben kann ein Mensch durch seine religiöse Übung auf dieses Wirken. Die Übung ist als darstellendes Handeln (des Heiligen Geistes im Inneren des Menschen) zu verstehen. Sie geschieht im Rahmen der Erziehung in der Familie (Vorbild), Kirche (Vorbild) und Schule (Wahrhaftigkeit des Übungsleiters). Gottesdienst ist der Ort der Einübung durch Predigt, Gebet und Gesang. Sie sollen erbaulich sein. Dies geschieht, wenn sich der Mensch der »schlechthinnigen Abhängigkeit« von Gott bewusst wird (vgl. 158). Harms entfaltet Schleiermachers Verständnis anhand seiner Darlegungen zur Schriftbetrachtung, zum Gebet, zu den Verzichtsübungen und zur Zucht. Beichte und Geistliche Begleitung gelten als »Kunst für alle«. Dafür ist die Übung des geistlichen Gesprächs zwischen zwei Menschen (freundschaftlich-geistliche Begleitung und Beichte) dauerhaft notwendig. Harms ordnet aufgrund der Dauer der Übung im Sinne Schleiermachers diese nicht zur Seelsorge, die sieht er punktuell als Sonderfall, vielmehr zur Aszetik, den er als Normalfall betrachtet (vgl. 193f). Anders als bei Luther kennt er ein Modell der cooperatio zwischen Mensch und Gott (allgemeine Religiosität des Menschen: inneres Verlangen im Inneren) (vgl. 200). Hierbei kommt zutage, dass Schleiermacher die geistliche Übung gegen Mechanisierung und Veräußerlichung, Luther sie gegen Werkgerechtigkeit zu beschützen versuchte (vgl. 212). Im III. Teil erörtert Harms Grundlinien einer evangelischen Aszetik und ihre praktische Entfaltung am Beispiel der »Exerzitien im Alltag«. Harms unterscheidet drei Spannungsfelder geistlicher Übung (vgl. 218ff): (1) Individualität und Sozialität; (2) Aktivität und Passivität; (3) Alltag und besondere Zeiten und Orte: Im 21. Jahrhundert hat sich die Rhythmisierung des Tages-, Wochen- und (Kirchen-)Jahresrhythmus als individuelle und gemeinschaftliche Übung aufgelöst. Die moderne Arbeits- und damit auch Lebenswelt ist individuell geprägt. Eine Aufgabe besteht für Harms darin, zeitlich befristete Übungen in eine dauerhafte zu überführen. Grundlegende spirituelle Vollzüge lassen sich gemäß Harms zwar zeitlich befristet einüben, aber der mit der geistlichen Übung angestrebte Transformationsprozess kann nur durch einen längeren (womöglich lebenslangen Übungsweg) befördert werden (vgl. 225f). Mit Karl Rahner formuliert sie: Gott kann in allen Dingen gesucht und gefunden werden, darum auch im gewöhnlichen Alltag (vgl. 227). Dies
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ist eine Neuformulierung Luthers durch Harms (vgl. 228). Anhand des Modells der Exerzitien im Alltag entfaltet sie abschließend ihre Grundlinien einer evangelischen Aszetik (vgl. 250–264). Harms verweist auf einen notwendigen Wandel im Selbstverständnis des Pfarramtes (vgl. 233) sowie auf nötige neue Konzepte von Katechese (vgl. 246f). Das evangelisch grundlegende Konzept vom allgemeinen Priestertum verpflichtet Pfarrer und Pfarrerinnen dazu, Menschen bei der Einübung des Glaubens zu begleiten. Die reine Wissensvermittlung muss durch die Einübung von Gebet, Meditation und Schweigen ergänzt werden. Hierfür muss die »spirituell-asketische Kompetenz evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer« (vgl. 233) gefördert werden. 2.4.4.4 Geistliche Begleitung mit Aspekten einer reflektierten asketischen Übung Positiv ist bei Silke Harms und Klaus Raschzok hervorzuheben, dass sie eine längst vergessene geistliche Dimension, die Aszetik, wiederentdeckt haben. Harms hat in ihrer Dissertation die Übungsdimension in evangelischer Perspektive umfassend erarbeitet. Grundlegende Aspekte geistlicher Übung werden bei ihr sichtbar vor allem in ihrer Interpretation der geistlichen Übungspraxis bei Luther. Leider übersieht sie in ihrer kurzen Darstellung von Geistlicher Begleitung mit ihren geistlichen Übungen die seelsorgliche Dimension des zwischenmenschlichen Beziehungsgeschehens Geistlicher Begleitung, das Klaus Raschzok richtig benennt. Er beschreibt Geistliche Begleitung als seelsorgliches Geschehen unter einer aszetischen Gesamtperspektive, die auch für alle wissenschaftlichen Disziplinen angewendet werden soll. Als eine solche Perspektive erscheint sie für die Geistliche Begleitung sachlich nicht angemessen, weil zu umfassend. Geistliche Übungen im Sinne Harms sollten integraler Bestandteil Geistlicher Begleitung sein, da sie einen transformierenden Charakter für die geistliche Entwicklung haben. Sie bilden aber nur einen Aspekt selbigen Prozesses aus. Geistliche Begleitung ist somit ein zwischenmenschliches Beziehungsgeschehen mit einer praktizierenden und reflektierenden praxis pietatis als spirituell-geistliche Dimension. Sie ist integraler Bestandteil von Geistlicher Begleitung (Glaubensbiografie, Gebet, Schriftbetrachtung). Damit hat sie einen asketischen Aspekt, also einen »übenden« Aspekt im engeren Sinne. Ferner gilt es, wach für eine mögliche (nicht generelle, wie Raschzok formuliert) Engführung pastoralpsychologisch orientierter Seelsorge auf einen pathogenetischen Aspekt zu sein. Im Rahmen dieser Arbeit wird einer möglichen Engführung die salutogenetische Perspektive des integrativen Ansatzes entgegengesetzt. Eine generelle Hilflosigkeit gegenüber der Gottesfrage und der spirituellen Dimension kann jedoch nicht begründet erwiesen werden. Dass das Gefälle zwischen Begleiter und Begleitendem durch eine
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Triangulation Gottes als des dritten Gesprächspartners überwunden werde, erscheint argumentativ zu kurz gegriffen und fraglich. Das Konzept der Polylogiziät der Integrativen Therapie reicht, wie noch aufgezeigt wird, weiter.214 2.5 Abschließende Betrachtung der Diskurse um Geistliche Begleitung Die Ausführungen zeigen, dass das derzeitige »trendige« Thema »Geistliche Begleitung« bereits eine lange europäische und auch amerikanische Vorgeschichte in der wissenschaftlichen Forschung besitzt, sowie einen regen Gegenwartsdiskurs erfahren hat. Es bleibt zu resümieren: Obwohl »Geistliche Begleitung« als theoretisches Suchwort weder im katholischen »Praktischen Lexikon der Spiritualität« von 1992 noch in einem renommierten Nachschlagewerk der evangelischen Tradition (z.B. der RGG oder der TRE) bis 2010 verzeichnet ist,215 ist es ihr innerhalb zweier Jahrzehnte gelungen, ein vielgestaltiges und zunehmend unübersichtliches Gegenwartsphänomen zu werden. Studien des Vergleichs geistlicher Modelle liegen nur wenige vor.216 Ihre Ursprünge werden, wie der katholische Theologe Willi Lambert 2001 für die eigene römisch-katholische Überlieferung aussagt, in der biblischen und kirchlichen Tradition vor allem der Ordensspiritualitäten verortet.217 Im Vorwort einer Bestandsaufnahme für die evangelische Praxis formulieren Dorothea Greiner und Manuel Ritter die Situation für die evangelische Überlieferung 214
Siehe dazu die kritischen Anmerkungen zu Schaupps trialogischer Struktur Geistlicher Begleitung unter 2.1.2. 215 Siehe Praktisches Lexikon der Spiritualität (2000). Die RGG, das Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, in 3. Auflage (1986) und in 4., völlig neu bearb. Auflage (2000), kennen ebenfalls keinen Eintrag unter dem Stichwort »Geistliche Begleitung«. Der Evangelische Erwachsenenkatechismus kennt ebenfalls keinen Hinweis darauf. Auch die TRE kennt keinen Eintrag. Einzig das LTHK weist einen kleinen Artikel von Georg M. Eisenstein aus. Geistliche Begleitung wird dort als ein Religionen und Kulturen übergreifendes Phänomen beschrieben, das in christlicher Prägung die Entfaltung des Geistes Gottes im dialogischen Miteinander auf dem Glaubensweg als Glaubensbegleitung »in geschwisterlicher Hilfe beim Finden und Ausgestalten der eigenen Berufung unter Berücksichtigung der konkreten Möglichkeiten und Grenzen des Einzelnen« meint (Georg M. Eisenstein [1995], 386). 216 Zu nennen sind Klemens Schaupp (2011b), 44ff, wo er das johanneische Modell, das der Wüstentradition und das ignatianische nach Kontext und Form der Beziehungsgestaltung vergleichend synoptisch in den Blick nimmt, und Kohli Reichenbach (2011), die das erfahrungsorientierte Modell von William A. Barry / William j. Connolly mit dem nachfolgeorientierten Modell Geistlicher Begleitung von Klemens Schaupp und dem narrativorientierten Modell Geistlicher Begleitung von Janet K. Ruffing vergleicht, 23–68. 217 So Willi Lambert (2001), 10ff für die katholische Traditionslinie. In der katholischen Tradition wird der Begriff »Spiritualität« oftmals für die unterschiedlichen geistlichen Ordenstraditionen verwendet.
2.5 Abschließende Betrachtung der Diskurse um Geistliche Begleitung
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2011 wie folgt: »Auch wenn Geistliche Begleitung in den evangelischen Kirchen eine junge Bewegung darstellt, handelt es sich immer um Triebe aus einer ureigenen uralten Wurzel mit vielen verlässlichen Traditionssträngen.«218 In der römisch-katholischen wissenschaftlichen Forschung sind diese Traditionsstränge hinreichend historisch erforscht, was sowohl die einzelnen Modelle Geistlicher Begleitung als auch die Spiritualitätsgeschichte vor allem der Orden betrifft.219 In der evangelisch-wissenschaftlichen Forschung beginnen gerade die Untersuchungen der eigenen Überlieferungen und des protestantischen Beitrags, der immer auch zugleich ökumenische Bezüge beinhaltet.220 Eine wissenschaftliche Arbeit, die den inneren Dynamiken und historischen Bezügen in einer Gesamtentwicklung auch im ökumenischen Kontext nachgeht, fehlt indes noch. Wissenschaftlich strittig erweist sich weiterhin für die evangelische Forschung die theologische Zuordnung Geistlicher Begleitung zur Poimenik (z.B. Kießling, Schaupp) und/oder Aszetik (z.B. Raschzok, Harms). Ihre theologische Grundierung ist weiterzutreiben (Stollberg, Stolina, Kohli Reichenbach, Bobert). Das katechetische Element, das von Zimmerling und Schambeck eingebracht wurde, wird leider noch unzureichend diskutiert, implizieren doch alle seelsorglichen Prozesse stets auch Lernprozesse. In Relation zu ihrer unübersichtlich wachsenden Praxis erfährt Geistliche Begleitung wissenschaftlich zuletzt zwar mehr theoretische Aufmerksamkeit, aber immer noch verhältnismäßig wenig wissenschaftstheoretische Durchdringung, was die sehr geringe Anzahl der wissenschaftlichen Monografien zum Thema zeigt.221 Somit ist die konfessionsübergreifende Situationsanalyse der Schweizer reformierten Theologin Kohli Reichenbach von 2011 weiterhin zutreffend: »Der ausdifferenzierte Markt der Geistlichen Begleitung ist unübersichtlich geworden. Unübersehbar […] bleibt die Tatsache, dass das Label ›Geistliche Begleitung‹ bzw. ›spiritual direction‹ Angebote vereint, die in verschiedener Hinsicht deutlich divergieren. ›Produktdeklarationen‹ sind oft unpräzis: Kategorien zur Unterscheidung von Begleitmodellen fehlen noch weitgehend.«222 Sie selbst betritt mit ihrer »gewählten Forschungs218 219
So Greiner, Ritter (2013), 11,12. Siehe Schaupp (2011b), 43–63. Leech (1977), 34–89. Die erste evangelische Dissertation stammt bereits aus dem Jahre 1940. Siehe Benoît (1940). Sie blieb singulär. 220 Vgl. für die katholische Traditionslinie die Veröffentlichung Sekretariat der Deutschen Bischofkonferenz (2001) und für die evangelische Traditionsgeschichte in Geistliche Begleitung in evangelischer Perspektive: Modelle und Personen der Kirchengeschichte (2013). Einen Überblick über die europäische Geschichte der Geistlichen Begleitung bietet Leech (1977), 34ff. 221 Zur Zeit der Abfassung war die Dissertation von Kohli Reichenbach (2011) neben der von Schemann (2014) die einzig veröffentlichten neueren monografischen Arbeiten in der evangelischen Theologie. Daneben stehen die erwähnten evangelischen Aufsatzbände und die katholische Handreichung aus dem Jahr 2001. 222 Kohli Reichenbach (2011), 3.
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richtung […] in mancher Hinsicht Neuland. Bisher liegen kaum Arbeiten vor, die auf der Reflexionsebene systematisch nach der spirituellen Zieldimension geistlicher Begleitung fragen. Insgesamt bewegt sich die überwiegende Mehrheit der in jüngster Zeit besonders im englischen Sprachraum florierenden Literatur zur Geistlichen Begleitung auf der Praxisebene: Praktiker(innen) schreiben für Praktiker(innen), wobei durchaus Kriterien für den Transformationsprozess thematisiert werden, allerdings oft nur implizit und insofern wenig systematisch reflektiert.223 Ein wissenschaftstheoretisches, strukturierendes Modell, das in Theorie und Praxis die Aufnahme von Theorie und Praxismodellen aus den Humanwissenschaften, der Soziologie, Theologie und anderen reflektiert, gibt es bisher nicht. Überhaupt finden derzeit keine neueren psychotherapeutischen Ansätze224 Eingang in die theoretische Reflexion des zwischenmenschlichen Beziehungsgeschehens. Auf der Basis des Ansatzes der Integrativen Therapie ist Geistliche Begleitung bisher nicht im Rahmen einer pastoralpsychologisch orientierten seelsorglichen Arbeit zum zwischenmenschlichen Beziehungsgeschehen erforscht worden. Das geistgewirkte, spirituelle Geschehen ist zwar bereits als mystagogisches Geschehen untersucht worden. Unter Aufnahme des Integrativen Ansatzes und im Rückgriff auf genuin spirituelle Konzepte der christlichen Tradition wird die vorliegende Arbeit präzisierender Geistliche Begleitung als mystagogische Seelsorge entwickeln.
223
Kohli Reichenbach, a.a.O., 7f. Sie schließt systematisch-kritisch die Lücke im Bereich der Spiritualität ihrer Zielrichtung in Geistlicher Begleitung. Im Rahmen der Kontexte Geistlicher Begleitung wird die Verfasserin vorliegender Arbeit diesen Entwurf ausgiebiger diskutieren. 224 Auch Übungen des Körpers, z.B. Eutonie, Yoga oder Entspannungsverfahren werden nicht in Konzeptionen Geistlicher Begleitung systematisch reflektiert.
3 Geistliche Begleitung – Präzisierung des Vorhabens nach Reflexion der Diskurse
Das Wachstum Geistlicher Begleitung als ein fundiertes pastoralpsychologisch-seelsorgerliches Geschehen in intersubjektiver Hinsicht und zugleich als ein mystagogisches Geschehen in spiritueller Hinsicht vertiefend zu stärken und einen Beitrag zu ihrer Reflexion zu leisten, ist somit das Anliegen der vorliegenden Arbeit. Sie folgt angesichts der Herausforderungen zu Beginn des dritten Jahrtausends der Überzeugung, es müsse ein erfahrungsbezogener Zugang zur christlichen Tradition geschaffen werden, und sieht diesen in den mystagogischen Traditionen des Christentums.225 Vier klassisch-historische Modelle Geistlicher Begleitung – die Wüstenvätertradition, die benediktinische, die karmelitische und die ignatianische Tradition – sowie die Ansätze der evangelischen Tradition werden in einem ersten Arbeitsschritt neu reflektiert, um an die ureigene christlich-mystagogische Tradition anzuknüpfen und hinreichende Kenntnisse zu gewinnen, um die spirituell-geistliche Dimension als ein mystagogisches Geschehen in der Geistlichen Begleitung aktuell zu formulieren (Erster Teil). Im weiteren Verlauf wird die zweite Dimension Geistlicher Begleitung, die pastoralpsychologisch orientierte seelsorgliche Dimension, ins Gespräch mit der Integrativen Therapie gebracht. Mit deren wissenschaftstheoretischem integrativen Ansatz und ihrem Erkenntnis- und Verstehensmodell (»tree of science«) möchte die Arbeit zum einen ein hermeneutisches Modell für Prozesse und konzeptionelle Vergleiche in der Geistlichen Begleitung entwickeln. Zum anderen wird das Beziehungsgeschehen mit den Kernkonzepten des »komplexen Lernens« und der Ko-respondenz sowie der Polylogizität erfasst. Dadurch leistet sie einen neuen Beitrag für die Pastoralpsychologie. Das Integrationsparadigma des »tree of science« versucht die unterschiedlichen Ebenen des Verstehens auf den unterschiedlichen Handlungsfeldern zwischenmenschlicher Begleitung, der Praxis, der Theorie über die Praxis und den übergeordneten Theorien wie Anthropologien, Theologien etc. zu erheben und zu reflektieren, damit alle Ebenen für die Praxis und Theorie zwischenmenschlicher Beziehung fruchtbar gemacht werden können (Zweiter Teil). Abschließend werden die Ergebnisse gesichtet und Perspektiven eines Entwurfes »Integrativer Geistlicher Begleitung als mystagogische Seelsorge« für die Theorie und Praxis Geistlicher Begleitung aufgezeigt (Dritter Teil). 225
So mit Bobert (2010), 19ff.
Erster Teil: Geistliche Begleitung – exemplarische Modelle aus der christlichen Tradition
0 Begründung der Modellauswahl
Die evangelischen wie katholischen Veröffentlichungen zum Thema »Geistliche Begleitung« beziehen sich auf überlieferte Beziehungs- und Begleitmodelle in der geistlichen Tradition des Mönchtums, um ihre eigenen Konzeptionen bzw. Ausführungen zur Geistlichen Begleitung zu entwickeln.226 Es werden zumeist die Wüstenvätertradition227 und das ignatianische Begleitmodell228 rezipiert. Es wurde in der Geschichte Geistlicher Begleitung wenig zwischen genuin katholischen bzw. evangelischen Modellen unterschieden. Erst in der jüngeren Diskussion Geistlicher Begleitung wird neu nach eigenen evangelischen Begleitmodellen gefragt. Diese werden kirchengeschichtlich erarbeitet und derzeit vorwiegend (noch) im Werk Dietrich Bonhoeffers verortet.229 Um das Begleitgeschehen in zwischenmenschlicher und spiritueller Dimension zu untersuchen, werden die folgenden genuin christlichen Modelle ausgewählt: 1. Die Wüstenvätertradition,230 die in der Rezeptionsgeschichte Geistlicher Begleitung historisch deshalb relevant ist, weil sie als prägende historisch früheste Quelle kirchlicher Traditionsgeschichte wiederholt rezipiert wird und nachfolgende Modelle inspiriert hat.231 Es erfolgt dabei eine Konzentration auf zwei Altväter der Wüste, Antonius und Poimen. Betrachtet werden also das frühe (Antonius) und das späte Stadium (Poimen) der eremitischen Tradition, wobei bei Poimen, wie 226
Einen Überblick über die Rezeptionen bieten das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (2001) und die beiden evangelischen Veröffentlichungen: Greiner u.a. (2007) und Greiner/Raschzok/Rost (2011). In den Beiträgen wird deutlich, dass konzeptionell zumeist mit dem jesuitischen Begleitungskonzept gearbeitet und wiederholt auf die Wüstenvätertradition Bezug genommen wird. 227 Bäumer/Plattig (2012). 228 Michael Plattig, Theologe und Karmelit, beschreibt Ursprung und historische Entwicklung Geistlicher Begleitung in seinem Beitrag zur Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz von 2001. Einleitend stellt er voran, dass »die zur Zeit auffindbare theologische Literatur zu diesem Thema sowie die meisten Ausbildungsgänge zum geistlichen Begleiter, zur geistlichen Begleiterin […] vom ignatianischen Hintergrund, von den Exerzitien des Hl. Ignatius von Loyola als einer Intensivform geistlicher Begleitung« (25) geprägt sind. Er weist darauf hin, dass die christliche Tradition wesentlich breiter ist und unterschiedliche und unterscheidbare Konzeptionen bietet. 229 Vgl. Greiner u.a. (2013) bzw. Kohli Reichenbach (2011). Vgl. Punkt 4 des Ersten Teils dieser Arbeit. 230 Vgl. zur Quellen- und Überlieferungsgeschichte die Arbeit von Günther Schulz / Jürgen Ziemer (2010), bes. 310ff. 231 So Plattig (2001), 25f.
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0 Begründung der Modellauswahl
der Name (Hirte) schon andeutet, die seelsorgliche Haltung der Tradition verdichtet deutlich wird. In Betrachtung beider Eremiten werden die Überlieferung und die Entwicklungen innerhalb der Wüstenvätertradition sichtbar. 2. Das benediktinische Begleitmodell, das historisch eine der Wüstentradition folgende Entwicklung zum gemeinschaftlichen Leben mit Abt markiert und zudem ein eigenes spirituelles Entwicklungsmodell besitzt, das bisher noch nicht in den Veröffentlichungen zur Geistlichen Begleitung erörtert wurde und neu in den Blick genommen wird: die »Stufen der Demut« (Kap. 7 der Regel Benedikts). 3. Die Seelenführung nach Johannes vom Kreuz. Seine Darlegungen bieten grundlegende systematisierende Gedanken und eine Rahmenstruktur innerer dynamischer Prozesse innerhalb eines Begleitgeschehens an (die sog. »10 Stufen der Liebe«). 4. Die geistlichen Übungen nach Ignatius von Loyola. Sein Werk bietet einen strukturierten Gesamtrahmen für Geistliche Begleitung in Form und Inhalt an. Seine Exerzitien gelten als »Marktführer« auf dem derzeitigen Rezeptionsmarkt klassischer Modelle Geistlicher Begleitung. Um diese systematisch erfassen und beurteilen zu können, auch innerhalb der von mir vorgenommenen theologischen Verortung im Rahmen der Traditionslinie Karl Rahners, eines Jesuiten, wird sie ebenfalls erörtert. 5. Die evangelische Tradition. In dem Bemühen, Geistliche Begleitung evangelisch zu betrachten und fruchtbar zu machen, werden innerhalb der evangelischen Tradition Anknüpfungen gesucht, um ein eigenständiges evangelisches Profil zu erarbeiten. Ich begnüge mich an dieser Stelle mit einem Überblick über diese in jüngster Zeit zunehmend publizierten Arbeiten. Es handelt sich somit bei den genannten Modellen um eine beispielhafte Auswahl, die nicht die Fülle der gesamten monastischen und historischen Entwicklungen und Modelle erörtern möchte, vielmehr exemplarisch aus den genannten Gründen die Beziehungsdimension sowie die geistlichen Entwicklungen und Ziele untersuchen möchte, die bis heute Eingang in die Gestalt Geistlicher Begleitung finden.232 Im Zentrum der Betrachtung bei allen christlichen Beziehungsmodellen liegt somit zum einen die Beziehungsdimension unter der Fragestellung »Was geschieht wie innerhalb dieser Beziehung?« und zum anderen die Spiritualität, die auf Gott gerichtete Perspektive, als Frage nach dem spirituellen Entwicklungsprozess und dem Erfahrungsgrund spiritueller Praxis, die in dieser Form noch nicht untersucht wurden.
232 Weiterführende Literatur zur Entwicklung des christlichen Mönchtums: Karl Suso Frank (1975).
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Innerhalb dieses Entwicklungsprozesses gibt es immer wieder auch Krisen zu beachten. Sie werden mit dargestellt, weil gerade die Reflexion spiritueller (Entwicklungs-)Krisen und ihrer Bewältigungsmöglichkeiten innerhalb einer Begleitung einen wichtigen Kernpunkt seriöser Geistlicher Begleitung darstellt. Diese ist eben eine solche, die diesen Krisen Raum gibt und genügend Methoden und Möglichkeiten kennt, mit ihnen praktisch und reflektiert in einer vertrauensvollen Begleitungsbeziehung umzugehen. Eine solche ist ebenso eine, die dem Erfahrungsgrund, Gott, Raum gibt, indem sie die inneren – auch dunklen und leidvollen – Erfahrungen, die wesentlich zu einer spirituellen Entwicklung dazugehören und die den Glauben und die Gottesbeziehung anfechten können, in die Gottesbeziehung übergibt. Dadurch wird aus einer Geistlichen Begleitung keine subjektivistische »Ego-Wellness«. Diese Haltung trifft sich mit der Überzeugung Martin Luthers, dass die tentatio (Anfechtung) jeden geistlichen Weg begleitet, und mit der des Johannes vom Kreuz, der formulierte: Die contemplatio ist immer zugleich dunkle contemplatio.233 Die einzeln dargestellten Modelle enden jeweils damit, dass kurz zusammengefasst wird, wie in ihnen Geistliche Begleitung unter dem Fokus der beiden Untersuchungsstränge »Beziehungsdimension« und »spirituelle Ausrichtung« zu verstehen ist. Abgeschlossen wird der Erste Teil, indem alle Modelle gebündelt resümiert und für das Untersuchungsthema relevante weiterführende Resultate benannt werden.
233
Vgl. dazu Bäumer/Plattig (2010), besonders 22–74.
1 Geistliche Begleitung als »Geistliche Vaterbzw. Mutterschaft« im frühen Mönchtum – die individuellen Anfänge Drei von den Vätern hatten die Gewohnheit, jährlich zum seligen Antonius zu kommen. Die beiden ersten fragten ihn über die Gedanken und das Heil der Seele. Der dritte schwieg und stellte keine Frage. Nach langer Zeit sprach der Altvater Antonius zu ihm: »Siehe, jetzt kommst du schon so lange Zeit hierher und fragst mich nichts.« Er aber gab ihm zur Antwort: »Es genügt mir schon, dich zu sehen, Vater!« (Antonius Apo 27) Zu wem dein Herz nicht hinströmt, an den hänge dich nicht mit deinem Herzen! (Poimen Apo 654)
1.1 Hinführende Gedanken 1.1.1 Die Wüstenväter im frühen Mönchtum Bei den Wüstenvätern234 im frühen Mönchtum235 handelt es sich um frühchristliche Eremiten des 3.–6. Jahrhunderts, die in die Wüste gingen, um Gott zu suchen und Antworten auf die Fragen »Wie kann ich gerettet werden?« bzw. »Wer bin ich eigentlich?« zu finden. In ihren Aussprüchen, wie sie in den Apophthegmata Patrum236 und im Meterikon237 überliefert sind, werden wesentliche Einsichten und Lebenshaltungen für ein geistliches Leben deutlich. Die Eremiten stellten sich durch ihre konsequente und asketische Lebensweise ganz in den Dienst ihrer Gottsuche und zugleich damit in einer unmittelbaren Weise ihrem eigenen Seelenleben. Ihre Aussprüche zeugen von einer Sichtweise auf den Menschen und die Welt, die nicht eine Position außerhalb von uns selbst einzunehmen versucht und unser Menschsein nicht getrennt von der göttlichen Wirklichkeit sucht, wie es in der Moderne oftmals zu finden ist.238 Nicht das Ego ist das Maß, sondern Gott und unser Eingebundensein in die geschaffene Welt. Wir selbst vielmehr als denkende, 234
Vgl. Bonifaz Miller / Wilhelm Nyssen (1998), Bagin, Martirij / Thiermeyer, AndreasAbraham (2004). 235 Grundlegend dazu: Frank (1975); ders., 166ff; Henry Chadwick (1972), 202ff; Adolf Martin Ritter (2012), 127ff; Wolf-Dieter Hauschild (2011), 261ff. 236 Miller/Nyssen (1986) (zit. Apo). 237 Bagin/Thiermeyer (2004). 238 So mit Daniel Hell (2005), 9ff.
1.1 Hinführende Gedanken
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fühlende und innerlich spürende Wesen, die in einer Welt leben, von der das Ich nicht getrennt ist, sondern deren integralen Bestandteil es bildet, stellen den Ausgangspunkt ihrer Betrachtung dar. Sie beobachten und analysieren somit nicht die Welt, sie leben und erleben sie vielmehr in sich und damit in Gott. Die Gottsuche der Anachoreten ist folglich unmittelbar mit der Suche nach ihrem eigenen Wesen und ihrer Identität verbunden. Durch die Einsamkeit, das Sitzen im Kellion, das Schweigen und ihren einfachen Lebensstil wollen sie ihre Seelen so bereiten, dass sie Gott wie in einem unbeschlagenen Spiegel reflektieren.239 Ihre Askese zielt somit dahin, von aller Selbstbezogenheit und damit von allem Hochmut frei zu werden, um sich ganz in Gott verwirklichen zu können. Die Lebenshaltung, die dies zu realisieren sucht, ist gekennzeichnet durch den Willen, sich selbst zu lassen, dem Ich nicht anzuhängen, vielmehr immer wieder neu den Mut zu finden, Gott zu suchen und ihm zu dienen. Diese Haltung nannten die Wüstenväter Demut. Hilfe dazu sollte gerade einem neu in die Wüste kommenden Menschen, gleich ob Mann oder Frau, ein im Wüstenleben und in der Gottsuche erfahrener Mensch geben. Letzterer wurde der/dem Suchenden geistlicher Vater bzw. geistliche Mutter in dieser neuen Umwelt.240 Dadurch war Begleitung in den Grundzügen geboren. Sie war geradezu Pflicht für einen Neuankömmling.241 Für diese Neuankömmlinge galt, dass sie dem geistlichen Vater / der geistlichen Mutter alle Gedanken und Gefühle zu offenbaren hatten.242 Als das eigene Heil in Gott Suchende gingen sie in die Wüste; und indem sie den Naturgewalten und der Einsamkeit ausgesetzt waren, waren sie auf besondere Weise auf den anderen angewiesen. Gespräch, Austausch, Hilfe und Ermutigung auf ihrem Weg für ein Leben mit Gott waren notwendig.243 Als radikale Gottsucher waren sie religiöse Individualisten. »Sie hatten keinen missionarischen Eifer und in direktem Sinn auch kein katechetisches oder seelsorgerliches Handlungsinteresse.«244 Die Begleitung widerfuhr ihnen zuweilen fast gegen ihren Willen, und niemand anders als die Ratsuchenden autorisierten diese Wüstenväter/-mütter zu geistlichen Begleitern.245 Als geistlicher Vater / geistliche Mutter unterstützten sie neue Suchende, die sich auch für längere Zeit niederließen. Ihre Elternschaft 239 240
Hell (2005), 32. Geistliche Begleitung ist bei den frühen Mönchen in gleicher Weise von Männern wie Frauen tradiert. Quellenliteratur vgl. Miller/Nyssen (1986) und vgl. Bagin/Thiermeyer (2004). 241 Grundlegende Gedanken zur spirituellen Bedeutung der Wüste finden sich bei Schulz/Ziemer (2010), 19–34. Dort auch weiterführende Literatur. 242 Vgl. Antonius, Apo 38, 1134, 1160 und Poimen, Apo 647. 243 Vgl. dazu Corona Bamberg (1981), 276–292, hier 278ff. 244 Schulz/Ziemer (2010), 273. 245 Mit Schulz/Ziemer (2010), 273.
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1 Geistliche Begleitung als »Geistliche Vater- bzw. Mutterschaft«
gründete in der Vaterschaft/Mutterschaft Gottes, die einem Menschen Sein und Leben verlieh wie Gott im absoluten Sinn.246 Der geistliche Vater / die geistliche Mutter war ein »Pneumatikos«, ein geisterfüllter Mensch, der den ratsuchenden Menschen (zu den Eremiten traten später auch Suchende von außerhalb der Wüste hinzu) hin zu einem sinnerfüllten und lebensfähigen Leben begleitete – anfangs in punktuellen Begegnungen, die jedoch wiederkehren konnten und damit verbindlicher wurden. Diese Begegnungen hielten sie knapp, mitunter spontan, in der Regel unkalkulierbar und gelegentlich konfrontativ. Sie warteten auf eine Frage, und ihre Antwort war wenig »theologisch«, vielmehr immer konkret und auf eine Lebenshaltung bezogen, z.B. »Sitze in deinem Kellion!«247 1.1.2 Biografisches und Hagiografisches zu Antonius und Poimen Antonius von Koma ist die zentrale prägende Gestalt des monastischen Lebens des 4. Jahrhunderts. Was wir biografisch wissen, verdanken wir zum großen Teil der Vita Antonii des Athanasios (328–373), die in Antonius vornehmlich ein Vorbild im christlichen Glauben sieht. Seine grundlegenden Lebensdaten sind einigermaßen bekannt.248 Um 251 wird Antonius in Koma (Ägypten) als Sohn wohlhabender Eltern koptischer Herkunft geboren. 270 verliert er seine Eltern. Er tritt ein großes Erbe an und bekommt seine Schwester zur Fürsorge anvertraut. Nachdem er von der Perikope des reichen Jünglings (Mk 10,17ff) innerlich ergriffen wurde, beginnt er am Rand seines Heimatdorfes ein asketisches Leben. Er verschenkt sein Erbe und gibt seine Schwester in ein Jungfrauenheim. In den Jahren 270ff zieht er sukzessive immer weiter in die Libysche Wüste hinein, um stärker in der Einsamkeit leben zu können. Kämpfe mit Dämonen und wilden Tieren werden überliefert. In gänzlicher Einsamkeit auf dem Berge Kolzim lebend, gibt er Weisung und Heilung. Sein Werk und Leben strahlen aus. Er wird Lehrer und Vater für eine Vielzahl von Schülern, die sich am Fuße des Berges niederlassen. 356/357 stirbt er 105-jährig, von zwei Brüdern versorgt. Poimen lebte überwiegend in der sketischen Wüste. Zahlreiche Hinweise der Väter und Zitationen der Väter lassen daraus schließen, dass er aus der späten zweiten oder dritten Generation stammt und etwa in der Zeit zwischen 380/390 und 450/460 gewirkt hat.249 »Poimen erlebte in der Wüste äußere Katastrophen wie den Mazikeneinfall 407 und innere 246 247 248 249
Vgl. André Louf / Meinrad Dufner (2006), 19ff. Mit Schulz/Ziemer (2010), 273. Vgl. zur Antoniusüberlieferung Schulz/Ziemer (2010), 36–57. Wir finden in den klassischen monastischen Schriften keinen Hinweis auf Poimen. Deshalb kann nur versucht werden, von den Apophthegmata Patrum her sein Leben zu erschließen. So mit Schulz/Ziemer (2010), 59.
1.1 Hinführende Gedanken
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Krisen wie das Erlahmen des asketischen Eifers und der spirituellen Kräfte. In der für das Wüstenmönchtum bewegten Zeit nach 400 sammelt Poimen bewusst und engagiert das Erbe vergangener Generationen.«250 Poimen lebte intensiv in Gemeinschaften – nach einem dramatischen Ablöseprozess der Söhne von der Mutter mit seinen leiblichen Geschwistern am Rand einer Dorfgemeinschaft und in der asketischen Gemeinschaft – in verschiedenen Phasen ein auseinandersetzungsreiches Leben mit theologischen und spirituellen Disputen, die selbst vor einer Schlägerei nicht haltmachten (Apo 747). Von den Maziken vertrieben, lebten sie ab 407 in einem verlassenen Tempel unter der Leitung des Ältesten Anub (Apo 138) »ein Leben mit präkoinobitischen Strukturen, d.h. die Tages- und Wochenrhythmen sind klar gegliedert, die lebenswichtigen Aufgaben (z.B. die Zubereitung des Essens) an einen dafür Verantwortlichen delegiert«.251 Poimens seelsorgliche Auffassung stand dabei mitunter im Widerstreit mit derjenigen Anubs und einiger Brüder, wohingegen er in seinen leiblichen Brüdern Unterstützer fand.252 In der Sketis lebte er bis zu seinem Ableben fast 100-jährig. Poimen lebte damit fast zwei Generationen nach Antonius. »Die Sammlung der Poimentexte […] bietet uns die reife und reiche Ernte des ägyptischen Wüstenmönchtums der ersten Hälfte des 5. Jh.«253 Er steht geistlich in der Tradition des Antonius. Poimen erkennt diesen als eigenständige geistliche Autorität an.254 Antonius und die Schrift selbst255 stellen deutliche Traditionslinien in den Apophthegmata des Poimen dar, dessen Überlieferungsgut in etwa doppelt so umfangreich wie dasjenige des Antonius ist. Er führt klare Traditionsströme weiter, die bei Antonius für ein kontemplatives Leben als Wegmarken zu erkennen sind, so z.B. das Moment der Arbeit aus Apo 1 des Antonius in Apo 724 und das Moment der Hesychia als Weg aus Apo 11 des Antonius u.a. in Apo 658. Daneben setzt Poimen aber auch eigene Akzente. »Abba Poimen ist nicht nur vorbildhafter Anachoret, sorgfältiger Tradent und begnadeter Seelsorger, er ist auch Theologe. Er bündelt durch seine Worte, sein Tun und sein Schweigen die verschiedenen Überlieferungen der Wüste unter neuen spirituellen und theologischen Gesichtspunkten. Deutlich betont wird durch ihn die Gemeinschaft der Brüder, die gegenseitige Achtung, der Friede und die Erquickung in ihr.«256 Neben der Betonung des Schweigens sei die Sanftmut257 genannt, mit der der Ratsu250 251 252 253 254 255 256 257
Ebd. Schulz/Ziemer (2010), 59f. A.a.O., 60. Vgl. zur Poimenüberlieferung im Ganzen Schulz/Ziemer (2010), 58–68. Vgl. Poimen, Apo 661 und 699. Vgl. Poimen, Apo 645, 648, 693, 700, 705, 727. Schulz/Ziemer (2010), 58. Poimen, Apo 596, 636, 648, 714.
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chende dahin geführt wird, selbst auf seine Lebensfrage zu antworten. Daneben treten die Betonung der Gegenwärtigkeit,258 die Gabe der Unterscheidung und Auslegung (Apo 700) und seine Fähigkeit zur Konfrontation hervor. Ziel allen seelsorglichen Handelns ist es, dass Herz »ungeteilt, also »geeint«, bei Gott zu haben. Das ist die Bedeutung von »mon-achos«. Der Mönch ist ein »›Geeinter‹, [...] der in seiner ganzen Existenz identische Gläubige.«259 1.2 Grundzüge geistlicher Begleitung in der Wüstentradition 1.2.1 Das »Wort« als Weisung Das Wort (Rhema oder Logion) stellt das Bindeglied zwischen dem Begleiter und dem zu Begleitenden in der geistlichen Beziehung dar. Es gibt Antwort auf eine persönliche Situation des Fragestellers. Er war davon überzeugt, durch den Spruch, aber auch durch den Vater selbst, in lebendigen Kontakt mit Gott zu kommen und in sein Geheimnis eingewiesen zu werden. Als Suchender erhoffte er sich diese Hinführung zu Gott und die daraus sich schenkende Kraft besonders in Zeiten des Zweifels, der Versuchung, der Ermüdung und der Niedergeschlagenheit oder auch bei wichtigen Lebensentscheidungen.260 Seine Frage ist oft sehr kurz und allgemeiner Gestalt: »Was soll ich tun?« oder »Sage mir ein Wort!«. Der Suchende vertraut sich dabei ganz dem Vater an und ist bereit, das Gewiesene zu beherzigen. Die Antwort des Vaters kann je nach Begleiter sehr verschieden ausfallen. Der Väterspruch hat pneumatischen Charakter. Er ist keine Regel.261 Nie wird er ohne vorausgehende Bitte gesagt, und es erfordert nicht nur beim Warten auf das Wort des Vaters Geduld, sondern auch bei der Verwirklichung des Wortes, die bei dem Begleiteten ganz alleine liegt. Die Bitte um ein Wort setzt dabei voraus, dass der Begleitete den Geistbesitz im Angeredeten anerkennt.262 Geistbesitz wird ohne objektive Stütze und unabhängig von Alter, Rang oder Namen, sondern in aller Spontaneität im Raume des Glaubens festgestellt. Oft ist es eine einzige Übung oder sind es zwei oder drei Aspekte des Lebens, die der begleitete Mensch beachten soll. Es erfordert großes 258 259 260 261
Poimen, Apo 700 mit Schulz/Ziemer (2010), 60f. Schulz/Ziemer (2010), 65. Vgl. dazu auch Ernst Dassmann (2006), 29ff. Vgl. Regel des heiligen Benedikt. Hier geschieht eine pneumatische Unterweisung in der Handhabung des Abtes. Die Anfänge dieser Entwicklungslinie liegen für die Verfasserin vorliegender Arbeit in den Pastoralbriefen selbst begründet, wo die Gnadengaben wie auch die geistliche Führung in die Hand von Amtsträgern und Apostelschülern übergehen. Anders: 1Kor 12–14. Vgl. dazu auch Johannes Beutler (1976), 435–445, hier 443. 262 So mit Karl Heussi (1936), 165, Anm. 4.
1.2 Grundzüge geistlicher Begleitung in der Wüstentradition
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Gespür beim Begleiter, das zu geben, was der Fragende braucht. Das gegebene Wort und die Übung weisen dem begleiteten Menschen einen Weg, um innerlich weiterzukommen, zu verstehen, wer er ist und wer Gott ist. Identitätsentwicklung und spirituelle Entwicklung vollziehen sich miteinander. Eine einzige Übung kann genügen, um ihn auf den Weg zu bringen und ihn zu verwandeln. Er wird bei diesem Prozess mit seiner eigenen Ohnmacht, Begrenztheit, Sündhaftigkeit und seinem eigenen Selbst konfrontiert, wobei ihm letztlich das Geheimnis Gottes nähergebracht werden soll. Diesen Prozess zu fördern, ist Aufgabe des geistlichen Vaters. Poimen drückt dies sehr deutlich in Apo 385 im Gespräch mit dem Altvater Joseph aus. Auf die Frage: »Sag mir, wie ich Mönch werde!«, antwortete er: »Wenn du Ruhe finden willst, hier und dort, dann sprich bei jeder Handlung: Ich – wer bin ich? und richte niemand.« Alle Gefühle, Stimmungen und Gedanken haben in diesem Prozess Sinn. Jeder Mensch kann im Heiligen Geist und durch die Barmherzigkeit Gottes diesen Weg gehen. Es bedarf nur der Öffnung. Sie ist Vorbedingung für das Wort. Denn nur die Offenheit kann als Bitte das Geistwort auslösen, das ihm hilft.263 Denn: »In der Bitte geschieht die rettende Selbstauslieferung als Akt des Vertrauens, der bejahten Angewiesenheit. In der Bitte tut sich das Herz zum Hören auf und macht sich bereit zum Tun, zum Gehorsam.«264 Man muss sich folglich nur auf die Führung des Vaters und auf Gott selbst einlassen wollen. Einzig die konkrete Übung des Menschen, die neue Perspektiven schafft und ihn zu verwandeln vermag, kann immer mehr in das Geheimnis Gottes einführen. Denn durch das konkrete tägliche gehorsame Tun kommt etwas in Bewegung. Die Übung verwandelt und öffnet das Herz für Gott und bringt den Menschen selber in »Ordnung«. So kann Poimen sagen: »Wenn der Mensch Ordnung hält, dann wird er nicht verwirrt« (Apo 741). Es zeigt sich, dass ein wichtiges Thema für die geistliche Begleitung das konkrete Tun, die Praxis, des zu begleitenden Menschen ist: seine Tagesordnung, seine Gebets- und Meditationspraxis, letztlich seine gesamte Lebenshaltung und Lebensführung.265 So kann Antonius in Apo 38 sagen: »Wenn möglich, soll der Mönch den Altvätern im Vertrauen sagen, wie viele Schritte er geht und wie viele Tropfen er trinkt im Kellion, um ja nicht danebenzugreifen.« Dabei gibt es nicht die allein gültige Praxis. Es gibt, wie die Apophthegmata zeigen, verschiedene Wege zu Gott. Entscheidend sind jedoch ein gesunder Lebensstil und eine klare Ordnung. Denn kein innerer Weg ist in den Augen der Väter möglich, wenn nicht ein äußerer Weg konsequent gelebt wird. Dieser 263 264 265
So betont es Poimen, Apo 675. Bamberg (1981), 281. Vgl. Bäumer/Plattig (2012), 50ff, 70.
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innere Prozess kann viele Jahre dauern. Verwandlung in diesem Prozess geschieht sanft, d.h., ich spüre in meine Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse hinein, denke und fühle sie zu Ende und entdecke, was damit gemeint ist. Ich erlebe sie. Und nur, was ich erlebt und angeschaut habe, kann verwandelt werden.266 Diese Wandlung wird durch das Wort als Geschehen initiiert. 1.2.2 Trösten und Ermutigen Aufrichten und Trösten, nicht verwerfen und in Trauer stürzen sind die wichtigsten Aufgaben der geistlichen Begleitung. So gibt Poimen folgenden Rat: »Wenn ein Mensch sündigt und es leugnet, indem er spricht: Ich habe nicht gesündigt, so verurteile ihn nicht. Andernfalls nimmst du ihm den Mut. Wenn du aber sagst: Sei nicht mutlos, Bruder, aber hüte dich in Zukunft, dann erweckst du seine Seele zur Reue« (Apo 597). Es zeigt sich, dass kein Begleiteter ohne Hilfe traurig weggehen darf. So verzichtet auch Poimen darauf, dem anderen seine Wahrheit aufzudecken. Er spürt hier, dass er für diese Wahrheit noch nicht reif ist, und ermutigt ihn, ohne auf seine Sünde hinzuweisen. Geistliche Begleitung braucht einen Raum des Vertrauens, in dem sich der begleitete Mensch entfalten kann. »Das Wirken des Geistes ereignet sich also in der Beziehung zwischen Altvater und Schüler.«267 Es ist dabei nicht überschaubar, was dabei alles entstehen kann: Ablehnung, Distanz, Zuneigung, Humor und anderes mehr. Die Gegenseitigkeit der Beziehung ist menschlich. Sie kann innerhalb einer geistlichen Begleitung gelebt werden. Sich in Liebe mitzuteilen, schafft neuen Raum. Geduld und Akzeptanz sind hier gefordert, ebenso der Glaube, dass Gott stets der ist, der aufrichtet und Kraft schenkt. Es gilt das rechte Maß zu finden, in dem der einzelne Mensch Fassungskraft besitzt.268 Die Wüstenväter arbeiten nicht mit Idealen, die den Begleiteten übergestülpt werden würden, sondern sie gehen von dem aus, was für den Menschen momentan wichtig ist, und überlegen, wie der Mensch einen Weg zum Leben und zur Liebe Gottes finden kann.269 Schwächen und Fehler können in diesem Raum des Vertrauens zugelassen und angenommen werden. Beide, Begleiter und Begleiteter, sind Kämpfende, Pilger auf dem Weg und auf einer Stufe vor Gott.270 Indem der Begleiter sein eigenes Ringen offenbart, sich nicht hinter rigorosen Forderungen versteckt, sondern sein Leben mit dem zu Begleitenden 266 267 268 269 270
So mit Anselm Grün (1991), 58ff. So Bäumer/Plattig (2012), 98. Vgl. Poimen, Apo 596. So auch Grün (1991), 33. Vgl. Poimen, Apo 636.
1.2 Grundzüge geistlicher Begleitung in der Wüstentradition
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teilt, ermutigt er und richtet auf. Zudem befreit er den zu Begleitenden auch von dessen Idealisierungen, mit denen er in die geistliche Begleitung und zum geistlichen Begleiter gekommen ist. Solidarität wird geübt. Dadurch kann der Begleitete dort abgeholt werden, wo er steht. So Antonius in Apo 13: »Wenn wir die Brüder übers Maß anstrengen, versagen sie schnell. Man muss also den Brüdern ab und zu entgegenkommen.« Auch Bilder und Vergleiche können dem Suchenden zeigen, wo er steht und welchen Weg er gehen kann.271 Es ist eine behutsame und sanfte Begleitung mit Sensibilität im Miteinander. Zuzulassen gilt es auch Versuchungen. So sagt Antonius in Apo 5: »Keiner kann unversucht ins Himmelreich eingehen. Nimm die Versuchungen weg, und es ist keiner, der Rettung findet.« Versuchungen zeigen dem Menschen ihre eigenen Grenzen, leiten zur Demut. 1.2.3 Symbolhandlungen als Antworten Oftmals weisen die Wüstenväter nicht durch Worte, sondern durch eigenes Tun oder durch Symbolhandlungen, die sie den zu Begleitenden auftragen, auf ihren Weg hin.272 Sie lassen dadurch den zu Begleitenden seine eigene Erfahrung sammeln. Denn diese ist die Voraussetzung dafür, dass er versteht, was auf seinem Weg geschieht. Die Worte des Vaters deuten dabei die Erfahrung voraus, die der Begleitete sammeln wird oder (unbewusst) schon gesammelt hat. Der Begleitete kann, nachdem er seine eigene Erfahrung gesammelt hat, das Wort in der Handlung verstehen und weiß mit ihm umzugehen. Es gilt also auf sich selbst zu achten.273 1.2.4 Die Entscheidung selber finden Die eigene Erfahrung ist es, die den Menschen eine ihm selbst gemäße Entscheidung treffen lässt. Der Wille des Begleiteten wird stets akzeptiert, nie gebrochen. Der Begleiter verweist ihn nur auf sich selbst und lässt ihn seine Erfahrung sammeln, wobei er zu lernen hat, was selbst gut für ihn ist. Die Weisung kann niemandem das eigene Ringen um den Willen Gottes ersparen. Geistliche Begleitung heißt damit für den Begleiter auch: die verborgenen Gedanken, die der andere ihm offenbart, zu prüfen und dabei zu helfen, dass der Begleitete eigene Gedanken findet.274 Dabei darf der geistliche Begleiter seinem Schützling Entschei271
Vgl. Poimen, Apo 625 und 685. Poimen ermutigt hier zu lieben, auch wenn wir dabei Liebe erwarten. Es gilt nur, sich der Nebenabsichten bewusst zu sein und nichts zu verdrängen. 272 So z.B. Antonius in Apo 20 und Poimen in Apo 602. 273 Vgl. Antonius, Apo 2. 274 So mit Grün (1991), 47.
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1 Geistliche Begleitung als »Geistliche Vater- bzw. Mutterschaft«
dungshilfen an die Hand geben. Es gilt jedoch stets, in erster Linie bei sich selbst nachzuspüren, was für einen selbst angemessen ist.275 1.2.5 Schweigen und Verweigerung des Wortes Manches Mal geben die Väter keine Antwort und »sprechen« durch ihr Schweigen. Das Schweigen zwingt den Schüler dazu, die Ebene zu wechseln, weg von einer theoretischen Ebene hin zur Ebene der Erfahrung.276 Theologische Diskussionen bilden in den Augen der Väter eine Hülle um die eigentlichen Fragen des Lebens und der Gefühle des Suchenden. Sie verdecken das Wesentliche und Eigentliche des Menschen. Die Väter lassen sich darum auf keinen theologischen Disput ein. Sie folgen ihrem eigenen Gespür. Sie sind authentisch und lassen sich nicht vereinnahmen. Somit ist geistliche Begleitung nach den Vätern ein Gespräch über die Regungen der Seele und des Herzens, um von dort aus Gott zu begreifen und das eigene Leben zu erfahren.277 Das Gespür für den anderen Menschen gilt besonders für Poimen als selten zu finden (Apo 680). Schweigen ist in diesem Kontext ein Hilfsmittel, das den Suchenden dazu zwingt, sich selbst infrage zu stellen. Es lässt ferner den Begleiteten bereiter werden, seine Übungen zu relativieren, sich zu sammeln und sich dem eigenen Weg zuzuwenden. Dabei kann auch das Schweigen eines Schülers bedeutend sein und die Tiefe der Beziehung ausdrücken. So in Apo 27 des Antonius, wo der Schüler dem Antonius auf die Frage, warum er so lange Zeit verweilte, ohne eine Frage an ihn zu stellen, antwortet: »Es genügt mir schon, dich zu sehen, Vater!« Der Begleiter ist folglich mehr als ein Weisungsgeber durch Worte. Er kann im Geiste Gottes als ganzer Mensch durch sein Sosein wirken. 1.2.6 Behutsamkeit innerhalb einer Geistlichen Begleitung Behutsam soll der zu Begleitende dahin geführt werden, selbst auf seine Lebensfrage eine Antwort zu geben und zu erkennen, was gut für ihn ist. Es obliegt hier dem Begleiter, die dafür nötigen Bedingungen zu schaffen. Mittel dazu sind z.B. die Ruhe, mit der der Vater seinen Schützling reden und sich öffnen lässt, ohne zu widersprechen, ferner Wiederholungen, mit denen er Wichtiges verdeutlicht, sowie Verhaltenserklärun-
275 276
Vgl. Poimen, Apo 714. Vgl. Poimen, Apo 582; 601; 611; 616; 619; 621; 653; 658 und Antonius, Apo 18. Das Schweigen besitzt besonders für Poimen größtes Gewicht, was schon die Thematisierungen des Schweigens in den Apophthegmata zeigten. 277 Mit Grün (1991), 50.
1.3 Voraussetzungen für den geistlich Begleitenden
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gen. Gelegentlich ist aber auch initiatives Eingreifen erforderlich.278 Hier benötigt der Begleiter die Gabe der Unterscheidung. 1.2.7 Antwort mit einem Rätselwort Ein ums andere Mal antworten die Väter auch mit einer Art Rätselwort, d.h. mit einem Wort, welches auf den ersten Blick hin unverständlich bleibt, das aber in seiner Unverständlichkeit den Suchenden zwingt, die Ebene des Verstandes zu verlassen und seine Erfahrungsebene zu betreten. Gerade das Nichtverstehen führt also zum Eigentlichen wie z.B. bei Poimen, der in Apo 714 spricht: »Zuerst fliehe einmal! das Zweite: fliehe! und das Dritte: Werde ein Schwert!« Poimen weigert sich mit dem Rätselwort, dem Suchenden auf dessen Frage eine fertige Lösung zu bieten. Er fordert vielmehr wesentlich Unbedingtes.279 Der Begleitete wird zur Eigenverantwortung angeleitet und sanft aufgefordert, weiterzusuchen. Das Rätselwort will immer wieder meditiert werden, bis sich der Mensch in aller Unbegreiflichkeit für das Geheimnis Gottes öffnet. 1.3 Voraussetzungen für den geistlich Begleitenden Die geistlichen Begleiter in der Tradition des frühen Mönchtums fordern in den Apophthegmata vom geistlichen Vater, dass er »pneumatikos«, d.h. vom Heiligen Geist erfüllt, ist. Der geistliche Mensch gibt alles, was er in sich entdeckt, dem Heiligen Geist hin, damit er es durchdringt und verwandelt. Der Heilige Geist ist der eigentliche Führer. Geistlich ist dabei ein Vater, wenn er ganz vom Geist Gottes durchdrungen ist; wenn sein Leib und seine Seele und alle Bereiche seiner Existenz dem Wirken Gottes ausgesetzt sind und dieser in ihm wirkt. Grundlegend für den geistlichen Begleiter ist bei den Wüstenvätern die Kenntnis vom Geheimnis Gottes, die Kenntnis des menschlichen Herzens (Kardiognosie) und, mit diesen beiden verbunden, die Unterscheidung der Geister (Diakrisis). Die Gabe der Herzenserkenntnis ist eine Gabe des Heiligen Geistes, zu der hin ein geistlicher Begleiter sich ausrichten kann, indem er redlich sein eigenes Herz erforscht und das, was er entdeckt, zu unterscheiden versucht. Denn nur durch eigene Selbsterkenntnis vermag ein Mensch das Herz des anderen zu erkennen. Zur Kardiognosie gehört eine feine Beobachtungsgabe. Körperbewegungen, Stimme und die Art und Weise menschlicher Darstellung und menschlichen Fragens verra278
Vgl. Poimen, Apo 667. Seine Initiative das Eigentliche anzusprechen, macht Mut und bewirkt, dass der Schüler sich öffnet. 279 Vgl. Poimen Apo 714. Vgl. Schulz/Ziemer (2010), 66.
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ten einiges über die inneren Regungen eines Menschen. Zu dieser Herzenserkenntnis gehört die Gabe der Unterscheidung der Geister.280 Sie verlangt die Fähigkeit, zu unterscheiden und das rechte Maß zu wahren. Auch sie ist Gabe des Heiligen Geistes – ein Charisma. Als solche geistgewirkte Kraft vermag sie zu prüfen und zu unterscheiden, was im Menschen und was in der gesamten Wirklichkeit von Gott stammt und zu ihm führt und was nicht. Auch hier muss der geistliche Begleiter erst die Unterscheidung bei sich selbst gelernt haben. Erst dann kann er sich in den anderen hineinspüren, so dass er ihn versteht, seine Sehnsucht und seine Veranlagung, seine Lebensgeschichte und seine Wunde zu berücksichtigen und denjenigen Rat zu erteilen vermag, der dem Begleiteten in seiner Situation weiterhilft.281 Diese Diakrisis verlangt einen jahrelangen Kampf mit sich selbst um Reinheit und Erkenntnis des Herzens, um zur sog. Leidenschaftslosigkeit (Apatheia) zu gelangen.282 Gewarnt wird vor geistlichen Begleitern, die sich selbst zum geistlichen Vater machen, bevor sie jene Apatheia erlangt haben. Ein Mensch wird zu einem solchen erst dann, wenn er den Leidenschaften »gestorben« ist, d.h. sie abgelegt hat, sich total auf Gott hin ausgerichtet hat.283 Es heißt folglich in einer fortdauernden Pilgerexistenz auszuharren, im steten Nichtwissen Gottes und im Kampf.284 Wer sich jedoch vorher zu einem geistlichen Begleiter anbietet, der will andere heilen, bevor er selbst heil geworden ist. Er wird zum »hilflosen Helfer«.285 Die Frucht des Kampfes der Leidenschaften ist Selbsterkenntnis und Wandel im Heiligen Geist. Die Reinheit des Herzens ist die Bedingung für das Einswerden mit Gott.286 Apatheia ist zugleich auch Liebe. Denn nur durch Leidenschaftslosigkeit, was ein Leersein, d.h. Freisein aller Fesseln, bedeutet, vermag der Vater sich dem zu begleitenden Menschen mit ganzer liebender Aufmerksamkeit zuzuwenden.287 Hat der geistliche Begleiter einmal die Fähigkeit zur Unterscheidung erlangt, weiß er also um den je eigenen Weg seines Schülers, der für ihn bestimmt ist, dann kann er ihm auch sicher seinen Weg aufzeigen. Psychologische Erfahrung ist an dieser Stelle wichtig. Denn nur, wenn der Begleiter die menschliche Seele mit ihren Gesetzmäßigkeiten kennt, vermag er auch Gottes Wirken zu erkennen. Ohne psychologische Erfahrung besteht immer die Gefahr, psychische Mechanismen mit 280 281 282 283 284 285 286
Vgl. Antonius, Apo 8 und Poimen, Apo 629. So mit Grün (1991), 33. Vgl. Poimen, Apo 655. Vgl. Antonius, Apo 780. Vgl. Antonius, Apo 17 und Apo 386. Vgl. Antonius, Apo 1007. Nach Evagrius Ponticus nennt man diese Haltung »Apatheia«. Vgl. ders. (1986), Kap. 15 und 153. 287 So mit Grün (1991), 13f.
1.3 Voraussetzungen für den geistlich Begleitenden
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dem Wirken des Heiligen Geistes zu verwechseln.288 Ziel der geistlichen Begleitung ist die Hinführung zur Kontemplation und zur Einswerdung mit Gott in seiner Dreifaltigkeit. Die Väter sind folglich Mystagogen.289 Daneben haben sie die Aufgabe, wie Christus zum Arzt der Seelen, die sich ihm anvertrauen, zu werden.290 Die Heilung, die der geistliche Begleiter durch seine Vaterschaft in den Übungen der Apatheia etc. schenkt, wirkt auch auf ihn zurück.291 Der geistliche Begleiter soll alle Erkenntnis weitergeben, die er erlangt und erfahren hat. Nur wenn er dabei die Fassungskraft und den inneren Zustand des zu Begleitenden berücksichtigt, kann er zum Verwalter des Geheimnisses Gottes werden. Er muss erspüren, was für den Schüler angemessen und »dran« ist.292 Die Art und Weise der Begleitung kann sich mit dem Alter und dem Prozess der Reife des Schülers ändern. Die Erfahrung des geistlichen Begleiters spiegelt dabei das gelebte Leben im Ringen und Harren auf Gott wider.293 Ein weiteres Charakteristikum eines geistlichen Vaters stellt die Sanftmut (praytes) nach Gal. 6,1 dar. Sie zeigt an, dass Askese und Kontemplation den Begleiter verwandelt und geformt haben, um ihn fähig zu machen, geistliche Begleitung auszuüben. Denn nur der sanftmütige Vater gewinnt Seelen für Gott und kann etwas vom Heil Gottes vermitteln, da er der ist, der nach dem Vorbild Christi in Nachahmung den Menschen nicht richtet, sondern tröstet und aufrichtet. Da er dank der Gabe der Kenntnis der Herzen die Leiden und Probleme seiner zu Begleitenden kennt, kann er mitleiden und diese Leiden auf sich nehmen. Authentizität mit sich, die Zuwendung zum anderen im Mitleiden und die bedingungslose Annahme des anderen zeichnen einen guten geistlichen Begleiter aus.294 Sanftmut ist demnach keine moralische Tugend, sondern eine Glaubenshaltung. Der Mensch ist sanftmütig
288
So mit Grün (1991), 15. Vgl. zur seelisch-psychologischen Dimension auch Daniel Hell (2010). 289 Mit Bäumer/Plattig (2012), 68. 290 Vgl. Antonius, Apo 1007. 291 Vgl. dazu Gabriel Bunge (2010), 46. 292 Vgl. Antonius, Apo 13. 293 Vgl. Poimen, Apo 133. 294 Diese Gedanken sind ebenso zu finden in der heutigen therapeutischen Begleitung der Gesprächstherapie nach Rogers, dessen Gedankengut sehr stark in die Geistliche Begleitung unserer Zeit eingeflossen ist, z.T. in Übernahme der Begrifflichkeiten. Benannt wird dieser Sachverhalt dann als: Kongruenz, Empathie und Akzeptanz. Vgl. Carl R. Rogers (1992), 63ff, 74f, 276f, 329ff. Das Verhalten des geistlichen Führers ist jedoch älter und anders motiviert. (So mit Jan Bots [1980], 47). Es gilt als geistlicher Begleiter lebendig widerzuspiegeln, was zwischen dem Geist Gottes und dem Begleiteten geschieht. Dies kann gerade auch im Schweigen stattfinden. (Vgl. auch Paul Imhof [1989] S. 2) Siehe dazu auch die Vergleichsstudie von Bäumer/Plattig (2012).
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geworden, »weil er seinem Schatten und seiner Ohnmacht begegnet ist und darin Gottes Barmherzigkeit und Sanftmut erfahren hat«.295 1.4 Die asketische Dimension – das Gebet als Übung Oftmals wurde ein geistlicher Begleiter wie z.B. Poimen in Apo 661 gefragt, ob es gut sei zu beten. Die Antwort der Väter verweist auf die Notwendigkeit, das Gebet auszuüben.296 Ein Gebet schafft Klarheit.297 Ziel der Väter ist es, zum »unablässigen Gebet«298 des Herzens hinzuführen – zu einem Üben im Dienst für Gott.299 Das Gebet stellt eine totale Hinwendung des ganzen Menschen in aller Sehnsucht auf Gott dar. Eine Übung, die als Bedingung für das unablässige Gebet gilt, ist die Übung der Hesychia. »Die Hesychia ist der spirituelle Grundvollzug, die eigentliche, körperlich-geistig-geistliche Übung bei Antonius und in den App (Apophthegmata)«.300 »Die Hesychia erwächst aus dem Schweigen, Arbeiten, Beten, Fasten, aus der Betrachtung der Schrift, dem Weinen und der (getrosten) Trauer. Auf das Engste verbunden ist sie mit dem Sitzen. […] in der ›Hesychia‹ zu leben […] und in seiner Zelle zu ›sitzen‹, bedeutet nahezu das Gleiche. Das Sitzen ist die klassische Haltung der Versenkung. Die Hesychia muss deshalb als eine konkrete Übung im Sitzen verstanden werden. Sie ist eine hohe Kunst, die achtsam erlernt und praktiziert sein will.«301 Das Sitzen ist konstitutiv für die Eremiten und ist eingebunden in den Rhythmus von Sitzen – Arbeit – Beten.302 Es »konstituiert und intensiviert das gesamte Geschehen als ein ›Ordnungsgeschehen‹, einen ›Übungsrhythmus‹«.303 Alle Anfechtungen, Begierden, Wünsche und der eigene Wille werden abzulegen versucht. Es ist ein Kampf des Herzens – ein Entrissensein den »Kämpfen des Hörens, Redens und Sehens«.304 Es gilt in diesem Ringen auszuharren auf Gottes Erbarmen.305 Der richtige Umgang mit den Gedanken muss eingeübt werden. Sie gilt es nicht zu beachten und ziehen zu lassen,306 um zur rechten Sammlung zu gelangen,307 die eine große Wachsamkeit 295 296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307
Grün (1991), 24. Vgl. Poimen, Apo 734 und Antonius, Apo 19. Vgl. Antonius, Apo 26. Vgl. Antonius, Apo 3. Vgl. Poimen, Apo 627. Vgl. zur Hesychia: Schulz/Ziemer (2010), 51–57 (51). Schulz/Ziemer (2010), 51. Schulz/Ziemer (2010), 54. Schulz/Ziemer (2010), 54/57. Antonius, Apo 11. So Poimen, Apo 328 und 602. So Poimen, Apo 595 und 614. Vgl. Poimen, Apo 606 und 617.
1.4 Die asketische Dimension – das Gebet als Übung
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und Aufmerksamkeit schenkt.308 Zerstreuungen müssen abgelegt werden. So kann die Gabe des Weinens ein wichtiges Element sein, um loszulassen und den Zustand der Zerstreuung zu überbrücken, bis Gott sein Erbarmen erweist und Ruhe des Herzens schafft.309 Das Sitzen und die Hesychia sind nonverbal und führen in die Kontemplation.310 In gewissem Sinne kann die Hesychia als Vorwegnahme des himmlischen Zustandes bezeichnet werden.311 Sie genießt höchste Wertschätzung, und es gilt sie fortwährend zu praktizieren. Die Pflege der Gastwirtschaft z.B. darf durch sie vernachlässigt werden. Die Herzensruhe zu verlassen, gilt als ein Verrat am Inneren des Menschen.312 Ein wichtiges Hilfsmittel, um diesen Zustand zu erlangen, ist das Schweigen. Der Zustand des Schweigens und der Herzensruhe sind Haltungen der gesammelten Ausrichtung auf Gott. Sie können als nichtgegenständliches Gebet oder als ein Gebet des Schweigens bezeichnet werden. Neben diese Gebetsform treten weitere Formen der Ausrichtung auf Gott. Poimen kennt drei körperliche Übungen zur Sammlung: Fasten, Schweigen und Handarbeit.313 Antonius benennt und betont insbesondere die Arbeit314 und den Weg zum Nächsten.315 Daneben tritt die Fürbitte als Gebetsform, genauer ist es ein Wortgebet mit Stellvertretungsgedanken: Der geistliche Vater betet für den, der zu ihm kommt, denn er erkennt sein Leiden und weiß, dass allein Gott den Menschen heilen und verwandeln kann. Das Gebet des Vaters ersetzt dabei jedoch nicht den eigenen Kampf.316 Im Gebet versucht der geistliche Begleiter seine Liebe zum Ratsuchenden auszudrücken und hält Gott seine eigene Ohnmacht hin. Es ist ein Ort innerster Verbundenheit mit dem zu Begleitenden. Der Vater trägt ihn in seinem Herzen und hält ihn Gott hin. Diese Verbindung kann sogar über den Tod hinausgehen. Dort bekommt sie eine neue Dimension. »Denn die Liebe, die zwischen beiden gewachsen ist, wird durch den Tod nicht aufgehoben, sondern verwandelt. Sie wird zum ständigen Begleiter, zum Lebensraum für den Schüler.«317 Zum Fürbittengebet gehört auch die Stellvertretung. Der geistliche Vater versucht selbst die Last seines Schülers auf sich zu nehmen, wenn diese ihn zu erdrücken droht. Er kann aus Liebe zum Schüler diese Last 308 309 310
Vgl. Poimen, Apo 709 und 711. Vgl. Poimen, Apo 696. Schulz/Ziemer (2010), 55. Dort auch weiterführende Gedanken zur Entwicklung und Kultur der Hesychia, 55–57. 311 So Miller/Nyssen (1986), 460. 312 So Poimen, Apo 664. 313 Vgl. Poimen, Apo 724. 314 Vgl. Antonius, Apo 1. 315 So Antonius, Apo 34. Vgl. auch Poimen, Apo 734. 316 Vgl. Antonius, Apo 16. 317 Grün (1991), 42.
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tragen, weil er den barmherzigen Christus in seinem Herzen weiß.318 Er trägt also in Liebe den zu Begleitenden im Herzen. Neben diesem Fürbittengebet kennen die Wüstenväter die Schriftmeditation und die Meditation der Natur.319 Dabei lassen sich auch Ansätze des sogenannten »Jesusgebetes« feststellen, das, weiter ausgebildet, sich heute vor allem in der russischen Frömmigkeit findet.320 Zu beten heißt folglich, das zum Ausdruck zu bringen, von dem der Mensch im Inneren überwältigt wurde und was erlebt wird. Die Herzensruhe stellt dabei nur einen Weg dar.321 Es gilt auch hier das bewusste Gebet ziehen zu lassen und zum Gebet des reinen Herzens, in aller Offenheit und Blöße, vor Gott zu kommen. Dies gilt ebenso für das gesamte geistliche Leben.322 Für den Begleiter wie auch für den zu Begleitenden kann das Gebet Ausrichtung und Übungsweg von verbindender Bedeutung und Ausdruck ihrer je eigenen Individualität sein. 1.5 Umgang mit Krisen bei den Wüstenvätern Ein Bruder fragte den Poimen: »Was fange ich mit der Last an, die mich bedrückt?« Dieser antwortete: »Große und kleine Schiffe haben Gürtel: Wenn kein günstiger Fahrwind ist, dann werfen die Schiffer Zugtaue mit den Gürteln über die Brust und ziehen so eine Weile das Schiff, bis ihnen Gott den Wind schickt. Wenn sie aber merken, dass Finsternis eingefallen ist, dann ankern sie und stecken einen Pflock ein, damit das Schiff nicht hin und her schwankt« (Apo 719). Demnach bewältigt ein Mensch kleine Krisen noch aus eigener Anstrengung und in Eigenverantwortung. Sind sie jedoch größer, kann er sie auf diese Weise nicht mehr bewältigen. Es bleibt nur das Harren und Ruhen in der Hoffnung – auf Gott hin. Dieses Harren und Ruhen findet Ausdruck im Gebet.323 Die Väter gehen häufig neben Belastungen auch auf Wunden und Verletzungen im Leben des zu Begleitenden ein. Die »Methode« an sich ist die Hingabe und das Loslassen im Gebet, doch sie gehen auch darauf ein, wie Ratsuchende mit Problemen, Blockaden und Behinderungen auf ihrem Weg mit Gott umgehen können. Begleitung heißt damit sowohl spirituelle als auch therapeutische Begleitung. Das Psychologische wird in die Gottesbeziehung und in den kontemplativen Weg integriert. Bewältigung von Krisen heißt für sie, die Suchenden in eine Beziehung 318 319 320
Vgl. Joh 15,13. Vgl. Antonius, Apo 16 (Naturmeditation); Poimen, Apo 645, 648, 693, 700, 705, 727. Vgl. Antonius, Apo 3 und Poimen, Apo 265. Zur Diskussion um die Tradition und Geschichte des Jesusgebetes siehe den Aufsatz: Christofoor Wagenaar (1986), 93–103. 321 Vgl. Poimem, Apo 603. 322 Vgl. Grün (1991), 33. 323 Vgl. Poimen, Apo 328.
1.5 Umgang mit Krisen bei den Wüstenvätern
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mit Gott zu bringen. Denn nur er kann in ihren Augen die Suchenden verwandeln und sie in ein neues Verhältnis setzen – ihnen Heil und Heilung schenken. Ein Hindernis stellt dabei die Traurigkeit dar. In Apo 1168 des Poimen heißt es auf die Frage, wie der Suchende die Traurigkeit verlieren könne: »Schaue niemand für nichts an, verurteile niemand, verleumde niemand, und der Herr wird dir Ruhe geben.« Hier wird keine Methode gelehrt, das Positive bei sich selbst zu suchen, sondern der Mensch wird auf den anderen verwiesen. Traurigkeit wird als Nichtübereinstimmung mit den eigenen Zielen definiert. Es wird versucht, dieses Ideal mit dem Blick auf den Nächsten anzugehen. Dabei gilt es, sich mit den Wunden auszusöhnen und in ihnen den Kern der Krise (oder Krankheit) zu entdecken und sich mit ihnen Gott hinzuhalten. Krankheit wird hier als eine Chance gesehen, als ein Weg, die Wahrheit zu entdecken. Sie gilt es nicht loszuwerden, sondern durch sie hindurch darf ich entdecken, was in mir eigentlich leben möchte – meine Berufung, meine Weise, Gott zu verstehen und ihn zu bezeugen. Die Krise kann sich auch darin äußern, dass das Gebet bei Menschen nicht immer die Sehnsucht nach Liebe zu stillen vermag, vor allem bei jenen, die Gott alleine suchen möchten. Es gilt nach vorne zu blicken, nicht auf das Vergangene, sondern auf das Leben jetzt und darauf, was dieses im Wesen trägt. Es gilt sich auch den Tod vor Augen zu halten und mit ihm die Sehnsucht und das Verlangen. Dieser Blick zeigt die eigene Endlichkeit auf, so dass sich der Mensch auf Gott ausrichten wird. Eine andere Wunde ist die Schuld.324 Poimen hält nichts von Schuldvorwürfen. Sie sind für ihn unfruchtbar, da selbstfixiert. Wer aber vor Gott zugibt, Schuld auf sich geladen zu haben, und sie auf ihn wirft, braucht sich nicht mehr um Schuld zu kümmern. Er hat sie an Gott abgegeben, der sie zu vergeben vermag. Von diesem Glauben an Gottes bedingungslose Vergebung ist auch der Rat des Antonius geprägt, der Mensch solle sich ein Ding nicht gereuen lassen, das vorbei sei.325 Antonius rät an, nicht an Schuld festzuhalten oder sie gar zu verdrängen, was auch ein Festkleben an ihr bedeuten würde. Es gilt sie vielmehr anzuschauen, Gott hinzuhalten, sich seinem Erbarmen zu überlassen und so loszulassen. Ausdruck der Freude über Gottes erfahrbare vergebende Liebe kann das Weinen sein.326 Weinen macht den Menschen frei von Gefühlen der Schuldbeladenheit und löst Verkrampfungen – er kann sich frei in Gott hinein ergeben. Dies gilt ebenso für die Leidenschaften und die Gedanken. Sie gilt es wahrzunehmen, anzunehmen als Teile und Ausdruck menschlichen Seins und damit auch loszulassen auf Gott hin. 324 325 326
Vgl. Poimen, Apo 699. Vgl. Antonius, Apo 6. Vgl. Poimen, Apo 693. Louf/Dufner (2006), 34.
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Die Kontemplation führt den Menschen dabei auf eine andere Ebene jenseits von Gefühlen und Bedürfnissen in einen Raum des absoluten Schweigens, der allein von Gott bewohnt wird und in den weder Menschen noch deren Probleme und Krisen eintreten können. Sie gibt uns einen Raum, wo wir ausruhen können. Dabei können uns gerade die Wunden in diesen Raum der Stille treiben, nicht die sog. »Methoden«, die nur richtungsweisende Wegmarken darstellen können. Hier wird gerade die religiös-spirituelle Dimension innerhalb der therapeutischen Dimension deutlich. Der Weg der Kontemplation, der ein Gebetsweg ist, bleibt also für die Väter die wirksamste Hilfe im Umgang mit den menschlichen Lebenswunden und Krisen. Denn Heil ist für sie dort, wo Gott im Menschen wohnt, und dort ist der Mensch ganz er selbst. 1.6 Das Ziel und die Frucht der Geistlichen Begleitung 1.6.1 Kontemplation als Zielperspektive Geistlicher Begleitung Das Ziel der geistlichen Begleitung ist es, zur Kontemplation hinzuführen. Es geht also letztlich um die Einswerdung in Gott. Auf diesem Weg geht es auch um die Selbstwerdung des zu Begleitenden. Durch das Wort kommt der Einzelne in den Blick, und durch die Übungen, die der Begleiter anrät, wird ein Prozess der Selbstwerdung in Gang gesetzt, der ein beständiges Leben in der Gegenwart Gottes ermöglichen soll. Die Kunst der geistlichen Begleitung besteht seitens des geistlichen Begleiters darin, seine Liebe, die er in Askese und Kontemplation erfahren und erleben durfte, so für seinen Schüler erfahrbar werden zu lassen, dass sich in eben dieser Liebe der zu Begleitende selber finden und sich auf den Weg zu Gott machen kann. Der Begleiter muss in dieser Liebe jedoch auf eine gewisse Distanz zu seinem Schüler achten, die erst einen Raum der Freiheit ermöglicht, worin sich der zu Begleitende entfalten kann.327 Daneben steht die Kunst, als Mystagoge zu erspüren, was bei dem zu Begleitenden momentan wichtig ist, sich selbst hintanzustellen und sich Gott in diesem Geschehen zu überlassen. Es gilt also transparent zu werden für Gott. Mittels dieser Transparenz kann der Geist Gottes dann weiter zum Schüler gelangen. Dessen Kunst besteht darin, sich durch Askese und Gebet für dieses Leben und diese Liebe zu öffnen und für diese auf seinem eigenen kontemplativen Weg bereit zu werden. Gespür des Begleiters für den zu Begleitenden auf der einen Seite und Übungseifer sowie Gehorsam, verstanden als Loslassen, als systematisches Aufgeben jeglichen Verlangens, bei dem zu Begleitenden auf der anderen Seite müssen sich harmonisch umfangen. Es muss eine unmittelbare 327
Mit Louf/Dufner (2006), 41.
1.6 Das Ziel und die Frucht der Geistlichen Begleitung
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Wechselbeziehung gelingen, damit geisterfüllte Mystagogie, Hinführung zum Geheimnis Gottes, gelingen kann und ihr Ziel in Gott findet. In der geistlichen Begleitung vollzieht sich somit ein auf den ersten Blick paradoxes Geschehen, weil alles mit Gott und zugleich alles mit dem Menschen in gleichem Maße zu tun hat.328 So weckt Gott aus dem Sicheinlassen der einen und dem Sichanvertrauen der anderen Person das rettende Wort im Geist, die Weisung zum Weitermachen, zum nächsten Schritt, zum Erkennen und Tun dessen, was Gott jetzt will. Es ist ein Dialog der Liebe und des Vertrauens, der gerade darin den göttlichen Dritten gegenwärtig sein lässt. So geschieht Kommunikation im Heiligen Geist.329 1.6.2 Demut als Frucht einer kontemplativen Lebenshaltung Ziel der Askese der Wüsteneremiten ist es folglich nicht, in narzisstischer Selbstbezogenheit zu versinken. Sie streben nicht nach Selbstverwirklichung, die dem Ich den ersten Platz einräumen würde. Sie verlangen vielmehr nach Gott und nach dem Ort, wo ihre Seele Ruhe findet. Somit zielt ihre Askese dahin, gerade von solcher Selbstbezogenheit und damit vom Hochmut frei zu werden, um sich ganz in Gott verwirklichen zu können. Sie streben nach der »Hesychia« des ungeteilten Herzens. Die Lebenshaltung, die sie zu verwirklichen suchen, ist somit gekennzeichnet durch den Willen, sich selbst zu lassen, dem Ich nicht anzuhängen, vielmehr immer wieder neu den Mut zu finden, Gott zu suchen und ihm zu dienen und alles, was diesem Ziel im Wege steht, beiseitezuräumen bzw. in die Ausrichtung auf Gott zu überführen. Dabei gilt es auch, sich nicht zu vergleichen.330 Diese Haltung nannten die Wüstenväter (und auch die Wüstenmütter) Demut.331 Der Anachoret »kämpft nicht für eigene Interessen. Er kämpft für Gottes Sache.«332 So konnte Abbas Or sagen: »Die Demut ist für den Mönch ein Siegeskranz!« (Apo 942). Sie ist gleichsam Ziel und Frucht ihrer Übung, den Fangnetzen des Hochmuts zu entgehen. So wird von Abbas Antonios erzählt: »Ich sah Fangnetze über die Erde ausgebreitet und fragte mich, wer ihnen entgehen kann. Da hörte ich, wie eine Stimme zu mir sagte: die Demut!« (Apo 7). Zur Demut zu reifen, ist folglich eine Frucht ihrer asketischen Gottsuche.333 328
Louf/Dufner (2006), 19. Siehe dazu Lk 10,16 und Regel des Heiligen Benedikt 5, 6, 15 und zur Lehre des Altvaters Poimen gesondert: Wolfgang Siepen (1992), 247ff. 329 Bamberg (1981), 284. 330 »Schweig und miss dich nicht!« So Poimen Apo 653. »Vergleiche dich nicht! – das ist die Kernformel der Demut.« So Schulz/Ziemer (2010), 207. 331 Schulz/Ziemer (2010), 204–212. Vgl. Miller/Nyssen (1986), 487; Hell (2005), 65ff. 332 Schulz/Ziemer (2010), 206. 333 Vgl. Andrea Gorres (2009), 204–211.
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1.7 Geistliche Begleitung in der Wüstenvätertradition Die Apophthegmata der Wüstenväter und -mütter beschreiben keine kontinuierliche Begleitung in systematisierter Form. Sie geben vielmehr konkrete Antworten in eine je individuelle Lebenssituation eines Fragestellers hinein. Damit waren diese »Anachoreten ganz gewiss geistliche Begleiter, aber sie waren mitnichten ›Geistliche Begleiter!‹ [im engeren Sinne eines methodischen konzeptionellen Vorgehens]«.334 Es sollte von geistlicher Begleitung im allgemeinen Sinne gesprochen werden, wobei sich Impulse und Anregungen für die späteren Ausprägungen Geistlicher Begleitung im engeren Sinne bei ihnen finden.335 Als solche lassen sich benennen: a) die Bedeutung der eigenen Erfahrung (cognitio dei experimentalis), der eigenen Erkenntnis des Geheimnisses Gottes (sowohl als eigene Erfahrung als auch als Wissen des Begleitenden um den mystagogischen Weg geistlichen Lebens), b) die Kenntnis des menschlichen Herzens (Kardiognosie) und, mit diesen beiden verbunden, c) die Unterscheidung der Geister (Diakrisis). d) Geistliche Begleitung ist immer zugleich ein seelsorglich-menschliches (tröstendes, unterstützendes, beratendes, hilfespendendes) und spirituelles pneumatisches Geschehen. e) Asketische Übungen (vor allem das kontemplative Sitzen im Kellion), ein einfacher Lebensstil und das Zusammentreffen mit dem Altvater dienen dem mystagogischen Ziel aller geistlichen Begleitung: ungeteilten Herzens in Gott zu ruhen. Demut ist als eine Frucht dieser spirituellen Erfahrung zu nennen. f) Das zwischenmenschliche Begleitungsgeschehen ist geprägt durch Gespräch, Schweigen und Symbolhandlungen. Alles dient dem Prozess der Verwandlung zu dem oben genannten Ziel. g) Krisen auf dem geistlichen Lebensweg werden nicht mit einem eigenen methodischen Kriseninterventionsrepertoire behandelt, vielmehr in das kontemplative Gebet auf Gott hin überführt.
334 335
Mit Schulz/Ziemer (2010), 272. So mit Schulz/Ziemer (2010), 273. Mit ihnen plädiert die Verfasserin für eine nicht zu vorschnell vereinnahmende, gleichsam »fast schon ritualartige« (dies., [2010], 272, Anm. 16) Berufung auf die Wüstenelterntradition.
2 Geistliche Begleitung als »Gottsuche in Gemeinschaft« in der benediktinischen Tradition Obsculta, o fili, praecepta magistri Et inclina aurem cordis tui Et admonitionem pii patris libenter excipe Et efficaciter comple. Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat! (RB PR 1)
2.1 Hinführende Gedanken Geistliche Begleitung in der benediktinischen Tradition orientiert sich zum einen an der Regula Benedicti336 des 6. Jahrhunderts und zum anderen an der Vita Benedicti337 Papst Gregors des Großen (540–604). Beide unterscheiden sich in Charakter und Zielsetzung. Erstere ordnet das Leben der Mönche durch klare Anweisungen und Erklärungen, Letztere ist eine Beschreibung in dialogisch-narrativer Form, die das Leben Benedikts vorbildhaft darstellen möchte. Erstere ist erwachsen aus der Magisterregel, von der Benedikt Gedanken übernahm und ausließ, zu der er übernommenes Material aus anderen Quellen (Augustinus, Basilius, Cassian und Cyprian) ergänzte und eigene Beiträge hinzufügte.338 In beiden finden sich folgende Grundzüge für eine Geistliche Begleitung: 2.2 Grundzüge Geistlicher Begleitung in der Regula Benedicti 2.2.1 Ausrichtung auf Christus im geistlichen Kampf Im Prolog der Regel beschreibt Benedikt das Leben der Mönche als eines, das in seiner Gottsuche vom Evangelium geleitet sein möge (PR 15/21). Die Ausrichtung auf Christus als Gegenüber und Ziel Geistlicher Begleitung ist maßgebend (RB 4, 44–50). Die Regel stellt einen geistlichen Weg dar, der durch einen rechten Umgang mit den Gedanken logismoi (gemeint sind auch alle Gefühle und Lebenshaltungen) 336 Regula Benedicti. Die Benediktusregel (lateinisch/deutsch) (2006). Zit. RB bzw. Prolog (PR). 337 Gregor der Große: Der hl. Benedikt, Buch II der Dialoge (lateinisch-deutsch) (2008). 338 Vgl. zur Entwicklungsgeschichte der Regel: Michael Casey (2012), 41ff, bzw. Michaela Puzicha (2008), 76ff.
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2 Geistliche Begleitung als »Gottsuche in Gemeinschaft«
geprägt ist. Ein rechter Umgang wird gepflegt, wenn alle bösen Gedanken an Christus zerschmettert und eine Aussprache darüber mit dem Geistlichen Begleiter gesucht wird, so dass das eigene Leben stets auf Christus hin geordnet wird. Die Aussprache mit einem erfahrenen Mönch soll klärend und unterstützend in diesem geistlichen Kampf sein. Der geistliche Weg ist damit stets geprägt durch eine innere Auseinandersetzung mit den Gedanken, Gefühlen und Haltungen der Seele. Das Kloster wird so zu einer geistlichen »Kampfschule«, in der der Mönch durch eine klare äußere Ordnungsstruktur und durch das gemeinschaftliche Angewiesensein auf den Mitbruder auf Christus hin geformt wird, um das Ziel, die vollkommene Liebe als Frucht des Weges, zu verwirklichen.339 Das Spezifikum benediktinischer Spiritualität ist die Gottsuche in Gemeinschaft. Alle Dimensionen des gemeinschaftlichen Lebens (Gemeinschaftsstruktur, Gebet, Arbeit, gemeinsame Liturgie) sollen unter die Führung des Evangeliums gestellt werden (PR 15/21). Hüter dieser Ordnung und Ausrichtung ist der Abt, der als »geistlicher Vater« fungiert.340 2.2.2 Der Abt als Geistlicher Begleiter Nach RB 7, 44 ist es der Abt, der innerhalb der klösterlichen Gemeinschaft Christus repräsentiert (RB 2, 2), dem alle Gedanken mitzuteilen sind. In diesem Sinne ist der Abt der Geistliche Begleiter der Mönche. Er soll tadeln, ermutigen und zurechtweisen (nach 2Tim 4,2) (RB 2, 23). Dies kann er auch aus sich heraustun, wenn die Gemeinschaft gefährdet ist. Bezogen auf diese hat er die Aufgabe, nach dem Grundsatz der benediktinischen discretio zu verfahren: Mit Gespür für den rechten Augenblick und das rechte Maß an Strenge und Trost, Ernst und Güte soll er angemessen den Mönchen in all ihrer Unterschiedlichkeit geben, wessen sie bedürfen, um das Ziel in Christus zu erreichen (RB 2, 24– 31). Ziel seines Handelns unter vier Augen sowie in der Gemeinschaft der Brüder soll die Heilung sein, die eine Neuausrichtung gemäß dem Evangelium auf Christus hin bedeutet (RB 28, 5; 46, 6). Dafür verwendet Benedikt das Bild eines Arztes für den Abt (RB 27/28). Zur Heilung sollen auch die Strafen (RB 23–26) dienen. Sie sind jedoch nicht moralisch gemeint, sondern vielmehr als Instrumente zur Heilung anzusehen, die es ermöglicht, sich Christus neu zuzuwenden. Sie stellen damit für Benedikt ein Instrument Geistlicher Begleitung dar – vornehmlich für 339
Vgl. Fidelis Ruppert (2012). Fidelis Puppert OSB, Altabt der Abtei Münsterschwarzach, macht die vorbenediktinischen Überlieferungen der frühen Kirche, wie sie auch bei den Wüstenvätern und -müttern zu finden sind, in diesem geistlichen Weg deutlich. 340 Die geistliche Vaterschaft birgt alle wesentlichen Elemente der Wüstenvätertradition in sich. Mit Máire Hickey OSB (2001), 107–110 (107). Vgl. zur frühmonastischen geistlichen Vaterschaft auch grundlegend: Gabriel Bunge (2010).
2.2 Grundzüge Geistlicher Begleitung in der Regula Benedicti
115
diejenigen, die wenig Gespür für das gemeinschaftliche Leben aufweisen, als auch für die, die schlecht aus eigenen Fehlern zu lernen vermögen (vgl. RB 23).341 RB 4, 50 beschränkt diesen Dienst für die Gemeinschaft nicht allein auf den Abt (RB 7, 44), sondern spricht allgemeiner von einem geistlichen Vater (senior spiritualis). In den Dienst Geistlicher Begleiter für die Mitbrüder treten erfahrene ältere Mitbrüder, die die Gaben der geistlichen Vaterschaft und der discretio, der Gabe der Unterscheidung der Geister, kennen. Das Bild des Arztes wird in RB 27, 5 ergänzt um das Bild des guten Hirten. Beide Bilder sind christologisch gefüllt, d.h., der Abt hat transparent zu sein und jederzeit Rechenschaft vor Christus abzulegen (RB 2, 2; 11–13). Als drittes Bild tritt dasjenige des Gottesknechtes hinzu (RB 27, 8), das verdeutlicht, dass Schwächen und Sünde zu akzeptieren, wenn gleich niemals gutzuheißen, vielmehr in Liebe zu tragen sind (RB 64, 1).342 »Mit unerschöpflicher Geduld« (RB 72, 5) soll nach Benedikt Geistliche Begleitung geübt werden. Die Senpekten, die erfahrenen Brüder, sollen »niemals die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit aufgeben« (RB 4, 74), sondern durch liebevolle Begleitung und Gebet stärken, ermutigen und trösten.343 2.2.3 Geistliche Begleitung: Wachsen in Demut als spiritueller Weg Indem die Gedanken vor dem Geistlichen Begleiter (exagoreusis) ausgesprochen werden, sollen die ungeordneten Gedanken an Kraft verlieren und »ein Wachsen in der Demut, wodurch jedes Verharren im Schein vermieden werden soll«,344 erreicht werden. Demut beschreibt die Bereitschaft, sich wahrhaftig seiner eigenen Wahrheit, derjenigen der anderen und der Wirklichkeit Gottes zu stellen.345 Sie ist nach benediktinischem Verständnis Weg und Frucht zugleich in der gemeinschaftlichen Gottsuche. Demut beschreibt die geistlich motivierte Haltung, sich in eine Gleichförmigkeit in Christus verwandeln zu lassen. Sie ist somit Kern benediktinischer Vorstellung über den Weg zu Gott – allen Schwierigkeiten zum Trotz, die der Begriff Demut im 21. Jahrhundert erregt, wo Demut eher mit dem Geschmack der Unterwürfigkeit denn der Freiheit in Gott konnotiert wird.346 Demut beschreibt nach Benedikt jedoch das Wesentliche in der Übersetzung des Evangeliums für das monastische Leben. Das 7. Kapitel der RB schildert die spirituelle Ent341 Mit Christoph Hentschel (2010), 28–45 (38). Das eigenverantwortliche mögliche Handeln des Abtes beinhaltet einen starken geistlichen Führungsaspekt. 342 So mit Hentschel (2010), 43f. 343 Rieder OSB (2007), 282–289 (285f). 344 Ders. (2007), 39. Demut meint die Konfrontation mit der eigenen Wirklichkeit. Benedikt begründet sie in RB 7, 45–48. 345 Mit Bernhard von Clairvaux, zit. aus Casey (2012), 27ff. 346 Ders. (2012), 10.
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2 Geistliche Begleitung als »Gottsuche in Gemeinschaft«
wicklung in ein dem Evangelium gemäßes und damit in ein christusförmiges Leben unter den Umständen klösterlichen Alltagslebens. Es ist praktisch und an den Erfahrungen geistlichen Lebens orientiert und zeigt die möglichen spirituellen Entwicklungsfelder auf. Der spirituelle Weg wird als eine prägende Formung des Mönches durch zwölf Stufen der Demut beschrieben.347 Demut beschreibt ein Menschsein in seiner humilitas, seinem Gegründet- und Geerdetsein in der Welt, mit allen Schwierigkeiten und Sorgen. Gemäß RB 7 ist ein Mönch demütig, der 1. gottesfürchtig und ernsthaft; 2. achtsam und nicht gierig; 3. frei genug von inneren Konflikten ist, um den Weg Jesu einzuschlagen; 4. fähig ist, Widerwärtigkeiten auszuhalten, und 5. bereit ist, Leiden gleichmütig durchstehen zu lernen, die Teil des Menschseins sind; der 6. ehrlich gegenüber sich selbst; 7. weder übertrieben anspruchsvoll noch prahlerisch ist; der 8. sich bescheiden kann und 9. um sich selbst weiß, der 10. nicht um Aufmerksamkeit heischt; der sich 11. nicht hinter den Mauern des Redens oder Lachens verbirgt, vielmehr 12. in seiner Güte transparent ist.348 Ziel dieser sog. »Demutsleiter« (in Anlehnung an Gen 28,12) ist die vollkommene Liebe. Demut ist nicht eine Einstellung oder Verhaltensweise, sondern beschreibt eine Ausdrucksweise, wie sich Demut im Laufe eines in der Regel jahrzehntelangen Mönchslebens äußert. Sie erwächst zu einer innerlichen Eigenschaft. Die beschriebenen Demutsstufen sind gleichsam als Meilensteine längs des Weges zu Gott anzusehen. Sie bewirken keinen Fortschritt, sondern sind Ausdruck, Maßstab für ihn.349 Der Fuß der Leiter steht dort, wo der Mensch bereit ist, ein spirituelles Leben zu beginnen. Für Benedikt war dies gleichbedeutend mit der Berufung zum klösterlichen Leben, wobei die Reifung in Demut unterschiedlich sein konnte. Endergebnis des Prozesses bildet die Verwandlung des Menschen in die vollkommene Evangeliumsgemäße Liebe: Gemeint ist die Erfahrung, bedingungslose Liebe empfangen und leben zu können. Das Ziel im Sinne eines Weges zum Leben in Liebe (RB PL 20) ist nach Benedikt dadurch erreichbar, dass die Stufen der Demut erfahren werden.350 Es kann von einer spirituellen Lebensschulung mit der Regel Benedikts gesprochen werden.351
347 348
Vgl. Casey (2012); Wolfsteiner OSB (1922); Puzicha (2008), 131f. Vgl. die zwölf Stufen der Demut bei Casey (2012) sowie die abschießenden Bemerkungen. 349 Vgl. Casey (2012), 52ff. 350 Benedikt unterscheidet sich hier grundlegend von der Magisterregel, die ein Leben in Liebe nicht für diesseitig erreichbar ansieht. Vgl. Casey (2012), 55f. 351 Mit Theresia Lanfermann OSB (2007), 135–148, 144.
2.3 Grundzüge »Geistlicher Begleitung« in der Vita Benedicti
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2.2.4 Geistliche Begleitung: Ausdruck benediktinischer Gastfreundschaft Im 53. Kapitel der Regula Benedicti, in dem es um die Aufnahme der Gäste geht, wird deutlich, dass Geistliche Begleitung eine Weggefährtenschaft von Menschen beschreibt. Diese ist nicht allein auf das innerklösterliche Leben einzuschränken. Die Weisung Benedikts geht über das innerklösterliche Gespräch zwischen Mönchen (RB 27, 3) hinaus. Eine Begleitung wird angewiesen, die den eigenen Raum der Gottsuche für einen anderen Menschen öffnet, weil Christus im Fremden begegnet werden kann. Es ist eine Herberge zur Verfügung zu stellen, damit sich der Gast dort für die Weiterreise, das Voranschreiten auf Gott hin, den neuen Aufbruch zu Gott (RB PL 8f) stärken, in Ordnung bringen und sich dabei helfen lassen kann.352 Geistliche Begleitung an Menschen außerhalb der monastischen Gemeinschaft ist als »Angebot benediktinischer Gastfreundschaft zu verstehen« und erwächst auf dem Fundament gelebten Lebens der klösterlichen Gemeinschaft.353 Durch die Teilnahme an Lebensrhythmus, Lebensstil, Ambiente und Liturgie vollzieht sich Geistliche Begleitung, Gottsuche und Ordnung auf Gott hin, ergänzt durch Gespräche mit einem in der klösterlichen Gemeinschaft lebenden Geschwister sowie durch die Gäste untereinander.354 Durch eine verbindlichere Begegnungsform »unter vier Augen« kann diese noch vertieft und intensiviert werden. In den Alltag einer Gemeinschaft eingebunden zu sein, ermöglicht auch in krisenhaften wie intensiven spirituellen Zeiten grundlegende Sicherheit, Orientierung und ein Wachsen in Demut als geerdete humilitas.355 2.3 Grundzüge »Geistlicher Begleitung« in der Vita Benedicti Die Beschreibung Geistlicher Begleitung in der Vita Benedicti356 will das Vorbildhafte in der Begleitung Benedikts, die er praktiziert und selbst erfährt, aus der Überlieferung herausstellen. Sie trägt keine biografischen Züge.357 Ergänzend zur Darstellung in der regula benedicti lassen sich folgende Aspekte Geistlicher Begleitung aus der vita benedicti nennen: 352 353
So Lanfermann (2007), 136ff. Hickey (2001), 107–110 (107ff). Vgl. auch Lanfermann (2007), 135ff und Athanasius Polag OSB (2012), 40–43. 354 Hierbei ist auf ein angemessenes und gutes Verhältnis zwischen Gästen und den im Konvent lebenden Geschwistern zu achten, so dass eine klare Ausrichtung und Ordnung im Dienste der Gottsuche möglich bleibt. Zu viele Gäste und eine Gemeinschaft mit wenig eigener spiritueller Kraft können das Ziel benediktinischen Weges zerstreuen und damit verfehlen. Hier ist eine maßvolle discretio vor allem beim Abt notwendig. 355 Mit Hickey (2001), 108ff. 356 Siehe v.a. Gregor der Große (2008), 65ff (zit. DL). 357 So mit Hentschel (2010), 29f, und Anselm Grün OSB (2002), 16ff.
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2 Geistliche Begleitung als »Gottsuche in Gemeinschaft«
1. Geistliches Leben ist ein Leben, das, wenn es nach dem geistlichen Vorbild Benedikts schaut, aufgespannt ist zwischen Erde und Himmel. »Der geistliche Weg führt in die Tiefe, kennt Zeiten eines mühevollen ›dazwischen‹, ist wach und erwartend, spendet Leben und führt in den Himmel.«358 Geistliche Begleitung hat diesen Prozess zu fördern. 2. Geistliches Leben und spirituelles Wachstum bedürfen einer Einführung und einer verschwiegenen vertraulichen Begleitung (Begegnung Benedikts mit Romanus DL 1, 4–5). 3. Geistliche Begleitung bedarf des kritischen Korrektivs aus der Gemeinschaft heraus und (ggf. wieder) zur Gemeinschaft hin (Begegnung Benedikts mit dem sog. Osterboten DL 1, 6–7). 4. Geistliche Begleitung kann zu einer geistlichen Freundschaft erwachsen, die von wechselseitiger Zuneigung und Empathie getragen ist (Begegnung Benedikts und Theoprobus DL 17, 1 und 2). 5. Geistliche Begleitung steht ganz im Zeichen der göttlichen Liebe. Diese kann auch Haltungen und Strukturen zwischenmenschlicher familiärer Art verändern (Begegnung Benedikts mit seiner Schwester Scholastika DL 33, 2–4). 6. Geistliche Begleitung findet ein Ziel des Weges in gemeinsam geteilter Gotteserfahrung (Begegnung mit Servandus DL 35, 3; 37, 2).359 2.4 Geistliche Begleitung in benediktinischer Perspektive Geistliche Begleitung in benediktinischer Perspektive ist eine Begleitung, die gemäß der regula benedicti grundlegend gemeinschaftlich ausgerichtet ist. Das zwischenmenschliche Geschehen der Begleitung erfolgt durch diskrete Gespräche (exagoreusis) als eine Ordnung auf Christus hin. Asketische Übungen (Schriftbetrachtung, Gebete) treten dazu. Ziel des geistlichen Weges ist es, in Demut (humilitas) zu wachsen und damit evangeliumsgemäße Liebe zu verwirklichen. Dies geschieht durch gemeinschaftliche Weggefährtenschaft in der Gottsuche. Die Kraft des gemeinschaftlichen Weges entfaltet sich in der wechselseitigen Unterstützung und im Regulativ, das durch die Geschwister im Kloster gegeben ist. Durch die übergeordnete Rolle des Abtes bekommt das System Geistlicher Begleitung eine übergeordnete hierarchische, letztendlich entscheidende und führende Instanz, ein weiteres Korrektiv für das gemeinschaftliche Leben der Gottsuche. Das benediktinische Modell Geistlicher Begleitung stellt als geregelter gemeinschaftlicher und indivi358
Siehe zu Benedikts geistlichem Lebensweg: Hentschel (2010), 30f (32), bzw. Puzicha (2008), 31ff. 359 Hentschel (2010), 32–35.
2.4 Geistliche Begleitung in benediktinischer Perspektive
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dueller Weg einen einzigartigen Ansatz mystagogischer Seelsorge dar. Einzelne spezifische Elemente sind für ein modernes Verständnis Geistlicher Begleitung als ein strukturiertes und prozessorientiertes Geschehen besonders festzuhalten: a) Geistliche Begleitung braucht ein Regulativ, eine Einbindung in geschwisterliche Strukturen. b) In der Geistlichen Begleitung vollzieht sich ein innerliches Entwicklungsgeschehen, ein Wandlungs- und Ordnungsprozess. Dieses methodisch-prozessorientierte Wachstumsgeschehen wird durch die »Stufen der Demut« (Kap. 7) beschrieben. c) Es findet eine mystagogische, (christus-)orientierte Entwicklung statt. d) Geistliche Begleitung kann im Sinne benediktinischer Gastfreundschaft und geschwisterlicher Struktur in der kirchlichen Gemeinde gelebt werden. e) Geistliche Begleitung beinhaltet das Element geistlicher Entscheidung und Führung/Leitung. Im Ganzen findet, gemeinschaftlich geprägt, Geistliche Begleitung im spezifischen Sinne statt.
3 Geistliche Begleitung als »Seelenführung« bei Johannes vom Kreuz – eine systematische Darstellung geistlich-seelischer Prozesse Und da soll die Seele nur in liebendem Aufmerken vor Gott stehen, ohne selbsttätig zu sein, und durch eigene Beschäftigung etwas beitragen zu wollen, sich, wie gesagt, passiv verhalten in liebendem, einfältigem, einfachem und zuversichtlichem Aufmerken wie ein Mensch, der in liebender Aufmerksamkeit jemandem seine Augen zuwendet. (Johannes vom Kreuz, L III, S. 89)
3.1 Hinführende Gedanken Johannes vom Kreuz (1542–1591), ein Karmelit, legt in seinen Schriften größtes Gewicht auf die Führung auf dem spirituellen Weg. Er wollte durch seine Schriften seine Arbeit als Seelenführer ergänzen.360 Adressaten waren in erster Linie die Brüder und Nonnen der Reform, monastische Geschwister eines reformierten karmelitischen Ordenszweiges.361 Seine Lehre blieb aber nicht auf diese begrenzt. Sie ist letztlich nichts anderes als die Erklärung und Entfaltung der Einladung Jesu aus Mk 8,34: »Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen [...], der wird es erhalten.«362 Der Prozess der Hingabe und des Loslassens, der in Mk 8,34 gefordert wird, ist ein zentraler Inhalt der Geistlichen Begleitung nach Johannes. Er will aus seiner Erfahrung dieser biblischen Perikope heraus mittels seines eigenen Lebens und Werkes Wegweisung für den Glaubensweg anderer geben.363 Zugleich geht er mit den geistlichen Führern seiner Zeit streng ins Gericht. Dies waren vor allem die priesterlichen Beichtväter seiner Zeit, die geistliche Begleitungen übernahmen.364 Johannes vom Kreuz wirft diesen Seelenführern vor, aufgrund mangelnden spirituellen Wissens zu versuchen, Menschen zu gegenständlichen Betrachtungen und frommen Übungen zurückzuholen, obwohl jene auf dem Gebetswege schon in die Dunkelheit und Leere der Kontemplation
360
So auch Edith Stein (1983), 29. Vgl. auch Johannes selbst: Johannes vom Kreuz (1990), (zit.: ABK); ABK, Prolog, 7ff. 361 ABK, 9. 362 ABK, 99. Übersetzung nach Luther (1984). 363 Vgl. dazu Günter Benker (1991), 40f, und Walter Repges (1986), 34ff. 364 Siehe zur historischen Einordnung: Einführung unter 2.3.
3.2 Grundzüge der Geistlichen Begleitung
121
eingetreten sind.365 Solche Seelenführer missbrauchen nach Johannes vom Kreuz ihre Macht und bedenken nicht, dass nicht sie die Menschen führen, sondern der Heilige Geist Führer und Beweger der Seelen ist. Sie selbst sind für Johannes nicht mehr als Zuarbeiter und Werkzeuge, um die Suchenden durch den Glauben und das Gesetz Gottes auf dem Wege der Vervollkommnung zu geleiten.366 Er droht solchen Seelenführern mit den Worten aus Ez 34: »Ihr habt die Milch meiner Herde verzehrt und euch mit ihrer Wolle bekleidet, meine Herde aber habt ihr nicht geweidet. Und ich werde, so spricht er, meine Herde von eurer Hand fordern« (L III, S. 109). Fernando Urbina begründet die Unfähigkeit der damaligen Geistlichen Begleiter mit der Angst vor der Inquisition. Nach Urbina schrieb demnach Johannes vom Kreuz seine Bücher sogar nur, weil die Angst vor der Inquisition die Beichtväter seiner Zeit davon abhielt, mystisch begabte Menschen auf dem kontemplativen Weg zu begleiten.367 Sie wollte er ermutigen, endlich spirituell wach zu werden und verantwortungsvoll geistlich zu begleiten. 3.2 Grundzüge der Geistlichen Begleitung Innerhalb einer Geistlichen Beziehung spielt bei Johannes vom Kreuz Freiheit eine große Rolle. Ausgehend von dem Grundgedanken, dass Gott die Menschen auf verschiedenen Wegen führe, so dass kaum zwei Menschen gefunden werden könnten, die innerhalb einer Geistlichen Begleitung miteinander auch nur halbwegs übereinstimmen würden, ist Freiheit zu lassen.368 Auch dürfen die geistlichen Führer Seelen nicht ungnädig aufnehmen, wenn diese nach Förderung im geistlichen Leben verlangen.369 Die Pläne Gottes bei der Führung der Seele sind stets verborgen, was zur Demut anhält. Sagt eine Unterweisung nicht mehr zu und führt sie zu keinem Nutzen für den begleiteten Menschen auf seinem Weg, so muss sich die Art der Geistlichen Begleitung ändern, oder der geistliche Führer muss selber zu einem Wechsel der Begleitung in Eigenverantwortung raten.370 Geistliche Begleitung ist also nach Johannes vom Kreuz ein Geschehen in Freiheit, bei dem schon die bloße Beziehung zwischen dem Begleiter und dem Begleiteten Medium der Heilung sein kann, sofern der Geist Gottes und Liebe in der Beziehung vorhanden sind, die von beiden gestaltet wird. Denn Heilung (für beide) geschieht nur durch die Liebe selbst. Dabei gilt für Johannes: »Je tiefge365 366 367 368 369 370
Vgl. Johannes vom Kreuz (1991), (zit.: L I–III), hier: L III, 96f. Vgl. L III, 97f. Vgl. Fernando Urbina (1982), 49. Vgl. L III, 108. A.a.O., 109. Ebd.
122
3 Geistliche Begleitung als »Seelenführung«
hender der Liebende verwundet wird, desto vollkommener gelangt er zur Gesundung, und die Heilung durch Liebe besteht darin, dass sie (die Liebe) Wunden über Wunden schlägt, bis die Wunde so groß ist, dass die Seele ganz in der Liebeswunde aufgeht«, und so ist sie (die Seele) »umgestaltet in der Liebe«, d.h. Heil in ihr, da Gott die Liebe ist, schenkend und annehmend.371 Johannes vom Kreuz denkt Geistliche Begleitung als Seelenführung streng trinitarisch: Gott-Vater ist der Meister des Geschehens, die Hand, die leitet; Jesus Christus-Sohn ist der Lehrer, und der Heilige Geist, der Glutenbrand, ist der Führer des Geschehens.372 Ziel der geistlichen Begleitung ist die unio mystica, d.h. die Einheit mit Gott, die sich für Johannes stets trinitarisch entfaltet. Der Weg zur unio folgt dabei einem dreifachen Weg: a) der Reinigung: der Läuterung der Seele, der Sinne und des Geistes. b) der Erleuchtung: der Fortführung der Reinigung des Geistes. Ermutigung zum Leben in Glauben, Liebe und Hoffnung. Eine Leitung geschieht durch den Glauben und die Vernunft. c) der unio mystica: der Einigung in Liebe – die endgültige Reinigung. »Die Seele ist hier eins geworden mit Gott, ja in gewissem Sinne Gott selbst durch Teilnahme. Wenn dies auch nicht in so vollkommener Weise, wie im anderen Leben geschieht, so doch im Schatten Gottes.«373 Es ist die eine und vollständige Hingabe der Seele an Gott. In dieser Hingabe an Gott liebt ihn die Seele in neuer Weise, und er gibt sich aufs Neue in freigebiger Weise hin, und darin liebt er sie. Wesen und Sein Gottes übersteigen dabei den Menschen. Gott und Mensch bleiben aber zwei selbstständige Größen, die durch ein Band der Liebe in wesenhafter Verschiedenheit miteinander verbunden sind.374 Es geht also bei der Erreichung des Ziels um den Menschen selbst. Sein eigenes Ich, sein Selbst, seine je eigene Identität wird in diesem Geschehen nicht ausgelöscht, sondern er findet sich dort erst eigentlich selbst.375 In der Seele finden sich dann vereint die Mitteilungen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, die Licht und Liebesfeuer für sie sind.376 Die Hauptbeziehungsebenen des Menschen innerhalb eines kontemplativen Lebens entfalten sich dabei wie folgt: Das Verhältnis zu Gott ist von der Liebe bestimmt. Diese verähnlicht und will beantwortet werden. Die Sehnsucht nach Gott bereitet für die Vereinigung mit ihm vor.377 Zu 371 372 373 374 375 376 377
Vgl. L II, 42 und Repges (1986), 39f. Vgl. L II, 38f. L III, 123f. So auch Erika Lorenz (1987), 120. So mit Repges (1986), 37. Vgl. L III, 126. A.a.O., 84.
3.2 Grundzüge der Geistlichen Begleitung
123
beachten ist, dass dabei »die Seele, wenn sie Gott sucht, noch mehr von ihrem Geliebten, von Gott, gesucht wird.«378 Auch das Verhältnis zu sich selbst ist in der Liebe zu Gott begründet. Sie ist die Voraussetzung, um sich selbst anzunehmen. Für das Verhältnis zu den Mitmenschen gilt, dass Gottesliebe nicht ohne Menschenliebe denkbar ist. Liebe ist nicht allein ein inneres (privates) Geschehen, sondern drängt ins Öffentliche (Politische). Seine Briefe, die ein gutes praktisches Beispiel für eine Geistliche Begleitung darstellen, sind stets Hinführung und Bewusstmachung der Liebe Gottes und ermutigen zu einer Antwort des Menschen. Es durchziehen dabei folgende Leitgedanken seine Briefe: 3.2.1 Entblößung und geistige Armut379 Johannes vom Kreuz weist in seinen Briefen darauf hin, sich leer und offen zu verhalten. Das Wort »leer« hat hier einen positiven Sinn. Es heißt frei sein für Gott, ein Gefäß sein, das Gott füllen wird. Die Entblößung bezeichnet den Prozess des Öffnens und Leerwerdens. Geistige Armut ist als der Endzustand dieses Befreiungsprozesses zu bezeichnen. Danach ist Freiheit ein Gut, durch das dem Menschen immer neu alles geschenkt wird. Schweigen ist dabei ein Hilfsmittel, um »leer« zu werden und sich ganz Gott zu öffnen. Johannes versteht Schweigen als »Sprache der schweigenden Liebe«, als die Sprache des Umgangs mit Gott. Zu diesem Schweigen gehören auch Leiden und Tun, Aktion und Passion, die in der Theorie schärfer zu trennen sind als in der Praxis.380 Beides hat im Schweigen zu geschehen und ist die akustische Entsprechung zur »Nacht«. 3.2.2 Die dunkle Nacht Die Nacht als Symbol religiöser Läuterung stellt die menschliche Begrenzung dar und dient als Bild kontemplativer Erfahrung. Johannes vom Kreuz verwendet es gerne und oft.381 Er schreibt selbst im Dunkel seiner eigenen Gottesferne und Begrenztheit in das Dunkel des Nichtwissens um das Geheimnis Gottes hinein. Keimzelle seiner »Nachtgedanken« ist dabei ein einziges Gedicht »In einer dunklen Nacht«, geschrieben in oder wahrscheinlich kurz nach der toledanischen Gefangenschaft (1577/78). Die Nacht symbolisiert also ein stetes Noch-Nicht,
378 379 380
A.a.O., 85. Vgl. dazu z.B. Brief 6 in: Johannes vom Kreuz (1993b), (zit.: KS). Hier: KS, 141f. Vgl. dazu Brief 7 in KS, 143f. und ders. (1993a), (zit.: GG). Hier: GG, Erklärung zur 29. Strophe, 229ff. 381 Zum Beispiel: Brief 1 an Katharina in KS, 136f.
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3 Geistliche Begleitung als »Seelenführung«
eine allmähliche, aber stete Umwandlung vom Nichts (Nada) zum Alles (Todo) – zu Gott hin. 3.2.3 Das Kreuz Christ in der Liebe382 Im Noch-Nicht des Menschseins bleibt uns nur, hoffend in der Übung der geistigen Armut auszuharren, um durch die Übung im Leiden in Demut und Kreuzesliebe Christus ähnlich zu werden. In der Nachahmung des gekreuzigten Gottmenschen besteht nach Johannes unser Sinn des Lebens. Die Kraft dazu, sich selbst zu entäußern, schafft Gott selbst, der selbst den trennenden Abgrund überwunden hat, indem und weil er die Liebe ist und diese schafft. So kann der Mensch im Zeichen des Kreuzes, in der Erfahrung der Liebe Gottes im Gebet und Leben (sofern er sie annehmen kann), loslassen und sich Gott zuwenden. Denn Gott hat die menschliche Paradoxie überwunden durch die Liebe, seine Selbstoffenbarung in Jesus Christus und durch den Heiligen Geist, die in uns wirken und die jeder und jede nur finden kann, indem er/sie an sie glaubt. An die Liebe glaubt der Mensch, indem er die Liebe annimmt und sich ihr hingibt, indem er also wiederliebt. Gott kann folglich nur erlebt, niemals nur gedacht werden. Kreuz und Kontemplation hängen demnach zusammen.383 3.2.4 Liebe, die sich nur verwirklicht in der Vereinigung mit Gott Es ist die befreite Liebe, die sich auf Gott richten und von Gott aufgenommen werden kann.384 Die gesamte Geistliche Begleitung nach Johannes vom Kreuz vollzieht sich innerhalb eines geistlichen Entwicklungsprozesses formal, wie oben ausgeführt. Er beschreibt sie auch als sog. mystische Leiter der Liebe Gottes,385 bestehend aus zehn Sprossen: (1) Verwundung der Seele zum Heile; (2) Die Seele sucht Gott ohne Unterlass (Liebestrunkenheit); (3) Die Seele wird in Tätigkeit versetzt, was sie mit Eifer erfüllt, um nicht zu ermüden; (4) Leiden um Gottes willen – Sehnsucht; (5) Streben und Verlangen nach Gott; (6) Nähe Gottes oft fühlbar für die Seele; (7) Liebe macht die Seele beherzt auf Gott zu (1. Kor 13,7); (8) Die Seele gelangt in den Besitz des Geliebten. Die Sehnsucht wird gestillt, aber mit Unterbrechung. Kurzweilige Einigung und immer neuer Herausfall; (9) Neues Entbrennen der Seele vor Entzücken, was Heil bewirken kann, und (10) nach dem Tod vollkommene Einigung der Seele – Eingang in Gott in Ewigkeit. 382 383 384 385
Vgl. Brief 21 in KS, 172f und KS, Brief 12, 153ff. So mit Lorenz (1987), 87ff. Vgl. Brief 12 in KS, 154f und KS. Brief 19, 167ff. Vgl. Johannes vom Kreuz (1992), (zit.: DN). Hier: DN, 152ff.
3.3 Voraussetzungen für den Geistlichen Begleiter
125
In der Geistlichen Begleitung sind der Anfängerstand und der Stand der Beschauung voneinander zu unterscheiden. Ersterer hat die Aufgabe, mittels Betrachtung und Nachdenken durch die Einbildungskraft die Seele zu beschäftigen, damit sie selbst innerlich angeregt und ihr Interesse an geistlichen Dingen gestärkt wird. Es ist der Stand der Läuterung sinnlicher Art im Übergang zur geistigen Läuterung. Diese vollendet sich dann im Stand der Beschauung, wo die Seele von sich aus nichts mehr tut. Vielmehr versucht sie Denken und Interesse hinter sich zu lassen und widmet sich ganz dem Empfangen, wo Gott alleinig gibt und in ihr wirkt und sie mit geistigen Gütern, Erkenntnis und Liebe, beschenkt. Die Sinne und der Geist müssen schweigen und lauschen, damit sie die Ansprache Gottes vernehmen können. Der ganze Mensch muss ein liebendes Aufmerken sein. Reine Beschauung besteht also im Empfangen, und je mehr der Mensch loszulassen und für Gottes Wirken leer zu werden vermag, je mehr er also im Stande der geistigen Armut verharrt, desto größer die Hoffnung, dass nun auch Gott das Seine tut, nämlich ihn durch Teilnahme zu vergöttlichen.386 3.3 Voraussetzungen für den Geistlichen Begleiter Johannes vom Kreuz verlangt vom Begleiter auf dem kontemplativen Weg Erfahrung.387 Ferner sind bestimmte Voraussetzungen notwendig, um andere zu führen.388 Drei Kriterien, die einen guten Geistlichen Begleiter ausmachen, sind nach Johannes zu nennen: 3.3.1 Eigene Erfahrung Basis bilden die eigenen Erfahrungen der Begleitenden auf dem kontemplativen Weg zur Einheit mit Gott in der Liebe. Aber auch die Erfahrung der begleiteten Menschen wird in diesen Basisschatz miteinbezogen. Dies ist wichtig, weil dadurch die eigene Erfahrung nicht verabsolutiert wird und der geistliche Führer sich gezwungen sieht, sich den jeweiligen individuellen Gegebenheiten anzupassen.389 Große Behutsamkeit ist hier gefordert, damit er auch am Anfang eines geistlichen Weges, wo er als geistlicher Begleiter dringend benötigt wird,390 sich immer als bloßes Werkzeug des Heiligen Geistes versteht, der die Richtung weist. Weiterhin ist diese Behutsamkeit auch erforderlich, damit 386 387 388 389 390
Vgl. dazu L III, 99. So mit Willigis Jäger (1985), 42, 53. Vgl. L III, Paragraphen 4 bis 13 im Ganzen. Vgl. L III, 108. Vgl. GG, 60.
126
3 Geistliche Begleitung als »Seelenführung«
der geführte Mensch durch den Glauben und die Gebote Gottes zur Fülle der Gnade gelangen kann, ganz individuell nach dem Geiste, den Gott ihm gibt. Der Geistliche Begleiter hat somit eine rein instrumentale Funktion. Seelenführer, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, finden in Johannes’ Augen kein Wohlgefallen. Sie werden als »Blinde«,391 als »Bauleute des Turmes von Babylon«,392 als »Grobschmiede, die nur zu hämmern und zu schlagen verstehen«393 und als Menschen bezeichnet, die als »Riegel und Steine des Anstoßes vor der Himmelstüre«394 diejenigen vom Eintritt zurückhalten, die sie um Rat angehen.395 Johannes widmet ein langes Kapitel dem Schaden, den unerfahrene Seelenführer anrichten können.396 3.3.2 Weisheit Johannes vom Kreuz versteht Weisheit als den »ungetrübten Spiegel von Gottes Kraft« (Weis 7,26). Sie kennt für ihn die Bedingungen für ein Wachsen in Glaube, Liebe und Hoffnung. Sie kommt aus der Tiefe des lauteren Herzens, die dem heiligen Geist vorbehalten ist, und macht die eigene Menschlichkeit des Begleiters bewusst. Das Bewusstsein der einzigartigen Individualität des zu Begleitenden, der Anwesenheit Christi (Gal 2,20) und der Dynamiken während einer Geistlichen Begleitung werden vorausgesetzt. Das Letztere benötigt auch die Gabe der Unterscheidung. 3.3.3 Gabe der Unterscheidung Diese Gabe verhilft dem Geistlichen Begleiter dazu, die Aussagen und Verhaltensweisen der ihm Anvertrauten recht einzuordnen. Er muss wissen, wen er vor sich hat und wofür die Zeit reif ist. Das gilt insbesondere für die verschiedenen »Gebetsstufen«, die als Übergänge von sehr vielfältiger Erscheinungsform zu denken sind. Verlangt sind also theologische Kenntnisse des Gespräches (Gebetes) zwischen Gott und Mensch, der Geschichte der Führung Gottes (Heilige Schrift) sowie des geistlichen Lebens und seiner Vielfalt allgemein. Er bereitet also als Kundiger, der etwas erfahren durfte, die Person auf die kommenden Phasen des kontemplativen Lebens vor. Er hat die auftretenden Erscheinungen in den einzelnen Phasen und ebenso ihre Wurzeln zu kennen und diese dem Begleiteten transparent zu machen. Ferner unterstützt 391 392 393 394 395 396
L III, 86. ABK, 8. L III, 96. L III, 111. Vgl. L III, 112. Vgl. dazu L III, 86ff.
3.3 Voraussetzungen für den Geistlichen Begleiter
127
und ermutigt er den Menschen auf seinem Weg. Eine Ermutigung zum Gebet tritt grundlegend hinzu. Letztlich hat er im Wissen darum, dass Gott selbst jeden Menschen auf seinem eigenen Weg führt, die zu begleitende Person immer mehr der Hand Gottes zu überlassen. Der Begleiter tritt immer mehr in den Hintergrund, verhält sich zunehmend passiv, ist Zuhörer und hilft nur noch Gottes Selbstmitteilung zu beantworten, bis er letztlich, falls er selbst überhaupt aus eigener Erfahrung dies zu »wissen/erkennen« vermag, die Vereinigung mit Gott in der liebenden unio mystica feststellen darf. Seitens des Begleiters besteht die Kunst der Führung folglich vornehmlich darin, die eigenen, von Gott geschenkten Geistesgaben und seine ganze Person in den Dienst Gottes, der die Liebe ist, zu stellen in Demut vor Gott und dem Nächsten, den er zu begleiten hat. Basis bleiben auch hier die drei Charakteristika Erfahrung, Weisheit und Unterscheidung der Geister. Aus der Sicht des begleiteten Menschen besteht die Kunst vornehmlich darin, den richtigen, d.h. den für sich gemäßen, Begleiter zu finden. Dies kann eine lange Suche erfordern. Geduld, Vorsicht und Sorgfalt sind hier geboten. Selbst Johannes rät, sich nicht jedem anzuvertrauen: »Vor allem muss die Seele [...] gar wohl beachten, wessen Händen sie sich anvertraut; denn wie der Lehrmeister, so der Schüler, und wie der Vater, so das Kind.«397 Die Notwendigkeit, einem Geistlichen Begleiter zu folgen und sich ihm anzuvertrauen, ist jedoch für Johannes konstitutiv: »Wer allein bleiben will, ohne einem Lehrer oder Führer zu folgen, gleicht einem einsamen und herrenlosen Baum auf weiter Flur. Mag er auch noch so viele Früchte tragen, sie gelangen doch nicht zur Reife, weil die vorübergehenden Wanderer sie vor der Zeit pflücken.«398 Und »eine [...] alleinstehende und führerlose Seele gleicht einer brennenden Kohle; anstatt sich mehr zu entzünden, erkaltet sie.«399 Es heißt aber auch zu gegebener Zeit die Art und den Begleiter / die Begleiterin selbst zu wechseln. Denn »um eine Seele zur erhabensten Stufe der Vollkommenheit oder selbst zur mittleren Höhe zu führen, wird man kaum einen Führer finden, der alle die dazu erforderlichen Eigenschaften besitzt«.400 Eigenverantwortung und ein gutes Gespür für das, was im kontemplativen Prozess einem selbst gemäß ist, und ein ebenso konkretes Handeln danach sind gefragt.
397 398 399 400
L III, 86 und KS, 95. KS, 60. Ebd. KS, 96.
128
3 Geistliche Begleitung als »Seelenführung«
3.4 Das Gebet als Weg zur unio mystica Johannes vom Kreuz will, wie ausgeführt, einen Weg in die mystische Gotteserfahrung lehren.401 Die Wegbeschreibung lässt sich in die Form bringen, die er in »Die lebendige Flamme« beschreibt. Dort heißt es: »Und da soll die Seele nur in liebendem Aufmerken vor Gott stehen, ohne selbsttätig zu sein und durch eigene Beschäftigung etwas beitragen zu wollen, sich, wie gesagt, passiv verhalten in liebendem, einfältigem, einfachem und zuversichtlichem Aufmerken, wie ein Mensch, der in liebender Aufmerksamkeit jemandem seine Augen zuwendet.«402 Johannes beschreibt hier die Gebetsform des kontemplativen Gebetes. Dieses – auch nichtgegenständliches Gebet genannt – steht bei ihm neben gegenständlichen Gebetsweisen, der Meditation der Schrift, von Bildern, der Natur oder dem Wortgebet. Das kontemplative Gebet entspricht dem Zustande der Beschauung und wird von einem fortgeschrittenen geistlichen Menschen geübt, der, schon geläutert, das Stadium der Betrachtung durchlaufen hat und auf seinem Weg geübt ist. Die Kontemplation als Gebetsform ist bei Johannes also die »liebende Aufmerksamkeit« oder die »passiv liebende Aufmerksamkeit«.403 Bei diesem kontemplativen Gebet muss sich der Mensch von allem freimachen. Er »darf sich [...] an nichts hängen, weder an die Übung der Betrachtung noch des forschenden Nachdenkens. Jeder Genuss, dem sie sich hingeben wollte, würde sie hemmen, beunruhigen und aufregen. Hier müssen Sinne und Geist so vollständig schweigen, dass sie die tiefinnerliche und zärtliche Ansprache Gottes vernehmen können.«404 Sie muss in diesem Schweigen und Lauschen selbst die Betätigung des liebenden Aufmerkens vergessen, »um ganz frei zu sein für das, was der Herr will«.405 Reine Beschauung besteht also letztlich in reinem Empfangen. Sich bereiten für diesen Moment, falls Gott diesen geschehen lassen will, kann sich der Mensch, der diesen kontemplativen Weg zur Vereinigung mit Gott in der Liebe angetreten hat, nur mit dem Gebet des Schweigens, indem der sehnsüchtige Mensch sich ganz in der Liebe hingibt, »um in Gott zu Gott selbst aufgenommen zu werden«.406 Der Mensch liebt hierbei Gott nicht letztlich aus sich, sondern durch Gott selbst, d.h. »sie [die Liebe, d. Verf.] liebt durch den Heiligen Geist, wie der Vater und der Sohn sich lieben«,407 ferner in Gott selbst (Mitteilung der Liebe auf beiden Seiten) 401 402 403 404 405 406 407
Vgl. Einführung zum Buch ABK. L III, 89. L III, 90. L III, 91. Ebd. Vgl. L III, 123. Vgl. Joh 17,26.
3.4 Das Gebet als Weg zur unio mystica
129
und um seiner selbst willen (absichtslos).408 Das Gebet ist also Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach Gott und gleichzeitig auch der Weg selbst, auf dem sich Gott mitteilt. Wegweisende und Lehrer/Lehrerin dieses Gebetsweges ist der Geistlich Begleitende, für den selbst das Gebet des Schweigens Weg und Ausdruck seiner selbst auf seinem eigenen kontemplativen Weg sein kann. Für ihn kann dann die immer neue Motivation, Geistliche Begleitung zu gewähren, nur aus dieser Gebetserfahrung selbst erwachsen. Neben diesem kontemplativen Gebet stehen das Wortgebet und die gegenständliche Meditation. Das Wortgebet findet wiederholt in der Geistlichen Begleitung seinen Niederschlag.409 Auch die nichtgegenständliche Meditation ist bei Johannes vom Kreuz thematisiert.410 Dabei sind alle Gebetsformen bei Johannes in eine gewisse Abfolge zu bringen, die dem Prozess des Menschen auf dem kontemplativen Weg entsprechen. Diese »Gebetsstufen« sind dabei nicht wie erreichte »Plateaus« zu denken, sondern als Übergänge von sehr vielfältiger Erscheinungsform. Betrachtungen und Beschauung sollen sich nicht abrupt abwechseln, sondern vielmehr einen dem betreffenden Menschen gemäßen, seiner Übung entsprechenden zeitlich fließenden Übergang finden.411 Hier ist vor allem der Begleitende gefragt. Dabei kann gerade der für Johannes ganz entscheidende Fortschritt von der Meditation zur reinen Kontemplation von den Betroffenen oft als Rückschritt im Gebetsleben empfunden werden, wo die eigenen Fähigkeiten wie blockiert erscheinen, während sie noch nicht wahrnehmen können, dass Gott in ihnen zu wirken beginnt. Johannes gibt wiederholt Merkmale für diesen Übergang an,412 z.B. Interesselosigkeit, Nachlassen von Intensität, aber auch Trockenheit, Verlangen nach Einsamkeit und Ruhe. Letztlich gilt es für Johannes alle Eindrücke von Bildern und Betrachtungen oder das Nachsinnen hinter sich zu lassen, sie abzugeben, damit der Mensch ganz in der liebenden Aufmerksamkeit auf Gott harren kann. Denn nur in diesem Zustand der Blöße und des Leerseins von allen Dingen geschieht Gottesbegegnung und letztlich die unio mystica. »So lerne denn der geistliche Mensch in liebendem Aufmerken auf Gott zu verharren und den Verstand ruhen zu lassen [...] Dann wird sich so nach und nach und zwar sehr bald die Ruhe und der Friede Gottes in seine Seele ergießen zusammen mit wunderbaren und erhabenen Kenntnissen von Gott, die da eingehüllt sind in die göttliche Liebe.«413 Es gilt: »Lernet leer zu sein von allen Dingen (innerlich und äußerlich), 408 409
Vgl. L II, 126ff. Ist es im 11. Brief in KS, S. 152 die Bitte um Fürsprache für Johannes selbst, so tritt er fürsprechend auch für die zu begleitenden Personen ein. So im 14. Brief in KS, S. 160. 410 Vgl. L III, 87. 411 Vgl. ABK, 145. 412 Vgl. Johannes vom Kreuz (1992) (zit.: DN). Hier: DN, 36ff; ABK, 145. 413 ABK, 148.
130
3 Geistliche Begleitung als »Seelenführung«
dann werdet ihr sehen, daß ich Gott bin.«414 Johannes beschreibt auch, wie sich ein solches Gebet vollzieht: »Wenn ein Gebet in einem reinen und einfachen Erkennen Gottes besteht, so kommt es der Seele kurz vor, mag es auch der Zeit nach sehr lange währen. Und das ist jenes kurze Gebet, das [...] die Himmel durchdringt.«415 Als Ort für das Gebet ist ein Ort geringster Zerstreuung zu wählen. Er soll nicht ein Ort »angenehmer Ergötzung«416 der Sinne sein, sondern vielmehr ein Ort der Sammlung des Menschen. 3.5 »Methoden«, um Krisen im kontemplativen Leben zu bewältigen Erfahrungsgemäß hält niemand auf einem kontemplativen Weg stand, der nicht eine starke Motivation und ein großes Verlangen verspürt, getragen von einer Sehnsucht, die in ihm wohnt. Diese Sehnsucht artikuliert sich oft im »Glauben«, der für Johannes vom Kreuz immer ein »dunkler Glaube« ist. Er ist ein Glaube, der durch Hingabe und Liebe geprägt ist, durch den auch der Mensch »Gott lieben kann, ohne ihn zu begreifen« (was die stete Dunkelheit anzeigt).417 Diese »Dunkelheit« dunkelt die Beziehung zu Gott oft ab, lässt sie trocken werden und führt die Seele oftmals in geistliche Krisen. Hinzu kommt, dass schon jede leistende Seelenkraft (Verstand, Gedächtnis, Wille) die Beziehung der liebenden Aufmerksamkeit und das Horchen nach innen belasten und zerstören kann. Johannes vergleicht diesen inneren Vorgang mit der Wahrnehmung des äußeren Lichtes: Seine Sichtbarkeit ist dort am besten, wo es reflektiert wird. Der durch ein Fenster einfallende Sonnenstrahl kann vom Auge besser erfasst werden, wenn umherfliegende Stäubchen sein Licht reflektieren. Die Seele klammert sich anfangs an die Stäubchen, die im Inneren der Seele umherfliegen, weil sie die Dunkelheit des reinen Lichtes noch nicht zu fassen vermag. Denn das Licht ist nur Mittel, um Sichtbares wahrzunehmen, nicht Gegenstand des Sehens.418 Kontemplation als Weg führt also durch stete Entwicklungsund Umwandlungsprozesse. »Methoden« als solche gibt es nicht. Als sog. »Lösung« dieser Krisen bietet Johannes vom Kreuz das immer neue »liebende Aufmerken« als ständig neue Übung an. Dieses harrende Verweilen ist von größter Bedeutung und soll als Übung den Alltag bestimmen. Das kontemplative Gebet ist der Weg auch in der Krise – und gemäß der Erfahrung des Johannes auch durch sie hindurch. So kann er 414 415 416 417 418
Ps. 45,11. Zit. nach ABK, 148. KS, 98 und L I, 33f. KS, 100f. Vgl. Gedicht 5, KS, 194ff und L II, 120. Vgl. dazu ABK, 140.
3.6 Geistliche Begleitung nach Johannes vom Kreuz
131
in einem Brief formulieren: »Denn schließlich finden wir in nichts (Anderem) unser Heil, unseren Trost (und unsere) Stütze (als) im Gebete.«419 Eine Geistliche Begleitung kann hier ermutigend und stützend wirken. Die mystische Erfahrung im Gebet und damit letztlich auch die Überwindung der Krise bleiben immer reines Geschenk Gottes. 3.6 Geistliche Begleitung nach Johannes vom Kreuz Geistliche Begleitung nach Johannes vom Kreuz ist ein strukturiertes und prozessorientiertes Geschehen. Es beinhaltet beide Dimensionen Geistlicher Begleitung, eine seelsorglich-intersubjektive und eine geistlich-spirituelle. Das zwischenmenschliche Geschehen wird als ein freiheitliches beschrieben. Die bloße Beziehung kann, in Liebe gestaltet, schon für Johannes vom Kreuz Medium der Heilung sein. Ziel Geistlicher Begleitung ist es nach ihm, den notwendigen Prozess der Reinigung und Läuterung zur unio mystica zu begleiten und mit Erfahrung, Weisheit und Gnade unter Anleitung geistlicher Übungen zu unterstützen. Das Geschehen soll dazu führen, dass der Begleitete immer offener und freier in geistlicher Armut und Hingabebereitschaft ggf. auch durch krisenhafte Entwicklungen hindurch vom »nichts/nada« zum »alles/ todo«, zu Gott, geleitet wird. Dieser geistliche Entwicklungsprozess ist ein mystischer Weg zur immer tieferen Einheit in der Liebe Gottes. Sowohl in seelsorglich-intersubjektiver als auch in spiritueller Hinsicht, die beide unauflöslich für Johannes vom Kreuz zusammengehören, findet sich, wie dargelegt, ein methodisches und prozessorientiertes Vorgehen, das theoretische Modelle der Entwicklung für den begleiteten Menschen kennt (»zehn Stufen der Liebe« bzw. dreistufiges Wegmodell). Ferner findet sich eine verbindliche zwischenmenschliche Beziehungsstruktur im engeren Sinne. Hervorzuheben ist besonders, wie ausführlich er Krisen und Gefahren auf dem geistlichen Entwicklungsweg darstellt und dabei die Begleitung, den Begleiter wie auch den Prozess miteinbezieht.
419
14. Brief in KS, 161.
4 Geistliche Begleitung in den Exerzitien des Ignatius von Loyola Nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Genüge, sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen. (Ignatius von Loyola; Bemerkungen zu den Geistlichen Übungen EB 2)
4.1 Hinführende Gedanken Ignatius von Loyola (Íñigo López de Loyola) wurde 1491 auf Schloss Loyola bei Azpeitia in Spanien geboren. Er war Mitbegründer und Gestalter der Gesellschaft Jesu (lat.: Societas Jesu, SJ), des Jesuitenordens. Sein Leben schildert Ignatius von Loyola selber im sogenannten Bericht des Pilgers. Dieser ist nicht als ein historisches Dokument zu verstehen, vielmehr als die geistliche Autobiografie des Ignatius von Loyola. In ihr beschreibt er den Weg, wie Gott ihn geführt hat.420 Daneben treten zahlreiche historische Biografien.421 Ignatius von Loyola stammte aus einem baskischen Adelsgeschlecht. Als sein Vater 1507 starb, wurde er Page am Hof von Juan Velázquez de Cuéllar bis zu dessen Tod. In den Jahren 1517–21 schloss sich Ignatius von Loyola als Offizier dem Militär an. 1521 wurde er bei der Verteidigung Pamplonas gegen französische Truppen schwer verletzt. Auf seinem zehnmonatigen Krankenlager bekehrte er sich. Er legte eine Lebensbeichte im Kloster Montserrat ab und verließ dieses 1523 als Bettler und Pilger. In diese Zeit 1522–23 fallen seine großen inneren Erlebnisse, die er in seinem Exerzitienbuch niederschrieb, sowie eine Wallfahrt nach Jerusalem 1523/24. Von 1524 bis 1535 studierte er an den Universitäten Alcalá und Paris Philosophie und Theologie. Während des Studiums in Paris schloss er Freundschaft mit sechs Kommilitonen, u.a. Peter Faber und Franz Xaver. Am 15. August 1534 legten die sieben Männer in der Kapelle St. Denis am Montmartre ein Gelöbnis ab, das die geistliche Mitte für jene Gemeinschaft wurde, die sich ab 1539 Societas Jesu nannte. Am 24. Juni 1537 wurde Ignatius von Loyola in Venedig zum Priester geweiht, wo er sich ab 1535 aufgehalten hatte, um nach Jerusalem zur Mission zu reisen. Er ersetzte diese Missionsreise schließlich durch die Bereitschaft, in den Dienst des Papstes zu treten und insbesondere in den Gebieten zu mis420 421
Ignatius von Loyola (1990). Die Verfasserin orientiert sich an der Biografie des ehemaligen Leiters des historischen Instituts des Jesuitenordens P. Cándido de Dalmases SJ (2006).
4.2 Grundzüge Geistlicher Begleitung nach dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola
133
sionieren, die die katholische Kirche durch die Reformation verloren hatte. Papst Paul III. nahm ihre formula instituti an und genehmigte drei Jahre später mit der Bulle Regimini Militantis Ecclesiae vom 27. September 1540 die Societas Jesu. Ignatius von Loyola starb am 31. Juli 1556 in Rom. Seine Motivation, andere an seinen Erfahrungen teilhaben zu lassen und sie zu einem vertieften Leben mit Jesus zu geleiten, veranlasste ihn, die »Exerzitien« (EB) bzw. »Geistlichen Übungen« (GÜ) zu schreiben. Dort entfaltete Ignatius von Loyola einen strukturierten Weg zur vertieften Nachfolge Jesu.422 Das sog. »Exerzitienbuch« (EB) ist ein Handbuch für den eigenen geistlichen Übungsweg im Rahmen einer persönlichen Geistlichen Begleitung, die zu einer persönlichen Begegnung mit Jesus führen möchte. 4.2 Grundzüge Geistlicher Begleitung nach dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola Geistliche Begleitung durchläuft in den ignatianischen Exerzitien methodisch stationsweise das Leben Jesu.423 Durch die Beschäftigung (Schriftmeditation) mit dem Leben und Wirken Jesu und durch die vertiefte Gebetspraxis der Exerzitien sollen die Gottesbeziehung des geistlich Übenden geklärt, sein Leben geistlich geordnet und seine Entschiedenheit zur Nachfolge Jesu willentlich gestärkt werden.424 Die Exerzitien können auch als eine »Lebensdynamik in Entscheidung« beschrieben werden.425 »Unter geistlichen Übungen versteht man jede Art, das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen (meditar), zu betrachten (contemplar), mündlich und im Geiste zu beten und andere geistliche Tätigkeiten, wie später erklärt wird. Denn so wie Lustwandeln, Ausschreiten und Laufen körperliche Übungen sind, so nennt man geistliche Übungen jede Weise, die Seele vorzubereiten und in Bereitstellung zu setzen (disponder), dazu hin, alle ungeordneten Hinneigungen von sich zu tun, und nachdem sie abgelegt sind, den göttlichen Willen zu suchen und zu finden in der Einrichtung (disposición) des eigenen Lebens zum Heil der Seele.«426 Die eigene biografische Gewissenserforschung und die Meditation des Lebens Jesu gehen im Prozess der Exerzitien Hand in Hand mit
422 423
Ignatius von Loyola (2005). (zit. EB). Vgl. zum Gesamtprozess ignatianischer Exerzitien: Peter Köster / Herman Andriessen (1991), bes. 91ff. 424 Mit Köster/Andriessen (1991), 17ff. Zur Schriftmeditation S. 30. Besonders auch S. 36ff. Alles Bemühen ist auf das Gebet auszurichten. Aus einer vertieften Gebetserfahrung erwächst dann für die Autoren Lebensorientierung (S. 23). 425 Lothar Lies (2008), 9ff. 426 Ignatius von Loyola (2005), EB, Erste Anweisung.
134
4 Geistliche Begleitung in den Exerzitien des Ignatius von Loyola
dem Ziel: »Gott in allen Dingen finden.« 427 Die Form und Gestalt des Gebetes (gegenständlich oder nichtgegenständlich, Kontemplation oder Wortgebet, Gebetshaltungen) sind dabei wie der Ort und die Häufigkeit des Gebetes freigestellt. Der strukturell-methodische Weg der geistlichen Übungen dagegen ist nicht frei wählbar, vielmehr gesetzt. In den Exerzitien des Ignatius lassen sich sechs Phasen des Exerzitienweges unterscheiden, wobei die sog. »vier Wochen« den wesentlichen Strukturkern bilden: 4.2.1 Das »Prinzip und Fundament« (EB 23) In dieser Phase besinnen sich die Übenden auf die Wohltaten Gottes, die Quellen des Glaubens, auf alles, was im menschlichen Leben Anlass gibt, Gott zu loben und zu danken. 4.2.2 Die erste Woche: »Umkehr« (EB 24–90) Die »erste Woche« beinhaltet die Phase der Umkehr (EB 24–90). In dieser Zeit bedenken die Übenden, was in ihrem Leben hinderlich ist, um die ihnen von Gott gegebene Bestimmung, den Ruf Christi, zu entdecken und zu leben. Erkenntnis und Bekenntnis der Sünde sind dem Fundament, auf dem dies nur heilsam geschehen kann, methodisch nachgeordnet. Das Fundament meint nach Ignatius von Loyola die Sammlung und Meditation der Gnade und Barmherzigkeit Gottes, die Heilung und Heil zu schenken vermag.428 4.2.3 Die zweite Woche: »Nachfolge Jesu« (EB 91–169) Die »zweite Woche« ist die Phase des Sichnäherns in die Nachfolge Jesu (EB 91–169). In ihr wird sich mit den Geheimnissen des Lebens Christi (des Reiches Gottes, seiner Menschwerdung, seiner Wunder, Gleichnisse, Begegnungen und Reden) vertraut gemacht. Sie dient auch der »Wahl« und Entscheidungsfindung, wie der übende Mensch mit dem Ruf Jesu und dem Willen Gottes umgehen möchte (EB 169–189). Auch gilt es den Trost und die Stärkung zu entdecken, die in der Nachfolge 427
Köster/Andriessen (1991), 234ff. »In dem Bemühen, meine Wirklichkeit so wahrzunehmen, wie sie ist, geht es vor allem darum, Gott in allen Dingen zu entdecken als den Grund der ›empfangenen Wohltaten‹, und seien dies Gesundheit oder Krankheit, Reichtum oder Armut, Ansehen oder Verachtung, langes Leben oder ein frühes Sterben. Ich soll also erfassen, wie viel Gott für mich getan hat, wie viel er mir von dem gegeben hat, was sein ist, und wie ich mir weiterhin zu geben, soweit er es nur vermag« (EB 234). Vgl. auch Lies (2008), 83ff. 428 Dies entspricht der eigenen Erfahrung des Ignatius. Vgl. Ignatius von Loyola (1990) (PB 9f bzw. PB 20–25).
4.2 Grundzüge Geistlicher Begleitung nach dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola
135
Jesu liegen (EB 176). Die Besinnung auf die drei Arten der »Demut« (EB 164–168) liegt vor der »dritten Woche« und stellt noch einmal die Konsequenz der Wahl vor Augen und die damit stattfindende Wandlung des Übenden in Demut, in die Wirklichkeit Gottes, in seinen Willen hinein. Ignatius von Loyola unterscheidet dabei drei Weisen der Demutsentwicklung, in denen das Ich immer tiefer in Christus verwandelt werden soll: Erstere Weise möchte eine tiefere Grundentscheidung für Gott, einen Gehorsam seinem Willen gegenüber, ermöglichen; die zweite vollendetere Demutsweise möchte nach einer Verwandlung auf der willentlichen Ebene auch das Verhalten und den gesamten Lebensausdruck in Hingabe an Gott transformieren, und die dritte, die vollkommenste Weise der Demut, möchte in Christus, in der vollkommenen Einheit mit der göttlichen Majestät, den menschlichen Eigenwillen »aufgehoben« wissen im Sinne von Gal 2, 20: »Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.«429 4.2.4 Die dritte Woche: »Passion« (EB 190–209) Die »dritte Woche« betrachtet das Leiden und Sterben Christi (EB 190– 209). Die Betrachtung dient dazu, dem Willen Gottes auch in aller persönlichen Vergänglichkeit und in allem eigenen Leid nachzuspüren.430 4.2.5 Die vierte Woche: »Auferstehung« (EB 218–229) Die »vierte Woche« thematisiert die Auferstehung Jesu (EB 218–229). 14 Betrachtungen sind ohne zeitliche Abfolge vorgesehen. Sie reichen von der ersten Erscheinung des Auferstandenen bis zu Christi Himmelfahrt. Ihr Ziel ist es, eine vertiefte Sicht auf unseren Alltag zu eröffnen und unser Transparentwerden für die Wirklichkeit der Auferstehung und Gottes Nähe zu uns zu fördern. Sie klären zu dem Gipfelpunkt der Exerzitien hin: »der Betrachtung zur Erlangung der Liebe«. 4.2.6 Abschluss: »Betrachtung zur Erlangung der Liebe« (EB 230–237) Die Exerzitien werden mit der »Betrachtung zur Erlangung der Liebe« (EB 230–237) bzw. mit dem Gebet der liebenden Aufmerksamkeit abgeschlossen. Liebe besteht für Ignatius im Geben und Empfangen (EB 233). In dieser Betrachtung soll ich bitten: »um eine tiefe Erkenntnis so großer empfangener Wohltaten, damit ich sie ganz und gar anerkenne und so in allem Seine Göttliche Majestät lieben und Ihr dienen kann« (EB 233).
429 430
So mit Köster/Andriessen (1991), 173ff. Köster/Andriessen (1991), 215ff.
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4 Geistliche Begleitung in den Exerzitien des Ignatius von Loyola
4.3 Die Rolle des Geistlichen Begleiters Geistliche Begleitung vollzieht sich innerhalb dieser Exerzitien in der Form eines täglichen Einzelgespräches mit dem den Exerzitienprozess begleitenden Menschen. Diesem ist über die Begegnung mit dem Schrifttext in der oben genannten methodischen Weise zu berichten und ebenso über die Erfahrungen mit der vertieften Gebetspraxis. Alle Bewegungen der Seele sind vor dem Begleiter / der Begleiterin auszusprechen. Die begleitende Person sollte für die Begleitung ausgebildet sein, d.h. neben eigenen Erfahrungen mit dem Prozess auch über Kenntnisse der inneren wie äußeren Dynamik des Prozesses verfügen. Sie hat keine andere Aufgabe, als das Gespräch des Übenden mit Gott und Christus zu fördern, Hindernisse der Begegnung aus dem Weg zu räumen, die Unterscheidung der Geister in trostlosen und tröstlichen Phasen gleichermaßen zu praktizieren und alles aus dem Weg zu räumen, was das Gespräch mit Gott für den Übenden hindert. Die Exerzitien sind stets auf die Übenden auszurichten (EB 6/17), gleich ob sie nun Trost erfahren haben oder eine trostlose Phase durchmachen müssen. Der die Übungen begleitende Mensch hat zu unterscheiden zwischen dem Willen Gottes und der Eigenmächtigkeit menschlichen Strebens, Heil und Nichtheil, Heilung und Krankheit (EB 4, 7–10, 14,16). Dabei hat er so zu handeln, dass der Verfügende stets Gott selbst bleibt und der Heilige Geist Akteur des Geschehens ist. Alle Methode und Technik dient einzig und allein dazu, das Ziel zu verfolgen, sich für Gott verfügbar zu machen, wobei Gott stets der Unverfügbare bleibt.431 Die Rolle des Geistlichen Begleiters der Übungen wurde auch mit dem Bild einer Waage verglichen, genauer mit der Nabe einer Waage. Gleichwie diese die Kommunikation zwischen den Schalen gewährleistet, so hat der Begleiter in der Kommunikation zwischen dem Übenden und Gott zu verfahren.432 Um das Ziel der Exerzitien, Gott in allen Dingen zu finden, zu erreichen, ist es nicht wesentlich notwendig, dass die geistlich Übenden während der Exerzitien den ganzen Prozess in allen seinen konkreten Phasen durchlaufen. Wichtig ist, dass Begegnung mit Gott geschieht, d.h., dass Gottes Liebe und Zuwendung in allen Dingen, Lebenslagen und Gegebenheiten erfahrbar wird. Dies kann auch singulär in einer, z.B. der ersten, Woche geschehen. Es gilt für den gesamten Prozess der geistlichen Übungen und der Geistlichen Begleitung: »Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Verkosten der Dinge von innen.«433 Damit ist die wichtigste Aufgabe des Exerzitienbegleiters darin
431 432 433
Köster/Andriessen (1991), 25f. Köster/Andriessen (1991), 84ff. Ausführlicher: Peter Köster SJ (2009), 134ff (vgl. EB 15). EB 2, 7.
4.4 Geistliche Begleitung ignatianischer Prägung
137
zu sehen, dass der Begleitete in eine eigene kontemplative Haltung hineinfindet.434 Unterstützen können den Übungsprozess einige Maßnahmen für Leib, Geist und Seele: a) Leibübungen, um den eigenen Leib besser wahrzunehmen und die Sammlungsfähigkeit im Gebet zu erhöhen; b) das morgendliche Herzensgebet mit einem Sammlungswort;435 c) die tägliche Eucharistiefeier, die stärkend das ewige Mahl im Zeichen seiner Liebe vorweg zelebrieren soll (EB 289);436 d) der Tagesrückblick als bewusste, geistlich abschließende Reflexion. 4.4 Geistliche Begleitung ignatianischer Prägung Geistliche Begleitung nach Ignatius von Loyola ist ein strukturiertes, verbindliches und prozessorientiertes Geschehen. Sie verbindet eine zwischenmenschliche und eine spirituelle Dimension mit einem mystagogischen Prozess und asketischen Aspekten. Das geistliche Ziel ist es, zu einer Begegnung mit Jesus zu führen. Methodisch wird dazu das eigene Leben strukturell mit demjenigen Jesu in der Begleitung reflektiert. Die zwischenmenschliche Beziehung ist damit in starkem Maße methodisch geprägt: Die Anleitung zu den Exerzitien, zu den asketischen Übungen der Schriftbetrachtung und zum Gebet sowie zur eigenen Seelenerforschung in gleichzeitiger Reflexion des Lebens und Wirkens Jesu stehen im Vordergrund. Diese Struktur ist für den Prozess festgelegt und besitzt oberste Priorität neben der Aufgabe des Begleiters, um der Kommunikation des Begleitenden mit Gott willen ganz zurückzutreten. Die Stärke des ignatianischen Modells Geistlicher Begleitung ist, dass es all diese Bezüge strukturiert und systematisch zu entfalten vermag. Und genau daraus kann auch zugleich die Schwäche erwachsen, wenn die Exerzitien zu wenig an dem übenden Menschen ausgerichtet und zu stark methodisiert werden. Im Ganzen bleiben wirkungsgeschichtlich vor allem folgende Elemente für die Geistliche Begleitung prägend: 1. Gott wird in allen Dingen gefunden, d.h. in allen Lebensformen und Bezügen. Dieses Findenkönnen wird auf die ganze Schöpfung auch außerhalb von Klostermauern und innerkirchlichen Bezügen erweitert. Durch die Exerzitien werden geistliche Übungen in intensiven Zeiten auch für einen großen Personenkreis möglich.
434 435 436
Köster (2009), 142ff. Ders., 156ff. Lies (2008), 40ff.
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4 Geistliche Begleitung in den Exerzitien des Ignatius von Loyola
2. Die Gabe der Unterscheidung ist keine erlernbare Technik, vielmehr Geistesgabe. Es geht stets um die Verwandlung eines ganzen Menschen. 3. Loyolas Form der Schriftmeditation eröffnet eine existenzielle Aneignung der Schrift, und die Unterscheidung der Geister ermöglicht es, den Willen Gottes für das eigene Leben zu finden. 4. Die Frage des Ignatius nach einem »barmherzigen Jesus« trifft auf die reformatorische Frage Luthers nach dem »barmherzigen Gott«. 5. Ignatius macht deutlich, dass es in der Person Jesu zugleich um universale Dimensionen geht (kosmologische Christologie).437 6. Die Demut ist Ausdruck und Frucht des geistlichen Weges. 7. Es werden nach dem ignatianischen Modell Maßstäbe aus dem Leben und Handeln Jesu für die geistliche Begleitung gewonnen, die biblische Perspektiven eröffnen. 8. Es handelt sich um eine strukturierte und methodische Form Geistlicher Begleitung, die mystagogische Lernprozesse ermöglicht.438 Die geistlichen Übungen und damit auch die Geistliche Begleitung haben einen mystagogischen Charakter: Sie können zu Gotteserfahrungen hinführen und dieselben ausdeuten sowie in den Lebensalltag zu integrieren helfen.439 9. Es kann im Anschluss an Ignatius mit Silke Harms440 unterscheiden werden zwischen: a) sog. leichten/offenen Exerzitien oder Exerzitien im Alltag (zeitlich begrenzte Kurse zwischen vier Wochen und einem Jahr Dauer mit folgender Struktur: 1. individuelle Übung zu Hause [Gebet, Tagesrückblick]; 2. Treffen mit der Exerzitiengruppe [Erfahrungsaustausch], 3. Geistliche Begleitung [persönliches Einzelgespräch z. T. auch in Briefform oder per E-Mail möglich] mit der Chance, die gemeinsame und einsame Übung individuell zu vertiefen) in zeitlich ausgedehnter Weise und b) den klassisch geschlossenen (vierwöchigen) Exerzitien (EB). 10. Krisen (trostlose Phasen) liegen zur Bewältigung in der Verantwortung des Exerzitienbegleiters und werden immer wieder neu in den Prozess rückgebunden. 11. Innerhalb des ignatianischen Exerzitienwesens wird die individuelle Lebensgeschichte als spirituelle Glaubensgeschichte zu begreifen versucht.441 Dabei wird in den derzeitigen Rezeptionen ignatianischer Geistlicher Begleitung auf die Verstehens- und Entwicklungsprozesse der humanwissenschaftlichen Erkenntnisse und Modelle (vor al437 438 439 440 441
Vgl. Schaupp (2011b), 56ff. Friedrich Wulf beschreibt sie als Mystagogie (zit. nach Harms [2011], 49). Mit Schambeck (2006), 151–212. Vgl. auch Harms (2011), 48f. Harms (2011), 38–58. Vgl. Karl Frielingsdorf (2008) und Herman Andriessen (1995).
4.4 Geistliche Begleitung ignatianischer Prägung
139
lem auf Carl R. Rogers und Erik H. Erikson) zurückgegriffen, um die stattfindenden Prozesse zu reflektieren.442 Leider wird kein genuin spirituelles Entwicklungsmodell in der Rezeption dieses Begleitmodells reflektiert.443
442 443
So Köster (2009), 17ff, 53ff. Anders: Bobert (2010), 235ff. Sie entwickelt ein genuin spirituelles Entwicklungsmodell in Anlehnung an die Glaubensstufen Ambrosius von Mailands.
5 Geistliche Begleitung in der evangelischen Tradition Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind' s noch nicht, wir werden' s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang. Es ist nicht das Ende, aber der Weg. Es glüht und glänzt noch nicht alles, es reinigt aber alles. (Martin Luther WA 7 1521, S. 337)
Geistliche Begleitung als eine spezifische Form zwischenmenschlicher und spiritueller Begegnung hat bisher innerhalb der evangelischen Glaubenslandschaft keine eigenständigen Traditionen begründet. Sie knüpfte vielmehr in der Vergangenheit an den reichen Schatz der gemeinsamen christlichen Traditionen an und übernahm Strukturen und religiöse Formen aus diesen.444 In der Gegenwart wird allerdings versucht, das »Evangelische« Geistlicher Begleitung präziser zu erfassen, woraus eigenständige Entwicklungen Geistlicher Begleitung hervorgehen. Diese bestehen anders als noch bei Martin Luther und Dietrich Bonhoeffer nicht mehr darin, andere christlich-konfessionelle Formen zu korrigieren und dann aufzunehmen oder sich von ihnen abzugrenzen. Sie sind vielmehr von ihren inneren Entwicklungsbeschreibungen und Formen her »kreative Schöpfungen«, die althergebrachte Abgrenzungen, Verwerfungen und damit dualistische Betrachtungen hinter sich lassen, was z.B. am Verständnis von »evangelisch« der neuesten evangelischen Publikation zu Geistlicher Begleitung aus evangelischer Perspektive von 2013 deutlich wird, die im Folgenden erörtert wird.445 In Anlehnung an vergangene Gestalten Geistlicher Begleitung wird Neues und Eigenes im Ausdruck evangelischen Glaubens gesucht und entwickelt. Ohne dabei z.B. ins alte Fahrwasser der »Werkgerechtigkeit« oder »Katholisierung« zu geraten, wird selbstbewusst aus der evangelischen Glaubensposition die traditionelle Landschaft Geistlicher Begleitung durchschritten und mit der eigenen evangelischen Position das verbunden, was unter den gegenwärtigen Anforderungen »passt«. Die folgenden Erörterungen dienen dazu, diese neueren Entwicklungen darzustellen. Sie sind zugleich ein Versuch, diese weiterzuführen und in integrativer Weise neu zu erfassen, 444 445
Siehe dazu Einführung 1.1 vorliegender Arbeit. Greiner u.a. (2013).
5.1 Geistliche Begleitung – »evangelisch« oder »evangeliumsgemäß«
141
um ein größtmögliches Maß reflexiver Klarheit für eine evangelische Perspektive zu gewinnen.446 5.1 Geistliche Begleitung – »evangelisch« oder »evangeliumsgemäß« Es ist innerhalb der evangelischen Tradition Geistlicher Begleitung grundlegend zu unterscheiden, ob mit »evangelisch« Menschen evangelischer Konfession gemeint sind, wie z.B. Dietrich Bonhoeffer,447 die Geistliche Begleitung in Theorie und Praxis entfalten,448 oder ob »evangelisch« als »über die Grenzen der konfessionellen Definition hinweg im Sinne von »dem Evangelium gemäß« verstanden449 wird. Mit letzterem Verständnis ist der konfessionelle Bezugsrahmen wesentlich um alle Personen und Entwürfe erweitert, die sich allgemein auf die biblischevangelische Überlieferung berufen. So wird es von den Herausgebern des Sammelbandes zur »Geistlichen Begleitung in evangelischer Perspektive« von 2013 formuliert.450 Diese Veröffentlichung ist eine erste Zusammenstellung von Modellen und Personen zu diesem Thema im letzteren Sinne. Als »dem Evangelium gemäß« werden klassisch bewährte Modelle wie dasjenige der Wüstenväter, der spanischen Mystik (Theresa von Ávila und Johannes vom Kreuz) oder des Ignatius von Loyola präsentiert und entfaltet. Daneben treten eine Anzahl von im evangelischen Raum beheimateten Personen und Ansätzen (z.B. Gerhard Tersteegen, Lazarus Spengler, Nathan Söderblom, Dietrich Bonhoeffer, Dorothee Sölle, Karin Johne und Frère Roger). Erweitert wird die Darstellung um »neue« zielgruppenorientierte Modelle, wie sie z.B. in der Gefangenenbegleitung und in der Gebärenden- und Schwangerenbegleitung benutzt werden. Bei aller Fülle der dargebotenen Ansätze geistlicher Begleitungen fehlen jedoch zum einen wichtige konfessionsübergreifende Perspektiven wie diejenige der benediktinischen Begleitung. Diese repräsentiert maßgeblich kommunitäre Formen evangeliumsgemäßer Geistlicher Begleitung weit über konfessionelle Engführungen hinaus, nicht zuletzt hat die benediktinische Begleitung evangelische Kommunitäten wie z.B. die Communität Casteller Ring (CCR) mitgeprägt. Zum anderen sind die
446
Dies geschieht im Dritten Teil vorliegender Arbeit. Dort wird mit dem »tree of science« ein Strukturmodell für eine reflexive Praxis Geistlicher Begleitung eingeführt, das bisher noch fehlt. 447 So in den Arbeiten der evangelischen Theologinnen Sabine Bobert und Claudia Kohli Reichenbach, die beide auf Dietrich Bonhoeffer Bezug nehmen. 448 So z.B. Dietrich Bonhoeffer oder Martin Luther. 449 Greiner u.a. (2013), 13. 450 Ebd.
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5 Geistliche Begleitung in der evangelischen Tradition
gehobenen »Schätze Evangelischer Tradition«451 nicht immer Darstellungen Geistlicher Begleitung im engeren oder spezifischen Sinne.452 Sicherlich sind die meisten dargestellten Personen und Modelle geistliche Begleitung im allgemeinen Sinne, doch in der Regel fehlt eine methodisch reflektierte prozessorientierte Vorgehensweise, die inhaltlich eine spirituelle Entwicklungsstruktur berücksichtigen würde, wie sie für eine spezifische Geistliche Begleitung kennzeichnend ist. Dies bieten für die Geistliche Begleitung, wie durch diese Arbeit aufgezeigt, die Arbeiten von Johannes vom Kreuz (Stufen der Liebe), das benediktinische Erbe (Stufen der Demut) sowie Ignatius von Loyola (Exerzitien). Sie beschreiten mit ihren inneren wie äußeren Wegbeschreibungen eine qualitativ andere Dimension. Alles, was über die unterschiedlichen Formen und Inhalte der Geistlichen Begleitung gesagt werden kann, ist grundsätzlich bei diesen Autoren zu finden. Im Gespräch mit einer modernen Lebenshaltung und einem nicht mehr vorauszusetzenden christlichen Lebens- und Sprachkontext besteht die Aufgabe jedoch heute darin, Inhalte und Formen wieder neu in unserer Generation zugänglich zu machen, um Menschen adäquat in ihren Bedürfnissen, ihrem Vermögen und ihrer spirituellen Sehnsucht geistlich zu begleiten. Es wird nach einer ökumenisch offenen Perspektive gesucht, die die evangelische Position im Gespräch über die Entwicklung Geistlicher Begleitung wahrt. Bezogen auf die innerpsychischen spirituellen Prozesse ist jedoch so gut wie keine neue Entwicklung vollzogen worden. Die einzige Ausnahme bildet Martin Luther. Für Luther, der selber Geistliche Begleitung durch Johannes von Staupitz im monastischen Kontext in Anspruch genommen hat,453 ist sie eng mit der seelsorglichen Praxis der Beichte454 in Entfaltung der Taufgnade455 verbunden. Dietrich Bonhoeffer, oft als historischer evangelischer Gewährsmann für evangelische Geistliche Begleitung genannt, thematisiert Geistliche Begleitung nicht explizit. Es lassen sich einzig Rückschlüsse aus seinen Werken auf die innere geistliche Dynamik ziehen, wie im nächsten Abschnitt ausgeführt wird. Im gesamten Prozess Geistlicher Begleitung sollten spirituelle und psychologische Prozesse der Entwicklung und Förderung des Menschen 451 452 453 454
Greiner u.a. (2013), 12ff. Vgl. dazu die Unterscheidung unter Einführung 1.1.1. Vgl. Leppin (2007), 60–90. Alois Hahn bezeichnet sie als »Biographiegenerator«. Er wies darauf hin, dass durch die regelmäßige Beichtpraxis, die Reflexion auf das Leben und das Bekenntnis gegenüber äußeren Instanzen (Gott, die Kirche) dazu verhelfen, sich selbst zu erforschen, zu sortieren und neu auszurichten. Vgl. ders., Zur Soziologie der Beichte und anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse. Selbstthematisierung und Zivilisationsprozess, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZS) 34 (3), 407–434. 455 So mit Harms (2011), 122ff, bes. 125.
5.2 Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive
143
unterschieden werden, gleichwohl sie im Prozess Geistlicher Begleitung miteinander in der Praxis geschehen. Einseitige Spitzen gegenüber der Poimenik, genauer der pastoralpsychologisch orientierten Seelsorge,456 führen nicht weiter, gilt es doch den gemeinsamen Schatz der Poimenik und der christlichen Spiritualität zu heben. Beide können sich, wie aufgezeigt wird, für die unterschiedlichen Prozesse und Dimensionen Geistlicher Begleitung im spezifischen Sinne durchaus komplementär bereichern. Dabei sollte sich die Forschung mehr auf die inneren Prozesse spiritueller Praxis konzentrieren, die theoretisch wie praktisch einen eigenen Beitrag zum Proprium christlicher Geistlicher Begleitung zu leisten vermögen.457 Ferner ist auch genauer auszuführen, was »evangeliumsgemäß« bedeutet. Die zwei exegetischen Aufsätze in der erörterten evangelischen Studie von 2013 thematisieren diese Frage nicht, entfalten vielmehr Begleitmodelle und Ansätze für eine Geistliche Begleitung.458 5.2 Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive Ausgehend von der erfolgten Unterscheidung in »evangelisch« und »evangeliumsgemäß« wird im Nachfolgenden versucht, beide Perspektiven nacheinander zu entfalten und für eine evangelische Darstellung zu diskutieren. 5.2.1 Evangelische Geistliche Begleiter: Luther und Bonhoeffer? Geistliche Begleitung im spezifischen Sinne ist durch eine verbindliche Beziehungsstruktur gekennzeichnet, die sich in der Regel über einen längeren vereinbarten Zeitraum mit regelmäßigen Treffen erstreckt. Ebenso beinhaltet sie ein methodisches prozessorientiertes Vorgehen mit 456
So die Herausgeber des Sammelbandes »Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive«, (2013), 13: »So präsentiert der vorliegende Band das Phänomen Geistliche Begleitung weit über die konzeptionelle Debatten hinaus […] – nicht zuletzt entgegen der oft beklagten Geschichtsvergessenheit der poimenischen Theoriebildung – verschüttete Potentiale auf. So erhalten hier erstmals geistliche Begleitungsprozesse Raum, die dem reflexiven Zugriff der vor allem am Dialog mit den humanwissenschaftlichen Nachbardisziplinen orientierten Poimenik bisher oft entgingen und das christliche Proprium […] facettenreich konkretisierten.« Vgl. Einführung 1.1 und 1.2. 457 Diesen Weg der Neuausrichtung ist auch bei Sabine Bobert gegeben. Thematisierte sie in ihrer pastoralpsychologisch-aszetischen Arbeit »Frömmigkeit und Symbolspiel. Ein pastoralpsychologischer Beitrag zu einer evangelischen Frömmigkeitstheorie« (2000) Dietrich Bonhoeffer als Gewährsmann evangelischer Geistlicher Begleitung, so legte sie mit ihrer Arbeit »Jesus-Gebet und neue Mystik« von 2010 ihr Augenmerk auf die Glaubensstufen des Ambrosius von Mailand, um spirituelle Entwicklungsprozesse zu beschreiben. 458 So Martin Weber (2013), 16–23 und Christian Strecker (2013), 24–34.
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5 Geistliche Begleitung in der evangelischen Tradition
geistlichen Übungen, wozu auch die inneren dynamischen spirituellen Entwicklungsprozesse gehören. Eine solche Geistliche Begleitung findet sich in der Geschichte der evangelisch-konfessionellen Tradition in der Geistlichen Begleitung bei Martin Luther. Er gestaltete eine spirituelle Theorie und Praxis außerhalb klösterlicher Strukturen (Katechismusübung und Beichtpraxis in Entfaltung der Taufgnade). So vollzieht er in Veränderung des klassischen, von Papst Guido II. im 12. Jahrhundert formulierten Vierschrittes eine neue geistliche mystagogische dreigliedrige Entwicklung: oratio, meditatio und tentatio. Damit liegt bei Martin Luther ein prozessorientierter struktureller Rahmen vor, innerhalb dessen innere spirituelle Entwicklungsmöglichkeiten reflektiert werden. Seine wegweisende reformatorische Einsicht wird durch die zwei Verschiebungen deutlich: Es wird das (Wort)-Gebet betont und die Zielformulierung geistlichen Lebens verändert. Sie lautet nun nicht mehr contemplatio, sondern tentatio. Mit tentatio ist ein Leben im angefochtenen Alltag dieser Welt mit allen spirituellen Erfahrungen durch eine kontemplative Lebenshaltung gemeint.459 Sabine Bobert weist über Silke Harms hinausgehend zudem darauf hin, dass Luther das geistliche Entwicklungsmodell der Stufen der Brautmystik, vermittelt durch Bernhard von Clairvaux (1090–1153), kennt wie auch die Lehre des Ambrosius von Mailand (ca. 333–397), die Sabine Bobert als geistliches Entwicklungsmodell des Glaubens herausarbeitet.460 Neuere Arbeiten zu Dietrich Bonhoeffer haben seine mystagogisch orientierte Frömmigkeit in seinem Werk aus unterschiedlichen Perspektiven erhoben.461 Die Forderung Bonhoeffers nach persönlicher und gemeinschaftlicher Glaubenspraxis ist in Zeiten der Herausforderungen durch den Kirchenkampf von bleibender Bedeutung. Die frömmigkeitsrelevanten Züge (inklusive seines dreistufigen geistlichen Entwicklungsrahmens) sind von Sabine Bobert-Stützel herausgearbeitet worden, die systematischen von Claudia Kohli Reichenbach: Sie bezieht sich auf die mystagogische Zielformulierung seiner Frömmigkeit als ein Gestaltetwerden in Christus. Es kann jedoch nicht davon gesprochen werden, innerhalb des Werkes Bonhoeffers entfalteten sich mystagogische dynamische Entwicklungsprozesse stringent. Denn Bonhoeffer entwickelt – anders als z.B. Ignatius von Loyola oder Johannes vom Kreuz oder, in Aufnahme und Weiterführung der mittelalterlichen Tradition, Martin Luther – kein eigenes methodisch strukturiertes Vorgehen in diesem Bereich. Von Luther übernimmt er dessen dreigliedriges Entwicklungs459 460 461
Vgl. Bobert-Stützel (2000), 249ff, und Harms (2011), 89ff. Bobert (2010), 240. Dort auch weitere Hinweise und Referenzen. Vgl. aus pastoraltheologischer und asketischer Sicht: Bobert-Stützel (2000) und dies. (1995), sowie aus systematischer Sicht, bezogen auf den Gegenstand mystagogischer Entwicklung, Kohli Reichenbach (2011). Vgl. Einführung 1.2.4.1.2.
5.2 Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive
145
schema und führt es weiter. Gemäß seinem Anliegen, eine geistliche Grundlage für die theologische Existenz in der Zeit der Herausforderung durch den Kirchenkampf zu fördern, formuliert er: »So besteht das Leben des Theologen in: mediatio, oratio, tentatio, meditatio.«462 Sein pastoraltheologischer Verdienst liegt darin, an Luthers Verständnis der tentatio angeknüpft zu haben. Luthers Verstehen führt er mit einer Akzentuierung auf die meditatio der tentatio (Anfechtung) fort. Eine ausgearbeitete Konzeption Geistlicher Begleitung vor allem auch für NichtGeistliche liegt allerdings nicht vor. 5.2.2 »Evangeliumsgemäß« als hermeneutische Frage nach geistlicher Schriftauslegung, die die historisch-kritische Methode komplettiert Geistliche Begleitung hat sich komplementär zur wichtigen historischkritischen Forschung grundlegend um eine geistlich-existenzielle Schriftauslegung zu bemühen. Damit wird nicht der sogenannten Verbalinspiration das Wort geredet, vielmehr gilt es im Menschenwort die inkarnierte Dimension, Gottes gegenwärtige Lebenszuwendung, zu entdecken. Mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Methode ist die geistlich-existenzielle Schriftauslegung in den Hintergrund getreten.463 Um den spirituellen Gehalt im Menschenwort zu heben und für das eigene Leben fruchtbar werden zu lassen, bedarf es geistlicher Zugänge. Methodisch geschieht dies durch einen meditativ-kontemplativen Umgang mit der Schrift, der in allen mystagogischen christlichen Modellen zu finden ist. Mit den Worten von Origenes gesprochen: »Es nimmt niemand das Wort im Herzen auf, dessen Herz nicht frei ist (nisi vacet corde), der im Denken nicht frei und nicht völlig aufmerksam ist; wenn einer im Herzen nicht wach ist, kann er nicht im Herzen aufnehmen und Gott Gaben bringen. Wenn wir das bisher vernachlässigt haben, wollen wir darum jetzt wenigstens aufmerksamer sein und sorgsam darauf achten, dass wir das Wort mit unserem Geist aufnehmen.«464 Sabine Bobert weist ebenfalls auf die Notwendigkeit hin, »vom materialistischen zum geistigen Lesen der Bibel«465 zu gelangen. So arbeitete sie bei Dietrich Bonhoeffer in ihrer frühen Arbeit 1995466 bereits einen dreifachen Schriftsinn heraus und postulierte in ihrem Neuentwurf einer christlichen Mystik 2010 ein mehrdimensionales Schriftverständnis, indem sie das dynamische Glaubensverständnis von Ambrosius von 462
Dietrich Bonhoeffer, zit. nach Bobert-Stützel (2000), 252. Vgl. auch Bobert-Stützel (1995), 140ff. 463 Mit Christel Keller-Wentorf (2013), 36–50, 37, und mit Bobert (2010), 246ff. 464 Origenes (2008), 253. 465 So die programmatische Überschrift des Gesamtkapitels, in dem sie den Sachverhalt erläutert. Siehe: Bobert (2010), 246f. 466 Sabine Bobert-Stützel (1995) (insb. 143ff).
146
5 Geistliche Begleitung in der evangelischen Tradition
Mailand aufnahm. Entsprechend seiner vieldimensionalen Wirklichkeitsauffassung (physische, geistig-seelische und pneumatische Wirklichkeit) konzipiert Ambrosius gemäß Bobert drei Schriftverständnisse, wobei er dem antiken Modell des Origenes folgt und den sensus naturalis (den fleischlichen Sinn bei Origenes), den sensus moralis (den seelischen Sinn) und den sensus mysticus, rationabilis, intelligibilis (den geistlichen Sinn bei Origenes) unterscheidet. Beide (Ambrosius und Origenes) folgen letztlich der Deutung des alttestamentlichen Hohelieds Salomos, das die innere Entwicklung zu Gott durch Transzendierung der physischen Welt beschreibt. Historisch-kritische Überlegungen werden dabei dem sensus naturalis zugeordnet. Heute würden z.B. bibliodramatische Zugänge dem sensus moralis zugeordnet werden, Schriftbetrachtungen der ignatianischen Exerzitien oder Jalics’ Modell Geistlicher Begleitung mit seinem spirituellen Schriftverständnis dem sensus mysticus.467 Mystagogische Erfahrungen, die innerhalb einer evangeliumsgemäßen Geistlichen Begleitung möglich sind, bedürfen adäquater Zugänge und Deutungen. Diese sind durch eine geistliche Schriftbetrachtung komplementär zu einer historisch-kritischen Sicht möglich, weil dadurch geistliches Erleben initiiert und schriftbezogen existenziell reflektiert werden kann. Alle Personen, deren Positionen in der oben diskutierten Veröffentlichung zu »Geistlicher Begleitung aus evangelischer Perspektive« (2013) dargestellt wurden, und selbstverständlich auch die darüberhinausgehenden Formen (wie z.B. die benediktinische Geistliche Begleitung) sollten in der Beurteilung ihrer evangelischen Position bzw. ihrer »Evangeliumsgemäßheit« an diesem geistlichen Schriftverständnis gemessen werden. Hier werden weitere Forschungsarbeiten eine schriftbezogene evangelische Form Geistlicher Begleitung bereichern können. 5.2.3 Geistliche Begleitung evangelisch Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive im spezifischen Sinne hat für die Gegenwart und Zukunft folgende Aufgaben zu bewältigen: a) Sie hat, bezogen auf die zwischenmenschliche Ebene, differenzierte Modelle der Interaktion zu erarbeiten, die die Aspekte, die für das Ziel einer Geistlichen Begleitung im mystagogisch-seelsorglichen Sinne förderlich sind, beschreiben. Dazu zählen das zwischenmenschliche Begegnungsgeschehen sowie die Identität, Entwicklung und Förderung des Begleitenden und des Begleiteten. Ersteres gelingt vielfach durch tradierte pastoralpsychologische Modelle, könnte aber durch aktuelle wissenschaftlich fundierte Konzeptionen ergänzt werden. b) Bezogen auf das geistliche Geschehen sind ebenfalls in Theorie und Praxis Übungs- und Rahmenstrukturen für die spirituell-geistliche 467
Bobert (2010), 246f.
5.2 Geistliche Begleitung aus evangelischer Perspektive
c) d) e) f) g) h)
468
147
innere Entwicklung zu erarbeiten, die angesichts des Zieles der Geistlichen Begleitung Orientierung und Halt für beide am Geschehen beteiligten Menschen zu geben vermögen. Dieser Halt kann, weil es sich in der Geistlichen Begleitung stets um ein Wirken des Heiligen Geistes handelt, immer nur ein »vorläufiger und hinlänglicher« sein, da der Geist Gottes stets unverfügbar ist. Der Erfahrungsgrund (Gott, Christus) hat stets das Ausrichtungsziel zu sein. Asketische Übungen sind anzuweisen und zu reflektieren. Sie sind niemals Selbstzweck, dienen vielmehr der contemplatio. Eine geistliche Schriftauslegung ist zusammen mit der historischkritischen zu fördern. Dazu gehört, die geeignete Methodik der meditativ-kontemplativen Schriftbetrachtung anzuleiten. Es gilt (mit Luther) dessen eingedenk zu sein, dass alle geistliche Erfahrung stets unter der tentatio (Anfechtung) steht.468 Es ist weitere Arbeit an einem dynamischen, prozessorientierten Verständnis geistlicher Entwicklungsprozesse zu leisten.469 Geistliche Begleitung ist für alle, gleich ob Theologen oder NichtTheologen, in Ausbildung und Ausübung zugänglich zu machen (»Priestertum aller Gläubigen« mit Luther).
Siehe dazu die Ausführungen zu Geistlicher Begleitung und Anfechtung im Dritten Teil 3.5. 469 Vgl. Bobert (2010), 235.
6 Geistliche Begleitung in der christlichen Tradition
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Geistliche Begleitung in den exemplarisch dargestellten Modellen der christlichen Tradition ein zwischenmenschliches Beziehungsgeschehen und zugleich auch immer ein geistgewirktes, spirituelles Geschehen ist. Beide Stränge Geistlicher Begleitung gehören untrennbar zusammen. Geistliche Begleitung wird in den erörterten Modellen in verschiedenen Begegnungsformen vornehmlich mittels eines Gespräches und in unterschiedlichen geistlichen Ausprägungen praktiziert. Die Rollen und Rollenfunktionen sind in der Beziehung zwischen dem erfahreneren Begleiter und dem mehr oder weniger erfahrenen Begleiteten klar verteilt. Letztlich ist stets Gott der Handelnde, geht es doch bei Geistlicher Begleitung darum, Gott im je eigenen Leben zu erfahren. Dieser Mitteilung Gottes gilt es sich zu öffnen und sich von ihr verwandeln zu lassen. Der Fokus liegt damit ganz auf einer spirituellen Entwicklung und auf einem mystagogischen Entwicklungsprozess, der gleichsam heilsam seelsorglich wirkt. Kennzeichnend sind eine verbindliche Beziehungsstruktur, die sich in der Regel über einen längeren vereinbarten Zeitraum mit regelmäßigen Treffen erstreckt, differenzierte, dem Begleitenden angepasste Übungen und ein prozessorientiertes Vorgehen (Stufen der Demut, der Liebe etc.). Der zwischenmenschlichen Beziehung wird darin größte Wertschätzung zuteil. So ist sie als solche schon Wirkfaktor und ein Ort von Heilung. Ferner vollzieht sie sich strukturiert-methodisch. Weil dieses strukturiert-methodische Vorgehen in der Begleitung der Wüstentradition bzw. in Teilen der evangelischen Tradition, wie herausgearbeitet wurde, fehlt, kann dort nicht von Geistlicher Begleitung im spezifischen Sinne gesprochen werden. Dennoch weisen sie alle oben genannten Aspekte gleich wie das benediktinische, karmelitische (nach Johannes vom Kreuz) und das ignatianische Modell auf. Alle sind sie durch ein prozessorientiertes Entwicklungsmodell des Glaubens gekennzeichnet. Hinzu tritt eine geistliche Schriftauslegung, die eine historischkritische Schriftauslegung komplementiert. Mittels asketischer Methoden (Schriftbetrachtung, Gebet, Kontemplation) werden ein vertieftes geistliches Schriftverstehen und die Transformation im Sinne mystagogischer Seelsorge gefördert. Für die weitere Arbeit kann daraus resultierend festgehalten werden:
6 Geistliche Begleitung in der christlichen Tradition
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Die dargestellten Modelle Geistlicher Begleitung kennen keine Trennung zwischen seelsorglichem und spirituellem Geschehen, wie sie sich nach der Aufklärung gestaltete: einerseits in eine säkulare therapeutische Arbeit mit eigener Diagnostik, Methodik, Gesundheits- und Krankheitslehre und eigenem Menschenbild und andererseits in eine eigenständige geistliche Arbeit. Gegenwärtig werden diese Bereiche sowohl im therapeutischen Bereich durch die Aufnahme spiritueller Methode als auch im spirituellen Bereich durch die nun schon jahrzehntelange Aufnahme therapeutischer Wissensstände durchlässiger füreinander. Eine differenzierte Betrachtung ist notwendig. Resultierend aus der Zusammenschau ist besonders herauszustellen: zum einen den Demutsgedanken, der in allen christlichen Modellen bis auf die evangelischen Darstellungen beheimatet ist, und zum anderen die Synergie individueller Praxis und gemeinschaftlicher Praxis, wie sie im benediktinischen Modell beispielhaft deutlich wird. Der Demutsgedanke vermag individualistisch-egozentrische Gefahren abzuwehren und das Sich-Einfinden des eigenen Lebens in Gott zu fördern. Dies ist gerade angesichts der gegenwärtigen subjektivistisch zugespitzten gesellschaftlichen Herausforderungen für die Geistliche Begleitung von großer Bedeutung. Der bleibende Wert der Synergie individueller Praxis und gemeinschaftlicher Praxis, wie sie im benediktinischen Modell beispielhaft deutlich wird, liegt darin, dass Gemeinschaften wie Gemeinden mit ihrer rituellen und seelsorglichen Praxis regulativ und korrektiv, tröstend und stärkend, begleitend und tragend für den individuell Geistliche Begleitung aufsuchenden Menschen sein können. Der monastische Rahmen Geistlicher Begleitung ist damit in neue Formen gemeinschaftlicher Weggefährtenschaft zu überführen, womit Luther mit seinen Ideen (z.B. Katechismusübung) Vorbild sein kann.
Zweiter Teil: Die pastoralpsychologisch-seelsorgliche Dimension: Geistliche Begleitung und der Ansatz der Integrativen Therapie
1 Hinführung und Begründung für die Wahl des Integrativen Ansatzes Was ist Kunst, was die Methode, ist die Praxis, die uns leitet, wohin man gehen soll? (Plotin, Enneaden III, 20a)
1.1 Begriff und Begründung der »Integrativen Therapie« Die Integrative Therapie ist ein bio-psychosoziales, tiefenpsychologisch fundiertes Psychotherapieverfahren mit einem methodenübergreifenden, entwicklungs- und ökologieorientierten Ansatz ganzheitlicher und differentieller »Humantherapie« (vgl. Petzold 1974j; 1992a).470 Sie ist eine Therapie für Menschen in ihrem jeweiligen bestimmten Lebenskontext innerhalb einer bestimmten Lebenszeit. Sie orientiert sich an der empirischen Therapieforschung, der klinischen Psychologie, den Erkenntnissen der Neurobiologie, sowie der modernen Wissenschaftstheorie und der klinischen Philosophie. Sie möchte Menschen, die sich in Krankheit und in Leiden befinden, behandeln und unterstützen sowie sie auf der Suche nach Orientierung und Sinn begleiten. Der Begriff »Integrative Therapie« ist von Hilarion Gottfried Petzold, der zusammen mit Johanna Sieper die Therapierichtung maßgeblich entwickelt hat, in den 1960er Jahren geprägt worden. Erstmalig wurde »Integrative Therapie« als ein programmatischer Begriff für ein spezifisches methodisches Vorgehen 1965 von Petzold verwendet und seit 1967 in der konkreten therapeutischen Arbeit umgesetzt. Die Wurzeln der Integrativen Therapie reichen in die frühen 1960er Jahre zurück, in denen Hilarion Petzold und Johanna Sieper von 1963 bis 1971 in Paris studierten. Persönliche Studien und Begegnungen mit namhaften Vertretern und Vertreterinnen der Psychoanalyse, der Verhaltenstherapie, des Psychodramas und der Gestalttherapie wurden prägend für die Entwicklung der Integrativen Therapie. Zusammen mit weiteren Referenzverfahren, wie der systemischen Therapie oder der Psychoanalyse, legten diese Elemente die Grundlagen für eine mehrdimensionale und differenzierte Kulturarbeit.471 Petzold praktizierte damals bereits das, was er später »konnektierendes (vernetzendes)« oder »transversales (offenes)« Denken nannte. Letzteres meint eine permanente Überschreitung von Wissensständen unter Durcharbei470
Die Zitate aus dem Werk Hilarion Petzolds und Johanna Siepers, v.a. Hinweise auf Gesamtwerke, werden in Klammern geführt und folgen der Systematik des bibliographischen Gesamtverzeichnisses Hilarion Petzolds. Siehe www.fpi-publikationen.de/polyloge 1/2006 bzw. www.fpi-publikation.de/artikel/textarchiv-h-g-petzold-et-al. 471 So mit Anton Leitner (2010), 43–76.
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1 Hinführung und Begründung für die Wahl
tung des relevanten Wissens und der relevanten Erfahrungsfelder (vgl. Petzold 1992a), welche dann neu miteinander verknüpft werden. Die Integrative Therapie wurde angesichts dieser wissenschaftlichen Haltung bewusst als Entwurf konzipiert. Sie vertritt mit methodischer Konsequenz letztlich eine Unfertigkeit. Symbol für ihre integrative Orientierung in dieser steten Transversalität ist die heraklitische Spirale472 bzw. Heraklits philosophisches, evolutionäres Grundverständnis des Lebens: die Idee fortwährenden Wandels und permanenter Entwicklung des Lebens, des Wissens und der Gesellschaft. Das transversale Denken stellt ein spezifisches Charakteristikum der Integrativen Therapie dar. 1.2 Gründe für die Entwicklung des Verfahrens Als Gründe für die Entwicklung des Entwurfes der Integrativen Therapie sind zu nennen: die unbefriedigenden Erfahrungen mit der monothematischen und methodenmonistischen Psychotherapie der 1960er Jahre, die ungelösten theoretischen Probleme bedingt durch die Teil-Erkenntnisse der Monoverfahren, der wissenschafts- und gesellschaftskritische Geist der 1960er Jahre, der sich wissenschaftlich Ausdruck verschaffen wollte und das Bemühen, um ein zuerst praktisches und dann später theoretisches Konzept, mit welchem adäquat dem Menschen als einem differenzierenden und integrierenden Wesen heilsam und förderlich in ganzheitlicher Weise begegnet werden kann. Zudem kam es auf praktischer Ebene zu einem immer größeren, jedoch ungenügend wissenschaftlich reflektierten473 Eklektizismus von therapeutischen Methoden und Interventionstechniken. Einzelne Therapieforscher, darunter auch Hilarion Petzold, begannen in Deutschland seit Mitte der 1975er Jahre übergreifende Modelle zu entwickeln. Diese Ansätze finden sich heute unter dem Begriff des sogenannten »neuen Integrationsparadigmas« in der Psychotherapie wieder (Petzold 1992g).474 Der integrative Ansatz findet sich unter den anderen im »neuen Integrationsparadigma« mit einer neuen Definition von »Integration« auf Basis der Gestalttheorie wieder. Die Integrative Therapie ist damit als eine Antwort auf die moderne Lebensvielfalt zu verstehen. Den menschlichen Fragen nach Sinn, Identität und Ganzheitlichkeit wird versucht, theoretisch und praktisch an472
Vgl. zur wissenstheoretischen Grundlegung der Integrativen Therapie (Zweiter Teil, Punkt 2). 473 Hans Waldemar Schuch (2000), 23f. 474 Vgl. zum »neuen Integrationsparadigma« Petzold (1992g). Dort finden sich auch ausführliche Darstellungen der einzelnen Psychotherapieforscher, die im Zusammenhang mit Petzold genannt sind, wie etwa Klaus Grawe, John C. Norcross oder David Olinsky.
1.3 Der Begriff »Integration«
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gemessen zu begegnen. Allgemeines Ziel stellt die Aufgabe dar, den Menschen zu helfen, ihr pluriformes Leben und Erleben zu ertragen, zu bewältigen und sinnvoll zu strukturieren und damit Lebenssinn zu realisieren. Dieses Ziel verfolgen auch andere therapeutische Verfahren. Zusammen mit dem transversalen Denken ist es vor allem ihr Verständnis von Integration, welches die integrative Therapie in besonderer Weise kennzeichnet und von anderen Therapierichtungen unterscheidet. 1.3 Der Begriff »Integration« Integration (von lat. integer – ganz, vollständig, unverletzt) bedeutet im Zusammenhang der Integrativen Therapie »die Zusammenfassung differenzierter oder disparater Teile zu einem übergeordneten Ganzen bzw. das Lösen von Problemen und Aufgaben auf höherer Strukturebene.« (Petzold 1992g). Gemeint ist eine immer neue Herstellung, Entwicklung und Erneuerung eines Ganzen / eines Sinnes im Lebensvollzug der Therapie in Anspruch nehmenden Menschen. Integrieren ist damit ein steter Prozess, »dessen Folge Ganzheit (nicht das Ganze) ist, in der Differentes nicht eingeschmolzen, eingeebnet wird, sondern erkennbar bleibt. Es geht um Verbindungen von Zerstreutem, Unterschiedlichem durch Vernetzungen, Synopsen, Synergieeffekte, so dass durch die kokreative Wirkung der Teilaspekte Sinnbezüge hergestellt werden und Innovationen geschehen können, ein Novum auftauchen kann. Damit werden die Begriffe Differenzierung, Integration und Kreation in einen dialektischen Bezug gestellt.« (Petzold 1990b). Das so neu Verbundene ist folglich etwas anderes als die Summe der Einzelteile. Dieses Integrationsverständnis der Integrativen Theorie geht auf die Gestalttheorie, deren Hauptbegründer u.a. Max Wertheimer ist, zurück. Formelhaft lässt sie sich zusammenfassen mit dem Satz: »Es gibt Zusammenhänge, bei denen nicht, was im Ganzen geschieht, sich daraus herleitet, wie die einzelnen Stücke sind und sich zusammensetzen, sondern umgekehrt, wo – im prägnanten Fall – sich das, was an einem Teil dieses Ganzen geschieht, bestimmt von inneren Strukturgesetzen dieses seines Ganzen (ist). […] Gestalttheorie ist dieses, nichts mehr und nichts weniger.«475 Eine Gestalt (griechisch: µορφη) ist damit stets eine lebendige Form, in welcher einzelne Teile, die warum auch immer separat wurden, wieder in einer lebendigen übergeordneten Struktur verbunden werden. Diese so zu bezeichnende integrative Orientierung unterscheidet sich damit grundlegend von den pluralistischen,476 kombinatorischen bzw. eklekti-
475 476
Max Wertheimer (1925). Reiner Bastine u.a. (1980), 302–322.
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1 Hinführung und Begründung für die Wahl
schen477 Orientierungen.478 Die pluralistische Orientierung möchte eine mehrperspektivische methodologische empirische Sicht und Vorgehensweise sowie die Integration mehrzähliger und verschiedener spezialisierter Wissensformen und Interventionstechniken in einer wissenschaftlich fundierten Psychotherapie fördern. Diese soll einer ausschließlich eindimensionalen Betrachtung (z.B. der psychoanalytischen) entgegenstehen und damit größtmögliche Optionen der Behandlung und Heilung der Patienten ermöglichen. Die kombinatorische bzw. eklektische Orientierung bedient sich Methoden, Stile und Philosophien aus verschiedenen psychotherapeutischen Systemen und setzt deren Elemente in eine sinnvolle Verbindung oder geistige Verknüpfung. Beide arbeiten jedoch nicht in dem Sinne integrativ, da sie nicht transversal und auch nicht in dem Sinne integrativ vorgehen, in dem sie differenzierte oder disparate Teile zu einem übergeordneten Ganzen überführen bzw. das Lösen von Problemen und Aufgaben auf höherer Strukturebene suchen. Sie bilden ebenso keine theoretischen Konzepte aus, wie sie die Integrative Theorie bietet und im Nachstehenden erläutert werden. Wird in dieser Arbeit von »Integration« oder »integrativ« gesprochen, meint es stets die oben ausgeführte Definition des integrativen Ansatzes nach Petzold auf der Basis der Gestalttheorie. Auf dieser theoretischen Basis und auf der wissenschaftstheoretischen Grundlage der Integrativen Therapie ist es meine Absicht, ein eigenes »Integrationsparadigma« für die Prozesse innerhalb der Geistlichen Begleitung zu erarbeiten, um eine fundierte wissenschaftliche Theorie für die zwischenmenschliche Beziehung in der Geistlichen Begleitung und der in ihr stattfindenden intersubjektiven und spirituellen Prozesse zu entwickeln. 1.4 Begründung der Auswahl des Verfahrens der Integrativen Therapie für die Reflexion Geistlicher Begleitung Die Integrative Therapie ist eine theoriegeleitete Verbindung von verschiedenen Methoden und Medien im Rahmen eines konsistenten Verfahrens mit klar identifizierbarer Praxis, was die theoretischen Modelle und Kernkonzepte verdeutlichen, die im Folgenden erläutert werden.479 477 478
Sol L. Garfield (1982). Vgl. dazu grundlegend auch Johanna Sieper (2007), 64–151 (106ff), und Petzold (1992g), 1007ff. 479 Die Integrative Therapie ist deshalb von Seiten des BDP (Berufsverband Deutscher Psychologen) als wissenschaftliche und klinische psychotherapeutische Behandlungsmethode anerkannt. Die Anerkennung nach dem deutschen Psychotherapeutengesetz wird weiterhin angestrebt (in Teilbereichen ist sie nach den Standards des deutschen Psychotherapeutengesetztes von 1999, das vollständig in der Aus- und Fortbildungsarbeit umgesetzt wurde, erreicht). In vielen Ländern Europas ist sie bereits vollständig anerkannt.
1.4 Begründung der Auswahl des Verfahrens der Integrativen Therapie
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Aus diesem Grunde ist sie wie andere psychotherapeutische Verfahren (z.B. die Psychoanalyse oder die systemische Therapie) dazu geeignet, zwischenmenschliche Prozesse, Entwicklungen, Störungen und Identitätsentwicklungen, die sich auf der zwischenmenschlichen Interaktionsebene und, bezogen auf die beiden beteiligten Subjekte im Beziehungsgeschehen der Geistlichen Begleitung ereignen, in differenzierter, ganzheitlicher und wissenschaftsgestützter Weise zu beschreiben, zu fördern und zu heilen. Sie bietet dafür eine fundierte Wissenschaftstheorie und psychologische Kernkonzepte an, die es ermöglichen, den intersubjektiven Beziehungsprozess Geistlicher Begleitung zu gestalten, zu reflektieren und für den Begleiteten transparent zu machen. Sie greift dazu auf eine komplexe, neurowissenschaftlich fundierte Lerntheorie zurück, die die Basis der intersubjektiven Ko-respondenzprozesse bildet, die innerhalb einer Beziehung geschehen. Sie vermag damit eine praktische und theoretische Orientierung, Förderung und eine Struktur der Begegnung zu geben. Darüber hinaus bietet sie, im Unterschied zu anderen Verfahren, für die Geistliche Begleitung ein Verständnis von Integration an, das in praktischer wie theoretischer Weise die eklektischen Prozesse, die in der Praxis Geistlicher Begleitung stattfinden, neu und in integrativer Weise zu erfassen vermag. Die Integrative Therapie besitzt damit allgemein, wie andere psychotherapeutische Verfahren auch, bezogen auf die seelsorgerlich-pastoralpsychologische Dimension Kernkonzepte, Methoden und praktische Techniken, um die Geistliche Begleitungsbeziehung zu gestalten und zu verstehen. Im Besonderen ermöglicht sie darüber hinaus, zum einen durch ihr Verständnis von Integration, neue Wege, die vielfältigen eklektischen Prozesse in der Praxis Geistlicher Begleitung zu entwickeln und theoretisch zu reflektieren und zum anderen durch ihre Wissenschaftstheorie, namentlich durch den »tree of science«, eine formale hermeneutische Struktur, um Geistliche Begleitung grundlegend wissenschaftlich zu reflektieren. Dies bietet im Rückschluss wiederum für ihre Kernkonzepte, Methoden und Techniken neue Sinnerfassungskapazitäten. Allgemeine wie auch besondere Entwicklungsmöglichkeiten sind für die Geistliche Begleitung, wie sie sich aktuell darstellt, nicht selbstverständlich. Gegenwärtig kann nicht generell vorausgesetzt werden, dass Geistlich Begleitende therapeutisch geschult sind oder eine seelsorgerliche Ausbildung absolviert haben. Auch wird Geistliche Begleitung nicht formal wissenschaftstheoretisch erfasst. Im Folgenden werden nun die Themenfelder, die für die Reflexion der zwischenmenschlichen und formal-strukturellen Dimension Geistlicher Begleitung genannt wurden, näher ausgeführt. Dabei werden sie einer kritischen Prüfung unterzogen, ob sie für ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis Geistlicher Begleitung in Theorie und Praxisgestaltung geeignet sind. Ich folge mit diesem Vorgehen der wissenschaftstheo-
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1 Hinführung und Begründung für die Wahl
retischen Position der Integrativen Therapie und einer integrativen Hermeneutik. Die vorliegende Untersuchung reflektiert damit die gegenwärtig stattfindenden Integrationsprozesse im Rahmen Geistlicher Begleitung und entwickelt eine eigene »Theorie des Integrierens« unter Aufnahme des integrativen Ansatzes für die Theorie und Praxis Geistlicher Begleitung, die derzeit noch wissenschaftlich fehlt. Der »fröhliche spirituelle Eklektizismus« der Praxis der Geistlichen Begleitung bedarf einer kritischen Sichtung bezüglich Methodentheorie, Anthropologie, Theologie und Entwicklungstheorie von spirituellen und zwischenmenschlichen Prozessen und deren wechselseitiger Durchdringung in Theorie und in Praxis. Die formale Folie für diesen Re-flexionsprozess bildet der »tree of science« – auch im Hinblick auf mögliche andere therapeutische Verfahren für die zwischenmenschliche Beziehungsarbeit. Die durch eine kritische Analyse gewonnenen Erkenntnisse können mit diesem Integrationsmodell kritisch reflektiert und bewusst neu geordnet werden. Dies hat zur Folge, dass auf dem reichlich bestellten Feld genuiner christlicher Begleitmodelle Neuschöpfungen entstehen können, die im Anschluss dann bewusst transparent im zwischenmenschlichen Geschehen der Geistlichen Begleitung kommuniziert werden können. In Teil 3 werden darum nach diesen ersten Erläuterungen Konzepte für eine Neubegründung Geistlicher Begleitung auf einer neuen wissenschaftstheoretischen und pastoralpsychologischen Basis entwickelt. Es erwächst damit ein neuer Entwurf für eine Geistliche Begleitung unter einer integrativen pastoralpsychologischen Perspektive.
2 Die wissenschaftstheoretische Position in der Entwicklung der Integrativen Therapie
Grundlage für die Entwicklung eines fundierten wissenschaftlichen Integrationsparadigmas für die Geistliche Begleitung ist eine wissenschaftstheoretische Positionierung. Diese wird in Aufnahme der Position der Integrativen Therapie entwickelt, die wie folgt entstand: Eine Leitthese der allgemeinen wissenschaftstheoretischen Diskussion, die für die Entwicklung des Verfahrens und Verstehens der Integrativen Therapie maßgeblich ist, besagt, dass die Psychotherapie einen mehrdimensionalen fakultäts- und methodenübergreifenden Wissenschaftsbegriff zu vertreten habe und dass alle relevanten Theorien und Erkenntnismethoden der »Wissenschaft des Lebens« Beachtung finden sollten und, wo immer dies sinnvoll und nötig ist (falls es möglich ist), integriert werden sollten. Diese Sicht stammt aus den 1920er Jahren und wurde von dem Philosophen, Psychiater und Begründer der modernen klinischen Psychologie Pierre Janet und den russischen Psychologen Lev Semanowitsch Vygotskij und Alexander Romanowitsch Lurija vertreten.480 An diese Tradition knüpft die Integrative Therapie explizit an. In der Überzeugung, dass eine solche »Integration« auch eine differenzierte und konsistente »Theorie des Integrierens« braucht (Sieper 2006), wurde das theoretische Modell des »tree of science« entwickelt und der integrative Ansatz als ein bio-psychologisch und sozial-kulturelles Verfahren entwickelt. Um »Wege zum Menschen«481 zu finden und in Therapie anzubieten, werden unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt: a) ein phänomenologischer Ansatz: Diese Vorgehensweise richtet die Wahrnehmung auf das Offensichtliche, um von dort aus weiter nach den Strukturen und den Entwürfen des Menschen zu fragen. b) ein hermeneutischer Ansatz »schöpferischer Metamorphose«: Lernen, Erkennen und Handeln geschieht in hermeneutischen Prozessen des Wahrnehmens, Erfassens, Verstehens und Erklärens im Fluss von Integration und Kreation. Jede Erkenntnis ermöglicht eine neue, verän480 481
Siehe weiterführend dazu: Leitner (2010), 44ff. »Wege zum Menschen« lautet gleichsam auch der Titel einer Zeitschrift für Seelsorge und Beratung, heilendes und soziales Handeln, die das Gespräch zwischen Theologie, Medizin, Psychologie u.a. Fachdisziplinen sucht. Organ der Evangelischen Konferenz für Familien- und Lebensberatung, der Deutschen Gesellschaft für Pastoraltheologie (DGfP) und der Konferenz Evangelischer Krankenhausseelsorge, hg. von Christiane Burbach u.a. Ebenso: Petzold (1994).
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2 Die wissenschaftstheoretische Position in der Entwicklung der Integrativen Therapie
derte Sicht auf die Phänomene, eröffnet neue Wahrnehmung, neues Erfassen, Verstehen und Erklären. Damit ist auch die Möglichkeit des Erkenntnisgewinns nie abgeschlossen. Es entsteht ein Prozess, der in der Integrativen Therapie als ein Spiralprozess beschrieben wird.482 In Anlehnung an den Philosophen Heraklit wird dieser Prozess als heraklitische Spirale bezeichnet (Petzold 2002b).483 Auf der Grundlage der Koexistenz allen menschlichen Lebens im Kontinuum gemeinsamer Zeit und geteilter soziokultureller Kontexte ist damit jeder Erkenntnisgewinn zugleich ein Ko-respondenzprozess.484 Dieser wird in dem integrativen Ansatz auch »schöpferische Metamorphose« genannt.485 Zudem wird eine Metahermeneutik konzeptionell entwickelt, die diesen hermeneutischen Weg selbst in den Blick nimmt und auf die weiteren Theorien und realexplikativen und praxeologischen Konzepte schaut (Petzold 2005p).486 c) ein existentieller Ansatz: Diese Vorgehensweise beschreibt ein Schauen des Wesentlichen oder metaphorisch ausgedrückt ein »Schauen mit dem Herzen« (Leitner 2010). Zentrales Therapiekonzept ist die Erweiterung des Sinnerlebens durch Selbst- und Welterkenntnis.487 Ergänzt werden diese Ansätze als Wege zum Menschen durch die dialektische Erkenntnismethode und ein systemisches Modell, das auf der »Selbstregulation von Prozessen« basiert.488 Die dialektische Erkenntnismethode, philosophisch bei Heraklit und Empedokles entfaltet und unter anderem von Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel kritisch reflektiert, zielt auf das Erkennen von Spannungen zwischen physischen und psychischen Situationen ab und geht der Frage nach, wie sich Polaritäten, z.B. in (Wert-) Positionen des Menschen, zueinan482 483
Siehe auch: Petzold (1991a), 413ff. Vgl. Petzold (1992a), 625, erstmalig von Petzold formuliert in Petzold (1988b). Siehe Abbildung im weiteren Textverlauf Punkt 3: »tree of science« 2000. Dort die rechtsseitige Abbildung zur »Theorie als Matrix von Praxis«. 484 Siehe zu »Ko-respondenz« (Schreibweise ist Eigenname) auch im Zweiten Teil Punkt 4. 485 In der Philosophie sind die Referenztheoretiker dieses Weges für die Integrative Therapie Friedrich Schleiermacher, Wilhelm Dilthey, Martin Heidegger, Hans-Georg Gadamer und Paul Ricoeur. Für die konsequente Reflexion der historisch-kulturellen und soziokulturellen Zusammenhänge und den Voraussetzungen des Interpretierens wird auf Michel Foucault, Jaques Derrida, Jürgen Habermas und Niklas Luhmann rekurriert. Siehe im Ganzen zur Geschichte, zu den Quellen und Referenztheorien der Integrativen Therapie: Leitner (2010), 7–42. 486 Siehe meine Ausführungen zum »tree of science« unter 3.1 im Zweiten Teil. 487 Die Referenztheoretiker dieses Ansatzes für die Integrative Therapie sind Maurice Merleau-Ponty, Emanuel Levinas, Hermann Schmitz, Gabriel Marcel, Edmund Husserl. Vgl. Leitner (2010), 45. 488 Dazu Leitner (2010), 45f.
2 Die wissenschaftstheoretische Position in der Entwicklung der Integrativen Therapie
161
der verhalten. Dialektische therapeutische Interventionen stellen demnach auch Konfrontationen dar und eine Ermutigung im Ringen um die eigene Lebensbalance. Das systemische Modell der Selbstregulation fußt auf dem pythagoreischen Harmoniemodell der Kräfte des menschlichen Körpers und der Vorstellung, dass Krankheit das Ergebnis des Vorherrschens einer Kraft sei.489 Abschließend kann von der Entwicklung der Integrativen Therapie historisch in zwei Abschnitten gesprochen werden: In der ersten Phase ihrer Entwicklung (Mitte 1960er Jahre bis ca. 1980) standen vor allem die Erfahrung und die Auseinandersetzung in »integrativer Weise« mit den psychotherapeutischen Verfahren der Psychoanalyse, des Psychodramas, der Gestalttherapie, der Verhaltenstherapie, des therapeutischen Theaters und der leib- und körpertherapeutischen Verfahren sowie fernöstlicher Kampfkunst (z.B. Aikido).490 In der zweiten Phase (1980er Jahre bis heute) kam es zu wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und zur Neugründung der Integrativen Therapie auf der Basis der eben benannten reichen Vorgängertraditionen. Diese Einflüsse wurden neu rezipiert, d.h. es wurden eigenständige Entwicklungen betrieben und anschlussfähiges Material aus den infrage kommenden Verfahren kritisch gesichtet, neu interpretiert und einer theoretischen Neubegründung und systematischen Neuverordnung unterzogen. Derart qualitativ verändert, wurden die psychotherapeutischen Referenzansätze in den theoretischen und praxeologischen Gesamtrahmen der Integrativen Therapie eingefügt. Sie ist somit ein Neues auf einem »reich bestellten Feld«.491 Es handelt sich damit nicht um eine unreflektierte Addition von Therapiefeldern, sondern um eine Neuschöpfung durch kritische Analyse und Neuordnung auf höherer Strukturebene im Rahmen des »tree of science«.492 489
So Petzold (1974j), 295. Die russischen Physiologen Alexander Uchtomsky, Pyotr Anokhin und Alexander Romanowitsch Lurija haben dieses Modell weiterentwickelt, ebenso der Neurologe Kurt Goldstein aus Deutschland (vgl. Sieper 2006). Niklas Luhmann hat dieses dann für soziale Systeme ausgearbeitet; sein Werk wurde für die Konzeptentwicklung der Integrativen Therapie genutzt. 490 Mit Leitner (2010), 48. Vgl. Sieper (2006), 64–151. Dort finden sie ebenso wie bei Petzold (1992g; 1992a, 962) weitere Informationen zu den spezifischen Vertretern der psychotherapeutischen Verfahren: u.a. der Psychoanalyse (ungarischer Prägung Sándor Ferenczi; Michael Balint), des Psychodramas (Jacob und Zerka Moreno), der Gestalttherapie (Fritz und Lore Perls, Paul Goodmann), der Verhaltenstherapie (Frederick Kanfer), des therapeutischen Theaters (Vladimir Iljine) und der leib- und körpertherapeutischen Verfahren (Wilhelm Reich, Alexander Lowen, Elsa Gindler). 491 Vgl. ders., a.a.O., 48f (48). Hilarion Petzold spricht mittlerweile von einer »dritten Welle« in der Psychotherapie. So in seiner Einladung zur EAG Jahrestagung 2013 (2./3.11.2013 in Hückeswagen): »Dritte Welle in der Psychotherapie – zwischen Innovation und Tradition«. Impulse sieht er v.a. durch die Forschung in der Neurobiologie, Epigenetik, Evolutionspsychologie und durch die neueren Forschungen in der klinischen Psychologie und Psychotherapie gegeben. 492 Ebd., 115ff.
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2 Die wissenschaftstheoretische Position in der Entwicklung der Integrativen Therapie
Mit dem Wissensstrukturmodell der Integrativen Therapie wurde in dieser zweiten Entwicklungsphase eine innovative neue erkenntnistheoretische Basis für alle Prozesse der Integration geschaffen (Petzold 1992a). Es wurde eine fundierte anthropologisch-wissenschaftliche Position entwickelt (Petzold 1988n), die auf der Grundlage einer Persönlichkeitstheorie ausgearbeitet (Petzold 2003a, S. 515ff) und mit der klinischen Psychologie und psychotherapeutischen Praxis verbunden wurde. Anschließend wurde diese Position in das Integrationsmodell und die theoretische Wissensstruktur übernommen und mit eigenen Entwicklungskonzepten wie dem Ko-respondenzmodell, der Pathogenese und der Identitätstheorie verknüpft. Im Rahmen der theoretischen und auch praktischen Diskurse mit den psychotherapeutischen Praktiken bildeten sich selbständige, konsistente und kohärente Arbeitsweisen.493 Das Besondere an der Integrativen Therapie besteht somit in ihrem anspruchsvollen wissenschaftstheoretischen Programm, das zu einer steten Problematisierung und, wenn nötig, einer Revision von Psychotherapie anregt. Sie nimmt alle grundlegenden theoretischen Annahmen und Praktiken exzentrisch (d.h. aus einer übergeordneten wissenschaftstheoretischen Position gemäß dem »tree of science«) in den Blick, diskutiert sie kritisch im Hinblick auf inhärente und unausgewogene Gedanken, Modellvorstellungen, Ideologien und Mythen, den philosophischen Hintergrund ihres Menschenbildes und im Hinblick auf eine Ethik der Alternität (Emmanuel Levinas). Ferner kann als eine wesentliche Äußerung ihre offene, indikationsspezifische, szenisch-kreative Gestaltung des therapeutischen Settings und Verfahrens genannt werden. Insgesamt kommt die Integrative Therapie zu einem Therapieverständnis im Sinne des griechischen therapeuein: Psychotherapie wird als pflegen, fördern, Sorge tragen, wertschätzen, heilen und entwickeln verstanden. Salutogenese und Pathogenese begegnen sich.494 Neu ist somit die metahermeneutische Folie zur systematischen Reflexion, Problembearbeitung, Diskussion und Revision von Psychotherapie, der »tree of science« und originell die damit verbundene Art des transversalen Denkens und integrativen Vorgehens samt Referenzen und Begriffswahl. Damit unterscheidet sie sich klar von der üblichen Tradition im Bereich der Psychotherapie. Sie fußt auf einer klar definierten, erlebnistheoretischen und diskursiv verfassten methodischen Grundlegung und auf empirischen Forschungsgrundlagen, die im Folgenden nun mittels der Diskussion ihrer Kernkonzepte weiter entfaltet werden sollen, um sie in einem weiteren Schritt für die Geistliche Begleitung zu reflektieren.495 493
Vgl. die Grundregel der Integrativen Therapie. Aufschlussreich im Kontrast zur psychoanalytischen. Im Ganzen dazu: Leitner (2010), 50, 99f. 494 Hans Waldemar Schuch (2000), 17–74. 495 Leitner (2010), 97. Zur Forschung: Petzold/Haas/Märtens/Steffan (2000).
3 Kernkonzepte der Integrativen Therapie
3.1 Die integrative Wissensstruktur – das Modell des »Tree of Science« Die Vertreter der Integrativen Therapie haben mit dem Kernkonzept der Metastruktur des »tree of science« eine für die Entwicklung des Verfahrens handlungsrelevante Theoriekultur geschaffen. Dieses Metamodell umfasst eine transversale, d.h. alle wesentlichen Wissensbereiche vernetzende Wissensstruktur der Psychotherapie, als Disziplin. Dabei wird deutlich, dass es sich um eine Humantherapie handelt, die nicht nur auf Psychisches und Somatisches gerichtet ist und daher den impliziten Dualismus vermeidet, sondern auch soziale und kulturelle Dimensionen miteinbezieht. Es ist der Rahmen einer ordnenden und zugleich offenen Systematik von Theorien, die in der Psychotherapie relevant sind.496 Zum einen stellt sie eine formale hermeneutische Folie für die Ordnung von Wissen dar. Dieses wird unterschieden in a) Theorien hoher Reichweite (Metatheorien), b) Theorien mittlerer Reichweite (klinische Theorien) und c) in die Praxeologie (Theorien über die Praxis) und d) die Praxis. Damit steht der »tree of science« für das integrative Vorhaben, die »psychotherapierelevante Theorie hinsichtlich Strukturniveau und Geltungsanspruch wissenschaftstheoretisch einzuordnen und zu diskutieren«.497 Es ist das erste Schema seiner Art in der Psychotherapie. Zum anderen bietet es einen Entwurf für eine interdisziplinäre Fundierung von Psychotherapie an, indem oftmals singulär nebeneinanderstehende Wissensbestandteile psychotherapeutischer Praxis gebündelt und strukturiert auf wissenschaftstheoretischen Ebenen betrachtet werden können. Damit können sie auch im Gesamtgefüge neu beurteilt, interpretiert und differenziert betrachtet werden. Dies ist kein »wild drauflos integrieren«, sondern vielmehr ein kritisches Durchschreiten von Wissensebenen nach integrativen Kriterien.498 Petzold unterscheidet folgende strukturgebende Ebenen (Petzold 2003a), die im weiteren Verlauf des nächsten Unterpunktes ausgeführt werden und zum besseren Überblick vorab bildhaft den nachfolgenden Ausführungen vorangestellt werden:499 496 497 498 499
So mit Leitner (2010), 55. Ders., 55f. Sieper (2006), 140. Sieper, a.a.O., 75. Die »hermeneutische Spirale« (aus Petzold [2000c]) wird unter Punkt 2 ausgeführt. Der Theorie-Praxis-Zyklus wird entfaltet unter Punkt 4. Die Prozesse der »hermeneutischen Spirale« und die des »Theorie-Praxis-Zyklusses« vollziehen sich über alle Ebenen des »tree of science« in steter transversaler Integration und Kreation.
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3 Kernkonzepte der Integrativen Therapie
Abb. 1: »Tree of Science« – ein Metamodell für die Psychotherapie und die Integrative Therapie. Aus Petzold 2000h
3.1.1 Metatheorien (»large range theories«) Jedweder Arbeit mit Menschen – so auch in der Geistlichen Begleitung – liegen metatheoretische Annahmen und Vorstellungen vom Menschen, von der Gesellschaft, von Gott und der Welt sowie vom Kosmos zugrunde. Ohne diese könnten wir nicht handeln. Sie entstammen unserem kulturellen Erbe, der Gesellschaft (Elternhaus, Staat, Kirche), den Strukturen (z.B. der Machtstruktur – totalitär oder demokratisch); den geistigen, ökologischen und geistlichen Positionen, die wir einnehmen,
3.1 Die integrative Wissensstruktur – das Modell des »Tree of Science«
165
unserer Bildung oder unserem Lebensgefühl, dem kollektiven und auch individuellen Gedächtnis. Metatheorien sind stets »vorläufig«, wie alles Wissen ständig im Fluss ist. Somit ist der »tree of science« konsequenterweise ein Entwurf. Als Metatheorie gilt z.B. die Erkenntnistheorie, die sich mit der Frage auseinandersetzt, wie Erkenntnisse sich überhaupt bilden. Im Falle der Integrativen Therapie wird von den Phänomenen, über die Strukturen zu den Inhalten und Entwürfen gedacht und in leibhaftiger Ko-respondenz alle Erkenntnisse reflektiert. Ferner zählen zu den Metatheorien: die Wissenschaftstheorie, die im Falle der Integrativen Therapie evolutivpluralistisch und metahermeneutisch verknüpfend wie ausgeführt ist; die Anthropologie, die in der Integrativen Therapie den Menschen als Mann und Frau als ein Leibsubjekt im sozialen und ökologischen Kontext im Kontinuum der Zeit versteht: ko-kreativ auf den anderen Mitmenschen verweisend; die Gesellschaftstheorie und Ethik, die beide als pragmatisch und kritisch zu bezeichnen sind, sowie die allgemeine Forschungstheorie, die Kosmologie und die Ontologie. Integratoren500 sind unter anderem die Orientierung an der Leiblichkeit (die Phänomenologie leiblich-perzeptueller Erfahrung); die Orientierung am Weltbezug (eine evolutionsbiologische/-psychologische Perspektive sowie einen integrierten Naturbegriff); Orientierung an Sozialität und Entfremdungsphänomenen; Orientierung auf Sinn und Bedeutung als persönliche und kulturelle bzw. soziale Konstruktion; Orientierung an einer integrativen und diskursiven Ethik der Gewährleistung von Integrität; Orientierung auf Intersubjektivität, Ko-respondenz und Diskurs, Polylog/Dialog; Orientierung auf Bewusstseinsprozesse, Exzentrizität, Reflexivität und Metareflexivität; Orientierung auf unbewusste Prozesse; auf Sprache, symbolische Interaktion, Sinnstrukturen. Integrationskriterien entstehen ebenfalls »integrativ« im wechselseitigen Diskurs und, bezogen auf alle Ebenen, in der kritischen Reflexion gemäß Stimmigkeit. Der Kriterienkatalog ist somit grundsätzlich offen für neue Integrationskriterien.501 Eine notwendige »Theorie des Integrierens« hat, bezogen auf die Theorie und Praxis Geistlicher Begleitung, diese metatheoretische Ebene zu reflektieren und für das Begleitgeschehen transparent zu machen. Dies gilt vor allem für die leitenden Integrationskriterien hier wie auf den anderen Ebenen. Mittels einer Erweiterung der erkenntnistheoretischen Posi500
Mit Integratoren sind Faktoren gemeint, die dabei helfen die heilsame »Ganzheit« menschlichen Daseins zu erschließen (von lat. integrare (heil, unversehrt machen, ergänzen). 501 Vgl. zu den Integratoren der unterschiedlichen Strukturebenen grundsätzlich Leitner (2010), 116f, und Sieper (2006), 140ff. Dort finden sich die entsprechende Literatur zu den Referenztheoretikern und die Literaturbelege im Werk Hilarion Petzolds. Ihre Darstellung würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten.
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3 Kernkonzepte der Integrativen Therapie
tion Petzolds durch die Erkenntnisse der theologischen Wissenschaft, können leitende anthropologische und theologische Vorstellungen, die unbewusst prägend für den Begleiter / die Begleiterin sind und ihre Methodik beeinflussen können, gezielt reflektiert werden. Im Gesamtentwurf ihres Konzeptes von Geistlicher Begleitung verortet, können diese Vorstellungen so bewusst in den Prozess eingebracht werden. Alle bewussten Prozesse Geistlicher Begleitung sind damit auch in hohem Maße strukturiert transparent zu machen. So kann z.B. die meditative Übung des Zen passend bzw. nicht entsprechend zur Metatheorie sein, je nach Gottesverständnis und theologischer Position. Dies gilt sowohl vor dem Beginn der Geistlichen Begleitung wie auch im Verlauf derselben. Integrative Reflexion auf metatheoretischer Ebene ordnet, schafft Orientierung, Transparenz und Klarheit, die sich förderlich auf den Korespondenzprozess Geistlicher Begleitung auswirken.502 3.1.2 Realexplikative Theorien (»middle range theories«) Realexplikative Theorien erklären konkrete Situationen in der psychotherapeutischen Praxis. Zu ihnen zählen die Allgemeine Theorie der Psychotherapie; die Theorie, die Methodik und die Ergebnisse der Psychotherapieforschung; die Persönlichkeitstheorie; die Entwicklungstheorie; die Gesundheits- und Krankheitslehre (einschließlich der Theorie der Diagnostik) sowie spezielle Theorien der Psychotherapie. In der Integrativen Therapie gilt der Anspruch, dass die einzelnen Ebenen des »tree of science« untereinander keine widersprüchlichen Aussagen in sich tragen sollten. Alle Ebenen sollten vielmehr miteinander vereinbar sein, wie z.B. die Metatheorie mit den realexplikativen Theorien, um eine größtmögliche Stimmigkeit, Transparenz und Kongruenz zu erzielen. Als integrative Kriterien auf der Ebene der realexlikativen Theorien gelten: die biopsychosoziale Orientierung; die Orientierung am Kontext/Kontinuum; der Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug; die Orientierung auf »kollektive mentale Repräsentationen« bzw. »social worlds«; die Orientierung am Entwicklungsparadigma des »life span developmental approach« sowie auf Pathogenese und Salutogenese; Probleme, Ressourcen und Potentiale (PRP); Orientierung auf differentielle Selbstprozesse (Selbst, Ich, Identität); ebenso die Orientierung auf prozessuale Diagnostik/Theragnostik und auf generalisierte und störungsbildspezifische Behandlungskonzepte. Für die Geistliche Begleitung sind neben den oben genannten Theorien an dieser Stelle vor allem auch spirituelle entwicklungstheoretische Mo502 Siehe zu 3.1–4 auch im Ganzen meine Ausführungen im Dritten Teil, die Punkte 2 und 3.
3.1 Die integrative Wissensstruktur – das Modell des »Tree of Science«
167
delle zu berücksichtigen. Entwicklungspsychologische Modelle sind in der Psychotherapieforschung hinreichend erarbeitet worden503 und werden in Geistlicher Begleitung allerdings nur zum Teil beachtet. Ihre Integration in eine fundierte Wissenschaftstheorie Geistlicher Begleitung zusammen mit der Reflexion spiritueller Modelle der christlichen Tradition ist zu erarbeiten.504 Insgesamt ist bei allen Modellen auf ihre Stimmigkeit mit den Metatheorien und den realexplikativen Theorien zu achten. So ist z.B. zu fragen, ob der spirituelle Entwicklungsprozess, der der eigenen Geistlichen Begleitung zugrunde liegt, mit dem Menschenbild und der eigenen Theologie kohärent ist. 3.1.3 Praxeologie (»small range theories«) Praxeologie ist die »Wissenschaft von der systematischen Praxis« (Petzold 2000h). Hier fließen alle genannten Theorien zusammen und werden auf der Praxisebene verbunden. Zur Praxeologie zählen: die Praxis der Psychotherapieforschung, die Interventionslehre (Theorie der Methoden, Techniken, Medien, Stile etc.); Prozesstheorien, Theorien zu verschiedenen, insbesondere zu »prekären«, Lebenslagen; die Theorie des Settings sowie Theorien zu spezifischen Klientensystemen, Institutionen und Praxisfeldern. Integrative Orientierungen für die Praxeologie und die Praxis, die an dieser Stelle zusammen ausgeführt werden, sind: die Orientierung an der Alltagsrealität und Lebenslage (ob chancenreich, prekär oder destruktiv); die Orientierung auf Alltagsformen der Relationalität (Kontakt, Beziehung, Begegnung, Bindung, Abhängigkeit, Verschmelzung) in den Netzwerken des Lebens; die Orientierung auf klinische Phänomene wie Übertragungen, Gegenübertragungen, Widerstand und Abwehr und auf sozialpsychologische Phänomene wie Reaktanz und Affiliation; auf multiple »Wege der Heilung und Förderung« und entsprechende methodenplurale und multimodale Vorgehensweisen; sowie die Orientierung an therapeutischen Wirkfaktoren, Evaluationsund Qualitätssicherheitskonzepten. Die Geschehnisse in der Praxis werden an dieser Stelle gesichtet, gesammelt und aufgearbeitet. Ziel ist es, durch gelingende Theorie- und Praxisverschränkungen neue Fragestellungen für die empirische Forschung entstehen zu lassen. Implizite Theorien werden eruiert und transparent. Sie entwickeln damit jede neue Theoriebildung weiter. 503
Grundlegend dazu: Peter Osten (2000). Die Entwicklungstheorie der Integrativen Therapie findet sich bei Rahm / Otte / Bosse / Ruhe-Hollenbach (1999), 244ff; Osten (2000), 250ff. Grundlegend dazu: Petzold (1992a), 536ff. Siehe Ausführungen in vorliegender Arbeit, in diesem Teil unter 5.1. 504 Vgl. auch Ausführungen in der Einführung 1.1.3. und in 2.5. und im Ersten Teil unter 6.
168
3 Kernkonzepte der Integrativen Therapie
Geistliche Begleitung kennt eine Vielzahl von spirituellen Praktiken und Methoden zwischenmenschlicher Interaktion. Diese sind auf dieser Ebene theoretisch zu sichten. Im nächsten Schritt sind Theorien für diese angewandten Methodiken zu entwickeln, die dann mit den realexplikativen und metatheoretischen Theorien reflektiert werden können. An dieser Stelle gilt es, besonders spirituelle Techniken anderer Kulturen wie etwa Yoga oder Chakrenmeditationen in den Blick zu nehmen und darauf zu prüfen, ob die ihnen zugrundeliegenden Welt- und Menschenbilder übereinstimmend in die Geistliche Begleitung einzufügen sind. Umgekehrt gilt das selbstverständlich auch für therapeutische Ansätze und Methoden und deren Kohärenz zu den verschiedenen Ebenen Geistlicher Begleitung (z.B. Gottesbild, theologischem Menschenbild). 3.1.4 Praxis Gemeint sind alle praxisrelevanten Ansätze (z.B. dyadische Therapie, Gruppentherapie, Familientherapie). Alle Ebenen kommen hier zum Tragen. Die Praxis ist mit der Theorie verschränkt und umgekehrt. Somit wird z.B. das Menschen- und Weltbild mittels des »tree of science« auch an dieser Stelle transparent, indem es über das konkrete Tun und Handeln Erfahrungswerte bildet. Es wird deutlich, dass Erfahrungswerte, Praxis- und Theoriebildungsprozesse sowie Metatheorien durch das beschriebene Strukturmodell erfasst und reflektiert, erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch überprüft und verantwortet sowie transparent gemacht werden. Geistliche Begleitung braucht angesichts der derzeitigen eklektischen Praxis und für eine verantwortliche Praxis- und Theorieentwicklung eine Folie des Verstehens und damit eine Theorie des Integrierens. Formal kann dazu der »tree of science« dienen. Inhaltlich kommt das therapeutische Modell durch seine eigene Selbstbeschränkung an Grenzen, die durch eine spirituelle Ausbildung ergänzt werden muss.505 In Theorie- und Praxisverschränkung gilt es, für die Geistliche Begleitung eigene konsistente Theorien der in ihr angewandten spirituellen Methoden und Interventionen, des verwandten Settings sowie der verwendeten allgemeinen Theorie zu entwickeln. Diese gilt es theoretisch zu reflektieren und mehrperspektivisch, bezogen auf alle genannten Ebenen, zu betrachten. An dieser Stelle soll die formale Darstellung der Theorie des Integrierens ausreichen. Inhaltliche Füllungen sind Aufgabe jedweder Theorie- und Praxisgestaltung Geistlicher Begleitung und der Verantwortung der geistlich Begleitenden übergeben, damit eine vielgestaltige, pluriforme und zugleich theoretisch verantwortliche Theorie und Praxis Geistlicher Begleitung geschieht. Als Hilfestellung dazu kann 505
Vgl. dazu Punkt 6 im Zweiten Teil der Arbeit.
3.2 »Komplexes Lernen« – der lerntheoretische Ansatz der Integrativen Therapie
169
die Übersichtstabelle »tree of science für eine integrative Geistliche Begleitung (Gorres 2014)« dienen.506 3.2 »Komplexes Lernen« – der lerntheoretische Ansatz der Integrativen Therapie Alle zwischenmenschlichen Beziehungsformen der Begleitung, Beratung und Therapie sind geprägt durch vielfältige Lernprozesse, damit Heilung, Förderung, Entwicklung, Veränderung oder Verwandlung möglich werden. Der »Integrative Ansatz« legt einen »komplexen Lernbegriff« zugrunde. Als solcher umfasst er Erkenntnisse der neurophysiologischen Wissenschaft und lernpsychologisches Wissen anknüpfend an die lerntheoretischen Forschungsergebnisse der 1960er Jahre.507 Lernen ist danach ein Differenzieren, Konnektivieren und Integrieren von Wahrnehmungs-, Erfahrungs-, Wissens- und Metawissensbestandteilen.508 Es ist ein Feststellen von Differenzen im Kontext-Kontinuum des Menschen aufgrund von Prozessen des Wahrnehmens und Erkennens. Es ermöglicht in der Ausdifferenzierung die Neuorganisation physiologischer, motorischer, emotionaler, volitionaler, kognitiver und kommunikativer Muster und bestimmt so die Regulation von Freiheitsgraden des menschlichen Verhaltens. Die Lernfähigkeit des Menschen auf der physiologischen und zerebral-neurologischen Ebene wurzelt in der prinzipiellen Lernfähigkeit lebendiger Organismen und in der Evolution ausgebildeter spezifischer Lernfähigkeit neuronaler Gewebe.509 Diese bilden im Zyklus von »Wahrnehmen → Wahrnehmungsverarbeitung → Handeln → Wahrnehmen/ Verarbeiten dieses Handelns« in der Interaktion mit der Umwelt Muster aus. Muster sind Programme, in denen sich die Geschichte der Interaktion des Organismus mit der Welt und seine genetische Ausstattung niedergeschrieben haben. Sie geben dem Menschen Verhaltenssicherheit zur Welt- und Lebensgestaltung und werden in neuen akkomodierenden und assimilierenden Lernerfahrungen gestaltet. »Lernerfahrungen sind mit Mobilisierungen, teilweise Labilisierungen von Mustern verbunden [...], in denen sich diese [...] verflüssigen, in Perturbationen geraten und so 506 507 508
Siehe dazu Punkt 2 im Dritten Teil der Arbeit. Referenztheoretiker vgl. Sieper/Petzold (2002b). Zu diesen Ausführungen vgl. Petzold/Sieper/Orth (2006), 26ff; Petzold (2002b) und Sieper/Petzold (2011), 105. So Petzold (2002b), 7 und zum Begriff des »Komplexen Lernens« ders. (2002b), 72ff. Vgl. auch Petzold (1992a), 827; 916f; Sieper/Petzold (1993) und Petzold (1975c). 509 Der evolutionsbiologische Bezug ist für die Lerntheorie der Integrativen Therapie grundlegend. Siehe Petzold (2002b).
170
3 Kernkonzepte der Integrativen Therapie
durch die Fluktualisierungen die Chance für Übergänge entsteht, in denen sie sich neu formieren oder ganz neue Muster entstehen«.510 Lernen und Umwelt bedingen sich demzufolge ständig. Zugleich beinhaltet Lernen immer auch Veränderung (»movement produced information«). Es erfolgt als ein differentielles und ganzheitliches persönliches Lernen, das »leibliches Erleben, emotionale Erfahrungen und kognitive Einsicht in Bezogenheit zu Ereignissen von vitaler Evidenz verbindet«.511 Damit ein solches Lernen erreicht werden kann, sollte in unterschiedlichen Lernarten auf den Ebenen der intellektuellen Fähigkeiten, emotionaler Differenziertheit, der Willensqualitäten, der interaktiven/kommunikativen Performanz, der Fertigkeiten (»skills«) Lernen ermöglicht werden. In allen Lernvorgängen findet ein Zusammenwirken der verschiedenen Lernarten in einem komplexen Lernprozess als Synergie statt. Die Gesamtheit der Lernprozesse ist dabei mehr als die Summe der Einzelprozesse. Stets ist es eingebunden in sozialen Kontexten. Es ist ein Lernen von Anderen, durch Andere und ein Lernen des Anderen. Hierbei ist die Fähigkeit des Menschen entscheidend, »sich sozial zu synchronisieren, das Tun, Fühlen, Wollen und Denken anderer kokreativ mitzuvollziehen«.512 Lernen ist damit immer »zwischenleibliches Lernen«.513 Das lerntheoretische Konzept des integrativen Ansatzes knüpft unter anderem an die Forschungsergebnisse von Rizzolatti und Gallese514 an. Die Erforschung der Spiegelneuronen-Theorie eröffnet neue Perspektiven auf das zwischenmenschliche Lernen und bietet Erklärungsmöglichkeiten für das Imitationslernen, für die Sprachentwicklung und Intuition, für die Synchronisierungsleistungen von Menschen in komplexen Situationen wie in gemeinsamem Lernen, in der Koordination von Arbeitsvorgängen bis hin zu einer »Passung« (»matches«) von Beziehungen. Wenn solche »matches« gelingen, kann es zu positiven Entwicklungen kommen; neurowissenschaftlich formuliert: zu einer steigenden Anzahl der Spiegelneuronen im Gehirn und damit zu einer optimalen Bahnung ihres Funktionierens. Diese ermöglichen eine Verankerung von Gelerntem (»scripting«) im Leibgedächtnis mit seinen unterschiedlichen Speichersystemen (immunologisch; genetisch; neuronal usw.). Lernen bleibt jedoch eine »cerebrale Gesamtleistung, wenn man nicht in eine neurowissenschaftliche Reduktion verfallen will.515 Der Leib ist damit stets als eine Einheit von »Körper-Seele-Geist« Ort und Medium des Lernens.516 510 511 512 513 514 515 516
Petzold (2002b), 10. A.a.O., 9. Petzold (2002b), 9. Petzold / van Beek / van der Hoek (1994). Zit. nach Petzold (2002b), 9. Rizollatti/Gallese (1996) bzw. (2000). Petzold (2002b), 23; Petzold (2000j), 17; vgl. auch Leitner (2010), 121. Vgl. Petzold (2000j), 10. Siehe dazu auch die anthropologische Grundlegung unter 4.5 in diesem Teil der Arbeit.
3.2 »Komplexes Lernen« – der lerntheoretische Ansatz der Integrativen Therapie
171
Multiple Stimulierungen, transversale Aktivierung und stetige Übung sind erforderlich. »Was nicht geübt wird, bahnt sich nicht, schleift sich nicht ein, und ohne Habitualisierung haben Veränderungen keinen Bestand.«517 Multiple Stimulierungen, transversale Aktivierung und stetige Übung ermöglichen ein lebendiges Lernen über die gesamte Altersspanne. Die Position der Integrativen Therapie kann wie folgt beschrieben werden:518 »Integrative Agogik sieht den Lebensverlauf als Lebensganzes [...]. Die Integration der Vergangenheit ermöglicht die bewusste und gestaltende Kreation der Gegenwart und Zukunft. Im Lebenszusammenhang seinen jeweiligen Standort zu finden, um von ihm aus sich auf seine Zukunft zu richten und sie ›in die Hand nehmen‹ zu können, das gehört zu den wichtigsten integrativen Leistungen des Menschen«519 In agogischen Prozessen geht es um Anpassung und/oder Veränderung, »creative adjustment« (Perls) und »creative change« (Petzold). »Kreative Veränderung von einzelnen, Gruppen und Sozietäten ist eine Überlebensforderung unserer Zeit [...]. Integrative Agogik muß daher auf die Förderung der kreativen Potentiale von Menschen gerichtet sein.«520 Integrative Therapie und Agogik verschränkt somit Fähigkeiten und Fertigkeiten, Theorie und Praxis in Prozessen differentieller und integrativer Erfahrung. Sie will in ko-respondierendem Miteinander eines lebenslangen Lernens auf kognitiven, volitiven, emotionalen, sozialen und handlungspraktischen Ebenen mit relevanten Anderen zu Selbstregulation und Selbstverwirklichung im Lebenskontext/Kontinuum führen. Eigenes Lernen in Erinnerungsarbeit, im Entwerfen und in praktischen Umsetzungen von Wissen und Erfahren im Lebensvollzug soll ermöglicht werden. Das begründet nach Petzold eine »maîtrise de soi« als eine heitere Lebenskunst (Seneca) mit den Qualitäten persönlicher Gelassenheit und Souveränität, einer ›Begeisterung für Schönheit‹ und einer ›Freude am Lebendigen‹, der ein liebevolles, kokreatives Engagement für die Integrität von Menschen, Gruppen, Lebensräume entfließt.521 »Eine solche Auffassung und Qualität von Lernen »bildet den stärksten Gegensatz«522 zu den Formen manipulierenden, fremdbestimmt konditionierenden Lernens, sie ist vielmehr die »Frucht einer Disziplin [...], einer ›Askese‹ – askêsis bedeutet ›Übung‹ –, [...] deren Herr der Lernende selbst ist«.523 Intersubjektive Ko-respondenz in transversaler Offenheit bildet für Petzold die Basis gelingender Lernprozesse. 517 518 519 520 521 522 523
Petzold (2002b), 14. Petzold/Sieper/Orth (2006), 20. Petzold/Sieper/Orth (2006), 20. Petzold/Sieper (1977), 32f. Petzold (1975h), 23. Petzold (2001p/2004), 99 im Anschluss an Gedanken Paul Ricœurs. Ebd. Vgl. Petzold/Sieper/Orth (2006), 20f.
172
3 Kernkonzepte der Integrativen Therapie
Auch in der Geistlichen Begleitung geschehen diese allgemeinen menschlichen Prozesse »komplexen Lernens«. Durch geistliche Übungen und das Beziehungsgeschehen als solches werden komplexe Lernprozesse angestoßen. Es kommt zu Labilisierungen und Neuorganisationen alter Muster, Transformations- und Wandlungsprozessen, wie in der »komplexen Lerntheorie« der Integrativen Therapie beschrieben. Sorgfältig sind darum Methoden und Interventionstechniken (z.B. Gebetsgebärden, körperliche Übungen, Meditationen, Gesänge etc.) auszuwählen. Alle Methoden sind theoretisch hinsichtlich ihrer Durchführung und ihrer Folgen im prozessualen und punktuellen Gebrauch zu erfassen. Für die Geistliche Begleitung und die spirituellen Übungen fehlen noch umfassende Theorien, die auf einer gründlichen Erforschung von Wirkungen und Nebenwirkungen basieren. Dies gilt auch bezüglich der Forschung ihrer Kontexte und Prozessentwicklungen. Als Fallbeispiel wäre etwa die Frage zu nennen, ob sich eine vertiefte Meditationspraxis in einer klösterlichen Gemeinschaft anders als in einem Single-Haushalt auswirkt. Hier bedarf es weiterer Forschungen, die im Rahmen dieser Arbeit leider nicht weitergeführt werden können, für die Geistliche Begleitung aber fundamental sind. Bestenfalls kommt es in einer Geistlichen Begleitung zu einem gelingenden »matching« zwischenmenschlicher Art. Auf der Basis integrativer Lerntheorie können, bezogen auf den zwischenmenschlichen Prozess, hinreichende Methoden und Techniken zur Verfügung gestellt werden. Übungen spiritueller Art, die die spirituelle Öffnung des Begleitenden entwickeln und fördern sollen, sind ferner differenziert hinsichtlich der Zielbestimmung Geistlicher Begleitung zu wählen.
4 »Intersubjektive Ko-respondenz« – das Beziehungsmodell der Integrativen Therapie
Im folgenden Kapitel wird nun das Ko-respondenzmodell dargestellt. Es zeigt auf, was in einer zwischenmenschlichen Beziehung geschieht; wie bestenfalls »matchings« gelingen und wodurch diese gestört oder gar verhindert werden. 4.1 Intersubjektivität als ein »In-Beziehung-Sein« Das Ko-respondenzmodell524 des integrativen Ansatzes wurde Anfang der 1970er Jahre von Hilarion Petzold entworfen. Es ist zugleich Prinzip und Methode von Erkenntnis des Lebens. Dabei ist Ko-respondenz (von co-respondere = sich in Beziehung setzen) als ein eminent praktisches Geschehen zu verstehen. Es ist immer ein konkretes Ereignis zwischen Subjekten in ihrer Andersheit, d.h. in Intersubjektivität und Beziehung. Petzold formuliert es folgendermaßen:525 »Ko-respondenz als konkretes Ereignis zwischen Subjekten in ihrer Andersheit, d.h. in Intersubjektivität, ist ein synergetischer Prozess direkter, ganzheitlicher und differentieller Begegnung und Auseinandersetzung auf der Leib-, Gefühls- und Vernunftsebene, ein Polylog über relevante Themen unter Einbeziehung des jeweiligen Kontextes im biographischen und historischen Kontinuum mit der Zielsetzung, aus der Vielfalt der vorhandenen Positionen und der damit gegebenen Mehrperspektivität die Konstituierung von Sinn als Kon-sens zu ermöglichen (und sei es Konsens darüber, daß man Dissens hat, den zu respektieren man bereit ist). Auf dieser Grundlage können konsensgetragene Konzepte erarbeitet werden, die Handlungsfähigkeit als Ko-operation begründen, die aber immer wieder Überschrei524
Im Unterschied zu korrespondenztheoretischen Theorien hat sich Petzold für die spezifische Schreibweise »Ko-respondenz« entschieden, um den wechselseitigen Austausch von Subjekten, Systemen etc. zu beschreiben. Dieser so auch in der Schreibweise der Integrativen Therapie eigene Fachterminus wurde verwandten Begriffen ihrer Referenztheoretiker wie »Dialog« (von Martin Buber) oder »Diskurs« (von Habermas, Foucault) vorgezogen. 525 Petzold/Müller (2003), 29.
174
4 »Intersubjektive Ko-respondenz« – das Beziehungsmodell der Integrativen Therapie
tungen durch Ko-kreativität erfahren, damit das Metaziel jeder Ko-respondenz erreicht werden kann: durch ethisch verantwortete Innovation eine humane, konviviale Weltgesellschaft und eine nachhaltig gesicherte mundane Ökologie zu gewährleisten.« (Petzold [1991e], S. 55)
Diese Ko-respondenz beinhaltet folgende Prinzipien und Konzepte: 4.2 Dialogizität und Polylogizität Als Erkenntnisprinzip und Erkenntnismethode setzt Ko-respondenz Intersubjektivität und Polylogik, das meint ein Gespräch nach vielen Seiten, voraus.526 POLYLOG wird verstanden als vielstimmige Rede, die den Dialog zwischen Menschen umgibt und in ihm zur Sprache kommt, ihn durchfiltert, vielfältigen Sinn konstituiert.527 Polylogizität ist somit ein kokreatives Sprechen und Handeln, das sich selbst erschafft. Es ist aber auch zu sehen als ein vielstimmiges inneres Gespräch, als inwendige Zwiesprachen und Ko-respondenzen nach vielen Seiten, die sich selbst vervielfältigen können. Das Konzept des POLYLOGs bringt unausweichlich das Wir, die strukturell anwesenden Anderen, in den Blick, macht die Rede der Anderen hörbar oder erinnert, dass sie gehört werden müssen – unbedingt! Damit werden die Anderen in ihrer Andersheit (Levinas), in ihrem potentiellen Dissens (Foucault), in ihrer Différance (Derrida), in ihrer Mitbürgerlichkeit (Arendt) prinzipiell significant others, bedeutsame Mitsprecher für die »vielstimmige Rede« (Bakhtin), die wir in einer humanen, konvivialen Gesellschaft, in einer Weltbürgergesellschaft brauchen (vgl. Petzold 2002c). Geistliche Begleitung ist in diesem Sinne ebenfalls ein polyloges Geschehen, in der innere Vielstimmigkeiten in der zwischenmenschlichen Beziehung sich ereignen. Das integrative Konzept bildet ein angemessenes Theoriekonzept, um in der Geistlichen Begleitung diese relevanten Ebenen zu bezeichnen und für den Prozess der Begleitung in konstruktiver Weise zu gebrauchen. Die Gottesbeziehung gilt es eigens bezogen auf alle unter diesem Abschnitt entfalteten Kernkonzepte zu thematisieren.528
526
Petzold/Müller (2003), 29. Der Begriff Polylog wurde 1968 durch Petzold eingeführt (ders., 1968a). Vgl. auch Petzold (2005ü). 527 Vgl. Petzold (1978c), 21–58. 528 Siehe dazu im Dritten Teil 3.2.
4.3 Ko-kreativität und Kon-vivalität
175
4.3 Ko-kreativität und Kon-vivalität Ko-respondenz ist somit immer zugleich ein Polylog, eine vielstimmige Rede, über relevante Themen unter Einbeziehung des jeweiligen Kontextes in einem biographischen und historischen Kontinuum. Der Dialog ist darin ein Sonderfall einer allgemeinen Interlokutionalität (von lat. interloqui – »dazwischenreden«; hier: wechselseitige Rede zwischen mehreren Personen). Die allgemeine Rede zwischen Menschen hat als Zielsetzung im Wechselspiel von Konsens und Dissens aus der Vielfalt der vorhandenen Positionen, der Mehrperspektivität, die Konstituierung von Sinn als Konsensus zu ermöglichen (und sei es der Konsens im Dissens). In dieser vielstimmigen Offenheit wird miteinander Kreativität (Ko-kreativität) erfahrbar. Ebenso kann durch gemeinsames Handeln und Tun mit dem Ziel gemeinsamer achtungsvoller Konvivalität ein gutes gemeinsames Leben (eubios) erreicht werden. 4.4 Modalitäten der Relationalität Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht das Beziehungsgeschehen zwischen Therapeut und Patient als eine exemplarische Beziehung, in der sich Ko-respondenz ereignet. Sie gilt grundsätzlich für jede zwischenmenschliche Weise der Intersubjektivität. Das Bild k ann zurzeit nicht angezeigt werden.
Abb. 2: Intersubjektive Ko-respondenz (Petzold [1980g])
176
4 »Intersubjektive Ko-respondenz« – das Beziehungsmodell der Integrativen Therapie
Auch jede Geistliche Begleitung ist eingebettet in die Lebenswelt (ZeitKontinuum / Raum-Kontext). Sie ist geprägt durch das Faktum, dass wir Menschen nur als Mitmenschen existieren (Koexistenz in der Lebenswelt). Diese immer schon gegebene Bezogenheit, wie sie sich in der Intentionalität der Leiblichkeit und in der sozialen Natur des Menschen zeigt, bietet auch die Grundlage jedweder Kommunikation. So eine »primordiale Ko-respondenz«, wie sie für ungestörte Mutter-Kind-Beziehungen und Familienbeziehungen kennzeichnend ist, wird durch negative Beziehungserfahrungen getrübt bzw. verschüttet. Damit ist die Fähigkeit zu »intersubjektiver Ko-respondenz« oftmals gestört. »Alte« Beziehungsmuster und Übertragungen verstellen dann die Realität. Diese Störungen und defizitären Strukturen können grundsätzlich in jeder Beziehung vorhanden sein – auch in der Geistlichen Begleitung. Die Beziehungspartner zeichnen sich durch ihre bewussten und unbewussten Anteile aus. Die Professionalität des für die Geistliche Begleitung bestenfalls therapeutisch geschulten Begleiters sollte nach Auffassung der Autorin darin begründet liegen, dass ihn ein Weniger an unbewussten Anteilen und ein höheres Maß an Exzentrizität auszeichnen. Störungen in einer Beziehung, die sich in Kontakt, Begegnung, Beziehung, Bindung und Konfluenz gestalten, ereignen sich durch Übertragungen.529 Dabei sind die Eigenübertragung des Begleitenden, die Übertragung des Begleiteten und die Gegenübertragung des Begleitenden voneinander zu unterscheiden. Die Störungen sind zu bearbeiten, d.h. in erster Linie vom Begleitenden im Prozess bewusst in den Blick zu nehmen und zu gestalten, damit da, wo Übertragung ist, eine Beziehung erwächst und sich wechselseitige intersubjektive Ko-respondenz ereignen kann, die sich in klarer Interaktion und gesunder Relationalität ausdrückt. Im Gespräch und mit Hilfe von kreativen Medien und Arbeitstechniken können die in die Beziehung hineingetragenen »dritten Personen, Atmosphären, Szenen«, die mit Gefühlen, Anforderungen und »alten« Mustern einhergehen und die jetzige Beziehung beeinflussen, bewusst angeschaut und verändert werden, so dass ein neues komplexes Lernen erwachsen und eine möglichst »übertragungsfreie« Beziehung entstehen kann. Ko-respondenz ist folglich immer in komplexe Lernprozesse eingebunden. Ihre ko-operative und ko-kreative Umsetzung erfordert Mitmenschlichkeit und Empathie. Somit sind Menschen in Ko-respondenz »lernende Systeme« und entwickeln sich in ihren »sozialen Welten«. Bestenfalls entwickelt sich auch eine ungestörte Beziehungsebene zwischenmenschlicher Art innerhalb der Geistlichen Begleitung. Dazu sind pastoralpsychologische Kenntnisse fundamental notwendig – gerade auch um gegebenenfalls einen Psychologen / eine Psychotherapeutin 529
Zu den klinischen Aspekten vgl. im Ganzen Petzold/Müller (2003).
4.5 Anthropologische Grundposition
177
hinzuzuziehen bzw. die anvertraute Person zu verweisen. Intersubjektive »Störungen« (Übertragungen) können sich auch in der spirituellen Entwicklung zeigen (z.B. in der Übertragung von Vater- und Mutterbildern auf Gott). Hier ist gründlich eine »Unterscheidung der Geister« zu pflegen; entwicklungspsychologische Komponenten sind von spirituellen Prozessen zu unterscheiden. Beispielsweise müssen spirituelle Krisen – eine »dunkle Nacht der Sinne und des Geistes«, wie Johannes vom Kreuz es ausdrückt – oder Anfechtungserfahrungen aller Art, die eine spirituelle Krisenintervention benötigen, sorgfältig von depressiven Erkrankungen unterschieden werden. Aus diesem Grund müssen sich Geistlich Begleitende durch Selbsterfahrung und tiefgehende, theoretisch fundierte Kenntnisse spiritueller Krisen und Wachstumsprozesse innerhalb geistlicher Entwicklungen auszeichnen – gerade um sie von solchen psychodynamischer Art in der allgemeinmenschlichen Entwicklungstheorie zu unterscheiden, welche dann folglich auch hinreichend vertraut sein müssen. Darin liegt eine große Ausbildungsverantwortung seitens derer, die Geistliche Begleitung lehren, und eine Aufgabe steter Entwicklung für Geistliche Begleiter und Begleiterinnen. 4.5 Anthropologische Grundposition Das Menschenbild der Integrativen Therapie beschreibt den Menschen als Mann/Frau in seiner Leiblichkeit, d.h. als Leibsubjekt in seiner körperlichen, seelischen und geistigen Verfasstheit. Körperlichkeit meint die Gesamtheit aller biologischen Prozesse des Organismus und mit seinem genetischen und physiologischen Körpergedächtnis. Seele meint die in körperlichen Prozessen gegründete Gesamtheit aller Gefühle, Motive, Willensäußerungen und schöpferischen Impulse einschließlich der im Gedächtnis gespeicherten Lernprozesse und Erfahrungen. Geist beschreibt die Gesamtheit der erkenntnismäßigen bzw. geistigen Prozesse und der durch sie hervorgebrachten Inhalte einschließlich der im Gehirn gespeicherten Lernprozesse. Im Ganzen ist das Menschsein in der Integrativen Therapie intersubjektiv, ko-kreativ und schöpferisch zu verstehen. Der Mensch wird als Leibsubjekt im Kontext/Kontinuum seiner Lebensspanne in allen sozialen und ökologischen Bezügen wahrgenommen. Mehrperspektivische und multimodale Zugänge, eine prozessuale Diagnostik und eine Theorie impliziter und expliziter Menschenbilder sollen Wege zum Menschen bahnen und Förderung und Heilung bewirken.530 Dieses philosophisch begründete Menschenbild kommt ohne Letztannahmen aus. Zu prüfen ist, wie eine theologische bzw. spirituelle Betrachtung des Menschen sich auf die Theorie Geistlicher Begleitung 530
Vgl. Leitner (2010), 81ff.
178
4 »Intersubjektive Ko-respondenz« – das Beziehungsmodell der Integrativen Therapie
auswirkt. In der Persönlichkeitstheorie der Integrativen Therapie finden sich Überlegungen dazu im Modell der sog. »Fünf Säulen der Identität«.531 4.6 Ko-respondenz von Theorie und Praxis Die Integrative Therapie versteht Theorie und Praxis als sich wechselseitig konstituierend und miteinander verschränkt. »Die Praxis ist Grundlage von Theorie und die Theorie bildet die Grundlage der Praxis. Ein dialektisches bzw. ko-respondierendes Verhältnis von Theorie und Praxis ist in der Integrativen Therapie Quelle ihres Weltverständnisses und der Wirklichkeitsgestaltung. »Die Betrachtung dieser beständigen Ko-respondenz zwischen Theorie und Praxis konstituiert das, was wir als Metahermeneutik bezeichnen: das Wahrnehmen, Erfassen, Verstehen und Erklären des Integrationsprozesses selbst und begründet das, was wir als Metapraxis bezeichnen, eine Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Strukturen des Handelns selbst zum Gegenstand des Tuns zu machen, und das ist Generierung von Theorie.« (Petzold (1996a), S. 83)
Zwei Strategien des Erkenntnisgewinns sind dabei für die Integrative Therapie von Wichtigkeit: zum einen die empirische Forschung und zum anderen die systematischen Heuristiken. Die folgende Abbildung zeigt die Entstehung heuristischen und forschungsgegründeten Erkennens und Handelns für die Theorie und Praxis in wechselseitiger Bezogenheit.
531
Siehe im Zweiten Teil Punkt 5.1.1 in der vorliegenden Arbeit.
4.6 Ko-respondenz von Theorie und Praxis
179
Abb. 3: Generatives Theorie-Praxis-Modell für heuristik-und forschungsgegründetes Erkennen und Handeln (aus Petzold [1993a], S. 83)
Eine Theorie Geistlicher Begleitung muss eigenständige Theorie-PraxisModelle entwickeln, um forschungsgestützte Arbeit zu leisten. Das Theorie-Praxis-Modell der Integrativen Therapie bietet dazu einen angemessen konzeptuellen Theorierahmen. Dieses Vorhaben ist bezogen auf die Theorie- wie Praxisentwicklung ein steter offener Prozess über die gesamte Lebensspanne. Das folgende Schaubild verdeutlicht diesen »Theorie-Praxis-Zyklus« im Ko-respondenzmodell hinsichtlich der Beziehungsdimension und der in ihm stattfindenden Lernprozesse: wiederkehrend kommt es zu Initial-, Aktions-, Interaktions- und Neuorientierungsphasen im Beziehungsgeschehen. Sie differenzieren die Komplexität der Themen, Probleme oder Fragestellungen der Therapiesuchenden, strukturieren die Themen und suchen miteinander Prägnanz, die dann über Integration in neue Stabilität für die Begleiteten überführt wird, so dass neue Kreationen und gegebenenfalls auch Transgressionen entstehen können.
180
4 »Intersubjektive Ko-respondenz« – das Beziehungsmodell der Integrativen Therapie
Funktionen der Phasen: I. Differenzierung II. Strukturierung III. Integration IV. Kreation
► ► ► ►
Komplexität Prägnanz Stabilität Trangression
Abb. 4: Theorie-Praxis-Zyklus im Ko-respondenzmodell (aus Petzold [1980c], S. 346)
Insgesamt kann mittels der Ko-respondenz und der in ihr sich vollziehenden komplexen Lernprozesse eine Förderung und Entwicklung der Persönlichkeit stattfinden.
5 Ziele der Integrativen Therapie
Im Folgenden wird nun diese Zielperspektive therapeutischen Handelns ausgeführt und bezogen auf das intersubjektive Geschehen innerhalb einer Geistlichen Begleitung reflektiert. Diese wird zuerst ansatzweise, um den generellen Bezugsrahmen aufzuzeigen, im dritten Teil dann ausführlicher reflektiert. 5.1 Integrative Persönlichkeitstheorie Ziel allen Lernens in intersubjektiver Korrespondenz ist die Entwicklung und Förderung der Persönlichkeit. Der Integrativen Therapie geht es darum, »einerseits Menschen zu unterstützen, deren Identitätsprozesse gefährdet sind, deren Identität beschädigt wurde und andererseits darum, Menschen zu begleiten, die [...] ihre Identität zu bewahren, zu gestalten, zu entwickeln bemüht sind.«532 Die Besonderheit der Integrativen Therapie liegt in der Zusammenführung der leibtheoretischen und der sozialisations- bzw. enkulturationstheoretischen Diskurse und ihrer Absicherung durch eine »Entwicklungspsychologie der Lebensspanne« (vgl. Petzold 1992a). »Identität kann definiert werden als das Ergebnis der Syntheseleistung des Ichs in der Verarbeitung von reziproken Identifizierungen aus vielfältigen sozialen bzw. kulturellen Kontexten (Fremdattributionen, Fremdbilder), ihrer emotionalen Bewertung (Valuation), kognitiven Einschätzungen (appraisal) aufgrund soziokultureller Normen und ihrer Verbindung mit Identifikationen (Selbstattributionen, Selbstbilder) in einem permanenten, transversalen Prozeß der »Identitätsarbeit«, der eine hinlängliche Konsistenz des Identitätserlebens und zugleich eine Flexibilität von Identitätsstilen über die Zeit hin gewährleistet sowie eine variable, vielfacettige Identitätsrepräsentation im sozialen bzw. kulturellen Kontext/Kontinuum ermöglicht.«533
532 533
So Petzold (2001p), 18. Petzold (2001p), 40.
182
5 Ziele der Integrativen Therapie
In der Integrativen Therapie wird die Persönlichkeitstheorie durch die fünf Säulen der Identität und die Entwicklung und Förderung der Identität durch die vier Wege der Förderung und Heilung beschrieben.534 5.1.1 Die fünf Säulen der Identität Die Identität des Menschen konstituiert sich als das Zusammenwirken von Leib und Kontext im Zeitkontinuum. Sie ruht auf fünf Säulen: 1. Leiblichkeit (der Mensch als Körper-Seele-Geist-Einheit ist die Voraussetzung alles Wahrnehmens und Handelns; ursprüngliche Gegebenheit; wesentlich tragende Säule); 2. Soziales Netzwerk (mit Rollen- und Identitätserleben in Kollegialität, Familie, Partnerschaft, Freundschaft); 3. Arbeit und Leistung (auch in Freizeit; Identifikationen/Identität stiftend) 4. Materielle Sicherheit (Geld, Wohnung, Kleidung, Auto, Fremd- und Selbstattributionen, Identität stiftend) und 5. Wertorientierung, Weltanschauungen und religiöse Überzeugungen, sinnkonstituierende Systeme (Identitätserleben, Identität stiftend; Persönlichkeit bildend). Diese 5 Säulen bauen, stützen und tragen die Identität eines Menschen. Ganzheitliche psychotherapeutische Arbeit, so auch eine pastoralpsychologisch fundierte Geistliche Begleitung, hat diese fünf Säulen zu berücksichtigen und in ihre Arbeit (hinsichtlich Methoden und Interventionen etwa) einbeziehen.535 Interventionen, die sich auf eine der Säulen beziehen, greifen meist zu kurz, weil sie die Lebensrealität (und Konflikte, Leiden und Möglichkeiten und Chancen) aus den anderen Säulen nicht beachten und einbeziehen. Für eine ganzheitliche pluriforme Verfahrensweise auf dem Weg zum Menschen im Sinne der Integrativen Therapie ist dies jedoch handlungsrelevant. Zur Identitätskrise kann es kommen, wenn eine oder mehrere Säulen »wegbrechen« oder sich plötzlich stark verändern und zeitnah die anderen Säulen die Identität nicht ausreichend stabilisieren. Ganzheitliche Begleitung berücksichtigt das Wechselspiel aller Bereiche in der Behandlung von Menschen. Diese Entfaltungen zur Persönlichkeit gelten grundlegend für die menschliche Entwicklung und damit auch für die Geistliche Begleitung.
534
Vgl. zu den folgenden Ausführungen Petzold (2002b), 58ff (4 Wege) und a.a.O., 74ff (Persönlichkeitstheorie). 535 Vgl. Leitner (2010), 147ff.
5.1 Integrative Persönlichkeitstheorie
183
5.1.2 Die Identitätsbildungstheorie der »Integrativen Therapie« Die Identität wird durch das Ich, die Ich-Funktionen und Ich-Qualitäten im Prozess ihrer Gesamtheit konstituiert. Aufgrund von Identifizierungen (Fremd- und Selbstattributionen) kommt es zu inneren Prozessen der Auseinandersetzung. Ihre Bewertung führt zu Internalisierungen (Verinnerlichung von Attributen), die Identitätsqualitäten wie z.B. Stabilität und Prägnanz schaffen. »Die identitätsbildenden Ich-Prozesse können schematisch als »Identitätsprozess« in Kontext/Kontinuum wie folgt beschrieben werden: multiple reziproke Identifizierung → Valuation/Appraisal → Identifikation → Valuation/Appraisal → Internalisierung als Identitätselemente.«536 Reife Identität zeichnet ein Maß an Unabhängigkeit aus und die Fähigkeit in allen Korrespondenzen »sich selbst zum Gefährten zu werden«.537 Die Wertigkeit der Bereiche zueinander entwickelt sich im Lebenslauf unterschiedlich. So prägen sie auch verschieden ihre Bedeutung für die gegenwärtige Situation aus. Zudem bedingen sie sich gegenseitig. Die folgende Abbildung verdeutlicht diesen Prozess538 bzw. stellt in kompakter Form die Integrative Identitätstheorie dar, wie sie in allen therapeutischen Prozessen sich gestaltet:
536
Petzold (2001p), 23. Dort auch weitere Literatur zu den entwicklungs- und persönlichkeitsbildenden Details. 537 Ausführlich dazu Mead (2005). Zit. nach Petzold (2002b). 538 Abbildung aus: Petzold (1998a), 371.
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5 Ziele der Integrativen Therapie Das Bild k ann zurzeit nicht angezeigt werden.
Abb. 5: Das Subjekt als personales System: Selbst, Ich und Identität im Kontext/Kontinuum – Intersubjektive Ko-respondenz und Identitätsarbeit
Identität ist gestaltbar und ein zentraler Faktor in jeder helfenden, therapeutischen und agogischen Arbeit. Die Entwicklung dieser ist immer Veränderung in der Zeit und geschieht ein Leben lang. Lernfähigkeit kennzeichnet die gesamte Lebensspanne eines Menschen. Diesem Ansatz des »life-span-development-approach« fühlt sich die Integrative Therapie verpflichtet. Ihre Entwicklungstheorie findet sich vielfältig beschrieben. Grundlegend sei an dieser Stelle auf Petzold sowie auf Osten und Rahm verwiesen.539
539
Rahm u.a. (1999), 244ff; Osten (2000), 250ff. Grundlegend dazu: Petzold (1992a), 536ff.
5.1 Integrative Persönlichkeitstheorie
185
5.1.3 Die vier Wege der Förderung und Heilung Die Aufgabe eines Therapeuten / einer Therapeutin besteht darin vielfältig Heilungs- und Entwicklungsprozesse zu fördern. Die für die Integrative Therapie wesentlichen Heilungs- und Förderungsmöglichkeiten sind in dem Konzept der »Vier Wege der Heilung und Förderung« dargestellt. Sie umfassen540: 1. Bewußtseinsarbeit: Durch intersubjektive Ko-respondenzprozesse (narrative Praxis, Beziehungsarbeit) sollen auf diesem Wege korrigierende Einsichtserfahrungen und neue kognitive Regulationen sowie neuer Sinn im Lebensganzen gefunden werden, damit narrative Fixierungen sich lösen und neue neurologische Bahnungen/Muster sich bilden können. 2. Emotionale Differenzierungsarbeit, Nachsozialisation, Parenting, Reparenting: Durch die Vermittlung unterstützender, korrigierender und alternativer Erfahrungen sollen persönlichkeits- und entwicklungsbeeinträchtigende Faktoren verändert werden, so dass wohltuende alternative Erfahrungen gemacht werden können, die innerhalb der Persönlichkeitsstruktur heilsam und förderlich wirken. Diese an den Ergebnissen der »Babyforschung« orientierten Behandlungsstrategien werden vor allem im Bereich früher Schädigungen der Persönlichkeit eingesetzt, um dysfunktionale kognitive, emotionale und volitive Strukturen (Narrative, Skripte, Schemata) zu verändern. Es gilt das Grundvertrauen, den Selbstwert und die emotionale Regulation durch emotionale Differenzierungsarbeit im Beziehungsprozess (z.B. mittels bottom-up und top-down emoting Repressionsmethoden u.a.) zu stärken, um ein höheres Maß an Beziehungsfähigkeit, Liebeserleben und Neuwertungen zu gewinnen. 3. Erlebnis- und Ressourcenaktivierung Auf diesem Wege soll mit Hilfe von Kreativ-, Sport-, Musik-, oder Bewegungstherapie die Persönlichkeitsentfaltung gefördert bzw. eine Lebensstiländerung bewegt werden. Inhaltlich geht es darum mittels der Erschließung persönlicher und gemeinschaftlicher Ressourcen und Potentiale durch die genannten Verfahren dysfunktionales Verhalten abzulegen durch alternative kognitive, emotionale und multisensorische/ multiexpressive Performanzen. Konkrete Methoden sind dabei z.B. das Rollenspiel, die Freizeitaktivierung sowie Performanztraining und Netzwerkpflege. Es gilt sich neu zum »Projekt zu machen« und sich neu neugierig zu erschließen.
540
Vgl. Leitner (2010), 220ff.
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5 Ziele der Integrativen Therapie
4. Exzentrizitäts- und Solidaritätsförderung Alltagspraktisch gilt es die Förderung und Bildung von Netzwerken zu unterstützen, damit neue und andere Solidaritätserfahrungen, Erfahrungen des Eingebundenseins und sozialer Zugehörigkeit ermöglicht werden. Mittels gemeinsamer kognitiver/emotionaler Erfahrungen und multisensorische und multiexpressive Performanzen, z.B. mittels Netzwerk- und Projektarbeit, sowie Gruppentherapie, sollen Lebensstiländerungen bewirkt werden. Geistliche Begleitung, die integrativ-pastoralpsychologisch orientiert ist, sucht den Menschen tiefer und besser seelsorglich zu begleiten. Es können in einer solchen Lernerfahrungen auf allen vier Wegen der Heilung und Förderung stattfinden. So können z.B. durch narrative Bewusstseinsarbeit in einer vertrauensvollen geistlichen Beziehung, Fixierungen auf alte religiöse Muster (Gottesbilder, Gebetsleben, Erfahrungen mit Geistlichen) angesprochen und in angemessene neue Erfahrungen und Einsichten gemacht werden. Die Geistlich Begleitende steht unterstützend und korrigierend zur Seite, regt alternative Sichtweisen und Erfahrungen an und ermöglicht so komplexe neue Lernprozesse, die bestenfalls alte Strukturen in neue wohltuende überführen. Dies kann durch Beziehungsarbeit in narrativer Praxis ebenso erfolgen wie mittels erlebnisaktivierender Übungen, die von geistlicher Chorarbeit, wie Teilnahme an der rituellen Praxis und geistlichen Übungen reichen können. Hier kann gerade auch das Zusammenwirken individueller Geistlicher Begleitung und gemeindlicher Arbeit förderlich für die geistliche und persönliche Entwicklung und Förderung des geistlich Begleiteten sein. Im therapeutischen Prozess kann der Therapeut / die Therapeutin indikationsspezifisch im Sinne multimodaler Therapie im integrativen Sinne den Schwerpunkt auf unterschiedliche Modalitäten legen. Die Modalitäten a bis e stehen dabei pastoralpsychologisch geschulten Geistlich Begleitenden zur Verfügung. Geistlich Begleitende, die nicht pastoralpsychologisch geschult sind, sollten sich in den Modalitäten b bis e bewegen und verantwortungsvoll Wirkungen und Nebenwirkungen ihrer Interventionen, Übungen und des Ko-respondenzgeschehens reflektieren. Dazu gehört auch die Einsicht in die verschiedenen Tiefungsebenen, die z.B. die durch eine zeitintensive meditative Praxis ausgelöst werden können. Die medikamentöse Modalität obliegt ärztlicher Kompetenz und Aufsicht. Eine verantwortliche reflexive eigene Haltung der Geistlich Begleitenden ist erforderlich, um Schäden bei den Begleiteten zu vermeiden. Es werden unterschieden: a) konfliktzentriert-aufdeckende Modalität, zur Aufdeckung dissoziierter und verdrängter Konflikte oder Persönlichkeitsanteile, z.B. mittels aktiver Methoden aus Psychoanalyse und Gestalttherapie b) konservativ-stützende, palliative Modalität, z.B. in Krisenepisoden und Zeiten
5.1 Integrative Persönlichkeitstheorie
187
c) erlebniszentriert-stimulierende Modalität, mit kreativen Medien und Methoden sowie aktiver Imagination zur Flexibilisierung der Persönlichkeitsstrukturen bei Verhärtungen oder Schematismen d) übungszentriert-funktionale Modalität, z.B. Entspannungsmethoden, körpertherapeutische Übungen, Lauftherapie, Aikido e) netzwerkaktivierende Modalität, defizitäre und schädliche Netzwerke sanieren, gute Netzwerkqualitäten pflegen f) medikamentöse Modalität, z.B. zur Intervention bei akuten Krisen oder zur Begleitung kombinatorisch bei Angststörungen oder Depressionserkrankungen Der Fortschritt in Forschung und Entwicklung kann dabei zur Entwicklung weiterer Modalitäten führen. Zu denken ist dabei etwa an naturheilkundliche Verfahren.541 Zur Lenkung therapeutischer Prozesse und zur Einordnung und Beurteilung von Prozessen steht dem Therapeuten / der Therapeutin in der Integrativen Therapie das Modell der »Vier Ebenen der Therapeutischen Tiefung« zur Verfügung. Die Prozesse sind dabei fließend und nicht als abgeschlossene Größen zu betrachten, vielmehr oszillieren sie auf den verschiedenen Ebenen bzw. laufen parallel.542 Sie lauten: 1. Ebene der Reflexion: Das therapeutische Setting geschieht auf der Ebene der kognitiven Äußerungen und Überlegungen, gedankliche Inhalte stehen bewusst im Vordergrund ohne sichtbare emotionale Beteiligung. 2. Ebene des Bildererlebens und der Affekte: Es kommen Bilder ohne emotionale Beteiligung im Erleben des Patienten auf (Zuschauer beim Film ohne Emotionen) bzw. es kommen Bilder mit emotionaler Beteiligung auf. Diese kann durchaus stark werden, lässt den Körper aber relativ unbeteiligt (Weinen kurz und wenig tief). 3. Ebene der Involvierung: hier kommt es zur Beteiligung des ganzen Körpers am emotionalen starken Erleben. Das Erleben der Außenwelt tritt zurück. Der Mensch ist ganz in die erlebte Szene eingetreten. 4. Ebene der autonomen Körperreaktionen: der Involvierungsprozess verdichtet sich dergestalt, dass der Körper autonom zu reagieren scheint. Auch spirituelle Übungen und die zwischenmenschliche Begegnung können in der Geistlichen Begleitung Ebenen der Tiefung bei einem Menschen auslösen. Erfahrungsgemäß sind diese im konkreten Erleben nicht unbedingt leicht zu unterscheiden zu den beschriebenen Ebenen. Es ist zu differenzieren auf der Basis eines tiefen Wissens um die Wirkfaktoren von spirituellen Techniken und Übungen, ihrer Theorie im Eingebundensein zum spirituellen Gesamtprozess und es sind die geistli541 542
Vgl. Leitner (2010), 217f. So mit Schuch (2000), 57 und Leitner (2010), 218.
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5 Ziele der Integrativen Therapie
chen Bewältigungs-, oder Coping-Strategien samt Kriseninterventionsmöglichkeiten zu kennen, wie sie in der christlichen Tradition überliefert werden, um einem Menschen auch auf diesen Entwicklungsebenen seiner spirituellen und persönlichen Entwicklung förderlich und heilsam beistehen zu können.543 5.1.4 Gesundheits- und Krankheitslehre Die philosophisch-anthropologische Krankheitslehre der Integrativen Therapie zentriert sich im Konzept der multiplen Entfremdung.544 Gemeint ist die Entfremdung von sich als Leib, von Mitmenschen, von der Lebenswelt (Kontext), von der Arbeit und von der Zeit (Kontinuum). Diese Krankheitslehre tritt in der Integrativen Therapie zu einer klinischen Krankheitslehre im Kontext der Persönlichkeits- und Entwicklungstheorie. Sie ist deskriptiv und erlebnistheoretisch aufgebaut. Gesundheit und Krankheit werden dabei generell im Zusammenhang gesehen (Pathogenese und Salutogenese). Diagnostik und Therapie verfahren differentiell und lebenslaufbezogen. Ihre Optik ist die lebensabschnittstypische Heuristik. Zur Klärung und Differenzierung von pathogenen Faktoren werden drei Modelle in der Integrativen Therapie unterscheiden: 1. Das Pathogenesemodell der Entwicklungsnoxen: Differenzierung der Auswirkungen erlebter Defizite, Traumata, Konflikte im Hinblick auf die Bildung von Selbst, Ich und Identität. 2. Das Pathogenesemodell der Repression/Dissoziation: Rücknahmemodell emotionaler, expressiver Impulse, Retroflexionen in sensiblen Phasen der Entwicklung; Selbstanästhetisierungen 3. Das Pathogenesemodell der zeitexistenten, multifakoriellen Überlastung: Krankheit wird damit multipel begriffen, entsprechend multipler Heilungsprozesse. Die integrativen Pathogenesemodelle bieten eine hinreichende und weitreichende Möglichkeit, diagnostisch Gesundheit und Krankheit für die Prozesse der Geistlichen Begleitung zu verstehen. Aus theologischer Perspektive lohnt es sich, Gedanken einer spirituellen Entfremdung als Pathogenese theologisch zu reflektieren. Neue Impulse wären damit möglich, z.B. den Gedanken der Sünde als spirituelle Entfremdung von Gott und damit im existentiellen und nicht moralischen Sinne zu interpretieren. Geistliche Begleitung wäre dann als Weg neuer Zuflucht oder wieder neuer »Beheimatung« in Gott zu verstehen.545
543 544 545
Siehe Bespiele dazu im Ersten Teil vorliegender Arbeit. Zum folgenden Leitner (2010), 163ff. Siehe dazu Punkt 3.4 im Dritten Teil vorliegender Arbeit.
5.1 Integrative Persönlichkeitstheorie
189
5.1.5 Zur Praxis der Integrativen Therapie Die therapeutische Beziehung wird als ein intersubjektives Geschehen und Handeln begriffen. Als wesentlich für den Erfolg der Integrativen Therapie werden Syntonie und Synergie zwischen Therapeutin/Therapeut und Patientin/Patient gesehen. Als Voraussetzung dafür versucht der Therapeut / die Therapeutin immer wieder den Patienten / die Patientin im Selbst-Erleben, Ich-Erleben zu berühren und zu bewegen, sowie seine Wahrnehmung zu entwickeln und zu evaluieren. Die Integrative Therapie ist damit als ein intersubjektiver Ko-respondenzprozess zu begreifen. Wesentlich ist das Gewahrsein des Augenblicks (continuum of awareness). Der Unterschied zum Alltag liegt auf der Handlungsebene und besteht darin, dass durch das Ziel der psychotherapeutischen Zusammenkunft eine klare Rollen- und Aufgabenteilung zwischen Therapeut und Patient vorgegeben ist. Aufgabe des Therapeuten ist es, das intersubjektive Geschehen zu erkennen, zu reflektieren und indikationsspezifisch in intervenierendes Verhalten umzusetzen. Hierbei können verschiedene Modellvorstellungen (Heuristiken) benutzt werden. Grundlegend ist es, sich vom Patienten bewegen und berühren zu lassen. Formen der Bemächtigung des Anderen sind nicht auszuschließen, z.B. Szenengenerierung und Rollenzuweisung durch das therapeutische Setting, szenische Wiederholungen, sich prozessual einspielende Szenen oder Übertragungen und Gegenübertragungen. Der Therapeut / die Therapeutin repräsentiert darin in der Arbeit immer ein Gestalten der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft. Er geht in der Regel nach dem Leitsatz »Geschehen lassen und Handeln« vor. Ausgangs- und Anknüpfungspunkte sind: verbale und nonverbale Mitteilungen sowie die szenische, atmosphärische und phänomenale Realität der therapeutischen Beziehung. Entsprechend gilt diagnostisch der prozessuale und intersubjektive Ansatz. Damit ist ein Vorgehen gemeint, in dem prozessual in der Ko-respondenz von Therapeut und Patient Befunde und Einschätzungen des Therapeuten mitgeteilt und überprüft werden und eine Auseinandersetzung bzw. Abstimmung beider darüber erfolgen kann. Alle aufgezeigten Prozesse vollziehen sich wie in jeder zwischenmenschlichen Beziehung auch in einer Geistlichen Begleitung. Eine verantwortungsvolle Geistliche Begleitung reflektiert bewusst diese Interaktionen und bringt sie konstruktiv in die Geistliche Begleitung je nach spiritueller Entwicklung mit ein. Dies erfordert neben den seelsorglich-pastoralpsycholgischen Kenntnissen auch ebensolche von geistlichen Entwicklungsprozessen. In der Regel verlaufen diese Prozesse in einer Geistlichen Begleitung, verstanden als mystagogische Seelsorge, in den Klärungsphasen (Reinigungs- und Läuterungsprozessen). Später verwandelt sich die Klarheit über die zwischenmenschliche Beziehung und die Gottesbeziehung und vertieft sich in eine kontemplative Le-
190
5 Ziele der Integrativen Therapie
benshaltung. Neue Sichtweisen und Handlungsspielräume können für die eigene Identitätsentwicklung möglich werden, wie die christlichen Modelle aufzeigen.546 5.1.6 Wirkfaktoren der Integrativen Therapie Schulen und Verfahren übergreifend werden in der Integrativen Therapie sechs zentrale Wirkungsbereiche benannt, die gemäß der Forschungslage generell als Wirkfaktoren psychotherapeutischer Arbeit gelten: a. die therapeutische Beziehung b. das Verstehen c. Problemaktualisierung oder das Prinzip der realen Erfahrung d. Aktive Problembewältigung e. Ressourcenaktivierung f. Netzwerkarbeit Der Mensch wird in der Integrativen Therapie als ein Leib-Subjekt mit bi-modaler Erkenntnisstruktur in Kontext und Kontinuum gesehen. Die Perspektive der Integrativen Therapie ist damit die Perspektive einer Humantherapie. Als Ziele einer solchen Humantherapie lassen sich folgende benennen: a. persönlichkeitsbezogen: Souveränität, starkes und flexibles Ich, stabile und prägnante Identität, Fähigkeit zur Selbstregulierung, Fähigkeit zu angemessener Relationalität, innere Ressourcenanlage b. kontextbezogen: Stabile soziale Netzwerke; externe Ressourcenanlagen; Handhabung von Umwelteinflüssen c. kontinuumsbezogen: Bearbeitung problemrelevanter lebensgeschichtlicher Ereignisse; zugängliche, aktivierbare Ressourcen, haltgebende Zukunftserwartung durch z.B. konkrete Ziele oder Pläne.547 Forschungen zu den Wirkfaktoren Geistlicher Begleitung stehen zwar in Gänze noch aus. Als ein pastoralpsychologisches Geschehen partizipiert Geistliche Begleitung jedoch an den Wirkfaktoren der Psychotherapieforschung, in welcher sich die therapeutische Beziehung als »Herzstück« für die Heilung und Förderung eines Menschen im therapeutischen Prozess erweist. Als ein solches »Herzstück« bedarf es größtmöglicher Aufmerksamkeit in der Bildung des Geistlichen Begleiters / der Geistlichen Begleiterin, ebenso in der Wahl eines solchen / einer solchen.
546
Siehe dazu die Ausführungen zu exemplarischen Modellen christlicher Tradition im Ersten Teil. 547 Vgl. Leitner (2010), 220ff. Näheres zu den Wirkfaktoren findet sich unter dem Stichwort »Vier Wege der Heilung und Förderung« bei Petzold (2003a).
6 Integrative Therapie und Religion/Spiritualität
Integrative Therapie ist, wie jedes psychotherapeutische Verfahren, eine rechtlich geregelte Dienstleistung im Rahmen des öffentlichen gesetzlichen Gesundheitswesens (Kassenzulassungen, Heilpraktikergesetz, Weltgesundheitsbehörde). Sie fußt auf einem wissenschaftsfundierten, professionellen Handeln. Die Integrative Therapie vertritt eine materialistisch monistisch-emergente Theorieposition.548 Ihre Verfahrensweise ist gänzlich materialistisch geprägt und bleibt monistisch, indem es keinen Dualismus zwischen Begriffen wie Leib, Körper, Gehirn und Begriffen wie Geist, Seele, Bewusstsein eröffnet. Auf dieser Basis unterscheidet sie klar zwischen spiritueller Praxis, welche als Ausdruck des persönlichen Glaubenslebens verstanden wird, und der klinischen Psychotherapie. Fragen und Gespräche über religiöse und spirituelle Themen können über den Patienten / die Patientin in das psychotherapeutische Setting eingebracht werden und finden ihren Ort in der fünften Säule der Persönlichkeitstheorie.549 Spirituelle Interventionen seitens des Therapeuten / der Therapeutin sollen jedoch in Gänze unterbleiben, weil zum einen die Gefahr des Missbrauchs durch das strukturelle Gefälle im therapeutischen Geschehen gegeben ist und durch ebensolche gestärkt werden würde, und zum anderen, weil sie den rechtlichen gesetzlichen Rahmen des Gesundheitswesens sprengt.550 Ein wissenschaftliches Therapieverfahren steht unter den gesetzlichen Regelungen, und die verpflichten zur weltanschaulich-religiösen Neutralität (Grundgesetz: GG 4,2). Spirituelle Interventionen, religiöse Praktiken und Techniken gehören demnach nicht in die psychotherapeutische Praxis, sondern sind Sache der Seelsorge.551 Aufgrund der wissenschaftlichen und gesetzlichen Basis der Integrativen Therapie soll eine psychotherapeutische Behandlung nur gemäß qualifizierter Differenzialdiagnostik und vorgängig formulierter und nachgängig evaluierter Therapieziele mit entsprechend differenzieller Methodik erfolgen.552 Diese Position der Integrativen Therapie ist ausdrücklich formuliert zur Integrität der Patienten und im Respekt gegenüber religiöser Praxis. Deren komplexe religiösen Systeme und Traditionen werden, da heutige Einstellungen oftmals östliche und west548 549 550 551 552
Petzold/Sieper, Orth (2010), 14ff. Vgl. meine Ausführungen unter Zweiter Teil 5.1. A.a.O., 18ff. Vgl. im Ganzen Petzold (2005). Leitner (2010), 117ff. Petzold/Sieper/Orth (2010), 14ff.
192
6 Integrative Therapie und Religion/Spiritualität
liche religiöse Weisheitslehren durch ihren eklektischen Gebrauch in theoretischer wie praktischer Hinsicht für Petzold simplifizieren, missbraucht. Petzold spricht von einem »Billigverschnitt« in Gestalt religiösen Halbwissens, der die Menschen der Anstrengung der Aneignung eines religiösen Systems enthebt und sie dadurch missbraucht. Ein tief religiöser Mensch zu sein ist von ähnlicher Mühsal gekennzeichnet, wie die Entscheidung Agnostiker und Atheist zu sein.553 Die Integrative Therapie erweist sich dabei als offenes transversales theoretisches System, das seine Positionen auf Zeit und im Rahmen der je derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse fasst.554 Dies gilt auch für zentrale christliche Inhalte theologischer und anthropologischer Art.555 1983, lange bevor die Welle der Spiritualität als Frage nach spirituellen Interventionen in der psychotherapeutischen Praxis oder als gegenwärtiger Trend die Gesellschaft erreichte, formulierte Hilarion Petzold: »Die Bezogenheit auf die Welt und ihre Geheimnisse sowie auf den Menschen und seine Tiefe kennzeichnet das, was wir in der Nootherapie als »säkulare Mystik« oder als »innerweltliche Religiosität« bezeichnen. Sie trifft sich mit den Intentionen religiöser Mystik, wie sie das »Hohe Lied« beschreibt, über die Herrlichkeit der natürlichen Dinge, wie viele Psalmen besingen, in der herrlichen Zuwendung zum anderen, wie sie Christus und Buddha zum Zentrum ihrer Lehren gemacht haben« (Petzold 1983b, S. 60). Petzold kennt zudem eine Erkenntnisebene als Klarbewusstheit (Petzold 1988a), in welcher Erkenntnisse (ganz im Gegenteil zum Unbewussten) in einem hyperperzeptiven, hyperreflexiveren Zustand, als wie in einem luziden Traum, intuitiv klarwerden. Dieser Zustand innerer Klarheit ist mit den beschriebenen mystischen Zuständen Williams James vergleichbar.556
553 554
So mit Petzold, zit. nach Leitner (2010), 120. »Positionen sind Standorte auf Zeit« (Petzold [1994a/2007a], S. 134/97ff). Sie sind mit Kontexten und Geschehnissen verbunden, mit denen man noch nicht beschäftigt ist, bis andere Erkenntnisse, Interessen, Aufgaben und Herausforderungen sich ergeben, die uns Positionen wechseln lassen oder vorhandene qualitativ verändern (Petzold [2005ö]). Dies gilt für alle Bereiche der Wissenschaft gemäß ihrer Erkenntnisposition. So auch Petzold/Sieper/Orth (2010), 13. 555 Ladenhauf (1988), 125–161 (142). 556 Vgl. die Ausführungen zu William James unter Einführung 2.4.2.a.
7 Begegnungen von Theologie und Integrativer Therapie
Die Integrative Therapie ist in der Vergangenheit in der evangelischen und katholischen Theologie vereinzelt rezipiert worden. Dies geschah zum einen in Aufnahme der Methoden und Kernkonzepte für die pastorale Arbeit durch Kurt Lückel,557 und durch den Österreicher Karl Heinz Ladenhauf558 in der ersten Phase der Entwicklung der Integrativen Therapie. Beide prägten zudem pastoralpsychologische Fort- und Ausbildungsgänge.559 Absolventinnen und Absolventen der Weiterbildung Gestaltseelsorge und Integrative Pastoralarbeit geben seither aus den unterschiedlichsten Feldern pastoraler Arbeit Aufschluss über die Möglichkeiten, an die Integrative Therapie für ihre berufliche Theorie und Praxisbildung anzuknüpfen.560 Auch Absolventinnen und Absolventen anderer Ausbildungsgänge der Integrativen Therapie zeugen davon.561 Anknüpfend an die integrativen Gedanken Petzolds zur Nootherapie und säkularen Mystik seit den 1980er, entwickelte der Schweizer Bernhard Neuenschwander seit Mitte 2007 diese in die unterschiedlichsten Theorie- und Erfahrungsfelder hinein weiter.562
557 558 559 560 561
Lückel (1981). Ladenhauf (1988). A.a.O., 163–184. Siehe Katharina Henke / Annette Marzinzik-Boness (Hg.) (2005). Beispiele finden sich unter: www.fpi-puplikationen.de unter anderem von der Autorin dieser Arbeit im Bereich Psychotherapie und Supervision. 562 Neuenschwander (2011), 189–199.
8 Integrative Therapie und Geistliche Begleitung
Geistliche Begleitung braucht, wie dargelegt, einen reflektierten Theorierahmen und adäquates Praxiswissen, sowie handlungsfähige Kompetenzen und Performanzen, um Menschen in Geistlicher Begleitung adäquat begegnen zu können. Der »tree of science« bietet dazu eine grundlegende strukturierende formale Struktur für Geistliche Begleitung an, die integrativ durch genuin theologische Theorie- und Praxisfelder zu überarbeiten ist. Neben dem theoretischen Modell des »tree of science« ist vor allem das Beziehungsmodell der Integrativen Therapie auf der Basis wissenschaftlich fundierter Lern- und Entwicklungstheorie in der Lage, das Beziehungsgeschehen in Geistlicher Begleitung zu strukturieren und zu erfassen, um verantwortungsvoll als Begleitender tätig zu sein und transparent und förderlich dem zu Begleitenden zu begegnen. Dadurch bietet es einen verlässlichen Rahmen für die Praxis Geistlicher Begleitung, die in ihr reflektiert und schöpferisch sich entwickeln kann. Damit jedoch neben diesen seelsorglich-pastoralpsychologischen Überlegungen auch der geistlich-spirituelle Aspekt zum Tragen kommen kann, sind zugleich spirituelle Entwicklungsmodelle mit den ihnen eigenen geistlichen Übungen unabdingbar zu reflektieren und mit der integrativen pastoralpsychologisch-seelsorglichen Dimension von Geistlicher Begleitung ins Gespräch zu bringen, was im nächsten Teil meiner Arbeit vollzogen wird, um dadurch eine fundierte theoretische Reflexion Geistlicher Begleitung aufzuzeigen. Diese erfordert unter integrativer Perspektive sowohl Kenntnisse in seelsorglich-pastoralpsychologischer wie auch in spirituell-geistlicher Hinsicht. Spirituell-geistliche Kenntnisse sind für eine integrative geistliche Arbeit neu zu erarbeiten, weil sie aufgrund der rechtlichen Selbstbeschränkung der Integrativen Therapie, bezogen auf den Einsatz spiritueller Methoden und Techniken, dort nicht ausgebildet und praktiziert werden. Eine Bildung in beiden Dimensionen ist für den von mir vertretenen Ansatz für Geistliche Begleiterinnen und Begleiter unerlässlich.
Dritter Teil: Perspektiven für einen Entwurf Geistlicher Begleitung als ein seelsorgerlichpastoralpsychologisches und spirituelles Geschehen
1 Ergebnisse der Untersuchung exemplarischer Modelle der christlichen Tradition hinsichtlich des intersubjektiven und spirituellen Beziehungsgeschehens in der Geistlichen Begleitung Ich gebe zu, es kostet Mühe, einzelne Seelen zu führen; aber es ist eine Mühe, die erquickt. Sie gleicht jener der Schnitter und Winzer, die nie zufriedener sind, als wenn sie sehr viel Arbeit haben. Es ist eine Arbeit, die durch ihre Schönheit das Herz derer stärkt und erquickt, die sie unternehmen. (Franz von Sales, Philothea)563
1.1 Geistliche Begleitung: eine verbindliche mystagogische Seelsorge Nach der Befragung exemplarischer Modelle der christlichen Tradition Geistlicher Begleitung kann als Ergebnis der Untersuchung, bezüglich der Frage nach dem zwischenmenschlichen und spirituellen Beziehungsgeschehen in der Geistlichen Begleitung, festgehalten werden, dass das Beziehungsgeschehen in allen christlichen Modellen ein verbindliches ist. Es kennt eine geordnete Struktur des Zusammenseins, (dies gilt auch für die mitunter punktuellen Treffen bei den Wüstenvätern) und es finden vereinbarte Zusammenkünfte statt. Diese sind zeitlich und räumlich klar bestimmt. Die Rollen der an der Beziehung Beteiligten sind eindeutig definiert und ihre Aufgaben funktional bestimmt (z.B. Fragender und Antwortender; Leiterin und Übende der Exerzitien). Geistliche Begleitung erstreckt sich innerhalb einer solchen verbindlichen Beziehung über einen zeitlich befristeten, in der Regel längerfristigen bis langen Zeitraum. Auch bei den jesuitischen Exerzitien geht oftmals eine verbindliche Geistliche Begleitung mit regelmäßigen Treffen nach den zwei- bis vierwöchigen Exerzitien weiter. Aus einer Geistlichen Begleitung kann eine geistliche Freundschaft erwachsen. Die Form der Beziehung ist dem Inhalt bzw. dem Lernfeld der Geistlichen Begleitung angepasst. In Zeiten des Anachoretentums in der Wüste ist Geistliche Begleitung folglich anders als in Zeiten klösterlich-gemeinschaftlichen Lebens. Die äußere Ordnung des Lebens findet Entsprechung in einer inneren systematisierenden Ordnung Geistlicher Begleitung (vgl. Johannes vom Kreuz, Benediktinische Gemeinschaft). Die Methodik dient ebenso wie die Form und die inhaltliche Ausrichtung der Beziehung ausschließlich einer mystagogischen Zielperspektive. Diese wird unter563
Franz von Sales (2012). Vorwort, 20f.
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1 Ergebnisse der Untersuchung exemplarischer Modelle der christlichen Tradition
schiedlich benannt: Gottsuche; Christusnachfolge, Erfahrung einer unio mystica; Gott in allen Dingen finden. Geistliche Begleitung bietet für diese Zielperspektive einen geschützten und gestalteten Raum, in welchem eine Hinführung zu einem und eine Begleitung nach einem individuellen Erleben Gottes bzw. einer Erfahrung Gottes möglich sein sollten.564 Dieser Erlebnis- bzw. Erfahrungsgrund wird unterschiedlich – je nach eigener Erfahrung – benannt (Liebe, Christus, Gott), sofern dies überhaupt für den Betroffenen möglich ist zu benennen. Jegliche individuellen und persönlichen Themen wie auch Probleme und Krisenerfahrungen werden in die mystagogische Ausrichtung aufgenommen und in diese Zielperspektive überführt. Das seelsorglich-therapeutische, fördernde und heilsame Handeln, entwickelt mit der spirituellen Akzentuierung ein eigenständiges Profil. Geistliche Begleitung ist damit stets eine mystagogische Seelsorge. Methoden, Interventionen und spirituelle Übungen sind dabei so zu wählen, dass dieses Ziel für den Begleiteten möglich wird, weil durch Gott Heilung und Förderung für den Menschen auf seinem Lebensweg geschehen kann. Es kann darum für das Verständnis von Seelsorge in der Geistlichen Begleitung mit Manfred Josuttis gesagt werden, dass »im Kern Seelsorge Mystagogik ist«565, weil in einem gemeinsamen Weg an die (nicht in die!) Bereiche des göttlichen Lebens geleitet wird, um von dort her Heilung, Kraft und Trost zu empfangen. »Gelingende Seelsorge vollzieht sich (damit) als heilsamer Austausch, der die quälenden Mächte vertreibt und die Wirklichkeit des Heiligen vergegenwärtigt.«566
564 565
Vgl. Ausführungen unter 2.4.2.c. Manfred Josuttis (1996), 128ff (129). Vgl. dazu auch Ausführungen in vorliegender Arbeit, unter 2.4.3.3. Der Begriff »Mystagogische Seelsorge« steht im römisch-katholischen Kontext gleichsam für ein seelsorgliches paradigmatisches Handlungsfeld, in welchem der Gedanke der Mystagogie als Prinzip kirchlicher Seelsorge verwirklicht wird. Siehe dazu: Stefan Knobloch / Herbert Haslinger (Hg.) (1991), 12. Die Autoren entfalten darin den Begriff »Mystagogie« und beziehen ihn auf die unterschiedlichsten römischkatholischen kirchlichen Handlungsfelder (Ekklesiologie, Sakramentenlehre, Katechese). Analog finden sich bei Sabine Bobert mystagogische Entfaltungen aus evangelischer Perspektive. Vgl. Ausführungen unter 2.4.3.3. 566 Knobloch/Haslinger (1991), 134. Vergleiche Ausführungen zur Mystagogik unter 2.4.3. Josuttis transzendiert aufbauend auf der rituellen Dimension der Seelsorge diese 2008 in Richtung einer energetischen Seelsorge, wo durch Segnen, Beten, Handauflegen, Fasten, Beichten und andere Handlungen der Kontakt mit dieser Lebensmacht ausgeübt werden soll, damit das Heilige als eine Wirklichkeit erfahrbar wird und negative, quälende Energien abfließen und heilsame positive Energien empfangen werden können. Vgl. Manfred Josuttis (2008), 126ff. Dazu kritisch, Michael Klessmann (2008), 94f. Siehe als kritische Anmerkung auch die Ausführungen zu »Geistliche Begleitung und Anfechtung« unter Dritter Teil 3.5. besonders der Gedanke des Loslassens der Erfahrung wie Nicht-Erfahrung im Glauben.
1.2 Geistliche Übungen im Dienst mystagogischen Lernens
199
1.2 Geistliche Übungen im Dienst mystagogischen Lernens Angestrebt ist durch alle geistlichen Übungen eine Initiierung bzw. Begleitung eines Wandlungsprozesses, der eine größtmögliche Öffnung des Menschen für Gott ermöglichen soll. Das Leben des geistlich begleiteten Menschen wird äußerlich und innerlich auf Gott hin geordnet. Alle asketischen Übungen dienen damit einem mystagogischen Lernen: der Veränderung des Begleiteten aus einer Selbst- zu einer immer größeren Gottausgerichtetheit und Hingabe für Gottes trinitarisches Wirken in der Gegenwart. Sie sind somit niemals Selbstzweck, vielmehr haben sie stets dienenden Charakter. Mit Zimmerling, Schambeck, Bobert und Steiner kann darum formuliert werden, dass Geistliche Begleitung immer auch eine katechetische Dimension beinhaltet. Sie ist ein Lehr- und Lernort, wo mystagogische Prozesse initiiert werden, um Wandlungsprozesse zu erfahren.567 In diesem mystagogischen Wandlungsprozess nehmen die kontemplativen Übungen, wie das Sitzen in der Stille, das Schweigen, ein einfacher Lebensstil und die nichtgegenständlichen kontemplativen Meditationsformen, aufgrund ihrer unmittelbaren erfahrungsbezogenen Wirkmächtigkeit in Selbstbegegnung und Öffnung für Gottes Wirklichkeit, eine herausgehobene Stellung in der mystagogischen Seelsorge innerhalb einer Geistlichen Begleitung ein. 1.3 Geistlich Begleitende als kardiognostische und diakritische Mystagoginnen und Mystagogen Geistlich Begleitende sind dementsprechend anleitende und begleitende Personen der durch die geistliche Übung und durch die spirituelle Begegnung stattfindenden Prozesse. Er/Sie ist jedoch niemals der Akteur / die Akteurin der Gotteserfahrung. Alle seine/ihre Aufgaben und Funktionen dienen ausschließlich dem mystagogischen Lern- und Wandlungsprozess. Dies gilt auch für alle psychologischen Interventionen, so sehr sie für sich genommen auch förderlich und heilsam sind. Geistlich Begleitende sollten dabei in Theorie und Praxiserfahrung durch eigene Geistliche Begleitung und eigenes geistliches Erleben geschult sein, d.h. er/sie sollte kundig sein, sowohl in den spirituellen Entwicklungsprozessen wie auch in den intersubjektiven Interaktionsund Entwicklungsprozessen, um stets souverän und zielorientiert mystagogisch-seelsorglich den Gesamtprozess der Geistlichen Begleitung leiten und begleiten zu können. Die Gaben der Kardiognosie und Diakrisis, der Herzenskunde und Unterscheidung der Geister, sind in diesem Ge567
Vgl. die Ausführungen unter 2.2.; 2.4.1.d. und 2.4.3.b.
200
1 Ergebnisse der Untersuchung exemplarischer Modelle der christlichen Tradition
schehen grundsätzlich pneumatische Gaben, die allerdings der Schulung durch Erfahrene bedürfen. Sie werden in allen Begleitmodellen vom Begleitenden gefordert und höher angesehen wie alle formalen strukturbildenden Konzeptionen, wie sie sich in den Modellen Benedikts, Johannes vom Kreuz und Ignatius herausgebildet haben, um den Gesamtprozess zu beschreiben. Konzeptionen (Stufenstrukturen z.B. der Demut; Wochenschemata etc.) sind als Vehikel, als dienende Strukturen für den Gesamtprozess zu verstehen. Grundlegend gehört ebenfalls gemäß den christlichen Begleitmodellen, eine Transparenz dieser Konzeptionen in die Geistliche Begleitung hinein. In Angemessenheit vor der jeweiligen Entwicklung und Erfahrung der begleiteten Menschen sind diese Konzeptionen und Prozesse zu benennen und zu reflektieren. Damit ist eine orientierende und weiterführende Einordnung des Erarbeiteten in Praxis und Theorie gemeint, so dass mystagogische Wandlungsprozesse nicht nur erlebbar, sondern auch benennbar und für das eigene Leben sowie das anderer Menschen fruchtbar werden können. Dazu dienen die spirituellen Entwicklungsmodelle: Stufen der Liebe, der Demut, das dreigliedrige Schema der Reinigung und Läuterung der Seelen zur unio mystica bzw. die Exerzitien. Sie sind damit niemals bloßer Selbstzweck. Seelsorge ist folglich auch unter dem Aspekt der Identitätsund Entwicklungsdynamik in der christlichen Tradition auf das Engste mit der spirituellen Ausrichtung, dem mystagogischen Lernen, verbunden. Die Kunst der Geistlichen Begleitung besteht demgemäß in der Anleitung der äußeren Form und bewussten reflexiven Aneignung der eigenen Erfahrungen. Sie ist als eine solche erlern- und auch lehrbar, wenngleich die subjektiven pneumatischen Gaben unverfügbar Gottes Geschenk und Charisma bleiben. In der Mystagogik Geistlicher Begleitung in der christlichen Tradition begegnen sich immer Aszetik, Katechese, Spiritualität und Seelsorge. Entsprechend der im Gesamtprozess einer Geistlichen Begleitung vorherrschenden Perspektivierung, ist die Rollenfunktion des Geistlichen Begleiters / der Geistlichen Begleiterin angepasst (z.B. Anleiter, Spiritualin, Lehrer, Seelsorgerin, Seelenführer, Begleiterin). Diese Funktionen können innerhalb der Geistlichen Begleitung wechseln, haben aber immer eine dienende Beschreibung. Der Inhalt (der Erlebnis- und Erfahrungsgrund: Gott) bleibt jedoch stets unverfügbar in seinem Wesensgrund und damit auch aller egozentrischen Gier, die danach strebt sich des Göttlichen zu bemächtigen, entzogen. Demut ist als Begleitender zu üben, um dem Hochmut als Ausdruck der Gier Einhalt gebieten zu können.568
568
So mit Ralf Stolina. Vgl. 2.4.1c, der differenziert die Gefahren subjektivistischanthropologisch verengter Spiritualität der Moderne herausgearbeitet hat.
1.4 Geistliche Begleitung braucht einen gemeinschaftlichen Rahmen
201
1.4 Geistliche Begleitung braucht einen gemeinschaftlichen Rahmen zum Korrektiv und Vorbild Diese Gier kann durch ein gezieltes Korrektiv in der subjektiven Geistlichen Begleitung und/oder Korrektiv und Vorbild in gemeinschaftlichen Bezügen eingeschränkt werden, was z.B. im benediktinischen Modell detailliert beschrieben ist. In den christlichen Modellen ist deshalb, und zur Stärkung auf dem je eigenen Weg, jede individuelle Geistliche Begleitung immer eingebunden in gemeinschaftliche mystagogische Lernfelder. Dieses Prinzip findet sich seit jeher in historischen Gemeinschaften wieder: von den Zusammenkünften der ersten Schüler der Wüstenväter, über ihr zeitweiliges Wohnen im Kellion des Altvaters als partnerschaftliche Begleitung, weiter zu den monastischen Entwicklungen (von Pachomius, dem Begründer des Koinobitentums, einem späten Wüstenvater, zu Benedikt von Nursia, den Karmeliten sowie den Jesuiten und gleichsam weiter und verzweigter) bis hin zu der wechselseitigen Aussprache und dem Trost der Schwestern und Brüder bei Martin Luther.569 Diese mystagogisch-gemeinschaftlichen Lernfelder sind prägend und als systemischer Rahmen auch elementar wichtig. Im benediktinischen Modell Geistlicher Begleitung sind sie, wie aufgezeigt, gar wesentlich. Diese genannten Bezüge gelten im seelsorglichen Sinne wie im Sinne des Lernens als Korrektiv und Vorbild. Sie sollen den einzelnen Menschen auf seinem je eigenen geistlichen Weg solidarisch stärken und ermutigen und zugleich auch kritisch in den Blick nehmen. Luther hat dieses Lernfeld durch seine geistliche Übung des Katechismus aus dem monastischen Umfeld in die häusliche Gemeinschaft außerhalb monastischer Strukturen eröffnet, wie Harms herausgearbeitet hat. Diesem Impuls gilt es in der Gegenwart zu folgen und neue Formen gemeinschaftlichen mystagogischen Lernens in Verbindung zu individueller Geistlicher Begleitung zu entwickeln, welche heute oftmals in dieser gemeinschaftlichen Weise fehlen. Die Rolle der (kirchlichen) Gemeinde oder individueller Gruppen und anderer (neuer) religiöser Gemeinschaften, neben der individuellen Form Geistlicher Begleitung als systemischer mystagogischer Rahmen Geistlicher Begleitung, gilt es große Aufmerksamkeit nach der Auswertung der christlichen exemplarischen Modelle zu schenken. Denn mystagogisches Lernen vollzieht sich nicht nur durch die konkrete individuelle Geistliche Begleitung, sondern auch durch den gemeinschaftlichen Ritus und die Sakramentsverwaltung, die Liturgie und die Kasualien.570 569
Siehe dazu auch die Entwicklung des frühen Mönchtums: Karl Suso Frank (1975). Zu Martin Luther siehe Stolina (2014), 22f, und Schemann (2014), 172–186. 570 Mit Sabine Bobert (2010), 389ff, und Schemann (2014), 473–500. Vgl. auch in diesem Dritten Teil 4.2.3 und 4.2.4.
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1 Ergebnisse der Untersuchung exemplarischer Modelle der christlichen Tradition
Hinzu können sämtliche individuellen Möglichkeiten z.B. der Supervision, Beratung, des Coaching, der Intervision und der eigenen Geistlichen Begleitung treten, die als Korrektiv und Entwicklungsmöglichkeit bestenfalls immer wieder neu in Anspruch genommen werden. 1.5 Geistliche Begleitung und Demut Allen christlichen exemplarischen Modellen eigen ist ferner die Entwicklung zu einer Lebenshaltung der Demut. Sie kann als ein Sicheinfinden in die sich offenbarende Herrlichkeit Gottes, seiner Liebe, beschrieben werden und ebenfalls spirituellem Egozentrismus maßvoll entgegenwirken. Die Demut beschreibt die Frucht des mystagogischen Wandlungsprozesses aus anthropologischer Perspektive und ist meines Erachtens ein elementarer Wesensausdruck einer durch eine Gottes- und Anfechtungserfahrung verwandelten Lebenshaltung.571
571
Siehe dazu: Andrea Gorres (2009), 204–211 und die Ausführungen unter 3.5 in diesem Dritten Teil.
2 Pastoralpsychologische Perspektiven zur Gestaltung Geistlicher Begleitung unter Aufnahme der wissenschaftstheoretischen Position und von Kernkonzepten der Integrativen Therapie Nach der Bestimmung von Geistlicher Begleitung als eine mystagogische Seelsorge lassen sich unter Aufnahme der Wissenschaftstheorie und von Kernkonzepten der Integrativen Therapie neue und für das Geschehen der Geistlichen Begleitung vertiefende und weiterführende Perspektiven gewinnen. 2.1 Grundlegung Pastoralpsychologische Forschung dient dem Vorhaben, für die Begleitung, die Beratung und das Sinnverstehen des Lebens im Horizont christlicher Spiritualität Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Psychotherapieforschung, klinischen Psychologie und Sozialpsychologie einzubeziehen, um gründlicher und tiefer seelsorgliches Handeln theoretisch zu reflektieren und in der Praxis gestalten zu können. Sie kann als solche als eine moderne Fortführung des Bestrebens nach Kardiognosie verstanden werden. Die Integrative Therapie ist, wie die Untersuchung zeigte, ein solches wissenschaftlich fundiertes Therapieverfahren und bietet mit ihrer Wissenschaftstheorie und ihren Kernkonzepten vertieftes Verstehen und handlungsrelevante Konzeptionen für eine verantwortliche Theorie- und Praxisentfaltung und eine zwischenmenschliche förderliche Hilfe und Unterstützung (im Sinn eines erweiterten Therapiebegriffs).572 2.2 Abgrenzung und Kritik Die Integrative Theorie und Praxis kommt jedoch dort an ihre Grenzen, wo sie die spirituell-mystagogische Dimension gemäß ihrer Wissenstheorie nicht erfassen kann, weil sie keine Aufnahme spiritueller Methoden und geistlicher Übungen in ihr Therapieverfahren vorsieht. Sie ist gesetzmäßig zu religiöser Neutralität und zu der Beachtung der herrschenden Gesundheitsgesetzgebung verpflichtet.573 Gleichwohl werden in der Praxis therapeutischer Arbeit natürlich religiöse Themen, Fragen 572 573
Vgl. Punkt 2 im Zweiten Teil der Arbeit. Vgl. Punkt 6 im Zweiten Teil der Arbeit.
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2 Pastoralpsychologische Perspektiven zur Gestaltung
und Probleme von Seiten der Klienten eingebracht. In der 5. Säule der Persönlichkeitslehre der Integrativen Therapie ist der Glaube als eine tragende Möglichkeit des Lebens benannt. In der sogenannten »Nootherapie« der Integrativen Therapie wird von einer »säkularen Mystik« gesprochen, die das Wirken des Heiligen Geistes, das im eigenen Leben von Gott Offenbarte und Erfahrene, in ihrem Therapieverständnis mit einbezieht, sofern es vom Klienten/Patienten eingebracht wird.574 Es ist ein reaktives Verfahren, welches versucht, geistliche Phänomene in die therapeutische Arbeit aufzunehmen. Diese nootherapeutische Haltung ist jedoch keine geistlich-mystagogische Haltung wie sie in der Geistlichen Begleitung praktiziert wird. Um spezifische geistliche Prozesse und Entwicklungen zu fördern und zu entwickeln, sind wie aufgezeigt, eigene Methoden und Übungen sowie spezifische Entwicklungsmodelle mit ihren systemischen Rahmenbedingungen und Zielformulierungen maßgebend. Geistliche Begleitung braucht deshalb eine eigenständige integrative Wissenschaftstheorie im Verhältnis zur Integrativen Therapie. Auch kennt die religiöse Tradition eigene Themen, die in der Integrativen Therapie, die auf einer humanistischen Philosophie fußt, nicht thematisiert werden, z.B. Gier, Begehren, Hochmut, Demut. In der christlichen Tradition Geistlicher Begleitung sind diese Begriffe als religiöse, wie in dieser Arbeit aufgezeigt, elementar und bedürfen einer eigenen theologischen Erörterung. Sie werden von mir nicht im moralischen bewertenden Sinne, vielmehr als theologisch-ethische Kategorien verstanden, Ausdruck und Haltung eines Lebens. Diese Ethik kann philosophisch oder in meinem Falle theologische Begründung finden. In der Integrativen Therapie könnten sie in den wissenschaftlichen Publikationen zu Wille und Wollen diskutiert werden, finden dort aber keine Erwähnung.575 Kritisch ist bezüglich der Integrativen Therapie ferner zu sagen, dass letztlich noch eine metatheoretische Reflexion auf das Geschehen der vollzogenen Integration in der Therapieforschung der Integrativen Therapie fehlt. Insgesamt ist hinsichtlich der publizierten öffentlichen Kritik an der Integrativen Therapie festzustellen, dass es kaum wissenschaftlich-kritische inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem integrativen Ansatz gibt. Politisch nehmen analytische, verhaltenstherapeutische und gesprächstherapeutische Verfahren in der Lehre und Forschung großen Raum ein. Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, weil diese sogenannte kassenärztlich anerkannte Therapieverfahren sind, was ihnen auf dem Therapiemarkt eine Machtposition verschafft. Gleichwohl ist die Integrative 574 575
Vgl. die Punkte 6–8 im Zweiten Teil der Arbeit. Siehe dazu im Ganzen Petzold (2001i) / Petzold/Sieper (2003) und meine theologisch integrative Position unter Dritter Teil 3.4.
2.3 Neues integratives Verfahren
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Therapie ein gut evaluiertes Therapieverfahren.576 Es bleibt als offene kritische Frage zu formulieren, ob nicht der schwierige komplexe Sachverhalt, der sich in einer komplexen Sprache der wissenschaftlichen Texte der Begründer der Integrativen Therapie niederschlägt, eine solche inhaltliche Auseinandersetzung geradezu verhindert, weil eine Lektüre der wissenschaftlichen Texte der Integrativen Therapie durch ihre Sprache oftmals (zu) mühsam für den Leser / die Leserin macht. Dies wird als formales kritisches Kriterium immer wieder in den Rezensionen zu den Werken Hilarion Petzolds geäußert, wie ein Blick ins Internet schnell deutlich macht. Petzold selbst antwortet darauf, dass komplexe Sachverhalte eine ebensolche Sprachäußerung erfordern.577 Bei allem Wunsch nach einfacher und angenehmer Sprache, die vielleicht die wissenschaftliche Lektüre erhöhen mag und die wissenschaftliche Beschäftigung vereinfachen würde, ist die Äußerung Petzolds als ein Wunsch nach Kongruenz von Sprache und Inhalt gleichwohl wichtig zu hören. 2.3 Neues integratives Verfahren Geistliche Begleitung braucht wie oben ausgeführt eine eigenständige integrative Wissenschaftstheorie im Verhältnis zur Integrativen Therapie. Für die Theorie und Praxis Geistlicher Begleitung ist darum ein umgekehrter Weg einzuschlagen: die Integration der Wissenschaftstheorie und der Kernkonzepte in die Theorie und Praxis Geistlicher Begleitung. Dazu bedarf es einer »Theorie des Integrierens«, die aus der Integrativen Therapie übernommen wird. Die Modelle der Integrativen Therapie sind auf dieser Basis für die Geistliche Begleitung um eine theologische Wissenstheorie zu erweitern. Wesentlich für einen integrativen Entwurf Geistlicher Begleitung, also unter kritischer Reflexion und Aufnahme der Wissensbestände der Integrativen Therapie, ist die Erweiterung des »tree of science« für die Geistliche Begleitung. So sind die metatheoretischen Integratoren um die theologischen (des Gottesbildes) und das philosophische Menschenbild um theologische Integratoren (Spiritualität, Gottebenbildlichkeit) ergänzend zu reflektieren. Auf den anderen Ebenen des »tree of science« ist in gleicher Weise zu verfahren. So sind die Integratoren um geistliche Übungen und spirituelle Identitäts- und Entwicklungsmodelle, Kriseninterventionen, etc. zu erweitern, wie die, durch die Befragung exemplarischer christlicher Modelle gewonnen, und durch jene, welche bereits mit der Integrativen Therapie im dritten Teil meiner Arbeit in Bezug gesetzt wurden. Ebenso ist das 576 577
Petzold/Hass/Märtens/Steffan (2000), 277–355. So geschehen in einem Gespräch mit mir, in welchem ich Petzold zu diesem Sachverhalt befragte.
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2 Pastoralpsychologische Perspektiven zur Gestaltung
Ko-respondenzmodell um die spirituelle Dimension zu erweitern, die Identitätsentwicklung nach ihrer Zielperspektive mit der mystagogischen Seelsorge der christlichen Modelle zu befragen und auch das Pathogenesemodell um ein spirituelles Entfremdungsmodell zu ergänzen. Diese Transversalität und Konnektivierungsmöglichkeiten sind im integrativen Ansatz, wie bereits ausgeführt, selbst angelegt. Hermeneutisch gilt es demnach darum, Wege zum Menschen und mit Menschen zu gehen und gemäß einem integrativen theologischen Ansatz, auch von der Phänomenologie religiöser Erfahrung, der »cognitio dei experimentalis«, auszugehen und die daraus erwachsenden Strukturen und Entwürfe des Lebens zu beachten. Die Integration von Kernkonzepten der Integrativen Therapie in die wissenschaftliche Betrachtung von Geistlicher Begleitung führt somit gemäß ihrer gestalttheoretischen Grundlegung zu einer neuen Gestalt Geistlicher Begleitung. Durch die Verbindung von bisher Vereinzeltem und Unterschiedlichem wird nun durch Vernetzungen, Synopsen und durch Synergieeffekte mit ihrer kokreativen Wirkung ein neuer Sinnbezug der Teilaspekte hergestellt. Innovationen können geschehen und ein Novum kann auftauchen. Das neu Verbundene ist damit etwas anderes als die Summe der Einzelteile, welche eine bloße Addition und pluriforme eklektische Ausformung darstellen würde, wie sie derzeit phänomenologisch sichtbar ist.578 Grundzüge eines solchen integrativen Entwurfes einer Geistlichen Begleitung seien nachfolgend skizziert.
578
Vgl. Ausführungen im Zweiten Teil 1.3 zum Begriff »Integration« und Einführung 1. Bes. Einführung 1.1.4. »der fröhliche spirituelle Eklektizismus«.
3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung als einer mystagogische Seelsorge
Die Ergebnisse der Untersuchung christlich exemplarischer Modelle und die Aufnahme der Wissenschaftstheorie und von Kernkonzepten der Integrativen Therapie führen integrativ, nach kritischer Reflexion ihrer Wissensbestände, zu einem Neuentwurf Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge, womit nach integrativer Wissenstheorie eine Neuschöpfung auf einem bereits »reichlich bestellten Feld« gemeint ist. Es handelt sich um eine »Revision« relevanter Wissens- und Erfahrungsfelder aus einer integrativen theologischen Perspektive. Drei grundlegende Kernkonzepte dieses neuen Entwurfes möchte ich dazu ausführlicher skizzieren: den »tree of science« integrativer Geistlicher Begleitung; das Beziehungsmodell als ein integratives Konzept der »Ko-respondenz in Dialog und Polylog« für die Geistliche Begleitung und das Konzept der »spirituellen Pathogenese«. Alle diese Prozesse basieren auf dem lerntheoretischen Kernkonzept des integrativen Verfahrens: dem »komplexen Lernen«. 3.1 Der »tree of science« Geistlicher Begleitung Die Gestaltung Geistlicher Begleitung in integrativer Weise führt, wie bereits im Verlauf dieser Arbeit aufgezeigt, zu einem »tree of science«, der um die theologische und geistliche Perspektive (theologische Integratoren) erweitert wird. Die Integratoren der Integrativen Therapie heben sich bei dieser neuen Integration nicht auf, vielmehr werden die Wissensfelder kritisch durchschritten und aus theologischer Perspektive um einzelne Integratoren ergänzt, die im Folgenden auf der rechten Seite der unten aufgeführten Tabelle dargestellt werden. Da es sich um einen offenen, transversalen Entwurf handelt, können sie jederzeit ergänzt bzw. erneuert werden, so dass neue Kreationen Geistlicher Begleitung entstehen. Der Unterschied zu vorher besteht dann allerdings darin, dass diese Modelle Geistlicher Begleitung nunmehr eine Theorie des Integrierens für ihre eklektischen und alle seelsorgerlichen, pastoralpsychologischen und spirituellen Prozesse kennen. Dadurch gelangen sie zu einer bewusst reflektierten, wissenschaftlich fundierten Theorie- und Praxisverschränkung. Diese kann dann für die geistlich zu Begleitenden transparent und im Ko-respondenzprozess für die stattfindenden Klärungs-, Orientierungs-, und Wachstumsprozesse sinnstiftend fruchtbar gemacht werden. Geistliche Begleitung hat so ein
208
3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung
eigenes »Integrationsparadigma«. Zudem werden die Forschungen zur Geistlichen Begleitung, ihrer allgemeinen und speziellen Theorie und Praxisreflexion weitergeführt. Diese sind vielfach noch offen, was an dieser Stelle angezeigt, aber nicht erarbeitet werden kann. Sie werden der weiteren Forschung zur Geistlichen Begleitung überlassen. Ein »tree of science« für integrative Geistliche Begleitung lässt sich grundlegend wie folgt darstellen: 1.
Metatheorie Theologische Integratoren: Erkenntnistheorie Wissenschaftstheorie Allgemeine Forschungstheorie Kosmologie Anthropologie (einschließlich Gendertheorie) Gesellschaftstheorie Ethik Ontologie
2.
Erkenntnistheorie (»cognitio dei experimentalis«) Philosophisch-theologische Anthropologie Theologische Ethik Wissenschaftstheorie, Ontologie, Kosmologie inkl. theologische Theorien
Realexplikative Theorien Theologische Integratoren: Allgemeine Theorie der Psychotherapie Theorie, Methodik und Ergebnisse der Psychotherapieforschung Persönlichkeitstheorie Entwicklungstheorie Gesundheits-/Krankheitslehre (einschließlich Theorie der Diagnostik) spezielle Theorien der Psychotherapie
Rezeption der Theorie, Methodik und Ergebnisse der wissenschaftstheoretischen und theoretischen Arbeit an Geistlicher Begleitung Allgemeine Theorie Geistlicher Begleitung, Pastoralpsychologie, Aszetik und Seelsorge und der Mystagogik Allgemeine Theorie von Religion, Kultur und Theologie Spirituelle Persönlichkeitstheorie Geistliche Entwicklungstheorie Theorie der Diagnostik spiritueller Krankheiten und Krisen Geistliche Gesundheits- und Krankheitslehre Spezielle Theorien der Geistlichen Begleitung
209
3.1 Der »tree of science« Geistlicher Begleitung
3. Praxeologie Theologische Integratoren: Praxeologie als Theorie zielgruppenund genderspezifischer Praxis Praxis der Psychotherapieforschung Interventionslehre (Theorie der Methoden, Techniken, Stile und Medien etc.) Prozesstheorien Theorien zu verschiedenen, insbesondere »prekären«, Lebenslagen Theorie des Settings Theorien zu spezifischen Klientensystemen Theorie zu spezifischen Institutionen und Feldern
Theorie der Zielgruppen / genderspezifische Praxis Geistlicher Begleitung Praxis der Forschung Geistlicher Begleitung Spirituelle Interventionslehre (geistliche Übungen, spirituelle Techniken, geistliche Stile und Medien) Theorie spiritueller Krisen Theorie zum Setting und Klientensystem Geistlicher Begleitung Theorie zu mystagogischen Lernfeldern Geistlicher Begleitung
4. Praxis Theologische Integratoren: In Dyaden In Gruppen und Netzwerken, Feldarbeit, »life«-Situationen In Organisationen und Institutionen.
(Petzold 1998a)
in Einzel- und Gruppenbegleitung Zweiersetting in Kirche und gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen in anderen religiösen Feldern (Gorres 2014)
Mit diesem modifizierten »tree of science« ist eine wissenschaftstheoretische Fundierung Geistlicher Begleitung gegeben und für alle Beteiligten möglich umzusetzen. Sie bietet ein Reflexionsformat und eine Orientierungsstruktur für alle in der Geistlichen Begleitung stattfindenden Prozesse, eingebrachten Theorien und Praktiken. Im praktischen »Ausfüllen« dieser wissenschaftstheoretischen Folie kann eine wissenschaftlich fundierte, bewusst zu reflektierende, pastoralpsychologisch-seelsorglich vertiefte und geistlich-spirituell gegründete Geistliche Begleitung erwachsen, die eine qualitätsreiche und verantwortungsvolle Theorie-Praxisverschränkung unabhängig ihrer z.B. eingebrachten therapeutischen Verfahren oder geistlichen Übungen für alle Akteure Geistlicher Begleitung in Theorie und Praxis ermöglicht.
210
3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung
Ein Fallbeispiel: Eine Geistlich Begleitende bietet den Sonnengruß als geistliche Übung an, die den Körper für Gott bereiten und öffnen soll. Der Sonnengruß (Sanskrit: Surya Namaskar) ist eine Yoga-Übung. Diese besteht aus 12 Asanas (Körperübungen), welche als eine dynamische Übungsfolge mehrmals wiederholt werden. Mit dem Sonnengruß, auch umgangssprachlich »Sonnengebet« genannt, werden physiologisch gesprochen, alle Muskeln des Körpers gestärkt und gedehnt sowie der Kreislauf aktiviert. Mit Hilfe des »tree of science« (»Ausfüllen der Folie«) kann diese Geistliche Begleiterin ihre Arbeit theoretisch reflektieren und zu einer neuen Theorie-Praxis-Verschränkung und Transparenz in ihrer Arbeit kommen. Yoga entstammt einem anderen kulturellen und religiösen Kontext mit einem eigenen Menschenbild und einem eigenen spirituellen Hintergrund (Gottesbild, geistliche Entwicklung). Achtet man als Begleitende auf die Wirkmächtigkeit aller Übungen, dann sollte diese Übung verantwortungsvoll eingesetzt werden und im Gesamt der eigenen Konzeption Geistlicher Begleitung verantwortet werden (hinsichtlich Gottes- und Menschenbild etc.). Eine Integration in den christlichen Rahmen schafft Neues und Anderes. Diese Folge sollte gewusst und bewusst die Arbeit in Theorie und Praxis mitbestimmen. Das Kernkonzept des »tree of science« ermöglicht eine fundierte reflektierte Praxisgestaltung und als solche eine Basis für eine transparente Gestaltung Geistlicher Begleitung. 3.2 Das »Ko-respondenzmodell« Geistlicher Begleitung In einer Geistlichen Begleitung gelten die gleichen intersubjektiven Beziehungsdynamiken wie in jeder anderen zwischenmenschlichen Beziehung. Das Ko-respondenzmodell der Integrativen Therapie ist wie dargelegt579 ein für das pastoralpsychologische Erfassen und Gestalten einer Beziehung geeignetes realexplikatives Theoriemodell. Auf dialogischer Ebene, wie auch auf differenzierter Ebene durch das Polylogmodell, bietet es vertiefte und erweiterte Kenntnisse für die intersubjektive Ebene der Geistlichen Begleitung. Für eine pastoralpsychologisch fundierte Theorie und Praxis Geistlicher Begleitung ist diese jedoch auf integrativer Weise zu bearbeiten und zu erweitern, damit die spirituell-geistliche Ebene in Theorie und Praxis theoretisch erfasst und mit ihr für die Begleitung fruchtbar gemacht werden kann. Das bereits erörterte Ko-respondenzmodell,580 welches von Hilarion Petzold seit den 1980er Jahren entwickelt wurde, bedarf für den theoretischen wie praktischen Ge579 580
Siehe Zweiter Teil, Punkt 4.4. Siehe Zweiter Teil, Punkt 4.
3.2 Das »Ko-respondenzmodell« Geistlicher Begleitung
211
brauch in einer Geistlichen Begleitung wissenschaftstheoretisch somit einer neuen integrativen Bearbeitung. Der »tree of science integrativer Geistlicher Begleitung« (2014), wie zuvor entfaltet, bietet dazu die Grundlage. Die integrative Bearbeitung bezieht sich auf die folgenden Themen im Ko-respondenzprozess der Geistlichen Begleitung: 1. die mystagogische Ausrichtung auf die göttlich-spirituelle Dimension; 2. die Bewusstheit des Begleitenden und Begleiteten über sich, Gott und den gesamten Prozess der Geistlichen Begleitung; 3. die Störungen im Transzendenzbezug (bewusst und unbewusst); 4. die Exzentrizität / die Sinnerfassungskapazität der im Prozess Beteiligten bezüglich der säkularen und der göttlich-spirituellen Dimension im Kontext und Kontinuum. In der Integrativen Therapie erfolgt die therapeutische Arbeit im Kontext / Kontinuum-Gefüge zwischenleiblicher Lebenswelt. Dort werden Störungen der Beziehung zueinander, zu sich selbst und zur Umwelt, die durch Traumata, Defizite, Übertragungen etc. hervorgerufen wurden, mittels der therapeutischen Beziehung und therapeutischer Methoden, Interventionen und Medien in eine neue heilsame und förderliche Beziehung verändert, so dass eine gute neue Lebensqualität auf der Basis einer veränderten reflektierten und damit bewussten Lebenshaltung erwachsen kann.581 Eine göttliche Dimension findet nur insofern passiv Raum, als dass eine Klientin / ein Klient sie einbringt. In einer integrativen Geistlichen Begleitung gehört neben dieser pastoralpsychologisch seelsorgerlichen Dimension immer zugleich auch die mystagogische Bezugnahme zu Gott (Hinführung zu Gott, Begleitung göttlicher Erfahrungen, Beziehung zu Gott) mit eigenen aktiven Methoden und Übungen, sowie eigenen Entwicklungsmodellen und Rollenfunktionen dazu. Darin unterscheidet sich die Geistliche Begleitung grundsätzlich von psychotherapeutischen Verfahren. Auch Störungen zu sich selbst, zum Nächsten und zur Umwelt sind seelsorglich immer zugleich auch mystagogisch-spirituell in Bezug zu Gott zu sehen. Übertragungen, Traumata und Defizite sind in eine gute Ausrichtung, die heilsam und förderlich für den zu Begleitenden ist, zu überführen. Unbewusste Inhalte und Prozesse der eigenen Spiritualität sind durch reflektierende Gespräche, eine verbindliche Beziehungsgestaltung und gezielte geistliche Übungen in bewusste zu überführen, damit Förderung und Heilung in geistlicher Hinsicht sich mittels komplexen Lernens innerhalb einer mystagogischen Seelsorge ereignen können.582 Salutogenetisches Ziel einer solchen Geistlichen Begleitung ist eine Überwindung der Entfremdung zu sich, 581 582
Vgl. dazu Darstellung unter 4. und 5. Im Zweiten Teil (besonders 4.4.). Siehe 3.3. in diesem Abschnitt.
212
3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung
dem Nächsten und der Umwelt sowie gleichzeitig zu Gott. Mit dieser Überwindung der Entfremdung geschieht zugleich eine »Wiederbeheimatung« in Gott, ein vertrauensvolles Sich-Einfinden, ein neues Zufluchtnehmen in die göttliche Wirklichkeit, die sich in dieser Welt offenbart. Diese Ausrichtung soll den pathogenetischen spirituellen Entfremdungsprozessen, wie z.B. der Hochmut, der Gier, mangelndem Vertrauen in Gott, die klassisch theologisch als Sünde beschrieben werden können, förderlich entgegenwirken.583 Gleichwohl bleibt der Mensch ein Angefochtener, d.h. »dunkle Nächte«, wie z.B. Erfahrungen des Nicht-Erfahren-Könnens, depressive und psychosomatisch schwierige Phasen, Zweifel und Nicht-Glaube, können weiterhin und immer wieder auftreten.584 Im Laufe der Geistlichen Begleitung findet jedoch bestenfalls ein Zuwachs bewusster Anteile durch die komplexen Lernprozesse statt, die eine Zunahme an Exzentrizität und Sinnerfassungskapazität ermöglichen. Diese lässt als Frucht dann eine immer größere Hingabefähigkeit im Vertrauen auf Gott und seiner Gegenwart erwachsen. Mit dem folgenden Schaubild »Das Ko-respondenzmodell integrativer Geistlicher Begleitung« sind diese Prozesse und Inhalte noch einmal zusammenfassend veranschaulicht:
Abb. 6: »Das Ko-respondenzmodell integrativer Geistlicher Begleitung« (Gorres [2014])
583
Siehe 3.4 in diesem Abschnitt. Sünde als Entfremdung wird in der dogmatischtheologischen Literatur von Paul Tillich (1958), 53ff beschrieben. Sünde bezeichnet die Entfremdung des Menschen von seiner eigentlichen Bestimmung als Ebenbild Gottes. 584 Siehe weiterführend dazu auch den folgenden Abschnitt 3.4.
3.2 Das »Ko-respondenzmodell« Geistlicher Begleitung
213
Ein Fallbeispiel für das Miteinander spiritueller und intersubjektiver Arbeit in einer integrativen Geistlichen Begleitung: Ein Mann berichtet von seinem tiefen Wunsch eine verbindliche Partnerschaft für sein Leben zu entwickeln. Er war verheiratet und hatte nach seiner Ehe zwei, drei andere Beziehungen zu Frauen, die allerdings zu seinem Bedauern nicht dauerhaft Bestand hatten. Zuletzt scheiterte erneut eine Beziehung, von der er sich erhofft hatte, dass sie im Alter eine gute Partnerschaft mit sich bringen könnte. Er befragte sein Leben und seine Person, was die Ursachen für dieses immer neue Scheitern sein könnten. Im Lauf des Gespräches berichtet er von seiner Ehefrau, von der er lange geschieden ist. Er erzählt von den Anfängen der Beziehung in sehr jungen Jahren und der Wahl zur Ehefrau, die sein Vater, den er sehr wertschätzte, nicht mittragen konnte, da sie einer anderen christlichen Kirche und einem anderen Land und damit auch Kulturkreis angehörte. Der Vater sprach einen »Fluch« über diese Beziehung aus als der Sohn die Frau heiratete. Dies sei, so vermutet der Mann, der Grund, warum keine seiner Partnerschaften dauerhaft anhielten.
214
3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung
Die Begleiterin eröffnete in dem Beziehungsgeschehen einen neuen geistlichen Erfahrungsraum, indem sie mittels biblischer Geschichten (z.B. Kain und Abel, Schöpfungsgeschichte, Berufung Abrahams) und mittels Geschichten aus dem Leben des Mannes, die ihr bekannt waren, den Segen seines Lebens dem Mann (wieder-) eröffnete. Sie verdeutlichte ihm durch ihre Haltung und durch ihre Interventionen in narrativer Praxis, dass der Fluch im religiösen niemals für sich alleinstehe, vielmehr immer auf den Segen bezogen ist und dieser Segen sich immerfort vollzieht. Gleichwie die Liebe Gottes als Segensraum ihn immerfort trägt, so trägt auch die Liebe seines Vaters ihn. Der Mann kam neu in Berührung mit der Liebe seines Vaters und der Liebe Gottes. Er machte neue segensreiche Liebeserfahrungen, die einen anderen Blick auf sein Leben und seine Beziehung zu seinem Vater ermöglichten. Gefühle der Dankbarkeit und Versöhnung eröffneten sich für ihn. Der Fluch wandelte sich in Segen durch die segensreiche Liebeskraft, auf die die Begleitende hinwies und die sich eröffnete. Verwandlung erfolgte, indem in einer von Vertrauen getragenen Beziehung, durch den »Fingerzeig« auf den allgegenwärtigen Segen Gottes, neue und andere Erkenntnisse und anderes Erleben möglich wurden. Dies schuf ein Neues (Erfahrung des Segens), das wiederrum seine heilende und förderliche Kraft auf das Leben des Mannes entfalten konnte. Die destruktive Macht des Fluches verwandelte sich, getragen durch die Erfahrung der Liebe, in die konstruktive Macht des Segens. 3.3 »Komplexes Lernen« in Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge »Komplexe Lernprozesse« wie sie in der Integrativen Lerntheorie formuliert sind, sind allgemeine menschliche Prozesse, und als solche finden sie auch in der Geistlichen Begleitung statt.585 Sie bilden die Grundlage von seelsorglichen-pastoralpsychologischen und geistlichen Prozessen. Dabei unterscheidet sich die Zielbestimmung Geistlicher Begleitung von der Perspektive integrativer therapeutischer Arbeit. Geistliche Begleitung ist mystagogische Seelsorge und möchte Heilung und Förderung der Beziehung des Menschen zu sich selbst, seiner Umwelt und zugleich auch mit Gott bewirken. Dazu bedient sie sich spezieller geistlicher Übungen und der Beziehung zwischen dem Geistlichen Begleiter und den Begleiteten.586 Mittels beider Lernfelder soll eine Hinführung zu einer Gotteserfahrung bzw. eine Ausdeutung und neue Integration einer
585 586
Vgl. Punkt 3.2. im Zweiten Teil der Arbeit. Vgl. Punkt 1 im Dritten Teil dieser Arbeit. Ausführlich die Modelle im Ersten Teil.
3.4 Das Pathogenesemodell der »spirituellen Entfremdung«
215
gemachten Gotteserfahrung im Leben des Begleiteten erfolgen.587 Die Folgen spiritueller Pathogenese, der geistlichen Entfremdung, sind dazu in die Gottesbeziehung zu überführen. Dies geschieht mittels geistlicher Übung in reflektierter Begleitungspraxis. Durch das Gebet, das Studium geistlicher und biblischer Texte, die Befragung der eigenen (religiösen) Lebensbiographie auf Gottes Handeln in ihr, durch die Teilnahme an Gottesdienst und den Sakramenten gilt es zu einer größtmöglichen vertrauensvollen Hingabe in Öffnung für Gottes Gegenwart zu kommen. Gottes trinitarisches Heilshandeln bewirkt dann die Verwandlung, eine neue »Beheimatung in Gott« mit dem Erleben der heilsamen göttlichen Kraft und Nähe im Leben des Begleiteten. Damit stellt diese Zielbestimmung, die in der Erfahrung Gottes für das Leben des zu Begleitenden gründet, bei allen gleichsam sich vollziehenden komplexen Lernprozessen, eine andere Form Integrativer Agogik dar. Sie kann als eine integrative Myst-agogik bezeichnet werden. Theologisch sind die von Hilarion Petzold postulierten Ziele der »heiteren Gelassenheit« und »Souveränität« anders zu beschreiben, wenngleich diese durchaus eintreten können. Die Verfasserin möchte dabei, analog zum Entfremdungsbegriff, die Frucht eines komplexen geistlichen Lernweges innerhalb einer Geistlichen Begleitung als eine neue spirituelle Zufluchtnahme, eine neue (Wieder- oder Neu-) Beheimatung in Gott, bezeichnen. Als Folge kann sich eine Lebenshaltung der Liebe, Demut und Gelassenheit entwickeln, wie sie in den Modellen christlicher Geistlicher Begleitung herausgearbeitet wurde.588 3.4 Das Pathogenesemodell der »spirituellen Entfremdung« Die philosophisch-anthropologische Krankheitslehre der Integrativen Therapie konzentriert sich im Konzept der multiplen Entfremdung in dreifacher Genese der pathologischen Faktoren: auf die Pathogenese der Entwicklungsnoxen, der Pathogenese der Repression/Dissoziation, der Pathogenese der zeitexistenten, multifaktoriellen Überlastung. Die pathologischen Faktoren sollen durch therapeutische Maßnahmen mittels der 4 Wege der Heilung und Förderung in salutogenetische überführt werden.589 Sie kennt keine spirituelle Entfremdung. Diese möchte ich mit der Theologie Paul Tillichs erörtern und in meinen Entwurf integrieren:
587
Siehe dazu auch die Ausführungen unter 2.4.2 und 2.4.3 und zu Punkt 1 des Dritten Teils. 588 Vgl. dazu im Zweiten Teil Punkt 6 und im Dritten Teil Punkt 4.2. 589 Vgl. dazu meine Ausführungen unter 5. im Zweiten Teil.
216
3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung
Paul Tillich entfaltet im zweiten Band seiner Systematischen Theologie theologisch das Phänomen der menschlichen Entfremdung und den Begriff der Sünde: »Der Zustand der Existenz ist der Zustand der Entfremdung. Der Mensch ist entfremdet vom Grund des Seins, von den anderen Wesen und von sich selbst. […] Es ist daher notwendig, eine Beschreibung der existentiellen Entfremdung und ihrer selbstzerstörerischen Folgen zu geben.«590 Entfremdung ist kein genuin biblischer Begriff, gleichwohl er für Tillich in den meisten biblischen Beschreibungen menschlicher Lebenssituationen enthalten ist. Er verweist auf die Vertreibung aus dem Paradies, auf die Entzweiung der Brüder Kain und Abel und auf die paulinische Theologie (Röm 1 und 7).591 Er formuliert: »Der Mensch als Existierender ist nicht, was er essentiell ist und darum sein sollte. Er ist von seinem wahren Sein entfremdet. Die Tiefe des Begriffs »Entfremdung« liegt darin, daß man essentiell zu dem gehört, wovon man entfremdet ist. Der Mensch ist seinem wahren Sein nicht fremd. Es ist sein Sein, von dem er nicht loskommen kann, auch wenn er es möchte – wie er sich von Gott nicht losmachen kann, da er zu Gott gehört.«592 In Erweiterung des Kernkonzeptes der Entfremdung der Integrativen Therapie durch diese theologische Perspektive der Entfremdung von Paul Tillich kann der Auswertung der geistlichen Begleitungstradition des Christentums folgend von einer Pathogenese der spirituellen Entfremdung gesprochen werden. In allen christlich exemplarisch genannten Modellen geht es um das Sein in Gott. Diese Zugehörigkeit wieder zu erringen, bzw. sich in diese immer tiefer hinein verwandeln zu lassen,593 und somit der persönlichen Taufgnade (Schaupp) zu entsprechen, die Auferstehungswirklichkeit mit dem eigenen Glaubens-Leben zu empfangen (Lambert), zu Gott zu gelangen (Jalics), bzw. das LebensGespräch mit Gott so zu führen, dass die ureigene Identität, die uns von Gott zukommt, (Stolina) verwirklicht wird, ist Aufgabe geistlichen Lebens.594 Der Begriff Entfremdung ersetzt dabei das, was mit Sünde ausgesagt wird, nicht, weil es etwas ausdrückt, das im Wort Entfremdung so nicht enthalten ist. »Das Wort Sünde enthält das persönlich-aktive sich Wegwenden von dem, wozu man gehört. Es bringt den persönlichen Ent590 591 592 593 594
Paul Tillich (1987), 52. A.a.O., 53. Ebd. Vgl. Erster Teil 1–6 und die Auswertung im Dritten Teil Punkt 1. Vgl. die biblischen Perspektiven und die daraus entwickelten Ansätze unter 2.1.
3.4 Das Pathogenesemodell der »spirituellen Entfremdung«
217
scheidungscharakter der Entfremdung zum Ausdruck.«595 Das Wort Entfremdung drückt ergänzend dazu den universalen Sachverhalt aus, der aus der konkreten aktiven Sünde erwachsen kann. Mit Paulus verweist Tillich darauf, dass alle Sünde aus dem Nichtglauben, der die Einheit mit Gott verlassen hat, geboren wird. Liebe, als drangvolle Bewegung zur Wiedervereinigung im Glauben, kann diese Abwendung umkehren.596 Im Ganzen ist mit Tillich die Entfremdung näher zu differenzieren in Entfremdung als Unglaube (sine fide), Entfremdung als Gier (concupiscentia) und Entfremdung als Hochmut (hybris). Diese deckt sich mit den von den Wüstenvätern bis zu den evangelischen Positionen genannten menschlichen Seelenbewegungen und Lebenshaltungen, die einem Leben in Gottes Wirklichkeit, in Christus hinderlich und auf einem geistlichen Lebensweg durch die Öffnung für Gottes Gegenwart im Heiligen Geist zu verwandeln sind.597 Unglaube bedeutet demnach »den Akt, indem der Mensch sich in seiner Ganzheit von Gott abwendet«598 mit der Folge, die essentielle Einheit mit Gott, sich selbst und der Welt zu verlieren. »Das ist das religiöse Verständnis von Sünde – wie es von den Reformatoren neu entdeckt worden und im protestantischen Leben und Denken wieder verlorengegangen ist.«599 Sünde ist folglich ein religiöser Begriff und nur im Zusammenhang mit der Beziehung zu Gott verstehbar. Der Gnadenund der Sündenbegriff sind Korrelativa.600 Geistlich Begleitung bietet einen geschützten und spirituell gestalteten Rahmen, in dem ein Weg des Glaubens, eines neuen Vertrautwerdens mit Gottes gnadenhaftem Handeln, gegangen werden kann. Grundlegend dafür ist es, Wege zu finden, die der Gefahr der Entfremdung durch das Begehren (concupiscentia) und den Hochmut (hybris) begegnen. Für Tillich ist der Mensch ausschließlich Zentrum seiner Selbst geworden, wodurch er sein essentielles Zentrum (das göttliche Zentrum) verloren hat. Dieser Verlust vollkommener und strukturierter Zentriertheit, die ihm Würde und Größe durch Gottes Ebenbildlichkeit verliehen hat, entsteht durch Ich-Fixierung und den menschlichen Hochmut, sich selbst an die Stelle Gottes setzen zu wollen, welcher durch die menschliche Transzendenzfähigkeit ermöglicht wird.601 595 596 597 598 599 600 601
Tillich (1987), 54. A.a.O., 55f. Vgl. Ersten Teil der vorliegenden Arbeit. Tillich (1987), 55. A.a.O., 56. Vgl. Christine Axt-Piscalar (2001), 423ff. Tillich (1987), 57ff. Siehe auch Axt-Piscalar (2001), 428ff.
218
3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung
Die Hybris besteht somit in der Abwendung, und damit Entfremdung von Gott, und der zugleich stattfindenden Selbstüberhebung des Menschen in die Sphäre des Göttlichen. Im Wunsch, wie Gott sein zu wollen, wird Endliches und Unendliches vertauscht.602 Dieser Hochmut erwächst aufgrund der menschlichen Gier, das Ganze der Wirklichkeit dem eigenen Sein einverleiben zu wollen. Diese Konkupiszenz bezieht sich nicht allein auf sexuelles Begehren, vielmehr gleichsam auf alle Lebensbezüge (physischer Hunger; Gier nach materiellem Reichtum, Erkenntnis, Macht, Wissen oder geistigen Werten).603 »Sünde ist (somit) ein universales Faktum, noch bevor sie zu einem individuellen Akt wird, oder genauer gesagt: Sünde als individueller Akt aktualisiert das universale Faktum der Entfremdung. Als individueller Akt ist Sünde eine Sache der Freiheit, Verantwortlichkeit und persönlichen Schuld.«604 Individuelle Entscheidung ist damit auch die (Neu-) Zuwendung zu Gott. Tillichs Sprache in Anlehnung an protestantische Grundkategorien von Sünde sind qualitativ und absolut formuliert. Er macht noch einmal die historisch notwendige Abgrenzung zur quantitativen und relativen Handhabung des Sachverhalts im römisch-katholischen kirchlichen Bereich deutlich, in welcher sie entwickelt wurde. Zugleich weist er zurecht darauf hin, dass die notwendig theologische Klärung nicht in »rigorosen Moralismus«605 ausarten darf, der die ursprünglich klärende protestantische Absicht verdunkelt. »Der Protestantismus muß aber beachten, daß der absolute Charakter von Sünde und Gnade ihm nicht die psychologischen Einsichten und die erzieherische Anpassungsfähigkeit der katholischen Position versperrte.«606 Tillich wertschätzt 1958 die »unendliche Komplexität menschlichen geistigen Lebens«,607 die relativen Kategorien von Sünde und Gnade, und hofft, dass die »neu entstehende psychologisch-beratende Tätigkeit des protestantischen Geistlichen […] in dieser Richtung ein(en) wichtige(n) Schritt« darstellen wird.608 Fast 60 Jahre später hat die pastoralpsychologisch-seelsorgliche Bewegung viele Erkenntnisse hinsichtlich der Komplexität menschlichen Lebens und menschlicher Identitätsentwicklung geliefert, wenngleich es die Ausbildung der spirituellen Entwicklung, die zugleich mit ihr von größter Wichtigkeit gerade auch für die Prozesse der Geistlichen Begleitung ist, noch weiterhin zu fördern und zu entwickeln gilt.609 Die 602 603 604 605 606 607 608 609
Tillich (1987), 58f. A.a.O., 60ff. A.a.O., 65. A.a.O., 67. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Ausführung unter Einführung 1.1.3 (besonders 1.1.3.2).
3.4 Das Pathogenesemodell der »spirituellen Entfremdung«
219
christliche Tradition bietet wie aufgezeigt eine Vielzahl von Übungen (z.B. Gebet, Selbsterforschung in Exerzitien, Sakramente und Riten) und Lebensformen (z.B. in kommunitären Strukturen, in Kirchengemeinden), mit denen der Entfremdung begegnet und ein Weg der (Neu-) Beheimatung in Gott gegangen werden kann. Dabei gilt es zu bedenken, dass im neuzeitlich-säkularen Kontext in außerkirchlichen, aber auch in innerkirchlichen Zusammenhängen der Begriff Sünde unverständlich geworden ist. Sofern er noch verwendet wird, wird er oftmals (umgangssprachlich) moralisch (z.B. im Sinne der Verkehrssünden), nicht jedoch religiös (im Gottesbezug) verstanden. Im letzteren Verständnis wird er von mir in Anschluss an Tillich verstanden. Durch seelsorglich-pastoralpsychologische Arbeit, die eine »rekonstruktive Deutung von Lebensgeschichten« veranlasst, »die mit Störungen im Selbst- und Weltverständnis« rechnet, mit »Nicht-Identischem, Fragmentarischem, Desaströsem«, könnte dem kommunikativen Entfremdungsprozess entgegengewirkt werden und gnadenhafte Erfahrungen der Annahme des eigenen Lebens durch Gott erleb- und verstehbar gemacht werden.610 Geistliche Begleitung ist ein individueller Rahmen, in welchem ein Mensch zum einen seelsorglich lernen kann, der Komplexität des eigenen Lebens zu begegnen und zum anderen einen heilsamen Umgang mit den Entfremdungsformen und Verkehrungen des Lebens in immer neuer Öffnung zu Gott finden kann. Das folgende Schaubild, das um einen theologischen Integrator möglicher Entfremdung erweitert wurde, zeigt die in einer Geistlichen Begleitung vorkommenden Möglichkeiten der Entfremdung auf allen Ebenen. Sie sind mystagogisch-seelsorglich in salutogenetische Faktoren zu überführen (z.B. neuer Kontaktmöglichkeiten zu sich durch Bewegung und Körpertherapie, neue Zuwendung zu Gott durch z.B. die Anregung eines eigenen spirituellen Lebens mit Gebet oder Meditation).
610
So in Aufnahme der Gedanken von Paul Tillich: Wilhelm Gräb (2001), 440f.
220
3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung
Pathogenese der Entwicklungsnoxen
Pathogenese der zeitexistenten, multifaktoriellen Überlastung
Pathogenese der Repression / Dissoziation
Pathogenese der spirituellen Entfremdung
Abb. 7: Möglichkeiten der Entfremdung in Geistlicher Begleitung (Gorres [2015])
Das durch die integrative Therapie formulierte philosophische Pathogenesemodell multipler Entfremdung wird durch das theologische Pathogenesemodell erweitert, in keinem Falle jedoch seelsorglich aufgehoben. Sie stehen ergänzend zueinander und eröffnen alle Wege zum Menschen, in dem sie in der seelsorgerlichen Praxis dazu verhelfen, Heilung und Förderung der Begleiteten zu unterstützen, indem die dazu widerstreitenden pathogenetischen Faktoren erkannt und gezielt behandelt werden können gemäß den beiden Strängen Geistlicher Begleitung (seelsorglich-pastoralpsychologisch und geistlich-spirituell). In der Zielformulierung mystagogischer Seelsorge geht es, anders als in der Integrativen Therapie, um die Erfahrung Gottes, seiner Nähe und allumfassenden Gegenwart. Diese wird möglich durch die Verwandlung der eigenen Person, indem verhindernde und störende Verhaltensmuster, die in eine Entfremdung von Gott führen, gelassen und vertrauensvolle Hingabe an Gott eingeübt wird. Geistliche Begleitung wird dann Weg der Heilung und Förderung geistlicher Wieder- oder Neubeheimatung in Gottes Gegenwart. Die Geistliche Beziehung, mit ihren geistlichen Übungen mittels mystagogischer Lernprozesse, dient damit diesem heilvollen Prozess geistlicher Heimkehr, wodurch wir erstmalig oder erneut Gottes Nähe und seine Gegenwart im Sinne Apg 17,28 »In ihm leben, bewegen und sind wir« für unser Leben erfahren.
3.4 Das Pathogenesemodell der »spirituellen Entfremdung«
221
Fallbeispiel Eine Frau mittleren Alters suchte Geistliche Begleitung auf. Sie hatte nach sehr schlechten Erfahrungen mit dem Pfarrer ihrer Konfirmandenzeit, ihre »Religion beerdigt«. Sie schilderte, dass eine Unruhe blieb, die sich mit einer Sehnsucht paarte, die sie nicht richtig fassen konnte. Sie fühlte sich stets »unruhig, wibbelig, könne nicht bei sich selbst zuhause sein«. Zu Beginn der Geistlichen Begleitung erarbeitete die begleitete Frau ein Lebenspanorama (kreatives Medium der Integrativen Therapie) unter der doppelten Perspektive der »Heimat« in persönlich-lebensbiographischer und religiöser Hinsicht. Zugleich begann sie mit der täglichen Übung des meditativen Sitzens mit bestimmter Aufmerksamkeit auf die Atmung in die Leibmitte. In den Gesprächen berichtete sie von regelmäßigen familiären Umzügen, Schulwechseln, später dann Berufswechseln. Zudem habe sie versucht, ihre religiöse Sehnsucht außerhalb der Kirche zu stillen. Sie fand über viele Jahre Zugehörigkeit in einer esoterischen spirituellen Gruppe um einen Meditationslehrer, der leider missbräuchlich mit seinen Anhängern in Geldangelegenheiten und in zwischenmenschlicher Hinsicht (Abhängigkeit fördernd) agierte. Sie trennte sich von der Gruppe und wurde »spirituell heimatlos«. Durch die tägliche geistliche Übung fand sie nach Wochen der Übung eine Zuflucht, eine tägliche Zeit für sich, um bei sich anzukommen. Über die Monate regulierte sich ihre Unruhe und die Übung wurde ein verinnerlichter Ruhepol. Sie beschrieb, dass die Kraft aus dieser Übung mehr und mehr ihren Alltag erreichte und dieser ruhiger wurde. Familiär zog sie mit der Familie in ein Eigenheim. Damit hatte sie erstmalig für sich einen festen Lebensmittelpunkt, ein Zuhause. Auf dieser Basis besuchte sie einen ersten Gottesdienst in der neuen Heimatgemeinde und einen Meditationskreis. Mehr und mehr entdeckt sie ihre christliche Herkunftstradition neu. Sie macht neue, korrigierende Erfahrungen, die sie ermutigten, weiter ihrer religiösen Sehnsucht zu folgen. Die Gespräche in der Geistlichen Begleitung kreisten zunehmend um Themen der geistlichen Entwicklung. Die Geistlich Begleitende legt gemäß dem integrativen Ko-repondenzmodell das Gewicht auf eine verbindliche und zugleich partnerschaftlich-emanzipatorische Entwicklung. Die Begleiterin förderte neben dem meditativen Sitzen neue geistliche Übungen (Lektüre biblischer Texte, Gesang), reflektierte die Entwicklung der Frau anhand ihrer eigenen Erfahrungen mit den geistlichen Übungen. Die Frau fand seelsorglich-pastoralpsychologisch eine neue Heimat in ihrem Körper (Ruhe, Mitte); sie entwickelte ein neues äußeres Zuhause und beheimate sich auch in ihrer christlichen Tradition neu. Sie fand einen Weg aus der Entfremdung zu neuem Vertrauen und Geborgenheit. Sie formulierte diese Beheimatung selbst so: »man muss nicht weit gehen, es ist alles immer da« (vgl. Apg. 17,28).
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3 Grundzüge eines integrativen Entwurfes Geistlicher Begleitung
3.5 Geistliche Begleitung und die Anfechtung Diese Beheimatung ist jedoch eine, in welcher weiterhin Anfechtungen (tentatio) Raum einnehmen können. Tentare bedeutet im allgemeinen Verstehen: jemanden einer Prüfung unterziehen. Ebenso wie der Begriff der Sünde erschließt er sich als ein theologischer Begriff. Zu den Anfechtungen zählen alle leidvollen Erfahrungen, die den Menschen erschüttern und an seine Grenzen bringen können: Zweifel, Trostlosigkeit, Erfahrungen »dunkler Nächte des Sinnes und des Geistes« (Johannes vom Kreuz); die Erfahrungen der Gottesleere und Gottesferne, leidvolle Erfahrungen wie Krankheit, Katastrophen und Tod. Die Wüstenväter betonen, dass die Anfechtungen zeitlebens präsent sind. So der Altvater Antonius zum Altvater Poimen: »Das ist das große Werk des Menschen, daß er seine Sünde vor das Angesicht Gottes empor halte und daß er mit Anfechtung rechne bis zum letzten Atemzug« (Apo 4/5). Mutet es bei Johannes vom Kreuz611 hier und da in seinem Verständnis von transformación (Überformung des Menschen in Gott in der contemplatio) auch an, dass es in der kontemplativen Erfahrung tendenziell eine Zuständlichkeit des steten Freiseins von Versuchung und Anfechtung geben könnte, so stellt er doch gleichsam durch die Betonung der Verbundenheit und zugleich Verschiedenheit Gottes und des Menschen in der Liebesvereinigung mit Gott, des Menschen Geschöpflichkeit und damit dessen stete Anfechtbarkeit klar.612 Luther nimmt eine besondere Akzentuierung gegenüber der römisch-katholischen Tradition vor, in dem er jedwede Glaubenserfahrung immer als sub contrario, unter der Anfechtung stehend, versteht, da die Sünde bleibt. Erst durch die tentatio erweist sich die Tragfähigkeit des Glaubens (auch in der Kontemplation).613 Eine Anfechtung soll nach Luther im Gehorsam üben (1Petr 5,6), eine Neuausrichtung im Glauben bewirken (Ez 33,11; 1Kor 11,32, Mi 7,9) bzw. den Glauben stärken (Ps 34,19).614 Sie ist damit immer eine »geistliche Erfahrung«. Glaube und Anfechtung bleiben in einem spannungsvollen miteinander verbunden, da »durch Anfechtung […] der Glaube erst Glaube, wie umgekehrt der Glaube eine Voraussetzung für (die Anfechtung) ist.615 Mit Harms gilt es, bezogen auf die Anfechtung, ein strenges simul zu konstatieren: zugleich in aller Trostlosigkeit und in allem Leid ist Gottes heilvolle Gegenwart da. Dies ist essenzieller Gehalt von Luthers Rechtfertigungslehre. Es gibt somit reformatorisch kein Entrinnen aus einem Glaubensalltag mit seinen 611 612 613
Vgl. Ausführungen im Ersten Teil. So mit Ralf Stolina (2008). Kontemplation wird als eine geistliche Glaubenshaltung für Luther nicht obsolet, vielmehr akzentuiert er sie neu. Gegen Reiner Andreas Neuschäfer (2015), 3. 614 Vgl. Horst Beintker (1978), 696–708. 615 A.a.O., 705.
3.5 Geistliche Begleitung und die Anfechtung
223
Anfechtungen (anabatisch). Das Ziel der Gottesschau widerfährt inmitten dieser Anfechtung (katabatisch). Die Kontemplation des Johannes vom Kreuz ist ebenso wie die iustitia passiva Martin Luthers reines Empfangen und reine Hingabe«.616 Die Anfechtung findet ihr rechtes Verstehen somit in der Erfahrung, dass Gott in allem mit auf dem Weg ist.617 »Diese Zuordnung von Glaube und Anfechtung befreit von dem trügerischen Ideal eines unangefochtenen Glaubens und bewahrt davor, dass der Glaube subtil zu einer Leistung des Menschen wird, bzw. gemessen und beurteilt wird am Vorhanden- oder Abwesendsein von bestimmten Gemütszuständen.«618 Der Glaube bleibt so stets dynamisch und unabgeschlossen, niemals ein Zustand, der einmal erreicht, stets derselbe bleibt. Gleichsam gilt es, die gemachten Gotteserfahrungen immer wieder neu zu revidieren und sie stets auf Gott auszurichten: denn ob ich erfahre oder nicht erfahre, in allem wirkt Gott. Oder mit Stolina gesprochen: »Meine Erfahrung ist nicht das Letzte und Entscheidende; Gott wirkt auch da, wo ich nicht erfahre – oder sogar Gott als Feind befürchte.«619 Die Erfahrungsgestalt ist freizugeben. Im Umgang mit den z.T. erschreckenden Anfechtungen kann gesagt werden, dass sie der tentatio christi folgend, immer neu auf Gott wider aller Erfahrung zu richten sind (in Klage, Schweigen, Gebet, Kontemplation): »Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch« (1Petr 5,7). Diese Hingabe ermöglicht Verwandlung im Glauben: eine mystagogische Verwandlung, die immer aufs Neue sich in die Präsenz Gottes auf Erden, in die Christuswirklichkeit, hinein vollzieht und die sich sogar durch die Anfechtung des Todes hindurch als die Auferstehungswirklichkeit, Gottes barmherzige Wirklichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit, erweist.620
616 617 618 619
Mit Stolina (2008), 41. Mit demselben, 706 und Harms (2011). Siehe dazu die Ausführungen unter 2.4.4.3. Stolina (2008), 36. Stolina (2008), 42. Vgl. auch Lied EG 376 So nimm den meine Hände, wo es in der 2. Strophe heißt: »Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht.« 620 Stolina (2008), 53ff.
4 Impulse Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge für die Praktische Theologie
4.1 Das Novum Geistlicher Begleitung als eine »Integrative mystagogische Seelsorge« »Mystagogische Seelsorge« als eine Form spezifischer Seelsorge mit pastoralpsychologischer Grundlegung, wie sie im Rahmen dieser Arbeit aus der Untersuchung Geistlicher Begleitung mit ausgewählten christlichen Traditionsmodellen und mit dem integrativen Ansatz der Integrativen Therapie entwickelt wurde, ist ein Konzept, das in dieser Weise in der evangelischen Theologie noch nicht in der Theorie oder Praxis Geistlicher Begleitung angewendet wurde. Durch die Weiterführung der pastoralpsychologischen Forschung konnte mit der Referenztheorie der Integrativen Theorie ein eigenes Konzept der Integration, den »tree of science Geistlicher Begleitung«, und auch ein eigenes »Ko-respondenzmodell Geistlicher Begleitung« entwickelt werden, welches die pastoralpsychologisch-seelsorglichen Prozesse in der Geistlichen Begleitung in neuer Weise zu verstehen hilft. Zum einen wird durch den »tree of science Geistlicher Begleitung« eine hermeneutische Verstehensfolie und Wissenstheorie für die Geistliche Begleitung geschaffen und zum anderen mit dem »Ko-respondenzmodell« ein Kernkonzept, welches sowohl seelsorglich-pastoralpsychologische Erkenntnisse vermittelt, als auch die für die Geistliche Begleitung notwendigen theologischen Perspektiven, die durch die Untersuchung traditioneller christlicher Modelle und gegenwärtiger konzeptioneller Überlegungen erarbeitet wurden. Das Neue und Charakteristische am vorliegenden Entwurf ist seine fundierte integrative und zugleich mystagogische Grundlegung, die immer ein Miteinander pastoralpsychologischer und spiritueller Perspektiven beinhaltet und somit effektiv eine integrative mystagogische Geistliche Begleitung ist. Integrativer Ansatz und Mystagogik sind folglich zwei Seiten einer Medaille Geistlicher Begleitung gemäß diesem Entwurf. Dadurch entsteht ein wissenschaftlich fundiertes und vertieftes Verständnis zwischenmenschlicher Prozesse. Zugleich stehen diese Prozesse niemals innerhalb einer Geistlichen Begleitung für sich, sie sind gleichsam immer eingebettet in eine mystagogische Arbeit. Durch die mystagogische Grundierung Geistlicher Begleitung bekommt die pastoralpsychologische Arbeit ihre vergessene spirituelle Dimension neu in den Blick. Die seelsorgliche Dimension Geistlicher Begleitung bekommt durch die Pastoralpsychologie und Mystagogik
4.1 Das Novum Geistlicher Begleitung als eine »Integrative mystagogische Seelsorge«
225
eine wissenschaftliche Grundlage für ihre Theorie und Praxis. Der »fröhliche spirituelle Eklektizismus« Geistlicher Begleitung erhält anders als bei anderen Konzeptionen überhaupt erst durch den »tree of science Geistlicher Begleitung« ein wissenschaftstheoretisches Fundament und eine hermeneutische Struktur zum Verständnis aller stattfindenden Prozesse und Konzeptionen. Alle geistlichen Prozesse können so wissenschaftstheoretisch verantwortet werden. Dies stellt ein Novum für das Phänomen Geistlicher Begleitung dar. Dies gilt ebenso für die Beziehungsdimension Geistlicher Begleitung. Durch Aufnahme der Referenztheorie der Integrativen Therapie können die stattfindenden zwischenmenschlichen Prozesse im Rahmen »komplexen Lernens« und durch Hinzunahme der theologischen Integratoren die spirituellen Prozesse klar erfasst und für die geistliche Begleitungsarbeit fruchtbar gemacht werden. Bei der vorliegenden integrativen mystagogischen Geistlichen Begleitungskonzeption handelt es sich somit um einen anspruchsvollen Entwurf pastoralpsychologischer und spiritueller Arbeit, der wissenschaftlich zu einer größtmöglichen Reflexion der gegebenen Theorie und Praxis in Geistlicher Begleitung anregen möchte. Geistlich möchte er einen spirituellen Beitrag leisten, die unmittelbare Nähe Gottes, wie sie sich in der Apg 17,28: »Wir leben, bewegen und sind in Gott« zeigt, zu entdecken. Gott ist uns nahe. Diese Nähe für das eigene Leben zu entfalten und abzulegen, was uns von Gott trennt, ist ebenso wie der Versuch, die Glaubenserfahrungen immer neu in das eigene Leben zu integrieren, Aufgabe einer mystagogischen Seelsorge. Sie führt nicht in »verborgene und verbotene Zonen«621 ein, es gilt auch nichts qualitativ Anderes oder quantitativ mehr zu entdecken, welches innerlich oder äußerlich in besonderer Weise gehoben oder gar nur für wenig Auserwählte oder besondere Asketen zu entdecken ist. Mit Apg 17,27b/28a ist Gott allen ausnahmslos nahe und wir leben, bewegen und sind zu aller Zeit längst in ihm. Diese für alle zugängliche Tatsache geistlicher Existenz ist für jeden Menschen, der dies möchte, durch den spezifisch gestalteten Raum Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge zu entdecken. Im Folgenden möchte ich Anregungen aus dem Entwurf Geistlicher Begleitung als integrative mystagogische Seelsorge für exemplarisch ausgewählte praktisch-theologische kirchliche Handlungsfelder skizzieren. Ich beschränke mich auf die folgenden drei, um der in ihr ausgedrückten evangelischen Perspektive willen, gleichwohl noch weitere Handlungsfelder zu nennen wären wie Regina Bäumer und Michael Platttig sie aufzeigen.622 Darüber hinaus möchte ich einige Anregungen, die aus 621 622
So kritisch zu Josuttis. Siehe 2.4.3.3. Bäumer/Plattig (2014), 315–406.
226
4 Impulse Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge
meiner Arbeit erwachsen, für die Qualifikation zur Geistlichen Begleiterin / zum Geistlichen Begleiter benennen. 4.2 Skizze möglicher Handlungsfelder Geistlicher Begleitung als eine »Integrative mystagogische Seelsorge« 4.2.1 Geistliche Begleitung und Pastoraltheologie Isolde Karle formuliert in ihren zwölf Thesen nach Analyse der Kirche im Reformstress 2010 u.a. die Einschätzung, dass »die eigentliche Krise der Kirche […] nicht eine Finanz-, sondern eine theologische Orientierungskrise«623 ist. Sie sieht die eigentliche Herausforderung, der sich die Kirche und Theologie stellen muss, in der Beantwortung u.a. der Frage danach, wie sich Menschen im christlichen Glauben beheimaten?624 Ich teile diese Einschätzung Isolde Karles. Eine Hauptrolle kommt dabei nicht zuletzt den Pfarrerinnen und Pfarrern zu, die anderen nur dann eine Beheimatung bieten können, wenn sie sich selbst persönlich und spirituell dahingehend entwickelt haben. Geistliche Begleitung kann ein solcher Entwicklungsraum darstellen. Konkreter wird Michael Klessmann in seiner Pastoraltheologie: »Pfarrer und Pfarrerinnen nehmen Geistliche Begleitung für die Entwicklung ihres eigenen geistlichen Lebens in Anspruch, manche lassen sich auch darin ausbilden, um wiederum Menschen aus ihrem Arbeitsfeld darin einzuführen; Kirchenleitungen fördern diesen Arbeitszweig in besonderer Weise. In Fortbildungseinrichtungen wie Pastoralkollegs spielt das Angebot von Geistlicher Begleitung inzwischen eine große Rolle.«625 Als Grund für diese Inanspruchnahme nennt er die von den Pfarrerinnen und Pfarrern offenbar als defizitär empfundene bisherige Ausbildung und Pfarramtspraxis.626 Als Wahrscheinlichkeit bzw. Wunsch für ein »Pfarrbild 2030« formuliert er in seiner Pastoraltheologie als These 3: »Neben der theologischen Bildung werden personenbezogene und spirituelle Bildung zunehmendes Gewicht für Pfarrerinnen und Pfarrer bekommen; Grundlagen dazu sollten bereits im Theologiestudium gelegt und im Beruf durch Fortbildungen, Supervisionen und geistliche Begleitung weiter angeregt und vertieft werden.«627 Die in dieser Untersuchung herausgearbeitete Geistliche Begleitung als eine integrative mystagogische Seelsorge ist eine solche anregende und vertiefende 623 624 625 626 627
Isolde Karle (2011), 261. A.a.O., 261. Michael Klessmann (2012), 333. A.a.O., 333. A.a.O., 336.
4.2 Skizze möglicher Handlungsfelder Geistlicher Begleitung
227
Möglichkeit zu einer personenbezogenen und zugleich spirituellen Bildung. Sie deckt sich mit der ebenfalls von Michael Klessmann formulierten zweiten These: »Pfarrerinnen und Pfarrer werden weniger lehrhaft-dogmatisch arbeiten, sondern verstärkt Räume und Gelegenheiten bereitstellen, in denen Menschen religiöse/spirituelle oder mystische Erfahrungen machen, in denen sie dem Geheimnis Gottes und des Lebens begegnen können. Der Erfahrungsbezug des Glaubens und der Theologie (K. Rahner:« Der Fromme von morgen wird ein »Mystiker« sein, einer der etwas »erfahren« hat […]«) wird weiter wachsende Bedeutung bekommen.«628 Die vorliegende Arbeit möchte mit der entwickelten Geistlichen Begleitung einen solchen Raum beschreiben, der mystagogische Begleitung als Hinführung bzw. Begleitung einer Gotteserfahrung ermöglicht.629 Erst durch eine solche personenbezogene und spirituelle Bildung können sich Tugenden pastoraler Lebenskunst bilden, wie sie Isolde Karle mit Humor, Gelassenheit und Demut beschreibt.630 Diese Haltungen sind jedoch stets Folgen geistlicher Übung und geistlichen Lebens, welches seinen spirituellen und persönlichen Halt kennt oder mit anderen Worten gesprochen sich in sich, der Welt und Gott »beheimatet« weiß. Mystagogisches Lernen kann solche Lebenshaltungen zu entwickeln helfen. In jedem Fall sollte ein mystagogisch gebildeter Mensch fähig sein, seinen eigenen Wandlungsprozess, sofern er ihn in sein Arbeitsfeld tragen möchte, zu reflektieren und transparent zu machen, d.h. er sollte fähig sein, Menschen mittels geistlicher Übungen in die Erfahrung von Gottes Nähe hinzuführen und dieselben mit ihren Erfahrungen aus ihrem geistlichen Leben in ihrem konkreten Alltag zu begleiten. Diese Bildung vermag neben den individuellen Lernmöglichkeiten auch neue Perspektiven auf klassische religiöse Felder des Gemeindelebens entstehen zu lassen. In Aus- und Fortbildung sollten für Pfarrmenschen, Ehrenamtliche und Nebenamtliche sowie Interessierte in der Kirche Angebote für Geistliche Begleitung geschaffen werden, so dass sie Gelegenheit bekommen mystagogisch zu lernen. Daneben können Gemeinschaften als Lernorte treten. Ich teile die Auffassung Hansjörg Schemanns, dass kein Christentum ohne Gemeinschaft zu bestehen und sich zu entwickeln vermag, den Kommunitäten und Klöstern exemplarische Bedeutung zukommt, und dass das Angebot Geistlicher Begleitung in der Gemeinde letztlich noch nicht angekommen ist. Wir Christinnen und Christen können jedoch auf der theologisch-reformatorischen Erkenntnis des allgemeinen Priestertums einander zu Geistlichen Begleiterinnen und Begleitern werden. 628 629 630
A.a.O., 336. Vgl. Ausführungen unter 2.4. So Isolde Karle (2011), 224–226. Beide Dimensionen sehen auch Bäumer/Plattig (2014), 374ff.
228
4 Impulse Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge
In der Verschränkung von Geistlicher Begleitung und Gemeindeleben, der spirituellen Bildung vieler (nicht nur Ordinierten) in individueller Geistlicher Begleitung liegen noch nicht verwirklichte Möglichkeiten, die es zu entwickeln gilt, gerade in Zeiten postmoderner Spiritualität in ökumenischer Weite.631 4.2.2 Geistliche Begleitung und Gemeindeleitung Peter Böhlemann und Michael Herbst verstehen die Geistliche Begleitung in ihrem Handbuch »Geistlich Leiten« (2011) »strukturell gesehen (als) nichts anderes als Geistliche Leitung, nur ist sie nicht auf eine Organisation oder Gruppe bezogen, sondern auf eine einzelne Person.«632 Sie sehen in ihr drei Dimensionen des Handelns durch den Heiligen Geist zum Tragen kommend. In ihrer Terminologie ausgedrückt ist der Heilige Geist partizipatorisch begleitend und gemeinschaftsstiftend (in Anlehnung an das Modell der Emmaus-Weggemeinschaft), theologischkompetent lehrend und an der Bibel orientiert (Geistlich Begleitende als Spirituale und bibeltreue Theologietreibende) sowie verheißungsorientiert führend und nach vorne ausgerichtet (auf Jesus Christus hin) zugegen. Alle Dimensionen stehen in einem wechselseitigen Korrektiv hinsichtlich möglicher Gefahren (z.B. Abhängigkeit im Lehrer-Schüler-Verhältnis) zueinander.633 So sehr Geistliche Begleitung auch leitende Aspekte kennt, so zeigen die vorangegangenen Ausführungen, dass das Phänomen Geistliche Begleitung sich komplexer und differenzierter darstellt und neben dem Leitungsaspekt viele andere Aspekte gleichsam mit sich führt (wie z.B. die angeführten katechetischen, asketischen oder seelsorglich-pastoralpsychologischen), so dass nicht undifferenziert Geistliche Begleitung für die geistliche Leitung einer Gemeinschaft zu vereinnahmen ist. Leitung bezieht sich erst einmal in einer individuellen Geistlichen Begleitung (wie z.B. Johannes vom Kreuz in seiner Seelenführung oder Franz von Sales es beschreiben) auf die innere Beziehungsdimension zwischen Begleitendem und Begleitung Suchendem. Der strukturelle Analogieschluss, diese intersubjektive Dimension für die Gemeindeleitung zu gebrauchen, erscheint angesichts des Forschungsbefundes in dieser Ausschließlichkeit als nicht angemessen. Die Übertragung von Geistlicher Begleitung als Leitungselement für eine Gemeindeleitung bedarf weiterer wissenschaftlich begründeter Forschung. Letztlich sollte Geistliche Begleitung dazu dienen, dass wir mehr und mehr erfahren und uns im Ver631
So mit Schemann (2014), 471–501 (Ergebnisse: geistliche Begleitung in Kirche und Gemeinde). Siehe auch 4.2.4. Qualifikation zur Geistlichen Begleitung. 632 Peter Böhlemann / Michael Herbst (2011), 134–136 (134). 633 A.a.O., 135f.
4.2 Skizze möglicher Handlungsfelder Geistlicher Begleitung
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trauen üben, dass Gott die Gemeinde wie uns selbst führt und nicht wir selbst. Dieses Vertrauen gilt es für Leitungsfunktionstragende auszubilden. Dafür kann Geistliche Begleitung dienen. 4.2.3 Geistliche Begleitung und gemeinsame Rituale Es gibt Arbeitsfelder kirchlichen Lebens, in denen sich die in einer individuellen Geistlichen Begleitung ausgebildeten Erfahrungen und Haltungen beispielhaft und unmittelbarer aufzeigen lassen. Sabine Bobert erörtert sie im V. Teil ihrer Abhandlung zu den Grundlagen christlicher Mystagogik. Sie benennt zum einen die Liturgie als eine inszenierte ChristusPräsenz, in welcher Menschen, körperlich, seelisch und geistig durch einen mystagogischen Kultus in die gegenwärtige Christuspräsenz geführt werden kann. Die Liturginnen und Liturgen sollten selbst achtsam auf diese Gegenwart fokussiert und atmosphärisch durchlässig für sie sein. Haltung, Sprache und Benehmen sollten ebenfalls zentriert sein, um ebensolches auch bei den Kultusteilnehmenden zu ermöglichen.634 Diese mystagogische Präsenz ist dabei etwas anderes als eine schauspielerisch erfasste liturgische Präsenz, wie Bobert richtig benennt.635 Die Sammlung durch Zentrierung schafft zugleich Wachheit und Öffnung für Gottes Geist, der in der Liturgie gemeinsam erfahren werden kann. Die Geistlichen sollten ebenfalls durch die Inhalte ihrer Sprache diese benennen und so durch Person und Wort geistlich Begleiten und die liturgischen Erfahrungen verstehbar machen, indem sie z.B. für den Alltag Hinweise geben (wie zum Beispiel die Erfahrung der Sündenvergebung zu einem neuen befreiten Alltag führen kann). Geistliche Form und Inhalt sind stets aufeinander bezogen. Zum anderen beschreibt Sabine Bobert die Eucharistie als Verwandlungsritus. In ihr geschieht ein transzendentes Ereignis. »Die Schau der Wandlung ist ein mystisches Phänomen für das geistige Auge.«636 Der Transformationsprozess der Eucharistie und damit auch die spirituelle Entwicklung der Kommunizierenden liegt in den Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Dimensionen der einen Wirklichkeit begründet, nicht in der materiellen Verwandlung von Material A nach B. Vielmehr in der Zusammenschau materieller und spiritueller Prozesse.637 634 635
Bobert (2010), 395ff. A.a.O., 397 (Fußnote 33). Bobert plädiert für eine Erweiterung des Projekts Thomas Kabels mit Elementen des Improvisationstheaters. Thomas Kabel (2011), Übungsbuch liturgische Präsenz. Gütersloh. Sicherlich ein guter Übungsort um die Wachheit für den Augenblick einzuüben, ebenso wie Übungsräume z.B. der Budokünste, wo es ebenfalls um adäquates Handeln in wacher Präsenz geht. 636 Bobert (2010), 406. 637 A.a.O., 406ff.
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4 Impulse Geistlicher Begleitung als einer mystagogischen Seelsorge
Ferner stellt sie die Taufe als Initiations- und Wandlungsritus dar. »Rituelle Symbolhandlungen sind Prismen des Unsichtbaren. Wer Riten vollzieht, […] bündelt das Wirken des Geistes in Prismen für diejenigen, deren geistige Augen und Ohren noch verschlossen sind.«638 Mystagogisches Lernen vollzieht sich in den liturgischen Taufriten, die Bobert in ihren alten gottesdienstlichen ausführlichen Formen (z.B. wie im Lutherischen Taufbüchlein von 1526) hebt und fruchtbar macht.639 Ebensolches arbeitet sie auch für die Bestattung als Wandlungsritual für die Verstorbenen heraus. »Die Toten gehen nicht ins Nichts. Sie durchlaufen einen Verwandlungsprozess von der physischen sichtbaren Existenz hinein in eine geistig reale Existenzform. Die Kirche begleitet geistig sehend und handelnd diesen Verwandlungsweg.«640 Die Liturgin / der Liturg leitet damit ein Schwellenritual nicht nur für die Hinterbliebenen, sondern auch eines für die Verstorbenen. Ich teile die Meinung Sabine Boberts, dass »um dies nicht nur äußerlich darzustellen, sondern tatsächlich zu sein, […] die Geistlichen durch ihre berufliche Vorbereitung und eigenes Training in beiden Lebensdimensionen zuhause sein (sollten)«.641 Das mystagogische Lernen in einer Geistlichen Begleitung (besonders auch während des Vikariats und berufsbegleitend durch die ersten Amtsjahre) könnte einen angemessenen Übungsrahmen bieten. Diese gemeinsamen Rituale sind folglich Wege in die Erfahrung Gottes, so wie es in der orthodoxen Kirche Praxis ist: »Kultus ist Mystik für alle. Er veranschaulicht sinnlich, was sich unsichtbar vollzieht. […] Gottesdienst vergegenwärtigt die Menschwerdung Gottes und die Gottwerdung des Menschen als Entwicklungsziel.«642 Diese von Bobert aufgezeigte Wirkmächtigkeit des Kultus sollte in Theorie und Praxis des Christentums berücksichtigt werden und die Arbeit innerhalb einer individuellen Geistlichen Begleitung ergänzen. Mit Schambeck sind die hinführenden und ausdeutenden Aspekte mystagogischen Lernens zu beachten.643
638 639 640 641
A.a.O., 425. Ebd. A.a.O., 429–442 (429). A.a.O., 435. Gemeint sind die irdische wie die nach dem Tod existierende Lebensdimension – die Ewigkeit, die es durch Übung im Gebet und Ritual partizipierend zu erfahren gilt. 642 A.a.O., 384f. 643 Mit Schambeck vgl. 2.4.3.2.
4.2 Skizze möglicher Handlungsfelder Geistlicher Begleitung
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4.2.4 Anregungen für die Qualifikation zur Geistlichen Begleiterin / zum Geistlichen Begleiter Geistliche Begleitung ist ein verbindliches und strukturiertes Begleitungsangebot. Sie umfasst eine spirituelle und eine seelsorgliche Dimension. Für die Entwicklung beider Stränge ist in der Aus- und Fortbildung Sorge zu tragen. Grundsätzlich gilt, dass letztlich Geistliche Begleitung eine charismatische Berufung ist, die sich getragen von göttlichem Wirken an beiden Menschen im Begleitungsgeschehen vollzieht. Nichtsdestotrotz ist Kenntnis und Wissen, gerade auch die eigene Arbeit des Begleitenden an sich unerlässlich, damit spirituelle und persönliche Fortentwicklung und komplexes Lernen, welches lebenslanges Lernen beinhaltet, möglich bleiben. Einer maßvollen Professionalisierung wie Schaupp sie fordert, die das Für und Wider von Charisma und Professionalisierung abwägt, ist zuzustimmen.644 Idealerweise haben Geistliche Begleiter psychotherapeutische Grundkenntnisse erworben (noch besser: eine therapeutische Ausbildung genossen) und sind einen längeren Weg eigener religiöser und persönlicher Bildung mit einer Geistlichen Begleitung gegangen. Die Realität wird Abstriche erfordern, sollte sich aber nicht unterhalb von Grundkenntnissen in beiden Bereichen bewegen, damit bestmögliche Entwicklung und möglichst wenig Schaden für die Begleitenden entstehen. Grundsätzlich gilt darüber hinaus, dass die geistliche Autorität des Geistlich Begleitenden nur im Wirken Gottes an ihm und alleinig durch die Autorität, die er im Vertrauen vom Begleiteten geschenkt bekommt, begründet ist. Keine äußere Legitimation (Urkunde, Graduierung o. Ä.) vermag diesen inneren spirituellen Grund zu ersetzen. Für die seelsorgliche Dimension möchte ich darüber hinaus anregen: Geistliche Begleitung ist eine längerfristige verbindliche Beziehung. In einer solchen vollziehen sich Übertragungen, Widerstände, Konflikte etc. wie im »Ko-repondenzmodell geistlicher Begleitung« (Gorres 2014) aufgezeigt. Diese können nur innerhalb der Beziehung selbst gelöst werden. Da wo Übertragungen, Widerstände oder Konflikte herrschen, gilt es sie mittels Beziehungsarbeit zu lösen und in eine freie Beziehung zu überführen. Dazu dienen alle Instrumente der kreativen Medien und alle Formen therapeutischer Arbeit. Diese gilt es zu kennen und zu beherrschen, wie in meinen Ausführungen zum Ko-respondenzmodell Geistlicher Begleitung beschrieben, um eine bestmögliche Beziehung pflegen zu können, die freier wird von zwischenmenschlichen Störungen und sich dadurch immer mehr auf die Gottesbeziehung ausrichten kann. 644
Mit Schaupp (2011a), 85–94.
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Darüber hinaus gilt es Kenntnis grundlegender pathologischer Krankheitsbilder zu besitzen, um z.B. eine Depression und eine »dunkle Nacht des Sinnes und des Geistes« differenzieren zu können. Auch sind die Auswirkungen geistlicher Übungen und kreativer Medien im Zusammenhang dieser Krankheitsbilder zu reflektieren, um eine gesunde und förderliche geistliche Übung anzuweisen (z.B. sind längere eremitische Schweigeexerzitien für depressive Menschen weniger gesund, da sie die Depression unter Umständen geradezu verstärken können). Die Pastoralpsychologie hat ermöglicht, dass wir den Menschen und seine Beziehungsgestaltung besser und tiefer verstehen lernen konnten. Sie bietet fundiertes Wissen an, das in der Qualifikation zur Geistlichen Begleitung gelehrt werden sollte, damit heilende und förderliche Prozesse für den Begleitenden erwachsen. Ferner gilt an dieser Stelle festzuhalten, dass ein größtmögliches bewusstes Wissen über sich selbst mit der daraus gewonnenen Klarheit und Kompetenz jederzeit Performanz für die konkrete Gestaltung Geistlicher Begleitung bewirkt. Deshalb sollte diese persönliche Bewusstseinsarbeit durch Fortbildung, weitere eigene Geistliche Begleitung und/oder Supervision stets gefördert werden. Geistliche Begleiter sollten ferner ihre eigene Konzeption Geistlicher Begleitung reflektiert haben, um eine klare und transparente Begleitung anbieten zu können. Die Verstehensfolie des »tree of science Geistlicher Begleitung« (Gorres 2014) kann dazu dienen. Darüber hinaus sollten sie grundlegende Kenntnisse über persönliche Entwicklungsprozesse besitzen und diese anleiten können (z.B. narrative Biographiearbeit, kreative Arbeit am eigenen Lebenspanorama). Geistliche Begleitung braucht ein Bewusstsein für die eigene seelsorglich-pastoralpsychologische Verortung (z.B. über die Therapierichtung, Konzeption). Der »tree of science Geistlicher Begleitung (Gorres 2014) kann hilfreich sein, um größtmögliche Transparenz auszubilden. Für die spirituelle Dimension möchte ich anregen: Die Geistlich Begleitenden sollten grundlegendes theologisches Wissen und darüber hinaus auch vertiefte Kenntnis der spirituellen Tradition des Christentums und ihrer wichtigsten Sachverhalte (z.B. Spiritualität, Mystik/Mystagogik, Askese, geistliche Übungen) besitzen, um den eigenen spirituellen Schatz des Christentums heben zu können. Sie sollten bestenfalls selbst spirituelle Erfahrungen gemacht haben, Gelegenheit bekommen diese zu reflektieren und auf den konkreten Alltag hin zu befragen. Auch sollten sie Erfahrungen mit eigener Geistlichen Begleitung gemacht haben, damit sie sach- und fachkundig begleiten können in guter und förderlicher Theorie und Praxisverschränkung. Geistliche Begleitung braucht ferner ein Bewusstsein für die eigene spirituelle Art und Verortung der praktizierten Geistlichen Begleitung (z.B. welche spirituelle Tradition, welches spirituelle Entwicklungsmo-
4.2 Skizze möglicher Handlungsfelder Geistlicher Begleitung
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dell, welche geistlichen Übungen). Dabei kann der integrative Ansatz und der »tree of science Geistlicher Begleitung« (Gorres 2914) zu größtmöglicher Orientierung, Klarheit und Transparenz verhelfen. Wünschenswert wäre zu jedem Zeitpunkt Geistliche Begleitung für die Begleitenden, das Geschenk einer geistlichen Freundschaft, die Kraft einer geistlichen Gemeinschaft, die Raum und Zeit für die eigene Entwicklung und Förderung schenkt, solidarisch unterstützt und kritische Korrektur ermöglicht. Die Geistlich Begleitenden mögen darin die Gabe der Unterscheidung der Geister (»wesentlich« und »unwesentlich«) für den Weg der Hingabe an Gott üben. Gleichsam sollten sie auch neben der persönlichen, lebenslaufbezogenen Entwicklung Kenntnis über die spirituellen Entwicklungsdynamiken und Wandlungsprozesse haben, um zielorientiert mystagogisch agieren zu können. Dazu gehört auch das Wissen um spirituelle Krisen und schwere Zeiten der Trostlosigkeit und die Kenntnis, wie diese geistlich zu begleiten sind. Geistliche Begleitung braucht dabei am dringlichsten ein mystagogisches Wissen über spirituelle menschliche Entwicklungsprozesse. In der Geschichte der christlichen Tradition wurden sie oftmals wie durch diese Arbeit aufgezeigt, als Stufenschema verstanden (Stufen der Demut, dreigliedriges Schema: Reinigung, Erleuchtung, Vereinigung). Moderne spirituelle Konzepte gehen aufbauend auf den alten Entwicklungsstufen neue Wege. Exemplarisch sei das von der Theologin Marion Küstenmacher und den Theologen Tilmann Haberer und Werner Tiki Küstenmacher genannte Modell »Gott 9.0« genannt. Es beruht auf den Arbeiten von Clare W. Graves, einem US-amerikanischen Professor für Psychologie. Seine Schüler Don Edward Beck und Christopher C. Cowan, beides US-amerikanische Consulter, veröffentlichten in dem Buch »Spiritual Dynamics. Leadership, Werte und Wandel« die Gedanken Graves. Ebenso fußen die Überlegungen in »Gott 9.0« auf den Arbeiten Ken Wilbers wie er sie u.a. in seinem Werk »Integrale Spiritualität« beschrieben hat. Sie gehen von einer Anzahl von Stufen als Grundkonstruktion unseres Bewusstseins und von vier Zuständen mystischer Versenkung aus, die für uns alle offenstehen. Geistliche Begleitung kann dazu beitragen, dass wir uns durch Übung und Bewusstseinsbildung innerhalb der Stufen und auch durch diese hindurch geistlich entwickeln. Nicht die Anzahl der (durchlaufenen) Stationen oder (vollendeten) Stufen ist dabei entscheidend, sondern dass ein Modell wie dieses oder ein anderes einen strukturierten Weg beschreibt, der uns auf der spirituellen Reise in einer Geistlichen Begleitung für beide am Prozess Beteiligten Weggeleit und Orientierung geben kann. Dabei gilt es auch das mystagogische Ziel im Blick zu behalten, dass wir uns mehr und mehr
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dem Göttlichen in seiner Gegenwärtigkeit überlassen lernen und erfahren, dass wir in Gott »leben, weben und sind« (vgl. Apg 17,28).645 Abschließend formuliert bietet geistliche Begleitung einen verbindlichen längerfristigen Entfaltungs- und Entwicklungsraum für eine mystagogische Seelsorge, in welchem komplexes mystagogisches Lernen in Ko-respondenz und Polylogen möglich ist. Mit Lambert kann hinsichtlich möglicher weiterer Perspektiven allgemein formuliert werden, dass die Wandlung- und Wachstumsrichtungen sich innerhalb eines solchen Lernprozesses auf mehreren Ebenen vollziehen können: auf der Ebene des Halts (Was ist mein letzter Halt?), der Haltungen (Von welchen Grundhaltungen des Evangeliums bin ich getragen?), des Verhaltens (Wie drücken sich meine geistlichen Wandlungs- und Wachstumsschritte in meinem konkreten täglichen privaten und beruflichen Verhalten aus?) und der Verhältnisse (Wie gestalte ich meine beruflichen, familiären, politischen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse?).646 Geistliche Begleitung ermöglicht somit einen geistlichen und persönlichen Erfahrungsraum, in dem sich grundlegende Lernprozesse für alle Menschen mit religiösem Interesse vollziehen können, die dann in allen beruflichen und privaten Lebensbereichen unabhängig von pastoralen Berufen ihre Impulse freisetzen können.
645
Siehe dazu meine Ausführungen unter Erster Teil und Dritten Teil. Weiterführend: Küstenmacher/Haberer/Küstenmacher (2015); Beck/Cowan (2015) und Ken Wilber (2007). 646 Vgl. Willi Lambert (2001), 20f und die Ausführungen unter 2.1.1. In integrativer Perspektive, polylogisch gedacht, gehören zu diesem auch selbstverständlich die gesellschaftlich-politische Dimension wie sie von Maria Boxberg / Alex Lefrank (2001), 58–67 in den unterschiedlichsten Beziehungsaspekten aufgezeigt wird und wie es die Autoren Küstenmacher u.a. (2015), Beck/Cowan (2015) und Wilber (2007) thematisieren.
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