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German Pages 253 [260] Year 2001
Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft Band 2
»Frische Jugend, reich an Der junge Arnim Zernikower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft Herausgegeben von Roswitha Burwick und Heinz Härtl
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000
Umschlagabbildung:
Gutshaus Zernikow v o n der Gartenseite, u m 1930.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme „Frische Jugend, reich an Hoffen" - der junge Arnim : Zernikower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft / hrsg. von Roswitha Burwick und Heinz Härtl. - Tübingen: Niemeyer, 2000 (Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft; Bd. 2) ISBN 3-484-10820-7
ISSN 1439-7889
© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Roswitha Burwick, Claremont, und Walter Pape, Köln Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Nädele Industrie- und Verlagsbuchbinderei, Nehren
Inhalt
Vorwort
VII
Hildegard Baumgart Die Große Mutter Caroline von Labes: Das Leben der Großmutter Arnims 1730-1810
1
Heinz Härtl Zur geistigen Physiognomie des jungen Arnim aufgrund seines frühen Briefwechsels
25
Sheila Dickson Arnims Beschreibungen von Reisen in Brandenburg und Mecklenburg 1794-1795
31
Manfred Simon Arnims lateinische Schülerarbeiten
43
Michael Gerten Die Bedeutung Kants und Baaders für die dynamistische Naturphilosophie um 1800
49
Francesco Moiso Arnims Kraftlehre
85
Roswitha Burwick Arnims Meteorologie-Projekt
121
Johanna Sänger Arnims Briefe aus Paris - Paris in Briefen Arnims 1803
147
Bettina Zschiedrich Ein Kraköwer Konvolut Arnims mit Exzerpten, Konzepten und Notizen 1806-1807
165
Stefan Nienhaus Dichteraussichten: Anmerkungen zu zwei Bildgedichten Arnims
181
VI
Inhalt
Edi Spoglianti Arnims Plan eines nationalen Volkstheaters
189
Friederike Schaible Die Geschichte zur Wahrheit läutern: Arnims »Wiedertäufer«-Fragment Szenenfolge und Edition einer Szene des Fragments
201 212
Peter-Anton von Arnim Die Arnims in Zemikow
217
Abkürzungsverzeichnis
239
Personenregister
241
Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger
245
Vorwort
Zernikow ist ein kleines Dorf nördlich von Berlin, nahe der früheren Grenze Preußens zu dem Herzogtum Mecklenburg-Strelitz, der heutigen des Landes Brandenburg zu Mecklenburg-Vorpommern. Wenn man von der Straße, die Rheinsberg und Gransee westöstlich miteinander verbindet, etwa in der Mitte zwischen beiden Städtchen nach Norden abbiegt, ist man nach zwei Kilometern in Zernikow, und fährt man von da noch ein paar Kilometer weiter, gelangt man an den Stechlinsee: Wälder, Seen und offene Gegenden, von alten Alleen durchzogen. Ludwig Achim von Arnim vernahm darin »zuerst«, wie er in seinem Essay Von Volksliedern schreibt, »die volle, thateneigene Gewalt und den Sinn des Volksliedes«. In und um Zernikow verbrachte er die langen Sommer seiner Kindheit, eine »frische Jugend, reich an Hoffen«, wie Arnim in anderem Zusammenhang diese Lebenszeit in der Gräfin Dolores umschreibt (II. Abt., 2. Kap.). Seine Großmutter Caroline von Labes nahm ihn und den zwei Jahre älteren Bruder alljährlich auf ihr Gut mit, das in Labes-Arnimschen Familienbesitz gekommen war, nachdem Friedrich II. es seinem Kammerdiener Fredersdorff, dem ersten Mann der Großmutter, geschenkt hatte. Das Gutshaus steht heute noch; es wird, nach vielen DDR-Jahren der Verwahrlosung, wieder instandgesetzt. Erneuert wird damit auch die Erinnerung daran, daß Zernikow ein literaturgeschichtlich merk-würdiger Ort ist, wo einer der bedeutendsten Dichter der Romantik prägende Eindrücke empfing. Nicht von ungefähr hat deshalb die Internationale Arnim-Gesellschaft ihr zweites Kolloquium, das den Jugend- und Reisejahren des Autors gewidmet war, vom 10. bis 12. Juli 1998 im ehemaligen Inspektorgebäude des Zernikower Gutes veranstaltet. Der Präsident der Internationalen Arnim-Gesellschaft, Ulfert Ricklefs, sprach einleitend zum Thema »Die Orte, die Zeit, das traumhafte Ich: Arnims innere Topographie«. Eine kleine Ausstellung zum jungen Arnim mit Reproduktionen von Handschriften aus seiner Jugend bildete den Rahmen für die öffentlichen Kolloquiums-Vorträge und -Diskussionen. Der Bezug zur Region kam auch durch die Lesung des in Zernikow lebenden Schriftstellers Georg Lentz zum Ausdruck, der das Zernikow-Kapitel seines Buches Märkische Spaziergänge las. Peter-Anton von Arnim und Peter Staengle hielten die Abendvorträge; jener über die Arnims in Zernikow, dieser über den Stechlin - im Jahr des hundertsten Geburtstags Fontanes. Frau Clara von Arnim, die letzte Gutsherrin von Zernikow, die zugunsten von Forschung und Öffentlichkeit keine Besitzansprüche auf Handschriften und Bücher Ludwig Achim und Bettina von Arnims erhebt, nahm am Kolloquium, dessen Schirmherrschaft sie übernommen hatte, lebhaften Anteil.
VIII
Vorwort
Die in Vorbereitung befindliche historisch-kritische Ausgabe der Werke und des Briefwechsels (Weimarer Arnim-Ausgabe), zumal der Werke und Briefe des jungen Arnim, bot die beste Voraussetzung für ein Kolloquium über den jungen Arnim, da die meisten Beiträger Mitarbeiter der Edition sind. Biographisch-literarische wie philosophie- und naturwissenschaftshistorische Fragestellungen wurden berücksichtigt. Roswitha Burwicks Essay zu Arnims Meteorologie-Projekt verdankt sich neuer Forschungen aufgrund ihrer Edition der naturwissenschaftlichen Schriften; Heinz Härtl, dessen Band mit den Briefen von und an Arnim bis Ende 1801 demnächst erscheint, zeichnet die faszinierende Physiognomie des jungen Arnim nach. Sheila Dickson, die den Band mit Arnims großenteils unveröffentlichten Schüler- und Studentenarbeiten vorbereitet, diskutiert frühe Reiseberichte im Rahmen der zeitgenössischen Bildungsdiskussion, ebenso wie Manfred Simon die lateinischen Texte, deren Edition er für diesen Band übernommen hat, paradigmatisch im Kontext der Zeit untersucht. Johanna Sänger, Bettina Zschiedrich und Friederike Schaible, die als jüngere Wissenschaftlerinnen wichtige Transkriptions- und vorbereitende Arbeiten für die Ausgabe geleistet haben, können aufgrund ihrer Studien erstmals wichtige Abschnitte im Leben Arnims (die Pariser Zeit von 1803) überzeugend darstellen, wesentliche Einblicke in sein Ideenmagazin der Königsberger Zeit nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt bzw. in Arnims Geschichtsverständnis am Beispiel des fnihen Wiedertäufer-Fragments geben. Stefan Nienhaus, der Ausgabe als Herausgeber der Tischgesellschafts-Ma.teria.hen verbunden, widmet seinen Beitrag dem aktuellen Thema der Intermedialität am Beispiel zweier Gemäldegedichte Arnims. Edi Spogliantis Beitrag, eine Zusammenfassung der Ergebnisse ihrer Dissertation, erweitert unsere Kenntnis der romantischen Erneuerungsversuche der Volkspoesie um eine kontextorientierte Analyse von Arnims Plänen eines nationalen Volkstheaters. Arnim war mit dem Wissensdiskurs seiner philosophisch-naturwissenschaftlich ambitionierten Zeitgenossen bestens vertraut. Michael Gertens Abhandlung über Arnims Verhältnis zu Kant und Baader trägt zur weiteren Integration der naturwissenschaftlichen Arbeiten Arnims in den zeitgenössischen Kontext Wesentliches bei. Francesco Moiso rekonstruiert den Kraftbegriff, den Arnim in der Auseinandersetzung mit Kant und anderen Zeitgenossen entwickelte, und zeigt, wie sich in seinem naturphilosophischen Denken spekulative Annahmen mit empirischen Kenntnissen verbinden. Damit und mit der Edition der naturwissenschaftlichen Schriften Arnims werden die Grundlagen zu einer weiteren Beschäftigung mit den faszinierenden Beziehungen zwischen Arnims naturwissenschaftlichen und -philosophischen und seinen poetologischen Auffassungen gelegt. Was die Vor- und Nachgeschichte Arnims angeht, so eröffnet Hildegard Baumgart mit ihrer eindringlichen Studie über Caroline von Labes einen biographisch-familiengeschichtlichen Spannungsbogen, den Peter-Anton von Arnim mit einer Würdigung seines Vaters, des letzten Arnim, der Zemikower Gutsherr war, abschließt. Renate Moerings Vortrag über Spuren von Arnims
Vorwort
IX
Reisen in der Zeitung flir Einsiedler wird demnächst in ihre Edition der Zeitung fiir Einsiedler der Weimarer Arnim-Ausgabe eingehen. Daß die Beiträger versammelt werden konnten, ist zunächst den Organisatoren der Tagung, Lothar Ehrlich (Weimar) und Jürgen Knaack (Hamburg), zu verdanken. An der Finanzierung beteiligten sich das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, der Landkreis Oberhavel, die Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften und die Internationale Arnim-Gesellschaft. Der Entwicklungsgesellschaft Aqua Zehdenick und Angela Hubrich (Zernikow) gilt besonderer Dank fiir die Unterstützung des Kolloquiums vor Ort. Bei der Erstellung der Druckvorlage waren Diana Noack (Scripps College, Claremont) und Holger Deeg (Weimar) beteiligt; Oliver Kohns (Köln) erstellte das Personenregister und las die Endkorrektur. Die Edition des Bandes hätte nicht erfolgreich abgeschlossen werden können ohne die tätige Hilfe des neuen Präsidenten der Internationalen Arnim-Gesellschaft, Walter Pape (Köln). Ihm sei an dieser Stelle besonders gedankt.
Claremont und Weimar, im September 1999 Roswitha Burwick und Heinz Härtl
Gutshaus Zernikow von der Gartenseite, um 1930
Hildegard
Baumgart
Die Große Mutter Caroline von Labes: Das Leben der Großmutter Arnims 1730-1810
Achim von Arnim wie Bettine Brentano durchlebten ihre Kindheit und Jugend nicht in einer normalen Vater-Mutter-Kinder-Familie. Ihre Lebensgeschichte weist eine gemeinsame Besonderheit auf: In beider Jugend prägte die Großmutter mütterlicherseits entscheidend die Erziehung. Der Einfluß von Sophie von La Roche und Caroline von Labes, die alles andere waren als Haus-Frauen, läßt sich in Leben und Werk beider Arnims deutlich nachweisen. Bei Bettine tritt die Großmutter im Goethe-Buch, besonders aber im Frühlingskranz und in der Günderode als eine Gestalt auf, gegenüber der sich Bettine - die literarische Figur und die reale junge Frau - vor allem in der Pubertät in Gegensatz und Dankbarkeit zu identifizieren und zu distanzieren hatte. Bei Arnim lag die Sache anders. Die Großmutter war die einzige, die nächste Frau seiner ganzen Kindheitsfamilie. Sie ist nicht zur literarischen Gestalt geworden, aber ihre Werte und ihr Wesen haben seine Jugend bestimmt.
In der Nähe der Monarchen Caroline Marie Elisabeth Daum wurde am 27. Juli 1730 geboren. Ihr Vater Gottfried Adolf war Kaufmann, ein Gründer, ein Aufsteiger; »nach seiner eigenen Oeftern Erzählung«, schreibt die Tochter, bestand sein Anfangskapital aus einem Groschen und sechs Pfennigen.' Zusammen mit David Splittgerber gründete er im Jahre 1712 in »bescheidenen Anfängen«2 eine Firma, zunächst einen »Wechselhandel«3 - er machte also Geldgeschäfte wie die Juden, die Caroline später kräftig hassen sollte. In den dreißig Jahren bis zu Daums Tod (1743) expandierte die Firma und wurde bald von König Friedrich Wilhelm I. begünstigt. Daum legte diesem »Gewehr-, Messer-, Spiegel-, Zuckerfabriken an, wobei sie einander gegenseitig unterstützten und nothwendig waren«.4 Die Firma wurde unter dem Namen Schickler weitergeführt bis ins 20. Jahrhundert, »eine Welt1
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Lebensbeschreibung, S. 2. Sie verfaßte den Aufsatz im Jahre 1777, als sie, wohl anläßlich der Verlobung ihrer Tochter mit Joachim Erdmann von Arnim, die Kirche in Zemikow erneuem und vergrößern ließ und auch das Erbbegräbnis anlegte, dessen Gehäuse heute, wie die Kirche selbst, noch steht. Es war üblich, bei Errichtung eines Kirchturms in die Turmkugel Papiere mit Nachrichten über Zeitzustände, Preise, Bauherren, Prediger und dergleichen einzuschließen. Wie der Aufsatz überliefert wurde und ob er wirklich eine Zeitlang in die Kirche eingebaut war, ist mir nicht bekannt. Riley 1978, S. 4. Lebensbeschreibung, S. 2. Steig 1894, S. 3.
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Hildegard Baumgart
firma«,5 die als Bankhaus auch des Hofes mit den Fuggern verglichen wurde. 6 Der Schwerpunkt des produktiven Engagements lag auf dem Gebiet der Metallindustrie, in der die Fa. Daum und Co. führend war. Auf ihre Gründung gehen die Gewehrfabriken in Potsdam und Spandau zurück. Unversehens finden wir die Wurzeln eines wahrhaft zivilen Romantikers im Zentrum der Kriegswilligkeit Preußens. Doch war Daum auch der behäbigen Seite des Soldatenkönigs gefallig: Eine holländische Küche von rot-weißen Ziegelsteinen, mit Fliesenherd, großem Tisch und einer Sammlung holländischer Pfeifen hatte er eigens für den König gebaut. »Da besuchte ihn der König oft mit seinen Generalen und trieb seine Art von Späßen.« 7 Es war also das berühmte Tabakskollegium, das hier tagte, was bedeutete, daß der König sich von der Mühsal, Preußen groß und mächtig zu machen, erholte, indem er mit eher ungehobelten Kameraden Bier trank, einfache kalte Speisen aß und über Jagd- und Kriegserlebnisse redete. 8 Die junge Caroline Daum wird die Verbindung von Königtum und derber Männlichkeit sehr eindrücklich erfahren haben; man kann sich denken, was für eine Aufregung es war, wenn der König das Haus beehrte. Auch in anderer Hinsicht wuchs Arnims Großmutter sehr preußisch auf: Es ging in dem reichen Hause vollkommen streng und sparsam zu. Sie und ihre Geschwister wurden zwar von Gouvernanten und Hofmeistern, aber äußerst eng und reglementiert erzogen. Selbst in den spärlichen »freien« Abendstunden mußten sie noch üben, »anständig und zierlich« zu gehen, was hieß, daß sie sich nicht einmal nach herabgefallenen Früchten bücken durften und daher kleine Listen erdachten, was sie statt dessen scheinbar finden konnten. »Ein schönes buntes Steinchen« oder »vielleicht des Vaters Hemdknopf« gingen durch, ließen sich zu einer graziösen Neigung benutzen und gaben Gelegenheit, mit geschickten Kinderfingern Kirschen oder Pflaumen heimlich aufzuheben. 9 Caroline Daum war offenbar wach, schnell und intelligent. Latein, das sie als Mädchen nicht lernen durfte, habe sie nebenbei, vielleicht stickend oder zeichnend, durch Zuhören beim Unterricht des Bruders mitbekommen. »Sie war vom Vater [...] gern gesehen«, schreibt Arnim.10 Eine Vatertochter, gewiß. Die strengen preußischen Prinzipien wurden jedoch auch von ihrer Mutter vertreten. Als Carolines Bruder, der einzige Sohn der Mutter, nach Italien ging und katholisch werden wollte, drohte sie ihn zu enterben. Wie in einem Lehrstück über aufgeklärte Toleranz und Tugend erklärte die junge Caroline daraufhin feierlich, das ihr dann zufallende Erbe nicht annehmen zu wollen - und versöhnte dadurch Mutter und Sohn.
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Riley 1978, S. 4. Über die Firma Schickler vgl. Berliner Kaufleute und Kapitalisten. Hg. von Hugo Rachel und Paul Wallich. Bd. 2: Die Zeit des Merkantilismus. Berlin 1938, S. 209-233. Aufzeichnung Arnims. In: Steig 1894, S. 3. Ernst Lewy: Die Verwandlung Friedrichs des Großen. Eine psychoanalytische Untersuchung. In: Psyche 49, 1995, S. 727-804, hier S. 733. Aufzeichnung Arnims. In: Steig 1894, S. 3. Ebd.
Die Große Mutter Caroline von Labes
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Der Vater hinterließ bei seinem Tode ein Vermögen von »vielen Hundert Tausend Thalern«, von dem Caroline einen »ansehnlichen Anteil« erbte." Ihre Mutter starb 1770 mit 64 Jahren, als die Tochter schon zehn Jahre in ihrer dritten Ehe lebte.
Jungfer, Frau, Mutter Als Frau hatte Caroline Daum ein merkwürdiges Schicksal, das sie ganz in die Nähe der Monarchie führte: 1752 wurde sie 22jährig verlobt mit Friedrichs des Großen Günstling und Geheimem Kämmerer Michael Gabriel Fredersdorff, man darf vermuten: zunächst, weil sie für den angesehenen Mann, zwanzig Jahre älter als sie, eine gute Partie war. Doch wurde er Carolines große Liebe. Sie selbst berichtet, er sei kurz nach der Verlobung sehr krank geworden, und Friedrich, der ihn zärtlich liebte (wenn auch nicht homosexuell),12 wollte ihn »aus grosser Besorgung für sein Leben« erst genesen und dann heiraten lassen. Die Krankheit wurde jedoch nicht besser, sondern schlimmer, bis die Ärzte den Kranken aufgaben. Da es aber Fredersdorffs »innigstes Verlangen« war, die Jungfer Daum zu heiraten, wurde sie ihm »mit allerhöchstem Konsens« im Dezember 1753 »auf dem Krankenbett angetraut«.13 So der relativ nüchterne Bericht der Großmutter. Arnim dagegen schrieb kurz nach dem Tod der alten Frau auf großen Bögen nach eigenen Erinnerungen Lebensbilder seiner nächsten Vorfahren auf, wohl 1810, in einer Zeit also, als er und Clemens Brentano sich besonders für Biographien und Autobiographien interessierten. Was Reinhold Steig über Arnims Urgroßeltern und Großeltern berichtet, stammt aus diesen Aufzeichnungen, deren Originale heute in der Biblioteka Jagiellonska in Krakow liegen. Arnims Berichte sind persönlich gefärbt und geben wieder, was er von Verwandten gehört hat. Danach konnte Friedrich keine verheirateten Menschen in seiner Umgebung leiden und habe sich »ein paar Jahre« geweigert, das verlobte Paar heiraten zu lassen. Schließlich habe Fredersdorff gedroht, der Liebeskummer um die junge Caroline würde ihn noch kränker machen und vielleicht umbringen. »Das wirkte. Der König willigte ein«, schreibt Arnim, und das verliebte Paar schaffte es, innerhalb von 24 Stunden zu heiraten, damit der König nicht auf andere Gedanken käme. In seiner Skizze betont Arnim die Hingabe der Großmutter an ihren pflegebedürftigen Ehemann, die »selige Freiheit, Uebereinstimmung und innere Heiterkeit«14 dieser immerhin fünfjährigen Ehe trotz vieler Kümmernisse. Zugleich, entgegen seiner sonstigen Dezenz, behauptet er die Bewahrung ihrer Jungfernschaft. Woher mag Arnim das wissen? Eigentlich kann es ihm niemand erzählt haben als die Großmutter selbst, ebenso wie die Geschichten aus ihrer Kindheit und die späteren Anekdoten über den Ehemann
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Lebensbeschreibung, S. 2. Vgl. Lewy: Die Verwandlung Friedrichs des Großen (wie Anm. 8), S. 786f. Dieses und die folgenden Zitate: Lebensbeschreibung, S. 2f. Aufzeichnung Arnims. In: Steig 1894, S. 4f.
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Hildegard
Baumgart
Hans Labes, der der Vater ihrer beiden Kinder Amalie und Hans wurde. Es hat also vielleicht doch eine Axt von Behaglichkeit mit der resoluten alten Frau gegeben, die auf ihre Art sehr an den beiden Enkeln und schließlich, in ihrer allerletzten Lebenszeit, besonders an »Louis« hing, dessen Literaturname »Achim« ihr allerdings zuwider war. Davon wird noch die Rede sein. Caroline selbst schreibt, ihre Liebe sei »wohl unstreitig die reinste und treueste gewesen, so je zu finden«, und ihres ersten Mannes »Verlust und sein Andenken« werde ihr »immer unvergesslich bleiben«.15 Arnim weiß zu berichten, daß Fredersdorff sich Gedanken darüber machte, wie er die junge Frau zerstreuen könnte, damit sie »von dem Sitzen im Krankenzimmer nicht leide; er schaffte ihr ein kleines Reitpferd an und zwang sie oft, größere Reisen zur Abwechselung zu machen«.16 Es sieht so aus, als sei in Caroline während der langen Zeit häuslichen Dienens und Pflegens durch Fredersdorffs liebevolle Führung die Energie und Entscheidungsstärke ausgereift, die sie nicht mehr verlassen sollte. Ihr Mann war, wie ja auch in den Tätigkeiten für seinen König, trotz seiner Kränklichkeit aktiv und ehrgeizig und zog sie zur Mitarbeit für sein Gut Zernikow heran, ein Geschenk seines Königs.17 Fredersdorff hatte den Besitz durch Zukauf der Dörfer Kelkendorf, Dagow und Burow erweitert.18 Er ließ Tausende von Maulbeerbäumen für die Seidenraupenzucht pflanzen sowie eine Ziegelei anlegen, in der die Ziegel für das schöne schlichte Wohnhaus der Herrschaft gebrannt wurden, das schon 1746 fertig wurde. Es ist möglich, daß Knobelsdorff den Bauherrn beraten hat. Nach Fredersdorffs Tod im Januar des Jahres 1758, der sie »mit allergrößtem Schmerz«19 erfüllte, nahm Caroline ihr Leben selbst in die Hand, wobei sie allerdings zunächst nicht viel Glück hatte. Sie war jetzt Ende Zwanzig, von Herkunft reich und Erbin von Zernikow. Im August 1759 verlobte sie sich zum zweitenmal, diesmal mit einem adeligen Kriegsveteranen, Aschersleben. Die im Dezember desselben Jahres geschlossene Ehe löste Caroline nach drei Monaten wegen »schlechter Begegnung«20 wieder auf und ließ sich scheiden. Hatte sie schon bei Fredersdorff eine ungewöhnliche Verbindung nicht gescheut, so entschied sie sich jetzt, bei ihrer dritten Wahl, wieder für eine sonderbare, wenn auch ehetauglichere Persönlichkeit, den Kammerherrn Hans Labes, einen Bürgerlichen also trotz aller Nähe zum Hof. Pünktlich zehn Monate nach der Hochzeit wurde 1761 Arnims Mutter Amalie geboren, dann, anderthalb Jahre später, der Sohn Hans. Daß es keine weiteren Kinder gab, verwun15 16 17
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Lebensbeschreibung, S. 2. Aufzeichnung Arnims. In: Steig 1894, S. 5. Friedrich II. hatte Zernikow als Kronprinz am 17. März 1737 von einem Leutnant Claude Benjamin le Chenevix de Beville gekauft und es am 26. Juni 1740 Fredersdorff geschenkt (urkundliche Daten: mündliche Mitteilung von Katharina von Hagen, Zernikow), also nur wenige Wochen, nachdem Friedrich am 31. Mai 1740 durch den Tod seines Vaters König geworden war. Das Gut blieb bis zum Ende des ersten Weltkrieges im Besitz der Familie von Arnim. (Vgl. Clara von Arnim: Der grüne Baum des Lebens. 7. Aufl. Bern-MünchenWien 1991). 1750, 1753, 1755. Vgl. Riley 1978, S. 8. Lebensbeschreibung, S. 3. Ebd.
Die Große Mutter Caroline von Labes
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dert. Die Phantasie liegt nahe, daß Caroline Labes auch hier eine Entscheidung traf, besonders wenn wir von den schönen Freundinnen des Ehegatten hören. 21 Auch Labes »dankte sich selbst alles«22 wie Carolines Vater Daum. Er stammte aus bürgerlichen, aber nicht reichen Verhältnissen, lief von zu Hause fort und machte sein Glück alleine. Sein Glück war aber nicht das Geld, sondern er bewegte sich nach glänzendem Studium in der Welt der Diplomatie, wo er sich zunächst die Gunst und später »durch eigenthümliche Unbeugsamkeit und manchen Uebermuth« 23 geradezu den Haß des Königs zuzog. Die Ehe mit Caroline war nicht glücklich, »am allerwenigsten aber der ersten mit dem lieben Fredersdorf zu vergleichen«. 24 In den letzten neun von sechzehn Ehejahren lebte das Paar getrennt. Labes zog wegen seiner Schwierigkeiten in Berlin, auch wegen hoher Schulden nach Zernikow, wo ihn seine Frau mit den beiden Kindern alljährlich »ein bis zwei Mal« auf einige Wochen besuchte, »um die Einigkeit durch die Abwesenheit soviel wie möglich zu erhalten«, wie Caroline doppeldeutig schreibt.25 Das eigentliche Familienleben spielte sich in dem großen repräsentativen Haus Am Quarre 4 in Berlin ab, wo auch Achim von Arnim seine Kindheit zubrachte. 26 Der Vater Labes betrieb in Zernikow eine lärmreiche und aufwendige Geselligkeit mit vielen Freunden und stritt sich auf eine schrullige Weise mit den für ihn zuständigen Landesbeamten herum. Als Beispiel berichtet Arnim von einer Streitigkeit über Hochjagd. Labes lud die Förster zu einem Essen ein.27 In »seinem Speisesaale« nisteten »viele Ratten und Mäuse« (was ein interessantes Licht auf damalige Haus- und Wohnzustände wirft!), und Labes amüsierte sich damit, bei Tisch zwischen den Förstern hindurch mit der Kugelbüchse auf dieses kleinste Niederwild zu schießen.28 Die Förster werden sich bei dieser Übung nicht gerade wohlgefuhlt haben. Überhaupt »herrschte« Labes exzentrisch »in den eigentümlichsten, aber prachtvollsten Launen«, schreibt Arnim. 29 »Seine Trinkgelage wurden von allen Großen des Reichs besucht«, 30 aber auch von der Karschin, der >deutschen Sappho